GmbH-Gesetz, Band 2: Kommentar mit Anhang Konzernrecht 9783504385804

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GmbH-Gesetz, Band 2: Kommentar mit Anhang Konzernrecht
 9783504385804

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Scholz · GmbH-Gesetz · Kommentar

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Scholz Kommentar zum GmbH-Gesetz Bearbeitet von

Prof. Dr. Georg Bitter Dr. Christian Bochmann Dr. Carsten Cramer Prof. Dr. Georg Crezelius Prof. Dr. Volker Emmerich Prof. Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt Prof. Dr. André Meyer Prof. Dr. Hans-Joachim Priester Prof. Dr. Thomas Rönnau Dr. Johannes Scheller Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt Dr. Sven H. Schneider Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider Prof. Dr. Christoph H. Seibt Dr. Georg Seyfarth Dr. Joachim Tebben Prof. Dr. Rüdiger Veil Prof. Dr. Dirk A. Verse Prof. Dr. Dres. h.c. Harm Peter Westermann Prof. Dr. Hartmut Wicke II. Band §§ 35 - 52 Anh. § 45 Gesellschafterversammlung und Gesellschafterkompetenzen in der GmbH & Co. KG 12. neubearbeitete und erweiterte Auflage

2021

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Bearbeiter Prof. Dr. Georg Bitter

Dr. Sven H. Schneider, LL.M. (Berkeley)

o. Professor, Universität Mannheim

Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, Attorney-at-Law (New York)

Dr. Christian Bochmann, LL.M. (Cambridge) Rechtsanwalt in Hamburg

Dr. Carsten Cramer, LL.M. (Columbia) Notar in Hamburg

Prof. Dr. Georg Crezelius o. Professor em., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Steuerberater in München

Prof. Dr. Volker Emmerich

Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider o. Professor em., Technische Universität Darmstadt, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Prof. Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale) Rechtsanwalt in Hamburg, Attorney-at-Law (New York), Honorarprofessor, Bucerius Law School, Hamburg

o. Professor em., Universität Bayreuth, Richter am OLG Nürnberg a.D.

Dr. Georg Seyfarth, LL.M. (Duke)

Prof. Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt

Dr. Joachim Tebben, LL.M. (Michigan)

Rechtsanwalt in Hamburg, Honorarprofessor, Bucerius Law School, Hamburg

Prof. Dr. Rüdiger Veil

Prof. Dr. André Meyer, LL.M. Taxation

Rechtsanwalt in Düsseldorf

Notar in Düsseldorf

o. Professor, Ludwig-Maximilians-Universität München

o. Professor, Universität Bayreuth

Prof. Dr. Dirk A. Verse, M.Jur. (Oxford) Prof. Dr. Hans-Joachim Priester Notar a.D. in Hamburg, Honorarprofessor, Universität Hamburg

Prof. Dr. Thomas Rönnau o. Professor, Bucerius Law School, Hamburg

o. Professor, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Prof. Dr. Dres. h.c. Harm Peter Westermann o. Professor em., Eberhard Karls Universität Tübingen, Mitglied der Akademie Athen

Dr. Johannes Scheller Notarassessor in Hamburg

Prof. Dr. Hartmut Wicke, LL.M. (Stellenbosch)

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt

Notar in München, Honorarprofessor, Ludwig-Maximilians-Universität München

o. Professor em., Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Professor, Bucerius Law School, Hamburg

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl., § … Rz. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-32565-7 (II. Band) ISBN 978-3-504-32567-1 (I.–III. Band) ©2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort zum II. Band Mit dem Erscheinen des Bandes II ist die 12. Auflage des Scholz komplett. Der Band enthält mit dem dritten Abschnitt des GmbH-Gesetzes das Recht der Vertretung und Geschäftsführung, die Anmeldung der Geschäftsführer, die Gesellschafterliste, das Bilanzrecht, die Haftung der Geschäftsführer, Rechte und Aufgaben der Gesellschafter, das Beschlussrecht, die Gesellschafterversammlung, das Auskunfts- und Einsichtsrecht und das Recht des Aufsichtsrats. Die Verfasser verfolgen mit der Konzeption und Ausgestaltung des Kommentarwerks das Ziel, den täglichen Anforderungen wie auch den Zukunftsaufgaben einer wissenschaftlich fundierten Rechtspraxis gerecht zu werden. Neben zuverlässiger und gründlicher Information bietet der Kommentar deshalb durchgehend Vorschläge für die Beantwortung ungelöster Fragen durch Rechtsgestaltung und Judikatur. Garant dafür ist ein erfahrener Bearbeiterkreis, der sich auch im Band II teilweise neu zusammensetzt. Herr Professor Dr. André Meyer bearbeitet seit der 12. Auflage in Nachfolge von Herrn Professor Dr. Georg Crezelius das Rechnungslegungsrecht (§§ 41–42a GmbHG). Herr Professor Dr. Dirk A. Verse hat die §§ 43–44 von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider übernommen. Herr RA Dr. Christian Bochmann führt in Nachfolge von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt die Kommentierung des § 45 GmbHG fort, und Herr RA Dr. Georg Seyfarth hat von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider den § 52 GmbHG übernommen. Den bisherigen Autoren gilt auch an dieser Stelle unser allergrößter Dank für zuverlässige, tiefgängige und rechtsfortbildende Kommentierungen seit vielen Auflagen. Der Autorenwechsel hat in weiten Teilen zu grundlegenden Überarbeitungen geführt. Im Einzelnen: Die Vorschriften über das Rechnungslegungsrecht der GmbH (§§ 41–42a GmbHG) werden von Herrn Professor Dr. André Meyer vollständig neu kommentiert. Dabei wurde der Umfang der Erläuterungen zu § 41 GmbHG erweitert, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Hintergründe und die Reichweite der Sorgepflicht der Geschäftsführer gelegt wird. Die neueste Rechtsprechung zum Schutzgesetzcharakter von Rechnungslegungsvorschriften ist eingearbeitet. Die Dogmatik des § 42a GmbHG wird um neue Überlegungen bereichert, die insbesondere die Vorlagepflicht der Geschäftsführer und die Teilnahme des Abschlussprüfers an den Verhandlungen über die Feststellung des Jahresabschlusses betreffen. Die §§ 43–44 GmbHG haben nach dem Wechsel zu Herrn Professor Dr. Dirk A. Verse eine völlige Neubearbeitung erfahren. Das Recht der Organhaftung präsentiert sich nun auf rundum neuem Stand. Sämtliche neuere Entwicklungen sind umfassend eingearbeitet. Dazu gehören u.a. die Diskussion der Compliance-Pflichten der Geschäftsleiter nach „Siemens/ Neubürger“, ausführliche Stellungnahmen zu aktuellen Streitfragen (z.B. Umgang mit Interessenkonflikten, Handeln bei unklarer Rechtslage, Regress von Verbandsgeldbußen, Haftungsmilderungen in Anlehnung an arbeitsrechtliche Grundsätze), eine Analyse der neueren BGH-Rechtsprechung zum rechtmäßigen Alternativverhalten („Schloss Eller“) und zur Verjährung („Easy Software“) sowie ein Überblick über neuere Tendenzen im Recht der D&OVersicherung. Im Abschnitt der §§ 45–47 GmbHG von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt führt Herr RA Dr. Christian Bochmann die Bearbeitung des § 45 GmbHG unter Beibehaltung der Struktur der bisherigen Kommentierung und unter Berücksichtigung einer Vielzahl von aktuellen Entwicklungen und Entscheidungen fort. Das Recht des Aufsichtsrats (§ 52 GmbHG) wurde von Herrn RA Dr. Georg Seyfarth vollständig aktualisiert und teilweise neu bearbeitet. Erstmals sind die Vorschriften zur Geschlechterquote (§ 52 Abs. 2 GmbHG) bei der Besetzung des Aufsichtsrats kommentiert. Zudem konnVII

Vorwort zum II. Band

te auch noch das bei Redaktionsschluss kurz vor der Verabschiedung stehende FüPoG II Eingang in die Kommentierung finden. Dies gilt ebenso für den neuen § 36 GmbHG, dessen Kommentierung erstmals von den Herren Professor Dr. h.c. Uwe H. Schneider und RA Dr. Sven H. Schneider in dieser Auflage beigesteuert wird. Die Neu-Kommentierung des Aufsichtsrats von Herrn Dr. Seyfarth umfasst zugleich eine Reihe von Corporate GovernanceThemen und Rechtsfragen, die rechtsformübergreifend alle Überwachungsorgane betreffen, etwa zu Investorenkontakten, zur Ausstattung des Aufsichtsrats oder zu den Kompetenzen bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführung. Insgesamt befindet sich der II. Band auf dem Stand von Februar 2021. Eine Vielzahl der in diesem Band enthaltenen Kommentierungen wurde schon zu Beginn und im Laufe des Jahres 2020 in die Datenbanken, in denen der Scholz enthalten ist, vorab eingestellt. Durch diese Online first-Strategie konnte zum Nutzen der Datenbank-Abonnenten eine besondere Aktualität erzielt werden. Die Autoren dieser Kommentierungen haben es sich gleichwohl nicht nehmen lassen, kurz vor Drucklegung nochmals eine Aktualisierung vorzunehmen, so dass der vorliegende Band insgesamt auf einem einheitlichen Stand ist. Den Aktualitätsvorteil der Online first-Strategie wollen die Scholz-Autoren und der Verlag auch zukünftig nutzen und beabsichtigen, bei besonderem Anlass (vor allem grundlegenden Gesetzesänderungen) den Austausch ganzer Kommentierungen in der Online-Version auch unabhängig von der Printveröffentlichung fortzusetzen. Daher lohnt sich – sofern nicht schon geschehen – eine kontinuierliche Beschäftigung mit der Online-Version des Scholz. Aktuell ist der Scholz in mehreren Datenbanken vertreten – bei Juris im PartnerModul GmbHRecht und im Zusatzmodul für die Hochschulen, bei Otto Schmidt online im Aktionsmodul Gesellschaftsrecht und Beratermodul Kommentare Gesellschaftsrecht (weitere Informationen dazu unter www.juris.de/pm-gmbhrecht und www.otto-schmidt.de/akgr). Verschiedentlich erreichen uns Hinweise aus dem Kreis der Benutzer, die wir gerne aufgreifen und berücksichtigen. Wir bitten, uns auch künftig in gleicher Weise zu unterstützen. Anregungen und Bemerkungen erbitten wir per E-Mail ([email protected]) an den Verlag. Februar 2021

Verfasser und Verlag

Es bearbeiten im II. Band: Christian Bochmann

§ 45 (in Nachfolge Karsten Schmidt)

Klaus-Stefan Hohenstatt

§ 35 (Rz. 251–564)

André Meyer

§§ 41–42a (in Nachfolge Georg Crezelius)

Karsten Schmidt

Anh. § 45, §§ 46–47, §§ 51a/b

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

§ 35 (Rz. 1–250), §§ 35a–39

Christoph H. Seibt

§§ 40, 48–51

Georg Seyfarth

§ 52 (in Nachfolge Uwe H. Schneider)

Dirk A. Verse

§§ 43–44 (in Nachfolge Uwe H. Schneider)

VIII

Inhaltsverzeichnis II. Band Seite

Vorwort zum II. Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII XI XV

Dritter Abschnitt: Vertretung und Geschäftsführung § 35 Vertretung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 35a Angaben auf Geschäftsbriefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 36 Zielgrößen und Fristen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 37 Beschränkungen der Vertretungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 38 Widerruf der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 39 Anmeldung der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 40 Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . § 41 Buchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 42 Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 42a Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts . . . . . . . . . . . . . . . § 43 Haftung der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 43a Kreditgewährung aus Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 44 Stellvertreter von Geschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 45 Rechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang § 45: Gesellschafterversammlung und Gesellschafterkompetenzen in der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 46 Aufgabenkreis der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 47 Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 48 Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 49 Einberufung der Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 50 Minderheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 51 Form der Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 51a Auskunfts- und Einsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 51b Gerichtliche Entscheidung über das Auskunfts- und Einsichtsrecht . . . . § 52 Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

... ...

1 174

. . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . .

187 198 237 278 290 362 379 393 420 642 667 677

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

. . . . . . . . . .

852 896 1000 1123 1173 1192 1212 1239 1290 1313

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1551

IX

Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Adler/Düring/Schmaltz Altmeppen Bartl/Bartl/Beine/Koch/Schlarb/ Schmitt Baumbach/Hopt Baumbach/Hueck Baumbach/Hueck Bayer/Habersack (Hrsg.) Bayer/Koch (Hrsg.) Beck’scher Bilanz-Kommentar Beck’sches Handbuch der GmbH Bitter Bitter/Heim Bitter/Röder Bork/Schäfer (Hrsg.) Brandmüller Brodmann Brodmann Buchegger (Hrsg.)

Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Kommentar, 6. Aufl. 1997 ff. GmbHG, Kommentar, 10. Aufl. 2021; siehe auch Roth/Altmeppen Heidelberger Kommentar zum GmbH-Recht, 8. Aufl. 2019 Kurzkommentar zum HGB, 39. Aufl. 2020 Kurzkommentar zum AktG, 13. Aufl. 1968 Kurzkommentar zum GmbHG, 22. Aufl. 2019 Aktienrecht im Wandel, 2007 Das neue GmbH-Recht, 2008 Handelsbilanz und Steuerbilanz. Herausgegeben von Grottel/Schmidt/Schubert/Störk, 12. Aufl. 2020 Gesellschaftsrecht, Steuerrecht. Herausgegeben von Prinz/Winkeljohann, 5. Aufl. 2014 Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000 Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2020 BGB Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2020 Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl. 2019 Der GmbH-Geschäftsführer im Gesellschafts-, Steuerund Sozialversicherungsrecht, 18. Aufl. 2006 Kommentar zum AktG, 1928 Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 1930 Österreichisches Insolvenzrecht, Kommentar, Erster Zusatzband (BWG, GenKonkV, EKEG, VAG, URG, Insolvenz und Steuern), 2009

Centrale für GmbH (Hrsg.) Cranshaw/Paulus/Michel (Hrsg.)

GmbH-Handbuch, Loseblatt Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, Bd. 1 und 2, 3. Aufl. 2016

Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn Erman

Handelsgesetzbuch, Kommentar, 4. Aufl. 2020 Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 16. Aufl. 2020 Die Praxis der Gesellschafterversammlung, 4. Aufl. 2006

Eickhoff Fabricius (Hrsg.)

Gemeinschaftskommentar zum Mitbestimmungsgesetz, Loseblatt Feine Die GmbH in Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. III, 3, 1929 Flume Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1 1. Teil, Die Personengesellschaft, 1977 Flume Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1 2. Teil, Die juristische Person, 1983 Frankfurter Kommentar zur InsO siehe Wimmer

XI

Allgemeines Schrifttumsverzeichnis

Gehrlein/Born/Simon (Hrsg.)

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommentar, 4. Aufl. 2019 Gehrlein/Witt/Volmer GmbH-Recht in der Praxis, 4. Aufl. 2019 Gersch/Herget/Marsch/Stützle GmbH-Reform 1980, 1980 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff Aktiengesetz, Kommentar, 1974 ff. Godin/Wilhelmi Aktiengesetz, Kommentar, 4. Aufl. 1971 Goette/Goette Die GmbH, 3. Aufl. 2019 Goette/Habersack (Hrsg.) Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009 Gottwald (Hrsg.) Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015 Goutier/Seidel Handkommentar zum GmbH-Gesetz und zur GmbHNovelle, 1990 Graf-Schlicker (Hrsg.) InsO Kommentar, 5. Aufl. 2020 Grigoleit/Rieder GmbH-Recht nach dem MoMiG, 2009 Großkommentar zum AktG Herausgegeben von Hopt/Wiedemann, 4. Aufl. 1992 ff. Herausgegeben von Hirte/Mülbert/M. Roth, 5. Aufl. 2014 ff. Großkommentar zum GmbHG siehe Ulmer/Habersack/Löbbe und Habersack/Casper/ Löbbe Großkommentar zum HGB siehe Staub Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.)

Habersack/Henssler Hachenburg Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht Happ Heckschen/Heidinger (Hrsg.)

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Großkommentar. Bd. 1: 3. Aufl. 2019, Bd. 2: 3. Aufl. 2020; siehe auch Ulmer/Habersack/ Löbbe Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018 Großkommentar zum GmbHG. Begründet von Hachenburg, 8. Aufl. herausgegeben von Ulmer, 1990 ff. siehe Schmidt Die GmbH im Prozess, 1997 Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018 Gesellschaftsrecht, Kommentar, 4. Aufl. 2019 Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020

Henssler/Strohn (Hrsg.) Hesselmann/Tillmann/MuellerThuns Heymann Hölters (Hrsg.) Hoffmann/Liebs Hüffer/Koch

Handelsgesetzbuch, Kommentar, 2. Aufl. 1995 ff. Handbuch Unternehmenskauf, 9. Aufl. 2019 Der GmbH-Geschäftsführer, 3. Aufl. 2009 Aktiengesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2020

Jaeger/Ziemons (Hrsg.)

BeckOK GmbHG

Kallmeyer Kayser/Thole (Hrsg.) Knobbe-Keuk Koller/Kindler/Roth/Drüen Kölner Kommentar zum AktG

Umwandlungsgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2020 Heidelberger Kommentar zur InsO, 10. Aufl. 2020 Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993 Handelsgesetzbuch, Kommentar, 9. Aufl. 2019 Herausgegeben von Zöllner, 2. Aufl. 1988 ff. Herausgegeben von Zöllner/Noack, 3. Aufl. 2004 ff. Koppensteiner GmbH-Gesetz (Österreich), 2. Aufl. 1999 Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.) Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017 Kübler (Hrsg.) Handbuch der Restrukturierung in der Insolvenz, 3. Aufl. 2019 XII

Allgemeines Schrifttumsverzeichnis

Kübler/Assmann Kübler/Prütting/Bork (Hrsg.) Küting/Pfitzer/Weber (Hrsg.)

Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006 InsO, Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblatt Handbuch der Rechnungslegung, Loseblatt

Langenfeld/Miras Liebmann/Saenger Lutter

GmbH-Vertragspraxis, 8. Aufl. 2019 Kommentar zum GmbHG, 7. Aufl. 1927 Umwandlungsgesetz. Herausgegeben von Bayer/J. Vetter, 6. Aufl. 2019 GmbH-Gesetz, Kommentar, 20. Aufl. 2020 Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020 Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998

Lutter/Hommelhoff Lutter/Krieger/Verse Lutter/Scheffler/U. H. Schneider (Hrsg.) Lutter/Ulmer/Zöllner (Hrsg.) Meyer-Landrut/Miller/Niehus Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts

Münchener Kommentar zum AktG Münchener Kommentar zum BGB Münchener Kommentar zum GmbHG Münchener Kommentar zum HGB Münchener Kommentar zur InsO Münchener Kommentar zur ZPO

Festschrift 100 Jahre GmbHG, 1992 Kommentar zum GmbH-Gesetz, 1987 GmbHG, 3. Aufl. 2017 Herausgegeben von Römermann, 4. Aufl. 2018 Band 2: Kommanditgesellschaft, GmbH & Co. KG, Publikums-KG, Stille Gesellschaft. Herausgegeben von Gummert/Weipert, 5. Aufl. 2019; Band 3: Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Herausgegeben von Priester/ Mayer/Wicke, 5. Aufl. 2018; Band 4: Aktiengesellschaft. Herausgegeben von Hoffmann-Becking, 5. Aufl. 2020 Herausgegeben von Goette/Habersack, 4. Aufl. 2014 ff., 5. Aufl. 2019 ff. Herausgegeben von Rixecker/Säcker/Oetker, 6. Aufl. 2012 ff. Herausgegeben von Säcker/Rixecker/Oetker/ Imperg, 7. Aufl. 2015 ff., 8. Aufl. 2019 ff. Herausgegeben von Fleischer/Goette, Bd. 1: 3. Aufl. 2018, Bd. 2: 3. Aufl. 2019, Bd. 3: 3. Aufl. 2018 Herausgegeben von Karsten Schmidt, 4. Aufl. 2016 ff. Herausgegeben von Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer, 4. Aufl. 2019 ff. Herausgegeben von Krüger/Rauscher, 5. Aufl. 2016 f.

Nerlich/Römermann (Hrsg.)

Insolvenzordnung, Loseblatt

Obermüller

Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016

Palandt

Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 79. Aufl. 2020

Raiser/Veil Raiser/Veil/Jacobs

Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015 Kommentar zum Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 7. Aufl. 2019 Das österreichische GmbH-Recht in systematischer Darstellung, 1983; 2. Aufl., Bd. I, 1997 HGB, Kommentar, 5. Aufl. 2019

Reich-Rohrwig Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas (Hrsg.)

XIII

Allgemeines Schrifttumsverzeichnis

Römermann/Wachter (Hrsg.) Roth/Altmeppen Rowedder/Schmidt-Leithoff Saenger/Inhester (Hrsg.) Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.) Schlegelberger Schlegelberger/Quassowski A. Schmidt (Hrsg.)

GmbH-Beratung nach dem MoMiG, GmbHR-Sonderheft 2008 (Oktober) GmbHG, Kommentar, 9. Aufl. 2019; siehe auch Altmeppen Kommentar zum GmbH-Gesetz, 6. Aufl. 2017 GmbHG, Kommentar, 4. Aufl. 2020 Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017

Staudinger

Kommentar zum HGB, 5. Aufl. 1973 ff. Kommentar zum Aktiengesetz 1937, 3. Aufl. 1939 Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2019 Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002 Handelsrecht, 6. Aufl. 2014 Insolvenzordnung, Kommentar, 19. Aufl. 2016 AktG, 4. Aufl. 2020 Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016 BGB, Kommentar, 13. Aufl. 1999 ff. Großkommentar zum Handelsgesetzbuch. Herausgegeben von Canaris/Habersack/Schäfer, 5. Aufl. 2009 ff. Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2003 ff.

Tillmann/Mohr Tillmann/Schiffers/Wälzholz/ Rupp

GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020 Die GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht, 6. Aufl. 2015

Uhlenbruck Ulmer/Habersack/Löbbe

Insolvenzordnung, Kommentar, 15. Aufl. 2019 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Großkommentar. Bd. 3: 2. Aufl. 2016, siehe auch Habersack/Casper/Löbbe

Vogel

Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 1956

Wicke

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), 4. Aufl. 2020 Umwandlungsrecht, Kommentar, Loseblatt Gesellschaftsrecht, Bd. 1: Allgemeine Grundlagen, 1980, Bd. 2: Recht der Personengesellschaften, 2004 Frankfurter Kommentar zur InsO, 9. Aufl. 2018 Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2016 Kommentar zum GmbHG (Österreich), 1988 Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl. 1981

Karsten Schmidt Karsten Schmidt Karsten Schmidt (Hrsg.) Karsten Schmidt/Lutter (Hrsg.) Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.) Soergel Staub

Widmann/Mayer Wiedemann Wimmer (Hrsg.) Wißmann/Kleinsorge/Schubert Wünsch Würdinger Zöller

XIV

Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. abl. ABl. EG/EU Abs. Abschn. Abt. abw. AbzG AC AcP ADHGB a.E. AEUV a.F. AFG AG AGB AGG AktG allg. M. Alt. a.M. AnfG AngKSchG Anh. Anl. Anm. AnwBl. AO AöR AP APAReG APAS ApoG ApSL ArbG ArbGG ArbN ArbNErfG ArbZG AReG arg. Art. art. ARUG AT

anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften/Union Absatz Abschnitt Abteilung abweichend Abzahlungsgesetz Adler-Clemens, Sammlung handelsrechtlicher Entscheidungen (Österreich) Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift); Aktiengesellschaft; Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Aktiengesetz allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Anfechtungsgesetz Angestellten-Kündigungsschutzgesetz Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz Abschlussprüferaufsichtsstelle Gesetz über das Apothekenwesen Lov Nr. 371a 13.6.1973 om anpartsseleskaber Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitnehmer Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitszeitgesetz Abschlussprüfungsreformgesetz argumentum Artikel article Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Allgemeiner Teil XV

Abkürzungsverzeichnis

AtomG AÜG AufenthG Aufl. AuR AuslG AVG AWD AWG AWV Az. AZO BABl. BadNotZ BadWürttVGH BÄO BAFA BaFin BAG BAGE BankArch BAnz. BAnzDiG

BauersZ BauR BausparkG BAV BayObLG BayObLGSt. BayObLGZ BayVerfGH BB BBankG BBergG BBG Bd. BDSG BeckOK BEEG Begr. Begr. RegE Beil. BerDGesVölkR BetrAV XVI

Atomgesetz Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet Auflage Arbeit und Recht Ausländergesetz Angestelltenversicherungsgesetz Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftsverordnung Aktenzeichen Arbeitszeitordnung Bundesarbeitsblatt Badische Notariatszeitschrift Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Bundesärzteordnung Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bank-Archiv Bundesanzeiger Gesetz zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der Zivilprozessordnung, des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabeordnung Der Handelsgesellschafter, hrsg. von Bauer Baurecht Bausparkassengesetz Die Betriebliche Altersversorgung, Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Bayerischer Verfassungsgerichtshof Betriebs-Berater Gesetz über die Deutsche Bundesbank Bundesberggesetz Bundesbeamtengesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Beck’scher Online-Kommentar Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Begründung Begründung zum Regierungsentwurf Beilage Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Betriebliche Altersversorgung

Abkürzungsverzeichnis

BetrAVG BetrVG BeurkG BewG BfA BFH BFHE BFH/NV BFuP BGB BGBl. BGH BGHSt. BGHZ BGleiNRG BilKoG BilKomm. BilMoG BilReG BilRUG BImSchG BiRiLiG BKK BKR BlfG BlStSozArbR BMF BMJV BNotO BörsZulVO BR BRAK-Mitt. BRAO BR-Drucks. BRRG BSG BSGE BStBl. BT-Drucks. BürgA BUrlG BUV BuW BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW

Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Beurkundungsgesetz Bewertungsgesetz Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Bilanzkontrollgesetz Bilanz-Kommentar Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bilanzrechtsreformgesetz Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Bundesimmissionsschutzgesetz Bilanzrichtliniengesetz Die Betriebskrankenkasse Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Blätter für Genossenschaftswesen Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesnotarordnung Börsenzulassungs-Verordnung Bundesrat Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Archiv für Bürgerliches Recht Bundesurlaubsgesetz Betriebs- und Unternehmensverfassung Betrieb und Wirtschaft Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Burgerlijk wetboek XVII

Abkürzungsverzeichnis

BWNotZ BZRG

Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg Bundeszentralregistergesetz

Cc CCZ CFL c.i.c. Cod. civ. Cod. com. COMI Cornell L.Rev. COVInsAG

Code civil Corporate Compliance Zeitschrift Corporate Finance law (Zeitschrift) culpa in contrahendo Codice civile Code de Commerce center of main interest Cornell Law Review Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Computer und Recht Corporate Social Responsibility CSR-Richtlinienumsetzungsgesetz

COVMG CR CSR CSR-RUG DAV DB DBW DCGK Décr. DepotG DGVZ DGWR DIHT Diss. DJ DJT DJZ DNotI DNotI-Report DNotV DNotZ D&O DR DrittelbG DRiZ DRpfl. DRZ DStR DStZ DurchfVO DVBl. DZWIR/DZWiR

XVIII

Deutscher Anwaltverein Der Betrieb Die Betriebswirtschaft Deutscher Corporate Governance Codex Décret Depot-Gesetz Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht Deutscher Industrie- und Handelstag Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Deutsches Notarinstitut Informationsdienst des Deutschen Notarinstituts Zeitschrift des Deutschen Notarvereins Deutsche Notarzeitschrift Directors and Officers Deutsches Recht (1939–1945) Drittelbeteiligungsgesetz Deutsche Richterzeitung Der deutsche Rechtspfleger Deutsche Rechtszeitschrift (1946–1950) Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuer-Zeitung Durchführungsverordnung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht; ab 1999: Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

Abkürzungsverzeichnis

E EBLR EBOR ecolex EFG EFTA EFZG EG EGAktG EGBGB EGGmbHG EGHGB EGInsO E-GmbHG EGR EG-VO EHUG EinfG Einl. EinzelhG EKV EO EPG ErbbauRG ErbR ErbStG ErbStR ErbStRG ErfK Erg. Erg.-Band Erl. EStB EStG EStR ESUG EU EU-APrRiLi

EU-APrVO

EuGH EuGHE EuGRZ

Entwurf European Business Law Review (Zeitschrift) European Business Organization Law Review Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Association Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft; Einführungsgesetz; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Entwurf zum GmbHG Entscheidungssammlung Gewerblicher Rechtsschutz Verordnung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister Einführungsgesetz Einleitung Einzelhandelsgesetz Europäische Kooperationsvereinigung Exekutionsordnung (Österreich) Europäische Privatgesellschaft Gesetz über das Erbbaurecht Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Erbschaftsteuer-Richtlinien Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Ergebnis/Ergänzung Ergänzungsband Erläuterung(en) Ertrag-Steuerberater Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Richtlinien Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen Europäische Union Richtlinie 2014/56/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen Verordnung (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse und zur Aufhebung des Beschlusses 2005/909/EG der Kommission Europäischer Gerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäische Grundrechte-Zeitschrift

XIX

Abkürzungsverzeichnis

EuGVVO EuInsVO EuR EuroEG EuZW e.V. EvBl. EWG EWGV EWiR EWIV EWIVG EWR EWRA EWS f., ff. FamFG FamRZ FAZ Festg. FG FGG FGO FGPrax FiMaNoG (2.) FKVO FMStBG

Fn. FR FRUG FS FüPoG I FüPoG II

G GA GBl. GBO XX

Europäische Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Insolvenzverordnung Europarecht Euro-Einführungsgesetz Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (Beilage zur ÖJZ) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Gesetz über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Festgabe Finanzgericht; Freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Zweites Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz) Fusionskontrollverordnung Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ (Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz) Fußnote Finanz-Rundschau Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz Festschrift Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Zweites Führungspositionen-Gesetz) Gesetz Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gesetzblatt Grundbuchordnung

Abkürzungsverzeichnis

GbR, GdbR GBVfg. GebrMG GenG GeschäftsO GeschGehG GeschmMG GesLV GesO GesR GesRGenRCOVMVV GesRZ GewA GewO GewStG GewStR GG ggf. GK GKG gl. M. GlTeilhG GmbH GmbHÄndG, ÄndG GmbHG GmbHR GmbHRspr. GmbH-StB GmS-OGB GNotKG GoB GoltdArch GPR grdl./grdlg. grds. GrErwStG, GrEStG Großkomm. Gruch. GrundbuchR GrünhutsZ GRUR GS

Gesellschaft des bürgerlichen Rechts Allgemeine Verfügung über die Einrichtung und Führung des Grundbuchs Gebrauchsmustergesetz Genossenschaftsgesetz Geschäftsordnung Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Geschmacksmustergesetz Gesellschafterlistenverordnung Gesamtvollstreckungsordnung Gesellschaftsrecht Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Der Gesellschafter, Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Österreich) Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gerichtskostengesetz gleicher Meinung Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften vom 4.7.1980 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Die GmbH in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte GmbH-Steuerberater Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union grundlegend grundsätzlich Grunderwerbsteuergesetz Großkommentar Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Grundbuchrecht Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, begründet von Grünhut Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Der Gerichtssaal (Zeitschrift) XXI

Abkürzungsverzeichnis

GStB GüKG GuV GVBl. GVG GVGA GWB GwG GWR

Gestaltende Steuerberatung Güterkraftverkehrsgesetz Gewinn- und Verlustrechnung Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Geldwäschegesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

h.A. HandelsR HandwO HansGRZ HansOLG Hdb. HdJ HdU HGB h.L. h.M. Holdh., HoldheimsMS

HWB

herrschende Ansicht Handelsrecht Handwerksordnung Hanseatische Gerichtszeitung Hanseatisches Oberlandesgericht Handbuch Handbuch des Jahresabschlusses Handbuch der Unternehmensbesteuerungen Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Monatszeitschrift für Handelsrecht und Bergwesen, begr. von Holdheim Handelsrechtsreformgesetz Handelsregister Handelsregistergebühren-Neuordnungsgesetz Verordnung über das Handelsregister Handelsregisterverfügung Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber Handelsregisterverordnung Handelsrechtliche Entscheidungen, begr. v. Stanzl, hrsg. v. Steiner (Österreich) Handwörterbuch

IAS i.d.F. i.d.R. IdW i.E. i.e.S. IFRS IHK InsO InsR.Hdb. IntGesR InvG InVo IPG IPR IPRax

International Accounting Standard in der Fassung in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer im Ergebnis im engeren Sinne International Financial Reporting Standards Industrie- und Handelskammer Insolvenzordnung Insolvenzrechts-Handbuch Internationales Gesellschaftsrecht Investmentgesetz Insolvenz und Vollstreckung Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts

HRefG HReg HRegGebNeuOG HRegV HRegVfg. HRR Hrsg. HRV HS

XXII

Abkürzungsverzeichnis

IPRspr. i.S. i.V.m. IWRZ JA JB JbFfSt. Jb.Int.R. JBl. J. B. L. JFG JherJB JKomG JMBlNRW JöR JR JStG Jura JurA JurBl. JurBüro jurisPR-InsR JurP JuS JVEG JW JZ KAGB Kap. KapAEG KapCoRiLiG KapErhG KapGes. KapGesR KartG(er) KartRdsch. KfW KG KGaA KGBl. KGJ KO KölnKomm. KonsG KonTraG KoordG KostO

Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts im Sinne in Verbindung mit Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Jahrbuch für internationales Recht Justizblatt; Juristische Blätter (Österreich) Journal of Business Law Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Jherings Jahrbücher der Dogmatik des Bürgerlichen Rechts Justizkommunikationsgesetz Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau Jahressteuergesetz Juristische Ausbildung Juristische Analysen Juristische Blätter Das Juristische Büro Juris PraxisReport Insolvenzrecht Juristische Person Juristische Schulung Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitalanlagegesetzbuch Kapitel Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz Kapitalerhöhungsgesetz Kapitalgesellschaft Kapitalgesellschaftsrecht Kartellgericht Kartell-Rundschau Kreditanstalt für Wiederaufbau Kammergericht; Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit Konkursordnung Kölner Kommentar Konsulargesetz Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Koordinierungsgesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien Kostenordnung XXIII

Abkürzungsverzeichnis

KostRMoG krit. KSchG KStDV KStG KStR KSzW KTS KVStDV KVStG KWG

Kostenrechtsmodernisierungsgesetz kritisch Kündigungsschutzgesetz Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Richtlinien Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kapitalverkehrsteuer-Durchführungsverordnung Kapitalverkehrsteuergesetz Kreditwesengesetz

LAG LBO L.Coord. Lfg. LFGB LG lit. Lit. LK LLC LM/LMK LöschG LSC

Landesarbeitsgericht Leveraged Buy-Out Lois coordonnées par arrêté royal d. 30.12.1935 (Belgien) Lieferung Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht Buchstabe(n) Literatur Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Limited Liability Company Lindenmaier-Möhring (Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs) Löschungsgesetz Loi no. 66–537 d. 24.7.1966 sur les sociétés commerciales (Frankreich) Loi d. 10.8.1915 concernant les sociétés commerciales (Luxemburg) Landessozialgericht linke Spalte laut Limited Luftverkehrsgesetz

LSC lux. LSG l.Sp. lt. Ltd. LuftverkehrsG, LuftVG LZ MarkenG m.a.W. MDR MgVG MitbestErgG MitbestG MittBayNot MittRhNotK MMR m.N. MoMiG MontanMitbestErgG MontanMitbestG XXIV

Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung Mitbestimmungsergänzungsgesetz Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Multimedia und Recht mit Nachweisen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz Montanmitbestimmungsgesetz

Abkürzungsverzeichnis

MoPeG MünchHdb. MünchKomm. MuW m.w.N.

Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts Münchener Handbuch Münchener Kommentar Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen

Nachw. NB N. B. W. NdsRpfl. n.F. NJOZ NJW NJWE-WettbR NJW-RR NotBZ NotVORPräs. Nr. NStZ NWB NZ NZA NZA-RR NZG NZI NZKart NZM NZS NZWist

Nachweis(e) Neue Betriebswirtschaft Nieuw Burgerlijk Wetboek Niedersächsische Rechtspflege Neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht Rechtsprechungsreport der Neuen Juristischen Wochenschrift Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Notverordnung des Reichspräsidenten Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Wirtschafts-Briefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Notariatszeitung (Österreich) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Rechtsprechungsreport Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Kartellrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht

öABGB öAktG öBankArch ÖBl.

österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch österreichisches Aktiengesetz österreichisches bank-Archiv Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 6.3.1906 (Österreich) Österreichische Juristen-Zeitung Österreichischer Oberster Gerichtshof Österreichische Steuerzeitung österreichischer Verwaltungsgerichtshof Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Oberfinanzdirektion (Österreichischer) Oberster Gerichtshof; auch Oberster Gerichtshof für die britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone in Zivilsachen Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht

öGmbHG ÖJZ ÖstOHG ÖstZ öVwGH ÖZW OFD OGH OGHZ OHG OLG

XXV

Abkürzungsverzeichnis

OLGE/OLGR

OR OstEuR OVG OWiG

Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Zivilrechts OLG-Rechtsprechung Neue Länder Entscheidungen des Oberlandesgerichts in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Schweizerisches Obligationenrecht Osteuropa-Recht (Zeitschrift) Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PartGG PatAnwO PatG PharmaZ PrOVG PSV PublG PVV

Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe Patentanwaltsordnung Patentgesetz Pharma-Zeitschrift Preußisches Oberverwaltungsgericht Pensionssicherungsverein Publizitätsgesetz Positive Vertragsverletzung

RabelsZ

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begr. v. Rabel Reichsarbeitsgericht; Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Randnummer Recht der Wirtschaft Das Recht, Rundschau für den deutschen Juristenbund Referentenentwurf Regierungsentwurf revidiert Revue Internationale de Droit Comparé Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft Reichsjustizministerium Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts rechtskräftig Richtlinie Rheinische Notar-Zeitschrift Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Der Deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift) Rechtspflegergesetz

OLG-NL OLGZ

RAG RBerG RdA Rdnr. RdW Recht RefE RegE rev. Rev. Int. Dr. Comp. RFH RFHE RG RGBl. RGSt. RGZ RIW RJ RJA rkr. RL RNotZ ROM I-VO ROM II-VO Rpfleger RPflG XXVI

Abkürzungsverzeichnis

r.Sp. Rspr. RStBl. RWP RZ

rechte Spalte Rechtsprechung Reichssteuerblatt Kartei der Rechts- und Wirtschaftspraxis (österreichische) Richterzeitung

S. s. SächsA SAE SAG SanInsFoG SARL ScheckG, SchG sched. SchiedsVZ SchlHA SchwerbehG Schw. Jb. Int. R. SchwZStrafR SE SeuffArch., SeuffA

Seite siehe Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Die Schweizerische Aktiengesellschaft Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz Société à responsabilité limitée Scheckgesetz schedule Zeitschrift für Schiedsverfahren Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schwerbehindertengesetz Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Societas Europaea; Europäische Gesellschaft Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Süddeutsche Juristenzeitung; Schweizerische Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Sammlung Spalte Societas Privata Europaea (Europäische Privatgesellschaft) Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren Sociedad de Responsabilidad Limitada salve statuto = vorbehaltlich anderer Regelung im Gesellschaftsvertrag Steueranpassungsgesetz Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz Steuerberatungsgesetz Steuerberater-Jahrbuch Die steuerliche Betriebsprüfung Steuerentlastungsgesetz Stille Gesellschaft Strafgesetzbuch Strafprozessordnung strittig Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Steuerrechtsprechung in Karteiform Ständige Rechtsprechung Strafverteidiger Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg Steuer und Wirtschaft Straßenverkehrsgesetz

SGb. SGB SGG SJZ SK Slg. Sp. SPE SpruchG SRL s. stat. StAnpG StaRUG StBerG StbJb. StBp. StEntlG StG StGB StPO str. StrEG StRK st. Rspr. StrVert StudZR StuW StVG

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

SUP SZ

Societas Unius Personae Entscheidungen des OHG in Zivilsachen

TEHG TransPuG TreuhG, TreuhandG TVG tw. TzBfG

Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz Transparenz- und Publizitätsgesetz Treuhandgesetz Tarifvertragsgesetz teilweise Teilzeit- und Befristungsgesetz

UAbs. Ubg U.C.C. U.Chi.L.Rev. UG UGB UMAG

Unterabsatz Die Unternehmensbesteuerung Uniform Commercial Code University of Chicago Law Review Unternehmergesellschaft Unternehmensgesetzbuch (Österreich) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes Umwandlungssteuergesetz unstreitig Umsatzsteuer-Rundschau Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz Urheberrechtsgesetz Umsatzsteuergesetz Unternehmensteuerreformgesetz University of Toronto Law Journal unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

UmwG UmwGÄndG UmwStG unstr. UR UrhDaG UrhG UStG UStRG U Tor L.J. u.U. UWG VAG Var. VerBAV VereinsG Verf. VermBG VerschmG VerschmRiLiG VersR VerwGG VerwR vGA VGH vgl. VglO VGR v.H. VkBkmG VO vs. XXVIII

Versicherungsaufsichtsgesetz Variante Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Vereinsgesetz Verfasser Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer Verschmelzungsgesetz Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz Versicherungsrecht Verwaltungsgerichtsgesetz Verwaltungsrecht verdeckte Gewinnausschüttung Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergleichsordnung Gesellschaftsrechtliche Vereinigung von Hundert Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetz Verordnung versus

Abkürzungsverzeichnis

VVaG VVG VwGO VwVfG VZS

Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Vereinigte Zivilsenate

WährG WarnR, WarnRspr.

WvK WZG

Währungsgesetz Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, hrsg. von Warneyer Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) Wet Formeel Buitenlandse Vennootschappen (Niederlande) Wechselgesetz Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Wirtschaft und Recht in Osteuropa Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wertpapier-Mitteilungen Die Wirtschaftsprüfung Gesetz über den Wertpapierhandel Wirtschaftsprüferordnung Wettbewerb in Recht und Praxis Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungssammlung zum Kartellrecht Wetboek van Koophandel (Niederlande) Warenzeichengesetz

Yale L.J.

Yale Law Journal

ZAkDR z.B. ZBB ZBH ZErb ZEuP ZEV ZfA ZfB ZfgG, ZgesGenW ZfPW ZfRV

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Rechtsvergleichung, internationales Privatrecht und Europarecht Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht

WBl. WFBV WG WGG WHG WiB WiRO wistra WM WPg WpHG WPO WRP WuB WuM WuW WuW/E

ZGB ZGR ZGS ZgS ZHR Ziff. ZInsO

XXIX

Abkürzungsverzeichnis

ZIP ZLR ZMR ZNotP ZPO ZRP ZRvgl ZSR ZStW zust. zutr. ZVglRWiss ZWeR ZWH ZZP

XXX

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für die Notar-Praxis Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend zutreffend Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Wettbewerbsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen Zeitschrift für Zivilprozess

Dritter Abschnitt Vertretung und Geschäftsführung

§ 35 Vertretung der Gesellschaft (1) Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Hat eine Gesellschaft keinen Geschäftsführer (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden, durch die Gesellschafter vertreten. (2) Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, sind sie alle nur gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt, es sei denn, dass der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt. Ist der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben, genügt die Abgabe gegenüber einem Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1. An die Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1 können unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke für die Gesellschaft zugestellt werden. Unabhängig hiervon können die Abgabe und die Zustellung auch unter der eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person nach § 10 Abs. 2 Satz 2 erfolgen. (3) Befinden sich alle Geschäftsanteile der Gesellschaft in der Hand eines Gesellschafters oder daneben in der Hand der Gesellschaft und ist er zugleich deren alleiniger Geschäftsführer, so ist auf seine Rechtsgeschäfte mit der Gesellschaft § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuwenden. Rechtsgeschäfte zwischen ihm und der von ihm vertretenen Gesellschaft sind, auch wenn er nicht alleiniger Geschäftsführer ist, unverzüglich nach ihrer Vornahme in eine Niederschrift aufzunehmen. Abs. 4 angefügt durch die GmbH-Novelle von 1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 4 Satz 2 (jetzt Abs. 3 Satz 2) angefügt durch Gesetz vom 18.12.1991 (BGBl. I 1991, 2206); Abs. 1 Satz 2 angefügt, Abs. 2 neu gefasst, Abs. 3 aufgehoben, bisheriger Abs. 4 wird Abs. 3 mit Wirkung vom 1.11.2008 durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. Vertretung und Geschäftsführung bei der GmbH 1. Der Inhalt der §§ 35 bis 52 . . . . . . . . . 2. Die Organe der GmbH . . . . . . . . . . . . 3. Die nicht mitbestimmte GmbH a) Die Grundform der GmbH . . . . . . . b) Sonderformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . 5. Die GmbH als Konzernunternehmen II. Der Geschäftsführer als notwendiges Handlungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Ausschluss und keine Übertragbarkeit der Befugnisse . . . . . . . . . . . . . 3. Prokura, Handlungsvollmacht, Generalvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Geschäftsführer als Vertretungsorgan 1. Organschaftliche Vertretungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 4 5 7 9 10 11 14 17

23

2. Erkennbares Handeln für die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt, Umfang und Grenzen der Vertretungsmacht a) Der Grundsatz der Unbeschränktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsgeschäfte mit Gesellschaftern und Konzernunternehmen . . . . . . . d) Rechtsgeschäfte mit den Geschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsgeschäfte mit den Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Erteilung von Prokura und Handlungsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ausübung von Beteiligungsrechten h) Verpflichtung zur Satzungsänderung und über Organrechte . . . . . . i) Einzahlung und Einlagen . . . . . . . . j) Genehmigung der Anteilsabtretung

24a

25 26 28 33 39 40 41 45 51 52

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 1

§ 35 | Vertretung der GmbH k) Gründung von Gesellschaften, Anteilserwerb, Genussscheine . . . . . . . l) Unternehmens- und Fusionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vertretung durch mehrere Personen 1. Gesetzliche Regel a) Aktivvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Passivvertretung (§ 35 Abs. 2 Sätze 2 bis 4) aa) Zustellung an inländische Geschäftsanschrift . . . . . . . . . . . bb) Passivvertretung durch empfangsberechtigte Person . . . . . . . c) Passivvertretung bei Fehlen von Geschäftsführern (§ 35 Abs. 1 Satz 2) aa) Frühere Rechtslage . . . . . . . . . . . bb) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Legaldefinition der Führungslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nur Passivvertretung . . . . . . . . . ee) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausübung der Gesamtvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Teilerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abweichende Regelungen der Vertretungsform a) In der Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durch Gesellschaftsorgan . . . . . . . . c) Einzelvertretung und Mischformen d) Die gemischte Gesamtvertretung/ unechte Gesamtvertretung . . . . . . . e) Die gemischte Gesamtprokura . . . . f) Verhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Das Fehlen der in der Satzung vorgesehenen Zahl von Geschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wissenszurechnung und Irrtum 1. Wissen von Geschäftsführern . . . . . . 2. Ausgeschiedene Organmitglieder . . . 3. Wissenszurechnung im Konzern . . . . VI. Selbstkontrahieren und Mehrfachvertretung 1. Der Zweck des Verbots und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterbevollmächtigter und Prokurist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesamtvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausnahmen a) Erfüllungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . .

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b) Lediglich rechtlicher Vorteil . . . . . . c) Gestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Selbstkontrahieren des alleingeschäftsführenden Alleingesellschafters a) Die Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . b) Der Gesetzeszweck . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vertretung bei Verhinderung . . . . . f) Befreiung von den Beschränkungen g) Anstellungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . 7. Eintragung im Handelsregister . . . . . 8. Konzerninterne Rechtsgeschäfte a) Mehrfachvertretung . . . . . . . . . . . . . b) 100 % Tochtergesellschaft . . . . . . . . 9. Die nachträgliche Bestellung mehrerer Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . 10. Die mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . 11. Niederschrift bei Selbstkontrahieren in Einmann-GmbH . . . . . . . . . . . . . . . VII. Missbrauch der Vertretungsbefugnis 1. Arglistiges Zusammenwirken . . . . . . 2. Verletzung interner Beschränkungen ohne Schädigung . . . . . . . . . . . . . 3. Bewusstes Handeln zum Nachteil der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die Vertretung im Prozess . . . . . . . . . IX. Die Vertretung gegenüber Behörden X. Zur Form der Zeichnung (§ 35 Abs. 3 a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Das Anstellungsverhältnis – Allgemeines (Hohenstatt) 1. Verhältnis von Organstellung und Anstellungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anstellungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . b) Regelung in der Satzung . . . . . . . . . c) Fehlen von Regelung in Satzung oder Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Einordnung (Rechtsnatur) des Anstellungsvertrages . . . . . . a) Nationales Recht aa) Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Arbeits- oder Dienstvertrag . . . cc) Arbeitnehmerähnliche Person . b) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Autonome unionsrechtliche Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verweis auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . .

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Vertretung der GmbH | § 35 cc) Maßgeblichkeit eines unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusätzliches oder früheres Arbeitsverhältnis mit der GmbH . . . . . . . . . . 5. Anstellungsverhältnis im Konzern . . 6. Anstellungsverhältnis in der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Abschluss und Änderung des Anstellungsvertrages 1. Verhältnis zu Satzung und Gesetz . . a) Anstellungsvertrag und zwingendes Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . b) Anstellungsvertrag mit satzungsdurchbrechender Regelung . . . . . . . c) Anstellungsvertrag und dispositives Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . d) Regelungen zur Konkretisierung der Satzung oder gesetzlicher Organisationsnormen . . . . . . . . . . . e) Verpflichtung zur Bestellung . . . . . . 2. Parteien a) Gesellschaft als Vertragspartner . . . b) Anstellungsvertrag mit Dritten . . . . 3. Zuständigkeit/Vertretung a) Zuständigkeit in der nicht mitbestimmten GmbH aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorwirkende und nachwirkende Zuständigkeit und Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abweichende Regelung in der Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit in der mitbestimmten GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bedeutung des AGG für den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag a) Persönlicher Anwendungsbereich . b) Sachlicher Anwendungsbereich aa) § 6 Abs. 3 AGG . . . . . . . . . . . . . bb) § 6 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . c) Benachteiligung und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Positive Maßnahmen, § 5 AGG bb) Ungleichbehandlung wegen beruflicher Anforderungen, § 8 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ungleichbehandlung wegen des Alters . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anwendbarkeit von § 22 AGG . . . . 7. Fehlerhafter Anstellungsvertrag . . . .

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XIII. Inhalt des Anstellungsvertrages 1. Vergütung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Angemessenheit; analoge Anwendung von § 87 AktG . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten der Vergütung der Gesellschafter-Geschäftsführer . . . . d) Vergütungsformen aa) Festvergütung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tantieme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bonuszahlungen aufgrund Zielvereinbarung . . . . . . . . . . . . dd) Gratifikationen . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnisabhängige Vorzugsdividende und (anwachsende) Beteiligung des GesellschafterGeschäftsführers . . . . . . . . . . . . e) Vergütung bei vorübergehender Verhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Anpassung der Vergütung, insb. in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Abtretung, Pfändung, Verjährung . 2. Auslagenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ruhegehaltsanspruch (Betriebliche Altersversorgung) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit des BetrAVG aa) Persönlicher Geltungsbereich . . bb) Sachlicher Geltungsbereich . . . cc) Abdingbarkeit der Regelungen des BetrAVG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unverfallbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abfindung von Versorgungsanwartschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anpassung von Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Anrechnung anderweitiger Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Kürzung oder Widerruf der Versorgung; Aufrechnung aa) Wirtschaftliche Notlage . . . . . . bb) Schwere Pflichtverletzung . . . . . h) Steuerliche Anerkennung der Versorgungszusage . . . . . . . . . . . . . . 6. Beschäftigungsanspruch; Suspendierung; Annahmeverzug . . . . . . . . . . 7. Kreditgewährung an den Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Leistungsstörungen a) Dienstverhinderung aa) Nicht zu vertretende Dienstverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 35 | Vertretung der GmbH bb) Zu vertretende Dienstverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Annahmeverzug der Gesellschaft . . c) Betriebsrisiko der Gesellschaft . . . . d) Schlechtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Beendigung des Anstellungsverhältnisses 1. Allgemeines a) Beendigungsmöglichkeiten . . . . . . . b) Zuständigkeit für die Beendigung aa) Vertragliche Aufhebung . . . . . . bb) Kündigung durch die GmbH . . cc) Kündigung durch den Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . c) Form der Beendigung . . . . . . . . . . . 2. Vertragliche Verknüpfung mit der Beendigung des Organverhältnisses: Koppelungsvereinbarungen . . . . . . . . 3. Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ordentliche Kündigung a) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung vor Dienstantritt . . . . . c) Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Außerordentliche Kündigung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfordernis einer Abmahnung? . . . c) Wichtige Gründe für die Kündigung durch die GmbH . . . . . . . . . . . aa) Schädigung der Gesellschaft durch pflichtwidrige Geschäftsführungsentscheidungen . . . . . . bb) Korruption, Unterschlagung oder anderweitiger finanzieller Eigennutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verstoß gegen zentrale rechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . dd) Verstoß gegen Bilanzierungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verbotene Wettbewerbstätigkeit bzw. Nebentätigkeiten . . . . ff) Verstoß gegen Weisungen der Gesellschafter bzw. Berichtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zerstörung des Vertrauens zu den Gesellschaftern . . . . . . . . . .

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hh) Pflichtwidrige Niederlegung des Geschäftsführeramtes bzw. Vorenthaltung der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Pflichtverstöße bei der Führung und im Umgang mit Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . jj) Schädigendes außerdienstliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . d) Nicht ausreichende Gründe für die Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Besonderheiten der Verdachtskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Gründe für die Kündigung durch den Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . aa) Vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verlust der Amtsstellung bzw. Bedeutungsverlust bei Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . g) Vereinbarung wichtiger Gründe . . . h) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . i) Frist, Fristbeginn, Kenntnis . . . . . . j) Nachschieben von Kündigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Umdeutung in eine ordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anwendbarkeit besonderer Kündigungsschutzvorschriften a) Schwerbehinderte . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderer Kündigungsschutz bei Schwangerschaft; Mutterschutz . . . 7. Folgen der Beendigung . . . . . . . . . . . . a) Pflichten des Geschäftsführers nach Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansprüche des Geschäftsführers nach Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . XV. Sozialversicherungspflicht des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Geschäftsführer in der Insolvenz 1. Kündigung des Dienstvertrages; Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gehaltsanspruch des Geschäftsführers als Insolvenzforderung . . . . . . . . 3. Insolvenzgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenzschutz des Ruhegehalts . . . XVII. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schrifttum zur Rechtsstellung des Geschäftsführers: Altmeppen, Verbandshaftung kraft Wissenszurechnung am Beispiel des Unternehmenskaufs, BB 1999, 749; Bauer, Abhängige GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 1981, 16; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987; Böhringer, Das neue GmbH-Recht in der Notarpraxis, BWNotZ 2008, 104; Brand, Der Organbesitz, 2015; Buß, Der letzte gesamtvertretungsberechtigte GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 2002, 374; Ellers, Die Zurechnung von Gesellschafterwissen an die GmbH – insbesondere beim gutgläubigen Erwerb eines Sacheinlagegegenstands, GmbHR

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Vertretung der GmbH | § 35 2004, 934; Fleischer, Reichweite und Grenzen der unbeschränkten Organvertretungsmacht im Kapitalgesellschaftsrecht, NZG 2005, 529; Ganssmüller, Schaden des Gesellschafter-Geschäftsführers – insbesondere der Einmann-GmbH, GmbHR 1977, 265; Gaul, Erfordernisse und Wirkungen einer Aufgabendelegation für den GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 1979, 25; Gehrlein, Der aktuelle Stand des neuen GmbH-Rechts, Der Konzern 2007, 771; Herrler/König, Aktuelle Praxisfragen zur GmbH-Gründung im vereinfachten Verfahren (Musterprotokoll), DStR 2010, 2138; Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020; Joost, Die Parteirolle der personalistischen GmbH und ihrer Gesellschafter bei gesellschaftsinternen Klagen, ZGR 1984, 7; Jula, Der GmbH-Geschäftsführer, 4. Aufl. 2012; Katschinski/Rawert, Stangenware versus Maßanzug – Vertragsgestaltung im GmbH-Recht nach Inkrafttreten des MoMiG, ZIP 2008, 1993; Kindler, Grundzüge des neuen Kapitalgesellschaftsrechts – Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), NJW 2008, 3249; Kruck, Tote Kapitalgesellschaften im Handelsregister, ZIP 2011, 1550; Lips/ Randel/Werwigk, Das neue GmbH-Recht – Ein Überblick, DStR 2008, 2220; Mackenroth, Die GmbHReform: Kampf den Firmenbestattern!, NJ 2009, 1; Miras, Die bisherige Rechtsprechung zur Unternehmergesellschaft – Eine kritische Analyse, DB 2010, 2488; Nietsch, Die Zustellung der Anfechtungsklage des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2004, 1518; Ries, Muster ohne Wert?, NZG 2009, 739; Schmahl, Subsidiäres Insolvenzantragsrecht bei führungslosen juristischen Personen nach dem Regierungsentwurf des MoMiG, NZI 2008, 6; Karsten Schmidt, GmbH-Reform auf Kosten der Geschäftsführer?, GmbHR 2008, 449; Karsten Schmidt, Vom Sonderrecht der „führungslosen GmbH“ zur subsidiären Selbstorganschaft? – Überlegungen im Anschluss an das MoMiG, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 157; Karsten Schmidt, GmbH-Reform, Solvenzgewährleistung und Insolvenzpraxis, GmbHR 2007, 1; Schmitz, Die Vernehmung des GmbH-Geschäftsführers im Zivilprozess, GmbHR 2000, 1140; Uwe H. Schneider, Die Geschäftsordnung der GmbH-Geschäftsführer, in FS Mühl, 1981, S. 633; Uwe H. Schneider, Die Zweimann-GmbH, in FS Kellermann, 1991, S. 403; Scholz, Missbrauch der Vertretungsmacht durch Gesellschafter-Geschäftsführer, ZHR 182 (2018), 656; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007; Schwarz, Die Gesamtvertreterermächtigung, NZG 2001, 529; Servatius, Zur Eintragung organschaftlicher Vertretungsmacht ins Handelsregister, NZG 2002, 456; Spie/Pisker, Der Geschäftsbereich des Arbeitsdirektors, 1982; Stein, Wer ist Gesellschafter der führungslosen GmbH?, in FS HoffmannBecking, 2013, S. 1207; Tebben, Die Reform der GmbH – das MoMiG in der notariellen Praxis, RNotZ 2008, 441; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970; Theisen, Eigengeschäfte des Gesellschafter-Geschäftsführers, GmbHR 1981, 295; Tillmann/Mohr, GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020; van Venrooy, Widersprüchliche Ausübung des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts durch mehrere GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 2001, 7; Wedemann, Die Übergangsbestimmungen des MoMiG – was müssen bestehende GmbHs beachten?, GmbHR 2008, 1131. Schrifttum zur Stellung des Geschäftsführers in der mitbestimmten GmbH: Ballerstedt, Das Mitbestimmungsgesetz zwischen Gesellschafts-, Arbeits- und Unternehmensrecht, ZGR 1977, 133; Baumann, GmbH und Mitbestimmung, ZHR 142 (1978), 557; Hölters, Die zustimmungspflichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen im Spannungsfeld zwischen Satzungs- und Aufsichtsratsautonomie, BB 1978, 640; Hölters, Satzungsgestaltung und Organisationsstruktur von Unternehmen bei Einführung der qualifizierten Mitbestimmung, BB 1975, 797; Hoffmann/Neumann, Die Mitbestimmung bei GmbH und GmbH & Co. KG nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976, GmbHR 1976, 149, 183; Hommelhoff, Unternehmensführung in der mitbestimmten GmbH, ZGR 1978, 119; Immenga, Zuständigkeiten des mitbestimmten Aufsichtsrats, ZGR 1977, 249; Konzen, Die Anstellungskompetenz des GmbH-Aufsichtsrats nach dem Mitbestimmungsgesetz, GmbHR 1983, 92; Overlack, Der Einfluss der Gesellschafter auf die Geschäftsführung in der mitbestimmten GmbH, ZHR 141 (1977), 125; Reuter/Körnig, Mitbestimmung und gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit, ZHR 140 (1976), 494; Säcker, Die Geschäftsordnung für das zur gesetzlichen Vertretung eines mitbestimmten Unternehmens befugte Organ, DB 1977, 1993; Uwe H. Schneider, GmbH und GmbH & Co. KG in der Mitbestimmung, ZGR 1977, 335; P. Ulmer, Der Einfluss des Mitbestimmungsgesetzes auf die Struktur von AG und GmbH, 1979, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 140; Vollmer, Die mitbestimmte GmbH, ZGR 1979, 135; Wiedemann, Das Mitbestimmungsgesetz zwischen Gesellschafts-, Arbeits- und Unternehmensrecht, ZGR 1977, 160; Wiedemann, Aufgaben und Grenzen der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer, BB 1978, 5; Zöllner, GmbH und GmbH & Co. KG in der Mitbestimmung, ZGR 1977, 319. S. auch die Schrifttumshinweise vor Rz. 23 zur Vertretungsbefugnis und vor Rz. 251 zum Anstellungsvertrag.

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§ 35 Rz. 1 | Vertretung der GmbH

I. Vertretung und Geschäftsführung bei der GmbH 1. Der Inhalt der §§ 35 bis 52 1 a) Die unter der Überschrift „Vertretung und Geschäftsführung“ im dritten Abschnitt zu-

sammengefassten §§ 35 bis 52 regeln für die Grundform der GmbH die interne Willensbildung der Gesellschaft, insbesondere bei der Unternehmensleitung. Sie regeln das Handeln der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten, also die Vertretung der Gesellschaft sowie die Stellung der Gesellschafter und der Geschäftsführer. Die gesetzliche Regelung der Verfassung der GmbH ist jedoch lückenhaft. 2 b) Die Stellung der Geschäftsführer, ihre Zuständigkeiten und Pflichten werden durch die

§§ 35 bis 44 näher bestimmt. Dabei regeln einzelne Vorschriften nur die Vertretung, also das Außenverhältnis (§§ 35, 35a), andere sowohl das Innen- wie auch das Außenverhältnis (§§ 35, 38). § 36 bestimmt Zielgrößen und Fristen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern. §§ 41 bis 43 handeln von bestimmten Geschäftsführerpflichten und der Haftung bei Verletzung der Leitungs- und Loyalitätspflichten. Geregelt sind ferner die Publizität (§§ 35a, 39 und 40) sowie die Erstreckung der Vorschriften über die Geschäftsführer auf deren Stellvertreter (§ 44). Der Widerruf der Bestellung (Abberufung) ist in § 38 normiert.

2. Die Organe der GmbH 3 Die GmbH hat nur zwei notwendige Handlungsorgane, nämlich die Gesellschafter und die

Geschäftsführer. Weitere Organe, insbesondere ein Aufsichtsrat, können durch die Satzung vorgesehen werden (vgl. dazu bei § 52). Die Einrichtung eines Aufsichtsrats ist nur dann zwingend angeordnet, wenn bestimmte weitere Voraussetzungen vorliegen. Zum Verhältnis der Gesellschafter zu den Geschäftsführern s. 12. Aufl., § 37 Rz. 4 ff., zum Aufsichtsrat s. 12. Aufl., § 52 Rz. 271 ff.

3. Die nicht mitbestimmte GmbH a) Die Grundform der GmbH 4 Die §§ 35 bis 52 ordnen nur die Verfassung der Grundform der GmbH. Ist die Gesellschaft

mitbestimmt, so wird hierdurch die Verfassung der GmbH, abhängig von der Art der Mitbestimmung, verändert (s. 12. Aufl., § 52 Rz. 23 ff.). Wirtschaftsrechtliche Vorschriften können bestimmte Gestaltungen vorschreiben. Hiervon abgesehen, können die Gesellschafter durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag die Verfassung der Gesellschaft in vielfältiger Weise modifizieren; denn die gesetzliche Regelung der internen Willensbildung und der Stellung der Geschäftsführer zu der Gesellschafterversammlung ist in der Regel nicht zwingend. Die Gesellschafter können daher besonders berücksichtigen, dass die Gesellschaft entweder nur wenige oder aber viele Gesellschafter hat, dass es sich um eine Familiengesellschaft, ein Gemeinschaftsunternehmen usw. handelt. Die Stellung der Geschäftsführer kann gestärkt werden, einzelnen Gesellschaftern können besondere Befugnisse im Rahmen der Geschäftsführung eingeräumt werden. Auch kann die Vertretungsbefugnis in unterschiedlicher Weise ausgestaltet werden. Diese hohe Anpassungsfähigkeit gilt jedoch nur für die nicht mitbestimmte GmbH. b) Sonderformen 5 Da die Gesellschaft nicht mehr als einen Gesellschafter zu haben braucht, und dieser Gesell-

schafter zugleich Geschäftsführer sein kann, ergeben sich gerade auch für die Willensbildung 6 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Vertretung der GmbH | Rz. 9 § 35

und die Vertretung eine Reihe von besonderen Problemen (Einmann-GmbH). Sie sind teilweise im Gesetz besonders angesprochen, teilweise hat die höchstrichterliche Rechtsprechung besondere Regeln für die Einmann-GmbH entwickelt. Auch für die GmbH, an der zwei Gesellschafter je zur Hälfte beteiligt sind (Zweimann- 6 GmbH), hat die Rechtsprechung eine Reihe von Sonderregeln herausgebildet, so dass sich von einem Sonderrecht der zweigliedrigen GmbH sprechen lässt. Das hohe Maß an Gestaltungsfreiheit erlaubt darüber hinaus den Gesellschaftern, die Willensbildung und Entscheidungsfindung in der Gesellschaft in unterschiedlichster Weise zu ordnen und hierbei auch der Entscheidungsorganisation der Personengesellschaften anzugleichen (personalistische GmbH)1.

4. Die mitbestimmte GmbH Die §§ 35–52 regeln in erster Linie die nicht mitbestimmte GmbH. Die Stellung der Gesell- 7 schaftsorgane, die interne Zuständigkeitsverteilung in der Gesellschaft, ja selbst die Vertretung der Gesellschaft sind jedoch abhängig davon, ob und nach welchen Vorschriften die Gesellschaft mitbestimmt ist2. Hiervon abhängig ist auch, in welchem Umfang die Gesellschafter durch Vereinbarungen in der Satzung von den gesetzlichen Bestimmungen des GmbHG abweichen können3. In der Folge wird daher zwischen der nicht mitbestimmten und der mitbestimmten GmbH in ihren unterschiedlichen Formen unterschieden. Ist die Gesellschaft mitbestimmt, so hat sie zwingend einen Aufsichtsrat. Dessen Zusammen- 8 setzung, die Bestellung der Mitglieder und dessen Zuständigkeit ist abhängig davon, ob die Gesellschaft in den Anwendungsbereich des DrittelbG4, des MontanmitbestG, des MontanmitbestErgG oder des MitbestG fällt (vgl. dazu 12. Aufl., § 52 Rz. 23 ff.).

5. Die GmbH als Konzernunternehmen Die §§ 35–52 regeln anders als etwa das AktG (vgl. in diesem Zusammenhang vor allem § 90 9 Abs. 1–3, § 131 Abs. 1, 3, § 293 Abs. 1, 2, § 310, § 317 Abs. 4 AktG) nur die nichtverbundene, konzernfreie GmbH. Ist jedoch ein Unternehmen mit einem anderen Unternehmen verbunden (§ 15 AktG), so hat dies u.a. nachhaltige Einwirkungen auf die interne Zuständigkeitsordnung, die Stellung der Gesellschaftsorgane zueinander und die Rechte der Gesellschafter. Dies gilt in besonderer Weise im Konzern. Daher ist für die verbundene und vor allem für die konzernierte GmbH gesondert festzustellen, welche Besonderheiten sich hieraus für die Zuständigkeitsordnung ergeben. Auch können die Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag an die Konzernlage anpassen. Sie können etwa die Zuständigkeiten der Geschäftsführer im Rahmen der Konzernleitung festlegen, sie können bestimmen, welche Maßnahmen, die bei Tochtergesellschaften verwirklicht werden, ihrer Zustimmung bedürfen, und sie können die Informationspflichten für Konzernsachverhalte konkretisieren und erweitern.

1 S. dazu vor allem: Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970. 2 Vgl. etwa Zöllner, ZGR 1977, 319; Overlack, ZHR 141 (1977), 125; Hommelhoff, ZGR 1978, 119; Baumann, ZHR 142 (1978), 557; Vollmer, ZGR 1979, 135. 3 Reuter/Körnig, ZHR 140 (1976), 494; Wiedemann, ZGR 1977, 160. 4 S. dazu Huke/Prinz, BB 2004, 2633.

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§ 35 Rz. 10 | Vertretung der GmbH

II. Der Geschäftsführer als notwendiges Handlungsorgan 10 Zu unterscheiden ist zwischen dem Geschäftsführer als dem notwendigen Handlungsorgan

innerhalb der korporativen Zuständigkeitsordnung, seiner Bestellung, d.h. der auf einem körperschaftlichen Akt beruhenden Eingliederung in die körperschaftliche Organisation, und der Abberufung, die zur Beendigung der Organstellung führt, auf der einen Seite und dem Anstellungsverhältnis auf der anderen Seite. Zum Anstellungsverhältnis s. Rz. 251 ff.

1. Die Zuständigkeiten 11 Die Geschäftsführer sind das zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Gesellschaft be-

rufene Organ. Als Geschäftsführung wird dabei die im Innenverhältnis wirkende Befugnis verstanden, die Gesellschaft zu verwalten und das Unternehmen der Gesellschaft zu leiten. Einzelheiten 12. Aufl., § 37 Rz. 2 f. 12 Als Vertretungsmacht wird die im Außenverhältnis wirkende Befugnis bezeichnet, Erklärun-

gen im Rechtsverkehr abzugeben, die für und gegen die Gesellschaft wirken. Zugleich sind den Geschäftsführern für die Dauer des Bestehens der Gesellschaft zwingende, im öffentlichen Interesse liegende Pflichten auferlegt. Die Geschäftsführer sind daher ein notwendiges Handlungsorgan der Gesellschaft. Die Gesellschaft muss einen oder mehrere Geschäftsführer haben (§ 6 Abs. 1). Ohne Geschäftsführer kann die Gesellschaft nicht zum Handelsregister angemeldet (§§ 7, 78), und ohne Geschäftsführer darf die Gesellschaft nicht eingetragen werden. 13 Daneben handelt der Geschäftsführer bei Realakten, wie Besitzergreifung und -innehabung,

für die GmbH als Organ mit Außenwirkung5.

2. Kein Ausschluss und keine Übertragbarkeit der Befugnisse 14 a) Die organschaftliche Vertretungsbefugnis ist notwendiger Bestandteil der Organstellung.

Ist „eigenhändig“ zu zeichnen, muss der Geschäftsführer zeichnen6. Sie kann einem Geschäftsführer durch die Satzung nicht entzogen werden. Das gilt auch für die Geschäftsführungsbefugnis des einzigen Geschäftsführers. Zur Entziehung oder Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis bei einem von mehreren Geschäftsführern s. 12. Aufl., § 37 Rz. 45 ff. Die Vertretungsbefugnis kann auch nicht insgesamt oder für Teilbereiche auf ein anderes Gesellschaftsorgan, also die Gesellschafter oder den Aufsichtsrat übertragen werden. Der Geschäftsführer kann seine organschaftliche Vertretungsmacht nur auf einen anderen Geschäftsführer übertragen7. Insoweit ist die Zuständigkeitsverteilung zwingendes Organisationsprinzip der GmbH8.

15 b) Die organschaftliche Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis kann auch nicht durch

Rechtsgeschäft auf Dritte übertragen werden9.

5 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 72; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12; eingehend hierzu Brand, Der Organbesitz, 2015. 6 BFH v. 16.5.2002 – III R 27/01, GmbHR 2002, 803. 7 BGH v. 18.7.2002 – III ZR 124/01, NZG 2002, 813, 814 = ZIP 2002, 1896 = GmbHR 2002, 972. 8 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 65; BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 76; BGH v. 19.6.1975 – II ZR 170/73, WM 1975, 790; BGH v. 18.10.1976 – II ZR 9/75, WM 1976, 1246; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 2; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 8; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Kuhn, WM 1978, 605. 9 Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911.

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Vertretung der GmbH | Rz. 18 § 35

c) Keine Übertragung von Organbefugnissen liegt in der Vereinbarung, dass ein Rechtsge- 16 schäft nur wirksam sein soll, wenn die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat zustimmen10. Hierbei kann es sich um eine Wirksamkeitsvoraussetzung, einen bedingten Vertrag oder einen Optionsvertrag handeln. Die Vereinbarung hat jedoch keine gesellschaftsrechtliche Wirkung.

3. Prokura, Handlungsvollmacht, Generalvollmacht a) Die GmbH kann ohne Einschränkung rechtsgeschäftliche Vertreter bestellen, und zwar 17 durch Erteilung einer Prokura, §§ 48 ff. HGB, einer Handlungsvollmacht, § 54 HGB, oder einer Vollmacht nach den §§ 164 ff. BGB. Da die GmbH Formkaufmann ist, kann sie auch dann Prokura erteilen, wenn sie ideelle Zwecke verfolgt11. Vollmacht kann auch den Gesellschaftern und Aufsichtsratsmitgliedern erteilt werden. Dagegen kann der Geschäftsführer nicht zugleich Prokurist sein12. Die gesetzliche Vertretung schließt, zumindest grundsätzlich, eine rechtsgeschäftliche Vertretung in demselben Bereich aus13. Die Organstellung bei der GmbH hindert jedoch nicht, dass der Geschäftsführer zugleich bei einer GmbH & Co. KG Prokurist ist14. b) Keine Einigkeit15 besteht darüber, ob durch eine GmbH eine im Gesetz nicht geregelte 18 Generalvollmacht erteilt werden kann und wie gegebenenfalls eine solche Generalvollmacht einzuordnen ist16. Die Praxis verbindet mit der Bezeichnung „Generalvollmacht“ nicht nur im Außenverhältnis eine umfassende Vertretungsmacht, sondern auch im Innenverhältnis eine weitgehende Entscheidungsbefugnis17. Deshalb führt die Bestellung zum Generalbevollmächtigten, wobei nur an den Titel gedacht ist, zur Anwendung der Regeln über die Anscheinsvollmacht. Unzulässig ist die Übertragung von Organbefugnissen, durch die der Bevollmächtigte, ohne zum Geschäftsführer bestellt zu sein, alle Funktionen eines solchen wahrnehmen und damit anstelle eines Geschäftsführers wie ein Vertretungsorgan der GmbH tätig sein soll. Eine solche organvertretende Generalvollmacht ist selbst dann unzulässig, wenn alle Gesellschafter zugestimmt haben18. Die Gesellschafter können daher nicht auf die Bestellung eines Ge10 RG v. 1.3.1927 – II 175/26, RGZ 115, 296, 302 (für die AG). 11 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 235; Krebs in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 48 HGB Rz. 5. 12 Lenz in Michalski u.a., Rz. 9; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236; anders für den Fall der Gesamtvertretung Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 III 2c. 13 Vgl. BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BB 1975, 535; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; allgem. M. 14 OLG Hamm v. 8.2.1973 – 15 W 344/72, BB 1973, 354; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236; s. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 135. 15 Zur (zu verneinenden) Frage, ob sich die Äußerungen des BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411 = GmbHR 2009, 138 – Trabrennbahn, zur unzulässigen Delegation von Vertretungsbefugnissen auf das Gesellschaftsrecht übertragen lassen, vgl. Leitzen, WM 2010, 637. 16 Gegen Zulässigkeit allgemein: Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 355; wie hier: Hübner, ZHR 143 (1979), 1, 18; Janssen, WM 1994, 277; vgl. zum Ganzen auch Schippers, DNotZ 2009, 353. 17 Geitzhaus, GmbHR 1989, 229. 18 OLG Frankfurt v. 7.11.2011 – 20 W 459/11, GmbHR 2012, 751, 753; BGH v. 18.7.2002 – III ZR 124/01, NZG 2002, 813, 814 = GmbHR 2002, 972, 973; BGH v. 18.10.1976 – II ZR 9/75, NJW 1977, 199 = WM 1976, 1246; BGH v. 8.5.1978 – II ZR 209/76, WM 1978, 1047, 1048; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 31 = LM Nr. 3 zu § 35 GmbHG m. Anm. Fischer, für den Fall der Verhinderung eines Gesamtvertreters; BFH v. 16.5.2002 – III R 27/01, BFHE 198, 283, 287 =

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§ 35 Rz. 18 | Vertretung der GmbH schäftsführers verzichten und nur einen „Generalbevollmächtigten“ berufen. Ebenso wenig können in Betriebsführungsverträgen (§ 292 AktG) Generalvollmachten erteilt werden, die den Betriebsführer wie einen Geschäftsführer stellen19. 19 Davon abzugrenzen ist die zulässige rechtsgeschäftliche Generalvollmacht, durch die der

Vertreter ermächtigt wird, die Gesellschaft bei allen Rechtsgeschäften zu vertreten mit Ausnahme solcher, bei denen wegen des besonderen Charakters des Rechtsgeschäfts ein Handeln eines Organs der Gesellschaft erforderlich ist20. Eine unzulässige organvertretende Generalvollmacht ist im Zweifel in eine rechtsgeschäftliche Generalvollmacht umzudeuten21. 20 Die Generalvollmacht kann hierbei als Vollmacht nach den §§ 164 ff. BGB22, aber auch wie

eine erweiterte Prokura23 ausgestaltet sein. Sie kann nur als widerrufliche Vollmacht erteilt werden. Der entscheidende Unterschied zur unzulässigen organvertretenden Generalvollmacht besteht darin, dass die rechtsgeschäftliche Generalvollmacht und erst recht die Generalhandlungsvollmacht nach § 54 HGB die Organbefugnisse des Geschäftsführers, seine Zuständigkeiten und Verantwortung unberührt lassen24. Aus diesem Grund berechtigt eine rechtsgeschäftliche Generalvollmacht nicht zur Stellung des Insolvenzantrags25. 21 Welche Bedeutung die Bestellung zum „vice president“, „general manager“ oder „Gebiets-

leiter“ etc. hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Auszulegen ist die Erklärung des Vollmachtgebers. Ist umfassende Vertretungsbefugnis gewollt, kommt eine Prokura in Betracht. Bei einer solchen „repräsentativen Titel-Ausstattung“ können die Regeln über die Anscheinsvollmacht heranzuziehen sein26. 22 c) Nach außen kann der alleinvertretungsbefugte Geschäftsführer wirksam Generalvollmacht

erteilen. Intern müssen über eine Generalvollmacht aber die Gesellschafter beschließen, § 46 Nr. 727. Sind die Geschäftsführer gesamtvertretungsberechtigt, so bedarf es zunächst einer Änderung der Satzung, es sei denn, die Art der Vertretungsmacht kann durch die Gesellschafter (s. Rz. 104) geregelt werden. Nur im zuletzt genannten Fall ist ein Gesellschafterbeschluss genügend, aber auch erforderlich. Die Vertretungsmacht der gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführer reicht allein nicht aus; denn sie können ihre organschaftliche Gesamtvertretungsbefugnis nicht rechtsgeschäftlich als Generalvollmacht bei einem Dritten zusammenfas-

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GmbHR 2002, 803; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 15; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 237; Geitzhaus, GmbHR 1989, 229, 232. Loos, BB 1963, 615. Ebenso: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 126; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 237; Geitzhaus, GmbHR 1989, 229; enger: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2 f.; a.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9. BGH v. 18.7.2002 – III ZR 124/01, NZG 2002, 813, 814 = GmbHR 2002, 972, 973; BGH v. 8.5.1978 – II ZR 209/76, WM 1978, 1047; Lenz in Michalski u.a., Rz. 10; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236. Hopt in Baumbach/Hopt, Einl. vor § 48 HGB Rz. 2; Joussen, WM 1994, 273: nur Vollmacht nach § 164 BGB. Zu den Grenzen einer Generalvollmacht: OLG Zweibrücken v. 12.4.1990 – 3 W 9/90, GmbHR 1990, 400. A.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 237 mit Hinweis auf den abschließenden Charakter von § 48 HGB. Hübner, ZHR 143 (1979), 1; a.A. Ripfel, GmbHR 1953, 181. Flume, Die juristische Person, 1983, S. 366; a.A. Hübner, ZHR 143 (1979), 1, 22. Borsch, GmbHR 2004, 1376; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151. BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 168; Geitzhaus, GmbHR 1989, 229, 233; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10.

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Vertretung der GmbH | vor Rz. 23 § 35

sen28. Ist die Generalvollmacht wie eine erweiterte Prokura ausgestaltet, so bedarf es der Eintragung ins Handelsregister29.

III. Der Geschäftsführer als Vertretungsorgan Schrifttum: Altmeppen, Gestattung zum Selbstkontrahieren in der GmbH, NJW 1995, 1182; Altmeppen, In-sich-Geschäfte der Geschäftsführer in der GmbH, NZG 2013, 401; Auktor, Praktische Probleme der Mehrfachvertretung bei Gesellschaften, NZG 2006, 334; Bacher/von Blumenthal, Die Gestattung nach § 181 BGB in der GmbH & Co. KG, GmbHR 2015, 457; Bachmann, Zum Verbot von Insichgeschäften im GmbH-Konzern, ZIP 1999, 85; Baetzgen, Insichgeschäfte im Gesellschaftsrecht, RNotZ 2005, 193; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999; Beise, Beschränkung der Prozessführungsmacht des GmbH-Geschäftsführers in Ausnahmefällen, GmbHR 1987, 259; Berger, Insolvenzantragspflicht bei Führungslosigkeit der Gesellschaft nach § 15a Abs. 3 InsO, ZInsO 2009, 1977; Bergwitz, Die GmbH im Prozess gegen ihren Geschäftsführer, GmbHR 2008, 225; Bernhardt/Bredol, Rechtsfragen zu Organstellung und Anstellungsvertrag einer paritätisch mitbestimmten GmbH, NZG 2015, 419; Beuthien, Zur Theorie der Stellvertretung im Gesellschaftsrecht, in FS Zöllner, 1998, S. 87; Beuthien/Müller, Gemischte Gesamtvertretung und unechte Gesamtprokura, DB 1995, 461; Blasche, Die Vertretungsbefugnis des verbleibenden Geschäftsführers bei Verhinderung oder Fortfall aller anderen Geschäftsführer, GmbHR 2017, 123; Blasche, Musterprotokoll und Vertretungsmacht des bei der Gründung bestellten Geschäftsführers sowie etwaiger weiterer Geschäftsführer, GmbHR 2015, 403; Blasche/König, Befreiung des GmbH-Geschäftsführers vom Selbstkontrahierungsverbot im Einzelfall und Genehmigung von Rechtsgeschäften nach Verbotsverstößen, NZG 2012, 812; Blasche/König, Möglichkeiten der einzelfallbezogenen Erweiterung der Vertretungsbefugnis des gesamtvertretungsberechtigten GmbH-Geschäftsführers zur Einzelvertretungsbefugnis, NZG 2013, 1412; Blath, Die Selbstbestellung des Geschäftsführers oder Vorstands der Muttergesellschaft zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH, GmbHR 2018, 345; Bork, Zurechnung im Konzern, ZGR 1994, 237; Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, Probleme der gesetzlichen Vertretung von Handelsgesellschaften im gesellschaftsinternen Rechtsstreit, NJW 2015, 2215; Brand/Brand, Die insolvenzrechtliche Führungslosigkeit und das Institut des faktischen Organs, NZI 2010, 712; Breitenstein/Meyding, Der Regierungsentwurf zum MoMiG: Die Deregulierung des GmbH-Rechts schreitet voran, BB 2007, 1457; Buchwald, Die Gesamtvertretung bei der GmbH, GmbHR 1960, 180; Buck, Wissen und juristische Person, 2001; Buck-Heeb, Wissenszurechnung, Informationsorganisation und Adhoc-Mitteilungspflicht bei Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds, AG 2015, 801; Bühler, Die Befreiung des Geschäftsführers der GmbH von § 181 BGB, DNotZ 1983, 588; Coing, Die Vertretungsordnung juristischer Personen und deren Haftung gemäß § 31 BGB, in FS Fischer, 1979, S. 65; Drexl, Wissenszurechnung im Konzern, ZHR 161 (1997), 491; Fest, Gesetzliche Vertretung und Prozessfähigkeit einer führungslosen Gesellschaft nach dem MoMiG, NZG 2011, 130; R. Fischer, Der Missbrauch der Vertretungsmacht auch unter Berücksichtigung der Handelsgesellschaften, in FS Schilling, 1973, S. 3; Fleck, Schuldrechtliche Verpflichtungen einer GmbH im Entscheidungsbereich der Gesellschafter, ZGR 1988, 104; Fleck, Missbrauch der Vertretungsmacht oder Treubruch des mit Einverständnis aller Gesellschafter handelnden GmbH-Geschäftsführers aus zivilrechtlicher Sicht, ZGR 1990, 31; Frenzel, Erstarkung der Gesamt- zur Alleinvertretungsbefugnis bei Ausscheiden der übrigen Geschäftsführer?, GmbHR 2011, 515; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, 1972; Gasteyer/Goldschmidt, Wissenszurechnung bei juristischen Personen und im Konzern, AG 2016, 116; Gehrlein, Reichweite und Grenzen der Befugnisse von Gesellschaftern und Anteilseignern in der Regelinsolvenz, ZInsO 2017, 1977; Geitzhaus, Die Generalbevollmächtigung – empfehlenswertes Instrument der Unternehmensführung?, GmbHR 1989, 229, 278; Grigoleit, Zivilrechtliche Grundlagen der Wissenszurechnung, ZHR 181 (2017), 160; Goette, Externe Bindung des Geschäftsführers an Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung, DStR 1997, 1298; Grunewald, Wissenszurechnung bei juristischen Personen, in FS Beusch, 1993, S. 301; Haas, Die Vertreterhaftung bei Weglassen des Rechtsformzusatzes nach § 4 II GmbHG, NJW 1997, 2854; Harder, Das Selbstkontrahieren mit Hilfe eines Untervertreters, AcP 170 (1970), 295; Hauschild, § 181 BGB im Gesellschaftsrecht – eine heilige Kuh auf (international) verlorenem Posten?, ZIP 2014, 954; Heinemann, 28 BGH v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, GmbHR 1988, 101 = ZIP 1988, 371 (für Generalhandlungsvollmacht); Hübner, ZHR 143 (1979), 1, 15; a.A. Flume, Die juristische Person, 1983, S. 367. 29 Hübner, ZHR 143 (1979), 21; enger: Flume, Die juristische Person, 1983, S. 367; Joussen, WM 1994, 274; Schroeder/Oppermann, JZ 2007, 176.

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§ 35 vor Rz. 23 | Vertretung der GmbH Der Geltungsbereich des § 181 BGB für Rechtsbeziehungen zwischen der GmbH und ihrem Vertretungsorgan und seine Steuerrelevanz, GmbHR 1985, 176; Hildesheim, Das Selbstkontrahierungsverbot in der neueren Rspr. des BFH und der FG zur verdeckten Gewinnausschüttung, DStZ 1998, 741; von der Höh, § 181 BGB im Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers der nicht nach dem MitbestG mitbestimmten GmbH, GmbHR 2018, 241; Höpfner, Die Gehaltserhöhung mit sich selbst, NZG 2014, 1174; Horstkotte, Die führungslose GmbH im Insolvenzantragsverfahren, ZInsO 2009, 209; Immenga, Entscheidungsunfähigkeit von Gesellschaftsorganen, GmbHR 1971, 107; Ising, Befreiung von § 181 BGB durch ihrerseits selbst nicht befreite Organe, NZG 2011, 841; Joussen, Die Generalvollmacht im Handels- und Gesellschaftsrecht, WM 1994, 273; Kieser/Kloster, Wissenszurechnung bei der GmbH, GmbHR 2001, 176; Klose, Die Vertretung einer Zweipersonen-GmbH bei Gesellschafterstreitigkeiten, GmbHR 2010, 1139; Knauth, Die Prozess(un)fähigkeit einer insolventen führungslosen Gesellschaft, NZI 2018, 55; Köhler-Ma/de Bruyn, Führungslos ins Insolvenzverfahren?, ZIP 2018, 261; Konow, Das Selbstkontrahieren des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH bei einer GmbH & Co. KG, GmbHR 1972, 262; Kreutz, § 181 BGB im Lichte des § 35 Abs. 4 GmbHG, in FS Mühl, 1981, S. 409; Leitzen, Grenzen der Bevollmächtigung Dritter durch organschaftliche Gesamtvertreter im Lichte des „Trabrennbahn“-Urteils, WM 2010, 637; Leuering/Rubner, Geschäftsverteilung zwischen GmbH-Geschäftsführern, NJW-Spezial 2009, 239; Leuering/Stein, Wann erstarkt die Gesamt- zur Einzelvertretungsbefugnis?, NJW-Spezial 2014, 527; Mertens, Die Schranken gesetzlicher Vertretungsmacht im Handelsrecht, JurA 1970, 466; Metzing, Folgen des Erlöschens organschaftlicher Vertretungsmacht, NJW 2017, 3194; Michalski, Missbrauch der Vertretungsmacht bei Überschreiten der Geschäftsführungsbefugnis, GmbHR 1991, 349; Mielke, Die Vertretung der Kommanditgesellschaft gegenüber einem Komplementär bzw. Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, BB 2017, 1734; Passarge, Zum Begriff der Führungslosigkeit – scharfes Schwert gegen Missbrauch oder nur theoretischer Papiertiger?, GmbHR 2010, 295; Passarge/Brete, Führungslosigkeit in Theorie und Praxis – eine kritische Bestandsaufnahme, ZInsO 2011, 1293; Paulus, Zur Zurechnung arglistigen Vertreterhandelns, in FS Michaelis, 1972, S. 215; Philipp, Die Ausübung von Beteiligungsrechten nach § 32 des Mitbestimmungsgesetzes, DB 1976, 1622; Plander, Die Geschäfte des Gesellschafter-Geschäftsführers der Einmann-GmbH mit sich selbst, 1969 (Rechtsfragen der Handelsgesellschaften, Heft 24); Raiser, Kenntnis und Kennenmüssen von Unternehmern, in FS Bezzenberger, 2000, S. 561; Rawert/Endres, Der falsus procurator und § 181 BGB, ZIP 2015, 2197; Reinicke/Tiedtke, Das Erlöschen der Befreiung von dem Verbot der Vornahme von In-sich-Geschäften, WM 1988, 441; Reinicke/Tiedtke, Die Befreiung des Geschäftsführers vom Verbot von In-sich-Geschäften bei Verwandlung der mehrgliedrigen in eine eingliedrige GmbH, deren Gesellschafter der Geschäftsführer ist, GmbHR 1990, 200; Robles y Zepf, Praxisrelevante Probleme der Mehrfachvertretung bei der GmbH und der Aktiengesellschaft gemäß § 181 2. 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Schultz, Nochmals: Die Bedeutung der Kenntnis des Vertretenen beim Vertreterhandeln für juristische Personen und Gesellschaften, NJW 1997, 2093; Schulze, Geschäfte der Kapitalgesellschaft mit ihren Organmitgliedern, 2010; Schwab, Missbrauchsbekämpfung durch die GmbH-Reform: Schutzinstrumente und Schutzlücken, DStR 2010, 333; Schwarz, Das Gesetz zur Durchführung der Zwölften gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie – Neuerungen für die Einpersonen-GmbH, DStR 1992, 221; Schwin-

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Vertretung der GmbH | Rz. 24 § 35 towski, Die Zurechnung des Wissens von Mitgliedern des Aufsichtsrats in einem oder mehreren Unternehmen, ZIP 2015, 617; Spindler, Wissenszurechnung in der GmbH, AG und im Konzern, ZHR 181 (2017), 311; Steffek, Zustellungen und Zugang von Willenserklärungen nach dem Regierungsentwurf zum MoMiG – Inhalt und Bedeutung der Änderungen für GmbHs, AGs und ausländische Kapitalgesellschaften, BB 2007, 2077; Stein, Die neue Dogmatik der Wissensverantwortung bei der außerordentlichen Kündigung von Organmitgliedern der Kapitalgesellschaften – Bespr. zu BGH, ZIP 1998, 1269, ZGR 1999, 264; Stein, Die Grenzen vollmachtloser Vertreter der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern, AG 1999, 28; Steinbeck, Besicherung von Gesellschafterverbindlichkeiten durch die GmbH – Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer?, WM 1999, 885; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017; Stenzel, Handelsregistereintragung von „c/o“-Adressen, NZG 2011, 851; Terner, Die Befreiung des GmbH-Liquidators von den Beschränkungen des § 181 BGB, DStR 2017, 160; Theiselmann, Die Bestellung eines GmbHNotgeschäftsführers, GmbH-StB 2017, 17; Tiedtke, Fortbestand der Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens bei der Umwandlung einer mehrgliedrigen in eine Einmann-GmbH, ZIP 1991, 355; Tiedtke, Zur Form der Gestattung von Insichgeschäften des geschäftsführenden Mitgesellschafters einer GmbH, GmbHR 1993, 385; Tiedtke, Zur Übernahme der Bürgschaft durch die GmbH oder deren Geschäftsführer persönlich, GmbHR 1995, 336; Timm, Mehrfachvertretung im Konzern, AcP 193 (1993), 423; Vedder, Der Missbrauch der Vertretungsmacht, 2007; Vedder, Das Vorsatzerfordernis beim Missbrauch der Vertretungsmacht durch GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 2008, 736; Verse, Doppelmandate und Wissenszurechnung im Konzern, AG 2015, 413; Viehöfer/Eser, Probleme der Vertretungsbefugnis bei der sogenannten unechten Gesamtprokura, BB 1984, 1326; Waltermann, Zur Wissenszurechnung – am Beispiel der juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, AcP 192 (1992), 181; Wälzholz, Die insolvenzrechtliche Behandlung haftungsbeschränkter Gesellschaften nach der Reform durch das MoMiG, DStR 2007, 1914; Weinhardt, Ausübung und Einschränkung der Gesamtvertretung im bürgerlichen und im Gesellschaftsrecht, 1988; Westerholt, Vertretung der GmbH und Eintragung in das Handelsregister, GmbHR 1993, 85; H. P. Westermann, Missbrauch der Vertretungsmacht, JA 1981, 521; H. P. Westermann/Menger, Gesellschafterstreitigkeiten im GmbH-Recht, DWiR 1991, 143; Wiesner, Zum Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei Kenntniserlangung durch Organmitglieder, BB 1981, 1533; Winkler, In-sich-Geschäfte des Gesellschafter-Geschäftsführers einer Einmann-GmbH, DNotZ 1970, 476; Wübbelsmann, Die öffentliche Zustellung von Steuerbescheiden an Gesellschaften – Änderungen durch das MoMiG?, DStR 2011, 126; Zacher, Beschränkungen und Missbrauch der Vertretungsmacht des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 1994, 842; Ziche, Die Verweisung des § 35 Abs. 4 GmbHG auf das Verbot der Vornahme von Insichgeschäften, 1991.

1. Organschaftliche Vertretungsbefugnis Der Geschäftsführer erhält mit seiner Bestellung die Befugnis, die Gesellschaft im Rechtsver- 23 kehr zu vertreten. Der Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft auch vor Gericht, gegenüber Behörden und öffentlich-rechtlichen Körperschaften, bei Verbänden (Arbeitgeberverband) und bei der Stellung eines Strafantrags30. Er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Handeln des Geschäftsführers im Außenverhältnis ist daher Handeln der Gesellschaft. Die ausdrückliche Hervorhebung des Gerichts durch „gerichtlich und außergerichtlich“ (§ 35 Abs. 1 Satz 1) ist altmodisch. Sie hat keine rechtliche Bedeutung (vgl. auch §§ 49, 124 HGB und noch § 78 Abs. 1 AktG). Sie ist ein untrennbarer Bestandteil. Die Geschäftsführer sind jedoch nicht das einzige Organ der Gesellschaft mit organschaftli- 24 cher Vertretungsbefugnis. In Einzelfällen wird die Gesellschaft durch die Gesellschafterversammlung oder durch den Aufsichtsrat vertreten. Seit der Anfügung von § 35 Abs. 1 Satz 2 durch das MoMiG wird die Gesellschaft zudem im Falle der Führungslosigkeit von den Gesellschaftern passiv vertreten (s. hierzu Rz. 70 ff.). Zur Vertretung durch die Gesellschafterversammlung s. Rz. 311 ff. Zur Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat s. 12. Aufl., § 52 Rz. 358 ff. 30 BGH v. 8.1.1954 – 1 StR 260/53, GmbHR 1954, 140.

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§ 35 Rz. 24a | Vertretung der GmbH

2. Erkennbares Handeln für die Gesellschaft 24a In § 36 a.F. war die Wirkung der Vertretung geregelt. Die Vorschrift ist weggefallen. Vorgese-

hen war, dass die Gesellschaft nur ordnungsgemäß vertreten und berechtigt und verpflichtet wird, wenn der Geschäftsführer in einer für den Erklärungsempfänger erkennbaren Weise „in Vertretung der Gesellschaft“ vorgenommen wird. Entscheidend ist somit, dass der Wille des Erklärenden, für die Gesellschaft zu handeln, deutlich wird, § 164 BGB31. Dies geschieht ausdrücklich durch Worte wie „im Namen“, „in Vertretung“ der Gesellschaft oder konkludent32. So kann sich aus den Umständen, z.B. der Unternehmensbezogenheit eines Geschäfts, ergeben, dass trotz fehlender Verwendung des GmbH-Zusatzes die Gesellschaft und nicht der Handelnde Vertragspartei sein soll33. Das Entsprechende gilt bei Verwendung der Firma bei Unterzeichnung. Dies macht deutlich, dass die Gesellschaft verpflichtet sein soll, mag auch der Geschäftsführer im Schriftverkehr die „Ich-Form“ verwendet haben34. 24b Im Namen der Gesellschaft handelt daher, wer auf einem Wechsel unter dem Stempel einer

Personenfirma zeichnet. Er verpflichtet hiermit die Gesellschaft und nicht sich selbst, auch wenn nicht ausdrücklich vermerkt ist, dass er als Vertreter und nicht als Firmeninhaber handelt35. Die Beweislast für ein Handeln in fremdem Namen trägt der Geschäftsführer36. 24c Haben mehrere Gesellschaften denselben Geschäftsführer, etwa in einem Konzern, und

wird nicht deutlich, welche der Gesellschaften er vertritt, so ist bei einem betriebsbezogenen Geschäft dasjenige Unternehmen Vertragspartner geworden, dem das Geschäft nach den objektiven Umständen zugeschrieben werden kann. Fehlt es an ausreichenden Unterscheidungsmerkmalen, so müssen beide Gesellschaften die Erklärung gegen sich gelten lassen37.

3. Inhalt, Umfang und Grenzen der Vertretungsmacht a) Der Grundsatz der Unbeschränktheit 25 Die organschaftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers ist unbeschränkt. § 35 ent-

spricht damit den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.8.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschafts-

31 BGH v. 13.10.1994 – IX ZR 25/94, WM 1994, 2233 m. abl. Anm. Tiedtke, GmbHR 1995, 336; BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764; OLG Düsseldorf v. 8.3.1996 – 17 U 193/95, GmbHR 1996, 765: Unterschriften zweier Geschäftsführer; s. ferner OLG Düsseldorf v. 10.10.1996 – 10 U 247/95, WM 1997, 1719 sowie OLG Koblenz v. 16.2.2004 – 12 U 37/03, NZG 2004, 373. 32 BGH v. 27.10.2005 – III ZR 71/05, NJW-RR 2006, 109; OLG München v. 26.11.1999 – 23 U 4566/ 99, GmbHR 2000, 1258 = NZG 2000, 1037; OLG Hamm v. 17.1.2000 – 18 U 148/99, VersR 2001, 979. 33 BGH v. 17.4.1980 – VII ZR 120/79, WM 1980, 780, 782; BGH v. 18.5.1998 – II ZR 355/95, DB 1998, 1610 = GmbHR 1998, 883; vgl. auch BGH v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 220 f.; BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 15; OLG Karlsruhe v. 25.9.2018 – 9 U 117/16, GmbHR 2018, 1198. 34 OLG Köln v. 27.8.1999 – 19 U 26/99, GmbHR 2000, 383. 35 BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11 = JR 1975, 459 m. Anm. Karsten Schmidt. 36 BGH v. 9.11.1982 – VI ZR 293/79, BGHZ 85, 252, 258; BGH v. 12.10.1961 – III ZR 109/60, WM 1961, 1381; BGH v. 27.1.1975 – III ZR 117/72, NJW 1975, 775; BGH v. 13.10.1994 – IX ZR 25/94, GmbHR 1995, 377 = WM 1994, 2233; OLG Koblenz v. 16.2.2004 – 12 U 37/03, NZG 2004, 373. 37 BGH v. 22.5.1978 – II ZR 160/77, GmbHR 1980, 11 = WM 1978, 1151; s. auch BGH v. 15.1.1986 – VIII ZR 6/85, ZIP 1986, 366.

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Vertretung der GmbH | Rz. 26 § 35

rechts38. Von der Vertretungsbefugnis gedeckt ist daher auch der Abschluss von Rechtsgeschäften, die mit dem Gesellschaftszweck und die mit dem Unternehmensgegenstand nicht vereinbar sind39. Sie ist auch nicht der Höhe nach beschränkt. Sie ermächtigt zu ungewöhnlichen Rechtsgeschäften, zur Erteilung von Prokura und Handlungsvollmacht (s. Rz. 40), zur Veräußerung und zur Belastung von Grundstücken, zur Aufnahme und zur Gewährung von Krediten, zu Spenden und zu Schenkungen. Damit sollen die Geschäftspartner davon befreit sein, die Legitimation des Geschäftsführers im Einzelfall zu überprüfen. Sie dürfen davon ausgehen, dass die Geschäftsführer die Gesellschaft unbegrenzt verpflichten und über ihr Vermögen frei verfügen können. Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft bleiben die Geschäftsführer weiterhin vertretungsbefugt, soweit nicht die Verwaltungs- und Verfügungskompetenz des Insolvenzverwalters nach § 80 Abs. 1 InsO betroffen ist40. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen kann der Geschäftsführer daher nur noch solche Kompetenzen und Befugnisse ausüben, die nicht die Insolvenzmasse betreffen41. Hinsichtlich des Zeitpunktes, zu dem der Geschäftsführer vertretungsbefugt sein muss, kommt es bei einer Anmeldung zum Handelsregister in entsprechender Anwendung des § 130 Abs. 2 BGB auf den Zeitpunkt der Abgabe der Anmeldung an, nicht jedoch auf den Zeitpunkt des Eingangs der Anmeldung beim Registergericht an42. Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 12.2.201443 kann der einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer zwar mehrere Dritte z.B. zur Vornahme einer Registereintragung bevollmächtigen; aus dem Inhalt der Vollmachtsurkunde muss sich jedoch zweifelsfrei der Umfang der Vertretungsbefugnis ergeben. Im Zweifel muss davon ausgegangen werden, dass der geringere Umfang der Vollmacht gilt. b) Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit Die organschaftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers ist zugleich im Interesse des 26 Verkehrsschutzes sachlich unbeschränkbar44. Sie kann nur personell dadurch begrenzt werden, dass ein Geschäftsführer nur zusammen mit einem anderen Geschäftsführer, also nur im Wege der Gesamtvertretung, handeln darf (s. Rz. 91). Hiervon abgesehen, wirken satzungsmäßige Bindungen an die Zustimmung der Gesellschafterversammlung oder des Aufsichtsrats und Weisungen der Gesellschafterversammlung nur im Innenverhältnis45 (zu den Ausnahmen s. Rz. 190). Sie verpflichten zwar den Geschäftsführer, sich an die interne Bindung zu halten. Sie beschränken aber nicht seine Vertretungsbefugnis. Die Aufzählung in § 37 Abs. 2 Satz 2 ist nur beispielhaft. Unwirksam ist demgemäß auch eine Beschränkung

38 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 39 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Mertens, AG 1978, 309, 311; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 4; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 10; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911, 929; s. aber auch Ganßmüller, GmbHR 1957, 49 und BGH v. 29.11.1956 – II ZR 282/55, GmbHR 1957, 57: Betreiben die Gesellschafter einer GmbH, ohne Firma, Sitz und Gegenstand und Gesellschaftsform zu ändern, an einem anderen Ort ein anderes Handelsgewerbe, deren Eintragung gar nicht beabsichtigt ist, so liegt darin schlüssig der Abschluss eines auf den Betrieb einer OHG gerichteten Gesellschaftsvertrags. 40 Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1985. 41 OLG Stuttgart v. 27.12.2016 – 10 U 97/16, GmbHR 2017, 148, 150. 42 OLG Zweibrücken v. 29.10.2013 – 3 W 82/13, GmbHR 2014, 251 = NZG 2015, 319. 43 OLG Düsseldorf v. 12.2.2014 – 3 Wx 31/14, GmbHR 2014, 373. 44 Vgl. BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26, 33; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, WM 1997, 1570; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 16; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9. 45 Vgl. hierzu OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2015, 358, 359: Eine Satzungsregelung, nach der für bestimmte Maßnahmen die Zustimmung der Gesellschafter erforderlich ist, ist regelmäßig dahin auszulegen, dass allen Gesellschaftern ein individuelles Sonderrecht eingeräumt ist.

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§ 35 Rz. 26 | Vertretung der GmbH der Vertretungsmacht auf eine Zweigniederlassung46 oder auf einen bestimmten Geschäftsbereich. Das Risiko, dass sich die Geschäftsführer nicht an interne Bindungen halten, trägt somit die Gesellschaft. Das schließt aber vertragliche Vereinbarungen, dass ein Rechtsgeschäft nur wirksam sein soll, wenn die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat zustimmen, nicht aus47. Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht gilt auch für den Notgeschäftsführer48. 27 Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht wird freilich durch die Regeln

über den Missbrauch der Vertretungsmacht relativiert (s. dazu Rz. 187 ff.). Interne Beschränkungen können Dritten in der Regel nicht entgegengesetzt werden49. Kennt aber der Dritte die internen Beschränkungen, kennt er die satzungsmäßigen Bindungen, weiß er von internen Weisungen oder von dem Widerspruch der Mitgeschäftsführer, so kann ein Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegen. In der Regel kann der Dritte zwar davon ausgehen, dass sich der Geschäftsführer intern mit der Gesellschafterversammlung, dem Aufsichtsrat oder dem Mitgeschäftsführer auseinandersetzt. Voraussetzung ist aber, dass das Rechtsgeschäft nicht offensichtlich zum Nachteil der Gesellschaft ist. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat allerdings auch dann einen Missbrauch der Vertretungsmacht angenommen, wenn ein Rechtsgeschäft zwar nicht nachweislich dem Interesse des Vertretenen zuwiderläuft, der Vertragsgegner aber weiß oder sich sagen muss, dass der Vertreter dem Geschäftsherrn Tatsachen vorenthält, bei deren Kenntnis dieser den Vertrag nicht abgeschlossen hätte50. c) Rechtsgeschäfte mit Gesellschaftern und Konzernunternehmen 28 aa) Von der Vertretungsmacht der Geschäftsführer gedeckt sind Verkehrsgeschäfte mit den

Gesellschaftern. Zum Abschluss des Anstellungsvertrags mit dem Gesellschafter-Geschäftsführer s. aber Rz. 311. 29 bb) Streitig ist, ob auch für Rechtsgeschäfte einer GmbH mit den Gesellschaftern der Grund-

satz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht gilt. Dagegen könnte man einwenden, die Satzung und daher auch die Beschränkung der Vertretungsmacht brauchten dem Gesellschafter nicht bekannt oder gegenwärtig zu sein. Daher könne dem Gesellschafter allenfalls bei einem Verschulden eine entsprechende Satzungsbestimmung entgegengehalten werden51. Der Umfang einer Vertretungsmacht bestimmt sich jedoch nicht nach subjektiven Merkmalen in der Person des Geschäftspartners, sondern nach objektiven Kriterien auf der Seite der Gesellschaft und ihres Vertretungsorgans. Im Blick hierauf hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bei den Personenhandelsgesellschaften es den Gesellschaftern freigestellt, die Vertretungsbefugnis für Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern zu beschränken, und davon abhängig gemacht, dass das Rechtsgeschäft die Zustimmung der 46 KG v. 10.12.1920 – 1a. X. 738/20, KGJ 53, 97; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 52. 47 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, WM 1997, 1570 m. Anm. Teichmann/Schröder, WuB, II C. § 37 GmbHG 1.97; Goette, DStR 1997, 1298; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 171. 48 BayObLG v. 6.12.1985 – BReg 3 Z 116/85, GmbHR 1986, 189 = ZIP 1986, 93; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 6 Rz. 94; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 32; s. auch 12. Aufl., § 6 Rz. 102 f. 49 S. Art. 9 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2017/1132 v. 14.8.2017. 50 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, WM 1984, 305, 306 = GmbHR 1984, 96 sowie schon BGH v. 24.4.1972 – II ZR 153/69, WM 1972, 1380 und RG v. 14.10.1931 – I 10/31, RGZ 134, 67, 71; enger aber BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, WM 1983, 83, 85 = GmbHR 1983, 149 und BGH v. 15.12.1975 – II ZR 148/74, WM 1976, 658; s. auch Rz. 190. 51 Tiefenbacher, BB 1962, 1259; Beitzke, JR 1963, 184; Däubler, GmbHR 1964, 226; wie hier aber Mertens, JurA 1970, 34.

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Vertretung der GmbH | Rz. 32 § 35

Gesellschafterversammlung gefunden hat. Der Gesellschafter bedarf nicht desselben Schutzes wie Dritte, die am Geschäftsverkehr teilnehmen. Solange daher ein Gesellschafterbeschluss fehlt, fehlt es auch an der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer52. Dies lässt sich auf die GmbH übertragen53. Auch bei der GmbH ist davon auszugehen, dass 30 interne Bindungen der Geschäftsführer bei Geschäften mit den Gesellschaftern zur Beschränkung der Vertretungsbefugnis führen54. Die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter muss nur dort eingeengt werden, wo es um den Schutz unbeteiligter Dritter geht. Gerade dem dient die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht. Die Gesellschafter einer GmbH verdienen diesen besonderen Schutz aber nicht. Ob sich der Gesellschafter bei Abschluss des Rechtsgeschäfts der internen Beschränkung bewusst war, ist unbeachtlich; denn er muss sich entgegenhalten lassen, dass er als Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag kennen und dass er sich um die Kenntnis von Weisungen bemühen muss. Das bedeutet, dass auch bei der GmbH interne Beschränkungen des Geschäftsführers bei seiner Geschäftsführung zugleich auch seine organschaftliche Vertretungsmacht beschränken, soweit sie ihn zu Rechtsgeschäften mit den Gesellschaftern berechtigt, und dass die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss in der Gesellschafterversammlung die Vertretungsmacht des Geschäftsführers für bestimmte Geschäfte zwischen der Gesellschaft und einem Gesellschafter beschränken können55. Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht dürfte aber nur dann im Ver- 31 hältnis zu den Gesellschaftern uneingeschränkt gelten, wenn die Gesellschafter typischerweise nicht an der Satzungsgestaltung mitwirken, sondern durch Beitritt ihre Gesellschafterstellung erlangt haben, also etwa bei Publikumsgesellschaften. Aus entsprechenden Erwägungen begrenzen bei konzerninternen Rechtsgeschäften die inter- 32 nen Beschränkungen zugleich die Vertretungsbefugnis. Hier bedarf es keines Verkehrsschutzes. Das gilt jedenfalls im Verhältnis zu 100%igen Tochter- und zwischen solchen Schwestergesellschaften56. Ist bei einer GmbH & Co. KG die KG gleichzeitig Gesellschafterin der GmbH, so kann folglich im Verhältnis zur KG die Vertretungsmacht der Geschäftsführer beschränkt werden57.

52 BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26, 32; BGH v. 9.5.1974 – II ZR 84/72, BB 1974, 996; BGH v. 24.11.1975 – II ZR 89/74, BB 1976, 527; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 126 HGB Rz. 9; Roth in Baumbach/Hopt, § 126 HGB Rz. 6. 53 S. aber auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, BGHZ 136, 125 = GmbHR 1997, 790: Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Kapitalerhaltungsgebot bestimmen sich auch dann ausschließlich nach § 31, wenn es dem Beteiligten auf die Umgehung der Kapitalerhaltungsvorschriften ankommt. 54 Ebenso: BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, WM 1997, 1570; BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, ZIP 1994, 1290, 1294 = GmbHR 1994, 629; OLG Stuttgart v. 14.1.2013 – 14 W 17/12, GmbHR 2013, 535, 541; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 53: Anbindung der Vertretungs- an die Geschäftsführungsbefugnis; a.A. Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 25: Missbrauch der Vertretungsmacht; ebenso: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 168; differenzierend: Zacher, GmbHR 1994, 842: Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit bei Verkehrsgeschäften; offen gelassen von Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 19; s. aber auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 48: Es bleibt beim Grundsatz von der unbeschränkbaren organschaftlichen Vertretungsmacht, es sei denn der andere Teil ist nicht schutzbedürftig. Das setze aber Evidenz des Verstoßes voraus. 55 Uwe H. Schneider, BB 1986, 201, 202. 56 Uwe H. Schneider, BB 1986, 201, 203; vgl. auch BGH v. 29.9.1981 – KVR 2/80, BGHZ 82, 122 und OLG Hamburg v. 5.9.1980 – 11 U 1/80, AG 1981, 344. A.A. OLG Frankfurt v. 19.1.1988 – 5 U 3/86, GmbHR 1989, 254; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25: Missbrauch der Vertretungsmacht; ebenso Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 169. 57 A.A. Hesselmann in Aktuelle Probleme der GmbH & Co., 1967, S. 81.

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§ 35 Rz. 33 | Vertretung der GmbH d) Rechtsgeschäfte mit den Geschäftsführern 33 aa) Die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer berechtigt auch zum Abschluss von Ver-

kehrsgeschäften (Umsatzgeschäften) der Gesellschaft mit anderen noch tätigen oder bereits ausgeschiedenen Geschäftsführern58. Eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung ist nicht erforderlich. Die Satzung kann aber eine solche Zustimmung verlangen. Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, gilt § 52 i.V.m. § 112 AktG (s. auch Rz. 38 sowie 12. Aufl., § 52 Rz. 359 ff.). 34 Ein Verkehrsgeschäft liegt nur vor, wenn ein entsprechendes Rechtsgeschäft im Blick auf Ge-

genstand, Gegenleistung und Zeitpunkt in dieser Weise auch mit einem Dritten abgeschlossen worden wäre („Drittvergleich“). Nicht um ein Verkehrsgeschäft handelt es sich dagegen und zuständig ist demgemäß die Gesellschafterversammlung sowohl in Bezug auf die Willensbildung als auch für die Bekanntgabe59, wenn das Rechtsgeschäft wegen der bestehenden oder früheren Organstellung (Gesellschafterstellung) getätigt wird, wie Bestellung, Abberufung oder Weisungen. 35 Zu beachten bleiben auch bei Verkehrsgeschäften die allgemeinen Beschränkungen der Ver-

tretungsmacht. Besteht Gesamtvertretung, hat die Gesellschaft nur zwei Geschäftsführer, soll das Rechtsgeschäft mit einem von diesen abgeschlossen werden, so ist dieser nach § 181 BGB von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen. Der andere Geschäftsführer ist nur unter den in Rz. 118 ff. genannten Voraussetzungen einzelvertretungsbefugt. Ein gesamtvertretungsberechtigter Geschäftsführer kann seinen Mitgeschäftsführer zur Alleinvertretung ermächtigen. Darin liegt keine Erteilung einer Untervollmacht und somit keine Umgehung des § 181 BGB60. Darüber hinaus wirken ebenso wie bei den Rechtsgeschäften mit Gesellschaftern interne Zuständigkeitsbeschränkungen als Beschränkung der Vertretungsmacht61. Von der Vertretungsbefugnis nicht gedeckt sind daher solche Rechtsgeschäfte mit Geschäftsführern, die wegen ihres Umfangs, ihres ungewöhnlichen Inhalts oder Risikos (s. 12. Aufl., § 37 Rz. 15) oder aufgrund der Satzung der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen. 36 Der Rechtsgedanke von § 89 AktG, wonach Kredite jeder Art an Vorstandsmitglieder nur auf-

grund eines Beschlusses des Aufsichtsrats gewährt werden dürfen, ist in dieser Allgemeinheit auf die GmbH aber nicht übertragbar (s. 12. Aufl., § 43a Rz. 7). Zu beachten sind jedoch die durch § 43a gezogenen Grenzen. 37 Zur Vertretung der Gesellschaft bei Abschluss, Änderung, Aufhebung und Kündigung des

Anstellungsvertrags s. Rz. 311 ff. 38 bb) Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, so vertritt dieser die Gesellschaft beim Abschluss

von Rechtsgeschäften mit den Geschäftsführern. § 52, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG und § 25 MitbestG verweisen auf § 112 AktG. Handelt es sich um einen lediglich fakultativen Aufsichtsrat, so kann jedoch im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss der Gesellschafterversammlung Abweichendes bestimmt werden62. Bei Verkehrsgeschäften des täglichen Lebens kann die Gesellschaft auch durch die Mitgeschäftsführer vertreten werden (str.; Einzelheiten 12. Aufl., § 52 Rz. 364).

58 Ohne Beschränkung auf Verkehrsgeschäfte: Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 19; wie hier: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 99; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10 f. 59 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18. 60 BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72. 61 Ebenso wohl auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 19. 62 BGH v. 23.4.2007 – II ZR 149/06, DStR 2007, 1358, 1359; BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117, 118 = GmbHR 2008, 144, 145; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 102; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 52 Rz. 31.

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Vertretung der GmbH | Rz. 42 § 35

e) Rechtsgeschäfte mit den Arbeitnehmern Die Geschäftsführer handeln als Vertreter der Gesellschaft bei Rechtsgeschäften mit den Ar- 39 beitnehmern, also insbesondere beim Abschluss von Arbeitsverträgen, bei Kündigungen, Vertragsänderungen usw.63. Sie üben für die Gesellschaft das Direktionsrecht aus, §§ 611, 315 BGB64. Bei Arbeitsverhältnissen mit Gesellschaftern führen entsprechende Satzungsbestimmungen oder Gesellschafterbeschlüsse, die solche Rechtsgeschäfte von einem Gesellschafterbeschluss abhängig machen, regelmäßig zur Beschränkung der Vertretungsmacht (s. Rz. 28 ff.)65. Die Gesellschaft wird auch bei Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Zuständigkeiten sowie bei Abschluss von Betriebsvereinbarungen und von Firmentarifverträgen durch die Geschäftsführer vertreten66. f) Erteilung von Prokura und Handlungsvollmacht Nach § 46 Nr. 7 unterliegen der Bestimmung der Gesellschafter die Bestellung von Prokuristen 40 und von Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb. Diese interne Zuständigkeit begrenzt aber nicht die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers. Er kann auch ohne Gesellschafterbeschluss wirksam einen Prokuristen oder einen Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb bestellen67. Dasselbe gilt für den Widerruf der Prokura68. Das schließt aber nicht aus, dass die Erteilung der Prokura nur wirksam sein soll, wenn die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat zustimmen. g) Ausübung von Beteiligungsrechten Die Mitverwaltungsrechte aus Anteilen an Beteiligungs- und an Konzerngesellschaften wer- 41 den durch die Geschäftsführer wahrgenommen69. Das gilt für das Stimmrecht, unabhängig davon, was der Gegenstand der Abstimmung ist, für die Ausübung von Informations- und Kontrollrechten usw. Unter bestimmten Voraussetzungen können aber einzelne Mitverwaltungsrechte aus einer 42 gesellschaftsrechtlichen Beteiligung „durch das zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens befugte Organ nur auf Grund von Beschlüssen des Aufsichtsrats ausgeübt werden“, § 15 MitbestErgG, § 32 MitbestG. Die beiden Vorschriften sind bei allen Beteiligungslagen anwendbar, sofern die Beteiligung nicht weniger als ein Viertel beträgt, also nicht nur im Konzern. Zusätzliche Voraussetzung ist bei Gesellschaften, die nach dem MitbestG mitbestimmt sind, dass das Unternehmen, an dem die Beteiligung besteht, gleichfalls in den Anwendungsbereich des MitbestG fällt70.

63 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96. 64 van Venrooy, GmbHR 2001, 7; Ostheim, Die Weisung des Arbeitgebers als arbeitsrechtliches Problem, 1970; Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, 1973, S. 93. 65 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8. 66 Ebenso: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8. 67 RG v. 26.1.1911 – VII 76/10, RGZ 75, 164; RG v. 21.4.1922 – 545/21 VII, JW 1923, 121; BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 233; OLG Düsseldorf v. 13.4.1948 – 3 W 49/48, SJZ 1949, 779; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 104; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 7. 68 OLG Düsseldorf v. 25.2.1998 – 3 Wx 27/98, GmbHR 1998, 743. 69 FG Düsseldorf v. 23.6.2010 – 7 K 2019/08 GE, GmbHR 2010, 1173, 1174. 70 Einzelheiten bei Uwe H. Schneider in GK-MitbestG, § 32 Anm. 13, 65; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 32 MitbestG Rz. 6.

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§ 35 Rz. 43 | Vertretung der GmbH 43 Die Rechtsnatur ist streitig. Teilweise wird die Ansicht vertreten, es werde hierdurch nur die

interne Zuständigkeit geändert71. Das würde bedeuten, dass das geschäftsführende Organ sich über die gesellschaftsinterne Zuständigkeitsverlagerung im Außenverhältnis wirksam hinwegsetzen könnte. Das aber widerspricht dem Zweck der Vorschrift. Nach anderer Ansicht sollen die Vorschriften eine gesetzliche Beschränkung der Vertretungsmacht enthalten72. 44 Das wäre systemfremd, weil die gesetzliche Vertretungsmacht des Geschäftsführers grund-

sätzlich unbeschränkt ist. Keine der vorgenannten Auslegungen überzeugt daher. Das Gesetz ordnet vielmehr das Ruhen der Stimmrechte an, solange der Aufsichtsrat nicht Beschluss gefasst hat (vgl. auch § 20 Abs. 7, § 21 Abs. 4, § 136 Abs. 1, 2 AktG). Beschränkt wird nicht die Vertretungsmacht, sondern die Mitverwaltungsrechte „können“ (Wortlaut § 32 MitbestG) während ihres Ruhens nicht ausgeübt werden73. Der Beschluss des Aufsichtsrats ist Wirksamkeitsvoraussetzung für das Wiederaufleben der Rechte74. Der nach Vorliegen eines Aufsichtsratsbeschlusses von der Weisung abweichende Geschäftsführer handelt daher nicht ohne Vertretungsmacht, sondern nur gegen die intern getroffene Entscheidung des Aufsichtsrats75. h) Verpflichtung zur Satzungsänderung und über Organrechte 45 aa) Von der organschaftlichen Vertretungsmacht der Geschäftsführer nicht gedeckt sind Sat-

zungsänderungen76. Hierfür sind die Gesellschafter zuständig. Die Geschäftsführer können weder die Zuständigkeit an sich ziehen noch die Gesellschafter vertreten. Die Geschäftsführer können daher keine weiteren Gesellschafter aufnehmen, Gesellschafter ausschließen oder die Firma der Gesellschaft ändern. Bei Abschluss des Übernahmevertrages einer auf das erhöhte Kapital zu leistenden Stammeinlage wird die Gesellschaft durch ihre Gesellschafter vertreten. Die Gesellschafter können jedoch einen Geschäftsführer zum Abschluss des Übernahmevertrages ermächtigen77. 46 bb) Von der Zuständigkeit zur Satzungsänderung sind zwei Fragen zu unterscheiden, näm-

lich erstens, ob die Geschäftsführer die Gesellschaft Dritten gegenüber zur Satzungsänderung verpflichten können, und zweitens, ob die Geschäftsführer die Gesellschaft verpflichten können, dass Organrechte in bestimmter Weise wahrgenommen oder nicht wahrgenommen werden.

71 Für § 15 MitbestErgG: Kunze, AuR 1956, 261; für § 32 MitbestG: Eichler, BB 1977, 1064; Säcker, DB 1977, 2035; Crezelius, ZGR 1980, 372. 72 Für § 15 MitbestErgG: Fitting, BABl. 1956, 509; Boldt, MitbestErgG, § 15 Anm. 6; Kötter, MitbestErgG, § 15 Anm. 6; für § 32 MitbestG: Bayer, ZGR 1977, 191; Lehmann/Heinsius, Aktienrecht und Mitbestimmung, S. 41; Philipp, DB 1976, 1624; Habersack in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 15; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 32 MitbestG Rz. 24; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Anm. 28, der jedoch auch vom Ruhen der Stimmrechte spricht; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 32 MitbestG Anm. 42; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 43 f.; Bernhardt/Bredol, NZG 2015, 419, 421 f. 73 A.A. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 2; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56. 74 Näher hierzu: Uwe H. Schneider in GK-MitbestG, § 32 Anm. 28; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 16. 75 Uwe H. Schneider in GK-MitbestG, § 32 Anm. 61; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Anm. 32; Philipp, DB 1976, 1626; a.A. Lehmann/Heinsius, Aktienrecht und Mitbestimmung, S. 41; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 9; dazu OLG Köln v. 17.1.1996 – 5 U 255/93, DB 1996, 1713. 76 RG v. 20.12.1939 – II 88/39, RGZ 162, 374; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, 1980, S. 524. 77 BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BB 1968, 59.

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Vertretung der GmbH | Rz. 50 § 35

Bei der Verpflichtung zur Satzungsänderung ist etwa an eine Vereinbarung im Rahmen ei- 47 nes Darlehensvertrages zu denken, das Kapital zu erhöhen, einen Aufsichtsrat einzurichten oder einen weiteren Gesellschafter aufzunehmen. Auch zu solchen Verpflichtungen berechtigt die organschaftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers nicht78. Es handelt sich nicht um Maßnahmen der Unternehmensleitung, sondern um Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen. Die organschaftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers berechtigt aber nur zur Verpflichtung der Gesellschaft im Außenverkehr. Solche Vereinbarungen sind aber auch nicht unzulässig. Jeder Gesellschafter kann für sich eine Verpflichtung eingehen, seine Stimmrechte entsprechend zu verwenden. Wirksam ist auch eine Verpflichtung der Gesellschaft zur Satzungsänderung. Dabei wird die Gesellschaft zwar durch den Geschäftsführer vertreten, ein entsprechender Gesellschafterbeschluss ist aber Wirksamkeitsvoraussetzung79. Auch für Verträge, durch die die Gesellschaft sich verpflichtet, dass Organrechte bei der 48 eigenen Gesellschaft in bestimmter Weise ausgeübt werden, fehlt dem Geschäftsführer die Vertretungsbefugnis. Zu denken ist an eine Verpflichtung, eine bestimmte Person als Geschäftsführer oder als Mitglied des Aufsichtsrats zu berufen, den Geschäftsführer auf Wunsch des Vertragspartners abzuberufen (s. 12. Aufl., § 38 Rz. 24) oder bestimmte Informationen nicht an den Aufsichtsrat, an einzelne Aufsichtsratsmitglieder oder an die Gesellschafter weiterzugeben. Generell unwirksam sind Verpflichtungen, durch die in allgemeiner Form Zuständigkeiten 49 und Aufgaben eines Organs auf einen Dritten verlagert werden oder die verhindern, dass die Organmitglieder ihre Pflichten ordnungsgemäß erfüllen können. Unwirksam wäre daher eine selbständige Verpflichtung gegenüber einem Dritten, auf dessen Verlangen einen von dem Dritten benannten Geschäftsführer zu bestellen oder abzuberufen80. Soweit aber nicht in allgemeiner Form Organzuständigkeiten verlagert, sondern nur eine 50 Verpflichtung begründet wird, die intern einen Gesellschafterbeschluss erfordert, ist die Zulässigkeit unbedenklich. Daher kann die Gesellschaft sich in einem Darlehensvertrag zugleich verpflichten, einen bestimmten Geschäftsführer abzuberufen (s. auch 12. Aufl., § 38 Rz. 55). Beim Abschluss eines solchen Rechtsgeschäfts wird die Gesellschaft durch die Geschäftsführer vertreten. Die Zustimmung des betreffenden Organs ist freilich Wirksamkeitsvoraussetzung81. Solche Verträge haben aber keine organisationsrechtliche Wirkung. Sie gewähren dem Dritten keinen Erfüllungsanspruch, sondern gegebenenfalls nur Schadensersatzansprüche. Dagegen können die Geschäftsführer in einer schuldrechtlichen Vereinbarung als unselbständige Nebenbestimmung mit Wirkung für die GmbH Dritten Informations- und Einsichtsrechte einräumen82.

78 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; ausführlich: Fleck, ZGR 1988, 104, 110. 79 Vgl. OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 8 U 91/00, NZG 2001, 763; a.A. die h.M.: Vertretung durch Gesellschafter: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19. 80 Ebenso „für eine ganz allgemeine Abrede“, den Aufsichtsrat nicht zu informieren: Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, S. 166 ff.; differenzierend: Fleck, ZGR 1988, 104. 81 S. auch Mertens in FS Werner, 1984, S. 571: Verträge sind bei kollusiver Schädigung und bei Beeinträchtigung der Informationsrechte grundsätzlich sittenwidrig, sonst aber bestehe Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer; s. auch Mertens, AG 1980, 74; OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 8 U 91/00, NZG 2001, 763. 82 Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911, 930.

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§ 35 Rz. 51 | Vertretung der GmbH i) Einzahlung und Einlagen 51 Der Anspruch auf Einzahlung der Einlagen steht der Gesellschaft zu. Er wird vom Geschäfts-

führer gegen den Gesellschafter geltend gemacht, s. dazu 12. Aufl., § 19 Rz. 13. j) Genehmigung der Anteilsabtretung 52 Nach § 15 Abs. 5 kann der Gesellschaftsvertrag die Abtretung eines Gesellschaftsanteils von

der Genehmigung der Gesellschaft abhängig machen. Wer für die Erteilung der Genehmigung zuständig ist und wer hierbei die Gesellschaft vertritt, ist streitig (s. 12. Aufl., § 15 Rz. 121). 53 Einigkeit dürfte bestehen, dass die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag vorsehen können,

dass der Geschäftsführer die Genehmigung erteilt und hierbei die Gesellschaft vertritt83. Fehlt es an einer ausdrücklichen Vereinbarung, und lässt sich auch nicht durch Auslegung ermitteln, ob die Gesellschafter oder der Geschäftsführer zuständig sein sollen, so erteilt der Geschäftsführer die Genehmigung. Im Innenverhältnis bedarf es jedoch eines Gesellschafterbeschlusses84. 54 Teilweise wird vertreten, der Geschäftsführer könne die Genehmigung nicht wirksam ertei-

len und dabei die Gesellschaft vertreten, wenn intern ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist85; denn in solchen Fällen sei auf Grund der internen Zuständigkeit der Gesellschafter die organschaftliche Vertretungsmacht beschränkt (s. Rz. 29 f.). Dem ist entgegenzuhalten, dass von der Erklärung auch der Erwerber des Anteils betroffen ist, der die innergesellschaftlichen Vorgänge – und dazu gehört der Gesellschafterbeschluss – nicht nachprüfen kann. Aus diesem Grund ist in § 68 Abs. 2 AktG vorgesehen, dass die Zustimmung zur Übertragung von Namensaktien auch dann der Vorstand erteilt, wenn der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung über die Erteilung der Zustimmung beschließen. Angesichts der Außenwirkung der Abtretungsgenehmigung ist eine Beschränkung der Vertretungsbefugnis abzulehnen86. k) Gründung von Gesellschaften, Anteilserwerb, Genussscheine 55 aa) Von der Vertretungsmacht gedeckt ist die Mitwirkung an der Gründung einer Gesell-

schaft und der Erwerb von Gesellschaftsanteilen87 (str., Einzelheiten s. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13] Anh. § 13 Rz. 58 f.). Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Bildung eines faktischen Konzerns aus der Sicht des herrschenden Unternehmens eine Maßnahme der Geschäftsführung ist. 56 bb) Von der organschaftlichen Vertretungsmacht des Geschäftsführers gedeckt ist der Ab-

schluss eines typischen stillen Gesellschaftsvertrags, und zwar sowohl für den Fall, dass die GmbH Geschäftsinhaberin ist, als auch für den Fall, dass die GmbH stille Gesellschafterin ist88. Wird die GmbH Geschäftsinhaberin, so ist freilich Voraussetzung, dass hierdurch das 83 Leßmann, GmbHR 1985, 179, 185. 84 BGH v. 14.3.1988 – II ZR 211/87, GmbHR 1988, 260 = WM 1988, 704. 85 So: Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 99 f.; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 80 f.; Leßmann, GmbHR 1985, 179, 182; a.A. RG v. 13.6.1922 – II 771/21, RGZ 104, 413; Zimmermann, BB 1966, 1171; Fischer, ZHR 130 (1969), 367; offengelassen in BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25; BGH v. 14.3.1988 – II ZR 211/87, GmbHR 1988, 260 = WM 1988, 704: Genehmigung unwirksam, wenn Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegt; s. auch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6. 86 Ebenso Goette, Die GmbH nach der BGH-Rechtsprechung, S. 199; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 166. 87 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10. 88 BGH v. 26.10.1978 – II ZR 119/77, DB 1979, 644; Lamprecht in Blaurock, Handbuch Stille Gesellschaft, 9. Aufl. 2020, § 9 Rz. 9.63; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 22.

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Vertretung der GmbH | Rz. 59 § 35

Gewinnbeteiligungsrecht der Gesellschafter nicht wesentlich beeinträchtigt wird89. Der Geschäftsführer kann auch eine stille Beteiligung kündigen; denn die Begründung einer stillen Gesellschaft bedeutet nicht den Eintritt des stillen Gesellschafters in die GmbH, sondern die Begründung eines Rechtsverhältnisses, das zwischen der GmbH und dem stillen Gesellschafter besteht90. Im Verhältnis zu Dritten handelt es sich um Verkehrsgeschäfte. Wenn jedoch die Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters erheblich das Gewinnbeteiligungsrecht der GmbH-Gesellschafter beschneidet, bedarf es als Wirksamkeitsvoraussetzung eines Gesellschafterbeschlusses91. cc) Genussrechte werden durch schuldrechtlichen Vertrag zwischen der Gesellschaft mit 57 dem ersten Erwerber begründet92. Dabei wird die Gesellschaft durch den Geschäftsführer vertreten. Ist ein Gesellschafterbeschluss erforderlich, weil durch die Begründung wesentlich in die Gewinnbeteiligungsrechte der Gesellschafter eingegriffen wird, so entsteht das Recht erst, wenn der entsprechende Beschluss gefasst ist (str., Einzelheiten 12. Aufl., § 14 Rz. 69 f.). l) Unternehmens- und Fusionsverträge S. hierzu 12. Aufl., Anh. Konzernrecht (nach § 13) Anh. § 13 Rz. 129 ff.

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IV. Vertretung durch mehrere Personen 1. Gesetzliche Regel a) Aktivvertretung Die GmbH kann einen oder mehrere Geschäftsführer haben. Hat sie mehrere, so gilt für die 59 aktive gesetzliche Vertretung der Gesellschaft als gesetzliche Regel Gesamtvertretung durch alle Geschäftsführer. Dies galt schon vor Inkrafttreten des MoMiG in entsprechender Anwendung des § 78 AktG93 und wird heute durch den neu gefassten § 35 Abs. 2 Satz 1 klargestellt. Sieht der Gesellschaftsvertrag keine von der gesetzlichen Vertretungsregelung abweichende Bestimmung vor, ist bei Fortfall aller anderen Geschäftsführer der verbleibende Geschäftsführer alleinvertretungsbefugt94. Werden für die Gesellschaft rechtsgeschäftliche Erklärungen abgegeben (Aktivvertretung), so werden diese erst wirksam, wenn alle Gesamtvertreter ihre Erklärungen als Teil der Gesamterklärung in entsprechender Form abgegeben haben95. Deshalb liegt keine wirksame Vertretung vor, wenn die Erklärung auch nur eines Gesamtvertreters nichtig ist96. Im Rahmen der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen ist hingegen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 InsO auch in Fällen der Gesamtvertretung jeder Geschäftsführer befugt, aufgrund der durch die InsO verliehenen Vertretungsmacht ohne Mitwirkung der übrigen Geschäftsführer einen Eröffnungsantrag zu stellen97. Die insoweit bestehende Einzelvertretungsmacht des ansonsten gesamt-

89 Näher zur Abgrenzung vom Gewinnabführungsvertrag: Uwe H. Schneider/Reusch, DB 1989, 713. 90 BGH v. 14.2.1957 – II ZR 190/55, WM 1957, 543, 544; BGH v. 18.10.1962 – II ZR 12/61, WM 1962, 1353, 1354. 91 Str.; s. Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 126 HGB Rz. 11 sowie Uwe H. Schneider/Reusch, DB 1989, 713, 715. 92 RG v. 13.3.1931 – II 315/30, RGZ 132, 199. 93 Vgl. 10. Aufl., Rz. 51. 94 Blasche, GmbHR 2017, 123, 128. 95 BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, LM Nr. 15 zu § 164 BGB. 96 BGH v. 9.2.1970 – II ZR 137/69, BGHZ 53, 214: Geschäftsunfähigkeit; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 114; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 56. 97 Gehrlein, ZInsO 2017, 1977.

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§ 35 Rz. 59 | Vertretung der GmbH vertretungsberechtigten Geschäftsführers kann auch nicht durch die Satzung beseitigt oder beschränkt werden98. In Angelegenheiten, in denen die Gesellschaft ausschließlich durch Geschäftsführer vertreten werden kann, muss, wenn kein Geschäftsführer vorhanden ist oder eine Gesamtvertretung nicht möglich ist, ein Notgeschäftsführer bestellt werden99. b) Passivvertretung (§ 35 Abs. 2 Sätze 2 bis 4) aa) Zustellung an inländische Geschäftsanschrift 60 Für den Fall des Empfangs von Willenserklärungen (Passivvertretung) gilt Einzelvertretungs-

befugnis, und zwar auch dann, wenn für die Aktivvertretung Gesamtvertretung vorgesehen ist. Das bedeutet: Zugang der Erklärung gegenüber einem Gesamtvertreter genügt100. Das Gleiche gilt für Zustellungen in gerichtlichen Verfahren (§ 170 Abs. 3 ZPO), die an jedem Ort erfolgen kann, an dem der Geschäftsführer angetroffen wird (§§ 170, 177 ZPO)101. Alle Vertreter der Gesellschaft sind nunmehr unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift (s. hierzu sogleich bei Rz. 62) zu erreichen. Unter dieser Anschrift können auch Zustellungen an die Gesellschaft bewirkt werden102. Es genügt jedoch auch, wenn die Erklärung an die Privatanschrift des Geschäftsführers erfolgt103. § 35 Abs. 2 Satz 2 entspricht § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG. Damit ist sie der Gesellschaft rechtswirksam zugegangen (§ 130 BGB). Diese Vorschrift ist zwingend, kann also durch das Statut nicht abgeändert werden (unstreitig). Soweit aber die Prokura und die Handlungsvollmacht reichen (§§ 48 ff. HGB), genügt auch eine Erklärung an einen Träger dieser Vollmachten. Beispiele der Passivvertretung sind: Mahnungen, Kündigungen, Fristsetzungen, Mängelanzeigen gegenüber der GmbH, Zahlungsaufforderungen an die GmbH104. 61 Die Erklärung gegenüber einem faktischen Geschäftsführer reicht nicht105, gegenüber dem

Prokuristen nur dann nicht, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter gegenüber zu erklären ist. 62 Der Name des Vertreters braucht nicht genannt zu werden106. § 35 Abs. 2 Satz 4 ist im Zu-

sammenhang mit § 8 Abs. 4 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 zu sehen. Verlangt ist hiernach die Eintragung einer inländischen Geschäftsanschrift. Eine Änderung der Geschäftsanschrift ist ebenfalls anzumelden (§ 13 Abs. 3 GmbHG, § 31 Abs. 1 HGB). Der Anmeldepflicht unterliegt der Geschäftsführer persönlich (§ 78), der insoweit die GmbH nach Maßgabe von § 35 Abs. 1 und 2 vertritt107. Damit wird nunmehr vermieden, dass Geschäftspartner von Gesell98 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587 m. Anm. Wagner = ZIP 2016, 817, 818. 99 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 32; Metzing, NJW 2017, 3194, 3197; eingehend zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines Notgeschäftsführers Theiselmann, GmbH-StB 2017, 17; vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – 3 Wx 302/15, GmbHR 2016, 1032, 1033 f.; OLG Frankfurt v. 16.1.2014 – 20 W 309/13, NZG 2014, 391, 392 ff. = GmbHR 2014, 929. 100 BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 173 = GmbHR 1974, 182; s. auch BGH v. 17.9.2001 – II ZR 378/99, GmbHR 2002, 27; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 27. 101 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 29. 102 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 103 BGH v. 31.7.2003 – III ZR 353/02, NJW 2003, 3270 = WM 2003, 1820: Einlegen in privates Postfach des Geschäftsführers soll genügen; krit. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 65; a.A. Fleischer, NJW 2006, 3239, 3242. 104 RG v. 31.12.1902 – I 320/02, RGZ 53, 230: Erhebung von Wechsel- und Scheckprotest; RG v. 16.10.1920 – V 34/20, RGZ 100, 138. 105 A.A. FG Hessen v. 20.10.1997 – 4 K 1420/93, GmbHR 1998, 901. 106 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 66; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 170; Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1172 f.; a.A. Schwab, DStR 2010, 333, 335. 107 OLG Hamburg v. 27.1.2011 – 11 W 4/11, GmbHR 2011, 828, 829.

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Vertretung der GmbH | Rz. 65 § 35

schaften mit Sitz im Ausland den zeit- und kostenintensiven Weg der Auslandszustellung beschreiten müssen, um Schriftstücke zuzustellen oder Willenserklärungen wirksam abzugeben108. § 35 Abs. 2 Satz 3 erste Alternative begründet eine unwiderlegliche Vermutung109. Vermutet 63 wird, dass unter der im Handelsregister eingetragenen Adresse ein Vertreter der Gesellschaft erreichbar ist110. Es kommt somit nicht darauf an, dass die entsprechende Adresse zutreffend ist. Die anzumeldende Geschäftsanschrift ist – anders als bei Personenhandelsgesellschaften – frei wählbar111. Und nicht erforderlich ist, dass tatsächlich ein Geschäftslokal besteht112. Der Normzweck verlangt lediglich, dass die betreffende Geschäftsanschrift im Handelsregister angegeben ist. Daraus ergibt sich ein zurechenbarer Rechtsschein113. Es kommt auch nicht darauf an, dass der Vertreter auch tatsächlich die Erklärung zur Kenntnis genommen hat, denn die Vermutung bezieht sich auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Zudem ist es unschädlich, wenn dem Erklärenden bekannt ist, dass die Vertreter derzeit nicht erreichbar sind, z.B. weil sie sich im Ausland aufhalten. Auch ist nicht verlangt, dass der Erklärende weiß, dass ein Fall der Führungslosigkeit vorliegt. Bislang nicht gänzlich geklärt ist die Zulässigkeit der Eintragung von sog. „c/o-Adressen“ als Geschäftsanschrift114. Die bisherige Rechtsprechung115 geht davon aus, dass c/o-Adressen den Anforderungen an eine inländische Geschäftsanschrift genügen können; Voraussetzung sei jedoch, dass eine (notfalls Ersatz-)Zustellung an die Adresse tatsächlich möglich sei. S. zur Geschäftsanschrift auch 12. Aufl., § 8 Rz. 33 f. Sofern eine Zustellung an die im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift aus tat- 64 sächlichen Gründen unmöglich ist, kann – bei Vorliegen der Voraussetzungen116 – die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung gemäß § 185 Nr. 2 ZPO erfolgen. bb) Passivvertretung durch empfangsberechtigte Person Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 kann eine Person auch mit einer inländischen Anschrift zur Eintra- 65 gung in das Handelsregister angemeldet werden. Für diesen Fall kann nach § 35 Abs. 2 Satz 4

108 Mackenroth, NJ 2009, 1, 3; Kindler, NJW 2008, 3249, 3254; Steffek, BB 2007, 2077. 109 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 777; anders Zirngibl in Bunnemann/Zirngibl, Auswirkungen des MoMiG auf bestehende GmbHs, § 4 Rz. 104 ff., nach dem die Vermutung widerlegt sein soll, wenn an der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift kein Geschäftslokal existiert. Jedoch bezieht sich die von § 35 Abs. 2 Satz 3 aufgestellte Vermutung nicht auf die Existenz des Geschäftslokals, sondern auf den Zugang der Erklärung; so auch Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 777; Steffek, BB 2007, 2077, 2080. Und sofern kein Geschäftslokal (mehr) existiert, ist ein zurechenbarer Rechtsschein eines solchen durch die Eintragung der Geschäftsanschrift im Handelsregister geschaffen worden, der nur durch positive Kenntnis des Erklärenden vom Nichtvorhandensein eines Geschäftslokals erschüttert würde. 110 Breitenstein/Meyding, BB 2007, 1457, 1460. 111 OLG Schleswig v. 14.11.2011 – 2 W 48/11, GmbHR 2012, 800, 802. 112 A.A. offenbar OLG Schleswig v. 14.11.2011 – 2 W 48/11, GmbHR 2012, 800, 802; nach Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47 ist eine Empfangsvorkehrung erforderlich; ebenso Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 171, 245; Schwab, DStR 2010, 333, 335; wie hier jedoch Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 46; s. auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 68: zurechenbarer Rechtsschein des Bestehens eines Geschäftslokals genügt. 113 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 114 Vgl. etwa Stenzel, NZG 2011, 851, 853: für vorbehaltlose Zulässigkeit (m.w.N.). 115 OLG Naumburg v. 8.5.2009 – 5 Wx 4/09, GmbHR 2009, 832; OLG Rostock v. 31.5.2010 – 1 W 6/ 10, GmbHR 2011, 30; OLG Hamm v. 20.1.2011 – 15 W 485/10, GmbHR 2011, 595. 116 Vgl. zu den Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung an juristische Personen: KG v. 12.7.2010 – 12 W 20/10, MDR 2011, 125.

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§ 35 Rz. 65 | Vertretung der GmbH die Zustellung auch unter der ins Handelsregister eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person erfolgen. 66 Durch § 35 Abs. 2 Satz 4 wird, durch Eintragung einer weiteren empfangsberechtigten Per-

son nach den Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 2, Dritten eine weitere Möglichkeit eröffnet, die Gesellschaft zu erreichen. Die Gesellschaft eröffnet sich dadurch die zusätzliche Möglichkeit zur Kenntniserlangung von Willenserklärungen und zugestellten Schriftstücken117. Eine solche Maßnahme kommt etwa in Betracht, wenn bei einer neu gegründeten Gesellschaft als Geschäftsanschrift zunächst die Privatanschrift des Geschäftsführers angegeben wird oder wenn kurzfristig die Verlegung des Geschäftslokals geplant ist118. 67 Einer nach § 10 Abs. 2 Satz 2 eingetragenen empfangsberechtigten Person gegenüber kann

jederzeit eine Willenserklärung abgegeben und können Schriftstücke zugestellt werden, ohne dass zuvor ein Zustellversuch an die Vertreter der Gesellschaft unter deren Geschäftsanschrift erfolgt sein muss119. Soll jedoch eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, ist gemäß § 185 Nr. 2 ZPO Voraussetzung, dass die reguläre Zustellung an die gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 empfangsberechtigte Person unmöglich ist, sofern eine solche Person eingetragen ist120. 68 Willenserklärungen und Zustellungen, die der nach § 10 Abs. 2 Satz 2 eingetragenen Person

zugehen, gelten als der Gesellschaft zugegangen, da die eingetragene Person die Stellung eines Empfangsvertreters einnimmt. Daher haben die Vertreter der Gesellschaft Sorge dafür zu tragen, dass von der empfangsberechtigten Person weitergeleitete Nachrichten und Schriftstücke rechtzeitig zur Kenntnis genommen werden können. Dementsprechend hat die empfangsberechtigte Person die Aufgabe, ihr zugegangene Willenserklärungen und zugestellte Schriftstücke für die Gesellschaft deren Vertretern zuzuleiten. Sofern die empfangsberechtigte Person diese Verpflichtung schuldhaft verletzt, ist sie der Gesellschaft gegenüber zum Ersatz eines daraus entstandenen Schadens verpflichtet. c) Passivvertretung bei Fehlen von Geschäftsführern (§ 35 Abs. 1 Satz 2) aa) Frühere Rechtslage 69 Vor der Einfügung von § 35 Abs. 1 Satz 2 durch das MoMiG galt: Hat die GmbH keinen

Geschäftsführer, so konnten gegenüber der Gesellschaft Erklärungen, außer den Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten der Gesellschaft gegenüber121, nicht abgegeben werden. Diese Verhinderung des Zugangs musste sich die Gesellschaft zurechnen lassen, weshalb der Zugang unterstellt wurde122. Eine Erklärung gegenüber dem Mehrheitsgesellschafter war weder ausreichend noch erforderlich123. Dieser, vielfach als unbefriedigend empfundenen Situation stellte der Gesetzgeber den durch das MoMiG neu eingeführten § 35 Abs. 1 Satz 2 entgegen. bb) Normzweck 70 Durch den neu eingefügten § 35 Abs. 1 Satz 2 soll die Zustellungs- und Zugangsvereitelung

von Schriftstücken und Willenserklärungen verhindert werden. Die Norm dient insoweit der 117 118 119 120

Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43. Tebben, RNotZ 2008, 441, 450. Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 778. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 173; zu den Voraussetzungen im Einzelnen Hirte, NZG 2008, 761, 766. 121 So noch zur alten Rechtslage Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 18. Aufl. 2006, Rz. 105. 122 Ebenso noch vor dem MoMiG Altmeppen in Roth/Altmeppen, 5. Aufl. 2005, Rz. 55. 123 So aber OLG München v. 25.5.1993 – 18 U 7176/92, GmbHR 1994, 122.

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Vertretung der GmbH | Rz. 73 § 35

Missbrauchsbekämpfung. Insbesondere soll der Praxis der sog. „Firmenbestatter“124 entgegengetreten werden, bei der mit unguten Absichten der einzige Geschäftsführer sein Amt niedergelegt hat oder abberufen und kein Nachfolger bestellt wird. Dadurch wird ein Zustand herbeigeführt, durch den u.a. der Zugang von Erklärungen und die Zustellung von Schriftstücken gegenüber der GmbH, wie auch der UG (haftungsbeschränkt), verzögert oder tatsächlich unmöglich wird125. Durch die neue Vorschrift wird die zeitaufwändige Bestellung eines Notgeschäftsführers entbehrlich126. Für die Zustellung von Schriftstücken geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Gesellschaft 71 selbst eine nicht prozessfähige Person ist127. Damit werden zwar diejenigen Stimmen ignoriert, die die Prozessfähigkeit inzwischen auf alle juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften erweitern wollen128. Jedoch lässt sich aus § 170 ZPO entnehmen, dass – ungeachtet einer möglichen Prozessfähigkeit – bei Zustellungen an nicht natürliche Personen an deren gesetzliche Vertreter zuzustellen ist129, so dass bei der GmbH die Zustellung grundsätzlich an den die Gesellschaft gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 vertretenden Geschäftsführer zu erfolgen hat. Fehlte es an einem Geschäftsführer, konnte folglich die Zustellung gegenüber der Gesellschaft bisher nicht ordnungsgemäß bewirkt werden, da die Zustellung gegenüber der Gesellschaft als solcher wegen § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam ist130. Daran sollte auch der ebenfalls mit dem MoMiG neu eingeführte § 185 Nr. 2 ZPO nichts ändern, da § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO einer öffentlichen Zustellung weiterhin entgegenstehen soll131. Diesen Missstand hat der Gesetzgeber nun mit der Einführung der ersatzweisen Empfangsvertretung der Gesellschaft durch ihre Gesellschafter beseitigt. Näher zur Prozessfähigkeit s. Rz. 78. Die Folge der Neuregelung ist eine auch an anderer Stelle zu beobachtende Veränderung 72 der Gesellschafterstellung, und zwar weg von einem passiven Investor hin zu einem Gesellschafter mit subsidiärer Verantwortlichkeit für die Geschäftsführung der Gesellschaft. cc) Legaldefinition der Führungslosigkeit § 35 Abs. 1 Satz 2 erweitert die Passivvertretung im Falle der Führungslosigkeit132. Tatbe- 73 standsmerkmal in § 35 Abs. 1 Satz 2 ist die Führungslosigkeit. Sie wird legal definiert: Führungslos ist eine Gesellschaft, die keinen Geschäftsführer hat. Die Gründe sind unerheblich. Führungslos ist die Gesellschaft z.B. nach Abberufung des Geschäftsführers, nach dessen Amtsniederlegung und bei Tod des Geschäftsführers133. Hatte die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer und ist ein Geschäftsführer weggefallen, so ist die Gesellschaft nicht führungslos134. Zu welchem Zeitpunkt die Führungslosigkeit beginnt, bestimmt sich nach den Regeln

124 S. dazu AG Memmingen v. 2.12.2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952; AG Duisburg v. 2.1.2007 – 64 IN 107/06, NZG 2007, 439; Haarmeyer, ZInsO 2006, 449; Haas, GmbHR 2006, 729, 732; Hey/ Regel, GmbHR 2000, 15; Hirte, ZInsO 2003, 833; König/Bormann, DNotZ 2008, 652, 670; Mackenroth, NJ 2009, 1, 2; Wachter, GmbHR 2004, 955; s. auch schon Gustavus, GmbHR 1992, 15; zum Ganzen auch Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2018, S. 65 ff. 125 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 126 König/Bormann, DNotZ 2008, 652, 671. 127 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 128 Althammer in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 52 ZPO Rz. 2 a.E. 129 Schultzky in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 170 ZPO Rz. 3. 130 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 131 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 132 Zustimmend: Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449, 451. 133 Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1978. 134 Berger, ZInsO 2009, 1977, 1980; Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, NJW 2015, 2215, 2217.

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§ 35 Rz. 73 | Vertretung der GmbH über Beginn und Ende der Organstellung135. Jedoch kann sich ein Dritter auf § 15 Abs. 1 HGB berufen, wenn ein wirksam bestellter Geschäftsführer nicht im Handelsregister eingetragen wurde136. 74 Keine Führungslosigkeit liegt vor, wenn der Geschäftsführer bloß vorübergehend137 nicht

erreichbar138 oder tatsächlich nicht in der Lage oder nicht willens ist139, die Geschäfte zu führen. Denn dann verfügt die Gesellschaft dem Wortlaut der Norm nach nicht über „keinen“ Geschäftsführer, sondern allenfalls über einen verhinderten oder untauglichen Geschäftsführer140. Nicht ausreichend ist auch eine bloß „eventuelle Führungslosigkeit“, etwa wenn der Aufenthaltsort eines – möglicherweise flüchtigen – Geschäftsführers unbekannt141, mit seinem Auftauchen aber zeitnah zu rechnen ist. Ein solches „Abtauchen“ kann in der Regel auch nicht142 als konkludente Amtsniederlegung gewertet werden143. Die Gesellschaft ist dagegen führungslos, wenn der Geschäftsführer längere Zeit, z.B. auf Grund einer mehrmonatigen Weltreise, nicht greifbar ist144. 75 Ebenfalls keine Führungslosigkeit soll vorliegen, wenn für die Abwicklungsphase der Gesell-

schaft Liquidatoren an Stelle der Geschäftsführer treten145. Dies ist unter Berücksichtigung der Legaldefinition in dem ebenfalls mit dem MoMiG neu angefügten § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO, wonach Führungslosigkeit bei einer juristischen Person dann vorliegt, wenn diese keine organschaftlichen Vertreter hat, stimmig. Führungslosigkeit erfordert also das Fehlen eines organschaftlichen oder sonstigen gesetzlichen Vertreters der Gesellschaft. Daher hindert auch ein faktischer Geschäftsführer – mangels wirksamer Berufung und Organstellung – nicht die Annahme von Führungslosigkeit146. In diesem Fall bestehen die Verantwortlichkeiten der Gesellschafter bei Führungslosigkeit (s. Rz. 77) neben denjenigen, die den faktischen Geschäftsführer treffen147. Unklar bleibt, warum der Gesetzgeber bei der Legaldefinition der

135 Schmahl, NZI 2008, 6, 7. 136 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1162. 137 Bloß vorübergehende Unerreichbarkeit soll nur vorliegen, wenn die grundsätzliche Bereitschaft zur Wahrnehmung der Geschäftsführeraufgaben außer Frage steht: Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160. 138 AG Potsdam v. 24.1.2013 – 35 IN 978/12, ZIP 2013, 1638. 139 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44: „Strohmanngeschäftsführer“; Römermann, NZI 2008, 641, 645; Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160; Wälzholz, DStR 2007, 1914, 1916. 140 Zu den Voraussetzungen an die Person des Geschäftsführers s. auch § 6 Abs. 2. 141 AG Hamburg v. 27.11.2008 – 67c IN 478/08, NJW 2009, 304; OLG Düsseldorf v. 1.3.2016 – 3 Wx 191/15, ZIP 2016, 1068, 1071 = GmbHR 2016, 824; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 240; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 10; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 42; Berger, ZInsO 2009, 1977, 1980; a.A. Passarge, GmbHR 2010, 295, 297; Passarge/Brete, ZInsO 2011, 1293, 1297. 142 Römermann, NZI 2010, 241, 243; Berger, ZInsO 2009, 1977, 1981. 143 AG Hamburg v. 27.11.2008 – 67c IN 478/08, NJW 2009, 304; Römermann, NZI 2008, 641, 645; Römermann, NZI 2010, 241, 243; a.A. Dahl, NJW-Spezial 2009, 55; unklar Gehrlein, BB 2008, 846, 848; die praktischen Probleme dieses Ansatzes betonend Passarge/Brete, ZInsO 2011, 1293, 1299. 144 A.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 10; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 240. 145 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160; Wicke, Rz. 26. 146 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 29; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 72; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 240; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 10; Wicke, Rz. 26; Römermann, NZI 2010, 241, 242; Berger, ZInsO 2009, 1977, 1981; Knauth, NZI 2018, 55, 57; a.A. (für den Fall des § 10 Abs. 2 InsO); s. zum Ganzen auch Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1161 f. 147 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1161.

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Vertretung der GmbH | Rz. 78 § 35

Führungslosigkeit in § 35 Abs. 1 Satz 2 sich nicht an die weniger zweifelhafte Formulierung des § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO gehalten hat148. Die Führungslosigkeit bestimmt sich nach objektiven Merkmalen. Keine Voraussetzung der 76 Führungslosigkeit ist daher die Kenntnis der Gesellschafter von der Tatsache, dass die Gesellschaft keinen organschaftlichen Vertreter hat149. Auch ist keine Mindestbeteiligung des Gesellschafters erforderlich150. Daraus folgt, dass auch ein Zwerggesellschafter ohne eigene Kenntnis der näheren Umstände der Führungslosigkeit in die Rolle als ersatzweises QuasiOrgan der Gesellschaft geraten kann. Der Eintritt der Rechtsfolgen des § 35 Abs. 1 Satz 2, also Passivvertretung bei den Gesellschaftern, lässt sich auch nicht durch eine Satzungsbestimmung vermeiden, nach der bei Führungslosigkeit der fakultative oder obligatorische Aufsichtsrat passiv vertretungsbefugt sein soll151. Denn die passive Einzelvertretungsbefugnis kann nicht durch Satzungsregelungen abgeändert werden152. dd) Nur Passivvertretung § 35 Abs. 1 Satz 2 handelt nur von der Passivvertretung, nämlich davon, dass der Gesell- 77 schaft gegenüber Willenserklärungen abgegeben werden oder die Zustellung eines Schriftstücks erfolgen sollen153. Eine Befugnis zur Aktivvertretung ist damit nicht verbunden154. Die Abgabe der Willenserklärung richtet sich nach den §§ 116 ff. BGB. Zustellung eines Schriftstücks ist nach der Legaldefinition des § 166 Abs. 1 ZPO die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person. Auf die Zustellung finden die Bestimmungen der §§ 166 ff. ZPO Anwendung. Daneben hat die Führungslosigkeit der Gesellschaft nur dort Auswirkungen auf die Pflichten der Gesellschafter, wo dies ausdrücklich gesetzlich vorgesehen wird, wie der Antragsstellungspflicht nach § 15a Abs. 3 InsO, der Anhörung nach § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO sowie dem Insolvenzantragsrecht nach § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO155. Mit dem Einrücken der Gesellschafter in die Stellung eines ersatzweisen Passivvertreters bei 78 Führungslosigkeit ist keine Prozessfähigkeit verbunden156. Daher bleibt es auch dabei, dass die führungslose Gesellschaft nicht prozessfähig ist und zur Erlangung der Prozessfähigkeit ein Prozesspfleger oder Notgeschäftsführer bestellt werden muss157. Freilich schafft § 35 Abs. 1 Satz 2 die Möglichkeit eine Klage trotz Führungslosigkeit durch Zustellung rechtshängig zu machen158.

148 Dieser Kritik mit Blick auf den Verweis in § 69 entgegentretend Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160 (in dortiger Fn. 20). 149 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 11; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 242; Böhringer, BWNotZ 2008, 104, 113. 150 Tebben, RNotZ 2008, 441, 450. 151 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 11; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 73. 152 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 243. 153 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160; Lips/Randel/Werwigk, DStR 2008, 2220, 2227. 154 LG Bonn v. 26.5.2009 – 30 T 426/09, NZG 2009, 1077; FG Sachsen-Anhalt v. 15.3.2012 – 3 K 83/ 10, GmbHR 2012, 1151; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 246. 155 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43. 156 BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, GmbHR 2011, 83; FG Sachsen-Anhalt v. 15.3.2012 – 3 K 83/ 10, GmbHR 2012, 1151; zur Frage der Verfahrensfähigkeit im Insolvenzverfahren vgl. Horstkotte, ZInsO 2009, 209. 157 Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 70; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 247; Fest, NZG 2011, 130; Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1165 und 1175; Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 113. 158 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 247; Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 113, 114.

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§ 35 Rz. 79 | Vertretung der GmbH ee) Rechtsfolgen 79 Bei Vorliegen eines Falls der Führungslosigkeit sind die Gesellschafter nicht etwa bloße Emp-

fangsboten. Sie müssten in diesem Fall die Erklärung an den Empfänger weiterleiten. Die Gesellschafter sind vielmehr ersatzweise passiv vertretungsberechtigt, also Empfangsvertreter für die gegenüber der Gesellschaft zuzustellenden Schriftstücke und abzugebenden Willenserklärungen. Das hat Folgen für die Beweislast. Für den Umstand, dass die Erklärung in den „Machtbereich“ der Gesellschaft gelangt ist, trägt der Absender die Beweislast159. Die ersatzweise passive Vertretungsbefugnis tritt bei denjenigen ein, die in der zum Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen sind160 bei fehlerhafter Gesellschafterliste jedoch auch bei den wahren Gesellschaftern161. 80 Die Stellung als Empfangsvertreter hat zur Folge, dass die Voraussetzungen für den Zugang

in der Person des Vertreters, also des jeweiligen Gesellschafters, erfüllt sein müssen162. Mithin kommen auch die Regelungen der §§ 104 ff. BGB und insbesondere des § 131 BGB zur Anwendung. Deren genereller Anwendungsbereich wird auch von der spezielleren Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 auf Grund des für den Rechtsverkehr überragenden Interesses an einem Schutz geschäftsunfähiger Personen nicht verdrängt. 81 Da die Kenntnis der Gesellschafter von der Führungslosigkeit nicht erforderlich ist163, stellt

sich die Frage, ob und inwieweit die Gesellschafter verpflichtet sind, die Führungslosigkeit der Gesellschaft zu überwachen und für den möglichen Fall der ersatzweisen Empfangszuständigkeit Vorsorge zu treffen, um eingehende Willenserklärungen bzw. Zustellungen empfangen und rechtzeitig darauf reagieren zu können164. Sofern man eine solche Verpflichtung der Gesellschafter bejaht, stellt sich als Folgefrage, ob sie dann auch für eine Verletzung dieser Pflicht haften, sofern der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht. Die Problematik ist nicht zu verwechseln mit der (zu bejahenden) Frage, ob die nach § 10 Abs. 2 Satz 2 eingetragene empfangsberechtigte Person eine schadensersatzbewehrte Weiterleitungspflicht bezüglich ihr zugegangener Willenserklärungen und zugestellter Schriftstücke trifft (s. dazu bereits Rz. 68). 82 Eine Pflicht der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber Dritten, das Vor-

liegen einer Führungslosigkeit zu überwachen oder sie zu beseitigen, besteht nicht165. Es fällt zwar in den Aufgabenbereich der Gesellschafter, die Geschäftsführer zu bestellen. Sie sind dazu jedoch weder gegenüber dem Registergericht noch den Gläubigern gegenüber verpflichtet (12. Aufl., § 6 Rz. 94). Dann kann es erst recht keine Pflicht geben, den „Wegfall“ des Geschäftsführers und damit die Führungslosigkeit zu überwachen, zumal hier eine gesetzliche Regelung zum Schutze Dritter und der Gesellschaftsgläubiger in der passiven Empfangsvertretung der Gesellschafter gegeben ist. 83 Jedoch wird der Gesellschafter, auf Grund seiner gesetzlich normierten Rolle als potentieller

Empfangsvertreter der Gesellschaft, entsprechend dafür Sorge tragen müssen, für den Fall der Führungslosigkeit Willenserklärungen und Zustellungen für die Gesellschaft rechtzeitig zur Kenntnis nehmen, um in angemessener Zeit darauf reagieren zu können. 84 In diesem Zusammenhang ist auch der neu gefasste § 35 Abs. 2 zu sehen, nach dessen Satz 3

an die Vertreter der Gesellschaft (also einschließlich der ersatzweisen Empfangsvertreter) un159 Ebenso Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 67. 160 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; a.A. Schwab, DStR 2010, 333, 335. 161 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 244; Stein in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1207, 1214. 162 Ellenberger in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 130 BGB Rz. 8. 163 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 42; Stein in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1207, 1211. 164 Steffek, BB 2007, 2077, 2082. 165 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1163.

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Vertretung der GmbH | Rz. 89 § 35

ter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke zugestellt werden können. S. dazu bereits Rz. 62 ff. Für die Abgabe von Willenserklärungen gegenüber der Gesellschaft ist es ohne Bedeutung, 85 dass der Vertreter der Gesellschaft korrekt bezeichnet wird, solange die Erklärung der Gesellschaft unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift zugeht und erkennbar zum Ausdruck kommt, dass die Erklärung gegenüber der Gesellschaft abgegeben wird166. Ist die Willenserklärung an eine falsche Adresse übermittelt worden, die nicht der im Han- 86 delsregister eingetragenen entspricht, so gilt die Erklärung gleichwohl als zugegangen, wenn entweder der Vertreter der Gesellschaft von der Mitteilung Kenntnis erlangt hat oder wenn die Adresse vom Empfänger benannt wurde oder in sonstiger Weise ein zurechenbarer Rechtsschein für diese Adresse gesetzt wurde. ff) Zustellung In Bezug auf Zustellungen i.S.d. §§ 166 ff. ZPO ist jedoch zu beachten, dass nach § 182 Abs. 2 87 Nr. 1 ZPO zwingender Inhalt der Zustellungsurkunde die Bezeichnung der Person ist, an die zugestellt werden soll (Zustellungsadressat). Dabei soll nach der für die GmbH erforderlichen Zustellung an den gesetzlichen Vertreter eben dieser zu benennen sein, wohingegen die bloße Angabe des Vertretenen, also der Gesellschaft, nicht ausreichen soll167. Da der zustellende Dritte regelmäßig keine Kenntnis von der Führungslosigkeit haben wird, wird in der Zustellungsurkunde folglich der Name des Geschäftsführers angegeben werden. Wenn dieser weggefallen ist, also Führungslosigkeit vorliegt, würde die Zustellung dadurch fehlgehen168. Der Dritte könnte dann darauf angewiesen sein, den Namen eines nunmehr ersatzweise 88 empfangsberechtigten Gesellschafters aus der im Handelsregister geführten Gesellschafterliste zu ermitteln und die Zustellung – unter der Geschäftsanschrift – zu wiederholen. Dies wird jedoch dem vom Gesetzgeber mit dem MoMiG im Allgemeinen169 und der Einführung des § 35 Abs. 1 Satz 2 im Besonderen170 verfolgten Zielen der Missbrauchsverhinderung und Vermeidung von Zugangsvereitelung nicht gerecht171. Zudem besteht die Gefahr, dass die Gesellschafternamen – vorsätzlich oder versehentlich – falsch in die Gesellschafterliste aufgenommen wurden. Dadurch würde der Regelungszweck des § 35 Abs. 1 Satz 2 verfehlt. Deswegen muss – entgegen der oben dargestellten Ansicht172 – im Falle der Führungslosig- 89 keit der Gesellschaft eine wirksame Zustellung auch dann möglich sein, wenn in der Zustellungsurkunde nicht der Gesellschafter als ersatzweiser Empfangsvertreter, sondern der Geschäftsführer benannt wird. Da der Gesetzgeber für den Fall der Führungslosigkeit und deren Rechtsfolgen die Kenntnis der Gesellschafter nicht voraussetzt und der zustellende Dritte regelmäßig keine Kenntnis von der Führungslosigkeit der Gesellschaft haben kann, darf nicht verlangt werden, dass er, nachdem er die Führungslosigkeit zur Kenntnis genommen

166 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 167 Zum Stand der Diskussion: Schultzky in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 182 ZPO Rz. 5 m.w.N.; Schwab, DStR 2010, 333, 335; a.A. Vogt-Beheim in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, 78. Aufl. 2020, § 182 ZPO Rz. 7 m.w.N. 168 A.A. Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1173. 169 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 1. 170 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 171 So i.E. auch Kleindiek in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 8.46; Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1173. 172 S. dazu Schultzky in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 182 ZPO Rz. 5 m.w.N.; Schwab, DStR 2010, 333, 335; a.A. Vogt-Beheim in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, 78. Aufl. 2020, § 182 ZPO Rz. 7 m.w.N.

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§ 35 Rz. 89 | Vertretung der GmbH hat, die Zustellungsurkunde entsprechend berichtigen muss, um durch eine Wiederholung der Zustellung ihre Wirksamkeit zu erreichen173. 90 Soll die Zustellung in den Geschäftsräumen (§ 178 Abs. 1 Nr. 2, § 180 ZPO) ausgeführt wer-

den, so gilt es zu beachten, dass diese ihre Eigenschaft als Geschäftslokal im Sinne der Zustellungsvorschriften nicht notwendigerweise dadurch verlieren, dass der Geschäftsführer inhaftiert ist; diese Frage ist vielmehr im Einzelfall nach den allgemeinen Voraussetzungen für ein Geschäftslokal abzuklären174.

2. Die Ausübung der Gesamtvertretung 91 Die Gesamtvertretung kann in unterschiedlicher Weise ausgeübt werden175. Die Einzelheiten

sind streitig: – Die Gesamtvertreter geben eine einheitliche Erklärung ab. – Die Gesamtvertreter geben Teilerklärungen ab. – Ein Gesamtvertreter kann dadurch mitwirken, dass er dem Rechtsgeschäft ausdrücklich oder konkludent zustimmt. – Ein Gesamtvertreter kann einen anderen Gesamtvertreter zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder zu bestimmten Arten von Rechtsgeschäften ermächtigen. a) Teilerklärungen 92 Die Gesamtvertretung erfolgt durch Teilerklärungen der Gesamtvertreter. Dabei können die

Gesamtvertreter zusammenwirken, wenn sie alle anwesend sind oder gemeinsam ein Schreiben unterzeichnen. Möglich ist auch, dass jeder Gesamtvertreter getrennt seine Erklärung dem Empfänger gegenüber abgibt176. Voraussetzung einer wirksamen Gesamtvertretung ist demnach eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung aller mitwirkenden Gesamtvertreter. Dabei müssen die Wirksamkeitsvoraussetzungen wie etwa die Form bei allen Einzelerklärungen vorliegen177. Solange auch nur eine Teilerklärung fehlt oder unwirksam ist, ist die Gesellschaft nicht vertreten. Das Rechtsgeschäft wird wirksam, wenn die letzte Erklärung vorliegt und zu diesem Zeitpunkt die Erklärung der anderen Gesamtvertreter noch wirksam ist178. b) Ermächtigung 93 aa) § 125 Abs. 2, § 150 Abs. 2 HGB, § 78 Abs. 4, § 269 Abs. 4 AktG ermöglichen, eines der

Organmitglieder zur Vornahme von Rechtsgeschäften zu ermächtigen. Das gilt im Recht der

173 Zur öffentlichen Zustellung s. Kleindiek in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 8.48 ff. 174 BGH v. 2.7.2008 – IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747, 1748. 175 Allgemein hierzu: Flume, AT des Bürgerlichen Rechts, II. Bd., Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, S. 782; Hofmann, Handelsrecht, 11. Aufl. 2002, S. 148. 176 BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, NJW 1959, 1183. 177 BGH v. 9.2.1970 – II ZR 137/69, BGHZ 53, 210, 215; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 115; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 37; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 154; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 56: Anwendbarkeit von § 139 BGB. 178 BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, NJW 1959, 1183; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 115; Kötter in FS Hefermehl, 1976, S. 99 Fn. 74.

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Vertretung der GmbH | Rz. 94 § 35

GmbH entsprechend179. Die § 174, § 180, § 182 Abs. 3 BGB sind auf einseitige Rechtsgeschäfte entsprechend heranzuziehen180. Gemeint ist damit keine Ermächtigung i.S.v. § 185 BGB, die sich nur auf Verfügungen bezieht. Auch handelt es sich nicht um eine rechtsgeschäftliche Einzelvollmacht, die einem der Gesamtvertreter erteilt wird181. Dagegen spricht, dass niemand in demselben Bereich zugleich gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Vertreter sein kann. Eine solche Verbindung widerspricht der organschaftlichen Ausgestaltung und der daran anknüpfenden Verantwortung und Haftung182. Eine solche Ermächtigung ist vielmehr ein organschaftlicher Akt, auf Grund dessen die gesetzliche Vertretungsbefugnis eines der Organmitglieder zur Alleinvertretungsbefugnis erstarkt183. Der ermächtigte Gesamtvertreter handelt daher als Gesellschaftsorgan und nicht als rechtsgeschäftlicher Vertreter. bb) Die Ermächtigung kann formlos erteilt werden184. In Grundbuchsachen ist nach § 29 94 Abs. 1 Satz 1 GBO hingegen eine öffentlich beglaubigte Ermächtigung erforderlich185. Es genügt auch eine schlüssige Erklärung. Ist ein Geschäftsführer verhindert, so folgt hieraus allerdings noch nicht, dass er den anderen Geschäftsführer zur Alleinvertretung ermächtigt hat186. Auf die Erteilung der Ermächtigung finden die Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht Anwendung187. Erteilt wird die Ermächtigung durch die anderen Geschäftsführer. Die Mitwirkung des Ermächtigten ist hierbei zulässig188. Zur Erteilung durch Gesellschafterbeschluss sind jedoch auch die Gesellschafter berechtigt189. Dabei genügt, dass die Ermächtigung von so vielen Geschäftsführern ausgesprochen wird, wie zur Gesamtvertretung erforderlich sind. Ist nach der Satzung die Mitwirkung des Aufsichtsrats oder der Gesellschafter erforderlich, so hat dies nur interne Bedeutung. Eine Eintragung im Handelsregister erfolgt nicht. Die Ermächtigung ist jederzeit widerruflich. Einer Begründung bedarf es nicht. Zuständig ist jeder Geschäftsführer auch dann, wenn er die Ermächtigung nicht selbst ausgesprochen hat190.

179 BGH v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, WM 1988, 216; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 61; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 155; Blasche, GmbHR 2017, 123, 124; Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1413. 180 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 46; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 61. 181 So aber RG v. 8.10.1912 – II 271/12, RGZ 80, 180 und RG v. 14.2.1913 – II 378/12, RGZ 81, 325; wohl auch Flume, Die juristische Person, 1983, S. 361; s. auch Schwarz, NZG 2001, 529: Ausübungsermächtigung. 182 BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 75; Wiedemann, Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, § 115 II 2b. 183 BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 75; BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, DB 1981, 1044; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 155 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 26; Hübner, ZHR 143 (1979), 15; Pleyer, GmbHR 1959, 161; allgemein: Wolf/Neuner, AT BGB, 11. Aufl. 2016, § 49 Rz. 41; zum Ganzen: Schwarz, NZG 2001, 529. 184 RG v. 5.2.1929 – II 332/28, RGZ 123, 288; BGH v. 14.6.1976 – III ZR 105/74, WM 1976, 1054; BGH v. 15.2.1982 – II ZR 53/81, WM 1982, 426. 185 Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1413. 186 BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29; BGH v. 18.12.1974 – VIII ZR 179/73, WM 1975, 157; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 159. 187 RG v. 5.2.1929 – II 332/28, RGZ 123, 288; BGH v. 12.2.1952 – I ZR 96/51, BGHZ 5, 112; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 159; österr. OGH, GesRZ 1977, 67. 188 Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1413. 189 OLG München v. 16.9.2011 – 34 Wx 376/11, ZIP 2011, 2466, 2468. 190 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 125; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 63.

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§ 35 Rz. 95 | Vertretung der GmbH 95 cc) Die Ermächtigung kann nur für bestimmte oder eindeutig abgrenzbare Arten von Ge-

schäften erteilt werden. Durch „Generalermächtigung“ kann daher nicht einer der Geschäftsführer so gestellt werden, als habe er umfassende Alleinvertretungsbefugnis191. Hinreichend aber ist etwa die Ermächtigung für Geschäfte unterhalb einer gewissen Wertgrenze192. Und zulässig ist die „Ressortermächtigung“. Dadurch ist der Geschäftsführer zu allen Rechtsgeschäften vertretungsbefugt, die in seinem Ressort anfallen193. Den Umfang der Ermächtigung bestimmen die Geschäftsführer, die die Ermächtigung erteilen.

96 Fehlt es an einer wirksamen Ermächtigung, so ist das Hauptgeschäft schwebend unwirksam.

Eine nachträgliche Ermächtigung ist möglich194. c) Genehmigung 97 Tritt der Gesamtvertreter als Einzelvertreter auf, so handelt er ohne Vertretungsmacht. Auf

diesen Fall sind die §§ 177 ff. BGB anzuwenden. Die anderen Gesamtvertreter können nachträglich genehmigen195. Doch ist dies nicht bei einseitigen Rechtsgeschäften möglich, § 180 BGB. 98 Die Genehmigung (§§ 182, 184 BGB) muss durch so viele Gesamtvertreter erfolgen, wie

zur Vertretung vorgesehen sind. Hierbei wird auch der Geschäftsführer, der das zu genehmigende Geschäft vorgenommen hat, bei der erforderlichen vertretungsberechtigten Anzahl der Geschäftsführer mitgezählt196. Eine Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung bzw. den Aufsichtsrat reicht nicht aus197. Dagegen ist nicht erforderlich, dass die Erklärung dem Vertragsgegner gegenüber abgegeben wird198. Ausreichend ist eine Erklärung gegenüber dem Gesamtvertreter, der als Einzelvertreter gehandelt hat, oder auch gegenüber ande191 BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 30; BGH v. 8.5.1978 – II ZR 209/76, WM 1978, 1047 = GmbHR 1979, 271; BGH v. 15.2.1982 – II ZR 53/81, LM § 164 BGB Nr. 46; BGH v. 25.11.1985 – II ZR 115/85, ZIP 1986, 501, 503 = WM 1986, 315 (GbR) = EWiR § 714 BGB 1/86, 25 (Klaus Müller); Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 45; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 64; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 39; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 26; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, Rz. 1345; Flume, Die juristische Person, 1983, S. 361; Blasche, GmbHR 2017, 123, 124; a.A. Heim, NJW 1961, 1515; Heim, NJW 1962, 1333. 192 BGH v. 15.2.1982 – II ZR 53/81, WM 1982, 426; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 157; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 78 AktG Rz. 57. 193 OLG München v. 19.9.2013 – 23 U 1003/13, ZIP 2013, 1955, 1956 = GmbHR 2013, 1208: Zulässigkeit der Ressortermächtigung, wenn die Geschäftsführer zugleich die einzigen Gesellschafter sind; wohl auch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 39; a.A. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 45; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 157; wie hier Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 64; Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2009, 239 f. 194 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44. 195 RG v. 6.11.1928 – II 235/28, RGZ 122, 229, 231; BGH v. 22.6.1985 – V ZR 55/64, WM 1965, 868 (mehrere Testamentsvollstrecker); Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 58; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 161; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; Bydlinski, JBl. 1983, 627. 196 Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1418. 197 BGH v. 21.10.1971 – II ZR 90/68, LM § 177 BGB Nr. 12 (für AG); Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; a.A. Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1417 f. 198 RG v. 8.10.1912 – II 271/12, RGZ 80, 180; RG v. 14.2.1913 – II 378/12, RGZ 81, 325; RG v. 18.2.1921 – III 354/20, RGZ 101, 343; RG v. 6.2.1923 – VI 310/22, RGZ 106, 268; RG v. 11.2.1927 – II 129/26, RGZ 116, 116; RG v. 4.10.1927 – II 37/27, RGZ 118, 168; RG v. 5.2.1929 – II 332/28, RGZ 123, 288; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 30 = LM § 35 GmbH Nr. 3 m. Anm. Fischer.

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Vertretung der GmbH | Rz. 103 § 35

ren Mitgeschäftsführern. Stillschweigen des nicht beteiligten Gesamtvertreters lässt sich im Allgemeinen nicht als Genehmigung ansehen199. Die Genehmigungserklärung bedarf nicht der Form, die das durch den Vertreter vorgenom- 99 mene Rechtsgeschäft verlangt, § 182 Abs. 2 BGB200. Im Handelsregister- und Grundbuchverfahren ist jedoch ein Nachweis in öffentlich beglaubigter Form erforderlich201. Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück. Da- 100 durch unterscheidet sie sich von der nachgeschobenen Teilerklärung. Kommt es daher darauf an, dass Rechtsfolgen rückwirkend eintreten, so empfiehlt sich diese Form der Gesamtvertretung, vorausgesetzt, dass nicht alle Gesamtvertreter gleichzeitig ihre Erklärungen abgeben. Nicht erforderlich ist es, dass der als Einzelvertreter tätige Geschäftsführer mit dem Geschäft noch einverstanden ist202. Damit würde er sich mit seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen. Entscheidend ist letztlich, ob der Geschäftsgegner auf die Aufrechterhaltung des Vertrages vertrauen darf. Diese durch die Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit der Ausübung der Gesamtvertre- 101 tung erleichtert den Verkehr, führt aber auch zu Unsicherheiten, da der Vertragspartner jene Vorgänge zwischen den Geschäftsführern nicht zu kennen braucht. Solange auch nur eine Genehmigung fehlt, ist das Rechtsgeschäft schwebend unwirksam. Der Geschäftsgegner kann daher die Gesellschaft nach § 177 Abs. 2 BGB zur Erklärung über die Genehmigung auffordern. Hat noch nicht die erforderliche Zahl von Gesamtvertretern zugestimmt, so kann der Ge- 102 schäftsführer, der zuerst seine Erklärung abgegeben hat, seine eigene Erklärung nicht widerrufen, solange die erforderlichen Genehmigungen nicht erklärt sind203. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der zunächst erklärende Geschäftsführer den Widerruf vorbehalten hat.

3. Abweichende Regelungen der Vertretungsform a) In der Satzung Nur die Form der Passivvertretung ist zwingend, § 35 Abs. 2 Sätze 2–4. Die Form der Aktiv- 103 vertretung kann dagegen von den Gesellschaftern abweichend von der gesetzlichen Gestaltung geregelt werden, § 35 Abs. 2 Satz 1. Dabei haben sie zwei Möglichkeiten. Zum einen kann in der Satzung die gewünschte Vertretungsform festgelegt werden. Zum anderen können in der Satzung die Gesellschafterversammlung oder der Aufsichtsrat ermächtigt werden, die Vertretungsform zu bestimmen204. Ist die Vertretungsform in der Satzung geregelt, so bedarf jede Änderung einer Satzungsänderung. Bei einer GmbH-Gründung im „vereinfachten Verfahren“ gemäß § 2 Abs. 1a ist das in der Anlage bestimmte Musterprotokoll zu verwenden. Da dieses zwingend nur einen Geschäftsführer vorsieht, ist dieser dann notwendigerweise – in Anwendung der gesetzlichen Regel – einzelvertretungsbefugt. Bei Bestellung 199 BGH v. 9.2.1951 – V ZR 1/50, LM § 177 BGB Nr. 1. 200 BGH v. 14.6.1976 – III ZR 105/74, WM 1976, 1053; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 58; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 163. 201 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 38; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 163. 202 A.A. RG v. 14.2.1913 – II 378/12, RGZ 81, 329; BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, LM § 164 BGB Nr. 15; wie hier: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117. 203 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44, 42; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 54; a.A. BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, NJW 1959, 1183. 204 RG v. 26.6.1940 – II B 3/40, RGZ 164, 177; BGH v. 19.6.1975 – II ZR 170/73, NJW 1975, 1741 = GmbHR 1975, 201; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37.

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§ 35 Rz. 103 | Vertretung der GmbH weiterer Geschäftsführer nach der Eintragung der Gesellschaft, sind diese ebenso wie der ursprüngliche Alleingeschäftsführer gesamtvertretungsbefugt205. Die Möglichkeit der Erteilung von Einzelvertretungsbefugnis zugunsten des bisherigen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers kann nur durch eine Satzungsänderung erfolgen, wobei der betroffene Geschäftsführer die Einzelvertretungsbefugnis nach § 54 Abs. 3 erst mit der Eintragung der Satzungsänderung im Handelsregister erlangt206. b) Durch Gesellschaftsorgan 104 In der Satzung können die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat ermächtigt werden, die Ver-

tretungsform zu bestimmen207. Eine dahingehende Satzungsbestimmung kann sich empfehlen, um einer möglichen Handlungsunfähigkeit des Vertretungsorgans vorzubeugen208. So können die Gesellschafter z.B. jedem oder einzelnen Geschäftsführern Einzelvertretungsmacht verleihen, wobei dies sogar schon für die Zukunft geschehen kann, wenn im Zeitpunkt der Beschlussfassung erst ein Geschäftsführer vorhanden ist, die Satzung aber die Bestellung weiterer Geschäftsführer vorsieht209. Fehlt eine solche Bestimmung, so kann nicht durch einfachen Beschluss der Gesellschafter die Form der Vertretung der Gesellschaft geändert werden210. Nach OLG München v. 25.7.2017211 bedarf ein Gesellschafterbeschluss, der die Vertretungsregelung abweichend von der Satzung bestimmt, einer gesonderten Ermächtigung in der Satzung. Die konkrete Satzungsbestimmung bildet hierbei den Rahmen, innerhalb dessen das ermächtigte Organ Vertretungsbefugnis erteilen kann212. Zusätzliche Restriktionen sind zulässig. Der Rahmen kann also gleichsam nach unten hin überschritten werden213. 105 Ist aber in der Satzung eine solche Ermächtigung enthalten, so kann die Gesellschafterver-

sammlung durch Beschluss die Vertretungsform bestimmen. Zulässig ist auch eine entsprechende Regelung in einer Geschäftsordnung214. Das war in § 62 Abs. 3 RegE GmbHG 1971 ausdrücklich vorgesehen. Die jeweilige Regelung ist im Handelsregister einzutragen. 106 Ob die Gestaltung der Vertretungsverhältnisse auch den Geschäftsführern selbst überlassen

werden kann, ist streitig215. Bei der Aktiengesellschaft ist dies ausdrücklich ausgeschlossen, § 78 Abs. 2, 3 Satz 2 AktG. Indessen verlangt weder der Schutz Dritter noch der Schutz der Gesellschaft eine solche Beschränkung der Satzungsfreiheit. Der Verkehr ist geschützt; denn

205 OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, NZG 2009, 1431 = GmbHR 2009, 1334; OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827, 829; OLG Celle v. 26.1.2011 – 9 W 12/11, GmbHR 2011, 305, 306; Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2139; Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 1993, 1994; Miras, DB 2010, 2488, 2489. 206 Blasche, GmbHR 2015, 403, 408. 207 RG v. 26.6.1940 – II B 3/40, RGZ 164, 177; BGH v. 19.6.1975 – II ZR 170/73, NJW 1975, 1741; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134. 208 Immenga, GmbHR 1971, 108 f. 209 OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 8/13, NZG 2013, 1069, 1070 = GmbHR 2013, 1094. 210 BGH v. 19.6.1975 – II ZR 170/73, GmbHR 1975, 201. 211 OLG München v. 25.7.2017 – 31 Wx 194/17, GmbHR 2017, 1145 = ZIP 2017, 1855. 212 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134. 213 Str., wie hier Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134; Link, RNotZ 2009, 351, 352; dagegen LG Mönchengladbach v. 18.2.2009 – 8 T 13/09, RNotZ 2009, 350, 351; OLG München v. 25.7.2017 – 31 Wx 194/17, GmbHR 2017, 1145 = ZIP 2017, 1855; Frenzel, GmbHR 2011, 515, 517; Blasche, GmbHR 2017, 123, 127. 214 Uwe H. Schneider in FS Mühl, 1981, S. 638. 215 Dafür Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 97; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 53; Lenz in Michalski u.a., Rz. 53; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 49; a.A. Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44.

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Vertretung der GmbH | Rz. 111 § 35

die Änderung der Vertretungsmacht muss ins Handelsregister eingetragen werden, § 39. Eine entsprechende Satzungsbestimmung hat auch Sinn; denn eine Gesamtvertretung hat nicht nur Kontroll- und damit Schutzfunktion zugunsten der Gesellschaft, sondern auch zugunsten der Geschäftsführer. Verzichtet die Gesellschaft hierauf, so kann doch den Geschäftsführern überlassen bleiben, ob sie hiervon Gebrauch machen wollen oder nicht. Vor allem aber ermöglicht eine solche Gestaltung auch kurzfristig eine Anpassung der Vertretungsmacht an veränderte Verhältnisse. c) Einzelvertretung und Mischformen aa) Inhalt: Anstelle der Gesamtvertretungsbefugnis kann einzelnen oder allen Geschäftsfüh- 107 rern Einzelvertretungsbefugnis216 verliehen werden. Zulässig sind Satzungsbestimmungen, dass zwei oder drei von mehreren Geschäftsführern zusammenwirken müssen. Für einzelne kann Einzelvertretungsbefugnis, für andere das Zusammenwirken mit einem anderen – auch einzelvertretungsberechtigten – Geschäftsführer vorgesehen werden217. Es können auch Geschäftsführer zu Vertretungspaaren verbunden werden. bb) Grenzen der Gestaltungen: Mit dem Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertre- 108 tungsmacht unvereinbar sind der Ausschluss der Vertretungsmacht für einen von mehreren Geschäftsführer oder sachliche Unterscheidungen nach Art und Umfang eines Rechtsgeschäfts218. Dem Schutz des Rechtsverkehrs widerspricht auch, die Art der Vertretung davon abhängig zu machen, ob ein Geschäftsführer Gesellschafter ist219 oder ob ein anderer Geschäftsführer verhindert ist220. Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit hindert auch, die Befugnis zur Einzelvertretung auf 109 bestimmte Arten von Rechtsgeschäften zu beschränken oder für bestimmte Rechtsgeschäfte z.B. die Verfügung über Grundstücke oder die Aufnahme von Kredit auszuschließen. Unzulässig sind ferner Gestaltungen, die die Ausübung der organschaftlichen Vertretung der 110 Gesellschaft an die Mitwirkung Dritter binden, die keine Prokura der Gesellschaft haben221. Daher kann bei einer GmbH & Co. KG nicht vorgesehen werden, dass die GmbH durch ihren Geschäftsführer und einen Prokuristen der KG vertreten wird222. d) Die gemischte Gesamtvertretung/unechte Gesamtvertretung aa) Inhalt: Als „gemischte Gesamtvertretung“ oder „unechte Gesamtvertretung“ wird eine 111 Satzungsanordnung bezeichnet, wonach die GmbH nicht nur durch mehrere Geschäftsführer, sondern auch durch einen Geschäftsführer und einen Prokuristen gemeinsam vertre-

216 BGH v. 19.3.2007 – II ZB 19/06, GmbHR 2007, 704: synonyme Verwendung der Begriffe „Alleinvertretungsbefugnis“ und „Einzelvertretungsbefugnis“ durch das Handelsregister. 217 RG v. 9.3.1917 – II 1/17, RGZ 90, 21; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 101; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 122; Goette, Die GmbH, 2. Aufl., S. 256. 218 KG, RJA 12, 32; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 51; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132. 219 Vgl. BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269. 220 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Blasche, GmbHR 2017, 123, 124. 221 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; Lenz in Michalski u.a., Rz. 60. 222 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 48; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 112; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 75.

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§ 35 Rz. 111 | Vertretung der GmbH ten werden kann223. Eine solche zusätzliche Satzungsbestimmung ergänzt eine ohnehin bestehende Gesamtvertretung. Die Zulässigkeit ist zwar nicht ausdrücklich in § 35 aufgeführt. Sie wird aber im Anschluss an § 78 Abs. 3 AktG und § 125 Abs. 3 HGB in dem dort bestimmten Umfang allgemein anerkannt224. 112 Es handelt sich dem Inhalt und Umfang nach um eine organschaftliche Vertretung225. Der

Prokurist bleibt in den genannten Fällen nicht gewillkürter Vertreter („Abschlussgehilfe“), sondern er wird mit zur gesetzlichen Vertretung der Gesellschaft berufen226. Er ist dabei in eigener Verantwortung tätig. Das bedeutet nicht „weisungsfrei“227, sondern, dass er sich bei einer Pflichtverletzung nicht darauf berufen kann, ein Geschäftsführer habe mitgewirkt. Gegenseitige Ermächtigung und Genehmigung gelten hier daher ebenso wie unter KollektivGeschäftsführern. Auch besteht die Beschränkung für die Prokura aus § 49 Abs. 2 HGB nicht; denn der Umfang der Vertretungsmacht bestimmt sich insoweit nach der Vertretungsmacht des Geschäftsführers228. 113 bb) Grenzen der Gestaltungen: Voraussetzung für zulässige Gestaltungen ist, dass die gesetz-

liche Vertretung der Gesellschaft grundsätzlich ohne einen Prokuristen möglich ist. Die Vertretungsmacht des einzigen Geschäftsführers kann daher nicht an die Mitwirkung eines Prokuristen gebunden werden229. Daher kann in der Satzung nicht bestimmt werden, dass von mehreren Geschäftsführern jeder nur mit einem Prokuristen gemeinsam handeln könne230. Es muss zumindest auch möglich sein, dass die Geschäftsführer gemeinsam ohne Prokuristen handeln. Dies gilt auch dann, wenn nach Wegfall eines Geschäftsführers der oder die verbleibenden Geschäftsführer nach Maßgabe der Satzung nur noch zusammen mit einem Prokuristen handeln könnten231. Unzulässig ist ferner eine Gestaltung, die die Vertretungsmacht an die Mitwirkung von Nicht-Prokuristen bindet (s. schon Rz. 110)232.

223 Zur Begriffsbildung s. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 78 AktG Rz. 33 und Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 110 einerseits und Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 78 AktG Rz. 44 ff. andererseits; eingehend: Roquette in FS Oppenhoff, 1985, S. 335. 224 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 64; BGH v. 6.2.1958 – II ZR 210/56, BGHZ 26, 332 (KG); BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 48; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 110; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Stötter, BB 1975, 767. 225 A.A. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 78 AktG Rz. 39; wie hier Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 125; Roquette in FS Oppenhoff, 1985, S. 335; Beuthien/Müller, DB 1995, 461. 226 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 64; BayObLG v. 19.6.1973 – BReg 2 Z 21/73, GmbHR 1973, 199. 227 S. dazu van Venrooy, GmbHR 2001, 7, 18 Fn. 62. 228 RG v. 22.12.1931 – II B 30/31, RGZ 134, 303, 306; BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 64; BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166; KG v. 12.4.1962 – 1 W 728/62, GmbHR 1962, 136; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 50. 229 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 49; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 61; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 71; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 126. 230 KG v. 12.1.1905 – 1 Y 1293/04, KGJ 29, 95; KG v. 1.3.1912 – 1a. X. 155/12, KGJ 42, 170; OLG München v. 25.7.2017 – 31 Wx 194/17, GmbHR 2017, 1145 = ZIP 2017, 1855. 231 Metzing, NJW 2017, 3194, 3195. 232 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; Lenz in Michalski u.a., Rz. 60.

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Vertretung der GmbH | Rz. 117 § 35

e) Die gemischte Gesamtprokura Von der gemischten Gesamtvertretung als einer besonderen Form organschaftlicher Vertre- 114 tung ist die gemischte Gesamtprokura oder, wie es auch heißt, unechte Gesamtprokura, zu unterscheiden. Prokuristen können in der personellen Ausübung der Vertretungsbefugnis durch die notwendige Mitwirkung eines Geschäftsführers beschränkt werden. Hierbei handelt es sich um eine nach h.A.233 zulässige personelle Bindung der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht des Prokuristen und nicht um eine nach § 50 Abs. 1 HGB unzulässige Beschränkung des Umfangs der Prokura234. Eine entsprechende Ausgestaltung der Handlungsvollmacht als gemischt halbseitige Handlungsvollmacht ist nicht zulässig. Der Geschäftsführer seinerseits kann einzelvertretungsbefugt (halbseitige Gesamtvertre- 115 tung)235, unecht gesamtvertretungsbefugt oder gesamtvertretungsberechtigt sein236. Ist unechte Gesamtvertretung vorgesehen, so liegt hierin nicht ohne weiteres, dass auch der Prokurist nur gemeinsam mit einem Geschäftsführer vertreten könne. Er kann trotzdem, doch nur im Rahmen des § 49 HGB, alleinvertretungsbefugt sein237, aber notwendig ist das nicht238. Eine Gesamtprokura von Geschäftsführer und Prokuristen ist rechtlich nicht möglich239. Die gemischt halbseitige Gesamtprokura ist zwar im Handelsregister einzutragen240. Sie 116 darf aber nicht als „Gesamtprokura“ eingetragen werden241. Aus der Eintragung muss sich vielmehr ergeben, dass der Prokurist die Gesellschaft mit einem Geschäftsführer vertreten kann. f) Verhinderung Ist ein Gesamtvertreter an der Vornahme eines Geschäfts tatsächlich verhindert, so sind, falls 117 nicht das Statut in zulässiger Weise vorsorgt, die anderen nicht allein vertretungsberechtigt242. Die tatsächliche Verhinderung auch nur eines Geschäftsführers kann daher zur

233 BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170; BGH v. 6.11.1986 – V ZB 8/86, BGHZ 99, 76 = GmbHR 1987, 301 = NJW 1987, 841; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 128; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 16 III 3c) (3); a.A. OLG Frankfurt v. 4.4.1973 – 20 W 920/72, BB 1973, 677; Beuthien/Müller, DB 1995, 461; kritisch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 51. 234 So aber Beuthien/Müller, DB 1995, 461; kritisch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 51. 235 BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170; OLG München v. 28.10.1971 – 1 U 1391/71, BB 1972, 114; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 59; a.A. OLG Frankfurt v. 4.4.1973 – 20 W 920/72, GmbHR 1973, 223. 236 BGH v. 6.11.1986 – V ZB 8/86, NJW 1987, 841 = GmbHR 1987, 301 (Vorlagebeschluss) m. Anm. Karsten Schmidt, JuS 1987, 494. 237 KG v. 13.3.1924, OLGR 43, 282; KG v. 22.10.1925 – X 659/25, OLGR 46, 254. 238 OLG Hamm v. 1.3.1971 – 15 W 607/70, BB 1971, 492. 239 OLG Hamm v. 1.3.1971 – 15 W 607/70, BB 1971, 492. 240 A.A. OLG Frankfurt v. 4.4.1973 – 20 W 920/72, GmbHR 1973, 223. 241 OLG Hamm v. 1.3.1971 – 15 W 607/70, BB 1971, 492; BayObLG v. 18.6.1982 – BReg 3 Z 48/82, Rpfleger 1970, 92 = GmbHR 1983, 171 = BB 1982, 1590; Ziegler, Rpfleger 1984, 6. 242 RG v. 17.2.1922 – II 442/21, RGZ 103, 417; RG v. 11.2.1927 – II 129/26, RGZ 116, 117; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29 = LM § 35 GmbHG Nr. 3 m. Anm. Fischer; BGH v. 18.12.1974 – VIII ZR 179/73, WM 1975, 157, 158; BGH v. 8.2.1993 – II ZR 62/92, BGHZ 121, 263 = GmbHR 1993, 508; s. auch OLG Rostock v. 25.4.2002 – 1 U 108/00, GmbHR 2002, 974: Tod des Mitgeschäftsführers; Immenga, GmbHR 1971, 107; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 44, 62; Blasche, GmbHR 2017, 123 f.; anders nach Ausscheiden des einzigen Mitgeschäftsführers: BGH v. 4.5.2007 –II ZR 330/05, BB 2007, 1411 = GmbHR 2007, 824.

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§ 35 Rz. 117 | Vertretung der GmbH Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen. Ob dies auch bei einer rechtlichen Verhinderung (Abberufung, Amtsniederlegung usw.) gilt, ist bislang nicht entschieden243. Daher würde es sich anbieten, in der Satzung vorzusehen, dass im Falle der tatsächlichen Verhinderung eines Geschäftsführers ohne weiteres der oder die anderen Geschäftsführer allein zur Vertretung berechtigt sein sollen244. Eine solche bedingte Regelung der Vertretungsbefugnis ist indessen unzulässig245. Als Lösung bleibt daher für den Einzelfall die Bestellung eines Notgeschäftsführers; s. 12. Aufl., § 6 Rz. 94 ff. Freilich setzt dies eine echte Verhinderung eines der Geschäftsführer voraus. Die Bestellung eines Notgeschäftsführers ist unzulässig, wenn nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Geschäftsführern besteht246. Noch ungeklärt ist die Frage, ob einem gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss Einzelvertretungsmacht für ein einzelnes Rechtsgeschäft erteilt werden kann, wenn die anderen Geschäftsführer verhindert sind247. Zur Vertretung der Gesellschaft durch die Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit s. Rz. 70 ff. g) Das Fehlen der in der Satzung vorgesehenen Zahl von Geschäftsführern 118 aa) Fehlt in der Satzung eine Bestimmung über die Zahl der Geschäftsführer und die Vertre-

tungsmacht, sind aber mehrere Geschäftsführer bestellt, so sind diese nach § 35 Abs. 2 Satz 1 gesamtvertretungsberechtigt. Fällt einer von zwei Geschäftsführern weg, so ist der verbleibende Geschäftsführer in Anwendung der gesetzlichen Regel alleinvertretungsberechtigt248. 119 bb) Ist in der Satzung vorgesehen, dass die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer zu bestellen

hat und ist diese Zahl nicht erreicht, so ist im Wege der Auslegung der Satzung zu ermitteln, ob der verbleibende Geschäftsführer einzelvertretungsbefugt bzw. ob die verbleibenden Geschäftsführer gesamtvertretungsberechtigt sein sollen (zur Auslegung der Satzung: 12. Aufl., § 2 Rz. 33). Fehlen Anhaltspunkte für eine solche Auslegung, so ändert der Wegfall eines Geschäftsführers die Vertretungslage der Gesellschaft nicht249. Die Vertretungsbefugnis des nunmehr einzigen Geschäftsführers erstarkt nicht zur Einzelvertretungsbefugnis, die Gesamtvertretungsbefugnis verengt sich nicht auf die übrigen Geschäftsführer250. Die satzungsmäßige Festlegung der Zahl der Geschäftsführer enthält vielmehr zugleich mittelbar eine Bestimmung über die Art der Vertretung (s. auch § 29 BGB).

243 S. aber BGH v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, BB 1960, 880 = GmbHR 1960, 185: Alleinvertretung nach Abberufung; krit. zur Unterscheidung zwischen tatsächlicher und rechtlicher Verhinderung Leuering/Stein, NJW-Spezial 2014, 527, 528. 244 Dafür auch Leuering/Stein, NJW-Spezial 2014, 527, 528. 245 RG v. 17.2.1922 – II 442/21, RGZ 103, 417 – obiter dictum; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 78 AktG Rz. 37; offen gelassen in BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29. 246 OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 363/65, NJW 1966, 504; zur Abgrenzung: Immenga, GmbHR 1971, 108. 247 Dafür OLG München v. 16.9.2011 – 34 Wx 376/11, ZIP 2011, 2466, 2468; krit. hierzu Heinze, DNotZ 2011, 951, 954 ff.; eingehend hierzu Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1414 ff. 248 BGH v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, GmbHR 1960, 185; BGH v. 26.2.2007 – II ZR 330/05, GmbHR 2007, 824; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 140; Metzing, NJW 2017, 3194, 3195; s. auch OLG Schleswig v. 15.12.2010 – 2 W 150/10, GmbHR 2011, 253 sowie hierzu Frenzel, GmbHR 2011, 515. 249 Differenzierend Blasche, GmbHR 2017, 123, 129. 250 RG v. 17.2.1922 – II 442/21, RGZ 103, 417; RG v. 11.2.1927 – II 129/26, RGZ 116, 117; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29; Roquette in FS Oppenhoff, 1985, S. 335, 339; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 26; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 46; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 43 f.; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 144; Buck-Heeb in Gehrlein/ Born/Simon, Rz. 40; Metzing, NJW 2017, 3194, 3196; unklar: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109.

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Vertretung der GmbH | Rz. 123 § 35

Das Fehlen eines von mehreren Geschäftsführern schließt die Geschäftsführung und Vertre- 120 tung durch die anderen Geschäftsführer jedoch nicht aus, sofern die allgemeinen Voraussetzungen für eine wirksame Vertretung der Gesellschaft vorliegen. Schreibt die Satzung vor, dass die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer vertreten wird, dass aber drei Geschäftsführer zu bestellen sind, so können daher beim Wegfall eines Geschäftsführers die beiden verbleibenden Geschäftsführer die Gesellschaft vertreten251. Zwar unterbleibt in diesem Fall eine organinterne Kontrolle. Auch entfällt damit der mittelbare Zwang, die Zahl der Geschäftsführer zu ergänzen. Wäre aber die Gesellschaft nicht vertreten und vertretbar, so würde dies zu Lasten des Schutzes Dritter gehen sowie dazu führen, dass die im öffentlichen Interesse liegenden Pflichten der Geschäftsführer nicht wahrgenommen werden könnten.

V. Wissenszurechnung und Irrtum 1. Wissen von Geschäftsführern Wenn es für bestimmte Rechtsfolgen auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen von Tatsa- 121 chen ankommt, so stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft, die mehrere Geschäftsführer hat, sich die Kenntnis eines einzelnen Geschäftsführers, die Kenntnis von Mitarbeitern oder von Informationen, die in einem gesellschaftsinternen Informationssystem hinterlegt sind, zurechnen lassen muss. a) Juristische Personen handeln durch ihre Organe. Diese vermitteln ihr daher auch ihr 122 Wissen252. Wissen oder fahrlässige Unkenntnis des handelnden Geschäftsführers ist Wissen oder fahrlässige Unkenntnis des Organs und damit Wissen oder fahrlässige Unkenntnis der Gesellschaft253. Dabei kommt es nicht darauf an, wie das Wissen erworben wurde, ob beruflich oder privat254. Ist der Geschäftsführer aber selbst Schuldner der Gesellschaft, so wird der Gesellschaft sein Wissen nicht zugerechnet255. b) Streitig ist, ob die Gesellschaft sich auch die Kenntnis eines vertretungsberechtigten Or- 123 ganmitglieds zurechnen lassen muss, wenn dieses Organmitglied an einem Rechtsgeschäft nicht mitgewirkt hat oder ausgeschieden ist. Teilweise wird an § 166 Abs. 1 BGB angeknüpft („Vertretertheorie“)256. Hiernach soll der juristischen Person nur das Wissen des im Einzel-

251 Ebenso auch Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 76 AktG Rz. 110 ff. für die AG; a.A. für die AG: Ph. Möhring, NJW 1966, 1, 5; wie hier Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109. 252 Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 132; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 284; Richardi, AcP 169 (1969), 385; Baumann, ZGR 1973, 290; Tintelnot, JZ 1987, 800; Grunewald in FS Beusch, 1993, S. 301, 302; Caspar, JuS 1998, 910. 253 BGH v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, BGHZ 20, 149, 153; BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 330; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 204; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 63; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 214; Tintelnot, JZ 1987, 795: „Das Wissen des Organs ist das Wissen der Gesellschaft“. 254 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 119. 255 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 301/09, GmbHR 2011, 534. 256 Gegen die Heranziehung des Rechtsgedankens von § 166 BGB: BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 331; dafür aber unter Aufgabe der „Organtheorie“: BGH v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117, 104; BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30 = GmbHR 1996, 373 = JZ 1996, 731 m. Anm. Taupitz; s. ferner mit einer differenzierten Betrachtung: Raiser in FS Bezzenberger, 2000, S. 561; eingehend zu den verschiedenen Herleitungsansätzen Buck-Heeb, AG 2015, 801, 803.

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§ 35 Rz. 123 | Vertretung der GmbH fall handelnden Organmitglieds zugerechnet werden können257. Das Wissen unbeteiligter Organpersonen sei der Gesellschaft nur dann zuzurechnen, wenn diese von der fraglichen Rechtshandlung wussten und sie geschehen ließen. Nach a.A. führt die Kenntnis jedes einzelnen Organmitglieds zur Kenntnis der juristischen Person („Organtheorie“; „Theorie der absoluten Wissensvertretung“)258. Jedes Organ repräsentiere die juristische Person, ihr Wissen sei der juristischen Person zuzurechnen; und dies gelte auch für das Wissen eines einzelnen Organmitglieds. Die arbeitsteilige Organisation der juristischen Person dürfe im Vergleich zur natürlichen Person nicht zu einer Besserstellung führen259. 124 c) Das Problem der arbeitsteiligen Wissensaufspaltung bei juristischen Personen verlangt

aber im Einzelfall eine wertende Betrachtung260. Deutlich wird dies bei der Gesamtvertretung. Die juristische Person benötigt, um handlungs- und wissensfähig zu sein, nur einen Geschäftsführer. Werden aber bei der Vertretung mehrere Geschäftsführer tätig, wird die Gesamtvertretung durch Teilerklärungen ausgeübt, so reicht bereits die Kenntnis oder das Kennenmüssen eines der Gesamtvertreter261. 125 Die Grenzen der Wissenszurechnung sind aber im Blick „auf die berechtigten Erwartungen

des Rechtsverkehrs“ zu ziehen262. Daher muss sich die Gesellschaft das Wissen nichtbeteiligter Geschäftsführer oder leitender Angestellter der Gesellschaft sowohl bei der Abgabe von Willenserklärungen als auch außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereichs nur zurechnen lassen, wenn entweder der erklärende oder zuständige Geschäftsführer bei verantwortlicher Speicherung in einem ordnungsgemäßen unternehmensinternen Informationssystem und entsprechende Abfrage Kenntnis gehabt hätte oder wenn er nach Vorgaben unternehmensinterner Entscheidungen gehandelt hat263.

126 Zum einen darf die Arbeitsteilung und damit auch die Dezentralisierung des Wissens in der

Gesellschaft nicht zu Lasten Dritter gehen. Zur ordnungsgemäßen Organisation der Unternehmensleitung der Gesellschaft gehört vielmehr die Einrichtung eines unternehmensinternen Informationssystems („Einrichtungsverantwortung“). Die Gesellschaft muss sich daher auch solches Wissen anderer nichtbeteiligter Geschäftsführer zurechnen lassen, das bei ordnungsgemäßer Organisation in dieses Informationssystem eingegeben („Eingabeverantwortung“), zur Verfügung gehalten („Speicherungsverantwortung“) und dem erklärenden Ge-

257 Baumann, ZGR 1973, 284, 289 ff.; Tintelnot, JZ 1987, 795, 799; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 60. 258 BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 331; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 286; s. auch Beuthien in FS Zöllner, 1998, S. 87, 102. Zur Rechtslage in der Schweiz: von der Crone/Reichmuth, SZW 2018, 406, 411. 259 „Gleichstellungsargument“; zustimmend: Medicus in Karlsruher Forum 1994, Beil. VersR S. 4, 11. 260 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 35 = GmbHR 1996, 373; BGH v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, ZIP 2001, 26, 27; BGH v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, WM 1997, 1092, 1093; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 217; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 63; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; krit. hierzu Gasteyer/ Goldschmidt, AG 2016, 116, 117; zur Entwicklung der Diskussion: Waltermann, AcP 192 (1992), 182; Taupitz in Karlsruher Forum 1994, Beil. VersR S. 4; Raiser in FS Bezzenberger, 2000, S. 561; Kieser/Kloster, GmbHR 2001, 176. 261 BGH v. 23.10.1958 – II ZR 127/57, WM 1959, 81, 84 und BGH v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, GmbHR 1988, 101 = WM 1988, 216 (Duldungsvollmacht bei Gesamtvertretung) m. Anm. Uwe H. Schneider, WuB II C. § 35 GmbHG 2.88; BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 73/83, DB 1985, 237; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 60; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 111; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 205; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30; Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 119; differenzierend: Grunewald in FS Beusch, S. 308. 262 BGH v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, WM 1997, 1093: für nachgeordnete Mitarbeiter. 263 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 119.

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Vertretung der GmbH | Rz. 128 § 35

schäftsführer hätte bekannt sein müssen („Zugriffsverantwortung“)264. Die Anforderungen an die „Einrichtungsverantwortung“ und die „Zugriffspflicht“ müssen dabei den Umständen entsprechen265. Parallel hierzu ist jedes handelnde Organmitglied verpflichtet, sich regelmäßig die für die Ausübung der Geschäftsführung notwendigen Informationen zu verschaffen. Hierfür ist es z.B. erforderlich, bei einem Kollegen nachzufragen oder auf das unternehmensinterne Informationssystem zuzugreifen, um sich das relevante Wissen zu verschaffen (Abfragepflicht)266. Zum anderen muss sich die Gesellschaft das Wissen der an der unternehmensinternen Wil- 127 lensbildung beteiligten Personen zurechnen lassen, wenn der erklärende Geschäftsführer auf Wunsch, nach einer Beratung oder gar nach vorangegangener Beschlussfassung im Gremium der Geschäftsführer oder nach Weisung der Gesellschafterversammlung gehandelt hat267. Das gilt auch, wenn bei einer Gesamtvertretung der nicht unmittelbar beteiligte Gesamtvertreter den anderen Geschäftsführer zu einem bestimmten Rechtsgeschäft ermächtigt268 oder wenn er nachträglich das Rechtsgeschäft genehmigt. Bei einer Ermächtigung zu einer bestimmten Art von Rechtsgeschäften schadet die Kenntnis des Ermächtigenden nicht. Ohne Bedeutung ist hierbei, in welchem Zusammenhang und in welcher Eigenschaft der zuständige Geschäftsführer seine Kenntnisse erlangt hat269. Zufällig erworbenes Wissen genügt daher. Nicht zurechnen lassen muss sich die Gesellschaft regelmäßig das Wissen eines ihrer Gesellschafter270. Zudem kann das Wissen von Beirats- oder Aufsichtsratsmitgliedern der juristischen Person ebenfalls grds. nicht zugerechnet werden, da der Aufsichtsrat gegenüber dem Organvertreter nicht zur Berichterstattung verpflichtet ist271. Weiterhin kann es die im Einzelfall anzustellende wertende Betrachtung (vgl. Rz. 124) bedin- 128 gen, dass die Zurechnung von „privat“ erworbenem Wissen des am Rechtsgeschäft völlig unbeteiligten Geschäftsführers eine Grenze dort findet, wo eine Weitergabe von Kenntnissen mit kollidierenden Pflichten des Geschäftsführers konfligieren würde272. Zu denken ist etwa an Insiderinformationen oder solche Kenntnisse, die der Geschäftsführer als Aufsichtsrat einer fremden Gesellschaft erworben hat (vgl. § 116 Satz 2 AktG)273. So kann einer Bank das Wissen ihres Prokuristen nicht zugerechnet werden, wenn dieser Mitglied des Aufsichtsrats einer AG ist und er dieses der Verschwiegenheitspflicht (§ 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG) unterliegende Wissen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Aufsichtsrats264 S. auch BGH v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117, 104; BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 37: „Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation“; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 214; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 61; Grunewald in FS Beusch, 1993, S. 311; Taupitz in Karlsruher Forum 1994, Beil. VersR S. 4; Medicus in Karlsruher Forum 1994, Beil. VersR S. 11; Scheuch, GmbHR 1996, 831; Schultz, NJW 1997, 293; Raiser in FS Bezzenberger, 2000, S. 561; Kieser/Kloster, GmbHR 2001, 180; Buck-Heeb, AG 2015, 801, 803 f. 265 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 38 = GmbHR 1996, 373, 375; BGH v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, BGHZ 135, 202, 205; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 472. 266 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 120. 267 Vgl. BGH v. 21.6.1968 – V ZR 32/65, BGHZ 50, 364, 368; BGH v. 24.10.1968 – II ZR 214/66, BGHZ 51, 141, 147; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 65; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 219, 223. 268 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 219. 269 BGH v. 30.4.1955 – II ZR 5/54, WM 1955, 830: Kenntnis des Sachverhalts, der den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründet. 270 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 65; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 223; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30; Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 123; dazu Ellers, GmbHR 2004, 934. 271 Buck-Heeb, AG 2015, 801, 807 ff.; zweifelnd auch Verse, AG 2015, 413, 417; a.A. wohl Schwintowski, ZIP 2015, 617, 623. 272 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 221. 273 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 222.

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§ 35 Rz. 128 | Vertretung der GmbH mitglied erlangt hat274. Die Möglichkeit der Zurechnung findet ihre Grenze auch dort, wo die Weiterleitung des Wissens gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen oder das Bankgeheimnis verstoßen würde275. 129 d) Das Entsprechende gilt für Willensmängel, §§ 119 ff. BGB. War ein Geschäftsführer am

Rechtsgeschäft nicht beteiligt, so berechtigt sein Irrtum nicht zur Anfechtung. War er beteiligt, so besteht die Anfechtungsmöglichkeit unabhängig davon, ob Einzel- oder Gesamtvertretung vorgesehen war, und unabhängig davon, ob auch die anderen Geschäftsführer im Irrtum waren276; u.U. besteht aber unter den Geschäftsführern eine Aufklärungspflicht. Ist diese verletzt, so kann sich die Gesellschaft auf den Irrtum ihres Geschäftsführers nicht berufen. 130 Bei einer arglistigen Täuschung ist nicht erforderlich, dass der Täuschende selbst als Ver-

treter aufgetreten ist. Ausreichend ist, wenn ein Geschäftsführer den Vertrag schloss, der andere aber von dem bevorstehenden Vertragsschluss und der Täuschung des Vertragsgegners Kenntnis hatte277.

2. Ausgeschiedene Organmitglieder 131 Die Wissenszurechnung kann auch nach dem Ausscheiden oder dem Tod des Organvertre-

ters fortdauern278. Verlangt ist aber eine wertende Betrachtung, ob ein einmal vermitteltes Wissen typischerweise aufgrund eines unternehmensinternen Informationssystems „aktenmäßig“ oder in der EDV festgehalten wird279. Nur bei „Aktenwissen“ oder „Speicherwissen“ kann zugerechnet werden280. Vor diesem Hintergrund ist die bisherige Rechtsprechung zu sehen, und zwar für die Kenntnis von der Kündigung eines Vertrages281, vom Eingang eines Bestätigungsschreibens282, von der Einstellung eines Organmitglieds zur Anerkennung eines fehlerhaften Anstellungsverhältnisses283, von der Einbeziehung einer Forderung in ein Kontokorrentverhältnis284, von den Umständen, die die Bösgläubigkeit beim Besitzerwerb begründen, § 990 BGB285, von der Zahlungseinstellung286 und vom Mangel eines Kaufgegen-

274 BGH v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, GmbHR 2016, 818 ff. 275 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 122. 276 RG v. 19.2.1912 – VI 291/11, RGZ 78, 354; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 218; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 65; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 67; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 229; Köhl, NZG 2005, 197; a.A. Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 78 AktG Rz. 38, 42; Grunewald in FS Beusch, 1993, S. 308. 277 RG v. 4.3.1913 – II 511/12, RGZ 81, 433; BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327: Kenntnis der Umstände genügt; Flume, Die juristische Person, 1983, S. 400. 278 BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 331; BGH v. 23.10.1958 – II ZR 127/57, WM 1959, 81, 84; kritisch: Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 127 ff.; Baumann, ZGR 1973, 285, 295; zur Rechtslage bei der GmbH & Co. KG: BGH v. 17.5.1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159 = GmbHR 1995, 522; BGH v. 31.1.1996 – VIII ZR 297/94, NJW 1996, 1205 = GmbHR 1996, 294. 279 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30 = GmbHR 1996, 373; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 220; Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 121. 280 Enger: Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 285: „keine Berufung auf rasches Vergessen oder Verdrängen einmal erlangter Kenntnis“. 281 RG v. 30.1.1925 – VI 301/24, RGZ 110, 145. 282 BGH v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, BGHZ 20, 153; BGH v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371 = GmbHR 1988, 101. 283 BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 287. 284 BGH v. 23.10.1958 – II ZR 127/57, WM 1959, 81 = ZfgG 9 (1959), 331 m. Anm. Paulick. 285 BGH v. 31.3.1971 – VIII ZR 256/69, NJW 1971, 1358. 286 BGH v. 1.3.1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 (Bankkassierer).

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Vertretung der GmbH | Rz. 133 § 35

standes287. Jedoch endet die Abfragepflicht des handelnden Organvertreters mit dem Eintritt seines Ausscheidens288.

3. Wissenszurechnung im Konzern Ungeklärt ist die Wissenszurechnung im Konzern289. Zu unterscheiden ist die Zurechnung 132 des Wissens von Geschäftsführern einer Tochtergesellschaft gegenüber dem herrschenden Unternehmen, das Wissen der Geschäftsführer des herrschenden Unternehmens gegenüber den Tochtergesellschaften und die Wissenszurechnung zwischen Schwestergesellschaften. Die Rechtsprechung rechnet zu, wenn die Möglichkeit bestehe, auf die Daten Zugriff zu nehmen290. Nach allgemeinen Grundsätzen kann bei Organidentität zugerechnet werden291. Im Übrigen soll die Zurechnung erfolgen, wenn Konzernunternehmen als Einheit gegenüber einem Dritten auftreten oder ein Konzernunternehmen Alleingesellschafter des beherrschten Konzernunternehmens ist292. Der zuletztgenannten Ansicht ist nicht zuzustimmen. Entscheidend sind bei Konzernlagen nicht die Beteiligungsverhältnisse. Die Pflicht zur Einrichtung eines konzernweiten Informationssystems und dessen Umfang mit der Folge konzernweiter Zurechnung ist abhängig von der Ausgestaltung der Konzernleitung, dem Gegenstand der Konzernunternehmen, der konzernweiten Risikolage (z.B. bei Kreditinstituten) sowie den vertragsrechtlichen (arbeitsrechtlichen), aufsichtsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen. Die bloße Abhängigkeit genügt für die Zurechnung nicht. In diesem Zusammenhang ist eine Zurechnung des Wissens der Tochter- an die Muttergesellschaft möglich, wenn Letztere die für sie rechtlich relevanten Informationen nicht bei der Tochtergesellschaft abfragt bzw. diese durch entsprechende organisatorische Maßnahmen nicht sicherstellt, dass die Tochtergesellschaft die relevanten Informationen an sie weiterleitet293.

VI. Selbstkontrahieren und Mehrfachvertretung 1. Der Zweck des Verbots und Voraussetzungen Der Geschäftsführer kann im Namen der Gesellschaft weder mit sich im eigenen Namen 133 noch als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft vornehmen, § 181 BGB294. § 181 BGB ist auch auf die Vornahme von Rechtsgeschäften durch die Organe juristischer Personen anwendbar295. 287 BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327. 288 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 121. 289 S. dazu Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2000, S. 128; Bork, ZGR 1994, 237, 252; Drexl, ZHR 161 (1997), 491; Sajnovits, Financial-Benchmarks, 2018, S. 218; Verse, AG 2015, 413; Buck-Heeb, AG 2015, 801; Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357. 290 BGH v. 14.7.1993 – IV ZR 153/92, BGHZ 123, 224. 291 A.A. BGH v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, BB 2000, 2592, 2593 nur bei Ausgliederung eines Teilaufgabenbereichs auf andere juristische Personen; gegen „automatische Zurechnung“ Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 225; differenzierend Verse, AG 2015, 413, 418 ff. 292 Drexl, ZHR 161 (1997), 507; wohl auch Schwintowski, ZIP 2015, 617, 622 f., der sich für eine umfassende und pauschale konzerninterne Wissenszurechnung ausspricht; a.A. Bork, ZGR 1994, 252: keine konzernspezifische Zurechnung; Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 124; Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 333. 293 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 124. 294 Krit. zur Anwendung des § 181 BGB im Gesellschaftsrecht Hauschild, ZIP 2014, 954 ff. 295 BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, BGHZ 56, 97, 101 = JR 1971, 503 m. Anm. Giesen; BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 115, 120; BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 232 m. Anm. Uwe H. Schneider; Stephan/Tieves in MünchKomm.

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§ 35 Rz. 134 | Vertretung der GmbH 134 Der Zweck des § 181 BGB ist nicht eindeutig. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht

zwar von der Ordnungsfunktion des § 181 BGB aus. Daher ist bei Personenidentität § 181 BGB auch dann anwendbar, wenn keine Interessenkollision besteht296. Sie sieht aber zugleich den Sinn und Zweck der Vorschrift auch darin, zu verhindern, dass einander widersprechende Interessen durch dieselbe Person vertreten werden297. § 181 BGB dient daher in erster Linie dem Schutz des Vertretenen. Er dient aber auch dem Schutz des Rechtsverkehrs und damit dem Schutz der Gläubiger298.

2. Unterbevollmächtigter und Prokurist 135 Sieht man in § 181 BGB nur eine formale Ordnungsvorschrift, so liegt kein Verstoß vor,

wenn der Geschäftsführer mit einem von ihm bestellten Unterbevollmächtigten das Rechtsgeschäft vornimmt; denn die Vollmachterteilung ist kein durch § 181 BGB verbotenes Rechtsgeschäft mit sich selbst. Der Vertreter, der auf der Gegenseite handelt, ist aber mit dem Geschäftsführer nicht personengleich. Daher hat es das RG für zulässig erachtet, dass der Vertreter, der durch § 181 BGB gehindert ist, ein Rechtsgeschäft vorzunehmen, einen Unterbevollmächtigten bestellen kann, der dann für die Gesellschaft handelt299. Sieht man aber den Zweck der Vorschrift auch darin, zu verhindern, dass einander widersprechende Interessen durch dieselbe Person vertreten werden, so besteht der Interessenkonflikt auch bei Einschaltung eines Unterbevollmächtigten. Er wird vom Geschäftsführer ausgewählt, und er ist typischerweise von den Weisungen seines Vollmachtgebers abhängig300. Auch eine Befreiung des Untervertreters von den Beschränkungen des § 181 BGB durch den selbst nicht von § 181 BGB befreiten Organvertreter ist nicht möglich301. 136 Die Grenze bildet das Rechtsgeschäft, das ein Einzelvertreter im eigenen Namen mit einem

anderen Einzelvertreter abschließt. Unproblematisch ist es dabei, wenn beide gesetzliche Vertreter sind. Es liegt aber auch dann kein Verstoß gegen § 181 BGB vor, wenn der Geschäftsführer im eigenen Namen mit einem Prokuristen oder einem Handlungsbevollmächtigten, der für die Gesellschaft handelt, abschließt302.

296 297 298 299 300

301 302

GmbHG, Rz. 174; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 32; Schubert in MünchKomm. BGB, § 181 BGB Rz. 9; zur Frage der Anwendbarkeit des § 181 BGB auf den sog. falsus procurator vgl. Rawert/Endres, ZIP 2015, 2197 ff. und Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 537 ff. Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 534. BGH v. 27.2.1980 – V ZB 15/79, BGHZ 77, 7, 9 = JR 1980, 412 m. Anm. Kuntze; BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 232 m. Anm. Uwe H. Schneider. BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, BGHZ 56, 97, 104; BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, DB 1983, 1192, 1193 = GmbHR 1983, 269. RG v. 27.9.1924 – V 367/23, RGZ 108, 405; RG v. 27.1.1938 – V B 13/37, RGZ 157, 31; vgl. auch noch BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 231; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189. BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 76 = LM Nr. 18 zu § 181 BGB m. Anm. Fleck; Fleck, Anm. zu BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, LM Nr. 15 zu § 181 BGB und zu BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, LM Nr. 16 zu § 181 BGB; OLG Frankfurt v. 22.1.1974 – 20 W 810/73, OLGZ 1974, 347; OLG Hamm v. 2.10.1980 – 15 W 117/80, ZIP 1980, 1115 (Ehegatte); Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 37 Rz. 61; Pfretzschner, Anm. zu BGH LM Nr. 17 zu § 181 BGB; Harder, AcP 170 (1970), 300; W. Blomeyer, AcP 172 (1972), 15; Göggerle, GmbHR 1979, 79, 85; mit anderer Begründung für Anwendbarkeit des § 181 BGB: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 205. Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 61; Auktor, NZG 2006, 334, 337; Robles y Zepf, BB 2012, 1876, 1881 f.; a.A. für den Organvertreter: Ising, NZG 2011, 841, 842; Schmidt-Ott, ZIP 2007, 943, 945. Für den Prokuristen als Vertreter der Gesellschaft: BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 232 m. Anm. Uwe H. Schneider; BAG v. 29.5.1969 – 2 AZR 444/68, AP § 181 BGB Nr. 1 = DB 1969, 1704; KG v. 12.12.1904, OLGE 11, 395; vgl. auch Leptien

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Vertretung der GmbH | Rz. 139 § 35

Bedenklich ist zwar, dass der Prokurist weisungsabhängig ist und dass der Geschäftsführer 137 den Dienstvertrag der Gesellschaft mit dem Prokuristen kündigen kann. Auch wird im Außenverhältnis die Prokura durch den Geschäftsführer erteilt und widerrufen. Im Innenverhältnis entscheidet aber über die Erteilung und über den Widerruf der Prokura die Gesellschafterversammlung. Das gibt dem Prokuristen und entsprechend dem Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb eine gewisse Selbständigkeit. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Rechtsgeschäft im Einzelfall interessengerecht ist303. Wohl aber kommt ein Missbrauch der Vertretungsmacht in Betracht, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind. Fehlt dem Prokuristen aber die Möglichkeit, sich an die Gesellschafterversammlung zu wen- 138 den, weil der Geschäftsführer zugleich der alleinige Gesellschafter ist, und muss er aus demselben Grund mit dem Widerruf seiner Prokura rechnen, so ist der Prokurist nicht anders zu sehen wie ein Unterbevollmächtigter304. Er kann die Gesellschaft nicht wirksam vertreten.

3. Gesamtvertretung Einer von zwei gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführern, der mit der Gesellschaft ei- 139 nen Vertrag abschließen will, ist durch § 181 BGB nicht gehindert, zunächst den anderen Geschäftsführer zur Alleinvertretung der Gesellschaft zu ermächtigen und dann mit diesem das Rechtsgeschäft abzuschließen305. Gegen diese höchstrichterliche Rechtsprechung wurde eingewandt, der persönlich verhinderte Geschäftsführer wirke durch die Ermächtigung des anderen mittelbar am Geschäft mit306. Indessen unterscheidet sich der vorgenannte Fall von der Untervollmacht; denn der ermächtigte Geschäftsführer ist bei gesetzlicher Ausgestaltung der Geschäftsführung unabhängig von Weisungen. Er hat vielmehr die sachliche Entscheidung selbständig zu vertreten. Anders wäre die Lage zu beurteilen, wenn ein internes Weisungsverhältnis besteht („weisungsgebundener Untervertreter“). Dagegen, meint Fleck307, sei die Lage auch dann anders zu beurteilen, wenn der nicht am Geschäft beteiligte Gesamtvertreter mit Zustimmung des Gesamtvertreters handle, mit dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wird. Diese Unterscheidung erscheint angesichts derselben Interessenlage nicht gerechtfertigt.

303 304 305 306

307

in Soergel, § 181 BGB Rz. 29; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 554; a.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 62; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 51; kritisch: Fleck, WM 1985, 678; eingehend Fleck, ZGR 1988, 118. A.A. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 189 f.; anders auch Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 206 (maßgeblich sei, ob die Erteilung gerade zur Ermöglichung des Geschäfts erfolgt). Uwe H. Schneider, Anm. zu BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 234; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Fleck, WM 1985, 678. Altmeppen, NZG 2013, 401, 409; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 553; für die KG: BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72 = LM Nr. 18 zu § 181 BGB m. Anm. Fleck; BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = GmbHR 1992, 107. Reinicke, NJW 1975, 1185, 1187; Plander, DB 1975, 1495; Klamroth, BB 1975, 851; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 204; zweifelnd auch Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 65 f., die sich für die Bestellung eines weiteren alleinvertretungsberechtigten Organvertreters ausspricht; wie hier Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 96. Fleck, Anm. zu BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, LM Nr. 18 zu § 181 BGB.

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§ 35 Rz. 140 | Vertretung der GmbH

4. Die Rechtsfolgen 140 Liegt ein Insichgeschäft oder eine Mehrfachvertretung vor, so wird hierdurch das Geschäft

nicht nichtig, sondern nur schwebend unwirksam308. Es kann daher durch Genehmigung, auch stillschweigende, seitens der Gesellschafter (§ 46 Nr. 5, wobei der von § 181 BGB betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer wegen § 47 Abs. 4 nicht mitstimmen kann) wirksam werden309. Ist neben dem als Vertragspartner auftretenden Geschäftsführer ein weiterer Geschäftsführer vorhanden, der das Geschäft als Vertreter der Gesellschaft hätte wirksam abschließen können, so kann dieser auch das Insichgeschäft genehmigen310. Die Rückwirkung der Genehmigung hat u.U. auch die entsprechende steuerliche Anerkennung zur Folge311. Bei konzerninternen Rechtsgeschäften muss das bei einem Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachvertretung nach § 181 Alt. 2 BGB schwebend unwirksame Geschäft stets von beiden vertretenen Parteien genehmigt werden, selbst wenn der Doppelmandatsträger durch eine der Konzerngesellschaften von den Beschränkungen des § 181 Alt. 2 BGB befreit worden ist. Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, ob auch ein Geschäftsführer, der selbst nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit ist, ein schwebend unwirksames Geschäft genehmigen kann312.

5. Ausnahmen a) Erfüllungsgeschäft 141 Das Selbstkontrahieren oder eine Mehrfachvertretung ist ausnahmsweise gestattet, wenn es

sich um bloße Erfüllungsgeschäfte handelt. Zu denken ist an die Auszahlung des Gehalts und den Ersatz von Aufwendungen. b) Lediglich rechtlicher Vorteil 142 Das Verbot besteht nicht, wenn das Rechtsgeschäft der Gesellschaft lediglich einen rechtlichen

Vorteil bringt313. Die vorgenannte Entscheidung ist aus verschiedenen, aber wenig überzeu308 Anstelle anderer: Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 423; a.A. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 104: relativ unwirksam. 309 RG v. 4.11.1903 – I 228/03, RGZ 56, 104; RG v. 6.11.1907 – V 194/07, RGZ 67, 51; RG v. 26.2.1908 – V 185/07, RGZ 68, 37; RG v. 13.5.1909 – IV 248/08, RGZ 71, 163; RG v. 3.2.1917 – V 341/16, RGZ 89, 367; RG v. 25.11.1927 – (VII) VI 322/27, RGZ 119, 116; BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, NJW 1956, 1433 (Erbauseinandersetzungsvertrag); OLG Frankfurt v. 22.1.1974 – 20 W 810/73, OLGZ 1974, 374; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 196; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 37 Rz. 69; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., S. 543f. 310 BGH v. 29.11.1993 – II ZR 107/92, BB 1994, 164, 165 = GmbHR 1994, 122; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 69; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Blasche/König, NZG 2012, 812, 815; a.A. wohl Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 38. 311 BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, BFHE 181, 328 = GmbHR 1997, 34 (für Alleingesellschafter-Geschäftsführer bei nachträglicher Befreiung in Satzung); BFH v. 15.10.1997 – I R 19/97, BFH/NV 1998, 746 = GmbHR 1998, 546. 312 Dagegen BayObLG v. 26.2.1993 – 2Z BR 6/93, juris Rz. 17; OLG München v. 28.8.2013 – 34 Wx 223/13, MittBayNot 2014, 234, 235; dafür LG Leipzig v. 21.8.2014 – 3 O 3737/13, juris Rz. 73; Rawert/Endres, ZIP 2015, 2197, 2201 f.; Blasche/König, NZG 2012, 812, 816: Ausschluss des selbst nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiten Geschäftsführers bezüglich der Genehmigung nur, wenn die Genehmigung selbst ein Insichgeschäft darstellt. Eingehend hierzu Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 539 f. 313 BGH v. 27.9.1972 – IV ZR 225/69, BGHZ 59, 236 = LM Nr. 17 zu § 181 BGB m. Anm. Pfretzschner = JZ 1973, 284 m. Anm. Stürner und krit. Anm. Giesen, JR 1973, 62; BGH v. 18.10.2017 – I

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Vertretung der GmbH | Rz. 143 § 35

genden Gründen kritisiert worden, weil das Tatbestandsmerkmal „lediglich rechtlicher Vorteil“ Probleme bei der Auslegung ergebe. Bei der rechtlichen Betrachtung blieben wirtschaftliche Folgen unberücksichtigt. Auch dürften bei der Abwägung nicht nur die aktuellen Vermögensinteressen eines Vertragspartners berücksichtigt werden314. c) Gestattung Das Verbot des Selbstkontrahierens und der Mehrfachvertretung (s. Rz. 174) kann durch be- 143 sondere Gestattung aufgehoben sein. Diese Gestattung muss sich nicht auf bestimmte Geschäfte beziehen, sondern kann bestimmte Arten oder alle Geschäfte des Geschäftsführers umfassen315. Eine solche Genehmigung kann in allgemeiner Form durch die Satzung erfolgen316. Aus der Formulierung der Erklärung muss sich jedoch eindeutig ergeben, dass der Bevollmächtigte von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit wurde und auf welche Alternative sich die Gestattung bezieht. Eine Formulierung wie z.B. „Dem Vertreter wird Befreiung von der Beschränkung des § 181 BGB erteilt.“ wäre insoweit nicht eindeutig, da nicht feststellbar ist, von welcher der beiden Alternativen des § 181 BGB befreit worden ist317. Die Genehmigung ist in das Handelsregister als Vertretungsregel einzutragen318. Voraussetzung ist freilich, dass die Art der Befreiung zulässig ist. So kann nicht vorgesehen und eingetragen werden, dass der Geschäftsführer befreit sein soll, wenn er alleiniger Gesellschafter ist319. Bei der Gründung einer GmbH im vereinfachten Verfahren nach § 2 Abs. 1a ist der (notwendigerweise einzige) Geschäftsführer zwingend von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit320. Dies ergibt sich aus den zu verwendenden Musterprotokollen, die in der Anlage zu § 2 Abs. 1a bestimmt sind. Soll der Geschäftsführer nicht vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit sein, wird von der Mustersatzung abgewichen. Ein solches Verbot bedarf der notariellen Beurkundung321. Zur Wirksamkeit der Befreiung nach Bestellung weiterer Geschäftsführer s. Rz. 179.

314 315 316 317 318

319 320 321

ZR 6/16, NZG 2018, 221, 223 = GmbHR 2018, 251; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 196; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Säcker/Klinkhammer, JuS 1975, 626; Göggerle, GmbHR 1979, 79, 84; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 534. So vor allem: Schubert, WM 1978, 290; für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise: Stürner, JZ 1973, 287. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 64; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 182. BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 402/97, NJW 2000, 664 = GmbHR 2000, 136; KG v. 21.3.2006 – 1 W 252/05, GmbHR 2006, 653; Schmitt, WM 2009, 1784, 1785. OLG Nürnberg v. 12.2.2015 – 12 W 129/15, GmbHR 2015, 486; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 541. BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 402/97, GmbHR 2000, 136; BayObLG v. 29.5.1979 – BReg 1 Z 36/79, GmbHR 1979, 207; BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/81, BayObLGZ 1982, 41, 44 = GmbHR 1982, 257; BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, BayObLGZ 1984, 109 = GmbHR 1985, 116; BayObLG v. 21.9.1989 – BReg 3 Z 5/89, GmbHR 1990, 213; OLG Zweibrücken v. 30.12.1981 – 3 W 82/81, OLGZ 1983, 36; OLG Stuttgart v. 26.11.1984 – 8 W 435/84, OLGZ 1985, 37 = GmbHR 1985, 221; OLG Hamm v. 28.10.1986 – 15 W 319/86, GmbHR 1987, 430 = WM 1987, 405; OLG Stuttgart v. 18.10.2007 – 8 W 412/07, GmbHR 2007, 1270; OLG Düsseldorf v. 30.11.2009 – 3 Wx 195/09, GmbHR 2010, 313, 314; a.A. nicht eintragungsfähig: OLG Karlsruhe v. 2.10.1963 – 5 W 57/63, GmbHR 1964, 78; LG Oldenburg v. 7.6.1972 – 6 T (KH) 3/72, BB 1972, 769; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 94; Lenz in Michalski u.a., Rz. 92 sowie oben bei § 10. BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269; s. auch OLG Hamm v. 15.1.1996 – 15 W 463/95, DNotZ 1996, 816 m. abl. Anm. Kanzleiter. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 27; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 193; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 65; Katschinski/ Rawert, ZIP 2008, 1993, 1994; Miras, DB 2010, 2488, 2489. Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 775.

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§ 35 Rz. 144 | Vertretung der GmbH 144 Fehlt eine satzungsmäßige Gestattung, so kann im Einzelfall das Organ Befreiung erteilen,

das für die Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers zuständig ist322. In der Regel sind das die Gesellschafter, die mit einfacher Mehrheit entscheiden323. Ausreichend ist auch ein formloser Beschluss außerhalb einer Gesellschafterversammlung, ja selbst ein schlüssiges Verhalten der Gesellschafter, aus dem sich die Gestattung ergibt324. Ist ein Aufsichtsrat (Beirat o.Ä.) gebildet und ist dieser zur Bestellung bzw. Abberufung der Geschäftsführer zuständig, so kann dieser die Befreiung vornehmen325. 145 Streitig ist, ob auch eine generelle Befreiung durch einfachen Gesellschafterbeschluss zuläs-

sig ist326. Dafür soll sprechen, dass die generelle Gestattung keine andere Rechtsqualität habe als die individuelle Gestattung. Der Gläubigerschutz hänge nicht davon ab, ob der Gesellschafter Insichgeschäfte tätige. Die Gestattung habe mit § 10 Abs. 1 Satz 2 nichts zu tun. Dagegen spricht aber, dass die generelle Gestattung des Selbstkontrahierens erhebliche Risiken für die Gesellschaft und wegen § 31 Abs. 3 für die Gesellschafter (Ausfallhaftung) in sich birgt. Verlangt ist daher unabhängig von der Eintragung ein erhöhtes Quorum für die generelle Gestattung. 146 Einer Form bedarf weder der Beschluss noch das Rechtsgeschäft. Steuerlich werden Gehalts-

zahlungen an den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer als Betriebsausgaben nur anerkannt, wenn die Vereinbarung „im voraus klar und eindeutig getroffen worden ist“327. Nach Ansicht des BFH328 greift das Rückwirkungsverbot nicht, wenn der Alleingesellschafter-Geschäftsführer nachträglich durch Satzungsänderung vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit wird. Die Insichgeschäfte seien dann nachträglich als genehmigt anzusehen. Zur Befreiung bei mehreren gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführern s. Rz. 139; zur Anwendbarkeit von § 181 BGB bei Sozialakten s. 12. Aufl., § 47 Rz. 177 ff.

322 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 192; BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59, 60 = GmbHR 1983, 269 = WM 1983, 446; KG v. 23.8.2001 – 8 U 8644/99, GmbHR 2002, 327; Goette, DStR 2000, 697; Fleck, WM 1985, 678; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 35; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 543; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 57; a.A. Ekkenga, AG 1985, 40, 46 ff.; BFH v. 31.7.1974 – I R 42/72, WM 1975, 457; nur bei Grundlage in der Satzung BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, GmbHR 1985, 116 = DB 1984, 1517; OLG Köln v. 2.10.1992 – 2 Wx 33/92, GmbHR 1993, 37; OLG Celle v. 16.8.2000 – 9 W 82/00, GmbHR 2000, 1098. 323 §§ 47 f.; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 192 = LM Nr. 8 zu § 181 m. Anm. Fischer; BGH v. 18.12.1974 – VIII ZR 179/73, WM 1975, 157, 158; Schmitt, WM 2009, 1784, 1785. 324 BGH v. 17.5.1971 – III ZR 53/68, WM 1971, 1082 für eine zweigliedrige GmbH; Konow, GmbHR 1972, 262; offen gelassen in BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 115, 120. 325 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 192; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 232, 251; Robles y Zepf, BB 2012, 1877, 1880. 326 Altmeppen, NJW 1995, 1185; Altmeppen, NZG 2013, 401; Kanzleiter, DNotZ 1996, 819; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 66; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 90; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 184; wohl auch BGH v. 19.11.1979 – II ZR 197/78, GmbHR 1980, 166; dagegen: Priester, DStR 1992, 254; Tiedtke, GmbHR 1993, 385. 327 BFH v. 31.7.1974 – I R 42/72, WM 1975, 456; Birkholz, GmbHR 1974, 18. 328 BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, BFHE 181, 328 = GmbHR 1997, 34; BFH v. 15.10.1997 – I R 19/ 97, BFH/NV 1998, 746 = GmbHR 1998, 546.

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Vertretung der GmbH | Rz. 151 § 35

6. Selbstkontrahieren des alleingeschäftsführenden Alleingesellschafters a) Die Vorgeschichte Das Reichsgericht329 und zunächst auch noch der BGH330 hatten aus Gründen der Rechts- 147 sicherheit, insbesondere des Gläubigerschutzes die Auffassung vertreten, dass der geschäftsführende Alleingesellschafter nicht namens der GmbH selbstkontrahieren könne. Der BGH hat in der Folgezeit diese formale Betrachtung aufgegeben und ausgeführt, es bestehe keine Gefahr des Interessenkonflikts. Für Rechtsgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters mit sich selbst sei § 181 BGB daher nicht anwendbar331. Im RegE zur Novelle 1977 war vorgesehen, diese Rechtsprechung festzuschreiben. § 35 Abs. 4 148 Satz 1 und 2 sollte lauten: „Befinden sich alle Geschäftsanteile der Gesellschaft in der Hand eines Gesellschafters und ist er zugleich deren alleiniger Geschäftsführer, so bedürfen seine Rechtsgeschäfte mit der Gesellschaft der Schriftform. Auf die Rechtsgeschäfte ist § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht anzuwenden.“ Die Novelle 1980 ist dem nicht gefolgt. Nach § 35 Abs. 4, eingefügt durch die GmbH-Novelle 1980, ist § 181 BGB auch auf die Rechtsgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters mit der Gesellschaft anzuwenden. Durch das MoMiG wurde der bisherige Abs. 4 ohne Änderung als Abs. 3 beibehalten. b) Der Gesetzeszweck § 35 Abs. 3 in seiner jetzigen Form soll vor allem den Gläubigerschutz verbessern; denn bei 149 wirtschaftlicher Betrachtung gibt es keinen Interessengegensatz zwischen der Gesellschaft und dem Alleingesellschafter-Geschäftsführer332. Die Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung für das einzelne Rechtsgeschäft reiche hierfür nicht aus333. Die Vorschrift ist ein Stück verfehlte Gesetzgebung. Die Bedenken sind vielfältig. Der gläu- 150 bigerschützende Charakter und die gläubigerschützende Wirkung dieser Vorschrift sind höchst zweifelhaft334. Die Vorschrift hindert nicht Gewinnentnahmen. Zahlungen aus dem gebundenen Vermögen waren aber auch schon vor der Novelle 1980 unzulässig. Die Vorschrift will auch nicht Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und dem geschäfts- 151 führenden Alleingesellschafter verbieten. § 35 Abs. 3 erschwert nur solche Rechtsgeschäfte, wobei sich zahlreiche Zweifelsfragen ergeben. An die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB werden erhöhte Anforderungen gestellt. Es soll sichergestellt werden, dass die Gläubiger sich über die Möglichkeit von Insichgeschäften informieren können335. Zugleich

329 S. etwa RG v. 20.3.2008 – II 586/07, RGZ 68, 172, 175 und RG v. 21.10.1924 – II 640/23, RGZ 109, 77, 79. 330 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189 und BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117. 331 BGH v. 19.11.1979 – II ZR 197/78, BGHZ 75, 358 = GmbHR 1980, 166 = JuS 1980, 606 m. Anm. Emmerich sowie schon BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, BGHZ 56, 97 = LM § 181 BGB Nr. 15 m. Anm. Fleck; zur Entwicklung der Diskussion in der Lehre insbesondere: Blomeyer, AcP 172 (1972), 4; Fischer in FS Hauß, 1978, S. 61; Klamroth, BB 1973, 398; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 251; Hübner, Jura 1982, 85; Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 409; Leßmann, BB 1976, 1377; Ekkenga, AG 1985, 40. 332 BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, DStR 2000, 645 = GmbHR 2000, 330; Altmeppen, DB 2000, 657; Goette, DStR 2000, 697. 333 Vgl. Bericht der Abgeordneten Lambinus u.a., BT-Drucks. 8/3908, S. 74. 334 Krit. auch Ulmer, BB 1980, 1006; Altmeppen, NJW 1995, 1182, 1185; Altmeppen, NZG 2013, 401, 402; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 138 ff.; Kanzleiter, DNotZ 1996, 819. 335 Robles y Zepf, BB 2012, 1877, 1878.

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§ 35 Rz. 151 | Vertretung der GmbH ist für die Anerkennung von Insichgeschäften, soweit gestattet, zumindest die ordnungsgemäße Verbuchung bei der Gesellschaft erforderlich. § 35 Abs. 3 stellt daher nicht nur den geschäftsführenden Alleingesellschafter dem Geschäftsführer der Normal-GmbH gleich. Die Vorschrift beseitigt nicht nur eine früher von der Rechtsprechung vorgenommene Ausnahme. Sie stellt vielmehr an das Selbstkontrahieren des geschäftsführenden Alleingesellschafters besonders strenge Anforderungen. Die Aussagen der früheren Rechtsprechung336 gelten auch heute noch337. Zur Befreiung in der Satzung und deren Eintragung im Handelsregister s. Rz. 171; zur Gestattung durch die Gesellschafterversammlung s. Rz. 165; zu den Besonderheiten beim Abschluss des Anstellungsvertrages s. Rz. 168. c) Anwendungsbereich 152 § 181 BGB i.V.m. § 35 Abs. 3 ist dem Wortlaut nach nur anwendbar, wenn sich erstens alle

Anteile in der Hand eines Gesellschafters oder der Gesellschaft befinden und dieser Gesellschafter zweitens alleiniger Geschäftsführer ist. Ohne Bedeutung ist dabei, ob eine solche Lage von Anfang an bestand oder ob sie erst nachträglich eingetreten ist. 153 Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass bei einer Einmann-Gesellschaft, die neben dem

Gesellschafter-Geschäftsführer einen weiteren Geschäftsführer hat, § 181 BGB nicht anzuwenden ist. Insoweit bliebe es bei der alten Rechtsprechung338. Wollte man aber durch § 35 Abs. 3 den Gläubigerschutz verstärken, so würde eine Lücke entstehen, wenn bei Vorhandensein weiterer Geschäftsführer § 181 BGB nicht anzuwenden wäre. Die Gefahr nicht nachweisbarer Vermögensverschiebungen durch ein Selbstkontrahieren des GesellschafterGeschäftsführers zu Lasten der Haftungsmasse ist aber in solchem Fall nicht anders zu bewerten. Das rechtfertigt eine entsprechende Anwendung des § 35 Abs. 3. § 181 BGB ist daher auch anwendbar, wenn die Gesellschaft zwar mehrere Geschäftsführer hat, der Alleingesellschafter aber die Gesellschaft bei Abschluss des Rechtsgeschäfts mit sich vertritt339. Zur Vertretung der Gesellschaft durch den Mitgeschäftsführer s. Rz. 157. Treuhänderisch durch Dritte für den Gesellschafter gehaltene Anteile werden ihm zugerechnet. Zuzurechnen sind auch, obgleich vom Wortlaut nicht gedeckt, Anteile, die abhängige Unternehmen halten, vgl. § 16 Abs. 4 AktG. 154 Obwohl vom Wortlaut nicht gedeckt, ist § 35 Abs. 3 darüber hinaus auch im Fall der Mehr-

fachvertretung anzuwenden, vorausgesetzt, dass der Geschäftsführer unmittelbar oder mittelbar alle Anteile hält340. Noch ungeklärt ist, ob § 35 Abs. 3 auch bei gesellschaftsinternen Organisationsakten wie z.B. einem Verschmelzungs- oder Gewinnabführungsvertrag zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft zur Anwendung gelangt, wenn beide Gesellschaften durch denselben Geschäftsführer vertreten werden341. Davon ist auszugehen, wenn man den obigen Überlegungen folgt.

336 BGH v. 19.11.1979 – II ZR 197/78, BGHZ 75, 358, 362. 337 BGH v. 8.3.2004 – II ZR 316/01, GmbHR 2004, 949. 338 So LG Berlin v. 23.8.1985 – 98 T 13/85, GmbHR 1985, 396 = ZIP 1985, 1492; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; Bachmann, ZIP 1999, 89; dagegen aber wie hier: Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 63; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 56; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 181; Ekkenga, AG 1985, 40; zweifelnd: Fleck, ZIP 1986, 270. 339 Robles y Zepf, BB 2012, 1877, 1878. 340 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 58; Bachmann, ZIP 1999, 85; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 34, 29; Blasche/König, NZG 2012, 812, 813. 341 Dafür Baetzgen, RNotZ 2005, 193, 205; dagegen Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 179; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 543.

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Vertretung der GmbH | Rz. 159 § 35

d) Rechtsfolgen Ist dem Vertreter nach § 181 BGB das Selbstkontrahieren nicht gestattet, so macht es das 155 Rechtsgeschäft nur schwebend unwirksam, aber nicht nichtig. Ob dies auch für Insichgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters gilt, ist streitig. Teilweise wird die Ansicht vertreten, solche Rechtsgeschäfte seien nichtig, wenn dem Geschäftsführer das Selbstkontrahieren nicht gestattet sei342. Dies verlange der Schutzzweck der Norm. Eine solche Ausnahme ist jedoch nicht gerechtfertigt. § 35 Abs. 3 hat den Gläubigerschutz nur verstärkt. Das schwebend unwirksame Rechtsgeschäft kann daher rückwirkend von Anfang an wirksam werden, wenn der Geschäftsführer in der Folge von den Beschränkungen des § 181 BGB in der Satzung befreit wird und er das Rechtsgeschäft nachträglich genehmigt343. Das steuerliche Rückwirkungsverbot gilt für diesen Fall nicht344. Rechtsgeschäfte sind ausnahmsweise sofort wirksam, wenn sie der Gesellschaft lediglich ei- 156 nen rechtlichen Vorteil bringen345 oder nur der Erfüllung einer Verbindlichkeit dienen (Ersatz von Aufwendungen, Erfüllung von Schadensersatzansprüchen usw.). e) Vertretung bei Verhinderung aa) Bestellung eines weiteren Geschäftsführers: Der Alleingesellschafter kann einen zwei- 157 ten Geschäftsführer bestellen, der sodann die Gesellschaft bei dem Rechtsgeschäft vertritt. Wird nämlich die Gesellschaft durch einen weiteren Geschäftsführer vertreten, so liegt kein Fall der Mehrfachvertretung vor346. In der Vertretung durch den zweiten Geschäftsführer kann freilich eine Umgehung des § 35 Abs. 3 liegen, wenn der zweite Geschäftsführer nur zu dem Zweck bestellt wurde, das Rechtsgeschäft vorzunehmen347. Der andere Geschäftsführer muss jedoch, um die Gesellschaft vertreten zu können, alleinver- 158 tretungsbefugt sein. Dies ist nur der Fall, wenn die Satzung dies ausdrücklich vorsieht (s. Rz. 103). Fehlt dagegen eine besondere Satzungsbestimmung, so sind beide Geschäftsführer gesamtvertretungsberechtigt. In der Regel kann zwar unter diesen Umständen der eine Geschäftsführer, der mit der Gesellschaft ein Rechtsgeschäft vornehmen will, den anderen zur Alleinvertretung ermächtigen. Dies scheidet jedoch dann aus, wenn der vertretende Geschäftsführer völlig den Weisungen des anderen unterworfen ist348. Der mitgeschäftsführende Alleingesellschafter kann daher nicht den anderen Geschäftsführer zur Alleinvertretung ermächtigen. bb) Nicht durch Prokurist oder Handlungsbevollmächtigten: § 181 BGB ist bei einer Ge- 159 sellschaft, die nicht in den Anwendungsbereich des § 35 Abs. 3 fällt, nicht anzuwenden, wenn der Geschäftsführer im eigenen Namen mit einem Prokuristen oder einem Handlungsbevollmächtigten, der die Gesellschaft vertritt, abschließt349. Das gilt jedoch nicht, wenn die Gesell-

342 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82; Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 428; Bachmann, ZIP 1999, 88. 343 Ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; Brandes, WM 2000, 217; a.A. Blasche/König, NZG 2012, 812, 815, die für die Genehmigung keine satzungsmäßige Grundlage fordern. 344 BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, BFHE 181, 328 = GmbHR 1997, 34; BFH v. 15.10.1997 – I R 19/ 97, BFH/NV 1998, 746 = GmbHR 1998, 546. 345 A.A. Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 421. 346 Bachmann, ZIP 1999, 86; a.A. Ekkenga, AG 1985, 44; zur Rechtslage vor der Novelle 1980: BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 193; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 235. 347 S. Fleck, WM 1985, 678 und Rz. 153. 348 S. auch Fleck, Anm. zu BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, LM Nr. 18 zu § 181 BGB. 349 BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 62; Einzelheiten s. Rz. 135.

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§ 35 Rz. 159 | Vertretung der GmbH schaft nur einen Gesellschafter hat350. Dann fehlt dem Prokuristen die Möglichkeit, sich an die Gesellschafterversammlung zu wenden. Er muss damit rechnen, dass seine Prokura widerrufen wird, wenn er sich dem Willen des geschäftsführenden Alleingesellschafters nicht beugt. Ihm fehlt wie dem Unterbevollmächtigten die Unabhängigkeit. Ist daher der allein geschäftsführende Alleingesellschafter von den Beschränkungen des § 181 BGB nicht befreit, so kann er nicht dadurch seine Verhinderung überwinden, dass die Gesellschaft durch einen Prokuristen oder einen Handlungsbevollmächtigten vertreten wird351. 160 cc) Notgeschäftsführer: Fehlt ein weiterer Geschäftsführer oder ist dieser nicht allein vertre-

tungsbefugt, so ist der geschäftsführende Alleingesellschafter verhindert, mit sich selbst das Rechtsgeschäft vorzunehmen. Die Gesellschaft ist nicht vertreten. Es kann daher in entsprechender Anwendung von § 29 BGB ein Notgeschäftsführer bestellt werden352. Eine solche Bestellung ist auch zulässig, wenn der Geschäftsführer nicht auf Dauer, sondern nur in einem Einzelfall wie hier etwa auf Grund von § 181 BGB verhindert ist353. Dies zeigt, dass Rechtsgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters mit der Gesellschaft auch vorgenommen werden können, ohne dass dies in allgemeiner Form der Öffentlichkeit bekannt wird. 161 dd) Genehmigung nach Satzungsänderung: Folgt man der Ansicht, dass bei Fehlen einer

Satzungsbestimmung das Rechtsgeschäft nur schwebend unwirksam, aber nicht nichtig ist (s. Rz. 155), so kann das Rechtsgeschäft bereits vor der Satzungsänderung abgeschlossen, die Satzungsänderung nachgeholt werden, um anschließend das bis zu diesem Zeitpunkt schwebend unwirksame Rechtsgeschäft zu genehmigen354. f) Befreiung von den Beschränkungen 162 aa) Durch die Satzung: Das Selbstkontrahieren kann dem geschäftsführenden Alleingesell-

schafter von Anfang an durch die Satzung gestattet werden355. Auch in der EinpersonenGmbH ist die Gesellschafterversammlung für die Gestattung des Selbstkontrahierens zuständig. Der Alleingesellschafter unterliegt bei der Beschlussfassung keinem Stimmverbot356. Die Befreiung kann entweder generell für alle Geschäftsführer oder individuell für einen bestimmten Geschäftsführer erfolgen. Die Gestattung kann auch nachträglich in die Satzung aufgenommen werden357. Es ist ferner ausreichend, wenn in der Satzung eine Befreiungsmöglichkeit vorgesehen ist, der Alleingesellschafter vor dem Notar sich zum Geschäftsführer bestellt, der von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit ist, und dies im Handelsregister 350 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Fleck, WM 1985, 678. 351 Wie hier: Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Bachmann, ZIP 1999, 86; BuckHeeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 30; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 56. 352 RG v. 25.10.1932 – II B 17/32, RGZ 138, 98, 101; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 193; BayObLG v. 4.10.1955 – BReg. 2 Z 104/55, BayObLGZ 1955, 290; BayObLG v. 2.6.1976 – BReg. 2 Z 84/75, Rpfleger 1976, 357; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 258; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 30; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 53. 353 Arnold in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, § 29 BGB Rz. 8. 354 S. dazu BGH v. 29.5.1991 – VIII ZR 214/90, DB 1991, 1976; OLG Hamm v. 19.5.1992 – 29 U 169/ 91, GmbHR 1992, 669, 670; BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, GmbHR 1997, 34, 36; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; a.A. Bachmann, ZIP 1999, 88. 355 BGH v. 8.3.2004 – II ZR 316/01, NZG 2004, 667, 668 = GmbHR 2004, 949, 950; zur Befreiung bei UG: OLG Hamm v. 4.11.2010 – 15 W 436/10, GmbHR 2011, 87. 356 Altmeppen, NZG 2013, 401, 403. 357 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269 = DB 1983, 1192 = WM 1983, 446; BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 402/97, GmbHR 2000, 136 = DStR 2000, 164 m. Anm. Goette; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31; zweifelnd zur früheren Rechtslage: Leßmann, DB 1976, 1382; a.A. bei Alleingesellschafter-Geschäftsführer Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82.

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Vertretung der GmbH | Rz. 166 § 35

eingetragen wird („Dispens aufgrund satzungsmäßiger Ermächtigung“)358. Der Geschäftsführer kann dann die zuvor vorgenommenen aber noch schwebend unwirksamen Insichgeschäfte genehmigen (str., s. Rz. 155). Wird die Befreiung zu einem Zeitpunkt erteilt, in dem es sich noch um eine mehrgliedrige 163 GmbH handelt, wandelt sich die Gesellschaft aber in der Folgezeit zu einer Einmann-GmbH, so wirkt die Befreiung fort. Sie erlöscht nicht – oder anders formuliert – sie muss nicht neu erteilt werden. Der hier vertretenen Ansicht hat sich auch die höchstrichterliche Rechtsprechung angeschlossen, nachdem die Frage zunächst zwischen den Instanzgerichten streitig war359. Die Befreiung wirkt für alle Rechtsgeschäfte des Geschäftsführers mit der Gesellschaft. Sie 164 umfasst insbesondere auch den Abschluss des Anstellungsvertrags, also ein Rechtsgeschäft, bei dem die Gesellschaft nicht durch den Geschäftsführer, sondern durch „die Gesellschafter“ vertreten wird (s. Rz. 168). Da die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB ins Handelsregister einzutragen ist 165 (s. Rz. 171), kann das Selbstkontrahieren dem Geschäftsführer in der Satzung nur in einer Weise gestattet werden, die eintragungsfähig ist. Nicht wirksam beschlossen und eingetragen werden kann, dass der Geschäftsführer befreit sein soll, wenn er alleiniger Gesellschafter ist360. bb) Nicht durch Gesellschafterbeschluss: Fehlt eine Satzungsbestimmung, durch die der ge- 166 schäftsführende Alleingesellschafter vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit ist361, kann der Gesellschafter weder für alle Fälle (generell) noch im Einzelfall durch Gesellschafterbeschluss362 das Selbstkontrahieren gestatten363. Das würde dem Zweck des Gesetzes widersprechen364. Verträge mit der Gesellschaft kann der geschäftsführende Alleingesellschafter in 358 BGH v. 3.4.2000 – II ZR 379/99, DStR 2000, 697 m. Anm. Goette; krit. mit Blick auf das Notarerfordernis Blasche/König, NZG 2012, 812, 814. 359 BGH v. 8.4.1991 – II ZB 3/91, BGHZ 114, 167 = GmbHR 1991, 261; BFH v. 13.3.1991 – I R 1/90, GmbHR 1991, 332; BFH v. 17.9.1992 – I R 89-98/91, GmbHR 1993, 46; a.A. BayObLG v. 22.5.1987 – BReg 3 Z 163/86, WM 1987, 982 = GmbHR 1987, 428; BayObLG v. 21.9.1989 – BReg 3 Z 5/89, GmbHR 1990, 213; wie hier: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 54; Reinicke/Tiedtke, WM 1988, 441; Reinicke/Tiedtke, GmbHR 1990, 200 sowie Tiedtke, ZIP 1991, 355; im Ergebnis auch Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188; Schmitt, WM 2009, 1784, 1785; krit. hierzu Altmeppen, NZG 2013, 401, 405 f. 360 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269 = DB 1983, 1192 = WM 1983, 446. 361 Nach BGH v. 8.3.2004 – II ZR 316/01, GmbHR 2004, 949, 950 soll angesichts der üblichen notariellen Gestaltung von Satzungen eine tatsächliche Vermutung für eine Befreiung des Alleingesellschafters und Geschäftsführers vom Verbot des Selbstkontrahierens sprechen; s. aber auch OLG Koblenz v. 13.7.2004 – 3 U 1213/03, GmbHR 2005, 476. 362 KG v. 21.3.2006 – 1 W 252/05, GmbHR 2006, 653; a.A. KG v. 23.8.2001 – 8 U 8644/99, GmbHR 2002, 327. 363 Zum Erfordernis eines Satzungsvorbehalts im Falle des Liquidators einer GmbH vgl. OLG Köln v. 21.9.2016 – 2 Wx 377/16, GmbHR 2016, 1273; OLG Düsseldorf v. 23.9.2016 – v. 30.3.2009 – 3 Wx 130/15, GmbHR 2017, 36 = NZG 2016, 1424; anders OLG Zweibrücken v. 6.7.2011 – 3 W 62/11, GmbHR 2011, 1209; Terner, DStR 2017, 160 ff. 364 Vgl. Bericht der Abgeordneten Lambinus u.a., BT-Drucks. 8/3908, S. 74: „… nur wirksam sein, wenn sie dem Einmann-Gesellschafter-Geschäftsführer durch den Gesellschaftsvertrag ausdrücklich gestattet sind“; OLG Hamm v. 27.4.1998 – 15 W 79/98, GmbHR 1998, 683; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 80, 82; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 53; Deutler, GmbHR 1980, 146; Karsten Schmidt, NJW 1980, 1775; Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 427; Goette, DStR 2000, 697; a.A. Bühler, DNotZ 1983, 596; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 102; Altmeppen, NJW 1995, 1182, 1185; Altmeppen, NZG 2013, 401, 402; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 66; Blasche/ König, NZG 2012, 812, 815; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 187; wohl auch Kanzleiter, DNotZ 1996, 819.

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§ 35 Rz. 166 | Vertretung der GmbH diesem Fall nur abschließen, wenn die Gesellschaft in anderer Weise vertreten ist. Fehlt eine Satzungsbestimmung, so kann der Alleingesellschafter nur die Satzung ändern365, Befreiung erteilen und das zuvor vorgenommene schwebend unwirksame Geschäft genehmigen366. 167 Eine zulässige Zwischenlösung ist ferner die in der Satzung vorgesehene Ermächtigung367. In

einem solchen Fall bestimmt die Satzung, dass der Geschäftsführer durch einfachen Gesellschafterbeschluss von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden kann. Auch bei einer solchen Satzungsklausel können sich die Geschäftspartner darauf einstellen, dass der geschäftsführende Alleingesellschafter von dieser ihm durch die Satzung eingeräumten Befugnis auch tatsächlich Gebrauch macht368. Der Geschäftsführer kann dann als Alleingesellschafter einen dahingehenden Beschluss fassen. Der Beschluss bedarf einer ordnungsgemäßen Protokollierung369. Einer konkreten Benennung des zu befreienden Geschäftsführers in der Satzung bedarf es aber nicht370. Das Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 Satz 2 gilt für den Befreiungsbeschluss nicht. Zur Eintragung im Handelsregister s. Rz. 171. g) Anstellungsvertrag 168 Fehlt eine Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens in der Satzung, so ergeben sich

beim Abschluss des Anstellungsvertrags mit dem geschäftsführenden Alleingesellschafter rechtliche und tatsächliche Sonderprobleme. Beim Abschluss des Anstellungsvertrags wird die Gesellschaft nicht durch den Geschäftsführer, sondern durch die Gesellschafter vertreten (s. Rz. 311). § 35 Abs. 3 aber ist eine Regelung im Rahmen einer Vorschrift, die vom Geschäftsführer handelt. § 35 Abs. 3 selbst unterscheidet jedoch nicht danach, ob die Gesellschaft durch die Geschäftsführer oder die Gesellschafter als Organ vertreten wird. Der Anwendbarkeit des § 35 Abs. 3 könnte man daher entgegenhalten, die enge Verknüpfung von Bestellung und Anstellung verlange, dass der Gesellschafter nicht nur sich selbst bestellen könne, sondern dass er auch den Anstellungsvertrag mit sich abschließen kann. Ebensowenig wie es aber für die Selbstbestellung einer Befreiung bedürfe, sei sie für die Selbstanstellung erforderlich. Auch von dem Gesellschafter-Geschäftsführer könne niemand erwarten, dass er ohne Anstellungsvertrag tätig werde. Indessen zeigt die steuerrechtliche Rechtsprechung, dass gerade auch über den Anstellungsvertrag unangemessene Zahlungen an den Gesellschafter-Geschäftsführer geleistet werden. Würde man den Abschluss des Anstellungsvertrags aus dem Regelungsbereich des § 35 Abs. 3 ausnehmen, so würde nicht nur eine Lücke entstehen, sondern eine breite Bresche geschlagen371. Sind aber für den Abschluss des Anstellungsvertrags die Gesellschafter zuständig, so können auch ein alleinvertretungsbefugter 365 Zur Genehmigung einer Satzungsänderung eines vollmachtlosen Vertreters durch den Alleingesellschafter vgl. OLG München v. 5.10.2010 – 31 Wx 140/10, GmbHR 2011, 91. 366 BayObLG v. 10.4.1981 – BReg 1 Z 26/81, GmbHR 1981, 195 = BB 1981, 869; OLG Köln v. 2.10.1992 – 2 Wx 33/92, GmbHR 1993, 37; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; a.A. Altmeppen, NZG 2013, 401, 409. 367 BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, DB 1984, 1517 = GmbHR 1985, 116; OLG Hamm v. 27.4.1998 – 15 W 79/98, GmbHR 1998, 682 = EWiR § 35 GmbHG, 2/98, 701 (Bokelmann); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 53; Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 427; Bachmann, ZIP 1999, 86; Blasche/König, NZG 2012, 812, 814; krit. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 90 ff. 368 Zur Amtspflicht eines Notars bei Beurkundung der Befreiung BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 402/97, GmbHR 2000, 136 = NJW 2000, 664 = BB 2000, 167. 369 BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, GmbHR 1985, 116 = DB 1984, 1517: unterschriebene Niederschrift. 370 OLG Düsseldorf v. 20.5.2014 – 12 U 96/12, MittBayNot 2015, 125; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 542. 371 Wie hier: Fleck, WM 1985, 677; Fleck, ZIP 1986, 270; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; von der Höh, GmbHR 2018, 241, 243; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 55; Hadding, JuS 1983, 532; Heinemann, GmbHR 1985, 179.

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Vertretung der GmbH | Rz. 172 § 35

Mitgeschäftsführer oder ein Notgeschäftsführer die Gesellschaft nicht vertreten; denn sie sind hierfür nicht das zuständige Organ. Indessen kann auch für den zur Vertretung der Gesellschaft verhinderten Gesellschafter ein 169 Notorgan in entsprechender Anwendung von § 29 BGB bestellt werden372. Es ersetzt dann nicht den Geschäftsführer, sondern „die Gesellschafterversammlung“373. Ist in der Satzung der Geschäftsführer von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit, so 170 könnte man die Frage stellen, ob die Befreiung auch dann gilt, wenn für die Gesellschaft nicht der Geschäftsführer, sondern die Gesellschafterversammlung als Organ handelt und die Gesellschaft vertritt. Richtigerweise müsste es heißen, dass die namentlich zu bezeichnende Person sowohl in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer als auch in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit ist. Enthält jedoch die Satzung die Gestattungsklausel, so sollte selbstverständlich sein, dass dies auch für den Abschluss solcher Verträge gilt, bei denen die Gesellschaft durch die Gesellschafterversammlung vertreten wird374.

7. Eintragung im Handelsregister a) § 35 Abs. 3 GmbHG i.V.m. § 181 BGB will sicherstellen, dass die Gläubiger sich über die 171 Möglichkeit von Insichgeschäften informieren können. Die Einsicht in den Gesellschaftsvertrag als ein zum Handelsregister eingereichtes Schriftstück ist zwar jedem gestattet, § 9 Abs. 1 HGB. Dies reicht aber nicht aus. Um den gläubigerschützenden Charakter von § 35 Abs. 3 zu verwirklichen, genügt die Publizität des Gesellschaftsvertrags nicht375. Die Gestattung des Selbstkontrahierens in der Satzung ist daher eine eintragungspflichtige Tatsache376. Die Eintragungspflicht folgt aus § 10 Abs. 1 Satz 2. Einzutragen ist hiernach, welche eingeschränkte oder nichteingeschränkte Vertretungsbefugnis die Geschäftsführer haben. Entsprechend bedarf es der Eintragung der konkreten Vertretungsbefugnis des Alleingesellschafter-Geschäftsführers, wenn sie auf einem durch die Satzung gestatteten Gesellschafterbeschluss beruht377. Damit soll sichergestellt werden, dass jeder Geschäftspartner sich unschwer Kenntnis über die Befugnis der mit der Vertretung betrauten Personen verschaffen kann. Hierzu gehört auch die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB. b) Die Entscheidung des II. Senats des Bundesgerichtshofs378 erging zur Befreiung des Al- 172 leingesellschafter-Geschäftsführers. Sieht man aber in § 181 BGB eine Vorschrift mit gläubi-

372 Enger von der Höh, GmbHR 2018, 241, 244: Bestellung eines Notorgans nur, wenn im Gesellschaftsvertrag eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB nicht rechtzeitig möglich wäre. 373 Allgemein: Beitzke in FS Ballerstedt, 1975, S. 185 ff. 374 A.A. von der Höh, GmbHR 2018, 241, 244, der für die gesellschaftsvertragliche Regelung folgende Formulierung vorschlägt: „Der Geschäftsführer und der Gesellschafter, soweit er die Gesellschaft vertritt, sind von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.“ 375 Vgl. aber Bericht der Abgeordneten Lambinus u.a., BT-Drucks. 8/3908, S. 74. 376 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269 = DB 1983, 1192 = WM 1983, 446; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 195; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 36; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., S. 543; F. Fischer in FS Hauß, 1978, S. 70; Kanzleiter, Rpfleger 1984, 1; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 80,94; Altmeppen, NZG 2013, 401, 405; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 57; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 234; Kreuzer, ZIP 1980, 724; unklar Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 80; anders zur früheren Rechtslage auch: BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 191. 377 OLG Hamm v. 27.4.1998 – 15 W 79/98, GmbHR 1998, 683. 378 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269.

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§ 35 Rz. 172 | Vertretung der GmbH gerschützendem Charakter, so spricht dies dafür, dass die generelle Befugnis eines GmbHGeschäftsführers, die Gesellschaft bei allen Rechtsgeschäften mit sich selbst uneingeschränkt zu vertreten, auch dann einzutragen ist, wenn die Gesellschaft entweder mehrere Gesellschafter oder mehrere Geschäftsführer hat379. Die Befreiung im Einzelfall bedarf hingegen auch innerhalb des Anwendungsbereichs von § 35 Abs. 3 nicht der Eintragung ins Handelsregister380. 173 c) Ist in der Satzung vorgesehen, dass der Geschäftsführer durch einfachen Gesellschafter-

beschluss von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden kann (s. Rz. 144), so bedarf zwar nicht die Satzungsbestimmung der Eintragung im Handelsregister381; denn sie ermächtigt nur. Einzutragen ist aber der befreiende Gesellschafterbeschluss382.

8. Konzerninterne Rechtsgeschäfte a) Mehrfachvertretung 174 § 181 BGB beschränkt die Vertretungsmacht auch bei der Mehrfachvertretung. Der Vertreter

handelt hierbei nicht zugleich im eigenen Namen, sondern er vertritt beide Geschäftspartner. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn der Vertreter Organmitglied zweier Gesellschaften ist und er bei Abschluss des Rechtsgeschäfts für beide Gesellschaften handelt383. Besondere Bedeutung erlangt dies für konzerninterne Rechtsgeschäfte, wenn bei der Muttergesellschaft und bei der Tochtergesellschaft oder bei mehreren Tochtergesellschaften der Geschäftsführer personengleich ist384. § 181 BGB ist auch anzuwenden, wenn der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH mit der KG ein Rechtsgeschäft vornimmt385 und wenn bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts zwei Kommanditgesellschaften in der Rechtsform der GmbH & Co. KG diese zwar durch unterschiedliche Komplementär-GmbHs, sie ihrerseits aber wieder durch denselben Geschäftsführer vertreten werden386. Ist der alleinige Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH im Verhältnis zur GmbH von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit387, so kann – auch wenn der Gesellschaftsvertrag der KG eine allgemeine Erlaubnis für den Ge379 BayObLG v. 29.5.1979 – BReg 1 Z 36/79, DB 1979, 1933; BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/ 81, GmbHR 1982, 257 = DB 1982, 689; BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, DB 1984, 1517 = GmbHR 1985, 116; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 30. 380 Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 58 f.; Blasche/König, NZG 2012, 812, 814. 381 Kanzleiter, Rpfleger 1984, 1, 3. 382 BayObLG v. 29.5.1979 – BReg 1 Z 36/79, BayObLGZ 1979, 182; BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/81, GmbHR 1982, 257 = WM 1982, 1033; OLG Zweibrücken v. 30.12.1981 – 3 W 82/81, MittBayNot. 1982, 81; OLG Stuttgart v. 26.11.1984 – 8 W 435/84, Rpfleger 1985, 116 = GmbHR 1985, 221. 383 RG v. 3.2.1917 – V 341/16, RGZ 89, 367. 384 Einzelheiten bei Uwe H. Schneider, BB 1986, 201; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 79 ff.; zust. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; a.A. für Vertragskonzern: Timm, AcP 193 (1993), 423, 435; eingehend zur Selbstbestellung des Geschäftsführers der Muttergesellschaft zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH als Anwendungsfall von § 181 BGB Blath, GmbHR 2018, 345 ff. 385 BGH v. 7.2.1971 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 116 = LM Nr. 16 zu § 181 BGB m. Anm. Fleck; BGH v. 15.4.2014 – II ZR 44/13, GmbHR 2014, 817 = NZG 2014, 780; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 37; Bacher/von Blumenthal, GmbHR 2015, 457, 459; Höpfner, NZG 2014, 1174, 1176. 386 BayObLG v. 31.5.1979 – BReg 2 Z 67/78, GmbHR 1979, 252; Bacher/von Blumenthal, GmbHR 2015, 457, 461; zur Anwendung von § 181 BGB bei Konzernverrechnungsklauseln: BGH v. 27.3.1985 – VIII ZR 5/84, WM 1985, 696 m. Anm. Crezelius, EWiR, § 387 BGB 1/85, 363 und Anm. Uwe H. Schneider, WuB, II G. § 35 GmbHG 1.85. 387 Kritisch zu dieser Voraussetzung Schmidt-Ott, ZIP 2007, 943, 945 f.

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Vertretung der GmbH | Rz. 177 § 35

schäftsführer der GmbH namens der KG Geschäfte mit sich selbst abzuschließen, nicht vorsieht – die GmbH als Geschäftsführer der KG eine solche auf den Einzelfall bezogene Erlaubnis erteilen388. Die generelle Gestattung des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH, Geschäfte mit sich im eigenen Namen und der KG vorzunehmen, kann als eintragungsfähige Tatsache im Handelsregister der KG eingetragen werden389. Bei Rechtsgeschäften zwischen der Komplementär-GmbH und der KG liegt aus Sicht der vertretenen KG nicht nur ein Fall des Selbstkontrahierens vor, sondern zugleich aus Sicht der vertretenen GmbH ein Fall der Mehrfachvertretung390. Infolge dessen bedarf nicht nur die mit sich selbst kontrahierende Komplementär-GmbH als Vertretungsorgan der KG einer Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB durch die KG. Vielmehr muss der Geschäftsführer der GmbH sowohl durch die GmbH als auch durch die KG jeweils von den Beschränkungen der Norm befreit werden391. Bei konzerninternen Rechtsgeschäften liegt ein Verstoß gegen § 181 BGB auch dann vor, wenn eine Vereinbarung sowohl einen Darlehensvertrag als auch eine Garantievereinbarung enthält und die Darlehensnehmerin und die Sicherungsgeberin als Tochtergesellschaft der Darlehensnehmerin von den selben Prokuristen vertreten werden, die jedoch nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit worden sind; das Bestehen eines Weisungsrechts des herrschenden Unternehmens gegenüber dem beherrschten Unternehmen nach § 308 Abs. 1 AktG steht der Anwendung von § 181 BGB nicht entgegen392. b) 100 % Tochtergesellschaft Handelt es sich um eine 100 % Tochtergesellschaft in Form einer GmbH und handelt der 175 Geschäftsführer der Tochtergesellschaft auch als Vertreter der Muttergesellschaft, so ist bei der Tochtergesellschaft zugleich § 35 Abs. 3 entsprechend anzuwenden393. Zwar ist der Geschäftsführer nicht Alleingesellschafter. Es kann jedoch keinen Unterschied machen, ob der Geschäftsführer Alleingesellschafter ist oder ob er für den Alleingesellschafter handelt (Mehrfachvertretung). Auch bei der Muttergesellschaft ist § 35 Abs. 3 anzuwenden, wenn bei konzerninternen 176 Rechtsgeschäften der vertretende Geschäftsführer deren alleiniger Gesellschafter ist394. Fehlt daher eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB in der Satzung, so wird das Rechtsgeschäft auch nicht durch Gestattung des Selbstkontrahierens durch Gesellschafterbeschluss bei der Tochtergesellschaft wirksam395. Aus entsprechenden Erwägungen entfällt die Möglichkeit, dass die 100 % Tochtergesellschaft 177 durch einen Prokuristen vertreten wird. Zwar hat die Rechtsprechung trotz Identität der Geschäftsführer die Anwendung des § 181 BGB abgelehnt, wenn der eine Vertragspartner durch einen Prokuristen vertreten wird. Im Konzern gilt dies jedoch nicht396. 388 OLG Düsseldorf v. 29.9.2004 – 3 Wx 125/04, GmbHR 2005, 105; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 546; krit. hierzu Mielke, BB 2017, 1734, 1736. 389 BayObLG v. 4.11.1999 – 3Z BR 321/99, GmbHR 2000, 91; BayObLG v. 7.4.2000 – 3Z BR 77/00, GmbHR 2000, 731. 390 Bacher/von Blumenthal, GmbHR 2015, 457, 461. 391 BGH v. 15.4.2014 – II ZR 44/13, NZG 2014, 780, 781 = GmbHR 2014, 817; Hauschild, ZIP 2014, 954, 955; Höpfner, NZG 2014, 1174, 1176. 392 OLG Frankfurt v. 11.4.2018 – 13 U 31/16, AG 2018, 635. 393 A.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 189; Bachmann, ZIP 1999, 85, 91: einfacher Gesellschafterbeschluss genügt; für eine weitgehende Nichtanwendung von § 35 Abs. 3 sowie § 181 BGB Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 175 ff. 394 Eb. Bachmann, ZIP 1999, 88, 91. 395 Robles y Zepf, BB 2012, 1876, 1879; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 43; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 78. 396 Anders noch BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117, 120.

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§ 35 Rz. 178 | Vertretung der GmbH

9. Die nachträgliche Bestellung mehrerer Geschäftsführer 178 Bestimmt die Satzung der GmbH weder die Zahl der Geschäftsführer noch die Art der Ver-

tretung und ist zunächst nur ein Geschäftsführer vorhanden, so vertritt dieser allein die Gesellschaft. Wird dann noch, wofür ein einfacher Beschluss der Gesellschafter genügt, ein zweiter Geschäftsführer bestellt, so sind mit der Bestellung des zweiten beide automatisch gesamtvertretungsberechtigt. Ist nun im Einzelfall einer der Geschäftsführer an der Mitwirkung tatsächlich oder aus Rechtsgründen verhindert (z.B. bei Abschluss eines Vertrages zwischen ihm selbst und der Gesellschaft, § 181 BGB), so wird nicht der andere alleinvertretungsberechtigt397. Scheidet der zweite Geschäftsführer wieder gänzlich aus, so ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die Alleinvertretungsbefugnis des ersten wieder aufleben soll. Beim Schweigen des Statuts kann allein daraus, dass die Gesellschaft einmal zwei Geschäftsführer gehabt hat, nicht gefolgert werden, dass sie dauernd gesamtvertretungsbedürftig geworden ist398. Bestimmt das Statut aber ausdrücklich, dass die Gesellschaft mehr als einen Geschäftsführer haben muss und diese nur gesamtvertretungsberechtigt sein sollen, dann muss bei Wegfall eines der Geschäftsführer (z.B. durch Tod) entweder ein neuer Geschäftsführer bestellt oder der Gesellschaftsvertrag geändert werden. So lange kann die Gesellschaft keine Erklärungen abgeben. 179 Eine spezielle Fragestellung entsteht durch die nachträgliche Bestellung mehrerer Geschäfts-

führer bei Gesellschaften, die im vereinfachten Verfahren gegründet wurden. Im Falle der Gründung einer GmbH im „vereinfachten Verfahren“ gemäß § 2 Abs. 1a ist der (notwendigerweise einzelvertretungsbefugte, vgl. Rz. 103) Geschäftsführer zwingend von den Beschränkungen des § 181 BGB zu befreien; s. dazu bereits Rz. 143. Wird nun nachträglich ein weiterer Geschäftsführer bestellt399, so stellt sich die Frage, ob die Befreiung des ursprünglichen Geschäftsführers fortgilt400. Die Frage ist zu verneinen; denn nun gilt wieder die allgemeine Regel, dass die Befreiung besonders vorgesehen sein muss.

10. Die mitbestimmte GmbH 180 Fällt die GmbH in den Anwendungsbereich des MontanMitbestG oder des MitbestG, so wer-

den zwar die Geschäftsführer durch den Aufsichtsrat bestellt. Gleichwohl kann die Art der Vertretungsmacht durch die Satzung, oder, wenn die Satzung dies zulässt, durch die Gesellschaft geregelt werden. § 78 Abs. 2, 3 Satz 2 AktG wird durch das MitbestG nicht auf die GmbH übertragen. 181 Dies gilt auch für den Arbeitsdirektor. Für das MitbestG folgt dies schon daraus, dass der

Arbeitsdirektor kein Mitbestimmungsorgan, sondern ein Geschäftsführer wie jeder andere ist. Eine Grenze bildet hier nur das Diskriminierungsverbot. Daher bestehen keine Bedenken

397 RG v. 17.2.1922 – II 442/21, RGZ 103, 417; RG v. 11.2.1927 – II 129/26, RGZ 116, 117; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29; BGH v. 18.12.1974 – VIII 179/73, WM 1975, 158. 398 BGH v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, GmbHR 1960, 185; Pleyer, GmbHR 1960, 184; a.A. Brodmann, § 35 Anm. 2d. 399 Zur Möglichkeit vgl. etwa OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09, GmbHR 2009, 1210, 1211; OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/09, GmbHR 2010, 872, 873. 400 Dafür: Dignas, GmbHR 2011, 88, 89; Ries, NZG 2009, 739, 740; Miras, DB 2010, 2488, 2489; Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2139; Wachter, NZG 2009, 1432, 1433; Blasche, GmbHR 2015, 403, 407; Schmidt, ZIP 2016, 74, 75 ff.; dagegen: OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827, 829; OLG Hamm v. 4.11.2010 – 15 W 436/10, GmbHR 2011, 87 (m. krit. Anm. Dignas); OLG Nürnberg v. 15.7.2015 – 12 W 1208/15, GmbHR 2015, 1279, 1280; wohl auch schon OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, GmbHR 2009, 1334; 88.

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Vertretung der GmbH | Rz. 184 § 35

nur dem „Vorsitzenden der Geschäftsführung“401 Alleinvertretungsbefugnis, den anderen Geschäftsführern aber nur Gesamtvertretungsbefugnis zu erteilen402. Unzulässig ist dagegen eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Arbeitsdirektors ohne sachlichen Grund. Aber auch bei den Gesellschaften, die montanmitbestimmt sind, ist der Arbeitsdirektor nur 182 als „gleichberechtigtes“ nicht als „bevorrechtigtes“ Mitglied der gesetzlichen Vertretung zu bestellen, § 13 MontanMitbestG. Daher bestehen auch bei diesen Gesellschaften keine Bedenken, beim Arbeitsdirektor dieselbe Form der Vertretungsmacht vorzusehen wie für die anderen Geschäftsführer403.

11. Niederschrift bei Selbstkontrahieren in Einmann-GmbH Der RegE zur GmbH-Novelle 1980404 forderte zunächst in § 35 Abs. 4 Satz 1 für Insich- 183 geschäfte des Einmann-Gesellschafter-Geschäftsführers mit der Gesellschaft die Schriftform. Dies wurde zwar nicht Gesetz. Schon früher wurde jedoch an dieser Stelle die Ansicht vertreten, dass Insichgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters der Schriftform bedürfen405. Durch das Gesetz zur Durchführung der 12. EG-Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschafts- 184 rechts vom 18.12.1991406 wurde § 35 Abs. 4 Satz 2 eingefügt, der dem § 35 Abs. 3 Satz 2 in seiner jetzigen Fassung entsprach. Die Vorschrift verlangt daher eine Auslegung, die sich am EU-Gemeinschaftsrecht orientiert. Verlangt wird die Aufnahme aller zwischen dem Alleingesellschafter und der von ihm vertretenen Gesellschaft vorgenommenen Rechtsgeschäfte – also nicht nur der Verträge – in einer Niederschrift, nicht aber der Beschlüsse der EinmannGesellschafterversammlung (dazu § 48 Abs. 3)407. Die Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob die Gesellschaft weitere Geschäftsführer hat oder nicht. Sie besteht unabhängig davon, ob der Geschäftsführer Einzelvertretungsbefugnis oder Gesamtvertretungsbefugnis hat. Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer und besteht Gesamtvertretung, so bedarf es der Niederschrift auch für den Fall, dass die Gesellschaft durch den geschäftsführenden Gesellschafter und einen weiteren Fremdgeschäftsführer vertreten wird408. Die Dokumentation ist auch unabhängig davon erforderlich, ob die Gesellschaft durch den Geschäftsführer vertreten wird oder, wenn es um den Abschluss des Anstellungsvertrags geht, durch den Gesellschafter409. 401 Zur Zulässigkeit: Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Anm. 73. 402 Meyer-Landrut, DB 1976, 388; Hoffmann, BB 1977, 21; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 33 MitbestG Anm. 25; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Anm. 77 ff.; Rumpff in GK-MitbestG, § 33 Anm. 36; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 31; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 36. 403 Kötter, Mitbestimmungsrecht, 1952, § 13 Anm. 8; Boldt, Mitbestimmungsgesetz 1952, § 13 Anm. 4b. 404 BT-Drucks. 8/1347, S. 11. 405 S. dazu auch schon BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, BGHZ 56, 97, 105; BGH v. 19.11.1979 – II ZR 197/78, BGHZ 75, 358, 363 = GmbHR 1980, 166; BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, GmbHR 1980, 27 = WM 1983, 120 insoweit in BGHZ 75, 209 nicht abgedruckt; so auch OLG Rostock v. 27.8.2015 – 3 U 93/13, NZG 2016, 382, 383. 406 BGBl. I 1991, 2206. 407 Zur Frage der analogen Anwendung von § 35 Abs. 3 Satz 2 auf konzerninterne Geschäfte eingehend Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 163 ff. 408 S. Begr. RegE BT-Drucks. 12/625, S. 6; Schimmelpfennig/Hauschka, NJW 1992, 944. 409 Ebenso Schwarz, DStR 1992, 221; Schimmelpfennig/Hauschka, NJW 1992, 944.

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§ 35 Rz. 185 | Vertretung der GmbH 185 Die Niederschrift muss unverzüglich erfolgen. In welcher Weise sie vorgenommen wird,

bleibt offen. Entscheidend ist, dass das Rechtsgeschäft bei einer späteren Prüfung nachvollzogen werden kann410. Aus diesem Grund müssen das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts, der Inhalt einschließlich der Art und der Höhe der Gegenleistung und der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses festgehalten werden. Eine Unterzeichnung der Niederschrift ist nicht erforderlich; denn die Niederschrift verlangt nicht etwa eine papiergebundene Dokumentation. Vielmehr reicht eine Dokumentation auf Datenträgern aus411. 186 Zweifelhaft ist, ob die fehlende Dokumentation zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt.

Dies ist abzulehnen412. Die Dokumentationspflicht dient zwar dem Gläubigerschutz. Den Gläubigerinteressen ist aber auch bei Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts hinreichend gedient, wenn Schadensersatzansprüche bestehen; denn fehlt die Niederschrift, so kann dies Schadensersatzansprüche gegenüber den Geschäftsführern auslösen413, ganz abgesehen von den möglichen steuerlichen Folgen. Offen ist, ob, wie vereinzelt für vertretbar gehalten wird, das Niederschriftserfordernis ein Schutzgesetz für Gläubiger i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB darstellt414. Ein möglicher Verstoß wird aber in den seltensten Fällen für einen Schaden beim Gläubiger kausal sein. Das pflichtwidrige Unterlassen der Niederschrift kann aber für den EinmannGeschäftsführer mit nachteiligen Beweislastfolgen verbunden sein415.

VII. Missbrauch der Vertretungsbefugnis 187 Auch wenn sich der vertretungsberechtigte Geschäftsführer formal im Rahmen seiner Ver-

tretungsbefugnis hält, ist bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht die Gesellschaft nicht gebunden. Art. 9 der Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts416 (s. Rz. 25), der den Grundsatz der unbeschränkten und unbeschränkbaren Vertretungsmacht europarechtlich vorgibt, steht dem nicht entgegen417. Bei der Abgrenzung sind die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht im Interesse des Verkehrsschutzes mit dem berechtigten Schutzbedürfnis der Gesellschaft ins Verhältnis zu setzen.

1. Arglistiges Zusammenwirken 188 Die 1. Fallgruppe ist unstreitig: Ein Missbrauch der Vertretungsmacht liegt vor, wenn der

Dritte mit dem Geschäftsführer arglistig zusammenwirkt, um die Gesellschaft zu schädigen (Kollusion)418.

410 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 57. 411 Begr. RegE BT-Drucks. 12/625, S. 6 sowie Schwarz, DStR 1992, 222 und Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 209. 412 Eb. OLG Köln v. 13.3.2008 – 18 U 85/06, BeckRS 2008, 09160; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 109; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 211; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 40; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, S. 233; von der Höh, GmbHR 2018, 241, 244. 413 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 33; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 57; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 211; Schwarz, DStR 1992, 222; einschränkend Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 61. 414 Lenz in Michalski u.a., Rz. 104; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 61. 415 OLG Köln v. 13.3.2008 – 18 U 85/06, BeckRS 2008, 09160; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 61; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 211; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 109: Beweisvereitelung; Lenz in Michalski u.a., Rz. 104. 416 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 417 EuGH v. 16.12.1997 – C-104/96, ECLI:EU:C:1997:610, WM 1998, 865. 418 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 114; BGH v. 31.1.1991 – VII ZR 291/88, BGHZ 113, 315, 320; BGH v. 15.12.1975 – II ZR 148/74, WM 1976, 658; BGH v. 25.2.1985 – II ZR 99/84,

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Vertretung der GmbH | Rz. 190 § 35

Ein Missbrauch der Vertretungsmacht in der Form der Kollusion soll auch vorliegen, wenn 189 der Geschäftsführer mit einem Gesellschafter zusammenwirkt und ihm Vermögensvorteile zuwendet, sei es aus dem gebundenen Vermögen unter Verletzung des § 30419, sei es aus dem ungebundenen Vermögen unter Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (s. 12. Aufl., § 29 Rz. 120). Dabei wird übersehen, dass es schon an der Vertretungsmacht fehlt; denn bei Gesellschafter-Geschäften gilt der Grundsatz der Unbeschränktheit der Vertretungsmacht nicht; s. Rz. 26 ff.

2. Verletzung interner Beschränkungen ohne Schädigung Die 2. Fallgruppe betrifft die Vertretung unter Verletzung der internen Zuständigkeitsord- 190 nung. Insoweit trägt grundsätzlich der Vertretene, also die Gesellschaft, das Risiko eines Missbrauchs der Vertretungsmacht durch einen Fremdgeschäftsführer und einen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht soll aber vorliegen, wenn der Geschäftsführer erstens unter Verletzung interner Beschränkungen und damit objektiv pflichtwidrig handelt („kompetenzwidriges Handeln“). Zu denken ist daran, dass das Rechtsgeschäft mit dem Gesellschaftszweck oder dem Gegenstand des Unternehmens nicht zu vereinbaren ist420, dass satzungsmäßige Beschränkungen, z.B. Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafter, verletzt werden421 („Vertragsschluss ohne Gremienvorbehalt“) oder dass der Geschäftsführer gegen interne Weisungen handelt. Erforderlich sein soll zweitens, dass der Dritte weiß oder es sich ihm geradezu aufdrängen musste, dass der Geschäftsführer seine ihm im Innenverhältnis gezogenen Grenzen überschritten hat422. Beispiel: Der Geschäftsführer nimmt zu marktüblichem Zins ein Darlehen auf. Die durch die Satzung verlangte Zustimmung der Gesellschafter fehlt, was dem Kreditinstitut bekannt ist. Bei der Frage nach der Kenntnis sind die Regeln über die Wissenszurechnung (s. dazu Rz. 121 ff.) anwendbar423. Für diese Fallgruppe soll nicht erforderlich sein, dass die Gesellschaft objektiv geschädigt wird oder dass auf seiten des Geschäftsführers subjektiv eine Schädigungsabsicht besteht, mag dies auch der typische Fall sein424. Das gilt auch, wenn der Geschäftsführer

419

420 421 422

423 424

WM 1985, 997 m. Anm. Hüffer, WuB, II I. §§ 164, 177 ff. BGB 1.85; BGH v. 5.11.2003 – VIII ZR 218/01, NZG 2004, 139, 140 = DStR 2004, 148 m. Anm. Goette; BGH v. 14.6.2016 – XI ZR 483/ 14, WM 2016, 1437, 1438; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 39; zum Ganzen: Vedder, Missbrauch der Vertretungsmacht, 2007: Missbrauchseinwand nur bei vorsätzlich interessenwidrigem Vertreterhandeln; Karsten Schmidt, JuS 2018, 997. Maier-Reimer in Lutter/Scheffler/U. H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, S. 508; auch Hager, ZGR 1989, 71, 97; a.A. LG Frankfurt v. 19.6.1997 – 2/25 O 374/96, ZIP 1997, 1464, 1467 = GmbHR 1997, 952; Mülbert, ZGR 1995, 605: Die §§ 30 ff. enthalten abschließende Regelung; s. auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, BGHZ 136, 125 = GmbHR 1997, 790. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23. Brandes, WM 1989, 334. BGH v. 14.3.1988 – II ZR 211/87, WM 1988, 704, 706 = GmbHR 1988, 260; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 = GmbHR 1996, 111, 113; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 273; s. auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, ZIP 1997, 1419 = GmbHR 1997, 836; BGH v. 14.6.2016 – XI ZR 483/14, WM 2016, 1437, 1439. OLG Hamm v. 22.2.2011 – 19 U 133/10, GmbHR 2011, 1099, 1100; OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – 16 U 53/11, GmbHR 2012, 793, 794; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24. BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 = GmbHR 1996, 111, 113: „Eine Grenzüberschreitung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Vertragskonditionen beim Abschluss gegenseitiger Verträge für die Gesellschaft grob nachteilig sind“; OLG Koblenz v. 9.8.1990 – 6 U 888/90, GmbHR 1991, 264, 268; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 72; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 259; a.A. Michalski, GmbHR 1991, 349; Nachteilszufügung erforderlich; Zacher, GmbHR 1994, 842: Voraussetzung ist Schaden der

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§ 35 Rz. 190 | Vertretung der GmbH Minderheitsgesellschafter ist425. Wenn der Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer aber die Möglichkeit hatte, auf Grund seines Stimmrechts einen Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung herbeizuführen, sind die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht nur anzuwenden, wenn die Gesellschaft einen Nachteil erlitten hat426. 191 Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht jedenfalls dann eine Beschränkung der Vertre-

tungsmacht, wenn eine durch Gesellschafterbeschluss begründete Beschränkung der Befugnis des GmbH-Geschäftsführers, die Gesellschaft zu vertreten, dem Vertragspartner erkennbar war427. Das Entsprechende müsste gelten, wenn sich die Beschränkung aus der Satzung ergibt. Kenntnis ist nicht erforderlich. Erkennbarkeit soll genügen. Nach der neuesten Rechtsprechung können die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht allerdings nicht uneingeschränkt auf ein Insichgeschäft nach § 181 BGB übertragen werden. Die Unwirksamkeit eines Insichgeschäfts setzt unter dem Aspekt des Missbrauchs der Vertretungsmacht voraus, dass das Insichgeschäft auch für den Vertretenen nachteilig ist428. 192 Stellungnahme: Abzulehnen ist die Ansicht, ein Verstoß gegen den Gesellschaftszweck oder

Rechtsgeschäfte außerhalb des Unternehmensgegenstandes, die Kenntnis des Dritten unterstellt, begründeten einen Missbrauch der Vertretungsmacht; denn damit würde die ultra-vires-Lehre durch die Hintertür wieder eingeführt. Die Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht sind auch bei der Verletzung interner Beschränkungen nicht anzuwenden, wenn der Dritte davon ausgehen darf, dass die Gesellschafter das Geschäft nachträglich billigen werden429. Dies verlangt eine gemeinschaftskonforme Auslegung, Art. 9 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2017/1132430. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Geschäftsgegner weiß oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen muss, dass der Geschäftsführer nachträglich intern die Zustimmung zu dem Geschäft nicht erhalten wird431. Gegen eine weitere Ausdehnung sprechen der Wortlaut von § 37 Abs. 2 und der Sinn dieser Vorschrift, wonach die interne Zuständigkeit nicht auf die externe Befugnis, nämlich die Vertretungsmacht, wirken soll. 193 § 37 Abs. 2 schließt im Übrigen nicht aus, dass in einem Vertrag der Gesellschaft mit einem

Dritten die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Wirksamkeitsvoraussetzung gemacht wird432. Darin liegt keine unzulässige Beschränkung der Vertretungsmacht der Geschäftsführer.

425 426 427 428 429

430 431 432

Gesellschaft sowie grob fahrlässige Pflichtverletzung des Geschäftsführers und Kenntnis des Geschäftsgegners hiervon; Vedder, GmbHR 2008, 736: Vorsatz beim Vertreter stets erforderlich. Scholz, ZHR 182 (2018), 656, 662. S. dazu Scholz, ZHR 182 (2018), 656. BGH v. 10.4.2006 – II ZR 337/05, GmbHR 2006, 876; hierzu kritisch Vedder, GmbHR 2008, 736. BGH v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, GmbHR 2018, 251, 253 = EWIR 2018, 361 m. Anm. Göbel; Hülsmann, GmbHR 2018, 393; Scholz, ZHR 182 (2018), 656. So wohl auch BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/ 94, GmbHR 1996, 111, 113; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, 1980, S. 530: „liquide Kenntnis“; Fischer in FS Schilling, 1973, S. 20; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 82 AktG Rz. 46: auf massive Verdachtsmomente gründende objektive Evidenz; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, 1972, S. 611; Jüngst, Der Missbrauch organschaftlicher Vertretungsmacht, 1981, S. 101; John in FS Mühl, 1981, S. 349, 355; Teichmann/Schröder, Anm. zu BGH, WuB, II C. § 37 GmbHG 1.97. ABl. EU Nr. 169 v. 30.6.2017, S. 46. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 43; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 55. BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, WM 1997, 1570 = GmbHR 1997, 836; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 171.

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Vertretung der GmbH | Rz. 197 § 35

3. Bewusstes Handeln zum Nachteil der Gesellschaft a) Bei der 3. Fallgruppe fehlt es an einem arglistigen Zusammenwirken des Geschäftsführers 194 mit dem Dritten. Auch ist nicht Voraussetzung, dass interne Beschränkungen verletzt sind. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht soll gleichwohl vorliegen, wenn erstens das Rechtsgeschäft für die Gesellschaft nachteilig ist, zweitens der Geschäftsführer bewusst zum Nachteil der Gesellschaft gehandelt hat und drittens die Schädigungsabsicht des Geschäftsführers dem Geschäftspartner bekannt war oder sich ihm geradezu aufdrängen musste. Auch bei dieser Fallgruppe sind die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen streitig. b) Streitig ist, ob auf Seiten des Geschäftsführers die objektive Verletzung seiner Pflichten 195 zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung genügt oder Bösgläubigkeit auf Seiten des Geschäftsführers, ein bewusstes Handeln zum Nachteil der Gesellschaft und ein konkreter Nachteil auf Seiten der Gesellschaft vorliegen muss433. Die Rechtsprechung verlangt teils Schädigungsvorsatz434, teils wird lediglich Kenntnis des Geschäftsführers der Umstände verlangt, die zu einem Überschreiten der Vollmachtsgrenzen führen435. Verzichtet man auf den Schädigungsvorsatz, so hätte dies zur Folge, dass bei jedem für den Geschäftspartner erkennbar nachteiligen Rechtsgeschäft ein Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegt. Das Risiko nachteiliger Entscheidungen würde dann auf den Geschäftspartner verlagert. Es ist aber nicht die Aufgabe des Vertragsgegners, über Vor- und Nachteil eines Rechtsgeschäfts für die Gesellschaft zu entscheiden. Ein „Missbrauch“ setzt daher den durch subjektive Elemente geleiteten Fehlgebrauch seiner Funktion voraus436. Hat der Geschäftsführer auf Weisung der Gesellschafter gehandelt, so liegt auch dann kein 196 Missbrauch der Vertretungsmacht vor, wenn das Rechtsgeschäft bei objektiver Betrachtung für die Gesellschaft nachteilig und dem Geschäftsführer dies bekannt ist437; denn die Gesellschafter können auch Zahlungen an Dritte veranlassen, sofern hierdurch nicht gegen das Auszahlungsverbot des § 30 verstoßen wird438, der Gesellschaft keine existenzwichtigen Mittel entzogen werden439 oder die Auszahlung aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist440. c) Streitig sind auch die Anforderungen auf Seiten des Geschäftspartners. In der höchst- 197 richterlichen Rechtsprechung war die Ansicht vertreten worden, der Dritte müsse es sich in Anwendung von § 242 BGB entgegenhalten lassen, wenn das gesetzliche Vertretungsorgan

433 Zacher, GmbHR 1994, 845; Vedder, GmbHR 2008, 736; a.A. OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 8 U 91/00, NZG 2001, 763; OLG Stuttgart v. 2.6.1999 – 9 U 246/98, GmbHR 1999, 1295 = NZG 1999, 1009; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 72; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 54 f. 434 BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 953, 954; BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, WM 1983, 83, 85 = GmbHR 1983, 149 = ZIP 1983, 155; anders BGH v. 10.4.2006 – II ZR 337/05, GmbHR 2006, 876. 435 BGH v. 14.3.1988 – II ZR 211/87, WM 1988, 704, 706 = GmbHR 1988, 260; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 = GmbHR 1996, 111. 436 Zum Missbrauch der Vertretungsmacht bei Konzernunternehmen: BGH v. 27.3.1985 – VIII ZR 5/ 84, WM 1985, 696 m. Anm. Crezelius, EWiR, § 387 BGB 1/85, 363 und Anm. Uwe H. Schneider, WuB, II G. § 35 GmbHG 1.85. 437 BGH v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382; Fleck, ZGR 1990, 31; s. aber auch die widersprüchliche strafrechtliche Rechtsprechung, etwa BGH v. 29.5.1987 – 3 StR 242/86, GmbHR 1987, 464 = DB 1987, 1930 sowie hierzu Kohlmann in FS Werner, 1984, S. 387 und wenig überzeugend: Gribbom, ZGR 1990, 1. 438 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 340 = GmbHR 1986, 78; BGH v. 11.8.1989 – 3 StR 75/89, wistra 1990, 99 = GmbHR 1989, 465. 439 Ulmer in FS Pfeiffer, 1988, S. 853. 440 Fleck, ZGR 1990, 31.

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§ 35 Rz. 197 | Vertretung der GmbH „in ersichtlich verdächtiger Weise“441 handelte und er „bei verkehrsüblicher Sorgfalt einen Missbrauch der Vertretungsmacht erkennen konnte“442. Damit wurde dem Geschäftspartner eine gewisse Nachprüfungspflicht auferlegt. 198 Der Geschäftspartner ist jedoch kaum in der Lage, die objektive Pflichtverletzung des Ge-

schäftsführers zu ermitteln. Vor allem aber würde über § 242 BGB der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht ausgehöhlt. Von der Nachprüfung des Umfangs der Vertretungsbefugnis soll der Geschäftspartner gerade befreit sein. Von einem Missbrauch der Vertretungsmacht ist daher nur auszugehen, wenn dem Dritten das schädigende Verhalten des Geschäftsführers entweder bekannt war oder sich „geradezu aufdrängen musste“443. Fahrlässige Unkenntnis der Pflichtwidrigkeit genügt nicht. Der Geschäftspartner hat daher keine besondere Nachprüfungspflicht, ob der Geschäftsführer auch den Interessen der Gesellschaft nachkommt. Er darf sich aber auch nicht einer offenkundigen Schädigungsabsicht des Geschäftsführers verschließen („Evidenz des Missbrauchs“). In der Lehre schwanken die Formulierungen. So wird verlangt, dass der Dritte das Überschreiten der Befugnis klar erkennen konnte, beziehungsweise, dass es „ohne weiteres“444 und „offensichtlich“445 erkennbar war. Eine „Schädigungsabsicht“446 oder eine „bewusste Schädigung“447 oder ein sonstiges „subjektives Element“ ist auf Seiten des Vertreters nicht erforderlich448. Bei der Frage nach der Kenntnis sind die Regeln über die Wissenszurechnung (s. dazu Rz. 121 ff.) anwendbar449. 199 d) Das schädigende Verhalten des Geschäftsführers muss ferner grob anstößig sein, ohne

dass jedoch die Grenzen des § 138 BGB erreicht zu sein brauchen450. Diese weitere Einschränkung wird in der Rechtsprechung nicht formuliert. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich aber eine Eingrenzung des Grundsatzes der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht rechtfertigen. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht liegt daher noch nicht vor, wenn etwa der Geschäftsführer einen erkennbar zu aufwendigen Geschäftswagen erwirbt.

441 BGH v. 18.2.1960 – VII ZR 21/59, WM 1960, 612; BGH v. 28.2.1966 – VII ZR 125/65, WM 1966, 491; BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112; „in schuldhafter Weise nicht bekannt“; zustimmend: Mertens, JurA 1970, 473. 442 BGH v. 17.10.1973 – VIII ZR 67/72, WM 1973, 1320; zu einer Nachprüfungspflicht und bei Verletzung dieser Pflicht zu Ansprüchen aus culpa in contrahendo: Heckelmann, JZ 1970, 65; dazu krit. Mertens, JurA 1970, 473. 443 BGH v. 31.1.1991 – VII ZR 291/88, BGHZ 113, 315, 320; BGH v. 15.12.1975 – II ZR 148/74, WM 1976, 658; BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 954; BGH v. 17.10.1980 – V ZR 30/79, WM 1980, 1453; BGH v. 10.12.1980 – VIII ZR 186/79, WM 1981, 66, 67 = DB 1981, 840; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, GmbHR 1984, 96 = WM 1984, 306; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, DB 1996, 266, 267 = GmbHR 1996, 111, 113; sowie BGH v. 19.4.1994 – XI ZR 18/93, BB 1994, 1103 (öffentlich- rechtliche Körperschaft); OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 8 U 91/00, NZG 2001, 763; OLG Stuttgart v. 2.6.1999 – 9 U 246/98, NZG 1999, 1009; OLG Stuttgart v. 16.12.2008 – 12 U 172/08, DB 2009, 445, 446; OLG Brandenburg v. 30.4.2008 – 4 U 127/07, BeckRS 2008, 10814; OLG Oldenburg v. 4.2.2010 – 8 U 121/09, GmbHR 2010, 1093, 1094; Fischer in FS Schilling, 1973, S. 3 und H. Hübner in FS Klingmüller, 1974, S. 173. 444 Flume, Die juristische Person, 1983, S. 789: „Evidenz des Missbrauchs“; ebenso John in FS Mühl, 1981, S. 349, 359. 445 Geßler in FS v. Caemmerer, 1978, S. 544. 446 So BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, WM 1983, 83, 85 = GmbHR 1983, 149; John in FS Mühl, 1981, S. 357. 447 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 114. 448 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 59/87, NJW 1988, 3012, 3013; OLG Stuttgart v. 2.6.1999 – 9 U 246/98, GmbHR 1999, 1295 = NZG 1999, 1009 m. Anm. Michalski/Arends. 449 OLG Hamm v. 22.2.2011 – 19 U 133/10, GmbHR 2011, 1099, 1100; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24. 450 Weitergehend Michalski, GmbHR 1991, 354: „Notwendig ist eine zum Ausgleich verpflichtende Nachteilszufügung“.

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Vertretung der GmbH | Rz. 202 § 35

4. Rechtsfolgen Über die Rechtsfolgen eines Missbrauchs der Vertretungsmacht besteht keine Einigkeit. Bei 200 kollusivem Zusammenwirken verstößt das Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten und ist nichtig451. Hiervon abgesehen werden die Rechtsfolgen der §§ 177 ff. BGB herangezogen452. Dem ist zuzustimmen. Das Rechtsgeschäft ist schwebend unwirksam und genehmigungsfähig. Wer wusste oder wem sich aufdrängen musste, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht missbraucht, muss sich so behandeln lassen, wie jemand, der das Fehlen der Vertretungsmacht kannte. Bei nachteiligen Rechtsgeschäften können nur die Gesellschafter genehmigen. Nach anderer Ansicht bestimmen sich die Rechtsfolgen wie bei einem Verschulden bei Vertragsschluss453. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat der Gesellschaft den Arglisteinwand gegeben mit der Folge, dass der Dritte aus der Vereinbarung keine Rechte gegen den Vertretenen ableiten kann. Die Gesellschaft ist an das Rechtsgeschäft nicht gebunden454. In Anwendung von § 254 BGB sollen aber die nachteiligen Folgen auf den Dritten und den Vertretenen verteilt werden455. Ist dem Dritten durch das Rechtsgeschäft eine Rechtsmacht zur Verpflichtung eingeräumt worden, so darf er hiervon keinen Gebrauch machen. Bei schuldhafter Verletzung dieser Pflicht haftet der Dritte dem Vertretenen auf Ersatz des dadurch entstandenen Schadens456.

5. Beweislast Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den Missbrauch der Vertretungs- 201 macht begründen, trifft die Gesellschaft457.

VIII. Die Vertretung im Prozess 1. Bei allen Aktiv- und Passivprozessen, bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit458 und 202 bei Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die Gesellschaft, vertritt der Geschäftsführer die 451 BGH v. 14.6.2016 – XI ZR 483/14, WM 2016, 1437; Ulrich, GmbHR 2014, R149. 452 So etwa BGH v. 20.6.2007 – IV ZR 288/06, MittBayNot 2008, 67, 68; OLG Hamm v. 22.8.2005 – 5 U 69/05, NZG 2006, 827, 828; OLG Stuttgart v. 2.6.1999 – 9 U 246/98, NZG 1999, 1009; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 44; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 41; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 260; Zacher, GmbHR 1994, 848; Heckelmann, JZ 1970, 62 ff.; Michalski, GmbHR 1991, 356. 453 Stoll in FS Lehmann, 1937, S. 138. 454 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 114; BGH v. 18.2.1960 – VII ZR 21/59, WM 1960, 613; BGH v. 28.2.1966 – VII ZR 125/65, WM 1966, 491; BGH v. 15.12.1975 – II ZR 148/74, WM 1976, 658; BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 954; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, GmbHR 1984, 96 = NJW 1984, 1462; BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 59/87, WM 1988, 1199 = NJW 1988, 3012; OLG München v. 21.3.2012 – 7 U 358/12, BeckRS 2012, 07948; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 260; H.P. Westermann, JA 1981, 526; Steinbeck, WM 1999, 889. 455 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 115; BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 954; OLG Oldenburg v. 14.2.2008 – 8 U 165/07, BeckRS 2008, 10423; Mertens, JurA 1970, 475; Fischer in FS Schilling, 1973, S. 3; ebenso im Ergebnis, wenn auch mit anderer Begründung: Heckelmann, JZ 1970, 62; H. Hübner in FS Klingmüller, 1974, S. 173; John in FS Mühl, 1981, S. 349, 360 ff. 456 BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 954. 457 OLG München v. 26.4.1995 – 7 U 3167/91, OLG-Rp 1995, 244 = GmbHR 1996, 207 (LS); Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 46. 458 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324 = GmbHR 1989, 25: Herbeiführung einer konstitutiven Eintragung im Handelsregister.

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§ 35 Rz. 202 | Vertretung der GmbH Gesellschaft. Ist die Gesellschaft ohne Geschäftsführer, so ist sie nicht prozessfähig. § 35 Abs. 1 Satz 2 steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift handelt nur von der Passivvertretung. Die Prozessführung verlangt aber, dass ihre Vertreter auch zur Aktivvertretung befugt sind459. Wenn daher der einzige Geschäftsführer sein Amt niederlegt, verliert die Gesellschaft ihre Prozessfähigkeit460. Das Entsprechende gilt bei Klagen gegen Gesellschafter461. Für den Fall, in dem die Gesellschafter der GmbH wegen Führungslosigkeit nach § 15a Abs. 3 InsO zur Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen verpflichtet sind, verneint die Rechtsprechung auch mangels Verfahrensfähigkeit der führungslosen und somit auch nicht wirksam vertretenen Gesellschaft die Zulässigkeit des Insolvenzantrags462. Bei Nichtigkeit der Bestellung des Geschäftsführers nach § 6 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 134 BGB kommt es für die Wirksamkeit der Prozessvertretung darauf an, ob der Organvertreter als Alleinvertreter oder als einer von mehreren Gesamtvertretern bestellt worden ist. Wurde er als Alleinvertreter bestellt, liegt von vornherein keine wirksame Vertretung der Gesellschaft vor. Wurde er indes als einer von mehreren Gesamtvertretern bestellt, ist zu prüfen, ob infolge der unwirksamen Bestellung die Zahl der zur Gesamtvertretung erforderlichen Geschäftsführer unterschritten wird463. Ist ein Rechtsanwalt zugleich Gesellschafter und Geschäftsführer, so darf dieser, weil er als Geschäftsführer weisungsgebunden ist, die Gesellschaft nicht vertreten464. Möglich ist es ebenfalls nicht, als gesetzlicher Vertreter einer Partei einen Prozess mit sich selbst zu führen. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine Person sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite entweder Partei oder (auch gesetzlicher) Parteivertreter ist465. Überaus zweifelhaft ist die Vertretung der Gesellschaft bei Klagen gegen Gesellschafterbeschlüsse, von und gegen Geschäftsführer sowie von und gegen Aufsichtsratsmitglieder466. 203 2. Im Rechtsstreit über den Mitgliederbestand soll die GmbH durch die Geschäftsführer

vertreten werden467. Doch sollen Prozesshandlungen rechtlich unbeachtlich sein, wenn die Geschäftsführer ihre Vertretungsmacht missbrauchen. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sind nach h.M. gegen die Gesellschaft zu richten. Auch hierbei soll die Gesellschaft durch die Geschäftsführer vertreten werden468. Sinnvoller wäre es in beiden Fällen, wenn die Gesellschaft durch die Gesellschafter vertreten würde469. Dem Geschäftsführer ist auch die Klage zuzustellen470. In einem Rechtsstreit, der die Nichtigkeit des Auflösungsbeschlusses zum Ge459 BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, DB 2010, 2719 = GmbHR 2011, 83; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 247; Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 113; Theiselmann, GmbH-StB 2017, 17, 19. 460 BFH v. 28.8.2012 – I B 69/12, BFH/NV 2013, 50 = GmbHR 2013, 167. 461 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 12; zur Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft durch Mehrheitsgesellschafter im Wege gewillkürter Prozessstandschaft: BGH v. 2.6.1986 – II ZR 300/85, NJW-RR 1987, 57. 462 LG Kleve v. 21.3.2017 – 4 T 577/16, ZIP 2017, 1955, 1956 f.; AG Oldenburg v. 24.6.2016 – 65 IN 9/16, NZI 2016, 925, 926; a.A. Knauth, NZI 2018, 55, 56 f.; Köhler-Ma/de Bruyn, ZIP 2018, 261, 262 ff. (Verfahrensfähigkeit der Gesellschaft für die Dauer des Insolvenzverfahrens). 463 Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, NJW 2015, 2215, 2216. 464 EhrGH Bay. v. 24.3.2004 – BayAGH I - 14/03, GmbHR 2004, 1089. 465 OLG Stuttgart v. 14.1.2013 – 14 W 17/12, GmbHR 2013, 535, 539. 466 S. dazu Hueck in FS Bötticher, 1969, S. 197, 209; Joost, ZGR 1984, 71; zur Prozessvertretung der GmbH & Co. KG in einem Rechtsstreit gegen ihre persönlich haftende Komplementär-GmbH bzw. Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH eingehend Mielke, BB 2017, 1734, 1739 f. 467 BGH v. 1.3.1962 – II ZR 1/62, WM 1962, 415, 418. 468 S. hierzu BGH v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 32, 114, 119; BGH v. 10.11.1980 – II ZR 51/80, GmbHR 1981, 195 = NJW 1981, 1041; OLG Hamm v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 165; a.A. Joost, ZGR 1984, 97; Einzelheiten bei § 45. 469 S. auch BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 118; s. ferner 12. Aufl., § 38 Rz. 69. 470 BGH v. 1.3.1962 – II ZR 18/60, GmbHR 1962, 134.

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Vertretung der GmbH | Rz. 207 § 35

genstand hat, wird die Gesellschaft aber nicht durch den Geschäftsführer, sondern durch den Liquidator vertreten471. Zweifelhaft ist die Vertretung bei Aktiv- und Passivprozessen zwischen der Gesellschaft und 204 ihren Geschäftsführern472. Nicht möglich ist die Vertretung durch den Prokuristen473. Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, so findet § 52 GmbHG i.V.m. § 112 AktG Anwendung. Die Gesellschaft wird durch den Aufsichtsrat vertreten474. Aus dem Zweck des § 112 AktG folgt darüber hinaus, dass der Aufsichtsrat die Gesellschaft vertritt, wenn der Geschäftsführer ausgeschieden ist475. Auf diese Weise ist eine von Individualinteressen gelöste Prozessvertretung gesichert476. Wird die Klage gegen die GmbH, vertreten durch einen noch tätigen oder durch einen schon 205 ausgeschiedenen Geschäftsführer erhoben, obwohl zur Vertretung der Aufsichtsrat zuständig ist, kann der Vertretungsmangel geheilt werden477. Der Aufsichtsrat kann die Prozessführung übernehmen und diese ausdrücklich oder konkludent genehmigen478. Verpflichtet ist der Aufsichtsrat zur Genehmigung der Prozessführung aber nicht479. Hat ein ehemaliger Geschäftsführer Klage gegen eine GmbH, vertreten durch ihren Auf- 206 sichtsrat, erhoben und wird die GmbH in der Folge mit einer AG verschmolzen, so tritt diese als Rechtsnachfolgerin kraft Gesetzes in den Rechtsstreit ein, § 246 Abs. 1 ZPO. Wird in der Berufungsschrift der Aufsichtsrat nicht als Vertretungsorgan der AG bezeichnet, so kann dies nach § 319 ZPO berichtigt werden480. Hat die Gesellschaft keinen Aufsichtsrat, so ist zu unterscheiden. Über die Geltendmachung 207 von Ersatzansprüchen, die Kündigung des Anstellungsvertrags u.a. entscheiden die Gesellschafter. Sodann verlangt § 46 Nr. 8 Halbsatz 2 bei allen Rechtsstreitigkeiten mit Geschäftsführern die Bestellung eines Prozessvertreters481, wenn andernfalls die Gesellschaft durch die Mitgeschäftsführer nicht ordnungsgemäß vertreten ist482. Eine solche Bestellung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft durch die nicht prozessbeteiligten Geschäftsführer

471 BGH v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 36, 114, 207. 472 S. hierzu Bergwitz, GmbHR 2008, 225. 473 OLG Frankfurt v. 11.7.1996 – 24 U 235/95, NJW-RR 1997, 31: Prozess gegen AlleingesellschafterGeschäftsführer; Bergwitz, GmbHR 2008, 225, 227. 474 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 127/01, BB 2004, 126 = GmbHR 2004, 259; BGH v. 28.2.2005 – II ZR 220/03, WM 2005, 888; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, S. 235; Hueck in FS Bötticher, 1969, S. 212; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 115; Lücke/Simon in Saenger/ Inhester, Rz. 13. 475 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 127/01, BB 2004, 126 = GmbHR 2004, 259; BGH v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, GmbHR 1990, 297; BGH v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, GmbHR 1991, 324; OLG München v. 31.7.2002 – 7 U 2216/02, NZG 2003, 634 = GmbHR 2003, 841; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17. 476 Anders bei Klagen gegen abberufenen Geschäftsführer: OLG Koblenz v. 15.11.1979 – 6 U 329/78, GmbHR 1981, 160 = AG 1980, 282 = BB 1980, 175. 477 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1140, 1141; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, S. 235. 478 Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, NJW 2015, 2215, 2217. 479 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1141. 480 BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, GmbHR 2004, 182 m. Anm. Weßling. 481 OLG Oldenburg v. 21.1.2010 – 1 U 18/09, GmbHR 2010, 258, 259; vgl. hierzu auch BGH v. 22.3.2016 – II ZR 253/15, GmbHR 2016, 1035 f. 482 Zweifelhaft: BGH v. 10.11.1980 – II ZR 51/80, GmbHR 1981, 195 = WM 1981, 138; OLG Hamm v. 7.10.1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743, 745: Ist Streitgegenstand, ob Geschäftsführer ordnungsgemäß bestellt oder abberufen, so erfolgt Vertretung der GmbH durch diesen Geschäftsführer.

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§ 35 Rz. 207 | Vertretung der GmbH vertreten werden kann483. Im Prozess über die Kündigung oder Aufhebung des Anstellungsvertrags können die Mitgeschäftsführer jedoch nur vertreten, wenn die Gesellschafter dies beschlossen haben484. 208 Der Name des Geschäftsführers ist im Klagerubrum aufzuführen (§ 51, § 130 Nr. 1, § 253

Abs. 4 ZPO). Mängel in dieser Richtung hat das Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen, § 56 ZPO. Ist einer von mehreren Geschäftsführern Prozessgegner, so wird die GmbH durch die anderen Geschäftsführer vertreten. Hat die Gesellschaft nur einen Geschäftsführer, so kommt § 57 ZPO (Bestellung eines besonderen Prozessvertreters durch das Prozessgericht) oder § 29 BGB (Ernennung eines Notgeschäftsführers durch das Amtsgericht; Einzelheiten 12. Aufl., § 6 Rz. 94 ff. und 12. Aufl., § 46 Rz. 175) in Frage485. 209 3. Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so genügt die Zustellung an einen486, und

zwar unabhängig davon, wo er sich gerade aufhält487. Das gilt auch, wenn einer von mehreren Geschäftsführern Prozessgegner ist488. An sich selbst kann dieser Geschäftsführer aber nicht zustellen, was sich schon aus dem prozessualen Verbot des In-Sich-Prozesses ergibt489; unzulässig ist auch die Ersatzzustellung490 (§ 178 Abs. 2 ZPO). Zustellung an die Aufsichtsratsmitglieder ist auch bei Anfechtungsklage wohl nicht erforderlich. § 246 Abs. 2 AktG ist wohl entsprechend anwendbar (zweifelhaft). Wenn die Zustellung an die im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift (vgl. Rz. 62) und gegebenenfalls an die einer eingetragenen empfangsberechtigten Person (s. dazu Rz. 63) nicht möglich ist, eröffnen § 15a HGB, § 185 Nr. 2 ZPO und § 10 Abs. 1 Nr. 2 VwZG die Möglichkeit öffentlicher Zustellung491. Voraussetzung ist, dass keine andere inländische Anschrift bekannt ist492, nicht jedoch, dass Ermittlungs- und Zustellversuche an die Privatanschrift der Geschäftsführer bzw. Gesellschafter unternommen wurden493. Zur Zustellung an die Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit s. Rz. 87 ff. 210 4. Prozessvollmacht erteilt der Geschäftsführer, der Aufsichtsrat nur im Falle des § 52

GmbHG i.V.m. § 112 AktG. 211 5. Die Vermögensauskunft nach § 802c Abs. 1 ZPO und eidesstattliche Versicherungen

nach § 802c Abs. 3 ZPO sind für die Gesellschaft durch den Geschäftsführer zu leisten, der zurzeit der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung im Amt ist, mag er auch noch nicht zum Handelsregister angemeldet sein494. Der Geschäftsführer kann sich seiner Verpflichtung 483 BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, WM 1992, 731 = DB 1992, 983 (Anfechtung einer Abberufung); Happ, Die GmbH im Prozess, 1997, S. 29; Bergwitz, GmbHR 2008, 225, 227; zum Verfahren der einstweiligen Verfügung: OLG Hamm v. 7.10.1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743; a.A. Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, § 46 Rz. 65, 67. 484 BGH v. 10.5.1993 – II ZR 54/92, DStR 1993, 843, Bespr. von Goette. 485 Eingehend hierzu Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, NJW 2015, 2215, 2217 f. 486 § 35 Abs. 2 Satz 2; § 170 Abs. 3 ZPO; s. auch OLG Frankfurt v. 24.1.1978 – 20 W 853/77, Rpfleger 1978, 134: Zustellung an ausgeschiedenes Vorstandsmitglied. 487 OLG Düsseldorf v. 13.2.1998 – 7 W 6/98, OLG-Report Düsseldorf 1998, 273. 488 BGH v. 11.7.1983 – II ZR 114/82, NJW 1984, 57; BVerfG v. 11.7.1984 – 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208, 211; Nietsch, GmbHR 2004, 1518, 1520. 489 BGH v. 11.7.1983 – II ZR 114/82, NJW 1984, 57. 490 Vgl. BAG v. 15.7.1974 – 5 AZR 482/73, BB 1974, 1535. 491 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 172; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 69; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 34; Kindler, NJW 2008, 3249, 3254; Wübbelsmann, DStR 2011, 126 (Steuerbescheid). 492 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 69; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 172. 493 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 69; Breitenstein/Meyding, BB 2007, 1457, 1460. 494 Zum alten Recht: OLG Hamm v. 8.5.1984 – 14 W 23/84, GmbHR 1984, 318 = DB 1984, 1927 und OLG Hamm v. 9.11.1984 – 14 W 136/84, GmbHR 1985, 219 = ZIP 1984, 1482; KG v. 15.1.1996 – 25 W 8543/95, ZIP 1996, 289; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14.

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Vertretung der GmbH | Rz. 215 § 35

nicht dadurch entziehen, dass er sein Amt niederlegt495. Wird das persönliche Erscheinen der Gesellschaft als Partei gemäß § 141 ZPO angeordnet, so richtet sich die Terminsladung an den Geschäftsführer als gesetzlichen Vertreter. Ein Ordnungsgeld nach § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO kann jedoch grundsätzlich nur gegen die GmbH, nicht gegen den Geschäftsführer festgesetzt werden (str.)496. 6. Der Geschäftsführer, weil Organ, kann als Partei auch eidlich497, nicht dagegen als Zeuge 212 vernommen werden, §§ 446, 449 ZPO. Dies gilt auch, soweit ein Geschäftsführer nicht am Prozess teilnimmt498. Nach ihrem Ausscheiden können Geschäftsführer aber als Zeugen vernommen werden499, ebenso im Insolvenzverfahren der Gesellschaft500. Eine zeitweise Abberufung eines Geschäftsführers, um ihn als Zeuge vernehmen zu können, soll missbräuchlich und daher nichtig sein501. Missbräuchlich ist jedoch nur die Benennung als Zeuge, nicht aber die Abberufung502. Ein Geschäftsführer kann auch nicht Schiedsrichter sein, wenn die Gesellschaft Partei ist. Als Betroffene haben Geschäftsführer in Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren ein Aussageverweigerungsrecht (§§ 163a, 136 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG), vorausgesetzt, sie amtieren zum Vernehmungszeitpunkt503. 7. Zur Vertretung bei einer GmbH in Liquidation, nach Beendigung der Liquidation und 213 nach Löschung wegen Vermögenslosigkeit504 s. bei § 66. 8. Zur Vertretung bei der Anmeldung zum Handelsregister s. bei § 78.

214

IX. Die Vertretung gegenüber Behörden Auch gegenüber Behörden wird die GmbH durch ihre Geschäftsführer vertreten505. Erfolgt 215 daher etwa die Zustellung eines Steuerbescheids nur an die Anschrift der GmbH und nicht zu Händen des Geschäftsführers, so ist der Steuerbescheid mangels Bekanntgabe nicht wirksam506.

495 OLG Stuttgart v. 10.11.1983 – 8 W 340/83, GmbHR 1984, 100 = ZIP 1984, 113; LG Bonn v. 28.2.1989 – 4 T 24/89, DGVZ 1989, 120; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 28; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14. 496 OLG Dresden v. 2.11.2011 – 5 W 1069/11, NZG 2012, 554; OLG Frankfurt v. 8.4.2005 – 19 W 16/ 05, MDR 2006, 170; KG v. 20.4.2007 – 12 W 18/07, VersR 2008, 1234; LAG Hamm v. 25.1.1999 – 1 Ta 727/98, BB 1999, 908; a.A. OLG Nürnberg v. 28.3.2001 – 1 W 887/01, MDR 2001, 954; LAG Köln v. 13.2.2008 – 7 Ta 378/07, NZA-RR 2008, 491 L. 497 §§ 445, 448, 452 ZPO; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 123 Rz. 17, 24. 498 RG v. 1.10.1880 – II 184/80, RGZ 2, 400; RG v. 9.1.1900 – VIa 275/99, 46, 319; OLG Koblenz v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, GmbHR 1987, 276 = WM 1987, 481; LG Oldenburg v. 25.4.1975 – 5 S 4/75, BB 1975, 983 (GmbH & Co. KG); Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 114; anders: OLG Braunschweig v. 7.3.1913, OLG-Rspr 27, 97. 499 Einschränkend: OLG Koblenz v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, GmbHR 1987, 276 = WM 1987, 480 = WuB, II C. § 43 GmbHG 2.87 (Heinsius); wie hier: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 114; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15. 500 Happ, Die GmbH im Prozess, 1997, S. 148. 501 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 24; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 14. 502 S. auch Schmitz, GmbHR 2000, 1140, 1143. 503 BVerfG v. 26.2.1975 – 2 BvR 820/74, BB 1975, 1315 – Kartellordnungswidrigkeitsverfahren; Winterfeld, BB 1976, 344. 504 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 62/92, BGHZ 121, 263 = GmbHR 1993, 508; BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 448/02, GmbHR 2003, 1009, 1011. 505 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113. 506 FG Stuttgart v. 23.11.1967 – VI 101/67, GmbHR 1968, 191.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 71

§ 35 Rz. 216 | Vertretung der GmbH

X. Zur Form der Zeichnung (§ 35 Abs. 3 a.F.) 216 Auf die Zeichnungsregeln in § 35 Abs. 3 a.F. ist zum Zwecke der Deregulierung als einem der

wesentlichen Ziele des MoMiG507 verzichtet worden. Die Ziele der ehemaligen Zeichnungsregeln, nämlich Klarheit und Sicherheit des Rechtsverkehrs, würden durch die allgemeinen Regeln der §§ 164 ff. BGB hinreichend gewährleistet508. Daher konnte § 35 Abs. 3 a.F. vollständig aufgehoben werden und § 35 Abs. 4 a.F. ohne inhaltliche Änderung zu § 35 Abs. 3 werden. 217–250 Einstweilen frei.

XI. Das Anstellungsverhältnis – Allgemeines Schrifttum: Alversleben/Haug/Schnabel, Der Fremdgeschäftsführer im Spannungsfeld zwischen Arbeitgeberposition und Arbeitnehmereigenschaft, BB 2012, 774; Arteaga, Endlich Konkurssicherheit für Unternehmer-Pensionszusagen, ZIP 1998, 276; Baeck/Götze/Arnold, Festsetzung und Herabsetzung der Geschäftsführervergütung – Welche Änderungen bringt das VorstAG?, NZG 2009, 1121; Bartenbach/ Fock, Erfindungen von Organmitgliedern – Zuordnung und Vergütung, GRUR 2005, 384; Bascope/Hering, Verdeckte Gewinnausschüttungen im Zusammenhang mit der Vergütung von Gesellschafter-Geschäftsführern, GmbHR 2005, 741; Bauer, Haftung von Organmitgliedern und sanktionierender „Widerruf“ von Versorgungszusagen, ZGR 1999, 314; Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Aufl. 2014; Bauer/Arnold, AGB-Kontrolle von Vorstandsverträgen, ZIP 2006, 2337; Bauer/Arnold, AGG-Probleme bei vertretungsberechtigten Organmitgliedern, ZIP 2008, 993; Bauer/Arnold, Kann die Geltung des KSchG für GmbH-Geschäftsführer vereinbart werden?, ZIP 2010, 709; Bauer/Arnold, Altersdiskriminierung von Organmitgliedern, ZIP 2012, 597; Bauer/Baeck/von Medem, Altersversorgung und Übergangsgeld in Vorstandsanstellungsverträgen, NZG 2010, 721; Bauer/Diller, Koppelung von Abberufung und Kündigung bei Organmitgliedern, GmbHR 1998, 809; Bauer/Diller/Krets, BGH contra BAG – Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB wegen Abberufung und/oder Nichtbestellung eines GmbH-Geschäftsführers?, DB 2003, 2687; Bauer/Göpfert/Siegrist, Abberufung von Organmitgliedern: Wegfall der variablen Vergütung?, DB 2006, 1774; Bauer/Krieger, Formale Fehler bei Abberufung und Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, ZIP 2004, 1247; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987; Baums, Zuständigkeit für Abschluß, Änderung und Aufhebung von Anstellungsverträgen, ZGR 1993, 141; Boemke, Aktuelles zum GmbH-Geschäftsführer aus arbeitsrechtlicher Sicht, RdA 2018, 1; Buchner/ Schlobach, Die Auswirkung der Umwandlung von Gesellschaften auf die Rechtsstellung ihrer Organpersonen, GmbHR 2004, 1; Commandeur/Kleinebrink, Der Status des Geschäftsführers als Arbeitnehmer – Geschäftsführer als Subjekt unionsrechtlicher Schutzvorschriften, NZA-RR 2017, 449; Diller/Arnold/ Kern, Abdingbarkeit des Betriebsrentengesetzes für Organmitglieder, GmbHR 2010, 281; Dimsic/Link, Bestandsschutzstreitigkeiten von GmbH-Geschäftsführern, BB 2015, 3063; Döring/Grau, Anwendbarkeit der Änderungen durch das VorstAG auf die paritätisch mitbestimmte GmbH, DB 2009, 2139; Eßer/ Baluch, Bedeutung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes für Organmitglieder, NZG 2007, 321; Fabritius/Markgraf, Sozialversicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern, NZS 2016, 808; Fischer, Die Fremdgeschäftsführerin und andere Organvertreter auf dem Weg zur Arbeitnehmereigenschaft, NJW 2011, 2329; Fleischer, Haftungsfreistellung, Prozesskostenersatz und Versicherung für Vorstandsmitglieder, WM 2005, 909; Fleischer, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG 2009, 801; Forst, Unterliegen Geschäftsführer dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)?, GmbHR 2012, 821; Forst, GmbH-Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts, EuZW 2015, 664; Friemel/Kamlah, Der Geschäftsführer als Erfinder, BB 2008, 613; Gach/Pfüller, Die Vertretung der GmbH gegenüber ihrem Geschäftsführer, GmbHR 1998, 64; Gaul, B., Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, 2. Aufl. 2011; Gaul/Janz, Das neue VorstAG – Veränderte Vorgaben auch für die Geschäftsführer und den Aufsichtsrat der GmbH, GmbHR 2009, 959; Giesen, Der europäische Arbeitnehmerbegriff und die Mitglieder der Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften, ZfA 2016, 47; Goette, Zur Insolvenzsicherung vonVersorgungszusagen für „Mitunternehmer“, ZIP 1997,

507 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 1. 508 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43.

72 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider und Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | vor Rz. 251 § 35 1317; Goette, Das Anstellungsverhältnis des GmbH-Geschäftsführers in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, DStR 1998, 1137; Goll-Müller/Langenhan-Komus, Der Geschäftsführer mit Arbeitsvertrag und dennoch ohne Kündigungsschutz, NZA 2008, 687; Graef/Heilemann, Das Bundesarbeitsgericht und der GmbH-Geschäftsführer – eine Rechtsprechungsanalyse, GmbHR 2015, 225; Greger, Der Vergütungsanspruch des abberufenen Geschäftsführers, in FS Boujong, 1996, S. 153; Haase, Zum vertragswidrigen Verhalten der GmbH bei Widerruf einer Gesellschafterbestellung, GmbHR 2003, 102; Haase, Der Erholungsurlaub des Geschäftsführers einer GmbH aus rechtlicher Sicht (I), GmbHR 2005, 265; Haase, Der Erholungsurlaub des Geschäftsführers einer GmbH aus rechtlicher Sicht (II), GmbHR 2005, 338; Habersack, VorstAG und mitbestimmte GmbH – eine unglückliche Beziehung!, ZHR 174 (2010), 2; Habersack/Verse, Rechtsfragen der Mitarbeiterbeteiligung im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZGR 2005, 451; Harle/Kulemann, Nochmals: Angemessenheit der Gehälter von GesellschafterGeschäftsführern, GmbHR 2003, 941; Hase, v., Fristlose Kündigung und Abmahnung nach neuem Recht, NJW 2002, 2278; Hasselbach/Seibel, Die Freistellung des GmbH-Geschäftsführers von der Haftung für Kartellrechtsverstöße, GmbHR 2009, 354; Heilmann, Arbeitsverhältnisse von Organen juristischer Personen im Konkurs, ZIP 1980, 344; Heine/Buchholz, Die Überlassung als Geschäftsführer – Anwendbarkeit des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes?, DStR 2018, 529; Henssler, Das Anstellungsverhältnis der Organmitglieder, RdA 1992, 289; Hoch, Der Verleih von GmbH-Geschäftsführern: (K)Ein Fall fürs AGG?!, BB 2016, 1658; Hoffmann-Becking/Krieger, Leitfaden zur Anwendung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG-Beil. 2009, I; Hohaus/Weber, Aktuelle Rechtsprechung zum Gesellschafterausschluss und die Bedeutung für Managementbeteiligungen, NZG 2005, 961; Hohenstatt/Naber, Diskriminierungsschutz für Organmitglieder: Konsequenzen für die Vertragsgestaltung, ZIP 2012, 1989; Hueck, Zur arbeitsrechtlichen Stellung des GmbH-Geschäftsführers, ZfA 1985, 25; Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl. 2016; Junker, Die Einflüsse des europäischen Rechts auf die personelle Reichweite des Arbeitnehmerschutzes – Der Arbeitnehmerbegriff in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, EuZA 2016, 184; Kamanabrou, Europarechtskonformer Schutz vor Benachteiligungen bei Kündigungen, RdA 2007, 199; Khanian, Die Inhaltskontrolle von Geschäftsführerverträgen, GmbHR 2011, 116; Koch, Das Abmahnungserfordernis bei der außerordentlichen Kündigung von Organmitgliedern einer Kapitalgesellschaft, ZIP 2005, 1621; Kort, Michael, Ungleichbehandlung von Geschäftsleitungsmitgliedern bei AG und GmbH wegen des Alters, WM 2013, 1049; Kothe-Heggemann/Dahlbender, Ist der GmbH-Geschäftsführer nach Abberufung weiterhin zur Arbeitsleistung verpflichtet?, GmbHR 1996, 650; Kothe-Heggemann/Schelp, Beschäftigungsanspruch, Verpflichtung zur Dienstleistung und Annahmeverzug nach Abberufung des GmbHGeschäftsführers, GmbHR 2011, 75; Krupske, Zur unendlichen Streitfrage – Angemessenheit der Gehälter von Gesellschafter-Geschäftsführern, GmbHR 2003, 208; Lindemann, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung in der Krise und Insolvenz, GmbHR 2009, 737; Lunk, Rechtliche und taktische Erwägungen bei Kündigung und Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, ZIP 1999, 1777; Lunk, Mutterschutz für die GmbH-Geschäftsführerin? – Deutsches Arbeitsrecht im Widerstreit mit Verfassungsund Europarecht, in FS Bauer, 2010, S. 705; Lunk/Hildebrand, GmbH-Geschäftsführer und Massenentlassungen, NZA 2016, 129; Lunk/Rodenbusch, Der Weiterbeschäftigungsanspruch des GmbH-Geschäftsführers, NZA 2011, 497; Lunk/Rodenbusch, Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff und seine Auswirkungen auf das deutsche Recht, GmbHR 2012, 188; Lunk/Stolz, Die Bezüge des GmbH-Geschäftsführers in der Krise – Auswirkungen des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) auf die GmbH, NZA 2010, 121; Mohr, Die Angemessenheit der Gesamtvergütung des GmbHGeschäftsführers im Gesellschaftsrecht, GmbHR 2011, 402; Nebendahl, Ansprüche eines GmbH-Geschäftsführers aus betrieblicher Übung?, NZA 1992, 289; Neumann, Tantiemevereinbarungen mit dem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH (I), GmbHR 1996, 740; Oberthür, Unionsrechtliche Impulse für den Kündigungsschutz von Organvertretern und Arbeitnehmerbegriff, NZA 2011, 253; Perwein, Pensionszusage und Rückdeckungsversicherung in der Insolvenz der GmbH, GmbHR 2007, 589; Preis/Sagan, Der GmbH-Geschäftsführer in der arbeits- und diskriminierungsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, BGH und BAG, ZGR 2013, 26; Priester, Nichtkorporative Satzungsbestimmungen bei Kapitalgesellschaften, DB 1979, 681; Reichold/Heinrich, Zum Diskriminierungsschutz des GmbH-Geschäftsführers, in FS H. P. Westermann, 2008, S. 1315; Reinecke, Fremdgeschäftsführer und Vorstandsmitglieder – Rechtsweg und Status, ZIP 2014, 1057; Reinfelder, Arbeitnehmer – Gesellschafter – Geschäftsführer, RdA 2016, 87; Reiserer, Die ordentliche Kündigung des Dienstvertrages des GmbH-Geschäftsführers, DB 1994, 1822; Reiserer, Der GmbH-Geschäftsführer in der GmbH und Co. KG, BB 1996, 2461; Reufels/Molle, Diskriminierungsschutz von Organmitgliedern, NZA-RR 2011, 281; Reuter, Bestellung und Anstellung von Organmitgliedern im Körperschaftsrecht, in FS Zöllner, 1998, S. 487; Riesenhuber/v. Steinau-Steinrück, Zielvereinbarungen, NZA 2005, 785; Röder/Linge-

Hohenstatt | 73

§ 35 Rz. 251 | Das Anstellungsverhältnis mann, Schicksal von Vorstand und Geschäftsführer bei Unternehmensumwandlungen und Unternehmensveräußerungen, DB 1993, 1341; Säcker, Kompetenzstrukturen bei Bestellung und Anstellung von Mitgliedern des unternehmerischen Leistungsorgans, BB 1979, 1321; Sagan, Die Sanktion diskriminierender Kündigungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, NZA 2006, 1257; Uwe H. Schneider, Der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers einer GmbH im Konzern, GmbHR 1993, 10; Uwe H. Schneider, Abmahnung des Geschäftsführers vor Kündigung des Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund?, GmbHR 2003, 1; Uwe H. Schneider/Brouwer, Aufrechnung gegen Ruhegehaltsansprüche des Geschäftsführers, GmbHR 2006, 1019; Uwe H. Schneider/Brouwer, Die Aufrechnung von Ansprüchen der Gesellschaft auf Schadensersatz gegen Ansprüche des Geschäftsführers auf Ruhegeld, in FS Röhricht, 2005, S. 541; Schuhmann, Zur Schriftformklausel im Vertrag mit einem GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer, GmbHR 1993, 79; Schuhmann, Die Umsatztantieme – ein Dauerbrenner?, GmbHR 2005, 921; Seibt, Geschäftsführerbestellung und Anstellungsvertrag, NJW-Spezial 2004, 123; Selig-Kraft/ Beeger, Steuerliche Fallstricke bei der Restrukturierung von Gesellschafter-Geschäftsführer-Pesionszusagen (Teil 3) – Zukunftsfähige Neueinrichtung einer Gesellschafter-Geschäftsführer-Versorgung, BB 2017, 1885; Sethe, Zivilrechtliche Rechtsfolgen der Korruption am Beispiel von Bankgeschäften, WM 1998, 2309; Stagat, Risiken und Nebenwirkungen von Geschäftsführer-Anstellungsverträgen, NZA-RR 2011, 617; Stein, Die neue Dogmatik der Wissensverantwortung bei der außerordentlichen Kündigung von Organmitgliedern der Kapitalgesellschaften, ZGR 1999, 264; v. Steinau-Steinrück/Mosch, Schwangere Geschäftsführerin: Managerin oder Arbeitnehmerin, NJW-Spezial 2011, 178; Tänzer, Die aktuelle Geschäftsführervergütung 2005, GmbHR 2005, 1256; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970; Thüsing, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, AG 2009, 517; Thüsing/Granetzny, Zur Abdingbarkeit des BetrAVG bei Organmitgliedern, NZG 2010, 449; Thüsing/Stiebert, Altersgrenzen bei Organmitgliedern, NZG 2011, 641; Tiedtke, Zur steuerlichen Bedeutung der bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit von Verträgen zwischen der GmbH und ihrem beherrschenden Gesellschafter, DStR 1993, 933; Tillmann/Mohr, GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020; Tillmann/Schmidt, Vermeidung einer vGA aus Geschäftsführerverträgen, GmbHR 1995, 796; Timm, Der GesellschafterGeschäftsführer im Pfändungs- und Insolvenzrecht, ZIP 1981, 10; Timm, Die Kündigung des Gesellschafter-Geschäftsführers im Konkurs der GmbH, ZIP 1987, 69; Wank, Neues zum Arbeitnehmerbegriff des EuGH, EuZW 2018, 21; Willemsen, Koppelungsklauseln in Anstellungsverträgen mit Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern, in FS Buchner, 2009, S. 971; Winter, Organisationsrechtliche Sanktionen bei Verletzung schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen? – Eine Skizze zur Abgrenzung von Organisationsrecht und „satzungsergänzendem“ Schuldrecht bei der Kapitalgesellschaft –, ZHR 154 (1990), 259; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe im europäischen Arbeitsrecht, 2011; Zimmer/Rupp, Kein Kündigungsschutz für bei der GmbH & Co. KG angestellten Geschäftsführer, GmbHR 2006, 572; Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979.

1. Verhältnis von Organstellung und Anstellungsverhältnis 251 Die körperschaftliche Organstellung des Geschäftsführers auf der einen und das schuldrecht-

liche Anstellungsverhältnis auf der anderen Seite sind voneinander zu unterscheiden. Beide Rechtsverhältnisse stehen rechtlich selbständig nebeneinander (sog. Trennungsprinzip)509. So geht mit dem gesellschaftsrechtlichen Akt der Bestellung zum Geschäftsführer nicht zwin-

509 Heute h.M.; bereits angedeutet in BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 191, 194; BGH v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, BGHZ 36, 142, 143; ausdrücklich etwa in BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 85, 87 = GmbHR 1980, 270; BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 51 f. = GmbHR 1984, 151; BGH v. 10.2.1992 – II ZR 23/91, NJW-RR 1992, 800, 801 = GmbHR 1992, 303; BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653 = NJW 1995, 2850; BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 53; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 46; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 1; G. Hueck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 366; a.A. Einheitstheorie: Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 3 ff.; Hachenburg/Schilling, 6. Aufl. 1959, Rz. 40 m.w.N.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 256 § 35

gend der Abschluss eines Anstellungsvertrages einher510. Gleiches gilt für Abberufung und Kündigung. Aus der Abberufung des Geschäftsführers ergibt sich nicht die Kündigung des Anstellungsvertrages; dies folgt insbesondere auch aus § 38 Abs. 1511. Infolgedessen bilden Bestellung und Anstellungsvertrag auch kein einheitliches Rechtsverhältnis i.S.v. § 139 BGB512. Dennoch bestehen zwischen Bestellung und Anstellung gewisse Wechselbeziehungen513. Re- 252 gelmäßig besteht ein Interesse des Geschäftsführers am Abschluss eines Anstellungsvertrages, wenn er zum Organ bestellt wird514. Ebenso besteht umgekehrt ein Interesse der Gesellschaft an der Auflösung des Anstellungsvertrages, wenn der Geschäftsführer abberufen werden soll oder abberufen wurde. Aufgrund dieses Zusammenhangs können Anstellung und Bestellung sowie Abberufung und Kündigung auch in einem einheitlichen Vorgang erfolgen515. Ob in der Bestellung zugleich der Abschluss eines Anstellungsvertrages gesehen werden kann und ob in der Abberufung zugleich eine Kündigung liegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nicht selten wird die Anstellung schuldrechtlich durch eine sogenannte Koppelungsvereinbarung oder Koppelungsklausel an die Organstellung geknüpft516.

2. Regelungsebenen Die Beziehungen des Geschäftsführers zur Gesellschaft können in der Satzung oder in einem 253 schuldrechtlichen Vertrag geregelt sein. a) Anstellungsvertrag In aller Regel werden die Rechte und Pflichten des Geschäftsführers in einem schuldrecht- 254 lichen Anstellungsvertrag geregelt. b) Regelung in der Satzung Ist die Stellung als Geschäftsführer einem Gesellschafter als Sonderrecht zugewiesen, so kön- 255 nen zugleich in der Satzung auch die laufenden Bezüge, das Ruhegehalt, die Zulässigkeit von Nebentätigkeiten usw. geregelt werden. Im Zweifel ist dann davon auszugehen, dass es sich um „korporative Satzungsbestandteile“ (= echte Satzungsbestandteile) handelt517. Eines besonderen Anstellungsvertrages bedarf es in diesem Fall nicht. Fehlt es an einem besonderen Mitgliedschaftsrecht für einen einzelnen Gesellschafter, kann 256 gleichwohl in der Satzung bestimmt werden, welchen Inhalt der Anstellungsvertrag haben soll. In diesem Fall bindet der Gesellschaftsvertrag die Gesellschafter, wenn sie den Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer abschließen518. Der Fremdgeschäftsführer kann aus

510 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430; vgl. auch BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 52 = GmbHR 1984, 151; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 53, 56. 511 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41. 512 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 53; a.A. Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 33 ff. 513 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41. 514 Vgl. Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, Rz. 6. 515 BGH v. 20.10.2008 – II ZR 107/07, ZIP 2008, 2260 = GmbHR 2008, 1316. 516 Zur Ausgestaltung und Wirksamkeit solcher Vereinbarungen s. Rz. 462 ff. 517 S. dazu Priester, DB 1979, 681, 684; Fuhrmann in GmbH-Hdb., Teil I, Rz. I 2068 ff. und hier 12. Aufl., § 53 Rz. 16. 518 S. auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 100.

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§ 35 Rz. 256 | Das Anstellungsverhältnis einer solchen Satzungsregelung aber keine eigenständigen persönlichen Rechte ableiten. Eine Haftungsmilderung in der Satzung wirkt aber auch für den Fremdgeschäftsführer. 257 Die Regelungen über die Beziehungen der Gesellschaft zu dem Geschäftsführer können auch

ein „nicht korporativer Satzungsbestandteil“ (= unechter Satzungsbestandteil) sein519. In diesem Fall verlangt ihre Änderung keine Satzungsänderung. Die in die Satzung aufgenommenen Vereinbarungen können vielmehr in der Folge durch einfachen Beschluss geändert werden. In dieser Konstellation spricht allerdings alles dafür, die entsprechenden Regelungen statt in die Satzung in den Anstellungsvertrag zu integrieren520. c) Fehlen von Regelung in Satzung oder Vertrag

258 Fehlt es an ausdrücklichen Regelungen der Anstellungsbedingungen in der Satzung und ist

auch kein Anstellungsvertrag abgeschlossen, könnte man daran denken, die Anstellungsbedingungen aus dem organisationsrechtlichen Bestellungsverhältnis abzuleiten. Hiervon geht offensichtlich § 52 GmbHG i.V.m. § 113 Abs. 1 AktG für die Aufsichtsratsmitglieder aus (s. 12. Aufl., § 52 Rz. 487 ff.). Über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder, den Ersatz für die entstandenen Aufwendungen usw. werden meist keine schuldrechtlichen Vereinbarungen getroffen. Entsprechend lassen sich auch für den Geschäftsführer beim Fehlen eines Anstellungsvertrages die Vergütung usw. aus dem Bestellungsverhältnis ableiten; denn es kann nicht erwartet werden, dass der Geschäftsführer zwar für die Gesellschaft tätig wird, dass er hierfür aber keine Vergütung erhält. Der Praxis entspricht dies jedoch nicht. In aller Regel wird das organisationsrechtliche Bestellungsverhältnis vielmehr um einen schuldrechtlichen Anstellungsvertrag ergänzt und in diesem werden die persönlichen Verhältnisse geregelt. Deshalb wird im Folgenden auch lediglich auf die nicht mitgliedschaftliche Beziehung in Form eines Anstellungsvertrages zwischen GmbH und Geschäftsführer eingegangen.

3. Rechtliche Einordnung (Rechtsnatur) des Anstellungsvertrages 259 Ob das Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers als Arbeits- oder als Dienstvertrag zu qua-

lifizieren ist, gehört seit Langem und bis heute zu den meistdiskutierten Fragen im Geschäftsführerrecht. Insbesondere bestimmt sich hiernach die Anwendbarkeit zahlreicher arbeitsrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen. Dabei ist die Arbeitnehmereigenschaft des GmbH-Geschäftsführers nicht in jedem Fall nach nationalem Recht zu bestimmen; beruht das nationale Gesetz auf einer unionsrechtlichen Grundlage, muss u.U. ein unionsrechtlich definierter Arbeitnehmerbegriff zur Anwendung kommen (s. dazu ausführlich Rz. 276 ff.). Im Folgenden wird daher zwischen der rechtlichen Einordnung des Anstellungsvertrags nach nationalem Recht und dessen Einordnung nach Unionsrecht unterschieden. a) Nationales Recht aa) Auftrag 260 Wird der GmbH-Geschäftsführer unentgeltlich tätig, handelt es sich bei dem Anstellungsver-

trag um einen Auftrag i.S.d. § 662 BGB521 . 519 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, NJW 1955, 1716; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67 (KG), NJW 1969, 131; eingehend Priester, DB 1979, 681 sowie hier 12. Aufl., § 53 Rz. 13 ff. 520 S. auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 100. 521 HansOLG Hamburg v. 18.1.2000 – 4 U 114/92, NZG 2000, 698; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 54, § 37 Rz. 100; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 2.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 264 § 35

bb) Arbeits- oder Dienstvertrag Handelt es sich um entgeltliche Tätigkeit, ist zu prüfen, ob es sich bei dem Anstellungsver- 261 trag um einen Arbeits- oder um einen Dienstvertrag handelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Anstellungsvertrag des 262 GmbH-Geschäftsführers einheitlich als freier Dienstvertrag gemäß §§ 611 ff. BGB zu qualifizieren522. Der Geschäftsführer ist Mitglied des Vertretungsorgans einer juristischen Person; als solches übt er Arbeitgeberfunktionen aus523 und hat organschaftliche Aufgaben wahrzunehmen524. Das gesellschaftsrechtliche Weisungsrecht ist nicht mit dem arbeitsrechtlichen Weisungsrecht gleichzusetzen525. Auch das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass der Geschäftsführer einer GmbH in 263 aller Regel auf Grundlage eines Dienstvertrages tätig wird526. Im Einzelfall hält es aber auch eine Einordnung als Arbeitnehmer für möglich527. Die rechtliche Qualifikation des Anstellungsvertrages als Arbeitsvertrag hängt danach insbesondere davon ab, ob der Geschäftsführer ausnahmsweise auch einer arbeitsrechtlichen Weisungsgebundenheit unterliegt (s. auch § 611a Abs. 1 BGB). Eine solche kann vorliegen, wenn der Gesellschaft ihm gegenüber eine über das gesellschaftsrechtliche Weisungsrecht hinausgehende Weisungsbefugnis eingeräumt ist528. Während nach der Rechtsprechung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts zwar in der Regel ein freies Dienstverhältnis, je nach Umständen des Einzelfalls jedoch auch ein Arbeitsverhältnis vorliegen kann529, hält der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts eine Einordnung als Arbeitsverhältnis nur in extremen Ausnahmefällen für möglich530. Der Rechtsprechung des 2. Senats Bundesarbeitsgerichts ist im Wesentlichen zu folgen: 264 Zwar ist einzuräumen, dass sich Arbeitnehmereigenschaft und (organschaftlicher) Geschäftsführerstatus nicht zwingend ausschließen531. Angesichts der Arbeitgeberstellung des Geschäftsführers kann aber nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen ein Arbeitsverhältnis angenommen werden. Bei genauer Betrachtung sieht dies auch der 5. Senat nicht anders. Danach ist eine Arbeitnehmerstellung nur dann in Betracht zu ziehen, wenn die Gesellschaft dem Geschäftsführer nicht nur die Richtung vorgibt, sondern arbeitsbegleitende und verfahrensorientierte Weisungen erteilt532 und damit über die Umstände bestimmt, unter denen der Geschäftsführer seine Leistung erbringt533. Ob das der Fall ist, sei anhand aller Umstände 522 St. Rechtspr. seit BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 191; BGH v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 31; BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, BGHZ 79, 291, 292 ff. = GmbHR 1981, 158; BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, GmbHR 2001, 1158, 1159; BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, GmbHR 2010, 808, 809; Reinfelder, RdA 2016, 87, 88 f. 523 BGH v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 31; BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435, 1437; BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160, 162. 524 BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, GmbHR 2001, 1158, 1159. 525 BGH v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, ZIP 2007, 910, 911 = GmbHR 2007, 606; so auch BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 = GmbHR 2006, 592; Schulze/Hintzen, ArbRAktuell 2012, 263. 526 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 f. = GmbHR 2006, 592; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, GmbHR 2008, 1259, 1260 f. 527 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 = GmbHR 2006, 592. 528 BAG v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, GmbHR 2014, 137; BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, GmbHR 1999, 925, 927; BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 = GmbHR 2006, 592. 529 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, GmbHR 1999, 925, 926. 530 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 = GmbHR 2006, 592; BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, GmbHR 2020, 1070 Ls. 3 und Rz. 25 ff. 531 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 988 = GmbHR 1999, 925. 532 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 989 = GmbHR 1999, 925; Boemke, ZfA 1998, 209, 213. 533 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 989 = GmbHR 1999, 925.

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§ 35 Rz. 264 | Das Anstellungsverhältnis des Einzelfalls zu ermitteln534. Dabei sei jedoch unerheblich, ob die nach außen unbegrenzte Vertretungsbefugnis des GmbH-Geschäftsführers im Innenverhältnis beschränkt sei535. Denn dies betreffe allein die Kompetenzverteilung unter den Gesellschaftsorganen und sage nichts über eine etwaige arbeitsrechtliche Weisungsgebundenheit aus536. Insb. Jaeger/Steinbrück537 haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es der freien Entscheidung der Gesellschafter vorbehalten ist, wie engmaschig sie ihr gesellschaftsrechtliches Weisungsrecht ausüben – der Sache nach konkretisieren sie durch ihre Weisungen die Organpflichten des Geschäftsführers. Die Sichtweise des 5. Senats steht damit aber nicht notwendigerweise im Widerspruch. Im konkreten Fall hat der Senat die Arbeitnehmereigenschaft einer stellvertretenden Geschäftsführerin bereits mit der Feststellung verneint, dass diese ihren Urlaub frei festlegen konnte und diesen nur innerhalb der Geschäftsführung abstimmen musste und dass sie bei der Festlegung der Lage ihrer Arbeitszeit im Wesentlichen frei war. Auf dieser Grundlage würde der 5. Senat vermutlich ein Arbeitsverhältnis nur dann annehmen, wenn dem Geschäftsführer jegliche Freiheit bei der Entscheidung darüber genommen wird, wann und wo die Arbeitsleistung erbracht wird; Gleiches wäre anzunehmen, wenn dem Geschäftsführer keinerlei Spielräume dahingehend verbleiben, wie innerhalb des zugewiesenen Aufgabenbereichs die gesetzten unternehmerischen Ziele zu verfolgen sind. Derlei Sachverhalte werden in der Praxis ausgesprochen selten sein; es ist deshalb wenig überraschend, dass das BAG – soweit ersichtlich – bislang in keinem Sachverhalt allein aus einem besonders engmaschig ausgeübten Weisungsrecht der Gesellschafter(versammlung) auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geschlossen hat. 265 Von vornherein ausgeschlossen ist eine arbeitsrechtliche Weisungsgebundenheit, wenn es

sich um einen Gesellschafter-Geschäftsführer handelt, der zumindest über eine Sperrminorität verfügt538. Denn dessen Einfluss auf die Führung der Gesellschaft ist so erheblich, dass er auch die Leitungsmacht über seine eigene Tätigkeit als Geschäftsführer ausübt539. 266 Wenn die Parteien die Anstellung des Geschäftsführers auf der Grundlage eines ausdrück-

lich als Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrages vornehmen, ergibt sich daraus noch nicht, dass von einem Arbeitsverhältnis im rechtlichen Sinne auszugehen ist; darin liegt – entgegen der Rechtsprechung des BAG540 – nicht notwendigerweise die (bewusste) Entscheidung, den Vertrag dem arbeitsrechtlichen Schutzsystem zu unterwerfen541. Angesichts der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung muss sich die Praxis allerdings darauf einstellen, dass sie sich durch den Begriff „Arbeitsvertrag“ unkorrigierbar festlegt. In englischsprachigen Verträgen sollte deshalb der häufig übergreifend gewählte Begriff „Employment Agreement“ zugunsten von „Managing Director’s Service Agreement“ oder einer ähnlichen Bezeichnung vermieden werden. Ergibt sich nach einer Bewertung aller Umstände ausnahmsweise, dass der Geschäftsführer Arbeitnehmer (vgl. § 611a BGB) ist, sind grundsätzlich sämtliche Vorschriften, die an die Arbeitnehmereigentschaft anknüpfen, auf ihn anzuwenden. Ausgenommen sind lediglich diejenigen Normen, die ausdrücklich nicht auf Organmitglieder anzuwenden sind (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG542, § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG543)544. 534 535 536 537 538 539 540 541 542 543 544

So auch Köhl, DB 1996, 2597, 2602 f. BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 989 = GmbHR 1999, 925. BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 989 = GmbHR 1999, 925. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 279; vgl. auch Lohr, NZG 2001, 828, 829. BAG v. 17.9.2014 – 10 AZB 43/14, NJW 2015, 572, 574 = GmbHR 2015, 30; Boemke, RdA 2018, 1, 3. BAG v. 17.9.2014 – 10 AZB 43/14, NJW 2015, 572, 574 = GmbHR 2015, 30; Boemke, RdA 2018, 1, 3. BAG v. 22.11.2016 – 9 AZB 41/16, AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 105 Rz. 17; s. auch bereits BAG v. 8.9.2015 – 9 AZB 21/15, AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 74 m.w.N. So aber LAG Düsseldorf v. 10.12.2019 – 3 Ta 402/19, BeckRS 2019, 43637 Ls. 2 und Rz. 30 ff. S. ausführlich Rz. 476 ff. S. ausführlich Rz. 562 ff. Hierzu Boemke, RdA 2018, 1, 3.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 269 § 35

Liegt hingegen – wie im Regelfall – ein Dienstverhältnis vor, können bestimmte arbeitsrecht- 267 liche Vorschriften unter Umständen gleichwohl analog anzuwenden sein545. Eine analoge Anwendung kommt nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Betracht, wenn der Geschäftsführer – gleich einem Arbeitnehmer – der Gesellschaft seine Arbeitskraft hauptberuflich zur Verfügung stellt und von den Einkünften aus seiner Tätigkeit wirtschaftlich abhängig ist546. Das sei bei einem Fremdgeschäftsführer547 und bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer ohne Mehrheitsbeteiligung548 regelmäßig der Fall. Sogar bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer mit beherrschendem Einfluss sei eine Analogie grundsätzlich möglich, je nachdem, wie der Einzelfall liegt und welche arbeitsrechtliche Vorschrift konkret in Rede steht549. Folgende Vorschriften sind hingegen (nach h.M.) niemals – auch nicht analog – auf den Ge- 268 schäftsführer anzuwenden: – ArbNErfG550 – § 623 BGB551 – Betriebliche Übung552 – EFZG553 – TVG554 Das Arbeitnehmererfindungsgesetz (AErfG) gilt gemäß dessen § 1 für Arbeitnehmer. Damit 269 ist es auf Geschäftsführer nicht direkt und nach h.M. auch nicht analog anwendbar555. Insbesondere beruht es auch nicht auf einer europäischen Richtlinie, so dass nicht ein unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff maßgeblich ist.

545 BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, NJW 1953, 1465, 1465 f.; BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1270 f. = GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2528 f. = GmbHR 1984, 312; BGH v. 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073, 2074 = GmbHR 1987, 263. 546 Vgl. BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, NJW 1953, 1465, 1465 f.; BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1270 f. = GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2528 f. = GmbHR 1984, 312; BGH v. 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073, 2074 = GmbHR 1987, 263. 547 BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1271 = GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2529 = GmbHR 1984, 312. 548 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2529 = GmbHR 1984, 312. 549 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2529 = GmbHR 1984, 312; ablehnend konkret für analoge Anwendung von § 622 BGB BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2529 = GmbHR 1984, 312; BGH v. 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073, 2074 = GmbHR 1987, 263. 550 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160, 161; OLG Düsseldorf v. 10.6.1999 – 2 U 11/ 98, GmbHR 1999, 1093; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 110. 551 OLG Düsseldorf v. 10.10.2003 – 17 U 35/03, NZG 2004, 478, 480; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250; Gaul, DStR 2000, 691; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Oetker in Staudinger, § 623 BGB Rz. 12; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 134. 552 Kania in Küttner, Personalhandbuch, 25. Aufl. 2018, Stichwort Geschäftsführer, Rz. 26; ausführlich hierzu Nebendahl, NZA 1992, 293 f. 553 Vogelsang in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 1 EFZG Rz. 8; Reinhard in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 EFZG Rz. 2. 554 S. Boemke, RdA 2018, 1, 11 f. m.w.N.; eine Anwendung kann sich allerdings ergeben, wenn der Geschäftsführer als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist, § 12a TVG. 555 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160, 161; OLG Düsseldorf v. 10.6.1999 – 2 U 11/ 98, GmbHR 1999, 1093; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 110.

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§ 35 Rz. 270 | Das Anstellungsverhältnis 270 § 623 BGB (Schriftform für Kündigung) gilt nur für Arbeitnehmer, ist also auf GmbH-Ge-

schäftsführer nur in den Ausnahmefällen anwendbar, in denen diese in einem Arbeitsverhältnis stehen556. Zum Teil wird eine analoge Anwendung auf Geschäftsführer, die nicht am Kapital der GmbH beteiligt sind, gefordert557. Nach ganz herrschender Meinung ist eine solche Analogie allerdings abzulehnen558. 271 Ansprüche des Geschäftsführers lassen sich in der Regel nicht aus betrieblicher Übung her-

leiten, da das gesellschaftsrechtliche Treueverhältnis zwischen Geschäftsführer und GmbH nicht mit der arbeitsrechtlichen Treuebeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vergleichbar ist559. 272 Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) geht vom allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitneh-

merbegriff aus560 und ist daher in der Regel nicht auf Geschäftsführer anwendbar561. cc) Arbeitnehmerähnliche Person 273 Einige arbeitsrechtliche Vorschriften schließen neben Arbeitnehmern auch sog. arbeitneh-

merähnliche Personen in ihren Anwendungsbereich ein, so z.B. § 2 Satz 2 BUrlG oder § 12a TVG. Auch wenn – wie im Regelfall – der Geschäftsführer nicht als Arbeitnehmer einzuordnen ist, kann er als arbeitnehmerähnliche Person dennoch unter den Schutz dieser Normen fallen562. Dafür ist die Rechtsnatur des Anstellungsverhältnisses irrelevant563. Die Einordnung als Dienstvertrag präjudiziert folglich nicht, ob Arbeitnehmerähnlichkeit vorliegen kann. Entscheidend für die Einordnung als arbeitnehmerähnliche Person ist allein, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmerähnlichkeit vorliegen564. 274 Diese Voraussetzungen werden je nach dem Kontext, in dem die relevante Norm steht, un-

terschiedlich definiert. So verlangt etwa § 2 Satz 2 BUrlG lediglich eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beschäftigten. Diese kann bei Fremdgeschäftsführen ohne Weiteres gegeben sein565. Bei Gesellschafter-Geschäftsführern, die zumindest über eine Sperrminorität verfügen, ist dies aber allenfalls ganz ausnahmsweise anzunehmen566. Keine Voraussetzung ist hingegen die persönliche Abhängigkeit bzw. Weisungsgebundenheit567. Ob der Beschäftigte weisungsgebunden und eingegliedert ist, betrifft allein die Frage nach der Arbeitnehmereigenschaft (s. Rz. 263 ff.)568.

556 Spingler in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 623 BGB Rz. 41. 557 Spingler in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 623 BGB Rz. 41. 558 OLG Düsseldorf v. 10.10.2003 – 17 U 35/03, NZG 2004, 478, 480; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250; Gaul, DStR 2000, 691; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Oetker in Staudinger, § 623 BGB Rz. 12; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 134. 559 Kania in Küttner, Personalhandbuch, 25. Aufl. 2018, Stichwort Geschäftsführer, Rz. 26; hierzu ausführlich Nebendahl, NZA 1992, 289 ff. 560 Dörner in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 EFZG Rz. 2. 561 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 82. 562 Zur Frage, ob der Geschäftsführer arbeitnehmerähnliche Person sein kann, s. BGH v. 14.5.1990 – II ZR 122/89, NJW-RR 1990, 1313, 1313 = GmbHR 1990, 389; BAG v. 25.7.1996 – 5 AZB 5/96, AP ArbGG 1979 § 5 Geschäftsführer einer Betriebskrankenkasse als arbeitnehmerähnliche Person Nr. 28; BAG v. 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, Rz. 13, NJW 1981, 302 = GmbHR 1982, 113; Grobys, NJW-Spezial 2005, 513, 514; ausführlich Boemke, RdA 2018, 1, 3, 4. 563 Boemke, RdA 2018, 1, 4. 564 Boemke, RdA 2018, 1, 4. 565 Vgl. BGH v. 14.5.1990 – II ZR 122/89, GmbHR 1990, 389 = AP GmbHG § 35 Nr. 7; Boemke, ZfA 1998, 209, 219 f. 566 Boemke, RdA 2018, 1, 4; vgl. Boemke, ZfA 1998, 209, 220 f. 567 Hierzu auch Wank, AuR 2017, 140, 145; Wank, EuZW 2018, 21, 29. 568 Vgl. Wank, AuR 2017, 140, 145; Wank, EuZW 2018, 21, 29.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 278 § 35

Andere Vorschriften stellen über die wirtschaftliche Abhängigkeit hinausgehende Anfor- 275 derungen an die Arbeitnehmerähnlichkeit. So verlangt § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG auch eine soziale Schutzbedürftigkeit. Diese liegt vor, wenn der Geschäftsführer seiner gesamten sozialen Stellung nach ähnlich einem Arbeitnehmer schutzbedürftig ist569. Entscheidendes Kriterium ist hierbei, ob der Beschäftigte die geschuldete Leistung persönlich und im Wesentlichen ohne Unterstützung durch eigene Beschäftigte erbringt570. Ist das der Fall, besteht regelmäßig Arbeitnehmerähnlichkeit. Mag ein Gesellschafter-Geschäftsführer mit Sperrminoriät unter Umständen von seiner Tätigkeit wirtschaftlich abhängig sein (s. oben), so wird man eine soziale Schutzbedürftigkeit i.S.v. § 12a Abs. 1 Satz 1 TVG generell verneinen müssen. Denn ein solcher Geschäftsführer wird letztlich für sein eigenes Unternehmen tätig und lenkt durch die Blockademöglichkeit bei Gesellschafterbeschlüssen seine Geschäftsführungsbefugnis maßgeblich selbst571. Dies gilt erst recht für Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer572. b) Unionsrecht Bestimmte Normen des Arbeitsrechts können allerdings auf Geschäftsführer anzuwenden 276 sein, unabhängig davon, ob sie unter den national definierten Arbeitnehmerbegriff fallen. Die unionsrechtliche Grundlage zahlreicher arbeitsrechtlicher Rechtsnormen macht eine Prüfung dahingehend erforderlich, ob der betr. Geschäftsführer unter den im maßgeblichen Sachzusammenhang relevanten unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff fällt. Dabei ist darauf zu achten, dass sich (einstweilen) noch kein für das gesamte Unionsrecht maßgeblicher Arbeitnehmerbegriff entwickelt hat, so dass für jeden Normzusammenhang eine spezifische Begriffsbestimmung vorzunehmen ist573. aa) Autonome unionsrechtliche Definition In einigen Fällen enthält das maßgebliche Unionsrecht bereits eine Legaldefinition574; dann 277 ist das Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers unter diesen Begriff zu subsumieren. So gilt nach der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie575 (RL 89/391/EWG) jede Person als Arbeitnehmer, die von einem Arbeitgeber beschäftigt wird, einschließlich Praktikanten und Lehrlinge, jedoch mit Ausnahme von Hausangestellten (Art. 3 lit. a der RL). Als Arbeitgeber wiederum definiert die Richtlinie jede natürliche oder juristische Person, die als Vertragspartei des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer die Verantwortung für das Unternehmen bzw. den Betrieb trägt (Art. 3 lit. b der RL). Nach dieser Definition ist der Fremdgeschäftsführer stets als Arbeitnehmer anzusehen. bb) Verweis auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff Bestimmte unionsrechtliche Regelungen verweisen wiederum ausdrücklich auf den jewei- 278 ligen nationalen Arbeitnehmerbegriff. In diesem Fall richtet sich die Einordnung nach den vom Bundesgerichtshof und vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Kriterien (s. Rz. 261 ff.). Auch hier unterliegen die Mitgliedstaaten aber im Sinne eines „effet utile“ gewissen Be569 BAG v. 30.8.2000 – 5 AZB 12/00; BAG v. 15.11.2005 – 9 AZR 626/04, AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 12; BAG v. 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NZA-RR 2006, 616. 570 Boemke, RdA 2018, 1, 4; vgl. Boemke, ZfA 1998, 209, 219. 571 Boemke, RdA 2018, 1, 4. 572 Vgl. Boemke, RdA 2018, 1, 4. 573 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 15. 574 Vgl. hierzu auch Boemke, RdA 2018, 1, 5; Wank, EuZW 2018, 21, 30. 575 S. hierzu Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe im Europäischen Arbeitsrecht, 2011, S. 267 ff.

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§ 35 Rz. 278 | Das Anstellungsverhältnis schränkungen576, und zwar mit der Zielrichtung, dass die Wirksamkeit des unionsrechtlichen Rechtsaktes nicht durch eine Aushöhlung des Anwendungsbereichs außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden darf. 279 Hierzu zählen vor allem folgende Vorschriften:

– – – –

§ 613a BGB AÜG §§ 15, 18 BEEG577 TzBfG

280 Obwohl § 613a BGB der Umsetzung der Richtlinie 77/187/EWG dient, ist der Arbeitneh-

merbegriff im Zusammenhang mit Betriebsübergängen nicht unionsrechtlich auszulegen, sondern bestimmt sich nach nationalem Recht578. § 613a BGB erfasst nur bestehende Arbeitsverhältnisse und ist nicht analog auf Dienstverhältnisse von Organmitgliedern anwendbar579. 281 Auch der Arbeitnehmerbegriff des AÜG ist nach nationalem Recht zu definieren580. Denn

Art. 3 Abs. 1 der zugrunde liegenden Richtlinie 2008/104 bestimmt: „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck Arbeitnehmer eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach nationalem Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist.“ Allerdings heißt es in Art. 1 Abs. 1 der RL 2008/104, dass Arbeitnehmer Personen sind, „die (…) einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind“.

282 Fraglich ist, ob die zusätzliche Erwähnung des „Beschäftigungsverhältnisses“ den Anwen-

dungsbereich der Richtlinie ausdehnt und dazu anhält, den deutschen Arbeitnehmerbegriff weiter auszulegen. Grundsätzlich gilt, dass der EuGH im Fall einer Verweisung auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff nicht selbst feststellen darf, wer Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie ist, es sei denn, das nationale Recht ist missbräuchlich ausgestaltet581. Eine europäisch-autonome Begriffsbestimmung verbietet sich also582. Gleichwohl hat das BAG in Anlehnung an ein Urteil des EuGH583 entschieden, dass Vereinsmitglieder der DRK Schwesternschaft Arbeitnehmer i.S.d. RL sind584, obwohl dies weder sei-

576 Reinfelder, RdA 2016, 87, 89; EuGH v. 13.9.2007 – C-307/05, ECLI:EU:C:2007:509, NZA 2007, 1223, Rz. 29 – Del Cerro Alonso; EuGH v. 18.1.2007 – C-385/05, ECLI:EU:C:2007:37, NZA 2007, 193, Rz. 40 f. – CGT; Forst, EuZW 2015, 664, 665; vgl. zur Pflicht der unionsrechtskonformen Auslegung zuletzt z.B. BAG v. 4.8.2015 – 3 AZR 137/13, NZA 2015, 1447, Rz. 48 ff.; BAG v. 17.3.2015 – 1 ABR 62/12 (A), ZTR 2015, 400. 577 Vgl. Gaul in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 15 BEEG Rz. 1; Gallner in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 15 BEEG Rz. 3. 578 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, ECLI:EU:C:2011:542, NZA 2011, 1077, 1082; EuGH v. 10.12.1998 – verb. Rs. C-173/96 u. C-247/96, ECLI:EU:C:1998:595, NJW 1999, 1697, 1698; Giesen, ZfA 2016, 47, 60. Zu Folgeproblemen, die sich aus der Danosa-Entscheidung des EuGH ergeben können, Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449, 459. 579 BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552, 554 = GmbHR 2003, 765; Müller-Bonanni in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 613a BGB Rz. 226; Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 613a BGB Rz. 67. 580 So LAG Düsseldorf v. 21.7.2015 – 3 Sa 6/15, BeckRS 2015, 71812; Hoch, BB 2016, 1658, 1659; Lunk, ArbRB 2016, 75; Wank in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 AÜG Rz. 5; Waas in Thüsing, Kommentar AÜG, 4. Aufl. 2018, § 1 Rz. 30. 581 Zutreffend Wank, EuZW 2018, 21, 23. 582 Zutreffend Wank, EuZW 2018, 21, 23. 583 EuGH v. 17.11.2016 – Rs. C-216/15, ECLI:EU:C:2016:883 = NZA 2017, 41 – Ruhrlandklinik (Rs. C-216/15). 584 BAG v. 21.2.2017 -1 ABR 62/12, NZA 2017, 662.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 284 § 35

ner vorigen Rechtsprechung585, noch der herrschenden Meinung in der Literatur586 entsprach. Im Ergebnis führt das dazu, dass bei Richtlinien, die zwar auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff verweisen, indes auch das „Beschäftigungsverhältnis“ in ihren Anwendungsbereich mit einbeziehen, nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gerichte einen weit(er)en nationalen Arbeitnehmerbegriff zugrunde legen587. Dies darf jedoch nicht mit einer unionsrechtlich-autonomen Begriffsbildung verwechselt werden, die in dieser Konstellation gerade nicht statthaft ist (vgl. Rz. 278). Es bleibt dabei, dass der EuGH lediglich eine Missbrauchskontrolle vornehmen darf588, m.a.W. bloß prüfen darf, ob Arbeitsrecht umgangen wird589. Denn der Verweis auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff würde ausgehöhlt, wenn der EuGH den Begriff des „Beschäftigten“ autonom definieren dürfte590. Selbst wenn man Fremdgeschäftsführer nun unter bestimmten Umständen in den Anwen- 283 dungsbereich des AÜG einbeziehen wollte, wäre das Gesetz nur in Fällen anwendbar, in denen ein Geschäftsführer dem Entleiher zur Verfügung gestellt wird, damit er „bei diesem eine weisungsabhängige Tätigkeit gegen Entgelt verrichtet, und er aufgrund seiner Arbeitsleistung ähnlich einem Arbeitnehmer sozial geschützt ist“591. Eine solche Konstellation ist in der Praxis kaum denkbar. Keinesfalls ist das AÜG in Fällen anwendbar, in denen der Geschäftsführer zusätzlich zu seiner Tätigkeit bei der Anstellungsgesellschaft die Aufgaben eines Geschäftsführers in anderen Konzerngesellschaften erbringt, es sei denn, dass er im Hinblick auf seine Tätigkeit bei der anderen Konzerngesellschaft im Sinne der allgemeinen Regeln (s. Rz. 261 ff.) ausnahmsweise als Arbeitnehmer anzusehen ist; in diesen Konstellationen fehlt es bereits an einer Tätigkeit als Arbeitnehmer oder einer solchen in vergleichbarer sozialer Stellung592. Maßgebliches Kriterium für die Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung ist die „arbeitsbezogene Weisungsbefugnis des Entleihers“ gegenüber der überlassenen Person593. Auch bei einer zusätzlichen Tätigkeit als Arbeitnehmer einer verbundenen Gesellschaft ohne gesonderten Arbeitsvertrag wäre das AÜG nicht anwendbar, da keine hauptberufliche Tätigkeit vorläge594. Alleingesellschafter-Geschäftsführer und solche mit Mehrheitsbesitz am Gesellschaftskapital unterfallen von vornherein nicht dem AÜG595. Denn sie unterfielen „nicht einmal“ dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff (s. unten). Für die Frage, ob ein Geschäftsführer unter den perönlichen Anwendungsbereich der §§ 15, 284 18 BEEG fällt, ist der nationale Arbeitnehmerbegriff heranzuziehen596. Die Maßgeblichkeit 585 BAG v. 20.2.1986 – 6 ABR 5/85, NJW 1986, 2906; BAG v. 6.7.1995 – 5 AZB 9/93, NZA 1996, 33; BAG v. 22.4.1997 – 1 ABR 74/96, NZA 1997, 1297. 586 Weber, Ist die Rotekreuzschwester Arbeitnehmerin ihrer Schwesternschaft?, 2009, S. 2 ff. mit zahlreichen Literaturhinweisen. 587 Vgl. Wank, EuZW 2018, 21, 30. 588 Wank, EuZW 2018, 21, 22. 589 BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 62/12, NZA 2017, 662 (DRK-Schwesternschaft) Leitsatz Nr. 5. 590 Wank, EuZW 2018, 21, 23. 591 BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 62/12, NZA 2017, 662 (DRK-Schwesternschaft) Leitsatz; so auch Boemke in Boemke/Lembke, 3. Aufl. 2013, § 1 AÜG Rz. 37. 592 Boemke, RdA 2018, 1, 14; Boemke in Boemke/Lembke, 3. Aufl. 2013, § 1 AÜG Rz. 37. 593 Höpfner in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 1 AÜG Rz. 21; s. auch BAG v. 17.1.2017 – 9 AZR 76/16, NZA 2017, 572 = GmbHR 2017, 748. 594 Vgl. zu diesem Kriterium BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 62/12, NZA 2017, 662 (DRK-Schwesternschaft) Rz. 30. 595 BAG v. 17.1.2017 – 9 AZR 76/16, NZA 2017, 572 Rz. 22 = GmbHR 2017, 748; Lembke, NZA 2013, 1312, 1314 f.; Schüren/Hamann, 5. Aufl. 2018, § 1 AÜG Rz. 60; Boemke, RdA 2018, 1, 13 f. 596 Zu den Einzelheiten und der Bedeutung von Art. 2 RL 2019/1158/EU nach Ablauf der Umsetzungsfrist (2.8.2022) für den GmbH-Fremd-Geschäftsführer vgl. Gaul in Henssler/Willemsen/

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§ 35 Rz. 284 | Das Anstellungsverhältnis eines unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs ergibt sich insbesondere auch nicht aus der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub zur RL 2010/18/EG597. Denn Abschnitt II, § 1 Abs. 2 der Rahmenvereinbarung bezieht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren Anwendungsbereich ein, die gemäß den Rechtsvorschriften (…) in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben. Allerdings werden auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasst, die ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind (ebenda). Vor diesem Hintergrund könnte sich die Rechtsprechung auch hier versucht fühlen, einen weiter gefassten Arbeitnehmerbegriff zugrunde zu legen (s. dazu Rz. 282). 285 Das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) findet schon seinem

Wortlaut nach nur auf Arbeitsverhältnisse Anwendung und ist auf Geschäftsführer-Dienstverträge folglich nicht anwendbar. Das Gesetz beruht auf den Richtlinien 1999/70/EG und 97/81/EG. In deren Anhang ist jeweils in § 2 Nr. 1 vermerkt, dass die Richtlinie für Teilzeitbeschäftigte gilt, welche nach nationalem Recht in einem Arbeitsverhältnis stehen598. Folglich ist allein maßgeblich, ob nach nationalem Recht ein Arbeitsverhältnis vorliegt599. Es kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Europäische Gerichtshof den Arbeitnehmerbegriff im Rahmen der Befristungsrichtlinie unionsrechtlich auslegt (s. dazu Rz. 467). cc) Maßgeblichkeit eines unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs 286 In allen anderen Fällen – wenn also weder eine autonome unionsrechtliche Begriffsbestim-

mung vorliegt noch auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff verwiesen wird – ist durch Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrundlage nach Wortlaut, Historie, Systematik und Telos zu ermitteln, welcher Arbeitnehmerbegriff zugrunde zu legen ist600. In der Regel zieht der EuGH den Arbeitnehmerbegriff heran, der im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 AEUV entwickelt worden ist601.

287 Danach ist Arbeitnehmer, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach des-

sen Weisungen Leistungen erbringt, für die er eine Vergütung erhält602. Nach dieser Definition können lediglich Alleingesellschafter-Geschäftsführer und Geschäftsführer mit Mehrheitsbeteiligung von vornherein keine Arbeitnehmer sein603; in allen anderen Konstellationen kommt es auf den Grad der Weisungsabhängigkeit im Einzelfall an. Die EuGH Entschei-

597 598 599

600 601 602

603

Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 15 BEEG Rz. 1; Gallner in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 15 BEEG Rz. 3; Rolfs in Ascheid/Preis/Schmidt, 5. Aufl. 2017, § 18 BEEG Rz. 4 f.; vgl. VG Darmstadt v. 26.3.2012 – 5 K 1830/11 DA, BeckRS 2012, 53528; Boemke, RdA 2018, 1, 19. S. hierzu Boemke, RdA 2018, 1, 19. S. aber EuGH v. 8.9.2011 – Rs. C-177/10, ECLI:EU:C:2011:557, NZA 2011, 1219, 1221 – Rosado Santana. So auch Laux in Laux/Schlachter, 2. Aufl. 2011, § 2 TzBfG Rz. 7; Giesen, ZfA 2016, 47, 60 f.; a.A.: Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 3 TzBfG Rz. 2: Eine unionsrechtliche Interpretation des Arbeitnehmerbegriffs komme unter Einbeziehung jedenfalls der Fremdgeschäftsführer in Betracht. S. Boemke, RdA 2018, 1, 5. Z.B. EuGH v. 7.4.2011 – C-519/09, ECLI:EU:C:2011:221 = BeckRS 2013, 87054 – May; zur Kritik an dieser Praxis s. Junker, EuZA 2016, 184, 190 ff.; Wank, EuZW 2018, 21, 29. EuGH v. 3.7.1986 – 66/85, ECLI:EU:C:1986:284, NJW 1987, 1138; EuGH v. 27.6.1996 – Rs. C107/94, ECLI:EU:C:1996:251, NJW 1996, 2921, 2922; EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU: C:2010:674, NJW 2011, 2343, 2344; EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455, NJW 2015, 2481, 2482. EuGH v. 27.6.1996 – C-107/94, ECLI:EU:C:1996:251, NJW 1996, 2921; EuGH v. 10.9.2015 – Rs. C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574, NZA 2016, 183 („Holtermann“). EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/ 09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343; Lunk, NZA 2015, 917, 919; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 58.

84 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 290 § 35

dung Danosa604 war insofern richtungsweisend. Mit der Entscheidung Balkaya605 wurde darüber hinaus klargestellt, dass es für die Arbeitnehmereigenschaft des nicht oder nur unwesentlich beteiligten Geschäftsführers darauf ankommt, dass dieser jederzeit und ohne Weiteres von seiner Organstellung abberufen werden kann, was gemäß § 38 Abs. 1 den Regelfall darstellt. Bei satzungsmäßigen Einschränkungen der Abberufungsmöglichkeit (§ 38 Abs. 2) und bei Gesellschaften, die unter das MitbestG fallen, fehlt es an diesem Kriterium, weshalb die betreffenden Geschäftsführer in aller Regel nicht unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff fallen. Damit scheint die Weisungsgebundenheit erste und entscheidende Voraussetzung für die 288 (unionsrechtliche) Arbeitnehmereigenschaft zu sein. Diese herrschende Lesart606 der Danosa-Entscheidung zieht Annuß jedoch in Zweifel607. Nicht die Weisungsgebundenheit, sondern das weiter gefasste Kriterium der Unterordnung sei in der Sache Danosa entscheidungsleitend gewesen608. Die Frage der Weisungsgebundenheit sei zwar bei der Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft zu berücksichtigen; ihr komme indes nicht die allein entscheidende Bedeutung zu609. Arbeitnehmer sei vielmehr, wer in eine fremdgeschaffene hierarchische Struktur eingegliedert sei610. Für dieses Verständnis spricht, dass der EuGH in der genannten Entscheidung die Weisungsgebundenheit eines Organwalters für die Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft für entbehrlich erklärte, solange dieser nur in die Gesellschaft eingegliedert sei und seine Tätigkeit gegen Entgelt und unter Aufsicht eines anderen Gesellschaftsorgans ausübe611. Daraus folgert Annuß, dass auch der Vorstand einer Aktiengesellschaft Arbeitnehmer nach den in der Danosa-Entscheidung entwickelten Kriterien ist612. Dabei folge die Arbeitnehmereigenschaft nicht alleine aus dem Anstellungsvertrag, sondern bereits aus der organschaftlichen Stellung des Vorstands, die ihn der Verteilungsmacht der Gesellschaft unterstelle613. Das überzeugend herausgearbeitete – weiter gefasste – Kriterium der Unterordnung führt 289 dazu, dass Fremdgeschäftsführer und Gesellschafter-Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss erst recht dem Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV unterfallen. Aber auch der Gesellschafter-Geschäftsführer mit Sperrminorität wäre nach dieser Ansicht wohl unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu subsumieren; denn auch jener ist in eine fremdgeschaffene hierarchische Struktur eingegliedert. Ob sich diese – nur sehr grob skizzierten – Leitlinien allerdings in allen denkbaren Zusam- 290 menhängen als gültig erweisen, ist keineswegs gesichert. Ebenso wie die Abgrenzung von Arbeitsverhältnis und freiem Dienstvertrag nach deutschem Recht in Abhängigkeit davon erfolgt, um welchen Regelungszusammenhang es geht, fehlt es auch im Europäischen Recht an einer absolut trennscharfen Unterscheidung, so dass für jeden Normzusammenhang eine spezifische Begriffsbestimmung vorzunehmen ist614. 604 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343. 605 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455, NJW 2015, 2481 = GmbHR 2015, 979. 606 Vgl. nur Kort, NZG 2013, 601, 602; Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1990; Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597; Baeck/Winzer, NZG 2011, 101; Miras, GWR 2012, 311; Reufels/Molle, NZA-RR 2011, 281, 283. 607 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 15 ff. 608 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16; so auch Ziemons, KSzW 2013, 19, 20. 609 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16. 610 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16. 611 EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343; hierzu auch Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16. 612 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16, 17. 613 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 17. 614 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 15.

Hohenstatt | 85

§ 35 Rz. 291 | Das Anstellungsverhältnis 291 Zu den Vorschriften, denen im Grundsatz der Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV zu

Grunde liegt, gehören vor allem: – ArbZG – BUrlG – MuSchG615 – §§ 17 ff. KSchG (Anzeigepflichten bei Massenentlassungen)616 – AGG617 – §§ 168 ff. SGB IX (Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen) 292 Dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist der allgemeine arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff zu-

grunde zu legen, der sich nach dem am 1.4.2017 in Kraft getretenen § 611a BGB bestimmt. Bei rein nationaler Betrachtung wäre das Gesetz damit in der Regel nicht auf Geschäftsführer anzuwenden618. Auf der Grundlage einer Entscheidung des EuGH619 zu einem beamteten Feuerwehrmann wird allerdings zunehmend vertreten, dass im Arbeitszeitrecht ein „autonomer Begriff“ des Arbeitnehmers zugrunde gelegt werden müsse620. Daraus schließen einige Autoren, dass das ArbZG auch auf Fremdgeschäftsführer anzuwenden sei, sofern sie jederzeit und ohne Weiteres abberufen werden können621. Dies ist jedoch abzulehnen, da mit dieser Sicht der Dinge eine Verwechslung der Verantwortlichkeiten einherginge. Es ist ja gerade Aufgabe der Geschäftsführer, den Betrieb so zu organisieren, dass das ArbZG Beachtung findet; der Geschäftsführer ist deshalb nicht in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert622. Dem steht nicht entgegen, dass das ArbZG auf der Richtlinie 2003/88/EG beruht und demnach ein unionsrechtlich zu bestimmender Arbeitnehmerbegriff zu Grunde zu legen ist. Wie bereits ausgeführt, gibt es gerade keinen einheitlichen unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff; dieser ist im jeweiligen Normenumfeld zu bestimmen (s. Rz. 276). Im Arbeitszeitrecht ergibt es aber keinen Sinn, Personen einzubeziehen, die keinem arbeitsrechtlichen Weisungsrecht im engeren Sinne unterliegen. Im Übrigen gestattet Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie, von den Vorgaben über die wöchentliche Arbeitszeit und über Nachtarbeit abzuweichen, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann, und zwar insbesondere in Bezug auf leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis. Darunter fallen nach zutreffender Ansicht auch Fremdgeschäftsführer623. Es ist deshalb folgerichtig, auf Geschäftsführer

615 S. hierzu Rz. 531 ff. 616 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455, NJW 2015, 2481 = GmbHR 2015, 979; ausführlich und kritisch hierzu Lunk/Hildebrand, NZA 2016, 129. 617 S. hierzu Rz. 343. 618 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284; Gäntgen in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 2 ArbZG Rz. 10. 619 EuGH v. 3.5.2012 –C-337/10, ECLI:EU:C:2012:263 – Neidel, NVwZ 2012, 688 m. Anm. Stiebert/ Pötters. 620 Wank in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 2 ArbZG Rz. 3; Giesen, ZfA 2016, 47, 64; Forst, EuZW 2015, 664, 667; a.A. Gäntgen in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 2 ArbZG Rz. 10; Baeck/Deutsch, 3. Aufl. 2014, § 2 ArbZG Rz. 22. 621 Henssler/Lunk, NZA 2016, 1425, 1429 m.w.N.; Wank in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 2 ArbZG Rz. 3. 622 S. zu diesem Kriterium Baeck/Deutsch, 3. Aufl. 2014, § 2 ArbZG Rz. 94. 623 Forst, EuZW 2015, 664, 667.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 295 § 35

§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG anzuwenden624, soweit man sie – entgegen der hier vertretenen Auffassung – überhaupt in den gesetzlichen Schutzbereich einbeziehen möchte. Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) gewährt gemäß § 1 BUrlG nur Arbeitnehmern einen 293 Anspruch und ist nach wohl noch h.M. nicht (analog) auf Geschäftsführer in einem Geschäftsführer-Dienstverhältnis anwendbar625. Inzwischen weist ein Teil der Literatur jedoch richtigerweise darauf hin, dass sich bei unionsrechtskonformer Auslegung eine Anwendung des Gesetzes auf Geschäftsführer ergibt, da Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausgeht626. Da unter diesen Begriff auch Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss fallen, sofern sie jederzeit und ohne Weiteres abberufen werden können, dürfte das Bundesurlaubsgesetz auch auf diese anwendbar sein (s. zum Urlaub des Geschäftsführers noch näher unter Rz. 401). Nach der wohl h.M. sind die Vorschriften des besonderen Kündigungsschutzes für schwer- 294 behinderte Menschen (§§ 168 ff. SGB IX) nicht auf Organmitglieder anwendbar627. Es bestehen mittlerweile aber Zweifel, ob dieser Schutz nicht auch auf (bestimmte) Geschäftsführer Anwendung finden muss. In der Rechtssache Milkova hat es der EuGH628 in einem Fall, den ein bulgarisches Gericht vorgelegt hatte, für denkbar gehalten, dass der besondere Kündigungsschutz von Schwerbehinderten auch auf Beamte anzuwenden sein könnte, wenn anderenfalls bei der Anwendung der Richtlinie und des darauf beruhenden nationalen Rechts ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot zu verzeichnen wäre. Dieses Ergebnis stützte der EuGH auf Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, der im Licht des mit dem Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26.11.2009 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und in Verbindung mit dem in den Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auszulegen sei. Daraus wird in der Literatur der Schluss gezogen, dass sich auch Geschäftsführer im unionsrechtlichen Sinne auf den Schutz gemäß §§ 168 ff. SGB IX berufen können; denn für deren Ausschluss aus dem Anwendungsbereich gebe es keine im Rahmen des Schutzzwecks der Vorschriften rechtfertigenden Gründe629.

4. Zusätzliches oder früheres Arbeitsverhältnis mit der GmbH Für die rechtliche Einordnung des Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers kann das 295 Bestehen zusätzlicher oder früherer Arbeitsverhältnisse mit derselben GmbH von Bedeutung

624 Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 193; Hildebrand, Arbeitnehmerschutz von geschäftsführenden Gesellschaftsorganen im Lichte der Danosa-Entscheidung des EuGH, Frankfurt a.M., 2014, S. 253 ff.; a.A. Henssler/Lunk, NZA 2016, 1425, 1429; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 55 f. 625 OLG Frankfurt v. 9.2.2007 – 24 U 185/06, GmbHR 2007, 1222; OLG Düsseldorf v. 23.12.1999 – 6 U 119/99, GmbHR 2000, 278; einschränkend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 140; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 82, 121; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284, die jedoch zu Recht auf die kaum vorhandene praktische Relevanz dieser Frage hinweisen. 626 Forst, GmbHR 2012, 821; Leopold, ZESAR 2011, 362, 367; Fischer, NJW 2011, 2329, 2332; für eine grundsätzliche Anwendung des BurlG, wenngleich mit zahlreichen Einschränkungen Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, Rz. 119 f. 627 Thies in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 168 SGB IX Rz. 7; Rolfs in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 168 SGB IX Rz. 3. 628 EuGH v. 9.3.2017 – C-406/15 – Mikova, NZA 2017, 439. 629 Porsche, ZESAR 2017, 451, 455; wohl auch Sagan, NZA-Beilage 2018, 47, 49; Schubert/Jerchel, EuZW 2017, 551, 557; Köhlert, NZA-RR 2018, 113, 118.

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§ 35 Rz. 295 | Das Anstellungsverhältnis sein. Wenn der Geschäftsführer zusätzlich zu seinem Geschäftsführer-Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis mit derselben Gesellschaft begründet hat, können parallel zwei Anstellungsverträge verschiedener Rechtsnatur vorliegen630. Dabei dürfte es sich allerdings um eine selten anzutreffende Vertragspraxis handeln, von der aus Gründen der Rechtssicherheit abzuraten ist. 296 Praktisch bedeutsamer ist der Fall, dass ein bereits als Arbeitnehmer tätiger Mitarbeiter

zum Geschäftsführer derselben Gesellschaft bestellt wird. Während nach früherer Rechtsprechung ein vor dem Abschluss des Geschäftsführer-Dienstvertrages bestehendes Arbeitsverhältnis während der Durchführung des Geschäftsführerverhältnisses im Zweifel nur ruhen und nach Beendigung wieder aufleben sollte, ist nach aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (s. im Einzelnen Rz. 478 ff.) regelmäßig davon auszugehen, dass mit dem Abschluss eines Geschäftsführer-Dienstvertrages ein zuvor bestehendes Arbeitsverhältnis aufgehoben wird. Wird ein schriftlicher Geschäftsführer-Dienstvertrag geschlossen, besteht das vorherige Arbeitsverhältnis nur ruhend fort, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben. Fehlt eine solche Vereinbarung, ist im Zweifel von der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses auszugehen, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, die deutliche Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Parteiwillen ergeben (vgl. hierzu und zur Einhaltung der Schriftform gemäß § 623 BGB in diesem Zusammenhang Rz. 479 f.).

5. Anstellungsverhältnis im Konzern 297 Die Rechtsnatur des Anstellungsverhältnisses kann dadurch beeinflusst werden, dass der Ge-

schäftsführer nicht bei der GmbH selbst, sondern bei einem Dritten angestellt ist, ohne dass ein gesonderter Geschäftsführer-Dienstvertrag abgeschlossen wird oder wenn mit diesem Dritten der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag abgeschlossen wird. Denkbar sind die folgenden Fallgestaltungen: 298 Ein Mitarbeiter des herrschenden Unternehmens wird zum Geschäftsführer der Tochterge-

sellschaft bestellt. Er bleibt für das herrschende Unternehmen in nicht unwesentlichem Umfang tätig. Hat er nur mit dem herrschenden Unternehmen einen Vertrag (sog. Drittanstellung), so ist die Übernahme der Geschäftsführertätigkeit bei der Tochtergesellschaft ein unselbständiger Teil seines Arbeitsvertrages631 (vgl. Rz. 480). Dies kann freilich nur gelten, wenn der Geschäftsführer nicht Mehrheitsgesellschafter des herrschenden Unternehmens ist632. 299 Ein Mitarbeiter des herrschenden Unternehmens wird zum Geschäftsführer der Tochterge-

sellschaft bestellt. Er ist nur noch bei der Tochtergesellschaft tätig. Der Arbeitsvertrag wird anlässlich der Bestellung nicht ausdrücklich aufgehoben oder zum Ruhen gebracht. Wenn neben dem Arbeitsvertrag kein gesonderter Dienstvertrag geschlossen wurde, kann das Arbeitsverhältnis schuldrechtliche Grundlage der Organstellung sein633. Wird hingegen ein schriftlicher Dienstvertrag geschlossen, geht die Rechtsprechung davon aus, dass das Arbeitsverhältnis im Zweifel aufgehoben wird, sofern nicht deutliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Arbeitsverhältnis lediglich ruhen soll634. Wird der Dienstvertrag mit der Toch-

630 Reiserer in Moll, Münchener Anwaltshandbuch ArbR, 4. Aufl. 2017, Teil B, § 6 Rz. 78. 631 OLG Frankfurt v. 5.6.1997 – 5 W 4/97, GmbHR 1997, 1106, 1107 = GmbH-StB 1997, 288; vgl. Reinfelder, RdA 2018, 87, 93. 632 BAG v. 6.5.1998 – 5 AZR 612/97, GmbHR 1998, 928, 930. 633 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430. 634 BAG v. 8.6.2000 – 2 AZR 207/99, NJW 2000, 3732, 3733 f. = GmbHR 2000, 1092; BAG v. 7.10.1993 – 2 AZR 260/93, GmbHR 1994, 243, 244; BAG v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, NJW 2007, 3228 =

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 302 § 35

tergesellschaft geschlossen, ist zu berücksichtigen, dass zur Aufhebung des Arbeitsvertrages mit der Muttergesellschaft insbesondere auch die Unterzeichnung des diesbezüglich vertretungsberechtigten Organs der Muttergesellschaft erforderlich ist635 (§ 623 BGB; vgl. Rz. 479). Denkbar ist schließlich der Fall, dass der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft zugleich 300 auch für das herrschende Unternehmen tätig ist und mit beiden Gesellschaften Verträge hat. Hier ist zu fragen, ob beide Verträge eine Einheit bilden oder ob sie sich trennen lassen636. Bestimmte Umstände sprechen dabei für einen einheitlich gemischten Vertrag. Solche Umstände sind der gleichzeitige Vertragsabschluss, ein einheitlicher Inhalt der verschiedenen Vereinbarungen und die gegenseitige Abhängigkeit der Vereinbarungen voneinander. Entscheidend ist dann das wirtschaftliche Schwergewicht dieses einheitlichen gemischten Vertrages. Liegt der Schwerpunkt in der Tätigkeit als Geschäftsführer, so ist der Vertrag, wenn man der herrschenden Ansicht folgt, ein Dienstvertrag des selbständig Tätigen. Liegt der Schwerpunkt in der nachgeordneten Tätigkeit beim herrschenden Unternehmen, so handelt es sich um einen Arbeitsvertrag. Sprechen die Umstände aber gegen einen einheitlich gemischten Vertrag, so sind die einzelnen Verträge rechtlich getrennt zu beurteilen. Der eine Vertrag etwa kann gekündigt werden, während der andere Vertrag fortbesteht; für den einen Vertrag mag Kündigungsschutz bestehen und für den anderen nicht. Der Praxis ist zu empfehlen, die Rechtsnatur und den Inhalt beider Vertragsverhältnisse zweifelsfrei zu regeln. Gleiches gilt für eine etwaige Verknüpfung der Rechtsverhältnisse.

6. Anstellungsverhältnis in der GmbH & Co. KG In der GmbH & Co. KG kann der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers auch zwischen 301 der KG und dem Geschäftsführer geschlossen werden. Mangels Organstellung im Verhältnis zur KG hat das Bundesarbeitsgericht früher angenommen, dass der Geschäftsführer – je nach Ausgestaltung des Vertrags im Einzelnen – Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person der KG sein kann637. Das Bundesarbeitsgericht ist inzwischen jedoch von dieser streng formalen Betrachtungsweise abgerückt638. Zwar bezieht sich diese Rechtsprechung explizit nur auf die Frage, ob die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift. Jedoch stellt das Bundesarbeitsgericht mit dieser neueren Rechtsprechung wesentlich darauf ab, dass der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auch zur Vertretung der KG berufen ist639. Damit steht der Geschäftsführer auch bei der KG im Arbeitgeberlager und kann daher auch bei Anstellung durch die KG zu dieser nur in einem Dienstverhältnis, nicht aber in einem Arbeitsverhältnis stehen (zur Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes in dieser Konstellation s. Rz. 481). Wird ein Arbeitnehmer der GmbH & Co. KG zum Geschäftsführer der Komplementär- 302 GmbH bestellt, muss darauf geachtet werden, dass für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses die KG zuständig ist und deshalb Partei des schriftlich (§ 623 BGB) abzuschließenden Aufhebungsvertrages sein muss. Bei der Umwandlung einer GmbH in eine GmbH & Co.

635 636 637 638 639

GmbHR 2007, 1219; anders noch BAG v. 9.5.1985 – 2 AZR 330/84, NZA 1986, 792, 794 = GmbHR 1986, 263. Goll-Müller/Langenhan-Komus, NZA 2008, 687, 688 f. Vgl. BAG v. 24.8.1972 – 2 AZR 437/71, AP BGB § 611 Gemischter Vertrag Nr. 2. BAG v. 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, GmbHR 1981, 109, 111 m. Anm. Bauer. Vgl. BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NZA 2003, 1108, 1109 f. = GmbHR 2003, 1208. BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NZA 2003, 1108, 1110 = GmbHR 2003, 1208; zustimmend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 294; Koch in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 5 ArbGG Rz. 8; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 103.

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§ 35 Rz. 302 | Das Anstellungsverhältnis KG wandelt sich der Dienstvertrag nicht in ein dem Kündigungsschutz unterliegendes Arbeitsverhältnis640, auch wenn es zukünftig zur KG besteht. 303–310 Einstweilen frei.

XII. Abschluss und Änderung des Anstellungsvertrages 1. Verhältnis zu Satzung und Gesetz 311 Streitig ist die Behandlung von Vereinbarungen im Anstellungsvertrag, die von den gesetzli-

chen (gesellschaftsrechtlichen) Bestimmungen und/oder der Satzung abweichen oder sie konkretisieren. Zu denken ist an Vereinbarungen über die zu bestellende Zahl der Geschäftsführer, über den Umfang der Geschäftsführungs- und die Art der Vertretungsbefugnis (Einzelvertretung oder Gesamtvertretung), über die Geschäftsverteilung, über die Grenzen der Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung (s. 12. Aufl., § 37 Rz. 46), über die Dauer der Bestellung, über die Voraussetzungen der Abberufung, z.B. Beschränkung auf das Vorliegen wichtiger Gründe (s. 12. Aufl., § 38 Rz. 38 f.), über eine Haftungsbegrenzung oder Haftungsmilderung usw. a) Anstellungsvertrag und zwingendes Gesetzesrecht 312 Widerspricht der Anstellungsvertrag zwingenden gesellschaftsrechtlichen Bestimmun-

gen641, etwa Vorschriften zum Schutz der Gläubiger oder Minderheitsgesellschafter, enthält er z.B. entgegen § 51a ein Verbot, Minderheitsgesellschaftern Auskunft zu erteilen, oder widerspricht der Anstellungsvertrag sonstigem zwingendem Gesetzesrecht (z.B. Freistellung von Bilanzierungspflichten), ist die entsprechende Regelung gemäß § 134 BGB nichtig642. Abweichungen von dispositivem Gesetzesrecht sind hingegen wirksam (s. Rz. 320 f.). b) Anstellungsvertrag mit satzungsdurchbrechender Regelung 313 Weitgehend Einigkeit besteht auch im Hinblick auf Bestimmungen im Anstellungsvertrag,

die von der Satzung abweichen (sog. Satzungsdurchbrechung). Beispiel: Der Anstellungsvertrag entbindet den Geschäftsführer von einem statuarischen Zustimmungsvorbehalt zugunsten eines Beirats643. Die früher vereinzelt vertretene Auffassung, wonach satzungsdurchbrechenden Vereinbarungen im Anstellungsvertrag Vorrang gegenüber der Satzung644 zukomme, ist nicht haltbar. Nach ganz herrschender Meinung haben umgekehrt Satzungsregelungen Vorrang gegenüber der im Anstellungsvertrag vereinbarten Regelung645. Teilweise wird vertreten, dass satzungsdurchbrechende Regelungen im Anstellungsvertrag „nicht mög-

640 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 160. 641 OLG Stuttgart v. 27.2.1979 – 12 U 171/77, DB 1979, 884, 885 (betr. Vorstandsmitglied einer AG). 642 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 5; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 11. 643 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 13. 644 Flume, Die juristische Person, 1983, S. 350; van Venrooy, GmbHR 1982, 175, 178. 645 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, GmbHR 2010, 808, 809: das Anstellungsverhältnis ist nachrangig, dienstvertragliche Abreden dürfen deshalb nicht in die statuarische Ausgestaltung des Organverhältnisses eingreifen; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 274; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 244; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 13; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 42 Rz. 47; a.A. Flume, Die juristische Person, 1983, S. 350; van Venrooy, GmbHR 1982, 175, 178.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 315 § 35

lich“646 – also unwirksam – seien. Überwiegend geht man hingegen von der schuldrechtlichen Wirksamkeit der satzungsdurchbrechenden Regelungen im Anstellungsvertrag aus647. Die Gesellschaft ist nicht gehindert, Vereinbarungen abzuschließen, die der Satzung widersprechen. Aus derlei Bestimmungen steht dem Geschäftsführer jedoch weder ein Erfüllungsnoch ein Unterlassungsanspruch zu; er ist bei Nichterfüllung vielmehr – sofern die übrigen Voraussetzungen hierfür gegeben sind – auf Schadensersatz beschränkt648. Vereinzelt wird hingegen nach dem Zeitpunkt der Divergenz zwischen Satzung und ver- 314 traglicher Regelung differenziert649: Liege die Divergenz bereits bei Abschluss des Anstellungsvertrages vor, sei die vertragliche Regelung unwirksam; entstehe sie hingegen durch eine spätere Satzungsänderung, bleibe die vertragliche Abrede wirksam650. Diese Auffassung führt in der Regel zu richtigen Ergebnissen, da sie zu schuldrechtlichen Sekundäransprüchen des Geschäftsführers nur in den Konstellationen gelangt, in denen eine nachträgliche Satzungsänderung im Widerspruch zum Anstellungsvertrag steht. Dogmatisch konsequenter erscheint jedoch die Linie, die generell vom organisationsrechtlichen Vorrang der Satzung und damit von der organisationsrechtlichen Wirkungslosigkeit651 der entgegenstehenden Bestimmungen im Anstellungsvertrag, andererseits jedoch von ihrer schuldrechtlichen Wirksamkeit ausgeht; Schadensersatzansprüche bleiben auch nach dieser Lehre auf die Fälle einer nachträglichen Satzungsänderung beschränkt, da der Geschäftsführer bei Abschluss des Anstellungsvertrages nicht auf Vertragsregelungen vertrauen darf, die erkennbar im Widerspruch zur Satzung stehen. In jedem Fall muss sich der Geschäftsführer im Rahmen seiner organschaftlichen Pflichten 315 an die (geänderten) Satzungsbestimmungen halten, (auch) sofern diese über die Pflichten gemäß dem Anstellungsvertrag hinausgehen. Eine Geschäftsordnung oder Einzelweisungen der Gesellschafter sind auch dann zu befolgen, wenn sie dem Anstellungsvertrag widersprechen; dies folgt aus § 37 Abs. 1652. Verstößt der Geschäftsführer gegen die zwingenden Vorgaben der Satzung, kann dies die Gesellschaft ggfls. zur außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages gemäß § 626 Abs. 1 BGB berechtigen653; die Gesellschaft muss den Geschäftsführer allerdings bei nicht völlig klarer Rechtslage auf den Vorrang der Satzung und die organisationsrechtlichen Wirkungslosigkeit der satzungsdurchbrechenden Bestimmungen des Anstellungsvertrages hinweisen654. Bei unzumutbaren Einschränkungen seines Aufgaben- und Kompetenzbereichs kann der Geschäftsführer allerdings seinerseits nach § 626 BGB außerordentlich kündigen (vgl. Rz. 317)655.

646 So noch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 38 Rz. 21 (zur schuldrechtlichen Einschränkung der Abrufbarkeit). 647 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 13, 15 m.w.N. 648 Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 42 Rz. 47; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 16; für das österreichische Recht: Koppensteiner, 2. Aufl., Wien 1999, § 15 GmbHG Rz. 19; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 27. 649 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 275. 650 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 247; vgl. Reuter in FS Zöllner, 1998, S. 487, 492 f. 651 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 13. 652 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 14, 17; OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/ 84, ZIP 1984, 1476, 1478 f. 653 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 7; vgl. Lenz in Michalski u.a., Rz. 168. 654 Dies gilt trotz des Grundsatzes, dass gegenüber Geschäftsführern i.d.R. keine Notwendigkeit einer Abmahnung besteht (vgl. Rz. 487 ff.). In der hier gegebenen Konstellation trägt die Gesellschaft eine (Mit-)Verantwortung für die Vereinbarung satzungsdurchbrechender Regelungen im Anstellungsvertrag. 655 OLG Frankfurt v. 17.12.1992 – 26 U 54/92, GmbHR 1993, 288, 290; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 16 („weiche und liquidiere“); Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 247.

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§ 35 Rz. 316 | Das Anstellungsverhältnis 316 Werden dem Geschäftsführer im Anstellungsvertrag Beschränkungen auferlegt, die über die

Satzung hinausgehen (z.B. zusätzliche Zustimmungserfordernisse), sind diese zwar organisationsrechtlich wirkungslos, schuldrechtlich hingegen wirksam; es ist daher inkonsequent, wenn die h.M. in dieser Konstellation bei einem Verstoß gegen die vertraglichen Vorgaben Sanktionen auf der Ebene des Anstellungsvertrages ausschließt656. 317 Bei Satzungsänderungen, die im Widerspruch zum Anstellungsvertrag stehen und die dem

Geschäftsführer die Fortsetzung seiner Tätigkeit bis zum nächsten ordentlichen Beendigungstermin unzumutbar machen, kann der Geschäftsführer sein Amt niederlegen und den Anstellungsvertrag gemäß § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich kündigen. Ggfls. steht ihm ein Schadensersatzanspruch gemäß § 628 Abs. 2 BGB zu. Hiergegen könnte man einwenden, dass der Gesellschaft gemäß § 38 Abs. 1 vom Gesetz sogar die Möglichkeit eingeräumt wird, den Geschäftsführer jederzeit abzuberufen; darin liegt also kein vertragswidriges Verhalten657. Man könnte deshalb vertreten, dass deshalb die (wesentlich weniger einschneidende) Beschränkung der Kompetenzen des Geschäftsführers ebenfalls kein vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft darstellen und somit keinen Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB begründen können658. Dabei würde jedoch übersehen, dass eine Kompetenzbeschränkung qualitativ etwas anderes ist als die Abberufung; mit ihr können ein erheblicher Autoritätsverlust des Geschäftsführers und eine empfindliche Beschränkung seiner unternehmerischen Handlungsfähigkeit verbunden sein. Hierfür bietet § 38 Abs. 1 keine Gundlage. Sind im Anstellungsvertrag bestimmte Kompetenzen vereinbart und schränkt die Gesellschaft diese ohne Grund ein, wird sie vertragsbrüchig mit der Folge, dass der Geschäftsführer bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Anstellungsvertrages bis zum nächstmöglichen ordentlichen Beendigungstermin gemäß § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich kündigen (vgl. Rz. 505 ff.) und ggfls. gemäß § 628 Abs. 2 BGB Schadensersatz verlangen kann659. 318 Um die Wirksamkeit einer satzungsdurchbrechenden schuldrechtlichen Vereinbarung her-

beizuführen, genügt nicht etwa ein bloßer Gesellschafterbeschluss mit qualifizierter Mehrheit. Erforderlich ist vielmehr die Einhaltung der für eine Satzungsänderung geforderten Formvorschriften660. 319 Unabhängig von der Vereinbarung mit der Gesellschaft kann eine satzungsdurchbrechende

Nebenabrede freilich ebenfalls als Vereinbarung zwischen dem Geschäftsführer und den zustimmenden Gesellschaftern auszulegen sein, eine Satzungsänderung herbeizuführen oder ihr mindestens zuzustimmen, um die Wirksamkeit der Vereinbarung mit der Gesellschaft herbeizuführen. Haben alle Gesellschafter der Vereinbarung zugestimmt, und hat zwischenzeitlich kein Gesellschafterwechsel stattgefunden, kann in diesem Fall ein unmittelbarer Erfüllungsanspruch des Geschäftsführers gegen die Gesellschaft bestehen.

656 So aber Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 17; Baukelmann in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 84, solange sich der Geschäftsführer im Rahmen der ihm durch die Satzung zugewiesenen Befugnisse hält. 657 BGH v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, GmbHR 2003, 100, 101; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, GmbHR 2012, 638, 639 f.; OLG Karlsruhe v. 23.3.2011 – 7 U 81/10, GmbHR 2011, 535, 537 f.; a.A. BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, GmbHR 2003, 105, 109; zur Frage, ob die Abberufung ein vertragswidriges Verhalten i.S.v. § 628 Abs. 2 BGB darstellt, s. Rz. 507. 658 OLG Karlsruhe v. 23.3.2011 – 7 U 81/10, GmbHR 2011, 535, 537 f.; offen gelassen von BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, GmbHR 2012, 638, 640. 659 So im Ergebnis auch OLG Frankfurt v. 17.12.1992 – 26 U 54/92, GmbHR 1993, 288, 291. 660 BGH v. 7.6.1993 – II ZR 81/92, ZIP 1993, 1074, 1075.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 322 § 35

c) Anstellungsvertrag und dispositives Gesetzesrecht Regelungen im Anstellungsvertrag, die von dispositivem Gesetzesrecht abweichen, sind 320 schuldrechtlich wirksam (Beispiel661: Freistellung des Geschäftsführers von Gesellschafterweisungen, um diesem eine vorstandsähnliche Position zu verschaffen). Indessen hat das Organisationsrecht der Gesellschaft, das sich neben der Satzung aus dem (dispositiven) Gesetzesrecht ergibt, dennoch Vorrang. Im Beispielfall sind die Gesellschafter demnach nicht daran gehindert, dennoch Weisungen zu erteilen; eine vom gesetzlichen Leitbild abweichende Weisungsfreiheit würde eine Verankerung im Gesellschaftsvertrag erfordern662. Die Abgrenzung, ob eine anstellungsvertragliche Regelung vom Gesetz abweicht oder es le- 321 diglich konkretisiert, kann schwierig sein. Das gilt insbesondere für die Haftung des Geschäftsführers; denn einerseits trifft das Gesetz in § 43 insoweit eine konkrete Regelung, geht aber andererseits in § 46 Nr. 5 Fall 3, Nr. 8 davon aus, dass die Gesellschafter in jedem Einzelfall mit einfacher Mehrheit darüber entscheiden, ob der Geschäftsführer sich ihrer Ansicht nach sorgfaltsgemäß oder sorgfaltswidrig verhalten hat und ihm Entlastung erteilt wird oder ob sie gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegen ihn geltend machen wollen. Letzteres könnte dafür sprechen, dass für die Wirksamkeit einer anstellungsvertraglichen Haftungsregelung ein bloßer Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit ausreicht. Das wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn die anstellungsvertragliche Regelung in erster Linie eine Konkretisierung der Geschäftsführerpflichten beinhaltet. Eine generelle Haftungsmilderung (oder -verschärfung) stellt dagegen eine Abweichung von § 43 dar und bedarf daher einer statutarischen Grundlage (Einzelfallregelung oder Ermächtigungsnorm). Die Stimmbindungsvereinbarung mit den Gesellschaftern kann sich auf eine dauerhafte Regelung in der Satzung oder auf die Entlastung im Einzelfall beziehen. d) Regelungen zur Konkretisierung der Satzung oder gesetzlicher Organisationsnormen Werden durch die Vereinbarung im Anstellungsvertrag lediglich gesetzliche Organisations- 322 normen oder Bestimmungen der Satzung konkretisiert, wird etwa einem Geschäftsführer ein bestimmtes Ressort zugewiesen, so ist die Vereinbarung wirksam. Es genügt intern ein einfacher Gesellschafterbeschluss. Die Gesellschafter können sich aber jederzeit über die Vereinbarung hinwegsetzen. Es besteht für den Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft kein Anspruch auf Erfüllung663, sondern gegebenenfalls nur ein Anspruch auf Schadensersatz. Die entsprechende Vereinbarung kann aber im Einzelfall zugleich so auszulegen sein, dass sich die zustimmenden Gesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer im Wege eines Stimmbindungsvertrages verpflichten, ihre Stimme im Sinne eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses einzusetzen (oder gegen dessen nicht durch wichtige Gründe gerechtfertigte Aufhebung zu stimmen). Ist dies der Fall, so soll der Geschäftsführer ausnahmsweise auch unmittelbar von der Gesellschaft Erfüllung verlangen können, wenn alle Gesellschafter der schuldrechtlichen Nebenabrede zugestimmt haben und zwischenzeitlich kein Gesellschafterwechsel stattgefunden hat664. Ob dieser auf prozess-ökonomischen Gründen beruhenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zuzustimmen ist, ist zweifelhaft, weil durch eine solche

661 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 11. 662 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 11; ähnliche Beispiele mit Übereinstimmung im Sinne des Vorrangs der Satzung als „grundlegendes Organisationsstatut“ Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 6. 663 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 13; teilweise abweichend aber Fleck, ZGR 1988, 104, 123 ff. 664 BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196.

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§ 35 Rz. 322 | Das Anstellungsverhältnis unmittelbare Wirkung von Stimmbindungsverträgen die Grenze zwischen Organisationsund Schuldrecht aufgeweicht wird665. e) Verpflichtung zur Bestellung 323 Für die Vereinbarung einer schuldrechtlichen Verpflichtung, die angestellte Person als Ge-

schäftsführer zu bestellen, kann ein wirtschaftliches Bedürfnis bestehen. So wird sich ein Nichtgesellschafter u.U. nur dann bereitfinden, seine bisherige Stellung bei einem anderen Unternehmen aufzugeben, wenn sich die Gesellschaft zur Bestellung verpflichtet. Einen durchsetzbaren Erfüllungsanspruch auf Bestellung kann der Anstellungsvertrag indessen nicht einräumen666. Unterbleibt die Bestellung, wandelt sich das Anstellungsverhältnis nicht in ein Arbeitsverhältnis um, es sei denn, dass dies ausdrücklich vereinbart wird (vgl. Rz. 482)667.

2. Parteien a) Gesellschaft als Vertragspartner 324 Vertragspartner des Anstellungsvertrages ist in der Regel die Gesellschaft. Der Vertrag kommt

jedoch nicht automatisch mit der Bestellung zustande668. Er ist vielmehr gesondert abzuschließen; dies kann ausdrücklich oder konkludent geschehen669. Der Vertrag kann aufschiebend bedingt, nämlich abhängig von der Bestellung, und auflösend bedingt bis zur Beendigung der Organstellung, abgeschlossen werden (s. zu sog. Koppelungsklauseln unter Rz. 462 ff.). Zur Sicherung der Interessen des Geschäftsführers ist auch der Abschluss eines Vorvertrages möglich, wenngleich dies in der Praxis selten vorkommt. Rechtliche Beziehungen zu den Gesellschaftern oder zu den Gläubigern der Gesellschaft werden durch den Anstellungsvertrag nicht begründet, sofern dies nicht ausdrücklich vereinbart ist. b) Anstellungsvertrag mit Dritten 325 Der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers kann auch mit einem Dritten abgeschlossen

werden (sog. Drittanstellung). Typische Beispiele hierfür sind der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers eines Konzernunternehmens mit der Obergesellschaft670 und der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH mit der KG671. 326 Hiergegen werden insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Interessenkollision Bedenken

geäußert672. Die h.M. hält die Drittanstellung hingegen für grundsätzlich zulässig, und zwar

665 Ähnlich und weitere Bedenken bei: Winter, ZHR 154 (1990), 259, 268 f. 666 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 28; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 291. 667 BAG v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, NZA 1997, 1363, 1364 = GmbHR 1997, 837; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 291. 668 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 56. 669 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 156, wenngleich ein konkludenter Vertragsschluss regelmäßig nicht den Vorstellungen und dem Willen der Parteien entsprechen werde, da sonst insb. Entgelt und Urlaubsanspruch offenblieben. 670 BGH v. 26.10.1964 – II ZR 127/62, WM 1964, 1320, 1321; OLG Celle v. 21.9.1979 – 3 U 197/79, GmbHR 1980, 32, 33; Martens in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 466; G. Hueck, ZfA 1985, 36. 671 BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, GmbHR 1984, 70, 71; BGH v. 16.1.1995 – II ZR 290/93, ZIP 1995, 377, 377 f. = GmbHR 1995, 306; s. auch Reiserer, BB 1996, 2461, 2463. 672 Unzulässig: Winter, GmbHR 1965, 196; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 197 ff.; so noch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 165: „höchst zweifelhaft“.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 328 § 35

unabhängig davon, ob die Anstellung bei einem Gesellschafter oder bei einem außenstehenden Dritten erfolgt673. Entscheidend dafür ist, dass die organschaftlichen Pflichten von der Drittanstellung nicht berührt werden674 (s. 12. Aufl., § 37 Rz. 68). Daraus ergibt sich auch, dass der Anstellungsvertrag bei der Drittanstellung nicht als Vertrag zugunsten Dritter abgeschlossen werden muss675. Man wird aber verlangen müssen, dass entweder die Satzung eine Drittanstellung ausdrücklich gestattet676 oder die Gesellschaft ihre Zustimmung zu der Drittanstellung erklärt677, was ggfls. konkludent geschehen kann. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, stellt dies angesichts des Trennungsprinzips (vgl. Rz. 251, 455) hingegen nicht die Wirksamkeit des Anstellungsvertrages in Frage678. Es liegt in der Risikosphäre der Anstellungsgesellschaft, wenn sie ohne Zustimmung des zuständigen Organs die Drittanstellung eines Geschäftsführers vornimmt und diese deshalb ggfls. nicht realisieren kann. Die Gesellschaft, deren Geschäftsführer betroffen ist, kann sich dadurch schützen, dass sie den drittangestellten Geschäftsführer entweder nicht bestellt oder seine ggfls. schon erfolgte Bestellung widerruft. In der gemäß MitbestG oder MontanMitbestG mitbestimmten GmbH ist der Aufsichtsrat 327 zwingend für den Abschluss des Anstellungsvertrages zuständig (s. dazu Rz. 334 f.). Eine Drittanstellung scheidet hier deshalb nach ganz h.M. aus679.

3. Zuständigkeit/Vertretung a) Zuständigkeit in der nicht mitbestimmten GmbH aa) Allgemeines Für die Bestellung und in Anknüpfung hieran auch für die Entscheidung über den Abschluss 328 des Anstellungsvertrages ist in der Regel die Gesellschafterversammlung zuständig, § 46 Nr. 5680. Dies gilt auch für die Vorgesellschaft681. Die Mitgeschäftsführer sind nicht zuständig; sie sind im Hinblick auf den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag nicht vertretungs-

673 H.Rspr.: BGH v. 26.10.1964 – II ZR 127/62, WM 1964, 1320, 1321; BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430; Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 388; G. Hueck, ZfA 1985, 36; Uwe H. Schneider, GmbHR 1993, 10, 13; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 89 ff.: aber Unterlassungsklage der Gesellschafter bei dienstvertraglichen Weisungen; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; Lenz in Michalski u.a., Rz. 125; in diese Richtung mit Einschränkungen auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 65. 674 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 12; Lenz in Michalski u.a., Rz. 125; Beursklens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 66. 675 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 9; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 65; Lenz in Michalski u.a., Rz. 125. 676 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 65. 677 Lenz in Michalski u.a., Rz. 125; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 65; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 9; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; Winter, GmbHR 1965, 194, 196; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, S. 200 ff.; Fleck, ZHR 149 (1985), 388; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 330. 678 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 330; a.A. (schwebende Unwirksamkeit) Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 9; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; ähnlich Lenz in Michalski u.a., Rz. 125: Wirksamkeit nur dann, wenn dem Dritten faktisch großer Einfluss auf die Gesellschaft zusteht. 679 Lenz in Michalski u.a., Rz. 126; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252, 257 m.w.N. 680 BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, NJW 2000, 2983 = GmbHR 2000, 876; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 6 Rz. 62; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 6; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 46 Rz. 97. 681 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 6.

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§ 35 Rz. 328 | Das Anstellungsverhältnis befugt. Gleiches gilt für die Änderung, Aufhebung und Kündigung – zuständig ist die Gesellschafterversammlung682. 329 Die Gesellschafterversammlung trifft ihre Entscheidungen über den Anstellungsvertrag vor-

behaltlich abweichender Satzungsregelungen mit Mehrheit. Sie kann und sollte zugleich einen oder mehrere der Gesellschafter oder einen der anderen Geschäftsführer damit beauftragen, die dem Beschluss entsprechenden Willenserklärungen abzugeben (z.B. Abschluss oder Änderung des Anstellungsvertrages oder Ausspruch einer Kündigung)683. Macht die Gesellschafterversammlung von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, wird die Gesellschaft nicht notwendigerweise durch alle Gesellschafter vertreten; vielmehr genügt, wenn die „beschlussfassende Mehrheit“ handelt684; ansonsten könnten die in der Abstimmung unterlegenen Gesellschafter die Umsetzung des Beschlusses erschweren. Wird eine einseitige Willenserklärung nicht von allen Gesellschaftern abgegeben, was die sicherste Vorgehensweise wäre, einer Unwirksamkeit durch Zurückweisung gemäß § 174 BGB zu entgehen685, muss ordnungsgemäße Bevollmächtigung nachgewiesen werden; dies geschieht durch Vorlage einer von allen Gesellschaftern oder vom Protokollführer unterschriebenen Originalausfertigung des Gesellschafterbeschlusses686. 330 Fraglich ist, wer zur Entgegennahme von Willenserklärungen des Geschäftsführers befugt

ist (passive Vertretungsbefugnis), insbesondere bei Amtsniederlegung (s. 12. Aufl., § 38 Rz. 85 ff.) oder bei Kündigung des Anstellungsvertrages. Unstreitig ist es ausreichend, wenn die Kündigungserklärung dem für die Anstellung zuständigen Organ – im Zweifel also der Gesellschafterversammlung – zugeht687. Nach der h.M. in der Literatur688 muss die Kündigung in diesem Fall allen Gesellschaftern zugehen; der BGH689 hat es allerdings ausreichen lassen, wenn die Kündigung einem Gesellschafter übergeben worden war, und zwar selbst dann, wenn dieser die anderen Gesellschafter nicht informierte. Nach den Regeln über die Passivvertretung der Gesellschaft (§ 35 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1) genügt indessen auch die Abgabe der Willenserklärung gegenüber einem Mitgeschäftsführer, und zwar auch dann, wenn die Geschäftsführer nur gemeinschaftlich vertretungsbefugt sind690.

682 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, NJW 1991, 1680, 1681 = GmbHR 1991, 363; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373; BGH v. 8.9.1997 – II ZR 165/96, NZG 1998, 67 = GmbHR 1997, 1062; BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, NZG 1998, 226 = GmbHR 1998, 178; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 254 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, § 46 Rz. 36; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 46 Rz. 23; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 84, 86; Baums, ZGR 1993, 141, 151; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64; Goette, DStR 1998, 1137, 1139 f.; Seibt, NJW-Spezial 2004, 123. 683 BGH v. 13.5.1968 – II ZR 103/66, WM 1968, 1328, 1328 f.; zur stillschweigenden Beauftragung zur Ausführung des Beschlusses OLG Köln v. 21.2.1990 – 13 U 195/89, GmbHR 1991, 156, 157; s. auch zum vollmachtlosen Gesellschafter BGH v. 9.10.1989 – II ZR 16/89, GmbHR 1990, 33, 34; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 62; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 46 Rz. 103; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 6. 684 OLG Frankfurt v. 28.4.1981 – 20 W 795/80, NJW 1982, 2388, 2389; Mertens, AG 1981, 216, 217; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; a.A. Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 66 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 6. 685 Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Aufl. 2014, D. Rz. 125. 686 Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Aufl. 2014, D. Rz. 126. 687 Für Amtsniederlegung so OLG Düsseldorf v. 3.6.2005 – 3 Wx 118/05, NZA-RR 2005, 1199. 688 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 98 m.w.N.; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 68. 689 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 378/99, GmbHR 2002, 26, 27. 690 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 166; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 98; insoweit abweichend für die Amtsniederlegung auch Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, 12. Aufl., § 38 Rz. 91.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 334 § 35

Wird der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers der Tochtergesellschaft mit dem herr- 331 schenden Unternehmen abgeschlossen, so ist dessen Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan zuständig, also im Falle einer GmbH deren Geschäftsführer. Das gilt auch, wenn der Anstellungsvertrag zwar mit der Tochtergesellschaft abgeschlossen, die Muttergesellschaft aber alleinige Gesellschafterin ist691. Einer Mitwirkung der Gesellschafterversammlung der herrschenden GmbH bedarf es nur, wenn der Betreffende zugleich Geschäftsführer der Obergesellschaft ist und ein einheitlicher Anstellungsvertrag abgeschlossen wird692. bb) Vorwirkende und nachwirkende Zuständigkeit und Vertretung Die Gesellschafter sind auch zuständig und vertreten die Gesellschaft, wenn der Anstellungs- 332 vertrag schon vor der Bestellung abgeschlossen („vorwirkende Zuständigkeit“) oder nach der Abberufung oder Amtsniederlegung geändert, gekündigt oder aufgehoben wird („nachwirkende Zuständigkeit“). Ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Bestellung, Abberufung oder Amtsniederlegung muss nicht bestehen693. Die Rechtsprechung verlangt aber einen sachlichen Zusammenhang („Zuständigkeitskontinuität“). Daran soll es fehlen, wenn es um den Abschluss eines nicht mit der Organstellung zusammenhängenden Dienst- oder Arbeitsverhältnisses geht694. Nicht der „sachliche Zusammenhang“ mit der Anstellung, sondern der Zusammenhang mit der bisherigen Organstellung ist indessen maßgebend für die Zuständigkeitsverlagerung; denn diese erfolgt bei der Anstellung nicht nur wegen der Verknüpfung mit der Bestellung, sondern auch wegen der Zweifel, ob die Mitgeschäftsführer die Interessen der Gesellschaft angemessen wahrnähmen. Die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung sollte daher auf alle Konstellationen erstreckt werden, bei denen ein solcher Interessenkonflikt angesichts des noch bestehenden zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs mit der Bestellung nicht ausgeschlossen werden kann. Zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen ausgeschiedene Geschäftsführer und die Vertretung der Gesellschaft im Prozess gegen diese s. § 46 Nr. 8 (vgl. hierzu 12. Aufl., § 46 Rz. 141 und 163). cc) Abweichende Regelung in der Satzung Die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung ist nicht zwingend. Die Satzung kann viel- 333 mehr die Zuständigkeit zum Abschluss, zur Änderung und Kündigung des Anstellungsvertrages auf ein anderes Gremium, z.B. einen fakultativen Aufsichtsrat oder Beirat, übertragen695. b) Zuständigkeit in der mitbestimmten GmbH Für die dem MitbestG unterfallenden GmbHs regelt § 31 Abs. 1 und 2 MitbestG, dass der 334 Aufsichtsrat für die Bestellung der Geschäftsführer und für den Widerruf der Bestellung zuständig ist. Nach ganz h.M. gilt dies im Sinne einer Annexkompetenz auch für den Abschluss, die Änderung und die Beendigung des Anstellungsvertrages, da der Aufsichtsrat nur auf dieser Grundlage die ihm nach dem MitbestG zukommende Rolle sinnvoll ausüben kann696. Die früher vereinzelt vertretene Auffassung, wonach es auch in der mitbestimmten BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373. Uwe H. Schneider, GmbHR 1993, 10, 15. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 46 Rz. 38. BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373. BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, NJW 1999, 3263, 3264 = GmbHR 1999, 1140; BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, NJW-RR 2008, 484 = GmbHR 2008, 144; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 62; Harbarth, BB 2015, 707. 696 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, NJW 1984, 733, 734 = GmbHR 1984, 151; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 38 f.; Schubert in Wiß-

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§ 35 Rz. 334 | Das Anstellungsverhältnis GmbH möglich sein soll, durch die Satzung oder durch Gesellschafterbeschluss die Zuständigkeit für den Anstellungsvertrag auf ein anderes Organ zu übertragen697, wird heute einhellig als nicht mit Sinn und Zweck des § 31 MitbestG vereinbar angesehen. Allerdings wird man es als zulässig ansehen können, wenn durch Satzung oder Gesellschafterbeschluss Richtlinien über die Anstellungsbedingungen (z.B. Vergütungsstruktur oder Laufzeiten) erlassen werden, sofern hierdurch das Auswahl- und Widerrufsrecht des Aufsichtsrates nicht unangemessen eingeschränkt wird698. Insbesondere müssen die Richtlinien von der Person des konkreten Amtsinhabers oder Kandidaten unabhängig sein. 335 Der sog. Plenarvorbehalt gemäß § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG gilt über § 25 Abs. 1 Nr. 2 Mit-

bestG auch für die Festlegung der Vergütung des Geschäftsführers in der dem MitbestG unterfallenden GmbH. Zwar finden die gesetzlichen Vorgaben des § 87 AktG für die Vergütung, auf die § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG verweist, bei der GmbH keine Anwendung. Die h.M. entnimmt § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG, der im Zuge des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) neu geregelt wurde, indessen die Zielrichtung größerer Transparenz der Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrates, weshalb der Plenarvorbehalt unabhängig davon, ob § 87 AktG direkt oder sinngemäß anzuwenden sind, auch für die mitbestimmte GmbH gelten soll699. 336 Liegt die GmbH im Anwendungsbereich des MontanMitbestG, so liegt die Zuständigkeit so-

wohl für die Bestellung als auch für den Abschluss des Anstellungsvertrages und für dessen Änderung beim Aufsichtsrat700. 337 Fällt die GmbH unter den Anwendungsbereich des DrittelbG, fehlt es an einer § 31 Mit-

bestG vergleichbaren Bestimmung, so dass die Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 5 für den Anstellungsvertrag zuständig ist701.

4. Form 338 Der Anstellungsvertrag kann formfrei abgeschlossen werden702. Er kann daher auch kon-

kludent zustande kommen oder geändert werden703. Insbesondere findet das Nachweisgesetz

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mann/Kleinsorge/Schubert, 5. Aufl. 2017, § 35 Rz. 91; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, 6. Aufl. 2015, § 31 MitbestG Rz. 24 f.; Oetker in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 31 MitbestG Rz. 10; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 31 MitbestG Rz. 12; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 257. Hoffmann/Neumann, GmbHR 1976, 185; W. Werner in FS R. Fischer, 1979, S. 821 ff. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, 6. Aufl. 2015, § 31 MitbestG Rz. 25; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 40a; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 31 MitbestG Rz. 12. Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1126; Fleischer, NZG 2009, 801, 804; Thüsing, AG 2009, 517, 524; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 258; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 31 MitbestG Rz. 12; Oetker in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 31 MitbestG Rz. 10; Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 962 f.; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 127 f.; zweifelnd Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beilage 26/2009, 1, 10; a.A. Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 9 f. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 340; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18. So auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260. BGH v. 27.1.1997 – II ZR 213/95, GmbHR 1997, 547, 548; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 55; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 261. BGH v. 20.12.1993 – II ZR 217/92, NJW-RR 1994, 357, 358 = GmbHR 1994, 112 (Ruhegehaltszusage); BGH v. 27.1.1997 – II ZR 213/95, NJW-RR 1997, 669, 670 = GmbHR 1997, 547 und BGH v. 12.5.1997 – II ZR 50/96, NJW 1997, 2319, 2320 = GmbHR 1997, 645.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 341 § 35

keine Anwendung, sofern der Geschäftsführer nicht ausnahmsweise Arbeitnehmer ist704. Aus Gründen der Beweissicherung und zur Vermeidung von Streitigkeiten ist der Abschluss eines schriftlichen Anstellungsvertrages indessen dringend zu empfehlen. Bei vertraglicher Vereinbarung eines Schiftform-Erfordernisses705 für etwaige Änderungen oder Ergänzungen des Vertrages ist zu beachten, dass der Anstellungsvertrag des Fremdgeschäftsführers nach neuerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der AGB-Kontrolle unterliegt (s. Rz. 340 ff.). Sogenannte einfache Schriftformklauseln sind zwar wirksam, gehen jedoch letztlich ins Leere, da vertragsändernde oder -ergänzende Abreden in der Regel als konkludente Aufhebung des Schriftformerfordernisses angesehen werden706. Mündliche Einzelabreden haben gemäß § 305b BGB Vorrang vor allgemeinen Geschäftsbedingungen. Sog. doppelte Schriftformklauseln halten einer AGB-Kontrolle nur dann Stand, wenn sie einen Vorrang für individuell ausgehandelte Abreden vorsehen707. Übernimmt der Geschäftsführer zugleich einen Geschäftsanteil, so ist die Form der §§ 15, 48 339 Abs. 3 einzuhalten. Für den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer verlangt der BFH eine klare und von vornherein abgeschlossene Vereinbarung, die auch durchgeführt wird, weil andernfalls eine verdeckte Gewinnausschüttung angenommen werden könne708.

5. AGB-Kontrolle Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt jedenfalls der Fremdgeschäfts- 340 führer bei Abschluss eines Anstellungsvertrages als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB, so dass die Regelungen des Anstellungsvertrages gemäß § 310 Abs. 3 BGB der AGB-Kontrolle unterliegen709. Dasselbe gilt für den Gesellschafter-Geschäftsführer, soweit er nicht zumindest über eine Sperrminorität verfügt und Leitungsmacht über die Gesellschaft ausüben kann710. Das Bundesarbeitsgericht hat sogar offen gelassen, ob dies auch für Geschäftsführer gilt, die als Gesellschafter über eine Sperrminorität verfügen; mangels Schutzbedürftigkeit ist dies indessen abzulehnen711. Die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB greift für den Anstellungsvertrag des Geschäftsführers nach ganz herrschender Meinung nicht, da hierunter nur die unmittelbar mitgliedschaftlich geprägten Vertragstypen fallen, nicht hingegen solche, bei denen es sich um schuldrechtliche Austauschverhältnisse handelt712. Die hat zur Folge, dass gemäß § 310 Abs. 3 BGB auch solche Klauseln der AGB-Kontrolle 341 unterliegen, welche nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind. Eine AGB-Kontrolle findet gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB nur dann nicht statt, wenn der Verbraucher auf ihren Inhalt Einfluss nehmen konnte. Eine Möglichkeit der Einflussnahme besteht dann, wenn der Verwender den gesetzesfremden Kerngehalt seiner allgemeinen Geschäftsbedingungen ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verwendungsgegner Gestaltungsfreiheit zur Wah-

704 Vgl. Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 NachwG Rz. 5; wie hier Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, Rz. 97. 705 Zur Schriftformklausel: BFH v. 24.7.1996 – I R 115/95, DStR 1997, 66, 67; Schuhmann, GmbHR 1993, 79. 706 BAG v. 24.6.2003 – 9 AZR 302/02, NZA 2003, 1145, 1147. 707 BAG v. 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, NJW 2009, 316, 319; zur Übertragung dieser Rechtsprechung auf Fremdgeschäftsführer Frank, GWR 2010, 411. 708 BFH v. 17.9.1992 – I R 89-98/91, GmbHR 1993, 45, 46 und BFH v. 31.5.1995 – I R 64/94, GmbHR 1996, 60, 61; kritisch Tiedtke, DStR 1993, 933, 937; Neumann, GmbHR 1996, 740, 743; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 262; Lenz in Michalski u.a., Rz. 127. 709 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 = GmbHR 2010, 1142. 710 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 = GmbHR 2010, 1142. 711 Zustimmend Boemke, RdA 2018, 1, 12. 712 Basedow in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 310 BGB Rz. 86, 89.

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§ 35 Rz. 341 | Das Anstellungsverhältnis rung seiner Interessen einräumt713. Bleibt es dennoch bei dem vorformulierten Vertragstext, kann der Vertrag als Ergebnis des Aushandelns gewertet werden, wenn der Verwender sich deutlich und ernsthaft zu gewünschten Änderungen bereiterklärt hat und dies dem Verwendungsgegner bei Vertragsschluss bewusst war714. 342 Bei der Frage nach den Kontrollmaßstäben kann die Rechtsprechung des Bundesarbeitsge-

richts zur AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen herangezogen werden715. Zu erwägen ist im Rahmen dessen eine analoge Anwendung von § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB. Diese Vorschrift schützt den Arbeitgeber vor einer uneingeschränkten Anwendung des AGB-Rechts auf Arbeitsverträge716. Ein solches Korrektiv ist auch in Bezug auf Geschäftsführer-Anstellungsverträge erforderlich. Angesichts der ähnlichen Regelungsgegenstände würde es zu erheblichen Wertungswidersprüchen führen, wenn die Maßstäbe für die Inhaltskontrolle von Geschäftsführer-Anstellungsverträgen und Arbeitsverträgen auseinanderfielen717. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Geschäftsführer gerade kein Arbeitnehmer ist: Weder die stärkere soziale Unabhängigkeit des Geschäftsführers noch die Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen ändern etwas daran, dass der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag nicht dem Leitbild der den AGB-Vorschriften zugrundeliegenden Bedarfsdeckungsverträgen entspricht718.

6. Bedeutung des AGG für den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag a) Persönlicher Anwendungsbereich 343 Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt seit dem 14.8.2006719. Gemäß § 6 Abs. 3

AGG gilt das Benachteiligungsverbot im Hinblick auf die in § 1 AGG genannten Kriterien für Geschäftsführer entsprechend, soweit Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie der berufliche Aufstieg betroffen sind. Aufgrund von Sinn und Zweck des § 6 Abs. 3 AGG gilt das Benachteiligungsverbot nicht nur in Bezug auf den Abschluss des Anstellungsvertrages, sondern auch bezüglich der Berufung zum Geschäftsführer; ohne Bestellung zum Geschäftsführer kann der Anstellungsvertrag nicht durchgeführt werden720. In europarechtskonformer Auslegung ist das AGG umfassend auf Geschäftsführer anwendbar, die Arbeitnehmer i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG sind721. Dies ergibt sich aus der Danosa-Entscheidung des EuGH vom 11.11.2010722. Auf Fremdgeschäftsführer und Gesellschafter-Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss ist das AGG folglich umfassend anwendbar723.

BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 = GmbHR 2010, 1142. BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 = GmbHR 2010, 1142. So auch Frank, GWR 2010, 411. Stagat, NZA-RR 2011, 617, 621. Khanian, GmbHR 2011, 116, 121. Khanian, GmbHR 2011, 116, 120. BGBl. I 2006, 1897. BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 778 = GmbHR 2012, 845, 847. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1989 f.; Junker, NZA 2011, 950, 951; Reufels/Molle, NZA-RR 2011, 281, 282 f.; Stagat, NZA-RR 2011, 617, 622; Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 192 f.; Paefgen, ZIP 2012, 1296, 1297; analoge Anwendung des gesamten AGG Reichold/Heinrich in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1315, 1329 f.; a.A. Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 995 f. 722 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343 = AG 2011, 165. 723 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1989 f.; Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449, 461; Nolting, EWiR 2017, 619, 620; Stagat, NZA-RR 2011, 617, 622; Paefgen, ZIP 2012, 1296, 1297; nach Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11 ist das Merkmal der Weisungsgebundenheit nicht prägend für den Arbeitnehmerbegriff des AGG und der zugrundeliegenden Richtlinie, weshalb das Gesetz auch auf Vorstände einer AG (und folglich auch auf Gesellschafter-Geschäftsführer) anwendbar sei.

713 714 715 716 717 718 719 720 721

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 346 § 35

b) Sachlicher Anwendungsbereich aa) § 6 Abs. 3 AGG Sachlich ist das AGG für Geschäftsführer schon nach § 6 Abs. 3 AGG anzuwenden auf 344 – den Abschluss von Anstellungsverträgen, – die Nichtverlängerung von Anstellungsverträgen, soweit eine Neubesetzung des Postens erfolgen soll, – die Entscheidung, ob ein befristeter oder ein unbefristeter Vertrag angeboten wird, – die Entscheidung über die Dauer einer Befristung, – Vereinbarung der automatischen Beendigung wegen Erwerbsunfähigkeit und – die Entscheidung über die Bestellung. Der Abschluss eines Anstellungsvertrages und ebenso die Nichtverlängerung von Anstellungs- 345 verträgen, soweit eine Neubesetzung des Postens erfolgen soll, betreffen den „Zugang zur Erwerbstätigkeit“724. Das Ob und die Dauer der Befristung zählen zu den „Einstellungsbedingungen“, weil sie bereits bei Abschluss des Anstellungsvertrages geregelt werden und deshalb den Zugang zur Beschäftigung betreffen725. Vereinbarungen über die automatische Beendigung wegen Erwerbsunfähigkeit werden ebenfalls im Zeitpunkt des Vertragsschlusses getroffen und sind deshalb „Einstellungsbedingungen“. Nach dem unionsrechtlichen Verständnis von „Behinderung“ i.S.d. AGG ist der Begriff nämlich nicht auf Schwerbehinderte gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX beschränkt. Vielmehr wird die „Erwerbsunfähigkeit“ regelmäßig als „Behinderung“ i.S.d. AGG zu sehen sein. Unberührt bleibt hingegen das Recht der Gesellschaft, den Anstellungsvertrag zu kündigen, weil das Organmitglied seinen vertraglichen Pflichten nicht mehr nachkommen kann726. Die Bestellung fällt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs unter das Merkmal des „Zugangs zur Beschäftigung“727. In der Literatur wurde dies in der Vergangenheit mit Verweis auf die Trennung von Anstellungs- und Organverhältnis anders gesehen728. Der Bundesgerichtshof begründet seine Ansicht damit, dass der Anstellungsvertrag ohne Bestellung nicht durchgeführt werden kann und der Zahlungsanspruch gemäß § 615 BGB die in der Nichtbestellung liegende Diskriminierung nicht in vollem Umfang ausgleichen kann729. Soweit das AGG auf Geschäftsführer anwendbar ist, gilt für sie der gleiche Diskriminierungs- 346 schutz wie für andere Personengruppen, weil für eine gespaltene Auslegung keine Anhaltspunkte vorliegen730. Aus der lediglich „entsprechenden“ Anwendung gemäß § 6 Abs. 3 AGG lässt sich keine Absenkung des Schutzniveaus ableiten731.

724 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1990; hierzu auch Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 344 ff.; Boemke, RdA 2018, 1, 9; zur Nichtverlängerung: Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 603; Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 999; vgl. auch BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, GmbHR 2012, 845 = ZIP 2012, 1291 Rz. 20; zum Abschluss des Anstellungsvertrages: BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, GmbHR 2012, 845 = ZIP 2012, 1291 Rz. 19. 725 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1992. 726 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1992; vgl. Bahnsen, NJW 2008, 407, 409 f. 727 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 778 = GmbHR 2012, 845, 847; ablehnend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 25. 728 Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 997 f.; Rupp in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 2 AGG Rz. 5; wie der BGH bereits Masel in FS Canaris, 2007, S. 809, 815 f.; Lutter, BB 2007, 725, 726; Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 328. 729 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 778 = GmbHR 2012, 845, 846. 730 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 778 = GmbHR 2012, 845, 847; im Anschluss an den BGH Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1994. 731 A.A. Thüsing/Stiebert, NZG 2011, 641, 644; Bauer/Arnold, ZIP 2008, 933, 996.

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§ 35 Rz. 347 | Das Anstellungsverhältnis bb) § 6 Abs. 1 AGG 347 Zudem muss das AGG aufgrund seiner umfassenden Geltung für Fremdgeschäftsführer732

und Gesellschafter-Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss gemäß § 6 Abs. 1 AGG auch gelten für – Beschäftigungs- und Anstellungsbedingungen, – Entlassungsentscheidungen und Kündigungen, da § 2 Abs. 4 AGG, der Kündigungen vom Anwendungsbereich des AGG ausnimmt, nicht auf Organmitglieder zugeschnitten und daher nicht auf diese anzuwenden ist733, und – den Widerruf der Bestellung. c) Benachteiligung und Rechtfertigung 348 Benachteiligungen aufgrund eines der in § 1 AGG genannten Kriterien sind grundsätzlich

gemäß § 7 AGG verboten, können jedoch zulässig sein, wenn damit zulässige Ziele i.S.v. §§ 8–10 AGG verfolgt werden. Die Benachteiligung muss nicht ausschließlich auf einem in § 1 AGG genannten Grund beruhen, sondern ist auch schon dann verboten, wenn ein in § 1 AGG genannter Grund Teil eines Motivbündels ist, das zur negativen Entscheidung geführt hat734. aa) Positive Maßnahmen, § 5 AGG 349 Nach § 5 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung zulässig, wenn durch geeignete und an-

gemessene Maßnahmen bestehende Nachteile verhindert oder ausgeglichen werden sollen. In der Praxis kann dies vor allem in Bezug auf weibliche Organmitglieder relevant werden, da – je nach Branche – nur zwischen 9,3 % und 38 % der Führungspositionen von Frauen besetzt sind735. Auf der Ebene der Vorstände ist ein noch wesentlich geringerer Frauenanteil zu verzeichnen736. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofs setzt eine Regelung zur Bevorzugung weiblicher Bewerber bei gleicher Eignung voraus, dass gleich qualifizierten männlichen Bewerbern im Einzelfall garantiert ist, dass ihre Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der alle die Person des Bewerbers betreffenden Kriterien berücksichtigt werden737.

732 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1990; Kort, WM 2013, 1049, 1057; Zange, AuA 2013, 440; kritisch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 25 und § 38 Rz. 144; Mohr, ZHR 172 (2014), 326, 340 f. 733 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1991; im Ergebnis auch Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 194; für eine generelle Nichtanwendung von § 2 Abs. 4 AGG aufgrund von dessen Richtlinienwidrigkeit Sagan, NZA 2006, 1257, 1259. 734 BVerfG v. 16.11.1993 – 1 BvR 258/86, NJW 1994, 647, 648; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 7 AGG Rz. 5. 735 S. das Zahlenmaterial unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/575509/umfrage/frauenan teil-in-fuehrungspositionen-in-deutschland-nach-branchen/. Der Wert von 9,3 % bezieht sich auf die Maschinenbaubranche. Im Gesundheitswesen beträgt der Frauenanteil in Führungspositionen 38 %. 736 Der Frauenanteil in den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen betrug 2018 9 %. S. hierzu die Statistik des DIW unter https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c. 611733.de/19-3.pdf. 737 EuGH v. 11.11.1997 – Rs. C-409/95, ECLI:EU:C:1997:533, Slg. I 1997, 6363 – Hellmut Marschall/ Land Nordrhein-Westfalen.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 353 § 35

bb) Ungleichbehandlung wegen beruflicher Anforderungen, § 8 AGG Ungleichbehandlungen können gemäß § 8 AGG wegen beruflicher Anforderungen gerecht- 350 fertigt sein. Für Organmitglieder kommt eine Rechtfertigung gemäß § 8 AGG nur ausnahmsweise in Betracht, etwa im Falle der Besetzung der Geschäftsführerposition eines Frauenverbands mit einer Frau738. cc) Ungleichbehandlung wegen des Alters Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist gemäß § 10 Satz 1 AGG zulässig, 351 wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Als legitime Ziele kommen Interessen der Allgemeinheit wie Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung in Betracht739. Ob darüber hinaus auch (ausschließlich) betriebsund unternehmensbezogene Interessen als Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen, ist umstritten740. Der Bundesgerichtshof und das Bundesarbeitsgericht haben sich für die Berücksichtigung solcher Ziele ausgesprochen741. Sie beziehen sich dabei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Fall Age Concern England742. Für die Berücksichtigung solcher Interessen spricht, dass die Richtlinie 2000/78/EG, die dem AGG zugrunde liegt, die vorgenannten Rechtfertigungsmöglichkeiten in Art. 6 Abs. 1 nur „insbesondere“ und daher nicht abschließend als legitime Ziele zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ansieht743. Allerdings sprechen sowohl die Rechsprechung des Europäischen Gerichtshofs als auch die Richtlinie 2000/78/EG dagegen, ausschließlich unternehmensbezogene Interessen als Rechtfertigungsgründe heranzuziehen. So können nationale Rechtsvorschriften Arbeitgebern nach der Rechtsprechung des Europä- 352 ischen Gerichtshofs im Fall Age Concern England bei der Verfolgung der legitimen Ziele „einen gewissen Grad an Flexibilität“ einräumen. Von einer Rechtfertigung durch unternehmens- oder sozialpolitische Zwecke ist hingegen nicht die Rede. Vielmehr betont der Europäische Gerichtshof, dass die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genannten Rechtfertigungsgründe solche sind, die im Allgemeininteresse stehen und keine individuellen Beweggründe darstellen, die der Situation des Arbeitgebers eigen sind744. Daraus wird man wohl ableiten müssen, dass es europarechtlichen Anforderungen nicht genügt, wenn im Rahmen der Generalklausel des § 10 Satz 1 und 2 AGG allein Individualinteressen verfolgt werden; es müssen zumindest auch sozialpolitische Interessen verfolgt werden745. Das Erfordernis eines bestimmten Mindestalters der Person des Geschäftsführers kann ge- 353 mäß § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG gerechtfertigt sein. Da für Führungsaufgaben und für die damit

738 ArbG München v. 14.2.2001 – 38 Ca 8663/00, NZA-RR 2001, 365 f. 739 EuGH v. 5.3.2009 – C-388/07, ECLI:EU:C:2009:128, NZA 2009, 305, 307 – Age Concern England; EuGH v. 13.9.2011 – C-447/09, ECLI:EU:C:2011:573, NZA 2011, 1039 = ZIP 2011, 1882 – Prigge; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 2. 740 Hierfür BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945, 949; BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 781 = GmbHR 2012, 845, 849; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 16; dagegen Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 2. 741 BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945, 949; BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 781 = GmbHR 2012, 845, 849. 742 EuGH v. 5.3.2009 – C-388/07, ECLI:EU:C:2009:128, NZA 2009, 305 ff. – Age Concern England. 743 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 1. 744 EuGH v. 5.3.2009 – C-388/07, ECLI:EU:C:2009:128, NZA 2009, 305, 308 – Age Concern England; so auch Thüsing in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 10 AGG Rz. 11. 745 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 2.

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§ 35 Rz. 353 | Das Anstellungsverhältnis verbundene Verantwortung eine gewisse Erfahrung erforderlich ist, ist ein angemessenes Mindestalter regelmäßig zulässig746. 354 Für die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung kommt eine Rechtfertigung nach

§ 10 Satz 3 Nr. 3 AGG in Betracht. Aus Gründen der Kontinuität besteht regelmäßig ein Interesse der Gesellschaft daran, Organmitglieder mindestens für eine gewisse Dauer zu beschäftigen. Angemessen erscheint eine mögliche Beschäftigung für mindestens drei Jahre. Würde das Organmitglied eine (rechtlich zulässige) Altersgrenze im Unternehmen schon vor Ablauf dieser Zeit erreichen und könnte in den Ruhestand eintreten, so muss die Gesellschaft diesen Gesichtspunkt berücksichtigen und den Bewerber ggf. aus diesem Grund ablehnen dürfen747. Eine Rechtfertigung kommt unter diesen Gesichtspunkten im Falle einer Nichtverlängerung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages allerdings nicht in Betracht, weil die Geschäftsführungskontinuität nicht berührt wird, wenn der Bewerber schon zuvor Geschäftsführer der GmbH war748. 355 Fraglich ist, ob die Vereinbarung der Beendigung des Geschäftsführer-Dienstvertrages bei Er-

reichen eines bestimmten Lebensalters (Altersgrenze) zulässig ist. Eine Rechtfertigung nach § 10 Satz 1 AGG wird regelmäßig schwerfallen. Zwar kommt als legitimes Ziel die Sicherung der effektiven Geschäftsführung in Betracht, jedoch kann diese regelmäßig durch mildere Mittel, bspw. Gesundheitschecks, gesichert werden749. Regelaltersgrenzen können allerdings gemäß § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG gerechtfertigt sein. Die europarechtliche Zulässigkeit von § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG wurde sowohl vom Europäischen Gerichtshof750 als auch vom Bundesarbeitsgericht751 bestätigt. Wird eine Beendigung mit Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze vereinbart, so ist dies gemäß § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG gerechtfertigt752. 356 In Betracht kommt darüber hinaus, dass die Ablehnung einer Vertragsverlängerung durch

§ 10 Satz 3 Nr. 5 AGG gerechtfertigt ist, wenn das Erreichen der Regelaltersgrenze kurz bevorsteht. Im Fall der Vorbeschäftigung greift § 10 Satz 3 Nr. 3 AGG nicht (s. Rz. 354). Dennoch kann eine sehr kurze Anstellung die Leitung der Gesellschaft beeinträchtigen. Es spricht daher vieles dafür, dass kein Verstoß gegen das AGG vorliegt, wenn eine Wiederanstellung in Fällen unterbleibt, in denen die betroffene Person die Regelaltersgrenze in weniger als einem Jahr nach Wiederanstellung erreichen würde753. 357 In der Praxis scheiden Organmitglieder häufig jedoch schon vor Erreichen der Regelalters-

grenze aus den Diensten der Gesellschaft aus, weil zum Teil niedrigere Altersgrenzen festgelegt werden. Allein mit der besonderen Funktion und Bedeutung der Organstellung lässt sich eine solche Altersgrenze nicht rechtfertigen754: In der Prigge-Entscheidung hat sich der

746 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 264a; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 7. 747 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1994 mit Bezug auf BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 781 = GmbHR 2012, 845, 849. 748 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 781 = GmbHR 2012, 845, 849. 749 Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, Rz. 100. 750 EuGH v. 12.10.2010 – C-45/09, ECLI:EU:C:2010:601, NZA 2010, 1167 – Rosenbladt. 751 BAG v. 21.9.2011 – 7 AZR 134/10, NZA 2012, 271, 273. 752 LAG Hamm v. 19.6.2019 – 8 U 18/17, NZG 2017, 1065, 1067 = GmbHR 2017, 1037; Hohenstatt/ Naber, ZIP 2012, 1989, 1994. 753 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1994 f. 754 Für eine Rechtfertigung durch Funktion und Bedeutung der Organstellung LAG Hamm v. 19.6.2019 – 8 U 18/17, GmbHR 2017, 1037 = NZG 2017, 1065 mit Verweis auf Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 600 und Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 365 f.; problematisch auch die Annahme einer in der Regel gegebenen Rechtfertigung der Altersgrenze 58 (so Lutter, BB 2007, 725, 729) bzw. Altersgrenze 60 (Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 Rz. 35).

104 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 359 § 35

Europäische Gerichtshof sehr zurückhaltend gezeigt, was die Zulässigkeit von Altersgrenzen angeht755. Lediglich Ziele aus den Bereichen „Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung“ kommen für eine Rechtfertigung in Betracht756. Der Europäische Gerichtshof hat darauf abgestellt, dass nationale und internationale Vorgaben eine Altersgrenze von 65 Jahren vorsehen. Für Organmitglieder gibt es keine solche Altersgrenze und es ist auch nicht ersichtlich, weshalb Organmitglieder typischerweise vor Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze nicht mehr in der Lage sein sollten, ihre Aufgaben zu erfüllen. Ob die Nachfolgeförderung eine Altersgrenze unterhalb der Regelaltersgrenze erfordert, ist ebenfalls fraglich. Nachwuchsförderung kann auch durch Bestellung von jungen Führungskräften zum Mit-Geschäftsführer oder Stellvertreter erreicht werden, so dass eine Einarbeitung durch erfahrene Kräfte möglich ist757. Anders kann die Beurteilung hingegen ausfallen, wenn die Altersgrenzen mit einem System 358 der betrieblichen Altersvorsorge kombiniert werden. Für Organmitglieder ist eine betriebliche Altersvorsorge häufig bereits deutlich vor der Regelaltersgrenze vorgesehen. Vor diesem Hintergrund kommt eine Rechtfertigung einer Befristung nach § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG oder jedenfalls gemäß § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG in Betracht, wenn sie auf ein Lebensalter erfolgt, zu dem das ausscheidende Organmitglied eine auskömmliche oder jedenfalls nicht ganz geringfügige betriebliche Altersversorgung in Anspruch nehmen kann758. Dies kann jedoch nicht grenzenlos gelten. Eine betriebliche Altersversorgung wird nach bisheriger steuerrechtlicher Betrachtung regelmäßig erst angenommen, wenn die Leistungen frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahres einsetzen. Wegen der Erhöhung des Rentenalters geht die Finanzverwaltung inzwischen von einer Grenze ab 62 Lebensjahren aus759. Von daher ließe sich bei Organmitgliedern mit einer korrespondierenden Altersversorgung eine Altersgrenze ab einem Alter von 62 Jahren rechtfertigen760. Eine solche Altersgrenze ist auch mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar: Die betriebliche Altersversorgung für Organmitglieder ist oftmals deutlich werthaltiger als die gesetzliche Rente. Somit hat sie für das einzelne Organmitglied weitaus größere Bedeutung als die gesetzlich Rente, bei deren Erreichen ein vertragsmäßiges Ausscheiden gerechtfertigt wäre761. Eine Altersgrenze kann, wie die gesetzlichen Regelaltersgrenzen, in der Gesellschaft einen Mechanismus zum Ausgleich zwischen sozialen, demographischen und wirtschaftlichen Erwägungen schaffen und eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen sicherstellen762. d) Rechtsfolgen Bei Verstoß gegen ein Benachteiligungsverbot steht dem benachteiligten Organmitglied oder 359 dem Bewerber um die Organposition ein Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG sowie eine verschuldensunabhängig763 zu zahlende angemessene Entschädigung für immaterielle Schäden nach § 15 Abs. 2 AGG zu. Ein Schadensersatzanspruch besteht nur, 755 756 757 758 759 760 761 762 763

EuGH v. 13.9.2011 – C-447/09, ECLI:EU:C:2011:573, NZA 2011, 1039 = ZIP 2011, 1882 – Prigge. EuGH v. 13.9.2011 – C-447/09, ECLI:EU:C:2011:573, NZA 2011, 1039, 1043. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1995; skeptisch auch Nolting, EWiR 2017, 619, 620. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1996; in diese Richtung auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 264d; skeptisch Kort, WM 2013, 1049, 1052 ff.; vgl. zum Ganzen auch Preis/ Sagan, ZGR 2013, 26, 69 ff. BMF-Schreiben v. 30.1.2008 – IV C8 – S2222/07/0003, Rz. 9, geändert 18.8.2008, BStBl. I 2008, 887. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1996; für die Zulässigkeit einer Altersgrenze von 60 Jahren OLG Hamm v. 19.6.2017 – 8 U 18/17, NZG 2017, 1065, 1067 = GmbHR 2017, 1037; hierzu kritisch Nolting, EWiR 2017, 619. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1996. EuGH v. 12.10.2010 – C-45/09, ECLI:EU:C:2010:601, NZA 2010, 1167, 1169 f. – Rosenbladt. BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945, 951.

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§ 35 Rz. 359 | Das Anstellungsverhältnis wenn der Bewerber nachweist, dass es bei benachteiligungsfreier Auswahl zum Abschluss des Anstellungsvertrages gekommen wäre764. Wäre der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden, ist außerdem der Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG auf drei Monatsgehälter begrenzt. Im Übrigen sind Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, gemäß § 7 Abs 2 AGG unwirksam. Einen Anspruch auf Bestellung und/oder Abschluss eines Anstellungsvertrages gewährt das AGG nicht, § 15 Abs. 6 AGG. 360 Die Wirksamkeit des Widerrufs der Bestellung bleibt auch bei Verstößen gegen das AGG

unberührt: Im Rahmen von § 38 Abs. 1 besteht kein Raum für die Berücksichtigung der Wertungen des AGG. Die diskriminierende Kündigung ist hingegen unwirksam gemäß § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 134 BGB765 und/oder gemäß §§ 242, 138 BGB766. Dem steht auch nicht § 15 Abs. 6 AGG entgegen: Diese Vorschrift schließt nur einen Anspruch auf Abschluss eines Anstellungsvertrages aus. Beendigungen sind vom Wortlaut hingegen nicht erfasst. § 15 Abs. 6 AGG besagt daher nicht, dass sich aus einem Verstoß gegen Vorschriften des AGG ausschließlich Sekundäransprüche ergeben können767. Bliebe die Wirksamkeit der Kündigung unberührt, wäre das AGG im Hinblick auf Kündigungen von Geschäftsführer-Dienstverträgen praktisch wirkungslos. e) Anwendbarkeit von § 22 AGG 361 Gemäß § 22 AGG muss der Benachteiligte nur Indizien beweisen768, die eine Benachteiligung

aus einem in § 1 AGG genannten Grund vermuten lassen. Gelingt dies, so geht die Beweislast für das Nichtvorliegen einer verbotenen Benachteiligung auf die andere Seite über. § 22 AGG erleichtert mithin den Nachweis der Kausalität zwischen Benachteiligung und dem verpönten Merkmal769. § 22 AGG greift nicht in Bezug auf die Kausalität zwischen Benachteiligung und dem materiellen Schaden i.S.v. § 15 Abs. 1 AGG770. 362 Zwar erklärt § 6 Abs. 3 AGG nur die Vorschriften des zweiten Abschnitts für entsprechend

auf Geschäftsführer anwendbar, während § 22 AGG zum vierten Abschnitt des AGG gehört. Nach dem Schutzzweck von § 22 AGG muss dieser jedoch auch für die Fälle des § 6 Abs. 3 AGG Anwendung finden: Dem Kläger soll ein strenger Nachweis von Tatsachen, die in der Sphäre des Unternehmens liegen und ihm somit nicht zugänglich sind, erspart werden771. § 22 AGG soll damit sicherstellen, dass der Benachteiligte seine Ansprüche auch im Prozessweg durchsetzen kann772. Organmitglieder i.S.v. § 6 Abs. 3 AGG sind auf die Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast typischerweise in gleichem Maße angewiesen wie Beschäftigte i.S.v. § 6 Abs. 1 AGG. Anhaltspunkte für eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers

764 BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412, 1417; Thüsing in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 15 AGG Rz. 27; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 15 AGG Rz. 4. 765 Vgl. Sagan, NZA 2006, 1257, 1259; Diller/Krieger/Arnold, NZA 2006, 887, 889 f. 766 Hamacher/Ulrich, NZA 2007, 657, 658; Kamanabrou, RdA 2007, 199, 201; Linck in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 17. Aufl. 2017, § 129 Rz. 23. 767 Vgl. BAG v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, NZA 2010, 561, 562; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 15 AGG Rz. 4; a.A. (für eine Ausweitung der Vorschrift) Thüsing in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 15 AGG Rz. 43. 768 Es genügt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Indizien, zum Meinungsstand ausführlich und mit überzeugendem Ergebnis: ArbG Berlin v. 12.11.2007 – 86 Ca 4035/07, NZA 2008, 492, 494 f. 769 BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412, 1415. 770 BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412, 1417. 771 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 22 AGG Rz. 1. 772 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 779 = GmbHR 2012, 845.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 364 § 35

gegen die Anwendbarkeit von § 22 AGG auf Organmitglieder liegen nicht vor. § 22 AGG findet daher entsprechende Anwendung auf Organmitglieder i.S.v. § 6 Abs. 3 AGG773.

7. Fehlerhafter Anstellungsvertrag Für Mängel des Anstellungsvertrages gelten bis zur Aufnahme der Tätigkeit durch den Ge- 363 schäftsführer uneingeschränkt die allgemeinen Regeln des BGB. Die Parteien können sich auf die Nichtigkeit des Anstellungsvertrages berufen. Allerdings ist der bislang wichtigste Fall der Nichtigkeit, nämlich der vorsätzliche Verstoß gegen § 30, nach Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung entfallen. Früher wurde in Anwendung von § 134 BGB die Nichtigkeit des Anstellungsvertrages angenommen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht seit 1997 davon aus, dass sich die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Kapitalerhaltungsgebot auch dann ausschließlich nach § 31 richten, wenn es den Beteiligten auf die Umgehung der Kapitalerhaltungsvorschriften ankommt774. Die Parteien können auch eine Erklärung wegen Irrtums, Drohung oder arglistiger Täuschung (§§ 119 ff. BGB) mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (§ 142 Abs. 1 BGB) anfechten. Ein Anfechtungsrecht kann der Gesellschaft insbesondere wegen Irrtums oder wegen arglistiger Täuschung (auch durch pflichtwidriges Verschweigen) über persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse des Geschäftsführers, z.B. mangelnde Fachkenntnisse, Unzuverlässigkeit, Vorstrafen u.Ä., zustehen. Nach Aufnahme der Tätigkeit können Mängel des Anstellungsvertrages grundsätzlich nur 364 mit Wirkung für die Zukunft geltend gemacht werden, da eine Rückwirkung wegen der mit dem Geschäftsführeramt verbundenen Pflichtenstellung nicht interessengemäß und die Rückabwicklung des Anstellungsverhältnisses nach Bereicherungsgrundsätzen im Allgemeinen nicht sachgerecht und häufig auch gar nicht möglich wäre775. Der Geschäftsführeranstellungsvertrag ist daher für die Dauer der Durchführung unter sinngemäßer Heranziehung der Grundsätze zum fehlerhaften Arbeitsverhältnis als wirksam zu behandeln776. Wurde die Gesellschaft bei Abschluss des Anstellungsvertrages durch ein hierfür nicht zuständiges Organ vertreten, ist der Geschäftsführer für eine bestimmte Zeit tätig gewesen und wurde die fehlende Zuständigkeit nicht gerügt, so kann es treuwidrig sein, wenn sich die Gesellschaft noch auf die fehlende Vertretungsbefugnis beruft; insofern ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen777. Ansonsten erfolgt die Beendigung des fehlerhaften Anstellungsverhältnis773 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 779 = GmbHR 2012, 845; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 266; Reufels/Molle, NZA-RR 2011, 281, 285; Bauer/Göpfert/Krieger, 5. Aufl. 2018, § 6 AGG Rz. 37; a.A. Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 325 f., die das deutsche Gesetz infolge dessen für richtlinienwidrig halten und mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut von § 6 Abs. 3 AGG eine richtlinienkonforme Auslegung ablehnen. 774 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, GmbHR 1997, 790 = WM 1997, 1621; anders aber noch etwa für den Anstellungsvertrag: OLG Düsseldorf v. 8.6.1989 – 8 U 197/88, GmbHR 1990, 134 f.; s. eingehend 12. Aufl., § 30 Rz. 120. 775 Vgl. BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287 f.; BGH v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 194 f.; BGH v. 8.3.1973 – II ZR 134/71, WM 1973, 506 (betr. jeweils Vorstand einer AG); BGH v. 16.1.1995 – II ZR 290/93, GmbHR 1995, 306 = ZIP 1995, 377; zustimmend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 58; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 73; Kuhn, WM 1966, 50, 53 f.; Gerlach, AG 1965, 251, 257; Veith, DB 1965, 807 ff.; ablehnend Spieker, DB 1964, 1287 ff.; zum Ganzen auch Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 196 ff. 776 BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876; BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, GmbHR 2019, 1233 = NJW 2019, 3718 Ls. 1 und Rz. 26 (m. Besprechung von Kruse/Welskop, DStR 2020, 173). 777 BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876, 877; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 277.

Hohenstatt | 107

§ 35 Rz. 364 | Das Anstellungsverhältnis ses durch Erklärung der zur Geltendmachung des Mangels berechtigten Partei (Recht zur Lösung des faktischen Anstellungsverhältnisses „ex nunc“)778. 365–370 Einstweilen frei.

XIII. Inhalt des Anstellungsvertrages 1. Vergütung a) Allgemeines 371 Die Parteien können die Vergütung im Rahmen der Vertragsfreiheit im Wesentlichen ohne

gesetzliche Vorgaben frei gestalten779; dies gilt insb. für die Ausgestaltung des Vergütungssystems, das Verhältnis von fester und variabler Vergütung sowie für die Höhe der zugesagten Leistungen. Es kann auch die Unentgeltlichkeit der Geschäftsführertätigkeit vereinbart sein780. Die Vergütungsabrede kann gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn ein besonders krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung festzustellen ist und daraus auf eine verwerfliche Gesinnung der betroffenen Partei geschlossen werden kann; das KG Berlin781 hat dies in einem Fall angenommen, in dem der Geschäftsführer, der seine gesamte Arbeitskraft einzusetzen hatte, lediglich rückforderbare Vorschüsse auf eine Tantieme erhielt, die nur bei einem Jahresüberschuss verdient war. Insofern ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen. Mangels einer ausdrücklichen oder wirksamen Vergütungsabrede ist die übliche Vergütung i.S.v. § 612 Abs. 2 BGB geschuldet782. b) Angemessenheit; analoge Anwendung von § 87 AktG 372 Die Interessenlage bei der GmbH ist insofern verschieden von derjenigen der AG, weshalb

die Vorgaben gemäß § 87 AktG nach ganz h.M. auf den Geschäftsführer keine unmittelbare oder entsprechende Anwendung783 finden. Im Hinblick auf die dem MitbestG unterfallende GmbH ist die Rechtslage streitig. Für eine (analoge) Anwendung784 von § 87 AktG spricht, dass auch hier der Aufsichtsrat – und nicht die Gesellschafterversammlung – für den Anstellungsvertrag und damit für die Festlegung der Vergütung zuständig ist (vgl. hierzu Rz. 334). Die h.M.785 lehnt indessen richtigerweise auch für die mitbestimmte GmbH eine

778 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 277; BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, GmbHR 2019, 1233 = NJW 2019, 3718. 779 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 31. 780 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 24. 781 KG v. 12.3.1996 – 14 U 7775/94, GmbHR 1996, 613, 614; vgl. hierzu auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 302; ablehnend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 129. 782 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 302; Lenz in Michalski u.a., Rz. 149; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 24. 783 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 25; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 31; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304; vgl. auch OLG Frankfurt v. 22.12.2004 – 13 U 177/02, GmbHR 2005, 550, 554; s. auch im Zusammenhang mit dem VorstAG, Beschlussempfehlung BT-Drucks. 16/13433, S. 16, 18; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 128. 784 Für analoge Anwendung sprachen sich aus OLG Köln v. 6.11.2007 – 18 U 131/07, GmbHR 2008, 1216, NZG 2008, 637; OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423, 424; a.A. Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 40. 785 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 305; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, 6. Aufl. 2015, § 25 MitbestG Rz. 90; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 126; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 31; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 25 MitbestG Rz. 11.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 376 § 35

analoge Anwendung von § 87 AktG ab. Zum einen folgt dies daraus, dass § 87 AktG in § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG nicht genannt ist. Zum anderen ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zum VorstAG786, dass der Gesetzgeber § 87 AktG nicht als Leitnorm für die Geschäftsführervergütung ansieht und nicht von deren Anwendung auf die mitbestimmte GmbH ausgeht. Dennoch eignet sich § 87 Abs. 1 AktG durchaus als Leitmaßstab für die Strukturierung und 373 für die Festlegung des Umfangs der Vergütung von Geschäftsführern. Die Norm ist Ausfluss von Grundsätzen zur verantwortungsvollen und nachhaltigen Unternehmensführung, so dass sie auch von den Aufsichtsgremien von Unternehmen anderer Rechtsform sinngemäß berücksichtigt werden sollte787. c) Besonderheiten der Vergütung der Gesellschafter-Geschäftsführer Die Vergütung der Gesellschafter-Geschäftsführer ist zum Schutz der Gläubiger an § 30 zu 374 messen788. Aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht folgt, dass die Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu derjenigen steht, die vergleichbaren Fremdgeschäftsführern tatsächlich gewährt wird oder die – fiktiv – einem Fremdgeschäftsführer in vergleichbarer Stellung und mit gleichwertiger Qualifikation bei marktkonformem Verhalten gewährt würde („Grundsatz des Fremdvergleichs“)789. Diese Betrachtung erfordert eine Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der Branche, der Größe und Leistungsfähigkeit des Unternehmens sowie der Biographie und Qualifikation des Geschäftsführers790. Aus der steuerlichen Angemessenheit der Vergütung (s. hierzu Rz. 375 f.) kann nicht ohne Weiteres auf die gesellschaftsrechtliche Angemessenheit geschlossen werden791. Da die Zahlung der Geschäftsführervergütung eine abzugsfähige Betriebsausgabe darstellt, 375 bestehen für die Vergütung der Gesellschafter-Geschäftsführer zusätzliche steuerrechtliche Schranken. Zahlungen an Gesellschafter-Geschäftsführer, die steuerlich unangemessen sind, stellen eine verdeckte Gewinnausschüttung i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG dar792. Dies führt in aller Regel dazu, dass sich hierdurch der körperschaftsteuerliche Gewinn und die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer erhöhen. Beim Geschäftsführer kann die nachträgliche Feststellung der steuerlichen Unangemessenheit der Vergütung oder der Nebenleistungen zu komplexen Umschichtungen der steuerlichen Einkunftsarten führen; die nachträgliche Geltendmachung von Werbungskosten kann erschwert oder ausgeschlossen sein. Die Finanzverwaltung nimmt bei der Überprüfung der steuerlichen Angemessenheit in der 376 Regel eine dreistufige Prüfung vor: (1) Zunächst wird geprüft, ob einzelne Vergütungsleistungen dem Grunde nach als durch das Gesellschafterverhältnis veranlasst anzusehen sind. Ist dies der Fall, beseitigt dies die steuerliche Abzugsfähigkeit der gesamten Position. Davon ist vor allem auszugehen, wenn eine Vergütungsleistung grundlegend von dem ab786 Beschlussempfehlung BT-Drucks. 16/13433, S. 10; vor diesem Hintergrund explizit gegen analoge Anwendung von § 87 AktG auf die paritätisch mitbestimmte GmbH Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 8; Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2140; Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 961; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 305. 787 S. auch Beschlussempfehlung BT-Drucks. 16/13433, S. 16, 18; vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 315. 788 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 128; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 31a; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 307. 789 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 307. 790 BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, GmbHR 1990, 344, 345; BGH v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, GmbHR 1992, 605, 606; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 364. 791 Offen gelassen von OLG Frankfurt v. 22.12.2004 – 13 U 177/02, GmbHR 2005, 550, 553; vgl. hierzu auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 307. 792 Umfassend Bascopé/Hering, GmbHR 2005, 741; Briese, GmbHR 2005, 597; grundlegend und rechtsvergleichend Fleischer, WM 2007, 909.

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§ 35 Rz. 376 | Das Anstellungsverhältnis weicht, was mit einem Fremdgeschäftsführer vereinbart wurde bzw. – fiktiv – bei marktkonformem Verhalten vereinbart würde. Zweifel ergeben sich regelmäßig bei einer Vergütung, die ausschließlich aus einer Gewinnbeteiligung besteht793 (sog. „Nur-Tantieme“794). Eine solche Vergütungsvereinbarung kann allerdings ausnahmsweise steuerlich angemessen sein in der Start-Up-Phase, im Sanierungsfall oder bei einem auf hohe Geschäftsrisiken ausgerichteten Geschäftsmodell795. (2) Sodann wird geprüft, ob die Leistungen der Höhe nach gerechtfertigt sind. Dabei wird insbesondere das Verhältnis der festen zur variablen Vergütung überprüft. In der Regel wird eine Angemessenheit der variablen Vergütung angenommen, wenn sie 25 % der Gesamtvergütung (Verhältnis fix/variabel 75/25) nicht übersteigt796. Bei der Gesamtvergütung sind auch Nebenleistungen und insbesondere die Versorgungszusage mit einzubeziehen797. (3) Schließlich ist die Gesamtvergütung des Gesellschafter-Geschäftsführers zu bewerten, insbesondere im Hinblick auf die in Rz. 374 genannten Kriterien (Gesamtbetrachtung). Aus Gründen der Vereinfachung wird hier der Halbteilungsgrundsatz zur Anwendung gebracht, wonach die Gesamtvergütung eines Gesellschafter-Geschäftsführers in der Regel nicht mehr als 50 % des für die Gesellschafter verbleibenden Jahresüberschusses nach Abzug der Geschäftsführer-Vergütung und vor Ertragssteuern betragen darf798. Hierbei handelt es sich allerdings um eine widerlegbare Vermutung, so dass Ausnahmen – zum Beispiel bei besonders ertragsschwachen Unternehmen – denkbar sind799. Angesichts der Rechtsunsicherheit, die mit der steuerlichen Angemessenheitsprüfung verbunden ist, wird den Gesellschaften ein Toleranzspielraum von 20 % eingeräumt. Erst wenn diese Grenze überschritten ist, wird (nur) der überschießende Teil der Vergütung – sofern sich nicht schon auf der ersten oder zweiten Prüfungsstufe Beanstandungen ergeben – als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt800. 377 In der Praxis sollte auf eine besonders sorgfältige Dokumentation der Vergütung der (be-

herrschenden) Gesellschafter-Geschäftsführer und auf eine konsequente Anwendung der vereinbarten Regularien geachtet werden, da sich ansonsten Indizien für eine verdeckte Gewinnausschüttung ergeben. Im Einzelnen: Die Vergütungsregeln sollten schriftlich vereinbart („Klarheitsgebot“801) werden, und zwar im Vorhinein („Rückwirkungsverbot“ oder auch „Nachzahlungsverbot“802). Die Vereinbarung sollte auch konsequent durchgeführt werden („Durchführungsgebot“803). Ein weiteres Indiz für eine regelwidrige Vergütungsabrede ist die mehrfache substantielle Erhöhung in kurzen Zeitabständen804.

793 BFH v. 27.3.2001 – I R 27/99, GmbHR 2001, 580, 582. 794 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 310. 795 BMF-Schreiben v. 1.2.2002 – IV A 2 - S 2742 - 4/02, GmbHR 2002, 291; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 310. 796 Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 27/99, GmbHR 2001, 580, 582. 797 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 311 Fn 735. 798 BMF-Schreiben v. 14.10.2002 – IV A 2 – S2742 – 62/02, NZG 2002, 1102. 799 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 295 f.; zustimmend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 312. 800 BFH v. 12.10.1995 – I R 27/95, BB 1996, 250, 251 = GmbHR 1996, 221; BFH v. 5.10.1994 – I R 50/94, GmbHR 1995, 385, 386 f.; zu Einzelheiten Krupske, GmbHR 2003, 208, 210 f.; Harle/Kulemann, GmbHR 2003, 941 ff. 801 BFH v. 30.1.1985 – I R 37/82, GmbHR 1985, 380 f.; BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, GmbHR 1997, 34 ff.; BFH v. 1.4.2003 – I R 78, 79/02, GmbHR 2003, 1502 ff. 802 BFH v. 21.7.1982 – I R 56/78, GmbHR 1982, 267; BFH v. 29.4.1987 – I R 176/83, GmbHR 1987, 492; BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, GmbHR 1997, 34 ff.; BFH v. 1.4.2003 – I R 78, 79/02, GmbHR 2003, 1502. 803 BFH v. 4.2.1998 – XI R 45/97, BStBl. II 1998, 301; BFH v. 28.7.1993 – I B 54/93, BFH/NV 1994, 345 = GmbHR 1994, 416. 804 BFH v. 6.4.2005 – I R 27/04, GmbHR 2005, 1143 (Verdoppelung der Vergütung innerhalb von 2 1/2 Monaten).

110 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 380 § 35

d) Vergütungsformen aa) Festvergütung In der Praxis stellt die feste Vergütung (Festgehalt) nach wie vor den Schwerpunkt der Ho- 378 norierung von Geschäftsführern dar. Die Vereinbarung eines Festgehalts ist indessen nicht zwingend; die Vergütung kann sich – vorbehaltlich der Grenze der Sittenwidrigkeit oder Treuwidrigkeit (s. hierzu Rz. 371) auch auf eine Tantieme oder eine andere Form der Ergebnisbeteiligung beschränken; zu den steuerlichen Risiken einer solchen Gestaltung s. Rz. 376). bb) Tantieme Der Begriff der „Tantieme“ hat sich in der Praxis als Sammelbegriff für ergebnisabhängige 379 bzw. variable Vergütungsbestandteile für Organmitglieder durchgesetzt. Abweichend wird auch von Bonuszahlungen/Boni und von Gratifikationen (s. hierzu Rz. 385) gesprochen, ohne dass damit notwendigerweise andere Konzeptionen verbunden wären. Sinnvollerweise sollte der Begriff der Tantieme nur für Leistungen vorgesehen werden, die an das Ergebnis der Gesellschaft anknüpfen. Bei Zahlungen aufgrund einer Beurteilung der Leistungen des Geschäftsführers – insbesondere wenn dies auf der Grundlage einer Zielvereinbarung geschieht – sollte man von Boni sprechen. Die sog. Gewinntantieme knüpft, soweit nicht abweichend vereinbart, an den in der Han- 380 delsbilanz (§ 266 HGB) ausgewiesenen Jahresüberschuss der Gesellschaft an805. Soweit ausnahmsweise die Steuerbilanz zugrunde zu legen ist, wird man im Zweifel auf den Gewinn vor Abzug der Körperschaftsteuer abstellen. Die Tantieme des Geschäftsführers ist, sofern Gegenteiliges nicht ausdrücklich vereinbart wurde, nicht von der Berechnungsgrundlage abzuziehen806. Die Bildung von Rücklagen hat keine Minderung der Bemessungsgrundlage zur Folge, da es sich hierbei um eine Entscheidung über die Ergebnisverwendung handelt807; umgekehrt wirkt sich die Auflösung von Rücklagen nicht erhöhend aus. Ein Verlustvortrag ist dann anzurechnen, wenn er während der Zeit der Tantiemepflicht entstanden ist808. Regelungsbedürftig ist, ob auch Erträge aus außergewöhnlichen Geschäften in die Bemessungsgrundlage einbezogen sein sollen. Da außergewöhnliche Erträge i.S.d. § 275 Abs. 2 Nr. 15 HGB in den Jahresüberschuss einfließen, besteht keine allgemeine Regel, dass diese nicht berücksichtigt werden dürfen809. Es kann sich daher eine ausdrückliche Ausschlussregelung oder ein Anknüpfen an das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit empfehlen. Abzuziehen ist hingegen ein Gewinnvortrag aus dem Vorjahr. Alternativ oder zusätzlich kann sich eine Vertragsbestimmung analog § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG anbieten (Begrenzungsmöglichkeit für den Fall „außergewöhnlicher Entwicklungen“)810. Die Gewinntantieme ist im Zweifel erst mit Feststellung des Jahresabschlusses (§ 46 Nr. 1) fällig; bei treuwidriger Hinauszögerung dieses Zeitpunkts kann jedoch frühere Fälligkeit eintreten811. Bei unterjährigem Ausscheiden entsteht ein etwaiger Tantiemeanspruch im Zweifel anteilig. Soweit vor-

805 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 31; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314; zum ergebnisabhängigen Tantiemenanspruch bei lediglich auf Veräußerung von Gesellschaftsvermögen beruhendem positiven Geschäftsergebnis LG Hamburg v. 25.6.2014 – 404 HKO 158/13, juris. 806 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 32. 807 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314. 808 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 31 m.w.N. 809 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314. 810 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314. 811 OLG Köln v. 27.11.1992 – 19 U 89/92, GmbHR 1993, 157, 158.

Hohenstatt | 111

§ 35 Rz. 380 | Das Anstellungsverhältnis geschlagen wird, auf das Ergebnis zum Zeitpunkt des Ausscheidens abzustellen812, ist dies bei einer Gewinntantieme in aller Regel nicht praktikabel. Insofern kommt nur eine Berechnung pro rata temporis813 in Betracht. Bei anderen Bemessungsgrundlagen oder bei der Bemessung nach Zielvereinbarung kann hingegen u.U. eine Berechnung des bis zum Ausscheiden erzielten Bonus erfolgen. Am Zeitpunkt der Fälligkeit ändert sich hingegen – vorbehaltlich einer abweichenden vertraglichen Regelung – durch das vorherige Ausscheiden nichts814. 381 Umsatztantiemen sind grundsätzlich zulässig, von Ausnahmefällen abgesehen (Start-Up-Si-

tuation) jedoch in aller Regel nicht sinnvoll. Bei Gesellschafter-Geschäftsführern werden sie regelmäßig als verdeckte Gewinnausschüttung gewertet815. Ausnahmsweise in einer „Anlaufsituation“ gerechtfertigte Umsatztantiemen müssen zeitlich und betragsmäßig begrenzt werden816. 382 Nicht ungebräuchlich sind auch Ermessenstantiemen, hinsichtlich derer der Aufsichtsrat

oder die Gesellschafterversammlung unter Berücksichtigung möglichst im Vorhinein festgelegter Kriterien (z.B. wirtschaftliche Lage der Gesellschaft, persönliche Leistung des Geschäftsführers) eine Abwägung vornehmen, in welcher Höhe eine variable Vergütung angemessen ist. Die Festsetzung hat in diesen Fällen nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) zu erfolgen817. Durch eine detaillierte Vorgabe der für die Entscheidung maßgeblichen Kriterien kann das Ermessen erheblich eingeschränkt sein; insofern ist der Übergang zu einer Bonuszahlung auf der Grundlage einer Zielvereinbarung (Rz. 384) fließend. Für Gesellschafter-Geschäftsführer kommen wegen des sog. Nachzahlungsverbots (vgl. auch Rz. 377) Ermessenstantiemen nicht in Betracht; für diesen Personenkreis muss die Tantieme im Nachhinein durch einen transparenten und im Vorhinein festgelegten Rechenvorgang zu ermitteln sein. 383 Mindest- oder Festtantiemen sind bei genauer Betrachtung Bestandteil der festen Vergü-

tung818; sie sind nicht ergebnis- oder leistungsabhängig. Die Mindesttantieme will sicherstellen, dass die Vergütung des Geschäftsführers trotz eines womöglich erheblichen variablen Anteils an der Gesamtvergütung nicht unter ein bestimmtes Vergütungsniveau absinkt. In diesem Fall ist die Mindesttantieme auf den gesamten Tantiemeanspruch anzurechnen. Den Effekt einer Mindestvergütung könnte man ebenso durch die Erhöhung des Festgehalts erzielen. Ähnlich verhält es sich bei der fest zugesagten Tantieme. Sie wirkt wie Festgehalt; ihre gesonderte Zahlung hat in erster Linie Bedeutung für die Versorgungszusage für den Geschäftsführer (vgl. Rz. 402 ff.), sofern deren Höhe an ein „rentenfähiges Einkommen“ anknüpft, das häufig mit dem Festgehalt identisch ist. Die Festtantieme ist in diesen Fällen eine Möglichkeit, die fixe Vergütung ohne Auswirkungen auf den Umfang der Versorgungszusage zu erhöhen819.

812 So wohl OLG Hamm v. 8.10.1984 – 8 U 265/83, GmbHR 1985 155, 157; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 321 i.S. einer „primären Lösung“, sofern möglich. 813 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 32; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 32; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 414. 814 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 32. 815 BFH v. 19.5.1993 – I R 83/92, GmbHR 1994, 265; offen gelassen von BFH v. 25.10.1995 – I R 9/ 95, GmbHR 1996, 299 f.; BFH v. 19.2.1999 – I R 105-107/97, GmbHR 1999, 484, 486; vgl. auch Schuhmann, GmbHR 2005, 921 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 316. 816 BFH v. 19.2.1999 – I R 105-107/97, BStBl. II 1999, 321 = GmbHR 1999, 484. 817 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 124; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 33; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 317. 818 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 318. 819 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 32; vgl. auch OLG München v. 15.7.1998 – 7 U 6334/97, GmbHR 1999, 184, 185.

112 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 385 § 35

cc) Bonuszahlungen aufgrund Zielvereinbarung In der Praxis werden anstelle oder in Ergänzung von Gewinntantiemen zunehmend häufig 384 Zielvereinbarungen abgeschlossen, die das Verhalten des Geschäftsführers im Interesse der Gesellschaft lenken sollen, und zwar detailbezogener als bei einer ausschließlichen Anknüpfung an den erzielten Gewinn. Gebräuchlich sind z.B. abteilungs- oder spartenbezogene quantitative Ziele (Beispiele: Erfindungen und Innovationen, Verbesserung der Produktivität) sowie qualitative Ziele (z.B. Verbesserung der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Schaffung eines Risk Management Systems etc.)820. Ein Vorteil besteht auch darin, dass z.B. jährlich eine Neuausrichtung der Zielvereinbarung erfolgen kann, um die jeweils aktuelle Unternehmensstrategie zu berücksichtigen. Das Erfordernis einer regelmäßigen Zielvereinbarung kann jedoch zu Konflikten führen. Insbesondere kann Streit entstehen, wenn der Abschluss einer Zielvereinbarung verzögert wird oder mangels Einigung gänzlich unterbleibt. Der BGH821 wendet in diesen Fällen § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB analog an, so dass im Zweifel das Gericht eine angemessene Zielvereinbarung festlegen muss. Dies ist eine unvermeidliche Folge für den Fall, dass sich die Parteien nicht über eine neue Zielvereinbarung verständigen können, wenngleich eine solche Festlegung im Nachhinein mit größten Schwierigkeiten verbunden sein wird. Häufig orientieren sich die Gerichte an den Bonuszahlungen in den Vorjahren. Hat es allerdings die Gesellschaft versäumt, einen Vorschlag für eine Zielvereinbarung vorzulegen oder hat sie offensichtlich unangemessene Vorschläge unterbreitet, die nicht billigem Ermessen entsprechen822, soll der Geschäftsführer nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts823 im Wege des Schadensersatzes gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 249, 252 Satz 1 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO die bei 100 % Zielerreichung im Anstellungsvertrag vorgesehene Bonuszahlung verlangen dürfen. Insofern muss aber berücksichtigt werden, wenn der Geschäftsführer auch in den Vorjahren keine 100 % Zielerreichung vorweisen konnte824. dd) Gratifikationen Gratifikationen sind zu besonderen Anlässen gewährte Vergütungsleistungen (insb. Weih- 385 nachts- und Urlaubsgeld, Jahresabschlussvergütung, Jubiläumszahlung etc.). Es ist nicht generell davon auszugehen, dass es sich dabei um freiwillige Leistungen im rechtlichen Sinne handelt825; im Gegenteil dürfte es der Regel entsprechen, dass derlei Leistungen im Anstellungsvertrag zugesagt werden; ausnahmsweise kann auch durch wiederholte vorbehaltlose Gewährung ein Vertrauenstatbestand und damit ein Zahlungsanspruch entstehen826. Die Freiwilligkeit bezieht sich allenfalls auf den Umstand, dass die Gesellschaft gesetzlich nicht dazu verpflichtet ist, Gratifikationen zu gewähren. Wird eine Gratifikation im Anstellungsvertrag als „freiwillig und jederzeit widerruflich“ deklariert, ist dies widersprüchlich, was zur

820 Vgl. zu Zielvereinbarungen Bauer/Diller/Göpfert, BB 2002, 882 ff.; Riesenhuber/v. Steinau-Steinrück, NZA 2005, 785 ff.; Annuß, NZA 2007, 290 ff. 821 BGH v. 9.5.1994 – II ZR 128/93, NJW-RR 1994, 1055, 1056 = GmbHR 1994, 546; vgl. auch Annuß, NZA 2007, 290, 295. 822 Vgl. zu den Anforderungen an realistische Zielvorgaben BAG v. 10.12.2008 – 10 AZR 889/07, NZA 2009, 256, 257. 823 BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07, NZA 2008, 409, 411; vgl. auch Riesenhuber/v. Steinau-Steinrück, NZA 2005, 785, 792; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 318. 824 BAG v. 12.5.2010 – 10 AZR 390/09, DB 2010, 1944, 1945. 825 So aber Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 125; ebenfalls Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 34. 826 BGH v. 14.5.1990 – II ZR 122/89, GmbHR 1990, 389; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 34.

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§ 35 Rz. 385 | Das Anstellungsverhältnis Unwirksamkeit des Vorbehalts führt827 (vgl. zur AGB-Kontrolle des Anstellungsvertrages Rz. 340 ff.). ee) Ergebnisabhängige Vorzugsdividende und (anwachsende) Beteiligung des Gesellschafter-Geschäftsführers 386 Der Gesellschaftsvertrag kann für den Geschäftsführer auch eine ergebnisabhängige Vor-

zugsdividende als Sonderrecht vorsehen. Bei Unterbilanz und Überschuldung muss die Zahlung jedoch unterbleiben (12. Aufl., § 30 Rz. 52 ff.). 387 Auch kommt in Betracht, dass die Gesellschafter dem Geschäftsführer in Abhängigkeit vom

erzielten Ergebnis eine Beteiligung bzw. deren Ausweitung zusagen828. Die Beteiligung von Geschäftsführern an der GmbH als Bestandteil ihrer Vergütung wird auch als Manager Modell bezeichnet829. Diese Vergütungsform soll den Gleichlauf der Interessen des Geschäftsführers mit denen der Gesellschafter sicherstellen und zu einer stärkeren Identifikation mit den Zielen der Gesellschaft führen. Allerdings kann diese Vergütungsvariante zu Komplikationen im Fall streitiger Trennungen führen, es sei denn, dass von Vornherein unter der aufschiebenden Bedingung der Abberufung vom Amt des Geschäftsführers die Rückgabe der Anteile vereinbart wurde830. Die Wirksamkeit solcher Regelungen ist anerkannt831, da die Beteiligung des Geschäftsführers im Rahmen des Manager Modells nur als Bestandteil seines Vergütungspakets anzusehen ist und es von daher als systemkonform angesehen wird, wenn diese gleichzeitig mit der Geschäftsführerstellung endet832. e) Vergütung bei vorübergehender Verhinderung 388 S. dazu Rz. 435 f.

f) Anpassung der Vergütung, insb. in der Krise 389 Grundsätzlich gilt für die Geschäftsführervergütung Gleiches wie im Vertragsrecht allgemein:

pacta sunt servanda. Eine im Anstellungsvertrag nicht vorgesehene Erhöhung der Vergütung z.B. zum Ausgleich der Inflation oder ihre Herabsetzung im Krisenfall kommen daher in aller Regel nicht in Betracht. 390 Ein Anpassungsanspruch nach oben kann sich bei nicht nur geringfügig beteiligten Gesell-

schafter-Geschäftsführern dann ergeben, wenn ohne Vertragsanpassung unter Berücksichtigung des Treuepflichtgedankens ein „evident unangemessener“ Zustand einträte833. Bei

827 BAG v. 8.12.2010 – 10 AZR 671/09, NZA 2011, 628; zur Wirksamkeit eines Freiwilligkeitsvorbehalts bezüglich Bonuszahlungen OLG Düsseldorf v. 4.3.2013 – 14 U 144/12, BeckRS 2014, 22316. 828 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 320. 829 Vgl. hierzu BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, NZG 2005, 968 ff. = GmbHR 2005, 1558; Hohaus/ Weber, NZG 2005, 961 ff. 830 Alternativ kommen satzungsmäßige Ausschließungs- und Einziehungsrechte der Gesellschafter in Betracht; vgl. BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, NZG 2005, 968, 969 = GmbHR 2005, 1558; s. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 320. 831 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, NZG 2005, 968, 970 = GmbHR 2005, 1558; zuvor bereits Habersack/Verse, ZGR 2005, 451, 461 ff. m.w.N. 832 Ebenso Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 320. 833 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 323; Beurskens in Baumbach/Hueck, 37 Rz. 129.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 392 § 35

diesem Personenkreis können insoweit auch die für Personengesellschaften entwickelten Grundsätze834 herangezogen werden835. Bei Fremdgeschäftsführern ist eine Anpassung der Vergütung ohne vertragliche Grundlage 391 von vorneherein nur bei langfristig und fest abgeschlossenen Anstellungsverträgen denkbar (z.B. drei bis fünf Jahre oder länger), da das Ungleichgewicht ansonsten durch Kündigung und Neuverhandlung oder Trennung beseitigt werden kann836. Im Übrigen kann bei Fremdgeschäftsführern nicht auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht rekuriert werden. Es müssen daher die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) herangezogen werden837, so dass ein Anpassungsanspruch bei einer schwerwiegenden Geldentwertung, völlig unerwartetem wirtschaftlichen Wachstum der Gesellschaft bzw. deren Erträgen sowie bei einer durch äußere Umstände erfolgenden wesentlichen Ausweitung der Aufgaben in Betracht kommen kann. Auch eine im Vertrag nicht vorgesehene Herabsetzung der Vergütung – insbesondere im 392 Fall der Krise – ist nur ganz ausnahmsweise zulässig. § 87 Abs. 2 AktG ist nicht anwendbar, auch nicht entsprechend838 (vgl. zur Anwendung von § 87 AktG auf die (mitbestimmte) GmbH bereits Rz. 372). Eine vertragliche Regelung, die § 87 Abs. 2 AktG entspricht, wäre hingegen zulässig und im Einzelfall auch sinnvoll839. Ohne vertragliche Grundlage kann hingegen ein Recht zur nachträglichen Herabsetzung der Vergütung im Einzelfall nur aus der organschaftlichen Treuepflicht des Geschäftsführers hergeleitet werden840. Dies kommt nur im Fall einer „qualifizierten Krise“841 in Betracht, insbesondere wenn eine existenzgefährdende Notlage eingetreten ist und die Gesellschaft auf die Mittel zwingend zum Überleben angewiesen ist842. Die herabgesetzte Vergütung muss für den Geschäftsführer aber noch zumutbar sein. Die Herabsetzung ist auf die unbedingt erforderliche Dauer zu befristen. Bei der Entscheidung über die Herabsetzung ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer in der Krise ohnehin seine gesamte variable Vergütung (oder erhebliche Anteile davon) ein-

834 BGH v. 10.6.1965 – II ZR 6/63, BGHZ 44, 40 f.; BGH v. 6.7.1967 – II ZR 218/65, WM 1967, 1099; BGH v. 24.1.1974 – II ZR 128/71, WM 1974, 274, 276; vgl. zu diesen Grundsätzen auch eingehend Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979; Harry Westermann in FS Hefermehl, 1976, S. 239. 835 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 129. 836 Ähnlich Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 129; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 29, der allerdings eine Anpassung bei befristeten Verträgen generell ausschließen will; dies dürfte bei langfristigen Verträgen jedoch eine sachwidrige Betrachtung sein. 837 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 323; ähnlich Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 386. 838 Wie hier Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2140; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 123; Mohr, GmbHR 2011, 402, 403; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 324; so offenbar auch BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, NJW 2016, 1236 Rz. 25; für analoge Anwendung OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423, 424; OLG Köln v. 6.11.2007 – 18 U 131/07, NZG 2008, 637; für eine Vergütungsherabsetzung in der GmbH analog § 87 Abs. 2 AktG Schnitzler, GmbHR 2016, 1026; für eine analoge Anwendung bei allerdings strengeren Maßstäben Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 34a; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 377; uneingeschränkt für eine analoge Anwendung Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 26. 839 Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1125 f. 840 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 324 ff.; Schnitzler, GmbHR 2016, 1026 hält die Treuepflicht als solche hingegen für kein geeignetes Rechtsinstitut, was Fragen der Vergütung von Geschäftsleitern betrifft. 841 Lindemann, GmbHR 2009, 737, 741. 842 Im Ergebnis ebenso Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 130; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 34a; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 324a.

Hohenstatt | 115

§ 35 Rz. 392 | Das Anstellungsverhältnis büßt, so dass sich die Herabsetzung nur auf das Festgehalt beziehen wird, wofür besonders strenge Grenzen zu gelten haben843. g) Abtretung, Pfändung, Verjährung 393 Die Abtretung von Vergütungsansprüchen des Geschäftsführers wird sehr häufig vertrag-

lich ausgeschlossen (§ 399 Alt. 2 BGB), was sich im Hinblick auf den mit Abtretungen verbundenen Verwaltungsaufwand, aber insbesondere zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse der Gesellschaft empfiehlt. In aller Regel kann die Gesellschaft nämlich nicht erfolgreich geltend machen, dass die Abtretung variabler Vergütungsansprüche wegen Verstoßes gegen § 85 (Geheimhaltungspflicht) unwirksam sei, obwohl sich aus § 402 BGB die Verpflichtung des Zedenten ergibt, dem Zessionar die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, aus der sich die Höhe der Leistung ableitet. Bei einer Gewinntantieme (s. Rz. 380) fehlt es angesichts bestehender Publizitätspflichten in aller Regel an einem Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft844. Bei anderen Modellen der variablen Vergütung, die sich an geheimhaltungsbedürftigen Parametern orientieren, besteht ebenfalls kein dinglich wirkendes Abtretungsverbot845. Allerdings kann der Geschäftsführer schuldrechtlich verpflichtet sein, § 402 BGB auszuschließen und mit dem Zessionar zu vereinbaren, dass dieser die Forderung für ihn einzieht. Verstößt er gegen diese Verpflichtung, macht er sich ggfls. schadensersatzpflichtig846. 394 Rechtsprechung und Literatur gehen einhellig davon aus, dass der gesetzliche Pfändungs-

schutz für Arbeitseinkommen (§§ 850 ff. ZPO) für Fremdgeschäftsführer bzw. solche, die nicht wesentlich an der Gesellschaft beteiligt sind, Anwendung findet847. In der Literatur spricht sich die h.M. zu Recht auch für eine Anwendung auf Gesellschafter-Geschäftsführer mit wesentlicher Beteiligung aus, da auch bei diesem Personenkreis das Geschäftsführer-Einkommen in aller Regel die wesentliche wirtschaftliche Existenzgrundlage darstellt848. 395 Die Vergütungsansprüche des Geschäftsführers verjähren nach drei Jahren (§ 195 BGB).

Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.

2. Auslagenersatz 396 Der Geschäftsführer hat Anspruch auf Ersatz seiner Auslagen (§§ 669 f., 675 BGB)849; fehlt

es an einem Anstellungsvertrag, folgt der Anspruch aus § 713 BGB, § 110 HGB analog; eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 BGB) liegt hingegen in aller Regel beim Geschäftsfüh-

843 Vgl. insgesamt Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 324a. 844 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331. 845 So für Abtretungen trotz Bankgeheimnis BAG v. 27.2.2007 – XI ZR 195/05, NJW 2007, 2106 = ZIP 2007, 619 Rz. 18; vgl. hierzu auch BVerfG v. 11.7.2007 – 1 BvR 1025/07, NJW 2007, 3707, 3708. 846 So im Fall der Abtretung einer Darlehnsforderung BGH v. 27.2.2007 – XI ZR 195/05, NJW 2007, 2106 = ZIP 2007, 619 Rz. 19. 847 BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, AG 1978, 162, 165 f.; BGH v. 17.11.1997 – II ZR 367/96, DStR 1998, 576; Seiler in Thomas/Putzo, 39. Aufl. 2018, § 850 ZPO Rz. 6a; Herget in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 850 ZPO Rz. 9; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 136; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 35; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 332. 848 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 35; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 332; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 319. 849 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 55.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 398 § 35

rer gerade nicht vor850. Art und Umfang der erstattungsfähigen Auslagen werden sinnvollerweise im Anstellungsvertrag oder in einer allgemeinen bzw. speziell auf die Geschäftsführung zugeschnittenen Kostenordnung geregelt. Im Zweifel sind diejenigen Auslagen zu ersetzen, die der Geschäftsführer im Unternehmensinteresse für erforderlich halten durfte (Beispiele: Reise- und Übernachtungskosten, Kosten für die Bewirtung von Geschäftspartnern oder (potentiellen) Kunden sowie sonstigen Personen, wenn dies im geschäftlichen Interessse liegt). Die Erstattungspflicht besteht jedoch mangels abweichender vertraglicher Regelung nur im Rahmen der steuerlichen Absetzbarkeit, was auch die Vorlage entsprechender Belege erforderlich macht851. Schmiergelder sind generell keine erstattungsfähigen Aufwendungen. Die Zahlung bzw. Ent- 397 gegennahme von Schmiergeldern ist in Deutschland und in nahezu allen ausländischen Rechtsordnungen verboten. Wenn sich der Geschäftsführer darüber hinwegsetzt, kann er selbst dann keine Erstattung verlangen, wenn das daraus resultierende Geschäft für die Gesellschaft günstig war852. Ausnahmen für im Ausland gezahlte Schmiergelder zur Herbeiführung eines nicht rechtswidrigen Erfolgs (z.B. Beschleunigung von bewusst verschleppten Verfahren) unter Hinweis auf die Üblichkeit solcher Praktiken853 sind spätestens seit der Strafbarkeit der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, die sich auch auf Auslandstaten bezieht (§ 299 Abs. 3 StGB), nicht mehr vertretbar. Aus diesem Grund kommt auch eine nachträgliche Erstattung von Schmiergeldern nicht in Betracht. Im Allgemeinen besteht kein Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung von Geldstrafen 398 und Bußgeldern; gleiches gilt für Verfahrens- und Rechtsberatungskosten im Zusammenhang mit gegen den Geschäftsführer laufenden Bußgeld- oder Strafverfahren854. Ausnahmsweise kann ein Erstattungsanspruch in Betracht kommen, wenn das Verschulden des Geschäftsführers gering erscheint und er im guten Glauben im Interesse der Gesellschaft gehandelt hat. Von einem geringen Verschulden wird z.B. dann ausgegangen werden können, wenn der Geschäftsführer auf Weisung der Gesellschafter handelte855 und ihm nicht bewusst war, mit deren Befolgung gegen Gesetze zu verstoßen (Beispiel: Bußgeld wegen unvollständiger oder verspäteter Erfüllung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gemäß § 121 BetrVG, sofern der Pflichtverstoß auf unzureichenden oder verspäteten Informationen der Gesellschafter beruhte). Dies gilt allerdings nicht, wenn dem Geschäftsführer die Gesetzeswidrigkeit seines Handelns bewusst war oder bewusst sein musste (Beispiel: Geldstrafen wegen Behinderung einer Betriebsratswahl oder der Betriebsratsarbeit gemäß § 119 BetrVG können nie erstattungsfähig sein). Stellt sich die Unschuld des Geschäftsführers heraus, kann er Erstattung von Verfahrenskosten etc. verlangen, sofern er nicht schuldhaft den Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit auf sich gelenkt hat.

850 § 683 BGB ist nur beim unentgeltlich tätigen Geschäftsführer anwendbar; so Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 55; unklar Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 30 („zu differenzieren“). 851 Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, D III. 4 Rz. 123. 852 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 55; Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB Klauselwerke“ Geschäftsführerverträge, D III. 4 Rz. 123. 853 Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB Klauselwerke“ Geschäftsführerverträge, D III. 4 Rz. 123. 854 Vgl. Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 56, der dem Geschäftsführer indes einen Anspruch auf Ersatz der Verfahrenskosten bei Freispruch zuspricht; vgl. zudem Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 30, der im Grundsatz ebenfalls von fehlender Erstattungsfähigkeit ausgeht, eine Ausnahme aber dort anerkennt, wo mit dem zugrundeliegenden Verhalten des Geschäftsführers keine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft einhergeht. 855 Der Rechtsgedanke des § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG kann auf den weisungsgebundenen Geschäftsführer nicht übertragen werden.

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§ 35 Rz. 399 | Das Anstellungsverhältnis 399 Eine im Vorhinein getroffene Vereinbarung, wonach dem Geschäftsführer Geldstrafen

oder Bußgelder erstattet werden, ist sittenwidrig und deshalb nichtig856, soweit die Zusage auch bei vorsätzlichem Handeln gelten soll. Nach einer darüber hinausgehenden Auffassung gilt dies sogar für den Fall fahrlässigen Handelns857; dies erscheint jedoch angesichts der zunehmenden Regulierung und den daraus folgenden Strafbarkeitsrisiken zu eng858. Eine nachträgliche Übernahme von Geldstrafen, Bußgeldern und Verfahrens- und Rechtsanwaltskosten durch die Gesellschaft ist in aller Regel zulässig859. Sie ist insbesondere nicht stets dann ausgeschlossen, wenn die mit Geldstrafe oder Bußgeld belegte Tat zugleich eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers darstellte860; auch in dieser Konstellation kann die Gesellschafterversammlung der Auffassung sein, dass es unbillig wäre, dem Geschäftsführer eine Erstattung zu verweigern.

3. Erfindungen 400 Sofern der Geschäftsführer im Zusammenhang mit dem Anstellungsverhältnis Erfindungen

macht, kann ihm hierfür ein zusätzlicher Vergütungsanspruch zustehen. Das ArbnErfG ist indessen nach ganz h.M. auf Organmitglieder nicht anwendbar861. Dies gilt auch für den Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH, wenn die Erfindung dem Geschäftsbetrieb der KG zugutekommt862. Aus dem Anstellungsvertrag folgt jedoch – vorbehaltlich abweichender vertraglicher Regelungen – die Verpflichtung, der Gesellschaft Diensterfindungen (zum Begriff: § 4 Abs. 2 ArbnErfG863) anzubieten864. Hierfür kann der Geschäftsführer im Zweifelsfall gemäß § 612 BGB eine angemessene Vergütung verlangen; allerdings sind die Vergütungsrichtlinien des ArbnErfG insoweit nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar865. Auch kann der Geschäftsführer nicht ohne Weiteres eine Lizenzgebühr verlangen, wie sie einem freien Erfinder zustehen würde, auch wenn dieser Ansatzpunkt regelmäßig am Beginn der anzustellenden Überlegungen stehen dürfte866. Für die Höhe kommt es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, insb. darauf, ob die Erfindung im Rahmen des Betriebes mit Mitteln des Arbeitgebers gemacht wurde und ob die entsprechende Arbeitsleistung Teil der anstellungsvertraglich geschuldeten Tätigkeit war867.

856 Es kommt auch Nichtigkeit wegen § 134 BGB in Betracht, wenn die Zusage auf eine Begünstigung i.S.v. § 257 Abs. 1 StGB gerichtet ist; vgl. Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 56. 857 Fleischer, WM 2005, 909, 916. 858 Vgl. Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 56; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 197; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 30. 859 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 30; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 56; s. hierzu ausführlich Hasselbach/Seibel, GmbHR 2009, 354, 358. 860 So noch Wiesner in MünchHdb. GesR IV, 3. Aufl. 2007, § 21 Rz. 63, nach dessen Auffassung eine Übernahme von Geldstrafen oder Geldbußen (4. Aufl. 2015) nur noch dann in Betracht komme, wenn in der Begehung der Tat nicht zugleich eine schuldhafte Pflichverletzung gegenüber der Gesellschaft zu sehen sei; Wiesner in MünchHdb. GesR IV, 4. Aufl. 2015, § 21 Rz. 89. 861 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160; OLG Düsseldorf v. 10.6.1999 – 2 U 11/98, GmbHR 1999, 1093; Gaul, DB 1990, 671 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284. 862 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160. 863 Zum Begriff der Diensterfindung s. auch Bayreuther in MünchHdb. ArbR, Band 1, 4. Aufl. 2018, § 98 Rz. 4 ff. 864 Gaul, GmbHR 1982, 101, 103; Gaul, DB 1990, 671, 673. 865 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160. 866 Haase, GmbHR 2005, 338, 342 f. 867 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160; vgl. zur Thematik weiterführend Friemel/ Kamlah, BB 2008, 613, 615 ff.; Bartenbach/Fock, GRUR 2005, 384, 388.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 403 § 35

4. Urlaub Nach wohl noch h.M. ist das BUrlG auf Geschäftsführer nicht anwendbar868; eine gebotene 401 europarechtskonforme Auslegung des Gesetzes kommt für den nicht wesentlich an der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer jedoch zu einem abweichenden Ergebnis (s. hierzu Rz. 293). Selbst wenn man das BUrlG aber nicht anwenden wollte, ergäbe sich ein Anspruch auf angemessenen Erholungsurlaub bei Fortzahlung der Vergütung aus der Treue- und Fürsorgepflicht der Gesellschaft869. Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung besteht bei entsprechender Vereinbarung im Anstellungsvertrag oder bei Unmöglichkeit der Inanspruchnahme wegen Beendigung der Anstellung oder wegen betrieblicher Notwendigkeiten870. Teilweise wird ein Abgeltungsanspruch abgelehnt, soweit der Anstellungsvertrag keinen Urlaubsanspruch gewährt871; dieser folgt jedoch ebenso aus der Treue- und Fürsorgepflicht wie der Urlaubsanspruch selbst. Die Abgeltung von Urlaubsansprüchen wird bei Gesellschafter-Geschäftsführern nicht als verdeckte Gewinnausschüttung gewertet872.

5. Ruhegehaltsanspruch (Betriebliche Altersversorgung) a) Allgemeines Die Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung an Geschäftsführer ist ebenso wie für 402 Arbeitnehmer freiwillig. Eine – geringfügige – Ausnahme ergibt sich aus § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Sofern der Geschäftsführer rentenversicherungspflichtig ist (§ 17 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG), kann er verlangen, dass von seinen zukünftigen Entgeltansprüchen bis zu 4 % der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung durch Entgeltumwandlung für seine betriebliche Altersversorgung verwendet werden. Hierbei handelt es sich indessen um eine rein arbeitnehmerfinanzierte Versorgung („Deferred Compensation“)873. Die vertragliche Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung ist auch für Geschäftsfüh- 403 rer weit verbreitet874; auch sie sind auf eine angemessene Absicherung im Alter angewiesen, zumal die gesetzliche Rente hierzu in aller Regel nicht ausreichen wird. Hierfür bedarf es jedoch einer vertraglichen Anspruchsgrundlage. Aus einer betrieblichen Übung ergibt sich eine solche regelmäßig nicht875; dieses Institut ist für die Begründung von Ansprüchen von Geschäftsführern nicht geeignet876. Ausnahmsweise kann sich ein Anspruch für Geschäftsführer, die nicht maßgeblich an der Gesellschaft beteiligt sind, aus dem Gleichbehandlungs-

868 OLG Frankfurt v. 9.2.2007 – 24 U 185/06, GmbHR 2007, 1222; OLG Düsseldorf v. 23.12.1999 – 6 U 119/99, GmbHR 2000, 278; wohl auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 140; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 82, 121; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284. 869 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 58; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 198; BGH v. 21.4.1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761, 763. 870 OLG Düsseldorf v. 23.12.1999 – 6 U 119/99, GmbHR 2000, 278, 281; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 37 Rz. 141; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 105; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 327; Lohr, NZG 2001, 826, 835. 871 Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 198. 872 BFH v. 8.1.1969 – I R 21/68, BStBl. II 1969, 327 f.; BFH v. 10.1.1973 – I R 119/70, BStBl. II 1973, 322 f. 873 Vgl. hierzu Höfer, § 1a BetrAVG Rz. 1 ff. 874 Zahlenangaben bei Tillmann/Mohr, GmbH Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020, Rz. 333 Fn. 1; Tänzer, GmbHR 2005, 1256, 1259. 875 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 338 Fn. 808. 876 A.A. ohne Begründung Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 142; vgl. Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 40, nach dessen Auffassung ein solcher Anspruch nicht „allein“ aufgrund betrieblicher Übung enstehen kann; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 179.

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§ 35 Rz. 403 | Das Anstellungsverhältnis grundsatz877 ergeben, insb. wenn die Gesellschaft die Geschäftsführer alle nach demselben Vergütungsprinzip entlohnt und danach eine Altersversorgung vorgesehen ist. Von einer solchen Praxis darf die Gesellschaft nicht willkürlich zu Lasten eines einzelnen Geschäftsführers abweichen, bei Vorliegen sachlicher Gründe aber sehr wohl878. 404 Die Zusage einer betrieblichen Altersversorgung hat durch das für den Anstellungsvertrag

zuständige Organ879 zu erfolgen, regelmäßig also durch die Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5) bzw. bei Anwendbarkeit des MitbestG oder bei entsprechender Satzungsregelung durch den Aufsichtsrat/Beirat. Schriftform ist nicht vorgeschrieben, so dass auch mündliche oder konkludente Zusagen möglich wären. Da die steuerliche Anerkennung der Rückstellungen gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG jedoch voraussetzt, dass die Zusage schriftlich erteilt wurde, ist die Einhaltung der Schriftform dennoch üblich und – auch zu Beweiszwecken – dringend zu empfehlen. b) Anwendbarkeit des BetrAVG aa) Persönlicher Geltungsbereich 405 Das BetrAVG enthält wesentliche Vorschriften zum Schutz des Versorgungsempfängers, insb.

durch den Grundsatz der Unverfallbarkeit (§ 1b BetrAVG), die Einschränkung der Abfindung und Übertragung von Anwartschaften (§§ 3 und 4 BetrAVG), das Auszehrungs- und Anrechnungsverbot (§ 5 BetrAVG), die Verpflichtung zur Anpassung der laufenden Pensionsleistungen (§ 16 BetrAVG) und schließlich durch den Insolvenzschutz (§§ 7 ff. BetrAVG). Soweit der Anstellungsvertrag bzw. die Versorgungszusage das BetrAVG nicht ausdrücklich für anwendbar erklären, was in vielen Konstellationen angesichts der hohen Rechtssicherheit innerhalb des gesetzlichen Rahmens empfehlenswert sein kann880, ist es für den Geschäftsführer daher u.U. von existentieller Bedeutung, ob er unter den persönlichen Geltungsbereich des BetrAVG fällt. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG. Danach können auch Personen unter das BetrAVG fallen, die nicht Arbeitnehmer sind, wenn ihnen „aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen“ Versorgungsleistungen zugesagt wurden. Nach dieser sehr weiten Definition könnten sowohl Fremd- als auch Gesellschafter-Geschäftsführer in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen881, ja überhaupt jedermann, der in irgendeiner Weise für ein Unternehmen tätig wird und hierfür eine Versorgungszusage erhält882. Es besteht daher Einigkeit, dass § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG teleologisch einzuschränken ist883. Hierfür besteht insbesondere wegen des gesetzlichen Insolvenzschutzes ein unabweisbares Bedürfnis. Die teleologische Einschränkung des Anwendungsbereichs soll vermeiden, dass sich der Unternehmer (z.B. der Hauptgesellschafter) in die Lage versetzt, die sich selbst versprochene Versorgung gegen Insolvenz zu versichern. Es besteht daher im Grundsatz Einigkeit, dass diejenigen Personen das Gesetz nicht in Anspruch 877 Für Gehaltserhöhungen bei Geschäftsführern BGH v. 14.5.1990 – II ZR 122/89, NJW-RR 1990, 1313 f. = GmbHR 1990, 389. 878 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 338. 879 Vgl. hierzu ausführlich Rz. 328 ff. 880 Der gesetzliche Insolvenzschutz gemäß §§ 7 ff. BetrAVG setzt allerdings voraus, dass der Versorgungsempfänger vom persönlichen Anwendungsbereich des BetrAVG umfasst ist; eine diesbezügliche schuldrechtliche Zusage genügt nicht; s. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 353 f. 881 Vgl. Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 42. 882 Vgl. hierzu kritisch Heilck, BB 2017, 632; vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 340; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 43 spricht von einer „Nachlässigkeit des Gesetzgebers“. 883 LG Aachen v. 12.2.2016 – 43 O 26/15, NZA-RR 2016, 322, 324; Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 450; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 42.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 407 § 35

nehmen können, die selbst Unternehmer sind, d.h. sowohl vermögensmäßig als auch einflussmäßig mit der Gesellschaft so eng verbunden sind, dass sie das Unternehmen als ihr eigenes betrachten können884. Der in der Literatur vorherrschende Ansatz885 stellt hingegen darauf ab, ob sich der Zusageempfänger in einer schutzwürdigen Situation befindet, die einem Arbeitnehmer vergleichbar ist; die hierdurch hergeleiteten Ergebnisse unterscheiden sich jedoch kaum von der Rechtsprechung des BGH886. Unstreitig ist der Geschäftsführer in den folgenden Konstellationen vom Anwendungsbe- 406 reich des BetrAVG ausgeschlossen: – Der als Geschäftsführer tätige Alleingesellschafter887, – der Mehrheitsgesellschafter888, wobei keine automatische Zurechnung der Anteile von Familienangehörigen erfolgt889, – der Geschäftsführer, der genau 50 % der Anteile hält, da dieser vorbehaltlich gegenteiliger Vorschriften der Satzung gegen seine Interessen gerichtete Entscheidungen verhindern kann890, – der Geschäftsführer, der über eine Minderheitsbeteiligung verfügt, jedoch z.B. über einen Stimmbindungsvertrag insgesamt mehr als 50 % der Anteile repräsentiert891. Streitig sind die Konstellationen, in denen mehrere Geschäftsführer jeweils „nicht ganz un- 407 bedeutend“ i.S. einer Minderheitsbeteiligung an der Gesellschaft beteiligt sind, gemeinsam jedoch über die Gesellschaftsmehrheit verfügen. Insofern berücksichtigt die Rechtsprechung nur Beteiligungen, die über ca. 10 % liegen892. Allerdings stellt es einen fragwürdigen Ansatz dar, wenn in solchen Konstellationen Einzelfallbetrachtungen angestellt werden, die notwendigerweise Spekulationen über das – gleichgerichtete? – Handeln und Stimmverhalten der Minderheitsgesellschafter beinhalten; mit der vom BGH angestrebten Rechtssicherheit, die bei der Anwendung des BetrAVG dringend erforderlich ist, lässt sich dies schwerlich in Ein-

884 So auch die Gesetzesmaterialien, BT-Drucks. 7/1281, S. 30 (zu § 7 Abs. 1 Satz 2 RegE, der später zu § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG wurde). 885 S. nur Steinmeyer in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 BetrAVG Rz. 3; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 61 f.; Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 47. 886 Vgl. Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 48. 887 BGH v. 24.6.2015 – IV ZR 411/13, NZA 2016, 111; BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162, 164. 888 BGH v. 24.6.2015 – IV ZR 411/13, NZA 2016, 111; BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162, 164; BGH v. 25.9.1989 – II ZR 259/88, NJW 1990, 49, 50 = GmbHR 1990, 72; BGH v. 2.6.1997 – II ZR 181/96, NJW 1997, 2882 = GmbHR 1997, 843; Reinfelder, RdA 2016, 87, 90. 889 BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162 ff. unter III. 10. 890 BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, NJW 1980, 2257, 2258 = GmbHR 1980, 266; bestätigt durch BGH v. 1.2.1999 – II ZR 276/97, NZG 1999, 436; LG Aachen v. 12.2.2016 – 43 O 26/15, NZA-RR 2016, 322, für den Fall, dass der Gesellschafter mindestens 50 % der Anteile hat und weitere Umstände wie maßgebliche Leitungsmacht hinzutreten; Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 87; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 341; a.A. Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 89, wobei diesen Gesellschaftern nach dem Umständen des Einzelfalls die Anteile anderer Gesellschafter zuzurechnen seien; zudem könne mit Blick auf das oben zitierte Urteil des LG Aachen ein 50 %-Anteil ausreichen, wenn weitere Gründe hinzuträten, die den Betreffenden als Unternehmer erscheinen ließen. 891 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 224/79, AP Nr. 3 zu § 17 BetrAVG; weitere Beispiele bei Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 193 ff. 892 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 224/79, AP Nr. 3 zu § 17 BetrAVG (8 % Beteiligung reichte nicht aus); BGH v. 9.6.1980 – II ZR 180/79, AP Nr. 4 zu § 17 BetrAVG (11, 86 % wurden als „nicht unbedeutend“ angesehen); vgl. hierzu Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 91; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 342; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 37.

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§ 35 Rz. 407 | Das Anstellungsverhältnis klang bringen893. Im Ergebnis sollten Minderheitsgesellschafter, die zugleich Geschäftsführer sind, nur von der Anwendung des BetrAVG ausgeschlossen werden, wenn sie aufgrund von Stimmbindungsverträgen, Vetorechten oder Stimmrechten für minderjährige Kinder, die ihnen übertragen sind, über einen unternehmergleichen Einfluss verfügen. 408 Bei der GmbH & Co. KG, bei der die GmbH nur die Geschäfte der KG führt, werden die

Gesellschaften als wirtschaftliche Einheit betrachtet, so dass es auf die jeweilige Beteiligung des Geschäftsführers in beiden Gesellschaften ankommt. Die direkte Beteiligung und die durch die GmbH vermittelte werden also zusammengerechnet894. 409 Vollzieht eine Person während ihrer Tätigkeit einen Statuswechsel vom Arbeitnehmer zum

Unternehmer bzw. Nicht-Arbeitnehmer oder umgekehrt, bezieht sich der Insolvenzschutz unter entsprechender Anwendung von § 2 BetrAVG nur auf die als Arbeitnehmer erdienten Anwartschaften895. bb) Sachlicher Geltungsbereich 410 Das BetrAVG ist gemäß dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 nur anwendbar, wenn dem Geschäftsführer

Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung „aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses“ (angesichts § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG zu verstehen im betriebsrentenrechtlichen Sinne) zugesagt wurden. Entscheidend ist der Versorgungszweck. Die Leistungspflichten sollen durch eines der in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG genannten biologischen Ereignisse ausgelöst werden896. Bei einem sehr niedrig angesetzten Renteneintrittsalter kann zweifelhaft sein, ob eine Altersversorgung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG vorliegt. Die Zusage von Übergangs- oder Überbrückungsgeldern, die für Zeiten einer etwaigen Arbeitslosigkeit gedacht sind, stellen keine Altersversorgung dar897. Bislang hat die Rechtsprechung regelmäßig ein Renteneintrittsalter von 63 Jahren als unproblematisch angesehen898. Ausgehend von der steuerrechtlichen Beurteilung, nach der ein Mindestalter von 60 Lebensjahren maßgeblich war, wurden auch ab diesem Zeitpunkt einsetzende Versorgungsleistungen als unproblematisch angesehen899. Allerdings ist zu beachten, dass die Finanzverwaltung angesichts der Anhebung der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nunmehr von einer Mindestaltersgrenze von 62 Jahren ausgeht900. Von dieser Altersgrenze sollte man sich in der Praxis daher leiten lassen, um den vollständigen Insolvenzschutz der Zusage nicht zu gefährden. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 30a Abs. 1 BetrAVG kann ein Geschäftsführer bereits ab dem 60. Lebensjahr eine vorgezogene Betriebsrente verlangen. Es ist nicht erforderlich, dass ab diesem Zeitpunkt auch ein Anspruch auf eine Rente aus der 893 Kritisch auch BAG v. 16.4.1997 – 3 AZR 869/95, NZA 1998, 101, 103 = GmbHR 1998, 84; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 94; Goette, ZIP 1997, 1317, 1322 f. 894 BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162 Leitsatz 1; BGH v. 25.9.1989 – II ZR 259/88, NJW 1990, 49 unter I. 2. a) = GmbHR 1990, 72; mit Einschränkungen Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 106 f.; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 105 ff. mit weiteren Details und Differenzierungen; zur Anwendbarkeit des BetrAVG auf Gesellschafter einer Personengesellschaft Heilck, BB 2017, 632. 895 BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, NJW 1980, 2257, 2259 = GmbHR 1980, 266; BGH v. 16.3.1981 – II ZR 222/79, NJW 1981, 2410 = GmbHR 1982, 160; BGH v. 19.5.1983 – II ZR 49/82, NJW 1983, 2256 = GmbHR 1984, 16. 896 Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1 BetrAVG Rz. 5. 897 BGH v. 16.3.1981 – II ZR 222/79, NJW 1981, 2410, 2411 = GmbHR 1982, 160; BGH v. 2.7.1984 – II ZR 259/83, NZA 1984, 356, 357; BAG v. 26.4.1988 – 3 AZR 411/86, AP Nr. 45 zu § 7 BetrAVG unter I. 1. b; vgl. auch Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1 BetrAVG Rz. 68 f. 898 BGH v. 16.3.1981 – II ZR 222/79, NJW 1981, 2410, 2411 = GmbHR 1982, 160. 899 BAG v. 24.6.1986 – 3 AZR 645/84, NZA 1987, 309; BAG v. 17.9.2008 – 3 AZR 865/06, NZA 2009, 440. 900 BMF-Schreiben v. 30.1.2008 – IV C 8-S2222/07/0003, geändert 18.9.2008, BStBl. I 2008, 887.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 412 § 35

gesetzlichen Rentenversicherung besteht901. Mit dieser Entscheidung hat das BAG die bislang höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage geklärt, ob die Regelung des § 30a BetrAVG über vorgezogene Altersrenten auch zugunsten der den Arbeitnehmern gleichgestellten Personen i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG gilt. Damit hat das BAG nunmehr klargestellt, dass auch Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, eine vorgezogene betriebliche Altersrente beanspruchen können, soweit sie die Voraussetzungen des § 30a BetrAVG erfüllen. Dies hat das Gericht mit der Entstehungsgeschichte und der Zielsetzung des § 30a BetrAVG, auch Männern die Möglichkeit einzuräumen, bereits ab dem 60. Lebensjahr vorgezogene Betriebsrente in Anspruch zu nehmen, begründet902. Nur die in § 1 BetrAVG geregelten Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung 411 fallen unter den sachlichen Anwendungsbereich. Deshalb fällt die reine Beitragszusage, bei der die Gesellschaft lediglich die Zuführung bestimmter Beiträge in ein Versorgungssystem zusagt und das Anlagerisiko hinsichtlich dieser Beiträge allein beim Geschäftsführer liegt, nicht unter das BetrAVG903. Eine dennoch in dieser Form erteilte Versorgungszusage kann allerdings zu Lasten der Gesellschaft als Beitragszusage mit Mindestleistung (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG) auszulegen sein904. cc) Abdingbarkeit der Regelungen des BetrAVG Fällt eine Versorgungszusage zugunsten des Geschäftsführers unter den persönlichen und 412 sachlichen Geltungsbereich des BetrAVG, stellt sich umgekehrt die Frage, ob von den einzelnen Bestimmungen des BetrAVG auch zu Ungunsten des Geschäftsführers abgewichen werden darf. § 19 Abs. 1 BetrAVG bejaht dies für zahlreiche zentralen Vorschriften des BetrAVG, soweit dies „in Tarifverträgen“ geschieht. Dies gilt auch, wenn der Tarifvertrag nicht qua beiderseitiger Tarifbindung sondern durch vertragliche Inbezugnahme Anwendung findet (§ 19 Abs. 2 BetrAVG). Ansonsten kann von allen Bestimmungen des BetrAVG „nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden“, § 19 Abs. 3 BetrAVG. Der BGH905 wendete die Vorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG a.F. (§ 19 Abs. 3 BetrAVG n.F.) entgegen ihrem engen Wortlaut lange Zeit auch auf Geschäftsführer an und hielt Abweichungen im Anstellungsvertrag zu deren Ungunsten für unwirksam906. Das BAG907 vertritt – ohne dabei je eine Divergenz zum BGH angenommen zu haben – die Auffassung, dass bei Geschäftsführern durch vertragliche Abrede von den Vorschriften des BetrAVG abgewichen werden dürfe, ebenso wie dies bei Arbeitnehmern durch Tarifvertrag zulässig sei. Dies bedeutet richtigerweise, dass hinsichtlich der §§ 1a, 2 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4, § 3 BetrAVG, mit Ausnahme des § 3 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG sowie hinsichtlich der §§ 4, 5, 16, 18a Satz 1, §§ 27, 28 BetrAVG auch vertragliche Abweichungen zuungunsten des Geschäftsführers zulässig sind. Ansonsten wären Geschäftsführer im Vergleich zu Arbeitnehmern, bei denen Abweichungen immerhin durch Tarifvertrag möglich sind, sogar bessergestellt. Dass bei ihnen 901 BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 114/12, ZIP 2014, 1548 = GmbHR 2014, 929; hierzu kritisch Büdenbender, EWiR 2017, 761. 902 BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 114/12, ZIP 2014, 1548, 1549 f. = GmbHR 2014, 929; hierzu Beck, ArbRAktuell 2014, 320; Rossa-Heise, GmbH-StB 2014, 316. 903 BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 635/06, AP Nr. 49 zu § 1 BetrAVG Rz. 29. 904 So wohl BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 635/06, AP Nr. 49 zu § 1 BetrAVG Rz. 29; Rolfs in Blomeyer/ Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1 BetrAVG Rz. 89a; Steinmeyer in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 BetrAVG Rz. 16. 905 BGH v. 3.2.1986 – II ZR 54/85, NJW-RR 1986, 766; BGH v. 29.5.2000 – II ZR 380/98, NZA 2001, 266, 267; BGH v. 16.3.2009 – II ZR 68/08, NZA 2009, 613, 614 Rz. 19. 906 Vgl. hierzu auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 344 Fn. 817. 907 BAG v. 22.4.2009 – 5 AZR 133/08, AP Nr. 20 zu § 1 BetrAVG Beamtenversorgung Rz. 44 ff.: Dieses Urteil erging zu der Tariföffnungsklausel gemäß § 17 Abs. 3 BetrAVG a.F., die inhaltlich identisch mit § 19 Abs. 1 BetrAVG ist.

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§ 35 Rz. 412 | Das Anstellungsverhältnis einzelvertragliche Eingriffe möglich sein sollen, begründet das BAG mit der auf Geschäftsführerebene grundsätzlich nicht vorliegenden „Verhandlungsunterlegenheit“908. Diese BAGRechtsprechung ist für die Praxis von größter Bedeutung, da sie vom Gesetz abweichende Regelungen insb. zur Berechnung der Versorgungsanwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden (s. hierzu Rz. 415), bei der Abfindung von Anwartschaften (s. hierzu Rz. 416) und bei der Anpassung von laufenden Versorgungsleistungen (s. hierzu Rz. 417) zulässt. Der BGH hat sich nunmehr der Rechtsprechung des BAG angeschlossen909. c) Unverfallbarkeit 413 Anwartschaften des Geschäftsführers auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wer-

den nach § 1b BetrAVG unverfallbar, wenn das Anstellungsverhältnis nach Vollendung des 25. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt schon fünf Jahre bestanden hat. Kommt es zu einem Arbeitgeberwechsel und wird die Versorgung vom neuen Arbeitgeber übernommen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG), wird die Unverfallbarkeitsfrist hierdurch nicht unterbrochen. Bei einer Entgeltumwandlung besteht sofortige Unverfallbarkeit (§ 1b Abs. 5 BetrAVG). Da § 1b BetrAVG in § 19 Abs. 1 BetrAVG nicht genannt ist, sind die Unverfallbarkeitsregeln des § 1b BetrAVG zwingend; von ihnen kann nicht zum Nachteil des Geschäftsführers abgewichen werden910. Insbesondere kommt eine Verlängerung der Fünfjahresfrist nicht in Betracht. Hingegen ist die Vereinbarung einer sofortigen oder nach kürzerer Frist eintretenden vertraglichen Unverfallbarkeit zulässig und in bestimmten Konstellationen nicht unüblich911. Zu differenzieren ist in den Konstellationen, in denen die Erteilung einer Versorgungszusage für einen zukünftigen Zeitpunkt in Aussicht gestellt wird (Beispiel: „Sofern wir Sie entsprechend unserer Planung in drei Jahren zum Geschäftsführer berufen, wird Ihnen die Gesellschaft eine Versorgungszusage erteilen.“912). Hier ergibt sich im Ergebnis eine Verlängerung des Zeitraums bis zum Erreichen der gesetzlichen Unverfallbarkeit dadurch, dass die Frist des § 1b Abs. 1 BetrAVG erst ab dem Zeitpunkt der tatsächlich erteilten Zusage zu laufen beginnt. Dieser Effekt tritt hingegen nicht bei der Vereinbarung von Vorschaltzeiten ein. In diesem Fall hängt die Versorgungszusage ausschließlich vom Zeitablauf ab, so dass ein Automatismus vorliegt. In diesem Fall läuft die Fünfjahresfrist bereits mit dem Beginn der Vorschaltzeit913. 414 Hiervon zu unterscheiden sind sog. Wartezeiten. Diese beziehen sich nicht auf den Zeit-

punkt der Versorgungszusage selbst, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die entsprechende Versorgungsleistung erstmals verlangt werden kann. So kann z.B. festgelegt werden, dass bestimmte Rentenzahlungen frühestens 10 Jahre nach Erteilung der Versorgungszusage beginnen. Auf den Lauf der Unverfallbarkeitsfrist hat dies keine Auswirkungen (§ 1b Abs. 1 Satz 5 BetrAVG). Die Leistungen gemäß der unverfallbaren Anwartschaft können dann jedoch erst

908 BAG v. 22.4.2009 – 5 AZR 133/08, AP Nr. 20 zu § 1 BetrAVG Beamtenversorgung Rz. 45; zustimmend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 344; Cisch/Bleeck, BB 2010, 1215, 1216; Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 450; Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 282; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 19 BetrAVG Rz. 58. 909 BGH v. 23.5.2017 – II ZR 6/16, GmbHR 2017, 876 = NZG 2017, 948; zustimmend Büdenbender, EWiR 2017, 496; Rein, DB 2017, 2236; zu den durch eine partielle Abdingbarkeit des BetrAVG aufgeworfenen Folgefragen Diller, ArbRAktuell 2017, 365. 910 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 68/08, NZA 2009, 613, 614. 911 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 68/08, NZA 2009, 613, 614; vgl. auch schon BGH v. 17.12.2001 – II ZR 222/99, NZA 2002, 511; vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 348; vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 37. 912 Sog. statusbezogene Zusagevoraussetzung; vgl. hierzu Höfer, § 1b BetrAVG Rz. 79 ff. sowie 101 ff.; Doetsch, DB 1983, 981, 982; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 349. 913 Vgl. nur Höfer, § 1b BetrAVG Rz. 79.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 417 § 35

nach Ablauf der Wartezeit (die auch nach dem Ausscheiden aus dem Anstellungsverhältnis noch erfüllt werden kann) geltend gemacht werden914. Während die Regelungen des § 1b BetrAVG einseitig zwingend zugunsten des Geschäftsfüh- 415 rers Anwendung finden, ist die Berechnung der Versorgungsanwartschaft, die in § 2 Abs. 1 BetrAVG geregelt ist, nicht zwingend (vgl. § 19 Abs. 1 BetrAVG). Im Anstellungsvertrag könnte demnach – was allerdings in der Praxis eher eine Seltenheit darstellen dürfte – eine nachteilige Berechnungsweise vereinbart werden, die zu Lasten des Geschäftsführers von der sog. m/n-tel Methode abweicht915. Durch eine solche Regelung darf allerdings das gesetzlich zwingend ausgestaltete Prinzip der Unverfallbarkeit (§ 1b BetrAVG) nicht ausgehöhlt werden. Es entspricht daher der h.M., dass alternative Berechnungsmethoden nicht dazu führen dürfen, dass die Hälfte der Anwartschaft, die sich aus § 2 Abs. 1 BetrAVG ergeben würde, unterschritten wird916. d) Abfindung von Versorgungsanwartschaften Gemäß § 3 BetrAVG dürfen unverfallbare Anwartschaften im Falle der Beendigung des Ar- 416 beitsverhältnisses nur unter sehr engen Bedingungen abgefunden werden. Dasselbe gilt für laufende Rentenleistungen. Diese Bestimmung hat in der Vergangenheit Trennungsverhandlungen mit Organmitgliedern erschwert und die Parteien häufig gezwungen, trotz einer gewünschten vollständigen Trennung die erworbenen Anwartschaften und damit ein betriebsrentenrechtliches Rechtsverhältnis aufrecht zu erhalten. Die Entscheidung des BAG vom 22.4.2009917 hat insofern die Flexibilität deutlich erhöht. Versorgungsanwartschaften von Geschäftsführern können daher jederzeit – also während und nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses sowie anlässlich dessen Beendigung – durch die Zahlung eines Betrages abgefunden werden918. Die Höhe des Abfindungsbetrages kann frei vereinbart werden; § 3 Abs. 5 BetrAVG i.V.m. § 4 Abs. 5 BetrAVG sind ebenfalls nicht zwingend. Sofern eine Abfindung nicht vertraglich geregelt ist, kann weder die Gesellschaft einseitig die Abfindung einer Anwartschaft herbeiführen, noch kann der Geschäftsführer eine solche Abfindung verlangen919. e) Anpassung von Versorgungsleistungen Nach dem Ausscheiden und bis zum Eintritt des Versorgungsfalls sind Anwartschaften auf 417 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht gegen inflationsbedingten Wertverlust abgesichert, sofern derlei nicht ausdrücklich vereinbart ist. Das Gesetz sieht eine Anpassungsverpflichtung erst nach Eintritt des Versorgungsfalls vor (§ 16 BetrAVG). Das Gesetz stellt aber rechtssichere Alternativen zur Standard-Anpassung zur Verfügung, und zwar die Anknüpfung an die Verbraucherpreise oder die Nettolöhne der Arbeitnehmer (§ 16 Abs. 2 BetrAVG) oder die fest zugesagte Erhöhung von jährlich mindestens 1 % (§ 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG). Da § 16 BetrAVG dispositiv ist, sind auch abweichende Anpassungsmechanismen

914 Vgl. Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1b BetrAVG Rz. 138; s. zu sog. „Wartezeitenklauseln mit ausschließender Wirkung“ Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1b BetrAVG Rz. 151 ff. 915 S. zur m/n-tel Methode nur Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7 Aufl. 2018, § 2 BetrAVG Rz. 23 ff. m.w.N. 916 Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 283; Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 451; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 345. 917 S. hierzu schon Rz. 412. 918 Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 451; Bauer/Baeck/v. Medem, NZG 2010, 721, 724; Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 285; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 346. 919 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 346.

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§ 35 Rz. 417 | Das Anstellungsverhältnis gestattet; die Parteien können auch gänzlich von einer Anpassungsverpflichtung absehen920, auch wenn dies – je nach wirtschaftlicher Entwicklung – zu einer raschen und substantiellen Entwertung der Zusage führen kann. Allerdings kann bei einer besonders drastischen und damit unerwarteten Inflationsentwicklung von einer Anwendbarkeit der Grundsätze des § 313 BGB auszugehen sein921. 418 Nicht mehr haltbar ist damit die von einigen Autoren aus Treu und Glauben hergeleitete Ver-

pflichtung zur Anpassung von Versorgungszusagen zugunsten Gesellschafter-Geschäftsführern mit nicht unwesentlicher Beteiligung922, für die das BetrAVG keine Anwendung findet (vgl. Rz. 405 f.). Wenn § 16 BetrAVG sogar für Fremdgeschäftsführer abdingbar ist, muss dies erst recht für den Personenkreis gelten, der gar nicht vom Schutzbereich des BetrAVG umfasst ist. f) Anrechnung anderweitiger Leistungen 419 § 5 Abs. 1 BetrAVG verbietet die „Auszehrung“ von Renten durch die Anrechnung von Ren-

tenanpassungen im Hinblick auf andere Renten des Versorgungsempfängers. Die Gesellschaft soll also nicht davon profitieren, dass andere Renten des Versorgungsempfängers (insbesondere die gesetzliche Rente) an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden923. § 5 Abs. 2 BetrAVG verbietet die Anrechnung von Renten, die allein auf Versorgungsbeiträgen des Versorgungsempfängers beruhen. § 5 BetrAVG ist für Geschäftsführer dispositiv924, so dass von diesen Bestimmungen zulasten des Geschäftsführers abgewichen werden könnte; dies dürfte allerdings nur äußerst selten praktisch relevant werden. 420 Hingegen lässt § 5 BetrVG die Anrechnung anderer Versorgungsbezüge unberührt. Ins-

besondere ist es zulässig, dass ein Arbeitgeber die Versorgungsleistungen anderer Arbeitgeber ganz oder teilweise anrechnet, soweit diese nicht überwiegend vom Geschäftsführer finanziert sind925. Hierdurch kann sich der Umfang der Versorgungszusage erheblich schmälern, weshalb diesbezüglichen Klauseln größte Aufmerksamkeit zuzuwenden ist. 421 Im Übrigen können anderweitige Einkünfte des bisherigen Geschäftsführers, die auf der

Verwertung seiner Arbeitskraft beruhen, ganz oder teilweise angerechnet werden926. Dies ist insbesondere üblich bis zum Erreichen einer bestimmten Altersgrenze. Auch ist es zulässig, Karenzentschädigungen, die der ausgeschiedene Geschäftsführer für die Einhaltung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes927 erhält, auf die Pension anzurechnen928. g) Kürzung oder Widerruf der Versorgung; Aufrechnung aa) Wirtschaftliche Notlage 422 Häufig enthalten Geschäftsführer-Anstellungsverträge bzw. Versorgungszusagen eine Bestim-

mung, wonach sich die Gesellschaft bei einer nachhaltigen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage vorbehält, die Versorgungsleistungen zu kürzen oder einzustellen. Aus der seit 1999 geltenden Systematik des Insolvenzschutzes (Streichung der wirtschaftlichen Notlage 920 Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 287; einschränkend Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 452. 921 Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 287. 922 S. nur BGH v. 28.5.1973 – II ZR 58/71, NJW 1973, 1599. 923 Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 5 BetrAVG Rz. 16 f. 924 S. hierzu schon Rz. 412. 925 Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 5 BetrAVG Rz. 163. 926 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 352. 927 Zur Karenzentschädigung s. hier 12. Aufl., § 43 Rz. 250 f. 928 BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 162/84, NZA 1985, 809, 810.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 424 § 35

aus dem Katalog des § 7 Abs. 1 BetrAVG) ergibt sich jedoch die Unwirksamkeit dieses vertraglichen Vorbehalts im Hinblick auf Geschäftsführer, die unter den Anwendungsbereich des Gesetzes929 fallen. Im Hinblick auf diesen Personenkreis kann sich die Gesellschaft nur durch Insolvenz von ihrer Leistungspflicht befreien930; an ihre Stelle tritt dann der PensionsSicherungs-Verein931. Die Gesellschaft kann allenfalls den Versuch unternehmen, einen Vergleich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BetrAVG abzuschließen932. Dies gelingt allerdings nur auf der Basis eines umfassenden Sanierungskonzepts und als Ergebnis eines außerordentlich komplexen Verfahrens; ein Rechtsanspruch auf Zustimmung des PSV besteht nicht933. Ausgeschiedene Gesellschafter-Geschäftsführer, die nicht unter den Anwendungsbereich des 423 gesetzlichen Insolvenzschutzes fallen934, müssen hingegen aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht für den Fall einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Notlage eine Kürzung oder eine (zeitweise) Aussetzung der Rentenzahlung hinnehmen. Auch insofern werden jedoch hohe Anforderungen gestellt. Insbesondere muss der verlangte Verzicht Bestandteil eines umfassenden und ausgewogenen Sanierungskonzeptes sein935. Bei Scheitern der Sanierung oder nach Überwindung der wirtschaftlichen Notlage leben die Ansprüche wieder auf936. bb) Schwere Pflichtverletzung Auch an die Kürzung oder den Widerruf von Versorgungsleistungen wegen schwerer 424 Pflichtverletzung sind – insbesondere bei Geschäftsführern, die unter den Anwendungsbereich des BetrAVG fallen937 – strengste Anforderungen zu stellen, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass der Bestandsschutz des BetrAVG ausgehebelt würde. Es muss eine Situation vorliegen, in der die Geltendmachung der Versorgungsansprüche durch den Geschäftsführer rechtsmissbräuchlich wäre.938 Hierfür ist zum einen Voraussetzung, dass Pflichtverletzungen bzw. Verfehlungen von einer Intensität vorliegen, die über die Anforderungen an den wichti929 S. hierzu Rz. 405 f. 930 A.A. wohl noch Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 52, der indes auch davon auszugehen scheint, dass eine Kürzung oder gar Einstellung praktisch nur in einer Insolvenz erfolgen könne und nicht lediglich in einer „wirtschaftlichen Notlage“ („Bei einem abhängigen Geschäftsführer muss die GmbH zudem alles versuchen, damit er sein Ruhegeld über die Insolvenzversicherung weiter beziehen kann); wie hier die h.M.; s. nur Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 39. 931 BAG v. 17.6.2003 – 3 AZR 396/02, DB 2004, 324; Schnitker in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/ Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. J 348, 352; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 355; zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses des Vorbehalts der wirtschaftlichen Notlage BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats v. 29.2.2012 – 1 BvR 2378/10, ZIP 2012, 1979. 932 Vgl. Merkblatt des PSV Nr. 110/M („Die wesentlichen Grundsätze für die Übernahme betrieblicher Versorgungsleistungen aufgrund eigener Zustimmung des PSVaG im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs“) im Netz unter https://www.psvag.de/fileadmin/doc/merkblaetter/110/110_m_ 1_grundsaetze_des_aussergerichtlichen_vergleichs.pdf; s. zum Vergleich auch BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats v. 29.2.2012 – 1 BvR 2378/10, ZIP 2012, 1979, 1981. 933 Instruktiv Schnitker in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. J 365 ff. 934 Vgl. Rz. 405 f. 935 OLG Stuttgart v. 1.7.1998 – 20 U 9/98, NZG 1998, 914; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 356. 936 BGH v. 11.2.1985 – II ZR 194/84, NJW 1985, 2951, 2952; OLG Stuttgart v. 1.7.1998 – 20 U 9/98, NZG 1998, 914, 916 unter III. 4.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 467; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 94. 937 S. hierzu Rz. 405 f. 938 BAG v. 13.11.2012 – 3 AZR 444/10, NZA 2013, 1279.

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§ 35 Rz. 424 | Das Anstellungsverhältnis gen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB939 deutlich hinausgehen940. Beispiele aus der Rechtsprechung: Fortgesetzte Schädigung der Anstellungskörperschaft mit einem Schaden i.H.v. 1,5 Mio. Euro, worauf zur Existenzerhaltung eine Kapitalerhöhung durchgeführt werden musste941; bewusste und gewollte Schädigung einer Bank mit einem Schaden von ca. 500 Mio. Euro942. Nicht zum Widerruf berechtigen hingegen Schäden, die ein ehemaliger Arbeitnehmer, der nach Ende des Arbeitsverhältnisses Aufsichtsratsvorsitzender wird, dadurch verursacht, dass er in dieser Funktion seine Überwachungspflichten vernachlässigt, wenn nicht wenigstens auch ein Verstoß gegen nachvertragliche Pflichten oder sonst eine schwere Verfehlung gegeben ist.943 Die Pflichtverletzungen müssen so schwer wiegen, dass die Tätigkeit des Geschäftsführers im Nachhinein als wertlos erscheint. Im Übrigen – also zusätzlich – muss durch das Handeln des Geschäftsführers ein Schaden entstanden sein, der die Gesellschaft in eine existenzgefährdende Lage bringt944. Diese zusätzliche Anforderung führt dazu, dass selbst in Fällen einer bewussten Schädigung in sehr beträchtlichem Umfang ein Widerruf der Versorgungsleistungen ausscheiden muss, wenn die Gesellschaft angesichts ihrer wirtschaftlichen Substanz ohne Weiteres in der Lage ist, den Schaden zu verkraften. Beispiel aus der Rechtsprechung: Ein Geschäftsführer und seine Mittäter hatten insgesamt Schmiergelder in Höhe von knapp 1 Mio. Euro erhalten, um bestimmte Vertragspartner entgegen der Gesellschaftsinteressen zu bevorzugen. Es entstand ein direkter Schaden in Höhe von 60 000 Euro und die Gesellschaft musste von einem der in Konkurs gefallenen Vertragspartner ein Firmengebäude zum Preis von ca. 3,4 Mio. Euro erwerben, um die Interessen der Gesellschaft in dieser Situation zu wahren. Angesichts der wirtschaftlichen Leistungskraft des Unternehmens ging der BGH945 davon aus, dass es nicht rechtsmissbräuchlich sei, wenn der Kläger dennoch seine Altersversorgung beanspruche. In der Instanzenrechtsprechung946 finden sich sogar noch drastischere Fälle. In der Literatur ist dies zu Recht als zu weitgehend kritisiert worden947. In Fällen einer bewussten und strafrechtlich relevanten Schädigung des Arbeitgebers, die zu einem außergewöhnlich hohen Schaden führt, darf das Recht zum Widerruf der Versorgungszusage nicht von der wirtschaftlichen Leistungskraft der Gesellschaft abhängen. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsprechung auch außerhalb der Fälle der Existenzgefährdung Fallgruppen anerkennt, bei denen schon die Herbeiführung eines außergewöhnlich hohen Schadens zu einem (teilweisen) Widerrufsrecht führt; in einer Entscheidung vom 18.6.2007948 hat der BGH dies als Möglichkeit angedeutet. Die Praxis muss sich jedoch darauf einstellen, dass der Widerruf der Versorgungsleistungen wegen grober Pflichtverletzung nur in Extremfällen in Betracht kommt.

939 S. hierzu Rz. 492 ff. 940 BGH v. 25.11.1996 – II ZR 118/95, NJW-RR 1997, 348, 348 f.; BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, NZA 1990, 807 Leitsatz 4. 941 BGH v. 19.12.1983 – II ZR 71/83, NJW 1984, 1529, 1530 = GmbHR 1984, 75; ähnlich BGH v. 13.12.1999 – II ZR 152/98, NJW 2000, 1197 (fortgesetzte Untreue zulasten einer Bank, resultierend in einem Sanierungsaufwand von ca. DM 190 Mio. bei einem Eigenkapital von nur DM 22 Mio.). 942 BGH v. 20.9.1993 – II ZA 4/93, m. Anm. Goette, DStR 1994, 146. 943 LAG Baden-Württemberg v. 9.1.2015 – 9 Sa 16/14, juris. 944 BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, NZA 1990, 807, 807 f.; BGH v. 25.11.1996 – II ZR 118/95, NJWRR 1997, 348; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 222/99, DStR 2002, 412, 413 m. Anm. Goette = NZA 2002, 511, 512. 945 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 222/99, DStR 2002, 412. 946 OLG München v. 25.1.2005 – 18 U 3299/03, DB 2005, 2198, 2199; kritisch hierzu Greth, DB 2005, 2199; Schumann, DB 2005, 2200. 947 Goette, DStR 2002, 413; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 357; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 459. 948 BGH v. 18.6.2007 – II ZR 89/06, NJW-RR 1563, 1565 Rz. 18; vgl. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 38.

128 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 427 § 35

Die vom BAG entwickelten Grundsätze zum Widerruf der Versorgungszusage wegen grober 425 Pflichtverletzung949 greifen nicht nur, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen oder nachvertraglichen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitgeber verletzt. Auch grobe Pflichtverletzungen, die ein früherer Arbeitnehmer im Rahmen eines anderen Rechtsverhältnisses mit seinem ehemaligen Arbeitgeber zu dessen Lasten begeht und die zu einem existenzgefährdenden Schaden des ehemaligen Arbeitgebers führen, können die Berufung des ehemaligen Arbeitnehmers auf sein Versorgungsversprechen nach § 242 BGB missbräuchlich machen950. Allerdings kann eine Aufrechnung der Gesellschaft mit ihren Schadensersatzansprüchen er- 426 folgen. Die Aufrechnung gegen Versorgungsansprüche ist im allgemeinen analog § 394 Satz 1 BGB, § 850i ZPO nur insoweit zulässig, als dem Versorgungsempfänger unter Einbeziehung seiner sonstigen Einkünfte eine Grundsicherung verbleibt951. Es ist möglich, laufende Rentenzahlungen für einen Zeitraum von max. sechs Monaten im Voraus zu tilgen und im Hinblick auf den sich daraus ergebenden Betrag insgesamt die Aufrechnung zu erklären952. Sofern der Gesellschaft das Recht eingeräumt ist, die Anwartschaften des Versorgungsempfängers zu kapitalisieren, kann auch eine Aufrechnung gegen den Gesamtbetrag in Betracht kommen953. Sofern der aufzurechnende Anspruch gegen den Geschäftsführer allerdings auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht, ist die Aufrechnung ohne Rücksichtnahme auf Pfändungsfreigrenzen möglich; ihm muss nur dasjenige verbleiben, was erforderlich ist, damit er nicht den Sozialkassen zur Last fällt954. Bei Gesellschafter-Geschäftsführern ist – soweit sie nicht unter den Anwendungsbereich des 427 BetrAVG fallen – der Widerruf von Versorgungsleistungen erleichtert. Bei schweren Pflichtverstößen kommt bei ihnen ein gänzlicher oder teilweiser Widerruf in Betracht, wobei insofern § 242 BGB eine Begrenzung der Handlungsmöglichkeiten der Gesellschaft bewirkt. Die Schwere des Pflichtverstoßes und die hierdurch eingetretenen Schäden einerseits sind der Dauer der beanstandungsfreien Zusammenarbeit sowie dem Versorgungsinteresse des Gesellschafter-Geschäftsführers gegenüberzustellen. Die Abwägung kann ergeben, dass die Versorgung nur teilweise widerrufen werden darf955. Jedenfalls ist es nicht Voraussetzung eines Widerrufs, dass die Pflichtverletzung über das Maß hinausgeht, das für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB erforderlich ist. Daher ist es zulässig, im Anstellungsvertrag vorzusehen, dass eine wirksame außerordentliche Kündigung, die der Gesellschafter-Geschäftsführer zu vertreten hat, den Versorgungsanspruch beseitigt956. Jaeger/ Steinbrück957 weisen zutreffend darauf hin, dass sich diese Vertragsgestaltung im Rahmen

949 BAG v. 13.11.2012 – 3 AZR 444/10, NZA 2013, 1279. 950 BAG v. 20.9.2016 – 3 AZR 77/15, NZG 2017, 69; a.A. LAG Baden-Württemberg v. 9.1.2014 – 9 Sa 16/14, juris. 951 BAG v. 16.12.1986 – 3 AZR 198/85, AP Nr. 1 zu § 8 BetrAVG a.E. = ZIP 1987, 1339, 1342 f. 952 BAG v. 16.12.1986 – 3 AZR 198/85, AP Nr. 1 zu § 8 BetrAVG Leitsatz 1 = ZIP 1987, 1339; BGH v. 15.3.2006 – VIII ZR 120/04, NZG 2006, 590 Leitsatz 1; kritisch zur Beschränkung auf einen Sechsmonatszeitraum Uwe H. Schneider/Brouwer, GmbHR 2006, 1019; Uwe H. Schneider/Brouwer in FS Röhricht, 2005, S. 541, 546. 953 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 464; dies gelte aufgrund des Kapitalisierungsverbots nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG indes nicht für Versorgungsansprüche, die unter den betriebsrentenrechtlichen Unverfallbarkeitsschutz gemäß §§ 1b, 2 BetrAVG fielen. 954 BAG v. 18.3.1997 – 3 AZR 756/95, NZA 1997, 1108; vgl. hierzu auch Bauer/v. Steinau-Steinrück, ZGR 1999, 314, 336; weitergehend Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 465, der die Aufrechnung ohne Einschränkung zulassen will. 955 BGH v. 19.12.1983 – II ZR 71/83, NJW 1984, 1529, 1530 f. = GmbHR 1984, 75. 956 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 236/06, GmbHR 2008, 256; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 358. 957 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 358.

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§ 35 Rz. 427 | Das Anstellungsverhältnis einer gerichtlichen Abwägung, ob wichtige Gründe für eine außerordentliche Kündigung vorliegen, faktisch zulasten der Gesellschaft auswirken kann, weil die Gerichte die einschneidenden Folgen der Kündigung mit bedenken werden. Bei richtiger Handhabung dürfte im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB indessen allein die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Anstellungsvertrages bis zur nächsten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit958 ausschlaggebend sein. h) Steuerliche Anerkennung der Versorgungszusage 428 Ebenso wie die Geschäftsführervergütung bei Gesellschafter-Geschäftsführern auf ihre steu-

erliche Angemessenheit zu überprüfen ist (vgl. Rz. 375 ff.), wird sich auch bei Versorgungszusagen gegenüber diesem Personenkreis häufiger die Frage der steuerlichen Anerkennung stellen. Dies beurteilt sich nach der dreistufigen Prüfung, die die Finanzverwaltung im Rahmen der Überprüfung der Geschäftsführervergütung anstellt959. Darüber hinaus gelten im Bereich der Versorgungszusagen gewisse Besonderheiten. Insbesondere darf die Zusage nicht „zu spät“ oder „zu früh“ erfolgen. Die Anerkennung kann daher z.B. versagt werden, wenn der Grundsatz der „Erdienbarkeit der Pension“960 verletzt ist. Dies ist der Fall, wenn der Zusageempfänger zum Zeitpunkt der Zusage bereits das 60. Lebensjahr vollendet hat961. Im Übrigen ist darauf zu achten, dass zwischen dem Zeitpunkt der Zusage und dem Zeitpunkt des regulären Versorgungsfalls mindestens fünf Jahre liegen. Der BFH962 hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1996 zwar noch auf die alten Unverfallbarkeitsfristen (10 Jahre) abgestellt; seit der Verkürzung dieser Fristen müsste wohl aber die steuerliche Betrachtung entsprechend modifiziert erfolgen963. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Zusage prüft die Finanzverwaltung im Sinne der „Üblichkeit“ der Zusage darüber hinaus, ob ein externer Fremdgeschäftsführer in vergleichbarer Konstellation bereits eine Versorgungszusage erhalten hätte oder ob eine Bewährungszeit vorgeschaltet worden wäre (sog. Vorschaltzeit964)965. Hierfür ist entscheidend, ob die Gesellschafter die Leistungen des Zusageempfängers zum Zusagezeitpunkt bereits verlässlich einschätzen konnten966. 429 Auch im Hinblick auf den Umfang der Versorgung bestehen Grenzen im Hinblick auf die

steuerliche Anerkennung. Aus dem Verbot der Überversorgung ergibt sich, dass die Be-

958 S. hierzu Rz. 486. 959 S. BMF-Schreiben v. 14.10.2002 – IV A 2 – S2742 – 62/02, GmbHR 2002, 1152; vgl. Rz. 376; SeligKraft/Beeger, BB 2017, 1885, 1886 ff. 960 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359. 961 BFH v. 16.12.1998 – I R 96/95, NJW 1999, 3070, 3071; vgl. auch Tillmann/A. Schmidt, GmbHR 1995, 796, 801; Selig-Kraft/Beeger, BB 2017, 1885, 1887. 962 BFH v. 24.1.1996 – I R 41/95, GmbHR 1996, 701 = DStR 1996, 1240. 963 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359, die von einer Erfüllung des Kriteriums der Erdienbarkeit der Pension ausgehen, wenn zwischen Versorgungszusage und Inanspruchnahme mindestens der jew. Zeitraum der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfrist liegt; anders zunächst BFH v. 5.6.2014 – VI R 76/13, DStR 2014, 1769, der weiterhin auf eine Frist von mindestens zehn Jahren abstellte und zusätzlich verlangte, dass der Gesellschafts-Geschäftsführer im Erdienungszeitraum auch tatsächlich aktiv wird und nicht vorzeitig aus dem Anstellungsverhältnis ausscheidet; sodann hat der BFH mit Urteil v. 20.7.2016 – I R 33/15, DB 2016, 2516, 2518 f. = GmbHR 2016, 1275 aber klargestellt, dass das Kriterium der Erdienbarkeit im Einzelfall auch dann gegeben sein könne, wenn der 10-Jahres-Zeitraum nicht erreicht, jedoch sichergestellt sei, dass mit der Versorgungszusage die künftige Arbeitsleistung des Geschäftsführers abgegolten werde. 964 Vgl. zu Vorschaltzeiten Rz. 413. 965 BFH v. 18.2.1999 – I R 51/98, GmbHR 1999, 990 = NJW 2000, 535; BFH v. 18.8.1999 – I R 10/99, NJW 2000, 1671, 1672 = GmbHR 1999, 1306. 966 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359.

130 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 434 § 35

triebsrente zusammen mit etwaigen Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung 75 % der Bezüge aus aktiver Tätigkeit nicht übersteigen darf967.

6. Beschäftigungsanspruch; Suspendierung; Annahmeverzug Der Anstellungsvertrag gibt keinen klagbaren Anspruch gegenüber der Gesellschaft, als Ge- 430 schäftsführer berufen bzw. nicht abberufen zu werden. Das folgt aus der organisationsrechtlichen Natur der Bestellung und mittelbar aus § 38968. Der Geschäftsführer kann die unterbliebene Berufung bzw. die Abberufung jedoch u.U. zum Anlass nehmen, den Anstellungsvertrag außerordentlich zu kündigen und Schadensersatz nach § 828 Abs. 2 BGB zu verlangen969. Der Geschäftsführer kann nach einer Abberufung auch nicht verlangen, in angemessener lei- 431 tender Stellung unterhalb der Geschäftsführungsebene weiterbeschäftigt zu werden, soweit dies im Anstellungsvertrag nicht ausdrücklich vorgesehen ist970. Regelmäßig hat der Geschäftsführeranstellungsvertrag nur die Geschäftsführung zum Inhalt, so dass ein Anspruch auf andere Beschäftigung nicht in Betracht kommt971. Eine Ablehnung eines Angebots zur anderweitigen Beschäftigung stellt daher auch keinen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar972. Die Gesellschaft kann den Geschäftsführer zeitweilig von seiner Geschäftsführertätigkeit ent- 432 binden (suspendieren)973. Die Möglichkeit zu einer solchen Freistellung ergibt sich aus dem Weisungsrecht der Gesellschafter (vgl. näher 12. Aufl., § 38 Rz. 94 f.). Bietet der Geschäftsführer seine Dienste weiterhin an, setzt er die Gesellschaft in Annahme- 433 verzug, s. Rz. 438 ff. Das Unterbleiben der Bestellung bzw. der Widerruf der Bestellung kann den Geschäftsführer zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB berechtigen974. Zur Frage nach dem Anspruch des Geschäftsführers auf Schadensersatz gemäß § 628 Abs. 2 BGB s. Rz. 506. Zur Pflicht des Geschäftsführers zur Arbeitsleistung nach Abberufung s. 12. Aufl., § 38 Rz. 34.

7. Kreditgewährung an den Geschäftsführer S. 12. Aufl., § 43a Rz. 22 ff.

434

967 BFH v. 18.2.1999 – I R 51/98, GmbHR 1999, 990 = NJW 2000, 535 a.E.; vgl. auch BMF-Rundschreiben v. 3.11.2004 – IV B 2 - S 2176 - 13/04, BStBl. I 2004, 1046; zur Haftung des Steuerberaters in diesem Zusammenhang BGH v. 27.3.2012 – I R 56/11, GmbHR 2012, 758. 968 BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, GmbHR 2011, 82; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 28; Kothe-Heggemann/Schelp, GmbHR 2011, 75, 77; Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497, 498. 969 Vgl. hierzu Rz. 507. 970 BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, GmbHR 2011, 82 f. 971 BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, GmbHR 2011, 82 f. 972 Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497, 498. 973 OLG Jena v. 8.1.2014 – 2 U 627/13, NZG 2014, 391 = GmbHR 2014, 706 zur Möglichkeit, einen Geschäftsführer im Wege der einstweiligen Verfügung zu suspendieren, bis die Frage, ob ein wichtiger Grund für seine Abberufung oder Kündigung tatsächlich gegeben ist, im Hauptsacheverfahren geklärt werden kann. 974 S. Rz. 507.

Hohenstatt | 131

§ 35 Rz. 435 | Das Anstellungsverhältnis

8. Leistungsstörungen a) Dienstverhinderung aa) Nicht zu vertretende Dienstverhinderung 435 In der Regel bestimmt der Anstellungsvertrag, für welchen Zeitraum dem Geschäftsführer

die Vergütung bei unverschuldeter Dienstverhinderung (insb. Krankheit, Unfall) fortzuzahlen ist975. Fehlt eine entsprechende Anspruchsgrundlage im Vertrag, behält der Geschäftsführer Anspruch auf Vergütung für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“, sofern er den Verhinderungsgrund nicht verschuldet hat, § 616 Satz 1 BGB976. Ein Anspruch gemäß dem Entgeltfortzahlungsgesetz scheidet hingegen aus977. Für den Zeitraum, der i.S.d. § 616 Satz 1 BGB als eine noch „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ angesehen werden kann, beziehen sich Gerichte und Literatur im Sinne einer groben Orientierung jedoch auf die Sechswochenfrist des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG978, was angesichts des Wortlauts von § 616 BGB als zu weitgehend erscheint. Während der in § 616 BGB genannten Dauer besteht Anspruch auf die volle Vergütung („Entgeltausfallprinzip“)979. Dies bedeutet, dass auch die variable Vergütung fortzuzahlen ist. Da § 616 BGB dispositiv ist980, kann hiervon jedoch vertraglich abgewichen werden. Häufig wird in Anstellungsverträgen danach differenziert, wie lange die Verhinderung andauert, und wird nach einem bestimmten Zeitraum (z.B. sechs Wochen oder drei Monate) festgelegt, dass sodann nur noch eine Fortzahlung der Festvergütung erfolgt981. 436 Die h.M. zieht in Bezug auf das Verschulden die Grundsätze heran, die für die Entgeltfort-

zahlung im Krankheitsfall gelten982. Ein Verschulden liegt demnach bei einem groben Verstoß gegen die eigenen Interessen eines verständigen Menschen vor983. bb) Zu vertretende Dienstverhinderung 437 Hat der Geschäftsführer die Dienstverhinderung zu vertreten, verliert er gemäß § 326 Abs. 1

BGB seinen Anspruch auf Vergütung. Hat der Geschäftsführer selber die (fristlose) Kündigung erklärt und stellt sich die Kündigung als unwirksam heraus, so kann er sich nicht auf § 615 Satz 1 BGB bzw. § 326 Abs. 2 BGB berufen; darin läge ein widersprüchliches Verhalten984. b) Annahmeverzug der Gesellschaft 438 Beschäftigt die Gesellschaft den Geschäftsführer trotz des Fortbestands des Anstellungsver-

trages nicht, befindet sie sich im Annahmeverzug. In diesem Fall kann der Geschäftsführer 975 Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl. 2016, S. 128 ff. 976 Vgl. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 126; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 41; Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 217. 977 Vgl. Rz. 272. 978 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 326; Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 616 BGB Rz. 10a; Haase, GmbHR 2005, 1260, 1266 f. 979 Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 616 BGB Rz. 46; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 616 BGB Rz. 62. 980 BAG v. 20.6.1995 – 3 AZR 857/94, NZA 1996, 383; Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 616 BGB Rz. 49 f. m.w.N. 981 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 326. 982 Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 616 BGB Rz. 11; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 616 BGB Rz. 56. 983 Reinhard in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 3 EFZG Rz. 23; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 616 BGB Rz. 56. 984 BGH v. 8.11.1999 – II ZR 7/98, GmbHR 2000, 85 (noch zum alten Schuldrecht).

132 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 441 § 35

gemäß § 615 Satz 1 BGB die ihm zugesagte Vergütung verlangen, ohne dass er zur Nachleistung der Dienste verpflichtet wäre. Dies setzt allerdings voraus, dass der Geschäftsführer die Gesellschaft durch das Anbieten seiner Dienste in Annahmeverzug setzt985. Die erklärte Bereitschaft zur Weiterarbeit vor Ausspruch einer Kündigung genügt nicht; das Angebot muss vielmehr nach der Kündigung wiederholt werden986. Ein solches Angebot ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft zu erkennen gibt, unter keinen Umständen zur Weiterbeschäftigung bereit zu sein987. Eine solche Erklärung liegt jedoch nicht schon in der Abberufung bzw. der Kündigung988. Bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung seitens der Gesellschaft liegt in der Erhebung einer Klage hiergegen das wörtliche Angebot, da der Geschäftsführer hierdurch bereits seine fortbestehende Leistungsbereitschaft zum Ausdruck gebracht hat989. Ein Annahmeverzug der Gesellschaft kommt insbesondere in drei Fällen in Betracht: (1) Der 439 Geschäftsführer wird abberufen, ohne dass der Anstellungsvertrag gekündigt wird, (2) der Anstellungsvertrag läuft nach Abberufung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder für die Restlaufzeit des Vertrages weiter und (3) bei Ausspruch einer unwirksamen außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung. Der Annahmeverzug der Gesellschaft nach Abberufung von der Organstellung widerspricht 440 nicht § 297 BGB (Ausschluss des Verzugs bei Unmöglichkeit)990; die Gesellschaft kann sich nämlich auf die Unmöglichkeit nicht berufen, wenn sie diese durch eine (jederzeit mögliche – § 38) Abberufung selbst herbeigeführt hat991. Fraglich ist, ob die Gesellschaft den Annahmeverzug dadurch aufheben kann, dass sie ihm 441 eine andere leitende Stellung unterhalb der Geschäftsführungsebene anbietet (vgl. hierzu auch 12. Aufl., § 38 Rz. 34). Dies wird zutreffend mit Verweis darauf, dass der Geschäftsführer nach dem Anstellungsvertrag regelmäßig lediglich Geschäftsführertätigkeiten schuldet, abgelehnt992. Der Geschäftsführer schuldet mangels vertraglicher Vereinbarung auch dann keine Tätigkeit unterhalb der Geschäftsführungsebene, wenn er die Abberufung pflichtwidrig verschuldet hat993. Das Angebot von Tätigkeiten außerhalb des vertraglich geschuldeten Bereichs kann den Annahmeverzug des Arbeitgebers generell nicht beseitigen994; auf ein etwaiges Vertretenmüssen der Gründe für den Annahmeverzug kommt es insofern nicht an. Allerdings kann die Gesellschaft dem Geschäftsführer dennoch eine zumutbare Tätigkeit unterhalb der Geschäftsführungsebene anbieten995. Der Geschäftsführer ist – wie dargelegt – zwar nicht zur Annahme verpflichtet. Lehnt er allerdings eine zumutbare Tätigkeit innerhalb 985 986 987 988 989 990 991 992 993 994 995

Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 98 und 101. BGH v. 20.1.1988 – IVa ZR 128/86, ZIP 1988, 453, 454. BGH v. 9.10.2000 – II ZR 75/99, GmbHR 2000, 1256, 1257. Vgl. zur Kündigung BGH v. 20.1.1988 – IVa ZR 128/86, ZIP 1988, 453, 454; anders liegt der Fall bei Abberufung und Bestellung eines anderen Geschäftsführers: BGH v. 9.10.2000 – II ZR 75/99, GmbHR 2000, 1256. Ständige Rechtsprechung des BAG; s. etwa BAG v. 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, NZA 1995, 263, 265; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 328; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 38 Rz. 98; zur Risikovermeidung empfiehlt sich weiterhin ein ausdrückliches Angebot. OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875; s. hierzu Wittmann/Bürger, jurisPR-HaGesR 7/2016 Anm. 6. Kritisch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 99; a.A. Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497, 499; s. auch Greger in FS Boujong, 1996, S. 153 f. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 330; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 25; a.A. OLG Karlsruhe v. 25.8.1995 – 15 U 286/94, GmbHR 1996, 208, 209. A.A. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 330 unter Hinweis auf BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 969; BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435, 1436. BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NJW 2007, 2062 Rz. 16. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 100.

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§ 35 Rz. 441 | Das Anstellungsverhältnis der Gesellschaft ab, muss er sich eine für diese Tätigkeit angemessene (fiktive) Vergütung gemäß § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen996. Dabei ist nicht jede Tätigkeit, die nach dem bestehenden Vertrag nicht geschuldet ist, von vornherein unzumutbar997. Der Geschäftsführer muss jedoch keine Tätigkeiten annehmen, die seinen Ruf oder sein Ansehen schädigen könnten. 442 Der Annahmeerzug setzt nicht voraus, dasss sich der Dienstverpflichtete ständig abrufbereit

hält. So beendet der Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz den Annahmeverzug nicht, solange es dem Arbeitnehmer ohne Weiteres möglich ist, diese Tätigkeit wieder aufzugeben998. Der Regelung des § 615 Satz 2 BGB sei zu entnehmen, dass eine anderweitige Verwendung der Arbeitskraft grundsätzlich nur zu einer Anrechnung des Entgelts, nicht aber zu einer Beendigung des Gläuberverzugs führe999. Das BAG hat es für den Fall der Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses als mit dem Fortbestand des Annahmeverzugs vereinbar erachtet, wenn der Arbeitnehmer das neue Arbeitsverhältnis auch unter Einhaltung einer Kündigungsfrist beenden kann1000. 443 § 615 Satz 2 BGB ist auch im Falle einer einseitigen Freistellung anwendbar. Ausgeschlossen

ist die Anrechnung anderweitigen Verdienstes dann, wenn der Verdienst auch bei fortlaufender Geschäftsführertätigkeit hätte erzielt werden können1001. 444 Während des Annahmeverzuges hat der Geschäftsführer Anspruch auf die Fortzahlung aller

Vergütungen, auch der variablen Leistungen1002. Entgegen einer gelegentlich vertretenen Auffassung1003 besteht auch Anspruch auf Zahlung leistungsabhängiger Vergütungsleistungen – im Annahmeverzug kann sich die Gesellschaft nicht darauf berufen, dass der Anspruch mangels Leistungserfüllung nicht begründet sei. Auch Naturalleistungen, namentlich die Gestellung eines Dienstwagens zur Privatnutzung, sind weiter zu erbringen. Wird dem Geschäftsführer – z.B. auf der Grundlage einer vermeintlich wirksamen außerordentlichen Kündigung – das Nutzungsrecht entzogen, kann der Geschäftsführer Schadensersatz für die entgangene Privatnutzung verlangen1004. Da § 615 Satz 1 BGB abdingbar1005 ist, können im Anstellungsvertrag anderweitige Regelungen vorgesehen werden. Allerdings darf die vom Gesetz abweichende Regelung nicht dazu führen, dass der vertragliche Inhaltsschutz vollkommen preisgegeben wird1006. Im Übrigen darf die Regelung den Geschäftsführer nicht un-

996 So auch Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497, 500; vgl. BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NJW 2007, 2062 Rz. 16 f.; a.A. Kothe-Heggemann/Schelp, GmbHR 2011, 75, 78; zur Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen die Nichtannahme einer solchen Alternativtätigkeit ein böswilliges Unterlassen i.S.d. § 615 Satz 2 BGB darstellt, Bork, NZA 2015, 199. 997 BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NJW 2007, 2062 Rz. 16 f. 998 OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875, 881. 999 OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875, 881 mit Verweis auf Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, § 615 BGB Rz. 56. 1000 BAG v. 16.5.2012 – 5 AZR 251/11, NZA 2012, 971, 972. 1001 OLG Oldenburg v. 17.2.2000 – 1 U 155/99, NZG 2000, 1038, 1040 f. m. Anm. Loritz. 1002 OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875 Rz. 108; Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 615 BGB Rz. 76 f.; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 615 BGB Rz. 56; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 329; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 398. 1003 Werner, NZA-RR 2020, 235, 237. 1004 S. nur BGH v. 16.11.1995 – 8 AZR 240/95, NZA 1996, 415, 416 f.; Meier, NZA 1999, 1083, 1084 f. 1005 BAG v. 10.1.2007 – 5 AZR 84/06, NZA 2007, 384 Rz. 28; OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875, 879; Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 615 BGB Rz. 107 m.w.N., der zudem auf die (Ausnahme)Fälle der Unabdingbarkeit, § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG sowie §§ 19 Abs. 1 Nr. 2a, 25 BBiG, hinweist. 1006 Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 615 BGB Rz. 107; für Billigkeitskontrolle auch Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 615 BGB Rz. 10 f.

134 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 454 § 35

angemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB). Im Hinblick auf die variable Vergütung während des Annahmeverzuges wird in der Literatur vertreten, dass ein gänzlicher Ausschluss der variablen Vergütung während des Annahmeverzugs (z.B. nach erfolgter Abberufung) zulässig sei, da hierdurch das Prinzip von Leistung und Gegenleistung (§ 326 BGB) unterstrichen werde1007. Bei einem sehr hohen Umfang der variablen Leistungen im Verhältnis zur Gesamtvergütung könnte der BGH, der solche Klauseln bislang nicht zu beurteilen hatte, unter dem Gesichtspunkt des Inhaltsschutzes des Vertrages Bedenken erheben, da es die Gesellschaft ansonsten in der Hand hätte, den Geschäftsführer mittels einer jederzeit zulässigen Abberufung um einen erheblichen Teil seiner Vergütungsaussichten zu bringen. Es ist fraglich, ob die Rechtsprechung dies im Hinblick auf § 38 Abs. 1 Halbsatz 2 und den Grundgedanken des Annahmeverzuges für zulässig ansehen wird. Im Hinblick auf die Gestellung eines Dienstwagens zur Privatnutzung kommt eine gänzliche Abbedingung von § 615 Satz 1 BGB hingegen ohne Weiteres in Betracht, was dazu führt, dass auch Schadensersatzansprüche wegen der Vorenthaltung des Dienstwagens entfallen1008. c) Betriebsrisiko der Gesellschaft Kann der Geschäftsführer seine Arbeitsleistung aus Gründen nicht erbringen, die dem Be- 445 triebsrisiko der Gesellschaft zuzurechnen sind (z.B. schadhafte Arbeitsgeräte), besteht der Vergütungsanspruch unbefristet fort (analog § 615 Satz 3 BGB). Auch der Gesellschafter-Geschäftsführer muss sich nicht wegen seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung das Betriebsrisiko zurechnen lassen. Insoweit ist zwischen den Verantwortungsbereichen des Geschäftsführers aus seinem Anstellungsverhältnis und aus seiner Gesellschafterposition zu trennen1009. Die Vergütung kann jedoch dann nach § 326 Abs. 1 BGB gekürzt werden, wenn sich beim Betriebsausfall eine Gefahr verwirklicht hat, die im Einflussbereich des Geschäftsführers lag1010. d) Schlechtleistung Erfüllt der Geschäftsführer seine Pflichten schuldhaft schlecht, haftet er nur nach § 43 auf- 446 grund seiner Organstellung und nicht daneben wegen Pflichtverletzung aus dem Vertrag. Die Vergütung kann dem Geschäftsführer allenfalls in Extremfällen, beispielsweise im Falle völliger Wertlosigkeit der Leistung, vorenthalten oder gekürzt werden1011.

9. Wettbewerbsverbot S. hierzu 12. Aufl., § 43 Rz. 186 ff., zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot s. 12. Aufl., § 43 447 Rz. 245 ff. Einstweilen frei.

448–454

1007 Bauer/Göpfert/Siegrist, DB 2006, 1774, 1777 (auch mit Klauselvorschlägen); vgl. auch Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337, 2340, die der Auffassung sind, dass derlei Regelungen zur variablen Vergütung „Preisvereinbarungen“ darstellen, die keiner Inhaltskontrolle unterliegen. 1008 Vgl. BAG v. 5.9.2002 – 8 AZR 702/01, NZA 2003, 973, 975 f., wobei diese Entscheidung nur einen relativ kurzen Zeitraum betraf; zu vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten beim Dienstwagen Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl. 2016, S. 135 ff. 1009 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 42; a.A. Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 218. 1010 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 42; Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 218 zu § 323 Abs. 1 BGB a.F. 1011 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 43; Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 219.

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§ 35 Rz. 455 | Das Anstellungsverhältnis

XIV. Beendigung des Anstellungsverhältnisses 1. Allgemeines a) Beendigungsmöglichkeiten 455 Die Beendigung des Anstellungsverhältnisses tritt ein durch Kündigung, durch vertragliche

Aufhebung, durch Zeitablauf, wenn der Vertrag für eine fest bestimmte Zeit geschlossen wurde, durch Bedingungseintritt bei Vereinbarung einer sog. Koppelungsklausel (Abberufung)1012 oder durch Tod des Geschäftsführers. Bestehen in einem Konzern Anstellungsverträge zu mehreren Konzernunternehmen, so kann die Kündigung eines Anstellungsvertrages auch die Beendigung der anderen Anstellungsverträge herbeiführen, wenn die Verträge eine Einheit bilden1013. Dagegen beendigt weder die Abberufung als Geschäftsführer1014 (es sei denn, dass eine Koppelungsklausel vereinbart ist) noch die Amtsniederlegung1015 (dito) den Anstellungsvertrag. Dies ergibt sich aus dem sog. Trennungsprinzip1016, das sich aus § 38 Abs. 1 herleitet. Vielmehr ist sowohl bei der Abberufung wie auch bei der Amtsniederlegung gesondert zu prüfen, ob die Kündigungsvoraussetzungen vorliegen und die Kündigung wirksam erklärt ist. Zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses in der Insolvenz der Gesellschaft s. Rz. 548 ff. b) Zuständigkeit für die Beendigung aa) Vertragliche Aufhebung 456 Die Entscheidung über die einverständliche vertragliche Aufhebung des Anstellungsvertrages

und die damit verbundene Regelung über die Beendigung der Organstellung fällt in den Zuständigkeitsbereich der Gesellschafter1017. Die Gesellschafter vertreten die Gesellschaft auch beim Abschluss des Aufhebungsvertrages. Diese Zuständigkeit gilt auch für den Aufhebungsvertrag mit bereits abberufenen Geschäftsführern. Insoweit wurde früher teilweise die Ansicht vertreten, die Gesellschaft werde durch die verbliebenen Geschäftsführer vertreten1018. Dabei wurde aber vernachlässigt, dass die Zuständigkeit für den Abschluss des Anstellungsvertrages eine Annexkompetenz zur Zuständigkeit für die Bestellung darstellt. Diese bleibt erhalten, solange noch ein gewisser sachlicher, nicht notwendig zeitlicher Zusammenhang mit der Abberufung besteht („nachwirkende Zuständigkeit“)1019. In der gemäß dem MitbestG mitbestimmten GmbH tritt an die Stelle der Gesellschafterversammlung der Aufsichtsrat. In der nicht mitbestimmten GmbH kann die Zuständigkeit durch die Satzung einem fakultativen Aufsichtsrat oder Beirat zugewiesen sein. Insofern gilt wiederum Gleiches wie für den Abschluss des Anstellungsvertrages (s. hierzu Rz. 333 ff.).

1012 S. zu Koppelungsklauseln Rz. 462 ff. 1013 BGH v. 16.2.1967 – II ZR 53/66, WM 1967, 540, 541; s. auch allgemein: Martens in FS 25 Jahre BAG, 1979, S. 367. 1014 BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 969; BGH v. 3.7.1975 – II ZR 35/73, DB 1975, 1548, 1550; BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 110. 1015 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82 = GmbHR 1980, 270 = MDR 1980, 999 = WM 1980, 1117, 1119; BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, GmbHR 1978, 85. 1016 Zum Trennungsprinzip (auch „Trennungstheorie“) s. schon Rz. 251 f. 1017 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, NJW 1991, 1680, 1681 = GmbHR 1991, 363 unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung. 1018 BGH v. 6.4.1964 – II ZR 11/62, NJW 1964, 1270, 1270; BGH v. 17.4.1976 – II ZR 157/64, NJW 1967, 1711, 1712. 1019 BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 459 § 35

bb) Kündigung durch die GmbH Für die Kündigung des Anstellungsvertrages durch die GmbH ist dasselbe Organ wie für den 457 Abschluss zuständig. Das ist bei der mitbestimmungsfreien Gesellschaft die Gesellschafterversammlung, die die Gesellschaft gegenüber dem Geschäftsführer auch bei Abgabe der Kündigungserklärung vertritt1020. Im Beschluss über die Kündigung kann zugleich einer der Gesellschafter oder ein Geschäftsführer zur Abgabe der Kündigungserklärung bevollmächtigt werden1021. In diesem Fall muss der Kündigungserklärung jedoch ein Original des Gesellschafterbeschlusses beigefügt werden, um eine Zurückweisung der Kündigung gemäß § 174 Satz 1 BGB auszuschließen. Die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung bleibt auch erhalten, wenn seit der Abberufung des Geschäftsführers bereits geraume Zeit verstrichen ist1022, solange noch ein sachlicher Zusammenhang besteht. Ist dagegen nach der Abberufung oder nach der Amtsniederlegung das Anstellungsverhältnis als neuer Dienstvertrag (mit völlig anderem Inhalt) oder als Arbeitsvertrag fortgeführt worden (s. Rz. 332), so ist für die Kündigung der (neue) Geschäftsführer zuständig1023. Die Zuständigkeit kann nur durch Satzung auf den Aufsichtsrat, einen fakultativen Aufsichtsrat oder einen einzelnen Gesellschafter übertragen werden1024. In der gemäß dem MitbestG mitbestimmten GmbH ist zwingend der Aufsichtsrat für die Kündigung zuständig1025. Der Kündigung des Anstellungsvertrages muss ein entsprechender – wirksamer – Gesell- 458 schafterbeschluss zugrunde liegen. Fehlt es daran, ist die Kündigung unwirksam1026. Eine rückwirkende Genehmigung durch die Gesellschafter, wenn ein Beschluss fehlte, ist nicht möglich1027. Eine Vertretung im Willen, also die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf ein anderes Gremium oder eine andere Person, ist ausgeschlossen1028; nur durch Satzung können andere Zuständigkeiten festgelegt werden, sofern diese nicht – wie bei Anwendbarkeit des MitbestG – zwingend sind1029. Bei der Abstimmung über eine außerordentliche Kündigung ist ein Gesellschafter-Geschäfts- 459 führer, dessen Anstellungsvertrag betroffen ist, vom Stimmrecht ausgeschlossen (Einzelheiten bei 12. Aufl., § 47 Rz. 141).

1020 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 415; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 51. 1021 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 52. 1022 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528 = GmbHR 1984, 312; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 51. 1023 BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 51. 1024 BGH v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, GmbHR 1990, 297; BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, GmbHR 1991, 363; BGH v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, AG 1997, 328, 329. 1025 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, NJW 1984, 733, 734 = GmbHR 1984, 151; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 37 ff.; Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 304; jeweils m.w.N.; zur Vertretung der Gesellschaft mit fakultativem Aufsichtsrat gegenüber ehemaligen Geschäftsführern: BGH v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, AG 1990, 359 = GmbHR 1990, 297, 298; Lenz in Michalski u.a., Rz. 164; a.A. Rittner, DB 1979, 973. 1026 OLG Köln v. 21.2.1990 – 13 U 195/89, GmbHR 1991, 156; OLG Nürnberg v. 22.12.2000 – 6 U 1604/00, NZG 2001, 810, 811 = GmbHR 2001, 973; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 130; Harbarth, BB 2015, 707; Lunk, ZIP 1999, 1777 f.; für fehlenden Aufsichtsratsbeschluss bei der AG: OLG Karlsruhe v. 21.2.1990 – 17 U 62/03, NZA 2005, 300, 301 f. 1027 OLG Köln v. 21.2.1990 – 13 U 195/89, GmbHR 1991, 156. 1028 OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, NZG 2004, 141, 142 für die AG; vgl. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 129 f. 1029 Harbarth, BB 2015, 707.

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§ 35 Rz. 460 | Das Anstellungsverhältnis cc) Kündigung durch den Geschäftsführer 460 Kündigt der Geschäftsführer seinen Anstellungsvertrag, so muss er die Erklärung gegenüber

einer passivvertretungsberechtigten Person abgeben, s. dazu Rz. 330. c) Form der Beendigung 461 Die Beendigung von Dienstverträgen ist formlos möglich. Die Formvorschrift des § 623 BGB

ist grundsätzlich nicht anzuwenden. § 623 BGB gilt nur für Arbeitnehmer, ist also auf GmbHGeschäftsführer nur in den Ausnahmefällen1030 anwendbar, in denen diese in einem Arbeitsverhältnis stehen1031. Die Vorschrift ist auf Dienstverhältnisse weder direkt noch entsprechend anwendbar1032. Zum Teil wird eine analoge Anwendung auf Geschäftsführer, welche nicht am Kapital der GmbH beteiligt sind, gefordert1033. Nach ganz herrschender Meinung ist eine solche Analogie allerdings abzulehnen1034. Es fehlt an einer für die Analogie erforderlichen Regelungslücke, da der Gesetzgeber die Vorschrift bewusst eng gefasst hat. Eine Begründung der Kündigung ist nicht erforderlich, gleich von welcher Seite sie ausgesprochen wird1035. Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB müssen dem Gekündigten jedoch nach Ausspruch der Kündigung auf Verlangen die Kündigungsgründe schriftlich mitgeteilt werden.

2. Vertragliche Verknüpfung mit der Beendigung des Organverhältnisses: Koppelungsvereinbarungen 462 Die Beendigung der Organstellung führt nicht automatisch auch zur Beendigung des Anstel-

lungsvertrages (sog. Trennungsprinzip; vgl. Rz. 251 f. und 455). Sofern keine besonderen vertraglichen Abmachungen bestehen, muss daher nach einer Amtsniederlegung durch den Geschäftsführer bzw. nach einer Abberufung geprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages gegeben sind. In aller Regel kann auch die Abberufung oder Amtsniederlegung nicht (zusätzlich) als Kündigung des Anstellungsverhältnisses ausgelegt werden, es sei denn, dass sich durch Auslegung ergibt, dass die erklärende(n) Parteie(n) beide Rechtsverhältnisse aufheben wollte(n)1036. Organstellung und Anstellungsverhältnis können jedoch schuldrechtlich durch eine entsprechende Klausel im Anstellungsvertrag miteinander verknüpft werden (sog. Koppelungsklausel, vgl. auch 12. Aufl., § 38 Rz. 36). In Betracht kommen Klauseln, nach denen in der Abberufung zugleich eine Kündigung des Anstellungsvertrages zum nächsten zulässigen Termin liegt (zur insofern mindestens einzuhaltenden Kündigungsfrist s. Rz. 473). Diese sind rechtlich nicht zu beanstanden1037. Durch die Abberufung wird lediglich eine Kündi-

1030 S. hierzu schon Rz. 270. 1031 Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 623 BGB Rz. 2. 1032 Hennsler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 134, 146. 1033 Spilger in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 623 BGB Rz. 41 f. 1034 OLG Düsseldorf v. 10.10.2003 – 17 U 35/03, NZG 2004, 480; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Oetker in Staudinger, § 623 BGB Rz. 12; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 134. 1035 BGH v. 3.11.2003 – II ZR 158/01, GmbHR 2004, 57. 1036 OLG Stuttgart v. 12.11.2019 – 1 U 247/18, BeckRS 2019, 39812 Rz. 18 ff. 1037 LG Frankfurt v. 11.12.2013 – 3-03 O 156/12, juris; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 393; für die AG BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1191 = GmbHR 1989, 415.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 464 § 35

gung fingiert, welche sonst in einer separaten Erklärung ausgesprochen werden müsste1038. In Anstellungsverträgen, die für die Dauer ihrer Befristung nur außerordentlich gekündigt werden können, bedarf es allerdings einer Klarstellung, dass diese Beschränkung im Fall einer Beendigung der Organstellung nicht gelten soll1039. Ansonsten ergibt die Auslegung, dass die Koppelungsklausel nur greifen kann, wenn die Voraussetzungen gemäß § 626 Abs. 1 BGB vorliegen1040. Die Beendigung der Organstellung (insb. die Abberufung) kann vertraglich auch als auf- 463 lösende Bedingung für den Bestand des Anstellungsvertrages vereinbart werden1041. Gegen die gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit einer so gestalteten Koppelungsklausel bestehen keine Bedenken1042. Da die Abberufung gemäß § 38 Abs. 1 ohne Einhaltung einer Frist erfolgen kann1043, ist die Variante einer auflösenden Bedingung indessen rechtlich problematisch. Die Rechtsprechung hat in dieser Konstellation eine sofortige Beendigung des Anstellungsvertrages – zu Recht – nur dann zugelassen, wenn zugleich ein wichtiger Grund für die Beendigung des Anstellungsvertrages vorliegt1044; denn die Voraussetzungen des nicht dispositiven1045 § 626 BGB dürfen nicht umgangen werden1046. Bei einer Koppelungsklausel, die im Fall einer Abberufung die sofortige (und bedingungslose) Beendigung des Anstellungsvertrags vorsah, erfolgte nach nunmehr überholter Rechtsprechung des BGH1047- die Beendigung des Anstellungsvertrages erst nach Ablauf der Mindestkündigungsfrist nach § 622 Abs. 1 BGB1048. Dabei würde es sich jedoch um eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion handeln1049. Eine solche Koppelungsklausel ist nicht umzudeuten, sondern gänzlich unwirksam; eine Beendigung des Anstellungsverhältnisses erfolgt damit bei Abberufung nicht1050. Das gilt zumindest für Geschäftsführer, deren Dienstverträge der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterfallen1051. Soweit der Dienstvertrag – wie regelmäßig der Fall – der AGB-Kontrolle unterliegt (vgl. 464 hierzu Rz. 340 ff.), muss bei der Formulierung von Koppelungsklauseln besondere Sorgfalt

1038 So auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 393. 1039 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 44; vgl. hierzu Lohr, NZG 2001, 826, 832; s. zum Gesichtspunkt der Transparenz (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) auch Rz. 464. 1040 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, NJW 1999, 3263, 3264 = GmbHR 1999, 1140. 1041 OLG Saarbrücken v. 8.5.2013 – 1 U 154/12, NZG 2013, 784. 1042 BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, NJW 1995, 2850 = GmbHR 1995, 653; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 96; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 44. 1043 BGH v. 1.12.1997 – II ZR 232/96, GmbHR 1998, 534, 535; BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1192 = GmbHR 1989, 415. 1044 BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683, 2684 = GmbHR 1989, 415. 1045 BGH v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, NJW-RR 2008, 1488, 1490; BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, NJW 2000, 2983, 2984 = GmbHR 2000, 876; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 109. 1046 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394a; Koehler, NZA 2019, 1406, 1410, dessen Klauselvorschlag (S. 1412) allerdings die nicht korrekte Formulierung einer Abberufung „aus wichtigem Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB“ enthält. Es müsste heißen: „…wenn die Abberufung aus einem Grund erfolgt, der zugleich einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB darstellt.“. 1047 BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683, 2684 = GmbHR 1989, 415 (wo auf § 622 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. verwiesen wird). Diese Entscheidung erging indes vor Aufnahme der AGB-Kontrolle in das BGB. 1048 So auch weiterhin Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 81. 1049 OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, NZG 2016, 226; zustimmend Haase, GmbHR 2017, 295, 301 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394a. 1050 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394a m.w.N. 1051 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394a.

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§ 35 Rz. 464 | Das Anstellungsverhältnis aufgewandt werden1052. Keinesfalls können Koppelungsklauseln per se als überraschend i.S.v. § 305c BGB angesehen werden1053. Dies gilt auch dann, wenn der Dienstvertrag ansonsten nicht ordentlich kündbar sein sollte1054 oder wenn eine längere Kündigungsfrist vereinbart wurde. Allerdings sollte im Vertrag – auch wegen des Transparenzgebots gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB – eine Verknüpfung zwischen den allgemeinen Kündigungsregelungen und der Koppelungsklausel hergestellt werden, um beim Geschäftsführer keine Fehlvorstellungen über den ihm zugesagten Bestandsschutz hervorzurufen1055. Unter dieser Voraussetzung einer uneingeschränkten Transparenz sind Bedenken aus § 305c BGB bzw. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unberechtigt. Auch benachteiligen Koppelungsklauseln den Geschäftsführer nicht entgegen Treu und Glauben, und zwar auch dann nicht, wenn der Dienstvertrag befristet abgeschlossen wurde1056. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung im befristeten Arbeitsverhältnis ist gesetzlich anerkannt (§ 15 Abs. 3 TzBfG). Ebenso ist unbestritten, dass § 620 Abs. 1 BGB der Vereinbarung einer ordentlichen Kündigungsmöglichkeit nicht entgegensteht1057. Koppelungsklauseln weichen daher nicht vom gesetzlichen Leitbild ab1058. 465 Sieht der Anstellungsvertrag nur eine Kündigungsmöglichkeit oder eine Auflösung im Fall

des Widerrufs der Bestellung (Abberufung) vor, nicht aber für den Fall der Amtsniederlegung durch den Geschäftsführer, könnte dies im Hinblick auf § 622 Abs. 6 BGB problematisch sein. Nach richtiger Auffassung besteht hier jedoch weder eine Gesetzeslücke noch eine vergleichbare Interessenlage mit derjenigen im Arbeitsverhältnis, so dass § 622 Abs. 6 BGB nicht analog auf den Geschäftsführer übertragen werden kann, der nicht zugleich (ausnahmsweise1059) Arbeitnehmer ist1060. 466 Bei Koppelungsklauseln gilt generell, dass nur eine wirksame Beendigung der Organstellung

zu einer Kündigungsmöglichkeit der Gesellschaft bzw. zur Auflösung des Dienstvertrages führt1061. Es muss demnach ein wirksamer Gesellschafterbeschluss (bzw. eine wirksame Amtsniederlegung durch den Geschäftsführer) vorliegen.

3. Befristung 467 Das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) gilt in Bezug auf die

Befristung nur für Arbeitsverhältnisse und damit nicht für Anstellungsverhältnisse von Organmitgliedern, sofern diese nicht ausnahmsweise in einem Arbeitsverhältnis stehen (vgl. Rz. 261 ff.)1062. Zwar ist in der dem TzBfG zugrundeliegenden Richtlinie 1999/70/EG vermerkt, dass sich das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne der Richtlinie nach natio1052 Ausführlich v. Westphalen, BB 2015, 834; Werner, NZA 2015, 1234; Koehler, NZG 2019, 1406; vgl. hierzu auch Moll/Grobys in Moll, Münchener Anwaltshandbuch ArbR, 4. Aufl. 2017, § 80 Rz. 55 ff. 1053 Vgl. auch Werner, NZA 2015, 1234, 1237. 1054 Offen gelassen von OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, NZG 2016, 226 = GmbHR 2017, 295. 1055 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394d; s. auch Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl. 2016, S. 186 Alt. 3 und S. 184 ff. 1056 So aber Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809, 811 f. 1057 S. nur Rennpferdt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 620 BGB Rz. 10. 1058 Willemsen in FS Buchner, 2009, S. 972, 982; a.A. v. Westphalen, NZG 2020, 321, 323. 1059 S. hierzu Rz. 261 ff. 1060 Wie hier: Willemsen in FS Buchner, 2009, S. 972, 973 ff.; a.A. Ganßmüller, GmbHR 1977, 132, 133; Bauer, DB 1979, 2178, 2179; Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 8. Aufl. 2007, III Rz. 24; Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809, 812 f. 1061 BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683, 2684 = GmbHR 1989, 415. 1062 Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 3 TzBfG Rz. 2.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 470 § 35

nalem Recht bestimmt (s. schon Rz. 285)1063. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Europäsche Gerichtshof seine Rechtsprechung in Bezug auf die Einbeziehung von Organmitgliedern in den Schutzbereich arbeitsrechtlicher Vorschriften auch in diesem Fall anwendet1064. Der Europäische Gerichtshof hat die Anwendbarkeit der Befristungsrichtlinie auf im öffentlichen Dienst Beschäftigte bejaht und insofern den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff angewendet1065. Selbst wenn der Europäische Gerichtshof die Richtlinie auf Geschäftsführer anwenden würde, kann das TzBfG jedoch nicht ohne weiteres in diesem Sinne ausgelegt werden. Insbesondere zeigt der Verweis in § 620 Abs. 3 BGB, dass für Dienstverträge, welche kein Arbeitsverhältnis darstellen, lediglich § 620 BGB gelten soll1066. Ein befristeter Anstellungsvertrag kann mit Blick auf § 620 Abs. 1 BGB nur außerordentlich 468 gekündigt werden, sofern die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung nicht vertraglich vereinbart ist (für Arbeitsverträge nunmehr klargestellt in § 15 Abs. 3 TzBfG)1067. Wird das Dienstverhältnis nach Fristablauf vom Verpflichteten mit Wissen und ohne Widerspruch des anderen Teils fortgesetzt, so gilt das Vertragsverhältnis gemäß § 625 BGB als auf unbestimmte Zeit verlängert. Häufig werden zusätzlich zu einer Befristung Regelungen über die Verlängerung des Anstellungsvertrages vereinbart. So kann vereinbart werden, dass sich der Vertrag automatisch um eine bestimmte Dauer verlängert, wenn er nicht vor Ablauf mit einer bestimmten Frist gekündigt wurde. Wegen der ohnehin bestehenden Befristung handelt es sich dabei nicht um eine Kündigung im engeren Sinne, sondern um eine „Nichtverlängerungsanzeige“1068. Auch für diese sind jedoch die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen zu den Anforderungen einer Kündigung einzuhalten (Beschluss des für die Abberufung und Kündigung zuständigen Gremiums, im Zweifel der Gesellschafterversammlung, Schriftform, Vollmacht zur Abgabe der Erklärung etc.). Befristungen, welche an ein bestimmtes Lebensalter anknüpfen, sind ggf. am AGG zu mes- 469 sen (s. dazu schon Rz. 351 ff.). § 41 Satz 2 SGB VI gilt lediglich für Arbeitsverhältnisse, die dem KSchG unterfallen1069, und damit insbesondere nicht für Geschäftsführer-Dienstverträge1070. In der gemäß dem MitbestG mitbestimmten GmbH ist eine Befristung des Dienstvertrages 470 gemäß § 31 Abs. 1 MitbestG i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG mit der Höchstdauer von fünf Jahren zwingend vorgeschrieben1071.

1063 So auch Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 18. Aufl. 2018, § 3 TzBfG Rz. 2; wohl ebenfalls für das Zugrundelegen des nationalen Arbeitnehmerbegriffs Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 5; a.A. Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 3 TzBfG Rz. 2: Eine unionsrechtliche Interpretation des Arbeitnehmerbegriffs komme jedenfalls unter Einbeziehung des Fremdgeschäftsführers in Betracht; unklar insoweit: EuGH v. 8.9.2011 – C-177/10, ECLI:EU:C:2011:557, NZA 2011, 1219 – Rosado Santana. 1064 Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 193. 1065 EuGH v. 13.9.2007 – C-307/05, ECLI:EU:C:2007:509, NZA 2007, 1223, 1224 f. – Del Cerro Alonso; bestätigt in EuGH v. 8.9.2011 – C-177/10, ECLI:EU:C:2011:557, NZA 2011, 1219, 1221 – Rosado Santana. 1066 Herms in Meinel/Heyn/Herms, 5. Aufl. 2015, § 3 TzBfG Rz. 2. 1067 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1140, 1142; Hesse in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 620 BGB Rz. 11; Preis in Staudinger, § 620 BGB Rz. 4; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 73. 1068 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 401. 1069 Ricken in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 41 SGB VI Rz. 7; a.A. Rolfs in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 41 SGB VI Rz. 11. 1070 Vgl. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 144. 1071 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 73; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 245.

Hohenstatt | 141

§ 35 Rz. 471 | Das Anstellungsverhältnis

4. Ordentliche Kündigung a) Frist 471 Für die bei Ausspruch der ordentlichen Kündigung einzuhaltende Frist ist zunächst die ver-

tragliche Vereinbarung maßgebend1072, soweit diese nicht kürzer ist als die zwingende gesetzliche Frist1073. Ist letzteres der Fall, so ist die vereinbarte Kündigungsfrist unwirksam. 472 Fehlt es an einer Vereinbarung bzw. ist die im Vertrag geregelte Kündigungsfrist unwirksam,

gilt die gesetzliche Kündigungsfrist. Insofern ist – obwohl vom Wortlaut her einschlägig – bei Fremdgeschäftsführern und solchen, die nicht mehrheitlich an der Gesellschaft beteiligt sind, nicht auf § 621 BGB abzustellen1074 (danach würde in den ganz überwiegenden Fällen die Kündigung spätestens am 15. eines Monats zum Monatsende auszusprechen sein – vgl. § 621 Nr. 3 BGB). Die h.M. wendet vielmehr wegen der vergleichbaren Schutzbedürftigkeit dieses Personenkreises § 622 Abs. 1 und 2 BGB an1075. Der Zweite Senat des BAG1076 wendet hingegen auf Geschäftsführer, die nicht Arbeitnehmer sind, ausschließlich § 621 BGB an; für eine analoge Anwendung des § 622 BGB fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke.

473 Nach wohl herrschender Ansicht soll hingegen nur für Geschäftsführer, welche aufgrund ih-

rer Beteiligung die Gesellschaft beherrschen, die Kündigungsfrist des § 621 Nr. 3 BGB gelten, während § 622 Abs. 1 BGB analog für Geschäftsführer-Dienstverträge von Geschäftsführern, die an der Gesellschaft nicht beteiligt sind oder keine beherrschende Stellung innehaben, Anwendung finden soll1077. Begründet wird die Analogie mit der vergleichbaren Schutzwürdigkeit des Geschäftsführers ohne beherrschende Stellung mit dem Arbeitnehmer: Auch ersterer stellt der Gesellschaft seine Arbeitskraft zur Verfügung und ist von dem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses abhängig1078. Während die Kündigungsfrist im Rahmen von § 621 BGB abdingbar ist1079, gilt § 622 BGB aufgrund der besonderen Schützwürdigkeit der Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss auch im Rahmen der analogen Anwendbarkeit zwingend1080.

1072 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 410; vgl. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 136. 1073 Gegen einen zwingenden Charakter der gesetzlichen Kündigungsfristen aber: Beurkens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 138. 1074 So aber OLG Düsseldorf v. 3.6.1976 – 8 U 265/75, BB 1976, 901 = GmbHR 1977, 132 m. abl. Anm. Ganßmüller; Säcker, BB 1979, 1321, 1324. 1075 So BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1271 = GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, GmbHR 1984, 312; BGH v. 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073, 2074 = GmbHR 1987, 263; BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, NZG 2005, 968, 970 = GmbHR 2005, 1558; Miller, BB 1977, 723, 724 ff.; Bauer, DB 1979, 2178 f.; Lunk, ZIP 1999, 1770, 1780; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 410; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 53; im Ergebnis wohl zustimmend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 137. 1076 BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, BeckRS 2020, 17925. 1077 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 411; Preis in Staudinger, § 622 BGB Rz. 14; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 94; Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 622 BGB Rz. 4; Stöhr, GmbHR 2020, 411, 415 f.; offen gelassen in Bezug auf die Differenzierung von BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/ 83, BGHZ 91, 217 = GmbHR 1984, 312. 1078 BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, GmbHR 1981, 158; Preis in Staudinger, § 622 BGB Rz. 14. 1079 Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 621 BGB Rz. 14. 1080 So im Ergebnis auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 410; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 138; s. i.Z.m. Kopplungsklauseln auch BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/ 88, NJW 1989, 2683, 2684; ebenso BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, NJW 2019, 3718 Rz. 34.

142 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 477 § 35

Für den Fall, dass der Geschäftsführer-Dienstvertrag auf Lebenszeit geschlossen ist, kann 474 gemäß § 624 BGB nach Ablauf von fünf Jahren mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende gekündigt werden. b) Kündigung vor Dienstantritt Der Anstellungsvertrag sollte regeln, ob eine Kündigung bereits vor Dienstantritt erfolgen 475 kann. In der Regel wollen dies beide Seiten ausschließen. Fehlt eine vertragliche Bestimmung hierzu, ist der Wille der Parteien durch Auslegung zu ermitteln. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass eine Kündigung vor Dienstantritt ausgeschlossen sein soll1081. c) Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nimmt Organvertreter juristischer Personen unabhängig davon, ob 476 sie aufgrund eines Arbeitsverhältnisses oder eines Dienstverhältnisses tätig werden, vom Geltungsbereich der Vorschriften des allgemeinen Kündigungsschutzes aus1082. Das gilt in gleicher Weise für den Fremdgeschäftsführer, für den nur geringfügig beteiligten GesellschafterGeschäftsführer und für den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer1083. Es sind allerdings die folgenden Sonderfälle zu beachten: Anstellungsvertrag verpflichtet auch zur Tätigkeit außerhalb der Geschäftsführung: Teil- 477 weise wird angenommen, dass die Fiktion des § 14 Abs. 1 KSchG nicht greift, wenn der Anstellungsvertrag auch zu Tätigkeiten außerhalb der Geschäftsführung verpflichtet und keinen Anspruch auf die Geschäftsführerposition beinhaltet1084. Grund für die Fiktion des § 14 Abs. 1 KSchG sei nämlich, dass der Anstellungsvertrag unabhängig von seiner Rechtsnatur einen Anspruch auf die Geschäftsführerposition einräume und in diesem Fall der Kündigungsschutz entgegen § 38 Abs. 1 auf einen Fortbestand der Geschäftsführerposition gegen den Willen der Gesellschaft hinauslaufe1085. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Nach h.M. liegt der Grund für die Regelung in § 14 Abs. 1 KSchG darin, dass der Geschäftsführer Arbeitgeberfunktionen ausübt1086. Solange die Organstellung besteht, greift deshalb § 14 Abs. 1 KSchG unabhängig davon, zu welchen Tätigkeiten der Anstellungsvertrag den Geschäftsführer verpflichtet und ob er einen Anspruch auf die Geschäftsführertätigkeit begründet. Selbst wenn es sich beim Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers ausnahmsweise um ein Arbeitsverhältnis handeln sollte, führt die Fiktion des § 14 Abs. 1 KSchG zur Unanwendbarkeit des KSchG1087.

1081 OLG Hamm v. 8.10.1984 – 8 U 265/83, GmbHR 1985, 155, 156 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 409; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 139; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 55. 1082 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 431. 1083 Anstelle vieler: Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 107; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 47; OLG Frankfurt v. 10.4.1980 – 20 W 722/79, MDR 1980, 673 = GmbHR 1981, 16; Reiserer, DB 1994, 1822, 1824. 1084 OLG Schleswig-Holstein v. 21.8.2003 – 5 U 44/02, GmbHR 2003, 1130, 1133. 1085 Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 395. 1086 BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 719/00, NZA 2002, 854; Hergenröder in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 14 KSchG Rz. 1. 1087 BAG v. 6.5.1999 – 5 AZB 22/98, GmbHR 1999, 816 = NJW 1999, 3069; BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NJW 2003, 3290, 3291 = GmbHR 2003, 1208; BAG v. 14.6.2006 – 5 AZR 592/05, NZA 2006, 115 = GmbHR 2006, 1101; s. auch BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 Rz. 7 m. Anm. Dzida = GmbHR 2010, 808 m. Anm. Ulrich; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282; ebenso zu § 5 Abs. 1 Satz 3 KSchG BAG v. 26.10.2012 – 10 AZB 60/12, DB 2012, 2699 = GmbHR 2013, 83; bestätigt durch BAG v. 21.9.2017 – 2 AZR 865/16, NZA 2018,

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§ 35 Rz. 478 | Das Anstellungsverhältnis 478 Früheres Arbeitsverhältnis mit der GmbH: Unter Umständen kann das Kündigungsschutz-

gesetz Anwendung finden, wenn nicht (nur) der Anstellungsvertrag als Geschäftsführer beendet sondern darüber hinaus bzw. gleichzeitig ein ruhendes Arbeitsverhältnis gekündigt wird. Von einer solchen Konstellation war die frühere Rechtsprechung1088 ausgegangen, wenn ein Angestellter zum Geschäftsführer der GmbH berufen wurde, ohne dass sich an den Vertragsbedingungen ansonsten etwas änderte. In dieser Konstellation nahm man an, dass der Arbeitnehmer mit der Bestellung nicht endgültig auf den bisher erworbenen Bestandsschutz seines Arbeitsverhältnisses verzichten wollte, ohne dafür einen finanziellen Ausgleich durch eine höhere Vergütung zu erhalten. In diesem Fall sollte für die Kündigung des ruhenden Arbeitsverhältnisses das Kündigungsschutzgesetz Anwendung finden1089. Hiervon ist nach neuerer Rechtsprechung nur noch in den Fällen auszugehen, in denen die Parteien den Fortbestand eines ruhenden Arbeitsverhältnisses, das mit Beendigung der Organstellung wieder aufleben soll, vereinbaren. 479 Das Bundesarbeitsgericht geht heute im Zweifel von der Beendigung eines vor der Bestel-

lung zum Geschäftsführer bestehenden Arbeitsverhältnisses aus1090. Mit dem Abschluss des neuen Geschäftsführervertrages werden im Zweifel alle bisherigen Anstellungsverträge aufgehoben. Die für die Aufhebung der Arbeitsvertrages gemäß § 623 BGB erforderliche Schriftform wird durch Abschluss eines schriftlichen Dienstvertrages gewahrt1091. Fehlt es an einem schriftlichen Geschäftsführervertrag und an einem schriftlichen Aufhebungsvertrag bezüglich des Arbeitsverhältnisses, so ist das Schriftformerfordernis des § 623 BGB nicht erfüllt und das Arbeitsverhältnis besteht ruhend fort1092. Vorsicht ist auch geboten, wenn das Arbeitsverhältnis mit einer anderen Konzerngesellschaft bestand. Zwar wollen die Parteien auch in dieser Konstellation in aller Regel das bisherige Arbeitsverhältnis aufheben; ein schriftlicher Geschäftsführervertrag, der nicht zwischen den bisherigen Parteien, sondern mit einer anderen Gesellschaft abgeschlossen wird, wahrt nicht die Schriftform gemäß § 623 BGB. Die Zweifelsregelung gilt damit nur, wenn der Geschäftsführervertrag auch zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages geschlossen wird1093. Der Vertragsarbeitgeber muss sich daher beim Abschluss des Geschäftsführervertrags durch die Gesellschaft vertreten lassen. 480 Anstellung im Konzern und in der GmbH & Co. KG: Zu beachten ist, dass § 14 Abs. 1 Nr. 1

KSchG nur greift, wenn die Organstellung bei der Anstellungsgesellschaft besteht. Wurde das Anstellungsverhältnis nicht mit der Gesellschaft geschlossen, bei der die Organstellung besteht, greift der Ausschluss des Kündigungsschutzgesetzes gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG

1088 1089 1090

1091 1092 1093

358, 360 = GmbHR 2018, 419. Hier hat das BAG zudem klargestellt, dass eine Einbeziehung des Geschäftsführers in den gesetzlichen Kündigungsschutz auch nicht unionsrechtlich geboten ist. BAG v. 9.5.1985 – 2 AZR 330/84, NZA 1986, 792 m. ablehnender Anm. Martens, AP Nr. 3 in § 5 ArbGG 1979 = GmbHR 1986, 263; BAG v. 28.9.1995 – 5 AZB 4/95, NJW 1996, 143, 144. Vgl. hierzu auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 4. BAG v. 14.6.2006 – 5 AZR 592/05, NZA 2006, 1154 Rz. 18 = GmbHR 2006, 1101; BAG v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, GmbHR 2007, 1219 = NJW 2007, 3228; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, NJW 2008, 3514 m. Anm. Dzida = GmbHR 2008, 1259 m. Anm. Moll; BAG v. 15.3.2011 – 10 AZB 32/10, NJW 2011, 2684 = GmbHR 2011, 867; erstmals in diese Richtung BAG v. 7.10.1993 – 2 AZR 260/93, NZA 1994, 212 = GmbHR 1994, 243; vgl. hierzu auch die Darstellung bei Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 4. BAG v. 14.6.2006 – 5 AZR 592/05, NZA 2006, 1154 = GmbHR 2006, 1101; BAG v. 3.2.2009 – 5 AZB 100/08, NJW 2009, 2078 = GmbHR 2009, 651. BAG v. 15.3.2011 – 10 AZB 32/10, GmbHR 2011, 867 m. Anm. Grobys = NJW 2011, 2684; BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, NJW 2008, 1018, 1020 m. Anm. Diller = GmbHR 2008, 429. BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1078/12, NZA 2014, 540 = GmbHR 2014, 923; hierzu Ginal, GWR 2014, 226; so bereits Dzida, Anm. zu BAG v. 5.6.2008, NJW 2008, 3516, 3517; s. auch die Praxishinweise bei Arnold, ArbRAktuell 2014, 225.

144 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 483 § 35

grundsätzlich nicht1094. Es ist dann gesondert nach allgemeinen Grundsätzen zu überprüfen, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens zusätzlich zu ihren dortigen Aufgaben die Geschäftsführung einer Tochtergesellschaft übernehmen1095. Besteht die Aufgabe des Angestellten hingegen im Wesentlichen in der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft und ist er diesbezüglich nur insoweit weisungsgebunden, wie dies für Fremdgeschäftsführer üblich ist, wird von einem freien Dienstverhältnis auszugehen sein1096. Diese Grundsätze gelten allerdings nicht, wenn der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers 481 der Komplemtär-GmbH mit der GmbH & Co. KG abgeschlossen worden ist1097, wenngleich früher angenommen wurde, dass in dieser Konstellation ein Arbeitsverhältnis vorliegen könne1098. Im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass diese gesetzliche Fiktion auch auf den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH Anwendung findet1099. Angesichts der parallelen Wertungen, die § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG und § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG zugrunde liegen1100, ist davon auszugehen, dass für den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, der bei der KG angestellt ist, ebenfalls § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG gilt1101. Nach Beendigung der Organstellung greift die Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht1102. 482 Mit der Abberufung wandelt sich der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag jedoch nicht ohne Weiteres in ein dem Kündigungsschutz unterliegendes Arbeitsverhältnis um1103. Umgekehrt entsteht auch kein dem Kündigungsschutz unterliegendes Arbeitsverhältnis alleine dadurch, dass die im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag vorgesehene Berufung in die Organstellung unterbleibt1104. Das Kündigungsschutzgesetz kann allerdings anwendbar sein, wenn der Geschäftsführer ab- 483 berufen und danach durch die Gesellschaft mit Aufgaben unterhalb der Geschäftsführung weiter beschäftigt wird. In diesen Fällen kann ausdrücklich oder konkludent ein neues Ar-

1094 BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405 = GmbHR 1984, 70; BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, NJW 2008, 1018 m. Anm. Diller = GmbHR 2008, 429; Hergenröder in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 14 KSchG Rz. 4; Biebl in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 14 KSchG Rz. 9. 1095 BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405, 2406 = GmbHR 1984, 70; a.A. Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 400. 1096 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 253. 1097 Vgl. hierzu schon Rz. 301. 1098 BAG v. 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, NJW 1981, 302, 303 = GmbHR 1982, 113; BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405 = GmbHR 1984, 70. 1099 BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NJW 2003, 3290, 3291 f. = GmbHR 2003, 1208; ebenso OLG München v. 10.4.2003 – 7 W 656/03, GmbHR 2003, 776 = NZG 2003, 722; OLG Hamm v. 18.6.1990 – 8 U 146/89, GmbHR 1991, 466, 467. 1100 Für ein gleichlaufendes Verständnis von § 14 Abs. 1 KSchG und § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG: BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405 = GmbHR 1984, 70. 1101 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 294; Kiel in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 14 KSchG Rz. 3; Zimmer/Rupp, GmbHR 2006, 572, 576; Thies in Henssler/Willemsen/ Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 14 KSchG Rz. 3; v. Hoyningen-Huene in v. Hoyningen-Huene/Linck, 15. Aufl. 2013, § 14 KSchG Rz. 17a; kritisch bzw. a.A. jedoch Biebl in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 14 KSchG Rz. 10 m.w.N. 1102 Kiel in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 14 KSchG Rz. 5; Goll-Müller/Langenhan-Komus, NZA 2008, 687, 690. 1103 BGH v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, ZIP 2000, 508; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, GmbHR 2008, 1259; BAG v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, NZA 1997, 1363, 1364 f. = GmbHR 1997, 837. 1104 BAG v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, NZA 1997, 1363, 1364 f. = GmbHR 1997, 837; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 291.

Hohenstatt | 145

§ 35 Rz. 483 | Das Anstellungsverhältnis beitsverhältnis zustande kommen1105. Es ist allerdings missverständlich, in diesen Fällen von einer Umwandlung in ein Arbeitsverhältnis zu sprechen. Ein solches wird in dieser Konstellation erst neu begründet, weshalb erst ab diesem Zeitpunkt die Wartezeit für den Kündigungsschutz (§ 1 Abs. 1 KSchG) beginnt. 484 Vereinbarung des Kündigungsschutzes nach dem KSchG: Im Geschäftsführer-Anstellungs-

vertrag kann vereinbart werden, dass auf ihn das KSchG Anwendung finden soll1106. Hiergegen wurde eingewandt, dass die Anwendung des KSchG mit der Natur der Geschäftsführerstellung und insb. mit der freien Widerrufbarkeit der Bestellung gemäß § 38 Abs. 1 nicht zu vereinbaren sei1107. Aufgrund des Trennungsprinzips (vgl. Rz. 455) wird die Widerrufbarkeit durch die Beschränkung der Kündigungsmöglichkeiten jedoch nur mittelbar, nämlich durch die der Gesellschaft erwachsenden wirtschaftlichen Belastungen, beeinflusst1108. Solche mittelbaren Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit werden jedoch gemäß § 38 Abs. 1 vom Gesetz ausdrücklich hingenommen1109. In gemäß dem MitbestG mitbestimmten GmbHs müssen allerdings gemäß § 31 Abs. 1 MitbestG i.V.m. § 84 AktG stets auf höchstens fünf Jahre befristete Dienstverträge abgeschlossen werden, so dass die vertraglich vereinbarte Anwendung des KSchG auf in diesen Gesellschaften tätige Geschäftsführer unzulässig wäre1110. 485 Bei vertraglich vereinbarter Anwendung des KSchG kann sich die Frage stellen, ob die Abbe-

rufung einen personenbedingten Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG darstellt1111. Dafür spricht zwar, dass für einen abberufenen GmbH-Geschäftsführer regelmäßig keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestehen wird1112. Dagegen spricht jedoch, dass die Vereinbarung der Anwendbarkeit der KSchG bei diesem Verständnis keine praktischen Auswirkungen hätte, da der Geschäftsführer gemäß § 38 Abs. 1 jederzeit und ohne Angabe von Gründen abberufen werden kann1113. Hingegen sind die §§ 9, 10 KSchG von einem Verweis auf das KSchG im Zweifel umfasst, so dass sich aus einer entsprechenden Vertragsregelung kein verlässlicher Bestandsschutz für den Geschäftsführer ergeben wird. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 KSchG werden sich bei Geschäftsführern in der Regel nachweisen lassen, so dass ein Auflösungsantrag der Gesellschaft mangels abweichender vertraglicher Regelung keiner Begründung bedarf1114.

1105 OLG Karlsruhe v. 25.8.1995 – 15 U 286/94, GmbHR 1996, 208, 209; Wiesner in MünchHdb. GesR IV, 4. Aufl. 2015, § 21 Rz. 29 f.; Kothe-Heggemann/Dahlbender, GmbHR 1996, 652; Jaeger/ Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 293. 1106 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 Rz. 7 m. Anm. Dzida = GmbHR 2010, 808. 1107 Bauer/Arnold, ZIP 2010, 709, 711 f. 1108 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 = GmbHR 2010, 808 Rz. 9 ff. 1109 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 = GmbHR 2010, 808 Rz. 9 ff.; zustimmend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 405. 1110 Dzida, Anm. zu BAG v. 10.5.2010, NJW 2010, 2346. 1111 Hierfür: Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 107; a.A. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 406. 1112 Vgl. zur fehlenden Eignung als personenbedingter Kündigungsgrund Linck in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 17. Aufl. 2017, § 131 Rz. 1. 1113 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 Rz. 16 (mit zustimmender Anm. Dzida) = GmbHR 2010, 808; s. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 406. 1114 Dzida, Anm. zu BAG v. 10.5.2010, NJW 2010, 2345 f.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 487 § 35

5. Außerordentliche Kündigung a) Allgemeines Das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist – unabhängig davon, ob ein befristeter oder 486 unbefristeter Dienstvertrag abgeschlossen wurde – unverzichtbar1115. Deshalb sind Vereinbarungen, die dem Geschäftsführer auch bei Kündigung aus wichtigem Grund eine Abfindung versprechen, wegen § 134 BGB nichtig1116. Die fristlose Kündigung nach § 626 BGB ist nach gefestigter Rechtsprechung1117 nur zulässig, wenn erstens ein Grund vorliegt, der an sich geeignet ist, einen „wichtigen Grund“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (s. Rz. 490 ff.). Zweitens muss dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zu seinem ordentlichen Ablauf nicht zugemutet werden können (s. Rz. 516 ff.). Es ist demnach eine zweistufige Prüfung durchzuführen1118. Dies bedeutet, dass die Interessenabwägung auf der zweiten Stufe selbst dann vorzunehmen ist, wenn unzweifelhaft von einer schweren Pflichtverletzung auszugehen ist (keine absoluten Kündigungsgründe)1119. Allerdings ist unübersehbar, dass es bei einer ganzen Reihe schwerwiegendster Pflichtverletzungen in aller Regel ausgeschlossen sein wird, dass sich auf der zweiten Prüfungsebene so gewichtige Gesichtspunkte ergeben, dass eine außerordentliche Kündigung als ungerechtfertigt erscheint1120. b) Erfordernis einer Abmahnung? Es ist umstritten, ob der im Arbeitsrecht geltende Grundsatz des Erfordernisses einer Ab- 487 mahnung auf Geschäftsführer bzw. Organmitglieder übertragen werden kann. Der BGH lehnt dies ab und hält eine Abmahnung gegenüber Geschäftsführern für entbehrlich, weil das Leitungsorgan einer Kapitalgesellschaft die ihm obliegenden Pflichten regelmäßig kenne und sich der Tragweite einer Pflichtverletzung auch ohne besonderen Hinweis im Klaren sei1121. In der Tat kann der im Rahmen des Kündigungsschutzrechts geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auf der starken sozialen Abhängigkeit des Arbeitnehmers beruht, nicht auf Geschäftsführer übertragen werden. Geschäftsführer sind dafür verantwortlich, dass in der Gesellschaft die Regeln des Rechts beachtet werden. Diese Rolle erfordert es, dass der Geschäftsführer auch bezogen auf seine eigene Rolle die Pflichten kennt und diese einhält. Aus § 314 Abs. 2 BGB ergibt sich nichts anderes, wie auch der BGH1122 klargestellt hat. § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB ordnet die entsprechende Anwendung von § 323 Abs. 2 BGB an. Danach kann bei Vorliegen besonderer Umstände eine sofortige Beendigung – ohne Abmah-

1115 Allgemeiner Grundsatz für Dauerschuldverhältnisse; vgl. auch § 314 Abs. 1 BGB; s. nur BGH v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, NJW-RR 2008, 1488, 1490; vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 416. 1116 BAG v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, NZG 2000, 983 = GmbHR 2000, 876. 1117 Beispiele aus der jüngeren Rechtsprechung BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, BB 2011, 59 (m. Anm. Kock/Fandel); BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 386/05, NJW 2006, 2939 (m. Anm. Mengel). 1118 S. etwa Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 417. 1119 BAG v. 25.3.1976 – 2 AZR 163/75, NJW 1976, 2180, 2181; BAG v. 15.11.1984 – 2 AZR 613/83, NJW 1986, 342; BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1231; Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 24. 1120 So zutreffend Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 626 BGB Rz. 77; vgl. Fischermeier in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 95; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 417. 1121 BGH v. 14.2.2000 – II ZR 218/98, GmbHR 2000, 431; BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, GmbHR 2003, 105, 109; im Grundsatz zustimmend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 114; Jaeger/ Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 427. 1122 BGH v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, NZG 2007, 674 = GmbHR 2007, 936.

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§ 35 Rz. 487 | Das Anstellungsverhältnis nung – erfolgen. Nach Auffassung des BGH1123, der zuzustimmen ist, ist die Funktion des Geschäftsführers ein solcher besonderer Umstand1124. Dies verkennen diejenigen Autoren, die den „besonderen Umstand“ in der Pflichtverletzung des Geschäftsführers erkennen und deshalb nur bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen von einem Abmahnungserfordernis absehen wollen1125. Dies würde eine beträchtliche Rechtsunsicherheit bewirken, da es eine mit großer Unsicherheit belastete Abwägungsentscheidung darstellt, ob man eine Pflichtverletzung als „schwerwiegend“ einordnen will. Im Übrigen würde diese Auffassung der besonderen Stellung und Verantwortung des Geschäftsführers keinerlei Rechnung tragen. Denn dass bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen keine Abmahnung erforderlich ist, ergibt sich bereits aus den allgemeinen Regeln – auch aus denjenigen für Arbeitnehmer1126. 488 Dennoch ist der Praxis zu empfehlen, Geschäftsführer schriftlich bzw. in beweisbarer Form

auf die Einhaltung bestimmter Regeln hinzuweisen, insb. wenn Anhaltspunkte bestehen, dass der Geschäftsführer diese Regeln nicht kennt oder sie für nicht beachtenswert hält. Dies kann, muss aber nicht in Gestalt einer formellen Abmahnung (mit Androhung kündigungsrechtlicher Konsequenzen) geschehen. Entscheidend ist, dass nach einem ausdrücklichen Hinweis die Schwere der Pflichtverletzung höher einzuschätzen ist, wenn der Geschäftsführer (erneut) gegen eine ihm deutlich in Erinnerung gerufene Vorgabe verstoßen hat. 489 Die von einigen Autoren vorgeschlagene Ausnahme1127, wonach eine Abmahnung insbeson-

dere dann erforderlich sein soll, wenn der Geschäftsführer wegen bestimmter Umstände Grund zu der Annahme hatte, ein bestimmtes Verhalten sei von der Gesellschaft geduldet, ist bei genauer Betrachtung nicht erforderlich. In solchen Fällen dürfte es nämlich bereits an einem hinreichend schwerwiegenden Pflichtverstoß des Geschäftsführers fehlen. Wenn durch frühere Umstände eine Unklarheit entstanden ist, ob ein bestimmtes Verhalten erwünscht bzw. geduldet ist, oder ob es sich um einen Pflichtverstoß handelt, kann eine Kündigung nur Erfolg haben, wenn das Kündigungsorgan zuvor den entstandenen Vertrauenstatbestand beseitigt hat1128, z.B. durch Klarstellung der Regularien oder durch gezielte Instruktion des Geschäftsführers. Ohne eine solche Klarstellung wäre hingegen selbst eine Abmahnung unwirksam – mangels eindeutigem Pflichtverstoß. c) Wichtige Gründe für die Kündigung durch die GmbH 490 Der „wichtige Grund“ zur Abberufung nach § 38 Abs. 2 ist nicht notwendig auch ein „wich-

tiger Grund“ zur Kündigung des Anstellungsvertrages durch die Gesellschaft. Der Begriff „wichtiger Grund“ ist vielmehr jeweils gesondert auszulegen1129. 491 Der „wichtige Grund“ wird in aller Regel im Verhalten bzw. in der Person des Geschäftsfüh-

rers liegen. Es müssen Tatsachen vorliegen, die die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar machen1130. Ein pflichtwidri-

1123 BGH v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, NZG 2007, 674 = GmbHR 2007, 936; zustimmend Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 143; Gehrlein, BB 2004, 2585, 2590; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 61a; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 91. 1124 So auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 114. 1125 von Hase, NJW 2002, 2278, 2281 f.; Koch, ZIP 2005, 1621, 1626; ansatzweise auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 427; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 114. 1126 S. nur Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 29c. 1127 Goette, DStR 2000, 696; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 114. 1128 So sinngemäß auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 428. 1129 BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, GmbHR 1978, 85; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 20b. 1130 OLG München v. 22.6.2017 – 23 U 3293/16, GmbHR 2017, 1099 = ZIP 2017, 1808.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 493 § 35

ges oder gar schuldhaftes Verhalten ist keine zwingende Voraussetzung1131. Maßgeblich ist, ob objektiv aus Sicht eines verständigen Betrachters unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der weiteren Zusammenarbeit die Grundlage entzogen ist1132. Auch objektive Umstände können ausreichen (z.B. die dauernde Arbeitsunfähigkeit1133 oder der dauernde Wegfall der Geschäftsfähigkeit). Der wichtige Grund kann auch bei der Gesellschaft liegen, wie etwa der wirtschaftliche Niedergang des Unternehmens, wenn für eine echte Geschäftsführertätigkeit in dem vereinbarten Sinn kein Raum mehr ist1134. Zu würdigen sind die Gesamtumstände im Einzelfall. Vorbehaltlich der durchzuführenden Interessenabwägung (zweite Prüfungsstufe, vgl. 492 Rz. 516 ff.) sind folgende Umstände in der Regel Anlass und wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung durch die Gesellschaft: aa) Schädigung der Gesellschaft durch pflichtwidrige Geschäftsführungsentscheidungen 493 – Erschleichung von Subventionen durch Falschangaben1135. – Nichteinrichtung effektiver Compliancesysteme1136. – Überschreitung der von der Gesellschafterversammlung gesetzten Kreditlinien und Vergabe unzureichend gesicherter Kredite in erheblichem Umfang zum Schaden der Gesellschaft1137. – Gefährdung der Vermögenslage der Gesellschaft durch Abschluss außergewöhnlicher und grob nachteiliger Geschäfte, die gegenüber den Gesellschaftern/Aufsichtsrat nicht hinreichend offengelegt wurden1138. – Gewährung von „heimlichen“ Sonderzuwendungen an Mitarbeiter, für die weder ein Gesellschafterbeschluss noch eine arbeitsvertragliche Grundlage besteht1139. – Eine einmalige fahrlässige Schlechtleistung kann eine außerordentliche Kündigung in der Regel nicht begründen1140. Sie kommt allenfalls in Betracht, wenn sich darin zeigt, dass der Geschäftsführer nicht über die zur Ausübung seiner Tätigkeit selbstverständlich erforderlichen Fähigkeiten verfügt1141.

1131 BGH v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, AG 1997, 328 = DStR 1997, 1053 m. Anm. Goette; OLG München v. 22.6.2017 – 23 U 3293/16, GmbHR 2017, 1099 = ZIP 2017, 1808. 1132 OLG München v. 22.6.2017 – 23 U 3293/16, GmbHR 2017, 1099 = ZIP 2017, 1808. 1133 Vgl. BGH v. 13.5.2004 – 2 AZR 36/04, NZA 2004, 1271, 1274. 1134 BGH v. 21.4.1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761. 1135 BGH v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, GmbHR 1985, 112 = WM 1984, 1187. 1136 Der Geschäftsführer ist verpflichtet, ein effektives Kontrollsystem zur Aufdeckung von Scheinrechnungen im Unternehmen zu installieren: Thüringer OLG v. 12.8.2009 – 7 U 244/07, DStR 2010, 126. 1137 BGH v. 3.12.1973 – II ZR 85/70, WM 1974, 131. 1138 BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, NZG 2002, 46, 47 = GmbHR 2001, 1158. 1139 Dies gilt insbesondere wenn der Geschäftsführer Maßnahmen getroffen hat, den Vorgang zu verschleiern (z.B. schwarze Kassen), und absichtlich weder Steuern noch Sozialversicherungsabgaben abgeführt wurden: OLG Hamm v. 25.11.2009 – 8 U 61/09, GmbHR 2010, 477. 1140 BGH v. 22.4.1982 – VII ZR 160/81, MDR 1982, 843 = WM 1982, 797. 1141 LAG München v. 15.7.1975 – 5 Sa 392/75, DB 1975, 1756.

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§ 35 Rz. 494 | Das Anstellungsverhältnis bb) Korruption, Unterschlagung oder anderweitiger finanzieller Eigennutz 494 – Strafbare Untreue gemäß § 266 StGB zulasten der Gesellschaft.

– Schon das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung von verdeckten Kassen durch leitende Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens führt zu einem endgültigen Nachteil i.S.v. § 266 Abs. 1 StGB. Die Absicht, das Geld im wirtschaftlichen Interesse der Gesellschaft zu verwenden, beseitigt die Strafbarkeit nicht1142. – Unzulässige Zahlungen an betriebsverfassungsrechtliche Mandatsträger können als Untreue zu bewerten sein. Hierdurch entstehende Vermögensnachteile des Unternehmens werden nicht dadurch aufgewogen, dass man sich davon einen „kooperationsbereiten“ Betriebsrat verspricht; dieser ist ohnehin dem Wohle des Betriebes verpflichtet1143. – Nur wenn kollektivarbeitsrechtlich unzulässige Zahlungen eindeutige wirtschaftliche Vorteile des Unternehmens zur Folge haben, kann ein Vermögensnachteil i.S.d. § 266 StGB entfallen1144. – Der Geschäftsführer einer GmbH handelt aber auch im Falle wirtschaftlich nachteiliger und nicht mit dem Gesellschaftszweck in Einklang stehender Dispositionen objektiv dann nicht pflichtwidrig, wenn er aufgrund eines wirksamen Einverständnisses der Gesellschafter vorgeht. Das Einverständnis der Gesellschafter ist allerdings unbeachtlich, wenn es auf Willensmängeln beruht oder gesetzeswidrig oder missbräuchlich erteilt wurde. Letzteres ist der Fall, wenn unter Verstoß gegen auch Gläubigerinteressen dienenden Rechtsvorschriften die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft gefährdet wird, indem etwa die Kapitalerhaltungsregel des § 30 Abs. 1 missachtet, eine Überschuldung der Gesellschaft herbeigeführt oder vertieft oder deren Liquidität unmittelbar existenzbedrohend gefährdet wird1145. – Entnahme von finanziellen Mitteln der Gesellschaft für private Zwecke1146. – Die ungenehmigte umfangreiche Verwendung der Firmenkreditkarte zu privaten Zwecken stellt ebenso einen Grund für eine außerordentlichen Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Fremdgeschäftsführers dar wie der Umstand, dass dieser die von der GmbH verauslagten Beträge überhaupt nicht bzw. nicht zeitnah erstattet1147. – Annahme von Schmiergeldern. – Wer sich als Geschäftsführer bei der Ausführung seiner dienstlichen Tätigkeit Vorteile versprechen lässt oder entgegennimmt, die dazu bestimmt oder geeignet sind, sein geschäftliches Verhalten zugunsten Dritter oder zum Nachteil seines Arbeitgebers zu beeinflussen und damit gegen das sog. Schmiergeldverbot verstößt, handelt den Interessen seines Arbeitgebers zuwider und gibt diesem damit regelmäßig einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung1148. – Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist oder ob überhaupt der Arbeitnehmer ernsthaft beabsichtigt hat, gegen die Interessen seines Arbeitgebers zu handeln.

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BGH v. 29.8.2008 – 2 StR 587/07, NJW 2009, 89 – Siemens. BGH v. 17.9.2009 – 5 StR 521/08, NJW 2010, 92, 94 – Hartz. BGH v. 13.9.2010 – 1 StR 220/09, NJW 2011, 88, 90 – Siemens/AUB. Vgl. Thüringer OLG v. 12.1.2011 – 1 Ws 352/10, GmbHR 2011, 813 ff. BGH v. 17.10.1983 – II ZR 31/83, WM 1984, 29, 30. OLG Brandenburg v. 20.2.2007 – 6 U 22/06, GmbHR 2007, 874. BAG v. 17.8.1972 – 2 AZR 415, AP BGB § 626 Nr. 65; vgl. auch Sethe, WM 1998, 2309, 2320.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 495 § 35

– Vorzeitige (eigenmächtige) Entnahme von Tantiemen ohne notwendigen Gesellschafterbeschluss. – Ein wichtiger Grund liegt regelmäßig dann vor, wenn der Geschäftsführer, ohne vorher die Entscheidung der Gesellschafter einzuholen, sich einen im Anstellungsvertrag vereinbarten, teils bedingten, teils in das freie Ermessen der Gesellschafter gestellten Bonus eigenmächtig auszahlen lässt1149. – Abschluss von Geschäften mit Gesellschaften, an denen der Geschäftsführer oder ein naher Verwandter beteiligt ist, ohne Aufklärung der Gesellschafter1150. Richtigerweise kommt es in dieser Konstellation wegen des Vertrauensbruchs nicht darauf an, ob die Gesellschaft konkret geschädigt wurde1151. – Vermischung von Gesellschafts- und privaten Geldern, insbesondere wenn sich der Geschäftsführer weigert, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken1152. – Unerlaubte Verwendung von Material und Arbeitskräften der GmbH für Privatzwecke1153. – Vorsätzliche Falschabrechnung von Spesen. – Der finanzielle Schaden braucht nicht erheblich zu sein, da es entscheidend auf den Vertrauensverlust ankommt1154. – Dabei ist gemäß OLG Celle ein betrügerisches Vorgehen (Täuschung) nicht erforderlich; es genügt die Geltendmachung von in der Sache unbegründeten Spesenerstattungen1155. Dies wird aufgrund der Revisionsentscheidung des BGH vom 28.10.20021156 nun teilweise bezweifelt1157. Der BGH bezog sich in seiner Begründung jedoch auf die unklare Vertragslage, so dass letztlich unklar war, ob dem Geschäftsführer der Anspruch nicht sogar zustand. In Fällen klarer Vertragslage muss es aber dabei bleiben, dass das Einreichen nicht erstattbarer Spesenerstattungen auch ohne Täuschungshandlung einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen kann. Dies gilt schon deshalb, weil die für die Prüfung der Spesenabrechnung zuständigen Mitarbeiter wegen ihrer hierarchischen Unterordnung nur selten eine effektive Kontrollinstanz darstellen. Ein ungeschmälertes Vertrauen in die Redlichkeit des Geschäftsführers ist daher unverzichtbar. – Eigenmächtige Verbuchung von Spesenvorschüssen als Darlehen1158. cc) Verstoß gegen zentrale rechtliche Verpflichtungen – Schwerwiegende Verstöße des Geschäftsführers gegen Pflichten des Bürgerlichen Rechts, 495 Strafrechts, Wettbewerbsrechts, Steuerrechts oder gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften. – Zu den Kardinalspflichten eines Geschäftsführers gehört es, sich bei der Amtsführung gesetzestreu zu verhalten. Der Geschäftsführer hat demnach für die Einhaltung und Erfüllung aller Rechtsnormen bzw. Verkehrspflichten zu sorgen. 1149 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 234/91, GmbHR 1993, 33 = DStR 1993, 134; OLG Hamm v. 24.6.1994 – 25 U 149/90, GmbHR 1995, 732, 733. 1150 OLG Brandenburg v. 13.7.1999 – 6 U 286/96, NZG 2000, 143, 145. 1151 OLG Karlsruhe v. 8.7.1988 – 10 U 157/87, NJW-RR 1988, 1497 = GmbHR 1988, 484. 1152 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 244/92, DStR 1993, 1752, 1753. 1153 BGH v. 2.6.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 = DStR 1997, 1338 m. Anm. Goette; OLG Düsseldorf v. 24.2.2012 – 16 U 177/10, AG 2012, 511 ff. 1154 OLG Celle v. 27.1.2010 – 9 U 38/09, NJW-RR 2010, 299, 301 = GmbHR 2010, 365. 1155 Für die Abrechnung von privat angefallenen Benzinkosten ohne entspr. Anspruch; s. hierzu KG v. 10.11.2000 – 14 U 9587/99, NZG 2001, 325, 326 = GmbHR 2001, 925. 1156 BGH v. 28.10.2002 – II ZR 353/00, GmbHR 2003, 33, 34 f. 1157 S. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 418. 1158 OLG Köln v. 26.11.1993 – 19 U 93/93, NJW-RR 1995, 123.

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§ 35 Rz. 495 | Das Anstellungsverhältnis – Insbesondere Insidergeschäfte oder andere Verstöße gegen das WpHG können die Gesellschaft zur fristlosen Kündigung berechtigen1159. – Bildung von schwarzen Kassen unter Verletzung von Buchführungsvorschriften1160. – Verletzung der Insolvenzantragspflicht. – Schuldhafte Insolvenzverschleppung des Geschäftsführers durch Verletzung der Insolvenzantragspflicht trotz objektiv feststellbarem Eintritt einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft1161. – Die angeblich ungerechtfertigte Ankündigung oder Stellung eines Insolvenzantrages bildet nur dann einen wichtigen Grund, wenn die Gesellschaft beweisen kann, dass eindeutig kein Insolvenzgrund vorlag1162. – Strafbare oder jedenfalls regelwidrige Bevorzugung oder Benachteiligung von betriebsverfassungsrechtlichen Amtsträgern. – Das rechtswidrige Herunterladen von Software (insbesondere Hackersoftware) und die damit verbundene Gefahr eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie bei etwaigem öffentlichem Bekanntwerden des Vorgangs die Gefahr eines unternehmensschädigenden Datenskandals ist in der Regel ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB1163. dd) Verstoß gegen Bilanzierungsvorschriften 496 – Gänzliche Unterlassung oder grob unsachgemäße Buchführung und Buchführungsma-

nipulationen. – Die Verletzung von Buchführungspflichten, insbesondere die Nichteinreichung der Jahresabschlüsse beim Finanzamt, stellt in der Regel eine schwerwiegende Pflichtverletzung des hierfür verantwortlichen Geschäftsführers dar1164. – Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrages liegt auch vor, wenn der Geschäftsführer von ihm getätigte Barabhebungen mangels ordnungsgemäßer Buchführung überhaupt nicht begründen kann1165. – Fälschung von Buchungsunterlagen und Bilanzierung von „Scheinaufträgen“. – Fälschung von Abrechnungsbelegen, selbst wenn ein konkreter Vermögensschaden der GmbH nicht nachzuweisen ist1166. – Aufstellung unzutreffender Bilanzen mit überhöhten Ergebnissen. – Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses befasste Geschäftsführer einer GmbH muss entweder alle maßgeblichen Unterlagen der beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft überlassen oder aber selbst den Divergenzen in zumutbarem Umfang nachgehen, wenn er mit Bewertungsdivergenzen in den Zahlenwerken seiner Mitarbeiter konfrontiert wird. Unterlässt er beides und kommt es deswegen zum Nachteil der Gesellschaft zum Ausweis eines erheblich höheren Ergebnisses, stellt dies ein Fehlverhal-

1159 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, GmbHR 1997, 25 = NJW 1997, 130; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 43 Rz. 30 f. 1160 Vgl. BGH v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09, WM 2010, 1957, 1964 = GmbHR 2010, 1146; vgl. auch OLG Celle v. 21.12.2005 – 9 U 100/05, GmbHR 2006, 377, 379. 1161 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 236/06, GmbHR 2008, 256. 1162 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 308/05, ZIP 2007, 674, 675 unter Hinweis auf einen gewissen Beurteilungsspielraum des Geschäftsführers bei der Feststellung der Überschuldung. 1163 OLG Celle v. 27.1.2010 – 9 U 38/09, GmbHR 2010, 365. 1164 BGH v. 12.1.2009 – II ZR 27/08, NJW-RR 2009, 618, 619 = GmbHR 2009, 434. 1165 OLG Rostock v. 14.10.1998 – 6 U 234/97, GmbHR 1999, 344 = NZG 1999, 216. 1166 OLG Hamm v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119, 120.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 498 § 35

ten dar, das zur fristlosen Kündigung des Angestelltenvertrages gemäß § 626 BGB berechtigt1167. ee) Verbotene Wettbewerbstätigkeit bzw. Nebentätigkeiten – Die Ausnutzung von Erwerbschancen des Unternehmens zur Verfolgung privater Inte- 497 ressen (vgl. hierzu auch 12. Aufl., § 43 Rz. 177 ff.). – Der geschäftsführende Gesellschafter muss in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge haben. Er darf Erwerbschancen nicht für sich, sondern nur für die Gesellschaft ausnutzen und hat ihr, wenn er hiergegen verstößt, einen dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen1168. – Nutzt ein GmbH-Geschäftsführer seine Stellung dazu aus, ein vorteilhaftes Geschäft, das ihm nur mit Rücksicht auf diese Stellung angetragen wird, ohne Unterrichtung der anderen Gesellschaftsorgane für eigene Rechnung abzuschließen, so bedeutet das in der Regel einen schweren Vertrauensbruch, der die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages auch dann rechtfertigen kann, wenn das Geschäft selbst die Interessen der Gesellschaft nicht beeinträchtigt hat1169. – Der Geschäftsführer setzt auch einen Grund für seine fristlose Kündigung, wenn er eine Geschäftschance nicht nutzt, sondern diese einem anderen Unternehmen, an dessen Gewinn er beteiligt ist, in der Absicht überlässt, das Geschäft zu einem späteren Zeitpunkt zu einem unverhältnismäßig höheren Preis vorzunehmen1170. – Verletzung von Wettbewerbsverboten (vgl. auch 12. Aufl., § 43 Rz. 186 ff.). – Ob Verstöße gegen ein Wettbewerbsverbot eine fristlose Kündigung rechtfertigen können, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles, insbesondere von Umfang, Intensität und Dauer des Verstoßes ab. Verletzt der Geschäftsführer ständig und besonders massiv ein Wettbewerbsverbot und gefährdet damit die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft, ist ein wichtiger Grund anzunehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Tätigkeit in den Kernbereich der Geschäfte der Gesellschaft fällt1171. – Sonstige Nebentätigkeiten, die zu schweren Interessenkollisionen führen, können eine fristlose Kündigung ebenfalls rechtfertigen. ff) Verstoß gegen Weisungen der Gesellschafter bzw. Berichtspflichten – Nachhaltige Verweigerung von Auskünften bzw. Berichten gegenüber den zuständigen 498 Organen der Gesellschaft. – Gemäß § 51a Abs. 1 haben die Geschäftsführer jedem Gesellschafter auf Verlangen unverzüglich Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben und Einsicht in Bücher und Schriften zu gestatten1172. – Auch der Verstoß gegen Berichtspflichten (insbesondere zur finanziellen Lage der Gesellschaft) kann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 BGB darstellen. Die gilt auch dann,

1167 OLG Bremen v. 20.3.1997 – 2 U 110/96, NZA-RR 1998, 61 = GmbHR 1998, 536. 1168 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, MDR 1986, 292 = WM 1985, 1444; s. aber auch BGH v. 13.2.1995 – II ZR 225/93, GmbHR 1995, 296, 297. 1169 BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, BB 1967, 731. 1170 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, NJW-RR 1989, 1255. 1171 OLG Düsseldorf v. 24.2.2000 – 6 U 77/99, GmbHR 2000, 1050 = NZG 2000, 1135. 1172 OLG Frankfurt v. 24.11.1992 – 5 U 67/90, GmbHR 1994, 114 = NJW-RR 1994, 498.

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§ 35 Rz. 498 | Das Anstellungsverhältnis wenn der Geschäftsführer trotz entsprechender Aufforderungen keinen schriftlichen kaufmännischen Rechenschaftsbericht vorlegt, sondern nur mündlich berichtet1173. – Widersetzlichkeit gegen Weisungen der Gesellschafter. – Die Gesellschafter einer GmbH können den Geschäftsführern auch ohne satzungsmäßige Grundlage Weisungen in jeder beliebigen Angelegenheit der Geschäftsführung und mit jedem beliebigen Inhalt erteilen. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um allgemeine Richtlinien oder um Einzelfallentscheidungen handelt. – Ständige Widersetzlichkeit des Geschäftsführers gegenüber Weisungen des Bevollmächtigten des Alleingesellschafters stellt einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar1174. Auch die einmalige Nichtbefolgung einer wesentlichen Weisung kann einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen1175. – Überschreitet ein Geschäftsführer seine Befugnisse und übergeht bei wichtigen Fragen die Gesellschafterversammlung, ist ein wichtiger Grund ebenfalls anzunehmen1176. gg) Zerstörung des Vertrauens zu den Gesellschaftern 499 – Gewalttätigkeiten gegenüber Gesellschaftern oder Mitgeschäftsführern.



– – – – –

– Tätlichkeiten muss besondere Bedeutung beigemessen werden, wenn sie in den Betriebsräumen und in der Gegenwart von Betriebsangehörigen begangen werden1177. Tiefgreifendes Zerwürfnis mit einem Mitgeschäftsführer. – Sind zwei oder mehrere Geschäftsführer aufgrund eines unheilbaren Zerwürfnisses untereinander so zerstritten, dass eine Zusammenarbeit zwischen ihnen nicht mehr möglich ist, kann jeder von ihnen jedenfalls dann gekündigt werden, wenn er durch sein – nicht notwendigerweise schuldhaftes – Verhalten zu dem Zerwürfnis beigetragen hat. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass der Verursachungsanteil des gekündigten Geschäftsführers denjenigen des Mitgeschäftsführers überwiegt1178. Missachtung der Ressortzuständigkeit eines Mitgeschäftsführers1179. Ehrverletzende und verleumderische Äußerungen über einen Gesellschafter1180. Schwerwiegende Verletzung der Schweigepflicht. Grob gesellschaftsschädigende Äußerungen in der Öffentlichkeit. Verdacht schwerer Pflichtverletzungen, insbesondere strafbaren Verhaltens (s. genauer Rz. 504).

hh) Pflichtwidrige Niederlegung des Geschäftsführeramtes bzw. Vorenthaltung der Arbeitsleistung 500 – Unberechtigte Amtsniederlegung (vgl. 12. Aufl., § 38 Rz. 89).

– Die unberechtigte Niederlegung des Geschäftsführeramtes rechtfertigt regelmäßig die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages. Das gilt auch dann, wenn das VertragsKG v. 18.6.1999 – 14 U 8940/97, NZG 2000, 101, 102. OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476. BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, NJW 2019, 3718 Ls. 2 und Rz. 37. Abwägend: BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, AG 1991, 235, 236 = GmbHR 1991, 197. BGH v. 24.10.1994 – II ZR 91/94, DStR 1994, 1746 m. Anm. Goette. BGH v. 12.1.2009 – II ZR 27/08, GmbHR 2009, 434 = NZG 2009, 386; BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, GmbHR 1992, 299 = NJW-RR 1992, 993. 1179 LG Berlin v. 10.11.2003 – 95 O 139/02, GmbHR 2004, 741, 744. 1180 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZA 1998, 1005, 1007 = GmbHR 1998, 827.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 503 § 35

verhältnis ohnehin in einigen Monaten endet, die Gesellschaft sich aber auf die Fortführung der Leitungsaufgabe durch den Geschäftsführer bis zu diesem Zeitpunkt eingerichtet hat1181. – Vorenthaltung der Arbeitsleistung. – Ein Geschäftsführer kann aus einem von der GmbH zu vertretenden wichtigen Grund sein Amt niederlegen, ohne zugleich das Anstellungsverhältnis fristlos kündigen zu müssen. Verweigert er allerdings unberechtigt weitere Dienstleistungen, so liegt darin für die Gesellschaft ein wichtiger Grund zur Kündigung des Anstellungsverhältnisses1182. ii) Pflichtverstöße bei der Führung und im Umgang mit Mitarbeitern – Sexuelle Belästigung von Mitarbeitern1183. 501 – Unterbliebenes Einschreiten gegen sexuelle Belästigungen durch Mitarbeiter oder Mitgeschäftsführer. – Zu den Pflichten der Führungskräfte eines Unternehmens gehört es nicht nur, selbst Belästigungen gegenüber Mitarbeitern zu unterlassen, sondern auch, derartige Belästigungen von den Angestellten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit fernzuhalten und, soweit dies im Einflussbereich des Geschäftsführers liegt, aktiv dagegen einzuschreiten und entsprechenden Beschwerden nachzugehen1184. jj) Schädigendes außerdienstliches Verhalten – Außerdienstliches strafbares Verhalten1185. 502 – Trunkenheit am Steuer oder ähnliche erhebliche Verfehlungen. – Derartige Vorkommnisse lassen auf schwerwiegende Zuverlässigkeitsmängel schließen. Sonstiges einmaliges fahrlässiges Fehlverhalten kann eine außerordentliche Kündigung nur ausnahmsweise begründen1186. d) Nicht ausreichende Gründe für die Kündigung – Betriebsbedingte Gründe. 503 – Dringende betriebliche Gründe, zu denen der Fortfall eines Arbeitsplatzes aufgrund einer Betriebsstilllegung gehört, rechtfertigen in aller Regel nur eine ordentliche Kündigung. – Druck eines Geschäftspartners der Gesellschaft1187. – Private Nutzung des dienstlichen Mobiltelefons ohne ausdrückliches Verbot1188.

BGH v. 19.6.1995 – II ZR 228/94, DStR 1995, 1359. BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435. OLG Frankfurt v. 27.5.2008 – 5 U 233/04, GmbHR 2009, 488, 489. OLG Hamm v. 1.3.2007 – 27 U 137/06, GmbHR 2007, 823. BGH, WM 1956, 867, 868. BGH v. 22.4.1982 – VII ZR 160/81, NJW 1982, 1708, 1709. Goette, DStR 1999, 1537 f.; im Fall BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, NZG 2007, 189 = AG 2007, 125 ging es demgegenüber allein um die Abberufung eines AG-Vorstandes aus der Organstellung (auf Druck der Hausbank und nach Stellung des Insolvenzantrags). 1188 LAG Rheinland-Pfalz v. 23.10.2008 – 10 Sa 787/05, juris.

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§ 35 Rz. 503 | Das Anstellungsverhältnis – Kurzfristige Überschreitung des Erholungsurlaubs1189. – Fachliche Leistungsmängel1190, soweit sie nicht zur Unzumutbarkeit der Zusammenarbeit führen sowie lang anhaltende Erkrankung des Geschäftsführers1191. – Abschluss eines Scheinvertrages und Kompetenzüberschreitung1192. – Gefahr der Insolvenz bzw. Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft1193. Eine so genannte Druckkündigung ist grundsätzlich ausgeschlossen, weil es in der Regel ausreichend ist, den Geschäftsführer abzuberufen. Allenfalls in Ausnahmesituationen kann darüber hinaus eine Kündigung des Anstellungsvertrages erforderlich sein1194. e) Besonderheiten der Verdachtskündigung 504 Während dem Kündigungsberechtigten im Fall einer sog. Tatkündigung die volle Darlegungs-

und Beweislast für das Vorliegen der geltend gemachten Kündigungsgründe obliegt1195, gelten für die Verdachtskündigung besondere Regeln. Hier genügt der Nachweis, dass (i) aufgrund objektiver Tatsachen der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht und (ii) hierdurch das zur Fortsetzung der Zusammenarbeit erforderliche Vertrauen unwiderruflich zerstört worden ist1196. Zusätzlich muss die Gesellschaft nachweisen, dass sie alles Zumutbare unternommen hat, um den Sachverhalt vollständig aufzuklären; hierzu gehört zwingend die Anhörung des in Verdacht geratenen Geschäftsführers, die eine Wirksamkeitsvoraussetzung jeder Verdachtskündigung darstellt1197. Das Erfordernis der Anhörung gilt auch für Geschäftsführer, da es sich hierbei nicht um eine Anforderung handelt, die spezifisch auf Arbeitsverhältnisse zugeschnitten ist1198. Der Ausspruch einer Verdachtskündigung schließt es nicht aus, die Kündigung im Prozess auch auf die erwiesene Pflichtverletzung zu stützen1199. In Fällen, in denen die Gesellschaft nicht sicher sein kann, ob ihr der lückenlose Beweis der Pflichtverletzung gelingt, dürfte es häufig sinnvoll sein, die Kündigung zumindest auch als Verdachtskündigung auszusprechen und eine hierfür zwingende Anhörung des Geschäftsführers durchzuführen. Auch ein späteres Nachschieben (vgl. hierzu Rz. 525 ff.) des Tatverdachts als Kün-

1189 S. OLG Hamburg v. 12.7.1990 – 10 U 15/90, AG 1991, 242; s. aber auch BGH v. 26.6.1995 – II ZR 122/94, AG 1995, 464, 466. 1190 BGH v. 18.6.1984 – II ZR 221/83, WM 1984, 1120, 1121 = GmbHR 1985, 86. 1191 Vgl. OLG Zweibrücken v. 5.6.2003 – 4 U 117/02, GmbHR 2003, 1206, 1207. 1192 BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, GmbHR 2013, 645 = NJW 2013, 2425. 1193 OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423 f.; s. auch OLG Stuttgart v. 18.9.1981 – 2 U 27/81 u. 64/81, 2 U 27/81, 2 U 64/81, ZIP 1981, 1336, 1337. 1194 Goette, DStR 1999, 1537, 1538; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 420 mit Hinweisen auf einschlägige Rechtsprechung in Fn. 997. 1195 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 438 m.w.N. 1196 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, NZA 1996, 81, 83; BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, NZA 1995, 269, 271; BAG v. 10.2.2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1056, 1057 f.; Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 173 ff.; Fischermeier in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 225; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 426. 1197 BAG v. 10.2.2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1056, 1058; BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 424/01, NZA 2003, 991 (Leitsatz 1); BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 496/00, NZA 2002, 847, 849; vgl. auch Rüppel/Hoffmann, BB 2016, 645, 650 m.w.N. 1198 Lunk, ZIP 1999, 1777, 1781; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 94; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 426. 1199 BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 496/00, NZA 2002, 847, 850.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 507 § 35

digungsgrund ist möglich; auch hierfür ist jedoch erforderlich, dass der Geschäftsführer vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit zur Stellungnahme hatte1200. f) Gründe für die Kündigung durch den Geschäftsführer Sofern der Dienstvertrag mit dem Geschäftsführer die Möglichkeit einer ordentlichen Kün- 505 digung vorsieht, ist diese jederzeit im Rahmen der vertraglichen Abmachungen möglich, ohne dass hierfür besondere Gründe geltend gemacht werden müssen. Bei Verträgen mit langer Kündigungsfrist bzw. eingeschränkten Kündigungsmöglichkeiten (Beispiel: ordentliche Kündigung ist lediglich mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende, frühestens jedoch nach einer Vertragsdauer von zwei Jahren zulässig) bzw. bei fest für eine Vertragsperiode abgeschlossenen Verträgen stellt sich in der Praxis regelmäßig die Frage, ob dem Geschäftsführer in bestimmten Konstellationen ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zusteht. Dies setzt nach § 626 Abs. 1 BGB ebenso wie bei einer außerordentlichen Kündigung seitens der Gesellschaft einen „wichtigen Grund“ voraus. Des weiteren muss es dem Geschäftsführer unzumutbar sein, den Vertrag bis zum vereinbarten Vertragende oder bis zur ersten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit fortzusetzen. Je weiter entfernt die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung zeitlich liegt, desto eher kann von einer Unzumutbarkeit ausgegangen werden1201. aa) Vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft Ein wichtiger Grund für die Geschäftsführerkündigung ist in aller Regel gegeben, wenn die 506 Gesellschaft ihrerseits in substantieller Weise gegen ihre Verpflichtungen verstößt, sofern dies zu Belastungen für den Geschäftsführer führt, die diesem nicht zuzumuten sind. Soweit der Gesellschaft ein vertragswidriges Verhalten nachgewiesen werden kann, macht sie sich gemäß § 628 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig, sofern die (berechtigte) Kündigung des Geschäftsführers darauf beruht. Allerdings erweist sich diese Sanktion häufig als „stumpfes Schwert“. Sobald es nämlich dem Geschäftsführer gelingt, eine andere – ähnlich oder besser vergütete – Position zu finden, laufen die nunmehr erzielten Vergütungen gegen seinen Schadensersatzanspruch1202. Eine außerordentliche Kündigung wegen vertragswidrigen Verhaltens der Gesellschaft kann 507 insbesondere in folgenden Konstellationen vorliegen: – Vertragswidrig unterlassene Bestellung zum Geschäftsführer1203, ohne dass der Betreffende hierfür schuldhaft Anlass geboten hat. – Abberufung des Geschäftsführers, ohne dass dem ein schuldhaftes Verhalten des Geschäftsführers zugrunde lag1204. In diesen Fällen liegt allerdings nach der Rechtsprechung des BGH1205 kein vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft vor, so dass zwar ein Recht

1200 Fischermeier in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 231. 1201 OLG Jena v. 1.12.1998 – 5 U 1501/97, NZG 1999, 1069, 1070; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 425. 1202 Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 628 BGB Rz. 41 m.w.N. 1203 BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, NZG 2002, 1177, 1178 = GmbHR 2003, 105. 1204 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 58; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 120; mit Einschränkung auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 421; a.A. Röhrborn, BB 2014, 1978, 1978 f.; offen gelassen von BGH v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, GmbHR 2003, 100, 101; offen gelassen auch durch OLG Karlsruhe v. 22.3.2003 – 14 U 46/01, GmbHR 2003, 771, 772 = NZG 2003, 480, 481. 1205 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, NZG 2012, 502, 503 Rz. 15; Bauer/Diller/Krets, DB 2003, 2687; Haase, GmbHR 2003, 102; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 140; Beurskens in Baum-

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§ 35 Rz. 507 | Das Anstellungsverhältnis

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zur außerordentlichen Kündigung bestehen könne, ein Schadensersatzanspruch gemäß § 628 Abs. 2 BGB jedoch aufgrund der jederzeit zulässigen Abberufung ausscheide. Ungerechtfertigte außerordentliche Kündigung durch die Gesellschaft1206. Vorenthaltung der Dienstbezüge, sofern dies in nicht nur geringem Umfang und beharrlich geschieht1207. Vertragswidrige Reduzierung der Zuständigkeiten und Befugnisse des Geschäftsführers, jedenfalls soweit Kernbereiche betroffen sind, soweit dem keine Gründe im Verhalten oder in der Person des Geschäftsführers zugrunde liegen1208. Verhinderung des Zugangs zu wichtigen Buchungsunterlagen oder anderen Informationen, die für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung unerlässlich sind1209. Äußerungen der Gesellschafter oder diesen zuzurechnender Dritter über den Geschäftsführer und dessen Leistungen in der Öffentlichkeit, die dessen Ruf zu schädigen geeignet sind (soweit sie nicht erkennbar scherzhaft gemeint sind1210). Beharrliche Erteilung von gesetzes- oder sittenwidrigen Weisungen, soweit die Interessen des Geschäftsführers nicht hinreichend dadurch gewahrt werden, dass er deren Befolgung verweigert1211. Weigerung der Gesellschafter, die für eine Sanierung der Gesellschaft notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, insb. wenn hierdurch die Gefahr einer persönlichen Haftung des Geschäftsführers entsteht1212.

bb) Verlust der Amtsstellung bzw. Bedeutungsverlust bei Umwandlungen 508 Im Rahmen von Umwandlungen kann der Fall eintreten, dass Geschäftsführer ihre Amtsstel-

lung verlieren. Dies ist bei Verschmelzungen (§§ 2 ff. UmwG) im Hinblick auf die Geschäftsführer des übertragenden Rechtsträgers der Fall1213. In dieser Konstellation geht zwar der Dienstvertrag auf den übernehmenden Rechtsträger über (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG)1214. Die Organstellung beim untergehenden Rechtsträger wandelt sich hingegen nicht automatisch in eine solche beim aufnehmenden Rechtsträger um. Bestellen die Gesellschafter des aufnehmenden Rechtsträgers das betreffende Organmitglied unverzüglich zum Geschäftsführer des aufnehmenden Rechtsträgers bzw. bieten sie dies an, wird in aller Regel kein wichtiger

1206 1207 1208 1209 1210 1211 1212 1213 1214

bach/Hueck, § 38 Rz. 153; Preis in Staudinger, Neubearbeitung 2016, § 628 BGB Rz. 38a; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 628 BGB Rz. 71. BGH v. 1.12.1993 – VIII ZR 129/92, NJW 1994, 443, 444 (Entscheidung betrifft Kündigung eines Reinigungsvertrages). BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, NZG 2002, 1177, 1180 = GmbHR 2003, 105; BGH v. 19.10.1987 – II ZR 97/87, GmbHR 1988, 100 = NJW-RR 1988, 352. OLG Karlsruhe v. 23.3.2011 – 7 U 81/10, GmbHR 2011, 535; bestätigt durch BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, GmbHR 2012, 638, 639 ff.; OLG Frankfurt v. 17.12.1992 – 26 U 54/92, GmbHR 1993, 288, 289; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 421. BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639, 1640 m. zust. Anm. Goette (S. 1641 f.) = GmbHR 1995, 653. BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639, 1640 = GmbHR 1995, 653. Ähnlich Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 58; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 120. BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435, 1436; BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, NJW 1980, 2415, 2416 = GmbHR 1980, 270; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 421. Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1, 3. Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1, 3 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 GmbHG Rz. 292; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1344.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 511 § 35

Grund für eine außerordentliche Kündigung durch den Geschäftsführer vorliegen1215. Eine Ausnahme könnte allenfalls gelten, wenn sich durch die angebotene Organstellung der maßgebliche Aufgaben- und Verantwortungskreis tiefgreifend ändert und dies dem Geschäftsführer nicht zumutbar wäre (z.B. Änderung des Unternehmensgegenstandes bzw. der Branche; substantielle Vergrößerung des Verantwortungsbereichs ohne zusätzliches Gehalt bzw. Vergütungschancen zum Risikoausgleich). Unterbleibt hingegen eine Bestellung zum Geschäftsführer im aufnehmenden Rechtsträger und wird der ehemalige Geschäftsführer entweder freigestellt oder wird ihm lediglich eine Tätigkeit als leitender Angestellter angeboten, löst dies in aller Regel ein außerordentliches Kündigungsrecht des Betroffenen aus1216, es sei denn, dass in der zweiten Konstellation ohnehin ein Recht der Gesellschaft vertraglich vorbehalten war, die Person unterhalb der Geschäftsführungsebene zu beschäftigen, was eine eher seltene Ausnahme darstellt1217. Bei der Verschmelzung kommt ausnahmsweise auch ein außerordentliches Kündigungsrecht 509 der Geschäftsführer beim aufnehmenden Rechtsträger in Betracht. Diese behalten zwar ihre Organstellung und der Anstellungsvertrag besteht unverändert fort. Auch auf sie bezogen kann jedoch eine Unzumutbarkeit eintreten (ebenfalls bei Änderung des Unternehmensgegenstandes bzw. der Branche; substantielle Vergrößerung des Verantwortungsbereichs ohne zusätzliches Gehalt bzw. Vergütungschancen zum Risikoausgleich). Auch ein Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) kann – bei Fortbestand des Dienstvertrages – zum 510 Verlust der Organstellung führen, z.B. bei der Umwandlung einer GmbH in eine AG. Der bisherige Geschäftsführer müsste in diesem Fall ggfls. durch gesonderten Akt zum Vorstand der Gesellschaft bestellt werden. Wird ihm dies angeboten, wird für eine außerordentliche Kündigung des Dienstvertrages seitens des bisherigen Geschäftsführers kein Raum sein1218. Umgekehrt verhält es sich bei der Umwandlung einer AG in eine GmbH1219. Die Stellung als Geschäftsführer ist der eines Vorstands nicht gleichwertig, so dass eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt, es sei denn, dass dem Geschäftsführer schuldrechtlich oder durch die Satzung eine vorstandsähnliche Stellung eingeräumt wird. Bei der Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG) verlieren die Geschäftsführer des übertragenden 511 Rechtsträgers ebenfalls ihre Organstellung, so dass insofern die Auswirkungen für die Verschmelzung entsprechend gelten. Bei der Abspaltung oder Ausgliederung (§ 123 Abs. 2 und Abs. 3 UmwG) bleiben die Geschäftsführer des übertragenden Rechtsträgers hingegen im Amt, da die Gesellschaft, deren Organ sie sind, nicht untergeht. Hier kann allerdings der Fall eintreten, dass durch die Spaltung ein erheblicher Bedeutungsverlust für den Geschäftsführer eintritt (Beispiel: das operative Geschäft wird komplett abgespalten, ohne dass die Geschäftsführer die Zuständigkeit hierfür behalten, z.B. weil der übernehmende Rechtsträger veräußert wird). In diesen Fällen besteht in aller Regel ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1

1215 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b. 1216 Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 17 Rz. 12 f.; Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b; Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1, 8; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1347. 1217 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b; Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, 2002, § 17 Rz. 14; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1347. 1218 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b. 1219 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b hält die Zumutbarkeit auch in dieser Konstellation für gegeben.

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§ 35 Rz. 511 | Das Anstellungsverhältnis BGB, insb. wenn der Geschäftsführer ansonsten noch beträchtliche Zeit an den Dienstvertrag gebunden wäre, ohne ansatzweise vergleichbare Tätigkeiten fortführen zu können. 512 Dass der Geschäftsführer an der Umwandlung mitwirkt und diese mit vorbereitet, beseitigt

das Recht zur außerordentlichen Kündigung inbesondere dann nicht, wenn er insofern auf Weisung der Gesellschafter gehandelt hat. Das Kündigungsrecht ist auch dann nicht von vorneherein ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer die Umwandlung selbst vorgeschlagen hat oder wenn er aus freien Stücken an ihr mitwirkt, weil sie im besten Interesse der Gesellschaft liegt. In diesen Fällen wird man den Geschäftsführer allerdings für verpflichtet halten müssen, die Inanspruchnahme seines Kündigungsrechts anzukündigen, damit sich die Gesellschafter auf diese Situation einstellen und durch entsprechende Gestaltungen dazu beitragen können, den Geschäftsführer einzubinden (z.B. durch eine Aufbesserung der Vergütung). Ansonsten wäre die Kündigung treuwidrig und daher unwirksam. 513 Außerordentliche Kündigungen wegen des Amtsverlustes oder wegen unzumutbarer Auswir-

kungen auf die Tätigkeit aufgrund von Umwandlungen ziehen allerdings regelmäßig keine Schadensersatzansprüche des Geschäftsführers gemäß § 628 Abs. 2 BGB nach sich. Die Durchführung einer gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung, die nachvollziehbaren Zwecken im Interesse der Gesellschaft dient, stellt kein vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft i.S.v. § 628 Abs. 2 BGB dar1220. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn der alleinige Zweck einer Umwandlung darin bestünde, dem Geschäftsführer die bisherige Tätigkeit und seine Stellung zu entziehen. 514 Angesichts der Vielfältigkeit der Konstellationen im Umfeld von Umwandlungen ist drin-

gend zu empfehlen, bereits im Vorfeld Überlegungen über den Bedarf an Führungskräften nach Vollzug der Umwandlung anzustellen und Einvernehmen mit den bisherigen Geschäftsführern über die weitere Zusammenarbeit herzustellen. Insbesondere kommt in Betracht, das Recht zur außerordentlichen Kündigung auszuschließen und – aufschiebend bedingt – Vereinbarungen über den zukünftigen Einsatz und die materiellen Bedingungen zu treffen1221. g) Vereinbarung wichtiger Gründe 515 Das Recht zur außerordentlichen Kündigung darf nicht vertraglich eingeschränkt werden.

Im Vertrag dürfen daher die Gründe, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, nicht abschließend festgelegt werden1222. Zur Erhöhung der Rechtssicherheit können die Vertragsparteien allerdings beispielhaft Ereignisse bzw. Verhaltensweisen nennen, die als „wichtiger Grund“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB gelten sollen. Damit dokumentieren die Parteien, welche Gesichtspunkte ihnen in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind, was bei der Bewertung bestimmter Sachverhalte mit zu berücksichtigen ist (Auslegungshilfe). Soweit die von den Parteien angeführten Kündigungsgründe grundsätzlich geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, kann bei deren Vorliegen eine zusätzliche Interessenabwägung unterbleiben; die Kündigung ist dann ohne weiteres gerechtfertigt i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB1223. Soweit allerdings Gründe definiert werden, die nach der Rechtspre-

1220 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24 a.E.; Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159a. 1221 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 160. 1222 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 423 f. m.w.N. 1223 BAG v. 7.7.1988 – I ZR 78/87, NJW-RR 1988, 1381, 1382; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 423; so wohl auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 128.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 519 § 35

chung gerade keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen (z.B. Entzug des Vertrauens oder Abberufung), müssen zum Schutz des Geschäftsführers, für den § 622 BGB Anwendung findet (vgl. Rz. 472 f.), die Kündigungsfristen gemäß dieser Vorschrift eingehalten werden1224. Soweit die Vereinbarung dies nicht vorsieht, ist sie nichtig. In der Sache handelt es sich damit um die Vereinbarung eines ausnahmsweise gegebenen ordentlichen Kündigungsrechts. h) Interessenabwägung Zusätzlich zum „wichtigen Grund“ setzt eine wirksame außerordentliche Kündigung gemäß 516 § 626 Abs. 1 BGB voraus, dass sich als Ergebnis einer Interessenabwägung ergibt, dass der kündigenden Partei der Fortbestand des Dienstvertrages bis zur nächstmöglichen ordentlichen Beendigungsmöglichkeit nicht mehr zuzumuten ist. Da es sich hierbei um eine Einzelfallbetrachtung handelt, besteht nicht die Möglichkeit der abschließenden Festlegung aller relevanten Kriterien1225. Nach der h.M. ist bei der Interessenabwägung ein objektiver Maßstab anzulegen1226; die dabei anzustellenden Bewertungen werden jedoch zwangsläufig von einer gewissen Subjektivität geprägt sein. Entsprechend zurückhaltend sollte auf dieser Prüfungsebene verfahren werden: im Zweifel sollte bei Vorliegen wichtiger Gründe das Kündigungsrecht nicht ausgeschlossen sein. Insbesondere sind bei einer Kündigung durch die Gesellschaft die Folgen für den Geschäfts- 517 führer zu bedenken (insb. Verlust von Besitzständen, z.B. einer Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung, weil noch keine Unverfallbarkeit gegeben ist). Auch die Dauer der beanstandungsfreien Zusammenarbeit kann relevant sein1227, wenngleich diese bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen nicht den Ausschlag geben kann. Schließlich ist zu berücksichtigen, wenn auch die kündigende Partei Pflichtverstöße begangen1228 oder in anderer Weise den Kündigungssachverhalt mit verursacht hat. Auch die Dauer bis zur nächsten Möglichkeit einer ordentlichen Vertragsbeendigung ist 518 bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (s. schon Rz. 505 a.E.). Hingegen kann die Gesellschaft generell nicht darauf verwiesen werden, dass sie den Geschäftsführer nach § 38 Abs. 1 jederzeit abberufen könne1229, wodurch zukünftiger Schaden bereits vermieden werde. Der Fortbestand des Dienstvertrages und die damit einhergehenden Vergütungsansprüche stellen eine häufig substantielle finanzielle Belastung der Gesellschaft dar, die ihr bei Vorliegen wichtiger Gründe nur in Ausnahmefällen auferlegt werden darf. i) Frist, Fristbeginn, Kenntnis Die Kündigung aus wichtigem Grund kann nur innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis 519 des für die außerordentliche Kündigung tragenden Sachverhalts ausgesprochen werden, § 626 Abs. 2 BGB1230. Es handelt sich um eine materiellrechtliche Ausschlussfrist1231, die für Kündigungen beider Seiten gilt, also auch für diejenige des Geschäftsführers. Handelt es sich bei dem Kündigungsgrund um ein pflichtwidriges Dauerverhalten, so beginnt die Aus-

1224 1225 1226 1227 1228 1229 1230 1231

Vgl. BGH v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, ZIP 1981, 858. BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1231. S. nur Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 110 m.w.N. BGH v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, WM 1956, 631. BGH v. 18.12.2000 – II ZR 171/99, DStR 2001, 1312. Zutreffend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 425. S. beispielhaft BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, GmbHR 1998, 827, 828. BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103; BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 852/98, NZA 2000, 381, 383.

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§ 35 Rz. 519 | Das Anstellungsverhältnis schlussfrist nicht vor Beendigung dieses Dauerverhaltens zu laufen1232. Werden verschiedene Pflichtverstöße moniert, die nicht in einem inneren Zusammenhang stehen, ist die Frist im Hinblick auf jeden Einzelverstoß einzuhalten1233. Im Hinblick auf § 626 Abs. 2 BGB verwirkte Kündigungssachverhalte können im Rahmen der Gesamtabwägung Berücksichtigung finden; dies setzt allerdings voraus, dass ein nicht verfristeter Kündigungssachverhalt verbleibt, der mit den verfristeten Sachverhalten in einem inneren Zusammenhang steht, so dass man von einem „letzten Glied in einer Kette von Verhaltensweisen“ sprechen kann, die sich „zu einem Gesamtverhalten zusammenfassen lassen“1234. 520 Häufig entsteht Streit darüber, wann von einer hinreichend umfassenden Kenntnis von dem

Kündigungssachverhalt auszugehen ist. Entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem der Kündigungsberechtigte Kenntnis des maßgeblichen Sachverhalts erhalten hat, auf dessen Grundlage eine Entscheidung möglich ist, ob er die Fortsetzung des Dienstvertrages noch für zumutbar ansieht1235. Die Zweiwochenfrist beginnt nicht zu laufen, solange der Kündigungsberechtigte sich nach pflichtgemäßem Ermessen noch für berechtigt halten darf, den Sachverhalt weiter aufzuklären1236. Hierzu gehören nicht nur belastende Tatsachen sondern auch solche, die den Geschäftsführer entlasten1237. Die Sachverhaltsaufklärung hat mit der gebotenen (nicht hektischen) Eile1238 zu erfolgen. Sofern eine Anhörung des Geschäftsführers, die mit Ausnahme der Verdachtskündigung (s. Rz. 504) nicht Wirksamkeitsvoraussetzung ist, geboten erscheint, muss auch diese zügig herbeigeführt werden; in der Regel soll sie spätestens nach einer Woche seit Bekanntwerden des Sachverhalts erfolgen1239. Wurden vorstehende Regeln eingehalten, kommt es für die Einhaltung der Zweiwochenfrist nicht darauf an, ob die Anhörung des Geschäftsführers oder ob andere Sachverhaltsaufklärungen tatsächlich weitere Erkenntnisse erbracht haben1240. Entscheidend ist vielmehr eine ex ante Betrachtung, ob zusätzliche Aufklärungsmaßnahmen als geeignet erscheinen konnten, um den Sachverhalt hinreichend umfassend abzusichern. Bei komplexen Sachverhalten können auch Ermittlungen von zweimonatiger Dauer im Einzelfall gerechtfertigt sein1241. 521 Ausschlaggebend für den Fristbeginn ist die Kenntnis des „Kündigungsberechtigten“; dies ist

bei der GmbH in der Regel die Gesellschafterversammlung, soweit nicht ein mitbestimmter Aufsichtsrat oder qua Satzung ein fakultativer Aufsichtsrat/Beirat zuständig ist (vgl. hierzu Rz. 457). Da es sich hierbei um Kollegialorgane handelt, die ihren Willen durch Beschluss fassen, ist für die Wissenszurechnung die Kenntnis der Organmitglieder in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende an der kollektiven Entscheidungsfindung maßgebend (Kollektivwissen des für die Kündigung zuständigen Organs). Im Hinblick hierauf stellt die inzwischen gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung auf den Zeitpunkt ab, zu dem dem Gremium im

1232 BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, GmbHR 2005, 1049; vgl. Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 212. 1233 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 360/99, DStR 2001, 861, 862. 1234 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 360/99, DStR 2001, 861, Leitsatz 1, und 862. 1235 Vgl. hierzu etwa BAG v. 26.2.1996 – II ZR 114/95, NJW 1996, 1403, 1404 = GmbHR 1996, 452; BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744, 746; BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103. 1236 BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744, 746; BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103; OLG Hamm v. 25.11.2009 – 8 U 61/09, GmbHR 2010, 477, 481. 1237 BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103. 1238 BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 46/05, NZA 2006, 1211, 1214; BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409, 411; Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 210. 1239 BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103; BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 46/05, NZA 2006, 1211, 1213 f.; Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 211. 1240 BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103. 1241 BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744, 746 ff.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 524 § 35

Rahmen einer ordnungsgemäßen Sitzung der maßgebliche Sachverhalt unterbreitet wird1242. Die Kenntnis des Vorsitzenden des Gremiums oder eines einzelnen Mitglieds genügt nicht1243. Allerdings ist der Vorsitzende des Gremiums verpflichtet, zügig nach Kenntniserlangung von 522 einem kündigungsrelevanten Verhalten eine Sitzung des Gremiums einzuberufen1244. Sehen die Satzung oder die Geschäftsordnung hierfür lange Fristen vor, muss notfalls eine außerordentliche Sitzung einberufen werden1245. Ggfls. genügt auch eine schriftliche Information und Abstimmung im schriftlichen Verfahren oder durch telefonische Stimmabgabe, soweit vorgesehen. Wurde eine Beschlussfassung nicht mit der gebotenen Beschleunigung herbeigeführt, muss sich die Gesellschaft im Hinblick auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB so behandeln lassen, als ob diese rechtzeitig stattgefunden hätte. Die Frist gilt dann ab diesem Zeitpunkt zu laufen1246. Auf der Basis der Rechtsprechung des OLG München1247 wird als Faustregel („2 + 2 Regel“1248) eine höchstens zweiwöchige Frist zwischen Kenntniserlangung durch den Vorsitzenden und der Einberufung der Sitzung zur Beschlussfassung vorgeschlagen. In Fällen, in denen die Einberufung einer Sitzung des Gremiums keine besonderen Schwierigkeiten verursacht, ist dies ein hilfreicher Anhaltspunkt für die Praxis. Dieser Zeitraum ist allerdings in besonders gelagerten Fällen (z.B. Aufenthalt der Mitglieder im entfernten Ausland, ggfls. in unterschiedlichen Zeitzonen, schwere Erreichbarkeit, erschwerte Satzungsvoraussetzungen für außerordentliche Sitzungen etc.) angemessen zu verlängern. Weigert sich der (einzige) Geschäftsführer, die Gesellschafterversammlung gemäß § 49 Abs. 1 einzuberufen, müssen die Gesellschafter von ihrem Recht gemäß § 50 Abs. 3 Gebrauch machen (sog. Selbsthilferecht; s. 12. Aufl., § 50 Rz. 21 ff.)1249. Wird dem Geschäftsführer auf dessen Wunsch eine angemessene Bedenkzeit zur Prüfung 523 einer ihm angebotenen einvernehmlichen Trennung eingeräumt, kann es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sich der Geschäftsführer wegen der hierdurch eingetretenen Verzögerung auf § 626 Abs. 2 BGB beruft, sofern die Kündigung unverzüglich nach Ablauf der Bedenkzeit ausgesprochen wurde1250. Die Gesellschaft trägt die Beweislast, dass die Zwei-Wochen-Frist eingehalten wurde und 524 demzufolge die Beweislast dafür, dass erst zu einem bestimmten Zeitpunkt sichere und umfassende Kenntnis bestand und dass die Aufklärung mit der notwendigen Eile betrieben wurde1251.

1242 BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, GmbHR 2005, 1049, 1050; BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 f. = GmbHR 2013, 645, 646; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 432; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 64; zum Ganzen: Stein, ZGR 1999, 264 ff. 1243 BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, DStR 2001, 2166 = GmbHR 2001, 1158; s. auch schon BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, 635 = GmbHR 1998, 827. 1244 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, 635 = GmbHR 1998, 827. 1245 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, 635 = GmbHR 1998, 827; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 433. 1246 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, Leitsatz 2, und 635 = GmbHR 1998, 827; BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 f. = GmbHR 2013, 645, 646 Rz. 14. 1247 OLG München v. 25.3.2009 – 7 U 4835/08, NZG 2009, 665, 667 = GmbHR 2009, 937; OLG München v. 14.7.2005 – 6 U 5444/04, ZIP 2005, 1781, 1784, wonach ein Zeitraum von 2,5 Monaten deutlich zu lang gewesen sein soll. 1248 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 433. 1249 S. zu den Einzelheiten BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, 635 = GmbHR 1998, 827; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 435. 1250 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 131/73, NJW 1975, 1698, 1699. 1251 BAG v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, NZA 1985, 559; BGH v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, GmbHR 1985, 112; BGH v. 2.6.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 = DStR 1997, 1338 ff. m. Anm. Goette;

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§ 35 Rz. 525 | Das Anstellungsverhältnis j) Nachschieben von Kündigungsgründen 525 Werden dem Kündigungsberechtigten kündigungsrechtlich relevante Sachverhalte erst nach

Ausspruch der Kündigung bekannt, kann die Gesellschaft im Rahmen eines über die Kündigung geführten Rechtsstreits berechtigt sein, die sich daraus ergebenden zusätzlichen Kündigungsgründe nachzuschieben. 526 Umstände, die erst nach der Kündigungserklärung eingetreten sind (also z.B. weitere

Pflichtverletzungen des Geschäftsführers nach Ausspruch der Kündigung) können nicht nachgeschoben werden, sondern rechtfertigen allenfalls eine erneute außerordentliche Kündigung1252. Allenfalls ist denkbar, dass derlei zeitlich nach der Kündigung liegende Umstände im Rahmen einer Gesamtbetrachtung den Gründen für die bereits ausgesprochene Kündigung größeres Gewicht verleihen. 527 Umstände, die vor der Kündigungserklärung eingetreten sind, können prinzipiell nachge-

schoben werden, um die bereits ausgesprochene Kündigung (zusätzlich) zu rechtfertigen1253. Allerdings ist auch insofern § 626 Abs. 2 BGB zu beachten. Der Kündigende darf von diesen Umständen nicht früher als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt haben1254. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem ursprünglichen und dem nachgeschobenen Kündigungsgrund ist nicht erforderlich1255. Sofern kein sachlicher Zusammenhang besteht, soll allerdings ein neuer Gesellschafterbeschluss als Grundlage für das Nachschieben der Kündigungsgründe erforderlich sein1256, da ansonsten der Fall eintreten kann, dass sich eine Kündigung nur aus Gründen als wirksam erweist, über die sich die Gesellschafterversammlung keine eigene Meinung gebildet hat. Sofern die Gesellschaft allerdings eine erneute vorsorgliche Kündigung im Hinblick auf die nachgeschobenen Gründe ausgesprochen hat1257, ist darin auch die Zustimmung zum Nachschieben dieser Grunde zu sehen1258. 528 Sind die nachgeschobenen Kündigungsgründe verfristet, können sie allenfalls im Rahmen

der erforderlichen Gesamtabwägung zu berücksichtigen sein. Dies ist insbesondere dann zulässig, wenn die einzelnen Vorgänge in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen1259.

1252 1253 1254 1255 1256

1257

1258 1259

BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, GmbHR 1994, 629; BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744, 746. BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, GmbHR 2004, 182, 184; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 442; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 129; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 38 Rz. 127. BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, NJW 2004, 1528, 1529 = GmbHR 2004, 182. BGH v. 11.7.1978 – VI ZR 266/76, WM 1978, 1123, 1127; BGH v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, GmbHR 1992, 38. BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, GmbHR 2004, 182, 184; BAG v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, NJW-RR 1992, 292, 294 = GmbHR 1992, 38. BGH v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, NJW 1973, 1122, 1123; BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, NJW 2004, 1528, 1529 = GmbHR 2004, 182; OLG Köln v. 6.12.1999 – 16 U 94/98, GmbHR 2000, 432, 433; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 442; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 127. So die Empfehlung von Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 127. Eine solche vorsorgliche Kündigung steht jedenfalls dem Nachschieben derselben Gründe im Hinblick auf eine bereits ausgesprochene Kündigung nicht entgegen; so ausdrücklich BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/ 02, NJW 2004, 1528, 1529 = GmbHR 2004, 182. BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, NJW 2004, 1528, 1529 = GmbHR 2004, 182. BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, GmbHR 2001, 1158, 1159 f.; BGH v. 9.3.1992 – II ZR 102/91, NJW-RR 1992, 992, 993 = GmbHR 1992, 301; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 443.

164 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 534 § 35

k) Umdeutung in eine ordentliche Kündigung Fehlen für die außerordentliche Kündigung die Voraussetzungen, so kann sie in eine ordent- 529 liche Kündigung umgedeutet werden, wenn dies dem Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille in seiner Erklärung für den Empfänger der Kündigung erkennbar zum Ausdruck gekommen ist1260. Eine Umdeutung ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn auch die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung nicht vorliegen1261.

6. Anwendbarkeit besonderer Kündigungsschutzvorschriften a) Schwerbehinderte Den §§ 168 ff. SGB IX ist nach umstrittener Auffassung der unionsrechtliche Arbeitnehmer- 530 begriff zugrunde zu legen1262. Damit können sich Fremdgeschäftsführer und GesellschafterGeschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss auf den besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen berufen. Vgl. Rz. 294. b) Besonderer Kündigungsschutz bei Schwangerschaft; Mutterschutz Das MuSchG galt gemäß § 1 MuSchG a.F. für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, 531 Heimarbeit verrichten oder Heimarbeitnehmerinnen gleichgestellt sind. Seit der Novellierung des Mutterschutzrechts zum 1.1.2017 gehören nunmehr alle Beschäftigten i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV zum geschützten Personenkreis1263. Damit ist der Anwendungsbereich nicht länger auf das nicht selbstständige Arbeitsverhältnis 532 beschränkt1264. Indessen bedeutet der Verweis auf § 7 Abs. 1 SGB IV nicht, dass der Kündigungsschutz nach § 17 MuSchG eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung voraussetzt1265. Vielmehr sollte der (weitere) unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff in das Gesetz aufgenom- 533 men werden1266. Dies war folgerichtig. Denn RL 92/85/EWG legt – mangels Verweis auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff – einen unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zugrunde (s. bereits Rz. 291). Demnach können sich Fremdgeschäftsführer sowie solche Gesellschafter-Geschäftsführer, 534 die über keinen beherrschenden Einfluss verfügen, auf den besonderen Kündigungsschutz des § 16 MuSchG berufen1267.

1260 BGH v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, GmbHR 1985, 256; BGH v. 8.9.1997 – II ZR 165/96, GmbH-StB 1997, 263 = GmbHR 1997, 1062 = EWiR § 140 BGB 1/98, 203 (Finken). 1261 Vgl. BGH v. 14.2.2000 – II ZR 285/97, GmbHR 2000, 376; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 408. 1262 S. nur Rolfs in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 168 SGB IX Rz. 3 m.w.N. 1263 Zur Novellierung des Mutterschutzrechts s. Rolfs in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, §16 MuSchG Rz. 1 ff. 1264 Hierzu Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 MuSchG Rz. 6. 1265 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 MuSchG Rz. 6. 1266 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 MuSchG Rz. 6. 1267 S. nur Oberthür, NZA 2011, 253, 255; i.E. ebenfalls Rolfs in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 16 MuSchG Rz. 6, 8.

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§ 35 Rz. 535 | Das Anstellungsverhältnis

7. Folgen der Beendigung 535 Die Kündigung beendet das Anstellungsverhältnis, aber nicht notwendig auch die Organstel-

lung, wie umgekehrt die Abberufung nicht automatisch zur Beendigung der Anstellung führt (s. auch Rz. 455 sowie 12. Aufl., § 38 Rz. 33). 536 Die einmal erfolgte Kündigung ist unwiderruflich, falls sie nicht wegen Irrtums oder Zwan-

ges angefochten wird (§§ 119 ff. BGB). Notfalls bedarf es einer neuen Anstellung durch das hierzu berufene Organ, doch nicht erneuter Eintragung im Handelsregister (§ 39), falls das Ausscheiden noch nicht eingetragen war1268. Dem gekündigten Geschäftsführer ist Freizeit zur Stellensuche zu gewähren, § 629 BGB. a) Pflichten des Geschäftsführers nach Beendigung 537 Nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses hat der Geschäftsführer Rechnung zu legen.

Alle Geschäftsunterlagen sind zurückzugeben, §§ 675, 667 BGB1269. Ein Zurückbehaltungsrecht zur Sicherung noch bestehender Geldansprüche steht ihm nicht zu1270. b) Ansprüche des Geschäftsführers nach Beendigung 538 Der Geschäftsführer hat Anspruch auf ein Zeugnis entspr. § 630 BGB. Die Rechtsprechung

hat dies bislang nur für Fremdgeschäftsführer und Gesellschafter-Geschäftsführer mit nicht beherrschender Stellung bestätigt1271. Der beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer kann im Hinblick auf sein berufliches Fortkommen indessen in gleicher Weise auf ein Zeugnis angewiesen sein. Der Anspruch ergibt sich ggfls. aus dem gesellschaftsrechtlichen Treueverhältnis. Das Zeugnis stellt die Gesellschafterversammlung bzw. der Aufsichtsrat aus, falls dieser für die Anstellung zuständig ist. Der Geschäftsführer kann die Gesellschafterversammlung zu diesem Zweck einberufen und, falls er selbst Gesellschafter ist, mitstimmen. 539–544 Einstweilen frei.

XV. Sozialversicherungspflicht des Geschäftsführers 545 Ob zwischen der GmbH und dem Geschäftsführer ein sozialversicherungspflichtiges Be-

schäftigungsverhältnis besteht, richtet sich danach, ob der Geschäftsführer eine „nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) erbringt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind dafür „Anhaltspunkte“ (sic!) „eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“. Mit anderen Worten soll die „persönliche Abhängigkeit“1272 des Geschäftsführers von der Gesellschaft bei Ausübung der Tätigkeit das entscheidende Kriterium für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses darstellen. Dies bedeutet, dass diejenigen Geschäftsführer, die ihr Amt – abweichend von der Regel – auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses (s. hierzu Rz. 261 ff.) erbringen, in jedem Fall auch sozialversicherungsrechtlich als Beschäftigte gelten. Umgekehrt impliziert das Vorliegen eines Dienstvertrages

1268 RG v. 14.5.1908 – VI 384/07, RGZ 68, 384. 1269 BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91 (Zweibrücken), NJW-RR 1992, 993, 994 = GmbHR 1992, 299; s. dort den letzten Absatz der Gründe. 1270 BGH v. 11.7.1968 – II ZR 108/67, WM 1968, 1325. 1271 BGH v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30. 1272 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298.

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Das Anstellungsverhältnis | Rz. 547 § 35

jedoch gerade nicht, dass der Geschäftsführer sozialversicherungsfrei beschäftigt ist1273. Gleiches gilt, wenn der Geschäftsführer gegenüber anderen Arbeitnehmern Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt und in der Regel keinen Weisungen Dritter bezüglich Zeit, Art und Ort ihrer Arbeitsleistung unterliegt1274. Bei Fremdgeschäftsführern ist vielmehr – von Ausnahmen abgesehen – in aller Regel von einer Sozialversicherungspflicht auszugehen1275. Der Alleingesellschafter, der zugleich Geschäftsführer ist, ist nie persönlich abhängig; dies 546 gilt auch für Gesellschafter-Geschäftsführer mit maßgeblichem Einfluss auf die GmbH, insb. wenn sie mit einer Mehrheit an Kapital und Stimmrechten ausgestattet sind1276. Bei Beteiligungsquoten unterhalb von 50 % kommt eine Sozialversicherungsfreiheit ebenfalls in Betracht, allerdings nur dann, wenn besondere Konstellationen vorliegen, die dem Geschäftsführer einen maßgeblichen Einfluss ermöglichen, z.B. in folgenden Fällen: – Möglichkeit, Entscheidungen der Gesellschafter zu verhindern, z.B. bei Sperrminorität; von letzterer muss der Geschäftsführer nicht unbedingt Gebrauch machen1277. – Bei Beteiligungsquote über 25 %, sofern Beschlussfähigkeit voraussetzt, dass 75 % des Stammkapitals vertreten sind, es sei denn, dass in einer weiteren Gesellschafterversammlung, die ohne größere Hürden einberufen werden kann, 50 % genügen1278. – Die familiäre Verbundenheit mit den Gesellschaftern allein begründet nach neuerer Rechtsprechung keine selbstständige Stellung des Geschäftsführers1279. Der (familiär verbundene) Geschäftsführer ist vielmehr nur dann kein Beschäftigter, wenn er gesellschaftsrechtlich unwiderruflich1280 in erheblichem Umfang weisungsfrei handeln kann1281. – Der Geschäftsführer ist „Kopf und Seele“ des Unternehmens, so dass die Gesellschafter ihr Direktionsrecht faktisch nicht ausüben können1282. Diese Voraussetzungen können ganz ausnahmsweise sogar bei einem Fremdgeschäftsführer vorliegen1283. In Zweifelsfällen kann ein sog. Anfrageverfahren durchgeführt werden (§ 7a Abs. 1 SGB IV), 547 aufgrund dessen die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Entscheidung trifft. Bei Gesellschafter-Geschäftsführern ist die Einzugsstelle verpflichtet, eine Klärung über das Anfrage-

1273 BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618 = BB 2000, 674 m. Anm. Langgut = DStR 2001, 39; BSG v. 18.4.1991 – 7 RAr 32/90, GmbHR 1992, 172, 172 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298. 1274 BSG v. 18.12.2001 – B 12 KR 10/01 R, NZA-RR 2003, 325, 326. 1275 BSG v. 6.3.2003 – B 11 AL 25/02 R, GmbHR 2003, 494; BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618, 619. 1276 BSG v. 11.6.1990 – 2 RU 59/89, NZA 1990, 960 = GmbHR 1991, 17; BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618, 619; BSG v. 4.6.2009 – B 12 KR 3/08 R, NJW 2010, 1836; Freckmann, DStR 2008, 52, 57; zum Sonderfall eines Treuhandvertrages, der maßgeblichen Einfluss ausschließt, LSG Schleswig Holstein v. 14.1.2010 – L 5 KR 81/08, NZS 2011, 184, 185, dort abw. unter Gesch.zeichen 25 KR 81/08. 1277 BSG v. 25.1.2006 – B 12 KR 30/40 R, BeckRS 2006, 41119 Rz. 30. 1278 BSG v. 9.2.1995 – 7 RAr 76/94, Die Beiträge 1995, 358 ff. 1279 S. hierzu BSG v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R, NZA-RR 2013, 252; BSG v. 29.7.2015 – SozR 42400 § 7 Nr. 24; anders noch BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618, 619; s. hierzu auch Rolfs in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 16 MuSchG Rz. 7. 1280 BSG v. 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R, GmbHR 2016, 537 m. Anm. Brötzmann = SGb 2017, 54 m. Anm. Legde; dazu Thees, DB 2016, 352 f. 1281 Hierzu Rolfs in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 7 SGB IV Rz. 21. 1282 BSG v. 29.10.1986 – 7 RAr 43/85, GmbHR 1987, 351, 352; BSG v. 7.9.1988 – 10 RAr 10/87, GmbHR 1989, 34 = NZA 1989, 288 (Leitsatz); BSG v. 8.8.1990 – 11 RAr 77/89, GmbHR 1991, 461 = NZA 1991, 324 (Leitsatz). 1283 BSG v. 29.10.1986 – 7 RAr 43/85, GmbHR 1987, 351, 352; BSG v. 8.12.1987 – 7 RAr 25/86, BB 1989, 72, 72 f.; BSG v. 30.1.1990 – 11 RAr 47/88, NZA 1990, 950, 951 f.

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§ 35 Rz. 547 | Das Anstellungsverhältnis verfahren herbeizuführen (§ 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV). An die Entscheidung der Deutsche Rentenversicherung Bund sind die Sozialversicherungsträger gebunden.

XVI. Geschäftsführer in der Insolvenz 1. Kündigung des Dienstvertrages; Schadensersatz 548 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt nicht zur Beendigung des Dienstvertrages.

§§ 115, 116 InsO können nicht angewendet werden1284. Der Anstellungsvertrag kann aber gemäß § 113 Satz 1 InsO sowohl vom Geschäftsführer als auch vom Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder auf einen vereinbarten Kündigungsausschluss gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht kraft Gesetzes oder Anstellungsvertrages eine kürzere Frist maßgeblich ist, § 113 Satz 2 InsO (zu den gesetzlichen Kündigungsfristen s. Rz. 472 f.). Dass § 113 InsO auch für das Dienstverhältnis der Organmitglieder gilt, ist unstreitig und für den GmbH Geschäftsführer vielfach entschieden1285. 549 Aus § 113 InsO ergibt sich indirekt, dass die Insolvenzeröffnung selbst keinen wichtigen

Grund zur Kündigung schafft1286. Im Umfeld einer Insolvenz können aber selbstverständlich Gründe vorliegen oder entstehen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können (vgl. Rz. 495). Ein zu hohes Gehalt des Alleingesellschafters, das aus der Masse nicht mehr bestritten werden kann, stellt keinen wichtigen Grund dar; hier ist vielmehr eine Herabsetzung kraft Treuepflicht geboten1287. 550 § 113 InsO schafft keinen eigenständigen Kündigungsgrund1288, sondern betrifft lediglich

die anzuwendende Kündigungsfrist bzw. ermöglicht die ordentliche Kündigung trotz ihres vertraglichen Ausschlusses. Für eine ordentliche Kündigung des Dienstvertrages außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes (s. zum nur ausnahmsweise bestehenden Kündigungsschutz Rz. 476 ff.) ist aber ohnehin kein gesonderter Kündigungsgrund erforderlich. Die Kündigung gemäß § 113 InsO durch den Insolvenzverwalter beendet nur das Anstellungsverhältnis; die Organstellung muss gesondert durch Abberufung beendet werden1289, wofür die Gesellschafterversammlung zuständig ist (§ 46 Nr. 5)1290. 551 § 113 InsO gilt auch für den beherrschenden (Unternehmer-)Geschäftsführer. Dies hat der

BGH bereits zu § 22 KO entschieden1291. Da § 113 InsO insofern im Vergleich zu § 22 KO keine Rechtsänderung herbeiführen wollte, bleibt es bei der früheren Rechtslage1292. 1284 OLG Hamm v. 29.3.2000 – 8 U 156/99, NZI 2000, 475, 476 = GmbHR 2001, 392. 1285 BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, GmbHR 1981, 158 = WM 1981, 377; OLG Brandenburg v. 11.12.2002 – 7 U 37/02, NZI 2003, 324; OLG Hamm v. 29.3.2000 – 8 U 156/99, NZI 2000, 475; Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 14. 1286 Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 1 ff.; Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 16. 1287 S. Rz. 392; dagegen hält BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, NJW 1980, 595, 595 f. = GmbHR 1980, 27 in dieser Konstellation einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB für möglich. 1288 S. nur Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 1; Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 7. 1289 Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 2; Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 7. 1290 Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 16. 1291 BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, GmbHR 1980, 27 = NJW 1980, 595. 1292 OLG Hamm v. 29.3.2000 – 8 U 156/99, NZI 2000, 475, 476 = GmbHR 2001, 392; OLG Düsseldorf v. 14.4.2000 – 16 U 109/99, NZG 2000, 1044, 1044 f.; ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 69; a.A. Heilmann, ZIP 1980, 344; Timm, ZIP 1981, 10; Timm, ZIP 1987, 69.

168 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 555 § 35

Das Kündigungsrecht gemäß § 113 Satz 1 InsO steht (neben dem Geschäftsführer selbst) nur 552 dem Insolvenzverwalter zu. Eine analoge Anwendung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter hat das BAG abgelehnt1293. Bei Kündigung durch den Insolvenzverwalter kann der Geschäftsführer als Insolvenzgläubi- 553 ger Schadensersatz wegen vorzeitiger Beendigung des Dienstverhältnisses verlangen, § 113 Satz 3 InsO. Dieser Anspruch ist verschuldensunabhängig1294 und kommt nur bei einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter und nicht etwa auch bei einer Eigenkündigung des Geschäftsführers1295 zum Tragen; im letzteren Fall kommt ein Schadensersatzanspruch nur in Betracht, wenn der Geschäftsführer eine berechtigte außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, wobei die bloße Tatsache der Insolvenzeröffnung keinen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darstellt (vgl. Rz. 549), und wenn die Voraussetzungen gemäß § 628 Abs. 2 BGB vorliegen1296. Ein mit dem Insolvenzverwalter abgeschlossener Aufhebungsvertrag löst keinen Schadensersatzanspruch aus1297. Zu ersetzen ist gemäß § 113 Satz 3 InsO ggfl. der sog. Verfrühungsschaden1298. Der An- 554 spruch erfasst die vollständige Vergütung – einschließlich der zu erwartenden variablen Bezüge1299 – zwischen der vorzeitigen Beendigung bis zum Ablauf des Vertrages gemäß der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist. Bei befristeten Dienstverhältnissen, die bis zum vereinbarten Ablauf ordentlich unkündbar sind, sind die entgangenen Vergütungsansprüche bis zum Vertragsende zu ersetzen1300. Allerdings besteht kein Anspruch auf Ersatz eines „Ewigkeitsschadens“, da dies mit dem Gedanken des Interessenausgleichs, den § 113 InsO zwischen den Interessen der Gläubiger und denen des Geschäfstführers herbeiführt, nicht zu vereinbaren wäre. Ist z.B. die ordentliche Kündigung bis zum Erreichen des Renteneintrittsalters ausgeschlossen, beschränkt sich der Zeitraum für den Schadensersatz gemäß § 113 Satz 3 InsO nur auf die längste ordentliche Kündigungsfrist gemäß § 622 BGB1301. Einen etwaigen Schadensersatz gemäß § 113 Satz 3 InsO kann der Geschäftsführer „als Insol- 555 venzgläubiger“ (§ 38 InsO) geltend machen. Die Geltendmachung erfolgt gemäß §§ 174 ff. InsO. Eine Klage gegen den Insolvenzverwalter ist unzulässig1302.

1293 BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, NZA 2006, 1352 = ZIP 2005, 1289; s. hierzu auch Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 47; a.A. Berscheid, AnwBl. 1995, 8, 9; Caspers in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, vor §§ 113–128 InsO Rz. 29 f. 1294 BAG v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, EzA § 113 InsO Nr. 19 Rz. 17 = ZIP 2007, 1875; dem Anspruch gemäß § 113 Satz 3 InsO kann nicht gemäß § 254 BGB entgegengehalten werden, dass der Geschäftsführer die Insolvenz verschuldet oder mit verursacht habe; so BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, AP InsO § 113 Nr. 24 Rz. 30 ff. = BeckRS 2007, 46523; Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 24; vgl. auch Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 17 f. 1295 S. nur Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 24. 1296 Vgl. Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 99 ff. 1297 BAG v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, EzA § 113 InsO Nr. 19 Rz. 16 ff. = ZIP 2007, 1875; in diesem Fall war streitig, ob ein sog. Abwicklungsvertrag nach Ausspruch einer Kündigung oder ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen war. 1298 BAG v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, EzA § 113 InsO Nr. 19 Rz. 17 = ZIP 2007, 1875. 1299 Vgl. Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 91 m.w.N. 1300 BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, AP InsO § 113 Nr. 24 Rz. 21 m.w.N. = BeckRS 2007, 46523. 1301 BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, AP InsO § 113 Nr. 24 Rz. 22 ff., 27 = BeckRS 2007, 46523; s. auch Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 17. 1302 Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 94 m.w.N.

Hohenstatt | 169

§ 35 Rz. 556 | Das Anstellungsverhältnis

2. Gehaltsanspruch des Geschäftsführers als Insolvenzforderung 556 Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende rückständige Bezüge des Geschäfts-

führers sind als einfache Insolvenzforderung beim Insolvenzverwalter anzumelden (§ 38 InsO)1303. Die frühere Privilegierung1304 gemäß §§ 59, 61 KO besteht nicht mehr. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehende Vergütungsansprüche sind Masseverbindlichkeiten, § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO1305.

3. Insolvenzgeld 557 Geschäftsführer haben in aller Regel Anspruch auf Insolvenzgeld gemäß §§ 165 ff. SGB III,

wenn sie bei einem Insolvenzereignis (s. § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III), insb. bei Insolvenzeröffnung, für die vorausgegangenen drei Monate noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Anspruchsberechtigt sind allerdings nur Geschäftsführer, die i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV „nichtselbständige Arbeit“ erbringen und damit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne „persönlich abhängig“ (s. hierzu Rz. 545 f.) sind. Insb. Allein- oder Mehrheitsgesellschafter sind daher in aller Regel von Ansprüchen ausgeschlossen1306.

4. Insolvenzschutz des Ruhegehalts 558 Im Insolvenzfall bzw. vom Gesetz gleichgestellten Fällen sind die Anwartschaften bzw. An-

sprüche des Geschäftsführers auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung geschützt, sofern der persönliche Geltungsbereich des BetrAVG eröffnet ist. Dies ist nicht der Fall bei Gesellschafter-Geschäftsführern, die im Hinblick auf die von ihnen geleitete Gesellschaft selbst als Unternehmer gelten (vgl. hierzu ausführlich Rz. 405 ff.). Ggfls. besteht ein gesetzlicher Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung; dies ist der Pensions-SicherungsVerein (§ 14 BetrAVG). Geschützt sind nur Anwartschaften und Leistungen, die eine betriebliche Altersversorgung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG darstellen (s. zum sachlichen Anwendungsbereich Rz. 410 f.). 559 Grundsätzlich schuldet der PSVaG die Höhe der Leistungen, die die Gesellschaft aufgrund

der Versorgungszusage zu erbringen hätte, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre, § 7 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Allerdings ist der monatliche Anspruch höchstens auf das Dreifache der im Zeitpunkt der ersten Fälligkeit maßgebenden monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV begrenzt, § 7 Abs. 3 BetrAVG. Bei Eintritt des Versorgungsfalls im Jahre 2018 betrug die monatliche Bezugsgröße in den alten Bundesländern 3045 Euro und in den neuen Bundesländern 2695 Euro. Es sind ausschließlich laufende Versorgungen und unverfallbare Anwartschaften geschützt. Die Unverfallbarkeit von Anwartschaften richtet sich ausschließlich nach § 1b BetrAVG; eine vertraglich vereinbarte Unverfallbarkeit (vgl. Rz. 413) führt nicht zu einer Ausweitung des Insolvenzschutzes1307. § 7 Abs. 5 BetrAVG schließt zudem bestimmte Fälle des Missbrauchs der Insolvenzsicherung aus.

1303 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 137. 1304 S. hierzu BGH v. 23.1.2003 – IX ZR 39/02, GmbHR 2003, 472 = NZG 2003, 327. 1305 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 138; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 72. 1306 S. hierzu eingehend Peters-Lange in Gagel, SGB II/III, § 165 SGB III Rz. 12. 1307 S. nur Schipp in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 7 BetrAVG Rz. 15.

170 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 562 § 35

Ruhegehaltsleistungen für einen Unternehmer-Geschäftsführer kann die GmbH nur durch 560 Abschluss einer Rückdeckungsversicherung absichern und anschließend die Ansprüche gegen die Versicherung an den Geschäftsführer verpfänden1308. Gleiches gilt für Anwartschaften, die der Höhe nach nicht insolvenzgeschützt sind (§ 7 Abs. 3 BetrAVG; vgl. Rz. 559); auch dieser Teil der Versorgung kann über eine verpfändete Rückdeckungsversicherung abgesichert werden. Um die Verpfändung der Rückdeckungsversicherung wirksam werden zu lassen, bedarf es der schriftlichen Anzeige an die Versicherungsgesellschaft, § 1280 BGB. Es reicht nicht aus, wenn der Versicherer auf andere Weise davon Kenntnis erlangt. Ohne eine wirksame Verpfändung kann der Insolvenzverwalter die Bezugsberechtigung mit der Folge widerrufen, dass der Rückkaufswert in die Insolvenzmasse fällt1309. Die Verpfändung unterliegt nicht der Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO1310, es sei denn, 561 die Gesellschaft und der Geschäftsführer hielten im Zeitpunkt der Verpfändung den Eintritt des Insolvenzfalles bereits für hinreichend konkret1311. Das Pfandrecht steht dem Geschäftsführer bedingt auf den Versorgungsfall zu. In der Insolvenz der GmbH ist die bedingte Ruhegehaltsforderung bei der Verteilung in vollem Umfang zu berücksichtigen (§ 191 InsO); der Wert ist jedoch gemäß § 198 InsO zu hinterlegen, bis der Versorgungsfall eintritt1312. Dem Geschäftsführer steht dann ein Absonderungsrecht nach § 50 InsO, §§ 1282, 1228 Abs. 2 BGB zu1313. Tritt die Bedingung nicht ein, weil der Geschäftsführer vor Erreichen der Altersgrenze verstirbt, wird der hinterlegte Betrag nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 InsO verteilt1314. Im Übrigen stellt der Abschluss der in der Höhe angemessenen Rückdeckungsversicherung und deren Verpfändung keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Kapitalerhaltung dar, sofern die abgesicherte Versorgung einem Drittvergleich standhält. Denn die Versorgung ist die Gegenleistung für die erbrachte Geschäftsführertätigkeit1315. Bei Abschluss der Rückdeckungsversicherung ist darauf zu achten, dass sie etwas höher als die zugesagte Versorgung zu bemessen ist, denn im Insolvenzfall fallen Insolvenzfeststellungskosten i.H.v. 4 % an, § 171 Abs. 1 InsO. Ist auch eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt, muss den Angehörigen jeweils ein eigenes Pfandrecht bestellt werden, sofern auch diese Anwartschaften insolvenzgeschützt sein sollen.

XVII. Rechtsweg Für Rechtsstreitigkeiten aus dem Anstellungsvertrag des Geschäftsführers sind die ordentli- 562 chen Gerichte zuständig. Bei den Landgerichten sind die Kammern für Handelssachen zuständig (§ 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG)1316. Der Weg zu den Arbeitsgerichten hingegen ist durch 1308 Die bloße Abtretung des Anspruchs gegen die Versicherung ist nicht „insolvenzsicher“; vgl. BAG v. 16.6.1978 – 3 AZR 783/76, DB 1978, 1843. 1309 BGH v. 4.3.1993 – IX ZR 169/92, NJW 1993, 1994, 1995. 1310 BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 161/96, NJW 1998, 312 = GmbHR 1997, 936; Arteaga, ZIP 1998, 276, 277 f.; Neumann, BB 1997, 2658, 2659. 1311 BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 161/96, NJW 1998, 312, 315 = GmbHR 1997, 936. 1312 BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 161/96, NJW 1998, 312 = GmbHR 1997, 936; BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NJW 2005, 2231, 2232; dazu Armbrüster, DZWiR 2005, 385, 386; Elfring, NJW 2005, 2192 ff.; Perwein, GmbHR 2007, 589 ff.; Lohkamp/Fiala, VersR 2006, 331, 334; vgl. auch instruktiv Bäuerle in Braun, 5. Aufl. 2012, § 35 InsO Rz. 29 ff. 1313 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NJW 2005, 2231, 2232; dazu Armbrüster, DZWiR 2005, 385, 386; Lohkamp/Fiala, VersR 2006, 331, 335. 1314 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NJW 2005, 2231, 2232; Bitter, NZI 2000, 399, 400; Blomeyer, VersR 1999, 653, 662; Stegmann/Lind, NVersZ 2002, 193, 201. 1315 KG v. 13.10.2003 – 2 W 25/03, ZIP 2003, 2253, 2254 = GmbHR 2004, 56; Breitling, EWiR 2004, 659 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 448. 1316 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 75.

Hohenstatt | 171

§ 35 Rz. 562 | Das Anstellungsverhältnis § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verschlossen, sofern die Parteien nicht, was in der Praxis selten vorkommt, von § 2 Abs. 4 ArbGG Gebrauch gemacht und die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte vereinbart haben. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gelten Organmitglieder nicht als Arbeitnehmer (negative gesetzliche Fiktion). Die Fiktion soll sicherstellen, dass das Mitglied eines Vertretungsorgans einer juristischen Person keinen Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen führt, solange es zum Organ bestellt ist. So soll ein Arbeitsgerichtsprozess im „Arbeitgeberlager“ vermieden werden. Diese Fiktion gilt unabhängig davon, ob sich das Anstellungsverhältnis materiell-rechtlich als Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis (hierzu Rz. 261 ff.) darstellt1317. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gilt auch für Rechtsstreitigkeiten über den Anstellungsvertrag des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH, wenn dieser mit der GmbH & Co. KG abgeschlossen ist1318. 563 § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift nicht mehr, wenn der Geschäftsführer bereits abberufen wur-

de1319 (hierfür ist die Mitteilung des Abberufungsbeschlusses gegenüber dem Geschäftsführer maßgebend; die Eintragung der Abberufung im Handelsregister wirkt nur deklatorisch1320) oder wenn er sein Amt niedergelegt hat (auch hierfür ist der Zugang der entsprechenden Erklärung des Geschäftsführers gegenüber dem zuständigen Organ maßgeblich1321). Die Beendigung der Organstellung durch Abberufung oder Niederlegung ist für die Rechtswegbestimmung auch dann noch zu berücksichtigen, wenn sie erst nach Einreichung der Klage oder nach deren Zustellung beim Beklagten erfolgt1322. Der Geschäftsführer kann sich mithin noch bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz bzw. vor Rechtskraft eines gerichtlichen Verweisungsbeschlusses auf die inzwischen erfolgte Beendigung der Organstellung und damit auf den Wegfall der Indizwirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG berufen1323. Dies gilt nicht nur für sog. sic-non-Fälle, sondern für alle Klagen aus dem Anstellungsverhältnis1324. Die dargestellte Rechtsprechung führt indes nicht zu einer generellen Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Streitigkeiten mit Geschäftsführern nach Beendigung ihrer Organstellung1325. In Sic-non Fällen muss der Kläger weiterhin das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses nur behaupten, während in den Et-Et und Aut-Aut Fällen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses substantiiert und schlüssig darzulegen ist1326.

1317 BAG v. 6.5.1999 – 5 AZB 22/98, GmbHR 1999, 816; BAG v. 23.8.2011 – 10 AZB 51/10, GmbHR 2011, 1200 Rz. 12. 1318 BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NJW 2003, 3290, 3291 f. = GmbHR 2003, 1208; a.A. noch BAG v. 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, GmbHR 1981, 109 = NJW 1981, 302; vgl. zum Anstellungsvertrag bei der GmbH & Co. KG Rz. 301. 1319 Abweichend noch BAG v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, GmbHR 2014, 137 = BeckRS 2014, 73465 Rz. 16 a.E. 1320 Anders noch BAG v. 26.10.2012 – 10 AZB 55/12, GmbHR 2013, 253 = BeckRS 2013, 66911; klargestellt durch BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60 = GmbHR 2015, 27. 1321 BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, GmbHR 2015, 250 = NZA 2015, 180. 1322 BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60 Rz. 27 = GmbHR 2015, 27; BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, NZA 2015, 180 Rz. 21 = GmbHR 2015, 250; zustimmend Reinfelder, RdA 2018, 87, 96. 1323 Vielmeier, NZA 2016, 1241, 1243; s. auch BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, = NJW 2015, 570 Os. 2 = GmbHR 2015, 27; BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, NZA 2015, 718 Os. 2 = GmbHR 2015, 250. 1324 BAG v. 8.9.2015 – 9 AZB 21/15, NZA 2015, 1342 Rz. 18 = GmbHR 2015, 1211; anders noch die Vorinstanz LAG Sachsen v. 18.3.2015 – 4 Ta 300/14 (6), BeckRS 2015, 68455. 1325 Zutreffend Vielmeier, NZA 2016, 1241, 1244; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282a; Grobys, GmbHR 2015, 1213. 1326 LAG Hamburg v. 10.7.2017 – 4 Ta 10/17, BeckRS 2017, 126021; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 19.11.2015 – 3 Ta 38/15, NZA-RR 2016, 100.

172 | Hohenstatt

Das Anstellungsverhältnis | Rz. 564 § 35

Die Fiktion greift allerdings nicht ein, wenn der Streit nicht das der Organstellung zu Grun- 564 de liegende Rechtsverhältnis, sondern eine weitere Rechtsbeziehung betrifft1327. Nach der Abberufung als Geschäftsführer greift die gesetzliche Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht mehr, so dass arbeitsvertragliche Ansprüche, beispielsweise aus einem ruhenden Arbeitsverhältnis, vor den Arbeitsgerichten geltend gemacht werden können1328.

1327 BAG v. 15.3.2011 – 10 AZB 32/10, NZA 2011, 874 = GmbHR 2011, 867 Rz. 11; BAG v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, GmbHR 2014, 137 = BeckRS 2014, 73465 Rz. 17. 1328 BAG v. 23.8.2011 – 10 AZB 51/10, GmbHR 2011, 1200 Rz. 14 = AP § 5 ArbGG Nr. 69.

Hohenstatt | 173

§ 35a Angaben auf Geschäftsbriefen (1) Auf allen Geschäftsbriefen gleichviel welcher Form, die an einen bestimmten Empfänger gerichtet werden, müssen die Rechtsform und der Sitz der Gesellschaft, das Registergericht des Sitzes der Gesellschaft und die Nummer, unter der die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist, sowie alle Geschäftsführer und, sofern die Gesellschaft einen Aufsichtsrat gebildet und dieser einen Vorsitzenden hat, der Vorsitzende des Aufsichtsrats mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen angegeben werden. Werden Angaben über das Kapital der Gesellschaft gemacht, so müssen in jedem Falle das Stammkapital sowie, wenn nicht alle in Geld zu leistenden Einlagen eingezahlt sind, der Gesamtbetrag der ausstehenden Einlagen angegeben werden. (2) Der Angaben nach Absatz 1 Satz 1 bedarf es nicht bei Mitteilungen oder Berichten, die im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung ergehen und für die üblicherweise Vordrucke verwendet werden, in denen lediglich die im Einzelfall erforderlichen besonderen Angaben eingefügt zu werden brauchen. (3) Bestellscheine gelten als Geschäftsbriefe im Sinne des Absatzes 1. Absatz 2 ist auf sie nicht anzuwenden. (4) Auf allen Geschäftsbriefen und Bestellscheinen, die von einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland verwendet werden, müssen das Register, bei dem die Zweigniederlassung geführt wird, und die Nummer des Registereintrags angegeben werden; im Übrigen gelten die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 für die Angaben bezüglich der Haupt- und der Zweigniederlassung, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. Befindet sich die ausländische Gesellschaft in Liquidation, so sind auch diese Tatsache sowie alle Liquidatoren anzugeben. Abs. 1 bis 3 eingefügt durch Gesetz vom 15.8.1969 (BGBl. I 1969, 1146); Abs. 4 eingefügt durch Gesetz zur Durchführung der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22.7.1993 (BGBl. I 1993, 1282); Abs. 1 Satz 1 geändert durch EHUG vom 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553); Abs. 4 Satz 1 geändert durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. II. III. 1. 2. 3. 4. 5. IV. 1. 2.

Das Entstehen der Vorschrift . . . . . . . . 1 Der Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Geschäftsbriefe Die handelnde Person . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die äußere Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Webseiten, E-Mails, neue Kommunikationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Bestimmter Empfänger . . . . . . . . . . . . . . 9 Interner Schriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . 10 Angaben auf Geschäftsbriefen Die notwendigen Angaben . . . . . . . . . . . 11 Angaben über das Gesellschaftskapital . 18

3. Nicht erforderliche Angaben . . . . . . . . . V. Vordrucke bei Geschäftsverbindung . . VI. Inländische Niederlassung einer GmbH mit Sitz im Ausland oder einer ausländischen Gesellschaft (§ 35a Abs. 4) 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erforderliche Angaben . . . . . . . . . . . . . . VII. Verletzungsfolgen 1. Ordnungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung der Handelnden . . . . . . . . . . . . 3. Unlauterer Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . .

20 21

25 28 32 34 35

Schrifttum: Altmeppen, Irrungen und Wirrungen um den täuschenden Rechtsformzusatz und seine Haftungsfolgen, NJW 2012, 2833; Ankele, Änderungen des Handels- und Gesellschaftsrechts aufgrund der Ersten EWG-Richtlinie, Information über Steuer und Wirtschaft 1970, 117; Bärwaldt/Schabacker, Angaben auf Geschäftspapieren inländischer Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaft, AG 1996, 461; Beck, Die Haftung des Handelnden bei falscher Firmierung, ZIP 2017, 1748; Beurskens, What’s in a name? – Rechtsformzusatz und Haftungsbeschränkung, NZG 2016, 681; Bredol, Angaben

174 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 2 § 35a auf Geschäftsbriefen bei Handeln Dritter, NZG 2017, 611; Glaus/Gabel, Praktische Umsetzung der Anforderungen zu Pflichtangaben in E-Mails, BB 2007, 1744; Haßler, Der vakante Aufsichtsratsvorsitz im Licht von § 80 AktG, BB 2016, 461; Hoeren, Überblick über die Informationspflichten von Anbietern im Internet, MittdtschPatAnw 2010, 351; Hoeren/Pfaff, Pflichtangaben im elektronischen Geschäftsverkehr, MMR 2007, 207; Kindler, Neue Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften, NJW 1993, 3301; Kindler, Grundzüge des neuen Kapitalgesellschaftsrechts – Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), NJW 2008, 3249; Klein, Ein Apfel unterm Birnenbaum? – Rechtsfolgen des Handelns bei fehlendem oder fehlerhaftem Rechtsformzusatz, NJW 2015, 3607; Kreplin, Erweiterte Angabenpflicht auf Geschäftsbriefen für Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, BB 1969, 1112; Leuering/Rubel, Pflichtangaben in E-Mail: Der Link ins Internat als Alternative, NJW-Spezial 2008, 47; Lutter, Die erste Angleichungsrichtlinie zu Art. 54 Abs. 3 lit. g) EWGV und ihre Bedeutung für das geltende deutsche Unternehmensrecht, EuR 1969, 1; Maaßen/Orlikowski-Wolf, Stellt das Fehlen von Pflichtangaben in Geschäftskorrespondenz einen Wettbewerbsverstoß dar?, BB 2007, 561; Mutter, Pflichtangaben auf Geschäftsbriefen auch im E-mail-Verkehr?, GmbHR 2001, 336; Otte, Folgen der Trennung von Verwaltungs- und Satzungssitz für die gesellschaftsrechtliche Praxis, BB 2009, 344; Pietzarka, Vertreterhaftung bei fehlendem Rechtsformzusatz – Auswirkungen der „Rechtsscheinhaftung analog § 179 BGB“, GmbHR 2017, 73; Rath/Hausen, Viel Lärm um Nichts? Pflichtangaben in geschäftlichen E-Mails, K&R 2007, 113; Roth/Groß, Pflichtangaben auf Geschäftsbrief und Bestellschein im Internet, K&R 2002, 127; Karsten Schmidt, Publizität von „Schein-Auslandsgesellschaften“ durch Firmenrecht und durch Angaben auf Geschäftsbriefen, in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 15; Schmittmann/Ahrens, Pflichtangaben in E-Mails – Ist die elektronische Post ein Geschäftsbrief?, DB 2002, 1038; Schweinoch/Böhlke/Richter, E-Mails als elektronische Geschäftsbriefe mit Nebenwirkungen, CR 2007, 167; Seibert, Die Umsetzung der ZweigniederlassungsRichtlinie der EG im deutschen Recht, GmbHR 1992, 738; Seibert, Neuordnung des Rechts der Zweigniederlassung im HGB, DB 1993, 1705; Wild, E-Mail-Pflichtangaben, DuD 2007, 374.

I. Das Entstehen der Vorschrift Die Vorschrift über Angaben auf Geschäftsbriefen der GmbH ist durch das Gesetz zur Durch- 1 führung der Ersten Richtlinie des Rats der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 15.8.19691 eingefügt worden. Verlangt ist daher eine richtlinienkonforme Auslegung. § 35a geht auf Art. 4 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Ersten Richtlinie des Rates vom 9.3.19682 zurück. Die genannten Vorschriften sind durch Art. 26 i.V.m. Art. 9 und Art. 14 Buchst. d der Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14.6.20173 ersetzt worden. Bestimmt werden hierdurch angabepflichtige Tatsachen durch die Einbeziehung der Personen der Geschäftsleitung (§ 35a Abs. 1 Satz 1). Entsprechende Bestimmungen enthalten § 125a und § 177a HGB4. Andererseits befreit § 35a Abs. 2 beim Bestehen einer Geschäftsverbindung eine bestimmte Art von Geschäftsbriefen von der Angabepflicht, was zwar dem Wortlaut des Art. 26 der Richtlinie nicht entspricht, aber mit dessen Sinn vereinbar ist. Dieser europarechtliche Hintergrund gebietet es, die Grundsätze richtlinienkonformer Auslegung bei § 35a stets im Blick zu behalten5. § 35a Abs. 4 enthält besondere Offenlegungsvorschriften für Zweigniederlassungen einer 2 GmbH mit Sitz im Ausland. Umgesetzt werden damit Art. 29 ff., Art. 36 ff. der Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14.6.20146. § 35a Abs. 4 geht auf das MoMiG zurück. Nach § 35a Abs. 4 Satz 1

1 2 3 4

BGBl. I 1969, 1146. ABl. EG Nr. L v. 14.3.1968, S. 8. ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. Zu den zahlreichen weiteren Parallelvorschriften s. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6, die für eine rechtsformneutrale Regelung plädieren. 5 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5. 6 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46.

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§ 35a Rz. 2 | Angaben auf Geschäftsbriefen Halbsatz 2 ist vorgesehen, dass die Vorschriften der Abs. 1 bis 3 auch für die Angaben bezüglich der Haupt- und Zweigniederlassung anzuwenden sind. Die Änderung dient mehreren Zwecken. Zunächst wird eine Klarstellung der Angabepflicht inländischer Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften erreicht. Damit werden deutsche Gesellschaften mbH, die UG (haftungsbeschränkt) sowie ausländische Gesellschaften in Bezug auf die „Geschäftsbriefpublizität“7 in vollem Umfang gleich behandelt8. Der frühere Meinungsstreit über das Bestehen einer doppelten Angabeverpflichtung (dazu 10. Aufl., Rz. 24) wurde damit durch den Gesetzgeber abschließend entschieden9. Dies dient nicht zuletzt der Stärkung der Transparenz und fördert dadurch den Gläubigerschutz10. Die Ergänzung ist mit der sog. „Zweigniederlassungsrichtlinie“11 vereinbar und berücksichtigt die aktuelle Rechtsprechung des EuGH12.

II. Der Zweck 3 Der Zweck des § 35a ist es, den Geschäftsverkehr – nicht nur, wie die amtliche Begr.13 zu Art. 2

Nr. 7 Erste Richtlinie zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts meint, für den zwischenstaatlichen Bereich – mit der GmbH zu erleichtern. Dritte sollen sich über die verantwortliche Geschäftsleitung informieren können, ihnen soll der Zugang zu Informationen aus dem Handelsregister erleichtert werden, und sie sollen vor irreführenden Angaben über die Kapitalverhältnisse geschützt werden. Die Regelung über die Angabe der Kapitalverhältnisse wird diesem Zweck nur sehr unvollkommen gerecht14. Es wäre sachgemäßer gewesen, die Angabe des Stammkapitals nur zuzulassen, wenn das aus der letzten Bilanz ersichtliche Reinvermögen der Gesellschaft nicht geringer ist15. Die besondere Informationspflicht erstreckt sich nur auf die in der Vorschrift näher bezeichneten Angaben auf Geschäftsbriefen usw. Bei mündlichen Verhandlungen besteht eine entsprechende Informationspflicht nicht16.

III. Geschäftsbriefe 1. Die handelnde Person 4 Geschäftsbriefe sind alle von den Geschäftsführern oder von den Mitarbeitern verwendeten

Briefe. Auf das Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und der handelnden Person kommt es nicht an. Verlangt ist nur, dass es sich um Personen handelt, die für die Gesellschaft handeln, also auch Dritte, die im Namen der Gesellschaft handeln17.

7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

Begriff bei Kindler, AG 2007, 721, 730. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 2. So auch Kindler, AG 2007, 730. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43. Richtlinie 89/666/EWG, ABl. EG Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 36. Die Zweigniederlassungsrichtlinie ist mittlerweile in die Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14.6.2017 (ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46) über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts übergegangen. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43. BT-Drucks. V/3862. Einmahl, AG 1969, 134. Krit. auch Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9. BGH v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, WM 1981, 873 = GmbHR 1992, 154; OLG Hamm v. 7.12.1984 – 20 U 151/84, WM 1985, 645. Tw. abweichend Bredol, NZG 2017, 611.

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Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 6 § 35a

2. Die äußere Form Nach Wortlaut und Zweck des § 35a ist der Begriff „Geschäftsbriefe“ weit auszulegen18. Durch 5 das EHUG wurde noch ausdrücklich hinzugefügt „gleichviel welcher Form“. Er umfasst jede von der GmbH ausgehende schriftliche Mitteilung, die ihre geschäftliche Betätigung nach außen betrifft, und zwar nicht nur bei der Anbahnung, sondern auch im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen19. Ausgenommen sind daher Briefe mit rein persönlichem Inhalt wie Glückwünsche oder Kondolenzschreiben. Abzulehnen ist die Auffassung, die aus dem weiteren Erfordernis, wonach nur die an einen bestimmten Empfänger gerichteten Geschäftsbriefe erfasst werden, schließen zu können glaubt, dass sie einen auf den Empfänger bezogenen individuellen Inhalt haben müssten20. Diese auf die Entstehungsgeschichte des früheren § 100 AktG 1937 gestützte Einschränkung21 ist für § 35a nicht aufrechtzuerhalten. Geschäftsbriefe sind demzufolge u.a. auch persönlich adressierte Geschäftsrundschreiben22, gleichförmige Verkaufsangebote, Preislisten sowie formularmäßige Mitteilungen, z.B. Bestellscheine, Auftragsbestätigungen, Lieferscheine, Schecks23, Wechsel24, Rechnungen und Quittungen25. Doch kann insoweit die Befreiung nach § 35a Abs. 2 greifen (s. Rz. 21). „Geschäftsbriefe“ sind auch Mitteilungen an den Arbeitnehmer, wenn sie das Arbeitsverhältnis betreffen, z.B. die Kündigung26, nicht aber Mitteilungen an die Gesellschafter27. Auf die äußere Form der geschäftlichen Mitteilung kommt es nicht an. Es sind nicht nur Briefe im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs, sondern auch Postkarten gemeint28. Voraussetzung ist aber, dass der Empfänger die Mitteilung entweder im Original oder in einer Ablichtung erhält. Das hat Bedeutung für Schreiben, die im Wege der neuen Telekommunikationsmedien übermittelt werden. Keine Geschäftsbriefe im Sinne der Vorschrift sind daher Telegramme und Fernschreiben29. Erfasst werden dagegen die durch Telebrief oder Telefax übermittelten Schreiben30.

3. Webseiten, E-Mails, neue Kommunikationsformen Art. 26 der Richtlinie vom 14.6.2017 entspricht31 dem früheren Art. 5 der Richtlinie vom 6 16.9.2009 und verlangt, dass bestimmte Angaben auch auf den Webseiten der Gesellschaft 18 LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, WM 1990, 1872 = GmbHR 1991, 23; LG Heidelberg v. 31.5.1996 – 8 O 2/96, GmbHR 1997, 446; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 3 ff.; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3. 19 S. dagegen Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1. 20 So z.B. Kreplin, BB 1969, 1113. 21 Vgl. Schmidt/Meyer-Landrut in Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 80 AktG Anm. 1. 22 LG Heidelberg v. 31.5.1996 – 8 O 2/96, GmbHR 1997, 446. 23 LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, GmbHR 1991, 23; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 7; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 24 A.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 7; Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 25 Weitgehend übereinstimmend Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 80 AktG Rz. 14. 26 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 6. 27 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2. 28 A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; wie hier Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8. 29 A.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. 30 Ebenso Lenz in Michalski u.a., Rz. 8; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3; Wünsch in FS Schwarz, Wien 1991, S. 581. 31 S. die Entsprechungstabelle, die der Richtlinie (EU) 2017/1132, ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 129 als Anlage beigefügt ist.

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§ 35a Rz. 6 | Angaben auf Geschäftsbriefen gemacht werden. Dazu gehören die notwendigen Angaben zur Identifizierung des Registers, die Nummer der Eintragung der Gesellschaft sowie die Rechtsform und der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft und gegebenenfalls, dass sich die Gesellschaft in Liquidation befindet. Wird das Gesellschaftskapital angegeben, so bedarf es der Angabe des gezeichneten und des eingezahlten Kapitals. 7 Die Angaben nach § 35a Abs. 1 sind auch bei E-Mails anzugeben32. Dies gilt aber nicht für

SMS33. Das folgt aus Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Signatur und die notwendigen Angaben lassen sich ohne technischen Aufwand anfügen. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, es widerspreche dem Gedanken der papierlosen elektronischen Kommunikation. Es folgt dies aber aus einer richtlinienkonformen Auslegung. In der Richtlinie vom 14.6.201734 heißt es ausdrücklich in Art. 26, dass die Angaben gemeint sind, die auf Briefen oder Bestellscheinen zu erfolgen haben, soweit diese in Papier „oder in sonstiger Weise“ erstellt werden. Nicht ausreichend ist eine Verknüpfung mit einem Hyperlink, der die erforderlichen Angaben enthält35. Denn die Abrufbarkeit und die inhaltliche Unverändertheit der extern gespeicherten Angaben, auf die der Link verweist, ist regelmäßig nicht gewährleistet. Ein E-Mail-Anhang muss die Vorgaben des § 35a Abs. 1 insoweit erfüllen, als dieser ebenfalls einen Geschäftsbrief darstellt36. 8 Noch weitgehend ungeklärt ist die Anwendbarkeit des § 35a auf Twitter-Mitteilungen und

Blogbeiträge. Richtigerweise ist ein Blog einem Geschäftsbrief i.S.d. § 35a nur dann gleichzustellen, wenn er vom Unternehmen betrieben wird37. Dies folgt aus dem Zweck der Vorschrift, Gläubigerschutz und Transparenz zu stärken. Twittermitteilungen dürften SMS gleichzustellen sein38. Auf sie ist die Vorschrift also nicht anzuwenden39.

4. Bestimmter Empfänger 9 Der Geschäftsbrief muss an einen bestimmten Empfänger gerichtet sein. Das trifft dann zu,

wenn die geschäftliche Mitteilung selbst oder der sie verschließende Umschlag an eine individuell bezeichnete Person adressiert ist. Keine Unterrichtspflicht im Sinne des § 35a Abs. 1 Satz 1 besteht danach bei geschäftlichen Mitteilungen der GmbH für einen unbestimmten oder nur durch Gruppenmerkmale bestimmten Personenkreis, z.B. bei der Verteilung von Werbeschriften, Postwurfsendungen (adressiert an „alle“ Hauseigentümer, Ärzte usw.), Zeitschriftenanzeigen oder anderen „öffentlichen Bekanntmachungen“. Die Angabepflicht er32 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Lenz in Michalski u.a., Rz. 8; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3; Reusch, NVersZ 2000, 1, 4; Schmittmann/Ahrens, DB 2002, 1038; Maaßen/Orlikowski-Wolf, BB 2007, 561; zur Umsetzung in der Praxis: Glaus/Gabel, BB 2007, 1744; a.A. für § 35a Abs. 1 Satz 1 a.F. Mutter, GmbHR 2001, 336. 33 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3; Hoeren/Pfaff, MMR 2007, 207, 208; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Maaßen/OrlikowskiWolf, BB 2007, 561. 34 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 35 A.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Glaus/Gabel, BB 2007, 1744, 1747; Leuering/Rubel, NJW-Spezial 2008, 47, 48; wie hier: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28; Hoeren, MittdtschPatAnw 2010, 351, 358; Hoeren/Pfaff, MMR 2007, 207, 209; Rath/Hausen, K&R 2007, 113, 115; vgl. umfassend zu technischen Lösungsansätzen Roth/Groß, K&R 2002, 127. 36 Haßler, BB 2016, 461. 37 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3. 38 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3; für Facebook und Twitter vgl. auch Spindler in MünchKomm. AktG, § 80 Rz. 18. 39 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Haßler, BB 2016, 461 für § 80 AktG; a.A. Schrey/Kielkowski/Gola, MMR 2017, 656, 658.

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Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 14 § 35a

streckt sich in gleicher Weise auf den Geschäftsverkehr im Inland wie auf den Geschäftsverkehr mit dem Ausland.

5. Interner Schriftverkehr Der interne Schriftverkehr der Gesellschaft fällt nicht unter § 35a. Dazu rechnet auch der 10 Schriftverkehr mit den betriebsverfassungsrechtlichen Organen, mit oder zwischen den Zweigniederlassungen der Gesellschaft, nicht dagegen derjenige zwischen rechtlich selbständigen Konzernunternehmen40. Ebenso wenig ist der Schriftverkehr der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern betroffen, soweit er sich auf das Gesellschaftsverhältnis bezieht41.

IV. Angaben auf Geschäftsbriefen 1. Die notwendigen Angaben Die in § 35a Abs. 1 Satz 1 aufgezählten Angaben müssen auf den Geschäftsbriefen der Gesell- 11 schaft gemacht werden, soweit nicht die Ausnahme des § 35a Abs. 2 eingreift. a) Die Rechtsform kann wie auch sonst im Geschäftsverkehr (s. §§ 4, 19) in der abgekürzten 12 Form „GmbH“ verwendet werden. Ihre Bedeutung ist allgemein bekannt42. In der Insolvenz der Gesellschaft ändert sich deren Rechtsform nicht. Dennoch ist die Angabe darüber nach Sinn und Zweck der Vorschrift notwendig43. Für die Unternehmergesellschaft ist das Kürzel „UG“ zulässig44; jedoch ist der Zusatz „haftungsbeschränkt“ in jedem Fall zwingend ungekürzt anzufügen45, vgl. § 5a Abs. 1. b) Der anzuführende Sitz der Gesellschaft ist derjenige i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG, § 17 13 ZPO46. Nicht genügend ist daher die Angabe des Ortes der Betriebsstätte oder einer Zweigniederlassung, auch wenn der Geschäftsbrief von dort aus abgesandt worden ist47. Desgleichen reicht die bloße Ortsangabe beim Datum nicht aus48, da sich daraus nicht hinreichend sicher auf den satzungsmäßigen Sitz schließen lässt. c) Das Registergericht und die Registernummer müssen als solche zweifelsfrei erkennbar 14 dem Geschäftsbrief zu entnehmen sein, was aber auch mit einer abgekürzten Angabe, wie

40 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; a.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; differenzierend: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13. 41 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Lenz in Michalski u.a., Rz. 5; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 42 Eb. Kreplin, BB 1969, 1113; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Lenz in Michalski u.a., Rz. 2; Wünsch in FS Schwarz, Wien 1991, S. 586; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 11: Rechtsformzusatz erfolgt schon in Firma. 43 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 11; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; a.A. Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31. 44 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 8; zur Haftung des Handelnden bei fehlendem Rechtsformzusatz; Pietzarka, GmbHR 2017, 73; Beck, ZIP 2017, 1748. 45 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 31; BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, NJW 2012, 2871, 2873 = GmbHR 2012, 953, 954. 46 BGH v. 7.10.1977 – I ARZ 494/77, WM 1977, 1427. 47 Eb. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 12. 48 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; a.M. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Kreplin, BB 1969, 1113.

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§ 35a Rz. 14 | Angaben auf Geschäftsbriefen z.B. „Amtsgericht X HRB 5“49, zu erreichen ist, zumal diese Form auch in den Rechten anderer EU-Staaten gebräuchlich ist. 15 d) Die Geschäftsbriefe müssen alle Geschäftsführer der GmbH, also auch die Notgeschäfts-

führer und die stellvertretenden Geschäftsführer (§ 44) mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen anführen. Der Hinweis auf die Stellvertretereigenschaft ist zulässig, aber nicht notwendig50. Hat die Gesellschaft einen Arbeitsdirektor zu bestellen, so kann dies aufgeführt werden. Es besteht jedoch keine gesetzliche Pflicht hierzu51. Sollte ein Notgeschäftsführer bestellt worden sein, so ist dieser anzugeben52. 16 e) Falls vorhanden, ist in derselben Weise auch der Vorsitzende des Aufsichtsrats zu nennen.

Für die Veröffentlichungspflicht ist insoweit nicht die Bezeichnung des Gesellschaftsorgans im Gesellschaftsvertrag, sondern nur der Umstand maßgebend, dass ihm (jedoch nicht notwendig allein) die Aufgaben des Aufsichtsrats (vgl. dazu § 52) übertragen worden sind53. Ohne Bedeutung ist es auch, ob es sich um einen obligatorischen oder einen fakultativen Aufsichtsrat handelt54 und ob die Pflicht zur Wahl eines Vorsitzenden besteht. Ist die Position des Vorsitzenden des Aufsichtsrats vakant, ist es nicht erforderlich, den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden auf den Geschäftsbriefen der Gesellschaft aufzuführen, da der Stellvertreter durch den Wegfall des Vorsitzenden nicht automatisch zum Aufsichtsratsvorsitzenden aufrückt55. 17 f) Noch ungeklärt ist die Frage, welche Angaben auf Geschäftsbriefen aufzuführen sind, wenn

– anders als es die Regelung des § 35a Abs. 1 an sich vorsieht – die Gesellschaft nicht für sich im eigenen Namen tätig wird, sondern für einen Dritten gehandelt wird. Da die Verpflichtung aus § 35a Abs. 1 die GmbH dann trifft, wenn ihr ein Handeln zuzurechnen ist, ist maßgeblich, ob die handelnde Person innerhalb der Gesellschaft tätig ist oder außerhalb der Gesellschaft56. Im ersten Fall liegt eine Mitteilung der vertretenen Gesellschaft vor, so dass die Angaben für die GmbH zu machen sind, im zweiten läge eine Mitteilung der vertretenden Person vor, so dass diese ihr eigenes Briefpapier benutzen müsste57.

2. Angaben über das Gesellschaftskapital 18 Die Gesellschaft braucht in ihren Geschäftsbriefen keine Angaben über das Gesellschafts-

kapital, über die Vermögensverhältnisse oder über die Bilanzsumme zu machen. Wenn sie es aber gleichwohl tut, so muss sie den Betrag des Stammkapitals und den Gesamtbetrag der ausstehenden Geldeinlagen angeben (§ 35a Abs. 1 Satz 2). Sacheinlagen erwähnt das Gesetz wegen der Verpflichtung zur Vollleistung vor der Anmeldung nicht, § 7 Abs. 3. Sind die Sacheinlagen aus irgendeinem Grunde dennoch ganz oder teilweise nicht geleistet, so wird man die Angabepflicht auch auf sie erstrecken müssen58.

49 So Kreplin, BB 1969, 1114 Fn. 26. 50 Eb. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 14; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 2; a.A. (unzulässig) Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22. 51 Eb. Lehmann/Heinsius, Aktienrecht und Mitbestimmung, 1986, S. 44. 52 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23. 53 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24 m.w.N. 54 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 3; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15. 55 Haßler, BB 2016, 461, 462 zu § 80 AktG. 56 Bredol, NZG 2017, 611, 613. 57 Bredol, NZG 2017, 611, 613. 58 Lenz in Michalski u.a., Rz. 3; a.M. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25.

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Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 23 § 35a

Die Regelung des § 35a Abs. 1 Satz 2 schließt nicht aus, dass Dritte durch die genannten Angaben irregeführt werden, z.B. beim Verlust eines wesentlichen Teils des Stammkapitals. Ein Schutz vor irreführenden Angaben ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 3, 5 UWG, § 826 BGB gegeben, u.U. auch aus Verschulden bei Vertragsschluss. Über den Verweis in § 71 Abs. 5 Halbsatz 2 ist eine sinngemäße Anwendung des § 35a auf 19 Gesellschaften in Liquidation angeordnet; Halbsatz 1 der Vorschrift ordnet ferner einen ergänzenden Hinweis auf die Tatsache an, dass sich die Gesellschaft in Liquidation befindet59.

3. Nicht erforderliche Angaben Der Katalog der in § 35a Abs. 1 genannten verpflichtenden Angaben ist abschließend. Anga- 20 ben darüber, ob die Gesellschaft ein Konzernunternehmen ist, welche Gesellschaft herrschendes Unternehmen ist und ob Unternehmensverträge bestehen usw., sind daher zwar nicht verpflichtend, aber zur Information der Geschäftspartner zulässig. Weiterhin können Angaben über die Zertifizierung, die Gleichstellungspolitik des Unternehmens, die Größenordnung der Steuerzahlungen im Inland usw. erfolgen.

V. Vordrucke bei Geschäftsverbindung Die Befreiung von der Veröffentlichungspflicht in § 35a Abs. 2 ist in mehrfacher Hinsicht 21 beschränkt. 1. Sie bezieht sich nur auf geschäftliche Mitteilungen und Berichte, für die im Geschäftsver- 22 kehr üblicherweise Vordrucke verwendet werden, die lediglich mit den sich auf den Einzelfall beziehenden besonderen Angaben (z.B. über den Gegenstand der Lieferung oder Leistung, den Preis, die Lieferzeit u.Ä.) ausgefüllt zu werden brauchen. Zu denken ist an Kontoauszüge, Lieferscheine, Scheckformulare60, Rechnungen, Mahnungen61. Üblich ist die Verwendung eines Vordrucks dann, wenn er zumindest von einem nicht nur unerheblichen Teil des Geschäftsverkehrs regelmäßig benutzt wird; auch für branchenspezifische Vordrucke kann das zutreffen. Erforderlich ist, dass sich die ausfüllungsbedürftigen Teile des Vordrucks ebenfalls im Rahmen des Üblichen halten62. 2. Die Befreiung setzt weiter voraus, dass zwischen der Gesellschaft und dem Dritten eine 23 Geschäftsverbindung besteht. Es braucht sich nicht um eine schon längere Zeit andauernde Geschäftsverbindung zu handeln, sondern es genügt, wenn zuvor erst ein geschäftlicher Kontakt stattgefunden hat und bei dieser Gelegenheit in der Korrespondenz die vorgeschriebenen Angaben einmal gemacht worden sind63. Allerdings darf dieser Kontakt nicht zu lange zurückliegen64, da die Ausnahme des § 35a Abs. 2 auf der Annahme einer durch die Geschäftsverbindung vermittelten Kenntnis der angabepflichtigen Umstände beruht. Abzuleh-

OVG Berlin-Brandenburg v. 13.10.2009 – OVG 11 S 51.09, BeckRS 2009, 40105 = Juris. LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, GmbHR 1991, 23. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 5 (Rechnungen); Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 24. Eb. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 80 AktG Rz. 18. Einmahl, AG 1969, 136; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37. 64 A.A. Lenz in Michalski u.a., Rz. 10; ähnlich wie hier Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 11, es dürfe nicht mehr als ein Jahr vergangen sein.

59 60 61 62 63

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§ 35a Rz. 23 | Angaben auf Geschäftsbriefen nen ist deshalb auch die Meinung, die es für ausreichend hält, dass die Parteien schon „irgendwie“ miteinander in Verbindung getreten waren65. 24 Die Ausnahme von der Angabepflicht ist auf Bestellscheine nicht anwendbar (§ 35a Abs. 3

Satz 2).

VI. Inländische Niederlassung einer GmbH mit Sitz im Ausland oder einer ausländischen Gesellschaft (§ 35a Abs. 4) 1. Anwendungsbereich 25 § 35a Abs. 4 wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der Zweigniederlassungsrichtlinie der

EG66 eingefügt67. Die einschlägigen Vorschriften befinden sich heute in Art. 29 ff. Richtlinie (EU) 2017/113268. § 35a Abs. 4 entspricht § 80 Abs. 4 AktG. Erleichtert wurde hierdurch die Niederlassung von EU-Gesellschaften im Inland und geschützt werden Personen, die mit einer Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft in Beziehung treten. 26 Erweitert wurden die Angabepflichten auf inländische Zweigniederlassungen ausländischer

Gesellschaften mit Sitz im Ausland. Das Gesetz unterscheidet dabei nicht zwischen Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten und Gesellschaften aus Drittstaaten. Entscheidend ist: Die Gesellschaft muss der GmbH entsprechen69. Für ausländische Gesellschaften, die im Wege des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs unmittelbar aus dem Ausland tätig werden, fehlt eine entsprechende Vorschrift im Inland70. Für Gesellschaften mit Sitz in einem anderen EU-Land bestehen jedoch aufgrund der Richtlinie (EU) 2017/1132 entsprechende Regelungen. Weil das Register anzugeben ist, in dem die Zweigniederlassung eingetragen ist, könnte man schließen, dass nur eingetragene Zweigniederlassungen betroffen sind. Die Angabepflichten bestehen jedoch auch für nicht eingetragene Zweigniederlassungen und Betriebsstätten71. 27 § 35a Abs. 4 ist auch auf eine deutsche GmbH mit Sitz im Ausland anzuwenden, wenn sie

im Inland eine Niederlassung hat72.

2. Erforderliche Angaben 28 Anzugeben ist das inländische Register, bei dem die Zweigniederlassung geführt wird, § 13d

HGB, und die Nummer des Registereintrags. Im Übrigen verweist § 35a Abs. 4 auf die Abs. 1 bis 373. Mit Blick darauf war streitig, ob die Geschäftsbriefe und Bestellscheine einer Zweigniederlassung zusätzlich zu den eigenen Angaben auch Angaben über die im Ausland belegene Gesellschaft, nämlich das ausländische Gesellschaftsregister und die ausländische

65 So noch Meyer-Landrut in Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 80 AktG Anm. 2; wie hier Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 20 („in überschaubarer Vergangenheit“). 66 BGBl. I 1993, 1282, 1285. 67 Seibert, GmbHR 1992, 738: „Gemeinschafts-Allotria“. 68 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 69 S. dazu Seibert, GmbHR 1992, 741 sowie dort Fn. 14; Kindler, NJW 1993, 3303. 70 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41. 71 Ebenso Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 25; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6. 72 A.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42. 73 Gestaltungsvorschläge bei Bärwaldt/Schabacker, AG 1996, 462.

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Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 32 § 35a

Registernummer, enthalten mussten74. Der Streit ist zugunsten einer doppelten Angabeverpflichtung zu entscheiden. Dies entspricht dem Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, wonach zugunsten einer Stärkung der Transparenz und des Gläubigerschutzes in § 35 Abs. 4 Satz 1 nach den Wörtern „Absätze 1 bis 3“ die Wörter „für die Angaben bezüglich der Haupt- und Zweigniederlassung“ eingefügt wurden (s. hierzu schon Rz. 2). Verlangt ist, dass auch inländische Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften die 29 nach § 35a Abs. 1 bis 3 erforderlichen Angaben machen müssen, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen erfordert. Anzugeben ist insbesondere der statuarische Sitz der Gesellschaft75. Der Inhalt der geforderten Pflichtangaben ergibt sich aus der Richtlinie (EU) 2017/ 1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts76. Es besteht eine doppelte Angabeverpflichtung: Es müssen die Angaben für die inländische 30 Zweigniederlassung und zusätzlich die für die ausländische Hauptniederlassung angefügt werden. Die Angaben – auch über die ausländische Hauptniederlassung – haben dabei in deutscher Sprache zu erfolgen77. Bereits bestehende inländische Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften, die bisher die Angaben über die ausländische Hauptniederlassung nicht aufgeführt haben, müssen ihre Geschäftsbriefe daher entsprechend ergänzen. Anzugeben sind die vollständige ausländische Firma nebst Rechtsformzusatz78. Die Anga- 31 ben sind in deutscher Sprache zu machen79. Die ausländische Rechtsform ist nicht zu übersetzen80; zulässig sind aber erläuternde Klammerzusätze (z.B. GmbH französischen Rechts). Aufzuführen sind ferner die Registerangaben der ausländischen Gesellschaft81. Wird das Register nicht bei einem Gericht geführt, so ist die Institution anzugeben, die das Register führt82. Eine Freistellung erfolgt nach dem Wortlaut nach § 35a Abs. 4 nur, soweit das ausländische Recht Abweichungen nötig macht, etwa weil kein Register besteht oder keine Eintragung erforderlich ist83. Befindet sich die ausländische Gesellschaft in Liquidation, so sind nach der ausdrücklichen Regelung des § 35a Abs. 4 Satz 2 auch diese Tatsache sowie alle Liquidatoren anzugeben.

VII. Verletzungsfolgen 1. Ordnungsvorschrift § 35a enthält eine Ordnungsvorschrift. Das Registergericht des Gesellschaftssitzes hat für 32 die Befolgung zu sorgen. Es kann gegen die Geschäftsführer oder Liquidatoren nach § 79 Ordnungsstrafen verhängen, wenn die Geschäftsbriefe der Gesellschaft die vorgeschriebenen Angaben nicht oder, was dem gleichsteht, nicht richtig enthalten. Doch soll das Registerge74 Dafür etwa schon Altmeppen in Roth/Altmeppen, 5. Aufl. 2005, Rz. 6; Lenz in Michalski, 1. Aufl. 2002, Rz. 15; dagegen etwa noch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 18. Aufl. 2006, Rz. 10. 75 Otte, BB 2009, 344, 345. 76 Richtlinie (EU) 2017/1132, ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46, die die Richtlinie 2009/101/EG, ABl. Nr. L 258 v. 1.10.2009, S. 11, und ihre Ergänzung (Richtlinie 2003/58/EU, ABl. EU Nr. L 221 v. 4.9.2003, S. 13) ersetzt. 77 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 78 Lenz in Michalski u.a., Rz. 15; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6. 79 Begr. RegE MoMiG zu § 35a, BT-Drucks. 16/6140, S. 104. 80 Kögel, 1993, 8, 9. 81 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 26; einschränkend: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52. 82 Bärwaldt/Schabacker, AG 1996, 461, 463 sowie die Zusammenstellung in EuZW 1992, 528. 83 Bärwaldt/Schabacker, AG 1996, 461.

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§ 35a Rz. 32 | Angaben auf Geschäftsbriefen richt die Vorlage eines aktuellen Geschäftsbriefbogens nicht im Wege des Zwangsgeldverfahrens erzwingen können84. Fehlen die vorgeschriebenen Angaben, so werden in dem Geschäftsbrief enthaltene Willenserklärungen nicht unwirksam. § 35a ist keine Formvorschrift i.S.v. § 125 BGB. Zu erwägen ist jedoch, ob ein Anfechtungsgrund gegeben ist85. Darüber hinaus kommt es im Verwaltungsverfahren in Betracht, ein Widerspruchsschreiben, das die nach § 35a erforderlichen Angaben nicht enthält, nicht als Widerspruch der Gesellschaft selbst anzusehen86. Berufsrechtliche Sanktionen gegen den GmbH-Geschäftsführer wie ein Verweis oder die Auferlegung einer Geldbuße kommen ebenfalls in Betracht, da die Einhaltung wichtiger Formvorschriften der Pflicht des Geschäftsführers zur gewissenhaften Berufsausübung unterliegt87. 33 § 35a ist zugleich Schutzgesetz i.S.d. § 823 BGB88. Schadensersatzansprüche können sich

nicht nur ergeben, wenn die entsprechenden Angaben fehlen, sondern auch, wenn die betreffenden Angaben falsch oder unvollständig sind. Die Verletzung kann auch zu Ansprüchen aus Verschulden bei Vertragsschluss89, § 311 Abs. 2 BGB, gegen die Gesellschafter und die Geschäftsführer – und ggf. auch aus Rechtsscheinhaftung90 führen. Denkbar erscheint auch die Versagung der Einrede der Verjährung wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben91.

2. Haftung der Handelnden 34 Wer für eine GmbH auftritt, ohne deren Rechtsform offenzulegen, haftet in Analogie in § 179

Abs. 1 1. Alt. BGB persönlich92. Eine Privilegierung nach § 179 Abs. 2 BGB lehnt die Rechtsprechung ab. Begründet wird die Haftung der Handelnden mit dem Vertrauen Dritter in 84 So wenig überzeugend OLG Frankfurt a.M. v. 14.7.2015 – 20 W 257/13, GmbHR 2016, 366. 85 LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, WM 1990, 1872 = GmbHR 1991, 23; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 30. 86 OVG Berlin-Brandenburg v. 13.10.2009 – OVG 11 S 51.09, BeckRS 2009, 40105 = Juris für den Fall einer GmbH i.L. 87 LG Bremen v. 27.5.2014 – 2 StL 1/12, DStR 2014, 2096. 88 LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, GmbHR 1991, 23; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52; ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 80 Rz. 22; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 31 und, soweit es um den Rechtsformzusatz geht, Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2836. 89 LG Heidelberg v. 31.5.1996 – 8 O 2/96 GmbHR 1997, 446; LG Frankfurt a.M. v. 26.4.2001 – 2/24 S 342/00, 2-24 S 342/00, NJW-RR 2001, 1425; Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2836; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 8; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 90 LG Heidelberg v. 31.5.1996 – 8 O 2/96, GmbHR 1997, 446; BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953: Haftung des handelnden GmbH-Geschäftsführers analog § 179 Abs. 1 BGB, wenn er durch das Weglassen des Rechtsformzusatzes beim Geschäftsgegner den Eindruck erweckt hat, ihm hafte eine natürliche Person unbeschränkt; enger hingegen LG Düsseldorf v. 16.10.2013 – 9 O 434/12, ZIP 2014, 1174, 1175 f. = GmbHR 2014, 33: keine persönliche Haftung bei Verwendung der Bezeichnung „UG“ ohne den Zusatz „(haftungsbeschränkt)“; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; kritisch gegenüber der allgemeinen Rechtsscheinhaftung Klein, NJW 2015, 3607, 3609 ff.; Pietzarka, GmbHR 2017, 73, 77; vgl. auch Beurskens, NZG 2016, 681, 686, der sich für eine Analogie zu § 11 Abs. 2 ausspricht; eingehend zu den verschiedenen Haftungsmöglichkeiten bei fehlendem oder fehlerhaftem Rechtsformzusatz Beck, ZIP 2017, 1748. 91 LG Frankfurt a.M. v. 26.4.2001 – 2/24 S 342/00, NJW-RR 2001, 1425; Beurskens in Baumbach/ Hueck, Rz. 30; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 92 BGH v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 222; BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 16; BGH v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, GmbHR 1982, 154 = NJW 1981, 2569; Beck, ZIP 2017, 1748; Klein, NJW 2015, 3607; Pietzarka, GmbHR 2017, 73; kritisch Beurskens, NZG 2016, 681.

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Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 36 § 35a

die Rechtsform und ihr gebundenes Vermögen. Die Haftung erstreckt sich auf jeden Handelnden, also nicht nur auf die vermeintlichen Organmitglieder93.

3. Unlauterer Wettbewerb Streitig ist, ob das Fehlen von Pflichtangaben auf Geschäftsbriefen einen Wettbewerbsverstoß, 35 und zwar gegen § 3a UWG, darstellt94. Dafür spricht, dass die Pflicht zu den vorgeschriebenen Angaben nicht nur auf einer Ordnungsvorschrift beruht. Die Transparenz der Identität des Absenders hat insbesondere Bedeutung für den Wettbewerb. Im Zweifel greift die Bagatellgrenze des § 3 UWG95. Diese dürfte jedenfalls dann nicht überschritten sein, wenn dem Empfänger die nach § 35a erforderlichen Angaben im Rahmen einer bestehenden Geschäftsbeziehung im Wesentlichen bekannt wurden96. Für die Frage lassen sich unter Berücksichtigung der UWG-Novelle97 neue Erkenntnisse gewinnen98. Neben einem Verstoß gegen § 3a UWG kann durch das Unterlassen der Pflichtangaben – zu- 36 mindest in Fällen des Angebots von Waren und Dienstleistungen gegenüber Verbrauchern99 – auch eine unlautere Handlung durch irreführendes Unterlassen i.S.v. § 5a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 UWG vorliegen. Danach handelt unlauter, wer die Entscheidung eines Verbrauchers durch Vorenthalten einer – für den Verbraucher – wesentlichen Information beeinflusst, § 5a Abs. 2 UWG. Als wesentlich gilt dabei auch die Information über die Identität des Unternehmers, § 5a Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1 UWG. Durch § 5a Abs. 2 UWG soll, in Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG100, gewährleistet werden, dass der Verbraucher eine an wesentlichen Informationen ausgerichtete geschäftliche Entscheidung treffen kann. Die Vorschrift begründet also keine generelle Informationspflicht, sondern verpflichtet grundsätzlich allein zur Offenlegung solcher Informationen, die für die geschäftliche Entscheidung erhebliches Gewicht haben und deren Angabe unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen vom Unternehmer erwartet werden kann101. Die Identität des Absenders eines Geschäftsbriefs ist dabei ebenso wesentlich wie etwa die Angabe der Identität desjenigen, der ein Produkt bewirbt.

93 LG Frankfurt a.M. v. 26.4.2001 – 2/24 S 342/00, NJW-RR 2001, 1425; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 94 Dafür LG Bonn v. 22.6.2006 – 14 O 50/06, BeckRS 2006, 10375 = Juris (zu § 35a); Krebs in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 37a HGB Rz. 12; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57; Rath/Hausen, K&R 2007, 113, 114; Maaßen/Orlikowski-Wolf, BB 2007, 561, 564; dagegen KG v. 26.2.1991 – 5 U 466/91, 5 W 467/91, GmbHR 1991, 470; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; Lenz in Michalski u.a., Rz. 12; offen gelassen OLG Düsseldorf v. 6.5.2003 – 20 U 174/02, GRUR-RR 2004, 25 = NJW-RR 2004, 41; nach OLG Köln v. 28.4.2017 – 6 U 152/16, GmbHR 2017, 983, 985 stellt § 325 HGB keine Marktverhaltensregelung i.S.d. § 3a UWG dar. 95 Vgl. Hoeren, MittdtschPatAnw 2012, 351, 359; Maaßen/Orlikowski-Wolf, BB 2007, 561, 564 f. 96 OLG Hamburg v. 12.9.2007 – 5 U 208/06, BeckRS 2008, 02754 = Juris. 97 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 2.12.2015, BGBl. I 2015, 2158. 98 S. auch Maaßen/Orlikowski-Wolf, BB 2007, 561; zurückhaltend aber Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 99 Begr. RegE für ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BTDrucks. 16/10145, S. 49. 100 Richtlinie 2005/29/EG vom 11.5.2005, ABl. EU Nr. L 149 v. 11.6.2005, S. 22. 101 BGH v. 16.5.2012 – I ZR 74/11, WM 2013, 949.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 185

§ 35a Rz. 37 | Angaben auf Geschäftsbriefen 37 Wettbewerbsrechtlich relevant sind insbesondere die zusätzlichen (doppelten) Pflichtanga-

ben, die inländische Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften machen müssen. Denn die Ergänzung des § 35a in Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 dient nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich der Stärkung der Transparenz und des Gläubigerschutzes sowie der Gleichbehandlung deutscher Gesellschaften mbH mit Auslandsgesellschaften102. Der Empfänger eines Geschäftsbriefs soll erkennen können, wer, in welchem Staat und in welcher Organisationsform hinter der „im inländischen Gewande“ auftretenden Zweigniederlassung steht. 38 Die Transparenz der Identität des Absenders hat heute nicht mehr nur „auch“ Bedeutung

für den Wettbewerb. Vielmehr ist die Kenntnis über die genaue Identität des Geschäftspartners zu einem maßgeblichen Wettbewerbsfaktor geworden.

102 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43.

186 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

§ 36 Zielgrößen und Fristen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern Die Geschäftsführer einer Gesellschaft, die der Mitbestimmung unterliegt, legen für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen die für die jeweilige Führungsebene angestrebte Anzahl der Frauen und den angestrebten Frauenanteil an der jeweiligen Führungsebene beschreiben. Legen die Geschäftsführer für den Frauenanteil auf einer der Führungsebenen die Zielgröße Null fest, so haben sie diesen Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein. Eingefügt durch Gesetz vom 24.4.2015 (BGBl. I 2015, 642). Durch das Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG II) ist geplant, nach Satz 1 die hier kursiv gesetzten Sätze 2 bis 4 einzufügen. Zum Zeitpunkt der Drucklegung stand die Verabschiedung noch bevor. Die Kommentierung nimmt bereits Bezug auf den neuen Gesetzestext. I. II. III. 1. 2. IV. 1. 2. V. 1.

Der Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Verfassungsrechtliche Vorbehalte? . . . 5 Der Anwendungsbereich Gesetzliche Mitbestimmungen . . . . . . . 6 Konzernunternehmen . . . . . . . . . . . . . . 7 Die Pflichten der Geschäftsführer Konzernfreie Gesellschaften . . . . . . . . . 8 Weisungen der Gesellschafter . . . . . . . . 11 Die Zielgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Ermittlung des Ist-Zustands . . . . . . . . . 13

2. 3. 4. 5. 6. VI.

Ermittlung der Zielgrößen . . . . . . . . . . Die beiden Führungsebenen . . . . . . . . . Konkretisierung der Zielgrößen . . . . . . Die Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernunternehmen . . . . . . . . . . . . . . Erklärungen zur Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Veröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Verhältnis zum AGG . . . . . . . . . . . . . .

15 18 21a 22 24 25 31 32 37

Schrifttum: DAV, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, NZG 2014, 1214; Franzmann, Praxisfragen der Frauenquote, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, Bd. 21 2016, S. 97; Fromholzer/Simons, Die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Aufsichtsrat, Geschäftsleitung und Führungspositionen, AG 2015, 457; Göpfert/Rottmeier, Frauenquote aus arbeitsrechtlicher Sicht, ZIP 2015, 670; Habersack/Kersten, Chancengleiche Teilhabe an Führungspositionen in der Privatwirtschaft – Gesellschaftsrechtliche Dimensionen und verfassungsrechtliche Anforderungen, BB 2014, 2819; Herb, Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen – Umsetzung in der Praxis, DB 2015, 964; Hohenstatt/Seibt, Geschlechter- und Frauenquote in der Privatwirtschaft, 2015; Hohenstatt/Willemsen/Naber, Zum geplanten Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen. Gut gemeint aber auch gut gemacht?, ZIP 2014, 2220; Jung, Herausforderung Frauenquote, DStR 2014, 960; Junker/Schmidt-Pfitzner, Quoten und Zielgrößen für Frauen (und Männer) in Führungspositionen, NZG 2015, 929; Kraack/Steiner, Der Widerspruch gegen die Gesamterfüllung der festen Geschlechterquote im Aufsichtsrat, ZIP 2018, 49; Leydecker/Bahlinger, Frauenquoten im Gesellschaftsrecht, NZG 2020, 1212; Löwisch, Zielgrößen für den Frauenanteil auf Führungsebenen: Beteiligung von Betriebsrat und Sprecherausschuss, BB 2015, 1909; Müller-Bonanni/Forst, Frauenquoten in Führungspositionen der GmbH, GmbHR 2015, 621; Ohmann-Sauer/Langemann. Der Referentenentwurf zur Einführung einer „gesetzlichen Frauenquote“, NZA 2014, 1120; Olbrich/Krois, Das Verhältnis von „Frauenquote“ und AGG, NZA 2015, 1288; Röder/Arnold, Geschlechterquoten und

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§ 36 Rz. 1 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern Mitbestimmungsrecht – Offene Fragen der Frauenförderung, NZA 2015, 279; Röder/Arnold, Zielvorgaben zur Förderung des Frauenanteils in Führungspositionen, NZA 2015, 1281; Rotsch/Weniger, Geschlechterquote – Umsetzungsfragen für die Praxis, Der Konzern 2015, 298; Rubner/Leuering, Die Frauenquote im Unternehmen, NJW-Spezial 2015, 207; Schüppen/Walz, „Mitbestimmungslücke“ und mangelhafte Berichterstattung über die „Frauenquote“, WPg 2015, 1155; Schulz/Ruf, Zweifelsfragen der neuen Regelungen über die Geschlechterquote im Aufsichtsrat und die Zielgrößen für die Frauenbeteiligung, BB 2015, 1155; Seibert, Frauenförderung durch Gesellschaftsrecht – Die Entstehung des Frauenfördergesetzes, NZG 2016, 16; Seibt, Geschlechterquote im Aufsichtsrat und Zielgrößen für die Frauenbeteiligung in Organen und Führungsebenen in der Privatwirtschaft, ZIP 2015, 1193; Seidler, Fehlende, unvollständige oder falsche Angaben eines Unternehmens zur Frauenquote: Pflichten des Abschlussprüfers?, BB 2016, 939; Stüber, Der Referentenentwurf zum Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst im Überblick, CCZ 2014, 261; Stüber, Regierungsentwurf zur sog. „Frauenquote“ – eine Übersicht der Neuerungen, CCZ 2015, 38; Stüber, Die Frauenquote ist da – Das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe und die Folgen für die Praxis, DStR 2015, 947; Stüber, Frauenquote: Der Praxisleitfaden und weitere aktuelle Entwicklungen, BB 2015, 2243; Teichmann/Rüb, Die gesetzliche Geschlechterquote in der Privatwirtschaft, BB 2015, 898; Thüsing/Fütterer, Führungsebene im Sinne des § 74 IV AktG, NZG 2015, 778; Wasmann/Rothenburg, Praktische Tipps zum Umgang mit der Frauenquote, DB 2015, 291; Weller/ Benz, Frauenförderung als Leitungsaufgabe, AG 2015, 467; Weller/Harms/Rentsch/Thomale, Der internationale Anwendungsbereich der Geschlechterquote für Großunternehmen, ZGR 2015, 361; Winter/ Marx/De Decker, Zielgrößen für den Frauenanteil in Führungspositionen bei mitbestimmten Unternehmen, DB 2015, 1331.

I. Der Normzweck 1 § 36 GmbHG, eine gesellschafts- und sozialpolitisch begründete Vorschrift, wurde zugleich

mit § 76 Abs. 4 AktG und § 9 Abs. 3 GenG durch Art. 15 Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG I) vom 24.4.2015 (BGBl. I 2015, 642) eingeführt. Die Vorschrift ist am 1.5.2015 in Kraft getreten1. Die praktischen Erfahrungen mit dieser Vorschrift sind noch beschränkt. Zur Orientierung haben die EAF Berlin und die KPMG unter Förderung durch die Bundesministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie der Justiz und für Verbraucherschutz einen interessenorientierten Praxisleitfaden zum Gesetz 2015 veröffentlicht2. Dazu heißt es, der Leitfaden habe keine bindende Wirkung, er enthalte keine Kommentierung des Gesetzes und er beschreibe auch keine Verwaltungspraxis. Der Praxisleitfaden wolle lediglich konkrete Hinweise zur Festlegung der Zielgrößen für Frauen in Führungspositionen geben. 2 Ausgangspunkt für die Einführung der Vorschrift war die Beobachtung, dass bisher der An-

teil weiblicher Führungskräfte in Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft und der Bundesverwaltung gering war. Sie widerspreche, so heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung, „einer geschlechtergerechten Teilhabe an verantwortungsvollen Positionen in der deutschen Wirtschaft“3. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 3 GG hat der Staat die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen hatten nicht die gewünschte Wirkung erzielt, den Frauenanteil an Führungspositionen zu erhöhen. Auch das Bundesgremienbesetzungsgesetz und das Frauenfördergesetz, jeweils aus dem Jahr 1994, sowie das Bundesgleichstellungsgesetz aus dem Jahr 2001 hatten im Bereich des öffentlichen 1 Zur Entstehung: Seibert, NZG 2016, 16. 2 Bei BMFSFJ abrufbar unter http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Meldungen/Zielsi cher-Mehr-Frauen-in-Fuehrungspositionen/praxisleitfaden,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de, rwb=true.pdf; s. dazu Stüber, BB 2015, 2243. 3 BT-Drucks. 18/3784.

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Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 5 § 36

Dienstes des Bundes nicht die gewünschte Wirkung. Dabei ist die Zahl qualifizierter Frauen in den letzten Jahren stetig angestiegen. Ziel des Gesetzes ist es, den prozentualen Anteil an Frauen in Spitzenpositionen der Unternehmen zu fördern, und zwar in einem ersten Schritt durch eine flexible Frauenquote „in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer“. Denn es reiche nicht aus, nur den Frauenanteil im Vorstand bzw. bei den Geschäftsführern und dem Aufsichtsrat zu erhöhen. „Es müssen Frauen auch auf den Ebenen unterhalb des Vorstands gefördert werden.“4 Das Gesetz ist in wesentlichen Bereichen Symbolgesetzgebung. Das Gesetz begrenzt nicht 3 die Organisationsfreiheit bei der GmbH. Das Gesetz erfüllt seinen öffentlichen Auftrag, weil es die Unternehmen anhält, sich der gesellschaftlichen Diskussion zu stellen, „mittelfristig eine signifikante Erhöhung des Frauenanteils an Führungspersonen“ zu erreichen. Es enthält aber in begrenztem Umfang auch neue Pflichten. Dazu gehören fünf neue Informationspflichten in den Art. 3–19 des genannten Gesetzes. Zweifelhaft sind die Rechtsfolgen bei Verletzung des Verschlechterungsverbots. Teilweise wird 4 nämlich die Ansicht vertreten, dass die Zielgrößen nach § 36 den jeweils erreichten Frauenanteil in den Führungspositionen nicht unterschreiten dürften. Dies hätte zur Folge, dass die Gesellschaft einen Arbeitsplatz nur noch mit weiblichen Arbeitnehmern besetzen dürfte5. Dem ist nicht zu folgen (s. dazu Rz. 36). Das FüPoG I soll durch das Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die 4a gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG II)6 ergänzt werden. Vorgesehen ist, nach § 36 Satz 1 folgende Sätze einzuführen: „Die Zielgrößen müssen die für die jeweilige Führungsebene angestrebte Anzahl der Frauen und den angestrebten Frauenanteil an der jeweiligen Führungsebene beschreiben. Legen die Geschäftsführer für den Frauenanteil auf einer der Führungsebenen die Zielgröße Null fest, so haben sie diesen Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen.“ Der am 6.1.2021 vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf ist zum Zeitpunkt der Kommentierung noch nicht endgültig beschlossen, mit seiner Verabschiedung ist aber zu rechnen. Vorgesehen sind u.a. in der mitbestimmten GmbH weitergehendende Beschreibungs- und Begründungspflichten für die Geschäftsführer für die nach dem FüPoG I bestimmten Zielgrößen (s. Rz. 21a-c).

II. Verfassungsrechtliche Vorbehalte? Verfassungsrechtliche Vorbehalte gegenüber dem genannten Gesetz im Allgemeinen und ge- 5 genüber § 36 sind nicht begründet; denn das Gesetz handelt nur von Zielgrößen, die nicht unter 30 Prozent für Frauen liegen sollen. § 36 enthält daher eine flexible Regelung unter Beachtung der Entscheidungsfreiheit der Gesellschaft und der zuständigen Organe. Bedenklich könnte nur die Verletzung der Geschlechterneutralität sein7.

4 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119; sehr kritisch Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 2. 5 So Buck/Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 4. 6 Zweites Führungspositionsgesetz (FüPoG II), Veröffentlichung des BMFSFJ vom 6.1.2021, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/blob/164128/e8fc2d9afec92b9bd424f89ec28f2e5b/gesetzentwurf-aende rung-fuepog-data.pdf. 7 So Habersack/Kersten, BB 2014, 2819, 2828; Altmeppen, 10. Aufl., Rz. 5; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 461; wie hier Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1.

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§ 36 Rz. 5 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern Verfassungsrechtlich unbedenklich ist die Anwendung von § 36, wenn und weil Frauen nicht allein wegen ihres Geschlechts vorgezogen werden, sondern auch andere berufsqualifizierende Merkmale bei der Förderung berücksichtigt werden8. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre nur eine gesetzliche Pflicht zur Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation. Das verlangt aber § 36 nicht. § 36 rechtfertigt nicht, Frauen nur wegen ihres Geschlechts zu bevorzugen. Männer werden daher nicht diskriminiert.

III. Der Anwendungsbereich 1. Gesetzliche Mitbestimmungen 6 Der Anwendungsbereich von § 36 ist auf inländische Gesellschaften beschränkt, wenn sie

der gesetzlichen Mitbestimmung unterliegen. Das sind Gesellschaften, die nach dem DrittelbG, dem MitbestG 1976, dem Montan-MitbestG oder dem MitbestErgG mitbestimmt sind. Das sind Gesellschaften mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern. GmbHs mit in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmern sind daher nicht im Anwendungsbereich des § 36. Nicht im Anwendungsbereich liegen zudem Gesellschaften, die aus anderen gesetzlichen Gründen, z.B. nach § 18 Abs. 2 KAGB, einen Aufsichtsrat zu bilden haben, aber nicht mitbestimmt sind. Das Entsprechende gilt für Unternehmen, die auf freiwilliger Basis Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte aufgenommen haben. Maßgebend ist jeweils der „SollZustand“. Nicht entscheidend ist auf der anderen Seite, dass die Gesellschaften in der Praxis auch einen mitbestimmten Aufsichtsrat gebildet haben9; denn § 36 Satz 1 spricht nur davon, dass die Gesellschaft der Mitbestimmung „unterliegt“ und nicht davon, dass ein Aufsichtsrat in der Praxis auch tatsächlich gebildet und Arbeitnehmervertreter auch in den Aufsichtsrat aufgenommen wurden. Ferner fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 36 Gesellschaften, die nur kraft Vereinbarung Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat aufnehmen. Dazu gehören auch Gesellschaften nach dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG), es sei denn, § 1 Abs. 2 Satz 2 MgVG i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 2 MgVG kommen zur Anwendung. Entfallen die Voraussetzungen für eine gesetzliche Mitbestimmung, entfällt auch die Verpflichtung zur Bestimmung von Zielgrößen. Einer ausdrücklichen Aufhebung der Quotenfestsetzung bedarf es in diesem Fall nicht10.

2. Konzernunternehmen 7 Bezugsgröße für die Festlegung der Zielgrößen ist bei Bestehen eines Konzerns nur das ein-

zelne Konzernunternehmen. Konzernunternehmen können gesetzlich mitbestimmt sein, auch wenn sie selbst keine Arbeitnehmer haben. Dazu gehören nach § 5 MitbestG auch GmbHs, denen die Arbeitnehmer der Tochter- und Enkelgesellschaften zugerechnet werden. Auch solche Gesellschaften haben für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer Zielgrößen festzulegen. Das Entsprechende gilt für die Komplementär-GmbH, denen die Arbeitnehmervertreter der KG nach § 4 MitbestG zugerechnet werden. Eine Zusammenfassung der Zielgrößen ist im Konzern nicht vorgesehen11.

8 9 10 11

Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Müller-Bonanni/Forst, GmbHR 2015, 621, 624. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Schüppen/Walz, WPg 2015, 1157. A.A. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 4. EAF Berlin und KPMG, Praxisleitfaden 2015, S. 12; Schulz/Ruf, BB 2015, 1155, 1161; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5.

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Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 11 § 36

IV. Die Pflichten der Geschäftsführer 1. Konzernfreie Gesellschaften Nach § 36 Satz 1 legen die Geschäftsführer für den Frauenanteil in den beiden Führungsebe- 8 nen unterhalb der Geschäftsführer Zielgrößen fest. Diese Aufgabe ist den Geschäftsführern als Gemeinschaftsaufgabe persönlich auferlegt. Eine Übertragung der Aufgabe an einen einzelnen Geschäftsführer im Wege der Ressortzuweisung oder gar die Delegation auf nachgeordnete Mitarbeiter ist unzulässig. Vielmehr müssen alle Geschäftsführer der Festlegung der Zielgrößen zustimmen12. Das schließt eine Vorbereitung der Maßnahmen durch einen einzelnen Geschäftsführer oder durch nachgeordnete Mitarbeiter nicht aus. Der Betriebsrat ist an der Aufstellung von Zielgrößen nicht zu beteiligen. § 95 BetrVG ist 9 nicht anwendbar; denn es geht nicht um eine „Auswahlrichtlinie“. Auch § 92 Abs. 1, 3 BetrVG greift nicht, wenn auf der Führungsebene lediglich leitende Angestellte in den Blick zu nehmen sind. Sind in der zweiten Führungsebene auch nicht leitende Mitarbeiter beschäftigt, so ist der Betriebsrat zu informieren. Und die angestrebte Zielfestlegung ist mit dem Betriebsrat nach § 92 Abs. 2 BetrVG zu beraten. Ein Mitbestimmungsrecht besteht nicht13. Dagegen ist der Sprecherausschuss an der Aufstellung der Zielgrößen in die Beschlussfassung einzubinden14. Die Aufgabe, Zielgrößen für den Frauenanteil festzulegen, ist zwar nach dem Wortlaut des 10 § 36 den Geschäftsführern auferlegt. Die Bestimmung der Zielgrößen gehört aber zu den wesentlichen Aufgaben der Unternehmensleitung. Hierfür sind in der Regel die Gesellschafter zuständig und nicht die Geschäftsführer. Der zu veröffentlichende Entscheid hat für die Gesellschafter nicht nur Symbolcharakter, sondern ist für die Anerkennung der Gesellschaft im Markt, für die Mitarbeiter und die weitere Entwicklung der Gesellschaft und deren Zukunft von grundsätzlicher Bedeutung. Es ist daher die Pflicht der Geschäftsführer, die Richtlinien den Gesellschaftern zur Diskussion und zur Beschlussfassung vorzulegen15. Dabei können die Gesellschafter auch von der Vorlage der Geschäftsführer abweichen. Sie sind aber zur Beschlussfassung verpflichtet16.

2. Weisungen der Gesellschafter Die Festlegung der Zielgrößen ist eine wesentliche Maßnahme der Geschäftsführung und 11 nicht Teil der Unternehmenspolitik. Zulässig ist daher auch eine Weisung der Gesellschafter. Damit können die verbliebenen Ermessensspielräume von den Gesellschaftern ausgeschöpft werden, wenn sie dies wünschen. Allerdings sind auch die Gesellschafter an die nach § 36 zwingenden gesetzlichen Vorgaben gebunden. Für den Weisungsbeschluss der Gesellschafter genügt die einfache Mehrheit.

12 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Altmeppen, 10. Aufl., Rz. 6; a.A. Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 5: Delegation ist unzweifelhaft möglich. 13 Müller-Bonanni/Forst, GmbHR 2015, 621, 626. 14 Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Löwisch, BB 2015, 1909, 1910. 15 A.A. Altmeppen, 10. Aufl., Rz. 10; wie hier: DAV: Stellungnahme zum Referentenentwurf NZG 2014, 1214, 1228, Rz. 149; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7. 16 A.A. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7.

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§ 36 Rz. 12 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern

V. Die Zielgröße 12 Konkretisiert wird die Mindestzielgröße und die in Zukunft zu erreichende Quote in § 36

nicht17. Auszugehen ist vielmehr davon, dass die Geschäftsführer ein breites Ermessen bei Bestimmung der Zielgröße, dem Verfahren zur Bestimmung der Zielgröße, der Festlegung der Fristen usw. haben. Dabei ist eine Reihe von Fragen zu unterscheiden, wobei der Ermessensspielraum und die zwingenden gesetzlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich sind.

1. Ermittlung des Ist-Zustands 13 Die Geschäftsführer haben zunächst bezogen auf einen bestimmten Stichtag oder im Durch-

schnitt für einen bestimmten Zeitraum (Berichtszeitraum) den Ist-Zustand hinsichtlich der Beteiligung von Frauen zu ermitteln. Der EAF/KPMG Praxisleitfaden 2015 verlangt hierzu höchstambitioniert eine quantitative und qualitative Analyse. Dazu gehöre auch eine Simulation der Mitarbeiterentwicklung für die nächsten zehn Jahre18. Das ist jedenfalls für kleine und mittlere Unternehmen nicht zu begründen. 14 Dieser Ist-Zustand ist für jede Führungsebene getrennt und zwar nach Köpfen festzustellen.

Maßgebend ist, ob ein konkretes Arbeitsverhältnis besteht. Daher sind auch Teilzeit-Beschäftigte in vollem Umfang zu berücksichtigen19, aber auch Frauen im Mutterschutz und Leiharbeiter. Dabei kommt auch in Betracht, dass eine Mitarbeiterin beiden Führungsebenen in vollem Umfang zugerechnet wird, wenn ihr mehrere Aufgaben zugeteilt sind.

2. Ermittlung der Zielgrößen 15 Das Gesetz verlangt keinen zwingenden Mindestanteil an Frauen. Auch ist keine Mindest-

größe als Ausgangspunkt festgelegt. Daher kann eine Gesellschaft die Zielgröße in Zahlen oder in Prozentzahlen bestimmen. Die Angabe einer Bandbreite soll nicht ausreichen20. Sie kann auch damit beginnen, zunächst keinen Frauenanteil auszuweisen21, und die Gesellschaft kann es dabei z.B. aus Gründen des Unternehmensgegenstands oder aus religiösen Gründen auch belassen. In der Regel gilt aber das Folgende: – Liegt der Frauenanteil in der ersten oder zweiten Führungsebene unterhalb der Geschäftsführer im Zeitpunkt der Festlegung der Zielgröße unter 30 Prozent, so dürfen die festzulegenden Zielgrößen nicht mehr hinter dem bereits erreichten Zustand (status quo) zurückbleiben; denn es gilt das Verschlechterungsverbot. – Liegt der Frauenanteil dagegen im Zeitpunkt der Festlegung bei 30 Prozent oder darüber, darf die festzulegende Zielgröße für die entsprechende Führungsebene den erreichten Wert wieder unterschreiten. Wenn allerdings der tatsächliche Frauenanteil unter 30 Prozent fällt, gilt wieder das Verschlechterungsverbot. Die dann festzulegende Zielgröße darf nicht weiter zurückfallen. § 36 Satz 222 sagt lediglich, dass der erreichte Anteil in der Folgezeit nicht unterschritten werden darf. Keine Rechtsfrage ist es, ob eine Gesellschaft damit im Markt bestehen kann.

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Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119. EAF/KPMG Praxisleitfaden 2015, S. 14. Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Müller-Bonanni/Forst, GmbHR 2015, 621, 623. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 14. A.A. Teichmann/Rüb, BB 2015, 902; wie hier: Altmeppen , 10. Aufl., Rz. 8; Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 11; vermittelnd: Weller/Benz, AG 2015, 471. 22 Nach Verabschiedung des FüPoG II Satz 5 (s. Rz. 4a).

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Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 19 § 36

Den Geschäftsführern steht es daher frei festzulegen, ob der Frauenanteil stagnieren oder ge- 16 steigert werden soll. Sie haben hierbei einen weiten Ermessensspielraum23. Sie können von einer Steigerung absehen oder auch die Steigerung in gemächlichen Schritten oder zügig vorsehen. Entscheidend ist nur, dass der einmal erreichte Frauenanteil nicht mehr unterschritten werden darf. Das ist nicht ganz unproblematisch, weil das Rückschrittsverbot die Geschäftsführer davon abhalten kann, den Frauenanteil zügig voranzutreiben. Eine Begründung oder eine Erklärung gegenüber den Mitarbeitern sind für die Förder- 17 richtlinie nicht erforderlich. Begründungspflichtig sind aber künftige Abweichungen vom ursprünglichen Vorschlag, § 289f Abs. 2 Nr. 5 HGB.

3. Die beiden Führungsebenen Im RegE BT-Drucks. 18/3784, S. 119 heißt es, für die Festlegung der beiden Führungsebenen 18 unterhalb der Geschäftsführer gehe es nicht um die Definition „nach betriebswirtschaftlichen Lehren“. Gemeint seien vielmehr die tatsächlichen im konkreten Unternehmen eingerichteten Hierarchieebenen unterhalb der Geschäftsführer. Dabei handelt es sich um die organisatorischen Einheiten, welche zueinander erstens gleichberechtigt und zweitens einer gemeinsamen Führung untergeordnet sind. Maßgebend ist die jeweilige Gesellschaft und nicht etwa der Konzern oder die Unternehmensgruppe24. Für die Praxis heißt das, dass es eine Vielfalt von „Abgrenzungsvarianten“ gibt, „die von den tatsächlichen Führungsstrukturen geprägt sind“25. – Bei einer vielstufigen Hierarchie sind damit nur die beiden Ebenen gemeint, die dem Geschäftsführer unmittelbar unterstehen. Sie müssen Führungsaufgaben wahrnehmen, also in die Planung und Strategie des Unternehmens eingebunden sein. – Bei flachen Hierarchien, also solchen Hierarchien, bei denen es unterhalb der Geschäftsführer nur eine Führungsebene gibt, bezieht sich die Verpflichtung nur auf diese Ebene26. Sie kann auch aus einer einzelnen Person bestehen. Bei einer Matrix-Organisation gehören zur ersten Hierarchieebene unter den Geschäftsführern die Leitungsfunktionen, die sich unmittelbar gegenüber den Geschäftsführern verantworten. – Sind in einem Konzern die Führungsebenen über die rechtliche Organisationsstruktur hinweg ausgestaltet, besteht eine „gesellschaftsüberspannende Unternehmensorganisation“27, so können auch die Führungsebenen nach § 36 die Rechtsform überschreiten. – Bestehen unterhalb der Geschäftsführer keine Führungsebenen, so ist streitig, ob Zielgrößen festzulegen sind28. Aus dem Wortlaut nach dem Sinn des Gesetzes lässt sich dies nicht ableiten. Das bedeutet, dass die einzelnen Führungsebenen nicht getrennt betrachtet werden. Festzule- 19 gen ist jeweils getrennt für jede Führungsebene eine eigene Zielgröße. Diese Zielgröße kann allerdings für beide Führungsebenen identisch sein. Entscheidend ist, dass eine Gesamtbetrachtung beider Führungsebenen unzulässig ist. Im Ergebnis ist freilich ein großer Spielraum bei der Festlegung der Führungsebenen zugestanden29.

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Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6. BT-Drucks. 18/4227, S. 21. Franzmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, S. 106. Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 8; krit. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4. Franzmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, S. 106. Dagegen Schulz/Ruf, BB 2015, 1155, 1160; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 460; Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 294. 29 Beschlussempfehlung BT-Drucks. 18/4227, S. 21; Junker/Schmidt-Pfitzner, NZG 2015, 929, 935.

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§ 36 Rz. 20 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern 20 Hat das Unternehmen keine oder nur eine Führungsebene unterhalb der Geschäftsführer, so

sind die Geschäftsführer nach § 36 nicht verpflichtet, zwei Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer einzurichten30. Maßgebend für die Anwendung der Vorschrift ist vielmehr die konkrete Ausgestaltung der Gesellschaft; und diese konkrete Ausgestaltung ist in den Zielgrößen zugrunde zu legen. 21 Ist die Gesellschaft eine Konzerngesellschaft, so sind für jedes einzelne Konzernunterneh-

men die Zielgrößen getrennt zu bestimmen31. Das bedeutet, dass nur auf die Führungskräfte abzustellen ist, die Mitarbeiter der Gesellschaft sind. Eine Konsolidierung findet nicht statt. Es gibt auch keinen Befreiungstatbestand etwa in der Weise, dass die nachgeordneten Tochtergesellschaften von der Verpflichtung zur Aufstellung von Zielgrößen befreit sind, weil bereits die Konzernholding entsprechende Pläne hat. Bei der Erstellung der Zielgrößen kann sich aber jedes Konzernunternehmen mit Rücksicht auf die Lage im Konzern abstimmen.

4. Konkretisierung der Zielgrößen 21a Durch den mit dem FüPoG II (s. Rz. 4a) geplanten § 36 Satz 2 ist vorgesehen, dass die Ziel-

größen der für die jeweilige Führungsebene angestrebten Zahl der Frauen und der angestrebte Frauenanteil durch die Geschäftsführer beschrieben werden müssen. Diese Begründungspflicht entspricht § 76 Abs. 4 Satz 1 AktG, ebenfalls geplant durch das FüPoG II. In der Praxis waren bislang Prozentangaben üblich und sinnvoll. Sie sind aber künftig nicht mehr ausreichend32. Verlangt ist vielmehr von den Geschäftsführern die Beschreibung einer kurz- und mittelfristigen Organisationsplanung sowie die Beschreibung der Personalentwicklung und des Personals – insbesondere der Frauenförderung. Dazu gehört die Nennung der geplanten Gesamtzahl der weiblichen Führungskräfte und der geplante Zeitpunkt der Berufung. Sollte das Unternehmen zwischenzeitlich neue Führungskräfte einstellen, ist der zu nennende Frauenanteil anzupassen. 21b Eine konkrete Namensnennung der zukünftig zu bestellenden Frauen ist nicht verlangt, eben-

so wenig deren Information. Die Organisationsfreiheit der Gesellschafter und der Geschäftsführer wird durch diese Regelungen nicht beschränkt33. 21c Eine weitergehende Begründungspflicht ist in § 36 Satz 3 vorgesehen. Die Vorschrift ent-

spricht § 76 Abs. 4 Satz 2 AktG, ebenfalls geplant durch das FüPoG II. Legen die Geschäftsführer etwa bei einer Großschlachterei für den Frauenanteil auf Führungsebene die Zielgröße Null fest, so ist dies klar und verständlich zu begründen. Entscheidend ist alleine der Wille der Geschäftsführer. Sozialpolitisch nachvollziehbar muss die Begründung nicht sein. Dies gilt auch, wenn sich das Unternehmen keine Ziele setzt34. Die Begründung (Rechtfertigungszwang) muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zu Grunde liegen. Zu denken ist etwa daran, dass die derzeit männlichen Geschäftsführer auf Lebenszeit bestellt wurden und zeitnah nicht mit der Bestellung weiterer Geschäftsführer zu rechnen ist. Beruht der angestrebte Frauenanteil auf einer Vereinbarung des Geschäftsführers, so sind die Geschäftsführer zu befragen, damit die Ergänzungen dargelegt werden können. „Die inhalt-

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Altmeppen, Rz. 7; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Teichmann/Rüb, BB 2015, 253. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5. Begr. RegE FüPoG II zu § 76 AktG. Altmeppen, 10. Aufl., Rz. 7; Teichmann/Rüb, BB 2015, 259, 263 und BB 2015, 898, 903. Leydecker/Bahlinger, NZG 2020, 1212, 1216.

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Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 26 § 36

liche Plausibilität und Überzeugungskraft der Begründung wird durch die interessierte Öffentlichkeit bewertet werden“.35

5. Die Fristen Nach § 5 Satz 1 EGGmbHG sind die Zielgrößen erstmals zum 30.9.2015 zu bestimmen. Die 22 Höchstfrist für die Bestimmung der Zielgrößen darf nach § 36 Satz 4 nicht länger als fünf Jahre sein. Sie sind in den Zielgrößen zu bestimmen und können nach Ermessen der Geschäftsführer festgesetzt werden. Zu bestimmen ist sodann der Zeitpunkt, bis zu dem die jeweiligen Zielgrößen erreicht sein sollen. Die veröffentlichte Frist ist keine Frist mit Sperrwirkung. Vielmehr können die Geschäfts- 23 führer auch vor Ablauf der Frist neue Zielgrößen veröffentlichen und damit die Zukunft einfangen.

6. Konzernunternehmen Ob eine GmbH, die ein Konzernunternehmen ist, in den Anwendungsbereich von § 36 fällt, 24 hängt davon ab, ob sie mitbestimmt ist. Ist dies der Fall, so haben die Geschäftsführer unabhängig davon, ob die GmbH herrschendes Unternehmen, Tochtergesellschaft oder Enkelgesellschaft ist, die Zielgröße für den Frauenanteil in beiden Führungsebenen festzulegen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Konzern zentral oder dezentral geführt wird und ob es sich um einen faktischen Konzern oder um einen Vertragskonzern handelt. Tochterund Enkelgesellschaften sind auch nicht deshalb freigestellt, weil auch die Holding verpflichtet ist, entsprechende Zielgrößen festzulegen.

VI. Erklärungen zur Unternehmensführung Nach § 289f Abs. 4 HGB sind GmbHs verpflichtet, in ihrem Lagebericht als gesonderten 25 Abschnitt eine Erklärung zur Unternehmensführung mit den Festlegungen und Angaben aufzunehmen und jährlich zu veröffentlichen. Zu berichten ist über die selbstgesetzten Zielgrößen und Umsetzungsfristen für den Frauenanteil, die Feststellung, ob die Zielgrößen erreicht wurden und wenn nicht, die Angabe der Gründe, weshalb die Zielgröße nicht erreicht wurde. Nicht vorgesehen ist eine Pflicht zur Zwischenberichterstattung36. Durch die Erklärung soll der Öffentlichkeit gezeigt werden, „ob und wie sich Unternehmen anstrengen, eine gerechte Teilhabe von Frauen und Männern in den Führungsebenen unterhalb des Vorstandes zu erreichen“37. Anzugeben ist, ob die nach § 36 festgelegte Zielgröße während des Bezugszeitraumes erreicht worden ist und wenn nicht, sind entsprechende Angaben zu den Gründen zu machen. Was den Inhalt betrifft, so ist zu unterscheiden: 26 – Ist im Berichtsjahr die von den Geschäftsführern gesetzte Frist nach § 36 Satz 4 und 5 nicht abgelaufen, so sind die konkret festgelegten Führungsebenen und die für diese festgeleg-

35 Begr. RegE FüPoG II zu § 76 AktG, S. 96, Veröffentlichung des BMFSFJ vom 6.1.2021, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/blob/164128/e8fc2d9afec92b9bd424f89ec28f2e5b/gesetzentwurf-aende rung-fuepog-data.pdf. 36 Grottel in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 11. Aufl. 2018, § 289f HGB Rz. 87. 37 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 19.

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§ 36 Rz. 26 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern ten Zielgrößen zu veröffentlichen. Ein weitergehender Zwischenbericht ist nicht zu veröffentlichen. – Ist im Berichtsjahr die gesetzte Frist abgelaufen, so ist zu berichten, ob die gesetzlichen Zielgrößen erreicht wurden bzw. weshalb dies nicht der Fall war. Wurden die Zielgrößen erreicht, so ist dies nicht weiter zu begründen. Zu informieren ist lediglich darüber, welcher tatsächliche Frauenanteil erreicht wurde. 27 Anders ist die Lage, wenn die gesetzte Zielgröße nicht erreicht wurde. Dann sind die Gründe

anzugeben. Exemplarisch sind die fehlende Bewerbung von geeigneten Frauen, neue Entwicklungen im Markt und neue Anforderungen im Unternehmen. Eine Offenlegung der internen Beschlusslage im Unternehmen ist nicht geboten. Die Geschäftsführer müssen also nicht darüber Auskunft geben, welche internen Diskussionen stattfanden. 28 Die Erklärung zur Unternehmensführung und damit auch der Bericht über die Erlangung

der Zielgrößen ist nicht Teil der Abschlussprüfung. Sie erstreckt sich nicht auf kleine Gesellschaften, § 316 Abs. 1 Satz 1 HGB i.V.m. § 276 Abs. 1 HGB. Die Formulierung zur Begründung zum Regierungsentwurf38 ist weder vom Gesetzeswortlaut noch von der Diskussion vor Erlass des Gesetzes gedeckt. Wörtlich heißt es in der genannten Begründung zum RegE: „In Fällen der Nichterreichung hat der Vorstand allerdings nachvollziehbar darzulegen, was er unternommen hat und weshalb es keinen Erfolg hatte.“ 29 Die Abschlussprüfung erstreckt sich nur darauf, ob ein entsprechender Bericht durch die Ge-

schäftsführer vorgelegt wurde und ob dieser Bericht die notwendigen Teile enthält39. Fehlt es an einem entsprechenden Bericht, so ist dies in dem Prüfungsbericht zu vermerken, § 321 Abs. 2 Satz 2 HGB. Der Bestätigungsvermerk ist entsprechend einzuschränken, § 322 Abs. 4 HGB i.V.m. § 317 Abs. 2 Satz 3 HGB. 30 Für Konzerngesellschaften besteht die Möglichkeit, von der Pflicht zur Aufstellung eines

Jahresabschlusses und eines Lageberichts nach § 264 Abs. 3 HGB befreit zu werden. Damit entfällt auch die Pflicht nach § 289a HGB. Da in § 315 HGB nicht auf § 289a HGB verwiesen wird, sind für Konzerngesellschaften in dem von der Muttergesellschaft aufzustellenden Konzernlagebericht keine Angaben zu Zielgrößen und Umsetzungsfristen für Konzerngesellschaften zu machen.

VII. Veröffentlichungen 31 Kleine Gesellschaften im Sinne von § 267 Abs. 1 HGB sind verpflichtet, ihren Bericht zu den

Zielgrößen auf ihrer Internetseite zugänglich zu machen, § 289f Abs. 4 Satz 240 HGB. Sie können dies auch im Rahmen ihres freiwillig zu veröffentlichenden Lageberichts vornehmen, § 325 Nr. 1 HGB i.V.m. § 289f Abs. 4 Satz 341 HGB. Die anderen Gesellschaften haben den Bericht über die Zielgrößen als Teil der Erklärung zur Unternehmensführung im Bundesanzeiger zu veröffentlichen, § 325 Abs. 1 HGB. In Betracht kommt auch, den Bericht über die Zielgrößen auf die Internetseite zu stellen. § 289f Abs. 1 Satz 3 HGB verlangt, dass dieser Umstand im Lagebericht zu vermerken ist. 31a § 289f Abs. 2 Nr. 4 und 5 HGB sollen ebenfalls durch das FüPoG II neu gefasst werden

(Rz. 4a). Ziel ist eine bessere Übersichtlichkeit. Die Angabe der Begründungen bei Festlegung der Zielgröße Null zur Beteiligung von Frauen bei den Geschäftsführern soll gewährleisten,

38 39 40 41

BT-Drucks. 18/3784, S. 120. Seidler, BB 2016, 939. Nach Verabschiedung des FüPoG II Satz 3 (s. Rz. 4a). Nach Verabschiedung des FüPoG II Satz 4 (s. Rz. 4a).

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Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 38 § 36

dass die Entscheidung über den Frauenanteil durch eine breite Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann.

VIII. Rechtsfolgen Zu unterscheiden sind die Rechtsfolgen für die Gesellschaft einerseits und die Geschäftsfüh- 32 rer andererseits. Die Verletzung der Pflichten nach § 36, also insbesondere die fehlende oder fehlerhafte An- 33 gabe der Mindestgröße oder die fehlerhafte Angabe der Zielgrößen ist weder für die Gesellschaft noch für die Geschäftsführer mit entsprechenden Sanktionen, etwa einem Bußgeld, bedroht. Das Entsprechende gilt, wenn die Aufstellung eines Berichts über die Zielgrößen unterlassen, der Bericht fehlerhaft oder nicht fristgemäß aufgestellt wird. § 36 ist auch kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Die Durchsetzung der Pflich- 34 ten ist vielmehr eine gesellschaftliche Aufgabe. Sanktionen drohen erst, wenn die Gesellschaft ihren Rechtspflichten nicht nachkommt. Mit 35 Geldbuße bis zu 50000 € bedroht ist die Gesellschaft bei fehlerhafter Berichterstattung nach § 334 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 HGB i.V.m. § 289f Abs. 4 HGB. Ist die Erklärung durch die Geschäftsführer vorsätzlich unterlassen oder fehlerhaft abgegeben worden, so stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar. In schwerwiegenden Fällen ist die Begehung oder Unterlassung strafbar, § 331 Abs. 1 HGB. Zweifelhaft ist die Rechtslage, wenn die selbstgewählte Quote nicht erreicht wird. § 36 Satz 242 36 sagt, dass der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgröße unter 30 Prozent den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten dürfe. Daraus wird abgeleitet, dass ein Arbeitsplatz bei Ausscheiden einer Arbeitskraft nur mit einer eben solchen wiederbesetzt werden dürfe. Das Entsprechende müsste gelten, wenn sich die Zahl der männlichen Arbeitskräfte erhöht und allein deshalb die selbstgewählte Quote nicht erreicht wird. Ein solcher Besetzungszwang widerspricht der Intention des Gesetzes.

IX. Verhältnis zum AGG Die Anwendung der Vorschriften des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) wird durch 37 die Einführung des § 36 nicht ausgeschlossen43 Daraus folgt aber nicht, dass durch die Förderung und Erreichung der Zielgrößen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AGG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG verletzt wird44; denn § 36 geht davon aus, dass es derzeit noch tatsächliche Benachteiligungen für Frauen auf der Führungsebene gibt. Wenn daher zugleich berufsqualifizierende Merkmale berücksichtigt werden, ist die entsprechende Frauenförderung aus Sicht des AGG unbedenklich45. Die Zielabweichung, also die Verfehlung der selbstgewählten Quote ist auch kein Indiz für 38 eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 22 AGG46, denn bei der Festlegung der Zielgröße, handelt es sich nur um eine unverbindliche Planung, die keine drittschützende Wirkung hat und auch keine Indizwirkung.

42 43 44 45 46

Nach Verabschiedung des FüPoG II Satz 5 (s. Rz. 4a). Olbrich/Krois, NZA 2015, 1288. S. dazu Rieble in Bork/Schäfer, Rz. 28. Ähnlich Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 30. Ebenso Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 19; Rieble in Bork/Schäfer, Rz. 26.

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§ 37 Beschränkungen der Vertretungsbefugnis (1) Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang ihrer Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind. (2) Gegen dritte Personen hat eine Beschränkung der Befugnis der Geschäftsführer, die Gesellschaft zu vertreten, keine rechtliche Wirkung. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Vertretung sich nur auf gewisse Geschäfte oder Arten von Geschäften erstrecken oder nur unter gewissen Umständen oder für eine gewisse Zeit oder an einzelnen Orten stattfinden soll, oder dass die Zustimmung der Gesellschafter oder eines Organs der Gesellschaft für einzelne Geschäfte erfordert ist. Text seit 1892 unverändert. I. Inhalt und Bedeutung der Vorschrift II. Der Inhalt der Geschäftsführung . . . . III. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Grundsätze der Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die laufende Geschäftsführung . . . . . a) Compliance als Aufgabe der Geschäftsführer aa) Legalitätspflicht als Kardinalspflicht der Geschäftsführer . . . . . bb) „Compliance“ als Organisationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ressortverantwortung und Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wesentlicher Inhalt von Compliance-Managementprogrammen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Regulierte Unternehmen . . . . . . ff) Compliance im Konzern . . . . . . b) Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . 3. Ungewöhnliche Maßnahmen . . . . . . . . 4. Die Ausübung von Beteiligungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Organisationsrechtliche Akte . . . . . . . 6. Der Grundsatz der Satzungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Mehrere Geschäftsführer 1. Gesamtgeschäftsführung . . . . . . . . . . . 2. Einzelgeschäftsführung . . . . . . . . . . . . 3. Organinterne Information und Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ressortzuweisung/Geschäftsverteilung a) Durch Satzung oder Beschluss der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 2 4 5 12

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b) Wirksamkeit und Grenzen zulässiger Geschäftsverteilung . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen der Geschäftsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Grenzen für Geschäftsverteilung und Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Outsourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vorsitzender der Geschäftsführung . . V. Beschränkungen der Geschäftsführung 1. Der Grundsatz der Weisungsabhängigkeit a) Durch Gesellschafter und Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durch Dritte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kernbereich eigenverantwortlicher Geschäftsführung? a) Bei der mitbestimmungsfreien GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bei der mitbestimmten GmbH . . . . c) Mindestzuständigkeit des Arbeitsdirektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zustimmung durch Aufsichtsrat . . . 3. Schranken der Weisungsbefugnis . . . 4. Weisungen bei satzungsmäßigem Sonderrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschränkungen im Anstellungsvertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Geschäftsordnung der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die organexterne Geschäftsordnung . 2. Die organinterne Geschäftsordnung . VII. Geschäftsführung im Konzern 1. Konzerngründung . . . . . . . . . . . . . . . .

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75 81

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | § 37 2. Konzernleitung beim herrschenden Unternehmen a) Konzernpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Laufende Konzerngeschäftsführung 122 c) Konzernweite Mitverwaltungsrechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . 125

VIII. Die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 IX. Die Außenwirkungen der Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 X. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . 130

Schrifttum (s. auch bei § 35): Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmung der Schmalenbach-Gesellschaft, Köln, Compliance: 10 Thesen für die Unternehmensführung, DB 2010, 1509; Bacher/v. Blumenthal, Der Zustimmungsvorbehalt für Geschäftsführungsmaßnahmen in der Satzungsgestaltung, GmbHR 2016, 514; Bardorf, Der Gesellschaftereinfluss auf die GmbH-Geschäftsführung nach dem Mitbestimmungsgesetz, 1981; Boesebeck, Das Weisungsrecht der Gesellschafter einer GmbH, GmbHR 1960, 118; Brandner, Geschäftsführungsbefugnis, Unternehmensgegenstand und Unternehmenszweck, in FS Rowedder, 1994, S. 41; Buck-Heeb, Ressortaufteilung und Haftung von Geschäftsführern, BB 2019, 584; Ebert, Folgepflicht und Haftung des GmbH-Geschäftsführers beim Erhalt und bei der Ausführung von Weisungen, GmbHR 2003, 444; Eisenhardt, Zum Weisungsrecht der Gesellschafter in der nicht mitbestimmten GmbH, in FS Pfeiffer, 1989, S. 839; Esch, Weisungsrechte der Gesellschafter der GmbH & Co. KG, NJW 1988, 1553; Eufinger, Die Regresshaftung von Vorstand und Geschäftsführer für Kartellverstöße der Gesellschaft, WM 2015, 1265; Fleischer, Das unternehmerische Ermessen des GmbH-Geschäftsführers und seine GmbH-spezifischen Grenzen, NZG 2011, 521; Fleischer, Vorstandsverantwortlichkeit und Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen, AG 2003, 291; Frühauf, Geschäftsleitung in der Unternehmenspraxis, ZGR 1998, 407; Fuhrmann, Internal Investigations: Was dürfen und müssen Organe beim Verdacht von Compliance-Verstößen tun?, NZG 2016, 881; Gieseke, Interessenkonflikte der GmbH-Geschäftsführer bei Pflichtenkollisionen, GmbHR 1996, 486; Geißler, Begrenzungen der Weisungsbindung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2009, 1071; Geißler, Der Geschäftsführer der vertraglich konzernierten GmbH im Spannungsfeld gefährdender Weisungen des herrschenden Unternehmens, GmbHR 2015, 734; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006; Haake, Zur Zuständigkeit des Arbeitsdirektors nach § 33 MitbestG für leitende Angestellte, BB 1983, 1490; Hammacher, Aus der Praxis eines Arbeitsdirektors, RdA 1993, 163; Hanau, Zur Zuständigkeit des Arbeitsdirektors (§ 33 MitbestG) für leitende Angestellte und Unternehmenssparten, ZGR 1983, 1490; Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance – Handbuch der Haftungsvermeidung von Unternehmen, 3. Aufl. 2016, 2. Abschn., Kap. 6 (S. 1226-1301 ff.); Hennrichs, Gesellschafterbeschlüsse über Geschäftsführungsmaßnahmen und Treupflicht, NZG 2015, 41; Henssler, Die Ernennung des Vorsitzenden der Geschäftsführung in der mitbestimmten GmbH, GmbHR 2004, 321; Henze/Lübke, „Virtuelle Reorganisation“ im mehrstufigen GmbH-Konzern, Der Konzern 2009, 159; Hölters, Die zustimmungspflichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen im Spannungsfeld zwischen Satzungs- und Aufsichtsautonomie, BB 1978, 640; Hoffmann-Becking, Arbeitsdirektor der Konzernobergesellschaft oder Konzernarbeitsdirektor?, in FS Werner, 1984, S. 301; Hommelhoff, Jahresabschluss und Gesellschafterinformation in der GmbH, ZIP 1983, 383; Hommelhoff, Risikomanagement im GmbH-Recht, in FS Sandrock, 2000, S. 373; Hülsmann, GmbH-Geschäftsführer; Anforderungen an die Geschäftsverteilung, GmbHR 2019, 209; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Immenga, Die Problematik der Anfechtungsklage im GmbH-Recht, GmbHR 1973, 5; John, Zum Missbrauch der Vertretungsmacht durch Gesellschaftsorgane, GmbHR 1983, 90; Kaffiné, Begrenzung der Haftungsrisiken des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber der Gesellschaft bei Ausführung wirtschaftlich nachteiliger Weisungen der Gesellschafter, 2001; Konzen, Geschäftsführung, Weisungsrecht und Verantwortlichkeit in der GmbH und GmbH & Co. KG, NJW 1989, 2977; Kort, Die Änderung der Unternehmenspolitik durch den GmbH-Geschäftsführer, ZIP 1991, 1272; Krauel/Klie, Lenkungsmöglichkeiten im Konzern unter besonderer Berücksichtigung des Aufsichtsrechts für Kreditinstitute und Versicherungen, WM 2010, 1735; Kremer/Klahold, Compliance-Programme in Industriekonzernen, ZGR 2010, 113; Leuering/Dornhegge, Geschäftsverteilung zwischen GmbH-Geschäftsführern, NZG 2010, 13; Leuering, Das Widerspruchsrecht der GmbH-Geschäftsführer untereinander, in FS Seibert, 2019, S. 543; Meier, Zum Verhältnis zwischen der Informationspflicht der Geschäftsführung und der Überwachungspflicht des fakultativen Aufsichtsrates bei einer GmbH, DStR 1997, 1894; Merkt, Compliance und Risikofrüherkennung in kleinen und mittleren Unternehmen, ZIP 2014, 1705; Moosmayer, Compliance Praxisleitfaden für Unternehmen, 3. Aufl. 2015; Oetker, Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung und Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats in der mitbestimmten GmbH, ZIP 2015, 1461; Peters, Ressortverteilung zwischen GmbH-Geschäftsführern und ihre Folgen, GmbHR 2008, 682;

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§ 37 Rz. 1 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis Poelzig/Thole, Kollidierende Geschäftsleiterpflichten, ZGR 2010, 836; Reuter/König, Mitbestimmung und gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit, ZHR 140 (1976), 494; Rodewald/Paulat, Führung von Gruppengesellschaften durch Gesellschafterweisungen im faktischen Konzern – Möglichkeiten und Grenzen in Deutschland und ausgewählten EU-Staaten, GmbHR 2013, 519; Rohleder, Die Übertragbarkeit von Kompetenzen auf GmbH-Beiräte, 1991; Uwe H. Schneider, Konzernleitung durch Weisungen der Gesellschafter der abhängigen GmbH an ihre Geschäftsführer?, in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1071; Schauf, Rolle und Kompetenzen des GmbH-Geschäftsführers in einer Matrixstruktur, BB 2017, 2883; Schockenhoff, Ressortaufteilung unter GmbH-Geschäftsführern: im Minenfeld, GmbHR 2019, 514; Spie/Priester, Der Geschäftsbereich des Arbeitsdirektors, 1983; Schneider, Uwe H., Konzerngründung im faktischen GmbH-Konzern, GmbHR 2014, 113; Schnorbus/Klormann, Erkrankung eines Vorstandsmitglieds, WM 2018, 1078, 1113; Stück, Compliance in der GmbH, GmbHR 2016, 561; Tomat, Grenzen des Weisungsrechts der GmbH-Gesellschafter, 2001; Ulmer, Der Zölibats-Geschäftsführer, in FS Schwark, 2009, S. 271; van Venrooy, Widersprüchliche Ausübung des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts durch mehrere GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 2001, 7; van Venrooy, Zwingende Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsführung, GmbHR 2005, 1243; E. Vetter, Organisation (Geschäftsverteilung und Delegation) und Überwachung, in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22; Vollmer, Die mitbestimmte GmbH, ZGR 1979, 135; Wank, Der Kompetenzkonflikt zwischen Gesellschaftern und Aufsichtsrat in der mitbestimmten GmbH, GmbHR 1980, 121; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996; Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991.

I. Inhalt und Bedeutung der Vorschrift 1 Die gesellschaftsinterne Zuständigkeitsordnung der GmbH ist nur sehr unzulänglich ge-

regelt. Es fehlt eine ausdrückliche Zuweisung der Entscheidungskompetenz für die Bestimmung der Grundsätze der Geschäftspolitik und die Leitung des Unternehmens. § 37 geht ebenso wie die anderen Vorschriften zur Geschäftsführung, nämlich §§ 40, 41, 42, 49, 64 und 78 davon aus, dass jedenfalls die laufende Geschäftsführung den Geschäftsführern zugeordnet ist. § 37 Abs. 1 handelt dabei von den Beschränkungen, denen die Geschäftsführer bei ihrer Geschäftsführung unterliegen und betrifft daher ausschließlich das Innenverhältnis. Insofern gibt die seit 2008 amtliche Überschrift1 den Norminhalt nur unzulänglich wieder2. § 37 Abs. 2 bestimmt demgegenüber die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsbefugnis. Zur Unterscheidung zwischen Geschäftsführung und Vertretung vgl. 12. Aufl., § 35 Rz. 11 f.

II. Der Inhalt der Geschäftsführung 2 Der Begriff „Geschäftsführung“ wird in unterschiedlicher Weise verwendet. In einem weite-

ren Sinn gehört hierzu die Festlegung der Grundsätze der Unternehmenspolitik, die Leitung des Unternehmens der Gesellschaft, unabhängig davon, ob es sich um Maßnahmen der laufenden Geschäftsführung oder um ungewöhnliche Maßnahmen handelt, und die allgemeine Verwaltung der Gesellschaft3; insoweit dient der Begriff zur Abgrenzung von den Grundlagen-Geschäften der Gesellschaft. 3 In einem engeren Sinn wird zur Geschäftsführung dagegen nur die laufende Geschäftsfüh-

rung, also die Sorge für das rechtmäßige Verhalten der Gesellschaft und seiner Mitarbeiter

1 Eingef. durch Art. 1 Nr. 51 MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) m.W.v. 1.11.2008. 2 Wicke, Rz. 1; Hinweis auf die terminologische Ungenauigkeit des § 37 Abs. 1 bei Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1072. 3 OLG Karlsruhe v. 25.8.1995 – 15 U 286/94, GmbHR 1996, 208, 209; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen …, 1996, S. 12.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 9 § 37

(Compliance)4, die Einrichtung der Unternehmensorganisation, der Entwurf der langfristigen Unternehmenspolitik und ihrer Umsetzung, die Entwicklung kurzfristiger Pläne und Taktiken, die Steuerung und Überwachung des unternehmerischen Gesamtgeschehens und die Abwicklung des Tagesgeschäfts gerechnet, nicht aber die Entscheidung über die Grundsätze der Unternehmenspolitik und außergewöhnliche Maßnahmen5. Unabhängig hiervon können Maßnahmen der Geschäftsführung der Vornahme von Rechtsgeschäften dienen, aber auch tatsächliche Akte sein. Zur Geschäftsführung gehört die Entscheidung hierüber ebenso wie die Ausführung.

III. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung Die Zuständigkeit zur Geschäftsführung im weiteren Sinn ist schon nach dem Gesetz, also 4 ohne jede präzisierende Vertragsbestimmung zwischen den Geschäftsführern und den Gesellschaftern aufgeteilt.

1. Die Grundsätze der Unternehmenspolitik Eine umfassende Kompetenzzuweisung an die Gesellschafter, die Grundsätze der Unterneh- 5 menspolitik festzulegen, ist im Gesetz nicht enthalten. Jedoch sind einzelne wichtige Entscheidungsbereiche ausdrücklich den Gesellschaftern vorbehalten. a) Vorzulegen sind alle Maßnahmen, die der Satzung widersprechen. Auf diese Weise be- 6 kommen die Gesellschafter die Möglichkeit, darüber nachzudenken und gegebenenfalls zu beschließen, die Satzung zu ändern, z.B. den Unternehmensgegenstand zu ändern. So genügt ein Beschluss der Mehrheit der Gesellschafter nicht für satzungsdurchbrechende Beschlüsse. Erforderlich ist vielmehr eine Satzungsänderung. b) Nach § 46 Nr. 1 unterliegen der Bestimmung der Gesellschafter die Feststellung der Jah- 7 resbilanz und die Verteilung des aus derselben sich ergebenden Reingewinns. Die Gesellschafter beschließen über die Bilanzpolitik und das heißt vor allem über die Bildung und Auflösung offener Rücklagen und stiller Reserven6. Sie entscheiden ferner über die Erhöhung bzw. Herabsetzung des Stammkapitals. Die Gesellschafter bestimmen damit einen wesentlichen Teilbereich der Finanzierung des Unternehmens, nämlich in welchem Umfang das Unternehmen Investitionen mit Eigenkapital finanzieren kann. c) Neben den Grundlagen der Finanzierung ist den Gesellschaftern nach § 46 Nr. 5 und 7 8 die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern sowie deren Entlastung und die Bestellung von Prokuristen und von Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb zugewiesen. Das bedeutet, dass die Gesellschafter – auch – indirekt über die Auswahl der Führungsspitze die Unternehmenspolitik bestimmen können. d) Ergänzt wird dies durch die Möglichkeit, die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung 9 der Geschäftsführung zu beschließen, § 46 Nr. 6.

4 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2442 = GmbHR 2008, 805, 810; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25. 5 Str.; wie hier: Hommelhoff, ZGR 1978, 119; Vollmer, ZGR 1979, 135; differenzierend Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 19. 6 Vgl. dazu: Lutter, DB 1978, 1965; Forster/Lutter, DB 1979, 1099; Hommelhoff, GmbHR 1979, 103.

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§ 37 Rz. 10 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis 10 e) Darüber hinaus dürfen die Geschäftsführer keine Entscheidung treffen, von der anzuneh-

men ist, dass die Gesellschafter sie zumindest mehrheitlich missbilligen werden7. Die mögliche Ablehnung durch einzelne Gesellschafter („Querkopf“) genügt nicht. 11 f) Aus dieser Finanz-, Personal- und Überwachungskompetenz sowie den allgemeinen

Schranken für die laufende Geschäftsführung folgt die allgemeine Zuständigkeit der Gesellschafter, die Grundzüge der Unternehmenspolitik festzulegen8. Die Gesellschafter haben somit nicht nur die Möglichkeit, die Grundzüge der Unternehmenspolitik über Weisungen festzulegen. Sie sind vielmehr in erster Linie berufen, hierüber zu entscheiden. Um dies den Gesellschaftern zu ermöglichen, sind die Geschäftsführer verpflichtet, Pläne über die Zukunft des Unternehmens zu entwickeln und den Gesellschaftern vorzuschlagen9. Die Geschäftsführer selbst sind zur Entscheidung über die künftige Geschäftspolitik nur zuständig, wenn die Gesellschafter ihnen die Entscheidung über die Unternehmenspolitik zuweisen – sei es generell in der Satzung oder der Geschäftsordnung, sei es punktuell beschränkt durch Gesellschafterbeschluss – oder schlicht untätig bleiben10. Haben aber die Gesellschafter die Grundsätze der Unternehmenspolitik festgelegt, sind die Geschäftsführer gehindert, grundlegende Änderungen vorzunehmen, ohne dass dem die Gesellschafter zugestimmt haben11. Dies gilt auch dann, wenn die Änderung keine Änderung im Personalbestand und keinen zusätzlichen Finanzbedarf begründet, wie etwa die Aufgabe einer ganzen Sparte oder der Abbruch eines umfassenden Forschungsvorhabens.

2. Die laufende Geschäftsführung 12 Die laufende Geschäftsführung obliegt den Geschäftsführern12. Dazu gehören die tatsäch-

lichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt, die Marktanalyse, die Innovation, die Produktplanung, die Herstellung, der Vertrieb und die Personalverwaltung, die Verfügung über die finanziellen Mittel, die Verwaltung des Beteiligungsvermögens insbesondere die Ausübung von Mitverwaltungsrechten aus Beteiligungen13 und solche organisatorische Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören („Tagesgeschäft“). Dazu gehört heute

7 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134; Hommelhoff, ZGR 1978, 125; Fleischer, NZG 2011, 521, 525. 8 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197 = EWiR 1991, 469 (Meyer-Landrut); Hommelhoff, ZGR 1978, 124; Hommelhoff, ZIP 1983, 385; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., S. 1069; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Wicke, Rz. 3; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 4; Lenz in Michalski u.a., Rz. 9; Ettinger/ Reiff, GmbHR 2007, 617, 619; Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 47; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8 (Das Regelstatut der GmbH kennt keine Grundsatzkompetenz der Gesellschafter); Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen …, 1996, S. 18; Kort, ZIP 1991, 1274: Abgrenzung nicht möglich; Brandner in FS Rowedder, 1994, S. 47; Lindacher, JuS 1984, 672; auf den Einzelfall abstellend: Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 22 f. 9 Altmeppen, ZGR 1999, 291, 305; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 63. 10 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1073. 11 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197 = ZIP 1991, 1274 (Kort); Goette, Die GmbH nach der BGH-Rechtsprechung, 1997, S. 197; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1072; a.A. Brandner in FS Rowedder, 1994, S. 47. 12 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12. 13 Hüffer/Koch, 12. Aufl., § 76 AktG Rz. 49.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 15 § 37

auch die Vergabe von Spenden an gemeinnützige Einrichtungen in angemessener Höhe14. Spenden in ungewöhnlicher Höhe verlangen einen Beschluss der Gesellschafter15. Zur laufenden Geschäftsführung gehört auch die Organisation des Unternehmens angefan- 13 gen bei der Forschung, über den Einkauf, die Produktion, den Betrieb, die Finanzierung bis hin zum Personalwesen16. Die Anforderungen an die Organisation sind dabei abhängig von der Größe des Unternehmens, der Branche, den Risiken usw. a) Compliance als Aufgabe der Geschäftsführer Schrifttum: Cichy/Cziupka, Compliance–Verantwortung der Geschäftsleiter bei Unternehmenstätigkeit mit Auslandsbezug, BB 2014, 1482; Fissenewert, Compliance für den Mittelstand, 2. Aufl. 2018; Fuhrmann, Internal Investigation: Was müssen und dürfen Organe beim Verdacht von Compliance-Verstößen tun?, NZG 2016, 881; Harbarth/Brechtel, Rechtliche Anforderungen an eine pflichtgemäße Compliance-Organisation im Wandel der Zeit, ZIP 2016, 241; Hoffmann/Schieffer, Pflichten des Vorstands bei der Ausgestaltung einer ordnungsgemäßen Compliance-Organisation, NZG 2017, 401; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014; Kleinert, Aktuelle Entwicklungen bei der Organhaftung für Compliance-Verstöße, in FS Baums, 2017, S. 669; Menne/Rieder, Internal Investigation – Rechtslage, Gestaltungsmöglichkeiten und rechtspolitischer Handlungsbedarf, CCZ 2018, 203; Merkt, Compliance und Risikofrüherkennung in kleinen und mittleren Unternehmen, ZIP 2014, 1705; Paefgen, „Compliance“ als gesellschaftsrechtliche Organpflicht?, WM 2016, 433; Reichert/Lüneborg, Compliance in der GmbH – 10 Jahre MoMiG, GmbHR 2018, 1141; Römermann, 2014 – Ein Jahr im Zeichen der Compliance: nun auch für die mittelständische GmbH, GmbHR 2014, 1; Uwe H. Schneider, Compliance – Eine Aufgabe auch für die Gesellschafter?, CCZ 2015, 49; Uwe H. Schneider, Investigative Maßnahmen und Informationsweitergabe in konzernfreien Unternehmen und im Konzern, NZG 2010, 1201; Schockenhoff, Haftung und Enthaftung von Geschäftsleitern bei Compliance-Verstößen in Konzernen mit Matrix-Strukturen, ZHR 180 (2016), 197; Simon/Merkelbach, Organisationspflichten des Vorstands betreffend das Compliance-System – Der Neubürger-Fall, AG 2014, 318; Stück, Compliance in der GmbH, GmbHR 2016, 561; Unmuth, Die Entwicklung der Corporate Compliance in Recht und Praxis, AG 2017, 249.

aa) Legalitätspflicht als Kardinalspflicht der Geschäftsführer Zu den wesentlichen Aufgaben und Pflichten der Geschäftsführer gehört es sicherzustellen, 14 dass sich das Unternehmen, die Organmitglieder und die Mitarbeiter rechtmäßig, sich also „compliant“ verhalten17. Diese sich hieraus ergebende Legalitätspflicht gehört zu den Kardinalspflichten der Ge- 15 schäftsführer im Verhältnis zur eigenen Gesellschaft. Die früher vertretene Ansicht18, es gehe nur um Erwartungen, nicht aber um Aufgaben und Pflichten des Geschäftsführers ist heute aufgegeben. Bezeichnet wird die Legalitätspflicht vielfach als „Compliance“. Der Begriff „Compliance“ ist jedoch weiter und vor allem kein Rechtsbegriff. „Compliance“ umfasst nicht nur regelkonformes Verhalten, sondern auch rechtsethisches Verhalten unter Berücksichtigung der Reputation des Unternehmens. Und „Compliance“ bezieht auch das Verhalten der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten mit ein, obgleich nach ganz h.A. keine Organpflichten der Geschäftsführer im Verhältnis zu Dritten bestehen. Und ferner wird in die „Compliance“ des Unternehmens auch das Verhalten der Zulieferer, Abnehmer und Kreditinstitute 14 15 16 17

Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1310. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 43 Rz. 76. Fuhrmann in GmbH-Hdb., Loseblatt, Teil I, Rz. I 2165. BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2441 = GmbHR 2008, 805; Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 355; Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429; Dreher in FS Hüffer, 2010, S. 161; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25. 18 S. dazu Hüffer/Koch, § 76 AktG Rz. 13.

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§ 37 Rz. 15 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis des Unternehmens miteinbezogen. Geht man hiervon aus, so gehört heute die Verletzung der internen „Compliance“-Pflichten zu den deutlich gewachsenen Haftungsrisiken der Geschäftsführer und zu den Risiken, dass aus der Verletzung von „Compliance“-Pflichten Gründe für die Abberufung des Geschäftsführers hergeleitet werden. 16 Die Aufgabe der Geschäftsführer beschränkt sich dabei nicht auf die Beachtung der Gebote

und Verbote einzelner Rechtsgebiete, etwa die Verhinderung von Rechtsverletzungen nur in bestimmten Bereichen im Inland und im Ausland, etwa die Einhaltung der Vorschriften zur Produktionssicherheit19, des Korruptionsrechts20, des Kartellrechts21, des Datenschutz- und Außenwirtschaftsrechts22, des Steuer- und Sozialabgabenrechts, sondern gilt für alle rechtlichen Gebote und Verbote des deutschen und europäischen Rechts. bb) „Compliance“ als Organisationspflicht 17 Die Aufgabe und die sich hieraus ergebende Legalitätspflicht der Geschäftsführer haben da-

bei zwei Seiten. Die Pflicht der Geschäftsführer zu persönlich rechtmäßigem Verhalten ist eine Selbstverständlichkeit. Das ist aber nur die eine Seite. Die Geschäftsführer haben darüber hinaus dafür Sorge zu tragen, „dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt ist, dass keine … Gesetzesverletzungen stattfinden …“. Einer derartigen Organisationspflicht („Legalitätskontrollpflicht“) genügt der Vorstand – bei der GmbH der Geschäftsführer – bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er sich nicht auf die Aufklärung rechtswidrigen Verhaltens beschränkt, sondern eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte „Compliance-Organisation“ einrichtet23. Dabei ist jedoch bei der GmbH zu unterscheiden:24 18 – Bei kleineren und mittleren Unternehmen können der oder die Geschäftsführer die ge-

nannte Aufgabe in Person wahrnehmen. Es gibt keine Rechtspflicht, die es den Geschäftsführern versagt, die Aufgabe auf nachgeordnete Mitarbeiter zu delegieren und einen besonderen Compliance-Officer zu bestellen, dem die Aufgabe übertragen wird. 19 – Mit zunehmender Größe des Unternehmens und bei besonderer Risikolage wird es

den Geschäftsführern des Unternehmens jedoch nicht möglich sein, die genannte Aufgabe selbst wahrzunehmen. In diesem Fall gehört die Einrichtung eines Überwachungssystems (Compliance-Managementsystems)25 zu den Aufgaben der Geschäftsführer. Die pflichtenbegründenden Voraussetzungen werden durch die Gefährdungslage, die Größe des Unternehmens, die Branche, die besonderen Risikobereiche usw. begründet26.

19 S. dazu EU-Richtlinie vom 3.12.2001 (200/95/E6) sowie Durchführungsbeschluss der EU-Kommission vom 8.11.2018 (EU 2019/417). 20 Hauschka/Grewe, BB 2007, 165. 21 BGH v. 10.12.1985 – KRB 3/85, WuW/E BGH 2205; BGH v. 24.3.1987 – KRB 8/86, WuW/E BGH 2394; BGH v. 25.10.1988 – KRB 2/88, WuW/E BGH 2543; Klahold, CCZ 2017, 46; Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016; Reimers/Hainz, CCZ 2016, 188. 22 Pfeil/Mertgen, Compliance im Außenwirtschaftsrecht, 2016. 23 LG München v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, WM 2014, 947 = NZG 2014, 345; Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 355; Fleischer, AG 1003, 291; Hauschka, NJW 2004, 257; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113; a.A. etwa Hüffer/Koch, § 76 AktG Rz. 14. 24 Zur Compliance bei der mittelständischen GmbH: Römermann, GmbHR 2014, 1; Merkt, GmbHR 2014, 1705. 25 Managementsysteme sind Organisations-, Kontroll- und Informations-Systeme, die der Durchsetzung bestimmter Ziele sowie der Sammlung und Verwaltung von Unternehmensdaten dienen, um die Geschäftsführer bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. 26 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 4; Hauschka, CCZ 2018, 159.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 23 § 37

Die Ausgestaltung des Compliance-Managementsystems ist gesetzlich nicht bestimmt. Viel- 20 mehr sind die Geschäftsführer bei der Ausgestaltung frei, d.h. die Ausgestaltung steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen vorausgesetzt, dass bestimmte Anforderungen erfüllt sind. Dazu gehört eine Risikoanalyse, also die Identifizierung der wesentlichen Risiken und ein System der Überwachung. Den vielfältigen Versuchen, bestimmte zwingende Vorgaben für die Ausgestaltung des Compliance-Managementsystems zu formulieren, ist nicht zu folgen. Es handelt sich in aller Regel nur um unverbindliche Handlungsanleitungen. Das gilt auch für den Standard zur Prüfung von Compliance-Managementsystemen IDW PS 980 und ISO 1960027. cc) Ressortverantwortung und Delegation Compliance ist eine Aufgabe aller Geschäftsführer, also nicht etwa nur des Geschäftsfüh- 21 rers, der für Recht und Soziales zuständig ist. Dabei haben die Geschäftsführer kein Ermessen, ob sie gegen rechtswidriges Verhalten des Unternehmens oder einzelner Mitarbeiter vorgehen, das rechtswidrige Verhalten abzustellen oder nicht. Die Legalitätspflicht ist vielmehr zwingend. Sie muss uneingeschränkt wahrgenommen werden. Das konnte man früher bestreiten, was bestimmtes rechtswidriges Verhalten im Ausland betraf. Für die Korruption ausländischer Amtsträger gilt dies aber nicht mehr, § 1 EuBestG und § 2 IntBestG. Compliance ist jedoch keine Aufgabe, die zwingend von allen Geschäftsführern wahrgenom- 22 men werden müsste. Die Aufgabe kann vielmehr auch durch einen einzelnen Geschäftsführer im Wege der Geschäftsverteilung oder einem nachgeordneten Mitarbeiter im Unternehmen, sprich einem „Compliance-Officer“28 im Wege der Delegation übertragen werden. Das ist rechtlich unbedenklich, soweit nicht durch Gesetz oder Satzung ausdrücklich das Zusammenwirken aller Geschäftsführer oder zumindest die Zuständigkeit eines Geschäftsführers vorgeschrieben ist. dd) Wesentlicher Inhalt von Compliance-Managementprogrammen Zu den Mindestvoraussetzungen eines Compliance-Managementprogramms gehören die 23 folgenden Elemente29: – Die Organisation des Unternehmens und die sachgerechte Aufgabenzuweisung an Mitarbeiter, um rechtswidriges Verhalten zu verhindern. – Eine regelmäßig sich wiederholende Risikoanalyse. – Die eingehende Information und die laufende Unterrichtung der Mitarbeiter vor allem über die sensiblen Rechtsbereiche und die dringende Aufforderung, für rechtmäßiges Verhalten zu sorgen. Diese Information hat zum Ziel, die Mitarbeiter über das geltende Recht zu informieren, um Rechtsverletzungen zu verhindern. – Die laufende Überwachung der Mitarbeiter und die Identifikation von Rechtsverletzungen30. Zur Überwachung genügen Stichproben, die aber in regelmäßigen Abständen vorzunehmen sind.

27 Busekist/Hein, CCZ 2012, 41, 86; Hauschka, CCZ 2018, 159, 160; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141, 1146; anders Fissenewert, Compliance für den Mittelstand, 2. Aufl. 2018, § 6 Rz. 174 ff. 28 Zu den strafrechtlichen Risiken als Compliance Officer: BGH v. 17.7.2009 – 5 StR 394/08, WM 2009, 1882 = NJW 2009, 3174; Blasse, WM 2018, 603. 29 United States Centencing Commisssion Guidelines Manual § 8 B2.1(a) (November 2016). S. auch Trölitzsch in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl. 2020, S. 242; Schulz, BB 2019, 579. 30 Zur internen Untersuchung: Uwe H. Schneider, NZG 2010, 1201; Fuhrmann, NZG 2016, 881; Rieder/Menne, CCZ 2018, 203.

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§ 37 Rz. 23 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis – Besteht ein Verdacht, dass es zu rechtswidrigen Handlungen gekommen ist, haben die Geschäftsführer die Aufgabe, dem gezielt nachzugehen, die Rechtsverletzungen aufzudecken und dafür zu sorgen, dass es nicht zu Wiederholungen kommt. – Die angemessene Sanktionierung von Mitarbeitern durch Ermahnungen, Abmahnungen oder schlimmstenfalls Kündigung von Mitarbeitern, die sich rechtswidrig verhalten haben31. Viele Großunternehmen haben zur Sicherung von Recht, Ordnung und Gleichbehandlung der Mitarbeiter Sanktionsleitlinien und ein „Sanctions Advisory Committee“ entwickelt. 24 Auf welche Weise die Information der Mitarbeiter und die Überwachung der Mitarbeiter er-

folgen, steht im Ermessen der Geschäftsführer bzw. des Compliance-Beauftragten. Die Information kann durch Seminare, durch elektronische Medien, vor allem aber durch die Aufstellung unternehmensinterner Richtlinien und vor allem auch durch persönliche Gespräche geschehen. Die Überwachung verlangt ganz gewiss kein Blockwartsystem. Verlangt sind aber regelmäßige vertiefte Prüfungen der Arbeitsvorgänge und im Zweifel Nachforschungen vor Ort32. 25 Streitig ist, ob die Einrichtung einer Meldestelle für Hinweisgeber („Whistleblower“) zu den

zwingenden Aufgaben gehört. Ausdrücklich verpflichtend vorgesehen ist dies für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Auch der Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das EU-Recht melden33, verlangt für bestimmte Unternehmen die Einrichtung „interner Kanäle und Verfahren“. Davon abgesehen ist die Einrichtung von unternehmensinternen oder unternehmensexternen Hinweisgeberstellen im Ermessen der Geschäftsführer34. ee) Regulierte Unternehmen 26 Für regulierte Unternehmen – also etwa Kreditunternehmen – ist Compliance nicht nur eine

Aufgabe und Pflicht der Geschäftsführer aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Zuständigkeit sondern auch eine aufsichtsrechtliche Verhaltenspflicht, § 25a Abs. 1 KWG, § 80 WpHG, § 64a VVG35. ff) Compliance im Konzern 27 S. Rz. 123.

b) Risikomanagement Schrifttum: Altmeppen, Die Auswirkungen des KonTraG auf die GmbH, ZGR 1999, 291; Baums, Risiko und Risikobesteuerung im Aktienrecht, ZGR 2011, 218; Drygala, Die Pflicht des Managements zur Vermeidung existenzgefährdender Risiken, in FS Hopt, 2010, S. 541; Hannemann/Steinbrecher/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement, 5. Aufl. 2018; Heermann, Unternehmerisches Ermessen, Organhaftung und Beweislastverteilung, ZIP 1998, 762; Hommelhoff, Risikomanagement in GmbH-Recht, in FS Sandrock, 2000, S. 373; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, 2. Aufl. 2020, S. 211; Jakobus, Die Vorstandspflicht zum Risikomanagement: eine juristische und ökonomische Betrachtung in § 91 Abs. 2 AktG, 2014; Kessler, Der Einsatz komplexer Finanzinstrumente im Unternehmen – gesellschaftsrechtliche Anforderungen an das Risikomanagement, BB 2013, 1098; Lück, Ele31 32 33 34

Miege, CZ 2017, 283. Uwe H. Schneider, NZG 2010, 1201. COM (2018) 218 final. Ebenso Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Schmolke, WM 2012, 1013, 1016; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141; weitergehend: Grützner/Leisch, BB 2012, 787, 792. 35 Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 31 § 37 mente eines Risiko-Managementsystems, DB 1998, 8; Mülbert/Wilhelm, Risikomanagement und Compliance im Finanzmarktrecht – Entwicklung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen, ZHR 178 (2014), 502; Tanski/Radtke/Uhlemann, Managerhaftung und Risikomanagement, 2009; Ziemons in Michalski u.a., § 43 Rz. 168.

Neben der Aufgabe für rechtmäßiges Verhalten des Unternehmens und der Mitarbeiter zu 28 sorgen, gehört zur Aufgabe des Geschäftsführers, die Risiken für das Unternehmen zu identifizieren, sie laufend zu beobachten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das Eingehen von Risiken gehört zwar zur unternehmerischen Tätigkeit36. Damit verbunden ist aber die Aufgabe, die langfristigen Risiken für die unternehmerische Tätigkeit, für die gegenwärtige und künftige Unternehmensstrategie und die Risiken für die laufende Geschäftsfähigkeit in den Blick zu nehmen. Die Aufgabe des Geschäftsführers beschränkt sich somit nicht auf die Früherkennung existenzgefährdender Risiken. Der Wortlaut von § 91 Abs. 2 AktG ist zu eng. Richtig ist vielmehr, dass sich der Geschäftsführer jederzeit einen umfassenden Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft zu machen hat. Dabei darf sich der Geschäftsführer nicht darauf beschränken, nur die Risiken zu erkennen. Er hat vielmehr darauf hinzuwirken, Risiken für die Gesellschaft zu erkennen, durch entsprechende Maßnahmen sie zu vermeiden, falls dies nicht möglich ist, sie zu steuern. Nicht bei jeder GmbH sind die Geschäftsführer verpflichtet, ein Risikomanagement-System 29 einzurichten. Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein Risikomanagement sei bei der GmbH nur einzurichten, wenn die Gesellschaft den Kapitalmarkt in Anspruch nehme oder sie nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976 mitbestimmt ist37. Das sind jedoch keine überzeugenden Anknüpfungskriterien. Entscheidend ist vielmehr für eine entsprechende Aufgabe der Geschäftsführer, ob ein eigenständiges, wirksames Risikomanagement- und ÜberwachungsSystem einzurichten ist, die Größe und Struktur des Unternehmens, die Branche, die Zahl der Arbeitnehmer, die besonderen Risikobereiche, wie etwa die besonderen Anforderungen an die Produktsicherheit usw. Gemeint ist mit den Risiken die Gefahr negativer Veränderungen aufgrund gegenwärtiger 30 oder künftiger ungewisser Ereignisse. Dabei ist die Aufgabe weit zu fassen. Zu den Risiken gehören alle politischen, sozialen, umweltbezogenen, wirtschaftlichen und technischen Risiken, die für den Bestand des Unternehmens gefährlich sind. Zu denken ist an Finanzierungsebenso wie IT-Risiken bis hin zu disruptiven Risiken. Für Kreditinstitute verlangt § 25a Abs. 1 KWG, für Finanzdienstleistungsinstitute verlangt Art. 435 CRR (VO (EU) Nr. 575/2013) ausdrücklich die Einrichtung eines angemessenen wirksamen Risikomanagements38. Die aufsichtsrechtliche Aufgabe und Pflicht überlagert die gesellschaftsrechtliche Pflicht. Sie wird in § 25a KWG weitergehend konkretisiert. Wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, steht es nicht im Ermessen des Ge- 31 schäftsführers, ob ein Risikosystem eingesetzt wird. Vielmehr handelt es sich gegebenenfalls um eine Pflichtaufgabe. Nur die Ausgestaltung des Risikomanagements steht im Ermessen des Geschäftsführers39. Voraussetzung ist freilich, dass es einerseits die Früherkennung der Risiken zum Gegenstand hat und andererseits deren laufende Überwachung40. Bei Konzernlagen hat der Geschäftsführer der Obergesellschaft die Aufgabe, auch die Risiken, die von

36 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, GmbHR 1995, 299 = ZIP 1995, 560; KG v. 9.10.1998 – 14 U 4823/ 96, GmbHR 1999, 663 = NZG 1999, 400; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 43 Rz. 61. 37 So Hommelhoff in FS Sandrock, 2000, S. 373. 38 Hannemann/Steinbrecher/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement, 5. Aufl. 2018. 39 OLG Frankfurt a.M. v. 12.12.2007 – 17 U 111/07, AG 2008, 453: Vorstand einer Bank. 40 S. dazu Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, 2. Aufl. 2020, S. 213 ff.; Steffan in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl. 2020, S. 633 ff.

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§ 37 Rz. 31 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis den Tochtergesellschaften ausgehen, zu erkennen und zu steuern und zugleich die Risiken, die die Lage des Konzernunternehmens gefährden, zu würdigen. Der Geschäftsführer muss sich einen umfassenden Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage nicht nur des herrschenden Unternehmens, sondern des Konzerns machen. Ob dies die Einrichtung eines konzernweiten Konzern-Risikomanagement-System verlangt, ist wie beim konzernfreien Unternehmen von der Größe des Unternehmens, der Branche, der Risikobereiche der Konzernunternehmen usw. abhängig41 . Im Blick hierauf ist eine angemessene Information der Mitarbeiter, deren Überwachung und deren Sanktionierung bei Rechtsverletzungen verlangt. Dabei haben auch die Geschäftsführer rechtmäßiges Verhalten vorzuleben42. 32 Zum Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführer gehört auch die Beherrschung der Unter-

nehmensrisiken durch ein, freilich abhängig von der Unternehmensgröße, angemessenes internes Überwachungs- und Frühwarnsystem („Risiko-Controlling“). Das folgt bereits aus § 43 und nicht aus einer Analogie zu § 91 Abs. 2 AktG; denn auch im Aktienrecht ergibt sich die Pflicht zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems aus § 76 AktG und nicht aus § 91 Abs. 2 AktG43. Ausnahmsweise kann kraft Gesetzes auch für Maßnahmen der Geschäftsführung die Mitwirkung anderer Organe angeordnet sein. So verlangt etwa § 15 KWG für Kredite an die in § 15 Abs. 1 Nr. 1–12 KWG genannten Personen nicht nur einen einstimmigen Beschluss sämtlicher Geschäftsleiter, sondern auch die ausdrückliche Zustimmung durch den Aufsichtsrat44. 33 In der Krise der Gesellschaft hat der Geschäftsführer das Vermögen der Gesellschaft zu si-

chern und den Insolvenzantrag nach § 15a InsO zu stellen45.

3. Ungewöhnliche Maßnahmen 34 Ungewöhnliche Maßnahmen, insbesondere Maßnahmen, die nicht mehr vom Unterneh-

mensgegenstand und der konkret beschlossenen Unternehmenspolitik gedeckt sind, und die Entscheidung über ungewöhnliche Maßnahmen fallen in den Zuständigkeitsbereich der Gesellschafter46. Diese ungeschriebene Entscheidungsbefugnis ist nicht nur ein Zustimmungsvorbehalt, sondern belässt die Ausübung der Befugnis in vollem Umfang bei den Gesellschaftern. Liegt eine solche Entscheidung im Interesse der Gesellschaft, so hat der Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung einzuberufen, § 49 Abs. 247. Von dieser Verpflichtung, eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung herbeizuführen, ist der Geschäftsführer nicht deshalb entbunden, weil er die Zustimmung des Mehrheitsgesellschafters eingeholt hat. Er41 Ziemons in Michalski u.a., § 43 Rz. 173. 42 Fleischer, AG 2003, 291; Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 645; Kremer/Klahold in Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 25, S. 767, 778. 43 Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, § 91 AktG Rz. 14; Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 91 AktG Rz. 28; Dreher in FS Hüffer, 2010, S. 161 f. 44 Krauel/Klie, WM 2010, 1735, 1737. 45 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = GmbHR 2001, 190. 46 OLG München v. 29.3.2012 – 23 U 4344/11, BeckRS 2012, 07661 = Juris; OLG Stuttgart v. 14.1.2013 – 14 W 17/12, GmbHR 2013, 535; Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 47. 47 BGH v. 29.3.1973 – II ZR 139/70, NJW 1973, 1039; Peltzer in FS Rowedder, 1994, S. 335: Darlehen an Geschäftsführer; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 46; a.A. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 336; eingehend: Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991; hinsichtlich der Herleitung ausdrücklich a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129: aus dem allgemeinen Weisungsrecht sei vielmehr die Bildung von Fallgruppen ungeschriebener Vorlagepflichten angezeigt, vgl. zu diesen die dortigen Rz. 131 ff.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 38 § 37

forderlich ist vielmehr ein förmlicher Gesellschafterbeschluss, damit auch die Minderheitsgesellschafter die Möglichkeit haben, an der Entscheidung mitzuwirken48. Die Gesellschafter entscheiden, von Maßnahmen außerhalb des Unternehmensgegenstandes abgesehen, mit einfacher Mehrheit, was in der zweigliedrigen GmbH mit jeweils hälftiger Beteiligung dazu führt, dass jeder Gesellschafter ein Vetorecht hat. Unternehmensleitende Maßnahmen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Geschäfts- 35 führer fallen, sind demnach die folgenden: – Maßnahmen, die außerhalb des in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstandes 36 liegen49; wie etwa die Gründung von Tochtergesellschaften, die außerhalb des statuarischen Unternehmensgegenstandes tätig sein sollen50. Hierzu zählen auch Maßnahmen, die satzungsähnlichen Charakter haben, wie etwa die Gründung von Tochtergesellschaften, auf die ein wesentlicher Teil des Unternehmensvermögens übertragen werden soll51 (s. näher bei Rz. 40). Und hierzu zählt die Veräußerung von Unternehmensteilen, die zur Satzungsunterschreitung führt52. Solchen Maßnahmen müssen die Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. – Maßnahmen, die den von den Gesellschaftern festgelegten Grundsätzen der Geschäftspo- 37 litik widersprechen, wie etwa die Aufnahme neuer Produktgruppen, die Verlagerung der Produktion ins Ausland, die Umstellung der Vertriebswege53. – Maßnahmen, die wegen ihrer Bedeutung und den mit ihnen verbundenen Risiken unge- 38 wöhnlich sind, also Ausnahmecharakter haben54. Entscheidend ist nicht, ob mit einem Widerspruch der Gesellschafter zu rechnen ist, sondern auch die materielle Bedeutung der Maßnahmen, die damit verbundenen Risiken und die Kosten der Maßnahme. Hierzu zählen etwa der Verkauf eines bedeutenden Betriebes oder Betriebsteils55 von mehr als 10 % des Produktionsbereichs, die Gewährung eines großen Kredits, Rechtsgeschäfte mit einzelnen Gesellschaftern oder Mitgeschäftsführern, sofern diese einen bedeutenden Um48 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197; zust. Kort, ZIP 1991, 1275; weitergehend: Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 87. 49 OLG München v. 29.3.2012 – 23 U 4344/11, BeckRS 2012, 07661 = Juris; LG Berlin v. 14.8.1991 – 94 O 164/91, GmbHR 1992, 184 = WM 1992, 22 = AG 1992, 91; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 27; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 26; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 9; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 268; Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1289 weist mit Recht darauf hin, dass solche Beschlüsse nicht nur ungewöhnlich, sondern satzungswidrig sind. 50 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 13 Anh. Rz. 960; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Anh. § 13 Rz. 156. 51 BGH v. 30.5.2005 – II ZR 236/03, DStR 2005, 1066 (92 % des Produktionsbereichs); Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113. 52 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16 unter Bezugnahme auf (für AG) OLG Köln v. 15.1.2009 – 18 U 205/07, AG 2009, 416 – Strabag. 53 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197; OLG Frankfurt v. 19.1.1988 – 5 U 3/86, GmbHR 1989, 254 = AG 1988, 335 m. Anm. Spahn; OLG Stuttgart v. 14.1.2013 – 14 W 17/12, GmbHR 2013, 535; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. 54 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, DB 1984, 661 = GmbHR 1994, 96; BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 287/ 97, ZIP 1998, 1693 = GmbHR 1998, 931 (Kündigung des Arbeitsvertrages eines Gesellschafter-Prokuristen); OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 267; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Emmerich/Habersack, Konzernrecht,10. Aufl., § 9 Rz. 9; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen …, 1996, S. 13; Roth, ZGR 1985, 268; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1072; Fleischer, NZG 2011, 521, 525; zu eng: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 46; a.A. Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991, S. 90. 55 BGH v. 30.5.2005 – II ZR 236/03, DStR 2005, 1066.

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§ 37 Rz. 38 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis fang bzw. einen ungewöhnlichen Inhalt haben oder ein erhebliches Risiko enthalten, die Beteiligung eines stillen Gesellschafters56, die Digitalisierung der Unternehmensleitung, die Gründung von Tochtergesellschaften, in denen mehr als 10 % des Unternehmensvermögens gebunden ist57, die Übertragung der Anteile an wesentlichen Tochtergesellschaften58, Spenden in ungewöhnlicher Höhe59, usw. Dazu kann auch die Begründung, Änderung oder Kündigung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Gesellschafter gehören60. Entscheidend ist die Bedeutung der Maßnahme für die Gesellschaft. Für den erforderlichen Gesellschafterbeschluss genügt die einfache Mehrheit. 39 – Maßnahmen, bei denen mit einem Widerspruch der Gesellschafter zu rechnen wäre, wenn

sie hiervon Kenntnis hätten61. Ist der Widerspruch nur eines Minderheitsgesellschafters zu erwarten, so genügt dies nicht62.

4. Die Ausübung von Beteiligungsrechten 40 Die Wahrnehmung von Mitverwaltungsrechten aus Beteiligungen, die der Finanzanlage die-

nen, ist in der Regel Teil der Unternehmensleitung und damit Teil der laufenden Geschäftsführung63. Das gilt auch für Unternehmen, die nach dem DrittelbG mitbestimmt sind. 41 Ist die Gesellschaft aber nach dem MontanMitbestErgG bzw. nach dem MitbestG mitbe-

stimmt und beträgt die Beteiligung nicht weniger als ein Viertel, so enthalten § 15 MontanMitbestErgG und § 32 MitbestG eine Zuständigkeitsverlagerung. Voraussetzung bei § 32 MitbestG ist zusätzlich, dass auch das Beteiligungsunternehmen nach dem MitbestG mitbestimmt ist. Einzelne Mitverwaltungsrechte ruhen in diesen Fällen, solange der Aufsichtsrat nicht beschlossen hat, in welcher Weise die Mitverwaltungsrechte auszuüben sind.

5. Organisationsrechtliche Akte 42 In einer Reihe von Fällen sind die Geschäftsführer für organisationsrechtliche Akte zuständig.

Dazu gehören insbesondere die Einberufung und die Vorbereitung der Gesellschafterversammlung, § 49 Abs. 1.

6. Der Grundsatz der Satzungsfreiheit 43 Die gesetzlichen Bestimmungen über die interne Zuständigkeitsordnung sind für die Gesell-

schafter nicht bindend. Eine § 23 Abs. 5 AktG entsprechende Vorschrift fehlt im GmbHG. 56 Boesebeck, JW 1937, 1493. 57 Str.; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 116. 58 Hans. OLG v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43, 46; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 245. 59 Ebenso Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1311. 60 BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, GmbHR 1994, 629; BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 287/97, GmbHR 1998, 931; Sitzenfrei/Tischer, DB 2008, 1307. 61 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, GmbHR 1984, 96 = WM 1984, 305 mit Bespr. Roth, ZGR 1985, 268; OLG Frankfurt v. 19.1.1988 – 5 U 3/86, GmbHR 1989, 255; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; Ettinger/Reiff, GmbHR 2007, 617, 619; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1073. 62 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; a.A. OLG Frankfurt v. 19.1.1988 – 5 U 3/86, GmbHR 1989, 254, 255. 63 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 47 § 37

Daher können die Gesellschafter im Unterschied zur Aktiengesellschaft in der Satzung die Stellung der Geschäftsführer und ihr Verhältnis zu der Gesellschafterversammlung weitgehend nach ihren Vorstellungen regeln64 (Grundsatz der Satzungsfreiheit). Die Eigenverantwortlichkeit der Geschäftsführer und zwar einzelner oder aller Geschäftsführer kann daher gestärkt, die Entscheidung über die Geschäftspolitik kann ihnen übertragen, das Weisungsrecht der Gesellschafter kann zurückgedrängt werden. Voraussetzung ist jedoch eine Bestimmung in der Satzung. Eine Freistellung im Anstellungs- 44 vertrag ist unzulässig65. Auf der anderen Seite können in der Satzung bestimmte Einzelmaßnahmen des Tagesge- 45 schäfts ausdrücklich verboten oder an die Zustimmung der Gesellschafter gebunden werden. Es kann auch in allgemeiner Form die Vornahme aller Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb der Gesellschaft nicht gewöhnlich mit sich bringt, an die Zustimmung der Gesellschafterversammlung gebunden sein66. Exemplarisch ist die Gründung von Tochtergesellschaften, alle Geschäfte, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen67, die Einleitung von Rechtsstreitigkeiten oder die Vornahme von Leerverkäufen. Für den Zustimmungsbeschluss genügt die einfache Mehrheit der Stimmen der Gesellschafter. Vorgesehen kann sein, dass die Zustimmung als Einwilligung vor der Verwirklichung der Maßnahme oder aber auch nach der Verwirklichung durch Genehmigung erteilt werden kann.

IV. Mehrere Geschäftsführer 1. Gesamtgeschäftsführung Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so gilt im Außenverhältnis als gesetzliche Regel 46 Gesamtvertretung, § 35 Abs. 1. Für das Innenverhältnis fehlt eine entsprechende Vorschrift. Doch ist spiegelbildlich davon auszugehen, dass bei gesetzlicher Ausgestaltung entsprechend § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG die Geschäftsführer auch im Innenverhältnis nur gemeinschaftlich zu handeln befugt sind (Gesamtgeschäftsführung)68. Der RegE 1971 sah in § 61 ausdrücklich Gesamtgeschäftsführungsbefugnis vor. Das bedeutet, dass Maßnahmen der Geschäftsführung zunächst durch alle Geschäftsführer zu beschließen sind. Dabei besteht Einigkeit, dass die §§ 28, 32 BGB (Mehrheitsbeschluss der Geschäftsführer) für die GmbH nicht anwendbar sind. Vielmehr gilt der Grundsatz der Einstimmigkeit69. Stimmenthaltungen gelten als Neinstimmen. Zugleich gilt der Grundsatz der allseitigen Mit- 47 wirkung. Das bedeutet, dass alle Geschäftsführer an der Entscheidung mitwirken müssen und nicht nur die zufällig bei einer Sitzung anwesenden Organmitglieder70. Damit unterscheidet sich das deutsche Recht deutlich von ausländischen Rechtsordnungen. Fehlt eine wirksame Geschäftsverteilung, so soll bei organisatorischen Maßnahmen des Tagesgeschäfts eine Ab64 Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 273; Bacher/v. Blumenthal, GmbHR 2016, 514. 65 SG München v. 8.10.2013 – S 4 R 1860/12, NZS 2014, 184; LSG Berlin-Brandenburg v. 16.11.2017 – L 9 KR 369/16, NZG 2018, 387. 66 BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 287/97, EWiR § 37 GmbHG 1/98, 785 (Goette); mit der Frage, ob Zustimmungsvorbehalte formuliert werden müssen, beschäftigt sich van Venrooy, GmbHR 2005, 1243. 67 Streicher, GmbHR 2015, 1188, 1189; Bacher/v. Blumenthal, GmbHR 2016, 514, 517. 68 RG v. 3.2.1920 – II 272/19, RGZ 98, 100; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 33; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 26; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.50; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13. 69 Ebenso: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 26. 70 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79.

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§ 37 Rz. 47 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis stimmung nach Mehrheit genügen71. Bedeutung hat dies vor allem, weil in einem solchen Fall keine Mitwirkung aller Geschäftsführer erforderlich ist. Zu denken ist an Weisungen im Tagesgeschäft gegenüber Arbeitnehmern, Dienstreisen, die Verteilung von Parkplätzen, Festlegung der Tagesordnung von Geschäftsführersitzungen. 48 Die Beschlussfassung bedarf keiner Form72. Sie kann auch konkludent erfolgen. Eine Stell-

vertretung ist ausgeschlossen. Abwesende Geschäftsführer können jedoch ihre Stimme überreichen lassen oder telefonisch bzw. telegrafisch oder durch E-Mail mitwirken.

2. Einzelgeschäftsführung 49 Hat eine Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so kann für diesen Fall in der Satzung das

Mehrheitsprinzip, aber auch Einzelgeschäftsführung, das Handeln von mindestens zwei Geschäftsführern oder eines Geschäftsführers und eines Prokuristen (unechte Gesamtgeschäftsführung) vorgesehen werden. Es gilt volle Gestaltungsfreiheit73. Die Geschäftsführungsbefugnis kann auch für die einzelnen Geschäftsführer in unterschiedlicher Weise geordnet sein74. 50 Fehlt eine Regelung in der Satzung zur Geschäftsführungsbefugnis und gilt für die Vertretung

Einzelvertretungsbefugnis, so ist zugleich zu vermuten, dass auch Einzelgeschäftsführungsbefugnis besteht75. Im Zweifel hat jeder Geschäftsführer dann aber ein Widerspruchsrecht, § 115 HGB analog76.

3. Organinterne Information und Widerspruch 51 Um bei einer Gesamtgeschäftsführung eine kollegiale Zusammenarbeit zu ermöglichen, ha-

ben die Geschäftsführer sich gegenseitig zu informieren77. Jeder Geschäftsführer kann von jedem seiner Mitgeschäftsführer umfassende Aufklärung über alle Vorgänge der Geschäftsführung verlangen. Im Verhältnis der Geschäftsführer zueinander gibt es kein Verschwiegenheitsgebot über vertrauliche Vorgänge. Jeder darf alles wissen78, und jeder hat Anspruch darauf, über alles informiert zu werden. Er kann sich auch selbst unmittelbar vor Ort informieren79; Mitarbeiter befragen, wenn der Mitgeschäftsführer die Information verweigert80,

71 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80. 72 Für die AG: BGH v. 15.3.1990 – I ZR 53/88, WM 1990, 1248. 73 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 13 ff.; Lenz in Michalski u.a., Rz. 32; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis,3. Aufl.2015, S. 242. 74 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 27. 75 BGH v. 12.10.1992 – II ZR 208/91, WM 1992, 2055 = AG 1993, 82; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96 f. 76 BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261 = NJW 1965, 1378; Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 8 Rz. 52; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 370. 77 Fleck, GmbHR 1974, 225; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 34; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 17. 78 OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 38; OLG München v. 22.10.2015 – v. 17.9.2015 – 23 U 4861/14, GmbHR 2015, 1324; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., S. 151; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 83; Peters, GmbHR 2008, 682, 685; Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 274; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15; einschränkend: Paefgen/Dettke, WuB II C § 37 GmbHG 1.08. 79 OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 38; Peters, GmbHR 2008, 682, 685; a.A. Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 275 f. 80 Offengelassen von Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 276; weitergehend: Peters, GmbHR 2008, 682, 685; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 57 § 37

etc. Nur auf diese Weise kann jeder Geschäftsführer die Geschäftsführung insgesamt verantworten (zum Grundsatz der Gesamtverantwortung näher 12. Aufl., § 43 Rz. 120 ff.). Ist ein Geschäftsführer mit Maßnahmen seiner Mitgeschäftsführer nicht einverstanden, so 52 kann er widersprechen81. Bei Maßnahmen von größerer Bedeutung und bei Maßnahmen, bei denen mit einer Ablehnung durch die anderen Geschäftsführer zu rechnen ist, muss die Berichterstattung vor der Verwirklichung erfolgen82. Zur Lösung von Pattsituationen kann einem Geschäftsführer (Vorsitzender) das Recht zum 53 Stichentscheid gewährt werden83. Die Befugnis zum Widerspruch kann in der Satzung für einzelne Geschäftsführer auch ausgeschlossen werden84. Bestimmt die Satzung, dass die Mehrheit über die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme entscheidet, so ist der überstimmte Geschäftsführer im Zweifel aber verpflichtet, den Gesellschaftern zu berichten85.

4. Ressortzuweisung/Geschäftsverteilung a) Durch Satzung oder Beschluss der Geschäftsführer aa) Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so gilt zwar der Grundsatz der Gesamtge- 54 schäftsführung. Das bedeutet, dass in der Regel alle Geschäftsführer bei der Geschäftsführung zusammenwirken müssen. Es können aber auch bestimmte Entscheidungsbereiche und Überwachungsaufgaben wie z.B. 55 der Einkauf, die Produktion, die elektronische Datenverarbeitung oder die Finanzierung einzelnen Geschäftsführern (Grundsatz der Einzelgeschäftsführung) zugewiesen werden. Die vielfältigsten Gestaltungen und Mischformen sind denkbar, wie etwa die Berufung von zwei Geschäftsführern, die nur zusammenwirken können, die Einführung eines Vetorechts zugunsten des Vorsitzenden oder das Mehrheitsprinzip86. Zulässig sind solche Gestaltungen zur Geschäftsführung durch Regelung in der Satzung87, 56 durch einfachen Beschluss der Gesellschafter im Wege der Weisung an die Geschäftsführer oder durch einstimmigen Beschluss der Geschäftsführer. Regelungen in der Satzung können ausdrücklich geschehen. Sind in der Satzung neue Re- 57 gelungen zur Vertretung der Gesellschaft enthalten, so ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob das Entsprechende auch für die Geschäftsführung gelten soll. Im Zweifel ist hiervon auszugehen88. Sieht daher die Satzung für alle Geschäftsführer Einzelvertretung vor, so gilt das Entsprechende für die Geschäftsführung. Zulässig ist es auch, einem Geschäftsführer ein

81 BGH v. 13.5.1968 – II ZR 103/66, WM 1968, 1329; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 17; Lücke/ Simon in Saenger/Inhester, Rz. 28; Roth, ZGR 1985, 267; van Venrooy, GmbHR 2001, 7. 82 LG Paderborn v. 5.8.2008 – 7 O 29/08, BeckRS 2008, 20871 = Juris. 83 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.55; für die AG s. Priester, AG 1984, 253; Hoffmann-Becking, NZG 2003, 745, 748. 84 So auch Peters, GmbHR 2008, 682, 685. 85 RG v. 3.2.1920 – II 272/19, RGZ 98, 98; BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 65; BGH v. 20.10.1954 – II ZR 280/53, BGHZ 15, 78; Fleck, GmbHR 1974, 225; vgl. auch BGH v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, WM 1971, 1548. 86 Leuering in FS Seibert, 2019, S. 543, 545. 87 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 90. 88 Ebenso Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96.

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§ 37 Rz. 57 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis Weisungsrecht gegenüber einem anderen Geschäftsführer einzuräumen89. Bei der AG ist das ausdrücklich in § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG vorgesehen. Sinn macht das bei einer Gesellschaft mit einem Gesellschaftergeschäftsführer, wenn die Weisungsbefugnis gegenüber einem Fremdgeschäftsführer eingeräumt wird. Fehlt in der Satzung eine Regelung zur Geschäftsführung, so können die Geschäftsführer durch Beschluss die Art der Geschäftsführung also etwa Einzelgeschäftsführung vorsehen90. Dem wird entgegengehalten, eine solche Aufteilung von Zuständigkeiten habe aber nicht dieselbe Wirkung wie die Festlegung von Ressortzuständigkeiten durch die Gesellschafter91. Die Geschäftsführer müssten weiterhin die von den Gesellschaftern vorgegebene Zuständigkeit für die Geschäftsführung beachten. Dem widerspricht die Befugnis der Geschäftsführer zur Organisation ihrer Arbeit, wenn dies nicht durch die Gesellschafter vorgegeben ist. 58 Entscheiden die Geschäftsführer über die Zuständigkeiten der Geschäftsführung, bedarf es

eines einstimmigen Beschlusses aller Geschäftsführer92. Ein Beschluss durch die Mehrheit der Geschäftsführer genügt nicht. Die Grenzen der Selbstorganisation werden in § 77 Abs. 2 Satz 3 AktG deutlich. b) Wirksamkeit und Grenzen zulässiger Geschäftsverteilung 59 Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Geschäftsverteilung („Ressortleitung“) wer-

den nicht einheitlich bestimmt. Was gesellschaftsrechtlich ausreicht, muss nicht auch steuerrechtlich durch die Finanzverwaltung oder die Bankenaufsicht anerkannt werden. Für jeden Rechtsbereich muss daher die Wirksamkeit der Geschäftsverteilung getrennt ermittelt werden. Allgemein gilt: Eine Geschäftsverteilung wird rechtlich nur anerkannt93, wenn sie von allen Geschäftsführern einvernehmlich mitgetragen wird94 und der Entscheidungsbereich der Geschäftsverteilung zugänglich ist95. Grenzen für eine zulässige Geschäftsverteilung können sich aus dem Gesetz, aus der Satzung oder einer Weisung der Gesellschaft ergeben. Grundsätzliche Fragen, wie etwa die Vorbereitung der Geschäftspolitik und die Erfüllung der sich aus § 15a InsO ergebenden Pflichten96, müssen in der Zuständigkeit des Gesamtgremiums der Geschäftsführer zwingend auch dann verbleiben, wenn Einzelgeschäftsführungsbefugnis besteht. Hiervon abgesehen ist jeder Teilbereich der Geschäftsführung einer Ressortzuweisung zugänglich; – wenn eine klare und eindeutige Aufteilung aller Geschäftsführungsaufgaben erfolgt, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist97, – wenn die Aufteilung der Geschäftsführungsaufgaben in schriftlicher Form erfolgt und 89 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 49. 90 OLG München v. 19.9.2013 – 23 U 1003/13, GmbHR 2013, 1208 = NZG 2013, 1225; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 100; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Lenz in Michalski u.a., Rz. 34, Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 34. 91 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 100. 92 H.M., Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 35; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 14. 93 Der Kommentierung hier in der 7. Aufl. nahezu wörtlich folgend: Sina, GmbHR 1990, 65. 94 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29. 95 BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, GmbHR 1990, 500, 503; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 282; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.30. 96 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), ZIP 1994, 891, 892 = GmbHR 1994, 460. 97 BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, GmbHR 1985, 309 = ZIP 1984, 1345; BFH v. 4.3.1986 – VII S 33/ 85, WM 1986, 1024 = GmbHR 1986, 288; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 63 § 37

– wenn der zuständige Geschäftsführer die erforderliche persönliche und fachliche Qualifikation besitzt, um die zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen98. Unstreitig ist, dass eine klare und eindeutige Aufteilung der Geschäftsführungsaufgaben er- 60 folgen muss. Streitig ist, ob die Aufteilung in schriftlicher Form zu erfolgen hat. Der II. Senat des BGH lässt in einer Entscheidung vom 6.11.201899 eine einvernehmliche Entscheidung aller Geschäftsführer genügen. Sie müssen nicht einmal zwingend ausdrücklich vereinbart werden. Es erscheine nicht ausgeschlossen, dass eine auf einer faktischen Arbeitsteilung oder einer stillschweigenden Übereinkunft beruhende Geschäftsverteilung durch ihre tatsächliche Handhabung zu einer Aufgabenzuweisung erstarke. Der Senat verlangt eine schriftliche Dokumentation auch, „wenn auf andere Weise den Vorgaben an eine sorgfältige Unternehmensleitung nicht Rechnung getragen werden kann“100. Demgegenüber verlangt der Bundesfinanzhof101 für die Anerkennung der Geschäftsverteilung bei Erfüllung der steuerlichen Pflichten in der Regel die Schriftform. Nur ausnahmsweise dürfen nach der Rechtsprechung des BFH „Geschäfte des laufenden Verkehrs“, soweit sie für die Gesellschaft nicht von existenzieller Bedeutung sind, auch ohne schriftliche Aufgabenverteilung auf einen einzelnen Geschäftsführer übertragen werden102. Das von der Rechtsprechung des II. Senats vertretene Regel/Ausnahmeverhältnis überzeugt 61 nicht. Es verletzt das Gebot der klaren und eindeutigen Abgrenzung der Geschäftsführungsaufgaben, der Pflichten der Geschäftsführer und ihrer Haftung. Angesichts der unklaren Abgrenzung kann der Praxis nur dringend geraten werden, die Geschäftsverteilung in schriftlicher Form vorzunehmen. c) Rechtsfolgen der Geschäftsverteilung Der zur Wahrnehmung der Ressortaufgaben zuständige Geschäftsführer nimmt nach ord- 62 nungsgemäßer Geschäftsverteilung weiterhin Geschäftsführungsaufgaben wahr. Er trägt für die ihm zugewiesenen Aufgaben die volle Handlungsverantwortung. Für die anderen Geschäftsführer ist bei wirksamer Geschäftsverteilung die Verantwortung 63 begrenzt. Sie haben fehlerhafte Maßnahmen in den Ressorts, für die sie nicht zuständig sind, nicht zu vertreten103. Bei rechtlich anerkannter Geschäftsverteilung verbleibt aber bei jedem Geschäftsführer, auch wenn er für ein bestimmtes Ressort nicht zuständig ist, eine Informations- und Überwachungsverantwortung. Er hat sich über die grundlegenden mit der Lei-

98 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227; BFH v. 9.7.1996 – VII R 136/95, BFH/NV 1997, 10, 11. 99 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 28; Jacoby in Bork/Schäfer, Rz. 6; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15; Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 44 Rz. 87; zustimmend auch Buck-Heeb, BB 2019, 584; Hülsmann, GmbHR 2019, 209, der als Berater einer Prozesspartei mitgewirkt hat; a.A. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 43 Rz. 115; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.48; Ziemons in Michalski u.a., § 43 Rz. 338; Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 477, 484 f.; Dreher, ZGR 1992, 22, 59 f. 100 Vgl. Goette, ZHR 175 (2011), 388, 397. 101 BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443, 447 m. Anm. Wilke = GmbHR 1985, 309; BFH v. 4.3.1986 – VII S33/85, WM1986, 1023; BFH v. 17.5.1988 – VII R 90/85, GmbHR 1989, 170. 102 BFH v. 4.3.1986 – VII S 33/85, BFHE 146, 23, 26 = GmbHR 1986, 288. 103 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, WM 1985, 1293, 1294 = GmbHR 1986, 19, 20; BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, GmbHR 1986, 302 = WM 1986, 789; BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443, 447 = GmbHR 1985, 30, 31; Geßler, NB 1972, Heft 2, S. 13; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 298.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 215

§ 37 Rz. 63 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis tung verbundenen Aufgaben in regelmäßigen Abständen zu informieren104. Er hat daher auch einen Anspruch auf umfassende Information105. 64 Er hat sich erstens regelmäßig zu informieren, ob der Mitgeschäftsführer weiterhin die Qua-

lifikation besitzt, um die zugewiesenen Aufgaben zu bewältigen106; und ob der einzelne Geschäftsführer seinen Aufgaben auch tatsächlich nachkommt. Jeder nicht zuständige Geschäftsführer hat zweitens beim Verdacht von unzweckmäßigen Maßnahmen durch den zuständigen Geschäftsführer oder gar beim Verdacht von Pflichtverletzungen zunächst den zuständigen Geschäftsführer zu befragen und bei fortbestehenden Zweifeln das Gesamtgremium zu informieren. Im Zweifel ist die Einzelentscheidung und bei schweren Zweifeln ist der gesamte Aufgabenbereich in das Gesamtgremium zurückzuholen („Rückholpflicht“)107. Drohen schwere Nachteile für die Gesellschaft und sind die Mitgeschäftsführer nicht bereit, dem abzuhelfen, so ist zunächst zu widersprechen („Widerspruchspflicht“). Hiernach ist jeder, der nicht zuständigen Geschäftsführer verpflichtet einzugreifen, „wenn sich Anhaltspunkte ergeben, dass der zuständige Geschäftsführer in seinem Arbeitsbereich die Geschäfte nicht ordnungsgemäß führt“108. Sodann sind die Gesellschafter zu unterrichten („Unterrichtungspflicht“)109. Die Möglichkeit beruflicher Nachteile entlastet ebenso wenig wie die Tatsache, dass ein Geschäftsführer eine dominierende Stellung hat und sich die Mitgeschäftsführer diesem unterordnen110. Im Ergebnis führt dies dazu, dass der eine Mitgeschäftsführer wegen einer fehlerhaften Entscheidung, der zweite Geschäftsführer wegen mangelhafter Überwachung und der dritte Geschäftsführer deshalb pflichtwidrig gehandelt haben kann, weil er gegen die Entscheidung nicht vorgegangen ist. 65 Streitig ist, ob der nicht zuständige Geschäftsführer schon vor der Befragung des zuständigen

Geschäftsführers selbständig Ermittlungen aufnehmen darf, kann oder gar muss. Bei rechtswidrigen Maßnahmen und bei Gefahr, dass dauerhafter Schaden für die Gesellschaft entsteht, ist jeder Geschäftsführer verpflichtet einzuschreiten, Mitarbeiter zu befragen und den Schaden abzuwenden111. 66 Für „sachnähere Ressortleiter“ bestehen keine weitergehenden Überwachungspflichten112.

Nur vom Vorsitzenden der Geschäftsführung darf man eine erhöhte Überwachung und im Zweifel Nachforschung erwarten; denn seine Aufgabe besteht auch in der Koordination. In

104 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), DStR 1994, 1092 (Goette); BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639 (Goette) = GmbHR 1995, 653; BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, GmbHR 2004, 302, 304; OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Uwe H. Schneider, DB 1993, 1909; Habersack, WM 2005, 2360. 105 OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37; Peters, GmbHR 2008, 682. 106 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 375 = GmbHR 1997, 25. 107 BGH v. 27.6.1985 – VII ZB 21/84, WM 1985, 1294; BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, GmbHR 1986, 302 = WM 1986, 789; BFH v. 4.3.1986 – VII S 33/85, WM 1986, 1023, 1024; Hans. OLG v. 16.9.1986 – 3 Ss 26/86 OWi, GmbHR 1987, 272. 108 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, NJW 1986, 54, 55 = GmbHR 1986, 19; BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, NJW-RR 1986, 1293 = GmbHR 1986, 302; BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, NJW 1997, 130, 132 = GmbHR 1997, 25; Leuering in FS Seibert, 2019, S. 543, 551. 109 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 65; BGH v. 20.10.1954 – II ZR 280/53, BGHZ 15, 71, 78; Fleck, GmbHR 1974, 225; vgl. auch BGH v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, WM 1971, 1548. 110 BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, GmbHR 1990, 500, 503. 111 BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653 = WM 1995, 1665; BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, GmbHR 2008, 815 = ZIP 2008, 1275, 1276 = WM 2008, 1403, 1404; Leuering in FS Seibert, 2019, S. 543, 548. 112 So aber VG Frankfurt v. 8.7.2004 – 1 E 7363/03 (1), WM 2004, 2157 m. Anm. Branscheid, WuB II R. § 34 VAG 1.05; wie hier Habersack, WM 2005, 2360.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 68 § 37

der Krise der Gesellschaft verschärfen sich die Pflichten113. Doch darf dies nicht dazu führen, dass eine Geschäftsverteilung nicht mehr anerkannt wird. Jeder Geschäftsführer hat die anderen Geschäftsführer regelmäßig über die wesentlichen Vor- 67 gänge aus seinem Ressort zu informieren114. Im Zweifel kann das Gesamtgremium der Geschäftsführer jederzeit Maßnahmen der Geschäftsführung wieder an sich ziehen.

5. Delegation Die Geschäftsführer in ihrer Gesamtheit und der zuständige Ressortleiter brauchen nicht 68 jede einzelne Maßnahme im Unternehmen der Gesellschaft selbst vorzunehmen, sondern können im Rahmen des unternehmerischen Ermessens115 die einzelnen Sachfunktionen auf die nachgeordneten Mitarbeiter delegieren. Machen die Geschäftsführer von dieser Delegationsbefugnis Gebrauch, so haben sie insoweit nur für eine ordnungsgemäße Auswahl der Mitarbeiter, ihre den Aufgaben angemessene Einweisung116 und Information sowie die erforderliche Überwachung einzustehen117. Im Blick hierauf sind etwa Arbeitnehmer auf sicherheitsrelevanten Arbeitsplätzen auf ihre körperliche Leistungsfähigkeit zu untersuchen und laufend zu überwachen118. Ferner ist regelmäßig zu prüfen, ob die Mitarbeiter und – bei mehrfach gestufter Hierarchie – die unmittelbar nachgeordneten Geschäftsbereichsleiter ihren Aufgaben angemessen nachkommen, ob sie die Führungsaufgaben im Verhältnis zu ihren Mitarbeitern wahrnehmen und ihren Pflichten im Verhältnis zu den Geschäftsführern (Information usw.) und gegenüber Dritten erfüllen (Führungsverantwortung)119. Über die öffentlich-rechtlichen Normen, etwa des Umweltschutzrechts, des Kartellrechts usw., sind die Mitarbeiter nicht nur eindringlich zu belehren, sondern die Einhaltung der Vorschriften ist auch laufend zu überwachen120.

113 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = GmbHR 1997, 25; Habersack, WM 2005, 2362; zurückhaltend: Karsten Schmidt, JbFSt. 1997/98, S. 249, 252. 114 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), NJW 1994, 2149, 2150; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 43 Rz. 46 f.; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 90; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15. 115 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 287 = GmbHR 2003, 113 m. Anm. Lelley; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. 2010, § 32 Rz. 85; Turiaux/Knigge, DB 2004, 2204, 2204; Überblick bei E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.63. 116 Zu weitgehend: BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 307 = GmbHR 1997, 305, 309. 117 BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 307 = GmbHR 1997, 305, 307 (zumal in der Krise); BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, GmbHR 1990, 207; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Großfeld/Noelle, AG 1986, 275; Medicus, GmbHR 1998, 9; Uwe H. Schneider, DB 1993, 1909; Menzer, GmbHR 2001, 511; Froesch, DB 2009, 722; für die steuerlichen Pflichten: BFH v. 10.5.1988 – VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72; BFH v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BStBl. II 1991, 284 = GmbHR 1991, 381. 118 Bergau, NZA 1988, 90; keine Aids infizierten Piloten. 119 Österr. OGH v. 25.2.1981 – 6 Ob 542/81, GesRZ 1981, 113; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15. 120 Zu der sehr weitgehenden, teilweise überzogenen Rechtsprechung im Zusammenhang mit § 130 OWiG, insbesondere aufgrund der Verletzung der Organisationspflichten bei Kartellverstößen: BGH v. 24.3.1981 – KRB 4/80, WuW/E 1799; BGH v. 25.6.1985 – KRB 2/85, WuW/E 2202; BGH v. 10.12.1985 – KRB 3/85, WuW/E 2205; BGH v. 11.3.1986 – KRB 7/85, WuW/E 2262 und BGH v. 24.3.1987 – KRB 8/86, WuW/E 2394 sowie Brunner, Der Täterkreis bei Kartellordnungswidrigkeiten, 1986; Herrmanns in Schwerpunkte des Kartellrechts 1984/85, 1986, S. 15; Tessin, BB 1987, 984.

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§ 37 Rz. 69 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis

6. Grenzen für Geschäftsverteilung und Delegation 69 Aus dem Gesetz, aus der Satzung und aus der Führungsverantwortung des Geschäftsführers

ergeben sich Grenzen für die Geschäftsverteilung, also die Zuweisung von Aufgaben an die Mitgeschäftsführer und für die Delegation an nachgeordnete Mitarbeiter. Der Kernbereich zwingender Gesamtzuständigkeit der Geschäftsführer ist bei der GmbH jedoch erheblich kleiner als bei der AG121, weil der einzelne von mehreren Geschäftsführern von der Geschäftsführung auch weitgehend ausgeschlossen werden kann (str.; s. dazu Rz. 46). Von der Möglichkeit einer Zuweisung und Delegation kann die Erfüllung bestimmter der Gesellschaft oder den Geschäftsführern persönlich auferlegter Pflichten ausgenommen sein, wie etwa die Erfüllung bestimmter Meldepflichten gegenüber dem Handelsregister (s. etwa 12. Aufl., § 7 Rz. 10) und die Insolvenzantragspflicht122. Soweit die Erfüllung der gesetzlichen Pflicht zuweisungsfähig ist, also in die Verantwortung eines Geschäftsführers gegeben werden kann, wie etwa die ordnungsgemäße Buchführung oder die Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft, obliegen den anderen Geschäftsführern besonders strenge Überwachungspflichten. 70 Aus dem Grundsatz der Gesamtverantwortung folgt, dass auch bei Einzelgeschäftsführung

Maßnahmen, die für die Gesellschaft von grundlegender Bedeutung sind, vom Gesamtgremium entschieden werden müssen123. Aus diesem Grund sind die Vorbereitung der Pläne für die Unternehmenspolitik124, die Festlegung der Organisationsstruktur, die Geschäftsverteilung, die Auswahl und Überwachung der leitenden Mitarbeiter und existentielle Entscheidungen, wie etwa wesentliche Veränderungen in der Produktpalette, die Ausgliederung der Datenverarbeitung, der Wechsel der Hausbank usw., weder zuweisungsfähig noch delegierbar125. Setzen sich die Geschäftsführer über das Delegationsverbot hinweg, so können sie auch dann schadensersatzpflichtig werden, wenn den Mitarbeiter kein Vorwurf trifft. Die Pflichtverletzung durch den Geschäftsführer liegt darin, dass er die Entscheidung nicht selbst vorgenommen hat. 71 Die Satzung kann, unabhängig hiervon, ausdrücklich bestimmte Entscheidungen zwingend

dem Gesamtgremium der Geschäftsführer zuweisen, etwa die Vergabe von Krediten ab einer bestimmten Höhe, die Veräußerung von Grundstücken usw. Aus der Ausgestaltung der Vertretungsbefugnis kann im Wege der Auslegung zu entnehmen sein, ob die Gesellschafter Entscheidungen in bestimmter Weise behandelt sehen wollen126.

7. Outsourcing 72 Auch die Auslagerung von unternehmerischen Aufgaben auf selbständige Dienstleister (Out-

sourcing), sei es auf konzernfreie Unternehmen oder auf Konzernunternehmen, steht im unternehmerischen Ermessen der Gesellschafter oder der Geschäftsführer. Deshalb greifen die

121 Zur Lage bei der AG: K.-P. Martens in FS Fleck, 1988, S. 191. 122 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), GmbHR 1994, 460, 461 (Pflicht zur rechtzeitigen Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens); s. ferner die Aufzählung bei Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473. 123 BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, GmbHR 1990, 500, 503; Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 44 Rz. 85; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 282. 124 Dreher, ZGR 1992, 57. 125 BGH v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, WM 1971, 1548, überschlägige Prüfung der Kalkulation; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 484 f.; Tillmann/Mohr, GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020, Rz. 635; weitere Beispiele bei Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 283. 126 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 65.

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 74 § 37

allgemeinen Grenzen des unternehmerischen Ermessens auch hier. Das Outsourcing muss rechtlich zulässig sein und es darf nicht gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensleitung verstoßen. Liegt aber eine zulässige „externe Delegation“ vor, haftet der Geschäftsführer nur für die sorgfältige Auswahl des Dienstleisters und für dessen Überwachung127. § 25a KWG konkretisiert die aufsichtsrechtlichen Anforderungen128. Das lässt sich auch gesellschaftsrechtlich fruchtbar machen. Pflichtverletzungen des Dienstleisters gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber Dritten muss sich der Geschäftsführer nicht zurechnen lassen129.

8. Vorsitzender der Geschäftsführung Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so haben alle Geschäftsführer dieselben Befug- 73 nisse. Die Bestellung eines Vorsitzenden der Geschäftsführung mit erweiterten Befugnissen und Pflichten ist im Gesetz nicht vorgesehen. In der Satzung oder durch Beschluss der Gesellschafter kann jedoch bestimmt werden, dass ein Vorsitzender oder ein Sprecher der Geschäftsführung bestellt wird. Freilich können entsprechende Zusätze wie etwa „Sprecher der Geschäftsführung“ nicht in das Handelsregister eingetragen werden130; dies liefe dem Sinn des Handelsregisters, Klarheit über die Vertretung zu schaffen, zuwider. Der Vorsitzende kann mit besonderen Befugnissen ausgestattet werden. In Betracht kommt etwa das Recht zum Stichentscheid131 oder ein Vetorecht132 oder auch ein positives Alleinentscheidungsrecht. Im GmbH-Recht gibt es kein Verbot der Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden, wie es § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG für den Vorstandsvorsitzenden der AG enthält. Demgemäß findet man in mitbestimmungsfreien GmbHs bisweilen die Figur eines „Hauptgeschäftsführers“, der berechtigt ist, Meinungsverschiedenheiten im Kollegium der Geschäftsführer auch gegen seine Kollegen zu entscheiden133. Auch bei einer solchen Gestaltung treffen die übrigen Geschäftsführer die aus der Gesamtverantwortung folgenden Überwachungspflichten134, wie sie der BGH für die mehrgliedrige Geschäftsführung einer GmbH besonders nachdrücklich formuliert hat135. Auch wenn die GmbH nach DrittelbG oder nach MitbestG136 mitbestimmt ist, ist eine Re- 74 gelung in der Satzung zulässig, wonach die Gesellschafter für die Ernennung eines Vorsitzenden zuständig sind. Dafür sprechen Wortlaut, Gesetzessystematik und eine teleologische Auslegung. Solche Satzungsgestaltungen müssen jedoch bei Gesellschaften im Anwendungs-

127 128 129 130 131 132 133 134 135 136

E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 102. S. dazu auch Braun/Wolfgarten in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, 5. Aufl., § 25a KWG Rz. 85b. Uwe H. Schneider/Brouwer in FS Priester, 2007, S. 713. OLG München v. 5.3.2012 – 31 Wx 47/12, GmbHR 2012, 750; vgl. für Stellvertreterzusatz bereits: BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, NJW 1998, 1071 = GmbHR 1998, 181. LG Koblenz v. 29.10.1971 – 71 HT 14/71, BB 1972, 113. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 103. A.A. (für die AG): Hoffmann-Becking, NZG 2003, 745, 748 (kein Vetorecht gegen Mehrheitsbeschlüsse). LG Koblenz v. 29.10.1971 – 71 HT 14/71, BB 1972, 113; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 87; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; Lenz in Michalski u.a., Rz. 35. BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, GmbHR 2008, 815, 816. BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 376 ff. = GmbHR 1997, 25, 27. Str., für zwingende Zuständigkeit des Aufsichtsrats: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 22; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, Rz. 1142; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 9; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, § 30 MitbestG Rz. 10; für Zuständigkeit der Gesellschafter: Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Henssler, GmbHR 2004, 321.

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§ 37 Rz. 74 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis bereich des MitbestG den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschäftsführer und den Kernbereich von Zuständigkeiten des Arbeitsdirektors in Personal- und Sozialfragen beachten137. Bei diesen Gesellschaften ist daher mit Rücksicht auf die Rechtsstellung des Arbeitsdirektors die Einräumung eines allgemeinen Vetorechts unzulässig138. Die Gesamtheit der Geschäftsführer kann jedoch jede Angelegenheit ins Gesamtgremium zurückholen139. Schweigt die Satzung, so obliegt dem Vorsitzenden nur die Organisation der Meinungsbildung zwischen den Geschäftsführern und die Erklärung der Geschäftsführerbeschlüsse gegenüber den anderen Gesellschaftsorganen. Eine Vermutung, dass dem Vorsitzenden das Recht zum Stichentscheid zusteht, besteht nicht140.

V. Beschränkungen der Geschäftsführung 1. Der Grundsatz der Weisungsabhängigkeit a) Durch Gesellschafter und Aufsichtsrat 75 Im Unterschied zum Vorstand der Aktiengesellschaft leitet der Geschäftsführer die Gesell-

schaft nicht in eigener Verantwortung. Die Gesellschafterversammlung kann vielmehr den Geschäftsführern in allen Bereichen der Unternehmensleitung Weisungen erteilen (Grundsatz der Weisungsabhängigkeit), § 37 Abs. 1. Den Geschäftsführern ist die Pflicht auferlegt, diese Weisungen auszuführen (Grundsatz der Folgepflicht)141. Die Weigerung eines Geschäftsführers, Gesellschafterweisungen nachzukommen, kann ein wichtiger Grund zur Abberufung und zugleich eine Verletzung dienstvertraglicher Pflichten darstellen142. Diese Weisungen können genereller Art sein. So werden die Gesellschafter durch Richtlinien die Geschäftspolitik bestimmen. Durch generelle Weisung können einzelne Maßnahmen des Tagesgeschäfts an die Zustimmung der Gesellschafter gebunden werden. Die Weisungen können aber auch konkreten Charakter haben und einzelne Maßnahmen betreffen143. 76 Geht man hiervon aus, so kommen zwei Arten von Weisungen in Betracht, nämlich

– die ausführende Weisung, wodurch der Geschäftsführer angewiesen wird, eine bestimmte Maßnahme vorzunehmen. In diesem Fall verbleibt dem Geschäftsführer nur die Entscheidung über die Art und Weise der Ausführung;

137 Zum Vorsitzenden der Geschäftsführung in der mitbestimmten GmbH: Henssler, GmbHR 2004, 321. 138 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 58 = WM 1983, 1378 = GmbHR 1984, 151; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, § 33 MitbestG Rz. 8; Konzen, GmbHR 1983, 98; a.A. Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 33 MitbestG Anm. 24. 139 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 34. 140 A.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42: Ernennung impliziert eine Geschäftsverteilungsentscheidung. 141 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 278; BFH v. 9.10.1996 – XI R 47/96, GmbHR 1997, 374; OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476, 1478; OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, ZIP 1997, 451 = GmbHR 1997, 346; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 3; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 89, 247, 278; Immenga, GmbHR 1973, 6; Flume, Die juristische Person, 1983, S. 61 Fn. 128; Boesebeck, GmbHR 1960, 118; Fleck, GmbHR 1974, 226; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 13; s. auch Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, 1980, Tz. 659 ff. 142 BGH v. 20.8.2019 – II ZR 12/16, GmbHR 2019, 1233, 1236. 143 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 12; a.A. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 336: Die Gesellschafterversammlung kann über einzelne Geschäftsführungsfragen nur dann entscheiden, wenn die Geschäftsführer dies an sie herantragen.

220 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 80 § 37

– die untersagende Weisung, die dem Geschäftsführer eine bestimmte Maßnahme schon vor oder nach ihrer Ausführung untersagt. Ist die Maßnahme bereits ausgeführt, so hat der Geschäftsführer alles zu unternehmen, um die Folgen zu beseitigen. Den einzelnen Gesellschaftern steht es frei, dem Weisungsbeschluss zuzustimmen, sich zu 77 enthalten oder gegen einen Weisungsbeschluss zu stimmen. Entgegen einer Entscheidung des OLG München vom 14.8.2014144 ist ein Gesellschafter aufgrund seiner Treuepflicht nicht verpflichtet, einem Beschlussantrag über eine zu erteilende Weisung zuzustimmen145 Das Weisungsrecht steht nur der Gesellschafterversammlung und nicht einzelnen Gesell- 78 schaftern zu, selbst wenn sie über die Mehrheit der Stimmen verfügen (Mehrheitsgesellschafter) und aus diesem Grund einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss herbeiführen könnten146. Der Weisung muss daher ein förmlicher Gesellschafterbeschluss vorausgehen. Einfache Mehrheit genügt147. Eine Dreiviertelmehrheit für den Weisungsbeschluss ist ausnahmsweise erforderlich bei me- 79 diatisierenden Maßnahmen der Konzernbildung sowie bei tiefgreifenden Strukturentscheidungen148. Das folgt aus der Nähe zur Satzungsänderung149. Durch die Satzung kann das Weisungsrecht aber auch auf einen besonders eingerichteten 80 Aufsichtsrat (Beirat u.Ä.)150 mit nach-, gleich- oder vorrangiger Kompetenz zu derjenigen der Gesellschafterversammlung delegiert werden151. Sie kann auch einem einzelnen Gesellschafter als Sonderrecht übertragen werden. Die Einzelheiten sind streitig. So wird teilweise die Ansicht vertreten, die Übertragung sei nur zulässig, wenn sie durch einfachen Gesellschafterbeschluss revidierbar ist und ein subsidiäres Weisungsrecht der Gesellschafter erhalten bleibe152. Ist bei einer GmbH & Co. KG die KG zugleich Gesellschafterin der GmbH, so kann ihr durch die Satzung der GmbH das Sonderrecht eingeräumt werden, dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH Weisungen zu erteilen153. Zu den Grenzen des Weisungsrechts und der Folgepflicht s. 12. Aufl., § 43 Rz. 260 ff. Die Gesellschafter können aber auch in der Satzung einzelne oder alle Geschäftsführer für die Zukunft in vollem Umfang oder in Teilbereichen von Weisungen freistellen. Wollen die Gesellschafter hieran etwas ändern, so bedarf es der Änderung der Satzung. Ein Beschluss der Gesellschafter mit einfacher Mehrheit genügt dann nicht (s. Rz. 11).

144 OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84 = NZG 2015, 66. 145 Ebenso Hennrichs, NZG 2015, 41. 146 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 110; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 14; Ausnahme: Weisung des alleinigen Gesellschafters: BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 278; BGH v. 28.9.1992 – II ZR 299/91, WM 1992, 2053 = GmbHR 1993, 38: kein förmlicher Gesellschafterbeschluss erforderlich; ebenso: BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85. 147 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17. 148 Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1287; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 18. 149 So BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 (AG) – Holzmüller; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 = ZIP 2004, 993 – Gelatine. 150 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 41; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 11, 19, 23; Uwe H. Schneider, BB 1973, 1464; Hölters, BB 1977, 105; s. auch 12. Aufl., § 52 Rz. 307. 151 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 109; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 41. 152 S. anstelle vieler: Konzen, NJW 1989, 2980; Thümmel, DB 1995, 2461; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996, S. 9; zum Ganzen Rohleder, Die Übertragbarkeit von Kompetenzen auf GmbH-Beiräte, 1991, sowie 12. Aufl., § 52 Rz. 307. 153 S. dazu: BGH v. 12.11.1979 – II ZR 174/77, GmbHR 1980, 129; Winter, GmbHR 1965, 196.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 221

§ 37 Rz. 81 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis b) Durch Dritte? 81 Teilweise wird die Ansicht vertreten, auch Dritten könnten Weisungsrechte eingeräumt wer-

den, wenn sie „statutarisch in die Organisation der Gesellschaft“ eingebettet seien und auf deren Interesse ausgerichtet sind. Damit werde der Dritte zum Gesellschaftsorgan154. Zu denken ist an Kreditinstitute, die künftig erben, oder die Gläubiger einer Anleihe. Hier ist Vorsicht geboten, weil naheliegt, dass der Dritte als Gesellschafter in die Gesellschaft aufgenommen ist. Die Regel lautet daher: Dritten, also Personen, die keine Gesellschafter sind, können weder durch die Gesellschafter noch durch die Gesellschaft mitgliedschaftliche Weisungsrechte eingeräumt werden155. Dem steht zwar nicht entgegen, dass die Satzung als Organisationsvertrag die rechtliche Ausgestaltung der juristischen Person einschließlich der Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter regelt156; denn dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass die Satzung zum Vertrag zu Rechten Dritter wird. Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge sind organisationsrechtliche Verträge, die Rechte zugunsten Dritter begründen157.

82 Die Einräumung von mitgliedschaftsrechtlichen Weisungsrechten an Dritte ohne die beson-

deren konzernrechtlichen Schutzbestimmungen widerspricht dem Selbstbestimmungsrecht der Gesellschafter. Den Gesellschaftern sind für die Dauer der Mitgliedschaft Rechte und Pflichten auferlegt. Sie haben das Ergebnis der Unternehmensleitung mitzutragen. Die Folgen der Weisungen wirken sich auf ihre Rechte und Pflichten aus. Eine solche auf Dauer angelegte Fremdbestimmung widerspricht der Konzeption des Gesellschaftsrechts. 83 Das hindert jedoch nicht, in einem schuldrechtlichen Vertrag, z.B. in einem Darlehensver-

trag, schuldrechtliche Weisungsrechte zugunsten Dritter zu begründen. Damit werden keine Organkompetenzen übertragen158. Die Weisungen richten sich an die Gesellschaft und nicht an das Organ: Geschäftsführer. Befolgt die GmbH diese Weisungen nicht, so berechtigen sie den Dritten nur zur Kündigung und gegebenenfalls zum Schadensersatz159.

2. Kernbereich eigenverantwortlicher Geschäftsführung? a) Bei der mitbestimmungsfreien GmbH 84 Die Zuweisung der Geschäftsführung an die Geschäftsführer ist kein zwingender Organisati-

onssatz der GmbH. Es besteht vielmehr grundsätzlich Satzungsfreiheit. Streitig ist aber, ob es einen zwingenden Kernbereich eigenverantwortlicher Geschäftsführungsbefugnis für die Geschäftsführer gibt. Hier sind zwei Fragen zu unterscheiden.

154 So Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Fleck, ZGR 1988, 133. 155 Ebenso OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, ZIP 1997, 451 = GmbHR 1997, 346; Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 189 ff., 217; Feine, S. 480; vgl. auch Winter, GmbHR 1965, 196; Timm, ZIP 1986, 1388; a.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20; Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 44 Rz. 72; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 25; differenzierend: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37 sowie Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72: Nichtgesellschafter erhalten Organqualität; Fleck, ZGR 1988, 132. 156 So aber Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911. 157 Ähnlich: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20. 158 Maulbetsch, Beirat und Treuhand in der Publikumspersonengesellschaft, 1984, S. 54 ff. 159 Einzelheiten bei Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 404.

222 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 86 § 37

aa) Zunächst stellt sich die allgemeine Frage, ob einem Geschäftsführer durch die Satzung 85 die Geschäftsführungsbefugnis in vollem Umfang entzogen werden kann160. Das ist zu verneinen, wenn die Gesellschaft nur einen Geschäftsführer hat161. Auch kann ein Geschäftsführer nicht aus den ihm auferlegten besonderen öffentlich-rechtlichen Pflichten162 (vgl. etwa § 15a InsO und § 34 AO) und aus seiner Überwachungspflicht163 entlassen werden. Im Übrigen aber erlaubt die Gestaltungsfreiheit bei einer Gesellschaft mit mehreren Geschäftsführern, einzelne von der Befugnis und Pflicht zur aktiven Geschäftsführung freizustellen („Zölibatsklausel“)164. Damit können jüngere Geschäftsführer in ihre künftige Führungsaufgabe eingearbeitet und zugleich den Geschäftspartnern vorgestellt werden165 (bedeutsam für § 33 KWG). bb) Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob und in welchem Umfang bei gesetzlicher Aus- 86 gestaltung des Innenverhältnisses der Gesellschaft das Weisungsrecht der Gesellschafter beschränkt ist und sich daraus ein weisungsfreier Mindestbereich ergibt. Teilweise wird die Ansicht vertreten, durch Einzelweisungen könne das unternehmerische Initiativ- und Entscheidungszentrum nicht in vollem Umfang von den Geschäftsführern auf die Gesellschafter verlagert werden166. Es bestehe ein „unternehmerischer Kardinalbereich“167. Dem Geschäftsführer werde jene Autorität genommen, derer er für die Durchführung seiner Kernaufgaben bedürfe. In einem rigiden Machtentzug liege eine Verletzung der Treuepflicht168. Dem ist nicht zuzustimmen. Erstens gibt es keinen Entscheidungsbereich, der weisungsimmun wäre169. Grenzen für das Weisungsrecht bestehen dem Inhalt nach nicht. Das Weisungsrecht ist daher nicht auf allgemeine Richtlinien beschränkt. Erteilt werden können auch Einzelweisungen zur Unternehmenspolitik, zum Tagesgeschäft, die ungewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen darstellen, die die Art und Weise der Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflichten betreffen usw. Es wird zweitens kein überzeugender Grund genannt, der die Gesellschafter hindern könnte, breitflächig Weisungen zu erteilen mit der Folge, dass der Geschäftsführer zum reinen Ausführungsorgan (Exekutivorgan) wird170. Das 160 Dagegen: Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 336; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 93; Zöllner, ZGR 1977, 325; Wank, GmbHR 1980, 122; für Unentziehbarkeit aller gesetzlich explizit zugewiesenen Aufgaben: Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 23; s. aber Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 32. 161 Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271. 162 Peters, GmbHR 2008, 682, 684; Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 273 f. 163 OLG Hamm v. 8.7.1985 – 8 U 295/83, ZIP 1986, 1188, 1193 m. Anm. Lutter; OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 38; Peters, GmbHR 2008, 682, 684; zweifelnd: Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22. 164 OLG Hamm v. 8.7.1985 – 8 U 295/83, ZIP 1986, 1190; OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 269; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68, 94 f.; Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18a. 165 Ähnlich: Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1076. 166 Hommelhoff, ZGR 1978, 127; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 336. 167 Gieseke, GmbHR 1996, 486. 168 Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1075. 169 OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476, 1478; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 118; Rohleder, Die Übertragbarkeit von Kompetenzen auf GmbH-Beiräte, 1991, S. 34; Eisenhardt in FS Pfeiffer, 1988, S. 839, 845; Konzen, NJW 1989, 2979; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.78. 170 OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476; OLG Nürnberg v. 9.6.1999 – 12 U 4408/98, NZG 2000, 154 = AG 2000, 228; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 32; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 4; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 25; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen …, 1996, S. 21 ff.; Uwe H. Schneider, BB 1973, 1469; Wank, GmbHR 1980, 123; Konzen, NJW 1989, 2979; Ebert, GmbHR 2003, 444; Ulmer in FS

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 223

§ 37 Rz. 86 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis Interesse Dritter wird nicht berührt. § 46, der die Zuständigkeiten der Gesellschafter auflistet, spricht nicht gegen ihre Allzuständigkeit und damit gegen ein umfassendes Weisungsrecht171. Es handelt sich insoweit nur um zwingende Zuständigkeiten, die nicht den Geschäftsführern überlassen sind. In den Aufzählungen liegt jedoch keine Beschränkung der Zuständigkeit. b) Bei der mitbestimmten GmbH 87 Die einzelnen Mitbestimmungsgesetze enthalten keine ausdrücklichen Vorschriften, die Sat-

zungsbestimmungen oder Weisungen der Gesellschafterversammlung entgegenstehen würden. 88 aa) Ist die GmbH nach dem DrittelbG mitbestimmt, so ändert dies an der Satzungsfreiheit

bei der Ausgestaltung der Geschäftsführungszuständigkeit und der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer grundsätzlich nichts. 89 bb) Liegt die GmbH aber im Anwendungsbereich des MitbestG, soll der Zuständigkeitsbe-

reich der Geschäftsführer verfestigt sein. Am weitesten geht die Ansicht, durch die Verweisung auf § 111 AktG in § 25 Abs. 1 MitbestG sei das Verhältnis der Organe in der mitbestimmten GmbH nach dem Vorbild der AG geregelt. Satzungsmäßige Geschäftsführungsbefugnisse der Gesellschafter, Weisungen der Gesellschafter u.Ä. seien nicht zulässig172. Nach anderer Ansicht sollen Gesellschafterweisungen nur im Bereich der Tagesgeschäfte dem Mindestsinn der Mitbestimmung zuwiderlaufen. Die Weisungsbefugnis beschränke sich „auf grundsätzliche und wesentliche Fragen“173. Eine dritte Ansicht sieht die Schranken wie bei der Normal-GmbH. Dem Geschäftsführer sei nur ein „Spielraum eigenen Wirkens“ im Bereich der laufenden Geschäftsführung zu belassen, was aber Weisungen im Einzelfall nicht ausschließe174. 90 Gegen eine Einschränkung der Satzungsfreiheit und Weisungsbefugnis spricht zunächst all-

gemein, dass das Mitbestimmungsgesetz „auf der Grundlage des geltenden Gesellschaftsrechts“175 aufbaut. Änderungen gegenüber der Normal-GmbH sind daher nur dort anzunehmen, wo dies unmittelbar aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes folgt. Dabei zeigt zunächst der fehlende Bezug in § 25 MitbestG auf § 119 Abs. 2 AktG, dass das MitbestG nichts daran ändern wollte, dass die Gesellschafter über Maßnahmen der Geschäftsführung entscheiden. Die Frage kann daher nur sein, ob dem Umfang nach engere Grenzen bestehen. Das MitbestG sucht keine unmittelbare Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an jeder einzelnen Entscheidung, sondern nur den Einfluss über die Auswahl der Führungsspitze. Das gilt auch für die GmbH. Verhindert werden jedoch selbst bei der AG nicht Geschäftsführungsentscheidungen durch die Hauptversammlung. Bei der GmbH bleibt es bei der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer176. Dabei genügt ein Beschluss mit einfacher Mehr-

171 172 173 174 175 176

Schwark, 2009, S. 271; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18a; Hommelhoff, ZGR 1978, 129; Gieseke, GmbHR 1996, 486, 490; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1074; offengelassen von Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286. So aber Hommelhoff, ZGR 1978, 129; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1074. Reich/Lewerenz, AuR 1976, 272; Naendrup, AuR 1977, 231 f.; Reuter/Körnig, ZHR 140 (1976), 508 (für die sog. Satzungsgesellschaft); Vollmer, ZGR 1979, 142. Säcker, DB 1977, 1845; so auch noch Fitting/Wlotzke/Wißmann, 2. Aufl., § 25 MitbestG Anm. 63; nunmehr jedoch a.A.: „umfassender Charakter“ des Weisungsrechts: Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 25 MitbestG Rz. 194. Zöllner, ZGR 1977, 326; Hommelhoff, ZGR 1978, 139. Begr. RegE BR-Drucks. 200/74. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 346 = BB 1979, Beilage 2, S. 16: „Es kommt hinzu, dass das MitbestG 1976 der Anteilseignerversammlung als oberstem Unternehmensorgan die Befugnis belässt, erheblichen Einfluss auf die Geschäftsführung auszuüben“, ebenso BGH v. 14.11.1983 –

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Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 92 § 37

heit177. Die entscheidenden Unterschiede liegen darin, dass erstens in der mitbestimmten GmbH die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer organisationsrechtlich eingebunden ist. Die Geschäftsführer haben im Blick hierauf eine organisatorische Pflicht, Weisungen entsprechend zu überprüfen. Sie haben ihre Durchführung zu verweigern, wenn sie gröblich die Interessen der Arbeitnehmer verletzen178. Die Gesellschafter können zweitens die Abberufung der Geschäftsführer nicht unmittelbar durchsetzen, wenn sie ihrer Folgepflicht nicht nachkommen. Die Gesellschafter können demzufolge auch in der mitbestimmten GmbH den Geschäftsführern nicht nur Einzelweisungen, sondern auch generelle Weisungen, etwa in Form einer Geschäftsordnung179 erteilen. c) Mindestzuständigkeit des Arbeitsdirektors Der Arbeitsdirektor, der nach § 13 MontanMitbestG zu bestellen ist, ist ein verselbständigtes 91 Mitbestimmungsorgan. Dagegen ist der Arbeitsdirektor nach § 33 MitbestG nur ein gleichberechtigtes Mitglied der Geschäftsführung. Das ist bei der Frage nach seinen Zuständigkeiten zu berücksichtigen; denn weder das MontanMitbestG noch das MitbestG nennen den Zuständigkeitsbereich des nach diesen Gesetzen zu bestellenden Arbeitsdirektors. aa) Aus dem Begriff „Arbeitsdirektor“, aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift und aus der 92 Entstehungsgeschichte des § 33 MitbestG folgt, dass ihm „zumindest auch Zuständigkeiten in Personal- und Sozialfragen übertragen sein müssen“180. Auch in den Personal- und Sozialangelegenheiten steht ihm aber nur ein Kernbereich zu, nicht jedoch die Allzuständigkeit181. Insoweit ist ein allgemeines Vetorecht des Vorsitzenden mit dem durch § 33 MitbestG zwingend zugewiesenen Zuständigkeitsbereich des Arbeitsdirektors unvereinbar182. Die Ausgestaltung im Einzelnen ist von der Größe des Unternehmens, der Konzernzugehörigkeit u.Ä. abhängig183. Gerade bei kleineren Unternehmen, die dem MitbestG unterfallen, kommt daher in Betracht, den Arbeitsdirektor mit zusätzlichen Aufgaben zu betrauen184, vorausgesetzt, es hindert ihn nicht, seine Zuständigkeiten im Personal- und Sozialwesen wahrzunehmen185.

177 178 179 180 181 182

183 184 185

II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 57 = GmbHR 1984, 151; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 46; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 19; Flume, Die juristische Person, 1983, S. 61 Fn. 128; Wiedemann, BB 1978, 6; Henssler in FS 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, Bd. II, S. 387, 402; Streicher, GmbHR 2014, 1188. Str., s. 12. Aufl., § 52 Rz. 341. Hommelhoff, ZGR 1978, 138 f.; Ulmer, Der Einfluss des Mitbestimmungsgesetzes auf die Struktur von AG und GmbH, 1979, S. 49; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 32; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1309. Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 32; Säcker, DB 1977, 1850 Fn. 46; Overlack, ZHR 141 (1977), 135. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 346 = BB 1979, Beilage 2 S. 23; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30. Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 16; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 33 MitbestG Rz. 44; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 20; Peters, GmbHR 2008, 682, 684: auch nicht ausschließliche Zuständigkeit. BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 58 = GmbHR 1984, 151; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 20; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.55; a.A. Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 44 Rz. 84. Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 32 f.; Meyer-Landrut, DB 1976, 388. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 346 = BB 1979, Beilage 2 S. 23; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 33 MitbestG Rz. 50 f.; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30.

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§ 37 Rz. 93 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis 93 Zu den unabdingbaren Zuständigkeiten, in denen der Arbeitsdirektor federführend sein

muss, zählen u.a.: Das Umsetzen der von den Gesellschaftern (dazu Rz. 11) festgelegten Grundsätze für den Personal- und Sozialsektor, das Einstellungs-, Urlaubs- und Kündigungswesen, Beurteilungen und Personalakten, die betriebliche Entgeltfindung, die Sozialleistung und die Arbeitsplatzgestaltung, die Überwachung der Personalverwaltung, die Arbeitssicherheit, die Unfallverhütung, die berufliche Ausbildung, Umschulung und Fortbildung, die Sozial- und Altersfürsorge sowie das Pensionswesen. Er vertritt zugleich die Geschäftsführung gegenüber dem Betriebsrat, dem Gesamtbetriebsrat, dem Wirtschaftsausschuss und den Gewerkschaften, soweit es um die Personal- und Sozialangelegenheiten geht186. 94 Nicht zwingend hierher gehören dagegen die Zuständigkeit für die Angelegenheiten der lei-

tenden und außertariflichen Angestellten187 und die Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Arbeitgeberverbänden188. Diese Möglichkeit der Ausklammerung folgt aus der Tatsache, dass in diesen Entscheidungsbereichen die Interessen der Arbeitnehmer in anderer Weise wahrgenommen werden. Die Angelegenheiten der leitenden und außertariflichen Angestellten werden vom allgemeinen Ressort für Personal- und Sozialwesen getrennt und unmittelbar einem Geschäftsführer zugeordnet. 95 Der Konzernarbeitsdirektor ist nicht nur für das Personal- und Sozialwesen des eigenen Un-

ternehmens zuständig, sondern für die entsprechenden Angelegenheiten im Gesamtkonzern, soweit sie vom herrschenden Unternehmen wahrgenommen werden189. 96 bb) Der Arbeitsdirektor unterliegt ebenso wie die anderen Geschäftsführer der Weisungsbe-

fugnis der Gesellschafter190. Er darf aber innerhalb des Geschäftsführergremiums nicht diskriminiert werden. d) Zustimmung durch Aufsichtsrat 97 S. 12. Aufl., § 52 Rz. 322 ff.

186 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 48; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 21; weitergehend: Schubert in Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, § 33 MitbestG Rz. 64, 38. 187 Str. wie hier eingehend: Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 48; Martens, Der Arbeitsdirektor nach dem MitbestG, S. 67 ff.; Lehmann/Heinsius, Aktienrecht und Mitbestimmung, 1979, S. 43; Hoffmann, BB 1976, 1236; Hoffmann/Neumann, GmbHR 1976, 186; Spieker, BB 1968, 1089; Hanau, ZGR 1983, 346; einschränkend: Säcker, DB 1977, 1995; a.A. Reich/Lewerenz, AuR 1976, 367; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 33 MitbestG Rz. 41, dennoch sei aber die Zuweisung sowohl an das Gesamtorgan als auch an ein anderes Mitglied möglich: Rz. 48; Rumpff in GK-MitbestG, § 33 Anm. 65; Wlotzke, Jahrbuch des ArbR 14 (1977), 36. 188 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 49; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 21; Bedenken gegen Übertragung dieser Aufgaben auf den Arbeitsdirektor: Zöllner, DB 1976, 1767; a.A. OLG Frankfurt v. 23.4.1985 – 5 U 149/84, GmbHR 1986, 26 = AG 1986, 415 = EWiR, § 33 MitbestG 1/85, 417 m. Anm. Hanau. 189 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 33 MitbestG Rz. 54; Säcker, DB 1977, 1995; Duden, ZHR 141 (1977), 145, 165; Rumpff in GK-MitbestG, § 31 Anm. 89; wohl auch Hoffmann-Becking in FS Werner, 1984, S. 301; a.A. Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 18 (Zuständigkeit liegt zunächst beim Gesamtvorstand). 190 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 57 = GmbHR 1984, 151; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 48; Rumpff in GK-MitbestG, § 33 Anm. 91; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 19; Overlack, ZHR 141 (1977), 140; Hommelhoff, ZGR 1978, 139.

226 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 101 § 37

3. Schranken der Weisungsbefugnis Die Gesellschafter entscheiden bei Weisungen an die Geschäftsführer zwar über die Zweck- 98 mäßigkeit einer Maßnahme. Weisungen sind aber nur in Übereinstimmung mit Gesetz und Gesellschaftsvertrag zulässig191. Die Einzelheiten sind streitig. Zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Weisung trotz ihrer Fehlerhaftigkeit wirksam ist, ob eine Folgepflicht begründet wird und ob trotz fehlender Folgepflicht eine Ausführungswahlmöglichkeit für die Geschäftsführer besteht; denn nicht jede Rechtsverletzung führt zur Nichtigkeit des die Folgepflicht begründenden Gesellschafterbeschlusses. Zur Folgepflicht bei anfechtbaren Gesellschafterbeschlüssen s. 12. Aufl., § 43 Rz. 260 ff. – Weisungen sind fehlerhaft, wenn sie den der Gesellschaft oder den Geschäftsführern auf- 99 erlegten öffentlich-rechtlichen Pflichten widersprechen. So darf der Geschäftsführer keinen Weisungen folgen, die etwa den zwingenden umweltrechtlichen, den kartellrechtlichen oder den steuerrechtlichen Pflichten widersprechen192. Auch ist der Geschäftsführer nicht verpflichtet einer Weisung zu folgen, die der Erfüllung seiner Überwachungspflichten zuwiderläuft193. Fehlerhaft ist ferner die Weisung entgegen § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO keinen Insolvenzantrag zu stellen. – Fehlerhaft sind Weisungen, die den allgemein zwingenden gesetzlichen Bestimmungen, 100 also insbesondere § 138 BGB widersprechen194. – Fehlerhaft sind Weisungen, die den zwingenden gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen 101 widersprechen, also etwa Weisungen, gebundenes Vermögen entgegen § 30 an die Gesellschafter auszuschütten195 oder Zahlungen entgegen § 64 zu tätigen196 oder, wenn die Gesellschaft gegen die Insolvenzantragspflicht verstößt197. Wirksam sind dagegen in der Regel Weisungen, Zahlungen vorzunehmen, soweit sich diese nur auf das freie Vermögen auswirken. Ihnen hat der Geschäftsführer zu folgen. Zu denken ist an unternehmerische Maßnahmen, die bei objektiver Betrachtung mit hoher Wahrscheinlichkeit oder sogar Sicherheit Schaden verursachen. Zu denken ist auch an verdeckte Zahlungen an Gesellschafter aus dem freien Vermögen198. Etwas anderes gilt nur, wenn die Ausführung der Weisung zur Existenzgefährdung der Gesellschaft führt, wie dies etwa bei einem vollstän-

191 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278; BGH v. 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 159 = GmbHR 1980, 295; BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 6, 18; Fleck, GmbHR 1974, 227; Konzen, NJW 1989, 2981; Eisenhardt in FS Pfeiffer, 1988, S. 839, 844. 192 BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 372 = GmbHR 1994, 390, 392; OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, GmbHR 1997, 346; OLG Naumburg v. 10.2.1999 – 6 U 1566/97, GmbHR 1999, 1028. 193 OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 40 = WuB II C § 37 GmbHG 1.08 m. Anm. Paefgen/Dettke. 194 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 18. 195 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = GmbHR 2004, 302; BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, S. 244. 196 BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85; Stephan/Tieves in MünchKomm GmbHG, Rz. 26, 118. 197 LG München v. 26.1.2017 – 3 O 3420/15, GmbHR 2017, 705. 198 BGH v. 10.12.1984 – II ZR 308/83, BGHZ 93, 146, 148 = GmbHR 1985, 191; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 340 = GmbHR 1986, 78; BGH v. 12.12.1983 – II ZR 14/83, NJW 1984, 1037; OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, GmbHR 1997, 346 = ZIP 1997, 451 sowie anstelle vieler Fleck, ZGR 1990, 34 m.w.N. sowie oben bei § 30; s. aber auch die abweichende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Untreue zum Nachteil der GmbH, zusammengestellt bei Gribbohm, ZGR 1990, 1.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 227

§ 37 Rz. 101 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis digen Entzug der Liquidität der Fall sein kann199. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Verletzung von §§ 30 f. vorliegt. Das gilt auch für die Einmann-GmbH200. 102 – Fehlerhaft sind Weisungen, die der Satzung widersprechen, sofern kein satzungsdurch-

brechender Gesellschaftsbeschluss vorliegt201. Zu denken ist etwa an die Weisung, den Sitz der Gesellschaft zu verlegen oder eine andere Firma, wie in der Satzung vorgesehen, zu verwenden.

103 – Fehlerhaft sind Weisungen, die gegen die den Gesellschaftern obliegende gesellschafts-

rechtliche Treuepflicht verstoßen202.

4. Weisungen bei satzungsmäßigem Sonderrecht 104 Ist die Geschäftsführungsbefugnis dem Gesellschafter-Geschäftsführer als Sonderrecht einge-

räumt, so ist er, wenn abweichende Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag fehlen, von Weisungen freigestellt203. Er kann daher unabhängig und selbständig die laufende Geschäftsführung festlegen. Maßstab ist das Interesse der Gesellschaft, der Gesellschaftszweck und der Unternehmensgegenstand. Sofern nicht ausdrücklich in der Satzung etwas anderes bestimmt ist, können aber bei einer personalistisch ausgestalteten Gesellschaft – dies dürfte im gegebenen Fall die Regel sein – von den Gesellschaftern Weisungen hinsichtlich der Unternehmenspolitik und ungewöhnlicher Geschäftsführungsmaßnahmen erteilt werden204. Dies gilt vor allem, wenn der Geschäftsführer sich im Interessenwiderstreit befindet. Doch darf auch durch solche Weisungen die Geschäftsführungsbefugnis des Gesellschafter-Geschäftsführers nicht unterlaufen werden.

5. Beschränkungen im Anstellungsvertrag? 105 Im Anstellungsvertrag werden vielfach Vereinbarungen über die Geschäftsverteilung, den

Umfang und die Form der Geschäftsführungsbefugnis sowie über die Ausgestaltung der Weisungsbefugnis aufgenommen. Teilweise wird damit die organisationsrechtliche Folgepflicht des Geschäftsführers im Anstellungsvertrag wiederholt. Teilweise lässt sich der Geschäftsführer zusichern, dass ihm für das Tagesgeschäft keine Weisungen erteilt werden können. Sein Ziel ist es, sich einen Geschäftsbereich und in diesem einen unternehmerischen Freiraum abzusichern. 106 Im Einzelnen ist zu unterscheiden, ob es sich um satzungskonkretisierende oder satzungs-

durchbrechende Nebenabreden im Anstellungsvertrag handelt (s. dazu 12. Aufl., § 35 199 LG München v. 26.1.2017 – 3 O 3420/15, GmbHR 2017, 705; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 7; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 17; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Karsten Schmidt, ZIP 1986, 148; Karsten Schmidt, ZIP 1988, 1506; Roth, ZGR 1989, 429; Priester, ZIP 1989, 1303; Ulmer in FS Pfeiffer, 1988, S. 870; Fleck, ZGR 1990, 37; Gieseke, GmbHR 1996, 486. 200 Offengelassen in: BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 340, 345 = GmbHR 1986, 78, 80 und BGH v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, GmbHR 1993, 427; a.A. Adams, AG 1989, 337. 201 A.A. Boesebeck, GmbHR 1960, 119: Satzungsänderung erforderlich; zu den Voraussetzungen eines satzungsdurchbrechenden Gesellschafterbeschlusses s. bei § 53. 202 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15; Konzen, NJW 1989, 2981; Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 73. 203 RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116; Fischer, GmbHR 1953, 133; Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967, S. 31; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 96. 204 § 116 HGB entspr.: Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, S. 96.

228 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 110 § 37

Rz. 312 ff.). Satzungsdurchbrechende Nebenabreden sind unwirksam. Verlangt ist zunächst eine Satzungsänderung. Die Vereinbarung wird sodann zur satzungskonkretisierenden Nebenabrede. Sie ist zwar wirksam, gibt aber in der Regel keinen Erfüllungsanspruch, sondern nur einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn die Gesellschaft von der Vereinbarung abweicht205. Ausnahmsweise soll ein Erfüllungsanspruch bestehen, wenn alle Gesellschafter der schuldrechtlichen Nebenabrede zugestimmt haben und zwischenzeitlich kein Gesellschafterwechsel erfolgt ist206. Umgekehrt können dem Geschäftsführer im Anstellungsvertrag zusätzliche Bindungen auf- 107 erlegt werden, wie etwa besondere Informationspflichten gegenüber der Gesellschafterversammlung oder Zustimmungsvorbehalte hinsichtlich einzelner Maßnahmen der Geschäftsführung. Auch solche Bindungen entfalten keine organisationsrechtliche Wirkung. Die Verletzung der Pflichten aus dem Anstellungsvertrag kann aber einen wichtigen Grund zur Abberufung darstellen. Die Zulässigkeit solcher Bindungen im Anstellungsvertrag ist zweifelsfrei, soweit der Ver- 108 tragspartner die Gesellschaft ist. Aber auch in einem schuldrechtlichen Vertrag mit einem Dritten, z.B. bei einer Drittanstellung des Geschäftsführers, können schuldrechtliche Weisungsrechte enthalten sein207. Befolgt der Geschäftsführer die Weisungen des Dritten, so wird er von der organisationsrechtlichen Haftung nicht freigestellt. Aus einer Drittanstellung können sich daher unlösbare Pflichtenkollisionen ergeben208.

VI. Die Geschäftsordnung der Geschäftsführer Die Geschäftsverteilung, die Berichterstattung an die Gesellschafterversammlung und den 109 Aufsichtsrat, die Willensbildung und die Entscheidungsfindung der Geschäftsführer, die Modalitäten ihrer Zusammenarbeit, wie etwa die Bildung von Ausschüssen, die Art und Weise der gegenseitigen Information, die Koordinierung des Urlaubs usw. können in unterschiedlicher Weise geordnet sein. Sie können in der Satzung festgeschrieben werden. Die Bestimmungen hierüber können aber auch in einer Geschäftsordnung zusammengefasst sein, wobei diese durch die Gesellschafterversammlung oder, wenn die Satzung dies bestimmt, durch den Aufsichtsrat den Geschäftsführern vorgegeben wird (organexterne Geschäftsordnung). Die Geschäftsführer können sich auch selbst die Geschäftsordnung geben (organinterne Geschäftsordnung)209. Hinreichend, aber auch erforderlich ist für die Geschäftsordnung die einfache Schriftform210. 110 Einfache Weisungen der Gesellschafter verlangen keine Form. Die Geschäftsordnung aber ist 205 S. aber auch Fleck, ZGR 1988, 104; ähnlich wie hier: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 247. 206 BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196. 207 Str.; wie hier: Fleck, ZHR 149 (1985), 387; Uwe H. Schneider, ZGR 1977, 335, 339 (für Aufsichtsratsmitglied); a.A. Winter, GmbHR 1965, 195, 196; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 79 (für Aufsichtsratsmitglied); Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 126 (für Aufsichtsratsmitglied); Raiser, ZGR 1978, 391 (für Aufsichtsratsmitglied). 208 Eingehend: Fleck, ZHR 149 (1985), 406. 209 Zur Geschäftsordnung der Geschäftsführer im Einzelnen: Uwe H. Schneider in FS Mühl, 1981, S. 633 ff.; van Venrooy, GmbHR 2001, 7, 10. 210 BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, GmbHR 1985, 30, 32; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 285; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.48; einschränkend: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 104; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; für die AG: Ausschussbericht bei Kropff, AktG, S. 100; Mertens/ Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 77 Rz. 56; Hüffer/Koch, § 77 AktG Rz. 21.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 229

§ 37 Rz. 110 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis eine auf Dauer auch über den Wechsel der Geschäftsführer hinaus angelegte Regelung. Nur die Schriftform sichert die gleichmäßige Anwendung. 111 Liegt die Gesellschaft im Anwendungsbereich des DrittelbG, des MontanMitbestG oder des

MitbestG, so kann die Geschäftsordnung auch die Aufgaben des Arbeitsdirektors näher umschreiben, § 13 Abs. 2 Satz 2 MontanMitbestG, § 33 Abs. 2 Satz 2 MitbestG.

1. Die organexterne Geschäftsordnung 112 Den Gesellschaftern steht es frei, den Geschäftsführern eine Geschäftsordnung zu geben211.

Auch kann die Satzung einen besonderen Regelungsauftrag enthalten, etwa die zustimmungspflichtigen Maßnahmen zu konkretisieren. Wählen die Gesellschafter diesen Weg, so begründet eine solche Geschäftsordnung innergesellschaftliches Recht. Sie bindet die Geschäftsführer. Der für ihren Erlass, die Änderung oder Aufhebung erforderliche Gesellschafterbeschluss verlangt in entsprechender Anwendung von § 53 Abs. 2 Satz 1 drei Viertel der abgegebenen Stimmen212. Wird nur ein einfacher Mehrheitsbeschluss gefasst, so ist die Geschäftsordnung nur Gegenstand einer Weisung durch die Gesellschafter an die Geschäftsführer. Die bloße Tatsache, dass die Satzung Zustimmungsvorbehalte für Geschäfte vorschreibt, die in der Geschäftsordnung bestimmt sind, führt nicht zu erhöhten Anforderungen für die Aufhebung der Geschäftsordnung213. 113 Hat die Gesellschaft einen fakultativen oder einen obligatorischen Aufsichtsrat, so kann die

Satzung auch diesem Organ die Aufgabe zuweisen, für die Geschäftsführer eine Geschäftsordnung zu erlassen. Fehlt dagegen eine ausdrückliche Zuweisung und hat die Gesellschaft nur einen fakultativen Aufsichtsrat, so ist der Aufsichtsrat auch dann nicht zum Erlass der Geschäftsordnung zuständig, wenn die Gesellschafter den Geschäftsführern keine Geschäftsordnung gegeben haben. In § 52 fehlt ein Verweis auf § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG. 114 Ist die Gesellschaft mitbestimmt, so wird teilweise die Ansicht vertreten, der Aufsichtsrat sei

in diesem besonderen Fall für den Erlass ausschließlich oder doch konkurrierend zuständig214. Der Ansicht ist nicht zu folgen. § 25 MitbestG verweist zwar für die GmbH auf eine Reihe aktienrechtlicher Vorschriften. § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG ist aber nicht dabei. Auch fehlt es an sonstigen Hinweisen darauf, dass der Aufsichtsrat für den Erlass der Geschäftsordnung zuständig sein soll. Dann aber bleibt es bei der Regel, dass die Gesellschafter dem geschäftsführenden Organ eine Geschäftsordnung geben können215. 115 Auch für eine konkurrierende Zuständigkeit, die mit einschließen soll, dass nach dem Er-

lass durch den Aufsichtsrat für eine Geschäftsordnung durch die Geschäftsführer selbst kein Raum mehr ist, bedürfte es einer gesetzlichen Regelung. Da sie aber fehlt, bleiben die Ge-

211 OLG Stuttgart v. 24.7.1990 – 12 U 234/89, GmbHR 1992, 48; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16. 212 A.A. einfache Mehrheit: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 33; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 98; Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 44 Rz. 86; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 14. 213 OLG Hamm v. 28.7.2010 – I-8 U 112/09, GmbHR 2010, 1033. 214 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl., § 30 MitbestG Rz. 58. 215 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 30 MitbestG Rz. 57; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 23; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 21; Säcker, DB 1977, 1850 Fn. 46; Overlack, ZHR 141 (1977), 135; Hanau, ZGR 1983, 375; Peters, GmbHR 2008, 682, 683.

230 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 118 § 37

schäftsführer auch in der mitbestimmten Gesellschaft zur Regelung ihrer Angelegenheiten berufen, solange die Gesellschafter ihnen keine Geschäftsordnung gegeben haben216.

2. Die organinterne Geschäftsordnung In der Satzung kann vorgesehen werden, dass die Geschäftsführer sich selbst eine Geschäfts- 116 ordnung zu geben haben. Aber auch wenn eine solche Bestimmung fehlt, können die Geschäftsführer die Form ihrer Zusammenarbeit usw. in einer organinternen Geschäftsordnung regeln. Einer besonderen Ermächtigung bedarf es nicht217; denn jedes Organ kann seine Arbeitsweise selbst bestimmen218. Der betreffende Beschluss verlangt in Analogie zu § 77 Abs. 2 AktG zwingend einen einstimmigen Beschluss aller Geschäftsführer219. Für eine organinterne Geschäftsordnung ergeben sich freilich zusätzliche Regelungsgren- 117 zen. Sie darf nicht gegen gesetzliche Bestimmungen und gegen Vereinbarungen in der Satzung verstoßen. Daraus folgt, dass in einer organinternen Geschäftsordnung nicht von der Gesamtgeschäftsführung als der gesetzlichen Regel abgewichen und Einzelgeschäftsführung vorgesehen werden kann. Das hindert aber nicht, dass jedem Geschäftsführer ein bestimmter Verantwortungsbereich delegiert wird. Jeder Geschäftsführer bleibt jedoch für die gesamte Geschäftsführung verantwortlich. Er hat die anderen Geschäftsführer zu überwachen220. Widerspricht daher ein Geschäftsführer einer Geschäftsführungsmaßnahme, so muss sie auch dann unterbleiben, wenn ihm dieser Leitungsbereich nicht zugewiesen ist221. Haben es aber die Gesellschafter den Geschäftsführern überlassen, die Form der Geschäftsführung und die Form der Vertretung selbst zu bestimmen, so können sie dies in der Geschäftsordnung festlegen (str., Einzelheiten 12. Aufl., § 35 Rz. 104 ff.).

VII. Geschäftsführung im Konzern 1. Konzerngründung Die Gründung einer Tochtergesellschaft, der Anteilserwerb222, die Herstellung einheitlicher 118 Leitung, die Verlagerung von Geschäftstätigkeiten auf Tochtergesellschaften und die Umstrukturierung eines bereits bestehenden Konzerns wird aus der Sicht des herrschenden Unternehmens223, teilweise unabhängig davon, welche Funktionen oder welcher Betrieb ihr über-

216 A.A. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 30 MitbestG Rz. 58; wie hier aber Raiser/Veil/ Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 23. 217 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 34; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 27, 29. 218 Wie hier: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Fleck, GmbHR 1974, 225. 219 Wie hier: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 35; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 27, 29; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 14; a.A. Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 30 MitbestG Anm. 27. 220 RG v. 3.2.1920 – II 272/19, RGZ 98, 100; BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, GmbHR 2008, 815, 816; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 34; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 28. 221 OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 266; s. auch bei Uwe H. Schneider in FS Mühl, 1981, S. 633, 645 f.; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 28. 222 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 223 Zur Konzerngründung aus Sicht der GmbH als Tochtergesellschaft: Uwe H. Schneider in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1071, 1076.

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§ 37 Rz. 118 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis tragen wird, als Teil der Geschäftsführung gesehen224. Das ist in dieser Allgemeinheit nicht zu vertreten. 119 a) Handelt es sich bei der Beteiligung um eine Finanzanlage, so gehört die Entscheidung über

die Begründung und die Beendigung der Anlage zur Geschäftsführung, jedenfalls soweit nicht das wesentliche Vermögen der Gesellschaft gebunden wird. 120 b) Handelt es sich um eine unternehmerische Beteiligung, wird die betreffende Gesellschaft

in die einheitliche Leitung einbezogen und damit ein Konzern gegründet (§ 18 AktG), so ist zu unterscheiden: 1. Fallgruppe: Ist die Tochtergesellschaft nicht im selben unternehmerischen Bereich tätig und ist dies nicht bereits in der Satzung vorgesehen, so ist eine Satzungsänderung oder ein satzungsdurchbrechender Beschluss erforderlich; denn Bindungen für die Geschäftsführung aus dem Unternehmensgegenstand gelten auch, wenn das Unternehmen über eine abhängige Gesellschaft betrieben wird225. Ist die betreffende Tochtergesellschaft im selben Unternehmensbereich wie die Muttergesellschaft tätig, so ist zu unterscheiden: 2. Fallgruppe: Ein Gesellschafterbeschluss mit qualifizierter Mehrheit ist erforderlich, wenn die zu gründende Tochtergesellschaft einen Produktionsbereich von mehr als 50 % betrifft, insbesondere wenn ihr oder einem Dritten das im Wesentlichen ganze Vermögen der Gesellschaft übertragen werden soll226. Das folgt aus der Holzmüller/Gelatine-Doktrin227; denn der Vorgang kommt einer Satzungsänderung nahe. Durch die Übertragung auf eine Tochtergesellschaft und die Ausübung einheitlicher Leitung wird die gesellschaftsinterne Zuständigkeits- und Vermögensordnung nachhaltig verändert. Die Mitverwaltungsrechte der Gesellschafter werden verkürzt und die Gewinnbeteiligungsrechte werden mediatisiert228. 3. Fallgruppe: Ein Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit ist erforderlich, aber auch hinreichend, wenn die Gründung der Tochtergesellschaft eine ungewöhnliche Maßnahme der Geschäftsführung darstellt. Davon ist in der Regel auszugehen, wenn mehr als 10 % des Produktionsbereichs betroffen sind und dieser auf die Tochtergesellschaft oder auf einen Dritten übertragen werden soll229.

224 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 27; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 52 Anh. Rz. 42. 225 Uwe H. Schneider in Hommelhoff u.a. (Hrsg.), Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, 1986, S. 825, 846; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 116; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 13 Anh. Rz. 960; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; weitergehend Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 52 Rz. 34 und Rehbinder in FS Coing, 1982, S. 423: jede Konzernierung ist eine „Gegenstandsänderung per se“; für die AG: Stein in MünchKomm. AktG, § 179 Rz. 112; zum Ganzen auch Grauer, Konzernbildungskontrolle im GmbH-Recht, 1991; Wehlmann, Kompetenzen von Gesellschaftern und Gesellschaftsorganen bei der Bildung faktischer GmbHKonzerne, 1996; sowie hierzu 12. Aufl., Anh. Konzernrecht (nach § 13) Rz. 60. 226 BGH v. 30.5.2005 – II ZR 236/03, DStR 2005, 1066; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 13 Anh. Rz. 960; Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 116; anders 11. Aufl.: 80 %. 227 Dagegen Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18. 228 Ebenfalls auf Mediatisierungseffekt abstellend: (für die AG) OLG Köln v. 15.1.2009 – 18 U 205/ 07, AG 2009, 416 – Strabag. 229 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 13 Anh. Rz. 979; Decher in MünchHdb. GesR III, § 68 Rz. 13; Beurskens in Baumbach/Hueck, KonzernR Rz. 57; Uwe H. Schneider, ZGR Sonderheft 6/ 1986, S. 121, 128; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 114.

232 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 121 § 37

Die Schwellenwerte zwischen erster, zweiter und dritter Fallgruppe sind streitig230. Feste Schwellenwerte zu bestimmen, ist problematisch, weil bei der Beurteilung, ob eine ungewöhnliche Maßnahme vorliegt, auch andere Kriterien zu berücksichtigen sind, z.B., ob es sich um einen besonders gewinnbringenden Teil handelt, ob der Preis angemessen oder zweifelhaft ist, etc. 4. Fallgruppe: Die Ausgliederung einer Tochtergesellschaft, wobei weniger als 10 % des Produktionsbereichs betroffen sind, gehört zur laufenden Geschäftsführung231. Dafür sind die Geschäftsführer zuständig. Die Gesellschafter können den Vorgang jedoch an sich ziehen oder die Geschäftsführer anweisen, dass jede Gründung einer Konzerngesellschaft den Gesellschaftern vorzulegen ist. Zu den weiteren Einzelheiten, insbesondere auch zur Gründung eines Vertragskonzerns, s. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht (nach § 13) Rz. 60 ff.232.

2. Konzernleitung beim herrschenden Unternehmen Schrifttum: Aberle/Holle, Aufsichtspflichten im Unternehmensverbund, in Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117; Behr, OLG München bejaht Konzernweite von § 130 OWiG – unter Umständen, Anwendung zu einer Entscheidung des OLG München, Urteil v. 23.9.2014 – 3 Ws 599, 600/14, BB 2015, 2004; Bosch, Verantwortung der Konzernobergesellschaft im Kartellrecht, ZHR 177 (2013), 454; Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 27 ff.; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht- und Konzernrecht, 2014; Kersting, Wettbewerbsrechtliche Haftung im Konzern, Der Konzern 2011, 445; Kersting, Konzernhaftung im Kartellrecht, Der Gesellschafter 2015, 377; Kokott/Dittert, Die Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften für Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaften im Lichte der Rechtsprechung der Unionsgerichte, WuW 2012, 670; Reichert/Lüneborg, Compliance in der GmbH, GmbHR 2018, 1141; Uwe H. Schneider, Compliance im Konzern, NZG 2009, 1321; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, Konzern-Compliance als Aufgabe der Konzernleitung, ZIP 2007, 2061; Seibt, Relationship Agreements: Vertragliche Ausgestaltung des faktischen Konzerns durch Konzernkoordinationsverträge, in 2. FS für Karsten Schmidt, 2019, 2. Bd., S. 431.

a) Konzernpolitik Übt die Gesellschaft die einheitliche Leitung über andere Konzernunternehmen aus, ist sie 121 herrschendes Unternehmen im Konzern, so ist die Konzernleitung beim herrschenden Unternehmen Teil der Geschäftsführung. Das ist sowohl im Vertragskonzern wie im faktischen Konzern qualitativ etwas anderes als die Ausübung der Mitverwaltungsrechte aus den Beteiligungen an den Konzernunternehmen. Entsprechend bestimmt sich die Zuständigkeit in der Gesellschaft. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, dass die Feststellung der Unternehmenspolitik in die Zuständigkeit der Gesellschafter fällt (s. Rz. 11), so gilt dies auch für die Aufstellung der Konzernziele, die Festlegung der mittel- und langfristigen Konzerngeschäftspolitik, die Erarbeitung der jährlichen Konzernpläne und damit verbunden die Feststellung des Produktionsund Verkaufsprogramms sowie die Genehmigung der Investitionspläne im Konzern. Hierüber entscheiden die Gesellschafter.

230 S. etwa Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17 a.E. und 18. 231 Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 119. 232 S. auch BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, WM 2011, 1416, 1418 = GmbHR 2011, 922, 924, zur Kündigung eines Beherrschungsvertrags.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 233

§ 37 Rz. 122 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis b) Laufende Konzerngeschäftsführung 122 Die laufende Konzerngeschäftsführung und die laufende Kontrolle der Konzernunternehmen

gehört zur laufenden Geschäftsführung und damit zum Aufgabenbereich der Geschäftsführer233 des herrschenden Unternehmens. 123 Das gilt auch für die Konzerncompliance234 und das konzernweite Risikomanagement.

Streitig ist, welche Aufgaben die Geschäftsführer der Holding im Blick auf die Beachtung der rechtlichen Regeln bei den Tochtergesellschaften haben. Weitgehend Einigkeit besteht, dass die Geschäftsführer der herrschenden GmbH im Konzern sich nicht darauf berufen können, die entsprechenden Risiken würden allein und ausschließlich von den Tochtergesellschaften erfasst und bewertet235. Das gilt zumal in zunehmendem Maße das herrschende Unternehmen auch im faktischen Konzern für Geldbußen, die etwa für kartellrechtswidriges Verhalten einer Tochtergesellschaft verhängt werden, in Anspruch genommen werden kann236. Aus dieser Konzernhaftung, die keine verschuldensabhängige Pflichtverletzung voraussetzt, ergeben sich weitergehende Herausforderungen für die Konzern-Compliance. Daher dürfen sich die Geschäftsführer der Obergesellschaft nicht „blind“ auf die Angaben und die Geschäftsführung der Tochtergesellschaften verlassen, soweit Vorgänge bei Tochtergesellschaften auch zu entsprechenden Risiken für die Muttergesellschaft werden können. Das gilt jedenfalls dann, „wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dort in der Vergangenheit relevante Risiken verkannt worden sind oder, wenn ernsthafte Gefahr besteht, dass Informationen über Risiken von der Tochtergesellschaft nicht weitergegeben werden“237. Sie sind im Verhältnis des herrschenden Unternehmens verpflichtet, einzugreifen und rechtswidriges Verhalten zu verhindern. 124 Daraus folgt weiter, dass die Geschäftsführer der konzernleitenden GmbH eine konzernwei-

te Compliance-Organisationspflicht haben238. Diese ist jedoch nicht identisch mit der entsprechenden Organisationspflicht im eigenen Unternehmen. Aufgabe der Geschäftsführer der Obergesellschaft ist vielmehr erstens sich einen Überblick über die Risiken bei Konzernunternehmen zu verschaffen. Sie haben zweitens dafür zu sorgen, dass die Tochter- und Einzelgesellschaften eine eigene Compliance-Organisation einrichten. Sie haben drittens die Aufgabe einzuschreiten, wenn der Verdacht auf Rechtsverletzungen bei einer der Tochtergesellschaften besteht und entsprechende Maßnahmen von der betreffenden Tochtergesellschaft nicht ergriffen werden. c) Konzernweite Mitverwaltungsrechte der Gesellschafter 125 Problematisch ist, ob Maßnahmen, die beim herrschenden Unternehmen wegen ihrer Rechts-

natur (Satzungsänderung), auf Grund der Satzung (satzungsmäßige Zustimmungsvorbehalte)

233 S. hierzu Uwe H. Schneider, BB 1981, 249; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 7; Uwe H. Schneider in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1071, 1075. 234 S. dazu Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061; Verse, ZHR 175 (2011), 401; Fett/ Theusinger, BB Special 4 zu BB 2010 Heft 50; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141; Karst, WuW 2012, 150; Seibt in 2. FS Karsten Schmidt, 2019, 2. Bd., S. 431. 235 LG Stuttgart v. 19.12.2017 – 31 O 33/16 KfH, NZG 2018, 665, 677 Rz. 217. 236 § 81 Abs. 3a GWG: Geldbuße kann festgesetzt werden; EuGH v. 10.9.2009 – C-97/08, ECLI:EU: C:2009:536 und v. 18.1.2017 – C-623/15 P; Vollmer in MünchKomm. Kartellrecht, 2. Aufl., § 81 GWB; Habersack, AG 2016, 691; Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, S. 83; Teichmann, ZGR 2017, 485, 495; Glöckner, NZKart 2018, 464. 237 LG Stuttgart v. 19.12.2017 – 31 O 33/16 KfH, NZG 2018, 665, 677 Rz. 217. 238 Nietsch in Gehrlein/Born/Simon, Anh. 4 Rz. 64.

234 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 127 § 37

oder wegen der Bedeutung der Maßnahme eines Gesellschafterbeschlusses bedürfen, auch dann eine Mitwirkung der Gesellschafter verlangen, wenn die Maßnahme bei einem abhängigen Konzernunternehmen (Satzungsänderung, Aufnahme eines Darlehens) verwirklicht wird. Die Frage ist für die Personengesellschaften und für die AG höchstrichterlich entschieden. Solche Mitwirkungsrechte sollen „im Zweifel auch gelten, soweit der geschäftsführende Gesellschafter der Obergesellschaft deren Rechte in der Untergesellschaft wahrnimmt“239. Das bedeutet für die GmbH jedoch nicht, dass sich die Entscheidungszuständigkeit beim herrschenden Unternehmen nach dem formalen Inhalt der Entscheidung bei der beherrschten Gesellschaft richtet (Durchgriffstheorie). Gegen eine undifferenzierte Verlängerung spricht, dass eine für Konzernunternehmen unge- 126 wöhnliche Maßnahme der Geschäftsführung für das herrschende Unternehmen nur Teil der laufenden Geschäftsführung, und umgekehrt eine Maßnahme, die beim abhängigen Konzernunternehmen zur laufenden Geschäftsführung gehört, für das herrschende Unternehmen ungewöhnlich sein kann. Aus der Sicht der Obergesellschaft sind daher Maßnahmen, die bei abhängigen Konzernunternehmen verwirklicht werden, selbständig zu werten. Das ist ins Verhältnis zu setzen mit der Frage, aus welchem Grund intern beim herrschenden Unternehmen ein Mitwirkungsrecht der Gesellschafter besteht (konzernweite Qualifikationstheorie)240. Daher bedarf etwa die Bestellung eines Prokuristen bei einer unbedeutenden Tochtergesellschaft keines Gesellschafterbeschlusses beim herrschenden Unternehmen. Dagegen wird man in der Regel davon auszugehen haben, dass bedeutsame Rechtsgeschäfte, die bei der Muttergesellschaft aufgrund einer Regelung in der Satzung oder aufgrund ihres Ausnahmecharakters der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen, wie etwa die Veräußerung von Grundstücken, die Aufnahme von Darlehen, Rechtsgeschäfte mit Organmitgliedern, die Veräußerung wesentlicher Betriebsteile usw., auch dann der Zustimmung der Gesellschafter der Muttergesellschaft bedürfen, wenn die Maßnahmen bei der Tochtergesellschaft vorgenommen werden241. Dies gilt auch bei mehrstufigen Konzernlagen, also wenn die Maßnahmen bei Enkelgesellschaften vorgenommen werden.

VIII. Die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht Zur Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht, § 37 Abs. 2, s. 12. Aufl., § 35 Rz. 26.

239 Für Personengesellschaften: BGH v. 9.5.1972 – II ZR 108/70, BB 1973, 212 – Schuhladen; wohl auch OLG Koblenz v. 9.8.1990 – 6 U 888/90, ZIP 1990, 1570, 1574 = GmbHR 1991, 264 sowie zum Urteil der Vorinstanz: Kellermann, EWiR § 37 GmbHG 1/90, 696; Mülbert in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, Konzernrecht der Personengesellschaften, Rz. 69 ff.; für die AG: BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 138 – Holzmüller; allgemein: Uwe H. Schneider in FS Bärmann, 1975, S. 873; Uwe H. Schneider, BB 1981, 249; für die AG: Lutter in FS H. Westermann, 1974, S. 347; Lutter in FS Fischer, 1979, S. 433; Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825, 835; Ulmer, AG 1975, 16. 240 OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 266; OLG Koblenz v. 9.8.1990 – 6 U 888/90, ZIP 1990, 1570, 1574 m. Anm. v. Gerkan, EWiR § 37 GmbHG 3/90, 1213 = GmbHR 1991, 264; Uwe H. Schneider in Der GmbH-Konzern, 1976, S. 79, 98; Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 251; zustimmend: Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825, 842; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 10. Aufl., § 9 Rz. 9 f.; Jungkurth, Konzernleitung bei der GmbH, 2000, S. 30 ff. 241 A.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 235

127

§ 37 Rz. 128 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis

IX. Die Außenwirkungen der Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis 128 Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis beschränken nicht zugleich auch die Vertre-

tungsbefugnis. Sie haben nur Wirkungen im Innenverhältnis. Wer einen Vertrag mit einer GmbH abschließt, braucht sich daher nicht darum zu kümmern, ob der Geschäftsführer die sich aus dem Innenverhältnis ergebenden Schranken seiner Befugnis einhält. Die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht soll gerade verhindern, dass sich der Geschäftspartner vor dem Abschluss von Rechtsgeschäften nach internen Beschränkungen erkundigen muss242. 129 Kennt der Dritte aber die internen Beschränkungen, kennt er die satzungsmäßigen Bindun-

gen, weiß er von internen Weisungen oder von dem Widerspruch der Mitgliedschaftsführer, so kann ein Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegen. Zum Missbrauch der Vertretungsmacht s. 12. Aufl., § 35 Rz. 187.

X. Einstweiliger Rechtsschutz 130 Zum Verbot der Ausübung der Geschäftsführungsbefugnis im Wege des einstweiligen Rechts-

schutzes s. 12. Aufl., § 38 Rz. 72 ff.

242 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, ZIP 1984, 310, 311 = GmbHR 1984, 96; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 = GmbHR 1996, 111, 113; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 375 f.

236 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

§ 38 Widerruf der Bestellung (1) Die Bestellung der Geschäftsführer ist zu jeder Zeit widerruflich, unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen. (2) Im Gesellschaftsvertrag kann die Zulässigkeit des Widerrufs auf den Fall beschränkt werden, dass wichtige Gründe denselben notwendig machen. Als solche Gründe sind insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung anzusehen. Text seit 1892 unverändert. I. Beendigungsgründe für die Organstellung 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beendigung durch Zeitablauf und Tod . 3. Beendigung des Anstellungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beendigung durch vertragliche Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wegfall der gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sonstige Beendigungsgründe . . . . . . . . II. Die Widerruflichkeit der Bestellung 1. Der Grundsatz der freien Abberufbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Abberufungsorgan a) Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . b) Regelung in der Satzung . . . . . . . . . . c) Die mitbestimmte GmbH (MontanMitbestG, MitbestG) . . . . . . . . . . . . . d) Abberufung durch gerichtliche Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Abberufungserklärung . . . . . . . . . . 5. Eintragung im Handelsregister . . . . . . . 6. Die Rechtsfolgen a) Beendigung der Organstellung . . . . b) Auswirkungen auf den Anstellungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschränkung der Abberufbarkeit 1. Gesetzliche Beschränkung . . . . . . . . . . . 2. Satzungsmäßige Beschränkung . . . . . . . a) Beschränkung auf wichtigen Grund b) Der Geschäftsführer kraft Sonderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der wichtige Grund a) Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3

4. 5.

5

6. IV. 1. 2.

7 8 10

12 15 19 21

3. 4. V. 1. 2.

28 28a 29 31 32 33 37 38 39 41 43

VI. VII. 1. 2.

3. 4. VIII. IX.

b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweipersonen-GmbH . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschränkung durch Anstellungsvertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederbestellung nach Abberufung . . Die fehlerhafte Abberufung . . . . . . . . Anfechtbarer Abberufungsbeschluss . . Unwirksamer oder nichtiger Abberufungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Fehlen wichtiger Gründe . . . . . . . . Streit über die Wirksamkeit der Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutz und Vertretung im Prozess Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstweiliger Rechtsschutz a) Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschäftsführer: Vor der Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geschäftsführer: Nach der Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Abberufung von Organmitgliedern im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Amtsniederlegung Der Grundsatz der freien Amtsniederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amtsniederlegung durch den alleingeschäftsführenden Alleingesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nach der Amtsniederlegung . . . . . . . . . Sonstige Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . Die vorläufige Dienstenthebung (Suspendierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 53 54 55 56 57 58 59 60 61

69 72 74 75 82

85

90a 91 92 93 94

Schrifttum: Altmeppen, Machtverhältnisse bei Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH aus „wichtigem Grund“, NJW 2016, 2833; Bauder, Amtsniederlegung des GmbH-Geschäfts-

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§ 38 | Widerruf der Bestellung führers, BB 1993, 1749; Bauer, Rechtsstellung des GmbH-Geschäftsführers, in FS Binz, 2014, S. 39; Bauer/Göpfert/Siegrist, Abberufung von Organmitgliedern: Wegfall der variablen Vergütung?, DB 2006, 1774; Bayer/Illhardt, Einberufung der Gesellschafterversammlung durch den abberufenen GmbH-Geschäftsführer bzw. den nicht wirksam bestellten Komplementär einer Publikums-KG?, NZG 2017, 801; Bauer/Krieger, Formale Fehler bei Abberufung und Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, ZIP 2004, 1247; Damm, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, ZHR 154 (1990), 413; Denzer, Konzerndimensionale Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung, 2005; Dernbach, Abberufung und Kündigung des GmbH-Geschäftsführers, BB 1982, 1266; Dietsch, Abberufung des einzigen Geschäftsführers der selbstorganschaftlichen Einpersonen-GmbH, NotBZ 2006, 233; Eckardt, Die Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung in Kapitalgesellschaften, 1989; Eckert, Die Amtsniederlegung des Alleingeschäftsführers einer GmbH, KTS 1990, 33; Eichele/Kießling, Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers und Registerlöschung, GmbHR 1999, 1165; Fedke, Rechtsfragen der Bestellung von Geschäftsführern in der mitbestimmungspflichtigen GmbH, NZG 2017, 848; Fischer, Der Rechtsstreit über die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, BB 2013, 2819; Fonk, Rechtsfragen nach der Abberufung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern, NZG 1998, 408; Freund, Abberufung und ordentliche Kündigung des Geschäftsführers, GmbHR 2010, 117; Greger, Der Vergütungsanspruch des abberufenen Geschäftsführers, in FS Boujong, 1996, S. 146; Grobys/Littger, Amtsniederlegung durch das Vorstandsmitglied einer AG, BB 2002, 2292; Grunewald, Die Abberufung von Gesellschaftergeschäftsführern in der GmbH, in FS Zöllner, 1998, S. 177; Haas, Unwirksame Amtsniederlegung des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers bei Insolvenz der GmbH, DStR 2001, 454; Klatte, Die Amtsniederlegung des Geschäftsführers einer GmbH, 1997; Kort, Ungleichbehandlung von Geschäftsleitungsmitgliedern bei AG und GmbH wegen des Alters, WM 2013, 1049; Kruse/Stenslik, Mutterschutz für Organe von Gesellschaften?, NZA 2013, 596; Kubis, Geklärte und ungeklärte Fragen bei der Geschäftsführer-Abberufung aus wichtigem Grund, in Liber amicorum für Martin Winter, 2011, S. 387; Liebscher/Alles, Einstweiliger Rechtsschutz im GmbH-Recht, ZIP 2015, 1; Lieder/Ringlage, Kein Sonderrecht der zweigliedrigen GmbH!, GmbHR 2017, 1065; Link, Die Amtsniederlegung durch Gesellschaftsorgane, 2003; Littbarski, Maßnahmen einstweiligen Rechtsschutzes zum Zwecke der Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers, DStR 1994, 906; Littbarski, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, 1996; Lohr, Die Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers, RNotZ 2002, 706; Lohr, Die Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers – Voraussetzungen der Niederlegung und Folgen für das Angestelltenverhältnis, DStR 2002, 2173; Lotz, Die Abberufung des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers, 2014; Lunk, Rechtliche und taktische Erwägungen bei Kündigung und Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, ZIP 1999, 1777; Lutz, Einstweiliger Rechtsschutz bei Gesellschafterstreit in der GmbH, BB 2000, 833; Lutz, Prozessvertretung der GmbH gegenüber dem Geschäftsführer und actio pro socio bei einstweiligen Verfügungen, NZG 2015, 424; Martens, Die außerordentliche Beendigung von Organund Anstellungsverhältnis, in FS Werner, 1984, S. 459; Meilicke, Kündigungs- und Abberufungsschutz für Gesellschafter-Geschäftsführer, DB 1994, 1761; Meyer-Landrut, Zur Suspendierung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft, in FS R. Fischer, 1979, S. 477; Mielke/Heinemann, Die wirksame Amtsniederlegung des Fremdgeschäftsführers bei Führungslosigkeit, ZIP 2017, 1941; Morawietz, Die Abberufung der Gesellschafter-Geschäftsführer in der Zweipersonen-GmbH bei tiefgreifendem Zerwürfnis, GmbHR 2000, 637; Münch, Amtsniederlegung, Abberufung und Geschäftsunfähigkeit des Geschäftsführers einer GmbH, DStR 1993, 916; Nietsch, Einstweiliger Rechtsschutz bei Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung, GmbHR 2006, 393; Oppenländer, Von der Rechtsprechung entwickelte Sonderregeln für die Zweipersonen-GmbH, DStR 1996, 922; Peltzer, Rechtsprobleme beim unfreiwilligen Ausscheiden von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften und Geschäftsführern von Gesellschaften m.b.H., BB 1976, 1249; Pentz, Die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers, GmbHR 2017, 801; Plander, Die Vertretung der nicht aufsichtsratspflichtigen GmbH bei Begründung, Änderung und Beendigung von Organstellung und Anstellungsverhältnis der Geschäftsführer, ZHR 133 (1970), 327; Reichert, Die unberechtigte Amtsniederlegung aus wichtigem Grund, ZWE 2002, 438; Reiserer/Peters, Die anwaltliche Vertretung von Geschäftsführern und Vorständen bei Abberufung und Kündigung, DB 2008, 167; Röder/Lingemann, Schicksal von Vorstand und Geschäftsführer bei Unternehmensumwandlungen und Unternehmensveräußerungen, DB 1993, 1341; Rüppell/Hoffmann, Abberufung und Kündigung eines (Gesellschafter-)Geschäftsführers aus wichtigem Grund, BB 2016, 645; Säcker, Rechtsprobleme beim Widerruf der Bestellung von Organmitgliedern und Ansprüche aus fehlerhaften Anstellungsverträgen, in FS Müller, 1981, S. 745; Schmolke, Die Abberufung des Vorstandsmitglieds auf Verdacht, AG 2014, 377; H. Schneider/Uwe H. Schneider, Die Amtsniederlegung durch den Geschäftsführer einer GmbH, GmbHR 1980, 4; Uwe H. Schneider, Die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer zweigliedrigen GmbH, ZGR 1983, 535; Uwe H. Schneider, Die Zweimann-GmbH, in FS Keller-

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Widerruf der Bestellung | Rz. 3 § 38 mann, 1991, S. 403; Schuhmann, Zur Amtsniederlegung eines GmbH-Geschäftsführers, NZG 2002, 706; Schuhmann, Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2007, 305; von Schurbein/Neufeld, Die fristlose Abberufung und Kündigung eines Geschäftsführers mit Minderheitsbeteiligung, BB 2011, 585; Semler, Einstweilige Verfügungen bei Gesellschafterauseinandersetzungen, BB 1979, 1533; Stenzel/Lühr, Zum richtigen Erklärungsempfänger der Amtsniederlegung eines Geschäftsführers bei einem Gesellschafterwechsel, NZG 2015, 743; Trölitzsch, Die Amtsniederlegung von Geschäftsführern in der Krise der GmbH, GmbHR 1995, 857; Tschöpe/Wortmann, Abberufung und ordentliche Kündigung von geschäftsführenden Organvertretern – Grundlagen und Verfahrensfragen, NZG 2009, 85, 161; Voigt, Die Entlassung des GmbH-Geschäftsführers aus wichtigem Grund, 2001; Vollmer, Die Abberufung von Geschäftsführern der mitbestimmten GmbH, GmbHR 1984, 5; Vorwerk, Rechtsschutz bei Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 1995, 266; Wachter, Amtsniederlegung von GmbH-Geschäftsführern, GmbHR 2001, 1129; Werner, Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers aus wichtigem Grund, GmbHR 2015, 1185; Werner, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschafterstreit in der GmbH, NZG 2006, 761; Werner, Gerichtlicher Rechtsschutz im Streit über die Abberufung des GmbHGeschäftsführers, GmbHR 2015, 1297; Werner, Koppelungsklauseln in Geschäftsführerdienstverträgen und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen, NZA 2015, 1234; Winkler, Gesellschafterausschluss und Geschäftsführer-Abberufung in der Zweipersonen-GmbH, GmbHR 2017, 334; Wolf, Abberufung und Ausschluss in der Zweimann-GmbH, ZGR 1998, 92; Wolf, Das unheilbare Zerwürfnis als Abberufungsgrund, GmbHR 1998, 1163; Wolff, Bestellung und Abberufung von GmbH-Geschäftsführern im Ausland, ZIP 1995, 1489. Vgl. auch das Schrifttum zu 12. Aufl., § 35 Rz. 23 und § 35 vor Rz. 251.

I. Beendigungsgründe für die Organstellung 1. Übersicht Das Gesetz regelt die Beendigungsgründe für die Organstellung des Geschäftsführers nur un- 1 vollkommen. Beendigungsgründe sind der Zeitablauf bei befristeter Bestellung und der Tod des Geschäftsführers (Rz. 3 f.), die vertragliche Aufhebung (Rz. 7), der Wegfall der gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen (Rz. 8 ff.), der Widerruf (Abberufung) (Rz. 12 ff.), die Amtsniederlegung (Rz. 85 ff.) sowie die Umwandlung und die Verschmelzung der Gesellschaft (Rz. 10 f.). Ob die Beendigung des Anstellungsvertrages auch zur Beendigung der Organstellung führt, ist streitig (Rz. 5). § 38 handelt nur von dem Grundsatz der freien Abberufbarkeit des Geschäftsführers, also 2 von der Beendigung der Organstellung. Die Vorschrift handelt nicht von der Beendigung des Anstellungsvertrages.

2. Beendigung durch Zeitablauf und Tod Die Bestellung zum Geschäftsführer kann befristet und unbefristet, entgegen der höchstrich- 3 terlichen Rechtsprechung aber weder aufschiebend noch auflösend bedingt1 erfolgen. In der Satzung kann die Befristung ausdrücklich vorgesehen werden, z.B. eine Altersgrenze. Die Befristung kann auch im Beschluss über die Bestellung erfolgen. Welche der Möglichkeiten die Gesellschafter wählen, steht in ihrem Ermessen. Liegt die Gesellschaft aber im Anwendungsbereich des MontanMitbestG, des MitbestErgG oder des MitbestG, ist die Befristung zwingend vorgeschrieben. Die § 12 MontanMitbestG, § 13 MitbestErgG, § 31 MitbestG ver-

1 Ebenso Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 68; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 Rz. 41a; Schumacher, GmbHR 2006, 292; a.A. BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, GmbHR 2006, 46; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 81; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 286; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 86; s. auch 12. Aufl., § 6 Rz. 74.

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§ 38 Rz. 3 | Widerruf der Bestellung weisen auf § 84 AktG. Hiernach gilt als Höchstgrenze eine Bestellung auf die Zeit von fünf Jahren. 4 Bei befristeter Bestellung endet die Organstellung mit dem Zeitablauf. Einer besonderen Er-

klärung durch das Bestellungsorgan oder durch den Geschäftsführer bedarf es nicht. Die Organstellung endet mit dem Tod des Geschäftsführers. Die Organstellung ist nicht vererblich. Im Gesellschaftsvertrag kann aber vorgesehen sein, dass ein Erbe in der Organstellung nachfolgt2 oder einen Anspruch auf Bestellung zum Geschäftsführer erwirbt. Allerdings bedarf es auch in diesem Fall zusätzlich einer Bestellung und der Annahme durch den Bestellten3.

3. Beendigung des Anstellungsverhältnisses 5 Teilweise wird die Ansicht vertreten, die Beendigung des Anstellungsverhältnisses führe auch

ohne weiteres zur Beendigung der Organstellung4. Die Kündigung entziehe der Organstellung den Boden, weil ein Geschäftsführer im Allgemeinen nicht ohne Vertragsgrundlage weiterarbeiten wird5. Die höchstrichterliche Rechtsprechung will hiervon nur dann eine Ausnahme machen, wenn die Bestellung eines Gesellschafters nicht auf seinem Anstellungsvertrag beruht. In diesem Fall brauche der Ablauf des Vertrages in Verbindung mit der Erklärung, ihn nicht verlängern zu wollen, nicht ohne weiteres auch die Beendigung der Organstellung herbeizuführen6. 6 Für eine Verknüpfung von Organstellung und Anstellungsverhältnis besteht jedoch kein

Grund7. Für den umgekehrten Fall der Abberufung und der Amtsniederlegung ist dies anerkannt. Die Abberufung muss nicht auch zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses führen (s. Rz. 33). Zwar kann im Einzelfall, was durch Auslegung zu ermitteln ist, die Erklärung der Gesellschafterversammlung zugleich als Abberufung und als Kündigung zu verstehen sein. Beschränkt die Gesellschafterversammlung die Erklärung auf die Kündigung, so hat der Geschäftsführer im Zweifel die Möglichkeit zur Amtsniederlegung. Doch kann auch ein gemeinsames Interesse daran bestehen, nur das Anstellungsverhältnis zu beenden und die Organstellung zu erhalten, z.B. weil der Anstellungsvertrag in der Folge mit einem Dritten abgeschlossen werden soll. Eine solche Trennung ist zulässig (str., s. 12. Aufl., § 35 Rz. 251).

4. Beendigung durch vertragliche Aufhebung 7 Soll die Organstellung vorzeitig enden, wollen die Beteiligten aber einseitige Erklärungen ver-

meiden, so können sie den Weg der Beendigung durch vertragliche Aufhebung wählen8. Eine 2 A.A. wohl Terlau in Michalski u.a., Rz. 80 und Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 84. 3 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 69. 4 RG v. 5.6.1934 – II 59/34, RGZ 144, 386; s. auch BGH v. 16.12.1953 – II ZR 41/53, BGHZ 12, 1, 9; BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41 = WM 1981, 30 = DB 1981, 308; differenzierend: Dernbach, BB 1982, 1270; wohl auch Martens in FS Werner, 1984, S. 503. 5 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41. 6 BGH v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, WM 1981, 1200, 1201 = GmbHR 1982, 133, 134. 7 OLG Frankfurt v. 18.2.1994 – 10 U 16/93, GmbHR 1994, 549; Goette, Die GmbH, S. 249; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 103: Verknüpfung mit Organstellung kann aber durch auflösende Bedingung erfolgen. 8 BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 110 = GmbHR 1978, 38; OLG Köln v. 27.10.1999 – 27 U 2/99, NZG 2000, 436; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 87; für die AG: Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 84 AktG Rz. 205; Meyer-Landrut in FS Fischer, 1979, S. 477, 484; Westhoff, DB

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Widerruf der Bestellung | Rz. 11 § 38

solche einvernehmliche Beendigung ist auch dann zulässig, wenn ein wichtiger Grund nicht vorliegt, die Satzung aber für die Abberufung einen wichtigen Grund verlangt. Dabei wird die Gesellschaft durch das Bestellungs- und Abberufungsorgan vertreten9. Ändern die Vertragsparteien den Aufhebungsvertrag oder erklärt eine der Vertragsparteien 7a den Rücktritt, so führt dies nicht dazu, dass der Geschäftsführer wieder in seine Organstellung eintritt10. Er muss vielmehr wieder bestellt werden.

5. Wegfall der gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen Nach § 6 Abs. 2 kann Geschäftsführer nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Per- 8 son sein. Verliert ein Geschäftsführer nach seiner Bestellung die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit, so verliert er damit automatisch auch seine Stellung als Geschäftsführer11. Die Organstellung endet auch, wenn einer der in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1–3 und Satz 3 aufge- 9 führten gesetzlichen Ausschlussgründe eintritt. Der Geschäftsführer verliert daher etwa seine Organstellung mit Rechtskraft eines Strafurteils, wenn er wegen einer Insolvenzstraftat verurteilt wurde. Als Verurteilung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a gilt nicht nur die Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Es genügt vielmehr, dass der Geschäftsführer wegen einer solchen Tat unter Vorbehalt der Verhängung einer Geldstrafe verwarnt wurde (§ 59 Abs. 1 StGB)12. Dagegen verliert ein Geschäftsführer seine Organstellung nicht deshalb, weil eine satzungsrechtliche Eignungsvoraussetzung entfällt13. Sieht daher etwa die Satzung vor, dass nur Familienangehörige zu Geschäftsführern bestellt werden können, so behält gleichwohl der Geschäftsführer nach Rechtskraft des Scheidungsurteils seine Organstellung.

6. Sonstige Beendigungsgründe Bei formwechselnder und bei übertragender Umwandlung verlieren die Geschäftsführer au- 10 tomatisch ihre Organstellung. Die Organstellung bei der übertragenden Gesellschaft endet auch bei der Verschmelzung 11 durch Aufnahme in der aufgenommenen Gesellschaft; bei einer Verschmelzung durch Neubildung endet die Organstellung in beiden Gesellschaften, die fusionieren, § 20 UmwG14.

9 10 11 12 13 14

1980, 2520, 2522; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 147; Hoffmann-Becking in FS Stimpel, 1985, S. 589; P. Hofmann, ZfgG 1987, 179. Zur Beendigung durch gerichtlichen Vergleich: BGH v. 13.1.1958 – II ZR 212/56, BGHZ 26, 236. BGH v. 19.6.1995 – II ZR 228/94, DStR 1995, 1359 m. Anm. Goette; LAG Hessen v. 21.6.2000 – 13 Sa 1300/99, GmbHR 2001, 298; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 38; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 287. BGH v. 16.10.1992 – II ZR 63/92, DStR 1992, 1816. BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 80 = GmbHR 1991, 358, 359; BayObLG v. 16.7.1982 – BReg 3 Z 74/82, GmbHR 1983, 152 = BB 1982, 1508; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 290; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 Rz. 12. OLG Naumburg v. 3.2.2017 – 5 Wx 2/17, GmbHR 2017, 403 = NZG 2017, 1223. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 67; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 80. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 292; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 92; Grunewald in Lutter, § 20 UmwG Rz. 28; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341.

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§ 38 Rz. 12 | Widerruf der Bestellung

II. Die Widerruflichkeit der Bestellung 1. Der Grundsatz der freien Abberufbarkeit 12 a) § 38 regelt den Grundsatz der freien Abberufbarkeit des Geschäftsführers. Der Grundsatz

dient in Anbetracht der nach außen unbeschränkten Vertretungsmacht der Geschäftsführer der Sicherheit der Gesellschaft. Er ist zugleich eine Ergänzung des Grundsatzes der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer, also der Regelung, dass die Geschäftsführer den Weisungen der Gesellschafter unterliegen. 13 b) Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen der Abberufung eines Gesellschafter-Geschäfts-

führers und der Abberufung eines Fremdgeschäftsführers. Ist aber der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter, so erscheinen einzelne Regelungsprobleme in anderem Licht, und es stellen sich zahlreiche zusätzliche Fragen. Die Fragen verschärfen sich noch, wenn die Gesellschafter je zur Hälfte an der Gesellschaft beteiligt sind15. 14 c) Die Vorschrift spricht zwar von dem Widerruf der Bestellung. Indessen soll nicht der Be-

stellungsakt ex tunc rückgängig gemacht, sondern die Organstellung ex nunc beendet werden16. Vorzuziehen ist daher der Begriff: Abberufung.

2. Die Voraussetzungen 15 a) Die Abberufung ist ebenso wie die Bestellung selbst ein körperschaftlicher Akt. Sie bedarf

eines Beschlusses durch das zuständige Organ (Abberufungsbeschluss). Der Beschluss muss sodann dem Geschäftsführer mitgeteilt werden (Abberufungserklärung) (s. Rz. 29). Einer Annahme durch den Geschäftsführer, wie dies für die Bestellung erforderlich ist, bedarf es bei der Abberufung nicht. 15a Die Abberufung ist, sofern in der Satzung nicht etwas anderes vereinbart wurde, jederzeit

möglich. Sie ist formfrei. Sie kann befristet (Widerruf zum 31.12.)17, aber nicht bedingt vorgenommen werden18. Die vorherige Anhörung des Geschäftsführers ist weder Wirksamkeitsvoraussetzung, noch hat der Geschäftsführer ein Recht auf Anhörung vor der Abberufung19. Keinen Unterschied macht es, ob der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter ist oder nicht, und ob er im Gesellschaftsvertrag ernannt ist oder nicht. Wird der einzige Geschäftsführer abberufen, so ist dies nicht davon abhängig, dass die Gesellschafter zugleich den Nachfolger bestellen20. 16 b) Besondere gerichtlich nachprüfbare „vernünftige sachliche Gründe“21 brauchen nicht

vorzuliegen22. Was „vernünftig“ ist, entscheiden die Gesellschafter. Die Grenze bilden im Rah-

15 S. dazu: BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177 = GmbHR 1983, 149; BGH v. 25.1.1960 – II ZR 207/57, LM § 38 GmbHG Nr. 2; BGH v. 14.10.1968 – II ZR 84/67, LM § 38 GmbHG Nr. 4; OLG Karlsruhe v. 23.12.1965 – 10 U 313/65 – Q 18/65, GmbHR 1967, 214; OLG Nürnberg v. 8.10.1970 – 2 U 84/70, GmbHR 1971, 208; eingehend: Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 535. 16 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 1; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 2. 17 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 9. 18 Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 42 Rz. 42. 19 BGH v. 4.7.1969 – II ZR 168/58, GmbHR 1960, 220; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 33; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 177. 20 Goette, Die GmbH, S. 246. 21 Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 255; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 357. 22 BGH v. 3.11.2003 – II ZR 158/01, GmbHR 2004, 57.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 18 § 38

men von §§ 226, 826 BGB „offenbar unsachliche Gründe“23. Der Geschäftsführer trägt hierfür die Beweislast (vgl. § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG)24. Die Abberufung bedarf in der Regel keiner näheren Begründung25. c) Streitig ist, ob dies auch für den Gesellschafter-Geschäftsführer der personalistischen 17 GmbH gilt. Die engen gesellschaftlichen Beziehungen und die persönliche Verbundenheit mit dem Gesellschaftsunternehmen sollen eine analoge Anwendung von §§ 117, 127 HGB begründen. Das würde bedeuten, dass sich die Organstellung des Gesellschafter-Geschäftsführers bei der personalistischen GmbH zum mitgliedschaftlichen Sonderrecht verdichtet, das nur bei wichtigem Grund entzogen werden kann26. Gegen eine solche Analogie sprechen jedoch insbesondere die stärkere Vermögensbindung und die unterschiedliche Haftungslage bei den Personengesellschaften27. Das schließt nicht aus, dass die Gesellschafter in der Satzung zwar nicht ausdrücklich, wohl aber mittelbar auf die jederzeitige Widerruflichkeit verzichtet haben. Ob eine solche Beschränkung vereinbart ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln28. Die Regel heißt somit, dass auch für den Gesellschafter-Geschäftsführer das freie Widerrufs- 18 recht gemäß § 38 Abs. 1 nicht eingeschränkt ist. Dies gilt auch für die Zweimann-GmbH29. Wohl aber kann die Abberufung eines Mitgesellschafters als Geschäftsführer aufgrund der Treuepflichten30 der anderen Gesellschafter beschränkt sein, auch wenn ihm kein Sonderrecht zusteht31; denn die Gesellschafter schulden gegenüber der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern ein Verhalten, das auf die mitgliedschaftlichen Interessen der anderen Gesellschafter Rücksicht nimmt32. Verlangt ist daher in diesen Sonderfällen ein sachlicher Grund33. Hat daher etwa ein Gesellschafter-Geschäftsführer seine Tätigkeit als Geschäftsführer zum Lebensberuf gemacht und sich hierauf eingerichtet, so kann er nicht ohne sachlichen Grund

23 A.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 4; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; wie hier: Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 3. 24 BGH v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 192 = GmbHR 1954, 92 m. Anm. H. Schneider, DB 1975, 1548; Harde, Die Abberufung des Geschäftsführers der GmbH …, 1971, S. 110. 25 OLG Zweibrücken v. 8.6.1999 – 8 U 138/98, NZG 1999, 1011; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2. 26 Limbach, GmbHR 1968, 181. 27 Fleck, GmbHR 1970, 221. 28 Fischer, GmbHR 1953, 131; Fischer in FS W. Schmidt, 1959, S. 121. 29 Schönle/Ensslin, GmbHR 1968, 23; Schönle/Ensslin, GmbHR 1969, 103; Fleck, GmbHR 1970, 221; a.M. OLG Karlsruhe v. 23.12.1965 – 10 U 313/65 – Q 18/65, GmbHR 1967, 214; Winkler, GmbHR 2017, 334, 339. 30 Zur Frage, ob und inwiefern die Gesellschafter aufgrund ihrer gesellschaftsinternen Treuepflicht in ihrer Stimmrechtsausübungsfreiheit beschränkt werden können, vgl. BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759 m. Anm. Schmitz-Herscheidt, ZIP 2016, 1220 f.; OLG München v. 23.6.2016 – 23 U 4531/15, GmbHR 2016, 925 f. Eingehend hierzu auch Kubis in Liber amicorum Winter, S. 389 ff.; s. auch oben Seibt, 12. Aufl., § 14 Rz. 64. 31 OLG Saarbrücken v. 10.10.2006 – 4 U 382/05-169, GmbHR 2007, 143, 150; OLG Zweibrücken v. 5.6.2003 – 4 U 117/02, GmbHR 2003, 1206; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 25; Grunewald in FS Zöllner, 1998, S. 177; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 2 und 7 a.E.; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12; Winkler, GmbHR 2017, 334, 339; Pentz, GmbHR 2017, 801, 812 f.; zurückhaltend OLG Naumburg v. 13.1.2000 – 7 U (Hs) 24/99, NZG 2000, 608, 609; ohne satzungsmäßiges Sonderrecht ablehnend Lotz, Die Abberufung des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers, 2014, S. 25 ff. 32 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276 ff. = GmbHR 1986, 426; sowie 12. Aufl., § 14 Rz. 73. 33 KG v. 23.7.2015 – 23 U 18/15, NZG 2016, 787, 789 = GmbHR 2016, 29; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 4; Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1066.

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§ 38 Rz. 18 | Widerruf der Bestellung abberufen werden34. Dies gilt auch für den Fall, dass seine finanzielle Versorgung nicht gefährdet ist.

3. Das Abberufungsorgan a) Gesetzliche Regelung 19 aa) Über die Abberufung entscheidet bei der mitbestimmungsfreien GmbH und bei der nach

dem DrittelbG mitbestimmten GmbH die Gesellschafterversammlung, § 46 Nr. 535. Zur Frage der Beschlussfassung und zum Stimmrecht des Abzuberufenden s. bei § 46 und bei § 47. 20 bb) Der einzelne Gesellschafter kann auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes die Abbe-

rufung nicht selbst vornehmen. Die Gesellschafterversammlung bleibt in jedem Fall das zuständige Organ. Bei der Beschlussfassung über die gewöhnliche Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers unterliegt dieser keinem Stimmverbot36. Dagegen unterliegt der Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beschlussfassung über eine Abberufung aus wichtigem Grund einem Stimmverbot37. Streitig ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum, unter welchen Voraussetzungen der Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Abstimmung über die Abberufung aus wichtigem Grund einem Stimmverbot unterliegt. S. dazu die Kommentierung bei § 4738. Es bleibt im Ermessen der Gesellschafter, ob sie trotz des Vorliegens eines wichtigen Grundes die Abberufung nicht vornehmen. Die gesellschaftliche Treuepflicht kann jedoch gebieten, dass widersprechende Gesellschafter der Abberufung zustimmen müssen39. Dabei müssen aber die Voraussetzungen einer Treuepflichtverletzung im Einzelfall gesondert geprüft werden40. Die Stimmabgabe unter Verletzung dieser gesellschaftlichen Treuepflicht ist nichtig, die Stimme ist bei der Ermittlung des Beschlussergebnisses nicht mitzuzählen41. Werden die Stimmen gleichwohl mitgezählt, so ist der Beschluss wirksam, aber anfechtbar42. Das Entsprechende gilt, wenn ein Geschäftsführer, nachdem er aus wichtigem Grund abberufen wurde, wiederbestellt wird43. In diesem Fall ist die Stimmabgabe für die Wiederbestellung treuwidrig, wenn der wichtige Grund, der zur Abberufung führte, fortbesteht.

34 BGH v. 29.11.1993 – II ZR 61/93, DStR 1994, 214 m. Anm. Goette; a.A. Meilicke, DB 1994, 1761. 35 Zur Zuständigkeit eines vom Komplementär der Alleingesellschafterin einer GmbH Bevollmächtigten vgl. BGH v. 20.10.2008 – II ZR 107/07, GmbHR 2008, 1316 m. Anm. Werner. 36 BGH v. 21.4.1969 – II ZR 200/67 GmbHR 1969, 154; BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, GmbHR 1987, 94; BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701. 37 BGH v. 21.4.1969 – II ZR 200/67, GmbHR 1969, 154; zuletzt BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701. 38 S. auch die Darstellung des Rechtsstreits in BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701, 702. 39 BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, ZIP 1991, 24 = GmbHR 1991, 62; OLG Köln v. 1.6.2010 – 18 U 72/09, GmbHR 2011, 135; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 184; für den Ausschluss eines Gesellschafters: BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253, 257; BGH v. 18.10.1976 – II ZR 98/75, BGHZ 68, 81, 82 = GmbHR 1977, 197, 198; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80 f. 40 OLG Braunschweig v. 9.9.2009 – 3 U 41/09, GmbHR 2009, 1276, 1278 m. Anm. Winter, GmbHR 2009, 1280. 41 BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, ZIP 1991, 24 = GmbHR 1991, 62; BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/ 87, WM 1988, 23, 25; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80. 42 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66 = GmbHR 1988, 304. 43 BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, ZIP 1991, 24 = GmbHR 1991, 62.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 23 § 38

Sind aber alle Gesellschafter verpflichtet, einer Abberufung zuzustimmen, so kann ein einzelner Gesellschafter zur Sicherung der Gesellschaft im Wege der einstweiligen Verfügung ein begrenztes oder umfassendes Tätigkeitsverbot erwirken44. Bei der zweigliedrigen GmbH bedarf es im Gegensatz zur mehrgliedrigen GmbH bei Abbe- 20a rufung des Gesellschafter-Geschäftsführers keines Gesellschafterbeschlusses45. Eine solche Voraussetzung wäre nur Formalie. b) Regelung in der Satzung aa) Die Entscheidung über die Abberufung kann in beiden Fällen durch eine Bestimmung in 21 der Satzung dem Aufsichtsrat übertragen werden. Ist die Bestellung der Geschäftsführer dem Aufsichtsrat zugewiesen, so ist es eine Frage der Satzungsauslegung, ob der Aufsichtsrat auch für die Abberufung zuständig sein soll. Im Zweifel ist dies anzunehmen46. Streitig ist es, ob in den Fällen, in denen einem besonderen Organ wie dem Aufsichtsrat (§ 52) 22 das Abberufungsrecht zusteht, die Gesellschafterversammlung daneben zwingend das Recht zur Abberufung aus wichtigem Grund behält47. Bedenkt man jedoch, dass bei der mitbestimmten GmbH die ausschließliche Abberufungszuständigkeit des Aufsichtsrats die Regel ist, so muss dies auch bei der mitbestimmungsfreien GmbH vereinbart werden können48. Unbedenklich ist es jedoch, für die Gesellschafter eine Ersatzkompetenz vorzusehen. bb) Einigkeit besteht, dass durch eine Bestimmung in der Satzung das Recht zur Abberufung 23 auch einem einzelnen Gesellschafter anvertraut werden kann49. Die Gestaltungsfreiheit erlaubt es, einem einzelnen Gesellschafter in der Satzung das Sonderrecht zur Geschäftsführung und das Recht zu gewähren, die Geschäftsführung zu bestellen (s. 12. Aufl., § 6 Rz. 79 ff.). In entsprechender Weise kann einem Gesellschafter auch das Recht zur Abberufung der Geschäftsführer eingeräumt werden. Dabei kann daneben der Gesellschafterversammlung das Recht zur Abberufung erhalten bleiben (kleines Abberufungsrecht). Im Zweifel ist dies anzunehmen. Das Abberufungsrecht kann auch allein dem Gesellschafter zustehen (großes Abberufungsrecht). Jedoch verbleibt in diesem Fall den Gesellschaftern unabdingbar das Abberufungsrecht, wenn ein wichtiger Grund vorliegt50. Ist nach der gesellschaftsvertraglichen

44 So auch schon OLG Dresden v. 25.3.1924 – 6a Reg. 200/24, JW 1924, 1185, wenn Geschäftsführer im Bereich der Geschäftsführung unerlaubte Handlung begeht; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 66; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18; Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 550; a.A. OLG Düsseldorf v. 12.3.1934 – 6 U 42/34, JW 1934, 2712: nur Anspruch gegen Gesellschaft auf Abberufung; s. auch Boesebeck, JW 1934, 2712. 45 H.M. OLG Thüringen v. 5.10.2005 – 6 U 162/05, GmbHR 2005, 1566; Winkler, GmbHR 2017, 334, 336. 46 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 29; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 32; H.P. Westermann/Pöllath, Abberufung, 4. Aufl. 1988, S. 76.; abw. Eder, GmbHR 1962, 22. 47 So Feine, S. 476; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 13; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 29; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31: entweder eigenes Recht zur Abberufung oder Möglichkeit die Besetzung des zuständigen Organs unmittelbar zu ändern. 48 RG v. 27.5.1913 – II 42/13, RGZ 82, 346; H.P. Westermann/Pöllath, Abberufung, S. 75; Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 535, 544; Terlau in Michalski u.a., Rz. 18; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16. 49 OLG Düsseldorf v. 8.6.1989 – 6 U 223/88, GmbHR 1990, 219; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 182; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12; Fischer, BB 2013, 2819, 2821. 50 A.A. Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 33.

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§ 38 Rz. 23 | Widerruf der Bestellung Regelung nur die Kompetenz zur Bestellung übertragen, umfasst dies im Zweifel auch die (nicht ausschließliche) Zuständigkeit zur Abberufung51. 24 cc) Streitig ist es dagegen, ob das Recht zur Abberufung auch einem Nichtgesellschafter über-

tragen werden kann. Zu denken ist an das herrschende Unternehmen im Konzern, an den stillen Gesellschafter, eine Behörde, ein Kreditinstitut oder bei einer GmbH & Co. KG an die Kommanditisten52 oder an einen Kommanditistenausschuss (Beirat)53. 25 Für eine solche Regelungsmöglichkeit mag im Einzelfall zwar ein praktisches Bedürfnis beste-

hen. Aus der Entscheidung des II. Senats des BGH vom 20.10.200854 lässt sich eine solche Zulässigkeit aber nicht entnehmen. Sie handelt nur davon, wer die Gesellschafterrechte bei der Komplementär-GmbH wahrnimmt. Die Einräumung eines organisationsrechtlichen Rechts zur Abberufung der Geschäftsführer an Dritte, also eine externe Bestellungs- und Anstellungskompetenz55, widerspricht aber dem unverzichtbaren Leitungsrecht der Gesellschafter (Grundsatz der Selbstbestimmung der Gesellschafter)56. (Zur Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrats durch Dritte s. 12. Aufl., § 52 Rz. 255.) 25a Zulässig ist es dagegen, in einem Vertrag als unselbständige Nebenpflicht ein schuldrecht-

liches Abberufungsrecht aufzunehmen. Dabei verpflichtet sich die Gesellschaft, einen Geschäftsführer abzuberufen, wenn der Vertragspartner dies verlangt57. Kommt die Gesellschaft dieser Verpflichtung nicht nach, so erhält der Vertragspartner aber nur einen wichtigen Grund zur Kündigung des Vertrages, also etwa des Darlehensvertrages; u.U. hat der Dritte auch Anspruch auf Schadensersatz. 26 dd) Ist das durch die Satzung bestellte Abberufungsorgan funktionsunfähig, sind etwa alle

Aufsichtsratsmitglieder zurückgetreten, so fällt die Zuständigkeit an die Gesellschafter zurück58. 27 ee) Ist die GmbH in der Insolvenz, so kann der Insolvenzverwalter zwar den Anstellungs-

vertrag mit dem Geschäftsführer gemäß § 113 InsO kündigen. Ein Abberufungsrecht mit Wirkung für die GmbH, also im Sinne des § 38, hat der Insolvenzverwalter nicht59. Der Gesellschafterversammlung steht auch im eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen

51 Fischer, BB 2013, 2819, 2821. 52 Gegen Zulässigkeit: BGH v. 1.12.1969 – II ZR 224/67, DB 1970, 389, 390; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 17; a.A. Hopt, ZGR 1979, 1, 16. 53 Gegen Zulässigkeit: Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 189, 196; Priester in FS Werner, 1984, S. 657 ff.; Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911 (widerspricht der Rechtsnatur der Satzung); dafür: Hopt, ZGR 1979, 1, 7; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 29; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6, 17; Fleck, ZGR 1988, 122: wenn zumindest auch einem Gesellschaftsorgan Abberufungskompetenz verbleibt. Eingehend: Bürkle, Rechte Dritter in der Satzung der GmbH, 1991; für die Personengesellschaften: BGH v. 22.2.1960 – VII ZR 83/59, JZ 1960, 490 m. Anm. A. Hueck: Drittem kann Stimmrecht eingeräumt werden. 54 BGH v. 20.10.2008 – II ZR 107/07, GmbHR 2008, 1316. 55 So Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 34. 56 Terlau in Michalski u.a., Rz. 17; a.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6, 17; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12; für Zulässigkeit, wenn dem Dritten durch Regelung in der Satzung die Stellung eines Organs eingeräumt wird: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; ebenso: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3. 57 Dazu Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911, 927 ff.; Fleck, ZGR 1988, 130. 58 BGH v. 24.2.1954 – II ZR 88/53, BGHZ 12, 340; BGH v. 1.12.1969 – II ZR 224/67, WM 1970, 251; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; Fischer, BB 2013, 2819, 2821. 59 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; Noack in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Sonderbd. 1, GesR, 1999, Rz. 293.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 29 § 38

der Gesellschaft das Recht zu, den oder die Geschäftsführer abzuberufen60. Die Befugnisse des Geschäftsführers ruhen jedoch, soweit der Insolvenzverwalter zuständig ist. c) Die mitbestimmte GmbH (MontanMitbestG, MitbestG) Ist die GmbH nach dem MontanMitbestG oder nach dem MitbestG mitbestimmt, so ist das 28 Abberufungsorgan für alle Geschäftsführer, also nicht nur für den Arbeitsdirektor, nur das Plenum des Aufsichtsrats61. Die ausschließliche Zuständigkeit des Aufsichtsrates für die Abberufung des Geschäftsführers kann auch nicht durch eine abweichende Regelung in der Satzung abbedungen werden62. Entscheidet an Stelle des Aufsichtsrates die Gesellschafterversammlung über die Abberufung des Geschäftsführers, ist der entsprechende Beschluss unwirksam. An der Zuständigkeit des Aufsichtsrates für die Abberufung ändert sich auch dann nichts, wenn der Geschäftsführer – gegebenenfalls fehlerhafterweise – von der Gesellschafterversammlung bestellt worden ist63. Ungeklärt ist die Rechtslage in den Fällen, in denen die dem Anwendungsbereich des MitbestG GmbH (noch) keinen Aufsichtsrat gebildet hat. Erwogen wird insoweit eine Auffangzuständigkeit der Gesellschafterversammlung, wenn die mitbestimmungspflichtige GmbH zum Zeitpunkt des Abberufungsbeschlusses über keinen Aufsichtsrat verfügt64. Zum Verfahren s. 12. Aufl., § 52 Rz. 436 ff.65. d) Abberufung durch gerichtliche Entscheidung? Eine Abberufung durch gerichtliche Entscheidung in analoger Anwendung der §§ 117, 127 28a HGB kommt nicht in Betracht66. Es fehlt schon an einer Regelungslücke. Zuständig ist allein die Gesellschafterversammlung67.

4. Die Abberufungserklärung Der Abberufungsbeschluss muss dem Geschäftsführer gegenüber erklärt werden. Diese Ab- 29 berufungserklärung ist keine selbständige Willenserklärung etwa des Vorsitzenden der Gesellschafterversammlung. Sie hat auch keinen selbständigen rechtsgeschäftlichen Charakter68. Die Abberufungserklärung kann daher auch nur nach § 120 BGB angefochten werden; denn sie ist die Kundgabe der körperschaftlichen Willensbildung an den Geschäftsführer69. Erst mit Zugang der Erklärung wird die Abberufung wirksam70. 60 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 588; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2. 61 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38; Fleck, WM 1981 Sonderbeil. 3, S. 10, 14; Vollmer, ZGR 1984, 5 sowie bei 12. Aufl., § 52 Rz. 349 ff. 62 Bauer in FS Binz, S. 40. 63 Fedke, NZG 2017, 848, 849. 64 Vgl. hierzu Fedke, NZG 2017, 848, 850 f. 65 S. auch Wiesner in Anm. zu LG Ravensburg, EWiR, § 31 MitbestG 1/85, 415. 66 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177 = GmbHR 1983, 149; Hans. OLG v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 45. 67 Zur Lage nach österr. Recht: Harrer, WBl. 1987, 113. 68 A.A. RG v. 14.5.1908 – VI 384/07, RGZ 68, 385; wohl auch BGH v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, WM 1966, 615 und BGH v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811 sowie Fleck, GmbHR 1970, 222; s. auch zum rechtsgeschäftlichen Charakter der Bestellungserklärung: BGH v. 22.9.1969 – II ZR 144/ 68, BGHZ 52, 321; vermittelnd Pentz, GmbHR 2017, 801, 803. 69 S. auch BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, WM 1983, 797, 799 = GmbHR 1984, 70; OLG Schleswig v. 18.5.1998 – 2 W 48/98, GmbHR 1998, 747; Goette, Die GmbH, S. 243. 70 OLG Hamm v. 26.9.2002 – 15 W 321/01, GmbHR 2003, 111; OLG Frankfurt v. 7.7.2015 – 5 U 187/ 14, NZG 2015, 1112, 1114 (zur AG); Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 22; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 21.

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§ 38 Rz. 29 | Widerruf der Bestellung Die Erklärung obliegt der Gesellschafterversammlung als dem für die Abberufung zuständigen Organ. Wird die Abberufung von einem anderen als dem zuständigen Organ erklärt, so kann das zuständige Organ der Erklärung nicht nachträglich zustimmen71. Einer besonderen Form bedarf die Erklärung nicht. Dies gilt auch dann, wenn es sich um die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers handelt, dem gesellschaftsvertraglich ein Sonderrecht auf Geschäftsführung eingeräumt worden ist72. 30 In welcher Weise die Kundgabe erfolgt, hängt davon ab, ob sie unter Anwesenden vorgenom-

men wird oder nicht. War der Geschäftsführer bei der Beschlussfassung anwesend und wurde das Beschlussergebnis durch den Versammlungsleiter dem Geschäftsführer gegenüber erklärt, so ist die Abberufung sofort wirksam. Das Entsprechende gilt aber auch, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass ein eindeutiger Beschluss vorliegt73. War der Geschäftsführer bei der Beschlussfassung nicht anwesend, so muss das Beschlussergebnis ihm mitgeteilt werden. Dazu können ein oder mehrere Gesellschafter74 ermächtigt, aber auch ein Mitgeschäftsführer, ein Prokurist oder ein Dritter, z.B. der Anwalt der Gesellschaft, bevollmächtigt werden75. Die Abberufung wird erst dann wirksam, wenn die Erklärung ihm zugegangen ist. Der Beschluss bleibt wirkungslos, wenn er vor der Abberufungserklärung wieder aufgehoben wird76. Eine nur zufällige Kenntnisnahme des Abzuberufenden von dem Beschluss durch das Abberufungsorgan macht die Abberufung nicht wirksam77. Ist dem abzuberufenden Geschäftsführer die Vollmacht des die Abberufung Erklärenden nicht bekannt und ergibt sich diese auch nicht aus der Satzung bzw. der Geschäftsordnung, so ist zur Vermeidung der Zurückweisung nach § 174 Satz 1 BGB78 der Erklärung der Abberufungsbeschluss des zuständigen Organs oder eine Vollmacht des zuständigen Organs im Original beizufügen79.

5. Eintragung im Handelsregister 31 Die Abberufung ist alsbald zum Handelsregister anzumelden, § 39. Doch ist dies keine Vo-

raussetzung für die Wirksamkeit80. Wohl aber wird der gutgläubige Dritte vor der Eintragung nach Maßgabe des § 15 HGB geschützt81. Unterbleibt die Anmeldung und wird die weitere Geschäftsführung und Vertretung geduldet, so soll hierin eine wirksame Zurückziehung der Abberufung gefunden werden, so dass durch die geduldete Vertretung die Gesell71 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44; Stein, AG 1999, 28, 42. 72 Pentz, GmbHR 2017, 801, 807. 73 BGH v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 321; BGH v. 19.6.1961 – II ZR 123/59, WM 1961, 799; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 43; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 161. 74 BGH v. 17.4.1958 – II ZR 222/56, LM § 46 GmbHG Nr. 3; BGH v. 18.11.1968 – II ZR 121/67, LM § 46 GmbHG Nr. 9; BGH v. 1.2.1968 – II ZR 212/65, WM 1968, 570. 75 BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117, 120; OLG Hamm v. 26.9.2002 – 15 W 321/01, GmbHR 2003, 111; OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, ZIP 2004, 1850 = AG 2004, 321; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44. 76 RG v. 14.5.1908 – VI 384/07, RGZ 68, 385. 77 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 155; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 44. 78 Für analoge Anwendung: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; a.A. Wachter, GmbHR 2016, 617, 620. 79 OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, ZIP 2004, 1850 = AG 2004, 321; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 54; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1248; Leuering, NZG 2004, 120; Stuck, GmbHR 2006, 1009, 1100. 80 BGH v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, GmbHR 1960, 185. 81 BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, GmbHR 1991, 358; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 61; Karsten Schmidt, JuS 1977, 213 f.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 34 § 38

schaft verpflichtet wird82. Die Anfechtbarkeit des Abberufungsbeschlusses stellt kein Eintragungshindernis dar83.

6. Die Rechtsfolgen a) Beendigung der Organstellung Mit der wirksamen Erklärung der Abberufung und dem Zugang dieser Erklärung endet die 32 Organstellung und damit entfällt auch die Geschäftsführungs- und die Vertretungsbefugnis. b) Auswirkungen auf den Anstellungsvertrag Die Abberufung beendet jedoch nicht notwendig gleichzeitig auch das Anstellungsverhält- 33 nis84. Hier ist vielmehr bei den tatsächlichen und rechtlichen Auswirkungen zu unterscheiden: aa) Ordentliche Kündigung: Die Kündigung des Anstellungsvertrags wird man in der Regel 34 so auslegen dürfen, dass darin auch die Abberufung liegt85; denn der Geschäftsführer wird nicht bereit sein, ohne Anstellungsvertrag weiter seine Dienste zu erbringen. Ob im umgekehrten Fall in der Abberufung zugleich eine Kündigung des Anstellungsvertrags liegt86, hängt vom Einzelfall ab. Jedenfalls bei Konzernlagen, wenn der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers der Tochtergesellschaft mit dem herrschenden Unternehmen abgeschlossen ist, spricht die Auslegung gegen eine gleichzeitige Kündigung. Solange die Kündigung nicht erfolgt und wirksam geworden ist, bleiben daher die vertraglichen Ansprüche des Geschäftsführers aus dem Dienstvertrag erhalten. Um aber einer sofortigen Kündigung des Anstellungsvertrages zu entgehen, kann der Geschäftsführer gehalten sein, sich mit dem Angebot einer angemessenen anderen Beschäftigung zufrieden zu geben87. Ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung in einer vergleichbaren leitenden Funktion besteht nicht88. S. dazu auch 12. Aufl., § 35 Rz. 441. Für den Geschäftsführer seinerseits gibt die Abberufung einen wichtigen Grund zur Lösung des Anstellungsverhältnisses. Obwohl die jederzeitige Abberufung gesetzlich zulässig ist, wird man dem Geschäftsführer, wenn die Gesellschaft von diesem Abberufungsrecht Gebrauch macht, das Recht auf vollen „Ersatz des durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entste-

82 RG v. 22.1.1904 – III 425/03, RGZ 56, 373; RG v. 14.5.1908 – VI 384/07, RGZ 68, 385; RG v. 5.5.1933 – II 10/33, RGZ 140, 314; zweifelhaft, a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45. 83 OLG Stuttgart v. 25.10.2011 – 8 W 387/11, GmbHR 2011, 1277; Heckschen, GWR 2011, 545, weist darauf hin, dass hieraus eine Verpflichtung des RegG zur Eintragung folgt und stimmt dem zumindest für bloß deklaratorische Eintragungen zu. 84 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 52 = GmbHR 1984, 151, 152; BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968 (AG); BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109 (AG); BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319; BGH v. 18.5.1990 – II ZR 245/89, GmbHR 1990, 345; BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, ZIP 1995, 1334, 1335 = GmbHR 1995, 653; OLG Rostock v. 14.10.1998 – 6 U 234/97, GmbHR 1999, 344 = NZG 1999, 216; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 60. 85 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41 (AG); für GmbH: Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 7; Goette, Die GmbH, 2. Aufl., S. 249; Bauer in FS Binz, S. 40. 86 So Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 95. 87 BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968; BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319; OLG Karlsruhe v. 25.8.1995 – 15 U 286/94, GmbHR 1996, 208; a.A. Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 62; Kothe-Heggemann/Dahlbender, GmbHR 1996, 650. 88 BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, GmbHR 2011, 82.

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§ 38 Rz. 34 | Widerruf der Bestellung henden Schadens“ nicht versagen können, § 628 Abs. 2 BGB89. Das gilt nur dann nicht, wenn sich aus dem Anstellungsvertrag ergibt, dass die Abberufung jederzeit ersatzlos möglich sein soll90. 35 bb) Außerordentliche Kündigung: Wird als Grund der Abberufung ein wichtiger Grund im

Sinne von § 626 BGB behauptet, so wird man darin die gleichzeitige Kündigung des Anstellungsvertrages sehen müssen. Bei der Wirksamkeit ist jedoch zu unterscheiden. Die Abberufung wird bei gesetzlicher Ausgestaltung des Abberufungsverfahrens auch dann wirksam, wenn der wichtige Grund nicht vorlag. Dagegen hängt der Zeitpunkt der Beendigung des Anstellungsvertrages davon ab, welche Rechtsnatur er hatte und ob tatsächlich ein wichtiger Grund vorlag. 36 cc) Vertragliche Verknüpfung: Die Vertragsparteien können im Anstellungsvertrag91 auch

vorsehen, dass die Beendigung der Organstellung92, also insbesondere die Abberufung, oder dass das Ausscheiden als Gesellschafter zugleich zur Beendigung des Anstellungsvertrages führen soll (= auflösende Bedingung)93. Die Beendigung des Anstellungsvertrages erfolgt jedoch zum Zeitpunkt der Abberufung nur, wenn die Umstände, die zur Abberufung aus wichtigem Grund führten, zugleich einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Ist dies nicht der Fall, so endigt der Anstellungsvertrag erst mit Ablauf der Frist nach § 622 Abs. 1 und 2 BGB94. 36a Im Gesellschaftsvertrag95 können darüber hinaus weitere Wirksamkeitsvoraussetzungen

vorgesehen werden, etwa dass der Anstellungsvertrag nur geändert oder gekündigt werden kann, wenn dem eine qualifizierte Mehrheit der Gesellschafter zustimmt96, oder dass zugleich ein Nachfolger bestellt werden muss. Auch kann im Anstellungsvertrag die Geltung der materiellen Regeln des Kündigungsschutzgesetzes zugunsten des Geschäftsführers vereinbart werden97. Vertragliche Kündigungsbeschränkungen im Anstellungsvertrag dürfen jedoch nicht dazu führen, dass die Gesellschaft den Geschäftsführer nicht mehr auswechseln kann. In der Vereinbarung der Regeln des Kündigungsschutzgesetzes liegt jedoch keine solche unzulässige Beschränkung98.

89 A.A. BGH v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, GmbHR 2003, 100 m. Anm. Haase; BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, GmbHR 2003, 105, 108: dem Auflösungsverschulden des anderen Vertragsteils muss das Gewicht eines wichtigen Grundes zukommen; OLG Karlsruhe v. 22.3.2003 – 14 U 46/01, GmbHR 2003, 771. 90 S. auch OLG Karlsruhe v. 23.3.2011 – 7 U 81/10, GmbHR 2011, 535. 91 Zur Zulässigkeit von Koppelungsklauseln: Werner, NZA 2015, 1234. 92 Zur Bestellung eines Geschäftsführers unter einer auflösenden Bedingung: BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, BB 2006, 14, 15 = GmbHR 2006, 46, 47. 93 BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, GmbHR 1989, 415 (für AG); BGH v. 18.5.1990 – II ZR 245/89, GmbHR 1990, 345; BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653; BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1140 = BB 1999, 2100 = ZIP 1999, 1669; s. auch BGH v. 1.12.1997 – II ZR 232/96, ZIP 1998, 652 = GmbHR 1998, 534; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 96; Freund, GmbHR 2010, 117; a.A. Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 15; Eckert, AG 1989, 431. 94 BGH v. 9.7.1990 – II ZR 194/89, BGHZ 112, 103, 115; BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, GmbHR 1989, 415; Bauer in FS Binz, S. 42; Werner, NZA 2015, 1234, 1235. 95 Zur Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB auf den Anstellungsvertrag vgl. nur Bauer in FS Binz, S. 44 f. sowie Werner, NZA 2015, 1234, 1237 ff. 96 Vgl. auch BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, ZIP 1994, 1290 = GmbHR 1994, 629: Arbeitsvertrag der GmbH mit Gesellschafter = EWiR § 37 GmbHG 1/94, 995 (Wonneberger). 97 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 = GmbHR 2010, 808; Diller, NZG 2011, 254; Otte, GWR 2011, 25; Thiessen, ZIP 2011, 1029; s. auch Dzida, NJW 2010, 2345 zur Problematik wegen § 31 Abs. 1 MitbestG. 98 S. auch OLG Hamm v. 20.11.2006 – 8 U 217/05, GmbHR 2007, 442, 443.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 38 § 38

III. Beschränkung der Abberufbarkeit 1. Gesetzliche Beschränkung Ist die Gesellschaft montanmitbestimmt oder durch das MitbestG in die Mitbestimmung ge- 37 führt, so kann ein Geschäftsführer nur aus wichtigem Grund abberufen werden, § 31 MitbestG i.V.m. § 84 Abs. 3 AktG99. Es ist hierfür ausschließlich der Aufsichtsrat zuständig. Das hindert jedoch nicht Satzungsgestaltungen über das Beschlussverfahren im Aufsichtsrat. Vollmer100 meint, zulässig sei darüber hinaus eine Satzungsregelung, wonach die Abberufung auch ohne das Vorliegen eines wichtigen Grundes möglich sein soll, sofern nur eine gleichberechtigte Mitwirkung der Vertreter der Anteilseigner und der Arbeitnehmer gewährleistet sei. Umstritten war, ob eine Einschränkung der Abberufbarkeit schwangerer Fremd-Geschäftsführerinnen aus dem MuSchG in richtlinienkonformer Auslegung folgt101. Die Frage stellte sich nach dem „Danosa-Urteil“ des EuGH102, mit dem dieser auf Vorlage eines lettischen Gerichts entschied, dass auch Mitglieder der Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff fallen können103. Ferner stünde Art. 10 der RL 92/85/EWG104 einer nationalen Regelung entgegen, die die „Abberufung“ einer „schwangeren Arbeitnehmerin“ einschränkungslos zulässt, wenn die Abberufungsentscheidung im Wesentlichen auf ihrer Schwangerschaft beruht105. § 1 Abs. 2 Satz 1 MuSchG verknüpft neu den weitergehenden sozialrechtlichen Beschäftigtenbegriff mit dem arbeitsrechtlichen Schutzrecht. Daraus folgt, dass GmbH-Geschäftsführerinnen in den Geltungsbereich der Mutterschutzfristen, des Nachtarbeitsverbots und in den arbeitsrechtlichen Sonderkündigungsschutz des Mutterschutzgesetzes fallen. § 17 Abs. 1 MuSchG ist anwendbar.

2. Satzungsmäßige Beschränkung Der Grundsatz der freien Abberufbarkeit ist nicht zwingend. Die Abberufbarkeit kann viel- 38 mehr für Gesellschafter-Geschäftsführer und Fremdgeschäftsführer durch eine Vereinbarung in der Satzung beschränkt werden. Die bedeutsamsten Fälle sind die Beschränkung auf wichtige Gründe sowie das Erfordernis eines qualifizierten Mehrheitsbeschlusses106.

99 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 29; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 33 ff.; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 58; Immenga, ZGR 1977, 257; Zöllner, ZGR 1977, 323; Kubis in Liber amicorum Winter, S. 394; a.A. wohl Reich/Lewerenz, AuR 1976, 270. 100 Vollmer, ZGR 1979, 156. 101 Zur Anwendbarkeit des MuSchG auf GmbH-Geschäftsführerinnen eingehend: Hepp, Mutterschutz für GmbH-Geschäftsführerinnen. 102 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343 – Dita Danosa/LKB Lizings SIA. 103 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343, 2344 f. – Dita Danosa/ LKB Lizings SIA. 104 Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19.10.1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (ABl. Nr. L 348 v. 28.11.1992, S. 1–7); das MuSchG dient deren Umsetzung. 105 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343, 2347 – Dita Danosa/LKB Lizings SIA. 106 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 178 = GmbHR 1983, 149; s. hier 12. Aufl., § 46 Rz. 69, 73.

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§ 38 Rz. 39 | Widerruf der Bestellung a) Beschränkung auf wichtigen Grund 39 In der Satzung kann vorgesehen werden, dass die Abberufung nur aus wichtigem Grund vor-

genommen werden darf, § 38 Abs. 2. Eine ausdrückliche Bestimmung ist nicht erforderlich. Daher kann sich die Beschränkung auch durch Auslegung (z.B. Anstellung des Geschäftsführers in der Satzung auf Lebenszeit) ergeben107. Eine noch weitergehende Beschränkung der Abberufbarkeit wie z.B. auf besondere über § 47 Abs. 1 hinausgehende Mehrheiten ist unzulässig108. Die inhaltliche Eingrenzung, indem objektiv wichtige Gründe in der Satzung als nicht wichtige Gründe bezeichnet werden, ist daher unwirksam. Zu weit gehende Beschränkungen sind im Wege der geltungserhaltenden Reduktion als Beschränkung auf wichtige Gründe auszulegen109. Liegt ein wichtiger Grund vor, so kann die Abberufung auch nicht von der Zustimmung eines Gesellschafters oder gar eines Dritten abhängig gemacht werden. Zulässig ist aber, bestimmte Gründe zusätzlich in die Satzung aufzunehmen (Altersgrenze, Verlegung des Wohnorts, Übernahme politischer Funktionen, Ehescheidung), die eine Abberufung rechtfertigen, obwohl sie bei objektiver Betrachtung kein wichtiger Grund sind110. Das Vorliegen des wichtigen Grundes muss die Gesellschaft beweisen, es sei denn, die Satzung bestimmt etwas anderes111. Zur gleichzeitigen Einführung einer qualifizierten Mehrheit für den Beschluss der Gesellschafter s. 12. Aufl., § 46 Rz. 73. 40 Streitig ist, ob eine Beschränkung der Abberufung auf wichtige Gründe auch für Fremdge-

schäftsführer möglich ist112. Für eine restriktive Auslegung, dass § 38 Abs. 2 nur für Gesellschafter-Geschäftsführer anzuwenden ist, besteht kein Anlass113. Der Fremdgeschäftsführer ist daher bei einer vertrags- und zugleich satzungswidrigen Abberufung nicht nur – wie bei § 38 Abs. 1 – auf Schadensersatzansprüche angewiesen114, sondern kann deren Unzulässigkeit und die Fortdauer der Organstellung im Prozesswege feststellen lassen115. Einer Satzungsänderung kann er dagegen nicht widersprechen. Wenn nach dem Anstellungsvertrag die Abberufung nur aus wichtigem Grunde erfolgen sollte und er nach der Satzungsänderung dennoch ohne einen solchen Grund abberufen wird, so stehen ihm nur der Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung und ggf. auch ein Schadensersatzanspruch zu116. b) Der Geschäftsführer kraft Sonderrechts 41 Ist einem Gesellschafter die Organstellung kraft Sonderrechts zugewiesen (s. dazu 12. Aufl.,

§ 6 Rz. 79), so kann sie ihm nur entweder mit seiner Zustimmung oder aber aus wichtigem 107 OLG Naumburg v. 13.1.2000 – 7 U (Hs) 24/99, NZG 2000, 608; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5. 108 RG v. 7.6.1929 – II 592/28, RGZ 124, 379; RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 368; BGH v. 21.4.1969 – II ZR 200/67, NJW 1969, 1483 = WM 1969, 808; Baukelmann in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 9; Scholz, SJZ 1949, 1; Pentz, GmbHR 2017, 801, 804 ff. 109 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129 f.; OLG Naumburg v. 13.1.2000 – 7 U (Hs) 24/99, NZG 2000, 608; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 30; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21. 110 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 29; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 76. 111 OLG Stuttgart v. 13.5.2013 – 14 U 12/13, GmbHR 2013, 803 = NZG 2013, 1146; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 73; a.A. Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 4. 112 Verneinend: Schönle/Ensslin, GmbHR 1969, 104; s. auch Reuter, GmbHR 1981, 129; wie hier aber OLG Köln v. 16.3.1988 – 6 U 38/87, GmbHR 1989, 76, 78 = ZIP 1988, 1122. 113 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 3; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; H.P. Westermann/ Pöllath, Abberufung, S. 56; Fleck, GmbHR 1970, 221. 114 So Feine, S. 476 f.; Vogel, § 38 Anm. 7; Schönle/Ensslin, GmbHR 1969, 104, 105. 115 Zweifelnd Terlau in Michalski u.a., Rz. 31. 116 RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 367; Fleck, ZGR 1988, 128; s. auch BGH v. 29.11.1993 – II ZR 61/93, DStR 1994, 214.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 43 § 38

Grund wieder entzogen werden117. Entfällt der wichtige Grund später, kann der als Geschäftsführer abberufene Gesellschafter erneut die Bestellung zum Geschäftsführer verlangen118. Vor einer Abberufung ist dabei zunächst daran zu denken, ob nicht ein milderes Mittel (Bestellung eines zweiten Geschäftsführers, Einführung von Gesamtvertretung, Gesamtgeschäftsführung etc.) den Interessen der Gesellschaft in gleicher Weise gerecht wird119. Das Recht kann dem Gesellschafter auch nicht im praktischen Ergebnis dadurch genommen werden, dass er „beurlaubt“ wird120. Im Einzelfall ist freilich sorgsam zu prüfen, ob ein entsprechendes Sonderrecht besteht. Die Bestellung eines Gesellschafters zum Geschäftsführer durch den Gesellschaftsvertrag genügt dazu regelmäßig nicht121. Auch genügt nicht die Bestellung aller Gesellschafter zu Geschäftsführern122. Kein statutarisches Sonderrecht besteht in der Regel, wenn im Gesellschaftsvertrag einer aus mehreren Gesellschaftsgruppen bestehenden GmbH jede Gruppe berechtigt ist, ein Mitglied der jeweiligen Gruppe zum Geschäftsführer zu bestellen123. Die Auslegung des Gesellschaftsvertrags kann jedoch auch zu einem anderen Ergebnis führen. Soll die Satzung dahin geändert werden, dass die statutarische Beschränkung des Widerrufs 42 auf „wichtige Gründe“ wegfällt, so dass die Bestellung frei widerruflich wird, so bedarf diese Satzungsänderung der Zustimmung des sonderberechtigten Gesellschafter-Geschäftsführers124. Zum Stimmrecht des abzuberufenden Gesellschafter-Geschäftsführers s. 12. Aufl., § 46 Rz. 76 und 12. Aufl., § 47 Rz. 118, 141.

3. Der wichtige Grund a) Unzumutbarkeit Ein wichtiger Grund zur Abberufung ist dann gegeben, wenn die Umstände das Verbleiben 43 des Geschäftsführers für die Gesellschaft unzumutbar machen125. Maßgeblich ist, ob auch tatsächlich im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Abberufung ein wichtiger Grund vor-

117 BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, WM 1962, 201; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, DB 1968, 2166; OGH (Wien), GesRZ 1975, 61; Eder, GmbHR 1962, 22; Ostheim in FS Hämmerle, 1972, S. 246; Ostheim, GesRZ 1975, 78; Fleck, GmbHR 1970, 223; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 74; Bauer in FS Binz, S. 40. 118 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 20; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 67. 119 Vgl. dazu BGH v. 30.11.1951 – II ZR 109/51, BGHZ 4, 111, 112; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Meier/Hayoz/Zweifel in FS H. Westermann, 1974, S. 383; Werner, GmbHR 2015, 1185, 1186; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 95; Pentz, GmbHR 2017, 801, 808; für Personengesellschaften: Pabst, BB 1978, 892; Uwe H. Schneider, AG 1979, 63; kritisch hierzu Kubis in Liber amicorum Winter, S. 395 f., der das Vorliegen eines „besonders wichtigen Grundes“ fordert. 120 BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, WM 1962, 201; a.A. wohl Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 16: kurzzeitige Suspendierung im Vorfeld der Abberufung als milderes Mittel im Einzelfall denkbar. 121 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4. 122 OLG Brandenburg v. 30.1.2008 – 7 U 59/07, BeckRS 2008, 06648 = juris. 123 OLG Hamm v. 8.7.1985 – 8 U 295/83, ZIP 1986, 1188 m. Anm. Lutter. 124 RG, LZ 1908, 450; BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, WM 1962, 201; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 99. 125 Vgl. § 626 Abs. 1 BGB, § 84 Abs. 3 AktG; BGH v. 25.1.1960 – II ZR 207/57, WM 1960, 289; BGH v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, GmbHR 1985, 256; BGH v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, WM 1991, 2140 = GmbHR 1992, 83; OLG Zweibrücken v. 8.6.1999 – 8 U 138/98, NZG 1999, 1011; für die AG: BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 119 = AG 2007, 125; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 23; Goette, Die GmbH, S. 246; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 259; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42 f. („Überprüfbarkeit der Abberufungsentscheidung nach den Regeln der Business Judgment Rule“).

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§ 38 Rz. 43 | Widerruf der Bestellung lag oder nicht. Die bloße schlüssige Behauptung des Vorliegens eines solchen genügt hierfür nicht126. Dabei sind die Gesamtumstände zu würdigen, wobei die Interessen der Gesellschaft im Vordergrund stehen. Zu berücksichtigen sind aber auch die Interessen des Geschäftsführers127. Bei der personalistischen GmbH sind hierbei neben den Beziehungen zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer zugleich auch die Beziehungen des Geschäftsführers zu den Gesellschaftern zu werten. Zu fragen ist in diesen Fällen daher auch, ob den Gesellschaftern zuzumuten ist, dass der Geschäftsführer im Amt verbleibt128. Der wichtige Grund braucht, anders als bei der außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages, nicht in der Person des Geschäftsführers zu liegen (§ 626 Abs. 1 Satz 1 BGB). Was ein wichtiger Grund für die Abberufung ist, muss daher nicht zugleich ein wichtiger Grund für die Kündigung des Anstellungsvertrages sein129. Zulässig ist aber eine Koppelung im Anstellungsvertrag in der Weise, dass ein wichtiger Grund zur Abberufung zugleich zur Kündigung des Anstellungsvertrages berechtigt (s. Rz. 36). Die Frage, ob ein wichtiger Grund überhaupt vorliegt, unterliegt der vollen richterlichen Prüfungskompetenz. Ein Ermessen des für die Abberufung zuständigen Gesellschaftsorgans besteht nur hinsichtlich der Frage, ob es bei Vorliegen des wichtigen Grundes von der Abberufungsbefugnis Gebrauch macht130. 44 aa) Auf der Seite des Geschäftsführers braucht weder ein pflichtwidriges Verhalten noch

ein Verschulden131 vorzuliegen. Es reichen auch ein nicht vorwerfbares Verhalten (z.B. Zerwürfnis im Verhältnis zu den anderen Geschäftsführern)132 oder sonstige Gründe in der Person des Geschäftsführers aus (z.B. unheilbares Siechtum). In Betracht kommt auch ein auf sachlichen Gründen beruhender Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens, und zwar auch dann, wenn sich später herausstellt, dass der Verdacht unbegründet war.133 Liegt der wichtige Grund im Zerwürfnis zwischen mehreren Geschäftsführern, so hat die Gesellschafterversammlung einen weiten Spielraum, ob sie beide Geschäftsführer oder nur einen von beiden und gegebenenfalls welchen Geschäftsführer sie abberuft134. Berücksichtigt werden können auch vor der Bestellung liegendes Verhalten und außerdienstliche Vorfälle135. Zu berücksichtigen ist auf der anderen Seite die Vorgeschichte der Gesellschaft, der Umfang seiner Kapitalbeteiligung, die Dauer der Tätigkeit des Geschäftsführers für die Gesellschaft, die Länge der Zeit, in der sich der Geschäftsführer einwandfrei verhalten hat136. Bei Pflichtverletzungen von geringer Bedeutung kann zunächst eine Abmahnung erforderlich sein. 126 BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701, 702. 127 BGH v. 11.7.1968 – II ZR 108/67, WM 1968, 1325; BAG v. 17.8.1972 – 2 AZR 359/71, AP § 626 BGB Nr. 4 m. Anm. Hueck; BGH v. 25.10.1984 – VII ZR 11/84, WM 1985, 57; OLG Hamburg v. 22.2.1963 – 1 U 120/62, GmbHR 1963, 128, 131; für die AG ablehnend Schmolke, AG 2014, 377, 383: alleinige Maßgeblichkeit der Gesellschafterinteressen. 128 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 7. 129 BGH v. 20.10.1954 – II ZR 280/53, BGHZ 15, 71; BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, DB 1978, 481; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 219. 130 OLG Frankfurt v. 17.2.2015 – 5 U 111/14, NZG 2015, 514, 515. 131 OLG Düsseldorf v. 7.1.1994 – 16 U 104/92, GmbHR 1994, 884; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 37; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 23; Tschöpe/Wortmann, NZG 2009, 161, 163. 132 S. dazu BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, GmbHR 1992, 299 = DB 1992, 983; Grunewald in FS Zöllner, 1998, S. 181; a.A. OLG Hamm v. 25.7.2016 – 8 U 160/15, GmbHR 2016, 1154, 1156: zumindest nicht unerhebliche Pflichtverletzung des Geschäftsführers, die zu dem Zerwürfnis beigetragen hat. 133 Uwe H. Schneider in FS E. Vetter, 2019, S. 727; für die Abberufung eines Vorstandsmitglieds bei der AG: Schmolke, AG 2014, 377. 134 OLG Koblenz v. 29.4.1986 – 6 W 273/86, ZIP 1986, 1120; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 23; s. aber Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 7 im Fall einer personalistischen GmbH. 135 BGH v. 25.1.1956 – VI ZR 175/54, WM 1956, 865. 136 BGH v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811; BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 969; BGH v. 14.10.1968 – II ZR 84/67, WM 1968, 1347; BGH v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, WM 1991, 2145 = GmbHR 1992, 38.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 46c § 38

bb) Auf der Seite der Gesellschaft braucht kein Schaden entstanden zu sein137. Zu fragen ist 45 aber, ob in Zukunft die Gesellschaft Schaden nehmen kann (Erhaltungsinteresse). Ist ohnehin das Ende der Bestellung abzusehen, kann das Verbleiben des Geschäftsführers der Gesellschaft umso mehr zuzumuten sein, je kürzer die Frist ist138. cc) Maßgebend sein und berücksichtigt werden können auch Umstände, die nicht in der 46 Person des Geschäftsführers, in seinem Verhalten und in den Verhältnissen der Gesellschaft liegen. Hierher zu rechnen wäre der Wegfall des Vertrauens von Kunden, Klienten, Kreditgebern, sofern dies für die Gesellschaft erforderlich ist. Nicht genügend für eine Abberufung nach § 38 Abs. 2 ist die Drohung der Arbeitnehmer mit einem rechtswidrigen Streik139. Die Treuepflicht gebietet hier, gegen die Rechtsbrecher vorzugehen. Etwas anderes soll gelten, wenn die Gesellschaft hierdurch in eine Notsituation gerät140. Auch reicht nicht, dass für die Gesellschaft kein Bedürfnis mehr für die Tätigkeit des Geschäftsführers besteht, etwa weil sich ihre Zahl bei einer Fusion erhöht hat und die Funktion daher durch einen anderen Geschäftsführer übernommen werden kann oder weil der Umsatz zurückging141. dd) Die Gesellschaft kann den Widerruf zunächst auf bestimmte Umstände beschränken 46a und in der Folge weitere Gründe nachschieben, die bereits im Zeitpunkt der Abberufung vorgelegen haben142, wenn deutlich wird, dass ein Gericht die bisher angegebenen Gründe nicht für ausreichend ansieht. Dann bedarf es allerdings eines zusätzlichen Beschlusses der Gesellschafterversammlung143. Bei der Zweimann-GmbH kann hierauf verzichtet werden, wenn der Geschäftsführer, der die Gesellschaft in dem über die Wirksamkeit der Abberufung anhängigen Rechtsstreit vertritt, zugleich derjenige ist, der den Abberufungsbeschluss allein gefasst hat144. ee) Das Recht der Gesellschaft zur Abberufung wird nicht allein durch Zeitablauf verwirkt. 46b Wenn sich freilich der andere Teil auf den Fortbestand seiner Organstellung eingerichtet hat, so würde die nachträgliche Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstoßen145. Verwirkte Gründe können jedoch im Rahmen einer Gesamtabwägung berücksichtigt werden146. ff) Keine „Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung“ liegt vor, wenn zwischen 46c mehreren Geschäftsführern einerseits oder zwischen dem Geschäftsführer und den Gesellschaftern147 andererseits keine Einigkeit über die Geschäftspolitik besteht. Ein wichtiger Grund liegt auch nicht darin, dass sich der eine Geschäftsführer weigert, dem anderen Ge137 BGH v. 25.1.1956 – VI ZR 175/54, WM 1956, 865; BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, JZ 1967, 497; OLG Hamm v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 23. 138 BGH v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811. 139 BGH v. 27.3.1961 – II ZR 24/60, NJW 1961, 1306 für die Genossenschaft. 140 Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 31 MitbestG Rz. 40; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 31; enger: Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 31 MitbestG Anm. 55. 141 A.A. RG, LZ 1909, 75. 142 Zum Nachschieben von Gründen, die nach dem Abberufungszeitpunkt eingetreten sind, vgl. OLG Stuttgart v. 30.3.1994 – 3 U 154/93, GmbHR 1995, 229; OLG Jena v. 12.8.2015 – 2 U 219/15, GmbHR 2015, 1267, 1270; Goette, DStR 1994, 1746. 143 BGH v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, BGHZ 60, 333, 335; BGH v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, GmbHR 1992, 38, 40; Terlau in Michalski u.a., Rz. 56; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 26. 144 BGH v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, WM 1991, 2140 = GmbHR 1992, 38; Fischer, BB 2013, 2819, 2820. 145 BGH v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, GmbHR 1992, 38, 41 = WM 1991, 2140, 2144 m. Anm. Uwe H. Schneider, WuB, II C. § 38 GmbHG 1.92; BGH v. 12.7.1993 – II ZR 65/92, GmbHR 1993, 579. 146 OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 264, 268; Terlau in Michalski u.a., Rz. 43; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18. 147 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Grunewald in FS Zöllner, 1998, S. 181; Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 538.

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§ 38 Rz. 46c | Widerruf der Bestellung schäftsführer nachzugeben148. Wohl aber kann ein wichtiger Grund in der Weigerung liegen, die von den Gesellschaftern beschlossene Geschäftspolitik umzusetzen. Zum Dauerstreit zwischen mehreren Geschäftsführern s. Rz. 44. b) Einzelfälle 47 „Grobe Pflichtverletzung“ und „Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung“ sind

in § 38 Abs. 2 nur als Beispiele aufgeführt. Die Rechtsprechung hat eine Vielzahl weiterer Sachverhalte als „wichtigen Grund“ behandelt. Die folgenden Beispiele sind gleichwohl mit größter Vorsicht zu würdigen; denn ob „ein wichtiger Grund“ vorliegt, lässt sich nur im Einzelfall entscheiden. So können das hohe Alter und die nachlassenden Kräfte des Geschäftsführers in einem Fall ein wichtiger Grund sein149. Im anderen Fall liegt kein wichtiger Grund vor, wenn etwa dem Gesellschafter-Geschäftsführer das Amt erst in sehr hohem Alter in Kenntnis seiner begrenzten Leistungsfähigkeit eingeräumt wurde150 oder wenn die anderen Gesellschafter im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ihre Anteile unentgeltlich vom Geschäftsführer erhielten151. 48 aa) Der wichtige Grund kann in der Person des Geschäftsführers liegen. Solche Gründe

sind eine andauernde Krankheit, Geistesschwäche, Drogenabhängigkeit, der Wegfall einer nach der Satzung erforderlichen Eigenschaft152 (z.B. Scheidung, wenn Zugehörigkeit zur Familie verlangt), nicht nur vorübergehende Haft, die Insolvenzeröffnung, ja schon die Überschuldung, wenn sie Auswirkungen auf die Gesellschafter und die Geschäftsführung hat153, Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung aufgrund fehlender Kenntnisse154 u.Ä.155. 49 bb) Pflichtwidriges Verhalten: Hierher zählt ein strafbares Verhalten, wenn es sich gegen

die Gesellschaft richtet, ohne Rücksicht darauf, ob dies zu einem Vermögensschaden führt156. Das pflichtwidrige Verhalten muss in der Eigenschaft als Geschäftsführer begründet sein. Verhalten in der Eigenschaft als Gesellschafter kann aber zusätzlich herangezogen werden157. Strafbares Verhalten, das sich nicht gegen die Gesellschaft richtet, stellt nur dann einen wichtigen Grund dar, wenn es in hohem Maße geeignet ist, das Vertrauen in den Charakter des Geschäftsführers zu erschüttern, und hohe kriminelle Intensität zeigt, also etwa Untreue158, vorsätzliche Falschaussage, sofern der Geschäftsführer auf diese Weise den zugrunde liegenden Gesellschafterstreit zugunsten einer Seite maßgeblich beeinflusst hat159, Kredit- und Versicherungsbetrug, Hehlerei und Trunkenheit am Steuer u.a. Grob pflichtwidrig ist die Verletzung seiner Pflichten als Geschäftsführer wie etwa durch grobe Missachtung der Kompetenz-

148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 159

BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, GmbHR 1992, 299. A.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 13; Terlau in Michalski u.a., Rz. 47. BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, WM 1962, 202. BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, WM 1962, 202; H.P. Westermann in Pro GmbH, 1980, S. 34. Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 80. BGH v. 25.1.1960 – II ZR 22/59, BGHZ 32, 17, 33 f. = WM 1960, 289, 291; OLG Hamburg v. 27.8.1954 – 1 U 395/53, GmbHR 1954, 188. Enger: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16. OLG Stuttgart v. 9.10.1956 – 2 W 69/56, GmbHR 1957, 60. Zur Übernahme politischer Funktionen: BGH v. 6.5.1965 – II ZR 82/63, BGHZ 43, 384 = NJW 1965, 1958 m. Anm. Ganßmüller sowie Konzen, AcP 172 (1972), 317. OLG Hamm v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119: Fälschung von Abrechnungsbelegen durch Gesellschafter-Geschäftsführer; OLG Düsseldorf v. 15.2.1991 – 16 U 130/90, GmbHR 1992, 670 = WM 1992, 14: Bilanzmanipulation. OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 264. Goette, Die GmbH, S. 247: fehlerhafte Abrechnung von Reisekosten. OLG Hamm v. 25.7.2016 – 8 U 160/15, GmbHR 2016, 1154, 1155.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 49a § 38

ordnung der Gesellschaft160, durch die Nichtbeachtung von Weisungen, durch Kooperationsverweigerung161, die Insolvenzverschleppung162, bewusst falsche Auskünfte gegenüber den Gesellschaftern oder dem Aufsichtsrat163, die Weigerung, einem Gesellschafter Einsicht in die Papiere der Gesellschaft zu gewähren164, Tätlichkeiten gegenüber Mitarbeitern165 oder Gesellschaftern166, Nichteinschreiten gegen pflichtwidriges Handeln des anderen Geschäftsführers167, unzulässige Entnahmen aus dem Gesellschaftsvermögen168, Bestechlichkeit169, falsche Buchungen, bewusst oder wiederholt fahrlässig unrichtige Bilanzerstellung170, die nicht fristgemäße Vorlage von Jahresabschlüssen171, unerlaubte Konkurrenzgeschäfte, die folgenschwere Verletzung der Verschwiegenheitspflicht, Handeln entgegen vereinbarter Gesamtvertretung172, Beleidigungen173, völlig unangemessener persönlicher Aufwand zu Lasten der Gesellschaftskasse (luxuspreisiger Geschäftswagen etc.), Überschuldung, wenn dies Ausdruck für sorglosen Umgang mit Geld174 sowie solches außerdienstliches Verhalten, das entweder das Vertrauen in das Unternehmen oder den Geschäftsführer erheblich stört wie etwa die Teilnahme an Börsen- und Differenzspielen oder häufiger Besuch von Spielbanken von Geschäftsführern eines Kreditinstituts. Die Abberufung unter Hinweis auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes kann auch mit einem auf objektiv nachprüfbaren Tatsachen gestützten konkreten Verdacht der Begehung einer groben Pflichtverletzung begründet werden175. Ein schwerer Pflichtverstoß liegt ferner in der Ausnutzung der Geschäftsführerstellung im eigenen Interesse. Ein einzelner Verstoß gegen § 181 BGB reicht noch nicht aus176; dagegen kann ein vorteilhaftes Rechtsgeschäft unter Ausnutzung der Stellung als Geschäftsführer einen schweren Vertrauensbruch auch dann darstellen, wenn die Interessen der Gesellschaft nicht beeinträchtigt sind177. Kein wichtiger Grund liegt vor, wenn ein Geschäftsführer Bedenken gegen die geplante Ge- 49a schäftspolitik gegenüber den Gesellschaftern oder Vorbehalte gegen einzelne Maßnahmen der Geschäftsführung gegenüber seinen Mitgeschäftsführern äußert178. Hierzu ist er ver160 Hans. OLG v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 46; OLG München v. 22.7.2010 – 23 U 4147/09, DB 2010, 2162 = GmbH-StB 2011, 42: Zahlungen unter Verstoß gegen die Geschäftsordnung. 161 OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 264, 266. 162 BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, DStR 2005, 1370 = GmbHR 2005, 1049. 163 Vgl. auch BGH v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, BGHZ 20, 246. 164 KG v. 11.8.2011 – 23 U 114/11, GmbHR 2011, 1273. 165 OLG Stuttgart v. 30.3.1994 – 3 U 154/93, GmbHR 1995, 229. 166 BGH v. 24.10.1994 – II ZR 91/94, DStR 1994, 1746. 167 OLG Düsseldorf v. 15.2.1991 – 16 U 130/90, GmbHR 1992, 670 = WM 1992, 14. 168 BGH v. 17.10.1983 – II ZR 31/83, WM 1984, 29; BGH v. 24.10.1994 – II ZR 91/94, DStR 1994, 1746 m. Anm. Goette. 169 BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, WM 1967, 679 = GmbHR 1968, 141 m. Anm. Schaudwet; vgl. auch BGH v. 26.3.1962 – II ZR 151/60, WM 1962, 578. 170 BayObLG v. 13.5.1955 – 2 Z 14/55, NJW 1955, 1679. 171 BGH v. 12.1.2009 – II ZR 27/08, NJW-RR 2009, 618 = GmbHR 2009, 434 (Finanzamt); KG v. 11.8.2011 – 23 U 114/11, GmbHR 2011, 1273. 172 OLG Frankfurt v. 16.9.1999 – 15 U 238/97, NJW-RR 2001, 466, 468. 173 BGH v. 17.10.1983 – II ZR 31/83, WM 1984, 29. 174 Allgemein: BGH v. 25.1.1960 – II ZR 207/57, WM 1960, 291; OLG Hamburg v. 27.8.1954 – 1 U 395/53, BB 1954, 978. 175 Schmolke, AG 2014, 377, 384 f. (zur AG). 176 OLG Hamburg v. 22.2.1963 – 1 U 120/62, GmbHR 1963, 128. 177 BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, WM 1967, 679 = GmbHR 1968, 141 m. Anm. Schaudwet; vgl. auch BGH v. 26.10.1964 – II ZR 127/62, WM 1964, 1320; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 260. 178 BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, DStR 1992, 1026 = GmbHR 1992, 299; Goette, Die GmbH, S. 247.

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§ 38 Rz. 49a | Widerruf der Bestellung pflichtet. Auch ist die Stellung einer Strafanzeige kein wichtiger Grund, wenn der Geschäftsführer zuvor den Sachverhalt sorgfältig geprüft hat und eine innergesellschaftliche Klärung nicht zu erreichen war179. 49b Verlangt ist eine Gesamtschau. So kann wiederholt pflichtwidriges Verhalten, das bei einer

Einzelbetrachtung keinen wichtigen Grund darstellt, doch bei einer Gesamtwürdigung auch unter Berücksichtigung älterer Vorfälle180 auf eine ungeeignete Persönlichkeit hindeuten181. Einmalige verbale Entgleisungen genügen in der Regel nicht. Grob pflichtwidrig sind aber wiederholte verbale und tätliche Angriffe gegen Gesellschafter182, gegen Mitgeschäftsführer und Betriebsangehörige. 50 cc) Sonstige Umstände: Als wichtiger Grund kann auch der Verlust des Vertrauens Dritter

insbesondere von Kunden, Kreditgebern usw. in die Person des Geschäftsführers ausreichen, selbst wenn dieser keinen Grund hierfür gesetzt hat183. Besteht zwischen mehreren Geschäftsführern ein so schwerwiegendes andauerndes Zerwürfnis, dass einer von ihnen im Interesse der Gesellschaft weichen muss, so liegt in der Person eines jeden von ihnen ein wichtiger Grund zur Abberufung vor184. Ein überwiegender Verursachungsbeitrag des Abzuberufenden ist nicht erforderlich185. Die Gesellschafterversammlung kann hier denjenigen abberufen, auf dessen Mitwirkung sie weniger Wert legt. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung besteht nicht186. Ein die Abberufung rechtfertigender wichtiger Grund kann auch in ungeordneten privaten Vermögensverhältnissen des Geschäftsführers liegen, sofern dies den Schluss zulässt, der Geschäftsführer könne die Geschäfte der Gesellschaft nicht mehr zuverlässig führen187. Es fehlt an einem wichtigen Grund, wenn ein Geschäftsführer Maßnahmen der Mitgeschäftsführer für problematisch hält und Bedenken gegenüber der Gesellschafterversammlung äußert188; denn zu solchen Gegenvorstellungen ist er verpflichtet (s. Rz. 49a). Ein wichtiger Grund liegt ferner nicht in der Weitergabe von Informationen an die Presse, wenn diese ohnehin an die Öffentlichkeit gelangt sind und dies auch von vornherein zu erwarten war189. 50a dd) Der Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens oder besonderer Umstände sind ein wichtiger

Grund, wenn die weitere Tätigkeit des Geschäftsführers für die Gesellschaft unzumutbar ist190. Voraussetzung ist ein Verdachtsgrund und ein Verdachtsanlass. Verdachtsgrund sind nur solche Umstände, die, wenn sie vorliegen, einen wichtigen Grund darstellen. Ein Verdachtsanlass ist nur gegeben, wenn die Gesellschaft handfeste Indizien vorbringen und bei Bestreiten beweisen lassen. Das gilt unabhängig davon, ob sich der Verdacht in der Folgezeit bewahrheitet oder nicht. 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190

Vgl. BGH v. 24.2.2003 – II ZR 243/02, GmbHR 2003, 583. OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 264. BGH v. 24.10.1994 – II ZR 91/94, DStR 1994, 1746. BGH v. 24.10.1994 – II ZR 91/94, DStR 1994, 1746. Vgl. aber BGH v. 25.1.1960 – II ZR 22/57, WM 1960, 289, 292; für die AG: BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, ZIP 2007, 119 = AG 2007, 125. BGH v. 17.10.1983 – II ZR 31/83, WM 1984, 29; BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, WM 1992, 731, 732 = GmbHR 1992, 299; BGH v. 29.11.1993 – II ZR 61/93, DStR 1994, 214. BGH v. 12.1.2009 – II ZR 27/08, NJW-RR 2009, 618, 620 = GmbHR 2009, 434, 435; OLG Stuttgart v. 9.9.2014 – 14 U 9/14, GmbHR 2015, 192, 195; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; enger OLG Hamm v. 25.7.2016 – 8 U 160/15, GmbHR 2016, 1154, 1156. Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 260. OLG Jena v. 9.9.2015 – 2 U 219/15, GmbHR 2015, 1267, 1270. BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, DStR 1992, 1026 = GmbHR 1992, 299; Goette, Die GmbH, S. 247. OLG Hamm v. 25.7.2016 – 8 U 160/15, GmbHR 2016, 1154, 1156. Uwe H. Schneider in FS E. Vetter, 2019, S. 727; für die AG: Schmolke, AG 2014, 377; Hüffer/Koch, § 84 AktG Rz. 36; Fleischer in Spindler/Stilz, § 84 AktG Rz. 158a.

258 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Widerruf der Bestellung | Rz. 53 § 38

ee) Anders als bei der AG sind für die Bestimmung der Unternehmenspolitik die Gesell- 51 schafter und nicht die Geschäftsführer zuständig (str.; s. 12. Aufl., § 37 Rz. 5). Die Geschäftsführer haben jedoch entsprechende Vorschläge zu unterbreiten. Sie sind daher für das Unternehmensergebnis mitverantwortlich. Indessen reicht auch ein mehrmaliges mangelhaftes Unternehmensergebnis als wichtiger Grund nicht aus, wenn dies der Lage der übrigen Branche entspricht191. Anders ist die Lage, wenn das Unternehmen über einen gewissen Zeitraum hinaus erheblich unter dem Branchendurchschnitt liegt. ff) Nach § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG wird als wichtiger Grund, der den Widerruf der Bestellung 52 zum Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft rechtfertigt, auch der „Vertrauensentzug“ genannt, „es sei denn, dass das Vertrauen aus offenbar unsachlichen Gründen entzogen worden ist“. Ob sich dies auf die GmbH übertragen lässt, ist streitig192. Einigkeit sollte bestehen, dass ein willkürlicher Vertrauensentzug, etwa die bloße Verärgerung des Mehrheitsgesellschafters, nicht ausreicht. Erforderlich sind vielmehr sachliche Gründe, die den Vertrauensentzug stützen. Im Übrigen ist bei der GmbH zu unterscheiden, ob es sich um einen Fremdgeschäftsführer oder um einen Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer Minderheitsbeteiligung auf der einen Seite oder auf der anderen Seite um eine zweigliedrige GmbH oder um einen mit Mehrheit beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer handelt193. gg) Bei einem Fremdgeschäftsführer oder bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer mit 52a Minderheitsbeteiligung, genügt es in der Regel, wenn die Mehrheit der Gesellschafter, gestützt auf entsprechende sachliche Umstände, das Vertrauen in die Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung eines Geschäftsführers verloren hat. Anders ist die Lage beim beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer. Da der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, könnte die Minderheit jederzeit die Abberufung herbeiführen; denn sie wird gewisslich „sachliche Gründe“ finden. Das aber würde dem Sinn und Zweck der Beschränkung der Abberufung nicht gerecht. Deshalb bestehen für die Abberufung des beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführers weitergehende Anforderungen. Schwerwiegende Gründe müssen den Vertrauensentzug rechtfertigen. c) Zweipersonen-GmbH Ist die Abberufung des Geschäftsführers vom Vorliegen eines wichtigen Grundes abhängig, 53 so bestehen bei der Zweipersonen-GmbH besondere, und zwar strenge Anforderungen für die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers194; denn es gilt zu verhindern, dass der eine Gesellschafter die Tätigkeit des anderen als Geschäftsführer beliebig beenden kann195. 191 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61. 192 Dagegen: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., § 42 Rz. 58; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92; Lücke/Simon in Saenger/ Inhester, Rz. 23; einschränkend: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Vollmer, GmbHR 1984, 6. 193 A.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; kritisch hierzu auch Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1068. 194 OLG Düsseldorf v. 15.2.1991 – 16 U 130/90, WM 1992, 14, 18 = GmbHR 1992, 670; OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 264; OLG Stuttgart v. 13.5.2013 – 14 U 12/13, NZG 2013, 1146; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20a; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 57; Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 535; Uwe H. Schneider in FS Kellermann, 1991, S. 403, 418; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 362; Wolf, ZGR 1998, 92; Wolf, GmbHR 1998, 1163; s. auch Fleck, GmbHR 1970, 228; zum Ganzen: Reher, Die Zweipersonen-GmbH, 2004; a.A. OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414, 423; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 94; Lieder/ Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1067. 195 Zur wechselseitigen Abberufung der Gesellschafter-Geschäftsführer der Zweimann-GmbH: OLG Düsseldorf v. 30.6.1988 – 6 U 310/87, GmbHR 1988, 484 = WM 1988, 1532 m. Anm. Emmerich, WuB, II C. § 38 GmbHG 1.89.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 259

§ 38 Rz. 53 | Widerruf der Bestellung Ein bloßer Vertrauensverlust in die Zweckmäßigkeit der Geschäftsführung kann für die Abberufung daher nicht ausreichen196. Selbst einzelne Verfehlungen, mögen sie auch für sich nicht leicht zu nehmen sein, genügen nicht. Voraussetzung ist vielmehr, dass ein verständiger Betrachter zu dem Ergebnis kommt, die Bedenken gegen die Geschäftsführung seien so stark, dass eine Fortsetzung der Geschäftsführertätigkeit nicht mehr zugemutet werden kann197. Bei einer „groben Pflichtverletzung“198 dürften diese Voraussetzungen in der Regel gegeben sein. Bei einmaligen Vorfällen sind jedoch gerade bei einer Zweimann-GmbH auch die Dauer der Tätigkeit des Geschäftsführers, seine Verdienste etc. zu beachten199. Die Interessen des Geschäftsführers am Erhalt seiner Organstellung sind nur dann berücksichtigungsfähig, wenn sie nicht ausschließlich dessen private Situation betreffen. Erforderlich ist, dass diese einen besonderen Bezug zu seiner Tätigkeit als Geschäftsführer aufweisen200. Die Frage der Zumutbarkeit der Aufrechterhaltung der Organstellung ist in der Zweipersonen-GmbH in stärkerem Maße personenbezogen zu würdigen. Folglich kommt es primär auf die Zumutbarkeit für den Mitgesellschafter als für die Gesellschaft an201. 53a Sind die Geschäftsführer untereinander unheilbar zerstritten, kann jeder von ihnen abberu-

fen werden, wenn er durch sein Verhalten zu dem Zerwürfnis beigetragen hat. Entscheidend ist nicht, dass einer „maßgebend“ oder „überwiegend“ zum Zerwürfnis beigetragen hat202.

4. Frist 54 Die Abberufung aus wichtigem Grund ist nicht an eine Frist gebunden. Es gelten vielmehr

nur die allgemeinen Grundsätze über die Verwirkung203. Bloßer Zeitablauf stellt keine Verwirkung dar; nicht zurückgegriffen werden kann auf wichtige Gründe, die in der Zeit vor einer Neubestellung liegen204.

5. Beschränkung durch Anstellungsvertrag? 55 Die Beschränkung der Abberufbarkeit auf wichtige Gründe u.Ä. kann in allgemeiner Form

nur in der Satzung vorgenommen werden205. Ein Gesellschafterbeschluss, der vorsieht, die 196 OLG Karlsruhe v. 25.6.2008 – 7 U 133/07, NZG 2008, 785; Winkler, GmbHR 2017, 334, 339. 197 BGH v. 14.10.1968 – II ZR 84/67, GmbHR 1969, 38; s. auch BGH v. 25.1.1960 – II ZR 207/57, NJW 1960, 628; OLG Karlsruhe v. 25.6.2008 – 7 U 133/07, NZG 2008, 785. 198 OLG Düsseldorf v. 15.2.1991 – 16 U 130/90, GmbHR 1992, 670 = WM 1992, 14. 199 OLG Stuttgart v. 13.5.2013 – 14 U 12/13, GmbHR 2013, 803, 804 = NZG 2013, 1146; zum Nachschieben von wichtigen Gründen und den Grenzen der Verwirkung bei der Zweimann-GmbH: BGH v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, WM 1991, 2140 = GmbHR 1992, 38 m. Anm. Uwe H. Schneider, WuB, II C. § 38 GmbHG 1.92 sowie Goette, Die GmbH, S. 248. 200 Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1068. 201 Winkler, GmbHR 2017, 334, 339; a.A. Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1067 ff. 202 BGH v. 12.1.2009 – II ZR 27/08, GmbHR 2009, 434 m. Anm. Werner; Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1069; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 12; a.A. OLG Brandenburg v. 19.11.2008 – 7 U 7/08, NZG 2009, 269; Winkler, GmbHR 2017, 334, 340. 203 BGH v. 24.10.1994 – II ZR 91/94, DStR 1994, 1746 m. Anm. Goette; BGH v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, WM 1991, 2140, 2144 m. Anm. Uwe H. Schneider, WuB, II C. § 38 GmbHG 1.92; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 69; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 27; Stein, ZGR 1999, 267; Werner, GmbHR 2015, 1185, 1186; für Fremdgeschäftsführer s. auch Martens in FS Werner, 1984, S. 495, 513. 204 BGH v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 188, 194; BGH v. 12.7.1993 – II ZR 65/92, WM 1993, 1595 = GmbHR 1993, 579. 205 BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, DB 1968, 2166; OLG Karlsruhe v. 17.11.2009 – 8 U 26/08, BeckRS 2009, 88983; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 27; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987,

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Widerruf der Bestellung | Rz. 57 § 38

Beschränkung der Abberufbarkeit auf wichtige Gründe im Anstellungsvertrag zu regeln, ist fehlerhaft und anfechtbar206. § 38 Abs. 1 ist Bestandteil des gesetzlichen Normalstatuts der GmbH, der das Verhältnis zweier Gesellschaftsorgane zueinander regelt. Die Bestimmung kann daher nicht außerhalb des Gesellschaftsvertrages durch schuldrechtliche Nebenabrede im Anstellungsvertrag und erst recht nicht durch eine Vereinbarung zwischen der Gesellschaft und einem Dritten mit Wirkung für das Gesellschaftsverhältnis abbedungen werden. Es bestehen nur zwei Möglichkeiten207 (allgemein zu satzungskonkretisierenden und satzungsdurchbrechenden schuldrechtlichen Nebenabreden 12. Aufl., § 35 Rz. 295 ff.). Im ersten Fall wird zunächst die Satzung durch Aufnahme einer Ermächtigungsklausel geändert. Durch die schuldrechtliche Nebenabrede wird sodann die Satzung konkretisiert. Sollte in diesem Fall gleichwohl eine Abberufung ohne wichtigen Grund erfolgen, so ist diese zwar wirksam; der Geschäftsführer kann sie also nicht verhindern. Er kann aber gegebenenfalls Schadensersatz verlangen. Im zweiten Fall schließt der Geschäftsführer mit den Gesellschaftern einen Stimmbindungsvertrag208. Ansprüche, etwa auf Wiederbestellung, bestehen dann allerdings nur gegenüber den Gesellschaftern. Ausnahmsweise soll ein unmittelbarer Anspruch gegenüber der Gesellschaft geltend gemacht werden können, wenn alle Gesellschafter der Vereinbarung zugestimmt haben und zwischenzeitlich kein Gesellschafterwechsel erfolgt ist.

6. Wiederbestellung nach Abberufung Ein Geschäftsführer kann nach seiner Abberufung erneut bestellt werden. Das gilt auch bei 56 Abberufung aus wichtigem Grund, wenn der wichtige Grund weggefallen ist, z.B. Heilung einer schweren Krankheit209. Doch kann die Stimmabgabe bei der Wiederbestellung durch die mitwirkenden Gesellschafter missbräuchlich sein, wenn der Geschäftsführer zuvor seine Pflichten gröblich verletzt hatte und keine beachtenswerten neuen Gründe dafür vorliegen, darüber hinwegzugehen210. Eine entstehende Führungslücke reicht nicht aus.

IV. Die fehlerhafte Abberufung Die Abberufung ist unwirksam, wenn entweder die Abberufungserklärung unwirksam (z.B. 57 nach § 120 BGB angefochten) oder ein Abberufungsbeschluss fehlt oder nichtig ist211.

206 207

208 209 210 211

S. 323; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 29; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12, 22; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; H.P. Westermann/Pöllath, Abberufung, S. 57 f.; Schönle/Ensslin, GmbHR 1969, 106. OLG Karlsruhe v. 17.11.2009 – 8 U 26/08, BeckRS 2009, 88983. S. auch mit Abweichungen im Einzelnen: Fleck, GmbHR 1970, 224 mit ausführlicher Begründung; ähnlich Goerdeler, GmbHR 1959, 198: Bei entsprechender Vereinbarung im Anstellungsvertrag ist Abberufung ohne wichtigen Grund unzulässige Rechtsausübung; Harde, Die Abberufung des Geschäftsführers der GmbH, 1971, S. 48. BGH v. 7.2.1983 – II ZR 25/82, ZIP 1983, 432; OLG Köln v. 16.3.1988 – 6 U 38/87, GmbHR 1989, 76, 78; Terlau in Michalski u.a., Rz. 36. Ebenso Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 67. BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, GmbHR 1991, 62; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52. Heller, GmbHR 2002, 1227, 1229.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 261

§ 38 Rz. 58 | Widerruf der Bestellung

1. Anfechtbarer Abberufungsbeschluss 58 Ist der Abberufungsbeschluss der Gesellschafter anfechtbar212, so ist er gleichwohl wirksam.

Die Anfechtbarkeit des Abberufungsbeschlusses führt nicht zur Fehlerhaftigkeit der Abberufungserklärung; denn diese ist nur die Kundgabe des Abberufungsbeschlusses. In der Regel ist daher auch die Abberufung wirksam213. 58a Ist der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter, so kann er den Abberufungsbeschluss an-

fechten214. Mit Rechtskraft des Urteils wird der Abberufungsbeschluss unwirksam. Der Gesellschafter erhält damit wieder seine Stellung als Geschäftsführer215. 58b Der Fremdgeschäftsführer kann der Abberufung grundsätzlich nicht widersprechen. Er kann

den Abberufungsbeschluss nicht anfechten216. Ist der Abberufungsbeschluss nichtig, so kann er aber auf Feststellung klagen, dass er noch Geschäftsführer ist217. Folgt man allerdings der Ansicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach das Fehlen eines in der Satzung vorausgesetzten wichtigen Grundes zwar nicht den Abberufungsbeschluss, wohl aber die Abberufungserklärung unwirksam macht, so kann sich auch ein Fremdgeschäftsführer hierauf berufen218.

2. Unwirksamer oder nichtiger Abberufungsbeschluss 59 Ist der Abberufungsbeschluss unwirksam oder nichtig, so führt dies auch zur Nichtigkeit der

Abberufungserklärung219. Die Abberufung ist unwirksam. Auf die Unwirksamkeit kann sich jedermann berufen, der Geschäftsführer, ein Gesellschafter und jeder Dritte.

3. Das Fehlen wichtiger Gründe 60 Ist die Abberufung nur aus wichtigem Grund zulässig, weil der Gesellschafter-Geschäftsfüh-

rer ein entsprechendes Sonderrecht hat oder weil die Satzung die Abberufbarkeit in dieser Weise eingeschränkt hat, so sind die Folgen streitig, wenn ein Abberufungsbeschluss zwar gefasst ist, ein wichtiger Grund aber fehlt. 60a Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein entscheidender Beschluss sei zwar nur anfechtbar,

das Fehlen des wichtigen Grundes mache aber die Abberufungserklärung unwirksam220. Dabei wird unterstellt, dass die Abberufungserklärung rechtsgeschäftlichen Charakter hat. Dem ist nicht zu folgen. Die Abberufungserklärung ist nur die Kundgabe des Beschlussergebnisses 212 Exemplarisch: OLG Stuttgart v. 25.10.2011 – 8 W 387/11, GmbHR 2011, 1277. 213 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 26; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 46; Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 545. 214 OLG Hamm v. 25.11.2009 – 8 U 61/09, GmbHR 2010, 477. 215 Str.; s. auch: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 53; Einzelheiten hier 12. Aufl., § 45 Rz. 171 ff. 216 Ebenso Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 26; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 54; Heller, GmbHR 2002, 1227, 1229; a.A. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., § 42 Rz. 62: Geschäftsführer hat Anfechtungsbefugnis, unter Hinweis auf § 84 Abs. 3 AktG. 217 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, ZIP 2008, 757 = GmbHR 2008, 426; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 257. 218 S. dazu BGH v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, WM 1966, 615. 219 Heller, GmbHR 2002, 1227, 1229. 220 BGH v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, WM 1966, 615; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, WM 1968, 1350 zu II 2; BGH v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811 (für Aktiengesellschaft); Fleck, GmbHR 1970, 222.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 63 § 38

des zuständigen Abberufungsorgans (s. Rz. 29). Im Blick hierauf ist zu unterscheiden: Ist der Geschäftsführer nicht Gesellschafter oder ist er zwar Gesellschafter, aber hat er kein Sonderrecht, so ist auch bei Fehlen eines wichtigen Grundes der Gesellschafterbeschluss nur anfechtbar221. Die Abberufung ist jedoch wirksam und zwar so lange, bis die Anfechtbarkeit rechtskräftig festgestellt ist. Ist dagegen der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter und steht ihm ein Sonderrecht auf die Geschäftsführung zu, so ist bei Fehlen eines wichtigen Grundes der Abberufungsbeschluss nichtig; denn durch die Abberufung wird in sein Sonderrecht eingegriffen222. Ist aber der Abberufungsbeschluss nichtig, so ist auch die Abberufung selbst unwirksam.

4. Streit über die Wirksamkeit der Abberufung Streitig ist die Frage, wie die Abberufung bis zur gerichtlichen Entscheidung über ihre Zuläs- 61 sigkeit zu behandeln ist, wenn streitig ist, ob ein wichtiger Grund vorliegt. Hier besteht die Gefahr, dass ein länger andauernder Zustand der Unsicherheit für die Gesellschaft eintreten kann. a) Ist die GmbH mitbestimmt, so verweisen § 3 Abs. 2 MontanMitbestG, § 31 Abs. 1 Mit- 62 bestG auf § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG. Danach ist die Abberufung wirksam, bis ihre Unwirksamkeit rechtskräftig festgestellt ist. Mit dem Zugang der Abberufungserklärung ist der Geschäftsführer abberufen223. b) Ob § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG auch bei den nicht nach diesen Gesetzen mitbestimmten 63 GmbHs entsprechend anwendbar ist, ist streitig. Sei der Abberufungsbeschluss förmlich festgestellt, so sei er ungeachtet der Anfechtbarkeit zunächst wirksam224. Wurde die Abberufung festgestellt, sei diese aber durch Satzung auf Vorliegen eines wichtigen Grundes beschränkt oder hätte der Versammlungsleiter in Ermangelung eines wichtigen Grundes die von ihm als ausgeschlossen betrachteten Stimmen des Abberufenen berücksichtigen müssen, sei der Abberufungsbeschluss (nur) anfechtbar225. Dies könne der Fremd-Geschäftsführer nach ganz hM nicht geltend machen. Fehle es an einer förmlichen Feststellung des Abberufungsbeschlusses, so sei die materielle Rechtslage entscheidend. Bis zur gerichtlichen Entscheidung bestehe ein Schwebezustand. Die Entscheidung, ob die Abberufung berechtigt sei oder nicht, müsse den Gerichten überlassen bleiben. Der Schwebezustand sei im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu überwinden226. Die §§ 117, 127 HGB, wonach die Klage aufschiebende Wirkung hat, seien nicht entsprechend anwendbar; denn diese Vorschriften seien auf die besonderen Verhältnisse der Personengesellschaften mit Selbstorganschaft zugeschnitten227.

221 Wie hier: Feine, S. 477. 222 RG v. 21.6.1935 – II B 5/35, RGZ 148, 175, 186; BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 181; offengelassen in: BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 181 = GmbHR 1983, 149; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 52; allgemein dazu 10. Aufl., § 53 Rz. 48; a.A. Pentz, GmbHR 2017, 801, 808. 223 OLG Stuttgart v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, GmbHR 1986, 26 = WM 1985, 600. 224 BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 212; BGH v. 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 154, 156 = GmbHR 1980, 295; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 69 = GmbHR 1988, 304; offengelassen in BGH v. 8.11.2016 – II ZR 304/15, NZG 2017, 182, 183 = GmbHR 2017, 188, da dort die Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses vorher rechtskräftig festgestellt worden war. 225 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 50. 226 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., § 42 Rz. 63 f.; s. ferner Grunewald in FS Zöllner, 1999, S. 184 sowie § 39 Abs. 5 österr. GmbHG für den Gesellschafter-Geschäftsführer. 227 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 180; Werner, GmbHR 2015, 1185, 1189; a.A. Grunewald in FS Zöllner, 1999, S. 187.

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§ 38 Rz. 64 | Widerruf der Bestellung 64 Gegen eine entsprechende Anwendung von § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG wird vorgebracht, bei

der GmbH bedürfe es einer Analogie nicht; denn ein Abberufungsbeschluss durch die Gesellschafter sei, auch wenn ein wichtiger Grund nicht vorliege, nur anfechtbar, aber doch wirksam228. Zudem solle eine entsprechende Anwendung der Norm aufgrund der Unwiderleglichkeit der Vermutung bezüglich der Wirksamkeit der Abberufung zu einem Ausschluss vorläufigen Rechtsschutzes des betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführers führen229. Darüber hinaus sei die Abberufung des Vorstands einer Aktiengesellschaft gemäß § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG auf das Vorliegen eines wichtigen Grundes beschränkt, während der GmbH-Geschäftsführer grundsätzlich jederzeit frei abberufen werden kann (§ 38 Abs. 1), und der GmbH regelmäßig ein von den persönlichen Interessen der Gesellschafter unabhängiges Abberufungsorgan – wie dem nach pflichtgemäßem Ermessen im Interesse der Gesellschaft handelnden Aufsichtsrat (§§ 116, 93 Abs. 1 AktG) – fehle230. Bei der Aktiengesellschaft erfolge die Abberufung durch den Aufsichtsrat. Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse seien anders als fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse in der Regel nichtig. Nur bei einer Abberufung durch den Aufsichtsrat komme eine Anwendung von § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG in Betracht. Dem steht jedoch zum einen die höchstrichterliche Rechtsprechung entgegen, wonach bei Fehlen eines wichtigen Grundes zwar der Gesellschafterbeschluss nur anfechtbar, die Abberufung aber unwirksam sein soll231. Zum zweiten kann der Gesellschafterbeschluss nichtig sein, wenn zugleich das Stimmrecht des abzuberufenden Gesellschafter-Geschäftsführers verletzt wurde232. Unter diesen Voraussetzungen ist es bei der Abberufung des Fremd-Geschäftsführers und bei der Abberufung des geschäftsführenden Minderheitsgesellschafters233 angesichts einer vergleichbaren Interessenlage gerechtfertigt, § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG entsprechend anzuwenden234. Eine entsprechende Regelung sah auch der RegE GmbHG 1971 in § 69 Abs. 4 vor235. Der Abberufene kann nur im Wege der Klage Wiederherstellung der Organstellung beantragen236. 65 c) Von dem Grundsatz der einstweiligen Wirksamkeit der Abberufung sind jedoch mehre-

re Ausnahmen zu machen. 66 aa) Die erste Ausnahme besteht für den Gesellschafter mit einem satzungsmäßigen Sonder-

recht auf Geschäftsführung237. Die Zulassung eines auch nur vorläufigen Eingriffs ist mit 228 Fischer in FS W. Schmidt, 1959, S. 117, 122; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 46; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 210; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 51. 229 Pentz, GmbHR 2017, 801, 810. 230 Fischer, BB 2013, 2819, 2826. 231 BGH v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, WM 1966, 615 und BGH v. 7.6.1962 – II ZR 131/61, WM 1962, 811; s. Rz. 60a. 232 Dazu Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 535, 542. 233 Werner, NZG 2006, 761, 762. 234 OLG Braunschweig v. 18.8.1976 – 3 U 30/76, GmbHR 1977, 61; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27; Fleck, GmbHR 1970, 226; Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 534; Reiserer/Peters, DB 2008, 167; dagegen aber: Beurskens in Baumbach/ Hueck, Rz. 46; Fischer in FS W. Schmidt, 1959, S. 117, 122; Pentz, GmbHR 2017, 801, 809; Lieder/ Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1071. 235 Zur entsprechenden Anwendung von § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG bei der Amtsniederlegung, wenn über die objektive Berechtigung der Gründe gestritten wird: BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BB 1980, 1397 = GmbHR 1980, 270. 236 Reiserer/Peters, DB 2008, 167; zum einstweiligen Rechtsschutz: Janzen, NZG 2003, 468. 237 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 217; Fleck, GmbHR 1970, 221; Beurskens in Baumbach/ Hueck, Rz. 48; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 24; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 63 f.; Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbHRechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967, S. 44; Werner, GmbHR 2015, 1185, 1189; Kubis in Liber amicorum Winter, S. 402; als rechtspolitische Forderung: Fischer in FS W. Schmidt,

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Widerruf der Bestellung | Rz. 68 § 38

der dem Geschäftsführer eingeräumten besonderen Rechtsstellung unvereinbar. Wenn die Gesellschafter einem ihrer Mitgesellschafter ein entsprechendes Sonderrecht verleihen, so müssen sie auch hinnehmen, dass er dies im Zweifel erst bei Vorliegen eines gerichtlichen Urteils verliert. Der der Gesellschaft drohende Schwebezustand ist deshalb in sinngemäßer Anwendung der §§ 117, 127 HGB238 dahingehend zu überbrücken, dass die Abberufungserklärung erst mit der rechtskräftigen gerichtlichen Bestätigung wirksam wird239. bb) Eine zweite Ausnahme gilt für die Abberufung des mit Mehrheit beteiligten Gesell- 67 schafter-Geschäftsführers240, dem Geschäftsführer mit Sonderrecht auf Geschäftsführung241 und den hälftig beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer einer zweigliedrigen GmbH242. Würde man § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG entsprechend anwenden, so könnte jeder Gesellschafter den anderen auf Dauer als Geschäftsführer ausschließen. Mit der Behauptung, der andere sei aus wichtigem Grund für die Gesellschaft als Geschäftsführer nicht mehr tragbar, könnte er dessen Stimme ausschalten und so einen gültigen Abberufungsbeschluss herbeiführen. In diesen Fällen ist daher allein die materielle Rechtslage entscheidend. Die Unsicherheit über die Wirksamkeit der Abberufung bis zur Rechtskraft der Entscheidung muss hingenommen werden. Zum einstweiligen Rechtsschutz243 und zur Bestellung eines Notgeschäftsführers sogleich. In den Fällen aber, in denen die Abberufungserklärung erst mit der gerichtlichen Bestätigung 68 wirksam wird, können die Gesellschaft244 und die Gesellschafter durch einstweilige Verfügung dem betreffenden Geschäftsführer einzelne Maßnahmen oder die Geschäftsführung insgesamt verbieten lassen, soweit der Geschäftsführer nicht gesetzliche Pflichten zu erfüllen hat245. Reicht ein umfassendes Tätigkeitsverbot nicht aus und gibt es auch sonst keine Möglichkeit, geordnete Verhältnisse herzustellen, so kann für die Dauer der Abberufungsklage

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1959, S. 121; vgl. auch § 69 Abs. 5 RegE GmbHG 1971; a.A. Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1071. Gegen analoge Anwendung Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 217; Pentz, GmbHR 2017, 809. Weitergehend Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967, S. 46 f.; wie hier: Wolf, ZGR 1998, 102; Rüppell/Hoffmann, BB 2016, 645, 649; dagegen aber Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 47; s. auch Hans. OLG v. 28.6.1991 – 11 U 148/ 90, GmbHR 1992, 45; wie hier aber allgemein: Grunewald in FS Zöllner, 1998, S. 190; mit abweichender Begründung: Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2838. Wie hier: BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 181; Wolf, ZGR 1998, 92, 96; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 54; Bayer, GmbHR 2017, 665, 670; weitergehend für alle Gesellschafter-Geschäftsführer: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Grunewald in FS Zöllner, 1998, S. 181 ff.; Werner, NZG 2006, 761, 762; a.A. Kubis in Liber amicorum Winter, S. 401; Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1070, die den einstweiligen Rechtsschutz für ausreichend erachten. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 38 Rz. 155. BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177 = GmbHR 1983, 149; OLG Schleswig v. 5.7.2007 – 5 U 186/06, GmbHR 2007, 1108; OLG München v. 22.10.2009 – 23 U 3430/09, NZG 2010, 185 m. Anm. Mosel, GWR 2009, 420; OLG München v. 18.8.2011 – 31 Wx 300/11, GmbHR 2011, 1102, 1104; Fleck, GmbHR 1970, 227; Winkler, GmbHR 2017, 334, 340; Werner, GmbHR 2015, 1185, 1188; eingehend: Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 535; krit. zu dieser Differenzierung Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2836. S. den Hinweis in OLG München v. 22.10.2009 – 23 U 3430/09, NZG 2010, 185. OLG Hamm v. 10.11.1976 – 8 U 44/75, DB 1977, 765. RG v. 27.5.1921 – III 488/20, RGZ 102, 198; BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, WM 1983, 83, 85 = GmbHR 1983, 149; OLG Karlsruhe v. 4.12.1992 – 15 U 208/92, GmbHR 1993, 154; Harde, Die Abberufung des Geschäftsführers der GmbH, 1971, S. 242; s. auch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 66.

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§ 38 Rz. 68 | Widerruf der Bestellung oder für die Dauer der Auflösungsklage die Amtsenthebung angeordnet werden246. Eine solche einstweilige Verfügung ist auch dann zulässig, wenn nicht geklärt wird, ob die Abberufung wirksam wurde247.

V. Rechtsschutz und Vertretung im Prozess 1. Klage 69 Hier ergeben sich zahlreiche zum Teil noch ungeklärte Zweifelsfragen248. Ist der Gesell-

schafter-Geschäftsführer, der nur eine Minderheitsbeteiligung hält, der Ansicht, dass er zu Unrecht vorzeitig abberufen wurde, ist aber wegen der entsprechenden Anwendung von § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG die Abberufung mit dem Zugang der Abberufungserklärung wirksam, so kann er den Gesellschafterbeschluss anfechten249. Er kann aber auch wie ein Fremdgeschäftsführer gegen die Gesellschaft auf Feststellung klagen, dass seine Abberufung unwirksam sei250. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen, die die Abberufung oder die Kündigung des Anstellungsvertrags eines Gesellschafters-Geschäftsführers aus wichtigem Grund betreffen, ist darauf abzustellen, ob tatsächlich ein wichtiger Grund zum Zeitpunkt der Beschlussfassung vorlag, oder nicht251. Das Vorliegen des wichtigen Grundes hat derjenige darzulegen und zu beweisen, der sich darauf beruft252. Wurde der Abberufungsbeschluss nicht förmlich festgestellt und besteht unter den Beteiligten Streit darüber, ob dieser auch wirksam war, so kann dessen Nichtigkeit durch Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO geltend gemacht werden253. In dem Rechtsstreit mit dem Geschäftsführer kann die Gesellschaft von etwaig vorhandenen weiteren und vertretungsberechtigten Geschäftsführern vertreten werden; insoweit steht § 46 Nr. 8 der Vertretungsbefugnis des weiteren Geschäftsführers nicht entgegen, solange noch keine Vertreterbestellung durch Gesellschafterbeschluss erfolgt ist254. Der verbleibende Geschäftsführer kann die Gesellschaft auch dann weiterhin solange vertreten, wenn er seinerseits streitig abberufen worden ist, bis die Wirksamkeit des Abberufungsbeschlusses bezüglich jedes der beiden Geschäftsführer festgestellt ist255. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass dabei die Gesellschaft durch die anderen schon bestellten und neu berufenen Geschäftsführer vertreten wird256. Wird durch einen Gesellschafter mit der Nichtigkeitsklage die Nichtigkeit der Bestellung eines Geschäftsführers geltend gemacht, so soll derjenige die GmbH im Rechtsstreit ver-

246 OLG Frankfurt v. 31.7.1979 – 5 U 85/79, GmbHR 1980, 32 = BB 1979, 1630; für den einzigen geschäftsführungs- und vertretungsberechtigten Gesellschafter einer Personengesellschaft: BGH v. 11.7.1960 – II ZR 260/59, BGHZ 33, 105; Semler, BB 1979, 1533, 1534. 247 Zur einstweiligen Verfügung bei der GmbH & Co. KG: OLG Köln v. 14.7.1976 – 2 U 7/76, BB 1977, 464 und OLG Hamm v. 10.11.1976 – 8 U 44/75, DB 1977, 765. 248 Eingehend vor allem: A. Hueck in FS Bötticher, 1969, S. 197; Reiserer/Peters, DB 2008, 167; Fischer, BB 2013, 2819, 2821 ff.; Kubis in Liber amicorum Winter, S. 396 ff. 249 Zur Frage der Anfechtungsbefugnis eines einfachen Geschäftsführers: Rüppell/Hoffmann, BB 2016, 645, 651. 250 OLG Brandenburg v. 15.3.2005 – 6 U 90/04, GmbHR 2005, 993; Werner, GmbHR 2015, 1297, 1298. 251 BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701. 252 BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770 = ZIP 2009, 1158; BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701. 253 Werner, GmbHR 2015, 1297. 254 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, NZG 2012, 502, 503 = GmbHR 2012, 638; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 24. 255 Lutz, NZG 2015, 424, 426. 256 Allgemein: BGH v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 32, 114, 119.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 71 § 38

treten, der im Falle des Obsiegens der Gesellschaft als deren Geschäftsführer anzusehen ist257. Dem ist nicht zu folgen. Zwar wird nach h.A. die Gesellschaft bei Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen durch die Geschäftsführer vertreten (s. 12. Aufl., § 35 Rz. 203). Das gilt jedoch nicht, wenn sich die Klage auf die Bestellung oder die Abberufung und damit im Zusammenhang stehende Gesellschafterbeschlüsse bezieht. In diesen Fällen hat die Gesellschafterversammlung besondere Prozessvertreter zu bestellen, § 46 Nr. 8 entsprechend258. Im Aktivprozess der Gesellschaft kann bei Fehlen eines gesetzlichen Vertreters ein Notgeschäftsführer nicht bestellt werden, da die Bestellung eines Prozessvertreters nach § 46 Nr. 8 vorrangig ist259. Nur wenn die Gesellschafterversammlung untätig bleibt, sind die übrigen Geschäftsführer zur Vertretung der Gesellschaft berufen („subsidiäre Vertretungszuständigkeit“)260. Bei Passivprozessen gegen die GmbH ist für diese ein Prozesspfleger zu bestellen, § 57 ZPO261. Betreiben innerhalb einer zweigliedrigen GmbH beide Gesellschafter-Geschäftsführer gegenseitig ihre Abberufung, wird die Gesellschaft im Prozess durch den jeweils anderen Geschäftsführer vertreten262. Möglich ist es auch, den Vorsitzenden des Beirats263 oder einen Geschäftsführer264 als Vertreter der Gesellschaft im Prozess gegen den ehemaligen Geschäftsführer zu bestimmen. Wird der Geschäftsführer durch den Aufsichtsrat bestellt, so vertritt dieser die Gesellschaft265. 70 Diese Zuständigkeit besteht auch, soweit zugleich über Rechte aus dem Anstellungsvertrag oder dessen Kündigung zu entscheiden ist266. Dies folgt aus § 52 GmbHG i.V.m. § 112 AktG. Mit der Rechtskraft des Urteils erlangt er wieder die Stellung als Geschäftsführer267. Andernfalls richtet sich die Vertretung der Gesellschaft nach Maßgabe eines Gesellschafterbeschlusses, § 46 Nr. 8. Fassen die Gesellschafter einen solchen nicht, können die verbleibenden Geschäftsführer in vertretungsberechtigter Zahl die Gesellschaft im Prozess vertreten268. Der Gesellschafter-Geschäftsführer, der eine Mehrheitsbeteiligung hält und der zugleich Ge- 71 sellschafter-Geschäftsführer einer zweigliedrigen GmbH ist, kann ebenfalls gegen die Gesellschaft klagen. Sein Antrag lautet freilich festzustellen, dass er noch Geschäftsführer ist269. Ist der Geschäftsführer Mehrheitsgesellschafter oder Gesellschafter einer zweigliedrigen GmbH, so können auch die übrigen Gesellschafter im Namen der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer auf Feststellung klagen, dass der bisherige Gesellschafter-Geschäftsführer seine

257 BGH v. 10.11.1980 – II ZR 51/80, GmbHR 1981, 195 = WM 1981, 138 = NJW 1981, 1041; OLG Köln v. 17.2.2003 – 18 W 6/03, NZG 2003, 395; OLG Jena v. 8.1.2014 – 2 U 627/13, GmbHR 2014, 706, 707, das diese Grundsätze auf den Beitritt als Nebenintervenientin anwendet. 258 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 139; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 66, 71; ausdrücklich a.A. Hans. OLG v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43, 44; vgl. auch BGH v. 10.11.1980 – II ZR 51/80, GmbHR 1981, 195 = WM 1981, 138. 259 Werner, GmbHR 2015, 1297, 1298; Lutz, NZG 2015, 424, 427. 260 BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, WM 1992, 731 = GmbHR 1992, 299; BGH v. 22.3.2016 – II ZR 253/15, ZIP 2016, 2413 f. = GmbHR 2016, 1035; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 139. 261 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Lutz, NZG 2015, 424, 427. 262 Keßler, GmbHR 2015, 342, 343. 263 BGH v. 22.3.2016 – II ZR 253/15, GmbHR 2016, 1035 m. Anm. Pröpper, ZIP 2016, 2413 f. 264 OLG München v. 23.2.2017 – 23 U 4888/15, GmbHR 2017, 476, 479. 265 OLG München v. 31.7.2002 – 7 U 2216/02, GmbHR 2003, 841; Fischer, BB 2013, 2819, 2825. 266 BGH v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, WM 1981, 759 (für AG); die Entscheidung BGH v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 188, 190 ist überholt; s. dazu Fleck, WM 1981, Sonderbeil. Nr. 3 S. 22. 267 Fleck, GmbHR 1970, 221, 222; a.A. Feine, S. 477: nur Anfechtungsklage. 268 Fischer, BB 2013, 2819, 2826; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 203. 269 Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 546.

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§ 38 Rz. 71 | Widerruf der Bestellung Geschäftsführerstellung verloren hat270. Wurde im Rahmen der Gesellschafterversammlung die Ablehnung der Abberufung durch den Versammlungsleiter festgestellt, müssen die hieran interessierten Gesellschafter Anfechtungsklage gegen den ablehnenden Gesellschafterbeschluss erheben271.

2. Einstweiliger Rechtsschutz a) Gesellschafter 72 Zu unterscheiden ist die Rechtslage vor und nach einem Beschluss der Gesellschafter über

die Abberufung bzw. die Verhinderung der Abberufung einerseits und wer Rechtsschutz begehrt, ein Gesellschafter oder ein Gesellschafter- oder Fremdgeschäftsführer andererseits. Befürchtet ein Gesellschafter, dass ein Geschäftsführer noch vor dem entsprechenden auf Abberufung gerichteten Beschluss der Gesellschaft Schaden zufügt, so kann er im Wege der einstweiligen Verfügung erwirken, dass dem Geschäftsführer die Ausübung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis untersagt wird272. Insofern wird dem die Abberufung betreibenden Gesellschafter ein Vorgehen aus eigenem Recht eingeräumt, um diesem bis zur Zusammenkunft der Gesellschafterversammlung effektiven Rechtsschutz zu gewähren273. Erforderlich ist hierbei jedoch die Glaubhaftmachung der besonderen Gefährdung der Gesellschaft, was nur dann der Fall sein dürfte, wenn es wiederholt zu schwerwiegenden Pflichtverletzungen gekommen ist274. Ist ein Gesellschafterbeschluss zustande gekommen, die Abberufung abgelehnt, befürchtet ein Gesellschafter schädigende Maßnahmen, so kann er wiederum ein Tätigkeitsverbot erwirken275. Ist ein solches nicht ausreichend und finden sich auch keine anderweitigen Möglichkeiten, um geordnete Verhältnisse in der Gesellschaft herzustellen, so kann auch eine einstweilige Amtsenthebung angeordnet werden276. Er kann auch die Abberufung beantragen, allerdings nur, wenn die Ablehnung der Abberufung durch die anderen Gesellschafter missbräuchlich war und ein Tätigkeitsverbot zum Schutz der Interessen der Gesellschaft nicht ausreicht. Die Verteilung der Beweislast folgt den Regelungen des Hauptsacheverfahrens277. 73 Bei der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zur Verhinderung oder Herbeiführung ei-

nes Gesellschafterbeschlusses, also etwa über die Abberufung eines Geschäftsführers, ist die Rechtsprechung zurückhaltend. Es fehle an der Erforderlichkeit, die Entscheidung in der Hauptsache dürfe nicht vorweggenommen und auf die Willensbildung in der Gesellschaft solle kein gerichtlicher Einfluss genommen werden278. Anders ist dies bei eindeutigem Ver-

270 A.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; zum Gegenstandswert bei Klage gegen Abberufung: BGH v. 18.5.1990 – II ZR 245/89, GmbHR 1990, 345; BGH v. 22.5.1995 – II ZR 247/ 94, WM 1995, 1316; BGH v. 28.6.2011 – II ZR 127/10, NZG 2011, 911. 271 Werner, GmbHR 2015, 1297, 1298. 272 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 183 = GmbHR 1983, 151; OLG Frankfurt v. 18.9.1998 – 5 W 22/98, GmbHR 1998, 1126; OLG Naumburg v. 21.11.2013 – 1 U 105/13, GmbHR 2014, 714, 715; KG v. 23.7.2015 – 23 U 18/15, NZG 2016, 787; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Lutz, BB 2000, 833, 838; Werner, GmbHR 2015, 1297, 1299. 273 Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 4. 274 Werner, GmbHR 2015, 1297, 1300. 275 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37. 276 Werner, GmbHR 2015, 1297, 1300. 277 OLG Naumburg v. 21.11.2013 – 1 U 105/13, GmbHR 2014, 714, 715; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 4. 278 OLG Koblenz v. 25.10.1990 – 6 U 238/90, GmbHR 1991, 21, 22; v. Gerkan, ZGR 1985, 167; Damm, ZHR 154 (1990), 413; Zutt, ZHR 155 (1991), 190; Nietsch, GmbHR 2006, 393; Trölitzsch in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl. 2020, S. 167.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 74 § 38

fügungsanspruch und überragendem Schutzbedürfnis279. So kann nach der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung auf Antrag eines Gesellschafters die einstweilige Verfügung zum Inhalt haben, dass den Mitgesellschaftern untersagt wird, ihr Stimmrecht in bestimmter Weise auszuüben z.B. an einem Abberufungsbeschluss mitzuwirken oder der Abberufung zuzustimmen280. Voraussetzung ist aber, dass ein überragendes Schutzbedürfnis besteht. Da hier tief in die Organisationsfreiheit der Gesellschafter eingegriffen wird, sind hohe Anforderungen zu stellen. Möglich ist dies nur bei eindeutiger Rechtslage oder besonders schwerwiegenden Beeinträchtigungen durch die Geschäftsführertätigkeit281. Bei Vorhandensein eines weiteren Geschäftsführers neben dem Klagegegner wird die GmbH auch in diesem Fall durch den weiteren Geschäftsführer vertreten. Ist ein solcher nicht vorhanden, so muss – wie im Hauptsacheverfahren – durch die Gesellschafterversammlung ein Prozessvertreter der Gesellschaft bestellt werden, § 46 Nr. 8 analog. In eiligen Sachen kann der Antrag, wenn die GmbH Antragstellerin ist, auch ohne Gesellschafterbeschluss durch einen der Gesellschafter im Wege der actio pro socio für die Gesellschaft geltend gemacht werden282. Eine Ausnahme zum grundsätzlichen Vorrang der Gesellschafterklage besteht, wenn eine Klage der Gesellschafter infolge der Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft so erschwert ist, dass es für den betroffenen Gesellschafter unzumutbar wäre, zunächst die Gesellschaft zu einer Klage zu zwingen283. b) Geschäftsführer: Vor der Abberufung Befürchtet der Geschäftsführer, auf einer der kommenden Gesellschafter-Versammlungen 74 abberufen zu werden, so gibt es hiergegen keinen vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz. Für eine einstweilige Verfügung mit dem Ziel eines Abberufungsverbotes gegenüber der Gesellschaft, fehlt es am Verfügungsgrund. Das Entsprechende gilt für eine einstweilige Verfügung gegenüber den Gesellschaftern, gerichtet auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten mit dem Ziel, den Abberufungsbeschluss zu verhindern284. Das gilt für den Fremdgeschäftsführer wie für den Gesellschafter-Geschäftsführer in gleicher Weise. Durch eine einstweilige Verfügung, gerichtet auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten, würde in die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter, die ihnen bei der Beschlussfassung zusteht, unzulässig eingegriffen285. Eine einstweilige Verfügung gerichtet auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten soll ausnahmsweise zulässig sein, wenn eine eindeutige Rechtslage oder für den Abzuberufenden ein besonderes Schutzbedürfnis bestehe286. Das kommt allenfalls für den Gesellschafter-Ge279 OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 65/91, GmbHR 1991, 467; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 3. 280 OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 65/91, GmbHR 1991, 467; OLG Frankfurt v. 1.7.1992 – 17 U 9/91, GmbHR 1993, 161; OLG Hamm v. 6.7.1992 – 8 W 18/92, GmbHR 1993, 163; OLG Zweibrücken v. 30.10.1997 – 4 U 11/97, GmbHR 1998, 373; OLG Düsseldorf v. 18.5.2005 – 15 U 202/04, NZG 2005, 633; Werner, NZG 2006, 761, 763; einschränkend: OLG Koblenz v. 25.10.1990 – 6 U 238/90, GmbHR 1991, 21. 281 Fischer, BB 2013, 2819, 2827. 282 OLG Jena v. 8.1.2014 – 2 U 627/13, GmbHR 2014, 706, 708; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Werner, GmbHR 2015, 1297, 1300; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 5; differenzierend Lutz, NZG 2015, 424, 428: Zulässigkeit der actio pro socio nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Vertreterbestellung nach § 46 Nr. 8 erstmals möglich gewesen wäre. 283 OLG Jena v. 9.9.2015 – 2 U 219/15, GmbHR 2015, 1267, 1269. 284 S. dazu Lutz, BB 2000, 833, 836; Beyer, GmbHR 2001, 467. 285 OLG Celle v. 1.4.1981 – 9 U 195/80, GmbHR 1981, 264; OLG Frankfurt v. 15.12.1981 – 5 W 9/81, GmbHR 1982, 237; Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 546. 286 Vgl. OLG Koblenz v. 27.2.1986 – 6 U 261/86, NJW 1986, 1692 = GmbHR 1986, 428; OLG Stuttgart v. 20.2.1987 – 2 U 202/86, GmbHR 1987, 482; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 65/91, GmbHR 1991, 467; OLG Hamm v. 6.7.1992 – 8 W 18/92, GmbHR 1993, 163; OLG Frankfurt v. 1.7.1992 – 17 U 9/91, GmbHR 1993, 161; OLG Stuttgart v. 18.2.1997 – 20 W 11/97, GmbHR 1997, 312, 313; OLG München v. 20.7.1998 – 23 W 1455/98, GmbHR 1999, 718 = NZG 1999, 407 m. Anm. Mi-

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§ 38 Rz. 74 | Widerruf der Bestellung schäftsführer in Betracht, dem ein Sonderrecht auf die Stellung als Geschäftsführer zusteht. Dem Fremdgeschäftsführer fehlt der Verfügungsanspruch zur Einflussnahme auf das Abstimmungsverhalten stets287. c) Geschäftsführer: Nach der Abberufung 75 aa) Ob der Geschäftsführer nach dem Beschluss der Gesellschafter über seine Abberufung

im Wege einer einstweiligen Verfügung gegen seine Amtsenthebung vorgehen kann, ist streitig. 76 Macht der Geschäftsführer geltend, der Abberufungsbeschluss sei nichtig, z.B. weil der Ge-

sellschafter-Geschäftsführer nicht geladen worden sei, so soll der Geschäftsführer im Wege der einstweiligen Verfügung geltend machen können, dass der Beschluss bis zur rechtskräftigen Feststellung seiner Nichtigkeit, nicht als wirksam angesehen wird288. Dem wird entgegengehalten, eine Feststellungsverfügung sei nicht zulässig289. 77 bb) Wird durch den abberufenen Geschäftsführer geltend gemacht, der Beschluss der Gesell-

schafter sei nur anfechtbar, so ist der Beschluss ohnehin wirksam. Teilweise wird in der Lehre die Ansicht vertreten, der Geschäftsführer könne gegen seine Abberufung gleichwohl im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorgehen290, jedenfalls solange Ungewissheit besteht, ob Anfechtungsklage erhoben wird oder ob Anfechtungsklage Erfolg haben wird291. Voraussetzung sei, dass dem Gericht in einer summarischen Prüfung das Anfechtungsverfahren erfolgversprechend erscheine292. Einschränkend wird hinzugefügt, dem Fremdgeschäftsführer stehe die Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes nur zu, wenn der Beschluss bereits angefochten sei293. 78 Die Rechtsprechung lässt weitgehend einstweiligen Rechtsschutz zu294. 79 Die vorgenannte Ansicht widerspricht dem Rechtsgedanken des § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG295.

Im Blick hierauf ist zu unterscheiden: Für den abberufenen Fremdgeschäftsführer und den abberufenen Gesellschafter-Geschäftsführer, der nur mit Minderheit beteiligt und kein Sonderrecht auf die Geschäftsführung hat, ist einstweiliger Rechtsschutz im Interesse der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ausgeschlossen296. § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG besteht auf der Wirksamkeit der Abberufung bis zur Rechtskraft des Urteils, wenn streitig ist, ob die Voraussetzungen für eine Abberufung vorlagen. In Betracht kommt dabei insbesondere der Streit

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chalski/Schulenburg; Lutz, BB 2000, 833, 836; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 110; Werner, GmbHR 2015, 1297, 1301; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 5. Fischer, BB 2013, 2819, 2827. OLG Stuttgart v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, WM 1985, 600, 601 m. Anm. Wiesner, EWiR § 84 AktG, 1/85, 241 = GmbHR 1986, 26; ebenso im Ergebnis: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 226 für Gesellschafter-Geschäftsführer; ohne Unterschied, ob Abberufungsbeschluss nichtig oder anfechtbar: Damm, ZHR 154 (1990), 413, 429. So Berger, ZZP 110 (1997), 287; a.A. Vogg, NJW 1993, 1357 jeweils m.w.N. Für Gesellschafter-Geschäftsführer: Vorwerk, GmbHR 1995, 266. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 53; Vollmer, GmbHR 1984, 10; v. Gerkan, ZGR 1985, 187. Semler, BB 1979, 1535. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 227. BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 183 = GmbHR 1983, 149; OLG Celle v. 1.4.1981 – 9 U 195/80, GmbHR 1981, 264; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 65/91, NJW 1992, 186 = GmbHR 1991, 467; OLG Hamm v. 7.10.1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743. A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Terlau in Michalski u.a., Rz. 78; Lutz, NZG 2015, 424, 425; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 5. OLG Hamm v. 17.9.2001 – 8 U 126/01, GmbHR 2002, 327; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 227; Fleck, GmbHR 1970, 221, 226; Littbarski, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, 1996, S. 164; Werner, GmbHR 2015, 1297, 1301.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 83 § 38

darüber, ob ein wichtiger Grund gegeben war297. Der Sinn der vorgenannten Vorschrift würde durch eine gegenläufige einstweilige Verfügung unterlaufen, der gleichzeitige Schutz der anderen Gesellschafter in Frage gestellt. Für die Zwischenzeit bleibt im Zweifel nur die Bestellung eines Notgeschäftsführers. Anders ist die Lage für den Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer und den Geschäftsfüh- 80 rer der Zweipersonen-GmbH. Besteht Streit, ob ein wichtiger Grund zur Abberufung und damit ein Stimmverbot des abzuberufenden Geschäftsführers besteht, so bedarf es der analogen Anwendung der §§ 117, 127 HGB. Die Übertragung des Rechtsgedankens des § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG passt hier nicht. Einstweiliger Rechtsschutz ist für diese Fälle im Interesse der anderen Gesellschafter gegeben298. Dem abzuberufenden Gesellschafter-Geschäftsführer kann die Ausübung seiner Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis untersagt werden. Nur wenn ein Tätigkeitsverbot nicht ausreicht, ist Abberufung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zulässig299. An einen Verfügungsgrund sind hohe Anforderungen zu stellen. Erforderlich ist, dass dem Geschäftsführer durch die Abberufung schwerwiegende Beeinträchtigungen seiner rechtlichen Interessen drohen. Der bloße Makel des Hinauswurfs, der den Geschäftsführer belasten mag, vermag für sich genommen keinen Verfügungsgrund zu begründen300. cc) Dem abberufenen Geschäftsführer kann bei Glaubhaftmachung eines wichtigen Grundes 81 auf Antrag der Gesellschaft ein weiteres Tätigwerden, eine weitere Ausübung der Organtätigkeiten und ein weiteres Auftreten im Namen der Gesellschaft untersagt werden301. Untersagt werden kann zudem der Zugang zu den Geschäftsräumen, das planmäßige Abwerben von ehemaligen Mitarbeitern usw.

VI. Die Abberufung von Organmitgliedern im Konzern § 46 Nr. 5 handelt nur von der Abberufung von Geschäftsführern der eigenen Gesellschaft302. 82 Werden die Geschäftsführer einer beherrschten GmbH abberufen, so beschließt deren zuständiges Organ, im Fall einer GmbH die Gesellschafterversammlung. Die Gesellschafterversammlung des herrschenden Unternehmens hat keine unmittelbar wirkende Befugnis zur Abberufung von Organmitgliedern beherrschter Konzernunternehmen. Im zweistufigen Konzern kann die Gesellschafterversammlung der herrschenden Gesell- 83 schaft jedoch die Geschäftsführer anweisen, die Beteiligungsrechte bei der beherrschten Gesellschaft entsprechend wahrzunehmen oder ihren faktischen Einfluss beim Konzernunternehmen geltend zu machen. Der Geschäftsführer des herrschenden Unternehmens hat seinerseits die Personalkompetenz der Gesellschafterversammlung zu beachten. Sie erstreckt sich auch auf die Bestellung und die Abberufung der Organmitglieder wesentlicher Konzernunternehmen303. Die Geschäftsführer haben sicherzustellen, dass diese Zuständigkeit der Ge297 A.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 154: nur hinsichtlich der Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes gilt vorläufige Wirksamkeit analog § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG. 298 Fleck, GmbHR 1970, 221, 226 ff.; Littbarski, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, 1996, S. 165; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 6. 299 S. auch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 66. 300 Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 6. 301 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 183 = GmbHR 1983, 149; OLG Karlsruhe v. 4.12.1992 – 15 U 208/92, GmbHR 1993, 154; OLG Hamm v. 7.10.1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743, 748; s. auch OLG Zweibrücken v. 30.10.1997 – 4 U 11/97, GmbHR 1998, 373, 375; OLG Jena v. 21.10.1998 – 4 U 945/98, NZG 1998, 992; KG v. 11.8.2011 – 23 U 114/11, GmbHR 2011, 1273; OLG München v. 10.12.2012 – 23 U 4354/12, GmbHR 2013, 714 = NZG 2013, 947. 302 Zum Folgenden: Denzer, Konzerndimensionale Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung, 2005. 303 Uwe H. Schneider in Der GmbH-Konzern, 1976, S. 79, 95 ff.; Uwe H. Schneider, BB 1981, 249 ff.

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§ 38 Rz. 83 | Widerruf der Bestellung sellschafterversammlung nicht beschränkt wird. Zu diesem Zweck kann auch ausdrücklich in der Satzung des herrschenden Unternehmens bestimmt werden, dass die Abberufung von Organmitgliedern beherrschter Konzernunternehmen der Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung bedarf304 und dass die Gesellschafterversammlung die Geschäftsführer anweisen kann, darauf hinzuwirken, dass Organmitglieder von Konzernunternehmen abberufen werden. Konstitutiven Charakter hat eine Bindung an die Zustimmung aber nur für die unwesentlichen Konzernunternehmen, denn für die wesentlichen Konzernunternehmen gilt dies auch ohne Satzungsbestimmung. Zu den Folgen der fehlenden Zustimmung auf die Vertretungsmacht des Geschäftsführers s. 12. Aufl., § 35 Rz. 41–44. 84 Sind beide Gesellschaften nach dem MitbestG mitbestimmt, so sichert § 32 Abs. 1 MitbestG

die Mitwirkungsbefugnis der Gesellschafter.

VII. Die Amtsniederlegung 1. Der Grundsatz der freien Amtsniederlegung 85 Einigkeit besteht, dass ein Geschäftsführer ohne Einhaltung einer Frist seine Organstellung

aufgeben kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. So kann ein Geschäftsführer nicht gezwungen werden, die Verantwortung und das erhebliche Haftungsrisiko seines Amtes unter für ihn unzumutbaren Bedingungen weiterzutragen305. Der Geschäftsführer kann sich dabei auch auf die Amtsniederlegung beschränken. Er braucht nicht gleichzeitig das Anstellungsverhältnis zu kündigen306. 86 Streitig war dagegen, ob ein Geschäftsführer bei bestehendem Dienstverhältnis auch dann

mit sofortiger Wirkung seine Organstellung aufgeben kann, wenn ein wichtiger Grund nicht vorliegt. Eine ältere Lehre307 vertrat die Ansicht, eine fristlose Amtsniederlegung sei nur zulässig, wenn ein wichtiger Grund zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses vorliege. Fehle ein solcher wichtiger Grund, so sollte eine Amtsniederlegung nur unter Beachtung der Kündigungsfristen des Anstellungsvertrags zulässig sein308. Dieser Ansicht folgte auch die ältere höchstrichterliche Rechtsprechung309. Der unvermittelte Rücktritt eines Geschäftsführers könne die Belange der Gesellschaft berühren. Sie werde handlungsunfähig; sie könne keine Willenserklärungen entgegennehmen, und sie könne den öffentlichen Anforderungen nicht nachkommen.

304 Zu der Fragestellung allgemein auch Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825, 829, 835. 305 BGH v. 19.1.1961 – II ZR 217/58, WM 1961, 241; BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319 = DB 1978, 878; BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, GmbHR 1980, 270; BFH v. 22.1.1985 – VII R 112/81, DB 1985, 1324, 1326 = GmbHR 1985, 375, 378; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 365 f. 306 BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 319 = GmbHR 1978, 85; BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82 = GmbHR 1980, 270; BGH v. 13.2.1984 – II ZR 2/83, AG 1984, 266 (Genossenschaft) m. Anm. P. Hofmann, ZfgG 1987, 175; OLG Düsseldorf v. 13.7.1989 – 8 U 187/88, 8 U 31/89, GmbHR 1989, 468, 469: im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln; Plander, ZHR 133 (1970), 327, 335. 307 S. aber noch Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Gröger, Rpfleger 1976, 286, 287; Plander, ZHR 133 (1970), 327, 336; ferner Trölitzsch, GmbHR 1995, 859: nach Insolvenzreife nur aus wichtigem Grund. Zur Entwicklung: Link, Die Amtsniederlegung durch Gesellschaftsorgane, 2003; Lohr, DStR 2002, 2173. 308 So noch Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34. 309 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82 = GmbHR 1980, 270; BayObLG v. 6.8.1981 – BReg 1 Z 39/81, GmbHR 1982, 43 = BB 1981, 1726; OLG Hamm v. 21.6.1988 – 15 W 81/88, GmbHR 1989, 35, 36; OLG Koblenz v. 26.5.1994 – 6 U 455/91, GmbHR 1995, 730.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 89 § 38

Die höchstrichterliche Rechtsprechung310 und die jetzt herrschende Lehre311 gehen davon 87 aus, dass ein Geschäftsführer jederzeit und fristlos oder befristet sein Amt niederlegen kann, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ob die Amtsniederlegung auf einen wichtigen Grund gestützt wird und ohne Rücksicht auf die Kündigungsfristen des Anstellungsvertrags. Dies gilt für den Alleingeschäftsführer312 ebenso wie für einen von mehreren Geschäftsführern, für den Gesellschafter-Geschäftsführer ebenso wie für den Fremdgeschäftsführer, für den unbefristet bestellten Geschäftsführer ebenso wie für den befristet bestellten Geschäftsführer. Durch die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht entschieden ist allerdings bisher, ob ein Geschäftsführer sein Amt auch dann jederzeit niederlegen kann, wenn die Abberufung nur aus wichtigem Grund erfolgen kann313. Die Zulässigkeit folgt nicht nur aus der notwendigen Rechtssicherheit, die gefährdet wäre, wenn die Amtsniederlegung nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes zulässig und über das Vorliegen der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen Streit besteht. Das Festhalten des Geschäftsführers wäre zudem unzumutbar im Konflikt zwischen den organschaftlichen Pflichten, den Weisungen der Gesellschafter und den dem Geschäftsführer obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflichten. Streitig ist, ob ein Geschäftsführer unter einer Bedingung sein Amt niederlegen kann. Zu 87a denken ist etwa an die Eintragung des Ausscheidens im Handelsregister314. Dagegen spricht, dass dadurch ein rechtlich unsicherer, im Verhältnis zu Dritten nicht transparenter Zustand eintreten würde. Das gilt vor allem, wenn der niederlegende Geschäftsführer den Eintritt der Bedingung nicht kennt. Wollen die Gesellschafter die Möglichkeit jederzeitiger Amtsniederlegung beschränken, so 88 kann dies durch Regelung in der Satzung geschehen, z.B. durch Befristung oder das Vorliegen eines wichtigen Grundes315. Die Amtsniederlegung führt nicht automatisch zur Beendigung des Anstellungsvertrags (s. 89 dazu 12. Aufl., § 35 Rz. 251 ff.). Durch eine unbegründete Amtsniederlegung kann der Geschäftsführer freilich seine Pflichten aus dem Anstellungsvertrag verletzen316 und zum Schadensersatz verpflichtet sein. Eine Haftung nach § 43 scheidet aus, weil § 43 nur zur ordnungsgemäßen Unternehmensleitung, aber nicht zum Verbleiben im Amt verpflichtet317. Zugleich

310 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257, 261 = GmbHR 1993, 216, 217 f.; BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653; OLG Düsseldorf v. 10.6.2015 – 25 Wx 18/15, GmbHR 2015, 1271, 1272. 311 S. bereits H. Schneider/Uwe H. Schneider, GmbHR 1980, 4; dem folgend: Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 270; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 74; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 77; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 84; Goette, Die GmbH, S. 250; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 262; Klatte, Die Amtsniederlegung des Geschäftsführers einer GmbH, 1997, S. 113 ff.; Eckert, KTS 1990, 33; Bauder, BB 1993, 1749; Trölitzsch, GmbHR 1995, 857; Schuhmann, NZG 2002, 706; Stenzel/Lühr, NZG 2015, 743, 744. 312 OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, GmbHR 2008, 544; ausdrücklich auch Eckert, KTS 1990, 33: allerdings mit der Maßgabe, dass Nachfolger bestellt werden muss; einschränkend: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 77: Amtsniederlegung ist rechtsmissbräuchlich, aber sofort wirksam. 313 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257 = GmbHR 1993, 216. 314 So etwa OLG Hamm v. 25.1.2013 – 27 W 12/13, juris; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 69. 315 Ebenso: Wachter, GmbHR 2001, 1131; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56. 316 Für Verletzung auch organschaftlicher Pflichten: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57. 317 A.A. OLG Koblenz v. 26.5.1994 – 6 U 455/91, GmbHR 1995, 730.

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§ 38 Rz. 89 | Widerruf der Bestellung kann der Gesellschaft das Recht zur Kündigung des Anstellungsverhältnisses aus wichtigem Grund zustehen318. 90 Erfolgt die Amtsniederlegung zur Unzeit oder ist sie aus sonstigen Gründen rechtsmiss-

bräuchlich, so ist sie unwirksam319. Das soll, was zweifelhaft ist, sogar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten320. Die Amtsniederlegung ist insbesondere dann nicht missbräuchlich, wenn der Geschäftsführer der Gesellschaft hinreichend Gelegenheit gibt, einen neuen Geschäftsführer zu suchen321. Abzulehnen ist die Ansicht, eine Amtsniederlegung sei, selbst wenn die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer hat, treuwidrig und deshalb unbeachtlich, wenn der gesetzliche Vertreter damit lediglich bezwecke, sich der Abgabe der Offenbarungsversicherung zu entziehen322. Der Ansicht ist nicht zu folgen. Die Organstellung ist beendet. Der ausgeschiedene Geschäftsführer bleibt aber gleichwohl zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verpflichtet, wenn er vor der Amtsniederlegung bereits geladen war oder wenn er sich durch die Amtsniederlegung der Versicherung entziehen wollte323.

2. Amtsniederlegung durch den alleingeschäftsführenden Alleingesellschafter 90a Vor Inkrafttreten des MoMiG wurde vielfach die Ansicht vertreten, es sei missbräuchlich,

wenn der einzige Geschäftsführer sein Amt niederlege, er keinen wichtigen Grund hat und keinen Nachfolger vorschlägt324. Dem wird nach Inkrafttreten des MoMiG entgegengehalten, durch den eingefügten § 35 Abs. 1 Satz 2 sowie § 15a Abs. 3 InsO rechtfertige das Interesse des Rechtsverkehrs diese Ausnahme nicht mehr, so dass von der sofortigen Wirksamkeit der Amtsniederlegung auszugehen sei325. Demgegenüber geht die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte davon aus, dass die Amtsniederlegung durch den alleingeschäftsführenden Alleingesellschafter regelmäßig miss318 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 85 = GmbHR 1980, 270; BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, WM 1978, 320 = GmbHR 1978, 85; OLG Celle v. 4.2.2004 – 9 U 203/03, GmbHR 2004, 425; Goette, Die GmbH, S. 251. 319 Str.; wie hier BayObLG v. 6.8.1981 – BReg 1 Z 39/81, GmbHR 1982, 43 = DB 1981, 2220; BayObLG v. 29.7.1992 – 3Z BR 71/92, GmbHR 1992, 671; BayObLG v. 15.6.1999 – 3Z BR 35/99, GmbHR 1999, 980 = DStR 2000, 290 m. Anm. Schaub; OLG Frankfurt v. 11.11.2014 – 20 W 317/11, GmbHR 2015, 363; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 273; Eckert, KTS 1990, 33, 36; Münch, DStR 1993, 1921; sowie schon H. Schneider/Uwe H. Schneider, GmbHR 1980, 4, 8; Lohr, DStR 2002, 290; Schuhmann, GmbHR 2007, 305; offen gelassen in BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, BGHZ 121, 257, 261 = GmbHR 1993, 216; nur Schadensersatz: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 77; Khatib-Shahidi/Bögner, BB 1997, 1161; Wachter, GmbHR 2001, 1133. 320 OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, DStR 2001, 454 = GmbHR 2001, 144 m. Anm. Hohlfeld; OLG Köln v. 1.2.2008 – 2 Wx 3/08, GmbHR 2008, 544; OLG Düsseldorf v. 17.12.2010 – 25 Wx 56/10, BeckRS 2011, 05605 = juris; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 275. 321 LG Frankenthal v. 23.4.1996 – 1 HK T 1/96, GmbHR 1996, 940. 322 Krit. OLG Schleswig v. 30.11.1978 – 1 W 146/78, Rpfleger 1979, 73; offengelassen von OLG Köln v. 25.4.1983 – 2 W 34/83, GmbHR 1983, 304. 323 OLG Stuttgart v. 10.11.1983 – 8 W 340/83, ZIP 1984, 113 = GmbHR 1984, 100; a.A. OLG Hamm v. 8.5.1984 – 14 W 23/84, WM 1984, 1343 = GmbHR 1984, 318; zweifelnd auch Terlau in Michalski u.a., Rz. 84. 324 BayObLG v. 15.6.1999 – 3Z BR 35/99, BB 1999, 1782 = GmbHR 1999, 980; ebenso OLG Zweibrücken v. 15.2.2006 – 3 W 209/05, GmbHR 2006, 430; OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, DStR 2001, 454 m. Anm. Haas = GmbHR 2001, 144; Trölitzsch, GmbHR 1995, 860; Schaub, DStR 2000, 290; Lohr, DStR 2002, 2177. 325 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 82; Terlau in Michalski u.a., Rz. 84; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 61; Dietsch, NotBZ 2006, 233; schon zur alten Rechtslage: Wachter, GmbHR 2001, 1133.

274 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Widerruf der Bestellung | Rz. 91 § 38

bräuchlich und unwirksam sei, wenn nicht zugleich ein neuer Geschäftsführer bestellt wurde; denn daraus ergebe sich eine Unklarheit im Rechtsverkehr326. Dies gilt auch, wenn über das Gesellschaftsvermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde327. Die Amtsniederlegung sei daher auch nicht eintragungsfähig. Dem ist zuzustimmen; denn das MoMiG macht deutlich, wie wichtig es für den Rechtsverkehr ist, dass die Gesellschaft handlungsfähig bleibt. Passive Vertretungsmacht reicht nicht aus. Und die Gesellschafter können ihre Pflicht zur Bestellung eines Geschäftsführers nur erfüllen, wenn sie einen Nachfolger finden. Die Rechtsprechung wendet diese Grundsätze nicht auf den (Allein-)Fremdgeschäftsführer an. Dies gilt selbst dann, wenn die Amtsniederlegung in der wirtschaftlichen Krise oder Insolvenz erklärt wird und zur Führungslosigkeit der Gesellschaft führt328. Ob diese Rechtsprechung auch auf den Fall der Amtsniederlegung eines Geschäftsführers, der zugleich Mitgesellschafter der GmbH ist, anzuwenden ist, bleibt fraglich329. Ein Fall rechtsmissbräuchlichen Handelns liegt nicht in dem Fall vor, in welchem der Geschäftsführer in der Gesellschafterversammlung von seinem Betreuer vertreten wird330. Auf die Amtsniederlegung des alleinigen Vorstands einer Aktiengesellschaft lassen sich diese Erwägungen nicht ohne weiteres übertragen, auch wenn nur noch ein Aufsichtsratsmitglied vorhanden ist, da nach § 104 Abs. 1 Satz 1 AktG die fehlenden Mitglieder des Aufsichtsrats auf Antrag des verbliebenen Aufsichtsratsmitgliedes oder eines Aktionärs durch das Gericht bestellt werden können331.

3. Die Erklärung Die Amtsniederlegung erfolgt durch formfreie332 empfangsbedürftige Erklärung. Sie wird 91 erst mit Zugang der Erklärung wirksam333. Sie ist dem Organ gegenüber abzugeben, das auch für die Bestellung zuständig ist334. In der Regel ist dies die Gesellschafterversammlung. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung335 soll auch eine Erklärung an einen Gesellschafter genügen, selbst wenn Gesamtvertretung besteht und in der Folge durch diesen nicht alle Gesellschafter benachrichtigt werden336. Entschieden ist dies aber nur für Gesellschaften mit überschaubarem Gesellschafterkreis. Für Gesellschaften mit einer größeren Zahl von Gesell-

326 OLG Zweibrücken v. 15.2.2006 – 3 W 209/05, GmbHR 2006, 430; OLG Düsseldorf v. 17.12.2010 – I-25 Wx 56/10 und 25 Wx 56/10, BeckRS 2011, 05605 = juris; OLG München v. 16.3.2011 – 31 Wx 64/11, GmbHR 2011, 486; OLG München v. 29.5.2012 – 31 Wx 188/12, GmbHR 2012, 496; OLG Düsseldorf v. 10.6.2015 – 25 Wx 18/15, GmbHR 2015, 1271, 1272 f. 327 OLG Frankfurt v. 11.11.2014 – 20 W 317/11, GmbHR 2015, 363, 364. 328 OLG Bamberg v. 17.7.2017 – 5 W 51/17, GmbHR 2017, 1144, 1145. 329 Dazu Mielke/Heinemann, ZIP 2017, 1941, 1944. 330 OLG Dresden v. 18.12.2014 – 5 W 1326/14, GmbHR 2015, 484. 331 OLG Hamburg v. 27.6.2016 – 11 W 30/16, NZG 2016, 1070. 332 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/92, GmbHR 1993, 216, 217; BGH v. 17.9.2001 – II ZR 378/99, GmbHR 2002, 26, 28; Schuhmann, NZG 2002, 707; zur Auslegung der Erklärung, BGH v. 17.2.2003 – II ZR 340/01, GmbHR 2003, 544. 333 BGH v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, GmbHR 2011, 925, 926; KG v. 1.2.2012 – 25 W 76/11, GmbHR 2012, 795. 334 Ebenso: Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 277; Goette, Die GmbH, 2. Aufl., § 8 Rz. 45. 335 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 378/99, GmbHR 2002, 27 = NZG 2002, 43 m. Anm. Uwe H. Schneider/ Sven H. Schneider; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Goette, Die GmbH, S. 250; Gehrlein/ Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 263; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 36; s. auch schon BFH v. 22.1.1985 – VII R 112/81, DB 1985, 1326 = GmbHR 1985, 375: Erklärung gegenüber dem anderen Gesellschafter in der Zweimann-GmbH. 336 S. auch BGH v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, ZIP 2011, 1562 = GmbHR 2011, 925; a.A. OLG Naumburg v. 23.7.2002 – 9 U 67/02, GmbHR 2002, 1238.

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§ 38 Rz. 91 | Widerruf der Bestellung schaftern kann dies nicht gelten337, wobei die Abgrenzung schwierig ist. Eine Erklärung an einen Mitgeschäftsführer genügt nicht338. Dieser kann jedoch als Bote des niederlegenden Geschäftsführers tätig werden. Die Eintragung im Handelsregister hat nur deklaratorische Wirkung339. Jedoch ist bei der Amtsniederlegung nicht nur die Willensbildung, sondern auch deren Zugang in Form des § 39 Abs. 2 nachzuweisen340. In den Fällen eines Gesellschafterwechsels ist streitig, ob der bisherige Geschäftsführer die Amtsniederlegung gegenüber dem Erwerber des Geschäftsanteils erklären muss oder ob es auch genügt, wenn er diese gegenüber demjenigen Gesellschafter erklärt, der zu diesem Zeitpunkt noch als solcher in der beim Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen ist341.

4. Nach der Amtsniederlegung 92 Hat der Geschäftsführer sein Amt niedergelegt, so kann er dies weder durch eigene Erklä-

rung noch durch seine tatsächliche weitere Tätigkeit rückgängig machen342. Gegebenenfalls bedarf es einer Wiederbestellung343. Hat der Geschäftsführer ein durch die Satzung eingeräumtes Sonderrecht zur Geschäftsführung, so kann er dies in der Regel weiter geltend machen. Mit der Amtsniederlegung verliert er dieses Recht nicht344.

VIII. Sonstige Rechtsfolgen 93 Der Geschäftsführer, der seine Organstellung verloren hat (Abberufung, Amtsniederlegung),

hat wegen rückständiger Gehaltsansprüche kein Zurückbehaltungsrecht an den Gegenständen der Gesellschaft, die rechtmäßig in seinen Besitz gelangt sind345. Erst recht gilt dies für die Geschäftspapiere der Gesellschaft346. Dagegen kann er auch nach erfolgter Abberufung die Bilanzen, Bücher und sonstigen Unterlagen einsehen, wenn er mit Rücksicht auf seine mögliche Verantwortlichkeit (§ 43) oder wegen der Frage nach wichtigem Grund der Abberufung oder Kündigung ein Interesse daran hat347. Der abberufene Geschäftsführer ist zur Einberufung der Gesellschafterversammlung nicht befugt; § 121 Abs. 2 Satz 2 AktG ist auf die GmbH nicht analog anwendbar348. 337 A.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 62. 338 OLG Düsseldorf v. 3.6.2005 – 3 Wx 118/05, 3 Wx 118/05, DB 2005, 1451 = GmbHR 2005, 932; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Lohr, DStR 2002, 2174; Stenzel/Lühr, NZG 2015, 743, 744; a.A. Maurer, RNotZ 2001, 352. 339 BGH v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, GmbHR 1960, 185; BFH v. 22.1.1985 – VII R 112/81, GmbHR 1985, 375. 340 OLG Jena v. 29.7.2010 – 6 W 91/10, NJW-RR 2011, 42 = GmbHR 2011, 31. 341 Hierzu eingehend Stenzel/Lühr, NZG 2015, 743, 745 ff. 342 A.A. wohl BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, GmbHR 1997, 26; LG Stendal v. 10.11.1999 – 21O 42/99, GmbHR 2000, 88 m. Anm. Peetz. 343 Zur Anmeldeberechtigung nach der Amtsniederlegung s. 12. Aufl., § 39 Rz. 14; zur Verpflichtung, den Insolvenzantrag nach Amtsniederlegung zu stellen: BayObLG v. 6.8.1981 – BReg 1 Z 39/81, GmbHR 1982, 43; Hey/Regel, GmbHR 2000, 120; zur Pflicht, trotz Amtsniederlegung die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen: OLG Naumburg v. 15.3.2000 – 5 U 183/99, GmbHR 2000, 558 m. Anm. Peetz. 344 OLG Düsseldorf v. 26.9.2006 – 3 Wx 77/06, GmbHR 2007, 90; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92. 345 OLG München v. 26.5.1964 – 7 UH 166/64, GmbHR 1965, 32. 346 BGH v. 11.7.1968 – II ZR 108/67, WM 1968, 1325, 1328. 347 RG v. 6.2.1917 – 385/16 II, JW 1917, 657. 348 BGH v. 8.11.2016 – II ZR 304/15, GmbHR 2017, 188 = NZG 2017, 182; a.A. Bayer/Illhardt, NZG 2017, 801, 810.

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Widerruf der Bestellung | Rz. 95 § 38

IX. Die vorläufige Dienstenthebung (Suspendierung) Streitig ist, ob und gegebenenfalls mit welchen Rechtsfolgen ein Geschäftsführer vorläufig, 94 etwa bis zur Klärung von Vorwürfen, freigestellt werden kann (Suspendierung). Im Aktienrecht wird die Ansicht vertreten, für ein Vorstandsmitglied könne „ein vorläufiges Verbot der Amtsführung“ bei Gefahr im Verzug als vorläufig sichernde Maßnahme ausgesprochen werden349. Nach einer weitergehenden Ansicht kann sogar die Vertretungsmacht vorläufig entzogen werden350. Der Enthobene bleibe aber Vorstandsmitglied. § 40 GenG regelt ausdrücklich die einstweilige Amtsenthebung eines Vorstandsmitglieds durch den Aufsichtsrat mit der Folge, dass Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis enden351. Bei der GmbH besteht kein Bedürfnis, eine vorläufige Amtsenthebung mit dem Inhalt zu- 95 zulassen, dass der Geschäftsführer von allen Pflichten und Befugnissen zeitweise entbunden ist352. § 40 GenG erklärt sich aus der besonderen Lage bei der Genossenschaft. Das hindert aber nicht, dass die Gesellschafter mit dem Geschäftsführer vereinbaren, dass der Geschäftsführer bei einer ordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages von seiner Tätigkeit als Geschäftsführer freigestellt wird353. Auch unabhängig von einer solchen Vereinbarung können die Gesellschafter einem Geschäftsführer die Weisung erteilen, sich zeitweise, etwa bis zur Klärung von bestimmten Vorgängen, jeder Tätigkeit für die Gesellschaft zu enthalten. Die Möglichkeit einer solchen Freistellung folgt aus dem allgemeinen Weisungsrecht der Gesellschafter. Die vertragliche Vereinbarung bzw. die Weisung entbinden den Geschäftsführer aber nur von seiner Geschäftsführungsbefugnis. Ihm obliegt aber weiterhin die Wahrnehmung aller gesetzlichen Pflichten, und er hat die organschaftliche Vertretungsbefugnis. Zur Erwirkung eines Tätigkeitsverbots durch einstweilige Verfügung s. Rz. 20 a.E. sowie Rz. 72 f.

349 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 189 ff.; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 32; Meyer-Landrut in FS Fischer, 1979, S. 477. 350 Baumbach/Hueck, § 84 AktG Anm. 13; a.A. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 AktG Rz. 192. Zum Stand der Diskussion: Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 149. 351 Lang/Weidmüller in Lang/Weidmüller,38. Aufl., § 40 GenG Rz. 5; Beuthien, 16. Aufl., § 40 GenG Rz. 2; Schultze-v. Lasaulx, ZfgG 1960, 332. 352 Ebenso Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 32; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; a.A. Meyer-Landrut/Miller/Niehus, Rz. 127: aber keine Suspendierung, wenn Abberufung nur aus wichtigem Grund möglich; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 16: trotz grundsätzlicher Unzulässigkeit, als milderes Mittel statt oder vor Abberufung für „sehr überschaubare Zeit“ von höchstens etwa einer Woche; vgl. auch BGH v. 30.11.1961 – II ZR 136/60, WM 1962, 202 zur Möglichkeit der „Beurlaubung“; zur Suspendierung bei der mitbestimmten GmbH: Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 31 MitbestG Anm. 51 sowie Vollmer, GmbHR 1984, 11. 353 OLG Düsseldorf v. 28.12.1984 – 8 U 64/84, EWiR, § 35 GmbHG 1/85, 299 m. Anm. Semler.

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§ 39 Anmeldung der Geschäftsführer (1) Jede Änderung in den Personen der Geschäftsführer sowie die Beendigung der Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers ist zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. (2) Der Anmeldung sind die Urkunden über die Bestellung der Geschäftsführer oder über die Beendigung der Vertretungsbefugnis in Urschrift oder öffentlich beglaubigter Abschrift beizufügen. (3) Die neuen Geschäftsführer haben in der Anmeldung zu versichern, dass keine Umstände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 entgegenstehen und dass sie über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht belehrt worden sind. § 8 Abs. 3 Satz 2 ist anzuwenden. Text in der Fassung des Gesetzes vom 10.8.1937 (RGBl. I 1937, 897); Abs. 3 eingefügt durch die GmbHNovelle von 1980 (BGBl. I 1980, 836); mit Wirkung ab 1.1.1992 verwies Abs. 3 Satz 1 auf § 6 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 (Änderung eingefügt durch § 33 BtG vom 12.9.1990, BGBl. I 1990, 2002); Abs. 2 geändert und Abs. 4 aufgehoben durch EHUG vom 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553); Verweis in Abs. 3 Satz 1 geändert durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) als Folge der Änderung des § 6 Abs. 2 Satz 2–4. I. Der Zweck des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . 1 II. Anmeldepflichtige Tatsachen 1. Jede Änderung in den Personen der Geschäftsführer a) Wechsel der Geschäftsführer . . . . . . . 2 b) Persönliche Merkmale . . . . . . . . . . . . 4 2. Änderung der Vertretungsbefugnis . . . . 5 3. Versicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

III. Anmeldepflichtige und anmeldebefugte Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Form der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . V. Zeichnung der Unterschrift . . . . . . . . . VI. Prüfungspflicht des Registergerichts . VII. Die Wirkung von Anmeldung, Eintragung und Veröffentlichung . . . . . . .

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Schrifttum: Bärwaldt, Mitwirkung des Prokuristen bei der Handelsregisteranmeldung der ihm erteilten Prokura, NJW 1997, 1404; Bartovics, Nochmals: Die Belehrung des im Ausland weilenden Geschäftsführers, GmbHR 1998, 778; Bokelmann, Anmeldung und Eintragung der Vertretungsbefugnis von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern in das Handelsregister nach neuem EWG-Recht, NJW 1969, 2120; Deutsches Notarinstitut, Eintragungsfähigkeit der auflösenden Befristung einer Geschäftsführerbestellung im Handelsregister, DNotI-Report 2009, 113; Dietsch, Amtsniederlegung eines GmbHGeschäftsführers und Prüfungsrecht des Registergerichts, NotBZ 2007, 193; Frenzel, Erstarkung der Gesamt- zur Alleinvertretungsbefugnis bei Ausscheiden der übrigen Geschäftsführer?, GmbHR 2011, 515; Gustavus, Die registerrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes zur Durchführung der ersten EWGRichtlinie zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts, BB 1969, 1335; Hübner, § 21 FamFG als Hindernis bei der Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, NZG 2016, 933; Kanzleiter, Registereintragung der Vertretungsbefugnis des GmbH-Geschäftsführers, Rpfleger 1984, 1; Kögel, Entwicklungen im Handelsund Registerrecht seit 2005, Rpfleger 2007, 299; Lappe, Änderungen des Registerrechts der GmbH, GmbHR 1970, 9; Melchior/Böhringer, Sportwettbetrug, Gesellschafterliste und Eintragungsbescheinigung: Drei (Groß-)Baustellen im Handelsregister, GmbHR 2017, 1074; Mense/Poschitz, Eintragungsfähigkeit der Einzelvertretungsmacht des „directors“ einer englischen limited im Handelsregister, GWR 2015, 206; Müller, Zur Prüfungspflicht des Handelsregisterrichters und -rechtspflegers, Rpfleger 1970, 375; Ries/Schulte, Umstrittene Eintragungsfähigkeit bestimmter Veränderungen im Handelsregister – Fluch oder Segen für die beteiligten Gesellschaften?, GmbHR 2013, 345; Schuhmann, Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2007, 305; Ulrich, Das öffentliche Interesse am unveränderten Bestand des Handelsregisters, GmbHR 2015, R181; Ulrich, Registeranmeldung der Amtsbeendigung eines nicht eingetragenen Geschäftsführers, GmbHR 2015, R294; Wicke, Aktuelle Fragen aus der GmbH-

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Anmeldung der Geschäftsführer | Rz. 1b § 39 Praxis, MittBayNot 2014, 13; Wolff, Bestellung und Abberufung von GmbH-Geschäftsführern im Ausland, ZIP 1995, 1489.

I. Der Zweck des Gesetzes Der Rechtsverkehr muss zuverlässig ermitteln können, wer als Geschäftsführer die Gesell- 1 schaft vertritt. Bei der Eintragung der GmbH in das Handelsregister sind daher zugleich die Personen der Geschäftsführer und die Art ihrer Vertretungsmacht einzutragen, § 10 Abs. 1. Es muss aus dem Handelsregister auch ersichtlich sein, ob die eingetragenen Geschäftsführer einzel- oder gesamtvertretungsberechtigt sind und gegebenenfalls wie ihre Gesamtvertretungsberechtigung ausgestaltet ist. Diese Vorschriften hätten wenig Wert, wenn nicht auch jede Änderung in der Folgezeit einzutragen wäre. Der Wortlaut der Vorschrift ist jedoch zu eng. Die Vorschrift spricht nur von Änderungen in den Personen der Geschäftsführer sowie von der Beendigung der Vertretungsbefugnis, nicht aber auch von der Änderung in der Art der Vertretungsmacht. Es besteht jedoch Einigkeit, dass auch jede Änderung in der Art der Vertretungsmacht anzumelden ist1. Verwiesen wird auf § 39 in § 13g Abs. 5 HGB. Die Vorschrift ist sinngemäß bei Zweignieder- 1a lassungen von GmbHs mit Sitz im Ausland anzuwenden. Die Eintragung im Handelsregister hat keine konstitutive Wirkung2. Wer zum Geschäftsführer bestellt ist, wird mit der Annahme Geschäftsführer und nicht erst zum Zeitpunkt der Eintragung. Der Geschäftsführer hat nach seiner Abberufung sein Amt auch dann verloren, wenn keine Eintragung im Handelsregister erfolgte. Und deshalb macht die Verweigerung der Eintragung der Abberufung des Alleingeschäftsführers, solange kein neuer Geschäftsführer bestellt ist, keinen Sinn3. Damit wird nur dem Markt die notwendige Information verweigert. Etwas anderes gilt nur, wenn es sich um die Amtsniederlegung des alleingeschäftsführenden Alleingesellschafters handelt und diese sich als rechtsmissbräuchlich darstellt, weil sie ohne wichtigen Grund geschieht und ein Nachfolger nicht vorgeschlagen wird4 (s. hierzu 12. Aufl., § 38 Rz. 90a). Hieran hat sich nach Inkrafttreten des MoMiG nichts geändert5 und es gilt auch für den Geschäftsführer einer GmbH, der Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer Unternehmergesellschaft ist, die sämtliche Anteile an der GmbH hält6. Ist der Geschäftsführer bei seiner Bestellung oder wird er nachträglich geschäftsunfähig, so 1b ist die Bestellung unwirksam. Die Eintragung ist von Amts wegen zu löschen7. Die Löschung von Amts wegen erfolgt auch, wenn der Geschäftsführer nach § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 amtsunfähig ist8.

1 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 2; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 1; Terlau in Michalski u.a., Rz. 1. 2 BGH v. 6.11.1995 – II ZR 181/94, DStR 1995, 1967 = NJW 1996, 257 = GmbHR 1996, 49; OLG Hamburg v. 18.1.2000 – 4 U 114/92, NZG 2000, 698; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 2. 3 So aber: OLG Zweibrücken v. 15.2.2006 – 3 W 209/05, BB 2006, 1179 = GmbHR 2006, 430: rechtsmissbräuchlich. 4 OLG Zweibrücken v. 15.2.2006 – 3 W 209/05, BB 2006, 1179 = GmbHR 2006, 430; OLG Düsseldorf v. 17.12.2010 – 25 Wx 56/10, BeckRS 2011, 05605 = Juris. 5 OLG München v. 29.5.2012 – 31 Wx 188/12, GmbHR 2012, 796. 6 OLG München v. 29.5.2012 – 31 Wx 188/12, GmbHR 2012, 796, 797. 7 OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 3 W 15/01, NZG 2001, 857 = GmbHR 2001, 435. 8 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; sowie 12. Aufl., § 6 Rz. 38.

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§ 39 Rz. 2 | Anmeldung der Geschäftsführer

II. Anmeldepflichtige Tatsachen 1. Jede Änderung in den Personen der Geschäftsführer a) Wechsel der Geschäftsführer 2 Anzumelden und einzutragen ist jede Änderung in den Personen der Geschäftsführer. Die

Eintragungen im Handelsregister sollen ersehen lassen, wer die jeweiligen Geschäftsführer der Gesellschaft sind. Keiner Anmeldung bedarf daher die ohne zeitliche Unterbrechung erfolgte Wiederbestellung eines Geschäftsführers9. Dagegen sind eine Neubestellung, die Bestellung eines stellvertretenden Geschäftsführers10 und eines Notgeschäftsführers anzumelden11, ebenfalls anzumelden ist die Bestellung eines Abwicklers durch die BaFin gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 KWG12. Bei der Anmeldung und Eintragung anzugeben ist der Zeitpunkt des Amtsantritts13. Anzumelden ist auch jede Beendigung des Geschäftsführeramts, sei es durch Tod, Abberufung (§ 38), Amtsniederlegung (s. bei § 38), Eintritt der Geschäftsunfähigkeit14, Berufs- oder Gewerbeverbot (§ 6 Abs. 2)15 oder aus sonstigen Gründen16. Eine Anmeldepflicht besteht auch bei anfänglicher Unrichtigkeit oder Unzulässigkeit der Eintragung des Geschäftsführers17. Für die Eintragung des Geschäftsführers in das Handelsregister ist dessen Bezeichnung als „Geschäftsführer“ zwingend18. Daher ist auch eine Bezeichnung des Geschäftsführers als „Sprecher der Geschäftsführung“ unzulässig19. Ist die Änderung in der Person des Geschäftsführers noch nicht eingetreten, hat der Gewählte noch nicht angenommen oder ist die Bestellung vordatiert, so ist die Anmeldung unwirksam20. Zweifelhaft ist die Eintragungsfähigkeit der auflösenden Befristung (s. hierzu 12. Aufl., § 38 Rz. 3) der Bestellung zum Geschäftsführer21. Zwar endet die Organstellung mit dem Zeitablauf. Eine Eintragung ist nicht erforderlich. Die Befristung und ihre Folgen für die Bestellung hat jedoch Bedeutung für die Gutglaubensregeln. Daher sollte man nicht erst die Änderung der Vertretungsbefugnis mit dem Erreichen der Frist zulassen sondern die Befristung schon mit der Begründung der Vertretungsbefugnis. Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, ob die Bestellung eines Geschäftsführers im Rahmen einer sog. „Firmenbestattung“ nichtig und damit nicht eintragungsfähig ist22.

9 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 5. 10 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 11 Terlau in Michalski u.a., Rz. 3; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 3; a.A. (Eintragung des Notgeschäftsführers von Amts wegen): Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4. 12 OLG Hamm v. 14.11.2006 – 15 W 95/06, DNotZ 2007, 313. 13 Eckardt, NJW 1967, 369; Frels, AG 1967, 227; für Eintragung auch des Bestellungstags de lege ferenda Ries, GmbHR 2002, R 89; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16. 14 BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, JZ 1992, 152 m. Anm. Lutter/Gehling = GmbHR 1991, 358;12. Aufl., § 6 Rz. 12. 15 OLG Frankfurt v. 4.3.1994 – 20 W 49/94, GmbHR 1994, 802. 16 RG v. 14.5.1908 – VI 384/07, RGZ 68, 381, 384: Anzumelden ist eine Änderung gegenüber dem, was im Handelsregister eingetragen ist. 17 A.A. KG v. 9.3.1999 – 1 W 8174/98, GmbHR 1999, 861; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8. 18 Wicke, MittBayNot 2014, 13, 18. 19 OLG München v. 5.3.2012 – 31 Wx 47/12, GmbHR 2012, 750; Ries/Schulte, GmbHR 2013, 345, 347 f. 20 OLG Düsseldorf v. 15.12.1999 – 3 Wx 354/99, GmbHR 2000, 232; Waldner, NZG 2000, 264; Kallrath, DNotZ 2000, 533; s. auch Waldner, ZNotP 2000, 188: Bestellung auf Vorrat. 21 Dagegen DNotI-Report 2009, 113. 22 Dafür OLG Zweibrücken v. 3.6.2013 – 3 W 87/12, ZIP 2013, 2463, 2464 = GmbHR 2013, 1093; dagegen OLG Karlsruhe v. 19.4.2013 – 2 (7) Ss 89/12/AK 63/12, NZG 2013, 818, 819.

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Anmeldung der Geschäftsführer | Rz. 6 § 39

Wegen der Wirkung des § 15 HGB empfiehlt es sich, die Beendigung der Geschäftsführer- 3 stellung auch dann einzutragen, wenn die Anmeldung und Eintragung der Bestellung noch gar nicht erfolgt waren23. b) Persönliche Merkmale Änderungen in der Person des Geschäftsführers sind auch Änderungen des Vornamens oder 4 des Familiennamens des Geschäftsführers. Auch solche Änderungen müssen im Handelsregister berichtigt werden24. Ändert sich der Vornahme des Geschäftsführers nach dem Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (TSG), folgt aus § 5 TSG kein Anspruch des Geschäftsführers auf vollständige Löschung des ehemaligen Vornamens25. Ändert sich der Beruf, der zum Namen gehörende Titel oder der Wohnort eines Geschäftsführers, so ist auch dies eintragungsfähig. Es besteht aber keine Pflicht zur Anmeldung26. Der öffentlich beglaubigten Form der Anmeldung bedarf es ähnlich wie im Grundbuchverfahren bei solchen Berichtigungen nicht. Titel, die nicht Namensbestandteil sind, z.B. Direktor, sind eintragungsfähig, wenn sie die berufliche Tätigkeit verdeutlichen. Erfolgen insoweit Änderungen, so können auch diese berichtigt werden27. Akademische Titel sind zwar nicht Namensbestandteil, sind jedoch aufgrund gewohnheitsrechtlicher Übung eintragungsfähig28. Dagegen ist die Funktion als „Sprecher der Geschäftsführung“ nicht eintragungsfähig, da sie zu Missverständnissen bezüglich der Vertretungsregelung Anlass geben kann29.

2. Änderung der Vertretungsbefugnis Anzumelden und einzutragen ist ferner jede Änderung der Vertretungsbefugnis. Was dabei 5 eine „Änderung“ ist, versteht sich vor dem Hintergrund der allgemeinen Grundsätze über die Eintragung der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer nach § 10 Abs. 1 Satz 2. a) Grundsätzlich ist nur die generelle Regelung der Vertretungsbefugnis der Geschäftsfüh- 6 rer einzutragen und nicht die konkrete Vertretungsbefugnis für jeden einzelnen Geschäftsführer. Die Vertretungsbefugnis braucht für einen einzelnen näher benannten Geschäftsführer nur eingetragen zu werden, wenn diese von der bereits eingetragenen Vertretungsregelung

23 BayObLG v. 19.9.1991 – BReg 3 Z 97/91, GmbHR 1992, 306; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; a.A. (echte Pflicht zur Eintragung): KG v. 23.12.2011 – 25 W 52/11, GmbHR 2012, 518; OLG Köln v. 3.6.2015 – 2 Wx 117/15, GmbHR 2015, 1156; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 4; Ulrich, GmbHR 2015, R294, R295; vgl. hierzu auch Ries/Schulte, GmbHR 2013, 345 f. 24 BGH v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, GmbHR 2015, 751, 752; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 2; Lücke/Simon in Saenger/ Inhester, Rz. 6. 25 BGH v. 3.2.2015 – II ZB 12/14, GmbHR 2015, 751; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; dem BGH zustimmend Ulrich, GmbHR 2015, R181. 26 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 6; a.A. lediglich bzgl. Namensbestandteil bildender Titel: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 3; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 2. 27 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 28 BGH v. 4.4.2017 – II ZB 10/16, GmbHR 2017, 707 = ZIP 2017, 1067: Eintragungsfähigkeit des Doktortitels in das Partnerschaftsregister. 29 OLG München v. 5.3.2012 – 31 Wx 47/12, GmbHR 2012, 750.

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§ 39 Rz. 6 | Anmeldung der Geschäftsführer abweicht30. Nach Ablösung der KostO durch das Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) zum 1.8.2013 (BGBl. I 2013, 2586) folgt aus dem Wortlaut des neuen § 109 GNotKG, dass bei der Anmeldung des Ausscheidens und der gleichzeitigen Anmeldung der Neubestellung eines Geschäftsführers von zwei verschiedenen Gegenständen auszugehen ist31. § 86 GNotKG regelt zunächst, was ein Beurkundungsgegenstand ist (Abs. 1) und wann mehrere Gegenstände vorliegen (Abs. 2). Dabei verweist § 86 Abs. 2 GNotKG auf § 109 GNotKG, der in seinem Abs. 1 den Begriff „derselbe Beurkundungsgegenstand“ definiert. Ein solcher liegt vor, wenn Rechtsverhältnisse zueinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen und das Rechtsverhältnis unmittelbar dem Zweck des anderen Rechtsverhältnisses dient. Nach § 111 Nr. 3 GNotKG liegt aber ein besonderer Beurkundungsgegenstand stets bei einer Anmeldung zu einem Register vor. Vorliegend handelt es sich um zwei Anmeldungen. Wenn die allgemeine Vertretungsbefugnis nicht eingetragen ist, so muss für jeden Geschäftsführer die Vertretungsbefugnis konkret genannt werden. Für diesen Weg spricht die Klarheit, die dem Dritten sofort deutlich macht, welche Vertretungsbefugnis für den einzelnen Geschäftsführer besteht. 7 b) Wird ein neuer oder weiterer Geschäftsführer in das Handelsregister eingetragen, so ge-

nügt es daher, wenn sich aus den bisherigen Eintragungen allgemein ergibt, wie die Geschäftsführer vertretungsberechtigt sind. Soll für den neu bestellten Geschäftsführer eine andere Form der Vertretungsbefugnis gelten, so ist dies besonders anzugeben. 8 c) Soll in Zukunft die GmbH nur durch einen Geschäftsführer vertreten sein, so ist auch

dies ausdrücklich anzugeben32. Dies gilt auch, wenn die Einzelvertretungsmacht eines bislang gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführers dadurch entsteht, dass alle anderen Geschäftsführer wegfallen33 (s. hierzu auch 12. Aufl., § 35 Rz. 118 ff.). 9 Erfolgt die Änderung der Vertretungsart durch Satzungsänderung, so kann bereits die nach

§ 54 Abs. 2 erforderliche Eintragung die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer ausreichend kenntlich machen; dann erübrigt sich eine besondere Anmeldung der Änderung gemäß § 39. Eine Änderung der abstrakten Vertretungsbefugnis kann nur im Wege der Satzungsänderung erfolgen. Den Formerfordernissen der §§ 53, 54 widersprechende Gesellschafterbeschlüsse sind daher mangels Wirksamkeit nicht eintragungsfähig34. Das muss aber nicht in jedem Fall so sein, z.B. wenn eine Satzungsbestimmung über die Einzelvertretung oder über unechte Gesamtvertretung zugunsten der gesetzlichen Vertretungsregelung ersatz-

30 Für die generell-konkrete Eintragungsmethode: OLG Frankfurt v. 29.1.1970 – 6 W 11/70, BB 1970, 370 m. abl. Anm. Gustavus, Rpfleger 1971, 359; OLG Frankfurt v. 4.4.1973 – 20 W 920/72, BB 1973, 677; OLG Hamm v. 24.3.1972 – 15 W 44/72, BB 1972, 680; BayObLG v. 4.2.1974 – 2 Z 75/73, BB 1974, 291; OLG Köln v. 25.2.1970 – 2 Wx 11/70, OLGZ 1970, 265 = DNotZ 1970, 748; OLG Frankfurt v. 9.7.1987 – 20 W 107/87, GmbHR 1988, 65; Geßler, BB 1970, 627; Westerholt, GmbHR 1993, 85; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; a.A. für die konkrete Eintragungsmethode: BGH v. 21.11.2002 – V ZB 29/02, NZG 2003, 220; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6; Bokelmann, NJW 1969, 2120, 2121; Gustavus, BB 1969, 1335; Lappe, GmbHR 1970, 9; LG Weiden v. 26.8.1971 – 3 T 51/71, MittBayNot 1971, 324; LG Wuppertal v. 16.1.1992 – 12 T 9/91, GmbHR 1993, 99; Entscheidung liegt beim Registergericht: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; Einzelheiten bei Kanzleiter, Rpfleger 1984, 1. 31 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 2. Zum alten Recht nach der KostO: BGH v. 21.11.2002 – V ZB 29/02, NZG 2003, 220. 32 BGH v. 5.12.1974 – II ZB 11/73, BGHZ 63, 261; s. auch EuGH v. 12.11.1974 – Rs. 32-74, BB 1974, 1500 auf Vorlagebeschluss des BGH v. 14.2.1974 – II ZB 11/73, WM 1974, 510; OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 8/13, GmbHR 2013, 1094, 1095. 33 OLG Schleswig v. 15.12.2010 – 2 W 150/10 (obiter dictum), GmbHR 2011, 253. 34 OLG Düsseldorf v. 23.9.2016 – 3 Wx 130/15, GmbHR 2016, 36, 37; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11.

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Anmeldung der Geschäftsführer | Rz. 10 § 39

los aufgehoben wird. Hier bedarf es einer Eintragung gemäß § 3935. Ebenso ist es, wenn der Gesellschaftsvertrag bestimmt, dass nicht jeder Geschäftsführer, sondern nur ein Gesellschafter-Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen vertretungsberechtigt sein soll, weil ohne namentliche Nennung des betreffenden Geschäftsführers seine Vertretungsbefugnis aus dem Handelsregister nicht hervorgeht36. Die Möglichkeit der Ermächtigung zur Einzelvertretung durch Geschäftsführer, die gesamtvertretungsbefugt sind, kann nicht eingetragen werden37. Nicht eintragungsfähig ist auch eine dem Gesellschaftsvertrag widersprechende Regelung der konkreten Vertretungsbefugnis durch einfachen Gesellschafterbeschluss38. Bei einer Gründung der GmbH im vereinfachten Gründungsverfahren nach § 2 Abs. 1a (s. 9a dort) darf die Gesellschaft nur einen Geschäftsführer haben. Die Einzelvertretungsbefugnis und die Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens gemäß Wortlaut des Musterprotokolls ist einzutragen. Da aber in der Folgezeit weitere Geschäftsführer bestellt werden können, ist nicht nur die Alleinvertretungsbefugnis sondern als abstrakte Vertretungsregelung auch die gesetzliche Gesamtvertretungsbefugnis in die Anmeldung aufzunehmen und ins Handelsregister einzutragen39. Werden später zusätzliche Geschäftsführer bestellt, so ist zwar die Bestellung einzutragen. Nicht erforderlich ist aber die besondere Anmeldung und Eintragung der Gesamtvertretungsbefugnis40. Da bei Gesellschaften, die im vereinfachten Verfahren nach § 2 Abs. 1a gegründet worden, die Befreiung des Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB bei nachträglicher Bestellung weiterer Geschäftsführer nicht fortgilt, ist auch in dieser Konstellation die Änderung der Vertretungsbefugnis im Handelsregister anzumelden41. Bei einer englischen private company limited by shares (Ltd.) ist die auf deren deutsche Zweig- 9b niederlassung beschränkte Einzelvertretungsbefugnis eines im Übrigen gesamtvertretungsberechtigten directors im Handelsregister der Zweigniederlassung eintragungsfähig, auch wenn das ausländische Register selbst keine Eintragung zur Einzelvertretungsbefugnis des directors enthält42. Im deutschen Handelsregister ist ein director zudem gerade als solcher „director“ und nicht als „Geschäftsführer“ einzutragen43.

3. Versicherung § 39 Abs. 3, eingefügt durch die Novelle 1980, ergänzt § 6 und § 9c. Entsprechende Vorschrif- 10 ten finden sich in § 67 Abs. 3 und § 82 Abs. 1 Nr. 5. Der Zweck der Vorschrift ist es, auch in der Folgezeit nach Gründung der Gesellschaft, wenn neue Geschäftsführer bestellt werden, sicherzustellen, dass keine Umstände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 35 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Terlau in Michalski u.a., Rz. 8. 36 OLG Hamm v. 7.8.1968 – 15 W 257/68, GmbHR 1968, 250. 37 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 9; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; a.A. Servatius, NZG 2002, 456, 458. 38 OLG München v. 25.7.2017 – 31 Wx 194/17, GmbHR 2017, 1145. 39 OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09, GmbHR 2009, 1210; OLG Celle v. 26.1.2011 – 9 W 12/11, GmbHR 2011, 305; OLG Düsseldorf v. 12.7.2011 – 3 Wx 75/11, GmbHR 2011, 1319; OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, GmbHR 2009, 1334; OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827; Formulierungsvorschlag bei Wicke, NotBZ 2009, 1, 9 sowie 12. Aufl., § 2 Rz. 125. 40 OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, GmbHR 2009, 1334. 41 So auch OLG Nürnberg v. 15.7.2015 – 12 W 1208/15, GmbHR 2015, 1279 = ZIP 2016, 74 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 2 Rz. 63. 42 OLG Frankfurt v. 3.2.2015 – 20 W 199/13, NZG 2015, 707, 708 f. = GmbHR 2015, 648; eingehend hierzu Mense/Poschitz, GWR 2015, 206. 43 OLG Frankfurt v. 3.2.2015 – 20 W 199/13, NZG 2015, 707, 710 = GmbHR 2015, 648.

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§ 39 Rz. 10 | Anmeldung der Geschäftsführer Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 entgegenstehen, und dass sie entsprechend belehrt worden sind44. Die Versicherung ist auch dann abzugeben, wenn sie bereits anlässlich einer früheren Bestellung abgegeben worden war. Eine unrichtige oder unvollständige Versicherung ist mit Strafe bedroht, § 82 Abs. 1 Nr. 5. Die Versicherung muss deutlich machen, dass es sich um eine eigenverantwortliche Beurkundung handelt, wofür die Verwendung des Wortes „versichern“ nicht unbedingt notwendig ist45. Auch müssen weder die einzelnen Tatbestände des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 noch vergleichbare Taten des ausländischen Rechts (vgl. § 6 Abs. 2 Satz 3) im Einzelnen aufgeführt werden46. Ob diese Rechtsprechung vor dem Hintergrund der Einführung von §§ 265c und 265d StGB jedoch Bestand haben kann, wird unterschiedlich beurteilt und bleibt abzuwarten47. Im Hinblick auf §§ 39 Abs. 3, 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 nicht ausreichend ist dagegen eine Versicherung, die sich auf Berufs- und Gewerbeverbote im Bereich des Unternehmensgegenstands bezieht, da die Prüfung, ob der Unternehmensgegenstand ganz oder teilweise mit dem Gegenstand eines Verbots übereinstimmt, dem Registergericht obliegt48. Die Versicherung hat sich auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung zu beziehen und nicht auf den Zeitpunkt der Verurteilung selbst49. Nicht ausreichend ist auch eine Versicherung des Geschäftsführers, die sich in der bloßen Wiedergabe des Gesetzeswortlauts des § 39 Abs. 3 Satz 1 erschöpft, weil der neue Geschäftsführer eine Versicherung abzugeben hat, in der das Vorliegen konkreter Tatsachen verneint wird, die seiner Bestellung entgegenstehen würden50.

III. Anmeldepflichtige und anmeldebefugte Personen 11 1. Berechtigt und zur Anmeldung verpflichtet sind gemäß § 78 die Geschäftsführer, und

zwar nicht notwendig sämtliche. Ihre Bestellung muss bereits erfolgt sein51, und zwar auch bei Erteilung der Anmeldungsvollmacht an den Notar52. Es genügt und ist erforderlich, dass so viele mitwirken, wie zur Vertretung der Gesellschaft nach Maßgabe des Bestehens von Einzel- oder Kollektivvertretung befugt sind53. Bei unechter Gesamtvertretung genügt die Mitwirkung eines Geschäftsführers und eines Prokuristen54. Dagegen können zwei Prokuristen ohne besondere Bevollmächtigung die Abberufung eines Geschäftsführers nicht anmelden55. Sie sind nur anmeldebefugt mit besonderer formbedürftiger Anmeldungsvollmacht, § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB, oder im Rahmen einer unechten Gesamtvertretung unter Mitwirkung zumindest eines Geschäftsführers56. Hat der Geschäftsführer eine solche Anmeldungsvollmacht wirksam erteilt, entfällt diese einmal wirksam erteilte Anmeldungsvollmacht nicht 44 Zur Belehrung eines im Ausland weilenden Geschäftsführers: Wolff, GmbHR 1998, 35 einerseits und Bartovics, GmbHR 1998, 778 andererseits. 45 OLG Karlsruhe v. 20.4.2012 – 11 Wx 33/12, GmbHR 2012, 797. 46 BGH v. 17.5.2010 – II ZB 5/10, GmbHR 2010, 812. 47 Für eine Einbeziehung von §§ 265c und 265d StGB in die Versicherung des Geschäftsführers OLG Oldenburg v. 8.1.2018 – 12 W 126/17, NZG 2018, 264; dagegen DNotI-Report 2017, 73; zweifelnd auch Melchior/Böhringer, GmbHR 2017, 1074, 1075. 48 OLG Frankfurt v. 23.3.2010 – 20 W 92/10, GmbHR 2010, 918; Roth, in Roth/Altmeppen, § 8 Rz. 17; a.A. Wachter, EWiR 2011, 49. 49 BGH v. 7.6.2011 – II ZB 24/10, NJW-RR 2011, 1257 = GmbHR 2011, 864. 50 OLG Schleswig v. 3.6.2014 – 2 W 36/14, GmbHR 2014, 1095; a.A. OLG Stuttgart v. 10.10.2012 – 8 W 241/11, GmbHR 2013, 91 m. Anm. Oppenländer = ZIP 2013, 671; wie hier Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 Rz. 17. 51 OLG Düsseldorf v. 15.12.1999 – 3 Wx 354/99, GmbHR 2000, 232. 52 Krit. Waldner, NZG 2000, 264. 53 BayObLG v. 17.9.2003 – 3Z BR 183/03, GmbHR 2003, 1356 = BB 2003, 2366. 54 Seebach, RNotZ 2015, 68, 79. 55 OLG Düsseldorf v. 16.3.2012 – 3 Wx 296/11, GmbHR 2012, 690. 56 Wicke, MittBayNot 2014, 13, 17.

284 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

Anmeldung der Geschäftsführer | Rz. 14 § 39

durch die spätere Bestellung neuer Geschäftsführer, auch wenn nach der Vertretungsregelung der Gesellschaft diese nur noch durch mehrere Geschäftsführer gemeinsam vertreten werden kann57. Die Anmeldung muss durch den neu bestellten Geschäftsführer höchstpersönlich erfolgen58; 12 denn der Geschäftsführer muss bei der Anmeldung die Versicherungen nach § 39 Abs. 3 abgeben. Hierbei ist eine Vertretung ausgeschlossen59. 2. Da die Anmeldung und Eintragung keinen rechtsbegründenden Rechtscharakter haben, 13 ist der neu bestellte, aber noch nicht eingetragene Geschäftsführer anmeldebefugt. Dazu muss er aber seine Anmeldebefugnis gesondert nachweisen60. Die Anmeldebefugnis muss bereits bei Abgabe der entsprechenden Erklärung beim Notar vorliegen61. Auf der anderen Seite entfällt die Anmeldeberechtigung mit der Abberufung des Geschäftsführers62. Entsprechend entfällt die Anmeldeberechtigung für den Geschäftsführer nach seiner Amts- 14 niederlegung63. Diese formale Betrachtung führt zu Problemen, wenn es sich bei dem abberufenen Geschäftsführer oder bei dem Geschäftsführer, der sein Amt niedergelegt hat, um den einzigen Geschäftsführer der Gesellschaft handelt. Aus diesem Grund soll der ausgeschiedene Geschäftsführer von der Gesellschaft die Anmeldung seines Ausscheidens verlangen und zu diesem Zweck Klage erheben können64. Die Vollstreckung erfolge nach § 894 ZPO. Das ist lebensfremd. Vielmehr wird man bei unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang davon auszugehen haben, dass der Alleingeschäftsführer, der abberufen wurde oder sein Amt niedergelegt hat, zur Anmeldung befugt ist65. Das Entsprechende gilt, wenn ein Geschäftsführer, der mit einem anderen gesamtvertretungsberechtigt ist, abberufen wird und nur beide Geschäftsführer anmeldebefugt sind66. Auch kann der Geschäftsführer beim Registergericht anregen, den oder die vorhandenen Geschäftsführer durch Ordnungsstrafen gemäß § 14 HGB, §§ 388 ff. FamFG zur Anmeldung anzuhalten. Auch kann das Registergericht 57 OLG Düsseldorf v. 8.12.2017 – 3 Wx 275/16, NZG 2018, 381. 58 Gustavus, GmbHR 1978, 224; Wolff, ZIP 1995, 1493; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 59 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; für § 8 Abs. 3: OLG Düsseldorf v. 8.5.1992 – 3 Wx 469/91, GmbHR 1993, 98, sowie 12. Aufl., § 8 Rz. 25. 60 OLG Düsseldorf v. 15.12.1999 – 3 Wx 354/99, NZG 2000, 262 = GmbHR 2000, 232; OLG Köln v. 11.7.2001 – 2 Wx 13/01, GmbHR 2001, 923; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 8. 61 OLG Düsseldorf v. 15.12.1999 – 3 Wx 354/99, GmbHR 2000, 232 = NZG 2000, 262 m. Anm. Waldner, mit Gestaltungshinweisen; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23. 62 KG v. 7.4.1927 – 1b X 212/27, JW 1927, 1703; BayObLG v. 10.7.1981 – BReg 1 Z 44/81, GmbHR 1982, 214; OLG Frankfurt v. 31.5.1983 – 20 W 120/83, BB 1983, 1561; OLG Zweibrücken v. 30.6.1998 – 3 W 130/98, GmbHR 1999, 479; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 11; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7. 63 BayObLG v. 10.7.1981 – BReg 1 Z 44/81, GmbHR 1982, 214; OLG Frankfurt v. 31.5.1983 – 20 W 120/83, ZIP 1983, 1072; OLG Zweibrücken v. 30.6.1998 – 3 W 130/98, GmbHR 1999, 479; OLG Hamm v. 21.6.1988 – 15 W 81/88, GmbHR 1989, 35; LG Frankenthal v. 23.4.1996 – 1 HK T 1/96, GmbHR 1996, 939; LG Köln v. 14.8.1997 – 87 T 25/97, GmbHR 1998, 183; OLG Frankfurt v. 19.7.2006 – 20 W 229/06, GmbHR 2006, 1151; H. Schneider/Uwe H. Schneider, GmbHR 1980, 10; Eckert, KTS 1990, 37. 64 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 7; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; Wachter, GmbHR 2000, 1134. 65 LG Berlin v. 22.7.1992 – 98 T 25/92, GmbHR 1993, 291 = ZIP 1993, 197; LG Köln v. 14.8.1997 – 87 T 25/97, GmbHR 1998, 183 m. Anm. Müller, BB 1998, 329; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 9; Kießling/Eichele, GmbHR 1999, 1165; Wachter, GmbHR 2001, 1129; Schuhmann, NZG 2002, 706; a.A. OLG Bamberg v. 26.6.2012 – 1 W 29/12, GmbHR 2012, 1241 = NZG 2012, 1106; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26 sowie hier 12. Aufl., § 78 Rz. 11; vgl. hierzu auch Wicke, MittBayNot 2014, 13, 17 mit Vorschlägen für die Praxis. 66 A.A. LG Wuppertal v. 5.3.1991 – 11 T 2/91, GmbHR 1992, 380; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25.

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§ 39 Rz. 14 | Anmeldung der Geschäftsführer von Amts wegen die Berichtigung vornehmen, § 39 Abs. 1 GmbHG, § 395 FamFG, § 19 Abs. 1 HRV. Der Geschäftsführer kann nach seiner Amtsniederlegung eine entsprechende Anregung geben67. Um diesen Schwierigkeiten bei der Anmeldung zu entgehen, kann das Ausscheiden zum Zeitpunkt der Eintragung erfolgen. Der Geschäftsführer kann insbesondere sein Amt zum Zeitpunkt der Eintragung niederlegen. Sofern der Wortlaut der Niederlegungserklärung nicht entgegensteht (wie etwa bei Formulierungen wie „mit sofortiger Wirkung“ oder „mit Wirkung zum …“), ist an eine entsprechende Auslegung zu denken, wenn der niederlegende Geschäftsführer sein Ausscheiden selbst anmeldet68. In diesen Fällen bleibt er zur Anmeldung berechtigt69. 15 Fehlen andere satzungsgemäß bestellte Geschäftsführer, so ist durch einen auf Antrag eines

Beteiligten zu bestellenden Notgeschäftsführer anzumelden70. 16 In der Insolvenz der Gesellschaft ist nicht der Insolvenzverwalter, sondern weiterhin der Ge-

schäftsführer verpflichtet und befugt, die Abberufung und die Neubestellung von Geschäftsführern anzumelden71.

IV. Form der Anmeldung 17 1. Die Anmeldung ist nach § 12 Abs. 1 Satz 1 HGB in öffentlich beglaubigter Form, also

durch notariell beglaubigte Unterschrift der zur Anmeldung verpflichteten Geschäftsführer einzureichen, §§ 1, 39, 39a, 40 BeurkG, unbeschadet der Zuständigkeit für öffentliche Beglaubigungen nach den landesrechtlichen Vorschriften. Der öffentlich beglaubigten Form bedarf auch eine Anmeldevollmacht, § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB72. War eine Satzungsänderung erforderlich, so ist zugleich der Gesellschafterbeschluss in beurkundeter Form vorzulegen. 18 2. Außerdem aber sind nach § 39 Abs. 2 die „Urkunden über die Bestellung der Geschäftsfüh-

rer oder die Beendigung der Vertretungsbefugnis beizufügen“, und zwar in Urschrift oder beglaubigter Abschrift73. Zu denken ist vor allem an den Auszug des Protokolls der Gesellschafterversammlung und die Niederschrift des Bestellungsbeschlusses in der Anmeldung zum Handelsregister, wenn es sich um eine Einpersonen-Gesellschaft handelt74. Für die Urschrift genügt einfache Schriftform75. Für deren Einreichung genügt die Übermittlung einer elektronischen Aufzeichnung (§ 12 Abs. 2 Satz 2 HGB)76. Die öffentliche Beglaubigung der Abschrift erfolgt gemäß § 42 BeurkG durch den Notar. Diese beglaubigte Abschrift des Pro67 Kießling/Eichele, GmbHR 1999, 1168. 68 Dietsch, NotBZ 2007, 193. 69 BayObLG v. 10.7.1981 – BReg 1 Z 44/81, GmbHR 1982, 214; OLG Frankfurt v. 31.5.1983 – 20 W 120/83, ZIP 1983, 1072; OLG Hamm v. 21.6.1988 – 15 W 81/88, GmbHR 1989, 36; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; a.A. Gröger, Rpfleger 1976, 288. 70 BayObLG v. 10.7.1981 – BReg 1 Z 44/81, GmbHR 1982, 214; Klatte, Die Amtsniederlegung des Geschäftsführers einer GmbH, 1997, S. 278. 71 OLG Köln v. 11.7.2001 – 2 Wx 13/01, GmbHR 2001, 923; OLG Rostock v. 17.12.2002 – 6 W 52/02, GmbHR 2003, 1133 = RPfleger 2003, 444; OLG Hamm v. 9.3.2017 – 27 W 175/16, GmbHR 2017, 648; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 11; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 78 Rz. 9. 72 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15. 73 Zur Anwendbarkeit von § 67 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die mündliche Amtsniederlegung eines Vereinsvorstands OLG Frankfurt v. 19.3.2015 – 20 W 327/14, NZG 2016, 155. 74 OLG Thüringen v. 30.9.2002 – 6 W 460/02, GmbHR 2003, 113. 75 KG, KGJ 35 A 157; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32. 76 OLG Thüringen v. 9.9.2010 – 6 W 144/10, GmbHR 2011, 28.

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Anmeldung der Geschäftsführer | Rz. 22 § 39

tokolls über den maßgebenden Gesellschafterbeschluss, ggf. des Beschlusses des Aufsichtsrats oder des sonstigen statutarischen Abberufungsorgans, muss der Anmeldung beigefügt werden. Ist die Frist für die Bestellung abgelaufen, so ist das Protokoll über den Gesellschafterbeschluss mit der befristeten Bestellung, ist der Geschäftsführer verstorben, so ist die Sterbeurkunde vorzulegen. Nicht nachzuweisen ist aber der Zugang der Abberufungserklärung beim Geschäftsführer77 wohl jedoch der Zugang der Erklärung der Amtsniederlegung bei der Gesellschaft78. 3. Beglaubigte Abschrift des Anstellungsvertrages kann genügen, wenn hiernach die Be- 19 stellung nur für fest bestimmte Zeit erfolgt ist, nicht aber die beglaubigte Abschrift eines Kündigungsschreibens, weil mit Kündigung des Anstellungsvertrages nicht zwingend zugleich die Organstellung endet79. Im Falle der Amtsniederlegung muss sich aus der Anmeldung ergeben, dass spätestens mit dem Zeitpunkt der Eintragung die Niederlegung erfolgt ist80.

V. Zeichnung der Unterschrift Nach § 39 Abs. 4 a.F. bedurfte es der Zeichnung jedes neu eintretenden Geschäftsführers. Die 20 Vorschrift wurde durch das EHUG vom 10.11.200681 aufgehoben.

VI. Prüfungspflicht des Registergerichts Streitig ist, ob dem Registergericht ein umfassendes materielles Prüfungsrecht und eine ma- 21 terielle Prüfungspflicht hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen der Änderung in den Personen der Geschäftsführer sowie der Beendigung der Vertretungsbefugnis obliegt82. Stellungnahme: Das Registergericht ist weder verpflichtet noch befugt, umfassend unter Be- 22 rücksichtigung der materiellen Rechtslage die Voraussetzungen dafür zu prüfen, ob die angemeldete Tatsache „richtig“ ist. Wenn zwischen Gesellschaftern streitig ist, ob ein Mehrheitsbeschluss für die Berufung wirksam zustande gekommen83, ob ein wichtiger Grund für eine

77 OLG Hamm v. 26.9.2002 – 15 W 321/01, GmbHR 2003, 111, NZG 2003, 131; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 8; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 43; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 11. 78 Str., wie hier: OLG Naumburg v. 28.2.2001 – 7 Wx 5/00, GmbHR 2001, 569 = RNotZ 2001, 349 mit abl. Anm. Maurer; OLG Hamm v. 10.8.2010 – 15 W 309/10, NZG 2010, 1114 = GmbHR 2010, 1092; OLG Jena v. 29.7.2010 – 6 W 91/10, NJW-RR 2011, 42 = GmbHR 2011, 31; OLG Hamburg v. 6.5.2010 – 11 W 36/10, NZG 2010, 1235; OLG Frankfurt v. 19.7.2006 – 20 W 229/06, GmbHR 2006, 1151; OLG Düsseldorf v. 10.8.2004 – 3 Wx 177/04, GmbHR 2004, 1532 = RNotZ 2004, 510; a.A.: Wachter, GmbHR 2001, 1129, 1137; Dietsch, NotBZ 2007, 193, 199 f.; Lohr, RNotZ 2004, 511 f.; Munzig, FGPrax 2006, 139; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 43; ebenso noch hier in der 10. Aufl., Rz. 18 a.E.; offen gelassen von BGH v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, NJW-RR 2011, 1184 = GmbHR 2011, 925. 79 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53; a.A. hinsichtlich Anstellungsvertrag: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33. 80 KG v. 7.4.1927 – 1b X 212/27, JW 1927, 1703 = GmbHR 1928, 120. 81 BGBl. I 2006, 2553. 82 So etwa OLG Köln v. 4.5.1988 – 2 Wx 6/88, WM 1988, 1749 = GmbHR 1989, 125; OLG Köln v. 4.10.1989 – 2 Wx 23/89, GmbHR 1990, 82; für summarische Prüfung; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 16; a.A. BayObLG v. 18.7.1991 – BReg. 3 Z 133/90, GmbHR 1992, 305; OLG Hamm v. 30.1.1996 – 15 W 20/96, GmbHR 1996, 614; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10. 83 OLG Frankfurt v. 6.11.2008 – 20 W 385/08, GmbHR 2009, 378.

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§ 39 Rz. 22 | Anmeldung der Geschäftsführer Abberufung vorliegt84, ob die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers in einer Zweipersonen-GmbH wirksam ist85, ob die Amtsniederlegung zur Unzeit erfolgte oder ob der Gesellschafterbeschluss zwar anfechtbar, aber wirksam ist, berechtigt dies den Registerrichter nicht, die Eintragung abzulehnen. Im Rahmen eines Amtslöschungsverfahren darf der Registerrichter auch nicht prüfen, ob die Erteilung einer Prokura gegen § 7 ApoG verstößt86. 23 Das Registergericht ist indessen befugt und verpflichtet nachzuprüfen, ob die formellen Vo-

raussetzungen vorliegen87 und die mitgeteilten Tatsachen richtig sind88. Das Registergericht ist zudem verpflichtet, offenkundige Mängel hinsichtlich der materiellen Rechtslage aufzugreifen89, z.B. ob die zur Eintragung angemeldeten Erklärungen wirksam sind90, ob ein Gesellschafterbeschluss vorliegt91 oder ob ein offenkundig unzuständiges Organ entschieden hat. Das Registergericht hat ferner Anträge abzulehnen, wenn das Angemeldete nicht eintragungsfähig ist92, z.B. wenn eine unzulässige Vertretungsform gewählt wurde. Liegen solche offenkundigen Mängel vor, so ist der Registerrichter nicht verpflichtet, die Eintragung vorzunehmen. Er kann vielmehr den Antragsteller auf die zweifelhafte Rechtslage hinweisen, er kann verlangen, dass für Klärung gesorgt wird, und er kann das Verfahren aussetzen93. Eine Aussetzung des Registerverfahrens nach § 21 FamFG soll nur bei besonders triftigen sachlichen und im Einzelnen darzulegenden Gründen möglich sein94, wie etwa beim Vorliegen schwieriger rechtlicher und tatsächlicher Fragen im Abberufungsprozess des Geschäftsführers gegen seine Abberufung95. Anforderungen, die nicht erfüllt werden können, sind unzulässig96. Ist eine BGB-Gesellschaft alleinige Gesellschafterin einer GmbH so kann ein nota-

84 Ebenso: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 74; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10. 85 A.A. OLG München v. 18.8.2011 – 31 Wx 300/11, GmbHR 2011, 1102, 1103. 86 BGH v. 25.7.2017 – II ZB 8/16, ZIP 2017, 2000. 87 KG v. 22.8.2011 – 25 W 17/11, GmbHR 2012, 400 (bei begründeten Zweifeln); OLG München v. 18.8.2011 – 31 Wx 300/11, GmbHR 2011, 1102, 1103; BayObLG v. 18.7.1991 – BReg 3 Z 133/90, GmbHR 1992, 305; OLG Schleswig v. 18.5.1998 – 2 W 48/98, GmbHR 1998, 746: Wirksamkeit der Vertretungsmacht; KG v. 3.6.2016 – 22 W 20/16, GmbHR 2016, 927: Prüfung des ordnungsgemäßen Zustandekommens des Abberufungsbeschlusses; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 15. 88 BGH v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, NJW-RR 2011, 1184 = GmbHR 2011, 925; OLG München v. 18.8.2011 – 31 Wx 300/11, GmbHR 2011, 1102, 1103. 89 BayObLG v. 18.7.1991 – BReg 3 Z 133/90, GmbHR 1992, 305: begründete Bedenken; BayObLG v. 17.11.2000 – 3Z BR 271/00, GmbHR 2001, 72; KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, GmbHR 1997, 708 = Rpfleger 1997, 440; OLG Hamm v. 24.1.2002 – 15 W 8/02, GmbHR 2002, 429; OLG Karlsruhe v. 28.4.2016 – 11 W 31/16 (Wx), NZG 2016, 946, 947: begründete Bedenken gegen die Wirksamkeit des der Abberufung des Geschäftsführers zugrunde liegenden Gesellschafterbeschlusses; Dietsch, NotBZ 2007, 193, 197 f.; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 16; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39; Terlau in Michalski u.a., Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65. 90 BGH v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, NJW-RR 2011, 1184 = GmbHR 2011, 925. 91 OLG Köln v. 21.12.2001 – 2 Wx 59/01, ZIP 2002, 623 = GmbHR 2002, 492; OLG München v. 30.3.2009 – 31 Wx 21/09, GmbHR 2009, 663. 92 BayObLG v. 17.11.2000 – 3Z BR 271/00, GmbHR 2001, 72. 93 OLG Hamm v. 11.5.1998 – 15 W 463/97, NZG 1999, 452; Schaub, NZG 1999, 453. 94 OLG Zweibrücken v. 30.8.2012 – 3 W 108/12, GmbHR 2013, 93 = NZG 2013, 107. 95 OLG Karlsruhe v. 28.4.2016 – 11 W 31/16 (Wx), NZG 2016, 946, 947; vgl. auch KG v. 7.7.2015 – 22 W 15/15, GmbHR 2016, 1159, 1163: Erhebung der Anfechtungsklage des Geschäftsführers gegen seine Abberufung rechtfertigt Aussetzung des Eintragungsverfahrens bis zur Klärung des Anfechtungsrechtsstreits; enger Hübner, NZG 2016, 933, 935 f., der sich für eine restriktive Handhabung der Aussetzungsbefugnis des Registergerichts, soweit die Gesellschaft die Beendigung der Organstellung ihres Geschäftsführers anmeldet und dieser gegen die Abberufung gerichtlich vorgeht. 96 OLG Köln v. 4.5.1988 – 2 Wx 6/88, GmbHR 1989, 125.

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Anmeldung der Geschäftsführer | Rz. 26 § 39

riell beurkundeter Gesellschaftsvertrag nicht zum Nachweis der Wirksamkeit des Bestellungsbeschlusses verlangt werden97. Streitig ist, ob ein Eintragungsantrag vom Registergericht mit der Begründung abgelehnt wer- 23a den kann, die zugrundeliegenden Gesellschafterbeschlüsse einschließlich der Abberufung der Geschäftsführer bzw. deren Amtsniederlegung seien sittenwidrig und der missbräuchlichen Firmenbestattung98 zuzuordnen99. Dagegen soll sprechen, dass es nicht Sache der Registergerichte sei, die Motive der Gesellschafter für die Abberufung der Geschäftsführer zu erforschen100. Grob missbräuchliche Gestaltungen, die nur der Firmenbestattung dienen, können jedoch ein offenkundiger Mangel hinsichtlich der materiellen Rechtslage sein. Das Gericht muss sich nicht zum Handlanger der Firmenbestatter machen lassen.

VII. Die Wirkung von Anmeldung, Eintragung und Veröffentlichung 1. Die gehörig bewirkte Anmeldung ist vom Registergericht in das Handelsregister einzutra- 24 gen. Die erfolgte Eintragung ist zu veröffentlichen, §§ 10–13 HGB. 2. Die Ernennung, Abberufung, Änderung der Vertretungsmacht sind von der Anmeldung 25 und Eintragung unabhängig101. Die Eintragung hat nur deklaratorische und keine konstitutive Wirkung102. Der Geschäftsführer kann daher sofort nach der Bestellung, also noch vor der Anmeldung und Eintragung, tätig werden. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Bestellung mit einer Satzungsänderung verbunden ist, § 54 Abs. 3. 3. Die Unterzeichnung einer Anmeldung kann mittelbare Bedeutung haben. Unterzeichnet 26 ein Gesellschafter eine Anmeldung, so liegt darin zugleich die Erklärung, dass er auch der Änderung der materiellen Rechtslage zustimmt103.

OLG Hamm v. 7.9.2010 – 15 W 253/10, GmbHR 2011, 29. Hirte, ZInsO 2003, 833; Kleindiek, ZGR 2007, 276. So AG Memmingen v. 2.12.2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 20. Vgl. auch BGH v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, GmbHR 1960, 185. BGH v. 6.11.1995 – II ZR 181/94, GmbHR 1996, 50; OLG Hamburg v. 18.1.2000 – 4 U 114/92, NZG 2000, 698; OLG Celle v. 31.8.1994 – 9 U 118/93, GmbHR 1995, 728; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51. 103 BGH v. 25.9.1972 – II ZR 5/71, WM 1972, 1368; BGH v. 17.12.1973 – II ZR 124/72, WM 1974, 177; BGH v. 23.2.1976 – II ZR 177/74, GmbHR 1977, 103; Terlau in Michalski u.a., Rz. 22. 97 98 99 100 101 102

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§ 40 Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung (1) Die Geschäftsführer haben unverzüglich nach Wirksamwerden jeder Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung eine von ihnen unterschriebene Liste der Gesellschafter zum Handelsregister einzureichen, aus welcher Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort derselben sowie die Nennbeträge und die laufenden Nummern der von einem jeden derselben übernommenen Geschäftsanteile sowie die durch den jeweiligen Nennbetrag eines Geschäftsanteils vermittelte jeweilige prozentuale Beteiligung am Stammkapital zu entnehmen sind. Ist ein Gesellschafter selbst eine Gesellschaft, so sind bei eingetragenen Gesellschaften in die Liste deren Firma, Satzungssitz, zuständiges Register und Registernummer aufzunehmen, bei nicht eingetragenen Gesellschaften deren jeweilige Gesellschafter unter einer zusammenfassenden Bezeichnung mit Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort. Hält ein Gesellschafter mehr als einen Geschäftsanteil, ist in der Liste der Gesellschafter zudem der Gesamtumfang der Beteiligung am Stammkapital als Prozentsatz gesondert anzugeben. Die Änderung der Liste durch die Geschäftsführer erfolgt auf Mitteilung und Nachweis. (2) Hat ein Notar an Veränderungen nach Absatz 1 Satz 1 mitgewirkt, hat er unverzüglich nach deren Wirksamwerden ohne Rücksicht auf etwaige später eintretende Unwirksamkeitsgründe die Liste anstelle der Geschäftsführer zu unterschreiben, zum Handelsregister einzureichen und eine Abschrift der geänderten Liste an die Gesellschaft zu übermitteln. Die Liste muss mit der Bescheinigung des Notars versehen sein, dass die geänderten Eintragungen den Veränderungen entsprechen, an denen er mitgewirkt hat, und die übrigen Eintragungen mit dem Inhalt der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Liste übereinstimmen. (3) Geschäftsführer, welche die ihnen nach Absatz 1 obliegende Pflicht verletzen, haften denjenigen, deren Beteiligung sich geändert hat, und den Gläubigern der Gesellschaft für den daraus entstandenen Schaden als Gesamtschuldner. (4) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates nähere Bestimmungen über die Ausgestaltung der Gesellschafterliste zu treffen. (5) Die Landesregierungen werden ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass bestimmte in der Liste der Gesellschafter enthaltene Angaben in strukturierter maschinenlesbarer Form an das Handelsregister zu übermitteln sind, soweit nicht durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz nach § 387 Absatz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechende Vorschriften erlassen werden. Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. Vorschrift seit 1892, ursprünglich § 41; neu gefasst durch HRefG vom 22.6.1998 (BGBl. I 1998, 1474); Abs. 1 neu gefasst, Abs. 2 eingefügt, alter Abs. 2 wird Abs. 3, Abs. 3 geändert durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026); Überschrift und Abs. 1 Satz 1 neu gefasst, Abs. 1 Satz 2 und 3 eingefügt, alter Abs. 1 Satz 2 wird Abs. 1 Satz 4, Abs. 4 und 5 eingefügt durch Gesetz vom 23.6.2017 m.W.v. 26.6.2017 (BGBl. I 2017, 1822). Verordnung über die Ausgestaltung der Gesellschafterliste (Gesellschafterlistenverordnung – GesLV) Eingangsformel Auf Grund des § 40 Absatz 4 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, der durch Artikel 14 Nummer 3 Buchstabe c des Gesetzes vom 23. Juni 2017 (BGBl. I S. 1822) eingefügt worden ist, verordnet das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz:

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | § 40 § 1 Nummerierung von Geschäftsanteilen (1) In der Gesellschafterliste sind die Geschäftsanteile fortlaufend und in eindeutiger Zuordnung zu den Gesellschaftern mit ganzen arabischen Zahlen (Einzelnummern) oder, in den durch diese Verordnung bestimmten Fällen, mit ganzen arabischen Zahlen in dezimaler Gliederung (Abschnittsnummern) zu nummerieren (Nummern). Die numerische Zuordnung von Geschäftsanteilen kann für jeden Gesellschafter zusammengefasst werden. Die Gesellschafterliste kann sowohl nach Geschäftsanteilen als auch nach Gesellschaftern sortiert werden. (2) Eine für einen Geschäftsanteil einmal vergebene Nummer darf nicht für einen anderen Geschäftsanteil verwendet werden (Nummerierungskontinuität). Eine Änderung der Nummern ist nur in den durch diese Verordnung bestimmten Fällen zulässig. (3) Neue Einzelnummern sind zu vergeben, wenn neue Geschäftsanteile geschaffen, Geschäftsanteile zusammengelegt oder Geschäftsanteile geteilt werden. Es muss jeweils die nächste freie ganze arabische Zahl vergeben werden. Werden neue Geschäftsanteile geschaffen oder Geschäftsanteile geteilt, können die neu entstandenen Geschäftsanteile auch durch Abschnittsnummern gekennzeichnet werden; Satz 2 gilt entsprechend. (4) Wenn die Gesellschafterliste aufgrund der bisherigen Nummerierung unübersichtlich würde oder geworden ist, dürfen die Geschäftsanteile in einer Bereinigungsliste abweichend von Absatz 2 Satz 1 nummeriert werden. § 2 Veränderungsspalte (1) Veränderungen nach § 40 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Vergleich mit der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Liste werden nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 in eine Veränderungsspalte eingetragen, die in diesen Fällen der Gesellschafterliste beigefügt wird. (2) Die Erstellung einer Bereinigungsliste und die bisherige Nummerierung sind in den Fällen des § 1 Absatz 4 in die Veränderungsspalte einzutragen. (3) In die Veränderungsspalte sollte eingetragen werden: 1. die Teilung von Geschäftsanteilen, 2. die Zusammenlegung von Geschäftsanteilen, 3. die Einziehung von Geschäftsanteilen, 4. die Kapitalerhöhung mit Ausgabe neuer Geschäftsanteile, 5. die Kapitalerhöhung mit Aufstockung der Geschäftsanteile, 6. die Kapitalherabsetzung, 7. der Anteilsübergang. (4) Weitere Veränderungen nach Absatz 1 können in die Veränderungsspalte eingetragen werden. § 3 Wegfallen der Altangaben Liegt eine Veränderung nach § 2 Absatz 1 vor, die zur Vergabe einer neuen Nummer nach § 1 führt, so fallen die bisherige Nummer und die bisherigen Angaben, die in der Gesellschafterliste in Verbindung mit der bisherigen Nummer eingetragen waren, weg. § 4 Prozentangaben (1) Die nach § 40 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung erforderlichen Angaben zur prozentualen Beteiligung am Stammkapital dürfen nach dem kaufmännischen Prinzip bis auf eine Dezimalstelle gerundet werden. Eine Abrundung auf 0,0 Prozent, 25,0 Prozent oder 50,0 Prozent ist nicht zulässig. Alternativ können die Angaben ohne Rundung durch das Weglassen der Nachkommastellen bis auf eine Dezimalstelle dargestellt werden; Satz 2 gilt entsprechend. (2) Der Gesamtumfang der prozentualen Beteiligung eines Gesellschafters am Stammkapital nach § 40 Absatz 1 Satz 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung ist vor der Rundung (Absatz 1 Satz 1) oder dem Weglassen von Nachkommastellen (Absatz 1 Satz 3) der Einzelbeteiligungen zu errechnen. Für die Angabe des Gesamtumfangs gilt Absatz 1 entsprechend. (3) Die Summe der Prozentangaben nach den Absätzen 1 und 2 braucht nicht 100 Prozent zu ergeben. (4) Beträgt der Anteil des Nennbetrags eines einzelnen Geschäftsanteils weniger als 1 Prozent vom Stammkapital, genügt diese Angabe. Entsprechendes gilt, wenn die addierten Nennbeträge der Geschäftsanteile eines Gesellschafters weniger als 1 Prozent vom Stammkapital betragen. (5) Die Prozentangaben nach § 40 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind in separaten Spalten aufzuführen. Die Prozentangaben nach § 40 Absatz 1 Satz 3 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind in weiteren separaten Spalten oder in an die Gesellschafterliste anschließenden separaten Zeilen aufzuführen.

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§ 40 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung § 5 Übergangsvorschriften Diese Verordnung findet auf vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung gegründete Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit der Maßgabe Anwendung, dass die in dieser Verordnung bestimmten Anforderungen erst zu beachten sind, wenn aufgrund einer Veränderung nach § 40 Absatz 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung eine Gesellschafterliste einzureichen ist. § 6 Inkrafttreten Diese Verordnung tritt am 1. Juli 2018 in Kraft. Schlussformel Der Bundesrat hat zugestimmt. I. 1. 2. 3. 4. II. 1.

2. 3. 4. 5.

III.

1. 2. 3. IV.

1.

Norminhalt und Normzwecke Norminhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . Eigenschaft der Gesellschafterliste . . . Inhalt der Gesellschafterliste . . . . . . . . Gesellschafter a) Natürliche Personen als Gesellschafter (§ 40 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . b) Gesellschaft als Gesellschafter (§ 40 Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . aa) Inhalt bei einer eingetragenen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Inhalt bei einer nicht eingetragenen Gesellschaft . . . . . . . . . . . . Beteiligungsumfang und Anteilsindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Prozentuale Beteiligung am Stammkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veränderungsspalte . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Einzelangaben . . . . . . . . . . . . . a) Angabe von Zeitdaten . . . . . . . . . . . . b) Dingliche Belastungen und sonstige Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständigkeits- und Pflichtenzuweisung für die Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste: Grundlagen Konzept der gespaltenen Zuständigkeits- und Pflichtenzuweisung . . . . . . Konzept der Partikularpflicht . . . . . . . Keine Notzuständigkeit der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erstellungspflicht und Einreichungszuständigkeit der Geschäftsführer (§ 40 Abs. 1) Zuständigkeit und Pflichtenkanon (§ 40 Abs. 1 Satz 1) a) Zuständigkeit der Geschäftsführer . . b) Prüfungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 2 9 13 14

15 18 19 20 23 31 34 37 38 39

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c) Erstellungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einreichungspflicht . . . . . . . . . . . . . . e) Berichtigungspflicht . . . . . . . . . . . . . 2. Mitteilung und Nachweis von Veränderungen (§ 40 Abs. 1 Satz 4) . . . . . a) Mitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einreichung und Form . . . . . . . . . . . . . 4. Korrektur und Rechtsschutz . . . . . . . . V. Erstellungspflicht und Einreichungszuständigkeit des Notars (§ 40 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit und allgemeiner Pflichtenkanon (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitwirkung an Veränderung . . . . . . aa) Unmittelbare Mitwirkung . . . . . bb) Mittelbare Mitwirkung . . . . . . . . b) Prüfungs- und Berichtigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erstellungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einreichungspflicht . . . . . . . . . . . . . . 2. Übermittlung an die Gesellschaft (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2) . . . . . . . . 3. Notarbescheinigung (§ 40 Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einreichung und Form . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zuständigkeiten und Pflichten ausländischer Notare . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Handlungspflichten des Handelsregisters 1. Aufnahme in das Handelsregister . . . 2. Prüfung durch das Handelsregister . . 3. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 51 52 53 54 57 62 66

68

69 70 71 75 82 87 89 90 91 92 96 98 99 100 101 103

105 107 112

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | § 40 VIII. Verordnungsermächtigungen (§ 40 Abs. 4, 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zweck der Verordnungsermächtigung und der GesLV . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt der GesLV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ermächtigung der Landesregierungen (§ 40 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IX. Haftung 1. Haftung des Geschäftsführers a) Pflichtverletzung und Verschulden . b) Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung des Notars . . . . . . . . . . . . . . . . X. Übergangsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

118 120 123 124 126

Schrifttum: Apfelbaum, Das Merkmal der Zurechenbarkeit beim gutgläubigen Erwerb von GmbH-Anteilen, BB 2008, 2470; Bayer, Gesellschafterliste: Einreichungspflichtige Veränderungen der Beteiligungsverhältnisse, GmbHR 2012, 1; Bayer, Gesellschafterliste und Aktienregister – Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Überlegungen de lege ferenda, in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 9; Bednarz, Die Gesellschafterliste als Rechtsscheinträger für einen gutgläubigen Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen, BB 2008, 1854; Berninger, Gesellschafterliste und Übergangsproblematik der Einreichungsverantwortlichkeit bei nachträglicher Berichtigung, GmbHR 2009, 679; Berninger, Zuständigkeit des Notars zur Einreichung einer aktualisierten Gesellschafterliste bei sog. „mittelbarer Mitwirkung“?, DStR 2010, 1292; Berninger, Pflicht zur Einreichung mehrerer Gesellschafterlisten bei unmittelbar aufeinanderfolgenden Änderungen, die sich aus ein und derselben notariellen Urkunde ergeben?, GmbHR 2014, 449; Birkefeld/ Schäfer, Die neue Gesellschafterliste nach § 40 Abs. 1 GmbHG – „Prozente, Prozente, Prozente!“ und am Ende haftet der Geschäftsführer?, BB 2017, 2755; Blasche, Aktuelle Praxisfragen zur Gesellschafterliste, RNotZ 2014, 34; Bohrer, Fehlerquellen und gutgläubiger Erwerb im Geschäftsanteilsverkehr – Das Vertrauensschutzkonzept im Regierungsentwurf des MoMiG, DStR 2007, 995; Böhringer, Neue Pflichtangaben für Gesellschafterlisten einer GmbH, BWNotZ 2017, 61; Breitenstein/Meyding, Der Regierungsentwurf zum MoMiG: Die Deregulierung des GmbH-Rechts schreitet voran, BB 2007, 1457; Bunnemann/Zirngibl, Auswirkungen des MoMiG auf bestehende GmbHs, 2008; Bussian/Achenbach, Haftung des GmbH-Geschäftsführers für die Gesellschafterliste trotz Mitwirkung des Notars?, BB 2010, 778; Cramer, Das Prüfungsrecht des Registergerichts bei fehlenden oder fehlerhaften Prozentangaben in der GmbH-Gesellschafterliste, NZG 2018, 721; Cziupka, Zehn praktische Hinweise zur neuen Gesellschafterlistenverordnung, GmbHR 2018, R180; Damm, Die GmbH-Gesellschafterliste acht Jahre nach dem MoMiG, BWNotZ 2017, 2; Eickelberg/Ries, Bedingt listenfähig – Aktuelles von der GmbH-Gesellschafterliste, NZG 2015, 1103, Elsing, Gesellschafterliste und Anzeigen von Gesellschaftsanteilsabtretungen mit Blick auf das MoMiG, ZNotP 2007, 332; Engel, Angabe des Geschäftsanteils eines Gesellschafters in der Gesellschafterliste, NZG 2018, 175; Fell, Die GmbH-Gesellschafterliste erneut im Fokus – kommt mit der Gesellschafterlistenverordnung nun die lang ersehnte Transparenzsteigerung?, jM 2019, 46; Fischer, Die Gesellschafterliste der GmbH im einstweiligen Rechtsschutz, GmbHR 2018, 1257; Förl, Die neue Teilbarkeit von Geschäftsanteilen – einfach (und) gut, RNotZ 2008, 409; Frank/Schaub, Standardisierung der GmbH-Gesellschafterliste – Die Vorgaben der Gesellschafterlistenverordnung, DStR 2018, 1822; Gehrlein, Der aktuelle Stand des neuen GmbH-Rechts, Der Konzern 2007, 771; Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, 2008; Gottschalk, Neue Regelungen für die Gesellschafterliste und die Geschäftsanteile sowie der gutgläubige Erwerb von Geschäftsanteilen nach dem MoMiG, DZWIR 2008, 45; Gottschalk, Geteilte Einreichungszuständigkeit für die Gesellschafterliste und Anforderungen an die Notarbescheinigung, NZG 2009, 896; Götze/Bressler, Praxisfragen der Gesellschafterliste und des gutgläubigen Erwerbs von Geschäftsanteilen nach MoMiG, NZG 2007, 894; Götze/Mörtel, Zulässigkeit der Eintragung der GmbH-Gesellschafterliste durch einen ausländischen Notar, NZG 2014, 369; Graf Wolffskeel von Reichenberg/Danninger, Die zuletzt aufgenommene Gesellschafterliste, NZG 2019, 1001; Grunewald, Der gutgläubige Erwerb von GmbH-Anteilen: Eine neue Option, Der Konzern 2007, 13; Harbarth, Gutgläubiger Erwerb von GmbH-Anteilen nach dem MoMiG, ZIP 2008, 57; Hasselmann, Die Gesellschafterliste nach dem MoMiG – Überblick und Gesellschaftsgründung, NZG 2009, 409; Hasselmann, Die Gesellschafterliste nach § 40 GmbHG: Inhalt und Zuständigkeit, NZG 2009, 449; Hasselmann, Die Gesellschafterliste nach § 40 GmbHG: Erstellung und Einreichung durch Geschäftsführer und Notare, NZG 2009, 486; Hasselmann, Die Zuordnung des Widerspruchs zur Gesellschafterliste, NZG 2010, 207; Hasselmann, Keine Einreichung einer Gesellschafterliste durch ausländischen Notar, NZG 2013, 325; Hauschild, Die Pflichten des Notars bei Erstellung der Gesellschafterliste: Mittelbare Verschärfung der Formerfordernisse, ZIP 2012, 660; Heckschen, Auswirkungen des MoMiG auf die Übertragung von GmbH-Anteilen von Todes wegen und im Wege der vorweggenommenen Erbfolge, ZErb 2008, 246; Heckschen, Die GmbH-Reform – Wege und Irrwege, DStR 2007, 1442; Heidinger, Der

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§ 40 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung Tod des Gesellschafters bei der GmbH (Gesellschafterliste und Beschlussfassung), ZNotP 2012, 449; Heilmeier, Listeneinreichungszuständigkeit bei mittelbarer Mitwirkung eines Notars nach § 40 GmbHG, NZG 2012, 217; Herrler, Gutgläubiger Erwerb bei vorheriger aufschiebend bedingter GmbH-Geschäftsanteilsabtretung – Sicherung durch Vermerk in Gesellschafterliste, BB 2009, 2272; Herrler, Neues aus Karlsruhe zur Gesellschafterliste, NZG 2011, 536; Herrler, Offene Fragen rund um die Gesellschafterliste: Einreichungszuständigkeit, registergerichtliches Prüfungsrecht und Publizitätswirkungen, GmbHR 2013, 617; Herrler, Zuständigkeit des ausländischen Notars zur Einreichung der Gesellschafterliste – (k) ein Vehikel zur Klärung der Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung, GmbHR 2014, 225; Hermanns, Basel II für Abtretungen – Neues aus Karlsruhe?, RNotZ 2014, 229; Huneke, Die Eintragung von Gesellschaften bürgerlichen Rechts in die GmbH-Gesellschafterliste, GmbHR 2016, 1186; Ising, Gesellschafterliste nach Umwandlungen: Probleme in der Praxis, NZG 2010, 812; Jäger, Beurkundungen durch einen ausländischen Notar im GmbH-Recht und Einreichung der Gesellschafterliste, jM 2014, 241; Kabelfleisch/Glock, Freiwillige Zusatzangaben in der GmbH-Gesellschafterliste, GmbHR 2015, 847; Klöckner, Praxisprobleme beim gutgläubigen Erwerb von GmbH-Geschäftsanteilen, NZG 2008, 841; Kort, Offene Fragen zu Gesellschafterliste, Gesellschafterstellung und gutgläubigem Anteilserwerb (§§ 40 und 16 GmbHG n.F.), GmbHR 2009, 169; Lange, Gesellschafterbeschlüsse mit unbekannten oder unerreichbaren Gesellschaftern in der GmbH, NJW 2016, 1852; Lange, Vererbung von GmbH-Anteilen und Gesellschafterliste, GmbHR 2012, 986; Liebscher/Goette, Korrektur einer von einem Notar eingereichten Gesellschafterliste, DStR 2010, 2038; Lieder, Teilung und Listenkorrektur im GmbH-Recht, NZG 2014, 329; Lieder/Becker, Die Gesellschafterlistenverordnung, NotBZ 2018, 321; Lieder/Cziupka, Berechtigung einer offenbar unrichtigen Gesellschafterliste im Anwendungsbereich des reformierten § 40 Abs. 1 GmbHG, GmbHR 2018, 231; Link, Gesellschafterliste und gutgläubiger Erwerb von GmbH-Anteilen aus Sicht der Notarpraxis, RNotZ 2009, 193; Löbbe, Zuständigkeit von Geschäftsführer und Notar für Inhalt und Einreichung der GmbH-Gesellschafterliste, GmbHR 2012, 7; Longrée/Pesch, Das neue Transparenzregister in der Praxis, NZG 2017, 1081; D. Mayer, Der Erwerb einer GmbH nach Änderungen durch das MoMiG, DNotZ 2008, 403; D. Mayer, Aufwertung der Gesellschafterliste durch das MoMiG – Fluch oder Segen?, ZIP 2009, 1037; D. Mayer, Probleme rund um die Gesellschafterliste, MittBayNot 2014, 24 (Teil I) und 2014, 114 (Teil II); Meichelbeck/Krauß, Neues zur Auslandsbeurkundung im Gesellschaftsrecht, DStR 2014, 752; Melchior, Kummer mit der Nummer? – Hinweise zur Nummerierung der GmbH-Geschäftsanteile in der Gesellschafterliste, NotBZ 2010, 213; Melchior, Die GmbH-Gesellschafterliste – ein Zwischenstand, GmbHR 2010, 418; Melchior/Böhringer, Sportwettbetrug, Gesellschafterliste und Eintragungsbescheinigung: Drei (Groß-)Baustellen im Handelsregister, GmbHR 2017, 1074; Miller, Gesellschafterlistenverordnung – Sinn und Unsinn gegenwärtiger Rechtsetzung, NJW 2018, 2518; Noack, Die Gesellschafterliste nach dem MoMiG, in FS Hüffer, 2010, S. 723; Omlor, Verkehrsschutz im Kapitalgesellschaftsrecht – das System des gutgläubigen Erwerbs von GmbH-Geschäftsanteilen, WM 2009, 2105; Omlor, Verkehrsschutzfragen zum Anwartschaftsrecht am GmbH-Geschäftsanteil, DNotZ 2012, 179; Omlor/Spies, Grundfragen der Gesellschafterliste, MittBayNot 2011, 353; Peetz, Wie komplex darf das GmbH-Gesetz sein – Überlegungen am Beispiel der Gesellschafterliste, GmbHR 2014, 1289; Pfeiffer, Auswirkungen der geplanten Notarkostenreform auf gesellschafsrechtliche Vorgänge und M&A-Transaktionen, NZG 2013, 244; Preuß, Gesellschafterliste, Legitimation gegenüber der Gesellschaft und gutgläubiger Erwerb von GmbH-Anteilen, ZGR 2008, 676; Preuß, Die Mitwirkung des Notars bei Veränderungen des Gesellschafterbestandes nach dem MoMiG, in FS Spiegelberger, 2009, S. 876; Punkte/Stefanink, Neue Anforderungen an Inhalt und Gestaltung von GmbH-Gesellschafterlisten, GWR 2018, 131; Reithmann, Mitwirkung des ausländischen Notars bei der Geschäftsanteilsabtretung nach dem MoMiG, GmbHR 2009, 699; Reymann, Zurechnungssystem und Regelungsebenen der GmbH-Gesellschafterliste, BB 2009, 506; Reymann, Aufschiebend bedingte Geschäftsanteilsabtretungen und Zwischenverfügungen bei der GmbH, GmbHR 2009, 343; Reymann, Eintragung eines Nießbrauchs in die Gesellschafterliste; Besprechung zu LG Aachen, RNotZ 2009, 412; Ries, Die Last mit der Liste, in Liber amicorum K. Mock, 2009, S. 217; Ries, Never ending story, die Gesellschafterliste, NZG 2010, 207; Roth, Die mittelbare Mitwirkung des Notars an Veränderungen in der Person oder der Beteiligung des GmbH-Gesellschafters, RNotZ 2014, 470; Saenger/Scheuch, Auslandsbeurkundung bei der GmbH – Konsequenzen aus MoMiG und Reform des Schweizer Obligationsrechts, BB 2008, 65; Schaub, Überblick über die neue GmbH-Gesellschafterliste, GmbHR 2017, 727; Schmich/Schnabelrauch, Die Relevanz der GmbH-Gesellscahfterliste für die steuerliche Zurechnung bei Anteilsübertragungen, GmbHR 2015, 516; H. Schmidt, Einzelfragen zur Gesellschafterliste i.S.v. § 40 GmbHG, NotBZ 2013, 13; H. Schmidt, Gesellschafterliste i.S.v. § 40 GmbHG – Unendliches Thema, RNotZ 2011, 148; H. Schmidt, Gesellschafterliste im Sinne von § 40 GmbHG – Problemdarstellungen in der aktuellen Rechtsprechung und im Schriftum, NZG 2021, 181; Uwe H. Schneider, Neue Haftungsrisiken für GmbH-Geschäftsführer bei Er-

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 1 § 40 stellung und Einreichung der Gesellschafterliste, GmbHR 2009, 393; Schockenhoff/Höder, Gutgläubiger Erwerb von GmbH-Anteilen nach dem MoMiG: Nachbesserungsbedarf aus der Sicht der M&A-Praxis, ZIP 2006, 1841; Schulte, Zwei Jahre MoMiG – aktuelle Problemfelder im Handelsregisterverfahren, GmbHR 2010, 1128; Seebach, Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Geschäftsführer und (ausländischem) Notar bei Einreichung und Korrektur einer GmbH-Gesellschafterliste, DNotZ 2014, 413; Sikora/Tiedtke, Kostenfragen im Zusammenhang mit der Gesellschafterliste nach § 40 Abs. 2 Satz 2, ZNotP 2009, 432; Szalai, Die Ausgestaltung der Gesellschafterliste erhält einen rechtlichen Rahmen, NWB 2018, 2121; Szalai, Neuigkeiten zur GmbH. Die Gesellschafterlistenverordnung (GesLV) kommt!, GWR 2018, 250; Tebben, Die Reform der GmbH – das MoMiG in der notariellen Praxis, RNotZ 2008, 441; Thomale/Gutfried, Geschäftsanteilsverkehr als Regulierungsproblem, ZGR 2017, 61; Tiedtke, Wirksamkeitsbescheinigung zur Gesellschafterliste gem. § 40 Abs. 2 GmbHG, ZNotP 2009, 448; Vossius, Gutgläubiger Erwerb von GmbH-Anteilen nach dem MoMiG, DB 2007, 2299; Wachter, GmbH-Reform: Auswirkungen auf die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen, ZNotP 2008, 378; Wachter, Unternehmensnachfolge bei der GmbH und GmbH & Co. KG nach dem MoMiG, DB 2009, 159; Wachter, Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen nach MoMiG, in Römermann/Wachter (Hrsg.), GmbH-Beratung nach dem MoMiG, GmbHR-Sonderheft 2008, S. 51; Wachter, Neuregelungen bei der GmbH-Gesellschafterliste, GmbHR 2017, 1177; Wachter, GmbH-Gesellschafterliste: 10 Jahre nach MoMiG – Rückblick und Ausblick, GmbHR 2018, 1129; Walch, Treuhandbeteiligung und die Transparenz der Anteilseignerstrukturen im GmbH-Recht, NZG 2015, 1259; Wälzholz, Die Reform des GmbH-Rechts, MittBayNot 2008, 425; Weigl, Die Sicherung des Erwerbers oder Treugebers eines Geschäftsanteils durch eine aufschiebend bedingte Abtretung nach Inkrafttreten des MoMiG, MittBayNot 2009, 116; Weigl, Gesellschafterliste und Gutglaubenserwerb bei aufschiebend bedingten Geschäftsanteilsabtretungen, NZG 2009, 1173; Wicke, Gründung, Satzungsgestaltung und Anteilsabtretung nach der GmbH-Reform, NotBZ 2009, 1; Wicke, „Best Practice“ bei der Nummerierung in der Gesellschafterliste, MittBayNot 2010, 283; Wicke, GmbH-Gesellschafterliste und Transparenzregister, DB 2017, 2528; Wiersch, Korrektur unrichtiger Gesellschafterlisten, GWR 2014, 117; Wolfer/Adams, Verhinderung von Missbrauch der GmbH-Gesellschafterliste im Rahmen von Gesellschafterstreitigkeiten, GWR 2014, 339; Wolff, Die Verbindlichkeit der Gesellschafterliste für Stimmrecht und Beschlussverfahren, BB 2010, 454; Wolff, Die GmbH-Gesellschafterliste im Fokus der Rechtsprechung, DB 2011, 1037; Zinger/Urich-Erber, Der Testamentsvollstreckervermerk in der Gesellschafterliste, NZG 2011, 286.

I. Norminhalt und Normzwecke 1. Norminhalt Nachdem durch das MoMiG mit Wirkung zum 1.11.2008 die Pflichten im Zusammenhang 1 mit der Erstellung und Führung von Gesellschafterlisten (§ 40) und deren rechtliche Bedeutung (§ 16) grundlegend geändert worden sind, wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen1 mit Wirkung vom 26.6.2017 der Umfang inhaltlicher Angaben in der Gesellschafterliste durch § 40 Abs. 1 n.F. erheblich erweitert sowie die Vorschrift um zwei Verordnungsermächtigungen in § 40 Abs. 4, 5 n.F. ergänzt. Grundsätzlich haben die Geschäftsführer nach jeder Änderung der Beteiligungsverhältnisse an einer GmbH unverzüglich eine aktuelle Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen (§ 40 Abs. 1 Satz 1); die Änderung der Liste durch die Geschäftsführer darf nur auf Mitteilung und Nachweis erfolgen (§ 40 Abs. 1 Satz 4). In der Normpraxis wird die Gesellschafterliste regelmäßig durch einen Notar erstellt und eingereicht, denn ihn trifft eine Erstellungs- und Einreichungsverpflichtung, wenn er – und das ist der Regelfall – an der Veränderung der Gesellschafterstellung mitgewirkt hat (§ 40 Abs. 2 Satz 1). Einer vom Notar erstellten Gesellschafterliste ist eine Notarbescheinigung über die Richtigkeit der in der Gesellschafterliste berücksichtigten Veränderung und zur Übereinstimmung mit der

1 BGBl. I 2017, 1822.

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§ 40 Rz. 1 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste beizufügen (§ 40 Abs. 2 Satz 2). Die Inhalte der Gesellschafterliste sind mit Wirkung zum 26.6.2017 um die Angabe der durch den jeweiligen Nennbetrag eines Geschäftsanteils vermittelten, prozentualen Beteiligung am Stammkapital erweitert worden; hält ein Gesellschafter mehr als einen Geschäftsanteil, ist in der Liste neuerdings auch der Gesamtumfang seiner Beteiligung am Stammkapital als Prozentsatz gesondert anzugeben (§ 40 Abs. 1 Satz 3 n.F.). Ebenfalls gesetzlich geregelt wurden mit § 40 Abs. 1 Satz 2 n.F. die Mindestangaben zu an der GmbH beteiligten Gesellschaften, wobei sich Art und Umfang der Angaben nach dem Umstand ihrer (eigenen) Eintragung unterscheiden; diese Unterscheidung war dem deutschen Gesellschaftsrecht bislang fremd2. Ferner ist mit Wirkung zum 1.7.2018 die Gesellschafterlistenverordnung3 (GesLV), gestützt auf die Ermächtigung des § 40 Abs. 4, in Kraft getreten. Als Sondernorm zu § 43 wird bestimmt, dass der Geschäftsführer für Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste beim Handelsregister gegenüber den betroffenen Gesellschaftern und den Gesellschaftsgläubigern haftet (§ 40 Abs. 3).

2. Normzwecke 2 Die Normzwecke des § 40 sind vielgestaltig und teilweise auch in Verkoppelung zu § 16 zu

verstehen. Nur durch den Wechselblick von § 40 zu § 16 werden der durch das MoMiG bewirkte erhebliche Bedeutungszuwachs der Gesellschafterliste und die vom Gesetzgeber mit der Gesellschafterliste verfolgten Ziele augenscheinlich: 3 Durch die zum Handelsregister eingereichte und dort durch Online-Abruf nach § 9 HGB

verfügbare Gesellschafterliste soll der Gesellschafterbestand für alle an der Unternehmenstätigkeit der GmbH Beteiligten sowie die Öffentlichkeit transparenter werden4. Die Verlässlichkeit der Daten der Gesellschafterliste und damit das Transparenz- und Richtigkeitsniveau gegenüber dem Vor-MoMiG-Stand wird vor allem durch dreierlei erreicht, nämlich (i) die Konkretisierung des Pflichtenmaßstabs des Geschäftsführers bei Erstellung der Gesellschafterliste und die Normierung einer Sonderhaftungsnorm für Pflichtverletzungen in diesem Zusammenhang (§ 40 Abs. 3), (ii) die in der Normpraxis häufig verdrängende Zuständigkeit eines Notars für die Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste und (iii) die materielle Bedeutung der Gesellschafterliste als Legitimationsgrundlage für die relative Gesellschafterstellung (§ 16 Abs. 1), für die Abgrenzung der Haftung für Stammeinlagenverpflichtungen (§ 16 Abs. 2) und als Anknüpfungspunkt für den gutgläubigen Erwerb von Geschäftsanteilen (§ 16 Abs. 3). Der Transparenzgewinn kommt in erster Linie natürlich den Gesellschaftern selbst (z.B. Aufdeckung von früher bestehenden Treuhandverhältnissen) und den Vertragspartnern und Gläubigern der GmbH zugute, aber auch potentiellen Geschäftspartnern der Gesellschaft5 und (potentiellen) Geschäftspartnern der GmbH-Gesellschafter. Das durch erhöhte Richtigkeits- und Transparenzniveau geschaffene Vertrauen im Rechtsverkehr hat sich und wird sich prognostisch weiter positiv auf die Geschäftsaussichten der Unternehmen in der Rechtsform der GmbH auswirken6 und damit auch deren Finanzierungsfähigkeit und diejenige der Gesellschafter verbessern. 4 Die mit § 40 Abs. 1 n.F. neu geschaffene Pflichtangabe über die prozentuale Beteiligung am

Stammkapital steht im Zusammenhang mit der Einführung des Transparenzregisters 2 Zutreffend Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1180. 3 BGBl. I 2018, 870. 4 Vgl. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Birkefeld/Schäfer, BB 2017, 2755, 2755 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 15. 5 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5. 6 Vgl. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5.

296 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 4 § 40

(§§ 18–26 GwG)7. Dieses hält gebündelte Angaben über den wirtschaftlich Berechtigten einer Gesellschaft für Berechtigte (insbesondere: Ermittlungsbehörden) zum Abruf bereit8. Wirtschaftlich Berechtigter ist jede natürliche (nicht aber juristische!) Person, wenn sie unmittelbar oder mittelbar (z.B. durch Beteiligungsketten9) in Summe mehr als 25 % des Stammkapitals oder mehr als 25 % der Stimmrechte hält (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GwG); an einer GmbH können auch mehrere natürliche Personen wirtschaftlich berechtigt sein. Da die Gesellschafterliste in doppelter Hinsicht mit dem Transparenzregister verknüpft ist, nämlich (i) durch Verlinkung des Transparenzregisters mit dem Handelsregister (und damit auch mit der Gesellschafterliste) und (ii) durch den Umstand, dass eine zuverlässig geführte, aussagekräftige Gesellschafterliste weitere, unmittelbare Meldepflichten an das Transparenzregister ersetzen kann, wenn sich alle erforderlichen Angaben (§ 19 Abs. 1 GwG) aus der elektronisch abrufbaren Gesellschafterliste ergeben (§ 20 Abs. 2 Satz 1 GwG)10, ist die Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten im Transparenzregister schnell und ohne weiteren Aufwand, quasi „mit einem Blick auf die Gesellschafterliste“11, möglich12. Wegen der Verbindung der Gesellschafterliste mit dem Transparenzregister wird nunmehr – als geldwäscherechtliche (nicht: gesellschaftsrechtliche) Sanktion – eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 56 Abs. 1 Nr. 55 GwG begangen, wenn (i) die Gesellschafterliste als Ersatz i.S.d. § 20 Abs. 2 GwG für die an das Transparenzregister mitteilungspflichtigen, gemäß § 19 Abs. 1 GwG erforderlichen Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten unvollständig oder fehlerhaft ist und (ii) eine Vervollständigung bzw. Korrektur der Angaben gemäß § 20 Abs. 1 GwG unterbleibt13. Infolge dessen können gegenüber der Gesellschaft Bußgelder (i) bei einfach gelagerten Verstößen gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 GwG in Höhe von bis zu 100000 Euro, (ii) bei vorsätzlicher Begehung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 GwG in Höhe von bis zu 150000 Euro und (iii) bei schwerwiegenden, wiederholten oder systematischen Verstößen gemäß § 56 Abs. 3 Nr. 1 GwG sogar in Höhe von bis zu 1 Mio. Euro oder bis zum Zweifachen des aus dem Verstoß gezogenen Vorteil verhängt werden. Noch höhere Bußgelder können sich gegenüber Verpflichteten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Nr. 6 bis 9 GwG, wenn diese juristische Personen oder Personenvereinigungen sind, ergeben, nämlich maximal 5 Mio. Euro oder 10 % des Gesamtumsatzes, den die juristische Person oder die Personenvereinigung im der Behördenentscheidung vorausgegangenenen Geschäftsjahr erzielt hat (§ 56 Abs. 3 Sätze 3 und 4 GwG); sollten die verpflichteten gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Nr. 6 bis 9 GwG natürliche Personen sein, kommt eine Geldbuße bis zu 5 Mio. Euro in Frage (§ 56 Abs. 3 Satz 5 GwG).

7 Zum Transparenzregister vgl. Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungsund Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 361 ff.; Fisch, NZG 2017, 408; Schaub, DStR 2017, 1438; Assmann/Hütten, AG 2017, 449; Spoerr/Roberts, WM 2017, 1142; Bochmann, DB 2017, 1310; Longrée/Pesch, NZG 2017, 1082. 8 Begr. RegE, BT-Drucks. 15/11555, S. 173. 9 Dazu Ulrich, GmbHR 2017, R293; Assmann/Hütten, AG 2017, 449; bei Beteiligungsketten ist eine Beteiligung von mehr als 50 % der Kapital- oder Stimmrechtsanteile für eine beherrschende Stellung i.S.d. GwG erforderlich, vgl. Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungsund Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 363. 10 Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular C.II.5, Anm. 1; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 361 ff.; Wachter, GmbHR 2018, 1129, 1130; Fell, jM 2019, 46, 46. 11 Pressemitteilung BMF v. 15.12.2016 zum RefE, abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de; vgl. auch Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1177. 12 Begr. RegE, BT-Drucks. 15/11555, S. 173 f. 13 Zur alten Rechtslage vgl. Fell, jM 2019, 46, 51; Birkefeld/Schäfer, BB 2017, 2755, 2761; Schaub, DStR 2017, 1438, 1439.

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§ 40 Rz. 4a | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung 4a Nach dem RegE zum Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz vom 12.2.202114

soll die bislang in § 20 Abs. 2 GwG geregelte „Meldefiktion“ entfallen, um – so die Entwurfsbegründung – das Transparenzregister von einem bloßen „Auffangregister“ zu einem „Vollregister“ umzustellen15. Mit der Ersetzung der Mitteilungsfunktion durch die Mitteilungspflicht für alle Rechtseinheiten soll die praktische Nutzbarkeit des Transparenzregisters für die Einsichtnehmenden erhöht werden16. Wenngleich das Ziel, nämlich die Umstellung auf ein Vollregister, unterstützenswert ist, so ist die Lösung mit der Meldepflicht aller Vereinigungen unnötig bürokratisch und fehleranfällig. Es ist unverständlich, warum nicht die Möglichkeiten der Digitalisierung mit einer Verknüpfung der Daten aus verschiedenen Registern (wie in Österreich) erfolgen kann; dann könnten auch in der Praxis die Daten der zumeist von den Notaren eingereichten Gesellschafterlisten automatisch genutzt werden17. Dem Vernehmen nach ist die Verabschiedung des Gesetzes noch für die laufende Legislaturperiode und ein Inkrafttreten der Streichung von § 20 Abs. 2 GwG zum 1.8.2021 geplant. Allerdings ist eine Übergangsfrist vorgesehen, wonach eine GmbH, deren Pflicht zur Mitteilung an das Transparenzregister am 31.7.2021 nach der bis einschließlich zum 31.7.2021 geltenden Fassung des § 20 Abs. 2 GwG als erfüllt galt, die Mittelung erst bis zum 30.6.2022 vornehmen muss.

5 Aus Allgemeinwohlsicht soll die Erhöhung des Richtigkeits- und Transparenzniveaus der Ge-

sellschafterliste die Bekämpfung von Missbräuchen mit Unternehmensträgern in der Rechtsform der GmbH erleichtern und Geldwäschetatbestände verhindern18. Diese Zielsetzung bestand bereits beim Erlass des MoMiG19 (dort auch mit den ebenfalls eingefügten Neuregelungen zur Verantwortung der Gesellschafter bei Führungslosigkeit der GmbH) und ist durch die Erweiterung von § 40 Abs. 1 n.F. nochmals stärker in den Fokus gerückt, indem der Gesetzgeber die auf § 40 a.F. entwickelte Best Practice kodifiziert hat20 und somit neuerdings in die Gesellschafterliste (i) die prozentuale Beteiligung des jeweiligen Nennbetrags eines Geschäftsanteils am Stammkapital, (ii) beim Zusammenfallen mehrerer Geschäftsanteile in der Hand eines Gesellschafters dessen Gesamtanteil, (iii) bei eingetragenen Gesellschaften verbindliche Informationen zu deren Firma, Satzungssitz, zuständigem Register und Registernummer sowie (iv) bei nicht eingetragenen Gesellschaften (insbesondere die (Außen-) GbR21) Angaben zu deren jeweiligen Gesellschaftern mitsamt Vor- und Nachname, Geburtsdatum und Wohnort aufzunehmen sind22. Empirische Untersuchungen über die Auswirkungen bereits der MoMiG-Reform auf diese Ziele der Missbrauchsbekämpfung und Geldwäscheverhinderung sind allerdings immer noch ausstehend (Rz. 12).

14 Entwurf eines Gesetzes zur europäischen Vernetzung der Transparenzregister und zur Umsetzung der Richtlinie 2019/1153 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Nutzung von Finanzinformationen für die Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstigen schweren Straftaten (Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz), BR-Drucks. 133/ 21 v. 12.2.2021). 15 Änderung mit Art. 1 Nr. 17 lit. c) RegE-Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz; zur Umstellung von Auffangregister zum Vollregister s. Begr. RegE, BR-Drucks. 133/21, S. 49. 16 Begr. RegE, BR-Drucks. 133/21, S. 49 17 Zutr. Stellungnahme Bundesnotarkammer vom 15.1.2021, abrufbar unter: www.bnotk.de. 18 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 37; Begr. RegE, BT-Drucks. 15/11555, S. 172; Noack, DB 2006, 1475, 1477; Schaub, GmbHR 2017, 727, 727, vgl. auch Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 351. 19 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 37; vgl. auch: Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13. 20 BT-Drucks. 18/119128, S. 29; vgl. auch Birkefeld/Schäfer, BB 2017, 2755, 2757. 21 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/11555, S. 172; vgl. auch Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular C.II.5, Anm. 2; Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1177. 22 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/11555, S. 172; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 15.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 9 § 40

Mit den hohen formellen und inhaltlichen Anforderungen an die Gesellschafterliste in § 40 6 wird ermöglicht, dass diese ein ausreichender Rechtsscheinträger für den gutgläubigen Erwerb von Geschäftsanteilen (§ 16 Abs. 3) ist. Denn Art. 14 Abs. 1 GG setzt für den Eigentumsverlust durch gutgläubigen Erwerb einen hinreichend zuverlässigen Rechtsscheinträger voraus, und die ausreichende Richtigkeitsgewähr wird in der Praxis primär durch die notarielle Erstellungs- und Einreichungspflicht mit zusätzlicher Notarbescheinigung, ansonsten durch die Pflichtenerhöhung für Geschäftsführer mit Haftungsandrohung erreicht (12. Aufl., § 16 Rz. 81 ff.). Zwar ist die Gesellschafterliste keine behördlich geführte Liste, aber die private Führung durch Geschäftsführer bzw. Notar ist hinreichend qualifiziert abgesichert, und durch die Aufnahme im Handelsregister ist eine sichere Verwahrung in den Registerordnern und eine allgemeine Kenntnisnahmemöglichkeit sichergestellt23. Die Gesellschafterliste erleichtert darüber hinaus allgemein den Erwerb und die Finanzierung 7 von Geschäftsanteilen, da der Prüfungsaufwand betreffend die in der Vergangenheit erfolgten Anteilsabtretungen im Rahmen der üblichen Due Diligence-Untersuchung minimiert wird (hierzu ausführlich 12. Aufl., § 16 Rz. 58). Damit werden auch bei Übertragungs- und Finanzierungstransaktionen, die GmbH-Geschäftsanteile betreffen bzw. einschließen, die Transaktionskosten gesenkt und die Rechtssicherheit erhöht (s. auch 12. Aufl., § 16 Rz. 58)24. Die neu geregelte Gesellschafterliste ist zudem – anstatt der früheren Anmeldung – die Legi- 8 timationsgrundlage für die relative Gesellschafterstellung (§ 16 Abs. 1), was die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die GmbH und ihre Gesellschafter schon bereits wegen der dauerhaften Verkörperung, aber auch wegen der erhöhten materiellen Anforderungen verstärkt. Schließlich dient die Gesellschafterliste nun zur Abgrenzung der Haftung für Stammeinlagenverpflichtungen zwischen Veräußerer und Erwerber (§ 16 Abs. 2). Die Verknüpfung mit der Gesellschafterliste führt zu einem erhöhten Gläubigerschutz, da Gläubiger nun mit erhöhter Rechtssicherheit Ansprüche der GmbH gegen die Gesellschafter, insbesondere Einlageverpflichtungen, pfänden und sich überweisen lassen können. Das Zusammenspiel der Funktionen der Gesellschafterliste als Legitimationsgrundlage der relativen Gesellschafterstellung einerseits und für die Abgrenzung der Haftung für Einlageverpflichtungen andererseits führt dazu, dass es im rationalen Eigeninteresse sowohl des Erwerbers als auch des Veräußerers ist, gegenüber dem Notar bzw. Geschäftsführer auf die Stellung einer inhaltlich zutreffenden Gesellschafterliste und deren Einreichung beim Handelsregister zu drängen25.

3. Rechtspolitische Bewertung Das vom MoMiG-Gesetzgeber geregelte und mit Wirkung zum 26.6.2017 weiter detaillierte 9 Konzept der Gesellschafterliste ist in seinen Grundsätzen überzeugend. Die Neupositionierung der Gesellschafterliste als weiterem Zentraldokument der GmbH und ihrer Gesellschafter (neben der Satzung)26 dient den Interessen:

23 Zu letzterem Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 38 re. Sp.; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rdnr.1. 24 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 26; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5; Birkefeld/Schäfer, BB 2017, 2755, 2756. 25 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6. 26 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1 („neben der Satzung das wichtigste GmbH-Dokument“); hierzu zust. Löbbe, GmbHR 2012, 7; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; Heilmeier in BeckOK GmbHG, § 40 Rz. 8; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 351; Fischer, GmbHR 2018, 1257, 1257; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 1.

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§ 40 Rz. 9 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung – der GmbH und ihren Gesellschaftern dadurch, dass mit den dortigen Feststellungen Klarheit über die Identität der Gesellschafter und ihren jeweiligen Rechten und Pflichten besteht; – der Gläubiger dadurch, dass sie durch die dortigen Feststellungen den Gesellschafterbestand mit ihrer wirtschaftlichen Potenz und etwaigen widerstreitenden Geschäftsinteressen leichter feststellen und Ansprüche der Gesellschaft gegen die Gesellschafter einfacher verwerten können; – potentieller Anteilserwerber und Finanzgeber (der GmbH und/oder Gesellschafter) dadurch, dass das Richtigkeits- und Transparenzniveau über den Gesellschafter und Geschäftsanteilsbestand hoch ist und insofern Transaktionskosten gesenkt sind; – sonstiger (potentieller) Vertragspartner und der Öffentlichkeit dadurch, dass die Informationskosten im Hinblick auf den Gesellschafter und Geschäftsanteilsbestand reduziert werden; – des Registergerichts bei der (eingeschränkten) Prüfung von Gesellschafterbeschlüssen mit Blick auf die Gesellschafterstellung der abstimmenden Personen; – seit dem 26.6.2017 auch der berechtigten Behörden und Personen zur Identifizierung des wirtschaftlich Berechtigten einer Gesellschaft zur weiteren Unterbindung und Vorbeugung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. 10 Die generelle Beibehaltung der privaten Führung der Gesellschafterliste, allerdings mit ver-

drängender Kompetenzzuweisung an den mitwirkenden Notar und unter der Einbeziehung des Handelsregisters als sicheren und für jeden zugänglichen Verwahrort, beschränkt zum einen den staatlichen Eingriff in die Gesellschaftsangelegenheiten auf das erforderliche Minimum und gewährleistet zum anderen mit der konkreten Normausgestaltung den erforderlichen verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz der Anteilsinhaber. Auch die Regelung der sich wechselseitig ausschließenden Doppelzuständigkeit von Geschäftsführer und mitwirkendem Notar für die Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste ist letztlich konzeptionell überzeugend: Bei Veränderung der dinglichen Gesellschafterstellung sind primär das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan der GmbH, nämlich die Geschäftsführer, für die Führung der Gesellschafterliste zuständig. Sofern an jener Veränderung der dinglichen Gesellschafterstellung kein Notar mitgewirkt hat, wäre eine Zuständigkeitsverlagerung auf einen unbeteiligten Notar trotz der erheblichen Bedeutung der Gesellschafterliste unverhältnismäßig. Es gibt weder einen rechtlichen noch empirisch nachgewiesenen Grundsatz des berechtigten Misstrauens gegen die fachlichen Fähigkeiten oder die Gutgläubigkeit der Geschäftsführer. Sofern allerdings ein Notar an der Änderung der dinglichen Gesellschafterstellung mitgewirkt hat, ist es effizient und zugleich tendenziell richtigkeits- und transparenzerhöhend, wenn dieser Notar auch die Gesellschafterliste erstellt und zum Handelsregister einreicht. Die mit dem Konzept der sich wechselseitig ausschließenden Zuständigkeiten von Geschäftsführern einerseits und mitwirkendem Notar andererseits verbundenen Abgrenzungsprobleme sind durch die Rechtspraxis und Rechtsprechung so zu bewältigen, dass die Risiken für die Rechtsklarheit und Rechtsunsicherheit minimiert werden. Einer Aufgabe des Konzepts der Doppelzuständigkeit und einer Alleinzuweisung der Erstellungs- und Einreichungspflicht an Notare bedarf es nicht27. 11 Mit der Neufassung von § 40 Abs. 1 mit Wirkung zum 26.6.2017 hat der Gesetzgeber we-

sentliche Defizite der vorherigen MoMiG-Fassung behoben. Zuvor waren nämlich nur natürliche Personen von der Gesetzesformulierung erfasst28, auch wenn die gesetzlichen Mindestanforderungen an die Gesellschafterliste nunmehr im Wesentlichen der vorherigen Best 27 Entgegen Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 201; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4. 28 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/11555, S. 172; Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1179; befürwortend Heilmeier in BeckOK GmbHG, § 40 Rz. 5a.

300 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 13 § 40

Practice zur Eintragung von Gesellschaften entspricht29. Die teilweise vorgetragene Kritik30, die Reform ginge nicht weit genug, da (i) der Gesetzeswortlaut nur Gesellschaften, nicht aber alle juristischen Personen erfasse, und (ii) die Darstellungsprobleme einer (Außen-)GbR in der Gesellschafterliste, insbesondere wenn Gesellschaften ihrerseits Gesellschafter der GbR sind, nicht behoben worden seien, greift nicht durch: Die vermeintlichen Regelungslücken lassen sich (wie zuvor auch) praxisnah durch Auslegung schließen. Die Verordnungsermächtigung in § 40 Abs. 4, 5 n.F. stellt ein Novum in der über 125-jährigen Geschichte des GmbHG dar. Die Schaffung einer Verordnungsermächtigung im Allgemeinen sowie die auf ihrer Grundlage ergangene GesLV im Besonderen sind – ungeachtet ihrer teilweisen erheblichen Kritik, eine solche Ermächtigung sei weder erforderlich noch durch die Vierte EUGeldwäscherichtlinie vorgesehen31 – im Grundsatz zu begrüßen: Die GesLV greift wesentliche technische Detailaspekte bei der Darstellung der Pflichtinhalte in der Gesellschafterliste auf32. Die mit der GesLV vollzogene Vereinheitlichung und Harmonisierung der Gesellschafterlisten war erforderlich, um (i) die Listen auf ein einheitliches, qualitativ hochwertiges Niveau zu führen, auch um die damit verbundenen (Transparenz-)Ziele zu erfüllen, und (ii) die bisherige Best Practice, insbesondere zur Veränderungsspalte, durch die GesLV in einem Rechtsrahmen festzuschreiben. Die mit § 40 Abs. 5 beabsichtigte elektronische Einreichung der Gesellschafterliste einschließlich dazugehörender Strukturdaten als XML-Dabei (bisher Bild-Datei33) ist im Hinblick auf (i) die Etablierung eines modernen, elektronischen Schriftverkehrs sowie in Zeiten einer weitgehenden Digitalisierung der Buch-, Bilanz und Geschäftsführung und (ii) die Professionalisierung und Effizienzsteigerung der Abläufe beim Registergericht eine zwingend erforderliche Strukturmaßnahme. Empirische Untersuchungen zu den Auswirkungen der MoMiG-Reform der Gesellschafter- 12 liste auf das Richtigkeits- und Transparenzniveau der Gesellschafterliste und zu den Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit und -aussichten der GmbH wurden – soweit ersichtlich – nicht durchgeführt. Vielfältige anekdotische Evidenz aus der Beratungspraxis (vor allem auch im Zuge der Durchführung von Due Diligence-Untersuchungen) indiziert indes eine signifikante Erhöhung des Richtigkeits- und Transparenzniveaus des Gesellschafterbestandes und der Geschäftsanteilsverteilung seit der MoMiG-Reform.34 Die Gesellschafterliste hat durch (i) die inhaltliche Erweiterung der Gesellschafterliste in § 40 Abs. 1 n.F., insbesondere (a) durch ihre jetzige Detailtiefe, (b) die Pflichtangabe der prozentualen Beteiligung eines Gesellschafters am Stammkapital und (c) die Inhalte der Veränderungsspalte, die erstmals durch § 2 GesLV einen rechtlichen Rahmen erhalten hat, sowie (ii) das Transparenzregister nochmals eine rechtliche und tatsächlich-praktische Aufwertung erfahren35.

4. Eigenschaft der Gesellschafterliste Aus der Pflichtenbestimmungs- und Zuständigkeitszuweisungsnorm des § 40 Abs. 1 Satz 1 13 ergibt sich, dass die Gesellschafterliste eine Aufstellung ist, (i) die bestimmte Informationen zu den Gesellschaftern und den von ihnen übernommenen Geschäftsanteilen enthält und

29 30 31 32 33

Vgl. Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1179. Heilmeier in BeckOK GmbHG, § 40 Rz. 5b. Vgl. die Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 18/11925, S. 18 f. Vgl. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16. Pressemitteilung BMF v. 15.12.2016 zum RefE, abrufbar unter www.bundesfinanzministerium.de; vgl. auch Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1177; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 1. 34 Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular C.II.5, Anm. 1. 35 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 351.

Seibt | 301

§ 40 Rz. 13 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung (ii) von den Erstellungsverpflichteten unterschrieben ist. Die Einzelfeststellung in der Gesellschafterliste sowie der Gesamtinhalt qualifizieren als gutachterliches Zeugnis der Erstellungsverpflichteten, d.h. des Geschäftsführers oder des mitwirkenden Notars36. Die Gesellschafterliste i.S.v. § 40 ist die zeitliche und sachgegenständliche Verlängerung der Gesellschafterliste, die gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 zusammen mit der Gründungssatzung (§ 8 Abs. 1 Nr. 1) bei der Anmeldung der GmbH zur Eintragung in das Handelsregister eingereicht und bei den Registerakten zur öffentlichen Einsicht verwahrt wird. Für beide Listen sind durch den mit Wirkung zum 26.6.2017 neu gefassten Verweis von § 8 Abs. 1 Nr. 3 auf § 40 die Pflichtangaben identisch. Beide Listen sind zum Handelsregister einzureichen, ohne dass diese eingetragen werden. Während bei der Gesellschafterliste zur Anmeldung diese von sämtlichen Anmeldenden (d.h. sämtlichen Geschäftsführern, § 78)37 zu unterschreiben ist, trifft diese Unterschriftspflicht bei der Gesellschafterliste i.S.v. § 40 „die Geschäftsführer“, d.h. die Geschäftsführer in vertretungsberechtigter Zahl (Rz. 44); diese Differenzierung ist in der ausdrücklichen Regelung des § 78 begründet, der insoweit ausschließlich auf § 7 Abs. 1 (Anmeldung) verweist.

II. Inhalt der Gesellschafterliste 14 Der in § 40 Abs. 1 Satz 1 statuierte gesetzliche Mindestinhalt der Gesellschafterliste unterfällt

in (i) die Nennung und Identifikation des Gesellschafters (Rz. 15 ff.), (ii) die von den Gesellschaftern übernommenen und durch laufende Nummern identifizierbaren Geschäftsanteile (Rz. 23 ff.), (iii) die im Zusammenhang mit der Einführung des Transparenzregisters neu geregelten prozentualen Angaben zur (Gesamt-)Beteiligung am Stammkapital der Gesellschaft (Rz. 31 ff.) sowie (iv) die Nachvollziehbarkeit von Veränderungen des Gesellschafterbestands in der Veränderungsspalte (Rz. 34 ff.)38; für die Angabe weiterer Informationen besteht keine Verpflichtung, sie ist aber zu Informationszwecken und mit stark abgesenkten Rechtswirkungen zulässig (Rz. 37 ff.).

1. Gesellschafter a) Natürliche Personen als Gesellschafter (§ 40 Abs. 1 Satz 1) 15 Die Gesetzesfassung geht in dem nur redaktionell angepassten § 40 Abs. 1 Satz 1 ausschließ-

lich von natürlichen Personen als Gesellschaftern aus; für Gesellschaften als Gesellschafter gilt mit Wirkung zum 26.6.2017 die Regelung in § 40 Abs. 1 Satz 2 (s. Rz. 18 ff.). § 40 Abs. 1 Satz 1 verlangt als Mindestinhalt für natürliche Personen „Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort“. Seit 199839 ist die Angabe des „Standes“ kein Mindestinhalt mehr. In der Gesellschafterliste aufzuführen sind der vollständige Familienname, mindestens ein (Ruf-) Vorname und das vollständige Geburtsdatum. Da die Gemeindeangabe als Wohnort zur Identifikation jedenfalls in größeren Gemeinden häufig nicht ausreicht, ist in solchen Fällen eine spezifischere Angabe (bis hin zur Postanschrift) erforderlich40. Bestehen nachvollzieh-

36 Ebenso Bohrer, DStR 2007, 995, 1000; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10. 37 Vgl. oben Veil, 12. Aufl., § 7 Rz. 10; BayObLG v. 7.2.1984 – BReg 3 Z 190/83, GmbHR 1984, 343 = WM 1984, 638. 38 Für Musterformulare s. Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular C.II.5 (Gesellschafterliste im Allgemeinen) und F.I.6 (Gesellschafterliste nach Kapitalerhöhungen). 39 § 40 neugefasst durch Art. 9 HRefG v. 22.6.1998, BGBl. I 1998, 1474. 40 Terlau in Michalski u.a., Rz. 7; offen Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30; a.A. Link, RNotZ 2009, 293, 203; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 406.

302 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 17 § 40

bare Vertraulichkeitsgründe (wobei kein hoher Maßstab anzulegen ist), genügt an Stelle der Privatadresse oder auch der Wohnortangabe (bei sehr kleinen Gemeinden) die Angabe anderer hinreichend spezifischer Identifikationsmerkmale, wie z.B. eine vorhandene Geschäftsanschrift, der Geburtsort und/oder der Beruf bzw. die berufliche Tätigkeit41. Bei medienbekannt exponierten Persönlichkeiten (insbesondere bei Personen mit erheblichem Vermögen oder vergleichbarem Gefährdungspotential) haben Handelsregister solche alternativen Identifikationsparameter zugelassen. Wird der Geschäftsanteil von einem Treuhänder gehalten, so ist nur dieser als rechtlicher Anteilsinhaber in die Gesellschafterliste aufzunehmen42. Ist ein Gesellschafter nicht geschäftsfähig oder in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt, ist er selbst und nicht dessen gesetzlicher oder gerichtlich bestellter Vertreter als rechtlich und wirtschaftlich Berechtigter in die Gesellschafterliste einzutragen. Bei Zugehörigkeit des Geschäftsanteils zum unternehmerischen Vermögen eines Einzelkauf- 16 manns ist die Angabe des Unternehmensinhabers zwingend, die zusätzliche Angabe des Firmennamens aber zulässig und in der Regel sinnvoll43. Ist der Geschäftsanteil einem gemeindlichen Eigenbetrieb (§ 33 HGB) zugeordnet, so ist die Gemeinde selbst zwingend anzugeben, zusätzlich ist die Bezeichnung des gemeindlichen Eigenbetriebs zulässig und ebenfalls in der Regel sinnvoll. Halten mehrere Personen einen Geschäftsanteil in Erbengemeinschaft, gilt § 18 (s. 12. Aufl., 17 § 18 Rz. 6), mit der Folge, dass materiell-rechtlich nicht die Erbengemeinschaft selbst, sondern die Erben in Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft Gesellschafter der GmbH sind44. Daher ist die Erbengemeinschaft nach dem Verstorbenen, bestehend aus den einzelnen Mitgliedern der Erbengemeinschaft (jeweils mit Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort) unter Beibehaltung der laufenden Nummer zu nennen45; es ist allerdings zulässig, als Zusatzangabe zu vermerken, dass die Einzelpersonen den Geschäftsanteil „in Erbengemeinschaft“ halten46. Sind einzelne Erben eines Erblassers unbekannt, so müssen diese mit den überhaupt erreichbaren Angaben zu ihrer Person neben den ggf. bekannten Erben in Erbengemeinschaft angegeben werden47; die Gesellschafterrechte der Erben können für den in Gesamthandsgemeinschaft gehaltenen Geschäftsanteil nur unter Beachtung des § 18 ausgeübt werden (hierzu 12. Aufl., § 18 Rz. 17 ff.). Wird ein Nachlasspfleger als gesetzlicher Vertreter der unbekannten Erben bestellt (§ 1960 BGB), um deren Rechte bezogen auf die Gesellschaft wahrzunehmen, kann dieser als Zusatzangabe in der Gesellschafterliste bezeichnet werden, um jedenfalls eine Indizwirkung für die Gesellschaft und die weiteren Gesellschafter zu schaffen, welcher Person die Gesellschafterrechte für die unbekannten Erben zukommen48.

41 Ebenso Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30; Seibert/Wedemann, GmbHR 2007, 17, 19. 42 Wie hier Bayer, GmbHR 2012, 1, 2; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 9; Terlau in Michalski u.a., Rz. 4 (mit Verweis auf BGHZ 21, 378). 43 Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 10; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32. 44 Vgl. BR-Drucks. 105/18, S. 12 (zur Gesamthand im Allgemeinen). 45 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35; Wachter, DB 2009, 159, 161 f.; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 379. 46 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35; Wachter, DB 2009, 159, 161; Wachter, GmbHR 2018, 1129, 1139. 47 Ebenso Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 380. 48 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 382.

Seibt | 303

§ 40 Rz. 18 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung b) Gesellschaft als Gesellschafter (§ 40 Abs. 1 Satz 2) 18 Wird ein Geschäftsanteil von einer juristischen Person, einer Personenhandelsgesellschaft

oder einer anderen Gesellschaft gehalten, richtet sich der Inhalt der Gesellschafterliste seit dem 26.6.2017 nach § 40 Abs. 1 Satz 2. Zuvor ergab sich der Inhalt der Gesellschafterliste für Gesellschaften ebenso wie für natürlichen Personen aus § 40 Abs. 1 Satz 1, wonach als Mindestinhalt „Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort“ anzugeben war (s. auch Rz. 11). Dieser für Gesellschaften de facto unpassende Mindestinhalt der Gesellschafterliste ist von Rechtsprechung und Lehre zu einer Best Practice mit dem Inhalt weiterentwickelt worden, dass zumindest die Angabe der Firma und des Satzungssitzes in der Gesellschafterliste zwingend waren. Bei der Reform des § 40 hat der Gesetzgeber diese Kriterien gesetzlich festgeschrieben und darüber hinaus die inhaltlichen Anforderungen erweitert, um eine einheitliche Rechtspraxis sicherzustellen und die Transparenzfunktion der Gesellschafterliste mit Blick auf das Transparenzregister zu verstärken49. Seither ist wie folgt zu differenzieren: aa) Inhalt bei einer eingetragenen Gesellschaft 19 Bei „eingetragenen Gesellschaften“ ist in die Gesellschafterliste (i) Firma, (ii) Satzungssitz,

(iii) zuständiges Register und (iv) Registernummer aufzunehmen (§ 40 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1). Diese Vorschrift betrifft in Deutschland alle Kapitalgesellschaften (AG, SE, KGaA, GmbH einschl. UG [haftungsbeschränkt]) sowie ins Handelsregister eingetragene Personen (handels)gesellschaften (OHG, KG, PartGG, EWiV)50. Nach dem Gesetzgeberwillen sind auch ausländische Gesellschaften erfasst, die im Ausland in ein dem Handelsregister entsprechendes Register oder Firmenbuch eingetragen sind51. Der Gesetzgeber hat allerdings bei der Ausgestaltung des § 40 Abs. 1 Satz 2 n.F. mit dem Begriff „Gesellschaft“ zu kurz gegriffen, da dieser nicht mit dem der juristischen Person gleichgesetzt werden kann. Die dadurch (offenkundig unbewusst) entstehende Regelungslücke für (i) eingetragene Vereine, (ii) Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit (VVaG), (iii) eingetragene Genossenschaften, (iv) eingetragene Stiftungen und (v) Körperschaften des öffentlichen Rechts kann durch eine analoge Anwendung von § 40 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 geschlossen werden52. Das Erfordernis einer „Eintragung“ ist nicht auf das Handelsregister beschränkt, sondern gilt für jedes gesellschaftsrechtliche Publizitätsregister, mithin auch für das Partnerschafts-, Vereins- und Unternehmensregister. Ebenfalls analog § 40 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 einzutragen sind Vor-Gesellschaften (Vor-GmbH, Vor-AG, Vor-KGaA), obwohl sie noch nicht ins Handelsregister eingetragen sind; denn diese Gesellschaften sind nicht nur als juristische Person rechtsfähig, sondern auch mit der später werbenden (End-)Kapitalgesellschaft personenidentisch53.

49 BT-Drucks. 18/11555, S. 172 f. 50 Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1180. 51 BT-Drucks. 18/11555, S. 172 f.; vgl. auch Heilmeier in BeckOK GmbHG, Rz. 25; Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1181 f. 52 Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1181; Böhringer, BWNotZ 2017, 61, 61; Heilmeier in BeckOK GmbHG, Rz. 21a; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 11; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 6; a.A. Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 377. Der RegE zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (RegE-MoPeG) sieht eine Neufassung des § 40 Abs. 1 Satz 2 vor, wonach der Begriff der „Gesellschaft“ durch „juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft“ ersetzt würde (vgl. Art. 61 Nr. 1 RegE-MoPeG). 53 Ebenso Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1182; Wachter, GmbHR 2018, 1129, 1136.

304 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 21 § 40

bb) Inhalt bei einer nicht eingetragenen Gesellschaft Bei der unternehmenstragenden Außen-GbR ist seit der Grundsatzentscheidung des BGH 20 („Weißes Ross“)54 allgemein anerkannt, dass diese trotz Fehlens einer gesetzlichen Vorschrift nach Art des § 124 Abs. 2 HGB ein eigenständiges Zuordnungsobjekt des Gesellschaftsvermögens und der Gesellschaftsschulden, also teilrechtsfähig, ist. Dies und die bisherige Rechtsprechung des BGH zur Eintragungsfähigkeit der Außen-GbR im Grundbuch55 sprachen seither für die isolierte Eintragung der Außen-GbR in die Gesellschafterliste. Allerdings regelt § 162 Abs. 1 Satz 2 HGB, dass bei einer GbR als Kommanditistin „auch deren Gesellschafter (…) zur Eintragung anzumelden“ sind; entsprechend sieht § 47 Abs. 2 Satz 1 GBO für die Grundbucheintragung eines Rechts zugunsten einer GbR vor, „auch deren Gesellschafter im Grundbuch einzutragen“. Der MoMiG-Gesetzgeber hatte die Eintragung der (Außen-)GbR in die Gesellschafterliste indes nicht ins GmbHG aufgenommen und damit die Rechtstheorie und -praxis vor ein mit der juristischen Methodenlehre schwer lösbares Problem gestellt, da dem Gesetzgeber die Regelungen in § 162 Abs. 1 Satz 2 HGB und § 47 Abs. 2 Satz 1 GBO bekannt gewesen sind; damit fehlte es an dem für einen Analogieschluss erforderlichen Kriterium der planwidrigen Regelungslücke. Diese rechtsmethodische Problemlage56 wurde im Wege einer Best Practice in der Weise gelöst, dass zur Gewährleistung größtmöglicher Transparenz sowie zum erleichterten Nachweis der Vertretung der AußenGbR im Registerverfahren nicht nur die GbR selbst, sondern „auch deren Gesellschafter“ aufzunehmen waren57. Dieser rechtlichen wie praktischen Unklarheit ist der Gesetzgeber mit § 40 Abs. 1 Satz 2 21 Halbs. 2 entgegengetreten58 und hat vor allem mit Blick auf die (Außen-)GbR und in Anlehnung an § 162 Abs. 1 Satz 2 HGB bzw. § 47 Abs. 2 Satz 1 GBO festgelegt, dass bei einer nicht eingetragenen Gesellschaft (i) alle (!) Gesellschafter – die Angabe nur eines vertretungsberechtigten Gesellschafters oder eines Geschäftsführers genügt nicht59 – mit Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort (ii) unter einer zusammenfassenden Bezeichnung in die Gesellschafterliste aufzunehmen sind. Überlange Darstellungen in der Gesellschafterliste, z.B. bei einer Publikums-GbR, werden vom Gesetzgeber zur Gewährleistung einer möglichst umfassenden Transparenz bewusst in Kauf genommen60. Ziel ist die Individualisierung und Identifizierung von Gesellschaften, die im Gegensatz zu den registerpflichtigen Unternehmen über keine individualisierbare, den strengen Vorschriften der §§ 17 ff. HGB unterliegende Firma verfügen. Zulässig, da dem Publizitätsziel des Transparenzregisters genügend, ist ein die Eintragung aller Gesellschafter ersetzender Verweis auf das Grundbuch (§ 47 Abs. 2 Satz 1 GBO) oder auf eine andere, mittelbare Eintragung ins Handelsregister (z.B. gemäß § 162 Abs. 1 Satz 2 HGB)61; auch der Verweis auf eine andere, vollständige Gesellschafterliste reicht aus. Die Formulierung „unter einer zusammenfassenden Bezeichnung“ weicht zwar von der sprachlichen Fassung in § 162 Abs. 1 Satz 2 HGB und § 47 Abs. 2 Satz 1 GBO ab, ist jedoch inhaltlich gleich zu verstehen; gemeint ist die firmenäquivalente Bezeichnung bzw.

54 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = AG 2001, 307. 55 BGH v. 4.12.2008 – V ZB 74/08, BGHZ 179, 102 = WM 2009, 171. 56 Zur alten Rechtslage vgl. Huneke, GmbHR 2016, 1186 ff.; Hermanns, DB 2016, 2464 ff.; Schaub, GmbHR 2017, 727, 728. 57 Zuletzt OLG Hamm v. 24.5.2016 – 27 W 27/16, RNotZ 2017, 51 = GmbHR 2016, 1090 m. Anm. Wachter. 58 Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 6; kritisch Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1183 („drittes Hilfsregister“ der GbR statt das Handelsregister für die (Außen-)GbR zu öffnen). 59 Böhringer, BWNotZ 2017, 61, 62. 60 BT-Drucks. 18/11555, S. 173; vgl. auch Böhringer, BWNotZ 2017, 61, 62; Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1184; kritisch Longrée/Pesch, NZG 2017, 1081. 61 Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1185.

Seibt | 305

§ 40 Rz. 21 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung der Name der Gesellschaft62. Nicht vom Gesetzgeber geregelt ist der Fall, dass an der nicht eingetragenen Gesellschaft ihrerseits eine Gesellschaft beteiligt ist. In diesen Fällen sind zur Gewährleistung einer umfassenden Transparenz des Registers analog § 40 Abs. 1 Satz 2 die hinter der (Außen-)GbR stehenden Gesellschafter als „Gesellschafter-Gesellschafter“ in die Gesellschafterliste aufzunehmen. § 40 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 gilt neben dem (praktisch bedeutsamsten) Fall der (Außen-)GbR auch (i) für den nicht eingetragenen Verein63, für den kraft gesetzlichen Normverweises gemäß § 54 BGB die Vorschriften der §§ 705 ff. BGB Anwendung finden, sowie (ii) für eine nicht ins Handelsregister eingetragene, da nach Art und Umfang ein Handelsgewerbe betreibende OHG64. Nicht in die Gesellschafterliste aufzunehmen sind hingegen stille Gesellschaften65, Erben-, Gütergemeinschaften und sonstige Gesamthandgemeinschaften66 (zur Erbengemeinschaft s. auch Rz. 17) sowie mehrere Gesellschafter in ihrer Stellung als Miteigentümer67; sie unterfallen vielmehr der Angabepflicht für natürliche Personen gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1. 22 Ein Wechselblick zwischen § 16 Abs. 3 und den erweiterten Angaben einer in die Gesell-

schafterliste eingetragenen (Außen-)GbR erhellt, dass ein gutgläubiger Anteilserwerb eines von einer (Außen-)GbR gehaltenen GmbH-Geschäftsanteils nicht möglich ist, wenn die Gesellschafterliste mit der tatsächlichen Rechtslage nicht übereinstimmt68. Diese Frage stellt sich – entsprechend zur Rechtslage beim Grundbuch gemäß § 899a BGB, § 47 Abs. 2 GBO – vor dem Hintergrund der Nicht-Eintragung der (Außen-)GbR in einem mit dem Handelsregister vergleichbaren Publizitätsmedium. Der gute Glaube i.S.d. § 16 Abs. 3 bezieht sich nämlich (nur) auf die Inhaberschaft der eingetragenen GbR und nicht auf ihre Gesellschafter, weswegen die fehlende Vertretungsmacht der nicht in die Gesellschafterliste eingetragenen GbR-Gesellschafter nicht überwunden werden kann69. Dieses Gutglaubensdefizit zulasten der Verkehrsfähigkeit kann wegen des eindeutigen Gesetzgeberwillens70 (keine planwidrige Regelungslücke) weder über § 15 HGB (analog)71 noch analog § 899a BGB72 überwunden werden; das gilt auch dann, wenn die GbR-Gesellschafter in der Gesellschafterliste neben der GbR eingetragen sind73. 22a Der auf dem von der Expertenkommission zur Modernisierung des Personengesellschafts-

rechts vorgelegte „Mauracher Entwurf“ zur Reform des Personengesellschaftsrechts74 beruhende RegE-MoPeG75 sieht in seinem Art. 61 vor, § 40 Abs. 1 Satz 2 dahingehend zu ändern, 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75

Krit. Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1183. Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1182. Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1183. Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1183. Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1183; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 379 ff. (zur Erbengemeinschaft). Wachter, GmbHR 2017, 1177, 1183. Wie hier Altgen, Gutgläubiger Erwerb, 2010, S. 219; Wachter, GmbHR 2009, 953, 958; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 378. Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 378. BT-Drucks. 18/11555, S. 173: „Ein Gutglaubensschutz ist mit der nunmehr vorgesehenen Angabe auch der Gesellschafter einer nicht eingetragenen Gesellschaft allerdings nicht verbunden“. Ebenso Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 378. Ebenso Wicke, Rz. 5. BT-Drucks. 18/11555, S. 173. BMJV, Mauracher Entwurf für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, 2020 – abrufbar unter www.bmjv.de. Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz - MoPeG) BR-Drucks. 59/21 v. 22.1.2021. – Der Bundesrat hat am

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 22a § 40

dass die Unterscheidung zwischen eingetragenen und nicht eingetragenen Gesellschaften aufgegeben wird, und einen neuen Satz 3 einzufügen, dem zufolge eine GbR nur in die Gesellschafterliste eingetragen werden kann und Veränderungen an ihrer Eintragung nur vorgenommen werden können, wenn sie zuvor im – durch das MoPeG neu geschaffenen – Gesellschaftsregister eingetragen ist (Voreintragungserfordernis im Gesellschaftsregister). Der Vorschlag zur Änderung von § 40 Abs. 1 zielt darauf ab, die Beteiligung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts an einer GmbH für alle Beteiligten, insbesondere auch für die Öffentlichkeit, „transparenter zu machen und Geldwäsche sowie Terrorismusfinanzierung zu verhindern“76. Ein Hauptanliegen des „Mauracher-Entwurfs“ sowie des RegE-MoPeG ist die Schaffung einer Subjekt-Publizität der rechtsfähigen Personengesellschaft77, und zwar durch eine Registrierung rechtsfähiger GbR-Gesellschaften in einem durch die bestehende Handelsregisterplattform integrierten78 Gesellschaftsregister. In diesem Gesellschaftsregister sind dann die derzeit in die Gesellschafterliste aufzunehmenden Angaben zu den Gesellschaftern der (Außen-)GbR aufzunehmen, wobei dann eben auch im Falle der Beteiligung einer (Außen-)GbR eine Angabe von Registernummer und Registergericht genügen soll. Eine Pflicht zur Aktualisierung bestehender Gesellschafterlisten ist nicht vorgesehen, allerdings sollen nach dem neuen § 40 Abs. 1 Satz 3 Veränderungen mit Wirkung für eine (Außen-)GbR nur aufgenommen werden, wenn die (Außen-)GbR zuvor in das Gesellschaftsregister eingetragen wurde79. Dies trägt dem Grundgedanken des Entwurfs Rechnung, wonach zwar kein unmittelbarer Zwang zur Eintragung der (Außen-)GbR in das Gesellschaftsregister bestehen (vgl. § 707 Abs. 1 BGB-E), eine solche Eintragung aber Voraussetzung für die Eintragung registerfähiger Rechte der GbR sein soll80. Das Voreintragungserfordernis bei Verfügung über einen Geschäftsanteil soll zum Schutz der betroffenen Verkehrskreise und zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für die (Außen-)GbR erforderlich sein, weil § 16 Abs. 3 an die Eintragung in die Gesellschafterliste die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs von Geschäftsanteilen knüpft. Daher werden sowohl der Erwerb als auch die Veräußerung von Geschäftsanteilen durch eine GbR erfasst. Durch das Erfordernis einer Voreintragung im Gesellschaftsregister lässt sich die Existenz, Identität und ordnungsgemäße Vertretung der über einen Geschäftsanteil verfügenden GbR mit Publizitätswirkung aus dem Gesellschaftsregister ablesen. Solange die GbR ihre Obliegenheit zur Eintragung ins Gesellschaftsregister nicht nachkommt, soll die eingereichte Gesellschafterliste vom Registergericht zurückgewiesen werden81. Die Säumnis der GbR soll dann die in § 16 Abs. 3 vorgesehene Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs von Geschäftsanteilen an der GmbH rechtfertigen82. Unklar bleibt, ob die Geschäftsführer bzw. der Notar von der GbR-Gesellschafterin deren Eintragung in das Gesellschaftsregister verlangen können, um die Einreichung der Gesellschafterliste der GmbH zu ermöglichen. Darüber hinaus enthält sich der Regelungsvorschlag dazu, dass auch nach Einführung eines Gesellschaftsregisters nicht eingetragene Gesellschaftsformen bestünden (s. Rz. 21), für die die Aufnahme ihrer Gesellschafter in die Gesellschafterliste weiterhin sinnvoll wäre83.

76 77 78 79 80 81 82 83

5.3.2021 beschlossen, zu dem RefE-MoPeG gemäß Art. 76 Abs. 2 GG Stellung zu nehmen, und zwar auch zur geplanten Änderung von § 40 Abs. 1 (Nr. 9), hierzu Rz. 22b. – Zum RefE-MoPeG z.B. Karsten Schmidt, ZHR 185 (2021), 16 ff.; Wertenbruch, GmbHR 2021, 1 ff. RegE-MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 314. Ausf. Herrler, ZGR-Sonderheft 23 (2021), 39 ff.; vgl. auch Karsten Schmidt, ZHR 185 (2021), 16, 30. RegE-MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 117 f. Art. 61 Nr. 2 Reg-E-MoPeG. Vgl. Begr. RegE-MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 316. RegE-MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 316. RegE-MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 316. Nicht überzeugend Begr. RegE-MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 315 (ebenso bereits „Mauracher Entwurf“, S. 197), wonach für solche Gesellschaften ungeachtet der Streichung des geltenden § 40 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 im Wege der Auslegung „an die bisherige Eintragungspraxis“ angeknüpft werden soll.

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§ 40 Rz. 22b | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung 22b Mit der Stellungnahme des Bundesrates zum RegE-MoPeG bittet dieser, im weiteren Gesetz-

gebungsverfahren zu prüfen, ob in § 40 eine Verpflichtung zur Änderung der Gesellschafterliste auch bei Veränderungen des Gesellschafterbestandes einer GbR, die Anteile an einer GmbH hält, zum Erhalt der Publizität zu normieren ist84. Diese Empfehlung wird damit begründet, dass ausweislich der Einzelbegründung zu § 40 Abs. 1 Satz 3 sowie der Streichung von § 40 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 es bei Veränderungen im Gesellschafterbestand der GbR weder einer neuen Gesellschafterliste der GmbH, die nur noch die GbR ohne Nennung der Gesellschafter aufweist, noch einer Eintragung der GbR im Gesellschaftsregister bedarf; dann könnten aber die veralteten Angaben zum GbR-Gesellschafterbestand in der Gesellschafterliste der GmbH fortbestehen, was zu einer Verunsicherung des Rechtsverkehrs beitrüge85. Hiergegen soll das Voreintragungserfordernis auch für Fälle der Veränderung im Gesellschafterbestand einer GbR entgegenwirken, weil sich dadurch im Fall der Veräußerung des von der GbR gehaltenen Geschäftsanteils Zweifel an der Vertretungsbefugnis der eingetragenen GbR-Gesellschafter ausräumen ließen86.

2. Beteiligungsumfang und Anteilsindividualisierung 23 In der Gesellschafterliste sind „die Nennbeträge und die laufenden Nummern der von einem

jeden [Gesellschafter] übernommenen Geschäftsanteile“ aufzunehmen. Die Substitution der bisherigen Pflichtangabe der Stammeinlage durch die Angabe des Nennbetrages ist eine redaktionelle Folge zur MoMiG-Änderung in § 5. Der Nennbetrag ist nur als formale Größe anzugeben, ohne dass zu vermerken wäre, ob die Einlage voll geleistet ist87. Durch die Nummerierung der Geschäftsanteile sollen (i) die auf gleichen Nennbetrag (insb. in der Praxis: 1 Euro) lautende Geschäftsanteile individualisierbar sowie (ii) jede Veränderung der Geschäftsanteile lückenlos nachvollziehbar werden. Dies steht im Zusammenhang mit § 8 Abs. 1 Nr. 3, der bereits bei Gesellschaftsgründung ein Nummerierungserfordernis der Geschäftsanteile in der Gesellschafterliste festschreibt88. Dabei genügt es den gesetzlichen Anforderungen auch, wenn der summierte Nennbetrag sämtlicher Geschäftsanteile jedes Gesellschafters angegeben wird und sich der Nennbetrag des einzelnen Geschäftsanteils daraus ohne rechnerischen Aufwand ermitteln lässt89. Allerdings ist in der Praxis zu empfehlen, den Nennbetrag zur Vermeidung einer Beanstandung des Registergerichts dem Gesetzeswortlaut entsprechend in Bezug auf den einzelnen Geschäftsanteil anzugeben. 24 Des Weiteren sind in der Gesellschafterliste seit dem MoMiG auch die laufenden Nummern

der Geschäftsanteile aufzulisten. Zuständig ist, wenn erstmalig oder erneut laufende Nummern in Dokumenten verwendet werden (z.B. bei der Beurkundung der Gründungssatzung, bei der Teilung oder Zusammenlegung von Geschäftsanteilen), die Gesellschafterversammlung; bei Untätigkeit der Versammlung geht diese auf die auch in den übrigen Fällen gemäß § 40 Abs. 1 oder 2 zuständigen Geschäftsführer oder den mitwirkenden Notar über90. Diese Regelung hat zum Zweck, dass sämtliche interessierten Personen ausgehend von der

84 BR-Drucks. 59/21 (Beschluss) v. 5.3.2021, S. 9 f. (Nr. 9). Dies geht auf eine Empfehlung des federführenden Rechtsausschusses zurück (BR-Drucks. 59/1/21 v. 22.2.2021, S. 9 f. (Nr. 9)). 85 BR-Drucks. 59/21 (Beschluss), S. 9. 86 BR-Drucks. 59/21 (Beschluss), S. 9. 87 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31. 88 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 395. 89 OLG Bremen v. 29.7.2019 – 2 W 24/19, GmbHR 2020, 558. 90 Heilmeier in BeckOK GmbHG, Rz. 27; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 409.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 26 § 40

Anmeldung-Gesellschafterliste (§ 8 Abs. 1 Nr. 3) die Entwicklung sämtlicher Veränderungen zweifelsfrei und transparent nachvollziehen können. Dabei ist dreierlei zu beachten: (1) Mit dem MoMiG ist es zulässig geworden, dass ein Gesellschafter bei Gründung mehrere Geschäftsanteile übernimmt (§ 5 Abs. 2 Satz 2), nun sind Geschäftsanteile mit einem Mindestnennbetrag von nur noch 1 Euro möglich (§ 5 Abs. 2 Satz 1) und die zuvor erschwerte nachträgliche Teilung der Geschäftsanteile ist erleichtert (Aufhebung von § 17). (2) Der sachenrechtliche Bestimmtheitsgrundsatz bei der Abtretung von Geschäftsanteilen (insbesondere auch mit Blick auf die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs) verlangt nach einer eindeutigen Bestimmbarkeit der einzelnen Geschäftsanteile auch mit gleichem Nennbetrag in Händen desselben Gesellschafters. (3) Die eindeutige Bestimmbarkeit des Abtretungsgegenstands ist häufig auch steuerlich erforderlich, da die Besteuerungsfolge für die Abtretung einzelner Geschäftsanteile in der Hand desselben Gesellschafters unterschiedlich sein kann91. Eine verbindliche Vorgabe, in welcher Weise die laufenden Nummern den einzelnen Ge- 25 schäftsanteilen zuzuordnen sind, gibt es erstmals seit dem 1.7.2018 in § 1 GesLV; vorher gab es weder im GmbHG noch in der HRV Vorgaben. Danach sind die Geschäftsanteile fortlaufend und in eindeutiger Zuordnung zu den Gesellschaftern zu nummerieren (§ 1 Abs. 1 Satz 1 GesLV), und zwar ausschließlich unter Verwendung arabischer Zahlen. Dies war vor der Einführung der GesLV bereits in der Notarpraxis weitgehend üblich und wurde von der Literatur empfohlen92. Der Verordnungsgeber erklärt ferner die Verwendung sog. „Abschnittsnummern“, also ganzer arabischer Zahlen in dezimaler Gliederung, ausdrücklich für zulässig (z.B. Gesellschafter A: 1.1., 1.2., …; Gesellschafter B: 2.1., 2.2. …)93. Unzulässig hingegen ist nunmehr die Nummerierung der Geschäftsanteile mit einer Kombination aus Buchstaben, römischen und arabischen Zahlen oder von Dezimalzahlen94. Aus Gründen der Praktikabilität sowie zur zweifelsfreien Identifikation und Zuordnung der Geschäftsanteile erklärt § 1 Abs. 1 Satz 2 GesLV deren Zusammenfassung für jeden Gesellschafter ausdrücklich für zulässig (z.B. Gesellschafter A: Geschäftsanteile zu je 1 Euro mit den laufenden Nrn. 1 bis 10000; Gesellschafter B: Geschäftsanteile zu je 1 Euro mit den laufenden Nrn. 10001 bis 20000; Gesellschafter C: Geschäftsanteile zu je 1 Euro mit den laufenden Nrn. 20001 bis 30000)95. Die Gesellschafterliste kann sowohl nach Geschäftsanteilen als auch nach Gesellschaftern sortiert werden (§ 1 Abs. 1 Satz 3 GesLV), allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die Nummerierung der Anteile insgesamt fortlaufend ist96. Vom Verordnungsgeber neu geschaffen wurde der in § 1 Abs. 2 GesLV enthaltene Grundsatz 26 der Nummerierungskontinuität, wonach eine für einen Geschäftsanteil einmal vergebene Nummer nicht (später) für einen anderen Geschäftsanteil verwendet werden darf. Dies war in der Praxis bislang zuweilen großzügig(er) gehandhabt worden, obwohl die Literatur von der Neuvergabe der Listennummerierung abgeraten hat97; insbesondere der BGH hatte die Neu-Nummerierung abgetretener Geschäftsanteile für zulässig erachtet, wenn jeder Ge-

91 Vgl. auch Berninger, GmbHR 2009, 679, 680; Tebben, RNotZ 2008, 441, 445; Wachter, DB 2009, 159, 160. 92 Miller, NJW 2018, 2518, 2518 f.; so bereits hier in der 11. Aufl. vertreten; vgl. auch zum alten Recht die Empfehlung der Notare Wachter, ZNotP 2008, 378, 385; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 406; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 406. 93 BR-Drucks. 105/18, S. 6; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 7; kritisch Miller, NJW 2018, 2518, 2519. 94 BR-Drucks. 18/105, S. 7; vgl. auch Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1823; Miller, NJW 2018, 2518, 2518 f. 95 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Link, RNotZ 2009, 193, 203. 96 BR-Drucks. 105/18, S. 6 f. 97 Vgl. OLG Bamberg v. 2.2.2010 – 6 W 40/09, GmbHR 2010, 594; Wachter, ZNotP 2008, 378, 385; Wicke, MittBayNot 2010, 283, 284; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, 2. Aufl. 2016, Rz. 34;

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§ 40 Rz. 26 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung schäftsanteil durch die Angabe der bisherigen Nummerierung zweifelsfrei zu identifizieren ist98. Mit dem Grundsatz der Nummerierungskontinuität bezweckt der Verordnungsgeber (i) die Gewährleistung einer unzweifelhaften und eindeutigen Zuordnung der einzelnen Geschäftsanteile zu den Gesellschaftern und damit (ii) eine vereinfachte Handhabung des sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes in der Praxis. Ebenfalls unzulässig ist die nachträgliche Änderung der Nummerierung: Das betrifft insbesondere den Übergang eines Geschäftsanteils auf einen anderen Gesellschafter, bei dem nunmehr wegen des Grundsatzes der Nummerierungskontinuität die Beibehaltung der alten Nummerierung zwingend ist99. 27 Von dem Grundsatz der Nummerierungskontinuität darf nur abgewichen werden, sofern die

GesLV dies ausdrücklich anordnet (§ 1 Abs. 2 Satz 2 GesLV). Das betrifft (einzig) den Fall, dass die Gesellschafterliste aufgrund der bisherigen Nummerierung unübersichtlich wird oder geworden ist und daher der Geschäftsführer (oder der Notar100) eine Bereinigungsliste erstellt (§ 1 Abs. 4 GesLV). Der Begriff der Bereinigungsliste ist ein Neologismus: Es handelt sich um eine von der Nummerierung der Anteile bereinigte, also nicht anlassbezogene oder darstellungsbereinigte Gesellschafterliste zu Klarstellungszwecken. Der Verordnungsgeber orientierte sich an den Parallelvorschriften aus dem Grundbuch- und Handelsregisterrecht (§ 28 Abs. 1 GBV, § 21 Abs. 1 HRV), die eine solche Umschreibung im Grundbuch und im Handelsregisterverfahren ermöglichen101, jedoch mit dem Unterschied, dass keine Pflicht zur Erstellung einer Bereinigungsliste besteht („dürfen“)102; zudem ist die Bereinigungsliste auf die Veränderung der Nummerierungen beschränkt103. Die Bereinigungsliste ersetzt nicht die bisherige Gesellschafterliste, sondern ist zusammen mit der bisherigen Nummerierung gemäß § 2 Abs. 2 GesLV in die Veränderungsspalte einzutragen. Tatbestandliche Voraussetzung ist die Unübersichtlichkeit der Gesellschafterliste, wofür – wie bei der Parallelvorschrift im Grundbuchrecht, gemäß § 28 Abs. 1 GBV – das äußere Erscheinungsbild maßgeblich ist. Diese Voraussetzung der Unübersichtlichkeit ist zu bejahen, wenn (i) die Orientierung über die aktuell gültigen Eintragungen (z.B. durch eine Vielzahl sich kreuzender Eintragungen oder Änderungseintragungen) in erheblichem Maße erschwert oder gänzlich ausgeschlossen ist oder aber (ii) nach § 1 Abs. 3 Satz 3 GesLV zulässige Abschnittsnummerierungen (z.B. Nr. 1.1.1.2.7.1) exzessiv gebraucht wurden104. Nicht unter § 1 Abs. 4 GesLV fallen nach Auffassung des Vorordnungsgebers105 (i) die Einreichung einer neuen, die Nummerierung der Geschäftsanteile nicht berührende Gesellschafterliste, (ii) eine lediglich veränderte Darstellung in der Gesellschafterliste, (iii) informatorische Angaben wie die Durchnummerierung mehrerer kurz nacheinander einzureichender Listen (auch wenn eine der Listen (fälschlicherweise) als „Bereinigungsliste“ betitelt wird) oder (iv) die Einreichung einer Korrekturliste im Fall einer inkorrekten, aktuellen Gesellschafterliste. 28 Bei der Teilung von Geschäftsanteilen sind die neu entstehenden (Teil-)Geschäftsanteile

neu zu nummerieren. Das sieht nunmehr § 1 Abs. 3 GesLV ausdrücklich vor und kodifiziert

98 99 100 101 102 103 104 105

Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 407; a.A. LG Stendal v. 21.9.2009 – 31 T 14/09, NZG 2010, 393. BGH v. 1.3.2011 – II ZB 6/10, NZG 2011, 516 = GmbHR 2011, 474 m. Anm. Heidinger. Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1823; Cziupka, GmbHR 2018, R180, R181; Miller, NJW 2018, 2518, 2520; Szalai, NWB 2018, 2121, 2126; Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 325; anders noch zum alten Recht BGH v. 1.3.2011 – II ZB 6/10, GmbHR 2011, 474. Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 323 (eigenständige Einreichungszuständigkeit der Notare in Bezug auf die Bereinigungsliste). BR-Drucks. 105/18, S. 8; Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1824; Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 323. Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1824. Miller, NJW 2018, 2518, 2520. Ebenso Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 323 f. BR-Drucks. 105/18, S. 8 f.

310 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 28 § 40

damit die bislang empfohlene und auch weitgehend übliche Notarpraxis106. Dadurch bleibt zwar die bisherige, dem Ursprungsgeschäftsanteil zugeordnete Nummer frei, so dass die Nummerierung nicht mehr „laufend“ ist. Das ist allerdings nicht nur unschädlich, da die Nummern über den Zeitverlauf gesehen „fortlaufend“ vergeben wurden107, sondern vielmehr auch mit Blick auf den Grundsatz der Nummerierungskontinuität (§ 1 Abs. 2 Satz 1 GesLV) zwingend. Ein Vermerk in der Veränderungsspalte wird gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 GesLV empfohlen, um den Ursprung der neuen (Teil-)Geschäftsanteile mit Verweis auf die ursprüngliche Nummer aufzudecken108. Eine Streichung oder Rötung (wie im Handelsregister oder Grundbuch) des z.B. durch Teilung oder Einziehung weggefallenen Geschäftsanteils ist seit dem Inkrafttreten der GesLV entgegen der früheren Rechtslage109 nicht mehr zulässig110; die Altangaben fallen vielmehr nach § 3 GesLV weg (s. Rz. 36). Rechtlich zweifelhaft waren (und von der Registerpraxis teilweise beanstandet wurden) folgende Praktiken, die nunmehr weitestgehend durch die GesLV eine Klärung erfahren haben: (1) Bei der Teilung eines Geschäftsanteils behält der Ursprungsgeschäftsanteil nicht seine bisherige Nummer; unzulässig wäre es z.B., Geschäftsanteil Nr. 1 in die Geschäftsanteile Nr. 1 und Nr. 2 aufzuteilen111. Vielmehr sieht § 1 Abs. 3 Satz 1 GesLV zwingend die Vergabe einer neuen Nummer vor, und zwar sowohl für den abgespaltenen als auch für den ursprünglichen Geschäftsanteil. (2) Bei der Teilung eines Geschäftsanteils (z.B. mit laufender Nr. 1) besteht für die Nummerierung der entstehenden (Teil-)Geschäftsanteile nach der GesLV ein Wahlrecht112: sie können (i) mit der nächsten freien, ganzen arabischen Zahl nummeriert (§ 1 Abs. 3 Satz 1, 2 GesLV) oder aber (ii) mit Abschnittsnummern, also mit ganzen arabischen Zahlen in dezimaler Gliederung geteilt werden (in diesem Fall: Nr. 1.1, Nr. 1.2 etc.)113. (3) Nach jeder Teilung oder Zusammenlegung von Geschäftsanteilen darf keine vollständige Neu-Nummerierung mit fortlaufenden Nummern der nun bestehenden Geschäftsanteile unter Neuvergabe der bereits vorher genutzten Ziffern erfolgen; eine lückenlos aufsteigende Zahlenfolge der Geschäftsanteile besteht somit nicht (mehr)114. Der BGH hatte zwar dieses Verfahren mit Hinweis auf die Kennzeichnung der Nummerierungsherkunft für zulässig erachtet, da eine Stetigkeit der

106 So zur alten Rechtslage vgl. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, 2. Aufl. 2016, Rz. 37; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 403; Wicke, Rz. 5; Wicke, MittBayNot 2010 283, 284; Götze/Bressler, NZG 2007, 894, 895; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 407; Melchior, NotBZ 2010, 213, 215; Hasselmann, NZG 2009, 449, 450. 107 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 76. 108 Zum alten Recht vgl. Bohrer, DStR 2010, 1892, 1893; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 76. 109 Vor dem Inkrafttreten der GesLV war die Rötung bzw. Streichung von Altangaben zulässig, aber nicht zwingend geboten, vgl. dazu Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 404; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 77; Melchior, NotBZ 2010, 213, 216; Herrler, NZG 2011, 536; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 11; a.A. (Liste ist nicht mit Streichungen zu führen) OLG Bamberg v. 2.2.2010 – 6 W 40/09, GmbHR 2010, 594. 110 Cziupka, GmbHR 2018, R180, R181 f.; Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 322; Oetker in Henssler/ Strohn, § 40 GmbHG Rz. 13. 111 Cziupka, GmbHR 2018, R180, R181. 112 Ebenso Miller, NJW 2018, 2518, 2519. 113 Cziupka, GmbHR 2018, R180, R181; anders noch zur Rechtslage vor dem Inkrafttreten der GesLV Everts in Kroiß/Everts/Poller, GmbH-Registerrecht, 2008, Rz. 126 (für Ergänzungsbuchstaben); vgl. auch Heckschen, ZErb 2008, 246, 251; Herrler, NZG 2011, 536, 538; Link, RNotZ 2009, 193, 204; Tebben, RNotZ 2008, 441, 455; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; abl. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62; Wachter, ZNotP 2008, 378, 385; Hasselmann, NZG 2009, 449, 450; Wicke, MittBayNot 2010, 283, 284. 114 Szalai, GWR 2018, 250, 255; Szalai, NWB 2018, 2121, 2126.

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§ 40 Rz. 28 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung Nummerierung nicht in allen Fällen durchgehalten werden könne115; dieses Verfahren konfligiert nunmehr mit § 1 Abs. 2 Satz 1 GesLV und dem darin enthaltenen Grundsatz der Nummerierungskontinuität; zudem läuft dieses Verfahren dem gesetzgeberischen Ziel entgegen, eine eindeutige, zweifelsfreie und transparente Bestimmbarkeit der Geschäftsanteile durch ihre Nummerierung zu erreichen116. Klarheit und Transparenz der Gesellschafterliste infolge mehrmaliger Veränderungen der Geschäftsanteile sowie eine lückenlos aufsteigende Zahlenfolge der Geschäftsanteile kann durch Erstellung einer Bereinigungsliste (s. Rz. 27) geschaffen werden117. 29 Bei Kapitalerhöhungen gilt Folgendes: Entsteht durch die Kapitalerhöhung ein neuer Ge-

schäftsanteil, so muss diesem die nächste freie, ganze arabische Zahl zugewiesen werden (§ 1 Abs. 3 GesLV). Nicht in der GesLV geregelt ist indes der Fall, dass es mit der Kapitalerhöhung zur Aufstockung eines bestehenden Geschäftsanteils kommt. Für diesen Fall entspricht es nunmehr118 dem Grundsatz der Nummerierungskontinuität (§ 1 Abs. 2 Satz 1 GesLV), die vorherige Nummerierung beizubehalten. Bei der Aufstockung eines Geschäftsanteils wird nämlich kein neuer Geschäftsanteil vergeben, der gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 GesLV zwingend mit einer neuen Nummer zu kennzeichnen ist, vielmehr bleibt der Geschäftsanteil und damit auch seine Nummerierung identisch, da sich einzig die Höhe des auf den Geschäftsanteil entfallenden Nennbetrages ändert119. In jedem Fall ist es bei Kapitalerhöhung empfehlenswert, einen entsprechenden Vermerk über den Entstehungsursprung in der Veränderungsspalte vorzusehen; dies entspricht neuerdings auch der Empfehlung in § 2 Abs. 3 Nr. 4 GesLV (Kapitalerhöhung mit Ausgabe neuer Geschäftsanteile) und § 2 Abs. 3 Nr. 5 GesLV (Kapitalerhöhung mit Aufstockung der Geschäftsanteile). 30 Innerhalb dieser von § 1 GesLV gezogenen Grenzen steht die konkrete Vorgehensweise im

pflichtgemäßen Ermessen des Erstellungsverpflichteten, wobei das Ermessen am Identifikations- und Transparenzziel zu messen ist, d.h. das Verfahren muss gewährleisten, dass die Geschäftsanteile durch die Angaben zu den Anteilen sowie die Nummerierung eindeutig, zweifelsfrei und transparent identifiziert werden können120. Das gilt z.B. für die Entscheidung, (i) wie die Geschäftsanteile im konkreten Fall nummeriert und (nach Geschäftsanteilen oder nach Gesellschaftern) sortiert werden sollen, oder (ii) ob die Übersichtlichkeit der Gesellschafterliste bereits in einem Maße beeinträchtigt ist, dass eine Bereinigungsliste i.S.d. § 1 Abs. 4 GesLV zu erstellen ist121. Für die (private) Erstellung der Gesellschafterliste gelten allerdings nicht die gleichen, strengen Anforderungen wie für die Führung des Handelsregisters oder des Grundbuchs.

115 BGH v. 1.3.2011 – II ZB 6/10, GmbHR 2011, 474 m. abl. Anm. Heidinger; a.A. noch Vorinstanz OLG Bamberg v. 2.2.2010 – 6 W 40/09, GmbHR 2010, 594 m. zust. Anm. Omlor, EWiR 2010, 535 sowie zust. Wicke, MittBayNot 2010, 283, 284 (Umschreibung wie im Grundbuch nur in Ausnahmefällen und Bewahrung der Transparenz durch Gesellschafterbeschluss). 116 I.E. ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 81; Heidinger, GmbHR 2011, 474, 476; a.A. Herrler, NZG 2011, 536, 539. 117 Cziupka, GmbHR 2018, R180, R181; Szalai, GWR 2018, 250, 254. 118 Anders (noch) die Rechtslage vor dem Inkrafttreten der GesLV, vgl. Melchior, NotBZ 2010, 213, 216; vgl. auch zum aktuellen Recht Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 13 (Zulässigkeit der Umnummerierung abgetretener Geschäftsanteile unter Kennzeichnung ihrer Herkunft zulässig). 119 Ebenso Szalai, NWB 2018, 2121, 2126; Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 325. 120 Ebenso Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 396; vgl. zum alten Recht Wachter, NZG 2009, 1001, 1004; vgl. auch Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 37. 121 BR-Drucks. 105/18, S. 9; Szalai, NWB 2018, 2121, 2125; Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 323.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 31 § 40

3. Prozentuale Beteiligung am Stammkapital Mit Wirkung zum 26.6.2017 hat der Gesetzgeber die inhaltlichen Anforderungen an die Ge- 31 sellschafterliste in § 40 Abs. 1 Satz 1 um die Angabe der prozentualen Beteiligung am Stammkapital erweitert. Die Unsicherheiten und Praxisprobleme im Nachgang an die Gesetzesreform für die Darstellung der prozentualen Beteiligung in der Gesellschafterliste wurden durch die Konkretisierung dieser Angabe in § 4 GesLV beseitigt. Nunmehr ausdrücklich zulässig, aber nicht zwingend erforderlich122, ist das Runden von Prozentangaben auf eine Dezimalstelle123, und zwar entweder nach dem kaufmännischen Prinzip oder durch Weglassen der Nachkommastellen bis auf eine Dezimalstelle; die Darstellung der prozentualen Beteiligung in einem Bruch ist hingegen unzulässig124. Es gilt dabei das sog. Konsistenzgebot, dem zufolge innerhalb einer Gesellschafterliste ausschließlich nach demselben kaufmännischen Prinzip gerundet bzw. nach derselben Anzahl an Nachkommastellen abgebrochen werden darf125. Die gerundete Angabe der Gesellschafterbeteiligung betrifft lediglich ihre numerische Darstellung in der Gesellschafterliste und wirkt sich weder auf die tatsächliche Rechtsstellung des Gesellschafters noch auf die Rechtswirkungen von § 16 aus126. Daher ist es auch unschädlich, dass die Summe der Prozentangaben infolge von Rundungen nicht genau 100 Prozent beträgt, wie der Verordnungsgeber in § 4 Abs. 3 GesLV ausdrücklich zum Ausdruck bringt; dies kann sinnvollerweise (überobligatorisch) in einer Fußnote in der Liste klargestellt werden127. Die Rundungsmöglichkeit erfährt in § 4 Abs. 4 Satz 2 GesLV eine Einschränkung, wonach Abrundungen auf die Beträge von 0,0 %, 25,0 % oder 50,0 % unzulässig sind. Das dient vor allem mit Blick auf das Transparenzregister dem Zweck, die mit diesen Schwellenwerten zusammenhängenden Mehrheiten und damit die Einflussmöglichkeiten auf die Gesellschaft in der Gesellschafterliste (zutreffend) darzustellen und etwaige Irreführungen zu vermeiden. Insbesondere soll dadurch die Einordnung eines Gesellschafters als wirtschaftlich Berechtigter der Gesellschaft (ab 25 % der Geschäftsanteile oder Stimmrechte, vgl. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GwG)128 sichergestellt werden. Für die Praxis, insbesondere bei größeren Gesellschaften oder bei Splitterbeteiligungen einzelner Gesellschafter, ist die mit der Verordnung geschaffene Möglichkeit, Kleinstbeteiligungen in der Gesellschafterliste durch eine Erheblichkeitsschwelle129 vereinfacht darstellen zu können (§ 4 Abs. 4 GesLV), von besonderer Bedeutung. Vor dem Erlass der GesLV war die Zulässigkeit einer solchen Schwelle von den Obergerichten noch abgelehnt worden130. Diese Rechtsfrage ist nunmehr geklärt: Gemäß § 4 Abs. 4 GesLV genügt für den Fall, dass der Anteil des Nennbetrags eines einzelnen Geschäftsanteils weniger als ein Prozent vom Stammkapital beträgt, „diese Angabe“. Zulässig ist sowohl eine mathematische Darstellung (z.B. „< 1 %“) als auch eine wörtliche Umschreibung (z.B. „unter 1%“; „kleiner 1%“). Der Gesetzgeber hat im Referentenentwurf klargestellt,

122 BR-Drucks. 105/18, S. 11. 123 Zulässig bleibt das Runden auf mehr als eine Nachkommastelle, vgl. BR-Drucks. 105/18, S. 11; vgl. auch Heilmeier in BeckOK GmbHG, Rz. 34b. 124 BR-Drucks. 105/18, S. 11; ebenso Heilmeier in BeckOK GmbHG, Rz. 34b; Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 327. 125 BR-Drucks. 105/18, S. 11. 126 BR-Drucks. 105/18, S. 12; vgl. auch Heilmeier in BeckOK GmbHG, Rz. 34b; Heidinger, MünchKomm GmbHG, Rz. 13. 127 Dafür Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 388. 128 BR-Drucks. 105/18, S. 11; vgl. auch Frank/Schaub, DStR 2018, 1822. 129 Cziupka, GmbHR 2018, R180, R183. 130 OLG Nürnberg v. 23.11.2017 – 12 W 1866/17, NJW-RR 2018, 104 = GmbHR 2018, 86 m. Anm. Bochmann/Cziupka; OLG München v. 12.10.2017 – 31 Wx 299/17, GmbHR 2018, 35 = NJW-Spezial 2017, 752 = NZG 2018, 63 = EWiR 2018, 11 m. Anm. Bochmann/Cziupka.

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§ 40 Rz. 31 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung dass die Prozentangabe (insbesondere infolge von Rundungen) keine Auswirkung auf die tatsächliche Rechtsstellung des Gesellschafters in der Gesellschaft hat131. Hält die Gesellschaft eigene Anteile, führt das bei wirtschaftlicher Betrachtung zwar zu einem Anstieg der prozentualen Stimm- und Beteiligungsrechte der Gesellschafter, weil die von der Gesellschaft gehaltenen Geschäftsanteile ruhen; eine entsprechende Anpassung der Prozentangabe ist jedoch nicht vorzunehmen132. Anders stellt sich die Einziehung eines Geschäftsanteils dar, bei der die jeweiligen prozentualen Beteiligungen an der Gesellschaft anzupassen sind133. 32 Ebenfalls mit Wirkung zum 26.6.2017 neu eingeführt hat der Gesetzgeber die gesonderte

Angabe des Gesamtumfangs der Beteiligung eines Gesellschafters am Stammkapital in der Gesellschafterliste, wenn ein Gesellschafter mehr als nur einen Geschäftsanteil hält (§ 40 Abs. 1 Satz 3). Stehen mehrere Geschäftsanteile den Gesellschaftern in gesamthänderischer Verbundenheit zu (s. auch Rz. 17), ist der Gesamtumfang der prozentualen Beteiligung der Gesamthandsgemeinschaft anzugeben, nicht jedoch (zusätzlich) die prozentuale Beteiligung an der Gesamthandsgemeinschaft selbst134; das gilt insbesondere für die GbR135. Die vorstehenden Grundsätze zur gerundeten Darstellung der Beteiligung in der Gesellschafterliste (Rz. 31) sind gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 GesLV auch für die Angabe des Gesamtumfangs der Beteiligung anwendbar. Bei der Berechnung des Gesamtumfangs ist gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 GesLV eine Rundung aber erst beim errechneten Gesamtumfang der Beteiligung und nicht bei den einzelnen Geschäftsanteilen zulässig; dadurch wird ein Verlust von Beteiligungsprozenten bei dem Rechenvorgang vermieden und ein erhöhtes Richtigkeitsniveau der Angabe des Gesamtumfangs der Beteiligung sichergestellt136. 33 Die Prozentangaben zum Geschäftsanteil am Stammkapital sind in der Gesellschafterliste ge-

mäß § 4 Abs. 5 GesLV wie folgt darzustellen: (1) Der prozentuale Anteil vom Stammkapital eines jeden Geschäftsanteils gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 ist in einer jeweils separaten Spalte darzustellen. (2) Hält ein Gesellschafter mehrere Geschäftsanteile, so ist der Gesamtumfang seiner Beteiligung gemäß § 40 Abs. 1 Satz 3 entweder in einer separaten Spalte oder in einer separaten, abgesetzten Zeile aufzuführen137. Eine Beschränkung auf die Angabe des prozentualen Anteils vom Stammkapital der Summe aller Geschäftsanteile jedes Gesellschafters kann zulässig sein, wenn sich daraus der prozentuale Anteil des einzelnen Geschäftsanteils ohne rechnerischen Aufwand ermitteln lässt138, ist in der Praxis jedoch nicht empfehlenswert.

131 BT-Drucks. 18/1555, S. 173 f.; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungsund Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 386. 132 Ebenso Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 391; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, § 33 Rz. 119; a.A. Wachter, GmbHR 2018, 1129, 1137. 133 Ebenso Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 393; Wachter, GmbHR 2018, 1129, 1138. 134 BR-Drucks. 105/18, S. 12. 135 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 389; erlangt allerdings ein GbR-Gesellschafter mehr als 25 % der GbR-Anteile, muss er diesen Umstand der GmbH gemäß § 20 Abs. 3 Satz 2 GwG mitteilen. 136 Vgl. BR-Drucks. 105/18, S. 12. 137 Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular C.II.5; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 386, 417; zur Zuordnung der verschiedenen Prozentangaben zum einzelnen Geschäftsanteil sowie zur Gesamtbeteiligung des Gesellschafters s. KG v. 26.8.2019 – 22 W 55/19, DNotZ 2020, 555 = GmbHR 2019, 1242. 138 OLG Bremen v. 29.7.2019 – 2 W 24/19, GmbHR 2020, 558. S. zu dieser Entscheidung auch Rz. 23.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 35 § 40

4. Veränderungsspalte § 40 verlangt für die Gesellschafterliste weder die Angabe des Rechtsgrundes der Verände- 34 rung in der Gesellschaft noch die Beifügung von Dokumenten zum Nachweis der Veränderung139. Allerdings regelt nunmehr § 2 Abs. 1 GesLV, dass Veränderungen nach § 40 Abs. 1 Satz 1 im Vergleich mit der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Liste in eine Veränderungsspalte einzutragen sind, die in diesen Fällen der Gesellschafterliste beizufügen ist; eine solche Veränderungsspalte entsprach auf Grundlage von § 40 a.F. – trotz ihrer allgemein anerkannten Zulässigkeit140 – bislang nur zum Teil der gängigen Praxis141. Die Beschränkung der Veränderungsspalte auf Veränderungen i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 (Inhalt der Gesellschafterliste bei natürlichen Personen) ist eine vom Verordnungsgeber ungewollte Ungenauigkeit; einzutragen sind vielmehr auch Veränderungen, die eingetragene oder nicht-eingetragene Gesellschaften oder aber den Gesamtanteil einer Beteiligung an einer Gesellschaft betreffen (§ 40 Abs. 1 Sätze 2 und 3). Mit der Verrechtlichung der Veränderungsspalte soll die historische Entwicklung der Geschäftsanteile und der Beteiligungen seit der zuletzt im Handelsregister aufgenommen Gesellschafterliste verdeutlicht werden142, nicht jedoch die gesamte Historie aller Geschäftsanteile einer Gesellschaft143. Die Veränderungsspalte hat nur informatorische Bedeutung144 und ist insbesondere nicht Gegenstand der Notarbescheinigung nach § 40 Abs. 2 Satz 2145. Solange es keine Veränderungen in dem Gesellschafterbestand gibt (z.B. Konzerntochtergesellschaften; erstmalige Erstellung einer Gesellschafterliste bei Gründung der GmbH), besteht für die Aufnahme einer (leeren) Veränderungsspalte kein Bedürfnis146. Der Verordnungsgeber hat die in die Veränderungsspalte aufzunehmenden Mindestinhalte 35 mit einer dreistufigen Regelungsverbindlichkeit ausgestaltet, die in ihrem Grundkonzept an die unterschiedlichen Regelungsarten im DCGK (rechtsbeschreibende Passagen, Empfehlungen, Anregungen) erinnern: (1) Als „Ist“-Angabe ist zwingend in die Veränderungsspalte aufzunehmen (i) eine Bereinigungsliste, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, sowie (ii) die Neunummerierung von Geschäftsanteilen i.S.d. § 1 Abs 4 GesLV (vgl. § 2 Abs. 2 GesLV). (2) Als „Sollte“-Vorschrift wird von dem Verordnungsgeber in § 2 Abs. 3 GesLV die Angabe des Rechtsgrundes für die Veränderung in der Gesellschafterliste empfohlen. Schon zu § 40 Abs. 1 a.F. wurde die Aufnahme dieser Informationen in die Veränderungsspalte seitens der Literatur angeregt147 und in der Notarpraxis mit Billigung der Gerichte148 vorgenom-

139 Vgl. z.B. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48. 140 BGH v. 1.3.2011 – II ZB 6/10, NJW 2011, 1809, Rz. 13 = GmbHR 2011, 474; OLG Jena v. 22.3.2010 – 6 W 110/10, NZG 2010, 591 = GmbHR 2010, 598; OLG Thüringen v. 22.3.2010 – 6 W 110/10, GmbHR 2010, 598, 599; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 411; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 67; a.A. zu § 40 a.F. LG Essen v. 15.11.2000 – 44 T 4/00, GmbHR 2001, 109, 110. 141 Vgl. Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1823. 142 BR-Drucks. 105/18, S. 9. 143 Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1823. 144 So jetzt auch ausdrücklich H. Schmidt, NZG 2021, 181, 184. 145 BR-Drucks. 105/18, S. 9. 146 BR-Drucks. 105/18, S. 9; vgl. auch Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1823. 147 Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.31; Götze/ Bressler, NZG 2007, 894, 895; Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 1993, 2000; Melchior, GmbHR 2010, 418, 421; Wachter, ZNotP 2008, 378, 385; Wälzholz, MittBayNot 2010, 72, 73; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2007, 735, 738; abweichend zu „Kürangaben“ Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 15c (grundsätzliche Zulässigkeit mit Einschränkungsvorbehalt). 148 Vgl. BGH v. 1.3.2011 – II ZB 6/10, GmbHR 2011, 474 m. zust. Anm. Heidinger; OLG Thüringen v. 22.3.2010 – 6 W 110/10, GmbHR 2010, 598, 599, dazu zust. Wachter, EWiR 2010, 423 ZB 6/10; Melchior, NotBZ 2010, 213, 215 f.

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§ 40 Rz. 35 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung men. In § 2 Abs. 3 GesLV werden nunmehr solche Eintragungen empfohlen, die in allen Fällen auf den Bestand oder die Nummerierung der Geschäftsanteile Einfluss nehmen oder einen Wechsel der Inhaberschaft zur Folge haben, im Einzelnen: (i) Teilung von Geschäftsanteilen; (ii) Zusammenlegung von Geschäftsanteilen; (iii) Einziehung von Geschäftsanteilen; (iv) Kapitalerhöhung mit Ausgabe neuer Geschäftsanteile; (v) Kapitalerhöhung mit Aufstockung der Geschäftsanteile; (vi) Kapitalherabsetzung; (vii) Anteilsübergang. Eine Pflicht zur Aufnahme dieser Angaben besteht nicht („sollte“). Der Verordnungsgeber bezweckt zwar, das Ermessen des Listenerstellers zur Aufnahme solcher Angaben hinzulenken149, doch ist das Registergericht nicht berechtigt, diese Ermessenausübung zu überprüfen und die Gesellschafterliste (sofern keine „Ist“-Angaben erforderlich sind) wegen „ermessensfehlerhaften“ Absehens von einer Veränderungsspalte zu beanstanden150. (3) Als „Kann“-Angabe ermöglicht der Verordnungsgeber in § 2 Abs. 4 GesLV die Aufnahme weiterer Angaben in die Veränderungsspalte. Das betrifft nach dem Verordnungsgeberwillen solche Änderungen, die weder Einfluss auf den Bestand oder die Nummerierung der Geschäftsanteile nehmen noch einen Wechsel der Inhaberschaft zur Folge haben151. Ein Numerus Clausus der Inhaltsangaben besteht zwar nicht152. Wegen des auch für Gesellschafterlisten geltenden Grundsatzes der Registerklarheit ist allerdings die Angabe- bzw. Informationsmöglichkeit des § 2 Abs. 4 GesLV eher restriktiv zu handhaben; die Veränderungsspalte soll nicht zu einer allgemeinen „Vermerkspalte“ werden153. Das gilt neben Vermerken zu Verfügungsbeschränkungen einzelner Anteile (im Einzelnen s. Rz. 40) insbesondere auch für die Angabe gesetzlicher Vertreter154. 36 In die Veränderungsspalte der Gesellschafterliste sind auch sog. Altangaben aufzunehmen.

Zu den Altangaben sieht neuerdings § 3 GesLV vor, dass im Fall einer Veränderung i.S.v. § 2 Abs. 1 GesLV, die zur Vergabe einer neuen Nummer des Geschäftsanteils führt, die bisherigen Nummern und die bisherigen Angaben, die in der Gesellschafterliste in Verbindung mit der bisherigen Nummer eingetragen waren, wegfallen (z.B. bei der Teilung von Geschäftsanteilen). Das dient der Gewährleistung von Klarheit und Übersichtlichkeit der Gesellschafterliste. Unzulässig ist nach dem Verordnungsgeberwillen, Altangaben in der Gesellschafterliste zu belassen und durchzustreichen oder um einen die Aufhebung kennzeichnenden Zusatz (z.B. „aufgehoben“, „ungültig“, „Altversion“, „bis zum 20.10.2018“) zu ergänzen155. Solche Veränderungen sind in der Veränderungsspalte nachvollziehbar darzulegen156. Die Veränderungssperre dient allerdings nicht der Nachvollziehbarkeit der Gesamthistorie aller einzelnen Gesellschaftsanteile157; mit der darauffolgenden Veränderung im Gesellschafterbestand sind diese Altangaben (für immer) aus der Gesellschafterliste herauszustreichen.

5. Weitere Einzelangaben 37 Mit der Aufzählung der Informationen in § 40 Abs. 1 sowie für die Veränderungsspalte in § 2

Abs. 1 und 2 GesLV sind die zwingenden Mindestangaben der Gesellschafterliste beschrie149 BR-Drucks. 105/18, S. 10. 150 KG v. 21.3.2019 – 22 W 81/18, GmbHR 2019, 585 m. Anm. Wachter; OLG Hamm v. 6.4.2020 – 27 W 26/20, GmbHR 2020, 708; ähnlich Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 324. 151 BR-Drucks. 105/18, S. 10. 152 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 412. 153 Vgl. Miller, NJW 2018, 2518, 2520 f.; vgl. auch H. Schmidt, NZG 2021, 181, 184. 154 Miller, NJW 2018, 2518, 2521. 155 BR-Drucks. 105/18, S. 11. 156 Ungenau Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1823 (Altangaben „können und sollen“ in die Veränderungsspalte aufgenommen werden). 157 Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1823.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 39 § 40

ben. Nach zutreffender Auffassung ergibt sich aus dieser Regelung aber kein Numerus Clausus der zulässigen Angaben in der Gesellschafterliste, sofern diese Angaben nicht den Zweck der Gesellschafterliste ernsthaft gefährden, eine eindeutige, zweifelsfreie und transparente Übersicht über den Gesellschafterbestand und die Anteilsverteilung zu bieten. So entspricht es im Regelfall diesem Gesetzeszweck, (i) Zeitdaten der Unterschrift unter die Gesellschafterliste (Rz. 38) und (ii) Angaben über dingliche Belastungen (Rz. 39 f.) aufzunehmen. a) Angabe von Zeitdaten Die Angabe des Datums der „Veränderung“ i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 ist weder zulässig noch 38 gar zwingend erforderlich158. Denn diese Datumsangabe hätte keine rechtliche Wirkung, aber das Potential zu Fehlinterpretationen. Demgegenüber ist die Beifügung des Datums der Unterschrift unter die Gesellschafterliste als Datum ihrer Erstellung zwar nicht zwingend erforderlich, aber zulässig und empfehlenswert, um bei kreuzenden Gesellschafterlisten die Prüfungspflichten des Registergerichts und der Geschäftsführer zu erleichtern159. Die Rechtsscheinwirkungen der Gesellschafterliste knüpfen allerdings an das Datum der Aufnahme der Gesellschafterliste im Handelsregister an. Der Vermerk dieses Datums ist weder im GmbHG noch in der HRV vorgeschrieben; bislang ist es auch – und trotz seit Jahren angekündigter Umprogrammierung – grundsätzlich nicht bei der Online-Abfrage ersichtlich160. Allerdings kann auf spezielle Nachfrage beim betreffenden Handelsregister dieses Datum (aber nicht die genaue Uhrzeit!) aus der dortigen EDV-Speicherung erfragt werden161. b) Dingliche Belastungen und sonstige Angaben Die Frage, ob die Bestellung eines Pfandrechts, eines Nießbrauchs oder anderer dingli- 39 cher Belastungen (sowie die Veränderungen solcher Rechte) in die Gesellschafterliste eingetragen werden kann, wird weiterhin sehr streitig behandelt. Weder die Neufassung von § 40 noch die auf Grundlage von § 40 Abs. 4 ergangene GesLV enthalten hierzu eine Positionierung. Im Allgemeinen sind Zusatzangaben in der Gesellschafterliste wegen des Grundsatzes der Registerklarheit restriktiv zu handhaben; insbesondere steht es nicht im freien Belieben der Geschäftsführer, den Listeninhalt abweichend von den gesetzlichen Anforderungen und ggf. in transparenzvermindernder Weise um weitere Bestandteile zu ergänzen162. Die Frage nach dinglichen Belastungen des Geschäftsanteils wird zumeist mit den zwar sachlich zusammenhängenden, aber doch getrennt zu beurteilenden Problemen erörtert, ob ein gutgläubiger, lastenfreier Erwerb oder sogar ein gutgläubiger Zweiterwerb eines dinglichen Rechts nach § 16 Abs. 3 möglich ist (s. hierzu 12. Aufl., § 16 Rz. 73 f.: § 16 Abs. 3 ermöglicht keinen gutgläubigen, lastenfreien Erwerb) und ob bei einer Eintragungsfähigkeit dinglicher Rechte für das Innenverhältnis zur Rechtsausübung gegenüber der Gesellschaft § 16 Abs. 1 gilt (s. hierzu 12. Aufl., § 16 Rz. 20: keine analoge Anwendung von § 16 Abs. 1 Satz 1). Während die überwiegende Literaturansicht zur Vorbildnorm des § 67 Abs. 2 AktG Pfandrecht und Nießbrauch im Aktienregister für eintragungsfähig hält163, lehnt es die überwiegende 158 Zum insoweit vergleichbaren alten Recht LG Essen v. 15.11.2000 – 44 T 4/00, GmbHR 2001, 110; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35. 159 Abw. für ein zwingendes Erfordernis Krafka/Kühn, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1102. 160 Jedenfalls in Bayern sieht das Registerportal das Erstelldatum vor, vgl. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60; krit. hierzu Ries in Liber amicorum Mock, 2009, S. 217, 220. 161 Zutr. Melchior, GmbHR 2010, 418, 419 (Anforderung der Liste nach § 30a Abs. 2 HRV); Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 62. 162 Vgl. Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 12; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 11. 163 Vgl. z.B. Cahn in Spindler/Stilz, § 67 AktG Rz. 23; Bayer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 67 AktG Rz. 33; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, § 67 AktG Rz. 14a.

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§ 40 Rz. 39 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung Literaturansicht für die Gesellschafterliste nach § 40 (auch bei entsprechender Satzungsbestimmung) ab164. Dieses enge Zulässigkeitsverständnis bei § 40 ist nicht überzeugend und wohl dadurch veranlasst, dass die Erstreckung der Rechtsscheinwirkung des § 16 Abs. 1 (Legitimationswirkung im Gesellschaftsverhältnis) und des § 16 Abs. 3 (gutgläubiger Erwerb) auf diese dinglichen Rechte verhindert werden soll. Dies schließt es aber nicht aus, dass die Gesellschafter beschließen oder durch Satzungsbestimmung regeln, den Gesellschaftern vorzuschreiben, Belastungen der von ihnen gehaltenen Geschäftsanteile aus Informationszwecken zur Eintragung in die Gesellschafterliste, insbesondere in einer Vermerkspalte, zu bringen (s. auch 12. Aufl., § 16 Rz. 15a)165. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Aufnahme dinglicher Belastungen in die Gesellschafterliste besteht allerdings nicht. 40 Die Pfändung eines Geschäftsanteils kann hingegen in keinem Fall in die Gesellschafterliste

eingetragen werden166. Auch Verfügungsbeschränkungen über den Geschäftsanteil können im Grundsatz nicht in die Gesellschafterliste eingetragen werden; das gilt insbesondere für Anmerkungen und Vermerke (i) zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gesellschafters167; (ii) zur Vor- und Nacherbschaft168; (iii) zur Nachlassverwaltung169 und (iv) zur angeordneten Nachlasspflegschaft170. Etwas anderes gilt nur im Hinblick auf aufschiebend bedingte Abtretungen von Geschäftsanteilen, bei denen der Ersterwerber durch § 161 Abs. 1 Satz 1 BGB vor Zwischenverfügungen des Veräußerers dadurch geschützt wird, dass solche Zwischenverfügungen mit Bedingungseintritt unwirksam werden. Denn in diesem Fall – und entgegen der Rechtsprechung des BGH171 und einer starken Literaturansicht172 – ist zur Gewährleistung eines Gutglaubensschutzes nach § 16 Abs. 3 auch in Be-

164 So Miller, NJW 2018, 2518, 2521 (allgemein zu dinglichen Belastungen); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; ausf. Bayer, GmbHR 2012, 1, 6; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 16 Rz. 28; Bohrer, DStR 2010, 1892, 1894; Grunewald, Der Konzern 2007, 13, 15; Haas/Oechesler, NZG 2006, 806, 812; Hasselmann, NZG 2009, 409, 412; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 418; Oppermann, ZIP 2009, 651, 652; Preuß, ZGR 2008, 676, 688; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75 f.; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 394; Tebben, RNotZ 2008, 441, 455; Wachter, ZNotP 2008, 378, 397; Wachter, GmbHR 2009, 785, 793; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 11. 165 Für eine Eintragungsfähigkeit dinglicher Belastungen ausdrücklich LG Aachen v. 6.4.2009 – 44 T 1/09, RNotZ 2009, 409, 410 = GmbHR 2009, 1218, 1219 (in Bezug auf einen Nießbrauch) m. zust. Anm. Reymann, RNotZ 2009, 410, 412 = MittBayNot 2010, 72 m. zust. Anm. Wälzholz = GmbHR 2009, 1218 m. abl. Anm. Omlor/Spies = NZG 2009, 1157 m. abl. Anm. Fritsch; Reymann, WM 2008, 2095, 2101 f. (Nießbrauch); Link, RNotZ 2009, 193, 204; Zinger/Ulrich-Erber, NZG 2011, 286, 289; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 410. 166 Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular C.II.5, Anm. 2; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 110; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 445; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 42; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 11. 167 Miller, NJW 2018, 2518, 2521; vgl. auch Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 416; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 11. 168 Miller, NJW 2018, 2518, 2521; a.A. Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 416. 169 Miller, NJW 2018, 2518, 2521. 170 Miller, NJW 2018, 2518, 2521. 171 BGH v. 20.9.2011 – II ZB 17/10, GmbHR 2011, 1269 = BB 2011, 2832 m. zust. Anm. Löwe (2836); so bereits OLG München v. 11.3.2011 – 31 Wx 162/10, GmbHR 2011, 425; OLG Hamburg v. 12.7.2010 – 11 W 51/10, GmbHR 2011, 32. 172 D. Mayer/Färber, GmbHR 2011, 785, 791 f.; Riemenschneider, GmbHR 2009, 1212, 1214; Weigl, MittBayNot 2009, 116, 117 f.; Weigl, NZG 2009, 1173, 1175; Zessel, GmbHR 2009, 303, 305.

318 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 41 § 40

zug auf Anwartschaftsrechte bei Geschäftsanteilen trotz der Gesellschafterbezogenheit der Gesellschafterliste auch der Anwartschaftsberechtigte in der Gesellschafterliste dadurch mittelbar eintragbar, als in der Vermerkspalte die aufschiebend bedingte Anteilsübertragung vermerkt wird (z.B. „Der Geschäftsanteil Nr. 1 ist aufschiebend bedingt an X abgetreten“); dies entspricht der alternativ möglichen Zuordnung eines Widerspruchs zur Gesellschafterliste („Widerspruchslösung“) (s. hierzu ausführlich 12. Aufl., § 16 Rz. 78 ff.). Trotz dieser Eintragung in der Vermerkspalte bleibt der Gesellschafter als Anteilsinhaber in der Gesellschafterliste eingetragen und nur er hat die relative Gesellschafterstellung nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 inne. Nur und erst bei Bedingungseintritt ist [durch den Geschäftsführer] eine neue Gesellschafterliste einzureichen, in der der dann materiell-rechtliche Ersterwerber als Gesellschafter ausgewiesen wird (Rz. 61)173. Eine weitere Ausnahme ist – entgegen der insoweit ablehnenden Rechtsprechung des BGH174 – für die Eintragungsfähigkeit der Anordnung einer Testamentsvollstreckung (§ 2211 BGB) in der Vermerkspalte zu machen175. Es besteht insoweit die gleiche Interessenlage (wie in den Fällen der aufschiebend bedingten Geschäftsanteilsabtretung durch einen entsprechenden Vermerk oder durch eine Zuordnung eines Widerspruchs), einen gutgläubigen Erwerb gemäß § 16 Abs. 3 entgegen der Anordnung der Testamentsvollstreckung zu verhindern176.

III. Zuständigkeits- und Pflichtenzuweisung für die Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste: Grundlagen 1. Konzept der gespaltenen Zuständigkeits- und Pflichtenzuweisung Nach der systematischen Stellung in § 40 Abs. 1 Satz 1 (in dem auch der pflichtauslösende 41 Tatbestand der „Veränderung“ und der Inhalt der Gesellschafterliste beschrieben werden) trifft „die Geschäftsführer“ die primäre (Organ-)Pflicht zur Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste. Nach § 40 Abs. 2 Satz 1 hat ein an den Veränderungen mitwirkender Notar die Gesellschafterliste „anstelle der Geschäftsführer“ zu erstellen, zum Handelsregister einzureichen und eine Abschrift der geänderten Liste der Gesellschaft zu übermitteln. Der Wortlaut der Norm lässt zwei Konzepte zum Verständnis dieser gespaltenen Erstellungs- und Einreichungszuständigkeit zu: (1) Den Geschäftsführern kommt im Grundsatz eine Primärpflichtstellung zu, die durch die Pflichtwahrnehmung des mitwirkenden Notars mit Ausschlusswirkung der Geschäftsführer verdrängt wird177; in Zweifelsfällen einer Notarmitwirkung und bei eindeutigem und nachhaltigem Ausfall der Pflichtenwahrnehmung durch den

173 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 449. 174 BGH v. 24.2.2015 – II ZB 17/14, NJW 2015, 1303 = GmbHR 2015, 526 m. Anm. Bayer; zuvor bereits OLG München v. 15.11.2011 – 31 Wx 274/11, GmbHR 2012, 39; zustimmend hierzu Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7. 175 Ebenso Cziupka, GmbHR 2018, R180, R182; Wachter, GmbHR 2018, 1129, 1135; Fell, jM 2019, 46, 48 f.; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 126; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 416; Reymann, GmbHR 2009, 343, 344; Zinger/Ulrich-Erber, NZG 2011, 286 ff.; Omlor/Spies, MittBayNot 2011, 353, 364; abl. Wachter, DB 2009, 159 ff.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 79 ff.; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 15a. 176 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 119; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 501 ff. 177 KG v. 7.7.2015 – 22 W 15/15, GmbHR 2016, 1159, Leitsatz 3; vgl. auch Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 17.

Seibt | 319

§ 40 Rz. 41 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung mitwirkenden Notar kommt die Primärverpflichtung der Geschäftsführer wieder zum Tragen (Konzept der Primärverpflichtung der Geschäftsführer). (2) Die sachlichen Anwendungsbereiche für die jeweiligen Erstellungs- und Einreichungspflichten der Geschäftsführer bzw. der mitwirkenden Notare sind überschneidungslos und die Zuständigkeitszuweisungen sind einander ausschließend. Es gibt keine allgemeine Primärpflicht der Geschäftsführer, sondern in dem jeweils definierten gesetzlichen Anwendungsbereich unterliegen alleine entweder die Geschäftsführer oder der mitwirkende Notar einer Amtspflicht (Konzept der sich wechselseitig ausschließenden Gleichordnungszuständigkeit). Dieses Konzept erfährt lediglich in den Fällen eine Modifikation, in denen die Beurkundung von einem ausländischen Notar vorgenommen worden ist (s. Rz. 103 f.). 42 Die Literatur geht unter Verweis auf die Regierungsbegründung zum MoMiG weitgehend

davon aus, dass der Gesetzgeber das Konzept der sich wechselseitig ausschließenden Gleichordnungszuständigkeit umgesetzt hat178. Denn die Regierungsbegründung führt zur Gesetzesformulierung „anstelle der Geschäftsführer“ in § 40 Abs. 2 Satz 1 aus, dass damit klargestellt werden solle, „dass die Erstellung und die Einrichtung der Liste allein im Verantwortungsbereich des Notars liegen. Hat ein Notar an einer Veränderung mitgewirkt, entfällt die Verpflichtung der Geschäftsführer zur Erstellung und Einreichung einer Liste, die diese Veränderung umsetzt“179. Dieses Verständnis der Gesetzesbegründung ist aber nicht zwingend, weil sie ersichtlich nur den Normalfall einer zweifelsfreien Notarmitwirkung und einer Pflichtenwahrnehmung durch den mitwirkenden Notar vor Augen hat. Ein gewichtiger Teil der Literatur basiert seine Überlegungen auf dem Konzept der sich wechselseitig ausschließenden Gleichordnungszuständigkeit, konstatiert indes gleichzeitig Abgrenzungsschwierigkeiten bei der Zuständigkeitszuweisung, insbesondere wegen Unklarheiten bei der Begriffsbestimmung der Notarmitwirkung, um dann als Folge de lege ferenda für eine ausschließliche Notarzuständigkeit der Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste zum Handelsregister zu plädieren180. Diese rechtspolitische Forderung wird materiell mit einer regelmäßig erhöhten Rechts- und Fachkenntnis der Notare gegenüber Geschäftsführern und damit einer erhöhten Richtigkeitsgewähr der Gesellschafterliste begründet181. Wenngleich dieses rechtspolitische Konzept einer ausschließlichen Notarzuständigkeit und damit eines – mit Ausnahme der Amtsnotare – privat geführten notariellen Gesellschaftsaufsicht diskussionswürdig ist, entspricht dieser Vorschlag ersichtlich nicht der MoMiG-Gesetzgebungstendenz einer Entbürokratisierung der Gesellschaftsführung sowie einer Kosten- und Aufwandssenkung für die Gesellschaftsführung. De lege lata lassen sich die wenigen Zweifelsfragen der Zuständigkeitszuweisung rechtssicher nur durch das Konzept der Primärpflicht der Geschäftsführer lösen. Es entspricht dem normativen Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Geschäftsführers und wird daher hier weiterhin vertreten.

2. Konzept der Partikularpflicht 43 Jeder Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen löst eine Verpflichtung zur Erstellung

und Einreichung einer neuen Gesellschafterliste zum Handelsregister aus. Daher ist im Grundsatz für jede Veränderung eine eigene neue Gesellschafterliste zum Handelsregister

178 Ebenso Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 19. 179 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44. 180 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 202; Berninger, DStR 2010, 1292, 1293; Ries, NZG 2010, 135, 136; für ein normatives Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten des Notars sogar de lege lata (!) Omlor/Spies, MittBayNot 2011, 353, 359. 181 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 202 (m. Verweis auf BR-Drucks. 254/07, S. 101).

320 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 45 § 40

einzureichen (s. auch Rz. 49 und 87). Da Pflichtenadressaten einerseits die Geschäftsführer und andererseits jeder Mitwirkungsnotar sind, kann es zu Sachverhalten sich kreuzender Gesellschafterlisten kommen, und zwar in verschiedenen Konstellationen: So können verschiedene Notare im kurzen zeitlichen Abstand an Veränderungen mitwirken und neue Gesellschafterlisten einreichen und es ist die Einreichung von Gesellschafterlisten durch Geschäftsführer und jedenfalls einen Notar, aber auch durch mehrere Geschäftsführer bzw. Geschäftsführergruppen denkbar182. Es kann hierdurch zu materiell-rechtlich fehlerhaften Gesellschafterlisten kommen, wenn die Verpflichteten auf der Basis der zum Handelsregister aufgenommenen Vorliste und ohne Kenntnis einer etwa zeitgleichen (aber eben noch nicht im Handelsregister aufgenommenen) Veränderung die Erstellung der neuen Gesellschafterliste vornehmen. Das Handelsregister trifft hier keine Prüfungspflicht über die zeitliche Konsistenz der Listeneinreichungen183, sondern es obliegt den Geschäftsführern im Rahmen ihrer allgemeinen Sorgfaltspflichten für eine Kontrolle und Berichtigung der Gesellschafterlisten zu sorgen (Rz. 53).

3. Keine Notzuständigkeit der Gesellschafter Das GmbHG sieht eine Pflichtenzuweisung an die Gesellschafter für die Erstellung und Ein- 44 reichung einer Gesellschafterliste weder als allgemeine Residualverpflichtung noch für den Fall einer führungslosen GmbH vor. Die Prüfungsanregung des Bundesrats im MoMiG-Gesetzgebungsverfahren, ob bei einer führungslosen GmbH eine schadensersatzbewährte Pflicht der Gesellschafter zur Einreichung von Gesellschafterlisten eingeführt werden sollte184, wurde von der Bundesregierung ausdrücklich abgelehnt185. Im Regelfall bedarf es zwar keiner Notzuständigkeit der Gesellschafter, da in der Praxis eine Notarmitwirkung und dementsprechend eine Notarzuständigkeit vorliegt (nicht allerdings bei Abtretungsbeurkundung durch einen ausländischen Notar!) und die Gesellschafter ein Interesse an der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft durch Bestellung eines (Not-)Geschäftsführers haben. Dies gilt allerdings gerade nicht bei rechtsmissbräuchlichen Gestaltungen wie sog. Firmenbestattungen, so dass insofern de lege ferenda eine Notzuständigkeit der Gesellschafter als Verpflichtung (und nicht nur als Berechtigung186) geregelt werden sollte.

IV. Erstellungspflicht und Einreichungszuständigkeit der Geschäftsführer (§ 40 Abs. 1) 1. Zuständigkeit und Pflichtenkanon (§ 40 Abs. 1 Satz 1) a) Zuständigkeit der Geschäftsführer Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 sind „die Geschäftsführer“ zur Erstellung und Einreichung der Ge- 45 sellschafterliste zum Handelsregister verpflichtet. Hierbei handeln – anders als bei §§ 7, 8 Abs. 1 Nr. 3 und trotz deren Organpflicht – die Geschäftsführer in vertretungsberechtigter

182 Hierzu auch Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 309; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31. 183 Götze/Bressler, NZG 2007, 894, 896; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 412; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 309; a.A. Wachter, NZG 2009, 1001, 1002 f. 184 BR-Drucks. 354/07 (Beschluss), S. 18. 185 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 16/6140, S. 76 f. 186 So aber Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 733; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 80.

Seibt | 321

§ 40 Rz. 45 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung Zahl (arg. e contrario § 78)187. Das gilt auch im Fall der Insolvenz188. Die Organpflichten zur Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste sind höchstpersönlicher Natur189, so dass eine Vertretung bei der Pflichterfüllung durch eine dritte Person unzulässig ist190. Allerdings können sich die Geschäftsführer Gehilfen bei der Prüfung der Sach- und Rechtslage sowie der Erstellung und Boten bei der Einreichung der Gesellschafterliste bedienen; hierbei kommen insbesondere sachlich informierte und fachlich kompetente Rechtsanwälte sowie ausländische Notare (Rz. 103) in Frage. Für die Einschaltung von Dritten als Gehilfen zur Pflichterfüllung gelten die allgemeinen Sorgfaltspflichten bei Delegation von Geschäftsführungsmaßnahmen entsprechend, d.h. (i) die Pflicht zur sorgfältigen Auswahl des Gehilfen, (ii) die Pflicht zur sorgfältigen Instruktion und Informationsversorgung und (iii) die Pflicht zur sorgfältigen Überwachung des Gehilfen und Plausibilitätsprüfung von dessen Ergebnissen. Der neue, materiell-rechtlich berechtigte Gesellschafter hat einen einklagbaren Anspruch gegen die Gesellschaft, vertreten durch die Geschäftsführer, auf Eintragung in die Gesellschafterliste191. Eine Pflicht zur Übersendung der (aktualisierten) Gesellschafterliste an Gesellschafter besteht nicht192; dennoch empfiehlt es sich für die Praxis, zumindest die Betroffenen von der Aufnahme in die an das Handelsregister eingereichte Gesellschafterliste zu unterrichten193. 46 Die konkrete Einreichungszuständigkeit der Geschäftsführer ergibt sich aus einem Subtrak-

tionsprozess: Sie sind dann zur Erstellung und Einreichung einer neuen Gesellschafterliste verpflichtet, soweit (i) eine Veränderung in den Personen der Gesellschaft oder des Umfangs ihrer Beteiligung eingetreten ist194 und (ii) kein deutscher Notar an dieser Veränderung mitgewirkt hat (§ 40 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Satz 1). Hiernach bestehen Geschäftsführerpflichten insbesondere in den Fällen195 187 OLG Thüringen v. 5.7.2011 – 6 W 82/11, GmbHR 2011, 980 m. zust. Anm. Bayer; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 176; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 18; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 111; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 60, 72; Wicke, Rz. 7; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Terlau in Michalski u.a., Rz. 21; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 35; Tebben, RNotZ 2008, 441, 457; Wachter, ZNotP 2008, 378, 386; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 15; a.A. H. Schmidt, NotBZ 2013, 13. 188 Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 29; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 111; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 146; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 72; Görner in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 21; Wicke, Rz. 7; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 15; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 418; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 15. 189 OLG Thüringen v. 5.7.2011 – 6 W 82/11, GmbHR 2011, 980 m. zust. Anm. Bayer; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 72; Link, RNotZ 2009, 193, 198; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 35; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 20; Wachter, ZNotP 2008, 378, 386. 190 Ebenso OLG Thüringen v. 5.7.2011 – 6 W 82/11, GmbHR 2011, 980 m. zust. Anm. Bayer; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 72; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 176; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 413; a.A. (Vertretung zulässig) Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 112; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 35; Wicke, Rz. 7; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 15. 191 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 419; vgl. auch OLG Hamm v. 16.4.2014 – 8 U 82/13, GmbHR 2014, 935 m. Anm. Wachter (kein Feststellungsinteresse bei Feststellungsklage des Gesellschafters auf Feststellung der Gesellschafterstellung). 192 Ebenso Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 420; anders die Forderungen von Heckschen, DStR 2007, 1442, 1450. 193 Ebenso Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 41. 194 Zur Unzulässigkeit der Einreichung einer neuen Gesellschafterliste ohne vorangegangene Veränderung s. KG v. 18.12.2019 – 22 W 91/18, ZIP 2020, 1303; KG v. 24.4.2020 – 22 W 16/18, GmbHR 2020, 774. 195 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 146; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 418 ff.; Görner in Rowedder/

322 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 48 § 40

– der Namensänderung der Gesellschafter bei natürlichen Personen bzw. Firmenänderung einer beteiligten Gesellschaft (einschließlich Außen-GbR); – der Änderung des Wohnorts des Gesellschafters bei natürlichen Personen bzw. des Sitzes einer beteiligten Gesellschaft (einschließlich Außen-GbR); – des Anteilsübergangs in Folge der Gesamtrechtsnachfolge mit gesetzlicher Erbfolge (§ 1922 BGB); – des Anteilsübergangs als Folge der Vermögungsanwachsung (vgl. § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB analog); – des Anteilsübergangs durch Eintritt einer auflösenden Bedingung (Rz. 71 und 86); – der Zusammenlegung von Geschäftsanteilen durch (privatschriftlichen) Gesellschafterbeschluss; – der Teilung von Geschäftsanteilen durch (privatschriftlichen) Gesellschafterbeschluss; – der Kaduzierung und Versteigerung von Geschäftsanteilen (§ 21 Abs. 2, § 23); – der Einziehung von Geschäftsanteilen aufgrund eines (privatschriftlichen) Gesellschafterbeschlusses; – der Anteilsübertragung aufgrund einer bei einem ausländischen Notar vorgenommenen Abtretungsbeurkundung (Rz. 103). Hinzu kommt eine Korrekturzuständigkeit in drei Fällen, nämlich im Hinblick auf (i) bloße 47 Schreibfehler und offenbare Unrichtigkeiten, (ii) solche Feststellungen der Gesellschafterliste, die ursprünglich in den Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführer nach § 40 Abs. 1 Satz 1 fielen (Annexzuständigkeit) (Rz. 46) sowie neuerdings (iii) das Aufstellen einer Bereinigungsliste gemäß § 1 Abs. 4 GesLV, wenn die bisherige Gesellschafterliste aufgrund der bisherigen Nummerierung unübersichtlich würde oder geworden ist (Rz. 27). Keine Veränderung i.S.d. § 40 Abs. 1 liegt indes bei Neuerungen der Gesellschaft selbst vor, z.B. bei Sitz- und Firmenänderungen196. Eine anlasslose, d.h. ohne auf der Veränderung der maßgeblichen Tatsachengrundlage beruhende Anpassung der Gesellschafterliste an die (neuen) Anforderungen von § 40 Abs. 1 n.F. und der GesLV ist nicht erforderlich197. b) Prüfungspflicht Im gesetzlichen Ausgangspunkt (§ 40 Abs. 1 Satz 4) besteht eine materielle Prüfungspflicht 48 der Geschäftsführer (i) bezogen auf die „Mitteilung und [den] Nachweis“ einer Veränderung im Gesellschafterbestand und (ii) erst auf „Mitteilung und Nachweis“ einer solchen Veränderung, d.h. dann (aber auch eben erst dann) müssen die Geschäftsführer prüfen, ob tatsächlich relevante Veränderungen im Gesellschafterbestand wirksam geworden sind198. Für die Geschäftsführung besteht ein gewisser Ermessensspielraum im Sinne der Business Judgement Rule (Maßstab der § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG)199 hinsichtlich (i) der von ihr verlangten Nachweise und (ii) ihres im konkreten Fall bestandenen Prüfungsumfangs. Hieraus folgt auch, dass die Geschäftsführer vor „Mitteilung und Nachweis“ im Regelfall nicht verpflichtet sind, die materielle Rechtslage von sich aus durch Nachforschung zu überprü-

196 197 198 199

Schmidt-Leithoff, Rz. 26; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 110; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 71; Terlau in Michalski u.a., Rz. 13; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 412. Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16. BR-Drucks. 18/105, S. 13. Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44; Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.43; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 18; vgl. auch Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 150. Vgl. Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 33.

Seibt | 323

§ 40 Rz. 48 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung fen200. So sind die Geschäftsführer – entsprechend der Rechtsmeinung zu § 67 Abs. 3 AktG201 – weder zur Einreichung einer neuen Gesellschafterliste befugt noch gar verpflichtet, wenn diese auf andere Weise als „auf Mitteilung und Nachweis“ Kenntnis von Veränderung des Gesellschafterbestandes erlangt haben202. Allerdings kann sich die allgemeine Sorgfaltspflicht der Geschäftsführung (§ 43 Abs. 1) in Fällen offenkundiger Unrichtigkeit der Gesellschafterliste wegen Veränderung im Gesellschafterbestand in der Weise verdichten, dass die Geschäftsführer verpflichtet werden, die Angelegenheit den betreffenden Gesellschaftern zur Stellungnahme oder gar sämtlichen Gesellschaftern zur Beratung und (Weisungs-)Beschlussfassung vorzulegen (näher hierzu Rz. 52). Die mitgliedschaftliche Treuepflicht der Gesellschafter gegenüber den Mitgesellschaftern sowie gegenüber der Gesellschaft verpflichtet im Regelfall erst dann zur Offenlegung von Umständen ihrer eigenen Persönlichkeits- und Vermögenssphäre, wenn sie selbst „Mitteilung“ über Veränderungen im Gesellschafterbestand gemacht haben203. Die Sperrwirkung von „Mitteilung und Nachweis“ für die materielle Prüfungspflicht der Geschäftsführer gilt dann nicht, wenn „Mitteilung und Nachweis“ gar nicht erforderlich sind, nämlich wenn die Veränderung im Gesellschafterbestand unter direkter Mitwirkung der Geschäftsführer erfolgt (Kenntnis von Amts wegen), also z.B. in den Fällen der Einziehung oder Kaduzierung aufgrund (privatschriftlichen) Gesellschafterbeschlusses204. c) Erstellungspflicht 49 Wenn (i) eine Veränderung im Gesellschafterbestand wirksam geworden ist, (ii) die Zustän-

digkeit der Geschäftsführer nach dem Subtraktionsprinzip (Rz. 46) gegeben ist und (iii) “Mitteilung und Nachweis“ von der Änderung vorliegt bzw. dieses Erfordernis ausnahmsweise entbehrlich ist, dann sind die Geschäftsführer verpflichtet, – eine diese Veränderung ausweisende, neue Gesellschafterliste zu erstellen und – diese zum Zeichen der Verbindlichkeit und Verantwortungsübernahme zu unterzeichnen. Im Grundsatz ist für jede Veränderung eine gesonderte, geänderte Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen (Konzept der Partikularpflicht; s. Rz. 43), damit der historische Verlauf der Veränderung leicht nachvollzogen werden kann205 (s. auch Rz. 87 für die Erstellungspflicht des Notars).

50 Bei dieser Erstellungspflicht handelt es sich nicht um eine unternehmerische Geschäfts-

führungsmaßnahme, die einem Ermessen im Sinne der Business Judgement Rule unterliegt, sondern um eine zwingende Organamtspflicht, für die das Legalitätsprinzip gilt. 200 BGH v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, NZG 2014, 184 = GmbHR 2014, 198 m. Anm. Bayer; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 119; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 150; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 496; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 75; Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.38; Link, RNotZ 2009, 193, 200; Wachter, DB 2009, 159, 160. 201 Vgl. z.B. Cahn in Spindler/Stilz, § 67 AktG Rz. 80; Bayer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 67 AktG Rz. 108. 202 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44 (mit Verweis auf § 67 Abs. 3 AktG); Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 150; Götze/Bressler, NZG 2007, 894, 895; allerdings kann eine Pflicht zur Berichtigung der Gesellschafterliste bestehen (s. Rz. 39). 203 Für eine weitergehende Treuepflicht der Gesellschafter Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 140; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 79; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 22; wohl auch Reymann, BB 2009, 506, 509; wie hier Bednarz, BB 2009, 1854, 1857; noch weitergehend Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 24 (keine Mitteilungspflicht). 204 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 161; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 73; Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 730 f.; i.E. auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 21. 205 Z.B. Hasselmann, NZG 2009, 449 f.

324 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 52 § 40

d) Einreichungspflicht Unter den gleichen Voraussetzungen wie bei der Erstellungspflicht (Rz. 49 f.) folgt für die 51 Geschäftsführer die Verpflichtung, die die Veränderung anzeigende, neue Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen (zur Einreichung selbst s. Rz. 62 ff.). Haben seit der Einreichung der letzten Gesellschafterliste mehrere Veränderungen i.S.v. § 40 Abs. 1 Satz 1 stattgefunden, ist grundsätzlich für jede Veränderung einzeln eine geänderte Liste zum Handelsregister einzureichen, und zwar auch dann, wenn in derselben notariellen Niederschrift mehrere einreichungspflichtige Akte (z.B. Teilung und anschließende Abtretung eines Geschäftsanteils) beurkundet werden206 (zur Reihenfolge der Aufnahme in den Registerordner s. Rz. 105); etwas anderes gilt nur, wenn mehrere Veränderungen gleichzeitig wirksam werden, z.B. bei mehreren, zeitgleichen Abtretungen an verschiedene Erwerber207. Auch die Einreichungspflicht ist eine zwingende Organamtspflicht, die dem Legalitätsprinzip unterfällt und daher dem Geschäftsführer im Regelfall kein unternehmerisches Ermessen eröffnet (eher theoretische Ausnahme: Vorliegen eines internationalen Normenkonflikts). e) Berichtigungspflicht Der Geschäftsführer ist grundsätzlich zur Korrektur einer unrichtigen (auch vom Notar ein- 52 gereichten) Gesellschafterliste befugt208. Im Regelfall trifft die Geschäftsführer weder eine allgemeine Pflicht zur Prüfung der Sach- und Rechtslage noch eine Nachforschungspflicht über das Vorliegen von Veränderungen im Gesellschafterbestand (s. hierzu und zu den Ausnahmen Rz. 48). Ausweislich der Regierungsbegründung zum MoMiG – und dies entspricht der allgemeinen Sorgfaltspflicht für Geschäftsführungsmaßnahmen nach § 43 Abs. 1 – sollen die Geschäftsführer die im Handelsregister aufgenommenen (einschließlich von Notaren eingereichten) Gesellschafterlisten auf ihre Richtigkeit hin prüfen und bei Unstimmigkeiten eine Klärung herbeiführen209. Die Auflösung dieser Konfliktlage zwischen beiden Grundsätzen gelingt praktisch dadurch, dass die Geschäftsführer nur dann zu weiteren Maßnahmen verpflichtet sind, wenn sie zwar auf andere Weise als durch Mitteilung des Berechtigten, aber auf der Basis von Tatsachen annehmen dürfen, dass die derzeitige Gesellschafterliste unrichtig ist. Eine Berichtigungspflicht der Geschäftsführer hat der BGH für den Fall angenommen, dass eine Gesellschafterliste aufgenommen wurde, nachdem dies zuvor durch einstweilige Verfügung untersagt worden war210. Der Geschäftsführer ist zur Berichtigung auch dann verpflichtet, wenn die Gesellschafterliste durch den Notar (unabhängig von dessen (Un-)Kenntnis von der einstweiligen Verfügung) eingereicht worden war211. Im Übrigen sind die Geschäftsführer verpflichtet, jedenfalls aber berechtigt, den oder die Betroffenen von diesen Tatsachen in Kenntnis zu setzen und zur Stellungnahme aufzufordern212; dies ent206 OLG Köln v. 19.7.2013 – 2 Wx 170/13, RNotZ 2013, 556 = GmbHR 2014, 28 m. zust. Anm. Wachter = FGPrax 2013, 272, 275 m. zust. Anm. Krafka. 207 Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25; Graf Wolffskeel von Reichenberg/Danninger, NZG 2019, 1001, 1002. 208 BGH v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, NZG 2014, 184, Rz. 33 = GmbHR 2014, 198 m. Anm. Bayer; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28. 209 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44; vgl. auch Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 181; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 496. 210 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, NJW 2019, 3155, 3159 f. = GmbHR 2019, 988; daran anknüpfend KG v. 18.12.2019 – 22 W 91/18, ZIP 2020, 1303; s. dazu Heckschen, NZG 2019, 1098. 211 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, NJW 2019, 3155, 3159 f. = GmbHR 2019, 988; zust. Bayer/Selentin, GmbHR 2020, 1, 6; ausführlich zu den Verhaltenspflichten des Notars in dieser Konstellation Cramer/Koch, DStR 2020, 664, 670; Heckschen, NZG 2019, 1097, 1098 f. 212 BGH v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, NZG 2014, 184, Rz. 36 ff. = GmbHR 2014, 198 m. Anm. Bayer; vgl. auch Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 181; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 76; Wi-

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§ 40 Rz. 52 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung spricht auch dem förmlichen Verfahren nach § 67 Abs. 5 AktG (auf das die Regierungsbegründung verweist213). Erhebt einer der Beteiligten innerhalb der von den Geschäftsführern anzusetzenden angemessenen Frist Widerspruch gegen die Vornahme der Listenänderung, kann diese nicht erfolgen (vgl. § 67 Abs. 5 Satz 2 AktG); die an der Listenkorrektur Beteiligten müssten dann auf Änderung der Gesellschafterliste klagen. Kann ein Beteiligter dem Geschäftsführer ohne Widerspruch eines anderen die nicht oder fehlerhaft in der Liste berücksichtigte Veränderung im Gesellschafterbestand nachweisen, kann es zur Berichtigung der Liste durch die Geschäftsführer bzw. durch den relevanten Notar (Rz. 83) kommen, wobei der Geschäftsführer auch zur Korrektur einer vom Notar eingereichten Gesellschafterliste befugt ist214. Im Streitfall wird der Nachweis durch ein Feststellungsurteil im Prätendentenstreit erbracht215. Die Geschäftsführer sind aber bei Vorliegen von Tatsachen, auf deren Grundlage sie von der Unrichtigkeit der Gesellschafterliste ausgehen dürfen, auch berechtigt (im Regelfall allerdings nur, nachdem die Stellungnahmeeinholung der konkret betroffenen Gesellschafter erfolglos geblieben ist), sämtliche Gesellschafter zu informieren und eine Beratung und Beschlussfassung zum Verfahren anzuregen216. Bei der Befolgung eines etwaigen Weisungsbeschlusses haben die Geschäftsführer allerdings zu beachten, dass sie solchen Beschlüssen nicht nachkommen dürfen, die in unzulässiger Weise in ihre zwingende Amtspflicht nach § 40 Abs. 1 Satz 1 eingreifen217. Eine Befolgung wäre aber z.B. bei solchen Gesellschafterbeschlüssen möglich, (i) bei denen die von der in Frage stehenden Listenkorrektur direkt betroffenen Gesellschafter mit jeweils gleichlautenden Stimmwert („Ja“ oder „Nein“) Teil der Beschlussmehrheit waren und (ii) im Fall eines korrekturunterstützenden Beschlusses „Nachweise“ im Rahmen der Gesellschafterversammlung vorgebracht wurden. Ist allerdings die vom Geschäftsführer eingereichte neue Gesellschafterliste nach Auffassung eines Gesellschafters inhaltlich falsch, ergibt sich aus § 40 kein Anspruch gegen die Gesellschaft auf nochmalige Änderung der Gesellschafterliste ohne Vorliegen einer erneuten Veränderung218; zur Vermeidung einer Haftung wird der Geschäftsführer jedoch in diesem

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cke, § 16 Rz. 5; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 9; Altmeppen, ZIP 2009, 345, 353; Kort, GmbHR 2009, 169, 171; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 39; schwächer (kein Berichtigungsrecht und keine Berichtigungspflicht, aber Informationspflicht) Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 733; wohl weitergehend Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.46 (Pflicht zur Listenaktualisierung); unklar Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 99 („Geschäftsführer dürfen wohl aber offensichtliche Unrichtigkeit der Liste nicht sehenden Auges tolerieren“). Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44. BGH v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, NZG 2014, 184, Rz. 33 = GmbHR 2014, 198 m. Anm. Bayer; BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, NJW 2019, 3155, 3159 f. = GmbHR 2019, 988; krit. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 184 ff.; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 502 ff. Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 734; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 52; a.A. (Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber Leistungsklage auf Berichtigung gegen die Gesellschaft) Lieder, GmbHR 2016, 189, 193 f.; s. auch OLG Brandenburg v. 10.9.2012 – 7 U 125/12, BeckRS 2012, 24312 = juris; KG v. 13.8.2019 – 2 W 22/19, GmbHR 2019, 1068. Offenbar ähnlich OLG München v. 30.1.2012 – 31 Wx 483/11, GmbHR 2012, 398 f. (Zulässigkeit der Berichtigung technischer Defizite und inhaltlicher Mängel mit „Billigung der Gesellschafter“). Offen gelassen von BGH v. 7.2.2017 – II ZR 28/15, GmbHR 2017, 519 = GmbH-Stpr 2017, 252 (Rz. 16) m. Anm. Lieder; zu streng (Unzulässigkeit der Überantwortung auf die Gesellschafterversammlung) Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 148; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 497; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 72. OLG München v. 17.7.2015 – 14 W 1132/15, RNotZ 2016, 51 = GmbHR 2015, 1214 = EWiR 2015, 763 m. krit. Anm. Kleefass.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 54 § 40

Fall Nachforschungen bzw. Aufklärungen unternehmen219. Zu weiteren Berichtigungspflichten s. Rz. 65, 96.

2. Mitteilung und Nachweis von Veränderungen (§ 40 Abs. 1 Satz 4) Nach der Vorbildnorm des § 67 Abs. 3 AktG wird die Erstellungspflicht der Geschäftsführer 53 im Grundsatz nur „auf Mitteilung und Nachweis“ ausgelöst, d.h. auf Betreiben derjenigen, die an der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen beteiligt sind. Dementsprechend steht der Inhalt der Gesellschafterliste weithin zur Disposition der an der Veränderung Beteiligten, die die Veränderung der Gesellschafterliste bewilligen müssen220. Dieses Konzept kann auch nicht durch die Annahme einer Mitteilungspflicht der Beteiligten gegenüber den Geschäftsführern oder der Gesellschaft überwunden werden, die sich aus einer Treuepflicht oder allgemein aus dem gesetzlichen Ziel von § 40 ergeben soll, um eine zuverlässige Transparenz der Gesellschafterverhältnisse zu erreichen221. Dieses Konzept steht im Gegensatz zum Grundsatz einer Handlungspflicht „von Amts wegen“. Hiervon ist nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn „Mitteilung und Nachweis“ entbehrlich sind, nämlich sofern sich die Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen unter unmittelbarer Mitwirkung der Geschäftsführer vollzieht, z.B. bei deren Vertretung der Gesellschaft im Rahmen der Kaduzierung, Versteigerung, Einziehung oder Erteilung der Genehmigung bei einer Veräußerungsbeschränkung i.S.v. § 15 Abs. 5222. a) Mitteilung Die Mitteilung von der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen ist keine bloße tat- 54 sächliche Übermittlung von Informationen, sondern darüber hinausgehend eine einseitige empfangsbedürftige geschäftsähnliche Handlung, die darauf gerichtet ist, die Geschäftsführer zur Ausführung ihrer Amtspflicht zur Errichtung und Einreichung der Gesellschafterliste (und nicht wie bei der Willenserklärung auf die unmittelbare Herbeiführung der Rechtsfolgen) zu veranlassen223. Auf die Mitteilung sind die Vorschriften über Willenserklärungen (§§ 105 ff. BGB) entsprechend anzuwenden224. Demnach ist bis zur Einreichung der geänderten Gesellschafterliste ein Widerruf der Mitteilung durch den Berechtigten möglich225. Eine gesetzliche Form ist für die Mitteilung nicht vorgeschrieben; sie ist daher im Grundsatz nicht formbedürftig, also auch mündlich, per Telefax, per E-Mail, textförmlich oder auch

219 Ähnlich Kleefass, EWiR 2015, 763, 764. 220 OLG Frankfurt v. 19.3.2013 – 5 U 220/12, BeckRS 2013, 12870. 221 A.A. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 160; zu einer Mitteilungspflicht auch Wicke, § 16 Rz. 1; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 22; wie hier gegen eine Mitteilungspflicht Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 24; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 67 Rz. 13 (zu § 67 Abs. 3 AktG). 222 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 161; Noack in FS Hüffer, 2010, S. 732, 730; s. auch Rz. 33. 223 Ebenso Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 122; ebenso zu § 67 AktG: Hüffer/Koch, § 67 AktG Rz. 17; Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, § 67 AktG Rz. 35; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 67 AktG Rz. 98. 224 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 122; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 152; Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 729; zu § 67 AktG: Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, § 67 AktG Rz. 35; Bayer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 67 AktG Rz. 95; Cahn in Spindler/Stilz, § 67 AktG Rz. 75. 225 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 123; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 74; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 22.

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§ 40 Rz. 54 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung konkludent226 möglich. Aus Gründen der erheblichen Rechtsbedeutung der Mitteilung und aus Beweisgründen empfiehlt sich, in der Regel jedenfalls die Textform (§ 126b BGB) einzuhalten227. Im Grundsatz hat die Mitteilung in deutscher Sprache zu erfolgen; allerdings ist auch die ausschließliche Nutzung einer im internationalen Rechtsverkehr gebräuchlichen Sprache (vor allem Englisch) zulässig, wenn sämtliche Geschäftsführer und Gesellschafter der betreffenden Gesellschaft hiermit einverstanden sind. Die Satzung kann die Einhaltung einer bestimmten Form228 oder die Zulässigkeit einer im Rechtsverkehr gebräuchlichen Sprache für die Mitteilung nach § 40 Abs. 1 Satz 4 vorsehen. 55 Nach der Vorbildnorm des § 67 Abs. 3 AktG sind zur Mitteilung der Veräußerer und der Er-

werber jeweils für sich befugt, wobei der Mitteilende auch formell legitimiert sein muss229. Übertragen auf § 40 Abs. 1 Satz 4 bedeutet dies, dass in Abweichung vom strengen Listenprinzip (i) der durch seine eigene Eintragung in der Gesellschafterliste oder durch einen anderweitigen, lückenlosen Nachweis über die bisherige Berechtigung Legitimierte oder (ii) der durch lückenlosen Nachweis legitimierte Erwerber zur Mitteilung berechtigt ist230. Daher ist auch der seine Legitimation durch lückenlosen Nachweis belegende Erbe des Listengesellschafters zur Mitteilung berechtigt231. 56 Die Mitteilung muss dem Mitteilungsberechtigten zumindest zurechenbar sein232. Daher

sind bei der Mitteilung sowohl die gesetzliche als auch die rechtsgeschäftliche Vertretung möglich, die allerdings den Geschäftsführern mit der Mitteilung hinreichend nachzuweisen ist233. An der Zurechenbarkeit der Mitteilung fehlt es bei der Abgabe durch einen Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsunfähigen, bei Auftreten eines zur Mitteilung nicht Befugten (falsus procurator) oder im Fall einer gefälschten Mitteilung234. b) Nachweis 57 Die Handlungspflicht der Geschäftsführer wird nicht nur durch eine „Mitteilung“ ausgelöst,

sondern es bedarf wegen der erheblichen Rechtswirkungen durch eine Änderung der Gesellschafterliste der Vorlage von „Nachweisen“. Denn nur unter Beifügung von Nachweisen wird die Gesellschaft hinreichend überzeugend von der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen unterrichtet, und die Geschäftsführer haben eine Informationsgrundlage, die ihnen eine Prüfung der Sach- und Rechtslage ermöglicht. Das Gesetz regelt zum Inhalt, zur Art oder zur Granularität des erforderlichen Nachweises nichts Ausdrückliches. Die Anforderungen sind daher teleologisch und unter Berücksichtigung der Vorbildnorm des § 67 Abs. 3

226 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 152; Kort, GmbHR 2009, 169; Link, RNotZ 2009, 193, 199; a.A. Wachter, ZNotP 2008, 378, 383 (schriftliche Erklärung in deutscher Sprache). 227 Für die Empfehlung sogar der Schriftform: Wachter, ZNotP 2008, 378, 383; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 152. 228 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 157; Kort, GmbHR 2009, 169; Wachter, ZNotP 2008, 378, 383. 229 Z.B. Bayer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 67 AktG Rz. 101 ff. 230 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 154. 231 Für die Empfehlung einer postmortalen oder transmortalen Vollmacht an den Gesellschaftererben Servatius in Baumbach/Hueck, § 16 Rz. 20; Link, RNotZ 2009, 193, 213; Wachter, DB 2009, 159, 162; Wolff, BB 2010, 454, 456; hiergegen zweifelnd Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117 Fn. 279 („Vollmachtslösung erscheint fraglich“). 232 So zu § 67 AktG: OLG Zweibrücken v. 3.12.1996 – 3 W 171/96, AG 1997, 140; Cahn in Spindler/ Stilz, § 67 AktG Rz. 76; Bayer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 67 AktG Rz. 96. 233 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 158. 234 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 125 ff.; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 158; Kort, GmbHR 2009, 169 f.; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1043 f.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 59 § 40

AktG zu entwickeln235. Nur in Bezug auf die überkommene Rechtslage zu § 16 Abs. 1 a.F. ist es sinnvoll, von einem im Vergleich hierzu „strengen Maßstab“ zu sprechen236. Die Nachweise müssen einen solchen Inhalt und eine solche Granularität haben, dass sie den Geschäftsführern eine auf Tatsachen beruhende, qualifizierte Plausibilitätsprüfung über das Wirksamwerden einer Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen ermöglicht, und zwar eingedenk einer vom Gesetzgeber nicht geforderten juristischen Fachausbildung von Geschäftsführern und des Bestehens der Sonderhaftungsnorm in § 40 Abs. 3237. Bei der Beurteilung der von den Mitteilungsberechtigten zur Kenntnis gebrachten Nachweise 58 kommen den Geschäftsführern ein nicht zu eng zu konturierender Ermessensspielraum zu238. Durch eine Satzungsregelung kann eine Konturierung des Nachweiserfordernisses erfolgen239. Die Geschäftsführer sind auch berechtigt, zur Erfüllung ihrer Amtspflicht (und d.h. auf Kosten der Gesellschaft) zur Prüfung der Nachweise rechtlichen Rat einzuholen240. Der Nachweis kann im Grundsatz mit allen vorhandenen Beweismitteln geführt werden. Bestehen Zweifel am Inhalt des Nachweises, sind die Geschäftsführer nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, weitere Informationen zu verlangen241; bei geringen, nicht selten zu vermeidenden Restzweifeln ist die Prüfungspflicht erfüllt. Solange darüber hinausgehende Zweifel bestehen, dürfen die Geschäftsführer eine Änderung und Einreichung dieser geänderten Gesellschafterliste nicht vornehmen242. Der von der Nichteinreichung einer geänderten Gesellschaft Betroffene kann dann zu seinem Schutz einen Widerspruch zur bestehenden und ihn nicht berücksichtigenden Gesellschafterliste eintragen lassen und die Gesellschaft auf Einreichung einer aktuellen Liste zum Handelsregister verklagen243. Das in Kenntnis gesetzte Registergericht kann zudem die Geschäftsführer dazu anhalten, eine geänderte Gesellschafterliste einzureichen (§ 388 Abs. 2 FamFG)244, und zwar auch dann, wenn ein Notar an der Veränderung mitgewirkt hat245. Zum „Nachweis“ der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen gilt im Zweifel Folgen- 59 des: Bei der Geschäftsanteilsabtretung unter Mitwirkung eines ausländischen Notars erfolgt der Nachweis in der Regel durch Vorlage der Abtretungsurkunde246. Bei Abtretungen im Wege des gerichtlichen Vergleichs ist der Nachweis in der Regel durch Vorlage des ge-

235 Zur Bedeutung der Vorbildnorm des § 67 Abs. 3 AktG Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44; Heckschen, ZErb 2008, 246, 251; Reymann, BB 2009, 506, 507; Wachter, ZNotP 2008, 378, 383. 236 Ohne diese Vergleichsbetrachtung und daher zu weitgehend Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 130 ff.; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162; Link, RNotZ 2009, 193, 200; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1044; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 413; Wachter, DB 2009, 159, 160; Wachter, ZNotP 2008, 373, 384; kritisch daher zu Recht Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 395. 237 Ähnlich Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 395; wohl auch Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 25; Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.42 (geeignete und überzeugende Beweise); vgl. auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 130, 132 (mehr als eine Plausibilitätsprüfung wird man vernünftigerweise nicht abverlangen können; aber auch Erfordernis eines „strengen Maßstabes“). 238 Vgl. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162. 239 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 75; Wicke, Rz. 2. 240 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 134; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 76; Wachter, DB 2009, 159, 161. 241 Schwächer (im Sinne einer Berechtigung) Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 76; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 413; Wachter, GmbHR-Sonderheft 2008, 51, 54. 242 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 133; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 76; Wachter, DB 2009, 159, 161. 243 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 163. 244 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44 li. Sp.; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 163. 245 OLG Rostock v. 25.1.2017 – 1 W 55/16, RNotZ 2017, 480 = GmbHR 2017, 523 m. Anm. Bayer. 246 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 165; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 25.

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§ 40 Rz. 59 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung richtlichen Protokolls zu erbringen247. Beim Anteilserwerb im Wege der Zwangsvollstreckung ist das Versteigerungsprotokoll vorzulegen248. Bei Bestehen besonderer Abtretungsvoraussetzungen durch Gesetz (z.B. Genehmigung durch Vormundschaftsgericht; Genehmigung durch Testamentsvollstrecker) oder durch Satzung (vgl. § 15 Abs. 5) ist auch deren Vorliegen in geeigneter Form nachzuweisen. Bei der Einziehung, Teilung oder Zusammenlegung von Gesellschaftsanteilen sind die (privatschriftlichen) Gesellschafterbeschlüsse in Urschrift oder beglaubigter Abschrift vorzulegen249. 60 Im Erbfall haben die Geschäftsführer in der Regel die Vorlage eines Erbscheins oder einer

notariellen Verfügung von Todes wegen mit Eröffnungsniederschrift (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GBO analog) zu verlangen250. Private Testamente und ausländische Erbzeugnisse sind demgegenüber nicht ohne Weiteres ausreichender Nachweis251; ausländische Erbzeugnisse sind nur dann als ausreichend anzuerkennen, wenn sie vergleichbare Rechtswirkungen wie ein deutscher Erbschein haben252. Gerade im Hinblick auf Erbfälle empfiehlt sich eine die Nachweisanforderungen konturierende Satzungsbestimmung, die z.B. § 35 GBO nachgebildet ist253. Erst nach der Eintragung in die Gesellschafterliste kann ein Erbe seine Gesellschafterrechte gegenüber der GmbH ausüben254. 61 Im Gegensatz zur früheren Rechtslage bei § 16 a.F., demzufolge die GmbH auf den förmli-

chen Nachweis bei der Anmeldung verzichten konnte255, können die Geschäftsführer bei § 40 im Grundsatz nicht auf den „Nachweis“ der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen (ausdrücklich oder stillschweigend) verzichten256. Dies liegt formal darin begründet, dass ohne „Nachweis“ die Amtspflichten gar nicht ausgelöst werden, und materiell, dass das Nachweiserfordernis Voraussetzung für die weiterreichenden Rechtswirkungen der Gesellschafterliste sind. Eine Ausnahme hiervon gilt selbstverständlich dann, wenn die Mitteilungsund Nachweiserfordernisse von Vornherein entbehrlich sind (Rz. 53).

3. Einreichung und Form 62 Die Geschäftsführer sind verpflichtet, unverzüglich nach Wirksamwerden der Veränderung

in den Gesellschafterverhältnissen (§ 40 Abs. 1 Satz 1) und nach Zugang von Mitteilung und Nachweis hierzu (§ 40 Abs. 1 Satz 4), eine neue Gesellschafterliste zu erstellen, zu unter-

247 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 166. 248 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 166. 249 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 136; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 78; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1044; Wicke, Rz. 10a; Wachter, ZNotP 2008, 378, 383; a.A. Link, RNotZ 2009, 193, 200 (grds. Ermessen des Geschäftsführers). 250 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 137; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 78; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164; Link, RNotZ 2009, 193, 200; Wachter, ZNotP 2009, 82, 90; Wachter, DB 2009, 159, 160. 251 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 137; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164; Wachter, ZNotP 2008, 378, 384; Wachter, DB 2009, 159, 160. 252 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 138; Link, RNotZ 2009, 193, 200; Wachter, DB 2009, 159, 160. 253 So zu Recht Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 137; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169; Heckschen, ZErb 2008, 246, 251; Wachter, ZNotP 2008, 378, 384 (mit Formulierungsvorschlag); Wachter, DB 2009, 159, 160; krit. Link, RNotZ 2009, 193, 200. 254 OLG Naumburg v. 1.9.2016 – 2 U 95/15, GmbHR 2017, 86. 255 Vgl. BGH v. 13.10.2008 – II ZR 76/07, GmbHR 2009, 38, 39; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 183/00, ZIP 2001, 501, 513 ff. = GmbHR 2001, 339; vgl. auch 10. Aufl., § 16 Rz. 19. 256 Zutreffend Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 167; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 142.

330 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 64 § 40

schreiben und beim Handelsregister einzureichen. Die Erstellung und Einreichung hat dabei „unverzüglich“, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB), zu erfolgen257. Die sich hieraus ergebende Prüfungs- und Handlungsfrist ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Komplexität des Vorgangs, zu bemessen. Sofern keine besondere Komplexität vorliegt, gilt im Grundsatz eine Prüfungs- und Handlungsfrist von etwa 14 Tagen258; die Frist beginnt ab dem Zeitpunkt, in dem Mitteilung und Nachweis eine hinreichende Plausibilitätsprüfung ermöglichen. Der Einreichungszeitpunkt steht weder zur Disposition der an der Veränderung Beteiligten noch der Geschäftsführer259. Dementsprechend kann die Einreichung der geänderten Gesellschafter frühestens unmittelbar nach dem Wirksamwerden der Veränderung erfolgen. Die Gesellschafterliste ist in elektronischer Form zum Handelsregister einzureichen (vgl. 63 § 12 Abs. 2 Satz 2 HGB). Dabei reicht die Einreichung einer einfachen elektronischen Aufzeichnung aus, da § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 (ebenso wie § 8 Abs. 1 Nr. 3) nur die Einreichung eines unterschriebenen, und eben nicht eines notariell beglaubigten oder gar beurkundeten Dokuments verlangt260. Technisch erfolgt die Einreichung beim Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach der Länder (EGVP) in eingescannter Form (Bilddatei)261; die Einreichung per Email kann aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 40 Abs. 5 von den Landesregierungen flächendeckend umgesetzt werden. Ein besonderer Identitätsnachweis der Einreichenden wird nicht verlangt, insbesondere eine Einreichung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (öffentlich beglaubigte Form) ist nicht erforderlich262. Die Einreichung der Gesellschafterliste erfolgt zur Aufnahme in das Handelsregister, d.h. 64 zur Speicherung in dem für das entsprechende Registerblatt bestimmten elektronischen Registerordner263. Mit der Speicherung können die Gesellschafterlisten von jedermann gegen Zahlung einer Gebühr eingesehen werden (§ 9 Abs. 1 HGB). Eine Eintragung der Gesellschafterliste im Handelsregister erfolgt nicht, so dass auch kein Verkehrsschutz über § 15 HGB in Betracht kommt264. Die Legitimations- und Rechtsscheinwirkungen der Gesellschafterliste knüpfen konsequenterweise nach § 16 Abs. 1 Satz 1 an die Aufnahme in das Handelsregister (und nicht an eine dortige Eintragung) an265.

257 Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular C.II.5, Anm. 6; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 172; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 33; Link, RNotZ 2009, 193, 208 f.; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 413; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 88; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 12. 258 Strenger für eine Maximalfrist von 14 Tagen z.B. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 88; Wachter, ZNotP 2008, 378, 391; großzügiger: Schulte, GmbHR 2010, 1128, 1130 (i.d.R. 3 Wochen). 259 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 89; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 172; Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.33. 260 LG Trier v. 19.3.2009 – 7 HK T 1/09, NZG 2010, 233; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 178; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 60; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 36; a.A. Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.37 (zusätzliche Einreichung des Originals/beglaubigten Kopie). 261 Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 36; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90; ausf. Link, RNotZ 2009, 193, 208. 262 So noch die Forderung des Bundesrats in dessen MoMiG-Stellungnahme, BT-Drucks. 16/6140, S. 67; hierzu auch Heckschen, DStR 2007, 1442, 1450. 263 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 93; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 64. 264 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 64; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 93. 265 OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, NZG 2017, 264 = GmbHR 2016, 988 m. Anm. Illhardt.

Seibt | 331

§ 40 Rz. 65 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung 65 Da die Rechtswirkungen der Gesellschafterliste an die Aufnahme im Handelsregister anknüp-

fen (Rz. 64), sind die Geschäftsführer verpflichtet, die entsprechende Aufnahme der von ihnen eingereichten Gesellschafterliste zu überprüfen266.

4. Korrektur und Rechtsschutz 66 Die Geschäftsführer trifft im Grundsatz keine Pflicht zu eigenen Nachforschungen über die

Richtigkeit der beim Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste (Rz. 48). Daher sind die Geschäftsführer auch nur in Ausnahmefällen zur Berichtigung einer beim Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste verpflichtet (Rz. 52). Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Befugnis eines Geschäftsführers zur Korrektur einer materiell unrichtigen (ggf. auch vom Notar eingereichten) Gesellschafterliste. Der BGH hat für die Praxis die in der Literatur umstrittene Frage267 nach der Korrekturbefugnis geklärt und billigt mit seiner neueren Rechtsprechung dem Geschäftsführer zu Recht eine weitreichende Berichtigungskompetenz zu268. Der BGH hat erkannt, dass die Zuständigkeit der Listenkorrektur von der Kompetenzzuweisung in § 40 Abs. 2 Satz 1 unabhängig ist; die Berichtigungszuständigkeiten von Geschäftsführer und Mitwirkungsnotar bestehen vielmehr nebeneinander. Das ist auch im praktischen Ergebnis zutreffend, da nur so die Korrektur der Gesellschafterliste ohne zeitraubenden Umweg über einen Notar erfolgen kann; und zudem entspricht dies auch dem erkennbaren Willen des MoMiG-Gesetzgebers269. Die Berichtigungskompetenz steht den Geschäftsführern sogar dann zu, wenn die Gesellschafter einer Listenänderung widersprochen haben270. Das Berichtigungsverfahren bei einer offensichtlich (formell) unrichtigen Gesellschafterliste – z.B. (i) wegen unrichtiger Eintragung einer anderen als in der Mitteilung genannten Person271,(ii) versehentlich vertauschter Geschäftsanteile272, (iii) unrichtiger Eintragung des Vornamen des Zedenten als Nachname des Zessionars273 – richtet sich nach den entsprechenden Voraussetzungen des § 44a BeurkG. Danach ist das beim Notar verbliebene Original der Gesellschafterliste mit einem Berichtigungsvermerk nach § 44a Abs. 2 BeurkG zu versehen und sodann mitsamt Nachtragsvermerk in elektronisch beglaubigter Abschrift dem Handelsregister zu übersenden274. Die Berichtigung wirkt im Streitfall nicht für die Vergangenheit, sondern nur ex nunc275.

266 Ebenso Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 98; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1039. 267 Vgl. einerseits Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 184 ff.; Herrler, GmbHR 2013, 617, 620 (Korrektur nur durch Notar möglich); andererseits Liebscher/Goette, DStR 2010, 2038 (Korrektur nur durch Geschäftsführer möglich); vermittelnd Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 198; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55 (Notar und Geschäftsführer zur Korrektur befugt). 268 BGH v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, NZG 2014, 184, Rz. 33 ff. = GmbHR 2014, 198 m. Anm. Bayer; Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular C.II.5, Anm. 7; Wachter, GmbHR 2018, 1129, 1134: krit. dazu Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 502 ff. 269 BT-Drucks. 18/6140, S. 44 („§ 40 enthält keine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass ein Geschäftsführer eine Änderung der Liste vornehmen möchte […]“). 270 BGH v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, NZG 2014, 184, Rz. 36 ff. = GmbHR 2014, 198 m. Anm. Bayer; Lieder/Cziupka, GmbHR 2018, 231, 235. 271 Lieder/Cziupka, GmbHR 2018, 231, 236; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 187 (zur fälschlichen Eintragung). 272 Seebach, DNotZ 2014, 413, 416; Lieder/Cziupka, GmbHR 2018, 231, 236. 273 OLG Nürnberg v. 28.12.2017 – 12 W 2005/17, NZG 2018, 321 = GmbHR 2018, 256. 274 OLG Nürnberg v. 28.12.2017 – 12 W 2005/17, NZG 2018, 321, Rz. 35 = GmbHR 2018, 256; krit. Lieder/Cziupka, GmbHR 2018, 231, 238 ff. 275 OLG Nürnberg v. 28.12.2017 – 12 W 2005/17, NZG 2018, 321, Rz. 36 = GmbHR 2018, 256; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 25.

332 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 68 § 40

Die Amtspflichten des Geschäftsführers im Zusammenhang mit der Gesellschafterliste kann 67 das Registergericht im Wege des Registerzwanges (§ 14 HGB) durch Verhängung von Zwangsgeld (§§ 388 ff. FamFG) durchsetzen276. Allerdings kommt dem an der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen Betroffenen kein unmittelbarer Anspruch auf Tätigwerden des Registergerichts zu277. Die von der Veränderung Betroffenen, also typischerweise die ausgeschiedenen und neu eingetretenen Gesellschafter, haben jedoch einen Anspruch gegen die Gesellschaft (nicht: gegen die Geschäftsführer trotz deren Organpflicht278) (i) auf Berichtigung der Gesellschafterliste279 sowie (ii) auf Unterlassung gegen Einreichung einer neuen, den Gesellschafter nachteilig betreffenden und materiell-rechtlich unrichtigen Gesellschafterliste280. Das ergibt sich aus dem – für die ausgeschiedenen Gesellschafter: nachwirkenden – Mitgliedschaftsverhältnis zur Gesellschaft281. Dieser Anspruch kann auch im einstweiligen Rechtsschutz durchgesetzt werden282. Im seltenen Fall einer schuldhaften Pflichtverletzung haftet die Gesellschaft nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen auf Schadensersatz (vgl. § 280 Abs. 1 BGB)283.

V. Erstellungspflicht und Einreichungszuständigkeit des Notars (§ 40 Abs. 2) Der MoMiG-Gesetzgeber hatte mit der Neuregelung der Amtspflichten des Notars im Zu- 68 sammenhang mit der Gesellschafterliste (§ 40 Abs. 2) einen wesentlichen Konzeptwechsel vorgenommen: Während § 40 Abs. 1 Satz 2 a.F. den Notar nur zu einer Mitteilung über eine (mögliche) Geschäftsanteilsabtretung verpflichtete, wurde mit Inkrafttreten des MoMiG der Notar, der an den Veränderungen in den Gesellschafterverhältnissen mitgewirkt hat, zur Er276 OLG Brandenburg v. 12.2.2013 – 7 W 72/12, NZG 2013, 507, 508 = GmbHR 2013, 309; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 25; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 16; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 149. 277 So ausdrücklich Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44; vgl. auch Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 149. 278 So aber Preuß, ZGR 2008, 676, 679; Hasselmann, NZG 2009, 486, 489. 279 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 38; OLG München v. 29.7.2010 – 23 U 1997/10, GmbHR 2011, 429; OLG Brandenburg v. 9.7.2019 – 6 W 26/19, BeckRS 2019, 16718; KG v. 10.7.2019 – 2 W 16/ 19, NZG 2019, 913 = GmbHR 2019, 937 m. Anm. Bayer; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 152; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 102; Wicke, Rz. 8; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 16; Kort, GmbHR 2009, 169, 173; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 414; a.A. (Klagegegner Geschäftsführer) OLG Brandenburg v. 12.2.2013 – 7 W 72/12, GmbHR 2013, 309 m. abl. Anm. Peetz = EWiR 2013, 375 m. abl. Anm. Wachter; Preuß, ZGR 2008, 676, 679; Hasselmann, NZG 2009, 486, 489. 280 Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 52; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 16; Fischer, GmbHR 2018, 1257, 1260; krit. Lieder, GmbHR 2016, 189, 193 ff. 281 Zutr. Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 393; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 152; abw. (Anspruch aus gesetzlichem Schuldverhältnis) Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 38; folgend Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 30; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 16; ohne dogmatische Einordnung Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 102; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 27; Kort, GmbHR 2009, 169, 172; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 414; abw. auch Fischer, GmbHR 2018, 1257, 1260 (Anspruch aus Mitgliedschaftsverhältnis und aus §§ 823 Abs. 1, 1004 BGB); a.A. (kein Anspruch) Bednarz, BB 2008, 1854, 1857. 282 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 38; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 100 ff.; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 147; Wicke, Rz. 8; Noack in FS Hüffer, S. 723, 733; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 791; Kort, GmbHR 2009, 169, 174; Fischer, GmbHR 2018, 1257, 1262 f.; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 15. 283 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 38; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 152; Wicke, Rz. 18; abw. (Schadensersatz nach § 40 Abs. 3 gegen die Geschäftsführer) Kort, GmbHR 2009, 169, 174; a.A. Bednarz, BB 2008, 1854, 1857.

Seibt | 333

§ 40 Rz. 68 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung stellung und Einreichung der Gesellschafterliste – zwar nicht nach dem gesetzgeberischen Konzept, aber im Sinne der praktischen Häufigkeit – primär verpflichtet. Diese Amtspflicht sichert die deutlich erweiterten Rechtswirkungen der Gesellschafterliste ab (Rz. 3 ff.).

1. Zuständigkeit und allgemeiner Pflichtenkanon (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1) 69 Ein deutscher Notar ist nur dann berechtigt und gleichzeitig verpflichtet, nach Wirksamwer-

den einer Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen eine geänderte Gesellschafterliste zu erstellen, diese zu unterschreiben und zum Handelsregister einzureichen, wenn er an den Veränderungen „mitgewirkt“ hat. Diese Pflichtenzuordnung ist in mehrfacher Hinsicht zwingend284: Weder die Geschäftsführer noch die Gesellschafter können den mitwirkenden Notar von dessen Amtspflicht befreien noch auf dessen Erfüllung verzichten. Auch der Notar kann die Amtspflicht weder auf die Geschäftsführer oder Dritte (einschließlich der Gesellschafter) noch auf einen anderen inländischen oder ausländischen Notar delegieren. Die sich aus § 40 Abs. 2 ergebenden Pflichten des Notars sind Amtspflichten, d.h. der Notar wird von Amts wegen und nicht als Vertreter der Geschäftsführer oder der Gesellschafter tätig285. Die Amtspflicht des Notars beruht allein auf dessen Mitwirkung bei der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen, ohne dass es (i) einer Weisung der Gesellschaft oder ihrer Geschäftsführer, (ii) eines Antrags der Gesellschaft oder ihrer Geschäftsführer oder (iii) einer besonderen, sowieso materiell überflüssigen „Mitteilung und Nachweis“ bedürfte286. a) Mitwirkung an Veränderung 70 Voraussetzung für die Zuständigkeitsbegründung des deutschen Notars ist dessen Mitwir-

kung in amtlicher Eigenschaft287. Keine Notarzuständigkeit nach § 40 Abs. 2 besteht daher dann, wenn ein Notar selbst von den Veränderungen in den Gesellschafterverhältnissen betroffen ist oder an Gesellschafterbeschlüssen mitgewirkt hat, aus denen sich solche Veränderungen ergeben. Der Begriff der Mitwirkung erfasst (i) die Fälle, in denen ein Notar ein Geschäft beurkundet bzw. Unterschriften beglaubigt, dessen unmittelbare Folge die Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen ist (Rz. 71 ff.), sowie (ii) einige qualifizierte Fallgruppen, bei denen diese Mitwirkung mittelbar zur Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen führt (Rz. 75 ff.).

284 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 203; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 162; Bayer, GmbHR 2013, 897, 906; Link, RNotZ 2009, 193, 198 f.; Wachter, GmbHR-Sonderheft 2008, 51, 56; Wachter, NZG 2009, 1001, 1004. 285 Allg. M., vgl. OLG Köln v. 7.5.2010 – I-2 Wx 20/10, FGPrax 2010, 202 = GmbHR 2011, 141; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 156; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 203; Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 731; Preuß in FS Spiegelberger, 2009, S. 876, 879; Berninger, DStR 2010, 1292, 1292; Bohrer, MittBayNot 2010, 17 (anders noch in DStR 2007, 995, 1000); Wachter, ZNotP 2008, 378, 387. 286 Zutr. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 208; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 520; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 85; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 49 (zur Weisung); Link, RNotZ 2009, 193, 201; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 411; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1044; a.A. Bohrer, DStR 2007, 995, 1000 (Antragserfordernis); Wachter, ZNotP 2008, 378, 390 (Mitteilung und Nachweis von der Veränderung). 287 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44; BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, NJW 2019, 3155, 3159 = GmbHR 2019, 988; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 162; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 80; Wicke, Rz. 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 42; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 26; Hasselmann, NZG 2009, 449, 452.

334 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 72 § 40

aa) Unmittelbare Mitwirkung Eine Mitwirkung des Notars liegt bei der Beurkundung der rechtsgeschäftlichen Abtretung 71 nach § 15 Abs. 3 vor, und zwar unabhängig davon, ob der Notar den Abtretungsvertrag entworfen oder an dessen Ausarbeitung mitgewirkt hat288. Eine Beurkundung des schuldrechtlichen Vertrages nach § 15 Abs. 4 ist für die Zuständigkeitszuweisung weder ausreichend noch erforderlich289. Bei Aufteilung der Anteilsabtretung in die Beurkundung von Angebot und Annahme bei zwei verschiedenen Notaren wird nur die Pflichtenzuständigkeit des die Annahme beurkundenden Notars eröffnet290; denn nur mit Beurkundung der Annahme kommt es zur Veränderung in den Gesellschaftsverhältnissen. Tritt bei einer Anteilsabtretung eine auflösende Bedingung ein oder ein vergleichbares für das Wirksambleiben der Anteilsabtretung maßgebliches Ereignis, sind für die Einreichung einer neuen, geänderten Gesellschafterliste die Geschäftsführer zuständig (s. Rz. 86). Bei Bestehen einer aufschiebenden Bedingung bleibt es im Grundsatz bei einer Prüfungs-, Erstellungs- und Einreichungspflicht des an der Anteilsabtretung mitwirkenden Notars (Rz. 85). Eine unmittelbare Mitwirkung an den Veränderungen in den Gesellschafterverhältnissen liegt 72 auch vor bei – satzungsändernden Beschlüssen, die eine Veränderung bei den Gesellschaftern mit sich bringen (z.B. Firmenänderung oder Sitzverlegung bei einer Gesellschafterin)291; – Gesellschafterbeschlüssen zur Kapitalerhöhung bzw. Kapitalherabsetzung292; – Umwandlungsbeschlüssen, durch die sich unmittelbar Veränderungen im Gesellschafterbestand einer an dem Umwandlungsvorgang selbst beteiligten Gesellschaft ergeben, nämlich durch Anteilsgewährung (Kapitalerhöhung oder Zuweisung vorhandener Geschäftsanteile)293; – (überobligatorisch) notariell beurkundeten Gesellschafterbeschlüssen (i) zur Einziehung, (ii) über die Teilung oder (iii) über die Zusammenlegung von Geschäftsanteilen294; 288 OLG Hamm v. 25.9.2013 – 27 W 72/12, DNotZ 2014, 436 m. Anm. Wachter = GmbHR 2014, 424; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 163; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 222; Link, RNotZ 2009, 193, 195; Hasselmann, NZG 2009, 449, 452 Fn. 55; Reymann, BB 2009, 506, 508; a.A. (Notwendigkeit einer Entwurfsmitwirkung) Apfelbaum, BB 2008, 2470, 2477 f. 289 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 163; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 222; a.A. Hasselmann, NZG 2009, 449, 452. 290 Ebenso Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 185; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 225; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 539 f.; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 408; Vossius, DB 2007, 2299, 2304; a.A. OLG München v. 24.10.2012 – 31 Wx 400/12, GmbHR 2012, 1367; Wachter, ZNotP 2008, 378, 388 (Vollzugsbestimmung ist entscheidend); Everts in Kroiß/Everts/Poller, GmbH-Registerrecht, 2008, Rz. 116 (Innenverhältnisregelung entscheidend); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 83. 291 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 545. 292 Vgl. OLG München v. 7.7.2010 – 31 Wx 73/10, DNotZ 2011, 63 = GmbHR 2010, 921; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 164; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 227, 229; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 541 f.; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 54; Wicke, Rz. 13; Görner in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 27; vgl. auch Preuß, RNotZ 2009, 529, 533 (mit Hinweisen zu abweichenden Ansichten). 293 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 165; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 227, 230; Berninger, GmbHR 2009, 679, 681. 294 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 232; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 80; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 26; zu einem Fall der Mitwirkung an der Einziehung s. KG v. 18.12.2019 – 22 W 91/18, ZIP 2020, 1303.

Seibt | 335

§ 40 Rz. 72 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung – Beglaubigungen von Übernahmeerklärungen (§ 55 Abs. 1), soweit sich dadurch Veränderungen im Gesellschafterbestand ergeben295; – Beglaubigungen der Unterschriften unter die vom Beglaubigungsnotar entworfene Anmeldung der Durchführung einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital (§§ 55a, 57)296 – die Liste der Übernehmer bei einer Kapitalerhöhung (§ 57 Abs. 3 Satz 2) fällt weiterhin nicht in den Zuständigkeitsbereich des Notars297. 73 Für die zuständigkeitseröffnende Mitwirkung genügt es, wenn der Notar einen Gesellschaf-

terbeschluss entworfen und die Unterschriften hierunter beglaubigt hat298. Gleiches gilt – entgegen der Rechtsprechung des OLG Hamm299 – für den Fall, dass der Notar einen (i) wegen vollmachtloser Vertretung gemäß § 177 Abs. 1 BGB oder (ii) wegen einer aufschiebenden Bedingung gemäß § 158 Abs. 1 BGB schwebend unwirksamen (dinglichen) Vertrag zur Übertragung von Geschäftsanteilen beurkundet und die schwebende Unwirksamkeit des Vertragsverhältnisses erst später entfällt (z.B. durch die spätere, bei einem anderen Notar beurkundete Genehmigung gemäß § 184 BGB); auf das Wirksamwerden des Vertrages (bzw. den Bedingungseintritt) kommt es insoweit nicht an300. Demgegenüber ist es nicht ausreichend, wenn der Notar nur einen Entwurf erstellt301 oder nur die Unterschriften unter einem Fremdentwurf beglaubigt hat302. Denn in beiden Fällen trifft den Notar nur eine eingeschränkte gesetzliche Prüfungspflicht303.

74 Sind mehrere Notare an der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen maßgeblich

beteiligt, ohne dass die Veränderung rechtssicher nur einem Notar zugeordnet werden kann (vgl. Rz. 70 f.), so sind die insoweit mitwirkenden Notare jeweils einzeln zur Erstellung und zur Einreichung der geänderten Gesellschafterliste berechtigt und auch verpflichtet304. In der Praxis ist es sinnvoll, wenn die amtsverpflichteten Notare einen „Vollzugsnotar“ unter ihnen bestimmen, der die betreffenden Handelsregisteranmeldungen erledigt, die hieraus folgenden Eintragungsmitteilungen überwacht und in Folge auch die notwendig zu ändernden Ge295 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 164; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 544. 296 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169; weiter (allerdings ohne Entwurfserfordernis des Beglaubigungsnotars) Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 172; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 42; weitergehend Wicke, Rz. 13 (Entwurf des Anmeldeformulars für Zuständigkeitsbegründung nicht erforderlich). 297 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 517. 298 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 227; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 408; Tebben, RNotZ 2008, 441, 452. 299 OLG Hamm v. 25.9.2013 – 27 W 72/13, DNotZ 2014, 539 m. krit. Anm. Wachter = GmbHR 2014, 424. 300 Ebenso Wachter, DNotZ 2014, 545; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 538. 301 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 227; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 170; Hasselmann, NZG 2009, 449, 453; Link, RNotZ 2009, 193, 197; Tebben, RNotZ 2008, 441, 452; a.A. D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 408. 302 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 233; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 52; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 80; Wicke, Rz. 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 42; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 408; Tebben, RNotZ 2008, 441, 452; Vossius, DB 2007, 2299, 2304; Tebben, RNotZ 2008, 441, 452; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 26; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 171. 303 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 233. 304 OLG München v. 24.10.2012 – 31 Wx 400/12, GmbHR 2012, 1367 (allerdings hier zum Fall der Beurkundung von Angebot und Annahme durch unterschiedliche Notare, vgl. Rz. 57); Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 228; Ries in Liber amicorum Mock, 2009, S. 217, 222; a.A. (nur Notar der letzten Amtshandlung) H. Schmidt, NotBZ 2013, 13, 15.

336 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 76 § 40

sellschafterlisten einreicht305; allerdings bleibt von dieser Dispositionsregelung das Bestehenbleiben der Amtspflichten der weiteren Mitwirkungsnotare unberührt. bb) Mittelbare Mitwirkung Schwierige Abgrenzungsfragen zwischen der Zuständigkeitseröffnung der Geschäftsführer 75 oder eines Notars ergeben sich in solchen Fällen, in denen die nach § 40 Abs. 1 Satz 1 offenlegungspflichtige Veränderung nur mittelbare Folge der Notarmitwirkung ist. Dabei geht es in der Praxis um (i) die Beurkundung einer Verschmelzung oder Spaltung, bei der zum Aktivvermögen des übertragenden Rechtsträgers ein Geschäftsanteil an einer Drittgesellschaft gehört, (ii) Fälle der Anwachsung nach § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB (analog), bei der zum übergehenden Vermögen ein Geschäftsanteil an einer Drittgesellschaft gehört, (iii) die Beurkundung von satzungsändernden Beschlüssen oder eines Formwechsels beim Gesellschafter und (iv) die Einreichung der Gesellschafterliste bei schwebender Unwirksamkeit der Abtretung eines Geschäftsanteils. Der Wortlaut von § 40 Abs. 2 Satz 1 ist für eine nähere Konturierung des Mitwirkungserfordernisses nach Unmittelbarkeit und Mittelbarkeit (oder weiteren die Mittelbarkeit einschränkenden Parametern) ebenso unergiebig wie die Begründung des Regierungsentwurfs, in der als Fälle fehlender notarieller Mitwirkung beispielhaft und ohne weitere Differenzierung „Gesamtrechtsnachfolge, Zusammenlegung oder Teilung von Geschäftsanteilen“ aufgezählt sind306. Der Meinungsstand in der Literatur reicht von der vollständigen Ablehnung einer Notar- 76 zuständigkeit bei nur mittelbarer Beteiligung307 bis zur Auffassung, der Notar sei bei jeder mittelbaren Mitwirkung für die Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste zuständig308. Die Mehrheit der Literaturstimmen spricht sich für vermittelnde Auffassungen aus, wobei unterschiedliche Abgrenzungsparameter befürwortet werden: Teilweise wird auf die Natur und den Umfang der mittelbar betroffenen Gesellschaftsbeteiligung abgestellt309, teilweise auf die Erkennbarkeit der mittelbaren Veränderung in den Gesellschaftsverhältnissen für den Notar310, teilweise darauf, ob die Tätigkeit des Notars zwar mittelbar, aber final auf die Veränderung der Gesellschafterverhältnisse gerichtet ist311 und teilweise wird nach der Regelung eines Vollzugsauftrages die Kompetenzzuweisung an den Notar vorgenommen312.

305 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 228; ähnlich Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 37; Wachter, ZNotP 2008, 378, 388; abw. (für alleinige Amtspflicht des „Vollzugsnotars“) Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 191 f.; Wicke, Rz. 14a; Wicke, NotBZ 2009, 13; Altmeppen in Roth/ Altmeppen, Rz. 45; Hasselmann, NZG 2009, 449, 455; weiter abw. (vorrangig Vollzugsnotar, hilfsweise Notar der letzten Amtshandlung) Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 83. 306 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44. 307 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 43; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 81 f. (mit der Ausnahme für den Fall, dass der Notar einen Vollzugsauftrag hat); Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.54. 308 Bednarz, BB 2008, 1854, 1854; Bohrer, DStR 2007, 995, 998; Götze/Bressler, NZG 2007, 894, 895; Harbarth, ZIP 2008, 57, 59; Omlor/Spies, MittBayNot 2011, 353, 359 f.; Tebben, RNotZ 2008, 441, 452; Wälzholz, MittBayNot 2008, 425, 435. 309 Vgl. Vossius, DB 2007, 2299, 2304 (Einreichungspflicht des Notars allenfalls bei 100 %-Beteiligung des übertragenen Rechtsträgers). 310 Vgl. D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 408; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1045; Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 403, 408; Ries, NZG 2010, 135, 135; Schulte, GmbHR 2010, 1128, 1131; Tebben, RNotZ 2008, 441, 452; abl. Hasselmann, NZG 2009, 449, 454 und diesem folgend Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 176. 311 Wachter, ZNotP 2008, 378, 388 f.; ähnlich Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 731 f.; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 51. 312 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 82; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 408; Wicke, RNotZ 2009, 1, 14; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 27.

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§ 40 Rz. 77 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung 77 Eine praxistaugliche und sich in die gesetzliche Konzeption des § 40 eingliedernde Lösung

wird am besten durch die Beachtung der folgenden drei Leitlinien erreicht: (1) Es ist eine eindeutige Abgrenzung der sachlichen Zuständigkeitsbereiche der Geschäftsführer von demjenigen des mitwirkenden Notars zu erreichen. Hierbei ist auf die Bildung typisierter Fallgruppen zu setzen, die eine Berücksichtigung außergewöhnlicher Einzelfallumstände ausschließt. (2) Das Gesetz sieht keine Primärpflichtzuordnung zum Notar unter dem Gesichtspunkt seiner fachlichen Sachkenntnis vor. Vielmehr spricht die systematische Gesetzesstruktur sowie die gesetzgeberischen Ziele der Entbürokratisierung und Kostenentlastung der Gesellschaftsführung für eine Primärpflicht der Geschäftsführer, die als Ausfluss hiervon eine Zweifelsregelung zu Gunsten einer Geschäftsführerzuständigkeit hat (Rz. 10, 42 f.). (3) Diese Zuständigkeitszuordnung für Zweifelsfälle wird nur in solchen Fällen durch eine Zuständigkeitszuordnung zum Mitwirkungsnotar abgelöst, (a) in denen der Notar die mittelbare Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen typischerweise und ohne erhebliche Nachforschungen erkennen kann und (b) die Errichtung und Einreichung der Gesellschafterliste durch den Notar regelmäßig signifikant effizienter als die Überantwortung an die Geschäftsführer wäre. Hieraus ergibt sich für die einzelnen Fallgruppen Folgendes: 78 Für den Fall des Übergangs von Geschäftsanteilen mit dem Vermögen des übertragenden

Rechtsträgers durch eine Verschmelzung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) hat das OLG Hamm313 die Zuständigkeit des Notars für die Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste bejaht, der den Verschmelzungsvorgang beurkundet hatte. Das Gericht stützte sich im Wesentlichen auf den weiten Wortlaut von § 40 Abs. 2 Satz 1 und dem vom Gericht herausgehobenen gesetzgeberischen Ziel, dem mitwirkenden Notar zur Vereinfachung der Verfahrensabläufe die Änderung der Gesellschafterliste mit zu übertragen, damit sichergestellt ist, dass der neue Gesellschafter in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Wirksamwerden der Veränderung als Berechtigter ausgewiesen wird. Dabei liegt es aufgrund der Sachverhaltsangaben nahe anzunehmen, dass das OLG Hamm zur Zuständigkeitsverweisung an den Notar kam, da dieser mit den internen Verhältnissen des übertragenen Rechtsträgers vertraut war314. Diese Gerichtsentscheidung taugt als Leitlinie für die Fallgruppe des Anteilsübergangs durch Verschmelzung (Gesamtrechtsnachfolge) nicht: Denn aus der Verschmelzungsdokumentation ist im Regelfall nicht ersichtlich, ob zu den qua Gesamtrechtsnachfolge übergehenden Vermögensgegenständen auch Geschäftsanteile gehören (keine typisierte Erkennbarkeit). Eine Einzelfallbeurteilung, ob der konkrete Notar aufgrund besonderer Umstände oder früherer Tätigkeit erkannte oder erkennen konnte, dass zum übergehenden Vermögen Geschäftsanteile gehören, genügt den wegen der bedeutenden Rechtswirkungen der Gesellschafterliste hohen Anforderungen an die Rechtssicherheit nicht315. Vielmehr kann nur eine uneingeschränkte, vom Einzelfall unabhängige Zuordnung der Notarzuständigkeit die Richtigkeitsgewähr der eingereichten Liste erhöhen und dies war vom MoMiG-Gesetzgeber erklärtes Ziel mit der Einführung der Notarzuständigkeit durch das MoMiG. Konsequenterweise ist daher auch eine mittelbare Notarkompetenz zur Listeneinreichung zu bejahen316. Das Gleiche gilt für den Übergang eines Geschäftsanteils qua Gesamtrechtsnachfol-

313 OLG Hamm v. 1.12.2009 – 15 W 304/09, GmbHR 2010, 205 m. zust. Anm. Wachter; abl. Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2010, 48, 49; abl. auch Berninger, DStR 2010, 1292, 1293; inhaltlich bestätigend OLG Hamm v. 16.2.2010 – 15 W 322/09, GmbHR 2010, 430 m. Anm. Herrler = BB 2010, 985 m. Anm. Leitzen. 314 Ähnliche Vermutung bei Berninger, DStR 2010, 1292, 1294; offen in diesem Punkt Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 175. 315 Ebenso Hasselmann, NZG 2009, 449, 454; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 176; a.A. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 179; im Ergebnis offen Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 81 („zweifelhaft“); ausführlich Löbbe, GmbHR 2012, 7, 11 ff. 316 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 553 ff. (insb. 555).

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 81 § 40

ge im Wege der Anwachsung des gesamten Gesellschaftsvermögens auf den letzten verbleibenden Gesellschafter (§ 738 Abs. 1 Satz 1 BGB analog). Demgegenüber sind bei der Spaltung die einzelnen auf den oder die übernehmenden 79 Rechtsträger entfallenden Vermögensgegenstände unter Einhaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes aufzuführen (vgl. § 126 Abs. 1 Nr. 9 UmwG). Daher kann der den Spaltungsvorgang beurkundende Notar den mittelbaren Übergang der Geschäftsanteile eindeutig identifizieren, eine geänderte Gesellschafterliste ohne Aufwand erstellen und dann zum Handelsregister einreichen. Ihm ist daher die Zuständigkeit zuzuweisen317. Satzungsändernde Beschlüsse bei Unternehmensträgern, durch die die Firma oder der Sitz 80 geändert werden, sowie die Beurkundung des Formwechsels eines Geschäftsanteile haltenden Unternehmensträgers führen nicht zu einer Zuständigkeitszuordnung zum Notar. Denn wie bei der Verschmelzung ist es typischerweise für den Notar nicht erkennbar, ob der von der Beurkundung unmittelbar betroffene Rechtsträger Geschäftsanteile hält; eine solche Nachforschungspflicht wird von dem Beurkundungsmandat nicht umfasst318. Entsprechendes gilt bei Änderungen im Gesellschafterkreis einer Außen-GbR, zu dessen Gesamthandsvermögen Geschäftsanteile gehören (s. zur namentlichen Erwähnung aller GbR-Gesellschafter analog § 162 Abs. 1 Satz 2 HGB, § 47 Abs. 2 Satz 1 GBO Rz. 19)319. Die Beurkundung eines Testaments oder Erbvertrages oder die Beglaubigung eines Antrags 81 auf Erteilung eines Erbscheins oder eines Testamentsvollstreckerzeugnisses führen bei Zugehörigkeit von Geschäftsanteilen zum Nachlass nicht zu einer Zuständigkeitszuordnung zum Notar320. Denn der Anteilsübergang erfolgt aufgrund erbrechtlicher Gesamtrechtsnachfolge (§ 1922 BGB), die sich auf den Nachlass als Ganzes bezieht, und ohne dass typischerweise eine Identifikation der einzelnen Vermögensgegenstände erfolgt. Diese Fallgruppe entspricht dem Rechtsübergang qua Gesamtrechtsnachfolge bei der Verschmelzung. Ein Fall der unmittelbaren Mitwirkung des Notars liegt indes in der Beurkundung einer Anteilsübertragung in Erfüllung eines Vermächtnisses321 oder bei einer Erbauseinandersetzung322 vor; hier bewirken die Maßnahmen die unmittelbare Beteiligungsübertragung. Eine differenzierte Bewertung ist bei einer Beurkundung der Übertragung eines Erbteils (§ 2033 BGB) angezeigt, wenn zum Nachlass ein Geschäftsanteil gehört: Verfügt ein Miterbe über seinen Anteil am Nachlass, so führt das wie bei der Verschmelzung nur mittelbar zur Änderung der Gesellschaftsbeteiligung. Erwirbt eine Person allerdings alle Erbteile, wird diese kraft Gesetz ohne weitere Erbauseinandersetzung GmbH-Gesellschafter; in diesem Fall liegt ein unmittelbares Mitwirken des Notars an der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen (Änderung in den Personen der Gesellschafter) vor. Nur im letzteren Fall ist daher auch die Zuständigkeit des Notars für das Erstellen und das Einreichen einer geänderten Gesellschafterliste gegeben323. 317 Ebenso Hasselmann, NZG 2009, 449, 454; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 181; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149. 318 OLG Hamm v. 2.11.2011 – 27 W 100/11, GmbHR 2012, 38 = DNotZ 2012, 382 m. Anm. Ising = Notar 2012, 63 m. zust. Anm. Goetze/Zimmermann. 319 A.A. wohl Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 184. 320 Heckschen, ZErb 2008, 246, 251; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 178; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 248; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 40; Wachter, ZNotP 2008, 378, 389; Lange, GmbHR 2012, 986, 988. 321 Heckschen, ZErb 2008, 246, 251; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 179; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 244; Lange, GmbHR 2012, 986, 987; Wachter, DB 2009, 159, 163. 322 Heckschen, ZErb 2008, 246, 251; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 179; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 244; Lange, GmbHR 2012, 986, 987. 323 Abw. (unterschiedslose Zuständigkeit des Notars) Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 180; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 249; abw. (einheitlich keine Zuständigkeit des Notars) Heckschen, ZErb 2008, 246, 252.

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§ 40 Rz. 82 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung b) Prüfungs- und Berichtigungspflicht 82 Die Erstellungs- und Einreichungspflicht des Notars trifft diesen „nach Wirksamwerden der

Veränderung“. Damit ist nicht nur eine zwingende zeitliche Reihenfolge vorgegeben, sondern auch die sachliche Voraussetzung für die Erstellungs- und Einreichungsfrist: Der Notar hat vor Erstellung einer geänderten Gesellschafterliste zu prüfen, ob eine Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen zu seiner Überzeugung wirksam geworden ist324. Ob ein ausreichender Grad an Überzeugung gegeben ist, entscheidet der betreffende Notar nach pflichtgemäßem Ermessen325; ihn trifft keine absolute Wirksamkeitsverantwortung326. Eher theoretische Restzweifel dürfen außer Betracht bleiben. Bestehen aufgrund konkreter Anhaltspunkte weitergehende Zweifel am Wirksamwerden der Veränderung, hat der Notar die Erstellung der Liste zunächst zu unterlassen und die Beteiligten um entsprechende Nachweise bzw. um Stellungnahme zu ersuchen327. Zweifel können sich z.B. beziehen auf die Geschäftsfähigkeit der an einer Anteilsabtretung beteiligten Person328, die wirksame Vertretung bei Beteiligung von juristischen Personen an der Anteilsabtretung329, das Bestehen von Genehmigungen wegen gesetzlichen oder statutarischen Verfügungsbeschränkungen330 oder die Voreintragung des Veräußerers in der aktuellen Gesellschafterliste (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1)331. Bei Fehlen der Voreintragung des Veräußerers in der aktuellen Gesellschafterliste hat der Notar regelmäßig die Geschäftsführer der GmbH zu kontaktieren und diese um Aufklärung und ggf. Erstellung einer geänderten Gesellschafterliste und Einreichung zum Handelsregister aufzufordern332. Zur weitergehenden Nachforschung im Hinblick auf die Richtigkeit der im Handelsregister aufgenommenen (oder dem Notar im Original vorgelegten) aktuellen Gesellschafterliste ist er im Regelfall (d.h. bei Fehlen offenkundiger Unrichtigkeit oder Inkonsistenzen) nicht verpflichtet333. Ein Ermessensfehler des Notars liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die vorgelegten Nachweise den Anforderungen entsprechen, die das Grundbuchamt gemäß § 29 GBO für Eintragungen ins Grundbuch verlangt334. 324 OLG Thüringen v. 28.7.2010 – 6 W 256/10, ZIP 2010, 1795, 1796 = GmbHR 2010, 1038; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 85; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1046 ff.; Wachter, ZNotP 2008, 378, 388; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 29; weitergehend (aus Praktikabilitätserwägungen sofortige Einreichung unter Hinweis darauf, dass Liste Anteilsverhältnisse nach Durchführung der Kapitalerhöhung wiedergibt) Herrler, DNotZ 2008, 903, 910. 325 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 216; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 38; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 528; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 85; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1047; Hauschild, ZIP 2012, 660, 664 f.; H. Schmidt, BNotZ 2013, 13, 16; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 29; vgl. auch DNotI-Report 2010, 53, 54. 326 Ähnlich Hauschild, ZIP 2012, 660, 662; H. Schmidt, NotBZ 2013, 13, 16. 327 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44; BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, NJW 2019, 3155, 3159 = GmbHR 2019, 988; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 193; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 409; Preuß, ZGR 2008, 678, 681; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 790; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 526. 328 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 193; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 87. 329 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 193. 330 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 193; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1046. 331 D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1046; Preuß, ZGR 2008, 676, 681; Wachter, ZNotP 2008, 373, 392; Wicke, BNotZ 2009, 1, 14; vgl. auch DNotI-Report 2010, 53, 54. 332 Zutr. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 86; hierzu DNotI-Report 2010, 53, 54 ff. 333 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 86; Bednarz, BB 2008, 1854, 1861; Harbarth, ZIP 2008, 57, 59; Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 1993, 2002; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 396; Vossius, DB 2007, 2299, 2304; Wicke, BNotZ 2009, 1, 14. 334 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 529.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 85 § 40

Die an der mutmaßlichen Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen Beteiligten oder 83 gar die sämtlichen Gesellschafter sind gegenüber dem Notar nicht zur Auskunft oder zur Nachweisführung verpflichtet335. Nichtsdestotrotz ist der Notar selbstverständlich berechtigt, die Beteiligten um Auskunft und Nachweise zu bitten und gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass er eine geänderte Gesellschafterliste erst nach Kenntnisnahme der fehlenden Informationen und Nachweise erstellen wird336. In der Praxis werden im Anteilsübertragungsvertrag häufig ausdrücklich Informations- und Nachweispflichten der Vertragsparteien gegenüber dem beurkundenden Notar geregelt337. Auf die Echtheit und inhaltliche Richtigkeit zur Kenntnis gebrachter Informationen und Nachweise darf sich der Notar im Regelfall verlassen; es gibt keinen Grundsatz des Misstrauens gegenüber den Beurkundungsbeteiligten oder sonst wie Beteiligten (s. auch Rz. 10). Auskunfts- und Nachweispflichten können allerdings in Ausnahmefällen aus der mitglied- 84 schaftlichen Treuepflicht der (ehemaligen) Gesellschafter gegenüber den Mitgesellschaftern fließen und in diesem Verhältnis Informationsansprüche (selten!) oder jedenfalls Schadensersatzansprüche begründen338. Unterliegt die Anteilsabtretung oder eine sonstige in der Gesellschafterliste auszuweisende 85 Information einer aufschiebenden Bedingung (z.B. Kaufpreiszahlung, Kartellrechtliche Freigabe oder andere öffentlich-rechtliche Genehmigung, Eintritt sonstiger Vollzugsbedingungen [closing conditions]), hat sich der Mitwirkungsnotar nach allgemeinen Grundsätzen vor Erstellung und Einreichung der geänderten Gesellschafterliste des Eintritts solcher Bedingungen zu seiner Überzeugung zu vergewissern339. Bei Eintritt der aufschiebenden Bedingung ist alleine der Mitwirkungsnotar (nicht: die Geschäftsführer) zur Erstellung und Einreichung verpflichtet, und zwar unabhängig davon, ob dem Notar die Prüfung der Vollzugsbedingungen überantwortet wurde340; denn die Zuständigkeitszuordnung ist der Parteidisposition nicht zugänglich. Dabei gilt auch hier, dass der Notar sich im Regelfall auf die von den Beteiligten zur Kenntnis gebrachten Informationen und Nachweise verlassen darf (s. auch Rz. 96). Die Mitteilung über den Eintritt aufschiebender Vollzugsbedingungen gegenüber dem beurkundenden Notar wird in der Regel auch im Anteilsabtretungsvertrag geregelt341. Bei Unternehmenskaufverträgen wird zum Nachweis des Eintritts aufschiebender Vollzugsbedingungen die Erstellung eines sog. Closing Memorandums vereinbart, das dann auch an den beurkundenden Notar mit dem Ersuchen zur Erstellung der geänderten Gesellschafterliste übermittelt wird342. Der Notar ist allerdings bei seiner Prüfung über das Wirk335 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 194; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 58; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 87; Wicke, Rz. 15; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 409; Götze/Bressler, NZG 2007, 894, 896; Preuß, ZGR 2008, 676, 681; Vossius, DB 2007, 2299, 2304. 336 Kort, GmbHR 2009, 169, 172; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 409; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 87. 337 Formulierungsvorschlag bei D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1047; zur Empfehlung: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 194; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 87; Wicke, Rz. 15; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 29; Ries in Liber amicorum Mock, 2009, S. 217, 222; Götze/Bressler, NZG 2007, 894, 896; Schockenhoff/Höder, ZIP 2006, 1841, 1846. 338 So wohl auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 87. 339 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 195; vgl. Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 29. 340 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 195 f.; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 276; Terlau in Michalski u.a., Rz. 25; abw. (für den Fall des Anteilsübergangs bei Beendigung eines Treuhandvertrages nur bei ausdrücklichem Überwachungsauftrag) OLG Brandenburg v. 12.2.2013 – 7 W 72/12, GmbHR 2013, 309 m. abl. Anm. Preetz und abl. Anm. Wachter, EWiR 2013, 375. 341 Formulierungsvorschlag bei Wicke, NotBZ 2009, 1, 14; zur Empfehlung z.B. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 195; Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.61; Reymann, BB 2009, 506, 509; Wachter, ZNotP 2008, 378, 391. 342 Vgl. Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 532; Götze/Bressler, NZG 2007, 894, 896; Klöckner, NZG 2008, 841, 842;

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§ 40 Rz. 85 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung samwerden der Vereinbarung nicht an die von den Beteiligten vertraglich geregelten und/ oder die von den Beteiligten übermittelten Nachweise beschränkt; er kann weitere Informationen und Nachweise anfordern343. Eine Pflicht zur eigenständigen Nachforschung im Hinblick auf den Eintritt aufschiebender Vollzugsbedingungen durch den Notar besteht – sofern hierfür nicht ausnahmsweise ein gesondert erteilter Auftrag besteht (§ 24 Abs. 1 BNotO) – nicht344. 86 Den Notar trifft erst recht keine eigenständige, fortlaufende Überwachungspflicht im Hin-

blick auf (i) den Eintritt auflösender Bedingungen oder sonstiger, die schwebende Unwirksamkeit von Abtretungsverträgen begründende Umstände (z.B. ordnungsgemäße Genehmigung einer vollmachtlosen Stellvertretung durch einen Notar im Ausland345), (ii) das Eingreifen von Rückübertragungsklauseln oder (iii) sonstige für das Wirksambleiben des in einer von ihm erstellten Gesellschafterliste für die ausgewiesene Veränderung maßgebliche Ereignisse346. Für den Fall des Eintritts einer auflösenden Bedingung oder der Rückübertragung des Vertragsgegenstands aufgrund einer vertraglichen Rückübertragungsklausel ist es Sache des Geschäftsführers (Fall der auflösenden Bedingung) bzw. des an der Rückabtretung mitwirkenden Notars (Fall der Rückübertragung in Folge der vertraglichen Rückübertragungsklausel), eine erneute geänderte Gesellschafterliste zu erstellen und beim Handelsregister einzureichen347. Dies ergibt sich ohne Zweifel aus dem Wortlaut des § 40 Abs. 2 Satz 1, geht in gleicher Weise aus der Begründung des Regierungsentwurfs hervor348 und passt sich in die Pflicht der Geschäftsführer zur Nachkontrolle eingereichter Gesellschafterlisten ein (s. Rz. 52). Eine allgemeine Pflicht zur Nachkontrolle der von ihm erstellten und zum Handelsregister eingereichten Gesellschafterliste trifft den Notar – anders als den Geschäftsführer – im Regelfall nicht. Gelangen dem Notar allerdings später Informationen oder Nachweise zur Kenntnis, durch die die Überzeugung in ihm gebildet wird, dass die Gesellschafterliste unrichtig ist, hat er die Beteiligten über den neuen Sachverhalt zu informieren, ggf. um eine Stellungnahme zu ersuchen und dann – bei unveränderter Sachlage – eine neue Gesellschafterliste zu erstellen und diese beim Handelsregister einzureichen349. c) Erstellungspflicht 87 Bei Bestehen seiner Zuständigkeit hat der Notar – wenn zu seiner Überzeugung eine Ver-

änderung in den Gesellschafterverhältnissen vorliegt (Rz. 82 ff.) – die Gesellschafterliste „anstelle der Geschäftsführer zu unterschreiben“. Dieser Gesetzeswortlaut schließt die zeitlich

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Greitemann/Bergjan in FS Pöllath + Partner, 2008, S. 271, 277 ff.; Schockenhoff/Höder, ZIP 2006, 1841, 1846. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 196; Link, RNotZ 2009, 193, 202 f.; Tebben, RNotZ 2008, 441, 453. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 196; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 88; Wicke, Rz. 15; Bednarz, BB 2008, 1584, 1860; Kort, GmbHR 2009, 169, 172. OLG Hamm v. 25.9.2013 – 27 W 72/13, DNotZ 2014, 539 m. abl. Anm. Wachter = GmbHR 2014, 424; abl. Berninger, GWR 2014, 496; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 538. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 197; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 89; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 532; Wicke, Rz. 15; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 29; Bednarz, BB 2008, 1854, 1860; Kort, GmbHR 2009, 169, 172; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 410. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 197; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 270; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 89. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 198; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 89; Bayer in Liber Amicorum M. Winter, 2011, S. 9, 37; Hasselmann, NZG 2009, 486, 492; Herrler, NZG 2011, 536, 538; Link, RNotZ 2009, 193, 198; Preuß, ZGR 2008, 676, 681; Tebben, RNotZ 2008, 441, 453.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 89 § 40

vorgängige Verpflichtung des Notars ein, eine die Veränderung ausweisende Gesellschafterliste zu erstellen350. Im Grundsatz ist für jede Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen eine gesonderte Gesellschafterliste einzureichen (Konzept der Partikularpflicht; s. Rz. 43; für Einreichungspflicht der Geschäftsführer s. Rz. 51). Dies gilt im Grundsatz auch, wenn mehrere Veränderungen in einer Urkunde ihre Ursache haben (z.B. Teilung eines Geschäftsanteils und Abtretung eines der gebildeten Teilgeschäftsanteile in derselben Notarurkunde). Allerdings ist hiervon eine Ausnahme zu machen, wenn mehrere Geschäftsanteile in einer Notarurkunde an verschiedene Personen mit gleicher Wirksamkeitswirkung abgetreten werden; es reicht dann eine geänderte Gesellschafterliste. Werden die Anteilsübertragungen hingegen zu unterschiedlichen Zeitpunkten wirksam, sind mehrere Gesellschafterlisten zum Handelsregister einzureichen351. Das Erfordernis einer mehrfachen Einreichung gilt auch, wenn ein Geschäftsanteil nacheinander in einer Notarurkunde mehrfach übertragen wird352. Die Erstellungspflicht ist eine Amtspflicht; der Notar bedarf insoweit keines weiteren Auf- 88 trags durch die Beteiligten oder gar eines – allerdings zulässigen – Entwurfs durch die Geschäftsführer (bzw. durch von diesen beauftragte Rechtsanwälte)353. Zum Zeichen der Verantwortungsübernahme schließt der Notar die Gesellschafterliste mit einer Unterschrift ab; sind Gesellschafterliste und Notarbescheinigung zu einem einheitlichen Dokument verbunden, genügt eine Unterschrift354. d) Einreichungspflicht Der Notar muss die Gesellschafterliste „unverzüglich“ (also ohne schuldhaftes Zögern, § 121 89 Abs. 1 Satz 1 BGB) nach Wirksamwerden der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen beim Handelsregister einreichen (§ 40 Abs. 2 Satz 2). Zur Einreichung beim Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfach der Länder (EGVP) s. Rz. 63 und zur Einreichung in öffentlich beglaubigter Form s. Rz. 99. Die Gesellschafterliste hat materiell-rechtlich dem Rechtszustand am Tag der Einreichung der Gesellschafterliste zu entsprechen355. Eventuelle spätere Änderungen am materiellen Rechtszustand (z.B. Eintritt auflösender Bedingung; Rückübertragung von Geschäftsanteilen aufgrund Rückübertragungsregelung; Änderung der Gesellschafterstellung wegen rechtskräftigen Anfechtungs- oder Nichtigkeitsurteils) hindern die Einreichungspflicht des Notars nicht356. Allerdings wird (nur) bei Vorliegen und Kenntnis eines Nichtigkeitsgrundes der Notar im Rahmen seiner eigenverantwortlichen Prüfung zur Wirksamkeit der Veränderung (hierzu Rz. 82) Zweifel hieran haben, 350 Ebenso Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 155; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 66; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 45; Wachter, ZNotP 2008, 378, 392; a.A. Bohrer, DStR 2007, 995, 1000. 351 DNotI-Report 2011, 25 f.; H. Schmidt, NotBZ 2013, 13, 14. 352 Wicke, Rz. 4; H. Schmidt, NotBZ 2013, 13, 14. 353 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260. 354 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 259; Link, RNotZ 2009, 207; Wachter, ZNotP 2008, 378, 392; Wicke, NotBZ 2009, 14 Fn. 137; zur Verbindung von Gesellschafterliste und Notarbescheinigung mit einer Unterschrift OLG München v. 27.5.2009 – 31 Wx 38/09, DNotZ 2009, 637 = GmbHR 2009, 825; LG Dresden v. 8.4.2009 – 42 HK T 10/09, ZIP 2009, 1765; dazu zust. Wachter, EWiR 2009, 641 f.; a.A. (zweimalige Unterzeichnung erforderlich) H. Schmidt, NotBZ 2013, 13, 14. 355 OLG Thüringen v. 28.7.2010 – 6 W 256/10, DB 2010, 2044 = GmbHR 2010, 1038 (Kapitalerhöhung); Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 173, 269; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 63; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 33; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 9; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 414. 356 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44; vgl. auch Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 270.

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§ 40 Rz. 89 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung die ihn an der Erstellung und Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste hindern357. In der Praxis ist es Notaren möglich, zum Handelsregister eingereichte Gesellschafterlisten vor dortiger Aufnahme zurückzuziehen und damit eine Aufnahme zu verhindern. Der Mitwirkungsnotar kann schon vor dem Wirksamwerden der Veränderung die Gesellschafterliste erstellen, die Einreichung beim Handelsregister kann indes erst nach dem Wirksamwerden erfolgen358.

2. Übermittlung an die Gesellschaft (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2) 90 Nach Erstellung der geänderten Gesellschafterliste hat der Notar diese nicht nur an das Han-

delsregister, sondern zugleich auch eine einfache Abschrift an die Gesellschaft zu übermitteln (§ 40 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2). Eine gesetzliche Übermittlungsform ist nicht geregelt, so dass auch eine Übersendung in elektronischer Form (z.B. per Email oder Telefax) genügt359. Die Übermittlung dient zum einen der Information der Geschäftsführer, die aufgrund ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht zur fortlaufenden Nachkontrolle der Gesellschafterliste verpflichtet sind (Rz. 52), zum anderen der Information der Geschäftsführer sowie der Gesellschafter in Bezug auf die aktuellen Gesellschafterverhältnisse und die Rechtswirkungen nach § 16360. Allerdings kommt es für die Rechtswirkungen des § 16 nicht auf den Inhalt der an die Gesellschaft übermittelten Gesellschafterliste, sondern alleine auf die konkret im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste an361. Bei Veränderungen in den Gesellschafterverhältnissen aufgrund von Anteilsübertragungen wird in der Praxis häufig notarseits die bei Handelsregister eingereichte Gesellschafterliste auch an die an der Abtretung beteiligten Parteien übermittelt, und diese Übermittlungspflicht auch explizit in das Notarmandat aufgenommen362. Im Fall der Führungslosigkeit der GmbH erfolgt die Übermittlung der Gesellschafterliste an einen der Gesellschafter anstelle eines Geschäftsführers (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2)363.

3. Notarbescheinigung (§ 40 Abs. 2 Satz 2) 91 Der Umfang der Notarpflichten im Hinblick auf die Erstellung und die Einreichung einer

geänderten Gesellschafterliste und deren Einreichung beim Handelsregister weicht in einem wesentlichen Punkt von den entsprechenden Geschäftsführerpflichten ab: Im Unterschied zum Geschäftsführer muss der Notar zusätzliche eine Bescheinigung im Sinne von § 39 BeurkG364 ausstellen, aus der sich ergibt, dass die geänderten Eintragungen den Veränderungen entsprechen, an denen der Notar mitgewirkt hat, und die übrigen Eintragungen mit dem Inhalt der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Liste übereinstimmen (§ 40 Abs. 2 Satz 2). Diese Notarbescheinigung ist der Satzungsbescheinigung nach § 54 Abs. 1 Satz 2

357 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 275. 358 OLG Thüringen v. 28.7.2010 – 6 W 256/10, DB 2010, 2044 = GmbHR 2010, 1038 (Kapitalerhöhung); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 63. 359 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 221; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 289; Link, RNotZ 2009, 193, 208; Wachter, ZNotP 2008, 373, 393. 360 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44 re.Sp. 361 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 222; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 289. 362 Für eine entsprechende Empfehlung vgl. auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 223; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 82; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 289 a.E.; Bednarz, BB 2008, 1854, 1861; Link, RNotZ 2009, 193, 209. 363 Ausf. Wachter, ZNotP 2008, 378, 393; vgl. auch Noack in FS Hüffer, 2010, S. 723, 728 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 219; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 289. 364 Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 63; Tebben, RNotZ 2008, 456.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 94 § 40

nachgebildet365, soll über die explizite Vorgabe eines Prüfungsprozesses und eines Prüfungsinhalts die Richtigkeitsgewähr der notariell erstellten Gesellschafterliste erhöhen366 und ist insoweit funktionales (nicht: rechtliches!) Äquivalent der handelsgerichtlichen Eintragungsverfügung bei eintragungspflichtigen Umständen367. Die Notarbescheinigung bildet mit der notariellen Gesellschafterliste eine funktionale Einheit. Beide Dokumente sind von demselben Notar zu erstellen und zu unterzeichnen (eine einzige Unterschrift unter die verbundenen Dokumente ist ausreichend; s. Rz. 88); die isolierte Erstellung und Unterzeichnung der Notarbescheinigung durch einen dritten Notar ist nicht zulässig368. Die rechtspolitisch überzeugende Regelung ist ein Element zur Richtigkeitsabsicherung der Gesellschafterliste, was wiederum Voraussetzung für die weitgehenden Rechtswirkungen der Gesellschafterliste (insbesondere die Ermöglichung des gutgläubigen Erwerbs auf der Grundlage dieses Rechtsscheinträgers) ist. Für die Aufnahme einer notariellen Gesellschafterliste in das Handelsregister ist die Übermittlung der Notarbescheinigung zwingende Voraussetzung369. a) Bescheinigung Auf der Grundlage des Gesetzeswortlauts in § 40 Abs. 2 Satz 2 lautet die Notarbescheinigung 92 in der Praxis häufig in etwa wie folgt370: „Die geänderten Eintragungen in der vorstehenden Gesellschafterliste entsprechen den Veränderungen, an denen ich als Notar mitgewirkt habe (UR-Nr. …/vom …). Die Gesellschafterliste stimmt im Übrigen mit der zuletzt im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste vom … überein. Ort, Datum Unterschrift des Notars, Siegel“. Allerdings ist die Verwendung des Gesetzeswortlauts oder eines ansonsten bestimmten Wortlauts nicht gesetzlich vorgeschrieben; es muss sich aus der Bescheinigung nur ebenso eindeutig wie aus dem Gesetzeswortlaut ergeben, dass die Eintragungen in der Gesellschafterliste – außer den vom Notar bescheinigten Änderungen – mit dem Inhalt der sich aus dem Handelsregister ergebenden letzten Eintragung übereinstimmen371. Nach dem Gesetzeswortlaut ist der Bescheinigungsinhalt auf die unmittelbare Vorgängerliste 93 als Vergleichsdokument abzustellen. Dabei reicht eine allgemeine Bezugnahme auf die zuletzt zum Register aufgenommene Gesellschafterliste nicht aus, sondern es ist die konkrete Vorgängerliste näher zu bezeichnen372. Die in der Gesellschafterliste enthaltenen Abweichungen zur Vorgängerliste müssen (obwohl sie nicht als solche, z.B. durch eine die Änderungen anzeigende Markierungsfassung ersichtlich sind373) nicht im Einzelnen aufgeführt werden374. Als Tatsachenbescheinigung über eine notarielle Wahrnehmung ist die Notarbescheini- 94 gung in die Urkundenrolle einzutragen (§ 8 Abs. 1 Nr. 5 DONot)375. Von der Notarbeschei365 Z.B. Wachter, ZNotP 2008, 378, 391; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 40; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 291; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 31. 366 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 44; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 200. 367 Ähnl. Bohrer, MittBayNot 2010, 17, 19 f.; krit. Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 290. 368 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 291. 369 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 201; Link, RNotZ 2009, 193, 204. 370 Formulierungsvorschläge bei D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1049; Link, RNotZ 209, 193, 206; Vossius, DB 2007, 2299, 2304; Wachter, GmbHR-Sonderheft 2008, 51, 58; Wälzholz, MittBayNot 2008, 425, 435; Wicke, NotBZ 2009, 1, 14. 371 OLG Stuttgart v. 7.4.2011 – 8 W 120/11, GmbHR 2011, 542, 543. 372 Zutr. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 207; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1049; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 292 (schwächer noch Voraufl. Rz. 200: „sollte“). 373 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 292; missverständlich Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 207. 374 D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1049. 375 Zutr. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 210; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 286, 195; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1049; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 31; a.A. Link, RNotZ 2009, 193, 207 (Verwahren durch Anheften oder Ankleben i.S.v. § 18 Abs. 2 Spiegelstrich 2 DONot).

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§ 40 Rz. 94 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung nigung i.S.v. § 40 Abs. 2 Satz 2 ist eine vom Notar aufgrund der Einsichtnahme in das Handelsregister ausgestellte Bescheinigung zu unterscheiden, dass die in der Gesellschafterliste ausgewiesenen Personen im Verhältnis zur Gesellschaft als Gesellschafter gelten (Bescheinigung analog § 21 BNotO)376. 95 Sind in der Gesellschafterliste neben den gesetzlichen Mindestinhalten auch sonstige Infor-

mationen, insbesondere Angaben über dingliche Belastungen in einer Vermerkspalte (zur Zulässigkeit s. Rz. 39), aufgeführt, sind diese Informationen auch in der neu zu erstellenden Gesellschafterliste beizubehalten377. Dies entspricht der Rechtslage und Praxis bei Satzungsbescheinigungen nach § 54 im Hinblick auf unechte Satzungsbestandteile (s. 12. Aufl., § 54 Rz. 19)378. Ein ggf. zur Gesellschafterliste zugeordneter Widerspruch (vgl. § 16 Abs. 3 Satz 3) wird von der Notarbescheinigung nicht erfasst, da der Widerspruch eben nicht Inhalt der Gesellschafterliste ist. b) Prüfungspflicht 96 Bei der Erstellung der Notarbescheinigung trifft den Notar eine nur sachlich und inhaltlich

beschränkte Prüfungspflicht: In sachlicher Hinsicht wird durch die Notarbescheinigung nur bekundet, dass die Angaben in der Gesellschafterliste den (mutmaßlichen) Veränderungen entsprechen, an denen der Notar mitgewirkt hat. Die Wirksamkeit der Veränderung selbst wird nicht bescheinigt379. In inhaltlicher Hinsicht bezieht sich die Prüfungspflicht nicht auf die Richtigkeit der Vorgängerliste und die rechtliche Wirksamkeit der dort enthaltenen Informationen380. Im Grundsatz hat er zwingend an die Vorgängerliste anzuknüpfen, und der Notar kann sich auf deren Inhalte verlassen381. Es gilt das Prinzip der formellen Richtigkeit382. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Vorgängerliste ohne weitere Nachforschungen erkennbar nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht (z.B. Beteiligungsquoten in Prozent anstatt Nennbeträgen; Addition der Nennbeträge sämtlicher Geschäftsanteile weicht ohne weitere Erläuterungen vom Stammkapital ab)383. In diesem Fall muss der Notar die Erstellung der neuen Gesellschafterliste zurückstellen und die Geschäftsführer um Aufklärung des Sachverhalts und ggf. Berichtigung der Vorgängerliste ersuchen. Ist ein Mitwirkungsnotar zur Einreichung einer Gesellschafterliste gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 verpflichtet, ist die Berechtigung eines Geschäftsführers zur Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste auf die Korrektur der vom Notar eingereichten Liste beschränkt384. 97 Trotz Erhalt des Bestätigungsberichts über den Eingang der Gesellschafterliste beim Handels-

register trifft den Notar – insoweit wie die Geschäftsführer (s. Rz. 65) – noch die weitere Überwachungspflicht im Hinblick darauf, ob das Handelsregister die Gesellschafterliste auch tatsächlich in die elektronische Registerakte übernommen hat (Grundlage der Rechtsschein-

376 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 217. 377 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 293; a.A. Melchior, NotBZ 2010, 213, 216; Wälzholz, MittBayNot 2010, 68, 69. 378 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 54 Rz. 11. 379 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298; Wachter, ZNotP 2008, 378, 392. 380 OLG München v. 27.5.2009 – 31 Wx 38/09, ZIP 2009, 1421 = GmbHR 2009, 825; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 212; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298 f.; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 396. 381 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 212; Wachter, ZNotP 2008, 373, 391 f.; vgl. auch DNotI-Report 2010, 53, 56 ff. 382 Ebenso Terlau in Michalski u.a., Rz. 36. 383 Ebenso Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 213; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1048; Bohrer, MittBayNot 2010, 17, 18; ähnl. auch Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.57; abw. (keine Ausnahme) Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298 ff. 384 OLG Rostock v. 25.1.2017 – 1 W 55/16, RNotZ 2017, 480 = GmbHR 2017, 523 m. Anm. Bayer.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 100 § 40

wirkungen nach § 16!) und ob bei der Aufnahme im Handelsregister etwa offenkundige Fehler aufgetreten sind (z.B. Zuordnung einer falschen Liste)385; weitere Kontrollpflichten bestehen aber nicht. c) Rechtswirkungen Die Notarbescheinigung ist weder ein Rechtsscheinträger im Zusammenhang mit § 16386 98 noch gesondert hiervon387. Umgekehrt entfaltet eine im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste auch ohne Notarbescheinigung die Rechtsscheinwirkungen des § 16 Abs. 1 bis Abs. 3388. Allerdings wird das Registergericht die Aufnahme einer Gesellschafterliste im Handelsregister bei fehlender Notarbescheinigung als formell unrichtig verweigern (Rz. 109).

4. Einreichung und Form Im Fall der Notarzuständigkeit ist die Gesellschafterliste nicht nur in Form einer einfachen 99 elektronischen Aufzeichnung einzureichen, sondern in signierter Form (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 HGB)389, da die mit der Gesellschafterliste einzureichende Notarbescheinigung ein Vermerk i.S.d. § 39 BeurkG ist. Der Notar kann die mit der Notarbescheinigung verbundene Gesellschafterliste auch elektronisch erstellen und elektronisch signieren (§ 39a Satz 1 i.V.m. § 39 BeurkG)390. Die Notareigenschaft wird durch die Verbindung der Notarbescheinigung mit dem Notarattribut auf der Signaturkarte bestätigt, die an die Stelle des Siegels tritt (§ 39a Satz 4 BeurkG)391. Bei diesem Vorgang handelt es sich um die Errichtung eines sonstigen Zeugnisses des Notars, mit der Folge, dass kein Beglaubigungs- oder Transfervermerk zu verwenden ist392. Die Übersendung einer elektronisch beglaubigten Abschrift ist nur dann (ausnahmsweise) für die Einreichung der Gesellschafterliste mit Notarbescheinigung erforderlich, wenn diese erst in Papierform erstellt wird393.

5. Rechtsschutz Rechtsschutz gegen einen Notar, der seine Pflichten aus § 40 Abs. 2 nicht erfüllt und damit 100 seine Amtspflicht („Urkundstätigkeit“) verletzt, bietet die Beschwerde nach § 15 Abs. 2 BNotO. Über die Beschwerde entscheidet eine Zivilkammer des LG, in dessen Bezirk der Notar seinen Amtssitz hat (§ 15 Abs. 2 Satz 1 BNotO). Beschwerdeberechtigt ist der Antragstel385 A.A. (keine Notarverpflichtung) Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 303; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 67; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 98; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 67; Wicke, Rz. 17; Wicke, NotBZ 2009, 1, 15; Wachter, GmbHR-Sonderheft 2008, 51, 58. 386 Graf Wolffskeel von Reichenberg/Danninger, NZG 2019, 1001, 1002; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 216; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 63; Wachter, GmbHR-Sonderheft 2008, 51, 58. 387 OLG Stuttgart v. 7.4.2011 – 8 W 120/11, GmbHR 2011, 542, 543. 388 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304; Hasselmann, NZG 2009, 486, 493. 389 LG Gera v. 7.10.2009 – 2 HK T 26/09, RNotZ 2010, 67 m. Anm. Mödl (anders noch LG Gera v. 18.6.2009 – 2 HK T 16/09, NotBZ 2009, 302); Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 286. 390 LG Trier v. 19.3.2009 – 7 HK T 1/09, NotBZ 2009, 423; Apfelbaum, DNotZ 2008, 711, 715; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 286; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 61; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 39. 391 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 287. 392 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 287. 393 KG v. 20.6.2011 – 25 W 25/11, NZG 2012, 315 = NotBZ 2011, 394; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 287; a.A. OLG Thüringen v. 25.5.2010 – 6 W 39/10, DNotZ 2010, 793 = GmbHR 2010, 760.

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§ 40 Rz. 100 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung ler, der um die Vornahme der Amtstätigkeit (Erstellung und Einreichung der Gesellschafterliste) nachgesucht hat und dessen Antrag der Notar ganz oder teilweise – auch ohne Bescheid und ggf. durch konkludentes Verhalten394 – abgelehnt hat (§ 59 Abs. 2 FamFG); dies sind potenziell die von den Eintragungen in der Gesellschafterliste Betroffenen. Hingegen kann ein Beteiligter, der eine bereits eingereichte Gesellschafterliste für materiell unrichtig hält, nicht über § 15 Abs. 2 BNotO die Einreichung einer korrigierten Gesellschafterliste verlangen395, ein entsprechendes Verlangen ist vielmehr gegen die Gesellschaft zu richten (s. Rz. 67). Das Beschwerdeverfahren richtet sich nach den Vorschriften des FamFG (§ 15 Abs. 2 Satz 2 BNotO). Das Beschwerdegericht verwirft die Beschwerde entweder als unzulässig oder unbegründet oder weist den Notar an, die begehrte Amtshandlung vorzunehmen bzw. zu unterlassen. Das Beschwerdegericht kann auch im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes eine einstweilige Anordnung treffen oder die vollziehende Verfügung des Notars aussetzen (§ 49 Abs. 2 FamFG). Gegen die Entscheidung des LG findet die Rechtsbeschwerde statt (§§ 70 ff. FamFG). Die Anweisung des Gerichts, die Erstellung und/oder Einreichung einer bestimmten Gesellschafterliste vorzunehmen oder zu unterlassen, bindet den Notar und entlastet ihn gleichzeitig haftungsrechtlich396. Der Notar kann – zur Vermeidung des Anscheins einer Parteilichkeit – in einem beschwerdefähigen Vorbescheid ankündigen, er werde einem bestimmten Antrag eines Beteiligten stattgeben, wenn keiner der zum Verfahren hinzugezogenen Beteiligten binnen einer bestimmten Frist Beschwerde einlegt397. Darüber hinaus kann gegenüber dem Notar gemäß §§ 388, 389 FamFG ein Zwangsgeld festgesetzt werden, wenn dieser seiner Pflicht zur Einreichung der Gesellschafterliste nicht nachkommt398. Zur Notarhaftung nach § 19 BNotO s. Rz. 124 f.

6. Gebühren 101 Nach dem Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) erhält der Notar für die Fertigung,

Änderung oder Ergänzung der Gesellschafterliste eine gesonderte Vollzugsgebühr399. Sofern der Notar gleichzeitig eine Gebühr für das Beurkundungsverfahren oder für die Fertigung eines Entwurfs erhält400, beträgt der Gebührensatz 5/10 (Nr. 22110 KV), wenn die Gebühr für das zugrundeliegende Beurkundungsverfahren 20/10 beträgt (z.B. bei der Anteilsabtretung; Nr. 21100 KV), bei geringeren Gebühren reduziert sich der Gebührensatz auf 3/10 (Nr. 22111 KV). Der Geschäftswert entspricht dem Geschäftswert des zugrundeliegenden Beurkundungsverfahrens (§ 112 Satz 1 GNotKG) und kann mit 10–20 % des Stammkapitals angenommen werden401; die Vollzugsgebühr darf indes nie mehr als 250 Euro betra-

394 Vgl. OLG Düsseldorf v. 26.11.1997 – 3 Wx 483/97, DNotZ 1998, 747, 748. 395 LG Düsseldorf v. 17.5.2018 – 19 T 50/18, RNotZ 2018, 641 m. zust. Anm. Kutschmann. 396 KG v. 27.10.1970 – 1 W 12222/70, DNotZ 1971, 494, 496; BayObLG v. 4.1.1972 – 2 Z 127/71, DNotZ 1972, 371, 372; Frenz in Eylmann/Vaasen, BNotO/BeurkG, 4. Aufl. 2016, § 15 BNotO Rz. 50, 54; Sander in Schippel/Bracker, 2. Edition, Stand 1.4.2020, § 15 BNotO Rz. 143 f. 397 Zur Zulässigkeit eines beschwerdefähigen Vorbescheids nach dem FamFG Sander in Schippel/Bracker, 2. Edition, Stand 1.4.2020, § 15 BNotO Rz. 107 ff.; Sandkühler, DNotZ 2009, 595, 596 ff.; zum Vorbescheid allgemein Hertel in FS Notarkammer Pfalz, 2003, S. 167 ff. 398 OLG Köln v. 19.7.2013 – 2 Wx 170/13, RNotZ 2013, 556 = GmbHR 2014, 28. 399 Kleinstück in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular F. I.6, Anm. 3; Volpert, RNotZ 2015, 276, 276 f.; anders noch zu § 147 Abs. 2 KostO a.F., wonach dem Notar für die Anfertigung einer Gesellschafterliste keine Betreuungsgebühr zustand, OLG Hamm v. 31.10.2012 – 15 W 356/11, NJOZ 2013, 604 = GmbH-Stpr. 2013, 50; zum Streitstand die 10. Aufl. Rz. 87. 400 Andernfalls gelten Nrn. 22120 und 22121 KV gemäß Vorbemerkung 2.2.1.2 Nr. 1 der Anlage 2 zu § 34 Abs. 3 GNotKG, mit der Folge einer Erhöhung des Gebührensatzes. 401 Volpert, RNotZ 2015, 276, 277.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 103 § 40

gen (Nr. 22113 KV)402. Außerhalb eines Beurkundungsverfahrens bzw. des Vollzugs fremder Urkunden entsteht für die (isolierte) Erstellung der Gesellschafterliste neben der 0,2 Gebühr nach Nr. 22114 KV GNotKG für die XML-Strukturdaten und den elektronischen Vollzug eine 0,3 bis 1,0 Entwurfsgebühr nach Nr. 24101, 21200 KV GNotKG, deren Geschäftswert sich nach § 119 Abs. 36 Abs. 1 GNotKG richtet403. Die Notarbescheinigung nach § 40 Abs. 2 Satz 2 stellt in der Regel ein gebührenfreies Ne- 102 bengeschäft dar, sofern von dem Notar keine Umstände außerhalb der Urkunde zu prüfen sind; eine Bescheinigungsgebühr nach Nr. 25104 KV fällt nicht an404. Eine 5/10 Betreuungsgebühr nach Nr. 22200 Nr. 6 KV fällt hingegen nach zutreffender Auffassung bei Kapitalmaßnahmen an, weil der Notar bei der nachträglichen Einreichung der Gesellschafterliste die richtige Eintragung der Kapitalmaßnahme im Handelsregister überprüft405. Eine weitere Ausnahme gilt bei der Prüfung des Eintritts einer aufschiebenden Bedingung. Der Geschäftswert ist wie bei der Beurkundung zu bestimmen (§ 113 GNotKG), und zwar ohne Gebührenhöchstgrenze.

VI. Zuständigkeiten und Pflichten ausländischer Notare Der Normbefehl zur Erstellung und Einreichung einer Gesellschafterliste trifft aufgrund des 103 völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips nur deutsche Notare, nicht jedoch einen ausländischen Notar406. Da nach der hier vertretenen Auffassung die Auslandsbeurkundung von Anteilsabtretungen an einer deutschen GmbH weiterhin zulässig ist (s. ausf. 12. Aufl., § 15 Rz. 81 ff.), stellt sich weiter die Frage, ob der an der Beurkundung der Anteilsabtretung mitwirkende, als „gleichwertig“ anzusehende ausländische Notar wenigstens berechtigt ist, eine diese Veränderung abbildende Gesellschafterliste zu erstellen und beim Handelsregister einzureichen. Das hat der BGH in seiner grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 2013 zu Recht bejaht. Eine von einem ausländischen (im konkreten Fall in Basel/Schweiz ansässigen) Notar eingereichte Gesellschafterliste kann nicht von dem zuständigen Registergericht abgelehnt werden407, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass die von einem ausländischen Notar vorgenommene Beurkundung – sowohl in Bezug auf die Urkundsperson

402 Vgl. Kleinstück in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular F.I.6, Anm. 3 (mit Berechnungsbeispielen). 403 Volpert, RNotZ 2015, 276, 277; zu Streitfragen vgl. auch Diehn in Korintenberg, GNotKG 24101 Rz. 3. 404 LG Düsseldorf v. 29.7.2015 – 25 T 555/14, MittBayNot 2016, 269; OLG Frankfurt a.M. v. 16.12.2013 – 20 W 375/11, NZG 2014, 1239 (zu §§ 35, 50 Abs. 1 Nr. 1 KostO a.F.). 405 Wie hier LG Düsseldorf v. 29.9.2017 – 25 T 112/15, RNotZ 2018, 115 (zur Kapitalerhöhung); Kleinstück in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular F.I.6, Anm. 3; Berger in Dörndorfer/Neie/Wendtland/Gerlach, Kostenrecht, 30. Edition, Stand 1.9.2019, KV 2220 Rz. 36; a.A. Tiedtke in Korintenberg, GNotKG, 21. Aufl. 2020, Nr. 22200 KV Rz. 33. 406 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = NJW 2014, 2026 = GmbHR 2014, 248 = EWiR 2014, 171 m. Anm. Seibt; OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – 3 Wx 236/10, GmbHR 2011, 417, 418 m. Anm. Ulrich/Marniok; OLG München v. 6.2.2013 – 31 Wx 8/13, NZG 2013, 340 = GmbHR 2013, 269; vgl. auch Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 333; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 69; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 40; Breitenstein/Meyding, BB 2006, 1457, 1460; Goetze/Bressler, NZG 2007, 894, 986; Grunewald, ZIP 2006, 685, 688; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 411; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 157; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 396; Jäger, jM 2014, 241, 242. 407 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = NJW 2014, 2026 = GmbHR 2014, 248 = EWiR 2014, 171 m. Anm. Seibt; anders noch die Vorinstanz, OLG München v. 6.2.2013 – 31 Wx 8/13, NZG 2013, 340 = GmbHR 2013, 269; zuvor bereits (wie BGH) OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – 3 Wx 236/10, ZIP 2011, 564, 567 = GmbHR 2011, 417, 420.

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§ 40 Rz. 103 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung als auch auf das Beurkundungsverfahren408 – einer deutschen Beurkundung gleichwertig ist. Die Einreichungskompetenz ergibt sich sodann als Annex zu der Beurkundungskompetenz des Notars409. Zur Begründung hat der BGH auf den eingeschränkten Prüfungsrahmen des Registergerichts verwiesen (s. Rz. 107 ff.). Eine Gleichwertigkeit ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung für Beurkundungen (i) in Österreich410 und (ii) in der Schweiz411 (in concreto in den Kantonen Basel-Stadt, Zürich-Altstadt, Bern, Luzern, Zug) bestätigt, in den USA hingegen verneint worden412. Bei der Einreichung der Gesellschafterliste durch einen ausländischen Notar ist in praktischer Hinsicht darauf zu achten, dass er über die zur elektronischen Einreichung erforderliche, von den Registergerichten verwendete Software (sog. EGVP-System) verfügt413. 104 Die These der nichtalternativen Einreichungszuständigkeit ausländischer Notare steht weder

im Widerstreit zu dem vom Gesetzgeber offensichtlich verfolgten Konzept der sich wechselseitig ausschließenden Gleichordnungszuständigkeit von Geschäftsführer und MitwirkungsNotar (s. Rz. 41) noch verstößt sie gegen die Gesetzesformulierung „anstelle der Geschäftsführer“ in § 40 Abs. 2 Satz 1414. Das Territorialprinzip ist auf ausländische Notare nicht anwendbar; der ausländische Notar ist mithin nicht in eigener, aus dem Territorialprinzip herrührender Kompetenz zur Einreichung der Gesellschafterliste berechtigt, sondern kraft rechtsgeschäftlichen Auftrags415. Bei den Pflichten der Geschäftsführer und des deutschen Mitwirkungsnotars handelt es sich um höchstpersönliche, nicht delegierbare Amtspflichten, deren Verletzung nach § 40 Abs. 3 GmbHG (Geschäftsführer) bzw. § 19 BNotO (Mitwirkungsnotar) durch zwingende Haftungsvorschriften sanktioniert wird, die allerdings einen nur rechtsgeschäftlich beauftragten Dritten (den ausländischen Notar) nicht treffen. Die mögliche, aber nicht zwingende Vereinbarung einer vertraglichen Haftung ist im Hinblick auf die erheblichen Rechtswirkungen der Gesellschafterliste nicht ausreichend. Der mit § 40 Abs. 2 Satz 1 verfolgte Zweck der Alternativzuständigkeit von Geschäftsführer und (deutschem) Notar, nämlich die Sicherstellung der Listeneinreichung zum Handelsregister, ist damit bei der Beauftragung eines ausländischen Notars nicht gewährleistet. Das lässt das Konzept der Primärverpflichtung der Geschäftsführer wieder aufleben (dazu s. Rz. 41), welches um die kumulative Zuständigkeit von Geschäftsführer und Auslandsnotar ergänzt wird.

VII. Handlungspflichten des Handelsregisters 1. Aufnahme in das Handelsregister 105 Die Rechtswirkung der Gesellschafterliste entsteht zeitlich erst und sachlich mit ihrer Auf-

nahme im Handelsregister (vgl. § 16 Abs. 1 und Abs. 3). Das Registergericht hat die Gesellschafterliste im Handelsregister in den für das entsprechende Registerblatt bestimmten, 408 Meichelbeck/Krauß, DStR 2014, 752. 409 Seibt, EWiR 2014, 171, 172; Seebach, DNotZ 2014, 413, 419; Meichelbeck/Krauß, DStR 2014, 752, 754. 410 BayObLG v. 18.10.1977 – BReg. 3 Z 68/76, NZG 1978, 500. 411 Vgl. BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, GmbHR 2014, 248 = NJW 2014, 2026; OLG München v. 19.11.1997 – 7 U 2511/97, NJW-RR 1998, 758 = GmbHR 1998, 46; Meichelbeck/Krauß, DStR 2014, 752, 754 m.w.N. 412 OLG Stuttgart v. 17.5.2000 – 20 U 68/99, DStR 2000, 1704 = GmbHR 2000, 721 m. Anm. Emde. 413 Ebenso Meichelbeck/Krauß, DStR 2014, 752, 755. 414 Anders noch in der 11. Aufl., Rz. 90; kritisch Seebach, DNotZ 2014, 413, 419. 415 OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – 3 Wx 236/10, ZIP 2011, 564, 567 = GmbHR 2011, 417, 420; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20; D. Mayer, DNotZ 2008, 408, 411; Krause, BB 2009, 2501, 2502; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 396; Vossius, DB 2007, 2299, 2304; Kanzleiter in FS Roth, 2011, S. 355, 357; abl. Süß, DNotZ 2011, 414, 422; Herrler, GmbHR 2013, 617, 628 ff.

350 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 107 § 40

elektronisch geführten und online zugänglichen Registerordner (§ 9 Abs. 1 HRV) aufzunehmen416. Werden an einem Tag mehrere Gesellschafterlisten eingereicht, sind diese entsprechend § 9 Abs. 1 Satz 2 HRV chronologisch in der Reihenfolge ihres Eingangs aufzunehmen, sofern der Geschäftsführer bzw. Notar keine anderweitige Reihenfolge vorgibt417. Demgemäß ist für die Begründung der Rechtswirkungen der Gesellschafterliste die Speicherung im Registerordner vorausgesetzt; die bloße Einreichung im Sinne eines Zugangs der Daten in der Handelsregistersphäre ist nicht ausreichend418. Allerdings ist mit der Regierungsbegründung davon auszugehen, dass auch eine Gesellschafterliste im sog. Sonderband der Papierregister (§ 8 Abs. 2 HRV a.F.) als aufgenommen i.S.v. § 16 Abs. 1 gilt419. Für die Aufnahme der Gesellschafterliste im Handelsregister fällt nach § 1 HRegGebV (Anla- 106 ge I Nr. 5002) eine Gebühr an, und zwar unabhängig davon, ob die Geschäftsführer oder der Mitwirkungsnotar die Liste einreicht420.

2. Prüfung durch das Handelsregister Der Gesetzgeber hat die Bedeutung der Gesellschafterliste zunächst durch das MoMiG – und 107 dann nochmals durch die Gesetzesänderung m.W. zum 26.6.2017 – deutlich erhöht, gleichzeitig aber eine private Prüfung und Erstellung der Gesellschafterliste nach Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen statuiert, und zwar in bewusster Ablehnung des Konzepts einer Eintragung der Gesellschafterstellung im Handelsregister mit entsprechender Prüfung durch das Registergericht (s. Rz. 105). Nach der gesetzlichen Konzeption fungiert das Registergericht allerdings nur als „Verwahrstelle“421 für die Gesellschafterliste. Dies spiegelt sich in der MoMiG-Regierungsbegründung wider, in der ausgeführt wird422: „Das Handelsregister ist nicht prüfende Stelle“423. Vielmehr nimmt das Handelsregister die Gesellschafterliste grundsätzlich bloß entgegen und sodann in den Registerordner auf424. Nahezu einhellig wird daher zu Recht angenommen, dass jedenfalls keine Verpflichtung des Registergerichts zur inhaltlichen (d.h. materiellen) Prüfung der Gesellschafterliste besteht425. Nach ebenso nahezu einhelliger Auffassung steht dem Registergericht allerdings (mit unterschiedlicher Nuancierung) ein formelles Prüfungsrecht zu426. Der BGH hat die bisherige obergerichtliche

416 Einzelheiten bei Melchior, NotBZ 2006, 409 ff.; Seibert/Wedemann, GmbHR 2007, 17 ff. 417 OLG Düsseldorf v. 18.3.2019 – 3 Wx 53/18, GmbHR 2019, 667 m. zust. Anm. Wachter; zust. auch Graf Wolffskeel von Reichenberg/Danninger, NZG 2019, 1001, 1003 ff. 418 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 342; Noack, DB 2007, 1395, 1399. 419 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 37; vgl. auch Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 342. 420 OLG München v. 30.6.2010 – 34 Wx 26/10, NZG 2010, 1231; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 342. 421 BT-Drucks. 16/6140, S. 38, 44; Cramer, NZG 2018, 721, 722; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; H. Schmidt, NZG 2021, 181, 183. 422 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1640, S. 44 li. Sp. 423 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1640, S. 38 re. Sp. 424 Vgl. auch Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 345. 425 Z.B. BGH v. 26.6.2018 – II ZB 12/16, NJW 2018, 2794, 2794, Rz. 9 m. Anm. Cziupka = GmbHR 2018, 958 m. Anm. Bayer; BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, NJW 2014, 2026, 2027, Rz. 7 = GmbHR 2014, 248 = BGHZ 199, 270 = EWiR 2014, 171 m. Anm. Seibt; OLG Jena v. 22.3.2010 – 6 W 110/ 10, NZG 2010, 591, 592 = GmbHR 2010, 598; Cramer, NZG 2018, 721, 722; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 68; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 32; Wachter, NZG 2009, 1001, 1002; a.A. Omlor, MittBayNot 2010, 64, 67 f.; Omlor/Spies, MittBayNot 2011, 353, 356 f. (jedenfalls grundsätzlich bei Einreichung durch Geschäftsführer). 426 Vereinzelt wird auch eine korrespondierende Prüfungspflicht in formeller Hinsicht angenommen; z.B. OLG München v. 6.2.2013 – 31 Wx 8/13, NZG 2013, 340, 340 = GmbHR 2013, 269; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 32; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 20.

Seibt | 351

§ 40 Rz. 107 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung Rechtsprechung427 bestätigt, dass das Registergericht prüfen darf, ob die Gesellschafterliste den formalen Anforderungen des § 40 entspricht428. Zum Prüfungsumfang des Registergerichts gehört demnach, ob (i) Veränderungen in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung eingetreten sind429 sowie (ii) die geänderten Eintragungen in der eingereichten Liste von dem Geschäftsführer oder dem Notar stammen, der an den Veränderungen mitgewirkt hat430. Jedoch beschränkt sich im letzteren Fall das Prüfungsrecht darauf, ob es sich bei der einreichenden Person (im konkreten Fall: ausländischer Notar, s. Rz. 103 f.) um eine der nach § 40 zur Einreichung befugten Personen handelt; nur wenn dies offensichtlich nicht der Fall ist, könne das Registergericht die Liste zurückweisen. Diesem formellen Prüfungsrecht unterfällt nach der BGH-Rechtsprechung auch, ob die eingereichte Liste unzulässige Angaben enthält431 und ob die nach § 40 Abs. 1 erforderlichen Angaben vollständig vorgenommen sind432. Zusätzlich ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung Teil der formellen Prüfungskompetenz des Registers die lückenlose Anknüpfung an eine vorangehende Gesellschafterliste433 sowie die neu eingeführten Prozentangaben nach § 40 Abs. 1434. Ein materielles Prüfungsrecht des Registergerichts nimmt die obergerichtliche Rechtsprechung in Form einer Evidenzkontrolle in Fällen offenkundiger Unrichtigkeit435 sowie bei sicherer Kenntnis der Unrichtigkeit der Gesellschafterliste436 an.

427 Z.B. OLG München v. 8.9.2009 – 31 Wx 82/09, NZG 2009, 1192, 1193 = GmbHR 2009, 1211; OLG Jena v. 22.3.2010 – 6 W 110/10, NZG 2010, 591, 592 = GmbHR 2010, 598; s. auch OLG Frankfurt v. 22.11.2010 – 20 W 333/10, GmbHR 2011, 198; OLG Frankfurt v. 17.1.2011 – 20 W 378/10, GmbHR 2011, 823, 826; OLG München v. 27.5.2009 – 31 Wx 38/09, NZG 2009, 797, 797 f. = GmbHR 2009, 825; LG Augsburg v. 28.4.2009 – 2 HK T 902/09, NZG 2009, 1032 m. abl. Anm. Wachter, NZG 2009, 1001; später auch OLG Nürnberg v. 23.11.2017 – 12 W 1866/17, NJW-RR 2018, 104 = GmbHR 2018, 86 m. Anm. Bochmann/Cziupka; OLG Nürnberg v. 28.12.2017 – 12 W 2005/17, NZG 2018, 312, 313, Rz. 26 = GmbHR 2018, 256. 428 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = NJW 2014, 2026, 2027, Rz. 8 ff. = GmbHR 2014, 248 = EWiR 2014, 171 m. Anm. Seibt; ebenso BGH v. 24.2.2015 – II ZB 17/14, NJW 2015, 1303, 1303, Rz. 7 = GmbHR 2015, 526 m. Anm. Bayer; im Grundsatz bereits BGH v. 20.9.2011 – II ZB 17/10, NZG 2011, 1268, 1268, Rz. 10 ff. = GmbHR 2011, 1269. 429 BGH v. 20.9.2011 – II ZB 17/10, NZG 2011, 1268, 1268, Rz. 10 ff. = GmbHR 2011, 1269; s. auch KG v. 13.9.2018 – 22 W 63/18, GmbHR 2019, 1115 (Anteilsübertragung ohne notarielle Beurkundung entgegen § 15 Abs. 3). 430 KG v. 12.6.2018 – 22 W 15/18, GmbHR 2018, 1200 (Unterschrift durch Geschäftsführer, der nicht mehr im Handelsregister eingetragen ist). 431 BGH v. 24.2.2015 – II ZB 17/14, NJW 2015, 1303, 1304, Rz. 8 ff. = GmbHR 2015, 526 m. Anm. Bayer. 432 BGH v. 26.6.2018 – II ZB 12/16, NJW 2018, 2794, 2794, Rz. 9 m. Anm. Cziupka = GmbHR 2015, 526 m. Anm. Bayer. 433 OLG München v. 26.1.2012 – 31 Wx 13/12, NZG 2012, 588, 589 = GmbHR 2012, 399. 434 OLG Nürnberg v. 23.11.2017 – 12 W 1866/17, NJW-RR 2018, 104 = GmbHR 2018, 86 m. Anm. Bochmann/Cziupka (unzulässige Darstellung der Prozentangabe in der Gesellschafterliste); wohl auch OLG München v. 12.10.2017 – 31 Wx 299/17, NJW-Spezial 2017, 752 = NZG 2018, 63 = EWiR 2018, 11 m. Anm. Bochmann/Cziupka (fehlende Angabe der prozentualen Beteiligung in der Gesellschafterliste); abl. Lieder/Cziupka, GmbHR 2018, 231, 233 m.w.N. (keine Auswirkungen auf Legitimationsfunktion). 435 OLG München v. 27.5.2009 – 31 Wx 38/09, NZG 2009, 797, 797 f. = GmbHR 2009, 825; OLG München v. 8.9.2009 – 31 Wx 82/09, NZG 2009, 1192, 1193 = GmbHR 2009, 1211; OLG Jena v. 22.3.2010 – 6 W 110/10, NZG 2010, 591, 592 = GmbHR 2010, 598; OLG Köln v. 19.7.2013 – 2 Wx 170/13, NZG 2013, 1431, 1432 = GmbHR 2014, 28. 436 OLG Frankfurt v. 22.11.2010 – 20 W 333/10, GmbHR 2011, 198; OLG Frankfurt v. 17.1.2011 – 20 W 378/10, GmbHR 2011, 823, 826; OLG Nürnberg v. 23.11.2017 – 12 W 1866/17, NJW-RR 2018, 104 = GmbHR 2018, 86 m. Anm. Bochmann/Cziupka; OLG Nürnberg v. 28.12.2017 – 12 W 2005/ 17, NZG 2018, 312, 313, Rz. 26 = GmbHR 2018, 256.

352 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 109 § 40

Die Literatur hat über die BGH- und Instanzrechtsprechung hinausgehende Konkretisie- 108 rungsbemühungen zum registergerichtlichen Prüfungsrecht angestellt, die zu einem weit gefächerten Meinungsspektrum geführt haben. Im Einzelnen437: (1) Nur vereinzelt wird (noch) ein formelles und vollumfängliches materielles Prüfungsrecht des Registergerichts angenommen438. (2) Die inzwischen überwiegende Literaturmeinung befürwortet ein formelles Prüfungsrecht des Registergerichts und nimmt darüber hinaus nur ein eingeschränktes inhaltliches (also materielles) Prüfungsrecht an; der Umfang des inhaltlichen Prüfungsrechts orientiert sich – mit vergleichbarer Ungewissheit über die exakte Reichweite – an den von der obergerichtlichen Rechtsprechung geschaffenen Fallgruppen und bejaht ein Prüfungsrecht einzelfallabhängig bei offenkundigen Unrichtigkeiten bzw. bei sicherer Kenntnis der Unrichtigkeit der Gesellschafterliste439. (3) Teilweise wird als restriktivere Literaturansicht – im Einzelnen unterschiedlich nuanciert – nur ein formelles Prüfungsrecht des Registergerichts anerkannt und ein materielles Prüfungsrecht zur Gänze abgelehnt440. (4) Vereinzelt wird schließlich die Beschränkung des formellen Prüfungsrechts auf systemrelevante Fehler vertreten, bei denen der Mangel der Gesellschafterliste Auswirkungen auf die Legitimations- (§ 16 Abs. 1 Satz 1) und Gutglaubenswirkung (§ 16 Abs. 3) hat441. Demnach habe das Registergericht lediglich zu prüfen, ob (i) es sich überhaupt um eine Gesellschafterliste i.S.d. § 40 handelt, (ii) eine „Nichtliste“ vorliegt (z.B. in Ermangelung einer Unterschrift) oder (iii) der betreffende Gesellschafter anhand der Angaben in der Liste nicht identifizierbar ist442. Die Rechtsprechung sowie die Konkretisierungsbemühungen der Literatur verharren zur Be- 109 wertung vielfach bei den Begrifflichkeiten eines formellen und materiellen Prüfungsrechts, indem sie die einzelnen Fallkonstellationen diesen Begriffen zuordnen. Allerdings gelingt in den meisten Fällen eben keine trennscharfe Abgrenzung zwischen formellen und materiellen Listenfehlern, vielmehr überlagern sich die Fallkonstellationen formeller und materieller Fehlerhaftigkeit der Gesellschafterliste. In der Entscheidung des BGH zur Einreichungszuständigkeit eines ausländischen Notars beispielsweise ist die Prüfung der Einreichungszuständigkeit selbst Bestandteil des formellen, die Gleichwertigkeit der Beurkundung eines Auslands- mit einem deutschen Notar hingegen Bestandteil des materiellen Prüfungsrechts443. Diese Abgrenzungsschwierigkeiten setzen sich in der Literatur fort, bei der dieselben Fehlergruppen teils formell, teils materiell eingeordnet werden444. Die Differenzierung 437 Überblick bei Cramer, NZG 2018, 721, 722 f.; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 347 f. 438 Omlor, WM 2009, 1205, 1208; Omlor, MittBayNot 2010, 64, 67 (jedenfalls bei Listeneinreichung durch den Geschäftsführer); Omlor/Spies, MittBayNot 2011, 353, 356 f. (außer wenn „nach der Lebenserfahrung mit hoher Wahrscheinlichkeit“ die Wirksamkeit der eingereichten Veränderung wirksam erscheint). 439 S. 11. Aufl., Rz. 94; dafür Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 32; Görner in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 45; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 70; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 13; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 100 ff.; Heilmeier in BeckOK GmbHG, Rz. 181 ff.; Terlau in Michalski u.a., Rz. 41; Wachter, NZG 2009, 1001, 1002 f.; Cramer, NZG 2018, 721, 723; Fischer, GmbHR 2018, 1257, 1258; wohl im Ergebnis auch Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 20 und Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 75, letzterer aber mit Aufzählung einiger Fallbeispiele ohne ausdrückliche Zuordnung zu formeller oder materieller Prüfungskompetenz. 440 Z.B. Hasselmann, NZG 2009, 486, 490; Kort, GmbHR 2009, 169, 171. 441 So (wohl) Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 354 f.; Mayer, MittBayNot 2014, 24, 27; in dieser Richtung Bochmann/Cziupka, GmbHR 2018, 86, 89; vgl. auch Lieder/Cziupka, GmbHR 2018, 231, 233 (zu Prozentangaben). 442 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 354 f. m.w.N.; DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2009, 190, 192. 443 Z.B. kritisch in Bezug auf die Einordnung der Einreichungszuständigkeit als formeller Fehler u.a. Mayer, MittBayNot 2014, 24, 27; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 354. 444 Z.B. zu widersprüchlichen Angaben in der Gesellschafterliste Wachter, NZG 2009, 1001, 1002 f. (materielles Prüfungsrecht) einerseits und Cramer, NZG 2018, 721, 722 f. (formelles Prüfungsrecht) andererseits.

Seibt | 353

§ 40 Rz. 109 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung zwischen formellen und materiellen Listenfehlern ist daher nur in geringem Maße bei der Bestimmung der Reichweite des registergerichtlichen Prüfungsrechts nützlich; vielmehr ist das Prüfungsrecht anhand von Wertungskriterien und typischen Fallkonstellationen zu ergänzen, um eine Einordnung und damit eine Handhabbarkeit des jeweils vom Registergericht entdeckten Listenfehlers zu ermöglichen. Dabei ist zu beachten, dass die Gesellschafterliste seit der Einführung des Transparenzregisters verstärkt im Konflikt widerstreitender Interessen steht, nämlich einerseits (primär) (i) dem Interesse an einer zügigen Aufnahme in den Registerordner wegen der Legitimations- und Gutglaubensfunktion der Gesellschafterliste (§ 16 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3) sowie andererseits (allerdings sekundär) (ii) dem Interesse des Transparenzregisters an einer Richtigkeitsgewähr der in der Gesellschafterliste angegebenen Informationen445. 110 Die registergerichtliche Prüfung hat nach alledem unter Berücksichtigung der folgenden

Grundsätze zu erfolgen: (1) Das Registergericht nimmt keine umfassende (inhaltliche) Prüfung der Richtigkeit der Gesellschafterliste vor; die Prüfungsintensität bliebt insoweit hinter dem Prüfungsrecht von Handelsregisteranmeldungen zurück446. (2) Das Registergericht hat allerdings zu prüfen (insoweit Prüfungspflicht), ob (i) die Gesellschafterliste unterschrieben ist, (ii) bei Notareinreichung eine Notarbescheinigung i.S.v. § 40 Abs. 2 Satz 2 beigefügt ist447 und (iii) die Gesellschafterliste von einer generell gemäß § 40 Abs. 1 und 2 befugten Person (Geschäftsführer oder Notar) eingereicht wurde448; andernfalls handelt es sich um eine „Nichtliste“, deren Aufnahme im Handelsregister abgelehnt werden muss. (3) Das Prüfungsrecht erstreckt sich auf offensichtliche formelle und auch „materielle“ Fehler der Gesellschafterliste (Evidenzfälle)449 und schließt damit eine gewisse Plausibilitätskontrolle ein. Im Einzelnen können hierunter z.B. fallen (i) die gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 äußerlich erkennbaren, formalen Angaben (z.B. keine Nummerierung der Geschäftsanteile, keine Prozentangaben450, (ii) die fehlende Anknüpfung der Gesellschafterliste an die vorangehende Liste451 sowie (iii) offensichtlich unzulässige Angaben in der Gesellschafterliste452. 111 Stößt das Registergericht in der Gesellschafterliste auf Fehler, die ihrem Prüfungsrecht entzo-

gen sind, so ist es – wie es der von einigen Registergerichten gelebten Praxis entspricht – gesetzeskonform und durchaus sinnvoll, ergänzende Hinweise an die Gesellschaft und/oder die Betroffenen zu übersenden, allerdings erst nach der Aufnahme der Gesellschafterliste453.

445 Abw. Lieder/Cziupka, GmbHR 2018, 231, 232 f. (gesellschaftsrechtliche Interessenlage überwiegt gegenüber dem Interesse an der Richtigkeitsgewähr des Transparenzregisters). 446 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 345; Oetker in Henssler/Strohn, § 40 GmbHG Rz. 20 (aufdrängende Zweifel). 447 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 32. 448 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, NJW 2014, 2026, 2027, Rz. 9 = GmbHR 2014, 248 = BGHZ 199, 270; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 68; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44. 449 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 347; Wachter, ZNotP 2008, 376, 386; Mayer, ZIP 2009, 1037, 1039; Schneider, GmbHR 2009, 393, 395. 450 Ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 68; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 32; Heilmeier in BeckOK GmbHG, Rz. 181; a.A. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1039; tendenziell Lieder/Cziupka, GmbHR 2018, 231, 233. 451 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 68; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44. 452 Vgl. Cramer, NZG 2018, 721, 722 f.; vgl. auch OLG München v. 12.10.2017 – 31 Wx 299/17, GmbHR 2018, 35; OLG Nürnberg v. 28.12.2017 – 12 W 2005/17, GmbHR 2018, 256 (evident unzulässige Prozentangabe der Beteiligung am Stammkapital vor Einführung der GesLV). 453 Ebenso Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 356; Terlau in Michalski u.a., Rz. 41; Wachter, ZNotP 2008, 378, 386; a.A. Götze/Bressler, NZG 2007, 894, 896 (am Beispiel sich kreuzender Gesellschafterlisten).

354 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 113 § 40

3. Rechtsschutz Eine die Aufnahme der Gesellschafterliste in das Handelsregister verweigernde Verfügung 112 des Registergerichts ist eine gesetzlich nicht geregelte sonstige gerichtliche Verfügung454. Hiergegen ist die Beschwerde nach §§ 58, 59 bzw. § 382 Abs. 4 FamFG zulässig455. Dem Notar kommt wegen seiner Amtspflichtstellung ein eigenständiges Beschwerderecht zu456. Eine gesetzliche Rechtsgrundlage für die Amtslöschung einer Gesellschafterliste, die in das Handelsregister aufgenommen wurde, besteht nicht, insbesondere sind die §§ 393 ff. FamFG (Amtslöschung von Eintragungen im Handelsregister) nicht anwendbar, da die Aufnahme der Gesellschafterliste keine Handelsregistereintragung ist457. Eine fehlerhafte Gesellschafterliste lässt sich nur mit Wirkung pro futuro durch Aufnahme einer neuen, geänderten Gesellschafterliste korrigieren; hierfür sind die Geschäftsführer zuständig (s. Rz. 45 ff.).

VIII. Verordnungsermächtigungen (§ 40 Abs. 4, 5) Mit dem „Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der 113 EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen“ vom 23.6.2016 hat der Gesetzgeber in § 40 zwei Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass von Rechtsverordnungen geschaffen. Zum einen wird gemäß § 40 Abs. 4 das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ermächtigt, durch Rechtsverordnung nähere Bestimmungen über die Ausgestaltung der Gesellschafterliste zu treffen. Auf dieser Grundlage ist mit Wirkung zum 1.7.2018 die „Verordnung über die Ausgestaltung der Gesellschafterliste (Gesellschafterlistenverordnung – GesLV)“ in Kraft getreten458. Zum anderen können die Landesregierungen gemäß § 40 Abs. 5 durch Rechtsverordnung bestimmen, dass bestimmte in der Gesellschafterliste enthaltene Angaben in strukturierter maschinenlesbarer Form an das Handelsregister zu übermitteln sind. Mit den Verordnungsermächtigungen verfolgt der Gesetzgeber zwei unterschiedliche Ziele, nämlich (i) die inhaltliche und strukturelle Vereinheitlichung der Gesellschafterlisten durch § 40 Abs. 4 sowie (ii) eine verbesserte elektronische Aufbereitung und Handhabbarkeit der Liste durch § 40 Abs. 5459.

454 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359; Wachter, NZG 2009, 1001, 1003; abw. (Zwischenverfügung) LG Augsburg v. 28.4.2009 – 2 HK T 902/09, NZG 2009, 1032; LG Gera v. 18.6.2009 – 2 HK T 16/09, NotBZ 2009, 332; Krafka, NZG 2019, 9, 11. 455 Vgl. OLG Hamm v. 1.12.2009 – 15 W 304/09, GmbHR 2010, 205; OLG München v. 27.5.2009 – 31 Wx 38/09, ZIP 2009, 1421 = GmbHR 2009, 825; OLG München v. 8.9.2009 – 31 Wx 82/09, NZG 2009, 1192 = GmbHR 2009, 1211; OLG Jena v. 22.3.2010 – 6 W 110/10, NZG 2010, 591 = GmbHR 2010, 598; Krafka/Kühn, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1105; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359; Schulte, GmbHR 2010, 1128, 1129; zur Erledigung im Beschwerdeverfahren durch Aufnahme einer jüngeren Liste gleichen Inhalts KG v. 13.3.2020 – 22 W 53/19, GmbHR 2020, 776 m. Anm. Wachter. 456 BGH v. 1.3.2011 – II ZB 6/10, GmbHR 2011, 474 m. Anm. Heidinger; OLG Frankfurt v. 22.11.2010 – 20 W 333/10, GmbHR 2011, 198 m. abl. Anm. Biebinger; OLG Thüringen v. 22.3.2010 – 6 W 110/10, NZG 2010, 591 = GmbHR 2010, 598; OLG Thüringen v. 28.7.2010 – 6 W 256/10, DB 2010, 2044 = GmbHR 2010, 1038; OLG Hamburg v. 12.7.2010 – 11 W 51/10, NZG 2010, 1157 = GmbHR 2011, 32; OLG Bamberg v. 2.2.2010 – 6 W 40/09, GmbHR 2010, 594; a.A. OLG Köln v. 7.5.2010 – 2 Wx 20/10, FGPrax 2010, 202 = GmbHR 2011, 141; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359. 457 KG v. 5.7.2016 – 22 W 114/15, NJW-RR 2016, 1320 = GmbH-Stpr 2017, 127; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungsund Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 495a; Wicke, Rz. 6a. 458 BGBl. I 2018, 870. 459 BT-Drucks. 18/11555, S. 174.

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§ 40 Rz. 114 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung

1. Zweck der Verordnungsermächtigung und der GesLV 114 Die in § 40 Abs. 4 geschaffene Ermächtigung und die auf dieser Grundlage erlassene GesLV

dienen insbesondere der schnellen und effektiven Identifikation der Gesellschafter sowie der Sicherstellung transparenter Gesellschafterverhältnisse460. Der Gesetzgeber möchte mit der GesLV einer heterogenen Praxis im Sinne einer Best Practice vorbeugen und die Handhabung verschiedener Konstellationen der Zuordnungsfragen von Gesellschaftsanteilen verbindlich festschreiben. Eine Rechtsverordnung hält der Gesetzgeber für erforderlich, weil trotz einer zum Teil gefestigten (Register-)Praxis zahlreiche Fragen zur Struktur und zum Aufbau der Gesellschafterliste streitig seien; exemplarisch betreffe das die Zuordnung der laufenden Nummern zu den einzelnen Gesellschaftsanteilen, vor allem bei der Teilung von Anteilen, ihrer Übertragung oder nach Kapitalmaßnahmen, sowie die konkrete Ausgestaltung der Veränderungsspalte. Es habe sich teilweise eine heterogene Praxis herausgebildet, die per se den Zielen der einfachen Identifikation der Gesellschafter und der Sicherstellung transparenter Gesellschafterverhältnisse zuwiderliefe. An diese gesetzgeberische Zielsetzung knüpft der Verordnungsgeber an und gibt darüber hinaus als weiteres Ziel aus, mit der GesLV die GmbH-Gesellschafterlisten in inhaltlicher und struktureller Hinsicht bei zeitgleicher Gewährleistung ausreichender listengestalterischer Flexibilität zu vereinheitlichen und zugleich unnötigen bürokratischen Aufwand zu vermeiden461. Die Verordnung strebt eine „behutsame“ Harmonisierung der Gesellschafterlisten an, ohne eine zwingende Einheitlichkeit herzustellen462. Aus diesem Grund hat der Verordnungsgeber zugleich auch freiwillig zu beachtende Empfehlungen und Ratschläge aufgenommen, die durch Begriffe wie „sollen“, „dürfen“, „können“ gekennzeichnet sind.

2. Inhalt der GesLV 115 Der Regelungsinhalt der GesLV lässt sich auf drei Themenkomplexe verdichten: (1) Die bis-

her im Wesentlichen anerkannten und im Wege einer Best Practice auch umgesetzten Grundsätze zur Nummerierung von Geschäftsanteilen sind in § 1 GesLV aufgenommen worden. Danach sind die Geschäftsanteile fortlaufend und in eindeutiger Zuordnung zu den Gesellschaftern mit ganzen arabischen Zahlen oder aber mit Abschnittszahlen zu nummerieren (§ 1 Abs. 1 Satz 1 GesLV). Neu ist der Grundsatz der Nummerierungskontinuität, wonach eine für einen Geschäftsanteil einmal vergebene Nummer nicht für einen anderen Geschäftsanteil verwendet werden darf, sowie die Möglichkeit zur Neunummerierung in einer Bereinigungsliste (§ 1 Abs. 4 GesLV), wenn die Gesellschafterliste aufgrund der bisherigen Nummerierung unübersichtlich würde oder geworden ist (s. Rz. 27). (2) Die bisherige Best Practice zur Veränderungsspalte hat der Verordnungsgeber in § 2 Abs. 1 GesLV kodifiziert. Für Veränderungen nach § 40 Abs. 1 ist die Veränderungsspalte zwingend der Gesellschafterliste beizufügen (s. Rz. 34 ff.). Bei Altangaben fällt infolge einer Veränderung, die zur Vergabe einer neuen Nummer führt, die bisherige Nummer und die weiteren Angaben, die in der Gesellschafterliste in Verbindung mit der bisherigen Nummer eingetragen waren, weg (§ 3 GesLV). (3) Für die Praxis von besonderer Bedeutung sind die Klarstellungen in § 4 GesLV zur Angabe der prozentualen Beteiligung von Gesellschaftern gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1, 3 (s. Rz. 31 ff.). Ausdrücklich zulässig ist nunmehr das Runden von Prozentangaben auf bis zu eine Dezimalstelle sowie die Möglichkeit zur vereinfachten Darstellung von Splitterbeteiligungen durch eine „Erheblichkeitsschwelle“463.

460 461 462 463

BT-Drucks. 18/11555, S. 174; vgl. auch Frank/Schaub, DStR 2018, 1822, 1823. BR-Drucks. 105/18, S. 11. BR-Drucks. 105/18, S. 4. Cziupka, GmbHR 2018, R180, R183.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 117 § 40

3. Kritik Sowohl die Verordnungsermächtigung in § 40 Abs. 4 als auch die GesLV waren im Entwurfs- 116 stadium im Wesentlichen drei Kritikpunkten ausgesetzt: (1) Die Verordnungsermächtigung sei weder sinnvoll noch erforderlich, da die Vorgaben des § 40 Abs. 1 bereits einen hohen Detaillierungsgrad aufwiesen und sich in der Praxis bereits hinreichend einheitliche und klare Standards herausgebildet hätten464. (2) Das Gesellschaftsrecht zeichne sich dadurch aus, dass die konkreten, normativen Anforderungen an eine Rechtsform gesetzlich klar definiert sind; diese Normklarheit werde durch eine Verordnungsermächtigung ohne sachliche Notwendigkeit aufgegeben, eine Konkretisierung solle vielmehr unmittelbar in § 40 erfolgen465. (3) Die GesLV sei im Bereich der (bundesweiten) Digitalisierung der Registergerichte (z.B. durch Einsetzung einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe), nicht in Vorleistung getreten; so hätten die für die Verordnungen der Landesregierungen gemäß § 40 Abs. 5 notwendigen IT-Parameter festgelegt werden können466. Diese Kritik ist ungerechtfertigt: Die mit der GesLV getroffenen Regelungen sind im Grundsatz gelungen, da sie die bisherige Best Practice vereinheitlichen und dafür einen rechtsverbindlichen Rahmen für die inhaltliche Ausgestaltung der Gesellschafterliste festlegen sowie zahlreiche sinnvolle, praxisorientierte Neuregelungen zur Gestaltung der Gesellschafterliste beinhalten. Dem Listenersteller wird mit der GesLV ein Handwerkszeug gereicht, mit dem zahlreiche, bisher bestehende Probleme gelöst werden können467. Zudem hat der Verordnungsgeber – entsprechend den Vorschlägen aus der Praxis468 – durch die Differenzierung zwischen (i) inhaltlich zwingenden Vorschriften, (ii) Empfehlungen und (iii) einer Öffnungsklausel bei der Veränderungssperre genügend Raum für sinnvolle, praxisnahe Präzisierungen gelassen.

4. Ermächtigung der Landesregierungen (§ 40 Abs. 5) Die Landesregierungen werden gemäß § 40 Abs. 5 ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu 117 bestimmen, dass bestimmte in der Liste der Gesellschafter enthaltene Angaben in strukturierter maschinenlesbarer Form an das Handelsregister zu übermitteln sind. Der Gesetzgeber hat die Subsidiarität dieser Verordnungen zu den auf Grundlage von § 387 Abs. 2 FamFG erlassenen ausdrücklich festgeschrieben. Das betrifft insbesondere die Handelsregisterverordnung vom 12.8.1937, die ihrerseits in §§ 23 ff. die Verfahrensweise des Handelsregisters, insbesondere die Anmeldung, Eintragung und Bekanntmachung von Angaben konkretisiert. Hintergrund der Verordnungsermächtigung in § 40 Abs. 5 ist die Effizienzsteigerung, Ressourcenschonung und Modernisierung der Abläufe beim Registergericht. Die Gesellschafterliste ist gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 HGB elektronisch beim Handelsregister einzureichen, allerdings war bislang nicht vorgesehen, dass dem Registergericht darüber hinaus auch Strukturdaten (zumeist als XML-Daten) geliefert werden, die in einem aufwendigen Verfahren eingescannt und hochgeladen werden müssen469. Der Gesetzgeber weist darauf hin, dass die Gesellschafterliste aufgrund des Transparenzregisters auf nutzerfreundliche Weise mit bereits bestehenden Angaben über wirtschaftlich Berechtigte elektronisch bzw. digital verbun-

464 Stellungnahme des Bundesrates zum RefE, BT-Drucks. 18/11928, S. 18 f.; Wicke, BB 2017, 2528, 2533; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 14. 465 Stellungnahme des Bundesrates zum RefE, BT-Drucks. 18/11928, S. 19. 466 Stellungnahme des Deutschen Notarvereins vom 3.5.2018 (abrufbar unter: https://www.dnotv.de/ wp-content/uploads/StN-DNotV-zur-GesLV_final.pdf); Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 328. 467 Ebenso Lieder/Becker, NotBZ 2018, 321, 328. 468 Wicke, BB 2017, 2528, 2533. 469 BT-Drucks. 18/11555, S. 174 f.

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§ 40 Rz. 117 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung den werden soll, so dass es auch zu einer „Verlinkung“ auf die Gesellschafterliste kommen kann470. Von der Ermächtigung haben die Landesregierungen bislang keinen Gebrauch gemacht.

IX. Haftung 1. Haftung des Geschäftsführers a) Pflichtverletzung und Verschulden 118 Nach § 40 Abs. 3 haften die „Geschäftsführer, welche die ihnen nach Abs. 1 obliegende

Pflicht verletzen, […] als Gesamtschuldner“. Haftungstatbestände sind demnach (d.h. nach dem Verweis auf Abs. 1) (i) die Nicht-Einreichung einer an sich geforderten Gesellschafterliste, (ii) die verspätete Einrichtung einer Gesellschafterliste und (iii) die Einreichung einer sachlich unrichtigen Gesellschafterliste471. Die Haftung nach § 40 Abs. 3 setzt Verschulden voraus472. Dies liegt dann vor, wenn der Geschäftsführer (i) von der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen (Fälle der Nicht-Einreichung oder verspäteten Einreichung) oder (ii) von der materiellen Unrichtigkeit der von ihm eingereichten Gesellschafterliste (Fälle der Einreichung einer inhaltlich unrichtigen Gesellschafterliste) Kenntnis hat oder bei Anwendung gebührender Sorgfalt haben musste; Mithin fehlt das Verschulden, wenn dem Geschäftsführer die Veränderung nicht ordnungsgemäß mitgeteilt oder nachgewiesen wurde473. Allerdings dürfen die Geschäftsführer im Grundsatz auf die Eintragung in der Vorgängerliste, insb. auf die Berechtigung der in der Vorgängerliste eingetragenen Gesellschafter, vertrauen474. Ein Geschäftsführer handelt demgegenüber schuldhaft, wenn er z.B. einen Scheinerben ohne Vorlage eines Erbscheins oder einer notariellen Verfügung von Todes wegen mit Eröffnungsniederschrift in die Gesellschafterliste einträgt475. 119 Für Schadensersatzansprüche nach § 40 Abs. 3 sind nicht nur die Gläubiger der Gesell-

schaft anspruchsberechtigt, sondern auch die Personen, die entweder zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung Gesellschafter sind oder dies zuvor waren, und im Hinblick auf die eine Veränderung eingetreten ist, die den Gegenstand der fraglichen Gesellschafterliste bildet476. Für alle sonstigen Gesellschafter scheidet eine Haftung nach § 40 Abs. 3 aus, und dies entspricht auch dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Direkthaftung der Geschäftsführer wegen Verletzung ihrer Organpflichten gegenüber den Gesellschaftern nicht besteht477. 470 BT-Drucks. 18/11555, S. 174 f. 471 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 234; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 107; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 42; Wicke, Rz. 20; Wicke in MünchHdb.III, § 24a Rz. 37; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 414; Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.49; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393; verkürzend allerdings Begr. RegE, BT-Drucks. 16/ 1640, S. 43 f. (Haftung bei falscher Ausfertigung der Gesellschafterliste). 472 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1640, S. 43 f.; vgl. auch Seibt in Seibt, Beck’sches Formularbuch Mergers & Acquisitions, 3. Aufl. 2018, Formular C.II.5, Anm. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 236; Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 511; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 43; Kort, GmbHR 2009, 393, 396; Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 394. 473 Heidinger in Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018, Kap. 13 Rz. 511. 474 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 237; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 794. 475 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1640, S. 93; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 238; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 794. 476 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/1640, S. 43 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 239 f.; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 47; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 794. 477 Uwe H. Schneider, GmbHR 2009, 393, 394.

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Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 122 § 40

Ebenso wenig sind von § 40 Abs. 3 die Personen geschützt, die zwar niemals Gesellschafter waren, aber im Vertrauen auf die Richtigkeit der Gesellschafterliste davon ausgegangen sind, einen Geschäftsanteil an der Gesellschaft erworben zu haben (z.B. Scheitern eines gutgläubigen Erwerbs nach § 16 Abs. 3 mangels Ablaufs der 3-Jahres-Frist)478. Schließlich werden von § 40 Abs. 3 auch nicht die Fälle erfasst, bei denen eine zu Unrecht in der Gesellschafterliste eingetragene Person, die materiell-rechtlich niemals Gesellschafter war, dadurch Schaden erleidet, dass gegen sie (i) unter Verweis auf § 16 Abs. 1 Ansprüche auf Einlageleistung (§ 16 Abs. 2, § 24 Abs. 3), (ii) auf Erstattung verbotener Rückzahlungen nach § 31 oder (iii) auf Schadensersatz wegen existenzvernichtenden Eingriffs nach § 826 BGB erhoben werden479. b) Schaden Zu den nach § 40 Abs. 3 ersatzfähigen Schäden von Gesellschaftsgläubigern gehören z.B. 120 solche, die dadurch entstehen, (i) dass dieser zunächst die in der Gesellschafterliste materiellrechtlich zu Unrecht eingetragene Person erfolglos als Gesellschafter in Anspruch nimmt, (ii) dass dieser den nicht in der Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafter mit Kostenaufwand ermitteln muss oder (iii) dass die Durchsetzung von Ansprüchen gegen den in der Gesellschafterliste nicht eingetragenen Gesellschafter wegen Zeitablaufs an dessen Vermögenslosigkeit oder an einer Anspruchsverjährung scheitert480. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschafter nach der BGH-Rechtsprechung auf Fälle der Deliktshaftung und der Haftung wegen Vermögensvermischung beschränkt sind; die Haftung des Gesellschafters aus existenzvernichtenden Eingriff nach § 826 BGB ist nun als Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft konzipiert. Für solche Ansprüche aus Innenhaftung, die ein Gesellschaftsgläubiger gegen einen Gesellschafter als Drittschuldner nach Pfändung von Ansprüchen der Gesellschaft geltend machen kann, kommt dem Gläubiger nun die Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 zugute481. Zu den nach § 40 Abs. 3 ersatzfähigen Schäden von in der Gesellschafterliste nicht eingetra- 121 genen Gesellschaftern gehören z.B. solche, die dadurch entstehen, (i) dass dieser Geschäftsanteile an einen Dritten durch gutgläubigen Erwerb nach § 16 Abs. 3 verliert oder (ii) dass eine zu Unrecht in die Gesellschafterliste eingetragene Person Vermögensrechte (Gewinnrecht, Bezugsrecht, Recht auf den Liquidationserlös) oder Verwaltungsrechte (Stimmrechte, Anfechtungsrecht) zum Nachteil des materiell-rechtlichen Gesellschafters tatsächlich ausübt482. Von § 40 Abs. 3 werden auch solche Schäden erfasst, die ein zu Unrecht noch eingetragener, ehemaliger Gesellschafter dadurch erleidet, dass gegen ihn (i) unter Verweis auf § 16 Abs. 1 Ansprüche auf Einlageleistung (§ 16 Abs. 2, § 24 Abs. 3), (ii) auf Erstattung verbotener Rückzahlungen nach § 31 oder (iii) auf Schadensersatz wegen existenzvernichtenden Eingriffs nach § 826 BGB erhoben werden483. Den auf Schadensersatz klagenden Gläubigern bzw. (ehemaligen) Gesellschaftern kommt 122 nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG analog (in Verbindung mit § 43 Abs. 2) eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast sowohl im Hinblick auf die Pflichtwidrigkeit des Geschäftsführer-

478 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 242. 479 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 243; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 107. 480 Vgl. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 245; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 107; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 47; Gustavus, GmbHR 1998, 18, 19. – Dies entspricht alles der Rechtslage zu § 40 a.F., s. Uwe H. Schneider, 10. Aufl., § 40 Rz. 27. 481 Zutr. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 245. 482 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 246; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 414; a.A. Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 47. 483 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 107.

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§ 40 Rz. 122 | Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung handelns als auch für dessen Verschulden zugute484. Nach allgemeinen Grundsätzen (§ 43 Abs. 2) muss sich der Geschäftsführer indes erst dann entlasten, wenn vom Kläger die Möglichkeit dargetan wird, dass er seiner Bestellungs- und Einreichungspflicht zumindest fahrlässig nicht nachgekommen ist485. c) Kausalität 123 Die Haftung nach § 40 Abs. 3 setzt Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem tat-

sächlich entstandenen Schaden voraus486. Für den Fall des Anteilsverlusts wegen gutgläubigen Erwerbs durch einen Dritten bedeutet dies: Eine ausreichende Kausalitätsbeziehung liegt vor, wenn es sich bei der von dem in Anspruch genommenen Geschäftsführer eingereichten Gesellschafterliste zum Zeitpunkt des gutgläubigen Erwerbs um die letzte im Handelsregister eingereichte Liste handelte; eine tatsächliche Einsichtnahme in die Gesellschafterliste durch den gutgläubig erwerbenden Dritten ist nicht erforderlich487.

2. Haftung des Notars 124 § 40 Abs. 3 findet auf Notare keine Anwendung. Notare können allerdings nach § 19 BNotO

haften, wenn diese (i) die Gesellschafterliste nicht oder (ii) verspätet oder (iii) mit fehlerhaftem Inhalt einreichen oder (iv) die Abschrift der Gesellschafterliste nicht oder verspätet an die Gesellschaft übermitteln oder (v) ihre (beschränkten) Überwachungspflichten nach Einreichung verletzen488. Im Rahmen des § 19 BNotO kommt eine Haftung sowohl gegenüber Gesellschaftsgläubigern als auch gegenüber denjenigen in Betracht, deren Beteiligung sich geändert hat489. 125 Der Notar kann seine Amtshaftung für die Unrichtigkeit der eingereichten Gesellschafterliste

nach § 19 BNotO insoweit ausschließen, (i) als er den Beteiligten seiner Mitwirkungshandlung durch einen Vorbescheid ankündigt, dass er die Einreichung einer bestimmten Gesellschafterliste beabsichtigt, und (ii) die Bescheidempfänger keine Beschwerde nach § 15 Abs. 2 BNotO einlegen490.

X. Übergangsfälle 126 Der MoMiG-Gesetzgeber hat weder für die Pflichten der Geschäftsführer noch für dieje-

nigen der Notare eine ausdrückliche Übergangsregel vorgesehen, insbesondere nicht für die Frage der Berichtigung von unrichtigen Gesellschafterlisten, die vor MoMiG-Inkrafttreten am 1.11.2008 eingereicht wurden. Die Übergangsregelung in § 3 Abs. 3 EGGmbHG be484 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 249; abw. (Umkehr der Darlehens- und Beweislast nur für das Verschulden) Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 107; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 47. 485 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 249. 486 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 248; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 107; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 42. 487 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 248; a.A. Altmeppen in: Roth/Altmeppen, Rz. 47. 488 Vgl. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 250; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 415; Servatius in Baumbach/Hueck, Rz. 72; Wicke, Rz. 21; Wicke in MünchHdb. III, § 24a Rz. 38; Terlau in Michalski u.a., Rz. 45; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 50; Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.62; Vossius, DB 2007, 2299, 2304. 489 Terlau in Michalski u.a., Rz. 45. 490 OLG Düsseldorf v. 27.2.1986 – 18 U 174/85, DNotZ 1987, 562; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 251; Link, RNotZ 2009, 193, 201; Tebben, RNotZ 2008, 441, 453.

360 | Seibt

Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung | Rz. 130 § 40

zieht sich nur auf den gutgläubigen Anteilserwerb aufgrund von Eintragungen in der Gesellschafterliste nach § 16 Abs. 3, nicht aber auf die Erstellung der Gesellschafterliste als solcher491. Es ist zwischen den Pflichten der Geschäftsführer und derjenigen der Notare zu unterscheiden: Die Geschäftsführer unterlagen bereits vor MoMiG-Inkrafttreten einer Verpflichtung zur 127 Erstellung und Einreichung von Gesellschafterlisten, so dass sich insoweit keine Übergangsfragen stellen. Ihnen kommt die Zuständigkeit für die Berichtigung von unrichtigen Gesellschafterlisten zu, die vor dem MoMiG-Inkrafttreten beim Handelsregister eingereicht wurden492; es ist dabei unbeachtlich, ob die Geschäftsführer bereits bei der Veränderung in den Gesellschafterverhältnissen schon Organpersonen waren. Dies gilt auch dann, wenn die vor MoMiG-Inkrafttreten eingetretene Veränderung auf einer notariell beurkundeten Anteilsübertragung beruht und eine geänderte Gesellschafterliste im Rahmen einer Beschwerdeschrift des Notars dem Handelsregister zugegangen ist493. Die Berichtigung einer vor MoMiG-Inkrafttreten eingereichten Gesellschafterliste nach dem 1.11.2008 muss die MoMiGRechtslage (z.B. § 5 Abs. 3 Satz 3) nicht beachten, wenn die Veränderung vor dem 1.11.2008 eingetreten ist und keine spezielle, abweichende Übergangsvorschrift für die materielle Norm besteht494. Da für Notare vor dem MoMiG-Inkrafttreten keine Pflicht zur Einreichung von Gesellschaf- 128 terlisten bestand, findet der Normbefehl nach § 40 Abs. 2 nur im Hinblick auf solche notariellen Mitwirkungshandlungen Anwendung, die nach MoMiG-Inkrafttreten (d.h. ab dem 1.11.2008) erfolgt sind495. Eine solche notarielle Mitwirkungshandlung kann sich auch auf eine vor dem MoMiG-Inkrafttreten erfolgte notarielle beurkundete Anteilsabtretung beziehen, nämlich wenn eine in dem Abtretungsvertrag enthaltene aufschiebende Bedingung erst nach dem 30.10.2008 eintritt und auch die Mitwirkungshandlung des Notars erst hiernach erfolgt. In diesem Fall hat der Notar nach allgemeinen Grundsätzen die Altliste durch Erstellung und Einreichung einer geänderten Gesellschafterliste zu berichtigen496. Die Verpflichtung zur Erteilung einer Notarbescheinigung nach § 40 Abs. 2 Satz 2 ist auch 129 dann gefordert, wenn die zuletzt beim Handelsregister eingereichte Vorgängerliste vor dem MoMiG-Inkrafttreten in Handelsregister aufgenommen wurde497. Vor dem MoMiG-Inkrafttreten im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterlisten bedürfen im Hinblick auf die jetzt erforderliche Nummerierung der Geschäftsanteile erst dann einer Anpassung an § 40 n.F., wenn die Aktualisierung der Gesellschafterliste aus anderen Gründen erforderlich wird; die fehlende Nummerierung begründet für sich alleine keine Berichtigungspflicht498. Zur Anwendbarkeit des § 40 in seiner ab dem 26.6.2017 geltenden Fassung auf „Altgesellschaf- 130 ten“ sowie zur Übergangsvorschrift des § 5 GesLV s. die Kommentierung zu 12. Aufl., § 8 EGGmbHG.

491 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 253. 492 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 253; Berninger, GmbHR 2009, 679, 682 f.; Hasselmann, NZG 2009, 409, 411. 493 KG v. 23.2.2012 – 25 W 97/11, GmbHR 2012, 686, 687. 494 OLG München v. 30.1.2012 – 31 Wx 483/11, GmbHR 2012, 398, 399. 495 Terlau in Michalski u.a., Rz. 46; Wachter, ZNotP 2008, 378, 392; DNotI-Gutachten v. 5.2.2009 Nr. 91184; DNotI-Gutachten v. 5.1.2009, Nr. 90388. 496 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 261; Berninger, GmbHR 2009, 679, 683 f. 497 OLG München v. 27.5.2009 – 31 Wx 38/09, DB 2009, 1395 = GmbHR 2009, 825; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 263. 498 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 262; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12; Wicke, Rz. 5a; Wicke, NotBZ 2009, 1, 17; Reichert/Weller in Goette/Habersack, MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 3.30; Berninger, GmbHR 2009, 679, 683; Greitemann/Bergjan in FS Pöllath + Partner, 2008, S. 271, 282; Link, RNotZ 2009, 193, 209.

Seibt | 361

§ 41 Buchführung Die Geschäftsführer sind verpflichtet, für die ordnungsmäßige Buchführung der Gesellschaft zu sorgen. Gesetzestext i.d.F. des Bilanzrichtlinien-Gesetzes (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, 2355), amtliche Überschrift eingefügt durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. Normzweck, Anwendungsbereich und Entstehungsgeschichte 1. Normzweck und systematische Stellung . 1 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . 9 II. Die Sorgepflicht der Geschäftsführer 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2. Pflichtenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

3. Pflichteninhalt und -erfüllung . . . . . . . . . 4. Zeitliche Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsfolgen von Verstößen a) Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zivilrechtliche Sanktionierung . . . . . . c) Sonstige Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . .

15 19

21 23 30

Literatur: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Teilband 4, 6. Aufl. 1997, Teilband 6, 6. Aufl. 1998; Biener/Berneke, Bilanzrichtlinien-Gesetz, 1986; Eschenfelder, Accounting Compliance – Haftungsrisiken und Organisationsanforderungen bei der Rechnungslegung in Kapitalgesellschaften, BB 2014, 685; Fehrenbacher, Registerpublizität und Haftung im Zivilrecht, 2004; Fleischer, Buchführungsverantwortung des Vorstands und Haftung der Vorstandsmitglieder für fehlerhafte Buchführung, WM 2006, 2021; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006; Haas, Der Entwurf des „MoMiG“ und weitergehende Vorschläge zur Bekämpfung des Missbrauchs der GmbH, GmbHR 2006, 729; Hartmann, Das neue Bilanzrecht und der Gesellschaftsvertrag der GmbH, 1986; Hennrichs, Haftung für falsche Ad-hoc-Mitteilungen und Bilanzen, in FS Kollhosser, Bd. II, 2004, S. 201; Kuhner, Die Business Judgement Rule im Bilanzrecht, Der Konzern 2017, 360; Merkt, Bilanzierungsentscheidungen und unternehmerisches Ermessen, Der Konzern 2017, 353; Merkt, Unternehmenspublizität, 2001; W. Müller, Der Jahresabschluß im Spannungsfeld zwischen öffentlichem Recht und Gesellschaftsrecht, in FS Moxter, 1994, S. 75; Schnorr, Geschäftsleiteraußenhaftung für fehlerhafte Buchführung, ZHR 170 (2006), 9; Schulze-Osterloh, Rechtsgrundlagen des Jahresund des Konzernabschlusses, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/Wüstemann (Hrsg.), Handbuch des Jahresabschlusses, Abteilung I/Beitrag 1, 2016; Stapelfeld, Außenhaftung des Geschäftsführers bei Verletzung der Buchführungspflicht, GmbHR 1991, 94.

I. Normzweck, Anwendungsbereich und Entstehungsgeschichte 1. Normzweck und systematische Stellung 1 Der Zweck des § 41 besteht darin, den Geschäftsführern die Verantwortung für die Erfül-

lung derjenigen handelsrechtlichen Pflichten zuzuweisen, die die Gesellschaft im Bereich der Rechnungslegung zu erfüllen hat1. Das hat folgenden Hintergrund: Die GmbH ist aufgrund ihrer Eigenschaft als Handelsgesellschaft (§ 13 Abs. 3) Formkaufmann i.S.v. § 6 Abs. 1 HGB und daher nach Maßgabe der §§ 238 ff., 242 ff. HGB verpflichtet, Bücher zu führen und Jahresabschlüsse aufzustellen, ohne dass es auf Gegenstand und Umfang ihres Geschäftsbetriebs ankommt2. Hinzu treten die in den §§ 264 ff. HGB geregelten rechtsformbezogenen 1 Adler/Düring/Schmaltz, § 41 GmbHG Rz. 1; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 1; Tiedchen in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 1 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5. 2 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 9.

362 | Meyer

Buchführung | Rz. 3 § 41

Besonderheiten und Anforderungen (dazu Rz. 6). Diese Pflichten treffen die Gesellschaft kraft zwingenden öffentlichen Rechts (Rz. 10). Aus den §§ 238 ff. HGB ergibt sich jedoch nicht unmittelbar, wer gesellschaftsintern für ihre Erfüllung verantwortlich ist3. § 41 bestimmt, dass die Geschäftsführer verpflichtet sind, für die ordnungsmäßige Buchführung (zu ihrer Reichweite Rz. 5 ff.) zu sorgen, begründet also eine entsprechende Organzuständigkeit. Auf die Charakteristika dieser Sorgepflicht wird in Rz. 15 ff. eingegangen. Demgegenüber enthält das Gesetz keine subsidiäre Zuständigkeit der Gesellschafter für den Fall der Führungslosigkeit, was aus rechtspolitischer Perspektive zweifelhaft erscheint4. Die vorstehend in Bezug genommenen Vorgaben des Handelsrechts gelten auch für die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), auf die § 41 daher ebenfalls Anwendung findet5. Das GmbH-Gesetz enthält keine geschlossene Regelung über die Rechnungslegung der Ge- 2 sellschaft. Es finden sich in den §§ 41–42a lediglich drei Normen, die die Vorgaben des HGB punktuell ergänzen und daher in Zusammenschau mit den zugehörigen handelsrechtlichen Regelungszusammenhängen zu entfalten sind6. Mithin ist die Kernregelung im HGB enthalten, und zwar nicht nur für die Rechnungslegung im Allgemeinen (§§ 238 ff. HGB), sondern auch im Hinblick auf die Rechtslage bei den Kapitalgesellschaften im Besonderen (§§ 264 ff. HGB). Da die Verpflichtung der Gesellschaft zur handelsrechtlichen Rechnungslegung bereits unmittelbar aus dem HGB folgt, bilden die Zwecke dieser Rechnungslegung (Gläubigerschutz, Selbstkontrolle, Dokumentation)7 nicht das genuine Normziel des § 41, sondern liegen der Vorschrift vielmehr zugrunde. Der eigentliche Regelungsgehalt des § 41 – und zugleich sein Normzweck (Rz. 1) – besteht darin, eine Sorgepflicht der Geschäftsführer zu begründen und so die Erfüllung der Pflichten der Gesellschaft sicherzustellen. Die vorliegende Kommentierung hat nicht zum Ziel, die Rechnungslegung der Kapitalgesellschaften in Gänze zu entfalten, sondern fokussiert sich auf die GmbH-rechtlichen Vorschriften.

2. Anwendungsbereich Der vorstehende Befund nötigt in Zusammenschau mit der gesetzlichen Bezugnahme auf 3 „die ordnungsmäßige Buchführung“ (Rz. 5) zu folgenden Abschichtungen: § 41 befasst sich ausschließlich mit der handelsrechtlichen Rechnungslegung und ist daher, ebenso wie die im HGB enthaltene Kernregelung, öffentlich-rechtlicher Natur (Rz. 10). Hingegen vermag die Norm von vornherein keine Geschäftsführerzuständigkeit für die steuerliche Gewinnermittlung zu begründen. Diese folgt vielmehr, ebenso wie die Buchführungspflicht der Gesellschaft (vgl. § 140 AO), unmittelbar aus dem Steuerrecht (§ 34 Abs. 1 Satz 1 AO), wenngleich durchaus Parallelen zwischen den jeweils einschlägigen dogmatischen Ansätzen vorzufinden sind. Soweit im Schrifttum die Sichtweise zum Ausdruck kommt, die steuerliche Pflichtenlage könne die Einzelanforderungen der Pflichtenerfüllung nach § 41 beeinflussen8, ist dem nicht zu folgen: Die in § 41 allein in Bezug genommenen handelsrechtlichen Pflichten sind im HGB prinzipiell abschließend geregelt, und steuerrechtliche Sachverhalte erlangen nur insoweit Bedeutung, wie die zugehörigen handelsrechtlichen Vorschriften es zulas-

3 Abweichendes gilt für die §§ 264 ff. HGB; dazu Rz. 6. 4 Vgl. Haas, GmbHR 2006, 729, 732 ff. 5 Vgl. Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 1 f.; Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 13; Schiffers in GmbH-Handbuch, Teil II, Rz. II 5. 6 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Vorbemerkungen zu §§ 41–42a GmbHG Rz. 1 f.; Sigloch/Keller/Meffert in Michalski u.a., Vorbemerkung zu §§ 41–42a Rz. 1 f. 7 Vgl. etwa Schulze-Osterloh in HdJ, Abt. I/1, Rz. 34 ff.; zur Verhältnisbestimmung näher Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 2 f. mit weiteren Nachweisen. 8 In diese Richtung Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 13; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6.

Meyer | 363

§ 41 Rz. 3 | Buchführung sen9. Eine andere, davon strikt zu trennende Frage (Rz. 4) ist hingegen, ob die Geschäftsführer aus dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis heraus verpflichtet sein können, die Rechnungslegung bei Bestehen handelsrechtlicher Spielräume in bestimmter, mit den steuerrechtlichen Vorgaben übereinstimmender oder sonst steuerlich sinnvoller Weise auszuüben. Das ist prinzipiell zu bejahen10, hat aber mit dem Normgehalt des § 41 nichts zu tun. 4 § 41 kommt ungeachtet seines öffentlich-rechtlichen Charakters (Rz. 10) Ausstrahlungswir-

kung auf das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis zu, da die hier getroffene Zuständigkeitsregelung zugleich eine Geschäftsführungsbefugnis konstituiert und das Pflichtenprogramm der Geschäftsführer beeinflusst11. Alleiniger Bezugspunkt ist aber auch hier die ordnungsmäßige Buchführung nach HGB (Rz. 5). Daraus folgt, dass weitergehende Anforderungen an die Rechnungslegung einer genuin gesellschaftsrechtlichen Grundlage bedürfen (zur Sanktionierung Rz. 11)12. In diesen Kontext gehört § 91 Abs. 2 AktG, der den Vorstand einer Aktiengesellschaft dazu verpflichtet, ein Risikoüberwachungssystem zu errichten13. Auch wenn § 41 als GmbH-rechtliche Schwestervorschrift des § 91 AktG nicht in entsprechender Weise ergänzt worden ist14, kann es zu den Organisationspflichten der Geschäftsführer zählen, derartige Maßnahmen zu ergreifen15. Jedenfalls entspricht es ihren Pflichten, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und sich bei Anzeichen für eine krisenhafte Entwicklung durch Aufstellung einer Zwischenbilanz oder eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen, denn nur auf diese Weise können sie dem Gebot des § 49 Abs. 3 und einer etwaigen Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) nachkommen16. Sie haben daher für eine Organisation zu sorgen, die ihnen die dafür erforderliche Übersicht über die wirtschaftliche und finanzielle Situation der Gesellschaft jederzeit ermöglicht17. Derartige, gesellschaftsrechtlich begründete Organisationspflichten gehen mithin über die in § 41 allein in Bezug genommenen handelsrechtlichen Rechnungslegungspflichten hinaus. 5 Wie weit der Anwendungsbereich des § 41 reicht, hängt davon ob, welche handelsrechtlichen

Pflichten durch die gesetzliche Bezugnahme auf „die ordnungsmäßige Buchführung“ umfasst sind. Bereits der terminologische Gleichlauf mit den handelsrechtlichen Grundsätzen

9 Vgl. nur BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 270 = GmbHR 1996, 456. 10 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Vorbemerkungen zu §§ 41–42a GmbHG Rz. 3; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, § 42 Rz. 25. 11 Vgl. W. Müller in FS Moxter, S. 75, 87 a.E. 12 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; zu Beispielen Adler/Düring/Schmaltz, Vorbemerkungen zu §§ 41– 42a GmbHG Rz. 3. 13 Vgl. Spindler in MünchKomm. AktG, § 91 AktG Rz. 1, 18. Das in § 317 Abs. 4 HGB verankerte Prüfungserfordernis ist m.E. systemerweiternd, da es sich bei § 91 Abs. 2 AktG um keine Rechnungslegungsvorschrift handelt; zur Genese BT-Drucks. 13/9712, S. 15. 14 § 91 Abs. 2 AktG wurde durch das KonTraG vom 27.4.1998 (BGBl. I 1998, 786) eingeführt. 15 Vgl. BT-Drucks. 13/9712, S. 15 sowie Spindler in MünchKomm. AktG, § 91 AktG Rz. 87; 12. Aufl., § 43 Rz. 106 ff.; s. auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 15; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10; sehr weitgehend Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 8 ff.; reservierter Witt in Bork/Schäfer, Rz. 17. 16 So BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, GmbHR 1995, 299, 300; bestätigend BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GmbHR 2012, 967, 968; s. auch BGH v. 24.9.2019 – II ZR 248/17, DStR 2020, 179, 180; BGH v. 26.1.2016 – II ZR 394/13, GmbHR 2016, 701, 703. 17 BGH v. 21.5.2019 – II ZR 337/17, ZIP 2019, 1719, 1721 = GmbHR 2019, 1110; BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GmbHR 2012, 967, 968; BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, GmbHR 1995, 299, 300; zu Verschuldensfragen BGH v. 24.9.2019 – II ZR 248/17, DStR 2020, 179, 179 f.; BGH v. 26.1.2016 – II ZR 394/13, GmbHR 2016, 701, 703 f.; zu Möglichkeiten und Grenzen arbeitsteiligen Handelns BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162, 166 ff. = GmbHR 2019, 227, 228 ff.; s. auch Rz. 17 f.

364 | Meyer

Buchführung | Rz. 7 § 41

ordnungsmäßiger Buchführung18 spricht dafür, dass nicht nur die Buchführung im engeren Sinne (§§ 238 ff. HGB) betroffen ist, sondern auch die in den §§ 242 ff. HGB verankerten Pflichten zur Aufstellung der Eröffnungsbilanz und von Jahresabschlüssen erfasst werden (vgl. nur § 243 Abs. 1 HGB). Für diese Sichtweise lässt sich auch die Entstehungsgeschichte des § 41 anführen, denn die Norm enthielt ursprünglich in ihrem zweiten und dritten Absatz Vorschriften über die Frist zur Aufstellung des Jahresabschlusses, die nur deshalb gestrichen wurden, weil im Zuge der grundlegenden Reform des Rechnungslegungsrechts in den 1980er Jahren eine rechtsformübergreifende Regelung im HGB geschaffen wurde (Rz. 9). Auch der systematische Zusammenhang mit den jahresabschlussbezogenen Vorschriften der §§ 42, 42a stützt diese Sichtweise. Eine auf die Buchführung im engeren Sinne beschränkte Anordnung wäre zudem teleologisch nicht zu begründen, da offenbliebe, wer für die Aufstellung der Eröffnungsbilanz verantwortlich wäre19. Mithin ergibt sich als Auslegungsergebnis, dass § 41 auf die §§ 238 ff., 242 ff. HGB in Gänze bezogen ist. Für die Unterzeichnung des Jahresabschlusses (§ 245 HGB) gilt allerdings die Besonderheit, dass sie eigenhändig durch die Geschäftsführer erfolgen muss20, was diese Pflicht vom sonstigen Inhalt des § 41 (bloße Sorgepflicht, Rz. 16) abhebt. Ihren Bezugspunkt bildet der festgestellte Jahresabschluss (12. Aufl., § 42a Rz. 23). Weniger deutlich ist hingegen, ob sich § 41 auch auf das Pflichtenprogramm nach §§ 264 ff. 6 HGB (insbesondere Jahresabschluss und Lagebericht), §§ 290 ff. HGB (Konzernabschluss und -lagebericht), §§ 316 ff. HGB (Abschlussprüfung) und §§ 325 ff. HGB (Offenlegung) bezieht, denn in § 264 Abs. 1 Satz 1, 2, § 290 Abs. 1 Satz 1, § 318 Abs. 1 Satz 4, § 320 Abs. 1, 3 und § 325 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 HGB werden die zugehörigen Pflichten bereits unmittelbar den „gesetzlichen Vertretern“ der Kapitalgesellschaft auferlegt, so dass es an sich keines Rückgriffs auf § 41 bedarf. Jedoch muss auch in Bezug auf die in den §§ 264 ff. HGB verankerten, rechtsform- bzw. konzernspezifischen Pflichten in gleicher Weise differenziert werden, wie es in Rz. 1 aufgezeigt wurde: Da es auch hier um die Rechnungslegung der Gesellschaft geht, handelt es sich um Pflichten, die zunächst diese selbst treffen. Das ergibt sich deutlich aus der zugrunde liegenden Bilanzrichtlinie21, denn ihre Vorgaben sind in erster Linie auf das „Unternehmen“ bezogen (beispielhaft Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie). Da die §§ 264 ff. HGB der Umsetzung der Bilanzrichtlinie dienen, setzen sie dieses Verständnis voraus. Daher stellt es lediglich einen verkürzten Sprachgebrauch dar, wenn das dort zum Ausdruck kommende Pflichtenprogramm unmittelbar auf die Geschäftsführer bezogen wird. Dieser Sprachgebrauch ist an denjenigen der §§ 238 ff. HGB angelehnt, wo durchgängig von einer Verpflichtung „des Kaufmanns“ die Rede ist. Mithin ist – ebenso wie bei § 41 – zwischen der Pflichtenträgerin (Gesellschaft) und denjeni- 7 gen Personen abzuschichten, denen die Erfüllung dieser Pflichten überantwortet ist (Geschäftsführer)22. Allein fraglich kann daher sein, ob in Bezug auf die Pflichtenerfüllung Besonderheiten gelten oder auch im Anwendungsbereich der §§ 264 ff. HGB das Sorgepflichtkonzept (Rz. 15 ff.) gilt. Letzteres trifft zu23. Was zunächst die Perspektive des deutschen Rechts angeht, stellt § 41 die Grundregelung dar, während in den §§ 264 ff. HGB spezielle

18 Zu ihnen Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 35 ff.; Schulze-Osterloh in HdJ, Abt. I/1, Rz. 14 ff., jeweils mit umfänglichen Nachweisen. 19 Eine Geschäftsführerzuständigkeit ließe sich bei anderem Verständnis nur über den Umweg einer weiten Auslegung von § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB (Rz. 6) ableiten. 20 Vgl. Pöschke in Staub, § 245 HGB Rz. 9 f. 21 Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (ABl. L 182 v. 29.6.2013, S. 19). 22 Gleichgerichtetes Verständnis bei Pöschke in Staub, § 242 HGB Rz. 4. 23 Vgl. auch Witt in Bork/Schäfer, Rz. 18.

Meyer | 365

§ 41 Rz. 7 | Buchführung Ausprägungen der Geschäftsführerverantwortlichkeit verankert sind24. Das in § 41 enthaltene Sorgepflichtkonzept entspricht nämlich einer langen Regelungstradition (Rz. 9), ohne dass Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Tradition in den §§ 264 ff. HGB aufgebrochen werden sollte. Eine unterschiedliche Auslegung der §§ 238 ff. HGB einerseits und der §§ 264 ff. HGB andererseits wäre auch gar nicht möglich, da die an beiden Stellen verankerten jahresabschlussbezogenen Pflichten ineinandergreifen und sich mithin überschneiden (vgl. insbesondere § 242 Abs. 3, § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB). Dementsprechend wird in § 42 Abs. 1 auf beide Normen Bezug genommen. Das Unionsrecht steht der hier eingenommenen Sichtweise nicht entgegen, sondern weist – im Gegenteil – in dieselbe Richtung, denn aufgrund von Art. 33 Abs. 1 der Bilanzrichtlinie (Rz. 6) muss der nationale Gesetzgeber den Geschäftsführern die Aufgabe überantworten, „sicherzustellen“, dass die in dieser Richtlinie geregelten Rechnungslegungsaufgaben erfüllt werden. Ihr liegt mithin ebenfalls ein Sorgekonzept zugrunde. Es gilt in gleicher Weise für Muttergesellschaften, die die Konzernrechnungslegung nach internationalen Standards erstellen (vgl. § 315e HGB), denn in Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie wird ausdrücklich auf die zugrunde liegende IAS-Verordnung25 Bezug genommen. Als Auslegungsergebnis ist daher festzuhalten, dass die Geschäftsführer entsprechend § 41 dafür zu sorgen haben, dass die jahres- bzw. konzernabschlussbezogenen und (konzern-)lageberichtsbezogenen Pflichten nach Maßgabe der dafür einschlägigen Vorschriften erfüllt werden, die Offenlegung veranlasst wird und erforderlichenfalls eine Abschlussprüfung erfolgt26. Abweichend ist die Rechtslage nur dort, wo das Gesetz ausnahmsweise höchstpersönliches Handeln verlangt, was insbesondere beim „Bilanzeid“ (§ 264 Abs. 2 Satz 3 HGB) der Fall ist27. Gleiches ist anzunehmen, soweit die Geschäftsführer bei der Aufstellung des Jahresabschlusses (12. Aufl., § 42a Rz. 23) bilanzpolitische Entscheidungen treffen28. 8 Wegen der Einzelheiten des Pflichtenkanons der §§ 238 ff., 264 ff., 290 ff., 316 ff., 325 ff.

HGB kann auf das einschlägige handelsrechtliche Schrifttum verwiesen werden29. Zu betonen gilt es allerdings, dass – entgegen manchen Relativierungen im Schrifttum30 – ausschließlich die Technik der doppelten Buchführung mit den gesetzlichen Vorgaben zu vereinbaren ist, ohne dass es auf Gegenstand und Umfang der Gesellschaftstätigkeit ankommt. Denn das Gesetz stellt eine Gewinn- und Verlustrechnung zwingend und verklammert sie u.a. mit der Bilanz zu einer Einheit (Jahresabschluss, § 242 Abs. 3, § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB), so dass eine doppelte Buchführung unerlässlich ist31.

24 Vgl. auch Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 14 Fn. 22; abweichend wohl Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1: lediglich ergänzender Charakter des § 41. 25 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 vom 19.7.2002 (ABl. L 243 v. 11.9.2002, S. 1); dazu Schulze-Osterloh in HdJ, Abt. I/1, Rz. 19; ausführlich Hennrichs, ZHR 170 (2006), 498, 498 ff. 26 Vgl. auch Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 9; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 1; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 41 GmbHG Rz. 1; Hüttemann/Meyer in Staub, § 264 HGB Rz. 7; vgl. demgegenüber Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 42 Rz. 18 („höchstpersönliche Amtspflicht“). 27 Vgl. Hüttemann/Meyer in Staub, § 264 HGB Rz. 65. 28 Hartmann, S. 48; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 468. 29 Ausführlich auch Schiffers und Theile in GmbH-Handbuch, Teil II, passim. 30 Vgl. Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 7; Sigloch/Keller/Meffert in Michalski u.a., Rz. 7; Hartmann, S. 19; allgemeiner Merkt in Baumbach/Hopt, § 238 HGB Rz. 13; Pöschke in Staub, § 239 HGB Rz. 7 mit Nachweisen zum handelsrechtlichen Meinungsstand. 31 Wie hier Witt in Bork/Schäfer, Rz. 3; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 41 GmbHG Rz. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 58; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24; Schiffers in GmbH-Handbuch, Teil II, Rz. II 4 f.; offenbar auch BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85, 92 = GmbHR 2006, 426, 427.

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Buchführung | Rz. 10 § 41

3. Entstehungsgeschichte Der heutige § 41 bildet ein Produkt der grundlegenden Reform des Rechnungslegungsrechts 9 durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, 2355). Die Regelung entspricht wörtlich § 42 Abs. 1 der Ursprungsfassung des GmbH-Gesetzes von 1892 (RGBl. 1892, 477). Die hier für die GmbH geregelte Sorgepflicht der Geschäftsleiter steht in einer langen Tradition. Für die AG war sie bereits in Art. 239 Abs. 1 Satz 1 ADHGB 1861 verankert32. In den Materialien zum GmbH-Gesetz ist auf die zugehörige Dogmatik Bezug genommen worden33. Die Vorschriften des ursprünglichen § 42 wurden bereits früh in § 41 überführt (vgl. Bekanntmachung des GmbH-Gesetzes vom 20.5.1898, RGBl. I 1898, 846), der zunächst aus vier Absätzen bestand. Sein vierter Absatz, der sich auf Gesellschaften bezog, die Bankgeschäfte betrieben, wurde 1976 im Zuge einer Reform des Kreditwesengesetzes gestrichen (BGBl. I 1976, 725), da eine Sonderregelung für die Rechnungslegung von Kreditinstituten geschaffen wurde34. In § 41 Abs. 2 und 3 a.F. war bis Mitte der 1980er Jahre die Frist zur Aufstellung von Bilanz und Jahresabschluss geregelt. Diese Vorschriften wurden überflüssig, als der Gesetzgeber in § 264 Abs. 1 HGB eine rechtsformübergreifende Regelung verankerte (zur heutigen Rechtslage 12. Aufl., § 42a Rz. 23), so dass sie durch das BiRiLiG gestrichen wurden35. Im Zuge des MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) erhielt § 41 die amtliche Überschrift „Buchführung“. Der Gesetzestext blieb hingegen, abgesehen von einer redaktionellen Anpassung (Streichung der Absatzbezeichnung „(1)“), unberührt.

II. Die Sorgepflicht der Geschäftsführer 1. Rechtsnatur Die Geschäftsführer trifft gemäß § 41 die Pflicht, für die Erfüllung der in Rz. 5 ff. in Bezug 10 genommenen handelsrechtlichen Pflichten der Gesellschaft „zu sorgen“. Diese Sorgepflicht bedarf näherer Entfaltung und Abschichtung. In einem ersten Schritt ist auf ihre Rechtsnatur einzugehen. Indem § 41 die Zuständigkeit der Geschäftsführer für die Rechnungslegung begründet und damit unmittelbar an die zugrunde liegenden handelsrechtlichen Vorschriften anknüpft, teilt die Norm deren rechtlichen Charakter. Nach ganz überwiegender Meinung, der hier gefolgt wird, sind die Rechnungslegungsvorschriften öffentlich-rechtlicher Natur36. Denn die hier statuierten Pflichten bestehen nicht gegenüber Einzelpersonen, sondern gegenüber der Allgemeinheit, und sie heben sich deutlich von den Pflichten im gesellschafts-

32 Dazu Schulze-Osterloh in HdJ, Abt. I/1, Rz. 40. Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut: „Der Vorstand ist verpflichtet, Sorge zu tragen, daß die erforderlichen Bücher der Gesellschaft geführt werden.“ 33 Dazu Stapelfeld, GmbHR 1991, 94, 96. 34 BT-Drucks. 7/4631, S. 12. 35 Biener/Berneke, S. 547 f. 36 Vgl. BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 377 a.E. = GmbHR 1994, 390, 394; Adler/ Düring/Schmaltz, § 238 HGB Rz. 2; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 1; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; Pöschke in Staub, Vor § 238 HGB Rz. 3; Canaris, Handelsrecht, § 1 Rz. 10; Hartmann, S. 19 f.; Hennrichs, ZHR 170 (2006), 498, 512; Hennrichs/Schubert, ZIP 2007, 563, 566; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 466; W. Müller in FS Moxter, S. 75, 79 ff.; SchulzeOsterloh in HdJ, Abt. I/1, Rz. 28; Schön in FG 50 Jahre BGH, Bd. II, S. 153, 153 ff. sowie auch Crezelius, ZIP 2003, 461, 462; s. bereits RG v. 25.6.1908 – III 348/08, JW 1908, 604, 604; grundlegend RG v. 9.1.1886 – Rep. 1070/85, RGSt. 13, 235, 237 ff. (zu Art. 239 ADHGB, Rz. 9); zur historischen Entwicklung ausführlich Icking, Die Rechtsnatur des Handelsbilanzrechts, 2000, S. 168 ff.; a.A. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4; Fleischer, WM 2006, 2021, 2021 a.E.; Merkt, Der Konzern 2017, 353, 355; Merkt, S. 252 f.; Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 23 f.

Meyer | 367

§ 41 Rz. 10 | Buchführung rechtlichen Innenverhältnis ab37. Verstöße gegen die Rechnungslegungspflichten sind in erster Linie öffentlich-rechtlich sanktioniert38. § 41 zeitigt zwar durchaus zivilrechtliche Folgewirkungen (Rz. 4), wird jedoch, wie das Rechnungslegungsrecht im Ganzen, durch das öffentliche Recht an die Privatrechtssubjekte herangetragen. Zugleich handelt es sich bei § 41 um zwingendes Recht dergestalt, dass die handelsrechtlichen Vorgaben einzuhalten sind und die Geschäftsführer hierfür die Verantwortung tragen. Die aus § 41 folgende Sorgepflicht als solche kann daher weder ausgeschlossen oder beschränkt noch auf andere Personen oder Organe verlagert werden (vertiefend Rz. 16)39. Eine Haftungsprivilegierung kommt nicht in Betracht (Rz. 23). 11 Soweit das Rechnungslegungsrecht Spielräume lässt, bleibt es den Gesellschaftern unbenom-

men, diese auf satzungsrechtlicher Grundlage oder durch Weisungen (vgl. 12. Aufl., § 37 Rz. 75) ausfüllen zu lassen40. Bestehen derartige Vorgaben nicht, haben die Geschäftsführer bei Spielräumen nach pflichtgemäßem Geschäftsleiterermessen vorzugehen, wobei die Business Judgement Rule Anwendung findet41. Insoweit ist mithin ausschließlich das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis betroffen42. Aus § 41, der sich auf die Einhaltung der handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorgaben bezieht und beschränkt, lassen sich hierfür keine Wegweisungen entnehmen. Ebenso wenig steht § 41 gesellschaftsvertraglichen Vereinbarungen entgegen, die über die Vorgaben des HGB hinausreichen und den Geschäftsführern zusätzliche Rechnungslegungspflichten überantworten (Rz. 4). In solchen Fällen bestimmen sich die Rechtsfolgen bei Verstößen allein nach Zivilrecht, während eine öffentlich-rechtliche Sanktionierung nicht in Betracht kommt43.

2. Pflichtenträger 12 Nach § 41 sind „die Geschäftsführer“ verpflichtet. Das Gesetz gibt mithin zu verstehen, dass

bei mehreren bestellten Geschäftsführern jeder einzelne Pflichtenträger ist. Auch stellvertretende Geschäftsführer werden gemäß § 44 erfasst44. Es ist zu Recht anerkannt, dass es sich um keine kollektive Verantwortlichkeit der Geschäftsführung handelt, sondern eine Individualpflicht eines jeden Geschäftsführers, die unabhängig von seinen persönlichen Fähigkeiten besteht45. Dieser Regelungsgehalt führt zu keinen unverhältnismäßigen Belastungen, da es den Geschäftsführern prinzipiell offensteht, Rechnungslegungsaufgaben an einzelne von ihnen, nachgeordnete Personen oder externe Dienstleister zu überantworten (Rz. 16 ff.). Auf die Rechtslage bei unzureichenden Mitteln wird in Rz. 15 eingegangen.

37 Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 3; vgl. auch 11. Aufl., Rz. 3. 38 Die Vereinbarkeit mit der modifizierten Subjektstheorie aus diesem Grund bejahend Schulze-Osterloh in HdJ, Abt. I/1, Rz. 28 ff.; zu den in Betracht kommenden Sanktionen Rz. 21 ff. 39 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7; für die Buchführungspflicht im Allgemeinen Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 5; zu Art. 239 ADHGB (Rz. 9) bereits RG v. 9.1.1886 – Rep. 1070/85, RGSt. 13, 235, 238 f. 40 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, Vorbemerkungen zu §§ 41–42a GmbHG Rz. 3; W. Müller in FS Moxter, S. 75, 93 und 95 ff. 41 Vgl. zu diesem Fragenkreis Hennrichs in FS Kollhosser, S. 201, 211 f.; Kuhner, Der Konzern 2017, 360, 361 ff.; Merkt, Der Konzern 2017, 353, 353 ff. 42 Zu steuerrechtsbezogenen Aspekten s. Rz. 3. 43 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; zu den in Betracht kommenden Rechtsfolgen vgl. Rz. 23 ff. 44 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11. 45 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9.

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Buchführung | Rz. 14 § 41

Nach dem bisherigen Stand der Dogmatik ist anerkannt, dass die Verpflichtung aus § 41 13 auch bei fehlerhafter Bestellung eingreift und sogar solche faktischen Geschäftsführer (12. Aufl., § 6 Rz. 114 ff.) erfassen soll, die ohne Bestellungsakt für die Gesellschaft auftreten46. Diese Sichtweise ist zu hinterfragen: § 41 ist, ebenso wie die handelsrechtliche Verpflichtung zur Rechnungslegung im Ganzen, öffentlich-rechtlicher Natur (Rz. 10). Für die Aufbürdung von Pflichten kraft öffentlichen Rechts bedarf es einer genügenden Rechtsgrundlage. § 41 verpflichtet jedoch nur „die Geschäftsführer“. Ein strukturgleiches Problem ergibt sich bei denjenigen Strafnormen, die an rechnungslegungsbezogene Tathandlungen von Geschäftsführern anknüpfen. Derartige Sonderdelikte finden sich in § 283 Abs. 1 Nr. 57, § 283a StGB (Bankrott), § 283b StGB (Verletzung der Buchführungspflicht) sowie in § 331 HGB (Unrichtige Darstellung) bzw. § 82 Abs. 2 Nr. 2 (Falsche Angaben), jeweils in Zusammenschau mit § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Rz. 21). Die Strafbarkeit wird gemäß § 14 Abs. 3 StGB auf solche Situationen erweitert, in denen der Bestellungsakt zwar vorliegt, aber unwirksam ist. Gleiches gilt aufgrund von § 9 Abs. 3 OWiG für die in Betracht kommenden Ordnungswidrigkeiten nach § 334 HGB47. Aus der Existenz von § 14 Abs. 3 StGB und § 9 Abs. 3 OWiG lässt sich ableiten, dass der Gesetzgeber den – vorgelagerten – handelsrechtlichen Pflichtenkreis ebenfalls auf faktische Geschäftsführer solcher Art bezieht. Denn andernfalls liefen diese Tatbestände leer. Daher findet § 41 bei unwirksamer Bestellung Anwendung. Bei gänzlich ausgebliebener Bestellung fehlt es hingegen an einer genügenden Rechtsgrundlage für eine öffentlich-rechtliche Zuweisung von Rechnungslegungspflichten48. Diese Sichtweise ist im strafrechtlichen Schrifttum zu Recht verbreitet, wenngleich zu konzedieren ist, dass sich die Rechtsprechung bisweilen über die gesetzlichen Vorgaben hinwegsetzt49. Die vorstehenden Überlegungen betreffen allein den öffentlich-rechtlichen Pflichtenstatus. Da- 14 von zu trennen ist die Frage, ob ein faktischer Geschäftsführer bei fehlendem Bestellungsakt auf zivilrechtlicher Grundlage, d.h. aus dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis heraus, zu Rechnungslegungsaufgaben verpflichtet sein kann. Dabei ist zu bedenken, dass die in den §§ 238 ff. HGB statuierten Pflichten in erster Linie die Gesellschaft selbst treffen (Rz. 1, 6) und kraft zwingenden öffentlichen Rechts erfüllt werden müssen. Vor diesem Hintergrund erscheint es geboten, die im allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Kontext entwickelte Dogmatik über die Pflichtenstellung faktischer Geschäftsführer (12. Aufl., § 43 Rz. 30 ff.) fruchtbar zu machen50, da nur auf diese Weise die effektive Erfüllung der Rechnungslegungspflichten der Gesellschaft sichergestellt ist. Mithin haben faktische Geschäftsführer auch bei Fehlen eines Bestellungsakts für die Erfüllung der Rechnungslegungspflichten zu sorgen, allerdings – entgegen der herrschenden Meinung – nicht aufgrund von § 41, sondern auf zivilrechtlicher Grundlage. Die hier angelegte Sichtweise hat zur Folge, dass bei Verstößen keine im öffentlichen Recht fußenden Rechtsfolgen in Betracht kommen, sondern lediglich eine zivilrechtliche Sanktionierung (vgl. Rz. 23 ff.) möglich ist51.

46 Statt vieler Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2 a.E.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; differenzierend Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 4. 47 Zur zugehörigen Dogmatik vgl. Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20 ff. 48 Vgl. in ähnlichem Zusammenhang W. Müller in FS Moxter, S. 75, 86. 49 Ausführlich Dannecker in Staub, § 331 HGB Rz. 35 ff. mit umfänglichen Nachweisen; s. auch Perron/Eisele in Schönke/Schröder, § 14 StGB Rz. 42 ff.; zur Rechtslage im Steuerrecht (Rz. 3, 30) vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Rz. 6 f. 50 Insoweit auch Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 51 Zur fehlenden Strafbarkeit s. Rz. 13.

Meyer | 369

§ 41 Rz. 15 | Buchführung

3. Pflichteninhalt und -erfüllung 15 § 41 verpflichtet die Geschäftsführer, für die ordnungsmäßige Buchführung zu sorgen. Wie

in Rz. 5 ff. dargelegt, ist diese Bezugnahme weit zu verstehen, denn sie umfasst die handelsrechtliche Rechnungslegung im Ganzen. Zugleich beschränkt sich die Verpflichtung aus § 41 auf die Vorgaben des Handelsrechts, so dass in Bezug auf die sachlichen Anknüpfungspunkte der Sorgepflicht der Geschäftsführer eine Akzessorietät zu den handelsrechtlichen Pflichten der Gesellschaft vorzufinden ist52. Aus diesem Befund sind zwei Folgerungen zu ziehen: Zum einen kann § 41 nicht dazu führen, dass die Pflichten der Geschäftsführer über die Rechnungslegungspflichten der Gesellschaft hinausgehen. Folglich bedarf es für andere oder weitergehende Pflichten einer gesonderten Rechtsgrundlage, die je nach Fallkonstellation namentlich aus dem Steuerrecht folgen oder sich aus dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis ergeben kann (Rz. 3 f.). Zum anderen muss – umgekehrt – auch insoweit Deckungsgleichheit bestehen, als die Reichweite der Sorgepflicht (jedenfalls im Grundsatz) nicht hinter dem Pflichtenkanon der Gesellschaft zurückbleiben darf. Ob davon Ausnahmen zugelassen werden können, ist nicht ausgemacht. Die Rechtsprechung hat eine Strafbarkeit wegen Bankrottdelikten (Rz. 21) verneint, wenn der Geschäftsführer Rechnungslegungsaufgaben nur mit Hilfe Dritter erfüllen kann und die dafür erforderlichen Aufwendungen nicht aufzubringen in der Lage ist53. Denn Unmögliches könne nicht abverlangt werden54. Diese Sichtweise trifft zu: Die Rechnungslegungspflichten werden durch das öffentliche Recht an die Privaten herangetragen (Rz. 10). Es wäre unverhältnismäßig, einen Geschäftsführer zur Niederlegung seines Amtes zu zwingen, wenn die erforderlichen Mittel nicht aus dem Gesellschaftsvermögen aufgebracht werden können55. 16 Die vorstehend herausgestellte Akzessorietät betrifft allein den Bezugspunkt der Sorgepflicht,

nicht aber ihre inhaltliche Ausgestaltung: Die Geschäftsführer haben gemäß § 41 lediglich dafür „zu sorgen“, dass die Rechnungslegungspflichten der Gesellschaft erfüllt werden56. Die Geschäftsführer sind folglich nicht dazu verpflichtet, die Rechnungslegung der Gesellschaft eigenhändig vorzunehmen, sondern haben nur für die Aufgabenerfüllung zu sorgen57. Dieser Befund nötigt im Hinblick auf die Frage der Delegierbarkeit zu einer klaren Trennung zwischen der Sorgepflicht der Geschäftsführer und den Buchführungspflichten der Gesellschaft. Die Sorgepflicht ist höchstpersönlicher Natur (Rz. 10) und daher einer Delegation von vornherein nicht zugänglich58. Abweichendes gilt hingegen für die zugrunde liegenden

52 Vgl. bereits RG v. 9.1.1886 – Rep. 1070/85, RGSt. 13, 235, 238 (zu Art. 239 ADHGB, Rz. 9). 53 BGH v. 5.11.1997 – 2 StR 462/97, NStZ 1998, 192, 193; BGH v. 3.12.1991 – 1 StR 469/91, NStZ 1992, 182, 182; offenlassend aber BGH v. 20.10.2011 – 1 StR 354/11, NStZ 2012, 511, 511. 54 BGH v. 5.11.1997 – 2 StR 462/97, NStZ 1998, 192, 193. 55 Vgl. Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 41 GmbHG Rz. 13, der zu Recht einschränkend darauf hinweist, dass fehlende Mittel die Frage nach dem Bestehen einer Insolvenzantragspflicht aufwerfen; für Geltung des Übermaßverbots auch W. Müller in FS Moxter, S. 75, 85 f.; zur Rechtslage in der eröffneten Insolvenz Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 11; zum Steuerrecht Meyer, DStZ 2014, 228, 232 f.; mit Blick auf den Insolvenzverwalter abweichend aber BFH v. 19.11.2007 – VIII B 104/07, BFH/NV 2008, 334, 334. 56 Diesen Pflichtencharakter hervorhebend auch BGH v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, BGHZ 217, 129, 137 = GmbHR 2018, 299, 301; Adler/Düring/Schmaltz, § 41 GmbHG Rz. 3; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 5; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1, 17; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 5; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; vgl. bereits RG v. 4.2.1910 – Rep. I 255/09, RGZ 73, 30, 34 f.; RG v. 9.1.1886 – Rep. 1070/85, RGSt. 13, 235, 237 f. 57 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1, 17; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2 a.E.; s. bereits RG v. 8.7.1919 – IV 246/19, LZ 1920, 394, 394. 58 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2.

370 | Meyer

Buchführung | Rz. 18 § 41

Buchführungsaufgaben, die durchaus delegiert werden können59. Denn die Geschäftsführer erfüllen ihre Sorgepflicht, indem sie geeignete Personen mit der Durchführung der Rechnungslegungsaufgaben betrauen und die gehörige Aufgabenwahrnehmung überwachen bzw. überwachen lassen (Einzelheiten in Rz. 17 f.)60. Insoweit steht ihnen ein Ermessensspielraum zu61. Die Überantwortung von Rechnungslegungsaufgaben an Dritte ist mithin nicht nur zulässig, sondern geradezu im Wortlaut des § 41 angelegt62. Diese Überlegungen verdeutlichen zugleich, dass die wohl allgemein anerkannte Sichtweise richtig ist, wonach Personen, denen Rechnungslegungsaufgaben zugewiesen werden, keine Erfüllungsgehilfen (§ 278 Satz 1 Alt. 2 BGB) der Geschäftsführer sind63. Der einzelne Geschäftsführer braucht die Rechnungslegungsaufgaben mithin nicht persön- 17 lich wahrzunehmen, sondern sie können anderen Personen zur Erledigung überantwortet werden. Insbesondere können die Geschäftsführer eine Ressortaufteilung vornehmen und bestimmen, dass einer von ihnen verantwortlich ist64. Die Auswahl des zuständigen Geschäftsführers muss auf sachgerechten Erwägungen beruhen65. Insbesondere bedarf es genügender Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der Rechnungslegung66. Dem verantwortlichen Geschäftsführer bleibt es unbenommen, sich sachgerecht ausgewählten und eingewiesenen Gesellschaftspersonals67 und/oder gesellschaftsexterner Dienstleister, etwa aus dem Bereich der Steuerberatung, zu bedienen, wobei das Weisungsrecht stets bei der Geschäftsführung liegen muss68. Bei einer Aufgabenverlagerung an gesellschaftsfremde Personen muss zudem sichergestellt sein, dass die Geschäftsführer jederzeit Zugang zur Buchführung haben und diese erforderlichenfalls an sich ziehen können69. Der für die Buchführungsangelegenheiten zuständige Geschäftsführer verletzt seine Sorgepflicht insbesondere dann, wenn er die Aufgabenerledigung nicht kontinuierlich überwacht. Ihn trifft mithin eine Auswahl-, Einweisungs- und Überwachungspflicht70. § 278 BGB findet hingegen keine Anwendung (Rz. 16), so dass in derartigen Situationen lediglich für eigenes Organisationsverschulden gehaftet wird71. Die Verantwortlichkeit der übrigen Geschäftsführer ist in solchen Fällen darauf beschränkt, 18 sich regelmäßig von der gehörigen Erfüllung der Rechnungslegungspflichten zu überzeugen72. Sie haben den zuständigen Geschäftsführer kontinuierlich und angemessen zu über-

59 BGH v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, BGHZ 217, 129, 137 = GmbHR 2018, 299, 301; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15. 60 RG v. 8.7.1919 – IV 246/19, LZ 1920, 394, 394; in die gleiche Richtung Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3, 5. 61 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17 a.E.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18. 62 Vgl. für Art. 239 ADHGB (Rz. 9) bereits RG v. 9.1.1886 – Rep. 1070/85, RGSt. 13, 235, 237 f. 63 Statt aller Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5. 64 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162, 176 = GmbHR 2019, 227, 231; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3. 65 BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653, 654; näher zur Ressortaufteilung (im allgemeinen Kontext) BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162, 169 ff. = GmbHR 2019, 227, 229 f.; Fleischer, DB 2019, 472, 472 ff.; Hülsmann, GmbHR 2019, 1168, 1170 f. 66 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13. 67 Vgl. BGH v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, BGHZ 217, 129, 137 = GmbHR 2018, 299, 301; RG v. 8.7.1919 – IV 246/19, LZ 1920, 394, 394; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17. 68 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5. 69 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18. 70 Vgl. BGH v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, BGHZ 217, 129, 137 = GmbHR 2018, 299, 301; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17 f.; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Eschenfelder, BB 2014, 685, 687; s. bereits RG v. 8.7.1919 – IV 246/19, LZ 1920, 394, 394. 71 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 5; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10. 72 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14.

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§ 41 Rz. 18 | Buchführung wachen73, wobei die Intensität dieser Überwachungsaufgabe einzelfallabhängig ist74. Die nicht für die Rechnungslegungsaufgaben verantwortlichen Geschäftsführer trifft daher eine (abgemilderte) Überwachungspflicht75. Der zuständige Geschäftsführer hat ihnen regelmäßig Bericht zu erstatten76. Demgegenüber genügt es nicht, auf die Ergebnisse der Abschlussprüfung (vgl. §§ 316, 321 HGB) zu vertrauen, und zwar auch dann nicht, wenn diese über mehrere Jahre zu keinen Beanstandungen geführt hat77. Kommen Zweifel an der ordnungsgemäßen Aufgabenerfüllung auf, muss ihnen nachgegangen werden78. Nötigenfalls hat jeder Geschäftsführer unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten sicherzustellen, dass vorhandene Mängel beseitigt werden. Er muss mithin erforderlichenfalls selbst für eine ordnungsmäßige Buchführung sorgen79.

4. Zeitliche Reichweite 19 Im Hinblick auf den Beginn der Buchführungspflicht der Gesellschaft und damit der Sor-

gepflicht der Geschäftsführer (Rz. 15) stellt die herrschende Meinung auf den ersten buchungspflichtigen Geschäftsvorfall ab80. Da dieser in Neugründungssituationen in der Entstehung der Einlageforderungen zu erblicken ist, wird bereits die Vorgesellschaft als buchführungspflichtig angesehen81. Diese Sichtweise ist nicht zwingend, da die Buchführungspflicht nach allgemeinen Grundsätzen einen handelsgewerblichen Zuschnitt voraussetzt82 und die Gesellschaft Formkaufmannseigenschaft nach § 6 Abs. 1 HGB erst mit Eintragung in das Handelsregister erlangt (vgl. § 13 Abs. 3). Deshalb ist ein Gegenansatz vorzufinden, nach dem § 41 im Gründungsstadium nur dann Anwendung findet, wenn die in Aussicht genommene Gesellschaftstätigkeit ein handelsgewerbliches Gepräge aufweist83. In dogmatischer Hinsicht geht es im Kern um die in Grenzbereichen unsichere Frage, wie weit die grundsätzlich anerkannte Übertragung von GmbH-Recht auf das Stadium der Vorgesellschaft reicht. Richtigerweise handelt es sich bei Vor-GmbH und eingetragener Gesellschaft um einen identischen Rechtsträger (ausführlich 12. Aufl., § 11 Rz. 31, 152). Nach hier vertretener Auffassung ist das damit einhergehende Erfordernis weitgehender rechtlicher Gleichbehandlung grundsätzlich auch auf öffentlich-rechtliche Vorschriften zu beziehen84. 73 So BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653, 654; vgl. auch BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, GmbHR 1986, 19, 20; OLG Koblenz v. 9.6.1998 – 3 U 1662/89, NZG 1998, 953, 954 = GmbHR 1999, 122. 74 Vgl. zur gebotenen Kontrolldichte BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162, 173 ff. = GmbHR 2019, 227, 230 f.; Hülsmann, GmbHR 2019, 1168, 1170 f. 75 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 5; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16, 20; s. bereits RG v. 25.6.1908 – III 348/08, JW 1908, 604, 604; zu ihrer Auswahlpflicht im Rahmen der Ressortaufteilung Rz. 17. 76 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; in allgemeinerem Kontext BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162, 169 f. = GmbHR 2019, 227, 229; zu den Rechtsfolgen bei Nichterfüllung Rz. 24. 77 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; a.A. Adler/Düring/Schmaltz, § 41 GmbHG Rz. 4. 78 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, GmbHR 1986, 19, 20; OLG Koblenz v. 9.6.1998 – 3 U 1662/89, NZG 1998, 953, 954 = GmbHR 1999, 122; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16. 79 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, GmbHR 1986, 19, 20. 80 Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 17, auch zur Einpersonengründung. 81 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19. 82 Näher Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 12. 83 Vgl. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 7; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; im Ausgangspunkt auch 12. Aufl., § 11 Rz. 37. 84 Gleichsinnig Adler/Düring/Schmaltz, § 238 HGB Rz. 17 a.E.

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Buchführung | Rz. 21 § 41

GmbH-Recht findet m.E. nur dann keine Anwendung, wenn die Eintragung eine zwingende Anwendungsvoraussetzung der jeweiligen Vorschrift darstellt. Für § 41 kann das verneint werden, weil die Gesellschaft bereits in der Gründungsphase Geschäftsführer hat. Für die hier eingenommene Sichtweise sprechen auch Praktikabilitätserwägungen. So knüpft die Vorbelastungshaftung (12. Aufl., § 11 Rz. 139 ff.) an die Entwicklung der Vermögenslage der Gesellschaft bis zum Eintragungszeitpunkt an85. Ferner greift die – an die handelsrechtlichen Vorgaben angelehnte (Rz. 30) – steuerliche Gewinnermittlung bereits im Stadium der VorGmbH ein86. Demgegenüber ist im Hinblick auf die Vorgründungsgesellschaft anerkannt, dass § 41 noch keine Anwendung findet und personengesellschaftsrechtliche Grundsätze maßgebend sind87. Im Abwicklungsstadium obliegt die Sorgepflicht gemäß § 71 Abs. 4 den Liquidatoren. Für 20 die Liquidationsrechnungslegung gelten die in § 71 Abs. 1-3 enthaltenen Sonderregelungen88. Die Buchführungspflicht dauert bis zum Erlöschen der juristischen Person an89. Nach herrschender Meinung sind dafür kumulativ die Vermögenslosigkeit und die Löschung im Handelsregister erforderlich90, während in Teilen der Rechtsprechung die Vermögenslosigkeit als maßgebend angesehen worden ist91. Nach Beendigung der Liquidation sind die Bücher der Gesellschaft zehn Jahre lang aufzubewahren (§ 74 Abs. 2). Zuvor gelten die allgemeinen handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen nach § 257 HGB. Für Zwecke der steuerlichen Rechnungslegung ist auf § 147 AO abzustellen. Mit Insolvenzeröffnung geht die Sorgepflicht92 aufgrund von § 155 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Insolvenzverwalter über, soweit die Insolvenzmasse betroffen ist93. Nach herrschender Meinung werden davon auch Zeiträume erfasst, die vor der Verwalterbestellung liegen94.

5. Rechtsfolgen von Verstößen a) Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Bei unrichtigen oder verschleiernden Angaben kann sich eine Strafbarkeit aus § 331 StGB 21 (Unrichtige Darstellung) bzw. subsidiär aus § 82 Abs. 2 Nr. 2 (Falsche Angaben) ergeben. Tauglicher Täter dieser Sonderdelikte kann gemäß § 14 Abs. 3 StGB auch ein nicht wirksam 85 Vgl. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. Für die Haftungshöhe sind allerdings nicht die Buchwerte, sondern die wirklichen Werte entscheidend (Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 106). 86 Zur grundsätzlichen Körperschaftsteuerpflicht der Vorgesellschaften Klein in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 1 KStG Rz. 69; zur Gewinnermittlung Schallmoser in Herrmann/Heuer/ Raupach, EStG/KStG, § 8 KStG Rz. 51 ff. 87 Adler/Düring/Schmaltz, § 238 HGB Rz. 17; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 45 (auch für „unechte“ Vorgesellschaften); Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 17. 88 Näher Meyer in HdJ, Abt. IV/2, Rz. 97 ff.; 12. Aufl., § 71 Rz. 2 ff. 89 Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 16. 90 S. etwa Haas in Baumbach/Hueck, § 60 Rz. 6 f.; 12. Aufl., § 74 Rz. 14 f. mit umfänglichen Nachweisen zum Meinungsstand. 91 Vgl. BGH v. 20.3.1985 – VIII ZR 342/83, BGHZ 94, 105, 108; gleichsinnig Teile des zu § 41 vorzufindenden Schrifttums, etwa Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20 („Beendigung der Abwicklung“); a.A. Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 16: Löschung. 92 Vgl. Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7. 93 Dazu Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 10. 94 Vgl. OLG München v. 10.8.2005 – 31 Wx 61/05, GmbHR 2005, 1434, 1435; KG v. 3.6.1997 – 1 W 8260/95, GmbHR 1997, 897, 898; LG Frankfurt/Oder v. 4.9.2006 – 32 T 12/05, NZI 2007, 294, 295; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; für das Steuerrecht BFH v. 19.11.2007 – VIII B 104/ 07, BFH/NV 2008, 334, 334; kritisch Hirte in FS Uwe H. Schneider, S. 533, 540 f.

Meyer | 373

§ 41 Rz. 21 | Buchführung bestellter Geschäftsführer sein (Rz. 13). Gleiches gilt für den Bankrotttatbestand, der in § 283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB rechnungslegungsbezogene Handlungen in Insolvenzsituationen unter Strafe stellt, wobei fahrlässiges Verhalten nach Maßgabe von § 283 Abs. 4, 5 StGB genügen kann. In § 283a StGB sind strafschärfende Regelbeispiele für besonders schwere Fälle verankert. Im Vorfeld der Insolvenz bzw. bei insoweit fehlender Kenntnis95 sind die nämlichen Tathandlungen in § 283b StGB (Verletzung der Buchführungspflicht) mit geringerer Strafe bedroht, wobei objektive Bedingung der Strafbarkeit aber auch hier die Zahlungseinstellung, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Verfahrenseinstellung mangels Masse ist (§ 283b Abs. 3 i.V.m. § 283 Abs. 6 StGB). Darüber hinaus kommt im Einzelfall eine Untreue (§ 266 StGB) in Betracht96. Ferner kann mit dem Rechnungslegungsverstoß ein Betrugsdelikt nach §§ 263 ff. StGB oder eine nach § 15a Abs. 4, 5 InsO strafbare Insolvenzverschleppung einhergehen (s. auch Rz. 26). Eine rechtskräftige Verurteilung wegen derartiger Taten steht einer Organmitgliedschaft nach Maßgabe von § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bzw. § 76 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 AktG entgegen. 22 Eine Geldbuße kann verhängt werden, wenn der Geschäftsführer (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3

OWiG, Rz. 13) vorsätzlich gegen eine der in § 334 Abs. 1 HGB aufgeführten Rechnungslegungsvorschriften verstößt. Der Bußgeldrahmen ist durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz vom 11.4.2017 (BGBl. I 2017, 802) im Falle einer kapitalmarktorientierten Gesellschaft i.S.v. § 264d HGB wesentlich erhöht worden (§ 334 Abs. 3 Satz 2 HGB). Ferner ist in § 334 Abs. 3a, 3b HGB eine Sonderregelung eingeführt worden, die die Ahndung der Gesellschaft selbst (vgl. § 30 OWiG) betrifft. In Betracht kommt ferner eine mit der fehlerhaften Buchführung einhergehende Steuerstraftat bzw. -ordnungswidrigkeit (§§ 370, 378 AO). Auf die Verhältnisbestimmung zum Steuerrecht wird in Rz. 3 und Rz. 30 eingegangen. b) Zivilrechtliche Sanktionierung 23 Verstöße gegen die Sorgepflicht können nach allgemeinen Grundsätzen zu einem Schadens-

ersatzanspruch der Gesellschaft nach § 43 Abs. 2 führen97. Gleiches gilt, wenn gegen weitergehende Pflichten aus dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis (Rz. 3 f., 11) verstoßen wird98. In Delegationskonstellationen hat der Geschäftsführer nachzuweisen, dass die in Rz. 17 f. dargestellten Anforderungen eingehalten sind bzw. es an einem schuldhaften Verstoß fehlt99. Der Anspruch besteht nur dann, wenn der Gesellschaft aufgrund der fehlerhaften Buchführung ein Schaden entstanden ist, etwa in Gestalt nicht mehr aufklärbarer Fehlbeträge100 oder zusätzlicher Kosten für Prüfungen oder Kreditaufnahmen101. Bei unzureichender Buchführung können Beweiserleichterungen angezeigt sein102. Umgekehrt kann sich der Geschäftsführer bei der Abwehr von Ansprüchen gegen ihn selbst, etwa aus § 64 Satz 1

95 Näher Fischer, § 283b StGB Rz. 2. 96 Vgl. etwa BGH v. 20.6.2018 – 4 StR 561/17, GmbHR 2018, 909, 911. 97 Vgl. etwa BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85, 92 = GmbHR 2006, 426, 427; BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, GmbHR 1986, 19, 20; weitere Nachweise im Folgenden. 98 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12. 99 Vgl. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26. 100 Vgl. BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, GmbHR 1986, 19, 19 f.; BGH v. 9.5.1974 – II ZR 50/72, NJW 1974, 1468, 1468; anders, wenn der Verbleib eines unrichtig gebuchten Betrags geklärt ist: OLG Stuttgart v. 30.5.2000 – 20 W 1/00, GmbHR 2000, 1048, 1050; Tiedchen in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 12. 101 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12. 102 Vgl. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/10, GmbHR 2012, 566, 567; BGH v. 26.11.1990 – II ZR 223/89, GmbHR 1991, 101, 101 f.; BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, GmbHR 1986, 19, 19 f.; BGH v. 9.5.1974 – II ZR 50/72, NJW 1974, 1468, 1468; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 18; Lange, GmbHR 2015, 1254, 1261 f.

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Buchführung | Rz. 25 § 41

(seit dem 1.1.2021 § 15b Abs. 4 Satz 1 InsO), nicht pauschal auf die Unrichtigkeit der Buchführung berufen103. Mit § 41 unvereinbare Gesellschafterweisungen sind aufgrund des zwingenden, öffentlich-rechtlichen Charakters des Rechnungslegungsrechts (Rz. 10) unbeachtlich104. Ebenso wenig kommen Haftungserleichterungen in Betracht105, zumal auch das Unionsrecht eine wirksame Sanktionierung gebietet (vgl. Art. 33 Abs. 2, Art. 51 der Bilanzrichtlinie, Rz. 6). Ein Pflichtverstoß kann ferner einen wichtigen Grund für eine Abberufung des Geschäfts- 24 führers nach § 38 Abs. 2 (12. Aufl., § 38 Rz. 49) sowie für die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrags bilden106. Umgekehrt stellt es für Mitgeschäftsführer einen wichtigen Grund zur Amtsniederlegung und Kündigung dar, wenn der für die Rechnungslegung zuständige Geschäftsführer entgegen seinen in Rz. 18 dargestellten Pflichten systematisch Informationen zurückhält107. Die Gesellschafterversammlung kann gegenüber Geschäftsführern, die ihre Pflichten vernachlässigen, ihr Weisungsrecht ausüben108. Eine Außenhaftung des Geschäftsführers gegenüber Gesellschaftsgläubigern kommt hin- 25 gegen nur ausnahmsweise in Betracht. Im Schrifttum wird auf Ansprüche aus culpa in contrahendo (§ 280 Abs. 1 i.V.m. § 311 Abs. 3, § 241 Abs. 2 BGB) hingewiesen, wenn der Geschäftsführer einem Gläubiger aus konkretem Anlass fehlerhafte Jahresabschlüsse oder sonstige Buchführungselemente übermittelt, auf die der Gläubiger vertraut und deshalb nachteilige Vermögensdispositionen vornimmt109. Jedoch reichen diese Umstände allein nicht aus, sondern der Geschäftsführer muss – darüber hinaus – in besonderem Maße persönliches Vertrauen in Anspruch genommen haben110. Der Anspruch beruht mithin im Kern nicht auf der fehlerhaften Rechnungslegung, sondern auf der Verletzung besonderen Vertrauens111. Auch der darüber hinaus zu nennende Anspruch aus § 826 BGB knüpft nicht in erster Linie an eine fehlerhafte Rechnungslegung an, sondern an ein sittenwidriges und auf eine vorsätzliche Schädigung gerichtetes Geschäftsführerverhalten. Davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn der Geschäftsführer unter Verwendung unrichtiger Rechnungslegungsdokumente bewusst täuscht, um den Gläubiger zu nachteiligen Vermögensdispositionen zu bestimmen112. Bedingter Vorsatz ist ausreichend113. Sowohl die tatbestandlichen Anforderungen als auch die Nachweishürden sind mithin hoch.

103 Näher BGH v. 19.12.2017 – II ZR 88/16, BGHZ 217, 129, 136 f. = GmbHR 2018, 299, 301; Hülsmann, GmbHR 2019, 1168, 1169 f.; Lange, GmbHR 2015, 1254, 1261. 104 Ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43 Rz. 64; Hartmann, S. 18. 105 Streitig; wie hier Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43 Rz. 64 f.; 12. Aufl., § 43 Rz. 386 ff.; s. auch Klöhn in Bork/Schäfer, § 43 Rz. 63; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 43 Rz. 267; abweichend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 43 Rz. 21; Bayer, GmbHR 2014, 897, 903; Grigoleit, S. 135 f.; offenlassend Fleischer, BB 2011, 2435, 2438 f. 106 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18; vgl. aus der Rechtsprechung OLG Rostock v. 14.10.1998 – 6 U 234/97, NZG 1999, 216, 217 = GmbHR 1999, 344. 107 BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653, 653 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3 a.E.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 108 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; zur Durchsetzung im Wege der actio pro socio durch die Minderheit 11. Aufl., Rz. 8. 109 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32. 110 Emmerich in MünchKomm. BGB, § 311 BGB Rz. 192; Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 18 f.; 12. Aufl., § 43 Rz. 460; grundlegend BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 189 ff. = GmbHR 1994, 539, 541 f. 111 Gleichsinnig Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15. 112 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15. 113 Näher BGH v. 11.12.2018 – II ZR 455/17, GmbHR 2019, 347, 349, auch zu Nachweisfragen.

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§ 41 Rz. 26 | Buchführung 26 Vor diesem Hintergrund wird es in den meisten Fällen entscheidend darauf ankommen, ob

ein beim Gläubiger eingetretener Vermögensschaden über § 823 Abs. 2 BGB in Zusammenschau mit einem Schutzgesetz ersatzfähig ist114. Unstreitig ist das nur, wenn zugleich eine Strafnorm erfüllt ist, die (auch) dem Schutz konkreter Gläubiger dient, was etwa bei den §§ 263 ff. StGB der Fall ist115. Hinzuweisen ist zudem auf den anerkannten Schutzgesetzcharakter des § 15a InsO bei Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht116. Der Schwerpunkt des Vorwurfs bezieht sich in solchen Fällen jedoch nicht auf die fehlerhafte Buchführung als solche. Das wirft die – umstrittene – Frage auf, ob § 41 selbst Schutzgesetzcharakter i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB zukommt, was angesichts der bejahendenfalls eingreifenden Haftung für fahrlässige Rechnungslegungsfehler erhebliche Breitenwirkung hätte117. Dessen ungeachtet wird § 41 von Teilen des neueren Schrifttums als Schutzgesetz angesehen, wobei sich die entsprechenden Autoren im Kern auf die mittlerweile anerkannte Gläubigerschutzfunktion der Rechnungslegungsvorschriften118 berufen119. Auf unionsrechtliche Vorgaben lässt sich diese Sichtweise hingegen nicht stützen, da Art. 33 Abs. 2 der Bilanzrichtlinie (Rz. 6) lediglich eine Innenhaftung verpflichtend stellt120. 27 Der BGH hat in einer viel beachteten Entscheidung aus dem April 1994 Sympathien für den

vorstehend referierten Standpunkt erkennen lassen, die Schutzgesetzeigenschaft des § 41 bzw. der § 283 Abs. 1 Nr. 5-7, § 283b StGB121 jedoch im Ergebnis mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen, und zwar mit Blick auf Situationen, in denen „ein Außenstehender im Vertrauen auf das ihm zugänglich gemachte […] unzulängliche Buchwerk zu Vermögensdispositionen […] veranlaßt wird und gerade deswegen bei der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen kann, weil diese entgegen dem buchmäßig dargestellten Bild nicht kreditwürdig war“122. An diese Überlegungen anknüpfend hat sich eine zwischenzeitlich im Vordringen befindliche, differenzierende Sichtweise herausgebildet, die in den Bankrottdelikten der §§ 283 ff. StGB (Rz. 21) Schutzgesetze erblicken will123. Die obergerichtliche

114 Zu den dogmatischen Hintergründen Wagner in MünchKomm. BGB, § 823 BGB Rz. 370. 115 Vgl. beispielhaft BGH v. 11.12.2018 – II ZR 455/17, GmbHR 2019, 347, 348 (mit Blick auf § 265b StGB); OLG Hamm v. 7.2.2014 – 9 U 224/13, GmbHR 2014, 1045, 1045 (zu § 263 StGB); LG Bonn v. 15.5.2001 – 11 O 181/00, AG 2001, 484, 488 f. (für die §§ 263, 264a StGB). 116 S. etwa BGH v. 11.12.2018 – II ZR 455/17, GmbHR 2019, 347, 350; BGH v. 24.1.2012 – II ZR 119/ 10, GmbHR 2012, 566, 566; grundlegend BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 190 ff. = GmbHR 1994, 539, 542 ff. 117 Mit Blick auf das deliktische Haftungsgefüge ablehnend deshalb Grigoleit, S. 137 ff.; ähnlich Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30 f.; Hennrichs in FS Kollhosser, S. 201, 214; weitere Nachweise zur Gegenauffassung in Rz. 28. 118 Dazu Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 2 f. m.w.N. zum Diskussionsstand. 119 Vgl. Stapelfeld, GmbHR 1991, 94, 96 ff.; mit Blick auf die Offenlegung Fehrenbacher, S. 456 ff.; Merkt, S. 250 ff., S. 481 f.; s. auch Biletzki, BB 2000, 521, 524 ff.; Biletzki, ZIP 1997, 9, 10 ff.; K. Schmidt, ZIP 1994, 837, 842; Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 14 ff., 26 ff., 29 ff., 33 ff. (auch zu Kausalität und Haftungsumfang); Sieger/Hasselbach, GmbHR 1998, 957, 960 f. 120 Vgl. bereits Fleischer, WM 2006, 2021, 2026 ff.; aus der Perspektive des § 823 Abs. 2 BGB abweichend Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 26 f. 121 Die Entscheidung ist in dieser Hinsicht wenig klar (vgl. BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 377 ff. = GmbHR 1994, 390, 393 f.). 122 BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 378 a.E. = GmbHR 1994, 390, 394. 123 Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 22; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32, 35; Grigoleit, S. 141 ff.; Haas, GmbHR 2006, 729, 730 f.; Schulze-Osterloh in HdJ, Abt. I/1, Rz. 46; vgl. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31; Canaris in FS Larenz, S. 27, 73.

376 | Meyer

Buchführung | Rz. 28 § 41

Rechtsprechung hat sich diesem Ansatz freilich nicht angeschlossen124, und er ist auch sonst umstritten geblieben125. Kein derartiger Meinungsumschwung hat sich hingegen im Hinblick auf die Buchführungs- 28 vorschriften als solche vollzogen, so dass es stets der herrschenden Meinung entsprochen hat, § 41 nicht als Schutzgesetz einzuordnen126. Daran ist festzuhalten. Die handelsrechtliche Rechnungslegung dient zwar durchaus dem Gläubigerschutz (Rz. 2)127, jedoch bezieht und beschränkt sich dieser Schutzzweck auf die Gläubigergesamtheit, so dass der einzelne Gläubiger nicht erfasst wird128. Mit einer im Kern gleichgerichteten Begründung hat der BGH in einem Urteil aus dem Dezember 2018 die Schutzgesetzeigenschaft der Bankrottdelikte, m.E. zu Recht, abgelehnt – und ist daher der im Schrifttum herrschenden Meinung (Nachweise in Rz. 27) nicht gefolgt129. Die in Rede stehenden Strafnormen seien nicht hinreichend konkret, da es an einem bestimmbaren Personenkreis fehle130. Es genüge auch nicht, dass der Kreis der geschützten Personen über die haftungsausfüllende Zurechnung eingegrenzt werden könne. Darüber hinaus sei es nicht möglich, festzustellen, von welchem Augenblick an die mangelhafte Aufstellung einer Bilanz zu einem Gläubigerschaden geführt habe. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung bestehen erhebliche Zweifel, ob sich der bisher wohl allgemein vertretene Standpunkt halten lässt, dass es sich bei den §§ 331, 334 HGB um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handelt131. Diese Vorschriften schützen das Vertrauen in die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen über die Verhältnisse der Gesellschaft und betreffen daher in persönlicher Hinsicht auch die Gesellschaftsgläubiger132. Jedoch fehlt es ihnen – ebenso wie § 41 und den §§ 283 ff. StGB – an einem genügenden Individualbezug.

124 Vgl. OLG Hamm v. 7.2.2014 – 9 U 224/13, GmbHR 2014, 1044, 1045, 1045 f.; OLG Düsseldorf v. 4.3.2010 – I-6 U 94/09, AG 2011, 31, 31; OLG Brandenburg v. 31.3.2005 – 11 U 103/04, GmbHR 2005, 879, 880. 125 Ablehnend etwa Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 41 GmbHG Rz. 17; Hüffer/ Koch, § 91 AktG Rz. 3; gegen die Anknüpfung an die Bankrottdelikte auch Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 16 f. 126 S. etwa 12. Aufl., § 43 Rz. 473; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 41 GmbHG Rz. 16; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28, 34 f.; Grigoleit, S. 136 ff.; Hennrichs in FS Kollhosser, S. 201, 214; vgl. auch OLG Hamm v. 7.2.2014 – 9 U 224/13, GmbHR 2014, 1044, 1045; für die Rechnungslegungsvorschriften im Allgemeinen LG Bonn v. 15.5.2001 – 11 O 181/00, AG 2001, 484, 485 f.; Hüttemann/Meyer in Staub, § 264 HGB Rz. 62; Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 4; Schulze-Osterloh in HdJ, Abt. I/1, Rz. 41 ff.; s. bereits BGH v. 10.7.1964 – Ib ZR 208/62, BB 1964, 1273, 1273; RG v. 4.2.1910 – Rep. II 255/09, RGZ 73, 30, 33 ff. (vgl. aber die relativierende Einordnung dieser Entscheidung bei Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 20 f.). 127 Den Gläubigerschutzaspekt hervorhebend auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12; Grigoleit, S. 136 f.; Hennrichs in FS Kollhosser, S. 201, 214; insoweit eher zögerlich BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 377 a.E. („mittelbar auch“) = GmbHR 1994, 390, 394. 128 Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 22; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 4; im Ausgangspunkt auch Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 20a f.; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 21; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12. 129 BGH v. 11.12.2018 – II ZR 455/17, GmbHR 2019, 347, 349 f. 130 BGH v. 11.12.2018 – II ZR 455/17, GmbHR 2019, 347, 350, auch zum Folgenden. 131 S. etwa LG Bonn v. 15.5.2001 – 11 O 181/00, AG 2001, 484, 486; Haas/Kersting in Baumbach/ Hueck, Rz. 20a a.E.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27; Tiedchen in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 17; Dannecker in Staub, § 331 HGB Rz. 9; Fleischer, WM 2006, 2021, 2026; Grigoleit, S. 139 f.; Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 17; für § 82 auch 12. Aufl., § 82 Rz. 14 m.w.N.; nach wie vor von der Richtigkeit dieser Sichtweise ausgehend Schlosser/Wimmer, GmbHR 2019, 449, 456. 132 Dannecker in Staub, § 331 HGB Rz. 3 ff.

Meyer | 377

§ 41 Rz. 29 | Buchführung 29 Hinzuweisen ist ferner auf die Möglichkeit einer persönlichen Haftung von Gesellschaftern

für die Gesellschaftsschulden, die unter dem Gesichtspunkt der Vermögensvermischung begründet sein kann (näher 12. Aufl., § 13 Rz. 131 ff.). Denn eine solche geht stets mit schweren Verstößen gegen die Rechnungslegungspflichten einher133. Aus der Perspektive des § 41 handelt es sich freilich um eine mittelbare Folge, da es nicht um die Haftung von Geschäftsführern (als solchen) wegen Sorgepflichtverletzungen geht, sondern um einen Durchgriff durch die juristische Person, der im Kern auf der Vermögensvermischung beruht und zudem die Gesellschaftersphäre betrifft. Aus beiden Gründen handelt es sich um unterschiedliche Ebenen, die m.E. auch von den Wertungsgrundlagen her getrennt zu betrachten sind134. c) Sonstige Rechtsfolgen 30 Eine allgemeine verwaltungsrechtliche Sanktionierung von Verstößen gegen die Rechnungs-

legungsvorschriften ist weder im HGB noch im GmbH-Gesetz vorgesehen135. Bei Verletzung der Offenlegungspflichten wird nach Maßgabe von § 335 HGB ein Ordnungsgeld von mindestens 2.500 Euro festgesetzt, wobei der Ordnungsgeldrahmen bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften i.S.v. § 264d HGB deutlich erhöht worden ist (§ 335 Abs. 1a Satz 2 HGB). Verstöße gegen die Buchführungspflicht können zur Einschränkung oder Versagung des Bestätigungsvermerks des Abschlussprüfers führen (§ 322 Abs. 4 HGB)136. Bei schweren Mängel kommt zudem eine Nichtigkeit des Jahresabschlusses in Betracht (12. Aufl., § 46 Rz. 35 ff.). Ferner ist darauf hinzuweisen, dass als mittelbare Rechtsfolge137 der Verletzung von Rechnungslegungspflichten eine steuerliche Geschäftsführerhaftung nach 69 AO in Betracht kommt138. Hintergrund ist, dass die handelsrechtlichen Buchführungspflichten aufgrund von § 140 AO prinzipiell auch für Zwecke der Besteuerung zu erfüllen sind, da sich die ertragsteuerliche Gewinnermittlung im Ausgangspunkt nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung richtet (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 7 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Tatbestandliche Voraussetzungen und Umfang dieser auf Schadensersatz gerichteten Steuerhaftung139 bestimmen sich nach steuerrechtlichen Grundsätzen (vgl. auch Rz. 3), so dass insoweit auf die einschlägige steuerrechtliche Literatur Bezug genommen werden kann140.

133 Vgl. BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85, 91 ff. = GmbHR 2006, 426, 427 f.; BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 368 ff. = GmbHR 1994, 390, 390 f.; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 25; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33. 134 Andeutungsweise auch BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85, 92 = GmbHR 2006, 426, 427 sowie Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34 a.E.; abweichend Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 6, 21, 24; vgl. auch Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 29 f. 135 Hintergründe und Diskussion bei Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 5. 136 Dazu Schiffers in GmbH-Handbuch, Teil II, Rz. II 54. 137 Zutreffend Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 29. 138 Zu weiteren steuerlichen Rechtsfolgen, die an die Verletzung der Buchführungspflicht geknüpft sein können: Pöschke in Staub, § 238 HGB Rz. 71; Schiffers in GmbH-Handbuch, Teil II, Rz. II 51. 139 Näher Meyer, DStZ 2014, 228, 231 ff. 140 Vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 69 AO Rz. 5 ff.; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Rz. 1 ff.; 12. Aufl., § 43 Rz. 482.

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§ 42 Bilanz (1) In der Bilanz des nach den §§ 242, 264 des Handelsgesetzbuchs aufzustellenden Jahresabschlusses ist das Stammkapital als gezeichnetes Kapital auszuweisen. (2) Das Recht der Gesellschaft zur Einziehung von Nachschüssen der Gesellschafter ist in der Bilanz insoweit zu aktivieren, als die Einziehung bereits beschlossen ist und den Gesellschaftern ein Recht, durch Verweisung auf den Geschäftsanteil sich von der Zahlung der Nachschüsse zu befreien, nicht zusteht. Der nachzuschießende Betrag ist auf der Aktivseite unter den Forderungen gesondert unter der Bezeichnung „Eingeforderte Nachschüsse“ auszuweisen, soweit mit der Zahlung gerechnet werden kann. Ein dem Aktivposten entsprechender Betrag ist auf der Passivseite in dem Posten „Kapitalrücklage“ gesondert auszuweisen. (3) Ausleihungen, Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern sind in der Regel als solche jeweils gesondert auszuweisen oder im Anhang anzugeben; werden sie unter anderen Posten ausgewiesen, so muss diese Eigenschaft vermerkt werden. Gesetzestext i.d.F. des Bilanzrichtlinien-Gesetzes (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, 2355), amtliche Überschrift eingefügt durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. Überblick und Entstehungsgeschichte . II. Ausweis des Stammkapitals (§ 42 Abs. 1) 1. Begriff und Anwendungsbereich . . . . . . . 2. Höhe des Wertansatzes und Kapitalmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausstehende Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eigene Anteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nachschüsse (§ 42 Abs. 2) 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aktivierbarkeit eingeforderter Nachschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Korrespondierende Passivierung . . . . . . .

1

3 7 9 10 12 14 18

4. Kleingesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schuldrechtliche Rechtsverhältnisse mit Gesellschaftern (§ 42 Abs. 3) 1. Hintergründe und Überblick . . . . . . . . . . 2. Ausleihungen, Forderungen, Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Materieller Gesellschafterbegriff . . . . . . . 4. Abbildung im Jahresabschluss a) Darstellungsmöglichkeiten . . . . . . . . . b) Konkurrenzverhältnis zu anderen Posten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kleingesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . .

19

20 21 24 25 27 28

Literatur: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Teilband 4, 6. Aufl. 1997, Teilband 5, 6. Aufl. 1997; Biener/Berneke, Bilanzrichtlinien-Gesetz, 1986; Fey/Deubert/Lewe/Roland, Erleichterungen nach dem MicroBilG – Einzelfragen zur Anwendung der neuen Vorschriften, BB 2013, 107; Kirsch, Rechnungslegung, Loseblatt, Stand: 100. Aktualisierung 2019; Kirsch, Jahresabschlüsse von Kleinstunternehmen, DStZ 2012, 751; Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, 5. Aufl., Loseblatt, Stand: 29. Ergänzungslieferung 2019; Merkt/Probst/Fink, Rechnungslegung nach HGB und IFRS, 2017; Müller/Reinke, Handelsrechtliche und steuerliche Behandlung von eigenen Anteilen, DStR 2014, 711; Münchener Kommentar zum Bilanzrecht, herausgegeben von Hennrichs/Kleindiek/Watrin, 2013; Singhof, Das Eigenkapital der Kapitalgesellschaften, in Schulze-Osterloh/Hennrichs/ Wüstemann (Hrsg.), Handbuch des Jahresabschlusses, Abteilung III/Beitrag 2, 2008; Theile, Vereinfachte Jahresabschlüsse für Kleinstkapitalgesellschaften, GmbHR 2012, 1112.

I. Überblick und Entstehungsgeschichte Im GmbH-Recht sind lediglich punktuelle Vorschriften über die Rechnungslegung vorzufin- 1 den, die die im Handelsrecht enthaltene Kernregelung konkretisieren bzw. ergänzen (12. Aufl., Meyer | 379

§ 42 Rz. 1 | Bilanz § 41 Rz. 2). Dazu zählt § 42, der in erster Linie den Bilanzausweis betrifft und in seinem ersten Absatz klarstellt1, dass die hier vorzufindenden Vorschriften an die §§ 242, 264 HGB anknüpfen, nach denen die Gesellschaft einen Jahresabschluss aufzustellen hat, der regelmäßig aus Bilanz (§ 266 HGB), Gewinn- und Verlustrechnung (§ 275 HGB) und Anhang (§ 284 HGB) besteht (näher 12. Aufl., § 42a Rz. 8 f.). In § 42 Abs. 1 und 2 sind besondere Vorschriften über den Ausweis des Stammkapitals (§ 5) und von Nachschussbeträgen (§§ 26 ff.) enthalten. § 42 Abs. 3 bezieht sich auf schuldrechtliche Rechtsverhältnisse mit Gesellschaftern und behandelt die Abbildung von Ausleihungen, Forderungen und Verbindlichkeiten im Jahresabschluss. Die in § 42 enthaltenen Rechnungslegungsvorschriften sind öffentlichrechtlicher Natur (12. Aufl., § 41 Rz. 10). 2 Der heutige Norminhalt des § 42 geht auf das Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom

19.12.1985 (BGBl. I 1985, 2355) zurück, das das Rechnungslegungsrecht grundlegend reformiert hat. Weite Teile der bis dahin geltenden Ursprungsfassung des § 42 sind in der allgemeinen, nunmehr im HGB verankerten Regelung aufgegangen2. Die zuvor für den Ausweis des Nachschusskapitals bestehende Vorschrift (§ 42 Nr. 3 a.F.) hat in modifizierter Gestalt, jedoch ohne sachliche Änderungen, Eingang in § 42 Abs. 2 gefunden3. Demgegenüber wurde der Stammkapitalausweis (zuvor § 42 Nr. 4) in § 42 Abs. 1 neu geregelt4. § 42 Abs. 3 hat im früheren Recht kein Vorbild (zu ihm Rz. 20). Die amtliche Überschrift „Bilanz“ ist durch das MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) eingeführt worden.

II. Ausweis des Stammkapitals (§ 42 Abs. 1) 1. Begriff und Anwendungsbereich 3 Aufgrund von § 42 Abs. 1 ist das Stammkapital der Gesellschaft (Rz. 4) in der Bilanz als ge-

zeichnetes Kapital auszuweisen. Dieser Ausweis erfolgt gemäß § 266 Abs. 3 A. I. HGB in der Bilanzgliederung als erster Unterposten des Eigenkapitals auf der Passivseite. Maßgebend ist das im Gesellschaftsvertrag festgelegte (§ 3 Abs. 1 Nr. 3) und im Handelsregister eingetragene (§ 10 Abs. 1 Satz 1) Stammkapital (§ 5). Auf Besonderheiten im Gründungsstadium und auf die Rechtslage bei Kapitalmaßnahmen wird in Rz. 5, 7 f. eingegangen. Die bilanzielle Abbildung des Stammkapitals als „gezeichnetes Kapital“ soll ausweislich der Gesetzesmaterialien zum BiRiLiG (Rz. 2) der besseren Verständlichkeit, insbesondere im Ausland, und der Synchronisation mit der aktienrechtlichen Rechtslage dienen (vgl. § 152 Abs. 1 Satz 1 AktG)5. Der Begriff „gezeichnetes Kapital“ gibt insbesondere zu erkennen, dass das Stammkapital nicht in voller Höhe eingezahlt sein muss (vgl. § 7 Abs. 2)6. Auf die Behandlung ausstehender Einlagen wird in Rz. 9 eingegangen. 4 Das Stammkapital (§ 5) bildet die Summe der von den Gesellschaftern mindestens aufzu-

bringenden Einlagen (12. Aufl., § 5 Rz. 7). Es unterliegt besonderen Kapitalschutzregeln7. Insbesondere sind Rückzahlungen an die Gesellschafter untersagt und werden daher sanktioniert (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 1, § 31). Demgegenüber ist das Stammkapital nicht gegen Verluste geschützt, die aus der Gesellschaftstätigkeit herrühren (vgl. § 49 Abs. 3). Schon aus diesem Grund ist es nicht geeignet, eine Mindesthöhe des Gesellschaftsvermögens abzubilden, so 1 2 3 4 5 6 7

S. auch Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 4. Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 4; Biener/Berneke, S. 549. Biener/Berneke, S. 549. Dazu Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 1; Biener/Berneke, S. 548 f. Vgl. Biener/Berneke, S. 549. BT-Drucks. 10/317, S. 82; Adler/Düring/Schmaltz, § 272 HGB Rz. 9. Zu Hintergründen und weiteren Funktionen Singhof in HdJ, Abt. III/2, Rz. 15 ff.; zur Rechtslage in der UG (haftungsbeschränkt) 12. Aufl., § 5a Rz. 9.

380 | Meyer

Bilanz | Rz. 6 § 42

dass die bilanzielle Stammkapitalziffer („gezeichnetes Kapital“) nicht mit einem „Garantiekapital“ der Gesellschaft gleichgesetzt werden darf. Das Stammkapital ist auch nicht deckungsgleich mit dem Eigenkapital der Gesellschaft (vgl. § 266 Abs. 3 A. HGB). Erst recht kommt ihm keine Aussagekraft für den wirtschaftlichen Wert der Gesellschaft bzw. ihres Unternehmens zu8. Die in § 272 Abs. 1 Satz 1 HGB a.F. enthaltene, rechtsformübergreifende Definition des gezeichneten Kapitals („Kapital, auf das die Haftung der Gesellschafter… beschränkt ist“) ist im Zuge der Aktienrechtsnovelle 2016 vom 22.12.2015 (BGBl. I 2015, 2565) gestrichen worden. Das ist zu begrüßen, da diese Definition unrichtig war und zu Missverständnissen Anlass gab9. Nicht unter § 42 Abs. 1 fallen die übrigen Eigenkapitalpositionen, die in § 266 Abs. 3 A. HGB aufgelistet sind. Kein gezeichnetes Kapital sind auch – unabhängig von einem etwaigen Eigenkapitalcharakter – die Einlagen stiller Gesellschafter, Genussrechtskapital, Hybridanleihen sowie Gesellschafterdarlehen10. Die für den Bilanzausweis vorgeschriebene Bezeichnung „gezeichnetes Kapital“ (§ 42 Abs. 1) 5 weicht aus den in Rz. 3 genannten Gründen vom sonstigen Sprachgebrauch des Gesetzes („Stammkapital“) ab. Das rechtfertigt es, den zwingenden Gehalt des § 42 Abs. 1, entsprechend seinem Wortlaut, allein auf die Bilanz zu beziehen. Daher ist es zulässig, in anderen Teilen der Rechnungslegung (Anhang, Lagebericht) den Begriff „Stammkapital“ zu verwenden11. § 42 Abs. 1 beschränkt sich nach seinem Wortlaut zwar auf die „Bilanz des… Jahresabschlusses“ (vgl. § 242 Abs. 3 HGB). Jedoch wäre es nicht zu begründen, in der Eröffnungsbilanz einen abweichenden Terminus zu verwenden. Dieses Verständnis ist auch in § 242 Abs. 1 Satz 2 HGB angelegt12. Daher ist in der Eröffnungsbilanz der Gesellschaft ebenfalls das „gezeichnete Kapital“ auszuweisen13. In Neugründungssituationen (12. Aufl., § 41 Rz. 19) fehlt es allerdings an einer entsprechenden Handelsregistereintragung. In der Eröffnungsbilanz einer Vorgesellschaft ist aus diesem Grund auf das satzungsmäßige Stammkapital (§ 3 Abs. 1 Nr. 3) abzustellen14. Die allgemeinen Vorschriften über den Eigenkapitalausweis gelten auch im Liquidationsstadium (heute weithin anerkannt, näher 12. Aufl., § 71 Rz. 21), so dass § 42 Abs. 1 anwendbar bleibt. § 42 Abs. 1 findet zwar ungeachtet der Größe der Gesellschaft Anwendung, jedoch können 6 Kleinstkapitalgesellschaften im Sinne von § 267a HGB, zu denen insbesondere kleinere GmbH und Unternehmergesellschaften (haftungsbeschränkt) zählen15, von dem Wahlrecht des § 266 Abs. 1 Satz 4 HGB Gebrauch machen, eine verkürze Bilanz aufzustellen. In diesem Fall wird das Eigenkapital als einheitlicher Betrag ausgewiesen, so dass ein gesonderter Ausweis des „gezeichneten Kapitals“ entfällt16. Dass es in § 42, anders als im Aktienrecht (§ 152 Abs. 4 Satz 1 AktG), an einer besonderen Vorschrift über das (Konkurrenz-)Verhältnis zu § 266 Abs. 1 Satz 4 HGB fehlt, ist unschädlich, da ein Vorrang rechtsformspezifischer Angabepflichten angesichts der Vereinfachungsfunktion des § 266 Abs. 1 Satz 4 HGB nicht an-

8 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12. 9 Näher BT-Drucks. 18/6681, S. 13; Haaker in Kirsch, § 272 HGB Rz. 21. 10 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 8; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5; zu Ausweisfragen Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 82 ff.; zu Gesellschafterdarlehen 11. Aufl., Rz. 9. 11 Ebenso Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 5; restriktiver Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 3.1. 12 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 5. 13 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4. 14 Adler/Düring/Schmaltz, § 272 HGB Rz. 13; Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 8. 15 Näher Hüttemann/Meyer in Staub, § 267a HGB Rz. 1. 16 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 4; Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 5; Müller/Reinke, DStR 2014, 711, 713; zur rechtspolitischen Kritik Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 12.

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§ 42 Rz. 6 | Bilanz zuerkennen ist17. Dieses Verständnis liegt auch § 264c Abs. 5 Satz 1 HGB zugrunde, und es besteht kein Anlass, insoweit zwischen Kleinst-GmbH und Kleinst-GmbH & Co. KG zu unterscheiden18. Verzichtet eine Kleinstgesellschaft gemäß § 264 Abs. 1 Satz 5 HGB auf die Erstellung eines Anhangs, sind entgegen § 264 Abs. 2 Satz 4 HGB keine zusätzlichen Angaben unter der Bilanz zu machen, da diese Vorschrift richtlinienwidrig ist19. Gesellschaftsrechtliche Auskunfts- und Einsichtsrechte bleiben freilich unberührt20. Für kleine Gesellschaften (§ 267 Abs. 1 HGB) ergibt sich aus § 266 Abs. 1 Satz 3 HGB im Hinblick auf den Ausweis des gezeichneten Kapitals hingegen keine Erleichterung, da der Bilanzposten § 266 Abs. 3 A. I. HGB mit einer römischen Zahl bezeichnet ist.

2. Höhe des Wertansatzes und Kapitalmaßnahmen 7 Das gezeichnete Kapital ist aufgrund von § 272 Abs. 1 Satz 1 HGB mit dem Nennbetrag an-

zusetzen, auch wenn es nicht voll eingezahlt ist (vgl. Rz. 3, 9)21. Maßgebend ist der am Bilanzstichtag im Handelsregister eingetragene Betrag (§ 10 Abs. 1 Satz 1 HGB)22. Spätere Veränderungen des Stammkapitals, d.h. Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen, sind grundsätzlich erst dann zu erfassen, wenn sie im Zuge ihrer Eintragung in das Handelsregister wirksam werden (vgl. § 54 Abs. 3)23. Bei der vereinfachten Kapitalherabsetzung (§ 58a) eröffnet § 58e Abs. 1 jedoch die Möglichkeit, den bilanziellen Ausweis auf das vorangegangene Geschäftsjahr zurückzubeziehen (dazu 12. Aufl., § 58e Rz. 2). Gleiches gilt nach Maßgabe von § 58f Abs. 1 für eine mit der Kapitalherabsetzung verbundene Kapitalerhöhung. Demgegenüber lässt eine Einziehung die Höhe des Stammkapitals unberührt (12. Aufl., § 34 Rz. 62). 8 Erfolgen Einzahlungen auf bereits beschlossene, aber noch nicht im Handelsregister ein-

getragene Kapitalerhöhungen, so ist die Gegenbuchung auf der Passivseite der Bilanz unter dem gesonderten Posten „Zur Durchführung der beschlossenen Kapitalerhöhung geleistete Einlagen“ vorzunehmen24. Dieser Posten ist zwischen dem Eigenkapital (§ 266 Abs. 3 A. HGB) und den Rückstellungen (§ 266 Abs. 3 B. HGB) auszuweisen25. Ist die Kapitalerhöhung nach dem Bilanzstichtag, aber vor Aufstellung der Bilanz eingetragen worden, darf ein 17 Streitig; wie hier Dusemond/Heusinger-Lange/Knop in Küting/Weber, § 266 HGB Rz. 4a, 8a; Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 11; gleichsinnig Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Schubert/Waubke in BeckBilKomm., § 266 HGB Rz. 22; Fey/Deubert/Lewe/Roland, BB 2013, 107, 109; abweichend bzw. differenzierend Witt in Bork/Schäfer, Rz. 21; Kirsch in Kirsch, § 264 HGB Rz. 60.4; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 61; Mylich in Merkt/Probst/Fink, Kapitel 10 Rz. 63; Kirsch, DStZ 2012, 751, 754 f.; Theile, GmbHR 2012, 1112, 1115. 18 Vgl. auch Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 42; zur Verallgemeinerungsfähigkeit des § 264c Abs. 5 HGB näher Hüttemann/Meyer in Staub, § 264c HGB Rz. 35; a.A. Theile, GmbHR 2012, 1112, 1115. 19 Ausführlich Hüttemann/Meyer in Staub, § 264 HGB Rz. 55 ff. An dieser Einordnung hat sich durch das Inkrafttreten der Bilanzrichtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013 (ABl. L 182 v. 29.6.2013, S. 19) nichts geändert (Meyer, BB 2014, 1131, 1132). 20 Vgl. Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 10. 21 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 6; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5. 22 Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 25; Haaker in Kirsch, § 272 HGB Rz. 28; zu Besonderheiten im Gründungsstadium Rz. 5. 23 Näher Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 25; Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 9. 24 Haaker in Kirsch, § 272 HGB Rz. 29; Mylich in Merkt/Probst/Fink, Kapitel 7 Rz. 13; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8. 25 Adler/Düring/Schmaltz, § 272 HGB Rz. 19; Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 54; Kropff in MünchKomm. Bilanzrecht, § 272 HGB Rz. 22; Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 10.

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Bilanz | Rz. 10 § 42

Ausweis im Eigenkapital hinter dem gezeichneten Kapital unter Angabe des Datums der Eintragung erfolgen26. Voreinzahlungen auf noch nicht beschlossene Kapitalerhöhungen bilden hingegen Fremdkapital, so dass regelmäßig eine Verbindlichkeit auszuweisen ist27. Abweichendes gilt, wenn der Zahlung ausnahmsweise Erfüllungswirkung in Bezug auf die noch zu beschließende Kapitalerhöhung zukommt, was namentlich in akuten Sanierungssituationen der Fall sein kann (näher 12. Aufl., § 56a Rz. 16 ff.).

3. Ausstehende Einlagen Der bilanzielle Ausweis ausstehender Einlagen auf das gezeichnete Kapital (vgl. § 7 Abs. 2, 9 § 57 Abs. 2, § 46 Nr. 2) ist in § 272 Abs. 1 Satz 2 HGB geregelt. Seit dem BilMoG vom 25.5.2009 (BGBl. I 2009, 1102) ist nur noch der sog. Nettoausweis zugelassen, der im Kern das Problem adressiert, dass nicht eingeforderte ausstehende Einlagen nach allgemeinen bilanzrechtlichen Grundsätzen (noch) keinen Forderungscharakter haben und daher nicht aktiviert werden können28. Aus diesem Grund sind die nicht eingeforderten ausstehenden Einlagen gemäß § 272 Abs. 1 Satz 2 Teilsatz 1 HGB offen vom gezeichneten Kapital abzusetzen, so dass nur der verbleibende Betrag in der Hauptspalte der Passivseite auszuweisen ist (§ 272 Abs. 1 Satz 2 Teilsatz 2 HGB)29. Äußerst unglücklich ist allerdings, dass dieser Posten als „Eingefordertes Kapital“ bezeichnet werden muss, denn er bildet nicht nur das eingeforderte ausstehende Kapital ab, sondern auch die bereits eingezahlten Beträge30. § 272 Abs. 1 Satz 2 Teilsatz 3 HGB betrifft demgegenüber die Aktivseite der Bilanz: Da die eingeforderten Beträge (vgl. § 46 Nr. 2) auch aus bilanzrechtlicher Sicht Forderungen darstellen, sind sie zu aktivieren. Jedoch verlangt das Gesetz einen gesonderten Ausweis unter den Forderungen, verbunden mit einer entsprechenden Bezeichnung. Dies sollte vor dem Bilanzposten „sonstige Vermögensgegenstände“ (§ 266 Abs. 2 B. II. 4. HGB) geschehen31. Die bereits eingezahlten Beträge lassen sich folglich ermitteln, indem vom Bilanzposten „Eingefordertes Kapital“ auf der Passivseite die auf der Aktivseite nach § 272 Abs. 1 Satz 2 Teilsatz 3 HGB gesondert ausgewiesenen Forderungen abgezogen werden32. Sobald das Stammkapital voll eingezahlt ist, entfällt der besondere Ausweis nach § 272 Abs. 1 Satz 2 HGB, so dass es unter dem Posten „Gezeichnetes Kapital“ in der Hauptspalte zu zeigen ist33.

4. Eigene Anteile Die bilanzielle Abbildung eigener Anteile, die die Gesellschaft unter den Voraussetzungen 10 des § 33 erwerben darf, ist in § 272 Abs. 1a, 1b HGB geregelt. Eine besondere Normierung ist erforderlich, da dieser Vorgang wirtschaftlich einer Kapitalrückgewähr gleichkommt und

26 Streitig; wie hier Haaker in Kirsch, § 272 HGB Rz. 30; Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 10; s. auch Adler/Düring/Schmaltz, § 272 HGB Rz. 19; Kropff in MünchKomm. Bilanzrecht, § 272 HGB Rz. 23; a.A. Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 55 (Anhangangabe nach § 285 Nr. 33 HGB); Küting/Reuter in Küting/Weber, § 272 HGB Rz. 13; 11. Aufl., Rz. 7 (Gleichbehandlung). 27 Reiner in MünchKomm. HGB, § 272 HGB Rz. 47. 28 Zu Hintergründen, Rechtsentwicklung und Auswirkungen auf den Kapitalschutz Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 14 f., 20. 29 Zu der davon zu trennenden Rechtslage bei ausstehenden Einlagen auf Agiobeträge Störk/Kliem/ Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 32; Hüttemann/Meyer in Staub HGB, § 272 HGB Rz. 17. 30 Haaker in Kirsch, § 272 HGB Rz. 33; Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 16. 31 Vgl. Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 40. 32 Vgl. BT-Drucks. 16/10067, S. 65. 33 Singhof in HdJ, Abt. III/2, Rz. 58.

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§ 42 Rz. 10 | Bilanz der bilanzielle Charakter eigener Anteile unsicher ist34. Seit dem BilMoG vom 25.5.2009 (BGBl. I 2009, 1102) sind eigene Anteile netto auszuweisen, indem der Nennbetrag der betroffenen Geschäftsanteile in der Vorspalte offen von dem Posten „Gezeichnetes Kapital“ abzusetzen ist (§ 272 Abs. 1a Satz 1 HGB)35. Im Gegensatz zum früheren Recht (§ 272 Abs. 4 HGB a.F.) ist keine gebundene Rücklage mehr zu bilden, sondern § 33 Abs. 2 Satz 1 macht es lediglich zur Erwerbsvoraussetzung, dass eine Rücklage gebildet werden könnte36. Nur soweit die Anschaffungskosten oberhalb des Nennwerts der Anteile liegen, erfolgt gemäß § 272 Abs. 1a Satz 2 HGB eine Verrechnung mit frei verfügbaren Rücklagen. Zu ihnen zählen nicht nur „andere Gewinnrücklagen“ im Sinne von § 266 Abs. 3 A. III. 4. HGB, sondern auch frei verfügbare Kapitalrücklagen37. Soweit keine ausreichenden, frei verfügbaren Rücklagen vorhanden sind, mindert sich das Ergebnis38. Bei Unter-pari-Erwerb erfolgt eine Verrechnung des Differenzbetrags mit frei verfügbaren Rücklagen, so dass diese sich erhöhen39. Anschaffungsnebenkosten, etwa Erwerbsnebenkosten, Provisionen und Beratungskosten, werden aufgrund von § 272 Abs. 1a Satz 3 HGB als Aufwand, d.h. gewinnmindernd gebucht40. Kleinstgesellschaften (Rz. 6), die auf den Anhang verzichten, sind in Ermangelung einer § 264 Abs. 1 Satz 5 Nr. 3 HGB entsprechenden Vorschrift nicht verpflichtet, Angaben zu eigenen Anteilen unter der Bilanz zu machen41. 11 Bei Wiederveräußerung der eigenen Anteile werden die vorstehenden Rechtswirkungen

nach Maßgabe von § 272 Abs. 1b HGB rückgängig gemacht: Der besondere (Netto-)Ausweis der eigenen Anteile entfällt (§ 272 Abs. 1b Satz 1 HGB). Bei Veräußerungserlösen oberhalb des Nennwerts erfolgt gemäß § 272 Abs. 1b Satz 2 HGB eine Aufstockung der frei verfügbaren Rücklagen, soweit beim Erwerb eine Verrechnung nach § 272 Abs. 1a Satz 2 HGB erfolgt war. Lediglich Agiobeträge, die darüber hinausgehen, werden aufgrund von § 272 Abs. 1b Satz 3 HGB in die Kapitalrücklage (vgl. § 272 Abs. 2 Nr. 1, § 266 Abs. 3 A. II. HGB) eingestellt42. Veräußerungsnebenkosten mindern den Gewinn (§ 272 Abs. 1b Satz 4 HGB).

III. Nachschüsse (§ 42 Abs. 2) 1. Ausgangspunkt 12 § 42 Abs. 2 regelt die Abbildung von Nachschüssen (§§ 26 ff.) auf der Aktiv- und Passivseite

der Bilanz und bezieht sich mithin auf die – praktisch seltene (12. Aufl., § 26 Rz. 1a) – Situation, dass im Gesellschaftsvertrag eine Nachschusspflicht verankert ist. In diesem Fall können die Gesellschafter die Einforderung von weiteren Einzahlungen beschließen (§ 26 Abs. 1). Die Nachschusspflicht kann gemäß § 26 Abs. 3 satzungsmäßig auf einen bestimmten Betrag beschränkt werden, wobei bei verzögerter Einzahlung nach Maßgabe von § 28 eine Kaduzierung erfolgen kann. Bei unbeschränkter Nachschusspflicht greift hingegen § 27 ein, der es jedem Gesellschafter, der seine Stammeinlage vollständig geleistet hat, ermöglicht, sich von

34 35 36 37 38 39 40 41 42

Zu Hintergründen und Rechtsentwicklung Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 21 ff. Dazu BT-Drucks. 16/10067, S. 65 f. Zu den kapitalschutzrechtlichen Implikationen Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 23 ff. So BT-Drucks. 16/10067, S. 66; näher Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 133. Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 135; Reiner in MünchKomm. HGB, § 272 HGB Rz. 29. Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 131; Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 26. Zur Abgrenzung Mylich in Merkt/Probst/Fink, Kapitel 7 Rz. 34. Vgl. demgegenüber Müller/Reinke, DStR 2014, 711, 713 f. Zu den Hintergründen dieser Differenzierung BT-Drucks. 16/10067, S. 66; zur Rechtslage bei Veräußerung unter pari Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 27.

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Bilanz | Rz. 15 § 42

der Nachschusszahlung zu befreien, indem er der Gesellschaft den Geschäftsanteil innerhalb eines Monats nach der Zahlungsaufforderung zur Verfügung stellt (§ 27 Abs. 1 Satz 1; näher 12. Aufl., § 27 Rz. 6 ff.). Dieses Preisgabe- bzw. Abandonrecht besteht nicht, wenn die Gesellschaft von der Regelungsmöglichkeit des § 27 Abs. 4 Gebrauch gemacht hat und die Nachschusshöhe den im Gesellschaftsvertrag festgelegten Betrag nicht übersteigt (dazu 12. Aufl., § 27 Rz. 3). An diese Rechtslage knüpft § 42 Abs. 2 an. Die ersten beiden Sätze befassen sich mit der Akti- 13 vierbarkeit von Nachschussforderungen in der Bilanz der Gesellschaft (vgl. § 266 Abs. 2 B. II. HGB, Rz. 14 ff.), während § 42 Abs. 2 Satz 3 die Passivierung in Gestalt eines gesonderten, gleich hohen Ausweises in der Kapitalrücklage (vgl. § 266 Abs. 3 A. II. HGB) regelt (Rz. 18).

2. Aktivierbarkeit eingeforderter Nachschüsse Da sich die Forderung erst mit einem wirksamen43 Einziehungsbeschluss nach § 26 Abs. 1 14 konkretisiert (12. Aufl., § 26 Rz. 14, 23), erhebt § 42 Abs. 2 Satz 1 ihn zur Grundvoraussetzung für die Aktivierung44. Solange kein Einziehungsbeschluss vorliegt, wird die gesellschaftsvertragliche Nachschusspflicht mithin nicht bilanziell abgebildet45. Darüber hinaus darf dem Gesellschafter kein Preisgaberecht nach § 27 Abs. 1 Satz 1 zustehen. Denn andernfalls fehlt es nach bilanzrechtlichen Grundsätzen (wirtschaftliche Betrachtung) an einer genügend gesicherten Rechtsposition der Gesellschaft46. An einer Befreiungsmöglichkeit des Gesellschafters fehlt es zunächst dann, wenn die Nachschusspflicht gemäß § 26 Abs. 3 beschränkt ist. Bei unbeschränkter Nachschusspflicht besteht kein Preisgaberecht, wenn es an einer vollständigen Einzahlung der Stammeinlage fehlt oder die Monatsfrist des § 27 Abs. 1 Satz 1 abgelaufen ist. Eine Forderung ist auch dann zu aktivieren, wenn die Einziehung vor dem Bilanzstichtag beschlossen wurde und die Monatsfrist bei Aufstellung der Bilanz bereits abgelaufen war47. Ein Preisgaberecht des Gesellschafters besteht ferner dann nicht, wenn der eingeforderte Nachschuss einen satzungsmäßig festgelegten Betrag nach § 27 Abs. 4 nicht überschreitet48. Gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 darf die Forderung nur insoweit aktiviert werden, wie mit der Zah- 15 lung gerechnet werden kann. Der Gesetzeswortlaut lässt eine Einordnung als Bewertungsregelung zu („soweit“), so dass bei Zweifeln an der Zahlungsfähigkeit des jeweiligen Gesellschafters sowie auch bei Zahlungsunwilligkeit nach Maßgabe der dazu bestehenden bilanzrechtlichen Grundsätze Wertabschläge vorzunehmen sind49. Die Besonderheit der Vorschrift besteht darin, dass die Forderung bei feststehender Uneinbringlichkeit von vornherein nicht aktiviert werden darf50, so dass insoweit zwischen Zahlungsunfähigkeit und bloßer Zahlungsunwilligkeit differenziert werden kann51. Darüber hinaus ist der konkrete Wertansatz der For-

43 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 8. 44 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 40; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14. 45 Statt aller Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 56. 46 S. auch 11. Aufl., Rz. 15. 47 Streitig; wie hier Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 18; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 40; 11. Aufl., Rz. 15. 48 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 17. 49 Im Einzelnen streitig; gleichsinnig Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 9; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 37; abweichend Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 20; Witt in Bork/ Schäfer, Rz. 16; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14. 50 Vgl. Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 22 f. 51 Vgl. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 9; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15.

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§ 42 Rz. 15 | Bilanz derung gemäß § 42 Abs. 2 Satz 3 unmittelbar bestimmend für die Höhe der auszuweisenden Rücklage (Rz. 18)52. 16 Die Aktivierung der Forderung scheidet hingegen nicht allein deshalb aus, weil die Gesell-

schaft gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 das Recht hat, den Abandon zu fingieren (dazu 12. Aufl., § 27 Rz. 16 f.). Abweichend ist die Rechtslage jedoch, wenn sie von diesem Recht Gebrauch macht53. Verbreitet wird – weitergehend – davon ausgegangen, dass die Aktivierung der Nachschussforderung zu einem Verzicht des Rechts aus § 27 Abs. 1 Satz 2 führt54. Das überzeugt nicht, da § 42 Abs. 2 kein Aktivierungswahlrecht eröffnet, sondern die Aktivierung verpflichtend stellt55, und kein genügender Grund dafür ersichtlich ist, die Gesellschaft bei Ausbleiben der Zahlung in die Klage zu zwingen. 17 Soweit der nachzuschießende Betrag zu aktivieren ist, muss gemäß § 42 Abs. 2 Satz 2 eine

Forderung angesetzt werden, die gesondert unter der Bezeichnung „Eingeforderte Nachschüsse“ auszuweisen ist. Diese Abbildung macht dem Bilanzleser den besonderen Charakter der Forderung deutlich, der darin besteht, dass es sich um eingefordertes Nachschusskapital handelt. Es bietet sich an, diesen Posten vor den „sonstigen Vermögensgegenständen“ (§ 266 Abs. 2 B. II. 4. HGB) abzubilden56.

3. Korrespondierende Passivierung 18 Auf der Passivseite der Bilanz erfolgt gemäß § 42 Abs. 2 Satz 3 eine höhenmäßig gleiche Bu-

chung in die Kapitalrücklage (vgl. § 272 Abs. 2, § 266 Abs. 3 A. II. HGB). Hierdurch wird klargestellt, dass den Nachschüssen Eigenkapitalcharakter zukommt. Das Nachschusskapital ist jedoch keiner der in § 272 Abs. 2 Nr. 1-4 HGB genannten Rücklagenarten zuzuordnen57, sondern gemäß § 42 Abs. 2 Satz 3 gesondert auszuweisen, wobei die (Posten-)Bezeichnung „Nachschusskapital“ verwendet werden kann58. Den Hintergrund dieser besonderen bilanziellen Abbildung bildet der singuläre Rechtscharakter des Nachschusskapitals (vgl. § 30 Abs. 2), der es von anderen Eigenkapitalpositionen abhebt (dazu 12. Aufl., § 26 Rz. 5, 12. Aufl., § 30 Rz. 135; 11. Aufl., Rz. 12). Es ist daher gerechtfertigt, den gesonderten Ausweis auch dann beizubehalten, wenn das Kapital eingezahlt worden ist, so dass im Einzahlungsfall keine Umgliederung in die „anderen Zuzahlungen“ (§ 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB) vorzunehmen ist59. Das Nachschusskapital ist als eigener Unterposten der Kapitalrücklage zu zeigen, wenn der Posten „Kapitalrücklage“ (§ 266 Abs. 3 A. II. HGB) weiter aufgegliedert wird60. Andernfalls ist

52 Zu dieser Besonderheit Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 23. 53 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 16; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 16. 54 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 16; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 40; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14. 55 S. nur Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 18. 56 Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 21; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14. 57 Vgl. nur Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 49. 58 Kropff in MünchKomm. Bilanzrecht, § 272 HGB Rz. 146. 59 Streitig; wie hier Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 25; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 10; Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 217; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 17; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 39; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42 GmbHG Rz. 17; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Hüttemann/Meyer in Staub, § 272 HGB Rz. 49; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16; a.A. Küting/Reuter in Küting/Weber, § 272 HGB Rz. 129; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 56; Reiner in MünchKomm. HGB, § 272 HGB Rz. 103; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 43. 60 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 22.

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Bilanz | Rz. 20 § 42

ein „Davon“-Vermerk zulässig61. Muss die Nachschussforderung der Gesellschaft nachträglich abgewertet werden (vgl. Rz. 15), so ist der Passivposten korrespondierend anzupassen, so dass sich keine Gewinnauswirkung ergibt62. Die Rücklage darf aufgelöst werden zur Verlustdeckung, zur Rückzahlung an die Gesellschafter nach Maßgabe von § 30 Abs. 2 (näher 12. Aufl., § 30 Rz. 139 ff.) sowie gemäß § 57d zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (dazu 12. Aufl., § 57d Rz. 8)63. Die vorstehende Rechtslage ist abzugrenzen von freiwilligen Zuzahlungen in das Eigenkapital, die nicht nach Maßgabe der §§ 26 ff. erfolgen, so dass die Sonderregelung für Nachschüsse keine Anwendung findet. Die Passivierung erfolgt in solchen Fällen auf Grundlage von § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB. Derartige Rücklagen unterliegen keiner besonderen Kapitalbindung64 und können daher grundsätzlich frei aufgelöst werden65.

4. Kleingesellschaften Für Kleinstgesellschaften im Sinne von § 267a HGB (Rz. 6), die von dem Wahlrecht des 19 § 266 Abs. 1 Satz 4 HGB Gebrauch machen, entfällt der gesonderte Ausweis nach § 42 Abs. 2 Satz 2, 3 aufgrund der geringen Gliederungstiefe der Bilanz66. Abweichend ist die Rechtslage bei kleinen GmbH (§ 267 Abs. 1 HGB), die eine verkürzte Bilanz nach § 266 Abs. 1 Satz 3 HGB aufstellen, da sich die in Rede stehenden Angabepflichten auf Posten mit römischen Ziffern beziehen (§ 266 Abs. 2 B. II. bzw. Abs. 3 A. II. HGB), so dass es eines gesonderten Ausweises bedarf67. Zu konzedieren ist allerdings, dass dem Gesetz in dieser Hinsicht keine völlig klaren Vorgaben entnommen werden können (vgl. § 266 Abs. 1 Satz 3 HGB: „nur“)68.

IV. Schuldrechtliche Rechtsverhältnisse mit Gesellschaftern (§ 42 Abs. 3) 1. Hintergründe und Überblick Aufgrund von § 42 Abs. 3 sind schuldrechtliche Beziehungen zwischen der Gesellschaft und 20 ihren Gesellschaftern (Rz. 24) im Jahresabschluss gesondert anzugeben (Rz. 25 f.), sofern aus ihnen bilanzierungspflichtige Ausleihungen, Forderungen oder Verbindlichkeiten (Rz. 21 ff.) resultieren. Es handelt sich um eine GmbH-rechtliche Sonderregelung69, die über die allgemeinen, für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften hinausgeht, da ansonsten nur Ausleihungen, Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen sowie gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht (vgl. § 271 HGB), gesondert auszuweisen sind (§ 266 Abs. 2 A. III. 2., 4., B. II. 2., 3., Abs. 3 C. 6., 7. HGB). Auf das daraus resultierende Konkurrenzverhältnis wird in Rz. 27 eingegangen. § 42 Abs. 3 ist durch das BiRiLiG (Rz. 2) eingeführt worden und beruht nicht auf unionsrechtlichen Vor-

61 Vgl. Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 215; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15. 62 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 23; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15. 63 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 26; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42 GmbHG Rz. 17; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 43. 64 Vgl. Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42 GmbHG Rz. 19: nur § 30 Abs. 1 zu beachten. 65 Reiner in MünchKomm. HGB, § 272 HGB Rz. 99. 66 Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 11; Nachweise zum Meinungsstand in Rz. 6. 67 Wohl allgemein anerkannt, vgl. mit Blick auf § 42 Abs. 3 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 28; Schubert/Waubke in BeckBilKomm., § 266 HGB Rz. 22; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 21; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 61; Reiner/Haußer in MünchKomm. HGB, § 266 HGB Rz. 12. 68 Näher Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 8. 69 Für die GmbH & Co. KG vgl. § 264c Abs. 1 HGB.

Meyer | 387

§ 42 Rz. 20 | Bilanz gaben70. Der Vorschrift liegt ganz offensichtlich die Überlegung zugrunde, dass es für die Rechnungslegungsadressaten von wesentlicher Bedeutung ist, einen Überblick über die schuldrechtlichen Beziehungen der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern zu erlangen, da die Möglichkeit einer durch das vorzufindende Näheverhältnis hervorgerufenen, nicht fremdüblichen Ausgestaltung bzw. Durchführung derartiger Rechtsverhältnisse besteht71. Hieran können sich besondere Rechtsfolgen, auch steuerrechtlicher Natur, anschließen72. Die Angabepflicht nach § 42 Abs. 3 fördert daher die Verlässlichkeit des Jahresabschlusses durch Transparentmachung der Verhältnisse. Diesem Telos kommt im Rahmen der Auslegung der Vorschrift Bedeutung zu. Die Abbildung derartiger Rechtsbeziehungen im festgestellten Jahresabschluss führt richtigerweise zu keinem Schuldanerkenntnis (12. Aufl., § 42a Rz. 29).

2. Ausleihungen, Forderungen, Verbindlichkeiten 21 Ausleihungen gehören zu den Finanzanlagen der Gesellschaft (vgl. § 266 Abs. 2 A. III. HGB).

Es handelt sich mithin um Finanz- und Kapitalforderungen, die dem Anlagevermögen zugehören, d.h. dazu bestimmt sind, dauernd dem Geschäftsbetrieb zu dienen (§ 247 Abs. 2 HGB)73. Das setzt regelmäßig eine vertragliche Mindestlaufzeit (nicht: Restlaufzeit) von einem Jahr voraus, wobei es bei Laufzeiten unter vier Jahren maßgeblich auf das subjektive Element der Bestimmung ankommt74. Langfristige Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gegenüber Gesellschaftern stellen keine Ausleihungen dar, sondern fallen, ebenso wie Ansprüche aus kurzfristigen Darlehen, unter die Forderungen (Rz. 22)75. Wegen weiterer Einzelheiten kann auf das handelsrechtliche Schrifttum Bezug genommen werden76. 22 Forderungen im bilanzrechtlichen Sinne gehören, anders als die Ausleihungen, dem Um-

laufvermögen an (vgl. § 266 Abs. 2 B. II. HGB)77. Soweit § 42 Abs. 3 Forderungen gegenüber Gesellschaftern in Bezug nimmt, ist die in § 266 Abs. 2 B. II. 1., 4. HGB angelegte Unterscheidung zwischen Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und sonstigen Vermögensgegenständen bedeutungslos78. Der Betrag der Forderungen mit einer Restlaufzeit von mehr als einem Jahr ist gemäß § 268 Abs. 4 Satz 1 HGB zu vermerken. Weil sich § 42 Abs. 3 allein auf Forderungen bezieht, werden die gemäß § 266 Abs. 2 B. IV. HGB abzubildenden Bilanzpositionen nicht erfasst79, auch wenn dies rechtspolitisch wünschenswert wäre. Nicht zu den „Forderungen“ im Sinne dieser Vorschrift zählen auch eingeforderte Einlagen (Rz. 9) und Nachschüsse (Rz. 14 ff.), da sie aufgrund der spezielleren Regelungen in § 272 Abs. 1

70 Dazu Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 27. 71 Vgl. Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 40; zur präventiven Wirkung Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18. 72 Vgl. Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42 GmbHG Rz. 20. 73 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 29; Suchan in MünchKomm. Bilanzrecht, § 266 HGB Rz. 41; Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 26. 74 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 29; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Schubert/ F. Huber in BeckBilKomm., § 247 HGB Rz. 357. 75 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 19 f. 76 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 266 HGB Rz. 76; Schubert/Kreher in BeckBilKomm., § 266 HGB Rz. 77; Matschke/Brösel/Haaker in Kirsch, § 266 HGB Rz. 233 ff.; Dusemond/Heusinger-Lange/ Knop in Küting/Weber, § 266 HGB Rz. 54 ff. 77 Zu den im Einzelnen erfassten Positionen Schubert/Berberich in BeckBilKomm., § 247 HGB Rz. 75 ff. 78 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 30; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Bohl/ Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42 GmbHG Rz. 64. 79 A.A. Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 31; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42 GmbHG Rz. 65.

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Bilanz | Rz. 24 § 42

Satz 2 Teilsatz 3 HGB bzw. § 42 Abs. 2 Satz 2 gesondert auszuweisen sind80. Gleiches gilt aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für einlagenersetzende Forderungen, die im Anschluss an die eingeforderten Einlagen auszuweisen sind81. Indem § 42 Abs. 3 auf die „Verbindlichkeiten“ verweist, wird auch insoweit auf die bilanz- 23 rechtliche Terminologie Bezug genommen, so dass Verbindlichkeiten im Sinne von § 266 Abs. 3 C. HGB gemeint sind82. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Entstehung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach hinreichend gewiss ist83. Die Restlaufzeiten sind nach Maßgabe von § 268 Abs. 5 Satz 1 HGB zu vermerken. Ferner können Anhangangaben nach § 285 Nr. 1, 2 HGB vorzunehmen sein. Der Sinn und Zweck des § 42 Abs. 3 (Rz. 20) würde es an sich nahelegen, auch Rückstellungen (vgl. §§ 249, 266 Abs. 3 B. HGB) zu erfassen, die auf (möglichen) Verpflichtungen gegenüber Gesellschaftern beruhen. Jedoch bezieht sich der Wortlaut der Vorschrift allein auf Verbindlichkeiten, woraus abzuleiten ist, dass (Verbindlichkeits-)Rückstellungen nicht erfasst werden84. Für diese Sichtweise spricht auch das systematische Argument, dass sich der gesonderte Ausweis von Verbindlichkeiten gegenüber verbundenen Unternehmen sowie gegenüber Unternehmen, mit denen ein Beteiligungsverhältnis besteht (§ 266 Abs. 3 C. 6., 7. HGB), ebenfalls allein auf Verbindlichkeiten im bilanzrechtlichen Sinne bezieht. Für Verbindlichkeiten aus Gesellschafterdarlehen gelten keine prinzipiellen Besonderheiten, so dass sie von § 42 Abs. 3 erfasst werden85. Insbesondere ist die frühere Kategorie der eigenkapitalersetzenden Darlehen (vgl. §§ 32a, 32b a.F.) durch das MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) abgeschafft und durch eine nach anderen Kriterien differenzierende Regelung ersetzt worden, die in erster Linie den Insolvenzfall betrifft (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO)86. Vor diesem Hintergrund ist eine besondere Kennzeichnung entbehrlich87. Ein Rangrücktritt führt nach allgemeinen Grundsätzen nicht zum Entfall der Verbindlichkeit, so dass der gesonderte Ausweis nach § 42 Abs. 3 beizubehalten ist88. Das Bestehen einer Rangrücktrittsvereinbarung ist in der Rechnungslegung jedoch kenntlich zu machen89.

3. Materieller Gesellschafterbegriff Gesellschafter ist jeder Inhaber eines Geschäftsanteils, ohne dass es auf den Umfang der Be- 24 teiligung ankommt90. Im Falle einer Mitberechtigung nach § 18 findet § 42 Abs. 3 auf sämtli80 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 32; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 44; Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 40; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20; a.A. offenbar Störk/Kliem/Meyer in BeckBilKomm., § 272 HGB Rz. 215. 81 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 32. 82 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 33; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 21; zum bilanzrechtlichen Schuldbegriff Schubert in BeckBilKomm., § 247 HGB Rz. 201 ff. 83 S. nur Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 68. 84 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; für Zulässigkeit eines „Davon“-Vermerks Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 38; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42 GmbHG Rz. 67; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 21. 85 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 60; Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 68. 86 Näher 12. Aufl., §§ 32a, 32b a.F. Rz. 8; 12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 1 ff. 87 Witt in Bork/Schäfer, Rz. 22; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 60; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 49; a.A. Schubert in BeckBilKomm., § 266 HGB Rz. 255. 88 Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42 GmbHG Rz. 24; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 51 f., auch zu den – unsicheren – Voraussetzungen, die handelsrechtlich an einen Forderungsverzicht zu stellen sind; zum Steuerrecht (vgl. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG, § 5 Abs. 2a EStG) vgl. Wilk in BeckOK EStG, § 5 Rz. 2510 ff., 2578 ff. 89 Vgl. Schubert in BeckBilKomm., § 266 HGB Rz. 255; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 22; Küting/Kessler in Küting/Weber, § 272 HGB Rz. 216; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 50. 90 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 13; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 46.

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§ 42 Rz. 24 | Bilanz che Mitberechtigte Anwendung91. Beteiligt sich jemand als stiller Gesellschafter, findet die Vorschrift hingegen keine Anwendung, da er keinen Geschäftsanteil erlangt92. Ist der stille Gesellschafter jedoch zugleich Inhaber eines Geschäftsanteils, so ist seine Einlage unter den „Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern“ (Rz. 23) auszuweisen93. Da § 42 Abs. 3 auf die zutreffende Information der Rechnungslegungsadressaten abzielt (Rz. 20), ist grundsätzlich auf die materielle Inhaberschaft am Bilanzstichtag abzustellen94. Im Falle eines Gesellschafterwechsels ist der Nachvollzug in der Gesellschafterliste (vgl. § 16 Abs. 1 Satz 1) daher nicht entscheidend95. Voraussetzung ist freilich, dass der Gesellschafterwechsel rechtzeitig bekannt geworden ist (zum Wertaufhellungszeitraum 12. Aufl., § 42a Rz. 27). Hat eine schuldrechtliche Beziehung mit dem Erwerber, die nunmehr unter § 42 Abs. 3 fällt, bereits vor dem Gesellschafterwechsel bestanden, bedarf es einer ex nunc-Abbildung im Jahresabschluss, die regelmäßig eine Umbuchung notwendig macht (vgl. Rz. 26). Umgekehrt entfällt im Falle schuldrechtlicher Beziehungen mit dem Veräußerer die bisherige Kenntlichmachung nach § 42 Abs. 3, was ebenfalls eine Umbuchung innerhalb des Anlagevermögens (Ausleihungen), des Umlaufvermögens (Forderungen) oder der Verbindlichkeiten erfordern kann. Bei Treuhandverhältnissen, die der Gesellschaft bekannt sind, müssen aus telelogischen Gründen (Rz. 20) nicht nur die schuldrechtlichen Beziehungen mit dem Treuhänder kenntlich gemacht werden, sondern auch diejenigen mit dem Treugeber, bei dem es sich regelmäßig um den wirtschaftlichen Inhaber des Geschäftsanteils handeln wird96. Demgegenüber folgt aus § 42 Abs. 3 kein Erfordernis, schuldrechtliche Rechtsbeziehungen mit nahestehenden Personen von Gesellschaftern kenntlich zu machen. Gesondert auszuweisen sind lediglich Rechtsverhältnisse mit verbundenen Unternehmen und Beteiligungsunternehmen im Sinne von § 271 HGB (Rz. 20).

4. Abbildung im Jahresabschluss a) Darstellungsmöglichkeiten 25 Für die Abbildung im Jahresabschluss sieht § 42 Abs. 3 drei Möglichkeiten vor, wobei die

Verhältnisbestimmung umstritten ist (Rz. 26). In Betracht kommt zunächst ein gesonderter Bilanzausweis (§ 42 Abs. 3 Halbsatz 1 Alt. 1) mit arabischer Bezifferung, und zwar für Ausleihungen in der Postengruppe „Finanzanlagen“ (§ 266 Abs. 2 A. III. HGB), für Forderungen in der Postengruppe „Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände“ (§ 266 Abs. 2 B. II. HGB) und für Verbindlichkeiten in der Postengruppe des § 266 Abs. 3 C. HGB97. Die Posten sind als „Ausleihungen an Gesellschafter“, „Forderungen gegen Gesellschafter“ bzw. „Verbindlichkeiten gegenüber Gesellschaftern“ zu bezeichnen. Es bietet sich an, sie vor den Angaben auszuweisen, die sich auf verbundene Unternehmen beziehen. Die Mitzugehörigkeit zu anderen Bilanzposten ist gemäß § 265 Abs. 3 HGB durch „Davon“-Vermerke oder Anhang91 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18. 92 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 40; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 21; a.A. Mylich in Merkt/Probst/Fink, Kapitel 3 Rz. 131. 93 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42 GmbHG Rz. 70; Schiffers in GmbH-Handbuch, Teil II, Rz. II 2376. 94 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 45; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 13; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18. 95 S. etwa Witt in Bork/Schäfer, Rz. 19; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 48; für kumulative Kenntlichmachung Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18. 96 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 13; Deussen in BeckOK GmbHG Rz. 30; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 47; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; a.A. wohl Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18: nur Treuhänder. 97 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 49, auch zum Folgenden.

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Bilanz | Rz. 27 § 42

angaben kenntlich zu machen, wenn ohne einen entsprechenden Hinweis Klarheit und Übersichtlichkeit des Jahresabschlusses unter Berücksichtigung der relativen und absoluten Größe des jeweiligen Postens beeinträchtigt würden98. Die zweite Abbildungsmöglichkeit besteht gemäß § 42 Abs. 3 Halbsatz 1 Alt. 2 darin, die schuldrechtlichen Beziehungen im Anhang zu zeigen. Auch in diesem Fall muss darstellerisch zwischen Ausleihungen, Forderungen und Verbindlichkeiten getrennt werden99, wobei es genügt, die Angaben in einem Kapitel zu machen (etwa: „Rechtsverhältnisse mit Gesellschaftern“)100. Ferner ist anzugeben, welche Teilbeträge in den betroffenen Bilanzposten abgebildet sind101. Schließlich kommt ein Ausweis unter anderen Posten mit einem Mitzugehörigkeitsvermerk („Davon“-Vermerk) in Betracht (vgl. § 42 Abs. 3 Halbsatz 2). Der Wortlaut des § 42 Abs. 3 („in der Regel“, „oder“, „werden sie“) macht nicht genügend 26 deutlich, ob und in welche Richtung ein Vorrangverhältnis zwischen den drei Darstellungsmöglichkeiten besteht. Diese Frage ist umstritten102. Auslegungsleitend sind das Einblicksgebot des § 264 Abs. 2 HGB und das Erfordernis der Klarheit und Übersichtlichkeit des Jahresabschlusses (§ 243 Abs. 2 HGB)103. Nach hier vertretener Auffassung ist „in der Regel“ ein gesonderter Ausweis in der Bilanz vorzunehmen, denn auf diese Weise wird an zentraler Stelle des Jahresabschlusses Transparenz geschaffen104. Im Normalfall ist daher die Darstellungsvariante des § 42 Abs. 3 Halbsatz 1 Alt. 1 zu wählen. Für diese Sichtweise spricht auch ein Vergleich mit der Abbildung der Rechtsbeziehungen zu verbundenen Unternehmen und Beteiligungsunternehmen, für die das Gesetz ebenfalls einen gesonderten Bilanzausweis vorschreibt (Rz. 20; zum Konkurrenzverhältnis Rz. 27). Es bedarf daher eines sachlichen Grundes, um eine Abbildung unter anderen Posten oder im Anhang vorzunehmen. So werden sich Anhangangaben anbieten, wenn es sich um Rechtsverhältnisse handelt, die in Relation zur Bilanzsumme keinen wesentlichen Umfang aufweisen105. Auch ein Mitzugehörigkeitsvermerk kommt vor allem dann in Betracht, wenn es sich um verhältnismäßig geringe Beträge handelt, so dass ein eigener Ausweis nicht geboten erscheint106. Beide Möglichkeiten sind ferner bei kleinen GmbH eröffnet (Rz. 28). b) Konkurrenzverhältnis zu anderen Posten Ein Konkurrenzproblem stellt sich, wenn verbundene Unternehmen oder Beteiligungsun- 27 ternehmen (Rz. 20) zugleich eine Gesellschafterstellung innehaben. Anerkannt ist, dass der Ausweis unter „verbundene Unternehmen“ Vorrang vor dem Ausweis unter dem Gesichts-

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Vgl. Hüttemann/Meyer in Staub, § 265 HGB Rz. 13. Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 51. Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 49. Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 51. Für Vorrang der beiden Formen des bilanziellen Ausweises Witt in Bork/Schäfer, Rz. 21; Winter/ Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 51; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 62; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; für Vorrang des gesonderten Ausweises in der Bilanz Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 47; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; wohl auch Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42 GmbHG Rz. 27; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42 GmbHG Rz. 61; für Gleichstufigkeit (nur) des gesonderten Bilanzausweises und der Darstellung im Anhang Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 14; 11. Aufl., Rz. 19; für prinzipielle Wahlfreiheit Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 47 f. Vgl. Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42 GmbHG Rz. 27; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42 GmbHG Rz. 61. Vgl. insoweit auch Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 51. Vgl. Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 51. Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 48; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22 a.E.

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§ 42 Rz. 27 | Bilanz punkt eines Beteiligungsverhältnisses hat107. Umstritten ist jedoch, ob der (im Regelfall vorzunehmende, Rz. 26) gesonderte Ausweis nach § 42 Abs. 3 Halbsatz 1 Alt. 1 dahinter zurücktritt – was zur Folge hätte, dass nur die übrigen beiden Abbildungsformen (Darstellung im Anhang oder Mitzugehörigkeitsvermerk) in Betracht kämen. Im GmbH-rechtlichen Schrifttum ist die letztgenannte Sichtweise herrschend108, während in handelsrechtlichen Kommentierungen von einem Vorrang des § 42 Abs. 3 Halbsatz 1 Alt. 1 ausgegangen wird109. Letztere Sichtweise trifft zu. Für sie spricht zunächst, dass es sich bei § 42 Abs. 3 um ein Spezialgesetz im Vergleich zu den allgemeinen, sämtliche Kapitalgesellschaften betreffenden Ausweisvorschriften des § 266 HGB handelt110. Zudem ist der Posten des § 42 Abs. 3 Halbsatz 1 Alt. 1 auch in materiell-inhaltlicher Hinsicht spezieller, weil er nur für bestimmte verbundene Unternehmen bzw. Beteiligungsunternehmen gilt, nämlich für solche, die zugleich Gesellschafter sind111. Die Mitzugehörigkeit zu den Bilanzposten, die verbundene Unternehmen bzw. Beteiligungsunternehmen betreffen, ist nach allgemeinen Grundsätzen (§ 265 Abs. 3 HGB, Rz. 25) zu vermerken112. c) Kleingesellschaften 28 Kleinstgesellschaften nach § 267a HGB (Rz. 6), die von dem Wahlrecht des § 266 Abs. 1

Satz 4 HGB Gebrauch machen, brauchen die Angaben nach § 42 Abs. 3 nicht in der Bilanz zu machen, da ihre Gliederungstiefe nicht ausreichend ist und die unionsrechtlich vorgegebenen Erleichterungen Vorrang vor dem GmbH-Recht haben113. Bei Verzicht auf den Anhang (§ 264 Abs. 1 Satz 5 HGB) kommt auch eine Abbildung nach § 42 Abs. 3 Halbsatz 1 Alt. 2 nicht in Betracht. Abweichend ist die Rechtslage wiederum (vgl. Rz. 19) bei kleinen Gesellschaften im Sinne von § 267 Abs. 1 HGB: Stellen sie gemäß § 266 Abs. 1 Satz 3 HGB eine verkürzte Bilanz auf, so entfällt zwar die Ausweismöglichkeit als eigener Unterposten mit arabischen Zahlen (vgl. Rz. 25). Jedoch ist ein Mitzugehörigkeitsvermerk in den Postengruppen „Finanzanlagen“ (§ 266 Abs. 2 A. III. HGB), „Forderungen und sonstige Vermögensgegenstände“ (§ 266 Abs. 2 B. II. HGB) bzw. „Verbindlichkeiten“ (§ 266 Abs. 3 C. HGB) möglich114. Alternativ kommt eine Abbildung im Anhang (Rz. 25) in Betracht115. Hierin ist kein Verstoß gegen Art. 16 Abs. 3 der Bilanzrichtlinie116 zu erblicken, da die Anhangangabe nicht verpflichtend ist117.

107 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 50; Schubert/Kreher in BeckBilKomm., § 266 HGB Rz. 77; Deussen in BeckOK GmbHG Rz. 34; Suchan in MünchKomm. Bilanzrecht, § 266 HGB Rz. 42. 108 Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 35; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 19; Winter/Marx in Gehrlein/ Born/Simon, Rz. 54; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 63; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19. 109 Schubert/Kreher in BeckBilKomm., § 266 HGB Rz. 77; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42 GmbHG Rz. 58; Suchan in MünchKomm. Bilanzrecht, § 266 HGB Rz. 42. 110 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42 GmbHG Rz. 58. 111 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 50. 112 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 50; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42 GmbHG Rz. 58; gleichsinnig Schubert/Kreher in BeckBilKomm., § 266 HGB Rz. 77; Suchan in MünchKomm. Bilanzrecht, § 266 HGB Rz. 42. 113 Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 11; Nachweise zum Meinungsstand in Rz. 6. 114 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 54; weitere Nachweise in Rz. 19; zur rechtspolitischen Kritik Hüttemann/Meyer in Staub, § 266 HGB Rz. 9. 115 Adler/Düring/Schmaltz, § 42 GmbHG Rz. 28; für Vorrang dieser Darstellungsform Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22. 116 Richtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013 (ABl. L 182 v. 29.6.2013, S. 19). 117 A.A. offenbar Witt in Bork/Schäfer, Rz. 21.

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§ 42a Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts (1) Die Geschäftsführer haben den Jahresabschluss und den Lagebericht unverzüglich nach der Aufstellung den Gesellschaftern zum Zwecke der Feststellung des Jahresabschlusses vorzulegen. Ist der Jahresabschluss durch einen Abschlussprüfer zu prüfen, so haben die Geschäftsführer ihn zusammen mit dem Lagebericht und dem Prüfungsbericht des Abschlussprüfers unverzüglich nach Eingang des Prüfungsberichts vorzulegen. Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, so ist dessen Bericht über das Ergebnis seiner Prüfung ebenfalls unverzüglich vorzulegen. (2) Die Gesellschafter haben spätestens bis zum Ablauf der ersten acht Monate oder, wenn es sich um eine kleine Gesellschaft handelt (§ 267 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs), bis zum Ablauf der ersten elf Monate des Geschäftsjahrs über die Feststellung des Jahresabschlusses und über die Ergebnisverwendung zu beschließen. Der Gesellschaftsvertrag kann die Frist nicht verlängern. Auf den Jahresabschluss sind bei der Feststellung die für seine Aufstellung geltenden Vorschriften anzuwenden. (3) Hat ein Abschlussprüfer den Jahresabschluss geprüft, so hat er auf Verlangen eines Gesellschafters an den Verhandlungen über die Feststellung des Jahresabschlusses teilzunehmen. (4) Ist die Gesellschaft zur Aufstellung eines Konzernabschlusses und eines Konzernlageberichts verpflichtet, so sind die Absätze 1 bis 3 entsprechend anzuwenden. Das Gleiche gilt hinsichtlich eines Einzelabschlusses nach § 325 Abs. 2a des Handelsgesetzbuchs, wenn die Gesellschafter die Offenlegung eines solchen beschlossen haben. Gesetzestext i.d.F. des Bilanzrichtlinien-Gesetzes (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, 2355), Abs. 4 neu gefasst durch TransPuG vom 19.7.2002 (BGBl. I 2002, 2681), Abs. 4 Satz 2 angefügt durch BilReG vom 4.12.2004 (BGBl. I 2004, 3166), amtliche Überschrift eingefügt durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. Überblick, Rechtsnatur und Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorlagepflicht (§ 42a Abs. 1) 1. Übergreifende Zusammenhänge . . . . . . . 2. Vorlage im Grundfall (§ 42a Abs. 1 Satz 1) a) Vorzulegende Unterlagen und Abgrenzung nach Größenklassen . . . . . . b) Inhalt der Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . c) Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahrensweise bei Abschlussprüfung (§ 42a Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfahrensweise bei Bestehen eines Aufsichtsrats (§ 42a Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . . III. Feststellung des Jahresabschlusses und Ergebnisverwendung (§ 42a Abs. 2) 1. Überblick, Hintergründe und Verhältnisbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Feststellung des Jahresabschlusses . . . . . . 3. Entscheidung über die Ergebnisverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Teilnahme des Abschlussprüfers (§ 42a Abs. 3) 1. Anwendungsbereich und Hintergründe . 2. Tatbestandliche Einzelheiten . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen von Verstößen . . . . . . . . . . . V. Verfahren bei Konzernabschluss und Einzelabschluss (§ 42a Abs. 4) 1. Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Billigung des Konzernabschlusses (§ 42a Abs. 4 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Billigung des Einzelabschlusses (§ 42a Abs. 4 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . .

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31 35 40

41 42 44

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Literatur: Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Teilband 4, 6. Aufl. 1997; Biener/Berneke, Bilanzrichtlinien-Gesetz, 1986; Hartmann, Das neue Bilanzrecht und der Gesellschaftsvertrag der GmbH, 1986; Hentschel, B 101. Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses, in Böcking u.a. (Hrsg.), Beck´sches Handbuch der Rechnungslegung, 2009; Hommelhoff, Die Ergebnisver-

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§ 42a Rz. 1 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts wendung in der GmbH nach dem Bilanzrichtliniengesetz, ZGR 1986, 419; Hommelhoff/Priester, Bilanzrichtliniengesetz und GmbH-Satzung, ZGR 1986, 463; Kropff, Wann endet der Wertaufhellungszeitraum?, WPg 2000, 1137; Küting/Kaiser, Aufstellung oder Feststellung: Wann endet der Wertaufhellungszeitraum?, WPg 2000, 577; Küting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung, 5. Aufl., Loseblatt, Stand: 29. Ergänzungslieferung 2019; W. Müller, Bilanzfeststellungsbeschluss als Schuldanerkenntnis?, in GS Wolf, 2011, S. 281; W. Müller, Die Änderung von Jahresabschlüssen, Möglichkeiten und Grenzen, in FS Quack, 1991, S. 359; Münchener Kommentar zum Bilanzrecht, herausgegeben von Hennrichs/Kleindiek/Watrin, 2013; Schulze-Osterloh, Erneuter Beginn der Verjährung von Ansprüchen gegen Gesellschafter durch Feststellung des Jahresabschlusses, in FS H. P. Westermann, 2008, S. 1487.

I. Überblick, Rechtsnatur und Entstehungsgeschichte 1 In § 42a Abs. 1 bis 3 sind wesentliche Aspekte des innergesellschaftlichen Verfahrens ge-

regelt, das auf die Feststellung des Jahresabschlusses und die Entscheidung über die Ergebnisverwendung (§ 46 Nr. 1) gerichtet ist. § 42a Abs. 1 Satz 1 befasst sich mit der Vorlage des nach Maßgabe von §§ 242, 264 HGB aufgestellten Jahresabschlusses sowie des Lageberichts (§ 289 HGB) an die Gesellschafter (Rz. 4 ff.). § 42a Abs. 1 Satz 2, 3 ergänzt diese Regelung für den Fall der Abschlussprüfung nach den §§ 316 ff. HGB sowie bei Bestehen eines Aufsichtsrats (Rz. 17 ff.). In § 42a Abs. 2 (Rz. 22 ff.) sind vorrangig die für die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung geltenden Fristen geregelt. § 42a Abs. 3 betrifft die Teilnahme des Abschlussprüfers an den Verhandlungen über die Feststellung des Jahresabschlusses (Rz. 31 ff.). Aufgrund von § 42a Abs. 4 gilt der in § 42a Abs. 1 bis 3 angelegte Verfahrensablauf entsprechend für Konzernabschlüsse und -lageberichte (§§ 290 ff. HGB) sowie Einzelabschlüsse i.S.v. § 325 Abs. 2a HGB, die gemäß § 46 Nr. 1a, 1b zu billigen sind (Rz. 41 ff.). 2 Während die Rechnungslegungsvorschriften öffentlich-rechtlicher Natur sind (12. Aufl., § 41

Rz. 10), betrifft § 42a das innergesellschaftliche Verfahren, so dass er im Kern als zivilrechtliche Norm einzuordnen ist. Dessen ungeachtet handelt es sich um eine weitgehend zwingende Regelung1, wobei sich in dieser Hinsicht auch die kraft öffentlichen Rechts zu befolgenden Rechnungslegungsvorgaben auswirken können. Insbesondere ergibt sich nicht nur aus dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis, sondern gerade auch aus dem Rechnungslegungsrecht (vgl. etwa § 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB), dass der Jahresabschluss festzustellen ist2. Die zugehörigen Fristen des § 42a Abs. 2 Satz 1 sind einer gesellschaftsvertraglichen Verlängerung nicht zugänglich, wie in Satz 2 klargestellt wird. Aufgrund von § 42a Abs. 2 Satz 3 finden die für die Aufstellung des Jahresabschlusses geltenden (öffentlich-rechtlichen) Vorschriften auch auf seine Feststellung Anwendung. Die in § 42a Abs. 1 verankerte Vorlagepflicht ist ebenfalls zwingend, und zwar aus zivilrechtlichen Gründen, denn die zugehörigen Dokumente bilden die Grundlage für die Beschlussfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung (Rz. 4 ff.)3. Entsprechendes gilt für § 42a Abs. 3 (Rz. 33). Allerdings sind die Verfahrensmodalitäten ergänzenden Satzungsregelungen zugänglich4, auf die im jeweiligen Sachzusammenhang eingegangen wird. Ferner ist folgende Besonderheit zu beachten: § 42a geht von dem Regelfall aus, dass die Gesellschafter für die nach § 46 Nr. 1, 1a und 1b zu treffenden Entscheidungen zuständig sind. Da jedoch andere

1 Vgl. auch Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 2; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 54. 2 Pöschke in Staub, § 242 HGB Rz. 20; Kropff, WPg 2000, 1137, 1139; W. Müller in FS Quack, S. 359, 360; Schulze-Osterloh in FS H. P. Westermann, S. 1487, 1492; a.A. Hentschel in BeckHdR, B 101 Rz. 47; Küting/Kaiser, WPg 2000, 577, 584. 3 Vgl. Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 5; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13. 4 Hartmann, S. 161; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 479 a.E.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 5 § 42a

gesellschaftsvertragliche Regelungen möglich sind (vgl. § 45 Abs. 2), bedarf es im Abweichungsfall einer angepassten Auslegung (Rz. 6 f., 33, 43). § 42a ist im Zuge der grundlegenden Reform des Rechnungslegungsrechts durch das Bilanz- 3 richtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, 2355) mit seinem heutigen Regelungsinhalt versehen worden5. Die ersten drei Absätze sind seither unverändert geblieben. § 42a Abs. 4 Satz 1 geht in seiner heutigen Fassung auf das Transparenz- und Publizitätsgesetz vom 19.7.2002 (BGBl. I 2002, 2681) zurück, während § 42a Abs. 4 Satz 2 durch das Bilanzrechtsreformgesetz (BilReG) vom 4.12.2004 (BGBl. I 2004, 3166) angefügt wurde (näher Rz. 41). Das MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) hat § 42a mit einer amtlichen Überschrift versehen.

II. Vorlagepflicht (§ 42a Abs. 1) 1. Übergreifende Zusammenhänge § 42a Abs. 1 knüpft an die Vorschriften des HGB über die Aufstellung von Jahresabschluss 4 und Lagebericht (vgl. § 264 Abs. 1 HGB, Rz. 23) sowie die Prüfung (vgl. § 316 Abs. 1 HGB) an und regelt das Verfahren der Vorlage an die Gesellschafter „zum Zweck der Feststellung des Jahresabschlusses“ (§ 42a Abs. 1 Satz 1; näher zum Telos Rz. 6). Wie § 42a Abs. 2 Satz 1 verdeutlicht, bilden die in § 42a Abs. 1 genannten Unterlagen (Jahresabschluss, Lagebericht, Prüfungsbericht des Abschlussprüfers, Prüfungsbericht des Aufsichtsrats) zugleich die Grundlage für die Beschlussfassung über die Ergebnisverwendung. Welche dieser Unterlagen vorzulegen sind, richtet sich nach den Verhältnissen der einzelnen Gesellschaft (Rz. 8 f., 17, 19). Diese sind mittelbar auch für die Reihenfolge der Verfahrensschritte bestimmend, denn für sie ist entscheidend, ob eine Prüfung erfolgt (§ 42a Abs. 1 Satz 2, Rz. 18) und ob ein Aufsichtsrat besteht (§ 42a Abs. 1 Satz 3, Rz. 20 f.). Auf den Kommanditisten einer GmbH & Co. KG, der nicht zugleich Gesellschafter der Komplementär-GmbH ist, findet § 42a Abs. 1 keine entsprechende Anwendung6. Im Hinblick auf die Rechnungslegungsunterlagen einer TochterGmbH, die in den Konsolidierungskreis eines Konzernabschlusses einbezogen ist, gilt im Verhältnis zum Mutterunternehmen die besondere Vorlagepflicht des § 294 Abs. 3 Satz 1 HGB, die m.E. Vorrang hat7. Der Regelung liegt das in § 46 Nr. 1 zum Ausdruck kommende Regelstatut der GmbH zu- 5 grunde, wonach die Gesellschafter für die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung zuständig sind8. Wenn § 42a Abs. 1 bestimmt, dass „die Geschäftsführer“ die dort aufgeführten Dokumente „den Gesellschaftern“ vorzulegen haben, geht es dem Gesetz um die Verhältnisbestimmung zwischen den Gesellschaftsorganen9. Während die Aufstellung des Jahresabschlusses und des Lageberichts nämlich den Geschäftsführern obliegt (Rz. 23), sind die Gesellschafter gemäß § 46 Nr. 1 in ihrer Eigenschaft als Organ der Gesellschaft für die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung zuständig (s. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 1, 9). Dementsprechend begründet § 42a keine originären (eigennützigen) Individualrechte von Gesellschaftern10. Die Vorlagepflicht nach § 42a Abs. 1 hat da-

5 Ausführliche Dokumentation der Genese bei Biener/Berneke, S. 550 ff. 6 Vgl. BGH v. 3.2.2015 – II ZR 105/13, NJW 2015, 2261, 2262. 7 Gleichsinnig Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 66, jedoch nur bezogen auf § 42a Abs. 4 Satz 1. 8 Siehe nur Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 21. 9 LG München I v. 10.3.2005 – 5 HKO 21047/04, GmbHR 2005, 937, 937 f. („Organstreit“); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; vgl. auch Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 3 ff. 10 Vgl. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12.

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§ 42a Rz. 5 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts her andere Wurzeln als das in § 51a geregelte Auskunfts- und Einsichtsrecht, so dass zwischen beiden Regelungsmaterien zu trennen ist11, auch wenn sich beide Rechte nicht ausschließen12. Dessen ungeachtet korrespondiert mit dem Vorlageanspruch der Gesellschaftergesamtheit aus § 42a Abs. 1 ein aus ihm abgeleitetes Einzelrecht des jeweiligen Gesellschafters (vgl. auch Rz. 33; zur Durchsetzung Rz. 16)13. Bei der Vorlagepflicht der Geschäftsführer handelt es sich ebenfalls um eine Organpflicht. M.E. kann insoweit an das in § 41 angelegte Sorgepflichtkonzept (12. Aufl., § 41 Rz. 16 ff.) angeknüpft werden, da es auch in dem hier vorliegenden zivilrechtlichen Kontext (Rz. 2) zu sachangemessenen Lösungen führt14. In der Liquidation der Gesellschaft trifft die Vorlagepflicht die Liquidatoren, auch wenn sich dies nicht ausdrücklich aus § 71 Abs. 4 ergibt15. 6 Über den Sinn und Zweck der Vorlagepflicht besteht bei genauer Betrachtung keine Einig-

keit. Der systematische Zusammenhang mit § 46 Nr. 1 und der Wortlaut des § 42a Abs. 1 Satz 1 („zum Zwecke der Feststellung des Jahresabschlusses“) sprechen dafür, dass die Vorlagepflicht darauf abzielt, die Gesellschafter mit einer fundierten Informationsbasis für ihre Beschlussfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung (vgl. § 42a Abs. 2 Satz 1) auszustatten16. In Teilen des Schrifttums wird jedoch ein darüber hinausgehender Sinngehalt der Vorlagepflicht angenommen, der darin bestehen soll, die Gesellschafter generell mit den entsprechenden Informationen zu versorgen17. Praktisch wird diese Frage, wenn kraft gesellschaftsvertraglicher Anordnung (vgl. § 45 Abs. 2) nicht die Gesellschafter, sondern andere Gremien für die Feststellung des Jahresabschlusses und die Gewinnverwendung zuständig sind (Rz. 25, 30). Für solche Situationen ist zu Recht weithin anerkannt, dass die in § 42a Abs. 1 aufgeführten Unterlagen den zuständigen Personen vorzulegen sind, denn sie treten in Bezug auf die Beschlussfassung an die Stelle der Gesellschafter18.

11 Vgl. auch LG München I v. 10.3.2005 – 5 HKO 21047/04, GmbHR 2005, 937, 937 f.; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12; a.A. Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 26. 12 Vgl. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; beispielhaft BayObLG v. 15.10.1999 – 3Z BR 239/99, GmbHR 1999, 1296, 1297; OLG München v. 11.12.2007 – 31 Wx 48/07, GmbHR 2008, 104, 105; OLG Hamm v. 12.1.1998 – 8U 103/97, GmbHR 1998, 336, 336. 13 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 3, 5, 19; im Ausgangspunkt abweichend Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; insoweit enger als hier wohl auch LG München I v. 10.3.2005 – 5 HKO 21047/04, GmbHR 2005, 937, 937 f. 14 Die Rechtslage ist ungesichert; in die gleiche Richtung wie hier Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 4; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; Hartmann, S. 161; vgl. demgegenüber Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 4. 15 Allgemein anerkannt, s. etwa Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 4; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18. 16 In diesem Sinne die bei Biener/Berneke, S. 551 nachgewiesenen Gesetzesmaterialien. 17 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 17; Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 34, 35 sowie – unter Hinweis auf die Überwachungszuständigkeit nach § 46 Nr. 6 – Witt in Bork/Schäfer, Rz. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Hartmann, S. 160; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 479. 18 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 16 f.; Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 35; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 8; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 22; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 479; aus den Gesetzesmaterialien Biener/Berneke, S. 551; a.A. für Organe, die lediglich über die Ergebnisverwendung beschließen: Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24; gegen diese Einschränkung Haas/Kersting in Baumbach/ Hueck, Rz. 6.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 8 § 42a

Weniger klar ist hingegen, ob aus § 42a Abs. 1 folgt, dass die Unterlagen zusätzlich den Ge- 7 sellschaftern zur Verfügung gestellt werden müssen19. Nach hier vertretener Auffassung ist das abzulehnen20. Denn der Regelungsgehalt des § 42a bezieht und beschränkt sich auf die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung und setzt daher stillschweigend eine darauf gerichtete Zuständigkeit voraus. Davon zu trennen ist allerdings die Frage, ob die Gesellschaftergesamtheit die Vorlage von Rechnungslegungsunterlagen aus anderen gesellschaftsrechtlichen Gründen verlangen kann. Hierfür kann insbesondere dann ein Bedürfnis bestehen, wenn die Überwachung der Geschäftsführung (vgl. § 46 Nr. 6) nicht ebenfalls an ein anderes Organ abgegeben worden ist21. M.E. bedarf es in solchen Situationen allerdings eines Weisungsbeschlusses der Gesellschafter (vgl. Rz. 15), wenn es an einer einschlägigen Satzungsregelung fehlt. Unberührt bleibt ferner das Auskunfts- und Einsichtsrecht eines jeden Gesellschafters nach § 51a (Rz. 5).

2. Vorlage im Grundfall (§ 42a Abs. 1 Satz 1) a) Vorzulegende Unterlagen und Abgrenzung nach Größenklassen Erfolgt keine Abschlussprüfung und besteht auch kein Aufsichtsrat (vgl. § 42a Abs. 1 Satz 2, 8 3, Rz. 17 ff.), so haben die Geschäftsführer den Jahresabschluss und den Lagebericht gemäß § 42a Abs. 1 Satz 1 unverzüglich nach der Aufstellung den Gesellschaftern bzw. den sonst zuständigen Personen (Rz. 6) vorzulegen (Rz. 10 ff.). Für den gegenständlichen Umfang der Vorlagepflicht ist entscheidend, welche Rechnungslegungsunterlagen nach dem HGB zu erstellen sind bzw. erstellt werden. Im Normalfall (vgl. § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB) haben die Geschäftsführer einen Jahresabschluss und einen Lagebericht (§ 289 HGB) aufzustellen, wobei der Jahresabschluss aus Bilanz (§ 266 HGB), Gewinn- und Verlustrechnung (§ 275 HGB) und Anhang (§ 284 HGB) besteht. Diese Vorgaben gelten jedoch einschränkungslos nur für mittelgroße und große Kapitalgesellschaften i.S.v. § 267 Abs. 2, 3 HGB. Da diese zugleich verpflichtet sind, ihre Abschlüsse prüfen zu lassen (§ 316 Abs. 1 Satz 1 HGB), findet das in § 42a Abs. 1 Satz 2 angelegte Verfahren auf sie Anwendung (zu ihm Rz. 18). Besteht zusätzlich ein Aufsichtsrat, ist nach Maßgabe von Rz. 21 zu verfahren. Demgegenüber brauchen kleine Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 1 HGB) keinen Lagebericht aufzustellen (§ 264 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 1 HGB). Eine Vorlagepflicht besteht daher nur, wenn ein solcher freiwillig angefertigt wird22. Kleinstkapitalgesellschaften i.S.v. § 267a HGB ist darüber hinaus23 der Anhang erlassen, wenn sie die Angaben nach § 264 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1, 2, Abs. 2 Satz 4 HGB unter der Bilanz machen24. Da kleine GmbHs nicht prüfungspflichtig sind (§ 316 Abs. 1 Satz 1 HGB), findet der in Rz. 10 ff. dargestellte Verfahrensablauf auf sie Anwendung, es sei denn, sie lassen sich auf freiwilliger Basis prüfen (dann Rz. 17 f.) oder es besteht ein Aufsichtsrat (dann Rz. 19 ff.). 19 So die herrschende Meinung, vgl. (einschränkungslos oder für den Regelfall) Adler/Düring/ Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 17; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 35; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 8; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 22, 39; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 32; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Hartmann, S. 160. 20 Ebenso Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; 11. Aufl., Rz. 7. 21 Vgl. insoweit auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9, Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23, die sich jedoch, anders als hier, auf § 42a Abs. 1 stützen, sofern die Vorlagepflicht nicht satzungsmäßig abbedungen ist. 22 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 6; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4. 23 Die für kleine Gesellschaften geltenden Erleichterungen sind grundsätzlich auch auf Kleinstgesellschaften anwendbar (§ 267a Abs. 2 HGB). 24 Zu Hintergründen und Reichweite der Regelung Hüttemann/Meyer in Staub, § 264 HGB Rz. 11, 55 ff.; s. auch 12. Aufl., § 42 Rz. 6.

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§ 42a Rz. 9 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts 9 Bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften i.S.v. § 264 Abs. 1 Satz 2, § 264d HGB muss

der Jahresabschluss um eine Kapitalflussrechnung und einen Eigenkapitalspiegel erweitert werden, während eine zusätzliche Segmentberichterstattung fakultativ ist25. Da kapitalmarktorientierte Gesellschaften stets als große gelten, hat eine Abschlussprüfung stattzufinden, so dass § 42a Abs. 1 Satz 2 eingreift (Rz. 17 f.). Besteht zudem ein Aufsichtsrat, findet das in Rz. 21 beschriebene Verfahren Anwendung. Ist eine nichtfinanzielle Erklärung i.S.v. § 289b Abs. 1 HGB zu erstellen, so bildet sie einen Teil des Lageberichts und wird daher von der Vorlagepflicht des § 42a Abs. 1 erfasst. Richtigerweise ist auch ein gesonderter nichtfinanzieller Bericht (vgl. § 289b Abs. 3 HGB) vorzulegen26. Dass § 42a Abs. 1 in dieser Hinsicht, im Gegensatz zu § 170 Abs. 1 AktG, nicht durch das CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz vom 11.4.2017 (BGBl. I 2017, 802) angepasst wurde, dürfte auf einem gesetzgeberischen Redaktionsversehen beruhen. Die Vorlage sonstiger Rechnungslegungsunterlagen, etwa von Stellungnahmen der Geschäftsführer zur Bilanzpolitik27, findet in § 42a Abs. 1 hingegen keine Grundlage28, so dass es einer darauf gerichteten Satzungsregelung oder eines Weisungsbeschlusses bedarf (vgl. Rz. 15)29. Nicht nach § 42a Abs. 1 vorzulegen ist auch die Eröffnungsbilanz (§ 242 Abs. 1 HGB)30, sofern man der herrschenden Meinung folgt, wonach sie nicht festzustellen ist31. Da sie jedoch die Anfangsbilanz des ersten Geschäftsjahrs bildet, ist sie zusammen mit dem ersten Jahresabschluss vorzulegen32. b) Inhalt der Vorlagepflicht 10 § 42a Abs. 1 Satz 1 verpflichtet die Geschäftsführer mit zwingender Wirkung (Rz. 2), Jahres-

abschluss und Lagebericht unverzüglich nach ihrer Aufstellung (Rz. 23) vorzulegen. Den Bezugspunkt der Vorschrift bildet folglich die Zeitspanne zwischen Aufstellung und Vorlage. Davon zu trennen sind zum einen die Aufstellungsfristen, die im Rechnungslegungsrecht des HGB geregelt sind (§ 264 Abs. 1 Satz 3, 4 HGB)33, und zum anderen die Fristen für die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung, die sich aus § 42a Abs. 2 ergeben (Rz. 26). „Unverzüglich“ bedeutet ohne schuldhaftes Verzögern im Sinne des bürgerlichen Rechts (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB)34, so dass die Unterlagen zwar nicht sofort, wohl aber im ordnungsgemäßen Geschäftsgang nach ihrer Aufstellung vorzulegen sind35. Sie dürfen mithin auch dann nicht zurückgehalten werden, wenn die Aufstellungsfrist noch nicht abgelaufen ist36. Regelmäßig wird ein Zeitrahmen von ein bis zwei Wochen sachangemessen

25 Dazu Hüttemann/Meyer in Staub, § 264 HGB Rz. 6. 26 Ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2. 27 Ob eine derartige Stellungnahme abgegeben werden muss, ist umstritten; dafür Witt in Bork/Schäfer, Rz. 6; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7 („regelmäßig“); Mueller-Thuns, Gewinnbezugsrecht und bilanzpolitische Gestaltungsmöglichkeiten in der GmbH, 1989, S. 83 ff.; dagegen Winter/ Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 41; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. 28 A.A. Witt in Bork/Schäfer, Rz. 6; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Tiedchen in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 2. 29 Vgl. auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. 30 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3. 31 S. etwa Pöschke in Staub, § 242 HGB Rz. 22 m.w.N.; 12. Aufl., § 46 Rz. 8; zur abweichenden Rechtslage bei der Liquidationseröffnungsbilanz (vgl. § 71 Abs. 2 Satz 1) Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 6. 32 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10. 33 Dazu Hüttemann/Meyer in Staub, § 264 HGB Rz. 9 f. 34 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14. 35 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 13. 36 Witt in Bork/Schäfer, Rz. 10; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 12 § 42a

sein37. Auf den abweichenden Verfahrensgang im Anwendungsbereich von § 42a Abs. 1 Satz 2, 3 wird in Rz. 18, 20 f. eingegangen. Über die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „vorzulegen“ besteht keine Einigkeit. Vor 11 dem Hintergrund der grundsätzlichen Organzuständigkeit der Gesellschafter für die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung (Rz. 5) zielt die Vorlagepflicht darauf ab, ihnen eine Beschlussfassung auf Basis fundierter Informationen zu ermöglichen (Rz. 6). Dazu bedarf es jedenfalls einer Auslegung der Unterlagen in den Geschäftsräumen der Gesellschaft, deren zeitliche Länge so bemessen sein muss, dass jeder Gesellschafter Gelegenheit nehmen kann, die Dokumente zu sichten und zu prüfen38. Hierfür ist im Allgemeinen ein Zeitraum von einem Monat anzusetzen (vgl. § 175 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 123 Abs. 1 AktG)39. Hinzukommen muss eine Information gegenüber den Gesellschaftern, dass und wie lange die Dokumente ausliegen40. Mit Blick auf die Zielrichtung der Vorlage, eine Beschlussfassung auf hinreichender Informationsgrundlage zu ermöglichen, muss es jedem Gesellschafter gestattet sein, sich bei der Einsichtnahme von sachkundigen Personen unterstützen zu lassen41. Sofern Unterlagen ausliegen, die keiner Aushändigung an die Gesellschafter bedürfen (Rz. 14), wird man jedoch verlangen müssen, dass es sich bei der sachverständigen Person um einen Berufsträger handelt, der kraft seines Berufsrechts zur Verschwiegenheit verpflichtet ist42. Die Satzung kann ein derartiges Erfordernis generell vorschreiben43. Weitergehenden Einschränkungen ist das vorstehend abgeleitete Recht auf Einsichtnahme nicht zugänglich44. Insbesondere scheidet eine analoge Anwendung von § 51a Abs. 2 vor dem Hintergrund des Telos der Vorlagepflicht (Rz. 6) aus. Die herrschende Meinung geht über das vorstehend entfaltete Einsichtsrecht hinaus und be- 12 jaht in einem ersten Schritt die Pflicht der Geschäftsführer, die in Rede stehenden Unterlagen den Gesellschaftern auszuhändigen45. Der BGH hat diese Frage ausdrücklich offen gelassen46. In einem zweiten Schritt schließt sich eine Diskussion darüber an, ob und in welchen Fällen die Aushändigung verweigert werden darf und wer darüber entscheidet. Nach verbreiteter, wenngleich nicht ungeteilter Ansicht ist dies in Anlehnung an § 51a Abs. 2 zu bestim-

37 Vgl. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 16; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 38 Vgl. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 9. 39 LG Saarbrücken v. 18.11.2009 – 7 KFH O 67/09, GmbHR 2010, 762, 764; Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 20; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10. 40 Vgl. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 41 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 22; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 34; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 54. 42 Die Gesellschafter selbst haben bereits nach allgemeinen Grundsätzen Verschwiegenheit zu wahren (12. Aufl., § 14 Rz. 115, 12. Aufl., § 51a Rz. 6). 43 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 22; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 34; weitergehend, nämlich für Geltung auch ohne satzungsmäßige Grundlage Haas/ Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 11; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10. 44 Vgl. auch Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31. 45 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 21; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 29 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32 f.; differenzierend LG Saarbrücken v. 18.11.2009 – 7 KFH O 67/09, GmbHR 2010, 762, 764; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 480. 46 BGH v. 3.2.2015 – II ZR 105/13, NJW 2015, 2261, 2262.

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§ 42a Rz. 12 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts men, so dass ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist, bei dem der betroffene Gesellschafter nicht mitstimmen darf47. 13 Die herrschende Sichtweise ist zu hinterfragen. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass ein

Recht auf Aushändigung von Unterlagen nicht im Wortlaut des § 42a Abs. 1 angelegt ist, denn die Regelung handelt von der Vorlage „des“ Jahresabschlusses, „des“ Lageberichts etc. Gemeint sind mithin die Originaldokumente, welche einer zeitgleichen Aushändigung an sämtliche Gesellschafter von vornherein nicht zugänglich sind. Anders als im Aktienrecht (§ 175 Abs. 2 Satz 2 AktG) fehlt es an einer gesetzlichen Regelung über die Aushändigung von Abschriften. Hierbei handelt es sich um eine vom Gesetzgeber bewusst offen gelassene Frage, die der Klärung durch Rechtsprechung und Praxis überantwortet wurde48. Mithin besteht ein Rechtsfortbildungsauftrag für die Rechtsdogmatik, so dass eine Lückenfüllung zulässig ist. Die Lösung der herrschenden Meinung überzeugt gleichwohl nicht vollends. Das wird schon anhand der offenbaren Inkonsequenz deutlich, die darin besteht, dass sich zahlreiche Stimmen im Kontext der Hinzuziehung Dritter bei der Einsichtnahme für eine strenge Handhabung aussprechen, indem sie generell eine Berufspflicht zur Verschwiegenheit zur Voraussetzung erheben, während sie zugleich ein Recht des Gesellschafters auf Aushändigung derselben Unterlagen bejahen, welches nicht oder nur im Einzelfall und nur auf Basis eines Gesellschafterbeschlusses eingeschränkt werden dürfe49. Sobald die Gesellschaft nämlich Abschriften aus der Hand gegeben hat, ist keinerlei Kontrolle über den Kreis der Einsicht nehmenden Personen mehr möglich. 14 Im Kern geht es um die sachgerechte Austarierung des Geheimhaltungsinteresses der Ge-

sellschaft mit dem Informationsbedürfnis der Gesellschafter zum Zweck der Beschlussfassung nach § 46 Nr. 150. Da die potentiell widerstreitenden Interessen einzelfallabhängig sind, verbieten sich m.E. weitreichende Lösungsansätze, die im Wege der Gesetzesfortbildung gewonnen und bei überschießendem Gehalt sodann mühevoll wieder zurückgestutzt werden müssen. Nach hier vertretener Auffassung bedarf es stattdessen eines zwingenden Mindestrahmens, der bei Bedarf durch Satzungsregelung bzw. Gesellschaftspraxis (Rz. 15) erweitert werden kann. Es liegt nahe, diesen Mindestrahmen in Analogie zu § 175 Abs. 2 Satz 2 AktG zu bestimmen. Die Gesellschafter können mithin die Zuleitung von Abschriften51 des Jahresabschlusses und, sofern vorhanden, des Lageberichts (Rz. 8) sowie des Berichts des Aufsichtsrats und des Ergebnisverwendungsvorschlags (Rz. 20) verlangen, sofern sie für die Beschlussfassung nach § 46 Nr. 1 zuständig sind (Rz. 6 f.). Dieses Recht ist keinerlei Einschränkungen zugänglich52. Ist ein Sprecher bzw. ein Gesellschafterausschuss bestellt, sind die Unterlagen nach dorthin abzugeben53. Abweichend ist die Rechtslage hingegen im Hinblick auf den Prüfungsbericht, der im Falle einer Abschlussprüfung (Rz. 17) zu erstellen ist

47 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 24 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; differenzierend Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; wohl auch Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 12; strenger Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 38; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 17; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12. 48 BT-Drucks. 10/4268, S. 130, dokumentiert bei Biener/Berneke, S. 552. 49 Vgl. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 10 ff.; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 7; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 8, 16 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16 ff.; Tiedchen in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 10 ff.; widerspruchsfrei hingegen Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 21 f.; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 34; undeutlich Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 15. 50 Insoweit auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34. 51 A.A. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 23: grundsätzlich Originaldokumente. 52 Vgl. auch Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12; a.A. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36. 53 Vgl. Witt in Bork/Schäfer, Rz. 7; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 16 § 42a

(§ 321 HGB). Dieser ist den Gesellschaftern zwar aufgrund von § 42a Abs. 1 Satz 2 vorzulegen und unterliegt daher der Einsichtnahme54, für die nur im Hinblick auf begleitende Personen Einschränkungen anzuerkennen sind (Rz. 11). Er enthält jedoch eine Vielzahl an sensiblen Informationen (vgl. § 321 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 2 Satz 2 HGB) und ist selbst bei einer großen Gesellschaft nicht offenlegungspflichtig (vgl. § 325 Abs. 1 HGB), so dass ein erhebliches, anerkennenswertes Interesse der Gesellschaft daran bestehen kann, dass keine Abschriften in Umlauf geraten55. Eine Aushändigung kommt daher – entgegen der herrschenden Meinung56 – nicht ohne weiteres in Betracht, sondern bedarf einer besonderen Grundlage (Rz. 15)57. Gleiches gilt in Bezug auf das Auskunfts- und Einsichtsrecht nach § 51a Abs. 158, da es dem einzelnen Gesellschafter in dieser Hinsicht keine weitergehenden Befugnisse vermitteln kann, als der Gesellschaftergesamtheit aufgrund von § 42a Abs. 1 zustehen. Einer Anwendung von § 51a Abs. 2 bedarf es für dieses Ergebnis nicht, da die Einsichtnahme gewährleistet ist59. Dieser zwingende Mindestrahmen kann auf Ebene der einzelnen Gesellschaft allerdings er- 15 weitert werden. Insbesondere kommt eine Satzungsregelung in Betracht, die die Geschäftsführer verpflichtet, über ihre vorstehend konturierte Vorlage- und Aushändigungspflicht hinauszugehen, insbesondere Abschriften des Prüfungsberichts zugänglich zu machen. Auf weitere Gestaltungsoptionen wird in Rz. 18 eingegangen. Zulässig sind auch Weisungsbeschlüsse der Gesellschafter (vgl. 12. Aufl., § 37 Rz. 75 ff.), die über das gesetzliche Mindestniveau hinausgehende Befugnisse vermitteln. Ferner steht es den Geschäftsführern offen, über weitergehende Anfragen von Gesellschaftern nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden und Unterlagen auch ohne darauf gerichtete Verpflichtung bereitzustellen, wenn das zweckmäßig erscheint, insbesondere nicht gegen Gesellschaftsinteressen verstößt. c) Durchsetzung Die Geschäftsführer können durch Weisungsbeschluss zur Vorlage angehalten werden60. Bei 16 Nichtbefolgung kommt ihre Abberufung in Betracht61. Nötigenfalls muss die Vorlagepflicht im Wege der Klage auf Leistung durchgesetzt werden62, während ein Vorgehen nach § 51b nicht in Betracht kommt, da in § 42a Abs. 1 keine originären Gesellschafterindividualrechte betroffen sind, sondern es sich um eine Streitigkeit zwischen den Gesellschaftsorganen han-

54 Vgl. für den Kommanditisten BGH v. 3.2.2015 – II ZR 105/13, NJW 2015, 2261, 2262. 55 Vgl. die gleichgerichtete Argumentation des BGH v. 3.2.2015 – II ZR 105/13, NJW 2015, 2261, 2262, die sich allerdings auf die KG bezieht, auf welche § 42a Abs. 1 keine Anwendung findet (Rz. 4); vgl. zur herausgehobenen Bedeutung des Prüfungsberichts auch BGH v. 15.11.1982 – II ZR 27/82, BGHZ 85, 293, 297 f. und 300. 56 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 21; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 33; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Tiedchen in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 11; abweichendes Regel-Ausnahme-Verhältnis auch bei Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20 f., 25; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; Hartmann, S. 176 f.; unentschieden Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 495. 57 Vgl. auch LG Saarbrücken v. 18.11.2009 – 7 KFH O 67/09, GmbHR 2010, 762, 764, allerdings mit insuffizienter Begründung. 58 A.A. Hartmann, S. 173 ff. 59 A.A. offenbar die zu § 51a Abs. 1 bestehende herrschende Meinung, deren Vertreter sich generell für eine – über den Wortlaut der Vorschrift hinausgehende – Verpflichtung der Gesellschaft aussprechen, das Kopieren von Geschäftsunterlagen zu gestatten (vgl. insbesondere OLG Köln v. 26.4.1985 – 24 W 54/84, GmbHR 1985, 358, 360, wo der Prüfungsbericht Erwähnung findet; siehe auch etwa OLG München v. 12.1.2005 – 7 U 3691/04, GmbHR 2005, 624, 625; 12. Aufl., § 51a Rz. 26). 60 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19. 61 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13. 62 Zum einstweiligen Rechtsschutz Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14.

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§ 42a Rz. 16 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts delt (Rz. 5)63. Da § 42a Abs. 1 dem einzelnen Gesellschafter allerdings einen eigenen, derivativen Vorlageanspruch vermittelt (Rz. 5), kann der Gesellschafter, sofern er Adressat der Vorlage ist (Rz. 6 f.), aus eigenem Recht auf Vorlage an die Gesellschaftergesamtheit zwecks Einsichtnahme (Rz. 11) sowie nach Maßgabe der Ausführungen in Rz. 14 auch auf Aushändigung von Abschriften klagen64. Sollte darüber hinaus ein Anspruch aus § 51a Abs. 1 bestehen (vgl. Rz. 5, 7, 14), kann dieser Anspruch nach Maßgabe von § 51b durchgesetzt werden65. Da die Vorlagepflicht zivilrechtlicher Natur ist (Rz. 2), kommt eine Durchsetzung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage (vgl. 12. Aufl., § 41 Rz. 30) von vornherein nicht in Betracht66.

3. Verfahrensweise bei Abschlussprüfung (§ 42a Abs. 1 Satz 2) 17 § 42a Abs. 1 Satz 2 bezieht sich auf den Fall, dass der Jahresabschluss einer Abschlussprü-

fung (§§ 316 ff. HGB) unterliegt. Anders als es im Gesetzeswortlaut anklingt, erstreckt sich die Prüfung auch auf den Lagebericht (§ 316 Abs. 1 Satz 1, § 317 Abs. 2 HGB). Einer Pflichtprüfung unterliegen gemäß § 316 Abs. 1 Satz 1 HGB mittelgroße und große Gesellschaften i.S.v. § 267 Abs. 2, 3 HGB. § 42a Abs. 1 Satz 2 findet anerkanntermaßen auch dann Anwendung, wenn sich eine kleine Gesellschaft freiwillig prüfen lässt, sofern die Vorlagepflicht nicht satzungsmäßig ausgeschlossen ist67. Man wird zusätzlich verlangen müssen, dass die Prüfung in Gemäßheit der §§ 316 ff. HGB erfolgt ist68. Etwaige Nachtragsprüfungsberichte (§ 316 Abs. 3 HGB, Rz. 27) sind ebenfalls vorzulegen69. Gleiches gilt für Prüfungsberichte i.S.v. § 318 Abs. 6 Satz 4 HGB bei Kündigung des Abschlussprüfers aus wichtigem Grund70. 18 Das Gesetz schreibt folgenden Ablauf vor, sofern kein Aufsichtsrat besteht (sonst Rz. 21):

Die Geschäftsführer haben dem Abschlussprüfer den Jahresabschluss, den Lagebericht und gegebenenfalls den gesonderten nichtfinanziellen Bericht (Rz. 9) unverzüglich nach der Aufstellung (Rz. 23) vorzulegen (§ 320 Abs. 1 Satz 1 HGB)71. Sobald der Prüfungsbericht (§ 321 HGB) eingegangen ist, haben die Geschäftsführer den Gesellschaftern sämtliche Dokumente vorzulegen (Rz. 11 ff.). Auch dies hat gemäß § 42a Abs. 1 Satz 2 unverzüglich zu erfolgen. Mithin ist es den Geschäftsführern verwehrt, die Unterlagen zunächst zurückzuhalten, um

63 Streitig; wie hier LG München I v. 10.3.2005 – 5 HKO 21047/04, GmbHR 2005, 937, 937 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30; a.A. Adler/Düring/ Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 27; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 38 a.E.; differenzierend Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14, 27; vgl. auch Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 13; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 11. 64 Für eine Geltendmachung im Wege der actio pro socio hingegen die herrschende Meinung (LG München I v. 10.3.2005 – 5 HKO 21047/04, GmbHR 2005, 937, 938; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30). 65 Vgl. LG München I v. 10.3.2005 – 5 HKO 21047/04, GmbHR 2005, 937, 938. 66 Vgl. mit Blick auf § 335 HGB Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Tiedchen in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30. 67 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 8; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12. Für Kleinstgesellschaften gelten gleiche Grundsätze (§ 267a Abs. 2 HGB). 68 Vgl. Hartmann, S. 162. Ein abweichender Ablauf des Prüfungsverfahrens ist allerdings unschädlich (vgl. Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 15). 69 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 3; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5. 70 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 71 Zu Prüfungshandlungen im Vorfeld der Aufstellung Ebke in MünchKomm. HGB, § 320 HGB Rz. 5; Habersack/Schürnbrand in Staub, § 320 HGB Rz. 4. Vorzulegen sind die Originaldokumente (vgl. Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 15), wobei der aufgestellte Jahresabschluss nicht unterzeichnet zu werden braucht (Rz. 23).

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 19 § 42a

sich selbst ein Bild vom Prüfungsbericht zu machen72. Da die Feststellungsfristen des § 42a Abs. 2 Satz 1 (Rz. 26) einzuhalten sind, haben die Geschäftsführer auf eine zeitgerechte Berichterstattung des Abschlussprüfers hinzuwirken73. In Gestalt ihrer Pflicht, auch den Prüfungsbericht vorzulegen, geht § 42a Abs. 1 Satz 2 über die aktienrechtliche Rechtslage hinaus (vgl. § 175 Abs. 2 Satz 1 AktG)74. Wegen der Vertraulichkeit der betroffenen Informationen beschränkt sich der Anspruch der Gesellschafter nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich auf die Einsichtnahme (Rz. 11, 14). Weitergehende Rechte setzen eine besondere Grundlage voraus (Rz. 15)75. Gesellschaftsvertraglich kann etwa festgelegt werden, dass der Prüfungsbericht den Gesellschaftern unmittelbar zuzuleiten ist76. Entsprechend § 325 Abs. 5 Satz 3 HGB muss dann allerdings sichergestellt sein, dass er auch den Geschäftsführern zur Kenntnis gebracht wird77. Ferner steht es den Geschäftsführern offen, Jahresabschluss und Lagebericht bereits vor Eintreffen des Prüfungsberichts abschriftlich vorzulegen, sofern das zweckmäßig erscheint78.

4. Verfahrensweise bei Bestehen eines Aufsichtsrats (§ 42a Abs. 1 Satz 3) Verfügt die Gesellschaft aufgrund ihrer Satzung oder kraft Gesetzes über einen Aufsichtsrat, 19 so bestimmt sich das Verfahren (gemäß § 52 Abs. 1 oder auf Basis der einschlägigen gesetzlichen Verweisungen)79 nach Maßgabe der §§ 170, 171 AktG. Bei fakultativen Aufsichtsräten80 kann die Pflicht, den Jahresabschluss zu prüfen, allerdings gemäß § 52 Abs. 1 a.E. durch die Satzung ausgeschlossen sein81. Demgegenüber finden die §§ 170, 171 AktG bei Bestehen eines obligatorischen Aufsichtsrats stets Anwendung, da die einschlägigen Vorschriften entweder ausdrücklich auf diese Normen verweisen (§ 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbetG) oder in dieser Weise auszulegen sind82. Es liegt nahe, § 170 AktG auch auf Prüfungsausschüsse von kapitalmarktorientierten Gesellschaften (§ 324 HGB) anzuwenden83. Eine eigenständige Prüfungspflicht besteht im Hinblick auf den Jahresabschluss jedoch nicht, da § 324 Abs. 2 Satz 4 HGB nur auf § 171 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG verweist84. Ist kraft Satzungsbestimmung ein anderes Organ eingerichtet, das an der Rechnungslegung (beratend) mitwirkt, so sind dessen Berichte bzw. Mitteilungen analog § 42a Abs. 1 Satz 3 vorzulegen, sofern keine anderweitige Regelung getroffen wurde85.

72 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 13; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28. 73 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 51; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 27. 74 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, Rz. 10. 75 Dazu auch Hartmann, S. 114 ff. 76 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 9. 77 Vgl. Hartmann, S. 125 f. 78 Weitergehend wohl Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 9. 79 Zusammenstellung bei Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, § 170 AktG Rz. 115 ff. 80 Ob ein solcher vorliegt, bestimmt sich nach materiellen Kriterien (Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 11; 12. Aufl., § 52 Rz. 4). 81 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 10; Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, § 171 AktG Rz. 230; 12. Aufl., § 52 Rz. 320; a.A. Hartmann, S. 131. 82 Näher Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, § 170 AktG Rz. 116 f. (auch zu externen Kapitalverwaltungsgesellschaften i.S.v. § 18 KAGB); vgl. bereits Hartmann, S. 130 f.; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 493 a.E. 83 Habersack/Schürnbrand in Staub, § 324 HGB Rz. 25; zu den betroffenen Gesellschaften Grottel in BeckBilKomm., § 324 HGB Rz. 9. 84 Bormann/Greulich in MünchKomm. Bilanzrecht, § 324 HGB Rz. 98. 85 Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13.

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§ 42a Rz. 20 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts 20 Im Hinblick auf die Verfahrensweise ist danach zu unterscheiden, ob es zugleich zu einer

Abschlussprüfung (Rz. 17) kommt. Im Folgenden wird zunächst der Fall betrachtet, dass entsprechend § 171 AktG eine Prüfung durch den Aufsichtsrat stattfindet, aber keine Abschlussprüfung durchgeführt wird (sonst Rz. 21). Diese Rechtslage wird namentlich bei kleinen Gesellschaften praktisch, sofern sie über einen Aufsichtsrat verfügen (Rz. 8). Die Geschäftsführer haben die Rechnungslegungsdokumente in solchen Fällen unverzüglich nach ihrer Aufstellung dem Aufsichtsrat vorzulegen (§ 170 Abs. 1 AktG)86. Anders als nach Aktienrecht (§ 170 Abs. 2 AktG) sind die Geschäftsführer ohne satzungsmäßige Regelung oder Weisungsbeschluss (Rz. 15) nicht verpflichtet, einen Ergebnisverwendungsvorschlag zu unterbreiten87. Liegt ein solcher Vorschlag vor, ist er in den Anhang aufzunehmen (§ 285 Nr. 34 HGB)88. Der Aufsichtsrat hat die Unterlagen zu prüfen (§ 171 Abs. 1 AktG) und einen Bericht über das Ergebnis seiner Prüfung zu erstellen (§ 171 Abs. 2 AktG)89. Da in der hier betrachteten Konstellation keine Abschlussprüfung erfolgt, gehen die darauf bezogenen Vorschriften des § 171 AktG allerdings ins Leere90. Wie sich aus § 42a Abs. 1 Satz 3 ergibt, ist der Bericht des Aufsichtsrats zunächst den Geschäftsführern zuzuleiten91, was grundsätzlich innerhalb von einem Monat nach Zugang der Vorlage zu erfolgen hat (§ 171 Abs. 3 Satz 1 AktG). Die Geschäftsführer haben ihn sodann unverzüglich den Gesellschaftern vorzulegen (Rz. 11, 14). Dass dies (entsprechend § 42a Abs. 1 Satz 2) zeitgleich mit den übrigen Unterlagen erfolgen muss92, ergibt sich bereits daraus, dass die Rechnungslegungsdokumente den Geschäftsführern bis zum Eingang des Berichts des Aufsichtsrats nicht zur Verfügung stehen, da sie gemäß § 170 Abs. 1 AktG an diesen zu übermitteln waren93. Eine Vorabvorlage von Abschriften wird von § 42a Abs. 1 Satz 3 nicht gefordert, steht jedoch im Ermessen der Geschäftsführer und ist einer satzungsmäßigen Regelung sowie Weisungsbeschlüssen der Gesellschafter zugänglich (vgl. Rz. 15)94. 21 Besteht ein Aufsichtsrat und wird der Abschluss geprüft (Rz. 17), so sind die Rechnungs-

legungsdokumente nach dem Wortlaut von § 320 Abs. 1 Satz 1 HGB und § 170 Abs. 1 AktG zum gleichen Zeitpunkt, nämlich unverzüglich nach ihrer Aufstellung, sowohl dem Abschlussprüfer als auch dem Aufsichtsrat vorzulegen. Jedoch ergibt sich aus § 171 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 AktG, dass die Abschlussprüfung vorgeschaltet ist und die Prüfung des Aufsichtsrats auf Basis des Prüfungsberichts des Abschlussprüfers (§ 321 HGB) erfolgt. Dass diese Reihenfolge seit Inkrafttreten des KonTraG vom 27.4.1998 (BGBl. I 1998, 786) nicht mehr in § 170 Abs. 1 AktG zum Ausdruck kommt, beruht darauf, dass der Prüfungsbericht seither unmittelbar vom Abschlussprüfer an den Aufsichtsrat übermittelt wird (§ 321 Abs. 5 Satz 2 HGB i.V.m. § 111 Abs. 2 Satz 3 AktG), so dass § 170 Abs. 1 Satz 2 AktG a.F. („so sind diese Unterlagen zusammen mit dem Prüfungsbericht des Abschlussprüfers unverzüglich 86 Es sind Originaldokumente zu übermitteln (Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5). 87 Streitig; wie hier Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 15; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 52 Rz. 109; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 12; wohl auch Haas/ Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 3; Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 40; a.A. Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 41; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42a GmbHG Rz. 8; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; differenzierend Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; für verpflichtenden Vorschlag zur Ergebnisverwendung sogar bei Fehlen eines Aufsichtsrats Witt in Bork/Schäfer, Rz. 6; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 33; Hartmann, S. 161 f. 88 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 58. 89 Zum Gegenstand der Prüfung 12. Aufl., § 52 Rz. 315. 90 Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, § 171 AktG Rz. 230. 91 Vgl. Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5. 92 So die herrschende Meinung, etwa Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; a.A. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 12. 93 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5. 94 Vgl. auch Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 3.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 22 § 42a

nach dem Eingang des Prüfungsberichts dem Aufsichtsrat vorzulegen“) verzichtbar erschien95. Die Rechtslage ist aufgrund dieser Streichung jedoch intransparent geworden, zumal sich § 320 Abs. 1 Satz 1 HGB und § 170 Abs. 1 AktG ganz offensichtlich auf die Originaldokumente beziehen96, welche jedoch nicht zeitgleich an den Abschlussprüfer und an den Aufsichtsrat übermittelt werden können. M.E. gilt auf Basis des vorzufindenden Normenbestands Folgendes: Die Rechnungslegungsdokumente sind gemäß § 320 Abs. 1 Satz 1 HGB unverzüglich nach ihrer Aufstellung an den Abschlussprüfer zu übermitteln. Zugleich sind dem Aufsichtsrat inhaltsgleiche Abschriften zuzuleiten (vgl. § 170 Abs. 1 AktG)97. Wird der Prüfer, wie in der Praxis häufig, bereits vor dem Abschluss sämtlicher Aufstellungsarbeiten tätig98, sind die Abschriften unverzüglich nach Fertigstellung der Unterlagen an den Aufsichtsrat zu übermitteln. Dieser muss mithin die gleichen Dokumente erhalten, die (in unveränderter Gestalt) auch dem Prüfungsbericht des Abschlussprüfers zugrunde liegen99. Der Aufsichtsrat nimmt seine eigene Prüfung vor, sobald der Prüfungsbericht bei ihm eingegangen ist (vgl. § 321 Abs. 5 Satz 2 HGB). Die Frist des § 171 Abs. 3 Satz 1 AktG beginnt erst zu laufen, wenn dem Aufsichtsrat sowohl die Vorlagen der Geschäftsführer als auch der Prüfungsbericht zugegangen sind100. Sobald die Geschäftsführer nach Beendigung der Prüfungstätigkeit des Aufsichtsrats sämtliche Dokumente (zurück-)erhalten haben, haben sie diese den Gesellschaftern vorzulegen (§ 42a Abs. 1 Satz 2, 3)101.

III. Feststellung des Jahresabschlusses und Ergebnisverwendung (§ 42a Abs. 2) 1. Überblick, Hintergründe und Verhältnisbestimmung Aufgrund von § 46 Nr. 1 obliegt es grundsätzlich (vgl. § 45 Abs. 2) den Gesellschaftern, über 22 die Feststellung des Jahresabschlusses und die Ergebnisverwendung zu beschließen. Die hierfür geltenden Fristen sind in § 42a Abs. 2 Satz 1, 2 geregelt. Diese sollen sicherstellen, dass die Offenlegung innerhalb des gesetzlich vorgegebenen Zeitrahmens (vgl. für den Regelfall § 325 Abs. 1a Satz 1 HGB) erfolgen kann102. § 42a Abs. 2 Satz 3 stellt zudem klar, dass die Gesellschafter bei ihrer Feststellungsentscheidung an diejenigen gesetzlichen Vorschriften gebunden sind, die für die Aufstellung des Jahresabschlusses gelten. Maßgebend sind mithin auch insoweit die Vorgaben des Bilanzrechts, die sich in erster Linie aus dem HGB ergeben103. Dem liegt die gesetzliche Wertung zugrunde, dass die Gesellschafter berechtigt sind, den von den Geschäftsführern aufgestellten Jahresabschluss (Rz. 23) zu ändern (Rz. 27), so dass ihnen – innerhalb des gesetzlichen Rahmens – das Letztentscheidungsrecht über bilanzpolitische Maßnahmen zukommt104. Zugleich beschließen sie gemäß § 46 Nr. 1 über die Ergebnisver-

95 Dazu BT-Drucks. 13/9712, S. 21 f.; Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, § 170 AktG Rz. 9. 96 Für § 320 Abs. 1 Satz 1 HGB Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 15; zu § 170 Abs. 1 AktG Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5. 97 Vgl. Hüffer/Koch, § 170 AktG Rz. 3, jedoch ohne die m.E. unausweichliche Differenzierung zwischen Originaldokumenten und Abschriften. 98 Dazu Ebke in MünchKomm. HGB, § 320 HGB Rz. 5. 99 Vgl. Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, § 170 AktG Rz. 15. 100 Streitig; wie hier Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 62; mit Blick auf die AG auch Drygala in K. Schmidt/Lutter, § 171 AktG Rz. 21; Gernoth/Wernicke, NZG 2010, 531, 533 f.; a.A. Hüffer/ Koch, § 171 AktG Rz. 26; Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, § 171 AktG Rz. 217. 101 Zur Zulässigkeit abweichender gesellschaftsvertraglicher Gestaltungen vgl. Hartmann, S. 135; Rz. 20. 102 Vgl. die bei Biener/Berneke, S. 551 nachgewiesene Regierungsbegründung. 103 Vgl. zur KG BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 273 = GmbHR 1996, 456. 104 S. nur Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 60.

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§ 42a Rz. 22 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts wendung (§ 29). Es handelt sich um rechtlich voneinander getrennte Beschlüsse, wobei die Feststellung des Jahresabschlusses aber die Grundlage für die Ergebnisverwendung bildet105, so dass beide Beschlüsse häufig miteinander verbunden werden (Rz. 30). Auch in inhaltlicher Hinsicht sind engste Verbindungslinien vorzufinden. Zum einen wird die Höhe des verwendbaren Gewinns von der Ausübung bilanzieller Wahlrechte und der Wahrnehmung sonstiger bilanzrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten mitbestimmt, über die verbindlich im Rahmen der Jahresabschlussfeststellung entschieden wird106. Zum anderen besteht die Möglichkeit, die Bilanz unter Berücksichtigung der Verwendung des Jahresergebnisses aufzustellen (vgl. § 268 Abs. 1, § 270 Abs. 2 HGB, § 29 Abs. 1 Satz 2)107, was bei Zuständigkeit unterschiedlicher Organe (vgl. Rz. 25, 30) Folgeprobleme aufwerfen kann108. Im Gesellschaftsvertrag kann auf das Erfordernis eines gesonderten Ergebnisverwendungsbeschlusses verzichtet werden (näher 12. Aufl., § 29 Rz. 38). Ein förmlicher Feststellungsbeschluss ist ebenfalls verzichtbar, weshalb etwa geregelt werden kann, dass der aufgestellte Abschluss (Rz. 23) als festgestellt gilt, wenn nicht in bestimmter Frist widersprochen wird109. 23 Im Unterschied zur Rechtslage beim Einzelkaufmann bedarf es bei bilanzierungspflichtigen

Gesellschaften, d.h. auch bei der GmbH, im Hinblick auf den Jahresabschluss grundsätzlich zweier Verfahrensschritte, die voneinander zu trennen sind, nämlich zum einen der Aufstellung und zum anderen der Feststellung110. Die Aufstellung des Jahresabschlusses zählt gemäß § 41 i.V.m. § 264 Abs. 1 HGB (dazu 12. Aufl., § 41 Rz. 6 f.) zum Aufgabenkreis der Geschäftsführer und hat innerhalb der gesetzlichen Fristen des § 264 Abs. 1 Satz 3, 4 Halbsatz 2 HGB zu erfolgen111. Sie besteht einerseits aus technisch-buchhalterischen Elementen (Zusammenführung der Buchführung, Abschlussbuchungen etc.) und andererseits aus der vorläufigen Entscheidung über die Ausübung bilanzieller Gestaltungsmöglichkeiten112. Der Jahresabschluss ist aufgestellt, sobald die Geschäftsführer fertige Entwürfe der zugehörigen Dokumente (Rz. 24) erstellt haben, die für die Weiterleitung an den gesetzlich bzw. satzungsmäßig festgelegten Adressatenkreis bestimmt sind113. Der aufgestellte Jahresabschluss ist noch unverbindlich, da er der Abänderung durch das Feststellungsorgan zugänglich ist (Rz. 22)114. Von den Geschäftsführern unterzeichnet zu werden braucht daher erst der festgestellte Jahresabschluss (vgl. § 245 HGB)115. Jedoch zeitigt auch bereits der aufgestellte Jahresabschluss 105 Witt in Bork/Schäfer, Rz. 12; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28. 106 Vgl. BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283, 289 f. = GmbHR 2007, 437; zur Rechtslage vor Inkrafttreten des BilMoG vom 25.5.2009 (BGBl. I 2009, 1102) auch BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 274 ff. = GmbHR 1996, 456 (mit Blick auf die KG). 107 Hartmann, S. 172; Hommelhoff, ZGR 1986, 419, 420 ff.; zu den Einzelheiten Hüttemann/Meyer in Staub, § 268 HGB Rz. 2 ff.; 12. Aufl., § 29 Rz. 31 ff. 108 Dazu 12. Aufl., § 29 Rz. 33 sowie Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 477 f. 109 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 35; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 17; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66. 110 Vgl. etwa BGH v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, GmbHR 1985, 256, 258; Pöschke in Staub, § 242 HGB Rz. 16, 21; Küting/Kaiser, WPg 2000, 577, 583 ff.; a.A. Kropff, WPg 2000, 1137, 1138 ff.: Feststellung als Teil und zugleich Abschluss der Aufstellung. 111 Zur Durchsetzung 12. Aufl., § 29 Rz. 17 f. 112 Pöschke in Staub, § 242 HGB Rz. 17; Hentschel in BeckHdR, B 101 Rz. 4; zum letzten Aspekt auch BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 272 = GmbHR 1996, 456; zur insoweit fehlenden Delegierbarkeit 12. Aufl., § 41 Rz. 7 a.E. 113 Vgl. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; ähnlich Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 5, 9; Küting/Kaiser, WPg 2000, 577, 581; zur KG BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 266 = GmbHR 1996, 456; a.A. Pöschke in Staub, § 242 HGB Rz. 18; Hentschel in BeckHdR, B 101 Rz. 8: Aufstellung erst im Vorlagezeitpunkt (m.E. unvereinbar mit § 42a Abs. 1 Satz 1, § 170 Abs. 1 Satz 1 AktG). 114 S. nur BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1094. 115 Herrschende Meinung, etwa OLG Stuttgart v. 1.7.2009 – 20 U 8/08, DB 2009, 1521, 1522; Reiner in MünchKomm. HGB, § 264 HGB Rz. 104; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 7; Pöschke in

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 24 § 42a

Rechtswirkungen, wie etwa die Vorlagepflichten nach § 42a Abs. 1 Satz 1, § 320 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 170 Abs. 1 Satz 1 AktG, die Prüfungserfordernisse nach § 316 Abs. 1 HGB, § 171 AktG und die Notwendigkeit einer Nachtragsprüfung bei nachträglicher Änderung (§ 316 Abs. 3 HGB, Rz. 27) belegen116. Für die Ordnung der materiellen Rechtsbeziehungen im gesellschaftsrechtlichen Binnenverhältnis sowie auch gegenüber Dritten ist hingegen allein der festgestellte Jahresabschluss maßgebend (zur Reichweite Rz. 28 f.). Die Feststellung zielt nämlich darauf ab, den Jahresabschluss als richtig anzuerkennen und für alle Beteiligten für rechtsverbindlich zu erklären117. Für die Beschlussfassung sind gemäß § 46 Nr. 1 grundsätzlich die Gesellschafter zuständig (Rz. 25). Gleiches gilt für den Beschluss über die Ergebnisverwendung, der sich als dritter Schritt anschließt und auf Grundlage des festgestellten Jahresabschlusses erfolgt (Rz. 22, 30).

2. Feststellung des Jahresabschlusses Den Gegenstand der Feststellung bildet der Jahresabschluss, der gemäß § 242 Abs. 3, § 264 24 Abs. 1 HGB regelmäßig aus Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung und Anhang besteht (näher Rz. 8 f.). Kein Bestandteil des Jahresabschlusses bildet der Lagebericht, der nach § 264 Abs. 1 Satz 1, 3 HGB zwar von den Geschäftsführern aufzustellen, aber nicht festzustellen ist. Gleichwohl können die Gesellschafter auf seinen Inhalt Einfluss nehmen, indem sie den Geschäftsführern allgemeine Vorgaben für seine Aufstellung machen bzw. Einzelweisungen erteilen118. Solche Vorgaben sind zu beachten, sofern sie nicht gegen die einschlägigen gesetzlichen Vorschriften (vgl. § 289 HGB) verstoßen119. Die Satzung kann m.E. darüber hinaus ein Genehmigungserfordernis vorsehen120. Gleiche Grundsätze gelten, wenn gemäß § 289b Abs. 3 HGB ein gesonderter nichtfinanzieller Bericht erstellt wird121. Ist kraft Gesetzes122 eine Abschlussprüfung vorzunehmen (vgl. Rz. 17), so kann der Jahresabschluss gemäß § 316 Abs. 1 Satz 2 HGB nicht festgestellt werden, bevor die Prüfung stattgefunden hat. Die Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks (vgl. § 322 HGB) bildet jedoch keine Voraussetzung der Feststellung123. Ein Verstoß gegen § 316 Abs. 1 Satz 2 HGB führt analog § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses124. Bei fehlerhaften Beschlüssen kann generell auf das aktienrechtliche Beschlussmängelrecht abgestellt werden125, soweit keine GmbH-rechtlichen Besonderheiten entgegenstehen (ausführlich 12. Aufl., § 29 Rz. 23 ff., 12. Aufl., § 46 Rz. 35 ff.).

116 117

118 119 120 121 122 123 124 125

Staub, § 245 HGB Rz. 5; Kropff, WPg 2000, 1137, 1145; für das frühere Recht auch BGH v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, GmbHR 1985, 256, 258; offenlassend Störk/Schellhorn in BeckBilKomm., § 245 HGB Rz. 3; a.A. Küting/Kaiser, WPg 2000, 577, 585 ff.; Weiß, WM 2010, 1010, 1011 ff. S. auch Küting/Kaiser, WPg 2000, 577, 584. Vgl. BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, GmbHR 2009, 712, 714; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 12; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 63; Pöschke in Staub, § 242 HGB Rz. 20; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; zur KG BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 266 = GmbHR 1996, 456. Vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 18; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 34. Weitergehend Hartmann, S. 46 f.: keine Satzungsregelung erforderlich; weitergehend auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39 a.E.: Zuständigkeitsverlagerung auf die Gesellschafter zulässig, d.h. Abweichung von § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB. Witt in Bork/Schäfer, Rz. 13. Vgl. Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 56. Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 46; Hartmann, S. 169. Ebke in MünchKomm. HGB, § 316 HGB Rz. 10; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15; Habersack/Schürnbrand in Staub, § 316 HGB Rz. 10. In diesem Sinne auch die Materialien zum BiRiLiG: Biener/Berneke, S. 552.

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§ 42a Rz. 25 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts 25 Gemäß § 46 Nr. 1 entscheiden die Gesellschafter über die Feststellung des Jahresabschlusses.

Das gilt auch dann, wenn ein Aufsichtsrat vorhanden ist (arg. § 42a Abs. 1 Satz 3)126. Wegen der Modalitäten der Beschlussfassung kann auf die Kommentierung zu § 46 verwiesen werden (12. Aufl., § 46 Rz. 16 f.). § 46 Nr. 1 ist dispositiver Natur (vgl. § 45 Abs. 2)127, so dass die Satzung die Zuständigkeit auf ein anderes Gremium, etwa einen Bilanzausschuss128, verlagern kann (näher 12. Aufl., § 46 Rz. 46). Auch die Geschäftsführer können zur Feststellung des Jahresabschlusses bestimmt werden129. Auch ungeachtet dessen obliegt es den Geschäftsführern, darauf hinzuwirken, dass die gesetzlichen Fristen eingehalten werden130. Hierzu kann es gehören, den Abschlussprüfer anzuhalten, seinen Bericht rechtzeitig zu erstatten (Rz. 18). Umstritten ist, ob die Geschäftsführer verpflichtet sind, ihre Vorlagen analog § 176 Abs. 1 Satz 2 AktG im Feststellungstermin zu erläutern131. Hierbei handelt es sich zwar um keinen zwingenden Bestandteil des auf die Feststellung gerichteten Verfahrens. Jedoch zählt es zu den Organpflichten der Geschäftsführer, Fragen von Gesellschaftern zu beantworten, die diese Unterlagen betreffen132. Es gelten mithin gleiche Grundsätze wie für die Auskunftspflicht des Abschlussprüfers im Anwendungsbereich von § 42a Abs. 3 (Rz. 37). 26 § 42a Abs. 2 Satz 1 macht die Länge der Feststellungsfrist von der Größe der Gesellschaft

abhängig. Die Vorschrift ist so zu lesen, dass die Feststellung bei mittelgroßen und großen Gesellschaften i.S.v. § 267 Abs. 2, 3 HGB innerhalb von acht Monaten nach dem Abschlussstichtag erfolgen muss, während die Frist bei kleinen Gesellschaften i.S.v. § 267 Abs. 1 HGB (und damit auch bei Kleinstgesellschaften, § 267a Abs. 2 HGB) elf Monate beträgt. Diese Regelung ist insoweit zwingend, als die Fristen nicht verlängert werden können (§ 42a Abs. 2 Satz 2). Ihre Verkürzung lässt das Gesetz hingegen zu133, was bei Konzerngesellschaften praktisch werden kann134. An die Fristversäumung schließen sich zwar keine unmittelbaren Rechtsfolgen an. Insbesondere sind auch verspätete Feststellungsbeschlüsse wirksam und nicht wegen Fristablaufs anfechtbar135. Jedoch steht jedem Gesellschafter ein Anspruch auf Feststellung zu136. Ferner bildet gemäß § 325 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB i.d.F. des BilRUG vom 17.7.2015 (BGBl. I 2015, 1245) der festgestellte Jahresabschluss den Gegenstand der Offenlegung137, so dass ein gemäß § 335 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB ordnungsgeldbewehrter Verstoß vorliegt, wenn die Feststellung nicht bis zum Ablauf der Einreichungsfrist von regelmäßig

126 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 15; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 31. 127 So auch die Gesetzesmaterialien (Biener/Berneke, S. 551). 128 Dazu Hartmann, S. 49 f.; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 468 f. 129 Ganz herrschende Meinung, s. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 33; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; Tiedchen in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 64; Hentschel in BeckHdR, B 101 Rz. 80; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 476 f.; a.A. Hartmann, S. 165 f. 130 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 41; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 51; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 65. 131 Dafür Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 3; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; Hommelhoff, ZGR 1986, 419, 423; dagegen im Ausgangspunkt Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 68. 132 Vgl. auch Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 45. 133 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 19. 134 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 55. 135 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 41; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 19; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42. 136 BGH v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 299, 303 = GmbHR 1998, 1177; zur streitigen Ausgestaltung dieses Anspruchs näher 12. Aufl., § 29 Rz. 19 ff., 12. Aufl., § 46 Rz. 20 f. 137 S. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; zu den unionsrechtlichen Hintergründen der Neuregelung BT-Drucks. 18/4050, S. 77 f.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 28 § 42a

einem Jahr (§ 325 Abs. 1a Satz 1 HGB) nachgeholt wird138. Als äußerst problematisch erweist sich das Zusammenwirken der Offenlegungsfrist mit dem Erfordernis, den festgestellten Jahresabschluss einzureichen, bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften i.S.v. § 264d HGB. Die Offenlegungsfrist beträgt hier nämlich im Normalfall nur vier Monate (§ 325 Abs. 4 HGB). Das hat zur Folge, dass auch die Feststellung innerhalb dieser kurzen Zeit erfolgen muss – was eine erhebliche, kaum praktikable Beschleunigung des Aufstellungs- und Prüfungsprozesses bedingt. Ändern die Gesellschafter bzw. das zur Feststellung berufene Organ im Rahmen der Be- 27 schlussfassung den von den Geschäftsführern aufgestellten Jahresabschluss, so sind sie gemäß § 42a Abs. 2 Satz 3 an dieselben gesetzlichen Vorschriften gebunden, die für die Aufstellung gelten (Rz. 22). Wenn der Abschluss einer verpflichtenden Prüfung unterlegen hat (vgl. Rz. 17), muss gemäß § 316 Abs. 3 HGB eine Nachtragsprüfung erfolgen. Bevor dies geschehen ist, entsteht im Hinblick auf die Wirksamkeit des Feststellungsbeschlusses ein Schwebezustand, so dass es nahe liegt, § 173 Abs. 3 AktG analog anzuwenden139. Mithin ist ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk des Prüfers hinsichtlich der Änderungen Wirksamkeitsvoraussetzung. Um daraus resultierende Friktionen zu vermeiden, empfiehlt es sich, die Gesellschafter schon in den Aufstellungsprozess einzubeziehen140. Ihnen steht es zudem offen, bilanzpolitische Entscheidungen im Weisungswege vorzugeben141. Ist eine nachträgliche Änderung des geprüften Abschlusses beabsichtigt, sollte der Abschlussprüfer zweckmäßigerweise zu den in Aussicht genommenen Änderungen gehört werden (s. auch Rz. 31). Wertaufhellende Tatsachen (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 1 HGB), die bis zum Feststellungszeitpunkt bekannt geworden sind, sind grundsätzlich zu berücksichtigen142 und machen daher bei Wesentlichkeit eine Änderung des aufgestellten Jahresabschluss erforderlich143. Von der vorstehend erörterten Rechtslage zu trennen ist die Frage, inwieweit ein bereits festgestellter Jahresabschluss nachträglich geändert werden kann; dazu näher 12. Aufl., § 29 Rz. 27 f., 12. Aufl., § 46 Rz. 23 ff. Die Reichweite der Rechtswirkungen des Feststellungsbeschlusses ist umstritten, was seinen 28 Grund in Unsicherheiten über die Rechtsnatur der Feststellung findet. Der Feststellungsbeschluss hat anerkanntermaßen zur Folge, dass das Zahlenwerk als richtig und verbindlich anerkannt ist (Rz. 23). Ihm kommt daher ein konstitutiver Gehalt zu144. Insbesondere bildet er die Grundlage für die Entscheidung über die Ergebnisverwendung (Rz. 30) und den Ausgangspunkt der Rechnungslegung für das folgende Geschäftsjahr145. Das Gesellschaftsergebnis bildet zudem die Bezugsgröße für die Ermittlung gewinnabhängiger Ansprüche von Gesellschaftern und Dritten, wozu etwa ergebnisabhängige Tantiemen oder Bezüge stiller Ge138 Vgl. auch Witt in Bork/Schäfer, Rz. 16. 139 Streitig; ebenso Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 48; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 37; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 46; 12. Aufl., § 46 Rz. 14; a.A. Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 63. 140 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 47; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45. 141 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Hartmann, S. 48 f. 142 Streitig; wie hier Tiedchen in MünchKomm. Bilanzrecht, § 252 HGB Rz. 44; Kleindiek in Staub, § 252 HGB Rz. 19; Hüttemann in FS Priester, S. 301, 333 f.; Kropff, WPg 2000, 1137, 1137 ff.; W. Müller in FS Quack, S. 359, 366 ff.; a.A. Küting/Kaiser, WPg 2000, 577, 577 ff.; s. ferner Fülbier/ Kuschel/Selchert in Küting/Weber, § 252 HGB Rz. 71 f.; Henssler, JZ 1998, 701, 705; im Ausgangspunkt auch Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 46. 143 Störk/Büssow in BeckBilKomm., § 252 HGB Rz. 39; Tiedchen in MünchKomm. Bilanzrecht, § 252 HGB Rz. 44; Kleindiek in Staub, § 252 HGB Rz. 19; Kropff, WPg 2000, 1137, 1146; insoweit auch Hentschel in BeckHdR, B 101 Rz. 9. 144 BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, GmbHR 2009, 712, 714; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 14; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 30. 145 Schulze-Osterloh in FS H. P. Westermann, S. 1487, 1489.

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§ 42a Rz. 28 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts sellschafter zählen (dazu 12. Aufl., § 29 Rz. 134 ff.)146. Derartige Rechtswirkungen lassen sich mit einer im Vordringen befindlichen Auffassung zwanglos mit dem Charakter der Feststellung als korporationsrechtlicher Abrede begründen, ohne dass es eines Rückgriffs auf die Rechtsfigur eines bürgerlich-rechtlichen Schuldanerkenntnisses bedarf147. 29 Umstritten ist, ob dem festgestellten Jahresabschluss – darüber hinaus – Aussagekraft für an-

dere schuldrechtliche Beziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern zukommt. In dieser Hinsicht wirkt es sich aus, dass die herrschende Meinung in der Feststellungsentscheidung ein Schuldanerkenntnis erblickt, denn hieraus soll ein Ausschluss bekannter bzw. für möglich gehaltener Einwendungen gegenüber bilanzierten Positionen resultieren148. Unsicher ist allerdings, ob es sich um ein abstraktes oder um ein konkretes Anerkenntnis handelt149 und ob diese Rechtsfolgen auch solche Gesellschafter treffen können, die gegen die Feststellung gestimmt haben150. Derartigen Sichtweisen ist nicht zu folgen151. Die Annahme eines Schuldanerkenntnisses steht bereits von der zivilrechtlichen Konstruktion her auf tönernen Füßen152. Vor allem richtet sich die Aufnahme von Aktiv- und Passivpositionen in die Bilanz nach bilanzrechtlichen Grundsätzen, die erheblich vom allgemeinen Zivilrecht abweichen können und regelmäßig nicht zur privatautonomen Disposition der Feststellungsbeteiligten stehen (vgl. 12. Aufl., § 41 Rz. 10). Das Bilanzrecht folgt einer eigenen Teleologie und ist von wirtschaftlichen Betrachtungsweisen geprägt. So ist eine Forderung der Gesellschaft nicht bereits dann zu aktivieren, wenn sie zivilrechtlich zur Entstehung gelangt ist, sondern erst bei Realisation (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB)153. Der Umstand, dass eine Forderung nicht aktiviert ist (oder wegen Durchsetzungszweifeln nicht in voller Höhe angesetzt werden darf)154, kann die zivilrechtlichen Anspruchsbeziehungen daher keinesfalls prädisponieren. Ähnliches gilt im Hinblick auf Bilanzpositionen, die aus Sicht der Gesellschaft Schuldcharakter haben, d.h. Verbindlichkeiten und Rückstellungen i.S.v. § 249 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 HGB: Das rechtliche Bestehen der Verpflichtung ist weder notwendig noch hin-

146 Vgl. BGH v. 1.3.1982 – II ZR 23/81, BGHZ 83, 341, 346 f. = GmbHR 1983, 169; Adler/Düring/ Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 29; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 63. 147 Vgl. Habersack in MünchKomm. BGB, § 781 BGB Rz. 22 ff.; Priester in MünchKomm. HGB, § 120 HGB Rz. 57 f.; Marburger in Staudinger, § 781 BGB Rz. 30; W. Müller in GS Wolf, S. 281, 285 ff.; Schulze-Osterloh in FS H. P. Westermann, S. 1487, 1491 f.; s. bereits Ulmer in FS Hefermehl, S. 207, 215; gleichsinnig wohl Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 49; abweichend die herrschende Meinung, deren Vertreter teilweise auf beide Ableitungen verweisen: BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, GmbHR 2009, 712, 714; BGH v. 11.1.1960 – II ZR 69/59, WM 1960, 187, 188; OLG Schleswig v. 9.7.2009 – 5 U 22/09, GmbHR 2009, 1164, 1165 f.; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42a GmbHG Rz. 16; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; Schäfer in Staub, § 120 HGB Rz. 19; so auch noch W. Müller in FS Quack, 359, 360; wohl auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 30; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38. 148 BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, GmbHR 2009, 712, 714; OLG Schleswig v. 9.7.2009 – 5 U 22/09, GmbHR 2009, 1164, 1165 f.; Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 50.1; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 42a GmbHG Rz. 16; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 30; Schäfer in Staub, § 120 HGB Rz. 17. 149 Vgl. etwa BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, GmbHR 2009, 712, 714; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 38. 150 Vgl. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 14; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 30. 151 Ablehnend bzw. skeptisch auch Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 14; Priester in MünchKomm. HGB, § 120 HGB Rz. 58; W. Müller in GS Wolf, S. 281, 285 ff.; Schulze-Osterloh in FS H. P. Westermann, S. 1487, 1491 f.; Stüben, Jahresabschlussfeststellung und Gesellschafteranerkenntnis, 2013, S. 54 ff.; 11. Aufl., Rz. 30a. 152 Ausführlich W. Müller in GS Wolf, S. 281, 285 ff. 153 S. nur Tiedchen in MünchKomm. Bilanzrecht, § 252 HGB Rz. 66 ff. 154 Vgl. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 14; W. Müller in GS Wolf, S. 281, 286 f.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 30 § 42a

reichend für ihre Passivierung, sondern bildet lediglich einen Indikator155. So sind Schulden regelmäßig bereits dann zu passivieren, wenn ihre Entstehung genügend wahrscheinlich ist156. Der Rückschluss auf eine (Selbst-)Einschätzung von Gesellschaft und Gesellschaftern, die Schuld bestehe, kommt daher nicht in Betracht. Eine gewisse Indizwirkung157 kann vor diesem Hintergrund lediglich bei Verbindlichkeiten i.S.v. § 266 Abs. 3 C. HGB angenommen werden, die Eingang in den Jahresabschluss gefunden haben (vgl. 12. Aufl., § 42 Rz. 23). Gleiches gilt für aktivierte Ausleihungen und Forderungen gegenüber Gesellschaftern (vgl. 12. Aufl., § 42 Rz. 21 f.)158. Erforderlich ist freilich, dass die einzelne Position im Jahresabschluss identifizierbar ist – was häufig jedoch nicht der Fall sein wird, da die betreffenden Rechtsverhältnisse nicht individuell, sondern in einem Posten gezeigt werden159.

3. Entscheidung über die Ergebnisverwendung Der Beschluss über die Ergebnisverwendung (vgl. §§ 29, 46 Nr. 1) führt dazu, dass der Ge- 30 winnanspruch des Gesellschafters zur Entstehung gelangt, so dass fortan ein schuldrechtlicher Auszahlungsanspruch besteht160. Wegen der in Betracht kommenden Ausgestaltungsmöglichkeiten der Ergebnisverwendung kann auf die Kommentierung zu § 29 verwiesen werden (12. Aufl., § 29 Rz. 29 ff., 42 ff.). Nach der Konzeption des Gesetzes ist die Entscheidung über die Ergebnisverwendung von derjenigen über die Feststellung des Jahresabschlusses zu trennen (Rz. 22). Jedoch können beide Beschlüsse miteinander verbunden werden, was in der Praxis häufig auch geschieht161. Ob beide Entscheidungen getroffen worden sind, ist in Zweifelsfällen durch Auslegung des Beschlussverhaltens der Gesellschafter zu ermitteln162. Was die einzuhaltenden Fristen angeht, besteht nach dem Gesetz ein Gleichlauf zwischen beiden Beschlüssen (§ 42a Abs. 2 Satz 1, 2), so dass auf die Ausführungen in Rz. 26 verwiesen werden kann. Bei Versäumung der Frist kann der Beschluss nachgeholt werden163. Nicht hingegen führt die Säumnis dazu, dass der gesamte verteilungsfähige Jahresüberschuss bzw. Bilanzgewinn beansprucht werden kann164. Für die Entscheidung über die Ergebnisverwendung sind grundsätzlich die Gesellschafter zuständig (§ 46 Nr. 1); zur Beschlussfassung und den zugehörigen inhaltlichen Schranken 12. Aufl., § 29 Rz. 39, 53 ff., 12. Aufl., § 46 Rz. 29 ff.; zur Delegierbarkeit auf andere Organe 12. Aufl., § 29 Rz. 40 f.; zur Abänderbarkeit nach erfolgter Beschlussfassung 12. Aufl., § 29 Rz. 70, 12. Aufl., § 46 Rz. 34. Wegen der Rechtsfolgen fehlerhafter Ergebnisverwendungsbeschlüsse kann ebenfalls auf die Kommentierungen zu § 29 und § 46 verwiesen werden (12. Aufl., § 29 Rz. 64 ff., 12. Aufl., § 46 Rz. 42 ff.). Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass der Ergebnisverwendungsbeschluss auf dem festgestellten Jahresabschluss aufbaut. Daher ist entsprechend § 253 Abs. 1 AktG seine Nichtigkeit festzustellen, wenn der Feststellungsbeschluss nichtig ist oder infolge einer erfolgrei-

155 So – durchaus treffend – Ballwieser in MünchKomm. HGB, § 249 HGB Rz. 17; zum bilanzrechtlichen Schuldbegriff Schubert in BeckBilKomm., § 247 HGB Rz. 201 ff. 156 S. nur Schubert in BeckBilKomm., § 249 HGB Rz. 33; Kleindiek in Staub, § 249 HGB Rz. 35. 157 Vgl. Schulze-Osterloh in FS H. P. Westermann, S. 1487, 1492. 158 Weitergehend BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, GmbHR 2009, 712, 714; zur Einpersonengesellschaft BGH v. 17.7.2006 – II ZR 178/05, DStR 2007, 1360, 1360; OLG Celle v. 28.10.2009 – 9 U 125/06, GmbHR 2010, 87, 89. 159 Vgl. W. Müller in GS Wolf, S. 281, 287 und 289. 160 Vgl. etwa BGH v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 299, 303 = GmbHR 1998, 1177; ausführlich 12. Aufl., § 29 Rz. 9 f., 37, 78 ff. 161 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 32. 162 Vgl. BFH v. 16.5.2007 – I R 84/06, GmbHR 2007, 1058, 1059 f.; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 17; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66; 12. Aufl., § 46 Rz. 10. 163 Sagasser, DB 1986, 2251, 2251; zur streitigen Frage der Durchsetzung 12. Aufl., § 29 Rz. 62 f. 164 A.A. Hommelhoff in FS Rowedder, S. 171, 183 ff.

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§ 42a Rz. 30 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts chen Anfechtung für nichtig erklärt wurde165. Keines Ergebnisverwendungsbeschlusses bedarf es, wenn es an einem verwendbaren Ergebnis fehlt166 oder eine abweichende gesellschaftsvertragliche Regelung getroffen wurde (Rz. 22).

IV. Teilnahme des Abschlussprüfers (§ 42a Abs. 3) 1. Anwendungsbereich und Hintergründe 31 § 42a Abs. 3 ordnet an, dass im Falle einer Abschlussprüfung (§§ 316 ff. HGB) der Abschluss-

prüfer auf Verlangen eines Gesellschafters an den Verhandlungen über die Feststellung des Jahresabschlusses teilzunehmen hat. Die Vorschrift zielt in erster Linie darauf ab, die Informationsbasis der Gesellschafter bei der Feststellung des Jahresabschlusses zu stärken, indem die Fachkunde des Prüfers – über den bereits vorliegenden Prüfungsbericht (§ 42a Abs. 1 Satz 2) hinaus – nutzbar gemacht wird167. Deshalb wird § 42a Abs. 3 allgemein so ausgelegt, dass der Abschlussprüfer in der betreffenden Gesellschafterversammlung nicht nur anwesend sein muss, sondern auch Auskünfte zu erteilen hat (Rz. 37). Die Teilnahme des Abschlussprüfers ermöglicht es ferner, in Aussicht genommene Änderungen im Vergleich zum aufgestellten Jahresabschluss sogleich mit ihm zu erörtern, so dass sich das Risiko von Beanstandungen im Rahmen der Nachtragsprüfung (§ 316 Abs. 3 HGB, Rz. 27) verringert168. Gleichwohl stellt das Gesetz die Teilnahme des Abschlussprüfers, anders als im Aktienrecht (§ 176 Abs. 2 Satz 1 AktG), nicht verpflichtend, sondern setzt das Verlangen mindestens eines Gesellschafters voraus169. Die Satzung kann freilich vorschreiben, dass der Abschlussprüfer stets anwesend sein muss170. Ferner steht es den Geschäftsführern offen, ihn aus Zweckmäßigkeitsgründen zu den Verhandlungen über die Feststellung des Jahresabschlusses einzuladen, auch wenn (noch) kein konkretes Gesellschafterbegehren vorliegt171. In diesem Fall können die Gesellschafter seine Teilnahme nur durch einstimmigen Beschluss verhindern (arg. § 42a Abs. 3). Verfügt die Gesellschaft über einen Aufsichtsrat oder einen Prüfungsausschuss (Rz. 19), so hat der Abschlussprüfer ferner nach Maßgabe von § 171 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG an dessen Verhandlungen teilzunehmen172. 32 § 42a Abs. 3 ist auf mittelgroße und große Gesellschaften zugeschnitten, deren Abschlüsse

aufgrund von § 316 Abs. 1 Satz 1 HGB zu prüfen sind. Nach dem Wortlaut und dem in Rz. 31 dargestellten Telos der Vorschrift findet sie jedoch auch dann Anwendung, wenn sich eine kleine Gesellschaft freiwillig prüfen lässt173, wobei aber wiederum (vgl. Rz. 17) zu verlangen

165 Vgl. BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1094; Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 50; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 37; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 37. 166 Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 59; 12. Aufl., § 29 Rz. 29. 167 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 53; Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 69; Bohl/ Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 76; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51. 168 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 53; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 100. 169 Dazu Biener/Berneke, S. 551. 170 Witt in Bork/Schäfer, Rz. 18; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 52. 171 Vgl. Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 80. 172 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 26; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 97; näher Hartmann, S. 145 ff.; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 496 f. 173 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 54; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 99; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 34 § 42a

ist, dass die Prüfung nach Maßgabe der §§ 316 ff. HGB durchgeführt wurde174. Abschlussprüfer i.S.v. § 42a Abs. 3 ist die nach Maßgabe der §§ 318 ff. HGB bestellte Person. Ist eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragt worden (vgl. § 319 Abs. 1 Satz 1 HGB), hat grundsätzlich der verantwortliche Prüfungsleiter an der Gesellschafterversammlung teilzunehmen175. Die dogmatischen Hintergründe des § 42a Abs. 3 sind bei näherem Hinsehen mit Unsi- 33 cherheiten behaftet. Die nachfolgende Darstellung unternimmt eine Einordnung, die mit dem Gesamtgefüge des § 42a (Rz. 1 ff.) in Einklang steht. Was zunächst die in § 42a Abs. 3 zum Ausdruck kommende Berechtigung eines jeden Gesellschafters angeht, ist eine Sichtweise verbreitet, die von einem Individualrecht ähnlich dem Auskunfts- und Einsichtsrecht nach § 51a ausgeht176. Das Teilnahmeverlangen wäre damit in die Nähe eines eigennützigen Rechts gerückt (vgl. allgemein 12. Aufl., § 51a Rz. 1, 4). Demgegenüber weist es in die entgegengesetzte Richtung, wenn zahlreiche Autoren das Auskunftsrecht (Rz. 37) den Gesellschaftern als Organ der Gesellschaft zuweisen177. Richtigerweise stellt sich die Rechtslage ebenso dar wie beim Vorlageanspruch aus § 42a Abs. 1 (Rz. 5): Auch das Recht, die Teilnahme des Abschlussprüfers an den Verhandlungen zu verlangen, soll es dem Gesellschafter als Teil des für die Beschlussfassung zuständigen Organs ermöglichen, seine Willensbildung auf eine möglichst breite Informationsbasis zu stützen. § 42a Abs. 3 verleiht dem Gesellschafter daher ein abgeleitetes Individualrecht, das mit der Zuständigkeitsregelung des § 46 Nr. 1 in untrennbarem Zusammenhang steht. Daraus ist – wiederum (vgl. Rz. 6 f.) – die Folgerung zu ziehen, dass bei Zuständigkeit eines anderen Organs für die Feststellung des Jahresabschlusses (Rz. 25) die Mitglieder dieses Organs entsprechend § 42a Abs. 3 berechtigt sind178, und zwar anstelle der Gesellschafter179. § 42a Abs. 3 stellt zwingendes Recht insoweit dar, als die hier verankerte Berechtigung des für die Beschlussfassung zuständigen Personenkreises nicht beschnitten werden kann (s. auch Rz. 39)180. Denn das Gesetz gibt in § 42a Abs. 1, 3 zu verstehen, dass jedes Organmitglied seine Entscheidungsfindung auf eine möglichst umfängliche Informationsgrundlage stützen können soll (s. auch Rz. 2). Wenig Beachtung findet auch die Frage nach der Struktur der Anspruchsbeziehungen, die 34 in § 42a Abs. 3 angelegt sind. Anders als es im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommt, muss m.E. deutlich zwischen dem gesellschaftsrechtlichen Innenverhältnis und dem Außenverhältnis zum Abschlussprüfer getrennt werden181. Denn § 42a betrifft allein das gesellschaftsrechtliche Innenverhältnis (Rz. 1 f.), während der Abschlussprüfer nach heute herrschender

174 Weitergehend Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Hartmann, S. 183 f.; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 496 mit Fn. 151. 175 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 44; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56. 176 In diese Richtung etwa Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 53; Tiedchen in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 99; 11. Aufl., Rz. 46 ff. 177 Vgl. Witt in Bork/Schäfer, Rz. 20; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 86; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57. 178 Insoweit auch Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 56; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 43; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Hartmann, S. 189. 179 Ebenso Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 62; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 102; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53; 11. Aufl., Rz. 50; a.A. Witt in Bork/Schäfer, Rz. 18; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; Hartmann, S. 189 f. 180 Im Einzelnen streitig; wie hier Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 54; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 18; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 99; Hartmann, S. 188; vgl. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; weitergehend Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 496. 181 In diese Richtung bereits Hartmann, S. 184 f.; andeutungsweise auch Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 43; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39.

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§ 42a Rz. 34 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts Meinung kein Organ der Gesellschaft ist182. § 42a Abs. 3 ist daher nicht geeignet, Ansprüche gegen den Abschlussprüfer zu begründen, sondern betrifft lediglich das Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft. Schon gar nicht kann § 42a Abs. 3 dem Abschlussprüfer Rechte vermitteln183. Die Vorschrift ist vielmehr wie folgt zu lesen: Verlangt ein Gesellschafter die Teilnahme des Abschlussprüfers, so hat die Gesellschaft dafür zu sorgen, dass er bei den Verhandlungen über die Feststellung des Jahresabschlusses zugegen ist und Auskünfte erteilt. Hieraus folgt zugleich die Richtigkeit der herrschenden Meinung, wonach allein die Geschäftsführer die Adressaten des Begehrens nach § 42a Abs. 3 sind184. Davon zu trennen ist das Außenverhältnis der Gesellschaft zum Abschlussprüfer: Seine Verpflichtung, an den Verhandlungen über die Feststellung des Jahresabschlusses teilzunehmen und Auskünfte zu erteilen, kann sich allein aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag ergeben, der mit der Gesellschaft besteht. In ihm ist daher dafür Sorge zu tragen, dass die Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber den Gesellschaftern nachkommen kann. Dass die Gesellschaft für etwaige Mehrkosten auch im Innenverhältnis aufkommen muss, versteht sich185.

2. Tatbestandliche Einzelheiten 35 Die Teilnahme des Abschlussprüfers setzt grundsätzlich ein darauf gerichtetes Verlangen ei-

nes Gesellschafters voraus (zu Ausnahmen Rz. 31, 33), das weder form- noch fristgebunden ist186. Es ist aus den in Rz. 34 genannten Gründen an die Geschäftsführung zu richten, so dass ein unmittelbar an den Abschlussprüfer adressiertes Begehren unbeachtlich ist187. Es obliegt dem Gesellschafter, das Teilnahmeverlangen so rechtzeitig zu stellen, dass für die Geschäftsführer die Möglichkeit besteht, den Abschlussprüfer mit angemessenem Vorlauf einzuladen188. Hatte sich der Gesellschafter zuvor bereits mit einem schriftlichen Umlaufverfahren (§ 48 Abs. 2) einverstanden erklärt, so ist in diesem Verlangen ein (konkludenter) Widerruf des Einverständnisses zu erblicken189. Geht das Begehren verspätet zu und gelingt es den Geschäftsführern nicht, kurzfristig für die Teilnahme der Abschlussprüfer zu sorgen, trägt der Gesellschafter das Risiko, so dass grundsätzlich kein Rechtsverstoß vorliegt, wenn die Versammlung ohne den Abschlussprüfer stattfindet190. Das gilt erst recht, wenn das Teilnahmeverlangen erst während der Gesellschafterversammlung gestellt wird. In beiden Fällen bleibt es den Gesellschaftern jedoch unbenommen, über eine Vertagung Beschluss zu fassen. Ein ablehnender Beschluss kann treuwidrig sein, wenn Fragen, die für die Feststellung des 182 S. etwa BayObLG v. 17.9.1987 – BReg. 3 Z 76/87, NJW-RR 1987, 163, 164; OLG Düsseldorf v. 24.5.2006 – 26 W 9/06 AktE, AG 2006, 754, 754; Ebke in MünchKomm. HGB, § 316 HGB Rz. 32 ff. m.w.N.; deutlich auch BGH v. 10.12.2009 – VII ZR 42/08, BGHZ 183, 323, 329 f. = GmbHR 2010, 263, 265 („unbeteiligter Dritter“); anders noch BGH v. 15.12.1954 – II ZR 322/53, BGHZ 16, 17, 25; weitergehend Habersack/Schürnbrand in Staub, Vor § 316 HGB Rz. 17. 183 Vgl. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56; Hartmann, S. 182; weitergehend Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 55; Bohl/SchamburgDickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 89. 184 Vgl. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 101; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55; weniger deutlich Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 57 („idR“); zur Gegenansicht Rz. 35. 185 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 59. 186 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37. 187 Statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55 (jeweils mit anderer Begründung als hier); weniger deutlich Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 57 („im Regelfall“); a.A. Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 79; 11. Aufl., Rz. 50a. 188 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 57; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 43. 189 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55. 190 In die gleiche Richtung Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 57; Hartmann, S. 185.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 38 § 42a

Jahresabschlusses von wesentlicher Bedeutung sind, sachkundiger Erläuterung bedürfen191. Die Feststellungsfrist (Rz. 26) darf jedoch nicht überschritten werden192. Aufgrund von § 42a Abs. 3 kann lediglich die Teilnahme des Abschlussprüfers an den Ver- 36 handlungen über die Feststellung des Jahresabschlusses erzwungen werden193. Dessen ungeachtet wird es häufig zweckmäßig sein, eine Teilnahme des Abschlussprüfers auch bei anderen Verhandlungsgegenständen zu ermöglichen. Das ist kraft Satzungsbestimmung möglich, wobei eine entsprechende Verpflichtung erforderlichenfalls auch Eingang in den Geschäftsbesorgungsvertrag finden muss, der mit dem Abschlussprüfer besteht (Rz. 34)194. Die Versammlung kann dem erschienenen Abschlussprüfer kraft Beschlusses eine Teilnahme an den Verhandlungen zu anderen Gegenständen der Tagesordnung gestatten195. Keines gesonderten Beschlusses bedarf es, soweit sich die Verhandlungen decken, was insbesondere im Hinblick auf die Ergebnisverwendung der Fall sein kann (vgl. Rz. 22, 30)196. Nach dem Sinn und Zweck des § 42a Abs. 3 hat der Abschlussprüfer, über den Gesetzeswort- 37 laut hinaus, nicht nur an den Verhandlungen der Gesellschafter teilzunehmen, sondern er muss auch Auskünfte erteilen (Rz. 31)197. Diese Verpflichtung besteht gegenüber der Gesellschaftergesamtheit198, wobei aber jedem anwesenden Gesellschafter ein Fragerecht zusteht (zur Dogmatik Rz. 33)199. § 176 Abs. 2 Satz 3 AktG ist daher nicht analog anwendbar200. Fragerecht und Auskunftspflicht sind auf den Prüfungsgegenstand (vgl. §§ 316, 317 HGB) beschränkt201, so dass es im Wesentlichen um Erläuterungen und Ergänzungen zum Prüfungsbericht (§ 321 HGB) geht202. Erweiterungen auf satzungsmäßiger Grundlage oder kraft Gesellschafterbeschlusses sind zulässig, müssen aber gegebenenfalls durch eine Anpassung der Vertragspflichten des Abschlussprüfers (vgl. Rz. 34) arrondiert werden203. Zu beachten ist, dass der Abschlussprüfer keine Auskünfte über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen erteilen darf (vgl. § 323 Abs. 1 Satz 1, 2 HGB)204. Im Einzelfall kann es geboten sein, dass der Abschlussprüfer von sich aus (klarstellend oder 38 ergänzend) auf Sachverhalte hinweist, die für die Beschlussfassung von wesentlicher Bedeutung sind205. Eine entsprechende Pflicht kann sich aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag mit

191 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 58. 192 Hartmann, S. 185. 193 Statt vieler Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 27; a.A. Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 79: auch Gewinnverwendung. 194 Vgl. Hartmann, S. 191. 195 Für Beschlussfassung nur bei Beanstandung Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 63; s. auch Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 82. 196 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 63; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 81; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 98. 197 Allgemein anerkannt, s. etwa Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 60; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 104; Hartmann, S. 192; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 496. 198 Witt in Bork/Schäfer, Rz. 20; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 86; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57; a.A. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 59; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 99, 104. 199 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 44; Hartmann, S. 192 f. 200 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 83; Tiedchen in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 104. 201 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 60 („Prüfungsauftrag“); Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 85; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38 („Prüfungsaufgabe“); Hartmann, S. 193. 202 Vgl. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57. 203 Vgl. Hartmann, S. 193 f. 204 Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 104. 205 Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 64.

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§ 42a Rz. 38 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts der Gesellschaft ergeben206. Ein eigenes „Rederecht“ steht dem Abschlussprüfer hingegen nicht zu (Rz. 34)207. Sind die Gesellschafter nicht bereit, ihn (weiter) anzuhören, kann die Gesellschaft jedoch keinen Schadensersatzanspruch (vgl. Rz. 40) unter dem Gesichtspunkt der unterbliebenen Erläuterung in der Gesellschafterversammlung geltend machen. § 42a Abs. 3 bildet auch keine Rechtsgrundlage für die Erteilung von Auskünften außerhalb der Gesellschafterversammlung208. 39 Entgegen der bisher wohl allgemein vertretenen Auffassung ist kein Auskunftsverweige-

rungsrecht der Gesellschaft209 bzw. des Abschlussprüfers210 analog § 51a Abs. 2 anzuerkennen. Denn zum einen handelt es sich bei dem in § 42a Abs. 3 angelegten Fragerecht des Gesellschafters um kein eigennütziges Recht, sondern es geht darum, die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung auf eine möglichst breite Informationsbasis zu stellen (Rz. 33). Zum anderen besteht keine genügende Veranlassung, die Gesellschafter über Sachverhalte im Ungewissen zu lassen, die den Gegenstand der Abschlussprüfung bilden (vgl. Rz. 37). Ebenso wie jedem Gesellschafter die Einsichtnahme in den Prüfungsbericht zu gewährleisten ist (Rz. 14), muss es ihm möglich sein, zum Gegenstand der Abschlussprüfung Fragen zu stellen. Einschränkungen dieser Rechtsmacht können sich nur aus § 242 BGB ergeben und setzen voraus, dass kein Bezug zur Feststellung des Jahresabschlusses mehr vorhanden ist.

3. Rechtsfolgen von Verstößen 40 Weisen die Geschäftsführer ein zeitgerecht eingereichtes Teilnahmeverlangen eines Gesell-

schafters zurück, unterliegt der Feststellungsbeschluss der Anfechtung211. Der Gesellschafter kann sein Begehren zudem im Klagewege gegen die Gesellschaft geltend machen (wie Rz. 16). Kommt der Abschlussprüfer seiner vertraglichen Pflicht (Rz. 34) nicht nach, zur Gesellschafterversammlung zu erscheinen, kann er von der Gesellschaft auf Erfüllung verklagt werden212. Nach verbreiteter Auffassung ist der Feststellungsbeschluss auch in diesem Fall anfechtbar, da die Auskünfte des Prüfers das Abstimmungsverhalten beeinflussen können213. Der Abschlussprüfer macht sich bei Vertretenmüssen zudem unter dem Gesichtspunkt der Vertragsverletzung schadensersatzpflichtig214. § 323 HGB dürfte hingegen keine Anwendung finden, da die eigentliche Prüfungstätigkeit nicht betroffen ist215.

206 Vgl. zur „Redepflicht“ des Abschlussprüfers BGH v. 15.12.1954 – II ZR 322/53, BGHZ 16, 17, 25 ff. 207 A.A. offenbar Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 64; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 89. 208 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 62; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 104; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57; abweichend Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 86, 88. 209 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 61; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, Rz. 45; Witt in Bork/Schäfer, Rz. 20; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 85; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 104; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 463, 496. 210 11. Aufl., Rz. 54; beachte aber Rz. 37 a.E. 211 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 65; Hartmann, S. 185. 212 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59; zur Zulässigkeit der actio pro socio Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42. 213 S. etwa Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 105; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59; 11. Aufl., Rz. 54a. 214 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 105. 215 So Hartmann, S. 186; zur unsicheren Reichweite dieser Norm Habersack/Schürnbrand in Staub, § 323 HGB Rz. 30 f.

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Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 42 § 42a

V. Verfahren bei Konzernabschluss und Einzelabschluss (§ 42a Abs. 4) 1. Rechtsentwicklung Die Ursprungsfassung des § 42a Abs. 4 wurde durch das BiRiLiG eingeführt (Rz. 3)216. Ihr 41 Regelungsgehalt entsprach dem heutigen Satz 1, wobei der letzte Satzteil lautete: „…, so ist Absatz 1 mit der Maßgabe anzuwenden, daß es der Feststellung des Konzernabschlusses nicht bedarf.“ § 42a Abs. 4 Satz 1 heutiger Fassung geht auf das TransPuG vom 19.7.2002 (BGBl. I 2002, 2681) zurück217 und ist im Zusammenhang mit § 46 Nr. 1b zu sehen, wonach die Gesellschafter den Konzernabschluss billigen218. Er erklärt § 42a Abs. 1 bis 3 für entsprechend anwendbar auf das Billigungsverfahren (Rz. 42 f.). Der strukturgleiche § 42a Abs. 4 Satz 2 ist durch das BilReG vom 4.12.2004 (BGBl. I 2004, 3166) geschaffen worden und korrespondiert mit § 46 Nr. 1a, welcher sich auf die Billigung eines Einzelabschlusses i.S.v. § 325 Abs. 2a HGB bezieht, der nach internationalen Rechnungslegungsstandards aufgestellt worden ist (Rz. 44 f.)219. Wegen der zugehörigen Übergangsvorschriften wird auf 12. Aufl., § 2 EGGmbHG Rz. 2 Bezug genommen.

2. Billigung des Konzernabschlusses (§ 42a Abs. 4 Satz 1) Muttergesellschaften in der Rechtsform der GmbH sind nach Maßgabe der §§ 290 ff. HGB 42 verpflichtet, einen Konzernabschluss (§ 297 HGB) sowie einen Konzernlagebericht (§ 315 HGB) aufzustellen. Diese Pflicht tritt neben die jahresabschlussbezogenen Pflichten nach den §§ 242 ff., 264 ff. HGB, so dass die hierauf bezogenen Vorschriften des § 42a Abs. 1 bis 3 neben und unabhängig von § 42a Abs. 4 Satz 1 Anwendung finden. § 42a Abs. 4 Satz 1 erklärt diese Vorschriften seinerseits für „entsprechend“ anwendbar auf die Billigung des Konzernabschlusses (Rz. 43). Die Regelung gilt auch für Mutterunternehmen, die den Konzernabschluss gemäß Art. 4, 5 der IAS-Verordnung220 i.V.m. § 315e HGB nach internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS/IFRS) aufstellen. Da der Konzernabschluss und der Konzernlagebericht gemäß § 316 Abs. 2 HGB der Abschlussprüfung unterliegen, findet gemäß § 42a Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 im Hinblick auf die Vorlagepflicht das in Rz. 18 dargestellte Verfahren Anwendung221. Besteht ein Aufsichtsrat, so ist zusätzlich § 42a Abs. 1 Satz 3 zu beachten, da sich der Bericht des Aufsichtsrats analog § 171 Abs. 1, 2 AktG (Rz. 19 f.) auch auf den Konzernabschluss und den Konzernlagebericht bezieht, die dem Aufsichtsrat entsprechend § 170 Abs. 1 Satz 2 AktG vorzulegen sind222. Für das Billigungsverfahren gelten daher die Ausführungen in Rz. 21 entsprechend. Das ist ausnahmsweise anders, wenn es sich um einen fakultativen Aufsichtsrat handelt, für den der Gesellschaftsvertrag eine abweichende Regelung getroffen hat. Der Konzernabschluss, der Konzernlagebericht, der Prüfungsbericht und gegebenenfalls der Bericht des Aufsichtsrats sind grundsätzlich gleichzeitig vorzulegen (Rz. 18)223. Nicht jedoch müssen die jahresabschlussbezogenen und die konzernabschlussbezogenen Dokumente zeitgleich vorgelegt werden224. Einen Anspruch auf Vorlage

216 Dazu Biener/Berneke, S. 552. 217 Dazu BT-Drucks. 14/8769, S. 22, 30; Theile, GmbHR 2002, 231, 234 f. 218 § 46 Nr. 1b ist freilich erst durch das BilReG als „ausdrücklich klarstellende“ Regelung eingefügt worden (BT-Drucks. 15/3419, S. 55). 219 Dazu BT-Drucks. 15/3419, S. 55. 220 Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 vom 19.7.2002 (ABl. L 243 v. 11.9.2002, S. 1). 221 Vgl. auch Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 68. 222 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 49. 223 Witt in Bork/Schäfer, Rz. 21; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40. 224 Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 73; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Weber, § 42a GmbHG Rz. 18.

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§ 42a Rz. 42 | Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts von Rechnungslegungsdokumenten von Tochterunternehmen der GmbH, die in ihren Konzernabschluss einbezogen sind, gibt § 42a Abs. 4 Satz 1 nicht225. Jedoch können sich diesbezügliche Auskunftspflichten der Gesellschafter aus § 51a ergeben226. 43 Im Gegensatz zum Jahresabschluss hat der Konzernabschluss keine Ausschüttungsbemes-

sungsfunktion, sondern ihm kommt lediglich eine Informationsfunktion zu227. Er ist daher nicht festzustellen, sondern lediglich förmlich zu billigen (§ 46 Nr. 1b). Der Gesetzgeber hat dieses Erfordernis eingeführt, um der zunehmenden Bedeutung von Konzernabschluss und Konzernrechnungslegung als Informationsquellen Rechnung zu tragen228. Aufgrund von § 42a Abs. 4 Satz 1 findet die Fristenregelung des § 42a Abs. 2 Satz 1, 2 entsprechende Anwendung auf die Billigung229. Zuständig sind gemäß § 46 Nr. 1b im Grundsatz die Gesellschafter. Die Rechnungslegungsdokumente sind daher ihnen vorzulegen (Rz. 10 ff.), und sie können entsprechend § 42a Abs. 3 (Rz. 31 ff.) die Teilnahme des Abschlussprüfers an den Verhandlungen über die Billigung verlangen230. Falls die Satzung ein anderes Organ für zuständig erklärt (vgl. § 45 Abs. 2; dazu 12. Aufl., § 46 Rz. 47b), stehen die vorbezeichneten Rechte diesem Organ bzw. seinen Mitgliedern zu (wie Rz. 6 f., 33)231. Anders als im Aktienrecht kann im Rahmen der Billigungsentscheidung eine abweichende Fassung des Konzernabschlusses beschlossen werden232. Der gesetzliche Rahmen ist jedoch auch in solchen Fällen einzuhalten (§ 42a Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 3)233. Ferner macht diese Vorgehensweise aufgrund von § 316 Abs. 3 HGB eine Nachtragsprüfung (Rz. 27) erforderlich. Das Ausbleiben des Billigungsbeschlusses ist zwar nicht unmittelbar öffentlich-rechtlich sanktioniert234. Jedoch folgt aus § 325 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB, dass der gebilligte Konzernabschluss den Gegenstand der Offenlegung bildet235. Folglich tritt ein gemäß § 335 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB ordnungsgeldbewehrter Offenlegungsmangel ein, wenn ein nicht gebilligter Abschluss offengelegt wird. Ferner kann der Ergebnisverwendungsbeschluss anfechtbar sein, wenn die konzernabschlussbezogenen Dokumente nicht vorgelegt werden, da ihr Inhalt die Beschlussfassung beeinflussen kann236.

3. Billigung des Einzelabschlusses (§ 42a Abs. 4 Satz 2) 44 Die Gesellschafter einer nach § 325 HGB offenlegungspflichtigen Gesellschaft können ge-

mäß § 46 Nr. 1a beschließen, anstelle des Jahresabschlusses einen gemäß Art. 5 der IAS-Verordnung237 i.V.m. § 325 Abs. 2a HGB nach internationalen Rechnungslegungsstandards (IAS/ IFRS) aufgestellten Einzelabschluss offenzulegen238. Die befreiende Wirkung tritt jedoch nur nach Maßgabe von § 325 Abs. 2b HGB ein, der seinerseits in Nr. 3 verlangt, dass der Jahresabschluss beim Betreiber des Bundesanzeigers eingereicht wird239. Infolge dessen wird der 225 226 227 228 229 230 231 232 233 234 235 236 237 238

Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 78. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41. BT-Drucks. 14/8769, S. 22; näher Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 67. Dazu Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 73b. Witt in Bork/Schäfer, Rz. 23; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64. A.A. Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 106. BT-Drucks. 14/8769, S. 30; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 53. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41. Vgl. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; vgl. Rz. 26. Adler/Düring/Schmaltz, § 42a GmbHG Rz. 77. Verordnung (EG) Nr. 1606/2002 vom 19.7.2002 (ABl. L 243 v. 11.9.2002, S. 1). Dazu auch 12. Aufl., § 46 Rz. 47a; zu den Hintergründen Fehrenbacher in MünchKomm. HGB, § 325 HGB Rz. 82; Kersting in Staub, § 325 HGB Rz. 50; Hüttemann, BB 2004, 203, 204 ff. 239 Dazu Grottel in BeckBilKomm., § 325 HGB Rz. 73.

418 | Meyer

Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts | Rz. 45 § 42a

Jahresabschluss über das Unternehmensregister zugänglich (vgl. § 8b Abs. 2 Nr. 4 HGB)240. An der Pflicht, einen Jahresabschluss aufzustellen, ändert § 325 Abs. 2a HGB ohnehin nichts, da sich die Vorschrift allein auf die Offenlegung bezieht. Der Jahresabschluss ist nach Maßgabe von § 42a Abs. 1 bis 3 festzustellen, und allein er bildet die Grundlage der Ergebnisverwendung241. Da dem Einzelabschluss nach § 325 Abs. 2a HGB mithin keine Ausschüttungsbemessungsfunktion zukommt, schreibt das Gesetz in § 46 Nr. 1a lediglich seine Billigung durch die Gesellschafter vor242. Fehlt es an ihr, tritt die Befreiungswirkung nicht ein243, so dass ein Offenlegungsmangel vorliegt, der gemäß § 335 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB ordnungsgeldbewehrt ist244. Da sich das Billigungsverfahren gemäß § 42a Abs. 4 Satz 2 auch hier nach § 42a Abs. 1 bis 3 45 richtet, kann auf die Ausführungen in Rz. 42 f. Bezug genommen werden. Sofern der Einzelabschluss nach Maßgabe von § 324a HGB der Abschlussprüfung unterliegt245, ist im Hinblick auf die Vorlagepflicht (§ 42a Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 1) wie in Rz. 18 beschrieben vorzugehen. Besteht ein Aufsichtsrat, findet in diesem Fall der in Rz. 21 dargestellte Verfahrensablauf Anwendung, da der Einzelabschluss dem Aufsichtsrat analog § 170 Abs. 1 Satz 2 AktG vorzulegen ist und seiner Prüfung unterliegt (§ 171 Abs. 4 Satz 1 AktG). Die Berichte des Aufsichtsrats über die Prüfung des Einzelabschlusses und des Jahresabschlusses können zusammengefasst werden246. Entgegen einer im handelsrechtlichen Schrifttum verbreiteten Sichtweise247 ist der Aufsichtsrat grundsätzlich nicht zur Billigung des Einzelabschlusses berufen, sondern es bleibt bei der Zuständigkeit der Gesellschafter (arg. § 42a Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 1, § 46 Nr. 1a), sofern die Satzung nichts Abweichendes regelt248.

240 241 242 243 244 245 246 247 248

Kersting in Staub, § 325 Rz. 49. Vgl. Deussen in BeckOK GmbHG, Rz. 76. BT-Drucks. 15/3419, S. 55. Kersting in Staub, § 325 HGB Rz. 7; a.A. für Gesellschaften ohne Aufsichtsrat Grottel in BeckBilKomm., § 324a HGB Rz. 14. Ebke in MünchKomm. HGB, § 324a HGB Rz. 7; vgl. auch Kersting in Staub, § 325 HGB Rz. 7 f. Dazu Ebke in MünchKomm. HGB, § 324a HGB Rz. 2. Kersting in Staub, § 325 HGB Rz. 63. Grottel in BeckBilKomm., § 324a HGB Rz. 10; Ebke in MünchKomm. HGB, § 324a HGB Rz. 4; Habersack/Schürnbrand in Staub, § 324a HGB Rz. 7; vgl. auch Fehrenbacher in MünchKomm. HGB, § 325 HGB Rz. 86; Kersting in Staub, § 325 HGB Rz. 63. Vgl. Witt in Bork/Schäfer, Rz. 3; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1: fehlende Bezugnahme auf § 172 AktG; wie hier wohl auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 66 mit Rz. 61, 65.

Meyer | 419

§ 43 Haftung der Geschäftsführer (1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. (2) Geschäftsführer, welche ihre Obliegenheiten verletzen, haften der Gesellschaft solidarisch für den entstandenen Schaden. (3) Insbesondere sind sie zum Ersatze verpflichtet, wenn den Bestimmungen des § 30 zuwider Zahlungen aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft gemacht oder den Bestimmungen des § 33 zuwider eigene Geschäftsanteile der Gesellschaft erworben worden sind. Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen in § 9b Abs. 1 entsprechende Anwendung. Soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist, wird die Verpflichtung der Geschäftsführer dadurch nicht aufgehoben, daß dieselben in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschafter gehandelt haben. (4) Die Ansprüche auf Grund der vorstehenden Bestimmungen verjähren in fünf Jahren. Abs. 1, 2 und 4 in der Fassung von 1892; Abs. 3 Satz 2 geändert durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836). I. Grundlagen 1. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungszweck a) Normzweck des § 43 Abs. 1 (Sorgfaltspflicht, Verschuldensmaßstab) . b) Normzweck des § 43 Abs. 2 und 3 (Innenhaftung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Normzweck des § 43 Abs. 4 (Sonderverjährung) . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzesgeschichte und Reformperspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zu anderen Anspruchsgrundlagen a) Verhältnis zur Haftung aus dem Anstellungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zu sonstigen Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Persönlicher Anwendungsbereich (Geschäftsführer) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beginn und Beendigung der Geschäftsführerstellung a) Wirksamwerden der Bestellung (inkl. fehlerhafte Bestellung) . . . . . . b) Beendigung der Geschäftsführerstellung (inkl. fehlerhafte Abberufung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Faktische Geschäftsführer a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen im Einzelnen aa) Stand der Rechtsprechung . . . . .

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bb) Kritik und weitere Präzisierung III. Pflichten der Geschäftsführer gegenüber der GmbH 1. Überblick, Allgemeines . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Sorgfaltspflicht (§ 43 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sorgfaltspflicht i.e.S. aa) Bindung an den Verbandszweck und das daraus abgeleitete Gesellschaftsinteresse . . . . . . . . . . . bb) Berücksichtigung von Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelangen (Corporate Social Responsibility) . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berücksichtigung von Gläubigerinteressen (Weiterverweis) . . dd) Einzelne Ausprägungen der Sorgfaltspflicht i.e.S. . . . . . . . . . . ee) Geschäftsleiterermessen und Business Judgment Rule . . . . . . . b) Legalitätspflicht aa) Überblick, Terminologie . . . . . . bb) Abgrenzung zur Sorgfaltspflicht i.e.S., Geltungsgrund . . . . . . . . . cc) Reichweite der Legalitätspflicht . dd) Unklare Rechtslage, Rechtsirrtum (Weiterverweis) . . . . . . . c) Überwachungspflichten aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Überwachungspflicht bei horizontaler Arbeitsteilung (Geschäftsverteilung zwischen den Geschäftsführern) . . . . . . . .

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Haftung der Geschäftsführer | § 43 cc) Überwachungspflicht bei vertikaler Arbeitsteilung (Aufgabendelegation an Mitarbeiter) . . . . . dd) Überwachungspflicht bei externer Delegation (Outsourcing) . . ee) Die Legalitätskontrollpflicht im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Treuepflicht a) Allgemeines, Überblick . . . . . . . . . . . b) Loyaler Einsatz für die Gesellschaft . c) Offenlegung von Interessenkonflikten und anderen für die Amtsführung wesentlichen Umständen . . . . . d) Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenbindung aa) Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . bb) Geschäftschancenbindung . . . . . e) Verbot der Aneignung von Gesellschaftsressourcen, Annahme von Zuwendungen Dritter aa) Aneignung von Gesellschaftsressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Geschäfte zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer . . . . . . . . . . cc) Annahme von Zuwendungen Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Verschwiegenheitspflicht aa) Allgemeines, Grundlagen . . . . . . bb) Sachlicher Geltungsbereich . . . . cc) Zeitlicher Geltungsbereich . . . . . dd) Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Nachwirkende Pflichten aa) Nachorganschaftliche Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erweiterung nachwirkender Pflichten durch den Anstellungsvertrag (nachvertragliches Wettbewerbsverbot) . . . . . . . . . . IV. (Innen-)Haftung der Geschäftsführer für Pflichtverletzungen (§ 43 Abs. 2) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pflichtverletzung a) Allgemeines, erfasste Verstöße . . . . . b) Auswirkungen von Gesellschafterweisungen und -einverständnis aa) Befolgung von Gesellschafterbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Informelles Einverständnis . . . . c) Zurechnung von Pflichtverletzungen Dritter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verschuldensmaßstab aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine Haftungsprivilegierung entsprechend den arbeitsrechtlichen Grundsätzen . . . . . . . . . . .

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cc) Keine Haftungsprivilegierung analog § 708 BGB oder § 31a BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Objektiver Maßstab, Verhältnis zur Pflichtverletzung . . . . . . . . . b) Zurechnung des Verschuldens Dritter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Exculpation bei schuldloser Fehleinschätzung der Rechtslage aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vertrauen auf einen die Rechtmäßigkeit bestätigenden Rechtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unklare Rechtslage . . . . . . . . . . . dd) Sonderfall: schuldloser Rechtsirrtum trotz versäumter Rechtsprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schaden der GmbH a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelne Schadenspositionen . . . . . . c) In Sonderheit: Verbandsgeldbußen als ersatzfähiger Schaden? aa) Stand der Diskussion . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . d) Reduzierung des ersatzfähigen Schadens aufgrund der Fürsorgepflicht der Gesellschaft? . . . . . . . . 5. Kausalität und Zurechnungszusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Äquivalente und adäquate Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zurechnungszusammenhang . . . . . . aa) Rechtmäßiges Alternativverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Selbstschädigendes Verhalten (Herausforderungsfälle) . . . . . . . 6. Einwand des Mitverschuldens a) Mitverschulden von Mitgeschäftsführern und Mitarbeitern . . . . . . . . . b) Mitverschulden der Gesellschafterversammlung/-gesamtheit . . . . . . . . c) Mitverschulden anderer Organe . . . 7. Darlegungs- und Beweislast a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmen von der Beweislastumkehr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgeschiedene Geschäftsführer bb) Direktprozess gegen den D&OVersicherer . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Inanspruchnahme der Erben des Geschäftsführers . . . . . . . . . . dd) Soziale Aufwendungen, Spenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) In Sonderheit: Darlegungslast für das „möglicherweise“ pflichtwidrige Geschäftsführerverhalten . . . . . .

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§ 43 | Haftung der Geschäftsführer 8. Gesamtschuldnerische Haftung und Innenausgleich a) Gesamtschuldnerische („solidarische“) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Innenausgleich zwischen den Gesamtschuldnern . . . . . . . . . . . . . . . 9. Verzicht und Vergleich a) (Keine) analoge Anwendung des § 43 Abs. 3 Satz 2 und der aktienrechtlichen Beschränkungen . . . . . . b) Verzicht und Vergleich aufgrund Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verzichtswirkung eines Entlastungsbeschlusses nach § 46 Nr. 5 . . . d) Insolvenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Geltendmachung des Anspruchs a) Geltendmachung durch die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltendmachung durch einzelne Gesellschafter (actio pro socio) . . . . c) Geltendmachung durch Gläubiger der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Gerichtliche Zuständigkeit, Schiedsfähigkeit aa) Verfahren vor den staatlichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . V. Besonderheiten bei Verstößen gegen den Kapitalschutz (§ 43 Abs. 3) 1. Allgemeines, Überblick . . . . . . . . . . . . 2. Erfasste Pflichtverletzungen (§ 43 Abs. 3 Satz 1) a) Verstöße gegen die Kapitalerhaltung (§ 43 Abs. 3 Satz 1 Var. 1) . . . . b) Erwerb/Inpfandnahme eigener Geschäftsanteile entgegen § 33 (§ 43 Abs. 3 Satz 1 Var. 2) . . . . . . . . . c) Analoge Anwendung auf die Verletzung weiterer gläubigerschützender Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einschränkungen für Verzicht und Vergleich (§ 43 Abs. 3 Satz 2) . . . . . . . a) Unwirksamkeit bei Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung . . . . . . . . b) Ausnahmen von der Unwirksamkeit 6. Auswirkungen von Gesellschafterweisungen und -einverständnis (§ 43 Abs. 3 Satz 3) a) Befolgung von Gesellschafterbeschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Informelles Einverständnis . . . . . . . 7. Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . 9. Gesamtschuldnerische Haftung und Innenausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Geltendmachung des Anspruchs a) Geltendmachung durch die Gesellschaft, einzelne Gesellschafter oder den Insolvenzverwalter . . . . . . . . . . . b) Verfolgungsrecht der Gläubiger (§ 93 Abs. 5 Satz 1 AktG analog) . . . c) Gerichtliche Zuständigkeit, Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Verjährung (§ 43 Abs. 4) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich, konkurrierende Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beginn der Verjährungsfrist a) Entstehung des Anspruchs . . . . . . . . b) Beginn der Verjährungsfrist bei schädigendem Dauerverhalten . . . . c) In Sonderheit: Verjährung bei unterlassener Anspruchsdurchsetzung 4. Fristberechnung, Hemmung und Neubeginn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abweichende Vereinbarungen . . . . . . VII. Einschränkbarkeit der Haftung, D&O-Versicherung und Freistellung 1. Einschränkbarkeit der Haftung a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abdingbarkeit der Fahrlässigkeitshaftung nach § 43 Abs. 2 . . . . . . . . . c) Grenzen der Abdingbarkeit der Haftung nach § 43 Abs. 3 Satz 1 (und gleichgestellter Tatbestände) . . d) Verfahren und Form der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. D&O-Versicherung a) Grundzüge der D&O-Versicherung b) Prozessuale Einbeziehung des D&O-Versicherers . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesellschaftsrechtliche Fragen . . . . . d) Steuerliche Behandlung . . . . . . . . . . 3. Freistellungszusagen von Gesellschaftern und Dritten . . . . . . . . . . . . . VIII. Besonderheiten in der GmbH & Co. KG und der GmbH & Still . . . . . . 1. Besonderheiten in der GmbH & Co. KG a) Organhaftung (auch) gegenüber der KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Modalitäten der Organhaftung gegenüber der KG . . . . . . . . . . . . . . .

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443 447

Haftung der Geschäftsführer | § 43

2. IX.

1.

2.

c) Geltendmachung der Organhaftung durch die KG und ihre Kommanditisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten in der GmbH & Still . Überblick über die Geschäftsführerhaftung gegenüber Gesellschaftern und Dritten (Außenhaftung) Ausgangspunkt: Haftungskonzentration nach § 43 Abs. 2-3; fehlende Schutzgesetzqualität des § 43 Abs. 1 und fehlende Schutzwirkung für Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung gegenüber Dritten . . . . . . . . . a) Ansprüche aus Sonderverbindung aa) Vertragliche Mitverpflichtung . . bb) Haftung bei fehlender Vertretungsmacht und Rechtsscheinhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eigenhaftung aus culpa in contrahendo . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Deliktische Ansprüche aa) Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB . bb) Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB aaa) Allgemeine Grundsätze . . . bbb) Einzelne Schutzgesetze . . . cc) Haftung nach § 826 BGB . . . . . . dd) Haftung nach Sonderdeliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Steuerrechtliche Haftung gegenüber dem Fiskus . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung gegenüber den Gesellschaftern a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansprüche aus Sonderverbindung . c) Deliktische Ansprüche aa) Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB . bb) Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB . cc) Haftung nach § 826 BGB . . . . . .

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483 485 486 489 492

460

Schrifttum: Abeltshauser, Leitungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; Ackermann, Unternehmenssteuerung durch finanzielle Sanktionen, ZHR 179 (2015), 538; Ackermann, Organhaftung für Kartellgeldbußen: Gedanken zum Zeitvertreib, NZKart 2018, 1; Adolff, Hard Choices: Zur Business Judgment Rule bei existenzgefährdenden Risiken, in FS Baums, 2017, S. 31; Altmeppen, Haftung der Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft für Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, ZIP 1995, 881; Altmeppen, Organhaftung wegen des Verjährenlassens von Ansprüchen der Kapitalgesellschaft, ZIP 2019, 1253; Arden, Haftung der Geschäftsleiter und Aufsichtsratsmitglieder bei unklarer Rechtslage, 2018; Armbrüster, Verschwiegenheitspflicht des GmbH-Geschäftsführers und Abtretung von Vergütungsansprüchen, GmbHR 1997, 56; Armbrüster, Wettbewerbsverbote im Kapitalgesellschaftsrecht, ZIP 1997, 1269; Armbrüster, Interessenkonflikte in der D&O-Versicherung, NJW 2016, 897; Armbrüster, Neues vom BGH zur D&O-Versicherung, NJW 2016, 2155; Armbrüster/Schilbach, D&O-Versicherungsschutz für Ansprüche nach § 64 S. 1 GmbHG, ZIP 2018, 1853; M. Arnold, Verantwortung und Zusammenwirken des Vorstands und Aufsichtsrats bei Compliance-Untersuchungen, ZGR 2014, 76; M. Arnold, Organhaftung für Unternehmensgeldbußen, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 2019, S. 29; Bachmann, Möglichkeiten und Grenzen einer bürgerlich-rechtlichen Informationshaftung, in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, Steuerungsfunktionen des Haftungsrechts, 2007, S. 93; Bachmann, Compliance – Rechtsgrundlagen und offene Fragen, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 65; Bachmann, Reform der Organhaftung? Materielles Haftungsrecht und seine Durchsetzung in privaten und öffentlichen Unternehmen, Gutachten E für den 70. Deutschen Juristentag, 2014; Bachmann, Reform der Organhaftung? Materielles Haftungsrecht und seine Durchsetzung in privaten und öffentlichen Unternehmen, NJW-Beil. 2014, 43; Bachmann, Anm. zu LG München I, ZIP 2014, 570 – Siemens/Neubürger, ZIP 2014, 579; Bachmann, Das „vernünftige“ Vorstandsmitglied – Zum richtigen Verständnis der deutschen Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG), in FS Stilz, 2014, S. 25; Bachmann, Zehn Thesen zur deutschen Business Judgment Rule, WM 2015, 105; Bachmann, Die Geschäftsleiterhaftung im Fokus von Rechtsprechung und Rechtspolitik, BB 2015, 771; Bachmann, Die Beschränkung der Organhaftung nach den Grundsätzen des Arbeitsrechts, ZIP 2017, 841; Bachmann, CSR-bezogene Vorstands- und Aufsichtsratspflichten und ihre Sanktionierung, ZGR 2018, 231; Bachmann, Die Beweisbelastung ausgeschiedener Organmitglieder und ihrer Rechtsnachfolger im Haftungsprozess, in FS Thümmel, 2020, S. 27; Bachmann/Becker, Haftung des Insolvenz-Geschäftsführers in der Eigenverwaltung, NJW 2018, 2235; Balke/Klein, Vorstandshaftung für fehlerhafte Ausrichtung der ComplianceOrganisation, ZIP 2017, 2038; v. Bar, Verkehrspflichten, 1980; Bastuck, Enthaftung des Managements, 1986; J. Bauer, Sorgfaltspflichten und Haftungsrisiken beim Unternehmenskauf, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 195; J.-H. Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, 8. Aufl. 2019; L. Bauer, Zur Darlegungs- und Beweislast des Vorstands in organschaftlichen Haftungsprozessen, NZG 2015, 549; Baumanns, Rechtsfolgen einer Interessenkollision bei AG-Vorstandsmitgliedern, 2004; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987; Baums, Managerhaftung und Verjährung, ZHR 174 (2010), 593; Baur/Hol-

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§ 43 | Haftung der Geschäftsführer le, Anwendung des § 93 Abs. 2 S. 2 AktG im Direktprozess gegen D&O-Versicherer, AG 2017, 141; Baur/Holle, Zur privilegierenden Wirkung der Business Judgment Rule bei Schaffung einer angemessenen Informationsgrundlage, AG 2017, 597; Baur/Holle, Bußgeldregress im Kapitalgesellschaftsrecht nach der (Nicht-)Entscheidung des BAG, ZIP 2018, 459; Bayer, Legalitätspflicht der Unternehmensleitung, nützliche Gesetzesverstöße und Regress bei verhängten Sanktionen, in FS K. Schmidt, 2009, S. 85; Bayer, Die Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers de lege lata und de lege ferenda, GmbHR 2014, 897; Bayer, Der unwirksame Verzicht oder Vergleich „soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist“, in 2. FS Hopt, 2020, S. 47; Bayer/Illhardt, Darlegungs- und Beweislast im Recht der GmbH anhand praktischer Fallkonstellationen, GmbHR 2011, 505 (Teil 1), 638 (Teil 2), 751 (Teil 3); Bayer/Ph. Scholz, Haftungsbegrenzung und D&O-Versicherung im Recht der aktienrechtlichen Organhaftung, NZG 2014, 926; Bayer/Ph. Scholz, Zulässigkeit und Grenzen des Kartellbußgeldregresses, GmbHR 2015, 449; Bayer/Ph. Scholz, Vom Dogma der Unzulässigkeit des Mitverschuldenseinwands bei der GmbH-Geschäftsführung, GmbHR 2016, 841; Bayer/Ph. Scholz, Zweifelsfragen der gesamtschuldnerischen Organhaftung im Aktienrecht, ZGR 2016, 619; Bayer/Ph. Scholz, Organhaftung wegen Nichtdurchsetzung von Ansprüchen der Gesellschaft, NZG 2019, 201; Bayreuther, Haftung von Organen und Arbeitnehmern für Unternehmensgeldbußen, NZA 2015, 1239; Bedkowski, Die Geschäftsleiterpflichten – eine rechtsvergleichende Abhandlung zum deutschen und englischen Kapitalgesellschaftsrecht, 2006; K.P. Berger/Scholl, Materiell- und verfahrensrechtliche Fragen der Haftung von Bankvorständen, ZBB 2016, 237; V. Berger, Vorstandshaftung und Beratung, 2015; Bergmann, Zum Irrtum über die Rechtmäßigkeit aufgrund anwaltlicher Auskunft, in FS Tolksdorf, 2014, S. 11; Bergwitz, Möglichkeiten des abberufenen GmbH-Geschäftsführers zur Befreiung vom Wettbewerbsverbot, GmbHR 2006, 1129; Bergwitz, Befreiung der GmbH von der Karenzentschädigungspflicht beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot des abberufenen Geschäftsführers, GmbHR 2007, 523; T. Bezzenberger, Der Vorstandsvorsitzende der Aktiengesellschaft, ZGR 1996, 661; Bicker, Compliance – organisatorische Umsetzung im Konzern, AG 2012, 542; Bicker, Legalitätspflicht des Vorstands – ohne Wenn und Aber?, AG 2014, 8; Bihr, Due Diligence: Geschäftsführungsorgane im Spannungsfeld zwischen Gesellschafts- und Gesellschafterinteressen, BB 1998, 1198; Biletzki, Die deliktische Haftung des GmbH-Geschäftsführers für fehlerhafte Buchführung, ZIP 1997, 9; J.-H. Binder, Geschäftsleiterhaftung und fachkundiger Rat, AG 2008, 274; J.-H. Binder, Mittelbare Einbringung eigener Aktien als Sacheinlage und Informationsgrundlagen von Finanzierungsentscheidungen in Vorstand und Aufsichtsrat, ZGR 2012, 757; S. Binder, Grenzen der Vorstandshaftung, 2016; U. Binder/Kraayvanger, Regress der Kapitalgesellschaft bei der Geschäftsleitung für gegen das Unternehmen verhängte Geldbußen, BB 2015, 1219; Birke, Das Formalziel der Aktiengesellschaft, 2005; Bitter, Haftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern in der Insolvenz ihrer GmbH (Teil 2), ZInsO 2018, 625; Bitter, Geschäftsleiterhaftung in der Insolvenz – Alles neu durch SanInsFoG und StaRUG?, ZIP 2021, 321; Bitter/Baschnagel, Haftung von Geschäftsführern und Gesellschaftern in der Insolvenz ihrer GmbH (Teil 1), ZInsO 2018, 557; Blasche, Die Anwendung der Business Judgment Rule bei Kollegialentscheidungen und Vorliegen eines Interessenkonflikts bei einem der Vorstandsmitglieder, AG 2010, 692; Blaurock, Kartellgeldbußhaftung und gesellschaftsrechtlicher Rückgriff, in FS Bornkamm, 2014, S. 107; Bochmann, Kein Durchgriff von Kommanditisten einer GmbH & Co. KG auf den Geschäftsführer der Komplementärin im Wege der actio pro socio?, GmbHR 2018, 289; Boll, Rechtsrat und Haftung in der Kapitalgesellschaft, 2015; Bork, Pflichten der Geschäftsführung in Krise und Sanierung, ZIP 2011, 101; Bormann, Geschäftsführerhaftung wegen Einlagenrückgewähr – Antworten und neue Fragen, ZInsO 2009, 127; Born, Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast für ausgeschiedene Organmitglieder im Innenhaftungsprozess de lege lata?, in FS Bergmann, 2018, S. 79; Brammsen/Sonnenburg, Geschäftsführeraußenhaftung in der GmbH, NZG 2019, 681; Brandes, Rückzahlung überhöhter Vorstandsgehälter, ZIP 2013, 1107; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016; Bremer, Herausgabe von Informationen im Rahmen einer Due Diligence, GmbHR 2000, 176; Brinkmann, Die prozessualen Konsequenzen der Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung, ZIP 2017, 301; Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen, 2017; Brock, Legalitätspflicht des Geschäftsführers bei auslandsbezogenen Rechtsverletzungen, BB 2019, 1292; Brömmelmeyer, Neue Regeln für die Binnenhaftung des Vorstands – Ein Beitrag zur Konkretisierung der Business Judgment Rule, WM 2005, 2065; Brommer, Die Beschränkung der Rechtsfolgen der Vorstandsinnenhaftung, 2016; Brüggemeier, Organisationshaftung, AcP 191 (1991), 33; Bryant, Gesellschaftsrechtliche Wettbewerbsverbote für Geschäftsleiter, 2013; BuckHeeb, Die Haftung von Mitgliedern des Leitungsorgans bei unklarer Rechtslage, BB 2013, 2247; BuckHeeb, Die Plausibilitätsprüfung bei Vorliegen eines Rechtsrats – zur Enthaftung von Vorstand, Geschäftsführer und Aufsichtsrat, BB 2016, 1347; Buck-Heeb, Ressortaufteilung und Haftung von Geschäftsführern, BB 2019, 590; Bunte, Regress gegen Mitarbeiter bei kartellrechtlichen Unternehmens-

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Haftung der Geschäftsführer | § 43 geldbußen, NJW 2018, 123; Bunting, Konzernweite Compliance – Pflicht oder Kür?, ZIP 2012, 357; Bunz, Der Schutz unternehmerischer Entscheidungen durch das Geschäftsleiterermessen, 2011; Burgard, Garantie- und Verschuldenshaftung von Mitgesellschaftern einer GmbH, NZG 2002, 606; Burgard, Haftungsrisiken des Alleingesellschafter-Geschäftsführers einer Ein-Personen-GmbH, NZG 2018, 601; Bürkle, Aufsichtsrechtliches Legal Judgment: Sachlicher Anwendungsbereich und prozedurale Voraussetzungen, VersR 2013, 792; v. Busekist/Hein, Der IDW PS 980 und die allgemeinen rechtlichen Mindestanforderungen an ein wirksames Compliance Management System, CCZ 2012, 41; Cahn, Aufsichtsrat und Business Judgment Rule, WM 2013, 1293; Cahn, Business Judgment Rule und Rechtsfragen, Der Konzern 2015, 105; Cahn, Sekundäre Schadensersatzpflichten des Aufsichtsrats wegen unterlassener Anspruchsdurchsetzung – Nachlese zur Easy Software-Entscheidung des BGH, ZHR 184 (2020), 297; Canaris, Schutzgesetze – Verkehrspflichten – Schutzpflichten, in FS Larenz, 1983, S. 27; Casper, Hat die grundsätzliche Verfolgungspflicht des Aufsichtsrats im Sinne des ARAG/Garmenbeck-Urteils ausgedient?, ZHR 176 (2012), 617; Cordes, Die Compliance-Organisation in der GmbH, 2016; Danninger, Organhaftung und Beweislast, 2020; Decher, Was kann rechtlicher Rat zum Schutz von Vorstand und Aufsichtsrat leisten?, in FS Krieger, 2020, S. 179; Decker, Organhaftung und Expertenrat, GmbHR 2014, 72; Deilmann/Otte, Verteidigung ausgeschiedener Organmitglieder gegen Schadenersatzklagen – Zugang zu Unterlagen der Gesellschaft, BB 2011, 1291; Dieckmann, 30 Jahre „Baustoff-Entscheidung“ und ihre Relevanz für die Organaußenhaftung von heute, ZGR 2020, 1039; Diekmann, Das Vertrauen des Vorstandsmitglieds auf Rechtsauskünfte, 2019; Diller, Konkurrenztätigkeit des GmbH-Geschäftsführers während des Kündigungsprozesses, ZIP 2007, 201; Dinkhoff, Der faktische Geschäftsführer in der GmbH, 2003; Doetsch, Fehlerhafter Gesellschafter und fehlerhaftes Organ, 2015; F. Dreher, Faktische Einflussnahme auf die GmbH-Geschäftsführung, 2018; M. Dreher, Die persönliche Haftung des GmbHGeschäftsführers für Sozialversicherungsbeiträge – Wider die Fortschreibung einer überkommenen Rechtsmeinung, in FS Kraft, 1998, S. 59; M. Dreher, Kartellrechtscompliance, ZWeR 2004, 75; M. Dreher, Die kartellrechtliche Bußgeldverantwortlichkeit von Vorstandsmitgliedern, Vorstandshandeln zwischen aktienrechtlichem Legalitätsprinzip und kartellrechtlicher Unsicherheit, in FS Konzen, 2006, S. 85; M. Dreher, Die persönliche Außenhaftung von Geschäftsleitern auf Schadenersatz bei Kartellrechtsverstößen, WuW 2009, 133; M. Dreher, Nicht delegierbare Geschäftsleiterpflichten, in FS Hopt, 2010, S. 517; M. Dreher, Versicherungsschutz für die Verletzung von Kartellrecht oder von Unternehmensinnenrecht in der D&O-Versicherung und Ausschluss vorsätzlicher oder wissentlicher Pflichtverletzungen, VersR 2015, 781; M. Dreher/Thomas, Die D&O-Versicherung nach der VVG-Novelle 2008, ZGR 2009, 31; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 8. Aufl. 2019; Ebenroth/Lange, Sorgfaltspflichten und Haftung des Geschäftsführers einer GmbH nach § 43 GmbHG, GmbHR 1992, 69; Eden, Haften Geschäftsführer persönlich gegenüber Kartellgeschädigten auf Schadensersatz?, WuW 2014, 792; Emde, Gesamtverantwortung und Ressortverantwortung im Vorstand der AG, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 295; Fabisch, Managerhaftung für Kartellverstöße, ZWeR 2013, 91; v. Falkenhausen, Die Haftung außerhalb der Business Judgment Rule – Ist die Business Judgment Rule ein Haftungsprivileg für Vorstände?, NZG 2012, 644; Fehrenbach, Beschränkte Vorstandshaftung?, AG 2015, 761; Fest, Darlegungs- und Beweislast bei Prognoseentscheidungen im Rahmen der Business Judgment Rule, NZG 2011, 540; Fischer, Die Verjährung beim Gesamtschuldnerregress unter Organmitgliedern, ZIP 2014, 406; Fleck, Zur Haftung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 1974, 224; Fleck, Die Drittanstellung des GmbH-Geschäftsführers, ZHR 149 (1985), 387; Fleischer, Verdeckte Gewinnausschüttung: Die Geschäftschancenlehre im Spannungsfeld zwischen Gesellschafts- und Steuerrecht, DStR 1999, 1249; Fleischer, Deliktische Geschäftsführerhaftung gegenüber außenstehenden Dritten im englischen Gesellschaftsrecht, ZGR 2000, 152; Fleischer, Informationspflichten der Geschäftsleiter beim Management Buyout im Schnittfeld von Vertrags-, Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, AG 2000, 309; Fleischer, Die „Business Judgment Rule“ im Spiegel von Rechtsvergleichung und Rechtsökonomie, in FS Wiedemann, 2002, S. 827; Fleischer, Vorstandsverantwortlichkeit und Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen – Von der Einzelüberwachung zur Errichtung einer Compliance-Organisation, AG 2003, 291; Fleischer, Zum Grundsatz der Gesamtverantwortung im Aktienrecht, NZG 2003, 449; Fleischer, Gelöste und ungelöste Probleme der gesellschaftsrechtlichen Geschäftschancenlehre, NZG 2003, 985; Fleischer, Zur organschaftlichen Treupflicht der Geschäftsleiter im Aktien- und GmbH-Recht, WM 2003, 1045; Fleischer, Erweiterte Außenhaftung der Organmitglieder im Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, ZGR 2004, 437; Fleischer, Zur aktienrechtlichen Verantwortlichkeit faktischer Organe, AG 2004, 517; Fleischer, Gegenwartsfragen der Geschäftschancenlehre im englischen und deutschen Gesellschaftsrecht, in FS Kilian, 2004, S. 645; Fleischer, Die „Business Judgment Rule“: Vom Richterrecht zur Kodifizierung, ZIP 2004, 685; Fleischer, Zur Verantwortlichkeit einzelner Vorstandsmitglieder bei Kollegialentscheidungen im Aktienrecht, BB 2004, 2645; Fleischer, Aktienrechtliche Legalitätspflicht und „nützliche“ Pflichtver-

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§ 43 | Haftung der Geschäftsführer letzungen von Vorstandsmitgliedern, ZIP 2005, 141; Fleischer, Wettbewerbs- und Betätigungsverbote für Vorstandsmitglieder im Aktienrecht, AG 2005, 336; Fleischer, Haftungsfreistellung, Prozesskostenersatz und Versicherung für Vorstandsmitglieder – eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme zur Enthaftung des Managements, WM 2005, 909; Fleischer, Zur Privatsphäre von GmbH-Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern: Organpflichten, organschaftliche Zurechnung und private Umstände, NJW 2006, 3239; Fleischer, Corporate Compliance im aktienrechtlichen Unternehmensverbund, CCZ 2008, 1; Fleischer, Kartellrechtsverstöße und Vorstandsrecht, BB 2008, 1070; Fleischer, Kompetenzüberschreitungen von Geschäftsleitern im Personen- und Kapitalgesellschaftsrecht: Schaden – rechtmäßiges Alternativverhalten – Vorteilsausgleichung, DStR 2009, 1204; Fleischer, Aktuelle Entwicklungen der Managerhaftung, NJW 2009, 2337; Fleischer, Vorstandshaftung und Vertrauen auf anwaltlichen Rechtsrat, NZG 2010, 121; Fleischer, Gesundheitsprobleme eines Vorstandsmitglieds im Lichte des Aktien- und Kapitalmarktrechts, NZG 2010, 561; Fleischer, Zum Inhalt des „Unternehmensinteresses“ im GmbH-Recht, GmbHR 2010, 1307; Fleischer, Zur GmbH-rechtlichen Verantwortlichkeit des faktischen Geschäftsführers, GmbHR 2011, 337; Fleischer, Das unternehmerische Ermessen des GmbH-Geschäftsführers und seine GmbH-spezifischen Grenzen, NZG 2011, 521; Fleischer, Zur Einschränkbarkeit der Geschäftsführerhaftung in der GmbH, 2011, 2435; Fleischer, Expertenrat und Organhaftung, KSzW 2013, 3; Fleischer, Die Geschäftschancenlehre im Recht der BGB-Gesellschaft, NZG 2013, 361; Fleischer, Aktienrechtliche Compliance-Pflichten im Praxistest: Das Siemens/Neubürger-Urteil des LG München I, NZG 2014, 321; Fleischer, Regresshaftung von Geschäftsleitern wegen Verbandsgeldbußen, DB 2014, 345; Fleischer, Verjährung von Organhaftungsansprüchen: Rechtspraxis – Rechtsvergleichung – Rechtspolitik, AG 2014, 457; Fleischer, Reformperspektiven der Organhaftung: Empfiehlt sich eine stärkere Kodifizierung von Richterrecht?, DB 2014, 1971; Fleischer, Ruinöse Managerhaftung: Reaktionsmöglichkeiten de lege lata und de lege ferenda, ZIP 2014, 1305; Fleischer, Vorstandshaftung und Rechtsirrtum über die Vertretungskompetenz beim Abschluss eines Interim-Management-Vertrags, DB 2015, 1764; Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509; Fleischer, Ehrbarer Kaufmann – Grundsätze der Geschäftsmoral – Reputationsmanagement: Zur „Moralisierung“ des Vorstandsrechts und ihren Grenzen, DB 2017, 2015; Fleischer, Aufsichtsratshaftung – Anspruchsverjährung – Selbstbezichtigung: Das Easy-Software-Urteil des BGH, ZIP 2018, 2341; Fleischer, Vorstandshaftung wegen pflichtwidrig unterlassener Einholung eines Zustimmungsbeschlusses des Aufsichtsrats, DB 2018, 2619; Fleischer, Ressortverteilung zwischen GmbH-Geschäftsführern: Das Weltruf-Urteil des BGH, DB 2019, 472; Fleischer/Bauer, Von Vorstandsbezügen, Flugreisen, Festschriften, Firmensponsoring und Festessen: Vorstandshaftung für übermäßige Vergütung und „fringe benefits“, ZIP 2015, 1901; Fleischer, Die Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG: Rechtsgeschichte – Rechtsvergleichung – Rechtspolitik, in FS Thümmel, 2020, S. 157; Fleischer/Danninger, Darlegungs- und Beweislast bei Organhaftung und Gesamtrechtsnachfolge, AG 2020, 193; Fleischer/Pendl, Verschwiegenheitspflicht und Pflicht zum Geheimnismanagement von Geschäftsleitern, ZIP 2020, 1321; Fleischer/Schmolke, Whistleblowing und Corporate Governance – Zur Hinweisgeberverantwortung von Vorstandsmitgliedern und Wirtschaftsanwälten, WM 2012, 1013; Florstedt, Cum/cum-Geschäfte und Vorstandshaftung – Rechtsirrtum und Rechtszweifel bei „saisonaler Aktienarbitrage“, NZG 2018, 485; Foerste, Nochmals: Persönliche Haftung der Unternehmensleitung – die zweite Spur der Produkthaftung?, VersR 2002, 1; Foerster, Beweislastverteilung und Einsichtsrecht bei Inanspruchnahme ausgeschiedener Organmitglieder, ZHR 176 (2012), 221; Franzen, Vertragliche Auskunftspflicht und Schutz gegen Selbstbezichtigung, in FS Köhler, 2014, S. 133; Freitag/Korch, Die Angemessenheit der Information im Rahmen der Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG), ZIP 2012, 2281; Freund, Gesamtschuldnerregress in der Organhaftung, GmbHR 2013, 785; Friedl/Titze, Der Sanktionszweck heiligt den Regressausschluss – Zur Haftung von Vorstandsmitgliedern für Verbandsgeldbußen, ZWeR 2015, 318; Frisch, Haftungserleichterung für GmbH-Geschäftsführer nach dem Vorbild des Arbeitsrechts, 1998; Fritz, Haftungsbegrenzung bei Führungskräften, NZA 2017, 673; Gehle, Nachvertragliches Wettbewerbsverbot: Geltungserhaltende Reduktion kraft vertraglicher Vereinbarung?, DB 2010, 1981; Geißler, Die Haftung des faktischen GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2003, 1106; Geißler, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers bei Missachtung von Zustimmungsvorbehalten des Aufsichtsrats, GmbHR 2020, 293; Gelter/Helleringer, Opportunity Makes a Thief: Corporate Opportunities as Legal Transplant and Convergence in Corporate Law, 15 Berkeley Business Law Journal (2018), 92; Gerigk, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote mit geschäftsführenden Organmitgliedern und Gesellschaftern, 2013; Gimmler, Die Lehre vom fehlerhaften Organverhältnis am Beispiel des fehlerhaft bestellten Geschäftsführers der GmbH, 2016; Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018; M. Goette, Aufsichtsrats- und Hauptversammlungsbeschluss – zugleich Urteilsbesprechung zu BGH II ZR 24/17, ZGR 2019, 324; W. Goette, Zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast der objektiven Pflichtwidrigkeit bei der Organhaftung, ZGR 1995, 648; W. Goette, Organisationspflichten in Kapitalge-

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Haftung der Geschäftsführer | § 43 sellschaften zwischen Rechtspflicht und Opportunität, ZHR 175 (2011), 388; Goj, Verjährungsbeginn der aktienrechtlichen Organhaftung bei sog. „Dauerunterlassen“, ZIP 2019, 447; Gottschalk, Die Haftung von Geschäftsführern und Mitarbeitern der GmbH gegenüber Dritten für Produktfehler, GmbHR 2015, 8; Götze, Auskunftserteilung durch GmbH-Geschäftsführer im Rahmen der Due Diligence beim Beteiligungserwerb, ZGR 1999, 202; Grau/Dust, Verbandsgeldbuße und Regresshaftung von Geschäftsleitern, ZRP 2020, 134; Greven, Die Bedeutung des VorstAG für die GmbH, BB 2009, 2154; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006; Grigoleit, Begründungslinien der Legalitätsverantwortung im Kapitalgesellschaftsrecht, in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367; Grobecker/Wagner, Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens bei Kompetenzverstößen des Vorstands, ZIP 2019, 694; Grooterhorst, Das Einsichtnahmerecht des ausgeschiedenen Vorstandsmitglieds in Geschäftsunterlagen im Haftungsfall, AG 2011, 389; Grooterhorst/Looman, Rechtsfolgen der Abtretung des Freistellungsanspruchs gegen den Versicherer im Rahmen der D&O-Versicherung, NZG 2015, 215; Groß/Amen, Rechtspflicht zur Unternehmensplanung? – Ein Diskussionsvorschlag zur Konkretisierung der Planungspflicht und von Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Unternehmensplanung, WPg 2003, 1161; Grundmeier, Rechtspflicht zur Compliance im Konzern, 2011; Grunewald, Interne Aufklärungspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat, NZG 2013, 841; Grunewald, Die actio pro socio im deutschen Personengesellschafts- und GmbH-Recht, in Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2015, S. 209; Grunewald, Die Abwälzung von Bußgeldern, Verbands- und Vertragsstrafen im Wege des Regresses, NZG 2016, 1121; Grunewald, Rechtmäßiges Alternativverhalten – gibt es Besonderheiten im Gesellschaftsrecht?, in 2. FS Hopt, 2020, S. 325; Grunst, Der Geschäftsleiter im Deliktsrecht, 2016; Guntermann, Der Gesamtschuldnerregress unter Vorstandsmitgliedern, AG 2017, 606; Guntermann, Der Verjährungsbeginn gem. § 93 Abs. 6 AktG im Falle der Pflichtverletzung durch Unterlassen – am Beispiel der Haftung des Aufsichtsrats nach verbotener Einlagenrückgewähr, NZG 2018, 851; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997; Haas, „Flankierende Maßnahmen“ für eine Reform des Gläubigerschutzes in der GmbH, GmbHR 2006, 505; Haas, Reform des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes – Gutachten E für den 66. Deutschen Juristentag, 2006; Haas, Die Rechtsfigur des „faktischen GmbH-Geschäftsführers“, NZI 2006, 494; Haas/ Hoßfeld, Schiedsvereinbarungen zwischen Gesellschaft und GmbH-Geschäftsführer, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 407; Haberer, Zwingendes Kapitalgesellschaftsrecht, 2009; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996; Habersack, Die Freistellung des Organwalters von seiner Haftung gegenüber der Gesellschaft, in FS Ulmer, 2003, S. 151; Habersack, Gesteigerte Überwachungspflichten des Leiters eines „sachnahen“ Vorstandsressorts?, WM 2004, 2360; Habersack, Managerhaftung, in Lorenz (Hrsg.), Karlsruher Forum 2009: Managerhaftung, 2010, S. 5; Habersack, Die Legalitätspflicht des Vorstands der AG, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429; Habersack, Gedanken zur konzernweiten Compliance-Verantwortung des Geschäftsleiters eines herrschenden Unternehmens, in FS Möschel, 2011, S. 1175; Habersack, Geschäftschancen im Recht der verbundenen Aktiengesellschaft, in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 421; Habersack, Perspektiven der aktienrechtlichen Organhaftung, ZHR 177 (2013), 782; Habersack, Grund und Grenzen der Compliance-Verantwortung des Aufsichtsrats der AG, AG 2014, 1; Habersack, Organverantwortlichkeit und rechtmäßiges Alternativverhalten, in FS E. Vetter, 2019, S. 183; Habersack/Schürnbrand, Die Rechtsnatur der Haftung aus §§ 93 Abs. 3 AktG, 43 Abs. 3 GmbHG, WM 2005, 957; Habersack/Wasserbäch, Organhandeln vor Schiedsgerichten, AG 2016, 2; Hadding, Die Mitgliedschaft in handelsrechtlichen Personalgesellschaften – Ein subjektives Recht?, in FS Kellermann, 1991, S. 91; Haese, Unternehmensleitung und Überwachung in der GmbH, 2011; Hager, Wechsel vom Stakeholder zum Shareholder?, in FS Windbichler, 2020, S. 731; Hahn/Neumann, Organhaftung trotz sachverständiger Beratung – Entscheidungskonflikte zwischen dem „Gebot des sichersten Weges“ und unternehmerischer Wagnis, CCZ 2013, 156; Harbarth, Unternehmerisches Ermessen des Vorstands im Interessenkonflikt, in FS Hommelhoff, 2012, S. 323; Harbarth, Unternehmensorganisation und Vertrauensgrundsatz im Aktienrecht, ZGR 2017, 211; Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013; Harzenetter, Abtretung des Freistellungsanspruchs aus einer D&O-Versicherung nach den BGH-Urteilen vom 13.4.2016, NZG 2016, 728; Hasselbach, Der Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder, DB 2010, 2037; Hasselbach/Ebbinghaus, Anwendung der Business Judgement Rule bei unklarer Rechtslage, AG 2014, 873; Hauff, Der Regress von Verbandsgeldbußen im Kapitalgesellschaftsrecht, 2019; Hauger/Paltzer, Kartellbußen und gesellschaftsrechtlicher Innenregress, ZGR 2015, 33; Hauschka, Ermessensentscheidungen bei der Unternehmensführung, GmbHR 2007, 11; Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016; Heidenhain, Nachvertragliches Wettbewerbsverbot des GmbH-Geschäftsführers, NZG 2002, 605; v. Hein, Vom Vorstandsvorsitzenden zum CEO, ZHR 166 (2002), 464; v. Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008; Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber

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§ 43 | Haftung der Geschäftsführer der GmbH, 1988; Heller, Nachvertragliches Wettbewerbsverbot bei Geschäftsführern, GmbHR 2000, 371; Hellgardt, Abdingbarkeit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht, in FS Hopt, 2010, S. 765; Hellgardt, Wider die Legalitätspflicht im Kapitalgesellschaftsrecht, in 2. FS Hopt, 2020, S. 403; Helms, Schadensersatzansprüche wegen Beeinträchtigung der Vereinsmitgliedschaft, 1998; Henssler, D&O-Versicherungen in Deutschland, in Henze/Hoffmann-Becking, RWS Forum Gesellschaftsrecht 2000, 2001, S. 131; Herresthal, Die Wirksamkeit von Schiedsabreden mit Vorständen und Geschäftsführern bei Organhaftungsstreitigkeiten, ZIP 2014, 345; Hieronimy, Die Haftung des aktienrechtlichen Vorstands bei Einholung externer Beratung, 2017; Hippeli, Zur Rechtsfigur der actio pro societate – Anerkennung der kleinen Schwester der actio pro socio, GWR 2018, 61; Höfer, Regierungsentwurf zum Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) aus Geschäftsführersicht: Pflicht zum „Geschäftsgeheimnis-Management“, GmbHR 2018, 1195; Hoffmann, Existenzvernichtende Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten?, NJW 2012, 1393; Hoffmann-Becking, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote für Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, in FS Quack, 1991, S. 273; Hoffmann-Becking, Haftungsbeschränkung durch Geschäftsverteilung in Geschäftsführung und Vorstand, NZG 2021, 93; Hoger, Praxisfragen zur Organhaftung bei Unternehmensverkäufen, Der Konzern 2016, 133; Holle, Rechtsbindung und Business Judgment Rule, AG 2011, 778; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014; Holle, Die Binnenhaftung des Vorstands bei unklarer Rechtslage, AG 2016, 270; Holle, Irrtum über die Erlaubnispflicht nach § 32 KWG und zivilrechtliche Haftung, BKR 2018, 500; Holle, Aufarbeitung pflichtwidrigen Vorstandshandelns durch Aufsichtsrat und Aktionäre, ZHR 182 (2018), 569; Holle/Mörsdorf, Rechtmäßiges Alternnativverhalten beim Verstoß gegen Kompetenz- und Verfahrensvorschriften, NJW 2018, 3555; Holthausen/Held, D&O ist Chefsache – Rechtliche Hintergründe und Handlungsempfehlungen, GmbHR 2020, 741; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982; Hommelhoff, Nichtfinanzielle Unternehmensziele im Unionsrecht, in FS v. Hoyningen-Huene, 2014, S. 137; Hommelhoff, Nichtfinanzielle Ziele in Unternehmen von öffentlichem Interesse, in FS Kübler, 2015, S. 291; Hopt, Interessenwahrung und Interessenkonflikte im Aktien-, Bank- und Berufsrecht, ZGR 2004, 1; Hopt, Die Verantwortlichkeit von Vorstand und Aufsichtsrat: Grundsatz und Praxisprobleme – unter besonderer Berücksichtigung der Banken, ZIP 2013, 1793; U. Hübner, Managerhaftung, 1992; Ihrig/C. Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, 2. Aufl. 2020; Jäger, Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot und die Karenzentschädigung für Organmitglieder juristischer Personen, DStR 1995, 724; Janert, Rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Beschränkung der Geschäftsführerhaftung, BB 2013, 3016; Jena, Die Business Judgment Rule im Prozess, 2020; Jenne/Miller, Verjährungsbeginn und Selbstbezichtigung in der Organhaftung, AG 2019, 112; Joussen, Der Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1 GmbHG, GmbHR 2005, 441; Jula, Geschäftsführerhaftung gemäß § 43 GmbHG: Minimierung der Risiken durch Regelungen im Anstellungsvertrag?, GmbHR 2001, 806; Jungmann, Die Business Judgment Rule – ein Institut des allgemeinen Verbandsrechts?, in FS K. Schmidt, 2009, S. 831; Junker/Biederbick, Die Unabhängigkeit des Unternehmensjuristen – Dürfen Organmitglieder auf den Rat der Rechtsabteilung hören?, AG 2012, 898; van Kann, Zwingender Selbstbehalt bei der D&O-Versicherung – Gut gemeint, aber auch gut gemacht?, NZG 2009, 1010; Karbaum, Kartellrechtliche Compliance – Rechtsgrundlagen und Umsetzung, 2010; Kaulich, Die Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft für Rechtsanwendungsfehler, 2012; Kempelmann/Scholz, Enthaftung durch hypothetisch unvermeidbaren Verbotsirrtum?, JZ 2018, 390; Kersting, Organhaftung für Kartellbußgelder, ZIP 2016, 1266; Kersting, Organhaftung für Kartellbußgelder II, in II. FIW Jahrbuch 2018, 2019, S. 81; Kiefner/Krämer, Geschäftsleiterhaftung nach ISION und das Vertrauendürfen auf Rechtsrat, AG 2012, 498; Kielkowski, Zur Problematik von nachvertraglichen Wettbewerbsverboten für Geschäftsführer, NZG 2015, 900; Kind, Darf der Vorstand einer AG Spenden an politische Parteien vergeben?, NZG 2000, 567; Kindler, Vorstands- und Geschäftsführerhaftung mit Augenmaß – Über einige neuere Grundsatzentscheidungen des II. Zivilsenats des BGH zu §§ 93 AktG und 43 GmbHG, in FS Goette, 2011, S. 231; Kindler, Pflichtverletzung und Schaden bei der Vorstandshaftung wegen unzureichender Compliance, in FS G.H. Roth, 2011, S. 367; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997; Kleindiek, Geschäftsführung und Ressortaufteilung in der Unternehmenskrise, in FS Kayser, 2019, S. 435; Kleindiek, Organhaftung und Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens, in FS Krieger, 2020, S. 489; Kling, Managerhaftung für Kartellverstöße bei Maßnahmen des Informationsaustauschs mit Wettbewerbern, in FS Bergmann, 2018, S. 391; Klotz, „Eigenschadenklauseln“ in der D&O-Versicherung, r+s 2020, 425; J. Koch, Das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), ZGR 2006, 769; J. Koch, Die Konzernobergesellschaft als Unternehmensinhaber i.S.d. § 130 OWiG, AG 2009, 564; J. Koch, Die Anwendung der Business Judgment Rule bei Interessenkonflikten innerhalb des Vorstands, in FS Säcker, 2011, S. 403; J. Koch, Beschränkungen des gesellschaftsrechtlichen Innenregresses bei Bußgeldzahlungen, in Liber amicorum Winter, 2011,

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Haftung der Geschäftsführer | § 43 S. 327; J. Koch, Beschränkung der Regressfolgen im Kapitalgesellschaftsrecht, AG 2012, 429; J. Koch, Regressreduzierung im Kapitalgesellschaftsrecht – eine Sammelreplik, AG 2014, 513; J. Koch, Begriff und Rechtsfolgen von Interessenkonflikten und Unabhängigkeit im Aktienrecht, ZGR 2014, 697; J. Koch, Der Vorstand im Kompetenzgefüge der Aktiengesellschaft, in Fleischer/Koch/Kropff/Lutter, 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S. 65; J. Koch, Die Legal Judgment Rule: ein Fall für die Wolfsschlucht, in FS Bergmann, 2018, S. 413; R. Koch, Einführung eines obligatorischen Selbstbehalts in der D&O-Versicherung durch das VorstAG, AG 2009, 637; R. Koch, Ersatzfähigkeit von Kartellbußen, VersR 2015, 655; Kocher, Zur Reichweite der Business Judgment Rule, CCZ 2009, 215; Koppensteiner, GmbH-rechtliche Probleme des Management Buy-Out, ZHR 155 (1991), 97; Korkmaz, Konzernweite nachvertragliche Wettbewerbsverbote für Vorstandsmitglieder, NJOZ 2014, 481; Kort, Interessenkonflikte bei Organmitgliedern der AG, ZIP 2008, 717; Kort, Organpflichten beim Whistleblowing: Paradigmenwechsel durch die Hinweisgeber-Richtlinie?, in FS Windbicher, 2020, S. 837; Krahforst, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote für GmbH-Geschäftsführer, 2012; Krause, „Nützliche“ Rechtsverstöße im Unternehmen – Verteilung finanzieller Lasten und Sanktionen, BB Beilage 2007, Nr. 7, 2; Krebs, Geschäftsführungshaftung bei der GmbH & Co. KG und das Prinzip der Haftung für sorgfaltswidrige Leitung, 1991; Kremer, Haftungsausschluss durch Beratung, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, 2013, S. 171; Kremer/Klahold, Compliance-Programme in Industriekonzernen, ZGR 2010, 113; Kreuz, Enthaftung des Geschäftsleiters einer Kapitalgesellschaft durch Rechtsrat, 2015; Krieger, Zur (Innen-)Haftung von Vorstand und Geschäftsführung, in Henze/Timm/Westermann, RWS Forum Gesellschaftsrecht 1995, 1996, S. 149; Krieger, Beweislastumkehr und Informationsanspruch des Vorstandsmitglieds bei Schadensersatzforderungen nach § 93 Abs. 2 AktG, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 717; Krieger, Wie viele Rechtsberater braucht ein Geschäftsleiter?, ZGR 2012, 496; Krieger, Rechtmäßiges Alternativverhalten bei Verletzung eines Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats, in FS Seibert, 2019, S. 511; Kröger, Korruptionsschäden, Unternehmensgeldbußen und Imageschäden, 2013; Kuhlen, Zum Verhältnis von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung für Compliance-Mängel, NZWiSt 2015, 121 (Teil 1), 161 (Teil 2); Kukat, Vorsicht ist besser als Nachsicht – Praktische Hinweise zur Vereinbarung nachvertraglicher Wettbewerbsverbote für Geschäftsführer und zur Anrechnung anderweitigen Erwerbs, BB 2001, 951; Kumkar, Die actio pro socio im GmbH-Recht, NZG 2020, 1012; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014; Kuntz, Geltung und Reichweite der Business Judgment Rule in der GmbH, GmbHR 2008, 121; Kuntz, Informationsweitergabe durch die Geschäftsleiter beim Buyout unter Managementbeteiligung, 2009; Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019; Kutschelis, Korruptionsprävention und Geschäftsleiterpflichten im nationalen und internationalen Unternehmensverbund, 2014; Labusga, Die Ersatzfähigkeit von Unternehmensgeldbußen im Innenregress gegen verantwortliche Vorstandsmitglieder, VersR 2017, 394; O. Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014; O. Lange, Vernachlässigte Aspekte des Wissentlichkeitsausschlusses in der D&O-Versicherung, VersR 2020, 588; Langenbucher, Vorstandshandeln und Kontrolle – Zu einigen Neuerungen durch das UMAG, DStR 2005, 2083; Langenbucher, Die bereicherungsrechtliche Rückforderung unangemessener Vorstandsbezüge, in FS U. Huber, 2006, S. 861; Langenbucher, Vorstandshaftung und Legalitätspflicht in regulierten Branchen, ZBB 2013, 16; Langenbucher, Rechtsermittlungspflichten und Rechtsbefolgungspflichten des Vorstands – Ein Beitrag zur aktienrechtlichen Legalitätspflicht, in FS Lwowski, 2014, S. 333; Lembke, Nachvertragliches Wettbewerbsverbot von Organmitgliedern auf dem Prüfstand, NZA-RR 2019, 65; Lembke, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote in der Praxis, BB 2020, 52; Leuering, Organhaftung und Schiedsverfahren, NJW 2014, 657; Leuering/Dornhegge, Geschäftsverteilung zwischen GmbHGeschäftsführern, NZG 2010, 13; Leuschner, Das Konzernrecht des Vereins, 2011; Lieder, Unternehmerische Entscheidungen des Aufsichtsrats, ZGR 2018, 523; Lieder/Felzen, Die Entlastung in der GmbH & Co. KG, NZG 2021, 6; Lindacher, Haftung des GmbH-Geschäftsführers und Einwand des Auswahl- und Überwachungsverschuldens, JuS 1984, 672; v.d. Linden, Teile und herrsche – auch als Geschäftsführer, NJW 2019, 1039; Linnertz, Die Delegation durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft, 2020; Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003; Löbbe, Abtretungslösung – Königsweg zur Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen?, in FS Marsch-Barner, 2018, S. 317; Löbbe/Fischbach, Die Business Judgment Rule bei Kollegialentscheidungen des Vorstands, AG 2014, 717; Lohr, Die Beschränkung der Innenhaftung des GmbH-Geschäftsführers, NZG 2000, 1204; Lotze/Smolinski, Entschärfung der Organhaftung für kartellrechtliche Unternehmensgeldbußen, NZKart 2015, 254; Louven, Die Entwicklung der Legalitätspflicht des Vorstands – Fortschreitende Beschränkung unternehmerischer Entscheidungsfreiheit oder notwendiges Korrektiv?, KSzW 2016, 241; Lübke, Die Leitung der Aktiengesellschaft zwischen Gesellschaftsinteresse und Gemeinwohl, in FS Müller-Graff, 2015, S. 266; Lüneborg/Resch, Ausgewählte Probleme des D&O-Versicherungsschutzes aus Aufsichtsratsperspektive: Versicherungsabschluss, Rückwärtsdeckung, Nachmeldefristen und Umstandsmeldung, AG 2017, 691; Lüneborg/Resch, Die Ersatz-

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§ 43 | Haftung der Geschäftsführer fähigkeit von Kosten interner Ermittlungen und sonstiger Rechtsberatung im Rahmen der Organhaftung, NZG 2018, 209; Lutter, Zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers aus deliktischen Schäden im Unternehmen, ZHR 157 (1993), 464; Lutter, Haftungsrisiken des Geschäftsführers einer GmbH, GmbHR 1997, 329; Lutter, Haftung und Haftungsfreiräume des GmbH-Geschäftsführers – 10 Gebote an den Geschäftsführer, GmbHR 2000, 300; Lutter, Die Business Judgment Rule und ihre praktische Anwendung, ZIP 2007, 841; Lutter, Interessenkonflikte und Business Judgment Rule, in FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 245; Lutter, Verhaltenspflichten von Vorstandsmitgliedern bei Interessenkonflikten, in FS Priester, 2007, S. 417; Lutter, Konzernphilosophie vs. konzernweite Compliance und konzernweites Risikomanagement, in FS Goette, 2011, S. 289; Lutz, Prozessvertretung der GmbH gegenüber dem Geschäftsführer und actio pro socio bei einstweiligen Verfügungen, NZG 2015, 424; Maier-Reimer, Schutzgesetze – Verhaltensnormen, Sanktionen und ihr Adressat, NJW 2007, 3157; Mand, Die Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 GmbHG und die Möglichkeit privatautonomer Begrenzungen, 2004; Manger, Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2001, 89; Meckbach, Organhaftung und Beweisrisiken, NZG 2015, 580; Medicus, Deliktische Außenhaftung der Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer, ZGR 1998, 570; Mennicke, Zum Weisungsrecht der Gesellschafter und der Folgepflicht des Geschäftsführers in der mitbestimmungsfreien GmbH, NZG 2000, 622; Merkt, Unternehmensleitung und Interessenkollision, ZHR 159 (1995), 423; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2013; Merkt/Mylich, Einlage eigener Aktien und Rechtsrat durch den Aufsichtsrat, NZG 2012, 525; Möhrle, Gesellschaftsrechtliche Probleme der D&O-Versicherung, 2007; Möhrle, Aktuelle Fragen zur D&O-Versicherung, AG 2019, 243; Moosmayer, Compliance, 3. Aufl. 2015; H.-F. Müller, Geschäftsleiterhaftung und Vertrauen auf fachkundigen Rat, DB 2014, 1301; H.-F. Müller, Grenzenlose Organhaftung für Patentverletzungen?, GRUR 2016, 570; Nadwornik, De facto und shadow directors im englisch-deutschen Rechtsvergleich, 2013; Nietsch, Die Garantenstellung von Geschäftsleitern im Außenverhältnis, CCZ 2013, 192; Nietsch, Überwachungspflichten bei Kollegialorganen, ZIP 2013, 1449; Nietsch, Geschäftsführerhaftung bei der GmbH & Co. KG, GmbHR 2014, 348; Nietsch, Geschäftsleiterermessen und Unternehmensorganisation bei der AG, ZGR 2015, 631; Nietsch, Compliance-Risikomanagement als Aufgabe der Unternehmensleitung, ZHR 180 (2016), 733; Nietsch, Grundsatzfragen der Organhaftung bei Kartellverstößen, ZHR 184 (2020), 60; Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung und unternehmerisches Ermessen, 2001; Ost, „Einer trage des anderen Last…?“ – Die Unternehmenssanktion zwischen gesellschaftsrechtlichem Organregress und kartellrechtlichem Sanktionszweck, in FS D. Schroeder, 2018, S. 589; Ott, Anwendungsbereich der Business Judgment Rule aus Sicht der Praxis – Unternehmerische Entscheidungen und Organisationsermessen des Vorstands, ZGR 2017, 149; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der Aktiengesellschaft, 2002; Paefgen, Die Darlegungs- und Beweislast bei der Business Judgment Rule, NZG 2009, 891; Paefgen, „Compliance“ als gesellschaftsrechtliche Organpflicht?, WM 2016, 433; Palzer, Fortwirkende organschaftliche Pflichten des Geschäftsführers der GmbH, 2001; Peltzer, Wider den „greed“ – Betrachtungen zu §§ 86 und 87 AktG, in FS Lutter, 2000, S. 571; Pelz, Die persönliche Haftung des Geschäftsführers einer GmbH, RNotZ 2003, 415; Peetz, Der faktische Geschäftsführer – faktisch oder eine Fiktion, GmbHR 2017, 57; Pendl, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen Organmitglieder und Abschlussprüfer, 2018; Peters, Ressortverteilung zwischen GmbH-Geschäftsführern und ihre Folgen, GmbHR 2008, 682; Pfertner, Unternehmerische Entscheidungen des Vorstands, 2017; Piepenbrock, „Defense of Reliance“ im deutschen Aktienrecht, 2013; Poelzig/Thole, Kollidierende Geschäftsleiterpflichten, ZGR 2010, 836; Polley, Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenlehre, 1993; T. Raiser, Das Recht der Gesellschafterklagen, ZHR 153 (1989), 1; Redeke, Zu den Voraussetzungen unternehmerischer Ermessensentscheidungen, NZG 2009, 496; Redeke, Zur gerichtlichen Kontrolle der Angemessenheit der Informationsgrundlage im Rahmen der Business Judgment Rule nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, ZIP 2011, 59; Redeke, Zur gesellschaftsrechtlichen Gremienberatung durch die Rechtsabteilung, AG 2017, 289; Redeke, Zur gesellschaftsrechtlichen Beratung durch die Konzernrechtsabteilung, AG 2018, 381; Reichert, Corporate Compliance und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 943; Reichert, Reform des § 43 GmbHG durch Angleichung an § 93 AktG und Pflichtenspezifizierung?, ZGR 2017, 671; Reichert/Ott, Non-Compliance in der AG – Vorstandspflichten im Zusammenhang mit der Vermeidung, Aufklärung und Sanktionierung von Rechtsverstößen, ZIP 2009, 2173; Reichert/Ott, Die Zuständigkeit von Vorstand und Aufsichtsrat zur Aufklärung von Non Compliance in der AG, NZG 2014, 241; Reinhardt, Interessenkonflikte bei der Wahrnehmung von Geschäftschancen im US-amerikanischen und deutschen Gesellschaftsrecht, 1994; Reuter, Die Mitgliedschaft als sonstiges Rechts im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB, in FS H. Lange, 1992, S. 707; Rhein, Der Interessenkonflikt der Manager beim Management Buy-out, 1996; Richter, Informationsrechte im Organhaftungsprozess, 2019; Ridder, Ebenenübergreifende Treuepflichten in der Kapitalgesellschaft & Co. KG, 2018; K. Rieger, Die aktienrecht-

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Haftung der Geschäftsführer | § 43 liche Legalitätspflicht des Vorstands, 2012; Ries/Haimerl, Auswirkungen der EU-Geheimnisschutzrichtlinie auf die Verschwiegenheitspflicht von Vorstandsmitgliedern nach § 93 Abs. 1 S. 3 AktG, NZG 2018, 621; Ristelhuber, Die Entlastung der Geschäftsführer in der GmbH & Co. KG, GWR 2016, 247; Rodewald, Informationsmanagement im Unternehmen als Instrument zur Vermeidung von Organhaftung, GmbHR 2014, 639; Röhricht, Das Wettbewerbsverbot des Gesellschafters und des Geschäftsführers, WPg 1992, 766; Säcker, Aktuelle Probleme der Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder, NJW 1986, 803; Sander/St. Schneider, Die Pflicht der Geschäftsleiter zur Einholung von Rat, ZGR 2013, 725; Schall, Compliance-Pflicht als Loyalitätspflicht – weist Delaware einen Weg zur Haftungsbegrenzung ohne Übernahme des arbeitsrechtlichen Haftungsprivilegs?, in FS E. Vetter, 2019, S. 659; Schiessl, Die Wahrnehmung von Geschäftschancen der GmbH durch ihren Geschäftsführer, GmbHR 1988, 53; Schirmer, Abschied von der „Baustoff-Rechtsprechung“ des VI. Zivilsenats?, NJW 2012, 3398; Schirmer, Das Körperschaftsdelikt, 2015; Schirrmacher, Die Haftung des faktischen GmbH-Geschäftsführers, 2019; Schlimm, Das Geschäftsleiterermessen des Vorstands einer Aktiengesellschaft, 2009; Schlosser/StephanWimmer, Der Schutzgesetzcharakter von Buchführungspflichten im Rahmen deliktischer Geschäftsleiterhaftung, GmbHR 2019, 449; Schlüter, Schiedsbindung von Organmitgliedern, 2017; J. Schmidt, Die Handlungspflichten der GmbH-Geschäftsführer: Generalklausel vs. Einzelvorgaben, ZGR 2017, 654; K. Schmidt, § 93 Abs. 1 S. 2 AktG – Business Judgment Rule als Lehrstück zwischen Positivismus und Rechtsfortbildung, in FS Haarmann, 2015, S. 191; Schmitz-Remberg, Existenzgefährdende Maßnahmen im Lichte der Business Judgement Rule des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG, BB 2014, 2701; Schmolke, Organwalterhaftung für Eigenschäden von Kapitalgesellschaftern, 2004; Schmolke, Geschäftsleiterpflicht zur Offenlegung begangenen Fehlverhaltens?, RIW 2008, 365; Schmolke, Whistleblowing als Regelungsaufgabe, ZGR 2019, 876; Schmolke, Die neue Whistleblower-Richtlinie ist da! Und nun?, NZG 2020, 5; S.H. Schneider, „Unternehmerische Entscheidungen“ als Anwendungsvoraussetzung der Business Judgment Rule, DB 2005, 707; Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, Vorstandshaftung im Konzern, AG 2005, 57; Uwe H. Schneider, Haftungsmilderung für Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer bei fehlerhafter Unternehmensleitung?, in FS Werner, 1984, S. 795; Uwe H. Schneider, Die Wahrnehmung öffentlichrechtlicher Pflichten durch den Geschäftsführer – Zum Grundsatz der Gesamtverantwortung bei mehrköpfiger Geschäftsführung in der konzernfreien GmbH und im Konzern, in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473; Uwe H. Schneider, Compliance im Konzern, NZG 2009, 1321; Uwe H. Schneider, Die Haftung von Mitgliedern des Vorstands und der Geschäftsführer bei Vertragsverletzungen der Gesellschaft, in FS Hüffer, 2010, S. 905; Uwe H. Schneider, Die nachwirkenden Pflichten des ausgeschiedenen Geschäftsführers, in FS Hommelhoff, 2012, S. 1023; Uwe H. Schneider, Haftungsfreistellung und Entlastung des Geschäftsführers bei der GmbH & Co. KG, GmbHR 2017, 680; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, Konzern-Compliance als Aufgabe der Konzernleitung, ZIP 2007, 2061; Schockenhoff, Haftung und Enthaftung von Geschäftsleitern bei Compliance-Verstößen in Konzernen mit Matrix-Strukturen, ZHR 180 (2016), 197; Schockenhoff, Ressortaufteilung unter GmbH-Geschäftsführern: Ein Minenfeld, GmbHR 2019, 514; Schockenhoff, Entstehung und Verjährung von Schadenersatzansprüchen gegen den Aufsichtsrat, AG 2019, 745; Ph. Scholz, Die existenzvernichtende Haftung von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft, 2014; Ph. Scholz, Die Haftung bei Verstößen gegen die Business Judgment Rule, AG 2015, 222; Ph. Scholz, Haftungsprivileg, safe harbor oder verbindliche Konkretisierung des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs? – Zur zivilrechtlichen Erfassung der deutschen Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG), AG 2018, 173; Ph. Scholz, Offene Fragen um den Grundsatz der Schadenseinheit im Verjährungs- und Prozessrecht, JZ 2020, 231; Ph. Scholz, Rechtmäßiges Alternativverhalten bei der Verletzung von Zustimmungsvorbehalten und Berichtspflichten, AG 2020, 453; Ph. Scholz, Darlegungsund Beweislast bei der Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen, ZZP 133 (2020), 491; Ph. Scholz, Die Krisenpflichten von Geschäftsleitern nach Inkrafttreten des StaRUG, ZIP 2021, 219; Ph. Scholz/ Weiß, Schiedsverfahren zur Vermeidung der Organhaftung?, AG 2015, 523; Schnorr, Geschäftsleiteraußenhaftung für fehlerhafte Buchführung, ZHR 170 (2006), 9; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007; Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005; Seibert, Die rechtsmissbräuchliche Verwendung der GmbH in der Krise, in FS Röhricht, 2005, S. 585; Seibt, Pflichten der Geschäftsleitung bei Eingehung von Finanzierungsgeschäften – in Normal- und Krisenzeiten des Unternehmens, ZIP 2013, 1597; Seibt, Corporate Reputation Management: Rechtsrahmen für Geschäftsleiterhandeln, DB 2015, 171; Seibt, 20 Thesen zur Binnenverantwortung im Unternehmen im Lichte des reformierten Kapitalmarktsanktionsrechts, NZG 2015, 1097; Seibt, Bewältigung von Normenkonflikten durch Vorstandsmitglieder, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 73; Seibt/Cziupka, 20 Thesen zur Compliance-Verantwortung im System der Organhaftung aus Anlass des Siemens/Neubürger-Urteils, DB 2014, 1598; Selter, Haftungsrisiken von Vorstandsmitgliedern bei fehlendem und von Aufsichtsratsmitgliedern bei vorhandenem Fachwissen, AG 2012, 11; Seyfarth, Vorstandsrecht, 2016; Spindler, Unter-

Verse | 431

§ 43 | Haftung der Geschäftsführer nehmensorganisationspflichten, 2001; Spindler, Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat für fehlerhafte Auslegung von Rechtsbegriffen, in FS Canaris, 2007, S. 403; Spindler, Organhaftung in der AG – Reformbedarf aus wissenschaftlicher Perspektive, AG 2013, 889; Spindler, Schiedsfähigkeit von Vorstandsverträgen und Haftungsansprüchen, in FS Baums, 2017, S. 1205; Stobbe, Die Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche der GmbH in Insolvenz und masseloser Liquidation, 2001, Strohn, Faktische Organe – Rechte, Pflichten, Haftung, DB 2011, 158; Strohn, Beratung der Geschäftsleitung durch Spezialisten als Ausweg aus der Haftung?, ZHR 176 (2012), 137; Strohn, Pflichtenmaßstab und Verschulden bei der Haftung von Organen einer Kapitalgesellschaft, CCZ 2013, 177; Sturm, Geschäftsführer-Innenhaftung: Dispositivität der fünfjährigen Verjährungsfrist des § 43 Abs. 4 GmbHG, GmbHR 2003, 573; Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder gemäß §§ 93 Abs. 6 AktG, 43 Abs. 4 GmbHG, 34 Abs. 6 GenG, 2006; Taube, Die Anwendung der Business Judgment Rule auf den GmbH-Geschäftsführer, 2018; Ch. Teichmann, Die Auslandsgesellschaft & Co., ZGR 2014, 220; Thiessen, Zur Neuregelung der Verjährung im Handels- und Gesellschaftsrecht, ZHR 168 (2004), 503; Thölke/Friedrichsen, Voraussetzungen einer wirksamen Geschäftsverteilung in der GmbH-Geschäftsführung, WPg 2019, 799; Thole, Managerhaftung für Gesetzesverstöße, ZHR 173 (2009), 504; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010; Thomas, Bußgeldregress, Übelszufügung und D&O-Versicherung, NZG 2015, 1409; Thomas, Haftungs- und Versicherungsrecht bei Kartellverstößen, VersR 2017, 596; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 5. Aufl. 2016; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998; Timm, Wettbewerbsverbot und „Geschäftschancen“-Lehre im Recht der GmbH, GmbHR 1981, 177; Torggler, Wider die Verselbständigung der Begriffe: Compliance, Legalitätspflicht und Business Judgment Rule, in Kalss/Torggler, Compliance, 2016, S. 97 ff.; Umbeck, Managerhaftung als Gegenstand schiedsgerichtlicher Verfahren, SchiedsVZ 2009, 143; Veil, Krisenbewältigung durch Gesellschaftsrecht – Verlust des halben Kapitals, Pflicht zu ordnungsgemäßer Liquidation und Unterkapitalisierung, ZGR 2006, 374; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006; Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß, ZHR 170 (2006), 398; Verse, Die actio pro socio im Personengesellschaftsund GmbH-Recht nach der Reform der derivativen Aktionärsklage, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1325; Verse, Compliance im Konzern, Zur Legalitätskontrollpflicht der Geschäftsleiter einer Konzernobergesellschaft, ZHR 175 (2011), 401; Verse, Organhaftung bei unklarer Rechtslage – Raum für eine Legal Judgment Rule?, ZGR 2017, 174; Verse, Zur Enthaftung der Geschäftsführer bei Befolgung von Gesellschafterbeschlüssen, in FS Bergmann, 2018, S. 781; Verse, Interessenkonflikte im „Related Party“Ausschuss, in 2. FS Hopt, 2020, S. 1335; Verse, Wider die Organhaftung für Verbandsgeldbußen, in FS Krieger, 2020, S. 977; E. Vetter, Drittanstellung von Vorstandsmitgliedern, aktienrechtliche Kompetenzverteilung und Exkulpation des Vorstands bei rechtlicher Beratung, NZG 2015, 889; J. Vetter, Geschäftsleiterpflichten zwischen Legalität und Legitimität – Muss sich Ethik lohnen? –, ZGR 2018, 338; Volhard/ Weber, Gesellschaftsvertragliche Verschwiegenheits- und Offenbarungspflichten bei der Veräußerung von GmbH-Geschäftsanteilen, in FS Semler, 1993, S. 387; Voß, Gesamtschuldnerische Organhaftung, 2008; Wach, Zeitbombe BGHZ 152, 280: Erfolgshaftung für unternehmerische Entscheidungen?, in FS Schütze, 2014, S. 663; G. Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung – Skizze eines Haftungsregimes, ZHR 178 (2014), 227; J. Wagner, Die Rolle der Rechtsabteilung bei fehlenden Rechtskenntnissen der Mitglieder von Vorstand und Geschäftsführung, BB 2012, 651; Walden, Corporate Social Responsibility: Rechte, Pflichten und Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat, NZG 2020, 50; Wandrey, Materielle Beschlusskontrolle im Aktienrecht, 2011; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (noch unveröffentlichte Habilitationsschrift LMU München), 2019; Ch. Weber, Ressortverteilung unter GmbH-Geschäftsführern – das Weltruf-Urteil des BGH, ZGR 2020, 688; D. Weber, GmbH-rechtliche Probleme des Management Buy-out, ZHR 155 (1991), 120; Weiß, D&O-Versicherung: Grundzüge und aktuelle Fragen, GmbHR 2014, 574; Weisser, Corporate Opportunities, 1991; Wentz/Döding, § 93 Abs. 2 S. 2 AktG und die sekundäre Darlegungslast im Erbfall, WM 2020, 1458; Werkmeister/MirzaKhanian, Internationale Pflichtenkollisionen – widersprüchliche Rechtsordnungen und damit einhergehende Haftungsrisiken, CCZ 2016, 98; Werner, Der Informationsanspruch des ausgeschiedenen GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2013, 68; Werner, Möglichkeiten einer privatautonomen Beschränkung der Geschäftsführerhaftung, GmbHR 2014, 792; Werner, Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen gegen den Geschäftsführer durch den Minderheitsgesellschafter der GmbH, GmbHR 2017, 849; Westerhoff, Die deliktische Außenhaftung geschäftsführender Organwalter von Kapitalgesellschaften, 2014; H.P. Westermann, Freistellungserklärungen für Organmitglieder im Gesellschaftsrecht, in FS Beusch, 1993, S. 871; Wettich, Vorstandsorganisation in der Aktiengesellschaft, 2008; Weusthoff, Die Organhaftung der Aktiengesellschaft bei fehlerhafter Rechtseinschätzung, 2016; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965; Wiedemann, Verant-

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 3 § 43 wortung in der Gesellschaft – Gedanken zur Haftung der Geschäftsleiter und der Gesellschafter in der Kapitalgesellschaft, ZGR 2011, 183; Wilhelmi, Beschränkung der Organhaftung und innerbetrieblicher Schadensausgleich, NZG 2017, 681; Williams, Corporate Compliance with the Law in the Era of Efficiency, North Carolina Law Review 76 (1998), 1265; Wilsing, Politische Äußerungen von Vorstandsmitgliedern, in FS Krieger, 2020, S. 1141; Wilsing/v.d. Linden, Rechtmäßiges Alternativverhalten im Organhaftungsrecht – Steine statt Brot?, NZG 2018, 1416; Wolf, Wider eine Misstrauenspflicht im Kollegialorgan „Vorstand“, VersR 2005, 1042; Zachert, Grenzen des unternehmerischen Ermessens bei der Vergabe von Unternehmensspenden im US-amerikanischen Gesellschafts- und im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht, 2005; Ziemons, Die Weitergabe von Unternehmensinterna an Dritte durch den Vorstand einer Aktiengesellschaft, AG 1999, 492; Ziemons, Angemessene Vorstandsvergütung und Change of Control Klauseln, in FS U. Huber, 2006, S. 1035; M. Zimmermann, Kartellrechtliche Bußgelder gegen Aktiengesellschaft und Vorstand: Rückgriffsmöglichkeiten, Schadensumfang und Verjährung, WM 2008, 433; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963; Zöllner, Die so genannten Gesellschafterklagen im Kapitalgesellschaftsrecht, ZGR 1988, 392.

I. Grundlagen 1. Regelungsgegenstand § 43 ist eine der zentralen Vorschriften des GmbH-Rechts; es handelt sich um das GmbH- 1 rechtliche Pendant zu § 93 AktG und § 34 GenG. Die Eingangsbestimmung des Abs. 1 hat nach heute herrschendem Verständnis eine Doppelfunktion: Sie umschreibt nicht nur den Fahrlässigkeitsmaßstab für die Haftung der Geschäftsführer gegenüber der GmbH („Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“), sondern bildet darüber hinaus auch die Rechtsgrundlage der allgemeinen Sorgfaltspflicht, aus der sich zahlreiche Verhaltenspflichten der Geschäftsführer gegenüber der GmbH ableiten lassen1. Abs. 2 enthält sodann den Grundtatbestand für die (Innen-) Haftung der Geschäftsführer: Geschäftsführer, die ihre „Obliegenheiten“ – genauer: ihre organschaftlichen Pflichten – verletzen, haften der Gesellschaft gegenüber für Schäden, die dieser aus der Pflichtverletzung entstanden sind. Die Haftung tritt, wiewohl in Abs. 2 nicht gesondert hervorgehoben, nur bei Verschulden ein (Rz. 268). Zu der Frage, ob die Geschäftsführer auch gegenüber den Gesellschaftern oder Dritten verantwortlich sein können (Außenhaftung), verhält sich Abs. 2 dagegen nicht; die Außenhaftung richtet sich nach anderen, insbesondere deliktsrechtlichen Vorschriften (Rz. 453 ff.). Abs. 3 hebt – ähnlich wie § 93 Abs. 3 Nr. 1, Nr. 3 AktG – zwei Sonderfälle der Innenhaftung 2 hervor, in denen die Geschäftsführer gegen gläubigerschützende Vorschriften verstoßen haben, namentlich das kapitalerhaltungsrechtliche Auszahlungsverbot (§ 30 Abs. 1) und die Beschränkungen für den Erwerb eigener Anteile (§ 33). Für diese Tatbestände wird im Interesse des Gläubigerschutzes die Möglichkeit eines Verzichts oder Vergleichs über den Ersatzanspruch eingeschränkt (§ 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1) und die Möglichkeit der Geschäftsführer, sich zu ihrer Entlastung auf Weisungen der Gesellschafter zu berufen, begrenzt (§ 43 Abs. 3 Satz 3). Abs. 4 schließlich regelt die Verjährung der Geschäftsführerhaftung. In Abweichung von den 3 allgemeinen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts (§§ 195, 199 BGB) gilt eine kenntnis1 Diese Doppelfunktion des § 43 Abs. 1 als Verschuldensmaßstab und Pflichtenquelle entspricht der heute ganz h.M.; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 1; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 166; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 43; zu § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG etwa Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 5 mit dem zutr. Hinweis, dass spätestens die Einführung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG dieses Verständnis bestätigt hat; a.A. – nur Verschuldensmaßstab – Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 14; Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber der GmbH, 1988, S. 15.

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§ 43 Rz. 3 | Haftung der Geschäftsführer unabhängige fünfjährige Verjährungsfrist. Handelt es sich bei der GmbH um ein Kreditinstitut, tritt an die Stelle des Abs. 4 die vorrangige Sonderregelung des § 52a Abs. 1 KWG, die eine zehnjährige Frist bestimmt.

2. Regelungszweck a) Normzweck des § 43 Abs. 1 (Sorgfaltspflicht, Verschuldensmaßstab) 4 Die Vorschrift des Abs. 1 erfüllt wie erwähnt eine Doppelfunktion (Rz. 1), indem sie nicht

nur den Verschuldensmaßstab umschreibt, sondern auch eine allgemeine Verhaltenspflicht statuiert, aus der sich zahlreiche Einzelpflichten der Geschäftsführer ableiten lassen. Mit der Bezugnahme auf die Sorgfalt eines „ordentlichen Geschäftsmannes“ ruft Abs. 1 in Erinnerung, dass die Geschäftsführer mit dem ihnen von den Gesellschaftern anvertrauten Gesellschaftsvermögen nicht nach Belieben verfahren dürfen, sondern als Leiter der Gesellschaft treuhänderische Verwalter des Vermögens der Gesellschaft sind2. Die Vorschrift hält die Geschäftsführer dazu an, die Gesellschaft uneigennützig so zu leiten, dass dem aus dem Gesellschaftszweck (typischerweise: Gewinnerzielung) abgeleiteten Gesellschaftsinteresse entsprochen wird (Sorgfaltspflicht i.e.S., Rz. 50 ff.). Das schließt es allerdings nicht aus, dass die Geschäftsführer in angemessenem Umfang auch Maßnahmen der corporate social responsibility treffen dürfen, die nicht durch das Gewinnerzielungsinteresse gedeckt sind (Rz. 51 ff.). 5 Da die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters auch die Beachtung von Recht und Gesetz

beinhaltet, folgt aus Abs. 1 zugleich die Pflicht der Geschäftsführer, die gesetzlichen Vorgaben zu beachten, und zwar nach ganz h.M. auch dort, wo dies dem Gewinnerzielungsinteresse der Gesellschaft zuwiderläuft (Legalitätspflicht, Rz. 106 ff.). Das Gewinnerzielungsinteresse darf also immer nur innerhalb der Bahnen des Rechts verfolgt werden. In diesem Sinne werden die Geschäftsführer durch Abs. 1 nicht nur auf die Verfolgung des Gesellschaftszwecks, sondern auch auf das öffentliche Interesse an der Einhaltung der Gesetze verpflichtet. 6 Die Pflicht aus Abs. 1 beschränkt sich nicht darauf, dass die Geschäftsführer selbst in dem

beschriebenen Sinn recht- und zweckmäßig handeln. Vielmehr müssen sie auch darauf hinwirken und darüber wachen, dass ihre Mitgeschäftsführer sowie nachgeordnete Unternehmensangehörige im Rahmen ihrer Tätigkeit für die GmbH ebenfalls recht- und zweckmäßig handeln. Abs. 1 dient mithin auch als Ableitungsbasis für Organisations- und Überwachungspflichten der Geschäftsführer (Rz. 119 ff., speziell zur Legalitätskontrollpflicht Rz. 151 ff.). b) Normzweck des § 43 Abs. 2 und 3 (Innenhaftung) 7 Die Geschäftsführerhaftung verfolgt wie die meisten Haftungstatbestände ein doppeltes Re-

gelungsziel: Zum einen geht es ihr um den Schadensausgleich; die von der Gesellschaft erlittenen Vermögensnachteile sollen vollständig kompensiert werden (Kompensationsfunktion). Zum anderen soll die Haftungsandrohung bereits der Entstehung solcher Schäden durch eine Steuerung des Verhaltens der Geschäftsführer vorbeugen (Präventionsfunktion)3. Soweit demgegenüber einzelne Stimmen im aktienrechtlichen Schrifttum den Zweck der Organhaftung nur noch in der Verhaltenssteuerung und nicht mehr in der Kompensation erblicken

2 Statt vieler BGH v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34 = GmbHR 1995, 451; OLG Koblenz v. 23.12.2014 – 3 U 1544/13, GmbHR 2015, 357, 363; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10. 3 Zu diesem doppelten Regelungszweck etwa BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 213 = AG 2018, 841 Rz. 44 (zu § 93 Abs. 2 AktG); Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 1; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 2; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 2; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 10 § 43

wollen4, ist dieser Ansatz schon im Aktienrecht auf berechtigte Einwände gestoßen5 und jedenfalls auf die GmbH nicht übertragbar6. Die Haftung nach Abs. 2 dient dem Schutz der Gesellschaft und damit mittelbar den Inte- 8 ressen der Gesellschafter. Wenn darüber hinaus gesagt wird, dass die Geschäftsführerhaftung auch die Interessen der Gläubiger schützt7, ist daran gewiss richtig, dass sowohl die Kompensations- als auch die Präventionswirkung im Ergebnis auch den Gläubigern zugutekommen. Präzisierend ist jedoch hinzuzufügen, dass es sich dabei im Rahmen des Abs. 2 – anders als im Rahmen des Abs. 3 – nicht um den eigentlichen Normzweck, sondern lediglich um einen Schutzreflex handelt8. Nur so lässt sich erklären, dass das Gesetz, wie sich im Umkehrschluss aus § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 ergibt, einen Verzicht der Gesellschaft auf den Ersatzanspruch aus Abs. 2 ohne besondere Einschränkungen zulässt9. Dass Abs. 2 die Gläubiger nur reflexweise schützt, ist insbesondere für die Frage der Einschränkbarkeit der Haftung von erheblicher Bedeutung (Rz. 421 ff.). Die besonderen Disponibilitätsgrenzen, die Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 bei Verstößen gegen die 9 gläubigerschützenden Kapitalerhaltungsvorschriften (§ 30 Abs. 1, § 33) vorsehen, bezwecken dagegen fraglos den Schutz der Gläubiger10. c) Normzweck des § 43 Abs. 4 (Sonderverjährung) Die vom bürgerlichen Recht abweichende Sonderverjährung nach Abs. 4 hat der historische 10 Gesetzgeber von 1892 an die einige Jahre zuvor eingeführte aktienrechtliche Regelung (Art. 241 Abs. 5 ADHGB 1884) angelehnt11. Der Gesetzgeber der Aktienrechtsnovelle 1884 hatte sich entschieden, von der damals dreißigjährigen Verjährungsfrist nach bürgerlichem Recht zu4 G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 251 ff.; de lege ferenda auch Bayer/Ph. Scholz, NZG 2014, 926, 928. 5 Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1310; vgl. auch Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT 2014, 21 (Kompensation als „elementares Gebot der ausgleichenden Gerechtigkeit“). 6 So ist namentlich das Argument, die AG sei der bessere Träger von Verlustrisiken als das Vorstandsmitglied, da den Aktionären der Risikoausgleich durch ein diversifiziertes Portfolio offenstehe (G. Wagner, ZHR 178 (2014), 227, 253), auf börsennotierte Publikumsgesellschaften zugeschnitten und nicht auf kapitalmarktferne Gesellschaften wie die GmbH übertragbar; Fleischer, ZIP 2014, 1305, 1310. 7 S. etwa Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 1; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 5; vgl. auch Begr. zu § 44 GmbHG-E, RT-Drucks. 1890/92, Aktenstück Nr. 660, 3750 (dazu noch Rz. 423). 8 So auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 305 (Gläubigerschutz im Rahmen des § 43 jenseits der Sonderfälle des Abs. 3 „reflexiv ausgestaltet“); wohl auch Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 5 („zumindest reflexartig“); ferner Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557, 559 („§ 43 Abs. 2 ist … in erster Linie eine die Gesellschafter schützende Vorschrift“); ebenso 12. Aufl., § 64 Rz. 30. Aus der Rechtsprechung deutlich etwa BGH v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, GmbHR 1974, 131 Rz. 8 bei juris („Maßgebend ist hier – abgesehen von den Sonderfällen des § 43 Abs. 3 – das Interesse der Gesellschaft und nicht das der Gläubiger…“); BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 = GmbHR 2018, 632 Rz. 31 (§ 43 Abs. 1 [und Abs. 2] „dienen nicht dem Zweck, Gesellschaftsgläubiger vor den mittelbaren Folgen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsleitung zu schützen.“). 9 Stattdessen bewendet es bei der allgemeinen Schranke des § 30 Abs. 1; der Verzicht auf den Ersatzanspruch nach Abs. 2 darf also (wie der Verzicht auf jeden anderen Anspruch auch) keine Unterbilanz auslösen oder eine solche vertiefen, s. dazu noch Rz. 354. 10 Unstr., s. nur Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 4; vgl. auch Begr. zu § 44 GmbHG-E, RT-Drucks. 1890/92, Aktenstück Nr. 660, 3750: in den Fällen des Abs. 3 liegt „in besonderem Grade …ein Interesse der Gesellschaftsgläubiger an der Haftung der Geschäftsführer vor.“ 11 Begr. zu § 44 GmbHG-E, RT-Drucks. 1890/92, Aktenstück Nr. 660, 3750 (unter Hinweis auf Art. 241 Abs. 5 ADHGB 1884 und die gleichlautende Bestimmung des § 34 Abs. 2 [jetzt Abs. 6] GenG).

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§ 43 Rz. 10 | Haftung der Geschäftsführer gunsten der Organwalter abzuweichen und die Frist auf fünf Jahre zu verkürzen. Die Notwendigkeit dieses Schrittes war im Vorfeld insbesondere damit begründet worden, dass die Organwalter die Beweislast für die Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters tragen12. 11 An der kenntnisunabhängigen (objektiven) Fünfjahresfrist nach Abs. 4 hat der Gesetzgeber

auch nach der Reform des Verjährungsrechts im Zuge der Schuldrechtsreform bewusst festgehalten13. Eine Übertragung der kenntnisabhängigen (subjektiven) dreijährigen Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB) auf die Organhaftung hielt er in zweierlei Hinsicht nicht für angebracht: Zum einen trage eine an die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Anspruchsberechtigten anknüpfende Verjährungsfrist nicht dem Umstand Rechnung, dass die Haftung auch den Gläubigern zugutekomme, die anders als die anspruchsberechtigte Gesellschaft von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Schuldners regelmäßig keine Kenntnis erlangen. Zum anderen benötigten die Geschäftsleiter nach objektiven Kriterien Gewissheit, ab wann ihnen für ein bestimmtes Verhalten keine Inanspruchnahme mehr droht. Eine Fristenspanne, die von drei bis zu zehn oder gar 30 Jahren reicht (§ 199 BGB), entspreche diesem Bedürfnis nicht. Die stattdessen geltende, objektiv beginnende Fünfjahresfrist vereinfache zudem die Risikokalkulation für D&O-Versicherer und erleichtere damit den Abschluss derartiger Versicherungen14.

3. Gesetzesgeschichte und Reformperspektiven 12 § 43 ist seit Inkrafttreten des GmbHG 1892 in der Sache unverändert. Die GmbH-Novelle

198015 hat lediglich eine redaktionelle Änderung herbeigeführt: Abs. 3 Satz 2 verweist nicht mehr auf § 9 Abs. 2 a.F., sondern auf den inhaltlich übereinstimmenden § 9b Abs. 1. Die ursprünglichen Entwürfe hatten noch umfassendere Änderungen vorgesehen, die darauf abzielten, § 43 weitgehend an die Formulierung des § 93 AktG anzupassen16. Das MoMiG von 200817 hat der Vorschrift eine amtliche Überschrift („Haftung der Geschäftsführer“) hinzugefügt (Art. 1 Nr. 51 i.V.m. Anlage 2 MoMiG). 13 Das Recht der Organhaftung ist seit geraumer Zeit Gegenstand einer intensiven Reformdis-

kussion, die in erster Linie die Haftung und Haftungsdurchsetzung in der AG betrifft, aber auch auf andere Rechtsformen einschließlich der GmbH ausstrahlt. Insbesondere auf dem 70. Deutschen Juristentag 2014 ist der Reformbedarf eingehend diskutiert worden. Die vom Juristentag für die AG erhobene Forderung, der Gesetzgeber möge künftig in Auflockerung der aktienrechtlichen Satzungsstrenge (§ 23 Abs. 5 AktG) statutarische Haftungsbeschränkungen ermöglichen18, ist allerdings in der GmbH bereits erfüllt, da solche Satzungsbestimmungen jedenfalls auf Grundlage der h.M. schon nach geltendem Recht zulässig sind

12 Eingehend zur Entstehungsgeschichte der Novelle von 1884 Fleischer, AG 2014, 457, 457 f.; Pendl, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen gegen Organmitglieder und Abschlussprüfer, 2018, S. 29 ff.; Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2006, S. 51 ff. 13 Begr. RegE Verjährungsanpassungsgesetz, BT-Drucks. 15/3653, S. 12. 14 Begr. RegE Verjährungsanpassungsgesetz, BT-Drucks. 15/3653, S. 12 im Anschluss an Thiessen, ZHR 168 (2004), 503, 537 f. 15 BGBl. I 1980, 836. 16 § 75 RegE 1971, BT-Drucks. VI/3088, 21 (Text) und 125 ff. (Begründung) im Anschluss an § 64 RefE 1939, abgedruckt bei Schubert, Entwurf des Reichsjustizministeriums zu einem Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung von 1939, 1985, S. 110; näher zu dem Entwurf von 1971 Reichert, ZGR 2017, 671, 676 ff. 17 BGBl. I 2008, 2026. 18 Beschlüsse I. 2.-3. der Wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 70. Deutschen Juristentags 2014.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 14 § 43

(Rz. 421 ff.). Darüber hinaus hat sich der Juristentag dafür ausgesprochen, die auch in der GmbH anerkannte Beweislastumkehr zu Lasten der Geschäftsleiter (§ 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG, Rz. 332) zu streichen oder sie zumindest auf amtierende Organwalter zu beschränken19. In der Tat erscheint die geltende Regelung, soweit sie die Beweislastumkehr nicht nur auf das Verschulden, sondern auch auf die Pflichtwidrigkeit des Verhaltens bezieht (so das herrschende Verständnis), überprüfungsbedürftig20. Mit knapper Mehrheit hat der Juristentag zudem dafür plädiert, die Organhaftung der allgemeinen Verjährung nach §§ 195, 199 BGB zu unterstellen, allerdings mit der Maßgabe, dass die Dreijahresfrist spätestens mit dem Ausscheiden des Geschäftsleiters zu laufen beginnt21. Der Gesetzgeber hat jedoch bisher nicht zu erkennen gegeben, dass er diese Empfehlungen aufzugreifen gedenkt. Im Schrifttum werden noch weitere Reformvorschläge unterbreitet, die indes weniger auf 14 substantielle Änderungen als auf Klarstellungen und Präzisierungen der geltenden Rechtslage gerichtet sind. Dazu zählen namentlich Vorschläge, die Geschäftsleiterpflichten im Gesetz weiter aufzufächern22, neben der Sorgfaltspflicht auch die organschaftliche Treuepflicht (Rz. 177 ff.) ausdrücklich zu erwähnen und einzelne Teilaspekte dieser Pflicht (insbesondere die Pflicht zur Offenlegung von Interessenkonflikten) auszuformulieren23, das Prinzip der Gesamtverantwortung der Geschäftsleiter (Rz. 120 ff.) klarzustellen24 und die auch im GmbH-Recht anerkannte Business Judgment Rule (Rz. 70 ff.) nach dem Vorbild der § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG zu kodifizieren25. Des Weiteren wird die Forderung erhoben, bei masseloser Insolvenz eine – bei Verstößen gegen Abs. 3 allerdings schon nach geltendem Recht gut begründbare (Rz. 397 ff.) – Direktklagebefugnis der Gläubiger nach dem Vorbild des § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG einzuführen26. Ferner ist vorgeschlagen worden, die Zulässigkeit und Grenzen der Delegation von Geschäftsführungsaufgaben (Rz. 141 ff.) gesetzlich zu regeln27.

19 Beschlüsse I. 6. a) – b) der Wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 70. Deutschen Juristentags 2014. Hilfsweise empfiehlt der Juristentag, wenigstens zu regeln, dass die ausgeschiedenen Organwalter einen Anspruch auf Erteilung von Unternehmensinformationen haben, die sie zu ihrer Verteidigung benötigen; Beschluss I. 6. c); zur Rechtslage nach geltendem Recht Rz. 332. 20 Wie hier für Beschränkung der Beweislastumkehr auf das Verschulden Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 805; ferner – jeweils unter Hinweis auf ausländische Vorbilder – Jena, Die Business Judgment Rule im Prozess, 2020, S. 320 ff.; Danninger, Organhaftung und Beweislast, S. 183 f.; generell gegen die Beweislastumkehr – ohne Differenzierung zwischen Pflichtverletzung und Verschulden – Hopt, ZIP 2013, 1793, 1803; Reichert, ZGR 2017, 671, 678 f. Andere halten die Einführung eines verbesserten Einsichtsrechts für ausgeschiedene Geschäftsleiter für genügend; Bachmann, Gutachten E zum 70. Deutschen Juristentag 2014, S. 33 ff., 37; Bayer, GmbHR 2014, 897, 901; vermittelnd Fleischer in FS Thümmel, 2020, S. 157, 169 f. mit dem Hinweis, dass – wenn man der Gesellschaft die Beweislast für die Pflichtverletzung aufbürden wollte – der Geschäftsleiter ggf. eine sekundäre Darlegungslast tragen müsste. 21 Beschluss I. 8 b) der Wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 70. Deutschen Juristentags 2014. 22 Dafür – inspiriert durch die entsprechenden Vorschriften im britischen Companies Act 2006 (sec. 171 ff.) – Bedkowski, Die Geschäftsleiterpflichten, 2006, S. 494 ff.; aufgeschlossen Fleischer, DB 2014, 1971, 1972 f.; zurückhaltend Reichert, ZGR 2017, 671, 698 f. 23 Fleischer, DB 2014, 1971 f., 1973; J. Schmidt, ZGR 2017, 654, 670. 24 Fleischer, DB 2014, 1971, 1972. 25 Dafür mit Recht Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; für den Fall einer künftigen Präzisierung der Business Judgment Rule auch Reichert, ZGR 2017, 671, 685 f.; offenlassend Taube, Die Anwendung der Business Judgment Rule, 2018, S. 315. 26 Haas, Gutachten E für den 66. Deutschen Juristentag 2006, S. 145; Bachmann, Gutachten E für den 70. Deutschen Juristentag 2014, S. 113; aufgeschlossen auch Bayer, GmbHR 2014, 897, 902; Reichert, ZGR 2017, 671, 689 f. 27 Linnertz, Die Delegation durch den Vorstand einer AG, 2020, S. 298 ff.

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§ 43 Rz. 15 | Haftung der Geschäftsführer

4. Verhältnis zu anderen Anspruchsgrundlagen a) Verhältnis zur Haftung aus dem Anstellungsvertrag 15 Die Geschäftsführer sind mit der GmbH regelmäßig nicht nur durch die korporationsrecht-

liche Organstellung (das Bestellungsverhältnis), sondern auch durch einen schuldrechtlichen Anstellungsvertrag nach §§ 675, 611 BGB verbunden (12. Aufl., § 35 Rz. 251 ff.). Die somit neben § 43 Abs. 2 in Betracht kommende Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Anstellungsvertrags wird jedoch nach ständiger Rechtsprechung und h.L. durch § 43 Abs. 2 als Spezialregelung verdrängt28. Die Gegenansicht, die von Anspruchskonkurrenz ausgeht29, gelangt letztlich zu keinen abweichenden Ergebnissen, da § 280 Abs. 1 BGB keine weitergehende Haftung als § 43 Abs. 2 begründet. Insbesondere erkennen auch die Befürworter der Anspruchskonkurrenz an, dass bei Verletzung organschaftlicher Pflichten auch auf den Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB die Sonderverjährung nach § 43 Abs. 4 entsprechende Anwendung findet30. 16 Eine verdrängende Wirkung kann § 43 Abs. 2 allerdings auch nach der herrschenden An-

sicht nur innerhalb seines Anwendungsbereichs entfalten. Soweit also eine Verletzung von Pflichten aus dem Anstellungsvertrag vorliegt, die keine Haftung aus Abs. 2 auslöst, bleibt Raum für eine Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB31. Solche Fälle sind allerdings selten. Weithin anerkannt ist nämlich, dass anstellungsvertragliche Pflichten, welche die Organtätigkeit näher ausgestalten, zugleich Abs. 1, 2 unterfallen, da es zur Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters gehört, diese anstellungsvertraglichen Vorgaben zu beachten (Rz. 258). Selbständige Bedeutung erlangt § 280 Abs. 1 BGB aber bei Verletzung solcher anstellungsvertraglicher Pflichten, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Organstellung stehen32 oder die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Amt betreffen (wie z.B. im Fall eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots)33. Für die Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB gilt dann vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung die Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB)34. Vielfach wird angenommen, dass Abs. 2 eine auf den Anstellungsvertrag gestützte Haftung auch dann nicht verdrängt, wenn der Anstellungsvertrag ausnahmsweise mit einem Dritten abgeschlos-

28 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, GmbHR 1989, 365 Rz. 17 bei juris; BGH v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, GmbHR 1997, 163, 164; BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, GmbHR 2008, 144 Rz. 3; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 2; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 6; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 11; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 3; Jacoby, Das private Amt, 2007, S. 545; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 346 ff. 29 Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 18; Ziemons in Michalski u.a., Rz. 13 f.; Fleck, ZIP 1991, 1269, 1270; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 36 II 4 a (S. 1077 f.); Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2005, S. 117 ff. 30 Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 278; Ziemons in Michalski u.a., Rz. 14, 521; Fleck, ZIP 1991, 1269, 1270; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 36 II 4 a (S. 1078); Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2005, S. 137 ff. 31 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 6; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 3. 32 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 8. 33 Reese, DStR 1995, 532, 534; Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2005, S. 145. 34 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, S. 350 f.; ebenso (noch zu § 195 BGB a.F.) Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2005, S. 144 ff.; Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 410; speziell zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot auch Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 131; Thüsing in Fleischer, Hdb. Vorstandsrecht, § 4 Rz. 127 (jeweils zur AG).

438 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 18 § 43

sen wurde und diesem ein Schaden entstanden ist35. Soweit es um die Haftung der Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH gegenüber einer GmbH & Co. KG als „Drittem“ geht, ist allerdings zu bedenken, dass bereits Abs. 2 selbst Drittwirkung zugunsten der KG entfaltet (Rz. 443). In solchen Fällen ist es daher konsequent, die Haftung gegenüber der KG bei Verletzung organschaftlicher Pflichten allein auf Abs. 2 zu stützen, unabhängig davon, ob der Anstellungsvertrag mit der Komplementär-GmbH oder der KG geschlossen wurde. b) Verhältnis zu sonstigen Anspruchsgrundlagen Nicht durch § 43 Abs. 2 verdrängt werden hingegen etwaige Ansprüche aus § 280 Abs. 1 17 BGB wegen der Verletzung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht durch einen Gesellschafter-Geschäftsführer36 sowie deliktische Ansprüche37, z.B. Ansprüche aus Insolvenzverschleppungshaftung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO), Ansprüche gegen einen Gesellschafter-Geschäftsführer aus existenzvernichtendem Eingriff (§ 826 BGB) oder Ansprüche gegen einen Fremdgeschäftsführer wegen Teilnahme an einem existenzvernichtenden Eingriff (§ 830 BGB)38. Diese konkurrierenden Ansprüche unterliegen nicht der Sonderverjährung des § 43 Abs. 4, sondern verjähren nach den für sie geltenden Bestimmungen (§§ 195, 199 BGB, Rz. 406 f.). Dagegen soll nach der Rechtsprechung für Ansprüche aus § 687 Abs. 2 BGB wegen angemaßter Eigengeschäftsführung des Geschäftsführers neben Abs. 2 kein Raum sein39. § 43 Abs. 2 tritt seinerseits hinter spezielleren Tatbeständen der Geschäftsführerhaftung 18 zurück, soweit deren Anwendungsbereich reicht. Solche Spezialvorschriften enthalten §§ 9a, 57 Abs. 4 in Bezug auf die Haftung für falsche Angaben im Rahmen der Gründung oder einer Kapitalerhöhung40. Hingegen verdrängen die insolvenzbezogenen Haftungstatbestände aus § 64 Satz 1 und Satz 3 a.F. bzw. (ab 1.1.2021) § 15b Abs. 1 und Abs. 5 InsO41 die Haftung aus Abs. 2 nicht, sondern treten ggf. neben diese42. § 15b Abs. 7 InsO (§ 64 Satz 4 a.F.) sorgt in diesem Fall für einen Gleichlauf der Verjährungsfristen. Auch für den neuen Haftungstatbestand des § 43 Abs. 1 Satz 2 StaRUG, der eine Innenhaftung für Pflichtverletzungen der Geschäftsführer im neu eingeführten Restrukturierungsverfahren vorsieht, wird in ersten

35 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 3; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6; für Anwendung der Sonderverjährung des Abs. 4 auch in diesem Fall Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 409 f. (soweit sich die Vertragspflicht in der Einhaltung der nach Abs. 1 geschuldeten Sorgfalt erschöpft). 36 BGH v. 28.6.1982 – II ZR 121/81, GmbHR 1983, 122 Rz. 12 bei juris; BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, GmbHR 1989, 365 Rz. 18 bei juris; BGH v. 14.9.1998 – II ZR 175/97, GmbHR 1999, 186; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 6; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5. 37 BGH v. 17.3.1987 – VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190, 199 ff. = GmbHR 1987, 304; BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, GmbHR 1989, 365 Rz. 49 bei juris; BGH v. 21.2.2005 – II ZR 112/03, GmbHR 2005, 544, 545; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 6. 38 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = GmbHR 2007, 927 Rz. 46 – Trihotel; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 39 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, ZIP 1989, 1390, 1392 ff.; zust. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6; a.A. mit guten Gründen Fleck, ZIP 1991, 1269, 1271 ff.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 6. 40 OLG Rostock v. 2.2.1995 – 1 U 191/94, GmbHR 1995, 658, 660; OLG Celle v. 15.3.2000 – 9 U 209/ 99, GmbHR 2001, 243; OLG Brandenburg v. 28.12.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 475; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; 12. Aufl., § 9a Rz. 47 (Veil) m.w.N. 41 Eingeführt durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) vom 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 42 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; näher zum Verhältnis zwischen § 64 a.F. (nunmehr § 15b InsO) und § 43 s. 12. Aufl., § 64 Rz. 29 ff.

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§ 43 Rz. 18 | Haftung der Geschäftsführer Stellungnahmen angenommen, dass er die Haftung nach § 43 Abs. 2 nicht verdrängt, sondern mit ihr konkurriert43.

II. Persönlicher Anwendungsbereich (Geschäftsführer) 1. Allgemeines 19 § 43 handelt von Pflichten und Haftung der Geschäftsführer. In zeitlicher Hinsicht beschränkt

sich die Vorschrift auf das Handeln der Geschäftsführer während ihrer Amtszeit (Rz. 22 ff.). Erfasst werden auch gerichtlich bestellte Notgeschäftsführer44, ebenso stellvertretende (§ 44), fehlerhaft-wirksam bestellte (Rz. 23 f.) und sog. faktische Geschäftsführer (Rz. 30 ff.). In der paritätisch mitbestimmten GmbH findet § 43 auch auf den Arbeitsdirektor (§ 33 MitbestG) Anwendung, da er der Geschäftsführung als vollwertiges Mitglied angehört und ihn die gleichen Rechte und Pflichten treffen wie seine Amtskollegen45. 20 Die Vorschrift gilt auch schon für Geschäftsführer im Stadium der Vorgesellschaft46. In der

Liquidation (§§ 60 ff.) ist § 43 aufgrund der Verweisung in § 71 Abs. 4 Satz 2 auf die Liquidatoren (auch Nachtragsliquidatoren47) entsprechend anwendbar. Trotz der missglückten Formulierung des § 71 Abs. 4 Satz 2 findet bei Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften während des Liquidationsverfahrens auch Abs. 3 Anwendung (12. Aufl., § 69 Rz. 36). Für die Haftung der Geschäftsführer in Eigenverwaltung nach § 270 InsO gelten nach der Rechtsprechung des BGH die Bestimmungen der Insolvenzverwalterhaftung (§§ 60 f. InsO) analog, so dass die Geschäftsführer eine Außenhaftung unmittelbar gegenüber den Gläubigern trifft48. Wie sich diese Haftung zu derjenigen aus Abs. 2 verhält, ist noch nicht abschließend geklärt (eingehend dazu 12. Aufl., § 64 Rz. 461 ff., 468 f.)49. 21 Nicht in den Anwendungsbereich des § 43 fallen die Mitglieder eines mitbestimmten oder

fakultativen Aufsichtsrats der GmbH. Ihre Haftung bestimmt sich nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG, § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG i.V.m. §§ 116, 93 AktG bzw. nach § 52 Abs. 1 i.V.m. §§ 116, 93 Abs. 1-2 AktG50. Ebenso wenig werden Prokuristen und sonstige leitende Angestellte unterhalb der Geschäftsführung erfasst51, es sei denn, sie erfüllen ausnahmsweise die Voraussetzungen eines faktischen Geschäftsführers (Rz. 30 ff.). Ihre Haftung kann sich 43 Ph. Scholz, ZIP 2021, 219, 225 f.; offenlassend Bitter, ZIP 2021, 321, 333 f. 44 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 2; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 9; allg. zur Bestellung von Notgeschäftsführern (analog § 29 BGB) s. 12. Aufl., § 6 Rz. 94 ff. 45 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 30; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 215; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. 46 Allg.M., BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, GmbHR 1986, 302 Rz. 9 bei juris; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 3; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 216; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 7; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34. 47 BGH v. 24.7.2012 – II ZR 117/10, ZIP 2012, 1855 Rz. 17 (zur Genossenschaft); Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 125; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 9. 48 BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 = GmbHR 2018, 632. 49 S. daneben auch Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 9 (für konkurrierende Anwendung); zweifelnd Bachmann/Becker, NJW 2018, 2235, 2237. 50 S. dazu 12. Aufl., § 52 Rz. 613 ff. (Uwe H. Schneider/Seyfarth); Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, Rz. 1160 ff., 1226 ff., dort auch zu den Besonderheiten, die sich daraus ergeben, dass § 52 Abs. 1 für den fakultativen Aufsichtsrat nur auf §§ 116, 93 Abs. 1-2 AktG verweist, aber nicht auf § 93 Abs. 3-6 AktG. Speziell zur Nichtanwendbarkeit des § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG (Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife) BGH v. 20.9.2010 – II ZR 78/ 09, BGHZ 187, 60 = GmbHR 2010, 1200 Rz. 14 – Doberlug. 51 BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167 = GmbHR 2001, 771 (zu § 43 Abs. 3); Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 119; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 215.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 23 § 43

aber aus einer Verletzung des Anstellungsvertrags ergeben (unter Berücksichtigung der haftungsmildernden Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs)52.

2. Beginn und Beendigung der Geschäftsführerstellung a) Wirksamwerden der Bestellung (inkl. fehlerhafte Bestellung) Die Anwendbarkeit des § 43 setzt in dem Zeitpunkt ein, in dem die Bestellung zum Ge- 22 schäftsführer wirksam wird, dieser also seine Organstellung erlangt. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei der Bestellung um ein mehraktiges körperschaftliches Rechtsgeschäft handelt53, das auf der Seite der Gesellschaft einen Bestellungsbeschluss (bzw. die Bestellung im Gesellschaftsvertrag, § 6 Abs. 3 Satz 2) und die Übermittlung des Ergebnisses an den Berufenen (Bestellungserklärung) voraussetzt und auf der Seite des Berufenen die – sei es auch nur konkludente – Annahme des Amtes54. Unerheblich ist, ob auch ein rechtswirksamer Anstellungsvertrag vorliegt, da § 43 unmittelbar an die Organstellung anknüpft und diese nur eine wirksame Bestellung, aber keinen Anstellungsvertrag voraussetzt55. Ebenso wenig kommt es auf die Eintragung des Geschäftsführers im Handelsregister an56, da die Eintragung nach § 39 für die Bestellung nicht konstitutiv ist (12. Aufl., § 39 Rz. 25). Im Rahmen der Prüfung, ob die Bestellung wirksam ist, kommt den höchstrichterlich aner- 23 kannten Grundsätzen der fehlerhaften Bestellung57 (auch als Lehre vom fehlerhaften Organ bezeichnet) erhebliche Bedeutung zu. Von einer fehlerhaften Bestellung spricht man, wenn zwar ein rechtsgeschäftlicher Bestellungsakt vorliegt, dieser aber an einem Wirksamkeitsmangel leidet. Meist wird es dabei um Fälle gehen, in denen der Bestellungsbeschluss an einem Nichtigkeitsgrund oder (fristgerecht mit der Anfechtungsklage angegriffenen) Anfechtungsgrund leidet. Denkbar sind aber auch Fälle, in denen die Bestellungserklärung oder die Annahmeerklärung des Berufenen mit einem Wirksamkeitsmangel behaftet ist.

52 Zur Anwendbarkeit der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs auch auf leitende Angestellte BAG v. 11.11.1976 – 3 AZR 266/5, BAG AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers, Nr. 80; BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167, 172 = GmbHR 2001, 771; zur umstrittenen Rechtslage im Rahmen der Geschäftsführerhaftung Rz. 270 ff. 53 Zu den einzelnen Elementen der Bestellung s. 12. Aufl., § 6 Rz. 91, 12. Aufl., § 46 Rz. 79 f.; ausführlich auch Schwennicke in Staudinger, § 27 BGB Rz. 11 ff. (zum e.V.). 54 Für den Regelfall, dass die Annahme dem Bestellungsbeschluss und der -erklärung nachfolgt, präzise formuliert daher BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, GmbHR 1986, 302 Rz. 9 bei juris: „die Sorgfaltspflicht des Geschäftsführers beginnt mit der Annahme seines Amtes“; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2. Soweit die Annahme nicht schon zuvor erklärt wurde, wird spätestens in der Aufnahme der Geschäftsführertätigkeit eine konkludente Annahme liegen; in der Formulierung abw., aber in der Sache wohl übereinstimmend Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 9; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 32: Auf die Annahmeerklärung des Geschäftsführers komme es nicht an, wenn er sein Amt schon zuvor aufgenommen hat. 55 Allg. M., BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rz. 17 = GmbHR 2013, 1044 m.w.N. aus der Rechtsprechung; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 2; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 216; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 7. 56 BGH v. 21.4.1994 – II ZR 65/93, NJW 1994, 2027; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 216; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 13. 57 Ständige Rechtsprechung, BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286 ff. = MDR 1964, 576 (dort noch als fehlerhafter Anstellungsvertrag); BGH v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 32 = AG 1995, 274; BGH v. 3.7.2006 – II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 Rz. 14 = AG 2006, 667; BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 Rz. 19 = AG 2013, 387; zuletzt BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, GmbHR 2019, 883 Rz. 19; aus dem Schrifttum insbes. Bayer/Lieder, NZG 2012, 1; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 267 ff.; umfassend Gimmler, Die Lehre vom fehlerhaften Organverhältnius, 2017; Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018.

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§ 43 Rz. 24 | Haftung der Geschäftsführer 24 Nach den Grundsätzen der fehlerhaften Bestellung wird im Interesse des Verkehrsschutzes

im Außenverhältnis und der Rechtssicherheit im Innenverhältnis (Meidung von Rückabwicklungsschwierigkeiten) der fehlerhaft bestellte Geschäftsführer bis zur Beendigung seiner Organstellung (Rz. 25) wie ein fehlerfrei bestellter Geschäftsführer behandelt und damit auch Pflichten und Haftung nach § 43 unterworfen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Grundvoraussetzung ist zunächst, dass ein zwar fehlerhafter, aber der Gesellschaft immerhin zurechenbarer Bestellungsakt vorliegt58. Ein solcher kann auch im Fall der Bestellung durch ein unzuständiges Gesellschaftsorgan gegeben sein, jedenfalls sofern kein Akt völlig willkürlicher Anmaßung der Bestellungskompetenz vorliegt59. Die bloße Duldung des Tätigwerdens durch die Mitglieder des Bestellungsorgans ohne ausdrücklichen Bestellungsakt soll dagegen nach im Schrifttum überwiegender Ansicht nicht genügen60. Ferner muss das Bestellungsverhältnis in Vollzug gesetzt worden sein, d.h. der Geschäftsführer muss die Organtätigkeit aufgenommen und ausgeübt haben61. Die Eintragung des Geschäftsführers im Handelsregister (§ 39) ist hierfür keine Voraussetzung62. Schließlich dürfen der Annahme einer fehlerhaft-wirksamen Bestellung keine höherrangigen Interessen der Allgemeinheit oder besonders schutzwürdiger Personen entgegenstehen63, wobei umstritten ist, wie weit diese Einschränkung im Einzelnen reicht. Keine Anwendung findet die Lehre vom fehlerhaften Organ jedenfalls auf die Bestellung einer nicht oder nicht unbeschränkt geschäftsfähigen Person (Verstoß gegen § 6 Abs. 2 Satz 1)64; § 43 kommt in diesem Fall also nicht zur Anwendung. Gleiches muss bei Bestellung einer unter Einwilligungsvorbehalt stehenden Person gelten (Verstoß gegen § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1)65. Darüber hinaus soll nach verbreiteter Ansicht eine fehlerhaft-wirksame Bestellung auch bei einer Verletzung der Bestellungsverbote des § 6 58 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 3; Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 211 f.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 275; abw. – Zurechenbarkeit des Bestellungsakts nicht erforderlich – Doetsch, Fehlerhafter Gesellschafter und fehlerhaftes Organ, 2015, S. 76, der die Zurechenbarkeit dafür aber im Rahmen der Invollzugsetzung verlangt. 59 Näher dazu mit Unterschieden im Einzelnen Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 3; Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 213 f.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 275 f.; a.A. – zuständiges Organ muss gehandelt haben – Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 121. 60 Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 212 f.; Schirrmacher, Die Haftung des faktischen GmbH-Geschäftsführers, 2019, S. 187 ff.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 274; a.A. Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 158 (kein ausdrücklicher Beschluss erforderlich); vgl. auch BGH v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 32 = AG 1995, 274 (Bestellung durch inzwischen unzuständigen DDR-Minister, aber mit konkludenter Billigung der zuständigen Treuhandanstalt). 61 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 32 = AG 1995, 274; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 3; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 161 f.; Doetsch, Fehlerhafter Gesellschafter und fehlerhaftes Organ, 2015, S. 76 f.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 276; a.A. Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 230 ff. m.w.N., der stattdessen aber die Annahme der fehlerhaften Bestellung durch den Geschäftsführer verlangt (a.a.O. S. 214 f.). 62 Gimmler, Die Lehre vom fehlerhaften Organverhältnius, 2017, S. 181 f.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 277 ff. 63 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 3 f.; Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 235 f.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 280. 64 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Vor § 35 Rz. 8; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 280 f.; Doetsch, Fehlerhafter Gesellschafter und fehlerhaftes Organ, 2015, S. 79; zur AG Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 84 AktG Rz. 87, 89; differenzierend Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 4, und ihnen folgend Gimmler, Die Lehre vom fehlerhaften Organverhältnius, 2017, S. 183 f.; Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 246 ff.: bei beschränkt Geschäftsfähigen „hinkende“ Organstellung des Minderjährigen (als Geschäftsführer berechtigt, aber nicht verpflichtet). 65 Auch insoweit differenzierend Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 249: hinkende Organstellung wie bei beschränkt Geschäftsfähigen (s. vorige Fn.).

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 26 § 43

Abs. 2 Satz 2 Nr. 2-3, Satz 3 ausscheiden66; die heute überwiegende Ansicht wertet indes mit Recht anders und spricht sich im Interesse der Rechtssicherheit auch in dieser Fallgruppe für eine Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Bestellung aus67. b) Beendigung der Geschäftsführerstellung (inkl. fehlerhafte Abberufung) Die Bestellung zum Geschäftsführer endet in dem Zeitpunkt, in dem seine Abberufung wirk- 25 sam wird oder die Bestellung aus anderen Gründen erlischt, etwa durch Zeitablauf bei befristeter Bestellung, Eintritt einer auflösenden Bedingung, Amtsniederlegung oder Eintritt eines Ereignisses, das nach § 6 Abs. 2 zur Amtsunfähigkeit führt68. Auch im Fall einer fehlerhaftwirksamen Bestellung (Rz. 23 f.) endet die Bestellung nicht automatisch mit Aufdeckung der Fehlerhaftigkeit der Bestellung; aus Gründen der Rechtssicherheit bedarf es eines formalen Beendigungstatbestands (Abberufung, Amtsniederlegung)69. Das zuständige Bestellungsorgan ist aber in diesem Fall jederzeit berechtigt, den Geschäftsführer abzuberufen, auch dann, wenn der Gesellschaftsvertrag die Abberufung nach § 38 Abs. 2 von einem wichtigen Grund abhängig machen sollte70. In der paritätisch mitbestimmten GmbH muss bei Abberufung eines fehlerhaft bestellten Geschäftsführers das besondere Verfahren nach § 31 Abs. 2-5 MitbestG nicht eingehalten werden71. Der fehlerhaft bestellte Geschäftsführer ist seinerseits berechtigt, das Amt niederzulegen72. Bleibt der Geschäftsführer trotz Beendigung des Bestellungsverhältnisses weiter als sol- 26 cher tätig, muss er sich nach der Rechtsprechung des BGH73 und der ganz h.L.74 auch wei-

66 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 6 Rz. 44; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 281 f.; zur Parallelfrage in der AG (Verstoß gegen § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-3, Satz 3 AktG) Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 84 AktG Rz. 90; im Ausgangspunkt auch Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 84 AktG Rz. 31 i.V.m. § 76 AktG Rz. 118 ff., die sich aber im Ergebnis gleichwohl für eine Anwendbarkeit der Organhaftung aussprechen (a.a.O., § 93 AktG Rz. 42). 67 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 4 f.; Gimmler, Die Lehre vom fehlerhaften Organverhältnius, 2017, S. 187; Göbbel, Die Lehre vom faktischen Organ, 2018, S. 241 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Vor § 35 Rz. 9; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 7; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 6 GmbHG Rz. 31; Verse in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO, § 28 SEAG Rz. 14, § 40 SEAG Rz. 24 (zur Parallelfrage in der monistischen SE). 68 Zu allen Einzelheiten der Beendigung der Organstellung s. 12. Aufl., § 38 Rz. 1 ff. (Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider). 69 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 5; Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 254 f.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 279; zur AG statt vieler Fleischer in Spindler/Stilz, § 84 AktG Rz. 21. 70 Die Fehlerhaftigkeit der Bestellung begründet ohne weiteres den wichtigen Grund; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 5; Fleischer in Spindler/Stilz, § 84 AktG Rz. 21; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 279 (jeweils zu § 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). 71 Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 256; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 279 f.; a.A. Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 84 AktG Rz. 98. 72 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 5. 73 BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, GmbHR 2006, 46 Rz. 17 (zur Fortsetzung der Tätigkeit nach Eintritt einer auflösenden Bedingung der Bestellung); im Aktienrecht auch schon BGH v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 343 = AG 1967, 233 (Vorstandsmitglied bleibt trotz Ablauf der Bestellungsdauer mit Wissen des Aufsichtsrats weiter tätig), unter Hinweis auf die Grundsatzentscheidung zum „fehlerhaften Anstellungsvertrag“ (genauer: fehlerhaften Bestellungsverhältnis) BGHZ 41, 282 = MDR 1964, 576. 74 Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 3; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 11; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 217; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 35; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 36; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 274; Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 216 ff.; einschr. – nur

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§ 43 Rz. 26 | Haftung der Geschäftsführer terhin nach § 43 verantworten. Obwohl der BGH in dieser Konstellation missverständlich von einem „faktischen“ Geschäftsführer spricht75, handelt es sich bei Licht besehen um einen Anwendungsfall der Grundsätze der fehlerhaften Bestellung (Rz. 23 ff.), hier in der Variante einer nachträglich fehlerhaft gewordenen Bestellung76. Daraus folgt zugleich, dass auch die Grenzen dieser Grundsätze zu beachten sind. Bei nachträglichem Verlust der Geschäftsfähigkeit scheidet eine Anwendung des § 43 daher ab diesem Zeitpunkt auch bei Fortsetzung der Tätigkeit aus, während beim nachträglichen Eintritt einer Inhabilität nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2-3, Satz 3 nach hier vertretener Ansicht von einer fehlerhaft-wirksamen Bestellung und damit der Anwendbarkeit des § 43 auszugehen ist (Rz. 24). 27 Umgekehrt sind auch Fälle denkbar, in denen der Geschäftsführer seine Tätigkeit einstellt,

obwohl das Bestellungsverhältnis in Wahrheit nicht ordnungsgemäß beendet wurde (fehlerhafte Beendigung). Beruht die Einstellung der Tätigkeit auf einem Willensakt der Gesellschaft, etwa einem Abberufungsbeschluss, der sich später als nichtig erweist oder erfolgreich angefochten wird, besteht im Ergebnis weithin Einigkeit, dass der Geschäftsführer bis zu einer möglichen Wiederbestellung oder Wiederaufnahme der Tätigkeit nicht nach § 43 in Anspruch genommen werden kann. Ob man dieses Ergebnis darauf stützt, dass man die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung entsprechend auf die fehlerhafte Abberufung anwendet77, oder dem Geschäftsführer den Einwand des Rechtsmissbrauchs (venire contra factum proprium) gewährt78, macht dabei jedenfalls im hier interessierenden Kontext keinen Unterschied. 28 Legt der Geschäftsführer sein Amt zur Unzeit nieder, ist umstritten, ob darin eine wirksame

Beendigung der Bestellung liegt79. Verneint man dies, bleibt der Geschäftsführer schon deshalb nach § 43 verantwortlich80. Aber auch wenn man von einer wirksamen Beendigung ausgeht, liegt in der Amtsniederlegung zur Unzeit jedenfalls eine Pflichtverletzung aus dem früheren Organverhältnis, die eine Haftung nach Abs. 2 auslösen kann81. 29 Im Übrigen kommt eine Haftung gemäß Abs. 2 nach Beendigung der Bestellung nur im Fall

von nachwirkenden Organpflichten in Betracht. Angesprochen sind damit insbesondere

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bei Vorliegen einer auf Wiederbestellung gerichteten Willensäußerung der Gesellschaft – Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 84 AktG Rz. 84. BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, GmbHR 2006, 46 Rz. 17; vgl. zur Terminologie auch das damalige Senatsmitglied Strohn, DB 2011, 158, der auch fehlerhaft bestellte sowie abberufene, aber weiter tätige Geschäftsführer unter den Begriff des „faktischen Geschäftsführers i.w.S.“ fasst. Deutlich insbes. Göbbel, Die Lehre vom fehlerhaften Organ, 2018, S. 216 ff.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 274; ferner Strohn, DB 2011, 158, 159 („…richtet sich nach den Grundsätzen, die für den von Anfang an fehlerhaft bestellten Geschäftsführer gelten“); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2 („jedenfalls im Ergebnis wie ein fehlerhaft bestellter Geschäftsführer“). So Doetsch, Fehlerhafter Gesellschafter und fehlerhaftes Organ, 2015, S. 85 ff.; mit der Einschränkung, dass der Abberufene seine Tätigkeit nicht nur einstellt, sondern dies auch „widerspruchslos“ geschieht, Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 51; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 283 f.; Schürnbrand, NZG 2008, 609, 611 (zur AG); Stein in Hachenburg, § 38 GmbHG Rz. 96. A.A. – Grundsätze der fehlerhaften Bestellung nicht auf fehlerhafte Abberufung übertragbar – Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 84 AktG Rz. 184; implizit wohl auch BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, ZIP 2019, 1374 Rz. 35 ff. m. krit. Bespr. Ph. Scholz, ZIP 2019, 2338. So Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 361; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 282. Zu dieser Streitfrage 12. Aufl., § 38 Rz. 90 (Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 42. Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 38; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 118. OLG Koblenz v. 26.5.1994 – 6 U 455/91, GmbHR 1995, 730 f.; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 77; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 354.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 30 § 43

die Verschwiegenheitspflicht (Rz. 234) sowie andere nachwirkende Treuepflichten (Rz. 244)82. Die Haftung bei Verstößen gegen ein anstellungsvertraglich vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot richtet sich dagegen nach § 280 Abs. 1 BGB (Rz. 16, dort auch zu den Auswirkungen auf die Verjährung).

3. Faktische Geschäftsführer a) Grundlagen Pflichten und Haftung nach § 43 treffen nach Rechtsprechung83 und h.L.84 auch sog. fakti- 30 sche Geschäftsführer. Damit sind unter sogleich noch zu konkretisierenden Voraussetzungen Personen gemeint, die nicht durch einen (sei es auch fehlerhaften) Bestellungsakt zu Geschäftsführern bestellt wurden, aber tatsächlich wie ein geschäftsführendes Organ tätig werden85. Anders als der fehlerhaft-wirksam bestellte (Rz. 23 ff.) ist der faktische Geschäftsführer mangels Bestellung kein Geschäftsführer im Sinne des Gesetzes; ihm stehen nicht die Rechte eines Geschäftsführers zu86. Wenn ihm gleichwohl Pflichten und Haftung eines Geschäftsführers nach § 43 auferlegt werden, so handelt es sich daher nicht um eine unmittelbare, wortlautgetreue Anwendung der Vorschrift, sondern um eine richterliche Rechtsfortbildung, die – ohne Unterschied im Ergebnis – teils als Analogie und teils als teleologische Extension bezeichnet wird87. 82 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 217; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 39; zur AG Hopt/ Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 353; monographisch Palzer, Fortwirkende organschaftliche Pflichten des Geschäftsführers der GmbH, 2001. 83 BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167 = GmbHR 2001, 771 Rz. 7 bei juris (zu Abs. 3); OLG Düsseldorf v. 25.11.1993 – 6 U 245/92, GmbHR 1994, 317, 318; OLG Celle v. 6.5.2015 – 9 U 173/14, ZWH 2017, 171 Rz. 24; OLG München v. 23.1.2019 – 7 U 2822/17, GmbHR 2019, 600, 601 f. (Revision anhängig unter II ZR 28/19); offengelassen aber in BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 = GmbHR 2002, 549, 552. Für Einbeziehung faktischer Geschäftsführer seit langem auch schon die Rechtsprechung zur Insolvenzverschleppungshaftung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO, § 64 Abs. 1 a.F.) und zur Haftung wegen Masseschmälerung (§ 64 Satz 1 bzw. § 64 Abs. 2 a.F., § 15b Abs. 1 InsO), s. BGH v. 24.10.1973 – VIII ZR 82/72, WM 1973, 1354, 1355; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 47 ff. = GmbHR 1988, 299; BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, GmbHR 2005, 1187; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, GmbHR 2008, 702 Rz. 5; zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414, 1415. 84 Aus der Fülle des Schrifttums etwa Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 89 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 225 ff.; Fleischer, GmbHR 2011, 337; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 115 ff.; Peetz, GmbHR 2017, 57; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 294 ff.; Strohn, DB 2011, 158, 159 ff.; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 362 ff.; Hüffer/ Koch, § 93 AktG Rz. 38. 85 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44 = GmbHR 1988, 299 Rz. 5 bei juris; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 89; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 220. 86 Näher Strohn, DB 2011, 158, 164 f.; speziell zur streitigen Frage des Insolvenzantragsrechts 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 133 (Bitter). Im Zivilprozess für und gegen die GmbH soll der faktische Geschäftsführer wie ein Dritter als Zeuge vernommen werden können, nicht nur als Partei wie der bestellte Geschäftsführer (§ 455 Abs. 1 ZPO); OLG München v. 16.12.1998 – 7 U 4071/98, GmbHR 1999, 348. 87 Für Ersteres BGH v. 28.9.1992 – II ZR 299/91, BGHZ 119, 257, 261 = GmbHR 1993, 38; OLG München v. 14.7.2017 – 23 O 4393/16, GmbHR 2019, 600, 601 f.; Burgard, NZG 2002, 606, 607 f.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 10; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 9; für Letzteres Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 226; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 117. Zur Abgrenzung zwischen Analogie und teleologischer Extension einerseits Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 90; andererseits Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 11. Aufl. 2020, Rz. 904 (teleologische Extension lediglich Spezialfall der Analogie).

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§ 43 Rz. 31 | Haftung der Geschäftsführer 31 Es mangelt zwar bis heute nicht an kritischen Stimmen, die für eine derartige Rechtsfortbil-

dung weder Bedürfnis noch Legitimation sehen, da sich eine angemessene Haftung auch aus allgemeinen Regeln (konkludenter Auftrag/Dienstvertrag, gesetzliches Schutzpflichtverhältnis, Geschäftsführung ohne Auftrag) herleiten lasse88. Entgegen dieser Kritik sind die Grenzen einer zulässigen Rechtsfortbildung aber nicht überschritten. Der Schutzzweck des § 43, die Gesellschaft, ihre Anteilseigner und (in den Fällen des Abs. 3) ihre Gläubiger zu schützen, verlangt nach der Einbeziehung auch solcher Personen, die sich ohne förmliche Bestellung eine organgleiche Stellung anmaßen und damit ganz ähnliche Einwirkungsmöglichkeiten haben wie ein bestellter Geschäftsführer89. Die organspezifische Gefährdungslage verlangt mit anderen Worten nach einem organschaftlichen Verantwortlichkeitsregime90. Dem betroffenen Personenkreis ist es auch zumutbar, die im Vergleich zu den allgemeinen Regeln insbesondere wegen der weiterreichenden Beweislastumkehr strengere Haftung nach Abs. 2, 3 zu tragen. Darin liegt letztlich ein Ausfluss des allgemeinen Verbots des venire contra factum proprium91. Der Einwand, dass der Gesetzgeber für eine derartige Rechtsfortbildung keinen Raum lassen wollte, liegt demgegenüber fern. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber des MoMiG zu erkennen gegeben, dass er der Figur des faktischen Geschäftsführers aufgeschlossen gegenübersteht92. b) Voraussetzungen im Einzelnen aa) Stand der Rechtsprechung 32 Welche Voraussetzungen an den Tatbestand des faktischen Geschäftsführers zu stellen sind,

ist im Einzelnen umstritten. Der zivilrechtlichen Rechtsprechung lassen sich dazu folgende Leitlinien entnehmen93. Entscheidend ist, ob eine Gesamtschau der Umstände ergibt, dass die betreffende Person in maßgeblichem Umfang Geschäftsführungsfunktionen übernommen hat, wie sie nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag für den Geschäftsführer oder Mitgeschäftsführer kennzeichnend sind94. Der faktische Geschäftsführer muss anders gewendet „die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich in die Hand genommen“ haben95. Dafür genügt 88 Fundamentalkritik aus jüngerer Zeit namentlich bei F. Dreher, Faktische Einflussnahme auf die GmbH-Geschäftsführung, 2018, und Schirrmacher, Die Haftung des faktischen GmbH-Geschäftsführers, 2019, S. 222 ff., 314 ff., 367 f. (keine planwidrige Regelungslücke, da das Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 677 ff. BGB bereits eine sachgerechte Lösung enthalte); zuvor auch schon Dinkhoff, Der faktische Geschäftsführer in der GmbH, 2003, S. 99 ff.; ferner Nadwornik, De facto und shadow directors im englisch-deutschen Rechtsvergleich, 2013, S. 124 ff., 161 („nicht mit der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre vereinbar“). 89 Vgl. BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 47 f. = GmbHR 1988, 299 Rz. 6 bei juris (zur Insolvenzverschleppungshaftung des faktischen Geschäftsführers, aber auf § 43 übertragbar): „Der Grund für die Haftung des tatsächlichen Geschäftsführers liegt letztlich darin, dass derjenige, der ohne dazu berufen zu sein, wie ein Geschäftsführer handelt, auch die Verantwortung eines Geschäftsführers tragen muss, wenn nicht der Schutzzweck des Gesetzes gefährdet werden soll.“ 90 Fleischer, AG 2004, 517, 525. 91 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 226; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 304. 92 Begr. RegE MoMiG BT-Drucks. 16/6140, S. 56 (zu § 15a Abs. 3 InsO): „Durch die hier vorgesehene Regelung zu der Fallgruppe der führungslosen Gesellschaft werden die Rechtsprechung zum faktischen Geschäftsführer und die weitere Rechtsentwicklung hierzu nicht berührt.“ 93 Detailliert zum Folgenden auch Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 92 ff.; Strohn, DB 2011, 160 ff. 94 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 48 = GmbHR 1988, 299 (zur Insolvenzverschleppung). 95 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 48 = GmbHR 1988, 299; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 69 = GmbHR 2002, 549, 552; BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414, 1415; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, GmbHR 2008, 702 Rz. 5.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 34 § 43

es nicht, dass er laufende Routineangelegenheiten erledigt; vielmehr stellt der BGH darauf ab, wer die maßgeblichen, für den Fortbestand des Unternehmens entscheidenden Maßnahmen trifft96. Nicht verlangt wird dabei, dass der faktische Geschäftsführer die eigentlichen Geschäftsführer völlig aus ihrer Position verdrängt97. Eine lediglich interne Einwirkung auf die bestellten Geschäftsführer soll allerdings für sich allein nicht ausreichen, um die Stellung als faktischer Geschäftsführer zu begründen; stets soll auch ein eigenes, nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln erforderlich sein98. Nach einer obergerichtlichen Entscheidung soll das Auftreten als Geschäftsführer gegenüber Belegschaft und Betriebsrat noch nicht genügen, um das erforderliche Handeln nach außen darzutun99. Juristische Personen sollen nach der Rechtsprechung des BGH als faktische Geschäftsführer 33 generell ausscheiden. Da nach § 6 Abs. 2 Satz 1 nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person Geschäftsführer sein kann, müsse dies auch für die Beurteilung maßgebend sein, ob jemand faktisch als Mitglied des geschäftsführenden Organs in Betracht komme100. In der strafrechtlichen Rechtsprechung werden noch weitergehende Anforderungen for- 34 muliert, die allerdings von den Zivilgerichten nicht rezipiert worden sind. Zu bedenken ist dabei, dass im Strafrecht die Ausgangslage wegen des Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) eine andere ist101. Dass die strafrechtliche Rechtsprechung überhaupt Raum für eine Gleichstellung von faktischen Geschäftsführern und (bestellten) Geschäftsführern sieht, ist im Schrifttum aus gutem Grund auf Kritik gestoßen102. Auch wenn die Rechtsprechung dieser Kritik nicht folgt, ist sie doch ersichtlich bestrebt, die Ausdehnung in engen Grenzen zu halten. So verlangen die Strafsenate des BGH in ständiger Rechtsprechung, dass der faktische Geschäftsführer eine gegenüber dem bestellten Geschäftsführer „überragende Stellung“ einnehmen oder zumindest das „deutliche Übergewicht“ haben müsse103. In einer (vereinzelt gebliebenen) Entscheidung des BayObLG ist dies dahin konkretisiert worden, eine überragende Stellung sei anzunehmen, wenn die betreffende Person von acht Kernbereichen der Geschäftsführung in mindestens sechs tätig geworden ist104. Ferner setzen die Strafgerichte voraus, dass der faktische Geschäftsführer die Geschäftsführung im Einverständnis der Ge96 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 49 = GmbHR 1988, 299. 97 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 47 f. = GmbHR 1988, 299; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 69 = GmbHR 2002, 549, 552; BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414, 1415. 98 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 48 = GmbHR 1988, 299; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 69 f. = GmbHR 2002, 549, 552; BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414, 1415. 99 OLG München v. 8.9.2010 – 7 U 2568/10, ZIP 2010, 2295, 2297; mit Recht abl. dazu Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 104. 100 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 68 = GmbHR 2002, 549, 552. 101 Wie hier die unterschiedliche Ausgangslage betonend Strohn, DB 2011, 158, 164. Demgegenüber geht Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 96, davon aus, dass die zivilrechtliche Definition des faktischen Geschäftsführers „im Grundsatz“ mit der strafrechtlichen übereinstimme. 102 S. zu dieser Diskussion etwa einerseits Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 84 Rz. 7; andererseits 12. Aufl., § 84 Rz. 17, 21 f. 103 BGH v. 10.5.2000 – 3 StR 101/0, BGHSt 46, 62 = GmbHR 2000, 878 Rz. 11 bei juris; BGH v. 13.12.2012 – 5 StR 407/12, GmbHR 2013, 257 Rz. 7 m.w.N. 104 BayObLG v. 20.2.1997 – 5 St RR 159/96, NJW 1997, 1936: „wenn er von den acht klassischen Merkmalen im Kernbereich der Geschäftsführung (Bestimmung der Unternehmenspolitik, Unternehmensorganisation, Einstellung von Mitarbeitern, Gestaltung der Geschäftsbeziehungen zu Vertragspartnern, Verhandlung mit Kreditgebern, Gehaltshöhe, Entscheidung der Steuerangelegenheiten, Steuerung der Buchhaltung) mindestens sechs erfüllt.“ Mit Recht krit. dazu Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 228; Strohn, DB 2011, 158, 164.

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§ 43 Rz. 34 | Haftung der Geschäftsführer sellschafter übernommen hat105. In die Spruchpraxis der Zivilgerichte haben diese beiden zusätzlichen Kriterien (überragende Stellung, Einverständnis der Gesellschafter) bisher keinen Eingang gefunden106. Eine obergerichtliche Entscheidung hat es im Gegenteil explizit abgelehnt, die Voraussetzung des Gesellschaftereinverständnisses auf das Zivilrecht zu übertragen107. bb) Kritik und weitere Präzisierung 35 Das Schrifttum stimmt den genannten Ergebnissen der (zivilrechtlichen) Rechtsprechung

nur teilweise zu. Das Meinungsbild ist uneinheitlich; teils wird der Begriff des faktischen Geschäftsführers enger, teils weiter definiert als in der Rechtsprechung108. Geht man vom Geltungsgrund der Haftungserstreckung auf den faktischen Geschäftsführer aus (Rz. 31), sollte für die Abgrenzung der Grundgedanke leitend sein, ob die betreffende Person organspezifische Funktionen in organtypischer Weise wahrnimmt109. Hiervon ausgehend lässt sich der Tatbestand wie folgt präzisieren. 36 aaa) Keine Verdrängung des bestellten Geschäftsführers. Beifall verdient die Rechtspre-

chung zunächst darin, dass eine Verdrängung der bestellten Geschäftsführer durch den faktischen Geschäftsführer nicht erforderlich ist110. Auf dieses Kriterium kann es schon deshalb nicht ankommen, weil auch der bestellte Geschäftsführer ein Mitgeschäftsführer unter mehreren sein kann. Damit ist es unvereinbar, eine organgleiche Stellung erst anzunehmen, wenn andere Geschäftsführer verdrängt werden. Aus demselben Grund ist es auch richtig, die Formulierung der Strafgerichte, der faktische Geschäftsführer müsse gegenüber den bestellten Geschäftsführern eine „überragende Stellung“ einnehmen oder zumindest ein deutliches Übergewicht haben (Rz. 34), nicht ins Zivilrecht zu übernehmen111. 37 bbb) Außenauftritt als zwingendes Kriterium? Mit Recht auf vielfache Kritik gestoßen ist

dagegen der Standpunkt der Rechtsprechung, dass ein faktischer Geschäftsführer zwingend auch nach außen als Geschäftsführer in Erscheinung treten müsse112. Häufig werden fak105 Befürwortend dagegen die strafgerichtliche Rechtsprechung; s. BGH v. 10.5.2000 – 3 StR 101/0, BGHSt 46, 62 = GmbHR 2000, 878 Rz. 11 bei juris; BGH v. 13.12.2012 – 5 StR 407/12, GmbHR 2013, 257 Rz. 7. 106 BGH v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, ZIP 2013, 1519 Rz. 23 referiert zwar die strafgerichtliche Rechtsprechung, was sich im konkreten Fall aber daraus erklärt, dass es auf eine Strafbarkeit nach § 266a StGB ankam (als Voraussetzung einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB). 107 OLG Köln v. 15.12.2011 – 18 U 188/11, GmbHR 2012, 1358, 1360 f.; offenlassend OLG Düsseldorf v. 25.11.1993 – 6 U 245/92, GmbHR 1994, 317, 318 (faktische Geschäftsführung „jedenfalls dann“, wenn ein Gesellschafter mit Zustimmung des einzigen Mitgesellschafters und Alleingeschäftsführers die Führung der Geschäfte übernimmt). 108 S. im Einzelnen die Nachw. in Rz. 36 ff. 109 So im Anschluss an die im schweizerischen Schrifttum geläufige Definition in Deutschland erstmals Fleischer, AG 2004, 517, 522, 524; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 227; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 311 ff. 110 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 229; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 11; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 309 f.; Strohn, DB 2011, 158, 160; a.A. Stein, Das faktisches Organ, 1984, S. 184 ff.; Mertens in Hachenburg, Rz. 7. 111 Ebenso Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 229; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; für Anlehnung an die strafgerichtliche Rechtsprechung aber Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 96. 112 Wie hier abl. die wohl h.L., etwa Burgard, NZG 2002, 606, 608; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 231; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 117; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 12; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 307 ff.; Strohn, DB 2011, 158, 161 f.; krit.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 39 § 43

tische Geschäftsführer zwar auch nach außen wirken. Darin ist aber kein zwingendes Erfordernis zu erblicken, da das die Haftung begründende organspezifische Gefährdungspotenzial für die Gesellschaft, ihre Gesellschafter und (im Fall des Abs. 3) ihre Gläubiger auch dann gegeben ist, wenn der faktische Geschäftsführer nur im Innenverhältnis die Geschicke der Gesellschaft lenkt und zentrale unternehmerische Entscheidungen trifft. Wenn die Rechtsprechung dennoch auf dem Kriterium der Außenwirkung besteht, so beruht dies ersichtlich auf dem Bestreben, die Abgrenzung des Tatbestands zu erleichtern und insbesondere Gesellschafter, die unter Wahrung der Kompetenzordnung den bestellten Geschäftsführern Weisungen erteilen, nicht als faktische Geschäftsführer erfassen zu müssen. Letzteres lässt sich aber auch auf andere Weise sicherstellen (Rz. 39, 41). Die hier vertretene Ansicht hat im Übrigen den Vorzug, dass sie missbräuchliche Gestaltungen adäquater zu erfassen vermag. So ist aus der Praxis der „Firmenbestattung“ bekannt, dass der hinter einem Strohmann-Geschäftsführer stehende Drahtzieher für den Außenkontakt der Gesellschaft den Strohmann vorschiebt113. Nach der Rechtsprechung wäre er daher nicht als faktischer Geschäftsführer zu erfassen, obwohl das organspezifische Gefährdungspotenzial hier in geradezu idealtypischer Weise gegeben ist. ccc) Art der Tätigkeit (Übernahme geschäftsführerspezifischer Aufgaben). Der faktische 38 Geschäftsführer muss organspezifische Funktionen wahrnehmen, mithin solche, die im Verhältnis zu nachgeordneten Unternehmensangehörigen typischerweise allein dem Geschäftsführer zugewiesen sind (sei es auch vorbehaltlich der Zustimmung der Gesellschafterversammlung oder eines Aufsichts- oder Beirats). Wie vom BGH mit Recht entschieden, reicht daher die bloße Wahrnehmung laufender Routineangelegenheiten keinesfalls aus114, etwa die Abwicklung einzelner Zahlungen und die Verfügungsgewalt über das Bankkonto der Gesellschaft115. Der faktische Geschäftsführer muss vielmehr Aufgaben übernehmen, die den herausgehobenen Kernbereich der dem Geschäftsführungsorgan speziell anvertrauten Leitung der Gesellschaft betreffen116; er muss mit anderen Worten grundlegende Führungsentscheidungen an sich ziehen117. Im Verhältnis zu den Unternehmensangehörigen unterhalb der Organebene muss er eine übergeordnete Stellung einnehmen118, im Verhältnis zu den bestellten Geschäftsführern eine mindestens gleichgeordnete (Rz. 36). ddd) Wahrnehmung in organtypischer Weise. Ferner muss der faktische Geschäftsführer 39 die übernommenen Aufgaben in einer organtypischen Weise ausüben. Dies setzt voraus, dass er so in die gesellschaftsinterne Organisationsstruktur eindringt, dass er im Ergebnis selbst

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auch Haas, NZI 2006, 494, 498 f. Der Rechtsprechung zustimmend hingegen Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 82; Cahn, ZGR 2003, 298, 314 f.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 97; Peetz, GmbHR 2017, 57, 66; ferner 12. Aufl., § 64 Rz. 71. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Seibert in FS Röhricht, 2005, S. 585, 587, 590. BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 49 = GmbHR 1988, 299; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; Strohn, DB 2011, 158, 160. BGH v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, GmbHR 2008, 702 Rz. 5; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 311 f. Ähnlich BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 49 = GmbHR 1988, 299 („wer die maßgeblichen, für den wirtschaftlichen Fortbestand des Gesellschaftsunternehmens entscheidenden Maßnahmen trifft“); vgl. auch BGH v. 11.7.2005 – II ZR 235/03, GmbHR 2005, 1187, 1188: Dort wird eine „maßgeblich die Geschicke der Gesellschaft lenkende Tätigkeit“ verlangt und im konkreten Fall darin gesehen, dass der Beklagte die Führung des wesentlichen kaufmännischen und finanziellen Geschäftsbereichs übernommen und die Unternehmenspolitik und -organisation wesentlich bestimmt hatte. Vgl. Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 313 („überragende oder zumindest maßgebliche Stellung innerhalb des Unternehmens“).

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§ 43 Rz. 39 | Haftung der Geschäftsführer den Willen der Gesellschaft bildet119. Daraus folgt, dass z.B. Banken120 und sonstige Kreditgeber nicht schon dann als faktische Geschäftsführer verantwortlich sind, wenn sie großen wirtschaftlichen Druck auf die Geschäftsführer ausüben, indem sie etwa die Gewährung oder Belassung überlebensnotwendiger Kredite von bestimmten Sanierungsmaßnahmen abhängig machen. Ebenso wenig genügt es, wenn sie sich ausbedingen, vor wichtigen Unternehmensentscheidungen regelmäßig konsultiert zu werden, oder wenn sie gelegentlich als Gast an Sitzungen der Geschäftsführung teilnehmen121. Die Grenze ist aber überschritten, wenn sie organtypische Entscheidungen selbst für die Gesellschaft treffen können, wie z.B. im Fall der mehr oder weniger vollständigen Übernahme des Finanzressorts einschließlich der Übernahme der Verhandlungen mit anderen Gläubigern122, oder wenn sie die Geschäftsführer in wesentlichen Bereichen der Geschäftsführung zu reinen Befehlsempfängern machen und ihnen jeden nennenswerten Handlungsspielraum nehmen123. Entsprechendes gilt für Einflussnahmen anderer Geschäftspartner der Gesellschaft, etwa wichtiger Kunden oder Lieferanten. 40 eee) Dauer der Tätigkeit. Aussagen über eine bestimmte Mindestdauer der Einflussnahme

lassen sich der Rechtsprechung nicht entnehmen und auch nicht abstrakt-generell festlegen. Im Schrifttum wird allerdings mit Recht betont, dass ein lediglich punktueller Eingriff in die Kompetenz der Geschäftsführer jedenfalls typischerweise nicht genügt, da er die Organisationsverfassung der GmbH prinzipiell intakt lässt und bei den bestellten Geschäftsführern keine Erwartungshaltung auslöst, dass sich andere Personen der Geschäftsleitung annehmen124. Eine langfristige Anmaßung der Geschäftsführerposition ist aber nicht erforderlich. Faktischer Geschäftsführer kann daher auch sein, wer etwa in einer besonderen Krisensituation die Sanierungsverhandlungen und die wesentlichen Entscheidungen über das Sanierungskonzept an sich reißt125. 41 fff) Keine bloße Wahrnehmung von Gesellschafterrechten. Hervorzuheben ist die Ein-

schränkung, dass die bloße Wahrnehmung von Gesellschafterrechten, namentlich die Ausübung des Weisungsrechts der Gesellschafterversammlung (§ 37 Abs. 1), den oder die einflussnehmenden Gesellschafter nicht zu faktischen Geschäftsführern werden lässt126. Für die Rechtsprechung folgt dieses Ergebnis schon daraus, dass es in diesem Fall am Auftreten nach außen fehlt, doch ist dies aus den genannten Gründen nicht der entscheidende Aspekt (Rz. 37). Maßgeblich ist vielmehr der Umstand, dass in diesem Fall die nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag vorgesehene Organisationsstruktur der Gesellschaft unangetastet bleibt; die Gesellschafter maßen sich keine ihnen nicht zugewiesene Position an. Solange die Kompetenzordnung eingehalten wird, bewendet es daher im Fall von schädigenden Einflussnah-

119 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 227, 238; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 313 f. 120 Zur Einbeziehung juristischer Personen bzw. ihrer Organwalter s. noch Rz. 45. 121 Beispiele nach Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 238. 122 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 238; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 313 f. 123 Strohn, DB 2011, 158, 163 f. 124 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 230; ferner Strohn, DB 2011, 158, 162; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 312; tendenziell weitergehend Geißler, GmbHR 2003, 1006, 1111 (gewisse Dauerhaftigkeit und Stetigkeit erforderlich); wohl auch Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 105 (lediglich anlassbezogene Aktivitäten wie die Steuerung des Managements in einer Umbruchsituation genügen nicht). 125 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 230; Strohn, DB 2011, 158, 162. 126 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 240; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 12; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 315 ff.; Strohn, DB 2011, 158, 161 f.; abw. wohl Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 117 f.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 43 § 43

men der Gesellschafter für diese bei den allgemeinen Tatbeständen der Gesellschafterhaftung, namentlich der Haftung für Verletzungen der mitgliedschaftlichen Treuepflicht127 und der Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs128. Daran ändert sich nach zutreffender Ansicht auch dann nichts, wenn es sich um eine besonders engmaschige und häufige Weisungserteilung handelt129, da auch darin keine Kompetenzüberschreitung liegt130. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass Gesellschafter niemals als faktische Geschäftsführer zu 42 qualifizieren sind. Eine Haftung als faktischer Geschäftsführer entsprechend § 43 droht jedenfalls dann, wenn ein Gesellschafter die von ihm angestrebten Geschäftsführungsmaßnahmen, ohne sich des Instruments der Weisung zu bedienen, selbst vornimmt und sich dadurch geschäftsführerspezifische Aufgaben anmaßt131. Sofern ein Alleingesellschafter in dieser Weise tätig wird, ist freilich zu bedenken, dass ein Handeln des Alleingesellschafter-Geschäftsführers keine Haftung nach Abs. 2 auslöst (Rz. 266). Dies gilt auch, wenn er als faktischer Geschäftsführer tätig wird132. Gleiches gilt bei Treuhandverhältnissen für den wirtschaftlichen Alleingesellschafter (Treugeber)133. Unberührt bleibt allerdings eine mögliche Haftung des faktischen Alleingesellschafter-Geschäftsführers nach Abs. 3, wenn gläubigerschützende Vorschriften verletzt werden134. Ob eine Haftung als faktischer Geschäftsführer auch in Betracht kommt, wenn ein Gesell- 43 schafter in einer Mehrpersonen-GmbH die Geschäftsführung nicht selbst übernimmt, aber durch Weisungen steuert, die er an der zuständigen Gesellschafterversammlung vorbei – also kompetenzwidrig – direkt an die Geschäftsführer richtet, wird unterschiedlich beurteilt135. Gegeben ist in diesem Fall jedenfalls eine Verletzung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht.

127 Diese Haftung greift allerdings (vorbehaltlich der Verletzung gläubigerschützender Vorschriften) nach ganz h.M. nicht ein, wenn ein Alleingesellschafter oder alle Gesellschafter einvernehmlich die schädigende Weisung erteilen; s. 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 72, 90 (Emmerich); Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG Anh. Rz. 44, 47, § 14 GmbHG Rz. 115. 128 Dazu eingehend 12. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG Rz. 44 ff. 129 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 317; Strohn, DB 2011, 158, 160 f. („egal wie kurz die Leine ist“); ferner Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 12 (alle drei unter Hinweis auf BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 69 f. = GmbHR 2002, 549, 552; dort wird die Haftung als faktischer Geschäftsführer jedoch aus einem anderen Grund – dem fehlenden Handeln mit Außenwirkung – abgelehnt); a.A. Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998, S. 238 ff.; Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, 2004, S. 399 f.; Geißler, GmbHR 2003, 1106, 1112 für den Fall „nahezu lückenloser Beeinflussung der wesentlichen Geschäftsführungsmaßnahmen“. 130 Nach h.M. ist ein weisungsfreier Mindestbereich der Geschäftsführung nicht anzuerkennen; s. dazu 12. Aufl., § 37 Rz. 86, 88, 90; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 4 f.; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 35; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 68; jeweils m.w.N.; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 18a, und Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1074 f.: keine Degradierung der Geschäftsführer zum reinen Exekutivorgan. 131 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241 a.E.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 318, 320. 132 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; Strohn, DB 2011, 158, 165. 133 BGH v. 28.9.1992 – II ZR 299/91, BGHZ 119, 257, 261 f. = GmbHR 1993, 38; Strohn, DB 2011, 158, 162. 134 Weiterführend Strohn, DB 2011, 158, 165 f. Zur Reichweite des Abs. 3 s. noch Rz. 376 ff. 135 Befürwortend Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; Strohn, DB 2011, 158, 161; abl. aber Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 318 ff.: nur Haftung wegen Verletzung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht.

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§ 43 Rz. 44 | Haftung der Geschäftsführer 44 ggg) Einverständnis der Gesellschafter nicht erforderlich. Abweichend von der strafrecht-

lichen Rechtsprechung (Rz. 34) ist nicht erforderlich, dass der faktische Geschäftsführer die Geschäftsführung im Einverständnis oder mit Duldung der Gesamtheit der Gesellschafter (oder eines anderen Bestellungsorgans) übernommen hat136. Eine solche Voraussetzung lässt sich nicht rechtfertigen, da es nicht darum geht, das Handeln des faktischen Geschäftsführers der Gesellschaft in irgendeiner Form zuzurechnen, sondern darum, die Gesellschaft bei Bestehen einer organspezifischen Gefährdungslage angemessen zu schützen137. Praktische Bedeutung wird die Frage allerdings selten erlangen; in der Regel wird es den Gesellschaftern nicht verborgen bleiben, dass jemand, der dazu nicht berufen ist, sich wie ein Geschäftsführer geriert. 45 hhh) Einbeziehung juristischer Personen. Nicht überzeugend ist die Position des BGH,

dass juristische Personen (und konsequenterweise auch Personengesellschaften) als faktische Geschäftsführer ausscheiden, weil sie nach § 6 Abs. 2 Satz 1 auch nicht rechtlicher Geschäftsführer sein können (Rz. 33)138. Träfe dieses Argument zu, müssten auch nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2-3, Satz 3 inhabile natürliche Personen aus dem Kreis der faktischen Geschäftsführer ausscheiden, was aber unstreitig nicht der Fall ist. Ebenso wenig lässt sich anführen, dass eine juristische Person oder Personengesellschaft im Rechtsverkehr nicht den Eindruck einer Geschäftsführerstellung erwecken kann, da es bei der Haftung des faktischen Geschäftsführers nicht auf Erwartungen des Rechtsverkehrs im Außenverhältnis ankommt. Vielmehr geht es im Innenverhältnis um den Schutz der Gesellschaft in Fällen, in denen eine nicht dazu berufene Person die Geschäftsführungsfunktion okkupiert, und dieses Schutzanliegen ist bei einer Amtsanmaßung durch eine juristische Person oder Personengesellschaft nicht weniger betroffen als bei einer Amtsanmaßung durch eine natürliche Person. Der Unterschied zwischen der hier vertretenen Ansicht und der Rechtsprechung mag sich allerdings im Einzelfall dadurch relativieren, dass nach der Rechtsprechung immerhin die Organwalter der juristischen Person oder Personengesellschaft als faktische Geschäftsführer in Betracht kommen und diese einen Aufwendungsersatzanspruch aus § 670 BGB gegen ihren Prinzipal haben können139. Auf Grundlage der Rechtsprechung könnte die geschädigte GmbH dann die Organwalter in Anspruch nehmen und in den Aufwendungsersatzanspruch gegen die juristische Person oder Personengesellschaft vollstrecken, so dass diese auf einem Umweg doch noch belangt würde. 46 iii) Keine Haftung nicht voll Geschäftsfähiger. Personen, die nicht voll geschäftsfähig sind,

können keinesfalls als faktische Geschäftsführer verantwortlich sein140. Ebenso wie im Fall der fehlerhaften Bestellung (Rz. 24) hat der Schutz dieses Personenkreises Vorrang. Gleiches muss für Personen gelten, die als Betreute unter Einwilligungsvorbehalt stehen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, § 1903 BGB).

136 Zutr. OLG Köln v. 15.12.2011 – 18 U 188/11, GmbHR 2012, 1358, 1360 f.; wie hier ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 234; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 306 f.; für die hier interessierende Haftung nach § 43 auch Strohn, DB 2011, 158, 162 f. (abw. aber für die Insolvenzverschleppungshaftung); a.A. Geißler, GmbHR 2003, 1106, 1108. 137 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 306 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 234. 138 Wie hier abl. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 235; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28 i.V.m. § 6 Rz. 48; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 305 f. Der Rechtsprechung zustimmend dagegen Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 92; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; letztlich auch Strohn, DB 2011, 158, 163. 139 Strohn, DB 2011, 158, 163. 140 Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 305 f.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 49 § 43

III. Pflichten der Geschäftsführer gegenüber der GmbH 1. Überblick, Allgemeines In Anlehnung an die in den USA und international geläufige Unterscheidung von duty of 47 care und duty of loyalty hat es sich auch hierzulande weithin etabliert, die organschaftlichen Pflichten der Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft in zwei Grundkategorien einzuteilen: Sorgfalts- und Treuepflichten141. Während die Sorgfaltspflicht die Frage betrifft, wie ein von einem Interessenkonflikt unbeeinflusster Geschäftsleiter den Gesellschaftszweck „richtig“ verfolgt, verpflichtet die Treuepflicht den Geschäftsführer dazu, seine eigenen Interessen hinter die Belange der Gesellschaft zurückzustellen142. Nach überwiegendem Verständnis wird in Abs. 1 nur die Sorgfaltspflicht (Rz. 49 ff.) angesprochen, während die organschaftliche Treuepflicht (Rz. 177 ff.) ungeschrieben sein soll. Auch wenn im Folgenden – der üblichen Einteilung folgend – Sorgfalts-und Treuepflicht getrennt dargestellt werden, ist nicht zu verkennen, dass sowohl die Sorgfaltspflicht i.e.S. (Rz. 48, 50 ff.) als auch die organschaftliche Treuepflicht letztlich Ausprägungen einer einheitlichen Pflicht zur Förderung des Gesellschaftszwecks sind, so dass den beiden Pflichtenkategorien keine zwingende dogmatisch-kategoriale Trennung zugrunde liegt143. Es erscheint daher auch nicht unmöglich, die organschaftliche Treuepflicht mit in Abs. 1 hineinzulesen; der Frage kommt indes keine praktische Bedeutung zu, da die Existenz der Treuepflicht ohnehin außer Streit steht. Sorgfalts- und Treuepflichten lassen sich ihrerseits in verschiedene Unterkategorien auf- 48 fächern. Die Sorgfaltspflicht (Rz. 49 ff.) umfasst die Pflicht der Geschäftsführer, die Gesellschaft entsprechend dem Gesellschaftszweck zu leiten (Sorgfaltspflicht i.e.S.), Recht und Gesetz einzuhalten (Legalitätspflicht) und auch die übrigen Unternehmensangehörigen (Mitgeschäftsführer, Arbeitnehmer) zu recht- und zweckmäßigem Verhalten anzuhalten. Zu den Ausprägungen der organschaftlichen Treuepflicht (Rz. 177 ff.) zählt die Pflicht, sich loyal für die Gesellschaft einzusetzen und die Organstellung nicht zu ihren Lasten auszunutzen, zu ihr nicht in Wettbewerb zu treten und keine Geschäftschancen an sich zu ziehen. Auch die Pflicht, Interessenkonflikte offenzulegen, gehört hierher. Die Verschwiegenheitspflicht (Rz. 225 ff.) wird ebenfalls (zumindest auch) als Ausprägung der Treuepflicht angesehen.

2. Allgemeine Sorgfaltspflicht (§ 43 Abs. 1) Innerhalb der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 43 Abs. 1 lässt sich zwischen der Sorgfalts- 49 pflicht i.e.S. (Rz. 50 ff.) und der Legalitätspflicht (Rz. 106 ff.) unterscheiden. Beide Pflichten schließen Organisations- und Überwachungspflichten ein, die darauf gerichtet sind, auch für die Recht- und Zweckmäßigkeit des Verhaltens der übrigen Unternehmensangehörigen Sorge zu tragen (Rz. 119 ff.).

141 Exemplarisch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21 ff., 152 ff.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 15; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 52; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 33. 142 Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 34. 143 Zutr. Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 33 Fn. 57; vgl. auch schon Röhricht, WPg 1992, 766, 767.

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§ 43 Rz. 50 | Haftung der Geschäftsführer a) Sorgfaltspflicht i.e.S. aa) Bindung an den Verbandszweck und das daraus abgeleitete Gesellschaftsinteresse 50 Einigkeit besteht im Ausgangspunkt, dass die Geschäftsführer verpflichtet sind, den Zweck

der Gesellschaft (Verbandszweck) zu fördern144. Gemeint ist damit das formale Unternehmensziel (Formalziel), welches die finale Ausrichtung der Gesellschaft bezeichnet. Dieses wird – anders als der auch als Sachziel bezeichnete Unternehmensgegenstand (§ 3 Abs. 1 Nr. 2) – in der Regel nicht ausdrücklich in der Satzung niedergelegt145. In Ermangelung von abweichenden Anhaltspunkten in der Satzung ist davon auszugehen, dass der Verbandszweck der GmbH auf die dauerhafte Erzielung von Gewinn gerichtet ist146. Die Geschäftsführer müssen also grundsätzlich dieses Ziel ihrem Handeln als Leitschnur zugrunde legen. Damit stimmt es sachlich überein, wenn der BGH formuliert, die Geschäftsführer seien „treuhänderische Verwalter des Vermögens der Gesellschaft.“147 Denn Treuhänder sind zur Wahrnehmung der Interessen des Treugebers verpflichtet, hier also zur Wahrnehmung des Gesellschaftsinteresses, das sich aus dem Verbandszweck ableitet148. bb) Berücksichtigung von Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelangen (Corporate Social Responsibility) 51 aaa) Meinungsstand. Seit langem umstritten ist allerdings, wie streng die Bindung der Ge-

schäftsführer an das Gewinnziel zu verstehen ist. Diese Diskussion hat in jüngerer Zeit durch die Bemühungen des Gesetzgebers, die Unternehmen zu mehr sozialem Engagement (Corporate Social Responsibility, CSR) zu bewegen149, neue Aktualität erhalten. Weitestgehend Einigkeit besteht zwar noch darin, dass die Geschäftsführer das Gewinnziel nur innerhalb der Bahnen des Rechts verfolgen dürfen (Legalitätspflicht, Rz. 106 ff.), so dass ihnen rechtswidrige Geschäfte auch dann durch die Sorgfaltspflicht untersagt sind, wenn diese Geschäfte wegen geringer Aufdeckungswahrscheinlichkeit oder schwacher Sanktionen aus ex-ante Sicht einen wirtschaftlichen Vorteil versprechen („nützliche“ Rechtsverletzung, Rz. 109). Bis heute nicht abschließend geklärt ist aber die seit Jahrzehnten diskutierte Grundsatzfrage, ob die Geschäftsführer neben der Einhaltung der Legalität allein auf das durch das Gewinnziel determinierte Gesellschaftsinteresse verpflichtet sind (interessenmonistische Zielkonzepti-

144 Rechtsformübergreifend Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 3 I 3 a (S. 155): Verbandszweck als „Leitmaxime für die geschäftsführenden Organe“; zur GmbH etwa Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 27; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12. 145 Näher zur Unterscheidung zwischen Gesellschaftszweck (Verbandszweck) i.S.d. § 1 und Unternehmensgegenstand i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 und zu der uneinheitlichen Terminologie 12. Aufl., § 1 Rz. 3 ff.; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 1 Rz. 6 ff., mit dem Vorschlag, anstelle von Formalziel von „Endzweck“ zu sprechen. 146 Allg. M., s. nur Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 1 Rz. 12 f.; J. Schmidt in Michalski u.a., § 1 Rz. 5 f. Zu der hier nicht entscheidenden Frage, ob neben der Wertschöpfung (Gewinnerzielung) auch die Wertverteilung (Gewinnausschüttung) vom Verbandszweck umfasst ist, einerseits Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 28; andererseits Leuschner, Das Konzernrecht des Vereins, 2011, S. 31 ff. 147 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34 = GmbHR 1995, 451. 148 Grundlegend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 23 f.; s. auch Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 254 m.w.N. 149 S. insbes. §§ 289b ff., §§ 315b f. HGB (CSR-Berichtspflicht für große, kapitalmarktorientierte Unternehmen); im Aktienrecht zuletzt § 87 Abs. 1 Satz 2 AktG (Vorstandsvergütung ist in börsennotierter AG zwingend auf eine „nachhaltige und langfristige“ Entwicklung auszurichten). Überblick über die wesentlichen Entwicklungslinien bei Fleischer, AG 2017, 509; zuletzt Walden, NZG 2020, 50.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 53 § 43

on)150 oder – wie nach der im Aktienrecht herrschenden Ansicht151 – berechtigt und verpflichtet sind, ein weiter gefasstes „Unternehmensinteresse“ zu verfolgen, das neben den Gewinninteressen der Gesellschafter auch Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelange in sich aufnimmt (interessenpluralistische Zielkonzeption)152. Schlagwortartig werden diese beiden Grundpositionen mit dem Begriffspaar shareholder value vs. stakeholder value umrissen. Eine vermittelnde Ansicht spricht sich dafür aus, dass die Geschäftsleiter zwar nicht verpflichtet sind, über die Einhaltung der Gesetze hinaus Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelange zu fördern. Sie sollen zu entsprechenden Maßnahmen aber auch dann, wenn sie ökonomisch keine Rendite versprechen, immerhin berechtigt sein, sofern die dauerhafte Rentabilität des Unternehmens nicht gefährdet wird und Spenden die Grenzen des Angemessenen nicht überschreiten153. bbb) Praktische Bedeutung. Der theoretisch scharfe Gegensatz zwischen den unterschiedli- 52 chen Grundpositionen wirkt sich praktisch allerdings kaum aus, jedenfalls nicht in dem Maße, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte154. Die Förderung von Arbeitnehmerund Gemeinwohlbelangen (etwa durch besonders arbeitnehmer- oder umweltfreundliche Arbeits- und Produktionsbedingungen, Verzicht auf den Umzug in ein Steuerparadies, Spenden für wohltätige Zwecke etc.) wird sich häufig auch ökonomisch begründen lassen, da die GmbH für ihren dauerhaften wirtschaftlichen Erfolg auf den Rückhalt ihrer Belegschaft und die gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen ist155. Nimmt man hinzu, dass positive Reputationseffekte aus solchen Maßnahmen schwer quantifizierbar sind und die Geschäftsführer in der Einschätzung, ob die erwarteten wirtschaftlichen Vorteile die Kosten auf lange Sicht übersteigen, einen durch die Business Judgment Rule (Rz. 70 ff.) geschützten weiten Beurteilungsspielraum haben156, überrascht es nicht, dass die Frage in der Rechtsprechung zur Geschäftsleiterhaftung – soweit ersichtlich – noch kein einziges Mal von ausschlaggebender Bedeutung war. Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen eine rein ökonomische Rechtfertigung (im Sinne ei- 53 ner Verbesserung der Ertragsaussichten) für die Förderung von Arbeitnehmer- oder Gemeinwohlbelangen mehr oder weniger offensichtlich ausscheidet oder jedenfalls fragwürdig ist – so z.B. bei „stillen“ Spenden für wohltätige Zwecke, die nicht werbewirksam als Mittel der Reputationssteigerung eingesetzt werden157. In derartigen Fällen wird sich indes häufig schon die 150 So die im GmbH-Recht überwiegende Ansicht, etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16 ff.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 5; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 27 f.; zur AG Birke, Das Formalziel der AG, 2005, S. 139 ff. 151 Exemplarisch Hüffer/Koch, § 76 AktG Rz. 28 ff.; J. Koch in Fleischer/Koch/Kropff/Lutter, 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S. 65, 73 ff.: stillschweigende Fortgeltung des § 70 AktG 1937 („Der Vorstand hat unter eigener Verantwortung die Gesellschaft so zu leiten, wie das Wohl des Betriebes und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich es erfordern.“); zuletzt J. Hager in FS Windbichler, 2020, S. 731. 152 Dafür etwa Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 111.3 (Unternehmensinteresse als „Resultante aus den Interessen der Shareholder und aller Stakeholder“); jedenfalls für die von der CSR-Berichtspflicht erfassten großen bzw. kapitalmarktorientierten Gesellschaften auch Hommelhoff in FS v. Hoyningen-Huene, 2014, S. 137, 140 f.; Hommelhoff in FS Kübler, 2015, S. 291. 153 Eingehend J. Vetter, ZGR 2018, 338 ff. (zur AG); ferner Götze/Bicker in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 30.92 ff., 30.119. 154 Gleicher Befund bei Hopt, GesRZ 2002, Sonderheft Corporate Governance, 4, 5; J. Koch in Fleischer/Koch/Kropff/Lutter, 50 Jahre Aktiengesetz, 2016, S. 65, 75. 155 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19, 103; Lübke in FS Müller-Graff, 2015, S. 266, 269; J. Vetter, ZGR 2018, 338, 346. 156 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 28; vgl. auch BGH v. 6.12.2001 – 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187 = AG 2002, 347, 349 – SSV Reutlingen: breiter Spielraum für unternehmerisches Ermessen. 157 Götze/Bicker in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 30.91; J. Vetter, ZGR 2018, 338, 346.

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§ 43 Rz. 53 | Haftung der Geschäftsführer Frage stellen, ob die Geschäftsführer überhaupt entscheidungszuständig sind oder die Maßnahme nach § 49 Abs. 2 der Gesellschafterversammlung vorgelegt werden muss (Rz. 57 ff.). 54 ccc) Stellungnahme. In den wenigen Fällen, in denen die Frage praktische Bedeutung er-

langt, gebührt der vermittelnden Ansicht der Vorzug. Festzuhalten ist zunächst, dass eine Pflicht der Geschäftsführer, Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelange trotz renditemindernder Auswirkungen auch über die gesetzlichen Mindeststandards hinaus zu berücksichtigen, entgegen der Lehre von der interessenpluralistischen Zielkonzeption nicht begründbar ist158. Eine solche Festlegung entspricht nicht dem typischen Willen der Gesellschafter und findet daher in der Satzung der GmbH vorbehaltlich abweichender Bestimmungen keine privatautonome Grundlage. Sie könnte sich somit allenfalls aus dem Gesetz ergeben, das hierfür jedoch keinen hinreichenden Anhaltspunkt bietet. Daran hat auch die Einführung der CSRBerichtspflicht (§§ 289b ff., §§ 315b f. HGB) in Umsetzung der Bilanzrichtlinie159 nichts geändert. Wiewohl die Berichtspflicht auch für große, kapitalmarktorientierte Unternehmen in der Rechtsform der GmbH gilt und diese unverkennbar zu mehr sozialem Engagement ermuntern will, erschöpft sich ihr zwingender Charakter in der Anordnung einer Berichtspflicht, ohne ein interessenpluralistisches Unternehmensziel verbindlich vorzuschreiben160. 55 Im Ausgangspunkt ist daher – insoweit in Übereinstimmung mit der im GmbH-Recht herr-

schenden Lehre – eine auf das Gewinnziel beschränkte Zielkonzeption zugrunde zu legen. Allerdings besteht richtigerweise keine Veranlassung, den Verbandszweck der Gewinnerzielung so strikt zu interpretieren, dass jedwedes Handeln der Geschäftsführer auf Maximierung des Gewinns angelegt sein muss und ihnen daher – vorbehaltlich der Zustimmung aller Gesellschafter (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB)161 – jegliches Engagement für Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelange, das sich ökonomisch nicht rechnet, kategorisch verboten ist162. Dass eine derart absolute Gewinnorientierung dem typischen Gesellschafterwillen entspricht und das Schweigen der Satzung daher bei der gebotenen objektiven Auslegung in diesem Sinne gedeutet werden muss, wird man schwerlich behaupten können163. In Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte in der Satzung muss vielmehr ins Gewicht fallen, dass sich der Rechtsordnung klare Hinweise dafür entnehmen lassen, dass auch erwerbswirtschaftlich tätige Unternehmen dazu ermuntert werden sollen, Arbeitnehmer- und Gemeinwohlbelange auch über die gesetzlichen Mindeststandards hinaus zu fördern. Insbesondere die schon erwähnte CSR-Berichtspflicht belegt dies deutlich164, aber auch die Sozialbindung des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) weist bereits in diese Richtung165. Vor diesem Hintergrund wäre es

158 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16 ff.; Götze/Bicker in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 30.93 ff.; J. Vetter, ZGR 2018, 338, 341 ff. 159 Art. 19a, 29a Richtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013, ABl. Nr. L 182 v. 29.6.2013, S. 19, geändert durch Richtlinie 2014/95/EU vom 22.10.2014, ABl. Nr. L 330 v. 15.11.2014, S. 1. 160 So aber Hommelhoff in FS v. Hoyningen-Huene, 2014, S. 137, 140 f.; Hommelhoff in FS Kübler, 2015, S. 291; Hommelhoff, NZG 2017, 1361; dagegen mit Recht Schön, ZHR 180 (2016), 279, 283 ff.; Fleischer, AG 2017, 509, 522; Bachmann, ZGR 2018, 231, 235; abl. auch schon Verse/Wiersch, EuZW 2016, 330, 334. 161 Zur (analogen) Anwendung des § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB auf vom Verbandszweck abweichende Maßnahmen 12. Aufl., § 1 Rz. 3 (Cramer) m.w.N., ganz h.M. 162 Gleichsinnig J. Vetter, ZGR 2018, 338, 347: Hinweis auf das Ziel der Gewinnerzielung „zu grobschlächtig“, um daraus die generelle Unzulässigkeit nicht gewinnmaximierenden ethischen Verhaltens abzuleiten. 163 Näher J. Vetter, ZGR 2018, 338, 360 ff. (zur AG). 164 Dass sich die Berichtspflicht nach § 289b Abs. 1 HGB auf bestimmte (große und kapitalmarktorientierte) Unternehmen beschränkt, lässt sich dem nicht entgegenhalten. Diese Einschränkung soll kleinere Unternehmen von der für sie u.U. unverhältnismäßigen Bürde der Berichtspflicht befreien, aber nicht zum Ausdruck bringen, dass soziales Engagement nicht auch bei diesen erwünscht ist. 165 Ausführlich J. Vetter, ZGR 2018, 336, 348 ff.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 57 § 43

ungereimt, wenn man dem Gesetz gleichzeitig entnehmen wollte, dass der Verbandszweck erwerbswirtschaftlicher Unternehmen in Ermangelung einer abweichenden Satzungsbestimmung strikt auf Gewinnmaximierung angelegt ist und dementsprechend jede arbeitnehmeroder gemeinwohlfördernde Maßnahme, die nicht zugleich der Gewinnmaximierung dient, nur mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter zulässig ist. Das Gesagte spricht vielmehr dafür, den Verbandszweck vorbehaltlich abweichender Sat- 56 zungsbestimmung nicht im Sinne einer strikten Gewinnmaximierung zu verstehen, sondern moderater in dem Sinne, dass zwar eine dauerhafte Rentabilität des Unternehmens angestrebt wird, die den Gesellschaftern (mindestens) eine risikoadäquate Rendite für ihren Kapitaleinsatz verschaffen soll, aber im Übrigen – d.h. soweit die dauerhafte Rentabilität nicht gefährdet wird166 – auch für renditeminderndes ethisches Verhalten Raum bleibt167. Die Schwierigkeit besteht bei diesem Ansatz zugegebenermaßen darin, zu bestimmen, wie weit der Spielraum für renditeminderndes ethisches Verhalten reicht. Für die Geschäftsführer einer GmbH wird die Frage allerdings dadurch erheblich entschärft, dass sie schon deshalb keine allzu weitreichenden renditemindernden Maßnahmen treffen können, weil nach § 49 Abs. 2 alle Maßnahmen der Gesellschafterversammlung zur Zustimmung vorzulegen sind, die entweder besonders bedeutsam oder außergewöhnlich sind oder bei denen Anlass zu Zweifeln an der Billigung durch die Gesellschafter besteht (12. Aufl., § 49 Rz. 22; s. auch noch Rz. 60). Akut wird die Frage nach den Grenzen renditemindernden ethischen Verhaltens daher nur in dem eher theoretischen Fall, dass die Gesellschaftermehrheit eine gemeinwohlfördernde Maßnahme trotz substantieller finanzieller Einbußen billigen möchte und die Minderheit einwendet, die Maßnahme bedürfe wegen Unvereinbarkeit mit dem Gesellschaftszweck allseitiger Zustimmung (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB analog). In dieser seltenen Konstellation wird man darauf abstellen müssen, ob sich die Entscheidung der Gesellschaftermehrheit so weit von der erwerbswirtschaftlichen Zielsetzung entfernt, dass damit ein Gesellschafter einer gewinnorientierten privatnützigen Gesellschaft schlechterdings nicht rechnen musste. ddd) Spenden im Besonderen. In der Praxis tritt die Frage, inwieweit die Geschäftsführer 57 zur Förderung sozialer Belange befugt sind, insbesondere im Zusammenhang mit Spenden auf, die aus dem Gesellschaftsvermögen für wohltätige Zwecke getätigt werden. Im Vordergrund steht dabei vor allem die Kompetenzabgrenzung zwischen Geschäftsführern und Gesellschafterversammlung. Dazu besteht heute im Ausgangspunkt Einigkeit, dass Spenden nicht schon nach § 46 Nr. 1 in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fallen, da es dabei nicht um eine Ergebnisverwendung i.S. dieser Vorschrift geht, sondern um Maßnahmen, die der Feststellung des Jahresabschlusses und der Entscheidung über die Gewinnverwendung vorgelagert sind168. Soweit die Satzung keine weitergehenden Bestimmungen enthält, richtet sich die Kompetenzabgrenzung stattdessen nach § 49 Abs. 2, mithin danach, ob es sich um eine besonders bedeutsame oder außergewöhnliche Maßnahme handelt oder eine solche, deren Billigung durch die Gesellschafter erkennbar mit Zweifeln behaftet ist169.

166 Diese Grenze dürfte allgemein konsentiert sein; aus der Diskussion zur AG statt vieler Hüffer/Koch, § 76 AktG Rz. 33 f.; J. Vetter, ZGR 2018, 336, 367. 167 Gleichsinnig J. Vetter, ZGR 2018, 336, 344 ff., 366 ff. (zur AG), der zur weiteren Konkretisierung vorschlägt, zwischen ethisch bedingten renditemindernden Maßnahmen im Bereich der unternehmerischen Wertschöpfung (z.B. Produktionsbedingungen mit besonders hohen Arbeitsschutzoder Umweltschutzstandards) und solchen im Bereich der Mittelverwendung (Spenden) zu differenzieren. 168 Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1311; Zachert, Grenzen des unternehmerischen Ermessens bei der Vergabe von Unternehmensspenden, 2005, S. 203; zur Parallelfrage in der AG Götze/Bicker in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 30.86; anders früher Meilicke, NJW 1959, 409, 412 (für Parteispenden). 169 Götze/Bicker in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 30.121; allg. zu den nach § 49 Abs. 2 maßgeblichen Kriterien 12. Aufl., § 49 Rz. 22 (Seibt).

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§ 43 Rz. 58 | Haftung der Geschäftsführer 58 Für die Anwendung des § 49 Abs. 2 im Fall von Spenden haben sich im Wesentlichen folgen-

de Leitlinien herausgebildet. Öffentliche Spenden, d.h. solche, die nach außen verlautbart werden und damit der Reputation zumindest potenziell förderlich sein können, sind keine außergewöhnlichen Maßnahmen, sofern sie sich im Rahmen des Angemessenen halten; sie sind daher vorbehaltlich konkreter Anhaltspunkte für einen möglicherweise entgegenstehenden Gesellschafterwillen nicht vorlagepflichtig170. Als Kriterien für die Angemessenheit des Spendenbetrags sind insbesondere die Nähe zum Unternehmensgegenstand, die Verkehrsüblichkeit der Spende und die Ertragslage der Gesellschaft von Bedeutung171. Diese Kriterien müssen aber nicht kumulativ erfüllt sein, weshalb den Geschäftsführern auch verkehrsübliche Spenden ohne konkreten Bezug zum Unternehmensgegenstand nicht generell verwehrt sind. Eine Vorlage an die Gesellschafterversammlung ist vorbehaltlich einer wesentlichen Änderung der Rahmenbedingungen auch dann entbehrlich, wenn die Spendenvergabe einer schon seit längerem geübten, von den Gesellschaftern gebilligten Praxis entspricht172. Feste Betragsgrenzen für noch angemessene Spenden lassen sich nicht aufstellen173. Die steuerliche Abzugsfähigkeit stellt keine feste Obergrenze dar174. 59 Bei stillen Spenden, die wegen ihrer fehlenden Öffentlichkeitswirkung keinen oder nahezu

keinen reputationssteigernden Effekt haben, wird dagegen häufig zweifelhaft sein, ob sie die Billigung der Gesellschafter finden werden, weshalb hier regelmäßig eine Vorlagepflicht nach § 49 Abs. 2 bestehen wird175. Gleiches gilt für Spenden, die vor allem dem persönlichen Prestigegewinn des Geschäftsführers dienen oder bei denen sich der Geschäftsführer auf sonstige Weise in einem Interessenkonflikt befindet176. Wegen ihrer besonderen Konfliktträchtigkeit kommt eine Vorlagepflicht auch bei Parteispenden in Betracht177, soweit sie nicht einer von den Gesellschaftern gebilligten Praxis entsprechen178. 60 Ist nach diesen Kriterien die Gesellschafterversammlung zuständig, ist auch sie, soweit nicht

alle Gesellschafter übereinstimmen, in ihrer Entscheidung nicht gänzlich frei, wenngleich ihr Spielraum erheblich weiter reicht als derjenige der Geschäftsführer. Spenden, die nicht ökonomisch zu rechtfertigen sind, einen Großteil des Ergebnisses aufzehren und auch nicht durch eine sittliche Pflicht oder dringliche Erwartung herausgefordert sind, entfernen sich so weit von der erwerbswirtschaftlichen Zielsetzung, dass auch die Gesellschafterversamm-

170 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 105; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1310 f. (mit dem Zusatz, dass die Spende generell zur Förderung des Gesellschaftsinteresses geeignet sein müsse); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76; Wicke, Rz. 4; tendenziell strenger Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 177: außer bei Bagatellzuwendungen stets Vorlagepflicht, sofern die Spende nicht durch eine seit längerem geübte Praxis der Spendenvergabe gedeckt ist. 171 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 105; Götze/Bicker in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 30.104, 30.121; J. Vetter, ZGR 2018, 336, 369 f. (zur AG). 172 Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 177; implizit Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 79. 173 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22. Nach Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 72, sollen Spenden in Höhe von bis zu 2 % des Bilanzgewinns „in der Regel“ unbedenklich sein. 174 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 105; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1310 f.; a.A. Philipp, AG 2000, 62, 65. 175 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 106; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 128.2. 176 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; im Ergebnis für Vorlagepflicht auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 78. Zur AG BGH v. 6.12.2001 – 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187 = AG 2002, 347, 349 – SSV Reutlingen: Vorstand darf „privaten Präferenzen (‚pet charities‘) keinen unangemessenen Raum geben“; J. Vetter, ZGR 2018, 338, 369. 177 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 106; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1311; Kind, NZG 2000, 567, 572 f. 178 Kind, NZG 2000, 567, 573.

458 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 64 § 43

lung sie nur mit allseitiger Zustimmung beschließen kann (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, Rz. 56). cc) Berücksichtigung von Gläubigerinteressen (Weiterverweis) Besonderheiten gelten, wenn die Gesellschaft insolvent ist. In dieser Situation haben die Ge- 60a schäftsführer ihr Handeln nicht mehr am Gewinnerzielungsinteresse der Gesellschaftergesamtheit (Rz. 50) auszurichten, sondern am Befriedigungsinteresse der Gesamtheit der Gläubiger, da diese das Residualrisiko tragen179. Die Einzelheiten zu diesem Pflichtenumschwung (shift of duties) werden in den Erl. zu § 64 kommentiert (12. Aufl., § 64 Rz. 32 ff., 463 ff.). dd) Einzelne Ausprägungen der Sorgfaltspflicht i.e.S. aaa) Allgemeines. Was die Geschäftsführer im Einzelnen tun müssen, um ihrer vorstehend 61 skizzierten Sorgfaltspflicht i.e.S. zu genügen, bedarf stets der Konkretisierung im Einzelfall und lässt sich daher nur schwer in allgemeinen Formeln einfangen. Die folgenden Leitlinien sind daher mit diesem Vorbehalt zu lesen. Grundvoraussetzung ist jedenfalls, dass die Geschäftsführer die ihnen zugewiesene Leitung 62 des Unternehmens überhaupt aktiv wahrnehmen180. Dazu gehört insbesondere, dass sie die wesentlichen unternehmensleitenden Entscheidungen – innerhalb des durch Gesetz, Satzung und Gesellschafterbeschlüsse gesteckten Rahmens (§ 37 Abs. 1) – selbst treffen und verantworten181. Auch wenn über die grundlegenden Weichenstellungen der Unternehmenspolitik in der GmbH prinzipiell die Gesellschafterversammlung entscheidet (§ 37 Rz. 11), obliegt den Geschäftsführern zumindest die Ausarbeitung von (je nach Marktgegebenheiten anzupassenden und regelmäßig zu überprüfenden) Vorschlägen für die Unternehmenspolitik sowie die Verantwortung für die Umsetzung der beschlossenen Strategie182. bbb) Wesentliche Verantwortungsbereiche. In typologischer Annäherung lässt sich die Lei- 63 tungsaufgabe der Geschäftsleiter in verschiedene Verantwortungsbereiche aufteilen, die allerdings eng miteinander verknüpft sind: Planungs- und Steuerungsverantwortung, Organisationsverantwortung, Finanzverantwortung, Informationsverantwortung183. Die Planungs- und Steuerungsverantwortung verlangt von den Geschäftsführern zunächst 64 die Aufstellung einer ordnungsgemäßen Unternehmensplanung. Diese hat im Regelfall insbesondere die Finanz-, Investitions- und Personalplanung zu umfassen184. In zeitlicher Hinsicht verlangt die Pflicht zur Unternehmensplanung typischerweise zumindest die Erstellung einer kurzfristigen Budgetplanung für das laufende und das folgende Geschäftsjahr185. In größeren Unternehmen sind längerfristige Planungszeiträume (fünf Jahre) üblich186. Allerdings sind die Verhältnisse der Unternehmen zu unterschiedlich, um eine konkrete mittelund langfristige Planung allgemein zur Rechtspflicht zu erheben187. Den Geschäftsführern

179 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 5; näher 12. Aufl., § 64 Rz. 463 mit zahlreichen Nachw. 180 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 115; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 151. 181 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 116. 182 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57. 183 Ausf. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56 ff.; zur AG Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 51 ff.; Hölters in Hölters, § 93 AktG Rz. 42 ff. 184 Vgl. zur AG § 90 Abs. 1 Nr. 1 AktG; Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 52; für Präzisierung de lege ferenda Groß/Amen, WPg 2003, 1161. 185 Vgl. zur AG Altmeppen, ZGR 1999, 291, 306; Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 52. 186 Hölters in Hölters, § 93 AktG Rz. 50. 187 Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 52; Hüffer/Koch, § 90 AktG Rz. 4a.

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§ 43 Rz. 64 | Haftung der Geschäftsführer obliegt weiterhin die Steuerung der operativen Unternehmensabläufe. Sie haben insbesondere die Umsetzung der getroffenen Planungen zu überwachen und bei Fehlentwicklungen korrigierend einzugreifen188. Die Wahrnehmung der Steuerungs- und Überwachungsaufgabe erfordert geeignete Steuerungs- und Kontrollinstrumente, zu denen in größeren Unternehmen ein zuverlässiges Controlling und eine interne Revision gehören189. Die nähere Ausgestaltung des unternehmensinternen Steuerungs- und Kontrollsystems liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Geschäftsführer und kann nach Art, Größe und wirtschaftlicher Lage des Unternehmens erheblich variieren190 (näher zu den Überwachungspflichten Rz. 119 ff., speziell zur Legalitätskontrolle/Compliance Rz. 151 ff.). 65 Mit der Steuerungsverantwortung untrennbar verknüpft ist die Organisationsverantwortung

der Geschäftsführer. Damit ist die Verpflichtung der Geschäftsführer angesprochen, Organisationsstrukturen zu schaffen, die eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit des Unternehmens ermöglichen191. Dies beinhaltet neben der bereits erwähnten Einrichtung von effektiven Steuerungs- und Kontrollinstrumenten die Gliederung des Unternehmens in funktionsfähige und möglichst effiziente Organisationseinheiten sowie die Verantwortung dafür, dass diese ihrerseits durch hinreichend qualifiziertes Personal geführt werden. Innerhalb der Geschäftsführung können Aufgaben im Wege der Ressortzuweisung organisatorisch aufgeteilt werden (horizontale Delegation), wobei allerdings auch den nicht ressortzuständigen Organwaltern stets eine Restverantwortung verbleibt (Rz. 130). Bei der Delegation von Aufgaben auf nachgelagerte Ebenen im Unternehmen obliegt dem delegierenden Geschäftsführer eine Auswahl-, Einweisungs- und Überwachungspflicht (Rz. 141). 66 Besonders hervorgehoben wird im Schrifttum vielfach die Finanzverantwortung der Ge-

schäftsführer192, obwohl sie im Grunde nur ein (freilich besonders wichtiger) Teilbereich der bereits erwähnten Planungs- und Steuerungsverantwortung der Geschäftsführer ist. Zentral ist vor allem die Verpflichtung, darauf zu achten, dass der Gesellschaft stets genügend Mittel zur Verfolgung ihrer Ziele zur Verfügung stehen. Dies wiederum erfordert es, die finanzielle und wirtschaftliche Situation der Gesellschaft kontinuierlich zu überprüfen und durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass sich die Geschäftsführer die hierfür erforderliche Übersicht jederzeit verschaffen können193. Diese Pflicht zur kontinuierlichen wirtschaftlichen Selbstprüfung lässt sich in Krisensituationen schon aus § 15a Abs. 1 InsO, § 15b Abs. 1, Abs. 5 InsO (§ 64 Satz 1, Satz 3 a.F.) sowie § 5a Abs. 4, § 49 Abs. 3 ableiten194, folgt aber ganz generell aus Abs. 1, entsteht mithin nicht erst mit dem Auftreten erster Krisensymptome195. Bei Anzeichen einer Krise verdichtet sich aber die Beobachtungspflicht;

188 Zur AG Hölters in Hölters, § 93 AktG Rz. 51. 189 Zur AG Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 55; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 182. 190 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 58; Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 55. 191 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 59; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 133; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 119 f.; zur AG Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 55; Hopt/ Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 153. 192 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 62 ff.; zur AG Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 55; Hölters in Hölters, § 93 AktG Rz. 52; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 179 ff. 193 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, GmbHR 1995, 299, 300; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 14 (zu § 64 Abs. 2 bzw. § 64 Satz 1, 2 a.F., jetzt § 15b Abs. 1 InsO); Bork, ZIP 2011, 101, 102 ff.; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 17; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 62 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 134. 194 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 63; Bork, ZIP 2011, 101, 102. 195 Bork, ZIP 2011, 101, 102.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 68 § 43

die Geschäftsführer haben sich dann durch Aufstellung eines Vermögensstatus unverzüglich einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen196. Gerät das Unternehmen in die Krise, sind geeignete Sanierungsmaßnahmen zu prüfen und einzuleiten197. In § 1 des am 1.1.2021 in Kraft getretenen StaRUG198 wird diese Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement nunmehr ausdrücklich klargestellt199. In diesem Zusammenhang ist auch geregelt worden, dass die Geschäftsführer dem zuständigen Überwachungsorgan (Gesellschafterversammlung, ggf. Aufsichtsrat) über bestandsgefährdende Entwicklungen unverzüglich Bericht zu erstatten haben (§ 1 Abs. 1 Satz 2 StaRUG). Zu einer effizienten Unternehmensleitung gehört nicht zuletzt die Steuerung der unterneh- 67 mensinternen Informationsflüsse. Diese Informationsverantwortung bedingt insbesondere die Einrichtung eines der Größe des Unternehmens angemessenen funktionsfähigen Berichtswesens mit klar definierten Berichtslinien200. Ein sorgfaltsgemäßes Informationsmanagement wird zudem dafür Sorge tragen, dass die von der Rechtsprechung zur Wissenszurechnung entwickelten Grundsätze einer angemessenen Wissensorganisation201 eingehalten werden (Speicherung typischerweise aktenmäßig festgehaltenen Wissens, Informationsweiterleitung an die relevanten Stellen im Unternehmen, Informationsabfrage durch diese Stellen)202. Ausprägung der Informationsverantwortung ist ferner, dass die Geschäftsführer ihre Entscheidungen stets auf angemessener Informationsgrundlage zu treffen haben, was u.U. die Einholung von Expertenrat erfordern kann (s. noch Rz. 84 ff., 117 f.). Nicht zuletzt sind sensible Daten, namentlich Geschäftsgeheimnisse, durch angemessene Geheimnisschutzmaßnahmen zu sichern, zumal die Gesellschaft nur in diesem Fall durch das neue GeschGehG203 geschützt wird (vgl. § 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG)204. ccc) Konkretisierung durch anerkannte betriebswirtschaftliche Grundsätze. Bei der Kon- 68 kretisierung der Anforderungen, die sich aus der Sorgfaltspflicht i.e.S. nach Abs. 1 ergeben, können anerkannte betriebswirtschaftliche Grundsätze hilfreich sein. Unstreitig sind zwar betriebswirtschaftliche Regelwerke und Standards wie etwa die Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensführung (GoU) oder die Grundsätze ordnungsgemäßer Planung (GoP) nicht generell mit Rechtspflichten gleichzusetzen205. Sofern es sich allerdings, was jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, um Verhaltensregeln handelt, die in der Betriebswirtschaftslehre als gesichert gelten und sich in der Praxis bewährt haben, können sie durchaus im Rahmen des Abs. 1 Bedeutung erlangen206. Auch der BGH hat bereits entschieden, dass ein Verhalten, das gegen die in der betreffenden Branche „anerkannten Erkenntnisse und Erfahrungsgrundsät-

196 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, GmbHR 1995, 299, 300 (zu § 49 Abs. 3 und zur Insolvenzantragspflicht); BGH v. 19.6.2012 – II ZR 243/11, GmbHR 2012, 967 Rz. 11 (zu § 64 Abs. 2 bzw. § 64 Satz 1 a.F., jetzt § 15b Abs. 1 InsO); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 63; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 135. 197 Ausf. dazu Bork, ZIP 2011, 101, 106 ff.; Seibt, ZIP 2013, 1597, 1598 ff.; Veil, ZGR 2006, 374, 378 ff.; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 64; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 135. 198 Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen, eingeführt durch Art. 1 des SanInsFoG (Rz. 18) vom 22.12.2020, BGBl. I 2020, 3256. 199 Näher dazu Thole, ZIP 2020, 1985, 1986. 200 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 65. 201 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 36 ff. = AG 1996, 220; BGH v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, MDR 2001, 382, 383; dazu 12. Aufl., § 35 Rz. 124 ff. 202 Näher dazu Rodewald, GmbHR 2014, 639, 642 ff. 203 Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vom 18.4.2019, BGBl. I 2019, 466. 204 Fleischer in BeckOGK AktG, § 93 Rz. 121; Fleischer/Pendl, ZIP 2020, 1321, 1326 ff.; Höfer, GmbHR 2018, 1195, 1196: Pflicht zum „Geschäftsgeheimnis-Management.“ 205 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 55; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 142. 206 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 55; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 24.

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§ 43 Rz. 68 | Haftung der Geschäftsführer ze“ verstößt, pflichtwidrig ist207. Umgekehrt kann es die Geschäftsführer entlasten, wenn sie sich an anerkannte betriebswirtschaftliche Standards gehalten haben208. 69 ddd) Besonderheiten in Konzernobergesellschaften (Pflicht zur Konzernleitung/-kontrol-

le). Handelt es sich bei der GmbH um die Obergesellschaft eines Konzerns, erstreckt sich die Leitungsaufgabe der Geschäftsführer auch darauf, den Beteiligungsbesitz der Gesellschaft pfleglich zu verwalten. Das bedeutet zwar nicht, dass sie das Konzerngeschehen so weit wie möglich nach ihren Vorgaben zentral zu leiten hätten209. Vielmehr können sie nach ihrem unternehmerischen Ermessen auch eine dezentrale Konzernorganisation vorziehen, die den Tochtergesellschaften einen weiten eigenen Handlungsspielraum belässt, und zwar nach überwiegender und zutreffender Ansicht nicht nur im faktischen, sondern auch im Vertragskonzern210. Auch bei dezentraler Konzernorganisation müssen die Geschäftsleiter der Obergesellschaft aber die abhängigen Gesellschaften zumindest überwachen, um sich zu vergewissern, dass sich die Beteiligungen im Interesse der Obergesellschaft entwickeln, und bei Fehlentwicklungen rechtzeitig reagieren zu können211 (speziell zur konzernweiten Legalitätskontrolle/Compliance s. noch Rz. 168 ff.). Diese Pflicht besteht freilich immer nur im Verhältnis zu der Obergesellschaft selbst, nicht im Verhältnis zu den abhängigen Gesellschaften212. ee) Geschäftsleiterermessen und Business Judgment Rule 70 aaa) Grundlagen: Anwendbarkeit und Zweck der Business Judgment Rule. Ob eine be-

stimmte Geschäftsführungsmaßnahme dem Gewinnziel dient und damit der Sorgfaltspflicht i.e.S. genügt, ist aus der ex-ante-Sicht bei Vornahme der Maßnahme zu beurteilen, richtet sich also nach dem Erwartungswert in diesem Zeitpunkt213. Die Bewertung in diesem Zeitpunkt ist allerdings häufig von mehr oder weniger ungewissen Markteinschätzungen und Prognosen abhängig. Die aktienrechtliche Parallelvorschrift zu Abs. 1 trägt diesem Umstand seit dem UMAG214 dadurch Rechnung, dass in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ein haftungsfreier Beurteilungsspielraum der Geschäftsleiter für unternehmerische Entscheidungen vorgesehen ist. Danach liegt eine Pflichtverletzung nicht vor, wenn der Geschäftsleiter „bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage ange-

207 BGH v. 3.12.2001 – II ZR 308/99, ZIP 2002, 213, 214. 208 BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, AG 2013, 259 Rz. 35 (betriebswirtschaftliche und bankwirtschaftliche Regeln zur Steuerung des Zinsänderungsrisikos). 209 S. aus der vor allem im Aktienrecht geführten Diskussion etwa Fleischer in Spindler/Stilz, § 76 AktG Rz. 86 ff.; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 65 f.; Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, AG 2005, 57, 58; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 407 f. m.w.N.; a.A. Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 43 ff., 165 ff.; 424; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 134. 210 Fleischer in Spindler/Stilz, § 76 AktG Rz. 87; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 76 AktG Rz. 182; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 76 AktG Rz. 66; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 408; a.A. für den Vertragskonzern Bayer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 18 AktG Rz. 19; Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 83, 100. 211 OLG Jena v. 12.8.2009 – 7 U 244/07, GmbHR 2010, 483, 484; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 408; zur AG etwa Bachmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 65, 94 („Konzernkontrollpflicht“); Krieger in MünchHdb. GesR IV, § 70 Rz. 27; eingehend Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 88 ff., 100. 212 Ganz h.M., etwa Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 311 AktG Rz. 10; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 76 AktG Rz. 65; Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 96 ff.; a.A. Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 256 ff.; vgl. auch Sven H. Schneider/Uwe H. Schneider, AG 2005, 57, 61. 213 Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 35. 214 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts vom 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2802.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 72 § 43

messener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“, sog. Business Judgment Rule. Die Bezeichnung ist dem Umstand geschuldet, dass gewisse Parallelen zu der gleichnamigen Rechtsfigur in den Gesellschaftsrechten der US-amerikanischen Bundesstaaten bestehen215. Einen ähnlichen Beurteilungsspielraum wie den nunmehr in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierten hatte der BGH bereits zuvor in seiner ARAG/Garmenbeck-Entscheidung zu § 93 Abs. 1 AktG anerkannt216. Eine § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nachgebildete Vorschrift findet sich seit 2017 im Genossenschaftsrecht (§ 34 Abs. 1 Satz 2 GenG)217. Es entspricht mit Recht ganz überwiegender Ansicht, dass § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auch auf 71 die GmbH-Geschäftsführer entsprechend anwendbar ist218. Inzwischen lässt sich an eine Rechtsanalogie zu § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG und § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG anknüpfen. Der BGH stützt sich zwar in seiner bisherigen Rechtsprechung zur GmbH nicht explizit auf § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG und § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG, sondern auf die ARAG/Garmenbeck-Grundsätze, verwendet für diese aber eine mit jenen Bestimmungen wörtlich übereinstimmende Formulierung219. In der Sache liegt darin kein Unterschied zu einer entsprechenden Anwendung. Dass der Gesetzgeber das GmbHG bei der Kodifizierung der Business Judgment Rule bisher ausgespart hat, trägt nicht die Schlussfolgerung, dass sie hier nicht gelten soll. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber anlässlich der Kodifizierung im AktG und im GenG jeweils hervorgehoben, dass der Grundgedanke eines Geschäftsleiterermessens im Bereich unternehmerischer Entscheidungen sich auch ohne positivrechtliche Regelung in allen Formen unternehmerischer Betätigung finde220. In der Tat beansprucht die Business Judgment Rule nach ihrem Sinn und Zweck auch bei un- 72 ternehmerischen Entscheidungen der GmbH-Geschäftsführer Geltung. Das primäre Anliegen der Regelung besteht darin, den unternehmerischen Wagemut der Geschäftsleiter zu fördern oder – anders gewendet – einer übertriebenen Risikoaversion der Geschäftsleiter entge-

215 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. Zur US-amerikanischen Business Judgment Rule s. American Law Institute, Principles of Corporate Governance, 1994, § 4.01 (c); umfassend Block/ Barton/Radin, Business Judgment Rule, 6. Aufl. 2009; aus dem deutschen Schrifttum Merkt, USamerikanisches Gesellschaftsrecht, Rz. 922 ff.; Oltmanns, Geschäftsleiterhaftung und unternehmerisches Ermessen, 2001; v. Hein, Die Rezeption US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 914 ff.; Jena, Die Business Judgment Rule im Prozess, 2020, S. 88 ff. 216 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 = AG 1997, 377. 217 Eingeführt durch das Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften vom 17.7.2017, BGBl. I 2017, 2434. 218 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 9; Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT, 2014, S. 110; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71; Fleischer, NZG 2011, 521, 523 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 36; Kuntz, GmbHR 2008, 121, 123; Oetker in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 27; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 111, 146 f.; K. Schmidt in FS Haarmann, 2015, S. 193, 202; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 105; in der Sache übereinstimmend Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 137: „Ausstrahlung“ des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG auf das GmbH-Recht mit der Folge, dass die Sorgfaltspflichten des AG-Vorstandsmitglieds und des GmbH-Geschäftsführers insoweit „gleichlaufen“; für gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung Taube, Die Anwendung der Business Judgment Rule auf den GmbH-Geschäftsführer, 2018, S. 224 f. A.A. – gegen Übertragbarkeit der Business Judgment Rule auf die GmbH-Geschäftsführer – Jungmann in FS K. Schmidt, 2009, S. 831 ff., 850 f. (noch vor Einführung des § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG). 219 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 27: „nicht pflichtwidrig, wenn er vernünftigerweise annehmen durfte, … auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“ 220 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12; Begr. RegE Gesetz zur Erleichterung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften, BT-Drucks. 18/11506, S. 28.

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§ 43 Rz. 72 | Haftung der Geschäftsführer genzuwirken221. Deshalb ermöglicht sie es den Geschäftsleitern, bei Einhaltung bestimmter prozeduraler Anforderungen, die eine gewisse Mindestgewähr für die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung bieten sollen (angemessene Informationsgrundlage, keine Interessenkonflikte), in den Genuss eines weiten haftungsfreien Beurteilungsspielraums zu gelangen. Müssten die Geschäftsleiter gewärtigen, bei jeder kleineren Fehleinschätzung für eingetretene Schäden haften zu müssen, läge es nahe, dass sie sich im Zweifel für die jeweils risikoärmere Handlungsoption entscheiden, selbst wenn eine riskantere Handlungsoption vom Erwartungswert lukrativer ist222. Eine solche risikoaverse Geschäftsleitung ginge zu Lasten der Gewinnerzielung; es liegt daher im Interesse der Gesellschafter und im Übrigen auch im volkswirtschaftlichen Interesse, die Risikobereitschaft der Geschäftsleiter durch eine entsprechende Haftungserleichterung zu fördern. Zusätzlich lässt sich anführen, dass die Zweckmäßigkeit unternehmerischer Entscheidungen von vielfältigen schwer wägbaren Faktoren und ungewissen Annahmen abhängig ist und sich die konkrete Entscheidungssituation nachträglich im Gerichtssaal nur sehr schwer und unvollkommen rekonstruieren lässt. Die Gefahr, dass der Richter unter diesen Umständen einem Rückschaufehler unterliegt, weil er in Kenntnis des eingetretenen Schadens dazu neigt, die Erfolgschancen der gewählten Handlungsoption aus ex-ante-Sicht zu niedrig einzuschätzen (hindsight bias), wird durch die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums reduziert223. Einzuräumen ist zwar, dass Schwierigkeiten der Bewertung und die Gefahr von Rückschaufehlern auch in vielen anderen Bereichen bestehen224. Im hier interessierenden Kontext fallen sie aber besonders ins Gewicht, da sie die Anreize der Geschäftsleiter, sich im Zweifel risikoavers zu verhalten, noch verstärken225. 73 Diese für den Vorstand der AG entwickelten Überlegungen sind auf die GmbH-Geschäfts-

führer übertragbar. Dies gilt – wenngleich unter modifizierten Rahmenbedingungen – insbesondere auch für das Anliegen, die Risikobereitschaft der Geschäftsleiter zu fördern226. Richtig ist zwar die Beobachtung, dass die Frage, welches Maß an Risikobereitschaft der Geschäftsleiter dem mutmaßlichen Willen der Gesellschafter entspricht, nicht zuletzt davon abhängt, in welchem Ausmaß die Gesellschafter ihr Risiko diversifiziert haben, und dass bei (Klein-)Aktionären einer börsennotierten AG bei typisierender Betrachtung von einer grö-

221 So zur AG Fleischer in Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 60; Fleischer in FS Wiedemann, 2002, S. 827, 829 f. (einschr. aber zur GmbH Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 67 a.E.; dazu sogleich im Text); Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 63; J. Koch, ZGR 2006, 769, 782; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 9. 222 Man könnte zwar einwenden, dass dem Geschäftsführer eine Haftung auch dann droht, wenn er die lukrativere Handlungsoption ungenutzt lässt. Rein faktisch dürfte das Risiko der Inanspruchnahme des Geschäftsführers aber höher sein, wenn die Gesellschaft eine Vermögenseinbuße erleidet, als wenn ihr „nur“ ein noch höherer Gewinn entgeht. 223 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 67; Fleischer in FS Wiedemann, 2002, S. 827, 831 f.; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 63; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 9; J. Koch, ZGR 2006, 769, 782. 224 Kritisch zu dem Argument der Schwierigkeiten der ex-post-Kontrolle daher Kuntz, GmbHR 2008, 121, 122; Jungmann in FS K. Schmidt, 2009, S. 831, 836. 225 Zu diesem Zusammenhang Baur/Holle, AG 2017, 597, 604 (zur AG): „Die Neigung des Vorstands, Risiken zu meiden, wird größer, wenn er fürchten muss, dass ein Gericht im Nachinein nicht imstande ist, der historischen Entscheidungssituation hinreichend Rechnung zu tragen und sich bei seiner Beurteilung des Entscheidungsprozesses von eingetretenen Entscheidungsfolgen leiten lässt.“ 226 A.A. Jungmann in FS K. Schmidt, 2009, S. 831, 839 ff., 846 ff.; darauf erwidernd Taube, Die Anwendung der Business Judgment Rule auf den GmbH-Geschäftsführer, 2018, S. 199 ff.; vermittelnd Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 67; Fleischer, NZG 2011, 521, 523: Das Anliegen, risikoscheue Geschäftsleiter zur Eingehung unternehmerischer Risiken zu ermutigen, spiele in der GmbH eine geringere Rolle, da die Gesellschafter typischerweise einen Großteil ihres Vermögens in die Gesellschaft eingebracht haben.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 75 § 43

ßeren Risikodiversifikation ausgegangen werden kann als bei Gesellschaftern einer GmbH227. Selbst wenn man daher davon ausgeht, dass GmbH-Gesellschafter typischerweise risikoscheuer sind als (Klein-) Aktionäre von Publikumsgesellschaften, ändert dies aber nichts daran, dass grundsätzlich auch sie ein Interesse daran haben, dass die Geschäftsführer eine riskantere Geschäftsführungsmaßnahme einer risikoärmeren vorziehen, sofern diese einen höheren Erwartungswert hat. Sollte im konkreten Fall Anlass zu Zweifeln bestehen, ob die Gesellschafter anstelle der Maßnahme mit dem höheren Erwartungswert eine weniger riskante Alternative mit geringerem Erwartungswert präferieren (etwa weil im Misserfolgsfall der Verlust eines wesentlichen Teils des Gesellschaftsvermögens droht), ist nach § 49 Abs. 2 die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen (12. Aufl., § 49 Rz. 22). Die Vorlagepflicht nach § 49 Abs. 2 bildet mit anderen Worten das Instrument, das in Zweifelsfällen für eine Abstimmung mit den Risikopräferenzen der Gesellschafter sorgt228. Eine Zurückdrängung der Business Judgment Rule ist dafür weder erforderlich noch hilfreich. Dass in der tendenziell höheren Risikoaversion von Mitgliedern geschlossener Gesellschaften kein Grund für die Unanwendbarkeit der Business Judgment Rule liegt, entspricht ganz offensichtlich auch der Wertung des Gesetzgebers; nur so lässt sich erklären, dass er sie auch für die nicht börsennotierte AG und inzwischen auch die Genossenschaft vorgesehen hat229. Voraussetzungen und Wirkungsweise der analogen Anwendung der § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, 74 § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG sind im Folgenden im Einzelnen darzulegen. Vorauszuschicken ist, dass es Beurteilungsspielräume der Geschäftsleiter auch jenseits der Business Judgment Rule gibt, diese also nur eine Teilkodifikation unternehmerischer Entscheidungsspielräume enthält230. Beurteilungsspielräume, die von der Business Judgment Rule zu unterscheiden sind und anderen Regeln folgen, können bei rechtlich gebundenen (nicht unternehmerischen) Entscheidungen bestehen (Rz. 80). Sie bestehen darüber hinaus in eingeschränkter Form auch bei unternehmerischen Entscheidungen, die (z.B. wegen eines Interessenkonflikts) nicht die prozeduralen Anforderungen der Business Judgment Rule erfüllen (str., Rz. 105). bbb) Tatbestandsvoraussetzungen der Business Judgment Rule. Analog den zu § 93 Abs. 1 75 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG anerkannten Grundsätzen müssen vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit die getroffene Entscheidung durch die Business Judgment Rule gedeckt ist. (1) Es muss eine unternehmerische Entscheidung vorliegen (Rz. 76 ff.). (2) Der Geschäftsführer durfte annehmen, auf Grundlage angemessener Information zu handeln (Rz. 84 ff.). (3) Er hat frei von Interessenkonflikten gehandelt, die geeignet sind, seine Entscheidung zu beeinflussen (Rz. 91 ff.). (4) Er durfte vernünftigerweise annehmen, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln (Rz. 100 ff.). Als fünfte Voraussetzung wird häufig noch die Gutgläubigkeit des Geschäftsleiters angeführt; dieser müsse selbst daran glauben, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln231. Nach hier vertretener Ansicht ist dieses Kriterium bereits in der vierten Voraussetzung enthalten232. Wer selbst nicht an die Vereinbarkeit seiner Entscheidung mit dem

227 Eingehend Jungmann in FS K. Schmidt, 2009, S. 831, 839 ff.; ferner Fleischer, NZG 2011, 521, 523. 228 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 74 f.; Fleischer, NZG 2011, 521, 526; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 146. 229 Vgl. Kuntz, GmbHR 2008, 121, 123; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 147 a.E. (jeweils zur nicht-börsennotierten AG). 230 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 83a; Holle, AG 2011, 778, 785; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 118; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 11; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 124 f.; der Sache nach auch schon Habersack in Karlsruher Forum 2009, S. 5, 17 f. 231 S. etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 89; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 115; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 112; vgl. auch Begr. RegE UMAG, BTDrucks. 15/5092, S. 11 li. Sp. 232 Im Ergebnis übereinstimmend – keine eigenständige Bedeutung – Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 145.

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§ 43 Rz. 75 | Haftung der Geschäftsführer Gesellschaftswohl glaubt, darf dies auch nicht annehmen. Ein Unterschied in der Sache liegt darin jedoch nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche dieser Voraussetzungen liegt beim Geschäftsführer (Rz. 333). 76 (1) Unternehmerische Entscheidung. Grundvoraussetzung für die (entsprechende) Anwen-

dung der § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG ist das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung. 77 (a) Bewusste Entscheidung. Eine unternehmerische Entscheidung setzt zunächst voraus,

dass überhaupt eine bewusste Entscheidung eines Geschäftsleiters vorliegt233, also eine bewusste Auswahl zwischen mindestens zwei Handlungsoptionen234. Ob die Entscheidung auf ein aktives Tun oder Unterlassen gerichtet ist, ist unerheblich. Unbewusste Untätigkeit, etwa das unbewusste Verstreichenlassen einer Geschäftschance oder einer Verjährungsfrist, wird dagegen nicht erfasst235. 78 (b) Keine rechtlich gebundene Entscheidung. Die wesentliche Bedeutung des Merkmals

der unternehmerischen Entscheidung liegt darin, rechtlich gebundene Entscheidungen aus dem Tatbestand der Business Judgment Rule auszuscheiden. Dass rechtlich gebundene Entscheidungen nicht erfasst werden, wird in der Regierungsbegründung zum UMAG eigens hervorgehoben und ist im Ausgangspunkt unstreitig236. 79 Nicht einheitlich beurteilt wird allerdings, wie weit der Kreis der in diesem Sinne rechtlich

gebundenen Entscheidungen zu ziehen ist. Aus der UMAG-Begründung ergibt sich nur, dass zu den rechtlich gebundenen Entscheidungen (zumindest) die „Beachtung gesetzlicher, satzungsmäßiger oder anstellungsvertraglicher Pflichten ohne tatbestandlichen Beurteilungsspielraum“ zählt237. Hier gibt es zweifelsfrei nur eine pflichtgemäße Entscheidung, nämlich die Erfüllung der jeweiligen rechtlichen Vorgabe; für ein unternehmerisches Ermessen ist schon im Ansatz kein Raum. In Bezug auf gesetzliche Pflichten ist dabei zu beachten, dass es nicht nur um solche Pflichten geht, die das Gesetz dem Geschäftsführer unmittelbar im Innenverhältnis zur GmbH auferlegt (z.B. die Pflichten nach §§ 40 ff. zur Führung der Gesellschafterliste, zur Buchführung und zur Vorlage des Jahresabschlusses oder die Pflicht nach § 37 Abs. 1 zur Beachtung der Vorgaben der Satzung und von Gesellschafterweisungen). Vielmehr ist der Geschäftsführer in Wahrnehmung seiner Legalitätspflicht grundsätzlich auch verpflichtet, für die Einhaltung derjenigen gesetzlichen Pflichten zu sorgen, welche die Gesellschaft im Außenverhältnis treffen (Rz. 106 ff.). Soweit diese Bindung reicht, kommt daher auch hier keine unternehmerische Entscheidung in Betracht. Die Legalitätspflicht erstreckt sich allerdings nicht auf die Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen der GmbH; deshalb ist die Entscheidung, ob es im Einzelfall wirtschaftlich günstiger ist, einen Vertrag nicht zu erfüllen, durchaus eine unternehmerische (Rz. 114).

233 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 li. Sp.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 11; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 35; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 80. 234 S.H. Schneider, DB 2005, 707, 709; Ott, ZGR 2017, 149, 151 f. 235 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 87; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 51. 236 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 li. Sp. („Die unternehmerische Entscheidung steht im Gegensatz zur rechtlich gebundenen Entscheidung.“); aus dem Schrifttum statt vieler Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 107. 237 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 li. Sp.; aus dem Schrifttum statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 81; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 17; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 114 m.w.N.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 82 § 43

Streitig ist dagegen, wie es sich bei gesetzlichen Pflichtaufgaben verhält, die den Geschäfts- 80 leitern lediglich einen verbindlichen Rahmen vorgeben, ihnen aber bei der Frage, wie sie die Pflichtaufgabe erfüllen, einen gewissen Beurteilungsspielraum belassen. So erkennt der BGH z.B. im Rahmen der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) an, dass den Geschäftsleitern hinsichtlich der für die Überschuldungsprüfung maßgeblichen Fortführungsprognose (§ 19 Abs. 2 Satz 1 letzter Hs. InsO) ein „gewisser Beurteilungsspielraum“ zusteht238. Nach zutreffender Ansicht handelt es sich auch bei derartigen Entscheidungen mit Beurteilungsspielraum nicht um unternehmerische, sondern um rechtlich gebundene Entscheidungen, so dass die Business Judgment Rule nicht zur Anwendung kommt239. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass diese Entscheidungen anders, als dies bei Fragen der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit der Fall ist, nicht allein am Gesellschaftswohl auszurichten sind, sondern in erster Linie an der Erreichung der jeweiligen gesetzlichen Zielvorgabe und damit am Schutz der öffentlichen Interessen, denen die betreffende Vorgabe dient. Der Grundgedanke der Business Judgment Rule, die Risikobereitschaft der Geschäftsleiter im Interesse der Gesellschaft zu fördern und ihre unternehmerische Initiative nicht zu lähmen, trägt daher im Bereich der gesetzlichen Pflichtaufgaben nicht. Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Geschäftsführer in dem genannten Beispiel der Insolvenzantragspflicht ihre Organpflicht verletzen, wenn ihre Fortführungsprognose nicht wenigstens vertretbar war240; auf den großzügigeren Maßstab der Business Judgment Rule (nicht evident unvertretbar, Rz. 101) können sie sich nicht berufen. Umstritten ist die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule ferner in Fällen, in denen eine 81 Rechtsnorm den Geschäftsleitern zwar keinen Beurteilungsspielraum gewährt, aber ihre Auslegung unklar ist und daher aus ex-ante-Sicht ungewiss ist, ob die Entscheidung rechtmäßig ist. Nach überwiegender und zutreffender Ansicht sind auch diese unter rechtlicher Unsicherheit getroffenen Entscheidungen nicht als unternehmerische einzustufen und ihnen auch nicht gleichzustellen. Eine Anwendung der Business Judgment Rule auf solche Fälle („Legal Judgment Rule“) kommt daher nicht in Betracht (näher Rz. 290 ff.). (c) Entscheidung unter Unsicherheit. Nicht abschließend geklärt ist, ob neben einer be- 82 wussten, nicht rechtlich gebundenen Entscheidung noch ein weiteres Merkmal hinzukommen muss, um die Entscheidung als unternehmerische Entscheidung zu qualifizieren. Nach der Regierungsbegründung zum UMAG sind unternehmerische Entscheidungen „infolge ihrer Zukunftsbezogenheit durch Prognosen und nicht justiziable Einschätzungen geprägt“241. Im Anschluss daran wird im Schrifttum verbreitet der zukunftsgerichtete, prognostische

238 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 199 = GmbHR 1994, 539. Zur Einordnung als unternehmerische Entscheidung i.S.d. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG einerseits (befürwortend) Brömmelmeyer, WM 2005, 2065, 2066; Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 69; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, Anh. § 92 AktG Rz. 12 a.E.; auch Goette, DStR 2016, 1752, 1754 f., der der Frage aber keine praktische Bedeutung beimisst; andererseits (ablehnend) G. Fischer, NZI 2016, 665, 667 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 83a; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 92 AktG Rz. 76; ferner die Nachw. in nachfolgender Fn. 239 Eingehend – im Anschluss an Habersack in Karlsruher Forum 2009, S. 5, 17 f., 30 – insbes. Holle, AG 2011, 778, 780 ff.; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 62 ff.; ferner Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 11; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 121 ff.; Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 142 ff.; grds. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 83a (offen aber Rz. 83 für Organisations-, Planungs- und Überwachungsaufgaben; dazu unten Rz. 148 zu § 130 OWiG); a.A. aus neuerer Zeit namentlich Ott, ZGR 2017, 149, 159 ff.; gänzlich abw. Torggler in Kalss/Torggler, Compliance, 2016, S. 97, 123 ff., der generell nur den bewussten Rechtsbruch nicht als unternehmerische Entscheidung qualifizieren will. 240 G. Fischer, NZI 2016, 665, 667 f. 241 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11 li. Sp.

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§ 43 Rz. 82 | Haftung der Geschäftsführer Charakter als notwendige Voraussetzung einer unternehmerischen Entscheidung angesehen242. Andere verlangen, dass es sich um eine Entscheidung unter Unsicherheit handeln muss243, wobei dieser Begriff allerdings teilweise nur als Synonym für eine Entscheidung mit Prognosecharakter verstanden wird244. Wieder andere vertreten die Ansicht, dass weder das eine noch das andere erforderlich sei, sondern jede rechtlich nicht gebundene, also allein nach wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit zu treffende Entscheidung eine unternehmerische sei245. 83 Nach hier vertretener Ansicht sind unternehmerische Entscheidungen durch ein Handeln

unter Unsicherheit in dem Sinne gekennzeichnet, dass im Zeitpunkt der Entscheidung aus der Sicht des Entscheidenden nicht sicher feststeht, welche von verschiedenen rechtlich zulässigen Handlungsoptionen dem Gesellschaftsinteresse am besten dient. Diese Unsicherheit wird sich in vielen Fällen aus der Ungewissheit künftiger Entwicklungen ergeben; sie kann aber auch darin bestehen, dass gegenwärtige Umstände dem Entscheidenden nicht oder nicht hinreichend bekannt sind. Nach der ratio legis der Business Judgment Rule (Rz. 72) müssen diese beiden Fallgruppen der Unsicherheit gleichermaßen erfasst sein. Wenn dagegen nach dem Kenntnisstand des Entscheidenden von vornherein sicher feststeht, welche Maßnahme dem Gesellschaftsinteresse besser entspricht, bedarf es keiner Zuerkennung eines unternehmerischen Beurteilungsspielraums, weshalb man in diesem Fall schon das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung verneinen sollte. Selbst wenn man das anders sehen wollte, würde es spätestens an der weiteren Voraussetzung des Handelns zum Wohle der Gesellschaft (Rz. 100) fehlen, wenn eine Handlungsoption gewählt wird, von der der Entscheider genau weiß, dass sie dem Gesellschaftsinteresse weniger entspricht als eine andere. 84 (2) Vernünftige Annahme einer angemessenen Informationsgrundlage. Die Berufung auf

§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG analog setzt ferner voraus, dass der Geschäftsführer vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zu handeln. In den Materialien heißt es dazu, dass das Gesetz zwar den Mut zum unternehmerischen Risiko fördern, aber Unbesonnenheit und Leichtsinn auf Kosten der Gesellschaft keinen Vorschub leisten will246. 85 (a) Angemessene Informationsgrundlage. Nach der Rechtsprechung des BGH muss der Ge-

schäftsführer „in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art ausschöpfen, auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abschätzen und den erkennbaren Risiken Rechnung tragen.“247 Im Schrifttum hat diese Formulierung vielfache Kritik auf sich gezogen, da das Gesetz nur „angemessene“ Information verlangt, nicht die Ausschöpfung „aller“ verfügbaren Informationsquellen248. Mag die genannte Formulierung auch missverständlich sein, so ist doch zu bezweifeln, dass hier wirklich ein Dissens in der Sache be-

242 Hölters in Hölters, § 93 AktG Rz. 30; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 11; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 36; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 108. 243 Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 18, mit der Präzisierung, dass ein zukunftsgerichteter Charakter der Entscheidung nicht erforderlich sei. 244 Vgl. Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 37. 245 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 84; Langenbucher, DStR 2005, 2083, 2086; Pfertner, Unternehmerische Entscheidungen des Vorstands, 2017, S. 99 ff., 141 f. 246 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12. 247 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 30; BGH v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 Rz. 11; daran anknüpfend aus der strafrechtlichen Rechtsprechung BGH v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, AG 2017, 72 Rz. 34. 248 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 37; Fleischer, NJW 2009, 2337, 2339; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 105; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 39; Kocher, CCZ 2009, 215, 220 f.; Redeke, NZG 2009, 496; Redeke, ZIP 2011, 59, 60.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 88 § 43

steht249. Der BGH verlangt nämlich nur die Ausschöpfung sämtlicher in der konkreten Entscheidungssituation verfügbaren Informationsquellen. Ein strafrechtliches Urteil des BGH hat dies überzeugend dahin präzisiert, dass es notwendig, aber auch ausreichend ist, wenn sich der Geschäftsleiter eine in der konkreten Situation unter Berücksichtigung der Bedeutung und Eilbedürftigkeit der Entscheidung und unter Abwägung von Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung „angemessene“ Tatsachenbasis verschafft250. Damit sind genau die Parameter benannt, die auch im Schrifttum als für die Angemessenheit der Informationsgrundlage maßgeblich angesehen werden251. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, sind ferner anerkannte betriebswirtschaftliche Verhaltensmaßstäbe zu berücksichtigen252. Zur angemessenen Informationsbeschaffung kann es auch gehören, externen Rat einzuho- 86 len, sofern die Gesellschaft selbst nicht über die erforderlichen Kenntnisse verfügt253. Die Gesetzesmaterialien betonen, dass über die Einholung externer Gutachten nach den betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten und den eigenen Möglichkeiten der Gesellschaft zu entscheiden ist. Formale Absicherungsstrategien wie das routinemäßige Einholen von Sachverständigengutachten, Beratervoten oder externen Marktanalysen will das Gesetz nicht befördern254. Da die Angemessenheit der Informationsgrundlage stets von der konkreten Entscheidungs- 87 situation abhängt, lässt sich das erforderliche Informationsniveau nicht verallgemeinern; entscheidend sind immer die Umstände des Einzelfalls. Grundsätzlich muss die Informationsgrundlage umso breiter und gefestigter sein, je wichtiger die Entscheidung für den Bestand und Erfolg des Unternehmens ist255. Dementsprechend wird z.B. bei einem wirtschaftlich bedeutsamen Unternehmenskauf regelmäßig eine umfängliche Due Diligence-Prüfung der Zielgesellschaft geboten sein256. (b) Vernünftiges Annehmen-Dürfen. Nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG 88 kommt es nicht darauf an, ob objektiv eine angemessene Informationsgrundlage vorliegt257, sondern darauf, dass der Geschäftsleiter dies „vernünftigerweise annehmen durfte“. Das Gesetz will damit zum Ausdruck bringen, dass dem Geschäftsleiter in der Frage, welche Informationsgrundlage angemessen ist, „in den Grenzen seiner Sorgfaltspflicht ein erheblicher Spielraum eingeräumt ist, den Informationsbedarf abzuwägen.“258 Das Gericht darf daher nicht seine eigene Einschätzung, welche Informationsgrundlage es für angemessen hält, an

249 Wie hier Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 20; Henze/Born/Drescher, Aktienrecht – Höchstrichterliche Rechtsprechung, 6. Aufl. 2015, Rz. 658 f. 250 BGH v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, AG 2017, 72 Rz. 34. 251 Exemplarisch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 37; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 126; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 110; zu den Faktoren Bedeutung („Gewicht und Art“) und Eilbedürftigkeit („zeitlicher Vorlauf“) auch Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12. 252 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12. 253 Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 140; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 126. Zu den Voraussetzungen, unter denen sich der Geschäftsführer auf den eingeholten Expertenrat verlassen kann, s. noch Rz. 280 ff. 254 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12. 255 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 84; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 110.1. 256 Näher Bauer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 195, 201 ff.; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 212; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 144; aus der Rechtsprechung OLG Oldenburg v. 22.6.2006 – 1 U 34/03, GmbHR 2006, 1263, 1265. 257 So allerdings Goette, ZGR 2008, 436, 448 mit Fn. 46, der den Gesetzeswortlaut als missglückt ansieht. 258 Vgl. Begr. RegE, UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12.

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§ 43 Rz. 88 | Haftung der Geschäftsführer die Stelle derjenigen der Geschäftsleiter setzen. Umstritten und höchstrichterlich bisher nicht entschieden ist allerdings, wie großzügig der Einschätzungsspielraum der Geschäftsleiter zu bemessen ist. Zum Teil wird angenommen, dass der Spielraum genauso weit sei wie hinsichtlich des Inhalts der unternehmerischen Entscheidung. Ebenso wie dort (Rz. 101) sollen den Geschäftsleitern nur evidente, völlig unvertretbare Fehleinschätzungen zur Last fallen („informationelle Business Judgment Rule“)259. Die überwiegende Ansicht spricht sich hingegen für eine engmaschigere Plausibilitätskontrolle aus, die den Geschäftsleitern zwar in Übereinstimmung mit den Materialien einen gewissen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Informationsbeschaffung belässt, die Grenze aber nicht erst bei einer evident unzureichenden Informationsgrundlage erreicht sieht260. Die Einschätzung des Geschäftsführers, die Informationsgrundlage sei angemessen, muss demnach nachvollziehbar und vertretbar sein; dass sie nicht völlig unvertretbar ist, genügt nicht. 89 Beizutreten ist der zuletzt genannten Ansicht. Richtig ist zwar, dass das Gesetz die einschrän-

kende Formulierung („vernünftigerweise annehmen durfte“) für die Angemessenheit der Informationsgrundlage in gleicher Weise verwendet wie für die Vereinbarkeit der Entscheidung mit dem Gesellschaftswohl261. Zudem wird in den Gesetzesmaterialien lediglich die Erwartung formuliert, der Geschäftsleiter müsse „ohne groben Pflichtverstoß“ entscheiden, welche Intensität der Informationsbeschaffung angemessen ist262. Dass der Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Informationsgrundlage genauso großzügig zu bemessen sei wie derjenige bei der inhaltlichen Beurteilung, wird jedoch nicht gesagt. Entscheidend muss vielmehr die teleologische Auslegung ins Gewicht fallen. Sie spricht in Übereinstimmung mit der h.M. dafür, die Informationsgrundlage engmaschiger zu kontrollieren als den Entscheidungsinhalt. Erstens lässt sich der die Business Judgment Rule tragende Gedanke, im Interesse der Gesellschafter den unternehmerischen Wagemut der Geschäftsleiter zu fördern (Rz. 72), auf die Informationsbeschaffung nicht in gleicher Weise übertragen263. Zweitens sind die Gerichte zu einer Plausibilitätskontrolle der Informationsgrundlage typischerweise eher in der Lage als bei einer originär unternehmerischen Entscheidung; die Gefahr eines Rückschaufehlers ist geringer264. Und drittens bezieht die weitgehende Einschränkung der Inhaltskontrolle durch die Business Judgment Rule (und zuvor die ARAG/Garmenbeck-Grundsätze) ihre inhaltliche Legitimation und Überzeugungskraft nicht zuletzt daraus, dass wenigstens das Entscheidungsverfahren eine gewisse Mindestgewähr für die Richtigkeit der Entscheidung bietet.

259 Bachmann in FS Stilz, 2014, S. 25, 41 ff.; Bachmann, WM 2015, 105, 109 f. (nur evidente, d.h. grob fahrlässige Fehler der Informationseinholung); Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 102 f. (Grenze erst bei einem „völlig unvertretbaren“ Entscheidungsverfahren); Pfertner, Unternehmerische Entscheidungen des Vorstands, 2017, S. 84 ff., 89; ähnlich Freitag/ Korch, ZIP 2011, 2281, 2282 ff. (weiter Ermessensspielraum, Grenze der Unvertretbarkeit „in der Nähe zur groben Fahrlässigkeit“ anzusiedeln). 260 Eingehend Baur/Holle, AG 2017, 597, 598 ff.; Redeke, ZIP 2011, 59, 60 ff.; ferner Cahn, Der Konzern 2015, 105, 109 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85a; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 21; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 17; Lieder, ZGR 2018, 523, 556. S. auch OLG Frankfurt a.M. v. 15.6.2011 – 21 W 18/11, AG 2011, 755, 756 f.: Während das OLG für den Inhalt der unternehmerischen Entscheidung einen „weiten Handlungsspielraum“ gewährt und als genügend ansieht, dass sie nicht „schlechterdings unvertretbar“ ist, verlangt es in Hinblick auf die Informationsgrundlage, dass die Einschätzung der Angemessenheit „vertretbar und nachvollziehbar“ sein muss. 261 Bachmann in FS Stilz, 2014, S. 25, 41 f.; Bachmann, WM 2015, 105, 110; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 102. 262 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12. 263 Näher Baur/Holle, AG 2017, 597, 602 f.; auch Redeke, ZIP 2011, 59, 62. 264 Baur/Holle, AG 2017, 597, 604; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 21; Redeke, ZIP 2011, 59, 61 f.; vgl. auch schon Fleischer in FS Wiedemann, 2002, S. 827, 840.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 91 § 43

Eine laxe Kontrolle der Informationsgrundlage ließe befürchten, dass die Qualität der getroffenen Entscheidungen erheblich beeinträchtigt würde265. (c) Ressortabhängige Beurteilung. Wird eine unternehmerische Entscheidung nicht von ei- 90 nem Geschäftsführer allein, sondern von mehreren Geschäftsführern gemeinsam getroffen, sind die Voraussetzungen der Business Judgment Rule für jeden Geschäftsführer gesondert zu prüfen (s. auch Rz. 95 ff. zu den Auswirkungen von Interessenkonflikten). Dies gilt auch für die Frage, ob sie von einer angemessenen Informationsgrundlage ausgehen durften. Dabei ist zu beachten, dass die Anforderungen je nach Ressortzuständigkeit variieren können266. Ist etwa einer der Geschäftsführer mit der Entscheidungsvorbereitung betraut worden, trifft ihn die volle Verantwortung, für eine angemessene Informationsgrundlage zu sorgen267. Die übrigen Geschäftsführer müssen zwar, sofern sie an der Entscheidung mitwirken, ebenfalls sicherstellen, dass sie hinreichend informiert entscheiden. Daher müssen sie kritisch hinterfragen, ob die Informationen, die der ressortzuständige Geschäftsführer beschafft hat, eine angemessene Grundlage für ihre Entscheidung bilden. Ihnen kann aber nicht abverlangt werden, die Vollständigkeit und Richtigkeit der Informationsgrundlage vollumfänglich zu überprüfen und damit die Rolle eines Zweitberichterstatters zu übernehmen268. Stattdessen können sie den tatsächlichen Angaben des ressortzuständigen Geschäftsführers grundsätzlich Glauben schenken, sofern diese plausibel sind und keine besonderen Verdachtsmomente bestehen269. (3) Kein Interessenkonflikt. Ein Geschäftsführer kann sich jedenfalls im Grundsatz270 nur 91 dann auf die Business Judgment Rule berufen, wenn er frei von Interessenkonflikten gehandelt hat. Diese Voraussetzung wird zwar in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG nicht explizit genannt, aber nur deshalb, weil der Gesetzgeber davon ausging, dass sie sich implizit aus dem Gesetz ergebe. In der Regel dürfe nur annehmen, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln, wer sich bei seiner Entscheidung frei von sachfremden Einflüssen und Sonderinteressen wisse271. Diese Regelungstechnik des Gesetzes ist zwar wenig transparent; im Ergebnis besteht aber weitestgehend Einigkeit, dass das Fehlen von Interessenkonflikten als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung zu akzeptieren ist272. In der Sache leuchtet dieses Kriterium auch unmittelbar ein. Interessenkonflikte entziehen der Vermutung, dass der Geschäftsleiter allein das Beste für die Gesellschaft im Auge hat, die Grundlage273 und geben daher Anlass zu einer engmaschigeren Überprüfung des Inhalts seiner Entscheidung am Maßstab des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 1 GenG bzw. § 43 Abs. 1 GmbHG (Rz. 103 ff.).

265 Lieder, ZGR 2018, 523, 556 („materielle Richtigkeitsgewähr erodiert“); ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85a, 85b; Redeke, ZIP 2011, 59, 62 f. (sachgerechte Entscheidungsvorbereitung als Mittel gegen Überoptimismus der Geschäftsleiter). 266 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12: „Das individuell angemessene Informationsniveau beurteilt sich bei jedem einzelnen Vorstandsmitglied … ressortabhängig.“ 267 Näher Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 722 f. 268 Emde in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 295, 319 f. (kein „Zweitsachbearbeiter“); vgl. auch Bachmann, NJW-Beil. 2014, 43, 44; Harbarth, ZGR 2017, 211, 222. 269 Ausf. Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 723 f.; vgl. auch noch Rz. 133. 270 Zu einer möglichen Ausnahme s. Rz. 99. 271 Begr. RegE UMAG. BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 272 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 90; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 25; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 112; eingehend J. Koch, ZGR 2014, 697, 701 ff.; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 202 ff.; kritisch Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 19. 273 Statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86; J. Koch in FS Säcker, 2011, S. 403, 407.

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§ 43 Rz. 92 | Haftung der Geschäftsführer 92 (a) Beurteilungsmaßstab. Wann ein die Business Judgment Rule ausschließender Interes-

senkonflikt anzunehmen ist, präzisieren die Gesetzesmaterialien nicht. Auch hat sich noch keine höchstrichterlich anerkannte Definition herausgebildet. Im Anschluss an Lutter lässt sich ein Interessenkonflikt umschreiben „als diejenige Situation weiterer und einander objektiv entgegenstehender Interessen in der Person eines Organmitglieds einschließlich der ihm nahestehenden Personen und Unternehmen, von denen man bei objektiver Betrachtung nicht sicher sein kann, dass das betreffende Organmitglied dennoch und unbedingt allein die Interessen seiner Gesellschaft verfolgen wird.“274 Von den Tatsachen, die den Interessenkonflikt begründen, muss der Geschäftsführer Kenntnis haben275. Wer nämlich nicht um das konfligierende Interesse weiß276, kann sich davon auch nicht leiten lassen, so dass die prozeduralen Voraussetzungen für eine fehlerfreie Entscheidung nicht beeinträchtigt sind. Allerdings trifft den Geschäftsführer die Beweislast für die Voraussetzungen der Business Judgment Rule (Rz. 333) und folglich auch dafür, dass er die den Interessenkonflikt begründenden Tatsachen nicht kannte277. 93 Der Interessenkonflikt muss von solchem Gewicht sein, dass sich daraus für einen verständi-

gen neutralen Betrachter Zweifel ergeben, ob der Geschäftsleiter mit der Entscheidung allein das Gesellschaftsinteresse verfolgt. Der Konflikt muss mit anderen Worten so erheblich sein, dass er geeignet erscheint, sich auf die Entscheidung auszuwirken278. Bringt die Entscheidung dem Geschäftsleiter oder einer ihm nahestehenden Person lediglich einen Vorteil mit Bagatellcharakter, bleibt die Business Judgment Rule mithin anwendbar. Die Abgrenzung ist fließend und unscharf; in der Rechtsprechung hat sich noch keine Orientierung gebende Kasuistik entwickelt. Einigkeit besteht aber, dass es auf eine objektive Betrachtung aus Sicht eines neutralen Dritten ankommt, mithin nicht darauf, ob der Geschäftsleiter selbst meint, der Konflikt sei erheblich oder er sei in der Lage, den Konflikt auszublenden279. Anerkannt ist ferner, dass sich ein erheblicher Interessenkonflikt nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus ideellen Sonderinteressen des Geschäftsleiters oder einer nahestehenden Person ergeben kann. Allerdings wird hier besonders sorgfältig zu prüfen sein, ob der Konflikt von solcher Intensität ist, dass er geeignet erscheint, die Entscheidung zu beeinflussen280. 274 Lutter in FS Priester, 2007, S. 417, 423; daran anknüpfend auch J. Koch, ZGR 2014, 697, 703 f. 275 Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 25; J. Koch, ZGR 2014, 697, 704; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 27; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 45 f., 206; strenger Harbarth in FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 329 f.: Kenntnis oder Kennenmüssen. A.A. – allein entscheidend, ob Konflikt objektiv vorliegt – Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 93; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 74; ferner Bunz, Der Schutz unternehmerischer Entscheidungen durch das Geschäftsleiterermessen, 2011, S. 128 f. wegen angeblich unüberwindbarer Beweisschwierigkeiten; dabei wird jedoch die Beweislast des Geschäftsführers (dazu sogleich im Text) verkannt. 276 Beispiel nach J. Koch, ZGR 2014, 697, 704: Der Organwalter erteilt einen Auftrag an ein Unternehmen, ohne zu wissen, dass ein naher Verwandter daran eine wesentliche Beteiligung hält. 277 Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 25; J. Koch, ZGR 2014, 697, 704; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 27; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 206. 278 Für eine Relevanzschwelle mit unterschiedlichen Formulierungen auch Harbarth in FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 333 f.; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 93; Hüffer/ Koch, § 93 AktG Rz. 25; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 49 ff.; zu vergleichbaren Einschränkungen im Rahmen der US-amerikanischen Business Judgment Rule Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 215 f. 279 Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 25; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 45 i.V.m. S. 206. 280 Harbarth in FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 334 f.; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 215 f.; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 47.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 96 § 43

Der Interessenkonflikt kann sich nicht nur daraus ergeben, dass eigene Interessen des Ge- 94 schäftsleiters tangiert sind, sondern auch aus der Berührung von Interessen ihm nahestehender Personen oder Gesellschaften281. Zu denken ist insbesondere an Interessen von Eheoder Lebenspartnern, engen Verwandten sowie Gesellschaften, an denen der Geschäftsleiter oder eine ihm nahestehende Person nicht nur unerheblich beteiligt ist oder für die er oder sie in leitender Funktion tätig ist282. Nach Lage des Einzelfalls können aber auch andere Nähebeziehungen, z.B. enge freundschaftliche Verbindungen, aus der Sicht eines neutralen Betrachters die Besorgnis fehlender Unvoreingenommenheit begründen283. (b) Auswirkungen von Interessenkonflikten auf Kollegialentscheidungen. Befindet sich 95 bei einer Kollegialentscheidung, die mehrere Geschäftsführer gemeinsam treffen, einer der Geschäftsführer in einem relevanten Interessenkonflikt, stellt sich die vieldiskutierte Frage, ob dadurch auch die übrigen „infiziert“ werden und ihnen infolgedessen die Berufung auf die Business Judgment Rule versperrt ist. Die Frage stellt sich sowohl in Fällen, in denen der befangene Geschäftsführer seinen Interessenkonflikt (pflichtwidrig) verschwiegen hat, als auch in Fällen, in denen er den Konflikt offengelegt und anschließend dennoch an der Beratung und/oder Abstimmung teilgenommen hat. In beiden Fallgruppen ist die Frage noch nicht durch die Rechtsprechung entschieden und im Schrifttum umstritten. Was die Fallgruppe des verschwiegenen Interessenkonflikts betrifft, so ist zunächst zu be- 96 achten, dass der Geschäftsführer aufgrund seiner organschaftlichen Treuepflicht anerkanntermaßen verpflichtet ist, den Interessenkonflikt offenzulegen (Rz. 183). Unterbleibt die Offenlegung gleichwohl und ist der Konflikt den übrigen Geschäftsführern auch nicht anderweitig bekannt, besteht Anlass zu der Befürchtung, dass diese den Argumenten des befangenen Geschäftsführers nicht mit der gebotenen kritischen Distanz begegnen, da sie nicht erkennen, dass dessen Verhalten möglicherweise von einem Sonderinteresse geleitet ist. Daher lässt sich nicht ausschließen, dass auch die Entscheidung der übrigen Geschäftsführer durch den Interessenkonflikt mitbeeinflusst wird. Aus diesem Grund meinen Teile des Schrifttums, dass auch diese Geschäftsführer sich nicht mehr auf die Business Judgment Rule berufen können284. Dieser Infektionsthese ist jedoch mit der vordringenden und heute mit Recht überwiegenden Gegenansicht zu widersprechen285. Wollte man ihr folgen, könnten die unbefangenen Organmitglieder bei Kollegialentscheidungen praktisch nie darauf vertrauen, in den Genuss der Business Judgment Rule zu kommen, sondern müssten stets damit rechnen, völlig unverschuldet durch das pflichtwidrige Verschweigen des Interessenkonflikts eines Kollegen in eine Situation zu geraten, in der die Regel nicht gilt. Damit würde das zentrale Anliegen der Vorschrift, den Organmitgliedern bei Einhaltung bestimmter prozeduraler Regeln einen sicheren Hafen zu bieten und auf diese Weise die aus unternehmerischer und

281 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11; Harbarth in FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 330 f.; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 25. 282 Nähere Konkretisierung bei Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 51 ff.; vgl. auch Harbarth in FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 331 f. 283 Die Notwendigkeit einer Einzelfallbeurteilung betonend auch Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 25; zu dem im Text genannten Beispiel Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 52. 284 Lutter in FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 245, 248 f.; Blasche, AG 2010, 692, 694 ff.; Bauer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2014, 2015, S. 195, 212 f.; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 554 f. 285 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86b; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 96; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 26; J. Koch in FS Säcker, 2011, S. 403, 405 ff., insbes. 410 f.; J. Koch, ZGR 2014, 697, 708 f.; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 19; Link in Wachter, § 93 AktG Rz. 49; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 726 f.; Reichert in FS E. Vetter, 2019, S. 597, 612 f.; Verse in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO § 39 SEAG Rz. 10.

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§ 43 Rz. 96 | Haftung der Geschäftsführer volkswirtschaftlicher Sicht erwünschte Risikobereitschaft der Organwalter zu fördern (Rz. 72), im Kern verfehlt286. 97 Schwieriger zu beurteilen sind die Fälle des offengelegten Interessenkonflikts. Anerkannt

ist zwar, dass die übrigen Geschäftsleiter nicht mit dem Konflikt infiziert werden, sofern der Befangene weder an der Beratung noch an der Abstimmung teilnimmt287. Das Gesetz verbietet dem konfliktbefangenen Organwalter aber nicht die Teilnahme an der Beratung, und auch ein Stimmverbot besteht längst nicht in allen Fällen eines für die Business Judgment Rule erheblichen Interessenkonflikts. Das Stimmverbot nach §§ 28, 34 BGB, das auf die Beschlussfassung der Geschäftsführer analog anwendbar ist288, erfasst vielmehr nur ganz bestimmte, eng umgrenzte Interessenkonflikte289. Sofern sich der konfliktbefangene Geschäftsführer nicht freiwillig von der Mitwirkung zurückzieht290, sondern an Beratung und/oder Beschlussfassung mitwirkt, stellt sich somit auch hier die Frage, ob der Konflikt die übrigen Geschäftsführer infiziert und ihnen den Schutz der Business Judgment Rule nimmt. Nach überwiegender und zutreffender Ansicht ist dies auch in dieser Fallgruppe nicht der Fall291. Dem wird zwar entgegengehalten, dass die übrigen Geschäftsleiter aus Gründen kollegialer Rücksichtnahme nicht unbefangen diskutieren und entscheiden könnten, wenn dies in Gegenwart eines konfliktbefangenen Amtskollegen geschehe292. Diese Wertung findet aber im Gesetz keine Grundlage. Da das Gesetz kein generelles Mitwirkungsverbot für konfliktbefangene Organwalter aufstellt, wäre es ungereimt, wenn allein die Mitwirkung des befangenen Organmitglieds die Haftungsprivilegierung der übrigen Organwalter entfallen ließe293. Vielmehr traut das Gesetz den Organwaltern offensichtlich zu, sich auch bei Präsenz eines befangenen Kollegen allein am Gesellschaftsinteresse zu orientieren294. Da sie den Schutz der Business Judgment Rule nicht verlieren, ist es den unbefangenen Organmitgliedern auch nicht

286 Überzeugend J. Koch in FS Säcker, 2011, S. 403, 405 ff., insbes. 410 f.; J. Koch, ZGR 2014, 697, 708 f.; Reichert in FS E. Vetter, 2019, S. 597, 612 f. 287 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86a; J. Koch, ZGR 2014, 697, 709; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 725; Lutter in FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 245, 250; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 72; a.A. Holtkamp Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 110 ff. 288 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 192. 289 Näher dazu etwa Habersack in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 108 AktG Rz. 29 ff. Ein Verbot, an der Beratung mitzuwirken, ergibt sich aus §§ 28, 34 BGB nach h.M. nicht; Habersack a.a.O. § 109 AktG Rz. 10 m.w.N. 290 Diese Möglichkeit steht ihm nach h.M. grundsätzlich offen; etwa Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 725 („entspricht … einer weit verbreiteten Praxis und den Grundsätzen guter Corporate Governance“); Reichert in FS E. Vetter, 2019, S. 597, 606 ff.; a.A. aber Habersack in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 100 AktG Rz. 81; Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 110 ff. 291 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86a; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 19; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 555; Link in Wachter, § 93 AktG Rz. 50; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 727 f.; Reichert in FS E. Vetter, 2019, S. 597, 613 ff.; Verse in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO § 39 SEAG Rz. 10. 292 Für „Infizierung“ daher Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 26; J. Koch in FS Säcker, 2011, S. 403, 414 ff.; J. Koch, ZGR 2014, 697, 709 f., 714; Lutter in FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 245, 249 f.; grundsätzlich auch Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 215 f. 293 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86a; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 555; Verse in Habersack/Drinhausen, SE-Recht, Anh. Art. 43 SE-VO § 39 SEAG Rz. 10. 294 Im Aktienrecht wird diese Wertung nunmehr auch durch § 107 Abs. 3 Satz 6 AktG unterstrichen. Danach kann dem „Related-Party“-Ausschuss eine Minderheit von konfliktbefangenen Aufsichtsratsmitgliedern angehören; diese sind auch stimmberechtigt, da das Stimmverbot nach § 111b Abs. 2 AktG im Ausschuss nicht gilt. Näher dazu und zu den Auswirkungen auf die hier interessierende Frage Verse in 2. FS Hopt, 2020, S. 1335, 1354 ff.

474 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 101 § 43

unzumutbar, die Mitwirkung des befangenen Kollegen an der Beratung und (bei Nichteingreifen des Stimmverbots) der Abstimmung zu dulden; sie können ihn nicht von der Mitwirkung ausschließen295. Das Vorstehende bedeutet allerdings nicht, dass die Mitwirkung eines konfliktbefangenen 98 Geschäftsführers für die (entsprechende) Anwendung der § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG auf die übrigen Geschäftsführer gänzlich ohne Bedeutung wäre. Vielmehr müssen letztere auf den offengelegten Interessenkonflikt eines Kollegen angemessen reagieren, indem sie die Argumente des konfliktbefangenen Organmitglieds mit der gebotenen kritischen Distanz hinterfragen und sicherstellen, dass sie auf einer unabhängig ermittelten Informationsgrundlage eine von dem Konflikt unbeeinflusste Entscheidung treffen können296. Noch kaum diskutiert ist die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen sich nach 99 Offenlegung des Interessenkonflikts bei einer Kollegialentscheidung auch der konfliktbefangene Geschäftsführer auf die Business Judgment Rule berufen kann. Häufig wird ohne Diskussion angenommen, dass der Befangene selbst sich niemals auf die Business Judgment Rule berufen könne297. Die Gesetzesmaterialien schließen diese Möglichkeit indes nicht generell aus298. Nach hier vertretener Ansicht sprechen gute Gründe dafür, bei einer Kollegialentscheidung auch dem konfliktbefangenen Organwalter die Berufung auf die Business Judgment Rule zu ermöglichen, sofern er den Konflikt ordnungsgemäß offengelegt hat und die Mehrheit oder sogar sämtliche der unbefangenen Organwalter auf unabhängig ermittelter, angemessener Informationsgrundlage zu derselben Entscheidung gelangt sind. Unter diesen Umständen ist nämlich die Befürchtung, der konfliktbefangene Organwalter habe sich von dem konfligierenden Sonderinteresse leiten lassen, dadurch entkräftet, dass auch die von dem Sonderinteresse nicht tangierten Organwalter zu demselben Ergebnis gelangt sind299. (4) Vernünftige Annahme eines Handelns zum Wohl der Gesellschaft. Schließlich muss 100 der Geschäftsführer entsprechend § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG vernünftigerweise annehmen dürfen, zum Wohl der Gesellschaft zu handeln. Mit dem Wohl der Gesellschaft ist das aus dem Verbandszweck abgeleitete Gesellschaftsinteresse gemeint, in der erwerbswirtschaftlich tätigen GmbH also das Interesse an dauerhafter Gewinnerzielung (Rz. 50)300. In der Frage, was dem Gesellschaftsinteresse dient, steht den Geschäftsführern ein weiter Be- 101 urteilungsspielraum zu, der durch die Formulierung „vernünftigerweise annehmen durfte“ zum Ausdruck gebracht werden soll. Die Regierungsbegründung zum UMAG nimmt hierzu auf die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung Bezug; danach ist der Spielraum erst überschritten, wenn die Grenzen von Verantwortungsbewusstsein getragenen Handelns „deutlich über-

295 Reichert in FS E. Vetter, 2019, S. 597, 615; a.A. auf Grundlage der hier abgelehnten Infizierungsthese Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 26; J. Koch, ZGR 2014, 697, 719 ff. 296 Verse in 2. FS Hopt, 2020, S. 1335, 1355 f.; ähnlich Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86a: Nach Offenlegung eines Interessenkonflikts trifft die übrigen Mitglieder eine erhöhte Darlegungslast hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Prüfungsobliegenheiten; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 727: gesteigerte Kontrollpflicht der konfliktfreien Organmitglieder. 297 Exemplarisch Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 726: „besteht Einigkeit“. 298 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11: „Anders mag der Fall zu beurteilen sein, wenn das Organmitglied zuvor den Interessenkonflikt offengelegt hat… und unter diesen Umständen die Annahme gleichwohl zum Wohle der Gesellschaft zu handeln vernünftig und nachvollziehbar erscheint.“ 299 Näher Verse in 2. FS Hopt, 2020, S. 1335, 1360 f.; dort auch Nachw. zu der insoweit vergleichbaren Rechtslage in den USA. 300 Vgl. auch Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11: langfristige Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit.

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§ 43 Rz. 101 | Haftung der Geschäftsführer schritten“ sind bzw. die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, „in unverantwortlicher Weise überspannt“ worden ist301. Hieran anknüpfend formulieren die Materialien, dass dieses Tatbestandsmerkmal „etwa dann zu verneinen [ist], wenn das mit der unternehmerischen Entscheidung verbundene Risiko in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt worden ist.“302 Darin kommt zum Ausdruck, dass nach dem Willen des Gesetzgebers nur eine grobmaschige Inhaltskontrolle der unternehmerischen Entscheidung stattfinden soll. Es geht mit anderen Worten lediglich um eine Evidenzkontrolle: Um eine Haftung zu begründen, muss die Einschätzung, die Entscheidung diene dem Gesellschaftswohl, offensichtlich unvertretbar sein303; die Fehlbeurteilung muss sich (aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht) förmlich aufdrängen304. Teilweise findet sich zur Umschreibung des weiten Ermessensspielraums auch die Formulierung, es komme darauf an, ob der Geschäftsleiter ohne grobe Fahrlässigkeit annehmen durfte, dass die Entscheidung dem Gesellschaftswohl dient305. In der Sache liegt in diesen unterschiedlichen Formulierungen kein Unterschied306. Der Gesetzgeber hat zwar, anders als noch der Referentenentwurf zum UMAG, die Wendung „ohne grobe Fahrlässigkeit“ bewusst vermieden307. Dies geschah jedoch augenscheinlich nur, weil man dogmatische Bedenken hatte, den für die Verschuldensebene geläufigen Begriff auf der Ebene der Pflichtverletzung zu verwenden308, nicht aber, weil man damit eine Abweichung in der Sache zum Ausdruck zu bringen wollte309. In dem so umrissenen weiten Beurteilungsspielraum liegt die privilegierende Wirkung der Business Judgment Rule im Vergleich zu den Fällen, in denen es an den Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG fehlt (Rz. 103 ff.)310. 102 Beispiele aus der Rechtsprechung, in denen der weite unternehmerische Beurteilungsspiel-

raum überschritten wurde, betreffen etwa ungesicherte Vorleistungen und Kreditgewährungen an Kreditnehmer, deren Kreditwürdigkeit nicht geprüft wurde oder zweifelhaft ist311 – 301 BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244, 253 = AG 1997, 377 – ARAG/Garmenbeck. 302 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 303 So mit unterschiedlichen Formulierungen BGH v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, AG 2017, 72 Rz. 31 (schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln, Leitungsfehler muss sich „förmlich aufdrängen“); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 89 (Evidenzkontrolle, schlechthin unvertretbar); Hüffer/ Koch, § 93 AktG Rz. 23 (wegen objektiver Evidenz schlechthin unvertretbar); Ott, ZGR 2017, 149, 171; auf „Unverantwortlichkeit“ abstellend Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 113. Strenger Ph. Scholz, AG 2018, 173, 177 (Vertretbarkeitskontrolle); Cahn, Der Konzern 2015, 105, 109 f.; v. Falkenhausen, NZG 2012, 644, 648 f. 304 So ausdrücklich BGH v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, AG 2017, 72 Rz. 31; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 65. 305 Bachmann in FS Stilz, 2014, S. 25, 30 ff.; Bachmann, WM 2015, 105, 106 f.; Pfertner, Unternehmerische Entscheidungen des Vorstands, 2017, S. 82; K. Schmidt in FS Haarmann, 2015, S. 193, 198; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 29; abl. – für einfache Fahrlässigkeit – Cahn, Der Konzern 2015, 105, 109 f.; v. Falkenhausen, NZG 2012, 644, 648 f. 306 Nachw. wie vor; ähnlich Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 23: „deutliche Nähe zum Begriff grober Fahrlässigkeit.“ 307 Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 11. 308 Vgl. Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, 11, offenbar in Reaktion auf Fleischer, ZIP 2004, 685, 689. 309 So aber v. Falkenhausen, NZG 2012, 644, 649. 310 Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 23; Baur/Holle, AG 2017, 597, 598; ausf. Bachmann in FS Stilz, 2014, S. 25, 28 ff. (der die Privilegierung allerdings auch auf die Informationsgrundlage bezieht; dagegen oben Rz. 89); a.A. – keine privilegierende Wirkung (auf Grundlage des von ihnen angenommenen strengeren Kontrollmaßstabs konsequent) – Cahn, Der Konzern 2015, 105, 109 f.; v. Falkenhausen, NZG 2012, 644, 648 f.; Ph. Scholz, AG 2018, 173, 175 ff. 311 Exemplarisch BGH v. 26.11.2015 – 3 StR 17/15, BGHSt 61, 48 Rz. 57 ff. = AG 2016, 501 – Nürburgring (Provisionszahlung für Investorenvermittlung an erkennbar unseriösen Vermittler vor Prüfung der Solvenz des Investors); ferner – jeweils noch vor ARAG/Garmenbeck – BGH v. 16.2.1981 – II ZR 49/80, WM 1981, 440, 441 f. (ungesicherter Warenkredit an völlig unbekannten Kunden);

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 103 § 43

hier wird es häufig auch schon an einer angemessenen Informationsgrundlage fehlen –, ferner die Verschwendung von Gesellschaftsvermögen durch offensichtlich nutzlose Ausgaben312 sowie unverantwortliche Spekulationsgeschäfte313. Soweit gelegentlich behauptet wird, dass die Eingehung eines existenzgefährdenden Risikos per se pflichtwidrig sei314, ist dem jedoch zu widersprechen315. Vielmehr kommt es auch hier stets auf die Umstände des Einzelfalls an, wie schon der mögliche Fall zeigt, dass in einer akuten Unternehmenskrise die Geschäftsleiter zwischen Maßnahmen wählen müssen, die allesamt das Potenzial einer Existenzgefährdung in sich tragen. Allerdings ist vor Eingehung eines erkennbar bestandsgefährdenden Risikos die Vorlagepflicht nach § 49 Abs. 2 zu beachten316. ccc) Rechtsfolgen bei Eingreifen bzw. Nichteingreifen der Business Judgment Rule. Liegen 103 sämtliche der genannten Voraussetzungen vor, scheidet analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG schon eine Pflichtverletzung aus; es fehlt nicht erst am Verschulden. Im umgekehrten Fall ist das Verhalten des Geschäftsführers am allgemeinen Maßstab des § 43 Abs. 1 (im Aktienrecht § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG) zu messen317. Was das genau bedeutet, wird allerdings selten näher präzisiert.

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OLG Düsseldorf v. 28.11.1996 – 6 U 11/95, AG 1997, 231, 234 f. (Auszahlung eines Betrags von DM 55 Mio. ohne Sicherheiten an ein Anlageunternehmen von zweifelhaftem Ruf). Zu weiteren Fällen der ungesicherten Kreditvergabe OLG München v. 16.7.1997 – 7 U 4603/96, ZIP 1998, 23, 24 f.; OLG Jena v. 8.8.2000 – 8 U 1387/98, NZG 2001, 86, 87 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 97 ff. m.w.N. Gegenbeispiel: OLG Celle v. 28.5.2008 – 9 U 184/07, AG 2008, 711, 713: Vergabe eines ungesicherten Kredits an finanzschwaches Startup-Unternehmen. BGH v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, GmbHR 1997, 163, 164 f. (Unternehmensberatung durch einen Rechtsreferendar ohne betriebswirtschaftliche Ausbildung oder Erfahrung); BGH v. 13.7.1998 – II ZR 131/97, AG 1998, 519, 520 (Leasing von EDV-Hardware für DM 800.000, obwohl diese für DM 260.000 käuflich zu erwerben gewesen wäre); OLG Koblenz v. 11.7.2013 – 6 U 1359/12, GmbHR 2014, 599, 600 (Bezahlung von Nachhilfeunterricht für eine Auszubildende ohne betriebliches Interesse). OLG Düsseldorf v. 15.1.2015 – 6 U 48/14, AG 2016, 410, 412 f. (rein spekulatives Swap-Geschäft mit einer Bank ohne kongruentes Grundgeschäft); LG Kiel v. 5.2.2016 – 14 HKO 134/12 (juris), Rz. 31 ff. (hochspekulatives Warentermingeschäft eines kommunalen Energieversorgungsunternehmens über den Energiebedarf mehrerer Jahre). OLG Düsseldorf v. 9.12.2009 – 6 U 48/14, ZIP 2016, 28, 32 („kein Vorstand handelt sorgfältig, wenn er Risiken für sein Unternehmen eingeht, die, wenn sie sich verwirklichen, zum Untergang des Unternehmens führen“); ebenso Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 86 f. Näher dazu Adolff in FS Baums, 2017, S. 31; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 94; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 195; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 141; Schmitz-Rennberg, BB 2014, 2701. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 141; vgl. auch OLG Jena v. 1.9.1998 – 5 U 1816/97, NZG 1999, 121, 122: „Der Geschäftsführer ist unabhängig von den Bestimmungen der Satzung bei solch risikoreichen und existenzbedrohenden Geschäften nur dann entlastet, wenn seine Handlung in Übereinstimmung mit Gesetz und Gesellschaftsvertrag auf einem Gesellschafterbeschluss oder auf einer verbindlichen Weisung beruht.“ Ganz h.M., etwa BGH v. 12.10.2016 – 5 StR 134/15, AG 2017, 72 Rz. 31 (allerdings mit dem zu pauschalen Zusatz, dass bei Nichteinhaltung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG die Pflichtverletzung indiziert sei); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 12. A.A. – bei Nichteinhaltung der Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG stehe zugleich die Pflichtwidrigkeit einer unternehmerischen Entscheidung fest – Ph. Scholz, AG 2015, 222 ff., 227; Ph. Scholz, AG 2018, 173 ff. Letztere Ansicht überzeugt nicht, da bei einem offengelegten Interessenkonflikt zwar die Business Judgment Rule (grundsätzlich) keine Anwendung findet, aber kein Pflichtverstoß vorliegt, wenn die getroffene Entscheidung trotz des Konflikts dem Unternehmenswohl dient.

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§ 43 Rz. 104 | Haftung der Geschäftsführer 104 Die zutreffende Beurteilung erschließt sich, wenn man zwischen dem Entscheidungsverfah-

ren und dem Inhalt der unternehmerischen Entscheidung unterscheidet. Wenn etwa ein Geschäftsführer auf erkennbar unangemessener Informationsgrundlage eine unternehmerische Entscheidung trifft, so lässt sich nicht leugnen, dass schon in der mangelhaften Entscheidungsvorbereitung für sich genommen ein Verstoß gegen die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters und damit eine Pflichtverletzung liegt318. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass auch der Inhalt der Entscheidung zu beanstanden ist. Das Gegenteil ist der Fall, wenn sich feststellen lässt, dass aus der maßgeblichen ex-ante-Sicht auch ein sorgfältiger Geschäftsführer zu der Einschätzung kommen durfte, dass die getroffene Entscheidung dem Unternehmenswohl entspricht. Das mangelhafte Entscheidungsverfahren hat sich dann nicht in einem mangelhaften Entscheidungsergebnis ausgewirkt; es fehlt also an der Kausalität oder jedenfalls am Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung – dem Verfahrensfehler – und dem durch die getroffene Entscheidung verursachten Schaden319. Entsprechendes gilt, wenn ein Geschäftsführer einen Interessenkonflikt nicht ordnungsgemäß offenlegt und eine Entscheidung trifft oder an einer solchen mitwirkt, die inhaltlich nicht zu beanstanden ist. Auch hier liegt in dem Verschweigen des Konflikts eine Pflichtverletzung (Rz. 183), die sich aber nicht in einer pflichtwidrigen Entscheidung niedergeschlagen hat. Wiederum fehlt es daher an der Kausalität oder jedenfalls am Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden320. 105 Von erheblicher Bedeutung ist in Fällen dieser Art, mit welcher Kontrolldichte zu prüfen ist,

ob die ohne angemessene Informationsgrundlage oder im Interessenkonflikt getroffene unternehmerische Entscheidung dem Unternehmenswohl entspricht und deshalb inhaltlich nicht zu beanstanden ist. Die Frage ist umstritten. Der Auffassung, dass das Gericht die Entscheidung trotz ihres unternehmerischen Charakters vollinhaltlich überprüfen muss, der Beurteilungsspielraum also ganz entfällt321, steht die Ansicht gegenüber, dass trotz der unzureichenden Informationsgrundlage bzw. trotz des Interessenkonflikts noch ein eingeschränkter Beurteilungsspielraum anzuerkennen ist, der sich so beschreiben lässt, dass an die Stelle des Maßstabs der offensichtlichen Unvertretbarkeit (Rz. 101) derjenige der Vertretbarkeit der Entscheidung tritt322. Mehr dürfte für letztere Ansicht sprechen, da sich die Vereinbarkeit unter Unsicherheit getroffener unternehmerischer Entscheidungen mit dem Unternehmenswohl in aller Regel nicht punktgenau, sondern nur innerhalb einer gewissen Bandbreite ermitteln lässt.

318 Bachmann, WM 2015, 105, 111; Ph. Scholz, AG 2018, 173, 178 f. 319 Für fehlende Zurechenbarkeit (Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens) Ph. Scholz, AG 2015, 222, 227 f.; Ph. Scholz, AG 2018, 173, 182; ebenso zu der insoweit vergleichbaren Konstellation bei Verletzung eines Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = AG 2018, 841 Rz. 40 ff.; Krieger in FS Seibert, 2019, S. 511, 514; für fehlende Kausalität Holle/Mörsdorf, NJW 2018, 3555, 3556. 320 Abw. Ph. Scholz, AG 2015, 222, 229: Die Zurechenbarkeit entfalle erst, wenn auch die unbefangenen Organmitglieder nachweislich dieselbe Entscheidung getroffen hätten. 321 So etwa Holle, ZHR 182 (2018), 569, 579 f.; ferner Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen, 2002, S. 176, 250 f. („vollinhaltliche Opportunitätskontrolle“); Scholderer, NZG 2012, 168, 174 („gerichtlich voll überprüfbar“). 322 So besonders deutlich Harbarth in FS Hommelhoff, 2012, S. 323, 336 ff. (mit näherer Konkretisierung des Vertretbarkeitsmaßstabs); Wandrey, Materielle Beschlusskontrolle im Aktienrecht, 2011, S. 162 f.; ähnlich Bachmann, NZG 2013, 1121, 1124 (Ermessen bleibt, aber strengere Prüfung); noch weitergehend Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 798 f. (kein erheblicher Unterschied zwischen Überprüfung unternehmerischer Entscheidungen am Maßstab des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG und derjenigen im Rahmen des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG).

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 108 § 43

b) Legalitätspflicht aa) Überblick, Terminologie Den Geschäftsführer trifft nach § 43 Abs. 1 gegenüber der GmbH nicht nur die Pflicht, den 106 Gesellschaftszweck zu fördern (Rz. 50), sondern anerkanntermaßen auch die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Pflichten nachkommt323. Diese Legalitätspflicht schließt neben der Pflicht, sich selbst im Rahmen des Tätigwerdens für die Gesellschaft gesetzestreu zu verhalten (Legalitätspflicht i.e.S.), auch die Pflicht ein, im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren dafür Sorge zu tragen, dass sich auch die übrigen für die Gesellschaft handelnden Personen rechtmäßig verhalten (Legalitätskontrollpflicht, dazu gesondert Rz. 151 ff.). Der Begriff der Legalitätspflicht wird allerdings uneinheitlich verwendet und bedarf daher 107 der Präzisierung. Im Folgenden wird mit diesem Begriff ausschließlich die Pflicht des Geschäftsführers gegenüber der GmbH bezeichnet, die gesetzlichen Verhaltenspflichten (etwa aus Normen des Straf-, Verwaltungs-, Kartell- oder Wettbewerbsrechts) einzuhalten, denen die GmbH und ggf. auch der Geschäftsführer im Außenverhältnis unterliegen324. Die so verstandene Legalitätspflicht transportiert gewissermaßen die externe gesetzliche Bindung in das Innenverhältnis; das gesetzwidrige Verhalten im Außenverhältnis bewirkt über das Bindeglied der Legalitätspflicht zugleich eine Pflichtverletzung im Innenverhältnis325. Teile des Schrifttums verwenden den Begriff der Legalitätspflicht darüber hinaus noch in ei- 108 nem weiteren Sinne. Neben der vorgenannten Pflicht zur Einhaltung der externen gesetzlichen Vorgaben („externe“ Pflichtenbindung) soll die Legalitätspflicht nach diesem weiteren Begriffsverständnis auch die „interne“ Pflichtenbindung umfassen, d.h. die Beachtung solcher Pflichten, die das Gesetz dem Geschäftsführer unmittelbar im Innenverhältnis zur GmbH auferlegt (z.B. die Pflichten nach §§ 40 ff. zur Führung der Gesellschafterliste, zur Buchführung und zur Vorlage des Jahresabschlusses oder die Pflicht nach § 37 Abs. 1 zur Beachtung der Vorgaben der Satzung und von Gesellschafterweisungen)326. Allerdings ergibt sich die Organpflicht in diesen Fällen schon direkt aus der jeweiligen speziellen Vorschrift, so dass die zusätzliche Einordnung als Legalitätspflicht nach § 43 Abs. 1 entbehrlich ist327. Darüber hinaus wird z.T. auch die Pflicht zur Einhaltung des Anstellungsvertrags (Rz. 258) unter

323 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 375 = GmbHR 1997, 25; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = GmbHR 2008, 805 Rz. 38; BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 Rz. 22; BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 = GmbHR 2018, 632 Rz. 31; LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, AG 2014, 332, 333 – Siemens/Neubürger (zur AG); Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 152; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Klöhn in Bork/ Schäfer, Rz. 17. 324 Gleiches Begriffsverständnis etwa bei Harnos, Die Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 78; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 44 f.; Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, S. 10 ff., 18 f.; vgl. auch Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429, 432 („ganz zentrale, wenn nicht sogar einzig erwähnenswerte Ausprägung der Legalitätspflicht“). 325 Anschaulich Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 45: „Technisch gesehen entspricht die Legalitätspflicht einem Transformator, der die externen Bindungen spiegelbildlich in das Binnenverhältnis transportiert (…). Folge ist, dass eine Verletzung externer Pflichtenbindungen zugleich den Vorwurf einer Sorgfaltspflicht im Binnenverhältnis begründet.“ 326 Exemplarisch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21 ff.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 17 ff. 327 Harnos, Die Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 78; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 44 f.; Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, S. 10 f.

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§ 43 Rz. 108 | Haftung der Geschäftsführer die interne Legalitätspflicht subsumiert328. Da der Geltungsgrund dieser Bindung aber ein anderer ist, wird auch diese Pflicht im Folgenden im Interesse terminologischer Klarheit nicht als Ausprägung der Legalitätspflicht bezeichnet. bb) Abgrenzung zur Sorgfaltspflicht i.e.S., Geltungsgrund 109 Die Einhaltung von Recht und Gesetz dient regelmäßig zugleich der Verfolgung des Gewinn-

ziels, da sie die Gesellschaft vor Schäden durch Geldbußen, Haftungsklagen, Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge, Reputationseinbußen etc. bewahrt. Insoweit laufen die Sorgfaltspflicht i.e.S. und die Legalitätspflicht parallel. Die Legalitätspflicht erschöpft sich jedoch nicht darin, die Geschäftsführer dazu anzuhalten, Schäden von der Gesellschaft abzuwenden. Sie greift vielmehr auch ein, falls die Gesetzesverletzung aus ex-ante-Sicht – z.B. wegen einer geringen Entdeckungswahrscheinlichkeit oder schwacher Sanktionen – bei rein wirtschaftlicher Betrachtung einen positiven Erwartungswert aufweisen sollte. Auch mit einer solchen „nützlichen“ Rechtsverletzung begeht der Geschäftsführer nach ganz h.M. eine Verletzung seiner Pflicht aus § 43 Abs. 1 gegenüber der GmbH329. Führt der „nützliche“ Rechtsverstoß wider Erwarten doch zu einem Schaden der GmbH330, kann der von der GmbH auf Schadensersatz in Anspruch genommene Geschäftsführer folglich nicht einwenden, dass er aus ex-ante-Sicht zum Besten der Gesellschaft gehandelt habe. 110 Hinter dieser zwar nicht selbstverständlichen, aber doch ganz überwiegend akzeptierten strik-

ten Legalitätsbindung auch über die Verfolgung des Gewinnziels hinaus steht die Überlegung, dass ein Allgemeininteresse an der Einhaltung der Gesetze besteht, das dem Gesellschaftsinteresse vorgeordnet ist und das erheblich beeinträchtigt wäre, wenn dem Geschäftsleiter im Innenverhältnis „nützliche“ Gesetzesverstöße gestattet wären331. Denn anders als eine für sich selbst handelnde natürliche Person wäre der Geschäftsleiter dann – sofern nicht ausnahmsweise eine persönliche Strafe droht – in der angenehmen Situation, einen Gesetzesverstoß begehen zu können, ohne das Risiko von etwaigen Sanktionen selbst tragen zu müssen. Dies müsste konsequenterweise sogar in Fällen gelten, in denen er im Außenverhältnis

328 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 18. 329 BGH v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09, GmbHR 2010, 1146 Rz. 29; OLG Karlsruhe v. 31.7.2013 – 7 U 184/12, GmbHR 2013, 1051, 1053; LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, GmbHR 2015, 480, 481; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31, 43; Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429, 435; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 22; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 66; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 512 ff.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 405 f.; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 10 IV; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 75; trotz Bedenken letztlich auch Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 369 ff., 374; a.A. mit Fundamentalkritik Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen, 2017, insbes. S. 280 ff., m. Bespr. Holle, ZHR 182 (2018), 489; Hellgardt in 2. FS Hopt, 2020, S. 403; Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, insbes. S. 78 ff., 224 ff.; Torggler in Kalss/Torggler, Compliance, 2016, S. 97, 100 ff. 330 Zur Anrechnung etwaiger Vorteile, welche die Gesellschaft aus der rechtswidrigen Tat gezogen hat, s. Rz. 298. 331 Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429, 435; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 516 f.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 406; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 51 ff.; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 75 ff.; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31, 43; Hüffer/ Koch, § 93 AktG Rz. 6 (allgemeiner Geltungsanspruch der Rechtsordnung); Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 372 f. (generalpräventive Erwägungen); für Ableitung aus § 130 Abs. 1 OWiG und den Grundsätzen der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Geschäftsherrenhaftung Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 10 B II, § 21 A III.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 111 § 43

auf Schadensersatz oder Bußgeld haftet, da er diese Beträge dann im Wege des Aufwendungsersatzes von der Gesellschaft ersetzt verlangen könnte332. cc) Reichweite der Legalitätspflicht aaa) Erfasste Rechtspflichten. Die in der Rechtsprechung gängigen Formulierungen der Le- 111 galitätspflicht erstrecken sich ohne Einschränkung ganz allgemein auf die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten, welche die GmbH (sowie ggf. auch der Geschäftsführer persönlich) im Außenverhältnis einzuhalten hat333. Erfasst werden jedenfalls nicht nur strafbewehrte Pflichten334, sondern auch Ordnungswidrigkeiten335. Bagatellverstöße sollen nach im Schrifttum verbreiteter Ansicht ausgenommen sein (Schulbeispiel: Falschparken, um einen wichtigen Geschäftstermin zu erreichen)336, was jedoch auf eine schwierige, letztlich nicht überzeugende Abgrenzung hinausläuft337. Noch ungeklärt und (sehr) zweifelhaft ist, ob auch nicht straf- oder bußgeldbewehrte gesetzliche Pflichten erfasst sind338, etwa außervertragliche zivilrechtliche Pflichten (z.B. aus §§ 823 ff. BGB)339 und nicht bußgeldbewehrte

332 Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429, 435; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 51 f.; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 406; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 76 f.; a.A. Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, S. 106 ff. 333 BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 Rz. 22 („Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt“); ebenso BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 = GmbHR 2018, 632 Rz. 31; ferner – jeweils mit Bezugnahme auf „sämtliche“ Rechtsvorschriften, welche die Gesellschaft im Außenverhältnis treffen – LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, GmbHR 2015, 480, 481; LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, AG 2014, 332, 333 – Siemens/Neubürger; mit besonderer Betonung der öffentlich-rechtlichen Pflichten BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 375 = GmbHR 1997, 25 („dass sich die Gesellschaft nach außen rechtmäßig verhält und insbesondere die ihr auferlegten öffentlichrechtlichen Pflichten erfüllt“). 334 So jedoch Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 375; restriktiv auch M. Roth, Unternehmerisches Ermessen und Haftung des Vorstands, 2001, S. 132 (nur vorsätzliche Verstöße gegen Strafrechtsnormen und für das Gemeinwesen ähnlich bedeutsame Normen). 335 Ganz h.M., etwa Fleischer, ZIP 2005, 141, 149; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 133; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 10 B II, § 11 B IV mit zahlreichen Nachw., § 11 D IV 1. 336 Bachmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 65, 77; Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429, 438 f. (der als mögliche Beispiele die Missachtung öffentlich-rechtlicher Zahlungspflichten und bloßes Verwaltungsunrecht anführt); Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873, 877; Kocher, CCZ 2009, 215, 218; Uwe H. Schneider in FS Hüffer, 2010, S. 905, 910; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 100 f. 337 Gegen eine Differenzierung von wichtigen und weniger wichtigen Verstößen (keine Rechtsnormen „erster und zweiter Klasse“) auch Bicker, AG 2014, 8, 11; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 133; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 6 a.E.; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 87. 338 Zweifelnd auch Reichert in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 943, 945. 339 Bejahend Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 102; Spindler in FS Canaris, 2007, S. 403, 423 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 518 (jeweils für deliktische Pflichten); ablehnend aus guten Gründen Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 11 D I; ferner Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 374 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 79a; differenzierend Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 108 ff. (je nachdem, ob die verletzten Vorschriften im Interesse der Öffentlichkeit liegende Wertungen beinhalten oder lediglich einen Interessenausgleich zwischen den Vertragspartnern bezwecken).

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§ 43 Rz. 111 | Haftung der Geschäftsführer öffentlich-rechtliche Zahlungspflichten340. Ausgenommen sind jedenfalls vertragliche Pflichten (Rz. 114). 112 bbb) Ausländische Rechtsnormen. Die Legalitätspflicht beansprucht prinzipiell auch für die

Einhaltung ausländischer Rechtsnormen Geltung341. Fraglich ist allerdings, in welchem Umfang dies der Fall ist. Weithin Einigkeit besteht, dass sich die Legalitätspflicht zumindest auf solche ausländischen Gesetze erstreckt, die aufgrund eines Rechtsanwendungsbefehls des im Inland geltenden (deutschen oder vereinheitlichten) Kollisionsrechts zur Anwendung berufen sind342. Streitig ist dagegen, ob ausländische Gesetze auch unabhängig von einem inländischen Rechtsanwendungsbefehl dem Anwendungsbereich der Legalitätspflicht unterfallen343. Das wird deshalb bezweifelt, weil der Geltungsgrund der strikten Legalitätsbindung in dem Allgemeininteresse an effektiver Rechtsdurchsetzung gesehen wird (Rz. 110), der deutsche Gesetzgeber an der Durchsetzung ausländischer Vorschriften aber kein ähnlich gewichtiges Interesse wie bei inländischen Normen habe344. Bedeutung hat die Streitfrage insbesondere für weite Teile des ausländischen Verwaltungs- und Strafrechts, die nur aufgrund des Territorialitätsprinzips, aber nicht aufgrund eines inländischen Normanwendungsbefehls zur Anwendung kommen345. Auch wenn man der engeren, auf den inländischen Normanwendungsbefehl abhebenden Ansicht folgt, bleibt freilich stets zu beachten, dass die Einhaltung ausländischen Rechts regelmäßig schon ein Gebot der Schadensabwendung und damit der Sorgfaltspflicht i.e.S. sein wird (Rz. 109). 113 Streitig ist ferner, ob sich die Legalitätspflicht auch auf solche ausländischen Rechtsnormen

erstreckt, die nicht „gelebtes“ Recht sind, d.h. nicht tatsächlich durchgesetzt werden. Vielfach wird dies mit dem Argument abgelehnt, die GmbH und ihre Geschäftsführer müssten nicht rechtstreuer sein als die Rechtssubjekte des Erlassstaats346. Dem mag man zwar im

340 Ablehnend Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 79a; Uwe H. Schneider in FS Hüffer, 2010, S. 905, 910; befürwortend dagegen Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 63; differenzierend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 23b (keine strikte Bindung, sofern sich die Gesellschaft in einem Liquiditätsengpass befindet). 341 LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, AG 2014, 332, 333 – Siemens/Neubürger (zur AG) (im konkreten Fall aber nicht entscheidungserheblich, da die Bestechung ausländischer Amtsträger auch nach deutschem Recht verboten ist); ferner die Nachw. in den folgenden Fn. 342 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 34; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 6a; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 110; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 101 ff.; Brock, BB 2019, 1292, 1294; Cichy/Cziupka, BB 2014, 1482, 1483 f.; Kutschelis, Korruptionsprävention und Geschäftsleiterpflichten im nationalen und internationalen Unternehmensverbund, 2014, S. 374 f.; Louven, KSzW 2016, 241, 246; stark einschränkend allerdings Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 376: nur, wenn die ausländische Verbotsnorm strafrechtlich sanktioniert ist und mit einem deutschen Strafgesetz übereinstimmt. 343 Bejahend Bicker, AG 2014, 8, 12 (sofern sie mit dem ordre public nach deutschem Rechtsverständnis vereinbar sind); Paefgen, WM 2016, 433, 440; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 53; differenzierend Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 11 E II: nur ausländische Rechtsvorschriften, die nach deutschem Kollisionsrecht Anwendung finden oder deren Durchsetzung die Bundesrepublik durch Rechtshilfe unterstützen würde; ablehnend die Nachw. in voriger Fn. 344 S. nur Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 6a: Durchsetzung ausländischen Rechts nicht Aufgabe der deutschen Rechtsordnung. 345 Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 6a; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 110; Kutschelis, Korruptionsprävention und Geschäftsleiterpflichten im nationalen und internationalen Unternehmensverbund, 2014, S. 375. 346 Bicker, AG 2014, 8, 12; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 103 f.; Brock, BB 2019, 1292, 1294; Götze/Bicker in Krieger/ Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 30.42; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 142; Kutschelis, Korruptionsprävention und Geschäftsleiterpflichten im natio-

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 115 § 43

theoretischen Ausgangspunkt beitreten; praktisch ist freilich zu bedenken, dass sich solche „Papiernormen“ kaum zuverlässig bestimmen lassen und vom Erlassstaat gerade zur Sanktionierung ausländischer Unternehmen jederzeit wieder reaktiviert werden können. Mit Recht wird daher den Geschäftsführern insoweit zu größter Vorsicht geraten347. ccc) Nicht: vertragliche Pflichten. Die Einhaltung vertraglicher Verpflichtungen der Gesell- 114 schaft unterfällt dagegen nach zutreffender h.M. nicht der Legalitätspflicht348. Zur Begründung lässt sich anführen, dass die Legalitätspflicht auf dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der Gesetze beruht (Rz. 110), ein vergleichbares öffentliches Interesse an der Einhaltung einer Vertragspflicht aber nicht oder zumindest typischerweise nicht besteht. Da die Legalitätspflicht nicht eingreift, ist es nur konsequent, die Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen der Befolgung einer Vertragspflicht als unternehmerische Entscheidung anzusehen, die den Schutz der Business Judgment Rule analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG genießt349. ddd) Nicht: Grundsätze der Geschäftsmoral. Ebenso wenig besteht eine Verpflichtung der 115 Geschäftsführer gegenüber der GmbH, sich strikt an im Geschäftsverkehr anerkannte, aber rechtlich unverbindliche Grundsätze der Geschäftsmoral zu halten350. Die Legalitätspflicht erstreckt sich darauf nicht, da sich ein dem Gesellschaftsinteresse vorgeordnetes Allgemeininteresse an der Einhaltung rechtlich unverbindlicher Standards nicht begründen lässt. Auch die Beurteilung, ob es im Einzelfall dem Gesellschaftsinteresse dienlich ist, von solchen Grundsätzen abzuweichen, ist daher eine unternehmerische Entscheidung i.S. der Business Judgment Rule351. Unbeschadet dessen ist es selbstverständlich richtig, dass unethisches Verhalten der Unternehmensreputation schweren Schaden zufügen kann und daher häufig nicht im Gesellschaftsinteresse liegt. Es versteht sich deshalb, dass der Geschäftsführer bei einem ethisch fragwürdigen Geschäft mögliche negative Auswirkungen auf die Unternehmensreputation prüfen und im Rahmen seiner Abwägung berücksichtigen muss. Ohne vorherige Ermittlung des Reputationsrisikos wird es in solchen Fällen regelmäßig an einer angemessenen Informationsgrundlage i.S.d. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG (analog) feh-

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nalen und internationalen Unternehmensverbund, 2014, S. 376 f.; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 112; a.A. für ausländisches Recht, das durch inländisches Kollisionsrecht für anwendbar erklärt wird, Cichy/Cziupka, BB 2014, 1482, 1484 f.; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 6a. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 34. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 13; Bicker, AG 2014, 8, 9 f.; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 106 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40; Habersack, NZG 2016, 321, 324 (zweifelnd noch Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429, 436); Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 148; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 21; Uwe H. Schneider in FS Hüffer, 2010, S. 905, 910 ff.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 518 f.; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 11 D II. A.A. Wiedemann, ZGR 2011, 183, 199; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 23a (anders aber Rz. 23b für Zahlungsverbindlichkeiten, sofern sich die Gesellschaft in einem Liquiditätsengpass befindet); zweifelnd Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 17. Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 21; Lutter, ZIP 2007, 841, 843; Uwe H. Schneider in FS Hüffer, 2010, S. 905, 912; Verse in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1277, 1289 f.; wohl auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40 („unternehmerischer Handlungsspielraum“); a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 35; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 17; S.H. Schneider, DB 2005, 707, 711. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 149; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 21; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 520; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 110; abw. wohl Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 51; ferner Mertens in Hachenburg, § 43 Rz. 20. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 21.

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§ 43 Rz. 115 | Haftung der Geschäftsführer len352. Zu der umgekehrten Frage, inwieweit der Geschäftsführer auch dann moralisch-ethischen Grundsätzen entsprechen darf, wenn dies zu Lasten des Gewinnziels geht, s. Rz. 51 ff. 116 eee) Unlösbare Normenkonflikte. Im internationalen Rechtsverkehr können sich unlösbare

Normenkonflikte aus einander widersprechenden in- und ausländischen Gesetzesvorgaben ergeben353. In solchen Fällen kommt zwar in Betracht, den Normenkonflikt als Rechtfertigungsgrund für die Nichterfüllung einer gesetzlichen Vorgabe anzuführen (in Deutschland etwa nach den Grundsätzen der rechtfertigenden Pflichtenkollision). Auf diese Weise lassen sich aber diejenigen Fälle nicht lösen, in denen die Behörden und Gerichte der betreffenden Staaten diesen Rechtfertigungsgrund nicht akzeptieren, weil sie die in ihrem Staat geltende Vorgabe jeweils als höherrangig bewerten354. Dem für die Gesellschaft handelnden Geschäftsführer bleibt dann äußerstenfalls nur die Wahl, entweder in dem einen oder in dem anderen Staat einen (bußgeldbewehrten) Rechtsverstoß zu begehen. Ein Rechtssatz des Inhalts, dass in derartigen Fällen aufgrund der Legalitätspflicht stets dem deutschen Gesetzesbefehl Vorrang einzuräumen ist, lässt sich nicht aufstellen355. Im Schrifttum wird stattdessen vorgeschlagen, dass der Geschäftsführer eine am Unternehmenswohl orientierte Interessenabwägung vorzunehmen hat, welche der beiden konfligierenden Vorgaben er erfüllt356. Die Einzelheiten, insbesondere die Frage, ob neben dem Unternehmenswohl auch das Gewicht der durch die verletzte Norm geschützten Rechtsgüter in die Abwägung einfließen muss, bedürfen noch weiterer Diskussion. dd) Unklare Rechtslage, Rechtsirrtum (Weiterverweis) 117 Um Rechtsverstöße zu verhindern, sind die Geschäftsführer verpflichtet, die Rechtmäßigkeit

ihres Handelns sorgfältig zu prüfen und im Zweifel bei fehlender eigener Sachkunde Rechtsrat einzuholen357. Diese Rechtsermittlungspflicht ist nach zutreffender Ansicht eine Ausprägung der Legalitätspflicht, da die Pflicht zur Rechtsbefolgung ohne eine vorgelagerte Pflicht zur Rechtsermittlung weitgehend entwertet wäre358. Allerdings wird Rechtsermittlungsaufwand immer nur in den Grenzen des Zumutbaren und daher nicht in einem Ausmaß und zu Kosten verlangt, die zur rechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit außer Verhältnis stehen359.

352 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Fleischer, DB 2017, 2015, 2021; vgl. auch Seibt, DB 2015, 171, 176. 353 Näher zum Folgenden Seibt, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 73 und Werkmeister/Mirza-Khanian, CCZ 2016, 98, die als Beispiel u.a. die Pflicht von Telefon- und Internetanbietern zur Herausgabe personenbezogener Daten nach dem US Patriots Act und deren Unvereinbarkeit mit dem deutschen/europäischen Datenschutzrecht anführen. 354 Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 105; Werkmeister/Mirza-Khanian, CCZ 2016, 98, 99. 355 Seibt, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 73, 76. 356 Seibt, ZIP 2016, Beil. zu Heft 22, 73, 76; Werkmeister/Mirza-Khanian, CCZ 2016, 98, 101, die jeweils die Business Judgment Rule für anwendbar halten; ferner Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 105. 357 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 16 ff. – ISION (zur AG); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 23; Verse, ZGR 2017, 174, 176 f.; Brock, Legalitätsprinzip und Nützlichkeitserwägungen, 2017, S. 200 ff.; einschr. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 14 Rz. 81 (nur in schwerwiegenden Fällen); Bicker, AG 2014, 8, 10 (nur bei erheblicher Bedeutung). 358 Verse, ZGR 2017, 174, 176 f.; ähnlich Langenbucher, ZBB 2013, 16, 21; Langenbucher in FS Lwowski, 2014, S. 333, 335: „enger Zusammenhang“). 359 Verse, ZGR 2017, 174, 177; gleichsinnig Dreher in FS Konzen, 2006, S. 85, 93: Der Geschäftsleiter muss das ihm „zumutbar Mögliche“ zur Klärung der zweifelhaften Rechtslage tun, abgestuft nach „wirtschaftlicher, rechtlicher und zeitlicher Bedeutung des Sachverhalts.“

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 121 § 43

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich die Geschäftsführer auf einen die Recht- 118 mäßigkeit des Handelns bestätigenden Expertenrat verlassen dürfen und daher auch dann enthaftet sind, wenn sich der Rat als unzutreffend erweist, ist nach hier vertretener Ansicht eine Frage des Verschuldens und daher in diesem Zusammenhang zu behandeln (Rz. 280 ff.). Gleiches gilt für die weitere Frage, unter welchen Voraussetzungen die Geschäftsführer einer Haftung entgehen, wenn die Rechtslage auch nach Einholung von Rechtsrat unklar geblieben ist (Rz. 290 ff.). c) Überwachungspflichten aa) Überblick Die Sorgfaltspflicht i.e.S. (Rz. 50 ff.) und die Legalitätspflicht (Rz. 106 ff.) erschöpfen sich 119 nicht darin, dass die Geschäftsführer selbst zweckdienlich und rechtmäßig handeln müssen. Vielmehr haben die Geschäftsführer auch dafür Sorge zu tragen, dass die anderen Unternehmensangehörigen gleichfalls den Gesellschaftszweck fördern und dabei die Gesetze einhalten. Diese Kontrollpflicht besteht sowohl in Bezug auf das Handeln der übrigen Geschäftsführer (horizontale Überwachung, Rz. 120 ff.) als auch hinsichtlich der nachgeordneten Mitarbeiter (vertikale Überwachung, Rz. 141 ff.). Was die Modalitäten der Überwachung betrifft, ist zwischen der Überwachung der Zweckdienlichkeit (Zweckmäßigkeitskontrolle) und derjenigen der Rechtmäßigkeit (Legalitätskontrolle) zu unterscheiden (Rz. 151 ff.). bb) Überwachungspflicht bei horizontaler Arbeitsteilung (Geschäftsverteilung zwischen den Geschäftsführern) aaa) Ausgangspunkt: Grundsatz der Gesamtverantwortung. Sind mehrere Geschäftsführer 120 bestellt, ist im Ausgangspunkt jeder von ihnen kraft seiner Amtsstellung für die Leitung der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zuständig und verantwortlich. Dieser Grundsatz der Gesamtverantwortung ist im Gesetz nicht ausdrücklich verankert, aber seit jeher anerkannt360. Die Gesamtverantwortung schließt es jedoch nicht aus, dass die Geschäftsführungsaufgaben unter bestimmten Voraussetzungen durch Bildung von Ressorts unter den Geschäftsführern aufgeteilt werden (Rz. 121 ff.). Die Rechtsfolge einer solchen Geschäftsverteilung besteht darin, dass die nicht ressortzuständigen Geschäftsführer nur noch eingeschränkt verantwortlich sind. Ihre auf eigene Aufgabenwahrnehmung gerichtete Pflicht wird in eine Pflicht zur Überwachung des zuständigen Mitgeschäftsführers umgestaltet (Rz. 130 ff.). bbb) Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Geschäftsverteilung (Ressortbildung). 121 Eine Ressortverteilung auf der Ebene der Geschäftsführung ist, wie seit langem anerkannt ist, grundsätzlich zulässig, und – abhängig von der Größe des Unternehmens und der Art der vorzunehmenden Geschäfte – ggf. sogar notwendig, um eine effiziente Geschäftsleitung zu ermöglichen361. Damit die Geschäftsverteilung ihre für die ressortunzuständigen Geschäftsführer pflichtenreduzierende Wirkung entfalten kann, muss sie bestimmten Mindest360 Der Sache nach schon RG v. 3.2.1920 – II 273/19, RGZ 98, 98, 100; ferner BFH v. 26.4.20194 – V R 128/79, BFHE 141, 443 = ZIP 1984, 1345, 1346; BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 376 f. = GmbHR 1997, 25, 26 (Grundsatz der „Allzuständigkeit“); aus dem Schrifttum statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112; Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473, 478 f.; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 22.6; zur AG Emde in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 295, 298 ff.; Fleischer, NZG 2003, 449; Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1450 f.; Wettich, Vorstandsorganisation in der AG, 2008, S. 28 ff. 361 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 15 („möglich und ggf. sogar notwendig“) im Anschluss an BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443, 447 = GmbHR 1985, 309. Zur grundsätzlichen Zulässigkeit s. auch schon RG v. 18.10.1917 – VI 143/17, RGZ 91, 72, 77; RG v. 3.2.1920 – II 273/19, RGZ 98, 98, 100.

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§ 43 Rz. 121 | Haftung der Geschäftsführer anforderungen genügen, die der BGH in einer neueren Grundsatzentscheidung präzisiert hat362. Die Darlegungs- und Beweislast für diese Anforderungen liegt bei dem Geschäftsführer, der sich auf die pflichteneinschränkende Wirkung der Geschäftsverteilung beruft (Rz. 333)363. 122 Voraussetzung ist nach der BGH-Rechtsprechung erstens eine klare und eindeutige Ab-

grenzung der Geschäftsführungsaufgaben364. Bei der Zuordnung dürfen weder Zweifel über die Abgrenzung einzelner Aufgaben entstehen noch über die Person des für die Erledigung Verantwortlichen365. Nach Ansicht des BGH soll ausnahmslos jede Geschäftsführungsaufgabe klar zugeordnet sein müssen366. Daran ist richtig, dass in dem nicht klar zuordenbaren Bereich die pflichtenreduzierende Wirkung nicht eintreten kann, wenn zu befürchten ist, dass sich kein Geschäftsführer zuständig fühlt. Warum die pflichteneinschränkende Wirkung nicht wenigstens in den Bereichen eintreten kann, die klar und eindeutig geregelt sind, erschließt sich jedoch nicht. Dass die Geschäftsverteilung schriftlich (oder in Textform) fixiert ist, ist zwar nicht stets erforderlich367, ebenso wenig eine ausdrückliche Regelung368. Eine schriftliche Dokumentation kann aber geboten sein, wenn in dem konkreten Einzelfall nur so den Erfordernissen der Klarheit und Eindeutigkeit Rechnung getragen werden kann369. Unabhängig davon ist eine explizite schriftliche Festlegung den Geschäftsführern schon mit Blick auf die Beweislast (Rz. 121) dringend zu empfehlen. 123 Die Geschäftsverteilung muss zweitens von allen Geschäftsführern einvernehmlich mit-

getragen werden370. Ein Gesellschafterbeschluss oder auch nur das tatsächliche Einverständnis der Gesellschafter ist dagegen nicht erforderlich371. Die Gesellschafter können allerdings den Geschäftsführern durch Satzungsbestimmung oder – in der Praxis häufiger – durch einfachen Gesellschafterbeschluss (§ 37 Abs. 1) eine Geschäftsverteilung vorgeben (12. Aufl., § 37 Rz. 109, 112). 124 Drittens müssen die jeweiligen Aufgaben Personen zugeordnet werden, die für die Erledi-

gung fachlich und persönlich geeignet sind372. Dieser Eignung müssen sich die Geschäfts-

362 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 m. Bespr. Buck-Heeb, BB 2019, 584; Fleischer, DB 2019, 472; Hoffmann-Becking, NZG 2021, 93; v.d. Linden, NJW 2019, 1039; Schockenhoff, GmbHR 2019, 514; Thölke/Friedrichsen, WPg 2019, 799; Ch. Weber, ZGR 2020, 688. 363 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 24. 364 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 17, 20. 365 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 20; kritisch HoffmannBecking, NZG 2021, 93, 94 f. 366 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 20; kritisch HoffmannBecking, NZG 2021, 93, 95. 367 So aber die früher h.M., u.a. Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 37, unter Hinweis auf die BFH-Rechtsprechung zur Erfüllung der steuerlichen Pflichten nach § 34 Abs. 1 AO (BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443, 446 f. = GmbHR 1985, 309; BFH v. 4.3.1986 – VII S 33/ 85, BFHE 146, 23, 25 f. = GmbHR 1986, 288); dagegen jedoch mit Recht BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 22 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29a, 37; Schockenhoff, GmbHR 2019, 514, 516 f. 368 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 26. 369 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 23. 370 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 17, 21. 371 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 21; Fleischer, DB 2019, 472, 473 f.; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 14; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, § 37 Rz. 27; implizit wohl auch BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 17, 21; anders noch RG v. 3.2.1920 – II 273/ 19, RGZ 98, 98, 100; RG v. 25.9.1928 – II 8/28, HRR 1929 Nr. 750 zu § 35 GmbHG. 372 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 17, 19, 21 im Anschluss an Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 37; Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473, 484.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 125 § 43

führer bei der Aufgabenzuweisung vergewissern373, und sie ist auch in der Folge im Blick zu behalten. Viertens schließlich ist als Grenze der Geschäftsverteilung zu beachten, dass es nicht dele- 125 gierbare Angelegenheiten gibt, die der Gesamtheit der Geschäftsführer vorbehalten sind374. Welche Aufgaben hierunter fallen, ist allerdings nicht im Einzelnen geklärt. Als (jedenfalls durch die Geschäftsführer selbst) nicht delegierbar werden Angelegenheiten von herausragender Bedeutung angesehen, die das Unternehmen als Ganzes betreffen375, wie etwa Maßnahmen zur Bewältigung einer existenzbedrohenden Situation376 oder Grundsatzentscheidungen über die Gestaltung der Geschäftspolitik und der Organisationsstruktur377. Zu bedenken ist dabei, dass Entscheidungen von außergewöhnlicher Bedeutung den Gesellschaftern zur Zustimmung vorzulegen sind (§ 49 Abs. 2), so dass es auf Ebene der Geschäftsführer grundsätzlich nur um Vorschläge und Umsetzung solcher Grundsatzentscheidungen der Gesellschafter gehen kann. Im Aktienrecht werden zu den Mindestzuständigkeiten des Gesamtvorstands darüber hinaus alle weiteren Aufgaben gerechnet, die gegenüber einem anderen Organ der Gesellschaft zu erfüllen sind378. Es liegt nahe, dies auf das GmbH-Recht zu übertragen379. Im Einzelfall kann sich ein Delegationsverbot auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, so etwa im Fall des § 78, der für Handelsregisteranmeldungen ausdrücklich die Mitwirkung sämtlicher Geschäftsführer verlangt380. Auch die Unterzeichnung des festgestellten Jahresabschlusses (§ 245 Satz 1 HGB) hat nach ganz h.M. durch sämtliche Geschäftsführer zu erfolgen381. Allein der Umstand, dass es sich um eine (zumindest auch) im öffentlichen Interesse liegende gesetzliche Pflichtaufgabe der Geschäftsführer handelt (wie z.B. die Massesicherungspflicht nach § 15b Abs. 1 InsO (§ 64 Satz 1 a.F.), die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO oder die Abführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 28e SGB IV), führt dagegen nach der Rechtsprechung des BGH nicht zur Unzulässigkeit einer Ressortzuweisung, sondern dazu, dass in diesem Fall besonders weitgehende Überwachungspflichten der ressortunzuständigen Geschäftsführer bestehen, an deren Erfüllung ein strenger Maßstab anzulegen ist (Rz. 134)382. 373 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 21; näher Schockenhoff, GmbHR 2019, 514, 517; einschränkend Hoffmann-Becking, NZG 2021, 93, 95. 374 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116, 125c f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 32; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 213 ff.; vgl. auch BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 17, 19; offen gelassen von BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, GmbHR 2012, 638 Rz. 23. 375 BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 = MDR 1990, 1025, 1027 Rz. 48 bei juris zum Rückruf gesundheitsgefährdender Ledersprays; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 32; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116. 376 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 125d a.E.; zur AG Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1453. 377 Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116. 378 Hoffmann-Becking in MünchHdb. AG, § 22 Rz. 25; Hüffer/Koch, § 77 AktG Rz. 17. 379 So denn auch Hoffmann-Becking, NZG 2021, 93. 380 Dreher in FS Hopt, 2010, S. 517, 522; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15. 381 Römermann in Michalski u.a., § 46 Rz. 62; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 46 Rz. 9; Störk/Schellhorn in Beck’scher Bilanz-Komm., § 245 HGB Rz. 2; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 22.30, 22.35. 382 Zur Massesicherungs- und Insolvenzantragspflicht BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, II ZR 81/94, GmbHR 1994, 460, 461; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 15 (jeweils mit der missverständlichen – weil auf eine Unzulässigkeit der Ressortaufteilung hindeutenden – Formulierung, dass es um die Wahrnehmung „nicht übertragbarer“ Aufgaben gehe; s. dazu auch § 64 Rz. 63 ff.); zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 378 f. = GmbHR 1997, 25, 26 f.; BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, GmbHR 2001, 236, 237; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 31; ausf. Kleindiek in FS Kayser, 2019, S. 435, 448 ff.; ferner Schockenhoff, GmbHR 2019, 514, 516; abw. – Delegationsverbot – Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116.

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§ 43 Rz. 126 | Haftung der Geschäftsführer 126 Selbst bei Angelegenheiten, die nach Maßgabe der vorstehenden Feststellungen Gesamtlei-

tungsaufgabe sind, ist im Übrigen eine Arbeitsteilung nicht generell ausgeschlossen. So kann die Vorbereitung der Maßnahme einem Geschäftsführer überlassen werden, sofern nur am Ende die Gesamtheit der Geschäftsführer eigenverantwortlich entscheidet383. 127 ccc) Rechtsfolgen einer ordnungsgemäßen Geschäftsverteilung. Liegt eine den vorstehen-

den Anforderungen genügende („wirksame“) Geschäftsverteilung vor, ist zwischen der Ressortverantwortung des zuständigen Geschäftsführers (Rz. 128 f.) und der Überwachungspflicht der übrigen Geschäftsführer (Rz. 130 ff.) zu unterscheiden. Soweit (und nur soweit384) es dagegen an einer der genannten Anforderungen fehlt, bleibt es bei der uneingeschränkten Verantwortlichkeit aller Geschäftsführer. 128 (1) Ressortverantwortung des zuständigen Geschäftsführers. Der zuständige Geschäfts-

führer trägt für die ihm zugewiesenen Aufgaben die volle Handlungsverantwortung (Ressortverantwortung)385. Er ist verpflichtet, den übrigen Geschäftsführern regelmäßig über die wesentlichen Angelegenheiten seines Ressorts zu berichten386. Ist über eine Maßnahme zu entscheiden, die grundsätzliche Fragen der Unternehmenspolitik berührt, muss er das Gesamtorgan befassen387. Ebenso muss er das Geschäftsführerkollegium einschalten, wenn mit dem Widerspruch der nicht ressortzuständigen Geschäftsführer zu rechnen ist388. 129 Fällt eine bestimmte Maßnahme in die Zuständigkeit mehrerer Ressorts, trifft jeden der

zuständigen Ressortleiter die volle Handlungsverantwortung sowie die Verantwortung, sein Handeln im Überschneidungsbereich mit dem oder den anderen Ressortleitern zu koordinieren389. Können sich die zuständigen Ressortleiter nicht auf eine einheitliche Linie verständigen, muss auch hier wieder das Gesamtorgan eingeschaltet werden390. 130 (2) Überwachungspflicht der übrigen Geschäftsführer. Die Ressortverantwortung des zu-

ständigen Geschäftsführers entbindet die Mitgeschäftsführer nicht von ihrer Gesamtverantwortung, die sich auf alle Geschäftszweige erstreckt. Die Geschäftsverteilung führt aber dazu, dass die Sorgfaltspflicht der ressortunzuständigen Geschäftsführer von einer unmittelbaren Handlungs- in eine Überwachungspflicht umgestaltet wird391: Alle Geschäftsführer sind verpflichtet, über die Wahrnehmung der eigenen Ressortverantwortung hinaus auch den Gang

383 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 125e; Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1453. 384 Ist die Geschäftsverteilung nur in einzelnen Punkten unklar, kann sie in anderen, klar geregelten Bereichen durchaus entlastende Wirkung haben; Ch. Weber, ZGR 2020, 688, 702; Thölke/Friedrichsen, WPg 2019, 799, 801. 385 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 118; Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473, 481; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 220. 386 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 21; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 119; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 90. 387 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 183; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 220; zur AG Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 77 AktG Rz. 16. 388 OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 264, 266; Kleindiek in FS Kayser, 2019, S. 435, 439. 389 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 125a f. 390 Paefgen, in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 183; zur AG Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 77 AktG Rz. 16. 391 Allg. M., RG v. 3.2.1920 – II 273/19, RGZ 98, 98, 100; BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 377 f. = GmbHR 1997, 25, 26 f.; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 18; OLG München v. 22.10.2015 – 23 U 4861/14, GmbHR 2015, 1324, 1328 = ZIP 2016, 621, 623; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 119; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 30; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15 f.; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 221; zur AG ausf. Fleischer, NZG 2003, 449, 453 ff.; Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1451 ff.; Wettich, Vorstandsorganisation in der Aktiengesellschaft, 2008, S. 239 ff.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 132 § 43

der Geschäfte in den anderen Ressorts fortlaufend zu beobachten (Rz. 131 ff.) und bei Fehlentwicklungen zu intervenieren (Rz. 135). (a) Intensität der Überwachung. Die Schwierigkeit besteht darin, die Intensität der pflicht- 131 gemäßen Überwachung richtig zu bestimmen. Im Schrifttum wird mit Recht betont, dass sie nicht überspannt werden darf, da andernfalls die Ressortverteilung unterlaufen würde und die Effizienzgewinne einer sinnvollen Arbeitsteilung gefährdet würden392. Es kommt hinzu, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit in einem Kollegialorgan ohne ein gewisses Grundvertrauen in die Arbeit der anderen Amtskollegen nicht denkbar ist393. Die Pflicht zur wechselseitigen Kontrolle wird deshalb durch die Pflicht zur vertrauensvollen Zusammenarbeit begrenzt394. Dem entspricht es, wenn im Schrifttum von einer „Restverantwortung“ gesprochen wird, die sich auf eine „umrisshafte Begleitung“ der anderen Ressorts beschränkt395. In ihrer Kontrolldichte bleibt die horizontale Überwachungspflicht prinzipiell hinter der strengeren Aufsichtspflicht der Geschäftsführer gegenüber den ihnen nachgeordneten Unternehmensangehörigen (Rz. 141 ff.) zurück396, was allerdings nicht ausschließt, dass sie sich im Einzelfall bei besonderen Umständen doch zu einer engmaschigen Kontrolle verdichtet (näher sogleich Rz. 133). Gleichwohl ist die verbleibende Überwachungsaufgabe durchaus anspruchsvoll. Zu verlangen 132 ist zunächst, dass die fortlaufende Berichterstattung über wesentliche Angelegenheiten des Ressorts, die der zuständige Geschäftsführer zu leisten hat (Rz. 128), von den übrigen Geschäftsführern kritisch hinterfragt wird, und zwar sowohl im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit (Legalitätspflicht) als auch die Zweckmäßigkeit (Sorgfaltspflicht i.e.S.)397. In Ermangelung abweichender Anhaltspunkte können die nicht ressortzuständigen Geschäftsführer zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass der zuständige Geschäftsführer seiner Informationspflicht nachkommt und ihnen keine wesentlichen Angelegenheiten seines Ressorts verheimlicht398; insoweit lässt sich an den auch in anderen Rechtsgebieten anerkannten Vertrauensgrundsatz anknüpfen399. Ergeben sich aber erkennbare Lücken in der Berichterstattung, müssen die übrigen Geschäftsführer nachfragen und ggf. zusätzliche Informationen anfordern400. Ihnen steht ein entsprechendes Informationsrecht gegenüber dem ressortzuständigen Geschäftsführer zu401. Bleibt der zuständige Geschäftsführer die Informationen 392 Zur AG Bachmann, Gutachten E zum 70. Deutschen Juristentag, 2014, S. 42 f.; Hüffer/Koch, § 77 AktG Rz. 15 f.; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 77 AktG Rz. 40. 393 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 55; zur AG Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 719. 394 Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 719. 395 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112 („umrisshafte Begleitung“), Rz. 119 („Restverantwortung“). 396 Deutlich OLG Hamm v. 24.4.1991 – 8 U 188/90, GmbHR 1992, 375, 377: „Die gegenüber einem Mitgeschäftsführer bestehende Überwachungspflicht unterscheidet sich von der Aufsichts- und Kontrollpflicht gegenüber den nachgeordneten Angestellten der Gesellschaft. Sie muss auf die primäre Ressortzuständigkeit des Mitgeschäftsführers Rücksicht nehmen und ein „Hineinregieren“ in dessen Zuständigkeitsbereich vermeiden. Der überwachungspflichtige Geschäftsführer ist gegenüber seinen Geschäftsführerkollegen kein Oberrevisor.“ Ebenso Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 119. 397 Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15. 398 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 21 a.E. 399 Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 57; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 174; eingehend Harbarth, ZGR 2017, 211. 400 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 125. 401 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 30; Peters, GmbHR 2008, 682, 685; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 83; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 223; s. auch 12. Aufl., § 37 Rz. 51 (Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider). Nach OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 38 soll sich der Informationsanspruch allein gegen die GmbH, nicht direkt gegen den Mitgeschäftsführer richten.

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§ 43 Rz. 132 | Haftung der Geschäftsführer schuldig, können die übrigen Geschäftsführer verpflichtet sein, nachgeordnete Mitarbeiter oder Dritte zu befragen402. 133 Wie intensiv die übrigen Geschäftsführer die Berichte des ressortzuständigen Kollegen in-

haltlich überprüfen müssen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Klar ist, dass von ihnen grundsätzlich nicht verlangt werden kann, die berichteten Entscheidungen und Entwicklungen vollinhaltlich wie ein Zweitsachbearbeiter zu durchdringen. Bei Fehlen besonderer Verdachtsmomente können sie sich vielmehr regelmäßig auf eine grobmaschige Plausibilitätskontrolle beschränken403. Allerdings muss die Kontrolle umso fundierter ausfallen, je bedeutsamer die Angelegenheit ist404. Erhöhte Anforderungen werden insbesondere in Krisensituationen oder sonstigen Sondersituationen gestellt, in denen das Unternehmen besonders verwundbar erscheint405. Die übrigen Geschäftsführer sollen sich dann auch nicht mehr ohne weiteres mit unbelegten (fern-)mündlichen Informationen des Ressortgeschäftsführers zufriedengeben dürfen406. Eine engmaschigere Überprüfung kann auch der Umstand erfordern, dass der zuständige Geschäftsführer noch unerfahren in seinem Amt ist407 oder sich in einem Interessenkonflikt befindet408. Besondere Achtsamkeit ist schließlich geboten, wenn aufgrund konkreter Verdachtsmomente Zweifel an der Recht- oder Zweckmäßigkeit der Ressortgeschäftsführung bestehen409. Dies gilt auch dann, wenn die verdachtsbegründenden Anhaltspunkte auf außerdienstlich erlangten Informationen beruhen410. Die übrigen Geschäftsführer müssen dann den Verdachtsmomenten unverzüglich nachgehen, durch geeignete Maßnahmen den Verdacht aufklären und ggf. Konsequenzen ziehen (Rz. 135). 134 Eine verschärfte Überwachungspflicht besteht nach der Rechtsprechung des BGH, wenn

Aufgaben in die Ressortverantwortung eines Geschäftsführers gelegt werden, die den Geschäftsführern vom Gesetz (zumindest auch) im öffentlichen Interesse auferlegt sind. Auch solche Aufgaben sind zwar, wie der BGH für die Massesicherungspflicht (§ 64 Satz 1 a.F., seit 1.1.2021 § 15b Abs. 1 InsO) und die Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO)411 sowie die Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung (§ 28e Abs. 4 SGB IV)412 entschieden hat, einer Ressortaufteilung zugänglich. Allerdings nimmt der BGH in diesen Fällen „besonders weitgehende Kontroll- und Überwachungspflichten“ der übrigen Geschäftsführer an, an deren Erfüllung ein „strenger Maßstab“ anzulegen ist413. 402 OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 39. 403 Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 720 (zur AG). 404 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 121; zur AG Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rz. 446; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 720. 405 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 123; Habersack, WM 2005, 2360, 2362; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rz. 446; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 720; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 177. 406 BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, GmbHR 2001, 236, 237; OLG Düsseldorf v. 27.10.1995 – 22 U 53/95, GmbHR 1996, 368 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 123; krit. Habersack, WM 2005, 2360, 2362 f. 407 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 121; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 720. 408 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, II ZR 81/94, GmbHR 1994, 460, 461 f. (Anlass zu erhöhter Kontrolle bei naheliegender Gefahr von Interessenkollisionen); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 123 a.E.; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 720. 409 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 122; Löbbe/Fischbach, AG 2014, 717, 720; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 225. 410 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 225; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 122. 411 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, II ZR 81/94, GmbHR 1994, 460, 461; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 15. 412 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 377 f. = GmbHR 1997, 25, 26 f.; BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, GmbHR 2001, 236, 237. 413 Zur Massesicherungs- und Insolvenzantragspflicht BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, II ZR 81/94, GmbHR 1994, 460, 461; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 137 § 43

(b) Interventionspflicht, Pflichten überstimmter Geschäftsführer. Die nicht ressortzustän- 135 digen Geschäftsführer müssen die Geschäftsverteilung grundsätzlich respektieren; sie dürfen sich daher nicht ohne triftigen Grund in die Geschäftsführung eines anderen Ressorts aktiv „einmischen“414 oder gar in dieses „hineinregieren“415. Sofern sich aber Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die ordnungsgemäße Erfüllung der Geschäftsleiterpflichten durch den Ressortgeschäftsführer nicht mehr gewährleistet ist, trifft die übrigen Geschäftsführer eine Interventionspflicht416. Etwaige Verdachtsmomente müssen sie aufklären und bei nicht pflichtgemäßer Leitung des Ressorts alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um diesen Zustand zu beenden417. Soweit sich die Angelegenheit nicht durch einen Hinweis an den Ressortgeschäftsführer bereinigen lässt, ist daher jeder Mitgeschäftsführer verpflichtet, eine Beratung und Abstimmung im Gesamtgremium herbeizuführen, um den pflichtwidrigen Zustand zu beenden oder eine drohende Pflichtverletzung abzuwenden418. Sofern die Mehrheit der Geschäftsführer keinen Anlass sieht, gegen den pflichtwidrigen Zu- 136 stand einzuschreiten, kann sich ein überstimmter Geschäftsführer nicht schon damit entlasten, dass er überstimmt wurde. Vielmehr ist er nicht nur verpflichtet, bei seinen Amtskollegen nachdrücklich Gegenvorstellungen anzubringen, sondern – falls diese sich uneinsichtig zeigen – in aller Regel auch dazu, die Gesellschafter oder ein etwaiges Kontrollorgan (Aufsichtsrat, Beirat) zu informieren419. Zudem darf er sich nicht an der Ausführung des pflichtwidrigen Beschlusses beteiligen420. Eine Pflicht, gegen den pflichtwidrigen Beschluss der Geschäftsführer Klage zu erheben, be- 137 steht dagegen für den überstimmten Geschäftsführer jedenfalls grundsätzlich nicht. Ausnahmen werden im Schrifttum allenfalls in eng begrenzten Sonderfällen in Betracht gezogen, wenn durch die Ausführung des Beschlusses besonders erhebliche Vermögensschäden drohen421. Unterschiedlich beurteilt wird, ob der überstimmte Geschäftsführer auch verpflichtet sein kann, mit der Amtsniederlegung nicht nur zu drohen, sondern diese auch zu vollzie-

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Rz. 15; zur Abführung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 378 f. = GmbHR 1997, 25, 27 („besonders streng“). Eingehend zu dieser Rechtsprechung Kleindiek in FS Kayser, 2019, S. 435, 448 ff. OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 39; OLG Zweibrücken v. 26.11.1998 – 6 U 57/97, NZG 1999, 506, 508 („hat sich herauszuhalten“); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 30; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 181. OLG Hamm v. 24.4.1991 – 8 U 188/90, GmbHR 1992, 375, 377; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 30. S. etwa BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, ZIP 1985, 1135, 1136; BGH v. 20.3.1986 – II ZR 141/85, NJW-RR 1986, 1293; BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = GmbHR 1997, 25, 27; BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, GmbHR 2001, 236, 237; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 30; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 227. Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 228; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 30. BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106 = MDR 1990, 1025, 1027 (Beschlussfassung über den Rückruf gesundheitsgefährdender Ledersprays); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 30a; Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473, 483; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 227. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 30; Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473, 483; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 228, 303; zur AG (Einschaltung des Aufsichtsrats) LG München I v. 10.12.2013 – 5 HKO 1387/10, ZIP 2014, 570, 575 – Siemens/Neubürger; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1014; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 371. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 77 AktG Rz. 50 (zur AG). Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 254; Altmeppen in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 7.73 („krasse Ausnahmefälle“).

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§ 43 Rz. 137 | Haftung der Geschäftsführer hen422. Mehr spricht dafür, die Frage zu verneinen, wenn und weil nicht erkennbar ist, dass der Vollzug der Amtsniederlegung geeignet wäre, dem Missstand abzuhelfen423. Unstreitig ist dagegen, dass der überstimmte Geschäftsführer, der gegen eine pflichtwidrige Geschäftsführung erfolglos remonstriert hat, zur Amtsniederlegung immerhin berechtigt ist424. 138 Es bleibt die Frage, unter welchen Voraussetzungen der überstimmte Geschäftsführer be-

rechtigt und sogar verpflichtet ist, gesellschaftsexterne Dritte zu informieren, insbesondere die zuständigen Behörden und u.U. auch die Öffentlichkeit. Einigkeit besteht – jedenfalls bisher425 –, dass ein Geschäftsführer zu dem Mittel des externen Whistleblowing grundsätzlich erst greifen darf, nachdem er die gesellschaftsinternen Einflussmöglichkeiten (Gegenvorstellung, Information der Gesellschafter oder des Aufsichtsorgans) erfolglos ausgeschöpft hat426. Ist diese Voraussetzung gegeben, wird man unterscheiden müssen. Zulässig ist die externe Meldung, wenn dem Geschäftsführer sonst eine persönliche Außenhaftung droht427. Sie ist darüber hinaus auch geboten, wenn (wie im Fall des § 138 StGB) eine gesetzliche Anzeigepflicht besteht oder nur durch die externe Meldung das Gesellschaftsvermögen vor (weiteren) Schäden bewahrt werden kann428. 139 (3) Strengere Anforderungen an den Vorsitzenden der Geschäftsführung? Wiewohl die

Bestellung eines Vorsitzenden der Geschäftsführung im GmbHG nicht vorgesehen ist, ist sie unstreitig auf Grundlage der Satzung oder eines Gesellschafterbeschlusses zulässig (12. Aufl., § 37 Rz. 73). Daher stellt sich auch im GmbH-Recht die bisher vor allem für den Vorstandsvorsitzenden der AG diskutierte Frage, ob den Vorsitzenden eine strengere Überwachungspflicht trifft als die anderen Geschäftsführer. Im Schrifttum begegnen sowohl ablehnende429 422 Eine Pflicht zur Amtsniederlegung ablehnend Altmeppen in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 7; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 31; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 193; befürwortend nach Lage des Einzelfalls dagegen Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 228 („unter Umständen“); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 30a, und Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 57 („im Extremfall“); in Fällen, in denen ein Geschäftsführer durch einen faktischen Geschäftsführer oder die Gesellschafter an der Wahrnehmung seiner Aufgaben gehindert wird, auch BFH v. 25.4.1989 – VII S 15/89, BFH/NV 1989, 757 Rz. 9 bei juris; BFH v. 9.1.1996 – VII B 189/95, BFH/NV 1996, 589 Rz. 14 f.; BFH v. 12.10.1999 – VII B 54/99, GmbHR 2000, 395, 398. 423 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 30a. Davon zu trennen ist die (Kausalitäts-)Frage, ob die Amtsniederlegung die Ausführung des rechtswidrigen Beschlusses verhindert hätte; Fleischer, BB 2004, 2645, 2649. 424 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 193; zur AG Fleischer, BB 2004, 2645, 2649 m.w.N. 425 Abzuwarten bleibt, ob und inwieweit die Umsetzung der auch auf Organwalter anwendbaren Whistleblower-Richtlinie (Richtlinie [EU] 2019/1937 v. 23.10.2019, ABl. EU Nr. L 305 v. 26.11.2019, S. 17) den Vorrang interner vor externen Meldungen aufweichen wird; dazu Aszmons/Herse, DB 2019, 1849, 1850 f.; Schmolke, NZG 2020, 5, 6 f., 8. 426 BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968 Rz. 11; OLG Hamm v. 7.11.1984 – 8 U 8/84, GmbHR 1985, 157; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 253; Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1014; Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473, 483; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 68; in Bezug auf Arbeitnehmer auch § 17 Abs. 2 Satz 1 ArbSchG und BAG v. 15.12.2016 – 2 AZR 42/16, NZA 2017, 703 Rz. 14: Soweit ihm dies zumutbar ist, hat der Arbeitnehmer in erster Linie interne Stellen zu befassen, bevor er sich an die Staatsanwaltschaft wendet. 427 Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47. 428 Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1015; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 253; weitergehend Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473, 483: auch, wenn Dritten schwere Schäden drohen. Regelmäßig wird die Abwehr von Schäden Dritter, für die die GmbH haftbar wäre, allerdings schon zur Abwehr von Schäden für die Gesellschaft geboten sein. 429 Fleischer in Spindler/Stilz, § 77 AktG Rz. 56; Fleischer, NZG 2003, 449, 455; v. Hein, ZHR 166 (2002), 464, 487 ff.; Hüffer/Koch, § 84 AktG Rz. 29, § 93 AktG Rz. 42; zurückhaltend auch Habersack in Karlsruher Forum 2009, S. 5, 26.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 140 § 43

als auch grundsätzlich befürwortende Stimmen, die davon ausgehen, dass dem Vorsitzenden die Gesamtüberwachung der Unternehmensleitung als Primäraufgabe auferlegt sei, während den übrigen Organmitgliedern die Überwachung fremder Ressorts nur sekundär neben der eigenen Ressortverantwortung obliege430. Mitunter wird auch differenziert und eine gesteigerte Überwachungsverantwortung nur angenommen, wenn dem Vorsitzenden in der Geschäftsverteilung gerade die Pflicht zur vorstandsinternen Überwachung zugewiesen ist431. Nach hier vertretener Ansicht ist zu unterscheiden. Sofern dem Vorsitzenden nicht nur verfahrensrechtliche Sonderrechte (wie die Leitung der Geschäftsführersitzungen) zustehen, sondern ihm – wie häufig – auch die inhaltliche Koordination der Arbeit der Geschäftsführer zugewiesen ist, ergibt sich unmittelbar aus dieser Aufgabenzuweisung eine besondere Verantwortung, darüber zu wachen, dass die Leitung der verschiedenen Ressorts grundsätzlich miteinander harmoniert und es im Grenz- oder Überschneidungsbereich mehrerer Ressorts nicht zu Lücken, Konflikten oder Ineffizienzen der Geschäftsführung kommt. In dieser koordinierungsspezifischen Überwachung erschöpft sich aber auch die besondere Überwachungspflicht des Vorsitzenden. Eine im Vergleich zu den übrigen Geschäftsführern generell gesteigerte Pflicht zur Überwachung von Ressortgeschäftsführungsmaßnahmen lässt sich aus der Koordinierungsaufgabe nicht ableiten432. (4) Gesteigerte Anforderungen bei sachnahem Ressort? Nach einer vielbeachteten Ent- 140 scheidung des VG Frankfurt a.M. soll der Leiter eines dem pflichtwidrig geführten Ressort „sachnahen“ Ressorts einer gesteigerten Überwachungspflicht unterliegen. Er soll sich nicht wie die übrigen Geschäftsführer auf eine Plausibilitätskontrolle zurückziehen dürfen, sondern auch ohne besondere Verdachtsmomente fortlaufend gehalten sein, aktiv nachzufassen und sich verifizierbare Unterlagen zur Leitung des anderen Ressorts zu beschaffen433. Diese Entscheidung ist mit Recht überwiegend auf Ablehnung gestoßen. Abgesehen davon, dass sich das Kriterium der Sachnähe kaum präzise fassen lässt, ist eine derart gesteigerte Überwachungspflicht mit der zu Recht anerkannten Zulässigkeit einer Ressortbildung im Kern unvereinbar, da sie den sachnahen Ressortleiter letztlich zum Superrevisor seines Amtskollegen macht434. Auf einem anderen Blatt steht, dass ein „sachnäherer“ Mitgeschäftsführer im Rahmen der von ihm geschuldeten Plausibilitätskontrolle eher als andere Mitgeschäftsführer in der Lage sein mag, Ungereimtheiten in einem Nachbarressort aufzuspüren, und dann auch verpflichtet ist, diesen nachzugehen435. Darin liegt jedoch keine besonders gesteigerte Überwachungspflicht des sachnahen Ressortgeschäftsleiters, sondern lediglich die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes, dass jeder Geschäftsführer, der über spezielle individuelle Fähigkeiten verfügt, diese auch einzusetzen hat (Rz. 275)436.

430 So ausdrücklich T. Bezzenberger, ZGR 1996, 661, 672; für gesteigerte Überwachungspflicht des Vorsitzenden auch Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 377; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rz. 447; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 33; einschr. – nur, soweit dem Vorsitzenden eine besondere Koordinierungsfunktion zugewiesen ist – Wettich, Vorstandsorganisation in der Aktiengesellschaft, 2008, S. 264 f. 431 Hölters in Hölters, § 93 AktG Rz. 236; wohl auch Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 183; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 16. 432 Ähnlich Wettich, Vorstandsorganisation in der Aktiengesellschaft, 2008, S. 264 f. 433 VG Frankfurt a.M. v. 8.7.2004 – 1 E 7363/03, AG 2005, 264, 265 f.; der Differenzierung zwischen sachnahen und -fernen Ressorts zustimmend Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rz. 446; für Sachnähe als Kriterium der Intensität der Überwachungspflicht auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 23; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 28. 434 Dezidiert ablehnend daher auch Habersack, WM 2005, 2360, 2363 f.; Habersack in Karlsruher Forum 2009, S. 5, 27 f.; ferner Dreher, AG 2006, 213, 216 f.; Hölters in Hölters, § 93 AktG Rz. 236; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 377; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 42; Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1452; Wolf, VersR 2005, 1042, 1045. 435 Habersack, WM 2005, 2360, 2364; Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1452. 436 Nietsch, ZIP 2013, 1449, 1452.

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§ 43 Rz. 141 | Haftung der Geschäftsführer cc) Überwachungspflicht bei vertikaler Arbeitsteilung (Aufgabendelegation an Mitarbeiter) 141 aaa) Ausgangspunkt. Ebenso wie eine horizontale Delegation innerhalb des Geschäftsfüh-

rergremiums ist auch eine vertikale Delegation von Aufgaben auf nachgeordnete Angestellte grundsätzlich zulässig und – von Kleinstunternehmen abgesehen – praktisch unumgänglich. Wiederum verhält es sich so, dass bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (Rz. 142 f.) die Handlungspflicht des Geschäftsführers in eine Überwachungspflicht (Rz. 144 ff.) umgestaltet wird. Anknüpfungspunkt einer möglichen Haftung des Geschäftsführers nach Abs. 2 ist auch in diesen Fällen immer nur eine eigene Pflichtverletzung des Geschäftsführers. Mögliches Fehlverhalten der nachgeordneten Mitarbeiter ist ihm nicht nach § 278 BGB zuzurechnen, da diese nicht als Erfüllungsgehilfen des Geschäftsführers, sondern im Pflichtenkreis der Gesellschaft tätig sind437. 142 bbb) Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Delegation. (1) Delegationsfähige Aufga-

be. Grundvoraussetzung ist, dass die betreffende Aufgabe überhaupt auf nachgeordnete Ebenen delegierbar ist. Daran fehlt es bei Aufgaben, die schon innerhalb der Geschäftsführergremiums nicht delegierbar sind, sondern zwingend der Gesamtzuständigkeit der Geschäftsführer unterliegen; wie erwähnt sind damit vor allem Angelegenheiten von herausragender Bedeutung angesprochen, die das Unternehmen als Ganzes betreffen (Rz. 125). Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Pflichtaufgaben, die das Gesetz ausdrücklich den Geschäftsführern zuweist und daher nicht von nachgeordneten Mitarbeitern erledigt werden können438, z.B. die Einreichung von Gesellschafterlisten (§ 40), die Sorge für die Buchführung (§ 41), die Einberufung von Gesellschafterversammlungen (§ 49), Handelsregisteranmeldungen (§ 78) oder die Stellung des Insolvenzantrags (§ 15a InsO). Allerdings bleibt auch in diesen Fällen die Delegation von Vorbereitungsmaßnahmen und Ausführungshandlungen zulässig439. Wird eine nicht delegationsfähige Aufgabe auf einen Mitarbeiter delegiert, liegt schon darin eine Verletzung des Geschäftsführers gegen seine Sorgfaltspflicht aus § 43 Abs. 1440; die volle Handlungsverantwortung bleibt beim Geschäftsführer. 143 (2) Sorgfältige Auswahl und Einweisung. Eine ordnungsgemäße Delegation setzt ferner vo-

raus, dass die Delegierten sorgfältig ausgewählt und in ihre Aufgabe eingewiesen werden441. Die sorgfältige Auswahl setzt voraus, dass nur Personen, die für die betreffende Aufgabe in persönlicher und fachlicher Hinsicht geeignet sind, mit der Aufgabenerfüllung betraut werden442. Zu diesem Zweck sind bei der Einstellung tätigkeitsspezifische Informationen einzuholen, etwa in Bezug auf Vermögensstraftaten eines Bankangestellten oder Buchhalters443. Eine sorgfältige Einweisung bedingt zunächst, dass der Kreis der zu erledigenden Aufgaben klar definiert und erläutert wird, auch in Abgrenzung zu den Zuständigkeiten anderer Mitarbeiter444. Ferner muss klar sein, an wen der Mitarbeiter berichtet und wer ihm als An-

437 Allg. M., etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 126; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31. 438 Dreher in FS Hopt, 2010, S. 517, 522. 439 Dreher in FS Hopt, 2010, S. 517, 526 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 128; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 231. 440 Dreher in FS Hopt, 2010, S. 517, 534 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 127; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 28. 441 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336, 347 = GmbHR 1995, 38; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 131 ff.; Fleischer, AG 2003, 291, 292 f.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 28 f.; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 49; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 233. 442 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 29; näher Linnertz, Die Delegation durch den Vorstand der AG, 2020, S. 240 ff. 443 Beispiel nach Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132. 444 Schmidt-Husson in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 6 Rz. 26.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 146 § 43

sprechpartner bei Nachfragen und Unklarheiten zur Seite steht445. Auf besondere Risiken und typische Fehler ist hinzuweisen; dies gilt insbesondere auch für Risiken aus Rechtsverletzungen, die in dem betreffenden Bereich typischerweise drohen (z.B. aus dem Kartellrecht oder dem Antikorruptionsrecht für Mitarbeiter im Vertrieb oder im Einkauf)446. Insbesondere bei Änderungen der Anforderungen gehören zur sorgfältigen Einweisung auch Fortbildungs- und Schulungsmaßnahmen447. Fehlt es an einer sorgfältigen Auswahl oder Instruktion, liegt auch darin bereits für sich genommen eine Verletzung der Pflicht aus § 43 Abs. 1. Soweit der Verstoß reicht, bleibt die volle Handlungsverantwortung beim Geschäftsführer. ccc) Rechtsfolge einer ordnungsgemäßen Delegation: Überwachungspflicht des Geschäfts- 144 führers. (1) Allgemeines. Auch wenn die genannten Voraussetzungen eingehalten sind, ist der delegierende Geschäftsführer nicht von seiner Sorgfaltspflicht für den übertragenen Aufgabenbereich entbunden. Die Delegation bewirkt stattdessen, dass – im Grundansatz wie bei der horizontalen Delegation innerhalb des Geschäftsführergremiums – an die Stelle einer unmittelbaren Handlungspflicht eine Überwachungspflicht des Geschäftsführers tritt448. Diese Überwachungspflicht erstreckt sich sowohl darauf, dass die nachgeordneten Mitarbeiter den Verbandszweck, also typischerweise die Gewinnerzielung, fördern (Zweckmäßigkeitskontrolle), als auch darauf, dass sie rechtmäßig handeln (Rechtmäßigkeits-/Legalitätskontrolle). Der letztere Teil der Überwachungspflicht wird auch als Legalitätskontrollpflicht bezeichnet (s. dazu noch gesondert Rz. 151 ff.). Von (sehr) kleinen Unternehmen abgesehen wird es sich regelmäßig so verhalten, dass nicht 145 nur die Geschäftsführer Aufgaben delegieren, sondern die Delegierten der ersten Ebene unterhalb der Geschäftsführung ihrerseits Aufgaben an nachgeordnete Ebenen weiterdelegieren, so dass sich u.U. tief gestaffelte Delegationsketten ergeben. Es versteht sich, dass ein Geschäftsführer nicht sämtliche Hierarchieebenen seines Ressorts selbst überwachen kann und muss. Sofern die Delegierten der ersten Ebene unterhalb des Geschäftsführers ihrerseits Aufgaben auf nachgeordnete Ebenen delegieren, beschränkt sich die Überwachungspflicht des Geschäftsführers vielmehr auf die ihm unmittelbar unterstellten Mitarbeiter, freilich mit der Maßgabe, dass sich die Überwachung dieser Mitarbeiter auch darauf erstrecken muss, dass diese ihrerseits die ihnen nachgeordneten Sub-Delegierten sorgfältig einweisen, instruieren und überwachen449. (2) Intensität der Überwachung. Das geschuldete Ausmaß an Überwachung lässt sich nur 146 schwer konkretisieren. Aus der Überwachungspflicht ergibt sich zunächst, dass der Geschäftsführer Verdachtsmomenten einer pflichtwidrigen Aufgabenerledigung unverzüglich nachgehen muss450. Allerdings darf er nicht einfach abwarten, bis er Kenntnis von einem Fehlverhalten oder Verdachtsmomenten erhält. Vielmehr muss er in seinem Ressort schon vorab die organisatorischen Vorkehrungen dafür treffen, dass rechts- oder zweckwidrigem Verhalten der Mitarbeiter durch laufende Kontrollmaßnahmen so vorgebeugt wird, dass er unter nor445 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 49. 446 Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, S. 473, 486; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133; speziell zur Legalitätskontrolle s. auch noch Rz. 151 ff. 447 Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, S. 473, 486; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 29. 448 BGH v. 7.11.1994 – II ZR 270/93, BGHZ 127, 336, 347 = GmbHR 1995, 38; BGH v. 9.1.2001 – VI ZR 407/99, GmbHR 2001, 236, 237; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 131, 134 ff.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 30; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 50; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 237 ff. 449 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 141; Schmidt-Husson in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 6 Rz. 37: „Überwachung der Überwacher“. 450 BGH v. 8.10.1984 – II ZR 175/83, GmbHR 1985, 143, 144 Rz. 13 bei juris; OLG Koblenz v. 10.6.1991 – 6 U 1650/89, GmbHR 1991, 416, 417 (Untätigkeit trotz Feststellung eines substantiellen Fehlbetrags in der Kasse).

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§ 43 Rz. 146 | Haftung der Geschäftsführer malen Umständen mit einer ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung rechnen kann451, und er guten Gewissens davon ausgehen darf, dass Anhaltspunkte für ein mögliches Fehlverhalten frühzeitig aufgedeckt werden und ihm zur Kenntnis gelangen452. Welche Vorkehrungen dazu im Einzelnen gehören, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, namentlich von der Größe und dem Risikoprofil des Unternehmens. Bedeutsam ist insbesondere die Schaffung eines der Größe des Unternehmens angemessenen funktionsfähigen Berichtssystems mit klar definierten Berichtslinien und Verantwortlichkeiten, das darauf gerichtet ist, Anhaltspunkte für Fehlentwicklungen möglichst früh aufzudecken (s. schon Rz. 64, 67). Zu denken ist ferner an Schutzvorkehrungen, die mögliches Fehlverhalten jedenfalls in sensiblen, anfälligen Bereichen schon präventiv erschweren (z.B. Vieraugenprinzip, Vorkehrungen zum Schutz von Interessenkonflikten). Darüber hinaus werden im Bereich der Legalitätskontrolle wiederkehrende Stichproben verlangt, die den Mitarbeitern kontinuierlich ins Bewusstsein heben, dass Pflichtverletzungen nicht unentdeckt bleiben werden453. Ist (ausnahmsweise) abzusehen, dass stichprobenartige Kontrollen nicht ausreichen, um die genannte Wirkung zu erzielen, können auch umfassendere Prüfungen erforderlich sein454. 147 Allerdings hat der BGH in seiner Rechtsprechung zur Verletzung der Aufsichtspflicht nach

§ 130 OWiG mit Recht betont, dass es nicht darum gehen kann, durch eine möglichst umfassende Beaufsichtigung der Mitarbeiter jegliche Zuwiderhandlung gegen betriebliche Pflichten zu verhindern, und dass im Gegenteil von zu starkem Misstrauen geprägte Aufsichtsmaßnahmen das Betriebsklima erheblich beeinträchtigen können455. Ein (nahezu) flächendeckendes Kontrollnetz wird daher keinesfalls verlangt; vielmehr gilt auch im Bereich der vertikalen Delegation der Vertrauensgrundsatz456. Nimmt man diesen Grundsatz ernst, liegt die Folgerung nahe, dass Kontrollmaßnahmen, die über die regelmäßige Berichterstattung und anlassbezogene Kontrollen bei Verdachtsmomenten hinausgehen (wie z.B. verdachtsunabhängige Stichproben), grundsätzlich auf solche Bereiche konzentriert werden dürfen, die entweder durch ihre besondere Bedeutung oder durch ihre besondere Anfälligkeit für Fehlverhalten gesteigerte Aufmerksamkeit erfordern457. Wie im Fall der horizontalen Delegation (Rz. 133) müssen allerdings gesteigerte Anforderungen gelten, wenn im Einzelfall das Vertrauen in die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung aufgrund besonderer Umstände

451 BGH v. 8.10.1984 – II ZR 175/83, GmbHR 1985, 143, 144 Rz. 13 bei juris; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138 f.; Schmidt-Husson in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 6 Rz. 35. 452 Schmidt-Husson in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 6 Rz. 32. 453 Aus der Rechtsprechung zu § 130 OWiG BGH v. 11.7.1956 – 1 StR 306/55, BGHSt 9, 319 = LMRR 1956, 25 unter II. 4.; BGH v. 23.3.1973 – 2 StR 390/72, BGHSt 25, 158, 163 = NJW 1973, 1511; BGH v. 25.6.1985 – KRB 2/85, NStZ 1986, 34, 35; OLG Düsseldorf v. 27.3.2006 – VI-Kart 3/ 05 (OWi), WuW/E DE-R 1733, 1745; ferner Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, 5. Aufl. 2018, § 130 OWiG Rz. 43, 64; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 139; Schmidt-Husson in Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 6 Rz. 35. 454 BGH v. 25.6.1985 – KRB 2/85, NStZ 1986, 34, 35 (zu § 130 OWiG); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 139. 455 BGH v. 11.3.1986 – KRB 7/85, WuW/E BGH 2262 (Rz. 10) bei juris. 456 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 139; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 407; eingehend Harbarth, ZGR 2017, 211; vgl. auch BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = GmbHR 1997, 25, 27: „Auch wird er [scil. der Geschäftsführer] sich bei ordnungsgemäßer Organisation im Allgemeinen auf die Erledigung durch die dazu berufenen Personen verlassen können, solange zu Zweifeln kein Anlass besteht.“ 457 Letzteres ist namentlich dann anzunehmen, wenn es in einem bestimmten Bereich bereits in der Vergangenheit zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist; zu diesem Kriterium auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 140; zu § 130 OWiG OLG Zweibrücken v. 25.6.1998 – 1 Ss 100/98, NStZ 1999, 311 f.; Gürtler in Göhler, § 130 OWiG Rz. 13 m.w.N.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 151 § 43

beeinträchtigt ist, etwa weil der Delegierte sich noch einarbeiten muss, einem Interessenkonflikt unterliegt etc. Da es nicht die eine angemessene Überwachungsorganisation gibt, steht dem Geschäftsfüh- 148 rer anerkanntermaßen ein Organisationsermessen zu, wie er die Überwachung in seinem Ressort organisiert458. Das führt zu der bisher nicht abschließend geklärten Frage, ob sich der Geschäftsführer bei Entscheidungen über die Ausgestaltung der Überwachungsorganisation auf die Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG analog) berufen kann. Diese Frage bereitet keine Schwierigkeiten, soweit es lediglich um die Kontrolle der Zweckmäßigkeit (und nicht auch der Rechtmäßigkeit) des Handelns der Mitarbeiter geht. Die Entscheidung darüber, welcher Aufwand an organisatorischen Vorkehrungen bei Abwägung von Kosten und Nutzen zweckmäßig ist, um eine möglichst effiziente Zweckverfolgung (Gewinnerzielung) durch die Mitarbeiter zu gewährleisten, ist zweifellos – und soweit ersichtlich unstreitig – eine unternehmerische Entscheidung; insoweit steht daher der Anwendung der Business Judgment Rule nichts im Wege. Dagegen verhält es sich bei der Legalitätskontrolle so, dass diese dem Geschäftsführer nicht nur im Eigeninteresse der Gesellschaft aufgegeben ist, sondern (auch) im Allgemeininteresse an der Befolgung der Gesetze (Rz. 154). In Bezug auf die Einschätzung, welches Mindestmaß an Legalitätskontrolle erforderlich und zumutbar ist, kann sich der Geschäftsführer daher nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht nicht auf die Business Judgment Rule berufen (näher Rz. 155). (3) Interventionspflicht. Liegen Anhaltspunkte vor, dass delegierte Aufgaben nicht pflicht- 149 gemäß wahrgenommen werden, muss der Geschäftsführer diesen Verdachtsmomenten nachgehen (Rz. 146) und bei Bestätigung des Verdachts eingreifen, d.h. alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung wieder herzustellen459. Dazu muss er die Aufgabe nicht selbst übernehmen, aber jedenfalls die erforderlichen Anweisungen erteilen460 und notfalls die zuständigen Mitarbeiter auswechseln461. dd) Überwachungspflicht bei externer Delegation (Outsourcing) Im Prinzip vergleichbare Regeln gelten schließlich, wenn Unternehmensfunktionen auf ex- 150 terne Dienstleister übertragen werden (Outsourcing). Auch hier muss dafür Sorge getragen werden, dass der Dienstleister sorgfältig ausgewählt, instruiert und überwacht wird, so dass die ordnungsgemäße Aufgabenerledigung in gleicher Weise gewährleistet ist wie bei interner Delegation462. Dies kann es nach Lage des Einzelfalls erfordern, sich anstelle des arbeitsrechtlichen Weisungsrechts vertragliche Einwirkungsrechte auf den Dienstleister vorzubehalten463. Sektorspezifische Ausprägungen dieser Überwachungspflicht finden sich für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen in § 25b KWG, § 32 VAG. ee) Die Legalitätskontrollpflicht im Besonderen aaa) Grundlagen. Besondere Aufmerksamkeit hat in jüngerer Zeit derjenige Teil der Über- 151 wachungspflicht erfahren, der sich auf die Rechtmäßigkeit des Handelns aller Ebenen des Unternehmens bezieht. In Abgrenzung zur Legalitätspflicht i.e.S., welche die Geschäftsführer dazu anhält, sich selbst bei ihrem eigenen Handeln für die Gesellschaft rechtmäßig zu ver-

458 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 28; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 229; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 83; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 138; Ott, ZGR 2017, 149, 162 f. 459 S. nur Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 238 ff. 460 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = GmbHR 1997, 25, 28. 461 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 240. 462 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 242. 463 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 242.

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§ 43 Rz. 151 | Haftung der Geschäftsführer halten (Rz. 106), pflegt man ihre Pflicht, im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren auch für rechtmäßiges Handeln der übrigen für die Gesellschaft handelnden Personen Sorge zu tragen, im neueren Schrifttum als Legalitätskontrollpflicht zu bezeichnen464. Terminologisch variierend wird dieselbe Pflicht teilweise auch als Legalitätsdurchsetzungspflicht465, Legalitätsorganisationspflicht466, Compliance-Pflicht467 oder Compliance-Organisationspflicht468 bezeichnet. Wie bei der Legalitätspflicht handelt es sich auch bei der Legalitätskontrollpflicht um eine Ausprägung der allgemeinen Sorgfaltspflicht nach § 43 Abs. 1469. 152 Die Legalitätskontrollpflicht steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Legalitätspflicht.

Besonders augenfällig ist dies im Anwendungsbereich des § 130 OWiG, da nach dieser Vorschrift (i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG) der Geschäftsführer sich selbst nur legal verhält, wenn er durch „gehörige Aufsicht“ dafür sorgt, dass betriebsbezogene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten der Angestellten unterbleiben oder zumindest wesentlich erschwert werden. Diese Verpflichtung des Geschäftsführers im Außenverhältnis wird – wie bei anderen im Außenverhältnis bestehenden gesetzlichen Pflichten auch – über das Bindeglied der Legalitätspflicht in das Innenverhältnis zwischen Geschäftsführer und GmbH transportiert (Rz. 107). Ein Verstoß des Geschäftsführers gegen § 130 OWiG im Außenverhältnis begründet daher zugleich im Innenverhältnis einen Verstoß gegen die Legalitätspflicht470. Entsprechendes gilt, soweit der Geschäftsführer nach den Grundsätzen der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Geschäftsherrenhaftung als Überwachergarant (§ 13 StGB, § 8 OWiG) straf- bzw. bußgeldrechtlich dafür verantwortlich ist, betriebsbezogene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten der Mitarbeiter zu verhindern471. 153 Sofern man die Legalitätspflicht mit einer verbreiteten Ansicht auch auf nicht straf- oder

bußgeldbewehrte gesetzliche Pflichten erstreckt (was allerdings streitig und zweifelhaft ist, Rz. 111), ist es konsequent, den Geschäftsführern auch in Bezug auf diese Gesetze eine Pflicht

464 Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403; Bicker, AG 2012, 542, 543; M. Arnold, ZGR 2014, 76, 79; Bachmann, ZIP 2014, 579, 581; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 45; Paefgen, WM 2016, 433, 436; aus der Kommentarliteratur etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 142; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 6; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 115. 465 Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 145; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), Einl. A I, § 17 A. 466 Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 380. 467 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 142; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 32; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 6c. 468 Bicker, AG 2012, 542, 543. 469 Heute ganz h.M., Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 145; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403 f.; jeweils m.w.N.; für Einordnung als Unterfall der organschaftlichen Treuepflicht dagegen nunmehr Schall in FS E. Vetter, 2019, S. 659, 667 ff. (unter Bezugnahme auf entsprechende Entwicklungen in der Rechtsprechung von Delaware). 470 H.M., etwa v. Busekist/Hein, CCZ 2012, 41, 43 f.; Fleischer, BB 2008, 1070, 1072; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 141; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 77; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Wagner, CCZ 2009, 8, 13; a.A. aber Bachmann, ZIP 2014, 579, 581; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 147; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 17 E IV; Wilsing in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 31.27; auf Grundlage eines von der h.M. abweichenden engen Verständnisses der Legalitätspflicht, das Ordnungswidrigkeiten generell ausklammert, auch Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 375, 381 f. 471 Zur strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung s. BGH v. 10.10.2011 – 4 StR 71/11, BGHSt 57, 42, 45 f.; Fischer, 67. Aufl. 2020, § 13 StGB Rz. 67 ff.; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 10 B II 3 m.w.N.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 155 § 43

zur Legalitätskontrolle aufzuerlegen472. Diese Konsequenz lässt sich auf den Grundgedanken der Delegation zurückführen473: Wenn der Geschäftsleiter Aufgaben durch andere Unternehmensangehörige erledigen lässt, trifft ihn die Pflicht, den Delegierten so auszuwählen, einzuweisen und zu überwachen, dass die Aufgabe in einer Weise wahrgenommen wird, wie es seiner eigenen Pflichtbindung entspräche, d.h. so, dass der Gesellschaftszweck gefördert wird und die Grenzen des rechtlich Zulässigen nicht überschritten werden. Aufgrund der Delegation mutieren mit anderen Worten die Sorgfaltspflicht i.e.S. und die Legalitätspflicht, die der Geschäftsführer bei seinem eigenen Handeln zu beachten hat, in eine Pflicht, nicht nur die Zweckmäßigkeit, sondern auch die Rechtmäßigkeit des Handelns der Delegierten zu überwachen. Dem Zusammenhang von Legalitäts- und Legalitätskontrollpflicht entspricht es, dass diese 154 Pflicht ebenso wie jene von der aus der Sorgfaltspflicht i.e.S. abgeleiteten Schadensabwendungspflicht zu unterscheiden ist. Eine wirksame Legalitätskontrolle dient zwar auch und ganz wesentlich der Vermeidung wirtschaftlicher Schäden, die der Gesellschaft bei Gesetzesverstößen in Gestalt von Geldbußen, Haftungsklagen, dem Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge, Reputationseinbußen etc. drohen. Legalitätskontroll- und Schadensabwendungspflicht laufen daher weithin parallel. Jedoch erschöpft sich die Legalitätskontrollpflicht ebenso wenig wie die Legalitätspflicht darin, die Geschäftsführer zur Abwendung wirtschaftlicher Schäden anzuhalten. Ebenso wie es die Legalitätspflicht dem Geschäftsführer untersagt, aus ex-ante-Sicht wirtschaftlich „nützliche“ Gesetzesverstöße selbst zu begehen (Rz. 109), muss es ihm konsequenter Weise auch verwehrt sein, „nützliche“ Gesetzesverstöße seiner Mitarbeiter zu tolerieren oder Überwachungsmaßnahmen in einem bestimmten Bereich allein deshalb zu unterlassen, weil sie bei rein wirtschaftlicher Betrachtung die Gesellschaft voraussichtlich mehr kosten als an Schaden abwenden werden474. Wie die Legalitätspflicht beruht auch die so verstandene Legalitätskontrollpflicht letztlich auf der Überlegung, dass das Allgemeininteresse an der Einhaltung der Gesetze dem Gesellschaftsinteresse vorgeordnet ist (Rz. 110)475. bbb) Anforderungen einer pflichtgemäßen Legalitätskontrolle. (1) Allgemeines. Für die 155 Konkretisierung der Anforderungen an eine pflichtgemäße Legalitätskontrolle ist zu unterscheiden: Das maßgebliche Mindestmaß an Kontrollmaßnahmen ergibt sich, was die Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten betrifft, aus § 130 OWiG476. Bei der Erfüllung dieser Mindestanforderungen handelt es sich um eine rechtlich gebundene Ent472 Gegen eine solche Ausdehnung Reichert in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 943, 954 f.: Beschränkung der Legalitätskontrollpflicht auf die Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. 473 Verse, ZHR 175 (2011), 401, 404; zustimmend Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschaftsund Konzernrecht, 2014, S. 59 ff.; ähnlich Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 148 (Legalitätspflicht liefe ohne ergänzende Legalitätskontrollpflicht weitgehend ins Leere); kritisch zur Heranziehung des Delegationsgedankens, aber ebenfalls für engen Zusammenhang zwischen Legalitäts- und Legalitätskontrollpflicht Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 17 D („Ausdruck ein und desselben Grundgedankens“); abw. Bunting, ZIP 2012, 1542, 1543 ff. (Schadensabwendungspflicht), s. dazu noch Rz. 155. 474 Verse, ZHR 175 (2011), 401, 406; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 146 f.; Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 381; bündig auch schon Uwe H. Schneider, NZG 2009, 1321, 1323 („weil Rechtsverletzungen auch dann zu verhindern sind, wenn kein Schaden entsteht“); aus dem USamerikanischen Schrifttum Williams, 76 (1998) North Carolina L.R. 1265, 1369. 475 Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 382: Organpflicht, „deren Begründung allein auf generalpräventive Erwägungen und auf den Aspekt der Bewährung der Rechtsordnung als solcher gestützt werden kann.“ 476 Aus den Grundsätzen der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Geschäftsherrenhaftung (§ 13 StGB, § 8 OWiG) ergeben sich im Vergleich zu § 130 OWiG jedenfalls keine strengeren An-

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§ 43 Rz. 155 | Haftung der Geschäftsführer scheidung, weshalb die Business Judgment Rule nach zutreffender Ansicht nicht zur Anwendung kommt477. Die Unschärfe des Tatbestands des § 130 OWiG ändert daran nichts; eine „Legal Judgment Rule“ bei Auslegungszweifeln ist nicht anzuerkennen (Rz. 291 f.). Der Grundgedanke der Business Judgment Rule, die Risikobereitschaft der Geschäftsleiter im Interesse der Gesellschaft zu fördern und ihre unternehmerische Initiative nicht zu lähmen, trägt hier nicht, da die Aufsichtspflicht den Geschäftsführern nicht im Interesse der Gesellschaft, sondern im öffentlichen Interesse aufgegeben ist. Mit Recht besteht daher weithin Einigkeit, dass sich die Geschäftsführer im Außenverhältnis im Rahmen des § 130 OWiG nicht auf die Business Judgment Rule berufen können478. Da über die Legalitätspflicht diese Bindung im Außenverhältnis in das Innenverhältnis transportiert wird (Rz. 107), wäre es ungereimt, wenn im Innenverhältnis ein anderer Maßstab gelten würde479. 156 Damit ist freilich nicht gesagt, dass Ermessensspielräume im Bereich der Legalitätskontrolle

generell ausscheiden. Im Gegenteil wird es regelmäßig viele verschiedene Wege geben, wie man das geschuldete Mindestmaß an Legalitätskontrolle erreichen kann, und insoweit steht den Geschäftsführern fraglos ein Auswahlermessen zu, auf welche Weise sie den Mindestanforderungen nach § 130 OWiG genügen. Das ändert aber nichts daran, dass sich die tatsächlich ergriffenen Maßnahmen an § 130 OWiG messen lassen müssen, ohne dass hierbei der eingeschränkte Prüfungsmaßstab der Business Judgment Rule gilt. Davon zu trennen ist die weitere Frage, ob es im Gesellschaftsinteresse liegt, auch über das gesetzlich gebotene Mindestmaß hinaus zusätzlichen, also überobligationsmäßigen Aufwand für die Prävention von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu betreiben (z.B. um Schäden durch Verbandsgeldbußen etc. mit noch höherer Wahrscheinlichkeit zu verhindern und die Reputation des Unternehmens besonders zu fördern). Diese Frage ist fraglos allein eine solche der Zweckmäßigkeit, weshalb hier die Business Judgment Rule unstreitig Anwendung findet. 157 Im Folgenden sind allein die nach § 130 OWiG gebotenen Mindestanforderungen der Lega-

litätskontrolle zu skizzieren. Leitmaxime hierfür ist, dass die Aufsicht so wahrzunehmen ist, dass die betriebsbezogenen gesetzlichen Pflichten voraussichtlich eingehalten werden480. Die geschuldeten Maßnahmen stehen dabei anerkanntermaßen unter dem doppelten Vorbehalt der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit481. Dieser Vorbehalt ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere der Größe und dem Risikoprofil des Unternehmens, unternehmensspezifisch zu konkretisieren482. Besondere Bedeutung kommt bei der Konkretisierung

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forderungen an die Intensität von Aufsichtsmaßnahmen; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 10 B II 3 d (1). Sehr str., wie hier Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 150 f.; Habersack in Karlsruher Forum 2009, S. 5, 17; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 62 ff.; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 18 B I 6. A.A. etwa Bachmann, ZIP 2014, 579, 580 f.; Balke/Klein, ZIP 2017, 2038, 2042 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 148; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 151 ff.; Hüffer/Koch, § 76 AktG Rz. 14; Ott, ZGR 2017, 149, 166 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55; Paefgen, WM 2016, 433, 436. Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 79; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 18 A I, II 4 b, mit dem Hinweis, dass die Rechtsprechung zu § 130 OWiG die Business Judgment Rule durchweg nicht in Betracht zieht. Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 79 f. Statt vieler Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 43 m.w.N. Aus dem Schrifttum zu § 130 OWiG etwa Gürtler in Göhler, § 130 OWiG Rz. 12; Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 40, 50 ff.; aus dem gesellschaftsrechtlichen Schrifttum Bachmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2007, 2008, S. 65, 78 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 148; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 148 f.; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 55; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2174; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 406 f. Treffend OLG Zweibrücken v. 25.6.1998 – 1 Ss 100/98, NStZ-RR 1998, 311 f.: „Bei der Bestimmung des Umfangs der Aufsichtspflicht sind in erster Linie Art, Größe und Organisation des Betriebs,

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 158 § 43

der Anforderungen dem Vertrauensgrundsatz zu483. Aus ihm ergibt sich, dass die Kontrollmaßnahmen nur in den kritischen Bereichen intensiviert werden müssen, also dort, wo nicht ohne weiteres unter normalem Umständen mit rechtstreuem Verhalten der Mitarbeiter zu rechnen ist. Verlangt wird somit kein flächendeckend enges Kontrollnetz484, sondern ein an die jeweilige Risikolage angepasstes Compliance-Management. Inzwischen gibt es im Schrifttum umfängliche Handreichungen, wie ein effektives Compli- 158 ance-System ausgestaltet sein sollte485. Allerdings ist dabei zu beachten, dass diese meist auf die Beschreibung einer best practice zielen und nicht nur die zwingenden Mindestanforderungen wiedergeben, die sich aus § 130 OWiG ergeben. Zudem sind sie meist aus der Perspektive von Großunternehmen geschrieben und schon deshalb für eine kleine oder mittlere GmbH nur bedingt passend. Generell ist zu betonen, dass die nachstehend skizzierten Eckpunkte einer sorgfaltsgemäßen Legalitätskontrolle (Rz. 159 ff.) auf kleine und mittlere Unternehmen mit ihren begrenzten Ressourcen stets mit dem gebotenen Augenmaß anzuwenden sind. Neben der Rechtsprechung zu § 130 OWiG können bei der Konkretisierung der Anforderungen auch in der Praxis verbreitete Prüfungsstandards der Wirtschaftsprüfer für Compliance-Systeme wie der Standard IdW PS 980 hilfreich sein, freilich nur im Sinne einer Plausibilisierung der Angemessenheit der Compliance-Vorkehrungen; rechtsgleiche Wirkung kommt solchen Standards schon aus rechtsquellentheoretischen Gründen nicht zu486. Nicht allgemein beantworten lässt sich, ob sektorspezifische Sonderregeln für die Compliance-Organisation, die sich insbesondere im Finanzaufsichtsrecht finden, für die Konkretisierung der Anforderungen fruchtbar gemacht werden können. Unstreitig ist, dass sie sich jedenfalls nicht pauschal auf nicht aufsichtsunterworfene Unternehmen übertragen lassen. Allerdings finden sich darunter auch verallgemeinerungsfähige Vorgaben, namentlich die klare Zuordnung und Abgrenzung der Verantwortungsbereiche (§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 3a KWG, § 23 Abs. 1 Satz 3 VAG), die Pflicht zur angemessenen Ressourcenausstattung der Compliance-Funktion (§ 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 KWG, Art. 22 Abs. 3 lit. a DelVO [EU] 2017/565) und die regelmäßige Compliance-Berichterstattung (Art. 22 Abs. 2 lit. c DelVO 2017/565), in denen man je nach Größe des Unternehmens auch eine Ausprägung allgemeiner Geschäftsleiterpflichten sehen kann (Rz. 163 f.)487. Das bedeutet freilich nicht, dass auch die sehr detaillierten aufsichtsbehördlichen Konkretisierungen dieser Pflichten – wie namentlich im Rundschreiben MaComp der BaFin488 – verallgemeinerungsfähig sind489.

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die unterschiedlichen Überwachungsmöglichkeiten, aber auch Vielfalt und Bedeutung der zu beachtenden Vorschriften und die Anfälligkeit des Betriebs für Verstöße gegen diese Bestimmungen heranzuziehen, wobei insbesondere solche Fehler eine Rolle spielen können, die bereits in der Vergangenheit gemacht worden sind.“Ebenso Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 43 m.w.N. Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 42, 51; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 407; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 149; Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 386; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 149. Weiterführend zum Vertrauensgrundsatz Harbarth, ZGR 2017, 211. Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 42; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 148; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 407. Exemplarisch Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance; Kremer/Klahold in Krieger/ Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 25.1 ff.; Moosmayer, Compliance. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 150; Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 385 f. So für die AG auch Fleischer in Spindler/Stilz, § 91 AktG Rz. 61; kategorisch ablehnend Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 385. BaFin, Rundschreiben 05/2018 (WA) – Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten – MaComp; umfassend dazu Krimphove/Kruse, MaComp, 2. Aufl. 2019. Zurückhaltend auch Fleischer in Spindler/Stilz, § 91 AktG Rz. 61: „größte Vorsicht angezeigt“.

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§ 43 Rz. 159 | Haftung der Geschäftsführer 159 (2) Einzelne Grundelemente einer pflichtgemäßen Legalitätskontrolle. Wenngleich man

nicht oft genug betonen kann, dass die durch § 130 OWiG vorgegebenen Anforderungen an die Legalitätskontrolle immer vom Einzelfall abhängen, namentlich von Größe und Risikoprofil des Unternehmens (Rz. 157), haben sich doch einige Leitlinien herausgebildet, über die im Wesentlichen Konsens besteht und die zumindest in der Regel als Grundelemente einer pflichtgemäßen Legalitätskontrolle anzusehen sind. Sofern man die Legalitätskontrollpflicht auch auf die Einhaltung nicht straf- oder bußgeldbewehrter Gesetze erstreckt (was allerdings zweifelhaft ist, Rz. 111, 153), wird man sich auch insoweit an den nachfolgenden Leitlinien orientieren können. 160 (a) Klares Bekenntnis zur Rechtstreue („tone from the top“). Grundvoraussetzung ist zu-

nächst, dass die Geschäftsführung gegenüber allen Mitarbeitern klar und unbedingt zu erkennen gibt, dass Rechtsverstöße nicht geduldet werden und unter allen Umständen zu unterbleiben haben (also auch, wenn der Gesellschaft dadurch lukrativ erscheinende Geschäfte entgehen)490. Hierzu gehört auch, dass die Geschäftsführer die Rechtstreue selbst konsequent vorleben und ihr Bekenntnis dazu immer wieder bekräftigen491. 161 (b) Risikoanalyse. Eine pflichtgemäße Legalitätskontrolle setzt ferner eine sorgfältige Ana-

lyse voraus, welche Compliance-Risiken in dem jeweiligen Unternehmen als besonders kritisch einzustufen sind492, um den erkannten Risiken sodann durch geeignete Präventionsund Kontrollmaßnahmen begegnen zu können. Die Risikoanalyse ist von Zeit zu Zeit zu überprüfen und ggf. anzupassen493, insbesondere wenn sich die Rechtslage ändert, das Unternehmen in neue Branchen oder Märkte vordringt oder wenn Rechtsverstöße innerhalb des Unternehmens oder in vergleichbaren Unternehmen zu einer Überprüfung Anlass geben. 162 (c) Auswahl, Schulung und Beratung der Mitarbeiter. Über die in der jeweiligen Funktion

naheliegenden Rechtsrisiken sind die – sorgfältig auszuwählenden (Rz. 143) – Mitarbeiter in einer Form zu unterrichten, die erwarten lässt, dass sie für die betreffenden Vorschriften hinreichend sensibilisiert sind494. Allgemeine Hinweise, dass sämtliche Rechtsvorschriften einzuhalten sind, genügen nicht, soweit für die Tätigkeit der Mitarbeiter erkennbar Vorschriften relevant sind, deren Kenntnis von ihnen nicht ohne weiteres erwartet werden kann. So ist beispielsweise ein pauschaler Hinweis an die Mitarbeiter der Vertriebsabteilung, nicht gegen Kartellrecht zu verstoßen, grundsätzlich nicht ausreichend, sondern es bedarf in der Regel einer konkreten Belehrung, die auf typische Fälle unzulässiger Kartellabsprachen hinweist495. Diese Anforderungen lassen sich auf andere naheliegende Rechtsrisiken übertragen496. Eine einmalige Unterrichtung ist nicht stets ausreichend; insbesondere muss dafür gesorgt wer-

490 Bicker, AG 2012, 542, 546 („tone from the top“); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 150b; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 158; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113, 123 („mission statement“); Verse, ZHR 175 (2011), 401, 414. 491 Bicker, AG 2012, 542, 546; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 150b. 492 Näher dazu Balke/Klein, ZIP 2017, 2038, 2039 f.; Kremer/Klahold in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 25.27; Moosmayer, Compliance, Rz. 71 ff.; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 147a; sowie Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 149 f., dafür plädiert, dass sich die Geschäftsführer bei der Gewichtung der Risiken nicht nur an der Wertigkeit der betroffenen Rechtsgüter und der Wahrscheinlichkeit drohender Verstöße orientieren dürfen, sondern auch und gerade daran, in welchem Ausmaß der Gesellschaft selbst wirtschaftliche Schäden drohen. 493 Balke/Klein, ZIP 2017, 2038, 2039. 494 Vgl. schon BGH v. 11.7.1956 – 1 StR 306/55, BGHSt 9, 319 = LMRR 1956, 25 unter II. 4. (Unterrichtung der Mitarbeiter über preisrechtliche und wirtschaftsstrafrechtliche Vorschriften beim Vertrieb preisgebundener Ware); ferner Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 59. 495 KG v. 25.7.1980 – Kart 26/79, WuW/E 1981, OLG 2330, 2332 (zu § 130 OWiG); näher dazu Dreher, ZWeR 2004, 76, 96 ff.; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133. 496 Verallgemeinernd auch Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 59.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 164 § 43

den, dass auch Änderungen der relevanten Vorschriften den Mitarbeitern bekannt werden497. Ergänzend sollte klar geregelt sein, an wen sich die Mitarbeiter wenden können, wenn sie über die Legalität ihres Handelns im Zweifel sind. (d) Organisatorische Vorkehrungen. Eine pflichtgemäße Legalitätskontrolle setzt ein Min- 163 destmaß an organisatorischen Vorkehrungen voraus. Dazu gehören zunächst klar zugeordnete Verantwortlichkeiten einschließlich klar definierter Berichtslinien und Berichtspflichten498. Die Geschäftsführung muss dafür Sorge tragen, dass sie in regelmäßigen Abständen sowie anlassbezogen bei Auftreten von erheblichen Rechtsverstößen und Verdachtsfällen informiert wird499. Nach Lage des Einzelfalls können weitere Schutzvorkehrungen geboten sein, die zumindest in sensiblen, anfälligen Bereichen Rechtsverstöße schon präventiv erschweren500. Nach der Rechtsprechung zu § 130 OWiG ist der Aufsichtspflichtige insbesondere gehalten, wiederkehrende Stichproben durchzuführen501. Nach hier vertretener Ansicht können verdachtsunabhängige Stichproben mit Blick auf den Vertrauensgrundsatz aber auf solche Bereiche konzentriert werden, die entweder durch ihre besondere Bedeutung oder durch ihre besondere Anfälligkeit für Fehlverhalten gesteigerte Aufmerksamkeit erfordern (Rz. 147). In diesen Bereichen – insbesondere solchen, in denen es schon in der Vergangenheit zu Verstößen gekommen ist – können auch andere besondere Schutzvorkehrungen erforderlich und zumutbar sein (z.B. Vieraugenprinzip, Vorkehrungen zum Schutz von Interessenkonflikten). So hat es das LG München I in der Siemens/Neubürger-Entscheidung als naheliegend und wohl auch geboten angesehen, dass in einem Unternehmen, in dem es in der Vergangenheit gehäuft zu Schmiergeldzahlungen über (Schein-)Beraterverträge gekommen ist, sämtliche Beraterverträge zwecks besserer Kontrolle zentral erfasst werden502. Generell zählt zu den geforderten organisatorischen Vorkehrungen auch, dass den Mitarbei- 164 tern genügend Zeit und eine hinreichende Ausstattung überlassen wird, um die gesetzlichen Vorschriften einhalten zu können503. Ebenso müssen diejenigen Mitarbeiter, die für die Legalitätskontrolle zuständig sind, über eine angemessene Ressourcenausstattung verfügen504. Konkretisierende Rechtsprechung dazu ist allerdings bisher rar. Nach einer obergerichtlichen Entscheidung ist eine Revisionsabteilung von vier Mitarbeitern bei einem Unternehmen mit insgesamt über 5.000 Mitarbeitern personell nicht ausreichend ausgestattet, um Kartellabsprachen im Unternehmen effektiv zu verhindern505.

497 Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 60 f. 498 Bicker, AG 2012, 542, 546; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 147a; Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 389; Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 55, 63; erkennbar vorausgesetzt auch in LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570, 574 unter lit. aa) und cc); ferner OLG Düsseldorf v. 12.11.1998 – 2 Ss OWi 385-98, NStZ-RR 1999, 151, 152. 499 Bicker, AG 2012, 542, 546 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149, 150. 500 A.A. – neben klaren Zuständigkeitszuweisungen und Berichtslinien keinerlei proaktive Legalitätsorganisation erforderlich – Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 388 f. 501 BGH v. 11.7.1956 – 1 StR 306/55, BGHSt 9, 319 = LMRR 1956, 25 unter II. 4.; BGH v. 23.3.1973 – 2 StR 390/72, BGHSt 25, 158, 163 = NJW 1973, 1511; BGH v. 25.6.1985 – KRB 2/85, NStZ 1986, 34, 35; OLG Düsseldorf v. 27.3.2006 – VI-Kart 3/05 (OWi), WuW/E DE-R 1733, 1745; Gürtler in Göhler, § 130 OWiG Rz. 12; Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 43, 64. S. dazu auch schon Rz. 146. 502 LG München I v. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570, 574 unter lit. aa). 503 Gürtler in Göhler, § 130 OWiG Rz. 13; Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 43, 67. 504 Bicker, AG 2012, 542, 546; Bürgers, ZHR 179 (2015), 173, 177; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 147a. 505 KG v. 25.7.1980 – Kart 26/79, WuW/E OLG 2330, 2332; bestätigt von BGH v. 24.3.1981 – KRB 4/ 80, wistra 1982, 34 Rz. 12 bei juris.

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§ 43 Rz. 165 | Haftung der Geschäftsführer 165 Die Frage, ob zu den geschuldeten organisatorischen Vorkehrungen auch zwingend die Ein-

richtung eines Hinweisgebersystems gehört – etwa in Gestalt einer „Whistleblower“-Hotline, über die Unternehmensangehörige Rechtsverstöße melden können, ohne deshalb Nachteile befürchten zu müssen –, wurde bisher überwiegend verneint506. Eine Ausnahme gilt allerdings schon jetzt für Kreditinstitute (§ 25a Abs. 1 Satz 6 Nr. 3 KWG) und Versicherungsunternehmen (§ 23 Abs. 6 VAG). Zudem sieht die bis zum 17.12.2021 umzusetzende EURichtlinie zum Schutz von Hinweisgebern (Whistleblower-Richtlinie)507 vor, dass künftig Unternehmen mit mindestens 50 Beschäftigten ein Hinweisgebersystem einrichten müssen (Art. 8 der Richtlinie). Dieses System muss gewisse Mindeststandards einhalten, die insbesondere die Wahrung der Vertraulichkeit (Art. 16), die Transparenz des Verfahrens sowie Rückmeldungen innerhalb angemessener Frist betreffen (Art. 9). Allerdings verlangt die Richtlinie ein Hinweisgebersystem nur für bestimmte Verstöße gegen das Unionsrecht und überlässt es den Mitgliedstaaten, ob und für welche Rechtsbereiche sie das Hinweisgeberregime auch auf Verstöße gegen nationales Recht erstrecken (Art. 2). Soweit und sobald nach Umsetzung der Richtlinie ein entsprechendes Hinweisgebersystem gesetzlich vorgeschrieben ist, gehört auch diese Maßnahme zur „gehörigen Aufsicht“ i.S.d. § 130 OWiG und zur Erfüllung der Legalitäts(kontroll)pflicht nach Abs. 1.

166 (e) Reaktion auf Verdachtsmomente und Verstöße. Nicht zuletzt besteht ein wichtiger Be-

standteil der pflichtgemäßen Legalitätskontrolle darin, auf das Auftreten von Rechtsverstößen und konkreten Verdachtsmomenten unverzüglich zu reagieren, d.h. den Sachverhalt aufzuklären, den Verstoß abzustellen und ihn regelmäßig, soweit arbeitsrechtlich zulässig, auch zu ahnden508. Nur so lässt sich sicherstellen, dass das Bekenntnis der Geschäftsführung zur Rechtstreue kein Lippenbekenntnis bleibt und der von einer konsequenten Verfolgung ausgehende Präventionseffekt auf die Mitarbeiter tatsächlich wirken kann. Freilich ist auch hier wieder der Zumutbarkeitsvorbehalt zu beachten. Eine Aufklärung des Sachverhalts muss daher nicht mit einem Aufwand betrieben werden, der auch dann, wenn man den Präventionseffekt konsequenter Verfolgung von Verstößen in Rechnung stellt, zu dem Anlass außer Verhältnis steht509. Ob die Einschaltung der staatlichen Ermittlungsbehörden erforderlich ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab; sie kann namentlich dann geboten sein, wenn sich die Aufklärung nur unter Nutzung der hoheitlichen Eingriffsbefugnisse vollständig betreiben lässt510. Umgekehrt entbindet die Einleitung staatlicher Ermittlungen die Geschäftsführer grundsätzlich nicht davon, eine unternehmensinterne Aufklärung zu betreiben511. Dies muss schon deshalb so sein, weil der Untersuchungsfokus der staatlichen Ermittlungsbehörden auf eine mögliche straf- und bußgeldrechtliche Ahndung von Fehlverhalten limitiert ist, während den Geschäftsführern die weiterreichende Aufgabe obliegt, das Risikopo-

506 Näher dazu Fleischer/Schmolke, WM 2012, 1013, 1016 f.; ferner Hüffer/Koch, § 76 AktG Rz. 18; Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 51; Schmolke, ZGR 2019, 876, 899 f. 507 Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlament und des Rates v. 23.10.2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, ABl. EU Nr. L 307 v. 26.11.2019, S. 17; näher dazu Schmolke, NZG 2020, 5; Kort in FS Windbichler, 2020, S. 837, 844 ff. 508 LG München I v. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570, 573; Arnold, ZGR 2014, 76, 81; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149; Reichert in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 943, 948 ff., 958 ff.; vgl auch Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 66. 509 Näher Reichert in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 943, 948, 958 ff.; ähnlich relativierend Bachmann, ZHR 180 (2016), 563, 568 f.; strenger Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149: Verhältnismäßigkeitsprinzip zieht der Aufklärungspflicht nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen äußere Grenzen. 510 Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2177. 511 Arnold, ZGR 2014, 76, 83 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149; Reichert/Ott, NZG 2014, 241, 243.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 170 § 43

tenzial des Vorgangs für das Unternehmen insgesamt abzuschätzen und Lehren für die Zukunft zu ziehen, damit sich derartige Verstöße nicht wiederholen. Damit die Ahndung den erwünschten Präventionseffekt entfalten kann, wird verlangt, dass 167 sie deutlich sichtbar zu erfolgen hat512. In Betracht kommen namentlich arbeitsrechtliche Sanktionen bis hin zur Kündigung, die Geltendmachung von Ersatzansprüchen oder eine Anzeige bei den zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Einen Rechtssatz des Inhalts, dass der Rahmen der rechtlich zulässigen Sanktionen auszuschöpfen ist, gibt es jedoch nicht. Mit Blick auf § 130 OWiG geboten ist nur (aber immerhin) eine Sanktion, welche die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses der Geschäftsführung zu konsequenter Unterbindung von Rechtsverstößen nicht in Frage stellt und die Erwartung rechtfertigt, dass sie die Mitarbeiter von künftigen Verstößen dieser Art abhält. Jenseits dieser Mindestanforderung ist es eine Frage der Zweckmäßigkeit (und damit der Business Judgment Rule), wie die Sanktionen kalibriert werden513. ccc) Compliance im Konzern. (1) Grundlagen. Ist die GmbH die Obergesellschaft eines 168 Konzerns, ergibt sich unstreitig bereits aus der Bindung der Geschäftsleiter an den Verbandszweck (Sorgfaltspflicht i.e.S., Schadensabwendungspflicht), dass die Geschäftsführer dafür Sorge tragen müssen, dass der Beteiligungsbesitz der Gesellschaft an den Konzerngesellschaften nicht durch Rechtsverletzungen der Konzerngesellschaften geschädigt wird. Solche Schäden drohen der Obergesellschaft einerseits mittelbar, weil Geldbußen und andere Sanktionen gegen untere Konzernebenen durch die Minderung des Beteiligungswerts indirekt immer auch die Obergesellschaft treffen, andererseits aber auch unmittelbar, weil in bestimmten Bereichen (namentlich im europäischen Kartellrecht) die Obergesellschaft selbst für die von den Konzerngesellschaften begangenen Verstöße haftbar gemacht wird514 und auch Reputationsverluste häufig unmittelbar auf die Obergesellschaft durchschlagen. Schon aus dem Eigeninteresse der Obergesellschaft an der Verhütung solcher Schäden ergibt sich somit eine konzernweite Compliance-Verantwortung ihrer Geschäftsführer515. Wie in der nicht konzernverbundenen Gesellschaft stellt sich aber auch hier wieder die Fra- 169 ge, ob es allein bei der aus dem Eigeninteresse der Gesellschaft abgeleiteten Schadensabwendungspflicht bewendet oder darüber hinaus eine Pflicht der Geschäftsleiter der Obergesellschaft besteht, auch unabhängig vom Eigeninteresse ihrer Gesellschaft dafür zu Sorge zu tragen, dass Rechtsverstöße in den konzernabhängigen Unternehmen unterbleiben. Die Frage hat nicht nur theoretische Bedeutung. Soweit den Geschäftsleitern der Obergesellschaft die konzernweite Legalitätskontrolle nicht nur im Eigeninteresse ihrer Gesellschaft, sondern im öffentlichen Interesse auferlegt ist, folgt daraus die Verpflichtung, auch wirtschaftlich „nützlich“ erscheinende Verstöße der Konzerngesellschaften zu unterbinden und konzernweite Überwachungsmaßnahmen nicht allein danach auszurichten, ob sie bei rein wirtschaftlicher Betrachtung voraussichtlich mehr kosten als sie an Schaden abwenden werden. Zugleich hat die Frage Bedeutung dafür, ob die Business Judgment Rule zur Anwendung kommen kann (Rz. 172). Besondere Vorschriften, die der Obergesellschaft im öffentlichen Interesse eine konzernweite 170 Compliance-Aufsicht abverlangen, finden sich im Bank- und Versicherungsaufsichtsrecht, namentlich in § 25a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 KWG und § 23 Abs. 1, § 275 Abs. 1 VAG, Art. 351 Abs. 1 lit. (b) Solvency-II-VO. Über das Bindeglied der Legalitätspflicht lässt sich daraus eine

512 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149a; Reichert/Ott, ZIP 2009, 2173, 2178. 513 Ähnlich Reichert in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 943, 961 f. 514 Zur Bußgeldhaftung der Obergesellschaft im europäischen Kartellrecht grundlegend EuGH v. 10.9.2009 – C-97/08, Slg. 2009, I-8237 – Akzo/Nobel. 515 Verse, ZHR 175 (2011), 401, 408; Habersack, AG 2014, 1, 3; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 153.

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§ 43 Rz. 170 | Haftung der Geschäftsführer entsprechende Pflicht der Geschäftsführer der Obergesellschaft im Innenverhältnis ableiten516. 171 Ob auch in nicht-aufsichtsunterworfenen Unternehmen eine im öffentlichen Interesse beste-

hende Pflicht zur konzernweiten Legalitätskontrolle anzuerkennen ist, ist dagegen fraglich. Die Antwort hängt von der bisher nicht abschließend geklärten Streitfrage ab, ob die Aufsichtspflicht der Geschäftsführer einer Konzernobergesellschaft nach § 130 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG auch die Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auf nachgeordneten Konzernebenen einschließt. Sollte eine solche Pflicht im Außenverhältnis bestehen, würde sie die Geschäftsleiter über das Bindeglied der Legalitätspflicht auch im Innenverhältnis binden. Teile der Praxis und des Schrifttums befürworten in der Tat eine konzernweite Ausdehnung des § 130 OWiG; unter Durchbrechung des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips gehen sie davon aus, dass die Obergesellschaft auch als Inhaberin der Unternehmen der abhängigen Gesellschaften i.S.d. § 130 Abs. 1 OWiG anzusehen sei517, wobei allerdings mit Unterschieden im Einzelnen oftmals Einschränkungen auf besonders intensive Konzernierungsformen vorgenommen werden518. Diese Auslegung des § 130 OWiG führt indes zu einem bußgeldrechtlichen Durchgriff auf die Obergesellschaft und deren Organwalter, obwohl bei einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit auf Ebene der Tochter bereits diese selbst und ihre Geschäftsleiter für Aufsichtspflichtverletzungen voll verantwortlich sind und der Normzweck des § 130 OWiG, Sanktionslücken zu schließen, schon dadurch erreicht ist519. Ein großer Teil des Schrifttums steht daher einer konzernweiten Ausdehnung des § 130 OWiG – m.E. zu Recht – ablehnend gegenüber520. Auch der BGH hat in einer älteren Entscheidung, allerdings ohne die Frage zu entscheiden, eine zurückhaltende Tendenz erkennen

516 Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 154; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 103; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 409. 517 Aus der Bußgeldpraxis des BKartA s. Bescheid v. 13.11.1998, WuW/E DE-V 85, 88 f.; Bescheid v. 9.2.2009, Az. B1-200/06 – Etex (Fallberichterstattung abrufbar unter www.bundeskartellamt.de); ferner den Bericht von Lutter in FS Goette, 2011, S. 289, 290 f., über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft in den Korruptionsaffären Siemens und MAN. Aus dem Schrifttum etwa Rogall in Karlsruher Komm. OWiG, § 130 OWiG Rz. 27 m.w.N. 518 Vgl. OLG München v. 23.9.2014 – 3 Ws 599/14, Der Konzern 2015, 518 f. m. zust. Bespr. Caracas, CCZ 2016, 44 (nur, wenn die Mutter Weisungen erteilt, die das Handeln der Tochter beeinflussen, und dadurch die Gefahr der Verletzung betriebsbezogener Pflichten begründet); Dreher, ZWeR 2004, 75, 102 f. (Weisungsrecht kraft Beherrschungsvertrag oder Stellung als GmbH-Gesellschafter); Tiedemann, NJW 1979, 1849, 1852 (100 %-Beteiligung); Wirtz, WuW 2001, 342, 348 f. (nur wenn die Obergesellschaft in tatsächlicher Hinsicht für die Tochter Aufsichtsmaßnahmen durchführt und den Verantwortlichen der Tochter damit die Aufsichtshoheit entzieht); Grundmeier, Rechtspflicht zur Compliance im Konzern, 2011, S. 59 ff. (Weisungsrecht kraft Beherrschungsvertrag oder Stellung als GmbH-Gesellschafter, bei entsprechenden Einflussmöglichkeiten aber auch im faktischen AG-Konzern). 519 Das Hauptanliegen des § 130 OWiG besteht darin, die Lücke auszufüllen, die sich daraus ergibt, dass betriebsbezogene Pflichten infolge von Delegation und Arbeitsteilung oftmals von Personen zu erfüllen sind, für die der Unternehmensträger nicht ohne weiteres einzustehen hat. Diese Lücke soll § 130 OWiG schließen, indem die Sanktionsmöglichkeit auf den Unternehmensträger erstreckt wird; BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 374 = GmbHR 1994, 390. Diesem Normzweck ist aber bereits Rechnung getragen, wenn die Tochtergesellschaft, in der die Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit begangen wurde, und deren Geschäftsleiter wegen Aufsichtspflichtverletzung haftbar gemacht werden können. Eine Sanktionslücke besteht dann nicht mehr; näher J. Koch, AG 2009, 564, 568 ff. 520 Ausführlich J. Koch, AG 2009, 564 ff.; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 405 ff.; v. Schreitter, NZKart 2016, 253, 258 ff.; ferner Brettel/Thomas, ZWeR 2009, 25, 58; Karbaum, Kartellrechtliche Compliance – Rechtsgrundlagen und Umsetzung, 2010, S. 267 f.; Ransiek, Unternehmensstrafrecht, 1996, S. 105 f.; Spindler in Fleischer, Hdb. des Vor-

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 174 § 43

lassen und immerhin angedeutet, dass die Rechtspersönlichkeit der abhängigen Gesellschaft der Inhaberschaft der Obergesellschaft entgegenstehen könne521. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, dass sich aus § 130 OWiG keine konzernweite Über- 172 wachungspflicht ergibt, bleibt es vorbehaltlich des Eingreifens von Sonderregeln wie denjenigen des Aufsichtsrechts (Rz. 170) dabei, dass die Verpflichtung der Geschäftsleiter der Obergesellschaft zur Verhinderung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in den nachgeordneten Konzernebenen allein aus dem Eigeninteresse der Obergesellschaft abzuleiten ist522. Die Entscheidung, welches Ausmaß und welche Modalitäten der konzernweiten Kontrolle diesem Eigeninteresse am besten entsprechen, ist folglich eine unternehmerische Entscheidung, auf welche die Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG analog) anwendbar ist523. Soweit man dagegen von einer konzernweiten Ausdehnung des § 130 OWiG ausgehen wollte, müsste man konsequenterweise für das durch § 130 OWiG gebotene Mindestmaß an Konzernkontrolle eine rechtlich gebundene Entscheidung annehmen, so dass die Business Judgment Rule insoweit nicht zur Anwendung kommen könnte (Rz. 155). (2) Ausgestaltung der konzernweiten Kontrolle. Sieht man von den sektorspezifischen Re- 173 geln des Aufsichtsrechts (Rz. 170) und ihren aufsichtsbehördlichen Konkretisierungen ab, fällt es mit Blick auf die Vielgestaltigkeit der Unternehmensverbindungen und das breite Organisationsermessen der Geschäftsleiter der Obergesellschaft (Rz. 172) im Konzern noch schwerer als in der Einzelgesellschaft, allgemein verbindliche Leitlinien zur Ausgestaltung der Compliance-Organisation zu formulieren524. Zu betonen ist insbesondere, dass die Geschäftsleiter der Obergesellschaft ebenso wenig wie in anderen Bereichen der Konzernleitung dazu verpflichtet sind, die konzernweite Legalitätskontrolle möglichst zentral zu steuern. Vielmehr können sie sich auch darauf beschränken zu kontrollieren, dass auf den nachgeordneten Konzernebenen funktionsfähige dezentrale Compliance-Organisationen existieren525. Je nach Organisationsstruktur des Konzerns wird sich einmal das eine, einmal das andere empfehlen. Die konkrete Ausgestaltung und Intensität einer pflichtgemäßen konzernweiten Kontrolle 174 hängen letztlich immer von den Umständen des Einzelfalls ab, namentlich von der Größe des Unternehmens und davon, wie die Geschäftsleiter der Obergesellschaft nach sorgfältiger Analyse die Risiken in den Konzernunternehmen einstufen. Mit diesem Vorbehalt lassen sich einige Eckpunkte anführen, die in der Regel zu einer pflichtgemäßen konzernweiten Legalitätskontrolle gehören werden. Dazu zählen die Begründung einer klaren Zuständigkeit

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standsrechts, 2006, § 13 Rz. 115, § 15 Rz. 127; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 409 f.; Vogt, Die Verbandsgeldbuße gegen eine herrschende Konzerngesellschaft, 2009, S. 283 ff. BGH v. 1.12.1981 – KRB 3/79, WuW/E 1871, 1876 – Transportbeton-Vertrieb. Näher dazu Verse, ZHR 175 (2011), 401, 411 ff.; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschaftsund Konzernrecht, 2014, S. 104 ff.; Harbarth, ZHR 179 (2015), 136, 150 f.; Breitenfeld, Die organschaftliche Binnenhaftung der Vorstandsmitglieder für gesetzwidriges Verhalten, 2016, S. 154 ff.; offenlassend Fleischer in Spindler/Stilz, § 91 AktG Rz. 70. Verse, ZHR 175 (2011), 401, 415; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 110 f.; ebenso erst recht diejenigen, die sogar innerhalb des Anwendungsbereichs des § 130 OWiG Raum für eine Anwendung der Business Judgment Rule sehen (Rz. 155). Fleischer, CCZ 2008, 1, 6; Fleischer in Spindler/Stilz, § 91 AktG Rz. 71; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 109. Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 2003, S. 182; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 415; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 109 f.; im Ergebnis auch Fleischer, CCZ 2008, 1, 6; einschränkend – nur, wenn der Konzern auch sonst dezentral geführt wird – Habersack in FS Möschel, 2011, S. 1175, 1186 f.; Uwe H. Schneider, NZG 2009, 1321, 1326; Bicker, AG 2012, 542, 550 f.

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§ 43 Rz. 174 | Haftung der Geschäftsführer für die Konzern-Compliance sowie deren angemessene Ressourcenausstattung526, die Einrichtung eines funktionierenden konzernweiten Compliance-Berichtswesens, das die Geschäftsleiter der Obergesellschaft in regelmäßigen Abständen und bei Bedarf ad hoc über wesentliche Rechtsverletzungen und deren Aufklärung, Abstellung und Ahndung informiert527, und von Zeit zu Zeit die Überprüfung der Effizienz der Compliance-Organisation, etwa durch Stichprobenkontrollen, die in Abstimmung zwischen der Konzern-Compliance-Funktion und den betroffenen Konzerngesellschaften vorgenommen werden528. 175 (3) Konzernrechtliche Grenzen der konzernweiten Kontrolle. Bei der Umsetzung konzern-

weiter Compliance-Maßnahmen sind die allgemeinen konzernrechtlichen Grenzen der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens zu beachten. Nicht weiter problematisch ist dies, wenn es sich bei der Tochtergesellschaft um eine GmbH handelt, deren Alleingesellschafterin die Obergesellschaft ist, oder um eine durch Beherrschungsvertrag konzernierte AG oder GmbH. In diesen Fällen kann die Obergesellschaft Compliance-Maßnahmen selbst dann per Weisung durchsetzen, wenn die Geschäftsleiter der Tochter diese für inopportun oder zu kostspielig halten (§ 37 Abs. 1 GmbHG bzw. § 308 AktG). Schwierigere Fragen können sich dagegen im faktischen AG-Konzern oder – bei Vorhandensein von Minderheitsgesellschaftern – im faktischen GmbH-Konzern ergeben. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob die Informationsweitergabe im Rahmen des Compliance-Berichtswesens nebst den dafür anfallenden Kosten einen Nachteil für die Tochter begründen kann und deshalb nicht oder nur gegen Nachteilsausgleich zulässig ist529. 176 (4) Auswirkungen auf die Pflichten der Tochter-Geschäftsleiter. Die konzernweite Compli-

ance-Verantwortung der Geschäftsleiter der Konzernobergesellschaft ändert nichts daran, dass die Geschäftsleiter der Tochter- und Enkelgesellschaften in ihrer jeweiligen Gesellschaft für die Einhaltung der Rechtsvorschriften voll verantwortlich bleiben530. Das bedeutet jedoch nicht, dass im Konzernverbund ohne hinreichenden Anlass kostspielige Doppelungen von Compliance-Strukturen erforderlich wären. Vielmehr ist es den Tochter-Geschäftsleitern gestattet, auf die vorhandene Compliance-Organisation der Muttergesellschaft zurückzugreifen und die tochtereigenen Compliance-Strukturen in deren konzernweites Compliance-System zu integrieren531. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Geschäftsleiter der Tochter kontinuierlich vergewissern, dass die praktizierte Compliance-Organisation so effektiv ist, dass sie im Bereich ihrer Gesellschaft den Anforderungen aus § 130 OWiG vollumfänglich genügt.

3. Treuepflicht a) Allgemeines, Überblick 177 Auch wenn § 43 Abs. 1 nach verbreitetem Verständnis nur die Sorgfaltspflicht anspricht

(Rz. 47), besteht Einigkeit, dass die Geschäftsführer einer GmbH anerkanntermaßen auch

526 Bicker, AG 2012, 542, 550; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 416. 527 Bicker, AG 2012, 542, 550; Fleischer in Spindler/Stilz, § 91 AktG Rz. 73; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 416 f. 528 Bicker, AG 2012, 542, 550; Fleischer in Spindler/Stilz, § 91 AktG Rz. 73; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 417. 529 Weiterführend dazu Verse, ZHR 175 (2011), 401, 419 ff.; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 123 ff.; Mader, Der Informationsfluss im Unternehmensverbund, 2016, S. 49 f., 364 ff. 530 Bicker, AG 2012, 542, 551; Fleischer in Spindler/Stilz, § 91 AktG Rz. 72; Verse, ZHR 175 (2011), 401, 415. 531 Bicker, AG 2012, 542, 551; Fleischer in Spindler/Stilz, § 91 AktG Rz. 72.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 179 § 43

eine organschaftliche Treuepflicht trifft532. Sie bedarf der Konkretisierung im Einzelfall, lässt sich aber im Kern dahin zusammenfassen, dass jeder Geschäftsführer verpflichtet ist, sich in jeder Hinsicht loyal zu seiner Gesellschaft zu verhalten und eigene oder fremde Sonderinteressen nicht zulasten der Gesellschaft zu verfolgen. Nach einer wiederkehrenden Formel der Rechtsprechung des BGH muss ein Geschäftsführer in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, allein deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge haben533. Anerkannte Ausprägungen der organschaftlichen Treuepflicht sind neben dem loyalen Einsatz der Arbeitskraft für die Gesellschaft insbesondere die Pflicht zur Offenlegung von Interessenkonflikten und anderen für die Amtsführung wesentlichen Umständen, das Wettbewerbsverbot und das Verbot, Geschäftschancen der Gesellschaft an sich zu ziehen, sowie das Verbot, sich Ressourcen der Gesellschaft anzueignen (Rz. 220 ff.). Auch die Verschwiegenheitspflicht (Rz. 225 ff.) wird meist als Ausprägung der Treuepflicht eingeordnet. Den Geltungsgrund der Treuepflicht sieht man heute überwiegend darin, dass die Ge- 178 schäftsführer als „treuhänderische Verwalter des Gesellschaftsvermögens“534 angestellt sind und in dieser Eigenschaft eine weitreichende Verfügungsmacht über fremdes Vermögen haben, als deren Korrelat auch eine besondere Pflicht zur Loyalität und Rücksichtnahme auf die Belange der Gesellschaft geboten ist535. Wie die Sorgfaltspflicht besteht auch die organschaftliche Treuepflicht nur im Verhältnis zur Gesellschaft, nicht gegenüber einzelnen Gesellschaftern536. Sie bindet in personeller Hinsicht auch fehlerhaft-wirksam bestellte (Rz. 23 f.) und faktische Geschäftsführer (Rz. 30 ff.). In zeitlicher Hinsicht entfaltet die Treuepflicht auch noch nach dem Ausscheiden aus dem Amt gewisse Nachwirkungen (Rz. 234, 244). Strikt zu unterscheiden ist die organschaftliche Treuepflicht der Geschäftsführer von der 179 mitgliedschaftlichen Treuepflicht der Gesellschafter, die im Mitgliedschaftsverhältnis wurzelt. Die mitgliedschaftliche Treuepflicht verpflichtet die Gesellschafter zwar ebenfalls zur Rücksichtnahme auf die Belange der Gesellschaft. Die Bindung an das Gesellschaftsinteresse ist aber bei den Gesellschaftern, je nachdem welches mitgliedschaftliche Recht ausgeübt wird, weniger streng als bei den Geschäftsführern537. Während diese im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit ihre eigenen Interessen konsequent hinter das Gesellschaftsinteresse zurückzustellen haben, können die Gesellschafter Mitgliedschaftsrechte, die ihnen als eigennützige zugewiesen sind (wie z.B. das Gewinnbezugs- oder das Informationsrecht), vorrangig im eigenen 532 Allg. M.; etwa BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, GmbHR 1968, 141 Rz. 10 f. bei juris; BGH v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30 = NJW 1968, 396, 397; BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, GmbHR 1986, 42 Rz. 7 bei juris; BGH v. 16.3.2017 – IX ZR 253/15, BGHZ 214, 220 = GmbHR 2017, 583 Rz. 20; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 152; Fleischer, WM 2003, 1045; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 42; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 70; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 138; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 224. 533 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, GmbHR 1977, 129 Rz. 13 bei juris; BGH v. 21.2.1983 – II ZR 183/82, ZIP 1983, 689; BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, ZIP 1989, 1390, 1394; BGH v. 16.3.2017 – IX ZR 253/15, BGHZ 214, 220 = GmbHR 2017, 583 Rz. 20. 534 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 143/93, BGHZ 129, 30, 34 = GmbHR 1995, 451. 535 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 Rz. 9; Fleischer, WM 2003, 1045, 1046; Hopt, ZGR 2004, 1, 18; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 224; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 143. 536 Ganz h.M.; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 35; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 157; Ridder, Ebenenübergreifende Treuepflichten in der Kapitalgesellschaft & Co. KG, 2018, S. 78 i.V.m. 61 ff.; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 232; vgl. auch BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323, 334 = ZIP 1990, 1067 (zum e.V.). A.A. am Beispiel der Aufklärungspflichten beim Management Buyout Rhein, Der Interessenkonflikt der Manager beim Management Buy-out, S. 173 ff., 207 ff.; dagegen mit Recht Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 158, 336 (Lösung über die Grundsätze der c.i.c.); s. noch Rz. 485. 537 Fleischer, WM 2003, 1045, 1047.

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§ 43 Rz. 179 | Haftung der Geschäftsführer Interesse ausüben, und auch im Rahmen der Stimmrechtsausübung in der Gesellschafterversammlung müssen sie zumindest dann, wenn es um den Erhalt eigener mitgliedschaftlicher Rechte geht (wie z.B. den Erhalt einer Sperrminorität), ihre eigenen Belange grundsätzlich nicht dem Gesellschaftsinteresse unterordnen538. 180 Ist der Geschäftsführer zugleich Alleingesellschafter der GmbH, finden weder die mitglied-

schaftliche noch die organschaftliche Treuepflicht Anwendung539. Nachteiligen Einflussnahmen des Alleingesellschafters werden nur durch die gläubigerschützenden Vorschriften, namentlich die Kapitalerhaltungsregeln (§§ 30 f.) und das Verbot existenzvernichtender Eingriffe (§ 826 BGB, 12. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.), Grenzen gezogen (s. auch noch Rz. 266). b) Loyaler Einsatz für die Gesellschaft 181 Die allgemeine Pflicht, sich loyal für die Gesellschaft einzusetzen, gebietet jedem Geschäfts-

führer, seine berufliche Arbeitskraft und seine Fähigkeiten, Kenntnisse und Erfahrungen vorbehaltlos in den Dienst der Gesellschaft zu stellen540. Soweit im Anstellungsvertrag nichts Abweichendes geregelt ist, soll nach wohl h.L. davon auszugehen sein, dass der Geschäftsführer seine gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft zu widmen hat541; gleichwohl empfiehlt sich eine Klarstellung im Anstellungsvertrag. In außergewöhnlichen Situationen wird dem Geschäftsführer abverlangt, nicht gesondert vergütete Überstunden zu leisten und ggf. einen Urlaub zu verschieben oder vorzeitig abzubrechen542. An bestimmte Arbeitszeiten ist der Geschäftsführer zwar grundsätzlich nicht gebunden543; aus dem Anstellungsvertrag kann sich aber bei Vereinbarung einer Vollzeittätigkeit ergeben, dass er an den fünf üblichen Wochenarbeitstagen für die Gesellschaft tätig sein muss und seine Tätigkeit nicht auf bestimmte Wochenarbeitstage unter Erhöhung des Arbeitseinsatzes an diesen Tagen beschränken darf544. Keine Pflichtverletzung begeht ein Geschäftsführer, der seine Tätigkeit für die Gesellschaft einschränkt, weil er in den Deutschen Bundestag gewählt worden ist (arg. Art. 48 Abs. 2 Satz 1 GG)545. Die im Anstellungsvertrag vorgesehene Tätigkeitsvergütung ist dann entsprechend anzupassen. Eine Amtsniederlegung zur Unzeit ist dem Geschäftsführer untersagt (s. auch Rz. 28)546. 538 Näher dazu Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 104 ff., insbes. 106, 110. 539 Ganz h.M., s. etwa (jeweils am Beispiel des Wettbewerbsverbots) BGH v. 7.1.2008 – II ZR 314/05, GmbHR 2008, 257 Rz. 15; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 91; Fleischer, DStR 1999, 1249, 1252; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 20; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 84; zur mitgliedschaftlichen Treuepflicht auch 12. Aufl., § 14 Rz. 74 (Seibt); Verse in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 13 GmbHG, Rz. 44 f., § 14 GmbHG Rz. 100. 540 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 167; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 43; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 144; zur AG Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 96. 541 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 79; Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 117; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 144 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 Rz. 49; a.A. – keine organschaftliche, sondern allenfalls anstellungsvertragliche Pflicht – Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1276; Weber/Dahlbender, GmbH-StB 2002, 83; offenbar auch Röhricht, WPg 1992, 766, 771. 542 Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 31; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 167; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 43; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 145; vgl. auch BFH v. 27.3.2001 – I R 40/00, GmbHR 2001, 777, 778: Erwartung der Gesellschafter, dass der Geschäftsführer „die ihm übertragenen Aufgaben auch dann erfüllt, wenn er dazu die etwaigen für die anderen Beschäftigten der GmbH geltenden Arbeitszeiten überschreiten muss.“ 543 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 144. 544 BGH v. 7.12.1987 – II ZR 206/87, ZIP 1988, 568, 569. 545 BGH v. 6.5.1965 – II ZR 82/63, BGHZ 43, 384 = MDR 1965, 554. 546 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 44; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 147, 147.1; für Einordnung als Anwendungsfall rechtsmissbräuchlichen Verhaltens Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169, 194.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 183 § 43

Aus der Loyalitätspflicht ergibt sich in gewissen Grenzen auch eine Pflicht des Geschäftsfüh- 182 rers zur Mäßigung im außerdienstlichen Bereich, soweit sich sein Verhalten auf die Gesellschaft auswirkt547. So hat er grundsätzlich Äußerungen zu unterlassen, die geeignet sind, das Ansehen der Gesellschaft in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen548. Ob und inwieweit sich daraus auch Grenzen für politische Äußerungen ergeben können, die der Geschäftsleiter als Privatperson öffentlich tätigt und die geeignet sind, negative Konsequenzen für die Gesellschaft auszulösen (z.B. Verärgerung bei Vertragspartnern, die zur Beendigung profitabler Geschäftsbeziehungen führt), bedarf noch der Klärung549. Der Geschäftsführer ist aber nicht verpflichtet, seine private Lebensführung im Interesse einer bestmöglichen Erhaltung seiner Arbeitskraft so einzuschränken, dass er z.B. gefährliche Sportarten meiden oder eine gesundheitsgefährdende Lebensführung aufgeben muss550. c) Offenlegung von Interessenkonflikten und anderen für die Amtsführung wesentlichen Umständen Aus der organschaftlichen Treuepflicht folgt ferner, dass der Geschäftsführer der Gesellschaft 183 bestimmte Umstände offenlegen muss, die für die pflichtgemäße Amtsführung wesentlich sind. Anerkannt ist dies insbesondere für die Offenlegung von Interessenkonflikten551. Ein relevanter Interessenkonflikt in diesem Sinne ist – wie im Rahmen der Business Judgment Rule – anzunehmen, wenn aufgrund objektiver Umstände für einen neutralen Beobachter die Besorgnis begründet ist, dass gesellschaftsfremde Sonderinteressen die Geschäftsführung zum Nachteil der Gesellschaft beeinflussen können (Rz. 93 f.). Die Offenlegung eines solchen Konflikts hat unverzüglich zu erfolgen552. Zu informieren sind zum einen, soweit vorhanden, die Geschäftsführerkollegen553. Zum anderen ist jedenfalls dann, wenn sich nur so die Möglichkeit der Beeinflussung einer Entscheidung durch den Interessenkonflikt verlässlich 547 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 44; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 150. 548 OLG Hamm v. 7.11.1984 – 8 U 8/84, GmbHR 1985, 157 (auch nach Abberufung Auftreten in der Öffentlichkeit „nur mit der gebotenen Zurückhaltung“); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 167; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 150; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 98; vgl. zur AG auch BGH v. 6.11.2012 – II ZR 111/12, AG 2013, 90 f.: Pflicht zur Zurückhaltung eines Aufsichtsratsmitglieds bei der Kritik am Vorstand, wenn dadurch die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft gefährdet werden kann. 549 Streng Wilsing in FS Krieger, 2020, S. 1141, 1143 ff., der bei auf die Gesellschaft abstrahlenden Meinungsäußerungen davon ausgeht, dass die Äußerung nicht als rein privat, sondern als Akt der Geschäftsführung zu werten sei (mit der Folge, dass sie nicht nur an der organschaftlichen Treuepflicht, sondern auch an der Sorgfaltspflicht zu messen sei). 550 Näher dazu Fleischer, NZG 2010, 561, 562 (mit dem Hinweis, dass auch entsprechende Klauseln im Anstellungsvertrag im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Geschäftsleiters nur sehr zurückhaltend anerkannt werden); ferner Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 53; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 239; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 96. 551 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 79; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169a; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109; zur AG KG v. 11.3.2005 – 14 U 137/03, AG 2005, 737, 738; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 275; ausf. Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 113 ff.; irreführend daher die Einstufung als bloße Empfehlung („soll“) in E.1 und E.2 DCGK (der empfehlende Charakter kann sich allenfalls auf die Modalitäten der Offenlegung beziehen). Einschränkend – Offenlegungspflicht nur beim Vorliegen besonderer Umstände – Baumanns, Rechtsfolgen einer Interessenkollision bei AG-Vorstandsmitgliedern, 2004, S. 41 ff. 552 Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 115; vgl. auch Empfehlungen E.1. und E.2 DCGK; einschr. Bachmann in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, DCGK, Rz. 1097. 553 Zur AG Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 115; vgl. auch Empfehlung E.2 DCGK.

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§ 43 Rz. 183 | Haftung der Geschäftsführer ausschließen lässt, auch eine Offenlegung gegenüber den Gesellschaftern bzw. einem etwaigen anderen weisungs- oder aufsichtsbefugten Gesellschaftsorgan geboten554. 184 Gute Gründe sprechen dafür, dass den Geschäftsführer auch eine Pflicht zur Offenlegung

trifft, wenn er seine Diensttauglichkeit aufgrund einer schwerwiegenden Krankheit voraussichtlich innerhalb eines überschaubaren Zeitraums verlieren wird555. Dem berechtigten Interesse an der Wahrung der Privatsphäre des Geschäftsführers ist allerdings dadurch Rechnung zu tragen, dass sich die Mitteilungspflicht nur auf die schwindende Diensttauglichkeit und nicht auf die Diagnose als solche erstreckt556. 185 Nicht abschließend geklärt ist, ob die Organwalter aufgrund ihrer organschaftlichen Treue-

pflicht auch ungefragt eigenes Fehlverhalten offenbaren müssen. Eine solche Pflicht wurde bisher aus guten Gründen überwiegend abgelehnt557. Der BGH hat allerdings in einer neueren Entscheidung den Standpunkt eingenommen, dass sich diese Frage nicht generell beantworten lässt, sondern von einer Abwägung anhand der Umstände des Einzelfalls abhängt. Dabei soll es insbesondere darauf ankommen, ob und inwieweit die Gesellschaft auf die Information durch den Organwalter angewiesen ist, ob die Offenlegung der Information Teil eines von ihm durch eigenen Willensentschluss übernommenen Pflichtenkreises ist und ob die Zubilligung eines Schweigerechts denjenigen ungerechtfertigt bevorzugen würde, der „besonders rechtswidrig“ oder verwerflich gehandelt hat558. In dem konkreten Fall entschied der BGH, dass ein Aufsichtsratsmitglied einer AG, welches zugleich Aktionär der Gesellschaft war und vom Vorstand nach § 57 AktG verbotene Zuwendungen erhalten hatte, die Anspruchsverfolgung gegen den Vorstand wegen der verbotenen Zuwendung hätte betreiben müssen, obwohl damit eine Selbstbelastung verbunden gewesen wäre559. Soweit eine Offenlegungspflicht bejaht wird, ist aber analog § 630c Abs. 2 Satz 3 BGB davon auszugehen, dass die vom Geschäftsführer offengelegte Information über das Fehlverhalten in einem Strafoder Bußgeldverfahren gegen ihn nur verwertet werden kann, wenn er zustimmt (Beweisver-

554 Generell für Offenlegung gegenüber den Gesellschaftern oder einem sonst weisungs- oder aufsichtsbefugten Gesellschaftsorgan Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109. In der AG ist umstritten, ob die in E.1 und E.2 DCGK empfohlene Offenlegung (auch) gegenüber dem Aufsichtsrat bzw. dessen Vorsitzenden schon durch die organschaftliche Treuepflicht geboten ist; bejahend Holtkamp, Interessenkonflikte im Vorstand der Aktiengesellschaft, 2016, S. 115; ablehnend Bachmann in Kremer/Bachmann/Lutter/v. Werder, DCGK, Rz. 1097; Goslar in Wilsing, DCGK, Ziff. 4.3.4 Rz. 7. 555 Näher Fleischer, NZG 2010, 561, 564. 556 Fleischer, NZG 2010, 561, 564. 557 OLG Düsseldorf v. 25.11.1999 – 6 U 146/98, WM 2000, 1393 Rz. 49 ff., 77 bei juris; implizit auch BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 16 („Ebenso wenig entsteht dadurch, dass der Geschäftsführer gegen ihn gerichtete Schadensersatzansprüche aus § 43 Abs. 2 GmbHG verjähren lässt, erneut ein Schadensersatzanspruch.“); Grunewald, NZG 2013, 841, 843 ff.; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 166, 201; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 327; a.A. Hopt, ZGR 2004, 1, 27; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 275; Schmolke, RIW 2008, 365, 371 f.; abw. auch die frühere Rechtsprechung zur sog. Sekundärhaftung von Rechtsanwälten und Steuerberatern (z.B. BGH v. 20.1.1982 – IVa ZR 314/80, BGHZ 83, 17, 23 = ZIP 1982, 451; BGH v. 8.7.1992 – IV ZR 223/91, BGHZ 119, 150, 157 = MDR 1992, 945). Diese Rechtsprechung war jedoch Unzulänglichkeiten des alten Verjährungsrechts geschuldet und ist daher seit der Schuldrechtsreform obsolet; Grothe in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, Vor § 194 BGB Rz. 17 f. 558 BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 39 ff. m. zust. Bespr. Jenne/ Miller, AG 2019, 112. 559 Näher und kritisch dazu Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2346 ff., der dafür plädiert, dem Organwalter den Einwand der Unzumutbarkeit der Selbstbelastung nur (aber immerhin) dann zu verwehren, wenn sich sein Verhalten als besonders verwerflich darstellt; eine Selbstbezichtigungspflicht gänzlich abl. Cahn, ZHR 184 (2020), 297, 316 ff.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 187 § 43

wertungsverbot)560. Speziell geregelt ist die Offenlegungspflicht im Insolvenzrecht. Nach § 97 Abs. 1 Satz 2, § 101 Abs. 1 Satz 1-2, § 20 Abs. 1 Satz 2 InsO sind Geschäftsführer und bestimmte ehemalige Geschäftsführer im Insolvenzverfahren und im Insolvenzeröffnungsverfahren verpflichtet, auch Tatsachen zu offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Allerdings sind sie auch hier durch ein Beweisverwertungsverbot im Straf- bzw. Bußgeldverfahren geschützt (§ 97 Abs. 1 Satz 3 InsO)561. d) Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenbindung aa) Wettbewerbsverbot aaa) Grundlagen. Anders als im Aktienrecht (§ 88 AktG) enthält das GmbHG keine Regelung 186 über ein Wettbewerbsverbot der Geschäftsleiter. Der Regierungsentwurf der gescheiterten GmbH-Novelle von 1971/73 (12. Aufl., Einl. Rz. 46) sah zwar eine an § 88 AktG angelehnte Regelung vor562, die aber nicht Gesetz geworden ist. Gleichwohl ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt, dass der Geschäftsführer – sofern er nicht zugleich Alleingesellschafter ist (Rz. 180) – aufgrund seiner organschaftlichen Treuepflicht auch ohne Regelung im Anstellungsvertrag oder in der Satzung einem Wettbewerbsverbot unterliegt563. bbb) Sachlicher Geltungsbereich. (1) Allgemeines. Das Wettbewerbsverbot des GmbH-Ge- 187 schäftsführers wird im Schrifttum verbreitet (auch) auf eine analoge Anwendung des § 88 AktG gestützt564, was den Eindruck erweckt, als decke sich der sachliche Geltungsbereich des treuepflichtgestützten Wettbewerbsverbots mit demjenigen des § 88 AktG. Richtigerweise ist jedoch zu differenzieren. Das aus der organschaftlichen Treuepflicht abgeleitete Wettbewerbsverbot des GmbH-Geschäftsführers bezieht sich auf echte Konkurrenzaktivitäten565 (Rz. 188 ff.), während § 88 AktG partiell darüber hinausreicht. So untersagt § 88 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und Satz 2 AktG einem Vorstandsmitglied ganz generell, ein Handelsgewerbe zu betreiben oder Vorstandsmitglied, Geschäftsführer oder persönlich haftender Gesellschafter einer anderen Handelsgesellschaft zu sein, unabhängig davon, ob es sich dabei um ein konkurrierendes Unternehmen handelt566. Die Frage, ob ein ähnlich weitgehendes Tätigkeitsverbot auch für den GmbH-Geschäftsführer besteht, lässt sich nicht pauschal in Analogie zu § 88 AktG beantworten; vielmehr kommt es darauf an, ob der Geschäftsführer im konkreten Ein-

560 Franzen in FS Köhler, 2014, S. 133, 141 ff. 561 Zum verfassungsrechtlichen Hintergrund dieser Regelung BVerfG v. 13.1.1981 – 1 BvR 116/77, BVerfGE 56, 37 = MDR 1981, 818. 562 § 71 RegE; BT-Drucks. VI/3088, S. 20 und BT-Drucks. 7/253, S. 20. 563 BGH v. 26.10.1964 – II ZR 127/62, WM 1964, 1320, 1321; BGH v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 31; BGH v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77 Rz. 9 bei juris; BGH v. 11.10.1976 – II ZR 104/75, GmbHR 1977, 43 Rz. 17 bei juris; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 20; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 47; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82; Röhricht, WPg 1992, 766, 767 f.; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.1; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 155. 564 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 83; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 35 GmbHG Rz. 20; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82, 89. 565 Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1276; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 84; Verse in Krieger/ Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.7; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 159 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 Rz. 41; Bryant, Gesellschaftsrechtliche Wettbewerbsverbote für Geschäftsführer, 2013, S. 56. 566 Allg. M., s. nur Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 13, 20; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 25, 44; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.6.

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§ 43 Rz. 187 | Haftung der Geschäftsführer zelfall der GmbH seine volle Arbeitskraft schuldet (Rz. 181) und die Erfüllung dieser Vorgabe durch die anderweitige Tätigkeit beeinträchtigt ist567. 188 (2) Geschäftemachen im Geschäftszweig der Gesellschaft. Zu den Konkurrenzaktivitäten,

die dem Geschäftsführer aufgrund seiner organschaftlichen Treuepflicht verboten sind, gehört es zunächst, für eigene Rechnung oder für Rechnung eines Dritten Geschäfte im Geschäftszweig der Gesellschaft zu machen (entsprechend § 88 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG)568. Unter Geschäftemachen versteht der BGH jede, wenn auch nur spekulative, auf Gewinnerzielung gerichtete Teilnahme am geschäftlichen Verkehr, die nicht zur Befriedigung eigener privater Bedürfnisse erfolgt, also nicht lediglich persönlichen Charakter hat569. Privaten Charakter hat z.B. der Erwerb einer Immobilie zu eigenen Wohnzwecken; auch der Geschäftsführer einer im Immobilienhandel tätigen Gesellschaft bedarf hierfür daher keiner Einwilligung der Gesellschafterversammlung570. Da der Schutzzweck der Konkurrenzverhütung nicht berührt ist, liegt ein unzulässiges Geschäftemachen auch dann nicht vor, wenn der Abschluss des Geschäfts letztlich der Gesellschaft zugutekommt, mag der Geschäftsführer hierfür auch eine Provisionszahlung erhalten haben571. In Betracht kommt dann aber eine Pflicht zur Herausgabe der erlangten Provision nach § 667 BGB (i.V.m. § 27 Abs. 3 BGB analog bzw. § 675 BGB)572. 189 Verboten ist nicht nur das Geschäftemachen für eigene, sondern auch für fremde Rech-

nung573. Deshalb darf der Geschäftsführer im Geschäftszweig der Gesellschaft auch nicht als unmittelbarer (Prokurist, Handlungsbevollmächtigter etc.) oder mittelbarer (Kommissionär) Stellvertreter eines anderen geschäftlich tätig werden. Dem Handeln des Geschäftsführers selbst ist aus Gründen des Umgehungssschutzes der Fall gleichzustellen, dass er einen Strohmann oder Treuhänder vorschiebt574 oder die Geschäfte durch eine von ihm beherrschte Gesellschaft betreibt575. 190 Wie weit der Geschäftszweig der Gesellschaft zu ziehen ist, wird uneinheitlich beantwortet.

Eine vor allem im Aktienrecht verbreitete Ansicht will im Anschluss an die BGH-Rechtsprechung zum Wettbewerbsverbot des persönlich haftenden Gesellschafters einer Personenhandelsgesellschaft nach § 112 HGB576 nicht auf den satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand, sondern allein auf den tatsächlichen Tätigkeitsbereich der Gesellschaft abstellen577.

567 Mertens in Hachenburg, § 43 Rz. 40. 568 BGH v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77 Rz. 9 bei juris; BGH v. 11.10.1976 – II ZR 104/ 75, GmbHR 1977, 43 Rz. 17 bei juris; jeweils mit der Formulierung „auf eigene Rechnung“. Für das Handeln auf Rechnung eines Dritten kann – wie im Rahmen des § 88 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG – nichts anderes gelten; Röhricht, WPg 1992, 766, 768; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 162. 569 BGH v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, ZIP 1997, 1063, 1064; ebenso BAG v. 15.2.1962 – 5 AZR 79/61, AP § 61 HGB Nr. 1; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 49; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 91. 570 Beim Erwerb zweier Immobilien kommt es auf den Einzelfall an; vgl. BGH v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, ZIP 1997, 1063, 1064. 571 BGH v. 2.4.2001 – II ZR 217/99, AG 2001, 468 (zur AG). 572 BGH v. 2.4.2001 – II ZR 217/99, AG 2001, 468, 469. 573 Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 43 Rz. 65; Röhricht, WPg 1992, 766, 768; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 162; vgl. § 88 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG. 574 Röhricht, WPg 1992, 766, 768; Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 165; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.18; zur AG Schwennicke in Grigoleit, § 88 AktG Rz. 4. 575 Röhricht, WPg 1992, 766, 768; Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 165; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.18. 576 BGH v. 21.2.1978 – KZR 6/77, BGHZ 70, 331, 332 f. = GmbHR 1978, 107; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 170 = GmbHR 1984, 203. 577 OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.1999 – 10 U 257/98, AG 2000, 518, 519; Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1270; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rz. 306; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 192 § 43

Andere halten dagegen stets den statutarischen Unternehmensgegenstand für maßgeblich578. Wieder andere wollen auf den tatsächlichen Tätigkeitsbereich abstellen, falls dieser den Unternehmensgegenstand unterschreitet; im Fall der Überschreitung soll es hingegen auf den statutarischen Unternehmensgegenstand ankommen579. Die im GmbH-Recht überwiegende Ansicht differenziert demgegenüber mit Recht genau umgekehrt: Im Fall der Satzungsunterschreitung ist danach der statutarische Unternehmensgegenstand maßgeblich580; ansonsten bestünde nämlich die Gefahr, dass die Geschäftsführer eine im Gesellschaftsinteresse liegende und vom Unternehmensgegenstand gedeckte Ausdehnung der Geschäftstätigkeit der GmbH unterlassen, um nicht mit eigenen geschäftlichen Aktivitäten in Konflikt zu geraten. Sofern dagegen der tatsächliche Tätigkeitsbereich den Unternehmensgegenstand überschreitet, ist auch der Überschreitungsbereich geschützt581. Der Einwand, dass die Gesellschaft jenseits des statutarischen Unternehmensgegenstands nicht schutzwürdig sei, da ihre Tätigkeit in diesem Bereich unzulässig sei582, verfängt nicht, da die GmbH ihren Unternehmensgegenstand jederzeit durch Satzungsänderung erweitern kann. Der Geschäftsführer hat darauf hinzuwirken, dass tatsächlicher Tätigkeitsbereich und satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand übereinstimmen; er hat daher den Gesellschaftern vorzuschlagen, entweder den Unternehmensgegenstand durch Satzungsänderung zu erweitern oder die Tätigkeit im Überschreitungsbereich aufzugeben. Führt er diese Entscheidung nicht herbei, verstößt er gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, wenn er einerseits die von ihm geleitete GmbH weiterhin im Überschreitungsbereich tätig sein lässt und sich andererseits darauf beruft, dass er der Gesellschaft in diesem Bereich Konkurrenz machen dürfe, weil die Gesellschaft dort nach ihrer Satzung nicht aktiv sein dürfe583. Wird der Geschäftszweig der Gesellschaft erst im Lauf der Amtszeit des Geschäftsführers er- 191 weitert, hat dieser seine Aktivitäten den neuen Gegebenheiten anzupassen. Bereits vorher begonnene Konkurrenztätigkeiten des Geschäftsführers auf eigene oder fremde Rechnung genießen keinen Bestandsschutz584. Nach überwiegender und zutreffender Ansicht ist das Wettbewerbsverbot konzerndimensio- 192 nal zu verstehen, so dass nicht nur der Geschäftszweig der GmbH geschützt ist, sondern jedenfalls auch die Geschäftszweige von Unternehmen, die unter der Konzernleitung der GmbH (§ 18 AktG) stehen und damit in einem weiteren Sinne auch von den Geschäftsführern der GmbH geleitet werden585. Teilweise werden auch schlicht abhängige Unternehmen

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2015, § 88 AktG Rz. 28; Schwennicke in Grigoleit, § 88 AktG Rz. 4; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 88 AktG Rz. 7. Hüffer/Koch, § 88 AktG Rz. 3; wohl auch Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 160 f. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 13; ebenso für den Fall der Satzungsüberschreitung OLG Köln v. 19.10.2018 – 18 W 53/17, AG 2019, 395, 398 (ohne Stellungnahme zum Fall der Satzungsunterschreitung). Röhricht, WPg 1992, 766, 769; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 296 ff.; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 84; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 49; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94 f.; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.19; ebenso für die AG Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 17; wohl auch Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 21. Nachw. wie vorige Fn. OLG Köln v. 19.10.2018 – 18 W 53/17, AG 2019, 395, 398; Hüffer/Koch, § 88 AktG Rz. 3. Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 298. Röhricht, WPg 1992, 766, 769; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.19; zur AG Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1270; Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 22; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 16; abw. allerdings die h.L. zum Wettbewerbsverbot des Handlungsgehilfen (§ 60 HGB), vgl. Weber in Staub, 5. Aufl. 2008, § 60 HGB Rz. 12 m.w.N. Röhricht, WPg 1992, 766, 770; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.20; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 Rz. 45; zur AG Fleischer in Spindler/Stilz, § 88

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§ 43 Rz. 192 | Haftung der Geschäftsführer (§ 17 AktG) einbezogen586. Eine Ausdehnung in umgekehrter Richtung mit der Folge, dass zum Geschäftszweig einer Tochtergesellschaft auch alle von der Muttergesellschaft betriebenen Aktivitäten zählen, lässt sich dagegen nicht begründen, da der Geschäftsführer der Tochter nicht auf das Gesellschaftsinteresse der Mutter verpflichtet ist587. 193 Weitergehend kann die organschaftliche Treuepflicht dem Geschäftsführer u.U. sogar verbie-

ten, auch jenseits des statutarischen oder tatsächlichen Tätigkeitsbereichs der Gesellschaft und der unter ihrer Leitung stehenden Konzernunternehmen Geschäftschancen für sich selbst auszunutzen (s. dazu Rz. 209 im Rahmen der Geschäftschancenbindung). 194 (3) Sonstige verbotene Aktivitäten im Geschäftszweig der Gesellschaft. Das Wettbewerbs-

verbot untersagt dem Geschäftsführer auch, Vorstandsmitglied, Geschäftsführer oder persönlich haftender Gesellschafter einer konkurrierenden Handelsgesellschaft zu sein588. Konkurrierend in diesem Sinne ist eine Gesellschaft, wenn sie im Geschäftszweig der GmbH oder eines der unter ihrer Leitung stehenden Konzernunternehmen (Rz. 192) tätig ist. Wie im Rahmen des § 88 Abs. 1 Satz 2 AktG erstreckt sich das Verbot auch auf die Übernahme vergleichbarer Positionen in einer ausländischen Handelsgesellschaft589 oder einer unternehmerisch tätigen BGB-Gesellschaft590. Gleichzustellen ist ferner die Stellung als (abweichend von § 164 HGB) geschäftsführender Kommanditist591. 195 (4) Grenzfall: Vorbereitungsmaßnahmen. Einen streitträchtigen Grenzfall bilden vorberei-

tende Maßnahmen, die auf die Gründung eines künftigen Handelsgewerbes oder auf künftige Geschäftsabschlüsse im Geschäftszweig der Gesellschaft gerichtet sind. Einigkeit besteht, dass vorbereitende Hilfsgeschäfte (wie z.B. die Anmietung und Ausstattung von Geschäftsräumen) noch nicht unter das Wettbewerbsverbot fallen592. Die Grenze des Zulässigen wird

586 587

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AktG Rz. 24; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 13; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 24; Bachmann in Kremer/Bachmann/Lutter/ v. Werder, DCGK, Rz. 1079; a.A. aber OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.1999 – 10 U 257/98, AG 2000, 518, 519; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 106. Röhricht, WPg 1992, 766, 770; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 GmbHG Rz. 45; dagegen jedoch Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 24; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 24. Wie hier Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 27; differenzierend Uwe H. Schneider, GmbHR 1993, 10, 18 und Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 161 (Frage des Einzelfalls je nachdem, inwieweit der Tochter-Geschäftsleiter auch in Vorgänge des herrschenden Unternehmens eingebunden ist); zwischen Vertrags- und faktischem Konzern unterscheidend S.H. Schneider in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 8.92 f.; a.A. – auch Geschäftszweig der Mutter erfasst – Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 30. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 GmbHG Rz. 45; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.23; vgl. § 88 Abs. 1 Satz 2 AktG, allerdings hier beschränkt auf Positionen in Konkurrenzunternehmen (Rz. 187). Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 25; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 15. Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 25; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 15; Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1270. Ebenso zu § 88 Abs. 1 Satz 2 AktG Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 25; Hüffer/Koch, § 88 AktG Rz. 4; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 47; abw. Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 21; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 91. BAG v. 12.5.1972 – 3 AZR 401/71, AP § 60 HGB Nr. 6 (zur Parallelfrage im Rahmen des § 60 HGB); OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.1999 – 10 U 257/98, AG 2000, 518, 519; OLG Oldenburg v. 17.2.2000 – 1 U 155/99, NZG 2000, 1038, 1039; Fleischer, AG 2005, 336, 341; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 22.

516 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 197 § 43

aber überschritten, sobald bereits konkret Geschäftsbeziehungen angebahnt werden593. Gleiches gilt für das Abwerben von Kunden und Auftraggebern594 sowie das Abwerben von wichtigem Personal der Gesellschaft595. ccc) Zeitlicher Geltungsbereich. (1) Allgemeines. Das Wettbewerbsverbot gilt nur während 196 der Amtszeit als Geschäftsführer596, sofern im Anstellungsvertrag kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot (Rz. 245 ff.) vorgesehen ist. Hinsichtlich des Beginns des Wettbewerbverbots ist man sich einig, dass es auf die Bestellung und nicht auf den möglicherweise erst später abgeschlossenen Anstellungsvertrag ankommt597. In Bezug auf das Ende des Verbots bestehen dagegen einige Zweifelsfragen. (2) Ungekündigter Anstellungsvertrag. Fraglich ist zunächst, ob das Wettbewerbsverbot 197 fortgilt, wenn die Bestellung zum Geschäftsführer bereits widerrufen ist, der Anstellungsvertrag aber nicht zum selben Termin gekündigt wurde, sondern (etwa bis zum nächstmöglichen ordentlichen Kündigungstermin) weiterbesteht. Für ein aus der organschaftlichen Treuepflicht abgeleitetes Wettbewerbsverbot ist in diesem Fall kein Raum, da die Organstellung erloschen ist598. Jedoch wird sich regelmäßig aus dem Anstellungsvertrag ein Wettbewerbsverbot ergeben599, so wie sich anerkanntermaßen auch bei Arbeitnehmern aus dem Arbeitsvertrag als Nebenpflicht ein Wettbewerbsverbot ableiten lässt (soweit nicht schon § 60 HGB eingreift)600. Sofern dies im Anstellungsvertrag nicht abweichend geregelt ist, wird man in Anlehnung an die im Arbeitsrecht anerkannten Grundsätze601 davon auszugehen haben, dass das anstellungsvertragliche Wettbewerbsverbot auch dann zu beachten ist, wenn der ehemalige Geschäftsführer nicht mehr für die Gesellschaft tätig ist (z.B. weil er suspendiert oder sonst freigestellt ist)602. 593 BAG v. 30.1.1963 – 2 AZR 319/62, AP § 60 HGB Nr. 3; BAG v. 12.5.1972 – 3 AZR 401/71, AP § 60 HGB Nr. 6; OLG Oldenburg v. 17.2.2000 – 1 U 155/99, NZG 2000, 1038, 1039; vgl. auch BGH v. 19.6.1995 – II ZR 228/94, DStR 1995, 1359 m. Anm. Goette. 594 BAG v. 24.4.1970 – 3 AZR 324/69, AP § 60 HGB Nr. 5. 595 BAG v. 30.1.1963 – 2 AZR 319/62, AP § 60 HGB Nr. 3; BAG v. 12.5.1972 – 3 AZR 401/71, AP § 60 HGB Nr. 6. 596 BGH v. 11.10.1976 – II ZR 104/75, GmbHR 1977, 43 Rz. 17 bei juris; OLG Frankfurt a.M. v. 13.5.1997 – 11 U (Kart) 68/96, GmbHR 1998, 376, 378; OLG Stuttgart v. 15.3.2017 – 14 U 3/14, GmbHR 2017, 913, 916; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 198; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 87; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.10; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 166; abw. Palzer, Fortwirkende organschaftliche Pflichten des Geschäftsführers der GmbH, 2001, S. 239, die für eine im Umfang eingeschränkte Fortwirkung des Wettbewerbsverbots für ehemalige Geschäftsführer plädiert. 597 Fleischer, AG 2005, 336, 340; Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 8 (jeweils zur AG); W. Goette/M. Goette, Die GmbH, § 8 Rz. 158; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 21; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.10. 598 OLG Oldenburg v. 17.2.2000 – 1 U 155/99, NZG 2000, 1038, 1039; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 21. Ebenso zu § 88 AktG Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 109; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 88 AktG Rz. 5; abw. für den Fall, dass die AG sich zur Fortzahlung der Bezüge bereit erklärt, OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.1999 – 10 U 257/98, AG 2000, 518, 519; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 7; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 11. 599 BGH v. 19.10.1987 – II ZR 97/87, GmbHR 1988, 100 Rz. 7 bei juris; OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875, 882; Bergwitz, GmbHR 2006, 1129, 1130 f.; einschr. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 21. 600 S. nur Richardi/Fischinger in Staudinger, § 611 BGB Rz. 1176 f. 601 Für Orientierung an diesen Grundsätzen auch Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 10; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 85. 602 So für das arbeitsrechtliche Wettbewerbsverbot BAG v. 17.10.1969 – 3 AZR 442/68, AP § 611 BGB Treuepflicht Nr. 7; BAG v. 17.10.2012 – 10 AZR 809/11, NZA 2013, 207, 208; Richardi/Fischinger in Staudinger, § 611 BGB Rz. 1178.

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§ 43 Rz. 198 | Haftung der Geschäftsführer 198 (3) Bestrittene Abberufung und Kündigung. Sind sowohl die Abberufung als auch die

Kündigung des Anstellungsvertrags bereits erfolgt, ergibt sich die weitere Frage, ob die Bindung an das Wettbewerbsverbot fortbesteht, wenn der betroffene Organwalter die Wirksamkeit der Abberufung und/oder der Kündigung bestreitet. Nach überwiegender und zutreffender Ansicht ist der Betroffene – sofern kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot vereinbart ist – in diesem Fall weder an ein organschaftliches noch an ein anstellungsvertragliches Wettbewerbsverbot gebunden, da ihm nicht zugemutet werden kann, während des Rechtsstreits mit ungewissem Ausgang eine „Auszeit“ von unbestimmter Dauer zu nehmen603. Nicht zu verkennen ist indes, dass diese im Gesellschaftsrecht herrschende Ansicht der (umstrittenen) Rechtsprechung des BAG zum Parallelproblem im Rahmen des arbeitsrechtlichen Konkurrenzverbots widerspricht604. 199 (4) Amtsniederlegung. Legt der Geschäftsführer sein Amt nieder, soll dies nach h.M. nur

zur Beendigung des Wettbewerbsverbots führen, wenn die Niederlegung berechtigt war605. Nach der Gegenansicht soll das Wettbewerbsverbot auch bei unberechtigter Amtsniederlegung enden, sofern kein rechtsmissbräuchliches Verhalten vorliegt606. Richtigerweise kommt das organschaftliche Wettbewerbsverbot schon deshalb nicht zur Anwendung, weil auch dann, wenn die Berechtigung der Amtsniederlegung streitig ist, der Geschäftsführer analog § 84 Abs. 3 Satz 4 AktG aus dem Amt ausscheidet607. Hat der Geschäftsführer zugleich den Anstellungsvertrag gekündigt und herrscht über die Wirksamkeit der Kündigung Streit, stellt sich aber erneut die Frage, ob ein Wettbewerbsverbot aus dem Anstellungsverhältnis abzuleiten ist. Sofern die Kündigung unwirksam ist, wird man dies – in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG zum arbeitsrechtlichen Konkurrenzverbot608 – bejahen müssen. Dass der (ehemalige) Geschäftsführer damit bis zur Klärung der Unwirksamkeit der Kündigung über das Bestehen des Konkurrenzverbots im Ungewissen bleibt, erscheint in diesem Fall zumutbar, da er anders als im Fall des Widerrufs der Bestellung die Unsicherheit selbst herbeigeführt hat609. 200 ddd) Befreiung vom Wettbewerbsverbot. Von dem Wettbewerbsverbot kann der Geschäfts-

führer nach allgemeiner Ansicht durch Dispenserteilung befreit erteilt werden. Im Einzelnen ist danach zu unterscheiden, ob es nur um eine punktuelle (konkrete) oder eine generelle Befreiung geht.

603 OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.1999 – 10 U 257/98, AG 2000, 518, 520; Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 11; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 21; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 11; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.12; a.A. Diller, ZIP 2007, 201, 206: Entfallen des Konkurrenzverbots nur in „extremen Fällen“ einer vom früheren Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglied unverschuldeten Zwangslage. 604 BAG v. 25.4.1991 – 2 AZR 624/90, AP § 626 BGB Nr. 104; Weber in Staub, 5. Aufl. 2008, § 60 HGB Rz. 37 m.w.N. auch zur Gegenauff.; a.A. v. Hoyningen-Huene in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 60 HGB Rz. 21. 605 Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 12; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 11; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 11; jeweils m.w.N. 606 Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1270 f.; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 7; vermittelnd Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 86: Aufhebung des Wettbewerbsverbots, sofern die Amtsniederlegung nicht offensichtlich unwirksam ist und solange nicht eine erstinstanzliche Entscheidung das Fortbestehen des Mandats feststellt bzw. eine einstweilige Verfügung den Wettbewerb untersagt. 607 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82 = GmbHR 1980, 270; BGH v. 8.2.1993 – II ZR 58/ 92, BGHZ 121, 257, 261 f. = GmbHR 1993, 216. Eine Ausnahme kommt nur in Missbrauchsfällen in Betracht; vgl. OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, GmbHR 2001, 144. 608 BAG v. 17.10.1969 – 3 AZR 442/68, AP § 611 Treuepflicht Nr. 7; Weber in Staub, 5. Aufl. 2008, § 60 HGB Rz. 33 m.w.N. 609 Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.11.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 202 § 43

(1) Konkrete Befreiung. Soll der Geschäftsführer nicht generell, sondern nur punktuell für 201 bestimmte Tätigkeiten vom Wettbewerbsverbot befreit werden, genügt hierfür ein einfacher Beschluss des Gesellschaftsorgans, das auch für die Bestellung der Geschäftsführer zuständig ist, im Regelfall also ein Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit (§ 47 Abs. 1)610. Es wäre ungereimt, für den Einzeldispens eine Satzungsänderung zu verlangen, wenn man berücksichtigt, dass dieser in der AG nach § 88 Abs. 1 Satz 1 AktG durch einfachen Aufsichtsratsbeschluss erteilt werden kann611. Der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer unterliegt bei der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung einem Stimmverbot gemäß § 47 Abs. 4 Satz 1612. Anstelle eines Gesellschafterbeschlusses wird es auch als ausreichend angesehen, wenn sämtliche Gesellschafter mit der konkurrierenden Tätigkeit einverstanden sind wie z.B. dann, wenn der Geschäftsführer bereits bei Aufnahme seiner Tätigkeit eine allen Gesellschaftern bekannte Konkurrenztätigkeit ausübt und dies von allen widerspruchslos hingenommen wird613. In der nach MitbestG paritätisch mitbestimmten GmbH ist analog § 88 Abs. 1 AktG der Aufsichtsrat zuständig614. Dagegen bleibt es in der nach dem DrittelbG mitbestimmten GmbH bei der Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung, da diese auch für die Bestellung der Geschäftsführer zuständig ist615. Gleiches gilt in Ermangelung einer abweichenden Satzungsregelung für die GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat. (2) Generelle Befreiung. Eine generelle Aufhebung des Wettbewerbsverbots ist in der GmbH 202 anders als in der AG616 zwar ebenfalls möglich; sie bedarf aber nach h.M. einer Satzungsänderung, die von der Gesellschafterversammlung mit der dafür erforderlichen Dreiviertel-Mehrheit zu beschließen ist (§ 53 Abs. 2)617. Auch hier ist das Stimmverbot des betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführers zu beachten (Rz. 201).

610 H.M., Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 31; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 90; Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 43 Rz. 71 a.E.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 23; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 51; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 Rz. 43; zumindest für den Fall, dass die Satzung die Möglichkeit der Befreiung ausdrücklich vorsieht (Öffnungsklausel), auch BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, GmbHR 1981, 189, 190; a.A. bei Fehlen einer Öffnungsklausel Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103 f.; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 167.5 (Satzungsänderung); Röhricht, WPg 1992, 766, 781 f. (Satzungsänderung oder Satzungsdurchbrechung). 611 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 Rz. 43. 612 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 31; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 90; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 23; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 105; Röhricht, WPg 1992, 766, 781; implizit auch BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, GmbHR 1981, 189, 190. 613 BFH v. 16.12.1998 – I R 96/95, GmbHR 1999, 667, 669 (Wertung des § 112 Abs. 2 HGB); Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 203 f.; s. dazu auch Röhricht, WPg 1992, 766, 779 f.; krit. Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 169. 614 Habersack in Habersack/Henssler, MitbestR, § 31 MitbestG Rz. 40; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 51; Merkt, ZHR 159 (1995), 423, 445; Schiessl, GmbHR 1988, 53, 55 f.; zur Freigabe von Geschäftschancen Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188; a.A. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, § 25 MitbestG Rz. 90; offen gelassen in BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 57 = GmbHR 1984, 151. 615 § 31 MitbestG findet im DrittelbG keine Entsprechung; s. nur Henssler in Habersack/Henssler, MitbestR, Einl. DrittelbG Rz. 7; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rz. 1134. 616 Vgl. § 88 Abs. 1 Satz 3, § 23 Abs. 5 AktG; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 374 f. Fn. 114; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.35. 617 Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 43 Rz. 72 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 366; Röhricht, WPg 1992, 766, 781; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 167.5; Hellgardt in FS Hopt, 2009, S. 765, 782 f.; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 31; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 23 (jeweils für Beschluss mit einfacher Mehrheit); Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 52 (Einstimmigkeitserfordernis).

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§ 43 Rz. 203 | Haftung der Geschäftsführer 203 (3) Weitere Modalitäten der Befreiung. Der Geschäftsführer handelt pflichtwidrig, wenn er

sich den Dispens nicht vorab als Einwilligung erteilen lässt, bevor er die Konkurrenztätigkeit aufnimmt. Die Gesellschafterversammlung kann die Befreiung vom Wettbewerbsverbot aber auch nachträglich aussprechen und dies mit einem Erlass von bereits entstandenen Ansprüchen wegen Verletzung des Wettbewerbsverbots verbinden. Auch in der paritätisch mitbestimmten GmbH obliegt der Erlass von Ansprüchen gegen die Geschäftsführer vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung den Gesellschaftern (§ 46 Nr. 8, Rz. 351 ff.), nicht dem Aufsichtsrat. Beim Erlass von Ansprüchen gegen einen Gesellschafter-Geschäftsführer ist neben den steuerrechtlichen Auswirkungen (verdeckte Gewinnausschüttung) die Kapitalerhaltung nach § 30 Abs. 1 als zwingende Schranke zu beachten. 204 Die Entscheidung über die Befreiung liegt grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des

zuständigen Organs. In Ausnahmefällen, z.B. wenn die Gesellschaft den Unternehmensgegenstand oder ihren tatsächlichen Tätigkeitsbereich erweitert und ein früher zulässiges Geschäftemachen nunmehr in den Geschäftszweig der Gesellschaft fällt, kann sich das Ermessen dahin reduzieren, dass die Einwilligung für eine Übergangszeit zu erteilen ist618. Die Einwilligung kann widerruflich oder unwiderruflich erteilt werden. Ist sie Bestandteil des Anstellungsvertrags geworden, wird sie bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung im Zweifel als unwiderruflich anzusehen sein619. 205 eee) Rechtsfolgen bei Verletzung des Wettbewerbsverbots. Als Rechtsfolge der Verletzung

des Wettbewerbsverbots kommt nicht nur der Schadensersatzanspruch aus § 43 Abs. 2 in Betracht. Vielmehr stehen der Gesellschaft anerkanntermaßen weitere Rechte zu, namentlich ein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch620, der auch schon vorbeugend geltend gemacht werden kann, sowie ein Eintrittsrecht analog § 88 Abs. 2 Satz 2 AktG621. Das Eintrittsrecht setzt wie in der AG Verschulden voraus (arg. § 88 Abs. 2 Satz 2 AktG: „statt dessen“, d.h. statt des Schadensersatzanspruchs)622. Für sämtliche dieser Ansprüche ist die Sonderverjährung analog § 88 Abs. 3 Satz 1 AktG zu beachten (Rz. 405). 206 Die Wirkung des Eintrittsrechts besteht nicht darin, dass die GmbH in das Geschäft mit dem

Geschäftspartner des Geschäftsführers einrückt. Das Eintrittsrecht hat keine Außenwirkung, sondern regelt allein die internen Folgen einer Pflichtverletzung zwischen Geschäftsführer und Gesellschaft623. Bei Geschäften auf eigene Rechnung ist der Geschäftsleiter verpflichtet,

618 Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.38; zur AG Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 29; Fleischer, AG 2005, 336, 345 (unter Hinweis auf die Treuepflicht der Gesellschaft); Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 61. 619 Zur AG Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 28; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 18; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 24. 620 Allg. M.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 106; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.40; zur AG statt aller Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 33. 621 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 76 = GmbHR 1981, 189; BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, WM 1989, 1335, 1338 = AG 1989, 354; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.39. 622 Str., wie hier die h.M.; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 74; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 88 AktG Rz. 13; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 33; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 95; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.45; zu § 113 HGB Bergmann in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 113 HGB Rz. 11; C. Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 113 HGB Rz. 16, a.A. Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 37; Hüffer/ Koch, § 88 AktG Rz. 7; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 23. 623 Allg. M.; BGH v. 6.12.1962 – KZR 4/62, BGHZ 38, 306, 310; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 171 = GmbHR 1984, 203 (jeweils zu § 113 HGB); Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 34; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.46.

520 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 207 § 43

die Ergebnisse des Geschäfts auf die AG zu übertragen, insbesondere den erzielten Gewinn an die Gesellschaft herauszugeben624. Bei Geschäften auf fremde Rechnung muss er die bezogene Vergütung abführen bzw. den Vergütungsanspruch abtreten. Analog § 666 BGB ist der Geschäftsleiter ferner zur Auskunft und Rechnungslegung über die verbotenen Konkurrenzgeschäfte verpflichtet625. Im Zusammenhang mit der Gewinnerzielung stehende Aufwendungen kann er in Anrechnung bringen (Rechtsgedanke des § 687 Abs. 2 Satz 2 BGB)626. Dagegen ist der vereinzelt vertretenen Auffassung, ein gutgläubiger Geschäftsführer könne dem Herausgabeanspruch analog § 818 Abs. 3 BGB auch einen Wegfall der Bereicherung entgegenhalten627, nicht zu folgen. Diese Ansicht wäre allenfalls dann erwägenswert, wenn das Eintrittsrecht wie ein Bereicherungsanspruch verschuldensunabhängig wäre, was jedoch nach herrschender Ansicht (Rz. 205) nicht der Fall ist. bb) Geschäftschancenbindung aaa) Allgemeines, Verhältnis zum Wettbewerbsverbot. Während sich das organschaftliche 207 Wettbewerbsverbot im herkömmlichen Sinn auf Aktivitäten im Geschäftszweig der Gesellschaft beschränkt (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 1 Var. 2 AktG, Rz. 187 ff.) und mit Ausscheiden aus dem Amt endet (Rz. 196 ff.), besteht heute Einigkeit, dass die organschaftliche Treuepflicht über diese Beschränkungen hinausreicht und dem Geschäftsführer ganz generell verbietet, Geschäftschancen, die der Gesellschaft zugeordnet sind (Rz. 211 ff.), für sich selbst oder einen Dritten auszunutzen628. Die einschlägigen Entscheidungen der Rechtsprechung leiten dieses Verbot unmittelbar aus der allgemeinen Pflicht des Geschäftsführers ab, in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, allein deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge zu haben629. In Rechtsprechung und Schrifttum hat sich hierfür, inspiriert von der US-amerikanischen corporate opportunities doctrine630, der Begriff der Geschäftschancenlehre etabliert631.

624 BGH v. 6.12.1962 – KZR 4/62, BGHZ 38, 306, 310 f.; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 171 = GmbHR 1984, 203; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 35; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.46. 625 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 81, 85; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 34, 36. 626 BGH v. 6.12.1962 – KZR 4/62, BGHZ 38, 306, 311; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 171 = GmbHR 1984, 203 (jeweils zu § 113 HGB); Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 38; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 36; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.46. 627 Rusch, Gewinnhaftung bei Verletzung von Treuepflichten, 2003, S. 240; vgl. dazu auch Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 38 a.E.; ablehnend Hopt, ZGR 2004, 1, 48 f. 628 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 175; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 52; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 98; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 176; Schiessl, GmbHR 1988, 53; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 250. Vgl. auch Grundsatz 19 DCGK: Die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder „dürfen bei ihren Entscheidungen weder persönliche Interessen verfolgen noch Geschäftschancen für sich nutzen, die dem Unternehmen zustehen.“ 629 BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, WM 1967, 679; BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, WM 1977, 361, 362; BGH v. 21.2.1983 – II ZR 183/82, WM 1983, 498, 499; BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, MDR 1986, 293 = GmbHR 1986, 42; BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, WM 1989, 1335, 1339 = GmbHR 1989, 365. 630 Rechtsvergleichend dazu Gelter/Helleringer, 15 Berkeley Business Law Journal (2018), 92; aus dem deutschen Schrifttum Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rz. 995 ff.; Reinhardt, Interessenkonflikte bei der privaten Wahrnehmung von Geschäftschancen im US-amerikanischen und deutschen Gesellschaftsrecht, 1994; Weisser, Corporate Opportunities, 1991. 631 Aus der Rechsprechung etwa BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, GmbHR 2013, 259 Rz. 20 (zur GbR).

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§ 43 Rz. 208 | Haftung der Geschäftsführer 208 Auch wenn das Verhältnis zwischen Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenlehre nicht

endgültig geklärt ist632, kann als gesichert gelten, dass die Geschäftschancenbindung in verschiedener Hinsicht über das Wettbewerbsverbot hinausreicht und dadurch eigenständige Bedeutung neben dem Wettbewerbsverbot gewinnt. Anerkannt ist dies zunächst in zeitlicher Hinsicht, wie sich am Fall des Ausnutzens von Geschäftschancen nach Ausscheiden des Geschäftsführers aus dem Amt zeigt. Wie dargelegt wirkt das Wettbewerbsverbot in diesem Zeitraum vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung im Anstellungsvertrag nicht mehr (Rz. 196), so dass kein Wettbewerbsverstoß vorliegt, wenn der Geschäftsleiter eine ihm während seiner Amtszeit angetragene Geschäftschance der Gesellschaft vorenthält und nach seinem Ausscheiden für sich ausnutzt633. Nach der Geschäftschancenlehre wird die organschaftliche Treuepflicht dagegen auch in diesem Fall verletzt634. 209 Zudem reicht die Geschäftschancenbindung in sachlicher Hinsicht über den Geschäftszweig

der Gesellschaft hinaus (näher Rz. 211 ff.). Auch bei weiter Auslegung des Geschäftszweigs der Gesellschaft lassen sich hierunter nicht solche Geschäfte subsumieren, die sowohl jenseits des Unternehmensgegenstands als auch jenseits eines u.U. darüber hinausgehenden tatsächlichen Tätigkeitsbereichs der Gesellschaft liegen. Es kann aber im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft liegen, auch in diesem Bereich Geschäftschancen wahrzunehmen, die in einem Sachzusammenhang mit der bisherigen Tätigkeit stehen und diese sinnvoll erweitern würden (wie z.B. die Erschließung eines neuen Produktmarkts oder der Erwerb eines Unternehmens, das die vorhandene Konzernstruktur gut ergänzen würde)635. In einem solchen Fall gebietet es die Geschäftschancenlehre, die Entscheidung, ob die sich auftuende Gelegenheit von der Gesellschaft wahrgenommen werden soll, der Gesellschafterversammlung zu überlassen. 210 Als weitere Fallgruppe, in der die Geschäftschancenlehre über das Wettbewerbsverbot hi-

nausgeht, werden bisweilen geschäftszweigneutrale Geschäfte angeführt, an denen die Gesellschaft ein Interesse hat636. Hierzu werden Hilfsgeschäfte wie etwa die Beschaffung eines Darlehens oder von Arbeitsmitteln (Maschinen, Betriebsgrundstücke etc.) gezählt. Da allerdings auch Hilfsgeschäfte vom Unternehmensgegenstand gedeckt sind637, lassen sich diese Fälle bei Licht besehen schon über das Wettbewerbsverbot lösen638. In der Rechtsprechung begegnen denn auch beide Lösungswege639, ohne dass sich daraus ein Unterschied in der Sache ergibt.

632 BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, GmbHR 2013, 259 Rz. 20 (zur GbR) bezeichnet die Geschäftschancenlehre als eigenständiges Rechtsinstitut neben dem Wettbewerbsverbot; ebenso Fleischer, NZG 2013, 361, 363; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 485 ff.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 98. Für Einordnung des Wettbewerbsverbots als Unterfall der weiter ausgreifenden Geschäftschancenlehre dagegen Merkt, ZHR 159 (1995), 423, 434; Timm, GmbHR 1981, 177; Weisser, Corporate Opportunities, 1991, S. 147 f. 633 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, MDR 1986, 293 = WuB II C. § 43 GmbHG 2.86 m. Anm. Uwe H. Schneider; OLG Frankfurt a.M. v. 13.5.1997 – 11 U (Kart) 68/96, GmbHR 1998, 376, 377 f. 634 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, MDR 1986, 293 = WuB II C. § 43 GmbHG 2.86 m. Anm. Uwe H. Schneider; OLG Frankfurt a.M. v. 13.5.1997 – 11 U (Kart) 68/96, GmbHR 1998, 376, 378; OLG Oldenburg v. 17.2.2000 – 1 U 155/99, NZG 2000, 1038, 1039; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 486; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 70; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.25; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 178.2, 183. 635 Beispiele nach Röhricht, WPg 1992, 766, 770; Schiessl, GmbHR 1988, 53, 54; s. noch Rz. 213. 636 Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1270; Polley, Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenlehre, 1993, S. 126 f. 637 Allg. M.; s. nur Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 211 m.w.N. 638 Ebenso Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 69. 639 Vgl. einerseits zu § 112 HGB BGH v. 27.6.1957 – II ZR 37/56, WM 1957, 1128, 1129 (Ausdehnung des Wettbewerbsverbots auf ein Hilfsgeschäft, auf das die Gesellschaft dringend angewiesen war);

522 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 213 § 43

bbb) Zuordnung der Geschäftschancen. Im Zentrum der Geschäftschancenlehre steht die 211 Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Geschäftschance der Gesellschaft zugeordnet ist. Es fällt schwer, diese Frage in verallgemeinerungsfähiger Form zu beantworten. Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass es letztlich immer einer sorgfältigen Prüfung anhand aller Umstände des Einzelfalls bedarf640. Unbeschadet dessen haben sich in Rechtsprechung und Literatur einzelne Kriterien herausgebildet, die in den meisten Fällen eine hinreichend verlässliche Zuordnung der Geschäftschancen ermöglichen. Ähnlich den in den USA entwickelten Abgrenzungskriterien („interest or expectancy test“ und „line of business test“)641 werden zwei wesentliche Zuordnungskategorien unterschieden. In der ersten Kategorie sind die Geschäftschancen deshalb der Gesellschaft zugeordnet, weil 212 sie an dem betreffenden Geschäft bereits ein konkretes Interesse geäußert hat oder ihr eine konkrete Geschäftsaussicht zusteht642. So gebührt eine Geschäftschance der Gesellschaft, wenn – der Geschäftsabschluss von der Gesellschaft bereits beschlossen wurde643, – die Gesellschaft in Vertragsverhandlungen eingetreten ist644, – die Gesellschaft anderweitig ihr Interesse an Geschäften dieser Art bekundet hat645, oder – dem Geschäftsleiter das Geschäft nur mit Rücksicht auf seine Organstellung angetragen wurde646. Darauf, ob das in Aussicht genommene Geschäft in den Geschäftszweig der Gesellschaft fällt, kommt es nicht an (Rz. 209). Die zweite Kategorie umfasst Geschäftschancen, die der Gesellschaft auf Grund ihres Sach- 213 zusammenhangs mit der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft zugeordnet werden647. Hierunter fallen zunächst Geschäftschancen, die sich im bisherigen Tätigkeitsbereich der Gesellschaft bewegen648. Obwohl der Tätigkeitsbereich der Gesellschaft bereits durch das Wettbewerbsverbot geschützt ist (Rz. 190), hat die Geschäftschancenlehre auch hier eigenständige Bedeutung, da sie anders als das Wettbewerbsverbot auch den Fall erfasst, dass der Geschäftsleiter die Geschäftschance erst nach seinem Ausscheiden für sich ausnutzt (Rz. 208). Darüber hinaus kann eine Geschäftschance auch dann kraft Sachzusammenhangs der Gesell-

640 641 642 643 644 645 646 647 648

andererseits BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, WM 1967, 679; BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, WM 1977, 361 (Geschäftschancenlehre, keine Erwähnung des Wettbewerbsverbots). Fleischer, NZG 2003, 985, 987. Dazu Fleischer, WM 2003, 1045, 1054 f.; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, Rz. 1000 ff.; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 487 ff.; Weisser, Corporate Opportunities, 1991, S. 47 ff. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 179; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 490 f.; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.30. BGH v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, WM 1989, 1216, 1218 = GmbHR 1989, 460 (zur KG). BGH v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, WM 1989, 1216, 1217 = GmbHR 1989, 460 (zur KG); BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, GmbHR 2013, 259 Rz. 26 (zur GbR). Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 179; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 256; Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 491; Mertens/ Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 105. BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, WM 1967, 679; BGH v. 10.2.1077 – II ZR 79/75, GmbHR 1977, 129, 130. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 42; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 181. BGH v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, GmbHR 1989, 460 Rz. 9 bei juris zur KG („Geschäftsbereich“ der Gesellschaft); BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, GmbHR 2013, 259 Rz. 21 zur GbR; OLG Frankfurt a.M. v. 13.5.1997 – 11 U (Kart) 68/96, GmbHR 1998, 376, 378 („üblicher Tätigkeitsbereich“); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 181; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 254; krit. Kumpan, Der Interessenkonflikt im deutschen Privatrecht, 2014, S. 492 f., der diese Fälle allein dem Wettbewerbsverbot zuordnen will.

Verse | 523

§ 43 Rz. 213 | Haftung der Geschäftsführer schaft zuzuordnen sein, wenn es sich um die bisherigen Geschäftsfelder gut ergänzende, angrenzende Tätigkeitsbereiche handelt, die für die Gesellschaft – z.B. weil sie Synergie- oder andere Effizienzvorteile versprechen – erkennbar von Interesse sind649. 214 Die Formulierungen in der Rechtsprechung erwecken bisweilen den Eindruck, als müssten

beide Zuordnungskriterien kumulativ erfüllt sein650. Dieser Eindruck ist jedoch irreführend; die Kriterien vermögen auch jeweils für sich allein die Zuordnung einer Geschäftschance zur Gesellschaft zu tragen651. 215 ccc) Rechtfertigungsgründe für die Eigenwahrnehmung. Ist eine Geschäftschance nach den

vorstehenden Grundsätzen der Gesellschaft zuzuordnen, darf der Geschäftsleiter die Geschäftschance nur in Ausnahmefällen selbst nutzen. Die wichtigste Ausnahme bildet der Fall, dass die Gesellschafterversammlung die Geschäftschance freigegeben hat. Im Vorfeld der Entscheidung über die Freigabe hat der Geschäftsführer den Gesellschaftern die maßgeblichen Fakten zu der Erwerbsgelegenheit vollständig offenzulegen652. Für die Freigabe einer bestimmten Geschäftschance genügt wie bei einer punktuellen Befreiung vom Wettbewerbsverbot (Rz. 201) ein Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit, wobei ein betroffener Gesellschafter-Geschäftsführer gemäß § 47 Abs. 4 Satz 1 einem Stimmverbot unterliegt653. In paritätisch mitbestimmten Gesellschaften ist entsprechend § 88 Abs. 1 AktG ein Beschluss des Aufsichtsrats erforderlich654. 216 Sieht man von dem Fall einer freigegebenen Geschäftschance ab, bestehen für die Eigenwahr-

nehmung sehr eng gezogene Grenzen. Insbesondere kann sich der Geschäftsleiter nach der Rechtsprechung des BGH nicht damit verteidigen, dass er von der Geschäftschance privat außerhalb des Dienstes Kenntnis erlangt hat655. Dies gilt nach einer obergerichtlichen Entscheidung auch dann, wenn die Geschäftschance dem Geschäftsleiter von einem persönlichen Freund angetragen wird656. Wenn allerdings feststeht, dass der Antragende nicht mit der Gesellschaft kontrahiert hätte, sondern sich nur an den Geschäftsführer höchstpersönlich wenden wollte, was namentlich bei Geschäften im Familienkreis oder auf Grund persönlicher Freundschaft in Betracht kommt, wird man die Erwerbsgelegenheit richtigerweise nicht als „corporate opportunity“ einordnen können657. Die Beweislast für diese Ausnahme trägt freilich der Geschäftsführer658. 649 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 181; Röhricht, WPg 1992, 766, 770; Schiessl, GmbHR 1988, 53, 54; Weisser, Corporate Opportunities, 1991, S. 150 ff. 650 S. etwa BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, GmbHR 2013, 259 Rz. 21 zur GbR: „Ein Geschäftsführer darf keine Geschäfte an sich ziehen, die in den Geschäftsbereich der Gesellschaft fallen und dieser aufgrund bestimmter konkreter Umstände bereits zugeordnet sind“ (Hervorhebung vom Verf.); ebenso BGH v. 8.5.1989 – II ZR 229/88, GmbHR 1989, 460 Rz. 9 bei juris. 651 So auch das ganz überwiegende Verständnis; deutlich etwa OLG Frankfurt a.M. v. 13.5.1997 – 11 U (Kart) 68/96, GmbHR 1998, 376, 378 („oder“); Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 42; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 181a; Fleischer, NZG 2013, 361, 364; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 254. 652 Röhricht, WPg 1992, 766, 770; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188. 653 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.35. 654 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.35. 655 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, MDR 1986, 293 = GmbHR 1986, 42; BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, GmbHR 2013, 259 Rz. 27 (private Kenntniserlangung „ohne Bedeutung“). 656 OLG Frankfurt a.M. v. 13.5.1997 – 11 U (Kart) 68/96, GmbHR 1998, 376, 378. 657 Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.32; ähnlich Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 187; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 258; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 180.1 a.E.; abl. Schiessl, GmbHR 1988, 53, 54 f. 658 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 187; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 258; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.32.

524 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 219 § 43

Auch sonst kann sich der Geschäftsführer mit dem von ihm zu führenden Nachweis entlas- 217 ten, dass es der Gesellschaft unmöglich gewesen wäre, die Geschäftschance zu nutzen659. Nicht hinreichend ist jedoch der Einwand, der Gesellschaft hätten die finanziellen Mittel gefehlt, die Geschäftschance zu ergreifen660. Die Entscheidung, ob die finanziellen Mittel nicht doch durch Kapitalmaßnahmen oder anderweitig aufgebracht werden können, darf der Geschäftsleiter nicht alleine treffen. Ebenso wenig vermag ein bevorstehender Wechsel in die Selbständigkeit die Mitnahme von Geschäftschancen zu rechtfertigen661. Allein der Umstand, dass der Geschäftsführer nach dem Wechsel in die Selbständigkeit seine allgemeinen Berufs- und Branchenerfahrungen nutzt, die er während seiner Zeit als Geschäftsführer gesammelt hat, ist dagegen nicht zu beanstanden662. ddd) Ansichziehen von Geschäftschancen. Ein verbotenes Ansichziehen von Geschäfts- 218 chancen liegt nicht nur vor, wenn der Geschäftsführer die Chance für sich selbst, eine ihm nahestehende Person oder ein von ihm beherrschtes Unternehmen nutzt663. Wie der BGH mit Recht betont, hat der Geschäftsführer vielmehr generell allein das Wohl der Gesellschaft und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge zu haben664. Die Geschäftschancenbindung wird daher auch dann verletzt, wenn der Geschäftsführer die Geschäftschance für einen Dritten ausnutzt, der keine ihm nahestehende Person ist und auch nicht von ihm beherrscht wird. Mit Recht hat deshalb das Kammergericht ein verbotenes Ansichziehen von Geschäftschancen in einem Fall bejaht, in dem der Geschäftsleiter Geschäftschancen auf eine andere Gesellschaft übergeleitet hatte, deren Prokurist er war, an der er aber keine Beteiligung hielt665. eee) Rechtsfolgen bei Verletzung der Geschäftschancenbindung. Die Rechtsfolgen von Ver- 219 stößen gegen die Geschäftschancenbindung entsprechen denjenigen, die bei Verletzung des Wettbewerbsverbots eingreifen666. Neben dem Schadensersatzanspruch aus § 43 Abs. 2 ist somit auch hier an einen möglichen (auch vorbeugenden) Unterlassungsanspruch und das Eintrittsrecht analog § 88 Abs. 2 Satz 2 AktG zu denken (Rz. 205 f.). Zudem ist wiederum die Sonderverjährung analog § 88 Abs. 3 Satz 1 AktG zu beachten (Rz. 405). 659 Vgl. BFH v. 13.11.1996 – I R 149/94, NJW 1997, 1806, 1807 = GmbHR 1997, 315; Merkt, ZHR 159 (1995), 423, 443 f.; Schiessl, GmbHR 1988, 53, 55; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.32; i.E. auch Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 257 (z.B. wenn die Gesellschaft das Geschäft wegen eines Exportverbots nicht tätigen darf); a.A. Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 208. 660 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, WM 1985, 1444, 1445 (zur OHG); BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, GmbHR 2013, 259 Rz. 30 f. (zur GbR); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 184 f.; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 257; Merkt, ZHR 159 (1995), 423, 443 f.; Röhricht, WPg 1992, 766, 770; Schiessl, GmbHR 1988, 53, 55; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 181; zu weit insofern BFH v. 13.11.1996 – I R 149/94, NJW 1997, 1806, 1807 = GmbHR 1997, 315. A.A. für den Vorstand der AG Habersack in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 421, 430: Soweit die Gesellschaft „objektiv nicht leistungsfähig“ ist, liege schon keine Geschäftschance der AG vor. 661 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, MDR 1986, 293 = GmbHR 1986, 42. 662 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 191. Ein Widerspruch zu dem vorzitierten Urteil des BGH liegt darin m.E. nicht; abw. insoweit Fleischer a.a.O. 663 So aber Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 102. 664 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, WM 1977, 361, 362 Rz. 13 bei juris; BGH v. 23.9.1985 – II ZR 246/84, MDR 1986, 293 = GmbHR 1986, 42. 665 KG Berlin v. 11.5.2000 – 2 U 4203/99, DStR 2001, 1042 m. Anm. Haas/Holler. Wie hier auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 30; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 54: „weder selbst noch zugunsten anderer ihm nahestehender Personen oder anderer Dritter“. 666 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 106; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.39; eingehend Weisser, Corporate Opportunities, 1991, S. 233 ff.; zur AG Mertens/ Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 5 a.E.; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 88 AktG Rz. 7 a.E.

Verse | 525

§ 43 Rz. 220 | Haftung der Geschäftsführer e) Verbot der Aneignung von Gesellschaftsressourcen, Annahme von Zuwendungen Dritter aa) Aneignung von Gesellschaftsressourcen 220 Die organschaftliche Treuepflicht untersagt dem Geschäftsführer nicht nur das Ansichziehen

von Geschäftschancen (Rz. 207 ff.), sondern erst recht auch, bereits vorhandene Gesellschaftsressourcen im eigenen Interesse oder im Interesse Dritter zu nutzen und sich oder Dritte auf Kosten der Gesellschaft zu bereichern667. Als treuwidrig anzusehen ist danach nicht nur der Griff in die Gesellschaftskasse668, sondern z.B. auch die unentgeltliche Heranziehung von Angestellten der Gesellschaft für private Zwecke669, die Ausstattung der Privatvilla auf Kosten der Gesellschaft670, das Hinwirken auf die Auszahlung einer dem Geschäftsführer nicht zustehenden Vergütung671 und die Abrechnung privater Aufwendungen (z.B. private Reisekosten) als Dienstaufwendungen672. Die privat veranlasste Betankung eines Dienstwagens auf Kosten der Gesellschaft kann jedoch als Vergütungsbestandteil durch den Anstellungsvertrag gedeckt sein, wenn der Wagen dem Geschäftsführer auch zur privaten Nutzung überlassen und ihm kein Fahrtenbuch zur Nachhaltung dienstlicher und privater Fahrten auferlegt wurde673. Dienstlich veranlasste Reisekosten, Spesen und Repräsentationsaufwendungen können zwar grundsätzlich abgerechnet werden, dürfen aber nicht den Rahmen des Angemessenen sprengen674. Die Teilnahme des Ehegatten an einem Geschäftsessen ist nicht per se unangemessen, sondern kann nach Lage des Einzelfalls zur Kontaktpflege dienstlich veranlasst sein675. bb) Geschäfte zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer 221 Ist der Geschäftsführer vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) befreit (12. Aufl.,

§ 35 Rz. 143 ff.), muss er dafür sorgen, dass Austauschgeschäfte, die er namens der Gesellschaft mit sich selbst abschließt, durchweg angemessen sind, d.h. einem Drittvergleich standhalten676. Es dürfen mithin keine für den Geschäftsführer günstigeren Konditionen festgelegt werden, als sie die Gesellschaft einem Dritten gewähren würde. Auf den weiten Beurteilungsspielraum der Business Judgment Rule kann sich der Geschäftsführer dabei wegen des bestehenden Interessenkonflikts nicht berufen (Rz. 91)677. Gleiches gilt, wenn er namens der Gesellschaft mit ihm nahestehenden Personen kontrahiert (Rz. 94).

667 S. nur Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 192; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 45. 668 BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, GmbHR 2008, 144 Rz. 3; OLG Saarbrücken v. 24.10.2001 – 1 U 125/01-28, ZIP 2002, 130, 131 (Einlösung von Schecks der Gesellschaft zugunsten des eigenen Privatkontos). 669 BGH v. 24.11.1975 – II ZR 104/73, WM 1976, 77 Rz. 10 bei juris. 670 OLG Naumburg v. 30.11.1998 – 11 U 22/98, NZG 2000, 325. 671 BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, GmbHR 2008, 144 Rz. 3; BGH v. 15.4.2014 – II ZR 44/13, GmbHR 2014, 817 Rz. 26; LG Berlin v. 18.11.1999 – 21 O 708/98, GmbHR 2000, 234, 235 f. 672 OLG München v. 27.2.2013 – 7 U 4465/11, GmbHR 2013, 813, 814. Zur Abgrenzung dienstlicher und privater Reisekosten Fleischer/Bauer, ZIP 2013, 1901, 1908 am Beispiel von LG Essen v. 9.9.2013 – 44 O 164/10 (juris) – Arcandor/Middelhoff. 673 BGH v. 28.10.2002 – II ZR 353/00, GmbHR 2003, 33, 34. 674 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 192. 675 BGH v. 28.10.2002 – II ZR 353/00, GmbHR 2003, 33, 34 f.; LG Essen v. 9.9.2013 – 44 O 164/10 Rz. 1040 ff. bei juris; Fleischer/Bauer, ZIP 2013, 1901, 1910 f. 676 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 174; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 45; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 72; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 174. 677 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 173; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 174; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73.

526 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 223 § 43

Vom Selbstkontrahieren strikt zu unterscheiden ist der Fall, dass das Geschäft mit dem Ge- 222 schäftsführer auf Seiten der Gesellschaft von einem anderen Gesellschaftsorgan (etwa der Gesellschafterversammlung oder ggf. dem Aufsichtsrat) abgeschlossen wird oder von dessen Zustimmung abhängt. Ein Beispiel dafür bildet der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers; dieselbe Konstellation kann aber auch bei anderen Austauschgeschäften begegnen. Zwar wird von dem Geschäftsführer auch in Fällen dieser Art unter Hinweis auf die organschaftliche Treuepflicht verlangt, dass er besondere Informationen, die er zu den Vor- und Nachteilen des Geschäfts besitzt, dem zuständigen Gesellschaftsorgan offenlegen müsse678. Die Verantwortung dafür, dass das Geschäft inhaltlich angemessen ist und dem Gesellschaftsinteresse entspricht, obliegt aber jedenfalls primär dem für die Gesellschaft handelnden Gesellschaftsorgan, nicht dem Geschäftsführer, der in Fällen dieser Art nicht in seiner Funktion als Treuhänder für die Gesellschaft tätig wird und wegen der Zuständigkeit des anderen Gesellschaftsorgans auch nicht über die besondere Einwirkungsmacht verfügt, als deren Korrelat die organschaftliche Treuepflicht verstanden wird (Rz. 178). Man kann angesichts dieser Gegebenheiten schon daran zweifeln, ob den Geschäftsführer in dieser Konstellation überhaupt eine treuepflichtgestützte Verantwortung für die Angemessenheit der Vertragskonditionen trifft679. Jedenfalls kann ihm nicht abverlangt werden, das eigene Interesse an günstigen Vertragskonditionen bedingungslos hinter das Gesellschaftsinteresse zurückzustellen. Mit Blick auf die primäre Verantwortlichkeit des anderen Gesellschaftsorgans kann man von ihm allenfalls erwarten, dass er sich keine Konditionen gewähren lässt, die zu der von ihm zu erbringenden Leistung in einem evidenten Missverhältnis stehen680. Verschlechtern sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft in wesentlichem Maße, 223 kann sich nach der Rechtsprechung des BGH aus der organschaftlichen Treuepflicht eine Verpflichtung des Geschäftsführers ergeben, einer Herabsetzung der Geschäftsführerbezüge zuzustimmen681. Zur Begründung hat der BGH auf den Rechtsgedanken des § 87 Abs. 2 AktG a.F. verwiesen, was darauf schließen lässt, dass es ihm nur um die Korrektur einer „schweren Unbilligkeit“ für die Gesellschaft und damit eine hohe Eingriffsschwelle ging682. Seit dem VorstAG683 ist die Eingriffssschwelle des § 87 Abs. 2 AktG zwar erheblich abgesenkt worden (Verschlechterung statt wesentliche Verschlechterung, Unbilligkeit statt schwere Unbilligkeit); diese Änderung ist aber nach h.M. nicht auf die GmbH übertragbar (12. Aufl., § 35 Rz. 392).

678 Zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 242. 679 Abl. Hüffer/Koch, § 87 AktG Rz. 46; Krieger in Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rz. 401 a.E. Erst recht fraglich ist dies beim Abschluss des ersten Anstellungsvertrags des noch gar nicht amtierenden Geschäftsführers. Hier kommt die Treuepflicht von vornherein nur als Anknüpfungspunkt in Betracht, wenn man ihr Vorwirkungen beimisst; dazu einerseits (bejahend) Peltzer in FS Lutter, 2000, S. 571, 578; Langenbucher in FS Huber, 2006, S. 861, 864; Ziemons in FS Huber, 2006, S. 1035, 1045 f.; andererseits (ablehnend) Brandes, ZIP 2013, 1107, 1108; Fleischer/Bauer, ZIP 2015, 1901, 1903. 680 So im Ergebnis Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 243; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 107 f.; Brandes, ZIP 2013, 1107, 1108 f. (jeweils zum Anstellungsvertrag der Vorstandsmitglieder in der AG); tendenziell auch Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 45 (kein Zurückhaltungsgebot bei den Verhandlungen über das eigene Gehalt). Strenger Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 152 f.; Fleischer/Bauer, ZIP 2015, 1901, 1903 f. 681 BGH v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, GmbHR 1992, 605, 607; ferner OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – 16 U 19/10, GmbHR 2012, 332, 335 (nur in eng zu fassenden Ausnahmefällen). 682 Vgl. § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG: „Tritt nach der Festsetzung eine so wesentliche Verschlechterung in den Verhältnissen der Gesellschaft ein, dass die Weitergewährung der (…) Bezüge eine schwere Unbilligkeit für die Gesellschaft sein würde, so ist der Aufsichtsrat (…) zu einer angemessenen Herabsetzung berechtigt.“ 683 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung vom 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2509.

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§ 43 Rz. 224 | Haftung der Geschäftsführer cc) Annahme von Zuwendungen Dritter 224 Aus der organschaftlichen Treuepflicht ist ferner abzuleiten, dass sich der Geschäftsführer

anlässlich von Geschäften, die er für die Gesellschaft tätigt, von Dritten keine Provisionen, Schmiergelder oder sonstige Vergünstigungen aller Art gewähren lassen darf684. Ist der Dritte bereit, zusätzlich zu der vereinbarten Leistung noch eine Provision oder sonstige Zusatzleistung zu erbringen, muss der Geschäftsführer diese Bereitschaft für die Gesellschaft nutzen und für diese verbesserte Konditionen aushandeln, anstatt den Vorteil für sich selbst zu vereinnahmen. Wird die Provision oder sonstige Zusatzleistung an einen Strohmann des Geschäftsführers geleistet, gilt nichts anderes685. Die erhaltene Zuwendung hat der Geschäftsführer entsprechend § 667 BGB an die Gesellschaft herauszugeben, und zwar auch, wenn der Dritte die Zuwendung dem Geschäftsführer erst im Nachhinein als Belohnung für das durchgeführte Geschäft gewährt hat686. Auf den Nachweis eines Schadens der Gesellschaft kommt es insoweit nicht an687. Ungeachtet dessen besteht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass das betreffende Geschäft ohne Zuwendung mit für die Gesellschaft günstigeren Konditionen zustande gekommen wäre und der Gesellschaft somit ein Schaden mindestens in Höhe der gewährten Zuwendung entstanden ist688. f) Verschwiegenheitspflicht aa) Allgemeines, Grundlagen 225 Trotz Fehlens einer § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 3 GenG entsprechenden Rege-

lung ist allseits anerkannt, dass auch die Geschäftsführer einer GmbH über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft grundsätzlich Stillschweigen zu bewahren haben689. In § 85, der einen vorsätzlichen Bruch der Geheimhaltung unter Strafe stellt, wird die Verschwiegenheitspflicht vorausgesetzt690. Der Regierungsentwurf der gescheiterten GmbH-Novelle von 1971/73 (12. Aufl., Einl. Rz. 46) sah noch vor, eine an § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG angelehnte Vorschrift ausdrücklich ins GmbHG zu übernehmen691. 226 Nicht zweifelsfrei ist, wie sich die Verschwiegenheitspflicht in die übliche Unterteilung in

Sorgfalts- und Treuepflichten einfügt. Wie sich insbesondere an ihrem Fortwirken nach Ende der Amtszeit (Rz. 234) zeigt, stellt sie zumindest auch eine Ausprägung der organschaftlichen Treuepflicht dar692. Während der Amtszeit lässt sie sich allerdings zugleich auch als Ausprä684 BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, GmbHR 1968, 141 Rz. 10 bei juris; BGH v. 21.2.1983 – II ZR 183/82, ZIP 1983, 689, 690; OLG Düsseldorf v. 25.11.1999 – 6 U 146/98, GmbHR 2000, 666, 669; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 193; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 175. 685 BGH v. 1.4.1987 – IVa ZR 211/85, MDR 1987, 825. 686 BGH v. 2.4.2001 – II ZR 217/99, AG 2001, 468, 469; für Herleitung des Herausgabeanspruchs unmittelbar aus der Treuepflicht OLG Düsseldorf v. 25.11.1999 – 6 U 146/98, GmbHR 2000, 666, 669. 687 OLG Düsseldorf v. 25.11.1999 – 6 U 146/98, GmbHR 2000, 666, 669. 688 BGH v. 26.3.1962 – II ZR 151/60, WM 1962, 578 Rz. 10 bei juris; OLG Düsseldorf v. 25.11.1999 – 6 U 146/98, GmbHR 2000, 666, 669; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 193. 689 OLG Hamm v. 7.11.1984 – 8 U 8/84, GmbHR 1985, 157; OLG Koblenz v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, ZIP 1987, 637, 638; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 25; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 199; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 57; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 149; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 187. 690 Armbrüster, GmbHR 1997, 56, 57; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 199. Die Strafbewehrung nach § 85 bzw. § 404 AktG erstreckt sich jedoch im Unterschied zu § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG nur auf Geheimnisse und nicht auf vertrauliche Angaben, s. noch Rz. 232. 691 § 75 Abs. 1 Satz 2 GmbHG-RegE; BT-Drucks. VI/3088, S. 21 und BT-Drucks. 7/253, S. 21. 692 Für Einordnung allein als Ausfluss der Treuepflicht Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 199; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 279; vgl. auch OLG Koblenz v. 5.3.1987

528 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 229 § 43

gung der Sorgfaltspflicht i.e.S. begreifen693; denn es geht nicht nur um eine Frage der Loyalität und der Zurückstellung eigener Interessen gegenüber der Gesellschaft, sondern auch darum, wie ein von Interessenkonflikten unbeeinflusster Geschäftsführer die Gesellschaft so führt, dass dem Gesellschaftsinteresse bestmöglich entsprochen wird. Jedenfalls darf die Zuordnung (auch) zur Treuepflicht nicht den Blick dafür verstellen, dass die Entscheidung, ob es im Einzelfall dem Gesellschaftsinteresse entspricht, vertrauliche Angaben preiszugeben, eine unternehmerische Entscheidung ist, auf die unter den allgemeinen Voraussetzungen die Business Judgment Rule Anwendung finden kann (Rz. 239). Der Schutz der Vertraulichkeit wird durch weitere, die Verschwiegenheitspflicht flankierende 227 Vorschriften ergänzt. Zu nennen sind neben der bereits erwähnten Strafbewehrung (§ 85) insbesondere die prozessualen Aussageverweigerungsrechte der Geschäftsführer. So können die amtierenden Geschäftsführer in einem Zivilprozess der Gesellschaft nicht als Zeugen, sondern nur als Partei vernommen werden und eine Vernehmung nach § 446 ZPO ablehnen694. Nicht mehr amtierende Geschäftsführer können sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen695. Soweit dem Geschäftsführer solche prozessualen Aussageverweigerungsrechte zustehen, gebietet ihm die Verschwiegenheitspflicht, davon im Interesse der Gesellschaft auch Gebrauch zu machen, soweit ihn die Gesellschaft hiervon nicht entbindet. bb) Sachlicher Geltungsbereich Hinsichtlich des Geltungsbereichs der Verschwiegenheitspflicht kann man sich an § 93 Abs. 1 228 Satz 3 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 3 GenG orientieren. Der Schutzbereich umfasst danach sowohl vertrauliche Angaben als auch Geheimnisse der Gesellschaft, namentlich Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse696. aaa) Geheimnisse. Unter einem Geheimnis der Gesellschaft versteht man Tatsachen, die im 229 Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb stehen, nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt, d.h. nicht offenkundig sind und an deren Geheimhaltung die GmbH ein berechtigtes Interesse hat697. Ein berechtigtes Interesse in diesem Sinne ist gegeben, wenn die Preisgabe der Information dem Gesellschaftsinteresse zuwiderläuft, was namentlich dann der Fall ist, wenn die Gefahr besteht, dass sie der GmbH einen materiellen oder immateriellen Schaden zufügen könnte698. Ob neben dem objektiven Interesse zusätzlich noch der subjektive

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– 6 W 38/87, ZIP 1987, 637, 638; für Zuordnung zur Treue- und Sorgfaltspflicht BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325 Rz. 8 bei juris: „Ausfluss der Treue- und Sorgfaltspflicht“; Mertens/ Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 113; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 188. S. nochmals die Nachw. in voriger Fn. a.E. Da auch die Treuepflicht letztlich Ausprägung der Pflicht zur Förderung des Gesellschaftszwecks ist, liegt den beiden Pflichtenkategorien ohnehin keine zwingende dogmatisch-kategoriale Trennung zugrunde liegt (Rz. 47). Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 212; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 160. OLG Koblenz v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, ZIP 1987, 637; OLG München v. 18.6.1997 – 29 W 135297, NJW-RR 1998, 1495, 1496; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 212 (mit dem Hinweis, dass auch § 384 Nr. 3 ZPO in Betracht kommt); Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 315; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 160; a.A. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 123. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 202 ff.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 58. BGH v. 20.5.1996 – II ZR 190/95, GmbHR 1996, 612, 613; ähnlich BGH v. 26.4.2016 – XI ZR 108/ 15, ZIP 2016, 1063 Rz. 31: „nicht allgemein bekannte (offenkundige) Tatsachen, an deren Geheimhaltung ein objektives Interesse des Unternehmens besteht“; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 150; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 189. BGH v. 20.5.1996 – II ZR 190/95, GmbHR 1996, 612, 613; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 190; krit. Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 283: allein Wille der Gesellschaft maßgeblich.

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§ 43 Rz. 229 | Haftung der Geschäftsführer Wille der GmbH, die Tatsache geheimzuhalten, festgestellt werden muss, hat der BGH in einer Entscheidung zu § 85 offengelassen699, zuletzt aber nicht mehr als mögliche zusätzliche Voraussetzung erwähnt700. Richtigerweise besteht kein solches Erfordernis, da die Geschäftsführer ohne weiteres auf das Gesellschaftsinteresse verpflichtet sind701. Im Rahmen der Prüfung, ob das Gesellschaftsinteresse die Geheimhaltung erfordert, sind ggf. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung oder der Gesamtheit der Geschäftsführer über die Wahrung der Vertraulichkeit zu berücksichtigen. Hat das zuständige Gesellschaftsorgan nämlich die Vertraulichkeit einer Information angeordnet und dabei die Grenzen seines unternehmerischen Ermessens nicht überschritten, ist diese Artikulation des Gesellschaftsinteresses für jeden Geschäftsführer verbindlich702. Unerheblich ist für den Geheimnisbegriff, ob die betreffende Information in der Gesellschaft entstanden ist oder (wie z.B. ein Vertragsangebot) von außen an sie herangetragen wird703. 230 Zu den Geheimnissen in dem beschriebenen Sinn zählen nicht nur sensible Unternehmens-

daten aller Art (z.B. über die finanzielle Situation, Kalkulationsgrundlagen, Fertigungsverfahren, Rezepturen, Vertragskonditionen, Kundenstamm, Planungen etc.), sondern grundsätzlich auch Verlauf und Ergebnisse von Sitzungen der Gesellschaftsorgane704. Dahinter steht die Überlegung, dass ohne den Schutz der Vertraulichkeit der Beratungen und des Abstimmungsverhaltens eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sowie eine unbefangene Meinungsäußerung und Meinungsbildung in dem Gesellschaftsorgan zum Schaden der Gesellschaft in Frage gestellt wäre705. Wegen möglicher Rückschlüsse auf das Abstimmungsverhalten anderer unterliegt grundsätzlich auch das eigene Abstimmungsverhalten der Verschwiegenheit706. 231 Seit Einführung der neuen lauterkeitsrechtlichen Legaldefinition des Geschäftsgeheimnisses

in § 2 Nr. 1 GeschGehG707 stellt sich die Frage, ob sich daraus Auswirkungen auf den Geheimnisbegriff im vorliegenden Kontext ergeben. Nach der genannten Vorschrift setzt ein Geschäftsgeheimnis neben der fehlenden Offenkundigkeit (§ 2 Nr. 1 lit. a GeschGehG) und dem berechtigten Geheimhaltungsinteresse (§ 2 Nr. 1 lit. c GeschGehG) voraus, dass der In-

699 BGH v. 20.5.1996 – II ZR 190/95, GmbHR 1996, 612, 613. 700 BGH v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, ZIP 2016, 1063 Rz. 31; vgl. zuvor auch BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = AG 2014, 87 Rz. 47 (zur Auskunftsverweigerung nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG): „Entscheidendes Kriterium ist insoweit ein objektives Bedürfnis der Geheimhaltung im Interesse des Unternehmens.“ 701 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 193; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 Rz. 40; Fleischer/Pendl, ZIP 2020, 1321, 1324 f.; zur AG Fleischer in BeckOGK AktG, § 93 AktG Rz. 197; Ries/Haimerl, NZG 2018, 621 f. m. Nachw. auch zur Gegenansicht und dem zutr. Hinweis, dass der nach der Gegenansicht erforderliche (mutmaßliche) Geheimhaltungswille bei einem objektiven Gesellschaftsinteresse regelmäßig unterstellt wird. 702 Gleichsinnig Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 154; auch schon Mertens in Hachenburg, Rz. 47 f.; beachte aber auch BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325 = AG 1975, 219 Rz. 12 bei juris zur Vertraulichkeit im Aufsichtsrat der AG: „Selbst ein Aufsichtsratsbeschluss kann aber nicht im Einzelfall mit bindender Wirkung gegenüber allen Mitgliedern Tatsachen für geheimhaltungsbedürftig erklären, die es objektiv nicht sind.“ 703 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 284; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 58; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 190. 704 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 332 = AG 1975, 235 Rz. 18 bei juris; BGH v. 5.11.2013 – II ZB 28/12, BGHZ 198, 354 = AG 2014, 87 Rz. 47 (zur Auskunftsverweigerung nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AktG); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 202; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 283. 705 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 156/73, BGHZ 64, 325, 332 = AG 1975, 235 Rz. 18 bei juris. 706 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 202; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 283; a.A. Säcker, NJW 1986, 803, 807 f. 707 Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vom 18.4.2019, BGBl. I 2019, 466.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 234 § 43

haber (hier also die GmbH) die Information durch „angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ schützt (§ 2 Nr. 1 lit. b GeschGehG)708. Richtigerweise ergibt sich daraus jedoch keine Veranlassung, im Rahmen der Verschwiegenheitspflicht von der herkömmlichen Geheimnisdefinition abzurücken709. Ansonsten könnte der Geschäftsführer durch unzureichende Geheimhaltungsmaßnahmen selbst dafür sorgen, dass eine Information nicht mehr in den Schutzbereich der Verschwiegenheitspflicht fällt, und sich auf diese Weise praktisch selbst von dieser Pflicht entbinden, was offensichtlich nicht gewollt ist und auch durch die dem GeschGehG zugrunde liegende Richtlinie (EU) 2016/943 nicht verlangt wird. bbb) Vertrauliche Angaben. Die Verschwiegenheitspflicht erstreckt sich wie in § 93 Abs. 1 232 Satz 3 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 3 GenG neben Geheimnissen auch auf vertrauliche Angaben710. Damit sind Umstände gemeint, an deren vertraulicher Behandlung die Gesellschaft ein berechtigtes Interesse hat (Rz. 229), auch wenn der Umstand bereits früher bekanntgeworden ist und es sich daher nicht (mehr) um ein Geheimnis handelt711. Die Gesellschaft kann auch an der vertraulichen Behandlung bereits früher bekanntgewordener Tatsachen durchaus ein Interesse haben, z.B. um einen schon früher nach außen gedrungenen Streit in der Gesellschaft nicht abermals durch Angaben in der Öffentlichkeit anzufachen712. Während sich die zivilrechtliche Verschwiegenheitspflicht auf Geheimnisse und vertrauliche Angaben gleichermaßen bezieht, beschränkt sich der strafrechtliche Schutz der Geheimhaltung nach dem klaren Wortlaut des § 85 allein auf Geheimnisse713. ccc) Kenntniserlangung in amtlicher Eigenschaft? Nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG, § 34 Abs. 1 233 Satz 3 GenG erstreckt sich die Verschwiegenheitspflicht nur auf Geheimnisse oder vertrauliche Angaben, die dem Vorstandsmitglied „durch die Tätigkeit im Vorstand“ bekanntgeworden sind. Im Aktienrecht besteht jedoch mit Recht weithin Einigkeit, dass das Vorstandsmitglied unmittelbar aufgrund seiner organschaftlichen Treuepflicht auch außerdienstlich erlangte Geheimnisse der Gesellschaft und vertrauliche Angaben nicht weitergeben darf, wenn das Wohl der Gesellschaft dies verlangt714. Nichts anderes kann für die Geschäftsführer der GmbH gelten715. Der Straftatbestand des § 85 beschränkt sich dagegen auf Informationen, die dem Geschäftsführer in dieser Eigenschaft bekanntgeworden sind. cc) Zeitlicher Geltungsbereich Die Verschwiegenheitspflicht trifft nicht nur amtierende Geschäftsführer (einschließlich feh- 234 lerhaft bestellter und faktischer Geschäftsführer, Rz. 23 f., 30 ff.). Vielmehr bindet sie – auch ohne gesonderte Vereinbarung im Anstellungsvertrag – auch ausgeschiedene Geschäftsführer, sofern es um Informationen geht, die ihnen während der Zeit, in der sie bei der Gesell-

708 Eingehend dazu Alexander in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, § 2 GeschGehG Rz. 48 ff.; Fleischer/Pendl, ZIP 2020, 1321, 1327 ff. 709 Fleischer/Pendl, ZIP 2020, 1321, 1326; Fleischer in BeckOGK AktG, § 93 AktG Rz. 198; Höfer, GmbHR 2018, 1195, 1197; Ries/Haimerl, NZG 2018, 621, 622 f.; abw. Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 37 Rz. 93; § 85 Rz. 7. 710 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 204; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 58. 711 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 204; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 286 f.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 58. 712 Beispiel nach Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 287. 713 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 204, 210. 714 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 289; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 114; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 139. 715 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 58; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 150 a.E.; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 191.

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§ 43 Rz. 234 | Haftung der Geschäftsführer schaft angestellt waren, bekanntgeworden sind716. Es handelt sich dabei um eine Nachwirkung der organschaftlichen Treuepflicht (Rz. 244). dd) Grenzen 235 aaa) Gesetzliche Offenbarungspflicht. Die Verschwiegenheitspflicht entfällt, soweit eine ge-

setzliche Pflicht der Gesellschaft oder des Geschäftsführers zur Offenbarung besteht717. Eine gesetzliche Offenbarungspflicht der Gesellschaft besteht nach § 51a (und vorbehaltlich dessen Abs. 2) gegenüber einzelnen Gesellschaftern, ferner gegenüber dem Abschlussprüfer (§ 320 Abs. 2 HGB) und nach Maßgabe des Betriebsverfassungsrechts gegenüber dem Betriebsrat (§§ 90, 92, 99, 111 BetrVG), dem Wirtschaftsausschuss (§ 106 Abs. 2, § 108 Abs. 5 BetrVG) und der Belegschaft (§ 110 BetrVG). Weitere gesetzliche Auskunftspflichten bestehen gegenüber den Steuer- und sonstigen Behörden. Einzel- und Konzernabschlüsse sind nach §§ 325 ff. HGB offenzulegen. 236 Bei der Erfüllung von Offenbarungspflichten der Gesellschaft hat der einzelne Geschäftsfüh-

rer freilich – wie immer – die bestehende Geschäftsverteilung innerhalb der Geschäftsführung und die allgemeine Kompetenzordnung der GmbH zu beachten. Grundsätzlich ist die Erfüllung der gesetzlichen Offenbarungspflichten Geschäftsführungsaufgabe718. Die Gesellschafterversammlung muss also nicht eingebunden werden, es sei denn, sie hat dies verlangt (§ 37 Abs. 1) oder die Entscheidung über die Erfüllung der Offenbarungspflicht ist von außergewöhnlicher Bedeutung (§ 49 Abs. 2), z.B. weil das Bestehen der Offenbarungspflicht nicht zweifelsfrei ist und eine besonders sensible Angelegenheit betroffen ist. Ob innerhalb der Geschäftsführung das gesamte Gremium oder ein einzelner Geschäftsführer zuständig ist, hängt von der Geschäftsverteilung ab (Rz. 120 ff.).

237 bbb) Informationsfluss innerhalb der Gesellschaftsorgane. Von der Verschwiegenheits-

pflicht ausgenommen ist bei einer mehrköpfigen Geschäftsführung grundsätzlich auch der Informationsfluss innerhalb der Geschäftsführung, und zwar nicht nur, soweit die Geschäftsführer zur wechselseitigen Information über wesentliche Vorfälle aus ihrem jeweiligen Ressort verpflichtet sind (Rz. 128), sondern auch darüber hinaus719. Vorbehaltlich konkreter abweichender Anhaltspunkte können sie darauf vertrauen, dass sich ihre Amtskollegen an ihre Verschwiegenheitspflicht halten werden. Auch gegenüber einem etwaigen Aufsichtsrat oder Beirat besteht prinzipiell keine Verschwiegenheitspflicht. Dies gilt nicht nur für die Berichte, die der Aufsichtsrat nach den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen verlangt hat (§ 90 Abs. 3 AktG i.V.m. § 52 Abs. 1, § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG, § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG), sondern auch unabhängig von der Berichtspflicht, da es den Geschäftsführern generell möglich sein muss, die Ansicht des die Geschäftsführung beratenden Aufsichts- oder Beirats einzuholen720. Ausnahmsweise kann aber auch eine Verschwiegenheitspflicht gegen716 Allg. M.; OLG Hamm v. 7.11.1984 – 8 U 8/84, GmbHR 1984, 157; OLG Koblenz v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, ZIP 1987, 637, 638; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 93; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 200; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 159; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 208. 717 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 205; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 156; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 194. 718 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 203; speziell zur Offenbarungspflicht gegenüber einzelnen Gesellschaftern nach § 51a Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 208. 719 Mertens in Hachenburg, Rz. 48; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 116. Vielfach wird dagegen allein auf die Pflicht zur wechselseitigen Information abgeboben, etwa Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 194. 720 Wie hier Mertens in Hachenburg, Rz. 48; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 116; auf die gesetzliche oder statutarische Berichtspflicht abstellend Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 156; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 194.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 240 § 43

über dem Aufsichts- oder Beirat bestehen, soweit es um Informationen geht, die dieser offensichtlich nicht zur Wahrnehmung seiner Kompetenzen benötigt und der Missbrauch solcher Informationen durch einzelne Organmitglieder konkret zu befürchten ist721. Entsprechendes gilt im Verhältnis zur Gesellschafterversammlung. Die Geschäftsführer sind durch ihre Verschwiegenheitspflicht nicht gehindert, den Gesellschaftern Informationen zur Vorbereitung der Gesellschafterversammlung zu überlassen; die Gesellschafter sind ihrerseits aufgrund ihrer mitgliedschaftlichen Treuepflicht zur Verschwiegenheit nach außen verpflichtet (12. Aufl., § 14 Rz. 15). Sofern die Gesellschafterversammlung die Geschäftsführer zur Erteilung weiterer Informationen anweist, müssen sie dieser Weisung gemäß § 37 Abs. 1 nachkommen. ccc) Weitergabe von Informationen im Gesellschaftsinteresse. Da die organschaftliche 238 Treuepflicht, aus der die Verschwiegenheitspflicht abgeleitet ist, dem Wohl der Gesellschaft dienen soll, versteht es sich, dass auch die Weitergabe von Geheimnissen und vertraulichen Angaben zulässig sein muss, soweit sie dem Gesellschaftsinteresse dient722. Sollte es im Gesellschaftsinteresse liegen, die Information ganz zu veröffentlichen, ist bei Licht besehen schon kein Geheimnis und keine vertrauliche Angabe gegeben, da das Geheimhaltungsinteresse für diese Begriffe konstitutiv ist (Rz. 229, 232). Davon zu unterscheiden sind Fälle, in denen es im Gesellschaftsinteresse liegt, das Geheimnis oder die vertrauliche Angabe nur einzelnen außenstehenden Personen anzuvertrauen. Typische Beispiele bilden die Weitergabe sensibler Informationen an Arbeitnehmer und Berater der Gesellschaft (Rechtsanwälte, Steuer- und Unternehmensberater etc.), damit diese ihren Aufgaben im Interesse der Gesellschaft nachgehen können723. Da Berater und Arbeitnehmer bereits kraft Gesetzes oder vertraglicher Nebenpflicht zur Vertraulichkeit verpflichtet sind, muss mit ihnen keine gesonderte Vertraulichkeitsvereinbarung abgeschlossen werden; auch die Vereinbarung einer Vertragsstrafe als Sanktion ist zumindest im Regelfall nicht zwingend erforderlich724. Allerdings kann es gerade gegenüber Arbeitnehmern geboten sein, auf die Vertraulichkeit einer Information besonders hinzuweisen. Ebenso kann es im Gesellschaftsinteresse liegen, potenziellen Vertragspartnern Einblick in vertrauliche Informationen zu gewähren, um einen erwünschten Vertragsabschluss zu ermöglichen (z.B. einer Bank im Vorfeld des Abschlusses eines Kreditvertrags). Die Einschätzung, ob die Weitergabe der vertraulichen Information dem Gesellschaftsinte- 239 resse dient, obliegt nach der allgemeinen Kompetenzordnung grundsätzlich den Geschäftsführern in ihrer Gesamtheit und bei entsprechender Ressortverteilung dem einzelnen Ressortgeschäftsführer, sofern nicht die Gesellschafterversammlung die Kompetenz an sich zieht (§ 37 Abs. 1) oder wegen der außergewöhnlichen Bedeutung der Angelegenheit nach § 49 Abs. 2 zuständig ist725. Da es sich um eine unternehmerische Entscheidung handelt, können sich die Geschäftsführer unter den allgemeinen Voraussetzungen auf die Business Judgment Rule analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG berufen726. Das Gesellschaftsinteresse kann es u.U. auch rechtfertigen, einem potenziellen Erwerber von 240 Geschäftsanteilen der GmbH im Rahmen einer den Anteilskauf vorbereitenden Due Diligence Einblick in die Verhältnisse der Gesellschaft zu gewähren. Auch wenn der Veräuße-

721 Mertens in Hachenburg, Rz. 48; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 117; Volhard/Weber in FS Semler, 1993, S. 387, 404 f. 722 Allg. M., Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 49; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 207; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 157; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 197. 723 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 207; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 198 f.; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 301 f. 724 Weitergehend wohl Ziemons, AG 1999, 492, 494. 725 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 207; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 157. 726 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 205; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 310.

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§ 43 Rz. 240 | Haftung der Geschäftsführer rungserlös aus dem Anteilsverkauf allein dem veräußernden Gesellschafter zufließt, kann die Transaktion aus verschiedenen Gründen im Gesellschaftsinteresse liegen (z.B. weil sie einen die Gesellschaft lähmenden Streit mit dem veräußernden Gesellschafter beendet oder weil die Aufnahme eines finanzstarken Erwerbers in den Gesellschafterkreis Vorteile für die weitere Entwicklung des Unternehmens hat). Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der mit einer Due Diligence üblicherweise verbundenen umfassenden Bereitstellung sensibler Daten können die Geschäftsführer die Entscheidung darüber jedoch in der Regel nicht allein treffen, sondern müssen sie der Gesellschafterversammlung überlassen (§ 49 Abs. 2)727. Diese entscheidet vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmung – wie auch sonst bei Beschlüssen nach § 49 Abs. 2 – mit einfacher Mehrheit (§ 47 Abs. 1)728. Der veräußerungswillige Gesellschafter unterliegt wie im Fall des § 51a Abs. 2 Satz 2 einem Stimmverbot in (entsprechender) Anwendung des § 47 Abs. 4729. Die überstimmte Minderheit kann den Beschluss nach allgemeinen Regeln wegen Verstoßes gegen die mitgliedschaftliche Treuepflicht anfechten, falls er die Gesellschaft schädigt. Allerdings ist dabei zu beachten, dass der Gesellschaftermehrheit jedenfalls dann, wenn sie ihre Entscheidung auf Grundlage angemessener Information frei von Interessenkonflikten trifft, ein weiter Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Einschätzung zusteht, ob der Beschluss im Gesellschaftsinteresse liegt oder nicht730. Wird beschlossen, dem Erwerbsinteressenten die Due Diligence zu ermöglichen, haben die Geschäftsführer sicherzustellen, dass die Vertraulichkeit durch eine entsprechende Vereinbarung mit dem Erwerbsinteressenten und ggf. weitere geeignete Schutzvorkehrungen angemessen geschützt ist. 241 Der veräußerungswillige Gesellschafter kann die vorgenannten Einschränkungen für eine

Due Diligence nicht dadurch umgehen, dass er selbst von der GmbH nach § 51a sämtliche für die Due Diligence erforderlichen Informationen verlangt und diese dann an den Erwerbsinteressenten weiterleitet. Einem solchen Verlangen dürfen die Geschäftsführer nicht von sich aus Folge leisten; vielmehr bedarf es auch hierfür eines Gesellschafterbeschlusses nach den vorgenannten Regeln731. 242 ddd) Unzumutbarkeit der Geheimhaltung. In Ausnahmefällen kann die Einhaltung der Ver-

schwiegenheitspflicht dem Geschäftsführer unzumutbar sein. So verhält es sich, wenn die Weitergabe der Information zur Wahrnehmung eigener berechtigter Belange (z.B. zur Verteidigung in einem Haftungsprozess) unerlässlich ist und das Schutzinteresse der Gesellschaft bei Abwägung mit diesem Interesse zurücktreten muss732. Solche Ausnahmen kommen aber nur unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit in Betracht; der Geschäftsführer muss

727 H.M., etwa LG Köln v. 26.3.2008 – 90 O 11/08, GmbHR 2009, 261, 262; Bremer, GmbHR 2000, 176; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 208; Götze, ZGR 1999, 202, 225; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 158; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 137. 728 Str., wie hier Engelhardt, GmbHR 2009, 237, 240 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 208; Götze, ZGR 1999, 202, 229 f.; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 138; a.A. – Einstimmigkeit erforderlich – LG Köln v. 26.3.2008 – 90 O 11/08, GmbHR 2009, 261, 262; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 25; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 93; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 200.1. 729 Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 170; Engelhardt, GmbHR 2009, 237, 242; Götze, ZGR 1999, 202, 230 f.; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 138; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 158. 730 Der Grundgedanke der Business Judgment Rule verdient unter den genannten Voraussetzungen organübergreifend und damit auch für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung Beachtung; grundlegend dazu Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, 171 ff.; ferner Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 274 ff.; Wandrey, Materielle Beschlusskontrolle im Aktienrecht, 2011, S. 163 ff. 731 Für Gleichbehandlung der beiden Fälle auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 208. 732 Vgl. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 206; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 202.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 246 § 43

möglichst schonend vorgehen733. Daher wird es häufig geboten sein, die Gesellschaft vorab über die beabsichtigte Offenlegung zu informieren. eee) Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht. Die Geschäftsführer können sich durch 243 Gesellschafterbeschluss von der Verschwiegenheitspflicht entbinden lassen. Hierfür genügt wie in anderen Fällen einer punktuellen Befreiung von der organschaftlichen Treuepflicht (vgl. Rz. 201 zur Befreiung vom Wettbewerbsverbot) ein Beschluss mit einfacher Mehrheit (§ 47 Abs. 1)734. Der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer hat nach § 47 Abs. 4 Satz 1 kein Stimmrecht. g) Nachwirkende Pflichten aa) Nachorganschaftliche Treuepflicht Die organschaftliche Treuepflicht endet nicht vollständig mit dem Ausscheiden aus dem Amt, 244 sondern entfaltet auch danach noch gewisse Nachwirkungen735. Diese betreffen insbesondere den Umgang mit Informationen, die der ehemalige Geschäftsführer während seiner Amtszeit erlangt hat. In Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt sind solche nachorganschaftlichen Treuebindungen namentlich im Rahmen der Geschäftschancenbindung – der Geschäftsführer darf bei seinem Ausscheiden keine Geschäftschancen der Gesellschaft „mitnehmen“ (Rz. 208) – und in Bezug auf die Verschwiegenheit (Rz. 234). Desweiteren ist der ausgeschiedene Geschäftsführer aufgrund seiner nachwirkenden Treuepflicht verpflichtet, seinen Nachfolger auf dringend zu erledigende oder für die Gesellschaft besonders wichtige Angelegenheiten ausdrücklich hinzuweisen, wenn nicht erwartet werden kann, dass der Nachfolger in der zur Verfügung stehenden Zeit dazu in den Unterlagen der Gesellschaft ausreichende Informationen auffindet736. bb) Erweiterung nachwirkender Pflichten durch den Anstellungsvertrag (nachvertragliches Wettbewerbsverbot) Nicht alle Ausprägungen der organschaftlichen Treuepflicht entfalten jedoch eine Nachwir- 245 kung. Von Bedeutung ist insbesondere, dass das aus der organschaftlichen Treuepflicht abgeleitete Wettbewerbsverbot des Geschäftsführers nicht nachwirkt; es endet mit dem Ausscheiden aus dem Amt (Rz. 196 ff.). Will sich die Gesellschaft auch für den danach liegenden Zeitraum schützen, bedarf es daher einer Regelung im Anstellungsvertrag (sog. nachvertragliches Wettbewerbsverbot). Hiervon wird üblicherweise auch Gebrauch gemacht737. Allerdings sind solche Vereinbarungen nur in bestimmten Grenzen zulässig. aaa) Prüfungsmaßstab. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind die für Arbeitnehmer 246 geltenden Schutzvorschriften der §§ 74 ff. HGB, sofern der Anstellungsvertrag sie nicht in

733 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 307; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 121. 734 Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 101; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 207; a.A. Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 148: Satzungsbestimmung oder einstimmiger Beschluss. 735 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 197; näher Uwe H. Schneider in FS Hommelhoff, 2012, S. 1023; umfassend Palzer, Fortwirkende organschaftliche Pflichten des Geschäftsführers der GmbH, 2001. 736 BGH v. 28.2.2012 – II ZR 244/10, AG 2012, 371 Rz. 13 (zum abberufenen Abwickler einer AG); vgl. auch Uwe H. Schneider in FS Hommelhoff, 2012, S. 1023, 1024 (Pflicht zur Einweisung des neuen Geschäftsführers). 737 Vertragsmuster bei Wentrup in Beck’sches Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 13. Aufl. 2019, IX.48 § 7.

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§ 43 Rz. 246 | Haftung der Geschäftsführer Bezug nimmt738, auf Geschäftsführer einer GmbH nicht durchgehend entsprechend anwendbar739. Eine allgemeine Übertragung dieser Vorschriften auf Organmitglieder scheitert nach dem einschlägigen Grundsatzurteil des BGH daran, dass die Organmitglieder im Geschäftsverkehr in weit stärkerem Maße das Unternehmen repräsentieren und die geschäftlichen Beziehungen mehr auf ihre Person zugeschnitten sind als bei Arbeitnehmern. Daher begründe die Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit durch einen ehemaligen Geschäftsleiter in viel stärkerem Maß als bei einem Arbeitnehmer die Gefahr, dass das Unternehmen Schaden leidet740. Aus diesem Grund ist insbesondere die Vereinbarung einer Karenzentschädigung analog § 74 Abs. 2 HGB nicht generell erforderlich (Rz. 250). Gleichwohl stellt die Rechtsprechung auch bei Geschäftsführern strenge Anforderungen an nachvertragliche Wettbewerbsverbote. Sie halten einer Kontrolle am Maßstab des § 138 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2, 12 GG nur stand, wenn sie – insoweit nahezu wortgleich § 74a Abs. 1 Satz 1 und 2 HGB – „dem Schutz eines berechtigten Interesses des Gesellschaftsunternehmens dienen und nach Ort, Zeit und Gegenstand die Berufsausübung und wirtschaftliche Betätigung des Geschäftsführers nicht unbillig erschweren“741. Beschränkt die Klausel auch die selbstständige unternehmerische Betätigung des Geschäftsleiters, kommen als zusätzliche Schranken § 1 GWB und Art. 101 AEUV in Betracht. Hält die Klausel den genannten strengen Anforderungen stand, wird man aber auch eine verbotene Wettbewerbsbeschränkung im Sinne dieser Vorschriften verneinen müssen742. 247 bbb) Konkretisierung. Der vorgenannte Prüfungsmaßstab des BGH führt zu einer zweistu-

figen Prüfung. Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob das Verbot dem Schutz eines berechtigten Interesses der Gesellschaft dient. Ist das nicht der Fall, ist das nachvertragliche Wettbewerbsverbot bereits aus diesem Grund unzulässig. Hieran vermag auch eine etwa vorgesehene Karenzentschädigung nichts zu ändern743. Besteht dagegen – wie in der Regel – ein berechtigtes Interesse der Gesellschaft744, ist auf der zweiten Stufe im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob das berufliche Fortkommen des Geschäftsleiters nach Gegenstand, Ort und Zeit unbillig erschwert wird. Erst auf dieser zweiten Stufe ist mit zu berücksichtigen, ob und in welcher Höhe eine Karenzentschädigung vorgesehen ist (Rz. 250). 248 In gegenständlicher Hinsicht ist eine Klausel, die sich auf den Schutz der bestehenden Kun-

denbeziehungen beschränkt (Kunden- oder Mandantenschutzklausel), wesentlich weniger 738 Eine solche Inbezugnahme wäre unproblematisch zulässig; Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1039. 739 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 3 ff. = GmbHR 1984, 234; BGH v. 17.2.1992 – II ZR 140/91, GmbHR 1992, 263; BGH v. 4.3.2002 – II ZR 77/00, GmbHR 2002, 431; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 11/07, GmbHR 2008, 930; BGH v. 7.7.2008 – II ZR 81/07, GmbHR 2008, 1032; in der Literatur sehr str. insbesondere für wirtschaftlich und sozial abhängige Fremdgeschäftsführer, s. nur Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1038; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 369 f.; Lembke, NZA-RR 2019, 65, 68 ff. m.w.N.; differenzierend Gerigk, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote mit geschäftsführenden Organmitgliedern und Gesellschaftern, 2013, S. 137 ff. 740 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1 = GmbHR 1984, 234 Rz. 11 bei juris. 741 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 5 = GmbHR 1984, 234. 742 Ebenso (jeweils zum Vorstand der AG) Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 174; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 53 f.; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 109; strenger wohl Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1271 m.w.N. 743 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1047; Hoffmann-Becking in FS Quack, 1991, S. 273, 274 f.; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 111. 744 Vgl. Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 38, mit dem zutr. Hinweis, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Geschäftsleiter in aller Regel unmöglich wäre, wenn die Gefahr bestünde, dass Informationen und Geschäftsgeheimnisse unmittelbar nach Amtsende zu Lasten der Gesellschaft weiterverwendet werden.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 250 § 43

eingriffsintensiv und daher erheblich leichter zu rechtfertigen als eine Bestimmung, die generell jeglichen Wettbewerb untersagt (Konkurrenzschutzklausel). Insbesondere in Dienstleistungsunternehmen und im Bereich der freien Berufe wird eine Kundenschutzklausel häufig genügen, um die schutzwürdigen Belange der Gesellschaft ausreichend zu schützen. Eine umfassende Konkurrenzschutzklausel für den ausgeschiedenen Geschäftsführer einer GmbH von Freiberuflern hat der BGH denn auch ohne Umschweife als sittenwidrig verworfen745. Daraus folgt jedoch nicht, dass Konkurrenzschutzklauseln stets unzulässig wären746; das Gegenteil trifft zu, wenn sich die berechtigten Belange der Gesellschaft (etwa zum Schutz von technischem Know-how) durch eine bloße Kundenschutzklausel nicht ausreichend schützen lassen. In jedem Fall ist jedoch darauf zu achten, den gegenständlichen Verbotsumfang möglichst präzise zu beschreiben, um ein überschießendes und damit unwirksames Verbot zu vermeiden. Es empfiehlt sich daher, die Hauptgeschäftsfelder der Gesellschaft und ggf. weiterer Konzerngesellschaften747 sowie das von dem Geschäftsleiter wahrgenommene Ressort konkret zu bezeichnen748. Letzteres ist bedeutsam, da das Verbot jeglicher Art von Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen – also auch solcher, die in keinem inhaltlichen Zusammenhang mit der bisherigen Tätigkeit stehen – als überschießend angesehen wird749. Auch die örtliche Reichweite des Verbots darf nicht zu weit gefasst sein. Sie muss sich an 249 dem jeweiligen Tätigkeitsbereich der Gesellschaft orientieren750. Ferner ist zu fragen, ob der Geschäftsleiter über Kenntnisse verfügt, deren Ausnutzung tatsächlich in allen regionalen Märkten, in denen die Gesellschaft aktiv ist, eine Bedrohung für die Interessen der Gesellschaft darstellt. Als Richtschnur für die zeitliche Begrenzung des Verbots wird die Zweijahresfrist des § 74a Abs. 1 Satz 3 HGB herangezogen751. Ob eine Karenzentschädigung für den ausgeschiedenen Geschäftsführer vorgesehen werden 250 muss, hängt von den Umständen des Einzelfalls und insbesondere der Reichweite des Wettbewerbsverbots ab. Bei einer bloßen Kundenschutzklausel, die das berufliche Fortkommen des Geschäftsführers nicht sonderlich einschränkt, hat der BGH eine Karenzentschädigung als entbehrlich angesehen, da wegen der Unterschiede zwischen Organmitgliedern und Arbeitnehmern (Rz. 246) § 74 Abs. 2 HGB nicht generell analog anwendbar ist752. Bei weiter gefassten Wettbewerbsverboten wird dagegen die Vereinbarung einer Karenzentschädigung

745 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 6 f. = GmbHR 1984, 234 (Wirtschaftsprüfer). 746 So aber OLG Düsseldorf v. 8.1.1993 – 16 U 73/92, GmbHR 1993, 581, 582; zutr. dagegen Bauer/ Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1054; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 372; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 112. 747 Dazu OLG Nürnberg v. 25.11.2009 – 12 U 681/09, GmbHR 2010, 141, 143; Hoffmann-Becking in FS Quack, 1991, S. 273, 275 f.; Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1056; Korkmaz, NJOZ 2014, 481. 748 Hinweise zur Vertragsgestaltung bei Hoffmann-Becking in FS Quack, 1991, S. 273, 275 f.; Kukat, BB 2001, 951, 952. 749 OLG München v. 2.8.2018 – 7 U 2107/18, GmbHR 2018, 1310, 1311. 750 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 378; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 51; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 114. 751 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1058; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 145 (jeweils mit dem Hinweis, dass im Einzelfall auch eine längere Bindung gerechtfertigt sein könne); aus der Rechtsprechung BGH v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1, 7 = GmbHR 1984, 234 (Mandantenschutz für zwei Jahre angemessen); BGH v. 16.10.1989 – II ZR 2/89, ZIP 1990, 586, 588 (im allgemeinen etwa zwei Jahre); OLG Celle v. 13.9.2000 – 9 U 110/00, NZG 2001, 131, 132 (regelmäßig zwei Jahre); zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot von ausgeschiedenen Gesellschaftern einer Personengesellschaft BGH v. 8.5.2000 – II ZR 308/98, ZIP 2000, 1337 (zwei Jahre als Obergrenze); ebenso BGH v. 18.7.2005 – II ZR 159/03, ZIP 2005, 1778, 1780. 752 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 229/83, BGHZ 91, 1 = GmbHR 1984, 234 (Rz. 12 ff.); Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 379.

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§ 43 Rz. 250 | Haftung der Geschäftsführer regelmäßig erforderlich sein, um dem Verdikt der Sittenwidrigkeit zu entgehen753. Die Entschädigung muss aber nicht notwendig die in § 74 Abs. 2 HGB vorgegebene Höhe erreichen754. Wird eine Karenzentschädigung vereinbart, sollte unbedingt geregelt werden, in welchem Umfang anderweitiger Verdienst, den der Geschäftsleiter während der Karenzzeit erzielt, auf die Karenzentschädigung anzurechnen ist. Unterbleibt dies, findet nach der Rechtsprechung des BGH keine Anrechnung statt, da § 74c HGB nicht entsprechend anwendbar ist755. 251 Ergibt sich nach den vorstehenden Grundsätzen, dass eine Karenzentschädigung erforderlich

ist, um die Sittenwidrigkeit abzuwenden, stellt sich die Folgefrage, ob man die Entschädigung im Anstellungsvertrag davon abhängig machen darf, ob die Gesellschaft nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses auf das Wettbewerbsverbot verzichtet. Da ein derartiges bedingtes Wettbewerbsverbot den Ausgeschiedenen im Unklaren lässt, ob die Gesellschaft eine Wettbewerbsunterlassung verlangen wird oder nicht, ist es geeignet, sein berufliches Fortkommen erheblich zu behindern. Die Rechtsprechung des BAG sieht daher bedingte Wettbewerbsverbote für ausgeschiedene Arbeitnehmer als unzulässig an756. Ob diese Rechtsprechung auf Organwalter übertragbar ist, ist bis auf Weiteres offen757. Richtigerweise kann eine solche Gestaltung allenfalls dann zulässig sein, wenn sich die Gesellschaft nach Aufforderung durch den Geschäftsführer binnen kurzer Frist über die Inanspruchnahme des Verbots erklären muss758. 252 ccc) Rechtsfolgen unzulässiger Vereinbarungen. Der sorgfältigen Begrenzung des nachver-

traglichen Wettbewerbsverbots kommt nicht zuletzt deshalb besondere Bedeutung zu, weil nach h.M. eine geltungserhaltende Reduktion von zu weit gefassten Klauseln nur in engen Grenzen in Betracht kommt. Zwar nimmt die Rechtsprechung bei überlangen Wettbewerbsverboten eine geltungserhaltende Reduktion auf den angemessenen Zeitraum vor759. Für inhaltlich zu weit gefasste Wettbewerbsverbote soll jedoch anderes gelten, da eine Aufrechterhaltung in diesem Fall nur durch eine rechtsgestaltende Einwirkung auf den Vertrag möglich sei, die den Gestaltungsspielraum der Gerichte überschreite760. Ob eine salvatorische

753 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1074; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 379; Hoffmann-Becking in FS Quack, 1991, S. 273, 278; Kort, ZIP 2008, 717, 718 f. 754 Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1075; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 380; Hoffmann-Becking in FS Quack, 1991, S. 273, 278; strenger OLG Düsseldorf v. 18.5.1989 – 8 U 143/88, DB 1990, 1960. 755 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 11/07, GmbHR 2008, 930; ebenso Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35 Rz. 202; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 39; a.A. mit guten Gründen Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1086; Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 47; Kielkowski, NZG 2015, 900, 901. 756 St. Rspr., vgl. etwa BAG v. 2.5.1970 – 3 AZR 134/69, AP § 74 HGB Nr. 26; BAG v. 19.1.1978 – 3 AZR 573/77, AP § 74 HGB Nr. 36. 757 Bejahend Hoffmann-Becking in FS Quack, 1991, S. 273, 280; ablehnend (für Vorstandsmitglieder der AG) Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 48; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 42; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 116, jeweils unter Hinweis auf die geringere soziale Schutzbedürftigkeit im Vergleich zu Arbeitnehmern. 758 Fleischer in Spindler/Stilz, § 88 AktG Rz. 48; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 42; für eine Vierwochenfrist Jäger, DStR 1995, 724, 730; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 116. 759 BGH v. 29.10.1991 – II ZR 241/89, NJW 1991, 699 f. = GmbHR 1991, 15; BGH v. 14.7.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089 f.; BGH v. 8.5.2000 – II ZR 308/98, BB 2000, 1420, 1421 = ZIP 2000, 1337 (jeweils zum Wettbewerbsverbot eines ausscheidenden Gesellschafters); ebenso für GmbHGeschäftsführer Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 385; für Vorstandsmitglieder der AG Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 50; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 122 (trotz § 306 BGB auch bei Formularverträgen). 760 BGH v. 29.10.1991 – II ZR 241/89, NJW 1991, 699 f. = GmbHR 1991, 15; BGH v. 14.7.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089, 3090; OLG Nürnberg v. 25.11.2009 – 12 U 681/09, GmbHR 2010,

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 253 § 43

Klausel hieran etwas zu ändern vermag, ist ungeklärt761. Für die rigide Haltung der Rechtsprechung lässt sich insbesondere der Präventionsgedanke anführen. Das Risiko der Nichtigkeit gibt einen Anreiz, die Grenzen des § 138 BGB nicht durch allzu einseitige Vertragsgestaltung zu überschreiten. Gleichwohl mehren sich im Schrifttum aus gutem Grund Stimmen, die für eine Ausdehnung der geltungserhaltenden Reduktion plädieren762. Für sie spricht insbesondere, dass beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot der Arbeitnehmer eine geltungserhaltende Reduktion auch hinsichtlich der örtlichen und gegenständlichen Reichweite stattfindet (arg. § 74a Abs. 1 Satz 2 HGB „soweit“) und nicht erkennbar ist, warum ausgeschiedene Geschäftsführer durch eine weitergehende Nichtigkeitsfolge geschützt werden sollen als ausgeschiedene Arbeitnehmer763. ddd) Verzicht; Lösung vom nachvertraglichen Wettbewerbsverbot. Sofern nichts Abwei- 253 chendes vereinbart ist, kann die Gesellschaft vor Beendigung des Anstellungsvertrags entsprechend § 75a HGB schriftlich auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot verzichten mit der Folge, dass sie mit Ablauf eines Jahres764 seit der Erklärung von der Pflicht zur Zahlung einer vereinbarten Karenzentschädigung frei wird765. Nach Ansicht des BGH soll ein Verzicht allerdings dann nicht mehr möglich sein, wenn sich der Geschäftsleiter bereits auf die mit dem Wettbewerbsverbot verbundenen Einschränkungen seiner neuen beruflichen Tätigkeit eingerichtet hat766. Ferner können sich die Parteien unter den Voraussetzungen des entsprechend anwendbaren § 75 Abs. 1, Abs. 3 HGB von dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot lösen767.

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141, 143 f.; ebenso Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 513; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 50 m.w.N. Ablehnend OLG Nürnberg v. 25.11.2009 – 12 U 681/09, GmbHR 2010, 141, 144 f., 146; OLG München v. 2.8.2018 – 7 U 2107/18, GmbHR 2018, 1310, 1311 f. (für AGB); Goette, AnwBl. 2007, 637, 644; Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 166; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 123, 126; befürwortend aber OLG Köln v. 5.10.2000 – 12 U 62/00, NZG 2001, 165, 167 f. (zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot des Gesellschafters einer GbR) m. abl. Anm. Gitter; Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1070; differenzierend Gehle, DB 2010, 1981, 1982 f. (Geltungserhaltung auch bei inhaltlich zu weit gefasstem Verbot möglich, aber nur, wenn salvatorische Klausel eine konkrete Auffangregelung vorsieht). Allgemein Faust in AnwKomm. BGB, § 139 BGB Rz. 31 ff.; speziell zum Wettbewerbsverbot Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1066 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 385; Hirte, ZHR 154 (1990), 443, 459 f.; Manger, GmbHR 2001, 89, 91 f.; Krahforst, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote für GmbH-Geschäftsführer, 2012, S. 352 ff. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 385. Diese Schutzfrist kann im Anstellungsvertrag verkürzt werden; näher dazu Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1092; J.-M. Menke, NJW 2009, 636, 637 ff.; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 50; für Zulässigkeit einer Frist von sechs Monaten OLG München v. 14.11.2011 – 7 U 2881/11 (juris), Rz. 10. BGH v. 17.2.1992 – II ZR 140/91, NJW 1992, 1892 f. = GmbHR 1992, 263; Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1090; Seyfarth, Vorstandsrecht, § 10 Rz. 48; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 116; a.A. – Anwendbarkeit des § 75a HGB bedarf besonderer Vereinbarung – Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 387; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 41; Krahforst, Nachvertragliche Wettbewerbsverbote für GmbH-Geschäftsführer, 2013, S. 381 ff. BGH v. 4.3.2002 – II ZR 77/00, NZG 2002, 475 f. = GmbHR 2002, 431; sehr zw., da der Verzicht noch vor Beendigung des Anstellungsvertrags erklärt wurde, die Voraussetzungen des § 75a HGB also vorlagen. Kritisch auch Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1091 f.; Heidenhain, NZG 2002, 605 f.; Lembke, BB 2020, 52, 60. H.M., Bergwitz, GmbHR 2007, 523, 524 f.; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 88 AktG Rz. 59; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 120; a.A. Bauer/Diller, Wettbewerbsverbote, Rz. 1098 ff.: § 314 BGB statt § 75 Abs. 1, Abs. 3 HGB analog.

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§ 43 Rz. 254 | Haftung der Geschäftsführer 254 eee) Rechtsfolgen von Verstößen gegen das nachvertragliche Wettbewerbsverbot. Treffen

die Parteien keine anderslautende Regelung, steht der Gesellschaft bei einem Verstoß des Geschäftsführers gegen ein wirksam vereinbartes nachvertragliches Wettbewerbsverbot ein Unterlassungsanspruch sowie bei Verschulden ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB zu. Ein Eintrittsrecht (§ 88 Abs. 2 Satz 2 AktG analog, Rz. 205 f.) besteht nur bei entsprechender Verinbarung768. Weitergehende Regelungen, z.B. über eine Vertragsstrafe, sind grundsätzlich zulässig769. Für die Verjährung gelten nach h.M. vorbehaltlich abweichender Vereinbarung die allgemeinen Regeln (§§ 195, 199 BGB), nicht § 88 Abs. 3 AktG analog770 oder Abs. 4 (Rz. 16).

IV. (Innen-)Haftung der Geschäftsführer für Pflichtverletzungen (§ 43 Abs. 2) 1. Überblick 255 § 43 Abs. 2 regelt die Schadensersatzhaftung der Geschäftsführer für Pflichtverletzungen im

Innenverhältnis zur GmbH. Die Haftung setzt ein Verhalten (Tun oder Unterlassen) eines Geschäftsführers (Rz. 19 ff.) voraus, das pflichtwidrig (Rz. 256 ff.) und schuldhaft (Rz. 268 ff.) ist. Zudem muss ein Schaden der Gesellschaft eingetreten sein (Rz. 297 ff.), und es muss ein Kausal- und Zurechnungszusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten und dem Schaden bestehen (Rz. 315 ff.). Der Gesellschaft wird die Durchsetzung der Haftung durch eine für sie günstige Darlegungs- und Beweislast (Rz. 330 ff.) erleichtert. Mehrere Geschäftsführer haften als Gesamtschuldner (Rz. 345 ff.).

2. Pflichtverletzung a) Allgemeines, erfasste Verstöße 256 Grundvoraussetzung des Haftungstatbestands ist eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers.

Das Gesetz spricht (ebenso wie früher § 84 Abs. 2 AktG 1937) noch von der Verletzung von „Obliegenheiten“, was nach heutiger Terminologie unpräzise ist, da die Verletzung von Obliegenheiten nur zum Verlust eigener Rechte, aber nicht zu einer Haftung auf Schadensersatz führt771. 257 Die Pflichtverletzung i.S.d. § 43 Abs. 2 kann darin bestehen, dass der Geschäftsführer die all-

gemeinen Verhaltensanforderungen aus Abs. 1 verletzt hat, also seine Sorgfaltspflicht i.e.S. (Rz. 50 ff.) oder seine Legalitätspflicht (Rz. 106 ff.) – jeweils einschließlich der damit verbundenen Pflichten zur Überwachung der Geschäftsführerkollegen und nachgeordneten Mitarbeiter (Rz. 119 ff.) – oder auch seine organschaftliche Treuepflicht (Rz. 177 ff.). Sie kann sich ferner aus der Verletzung spezieller Pflichten des Geschäftsführers ergeben, die das Gesetz dem Geschäftsführer in gesonderten Vorschriften zuweist772. Darunter fallen etwa die 768 Wentrup in MünchHdb. AG, § 21 Rz. 124; vgl. auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 515. 769 Wentrup in MünchHdb. AG, § 21 Rz. 124; zu den Grenzen Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 131. 770 Zur AG Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 88 AktG Rz. 131; Thüsing in Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts, § 4 Rz. 127; zur OHG/KG C. Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 112 HGB Rz. 13. 771 Looschelders, Schuldrecht Allg. Teil, 18. Aufl. 2020, § 1 Rz. 26. 772 Zu der (terminologischen) Frage, ob man diese Fälle auch unter die Legalitätspflicht i.S.d. Abs. 1 subsumiert, s. Rz. 108.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 260 § 43

Pflicht zur Führung der Gesellschafterliste (§ 40 Abs. 1)773, die Pflicht zur Buchführung und zur Vorlage des Jahresabschlusses (§§ 41–42a) und die Pflicht zur Wahrung der gesetzlichen Kompetenzordnung, namentlich die Beachtung der Zuständigkeiten der Gesellschafterversammlung (insbes. § 46, § 49 Abs. 2-3, § 53 Abs. 1) und ggf. des mitbestimmten Aufsichtsrats nach dem MitbestG oder DrittelbG. Ebenfalls hierher gehört die in § 37 Abs. 1 verankerte Pflicht des Geschäftsführers, die Vorgaben der Satzung einzuhalten (z.B. statutarische Zustimmungsvorbehalte und Kompetenzzuweisungen zugunsten anderer Gesellschafsorgane774) und verbindliche Gesellschafterbeschlüsse zu befolgen (zu Letzterem s. noch Rz. 260 ff.). Zu differenzieren ist bei Pflichten, die sich aus dem Anstellungsvertrag des Geschäftsführers 258 ergeben. Handelt es sich um anstellungsvertragliche Pflichten, welche die Organtätigkeit näher ausgestalten, unterfallen diese zugleich § 43 Abs. 1, 2, da es zur Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters auch gehört, diese anstellungsvertraglichen Vorgaben zu beachten775. Die Haftung aus § 43 Abs. 2 verdrängt dann den Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Anstellungsvertrags (Rz. 15). Anderes gilt allerdings für solche anstellungsvertraglichen Pflichten, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Organstellung stehen oder die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Amt betreffen (wie z.B. im Fall eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots). Insoweit bewendet es bei der Haftung aus § 280 Abs. 1 BGB; diese unterliegt vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung der Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB) und nicht der Sonderverjährung nach Abs. 4 (Rz. 16). Die Haftung nach § 43 Abs. 2 knüpft zwar an eine Pflichtverletzung als Geschäftsführer an 259 (zum erfassten Personenkreis Rz. 19 ff.). Das schließt es aber nicht aus, dass sie auch bei Schädigungen eingreift, die in gleicher Weise von einer Person verursacht werden könnten, die nicht Geschäftsführer ist (z.B. Verkehrsunfall mit dem Dienstwagen)776. Im Schrifttum wird jedoch meist betont, dass in diesem Fall nicht der organspezifische Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1, sondern der allgemeine Sorgfaltsmaßstab des § 276 BGB gelte777. Zu demselben Ergebnis gelangt man indes auch, wenn man Abs. 1 anwendet und in diesem Rahmen anerkennt, dass von einem ordentlichen Geschäftsleiter bei der Teilnahme am Straßenverkehr oder vergleichbaren nicht organspezifischen Tätigkeiten keine Anforderungen erwartet werden, die über den allgemeinen Maßstab des § 276 Abs. 1 BGB hinausgehen. Für eine Haftungsprivilegierung entsprechend den arbeitsrechtlichen Grundsätzen zum innerbetrieblichen Schadensausgleich ist auch bei solchen nicht organspezifischen Handlungen kein Raum (Rz. 273). b) Auswirkungen von Gesellschafterweisungen und -einverständnis aa) Befolgung von Gesellschafterbeschlüssen An einer Pflichtverletzung fehlt es, wenn der Geschäftsführer einen für ihn nach § 37 Abs. 1 260 verbindlichen Beschluss der Gesellschafterversammlung (12. Aufl., § 37 Rz. 75 ff.) befolgt

773 Beachte in diesem Fall den zusätzlichen Haftungstatbestand des § 40 Abs. 3 (Haftung nicht nur gegenüber der GmbH, sondern auch gegenüber den übrigen Beteiligten und Gläubigern). 774 S. nur Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 190 mit Beispielen aus der Rechtsprechung. Beachte aber noch unten Rz. 319 ff. zum Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens. 775 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50, 246; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 6, 18; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 8; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 26. 776 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29; speziell zum Verkehrsunfall OLG Koblenz v. 14.5.1998 – 5 U 1639/97, GmbHR 1999, 344; a.A. Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 14. 777 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 247; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 16 (teleologische Reduktion des Abs. 1); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 10.

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§ 43 Rz. 260 | Haftung der Geschäftsführer hat778. Dies muss schon deshalb so sein, weil sich sonst ein unauflöslicher Widerspruch zur Folgepflicht des Geschäftsführers ergäbe. Der BGH beruft sich zudem auf einen Umkehrschluss aus § 43 Abs. 3 Satz 3. Dieser Vorschrift liege die Erwägung zugrunde, dass der Wille der GmbH durch die Gesellschafter gebildet wird und ein damit konformes Verhalten des Geschäftsführers deshalb keine haftungsbegründende Pflichtverletzung gegenüber der GmbH darstellen kann, soweit nicht spezielle, im Interesse des Gläubigerschutzes unverzichtbare Regeln der Kapitalerhaltung verletzt sind779. 261 Die Pflichtverletzung entfällt allerdings nicht, wenn die Geschäftsführer den Gesellschafter-

beschluss nicht ordnungsgemäß vorbereitet haben. So liegt es namentlich dann, wenn sie den Gesellschaftern vor deren Beschlussfassung die Tatsachengrundlage nicht ausreichend vermittelt, nicht ausreichend über Risiken oder sonstige Bedenken hinsichtlich der betroffenen Maßnahme informiert oder sonstwie pflichtwidrig die Willensbildung beeinflusst haben780. In diesem Fall besteht keine Pflicht der Geschäftsführer, den Beschluss sofort auszuführen, sondern eine Pflicht, wenigstens nachträglich auf die Bedenken oder fehlenden Informationen hinzuweisen und den Gesellschaftern Gelegenheit zu geben, den Beschluss abzuändern. Auch im Übrigen (also unabhängig vom Vorwurf einer unzureichenden Beschlussvorbereitung) haben die Geschäftsführer vor Ausführung eines Gesellschafterbeschlusses etwaige Bedenken hinsichtlich der Recht- oder Zweckmäßigkeit des Beschlusses zum Ausdruck zu bringen, sofern die betreffenden Tatsachen von der Gesellschafterversammlung erkennbar außer Acht gelassen wurden781. Unterbleibt dies, bleiben die Geschäftsführer haftbar; allerdings kann sich in solchen Fällen die Frage stellen, ob die Haftung wegen eines Mitverschuldens der Gesellschafterversammlung (§ 254 Abs. 1, § 31 BGB) zu reduzieren ist (Rz. 325 ff.). Darüber hinaus haben die Geschäftsführer den Gesellschaftern auch dann Gelegenheit zu einer neuerlichen Beschlussfassung zu geben, wenn vor der Ausführung des Beschlusses, aber nach der Beschlussfassung neue Umstände bekannt geworden sind, die für die Entscheidung wesentlich sind782. 262 Ist der Gesellschafterbeschluss analog § 241 AktG nichtig, kann sich daraus für die Ge-

schäftsführer keine Befolgungspflicht ergeben783. Daher ist der Beschluss in diesem Fall auch nicht geeignet, die Pflichtverletzung entfallen zu lassen784. Führt also ein Geschäftsführer z.B. einen Gesellschafterbeschluss aus, der auf den Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 241 Nr. 3 AktG gerichtet ist, liegt darin ohne weiteres eine Pflichtverletzung. Ob diese auch schuldhaft ist, hängt von der Erkennbarkeit des Beschlussmangels ab785. Der Inan778 BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85 Rz. 10; auch schon BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278 = GmbHR 1960, 40; BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, GmbHR 2000, 330, 331 m.w.N.; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 29; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 269; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; im Erg. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 275; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 214 (Haftung entfällt). 779 BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, GmbHR 2000, 330, 331. 780 KG v. 24.2.2011 – 19 U 83/10, GmbHR 2011, 477, 481; OLG Jena v. 1.9.1998 – 5 U 1816/97, NZG 1999, 121, 122; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 277; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 31; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 224; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 273. 781 OLG Jena v. 1.9.1998 – 5 U 1816/97, NZG 1999, 121, 122; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 274. 782 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 277; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 224; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 275. 783 Statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 278; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 32; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 121. 784 Nachw. wie vor; a.A. – jenseits der indisponiblen Haftung nach Abs. 3 entfällt Pflichtverletzung im Innenverhältnis auch bei Befolgung nichtiger Beschlüsse – Bayer, GmbHR 2014, 897, 905 f. 785 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 278; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 239.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 264 § 43

spruchnahme des Geschäftsführers kann jedoch auch in einem solchen Fall der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (venire contra factum proprium) entgegenstehen786, namentlich dann, wenn sämtliche Gesellschafter den Verstoß billigend in Kauf genommen haben787. Unterhalb dieser Schwelle kann nach Lage des Einzelfalls der Einwand des Mitverschuldens in Betracht kommen (Rz. 325 ff.). Zu beachten ist freilich, dass diese Einwände zwar im Rahmen der Haftung nach § 43 Abs. 2 erhoben werden können, nicht aber im Rahmen der Haftung nach § 43 Abs. 3, soweit diese zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist (§ 43 Abs. 3 Satz 3, Rz. 387, 390). Ist der Gesellschafterbeschluss anfechtbar, ist zu unterscheiden. Sobald er durch Verstreichen 263 der Anfechtungsfrist (12. Aufl., § 45 Rz. 121 ff.), Rügeverzicht aller Gesellschafter oder rechtskräftige Abweisung der Anfechtungsklage bestandskräftig geworden ist, greift grundsätzlich die Befolgungspflicht ein. Diese hat zur Folge, dass die Ausführung des Beschlusses durch den – nach h.M. selbst nicht anfechtungsbefugten (12. Aufl., § 45 Rz. 134) – Geschäftsführer nicht pflichtwidrig ist788. Etwas anderes gilt auch hier wieder in den genannten Sonderfällen (unzureichende Beschlussvorbereitung etc., Rz. 261). Ebenso wie bei bestandskräftigen Beschlüssen verhält es sich bei noch nicht bestandskräftigen, sofern mit der Anfechtung nicht zu rechnen ist789, was namentlich dann anzunehmen ist, wenn alle Gesellschafter zugestimmt haben und nachträglich keine neuen Umstände eingetreten sind, die trotz ursprünglicher Zustimmung doch auf eine mögliche Anfechtung hindeuten. Solange der Beschluss hingegen noch anfechtbar ist und mit einer Anfechtung gerechnet 264 werden muss, besteht keine Folgepflicht790. Führt der Geschäftsführer den Beschluss dennoch aus, besteht für ihn das Risiko, dass der Beschluss auf Anfechtungsklage hin rückwirkend kassiert wird (§ 241 Nr. 5 AktG analog) und dann auch keine per se enthaftende Wirkung mehr entfalten kann791. Allerdings kann es am Verschulden fehlen, wenn der Geschäftsführer den Beschlussmangel nicht erkennen konnte (schuldloser Rechtsirrtum, Rz. 278 ff.) oder wenn die Rechtslage zweifelhaft war und dem Geschäftsführer nach den Regeln des Handelns bei unklarer Rechtslage (Rz. 290 ff.) nicht vorgeworfen werden kann, eine sich ex post als unzutreffend erweisende Rechtsauffassung vertreten zu haben792. Entsprechendes gilt im umgekehrten Fall, also dann, wenn der Geschäftsleiter den Beschluss mit Rücksicht auf eine drohende oder anhängige Anfechtungsklage zunächst nicht ausführt und sich die Klage schließlich als unbegründet erweist. Der Geschäftsführer hat dann zwar die Beschlussausführung objektiv zu Unrecht ausgesetzt; er kann aber wegen Rechtsirrtums oder nach den Grundsätzen des Handelns bei unklarer Rechtslage exculpiert sein. 786 BGH v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, GmbHR 1974, 131 Rz. 11 bei juris (Weisung sämtlicher Gesellschafter an den Geschäftsführer, trotz Insolvenzreife keinen Insolvenzantrag zu stellen); Zweifel an dieser Entscheidung allerdings in BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92, jetzt II ZR 81/94, GmbHR 1994, 460, 464. Aus dem Schrifttum Fleck, GmbHR 1974, 224, 227; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 278; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42 a.E.; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 280 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 35. 787 Näher dazu Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 791 ff. 788 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 278; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 33; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 35. 789 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 62; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 122; Ebenroth/ Lange, GmbHR 1992, 69, 73. 790 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 122; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 35; a.A. Krebs, Geschäftsführungshaftung bei der GmbH & Co. KG und das Prinzip der Haftung für sorgfaltswidrige Leitung, 1991, S. 296 ff. 791 Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 33; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 122. 792 Vgl. Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 33; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 242; zu dem Umstand, dass es sich um eine Frage des Verschuldens (nicht schon der Pflichtverletzung) handelt, s. noch Rz. 276.

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§ 43 Rz. 265 | Haftung der Geschäftsführer bb) Informelles Einverständnis 265 Der Befolgung eines Gesellschafterbeschlusses steht es gleich, wenn die Geschäftsführer ohne

förmliche Beschlussfassung im – auch stillschweigenden – Einverständnis aller Gesellschafter handeln793. Das Einverständnis sämtlicher Gesellschafter lässt die Pflichtverletzung somit zwar grundsätzlich entfallen, aber wie bei förmlichen Gesellschafterbeschlüssen nicht durchweg. So ändert das Einverständnis nichts am Vorliegen einer Pflichtverletzung, wenn es auf einer erkennbar unzureichenden Tatsachengrundlage oder unzureichenden Aufklärung über Risiken beruht (Rz. 261). Gleiches gilt, wenn ein die betreffende Maßnahme anordnender Gesellschafterbeschluss nichtig wäre; allerdings is nach Lage des Einzelfalls auch hier wieder denkbar, dass der Haftung der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenstehen kann oder ein Mitverschulden in Betracht kommt (Rz. 262). Im Übrigen ist stets sorgfältig zu prüfen, ob das – vom Geschäftsführer zu beweisende (Rz. 333) – Einverständnis der Gesellschafter tatsächlich gegeben ist. Allein der Umstand, dass die Gesellschafter von einer bevorstehenden Geschäftsführungsmaßnahme Kenntnis haben, lässt noch nicht zwingend darauf schließen, dass sie damit auch einverstanden sind794.

266 Damit die Pflichtverletzung entfällt, muss das (informelle) Einverständnis von sämtlichen

Gesellschaftern getragen sein. Das Einverständnis des Mehrheitsgesellschafters genügt für sich genommen ebenso wenig wie eine Weisung, die allein von ihm und nicht von der zuständigen Gesellschafterversammlung erteilt wird795. Zu bedenken ist allerdings, dass die Organhaftung in diesem Fall u.U. unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens (Rz. 319 ff.) entfallen kann796. In der Einpersonen-GmbH genügt das Einverständnis des Alleingesellschafters. Ist dieser zugleich Geschäftsführer, ist er somit stets freigestellt (selbst bei bewusster Minderung des Gesellschaftsvermögens), solange nicht der Anwendungsbereich des Abs. 3 einschließlich seiner Erweiterungen durch Analogie (Rz. 376 ff.) betroffen ist797. c) Zurechnung von Pflichtverletzungen Dritter? 267 Der Geschäftsführer haftet grundsätzlich nur für eigene Pflichtverletzungen798. Eine Zu-

rechnung von Pflichtverletzungen beauftragter Dritter nach § 278 BGB kommt nur in Frage, wenn der Geschäftsführer eine Hilfsperson in die Erfüllung eigener Verbindlichkeiten einschaltet799. Nicht zuzurechnen ist dem Geschäftsführer das Fehlverhalten von Personen, welche die Gesellschaft angestellt oder beauftragt hat (z.B. weitere Geschäftsführer, Arbeitneh793 St. Rspr., BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = GmbHR 2013, 1044 Rz. 33; BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 713 m.w.N.; ebenso die h.L., etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 279; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 278; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 17. 794 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 279; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 218; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 27; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 33. 795 Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 255; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 276; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 215. 796 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 276. 797 BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85 Rz. 10 f.; BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, GmbHR 2000, 330, 331; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 265 ff.; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 33. 798 Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 20; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 30; zum Verschulden BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 276 Rz. 17 – ISION (AG). 799 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 66 (mit im konkreten Fall allerdings zweifelhafter Subsumtion, dazu Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31; zust. aber Fleck, GmbHR 1974, 224, 225); ferner BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 276 Rz. 17; Cahn, Der Konzern 2015, 105, 106 (jeweils zum Verschulden).

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 270 § 43

mer und Berater/sonstige Dienstleister der Gesellschaft) und die in Wahrnehmung ihrer Aufgaben für die Gesellschaft tätig sind, da es sich bei diesen Personen nicht um Erfüllungsgehilfen des Geschäftsführers handelt800. In diesen Fällen ist allerdings sorgfältig zu prüfen, ob eine eigene Pflichtverletzung des Geschäftsführers darin liegt, dass er jene Personen nicht hinreichend überwacht oder (im Fall von Arbeitnehmern und Beratern/sonstigen Dienstleistern) nicht sorgfältig ausgewählt und instruiert hat (Rz. 119 ff.).

3. Verschulden Auch wenn dies in § 43 Abs. 2 nicht eigens erwähnt wird, setzt die Haftung nach dieser Vor- 268 schrift unstreitig Verschulden voraus, d.h. Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Das Verschuldenserfordernis lässt sich aus § 43 Abs. 1 ableiten, der nach heute herrschendem Verständnis eine Doppelfunktion als Pflichtenquelle und Verschuldensmaßstab erfüllt (Rz. 1). a) Verschuldensmaßstab aa) Überblick Als Verschulden genügt jede Form der Fahrlässigkeit801, soweit die Satzung oder der An- 269 stellungsvertrag keine Haftungsmilderung vorsieht (Rz. 421 ff.). Eine Haftungsprivilegierung nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs scheidet nach h.M. ebenso aus (Rz. 270 ff.) wie eine entsprechende Anwendung des § 708 BGB auf Gesellschafter-Geschäftsführer und eine entsprechende Anwendung des § 31a BGB auf ehrenamtlich tätige Geschäftsführer (Rz. 274). Die Sorgfaltsanforderungen bestimmen sich wie auch sonst im Zivilrecht nach einem objektiven Maßstab, was die Frage aufwirft, wie sich die Prüfungsstationen Pflichtverletzung und Verschulden voneinander unterscheiden (Rz. 275 f.). bb) Keine Haftungsprivilegierung entsprechend den arbeitsrechtlichen Grundsätzen Im Schrifttum finden sich insbesondere in neuerer Zeit mehrere Stimmen, die mit Unter- 270 schieden im Einzelnen dafür plädieren, die aus dem Arbeitsrecht bekannten Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs802 auf die Organhaftung zu übertragen803. Nach der am weitesten gehenden Ansicht sollen diese Grundsätze uneingeschränkt Anwendung finden mit der Folge, dass die Geschäftsführer ebenso wie Arbeitnehmer bei leichtester Fahrlässigkeit gar nicht haften sollen, während bei mittlerer Fahrlässigkeit und ausnahmsweise auch

800 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 276 Rz. 17; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 132; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 257; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30 f.; Cahn, Der Konzern 2015, 105, 106 f. 801 Statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 167 (omnis culpa); Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 77; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 392. 802 Grundlegend BAG (Großer Senat) v. 27.9.1994 – GS 1/89 (A), BAGE 78, 56 = ZIP 1994, 1712; Überblick über den Stand der Rechtsprechung bei Henssler in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 619a BGB Rz. 5 ff.; Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2020, § 619a BGB Rz. 11 ff.; Preis in Erfurter Komm. Arbeitsrecht, 20. Aufl. 2020, § 619a BGB Rz. 9 ff. 803 Ausf. aus neuerer Zeit insbesondere Bachmann, ZIP 2017, 841; Wilhelmi, NZG 2017, 681; ferner Frisch, Haftungserleichterung für GmbH-Geschäftsführer nach dem Vorbild des Arbeitsrechts, 1998, S. 177 ff., 254 (beschränkt auf Fremdgeschäftsführer, die nicht über einen Tantiemeanspruch in relevantem Umfang an den Gesellschaftschancen teilhaben, und nicht für die Haftung nach Abs. 3); Fritz, NZA 2017, 673, 678 f. (für „abhängige“ Geschäftsführer); Hoffmann, NJW 2012, 1393, 1396 f.

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§ 43 Rz. 270 | Haftung der Geschäftsführer bei grober Fahrlässigkeit eine Quotelung stattfinden soll804. Andere wollen zwar den Grundgedanken des innerbetrieblichen Schadensausgleichs fruchtbar machen, aber nicht so weit gehen, bei leichter Fahrlässigkeit die Haftung der Geschäftsführer ganz auszuschließen805. 271 Die nach wie vor deutlich überwiegende Ansicht spricht sich jedoch gegen eine Übertra-

gung der arbeitsrechtlichen Grundsätze auf die Organhaftung aus806. Dem wird man trotz gewisser Bedenken im Ergebnis beitreten müssen. Den Gegenstimmen ist allerdings zuzugeben, dass zwischen Arbeitnehmer- und Organhaftung unverkennbare Parallelen bestehen807 – erst recht, wenn man bedenkt, dass nach heute h.M. auch leitende Angestellte in den Genuss der arbeitsrechtlichen Haftungsprivilegierung kommen können808. Wie der Arbeitnehmer leistet auch der Geschäftsführer eine umfassende, auf Dauer angelegte fremdnützige Tätigkeit, bei der es über längere Sicht kaum auszuschließen ist, dass es auch einmal zu leichteren Fehlleistungen kommt. Dass eine solche dann auch bei nur leichtester Fahrlässigkeit zu einer vollumfänglichen, für den Einzelnen u.U. ruinösen Haftung führen soll, obwohl die Gesellschaft umgekehrt vollständig den Ertrag seiner Tätigkeit vereinnahmt, ist auch bei Geschäftsführern durchaus fragwürdig, und zwar auch dann, wenn man ihre im Vergleich zu Arbeitnehmern typischerweise deutlich höhere Vergütung in Rechnung stellt. Dass die Geschäftsführer häufig durch eine D&O-Versicherung (Rz. 428 ff.) geschützt sind809, begründet keinen zwingenden Einwand, da ein solcher Versicherungsschutz auch bei leichter Fahrlässigkeit nicht flächendeckend besteht und im Übrigen auch bei leitenden Angestellten immer mehr Verbreitung findet. Auch der Einwand, dass ein Geschäftsführer die Betriebsorganisation wesentlich besser steuern kann als ein Arbeitnehmer, dem die Arbeitsbedingungen heteronom vorgegeben werden810, erscheint für sich genommen nicht zwingend, wenn man berücksichtigt, dass auch ein Geschäftsführer engmaschigen Weisungen seiner Gesellschafter unterworfen sein kann. So wird sich namentlich in Konzernverbindungen die Stellung eines (Fremd-) Geschäftsführers einer Tochter-GmbH faktisch in vielen Fällen kaum von derjenigen eines leitenden Angestellten unterscheiden811. 272 Obwohl somit durchaus gute Gründe für einen Wertungstransfer vom Arbeitsrecht in das

Organhaftungsrecht sprechen, überwiegen nach geltendem Recht doch die Bedenken gegen eine richterliche Rechtsfortbildung, da die methodischen Voraussetzungen hierfür zweifelhaft sind. Anders als im Arbeitsrecht hat der Gesetzgeber spezielle Haftungstatbestände eigens für die Organhaftung geschaffen (§ 43 GmbHG, § 93 AktG, § 34 GenG), die er – wenn man das Aktien- und Genossenschaftsrecht miteinbezieht – wiederholt ergänzt hat, nicht zuletzt durch Einführung der Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 804 Wilhelmi, NZG 2017, 681, 688 f. 805 Bachmann, ZIP 2017, 841, 851 (Quotelung auch bei leichter Fahrlässigkeit); s. auch noch Rz. 314 zu dem ähnlichen Ansatz, eine Haftungsreduzierung aus der Fürsorgepflicht der Gesellschaft abzuleiten. 806 BGH v. 27.2.1975 – II ZR 112/72, WM 1975, 467 Rz. 12 bei juris (zur eG); KG v. 9.10.1998 – 14 U 4823/96, NZG 1999, 400, 402; vgl. auch BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167, 172 = GmbHR 2001, 771; aus dem Schrifttum Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256; Henssler in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 619a BGB Rz. 19; Joussen, GmbHR 2005, 441, 443 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 11; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 295; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 395 ff.; S. Binder, Grenzen der Vorstandshaftung, 2016, S. 312 ff.; Schall in FS E. Vetter, 2019, S. 659, 660 ff.; jeweils m.w.N. 807 Eingehend Bachmann, ZIP 2017, 841, 842 ff.; Wilhelmi, NZG 2017, 681, 686 ff.; auch schon J. Koch in Liber amicorum Winter, 2011, S. 327, 339 ff.; J. Koch, AG 2012, 429, 435 ff. 808 Dazu BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167, 172 = GmbHR 2001, 771; Henssler in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 619a BGB Rz. 17; Wilhelmi, NZG 2017, 681, 683. 809 Vgl. den Hinweis bei Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256. 810 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256. 811 Bachmann, ZIP 2017, 841, 845; vgl. auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 5.

546 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 274 § 43

Satz 2 GenG), die die Geschäftsleiter bei unternehmerischen Entscheidungen vor einer übertrieben scharfen Haftung bewahren soll. Weitergehende rechtspolitische Forderungen nach einer Abmilderung der strengen Organhaftung, wie sie etwa der 70. Deutsche Juristentag 2014 formuliert hat, hat der Gesetzgeber bisher sehenden Auges nicht aufgegriffen. Auch wird man trotz der genannten Parallelen nicht so weit gehen können, dass die deutlich strengere Behandlung der Geschäftsführer schlechterdings willkürlich und daher von Verfassungs wegen korrekturbedürftig wäre. De lege lata wird man die Geschäftsführer daher darauf verweisen müssen, sich im Anstellungsvertrag selbst Haftungsmilderungen auszubedingen, was im GmbH-Recht in weit größerem Umfang möglich ist als im Aktienrecht (Rz. 421 ff.). Belässt man es aus den genannten Gründen grundsätzlich bei dem Standpunkt der h.M., 273 kann richtigerweise auch dann nichts anderes gelten, wenn die schuldhafte Pflichtverletzung des Geschäftsführers nicht bei einer organspezifischen oder organtypischen Tätigkeit stattfindet, sondern im Rahmen einer Tätigkeit, bei der der Geschäftsführer nicht anders als ein Arbeitnehmer handelt (Schulbeispiel: Verkehrsunfall auf einer Dienstfahrt)812. Eine derartige Differenzierung ist in § 43 nicht angelegt, sie wäre auch in vielen Fällen praktisch kaum durchführbar. cc) Keine Haftungsprivilegierung analog § 708 BGB oder § 31a BGB Der Maßstab der leichten Fahrlässigkeit gilt für Fremdgeschäftsführer ebenso wie für Ge- 274 sellschafter-Geschäftsführer. Die im Personengesellschaftsrecht – noch813 – vorgesehene Haftungsbeschränkung auf eigenübliche Sorgfalt (§ 708 BGB) findet keine analoge Anwendung, auch nicht auf Gesellschafter-Geschäftsführer814. Ebenso wenig ist die Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit, die § 31a BGB bei (nahezu) unentgeltlicher Tätigkeit für die Vorstandsmitglieder eines Vereins vorsieht, auf die Geschäftsführer einer GmbH übertragbar, auch nicht in der gemeinnützigen GmbH815. Spätestens seitdem der Gesetzgeber im Rahmen der Genossenschaftsreform 2017816 eine Übertragung des § 31a BGB auf die eG explizit abgelehnt hat817, kann daran auch für die GmbH kein Zweifel mehr bestehen. Allerdings hat der Gesetzgeber stattdessen in § 34 Abs. 2 Satz 3 GenG vorgesehen, dass die (Quasi-) Unentgeltlichkeit bei der Beurteilung der Sorgfalt zu Gunsten des Organwalters „berücksichtigt“ werden muss, und damit doch die Tür für eine mildere Behandlung der ehrenamtlich Tätigen geöffnet. Ob man sich daran auch in der GmbH orientieren kann und wie sich

812 Str., wie hier Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 396; Joussen, GmbHR 2005, 441, 445 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 295.2; a.A. Uwe H. Schneider in FS Werner, 1984, S. 795, 812 f.; Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 257; Bastuck, Enthaftung des Managements, 1986, S. 85; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 43; Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 46 Rz. 14; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 64 i.V.m. Rz. 14; offengelassen in OLG Koblenz v. 14.5.1998 – 5 U 1639/97, GmbHR 1999, 344, 345. Zu der Frage, ob anstelle des Sorgfaltsmaßstabs des § 43 Abs. 1 derjenige des § 276 BGB zur Anwendung kommt, s. schon Rz. 259. 813 Zur angestrebten Streichung des § 708 BGB s. den RegE für ein Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), BT-Drucks. 19/27635. 814 RG v. 31.3.1908 – II 587/07, LZ 1908 Sp. 450; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256a; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 296; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 213; Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsleiterhaftung bei der GmbH, 1988, S. 38. 815 H.M.; Leuschner, NZG 2014, 281, 287; Noack, GmbHR 2010, R 81; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 13; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 297; E. Vetter, GmbHR 2012, 181, 187; a.A. – § 31a BGB generell auf die GmbH anwendbar – Piper, WM 2011, 2211, 2214; zweifelnd für die gemeinnützige GmbH Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256b. 816 Gesetz zum Bürokratieabbau und zur Förderung der Transparenz bei Genossenschaften vom 17.7.2017, BGBl. I 2017, 2434. 817 Begr. RegE BT-Drucks. 18/11506, S. 28.

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§ 43 Rz. 274 | Haftung der Geschäftsführer der neue Maßstab des § 34 Abs. 2 Satz 3 GenG inhaltlich präzisieren lässt, ist einstweilen noch völlig offen818. dd) Objektiver Maßstab, Verhältnis zur Pflichtverletzung 275 Wie auch sonst im Zivilrecht gilt ein objektivierter (typisierter) Fahrlässigkeitsbegriff819. Die

Anforderungen der nach Abs. 1 maßgeblichen „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes“ richten sich danach, was die dem Geschäftsführer anvertraute Aufgabe der Leitung der Gesellschaft von ihm objektiv erfordert820, wobei auf die Verhältnisse der jeweiligen Gesellschaft und den Aufgabenbereich des Geschäftsführers abzustellen ist821. Mangelnde persönliche Fähigkeiten und Kenntnisse, die dem verlangten Standard nicht genügen, stellen folglich keinen Entschuldigungsgrund dar822. Umgekehrt muss der Geschäftsführer aber spezielle individuelle Fähigkeiten und Kenntnisse823 zum Wohle der Gesellschaft einsetzen; diese erhöhen daher den Sorgfaltsmaßstab824. Tritt der Geschäftsführer sein Amt an, ohne über die erforderlichen Mindestkenntnisse zu verfügen, liegt darin bereits ein Übernahmeverschulden825. Das gilt auch dann, wenn die Gesellschafter bei der Bestellung des Geschäftsführers von der mangelnden Qualifikation Kenntnis hatten oder haben mussten826. Die für das Amt erforderliche Mindestqualifikation muss vom ersten bis zum letzten Tag der Amtszeit gegeben sein; eine Schonfrist für neu berufene Geschäftsführer ist nicht anzuerkennen827. Auch Arbeitsüberlastung entlastet den Geschäftsführer nicht828. Im Krankheitsfall muss er für Vertretung sorgen, bei andauernder Dienstunfähigkeit das Amt niederlegen. Allein der Umstand, dass er ständig unter Kopfschmerzen leidet und mit Medikamenten behandelt werden muss, entschuldigt ihn nicht829. Ebenso wenig genügt der Hinweis, dass der Geschäftsführer sich in branchenüblicher Weise verhalten hat, wenn der branchenübliche Standard hinter dem objektiv Erforderlichen zurückbleibt830.

818 Erste Hinweise zur inhaltlichen Präzisierung bei Geibel in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 34 GenG Rz. 7, der als Beispiel eine großzügiger bemessene Einarbeitungszeit anführt. 819 Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 340; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 167; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 289; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 392. 820 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 168. 821 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 168; Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 290. 822 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 49/80, WM 1981, 440 Rz. 13 bei juris; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, ZIP 2015, 1220 Rz. 28 (AG); Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 340; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 289 f. 823 Beispiel nach Bayer, GmbHR 2014, 897, 898: Sanierungsexperte wird in einer Krisensituation zum Geschäftsführer bestellt. 824 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 28 (für Aufsichtsratsmitglieder einer AG); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 290; ebenso zu § 276 Abs. 2 BGB Grundmann in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 276 BGB Rz. 56 m. zahlreichen Nachw. aus der Rechtsprechung. 825 Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 341; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 289. 826 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 49/80, WM 1981, 440 Rz. 13 bei juris; BGH v. 21.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824, 825. Zur Frage des Mitverschuldens s. Rz. 326. 827 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 77; einschr. Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 59: kurze Einarbeitungszeit ist dem Geschäftsleiter zuzubilligen. 828 Bayer, GmbHR 2014, 897, 898; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 9; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 289.1. 829 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 383 = GmbHR 1997, 25; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 172. 830 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 289.2.

548 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 278 § 43

Der Umstand, dass der Verschuldensmaßstab objektiv zu bestimmen ist, führt dazu, dass bei 276 den verhaltensbezogenen Geschäftsführerpflichten, namentlich der Sorgfaltspflicht i.e.S. und der Treuepflicht, mit dem Vorliegen einer Pflichtverletzung in aller Regel zugleich auch das Verschulden gegeben ist. Im Ausgangspunkt zutreffend wird daher im Schrifttum eine weitgehende Kongruenz von Pflichtwidrigkeit und Verschulden konstatiert831. Allerdings gilt dieser Gleichlauf keineswegs ausnahmslos. Abgesehen von den im vorliegenden Kontext wohl nur theoretischen Fällen fehlender Verschuldensfähigkeit (§ 276 Abs. 1 Satz 2, §§ 827 f. BGB)832 kommt eine Divergenz von Pflichtverletzung und Verschulden bei rechtlich gebundenen Entscheidungen in Betracht, nämlich immer dann, wenn der Geschäftsführer schuldlos hinter einer rechtlichen Vorgabe zurückbleibt, die ihm oder der Gesellschaft (und damit über das Bindeglied der Legalitätspflicht im Innenverhältnis auch dem Geschäftsführer) aufgegeben ist. Angesprochen sind damit zum einen Fälle des schuldlosen Rechtsirrtums – der Geschäftsführer geht schuldlos, etwa aufgrund unzutreffenden Rechtsrats, von der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens aus (Rz. 278 ff.) – und zum anderen Fälle, in denen der Geschäftsführer zwar erkennt, dass die Rechtslage unklar und sein Handeln daher möglicherweise rechtswidrig ist, ihm die Eingehung dieses rechtlichen Risikos aber nicht vorwerfbar ist (Rz. 290 ff.). Im Schrifttum wird zwar verbreitet angenommen, dass auch in diesen Fallgruppen bei gewissenhafter Prüfung der Rechtslage bereits die Pflichtverletzung und nicht erst das Verschulden entfalle833. Mehr spricht aber in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH834 für die Zuordnung zur Verschuldensebene835, da der Geschäftsführer in den genannten Fällen rein objektiv betrachtet die ihm gestellte rechtliche Vorgabe nicht erfüllt hat und es nur an der Vorwerfbarkeit fehlt (s. noch Rz. 289). b) Zurechnung des Verschuldens Dritter? Jeder Geschäftsführer haftet grundsätzlich nur für sein eigenes Verschulden. Andere für die 277 Gesellschaft tätige Personen (z.B. Mitgeschäftsführer, Arbeitnehmer, Berater und sonstige Dienstleister) sind keine Erfüllungsgehilfen des Geschäftsführers, weshalb ihm ein Verschulden jener Personen nicht nach § 278 BGB zuzurechnen ist. Die betreffenden Ausführungen auf Ebene der Pflichtverletzung (Rz. 267) gelten ebenso hinsichtlich des Verschuldens. Unberührt bleibt ein mögliches Eigenverschulden bei der Überwachung der Geschäftsführerkollegen oder bei der Auswahl, Instruktion und Überwachung von Arbeitnehmern und sonstigen Dienstleistern der Gesellschaft. c) Exculpation bei schuldloser Fehleinschätzung der Rechtslage aa) Überblick Bei rechtlich gebundenen Entscheidungen kann es sich so verhalten, dass die Geschäftsführer 278 mit ihrem Verhalten objektiv die gesetzlichen Vorgaben verfehlen und damit eine (Legalitäts-) 831 Exemplarisch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 255; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 168; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 392; verallgemeinernd Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 47: Trennung von objektiver Pflichtverletzung und Vertretenmüssen „nicht möglich“. 832 Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 89. 833 So etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39, 42g, 259; Sander/St. Schneider, ZGR 2013, 725, 730 ff.; Seibt, NZG 2015, 1097, 1100 f.; für Fälle der unklaren Rechtslage auch Decher in FS Krieger, 2020, S. 179, 188 f.; Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429, 437; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 140. 834 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 276 Rz. 16 ff. – ISION (zum Rechtsirrtum bei eindeutiger Rechtslage). 835 Wie hier etwa Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 19, 43; Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 149 ff.; Holle, AG 2016, 270 ff.; Verse, ZGR 2017, 174, 192 m.w.N.

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§ 43 Rz. 278 | Haftung der Geschäftsführer Pflichtverletzung begehen, dieses Verhalten aber auf einer schuldlosen Fehleinschätzung der Rechtslage beruht. Auf schuldlose Unkenntnis der wahren Rechtslage können sich die Geschäftsführer allerdings grundsätzlich836 nur berufen, wenn sie vor ihrer Entscheidung die Rechtslage sorgfältig geprüft haben837. Bestehen erkennbare Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme838, müssen sie in Wahrnehmung ihrer Rechtsermittlungspflicht (Rz. 117) bei fehlender eigener Sachkunde Rechtsrat einholen. 279 Bestätigt der Rechtsrat die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme, können sich die

Geschäftsführer darauf verlassen, sofern der Rechtsrat bestimmten Anforderungen genügt und deshalb vertrauenswürdig ist (Rz. 280 ff.). Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Geschäftsführer zwar einen vertrauenswürdigen Rat erhalten haben, dieser aber die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme als ungewiss identifiziert, da die Rechtslage unklar ist. Auch in diesem Fall kann es den Geschäftsführern unter bestimmten Umständen nicht vorwerfbar sein, wenn sie das Risiko eines Rechtsverstoßes eingehen (Rz. 290 ff.). Fraglich ist schließlich, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen eine an sich gebotene Rechtsprüfung unterblieben ist, eine tatsächlich durchgeführte Rechtsprüfung den Rechtsirrtum aber nicht beseitigt hätte (Rz. 296). bb) Vertrauen auf einen die Rechtmäßigkeit bestätigenden Rechtsrat 280 aaa) Anforderungen an vertrauenswürdigen Rechtsrat. Auf einen Rechtsrat, der die Recht-

mäßigkeit einer beabsichtigten Maßnahme bestätigt, dürfen sich die Geschäftsführer nach der vieldiskutierten „ISION“-Rechtsprechung des BGH nur verlassen, wenn vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind. Entscheidend ist danach, ob der Rat von einem (i) für die zu klärende Frage fachlich qualifizierten und (ii) unabhängigen Berufsträger stammt, der (iii) über den Sachverhalt zutreffend und vollumfänglich informiert ist; zudem muss der erteilte Rechtsrat (iv) einer sorgfältigen Plausibilitätskontrolle standhalten839. Der II. Zivilsenat des BGH hat diese Grundsätze für die Rechtsberatung durch (unternehmensexterne) Rechtsanwälte entwickelt. Sie lassen sich aber auch auf Rechtsauskünfte anderer geeigneter Stellen übertragen. Dies gilt insbesondere auch für Rechtsauskünfte einer fachlich zuständigen Behörde (z.B. der BaFin, wenn es um die Frage einer Erlaubnispflicht für Bankgeschäfte geht), wobei der Ratsuchende hier regelmäßig ohne weiteres von hinreichender fachlicher Qualifikation und Unabhängigkeit der Behörde ausgehen kann840.

836 S. aber noch Rz. 296 (hypothetische Rateinholung hätte den Irrtum nicht beseitigt). 837 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 16 – ISION. 838 Da der Geschäftsleiter kein Jurist sein muss, darf man die Anforderungen, wann er ein Rechtsproblem erkennen muss, nicht zu hoch ansetzen; näher dazu Krieger, ZGR 2012, 496, 498 f.; tendenziell strenger Strohn, CCZ 2013, 177, 180. 839 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 18 ff. – ISION; ferner BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 28 ff.; zuvor auch schon BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, GmbHR 2007, 757 Rz. 14 ff. Näher dazu aus der Fülle des Schrifttums etwa Binder, ZGR 2012, 757, 767 ff.; Fleischer, KSzW 2013, 3; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498; Kremer in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2012, 2013, S. 171; Krieger, ZGR 2012, 496; Merkt/Mylich, NZG 2012, 525, 528 f.; Strohn, ZHR 176 (2012), 137; Strohn, CCZ 2013, 177, 180 ff.; unter vergleichender Einbeziehung der strafrechtlichen Spruchpraxis Bergmann in FS Tolksdorf, 2014, S. 11; ferner die Dissertationen von Berger, Vorstandshaftung und Beratung, 2015; Diekmann, Das Vertrauen des Vorstandsmitglieds auf Rechtsauskünfte, 2019; Hieronimy, Die Haftung des aktienrechtlichen Vorstands bei Einholung externer Beratung, 2017. 840 Zur exculpierenden Wirkung von Auskünften der BaFin, allerdings ohne Anknüpfung an die ISION-Grundsätze und in anderem Zusammenhang (Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 54 KWG), BGH v. 10.7.2018 – VI ZR 263/17, ZIP 2018, 1678 Rz. 28; BGH v. 27.6.2017 – VI ZR 424/ 16, ZIP 2017, 1568 Rz. 17.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 283 § 43

(1) Fachliche Qualifikation. Die geforderte fachliche Qualifikation des Beraters muss sich 281 auf die zu klärende Frage beziehen841. Daraus lässt sich ableiten, dass allein die Zulassung des Beraters als Rechtsanwalt die hinreichende Qualifikation noch nicht in jedem Fall sicherstellt; vielmehr wird zumindest bei komplexeren Rechtsfragen zu verlangen sein, dass der Berater gerade auch in demjenigen Rechtsgebiet ausgewiesen sein muss, das von der Gutachtenfrage betroffen ist842. (2) Unabhängigkeit. Lebhafte Diskussionen hat das Erfordernis der Unabhängigkeit des Be- 282 raters ausgelöst, da in ersten Reaktionen auf das ISION-Urteil befürchtet wurde, dass damit die Beratung der Geschäftsleitung durch die den Weisungen der Geschäftsführung unterstehende unternehmensinterne Rechtsabteilung in Frage gestellt sei843. Inzwischen hat der BGH jedoch klargestellt, dass nicht die persönliche Unabhängigkeit des Beraters entscheidend ist; gemeint ist vielmehr, dass der Berater seine Rechtsauskunft sachlich unabhängig, d.h. unbeeinflusst von unmittelbaren oder mittelbaren Vorgaben hinsichtlich des Ergebnisses erteilt hat844. Entscheidend ist mit anderen Worten eine ergebnisoffene Prüfung. Auch wenn der BGH in diesem Zusammenhang nicht explizit auf die Beratung durch die interne Rechtsabteilung eingegangen ist, kann spätestens seit dieser Präzisierung kein Zweifel mehr bestehen, dass (selbstverständlich) auch hausinterne Juristen aus Unternehmensebenen unterhalb der Geschäftsführung bei entsprechender fachlicher Qualifikation einen vertrauenswürdigen Rechtsrat erteilen können845. Allein der Umstand, dass der Rat von einem nachgeordneten Unternehmensangehörigen erteilt wird, begründet für sich genommen auch keine Vermutung oder ein Indiz für fehlende sachliche Unabhängigkeit846. Noch nicht geklärt ist, ob man umgekehrt von einer (widerleglichen) Vermutung ausgehen kann, dass die Beratung tatsächlich sachlich unabhängig erfolgte, wenn die Gesellschaft zum Schutz der fachlichen Unabhängigkeit ihrer Syndikusanwälte i.S.d. § 46 Abs. 3, 4 BRAO auf ihre Weisungsbefugnis in Rechtsfragen verzichtet hat847. Ebenso wenig schließt es das Unabhängigkeitspostulat aus, dass die Geschäftsführer einer 283 Tochtergesellschaft sich auf den Rechtsrat einer (bei der Konzernmutter angesiedelten) Konzern-Rechtsabteilung verlassen dürfen848. Besteht allerdings im Einzelfall ein konkreter Interessenkonflikt zwischen Mutter und Tochter, ist die Unabhängigkeit in Frage gestellt; in diesem Fall steht freilich schon das Berufsrecht in Gestalt des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4 BRAO) einer Beratung der Tochter durch die Syndikusanwälte der Mutter entgegen849.

841 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 18; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 28. 842 Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 44b; Strohn, CCZ 2013, 177, 181; Selter, AG 2012, 11, 16; auch schon Binder, AG 2008, 274, 285 f.; (jeweils ohne die im Text vorgenommene Einschränkung auf komplexere Rechtsfragen); großzügiger Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42b (formale Qualifikation durch Anwaltszulassung regelmäßig ausreichend); Kiefner/Krämer, AG 2012, 498, 501 f. 843 Eingehend zu dieser Diskussion etwa Junker/Biederbick, AG 2012, 898, 901 ff.; Klöhn, DB 2013, 1535; J. Wagner, BB 2012, 651, 654 ff. 844 BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 36. 845 Fleischer, DB 2015, 1764, 1768; E. Vetter, NZG 2015, 889, 894; Redeke, AG 2017, 289, 291; unter Hinweis auf jene Entscheidung auch Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 350; ebenso im Erg. die ganz h.L., etwa Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 66; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 45; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 80; alle m.w.N.; a.A. Schwarz, CCZ 2013, 36, 37; krit. auch Wackerbarth, http://blog.fernuni-hagen.de/blawg/2015/08/31/anleitung-zur-haftungsentlas tung-fuer-vorstaende, Ziff. 2. 846 So aber Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 32. 847 Dafür Redeke, AG 2017, 289, 292 f. 848 Redeke, AG 2018, 381, 387 f.; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 45. 849 Redeke, AG 2018, 381, 385 ff.

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§ 43 Rz. 284 | Haftung der Geschäftsführer 284 Kontrovers diskutiert wird die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Vorbefassung des

Beraters seine Unabhängigkeit ausschließt. Hat der Rechtsberater einen Vertragsentwurf oder das rechtliche Konzept für eine Transaktion oder sonstige Maßnahme erstellt und ergeben sich später Zweifel an der rechtlichen Tragfähigkeit dieses Entwurfs oder Konzepts, soll der ursprüngliche Berater nach einer im Schrifttum vertretenen Ansicht nicht mehr unabhängig sein, wenn und weil ihn die neuerliche Prüfung in die Verlegenheit bringe, bisher unentdeckte Fehler zu offenbaren850. Diese strenge Position würde jedoch bei konsequenter Anwendung im Ergebnis dazu führen, dass praktisch bei jeder kritischen Nachfrage, die den Berater potenziell in die Bredouille bringt, ein eigenes Versäumnis offenzulegen, ein Zweitberater einzuschalten wäre. Das wäre jedoch ganz gewiss eine überzogene Anforderung851. Ein zweiter Berater muss vielmehr nur unter besonderen Umständen hinzugezogen werden, namentlich dann, wenn die Prüfung des ursprünglichen Beraters die Zweifel nicht vollständig ausräumt oder wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte zu befürchten ist, dass er die Überprüfung nicht mit der gebotenen Ergebnisoffenheit angehen wird. Auch eine publizistische Vorbefassung, mithin der Umstand, dass der Berater sich bereits in einer Veröffentlichung mit der zu prüfenden Rechtsfrage befasst hat, schließt seine Unabhängigkeit nicht prinzipiell aus852. 285 (3) Zutreffende, vollständige Information. Da ein Rat nur so gut sein kann wie die Infor-

mationen, auf denen er beruht, muss dem Berater der zu prüfende Sachverhalt zutreffend und vollständig geschildert werden, und es müssen ihm die zur Beurteilung erforderlichen Unterlagen zur Verfügung gestellt werden853. Werden dem Berater Informationen vorenthalten, weil der Geschäftsführer sie irrtümlich für unerheblich hält, kann ihn der erteilte Rat nur entlasten, wenn auch der Irrtum über den erforderlichen Informationsumfang schuldlos war854. Dabei ist zu bedenken, dass man von dem nicht fachkundigen Geschäftsführer häufig keine genaue Kenntnis erwarten kann, wie weit der Kreis der relevanten Informationen zu ziehen ist. Das bedeutet zwar nicht, dass sich der Geschäftsführer stets damit begnügen darf, einfach darauf zu vertrauen, dass der Berater schon nach den erforderlichen Informationen fragen wird855. Aber es mahnt zur Vorsicht, die Anforderungen nicht zu überspannen856. Grundsätzlich sollte es daher genügen, wenn die Geschäftsführer dafür Sorge tragen, dass der Berater auf Umstände hingewiesen wird, die bei den unternehmensinternen Überlegungen als bedeutsam angesehen wurden, und darüber hinaus die vom Berater selbst für notwendig gehaltenen Informationen zur Verfügung gestellt werden857. Da der Geschäftsführer für die hinreichende Informationsgrundlage – ebenso wie für sämtliche weitere Vorausset-

850 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 140; ferner Strohn, CCZ 2013, 177, 182 (dort allerdings mit dem einschränkenden und berechtigten Hinweis, dass man sich vor schematischen Lösungen hüten müsse). 851 Deutlich Krieger, ZGR 2012, 496, 500 f.; Kiefner/Krämer, ZGR 2012, 498, 499 f.; Redeke, AG 2017, 289, 293; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42c; vgl. auch Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 348 (Frage des Einzelfalls, Berater aufgrund der Vorbefassung jedenfalls nicht generell ungeeignet). 852 Redeke, AG 2017, 289, 293 f. 853 Vgl. BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 18 („unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen“); ebenso BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 28. 854 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42d; Krieger, ZGR 2012, 496, 499; Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139. 855 Insoweit zutr. Strohn, CCZ 2013, 177, 183. 856 Tendenziell zu streng Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 139 (schuldloser Irrtum über die erforderliche Informationsgrundlage werde nur „selten“ vorliegen); dagegen auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42d; vgl. ferner BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 30 zur Formulierung des Prüfungsauftrags (dazu noch Rz. 287). 857 Cahn, WM 2013, 1293, 1304.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 287 § 43

zungen der Exculpation – die Beweislast trägt, empfiehlt es sich zu dokumentieren, welche Unterlagen und Informationen dem Berater zur Verfügung standen. Eine entsprechende Auflistung sollte daher in keinem Gutachten fehlen858. (4) Plausibilitätskontrolle. Mit Augenmaß zu handhaben ist schließlich auch die vierte Vo- 286 raussetzung, dass der erteilte Rechtsrat einer „sorgfältigen Plausibilitätsprüfung“ des Geschäftsführers standhalten muss859. Die Funktion dieses Erfordernisses besteht darin, völlig untaugliche Rechtsauskünfte und Gefälligkeitsgutachten auszuscheiden860. Wie der BGH klargestellt hat, geht es bei der geforderten Plausibilitätskontrolle nicht um eine rechtliche Überprüfung der erhaltenen Rechtsauskunft durch den selbst nicht rechtskundigen Geschäftsführer. Vielmehr ist nur (aber immerhin) zu prüfen, ob „dem Berater nach dem Inhalt der Auskunft alle erforderlichen Informationen zur Verfügung standen, er die Informationen verarbeitet hat und alle sich in der Sache für einen Rechtsunkundigen aufdrängenden Fragen widerspruchsfrei beantwortet hat oder sich aufgrund der Auskunft weitere Fragen aufdrängen.“861 Es geht also zum einen darum, sicherzustellen, dass der Berater von einer zutreffenden Informationsgrundlage ausgegangen ist, und zum anderen darum, dass seine Würdigung nicht an so offensichtlichen inhaltlichen Widersprüchen oder Auslassungen leidet, dass sie auch für den Geschäftsführer als (in der Regel862) Rechtsunkundigen unschwer erkennbar sind. Insbesondere die Anforderungen an den letztgenannten Teil der Überprüfung dürfen, wie im Schrifttum mit Recht häufig betont wird, nicht zu hoch angesetzt werden. Insbesondere wird von dem Geschäftsführer weder zwingend noch regelmäßig erwartet, voluminöse Gutachten Seite für Seite durchzuarbeiten863. Vielmehr genügt es grundsätzlich auch in wichtigen Angelegenheiten, wenn der Geschäftsführer eine auf die wesentlichen Punkte konzentrierte Kurzfassung nachvollzieht864 und ergänzend die Rechtsabteilung oder eine andere fachkundige Stelle damit beauftragt, das Gesamtgutachten kritisch durchzusehen und ihm über das Ergebnis dieser Prüfung zu berichten865. Zu der Plausibilitätsprüfung, ob der Rat an offensichtlichen Auslassungen leidet, gehört 287 (selbstverständlich) auch die Vergewisserung, dass die beabsichtigte Maßnahme überhaupt durch die Auskunft des Rechtsberaters gedeckt ist866. Auch dabei ist jedoch wiederum zu beachten, dass die Anforderungen an den rechtsunkundigen Geschäftsführer nicht überzogen werden dürfen. Ein erteilter Rechtsrat kann daher auch dann entlastende Wirkung haben, wenn sich der Gutachtenauftrag zwar nicht auf eine spezielle Rechtsfrage bezieht, der nicht fachkundige Geschäftsführer aber wegen des engen Sachzusammenhangs mit dem Prüfungsthema davon ausgehen darf, dass der Berater auch diese Frage mitgeprüft hat867. So hat der BGH entschieden, dass die Vorstandsmitglieder einer AG, die einen Rechtsanwalt mit

858 Strohn, CCZ 2013, 177, 183. 859 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 18; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 28; eingehend zu diesem Kriterium Buck-Heeb, BB 2016, 1347. 860 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42g; Strohn, CCZ 2013, 177, 183. 861 BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 33. 862 Etwaiges Sonderwissen des Geschäftsführers erhöht wie auch sonst den Sorgfaltsmaßstab, Rz. 275. 863 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42f.; Strohn, CCZ 2013, 177, 183 f. 864 Strohn, CCZ 2013, 177, 183 f.; ähnlich Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42f, allerdings mit dem Zusatz, dass der Geschäftsführer (stets?) zusätzlich eine stichprobenartige Überprüfung des Gesamtgutachtens vornehmen müsse. 865 Zur Unterstützung durch die Rechtsabteilung s. auch Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1353; Cahn, WM 2013, 1293, 1305; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42f; Strohn, CCZ 2013, 177, 184. 866 Fleischer, NZG 2010, 121, 124; Fleischer, DB 2015, 1764, 1767; Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 162. 867 Vgl. BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 29 ff. m. Bespr. Fleischer, DB 2015, 1764, 1766 ff.

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§ 43 Rz. 287 | Haftung der Geschäftsführer der Prüfung beauftragt haben, ob eine vom Vorstand beabsichtigte Maßnahme der Zustimmung des Aufsichtsrats bedarf, davon ausgehen dürfen, dass der Anwalt auch geprüft hat, ob anstelle des Vorstands der Aufsichtsrat nach § 112 AktG vertretungsbefugt ist868. 288 In der ISION-Entscheidung geht der BGH davon aus, dass der Rechtsrat – von einfachen

oder besonders eilbedürftigen Rechtsfragen abgesehen – schriftlich erteilt sein muss, da er nur dann die notwendige Plausibilitätsprüfung ermögliche869. Allerdings wird man sich auch insoweit vor Verallgemeinerungen hüten müssen870; es erscheint nach Lage des Einzelfalls durchaus denkbar, auch komplexere Fragen in mündlicher Form so zu präsentieren, dass der Rat einer Plausibilitätskontrolle zugänglich ist (zumal auch bei einem schriftlichen Gutachten von dem Geschäftsführer nicht erwartet wird, angegebene Belegstellen aus Rechtsprechung und Schrifttum nachzuprüfen). Ob der mündlich erteilte Rat ebenso vertrauenswürdig ist wie ein schriftlicher, ist daher letztlich immer eine Frage der Umstände des Einzelfalls. Die Praxis wird sich gleichwohl auf die grundsätzliche Präferenz des BGH für schriftliche Raterteilung einstellen müssen. Was die Ausnahme für besonders eilbedürftige Raterteilung betrifft, ist zu beachten, dass der Zeitdruck nur dann herabgesetzte Anforderungen an die Plausibilitätskontrolle rechtfertigen kann, wenn ihn der Geschäftsführer nicht selbst verschuldet hat871.

289 bbb) Rechtsfolgen eines vertrauenswürdigen, die Rechtmäßigkeit bestätigenden Rechts-

rats. Verlässt sich der Geschäftsführer auf einen nach Maßgabe der vorstehenden Kriterien vertrauenswürdigen Rat, der die Rechtmäßigkeit einer bestimmten Maßnahme bestätigt, handelt er nach der Rechtsprechung des BGH nicht schuldhaft, wenn er aufgrund des unzutreffenden Rats hinter der rechtlichen Vorgabe zurückbleibt und dadurch seine (Legalitäts-) Pflicht objektiv verletzt872. An dieser Ansicht ist entgegen anderslautenden Stimmen im Schrifttum, die schon die Pflichtwidrigkeit verneinen wollen, festzuhalten (s. schon Rz. 276). Im Ergebnis wirkt sich der Umstand, ob man an die Pflicht- oder die Verschuldensebene anknüpft, für die Haftung des Geschäftsführers allerdings nicht aus, solange man mit der zwar nicht selbstverständlichen, aber doch ganz herrschenden Ansicht davon ausgeht, dass die Beweislast für die Pflichtgemäßheit und das fehlende Verschulden gleichermaßen beim Geschäftsführer liegt (Rz. 332). Zwar wird mitunter eingewandt, dass nur die Zuordnung zur Pflichtebene den Einwand rechtmäßigen Alternativverhalten eröffne, namentlich in Fällen, in denen der Geschäftsführer es versäumt hat, Rechtsrat einzuholen, der hypothetische Rechtsrat aber unzutreffend gewesen wäre873. Diese Fallgruppe lässt sich aber auch auf der Verschuldensebene befriedigend lösen (Rz. 296). Auch für die Frage der Kündigung des Anstellungsvertrags ergeben sich keine Unterschiede, da eine schuldlose Pflichtverletzung keinen wichtigen Grund zur Kündigung darstellt874.

868 BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 29 ff. 869 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 24; Bergmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 1, 16, 28; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 346; Strohn, CCZ 2013, 177, 183 (besonders eilbedürftige Fragen oder solche, die sich klar und kurz beantworten lassen). 870 Kritisch auch Krieger, ZGR 2012, 496, 502 f.; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42f; zuvor schon Fleischer, NZG 2010, 121, 124 f. 871 Strohn, ZHR 176 (2012), 137, 142; Hahn/Naumann, CCZ 2013, 156, 162; Buck-Heeb, BB 2016, 1347, 1354. 872 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 16 ff.; BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, AG 2015, 535 Rz. 28 ff. 873 Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 743; ihnen folgend Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42. 874 Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 150 ff.; Holle, AG 2016, 270, 272; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 13; J. Koch in FS Bergmann, 2018, S. 413, 420 f.; Verse, ZGR 2017, 174, 192.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 293 § 43

cc) Unklare Rechtslage Nicht selten wird es sich so verhalten, dass die Geschäftsleiter zwar ihrer Rechtsermittlungs- 290 pflicht nachgekommen sind und einen vertrauenswürdigen Rat eingeholt haben, dieser aber die Rechtmäßigkeit der beabsichtigten Maßnahme nicht uneingeschränkt bestätigt, sondern als ungewiss identifiziert, da die Rechtslage unklar ist. In einem solchen Fall stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Geschäftsleiter das Risiko eines Rechtsverstoßes eingehen dürfen, ohne sich im Innenverhältnis zur Gesellschaft wegen schuldhafter (Legalitäts-)Pflicht haftbar zu machen. In der Rechtsprechung ist diese Frage bisher nicht entschieden worden, und auch im Schrifttum hat sich noch keine einheitliche Linie herausgebildet. aaa) Legal Judgment Rule? Teilweise wird im Schrifttum dafür plädiert, bei unklarer Rechts- 291 lage die Business Judgment Rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG) entsprechend anzuwenden (sog. Legal Judgment Rule)875. Diese Ansicht stützt sich darauf, dass die Entscheidung zwar rechtlich gebunden sei, aber wegen der bestehenden Unklarheit der Rechtslage eine vergleichbare Unsicherheit bestehe, wie sie für unternehmerische Entscheidungen kennzeichnend ist. Im Ergebnis muss dieser Ansatz konsequenterweise dazu führen, dass es bei einer auf angemessener Informationsgrundlage getroffenen Entscheidung genügt, wenn der Geschäftsleiter einer nicht evident unvertretbaren (Rz. 101) Rechtsauffassung folgt. Die entsprechende Anwendung der Business Judgment Rule auf rechtliche gebundene Ent- 292 scheidungen unter Unsicherheit sieht sich jedoch durchgreifenden Bedenken ausgesetzt und ist daher mit Recht überwiegend auf Ablehnung gestoßen876. Der wesentliche Unterschied zwischen unternehmerischen Entscheidungen und rechtlich gebundenen Entscheidungen unter Unsicherheit besteht darin, dass letztere nicht allein am Gesellschaftswohl auszurichten sind, sondern in erster Linie an der Erreichung der jeweiligen gesetzlichen Zielvorgabe und damit am Schutz der öffentlichen Interessen, denen die betreffende Vorgabe dient. Der Grundgedanke der Business Judgment Rule, die Risikobereitschaft der Geschäftsleiter im Interesse der Gesellschaft zu fördern, trägt daher bei rechtlich gebundenen Entscheidungen unter Unsicherheit nicht (s. schon Rz. 80). Der mit der Legalitätsbindung intendierte Schutz öffentlicher Interessen würde durch die Einräumung eines derart weiten Beurteilungsspielraums, wie ihn die Business Judgment Rule gewährt, bedenklich weit relativiert877. bbb) Haftungsfreier Abwägungsspielraum jenseits der Legal Judgment Rule. Gleichwohl 293 besteht im Ergebnis weithin Einigkeit, dass den Geschäftsführern auch bei Ablehnung einer Legal Judgment Rule in Fällen rechtlicher Unklarheit ein gewisser Handungsspielraum zustehen muss, innerhalb dessen sie rechtliche Risiken eingehen dürfen, ohne sich haftbar zu ma-

875 So etwa Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 140; Bürkle, VersR 2013, 792, 793 ff.; Cahn, Der Konzern 2015, 105; Hasselbach/Ebbinghaus, AG 2014, 873; Kocher, CCZ 2009, 215, 217; Nietsch, ZGR 2015, 631, 652 ff. Ebenso konsequenterweise diejenigen, die eine über die Schadensabwendung hinausgehende Legalitätsbindung der Geschäftsleiter entgegen der h.M. schon im Ansatz ablehnen; Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, S. 192 ff.; Torggler in Kalss/Torggler, Compliance, 2016, S. 97, 123 ff. 876 Buck-Heeb, BB 2013, 2247; Decher in FS Krieger, 2020, S. 179, 187 f.; Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429, 437; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014, S. 62 ff., 80 f.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 23; J. Koch in FS Bergmann, 2018, S. 413 m. zahlreichen weiteren Nachw. in Fn. 16; Langenbucher in FS Lwowski, 2014, S. 333, 340 f.; Verse, ZGR 2017, 174; Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 13 D II 2 a; Weusthoff, Die Organhaftung der Aktiengesellschaft bei fehlerhafter Rechtseinschätzung, 2016, S. 67 ff.; Wilsing in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 31.26. 877 Zu weiteren Einwänden gegen die Legal Judgment Rule ausführlich und überzeugend J. Koch in FS Bergmann, 2018, S. 413 („ein Fall für die Wolfsschlucht“).

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§ 43 Rz. 293 | Haftung der Geschäftsführer chen, wenn sich das Risiko später realisiert878. Wollte man dies anders sehen und die Geschäftsführer für verpflichtet halten, bei jedem nicht zuverlässig auszuräumenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit von der beabsichtigten Maßnahme Abstand zu nehmen, würde dies im Ergebnis dazu führen, dass die Geschäftsführer – und damit auch die von ihnen geleitete Gesellschaft – gezwungen wären, nicht nur sämtliche Gesetze zu beachten, sondern auch noch einen breiten Sicherheitsabstand zu den gesetzlichen Vorgaben einzuhalten879. Eine derart weitgehende Einschränkung wird mit Recht als überzogen angesehen. Wie weit der geschützte Handlungsspielraum reicht, wird im Schrifttum allerdings unterschiedlich formuliert880. Teils wird gefordert, dass der gewählte Rechtsstandpunkt „vertretbar“ sein müsse881. Andere wenden ein, dass eine bloße Vertretbarkeitsschwelle (ähnlich wie die Legal Judgment Rule) das Legalitätsprinzip und damit das öffentliche Interesse an Regelbefolgung zu weit auszuhöhlen drohe; im Sinne einer „beweglichen Schranke“ seien vielmehr umso gewichtigere Gründe für die gewählte Rechtsauffassung zu fordern, je mehr der bisherige Meinungsstand und insbesondere die Rechtsprechung zur Gegenauffassung tendiert882. Wieder andere meinen, dass der eingenommene Standpunkt „annähernd gleichwertig vertretbar“ sein müsse wie die Gegenansicht883, womit wohl eine Mindestwahrscheinlichkeit von annähernd 50 % gemeint ist, dass der Standpunkt vor Gericht Bestätigung fände. 294 Nach hier vertretener Ansicht ist der geschützte Handlungsspielraum aus den Regeln zu ent-

wickeln, die bei unklarer Rechtslage auch für die straf- und bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Geschäftsführer im Außenverhältnis gelten, da die Anforderungen aus dem Außenverhältnis über den Transmissionsriemen der Legalitätspflicht auch auf das Innenverhältnis einwirken884. Im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ist anerkannt, dass bei unklarer Rechtslage der Schuldvorwurf auch dann entfallen kann, wenn der Täter erkannt hat, dass

878 S. die Nachw. in den nachstehenden Fn.; strenger H.-F. Müller, DB 2014, 1301, 1306 (die Geschäftsleiter seien aufgrund ihrer Legalitätspflicht verpflichtet, die rechtssichere Handlungsvariante zu wählen und bei jedem ernsthaften, nicht zuverlässig auszuräumenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit von der Handlung Abstand zu nehmen); dem folgend Arden, Haftung der Geschäftsleiter und Aufsichtsratsmitglieder bei unklarer Rechtslage, 2018, S. 166 f. (Gebot des „rechtlich sichersten Wegs“). 879 J. Koch in FS Bergmann, 2018, S. 413, 428; Verse, ZGR 2017, 174, 183. 880 Umfassende Darstellung des Meinungsstands bei Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 13 B, C. 881 So etwa Bachmann, WM 2015, 105, 109; U. Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219, 1222; Grigoleit in 2. FS K. Schmidt, 2019, S. 367, 376 ff. (mit näherer Präzisierung der an die Vertretbarkeit zu stellenden Anforderungen); Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 274 ff., 297; M. Zimmermann, WM 2008, 433, 435; auch Florstedt, NZG 2018, 485, 493 (Vertrauen in eine „gut begründete, vertretbare Ansicht“). 882 Dreher in FS Konzen, 2006, S. 85, 93; Thole, ZHR 171 (2009), 504, 522, 524 f.; ähnlich Bührle, Unternehmerische Gestaltungsfreiheit versus aufsichtsrechtliche Regulierung, 2016, S. 142 ff., 206 ff.; ferner Bayer in FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 92: Vertretbarkeit genügt nicht, wenn die Gerichte mit großer Wahrscheinlichkeit anders entscheiden werden. Differenzierend auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38, der das Ausmaß an Rechtsunsicherheit und die Zumutbarkeit des Zuwartens bei unsicherer Rechtslage als wesentliche Kriterien benennt. 883 V. Berger, Vorstandshaftung und Beratung, 2015, S. 351 ff., 357; ähnlich Decher in FS Krieger, 2020, S. 179, 196, und Holle, AG 2016, 270, 279 (Auswahl zwischen „gleichermaßen vertretbar erscheinenden“ Rechtsauffassungen); für das Aufsichtsrecht Langenbucher, ZBB 2013, 16, 22 f.; Langenbucher in FS Lwowski, 2014, S. 333, 344 f.: Befolgung der „am besten vertretbaren“ Rechtsmeinung, Wahlmöglichkeit nur zwischen „gleich gut vertretbaren“ Ansichten (sog. Optimierungsthese). 884 Ausf. zum Folgenden Verse, ZGR 2017, 174, 184 ff.; zustimmend J. Koch in FS Bachmann, 2018, S. 413, 426 ff.; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 45a; kritisch zum Begründungsansatz Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 13 D II 1 b, der aber letztlich auch auf die Zumutbarkeit und damit auf eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Rechtsdurchsetzungsinteresse und den Belangen der Gesellschaft abstellt (a.a.O. § 13 D II 2 b (2)).

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 296 § 43

sein Verhalten möglicherweise rechtswidrig ist. Dies wird dann angenommen, wenn es ihm nach sorgfältiger Rechtsermittlung nicht zumutbar ist, auf die fragliche Handlung zu verzichten885. Die Zumutbarkeit wiederum wird durch drei Kriterien beeinflusst886: (1) die Wahrscheinlichkeit der Rechtmäßigkeit aus ex-ante-Sicht, (2) das Gewicht der Nachteile, die dem Handelnden (bzw. der von ihm geleiteten Gesellschaft) beim Verzicht auf die Handlung drohen, und (3) die Schwere der Rechtsgutsverletzung, die der Handelnde mit seinem Verhalten möglicherweise anrichtet. Führt die Anwendung dieser Kriterien dazu, dass die Verletzung einer straf- oder bußgeldbewehrten Vorschrift durch den Geschäftsführer straf- und bußgeldrechtlich als entschuldigt angesehen wird, sollte man auch im Innenverhältnis von einer schuldlosen887 und damit haftungsfreien Legalitätspflichtverletzung ausgehen. Führt sie hingegen zu dem Ergebnis, dass der Geschäftsführer im Außenverhältnis straf- oder bußgeldrechtlich verantwortlich ist, spricht alles dafür, auch im Innenverhältnis eine schuldhafte Legalitätspflichtverletzung anzunehmen. Wie die Abwägung anhand der drei genannten Kriterien zu konkretisieren ist, bedarf noch 295 weiterer Diskussion. Nach hier vertretener Ansicht liegen vor allem zwei Ableitungen nahe, die als leitsatzartige Orientierung dienen mögen888: (1) Wenn nach sorgfältiger Rechtsermittlung mit annähernd gleicher oder überwiegender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass die fragliche Handlung vor Gericht als rechtmäßig bestätigt würde, ist es dem Normadressaten (hier: dem Geschäftsleiter) grundsätzlich nicht vorzuwerfen, wenn er die ihm günstig erscheinende Handlung trotz verbleibender Rechtszweifel vornimmt. Unter diesen Gegebenheiten wiegt das öffentliche Präventionsinteresse in aller Regel nicht so schwer, dass man dem Normadressaten, der für die Rechtsunklarheit nicht verantwortlich ist, einen Verzicht auf die Handlung abverlangen kann. Etwas anderes kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn überragend wichtige Rechtsgüter (namentlich Leib und Leben) auf dem Spiel stehen und irreversibel verletzt zu werden drohen. (2) Wenn dagegen mit nicht annähernd gleicher, sondern merklich überwiegender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass sich vor Gericht der gegenteilige Standpunkt durchsetzen würde, wird man von der Handlung regelmäßig Abstand nehmen müssen. Allerdings mag es auch hier Fälle geben, in denen der Verzicht auf die Handlung ausnahmsweise unzumutbar ist, namentlich dann, wenn einerseits kein überragend wichtiges Rechtsgut irreversibel verletzt zu werden droht, andererseits aber die von dem Geschäftsleiter geführte Gesellschaft durch den Verzicht auf die Handlung besonders gravierend getroffen würde889. dd) Sonderfall: schuldloser Rechtsirrtum trotz versäumter Rechtsprüfung? Noch nicht geklärt ist, ob eine Fehleinschätzung der Rechtslage ausnahmsweise auch ent- 296 schuldigt sein kann, wenn der Geschäftsführer eine eigentlich veranlasste Rechtsermittlung 885 OLG Stuttgart v. 19.11.2007 – 2 Ss 597/07, NJW 2008, 243, 245; OLG Bremen v. 30.9.1959 – Ss 54/59, NJW 1960, 163, 164; Rengier in Karlsruher Komm. OWiG, 5. Aufl. 2018, § 11 OWiG Rz. 54; Rudolphi in Systematischer Komm. z. StGB, 7. Aufl., 37. Lfg., 2002, § 17 StGB Rz. 13; SternbergLieben/Schuster in Schönke/Schroeder, Komm. StGB, 30. Aufl. 2019, § 17 StGB Rz. 21 (bei widersprechenden Gerichtsentscheidungen); Vogel/Bülte in Leipziger Komm. StGB, 13. Aufl. 2020, § 17 StGB Rz. 68 f., 90; Joecks/Kulhanek in MünchKomm. StGB, 4. Aufl. 2020, § 17 StGB Rz. 25 f., 61 f.; der Sache nach auch Roxin, Strafrecht Allg. Teil, Bd. I, 4. Aufl. 2006, § 21 Rz. 32 ff. m.w.N.; a.A. – keine Frage der Zumutbarkeit, sondern der objektiven Erkennbarkeit des Unrechts (Art. 103 Abs. 2 GG) – Cornelius, GA 2015, 101. 886 Näher Verse, ZGR 2017, 174, 183 mit Nachw. aus der straf- und ordnungswidrigkenrechtlichen Rechtsprechung und Literatur; ferner J. Koch in FS Bergmann, 2018, S. 413, 426 ff.; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 45a. 887 Zur (umstrittenen) Verortung der Frage auf der Verschuldensebene s. schon Rz. 276, 289. 888 Verse, ZGR 2017, 174, 190 f.; ähnlich J. Koch in FS Bergmann, 2018, S. 413, 431 ff. 889 Zurückhaltend insoweit J. Koch in FS Bergmann, 2018, S. 413, 432 f.

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§ 43 Rz. 296 | Haftung der Geschäftsführer unterlassen hat. Im Straf- und Bußgeldrecht ist anerkannt, dass ein unvermeidbarer Verbotsirrtum auch vorliegt, wenn der Handelnde sich zwar nicht um kompetente Beratung bemüht hat, die Einholung von qualifiziertem Rechtsrat den Rechtsirrtum aber nicht beseitigt hätte890. Im Anschluss daran hat der VI. Zivilsenat des BGH wiederholt entschieden, dass eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 54 KWG (Straftatbestand des Betreibens von Bankgeschäften ohne Bankerlaubnis) wegen unvermeidbaren Verbotsirrtums nach § 17 Satz 1 StGB ausscheidet, falls auch eine Anfrage bei der zuständigen Behörde (BaFin) den Rechtsirrtum nicht beseitigt hätte891. Es erscheint erwägenswert, einen Rechtsirrtum, den der Geschäftsführer auch durch hypothetische Hinzuziehung qualifizierter Berater nicht hätte abwenden können, auch im Rahmen der zivilrechtlichen Organhaftung als schuldlos anzusehen oder zumindest die Zurechenbarkeit des Schadens zu verneinen, indem man in derartigen Fällen dem Geschäftsführer den Einwand schuldlosen Alternativverhaltens eröffnet892.

4. Schaden der GmbH a) Allgemeines 297 Der Ersatzanspruch nach § 43 Abs. 2 setzt ferner voraus, dass der Gesellschaft ein Schaden

entstanden ist. Maßgebend ist der Schadensbegriff, der auch im allgemeinen Schadensrecht (§§ 249 ff. BGB) zugrunde gelegt wird893. Erfasst wird demnach jede unfreiwillige Einbuße an materiellen oder immateriellen Gütern und Interessen894. Im Kontext des Abs. 2 wird es praktisch immer um Vermögensschäden gehen. Deren Feststellung und Berechnung bemisst sich wie im allgemeinen Schadensrecht im Ausgangspunkt nach der Differenzhypothese, also einem Vergleich der bestehenden Gesamtvermögenslage der Gesellschaft und derjenigen, die ohne das schädigende Ereignis gegeben wäre895. Bezugspunkt dieses Vergleichs ist allein das Vermögen der Gesellschaft, nicht dasjenige der Gesellschafter896. Art und Umfang des Schadensersatzes richten sich ebenfalls nach den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regeln. Es gilt mithin der Grundsatz der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB), soweit nicht nach § 249 Abs. 2, §§ 250 f. BGB Schadenersatz in Geld geschuldet ist. Zu ersetzen ist auch der entgangene Gewinn, der mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte (§ 252 BGB)897.

890 BGH v. 21.6.1990 – 1 StR 477/89, BGHSt 37, 55, 67; BGH v. 7.4.2016 – 5 StR 332/15, NStZ 2016, 460, 462; Joecks/Kulhanek in MünchKomm. StGB, 4. Aufl. 2020, § 17 StGB Rz. 71; Holle, BKR 2018, 500, 501 m.w.N. 891 BGH v. 27.6.2017 – VI ZR 424/16, ZIP 2017, 1568 Rz. 16; BGH v. 10.7.2018 – VI ZR 263/17, ZIP 2018, 1678 Rz. 28; a.A. Kempelmann/Scholz, JZ 2018, 390. 892 Letzterem zuneigend Holle, BKR 2018, 500, 502 f.; für Gewährung des Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens Sander/Schneider, ZGR 2013, 725, 743 (auf Grundlage der hier nicht geteilten Prämisse, dass Rechtsirrtümer schon auf Pflicht- und nicht erst auf Verschuldensebene zu berücksichtigen seien); a.A. Kempelmann/Scholz, JZ 2018, 390, 395 ff.: nur hypothetische Rechtsauskunft kann niemals entlasten. 893 Ganz h.M.; statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 261; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 306; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 47; jeweils m.w.N.; a.A. – nur solche Vermögensminderungen, die typischerweise auf ein pflichtwidriges Verhalten hindeuten – Mertens in Hachenburg, Rz. 57; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 59. 894 Looschelders, Schuldrecht Allg. Teil, 18. Aufl. 2020, § 44 Rz. 1. 895 BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, GmbHR 2008, 488 Rz. 8; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 354; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 261. 896 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 264; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 412; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 308. 897 BGH v. 22.6.2009 – II ZR 143/08, GmbHR 2009, 993 Rz. 3; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 358; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 263.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 301 § 43

Ebenfalls anwendbar sind die Grundsätze der Vorteilsausgleichung898, und zwar prinzipiell 298 auch bei Legalitätspflichtverletzungen (Rz. 306). Bei der Berechnung des Schadens sind mithin der Gesellschaft zugeflossene Vorteile anzurechnen, soweit sie adäquat-kausal auf das schädigende Verhalten zurückzuführen sind und die Anrechnung dem Sinn und Zweck der Ersatzpflicht entspricht, d.h. die geschädigte Gesellschaft nicht unzumutbar belastet und den Schädiger nicht unbillig begünstigt899. Ein Fall der Vorteilsausgleichung liegt nach der Rechtsprechung auch vor, wenn aus einer Reihe gleichartiger Geschäfte (z.B. Spekulationsgeschäfte), die auf demselben Beschluss der Geschäftsleiter beruhen, teils Gewinne und teils Verluste entstanden sind900. Für die Beweislastverteilung bedeutet dies, dass die Gesellschaft nur die entstandenen Verluste als Schaden und nicht etwa einen negativen Gesamtsaldo aus allen Geschäften darlegen und beweisen muss901; denn anders als für den Schaden liegt die Darlegungs- und Beweislast für anzurechnende Vorteile beim Geschäftsführer (Rz. 334). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des Schadens ist im Prozess nach allgemeinen 299 Grundsätzen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz902. b) Einzelne Schadenspositionen Bei Verletzungen der Legalitätspflicht, seien es Verstöße gegen Antikorruptionsbestimmun- 300 gen, Kartellrecht oder sonstige Rechtsverletzungen, stellt sich häufig die – sehr umstrittene – Frage, ob gegen die Gesellschaft verhängte Geldbußen einen Schaden darstellen, den die Gesellschaft qua Organhaftung auf den für den Verstoß verantwortlichen Geschäftsführer abwälzen kann (dazu sogleich Rz. 304 ff.). Daneben kommt eine Reihe weiterer Schadenspositionen in Betracht, die unstreitig ersatzfähig sind. Hierunter fallen z.B. eine Schadensersatzhaftung der Gesellschaft gegenüber Dritten (z.B. bei Kartellverstößen aus § 33a GWB, „Haftungsschaden“)903, der Verlust von öffentlichen oder privaten Aufträgen in Reaktion auf das Bekanntwerden der Rechtsverletzung904 und nicht zuletzt die Kosten, die der Gesellschaft im Rahmen des Angemessenen für die interne Aufklärung der Vorwürfe und die Wahrung ihrer Rechte im Bußgeldverfahren (Rechtsverteidigungskosten) entstanden sind (Rz. 323). Hat der Geschäftsführer von einem Vertragspartner der GmbH Schmiergelder für den Ab- 301 schluss des Vertrags erhalten, liegt ein Schaden der Gesellschaft vor, wenn der Vertragspartner ohne die Schmiergeldzahlung bereit gewesen wäre, den Vertrag mit für die Gesellschaft günstigeren Konditionen abzuschließen (der betreffende Betrag also der Gesellschaft zugutegekommen wäre). Nach der Rechtsprechung spricht hierfür ein Beweis des ersten Anscheins905. Konkurrierend besteht ein Herausgabeanspruch entsprechend § 667 BGB (Rz. 224). Hat der Geschäftsführer seinerseits aus dem Gesellschaftsvermögen Schmiergelder für den Abschluss

898 BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, AG 2013, 259 Rz. 26; BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 31 (jeweils zu § 93 Abs. 2 AktG); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 264a. 899 Allg. zu diesen Voraussetzungen Grüneberg in Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 68 ff.; Oetker in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 249 BGB Rz. 233 ff. 900 BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, AG 2013, 259 Rz. 26 (zur AG). 901 BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, AG 2013, 259 Rz. 25 ff.; a.A. in der Vorinstanz OLG Frankfurt a. M. v. 22.3.2011 – 5 U 29/06, AG 2011, 595 Rz. 66 ff.; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 92. 902 Näher Grüneberg in Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 127; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 309, 309.11. 903 Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 365; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 263a. 904 Vgl. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 263a („Vergabesperre“). 905 BGH v. 26.3.1962 – II ZR 151/60, WM 1962, 578, 579; OLG Düsseldorf v. 25.11.1999 – 6 U 146/ 98, GmbHR 2000, 666, 670; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 189, 210; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 309.1, 321.1.

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§ 43 Rz. 301 | Haftung der Geschäftsführer eines Geschäfts gezahlt, liegt darin zwar ein Schaden der Gesellschaft906, der aber nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung entfallen kann, wenn das abgeschlossene Geschäft für die Gesellschaft insgesamt wirtschaftlich vorteilhaft war. Zu beachten ist dabei, dass als Vorteil nur die Differenz angerechnet werden kann zwischen dem Gewinn, den die Gesellschaft durch das betreffende Geschäft erzielt hat, und einem etwaigen Gewinn aus einem Geschäft, das sie ohne die Schmiergeldzahlung erzielt hätte907. 302 Wird ein falsch kalkuliertes Geschäft mit Verlust abgeschlossen, ist der eingetretene Verlust

nur ein Rechnungsposten bei der Berechnung des Schadens, wenn Kosten (z.B. für Löhne) auch ohne das ungünstige Geschäft angefallen wären, etwa bei einer Auftragslücke. Wäre der Vertrag bei richtiger Kalkulation nicht abgeschlossen worden, kann die Gesellschaft nur verlangen, so gestellt zu werden, wie sie ohne den Vertrag gestanden hätte908. 303 Ist ein Geschäftsführer der GmbH für die Verwaltung von Beteiligungen der Gesellschaft

zuständig und gehört er zugleich dem Leitungsorgan eines der Beteiligungsunternehmen an, kann eine pflichtwidrige Geschäftsführung in dem Beteiligungsunternehmen dazu führen, dass der Geschäftsführer sowohl in seiner Eigenschaft als Organwalter des Beteiligungsunternehmens als auch in seiner Eigenschaft als GmbH-Geschäftsführer verantwortlich ist909. Neben dem Organhaftungsanspruch des Beteiligungsunternehmens kommt dann auch ein Ersatzanspruch der GmbH wegen des mittelbaren Schadens (Reflexschadens) in Betracht, der ihr durch die Schädigung des Beteiligungsunternehmens entstanden ist. Die GmbH kann in einem solchen Fall allerdings nach dem Rechtsgedanken der § 117 Abs. 1 Satz 2, § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht Leistung an sich verlangen, sondern nur Leistung an das Beteiligungsunternehmen910. c) In Sonderheit: Verbandsgeldbußen als ersatzfähiger Schaden? aa) Stand der Diskussion 304 Viel diskutiert, aber bisher nicht höchstrichterlich entschieden ist die Frage, ob auch gegen

die Gesellschaft verhängte Verbandsgeldbußen (Unternehmensgeldbußen) – im deutschen Sanktionsrecht nach § 30 OWiG – einen im Wege der Organhaftung ersatzfähigen Schaden darstellen, wenn die Buße auf eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers zurückzuführen ist. Die Frage ist in den letzten Jahren vor allem am Beispiel von Kartellbußen intensiv diskutiert worden, stellt sich aber generell für Verbandsbußen.

305 Nicht zu leugnen ist im Ausgangspunkt, dass ein Geschäftsführer, der rechtswidrig und

schuldhaft die straf- oder ordnungswidrige Anknüpfungstat für die Verbandsbuße begangen hat – sei es auch „nur“ in Form einer Aufsichtspflichtverletzung nach § 130, § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG –, damit grundsätzlich auch im Innenverhältnis zur GmbH eine schuldhafte (Legalitäts-)Pflichtverletzung begeht und deshalb dem Grunde nach zum Schadensersatz verpflichtet ist. Nicht im Streit steht daher, dass anderweitige Schadenspositionen, die der Gesellschaft neben der Verbandsbuße aus der Legalitätspflichtverletzung entstehen, prinzipiell ersatzfähig sind (Rz. 300). Lebhaft umstritten ist aber, ob auch die Schadensposition Verbandsgeldbu-

906 Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 309.1. 907 Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 98. 908 BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, GmbHR 2008, 488 Rz. 8; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 361. 909 BGH v. 10.11.1986 – II ZR 140/85, ZIP 1987, 29 = JZ 1987, 781 m. Anm. Wiedemann; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 187; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 309.7. 910 BGH v. 10.11.1986 – II ZR 140/85, ZIP 1987, 29, 32 f. (dort auch zu der weiteren Frage, wie es sich verhält, wenn die GmbH den Schaden des Beteiligungsunternehmens bereits selbst ausgeglichen hat); Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 187; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 309.7.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 307 § 43

ße der Organhaftung unterfällt oder als speziell auf die Gesellschaft zugeschnittene Sanktion bei dieser zu verbleiben hat. Eine verbreitete und im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum bisher überwiegende Ansicht 306 spricht sich für die Ersatzfähigkeit aus911. Allerdings besteht innerhalb dieser Ansicht weithin Einigkeit, dass derjenige Teil der Geldbuße, der lediglich die aus der rechtswidrigen Tat erzielten Gewinne abschöpft, nicht ersatzfähig ist. Dies wird teils damit begründet, dass der Gesellschaft insoweit schon kein Schaden entstanden sei (Vorabsaldierung im Rahmen der Schadensberechnung), teils damit, dass der Organwalter den Einwand der Vorteilsausgleichung erheben könne912. Für ersatzfähig gehalten wird mit anderen Worten nur die über die Vorteilsabschöpfung hinausgehende Ahndungskomponente der Buße. Präzisierend wird vielfach hinzugefügt, dass es für die Vorteilsanrechnung nicht auf den im Bußgeldbescheid ggf. ausgewiesenen, geschätzten Abschöpfungsbetrag ankommt, sondern auf den tatsächlich erzielten Vorteil913. In der so definierten Beschränkung auf die Ahndungskomponente der Verbandsbuße liegt bereits eine erhebliche Einschränkung des Regresses, da die Gewinnabschöpfung oftmals den weit überwiegenden Teil der Verbandsbuße ausmacht914. Stark verbreitet ist inzwischen aber auch die in der vielbeachteten „Schienenkartell“-Ent- 307 scheidung des LAG Düsseldorf915 vertretene Gegenansicht, die auch den über die Gewinnabschöpfung hinausgehenden Ahndungsteil der Verbandsgeldbuße schon dem Grunde nach nicht für ersatzfähig hält, weil sonst der Sanktionszweck der Verbandsbuße unterlaufen würde. Zustimmung findet diese Position nicht nur in Teilen des gesellschaftsrechtlichen Schrift911 Bayer/Ph. Scholz, GmbHR 2015, 449, 450 ff.; Bayreuther, NZA 2015, 1239; Blaurock in FS Bornkamm, 2014, S. 107, 109 ff.; Drescher Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 366; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 263d ff.; Habersack in Karlsruher Forum 2009, S. 5, 32 f.; Hauff, Der Regress von Verbandsgeldbußen im Kapitalgesellschaftsrecht, 2019, S. 108 ff.; Hauger/Palzer, ZGR 2015, 33, 53 ff.; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 419; Kersting, ZIP 2016, 1266; Kersting in II. FIW-Jahrbuch 2018, 2019, S. 81; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 48; J. Koch in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 327, 333 ff.; Nietsch, ZHR 184 (2020), 60, 64 ff.; Stancke, BB 2020, 1667; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 309.4; M. Zimmermann, WM 2008, 433, 436 ff.; sympathisierend, aber ohne definitive Stellungnahme M. Arnold in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 2019, S. 29 Rz. 18 ff., 58. 912 Für Vorabsaldierung abgeschöpfter Vorteile S. Binder, Grenzen der Vorstandshaftung, 2016, S. 235 ff.; Fleischer, DB 2014, 345, 348; Hauff, Der Regress von Verbandsgeldbußen im Kapitalgesellschaftsrecht, 2019, S. 164 ff.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 528; für Vorteilsausgleichung Bayer/ Scholz, GmbHR 2015, 449, 450 f.; U. Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1221, 1228 f.; Ph. Scholz, Die existenzvernichtende Haftung von Vorstandsmitgliedern, 2014, S. 58 ff.; für Vorteilsausgleichung, bei der aber abw. von allgemeinen Grundsätzen der Organwalter nicht die Beweislast tragen soll, Kersting, ZIP 2016, 1266, 1272 ff.; Kersting in II. FIW-Jahrbuch 2018, 2019, S. 81, 95 ff. (zu Kartellbußen). Gänzlich abw. – auch Gewinnabschöpfungskomponente ersatzfähig – Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 184. 913 U. Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1221, 1229; Wilsing in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 31.35; M. Arnold in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 2019, S. 29 Rz. 64; näher Hauff, Der Regress von Verbandsgeldbußen im Kapitalgesellschaftsrecht, 2019, S. 177 ff.; s. auch den Diskussionsbeitrag von Anzinger auf der VGR-Tagung 2018, wiedergegeben bei Geiger in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2018, 2019, S. 77 Rz. 6. 914 So betrug z.B. die Geldbuße, die der Volkswagen AG im Rahmen der Dieselaffäre wegen Aufsichtspflichtverletzung (§§ 130, 9, 30 OWiG) auferlegt wurde, insgesamt € 1 Mrd., davon € 995 Mio. Gewinnabschöpfung und € 5 Mio. Ahndung; Pressemitteilung der StA Braunschweig v. 13.6.2018. Weitere prominente Beispiele bei Nietsch, ZHR 184 (2020), 60, 62. 915 LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, GmbHR 2015, 480. Die hiergegen eingelegte Revision zum BAG hat keine Klärung gebracht, da das BAG die Zulässigkeit des Kartellbußgeldregresses als kartellrechtliche Frage einstufte, für die nach § 87 GWB ausschließlich die ordentlichen Gerichte zuständig seien; BAG v. 29.6.2017 – 8 AZR 189/15, BAGE 159, 316 = ZIP 2017, 2424; dazu Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 462.

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§ 43 Rz. 307 | Haftung der Geschäftsführer tums916, sondern vor allem auch in der kartellrechtlichen917 und sanktionsrechtlichen Literatur918. 308 Schließlich werden diverse vermittelnde Lösungsansätze vertreten. So wird in Betracht ge-

zogen, den Regress in Fällen, in denen wegen derselben Tat sowohl die Gesellschaft als auch der Organwalter persönlich bebußt werden, den Regress auszuschließen, und ihn in den übrigen Fällen auf den Betrag zu beschränken, der bei einer direkten Bebußung des Organwalters angemessen wäre919. Andere sprechen sich dafür aus, dass bei unterschiedlichen Bußgeldrahmen für juristische und natürliche Personen (wie z.B. im Kartellrecht, § 81 Abs. 4 GWB) der für Letztere geltende Bußgeldrahmen die Obergrenze des Regresses bilden müsse920. Davon zu trennen sind die – hier abgelehnten – allgemeinen, nicht speziell auf den Bußgeldregress bezogenen Ansätze zur Abmilderung der Organhaftung in Anlehnung an die arbeitsrechtlichen Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs (Rz. 270 ff., auch noch Rz. 314). 309 Eine baldige Klärung der Streitfrage durch den Gesetzgeber ist nach aktuellem Stand nicht

zu erwarten. Zwar ist dem Gesetzgeber von verschiedenen Seiten empfohlen worden, die Frage im Rahmen der geplanten Reform des Verbandssanktionsrechts ausdrücklich zu regeln und damit Klarheit zu schaffen. Aus dem Kreise der (Strafrechts-)Wissenschaft ist dabei mehrfach empfohlen worden, nach dem Vorbild von § 11 des österreichischen Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes den Bußgeldregress gegen Organwalter und Mitarbeiter der bebußten Gesellschaft ganz auszuschließen921. Der Regierungsentwurf eines neuen Verbandssank916 Bachmann, BB 2015, 911; Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 463 ff.; Grunewald, NZG 2016, 1121, 1122 f.; Krause BB Beil. 2007, Nr. 7, 2, 13; Kuschnereit, Die aktienrechtliche Legalitätspflicht, 2019, S. 148 ff.; Labusga, VersR 2017, 394, 398 ff.; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, Rz. 225a; Verse in FS Krieger, 2020, S. 977; sympathisierend Goette in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 377, 381. 917 Speziell für Kartellbußen Ackermann, ZHR 179 (2015), 538, 560 f.; Ackermann, NZKart 2018, 1, 1 f.; Bunte, NJW 2018, 123, 125 f.; Dreher in FS Konzen, 2006, S. 85, 103 ff.; Dreher, VersR 2015, 781, 787 f.; Friedl/Titze, ZWeR 2015, 318, 325 ff.; Kling in FS Bergmann, 2018, S. 391, 399 f.; Lotze/Smolinski (Beklagtenvertreter in dem Verfahren des LAG Düsseldorf), NZKart 2015, 254, 255 ff.; Ost in FS D. Schroeder, 2018, S. 589 ff.; Thomas, NZG 2015, 1409, 1410 ff.; Thomas, VersR 2017, 596, 598 ff. 918 Früh bereits Brüggemann, GA 1968, 161, 175 f.; weitere Nachw. bei Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 460; aus der Reformdiskussion für ein neues Verbandssanktionenrecht Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes von Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1, 3, § 10; Münchener Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes von Saliger/Tsambikakis/Mückenberger/Huber, 2019, § 16 (dazu sogleich im Text). 919 Dies erwägend Krause, BB Beil. 2007, Nr. 7, 2, 13; R. Koch, VersR 2015, 655, 660; Seibt, NZG 2015, 1097, 1101 (aber im Erg. jeweils ohne dezidierte Stellungnahme). Für Begrenzung des Regresses auf den Betrag, der bei einer direkten Ahndung angemessen wäre, auch Fabisch, ZWeR 2013, 91, 110 f., allerdings mit der Abweichung, dass der so begrenzte Regress auch kumulativ zu einer persönlichen Ahndung des Organwalters zulässig sein soll. 920 Dreher in FS Konzen, 2006, S. 85, 105 (allerdings nur als argumentative Rückfallposition für den Fall, dass sich das von ihm präferierte Regressverbot nicht durchsetzen sollte); Thole, ZHR 173 (2009), 504, 533 f.; Heyers, WM 2016, 2016, 581, 585 ff.; zuletzt ausf. Ch. Weber, Organpflicht und Rechtsdurchsetzung (im Ersch.), § 19 A II 4 b (unter Anrechnung einer etwaigen Individualgeldbuße); hierzu neigend auch noch Fleischer, BB 2008, 1070, 1073 (ohne diese Einschränkung aber Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 263d ff.); hilfsweise auch LG Essen v. 19.12.2013 – 1 Ca 657/13, NZKart 2014, 193, 195 (Vorinstanz zu LAG Düsseldorf v. 20.1.2015 – 16 Sa 459/14, GmbHR 2015, 480). 921 Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes von Henssler/Hoven/Kubiciel/Weigend, NZWiSt 2018, 1, 3, § 10; Münchener Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes von Saliger/Tsambikakis/ Mückenberger/Huber, 2019, § 16. Für Regelung in dem Sinne, dass der Regress in angemessenem Umfang möglich sein soll, dagegen Grau/Dust, ZRP 2020, 134, 137.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 312 § 43

tionengesetzes (VerSanG)922 enthält jedoch keine Regelung zum Bußgeldregress und sieht auch in seiner Begründung von einer Stellungnahme in der einen oder anderen Richtung ab. bb) Stellungnahme Nach hier vertretener Ansicht sprechen jedenfalls in Bezug auf Verbandsgeldbußen nach 310 deutschem Recht (§ 30 OWiG) die weitaus besseren Gründe dafür, diese von der Organhaftung ganz auszunehmen923. Die Organhaftung nach § 43 Abs. 2 und den Parallelvorschriften in anderen Rechtsformen (§ 93 Abs. 2 AktG, § 34 Abs. 2 GenG etc.) bedarf insoweit einer teleologischen Reduktion, da die sanktionsrechtliche Regelung der Verbandsgeldbuße abschließend ist. Der abschließende Charakter ergibt sich vor allem daraus, dass die Verbandsgeldbuße zwingend eine rechtswidrige und schuldhafte Anknüpfungstat einer Leitungsperson voraussetzt, der Gesetzgeber mithin bei Einführung der Verbandsgeldbuße gerade solche Fälle vor Augen hatte, in denen die Leitungsperson zugleich im Innenverhältnis eine schuldhafte Legalitätspflichtverletzung begeht. Wenn das Gesetz eingedenk dieses Umstands neben der persönlichen Bebußung der Leitungsperson auch eine Verbandsbuße vorsieht, kann es nicht seinem Sinn und Zweck entsprechen, die Verbandsbuße allein wegen der Legalitätspflichtverletzung doch wieder auf die Leitungsperson umzulenken. Dass der Verbandsbußgeldregress nicht der Intention des Gesetzes entspricht, tritt besonders 311 deutlich in Fällen zutage, in denen wegen ein und derselben Anknüpfungstat sowohl eine Individualbuße gegen den Geschäftsführer als auch eine Verbandsbuße gegen die Gesellschaft verhängt werden. Eine Belastung des Organwalters mit zwei Bußen, eine unmittelbar und eine auf dem Umweg der Organhaftung, entspricht ersichtlich nicht dem Zweck der Verbandsgeldbuße. Sie wäre auch aus verfassungsrechtlichen Gründen bedenklich, da sie zwar nicht formal, aber im praktischen Ergebnis auf eine unzulässige Doppelbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG) und einen Verstoß gegen das Gebot schuldangemessenen Strafens hinausliefe. Aber auch in den Fällen, in denen allein eine Verbandsgeldbuße und keine Individualbuße 312 verhängt wird (isolierte Verbandsgeldbuße), sieht sich eine Abwälzung der Verbandsbuße auf den Organwalter durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. Auch in diesem Fall verhält es sich so, dass die Verbandsbuße gerade die Gesellschaft treffen soll und daher allein nach ihren Verhältnissen und nicht denen des Organwalters bemessen ist. Nicht einzusehen ist zudem, warum die Gesellschaft in diesem Fall besser stehen sollte als in dem Fall einer kumulativen Verhängung von Individual- und Verbandsbuße, in dem ein Regress wie dargelegt schon dem Grunde nach ausscheiden muss. Der Regressausschluss provoziert auch keine Präventionslücke, da dem Geschäftsführer aus ex-ante Sicht eine individuelle Bebußung droht, er für alle weiteren Schäden der Gesellschaft jenseits der Verbandsbuße haftet und je nach Gewicht der Pflichtverletzung auch noch mit der fristlosen Kündigung seines Anstellungsvertrags rechnen muss. Schließlich ist auch der häufig angeführte Einwand, dass die Rechtsprechung in anderen Fällen, namentlich Fällen der Beraterhaftung924, den Bußgeldregress zugelassen hat925, nicht überzeugend. Abgesehen davon, dass diese Rechtsprechung

922 Art. 1 des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft v. 16.6.2020. 923 Ausführlicher zum Folgenden Verse in FS Krieger, 2020, S. 977; ferner aus der Fülle des Schrifttums insbes. Baur/Holle, ZIP 2018, 459, 463 ff. 924 S. insbes. BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 215/95, MDR 1997, 295; BGH v. 15.4.2010 – IX ZR 189/09, MDR 2010, 925. 925 Auf die Berater-Rechtsprechung Bezug nehmend – stellvertretend für viele Regressbefürworter – etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 263b, 263d; Kersting in II. FIW-Jahrbuch 2018, 2019, S. 81, 83, 85 f.; eingehend Hauff, Der Regress von Verbandsgeldbußen im Kapitalgesellschaftsrecht, 2019, S. 116 ff.

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§ 43 Rz. 312 | Haftung der Geschäftsführer nicht über jeden Zweifel erhaben ist926, besteht der wesentliche Unterschied zur vorliegenden Konstellation darin, dass die Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG zwingend die Anknüpfungstat einer für den Verband handelnden Leitungsperson voraussetzt. Der Gesetzgeber hatte folglich klar vor Augen, dass denknotwendig mindestens zwei Rechtsträger (eine Leitungsperson und die Gesellschaft) als Sanktionsadressaten in Betracht kommen. Wenn er in dieser Situation anordnet, dass beide Parteien bebußt werden können, und zwar jede nach auf sie individuell abgestimmten Bemessungsfaktoren, handelt es sich dabei um eine Sanktionsregelung, die speziell auf diesen besonderen Fall der Verantwortlichkeit Mehrerer zugeschnitten ist und daher nicht durch den Rekurs auf die allgemeine Organhaftung unterlaufen werden darf. Im Unterschied dazu fehlt es in den Beraterfällen an einer sanktionsrechtlichen Regelung, die in vergleichbarer Weise spezifisch auf das Verhältnis von Berater und Beratenem zugeschnitten ist und aus der sich ähnlich eindeutige Rückschlüsse für die Regressfrage ziehen lassen. 313 Schwerer fällt die Stellungnahme bei Verbandsgeldbußen nach europäischem Kartellrecht,

da die Kartellverfahrensverordnung (Art. 23 VO [EG] 1/2003) allein eine Bebußung von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, aber keine Individualbußen für die verantwortlichen Organwalter vorsieht. Hier ließe sich daher tendenziell eher vertreten, dass die sanktionsrechtliche Regelung noch Raum dafür lässt, die Ahndungskomponente der Buße ganz oder teilweise auf die Organwalter abzuwälzen. Die besseren Argumente dürften gleichwohl auch in dieser Fallgruppe gegen den Bußgeldregress sprechen, da es sich auch hier um eine auf das Unternehmen zugeschnittene Buße handelt und der Regressausschluss aus den genannten Gründen keine Präventionslücke provoziert. d) Reduzierung des ersatzfähigen Schadens aufgrund der Fürsorgepflicht der Gesellschaft? 314 Auch wenn man wie hier Verbandsgeldbußen von der Organhaftung ausnimmt, kann die Or-

ganhaftung selbst bei nur kleineren Versäumnissen der Geschäftsführer aufgrund der „schadensmultiplizierenden Wirkung des Unternehmenskontexts“927 leicht Ausmaße annehmen, die zu den Bezügen auch gut bezahlter Geschäftsleiter völlig außer Verhältnis stehen. Der Vorschlag, diese Schärfe der Organhaftung durch eine Übertragung der arbeitsrechtlichen Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs abzumildern, hat sich bisher nicht durchsetzen können (Rz. 270 ff.). Nicht ganz so weit geht der im Schrifttum verschiedentlich vertretene Ansatz, die Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber ihren Geschäftsleitern für eine Einschränkung der Haftung fruchtbar zu machen928. Danach soll die Haftung der Geschäftsleiter bei leichter Fahrlässigkeit zwar nicht wie im Bereich der Arbeitnehmerhaftung ganz entfallen, aber bei leichter und mittlerer Fahrlässigkeit immerhin der Höhe nach auf einen angemessenen Betrag beschränkt sein929; denn es widerspreche der Fürsorgepflicht 926 Vgl. Grunewald, NZG 2016, 1121, 1123; zurückhaltend auch schon Ebke/Mößle, JZ 1997, 1179, 1180 f. 927 Begriff nach J. Koch, AG 2012, 429, 431. 928 So – für AG und GmbH gleichermaßen – vor allem J. Koch in Liber amicorum Winter, 2011, S. 327, 338 ff. (im Anschluss an Bayer in FS K. Schmidt, 2009, S. 85, 97); J. Koch, AG 2012, 429, 435 ff.; J. Koch, AG 2014, 513; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 51a ff.; ferner Bayer, GmbHR 2014, 897, 906 f.; zur AG Casper, ZHR 176 (2012), 617, 636 ff.; Brommer, Die Beschränkung der Rechtsfolgen der Vorstandsinnenhaftung, 2016, S. 260 ff.; aufgeschlossen auch Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 398 ff.; speziell für den (nach hier vertretener Ansicht aber schon dem Grunde nach ausgeschlossenen) Regress von Verbandsgeldbußen Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 194 m.w.N. 929 Zu den einzelnen Bemessungsfaktoren (Grad der Fahrlässigkeit, Höhe der Bezüge, Schadensneigung des Unternehmens, Umfang der Schadensmultiplikation durch Unternehmenskontext) J. Koch, AG 2012, 429, 437 ff.; Casper, ZHR 176 (2012), 617, 640 ff.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 317 § 43

der Gesellschaft, wenn diese einerseits den vollen wirtschaftlichen Nutzen der Tätigkeit der Geschäftsleiter für sich vereinnahme, andererseits aber bereits bei nicht schwerwiegenden Pflichtverletzungen die Geschäftsleiter mit Schadensersatzforderungen konfrontiere, die zu ihren Bezügen völlig außer Verhältnis stehen. Auch dieser Ansatz stützt sich letztlich auf einen, wenngleich eingeschränkten, Wertungstransfer der arbeitsrechtlichen Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs930, für den sich in der Sache gute Gründe finden lassen (s. schon Rz. 271). Indes läuft auch diese Betonung der Fürsorgepflicht trotz der unterschiedlichen terminologischen Einkleidung im Ergebnis auf eine Rechtsfortbildung der Organhaftungstatbestände hinaus, deren methodische Voraussetzungen aus den genannten Gründen (Rz. 272) zu bezweifeln sind. Die (wohl) weiterhin überwiegende Ansicht folgt diesem Ansatz daher ebenso wenig wie demjenigen einer entsprechenden Anwendung des innerbetrieblichen Schadensausgleichs931.

5. Kausalität und Zurechnungszusammenhang Schließlich muss zwischen der Pflichtverletzung des Geschäftsführers und dem Schaden der 315 Gesellschaft auch ein Kausal- und Zurechnungszusammenhang gegeben sein. a) Äquivalente und adäquate Kausalität Für die Kausalität gelten die allgemeinen Grundsätze932. Im Ausgangspunkt kommt es so- 316 mit darauf an, ob das pflichtwidrige Verhalten des Geschäftsführers nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Schaden entfiele („äquivalente“ Kausalität)933. Wie im allgemeinen Schadensrecht werden aufgrund einer wertenden Betrachtung höchst ungewöhnliche, selbst für einen optimalen Betrachter unvorhersehbare Kausalverläufe außer Betracht gelassen („adäquate“ Kausalität)934. Beruht die Pflichtverletzung auf einer Kollegialentscheidung, namentlich einem gemeinsa- 317 men Beschluss der Geschäftsführer, können sich diejenigen Geschäftsführer, die der pflichtwidrigen Maßnahme zugestimmt haben, nicht darauf berufen, dass der Beschluss auch ohne ihre Stimme zustande gekommen wäre935. Die Äquivalenztheorie zur Bestimmung der Kausalität bedarf insoweit einer wertenden Ergänzung, da sich die Geschäftsführer sonst bei soliden Beschlussmehrheiten immer wechselseitig durch Hinweis auf das Abstimmungsverhalten der Mitgeschäftsführer ihrer Verantwortung entziehen könnten. Auch eine Stimmenthaltung wirkt bei einem pflichtwidrigen Beschluss nicht entlastend936. Ein Geschäftsführer, der gegen den pflichtwidrigen Beschluss gestimmt hat, hat dagegen im Rahmen der Abstimmung korrekt gehandelt. Allerdings kann sich auch der dissentierende Geschäftsführer nicht 930 Deutlich J. Koch in Liber amicorum Winter, 2011, S. 327, 339 ff.; J. Koch, AG 2012, 429, 435 ff. 931 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 43; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 64; zur AG etwa Habersack, ZHR 177 (2013), 782, 802 f.; Paefgen, AG 2014, 554, 568 f.; Fehrenbach, AG 2015, 761, 768 ff.; S. Binder, Grenzen der Vorstandshaftung, 2016, S. 312 ff.; jeweils m.w.N. 932 Statt aller Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 265; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 301. 933 S. nur Grüneberg in Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 25, 34 (dort auch zum Sonderfall der sog. Doppelkausalität). 934 Näher dazu Grüneberg in Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 26 ff.; Looschelders, Schuldrecht Allg. Teil, 18. Aufl. 2020, § 45 Rz. 13 ff. 935 Im Ergebnis allg. M., näher Fleischer, BB 2004, 2645, 2646 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 267 f.; ferner Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 414; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 196; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 302. 936 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 269; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 414; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 196; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 302.

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§ 43 Rz. 317 | Haftung der Geschäftsführer allein darauf zurückziehen, dass er überstimmt wurde. Er ist vielmehr grundsätzlich verpflichtet, bei seinen Amtskollegen nachdrücklich Gegenvorstellungen anzubringen und – falls diese sich uneinsichtig zeigen – die Gesellschafter oder ein etwaiges Kontrollorgan (Aufsichtsrat, Beirat) zu informieren (näher Rz. 136 ff.). b) Zurechnungszusammenhang 318 Neben der Kausalität gelten auch für die Zurechenbarkeit des Schadens die aus dem allge-

meinen Schadensrecht bekannten Grundsätze937. Der Schaden muss sich mithin innerhalb des Schutzzwecks der Norm bewegen. Im Rahmen der Organhaftung ist – insbesondere bei Kompetenzverstößen – namentlich der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens von Bedeutung (Rz. 319 ff.). Zudem stellt sich häufig die Frage, ob der Geschäftsführer auch für Schadenspositionen aufkommen muss, die auf Handlungen der Gesellschaft in Reaktion auf das schädigende Ereignis beruhen (z.B. Kosten einer internen Untersuchung der Pflichtverletzung, Rz. 322 f.). aa) Rechtmäßiges Alternativverhalten 319 Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens ist entsprechend den allgemeinen Grund-

sätzen auch im Rahmen der Organhaftung prinzipiell beachtlich938, da Schäden, die auch bei pflichtgemäßem Verhalten entstanden wären, grundsätzlich nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst werden. Grundvoraussetzung des Einwands ist der vom Geschäftsführer zu führende Nachweis (Rz. 334), dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten sicher eingetreten wäre; die bloße Möglichkeit oder Wahrscheinlichkeit, dass er auch dann entstanden wäre, genügt nicht939. 320 Im Einzelfall zu prüfen ist jeweils, ob sich aus dem Schutzzweck der verletzten Norm ergibt,

dass die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten ausnahmsweise ausgeschlossen ist. Im Schrifttum ist früher verbreitet angenommen worden, dass eine solche Ausnahme bei der Verletzung von Verfahrens- und Kompetenzvorschriften (z.B. Zustimmungsvorbehalten des Aufsichtsrats oder der Gesellschafterversammlung) angezeigt sei, da eine weitgehende Aushöhlung dieser Vorschriften drohe, wenn man den Einwand zulasse, dass der Schaden auch bei Einhaltung des korrekten Verfahrens entstanden wäre940. Dem ist der BGH jedoch mit Recht nicht gefolgt941. Die befürchtete Aushöhlung der Kompetenz- und Verfahrensvor-

937 Allg. dazu Grüneberg in Palandt, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 30 ff. 938 Statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 266; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 93; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 304; Beispiele aus der Rechtsprechung: BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 = ZIP 2002, 2314; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 32 f.; BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = AG 2018, 841 Rz. 39 ff. (zu Kompetenzverstößen, dazu sogleich im Text). 939 BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = AG 2018, 841 Rz. 39, 45 m.w.N. aus der Rechtsprechung; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 304. 940 S. etwa Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 416; im Erg. auch Mertens/ Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 54 f.; daran auch weiterhin festhaltend (entgegen der zwischenzeitlich ergangenen BGH-Rechtsprechung) Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 196; stark einschränkend auch Krieger in FS Seibert, 2019, S. 511, 513 ff., 520; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 53; Kleindiek in FS Krieger, 2020, S. 489, 499 ff. 941 BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = AG 2018, 841 Rz. 40 ff. (zur Verletzung eines Zustimmungsvorbehalts des Aufsichtsrats durch den Vorstand einer AG) m. zust. Bespr. Fleischer, DB 2018, 2619, 2623; M. Goette, ZGR 2019, 324, 330 ff.; Grobecker/Wagner, ZIP 2019, 694, 696; s. auch schon BGH v. 11.12.2006 – II ZR 166/05, ZIP 2007, 268 Rz. 12; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 32 f.; ebenso die heute h.L., Altmeppen in Roth/Alt-

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 322 § 43

schriften droht bei Licht besehen nicht, da der Geschäftsführer die – häufig schwer zu erfüllende – Beweislast dafür trägt, dass der Schaden auch bei Einhaltung des korrekten Verfahrens entstanden wäre, und er jedenfalls bei gravierenden, vorsätzlichen Kompetenzüberschreitungen auch noch mit anderen Sanktionen rechnen muss (Abberufung, Kündigung seines Anstellungsvertrags). Hat der Geschäftsführer einen Zustimmungsvorbehalt verletzt, ist folglich zu ermitteln, wie 321 das übergangene Organ (Aufsichtsrat, Gesellschafterversammlung, u.U. auch Mitgeschäftsführer) abgestimmt hätte, wenn es mit der Sache befasst worden wäre942. Eine Beweiserhebung hierüber ist allerdings in zwei (Sonder-)Fällen aus Wertungsgründen entbehrlich: (1) Verhält es sich ausnahmsweise so, dass das übergangene Organ zur Zustimmung verpflichtet gewesen wäre, ist zugunsten des Geschäftsführers zu unterstellen, dass die Zustimmung erteilt worden wäre943. (2) Falls umgekehrt die Erteilung der Zustimmung pflichtwidrig gewesen wäre, ist die Ablehnung zu unterstellen und damit der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens selbst dann ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer nachweisen kann, dass das übergangene Organ die Zustimmung pflichtwidrig erteilt hätte944. In diesen beiden Fällen kommt es mit anderen Worten auf das hypothetische Verhalten eines pflichtgemäß handelnden Organs an, nicht auf das hypothetische Verhalten des konkreten Organs. Sofern dagegen bei einer unternehmerischen Entscheidung sowohl die Zustimmung als auch die Ablehnung durch das übergangene Organ pflichtgemäß gewesen wären, bleibt es dabei, dass es allein auf das hypothetische Abstimmungsverhalten des konkreten Organs ankommt945. bb) Selbstschädigendes Verhalten (Herausforderungsfälle) Ebenfalls nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist die Frage, ob 322 Schadenspositionen, deren Entstehung durch einen eigenen Willensentschluss der geschädigten Gesellschaft vermittelt wird, dem schädigenden Geschäftsführer zuzurechnen sind. Derartige Schäden sind dem Geschäftsführer zuzurechnen, sofern die selbstschädigende Handlung der Gesellschaft durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert oder wesentlich mitbestimmt worden ist und eine nicht ungewöhnliche Reaktion darauf darstellt („Herausforderungsfall“)946.

942 943 944 945

946

meppen, Rz. 104 f.; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 57; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 266; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 305; ferner Grunewald in 2. FS Hopt, 2020, S. 325; Habersack in FS E. Vetter, 2019, S. 183 (jeweils mit dem zutr. Hinweis, dass über die vom BGH getroffene Aussage hinaus konsequenterweise nicht nur die hypothetische Zustimmung des Aufsichtsrats, sondern auch diejenige der Haupt-/Gesellschafterversammlung beachtlich sein muss). Mit abw. dogmatischem Ansatz Holle/Mörsdorf, NJW 2018, 3555, 3556 f. (fehlende Kausalität); dagegen jedoch Krieger in FS Seibert, 2019, S. 511, 514; Verse/Berz, StudZR 2020, 151, 156 f. Näher dazu und zu den erheblichen Beweisschwierigkeiten, mit denen sich der Geschäftsleiter dabei konfrontiert sieht, M. Goette, ZGR 2019, 324, 334 ff.; Krieger in FS Seibert, 2019, S. 511, 518 ff. BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = AG 2018, 841 Rz. 51. BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = AG 2018, 841 Rz. 52; vgl. auch schon OLG Oldenburg v. 22.6.2006 – 1 U 34/03, NZG 2007, 434, 438 = GmbHR 2006, 1263 (im Rahmen der Kausaliät). Geißler, GmbHR 2020, 293 Rz. 22; M. Goette, ZGR 2019, 324, 335 f.; Krieger in FS Seibert, 2019, S. 511, 520; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 305; weitergehend wohl Fleischer, DStR 2009, 1204, 1209; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 266 a.E. (maßgeblich sei generell das hypothetische Stimmverhalten eines „verantwortungsvoll handelnden“ Organs); sympathisierend Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 50. BGH v. 8.7.2014 – II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = AG 2014, 751 Rz. 18; BGH v. 2.7.2013 – II ZR 175/95, ZIP 2013, 1577 Rz. 12; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 265; allg. Oetker in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 249 BGB Rz. 170 ff.

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§ 43 Rz. 323 | Haftung der Geschäftsführer 323 Bei Compliance-Verstößen gehören hierzu insbesondere die Kosten, die der Gesellschaft für

die interne Aufklärung des Vorfalls entstanden sind947, freilich nur in dem Umfang, den die Gesellschaft zur Wahrung ihrer Rechte oder zur Abwendung möglicher weiterer Schäden für erforderlich halten durfte. Ebenfalls „herausgefordert“ sind die Rechtsverteidigungskosten, welche die Gesellschaft zur Wahrnehmung ihrer Rechte (z.B. zur Verteidigung in einem Bußgeldverfahren oder zur Abwehr von Haftungsklagen Dritter) als erforderlich und zweckmäßig ansehen durfte948. Ist die Hinzuziehung spezialisierter Rechtsanwälte erforderlich, wird es nicht selten auch notwendig sein, ihre Dienste zu höheren Sätzen als nach dem RVG zu vergüten. Nach zutreffender Ansicht kann dann auch das höhere Honorar – soweit marktüblich – dem Schädiger in Rechnung gestellt werden949. Auch die Zahlungspflichten aus einem Vergleich mit Dritten, die wegen der begangenen Rechtsverletzung Ansprüche gegen die Gesellschaft erhoben haben, können nach Maßgabe dieser Grundsätze dem Schädiger zugerechnet werden, sofern der Vergleich keine unvertretbare Reaktion der Gesellschaft darstellt950.

6. Einwand des Mitverschuldens a) Mitverschulden von Mitgeschäftsführern und Mitarbeitern 324 Der Geschäftsführer kann seiner Haftung nicht gemäß § 254 Abs. 1, § 31 BGB anspruchs-

mindernd entgegenhalten, dass der Schadenseintritt auch auf dem Mitverschulden eines Mitgeschäftsführers beruht951. Eine Anspruchskürzung muss schon deshalb ausscheiden, weil sie sich nicht mit dem Umstand verträgt, dass die Geschäftsführer gesamtschuldnerisch („solidarisch“, Rz. 345) haften; im Ergebnis liefe sie auf eine Teilschuld der Geschäftsführer hinaus952. Ebenso wenig kann sich der Geschäftsführer auf das Mitverschulden eines Arbeitnehmers der Gesellschaft (§ 254 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, § 278 BGB) berufen953. Auch hier besteht, sofern der Arbeitnehmer nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensaus947 Fleischer, NZG 2014, 321, 327; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 265; ausführlich Lüneborg/Resch, NZG 2018, 209, 212 ff. 948 LG München I v. v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570, 576 – Siemens/Neubürger; allg. zur Ersatzfähigkeit von Anwaltskosten Oetker in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 249 BGB Rz. 180 ff. m. zahlreichen Nachw. aus der Rechtsprechung, etwa BGH v. 8.11.1994 – VI ZR 3/94, BGHZ 127, 348, 350 = MDR 1995, 150; BGH v. 5.12.2017 – VI ZR 24/17, MDR 2018, 207 Rz. 6. 949 OLG München v. 21.7.2010 – 7 U 1879/10, AG 2011, 204; Fleischer, NZG 2014, 321, 327; Lüneborg/Resch, NZG 2018, 209, 216 f.; für Begrenzung auf das gesetzliche Honorar hingegen BGH v. 23.1.2014 – III ZR 37/13, BGHZ 200, 20 = MDR 2014, 341 Rz. 48 f. (allerdings ohne Erörterung der Frage, ob besondere Umstände – wie das Erfordernis, besonders spezialisierte Rechtsanwälte einzuschalten – eine andere Beurteilung rechtfertigen können). 950 Dass ein vom Geschädigten abgeschlossener Vergleich den Zurechnungszusammenhang regelmäßig nicht unterbricht, entspricht ständiger Rechtsprechung; BGH v. 31.5.2011 – II ZR 141/09, BGHZ 190, 7 = AG 2011, 548 Rz. 51; BGH v. 2.4.1998 – IX ZR 107-97, NJW 1998, 2048, 2050 = MDR 1998, 930 m.w.N.; s. auch Fleischer, DB 2014, 345, 351 f. zu Verständigungen im Bußgeldverfahren (Verbandsgeldbußen – jedenfalls solche nach deutschem Recht – sind allerdings nach hier vertretener Ansicht nicht erstattungsfähig, Rz. 304 ff.). 951 Allg. M., BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824, 825; BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, GmbHR 2008, 144 Rz. 3; BGH v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166 Rz. 22; Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 842; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 70; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 44; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 173; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 312. 952 Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 842. 953 OLG Köln v. 11.7.2000 – 15 U 181/99 (juris), Rz. 51 f.; Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 842; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 64; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 44; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 312.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 327 § 43

gleichs überhaupt haftet, eine gesamtschuldnerische Haftung (Rz. 346). Anders verhält es sich dagegen, soweit es um Vorgänge geht, die sich erst ereignet haben, nachdem der haftende Geschäftsführer aus seinem Amt ausgeschieden ist. So kann sich der ausgeschiedene Geschäftsführer darauf berufen, dass nach seinem Ausscheiden die Geschäftsführer oder sonstige Angestellte der Gesellschaft deren Obliegenheit zur Schadensabwendung oder -minderung verletzt haben (§ 254 Abs. 2 i.V.m. § 31 bzw. § 278 BGB)954. b) Mitverschulden der Gesellschafterversammlung/-gesamtheit Nicht abschließend geklärt ist, ob der Geschäftsführer u.U. ein Mitverschulden der Gesell- 325 schafterversammlung (nach §§ 254, 31 BGB) in Anrechnung bringen kann. Der BGH hat zwar allgemein ausgesprochen, dass kein Gesellschaftsorgan der Gesellschaft gegenüber einwenden könne, seine Ersatzpflicht sei gemindert, weil ein anderes Gesellschaftsorgan für den Schaden mitverantwortlich sei955; diese Aussage bezog sich auch auf die mögliche Mitverantwortung der Gesellschafterversammlung956. Im Schrifttum wird aber – mit Unterschieden im Einzelnen – vielfach angenommen, dass in bestimmten (Ausnahme-) Fällen der Mitverschuldenseinwand doch statthaft sein müsse. Weithin Übereinstimmung besteht allerdings darin, dass der Geschäftsführer sich nicht da- 326 rauf berufen kann, dass die Gesellschafterversammlung ihn unzureichend überwacht habe957. Nach der Organisationsverfassung der GmbH trifft die Gesellschafter keine Pflicht, die Geschäftsführung zu überwachen. Dazu stünde es in Widerspruch, wenn man die unterbliebene Überwachung anspruchsmindernd berücksichtigen und damit indirekt doch eine Überwachung erzwingen würde958. Ebenso wenig kann der Geschäftsführer nach h.M. einwenden, dass er wegen erkennbar mangelnder Eignung von der Gesellschafterversammlung nicht sorgfältig ausgewählt worden sei959. In der Tat wird in einem solchen Fall zumindest in aller Regel das Übernahmeverschulden des Geschäftsführers so überwiegen, dass schon deshalb für eine Anspruchskürzung kein Raum ist. Neben dem Geschäftsführer können nach § 6 Abs. 5 auch die Gesellschafter selbst in die Haftung geraten, wenn sie grob fahrlässig oder vorsätzlich einen kraft Gesetzes inhabilen Geschäftsführer bestellen und die Gesellschaft durch diesen geschädigt wird. Im Schrifttum überwiegend für möglich gehalten wird dagegen der Mitverschuldensein- 327 wand, wenn die Gesellschafterversammlung einen erkennbar ungeeigneten Mitgeschäftsführer bestellt hat, der einen Schaden verursacht, für den ein anderer Geschäftsführer kraft

954 BGH v. 5.7.1993 – II ZR 174/92, zitiert bei Goette, DStR 1993, 1637, 1638; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 83; prinzipiell auch Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 843, allerdings mit der Einschränkung, dass die Anspruchskürzung regelmäßig ausscheide, wenn die Möglichkeit, die schadensmindernden Maßnahmen einzuleiten, auch schon vor dem Ausscheiden bestand. 955 BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824, 825; BGH v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166 Rz. 22. 956 BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824 f. 957 BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824 f.; BGH v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166 Rz. 22; Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 848; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 65; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 70; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 43; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 314; einschr. – Ausnahmen denkbar – Lindacher, JuS 1984, 672, 675. 958 Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 848. 959 BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824, 825; BGH v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166 Rz. 22; Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 848; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 70; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 175; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 314; einschr. – Ausnahmen denkbar – Lindacher, JuS 1984, 672, 675; a.A. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 45.

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§ 43 Rz. 327 | Haftung der Geschäftsführer Verletzung seiner Überwachungspflicht einstehen muss960. Allerdings wird auch hier der Einwand allenfalls in Ausnahmefällen durchgreifen können, in denen die Ungeeignetheit des Mitgeschäftsführers bei Bestellung des Mitgeschäftsführers für die Gesellschafter offenkundig war961. Prinzipiell denkbar ist der Mitverschuldenseinwand ferner bei der Erteilung von Weisungen durch die Gesellschafterversammlung962. Die Frage stellt sich freilich nur, wenn die Weisung an Mängeln leidet und deshalb keine Befolgungspflicht des Geschäftsführers auslöst, da sonst die Haftung ohnehin entfällt (Rz. 260). Darüber hinaus ist selbst in Fällen, in denen die Weisung (z.B. analog § 241 Nr. 3 AktG) unwirksam ist, anerkannt, dass die Haftung aufgrund des Einwands der unzulässigen Rechtsausübung (venire contra factum proprium) entfallen kann, namentlich dann, wenn sämtliche Gesellschafter den zur Nichtigkeit führenden Verstoß kannten oder billigend in Kauf genommen haben (Rz. 262). Vor diesem Hintergrund leuchtet ein, dass in weniger krassen Fällen die Erteilung einer unwirksamen Weisung auch zur Folge haben kann, dass die Haftung nur teilweise entfällt, da § 254 BGB nur eine besondere Ausprägung des Verbots des venire contra factum proprium darstellt963. In Betracht zu ziehen ist der Mitverschuldenseinwand etwa, wenn die Rechtswidrigkeit der Weisung den Gesellschaftern zwar nicht positiv bekannt war, für sie aber ebenso erkennbar war wie für den Geschäftsführer, oder wenn eine unzweckmäßige, verlustbringende Weisung für alle Beteiligten erkennbar unzureichend vorbereitet war964. Weiterer Diskussion bedarf allerdings noch, ob die Anspruchskürzung in derartigen Fällen nur ein Mitverschulden der den Beschluss tragenden Gesellschaftermehrheit oder (aus Gründen des Minderheitenschutzes) ein Mitverschulden sämtlicher Gesellschafter voraussetzt965. Bei Licht besehen ginge es letzterenfalls dann gar nicht um eine Zurechnung des Mitverschuldens des Organs Gesellschafterversammlung, sondern um einen Fall, in dem aufgrund wirtschaftlicher Identität das Handeln der Gesellschaftergesamtheit demjenigen der Gesellschaft gleichgestellt wird. 328 Die vorstehend skizzierten Grundsätze beziehen sich auf die Haftung nach § 43 Abs. 2. Im

Rahmen des Sondertatbestands nach § 43 Abs. 3 ist dagegen zusätzlich zu beachten, dass Abs. 3 Satz 3 eine haftungsausschließende Wirkung von Gesellschafterweisungen kategorisch 960 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 116; Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 850; Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 46 Rz. 25; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 43; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 83; Wicke, Rz. 10; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, 21. Aufl., Rz. 45; a.A. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 69; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 314. 961 Vgl. Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 850 („krasse Ausnahmefälle“); zurückhaltend auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260 („in besonders gelagerten Fällen“). 962 Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 848 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 174; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 45; a.A. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 68; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 313. 963 St. Rspr., BGH v. 17.11.2009 – VI ZR 58/08, NJW 2010, 927 Rz. 16 m.w.N.; Grüneberg in Palandt, § 254 BGB Rz. 1. 964 Zu Letzterem Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 850 (dort 848 ff. auch Erörterung möglicher weiterer Fallgruppen); vgl. auch den Fall bei Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 45 und Wicke, Rz. 10 (Gesellschafterversammlung weist ein verlustbringendes Geschäft an, Geschäftsführer hätte den Verlust vermeiden können, falls er die Sache nochmals vor die Gesellschafterversammlung gebracht hätte). Zur Pflicht des Geschäftsführers, Bedenken gegen unzureichend vorbereitete Gesellschafterbeschlüsse geltend zu machen, s. Rz. 261. 965 Für Ersteres Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 847. Hinsichtlich der vergleichbaren Frage im Rahmen des Einwands unzulässiger Rechtsausübung stellt die h.M. aber auf sämtliche Gesellschafter ab; dazu Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 792 f., 794 f. m.w.N. Nur bei Mitverschulden sämtlicher Gesellschafter trifft auch das Argument von Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 844 zu, dass bei wirtschaftlicher Betrachtung ein Mitverschulden der Geschädigten vorliegt; denn geschädigt sind bei einem Schaden der GmbH sämtliche Gesellschafter.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 331 § 43

ausschließt, soweit die Haftung zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist. Konsequent muss in einem solchen Fall auch der Mitverschuldenseinwand ausgeschlossen sein (Rz. 390). c) Mitverschulden anderer Organe Einigkeit besteht, dass sich die Geschäftsführer in einer GmbH mit einem (nicht weisungs- 329 befugten) Aufsichtsrat nicht auf dessen Mitverschulden, etwa unzureichende Überwachung, berufen können966. Die Geschäftsführer haften vielmehr gesamtschuldnerisch neben den Aufsichtsratsmitgliedern (Rz. 346). Gleiches ist für andere nicht weisungsbefugte Organe, z.B. einen Beirat, anerkannt967. Dagegen soll nach verbreiteter Ansicht – wie bei Weisungen der Gesellschafterversammlung (Rz. 327) – eine Mitverschuldensanrechnung nach §§ 254, 31 BGB in Betracht kommen, sofern der Aufsichts- oder Beirat gegenüber den Geschäftsführern weisungsbefugt ist und durch eine Weisung zu dem Schaden beigetragen hat968. Näher dürfte indes auch in diesem Fall die Annahme liegen, dass die Geschäftsführer neben den Aufsichts- oder Beiratsmitgliedern gesamtschuldnerisch haften. Dass allein das durch die Weisungsbefugnis begründete Hierarchieverhältnis die Anwendung des § 254 BGB nicht zu begründen vermag, zeigt der Umstand, dass anerkanntermaßen auch die Arbeitnehmer neben den Geschäftsleitern gesamtschuldnerisch haften (Rz. 346).

7. Darlegungs- und Beweislast a) Grundsätze Nach ständiger Rechtsprechung und h.L trägt die Gesellschaft die Darlegungs- und Beweis- 330 last lediglich hinsichtlich der folgenden Tatsachen: (1) ein Verhalten – aktives Tun oder Unterlassen – des Geschäftsführers in seinem Pflichtenkreis, das sich als „möglicherweise“ pflichtwidrig darstellt (Rz. 341 ff.), (2) Eintritt und Höhe des entstandenen Schadens sowie (3) Kausalität zwischen dem Verhalten des Geschäftsführers und dem Schaden969. Für das Beweismaß gelten hinsichtlich des Schadens nicht die strengen Voraussetzungen des 331 § 286 ZPO, sondern diejenigen des § 287 ZPO, der auch die Substantiierungslast der Gesellschaft erleichtert. Danach genügt es, dass sie Tatsachen vorträgt und unter Beweis stellt, die für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO hinreichende Anhaltspunkte bieten970. Unter 966 BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824, 825; BGH v. 20.11.2014 – III ZR 509/13, ZIP 2015, 166 Rz. 22; Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 850; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 173; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 312. 967 Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 850; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 173; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 312. 968 Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 850 f.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 70; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 174; a.A. diejenigen, die auch bei Weisungen der Gesellschafterversammlung den Mitverschuldenseinwand generell ausschließen: Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 68; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 313. 969 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 = GmbHR 2003, 113; BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, GmbHR 2008, 488 Rz. 8; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = GmbHR 2013, 1044 Rz. 22; ebenso die heute h.L., statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 271; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52; grundlegend W. Goette, ZGR 1995, 648 (auch zur Entwicklung der älteren Rechtsprechung); umfassende, auch historisch-rechtsvergleichende Analyse bei Danninger, Organhaftung und Beweislast, 2020; eingehend auch Ph. Scholz, ZZP 133 (2020), 491. 970 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 287 = GmbHR 2003, 113; Born in Krieger/ Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.18.

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§ 43 Rz. 331 | Haftung der Geschäftsführer § 287 ZPO fällt darüber hinaus auch die Beurteilung der Kausalität zwischen Organhandeln und Schaden. Bei einem Organhaftungsanspruch nach § 43 gehört der Ursachenzusammenhang des Geschäftsführerverhaltens mit einem daraus erwachsenen Vermögensschaden nämlich nicht zur haftungsbegründenden, sondern zur haftungsausfüllenden Kausalität, für deren Nachweis ebenfalls die in § 287 ZPO vorgesehenen Erleichterungen gelten971. 332 Demgegenüber ist es nach ständiger Rechtsprechung und h.L. Sache des Geschäftsführers,

darzulegen und im Streitfall zu beweisen, dass er keine Pflichtverletzung begangen oder nicht schuldhaft gehandelt hat972. Diese Beweislastumkehr zulasten des Geschäftsführers wird aus einer analogen Anwendung der § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG abgeleitet973. Der Wortlaut dieser Vorschriften lässt zwar nicht klar erkennen, dass sich die Beweislastumkehr neben dem Verschulden auch auf die Pflichtverletzung erstrecken soll974. Nach heute h.M. soll sich dies aber aus dem Gedanken der größeren Sachnähe des Geschäftsführers rechtfertigen, d.h. aus der Erwägung, dass der Geschäftsführer die Umstände seines Verhaltens und damit auch die Gesichtspunkte, die für die Beurteilung der Pflichtmäßigkeit seines Verhaltens sprechen, überschauen kann, während die von ihm geleitete Gesellschaft in diesem Punkt in eine Beweisnot zu geraten droht975. Ferner wird angeführt, dass die in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG angeordnete Beweislastumkehr sonst nur eng begrenzte Bedeutung hätte, da bei den verhaltensbezogenen Geschäftsleiterpflichten Pflichtwidrigkeit und Verschulden weitestgehend parallel laufen976 (allerdings nach zutreffender Ansicht nicht bei rechtlich gebundenen Entscheidungen, Rz. 276). Wenngleich diese Erwägungen zur Beweislastumkehr auch hinsichtlich der Pflichtwidrigkeit keineswegs zwingend erscheinen977 und etwaige Beweisschwierigkeiten der Gesellschaft wohl auch schon mithilfe der allgemeinen Grundsätze der sekundären Darlegungslast (Rz. 335) bewältigt werden könnten978, muss sich die Praxis bis aus weiteres auf die gefestigte Rechtsprechung einstellen. Auf einem anderen Blatt steht, ob die so verstandene Beweislastumkehr auch rechtspolitisch überzeugt (zur Reformdiskussion Rz. 13). 333 Da die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Pflichtgemäßheit nach den genannten

Grundsätzen beim Geschäftsführer liegt (sofern die Hürde eines „möglicherweise“ pflichtwidrigen Verhaltens genommen ist, Rz. 341 ff.), ist es konsequent, dass der Geschäftsführer

971 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 287 = GmbHR 2003, 113; Born in Krieger/ Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.16. 972 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 = GmbHR 2003, 113; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = GmbHR 2013, 1044 Rz. 22; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 272. 973 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 (Ls.) = GmbHR 2003, 113; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 315; unter Hinweis auf § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 271. 974 Früher sprach man sich daher verbreitet noch für eine Begrenzung der Beweislastumkehr auf das Verschulden aus; s. etwa Fleck, GmbHR 1974, 224 m.w.N. aus der älteren Rechtsprechung und Literatur; ebenso aus dem neueren Schrifttum Kindler in FS Goette, 2011, S. 231, 234 f.; Wach in FS Schütze, 2014, S. 663, 671 ff.; Jena, Die Business Judgment Rule im Prozess, 2020, S. 255 ff. 975 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280 = GmbHR 2003, 113 Rz. 6 bei juris; zuletzt BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, GmbHR 2020, 1344 Rz. 46; aus dem Schrifttum insbes. W. Goette, ZGR 1995, 648, 672 („größere Nähe der Organmitglieder zu den für die Beurteilung der Pflichtwidrigkeit maßgebenden Umständen“); ferner Bayer/Illhardt, GmbHR 2011, 751, 753; Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.6; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 272; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 206; Wicke, Rz. 9. 976 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 206. 977 Umfassende kritische Analyse bei Jena, Die Business Judgment Rule im Prozess, 2020, S. 255 ff. 978 Bemerkenswerterweise verfahren BGH und h.L. im Rahmen des § 43 Abs. 3 genau in diesem Sinne (also Beweislast für den Kapitalschutzverstoß bei der GmbH bzw. dem Insolvenzverwalter, aber ggf. Abhilfe durch Grundsätze der sekundären Darlegungslast); s. dazu Rz. 391.

572 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 334 § 43

bei unternehmerischen Entscheidungen auch die Beweislast für die Voraussetzungen der Business Judgment Rule analog § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 1 Satz 2 GenG (Rz. 75 ff.) trägt979. Auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Business Judgment Rule ist der Nachweis pflichtgemäßen Handelns allerdings nicht generell ausgeschlossen (Rz. 103). Ebenso trifft den Geschäftsführer die Darlegungs- und Beweislast, wenn er sich zu seiner Entlastung auf die pflichteneinschränkende Wirkung einer Geschäftsverteilung beruft, welche die Ressortverantwortlichkeit einem anderen Geschäftsführer zuweist (Rz. 120 ff.)980. Gleiches gilt, wenn sich der Geschäftsführer mit dem Hinweis auf eine Weisung oder das Einverständnis der Gesellschafter (Rz. 260 ff.) zu verteidigen sucht981. Erhebt der Geschäftsführer den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens (Rz. 319 ff.), 334 trifft ihn – insoweit in Übereinstimmung mit allgemeinen Grundsätzen982 – auch hierfür die Darlegungs- und Beweislast983. Ebenso verhält es sich, wenn er sich nach den Regeln der Vorteilsausgleichung (Rz. 298) Vorteile der Gesellschaft auf den eingetretenen Schaden anrechnen lassen will984. Hinsichtlich des Beweismaßes gilt jedenfalls hinsichtlich der Vorteilsausgleichung die Erleichterung des § 287 ZPO985. Ob dies auch für das rechtmäßige Alternativverhalten gilt, wird unterschiedlich beurteilt986.

979 Explizit Begr. RegE UMAG, BT-Drucks. 15/5092, S. 12; BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, AG 2013, 259 Rz. 14; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = GmbHR 2013, 1044 Rz. 28; Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.13; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 369; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 90, 272; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 54. Kritisch Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 439; einschränkend – Gesellschaft muss konkrete Anhaltspunkte dartun, dass der Geschäftsführer einem Interessenkonflikt unterlag oder gegen die Regeln angemessener Information und Entscheidungsvorbereitung verstoßen hat – Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 209; Paefgen, NZG 2009, 891, 893 f.; differenzierend in Bezug auf die Informationsgrundlage Fest, NZG 2011, 540, 541 f.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 72. 980 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, BGHZ 220, 162 = GmbHR 2019, 227 Rz. 24; Bayer/Illhardt, GmbHR 2011, 751, 754; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 37. 981 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = GmbHR 2008, 805 Rz. 39; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 132/17 (juris), Rz. 18; Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.11; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 261; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 54 a.E.; Ph. Scholz, ZZP 133 (2020), 491, 518. 982 Oetker in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 249 BGB Rz. 224. 983 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 = GmbHR 2003, 113; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = GmbHR 2013, 1044 Rz. 22; BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = AG 2018, 841 Rz. 45 (AG); Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.17; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 368; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 304, 324; s. schon oben Rz. 319. 984 BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, AG 2013, 259 Rz. 29; BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 34 (jeweils zu § 93 Abs. 2 AktG); Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 81; Klöhn in Bork/ Schäfer, Rz. 71. Abweichend für die Anrechnung von Vorteilen aus Kartellverstößen („Kartellrendite“) auf eine gegen die Gesellschaft verhängte Kartellgeldbuße Kersting, ZIP 2016, 1266, 1273 ff.; nach hier vertretener Ansicht stellen allerdings Verbandsgeldbußen ohnehin keinen erstattungsfähigen Schaden dar, Rz. 304 ff. 985 BGH v. 15.2.2005 – VI ZR 74/04, NJW 2005, 1041, 1043; Foerste in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, § 287 ZPO Rz. 3; Ph. Scholz, ZZP 133 (2020), 491, 517. 986 Auch hier für § 287 ZPO Ph. Scholz, ZZP 133 (2020), 491, 517; Ph. Scholz, AG 2020, 453, 458; wohl auch Kleindiek in FS Krieger, 2020, S9, 506 (unter Hinweis darauf, dass die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO auch sonst auf den Nachweis hypothetischer Geschehensabläufe im Rahmen der Schadensermittlung Anwendung finden); für § 286 ZPO dagegen Henzler in FS Thümmel, 2020, S. 351, 362; Wilsing/v.d. Linden, NZG 2018, 1416, 1417; vgl. auch BGH v. 10.7.2018 – II ZR 24/17, BGHZ 219, 193 = AG 2018, 841 Rz. 45 („sicherer Nachweis“).

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§ 43 Rz. 335 | Haftung der Geschäftsführer 335 Darlegungsschwierigkeiten der darlegungsbelasteten Partei werden durch die allgemeinen

Grundsätze der sekundären Darlegungslast abgemildert987. Diese sind anwendbar, wenn die primär darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht, keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt und ihr auch keine weitere Sachverhaltsaufklärung möglich und zumutbar ist988. Unter diesen Umständen kann sich die primär darlegungspflichtige Partei mit einer unsubstantiierten Behauptung der maßgebenden Tatsache begnügen; der besser informierte Prozessgegner kann dem nicht mit einem einfachen Bestreiten, sondern nur mit einem substantiierten Vortrag entgegentreten, soweit ihm nähere Angaben zumutbar sind. Kommt der Prozessgegner dieser sekundären Darlegungslast nicht nach, gilt der Vortrag der primär darlegungspflichtigen Partei als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO)989. Mit den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast lässt sich insbesondere auch solchen Fällen Rechnung tragen, in denen die der Beweislastumkehr zugrundeliegende Erwägung der typischerweise größeren Sachnähe des Geschäftsführers im konkreten Einzelfall nicht zutrifft. b) Ausnahmen von der Beweislastumkehr? 336 Im Schrifttum werden teilweise Ausnahmen von der Beweislastumkehr analog § 93 Abs. 2

Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG in Betracht gezogen. Im Ergebnis erweisen sich diese jedoch durchweg als nicht gerechtfertigt. aa) Ausgeschiedene Geschäftsführer 337 Insbesondere muss es in Übereinstimmung mit der h.M. auch bei Inanspruchnahme eines

inzwischen ausgeschiedenen Geschäftsführers bei den vorgenannten Grundsätzen bleiben990. Eine Ausnahme von der Beweislastumkehr nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG, wie sie im Schrifttum für diesen Fall bisweilen befürwortet wird991, ist de lege lata nicht begründbar; denn es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG ausgerechnet den praktischen Regelfall der Anspruchsverfolgung gegen einen im Zeitpunkt der Geltendmachung bereits ausgeschiedenen Geschäftsführer übersehen haben soll992. Es wäre auch ein seltsames Ergebnis, wenn der verklagte aktive Geschäftsführer durch Niederlegung seines Amtes die Beweislast zu seinen

987 Näher dazu Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.2. 988 S. etwa BGH v. 3.5.2016 – II ZR 311/14, GmbHR 2016, 806 Rz. 19 (zur deliktischen Haftung des Geschäftsführers) m.w.N. aus der Rechtsprechung. 989 Statt vieler Fritsche in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl. 2020, § 138 ZPO Rz. 24. 990 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 285 = GmbHR 2003, 113; BGH v. 8.7.2014, II ZR 174/13, BGHZ 202, 26 = AG 2014, 751 Rz. 33 (zur AG); Bachmann in FS Thümmel, 2020, S. 27, 32; Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.20; Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 82 ff.; Danninger, Organhaftung und Beweislast, 2020, S. 95 f.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 371; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 274; Fleischer/Danninger, AG 2020, 193 Rz. 20 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 211; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 56; Ph. Scholz, ZZP 166 (2020), 491, 520 f. 991 Eingehend insbes. Foerster, ZHR 176 (2012), 221 (teleologische Reduktion des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, allerdings nur in Bezug auf die Pflichtverletzung, nicht das Verschulden); tendenziell auch Habersack, ZHR 177 (2013), 791, 805 und Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, Rz. 1533 („gute Gründe“); ferner Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 448; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 325 („zu erwägen“). 992 Zutr. daher Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.20; Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 82; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 56: teleologische Reduktion des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG scheitert schon am Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 339 § 43

Gunsten beeinflussen könnte993. Vor einer Überspannung seiner Darlegungs- und Beweislast ist der Geschäftsführer stattdessen dadurch geschützt, dass ihm ggf. die Grundsätze der sekundären Darlegungslast (Rz. 335) zugute kommen und die Gesellschaft nach § 810 BGB sowie aufgrund ihrer nachwirkenden Treuepflicht dazu verpflichtet ist, dem ausgeschiedenen Organwalter Einsicht in die zu seiner Verteidigung erforderlichen Unterlagen zu gewähren994. Solange die Gesellschaft die Einsicht ohne rechtfertigenden Grund verweigert, kann sie sich nach h.M. entsprechend den Regeln über die Beweisvereitelung nicht auf die Beweislastumkehr berufen995. bb) Direktprozess gegen den D&O-Versicherer Nach umstrittener, aber vordringender und zutreffender Ansicht ändert sich an der Darle- 338 gungs- und Beweislastverteilung auch dann nichts, wenn die Gesellschaft den Anspruch nicht in einem Prozess gegen den Geschäftsführer geltend macht, sondern – nach Abtretung des Freistellungsanspruchs des Geschäftsführers gegen den D&O-Versicherer – in einem Direktprozess unmittelbar gegen den D&O-Versicherer (näher Rz. 435). cc) Inanspruchnahme der Erben des Geschäftsführers Ebenso wenig ist – entgegen vielfach vertretener Ansicht – eine Ausnahme von der Beweis- 339 lastumkehr gerechtfertigt, wenn ein Erbe des Geschäftsführers in Anspruch genommen wird. Der Erbe tritt nach §§ 1922, 1967 BGB an die Stelle des Erblassers und rückt damit auch in dessen beweisrechtliche Position ein996. Etwaigen Beweisnöten des Erben kann durch Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast (Rz. 335) Rechnung getragen werden997.

993 Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 56; Bachmann in FS Thümmel, 2020, S. 27, 32. 994 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 285 = GmbHR 2003, 113; BGH v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, ZIP 2008, 1821 Rz. 5; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 132/17 (juris), Rz. 18; Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.20; Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 86 ff.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 372 (jeweils ohne Angabe einer Rechtsgrundlage); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 274 (§ 810 BGB und nachwirkende Treuepflicht); Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 211 (§ 810 BGB); näher zum Einsichtsrecht neben den Genannten auch Bachmann in FS Thümmel, 2020, S. 27, 33 ff.; Danninger, Organhaftung und Beweislast, 2020, S. 97 ff. (jeweils mit Plädoyer für ein extensives Verständnis); Krieger in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 717, 722 ff.; Richter, Informationsrechte im Organhaftungsprozess, 2019, S. 71 ff.; Ph. Scholz, ZZP 166 (2020), 491, 522 ff.; s. auch schon RG WarnR 1908, 357 (Nr. 465, Urt. v. 08.04.1908, I 599/07) unter Hinweis auf § 810 BGB. 995 Bayer/Illhardt, GmbHR 2011, 751, 754; Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 89 m. zahlreichen Nachw.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 93 AktG Rz. 44. 996 Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.21; Ph. Scholz, ZZP 166 (2020), 491, 526; jeweils unter Hinweis darauf, dass dies den allgemeinen erbrechtlichen Grundsätzen entspricht (BGH v. 16.6.1993 – IV ZR 246/93, FamRZ 1993, 1311; BGH v. 28.2.2019 – IV ZR 153/18, ZEV 2019, 261 Rz. 11); a.A. – wegen der fehlenden Sachnähe des Erben – jedoch die h.L.; Bayer/ Illhardt, GmbHR 2011, 751, 753; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 274; Fleischer/Danninger, AG 2020, 193 Rz. 12 ff.; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 56; Krieger in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 717, 719; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 211; Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 243; Wentz/Döding, WM 2020, 1458, 1460 ff.; offengelassen von OLG Köln v. 1.10.2009 – 18 U 34/18, AG 2020, 103, 104 f. (unter Hinweis auf zumindest sekundäre Darlegungslast des Erben); vermittelnd Bachmann in FS Thümmel, 2020, S. 27, 39 ff.: Gesellschaft trägt Beweislast der Pflichtverletzung, Erbe Beweislast des fehlenden Verschuldens. 997 Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.21.

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§ 43 Rz. 340 | Haftung der Geschäftsführer dd) Soziale Aufwendungen, Spenden 340 Schließlich lässt sich eine Ausnahme von den genannten Grundsätzen auch nicht für be-

stimmte Schadenspositionen konstruieren. Nicht zu folgen ist insbesondere dem Vorschlag, von der Beweislast des Geschäftsleiters abzuweichen, wenn die mögliche Pflichtverletzung in sozialen Aufwendungen (z.B. Unternehmensspenden, Rz. 57 ff.) besteht998. c) In Sonderheit: Darlegungslast für das „möglicherweise“ pflichtwidrige Geschäftsführerverhalten 341 Noch nicht hinreichend geklärt ist in der bisherigen Rechtsprechung, welche Anforderun-

gen die Gesellschaft im Einzelnen erfüllen muss, um ihrer Darlegungslast nachzukommen, dass das Geschäftsführerverhalten „möglicherweise“ pflichtwidrig ist (Rz. 330)999. Überweigend wird darunter verstanden, dass die potenziell pflichtwidrige Handlung von der Gesellschaft substantiiert darzulegen ist1000. Der Umfang der Substantiierungspflicht hängt von den Umständen des Einzelfalls ab1001. Die Intensität der Substantiierungspflicht der Gesellschaft kann herabgesetzt sein, wenn der Schaden typischerweise auf einem Verhalten beruht, das in den Verantwortungsbereich des Geschäftsführers fällt1002. Hat die Gesellschaft etwa einen erheblichen Kassen- oder Warenfehlbestand im Verantwortungsbereich des Geschäftsführers dargelegt und nachgewiesen, ist damit den Anforderungen Genüge getan; die Gesellschaft muss dann nicht auch noch darlegen, welches konkrete Handeln oder Unterlassen für den Fehlbestand ursächlich war1003. 342 Behauptet die Gesellschaft hingegen, eine an sich wertneutrale Handlung sei pflichtwidrig,

wird man gesteigerte Anforderungen an die Substantiierung stellen müssen1004. Nach einer – allerdings umstrittenen – obergerichtlichen Entscheidung genügt es daher nicht, wenn die Gesellschaft lediglich darlegt, dass der Geschäftsführer in einem beträchtlichen Umfang Reisekostenerstattungen geltend gemacht hat, da derartige Kosten ohne weiteres auch bei pflichtgemäßer Geschäftsführung anfallen können. Vielmehr sind nach dieser Entscheidung bei prima facie wertneutralen Handlungen auch Umstände darzulegen, aus denen sich zu-

998 Wie hier die h.L., etwa Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.24; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 273; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 55; a.A. Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 209. 999 Gleicher Befund bei Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 114 (Möglichkeitsvorbehalt ist „vage“); Jena, Die Business Judgment Rule im Prozess, 2020, S. 234 f., 339 f. („dogmatisch unklar und konturenlos“). 1000 Bachmann, Gutachten E zum 70. DJT 2014, 34; Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.10; Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 86; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 53; eingehend Danninger, Organhaftung und Beweislast, 2020, S. 72 ff.; großzügiger Ph. Scholz, ZZP 133 (2020), 491, 497: Vortrag eines in die Zuständigkeit des Organmitglieds fallenden Handlungskomplexes genügt. 1001 Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.19; Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 86 f.; W. Goette, ZGR 1995, 648, 674; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 72. 1002 Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 87; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 142. 1003 Vgl. BGH v. 26.11.1990 – II ZR 223/89, ZIP 1991, 159, 160 m.w.N.; darauf Bezug nehmend auch BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 284 = GmbHR 2003, 113; Born in Krieger/ Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.22; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 273. 1004 OLG Nürnberg v. 28.10.2014 – 12 U 567/13, ZIP 2015, 430 f. (dazu sogleich im Text); Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 87.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 345 § 43

mindest der Anschein eines pflichtwidrigen Verhaltens ergibt1005. Zweifelhaft ist, ob die Gesellschaft diese zusätzlichen Umstände im Bestreitensfall auch zu beweisen hat1006. Bei Gesetzesverletzungen, die auf der Geschäftsführung nachgeordneten Ebenen begangen 343 wurden, kann ein allgemein gehaltener Vortrag der Gesellschaft, dass die Verstöße bei ordnungsgemäßer Compliance-Organisation unterblieben wären, richtigerweise nicht ausreichen, da nicht jeder Rechtsverstoß auf unteren Ebenen indiziell für einen Organisationsmangel ist1007. Dagegen genügt die Gesellschaft ihrer Substantiierungslast, wenn sie konkret dargelegt, dass der Geschäftsleiter trotz wiederholter ihm zur Kenntnis gebrachter Gesetzesverletzungen keine oder jedenfalls keine ausreichenden Maßnahmen eingeleitet hat, um die Verstöße aufzuklären und abzustellen1008. Die soeben skizzierte Substantiierungspflicht der Gesellschaft gilt für Prozesse gegen amtie- 344 rende und ausgeschiedene Geschäftsführer gleichermaßen. Allerdings kann sie sich inbesondere im Prozess gegen ausgeschiedene Geschäftsführer durch die zusätzliche Anwendung der Grundsätze der sekundären Darlegungslast (Rz. 335) verschärfen1009.

8. Gesamtschuldnerische Haftung und Innenausgleich a) Gesamtschuldnerische („solidarische“) Haftung Haben mehrere Geschäftsführer denselben Schaden pflichtwidrig und schuldhaft verur- 345 sacht, haften sie der Gesellschaft nach der sprachlich veralteten Formulierung des § 43 Abs. 2 „solidarisch“, d.h. als Gesamtschuldner (§§ 421 ff. BGB)1010. Jeder der betroffenen Geschäftsführer haftet somit auf den gesamten Schadensbetrag (§ 421 BGB), und zwar unabhängig von der Art der Pflichtverletzung und dem Grad des Verschuldens. Der unmittelbar verantwortliche Geschäftsführer haftet daher ebenso wie ein Mitgeschäftsführer, der lediglich seine ressortübergreifende Überwachungspflicht verletzt hat1011. Die Art und Schwere der Pflichtverletzung und des Verschuldens (z.B. der Umstand, dass ein Geschäftsführer die anderen bewusst hintergangen hat) ist nur für den internen Ausgleich zwischen den Gesamtschuldnern (§ 426 BGB, Rz. 348 f.) erheblich1012. Aus der Anordnung der gesamtschuldnerischen Haftung folgt zugleich, dass sich ein Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft

1005 OLG Nürnberg v. 28.10.2014 – 12 U 567/13, ZIP 2015, 430 f.; zust. Bachmann, BB 2015, 771, 774 f.; Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 87; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 53; abl. aber L. Bauer, NZG 2015, 549, 550 f.; Fleischer/L. Bauer, ZIP 2015, 1901, 1907 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 54 Fn. 282. Vergleichweise hohe Substantiierungsanforderungen stellt auch OLG München v. 8.7.2015 – 7 U 3130/14, ZIP 2015, 2472, 2475; zust. Hoger, Der Konzern 2016, 373, 375 („hohes Maß an Substantiierung“); weitere Nachw. aus der disparaten obergerichtlichen Rechtsprechung bei Jena, Die Business Judgment Rule im Prozess, 2020, S. 242 f. 1006 Bejahend OLG Nürnberg v. 28.10.2014 – 12 U 567/13, ZIP 2015, 430 f. („darlegen und beweisen“); dagegen jedoch Danninger, Organhaftung und Beweislast, 2020, S. 75 f., und v. Eiff/Rahmeyer, GWR 2015, 54: nur Darlegungs-, nicht Beweislast. 1007 Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 118; vgl. auch Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 53; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 142. 1008 LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, AG 2014, 332, 334 – Siemens/Neubürger; kritisch Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, § 93 AktG Rz. 121. 1009 Näher Born in FS Bergmann, 2018, S. 79, 87 f. 1010 Allg. M., s. nur BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, GmbHR 2008, 144 Rz. 3; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 58; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 318; ausführlich Voß, Gesamtschuldnerische Organhaftung, 2008. 1011 Unstr., statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 318; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 198; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 255. 1012 OLG Jena v. 1.9.1998 – 5 U 1816/97, NZG 1999, 121, 123; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 255.

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§ 43 Rz. 345 | Haftung der Geschäftsführer nicht auf das Mitverschulden seiner Mitgeschäftsführer berufen kann (unstr., Rz. 324). Steht ein pflichtwidriges Verhalten der Geschäftsführung fest und lässt sich nur nicht ermitteln, welchen Geschäftsführer dafür die Verantwortung trifft, haften sie alle gemeinsam1013. Letzteres pflegt man aus dem Rechtsgedanken des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB abzuleiten1014, folgt aber auch schon aus der allgemeinen Beweislastverteilung im Rahmen der Organhaftung (Beweislastumkehr analog § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG, Rz. 332). 346 Ein Gesamtschuldverhältnis entsteht auch, wenn neben dem Geschäftsführer eines oder

mehrere der Mitglieder des Aufsichts- oder Beirats der Gesellschaft für den Schaden verantwortlich sind (z.B. aufgrund mangelhafter Überwachung oder Beratung)1015. Gleiches gilt, wenn sich neben dem Geschäftsführer auch Arbeitnehmer für denselben Schaden haftbar gemacht haben1016. Da die Arbeitnehmer nur in den Grenzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs verantwortlich sind, können sich hier allerdings Fragen der gestörten Gesamtschuld stellen1017. 347 Im Prozess kann es sich aus Sicht des von der Gesellschaft verklagten Gesamtschuldners

empfehlen, zur Absicherung seiner Regressansprüche gegen die übrigen Gesamtschuldner (Rz. 348) diesen den Streit zu verkünden (§§ 72 ff. ZPO)1018. b) Innenausgleich zwischen den Gesamtschuldnern 348 Der Innenausgleich zwischen den Gesamtschuldnern richtet sich nach § 426 BGB. Dem in

Anspruch genommenen Geschäftsführer steht zum einen der Befreiungs- und (nach Leistung an die Gesellschaft) Ausgleichsanspruch nach § 426 Abs. 1 BGB zu. Zum anderen kann er, soweit er die Gesellschaft befriedigt hat und von den übrigen Gesamtschuldnern Ausgleich verlangen kann, auch aus der nach § 426 Abs. 2 BGB kraft Legalzession auf ihn übergegangenen Organhaftungsforderung anteilig gegen die übrigen Gesamtschuldner vorgehen. Diese doppelte Anspruchsberechtigung kann insbesondere deshalb von Interesse sein, weil beide Ansprüche unterschiedlich verjähren (§§ 195, 199 BGB einerseits, Abs. 4 andererseits)1019. Darüber hinaus wird im Schrifttum mitunter darauf verwiesen, dass der zahlende Gesamtschuldner mit dem Forderungsübergang nach § 426 Abs. 2 BGB auch von der güns-

1013 Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 395; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 318; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 74; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 198 a.E.; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 254. 1014 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 74; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 198 a.E.; Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 248. 1015 BGH v. 14.3.1983 – II ZR 103/82, ZIP 1983, 824, 825; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 318; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 198; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 94; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 255; zur AG Habersack in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 AktG Rz. 78; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 50 m.w.N.; teilweise a.A. Drygala in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 116 AktG Rz. 52: Gesamtschuldverhältnis, wenn Leitungsorgan und Aufsichtsrat gemeinsam eine pflichtwidrige Entscheidung treffen, aber nicht bei bloßer Überwachungspflichtverletzung der Aufsichtsratsmitglieder. 1016 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 318; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 94; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 260. 1017 Dazu eingehend – betr. die AG – Bayer/Scholz, ZGR 2016, 619, 621 ff. (Lösung der gestörten Gesamtschuld zulasten des Geschäftsleiters, d.h. keine Anspruchskürzung um den Verantwortungsteil des Arbeitnehmers, der aufgrund des innerbetrieblichen Schadensausgleichs von der Haftung freigestellt ist); s. aber auch Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 260 (für Anspruchskürzung). 1018 Näher J. Koch in MünchHdb. Corporate Litigation, § 30 Rz. 47 f.; Guntermann, AG 2017, 606, 609, 610, 612; Reichert/Suchy, NZG 2017, 88, 90 f. 1019 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 199. Näher zu Verjährungsfragen Fischer, ZIP 2014, 406; Freund, GmbHR 2013, 785, 789 f.; Guntermann, AG 2017, 606, 609 ff.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 350 § 43

tigeren Beweislastverteilung im Rahmen der Organhaftung profitiere1020. Indes ist zu bezweifeln, dass hier im Ergebnis wirklich Unterschiede zwischen § 426 Abs. 1 und § 426 Abs. 2 BGB bestehen. Hinsichtlich der für beide Absätze erforderlichen Grundvoraussetzung, ob überhaupt im Außenverhältnis zur Gesellschaft ein Gesamtschuldverhältnis besteht, muss in Bezug auf alle Gesamtschuldner gleichermaßen von der Beweislastumkehr analog § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG ausgegangen werden1021. Davon zu trennen ist die weitere Frage nach der Aufteilung der Verantwortung im Innenverhältnis der Gesamtschuldner. Diesbezüglich trägt nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast, wer zu seinen Gunsten von dem Maßstab der gleichmäßigen Verteilung nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB abweichen will1022. Dies gilt nicht nur im Rahmen des § 426 Abs. 1 BGB, sondern auch im Rahmen des § 426 Abs. 2 BGB, da diese Vorschrift einen Forderungsübergang nur anordnet, soweit der leistende Gesamtschuldner von den übrigen Schuldnern nach § 426 Abs. 1 BGB Ausgleich verlangen kann1023. Die Höhe des Innenregresses bestimmt sich wie bei anderen Schadensersatzansprüchen ent- 349 sprechend dem Rechtsgedanken des § 254 Abs. 1 BGB danach, inwieweit die einzelnen Gesamtschuldner zur Verursachung der für die Haftung maßgeblichen Umstände beigetragen haben und in welchem Maß sie ein Verschulden trifft1024. Häufig wird sich dabei eine von der Aufteilung nach Köpfen abweichende Aufteilung des Schadens ergeben (§ 426 Abs. 1 Satz 1, letzter Hs. BGB). Aus der Wertung des § 840 Abs. 2 BGB und § 1833 Abs. 2 Satz 2 BGB lässt sich ableiten, dass der unmittelbar Verantwortliche den Schaden im Verhältnis zu einem Mitgeschäftsführer (oder einem Aufsichts- oder Beiratsmitglied), dem nur eine Verletzung der Überwachungspflicht zur Last fällt, regelmäßig1025 allein zu tragen hat1026.

9. Verzicht und Vergleich a) (Keine) analoge Anwendung des § 43 Abs. 3 Satz 2 und der aktienrechtlichen Beschränkungen Ein Verzicht auf oder ein Vergleich über Organhaftungsansprüche nach Abs. 2 unterliegt 350 grundsätzlich nicht den Einschränkungen des § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1, da diese 1020 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 60 f.; Guntermann, AG 2017, 606, 608 f.; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 57. 1021 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 467 (zur AG). 1022 Allgemein Grüneberg in Palandt, § 426 BGB Rz. 8; speziell zur Organhaftung Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 467. 1023 Allgemein Looschelders in Staudinger, § 426 BGB Rz. 136; Meier, Gesamtschulden, 2010, S. 433; zur Organhaftung Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 467. 1024 Allgemein etwa BGH v. 18.11.2014 – KZR 15/12, ZIP 2015, 544; Grüneberg in Palandt, § 426 BGB Rz. 14; speziell zur Organhaftung Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 62; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 319; Freund, GmbHR 2013, 785, 787; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 258; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 465. 1025 Zu möglichen Ausnahmen Guntermann, AG 2017, 606, 607 f., die als Beispiele Fälle anführt, in denen der Handlungsverantwortliche erkennbar ungeeignet ist oder ein Informationsgefälle zwischen Überwachungs- und Handlungsverantwortlichem besteht. 1026 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 62; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 319; Freund, GmbHR 2013, 785, 788; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 75; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 200; Voß, Gesamtschuldnerische Organhaftung, 2008, S. 164 f., 185 ff.; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 259; zur AG Guntermann, AG 2017, 606, 607 m.w.N.; a.A. – stärkere Gewichtung des Beitrags des unmittelbar Verantwortlichen, aber alleinige Verantwortlichkeit allenfalls ausnahmsweise – Habersack in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 116 AktG Rz. 78; Haubold in FS Thümmel, 2020, S. 331, 339 ff.; zurückhaltend auch Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 465.

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§ 43 Rz. 350 | Haftung der Geschäftsführer nach der Gesetzessystematik nur für Fälle des Abs. 3 Satz 1 vorgesehen sind1027. In bestimmten Sonderfällen, die denen des Abs. 3 Satz 1 nahestehen, insbesondere bei Verstößen gegen kapitalschützende Pflichten (Verstöße gegen § 43a, Mitwirkung an einem existenzvernichtenden Eingriff), ist allerdings eine entsprechende Anwendung des Abs. 3 Satz 2-3 anerkannt (Rz. 376 ff.). Nicht analog anwendbar sind mangels planwidriger Regelungslücke die aktienrechtlichen Verzichts- und Vergleichsbeschränkungen nach § 93 Abs. 4 Satz 3-4 AktG1028 und § 93 Abs. 5 Satz 2-3 AktG1029. b) Verzicht und Vergleich aufgrund Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 8 351 Vorbehaltlich abweichender Regelung im Gesellschaftsvertrag (§ 45 Abs. 2, 12. Aufl., § 46

Rz. 143) bedürfen Verzicht und Vergleich aber in (zumindest entsprechender) Anwendung des § 46 Nr. 8 eines Gesellschafterbeschlusses1030, der mit einfacher Mehrheit gefasst wird (§ 47 Abs. 1)1031. Der betroffene Geschäftsführer ist, sofern er zugleich Gesellschafter ist, vom Stimmrecht ausgeschlossen (§ 47 Abs. 4). Hat ein Gesellschafter-Geschäftsführer eine Pflichtverletzung gemeinsam mit einem anderen Geschäftsführer begangen, unterliegt er wegen des untrennbaren Sachzusammenhangs auch bei der Abstimmung über den Verzicht oder den Vergleich mit dem Mittäter einem Stimmverbot analog § 47 Abs. 41032. Wegen der Verschiedenartigkeit der Pflichtverletzungen soll hingegen ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der eine Pflichtverletzung begangen hat, bei der Abstimmung über den Verzicht von Ansprüchen gegen einen Mitgeschäftsführer, der den pflichtwidrig handelnden GesellschafterGeschäftsführer nicht hinreichend überwacht hat, keinem Stimmverbot unterliegen1033. 352 Nach der Rechtsprechung des BGH und heute ganz h.L. begründet das Beschlusserfordernis

nach § 46 Nr. 8 ein materielles Wirksamkeitserfordernis für den Verzicht oder Vergleich, das nicht nur im Innen-, sondern auch im Außenverhältnis der Gesellschaft wirkt1034. Ohne wirksamen Beschluss fehlt den Geschäftsführern mithin die gesetzliche Vertretungsmacht

1027 Ganz h.M., BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 713; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 297; Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.30; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 53; a.A. offenbar Lutter, GmbHR 2000, 301, 311. 1028 Allg. M., s. nur Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 380; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 46 Rz. 108. 1029 Ganz h.M., etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 307; Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.33; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 230; implizit BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 713; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 139 i.V.m. § 13 Rz. 123 ff.; s. dazu noch Rz. 364 f. 1030 BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282; Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.20; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 246; s. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 151. 1031 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282; Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.22; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 246. 1032 St. Rspr., BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 34 = ZIP 1986, 429; BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21, 25 = ZIP 1989, 913; BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 714; BGH v. 4.5.2009 – II ZR 169/07, GmbHR 2009, 1327 Rz. 11; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 249. 1033 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 714; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 249. 1034 BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282; Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.25; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 382; näher dazu 12. Aufl., § 46 Rz. 142.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 355 § 43

(§ 35 Abs. 1) für den Abschluss des Erlassvertrags oder des Vergleichs mit dem betroffenen Geschäftsführer1035. Das gilt auch, wenn dieser bereits aus dem Amt ausgeschieden ist1036. Für die Wirksamkeit des Gesellschafterbeschlusses gelten die allgemeinen Regeln. Bei Be- 353 schlussmängeln ist ein festgestellter Beschluss1037 somit nur ausnahmsweise nichtig (§ 241 AktG analog) und im Übrigen nach Maßgabe der allgemeinen Regeln innerhalb angemessener Frist mit der Anfechtungsklage anfechtbar (12. Aufl., § 45 Rz. 35 ff., 62 ff., 141 ff.). Ist die Anfechtungsfrist abgelaufen, kann die Wirksamkeit des anfechtbaren Beschlusses nicht mehr infrage gestellt werden. Ein die Anfechtung begründender Verfahrensfehler kann sich z.B. daraus ergeben, dass ein Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 (Rz. 351) missachtet wurde und dieser Fehler das festgestellte Beschlussergebnis entscheidend beeinflusst hat. Inhaltlich steht der Beschluss grundsätzlich im Ermessen der Gesellschafter. Sie können, wenn sie keinen umfassenden Verzicht wünschen, den Verzicht oder Vergleich auch auf einzelne, auf bestimmte Tatsachen gestützte Ansprüche oder Teile davon oder auch nur auf einen bestimmten Zeitraum beschränken1038. Das Ermessen der Gesellschafter wird freilich durch die auch sonst geltenden allgemeinen Schranken (mitgliedschaftliche Treuepflicht, Gleichbehandlungsgrundsatz etc.) beschränkt. Ein Treuepflichtverstoß kann namentlich dann vorliegen, wenn der Verzicht zu einem Zeitpunkt beschlossen wird, zu dem die Gesellschafter zwar von der Pflichtverletzung erfahren haben, aber noch nicht in der Lage sind zu beurteilen, ob der Gesellschaft ein Schaden zugefügt wurde, und die Beschlussfassung nur dazu dient, den Geschäftsführer der Verantwortung für sein Verhalten zu entziehen und eine weitere Untersuchung zu verhindern1039. Bei Ansprüchen gegen einen Gesellschafter-Geschäftsführer ist zudem zu beachten, dass 354 der Verzicht oder Vergleich nicht auf eine verbotene Auszahlung nach § 30 Abs. 1 hinauslaufen darf1040. Sofern dem Verzicht keine angemessene Gegenleistung gegenübersteht oder der Vergleich zu Lasten der GmbH unausgewogen ist, darf er also nicht im Stadium der Unterbilanz vollzogen werden oder eine Unterbilanz herbeiführen. Der Gesellschafterbeschluss ist in einem solchen Fall so lange nicht vollziehbar, bis sich die Auszahlung wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Deckung des Stammkapitals mit § 30 Abs. 1 vereinbaren lässt1041. Vollzogen wird der Verzicht – je nachdem, ob vom Bestehen oder Nichtbestehen des An- 355 spruchs ausgegangen wird – durch Abschluss eines Erlassvertrags (§ 397 Abs. 1 BGB) oder eines negativen Schuldanerkenntnisses (§ 397 Abs. 2 BGB) zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer1042. Er bedarf daher neben der Vertragserklärung der Gesellschaft, die von der Gesellschafterversammlung oder mit deren Zustimmung von einem anderen Ge1035 BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278. 1036 BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278. 1037 Zur Beschlussfestellung und zu den Konsequenzen, wenn es an dieser fehlt, ausführlich Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 227, 380 ff.; speziell im vorliegenden Kontext auch BGH v. 4.5.2009 – II ZR 169/07, GmbHR 2009, 1327. 1038 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 283; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 246. 1039 BGH v. 4.5.2009 – II ZR 169/07, GmbHR 2009, 1327 Rz. 20; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 251. 1040 BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 713; Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.26; allg. dazu, dass der Verzicht auf eine bestehende Forderung gegen einen Gesellschafter eine „Auszahlung“ i.S.d. § 30 Abs. 1 darstellt, s. 12. Aufl., § 30 Rz. 23. 1041 Näher 12. Aufl., § 30 Rz. 119 m.w.N.; ferner Ekkenga in MünchKomm. GmbHG, § 30 Rz. 281; Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 30 Rz. 118; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 238; Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 790 f.; für Nichtigkeit LG Kassel v. 11.9.2001 – 12 O 4101/00, ZInsO 2001, 1068, 1069; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 345. 1042 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 283; vgl. auch BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278.

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§ 43 Rz. 355 | Haftung der Geschäftsführer schäftsführer oder einer von der Gesellschafterversammlung bevollmächtigten Person abgegeben wird, der Zustimmung des begünstigten Geschäftsführers; diese kann freilich auch konkludent erteilt werden. Gleichfalls vertraglicher Natur ist der Vergleich (§ 779 BGB). 356 Ein Erlass zugunsten eines Geschäftsführers wirkt nicht automatisch zugunsten weiterer ge-

samtschuldnerisch mithaftender Geschäftsführer. Nach § 423 BGB kommt es vielmehr darauf an, ob sich ein (durch Auslegung zu ermittelnder) Wille der Vertragsparteien feststellen lässt, der auf eine solche Gesamtwirkung des Erlasses gerichtet ist. Eine entsprechende Vermutung besteht nicht1043; im Gegenteil ist im Zweifel von Einzelwirkung auszugehen1044. Die Beweislast liegt beim mithaftenden Geschäftsführer, der sich auf die angebliche Gesamtwirkung beruft. c) Verzichtswirkung eines Entlastungsbeschlusses nach § 46 Nr. 5 357 Eine Verzichtswirkung entfaltet – anders als im Aktienrecht (§ 120 Abs. 2 Satz 2 AktG) –

grundsätzlich auch ein Entlastungsbeschluss der Gesellschafter nach § 46 Nr. 51045. Ein wirksam gefasster Entlastungsbeschluss1046 befreit den Geschäftsführer allerdings nur von solchen Ersatzansprüchen nach § 43 Abs. 2, die für die Gesellschafterversammlung im Zeitpunkt der Beschlussfassung bei sorgfältiger Prüfung aller Vorlagen und Berichte erkennbar sind oder von denen alle Gesellschafter privat Kenntnis haben1047. Die Verzichtswirkung tritt nach heute herrschender Ansicht kraft Gesetzes mit der Beschlussfassung ein, ohne dass es einer Ausführung des Beschlusses durch Abschluss eines Vertrags mit dem betroffenen Geschäftsführer bedarf (12. Aufl., § 46 Rz. 91). Diese gesetzliche Verzichtswirkung kann freilich im Interesse des Gläubigerschutzes nicht unbeschränkt eingreifen1048. Vielmehr versteht sich, dass sie nicht zu einem weitergehenden Verlust von Ansprüchen führen kann, als er bei einem rechtsgeschäftlichen Verzicht wirksam vereinbart werden könnte; denn für den Gläubigerschutz spielt es keine Rolle, ob Ansprüche der GmbH infolge Erlassvertrags oder als gesetzliche Folge der Entlastung verlorengehen1049. Wenn und soweit ein rechtsgeschäftlicher Verzicht zugunsten eines Gesellschafter-Geschäftsführers an § 30 Abs. 1 scheitern würde (Rz. 354), kann daher auch der Entlastungsbeschluss keine Verzichtswirkung entfalten (zur Haftung nach Abs. 3 s. auch noch Rz. 383). d) Insolvenz

358 Da § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 auf Ersatzansprüche aus § 43 Abs. 2 keine Anwen-

dung findet (Rz. 350), entfällt die Wirksamkeit des Verzichts oder Vergleichs (oder die Verzichtswirkung eines Entlastungsbeschlusses) nicht allein deshalb, weil die Gesellschaft später insolvent wird und der Ersatzanspruch für die Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Sorgfältig zu prüfen ist allerdings, ob eine Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO oder (außerhalb des Insolvenzverfahrens) nach dem AnfG möglich ist. In Betracht kommt insbesondere eine Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO (bzw. § 4 Abs. 1 AnfG). Danach sind unentgeltliche Leistungen der GmbH anfechtbar, es sei denn, sie sind vier Jahre vor dem

1043 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 283; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 250. 1044 BGH v. 21.3.2000 – IX ZR 39/99, ZIP 2000, 1000, 1001; Kreße in BeckOGK BGB, § 423 BGB Rz. 1, 20. 1045 St. Rspr. und ganz h.L., s. 12. Aufl., § 46 Rz. 89 m. zahlreichen Nachw. 1046 Zu den Modalitäten der Beschlussfassung und möglichen Beschlussmängeln s. 12. Aufl., § 46 Rz. 97, 99. 1047 BGH v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94, 324, 326 = ZIP 1985, 1325 m.w.N. aus der Rechtsprechung; näher 12. Aufl., § 46 Rz. 94. 1048 Allg. dazu 12. Aufl., § 46 Rz. 95; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 46 Rz. 75. 1049 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 46 Rz. 75.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 362 § 43

Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (bzw. vier Jahre vor der Anfechtung) vorgenommen worden1050.

10. Geltendmachung des Anspruchs a) Geltendmachung durch die Gesellschaft Der Ersatzanspruch nach § 43 Abs. 2 steht der Gesellschaft zu. Außerhalb des Insolvenzver- 359 fahrens (Rz. 366) ist für die Entscheidung über die Geltendmachung des Anspruchs nach § 46 Nr. 8 Fall 1 grundsätzlich die Gesellschafterversammlung zuständig, sofern der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung enthält (§ 45 Abs. 2, 12. Aufl., § 46 Rz. 143). Dies gilt anerkanntermaßen auch für Ersatzansprüche gegen ausgeschiedene Geschäftsführer1051. Zu den Modalitäten der Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 s. ausführlich 12. Aufl., § 46 Rz. 155 ff. Der Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 stellt nach ständiger Rechtsprechung eine – von 360 der GmbH darzulegende (12. Aufl., § 46 Rz. 159) – materielle Anspruchsvoraussetzung dar, bei deren Fehlen die Schadensersatzklage als unbegründet abzuweisen ist1052, es sei denn, es greift eine Ausnahme von dem Beschlusserfordernis ein (Rz. 361). Der Beschluss kann allerdings noch während des Prozesses nachgeholt werden1053. Insbesondere wird die verjährungshemmende Wirkung der Klageerhebung (§ 204 Nr. 1 BGB) oder der Zustellung eines Mahnbescheids (§ 204 Nr. 3 BGB) nicht dadurch gehindert, dass in diesem Zeitpunkt der Beschluss noch fehlte1054. Ausnahmen von dem Beschlusserfordernis sind anerkannt, wenn dieses auf eine bloße För- 361 melei hinausliefe. So steht in der Einpersonen-GmbH das Fehlen eines förmlichen Gesellschafterbeschlusses der Geltendmachung des Anspruchs nicht entgegen, wenn der Alleingesellschafter-Geschäftsführer den Anspruch gegen den früheren Geschäftsführer geltend macht1055 oder der Alleingesellschafter anderweitig unmissverständlich zu erkennen gegeben hat, dass er den Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsführer geltend machen will1056. Aus demselben Grund erübrigt sich ein Gesellschafterbeschluss in einer zweigliedrigen GmbH, wenn der eine Gesellschafter-Geschäftsführer den anderen Gesellschafter in Anspruch nehmen will, da dieser in der Gesellschafterversammlung ohnehin einem Stimmverbot (§ 47 Abs. 4) unterläge1057. Den Gesellschaftern obliegt nach § 46 Nr. 8 Fall 2 grundsätzlich auch die Entscheidung darü- 362 ber, wer die Gesellschaft im Prozess gegen den Geschäftsführer organschaftlich vertritt (12. Aufl., § 46 Rz. 163 ff.). Die Gesellschafter müssen allerdings keinen besonderen Vertreter

1050 Ausführlich dazu Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.39 ff. 1051 BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 357 = GmbHR 1959, 48; BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, ZIP 2004, 1708, 1710; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 70; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 321; näher 12. Aufl., § 46 Rz. 146 m.w.N. 1052 BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 359 = GmbHR 1959, 48; BGH v. 3.5.1999 – II ZR 119/98, ZIP 1999, 1001, 1002; BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, ZIP 2004, 1708, 1710; näher 12. Aufl., § 46 Rz. 142, 159 m.w.N. 1053 BGH v. 26.1.1998 – II ZR 279/96, ZIP 1998, 508, 509 (zur eG); BGH v. 3.5.1999 – II ZR 119/98, ZIP 1999, 1001, 1002; BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117 Rz. 7; 12. Aufl., § 46 Rz. 159. 1054 BGH v. 3.5.1999 – II ZR 119/98, ZIP 1999, 1001, 1002; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 294. 1055 BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, ZIP 2009, 2335 Rz. 7. 1056 BGH v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, ZIP 1997, 199, 200; 12. Aufl., § 46 Rz. 153. 1057 BGH v. 4.2.1991 – II ZR 246/89, GmbHR 1991, 363, 364; näher 12. Aufl., § 46 Rz. 153.

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§ 43 Rz. 362 | Haftung der Geschäftsführer für den Prozess bestellen, sondern können davon auch absehen, sofern die organschaftliche Vertretung der Gesellschaft bereits nach den allgemeinen Vertretungsregeln gewährleistet ist (z.B. durch die nach § 35 vertretungsbefugten Geschäftsführer im Prozess gegen einen ausgeschiedenen Geschäftsführer; näher 12. Aufl., § 46 Rz. 164, 168). Eine Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 Fall 2 erübrigt sich kraft Gesetzes, wenn die GmbH einen mitbestimmten Aufsichtsrat hat; in diesem Fall wird die GmbH im Prozess gegen den Geschäftsführer zwingend durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 112 AktG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG bzw. § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 DrittelbG). Auch in der GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat liegt die organschaftliche Vertretungsmacht nach § 112 AktG i.V.m. § 52 Abs. 1 bei diesem, sofern der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung vorsieht (12. Aufl., § 46 Rz. 165). b) Geltendmachung durch einzelne Gesellschafter (actio pro socio) 363 Umstritten ist, ob und unter welchen Voraussetzungen auch einzelne Gesellschafter den

Anspruch der GmbH gegen den Geschäftsführer im Wege der Prozessststandschaft – durch Klage im eigenen Namen auf Leistung an die Gesellschaft – durchsetzen können, ohne dazu eigens von der GmbH ermächtigt worden zu sein (sog. actio pro socio). Weitestgehend Einigkeit besteht in dem Ausgangspunkt, dass eine solche Klagebefugnis allenfalls subsidiär gegeben sein kann, d.h. nur dann, wenn die Anspruchsverfolgung durch das regulär zuständige Gesellschaftsorgan pflichtwidrig unterbleibt1058. Selbst mit dieser Einschränkung sollen Ansprüche der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer nach herkömmlicher Ansicht nur dann im Wege der actio pro socio geltend gemacht werden können, wenn der Geschäftsführer auch Gesellschafter und die verletzte Organpflicht zugleich eine mitgliedschaftliche Pflicht ist1059. Dabei ist aber zu bedenken, dass in einer Verletzung der Organpflichten durch einen Gesellschafter-Geschäftsführer nicht selten auch ein Verstoß gegen die mitgliedschaftliche Treuepflicht liegen wird1060. Ansprüche der Gesellschaft gegen Fremdgeschäftsführer sollen dagegen nach der genannten Ansicht nicht im Wege der actio pro socio verfolgt werden können1061. Im Schrifttum wird demgegenüber aus guten Gründen zunehmend vertreten, die actio pro socio auch unabhängig von der Verletzung mitgliedschaftlicher Pflichten auf Ansprüche gegen die Geschäftsführer, also auch Fremdgeschäftsführer, auszudehnen1062. Dafür spricht u.a., dass inzwischen selbst im Aktienrecht eine actio pro socio gegen Organwalter zugelassen wird, wenn auch unter einschränkenden Voraussetzungen (§ 148 AktG).

1058 Näher dazu 12. Aufl., § 46 Rz. 161; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 125 m.w.N.; dort jeweils auch zu der umstrittenen Frage, ob der klagewillige Gesellschafter gegen einen die Anspruchsverfolgung ablehnenden, rechtswidrigen Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 erst im Wege der Anfechtungs- und positiven Beschlussfeststellungsklage vorgehen muss oder nach dem ablehnenden Beschluss direkt die actio pro socio erheben kann. 1059 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 38; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 327; Weller/Discher in Bork/Schäfer, § 13 Rz. 23; Lutz, NZG 2015, 424, 427; jeweils unter Hinweis auf die Entscheidung BGH v. 28.6.1982 – II ZR 199/81, ZIP 1982, 1203, in der es allerdings um die Geltendmachung eines eigenen Anspruchs des Gesellschafters ging; zuletzt Kumkar, NZG 2020, 1012, 1017. 1060 Vgl. BGH v. 14.9.1998 – II ZR 175/97, ZIP 1999, 240, 241. 1061 So zur GmbH & Co. KG auch BGH 19.12.2017 – II ZR 255/16, GmbHR 2018, 308 Rz. 14 ff. (m. abl. Bespr. Bochmann, GmbHR 2018, 289), allerdings mit dem auf die GmbH nicht übertragbaren Argument, dass die Kommanditisten bereits durch die Möglichkeit einer actio pro socio gegen die Komplementär-GmbH hinreichend geschützt seien; s. dazu noch Rz. 451. 1062 S. 12. Aufl., § 46 Rz. 161; ferner Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 IV 1c bb (S. 462); Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 13 Rz. 53; Verse in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1325, 1333 f.; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 124; Werner, GmbHR 2017, 849, 853; Wilhelmi in BeckOK GmbHG, § 13 Rz. 229; wohl auch Grunewald in Fleischer/Kalss/Vogt, Enforcement im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2015, S. 209, 221.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 366 § 43

Auch die obergerichtliche Rechtsprechung hat eine actio pro socio gegen Geschäftsführer verschiedentlich anerkannt1063. c) Geltendmachung durch Gläubiger der Gesellschaft Eine Regelung, die nach dem Vorbild des Aktienrechts den Gläubigern außerhalb des Insol- 364 venzverfahrens ein eigenes Verfolgungsrecht gegen den Geschäftsführer gewährt, wenn sie von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können (§ 93 Abs. 5 AktG, früher Art. 241 Abs. 4 ADHGB 1884), hat der historische Gesetzgeber des GmbHG 1892 bewusst nicht vorgesehen. In den Materialien ist explizit festgehalten, dass ein solches Verfolgungsrecht „entbehrlich“ sei; es genüge, dass „die Gläubiger in der Lage sind, die Ersatzansprüche nach Überweisung derselben im Wege der Zwangsvollstreckung geltend zu machen oder im Falle des Konkurses der Gesellschaft durch den Konkursverwalter verfolgen zu lassen.“1064 Im Rahmen der gescheiterten großen GmbH-Reform von 1971/73 (12. Aufl., Einl. Rz. 46) war dagegen vorgesehen, immerhin für Ansprüche nach § 43 Abs. 3 – nicht aber solche nach Abs. 2 – ein Verfolgungsrecht nach dem Muster des § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG einzuführen (§ 75 Abs. 6 Satz 1 RegE 1971)1065. Dieser Vorschlag ist nicht Gesetz geworden, allerdings nicht wegen spezifisch gegen diese Regelung gerichteter Bedenken, sondern weil der Gesetzgeber eine große GmbH-Reform „wegen anderer vordringlicherer Vorhaben“ generell nicht verwirklichen konnte1066. Vor diesem Hintergrund besteht mit Recht weithin Einigkeit, dass jedenfalls für die hier in- 365 teressierenden Ansprüche aus § 43 Abs. 2 mangels planwidriger Regelungslücke kein Verfolgungsrecht der Gläubiger analog § 93 Abs. 5 Satz 1-2 AktG anzuerkennen ist1067. Die Gläubiger sind daher darauf verwiesen, den Ersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer nach §§ 829, 835 ZPO pfänden und sich überweisen zu lassen1068, was auch dann noch möglich ist, wenn die GmbH bereits gemäß § 394 Abs. 1 FamFG aus dem Handelsregister gelöscht worden ist1069. Davon sorgsam zu trennen ist die Frage, ob in Übereinstimmung mit § 75 Abs. 6 Satz 1 RegE 1971 und einer im Schrifttum vordringenden Ansicht für Ansprüche, die unter Abs. 3 fallen, anders zu entscheiden ist (Rz. 397 ff.). d) Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter Ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet worden, geht die Ver- 366 fügungsbefugnis über den Ersatzanspruch auf den Insolvenzverwalter über (§ 80 Abs. 1 InsO). Dieser kann den Anspruch als Partei kraft Amtes im eigenen Namen einklagen1070. 1063 OLG Braunschweig v. 9.9.2009 – 3 U 41/09, GmbHR 2009, 1276 (Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs der GmbH gegen einen abberufenen Geschäftsführer im einstweiligen Rechtsschutz); im Erg. auch OLG Jena v. 8.1.2014 – 2 U 627/13, GmbHR 2014, 706, 708; kritisch Lutz, NZG 2015, 424, 428. 1064 Begr. zu § 44 GmbHG-E, RT-Drucks. 1890/92, Aktenstück Nr. 660, 3750. 1065 BT-Drucks. VI/3088, S. 21, 126. 1066 Begr. RegE Gesetz zur Änderung des GmbHG, BT-Drucks. 8/1347, S. 27 li. Sp. 1067 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 73; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 80; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 62; Wicke, Rz. 11; ebenso diejenigen, die für Abs. 3 abweichend entscheiden, etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 327; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 51; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 313; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 95: Verfolgungsrecht bei gröblichen Pflichtverletzungen nach Abs. 2 analog § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG. 1068 Näher dazu Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 63 ff. 1069 BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 420/97, MDR 2000, 297 Rz. 11 bei juris; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 65. 1070 Statt vieler Mock in Uhlenbruck, § 80 InsO Rz. 167.

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§ 43 Rz. 366 | Haftung der Geschäftsführer Ein Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 ist für die Anspruchsdurchsetzung durch den Insolvenzverwalter nicht erforderlich1071. e) Gerichtliche Zuständigkeit, Schiedsfähigkeit aa) Verfahren vor den staatlichen Gerichten 367 Zuständig für Organhaftungsklagen sind die ordentlichen Gerichte (§ 13 GVG), nicht die

Arbeitsgerichte, da Geschäftsführer gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG nicht zu den Arbeitnehmern i.S. dieses Gesetzes zählen. Steht die Sache jedoch in rechtlichem oder unmittelbar wirtschaftlichem Zusammenhang mit einer arbeitsrechtlichen Streitigkeit, kann sie nach § 2 Abs. 3 ArbGG auch beim Arbeitsgericht anhängig gemacht werden (z.B. dann, wenn der Beklagte wegen eines einheitlichen Sachverhalts sowohl in seiner Eigenschaft als Arbeitnehmer der Muttergesellschaft als auch als Geschäftsführer der Tochter-GmbH haftbar gemacht werden soll). Letzteres gilt jedoch nach § 2 Abs. 3 letzter Hs. ArbGG nur, soweit keine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts besteht (wie nach § 87 GWB in Kartellsachen1072). 368 Zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit kann der Gerichtsstand des Erfüllungsorts

(§ 29 Abs. 1 ZPO) herangezogen werden1073. Dieser befindet sich bei Klagen gegen den Geschäftsführer am Sitz der Gesellschaft, wenn der Geschäftsführer – wie regelmäßig – dort seine Dienste zu leisten hat1074. Daneben ist auch der allgemeine Gerichtsstand begründet, bei Klagen gegen den Geschäftsführer also der Gerichtsstand an dessen Wohnsitz (§§ 12, 13 ZPO)1075. Konkurriert der Organhaftungsanspruch mit einem Anspruch aus unerlaubter Handlung, kommt auf Grundlage der neueren Rechtsprechung des BGH alternativ auch der Deliktsgerichtsstand (§ 32 ZPO) in Betracht, sofern ein einheitlicher prozessualer Anspruch geltend gemacht wird1076. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen Regeln (§ 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG). bb) Schiedsverfahren 369 Da Organhaftungssprüche nach § 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO schiedsfähig sind und das

Schiedsverbot nach § 101 Abs. 3 ArbGG auf Geschäftsführer keine Anwendung findet (arg. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG)1077, kann der Rechtsstreit auch vor einem Schiedsgericht ausgetragen werden1078. Die Schiedsfähigkeit erstreckt sich auch auf die dem Gläubigerschutz die-

1071 BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, GmbHR 2004, 1279, 1282; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 20; 12. Aufl., § 46 Rz. 152. 1072 Vgl. den vieldiskutierten Schienenkartell-Fall BAG v. 29.6.2017 – 8 AZR 189/15, BAGE 159, 316 = ZIP 2017, 2424; s. Rz. 307. 1073 BGH v. 10.2.1992 – II ZR 23/91, GmbHR 1992, 303; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 334. 1074 BGH v. 10.2.1992 – II ZR 23/91, GmbHR 1992, 303; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 334; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 83; a.A. Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 603: Wohnort des Geschäftsleiters (da dort die Geldschuld zu erfüllen ist). 1075 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 334; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 83; Wicke, Rz. 11. 1076 Allgemein zur Erstreckung des § 32 ZPO auf konkurrierende nicht-deliktische Ansprüche BGH v. 10.12.2002 – X ARZ 208/02, BGHZ 153, 173 = ZIP 2003, 1860; zur Organhaftung Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 83; a.A. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 334; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 603. 1077 Herresthal, ZIP 2014, 345, 346; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144. 1078 Unstr., etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 334; Haas/Hoßfeld in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 407, 409; Herresthal, ZIP 2014, 345, 346; Leuering, NJW 2014, 657; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 370 § 43

nenden Ansprüche aus § 43 Abs. 3; die Verzichts- und Vergleichsschranken des § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 schließen allerdings einen Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut (§ 1053 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und Entscheidungen nach Billigkeit (§ 1051 Abs. 3 ZPO) aus (Rz. 400). Die schiedsgerichtliche Zuständigkeit kann zum einen durch eine individualrechtliche 370 Schiedsvereinbarung (§ 1029 ZPO) zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer begründet werden. Zum anderen soll dies nach (wohl) überwiegender, allerdings umstrittener und bisher nicht durch Rechtsprechung bestätigter Ansicht auch durch eine Schiedsklausel in der Satzung (§ 1066 ZPO) möglich sein1079. Die Schiedsvereinbarung kann gleichzeitig mit dem Anstellungsvertrag oder auch später, etwa anlässlich einer Aufhebungsvereinbarung, geschlossen werden1080. Eine unangemessene Benachteiligung des Geschäftsführers im Sinne der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle (§ 307 BGB) liegt in der Begründung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht1081. In formaler Hinsicht ist zu beachten, dass Geschäftsführer beim Abschluss der Schiedsvereinbarung jedenfalls grundsätzlich als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB einzustufen sind, weshalb die Vereinbarung zu ihrer Wirksamkeit der Form des § 1031 Abs. 5 ZPO bedarf1082. Ob dies auch für Schiedsabreden mit GesellschafterGeschäftsführern gilt, die eine Sperrminorität oder gar eine Mehrheits- oder Alleinbeteiligung an der GmbH halten, ist allerdings zweifelhaft und umstritten1083. Lässt man mit der (wohl) überwiegenden Ansicht auch eine Schiedsklausel in der Satzung genügen, kommt das Formerfordernis des § 1031 Abs. 5 ZPO hingegen nicht zur Anwendung1084. Ob eine statutarische Schiedsklausel den Geschäftsführer auch bindet, wenn sie erst nach seiner Bestellung durch Satzungsänderung ohne seine Zustimmung eingeführt wurde1085, wird im Schrifttum unterschiedlich beurteilt1086. Sie vermag jedenfalls nur die organschaftliche Haftung des Ge-

1079 Haas/Hoßfeld in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 407, 413 ff.; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 6 f. (zur AG); Herresthal, ZIP 2014, 345, 347; Spindler in FS Baums, 2017, S. 1205, 1207 ff. (zur AG); a.A. Berger/Scholl, ZBB 2016, 237, 248; Thümmel in FS Schütze, 2014, S. 633, 641; v. Westphalen in FS Feigen, 2014, S. 355, 358 ff. 1080 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 334; Herresthal, ZIP 2014, 345, 346; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 144. 1081 Ausführlich (auch zur Einbeziehungskontrolle) Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 4 ff.; Herresthal, ZIP 2014, 345, 349 ff.; Spindler in FS Baums, 2017, S. 1205, 1215 ff.; a.A. v. Westphalen in FS Feigen, 2014, S. 355, 375 ff. (weil das Organmitglied bei Bestehen einer D&O-Versicherung im Rahmen eines Schiedsverfahrens der ihm gegenüber dem D&O-Versicherer obliegenden, aus § 86 Abs. 2 Satz 1 VVG folgenden Regresssicherungsobliegenheit mangels Anwendbarkeit der §§ 68 ff. ZPO nur unter erschwerten Bedingungen nachkommen könne). 1082 OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, AG 2007, 910, 911 f. (zum Vorstand der AG, allerdings offenlassend für den Fall, dass das Vorstandsmitglied auch in erheblichem Umfang Aktionär ist); Haas/Hoßfeld in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 407, 409 ff.; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 4 f.; Herresthal, ZIP 2014, 345, 352 f.; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 145. Zur Nichtigkeit als Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 1031 Abs. 5 ZPO s. BGH v. 19.5.2011 – III ZR 16/11, ZIP 2011, 2223 Rz. 7. 1083 Bejahend Haas/Hoßfeld in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 407, 412 f.; vgl. auch BGH v. 8.11.2005 – IX ZR 34/05, BGHZ 165, 43, 47 = ZIP 2006, 68 (zur Verbrauchereigenschaft sogar eines geschäftsführenden Alleingesellschafters); a.A. für Gesellschafter mit maßgeblicher Beteiligung Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 5 m.w.N.; offengelassen in OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/ 07, AG 2007, 910, 912 (s. vorige Fn.); offen für Gesellschafter-Geschäftsführer mit Sperrminorität auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 334. 1084 Haas/Hoßfeld in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 407, 416 f.; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 7; Herresthal, ZIP 2014, 345, 353; Spindler in FS Baums, 2017, S. 1205, 1207. 1085 Zu den Anforderungen an eine solche Satzungsänderung Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 7 ff. 1086 Bejahend Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 9; ablehnend Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143, 146; Schlüter, Schiedsbindung von Organmitgliedern, 2017, S. 173, 185 f.; grundsätzlich auch Spindler

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§ 43 Rz. 370 | Haftung der Geschäftsführer schäftsführers zu erfassen, nicht auch eine Haftung, die sich ausschließlich auf die Verletzung des Anstellungsvertrags gründet (wie z.B. nach § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots)1087. Umstritten ist, ob eine statutarische Schiedsklausel auch den bloß faktischen Geschäftsführer (Rz. 30 ff.) bindet1088.

V. Besonderheiten bei Verstößen gegen den Kapitalschutz (§ 43 Abs. 3) 1. Allgemeines, Überblick 371 Ähnlich wie in § 93 Abs. 3 AktG und § 34 Abs. 3 GenG hebt das Gesetz in § 43 Abs. 3 einzel-

ne kapitalschützende Pflichten der Geschäftsführer (Kapitalerhaltung, Beschränkungen beim Erwerb eigener Geschäftsanteile) gesondert hervor, da bei Verletzung dieser Pflichten in besonderem Maß ein Interesse der Gesellschaftsgläubiger an der Haftung der Geschäftsführer besteht1089. Für diese Fälle schränkt die Vorschrift im Interesse des Gläubigerschutzes die Möglichkeit ein, auf den Organhaftungsanspruch zu verzichten oder sich darüber zu vergleichen (§ 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1, Rz. 382 ff.). Zudem wird die haftungsbefreiende Wirkung einer Gesellschafterweisung in diesen Fällen eingeschränkt (§ 43 Abs. 3 Satz 3, Rz. 386 ff.). Über die Bezugnahme in anderen Vorschriften (§ 64 Satz 4, § 73 Abs. 3 Satz 2) wird der Anwendungsbereich dieser Haftungsverschärfungen erweitert. Eine übereinstimmende Regelung ist nunmehr auch in Abs. 4 Satz 3-5 des neuen § 15b InsO vorgesehen, der ab 1.1.2021 an die Stelle des bisherigen § 64 getreten ist (Rz. 18). Inwieweit die Verschärfungen nach § 43 Abs. 3 Satz 2 und 3 darüber hinaus auch bei Verletzung anderer gläubigerschützender Vorschriften anzuwenden sind, ist im Einzelnen umstritten (Rz. 377 f.). 372 § 43 Abs. 3 Satz 1 enthält nach herrschendem Verständnis eine eigene Anspruchsgrundla-

ge1090. Diese regelt aber, wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt, lediglich einen Sonderfall eines Ersatzanspruchs nach § 43 Abs. 2 und teilt daher dessen Rechtsnatur als Schadensersatzanspruch1091. Zu beachten ist allerdings, dass im Rahmen dieses Anspruchs Besonderheiten bei der Schadensermittlung gelten, da der Rückgewähranspruch gegen den Empfänger der verbotenen Auszahlung ausgeblendet bleibt (Rz. 380). Diese Modifikation des Schadensbegriffs nötigt aber nicht dazu, den Anspruch entgegen dem Gesetzeswortlaut („insbesondere“) nicht als Schadensersatzanspruch, sondern als Ersatzanspruch eigener Art im Sinne eines verschuldensabhängigen Folgenbeseitigungsanspruchs zu qualifizieren1092.

1087 1088 1089 1090 1091

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in FS Baums, 2017, S. 1205, 1208 f. (anders allenfalls, wenn dem Organwalter bei Einführung der Schiedsklausel ausnahmsweise eine Amtsniederlegung zumutbar ist, weil er für den Fall einer berechtigten Amtsniederlegung durch Ausgleichsansprüche aus dem Anstellungsvertrag abgesichert ist). Haas/Hoßfeld in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 407, 421; Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 13; Schlüter, Schiedsbindung von Organmitgliedern, 2017, S. 198 f.; Spindler in FS Baums, 2017, S. 1205, 1207. Ablehnend Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 7 (in Abgrenzung zum fehlerhaft-wirksam bestellten Organwalter); bejahend aber Haas/Hoßfeld in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 407, 424. Begr. zu § 44 GmbHG-E, RT-Drucks. 1890/92, Aktenstück Nr. 660, 3750; s. schon Rz. 9. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 285; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 99; zu § 93 Abs. 3 AktG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 326. Ganz h.M., BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 17; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 285; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 56; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 256; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 327 f.; zu § 93 Abs. 3 AktG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 327 m.w.N. So aber Habersack/Schürnbrand, WM 2005, 957, 961.

588 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 375 § 43

2. Erfasste Pflichtverletzungen (§ 43 Abs. 3 Satz 1) a) Verstöße gegen die Kapitalerhaltung (§ 43 Abs. 3 Satz 1 Var. 1) Der Haftungsverschärfung nach § 43 Abs. 3 unterfallen gemäß Abs. 3 Satz 1 Var. 1 zunächst 373 solche Zahlungen, die entgegen § 30 aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen geleistet werden. Damit sind sämtliche Verstöße eines Geschäftsführers (Rz. 19 ff.) gegen die Kapitalerhaltung nach § 30 Abs. 1 gemeint. Ebenso wie im Rahmen des § 30 Abs. 1 werden somit trotz des missverständlichen Wortlauts („Zahlungen“) nicht nur Geldabflüsse, sondern auch sonstige Vermögensverlagerungen an Gesellschafter oder ihnen gleichstehende Dritte erfasst, die im Stadium der Unterbilanz erfolgen oder eine Unterbilanz herbeiführen (zu allen Einzelheiten 12. Aufl., § 30 Rz. 17 ff.). Gegen § 43 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 30 Abs. 1 verstößt der Geschäftsführer nicht nur, wenn er die verbotene Vermögensverlagerung eigenhändig vornimmt oder veranlasst, sondern auch, wenn er unter Vernachlässigung seiner Überwachungspflicht nicht verhindert, dass solche Vermögensverlagerungen von Mitgeschäftsführern oder anderen zur Vertretung der Gesellschaft befugten Personen (z.B. Prokuristen, Handlungsbevollmächtigten) vorgenommen werden1093. In Bezug auf Verstöße gegen § 30 Abs. 2, der die Rückzahlung von Nachschüssen regelt, ist 374 dagegen zu differenzieren. Solange der eingezahlte Nachschuss zur Deckung des Stammkapitals erforderlich ist, verstößt eine Rückzahlung nicht nur gegen § 30 Abs. 2 Satz 1, sondern auch gegen § 30 Abs. 1, da § 30 Abs. 2 Satz 1 die Aussage des § 30 Abs. 1 Satz 1 lediglich rein deklaratorisch wiederholt (12. Aufl., § 30 Rz. 140). Solche Verstöße sind daher fraglos von § 43 Abs. 3 erfasst. Verstößt die Rückzahlung des Nachschusses hingegen nicht gegen § 30 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, sondern „nur“ gegen die ergänzende Beschränkung des § 30 Abs. 2 Satz 2 (Rückzahlung vor Ablauf der Dreimonatsfrist nach Bekanntmachung des Rückzahlungsbeschlusses), ist nicht – wie in Abs. 3 Satz 1 Var. 1 verlangt – die Erhaltung des Stammkapitals betroffen. Daher findet Abs. 3 in diesem Fall keine Anwendung1094. Nichts anderes gilt nach zutreffender Ansicht in Fällen, in denen nicht gegen § 30 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, sondern nur gegen § 30 Abs. 2 Satz 3 (Rückzahlung vor Volleinzahlung der Einlagen) verstoßen wird1095; denn auch in diesem Fall wird der Nachschuss nicht zur Deckung des Stammkapitals benötigt (sonst läge schon ein Verstoß gegen § 30 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 vor). b) Erwerb/Inpfandnahme eigener Geschäftsanteile entgegen § 33 (§ 43 Abs. 3 Satz 1 Var. 2) Die Haftungsverschärfung nach § 43 Abs. 3 greift zudem ein, wenn der Geschäftsführer eine 375 der Vorgaben verletzt, die § 33 für den Erwerb eigener Geschäftsanteile durch die Gesellschaft aufstellt (§ 43 Abs. 3 Satz 1 Var. 2). Vom Wortlaut des § 43 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 nicht erfasst wird dagegen – im Unterschied zu § 93 Abs. 3 Nr. 3 AktG und dessen Vorgängervorschriften1096 – die Inpfandnahme eigener Geschäftsanteile. Dabei handelt es sich aber um

1093 BGH v. 25.6.2001 – II ZR 38/99, BGHZ 148, 167 = GmbHR 2001, 771, 772 (unter Hinweis auf die passivische Formulierung der § 30 Abs. 1, § 43 Abs. 3); Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 86; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 286; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 56; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 100. 1094 Allg. M., etwa Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 86; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 262. 1095 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 261; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 86; Haas/ Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.7; Lücke/Simon in Saenger/ Inhester, Rz. 69. 1096 § 84 Abs. 3 Nr. 3 AktG 1937, § 241 Abs. 3 Nr. 3 HGB 1900, Art. 241 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Art. 226 Abs. 2 Nr. 3 ADHGB 1884.

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§ 43 Rz. 375 | Haftung der Geschäftsführer eine planwidrige Regelungslücke, die im Zuge der GmbH-Novelle 1980 entstanden ist. Bis dahin wurde in § 33 nur der Erwerb und nicht die Inpfandnahme eigener Anteile geregelt, weshalb die entsprechende Fassung des § 43 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 konsequent war. Die GmbH-Novelle 1980 hat die Beschränkungen des § 33 sodann auf die Inpfandnahme eigener Anteile erstreckt, da diese ähnliche Gefahren berge wie der Erwerb eigener Anteile und die Beschränkungen des Erwerbs eigener Anteile sonst umgangen werden könnten1097. Bei dieser Änderung des § 33 ist die konsequente Anpassung des § 43 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 unterblieben, was sich nur mit einem Versehen erklären lässt. Die planwidrige Lücke ist wegen der vergleichbaren Interessenlage dadurch zu schließen, dass § 43 Abs. 3 Satz 1 Var. 2 auch auf Verstöße gegen § 33 bei der Inpfandnahme eigener Geschäftsanteile entsprechend anzuwenden ist1098. Im Ergebnis werden somit sämtliche Verstöße des Geschäftsführers gegen § 33 erfasst, d.h. Erwerb und Inpfandnahme nicht voll eingezahlter eigener Anteile (§ 33 Abs. 1) ebenso wie Erwerb und Inpfandnahme voll eingezahlter Anteile ohne hinreichendes ungebundenes Vermögen (§ 33 Abs. 2 Satz 1-2). c) Analoge Anwendung auf die Verletzung weiterer gläubigerschützender Vorschriften 376 In einzelnen Fällen ordnet das Gesetz selbst eine entsprechende Anwendung der Haftungs-

verschärfung nach § 43 Abs. 3 an. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang zuvörderst § 64 Satz 4, der sich auf Ersatzansprüche aus § 64 Satz 1 (Auszahlungsverbot bei Insolvenzreife) und Satz 3 (Insolvenzverursachungshaftung) bezieht (jetzt § 15b Abs. 4 Satz 3-5 InsO-RegE, Rz. 18). Eine gleichartige Regelung enthält § 73 Abs. 3 Satz 2 für Ersatzansprüche gegen die Liquidatoren bei verfrühter Vermögensverteilung. 377 Darüber hinaus wird ganz überwiegend anerkannt, dass § 43 Abs. 3 Satz 2-3 auch auf Ver-

stöße gegen weitere Pflichten, die dem Kapitalschutz dienen oder in unmittelbarem Zusammenhang damit stehen, analog anzuwenden ist. Weithin anerkannt ist dies namentlich für Verstöße gegen § 43a (Verbot der Kreditgewährung aus dem gebundenen Vermögen an Geschäftsführer, Prokuristen und Gesamthandlungsbevollmächtigte)1099 sowie für die Mitwirkung eines Geschäftsführers an einem existenzvernichtenden Eingriff (12. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.)1100. Letzteres lässt sich daraus ableiten, dass die Grundsätze des existenzvernichtenden Eingriffs als „Verlängerung“ des Schutzsystems der §§ 30 f. zu verstehen sind1101 und mithin – ebenso wie § 43a – in einem engen Zusammenhang mit dem Kapitalschutz stehen. 378 Umstritten und zweifelhaft ist dagegen, ob über die genannten, weithin konsentierten Einzel-

fälle hinaus § 43 Abs. 3 Satz 2-3 generell auf Innenhaftungsansprüche wegen der Verletzung von Vorschriften analog anzuwenden ist, deren Einhaltung (auch) im Gläubigerinteresse geboten ist, wie z.B. die Buchführungspflicht und die Pflicht zur Aufstellung des Jahresab-

1097 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 41, 42; näher dazu Paura in Habersack/Casper/Löbbe, § 33 Rz. 14. 1098 Für Anwendbarkeit des Abs. 3 auf die Inpfandnahme (allerdings ohne Begründung) auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 291; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 263 (jeweils im Kontext des § 33 Abs. 2 S. 2); zweifelnd Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 338. 1099 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = GmbHR 2004, 302, 304 (unter 3 b); Uwe H. Schneider in FS Werner, 1984, S. 795, 809 f.; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 98; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 97; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 63, 76; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 264. 1100 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 99; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 97; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 264; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 348; für Abs. 3 Satz 2 auch Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.9. 1101 So ausdrücklich BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = GmbHR 2007, 927 Rz. 33.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 380 § 43

schlusses nach §§ 41, 42a sowie die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO1102. Dafür könnte der Zweck des Abs. 3 sprechen, Fälle zu erfassen, in denen ein besonderes Interesse der Gesellschaftsgläubiger an der Organhaftung besteht. Fraglich ist jedoch, ob man von einer derart großen planwidrigen Lücke ausgehen darf, da der Gesetzgeber mit der engen, auf den Kapitalschutz beschränkten Fassung des Abs. 3 und den punktuellen Bezugnahmen in § 15b Abs. 4 Satz 3-5 InsO (§ 64 Satz 4 a.F.) und § 73 Abs. 3 Satz 2 wohl kaum die Vorstellung verbunden haben dürfte, damit sämtliche Verletzungen gläubigerschützender Pflichten zu erfassen1103. Zudem ist zumindest in den Fällen, in denen eine Außenhaftung unmittelbar gegenüber den Gläubigern anerkannt ist (wie im Fall des § 15a InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB), auch das Bedürfnis für eine Rechtsfortbildung im Rahmen des Abs. 3 fraglich. Nicht entsprechend anwendbar ist Abs. 3 jedenfalls auf Verstöße gegen § 49 Abs. 3 (Einberufung der Gesellschafterversammlung bei Verlust der Hälfte des Stammkapitals)1104, da diese Vorschrift allein dem Schutz der Gesellschafter zu dienen bestimmt ist und dem Gläubigerschutz nur reflexiv zugutekommt1105.

3. Verschulden Auch die Haftung nach § 43 Abs. 3 Satz 1 setzt unstreitig Verschulden, d.h. Vorsatz oder 379 Fahrlässigkeit, voraus1106. Insoweit gilt im Ausgangspunkt nichts anderes als im Rahmen des Grundtatbestands des Abs. 2 (Rz. 268 ff.). Wie im Fall des Abs. 2 wird das Verschulden vermutet (Rz. 391). Anders als im Rahmen des Abs. 2 kann allerdings die Haftung nach Abs. 3, soweit sie zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist, nicht durch statutarische oder vertragliche Haftungsmilderungen eingeschränkt werden (Rz. 425).

4. Schaden Auch der Anspruch aus § 43 Abs. 3 Satz 1 setzt einen Schaden der Gesellschaft voraus. Dabei 380 ist als Besonderheit zu beachten, dass bei der Schadensermittlung der Erstattungsanspruch der Gesellschaft nach § 31 Abs. 1 gegen den Empfänger der nach § 30 Abs. 1 oder § 33 verbotenen Leistung unberücksichtigt bleibt1107. Gleiches muss für etwaige Ausfallhaftungsansprüche nach § 31 Abs. 3 gelten. Der Schaden entspricht damit (mindestens) dem Mittelabfluss auf Seiten der Gesellschaft1108. Dieser „Auszahlungsschaden“ entfällt erst, wenn und

1102 Befürwortend etwa Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 63, 76; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 64 f.; für §§ 41, 42a tendenziell auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 267 m.w.N.; ablehnend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 34, 47; kritisch auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 297, 310 f. 1103 Methodische Bedenken auch bei Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 310 f. („Analogiebasis brüchig“). 1104 Zutr. Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 63 a.E.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 34, 47; abw. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 267. 1105 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 49 Rz. 7; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 49 Rz. 31; s. auch 12. Aufl., § 49 Rz. 23. 1106 Allg. M., s. nur Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 292; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 269. 1107 BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 17; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 293; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 270; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 340. 1108 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72, 79 = GmbHR 2004, 302; BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 17.

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§ 43 Rz. 380 | Haftung der Geschäftsführer soweit der Erstattungsanspruch erfüllt worden ist1109. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür liegt beim Geschäftsführer (Rz. 392). Bei einem Erwerb eigener Geschäftsanteile entgegen § 33 liegt der Auszahlungsschaden in dem gezahlten Kaufpreis, nicht nur in der Differenz zum Wert des Geschäftsanteils1110. Ist der Erstattungsanspruch noch nicht erfüllt und der Geschäftsführer daher zum Ersatz des Auszahlungsschadens verpflichtet, muss er entsprechend § 255 BGB (i.V.m. §§ 273, 274 BGB) nur Zug um Zug gegen Abtretung des Erstattungsanspruchs leisten1111. Die Abtretung des Ausfallhaftungsanspruchs nach § 31 Abs. 3 gegen die Mitgesellschafter des Zahlungsempfängers kann der Geschäftsführer hingegen nicht verlangen, da er im Verhältnis zu diesen vorrangig haftet (§ 31 Abs. 6). 381 Hat die Gesellschaft aufgrund der verbotenen Auszahlung über den Auszahlungsschaden hi-

naus noch andere Schäden erlitten, sollen diese weiteren Schäden nach der im GmbH-Recht überwiegenden Ansicht nicht nach § 43 Abs. 3, sondern nach Abs. 2 zu ersetzen sein1112. Dem ist jedoch in Übereinstimmung mit der im Aktienrecht heute herrschenden Gegenansicht nicht zu folgen, da sich auch die weiteren Schäden zwanglos unter Abs. 3 subsumieren lassen1113. Die Beweislast für diese weiteren Schäden liegt unstreitig bei der Gesellschaft (Rz. 392).

5. Einschränkungen für Verzicht und Vergleich (§ 43 Abs. 3 Satz 2) 382 Ersatzansprüche der Gesellschaft nach § 43 Abs. 3 Satz 1 sowie die ihnen im Wege der Ana-

logie gleichzustellenden Ansprüche (Rz. 376 ff.) unterliegen den besonderen Verzichts- und Vergleichsbeschränkungen nach § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1. Diese zusätzlichen Anforderungen treten neben die allgemeinen Wirksamkeitserfordernisse für den Verzicht oder Vergleich, die auch im Rahmen des Abs. 2 gelten (namentlich das Erfordernis eines wirksamen Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 8, Rz. 351 ff.). a) Unwirksamkeit bei Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung 383 Nach § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 Satz 1 ist der Verzicht auf oder der Vergleich über

einen der genannten Ansprüche unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubi1109 BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 270; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 341. 1110 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 95; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 293; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 270; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 343. 1111 RG v. 30.11.1938 – II 39/38, RGZ 159, 211, 230 (zu § 241 Abs. 3 HGB 1900, heute § 93 Abs. 3 AktG); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 290; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 65; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 274; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 100; trotz Annahme von Gesamtschuldnerschaft zwischen Geschäftsführer und Zahlungsempfänger im Erg. auch Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 342; a.A. Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 49 mit Fn. 415 (Gesamtschuldnerschaft, daher kein Abtretungsanspruch nach § 255 BGB, sondern nur Rückgriffsanspruch des Geschäftsführers im Innenverhältnis zum Zahlungsempfänger). 1112 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 294; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58 a.E.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 271; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 341; zur AG ebenso RG v. 30.11.1938 – II 39/38, RGZ 159, 211, 231 f. (zu § 241 Abs. 3 HGB 1900, Vorläufer des § 93 Abs. 3 AktG). 1113 Wie hier für Anwendung des Abs. 3 Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.31; Mertens in Hachenburg, Rz. 92; zur Parallelfrage im Rahmen des § 93 Abs. 3 AktG Fleischer in BeckOGK AktG, § 93 AktG Rz. 311; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 69; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 93 AktG Rz. 134; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 93 AktG Rz. 263.

592 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 384 § 43

ger der Gesellschaft erforderlich ist. Auch ein Entlastungsbeschluss (§ 46 Nr. 5) kann unter diesen Umständen nicht wie sonst (Rz. 357) Verzichtswirkung entfalten1114. Der Ersatz ist jedenfalls dann zur Gläubigerbefriedigung erforderlich, wenn die Gesell- 384 schaft insolvent, d.h. zahlungsunfähig (§ 17 InsO) oder überschuldet (§ 19 InsO), ist oder ohne den Schadensersatz wäre; die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder deren Ablehnung mangels Masse ist hierfür nicht notwendig (12. Aufl., § 9b Rz. 8, dort auch zur Frage, ob bereits Zahlungsstockungen genügen können). Nach der Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH zu Abs. 3 soll es dabei allein auf den Zeitpunkt des Verzichts oder Vergleichs ankommen; dass der Ersatzbetrag erst später zur Gläubigerbefriedigung erforderlich geworden ist, soll nicht zur Unwirksamkeit des Vergleichs führen1115. Dieser Rechtsprechung ist jedoch nicht zu folgen1116. Sie widerspricht der Judikatur desselben Senats zu dem gleichlautenden Tatbestandsmerkmal im Rahmen des § 31 Abs. 21117 und der seit jeher ganz herrschenden Ansicht zu § 9b Abs. 11118, die jeweils auch eine erst nachträglich eintretende Unzulänglichkeit des Gesellschaftsvermögens für beachtlich halten. Vor allem entbehrt sie einer nachvollziehbaren Begründung, sondern beruht schlicht auf einem Missverständnis, das in einer früheren Entscheidung durch eine Bezugnahme auf eine Entscheidung zu Abs. 2 entstanden ist1119. Wortlaut („erforderlich ist“, nicht „war“), Entstehungsgeschichte, systematischer Zusammenhang mit den genannten Parallelvorschriften und nicht zuletzt der Telos des Gläubigerschutzes sprechen im Gegenteil übereinstimmend dafür, dass auch eine erst nach dem Verzicht oder Vergleich eintretende Unzulänglichkeit des Gesellschaftsvermögens zur Gläubigerbefriedigung die Unwirksamkeit des Vergleichs zur Folge hat1120. Im Ergebnis bedeutet dies, dass sich der Geschäftsführer bis zum Eintritt der Verjährung (Abs. 4) darauf einstellen muss, dass der Verzicht oder Vergleich bei einer Notlage der Gesellschaft keinen

1114 OLG Brandenburg v. 27.12.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 479; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 9b Rz. 9. 1115 Deutlich (allerdings obiter) BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, GmbHR 2008, 488 Rz. 11 im Anschluss an BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 713; ferner BGH v. 23.4.2012, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 27 (zu Abs. 3 Satz 3: Zeitpunkt der Leistung); dem folgend Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 347; Ziemons in Michalski u.a., Rz. 514. 1116 Zum Folgenden ausf. Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 783 ff. (zu Abs. 3 Satz 3) und Bayer in 2. FS Hopt, 2020, S. 47, 49 ff.; ferner Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 9b Rz. 2 Fn. 8; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 61; implizit auch schon Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 277. 1117 BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, GmbHR 2003, 1420, 1423; ebenso die ganz h.L. zu § 31 Abs. 2 und Abs. 3, s. 12. Aufl., § 31 Rz. 44 (i.V.m. Rz. 51) m. zahlreichen Nachw. 1118 OLG Brandenburg v. 28.12.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 479; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 9b Rz. 13; Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.12; Herrler in MünchKomm. GmbHG, § 9b Rz. 22; Tebben in Michalski u.a., § 9b Rz. 8; s. auch 12. Aufl., § 9b Rz. 8 mit dem Hinweis, dass es auch nicht darauf ankommt, ob die nachträglich eintretende Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung im Zeitpunkt des Verzichts oder Vergleichs vorhersehbar war; Nachw. aus dem älteren Schrifttum (zu den Vorgängervorschriften des § 9b Abs. 1) bei Bayer in 2. FS Hopt, 2020, S. 47, 55. A.A. – Zeitpunkt der Vornahme des Verzichts oder Vergleichs maßgeblich – Servatius in Baumbach/Hueck, § 9b Rz. 2. 1119 Vgl. BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 713 m. Bezugnahme auf BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, ZIP 2002, 2128, 2130 (zu Abs. 2). Nähere Analyse bei Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 787 f., und Bayer in 2. FS Hopt, 2020, S. 47, 50 ff. 1120 Eingehend Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 786 ff. (zu Abs. 3 Satz 3) und Bayer in 2. FS Hopt, 2020, S. 47, 54 ff.; ferner Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 9b Rz. 2 Fn. 8; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 61; im Erg. auch schon Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 277; aus dem älteren Schrifttum sehr deutlich bereits Brodmann, § 43 Anm. 4 a) (zu Abs. 3 Satz 2 und 3): „Es kommt nicht darauf an, ob die Unzulänglichkeit des Gesellschaftsvermögens zur Bezahlung des oder der Gläubiger schon bestand, als die verbotene Auszahlung oder Aufwendung von Gesellschaftsgeldern oder als der Verzicht erfolgte.“

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§ 43 Rz. 384 | Haftung der Geschäftsführer Bestand haben wird, die Rechtslage mithin „in der Schwebe“ bleibt1121. Im Prozess kommt es nach alledem darauf an, ob im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz der Ersatzbetrag zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist1122. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trägt derjenige, der den Anspruch geltend macht, mithin die Gesellschaft, der pfändende Gläubiger oder der Insolvenzverwalter (Rz. 394). b) Ausnahmen von der Unwirksamkeit 385 Ausnahmsweise ist der Verzicht oder Vergleich nach § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1

Satz 2 trotz Erforderlichkeit der Haftung zur Gläubigerbefriedigung dann nicht unwirksam, wenn der Geschäftsführer zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt ist (12. Aufl., § 9b Rz. 12 ff.). Praktisch wichtiger als diese eng begrenzte Regelung ist freilich eine andere, ungeschriebene Ausnahme: Die Verzichts- und Vergleichsbeschränkung des § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 Satz 1 gilt nach ihrem Sinn und Zweck nicht für den auf das Interesse der Gläubiger verpflichteten Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH1123. Dieser kann daher vorbehaltlich der allgemeinen Grenze bei evident insolvenzzweckwidrigem Verhalten (12. Aufl., § 64 Rz. 206) ohne weiteres einen wirksamen Erlass oder Vergleich mit dem Geschäftsführer vereinbaren1124. Entspricht der Verzicht oder Vergleich nicht der Sorgfaltspflicht des Insolvenzverwalters, sind die Gläubiger durch dessen Haftung nach § 60 InsO geschützt.

6. Auswirkungen von Gesellschafterweisungen und -einverständnis (§ 43 Abs. 3 Satz 3) a) Befolgung von Gesellschafterbeschlüssen 386 § 43 Abs. 3 Satz 3 regelt die Frage, ob sich die Geschäftsführer in den Fällen des Abs. 3 Satz 1

(und den im Wege der Analogie gleichgestellten Fällen, Rz. 376 ff.) zu ihrer Entlastung darauf berufen können, dass sie in Befolgung eines Gesellschafterbeschlusses gehandelt haben. Diese Frage verneint Abs. 3 Satz 3, soweit der Haftungsbetrag zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist. Maßgeblich für die Frage, ob der Ersatzbetrag für die Gläubigerbefriedigung erforderlich ist, ist dabei nach zutreffender Ansicht nicht der Zeitpunkt der nach § 30 Abs. 1 oder § 33 verbotenen Leistung der Gesellschaft1125; vielmehr genügt für die Anwendung des Abs. 3 Satz 3 auch eine erst nachträglich eintretende Un-

1121 So anschaulich bereits Brodmann, § 9 Anm. 3 a); darauf Bezug nehmend auch Bayer in 2. FS Hopt, 2020, S. 47, 55. 1122 Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 796; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 61; ebenso zu § 31 Abs. 2 BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, GmbHR 2003, 1420, 1423 (Zeitpunkt „der tatrichterlichen Verhandlung über den Anspruch“) und die ganz h.L., s. 12. Aufl., § 31 Rz. 44 m.w.N. 1123 BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 232/17, BGHZ 219, 98 = GmbHR 2018, 923 Rz. 21 ff.; aus dem Schrifttum etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 295; Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.19; Hirte in Uhlenbruck, § 35 InsO Rz. 339; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 244; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 9b Rz. 3; s. auch 12. Aufl., § 64 Rz. 206; a.A. Meul/Ritter, NZI 2017, 689, 691 ff. 1124 Auch das Beschlusserfordernis nach § 46 Nr. 8 (Rz. 382 i.V.m. Rz. 359) entfällt bei Verzicht oder Vergleich durch den Insolvenzverwalter; allg. M., s. 12. Aufl., § 46 Rz. 152. 1125 So aber BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 27 (im Anschluss an die zu Abs. 3 Satz 2 ergangenen Entscheidungen BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, GmbHR 2008, 488 Rz. 11 und BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 713); dem folgend Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 347; Ziemons in Michalski u.a., Rz. 514.

594 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 388 § 43

zulänglichkeit des Gesellschaftsvermögens1126. Das ergibt sich aus den Gründen, die oben zu derselben Tatbestandsvoraussetzung des Abs. 3 Satz 2 dargelegt wurden (Rz. 384); die abweichende BGH-Rechtsprechung ist für Abs. 3 Satz 3 ebenso unhaltbar wie im Rahmen des Abs. 3 Satz 2. Im Schrifttum wird verschiedentlich geltend gemacht, dass § 43 Abs. 3 Satz 3 kaum prakti- 387 sche Bedeutung habe, da gegen § 30 Abs. 1, § 33 verstoßende Beschlüsse ohnehin nichtig seien und schon deshalb keine enthaftende Wirkung haben könnten1127. Damit wird die Bedeutung des Abs. 3 Satz 3 jedoch nur unvollständig erfasst. Abgesehen davon, dass gegen § 30 Abs. 1 verstoßende Gesellschafterbeschlüsse in der Regel nicht nichtig, sondern nur temporär nicht vollziehbar sind (Rz. 354), ist nämlich zu bedenken, dass selbst dann, wenn der Gesellschafterbeschluss unverbindlich war, der Inanspruchnahme des Geschäftsführers durch die Gesellschaft u.U. der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (venire contra factum proprium) entgegenstehen kann (Rz. 262 und sogleich Rz. 388). Abs. 3 Satz 3 stellt demgegenüber klar, dass dieser Einwand nicht erhoben werden kann, soweit der Ersatz zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist. Ebenso wird der sonst denkbare Einwand des Mitverschuldens der Gesellschafterversammlung ausgeschlossen (Rz. 390). § 43 Abs. 3 Satz 3 beantwortet nicht die – bisher vergleichsweise wenig erörterte – Frage, wie 388 es sich verhält, wenn der Haftungsbetrag zur Gläubigerbefriedigung nicht erforderlich ist. Nicht überzeugend wäre es, aus der Vorschrift generell den Umkehrschluss abzuleiten, dass sich der Geschäftsführer in diesem Fall stets unter Hinweis auf den Gesellschafterbeschluss entlasten könnte1128. Da ein gegen § 30 Abs. 1, § 33 verstoßender Gesellschafterbeschluss für den Geschäftsführer nicht verbindlich ist und von ihm nicht ausgeführt werden darf, wäre es nicht gerechtfertigt, den Geschäftsführer pauschal aus seiner Verantwortung zu entlassen1129. Vielmehr müssen in diesem Fall dieselben Grundsätze Anwendung finden, die auch im Rahmen des Abs. 2 gelten, wenn der Geschäftsführer einen Gesellschafterbeschluss ausgeführt hat, den er nicht hätte ausführen dürfen. Dort ist anerkannt, dass der Inanspruchnahme des Geschäftsführers unter bestimmten Umständen der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung in Form des selbstwidersprüchlichen Verhaltens entgegenstehen kann, wenn die Gesellschafter ihn vorher – wenn auch rechtswidrig und damit unverbindlich – zu der schadensverursachenden Handlung angewiesen haben. Dies ist namentlich dann anzunehmen, wenn sämtliche Gesellschafter wussten oder billigend in Kauf genommen haben, dass ihr Beschluss auf ein rechtswidriges Verhalten gerichtet war (Rz. 262). Unterhalb dieser Schwelle kann nach Lage des Einzelfalls der anspruchsmindernde Einwand des Mitverschuldens der

1126 Eingehend Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 783 ff. und Bayer in 2. FS Hopt, 2020, S. 47, 54 ff. (zu Abs. 3 Satz 2); ferner Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 61; Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 277; aus dem älteren Schrifttum sehr deutlich auch schon Brodmann, § 43 Anm. 4 a); ebenso die h.M. zu den Parallelvorschriften in § 9b Abs. 1 und § 31 Abs. 2, Abs. 3; s. die Nachw. Rz. 384, insbes. BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, GmbHR 2003, 1420, 1423 (zu § 31 Abs. 2). 1127 Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 345 f. (mit dem Hinweis, dass als Anwendungsbereich des Abs. 3 Satz 3 nur der Fall verbleibe, dass der Verstoß gegen §§ 30, 33 noch nicht im Zeitpunkt der Beschlussfassung, sondern erst im Zeitpunkt der Beschlussausführung vorlag); ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 296. 1128 Näher zum Folgenden Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 789 ff. 1129 Vgl. BGH v. 9.12.2014 – II ZR 360/13, GmbHR 2014, 248 Rz. 13: „Das Einverständnis der Gesellschafter mit den Entnahmen entlastet den Bekl. nicht. Der Bekl. musste als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH unabhängig von Weisungen der Gesellschafter von GmbH oder KG dafür sorgen, dass das Stammkapital der GmbH nicht angegriffen wurde.“ Auf die Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung stellt der Senat in diesem Zusammenhang nicht ab. Nähere Analyse bei Verse in FS Bergmann, 2018, S. 781, 789 f.; dort auch zu weiteren BGH-Entscheidungen, die aber insgesamt uneinheitlich sind und die im Text aufgeworfene Frage nicht klar beantworten.

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§ 43 Rz. 388 | Haftung der Geschäftsführer Gesellschafterversammlung in Betracht kommen (Rz. 327). Diese Grundsätze sind auf die Haftung nach Abs. 3 bei fehlender Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung übertragbar. b) Informelles Einverständnis 389 Der Befolgung eines Gesellschafterbeschlusses steht es gleich, wenn die Geschäftsführer

ohne förmliche Beschlussfassung im – auch stillschweigenden – Einverständnis aller Gesellschafter handeln1130. Folglich lassen sich die vorstehenden Feststellungen zur Befolgung von Gesellschafterbeschlüssen auch auf diesen Fall übertragen. Soweit die Haftung zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist, kann auch ein informelles Einverständnis der Gesellschafter den Geschäftsführer (selbstverständlich) nicht entlasten. Wird der Ersatzbetrag nicht zur Gläubigerbefriedigung benötigt, ist es dagegen auch hier wieder eine Frage des Einzelfalls, ob sich der Geschäftsführer auf den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung oder ein Mitverschulden berufen kann (Rz. 388).

7. Mitverschulden 390 Auf ein Mitverschulden (§§ 254, 31, 278 BGB) von Mitgeschäftsführern, Arbeitnehmern,

Aufsichts- oder Beiratsmitgliedern der Gesellschaft kann sich der haftende Geschäftsführer ebenso wenig berufen wie im Rahmen des Abs. 2 (Rz. 324, 329). Wie sich aus § 43 Abs. 3 Satz 3 ableiten lässt, kann der Geschäftsführer – soweit der Haftungsbetrag zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist – auch kein Mitverschulden der Gesellschafterversammlung einwenden, wenn diese die gegen § 30 Abs. 1, § 33 (oder die im Wege der Analogie gleichgestellten Vorschriften) verstoßende Auszahlung angewiesen hat1131. Soweit der Ersatzbetrag dagegen nicht für die Gläubigerbefriedigung benötigt wird, ist die Anrechnung eines Mitverschuldens der Gesellschafterversammlung nicht generell ausgeschlossen; es finden dann die im Rahmen des Abs. 2 geltenden Grundsätze Anwendung (Rz. 327).

8. Darlegungs- und Beweislast 391 Einigkeit besteht, dass – wie im Rahmen des Abs. 2 (Rz. 332) – das Verschulden des Ge-

schäftsführers vermutet wird, dieser also analog § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG fehlendes Verschulden darlegen und beweisen muss1132. Hinsichtlich der Pflichtverletzung, also hinsichtlich der Tatsachen, die den Verstoß gegen § 30 Abs. 1 bzw. § 33 begrün-

1130 St. Rspr., BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = GmbHR 2013, 1044 Rz. 33; BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 713 m.w.N.; ebenso die h.L., s. schon Rz. 265 f. m. Nachw. 1131 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 70; ferner Bayer/Scholz, GmbHR 2016, 841, 846 (Letztere allerdings ohne Präzisierung, ob dies nur gilt, wenn der Ersatzbetrag für die Gläubigerbefriedigung erforderlich ist). 1132 BGH v. 22.9.2003 – II ZR 229/02, GmbHR 2003, 1420, 1423, 1424; BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 17; Bayer/Illhardt, GmbHR 2011, 751, 756; Born in Krieger/ Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.30; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 292; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 339; zu § 93 Abs. 3 AktG Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 69. Zu undifferenziert daher die pauschale Bemerkung in BGH v. 13.3.2006 – II ZR 165/04, GmbHR 2006, 537 Rz. 11, dass die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter die Voraussetzungen für eine Haftung nach Abs. 3 darlegen und beweisen müsse; dem folgend aber Beurskens in Baumbach/ Hueck, Rz. 89.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 392 § 43

den, geht die h.M. hingegen im Anschluss an eine apodiktische BGH-Entscheidung1133 davon aus, dass die Gesellschaft (bzw. der Insolvenzverwalter oder der Gläubiger, der den Ersatzanspruch hat pfänden und sich überweisen lassen) darlegungs- und beweispflichtig ist1134. Ergänzend wird darauf verwiesen, dass wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten eine sekundäre Darlegungslast (Rz. 335) des Geschäftsführers bestehen kann1135. Nicht begründet wird dabei allerdings, warum die Darlegungs- und Beweislast in diesem Punkt von den Grundsätzen abweicht, welche die h.M. zum Grundtatbestand des Abs. 2 vertritt; dort weisen Rechtsprechung und h.L. wie dargelegt die Beweislast hinsichtlich der (fehlenden) Pflichtverletzung dem Geschäftsführer zu (Rz. 330, 332). Die Erklärung für die unterschiedliche Handhabung liegt möglicherweise darin, dass man im Rahmen des Abs. 3 unschwer zwischen Pflichtwidrigkeit (objektiver Verstoß gegen § 30 Abs. 1 oder § 33) und Verschulden (Erkennbarkeit/Vorwerfbarkeit des Verstoßes) unterscheiden kann, während im Rahmen des Abs. 2 Pflichtverletzung und Verschulden häufig zusammenfallen (Rz. 276). Sollte dies die tragende Erwägung sein, wäre es allerdings konsequent, auch im Rahmen des Abs. 2 wenigstens bei allen rechtlich gebundenen Entscheidungen die Beweislast für die Pflichtwidrigkeit der Gesellschaft zuzuweisen, da auch hier Pflichtwidrigkeit und Verschulden klar zu trennen sind. Aus hier vertretener Sicht bestärkt die unterschiedliche Handhabung der Beweislast im Rahmen des Abs. 2 und des Abs. 3 jedenfalls die bereits geäußerten Zweifel daran, ob die strenge Rechtsprechung zum Grundtatbestand des Abs. 2 nicht zu weit geht (s. schon Rz. 332). Hinsichtlich des Schadens ist die Besonderheit zu beachten, dass der Erstattungsanspruch 392 gegen den Zahlungsempfänger ausgeblendet bleibt (Rz. 380). Infolgedessen wird bei Vorliegen einer nach § 30 Abs. 1, § 33 verbotenen Auszahlung ein Schaden der Gesellschaft in Höhe der Auszahlung (Auszahlungsschaden) vermutet. Es ist dann Sache des Geschäftsführers, darzulegen und zu beweisen, dass der Auszahlungsschaden durch Erfüllung des Erstattungsanspruchs entfallen ist1136. Für mögliche weitere Schäden, die der Gesellschaft infolge der verbotenen Auszahlung entstanden sind, ist hingegen nach den allgemeinen Regeln (Rz. 330 f.) die Gesellschaft darlegungs- und beweispflichtig1137, und zwar unabhängig davon, ob man den Ersatzanspruch für diese weiteren Schäden – wie hier vertreten (Rz. 381) – auf § 43 Abs. 3 Satz 1 stützt oder aber aus § 43 Abs. 2 ableitet. Die Darlegungs- und Beweislast für eine etwaige Vorteilsanrechnung trifft, ebenfalls in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen (Rz. 334), den Geschäftsführer1138. 1133 BGH v. 13.3.2006 – II ZR 165/04, GmbHR 2006, 537 Rz. 11 mit der pauschalen, nicht begründeten und wie dargelegt jedenfalls in Bezug auf das Verschulden unzutreffenden Bemerkung, dass die Gesellschaft (bzw. im konkreten Fall der Insolvenzverwalter) „die Voraussetzungen für eine Haftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 3 GmbHG darzulegen und zu beweisen“ habe. 1134 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 288; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 339. S. aber auch Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.29, der auch im Rahmen des Abs. 3 auf die Darlegungs- und Beweislastumkehr zum Grundtatbestand des Abs. 2 Bezug nimmt. 1135 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 288; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 339; auch insoweit jeweils unter Bezugnahme auf BGH v. 13.3.2006 – II ZR 165/04, GmbHR 2006, 537 Rz. 11. 1136 RG v. 30.11.1938 – II 39/38, RGZ 159, 211, 230 (zu § 241 Abs. 3 HGB 1900, heute § 93 Abs. 3 AktG); Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.30; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 293; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 272; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 344. 1137 Allg. M., etwa Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.31 (auf Grundlage des Abs. 3); ferner – jeweils auf Grundlage des Abs. 2 – Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 294; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 272. 1138 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, AG 2011, 876 Rz. 30 ff., 34 (zu § 93 Abs. 3 Nr. 4 AktG); Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 14.30.

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§ 43 Rz. 393 | Haftung der Geschäftsführer 393 Keine Besonderheiten gelten für die Kausalität zwischen Geschäftsführerverhalten und Scha-

den (Darlegungs- und Beweislast der Gesellschaft, Rz. 330 f.) und für den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens (Darlegungs- und Beweislast des Geschäftsführers, Rz. 334). 394 Im Rahmen des § 43 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 obliegt es der Gesellschaft (bzw. dem Insol-

venzverwalter oder pfändenden Gläubiger), darzulegen und zu beweisen, dass der Ersatz zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist1139. Hat ein Gesellschaftsgläubiger den Anspruch pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen, beweist dieser Umstand allein noch nicht, dass der Ersatzbetrag zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist (12. Aufl., § 9b Rz. 9).

9. Gesamtschuldnerische Haftung und Innenausgleich 395 Nicht anders im Rahmen des § 43 Abs. 2 (Rz. 345) haften auch im Anwendungsbereich des

§ 43 Abs. 3 Satz 1 mehrere Geschäftsführer als Gesamtschuldner1140. Auch für den Innenausgleich zwischen den Gesamtschuldnern nach § 426 BGB (Rz. 348 f.) gelten keine Besonderheiten. Kein Gesamtschuldverhältnis besteht hingegen zwischen den Geschäftsführern und dem Empfänger der nach §§ 30, 33 verbotenen Auszahlung. Der von der Gesellschaft in Anspruch genommene Geschäftsführer ist zum Ersatz des Auszahlungsschadens entsprechend § 255 BGB i.V.m. §§ 273, 274 BGB nur Zug um Zug gegen Abtretung des Erstattungsanspruchs gegen den Auszahlungempfänger verpflichtet (Rz. 380).

10. Geltendmachung des Anspruchs a) Geltendmachung durch die Gesellschaft, einzelne Gesellschafter oder den Insolvenzverwalter 396 Für die Geltendmachung des Anspruchs aus § 43 Abs. 3 durch die Gesellschaft, einzelne Ge-

sellschafter (actio pro socio) oder im Insolvenzverfahren den Insolvenzverwalter gilt Gleiches wie im Rahmen des § 43 Abs. 2. Auf die betreffenden Ausführungen kann Bezug genommen werden (Rz. 359 ff., 366). b) Verfolgungsrecht der Gläubiger (§ 93 Abs. 5 Satz 1 AktG analog) 397 Eine Besonderheit ist dagegen in Bezug auf das Verfolgungsrecht der Gesellschaftsgläubiger zu

beachten. Während für Ansprüche aus § 43 Abs. 2 eine analoge Anwendung des § 93 Abs. 5 Satz 1-2 AktG mit Recht ganz überwiegend abgelehnt wird, die Gläubiger also darauf verwiesen sind, den Anspruch der Gesellschaft pfänden und sich überweisen zu lassen (Rz. 364 f.), mehren sich die Stimmen im Schrifttum, die in Bezug auf Ansprüche aus § 43 Abs. 3 für ein Verfolgungsrecht analog § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG eintreten, sofern die Gläubiger von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen können (und dennoch kein Insolvenzverfahren eröffnet wird, vgl. § 93 Abs. 5 Satz 4 AktG)1141. Auf derselben Linie liegt die neuere BGHRechtsprechung zu § 73 Abs. 3, die bei Ansprüchen gegen den Liquidator wegen Verletzung 1139 Bayer/Illhardt, GmbHR 2011, 751, 755; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 295; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 347; s. auch 12. Aufl., § 9b Rz. 9. 1140 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 22; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 394. 1141 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 327; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 313; Wachter, GmbHR 2017, 575, 577; weitergehend Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 95 (auch § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG analog, dagegen Rz. 364 f.). Ein Verfolgungsrecht für Abs. 2 und 3 gleichermaßen ablehnend dagegen Beurskens in Baumbach/Hueck,

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 398 § 43

der gläubigerschützenden Bestimmungen des § 73 Abs. 1-2 ebenfalls Raum für ein Verfolgungsrecht analog § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG (i.V.m. § 268 Abs. 2 Satz 1 AktG) sieht1142. In der Tat sprechen gute Gründe für die vordringende, ein Verfolgungsrecht befürwortende 398 Ansicht. Nicht zu leugnen ist zwar, dass der historische Gesetzgeber des GmbHG 1892 ein Verfolgungsrecht auch in Bezug auf Ansprüche aus § 43 Abs. 3 als „entbehrlich“ angesehen hat1143. Dasselbe gilt aber, wie sich aus den Materialien zum GmbHG 1892 ergibt, auch für Ansprüche gegen den Liquidator nach § 73 Abs. 31144. Dennoch hat der BGH für die Verfolgung von Ansprüchen nach § 73 Abs. 3 eine Rechtsfortbildung für möglich gehalten und die analoge Anwendung des § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG (i.V.m. § 268 Abs. 2 Satz 1 AktG) anerkannt. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber im Rahmen der letztlich gescheiterten großen GmbH-Reform 1971/73 erkannt habe, dass es entgegen der ursprünglichen Regelungsabsicht notwendig ist, dem Gläubiger einen unmittelbaren Anspruch gegen den Abwickler zu gewähren1145. Dass der Gesetzgeber diese Reform nicht umgesetzt hat, bildet nach Auffassung des BGH kein Hindernis für eine Rechtsfortbildung, da daraus nicht der Wille des Gesetzgebers entnommen werden könne, er wolle ein direktes Vorgehen des Gläubigers gegen den Liquidator ausschließen; denn die Umsetzung sei nicht aufgrund sachlicher Einwände, sondern nur deshalb unterblieben, weil es aus Sicht des Gesetzgebers andere vordringlichere Vorhaben gab1146. Wenn man zu § 73 Abs. 3 dieser Argumentation des BGH folgt, gibt es keinen Grund, für Ansprüche nach § 43 Abs. 3 abweichend zu entscheiden. Im Gegenteil besteht hier eine entsprechende Ausgangslage, da im Rahmen der GmbH-Reform von 1971/73 auch vorgesehen war, die Durchsetzung von Ansprüchen nach § 43 Abs. 3 (nicht Abs. 2) durch ein Verfolgungsrecht nach dem Muster des § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG zu erleichtern (§ 75 Abs. 6 Satz 1 RegE 1971)1147. Auch hier ist die Umsetzung nicht wegen inhaltlicher Bedenken, sondern aus den genannten übergeordneten Erwägungen unterblieben. Wenn man mit dem BGH im Rahmen des § 73 Abs. 3 Raum für eine Rechtsfortbildung sieht, muss man daher für § 43 Abs. 3 zu demselben Ergebnis gelangen. Konsequent kann die Analogie zu § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG dann auch nicht – was der BGH in der Entscheidung zu § 73 Abs. 3 offengelassen hat – davon abhängen, ob die Liquidation der GmbH bereits beendet und nur noch ein Gläubiger vorhanden ist1148.

1142

1143 1144 1145

1146 1147 1148

Rz. 73; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 80; Stobbe, Die Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche der GmbH in Insolvenz und masseloser Liquidation, 2001, Rz. 945 ff. BGH v. 13.3.2018 – II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 = GmbHR 2018, 570 Rz. 30 ff. (jedenfalls dann, wenn die Liquidation beendet ist und nur noch ein Gläubiger vorhanden ist); dazu 12. Aufl., § 73 Rz. 39; für Verfolgungsrecht analog § 93 Abs. 5 Satz 1, § 268 Abs. 1 Satz 1 AktG auch schon zuvor die h.L., D. Roth, GmbHR 2017, 901, 902 m.w.N. Dagegen wird eine analoge Anwendung des Verfolgungsrechts nach § 62 Abs. 2 AktG auf Ansprüche nach § 31 Abs. 1 auch in der neueren Rechtsprechung abgelehnt; BGH v. 13.3.2018 – II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 = GmbHR 2018, 570 Rz. 52; BGH v. 19.11.2019 – II ZR 233/18, GmbHR 2020, 476 Rz. 18 ff.; früher bereits BGH v. 19.2.1990 – II ZR 268/88, BGHZ 110, 342, 360 = GmbHR 1990, 251; dazu 12. Aufl., § 31 Rz. 8. Begr. zu § 44 GmbHG-E, RT-Drucks. 1890/92, Aktenstück Nr. 660, 3750; s. dazu schon Rz. 364. Begr. zu § 44 GmbHG-E, RT-Drucks. 1890/92, Aktenstück Nr. 660, 3750. BGH v. 13.3.2018 – II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 = GmbHR 2018, 570 Rz. 36, 44 unter Hinweis auf Begr. zu § 224 GmbHG-RegE 1971, BT-Drucks. VI/3088, S. 207 (der Entwurf sah eine Streichung des § 73 Abs. 3 vor, um stattdessen einen Direktanspruch der Gläubiger nach § 823 Abs. 2 BGB zu ermöglichen). BGH v. 13.3.2018 – II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 = GmbHR 2018, 570 Rz. 45 unter Bezugnahme auf Begr. RegE Gesetz zur Änderung des GmbHG, BT-Drucks. 8/1347, S. 27 li. Sp. BT-Drucks. VI/3088, S. 21, 126. BGH v. 13.3.2018 – II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 = GmbHR 2018, 570 Rz. 30 ff. beschränkt sich auf diese – in dem konkreten Fall vorliegende – Konstellation („jedenfalls dann“).

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§ 43 Rz. 399 | Haftung der Geschäftsführer 399 Die analoge Anwendung des § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG führt dazu, dass der Gläubiger Leistung

an sich selbst, nicht an die GmbH verlangen kann1149. Nach verbreiteter Ansicht soll das Verfolgungsrecht grundsätzlich nur subsidiär bestehen, d.h. nur dann, wenn die Gesellschaft den Anspruch nicht selbst geltend macht1150. Diese Einschränkung bildet aber jedenfalls dann kein Hindernis, wenn die Gesellschaft bereits gelöscht ist1151. Im Übrigen bildet das Verfolgungsrecht immer nur eine Option für den Gläubiger, die er nutzen kann, aber nicht muss. Will er von dem Verfolgungsrecht keinen Gebrauch machen, bleibt es ihm unbenommen, den Ersatzanspruch der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer nach §§ 829, 835 ZPO pfänden und sich überweisen zu lassen1152. c) Gerichtliche Zuständigkeit, Schiedsfähigkeit 400 Hinsichtlich der gerichtlichen Zuständigkeit für die Geltendmachung von Ansprüchen nach

§ 43 Abs. 3 kann auf die entsprechenden Ausführungen zu § 43 Abs. 2 verwiesen werden (Rz. 367 f.). Gleiches gilt für die Geltendmachung im Schiedsverfahren (Rz. 369 f.), die auch bei Ansprüchen nach § 43 Abs. 3 möglich ist. Als Besonderheit ist allerdings zu bedenken, dass die Verzichts- und Vergleichsschranken des § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 einen Schiedsspruch mit vereinbartem Wortlaut (§ 1053 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und Entscheidungen nach Billigkeit (§ 1051 Abs. 3 ZPO) ausschließen1153.

VI. Verjährung (§ 43 Abs. 4) 1. Allgemeines 401 Die Ersatzansprüche gegen den Geschäftsführer nach § 43 Abs. 2-3 verjähren gemäß § 43

Abs. 4 in fünf Jahren, sofern nicht die zehnjährige Sonderverjährung nach § 52a KWG für Kreditinstitute eingreift. Es handelt sich um eine kenntnisunabhängige (objektive) Verjährung, die mit Entstehung des Anspruchs zu laufen beginnt (Rz. 408 ff.). Die seit 1892 unverändert geltende Fünfjahresfrist war ursprünglich vor dem Hintergrund zu sehen, dass nach bürgerlichem Recht eine – für die Organhaftung schon wegen der Beweislastverteilung problematische – dreißigjährige Frist gegolten hätte (zur Entstehungsgeschichte Rz. 10 f.). Nach der Reform des bürgerlich-rechtlichen Verjährungsregimes im Rahmen des Schuldrechtsrefom 2002 hat der Gesetzgeber an der Regelung des § 43 Abs. 4 festgehalten und es abgelehnt, die dreijährige, dafür aber von Kennntis oder grob fahrlässiger Unkenntnis abhängige (subjektive) Regelverjährung nach §§ 195, 199 BGB auf die Organhaftung zu übertragen. Maßgebend dafür war insbesondere die Erwägung, dass die Geschäftsleiter nach objektiven Kriterien Gewissheit benötigen, ab wann ihnen für ein bestimmtes Verhalten keine Inanspruchnahme mehr droht. Zudem erleichtere die objektive Frist die Risikokalkulation für D&O-Versicherer1154. Zur Reformdiskussion s. Rz. 13.

1149 BGH v. 13.3.2018 – II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 = GmbHR 2018, 570 Rz. 54, 56 (zur analogen Anwendung im Rahmen des § 73 Abs. 3); ebenso die ganz h.M. zu § 93 Abs. 5 AktG, etwa Fleischer in BeckOGK AktG, § 93 AktG Rz. 353; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 83. 1150 So etwa Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 73 Rz. 13; Haas in Baumbach/Hueck, § 73 Rz. 13. 1151 BGH v. 13.3.2018 – II ZR 158/16, BGHZ 218, 80 = GmbHR 2018, 570 Rz. 55; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Haas in Baumbach/Hueck, § 73 Rz. 13. 1152 Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 83. 1153 Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2, 12. 1154 Begr. RegE Verjährungsanpassungsgesetz, BT-Drucks. 15/3653, S. 12 im Anschluss an Thiessen, ZHR 168 (2004), 503, 538; näher bereits Rz. 11.

600 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 405 § 43

Da der Verjährungsbeginn von der Entstehung des Ersatzanspruchs und damit vom Eintritt 402 eines Schadens abhängig ist (Rz. 409), sind Fälle denkbar, in denen die schadensverursachende Handlung schon viele Jahre zurückliegt, bevor der Anspruch entsteht und die Verjährungsfrist überhaupt erst zu laufen beginnt. Die dadurch jedenfalls theoretisch bestehende Gefahr einer extrem langen Verjährungsfrist ist vom Gesetzgeber offensichtlich nicht bedacht worden. Diese Regelungslücke ist durch eine analoge Anwendung des § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB zu schließen, so dass Organhaftungsansprüche (ebenso wie sonstige Schadensersatzansprüche) ohne Rücksicht auf den Schadenseintritt spätestens 30 Jahre nach der schadensverursachenden Handlung verjähren1155.

2. Anwendungsbereich, konkurrierende Ansprüche Der Anwendungsbereich des § 43 Abs. 4 erstreckt sich neben den Ansprüchen aus § 43 Abs. 2 403 und 3 kraft Verweisung in § 31 Abs. 6 Satz 1, § 64 Satz 4, § 73 Abs. 3 Satz 2 auch auf Ansprüche aus § 31 Abs. 6 Satz 1, § 64 Satz 1, Satz 3, § 73 Abs. 3 Satz 1. Eine übereinstimmende fünfjährige Verjährung sieht Abs. 7 des neuen § 15b InsO-RegE vor, der ab 1.1.2021 an die Stelle des bisherigen § 64 treten soll (Rz. 18). Ansprüche aus der Verletzung des Anstellungsvertrags durch den Geschäftsführer fallen un- 404 ter § 43 Abs. 2 und damit unter die Sonderverjährung nach § 43 Abs. 4, sofern es um die Verletzung von anstellungsvertraglichen Pflichten geht, die – wie zumeist – die Organtätigkeit näher ausgestalten (Rz. 16). Anderes gilt jedoch für solche Pflichten aus dem Anstellungsvertrag, die in keinem sachlichen Zusammenhang mit der Organstellung stehen oder die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Amt betreffen (wie z.B. ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot); die dann eingreifende Haftung nach § 280 Abs. 1 BGB verjährt nach §§ 195, 199 BGB (Rz. 16, 258). Besonderheiten sind bei Verletzungen des organschaftlichen Wettbewerbsverbots (Rz. 186 ff.) 405 und der Geschäftschancenbindung (Rz. 207 ff.) zu beachten. Die daraus resultierenden Ansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer unterliegen analog § 88 Abs. 3 Satz 1 AktG der kenntnisabhängigen Sonderverjährung von drei Monaten1156. Auf wessen Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis es dabei ankommt, wird uneinheitlich beantwortet1157. Da § 88 Abs. 3 Satz 1 AktG auf sämtliche Mitglieder des Leitungs- und des Bestellungsorgans abhebt, wird in der dem MitbestG unterliegenden GmbH richtigerweise auf alle Mitgeschäftsführer und alle Aufsichtsratsmitglieder abzustellen sein, im Übrigen auf alle Mitgeschäftsführer und alle Gesellschafter (bzw., wenn die Bestellungskompetenz einem anderen Organ als der Gesellschafterversammlung zugewiesen ist, alle Mitglieder dieses Organs)1158.

1155 Baums, ZHR 174 (2010), 593, 613 mit Fn. 60; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331a a.E.; a.A. – keine Obergrenze – Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2005, S. 552. 1156 BGH v. 26.10.1964 – II ZR 127/62, WM 1964, 1320, 1321 (zur analogen Anwendung des § 79 Abs. 3 AktG 1937); OLG Köln v. 10.1.2008 – 18 U 1/07, GmbHR 2008, 1103, 1104 f. (zu Wettbewerbsverbot und Geschäftschancenbindung); Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 43 Rz. 68; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 435; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 333a; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 24; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.48; a.A. – § 88 Abs. 3 AktG analog allenfalls in Bezug auf das Eintrittsrecht – Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 278c. 1157 Vgl. einerseits Diekmann, in MünchHdb. GmbH, § 43 Rz. 68 (alle Mitgeschäftsführer, Gesellschafter und, falls ein obligatorischer Aufsichtsrat besteht, Aufsichtsratsmitglieder); andererseits Mertens in Hachenburg, Rz. 39 (nach dem Vorbild des § 71 Abs. 3 GmbHG-RegE 1971 alle Gesellschafter und, sofern die Gesellschaft einen Aufsichtsrat hat, alle Aufsichtsratsmitglieder). 1158 Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.48.

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§ 43 Rz. 405 | Haftung der Geschäftsführer Werden einzelne Mitglieder bewusst nicht informiert, um den Verjährungsbeginn hinauszuzögern, liegt ein Rechtsmissbrauch vor, der den Lauf der Frist nicht hindert1159. Auch bei analoger Anwendung des § 88 Abs. 3 Satz 1 AktG bleibt es im Übrigen dabei, dass Verjährung kenntnisunabhängig spätestens fünf Jahre nach Entstehung des Anspruchs eintritt (§ 43 Abs. 4, vgl. auch § 88 Abs. 3 Satz 2 AktG)1160. Auf Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots findet die Sonderverjährung analog § 88 Abs. 3 Satz 1 AktG dagegen nach h.M. vorbehaltlich abweichender Abreden ebenso wenig Anwendung wie § 43 Abs. 4 (Rz. 254). 406 Mit den Ansprüchen aus § 43 Abs. 2-3 konkurrierende Ansprüche der Gesellschaft gegen

den Geschäftsführer aus unerlaubter Handlung verjähren grundsätzlich nicht nach § 43 Abs. 4, sondern unterliegen der Regelverjährung (§§ 195, 199 BGB)1161. Allerdings soll § 43 Abs. 4 nach überwiegender Ansicht ausnahmsweise dann auf einen deliktischen Anspruch entsprechend anzuwenden sein, wenn dieser auf einer Verletzung einer ausschließlich an den Geschäftsleiter gerichteten gesellschaftsrechtlichen Norm beruht, die zugleich als Schutzgesetz zugunsten der Gesellschaft1162 anzusehen ist1163, wie z.B. bei Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 85 GmbHG1164. Sofern die Regelverjährung zur Anwendung kommt, ist zu berücksichtigen, dass die für den Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB erforderliche Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis nicht schon durch den deliktisch handelnden Geschäftsführer vermittelt wird1165. Nicht zuletzt deshalb kann es Fälle geben, in denen die subjektive Dreijahresfrist nach §§ 195, 199 BGB später abläuft als die objektive Fünfjahresfrist nach § 43 Abs. 4. Nicht nach Abs. 4, sondern nach den allgemeinen Regeln verjähren daneben auch weitere konkurrierende Ansprüche, etwa aus Bereicherungsrecht1166 oder, soweit dafür im Anwendungsbereich des Abs. 2 Raum bleibt (Rz. 17), aus Geschäftsanmaßung (§ 687 Abs. 2 BGB)1167. 407 Ist der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter, können Ansprüche nach § 43 Abs. 2-3 auch

mit Ersatzansprüchen wegen Verletzung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht (§ 280 Abs. 1

1159 Fleischer in BeckOGK AktG, § 88 Rz. 41; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 88 AktG Rz. 30; Verse in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 26.48. 1160 Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 435. 1161 BGH v. 17.3.1987 – VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190, 200 ff. = ZIP 1987, 845 (zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB); BGH v. 9.2.2009 – II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 = GmbHR 2009, 601 Rz. 33 (zur Haftung des Gesellschafter-Geschäftsführers aus § 826 BGB wegen existenzvernichtenden Eingriffs), jeweils zur Verjährung nach § 852 BGB a.F.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 333a; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 278; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 349. 1162 Davon zu unterscheiden sind Schutzgesetze zugunsten der Gläubiger oder sonstiger Dritter; s. etwa zur Verjährung von Ansprüchen der (Neu-) Gläubiger aus Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO BGH v. 15.3.2011 – II ZR 204/09, GmbHR 2011, 642: Regelverjährung, nicht Abs. 4 analog; 12. Aufl., § 64 Rz. 347. 1163 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 68; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 85; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 349 f.; Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2005, S. 219 ff.; vgl. auch BGH v. 17.3.1987 – VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190 = ZIP 1987, 845, 848. 1164 Dieses Beispiel nennt BGH v. 17.3.1987 – VI ZR 282/85, BGHZ 100, 190 = ZIP 1987, 845, 848; ferner Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2005, S. 219 i.V.m. S. 205. 1165 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 301/09, GmbHR 2011, 534 Rz. 10; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 432; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 333a; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 279; Thiessen, ZHR 168 (2004), 503, 538; zur AG Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 86. 1166 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 101; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 333a; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 68. 1167 RG v. 1.6.1938 – II 11/38, JW 1938, 2413, 2414; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 333a.

602 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 409 § 43

BGB) konkurrieren. Diese verjähren ebenfalls nicht nach § 43 Abs. 4, sondern nach §§ 195, 199 BGB1168. Gleiches gilt für Ansprüche wegen existenzvernichtenden Eingriffs (§ 826 BGB, Rz. 406).

3. Beginn der Verjährungsfrist a) Entstehung des Anspruchs Die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 43 Abs. 4 beginnt für Ansprüche nach Abs. 2 und 408 Abs. 3 gleichermaßen mit der Entstehung des Anspruchs (§ 200 Satz 1 BGB)1169. Ob diese der Gesellschaft bekannt war oder bei Meidung grober Fahrlässigkeit bekannt sein musste, ist anders als nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB unstreitig ohne Belang. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob der Geschäftsführer die schädigende Handlung verheimlicht hat; die Frist beginnt auch in diesem Fall nicht erst mit dem Ende des Verschweigens1170. Ebenso wenig entsteht dadurch, dass der Geschäftsführer den gegen ihn selbst gerichteten Ersatzanspruch aus § 43 Abs. 2 verjähren lässt, ein neuer Ersatzanspruch mit neuer Verjährungsfrist1171. Im Sinne des § 200 Satz 1 BGB (§ 198 BGB a.F.) entstanden ist der Ersatzanspruch mit dem 409 Eintritt des durch die Verletzungshandlung verursachten Schadens dem Grunde nach, ohne dass der Schaden schon bezifferbar sein muss; es genügt, wenn er im Wege der Feststellungsklage geltend gemacht werden könnte1172. Nicht erforderlich ist, dass bereits feststeht, ob der eingetretene Schaden bestehen bleibt und damit endgültig wird1173. Wenn hingegen noch offen ist, ob ein pflichtwidriges, mit einem Risiko behaftetes Verhalten überhaupt zu einem Schaden führt, ist der Anspruch noch nicht entstanden, selbst wenn der Berechtigte schon eine Feststellungsklage mit dem Ziel erheben könnte, die Verpflichtung zur Leistung künftigen Schadensersatzes festzustellen1174. Eine bloße Vermögensgefährdung genügt mit anderen Worten nicht1175.

1168 BGH v. 14.9.1998 – II ZR 175/97, GmbHR 1999, 186 (zu § 195 BGB a.F.); Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 85; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 85; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 119; a.A. – einheitliche Anwendung des Abs. 4 – Fastrich in Baumbach/ Hueck, § 13 Rz. 30a; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 14 Rz. 103. 1169 Allg.M., etwa BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 16 f.; BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 16 (zu § 93 Abs. 6 AktG); Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 103; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 364. 1170 BGH v. 21.2.2005 – II ZR 112/03, GmbHR 2005, 544, 545; BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 16, 18; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 103; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 365; ferner – jeweils mit dem einschränkenden Zusatz, dass unter besonderen Umständen der Arglisteinwand (§ 242 BGB) begründet sein kann – Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331e; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 291 (vgl. insoweit auch BGH v. 21.2.2005 a.a.O.); a.A. Mertens in Hachenburg, Rz. 96. 1171 BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 16; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 289. 1172 Ständige Rechtsprechung, etwa BGH v. 23.3.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 100, 228 = ZIP 1987, 776 Rz. 14, 16 bei juris; BGH v. 21.2.2005 – II ZR 112/03, GmbHR 2005, 544; BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 16; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331a; Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 364. 1173 BGH v. 23.3.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 100, 228 = ZIP 1987, 776 Rz. 16 bei juris. 1174 BGH v. 23.3.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 100, 228, 231 = ZIP 1987, 776 Rz. 16 bei juris; darauf Bezug nehmend BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 17. 1175 BGH v. 28.10.1993 – IX ZR 21/93, BGHZ 124, 27, 30 = AG 1994, 81 („Eine lediglich risikobehaftete Lage stellt regelmäßig eine bloße Gefährdung dar, die sich noch nicht in der Bewertung des

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§ 43 Rz. 410 | Haftung der Geschäftsführer 410 Hat eine einzige Verletzungshandlung mehrere Schadensfolgen ausgelöst, beginnt nach

dem schon in der Rechtsprechung des RG anerkannten Grundsatz der Schadenseinheit die Verjährung mit Eintritt des ersten Schadenspostens auch für die erst nachträglich eintretenden Schadenspositionen, soweit diese im Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs bereits als möglich voraussehbar waren1176. Soweit dagegen nicht vorhersehbare Spätschäden eintreten, wird für diese eine neue Verjährungsfrist in Gang gesetzt1177. Zu betonen ist ferner, dass der Grundsatz der Schadenseinheit nicht eingreift, wenn sich mehrere selbstständige – auch wiederholte – pflichtwidrige Handlungen des Schädigers ausgewirkt haben; dann beginnt mit dem Eintritt des durch die jeweilige Handlung verursachten Schadens für den damit entstandenen Ersatzanspruch jeweils eine gesonderte Verjährung1178. b) Beginn der Verjährungsfrist bei schädigendem Dauerverhalten 411 Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des Verjährungsbeginns bei einem schädigenden

Dauerverhalten des Geschäftsführers, insbesondere bei einem fortdauernden pflichtwidrigen Unterlassen (wie z.B. in Fällen, in denen es der Geschäftsführer jahrelang versäumt, in Wahrnehmung seiner Legalitätskontrollpflicht geeignete Compliance-Maßnahmen zu ergreifen, und es dadurch ermöglicht, dass im Lauf der Zeit immer wieder schadensverursachende Rechtsverstöße durch nachgeordnete Mitarbeiter vorkommen). Der Verjährungsbeginn hängt hier wesentlich davon ab, ob man das fortdauernde Unterlassen als eine einheitliche Dauerhandlung begreift oder es sich um mehrere, sich wiederholende neue Eingriffe handelt. Bei Annahme einer einheitlichen Dauerhandlung soll die Verjährung nach der Rechtsprechung des BGH nicht beginnen können, solange der Eingriff noch andauert1179. Geht man hingegen von mehreren, sich wiederholenden Pflichtverletzungen aus, ergeben sich gesonderte Verjährungsfristen, die jeweils mit Beginn des ersten Schadens aus der betreffenden Pflichtverletzung zu laufen beginnen1180. Hat also das jahrelange Unterlassen hinreichender Compliance-Maßnahmen dazu geführt, dass die Gesellschaft einmal vor sechs Jahren, einmal vor

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Gesamtvermögens niederschlägt und daher nicht einem Schadenseintritt gleichsteht.“); OLG Frankfurt a.M. v. 12.12.2007 – 17 U 111/07, AG 2008, 453, 455; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331a. So schon RG v. 11.12.1913 – II 505/13, RGZ 84, 354, 360 (zu der mit Abs. 4 übereinstimmenden Verjährung nach § 34 Abs. 4 GenG a.F., heute § 34 Abs. 6 GenG); ebenso die ständige Rechtsprechung des BGH, speziell zu Abs. 4 BGH v. 23.3.1987 – II ZR 190/86, BGHZ 100, 228 = ZIP 1987, 776 Rz. 16; zu § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB etwa BGH v. 26.7.2018 – I ZR 274/16, MDR 2018, 1174 Rz. 26 m.w.N. Allgemein zum Grundsatz der Schadenseinheit Begr. RegE zu § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB, BT-Drucks. 14/6040, S. 108; Grothe in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 199 BGB Rz. 9 ff.; aus dem Schrifttum zur Organhaftung etwa Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 104; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331a; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 293; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 595. Nachw. wie vor; a.A. – bei kenntnisunabhängiger Verjährung (und damit auch im Fall des Abs. 4) uneingeschränkte Schadenseinheit ohne Rücksicht auf die Vorhersehbarkeit der Spätfolgen – nunmehr aber Scholz, JZ 2020, 231, 233 ff., insbes. 236 f.; ihm folgend Pieckenbrock in BeckOGK BGB, § 200 BGB Rz. 7; für uneingeschränkte Schadenseinheit auch schon Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2005, S. 365 ff., 551. St. Rspr., etwa BGH v. 12.2.1998 – IX ZR 190/97, NJW-RR 1998, 742, 743; BGH v. 21.2.2002 – IX ZR 127/00, MDR 2002, 879, 880; BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 18; Ellenberger in Palandt, § 199 BGB Rz. 14, 28, 34 m.w.N.; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 590. BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 18 unter Bezugnahme auf BGH v. 28.9.1973 – I ZR 136/71, NJW 1973, 2285 = MDR 1974, 26; ferner BGH v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 Rz. 12. BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 18.

604 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 412 § 43

drei Jahren und einmal vor einem Jahr durch Rechtsverstöße geschädigt worden ist, müsste nach der ersten Sichtweise (einheitliche Dauerhandlung) auch der vor sechs Jahren eingetretene Schaden noch erfolgreich geltend gemacht werden können, während nach der letzteren Sichtweise (mehrere, wiederholte Eingriffe) drei gesondert verjährende Ersatzansprüche entstanden sind, von denen der erste bereits verjährt ist. Der BGH hat noch nicht entschieden, ob bei andauerndem Unterlassen eine einheitliche 412 Dauerhandlung oder mehrere wiederholte Eingriffe anzunehmen sind1181. Im Schrifttum finden sich dazu verschiedene Ansätze1182. Nach hier vertretener Ansicht sollte bei einer andauernden pflichtwidrigen Unterlassung ebenso wenig wie bei wiederholten Eingriffen durch aktives Tun von einer einheitlichen Dauerhandlung ausgegangen werden, sondern von sich (täglich) wiederholenden Verletzungshandlungen1183. Nur diese Position fügt sich friktionslos in die verjährungsrechtliche Rechtsprechung ein. Der BGH hat zwar in einer älteren, zu einem Beseitigungsanspruch ergangenen Entscheidung ausgesprochen, dass bei einer einheitlichen Dauerhandlung die Verjährung erst mit deren Beendigung beginnen könne1184. Später hat er sich aber betont zurückhaltend gegenüber dieser Rechtsfigur geäußert und offen eingeräumt, dass eine Abgrenzung zwischen einer einheitlichen Dauerhandlung und einer wiederholten Handlung praktisch kaum möglich sei1185. Die weitere Rechtsprechung hat sich, soweit sie sich auf Schadensersatzansprüche bezieht, die Figur der einheitlichen Dauerhandlung ganz überwiegend nicht zu Eigen gemacht, sondern wiederholt betont, dass mehrere Handlungen, auch wenn sie gleichartig oder Teilakte einer natürlichen Handlungseinheit sind, nicht als Einheit zu betrachten sind1186. Dementsprechend hat der BGH auch entschieden, dass bei einer Reihe von nach § 30 Abs. 1 verbotenen Auszahlungen die Verjährungsfrist mit der jeweiligen Zahlung und nicht erst mit der letzten Zahlung beginnt1187. Zudem hat der BGH in anderem Zusammenhang bereits klargestellt, dass eine derartige Aufteilung nicht nur in Fällen wiederholten aktiven Tuns, sondern auch bei fortgesetztem Unterlassen geboten ist. So hat er für einen Amtshaftungsanspruch wegen verzögerter Grundbucheintragung entschieden, dass das andauernde Unterlassen „ähnlich wie bei der Wiederholung einer schädigenden Handlung in Fällen positiven Tuns“ in einzelne, sich wiederholende Eingriffe aufzuteilen ist und daher für jeden Teil des sich (täglich) erhöhenden Zinsschadens ein unterschiedlicher Verjährungsbeginn gilt1188. Es gibt keinen Grund, im Rahmen der Organhaftung anders zu entscheiden. Im Gegenteil würde die Annahme einer

1181 Ausdrücklich offengelassen in BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 19 (zum pflichtwidrigen Unterlassen der Geltendmachung eines Anspruchs, dazu sogleich Rz. 413 ff.). Für Annahme einer Dauerhandlung offenbar LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570, 578 (Unterlassen geeigneter Compliance-Maßnahmen nicht schon dann beendet, wenn die Maßnahmen erstmals ergriffen werden mussten, sondern erst dann, wenn die Nachholbarkeit endet; im konkreten Fall aber nicht entscheidungserheblich). 1182 Ausführlicher Überblick über den Meinungsstand bei Goj, ZIP 2019, 447, 448 ff. 1183 Eingehend und überzeugend (auch zum Folgenden) Goj, ZIP 2019, 447; im Erg. ähnlich Guntermann, NZG 2018, 842, 843 f.; Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2344 f.; Bayer/Scholz, NZG 2019, 201, 208 (für Schäden, die während des andauernden Unterlassens entstehen, beginnt die Verjährungsfrist ab dem jeweiligen Schadenseintritt). 1184 BGH v. 28.9.1973 – I ZR 136/71, NJW 1973, 2285 = MDR 1974, 26. 1185 BGH v. 12.10.2006 – III ZR 144/05, NVwZ 2007, 362 Rz. 40. 1186 S. etwa BGH v. 9.11.2007 – V ZR 25/07, MDR 2008, 191 Rz. 16 (Schadensersatz wegen mehrerer Beratungsfehler); BGH v. 19.11.2009 – III ZR 169/08, BKR 2010, 118 Rz. 15; vgl. auch schon BGH v. 14.2.1978 – X ZR 19/76, BGHZ 71, 86, 94 = MDR 1978, 752; abw. aber BGH v. 14.7.2008 – II ZR 202/07, ZIP 2008, 1675 Rz. 12 (m. Recht krit. zu dieser Entscheidung Fleischer, ZIP 2018, 2341, 2345). 1187 BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 20 (allerdings ohne Diskussion der Frage der Handlungseinheit); Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 292. 1188 BGH v. 11.1.2007 – III ZR 302/05, ZIP 2007, 1220 Rz. 27.

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§ 43 Rz. 412 | Haftung der Geschäftsführer einheitlichen Dauerhandlung mit der Folge, dass die Verjährungsfrist nicht vor deren Abschluss beginnen könnte, zu Ergebnissen führen, die den Zweck der Verjährung, Rechtsfrieden zu schaffen, weit zurückdrängen, ohne dass dies zur Wahrung der legitimen Verfolgungsinteressen der GmbH erforderlich wäre. c) In Sonderheit: Verjährung bei unterlassener Anspruchsdurchsetzung 413 Komplexe Verjährungsfragen stellen sich insbesondere in Fällen, in denen den Geschäftslei-

tern vorgeworfen wird, bestehende Ansprüche der Gesellschaft gegen Mitgeschäftsführer, Gesellschafter oder sonstige Dritte nicht durchgesetzt zu haben1189. Der BGH hat dazu einerseits im Jahr 2008 entschieden, dass ein Geschäftsführer, der eine nach § 30 Abs. 1 verbotene Auszahlung bewirkt hat und deshalb nach § 43 Abs. 3 haftet, sich nicht nochmals haftbar macht, wenn er den Erstattungsanspruch der Gesellschaft gegen den Auszahlungsempfänger (§ 31 Abs. 1) nicht rechtzeitig vor Verjährungseintritt geltend macht1190. Der Geschäftsführer soll also nach Eintritt der Verjährung des Anspruchs aus § 43 Abs. 3 selbst dann nicht mehr belangt werden können, wenn er auch danach noch den Anspruch aus § 31 Abs. 1 hätte durchsetzen können. Zur Begründung stützt sich der BGH darauf, dass durch die unterbliebene Durchsetzung des Erstattungsanspruchs nicht erneut ein Schaden ausgelöst werde, da dieser bereits durch die Auszahlung entstanden sei1191. Andererseits hat der BGH in dem vieldiskutierten „Easy Software“-Urteil entschieden, dass ein Aufsichtsratsmitglied, das nicht gegen eine nach § 57 AktG verbotene Auszahlung des Vorstands einschreitet und anschließend die Vorstandshaftung verjähren lässt, nicht einwenden kann, dass der Ersatzanspruch gegen ihn aus §§ 116, 93 Abs. 3 bereits mit der verbotenen Auszahlung enstanden ist. Vielmehr hat der BGH hier in der unterbliebenen Geltendmachung der Vorstandshaftung eine neuerliche Pflichtverletzung nach §§ 116, 93 Abs. 2 gesehen, die erst mit Eintritt der Verjährung der Vorstandshaftung zu einem Schaden der AG (in Gestalt des Forderungsausfalls) geführt habe; die Verjährungsfrist für die Haftung des Aufsichtsratsmitglieds nach §§ 116, 93 Abs. 6 AktG habe daher erst in diesem Zeitpunkt zu laufen begonnen1192. Im Ergebnis gelangt der BGH damit in diesem Fall – anders als in der Entscheidung aus dem Jahr 2008 – zu einer faktischen Verdoppelung der Verjährungsfrist. Ein Widerspruch zu der früheren Entscheidung liege darin jedoch nicht, da die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats eine strengere Beurteilung rechtfertige1193. 414 Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum neben Zustimmung auch erhebliche Kritik erfah-

ren1194. Auch nach hier vertretener Ansicht vermag sie nicht uneingeschränkt zu überzeugen. Nicht zu beanstanden ist zwar die Kernaussage des Easy-Software-Urteils, dass die Verjährungsfrist einer etwaigen (sekundären) Haftung wegen des Forderungsausfalls erst mit Verjährungseintritt der durchzusetzenden Forderung zu laufen beginnt1195. Gleichwohl bedarf die genannte Rechtsprechung zumindest in zweierlei Hinsicht der Korrektur bzw. Ergänzung und Präzisierung. 1189 Zu dem Fall, dass der Geschäftsführer den gegen ihn selbst gerichteten Ersatzanspruch aus Abs. 2 verjähren lässt, s. dagegen schon Rz. 408 (kein neuer Ersatzanspruch). 1190 BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 17 m. Bespr. Bormann, ZInsO 2009, 127; daran festhaltend BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 24. 1191 BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, GmbHR 2008, 1319 Rz. 17. 1192 BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 19 ff. 1193 BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 25–27. 1194 Grundsätzlich zustimmend etwa Bayer/Scholz, NZG 2019, 201, 207 ff.; kritisch aus unterschiedlichen Gründen etwa Altmeppen, ZIP 2019, 1253; Cahn, ZHR 184 (2020), 297; Schockenhoff, AG 2019, 745. 1195 Mögliche Zins- oder sonstige Verzögerungsschäden können dagegen schon vor Verjährungseintritt des durchzusetzenden Anspruchs entstanden sein; diesbezüglich beginnt die Verjährungsfrist daher schon früher (vgl. Rz. 412).

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 417 § 43

Nicht einleuchtend ist zunächst, eine (sekundäre) Haftung des Geschäftsführers für das Ver- 415 jährenlassen des Erstattungsanspruchs nach § 31 generell abzulehnen, wenn der Geschäftsführer schon an der verbotenen Auszahlung (der primären Pflichtverletzung) mitgewirkt hat. Vielmehr stellt die unterbliebene Durchsetzung des Erstattungsanspruchs eine eigenständige sekundäre Pflichtverletzung dar, sofern nachträglich neue Anhaltspunkte aufgetreten sind, die dem Geschäftsführer Anlass geben mussten, seine ursprüngliche Fehleinschätzung zu überprüfen und den Anspruch durchzusetzen1196. Hat z.B. der Geschäftsführer fahrlässig eine nach § 30 Abs. 1 verbotene Auszahlung bewirkt und wird er nachträglich – u.U. erst nach Verjährung seiner Haftung nach Abs. 3, aber noch vor Ablauf der zehnjährigen Verjährung des Erstattungsanspruchs nach § 31 Abs. 1 – auf den Verstoß aufmerksam gemacht, muss er richtigerweise den Anspruch aus § 31 Abs. 1 geltend machen, um eine Sekundärhaftung wegen unterlassener Anspruchsdurchsetzung abzuwenden. Gleiches muss für die Mitgeschäftsführer gelten, die an dem ursprünglichen Verstoß nicht mitgewirkt haben, aber später von entsprechenden Anhaltspunkten erfahren. Das Fehlen eines Schadens kann man der Sekundärhaftung entgegen der Ansicht des BGH nicht entgegenhalten, da die Gesellschaft fraglos eine Vermögenseinbuße erleidet, wenn der Geschäftsführer einen ihr zustehenden werthaltigen Anspruch verfallen lässt1197. Umgekehrt geht es nach hier vertretener Ansicht zu weit, stets eine sekundäre Haftung eines 416 Aufsichtsratsmitglieds wegen Nichtverfolgung von Ansprüchen gegen die Geschäftsleiter zu konstruieren, wenn das Aufsichtsratsmitglied bereits an der primären Pflichtverletzung der Geschäftsleiter (z.B. einer verbotenen Auszahlung) fahrlässig mitgewirkt hat. Vielmehr sollte die Annahme einer eigenständigen sekundären Pflichtverletzung auch hier – wie bei den Geschäftsführern – davon abhängig gemacht werden, ob nachträglich neue Anhaltspunkte aufgetreten sind, die dem Aufsichtsratsmitglied Anlass geben mussten, das ursprüngliche Verhalten zu überprüfen und auf die Durchsetzung des Anspruchs gegen die Geschäftsleiter hinzuwirken1198. Nur in diesen Fällen ist die faktische Verdoppelung der Verjährungsfrist sachlich gerechtfertigt, nicht aber dann, wenn in der Nichtverfolgung des Anspruchs nur die bereits der primären Haftung zugrundeliegende Fehlvorstellung fortwirkt.

4. Fristberechnung, Hemmung und Neubeginn Die Berechnung der Verjährungsfrist erfolgt nach § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB. Fällt das 417 Fristende auf einen Sonn- oder Feiertag, findet § 193 BGB (entsprechende) Anwendung1199. Für Hemmung und Neubeginn gelten ebenfalls die allgemeinen Regeln (§§ 203 ff. BGB). Die Verjährung ist daher nach Maßgabe des § 203 BGB gehemmt, solange die Gesellschaft mit dem Geschäftsführer Vergleichsverhandlungen führt1200. Die Erhebung der Klage (§ 204 Nr. 1 BGB) oder Zustellung eines Mahnbescheids (§ 204 Nr. 3 BGB) hemmt die Verjährung auch dann sofort, wenn in diesem Zeitpunkt noch der Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 fehlt und dieser erst später nachgeholt wird (Rz. 360). Eine Ablaufhemmung entsprechend § 210 BGB für Zeiträume, in denen die Gesellschaft außer den haftbaren Geschäftsführern

1196 Näher und überzeugend dazu und zum Folgenden Cahn, ZHR 184 (2020), 297, 312 ff., 321 f. 1197 Insoweit wie hier Altmeppen, ZIP 2019, 1253, 1255 f.; gegen das Argument der Schadensidentität auch Cahn, ZHR 184 (2020), 297, 313 mit dem zutr. Hinweis, dass sonst auch die im Easy-Software-Urteil bejahte Aufsichtsratshaftung mangels Schadens entfallen müsste (dagegen allerdings BGH v. 18.9.2018 – II ZR 152/17, BGHZ 219, 356 = AG 2018, 893 Rz. 26). 1198 Auch dazu näher Cahn, ZHR 184 (2020), 297, 316 ff., 321 f. 1199 Allgemein zur Anwendung des § 193 BGB auf Verjährungsfristen BGH v. 5.8.2014 – XI ZR 172/ 13, MDR 2014, 1224 Rz. 10; Fervers in BeckOGK BGB, § 199 BGB Rz. 49 m.w.N. 1200 LG München I v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, ZIP 2014, 570, 578 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 333; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 294.

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§ 43 Rz. 417 | Haftung der Geschäftsführer über keinen weiteren Geschäftsführer verfügt, kommt nicht in Betracht, da diese Vorschrift bewusst nur auf natürliche Personen zugeschnitten ist1201. Aus demselben Grund greift § 210 BGB auch nicht ein, wenn die Gesellschaft i.S.d. § 35 Abs. 1 Satz 2 führungslos ist, d.h. zeitweise überhaupt keinen Geschäftsführer hat1202. Der Neubeginn der Verjährung bestimmt sich nach § 212 BGB.

5. Abweichende Vereinbarungen 418 Die Verjährungsfrist kann durch Vereinbarung zwischen GmbH und Geschäftsführer, z.B.

durch Regelung im Anstellungsvertrag, in den Grenzen des § 202 Abs. 2 BGB (max. 30 Jahre) verlängert werden1203. Bei vorformulierten Verträgen sind zusätzlich die Grenzen der AGBrechtlichen Inhaltskontrolle (§ 307 BGB) zu bedenken, die in der hier interessierenden Frage allerdings noch wenig konturiert sind1204. Nach ganz h.L. soll die Verjährungsverlängerung darüber hinaus auch in der Satzung vorgesehen werden können1205. Das ist aber zumindest dann problematisch, wenn die Satzungsbestimmung erst nach der Bestellung des Geschäftsführers und ohne dessen Zustimmung eingeführt wird1206. Zudem darf auch eine von Anfang an bestehende Satzungsklausel nicht dazu führen, dass zulasten des Geschäftsführers die Schranken des § 307 BGB für vorformulierte Klauseln umgangen werden1207. 419 Eine Verkürzung der Verjährungsfrist kann, was die Haftung für Vorsatz betrifft, schon nach

allgemeinen Grundsätzen nicht im Voraus wirksam vereinbart werden (§ 202 Abs. 1 BGB). In Bezug auf die Haftung für (auch grobe) Fahrlässigkeit ist dagegen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH zu differenzieren. Keine Bedenken bestehen – wie auch bei sonstigen Haftungsbeschränkungen (Rz. 421 ff.) – gegenüber Vereinbarungen, welche die Verjährungsfrist der Haftung aus § 43 Abs. 2 verkürzen1208. Dies gilt auch, soweit der Haftungsbetrag zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist1209. Hingegen sind Vereinbarungen über die Verkürzung der dem Gläubigerschutz dienenden Haftung aus § 43 Abs. 3 in (zu1201 RG v. 19.10.1937 – II 59/37, RGZ 156, 291, 300 (zu § 206 BGB a.F., der dem heutigen § 210 BGB entspricht) unter Hinweis auf Prot. I 220; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331d, 333; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 294. 1202 BGH v. 17.1.1968 – VIII ZR 207/65, NJW 1968, 692, 693 f. = MDR 1968, 401; BGH v. 14.12.1970 – II ZR 161/68, VersR 1971, 276; Grothe in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 210 BGB Rz. 2. 1203 Allg. M., Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 106; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 332; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 69; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 295. 1204 Allgemein zur AGB-rechtlichen Beurteilung von Verjährungsverlängerungen (mit Kasuistik aus anderen Rechtsbereichen) Piekenbrock in BeckOGK, § 202 BGB Rz. 29 ff. 1205 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 106; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 332; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 69; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 295. 1206 Vgl. Rz. 370 zu der ähnlichen Frage, ob der Geschäftsführer an eine nachträglich eingeführte statutarische Schiedsklausel gebunden ist. 1207 Die AGB-Kontrolle ist zwar auf die GmbH-Satzung nicht unmittelbar anwendbar ist (§ 310 Abs. 4 BGB). Für den Geschäftsführer macht es aber keinen Unterschied, ob ihm eine vorformulierte Klausel im Anstellungsvertrag oder in der Satzung vorgegeben wird. Das spricht dafür, eine Satzungsklausel – sofern man sie überhaupt akzeptiert – einer sachlich entsprechenden Inhaltskontrolle nach § 242 BGB zu unterwerfen. 1208 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 107; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 423; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 332; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 73; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 296; a.A. in Bezug auf vor Anspruchsentstehung vereinbarte Verjährungsverkürzungen Pöschke in BeckOK GmbHG, Rz. 359 i.V.m. Rz. 299.7 ff. 1209 So ausdrücklich BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197, 1199 (unter Aufgabe von BGH v. 15.11.1999 – II ZR 122/98, GmbHR 2000, 187, 188); Drescher, Die Haftung des GmbHGeschäftsführers, Rz. 423.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 421 § 43

mindest entsprechender) Anwendung des Abs. 3 Satz 2 unwirksam, soweit der Ersatzbetrag für die Gläubigerbefriedigung benötigt wird1210. Ist die Haftung nicht zur Gläubigerbefriedigung erforderlich, kann sich der Geschäftsführer aber auch im Rahmen des Abs. 3 auf die vereinbarte Verjährungsverkürzung berufen1211. Letzteres wird zwar im Schrifttum oftmals nicht gesondert herausgestellt und bisweilen sogar explizit bestritten1212, folgt aber daraus, dass der BGH die Verkürzung der Verjährungsfrist mit Recht als ein Rechtsgeschäft einstuft, das einem Verzicht i.S.d. § 43 Abs. 3 Satz 2 im Ergebnis gleichkommt1213. Wie auch sonst ist bei der Anwendung des § 43 Abs. 3 zu bedenken, dass sich die Vorschrift über die Tatbestände des § 43 Abs. 3 Satz 1 hinaus auch auf Verstöße gegen weitere kapitalschützende Vorgaben erstreckt, die jenen Tatbeständen im Wege der Analogie gleichzustellen sind (namentlich Verstöße gegen § 43a, Mitwirkung an einem existenzvernichtenden Eingriff, Rz. 376 ff.). Vereinbart werden kann die Verjährungsverkürzung entweder schon im Anstellungsver- 420 trag1214 oder in einer gesonderten Vereinbarung zwischen GmbH und Geschäftsführer. Dabei ist – vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmung – wie bei einem nachträglichen Haftungsverzicht das Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 8 zu beachten1215 (zu den Modalitäten der Beschlussfassung s. noch Rz. 427). Alternativ kann die Verjährungsverkürzung auch in die Satzung aufgenommen werden1216. Die vorstehenden Grundsätze zur Verjährungsverkürzung gelten in gleicher Weise für die Vereinbarung von Ausschlussfristen, die vor der gesetzlichen Verjährungsfrist enden1217.

VII. Einschränkbarkeit der Haftung, D&O-Versicherung und Freistellung 1. Einschränkbarkeit der Haftung a) Ausgangspunkt Die Haftung des Geschäftsführers nach § 43 Abs. 2 und Abs. 3 kann in den dargelegten 421 Grenzen nachträglich durch Verzichts- und Vergleichsvereinbarungen zwischen der Gesell1210 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197, 1198; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 69; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 73. 1211 Vgl. BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197, 1198 (unter 3a); Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 69; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 60, die jeweils die Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung hervorheben. 1212 Sturm, Die Verjährung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen Leitungsorganmitglieder, 2006, S. 467 f., 586 (im Voraus vereinbarte Verjährungsverkürzungen sollen in Bezug auf Abs. 3 generell, d.h. ohne Rücksicht auf die Erforderlichkeit zur Gläubigerbefriedigung, unwirksam sein); auch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 107 (Verjährungsverkürzung im Rahmen des Abs. 3 „generell ausgeschlossen“). 1213 Deutlich BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197, 1198 (unter 2a und 3a). 1214 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 107; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 426; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 332; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 69; a.A. – Registerpublizität erforderlich – Sturm, GmbHR 2003, 573, 576. 1215 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 107; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 426, 428; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 69 i.V.m. Rz. 66. Die Gesellschafterversammlung bleibt auch dann zuständig, wenn die Satzung die Kompetenz zum Abschluss des Anstellungsvertrags zwar dem (fakultativen) Aufsichtsrat zuweist, aber gleichzeitig bestimmt, dass die Gesellschafterversammlung für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen zuständig bleibt; Brandes, NZG 2002, 212; a.A. OLG Brandenburg v. 6.10.1998 – 6 U 278/97, NZG 1999, 210, 211. 1216 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 107; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 332. 1217 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 107; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 69; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 73; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 297.

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§ 43 Rz. 421 | Haftung der Geschäftsführer schaft und dem Geschäftsführer erlassen oder reduziert werden (Rz. 350 ff. zu Abs. 2, Rz. 382 ff. zu Abs. 3). Sie kann darüber hinaus, soweit es nicht um vorsätzliche Pflichtverletzungen geht (§ 276 Abs. 3 BGB), auch schon vor Anspruchsentstehung durch Vereinbarung zwischen der GmbH und dem Geschäftsführer (z.B. im Anstellungsvertrag) oder durch Satzungsbestimmung eingeschränkt werden (zum Verfahren Rz. 427). Für die Zulässigkeit derartiger vertraglicher oder statutarischer Haftungsbeschränkungen gelten die gleichen Grundsätze, die oben bereits am Beispiel der Verjährungsverkürzung dargelegt wurden (Rz. 419). Wie der BGH mit Recht festgestellt hat, handelt es sich bei der Verjährungsverkürzung nur um eine besondere Erscheinungsform der Haftungsbeschränkung; sie ist daher ebenso zu beurteilen wie die Vereinbarung eines milderen Verschuldensmaßstabs oder sonstige Beschränkungen1218. 422 In Übereinstimmung mit den vom BGH und der h.L. anerkannten Grundsätzen zur Verjäh-

rungsverkürzung ist somit auch für Abmilderungen des Haftungsmaßstabs und sonstige Haftungsbeschränkungen zwischen Ansprüchen aus § 43 Abs. 2 (Rz. 423 f.) und Abs. 3 (Rz. 425 f.) zu differenzieren. b) Abdingbarkeit der Fahrlässigkeitshaftung nach § 43 Abs. 2 423 Was zunächst die Haftung für fahrlässige Pflichtverletzungen aus § 43 Abs. 2 betrifft, so steht

nach zutreffender h.M. Abmilderungen des Haftungsmaßstabs und sonstigen (z.B. summenmäßigen) Haftungsbeschränkungen nichts im Wege; sie können auch dann wirksam vereinbart werden, wenn sich später herausstellt, dass die Haftung zur Gläubigerbefriedigung erforderlich gewesen wäre1219. Den Vertretern der Gegenansicht, die Vorabbeschränkungen der Organhaftung rundweg ablehnen1220, ist zwar zuzugeben, dass die Gesetzesmaterialien zum GmbHG 1892 eine Abmilderung des gesetzlichen Haftungsmaßstabs im Interesse der Gläubiger generell als unzulässig erachten, ohne zwischen § 43 Abs. 2 und Abs. 3 zu unterscheiden1221. Allerdings hat diese Rechtsauffassung im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden; im Gegenteil weist der Umkehrschluss aus § 43 Abs. 3 Satz 2 und Satz 3 deutlich darauf hin, dass die Haftung aus § 43 Abs. 2 sowohl durch nachträglichen Verzicht als auch durch vorausgehende verbindliche Weisungen disponibel ist, ohne dass es dabei jenseits des Kapitalschutzes auf Gläubigerbelange ankommt. Wenn aber auf diese Weise über die Haftung nach § 43 Abs. 2 disponiert werden kann, ist nicht einzusehen, warum die Gesellschaft aus Gründen des Gläubigerschutzes daran gehindert sein sollte, von vornherein die Haftung 1218 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197, 1198 (zu 2a). 1219 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197, 1198 (zu 2a) und 1199 (zu 3b, unter Aufgabe von BGH v. 15.11.1999 – II ZR 122/98, GmbHR 2000, 187, 188); ebenso die heute h.L., etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 302 ff.; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 76; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8 f., 12 f.; Wicke, Rz. 17; Mand, Die Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 und die Möglichkeit privatautonomer Begrenzungen, 2004, S. 120 ff., 136 f. 1220 So insbes. Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 295 ff.; Haas/Wigand in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 20.56 ff.; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 299.8 ff.; grds. ablehnend auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 438 ff. Differenzierend – Haftungsbeschränkung auch im Rahmen des Abs. 2 nur wirksam, wenn die Haftung nicht zur Gläubigerbefriedigung benötigt wird – Jula, GmbHR 2001, 806, 808. 1221 Begr. zu § 44 GmbHG-E, RT-Drucks. 1890/92, Aktenstück Nr. 660, 3750: „…bezeichnet der Entwurf die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes als den Maßstab, nach welchem sich die Haftung der Geschäftsführer wegen schuldhafter Verletzung ihrer Obliegenheiten bestimmt. Ein geringerer Maßstab darf an die Verantwortlichkeit derselben nicht gelegt werden, zumal es sich dabei nicht bloß um die Interessen der Gesellschafter, sondern auch um diejenigen der Gesellschaftsgläubiger handelt. Der Entwurf gestattet deshalb auch keine Abschwächung der gesetzlichen Diligenzpflicht durch den Gesellschaftsvertrag.“

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 425 § 43

zu beschränken1222. Genau auf diesen Wertungstransfer stützt sich denn auch die Rechtsprechung des BGH1223. Da der Gesetzgeber auch im Rahmen der tiefgreifenden GmbH-Reform durch das MoMiG keinen Anlass gesehen hat, diese Rechtsprechung zu revidieren, kann jedenfalls jetzt der gegenteiligen Bemerkung in den Materialien von 1892 keine ausschlaggebende Bedeutung mehr beigemessen werden. Konsequenterweise muss es dann im Rahmen des § 43 Abs. 2 auch möglich sein, sogar die 424 Haftung für grobe Fahrlässigkeit zu beschränken oder auszuschließen1224. Die Gegenansicht, der zufolge der (im Umkehrschluss aus § 43 Abs. 3 Satz 2-3 abgeleitete) Grundsatz der Dispositionsfreiheit in Fällen der groben Fahrlässigkeit einzuschränken sein soll1225, findet weder im Gesetzeswortlaut noch in der Gesetzessystematik eine Grundlage. Sie lässt sich insbesondere auch nicht aus einer analogen Anwendung des § 93 Abs. 5 Satz 2-3 AktG herleiten1226, da es dafür an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt1227. Der Gesetzgeber hat auch nach Einführung des § 84 Abs. 5 Satz 2 AktG 1937, der dem heutigen § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG entspricht, bewusst davon abgesehen, eine entsprechende Vorschrift in das GmbHG zu übernehmen. Auch im Rahmen der letztlich gescheiterten großen GmbH-Reform 1971/73 war nur beabsichtigt, für die Haftung nach Abs. 3 eine an § 93 Abs. 5 Satz 1, Satz 3 AktG angelehnte Vorschrift einzuführen (§ 75 Abs. 6 Satz 1-2 RegE 1971), während § 93 Abs. 5 Satz 2 AktG gerade nicht übernommen werden sollte1228. c) Grenzen der Abdingbarkeit der Haftung nach § 43 Abs. 3 Satz 1 (und gleichgestellter Tatbestände) Vorabbeschränkungen der dem Gläubigerschutz dienenden Haftung nach § 43 Abs. 3 Satz 1 425 sind dagegen – ebenso wie ein nachträglicher Verzicht auf diese Haftung (§ 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 Satz 1) – jedenfalls insoweit unwirksam, als die Haftung zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist1229. Ob sie umgekehrt bei (fahrlässigen) Verstößen immerhin 1222 Gleichsinnig Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304 (Gesetzeswortlaut und -systematik entwerten die Aussagekraft der Entwurfsbegründung); insoweit wie hier auch Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 439 f. 1223 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197, 1198 (zu 2a): „Wie auf die Durchsetzung eines entstandenen Anspruchs (…) verzichtet werden kann, so kann auch schon im Vorfeld das Entstehen eines Ersatzanspruchs gegen den Organvertreter näher geregelt, insbesondere begrenzt oder ausgeschlossen werden, indem z.B. ein anderer Verschuldensmaßstab vereinbart oder dem Geschäftsführer eine verbindliche Gesellschafterweisung erteilt wird, die eine Haftungsfreistellung nach sich zieht.“ 1224 Wie hier Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 312; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Pelz, RNotZ 2003, 415, 423; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; Wicke, Rz. 17. 1225 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 39; Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 46 Rz. 4; Haberer, Zwingendes Kapitalgesellschaftsrecht, 2009, S. 490 ff.; unter Berufung auf § 93 Abs. 5 Satz 2-3 AktG analog auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 126 ff., 134 ff. (Haftung nach Abs. 2 nicht disponibel, soweit ein gröblicher Verstoß vorliegt und der Ersatz zur Gläubigerbefriedigung erforderlich ist). 1226 So aber Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 126 ff., 134 ff. 1227 Ablehnend auch die ganz h.L., Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 307; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 65 a.E.; Mand, Die Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 und die Möglichkeit privatautonomer Begrenzungen, 2004, S. 129 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13, 230 ff.; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 38; jeweils m.w.N.; s. auch schon Rz. 364 f. 1228 BT-Drucks. VI/3088, S. 21, 126. 1229 Allg. M., BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197, 1198 (unter 3a) (zur Verjährungsverkürzung/Ausschlussfrist); aus dem Schrifttum statt vieler Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 308; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 76.

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§ 43 Rz. 425 | Haftung der Geschäftsführer dann wirksam sind, wenn und soweit die Haftung nicht für die Gläubigerbefriedigung benötigt wird, wird im Schrifttum vergleichsweise wenig diskutiert und unterschiedlich beurteilt1230. Richtigerweise ist die Frage zu bejahen, da die Rechtsgrundlage für die Unwirksamkeit der Vorabbeschränkung in einer entsprechenden Anwendung des § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 Satz 1 liegt und die Unwirksamkeitsfolge daher nicht weiterreichen kann als in dieser Vorschrift angeordnet. Nur in diesem Sinn kann auch die zur Verjährungsverkürzung ergangene Entscheidung des BGH verstanden werden1231. 426 Wie generell im Rahmen des § 43 Abs. 3 Satz 2-3 ist auch hinsichtlich der daraus abgeleiteten

Grenzen für Haftungsmilderungen zu beachten, dass sie nicht nur für die in § 43 Abs. 3 Satz 1 genannten Haftungstatbestände (Verstöße gegen § 30 Abs. 1, § 33) Geltung beanspruchen. Vielmehr erstrecken sie sich auch auf Verstöße gegen weitere kapitalschützende Vorgaben, die jenen Tatbeständen im Wege der Analogie gleichzustellen sind (namentlich Verstöße gegen § 43a, Mitwirkung an einem existenzvernichtenden Eingriff, Rz. 376 ff.). d) Verfahren und Form der Haftungsbeschränkung 427 Die Haftungsbeschränkung kann in der Satzung vorgesehen werden1232, nach herrschender

und zutreffender Ansicht aber auch im Anstellungsvertrag oder in einer sonstigen Vereinbarung zwischen der GmbH und dem Geschäftsführer, ohne dass es hierfür einer Ermächtigung in der Satzung oder einer sonstigen Form der Publizität bedarf1233. Vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmung ist jedoch wie beim nachträglichen Verzicht (Rz. 351 ff., 382) ein Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 erforderlich1234. Der Beschluss wird – ebenfalls wie beim nachträglichen Verzicht – nach § 47 Abs. 1 mit einfacher Mehrheit gefasst1235. Zweifelhaft ist, ob der betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer an der Beschlussfassung mitwirken kann, wenn die Haftungserleichterung Bestandteil seines Anstellungsvertrags sein soll und dieser zur Abstimmung steht. Grundsätzlich ist der Gesellschafter-Geschäftsführer nicht nur bei der Beschlussfassung über seine Bestellung (§ 46 Nr. 5), sondern nach h.M. wegen des engen Sachzusammenhangs auch bei der Beschlussfassung über seinen Anstellungsvertrag nicht nach § 47 Abs. 4 vom Stimmrecht ausgeschlossen (12. Aufl., § 46 Rz. 75, 12. Aufl., § 47 Rz. 118). Ob dies auch für einen Anstellungsvertrag gelten kann, der ihm Haf-

1230 Bejahend Krieger in RWS Forum Gesellschaftsrecht 1995, 1996, S. 149, 163; ablehnend aber Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 5 mit Fn. 51; wohl auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 65; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10 (Haftung nach Abs. 3 „gänzlich unabdingbar“); Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 299.7; offenlassend Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 310. 1231 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197, 1198 (unter 3a: „…und seine Ersatzleistung benötigt wird, um Gesellschaftsgläubiger befriedigen zu können“); s. auch schon Rz. 419. 1232 Statt vieler Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 39. 1233 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 107/01, GmbHR 2002, 1197 (für Regelung einer Verjährungsverkürzung/Ausschlussfrist im Anstellungsvertrag); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 315; Janert, BB 2013, 3016, 3018; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 66; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 80; Werner, GmbHR 2014, 792, 797; a.A. Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 46 Rz. 4 (nur durch die Satzung); Mand, Die Geschäftsführerhaftung nach § 43 Abs. 2 und die Möglichkeit privatautonomer Begrenzungen, 2004, S. 138 f. (Satzungsermächtigung erforderlich). 1234 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 315; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 66; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 80. 1235 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 39; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 317; Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber der GmbH, 1988, S. 139; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 66; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; Werner, GmbHR 2014, 792, 797; a.A. – aus Gründen des Minderheitenschutzes Einstimmigkeit erforderlich – Lindacher, JuS 1984, 672, 674; Sturm, GmbHR 2003, 573, 577.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 429 § 43

tungserleichterungen gewährt, wird allerdings unterschiedlich beurteilt1236. Für ein Stimmverbot lässt sich anführen, dass es auch beim nachträglichen Verzicht eingreifen würde. Sofern man dem Gesellschafter-Geschäftsführer gleichwohl das Stimmrecht gewährt, bedürfen wenigstens die beweglichen Schranken der Stimmrechtsmacht (namentlich die Bindung an die mitgliedschaftliche Treuepflicht) besonders sorgfältiger Prüfung.

2. D&O-Versicherung a) Grundzüge der D&O-Versicherung Nicht nur in (börsennotierten) Aktiengesellschaften, sondern auch in Gesellschaften mbH 428 werden zur Abmilderung der Haftungsrisiken der Geschäftsführer – und vor allem zur Abmilderung des Risikos der Gesellschaft, bei hohen Schadenssummen nicht vollständig aus dem Vermögen des Geschäftsführers Befriedigung zu erlangen – vielfach sog. directors‘ and officers‘ (D&O)-Versicherungen abgeschlossen. Diese haben sich in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre immer mehr verbreitet und sind inzwischen jedenfalls bei größeren Unternehmen fest etabliert. Die Zulässigkeit der D&O-Versicherung steht trotz ihrer die Präventionsfunktion der Organhaftung (Rz. 7) einschränkenden Wirkung heute außer Streit; sie wird in der durch das VorstAG1237 eingeführten Vorschrift des § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG vorausgesetzt. Versicherungsnehmerin, mithin Vertragspartnerin des Versicherers und damit auch Prämienschuldnerin ist bei einer D&O-Versicherung in der Regel die Gesellschaft; versicherte Personen sind dagegen die Geschäftsführer und je nach Ausgestaltung des Versicherungsvertrags auch weitere Personen (Aufsichtsratsmitglieder, Organmitglieder von Tochtergesellschaften, u.U. auch bestimmte leitende Angestellte)1238. Es handelt sich in diesem Regelfall somit um eine Versicherung für fremde Rechnung (§§ 43 ff. VVG)1239, die einen besonders geregelten Fall eines Vertrags zugunsten Dritter (§§ 328 ff. BGB) darstellt1240. Inhaltlich geht es bei der D&O-Versicherung um eine (freiwillige) Vermögensschaden-Haft- 429 pflichtversicherung i.S.d. §§ 100 ff. VVG1241. Nach den vom Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) entwickelten Musterbedingungen gewährt sie den versicherten Personen Versicherungsschutz für den Fall, dass diese (1) wegen einer bei Ausübung ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft begangenen Pflichtverletzung (2) aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen (3) für einen Vermögensschaden in Anspruch genommen werden1242. Der Schutz erstreckt sich demnach nicht nur auf die Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft (und damit insbesondere die Haftung nach § 43 Abs. 2-3), sondern auch – allerdings auch insoweit nur für Vermögensschäden – auf die Außenhaftung gegenüber Dritten

1236 Für Stimmverbot Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 317; dagegen Heisse, Die Beschränkung der Geschäftsführerhaftung gegenüber der GmbH, 1988, S. 138. 1237 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung vom 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2509. 1238 Näher zum Kreis der versicherten Personen Ihlas in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 19.28 ff. 1239 BGH v. 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209, 373 = ZIP 2016, 976 Rz. 20; Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, § 108 Rz. 1, 3; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 376. 1240 Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, § 108 Rz. 1; Gottwald in MünchKomm. BGB, § 328 Rz. 94. 1241 Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, § 108 Rz. 2; Sieg in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 18.4. 1242 Klausel A-1 der vom GDV veröffentlichten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Aufsichtsräten, Vorständen und Geschäftsführern (AVB D&O) vom Mai 2020.

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§ 43 Rz. 429 | Haftung der Geschäftsführer (Rz. 453 ff.)1243. Wie andere Haftpflichtversicherungen hat auch die D&O-Versicherung zwei Funktionen: Der Versicherer sagt zum einen zu, dass er maximal bis zu dem Betrag der vereinbarten Versicherungssumme die versicherte Person von der Haftung freistellt (Freistellungsfunktion). Zum anderen umfasst der Versicherungsschutz auch die gerichtliche und außergerichtliche Abwehr unberechtigter Schadensersatzansprüche (Abwehr- oder Rechtsschutzfunktion)1244. 430 Die einzelnen Versicherungsbedingungen unterscheiden sich trotz der genannten Musterbe-

dingungen in der Praxis z.T. erheblich zwischen den Versicherungsunternehmen und werden nicht selten auch individuell ausgehandelt1245. Gleichwohl haben sich gewisse Kernelemente als Marktstandard etabliert. Dazu gehört etwa das „claims-made“-Prinzip (Anspruchserhebungsprinzip), das den zeitlichen Umfang des Versicherungsschutzes regelt. Für das Bestehen des Versicherungsschutzes kommt es danach darauf an, ob die erstmalige Geltendmachung des Innen- oder Außenhaftungsanspruchs (Haftpflichtanspruchs) während der Laufzeit des Versicherungsvertrags erfolgt ist1246. Der Versicherungsschutz erstreckt sich mit dieser Maßgabe grundsätzlich auch auf Pflichtverletzungen, die schon vor Beginn der Laufzeit stattgefunden haben1247. Zur Begrenzung des Risikos der Versicherer wird allerdings zumeist vorgesehen, dass diese sog. Rückwärtsdeckung auf einen bestimmten Zeitraum vor Beginn der Vertragslaufzeit beschränkt wird1248. Umgekehrt wird zum Schutz der versicherten Personen regelmäßig vereinbart, dass der Versicherungsschutz auch solche Ansprüche erfasst, die auf Pflichtverletzungen vor Ende der Vertragslaufzeit beruhen, aber erst innerhalb einer bestimmten Nachmeldefrist nach Beendigung des Versicherungsvertrags erhoben werden1249. Zudem wird der Gesellschaft und den versicherten Personen zugestanden, dem Versicherer während der Vertragslaufzeit Umstände zu melden, die zwar noch nicht zu einer Inanspruchnahme geführt haben, eine solche aber als hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen; eine solche Umstandsmeldung führt dann dazu, dass der Versicherungsschutz für eine vereinbarte Zeitspanne nach Vertragsende erhalten bleibt1250. 431 Neben der Begrenzung auf die vereinbarte Versicherungssumme und den genannten zeitli-

chen Grenzen unterliegt der D&O-Versicherungsschutz auch in sachlicher Hinsicht wesentlichen Einschränkungen. Insbesondere sehen die Versicherungsbedingungen mit Unterschieden im Einzelnen eine Reihe von Risikoausschlüssen vor1251, namentlich für wissentliche

1243 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 376; eingehend zu den versicherten Ansprüchen Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2014, § 8 Rz. 1 ff. Die frühere Streitfrage, ob auch Ansprüche aus § 64 Satz 1 a.F. (nunmehr § 15b Abs. 1 InsO) erfasst sind, wenn sich die Versicherungsbedingungen nur auf „Schadensersatzansprüche“ beziehen, hat der BGH inzwischen mit Recht im bejahenden Sinn entschieden; BGH v. 18.11.2020 – IV ZR 217/19, GmbHR 2021, 134 m. zust. Anm. Bitter; Brinkmann/Schmitz-Justen, ZIP 2021, 24. 1244 Vgl. A-6.1 AVB D&O 2020; Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, § 108 Rz. 2. 1245 Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 141; Sieg in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 18.10 f.; Holthausen/Held, GmbHR 2020, 741 Rz. 16. 1246 A-2 AVB D&O 2020. Näher zum Anspruchserhebungsprinzip etwa Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, § 108 Rz. 32 ff.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 491 ff.; Lüneborg/Resch, AG 2017, 691, 692 ff. (auch zur Bedeutung sog. Serienschadenklauseln bei mehraktigen Versicherungsfällen, vgl. (A-6.6 AVB D&O 2020). 1247 A-5.2 AVB D&O 2020. 1248 Lüneborg/Resch, AG 2017, 691, 693. 1249 A-5.3 AVB D&O 2020; ausf. Lüneborg/Resch, AG 2017, 691, 695 ff. 1250 A-5.4 AVB D&O 2020; näher zu Umstandsmeldungen Ihlas in MünchKomm. VVG, Directors & Officers-Versicherung Rz. 253 ff.; Lüneborg/Resch, AG 2017, 691, 697 ff. 1251 A-7 AVB D&O 2020 sieht nicht weniger als 17 Ausschlusstatbestände vor; eingehend Ihlas in MünchKomm. VVG, Directors & Officers-Versicherung Rz. 588 ff.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 433 § 43

Pflichtverletzungen und vorsätzliche Schadensverursachung1252 sowie für – sei es auch nur fahrlässig verursachte – Unternehmensgeldbußen (für den Fall, dass man diese mit der bisher h.L. als nach § 43 Abs. 2 ersatzfähigen Schaden einstuft, abl. dazu Rz. 304 ff.)1253. Die versichererfreundlichen Musterbedingungen des GDV enthalten darüber hinaus noch zahlreiche weitere Risikoausschlüsse für Pflichtverletzungen in besonders haftungsträchtigen und/oder typischerweise durch andere Versicherungen abgedeckten Bereichen wie Produkthaftung, Schäden durch Umwelteinwirkungen, Wettbewerbsverstöße, Verletzung von Immaterialgüterrechten, Korruption, Spekulationsgeschäfte sowie Belästigung und Diskriminierung1254; diese Ausschlüsse werden aber in der Vertragspraxis häufig abbedungen1255. Die Musterbedingungen sehen zudem noch einen Eigenschadenausschluss für GesellschafterGeschäftsführer vor, der den Versicherungsschutz entsprechend der Beteiligungsquote des Gesellschafter-Geschäftsführers reduziert (beim Alleingesellschafter-Geschäftsführer also bis auf null)1256. Als Begründung für diese Klausel wird angeführt, dass sie einem kollusiven Zusammenwirken zwischen der geschädigten Gesellschaft und dem Schädiger zum Nachteil des Versicherers entgegenwirken soll1257. In der heutigen Vertragspraxis ist der Eigenschadenausschluss aber offenbar kaum noch anzutreffen1258. Die Musterbedingungen sehen ferner einen Selbstbehalt vor, den die versicherte Person selbst 432 tragen muss1259. Anders als für Vorstandsmitglieder einer AG (§ 93 Abs. 2 Satz 3 AktG) ist ein solcher Selbstbehalt für GmbH-Geschäftsführer jedoch nicht gesetzlich vorgeschrieben; § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG ist mangels Anzeichen für eine planwidrige Regelungslücke nicht analog anwendbar1260. b) Prozessuale Einbeziehung des D&O-Versicherers Tritt der Versicherungsfall ein, so steht der Freistellungsanspruch gegen den Versicherer aus 433 dem Versicherungsvertrag nach den gängigen Versicherungsbedingungen nur der in die Haftung genommenen versicherten Person (dem Geschäftsführer) zu, nicht der Gesellschaft als Versicherungsnehmerin – auch dann nicht, wenn diese wie in den Fällen der Innenhaftung nach § 43 Abs. 2, 3 selbst die Geschädigte ist1261. Die geschädigte Gesellschaft kann daher grundsätzlich nicht direkt gegen den Versicherer vorgehen, sondern muss sich an den Ge-

1252 So etwa der Risikoausschluss im Fall des OLG Düsseldorf v. 20.7.2018 – 4 U 93/16, ZIP 2018, 1542. Da bedingt vorsätzliche Pflichtverletzungen keine „wissentlichen“ sind (OLG Düsseldorf a.a.O. 1544; Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, § 108 Rz. 66, 72; Dreher, VersR 2015, 781, 783; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 497; Lange, VersR 2020, 588, 589), führt die im Text genannte Klausel dazu, dass eventualvorsätzliche Pflichtverletzungen von dem Risikoausschluss nur erfasst werden, wenn sie zusätzlich auch von einem (direkten oder bedingten) Schädigungsvorsatz getragen sind. 1253 A-7.10 AVB D&O 2020; näher Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, § 108 Rz. 80 ff. 1254 A-7.3, 7.4, 7.9, 7.12, 7.13, 7.15. 1255 S. im Einzelnen Ihlas in MünchKomm. VVG, Directors & Officers-Versicherung Rz. 742 ff.; Ihlas in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 19.5, 19.74 ff. mit dem Hinweis, dass in „guten“ Versicherungsbedingungen die meisten dieser Ausschlüsse gestrichen werden sollten. 1256 A-6.4. 1257 Lange, ZIP 2003, 466. 1258 Klotz, r+s 2020, 425, 426 Fn. 8 („inzwischen kaum noch zu finden“). 1259 A-6.5. 1260 Ganz h.M., Bayer, GmbHR 2014, 897, 904; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 478; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 382; Greven, BB 2009, 2154, 2157; v. Kann, NZG 2009, 1010, 1011; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 425; zweifelnd R. Koch, AG 2009, 637, 643. 1261 Harzenetter, NZG 2016, 728; Baur/Holle, AG 2017, 141. Auch aus § 115 VVG folgt kein Direktanspruch der Gesellschaft; Sieg in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 18.23.

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§ 43 Rz. 433 | Haftung der Geschäftsführer schäftsführer halten; im Fall des Obsiegens kann sie dann dessen Deckungsanspruch gegen die Versicherung pfänden und sich überweisen lassen (§§ 829, 835 ZPO). Schon der Prozess der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer wird indes bei Bestehen einer D&O-Versicherung wesentlich durch die Einbeziehung des Versicherers geprägt. Nach den üblichen Versicherungsbedingungen muss sich der Geschäftsführer schon bei der Auswahl seines Rechtsanwalts mit dem Versicherer abstimmen1262. Dieser wird dem Rechtstreit häufig im Wege der Nebenintervention (§ 66 ZPO) als Streithelfer aufseiten des beklagten Geschäftsführers beitreten1263. 434 Alternativ besteht allerdings auch die Möglichkeit, einen Direktprozess der Gesellschaft ge-

gen den D&O-Versicherer zu führen, sofern sich die Gesellschaft den Freistellungsanspruch des Geschäftsführers von diesem abtreten lässt („Abtretungslösung“). Obwohl die Abtretung des Freistellungsanspruchs das Risiko eines kollusiven Zusammenwirkens („friendly understanding“) von Gesellschaft und Organwalter zulasten des Versicherers erhöht, kann die Möglichkeit der Abtretung gemäß § 108 Abs. 2 VVG nicht durch Allgemeine Versicherungsbedingungen ausgeschlossen werden1264. Eine Ausnahme hiervon gilt nur, wenn sich das formularmäßige Abtretungsverbot auf Großrisiken i.S.d. § 210 VVG beschränkt1265. Mit der Abtretung verwandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch der Gesellschaft1266, den diese unmittelbar gegen den Versicherer geltend machen kann (vor der Kammer für Versicherungssachen, sofern bei dem zuständigen Landgericht eine solche nach § 348 Abs. 1 Nr. 2 lit. h ZPO eingerichtet wurde1267). Das Bestehen des Haftungsanspruchs gegen den Geschäftsführer wird in diesem Fall inzident im Rahmen des Direktprozesses der Gesellschaft gegen den Versicherer geprüft1268. 435 Lebhaft umstritten ist allerdings – und darin liegt bis zu einer Klärung durch die Rechtspre-

chung eine Unwägbarkeit der ansonsten für Gesellschaft und Geschäftsführer grundsätzlich attraktiven1269 Abtretungslösung –, ob der Gesellschaft auch im Direktprozess gegen den Versicherer die Beweislastumkehr analog § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG, § 34 Abs. 2 Satz 2 GenG (Rz. 332) zugutekommt. Im Schrifttum wird diese Frage unter Hinweis darauf, dass der Versicherer anders als der Geschäftsleiter keine besondere Sachnähe zu dem Geschehensablauf hat, verbreitet verneint1270. Nach vordringender und zutreffender Ansicht ist sie jedoch zu bejahen1271, da sich an dem Haftungsanspruch durch die Abtretung des Freistellungsanspruchs nichts ändert; diese führt nur dazu, dass die sonst nötigen zwei Prozesse (Haftungs1262 J. Koch in MünchHdb. Corporate Litigation, § 30 Rz. 65. 1263 J. Koch in MünchHdb. Corporate Litigation, § 30 Rz. 65. 1264 BGH v. 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209, 373 = ZIP 2016, 976 Rz. 19 f. m. zust. Bespr. Harzenetter, NZG 2016, 728; R. Koch, VersR 2016, 765; kritisch Armbrüster, NJW 2016, 2155, 2156. 1265 Zu dieser Ausnahme Armbrüster in MünchHdb. Corporate Litigation, § 108 Rz. 56. J. Koch in MünchHdb. Corporate Litigation, § 30 Rz. 66. 1266 BGH v. 13.4.2016 – IV ZR 304/13, BGHZ 209, 373 = ZIP 2016, 976 Rz. 22; Brinkmann, ZIP 2017, 301, 303; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 377. 1267 Brinkmann, ZIP 2017, 301, 305. 1268 Baur/Holle, AG 2017, 141, 142; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 43; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 377. 1269 Zur Interessenlage der Beteiligten näher Brinkmann, ZIP 2017, 301, 303 f.; Löbbe in FS MarschBarner, 2018, S. 317, 319 ff. 1270 Ablehnend etwa Armbrüster, NJW 2016, 2155, 2157; Brinkmann, ZIP 2017, 301, 306 ff.; Danninger, Organhaftung und Beweislast, 2020, S. 134 ff.; Dreher/Thomas, ZGR 2009, 31, 43 ff.; Grooterhorst/Loomann, NZG 2015, 215, 217; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 452; zweifelnd Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 58e. 1271 Ausführlich und überzeugend Baur/Holle, AG 2017, 141, 143 ff.; ferner Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 488; Harzenetter, NZG 2016, 728, 732; R. Koch, VersR 2016, 765, 767 f.; Löbbe in FS Marsch-Barner, 2018, S. 317, 332 f.; Ph. Scholz, ZZP 166 (2020), 491, 527 f.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 437 § 43

und Deckungsprozess) in einem geführt werden1272. Im Übrigen setzt sich die besondere Sachnähe des Geschäftsführers auch auf Seiten des Versicherers fort, da der Geschäftsführer dem Versicherer auch nach Abtretung des Freistellungsanspruchs zur Mitwirkung und zur Auskunft verpflichtet ist (§ 31 Abs. 2 VVG) und im Direktprozess gegen den Versicherer als Zeuge benannt werden kann1273. Verweigert der Geschäftsführer dem Versicherer die Mitwirkung und Auskunft, kann der Versicherer dies der Gesellschaft entgegenhalten und sich ggf. auf (teilweise) Leistungsfreiheit berufen1274. c) Gesellschaftsrechtliche Fragen Schließt wie im Regelfall die Gesellschaft die D&O-Versicherung ab, wird sie bei Vertrags- 436 schluss durch ihre Geschäftsführer vertreten (§ 35). Ein Fall des § 181 BGB liegt nicht vor, da die Geschäftsführer nur versicherte Personen, aber nicht selbst Vertragspartei sind. Allerdings wird im Innenverhältnis häufig ein Gesellschafterbeschluss erforderlich sein. Dies ergibt sich vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmung aus § 46 Nr. 5, sofern dem Geschäftsführer im Anstellungsvertrag oder in Abänderung desselben eine D&O-Versicherung zugesagt werden soll1275. Aber auch unabhängig davon hält die h.M., sofern die Satzung nichts anderes bestimmt, einen Gesellschafterbeschluss analog § 46 Nr. 8 für erforderlich, da sich eine D&O-Versicherung ähnlich wie eine Haftungsmilderung auswirke1276. Das Fehlen des Beschlusses führt jedoch vorbehaltlich der allgemeinen Regeln des Missbrauchs der Vertretungsmacht nicht dazu, dass die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer im Außenverhältnis tangiert wird (§ 37 Abs. 2 Satz 1)1277. Sofern der Geschäftsführer sich dies nicht im Anstellungsvertrag oder anderweitig aus- 437 bedingt, steht ihm kein Anspruch darauf zu, dass die Gesellschaft eine D&O-Versicherung abschließt oder ihm die Prämien einer von ihm selbst abgeschlossenen D&O-Versicherung erstattet. Ein solcher Anspruch lässt sich insbesondere nicht schon aus der allgemeinen Treue- und Fürsorgepflicht der Gesellschaft ableiten1278. Auch besteht keine Verpflichtung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Geschäftsführer, eine zu dessen Gunsten abgeschlossene Haftpflichtversicherung aufrechtzuerhalten1279. Dass der Insolvenzverwalter dies

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Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 488. Baur/Holle, AG 2017, 141, 145; Harzenetter, NZG 2016, 728, 732. Baur/Holle, AG 2017, 141, 145 f.; R. Koch, VersR 2016, 765, 768. Möhrle, Gesellschaftsrechtliche Probleme der D&O-Versicherung, 2007, S. 211. Zur Anwendbarkeit des § 46 Nr. 5 auf Abschluss und Änderung von Anstellungsverträgen 12. Aufl., § 46 Rz. 70. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 169; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 427; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 388; im Erg. auch Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 142 (wegen des hohen Eigeninteresses der Geschäftsführer); a.A. Möhrle, Gesellschaftsrechtliche Probleme der D&O-Versicherung, 2007, S. 212 f.; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 315 f. Allg. M., etwa Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 427; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 378; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8. Abl. auch BGH v. 16.3.2009 – II ZR 280/07, GmbHR 2009, 654 Rz. 23 (für Aufsichtsratsmitglieder der AG); OLG Koblenz v. 24.9.2007 – 12 U 1437/04 (juris), Rz. 130; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 426; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 258, 273 f.; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 391; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 381, mit dem Zusatz, dass ein Anspruch allenfalls dann zu erwägen sei, wenn der Geschäftsführer sich nicht individuell versichern kann (was aber heute in aller Regel ohne weiteres möglich ist) und er sich daher an die Gesellschaft wendet, damit diese auf seine Rechnung den Vertrag abschließt. BGH v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, BGHZ 213, 224 = ZIP 2017, 472 Rz. 36 (zur AG).

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§ 43 Rz. 437 | Haftung der Geschäftsführer unterlassen hat, begründet daher kein anspruchsminderndes Mitverschulden (§ 254 BGB), wenn dieser den Geschäftsführer nach § 43 Abs. 2 oder Abs. 3 in Anspruch nimmt1280. d) Steuerliche Behandlung 438 Auch wenn – wie im Regelfall – die Gesellschaft die Prämien der D&O-Versicherung trägt,

liegt darin kein vom Geschäftsführer zu versteuernder geldwerter Vorteil, sofern die Versicherung in erster Linie der eigenen Absicherung des Unternehmens dient. Davon ist nach Auffassung der Finanzverwaltung bei den üblichen D&O-Versicherungen auszugehen1281.

3. Freistellungszusagen von Gesellschaftern und Dritten 439 Anstelle oder neben einer D&O-Versicherung können die GmbH-Geschäftsführer grund-

sätzlich auch durch Freistellungszusagen der Gesellschafter oder sonstiger Dritter vor dem Risiko der Organhaftung geschützt werden. Ein Bedürfnis dafür kann etwa bestehen, wenn ein Geschäftsführer, an dessen Engagement ein Gesellschafter oder ein Dritter ein besonderes Interesse hat, die Übernahme oder Fortführung seines Amtes von einer entsprechenden Freistellungszusage abhängig macht, weil sich in der Gesellschafterversammlung keine Mehrheit dafür findet, für ihn eine D&O-Versicherung abzuschließen, oder weil der Geschäftsführer angesichts der Grenzen eines D&O-Versicherungsschutzes auf einer zusätzlichen Absicherung besteht. 440 Welche rechtlichen Schranken für derartige Freistellungsvereinbarungen bestehen, ist bisher

wenig geklärt. Teilweise wird vertreten, dass analog § 276 Abs. 3 BGB keine Freistellung für vorsätzliche Pflichtverletzungen gewährt werden könne1282. Der diese Vorschrift tragende Grundgedanke, dass sich der Geschädigte nicht ganz in die Hand des Schädigers begeben können soll, trifft jedoch auf Freistellungsvereinbarungen nicht zu, da die geschädigte Gesellschaft ihre Rechte behält und ihr aufgrund der Freistellungsvereinbarung wirtschaftlich sogar eine erweiterte Haftungsmasse zur Verfügung steht1283. Auch ginge es zu weit, aus § 138 Abs. 1 BGB ein starres Freistellungsverbot für vorsätzliche Pflichtverletzungen abzuleiten; vielmehr kann namentlich an einer Freistellung für bedingt vorsätzliche Pflichtverletzungen, die nicht zusätzlich von einem Schädigungsvorsatz getragen sind, ein legitimes Interesse bestehen1284. Darüber hinaus werden teilweise Bedenken gegen Freistellungszusagen erhoben, die nicht allgemein gewährt werden (z.B. generell für fahrlässige Pflichtverletzungen), sondern als inhaltlich bedingte Freistellung nur für den Fall gelten sollen, dass der Freistellungsschuldner mit der haftungsauslösenden Maßnahme einverstanden ist. Solche inhaltlich bedingten Freistellungen sollen grundsätzlich unzulässig und unwirksam sein, da sie Anlass zu der Befürchtung gäben, dass sich der Geschäftsführer bei den freigestellten Maßnahmen entgegen § 43 Abs. 1 nicht vom Gesellschaftsinteresse, sondern allein vom Partikularinteresse

1280 BGH v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, BGHZ 213, 224 = ZIP 2017, 472 Rz. 35 f. (zur AG); Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 495. 1281 Näher OFD Berlin, Verfügung v. 13.12.2001 und v. 12.2.2002, BB 2002, 1245; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 383 f. 1282 Habersack in FS Ulmer, 2003, S. 151, 168. 1283 Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 359. 1284 Näher Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 359 ff. In der D&O-Versicherungspraxis begegnet es häufig, dass auch für bedingt vorsätzliche Pflichtverletzungen Versicherungsschutz gewährt wird, sofern sie nicht zusätzlich von einem (bedingten oder direkten) Schädigungsvorsatz getragen sind (Rz. 431).

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 442 § 43

des Freistellungsschuldners leiten lasse1285. Etwas anderes sei nur anzunehmen, wenn die Freistellungsvereinbarung durch einen Gesellschafterbeschluss legitimiert sei1286 oder vom Alleingesellschafter einer Einpersonen-GmbH ausgesprochen werde1287. Teilweise wird darüber hinaus sogar die inhaltlich bedingte Freistellungszusage eines Alleingesellschafters für bedenklich gehalten, soweit sie sich auch auf Verstöße nach § 43 Abs. 3 Satz 1 bezieht1288. Ob sich derart weitreichende Einschränkungen in dieser Allgemeinheit tatsächlich überzeugend begründen lassen, erscheint jedoch mehr als zweifelhaft1289. Gewiss wird man Vereinbarungen, die auf ein kollusives Zusammenwirken zulasten der übrigen Gesellschafter hinauslaufen, nach § 138 Abs. 1 BGB verwerfen müssen. Davon abgesehen ist aber eine tragfähige Rechtsgrundlage für eine Unwirksamkeit wegen der befürchteten Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Geschäftsführers nicht ersichtlich1290. Ebenso wenig bestehen generelle Bedenken gegen Freistellungszusagen im Bereich des § 43 Abs. 3 Satz 1, da diese die Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft unberührt lassen und den Gesellschaftsgläubigern durch die Möglichkeit der Pfändung und Überweisung des Freistellungsanspruchs noch eine zusätzliche Befriedigungsmöglichkeit eröffnet wird1291. Eine rechtliche Grenze finden Freistellungsvereinbarungen allerdings anerkanntermaßen 441 dann, wenn sie darauf gerichtet sind, den Geschäftsführer schon vor Tatbegehung von Geldbußen aus Straftaten und Ordnungswidrigkeiten freizustellen. Solche Zusagen sind nach zutreffender h.M. nichtig. Dies lässt sich in Fällen, in denen die Zusage als Anstiftung oder Beihilfe zu der Straftat oder als Beteiligung an der Ordnungswidrigkeit zu werten ist, aus § 134 BGB ableiten1292 und folgt im Übrigen aus § 138 Abs. 1 BGB, da derartige Zusagen die Präventionswirkung der Straf- bzw. Bußgeldandrohung aushöhlen1293.

VIII. Besonderheiten in der GmbH & Co. KG und der GmbH & Still Die Geschäftsführer sind gemäß § 43 Abs. 2 und 3 grundsätzlich allein der geschädigten 442 GmbH verantwortlich („haften der Gesellschaft“). Besonderheiten sind allerdings zu beachten, wenn es sich bei der GmbH um die Komplementärin einer GmbH & Co. KG handelt (Rz. 443 ff.) oder wenn eine sog. GmbH & Still vorliegt (Rz. 452).

1285 Habersack in FS Ulmer, 2003, S. 151, 171; Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 76. 1286 Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 76. 1287 Habersack in FS Ulmer, 2003, S. 151, 171 f. (mit der sogleich im Text erwähnten Einschränkung); Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 76 f. 1288 Habersack in FS Ulmer, 2003, S. 151, 172; dagegen jedoch Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern, 2010, S. 77 Fn. 326 i.V.m. 119 ff. 1289 Ablehnend auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Schockenhoff, ZHR 180 (2016), 197, 222 f. 1290 Ein durch eine Freistellungsvereinbarung provozierter Interessenkonflikt des Geschäftsführers kann aber natürlich dazu führen, dass dieser sich im Verhältnis zur Gesellschaft nicht mehr auf die Business Judgment Rule berufen kann (Rz. 91 ff.); Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16 a.E. 1291 Auch im Bereich der D&O-Versicherung wird daher, soweit ersichtlich, die Versicherbarkeit der Haftung nach Abs. 3 Satz 1 nicht in Zweifel gezogen. 1292 Fleischer, WM 2005, 909, 916; Krause, BB Beil. 2007, Nr. 7, 2, 9. 1293 BAG v. 25.1.2001 – 8 AZR 465/00, ZIP 2001, 850; Fleischer, WM 2005, 909, 916; Krause, BB Beil. 2007, Nr. 7, 2, 9; Grunewald, NZG 2016, 1121, 1122 m.w.N.

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§ 43 Rz. 443 | Haftung der Geschäftsführer

1. Besonderheiten in der GmbH & Co. KG a) Organhaftung (auch) gegenüber der KG 443 Handelt es sich bei der GmbH um die Komplementärin einer KG, so ist – jedenfalls dann,

wenn die alleinige oder wesentliche Aufgabe der GmbH in der Führung der Geschäfte der KG besteht – anerkannt, dass schuldhafte Pflichtverletzungen der GmbH-Geschäftsführer eine Organhaftung analog § 43 Abs. 2-3 unmittelbar gegenüber der KG begründen1294. Ursprünglich hat der BGH diese Direkthaftung der GmbH-Geschäftsführer gegenüber der KG darauf gestützt, dass der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers mit der Komplementär-GmbH als Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten der KG anzusehen ist1295. Inzwischen ist jedoch geklärt, dass es auf das Bestehen eines wirksamen Anstellungsvertrags nicht ankommt. Der BGH hat ausdrücklich anerkannt, dass unabhängig vom Vorliegen eines Anstellungsvertrags jedenfalls das Organverhältnis (Bestellungsverhältnis) zwischen dem Geschäftsführer und der Komplementär-GmbH eine Schutzwirkung zugunsten der KG entfaltet1296. 444 Auf den ersten Blick mag man gegen diese Rechtsprechung zwar einwenden, dass es nach

den herkömmlichen Grundsätzen der Schutzwirkung für Dritte im Allgemeinen an der Schutzbedürftigkeit des Dritten fehlt, wenn dieser bereits durch eigene vertragliche Ansprüche geschützt ist1297. Der KG stehen solche Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB gegen die GmbH zu, da dieser die Pflichtverletzung ihrer Geschäftsführer nach § 31 BGB zugerechnet wird1298. Bedenkt man aber, dass die vorliegende Situation im Unterschied zu anderen Dreieckskonstellationen durch die Besonderheit gekennzeichnet ist, dass sich Pflichtverletzungen der GmbH-Geschäftsführer zwangsläufig und in erster Linie in der KG auswirken und diese 1294 St. Rspr. seit BGH v. 12.11.1979 – II ZR 174/77, BGHZ 75, 321, 322 ff. = GmbHR 1980, 127, zunächst nur für Publikumsgesellschaften; sodann ohne diese Beschränkung BGH v. 24.3.1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326, 337 f. = ZIP 1980, 361 Rz. 32 bei juris; ferner etwa BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 15; BGH v. 9.12.2014 – II ZR 360/13, ZIP 2015, 322 Rz. 12 (zu Abs. 3); BGH v. 26.4.2018 – IX ZR 238/17, BGHZ 218, 290 = ZIP 2018, 977 Rz. 43; BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, GmbHR 2020, 1344 Rz. 18 f.; ebenso die heute ganz h.L., Casper in Staub, 5. Aufl. 2015, § 164 HGB Rz. 57 f.; Henze/Notz in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, § 177a HGB Anh. 1 Rz. 271 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 303; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 191, 198 f.; a.A. noch BGH v. 28.9.1953 – VI ZR 28/53, WM 1956, 61 (zu IV 3a); abw. aus neuerer Zeit insbes. Nietsch, GmbHR 2014, 348, 352 f.: nur Anspruch der KG gegen die GmbH nach § 280 Abs. 1, § 31 BGB auf Abtretung des Organhaftungsanspruchs nach den Regeln der Drittschadensliquidation. 1295 BGH v. 12.11.1979, BGHZ 75, 321, 322 ff. = GmbHR 1980, 127. 1296 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = GmbHR 2013, 1044 m. Anm. Werner = ZIP 2013, 1712 Rz. 17 ff. („allein aufgrund der organschaftlichen Sonderrechtsbeziehung“); BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, GmbHR 2020, 1344 Rz. 19; ebenso die h.L., Casper in Staub, 5. Aufl. 2015, § 164 HGB Rz. 58; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 304; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 139; mit abw. Begründung – Direkthaftung in Gesamtanalogie zu § 309 Abs. 2, § 317 Abs. 3, § 323 Abs. 1 Satz 2 AktG – Krebs, Geschäftsführungshaftung bei der GmbH & Co. KG und das Prinzip der Haftung für sorgfaltswidrige Leitung, 1991, S. 154 ff.; für Ableitung des Direktanspruchs aus dem Recht der KG Teichmann, ZGR 2014, 220, 244 ff. (mit Blick auf die Auslandsgesellschaft & Co. KG); gegen ihn aber Blaum in Westermann/Wertenbruch, Hdb. Personengesellschaften, 70. Lfg. 2018, Rz. 3475. 1297 S. nur Grüneberg in Palandt, § 328 BGB Rz. 18 m. Nachw. aus der Rechtsprechung. 1298 BGH v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, GmbHR 2018, 308 Rz. 16. Für fehlende Schutzbedürftigkeit nach den allgemeinen Grundsätzen daher Henze/Notz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 177a HGB Anh. 1 Rz. 271; Krebs, Geschäftsführungshaftung bei der GmbH & Co. KG und das Prinzip der Haftung für sorgfaltswidrige Leitung, 1991, S. 145 ff.; dagegen jedoch Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 198 f.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 447 § 43

daher in besonderem Maße auf die Sorgfalt der GmbH-Geschäftsführer angewiesen ist, erscheint es gerechtfertigt, das wertungsoffene Kriterium der Schutzbedürftigkeit gleichwohl als gegeben anzusehen1299 und die KG nicht auf den Umweg einer Inanspruchnahme der GmbH (und diese sodann auf einen Regress gegen ihre Geschäftsführer) zu verweisen. Offen geblieben ist in der bisherigen Rechtsprechung, ob die Direkthaftung der GmbH-Ge- 445 schäftsführer gegenüber der KG auch dann eingreifen kann, wenn sich die Tätigkeit der Komplementärin nicht – wie im Regelfall – ausschließlich oder im Wesentlichen darauf beschränkt, die Geschäfte der KG zu führen, sondern sie auch noch anderweitig aktiv ist1300. In der Konsequenz des Ansatzes der Rechtsprechung liegt es aber, auch diese Frage zu bejahen1301. Die Organhaftung der Geschäftsführer gegenüber der KG tritt neben die Haftung gegen- 446 über der Komplementär-GmbH. Auch wenn der Schaden im Vermögen der KG eingetreten ist, liegt zugleich ein Schaden der GmbH vor, weil (und soweit) diese der KG nach § 280 Abs. 1, § 31 BGB auf Schadensersatz haftet1302. b) Modalitäten der Organhaftung gegenüber der KG Die Voraussetzungen der Haftung der Geschäftsführer gegenüber der KG analog § 43 Abs. 2- 447 3 entsprechen den allgemeinen Regeln, die auch im Rahmen der Haftung gegenüber der GmbH gelten. Insbesondere gilt nach h.M. auch in der GmbH & Co. KG für die Geschäftsführerhaftung der Sorgfaltsmaßstab des § 43 Abs. 1, nicht derjenige des § 708 BGB1303. Dies gilt unabhängig davon, ob der Geschäftsführer zugleich Kommanditist der KG ist oder nicht1304. Die Geschäftsleitung hat sich in den Grenzen der Legalitätspflicht am Interesse der KG zu orientieren1305, da die GmbH dieser eine entsprechende Geschäftsführung schuldet. Auch die Darlegungs- und Beweislastverteilung folgt denselben Regeln wie im Rahmen der Haftung gegenüber der GmbH (Rz. 330 ff.)1306. Die Haftung der GmbH-Geschäftsführer ent-

1299 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 18. 1300 Ausdrücklich offengelassen in BGH v. 10.2.1992 – II ZR 23/91, GmbHR 1992, 303; vgl. auch BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 15 („jedenfalls dann“, wenn die alleinige oder wesentliche Aufgabe der Komplementär-GmbH in der Führung der Geschäfte der KG besteht). 1301 So denn auch Casper in Staub, 5. Aufl. 2015, § 164 HGB Rz. 57; Grunewald in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 161 HGB Rz. 86; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 139; Uwe H. Schneider, GmbHR 2017, 680, 681; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 198. 1302 BGH v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, GmbHR 2018, 308 Rz. 16; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 302. Zu der umstrittenen Frage der Anwendbarkeit des § 708 BGB im Rahmen der Haftung der GmbH gegenüber der KG s. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Hdb. GmbH & Co. KG, Rz. 4.53 m. weiteren Nachw. und dem Hinweis, dass die eigenübliche Sorgfalt einer Komplementär-GmbH, die als juristische Person durch ihren Geschäftsführer handelt, regelmäßig der vom Geschäftsführer einzuhaltenden Sorgfalt (Abs. 1) entsprechen wird. 1303 BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, GmbHR 2020, 1344 Rz. 33 ff. m. zust. Anm. Mayer/Jenne; für die Publikums-KG auch schon BGH v. 12.11.1979 – II ZR 174/77, BGHZ 75, 321, 327 f. = GmbHR 1980, 127; aus dem Schrifttum statt vieler Casper in Staub, 5. Aufl. 2015, § 164 HGB Rz. 61; Grunewald in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 161 HGB Rz. 87; Lieder/Felzen, NZG 2021, 6, 13; a.A. –§ 708 BGB in der personalistisch strukturierten GmbH & Co. KG – Henze/ Notz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 177a HGB Anh. 1 Rz. 275 i.V.m. Rz. 90; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 120. 1304 Nachw. wie vor. 1305 Uwe H. Schneider, GmbHR 2017, 680, 681. 1306 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 22; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 48.

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§ 43 Rz. 447 | Haftung der Geschäftsführer fällt entsprechend den allgemeinen Regeln (Rz. 260 ff.), wenn sie in Ausführung einer verbindlichen Weisung der GmbH-Gesellschafterversammlung handeln1307 oder (nach zutreffender Information über den Sachverhalt) alle GmbH-Gesellschafter mit dem Handeln der Geschäftsführer einverstanden waren1308. Gleiches gilt, wenn (nach zutreffender Information über den Sachverhalt) sämtliche Gesellschafter der KG mit dem Handeln der GmbH-Geschäftsführer einverstanden waren1309. 448 Sind im Anstellungsvertrag mit der GmbH oder in der GmbH-Satzung Haftungsmilderun-

gen (Rz. 421 ff.) zugunsten der GmbH-Geschäftsführer vorgesehen worden, gelten diese nach dem Rechtsgedanken des § 334 BGB auch für die Haftung der GmbH-Geschäftsführer gegenüber der KG1310. Ist der Anspruch der KG erst einmal entstanden, kann er ihr grundsätzlich nicht allein dadurch wieder entzogen werden, dass die Gesellschafter der GmbH den Geschäftsführern nach § 46 Nr. 5 Entlastung erteilen. Die Entlastung durch die Gesellschafterversammlung der GmbH präkludiert zwar (in bestimmten Grenzen) erkennbare Ersatzansprüche der GmbH gegen ihre Geschäftsführer (12. Aufl., § 46 Rz. 89, 93 ff.), wirkt aber jedenfalls in der nicht personenidentischen GmbH & Co. KG nicht zugleich gegen diese1311. Eine enthaftende Wirkung auch im Verhältnis zur KG kann der Gesellschafterbeschluss der GmbH vielmehr nur entfalten, wenn es sich um eine personenidentische GmbH & Co. KG handelt und die Gesellschafterversammlung der GmbH die Entlastung mit einer auch in der KG hinreichenden Mehrheit beschließt oder der Entlastungsbeschluss von den Kommanditisten gebilligt wird1312. Daneben kann die Entlastung des GmbH-Geschäftsführers aber auch unmittelbar von der Gesellschafterversammlung der GmbH & Co. KG beschlossen werden; in diesem Fall tritt die genannte Präklusionswirkung ohne weiteres gegenüber der KG ein1313. Nichts anderes gilt, wenn die Gesellschafterversammlung der GmbH & Co. KG vorbehaltlos die Entlastung ihrer Komplementärin (der GmbH) beschließt, da die vorbehaltlose Billigung der Amtsführung der GmbH zugleich die Billigung der Amtsführung von deren Geschäftsführer beinhaltet1314. Besondere, hier nicht zu vertiefende Fragen der Entlastung stellen sich im Sonderfall der Einheits-GmbH & Co. KG, in der die KG einzige Gesellschafterin der GmbH ist1315. 1307 BGH v. 12.11.1979 – II ZR 174/77, BGHZ 75, 321 = GmbHR 1980, 127 Rz. 14 bei juris; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 33; Casper in Staub, 5. Aufl. 2015, § 164 HGB Rz. 61 (bereits keine Pflichtverletzung); Nietsch, GmbHR 2014, 348, 354; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Hdb. GmbH & Co. KG, Rz. 4.71; abw. Uwe H. Schneider, GmbHR 2017, 680, 681. 1308 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 33. 1309 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 33; näher Nietsch, GmbHR 2014, 348, 355 mit dem Hinweis, dass je nach Gesellschaftsvertrag der KG auch ein Mehrheitsbeschluss der Kommanditisten enthaftende Wirkung entfalten kann. 1310 Binz/Sorg, GmbH & Co. KG, § 9 Rz. 27 f.; allg. zur entsprechenden Anwendung des § 334 BGB auf Sonderverbindungen mit Schutzwirkung für Dritte Mäsch in BeckOGK BGB, § 334 BGB Rz. 46; einschr. Uwe H. Schneider, GmbHR 2017, 680, 682: nur in der gesellschafteridentischen GmbH & Co. KG oder bei Festlegung in der GmbH-Satzung. 1311 BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, GmbHR 2020, 1344 Rz. 21. 1312 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 8, § 46 Rz. 108; Binz/Sorg, GmbH & Co. KG, § 9 Rz. 36; Casper in Staub, 5. Aufl. 2015, § 164 HGB Rz. 62; Grunewald in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 161 HGB Rz. 91; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 46 Rz. 308; Lieder/Felzen, NZG 2021, 6, 8 f.; Uwe H. Schneider, GmbHR 2017, 680, 682 a.A. – Entlastung in der GmbH wirkt ohne weiteres auch gegen die KG – Ristelhuber, GWR 2016, 247, 248 f. unter Hinweis auf § 334 BGB analog, was aber nicht überzeugt, da diese Vorschrift auf den nachträglichen Erlass unstreitig keine Anwendung findet (Mäsch in BeckOGK BGB, § 334 BGB Rz. 20) und die Präklusionswirkung der Entlastung einem Erlass im Ergebnis gleichkommt. 1313 BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, GmbHR 2020, 1344 Rz. 24. 1314 BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, GmbHR 2020, 1344 Rz. 25 f. 1315 Weiterführend dazu Lieder/Felzen, NZG 2021, 6, 9 f.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 452 § 43

Für die Verjährung gilt – wie im Rahmen der Haftung gegenüber der GmbH – die fünfjähri- 449 ge Sonderverjährung nach § 43 Abs. 41316. Dabei ist allerdings zu beachten, dass mit dem Anspruch der KG aus § 43 Abs. 2-3 ein Anspruch wegen Verletzung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht konkurrieren kann, wenn der Geschäftsführer zugleich Kommanditist der KG ist und auch seine Pflichten als Gesellschafter verletzt hat; dieser Anspruch unterliegt der regulären Verjährungsfrist (§§ 195, 199 BGB)1317. Auch der Anspruch der KG gegen die GmbH aus § 280 Abs. 1, § 31 BGB verjährt nach §§ 195, 199 BGB1318. c) Geltendmachung der Organhaftung durch die KG und ihre Kommanditisten Da es sich um einen Organhaftungsanspruch der KG handelt, bedarf die Geltendmachung 450 des Anspruchs durch die KG keiner Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung der GmbH nach § 46 Nr. 81319. Vertreten wird die KG durch ihre Komplementärin (§ 125 Abs. 1, § 161 Abs. 2, § 170 HGB), diese wiederum durch ihre anderen oder ihre neuen Geschäftsführer, oder durch einen von den Gesellschaftern der KG bestellten besonderen Vertreter1320. Eine Geltendmachung des Organhaftungsanspruchs der KG gegen den Fremdgeschäftsführer 451 der GmbH durch einzelne Kommanditisten im Wege der actio pro socio soll dagegen nach Ansicht des BGH nicht möglich sein1321. Zur Begründung hat der BGH darauf verwiesen, dass die actio pro socio nach herkömmlichem Verständnis nur für Ansprüche aus dem Mitgliedschaftsverhältnis und nicht für Ansprüche gegen Dritte zur Verfügung steht. Für eine Ausdehnung der Gesellschafterklage auf Ansprüche gegen einen Fremdgeschäftsführer bestehe kein Bedürfnis, da die Kommanditisten bereits durch die Möglichkeit geschützt seien, den Anspruch der KG gegen die Komplementär-GmbH (§ 280 Abs. 1, § 31 BGB) im Wege der actio pro socio einzuklagen und anschließend in den Anspruch der GmbH gegen den Geschäftsführer aus § 43 Abs. 2 zu vollstrecken1322. Im Schrifttum ist diese Entscheidung verbreitet auf Ablehnung gestoßen1323. Folgt man der hier u.a. mit Blick auf § 148 AktG vertretenen, im Schrifttum vordringenden und auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung verbreiteten Ansicht, dass auch in der GmbH Organhaftungsansprüche gegen Fremdgeschäftsführer im Wege der actio pro socio geltend gemacht werden können (Rz. 363), besteht in der Tat kein Grund, in der GmbH & Co. KG abweichend zu entscheiden.

2. Besonderheiten in der GmbH & Still Die Grundsätze seiner Rechtsprechung zur GmbH & Co. KG (Rz. 443) hat der BGH auch auf 452 den Fall einer GmbH & Still übertragen, bei der sich die GmbH auf die Geschäftsinhaberrolle beschränkt und das Unternehmen für Rechnung der Gesamtheit der (atypisch) stillen Ge-

1316 Casper in Staub, 5. Aufl. 2015, § 164 HGB Rz. 62; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 304; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 139. 1317 BGH v. 28.6.1982 – II ZR 121/81, ZIP 1982, 1073, 1074 f. (zu § 195 BGB a.F.); Henze/Notz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 177a HGB Anh. 1 Rz. 276. 1318 Gummert in MünchHdb. GesR II, § 52 Rz. 24; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Hdb. GmbH & Co. KG, Rz. 4.52. 1319 BGH v. 24.3.1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326 = ZIP 1980, 361 Rz. 31–33 bei juris; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712 Rz. 20. 1320 Näher Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 43 f. 1321 BGH v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, GmbHR 2018, 308 Rz. 10 ff. 1322 BGH v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, GmbHR 2018, 308 Rz. 16. 1323 Bochmann, GmbHR 2018, 289, 292 ff.; Grunewald in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 161 HGB Rz. 72; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 306; K. Schmidt, JZ 2018, 365; dem BGH zustimmend aber Hippeli, GWR 2018, 61, 63 f.

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§ 43 Rz. 452 | Haftung der Geschäftsführer sellschafter führt1324. Die Interessenlage ist in diesem Fall derjenigen in der GmbH & Co. KG vergleichbar, da sich Pflichtverletzungen der GmbH-Geschäftsführer zwangsläufig und in erster Linie bei den stillen Gesellschaftern auswirken, die das erforderliche Kapital allein aufgebracht haben. So wie in der GmbH & Co. KG dem Organ- und ggf. auch dem Anstellungsverhältnis zwischen der GmbH und ihrem Geschäftsführer Schutzwirkung für die KG beigemessen wird, muss ihm daher auch hier Schutzwirkung zugunsten der stillen Gesellschafter zukommen mit der Folge, dass die Geschäftsführer unmittelbar diesen gegenüber entsprechend Abs. 2 und 3 verantwortlich sind. Auch in diesem Fall unterliegt der Anspruch der Verjährung nach § 43 Abs. 41325.

IX. Überblick über die Geschäftsführerhaftung gegenüber Gesellschaftern und Dritten (Außenhaftung) 1. Ausgangspunkt: Haftungskonzentration nach § 43 Abs. 2-3; fehlende Schutzgesetzqualität des § 43 Abs. 1 und fehlende Schutzwirkung für Dritte 453 Sieht man von den Sonderfällen ab, in denen ausnahmsweise ein Verfolgungsrecht der Gläu-

biger analog § 93 Abs. 5 Satz 1 AktG besteht (Rz. 397 ff.) oder dem Organverhältnis zwischen der GmbH und den Geschäftsführern Schutzwirkung für Dritte beigemessen wird (GmbH & Co. KG, GmbH & Still, Rz. 442 ff.), besteht die organschaftliche Haftung der Geschäftsführer nach § 43 Abs. 2 und 3 ausschließlich gegenüber der GmbH, nicht gegenüber einzelnen Gesellschaftern oder Dritten (arg. Abs. 2: „haften der Gesellschaft“). Diese im Gesetz angelegte „Haftungskonzentration“ auf den Verband, die nicht nur für das GmbHrechtliche Verantwortlichkeitsregime, sondern auch für andere Organhaftungstatbestände (z.B. § 93 AktG, § 34 GenG) prägend ist1326, würde unterlaufen, wenn man die Verhaltensgebote nach § 43 Abs. 1, § 93 Abs. 1 AktG, § 34 Abs. 1 GenG als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Gesellschafter oder Dritter qualifizieren würde. Daher kommt § 43 Abs. 1 ebenso wie den genannten Parallelvorschriften keine Schutzgesetzqualität i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zu, weder im Verhältnis zu außenstehenden Dritten1327 noch im Verhältnis zu den Gesellschaftern1328. Aus demselben Grund erklärt sich, dass auch die Annahme einer gesetzlichen Schutzwirkung des Anstellungs- und Organverhältnisses zwischen der GmbH und den Geschäftsführern zugunsten der Gesellschafter, der Arbeitnehmer oder gar außenstehender Dritter grundsätzlich ausscheidet1329, sofern nicht – wie in den genannten 1324 BGH v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, ZIP 1995, 738, 745 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 307. Allgemein zur Konstruktion der GmbH & Still und den funktionalen Parallelen zur GmbH & Co. KG K. Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 230 HGB Rz. 87. 1325 BGH v. 14.11.1994 – II ZR 160/93, ZIP 1995, 738, 746. 1326 Näher Schirmer, Das Köperschaftsdelikt, 2015, S. 216 ff.; ferner Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 335, 339; Medicus, ZGR 1998, 570, 578; Verse, ZHR 170 (2006), 398, 407; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 247. 1327 Allg. M., etwa BGH v. 9.7.1979 – II ZR 211/76, WM 1979, 853, 854; BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 375 = ZIP 1994, 867 Rz. 23 bei juris; BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1555 Rz. 23; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 340; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 300. 1328 Ganz h.M., OLG Stuttgart v. 23.1.2006 – 14 U 64/05, GmbHR 2006, 759, 761; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 118; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 335; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 89; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 300, 316; krit. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 4 IV 2 b (S. 241). 1329 OLG Stuttgart v. 23.1.2006 – 14 U 64/05, GmbHR 2006, 759; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 335; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 88; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 456 § 43

Sonderfällen der GmbH & Co. KG und der GmbH & Still – ausnahmsweise besondere Umstände eine solche Schutzwirkung zu rechtfertigen vermögen. Auch im Übrigen lässt sich die Annahme einer Sonderrechtsbeziehung zwischen Geschäftsführern und Gesellschaftern nicht allein auf die Übernahme des Amtes und die damit verbundenen Einwirkungsmöglichkeiten des Geschäftsführers stützen1330. Eine Haftung der Geschäftsführer gegenüber Gesellschaftern oder Dritten kann sich aber 454 nach allgemeinen Grundsätzen aus sonstigen Rechtsgrundlagen (quasi-) vertraglicher oder deliktischer Natur ergeben. Der folgende Überblick behandelt zunächst mögliche Ansprüche Dritter (Rz. 455 ff.) und sodann mögliche Ansprüche der Gesellschafter (Rz. 483 ff.).

2. Haftung gegenüber Dritten Eine Haftung der Geschäftsführer gegenüber Dritten kommt vorwiegend aus deliktsrecht- 455 lichen Anspruchsgrundlagen (Rz. 461 ff.) in Betracht. Unter besonderen Umständen können aber auch Ansprüche aus Sonderverbindung (Rz. 456 ff.) bestehen. a) Ansprüche aus Sonderverbindung aa) Vertragliche Mitverpflichtung Eine vertragliche (Mit-)Haftung des Geschäftsführers im Außenverhältnis kann sich daraus 456 ergeben, dass er in Gestalt einer Bürgschaft, eines Schuldbeitritts oder eines Garantieversprechens für die Erfüllung einer Verbindlichkeit der GmbH einzustehen verspricht (vgl. auch 12. Aufl., § 64 Rz. 366 f.). Bei einer Bürgschaft ist nach der Rechtsprechung selbst dann das Formerfordernis des § 766 BGB zu beachten, wenn der sich verbürgende Geschäftsführer alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer ist; § 350 HGB soll auch in diesem Fall mangels Kaufmannseigenschaft nicht, auch nicht analog, anwendbar sein1331. § 350 HGB greift aber dann ein, wenn der Geschäftsführer ein anderes Handelsgewerbe betreibt, dem die Bürgschaft zuzurechnen ist. Eine ähnliche Formfrage stellt sich im Rahmen des Schuldbeitritts von Geschäftsführern/Gesellschaftern zu Darlehensverträgen der GmbH mit gewerblichen Kreditgebern hinsichtlich der Formvorschrift des § 492 BGB, die nach ständiger Rechtspre-

GmbHG Rz. 76; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 316; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 395 f. (jeweils zur fehlenden Schutzwirkung gegenüber den Gesellschaftern); ferner BAG v. 23.2.2016 – 9 AZR 293/15, ZIP 2016, 885 Rz. 16 ff. (keine Schutzwirkung für Arbeitnehmer der Gesellschaft, die durch eine unterbliebene Insolvenzabsicherung von Wertguthaben aus Altersteilzeit geschädigt werden). 1330 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 134 = ZIP 1982, 568 Rz. 35 bei juris (zur AG); BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323, 334 = ZIP 1990, 1067 Rz. 20 bei juris (zum e.V.); Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 335; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges Recht, 1996, S. 205 ff.; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43 GmbHG Rz. 76; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 316; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 431 ff.; a.A. Raiser, ZHR 153 (1989), 1, 12 f.; Schmolke, Organwalterhaftung für Eigenschäden von Kapitalgesellschaftern, 2004, S. 148 ff., 255; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 4 IV 2 b (S. 241); Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 398. 1331 BGH v. 12.5.1986 – II ZR 225/85, ZIP 1986, 1457; BGH v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224, 228 = ZIP 1993, 424; BGH v. 8.11.2005 – XI ZR 34/05, BGHZ 165, 43 = ZIP 2006, 68 Rz. 15; a.A. Habersack in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 766 BGB Rz. 3: § 350 HGB analog für den geschäftsführenden Allein- oder Mehrheitsgesellschafter; noch weitergehend K. Schmidt, ZIP 1986, 1510, 1515 f.

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§ 43 Rz. 456 | Haftung der Geschäftsführer chung auch auf den Schuldbeitritt eines Verbrauchers Anwendung findet1332. Auch hier hält der BGH trotz kritischer Stimmen im Schrifttum daran fest, dass die Stellung als geschäftsführender Alleingesellschafter die Verbrauchereigenschaft unberührt lässt1333. 457 Ist der Geschäftsführer die Bürgschaft oder andere vertragliche Mitverpflichtung auf unbe-

stimmte Zeit eingegangen, kann er sie gemäß § 314 BGB aus wichtigem Grund mit Wirkung ex nunc kündigen. Das Ausscheiden des Geschäftsführers/Gesellschafters aus der Gesellschaft kann einen wichtigen Grund darstellen, wenn die Geschäftsführer- oder Gesellschafterstellung Anlass für die Übernahme der Mitverpflichtung war1334. Die Kündigung muss allerdings eine angemessene Frist einhalten, damit der Gläubiger sich auf die veränderte Lage einstellen kann1335. bb) Haftung bei fehlender Vertretungsmacht und Rechtsscheinhaftung 458 Eine Haftung der Geschäftsführer wegen fehlender Vertretungsmacht (§ 179 BGB) kommt

namentlich dann in Betracht, wenn bei bestehender Gesamtvertretungsmacht (§ 35 Abs. 2 Satz 1) nur einer der Geschäftsführer gehandelt und ausdrücklich oder konkludent Einzelvertretungsmacht oder eine entsprechende Ermächtigung des Mitgeschäftsführers behauptet hat1336. Die Haftung entfällt in diesem Fall nicht allein deshalb nach § 179 Abs. 3 Satz 1 BGB, weil der Geschäftsgegner durch Einsichtnahme ins Handelsregister den Vertretungsmangel hätte erkennen können. Eine entsprechende Nachforschungsobliegenheit besteht nur bei Vorliegen konkreter Umstände, die Anlass geben, an der Behauptung des Geschäftsführers zu zweifeln1337. Die Haftung nach § 179 BGB entfällt allerdings nach h.M., wenn und soweit der Geschäftsgegner auch bei unterstellter Vertretungsmacht des Geschäftsführers keine realisierbaren Ansprüche gegen die vertretene GmbH gehabt hätte, weil diese vermögenslos war; der Geschäftspartner soll nicht besser stehen, als er stünde, wenn der Geschäftsführer Vertretungsmacht gehabt hätte1338. In derartigen Fällen ist aber an eine mögliche Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO zu denken (Rz. 471). 459 Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers kann sich ferner aus Rechtsscheinsgrundsät-

zen ergeben. So verhält es sich insbesondere, wenn der Geschäftsführer durch ein Auftreten ohne den nach § 4 vorgeschriebenen Rechtsformzusatz einem gutgläubigen Dritten gegenüber den Eindruck erweckt, er sei selbst oder zusammen mit anderen der Träger des Unternehmens, der dieses in unbeschränkter persönlicher Haftung betreibt (12. Aufl., § 4 Rz. 81). Er muss sich dann so behandeln lassen, als entspräche der von ihm zurechenbar gesetzte Rechtsschein der Wirklichkeit. Ferner macht sich der Geschäftsführer (analog § 179 BGB)

1332 BGH v. 8.11.2005 – XI ZR 34/05, BGHZ 165, 43 = ZIP 2006, 68 Rz. 12 m.w.N. (zu § 4 VerbrKrG); krit. Schürnbrand/Weber in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 491 BGB Rz. 66 (§ 766 BGB analog). 1333 BGH v. 8.11.2005 – XI ZR 34/05, BGHZ 165, 43 = ZIP 2006, 68 Rz. 14 ff.; krit. Mülbert in FS Goette, 2011, S. 333. 1334 BGH v. 18.5.1995 – IX ZR 108/94, ZIP 1985, 1244, 1245 f.; BGH v. 10.6.1985 – III ZR 63/84, ZIP 1985, 1182, 1184; BGH v. 17.12.1998 – IX ZR 20/98, ZIP 1999, 877, 878 (jeweils für Beendigung der Gesellschafterstellung); Habersack in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 765 BGB Rz. 56. 1335 BGH v. 10.6.1985 – III ZR 63/84, ZIP 1985, 1182, 1184; Habersack in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 765 BGB Rz. 56. 1336 Altmeppen in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 7.9 f.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 930 ff. 1337 BGH v. 9.10.1989 – II ZR 16/89, ZIP 1989, 1453, 1454. 1338 OLG Hamm v. 11.11.1992 – 26 W 15/92, MDR 1993, 515; Ellenberger in Palandt, § 179 BGB Rz. 2; Schilken in Staudinger, § 179 BGB Rz. 15; Schubert in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 179 BGB Rz. 43 m. Nachw. auch zur Gegenansicht.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 461 § 43

auch dann persönlich haftbar, wenn er zwar nicht den Anschein erweckt, er selbst sei unbeschränkt haftender Geschäftsinhaber, aber durch Fortlassung des Rechtsformzusatzes zurechenbar den Rechtsschein setzt, dass ein von ihm verschiedener Geschäftsinhaber persönlich haftet (12. Aufl., § 4 Rz. 82). Nach der Rechtsprechung des BGH soll darüber hinaus der Geschäftsführer einer UG (haftungsbeschränkt) auch dann analog § 179 BGB haften, wenn er statt des nach § 5a Abs. 1 vorgeschriebenen Rechtsformzusatzes der UG (haftungsbeschränkt) für eine „GmbH“ auftritt; diese Haftung soll jedenfalls bis zur Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlichen Stammkapital der Unternehmergesellschaft und dem Mindeststammkapital einer GmbH möglich sein1339. cc) Eigenhaftung aus culpa in contrahendo Denkbar ist auch eine Haftung des Geschäftsführers aus culpa in contrahendo (§ 280 Abs. 1, 460 § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2-3 BGB), wenn er für die GmbH Vertragsverhandlungen führt und dabei Aufklärungs- oder sonstige vorvertragliche Pflichten verletzt. Da die Pflichten aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis grundsätzlich nur den Vertretenen (die GmbH) treffen, kommt eine derartige Haftung jedoch nur unter den engen Voraussetzungen in Betracht, in denen ausnahmsweise eine Eigenhaftung des Vertreters aus c.i.c. anerkannt wird. Neben dem Sonderfall der bürgerlich-rechtlichen Prospekthaftung (sofern der Geschäftsführer zu den Prospektverantwortlichen gehört)1340 erkennt der BGH eine Eigenhaftung aus c.i.c. seit langem in zwei Fallgruppen an1341: zum einen, wenn der Vertreter in besonderem Maß persönliches Vertrauen für sich (nicht nur für den von ihm Vertretenen) in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst (diese Fallgruppe ist seit der Schuldrechtsreform 2002 in § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB geregelt), und zum anderen, wenn der Vertreter ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse an dem Vertragsabschluss hat. Diese zweite Fallgruppe hat allerdings ihre Bedeutung im vorliegenden Kontext weitestgehend eingebüßt, seitdem der BGH wegen des sonst drohenden Wertungswiderspruchs zu § 13 Abs. 2 anerkannt hat, dass selbst eine maßgebliche oder alleinige Beteiligung des handelnden Gesellschafter-Geschäftsführers an der GmbH nicht ausreicht, um eine Eigenhaftung aus c.i.c. wegen des wirtschaftlichen Eigeninteresses zu begründen1342. Aber auch an die erste Fallgruppe (besonderes persönliches Vertrauen) stellt jedenfalls die neuere Rechtsprechung strenge Anforderungen1343. Die Einzelheiten der Eigenhaftung aus c.i.c. werden in diesem Kommentar anderwärts ausführlich behandelt (12. Aufl., § 64 Rz. 368 ff.). b) Deliktische Ansprüche aa) Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB Erfüllt der Geschäftsführer im Rahmen einer Verrichtung für die Gesellschaft in seiner Per- 461 son den vollen Haftungstatbestand des § 823 Abs. 1 BGB (Schulbeispiel: schuldhafte Her-

1339 BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953 Rz. 13 ff. m. abl. Anm. Römermann. Näher und mit Recht kritisch dazu 12. Aufl., § 4 Rz. 84; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 5a Rz. 59. 1340 Hierfür muss auf die einschlägige Spezialliteratur verwiesen werden, etwa Herresthal in BeckOGK BGB, § 311 BGB Rz. 575 ff.; Mülbert/Steup in Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 4. Aufl. 2019, Rz. 41.159 ff.; ferner Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 961 ff. 1341 St. Rspr., etwa BGH v. 25.4.2006 – X ZR 198/04, MDR 2007, 326 Rz. 12; Ellenberger in Palandt, § 311 BGB Rz. 60 m.w.N. 1342 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 183 ff. = GmbHR 1994, 539 in Abkehr von der früheren, erheblich extensiveren Rechtsprechung. 1343 Vgl. BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181, 189 = GmbHR 1994, 539: im Allgemeinen nur Erklärungen „im Vorfeld einer Garantiezusage.“

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§ 43 Rz. 461 | Haftung der Geschäftsführer beiführung eines Verkehrsunfalls auf einer Dienstfahrt), ist er – wie sonstige Angestellte der Gesellschaft auch – nach Rechtsprechung und h.L. im Außenverhältnis zum Geschädigten persönlich haftbar1344. Es verhält sich insoweit nicht anders, als wenn er das Delikt in nichtamtlicher Eigenschaft (als Privatperson) begangen hätte. Dass er die unerlaubte Handlung in amtlicher Eigenschaft begangen hat, führt zwar unstreitig dazu, dass sein Handeln entsprechend § 31 BGB der GmbH zugerechnet wird und diese dem Geschädigten somit ebenfalls wegen der unerlaubten Handlung haftet. Aber diese Haftung der GmbH tritt nach ganz h.M. nicht an die Stelle der persönlichen Haftung des Organwalters, sondern tritt gesamtschuldnerisch neben diese (§ 840 Abs. 1 BGB)1345. 462 Schwierigkeiten bereitet die Frage, ob eine unerlaubte Handlung des Organwalters auch vor-

liegt, wenn er nicht selbst die Verletzungshandlung begeht, ihm aber ein Unterlassen betriebsorganisatorischer Maßnahmen zur Last fällt, aufgrund dessen es zu Rechtgutsverletzungen durch Mitarbeiter der GmbH kommt (sog. mittelbare Verletzungshandlung). In dem vieldiskutierten „Baustoff“-Urteil hat der VI. Zivilsenat des BGH hierzu eine strenge Haltung eingenommen1346. Der Geschäftsführer einer GmbH, die ein Bauunternehmen betrieb und von einem Baustoffhändler unter verlängertem Eigentumsvorbehalt Baumaterialien bezogen hatte, hatte es versäumt, durch organisatorische Vorkehrungen dafür Sorge zu tragen, dass die Materialien von den Mitarbeitern der GmbH nur im Einklang mit dem verlängerten Eigentumsvorbehalt (also gegen Abtretung der Forderung gegen den Bauherrn) verwendet werden. Infolgedessen kam es zu einem abredewidrigen Einbau der Materialien trotz eines bestehenden Abtretungsverbots und damit zu einer rechtswidrigen Verletzung des Eigentums des Lieferanten. Der Senat entschied, dass die Abwehr der Gefahr für das Eigentum des Vorbehaltslieferanten in den Aufgabenbereich des Geschäftsführers fiel und er daher eine Garantenstellung zu dessen Schutz hatte, weshalb nicht nur die (inzwischen insolvente) GmbH, sondern auch der Geschäftsführer persönlich im Außenverhältnis gegenüber dem Lieferanten nach § 823 Abs. 1 BGB hafte.

1344 St. Rspr., etwa BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 Rz. 24 m.w.N.; BGH v. 24.1.2006 – XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 = ZIP 2006, 317 Rz. 127 f. (auch für Eingriffe in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb); aus dem Schrifttum etwa Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 1030 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 347; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 79; Medicus, ZGR 1998, 570, 571; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 350. A.A. aber Schirmer, Das Körperschaftsdelikt, 2015, S. 185 ff., 229 ff., der für die nach § 31 BGB zugerechneten Delikte grundsätzlich allein die Gesellschaft als haftbar ansieht und eine deliktische Außenhaftung des Organwalters nach dem Vorbild ausländischer Rechtsordnungen nur in besonders begründeten Ausnahmefällen annehmen will (namentlich bei Vorsatz und im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB bei Schutzgesetzen, deren Schutzzweck eine Erstreckung der Haftung auf die Organwalter erfordert); damit sympathisierend Bachmann, Gutachten 70. DJT 2014, E 119 f.; Schürnbrand, ZHR 180 (2016), 131; ähnlich auch schon Westerhoff, Die deliktische Außenhaftung geschäftsführender Organwalter von Kapitalgesellschaften, 2014, S. 163 ff.; von der h.M. teilweise abw. auch Grunst, Der Geschäftsleiter im Deliktsrecht, 2016, S. 198 ff., der die Organaußenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB bei unmittelbaren Verletzungen auf Fälle beschränken will, in denen die deliktische Schädigung nicht im Zusammenhang mit einem Vertragsverhältnis erfolgt („außervertragliche Deliktsopfer“). 1345 So schon RG v. 24.4.1922 – V 677/21, JW 1924, 1155; aus dem Schrifttum statt vieler Leuschner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 31 BGB Rz. 35; Offenloch in BeckOGK BGB, § 31 BGB Rz. 142; a.A. wie erwähnt insbes. Schirmer, Das Körperschaftsdelikt, 2015, S. 229 ff. (vorbehaltlich der auch von ihm konzedierten Ausnahmefälle der Organaußenhaftung, s. vorige Fn.). 1346 BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 = ZIP 1990, 35 Rz. 12 ff., insbes. 16 bei juris; näher dazu und zum Folgenden auch 12. Aufl., § 64 Rz. 446 ff.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 464 § 43

Im Schrifttum ist diese Entscheidung aus Sorge vor einer uferlosen Organaußenhaftung 463 überwiegend auf Ablehnung gestoßen1347. Berechtigte Kritik hat das Urteil insbesondere deshalb auf sich gezogen, weil die Annahme einer eigenen Garantenpflicht des Organwalters im Außenverhältnis zum geschädigten Dritten einer tragfähigen Begründung entbehrt. Zwar geht auch das Baustoff-Urteil – zutreffend – davon aus, dass die Pflicht aus der Organstellung zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung und Betriebsorganisation (§ 43 Abs. 1) grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber besteht und daher auch, soweit es um ein Versäumnis des Geschäftsführers bei der Erfüllung von Pflichten geht, welche die GmbH gegenüber Dritten zu erfüllen hat, die Einstandspflicht hierfür gegenüber den betroffenen Dritten prinzipiell nur die Gesellschaft, nicht ihren Organwalter trifft. Anderes sei nur anzunehmen, wenn „aus besonderen Gründen“ eine persönliche Verkehrspflicht auch gegenüber dem Dritten besteht1348. Diesen besonderen Grund leitet das Urteil im Folgenden aber schlicht aus dem Umstand ab, dass die unterlassenen organisatorischen Maßnahmen in den Aufgabenbereich des Geschäftsführers fielen. Angesichts der Verantwortlichkeit der Geschäftsführer für die gesamte Unternehmensorganisation droht dieser Begründungsansatz dazu zu führen, dass praktisch immer ein besonderer Grund vorliegt und von dem Grundsatz, dass sich eine Verletzung betrieblicher Organisationspflichten prinzipiell nur auf das Verhältnis Organwalter/Gesellschaft und das Verhältnis Gesellschaft/Dritter auswirkt, nichts oder kaum etwas übrig bleibt1349. Dass dies nicht richtig sein kann, belegt insbesondere ein Seitenblick auf § 831 Abs. 1 BGB. Begeht ein nachgeordneter Mitarbeiter eine unerlaubte Handlung, haftet dafür nach § 831 Abs. 1 BGB bei unzureichender Auswahl, Instruktion oder Überwachung der Geschäftsherr; dies ist bei Arbeitnehmern einer juristischen Person aber anerkanntermaßen allein diese und nicht der Organwalter (auch nicht, wenn er innerhalb der juristischen Person für die Überwachung des Mitarbeiters zuständig war)1350. Erkennt man, dass die Pflichten, die § 831 Abs. 1 BGB dem Geschäftsherrn auferlegt, nach Funktion und Struktur nichts anderes als Verkehrspflichten sind, die Vorschrift mithin einen gesetzlich geregelten Sonderfall der Haftung für Verkehrspflichtverletzungen statuiert1351, ist es nur konsequent, auch im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB die aus der Eröffnung von Gefahrenquellen im Aktivitätsbereich der Gesellschaft resultierenden betrieblichen Organisationspflichten jedenfalls grundsätzlich allein als Verkehrspflicht des Unternehmensträgers und nicht auch als solche des Organwalters zu begreifen. Die neuere Rechtsprechung der verschiedenen Zivilsenate des BGH1352 hat sich zwar bis 464 heute nicht ausdrücklich von dem Baustoff-Urteil distanziert. Allerdings finden sich Ent-

1347 Aus der Fülle des Schrifttums Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 350 f.; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 241 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997, zusammenfassend S. 473 ff.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 84 ff.; Lutter, ZHR 157 (1993), 464, 472 ff.; Medicus, ZGR 1998, 570, 584 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 357 ff.; Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2011, S. 844 ff.; Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 135 ff.; dem BGH zustimmend aber Altmeppen in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 7.43 ff.; Brüggemeier, AcP 191 (1991), 33, 63 ff.; Dieckmann, ZGR 2020, 1039, 1063 ff.; Foerste, VersR 2002, 1. 1348 BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 = ZIP 1990, 35 Rz. 16 bei juris. 1349 Statt vieler Lutter, GmbHR 1997, 329, 334 f. („tendenziell uferlose“ Außenhaftung); Medicus, ZGR 1998, 570, 585. 1350 BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 = ZIP 1990, 35 Rz. 16 bei juris; BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 = ZIP 1994, 867 Rz. 23 bei juris; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 1038; Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 831 BGB Rz. 29, 58. 1351 v. Bar, Verkehrspflichten, 1980, S. 241 f. (§ 831 BGB als „geronnene Verkehrspflicht“); Canaris in Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Aufl. 1994, § 79 III 1a (S. 475); Staudinger in Hk-BGB, § 831 BGB Rz. 2; Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 831 BGB Rz. 11. 1352 Eingehende Analyse bei Bitter, ZInsO 2018, 625, 653 ff.

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§ 43 Rz. 464 | Haftung der Geschäftsführer scheidungen mehrerer Senate, darunter auch eine des VI. Zivilsenats, die unmissverständlich klarstellen, dass allein die Verletzung der Organisationspflicht nach § 43 Abs. 1 nicht als besonderer Grund zur Begründung einer eigenen deliktischen Verkehrspflicht des Geschäftsführers im Verhältnis zu Dritten genügt1353. Nach hier vertretener Ansicht müsste diese Aussage konsequenterweise dazu führen, dass an dem Ergebnis des Baustoff-Urteils nicht festgehalten werden kann, da nicht ersichtlich ist, worin sich der dem Baustoff-Urteil zugrundeliegende Sachverhalt von der bloßen Verletzung einer Organisationspflicht nach § 43 Abs. 1 abhebt. Diese Konsequenz wird aber in den genannten Entscheidungen jedenfalls nicht explizit gezogen, so dass bis auf Weiteres nicht als gesichert gelten kann, dass jenes Urteil endgültig überwunden ist. Im Gegenteil hat eine neuere Entscheidung des X. Zivilsenats („Glasfasern II“) die Argumentation des Baustoff-Urteils wieder reaktiviert. Nach dieser Entscheidung soll der Geschäftsführer einer GmbH, die ein patentverletzendes Erzeugnis hergestellt und in Verkehr gebracht hat, dem Patentinhaber persönlich wegen der Patentverletzung auf Schadenersatz haften, wenn er die ihm zumutbaren Maßnahmen unterlässt, die Geschäftstätigkeit des Unternehmens so einzurichten und zu steuern, dass hierdurch keine technischen Schutzrechte Dritter verletzt werden1354. Unter Bezugnahme auf das BaustoffUrteil – und unter Vernachlässigung sämtlicher der im Schrifttum zu Recht erhobenen Einwände – führt der Senat an, dass der Geschäftsführer schon deshalb eine eigene Garantenstellung zum Schutz des verletzten Rechts gehabt habe, weil eine konkrete Gefahrenlage für das Schutzgut bestand und der Geschäftsführer für die Steuerung derjenigen Unternehmenstätigkeit verantwortlich war, aus der sich die Gefahrenlage ergab1355. 465 Belässt man es demgegenüber bei dem hier in Übereinstimmung mit der h.L. vertretenen

Standpunkt, dass eine bloße Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Betriebsorganisation nach § 43 Abs. 1 keine eigene deliktische Verkehrspflicht des Geschäftsführers im Außenverhältnis zu begründen vermag, bleibt noch die bisher nicht hinreichend geklärte Frage, ob und ggf. wann ausnahmsweise doch einmal die Annahme einer solchen Pflicht gerechtfertigt sein kann. Dies wird mit Unterschieden im Einzelnen in Betracht gezogen, wenn der Geschäftsführer die Verkehrspflicht gegenüber dem Dritten als eigene übernommen hat1356, 1353 Deutlich BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 Rz. 22 ff.; zuvor bereits BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 = ZIP 1994, 867 Rz. 23 bei juris („Würde jedenfalls die Verletzung der von Geschäftsführern und Vorstandsmitgliedern zu erfüllenden Aufsichtspflichten allgemein dazu führen, daß jeder Außenstehende, der dadurch mittelbar zu Schaden kommt, gegen die Organmitglieder selbst Ersatzansprüche geltend machen könnte, dann wäre der oben erwähnte Grundsatz, wonach die Organisationspflichten der Organmitglieder nur der Gesellschaft gegenüber bestehen, praktisch aus den Angeln gehoben.“). Auf derselben Linie liegt die neuere Rechtsprechung des I. Zivilsenats zum Wettbewerbs-, Urheber-, Markenund Designrecht; BGH v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 = ZIP 2014, 1475 Ls. 2 („Allein die Organstellung und die allgemeine Verantwortlichkeit für den Geschäftsbetrieb begründen keine Verpflichtung des Geschäftsführers gegenüber außenstehenden Dritten, Wettbewerbsverstöße der Gesellschaft zu verhindern.“), Rz. 15 ff. (zu § 9 UWG); ebenso BGH v. 17.11.2014 – I ZR 124/11, GRUR 2015, 672 Rz. 80 (zu § 97 Abs. 2 UrhG); BGH v. 28.1.2016 – I ZR 40/14, GRUR 2016, 803 Rz. 61 (zu § 42 Abs. 2 DesignG); BGH v. 12.1.2017 – I ZR 253/14, GRUR 2017, 397 Rz. 110 (zu § 14 Abs. 6 MarkenG). 1354 BGH v. 15.12.2015 – X ZR 30/14, BGHZ 208, 182 = ZIP 2016, 362 Ls. 3, Rz. 107 ff. m. abl. Bespr. H.-F. Müller, GRUR 2018, 570; abl. auch Brammsen/Sonnenburg, NZG 2019, 681, 688; Kellenter in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 27.40. 1355 BGH v. 15.12.2015 – X ZR 30/14, BGHZ 208, 182 = ZIP 2016, 362 Rz. 112 f. 1356 BGH v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 = ZIP 2014, 1475 Rz. 32; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 140, 144; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 351 (entsprechend der „assumption of responsibility“ im englischen Recht; dazu Fleischer, ZGR 2000, 152, 157); Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 97; ferner Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 142 f., der eine solche Pflichtenübernahme immer schon dann annehmen will, wenn es sich um eine Maßnahme handelt, „über die typischerweise auf Geschäftsführerebene entschieden wird“ (unter

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 467 § 43

wenn er selbst durch eigene Aktivität eine Quelle erhöhter Gefahr schafft oder als Beschützergarant auftritt1357 oder wenn er Kenntnis davon hat (oder sich der Kenntnis bewusst verschließt), dass Dritte durch Mitarbeiter seines Unternehmens geschädigt werden, und er zumutbare Schutzmaßnahmen unterlässt1358. Als weitere Ausnahme wird der Fall genannt, dass die GmbH bewusst zur Externalisierung von Schadenskosten auf außenstehende Dritte missbraucht wird1359. bb) Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB aaa) Allgemeine Grundsätze Eine Organaußenhaftung kann sich auch aus der Verletzung eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 466 Abs. 2 BGB ergeben. Für die Bestimmung, ob eine Rechtsnorm als Schutzgesetz in diesem Sinn zu qualifizieren ist, kommt es wie auch sonst darauf an, ob (1.) die Rechtsnorm neben dem Schutz der Allgemeinheit zumindest auch dem Schutz einzelner oder einzelner Personenkreise gegen die Verletzung eines Rechtsguts dienen soll und (2.) die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs erkennbar vom Gesetz erstrebt wird oder zumindest im Lichte des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint1360. (1) Ausgangspunkt. Im vorliegenden Kontext der Organaußenhaftung ist dabei zunächst zu 467 bedenken, dass den Geschäftsleiterpflichten nach § 43 Abs. 1 angesichts der in Abs. 2 klar zum Ausdruck kommenden Haftungskonzentration auf die Gesellschaft anerkanntermaßen keine Schutzgesetzqualität zukommt (Rz. 453). Schon im Ausgangspunkt hervorzuheben ist ferner, dass auch bei der Verletzung von Schutzgesetzen – nicht anders als im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB – danach zu unterscheiden ist, ob der Geschäftsleiter unmittelbar selbst ein Schutzgesetz verletzt oder ihm nur vorgeworfen wird, durch Unterlassen hinreichender organisatorischer Maßnahmen Schutzgesetzverletzungen durch Mitarbeiter des Unternehmens nicht verhindert zu haben. Bei den zuletzt genannten mittelbaren Verletzungen sind auch im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB die Einschränkungen zu berücksichtigen, die zu § 823 Abs. 1 BGB dargelegt wurden (Rz. 462 ff.). Auch für § 823 Abs. 2 BGB gilt mithin, dass der Geschäftsführer die Pflicht zur ordnungsgemäßen Betriebsorganisation grundsätzlich nur im Innenverhältnis zur Gesellschaft schuldet und er daher für durch unzureichende Organisation ermöglichte Schutzgesetzverletzungen nachgeordneter Mitarbeiter im Außenverhältnis nicht persönlich einstehen muss, sofern er nicht ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände eine Garantenstellung gegenüber dem Geschädigten hat. Wenn z.B. durch einen infolge mangelhafter Betriebsorganisation entstandenen Produktmangel Körperverletzungen verursacht werden und hierfür nach den zu § 823 Abs. 1 BGB entwickelten Grundsätzen nur die Gesellschaft und nicht der Geschäftsührer persönlich aus § 823 Abs. 1 BGB haftet, kann

1357 1358 1359 1360

Bezugnahme auf BGH v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 = ZIP 2014, 1475 Rz. 19); restriktiv Grunst, Der Geschäftsleiter im Deliktsrecht, 2016, S. 305 ff.: Organwalter haftet nur in Fällen, in denen er auch als Privatperson (unter Ausblendung seiner Organstellung) eine Garantenstellung hat. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 87; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 457 ff.; Wicke, Rz. 24. Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 97; Gottschalk, GmbHR 2015, 8, 12 f.; ähnlich Schirmer, Das Körperschaftsdelikt, S. 233 f. (Vorsatz); s. aber auch BGH v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 = ZIP 2014, 1475 Rz. 19 ff. (bloße Kenntnis genügt regelmäßig nicht). Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 146; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 297 ff.; abl. Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001, S. 854 ff. S. nur Sprau in Palandt, § 823 BGB Rz. 58 m. Nachw. aus der ständigen Rechtsprechung des BGH.

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§ 43 Rz. 467 | Haftung der Geschäftsführer aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, der die fahrlässige Körperverletzung unter Strafe stellt, richtigerweise nichts anderes folgen1361. 468 (2) Allgemeindelikte. Von den soeben angesprochenen mittelbaren Verletzungen abgesehen

bereitet die Anwendung des § 823 Abs. 2 BGB auf die Organaußenhaftung keine besonderen Schwierigkeiten, sofern der Geschäftsführer ein Schutzgesetz verletzt, das von jedermann zu beachten ist (Allgemeindelikt). Wenn etwa der Geschäftsführer einen Dritten unter arglistiger Vorspiegelung falscher Tatsachen dazu bewegt, einen für diesen nachteiligen Vertrag mit der GmbH abzuschließen, haftet der Geschäftsführer für diesen Betrug (§ 263 StGB) dem Dritten zweifelsfrei auch persönlich aus § 823 Abs. 2 BGB (gesamtschuldnerisch neben der Gesellschaft). Insoweit liegt es nicht anders als bei eigenhändigen Verstößen gegen § 823 Abs. 1 BGB (Rz. 461). 469 (3) Verletzung unternehmensträgerbezogener Pflichten. Davon zu unterscheiden sind

Schutzgesetze, die betriebs- oder unternehmensbezogene Pflichten des Unternehmensträgers zum Gegenstand haben (Sonderdelikt). Hier folgt allein aus dem Umstand, dass die GmbH als Unternehmensträgerin bei Verletzung des Schutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB haftet, noch nicht, dass auch der Geschäftsführer, der aufseiten der GmbH den Verstoß begeht, ebenfalls wegen der Schutzgesetzverletzung haftbar ist1362. So hat das BAG entschieden, dass die Verpflichtung des Arbeitgebers, Wertguthaben aus Altersteilzeit gegen das Risiko der Insolvenz der Gesellschaft abzusichern (§ 8a Abs. 1 Satz 1 AltTZG), zwar als Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen ist, aber nur im Verhältnis zum Arbeitgeber (der GmbH), nicht im Verhältnis zu dessen organschaftlichen Vertretern (den Geschäftsführern)1363. Umgekehrt führt der Umstand, dass das Schutzgesetz nur den Unternehmensträger erwähnt, nach der Rechtsprechung nicht notwendig dazu, dass die organschaftlichen Vertreter nicht nach § 823 Abs. 2 BGB belangt werden können. Ein Beispiel bildet die Verletzung des § 1 Abs. 1 BauFordSiG, der den Empfänger von Baugeld dazu verpflichtet, das Baugeld nur zu der dort vorgesehenen Zweckbestimmung zu verwenden. Für den Fall, dass der Empfänger des Baugelds eine juristische Person ist, entspricht es ständiger Rechtsprechung des BGH, dass auch die den Verstoß begehenden organschaftlichen Vertreter nach § 823 Abs. 2 BGB haften1364. Als Begründung hierfür hat der BGH angeführt, dass ohne diesen Zugriff auf die konkret verfügungsbefugte natürliche Person die Schutzfunktion der Vorschrift im typischen Fall der Insolvenz des Bauträgers meist in Frage gestellt wäre1365. Wie diese Beispiele zeigen, kommt es auf den Schutzzweck des jeweiligen Schutzgesetzes an, ob die Verletzung der unternehmensbezogenen Pflicht nur zu einem Anspruch gegen den Unternehmensträger (die Gesellschaft) oder auch zu einem Anspruch gegen die den Verstoß begehenden Organwalter führt1366. 470 An dieser Feststellung ändert sich auch dann nichts, wenn – wie häufig – an den Unterneh-

mensträger adressierte gesetzliche Pflichten durch straf- oder bußgeldrechtliche Sanktions1361 Verse, ZHR 170 (2006), 398, 402; Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 157 mit dem zutr. Hinweis, dass die notwendigen Beschränkungen der Organaußenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB sonst „wirkungslos verpuffen“ würden; a.A. aber Bitter, ZInsO 2018, 625, 655 (ohne nähere Begründung). 1362 Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 155. 1363 BAG v. 23.2.2016 – 9 AZR 293/15, ZIP 2016, 885 Rz. 25; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 1351 f. 1364 BGH v. 24.11.1981 – VI ZR 47/80, NJW 1982, 1037, 1038; aus neuerer Zeit etwa BGH v. 20.12.2012 – VII ZR 187/11, NJW-RR 2013, 340 Rz. 39; BGH v. 17.5.2018 – VII ZR 92/16, BGHZ 218, 377 = MDR 2018, 861 Rz. 10; ebenso die ganz h.L., Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 361 m.w.N.; Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 156. 1365 BGH v. 24.11.1981 – VI ZR 47/80, NJW 1982, 1037, 1038; BGH v. 20.12.2012 – VII ZR 187/11, NJW-RR 2013, 340 Rz. 39. 1366 Deutlich Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 155.

632 | Verse

Haftung der Geschäftsführer | Rz. 471 § 43

normen bewehrt werden, die über die Überleitungsnormen in § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG die organschaftlichen Vertreter persönlich in die Pflicht nehmen. Handelt es sich bei der verletzten gesetzlichen Pflicht um ein Schutzgesetz im Verhältnis zum Unternehmensträger, pflegt die Rechtsprechung allerdings aus der straf- bzw. bußgeldrechtlichen Inpflichtnahme der Organwalter ohne weiteres darauf zu schließen, dass neben der Gesellschaft auch die Organwalter nach § 823 Abs. 2 BGB haften. So wird z.B. aus der Schutzgesetzqualität des § 32 KWG (Verbot des Betreibens von Bankgeschäften ohne Bankerlaubnis) und der Tatsache, dass die Organwalter einer juristischen Person für schuldhafte Verstöße gegen diese Vorgabe nach § 54 KWG i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafrechtlich verantwortlich sind, ohne weitere Begründung eine Haftung der Organwalter nach § 823 Abs. 2 BGB abgeleitet1367. Ebenso verfährt die Rechtsprechung auch bei anderen Schutzgesetzen1368. Damit dürfte der BGH in den konkreten Fällen zwar im Ergebnis richtigliegen. Im Schrifttum ist aber mit Recht darauf hingewiesen worden, dass sich aus der straf- und bußgeldrechtlichen Pflichtenprojektion auf die Organwalter nicht automatisch schließen lässt, dass auch die zivilrechtliche Haftung wegen Schutzgesetzverletzung auf die Organwalter zu erstrecken ist1369. Die straf- und bußgeldrechtliche Inpflichtnahme der Organwalter steht in Zusammenhang mit der Tatsache, dass dem deutschen Recht eine Strafbarkeit der juristischen Person fremd ist und auch eine Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG stets die Anknüpfungstat einer natürlichen Person voraussetzt; sie taugt daher für sich allein nicht als Beleg, dass der Gesetzgeber den Organwalter auch einer zivilrechtlichen Organaußenhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB unterwerfen will1370. Vielmehr ist bei Verletzungen unternehmensträgerbezogener Pflichten auch bei einer persönlichen Straf- oder Bußgeldandrohung gegen die Organwalter für jedes Schutzgesetz gesondert anhand des Schutzzwecks der Norm zu prüfen, ob nur ein Schadensersatzanspruch gegen den Verband oder auch ein solcher gegen die Organwalter vom Gesetz erstrebt wird (oder zumindest im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint)1371. Eine Erstreckung der Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB auf die Organwalter wird bei unter- 471 nehmensträgerbezogenen Pflichten nach dem Schutzzweck der Norm typischerweise dann anzunehmen sein, wenn die verletzte Rechtsnorm gerade (auch) vor der Insolvenz des Unternehmensträgers schützen will1372, wie z.B. in dem genannten Fall des § 1 Abs. 1 Bau1367 St. Rspr., etwa BGH v. 21.4.2005 – III ZR 238/03, ZIP 2005, 1223, 1224; BGH v. 11.7.2006 – VI ZR 339/04, ZIP 2006, 1761 Rz. 25; BGH v. 19.3.2013 – VI ZR 56/12, BGHZ 197, 1 = ZIP 2013, 966 Rz. 30. 1368 Exemplarisch die st. Rspr. zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber), etwa BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = ZIP 1996, 2017 Rz. 15 bei juris; BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304 = ZIP 1997, 412 Rz. 24 bei juris; zuvor BGH v. 29.2.1972 – VI ZR 199/70, BGHZ 58, 199 = MDR 1972, 593 Rz. 14 f. bei juris (zu § 533 Abs. 1, § 536 RVO, den Vorgängervorschriften der §§ 266a, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB). 1369 Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 158; zuvor auch schon Dreher in FS Kraft, 1998, S. 59, 64 f. (zu § 266a StGB); Schmolke, Organwalterhaftung für Eigenschäden von Kapitalgesellschaften, 2004, S. 130 f. 1370 Zutr. Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 158; Dreher in FS Kraft, 1998, S. 59, 64 f.; Schmolke, Organwalterhaftung für Eigenschäden von Kapitalgesellschaften, 2004, S. 130 f.; zurückhaltend demgegenüber noch Verse, ZHR 170 (2006), 398, 410 f. 1371 Deutlich Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 158; Bachmann in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, Steuerungsfunktionen des Haftungsrechts, 2007, S. 93, 143. 1372 Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 156; Bachmann in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, Steuerungsfunktionen des Haftungsrechts, 2007, S. 93, 143; näher Verse, ZHR 170 (2006), 398, 413 ff.; insoweit wie hier auch Schirmer, Das Körperschaftsdelikt, S. 235; Westerhoff, Die deliktische Außenhaftung geschäftsführender Organwalter von Kapitalgesellschaften, 2014, S. 168; einschränkend Grunst, Der Geschäftsleiter im Deliktsrecht, 2016, S. 262 f., der bei Verletzung unternehmensbezogener Pflichten eine Organaußenhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB

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§ 43 Rz. 471 | Haftung der Geschäftsführer FordSiG oder der Insolvenzantragspflicht (§ 15a Abs. 1 InsO)1373. Darüber hinaus liegt nach hier vertretener Ansicht eine Organaußenhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB wegen der Nähe zu § 823 Abs. 1 BGB regelmäßig auch dann nahe, wenn der Organwalter selbst unmittelbar1374 gegen ein Schutzgesetz verstößt, das dem Schutz von Rechten und Rechtsgütern i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB zu dienen bestimmt ist1375, sowie wegen der Nähe zu § 826 BGB regelmäßig auch dann, wenn das verletzte Schutzgesetz einen besonders hohen Unrechtsgehalt aufweist (wie bei Straftaten)1376. bbb) Einzelne Schutzgesetze 472 Als Schutzgesetze, deren Verletzung eine Organaußenhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB gegen-

über Dritten auslösen kann, werden insbesondere anerkannt: § 1 Abs. 1 BauFordSiG (Rz. 469), aus dem GmbHG § 35a Abs. 1 (12. Aufl., § 35a Rz. 33), § 58 Abs. 1 Nr. 2 (12. Aufl., § 58 Rz. 85), § 82 (12. Aufl., § 82 Rz. 14), § 331 HGB1377, § 15a Abs. 1 InsO (12. Aufl., § 64 Rz. 253 ff.), §§ 32, 54 KWG (Rz. 470), aus dem StGB § 186 StGB1378, § 246 StGB1379, § 263 StGB (12. Aufl., § 64 Rz. 404 ff.), § 264 StGB1380, § 265b StGB (12. Aufl., § 64 Rz. 411 ff.), § 266 StGB (12. Aufl., § 64 Rz. 421 ff.), § 266a StGB (12. Aufl., § 64 Rz. 427 ff.), § 283 Abs. 1 Nr. 1-3, 8 StGB (12. Aufl., § 64 Rz. 419), § 283c StGB (12. Aufl., § 64 Rz. 420), aber nach der Rechtsprechung nicht § 283 Abs. 1 Nr. 5-7, § 283b StGB (Rz. 473). 473 Abgelehnt wird eine Organaußenhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB dagegen bei der Verletzung

folgender Vorschriften: § 8a Abs. 1 Satz 1 AltTZG (Rz. 469), aus dem GmbHG § 30 (12. Aufl., § 30 Rz. 126), § 43 (Rz. 453), § 130 OWiG1381 und § 24 Abs. 1 SGB IV1382. Umstritten ist, ob die Pflicht zur ordnungsgemäßen Buchführung (§ 41) oder wenigstens der Straftatbestand der Verletzung der Buchführungspflicht (§ 283b StGB) – der zwar die Insolvenz der Gesellschaft als objektive Strafbarkeitsbedingung voraussetzt (§ 283b Abs. 3 StGB), aber schon bei einfacher Fahrlässigkeit eingreift – als Schutzgesetz zugunsten derjenigen Gläubiger anzuse-

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grundsätzlich ablehnt und nur bei der Insolvenzverschleppungshaftung eine Ausnahme anerkennen will. Zur Organaußenhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO BGH v. 14.5.2012 – II ZR 130/10, ZIP 2012, 1455 Rz. 8 f.; BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103 (zu § 64 Abs. 1 GmbHG a.F.); ausf. 12. Aufl., § 64 Rz. 253 ff. Zu mittelbaren Verletzungshandlungen s. nochmals Rz. 467. Verse, ZHR 170 (2006), 398, 418. Näher dazu Verse, ZHR 170 (2006), 398, 408 ff.; für Organaußenhaftung bei vorsätzlicher Schutzgesetzverletzung Schirmer, Das Körperschaftsdelikt, S. 235. LG Bonn v. 15.5.2001 – 11 O 181/00, AG 2001, 484, 486; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 41 Rz. 27; Quedenfeld in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2013, § 331 HGB Rz. 2 m.w.N. Beachte aber nunmehr auch die abweichende BGH-Rechtsprechung zu § 283b StGB (Rz. 473). OLG Koblenz v. 25.4.1991 – 5 U 1209/90, GmbHR 1992, 378 (Verbreitung unzutreffender ehrverletzender Behauptungen in einem Leserbrief mit dem Zusatz „für die Geschäftsführung der X-GmbH“); Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 371. BGH v. 12.3.1996 – VI ZR 90/95, GmbHR 1996, 453, 454. BGH v. 13.12.1988 – VI ZR 235/87, BGHZ 106, 204, 206 ff. = MDR 1989, 344; BGH v. 16.7.2013 – VI ZR 442/12, BGHZ 198, 50 = MDR 2013, 1028 Rz. 19; Drescher, Die Haftung des GmbHGeschäftsführers, Rz. 1070 ff. BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 = ZIP 1994, 867 Rz. 19 ff. bei juris; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 134; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 98; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 372; differenzierend Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 429: Unter den gleichen Voraussetzungen, unter denen eine deliktische Eigenhaftung des Geschäftsführers nach § 823 Abs. 1 BGB bejaht wird, obwohl er selbst an der Rechtsgutverletzung durch einen Mitarbeiter der GmbH nicht mitgewirkt hat, komme auch eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB, § 130 OWiG i.V.m einer drittschützenden Ordnungswidrigkeiten- oder Strafnorm in Betracht. BGH v. 14.7.2008 – II ZR 238/07, GmbHR 2008, 1217.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 476 § 43

hen ist, die im Vertrauen auf die Richtigkeit des Rechenwerks der Gesellschaft Kredit gewährt haben. Der BGH hat den Schutzgesetzcharakter des § 283b StGB und zugleich denjenigen des § 283 Abs. 1 Nr. 5-7 StGB in einer neueren Entscheidung mit der (fragwürdigen) Begründung verneint, dass sich diesen Vorschriften der Kreis der geschützten Personen nicht hinreichend bestimmt entnehmen lasse1383. In der Konsequenz dieser Rechtsprechung liegt es, dass dann auch § 41 (erst recht) nicht als Schutzgesetz Anerkennung finden kann1384. cc) Haftung nach § 826 BGB Eine deliktische Organaußenhaftung kann sich nicht zuletzt aus § 826 BGB ergeben, sofern 474 dem Geschäftsführer eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung zur Last fällt. Wie auch sonst im Rahmen des § 826 BGB ist kein Bewusstsein der Sittenwidrigkeit erforderlich; es reicht aus, wenn dem Geschäftsführer die Tatsachen bekannt sind, die sein Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen1385. Für den Schädigungsvorsatz genügt, dass er den Schaden billigend in Kauf genommen hat (bedingter Vorsatz)1386. Ein prominentes Beispiel aus der Rechtsprechung für eine Organaußenhaftung nach § 826 475 BGB bilden zunächst Fälle der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung. Die Haftung aus § 826 BGB hat hier insbesondere insoweit eigenständige Bedeutung, als es um den Ersatz von Schäden geht, die – wie das von der Bundesanstalt für Arbeit zu zahlende Insolvenzgeld (§ 165 SGB III) – nicht vom Schutzzweck der Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO umfasst sind1387. Eine weitere wichtige Fallgruppe umfasst Fälle, in denen Geschäftsführer, die meist zugleich 476 auch Gesellschafter sind, versuchen, Verlustrisiken der Gesellschaft in anstößiger Weise systematisch auf die Gläubiger abzuwälzen. So hat die Rechtsprechung eine Außenhaftung aus § 826 BGB wiederholt anerkannt, wenn die Gesellschafter/Geschäftsführer ihre GmbH so ausgestaltet haben, dass die Nachteile aus der Geschäftstätigkeit notwendig die Gläubiger der Gesellschaft treffen müssen. Zu denken ist dabei namentlich an sog. Aschenputtelgesellschaften, denen die Gesellschafter/Geschäftsführer alle Risiken aus der Geschäftsführung auferlegen, die damit korrespondierenden Chancen aber vorenthalten (12. Aufl., § 13 Rz. 101 ff.). Eine solche Konstellation liegt z.B. vor, wenn eine GmbH von einem Bauträger allein zu dem Zweck gegründet wird, Architekten und Bauhandwerker zu benachteiligen, indem Letztere vertragliche Vergütungsansprüche ausschließlich gegen die (stets vermögenslos gehaltene)

1383 BGH v. 11.12.2018 – II ZR 455/17, GmbHR 2019, 347 Rz. 30 ff.; a.A. weite Teile der Literatur, etwa Bachmann in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, Steuerungsfunktionen des Haftungsrechts, 2007, S. 93, 143; Canaris in FS Larenz, 1983, S. 27, 73 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 41 Rz. 31; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, S. 141 ff.; Verse, ZHR 170 (2006), 398, 416 f.; Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 160; offen noch BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 = ZIP 1994, 867 Rz. 27 f. bei juris. 1384 In diesem Sinne schon BGH v. 10.7.1964 – Ib ZR 208/62, BB 1964, 1273 (zur KG); ebenso die h.L., s. 12. Aufl., § 41 Rz. 26 ff. m.w.N.; abw. etwa Biletzki, ZIP 1997, 9, 10 ff.; Schnorr, ZHR 170 (2006), 9, 13 ff.; Uwe H. Schneider, in der 11. Aufl., Rz. 332. 1385 Sprau in Palandt, § 826 BGB Rz. 8 m. Nachw. aus der Rechtsprechung. 1386 Unstr., statt vieler Sprau in Palandt, § 826 BGB Rz. 11; speziell im vorliegenden Kontext Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 1418 ff. 1387 BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/98, BGHZ 108, 134 = ZIP 1989, 1341 Rz. 8, 12 ff. bei juris (zum Konkursausfallgeld nach § 141b AFG a.F.); BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, BGHZ 175, 58 = ZIP 2008, 361 Rz. 14 ff.; BGH v. 13.10.2009 – VI ZR 288/08, ZIP 2009, 2439 Rz. 7 ff. (jeweils zu § 183 SGB III a.F.); Altmeppen in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 7.62 ff.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 1294 ff., 1402 ff. Näher zur Haftung wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung 12. Aufl., § 64 Rz. 393 ff.

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§ 43 Rz. 476 | Haftung der Geschäftsführer GmbH erwerben, während die Verkaufserlöse aus den fertiggestellten Bauprojekten allein dem Bauträger persönlich zufließen und damit dem Zugriff der Gläubiger entzogen sind1388. 477 Die „Aschenputtel“-Fälle bilden letztlich nur einen Teilausschnitt der weiter gefassten, viel

diskutierten Fallgruppe der materiellen Unterkapitalisierung (näher 12. Aufl., § 13 Rz. 105 ff., 138 ff.). Damit sind Fälle gemeint, in denen die GmbH mit einer Eigenkapitalausstattung (einschließlich nachrangiger Gesellschafterdarlehen) betrieben wird, die zu den Risiken ihrer Geschäftstätigkeit gänzlich außer Verhältnis steht. Der BGH hat bisher offengelassen, ob sich im Rahmen des § 826 BGB eine besondere Fallgruppe der „Haftung wegen Unterkapitalisierung einer GmbH“ bilden lässt. Im konkreten Fall, der die Schädigung von Arbeitnehmern beim Wechsel in eine unterfinanzierte Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft (BQG) betraf, konnte dies offenbleiben, da der BGH stattdessen auf eine vorsätzliche Aufklärungspflichtverletzung des Gesellschafter-Geschäftsführers der BQG gegenüber den übernommenen Arbeitnehmern abstellen konnte1389. Angesichts der Schwierigkeiten, den Unterkapitalisierungstatbestand präzise zu bestimmen, wird es letztlich immer nur um die Erfassung von mehr oder weniger extremen Ausnahmefällen gehen können, in denen die gläubigerschädigende Stoßrichtung offensichtlich ist (wie in den genannten Aschenputtelgesellschaften). 478 Weitere Beispiele aus der Rechtsprechung zur Organaußenhaftung nach § 826 BGB bilden

Fälle, in denen der Geschäftsführer einen Vertragspartner der GmbH arglistig über die Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft der Gesellschaft täuscht1390 (hier wird häufig auch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB eingreifen, ggf. auch § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO), der Geschäftsführer einer in der Anlageberatung tätigen GmbH vorsätzlich eine anlegeroder objektwidrige Empfehlung abgibt1391 oder beim Abschluss von Börsentermingeschäften die erforderliche Risikoaufklärung der Anleger bewusst unterlässt oder verhindert1392, und nicht zuletzt Fälle, in denen das von den Geschäftsführern ins Werk gesetzte Geschäftsmodell der Gesellschaft von vornherein auf Täuschung und Schädigung der Kunden angelegt ist („Schwindelunternehmen“)1393. 479 Nicht zu einer Organaußenhaftung nach § 826 BGB (i.V.m. § 830 Abs. 2 BGB) führt dagegen

die vorsätzliche Mitwirkung eines (Gesellschafter-) Geschäftsführers an einem existenzvernichtenden Eingriff, also einem kompensationslosen Entzug von Gesellschaftsvermögen, der zur Insolvenz der Gesellschaft führt oder diese vertieft (12. Aufl., § 13 Rz. 161 ff.). Nach der Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei dieser Fallgruppe des § 826 BGB um eine Innenhaftung gegenüber der GmbH, nicht um eine Außenhaftung unmittelbar gegenüber den geschädigten Gläubigern1394. dd) Haftung nach Sonderdeliktsrecht 480 Als Anspruchsgrundlagen für eine deliktische Organaußenhaftung kommen schließlich Vor-

schriften des Sonderdeliktsrechts in Betracht, z.B. im Wettbewerbsrecht § 9 UWG und im 1388 BGH v. 25.4.1988 – II ZR 175/87, NJW-RR 1988, 1181; ähnlich auch BGH v. 30.11.1978 – II ZR 204/76, NJW 1979, 2104 = GmbHR 1979, 89; BGH v. 16.3.1992 – II ZR 152/91, GmbHR 1992, 363, 364 f.; BAG v. 10.2.1999 – 5 AZR 677/97, ZIP 1999, 878 Rz. 28 bei juris. 1389 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = ZIP 2008, 1232 Rz. 28 – Gamma. 1390 S. etwa BGH v. 7.11.1994 – II ZR 138/92, ZIP 1995, 31, 32; BGH v. 16.3.1992 – II ZR 152/91, GmbHR 1992, 363, 364 m.w.N.; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 130; näher 12. Aufl., § 64 Rz. 391. 1391 BGH v. 19.2.2008 – XI ZR 170/07, BGHZ 175, 276 = ZIP 2008, 873 Rz. 29. 1392 BGH v. 16.11.1993 – XI ZR 214/92, ZIP 1994, 116, 120; BGH v. 21.10.2003 – XI ZR 453/02, ZIP 2003, 2242, 2246 f.; einschränkend Grunst, Der Geschäftsleiter im Deliktsrecht, 2016, S. 310 ff. 1393 BGH v. 14.7.2015 – VI ZR 463/14, ZIP 2015, 2169 Rz. 24 m.w.N. 1394 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = ZIP 2007, 1552 Rz. 33 – Trihotel; näher dazu 12. Aufl., § 13 Rz. 158 ff.; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 13 GmbHG Rz. 64 f.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 483 § 43

Immaterialgüterrecht § 97 Abs. 2 UrhG, § 139 Abs. 2 PatG, § 14 Abs. 6 MarkenG, § 42 Abs. 2 DesignG1395. Auch in diesem Kontext stellt sich die aus der Diskussion um das Baustoff-Urteil zu § 823 Abs. 1 BGB bekannte Frage, ob der Geschäftsführer nicht nur dann haftbar ist, wenn er selbst an dem Verstoß mitwirkt, sondern auch dann, wenn ihm lediglich eine Organisationspflichtverletzung zur Last fällt. Der für das Wettbewerbs-, Urheber-, Marken- und Designrecht zuständige I. Zivilsenat hat hierzu mit Recht einen restriktiven Standpunkt eingenommen, während der für das Patentrecht zuständige X. Zivilsenat noch auf der Linie des „Baustoff“-Urteil liegt (Rz. 464). Kontrovers diskutiert wird, ob trotz fehlender Unternehmensqualität des Geschäftsführers 481 auch eine Organaußenhaftung nach § 33a GWB bei Kartellverstößen in Betracht kommt1396. c) Steuerrechtliche Haftung gegenüber dem Fiskus Nur hingewiesen kann an dieser Stelle darauf, dass die Geschäftsführer gemäß § 69 AO 482 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO persönlich gegenüber dem Steuergläubiger für die Steuerschulden der Gesellschaft haften, wenn diese infolge einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung der Geschäftsführer nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Ebenso haften sie, wenn es aufgrund einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung zur Gewährung von Steuervergütungen oder -erstattungen ohne rechtlichen Grund kommt. Die Haftung der Geschäftsführer tritt in diesen Fällen gesamtschuldnerisch neben die Steuerschuld der Gesellschaft (§ 44 Abs. 1 AO)1397. Wegen der Einzelheiten ist auf das einschlägige Spezialschrifttum zu verweisen1398.

3. Haftung gegenüber den Gesellschaftern a) Ausgangspunkt Auch was die Haftung der Geschäftsführer unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern der 483 GmbH betrifft, ist zunächst wieder der Ausgangspunkt in Erinnerung zu rufen, dass die Organhaftung nach § 43 Abs. 2-3 gegenüber der Gesellschaft besteht, nicht gegenüber den Gesellschaftern. Diese im Gesetz angelegte Haftungskonzentration auf den Verband darf nach ganz h.M. nicht dadurch unterlaufen werden, dass man dem Anstellungs- und Organverhältnis zwischen der GmbH und dem Geschäftsführer Schutzwirkung zugunsten der Gesellschafter beimisst oder auf anderem Weg allein aus der Organstellung eine Sonderverbindung unmittelbar zwischen dem Geschäftsführer und den Gesellschaftern konstruiert (Rz. 453). Die bloße Verletzung einer Geschäftsführerpflicht nach § 43 Abs. 1 führt daher nicht zu Ansprüchen der Gesellschafter gegen den Geschäftsführer aus Sonderverbindung oder aus § 43 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, und zwar nach h.M. selbst dann nicht, wenn die Gesellschaf-

1395 Kellenter in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 27.5, 27.14 ff.; ferner Goldmann in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, 4. Aufl. 2016, § 9 UWG Rz. 14a; Reber in BeckOK Urheberrecht, 28. Ed. 2018, § 97 UrhG Rz. 49; Grabinski/Zülch in Benkard, 11. Aufl. 2015, § 139 PatG Rz. 22. 1396 Bejahend – jeweils zu § 33 Abs. 3 GWB a.F. – OLG Düsseldorf v. 13.11.2013 – VI-U (Kart) 11/ 13, NZKart 2014, 68 Rz. 145 ff. (Erfassung des Geschäftsführers als Teilnehmer i.S.d. § 830 Abs. 2 BGB); Dreher, WuW 2009, 133; Eden, WuW 2014, 792, 794 ff.; abl. aber Harnos, Geschäftsleiterhaftung bei unklarer Rechtslage, 2013, S. 46 ff.; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 65; krit. auch Franck in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, 6. Aufl. 2020, § 33a GWB Rz. 35 ff. 1397 Hick in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 36.4. 1398 S. etwa Hick in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 36.7 ff.; Rüsken in Klein, 15. Aufl. 2020, § 69 AO Rz. 1 ff.; ausführlicher auch Crezelius, in der 11. Aufl., Rz. 362 ff.; Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, Rz. 1451 ff.

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§ 43 Rz. 483 | Haftung der Geschäftsführer ter nicht nur einen durch die Schädigung der Gesellschaft vermittelten Reflexschaden in Gestalt des geminderten Beteiligungswerts, sondern einen unmittelbaren Eigenschaden erleiden1399. Der geschädigte Gesellschafter kann sich bei Verletzung seiner Mitgliedschaftsrechte aber an die Gesellschaft halten (§ 280 Abs. 1 BGB), der das Verhalten des Geschäftsführers nach § 31 BGB zugerechnet wird1400. 484 Eine unmittelbare Haftung der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern kann sich so-

mit nur aus anderen Anspruchsgrundlagen ergeben. Das GmbHG sieht in § 31 Abs. 6 selbst eine solche Anspruchsgrundlage vor, allerdings nur für den Sonderfall, dass der Geschäftsführer schuldhaft eine nach § 30 Abs. 1 verbotene Auszahlung bewirkt und dadurch die Ausfallhaftung der Gesellschafter nach § 31 Abs. 3 ausgelöst hat (12. Aufl., § 31 Rz. 82 ff.). b) Ansprüche aus Sonderverbindung 485 Dass eine Sonderverbindung zwischen Geschäftsführern und Gesellschaftern nach dem Ge-

sagten nicht schon durch die Organstellung begründet wird, schließt es natürlich nicht aus, dass sie sich aus anderen Umständen ergeben kann, etwa aus gesonderten (vor-) vertraglichen Beziehungen zwischen dem Geschäftsführer und einem Gesellschafter. Ein praxisrelevantes Beispiel für eine solche Haftung aus Sonderverbindung unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern bilden insbesondere Fälle des Management-Buyout, in denen den Geschäftsführern eine Aufklärungspflichtverletzung im Vorfeld des Vertragsschlusses zur Last fällt. Beim Management-Buyout werden die Geschäftsführer als verpflichtet angesehen, die veräußerungswilligen Gesellschafter über sämtliche wertrelevanten Tatsachen zu informieren1401, einschließlich stiller Reserven, greifbarer Geschäftschancen und etwaiger höherer Kaufangebote Dritter1402. Zwar werden bei Austauschverträgen mit gegenläufigen Interessen Aufklärungspflichten aus § 242 BGB grundsätzlich nur zurückhaltend angenommen1403. In der Konstellation des Management Buyout lässt sich jedoch eine deutlich weiterreichende Aufklärungspflicht mit der treuhänderischen Stellung der Geschäftsführer begründen, die ihre Kenntnisse über das von der Gesellschaft betriebene Unternehmen und über mögliche Geschäftschancen nicht für sich selbst, sondern für die Gesellschaft und damit für die Gesamtheit der Gesellschafter erworben haben1404. Verletzen die Geschäftsführer ihre Aufklärungspflicht, ergeben sich daraus Schadensersatzansprüche der Gesellschafter aus culpa in contrahendo (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB)1405. Auch dann, wenn die Ge1399 Speziell zu Letzterem etwa Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges Recht, 1996, S. 205 f.; Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 431 ff.; abw. die Vertreter der in Rz. 453 a.E. angeführten Gegenansicht. 1400 BGH v. 30.9.1991 – II ZR 208/90, GmbHR 1992, 104; näher Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 49. 1401 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 336; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 246; Koppensteiner, ZHR 155 (1991), 97, 110; Rhein, Der Interessenkonflikt der Manager beim Management Buy-out, 1996, S. 215 f. 1402 Näher Fleischer, AG 2000, 309, 316 f.; Kuntz, Informationsweitergabe durch die Geschäftsleiter beim Buyout unter Managementbeteiligung, 2009, S. 204 ff.; speziell zum Fall des höheren Kaufangebots eines Dritten auch OLG Hamm v. 9.1.1991 – 8 U 122/90, DB 1991, 799 (zum Kauf unter Mitgesellschaftern einer GmbH & Co. KG). 1403 Überblick bei Ellenberger in Palandt, § 123 BGB Rz. 5 ff. 1404 Fleischer, AG 2000, 309, 311 f.; Rhein, Der Interessenkonflikt der Manager beim Management Buy-out, 1996, S. 215. 1405 Fleischer, AG 2000, 309, 320 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 336; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 246; Kuntz, Informationsweitergabe durch die Geschäftsleiter beim Buyout unter Managementbeteiligung, 2009, S. 126 ff.; für c.i.c. auch OLG Hamm v. 9.1.1991 – 8 U 122/90, DB 1991, 799 (Kauf unter Mitgesellschaftern einer GmbH & Co. KG); abw. Begründung bei Rhein, Der Interessenkonflikt der Manager beim Management

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 488 § 43

schäftsführer die Anteile nicht unmittelbar selbst, sondern über ein Akquisitionsvehikel erwerben, kommt eine Eigenhaftung der Geschäftsführer in Betracht (§ 311 Abs. 3 Satz 2 BGB)1406. c) Deliktische Ansprüche aa) Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB Verletzt der Geschäftsführer einen Gesellschafter in einem der durch § 823 Abs. 1 BGB ge- 486 schützten Rechte oder Rechtsgüter (Eigentum, Gesundheit etc.), gilt grundsätzlich nichts anderes als für die Haftung gegenüber außenstehenden Dritten (Rz. 461 ff.). Eine Besonderheit besteht allerdings insoweit, als sich bei Schädigungen der Gesellschafter zusätzlich die Frage stellt, ob und inwieweit auch ihre Mitgliedschaft in der GmbH dem Schutz des § 823 Abs. 1 BGB unterfällt. Dazu ist zunächst weithin anerkannt, dass die Mitgliedschaft nicht nur Inbegriff der Rechte 487 und Pflichten des jeweiligen Gesellschafters, sondern auch selbst Gegenstand eines subjektiven Rechts des Gesellschafters ist; dieses subjektive Recht ist nach h.M. ein „sonstiges“ Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB1407. Schon seit langem wird daher angenommen, dass die Mitgliedschaft deliktsrechtlichen Schutz gegen Eingriffe verbandsexterner Dritter genießt (wie z.B. bei Versteigerung eines Geschäftsanteils durch einen nichtberechtigten Pfandgläubiger)1408. Dies gilt allerdings nur, sofern die Mitgliedschaft als solche beeinträchtigt wird und nicht nur eine Schädigung des Gesellschaftsvermögens vorliegt1409. Zweifelhaft und sehr umstritten ist dagegen, ob sich der deliktische Schutz der Mitglied- 488 schaft auch auf Eingriffe aus dem Verbandsinnenverhältnis, also auf Eingriffe seitens der Gesellschaft und ihrer Organe oder der Mitgesellschafter, erstreckt. Der BGH hat dies in einer bisher vereinzelt gebliebenen vereinsrechtlichen Entscheidung („Schärenkreuzer“) angenommen und es infolgedessen für möglich gehalten, dass einem Vereinsmitglied, dessen Segelboot vom Vorstand einer sog. Klassenvereinigung zu Unrecht die Anerkennung als klassengerechter Schärenkreuzer versagt worden war, ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB unmittelbar gegen das Vorstandsmitglied der Vereinigung zusteht1410. Offen gelassen hat der BGH, ob diese Rechtsfolge nur eingreift, wenn ein Eingriff von erheblichem Gewicht vorliegt, der unmittelbar gegen den Bestand der Mitgliedschaft oder die in ihr verkörperten Rechte gerichtet ist; im konkreten Fall sei diese Voraussetzung jedenfalls erfüllt, da die Mitgliedschaft „in ihrem Kern“ getroffen sei1411. Im Schrifttum ist diese Entscheidung auf sehr geteilte Reaktionen gestoßen. Teile des Schrifttums folgen dem Grundansatz des

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Buy-out, 1996, S. 173 ff., 207 ff.: Die organschaftliche Treuepflicht bestehe entgegen der h.M. (Rz. 178) auch unmittelbar gegenüber den Gesellschaftern. Näher Kuntz, Informationsweitergabe durch die Geschäftsleiter beim Buyout unter Managementbeteiligung, 2009, S. 138 ff.; auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 336. BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323 = ZIP 1990, 1067 Rz. 12, 20 bei juris; auch schon RG v. 26.11.1920 – VII 286/20, RGZ 100, 274, 278; ebenso die h.L., Canaris in Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 1994, § 76 II 4 e (394 f.); Leuschner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 BGB Rz. 5; ausf. Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und sonstiges Recht, 1996, S. 117 ff.; ferner 12. Aufl., § 14 Rz. 13 m.w.N.; abw. Hadding in FS Kellermann, 1991, S. 91, 102 ff.; Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005, S. 19 ff. RG v. 26.11.1920 – VII 286/20, RGZ 100, 274, 278; Leuschner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 BGB Rz. 6; Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 352. Allg. M., RG v. 21.9.1938 – II 183/37, RGZ 158, 248, 255 (zur AG); Fastrich in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Leuschner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 BGB Rz. 6; s. auch 12. Aufl., § 14 Rz. 13. BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323 = ZIP 1990, 1067 Rz. 12, 20 bei juris. BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323, 334 = ZIP 1990, 1067 Rz. 20 bei juris.

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§ 43 Rz. 488 | Haftung der Geschäftsführer BGH und wollen mit unterschiedlichen Einschränkungen den Deliktsschutz der Mitgliedschaft auch auf das Verbandsinnenverhältnis erstrecken1412. Die (wohl) überwiegende Lehre lehnt demgegenüber einen deliktsrechtlichen Schutz der Mitgliedschaft im Verbandsinnenverhältnis generell ab1413. In der Tat ist nicht zu erkennen, warum die Gesellschafter über den gesellschaftsrechtlichen Schutz ihrer Mitgliedschaft im Verbandsinnenverhältnis hinaus auch noch durch § 823 Abs. 1 BGB vor Beeinträchtigungen ihrer Mitgliedschaft geschützt werden sollten. Das vom BGH angeführte Argument, dass das Deliktsrecht bei Verletzung deliktsrechtlich geschützter Positionen auch sonst im Rahmen besonderer Schuldverhältnisse zur Anwendung komme1414, verfängt bei Licht besehen nicht; denn die Mitgliedschaft ist die Rechtsbeziehung des Mitglieds zum Verband und erschöpft sich darin, besteht also nicht neben dieser, wie etwa das Eigentum an der Mietsache neben dem Mietverhältnis besteht1415. Auch ist es nicht systemwidrig, den deliktsrechtlichen Schutz der Mitgliedschaft auf das Außenverhältnis zu beschränken; dieselbe Kombination von relativer Binnenwirkung und absoluter Außenwirkung begegnet auch beim Recht der elterlichen Sorge1416. bb) Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB 489 Auch für die Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB gegenüber den Gesellschaftern gelten zunächst

die allgemeinen Erwägungen, die oben für die Haftung für Schutzgesetzverletzungen gegenüber Dritten dargelegt wurden (Rz. 466 ff.). Hervorzuheben ist insbesondere, dass Abs. 1 kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ist (Rz. 453). 490 Als Schutzgesetz, dessen Verletzung eine Organhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB unmittelbar

(auch) gegenüber den Gesellschaftern begründen kann, ist insbesondere der Straftatbestand des § 82 (falsche Angaben bei Gründung und Kapitalmaßnahmen) anerkannt1417. Umstritten ist dagegen, ob auch Verstöße gegen § 85 (Verletzung der Verschwiegenheitspflicht) eine Organhaftung nach § 823 Abs. 2 BGB gegenüber den Gesellschaftern zu begründen vermögen. Dies wird verschiedentlich angenommen (12. Aufl., § 85 Rz. 6), zunehmend jedoch mit Recht bestritten, da die Vorschrift auf den Schutz der Interessen der Gesellschaft zugeschnitten ist und die Gesellschafter davon nur reflexweise profitieren1418. Aus demselben Grund kann auch eine Untreue (§ 266 StGB) der Geschäftsführer, die auf eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft gestützt wird, entgegen einer

1412 Eingehend insbes. Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und sonstiges Recht, 1996, S. 171 ff.; ferner etwa Altmeppen in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, Rz. 7.33 (jedenfalls für Kompetenzverletzungen); Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 89 (soweit kein hinreichender gesellschaftsvertraglicher Schutz besteht); Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 400.3, 404.1 (begrenzt auf „mitgliedschaftsbezogene“ Eingriffe). 1413 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 14 Rz. 6; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 49; Leuschner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 BGB Rz. 7; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 319; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 108; Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 353; ausf. Helms, Schadensersatzansprüche wegen Beeinträchtigung der Vereinsmitgliedschaft, 1998, S. 56 ff., 120 f.; ebenso 12. Aufl., § 14 Rz. 13 m.w.N. 1414 BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323, 334 = ZIP 1990, 1067 Rz. 12 bei juris. 1415 So schon Zöllner, ZGR 1988, 392, 430; ferner Reuter in FS Lange, 1992, S. 707, 722; Helms, Schadensersatzansprüche wegen Beeinträchtigung der Vereinsmitgliedschaft, 1998, S. 103; Leuschner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 BGB Rz. 7. 1416 Zu dieser Parallele Wagner in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 823 BGB Rz. 352 i.V.m. Rz. 345 ff. 1417 S. dazu einerseits Rönnau hier in der 12. Aufl., § 82 Rz. 14 (Schutz künftiger Gesellschafter), andererseits Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 324 (Schutz künftiger wie gegenwärtiger Gesellschafter). 1418 Abl. daher auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 85 Rz. 30; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 325; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 85 Rz. 1.

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Haftung der Geschäftsführer | Rz. 492 § 43

früher verbreiteten und sogar herrschenden Ansicht nicht zu Ansprüchen der einzelnen Gesellschafter aus § 823 Abs. 2 BGB führen1419. Bei Verletzungen der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) scheidet eine Organhaftung gegenüber den Gesellschaftern nach überwiegender Ansicht ebenfalls aus, auch im Verhältnis zu erst nach der Entstehung der Insolvenzantragspflicht beitretenden Neugesellschaftern1420. Vorschriften des GmbHG, die keine Straf- oder Bußgeldvorschriften sind und lediglich das 491 Mitgliedschaftsverhältnis zwischen GmbH und Gesellschafter näher ausgestalten, sind nach zutreffender Ansicht gleichfalls nicht als Schutzgesetze zugunsten der Gesellschafter i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Auch sonst ist nämlich zu § 823 Abs. 2 BGB anerkannt, dass Vorschriften, die lediglich eine Sonderverbindung ausgestalten, nicht als Schutzgesetz zu qualifizieren sind, sondern es bei dem Schutz durch das Recht der Sonderverbindung (§§ 280 ff. BGB) bewendet1421. Keine Schutzgesetze zugunsten der Gesellschafter sind daher etwa § 49 Abs. 31422 und § 51a1423. cc) Haftung nach § 826 BGB Schädigt ein Geschäftsführer die Gesellschafter vorsätzlich und sittenwidrig, ist schließlich 492 an Ansprüche aus § 826 BGB zu denken. Bezieht sich der Vorsatz allein auf eine Schädigung des Gesellschaftsvermögens, ist allerdings fraglich, ob neben der unmittelbar geschädigten GmbH auch die nur mittelbar geschädigten Gesellschafter anspruchsberechtigt sind (auf Leistung an die GmbH). Wenn man – wie hier – eine Haftung nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 266 StGB gegenüber den Gesellschaftern ablehnt (Rz. 490), liegt es nahe, im Rahmen des § 826 BGB ebenso zu entscheiden1424.

1419 LG Wiesbaden v. 13.8.2015 – 9 O 286/14, AG 2015, 833 (zur AG); Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 89; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 327; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 408; zur AG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 632 f.; Hüffer/Koch, § 93 AktG Rz. 61; vgl. auch BGH v. 25.4.2006 – 1 StR 519/05, BGHSt 51, 29 = GmbHR 2006, 762 Rz. 9 f. (Vermögensbetreuungspflicht der Geschäftsführer besteht nur gegenüber der GmbH, nicht den Gesellschaftern). A.A. aber noch BGH v. 24.1.1967 – VI ZR 92/65, MDR 1967, 480 Rz. 15 bei juris, und BGH v. 23.6.1969 – II ZR 272/67, MDR 1969, 909 Rz. 7 bei juris (jeweils zur Organuntreue nach § 81a a.F., dazu hier 12. Aufl., Vor §§ 82 ff. Rz. 4); Mertens in Hachenburg, Rz. 103 (mit dem Hinweis, dass bei bloßem Reflexschaden aber nur ein Anspruch auf Leistung in das Gesellschaftsvermögen in Betracht kommt); Hölters in Hölters, § 93 AktG Rz. 355. 1420 Näher dazu insbes. Klöhn in MünchKomm. InsO, 4. Aufl. 2019, § 15a InsO Rz. 162 ff. m.w.N. 1421 Spickhoff in Soergel, § 823 BGB Rz. 201; Sprau in Palandt, § 823 BGB Rz. 56; Maier-Reimer, NJW 2007, 3157, 3158. 1422 Str., wie hier im Erg. Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 89; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 322; zu § 92 Abs. 1 AktG Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 631; Hüffer/ Koch, § 92 AktG Rz. 7; a.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 49 Rz. 22; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 406; zu § 92 Abs. 1 AktG Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 92 AktG Rz. 31. 1423 H.M., etwa Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 89; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 323; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 406; s. auch 12. Aufl., § 51a Rz. 48; a.A. Masuch in Bork/Schäfer, § 51a Rz. 24; Reuter, BB 1986, 1653, 1659. 1424 So wohl auch Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 409; a.A. Mertens in Hachenburg, Rz. 103 (der aber auch zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB abweichend entscheidet); ferner Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 329, und Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 93 AktG Rz. 637 (jeweils im Gegensatz zu ihrem zu § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 StGB vertretenen Standpunkt).

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§ 43a Kreditgewährung aus Gesellschaftsvermögen Den Geschäftsführern, anderen gesetzlichen Vertretern, Prokuristen oder zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigten Handlungsbevollmächtigten darf Kredit nicht aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen der Gesellschaft gewährt werden. Ein entgegen Satz 1 gewährter Kredit ist ohne Rücksicht auf entgegenstehende Vereinbarungen sofort zurückzugewähren. Eingefügt durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836). I. 1. 2. 3. 4. 5.

II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. III. 1. 2.

Grundlagen Regelungsgegenstand und -zweck . . . . . Entstehungsgeschichte, Kritik . . . . . . . . Zwingender Charakter . . . . . . . . . . . . . . Besonderheiten im Gründungs- und Liquidationsstadium . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zu anderen Vorschriften a) Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Vorgaben neben § 43a (Bindung an das Gesellschaftsinteresse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderregeln für Kreditinstitute (§§ 15, 17 KWG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erfasste Kreditnehmer Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere gesetzliche Vertreter (nicht: Aufsichtsratsmitglieder) . . . . . . . . . . . . . Prokuristen und General(handlungs)bevollmächtigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nahestehende Personen, Umgehungssachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicht: Gesellschafter, verbundene Unternehmen und deren Organwalter . . . . Besonderheiten in der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kreditgewährung aus dem gebundenen Vermögen Kreditgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gebundenes Vermögen . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze der Unterbilanzrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9 10

IV. 1. 2.

11 13 16 17 19 21

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V. 1. 2.

b) Besonderheit: Ausblendung des Rückzahlungsanspruchs aa) Rückzahlungsanspruch aus der zu prüfenden Kreditgewährung . . bb) Rückzahlungsansprüche aus früheren Kreditgewährungen . . . . . . cc) Exkurs: Auswirkungen auf die Unterbilanzrechnung im Rahmen des § 30 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . c) Maßgeblicher Zeitpunkt aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Präzisierung des Zeitpunkts . . . . . Rechtsfolgen Vor Kreditgewährung . . . . . . . . . . . . . . . Nach Kreditgewährung a) Zulässige Kreditgewährung . . . . . . . . . b) Unzulässige Kreditgewährung aa) Keine Unwirksamkeit der Kreditgewährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sofort fälliger Rückgewähranspruch (§ 43a Satz 2) aaa) Inhalt und Umfang des Anspruchs, Rechtsnatur . . . . bbb) Anspruchsberechtigter, Geltendmachung . . . . . . . . . . ccc) Anspruchsgegner . . . . . . . . . ddd) Einwendungen und Einreden eee) Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . fff) Erlass- und Aufrechnungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Haftungsrechtliche Konsequenzen Prozessuales Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleich, Schiedsfähigkeit . . . . . . . . . . .

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40

41 43 46 47 50 51 53 54 55

Schrifttum: Drygala/Kremer, Alles neu macht der Mai – Zur Neuregelung der Kapitalerhaltungsvorschriften, ZIP 2007, 1289; Friedrich, Die Rechtsfolgen einer darlehensweisen Auszahlung von Stammkapital bei der GmbH, DStR 1991, 1118; Fromm, Rückforderung von Krediten an GmbH-Leitungspersonen wegen Verstoßes gegen den Kapitalerhaltungsgrundsatz, GmbHR 2008, 537; Geßler, Die GmbHNovelle, BB 1980, 1385; Joost, Grundlagen und Rechtsfolgen der Kapitalerhaltungsregeln in der GmbH, ZHR 148 (1984), 27; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981; Meyer-Arndt, Kredite an Geschäftsführer und Prokuristen einer GmbH, DB 1980, 2328; Michelfeit, Kapitalaufbringung und -er-

642 | Verse

Kreditgewährung | Rz. 3 § 43a haltung nach dem MoMiG – Welche Grenzen zieht § 43a GmbHG?, MittBayNot 2009, 435; K.J. Müller, Darlehensgewährung der GmbH an ihren Gesellschafter, BB 1998, 1804; Peltzer, Probleme bei der Kreditgewährung der Kapitalgesellschaften an ihre Leitungspersonen, in FS Rowedder, 1994, S. 325; K. Schmidt, Reform der Kapitalsicherung und Haftung in der Krise nach dem Regierungsentwurf des MoMiG, GmbHR 2007, 1072; Uwe H. Schneider, Kredite der GmbH an ihre Geschäftsführer, GmbHR 1982, 197; Sotiropoulos, Kredite und Kreditsicherheiten der GmbH zugunsten ihrer Gesellschafter und nahestehender Dritter, 1996; Sotiropoulos, Fragen der Darlehensgewährung der GmbH an ihre Gesellschafter, insbesondere im Gründungs- und Liquidationsstadium, GmbHR 1996, 653; Verse, Aufsteigende Sicherheiten und Kapitalerhaltung, GmbHR 2018, 113.

I. Grundlagen 1. Regelungsgegenstand und -zweck § 43a Satz 1 verbietet die Kreditvergabe an Geschäftsführer und bestimmte andere ver- 1 tretungsbefugte Leitungspersonen, sofern der Kredit aus dem gebundenen Vermögen der GmbH gewährt werden müsste. Das bedeutet, dass Kreditvergaben an die genannten Personen unterbleiben müssen, wenn sich die Gesellschaft im Stadium der Unterbilanz befindet oder durch die Ausreichung des Kredits eine Unterbilanz entstehen würde. Wichtig ist dabei, dass im Rahmen der Unterbilanzrechnung der Rückzahlungsanspruch gegen den Kreditnehmer stets, d.h. unabhängig von seiner Vollwertigkeit, auszublenden ist (Rz. 28). Ein verbotswidrig ausgereichter Kredit ist nach § 43a Satz 2 sofort zurückzugewähren. Die Vorschrift dient wie die §§ 30 f. der Kapitalerhaltung und damit dem Interesse des Gläu- 2 bigerschutzes1. Sie schützt das gebundene Vermögen bei Kreditvergaben an Geschäftsführer und weitere Leitungspersonen sogar strenger als bei Kreditvergaben an Gesellschafter, da sie im Unterschied zu § 30 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 auch dann eingreift, wenn die Kreditvergabe durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gegen die Leitungsperson gedeckt ist (zum Hintergrund dieser Verschärfung Rz. 4).

2. Entstehungsgeschichte, Kritik § 43a ist durch die GmbH-Novelle 19802 eingeführt worden. Vorbild war eine entsprechende 3 Regelung, die ursprünglich für die – letztlich gescheiterte – große GmbH-Reform vorgesehen war (§ 72 RegE 1971/73). Der Regierungsentwurf der GmbH-Novelle 19803 hatte diese Regelung zunächst nicht aufgegriffen; einem Vorschlag des Bundesrats folgend hat der Rechtsausschuss sie aber schließlich doch in seine Beschlussempfehlung übernommen4. Der Wortlaut der Vorschrift ist seitdem unverändert. Das MoMiG5 hat lediglich die amtliche Überschrift hinzugefügt (Art. 1 Nr. 51 i.V.m. Anlage 2 MoMiG).

1 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zur GmbH-Novelle 1980, BT-Drucks. 8/ 3908, S. 75 li. Sp. („Verbesserung des Gläubigerschutzes“); Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 2; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 1; Wicke, Rz. 1; einschr. Lieder in Michalski u.a., Rz. 3 (Normzweck in erster Linie Bekämpfung von Interessenkonflikten der Geschäftsführer, daneben auch Kapitalerhaltung). 2 Gesetz zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften vom 4.7.1980, BGBl. I 1980, 836. 3 BT-Drucks. 8/1347. 4 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 20, 74 f. im Anschluss an Bundesrat, BT-Drucks. 8/1347, S. 67. 5 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026.

Verse | 643

§ 43a Rz. 4 | Kreditgewährung 4 Dass der MoMiG-Gesetzgeber die Vorschrift unverändert gelassen hat, hat dazu geführt,

dass sich der Rechtsrahmen für Kreditvergaben an Geschäftsführer und die weiteren von § 43a erfassten Leitungspersonen seither erheblich von demjenigen für Kreditvergaben an Gesellschafter unterscheidet (§ 30 Abs. 1). Vor dem MoMiG bestand dagegen noch eine im Wesentlichen vergleichbare Rechtslage, da der BGH in seinem umstrittenen „November“-Urteil zu § 30 Abs. 1 Kreditvergaben an Gesellschafter (ebenso wie Kreditvergaben an Geschäftsführer nach § 43a) im Stadium der Unterbilanz selbst bei Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs als grundsätzlich unzulässig eingestuft hatte6. Dieser (weitgehende) Gleichlauf besteht seit dem MoMiG nicht mehr, da § 30 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 nunmehr auch aus gebundenem Vermögen gewährte Darlehen an Gesellschafter für unbedenklich erklärt, wenn sie durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch gedeckt sind. Die während des Gesetzgebungsverfahrens zum MoMiG erhobene Forderung, konsequent auch § 43a entsprechend zu lockern7, hat der Gesetzgeber – offenbar sehenden Auges – nicht aufgegriffen. Das mag kritikwürdig sein, ist aber de lege lata als verbindliche Entscheidung hinzunehmen. Der BGH hat die im Gesetz angelegte strengere Behandlung der Kredite an Geschäftsführer in der Folge denn auch ausdrücklich akzeptiert8. Die Rechtfertigung für diese strengere Behandlung erblicken der BGH und die h.L. darin, dass bei einer Kreditvergabe an Geschäftsführer die (übrigen) Geschäftsführer die Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers beurteilen müssen – bei einer Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens nach § 181 BGB sogar der kreditnehmende Geschäftsführer selbst. Damit bestehe grundsätzlich die Gefahr, dass die Kreditwürdigkeit nicht mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit geprüft wird, gerade auch weil der kreditnehmende Geschäftsführer im Regelfall für etwaige „Gegengeschäfte“ mit den prüfenden Geschäftsführern zuständig ist, die Adressaten des § 43a sich also gegenseitig (zweifelhafte) Kredite gewähren könnten9. In der Tat ist keine bessere Erklärung der Vorschrift ersichtlich; rechtspolitisch bleibt sie gleichwohl zweifelhaft, da sich die beschriebene Gefahr einer konfliktbefangenen Kreditvergabeentscheidung auch auf schonendere und treffgenauere Weise durch einen Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung abwenden ließe10.

3. Zwingender Charakter 5 Da § 43a dem Gläubigerschutz zu dienen bestimmt ist (Rz. 2), kann die Vorschrift nicht ab-

bedungen oder abgemildert werden11. Gestattet sind nur Verschärfungen, etwa ein generelles satzungsmäßiges Verbot der Kreditvergabe an bestimmte Leitungspersonen (unabhängig vom Vorliegen einer Unterbilanz), eine Erweiterung des erfassten Personenkreises oder eine

6 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = GmbHR 2004, 302 (mit dem Vorbehalt, dass allenfalls dann anderes gelten könne, wenn die Kreditwürdigkeit des Gesellschafters selbst bei Anlegung strengster Maßstäbe außerhalb jedes vernünftigen Zweifels stehe oder die Zurückzahlung durch werthaltige Sicherheiten voll gewährleistet sei); näher zu diesem „November“-Urteil und der überwiegend kritischen Resonanz im Schrifttum 12. Aufl., § 30 Rz. 76 f. 7 Drygala/Kremer, ZIP 2007, 1289, 1296; vgl. auch K. Schmidt, GmbHR 2007, 1072, 1076. 8 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 41. 9 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 41; ebenso etwa Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 13; Lieder in Michalski u.a., Rz. 14; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29; eingehende Diskussion bei Cahn, Kapitalerhaltung im Konzern, 1998, S. 255 ff. 10 Treffend Cahn, Kapitalerhaltung im Konzern, 1998, S. 258: „Es hätte vielmehr genügt, das Ausreichen von Krediten aus gebundenem Vermögen an Vertreter der Gesellschaft nur gegen marktüblichen Zins und ausreichende Sicherheiten zuzulassen und die Beurteilung dieser Voraussetzungen der Gesellschafterversammlung zu übertragen.“ 11 Allg. M., etwa Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 3; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 82; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4.

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Kreditgewährung | Rz. 8 § 43a

generelle Begrenzung der zulässigen Kredithöhe12. Der bei einem Verstoß gegen § 43a Satz 1 entstehende Rückzahlungsanspruch nach Satz 2 kann dem Geschäftsführer bzw. der sonstigen Leitungsperson analog § 31 Abs. 4 nicht erlassen werden (Rz. 51).

4. Besonderheiten im Gründungs- und Liquidationsstadium § 43a findet ab Eintragung der GmbH im Handelsregister Anwendung. Im Stadium der Vor- 6 GmbH (12. Aufl., § 11 Rz. 27) ist die Vorschrift hingegen nach ganz h.L. noch nicht anwendbar13. Dafür lässt sich anführen, dass § 43a die Kapitalerhaltung gemäß §§ 30 f. flankiert und diese Vorschriften im Stadium der Vor-GmbH ebenfalls noch keine Anwendung finden (12. Aufl., § 30 Rz. 12). Dem Gläubigerschutz wird bei Vermögensschmälerungen im Stadium der Vor-GmbH durch andere Instrumente (insbes. Verlustdeckungshaftung, Unterbilanzhaftung, 12. Aufl., § 11 Rz. 85 ff., 139 ff.) Rechnung getragen. Im Stadium der Liquidation der Gesellschaft bleibt § 43a dagegen anwendbar14; die Vorschrift gilt dann auch für Kredite an die Liquidatoren (Rz. 13).

5. Verhältnis zu anderen Vorschriften a) Zuständigkeits- und Verfahrensvorschriften § 43a beschränkt die Zulässigkeit von Krediten an Leitungspersonen in materieller Hinsicht, 7 enthält aber anders als §§ 89, 115 AktG und § 39 Abs. 2 GenG keine Regelungen über Zuständigkeiten und Verfahren der Kreditvergabe. Hierfür gelten daher die allgemeinen Regeln. Für die Kreditvergabe sind demnach die Geschäftsführer zuständig und nach § 35 vertretungsbefugt15. Die Geschäftsführer entscheiden also nicht nur über die Kreditvergabe an Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigte, sondern auch über die Kreditvergabe an ihre Mitgeschäftsführer. Der selbst betroffene Geschäftsführer kann nach § 181 BGB nur an dem Geschäft mitwirken, wenn er vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit ist. Entsprechendes gilt für die Kreditvergabe durch Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigte. Nach § 49 Abs. 2 sind die Geschäftsführer verpflichtet, die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einzuholen, sofern die Umstände des Einzelfalls, etwa das Kreditvolumen, die Person des Empfängers oder die sonstigen Kreditbedingungen, die Kreditvergabe als außergewöhnlich erscheinen lassen, oder sonst Anlass bestehen, an der Billigung der Gesellschafter zu zweifeln (12. Aufl., § 49 Rz. 22). Ferner ist ggf. ein in der Satzung oder durch Gesellschafterbeschluss/Geschäftsordnung vorgegebener Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung zu beachten. Hat die GmbH einen mitbestimmten oder fakultativen Aufsichtsrat, ist die Zuständigkeits- 8 frage umstritten. Eine verbreitete Ansicht will aus dem Umstand, dass § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG und § 52 Abs. 1 nicht auf § 89 AktG verweisen, den Schluss ziehen, dass der Aufsichtsrat nicht zuständig sei16. In der Tat kommt § 89 AktG auch 12 Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 3; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 82; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4. 13 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 1; Lieder in Michalski u.a., Rz. 5; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13, 41; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; a.A. wohl Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 29 (auch Gründungs-Geschäftsführer). 14 Lieder in Michalski u.a., Rz. 5; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13, 41; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. 15 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Lieder in Michalski u.a., Rz. 28. 16 So etwa Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Lieder in Michalski u.a., Rz. 28; Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 27.

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§ 43a Rz. 8 | Kreditgewährung nach hier vertretener Ansicht nicht zur Anwendung. Für die Kreditvergabe an Geschäftsführer (nicht Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigte) ergibt sich die Zuständigkeit des Aufsichtsrats aber schon aus § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 112 AktG (beim fakultativen Aufsichtsrat vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmung, im Übrigen zwingend). Es ist kein Grund ersichtlich, warum von § 112 AktG ausgerechnet bei Kreditvergaben an Geschäftsführer abgewichen werden sollte17. Soweit es schließlich um die – von § 43a nicht erfasste (Rz. 14) – Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder geht, ist in der paritätisch mitbestimmten GmbH § 115 AktG (i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG) zu beachten, der eine Einwilligung des Aufsichtsrats verlangt18. Das kreditempfangende Aufsichtsratsmitglied ist bei der Beschlussfassung im Aufsichtsrat analog § 34 BGB vom Stimmrecht ausgeschlossen19. Dagegen findet § 115 AktG in der GmbH mit drittelmitbestimmtem oder fakultativem Aufsichtsrat keine Anwendung, da § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG und § 52 Abs. 1 bewusst nicht auf § 115 AktG Bezug nehmen (12. Aufl., § 52 Rz. 550). b) Materielle Vorgaben neben § 43a (Bindung an das Gesellschaftsinteresse) 9 Steht § 43a einer Kreditgewährung nicht entgegen, ist mithin genügend ungebundenes Ver-

mögen der GmbH vorhanden, ist die Kreditvergabe zwar prinzipiell zulässig. Es versteht sich aber, dass die Geschäftsführer aufgrund ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht (§ 43 Abs. 1) gehalten sind, Kredite nur zu solchen Konditionen zu vergeben, die mit dem Gesellschaftsinteresse vereinbar sind und daher insbesondere auf angemessene Verzinsung und ggf. auch Besicherung bestehen müssen; andernfalls droht ihnen die Haftung nach § 43 Abs. 220. Sofern sich mehrere Geschäftsführer wechselseitig namens der GmbH Kredite gewähren, kann ein Interessenkonflikt vorliegen, insbesondere dann, wenn die Gewährung des Kredits an den Mitgeschäftsführer faktisch Voraussetzung für den Erhalt des eigenen Kredits ist. In diesem Fall können sich die konfliktbefangenen Geschäftsführer nicht auf den weiten Beurteilungsspielraum der Business Judgment Rule berufen (12. Aufl., § 43 Rz. 91 ff.). Im Übrigen sind die Geschäftsführer auch nach pflichtgemäßer Kreditvergabe verpflichtet, das Kreditrisiko zu überwachen und auf eine Verschlechterung der Vermögenssituation des Kreditnehmers ggf. mit einer Kreditkündigung nach § 490 Abs. 1 BGB zu reagieren (vgl. 12. Aufl., § 30 Rz. 89). c) Sonderregeln für Kreditinstitute (§§ 15, 17 KWG) 10 Handelt es sich bei der GmbH um ein Kreditinstitut, ist neben § 43a die aufsichtsrechtliche

Sonderregelung für sog. Organkredite nach §§ 15, 17 KWG zu beachten. Diese beschränkt sich entgegen ihrer missverständlichen Bezeichnung nicht auf Kredite an Organwalter, sondern erstreckt sich auch auf Kredite an andere der Gesellschaft nahestehende Personen (insbes. Gesellschafter, Prokuristen, Generalhandlungsbevollmächtigte, deren Ehegatten, Lebenspartner und minderjährige Kinder sowie Unternehmen, in denen Leitungspersonen der Gesellschaft tätig oder an denen sie beteiligt sind). Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KWG dürfen die betreffenden Kredite grundsätzlich (zu Ausnahmen § 15 Abs. 3 KWG) nur auf Grund eines einstimmigen Beschlusses sämtlicher Geschäftsführer des Instituts vergeben werden; zudem darf dies außer im Rahmen von Mitarbeiterprogrammen nur zu marktmäßigen Bedin-

17 Wie hier Peltzer in FS Rowedder, 1994, S. 325, 335 ff.; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 292 (zum paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat); für analoge Anwendung des § 89 AktG dagegen Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 31 MitbestG Rz. 40a. 18 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, § 25 MitbestG Rz. 110; Uffmann in MünchHdb. Arbeitsrecht, 4. Aufl. 2018, § 376 Rz. 17. 19 Allg. dazu nur Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rz. 731. 20 Zur Haftung analog § 43 Abs. 3, wenn zusätzlich § 43a verletzt wird, s. noch Rz. 52.

646 | Verse

Kreditgewährung | Rz. 12 § 43a

gungen und nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats (soweit vorhanden) geschehen. § 17 KWG sieht einen besonderen Haftungstatbestand bei Verstößen gegen diese Vorgaben vor. Die aufsichtsrechtliche Sonderregelung verdrängt bei der Kreditvergabe an Aufsichtsratsmitglieder die Bestimmung des § 115 AktG (§ 115 Abs. 5 AktG), die ansonsten in der paritätisch mitbestimmten GmbH Anwendung fände (Rz. 8). Dass § 15 KWG auch § 89 AktG verdrängt (§ 89 Abs. 6 AktG), wirkt sich dagegen in der GmbH nicht aus, da diese Vorschrift in der GmbH ohnehin nicht anwendbar ist (Rz. 8). Die entsprechende Anwendung des § 112 AktG in der GmbH mit Aufsichtsrat bleibt dagegen von § 15 KWG unberührt. Auch der hier interessierende § 43a wird durch § 15 KWG nicht verdrängt, sondern bleibt kumulativ anwendbar21.

II. Erfasste Kreditnehmer 1. Geschäftsführer § 43a erfasst zunächst Kreditvergaben an Geschäftsführer. Damit sind auch gerichtlich be- 11 stellte Notgeschäftsführer gemeint22, ebenso stellvertretende (§ 44), fehlerhaft-wirksam bestellte (12. Aufl., § 43 Rz. 23 f.) und faktische Geschäftsführer (12. Aufl., § 43 Rz. 30 ff.)23. In der paritätisch mitbestimmten GmbH findet § 43a auch auf den Arbeitsdirektor (§ 33 MitbestG) Anwendung, da er der Geschäftsführung als vollwertiges Mitglied angehört24. Unerheblich ist für die Anwendung des § 43a, ob es sich bei dem Kreditnehmer um einen Fremdgeschäftsführer oder einen Gesellschafter-Geschäftsführer handelt25. Die Gefahr der aus kollegialer Rücksichtnahme zu großzügigen Kreditvergabe, der § 43a begegnet (Rz. 4), liegt auch im Fall von Gesellschafter-Geschäftsführern vor; es ist daher konsequent, die Kreditvergabe auch hier am strengeren § 43a und nicht nur an § 30 Abs. 1 Satz 2 zu messen. Wird der Kredit zu einem Zeitpunkt gewährt, der vor dem Amtsantritt oder nach dem Aus- 12 scheiden eines Geschäftsführers liegt, stellt sich die Frage, ob auch derartige Kreditgewährungen an zukünftige bzw. ehemalige Geschäftsführer erfasst werden. Die Frage ist mit Blick auf die besondere Gefahrensituation, der § 43a entgegenwirken soll (Rz. 4), zu beantworten. Danach wird man auch Kreditvergaben an künftige Geschäftsführer erfassen müssen, sofern der Kredit mit Rücksicht auf den bevorstehenden Amtsantritt gewährt wird26; 21 Sotiropoulos, Kredite und Kreditsicherheiten der GmbH zugunsten ihrer Gesellschafter und nahestehender Dritter, 1996, S. 10. 22 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 2; Lieder in Michalski u.a., Rz. 16; allg. zur Bestellung von Notgeschäftsführern (analog § 29 BGB) s. 12. Aufl., § 6 Rz. 94 ff. 23 Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 12; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 2; Lieder in Michalski u.a., Rz. 16; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8; Schnorbus in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 2; für Einordnung als „andere gesetzliche Vertreter“ Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; einschränkend Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41 f.: nur, wenn sich die Gesellschaft das Vertretungshandeln des faktischen Geschäftsführers zurechnen lassen muss. 24 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Lieder in Michalski u.a., Rz. 16; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8. 25 Ganz h.M.; BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 35; OLG Bremen v. 29.3.2001 – 2 U 129/99, NZG 2001, 897, 898; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5, 8; Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 12; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 2; Lieder in Michalski u.a., Rz. 16; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 8 (keine Anwendung des § 43a auf Gesellschafter-Geschäftsführer, da bei diesen die gesetzliche Kapitalbindung nicht strenger sein könne als bei den anderen Gesellschaftern, die nicht Geschäftsführer sind); ihm folgend Röck, GmbHR 2012, 744, 746. 26 Ähnlich (sachlicher Zusammenhang maßgeblich) Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 3; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 55; ferner Lieder in Michalski u.a., Rz. 16 (wenn die Kreditzusage mit dem Anstellungsvertrag in unmittelbarem Zusammenhang

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§ 43a Rz. 12 | Kreditgewährung denn in diesem Fall ist bei typisierender Betrachtung die Gefahr fehlender Unvoreingenommenheit der übrigen Geschäftsführer ebenfalls gegeben. Aus demselben Grund wird man auch Kredite für ehemalige Geschäftsführer an § 43a messen müssen, sofern sie mit Rücksicht auf die frühere Organstellung gewährt werden27. Dies ist namentlich dann anzunehmen, wenn der Kredit bereits zu einem Zeitpunkt zugesagt wurde, in dem der Kreditnehmer noch Geschäftsführer war28.

2. Andere gesetzliche Vertreter (nicht: Aufsichtsratsmitglieder) 13 Neben den Geschäftsführern bezieht Satz 1 auch „andere gesetzliche Vertreter“ in den Kreis

der möglichen Kreditnehmer ein. Erfasst werden damit die Liquidatoren (§ 66)29, da diese nach § 70 die Gesellschaft im Stadium der Liquidation vertreten.

14 Nach herrschender und zutreffender Auffassung sind dagegen die Aufsichtsratsmitglieder

einer GmbH nicht als „andere gesetzliche Vertreter“ i.S.d. § 43a Satz 1 anzusehen und diesen auch nicht im Wege der Analogie gleichzustellen30. Zwar sind der mitbestimmte und (vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmung) auch der fakultative Aufsichtsrat kraft Gesetzes dazu berufen, die GmbH gegenüber den Geschäftsführern zu vertreten (§ 112 AktG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG, § 52 Abs. 1), und zwar nach zutreffender Ansicht auch bei Kreditvergaben (Rz. 8). Es entspricht aber dem durchgängigen Sprachgebrauch der handels- und gesellschaftsrechtlichen Gesetze, mit den „gesetzlichen Vertretern“ einer juristischen Person nur die Mitglieder des regulären Vertretungsorgans (d.h. die Leitungsorganmitglieder) zu bezeichnen31. Dafür lassen sich zahlreiche Beispiele anführen (exemplarisch § 89 Abs. 4 Satz 1 AktG: „gesetzlicher Vertreter oder Mitglied

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31

steht); vgl. auch 12. Aufl., § 30 Rz. 33 zu dem Parallelproblem im Rahmen des § 30 Abs. 1. Weiter einschränkend Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11 (nur bei unmittelbarem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang); abw. auch die h.M. zu § 89 AktG, etwa Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 89 AktG Rz. 24 (Kredite vor Bestellung zum Vorstandsmitglied generell nicht erfasst); Fleischer in BeckOGK AktG, Stand: 15.1.2020, § 89 AktG Rz. 15 (nur in Umgehungsfällen). Ähnlich (sachlicher Zusammenhang maßgeblich) Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 3; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; vgl. auch 12. Aufl., § 30 Rz. 34 zu dem Parallelproblem im Rahmen des § 30 Abs. 1. Enger Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11 (nur bei unmittelbarem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang); ganz abl. (Kredite an ausgeschiedene Geschäftsleiter generell nicht erfasst) Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6; ebenso die h.M. zu § 89 AktG, Fleischer in BeckOGK AktG, Stand: 15.1.2020, § 89 AktG Rz. 15; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 89 AktG Rz. 24. Für Anwendbarkeit des § 43a in diesem Fall auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Lieder in Michalski u.a., Rz. 16; einschr. Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56: Wird ein während der Amtszeit zugesagter Kredit nach Ende der Amtszeit ausgereicht, könne darin eine neuerliche, nicht mehr an § 43a zu messende Kreditgewährung an einen Nicht-Geschäftsführer liegen. Allg. M., etwa Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Lieder in Michalski u.a., Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Friedrich, DStR 1991, 1118, 1119; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 2; Lieder in Michalski u.a., Rz. 18; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 5; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; a.A. – § 43a analog – Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 129; Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 30 (sofern der Aufsichtsrat nicht nur repräsentativen Charakter hat); darauf Bezug nehmend auch 12. Aufl., § 52 Rz. 550; tendenziell auch Fleck, GmbHR 1995, 880, 884. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17.

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Kreditgewährung | Rz. 17 § 43a

des Aufsichtsrats“)32. Nichts deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber von diesem Sprachgebrauch ausgerechnet hier abweichen wollte. Erst recht nicht erfasst werden Beiratsmitglieder33. Auch wenn § 43a auf Aufsichtsratsmitglieder keine Anwendung findet, ist aber bei Kreditge- 15 währungen an Mitglieder eines paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrats immerhin der gesetzliche Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats nach § 115 AktG (i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MitbestG) zu beachten (Rz. 8, dort auch zur abweichenden Rechtslage im drittelmitbestimmten oder fakultativen Aufsichtsrat).

3. Prokuristen und General(handlungs)bevollmächtigte Erfasst werden nach Satz 1 auch Kreditgewährungen an Prokuristen (§ 48 HGB), gleich ob 16 ihnen Einzel- oder Gesamtprokura erteilt wurde34, sowie Kreditgewährungen an Handlungsbevollmächtigte, die zum gesamten Geschäftsbetrieb ermächtigt sind (Generalhandlungsbevollmächtigte, § 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 HGB). Gleiches muss erst recht für Personen gelten, denen eine über die handelsrechtliche Generalhandlungsvollmacht hinausgehende bürgerlich-rechtliche Generalvollmacht erteilt worden ist35. Kredite an die genannten Personen werden unabhängig davon erfasst, in welchem Umfang diese innerhalb der Gesellschaft Einfluss haben und ob sie als leitende Angestellte anzusehen sind36. Umgekehrt ist eine Ausdehnung der Vorschrift auf bloße Art- oder Spezialhandlungsbevollmächtigte angesichts der klaren, auf eine rechtssichere Abgrenzung bedachten Fassung der Vorschrift selbst dann nicht angezeigt, wenn sich die Vollmacht auf die Vergabe von Krediten an die von § 43a erfassten Leitungspersonen erstrecken sollte37. Ebenso wenig kommt eine allgemeine Ausdehnung auf leitende Angestellte in Betracht38.

4. Nahestehende Personen, Umgehungssachverhalte Die aktienrechtlichen Bestimmungen über Kredite an Führungspersonen sehen in § 89 Abs. 3, 17 § 115 Abs. 2 AktG aus Gründen des Umgehungsschutzes39 vor, dass auch Kredite an Personen erfasst werden, die entweder nahe Angehörige der erfassten Führungspersonen sind (Ehegatten, Lebenspartner, minderjährige Kinder) oder die für Rechnung einer Führungsperson oder eines nahen Angehörigen handeln. Während § 72 Abs. 2 RegE 1971/7340 noch eine an § 89 Abs. 3 AktG angelehnte Bestimmung vorsah, hat der Gesetzgeber der GmbHNovelle 1980 auf eine entsprechende Regelung verzichtet und stattdessen darauf verwiesen, 32 Weitere Beispiele: § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2-3, Satz 2 AktG, § 115 Abs. 3 AktG, § 309 Abs. 1 AktG, § 317 Abs. 3 AktG, § 48 Abs. 1 HGB, § 264 Abs. 1 HGB, § 290 Abs. 1 HGB, § 318 Abs. 1 Satz 4, Abs. 3-4, 7-8 HGB, §§ 320–322 HGB, § 11 Abs. 2 UmwG. 33 Allg. M., s. nur Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Lieder in Michalski u.a., Rz. 18; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3. 34 Lieder in Michalski u.a., Rz. 19. 35 Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 4; Lieder in Michalski u.a., Rz. 19; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6. Allg. zur Abgrenzung der Generalvollmacht von Prokura und Generalhandlungsvollmacht Weber in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Vorbem. §§ 48–58 HGB Rz. 5 f. 36 Lieder in Michalski u.a., Rz. 19; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16. 37 Lieder in Michalski u.a., Rz. 19. 38 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Lieder in Michalski u.a., Rz. 19; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16. 39 Begr. RegE AktG 1965 bei Kropff, S. 114, 160. 40 BT-Drucks. VI/3088, S. 20; BT-Drucks. 7/253, S. 20, 124.

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§ 43a Rz. 17 | Kreditgewährung dass die Gerichte Gesetzesumgehungen nach allgemeinen Grundsätzen verhindern können41. Aus dieser Entstehungsgeschichte lässt sich nach hier vertretener Ansicht nicht ableiten, dass Kreditgewährungen an nahe Angehörige (Ehegatten, Lebenspartner und minderjährige Kinder) der Geschäftsführer, Prokuristen oder General(handlungs)bevollmächtigten ohne weiteres und ausnahmslos unter § 43a fallen42, da eine an § 89 Abs. 3 AktG angelehnte Vorschrift gerade nicht Gesetz geworden ist. Vielmehr liegt jedenfalls dann kein Umgehungstatbestand vor, wenn die Kreditgewährung im konkreten Einzelfall gar nicht in Zusammenhang mit der Nähebeziehung stand43. 18 Keinem Zweifel kann dagegen unterliegen, dass auch im Rahmen des § 43a Kreditgewährun-

gen an einen mittelbaren Stellvertreter (Strohmann), der nachweislich für Rechnung des Geschäftsführers, Prokuristen oder General(handlungs)bevollmächtigten handelt, erfasst sein müssen44. Gleiches muss aufgrund der gegebenen wirtschaftlichen Identität gelten, wenn das Darlehen an eine Gesellschaft des Geschäftsführers etc. ausgereicht wird, an der dieser als alleiniger Gesellschafter beteiligt ist. Nicht anders wird man werten können, wenn nicht ein einzelner Geschäftsführer, sondern mehrere Geschäftsführer zusammen sämtliche Anteile an der Empfängergesellschaft halten45. Ob dagegen auch eine Mehrheitsbeteiligung an der Empfängergesellschaft genügt, ist zweifelhaft und bis auf weiteres ungesichert46. Mit allgemeinen Erwägungen des Umgehungsschutzes nicht begründbar dürfte es jedenfalls sein, die Anwendung des § 43a nach dem Vorbild der § 89 Abs. 4 Satz 1, § 115 Abs. 3 Satz 1 AktG auch auf Kredite an Gesellschaften zu erstrecken, in denen die Leitungsperson lediglich als Organwalterin fungiert oder an denen sie als einfache, nicht beherrschende Gesellschafterin einer Personengesellschaft beteiligt ist. Zur Frage der Person des Rückgewährschuldners in den von § 43a erfassten Fällen s. noch Rz. 46.

5. Nicht: Gesellschafter, verbundene Unternehmen und deren Organwalter 19 Nicht unter § 43a, auch nicht im Wege der Analogie, fallen Kredite an Gesellschafter, selbst

wenn sie die Geschäftsführer maßgeblich beeinflussen können47. Bei Einführung der Vorschrift durch die GmbH-Novelle 1980 ist der Vorschlag, auch Kreditgewährungen an Gesell-

41 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 75. 42 So aber die h.L. (§ 89 Abs. 3 AktG analog), etwa Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; Wicke, Rz. 2; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 6; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 9; Michelfeit, MittBayNot 2009, 435, 440; tendenziell auch BGH v. 28.9.1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365, 369 = GmbHR 1982, 181, wo gesagt wird, dass in § 89 Abs. 3, § 115 Abs. 2 AktG ein allgemeiner Grundsatz zum Ausdruck komme. 43 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Lieder in Michalski u.a., Rz. 23. 44 Statt vieler Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Lieder in Michalski u.a., Rz. 24; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; einschr. Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 33 (wenn das Insolvenzrisiko für die GmbH vergleichbar ist). 45 A.A. offenbar Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Lieder in Michalski u.a., Rz. 32 (jeweils zur Kreditvergabe an ein von den Geschäftsführern eingesetztes Erwerbsvehikel im Rahmen eines Management-Buyout); differenzierend Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 54. 46 Befürwortend Michelfeit, MittBayNot 2009, 435, 440 f.; vgl. auch die Rechtsprechung zu der ähnlichen Frage im Rahmen des § 30 Abs. 1 (maßgebliche Beteiligung, die „Zugriff auf die Leistung“ ermöglicht, 12. Aufl., § 30 Rz. 43 f.). Beachte aber auch die h.L. zu § 112 AktG, die nur 100 %-Töchter dem Vorstandsmitglied gleichstellt; Hüffer/Koch, § 112 AktG Rz. 4. 47 Ganz h.M., BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72, 74 = GmbHR 2004, 302; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 7; Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 16; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 2; Lieder in Michalski u.a., Rz. 11 ff.; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29; a.A. – § 43a analog –

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Kreditgewährung | Rz. 21 § 43a

schafter in den Tatbestand aufzunehmen, erwogen und unter Hinweis auf die allgemeine Regelung des § 30 Abs. 1 explizit abgelehnt worden48. Auch der Gesetzgeber des MoMiG 2008 hat keinen Anlass gesehen, § 43a auf Kredite an Gesellschafter zu erweitern. Im Gegenteil hat er Kreditvergaben an Gesellschafter durch Einführung des neuen § 30 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 in Reaktion auf eine als zu streng empfundene Rechtsprechung zu § 30 Abs. 149 erleichtert und auch im Stadium der Unterbilanz für zulässig erklärt, sofern sie durch einen nach bilanziellen Maßstäben vollwertigen Rückgewähranspruch der Gesellschaft gedeckt sind (12. Aufl., § 30 Rz. 76 ff.). Diese ganz bewusste Entscheidung des Gesetzgebers darf nicht dadurch konterkariert werden, dass die in § 30 Abs. 1 Satz 2 Var. 2 eröffnete Möglichkeit durch analoge Anwendung des § 43a wieder verschlossen wird50. Ebenso wenig werden Kreditvergaben an mittelbare Gesellschafter erfasst. Auch hier kann 20 aber ggf. § 30 Abs. 1 eingreifen (so bei Darlehensgewährung an die Muttergesellschaft eines Gesellschafters (12. Aufl., § 30 Rz. 47). Gleiches – keine Anwendung des § 43a, sondern allenfalls § 30 Abs. 1 – gilt für Darlehen an sonstige verbundene Unternehmen (etwa Schwestergesellschaften)51. Auch für die Anwendung des § 43a auf die Organwalter verbundener Unternehmen ist kein Raum52, da der Gesetzgeber des GmbHG anders als im Rahmen der § 89 Abs. 2 Satz 2, § 115 Abs. 1 Satz 2 AktG keine konzerndimensionale Ausdehnung angeordnet hat und keine Anzeichen für eine planwidrige Lücke vorliegen.

6. Besonderheiten in der GmbH & Co. KG Handelt es sich bei der GmbH um die Komplementärin einer GmbH & Co. KG, ist als Be- 21 sonderheit zu beachten, dass das gebundene Vermögen der GmbH auch durch Leistungen aus dem Vermögen der KG beeinträchtigt werden kann (12. Aufl., § 30 Rz. 130). Daher ist § 43a nicht nur auf Kreditgewährungen der Komplementär-GmbH anzuwenden, sondern (analog) auch auf Kreditgewährungen seitens der KG, soweit diese das gebundene Vermögen der GmbH angreifen. Anerkannt ist dies jedenfalls für Kredite, welche die KG an Leitungspersonen der Komplementär-GmbH ausreicht53. Gleiches muss konsequenterweise aber auch für Kredite der KG an Prokuristen und General(handlungs)bevollmächtigte der KG gelten54. Dass es diesen Personen an einer dem § 43a entsprechenden Stellung in der GmbH fehlt55, ist zwar richtig, kann aber nicht den Ausschlag geben, soweit es um Leistun-

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Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 63; vor dem MoMiG auch Sotiropoulos, GmbHR 1996, 653; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 37 III 6 b (S. 1149). Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 8/1347, S. 74; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 75. BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72, 74 = GmbHR 2004, 302 – Novemberurteil. Lieder in Michalski u.a., Rz. 12. Ebenfalls ganz h.M., etwa Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 10; Cahn, Kapitalerhaltung im Konzern, 1998, S. 255 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 21; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 6; Wicke, Rz. 2; a.A. Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 63; zweifelnd Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4. Lieder in Michalski u.a., Rz. 21; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 18; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 2; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 6; Wicke, Rz. 2; a.A. – § 43a analog – Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 58; ihm folgend Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 43 Rz. 113; zweifelnd Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 11; Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 17; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Lieder in Michalski u.a., Rz. 22; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21. Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; a.A. Lieder in Michalski u.a., Rz. 22. So der Einwand von Lieder in Michalski u.a., Rz. 22.

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§ 43a Rz. 21 | Kreditgewährung gen aus dem Vermögen der KG geht. Vielmehr muss es insoweit nach Sinn und Zweck der Vorschrift darauf ankommen, ob der Kreditnehmer zu den Personen gehört, die umfassend zur Vertretung der KG befugt sind.

III. Kreditgewährung aus dem gebundenen Vermögen 1. Kreditgewährung 22 Der Begriff des Kredits i.S.d. § 43a ist im Interesse des angestrebten Kapitalschutzes weit zu

verstehen56. Nicht maßgeblich ist der engere Kreditbegriff des § 19 KWG oder des § 21 KWG57. Erfasst werden vielmehr (wie im Rahmen des § 30 Abs. 1 Satz 2 Var. 2, 12. Aufl., § 30 Rz. 79) Finanzierungshilfen aller Art, also grundsätzlich58 sämtliche Geschäfte, mit denen die Gesellschaft gegenüber den von § 43a erfassten Leitungspersonen in Vorleistung geht59. Darunter fallen neben einfachen Darlehen etwa auch Waren- und Kontokorrentkredite, Gehaltsvorschüsse sowie die Bestellung von Sicherheiten aus dem Gesellschaftsvermögen für Verbindlichkeiten der Leitungspersonen gegenüber Dritten60. Die Einbeziehung der Sicherheitenbestellung erklärt sich daraus, dass die Gesellschaft auch hier – im Kern nicht anders als bei einer Darlehensgewährung – für die Leitungsperson in Vorleistung tritt und das Risiko der Insolvenz der Leitungsperson übernimmt61. Eine Kreditgewährung liegt auch vor, wenn der Leitungsperson gestattet wird, Beträge aus dem Gesellschaftsvermögen zu entnehmen, die über die ihr zustehenden (fälligen) Bezüge hinausgehen, und die Leitungsperson hiervon Gebrauch macht (vgl. § 89 Abs. 1 Satz 4 AktG)62. Auch Vorleistungen und Stundungen im Rahmen von Austauschverträgen werden erfasst, allerdings nach h.M. nur, wenn sie über den Rahmen des Verkehrsüblichen hinausgehen63. Verkehrsübliche Anzahlungen auf Lieferungen und Leistungen der Leitungsperson im Rahmen von Drittgeschäften fallen somit nicht unter § 43a. Gleiches gilt für einen angemessenen Auslagenvorschuss64. Eine generelle Ausnahme für Kleinkredite (entsprechend § 89 Abs. 1 Satz 5 AktG) ist jedoch nicht anzuerkennen. Sie ist in § 43a nicht vorgesehen und kommt mangels Anzeichen für eine planwidrige Regelungslücke auch im Wege der Analogie nicht in Betracht. 23 § 43a gilt nicht nur für Neukredite, sondern unstreitig auch für Kreditaufstockungen und

-verlängerungen65. Nicht abschließend geklärt ist, ob auch das Unterlassen der Geltendmachung des Rückzahlungsanspruchs nach Ende der Laufzeit des Kredits oder nach Eintritt ei-

56 Allg. M., OLG Bremen v. 29.3.2001 – 2 U 129/99, NZG 2001, 897, 898 = GmbHR 6001, 672; BuckHeeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 7; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Lieder in Michalski u.a., Rz. 29; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. 57 Unstr., s. nur Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 7; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Lieder in Michalski u.a., Rz. 29. 58 Vorbehaltlich der Ausnahme für verkehrsübliche Vorleistungen und Stundungen im Rahmen von Austauschgeschäften (dazu sogleich im Text). 59 Hierzu und zum Folgenden insbes. Lieder in Michalski u.a., Rz. 29 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23, 26. 60 Speziell zu Letzterem Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Lieder in Michalski u.a., Rz. 30; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29. 61 Die Wertungsparallele zwischen Darlehensgewährung und Sicherheitenbestellung ist auch im Rahmen des § 30 Abs. 1 anerkannt, s. 12. Aufl., § 30 Rz. 99; Verse, GmbHR 2018, 113, 114 f. 62 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Lieder in Michalski u.a., Rz. 30. 63 Lieder in Michalski u.a., Rz. 31; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 4; zu § 89 AktG Hüffer/Koch, § 89 AktG Rz. 2; abw. wohl Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 3. 64 Lieder in Michalski u.a., Rz. 31; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24. 65 Statt vieler Lieder in Michalski u.a., Rz. 29; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25.

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Kreditgewährung | Rz. 25 § 43a

nes Kündigungsrechts („Stehenlassen“) als Kreditgewährung anzusehen ist. Während die h.L. dies annimmt66, hat der BGH zu der Parallelfrage im Rahmen des § 30 Abs. 1 festgestellt, dass das bloße Unterlassen der Geltendmachung des Anspruchs keine Auszahlung begründe67. Daran ist richtig, dass eine Auszahlung i.S.d. § 30 Abs. 1 und ebenso eine Kreditgewährung i.S.d. § 43a einen willentlichen Akt der GmbH voraussetzen; das unbewusste Verstreichenlassen einer Kündigungs- oder sonstigen Rückforderungsmöglichkeit genügt daher nicht. Sofern dagegen dem Unterlassen eine bewusste Entscheidung der für die GmbH handelnden Personen zugrunde liegt, den Kredit trotz erkannter Berechtigung zur Rückforderung nicht zurückzuverlangen, ist zwischen dem „Stehenlassen“ und der (unstreitig erfassten) Verlängerung eines Kredits kein relevanter Unterschied zu erkennen68. Liegt ein Kredit an eine Leistungsperson i.S.d. § 43a vor, ist die Vorschrift unabhängig davon 24 anwendbar, wie die Kreditkonditionen gestaltet sind69. Auch wenn der Kredit marktüblich verzinst ist und auch sonst einem Drittvergleich standhält oder sogar für die kreditgebende Gesellschaft noch günstigere Konditionen vorsieht, bleibt die Vorschrift anwendbar. Daran ändert sich nach ganz herrschender, vom BGH bestätigter Ansicht selbst dann nichts, wenn der Anspruch der Gesellschaft durch werthaltige Sicherheiten in voller Höhe abgesichert ist70. Das mag auf den ersten Blick formal erscheinen, entspricht aber dem Wortlaut des Gesetzes und auch seinem Sinn und Zweck; angesichts der Gefahr, dass der Kredit für eine Leitungsperson nicht mit der erforderlichen Unvoreingenommenheit geprüft wird (Rz. 4), will das Gesetz die Kreditvergabe ersichtlich nicht von einer u.U. zweifelhaften Beurteilung des Kreditrisikos durch die handelnden Personen abhängig machen, sondern nur zulassen, wenn das Stammkapital auch ohne den Rückzahlungsanspruch voll gedeckt ist. Umgekehrt lässt sich § 43a nicht, auch nicht im Wege der Analogie, auf andere Geschäfte als 25 Kreditgewährungen zwischen Gesellschaft und Leitungsperson ausdehnen, auch dann nicht, wenn sie auf eine verdeckte Vermögenszuwendung an die Leitungsperson hinauslaufen. Kein Fall des § 43a sind daher z.B. Austauschgeschäfte zwischen Gesellschaft und Leitungsperson zu nicht marktüblichen Preisen71 oder die Verwendung von Gesellschaftsmitteln zur Begleichung von Schulden des Geschäftsführers (sofern diese Leistung nicht nur als temporärer Vorschuss, sondern als endgültige Zuwendung der Gesellschaft an den Geschäftsführer gedacht ist)72. Freilich droht den Geschäftsführern die Organhaftung (§ 43 Abs. 2) und den übrigen Leitungspersonen die Arbeitnehmerhaftung, wenn sie sich oder ihren Amtskollegen durch derartige Geschäfte Vorteile aus dem Gesellschaftsvermögen verschaffen, auf die sie keinen Anspruch haben. Ist die begünstigte Leitungsperson zugleich Gesellschafter, kommen

66 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25; Lieder in Michalski u.a., Rz. 29, 38; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 4; Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 24.2. 67 BGH v. 21.3.2017 – II ZR 93/16, GmbHR 2017, 643 Rz. 23 (zum Unterlassen der Geltendmachung eines Freistellungsanspruchs bei der Bestellung von Sicherheiten aus dem Gesellschaftsvermögen). 68 S. schon 12. Aufl., § 30 Rz. 23, Rz. 88; wie hier Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 30 Rz. 54, 109 (zu § 30 Abs. 1). 69 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 4; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 6. 70 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72, 74 = GmbHR 2004, 302 („Das Verbot gilt unabhängig von der Vollwertigkeit des Rückzahlungsanspruchs. Es erstreckt sich damit ohne weiteres auch auf Kredite, die einem kreditwürdigen, solventen Geschäftsführer gewährt werden oder die anderweit ausreichend besichert werden.“); Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 5; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 3; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 4; Lieder in Michalski u.a., Rz. 34; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; a.A. Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 40 f.; K.J. Müller, BB 1998, 1804, 1806 Fn. 21. 71 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 2. 72 OLG Bremen v. 29.3.2001 – 2 U 129/99, NZG 2001, 897, 898 = GmbHR 2001, 672.

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§ 43a Rz. 25 | Kreditgewährung zudem Ansprüche aus § 31 oder wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgebots in Betracht (12. Aufl., § 29 Rz. 123 ff.).

2. Gebundenes Vermögen 26 Verboten sind nach § 43a Satz 1 nur Kreditgewährungen an Leitungspersonen „aus dem zur

Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen“ der Gesellschaft. Das Gesetz knüpft damit an die in § 30 Abs. 1 Satz 1 gewählte Formulierung an, so dass auf die zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze der sog. Unterbilanzrechnung zurückgegriffen werden kann (Rz. 27). Als Besonderheit ist allerdings zu beachten, dass der Rückzahlungsanspruch gegen die kreditnehmende Leitungsperson in der Unterbilanzrechnung nach § 43a auszublenden, d.h. als wertlos zu unterstellen ist (Rz. 28 ff.). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Unterbilanzrechnung ist derjenige der Kreditgewährung (Rz. 34 ff.). a) Allgemeine Grundsätze der Unterbilanzrechnung 27 Das „zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen“ (gebundene Vermögen) be-

stimmt sich – von der Bewertung des Kreditrückzahlungsanspruchs abgesehen – anerkanntermaßen nach denselben Grundsätzen wie im Rahmen des § 30 Abs. 1 Satz 173. Auch im Rahmen des § 43a kommt es mithin darauf an, ob das bilanzielle Reinvermögen (Nettoaktivvermögen) der Gesellschaft im Zeitpunkt der Kreditgewährung das Stammkapital deckt und auch infolge der Kreditgewährung nicht unter das Stammkapital absinkt. Eine Kreditvergabe an die von § 43a erfassten Leitungspersonen ist mit anderen Worten nur zulässig, wenn im Zeitpunkt der Kreditgewährung eine Unterbilanz weder bereits besteht noch durch die Ausreichung des Kredits entstehen würde74. Wegen der Einzelheiten der Unterbilanzrechnung kann auf die Erläuterungen zu § 30 Abs. 1 Satz 1 (12. Aufl., § 30 Rz. 52 ff.) Bezug genommen werden. b) Besonderheit: Ausblendung des Rückzahlungsanspruchs aa) Rückzahlungsanspruch aus der zu prüfenden Kreditgewährung

28 Als Besonderheit der Unterbilanzrechnung im Rahmen des § 43a ist allerdings zu beachten,

dass der Kreditrückzahlungsanspruch der Gesellschaft als nicht werthaltig zu unterstellen und damit außer Ansatz zu lassen ist75. Er ist in der Unterbilanzrechnung für Zwecke des § 43a folglich nicht zu aktivieren, sondern stets mit null anzusetzen, auch dann, wenn er nach bilanziellen Grundsätzen vollwertig ist, in der Handelsbilanz also mit dem vollen Nennbetrag aktiviert werden kann. Daran ändert sich aus den genannten Gründen (Rz. 24) selbst dann nichts, wenn der Rückzahlungsanspruch durch verlässliche Sicherheiten besichert ist. 29 Besteht die Kreditgewährung darin, dass die Gesellschaft für eine Verbindlichkeit der Lei-

tungsperson gegenüber einem Dritten eine Sicherheit stellt, folgt aus den vorstehenden Grundsätzen, dass in der Unterbilanzrechnung im Rahmen des § 43a zu unterstellen ist, dass die Sicherheit voll in Anspruch genommen wird und der Freistellungs- bzw. Rückgriffsanspruch der Gesellschaft gegen die Leitungsperson nicht werthaltig ist76. Bei einer Personal73 Allg. M., statt aller Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 5; Lieder in Michalski u.a., Rz. 35; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33. 74 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 35. 75 Ganz h.M., BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 35; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 5; Lieder in Michalski u.a., Rz. 35; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; abw. wohl Meyer-Arndt, DB 1980, 2328 f. 76 So sinngemäß auch Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29.

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Kreditgewährung | Rz. 31 § 43a

sicherheit (z.B. Bürgschaft) ist also die vollständige Inanspruchnahme zu unterstellen und ein entsprechender Betrag in der Unterbilanzrechnung zu passivieren, auch wenn mit der Inanspruchnahme der Sicherheit nicht ernsthaft zu rechnen ist und sie daher nach handelsbilanziellen Grundsätzen (§ 251 HGB) nur „unter dem Strich“ auszuweisen wäre. Bei einer Realsicherheit (z.B. Grundschuld) ist ebenfalls der Verwertungsfall zu unterstellen und das Sicherungsgut dementsprechend in der Unterbilanzrechnung nicht mehr zu aktivieren; angesetzt werden kann allenfalls noch eine etwaige Differenz, die sich ergibt, wenn der Buchwert des Sicherungsguts den Betrag übersteigt, für den die Sicherheit maximal in Anspruch genommen werden kann77. bb) Rückzahlungsansprüche aus früheren Kreditgewährungen Sofern bereits in der Vergangenheit Kreditgewährungen an Leitungspersonen stattgefunden 30 haben und diese Kredite noch nicht zurückgezahlt sind, sind auch diese Rückzahlungsansprüche in der Unterbilanzrechnung im Rahmen des § 43a nicht zu aktivieren, sondern als nicht werthaltig zu unterstellen78. Dies gilt unabhängig davon, ob die früheren Kreditgewährungen mit § 43a Satz 1 vereinbar waren oder nicht. Wenn etwa eine GmbH mit einem ungebundenen Vermögen von 50.000 Euro einen Kredit in dieser Höhe an den Geschäftsführer A ausreicht und einen Monat später bei im Übrigen unveränderter Vermögenslage zu prüfen ist, ob auch an die Geschäftsführerin B ein Kredit ausgereicht werden kann, muss diese Prüfung zu dem Ergebnis führen, dass für eine weitere Kreditgewährung kein Raum ist; denn mangels Aktivierbarkeit des Rückzahlungsanspruchs gegen A im Rahmen der Unterbilanzrechnung ist für die Kreditgewährung an B kein freies Vermögen mehr verfügbar. Das Beispiel zeigt zugleich, warum der Rückzahlungsanspruch aus der früheren Kreditgewährung außer Ansatz bleiben muss. Andernfalls wäre es nämlich möglich, aus einem ungebundenen Vermögen von im Beispiel 50.000 Euro nacheinander mehrere Kredite in Höhe von je 50.000 Euro und damit zusammengenommen in weit größerer Höhe auszureichen, was dem Normzweck des § 43a widerspräche. cc) Exkurs: Auswirkungen auf die Unterbilanzrechnung im Rahmen des § 30 Abs. 1 Von der soeben behandelten Frage strikt zu unterscheiden ist die Frage, wie Rückzahlungs- 31 ansprüche aus Kreditgewährungen an Leitungspersonen im Rahmen der Unterbilanzrechnung nach § 30 Abs. 1 anzusetzen sind, wenn es um die Zulässigkeit einer Gewinnausschüttung an die Gesellschafter geht. Hierzu hat der BGH entschieden, dass ein Rückzahlungsanspruch aus einer nach § 43a Satz 1 zulässigen Kreditgewährung an einen Geschäftsführer in der Unterbilanzrechnung nach § 30 Abs. 1 nicht auszublenden, sondern nach den allgemeinen handelsbilanziellen Grundsätzen zu aktivieren ist79. Zur Begründung hat er darauf verwiesen, dass über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Ergebnisses im gesetzlichen Regelfall des § 46 Nr. 1 die Gesellschafter entscheiden und diese daher Anlass haben, sich selbst ein Bild von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der kre77 Vgl. Verse, GmbHR 2018, 113, 119 f. mit Fn. 61 zu dem vergleichbaren Problem bei aufsteigenden Sicherheiten im Rahmen des § 30 Abs. 1. 78 A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10 unter Berufung auf BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 38 ff. Die BGH-Entscheidung betrifft jedoch eine andere Fallkonstellation, dazu sogleich im Text. 79 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 33 ff., insbes. Rz. 41. In der Konsequenz dieser Rechtsprechung liegt es, dass auch die Bestellung einer Sicherheit aus dem Gesellschaftsvermögen für eine Verbindlichkeit einer Leitungsperson gegenüber einem Dritten nach den allgemeinen handelsbilanziellen Grundsätzen zu behandeln ist (also grundsätzlich Ausweis „unter dem Strich“ nach § 251 HGB und erst bei ernsthaft drohender Inanspruchnahme Rückstellung nach § 249 HGB; vgl. 12. Aufl., § 30 Rz. 97a).

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§ 43a Rz. 31 | Kreditgewährung ditnehmenden Leitungsperson zu machen. Dadurch werde der im Rahmen des § 43a bestehenden Gefahr vorgebeugt, dass die Leitungspersonen aus Gründen der gegenseitigen Rücksichtnahme das Kreditrisiko nicht unvoreingenommen einschätzen (Rz. 4). Dieser Unterschied rechtfertige es, den Rückzahlungsanspruch in einem solchen Fall nach denselben Maßstäben zu aktivieren wie jeden anderen Anspruch der Gesellschaft. 32 Folgt man dieser Entscheidung des BGH, gelangt man zu dem – zumindest auf den ersten

Blick merkwürdigen – Ergebnis, dass es entscheidend auf die Reihenfolge der Zahlungsvorgänge ankommt. Erfolgt erst die Gewinnausschüttung an die Gesellschafter und danach die Kreditausreichung an die Leitungsperson, ist im Rahmen des § 43a von dem herabgesetzten Vermögensstand nach der Ausschüttung auszugehen; ist kein ungebundenes Vermögen mehr vorhanden, ist die Kreditausreichung unzulässig. Wird umgekehrt vor der Ausschüttung der Kredit ausgereicht, ist im Rahmen des § 43a noch von dem höheren Vermögensstand vor Ausschüttung auszugehen, so dass die Kreditausreichung aus dem ungebundenen Vermögen zulässig ist. Anschließend kann aber auch die Ausschüttung an die Gesellschafter erfolgen, da im Rahmen des § 30 Abs. 1 der Kreditrückzahlungsanspruch bei Vollwertigkeit (d.h. bei hinreichender Solvenz der kreditnehmenden Leitungsperson oder hinreichender Besicherung) voll aktiviert wird, die Kreditgewährung also nicht zu einer Schmälerung des ausschüttungsfähigen Vermögens geführt hat. Dieses Ergebnis stimmt nachdenklich; der BGH hat diese Konsequenz in der angeführten Entscheidung aber erkannt und zumindest für den entschiedenen Fall einer offenen Gewinnausschüttung ausdrücklich in Kauf genommen80. Eine abweichende Beurteilung hält er nur in Fällen für gerechtfertigt, in denen eine Umgehung des § 43a vorliegt (wie z.B. dann, wenn das Darlehen ausgereicht wird, obwohl direkt im Anschluss eine Gewinnausschüttung ansteht, die dazu führen wird, dass das Darlehen danach nicht mehr ausgereicht werden könnte)81.

33 Nicht entschieden hat der BGH, wie im Rahmen der Unterbilanzrechnung nach § 30 Abs. 1

mit Rückzahlungsansprüchen nach § 43a Satz 2 aus einer früheren unzulässigen Kreditgewährung umzugehen ist, ob also auch diese bei hinreichender Solvenz des Kreditnehmers oder hinreichender Besicherung aktivierungsfähig sind. Angesichts der Tatsache, dass der Anspruch aus § 43a Satz 2 ebenso wie Ansprüche aus § 31 darauf abzielt, eine kapitalschutzwidrige Auszahlung zu korrigieren, ist die Frage richtigerweise ebenso zu beantworten wie für diese Ansprüche. Da Ansprüche aus § 31 – wohlgemerkt nicht nur aus der zu prüfenden Auszahlung, sondern auch aus früheren verbotenen Auszahlungen – im Rahmen der Unterbilanzrechnung nach h.M. generell außer Ansatz bleiben (12. Aufl., § 30 Rz. 64), muss dies folgerichtig auch für Ansprüche aus § 43a Satz 2 gelten. Andernfalls würde man zu dem unbefriedigenden Ergebnis gelangen, dass frühere, noch nicht korrigierte Verstöße gegen den Kapitalschutz für die Zulässigkeit weiterer Auszahlungen ohne Konsequenzen blieben. c) Maßgeblicher Zeitpunkt aa) Grundlagen 34 Für die Prüfung, ob das Stammkapital noch gedeckt ist, kommt es nach zutreffender h.M.

allein auf den Zeitpunkt der Kreditgewährung (Rz. 36 f.) an82. Entgegen einer früher verbreiteten Ansicht führt daher eine erst nachträglich eintretende Unterdeckung nicht dazu, 80 Ob Gleiches auch im Fall einer verdeckten Gewinnausschüttung gelten soll, geht aus der Entscheidung nicht hervor. Das Argument, dass über (offene) Gewinnausschüttungen in der Regel die Gesellschafter auf Grundlage eines von ihnen festgestellten Jahresabschlusses entscheiden, lässt sich auf verdeckte Vermögenszuwendungen jedenfalls nicht übertragen. 81 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 42. 82 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = GmbHR 2012, 740 Rz. 39 ff.; ebenso die h.L., etwa Geßler, BB 1980, 1385, 1389; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Klöhn in Bork/Schäfer,

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Kreditgewährung | Rz. 36 § 43a

dass ein im Einklang mit § 43a Satz 1 gewährter Kredit unzulässig wird und die Pflicht zur sofortigen Rückzahlung nach § 43a Satz 2 entsteht83. Für die h.M. spricht neben dem Wortlaut des Gesetzes vor allem der systematische Zusammenhang mit § 30 Abs. 1. Im Rahmen des § 30 Abs. 1 ist unstreitig, dass Ausschüttungen aus ungebundenem Vermögen nicht deshalb zurückgefordert werden können, weil sich die Vermögenslage der Gesellschaft nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Auszahlung (12. Aufl., § 30 Rz. 53) verschlechtert. Es wäre wertungswidersprüchlich, wenn das Gesetz den weiterreichenden Eingriff in das Vermögen der Gesellschaft (endgültige Ausschüttung aus ungebundenem Vermögen) auch bei nachträglich eintretender Unterbilanz akzeptiert, den weniger weitreichenden Eingriff (bloße Kreditgewährung aus ungebundenem Vermögen) aber strenger behandeln würde. Bei der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Kreditgewährung bleibt es auch im umgekehrten 35 Fall, in dem der Kredit zunächst unter Verstoß gegen § 43a Satz 1 ausgereicht wird und die Vermögenslage sich nachträglich so verbessert, dass der Kredit nunmehr aus ungebundenem Vermögen gewährt werden könnte. Der Wegfall der Unterbilanz führt daher nach h.M. nicht dazu, dass der bereits entstandene Anspruch aus § 43a Satz 2 auf sofortige Rückgewähr kraft Gesetzes erlischt84. Auch insoweit verhält es sich nicht anders als im Rahmen der §§ 30 f.; dort hat der BGH ausdrücklich entschieden, dass der Anspruch aus § 31 auch bei späterem Wegfall der Unterbilanz bestehen bleibt85. Entsprechend der Rechtslage zu § 31 ist allerdings auch hier zu bedenken, dass der Leitungsperson ihrerseits nach Wegfall der Unterbilanz ein vollwirksamer, nicht mehr einwendungsbehafteter Erfüllungsanspruch aus dem der Kreditausreichung zugrundeliegenden Kausalgeschäft zusteht (s. dazu und zu den weiteren Konsequenzen noch Rz. 47). bb) Präzisierung des Zeitpunkts Mit dem somit allein maßgeblichen Zeitpunkt der Kreditgewährung ist die tatsächliche Aus- 36 reichung des Darlehens oder der sonstigen Finanzierungshilfe gemeint86. Der vorausgehende Abschluss des Kreditvertrags begründet hingegen – parallel zur Rechtslage im Rahmen des § 30 Abs. 1 (12. Aufl., § 30 Rz. 21) – noch keine Kreditgewährung i.S.d. § 43a Satz 187. Vor der Ausreichung des Kredits wird das gebundene Vermögen der GmbH nämlich noch nicht geschmälert; der Kreditvertrag vermittelt der Leitungsperson keinen durchsetzbaren Anspruch auf Auszahlung, solange die GmbH durch Erfüllung der Kreditzusage gegen § 43a Satz 1 verstieße (Rz. 38). Wird ein bestehender Kredit verlängert, liegt darin eine neuerliche Kreditgewährung, so dass es auf die Verhältnisse in diesem Zeitpunkt ankommt88. Entspre-

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Rz. 5; Lieder in Michalski u.a., Rz. 36 ff.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35 ff.; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8. Nachw. wie vor, a.A. Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 43 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 37 III 6 a (S. 1148); Peltzer in FS Rowedder, 1994, S. 325, 342; Sotiropoulos, GmbHR 1996, 653, 656; Fromm, GmbHR 2008, 537, 540. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30; Lieder in Michalski u.a., Rz. 40 (jeweils unter Hinweis auf die BGH-Rechtsprechung zu §§ 30 f., s. nachfolgende Fn.); ferner Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 15; Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 24.3, 27; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; a.A. – Anspruch aus § 43a Satz 2 setzt Fortbestand der Unterdeckung voraus – Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 13; Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 53; Wicke, Rz. 6. BGH v. 29.5.2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336, 340 ff. = GmbHR 2000, 771 – Balsam/Procedo; näher dazu 12. Aufl., § 31 Rz. 25. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Lieder in Michalski u.a., Rz. 25; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35. Nachw. wie vor. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37; Lieder in Michalski u.a., Rz. 25.

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§ 43a Rz. 36 | Kreditgewährung chendes gilt, wenn die GmbH sich entscheidet, eine als bestehend erkannte Möglichkeit der Rückforderung des Kredits nicht wahrzunehmen; ein solches bewusstes „Stehenlassen“ des Kredits steht nach hier vertretener Ansicht einer Verlängerung des Kredits gleich (Rz. 23). Folglich muss es in diesem Fall auf den Zeitpunkt ankommen, in dem das bewusste Stehenlassen einsetzt89. 37 Besteht die Kreditgewährung i.S.d. § 43a darin, dass die Gesellschaft für eine Verbindlichkeit

der Leitungsperson gegenüber einem Dritten eine Sicherheit bestellt, kommt es – wiederum wie im Rahmen des § 30 Abs. 1 (12. Aufl., § 30 Rz. 97) – auf den Zeitpunkt der Bestellung der Sicherheit an bzw., falls der Bestellung zeitlich ein Verpflichtungsgeschäft vorausgegangen ist, in dem sich die GmbH dem Dritten gegenüber verbindlich zu der Bestellung der Sicherheit verpflichtet hat, auf den Zeitpunkt der Eingehung dieser Verpflichtung90. Ab diesem Zeitpunkt kann der Sicherungsnehmer die Sicherheitenbestellung durchsetzen, sodass die GmbH unwiderruflich das Risiko der Insolvenz der Leitungsperson trägt. Dieser Zeitpunkt entspricht daher funktional dem Zeitpunkt, den im Fall der Darlehensgewährung die Ausreichung der Darlehensvaluta an die Leitungsperson markiert. Nicht maßgeblich ist dagegen der Zeitpunkt der Verwertung der Sicherheit oder der Zeitpunkt, ab dem diese erstmals ernsthaft droht91.

IV. Rechtsfolgen 1. Vor Kreditgewährung 38 Im Stadium vor Kreditgewährung begründet § 43a Satz 1 ein Verbot der Auszahlung des

Kredits, falls eine Unterbilanz besteht oder soweit durch die Kreditausreichung eine Unterbilanz entstünde. Das bedeutet zwar nicht, dass ein Vertrag, in dem die GmbH der Leitungsperson die Auszahlung des Kredits zugesagt hat, bei unzureichendem Vermögen der GmbH nichtig wäre92. Der vertragliche Auszahlungsanspruch der Leitungsperson ist aber mit einer Einwendung (nicht nur Einrede) behaftet, solange und soweit die Auszahlung gegen § 43a Satz 1 verstoßen würde93. Die Leitungsperson kann den Anspruch also nicht durchsetzen; umgekehrt dürfen die für die GmbH handelnden Personen ihn nicht erfüllen, sie sind nicht nur berechtigt, sondern der GmbH gegenüber gesetzlich verpflichtet, die Leistung zu verweigern94. Diese Rechtsfolgen entsprechen der Rechtslage im Rahmen des § 30 Abs. 1 (12. Aufl., § 30 Rz. 117). Auch im Übrigen kann man sich an den zu § 30 Abs. 1 anerkannten Grundsätzen orientieren. Die Einwendung besteht ebenso wie dort nur temporär, solange der Ver-

89 Ähnlich Lieder in Michalski u.a., Rz. 25, und Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37, die allerdings allein auf die Fälligkeit der stehengelassenen Forderung abheben und nicht (jedenfalls nicht explizit) zusätzlich verlangen, dass sich die GmbH auch bewusst sein muss, dass sie den Kredit sofort zurückverlangen kann. 90 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; ebenfalls auf das Verpflichtungsgeschäft abhebend Lieder in Michalski u.a., Rz. 25; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 58; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 36; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8. Zu § 30 Abs. 1 hat der BGH jedenfalls für dingliche Sicherheiten klargestellt, dass es auf den Zeitpunkt der Sicherheitenbestellung ankommt, nicht erst auf die (drohende) Verwertung (BGH v. 21.3.2017 – II ZR 93/16, GmbHR 2017, 643 Rz. 14 ff.). Auf die Frage, ob es bei zeitlichem Auseinanderfallen von Sicherheitenbestellung und vorausgehendem Verpflichtungsgeschäft bereits auf die Eingehung der Verpflichtung ankommt, ist der BGH dagegen nicht eingegangen; näher dazu Verse, GmbHR 2018, 113, 116 f. 91 Nachw. wie vor. 92 Lieder in Michalski u.a., Rz. 42; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60. 93 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60, 63; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 4. 94 Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Lieder in Michalski u.a., Rz. 41.

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Kreditgewährung | Rz. 41 § 43a

stoß droht; sie entfällt mithin, sobald sich die Vermögenslage der GmbH so gebessert hat, dass die Kreditzusage aus ungebundenem Vermögen erfüllt werden kann95. Kann die Kreditzusage immerhin teilweise aus ungebundenem Vermögen bedient werden, betrifft die Einwendung nur den überschießenden Teil96.

2. Nach Kreditgewährung a) Zulässige Kreditgewährung Ist der Kredit im Einklang mit § 43a Satz 1 gewährt worden, ergeben sich keine Besonderhei- 39 ten. Für die Rückzahlung des Kredits gilt dann auch beim nachträglichen Eintritt einer Unterbilanz nicht die sofortige Rückzahlungspflicht nach § 43a Satz 2 (Rz. 34), sondern es bleibt bei dem vertraglich vereinbarten Rückzahlungstermin. Solange und soweit der Kredit nicht zurückgezahlt ist, ist allerdings bei späteren Kreditvergaben an Leitungspersonen zu beachten, dass der gewährte Kredit den Spielraum für diese weiteren Kreditvergaben einschränkt, weil der Rückzahlungsanspruch bei der Berechnung des Vermögens der GmbH außer Betracht bleiben muss (Rz. 30). b) Unzulässige Kreditgewährung aa) Keine Unwirksamkeit der Kreditgewährung Ist der Kredit unter Verstoß gegen § 43a Satz 1 ausgereicht worden, führt dies ebenso wenig 40 wie bei Verstößen gegen § 30 Abs. 1 (12. Aufl., § 30 Rz. 120 ff.) dazu, dass das der Kreditgewährung zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft und das zugehörige Verfügungsgeschäft (Überweisung/Übereignung des Geldbetrags, Bestellung der Sicherheit) in ihrer Wirksamkeit tangiert werden97. Gemäß § 43a Satz 2 entsteht aber ein sofort fälliger Rückzahlungsanspruch (Rz. 41 ff.). Darüber hinaus drohen den Geschäftsführern und sonstigen Leitungspersonen, die an der verbotenen Kreditgewährung mitgewirkt haben, haftungsrechtliche Konsequenzen (Rz. 53). bb) Sofort fälliger Rückgewähranspruch (§ 43a Satz 2) aaa) Inhalt und Umfang des Anspruchs, Rechtsnatur Nach § 43a Satz 2 ist der unzulässig gewährte Kredit ohne Rücksicht auf entgegenstehende 41 Vereinbarungen sofort zurückzugewähren. Einer vorherigen Fälligstellung oder Kündigung bedarf es nicht98. Was den Inhalt des Anspruchs betrifft, so ist dieser, wenn die verbotene Kreditgewährung in der Überlassung oder Stundung von Geldbeträgen besteht, auf Zahlung gerichtet. Liegt die Kreditgewährung in der Bestellung von Sicherheiten für eine Verbindlich-

95 Unstr., s. nur Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45. 96 Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 6 („so lange und insoweit“); Lieder in Michalski u.a., Rz. 42 („soweit und solange“); einschr. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34: Teilauszahlung nur mit § 43a vereinbar, wenn die Vertragsparteien bei Kenntnis des Verbots eine Kreditgewährung nur in der rechtlich zulässigen Höhe gewollt hätten; so wohl auch Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31. 97 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 75 („Ein Verstoß gegen Satz 1 soll die Wirksamkeit der Kreditgewährung […] nicht berühren…“); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Lieder in Michalski u.a., Rz. 42; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46. 98 Lieder in Michalski u.a., Rz. 44; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72; allg. M. (die Geßler, BB 1980, 1385, 1389 zugeschriebene Gegenansicht wird dort nicht vertreten; die Kündigung wird von ihm nur für den Fall der nachträglich eintretenden Unterdeckung erwähnt).

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§ 43a Rz. 41 | Kreditgewährung keit der Leitungsperson gegenüber Dritten, zielt der Anspruch darauf, dass die Leitungsperson die GmbH sofort von der Sicherheitsgewährung befreit99, sei es dadurch, dass sie die Verbindlichkeit begleicht oder den Gläubiger anderweitig (z.B. durch Stellung einer anderen Sicherheit) zur Freigabe der von der Gesellschaft gewährten Sicherheit bewegt. Dem Umfang nach richtet sich der Anspruch nicht notwendig auf Rückgewähr des gesamten Kredits (bzw. auf Befreiung von der gesamten Sicherheit). Wurde das gebundene Vermögen nur teilweise angegriffen, liegt also nur in Höhe eines Teilbetrags ein Verstoß gegen § 43a Satz 1 vor, ist auch nur dieser Teilbetrag nach Satz 2 sofort zurückzugewähren100. Auch insoweit liegt es nicht anders als bei Verstößen gegen § 30 Abs. 1 (12. Aufl., § 31 Rz. 15). 42 Nicht abschließend geklärt ist die Rechtsnatur des Anspruchs. Im GmbH-rechtlichen Schrift-

tum wird der Anspruch, soweit sich hierzu Ausführungen finden, als eigenständiger gesellschaftsrechtlicher Anspruch qualifiziert101, was der Einordnung des § 31 Abs. 1 entspricht (12. Aufl., § 31 Rz. 5). Im Aktienrecht wird dagegen gemeinhin angenommen, dass es sich bei dem Anspruch auf sofortige Rückgewähr nach § 89 Abs. 5 AktG um den vertraglichen Rückgewähranspruch mit gesetzlich vorverlagerter Fälligkeit handle102. Diese dogmatische Einordnung wird im Aktienrecht meist mit dem Hinweis verbunden, dass die Gesellschaft deshalb auch auf die für den vertraglichen Rückgewähranspruch bestellten Sicherheiten zurückgreifen kann103. In der Tat müssen der Gesellschaft auch im GmbH-Recht nach Sinn und Zweck des § 43a Satz 2 etwaige Sicherheiten erhalten bleiben104. Das zwingt jedoch nicht dazu, die im Aktienrecht übliche Sichtweise zu übernehmen, dass es sich bei dem Anspruch auf sofortige Rückgewähr um den modifizierten vertraglichen Rückgewähranspruch handelt. Zumindest für das GmbH-Recht liegt es näher, den Anspruch aus § 43a Satz 2 in Übereinstimmung mit den angeführten Stimmen im Schrifttum als eigenständigen gesetzlichen Anspruch zu begreifen und ihn von dem vertraglichen Rückgewähranspruch105 zu unterscheiden, d.h. von zwei konkurrierenden Ansprüchen auszugehen. Diese Sichtweise bewährt sich insbesondere, wenn die Unterbilanz nachträglich wegfällt; denn nur sie vermag zwanglos das 99 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 69; zu § 89 Abs. 5 AktG Fleischer in BeckOGK AktG, Stand: 15.1.2020, § 89 AktG Rz. 24; Hüffer/Koch, § 89 AktG Rz. 8. 100 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 11; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 14; Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 27; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 14; einschr. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47 i.V.m. Rz. 34: Rückgewähranspruch nur dann auf den Teilbetrag reduziert, wenn die Vertragsparteien bei Kenntnis des Verbots die Kreditgewährung nur in der zulässigen Höhe gewollt hätten; ansonsten verstoße der gesamte Kredit gegen § 43a; so wohl auch Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31. 101 Joost, ZHR 148 (1984), 27, 34; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68. 102 Fleischer in BeckOGK AktG, Stand: 15.1.2020, § 89 AktG Rz. 23; Hüffer/Koch, § 89 AktG Rz. 8; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 89 AktG Rz. 52; ferner Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 89 AktG Rz. 23 („besondere gesetzliche Ausprägung des vertraglichen Rückgewähranspruchs“); ebenso Kort in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 89 AktG Rz. 137. 103 Nachw. wie vor. 104 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18; Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 25. Ist die Sicherheit von einem Dritten gestellt worden, ist allerdings zu bedenken, dass diesem nicht die sofortige, sondern nur die vereinbarte Fälligkeit entgegengehalten werden kann; zur AG Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 89 AktG Rz. 52. 105 Der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass der Kreditgewährung nicht zwingend ein Vertragsverhältnis zwischen GmbH und Leitungsperson zugrundeliegen muss (z.B. dann nicht, wenn die GmbH auf Bitten eines Gläubigers der Leitungsperson diesem eine Sicherheit bestellt, ohne sich dazu gegenüber der Leitungsperson vertraglich verpflichtet zu haben). In diesem Fall steht der GmbH neben dem Anspruch aus § 43a Satz 2 kein vertraglicher Befreiungsanspruch zu, sondern ein Befreiungsanspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag oder anderen ggf. einschlägigen gesetzlichen Anspruchsgrundlagen.

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Kreditgewährung | Rz. 46 § 43a

von der h.M. mit Recht anerkannte Ergebnis zu erklären, dass in diesem Fall einerseits der Anspruch aus § 43a Satz 2 bestehen bleibt, andererseits aber der Leitungsperson ein vollwirksamer vertraglicher Anspruch auf Überlassung des Kredits in dem vereinbarten Zeitraum zusteht (s. noch Rz. 47). Der eigenständige Anspruch aus § 43a Satz 2 ist im Übrigen spezifisch gesellschaftsrechtlicher und nicht bereicherungsrechtlicher Natur; er unterliegt daher nicht den Beschränkungen eines Bereicherungsanspruchs aus §§ 814 f., § 817 Satz 2, § 818 Abs. 3 BGB106. bbb) Anspruchsberechtigter, Geltendmachung Der Anspruch aus § 43a Satz 2 steht der GmbH zu107 (zur GmbH & Co. KG Rz. 45). Diese 43 wird bei der Geltendmachung durch ihre Geschäftsführer (§ 35) vertreten, im Liquidationsstadium durch die Liquidatoren (§ 66). Eines Gesellschafterbeschlusses bedarf es für die Geltendmachung nicht; § 46 Nr. 2 und Nr. 8 finden wie bei der Beitreibung von Ansprüchen aus § 31 Abs. 1 (12. Aufl., § 31 Rz. 7) keine Anwendung. Bleiben die Geschäftsführer pflichtwidrig untätig, kann der Anspruch auch von einzelnen Gesellschaftern im Wege der actio pro socio durchgesetzt werden108. In der Insolvenz macht nach § 80 Abs. 1 InsO der Insolvenzverwalter den Anspruch geltend. Die Gesellschaftsgläubiger können den Rückgewähranspruch außerhalb des Insolvenzver- 44 fahrens nach allgemeinen Regeln (§§ 829, 835 f. ZPO) pfänden und sich überweisen lassen. Die Frage, ob den Gläubigern in der masselosen Insolvenz darüber hinaus ein eigenes Verfolgungsrecht analog § 62 Abs. 2 AktG zusteht, kann im Rahmen des § 43a nicht anders beantwortet werden als im Rahmen des § 31. Dort stehen Rechtsprechung und h.L. einem Verfolgungsrecht – jedenfalls bisher – ablehnend gegenüber (12. Aufl., § 31 Rz. 8). In der GmbH & Co. KG ist die Besonderheit zu beachten, dass § 43a auch bei Kreditgewäh- 45 rungen aus dem Vermögen der KG eingreifen kann (Rz. 21). In Anknüpfung an die ständige Rechtsprechung zu § 31109 ist davon auszugehen, dass der Anspruch aus § 43a Satz 2 in diesem Fall der KG zusteht. Ungesichert ist bisher, ob daneben auch ein Anspruch der Komplementär-GmbH auf Leistung an die KG anzuerkennen ist (12. Aufl., § 31 Rz. 91). ccc) Anspruchsgegner Schuldner des Anspruchs aus § 43a Satz 2 ist die Leitungsperson, welcher der Kredit gewährt 46 wurde110. Das gilt nach ganz h.M. auch dann, wenn der Kredit nicht unmittelbar an die Leitungsperson, sondern an eine ihr zuzurechnende Mittelsperson ausgereicht wird111, etwa an einen nahen Angehörigen (sofern darin ein Umgehungsfall liegt, Rz. 17), einen mittelbaren Stellvertreter oder eine Gesellschaft, deren alleiniger Gesellschafter die Leitungsperson ist (Rz. 18). Unter Hinweis auf eine ältere BGH-Entscheidung zum Kapitalersatzrecht112 wird 106 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15 (zu § 818 Abs. 3 BGB); Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68 (zu §§ 814, 818 Abs. 3 BGB); ebenso die allg. M. zu § 31, s. 12. Aufl., § 31 Rz. 5. 107 Unstr., s. nur Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47. 108 Vgl. auch insoweit 12. Aufl., § 31 Rz. 7; allg. zur actio pro socio 12. Aufl., § 46 Rz. 121; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 120 ff. 109 Ständige Rechtsprechung seit BGH v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324, 329 f.; aus neuerer Zeit BGH v. 9.12.2014 – II ZR 360/13, GmbHR 2015, 248 Rz. 12; näher dazu 12. Aufl., § 31 Rz. 91. 110 Unstr., s. nur Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Lieder in Michalski u.a., Rz. 45. 111 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Lieder in Michalski u.a., Rz. 45; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 70; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52; Schnorbus in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 10. 112 BGH v. 28.9.1981 – II ZR 223/80, BGHZ 81, 365, 368 f. = GmbHR 1982, 181 (Rückgewähranspruch gegen den minderjährigen Sohn des Gesellschafters).

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§ 43a Rz. 46 | Kreditgewährung verbreitet angenommen, dass daneben auch eine (gesamtschuldnerische) Haftung der Mittelsperson selbst besteht, wenn diese der Leitungsperson besonders nahesteht, insbesondere eine wirtschaftliche Einheit mit ihr bildet113. Zu dem ähnlichen Problem im Rahmen des § 31 mehren sich demgegenüber die Stimmen, die bei Leistungen an eine dem Gesellschafter nahestehende Person grundsätzlich nur den Gesellschafter als anspruchsverpflichtet ansehen (s. dazu im Einzelnen 12. Aufl., § 30 Rz. 39 ff.). ddd) Einwendungen und Einreden 47 (1) Nachträglicher Wegfall der Unterbilanz. Verbessert sich die Vermögenslage der GmbH

nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Kreditgewährung so, dass die Unterbilanz wegfällt, ändert dies wie dargelegt nichts daran, dass der Anspruch aus § 43a Satz 2 bestehen bleibt (h.M., Rz. 35). Der Wegfall der Unterbilanz hat aber immerhin zur Folge, dass in Fällen, in denen die Kreditvergabe auf einer vertraglichen Zusage der Gesellschaft beruht, die Leitungsperson nunmehr einen durchsetzbaren Anspruch aus dem Kreditvertrag auf Überlassung des Kredits hat, da dieser Anspruch mit dem Wegfall der Unterbilanz nicht mehr einwendungsbehaftet ist (Rz. 38). Infolgedessen stehen sich nunmehr zwei gegenläufige durchsetzbare Ansprüche gegenüber: Die GmbH hat den Anspruch auf sofortige Rückgewähr des Kredits aus § 43a Satz 2, die Leitungsperson den vertraglichen Anspruch auf Überlassung des Kredits. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Leitungsperson dem Anspruch der GmbH aus § 43a Satz 2 den dolo-agit-Einwand (§ 242 BGB) entgegenhalten könnte114. Vielmehr hat der BGH zu derselben Frage im Rahmen des § 31 klargestellt, dass dieser Einwand nicht erhoben werden kann, da dies dem Gebot der realen Kapital(wieder)aufbringung widerspräche115. Für den Anspruch aus § 43a Satz 2, der ebenfalls der Kapital(wieder)aufbringung dient, kann nichts anderes gelten116. Die Richtigkeit dieser Ansicht zeigt sich insbesondere in Fällen, in denen zwischen den Beteiligten streitig ist, ob der Leitungsperson tatsächlich ein wirksamer vertraglicher Anspruch zusteht. In diesem Fall gebietet es der Normzweck des § 43a Satz 2, dass die GmbH die sofortige Rückgewähr des Kredits durchsetzen kann, ohne zuvor die Frage des Bestehens der vertraglichen Gegenforderung klären zu müssen. Wenn sich die Beteiligten hingegen einig sind, dass der Leitungsperson ein Anspruch auf Überlassung des Kredits zusteht, kann die Gesellschaft mit ihrem Anspruch aus § 43a Satz 2 gegen den Anspruch der Leitungsperson aufrechnen und so ein unnötiges Hin und Her der Leistungen vermeiden. Die Aufrechnung kann freilich nur von der Gesellschaft erklärt werden, nicht von der Leitungsperson (§ 19 Abs. 2 Satz 2 analog, Rz. 51). 48 (2) Gutgläubigkeit des Empfängers. Die in Anspruch genommene Leitungsperson kann

nicht einwenden, dass sie hinsichtlich des Verstoßes gutgläubig war. Eine entsprechende Anwendung des § 31 Abs. 2, der die Haftung von gutgläubigen, d.h. den Verstoß nicht grob fahrlässig verkennenden Empfängern auf den Fall beschränkt, dass die Haftung zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, kommt nach überwiegender und zutreffender Ansicht nicht in Betracht117. Richtig ist zwar, dass zwischen dem Kapitalschutz nach

113 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53; Lieder in Michalski u.a., Rz. 45; vgl. auch Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 70; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; weitergehend – stets Mithaftung der Mittelsperson – Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 17. 114 So aber Lieder in Michalski u.a., Rz. 40; Stein in Hachenburg, Rz. 24. 115 BGH v. 29.5.2000 – II ZR 118/98, BGHZ 144, 336, 342 = GmbHR 2000, 771 – Balsam Procedo; ebenso die h.L., s. 12. Aufl., § 31 Rz. 26 m.w.N. 116 Wie hier Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44. 117 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15; Lieder in Michalski u.a., Rz. 46; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 78; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 14; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 49; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Sotiropoulos, Kredite und Kreditsicherheiten der GmbH zugunsten ihrer

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Kreditgewährung | Rz. 51 § 43a

§§ 30 f. und § 43a vielfältige Parallelen bestehen. In dem hier interessierenden Punkt ist aber keine planwidrige Regelungslücke ersichtlich, da § 43a Satz 2 die Rückgewähr ausnahmslos „sofort“ anordnet und damit keinen Raum lässt für eine lediglich schwebende, sich erst im Insolvenzfall aktualisierende Rückgewährpflicht gutgläubiger Empfänger. Ebenso fehlt es an einer hinreichend vergleichbaren Interessenlage. Anders als die Gesellschafter unterliegen die Leitungspersonen besonderen organschaftlichen bzw. arbeitsvertraglichen Sorgfaltspflichten, weshalb es nicht wertungswidersprüchlich ist, sie strenger zu behandeln als jene. Zudem beeinträchtigt die Rückforderung einer als endgültig gedachten Ausschüttung das Vertrauen des Empfängers in die Rechtsbeständigkeit seines Erwerbs in der Regel gravierender als die bloß zeitlich vorverlegte Rückforderung eines ohnehin zurückzugewährenden Kredits118. (3) Verjährung. Da der Anspruch aus § 43a Satz 2 ebenso wie derjenige aus § 31 Abs. 1 der 49 Kapitalwiederaufbringung dient, verjährt er analog § 31 Abs. 5 erst zehn Jahre nach Gewährung des Kredits119. eee) Zinsen Solange der Kreditnehmer den unter Verstoß gegen § 43a Satz 1 ausgereichten Kredit nicht 50 zurückgewährt, schuldet er der GmbH die im Kreditvertrag ggf. vereinbarten Zinsen120, da der Kreditvertrag in seiner Wirksamkeit durch den Verstoß nicht tangiert wird (Rz. 40). Gerät der Kreditnehmer mit der Rückzahlung nach § 43a Satz 2 in Verzug, was im Regelfall erst nach Mahnung der Fall ist (§ 286 BGB), besteht konkurrierend ein Anspruch auf Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 BGB121. Eine entsprechende Anwendung des § 20 (Fälligkeitszinsen) scheidet dagegen ebenso aus wie im Rahmen des § 31 (12. Aufl., § 31 Rz. 22). fff) Erlass- und Aufrechnungsverbot Der Anspruch aus § 43a Satz 2 ist im Interesse des Gläubigerschutzes nicht abdingbar (Rz. 5). 51 Er kann der kreditnehmenden Leitungsperson analog § 31 Abs. 4 auch nicht erlassen werden122. Hinsichtlich der Reichweite des Erlassverbots, das sich auch auf sonstige Schmälerungen des Anspruchs wie z.B. Stundungen erstreckt, kann auf die Erläuterungen zu § 31 Bezug genommen werden (12. Aufl., § 31 Rz. 69 ff., dort auch zu der Streitfrage, ob der Erlass auch

118 119

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Gesellschafter und nahestehender Dritter, 1996, S. 51 f.; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 7; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 14; Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 54. Sotiropoulos, Kredite und Kreditsicherheiten der GmbH zugunsten ihrer Gesellschafter und nahestehender Dritter, 1996, S. 51. Ganz h.M., Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15; BuckHeeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 16; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Klöhn in Bork/ Schäfer, Rz. 7; Lieder in Michalski u.a., Rz. 46; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 14; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 50; Wicke, Rz. 6; a.A. – § 43 Abs. 4 analog (fünf Jahre) – aber Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 10. Allg. M., Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18; Heidinger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.2.2020, Rz. 25; Lieder in Michalski u.a., Rz. 43; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 62; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11. Vgl. Lieder in Michalski u.a., Rz. 43; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46. Ganz h.M., Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 7; Lieder in Michalski u.a., Rz. 46; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 14; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 50; nur in der Begründung abw. Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 78, der das Erlassverbot nicht aus § 31 Abs. 4 analog, sondern unmittelbar aus dem zwingenden Charakter des § 43a ableiten will.

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§ 43a Rz. 51 | Kreditgewährung nach Wegfall der Unterbilanz ausgeschlossen bleibt123). Durch das Erlassverbot nicht ausgeschlossen wird ein Vergleich über den Anspruch (Rz. 55). 52 Ebenfalls in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und h.L. zu § 31 (12. Aufl., § 31 Rz. 74)

ist auch für den Anspruch aus § 43a Satz 2 davon auszugehen, dass eine von der Leitungsperson erklärte Aufrechnung analog § 19 Abs. 2 Satz 2 ausgeschlossen ist124. Die Aufrechnung seitens der GmbH und die einvernehmliche Verrechnung durch Aufrechnungsvertrag verbietet § 19 Abs. 2 Satz 2 (analog) dagegen nicht. Auch die von der GmbH erklärte oder vereinbarte Aufrechnung ist aber nach h.M. nicht uneingeschränkt zulässig, sondern nur voll wirksam, wenn der Leitungsperson im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung ein vollwertiger, fälliger und liquider Gegenanspruch zusteht, da die Aufrechnung sonst auf eine Schmälerung des Anspruchs der Gesellschaft hinausliefe125. cc) Haftungsrechtliche Konsequenzen 53 Geschäftsführer, die entgegen § 43a Satz 1 einen Kredit gewähren oder sich gewähren lassen,

begehen eine Pflichtverletzung, für die sie der GmbH bei Verschulden und Eintritt eines Schadens haftbar sind, und zwar nicht nur nach Maßgabe des § 43 Abs. 2, sondern mit den Verschärfungen analog § 43 Abs. 3126. Letzteres folgt daraus, dass § 43a genau wie die in § 43 Abs. 3 Satz 1 in Bezug genommenen Vorschriften (§ 30 Abs. 1, § 33) dem Kapitalschutz dient und die konsequente Erweiterung des § 43 Abs. 3 bei der nachträglichen Einführung des § 43a offenbar übersehen worden ist. Nach allgemeinen Grundsätzen kann die Haftung auch Geschäftsführer treffen, die zwar an der Ausreichung des Kredits nicht beteiligt waren, aber ihrer Überwachungspflicht (12. Aufl., § 43 Rz. 119 ff., 373) nicht hinreichend nachgekommen sind127. Der zu ersetzende (Mindest-)Schaden liegt – wie auch sonst im Rahmen des § 43 Abs. 3 – bereits in der verbotenen Auszahlung; dieser „Auszahlungsschaden“ entfällt erst, wenn und soweit der Rückgewähranspruch nach § 43a Satz 2 erfüllt ist (vgl. 12. Aufl., § 43 Rz. 380). Nach allgemeinen Regeln können weitere Schadenspositionen hinzutreten (z.B. Kosten für die Aufklärung des Verstoßes und die Rechtsverfolgung). Wird der Verstoß gegen § 43a von Personen unterhalb der Geschäftsführung begangen, kommt eine Haftung nach

123 Für Zulässigkeit des Erlasses in diesem Fall Lieder in Michalski u.a., Rz. 4; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 83. 124 Str., wie hier die (wohl) h.L., Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 7; Lieder in Michalski u.a., Rz. 47; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 43a GmbHG Rz. 14; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51; a.A. – Aufrechnung weder ausgeschlossen noch beschränkt – noch OLG Naumburg v. 19.5.1998 – 11 U 2058/97, ZIP 1999, 118, 119 f. = GmbHR 1998, 1180 (allerdings auf Grundlage der Prämisse, dass auch im Fall des § 31 kein Aufrechnungsverbot bestehe; diese Prämisse hat BGH v. 27.11.2000 – II ZR 83/00, BGHZ 146, 105, 107 f. = GmbHR 2001, 142 widerlegt); Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 53; abw. auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12 i.V.m. § 31 Rz. 31 ff.: Aufrechnung durch Gesellschafter zulässig, wenn seine Forderung vollwertig, fällig und liquide ist (auf Basis einer auch zu § 31 von der h.M. abweichenden Position); ebenso Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75; Wicke, Rz. 6. 125 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 7; Lieder in Michalski u.a., Rz. 47; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15; ebenso die (allerdings umstrittene) h.M. zur Kapitalaufbringung und zu § 31; näher dazu 12. Aufl., § 19 Rz. 73 ff., 12. Aufl., § 31 Rz. 75 (dort auch zur analogen Anwendung der Anrechnungslösung des § 19 Abs. 4 bei Aufrechnung gegen einen nicht vollwertigen Gesellschafteranspruch); ferner Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 19 GmbHG Rz. 26 ff. 126 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72, 78 = GmbHR 2004, 302; aus dem Schrifttum statt vieler Lieder in Michalski u.a., Rz. 7, 49; s. bereits 12. Aufl., § 43 Rz. 377 m.w.N. 127 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72, 77 f. = GmbHR 2004, 302; Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54.

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Kreditgewährung | Rz. 55 § 43a

arbeitsrechtlichen Grundsätzen in Betracht (§ 280 Abs. 1 BGB unter Berücksichtigung der Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs).

V. Prozessuales 1. Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 43a Satz 2 (Kredit- 54 gewährung an eine Leitungsperson aus dem gebundenen Vermögen) trägt entsprechend den allgemeinen Grundsätzen derjenige, der den Anspruch geltend macht, also im Regelfall die Gesellschaft oder der Insolvenzverwalter128. Das entspricht der zu § 30 Abs. 1, § 31 anerkannten Beweislastverteilung (12. Aufl., § 30 Rz. 115). Auch in Bezug auf den Schadensersatzanspruch analog § 43 Abs. 3 (Rz. 53) entspricht es der h.M., dass die Darlegungs- und Beweislast für den Kapitalschutzverstoß bei der Gesellschaft bzw. dem Insolvenzverwalter liegt129. Den Beweisschwierigkeiten, denen vor allem der Insolvenzverwalter ausgesetzt sein kann, wenn eine Zwischenbilanz zum Zeitpunkt der Kreditgewährung fehlt und die Vermögenslage in diesem Zeitpunkt auch nicht anderweitig anhand der Geschäftsunterlagen nachvollzogen werden kann, ist nach den Grundsätzen über die sekundäre Darlegungslast Rechnung zu tragen130. Zudem spricht in Fällen, in denen sowohl zu Beginn als auch am Ende des Geschäftsjahrs eine Unterbilanz besteht, ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass auch während des Geschäftsjahrs das Stammkapital nicht gedeckt war131. Dass der Verstoß auch schuldhaft begangen wurde, muss die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter dagegen nicht nachweisen; das Verschulden wird bis zum Beweis des Gegenteils durch den Geschäftsführer vermutet (dazu und zur weiteren Beweislastverteilung im Rahmen des § 43 Abs. 3 s. 12. Aufl., § 43 Rz. 391 ff.).

2. Vergleich, Schiedsfähigkeit Ein (Prozess-)Vergleich über den Anspruch der Gesellschaft aus § 43a Satz 2 ist trotz seines 55 zwingenden Charakters nicht ausgeschlossen, sondern in denselben, durch das Erlassverbot (Rz. 51) gezogenen Grenzen zulässig wie Vergleiche über sonstige Ansprüche, die der Kapitalaufbringung (Einlage- und Differenzhaftungsansprüche) oder der Kapitalwiederaufbringung (Ansprüche aus § 31) dienen132. Mit dem Erlassverbot analog § 31 Abs. 4 ist der Vergleich vereinbar, wenn er wegen tatsächlicher oder rechtlicher Ungewissheit über den Bestand oder Umfang des Anspruchs geschlossen wird und sich dahinter nicht nur eine Befreiung in der Form eines Vergleichs verbirgt. Erforderlich ist mit anderen Worten, dass „der Vergleichsinhalt den Bereich nicht verlässt, der bei objektiver Beurteilung ernstlich zweifelhaft ist.“133 Der Vergleich bedarf vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmungen eines

128 Lieder in Michalski u.a., Rz. 50; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 58. 129 BGH v. 13.3.2006 – II ZR 165/04, GmbHR 2006, 537 Rz. 11; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 43 Rz. 288; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43 Rz. 58; Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, § 43 Rz. 339; näher dazu 12. Aufl., § 43 Rz. 391 (dort auch zu dem Spannungsverhältnis zu der weitergehenden Beweislastumkehr, die der BGH im Rahmen des § 43 Abs. 2 annimmt). 130 BGH v. 17.2.2003 – II ZR 281/00, GmbHR 2003, 466, 467 (zur Unterbilanzhaftung); darauf Bezug nehmend BGH v. 13.3.2006 – II ZR 165/04, GmbHR 2006, 537 Rz. 11 (zu § 43 Abs. 3, § 30 Abs. 1). 131 KG Berlin v. 3.4.2000 – 23 U 865/98, NZG 2000, 1224, 1225; ebenso die h.L. zu §§ 30, 31, s. 12. Aufl., § 30 Rz. 116 m.w.N. 132 Lieder in Michalski u.a., Rz. 48. 133 BGH v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Rz. 22 f. (zur Differenzhaftung in der AG); näher dazu 12. Aufl., § 31 Rz. 72 m.w.N.

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§ 43a Rz. 55 | Kreditgewährung Gesellschafterbeschlusses, was teils aus einer Analogie zu § 46 Nr. 2 abgeleitet wird134, zumindest aber aus § 49 Abs. 2 folgt135. Bei einem Vergleich über den Schadensersatzanspruch analog § 43 Abs. 3 ist neben dem Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses (§ 46 Nr. 8) zusätzlich die Vergleichsbeschränkung nach § 43 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 9b Abs. 1 Satz 1 zu beachten (12. Aufl., § 43 Rz. 382 ff.). 56 Die Entscheidung über Bestand und Inhalt des Rückgewähranspruchs nach § 43a Satz 2

kann ebenso auf ein Schiedsgericht übertragen werden wie die Entscheidung über Einlageforderungen (12. Aufl., § 19 Rz. 70) und Ansprüche aus § 31 (12. Aufl., § 31 Rz. 73)136. Voraussetzung ist grundsätzlich eine formgerechte Schiedsvereinbarung (§§ 1029, 1031 Abs. 5 ZPO); nach (wohl) überwiegender Ansicht soll aber auch eine statutarische Schiedsklausel genügen (§ 1066 ZPO, vgl. 12. Aufl., § 43 Rz. 370). Zur Schiedsfähigkeit des Anspruchs aus § 43 Abs. 3 analog s. 12. Aufl., § 43 Rz. 400.

134 Lieder in Michalski u.a., Rz. 48; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 60. 135 So die h.L. zur Parallelfrage im Rahmen des § 31, s. 12. Aufl., § 31 Rz. 72 m.w.N. 136 Löwisch in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61.

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§ 44 Stellvertreter von Geschäftsführern Die für die Geschäftsführer gegebenen Vorschriften gelten auch für Stellvertreter von Geschäftsführern. Text seit 1892 unverändert. I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Rechtsstellung des stellvertretenden Geschäftsführers 1. Vertretungsbefugnis und Außenverhältnis a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 b) Registeranmeldungen und Prozessuales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2. Geschäftsführungsbefugnis . . . . . . . . . . . 10 3. Pflichten und Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . 13 III. Bestellung, Abberufung und Anstellungsvertrag 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

2. Sonderfälle a) Berufung des stellvertretenden zum ordentlichen Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitsdirektor als stellvertretender Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufsichtsratsmitglieder als stellvertretende Geschäftsführer? . . . . . . . . . . IV. Publizität 1. Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schrifttum: Boesebeck, Unklarheiten in der Geschäftsführung und Verantwortung bei der Aktiengesellschaft, JW 1938, 2525; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981; Schlaus, Das stellvertretende Vorstandsmitglied, DB 1971, 1653; van Venrooy, Bestellung und Funktion von stellvertretenden Geschäftsführern, GmbHR 2010, 169.

I. Grundlagen Die seit 1892 unveränderte Bestimmung des § 44 ist den Parallelvorschriften im Aktien- und 1 Genossenschaftsrecht (heute § 94 AktG, § 35 GenG) nachgebildet1. Sie sieht vor, dass die Gesellschaft „Stellvertreter von Geschäftsführern“ (synonym: stellvertretende Geschäftsführer) bestellen kann, und stellt klar, dass auch für diese die gesetzlichen Vorschriften für Geschäftsführer gelten. Der Begriff „Stellvertreter von Geschäftsführern“ ist in mehrfacher Hinsicht missverständ- 2 lich. Zum einen vertritt ein stellvertretender Geschäftsführer nicht etwa einen anderen (ordentlichen) Geschäftsführer, sondern er wird mit seiner Bestellung Organwalter der Gesellschaft mit organschaftlicher Vertretungsmacht, diese zu vertreten (§ 44 i.V.m. § 35, Rz. 5). Zum anderen erweckt der Begriff des Stellvertreters den Eindruck, dass der stellvertretende Geschäftsführer grundsätzlich nur im Vertretungsfall, d.h. nur subsidiär bei Erkrankung, längerer Abwesenheit oder sonstiger Verhinderung eines ordentlichen Geschäftsführers, anstelle des Verhinderten zur Geschäftsführung berufen sei. In den ersten Jahrzehnten nach Inkrafttreten des GmbHG hatte man in der Tat noch in erster Linie diesen Fall vor Augen, wenn man von stellvertretenden Geschäftsführern sprach2. Mitunter wurde sogar angenom-

1 Begr. zu § 45 GmbHG-E, RT-Drucks. 1890/92, Aktenstück Nr. 660, 3750 f. unter Bezugnahme auf Art. 232a ADHGB 1884 und § 33 GenG 1889. 2 S. etwa Hachenburg, 5. Aufl. 1927, Anm. 1; Scholz, 1. Aufl. 1928, Anm. III.

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§ 44 Rz. 2 | Stellvertreter von Geschäftsführern men, dass der Begriff des Stellvertreters ausschließlich in diesem Sinne zu verstehen sei3. Mit Recht hat allerdings schon Franz Scholz in der 1. Auflage dieses Kommentars betont, dass es den Gesellschaften freisteht, die Geschäftsführungsbefugnis des stellvertretenden Geschäftsführers auch anders zu definieren und seine Tätigkeit nicht auf den Vertretungsfall zu beschränken4. Diese Sichtweise hat sich längst durchgesetzt und entspricht heute nahezu einhelliger Ansicht5. In der Praxis verhält es sich offenbar schon seit langem so, dass von der Möglichkeit, dem stellvertretenden Geschäftsführer die Geschäftsführung nur im Fall der Verhinderung eines ordentlichen Geschäftsführers zuzuweisen („Verhinderungsvertreter“), kein oder nahezu kein Gebrauch gemacht wird6. 3 Praktisch stehen vielmehr Gestaltungen im Vordergrund, in denen die stellvertretenden Ge-

schäftsführer nicht nur im Vertretungsfall, sondern permanent für die Gesellschaft tätig werden sollen und die Bezeichnung als „stellvertretender“ Geschäftsführer lediglich eine gewisse interne Hierarchie innerhalb des Leitungsorgans zum Ausdruck bringen soll. Denkbar ist etwa, dass man mit der Bezeichnung als stellvertretender Geschäftsführer eine gewisse inhaltliche Abstufung der Geschäftsführungsbefugnis innerhalb der Geschäftsleitung kennzeichnen möchte, z.B. wenn ein neu eintretender stellvertretender Geschäftsführer das ihm zugewiesene Ressort zunächst nicht allein, sondern nur gemeinsam mit einem ordentlichen Geschäftsführer leiten soll (Rz. 11), oder weil ihm im Vergleich zu den ordentlichen Geschäftsführern nur ein besonders eng umrissenes Ressort zugewiesen wird. Allerdings ist eine solche inhaltliche Differenzierung keineswegs zwangsläufig mit der Bestellung stellvertretender Geschäftsführer verbunden. Vielmehr ist es anerkanntermaßen auch zulässig, eine bloße Titelabstufung vorzunehmen, mit der keine Abstufung der Geschäftsführungsbefugnis verbunden ist7. In der Praxis geht es bei der Bestellung stellvertretender Geschäftsführer – sei es mit eingeschränkter Geschäftsführungsbefugnis, sei es als bloße Titelabstufung – häufig um neu berufene Geschäftsführer, die für eine Übergangszeit zunächst als stellvertretende Geschäftsführer bestellt werden, bevor nach entsprechender Bewährung die Ernennung zum ordentlichen Geschäftsführer erfolgt8. 4 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass der Begriff des stellvertretenden Geschäfts-

führers lediglich zum Ausdruck bringt, dass der Stellvertreter in irgendeiner Form, und sei es 3 Dezidiert etwa Brodmann, Aktienrecht, 1928, § 242 HGB Anm. 1a) („Der Stellvertreter von Mitgliedern des Vorstandes […] ist selbst Mitglied des Vorstands, ein Mitglied, das im normalen Lauf der Dinge unbeschäftigt ist und nur eintritt, wenn ein ordentliches Mitglied verhindert ist, oder wenn nach Vorschrift des Gesetzes der Vorstand in seiner Gesamtheit tätig werden muß…“); Brodmann, GmbH-Gesetz, 2. Aufl. 1930, § 44 Anm. 1 b); von demselben Begriffsverständnis ausgehend auch KG v. 23.6.1911, KGJ 41, 123, 130 f.; aus neuerer Zeit wieder van Venrooy, GmbHR 2010, 169, 170 f. 4 Scholz, 1. Aufl. 1928, Anm. III; auch Hachenburg, 5. Aufl. 1927, Anm. 1 mit dem Hinweis, dass mit der Bezeichnung eines stellvertretenden Geschäftsführers auch nur eine äußere Rangbezeichnung gemeint sein kann (dazu sogleich im Text). 5 Zumeist wird sie als selbstverständlich vorausgesetzt; statt vieler etwa Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 2 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 2, 7; s. auch die Nachw. in Rz. 3 zur Zulässigkeit der bloßen Titelabstufung; a.A. van Venrooy, GmbHR 2010, 169, 170 f. 6 S. schon – zur AG – Boesebeck, JW 1938, 2525, 2529 („Stellvertretende Vorstandsmitglieder, die nur im Vertretungsfalle tätig werden sollen, gibt es in der Praxis so gut wie überhaupt nicht.“); ebenso v. Godin/Wilhelmi, AktG 1971, § 94 Anm. 3; Schlaus, DB 1971, 1653, 1654; ferner Fleischer in BeckOGK AktG, Stand: 15.1.2020, § 94 AktG Rz. 6 Fn. 30. 7 Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 3; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 3; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 2; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 10; auch schon Hachenburg, 5. Aufl. 1927, Anm. 1. 8 Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 2; zur AG Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, Rz. 489; Ziemons in Ziemons/Binnewies, Hdb. AG, Rz. 8.74 („Junior“-Vorstandsmitglieder). Zum Wechsel vom stellvertretenden zum ordentlichen Geschäftsführer s. noch Rz. 15.

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Stellvertreter von Geschäftsführern | Rz. 6 § 44

nur in der titularischen Rangordnung, hinter dem ordentlichen Geschäftsführer, zurücksteht9. Einzuräumen ist, dass sich dieses weite Verständnis vom eigentlichen Wortsinn des „Stellvertreters“ entfernt. Da schutzwürdige Belange Dritter nicht tangiert werden, steht jedoch nichts im Wege, in Übereinstimmung mit der ganz h.M. an diesem weiten Begriffsverständnis festzuhalten.

II. Rechtsstellung des stellvertretenden Geschäftsführers 1. Vertretungsbefugnis und Außenverhältnis a) Allgemeines Da § 44 die Vorschriften über Geschäftsführer für anwendbar erklärt, gelten auch für stell- 5 vertretende Geschäftsführer uneingeschränkt die allgemeinen Vorschriften der §§ 35, 37 Abs. 2 über die organschaftliche Vertretung der Gesellschaft durch die Geschäftsführer10. Soweit die Satzung keine abweichende Regelung trifft, sind damit alle Geschäftsführer, inklusive der stellvertretenden, nach § 35 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 nur gemeinschaftlich zur Aktivvertretung der Gesellschaft befugt11. Passiv vertretungsbefugt ist dagegen nach § 35 Abs. 2 Satz 2 zwingend jeder Geschäftsführer und damit auch jeder stellvertretende Geschäftsführer für sich allein12. Auch für statutarische Abweichungen von der gesetzlichen Vertretungsregelung gelten kei- 6 ne Besonderheiten. Sieht die Satzung – wie häufig – Vertretung durch zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer und einen Prokuristen vor oder ordnet sie allgemein Einzelvertretungsmacht an, gelten diese Bestimmungen auch für die stellvertretenden Geschäftsführer13. Allerdings kann die Satzung auch differenzieren und für einzelne Geschäftsführer Einzelvertretungsmacht, für andere dagegen das Zusammenwirken mit einem oder mehreren weiteren Geschäftsführern vorsehen (12. Aufl., § 35 Rz. 107). Auf diese Weise kann die Satzung auch zwischen ordentlichen und stellvertretenden Geschäftsführern unterscheiden (genau so, wie sie auch zwischen mehreren ordentlichen Geschäftsführern differenzieren kann)14. Dagegen kann die Satzung nicht wirksam bestimmen, dass der stellvertretende Geschäftsführer nur bei Verhinderung eines ordentlichen Geschäftsführers vertretungsbefugt sei15; eine derartige Regelung wäre mit dem zwingenden Grundsatz der unbeschränkten und unbe-

9 Deutlich bereits Boesebeck, JW 1938, 2525, 2529: „Der Begriff hat sich allgemein dahin abgeschwächt, daß die stellvertretenden Vorstandsmitglieder irgendwie hinter den ordentlichen zurückstehen. Sei es an Einfluß, an allgemeinem Ansehen, an Alter oder auch nur an Gehalt.“ 10 Unstr., s. nur BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, GmbHR 1998, 181, 182 („im Außenverhältnis dieselbe Stellung wie ein ordentlicher Geschäftsführer“); Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12 ff.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9 ff. 11 Ganz h.M., statt vieler Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 4; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; a.A. auf Grundlage seiner abweichenden Grundkonzeption des Stellvertreters (Rz. 2) van Venrooy, GmbHR 2010, 169, 176. 12 Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Ziemons/ Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 7. 13 Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 6; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15. 14 Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 15 Allg. M., Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 2; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 6; zur AG Fleischer in BeckOGK AktG, Stand: 15.1.2020, § 94 AktG Rz. 7; Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 94 AktG Rz. 9 m.w.N.

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§ 44 Rz. 6 | Stellvertreter von Geschäftsführern schränkbaren Vertretungsmacht der Geschäftsführer (§ 37 Abs. 2) unvereinbar. Erst recht kann dem Stellvertreter die Vertretungsmacht nicht ganz entzogen werden16. 7 Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis, die der stellvertretende Geschäftsführer im

Innenverhältnis zu beachten hat, sind nach § 37 Abs. 2 im Außenverhältnis zu Dritten grundsätzlich unbeachtlich. Wie auch sonst sind einschränkend die allgemeinen Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht zu beachten, nach denen die Schutzwürdigkeit des Geschäftsgegners der Gesellschaft aber erst entfällt, wenn die Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis so evident war, dass sie sich ihm förmlich aufdrängen musste17. Allein der Umstand, dass der stellvertretende Geschäftsführer unter dieser Bezeichnung auftritt, begründet keine Nachforschungsobliegenheit des Geschäftsgegners, sich nach möglichen Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis zu erkundigen18. b) Registeranmeldungen und Prozessuales 8 Bei Anmeldungen zum Handelsregister wird die Gesellschaft nach § 78 Halbs. 1 grundsätz-

lich nach den allgemeinen Regeln der organschaftlichen Vertretung vertreten (12. Aufl., § 78 Rz. 14). In den Fällen des § 78 Halbs. 2 (erstmalige Anmeldung der Gesellschaft, Kapitalmaßnahmen) müssen allerdings zwingend sämtliche Geschäftsführer und damit nach § 44 auch sämtliche stellvertretende Geschäftsführer mitwirken19. Wird die Pflicht zur Anmeldung oder zur Einreichung von Dokumenten zum Handelsregister verletzt, kann das Zwangsgeldverfahren nach § 14 HGB i.V.m. §§ 388 ff. FamFG auch gegen die stellvertretenden Geschäftsführer betrieben werden20. Zu der (zu verneinenden) Frage, ob der Stellvertreterzusatz im Handelsregister einzutragen ist, s. noch Rz. 20. 9 Im Prozess kann der stellvertretende Geschäftsführer ebenso wenig wie der ordentliche Ge-

schäftsführer (12. Aufl., § 35 Rz. 211) als Zeuge auftreten, sondern nur nach §§ 445 ff. ZPO als Partei vernommen werden21. Zu eidesstattlichen Versicherungen über die Vermögensverhältnisse der Gesellschaft nach § 807 ZPO ist er ebenso heranzuziehen wie die ordentlichen Geschäftsführer22.

2. Geschäftsführungsbefugnis 10 Wie weit im Innenverhältnis die Geschäftsführungsbefugnis des stellvertretenden Geschäfts-

führers reicht, hängt gemäß § 44 i.V.m. § 37 Abs. 1 – nicht anders bei ordentlichen Geschäftsführern – von etwaigen Beschränkungen ab, die sich aus der Satzung, dem Bestellungsbeschluss der Gesellschafter (Rz. 15) oder sonstigen Gesellschafterbeschlüssen ergeben. In Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen (12. Aufl., § 37 Rz. 75 ff.) bestehen diesbezüglich weite Regelungsspielräume für die Gesellschafter. Nur eine mögliche Gestaltungsvariante unter vielen ist dabei die Regelung, dass der stellvertretende Geschäftsführer 16 17 18 19

Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. S. dazu 12. Aufl., § 35 Rz. 190 mit Nachw. aus der Rechtsprechung des BGH. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. Ganz h.M., etwa Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Diekmann in MünchHdb. GmbH, § 41 Rz. 29 a.E.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Terlau in Michalski u.a., Rz. 3; Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 5; a.A. auf Grundlage seiner abweichenden Grundkonzeption des Stellvertreters (Rz. 2) van Venrooy, GmbHR 2010, 169, 175. 20 Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; ferner (jeweils zur Parallelfrage im Rahmen des § 79) Beurskens in Baumbach/Hueck, § 79 Rz. 9; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 3; a.A. KG v. 23.6.1911, KGJ 41, 123, 130 f. (für bloße Verhinderungsvertreter). 21 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Terlau in Michalski u.a., Rz. 7. 22 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Terlau in Michalski u.a., Rz. 7.

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Stellvertreter von Geschäftsführern | Rz. 13 § 44

entsprechend dem traditionellen Verständnis des „Stellvertreters“ als bloßer Verhinderungsvertreter (Rz. 2), also nur bei Verhinderung eines ordentlichen Geschäftsführers, geschäftsführend tätig werden soll. Eine Auslegungsregel des Inhalts, dass im Zweifel eine solche Beschränkung auf den Vertretungsfall gewollt ist, ist entgegen einer immer noch verbreiteten Ansicht23 nicht anzuerkennen24. Sie ist, da der Begriff des „Stellvertreters“ nach heutigem Verständnis auch für andere Gestaltungen bis hin zur bloßen Titelabstufung offen ist, nicht im Gesetz angelegt und kann angesichts der Tatsache, dass die Ausgestaltung als bloßer Verhinderungsvertreter in der Praxis kaum vorkommt (Rz. 2), auch nicht auf einen entsprechenden typischen Parteiwillen gestützt werden. Die Gesellschafter können die Geschäftsführungsbefugnis der stellvertretenden Geschäfts- 11 führer auch auf vielfältige andere Weise gegenüber den ordentlichen Geschäftsführern abstufen (s. schon Rz. 3), etwa dergestalt, dass sie ihnen nur ein eng umrissenes Ressort zuweisen oder vorsehen, dass der stellvertretende Geschäftsführer ein ihm zugewiesenes Ressort nicht allein leitet, sondern nur gemeinsam mit einem ordentlichen Geschäftsführer25. Entsprechende Abstufungen stellen freilich keine Besonderheit der Bestellung stellvertretender Geschäftsführer dar; sie sind genauso gut unter ordentlichen Geschäftsführern möglich. Soweit sich aus der Satzung, dem Bestellungsbeschluss oder sonstigen Gesellschafterbeschlüssen keine besonderen Beschränkungen für die stellvertretenden Geschäftsführer ergeben, bewendet es dabei, dass diese gleichberechtigt neben den ordentlichen Geschäftsführern an der Geschäftsführung teilhaben. Geben sich die Geschäftsführer selbst eine (organinterne) Geschäftsordnung (12. Aufl., 12 § 37 Rz. 116 f.), so gelten auch hierfür keine Besonderheiten. Sofern die Gesellschafter davon abgesehen haben, die Geschäftsführungsbefugnis stärker einzuschränken als diejenige der ordentlichen Geschäftsführer, muss auch die organinterne Geschäftsordnung keine Abstufung vorsehen. Der Erlass einer organinternen Geschäftsordnung erfordert nach allgemeinen Regeln grundsätzlich einen einstimmigen Beschluss aller Geschäftsführer (12. Aufl., § 35 Rz. 116); vorbehaltlich abweichender Regelung durch Satzung oder Gesellschafterbeschluss müssen daher auch die stellvertretenden Geschäftsführer zustimmen.

3. Pflichten und Haftung Die organschaftlichen Pflichten, die das Gesetz dem Geschäftsführer auferlegt, treffen über 13 § 44 auch den stellvertretenden Geschäftsführer. Soweit es dabei um Pflichten geht, die den Geschäftsführern nicht nur zum Schutz der Gesellschaft, sondern (auch) im öffentlichen Interesse auferlegt sind – wie z.B. die Pflichten, den gesetzlichen Kapitalschutz zu wahren (§ 43 Abs. 3), für ordnungsgemäße Buchführung zu sorgen (§ 41), die Gesellschafterliste zu führen (§ 40 Abs. 1), bei Verlust des halben Stammkapitals die Gesellschafterversammlung einzube-

23 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 44 GmbHG Rz. 7; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 9 (unter Berufung auf ein angebliches „intuitives Verständnis eines objektiven Dritten“); Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 8; Uwe H. Schneider in der 11. Aufl., Rz. 8. 24 Offen gelassen von BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, GmbHR 1998, 181, 182, wie hier abl. aber die heute überwiegende Ansicht, s. Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 3; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7; Terlau in Michalski u.a., Rz. 4; Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 8; ebenso die h.L. zur AG, etwa Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 94 AktG Rz. 6; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 94 AktG Rz. 9. 25 Zur AG Fleischer in BeckOGK AktG, Stand: 15.2.2020, § 94 AktG Rz. 6; Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 94 AktG Rz. 6, jeweils mit dem Hinweis, dass bei solchen Gestaltungen regelmäßig das ordentliche Vorstandsmitglied die Primärverantwortung trage.

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§ 44 Rz. 13 | Stellvertreter von Geschäftsführern rufen (§ 49 Abs. 3) und den insolvenzbezogenen Handlungspflichten nachzukommen (§§ 15a, 15b InsO) –, treffen diese Pflichten nach ganz h.M. sogar den bloßen Verhinderungsvertreter (Rz. 2), der nur subsidiär für den noch nicht eingetretenen Vertretungsfall zur Geschäftsführung berufen ist26. Daraus folgt, dass selbst in diesem Fall der Stellvertreter nicht bis zum Eintritt des Vertretungsfalls untätig bleiben darf, sondern die ordnungsgemäße Erfüllung der genannten Pflichten durch die übrigen Geschäftsführer fortlaufend überwachen und im Fall ihrer Verletzung korrigierend eingreifen muss27. Diese Überwachungspflicht des Verhinderungsvertreters soll jedoch nach verbreiteter Ansicht nur auf die im öffentlichen Interesse zwingenden Aufgaben beschränkt sein; eine weitergehende allgemeine Überwachungspflicht, wie sie sonst bei nicht ressortzuständigen Geschäftsführern angenommen wird (12. Aufl., § 43 Rz. 120 ff., 130 ff.), soll in diesem Fall nicht bestehen28. Das kann aber, wenn überhaupt, allenfalls für den praktisch kaum relevanten (Rz. 2) Sonderfall des Verhinderungsvertreters gelten. Verhält es sich dagegen wie im Regelfall so, dass auch der stellvertretende Geschäftsführer dauernd für die Gesellschaft tätig werden soll, sei es auch nur in einem eng umrissenen Ressort oder mit nur geteilter Ressortverantwortung, ist kein Grund ersichtlich, warum anderes gelten sollte als bei einer Geschäftsverteilung unter ordentlichen Geschäftsführern. Zumindest in diesem Regelfall muss daher auch den nicht ressortzuständigen stellvertretenden Geschäftsführer nach den allgemeinen Grundsätzen (12. Aufl., § 43 Rz. 120 ff., 130 ff.) eine Überwachungspflicht auch für Vorgänge außerhalb des eigenen Ressorts treffen29. 14 Für die Haftung der stellvertretenden Geschäftsführer bei Pflichtverletzungen gelten keine Be-

sonderheiten. Für die Binnenhaftung gegenüber der Gesellschaft gelten insbesondere § 4330 und § 15b InsO (§ 64 a.F.), für die Entlastung § 46 Nr. 5 und die dazu entwickelten Grundsätze. Auch die Außenhaftung, etwa im Fall der Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO), richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen (12. Aufl., § 43 Rz. 453 ff.).

III. Bestellung, Abberufung und Anstellungsvertrag 1. Allgemeines 15 Für die Bestellung und Abberufung stellvertretender Geschäftsführer gilt nach § 44 nichts

anderes als für die Bestellung und Abberufung sonstiger Geschäftsführer. Vorbehaltlich ab-

26 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Terlau in Michalski u.a., Rz. 8; zur AG Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 94 AktG Rz. 8; a.A. Schmitt in Bartl u.a., § 44 Rz. 1; abw. auch F. Scholz in der 4. Aufl. 1960, Rz. 3: Mitverantwortung für die Buchführung tragen die Stellvertreter nur für die Zeit, während der sie mitzuwirken hatten. 27 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Terlau in Michalski u.a., Rz. 18. 28 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 13, 15; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 10; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 44 GmbHG Rz. 6; Terlau in Michalski u.a., Rz. 9; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 12; wohl auch Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 4; Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 13; wohl auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19 (aber Berücksichtigung der eingeschränkten Aktionsmöglichkeiten des Stellvertreters bei Konkretisierung der Anforderungen); abw. auch die h.L. zur AG, s. Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 94 AktG Rz. 7 m.w.N. 29 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 12; für den Fall der bloßen Titelabstufung auch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 13. 30 Statt vieler Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 10; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 1; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 12; a.A. allein van Venrooy, GmbHR 2010, 169, 178: nur dienstvertragliche Haftung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen.

672 | Verse

Stellvertreter von Geschäftsführern | Rz. 17 § 44

weichender Satzungsregelungen oder gesetzlicher Bestimmungen (§ 31 Abs. 1 MitbestG i.V.m. § 84 Abs. 1, Abs. 3 AktG) beschließen darüber also die Gesellschafter nach § 46 Nr. 5. Die Bestellungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 sind zu beachten. Die Bestellung ist nicht davon abhängig, dass die stellvertretende Geschäftsführung in der Satzung vorgesehen ist31. Bei der Ermittlung einer statutarisch festgelegten Zahl von Geschäftsführern sind stellvertretende Geschäftsführer im Zweifel mitzuzählen32. Die Abberufung ist wie bei ordentlichen Geschäftsführern grundsätzlich jederzeit möglich (§ 38). Auch für den Anstellungsvertrag gelten keine Besonderheiten. Für den Abschluss des Vertrags ist nach allgemeinen Grundsätzen das Bestellungsorgan, regelmäßig also die Gesellschafterversammlung, kraft Annexkompetenz zuständig (12. Aufl., § 46 Rz. 70).

2. Sonderfälle a) Berufung des stellvertretenden zum ordentlichen Geschäftsführer Soll ein stellvertretender Geschäftsführer zum ordentlichen Geschäftsführer ernannt werden, 16 bedarf es auch dafür eines Beschlusses des Bestellungsorgans, also in der Regel eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung in (analoger) Anwendung des § 46 Nr. 5. Das gilt nach zutreffender Ansicht auch dann, wenn sich der Unterschied zwischen dem ordentlichen und dem stellvertretenden Geschäftsführer in der Titulierung erschöpft33; denn auch in diesem Fall handelt es sich um eine Maßnahme der Bestellungspolitik, durch die dem aufgewerteten Geschäftsführer eine besondere Wertschätzung seiner Arbeit entgegengebracht wird. Entsprechendes gilt mit umgekehrten Vorzeichen für die – wohl nur theoretisch vorstellbare – Herabstufung vom ordentlichen zum stellvertretenden Geschäftsführer. In der GmbH mit paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat ist konsequenterweise der (Gesamt-) Aufsichtsrat als Bestellungsorgan (§ 31 Abs. 1 MitbestG i.V.m. § 84 AktG) für die Herauf- bzw. Herabstufung zuständig. Da die Entscheidung über die Herauf- oder Herabstufung kein organschaftlicher Bestellungsakt i.e.S. ist und in ihrer Bedeutung und Tragweite nicht an die Bestellung bzw. Abberufung des Geschäftsführers heranreicht, soll allerdings nach heute überwiegender Ansicht das besondere Verfahren nach § 31 Abs. 2 bis 5 MitbestG keine Anwendung finden34. b) Arbeitsdirektor als stellvertretender Geschäftsführer In paritätisch mitbestimmten Gesellschaften ist nach § 33 Abs. 1 MitbestG ein Arbeitsdirek- 17 tor als gleichberechtigtes Mitglied der Geschäftsführung zu bestellen. Daraus folgt, dass dem Arbeitsdirektor zumindest ein Kernbereich von Zuständigkeiten in Personal- und Sozi-

31 Seibt in MünchAnwaltshdb. GmbH, Rz. 157; van Venrooy, GmbHR 2010, 169, 172 f.; zur AG Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 94 AktG Rz. 12 m.w.N. 32 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 17; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 2; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 1; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4; a.A. van Venrooy, GmbHR 2010, 169, 173. 33 Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11; abw. – nur bei Berufung eines bloßen Verhinderungsvertreters zum ordentlichen Geschäftsführer – Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. 34 Annuß in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 31 MitbestG Rz. 4; Fleischer in BeckOGK AktG, Stand: 15.1.2020, § 94 AktG Rz. 5; Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 94 AktG Rz. 13; Hüffer/Koch, § 94 AktG Rz. 4; Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 94 AktG Rz. 4; Spindler in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 94 AktG Rz. 13; ferner Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 94 Rz. 7, die sich darüber hinaus auch für die Zulässigkeit der Delegation auf einen Aufsichtsratsausschuss aussprechen; a.A. – § 31 Abs. 2 bis 5 MitbestG anwendbar – Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 222 f.; Oetker in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 5.

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§ 44 Rz. 17 | Stellvertreter von Geschäftsführern alfragen zustehen muss, in denen er ebenso eigenverantwortlich entscheiden kann wie die übrigen Geschäftsleiter in den ihnen zugewiesenen Ressorts35. Eine Regelung, die dem Arbeitsdirektor nur im Fall der Verhinderung eines anderen Geschäftsführers die Rechte eines vollwertigen Geschäftsführers zugesteht, ist damit eindeutig nicht vereinbar36. Sofern es dagegen um eine bloße Titelabstufung geht und diese nicht an die Funktion des Arbeitsdirektors anknüpft, sondern für alle Ressorts gleichermaßen gilt – wie z.B. in dem Fall, dass neu berufene Geschäftsführer für eine Übergangszeit generell zunächst als stellvertretende Geschäftsführer bestellt werden –, liegt darin kein Verstoß gegen § 33 Abs. 1 MitbestG37. In einem solchen Fall kann daher auch der Arbeitsdirektor zunächst als stellvertretender Geschäftsführer bestellt werden. c) Aufsichtsratsmitglieder als stellvertretende Geschäftsführer? 18 Wer Aufsichtsratsmitglied ist, kann nach § 105 Abs. 1 AktG (i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 1 Mit-

bestG, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG bzw. § 52 Abs. 1) grundsätzlich nicht zugleich Geschäftsführer und damit auch nicht stellvertretender Geschäftsführer sein. Eine Ausnahme gilt nach § 105 Abs. 2 AktG (i.V.m. den genannten Verweisungsnormen), wenn ein Aufsichtsratsmitglied für einen Zeitraum von höchstens einem Jahr anstelle eines fehlenden oder verhinderten – ordentlichen oder stellvertretenden38 – Geschäftsführers in die Geschäftsführung abgeordnet wird. Die Abordnung führt dazu, dass das betreffende Aufsichtsratsmitglied übergangsweise in die Rechtsstellung des von ihm ersetzten ordentlichen oder stellvertretenden Geschäftsführers eintritt39 und sein Aufsichtsratsmandat in dieser Zeit ruht (§ 105 Abs. 2 Satz 3 AktG). 19 Für den fakultativen GmbH-Aufsichtsrat wird die Frage diskutiert, ob die Satzung nach

§ 52 Abs. 1 letzter Halbs. weitergehende Regelungen treffen kann. Die Frage wird man zumindest dann, wenn es wie im Regelfall nicht nur um die Bestellung zum bloßen Verhinderungsvertreter (Rz. 2) geht, verneinen müssen40. Wenn die GmbH einen Aufsichtsrat einrichtet, erweckt sie damit auch nach außen den Eindruck einer effektiven Überwachung der Geschäftsführung durch ein Überwachungsorgan, das (vom Sonderfall des § 105 Abs. 2 AktG abgesehen) durchweg mit anderen Personen besetzt ist als die Geschäftsführung, da sich niemand selbst überwachen kann (vgl. 12. Aufl., § 52 Rz. 219). Wünschen die Gesellschafter eine personelle Überlappung zwischen Leitungs- und Überwachungsorgan, mögen sie in Betracht ziehen, einen Verwaltungsrat oder ein anders bezeichnetes Gremium zu schaffen, das anders als die Bezeichnung Aufsichtsrat keine strikte Funktionstrennung suggeriert.

35 Näher Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 32 ff., 39. 36 Unstr., statt vieler Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 39; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 44 GmbHG Rz. 7; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. 37 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 39; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 3; Klöhn in Bork/Schäfer, GmbHG, Rz. 3; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22; wohl auch Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9. 38 Auch das Fehlen oder die Verhinderung eines stellvertretenden Geschäftsführers wird von § 105 Abs. 2 AktG erfasst; s. nur Habersack in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 105 AktG Rz. 23 (zur AG). 39 Habersack in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 105 AktG Rz. 34. 40 So wohl auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 14 (Unvereinbarkeit „echt“ geschäftsführender und kontrollierender Aufgabenwahrnehmung); Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24; generell ablehnend (also auch im hier offengelassenen Fall des Verhinderungsvertreters) Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18; wohl auch Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; generell für Unabdingbarkeit der in § 105 AktG angeordneten Funktionstrennung auch 12. Aufl., § 52 Rz. 218 f. m.w.N.

674 | Verse

Stellvertreter von Geschäftsführern | Rz. 21 § 44

IV. Publizität 1. Handelsregister Nach § 44 i.V.m. §§ 7 f., 10 Abs. 1 (im Rahmen der Gründung) und § 39 (bei späteren Ände- 20 rungen) sind auch die stellvertretenden Geschäftsführer zum Handelsregister anzumelden. Der Stellvertreterzusatz i.S.d. § 44 ist allerdings weder eintragungspflichtig noch eintragungsfähig41. Die stellvertretenden Geschäftsführer werden also wie ordentliche eingetragen und bekanntgemacht. Für diese heute ganz herrschende und vom BGH bestätigte Ansicht spricht neben der Tatsache, dass die genannten Vorschriften ebenso wenig wie § 43 Nr. 4 HRV die Eintragung eines solchen Zusatzes vorsehen, vor allem das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung. Die genannten Vorschriften zur Registerpublizität beruhen auf der Vorgabe des Art. 14 lit. d) i) der Gesellschaftsrechtsrichtlinie42 (vormals Art. 2 Abs. 1 lit. d) Publizitätsrichtlinie43). Diese Vorgabe zielt nach ihrem Sinn und Zweck darauf, dass die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer für jedermann – gerade auch für Personen aus anderen Mitgliedstaaten, die mit dem nationalen Recht nicht vertraut sind – ohne Schwierigkeiten aus dem Handelsregister ersichtlich ist44. Diese Vorgabe würde bei Eintragung des Stellvertreterzusatzes verfehlt, da sie im Rechtsverkehr zu dem Missverständnis führen könnte, dass der Stellvertreter nur nachrangig (bei Verhinderung eines ordentlichen Geschäftsführers) vertretungsbefugt sei45.

2. Geschäftsbriefe Nach § 44 i.V.m. § 35a sind die stellvertretenden Geschäftsführer auch auf allen Geschäfts- 21 briefen der Gesellschaft gleich welcher Form (insbesondere auch E-Mails, 12. Aufl., § 35a Rz. 7) anzugeben. Nach herrschender und zutreffender Ansicht ist auch hier wieder zu beachten, dass der Stellvertreterzusatz – wie im Handelsregister (Rz. 20) – nicht mitangegeben werden darf46. Die § 35a zugrundeliegende Richtlinienvorgabe (Art. 26 Gesellschafts-

41 BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, GmbHR 1998, 181; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 3; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 3; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 5 Rz. 17; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Klöhn in Bork/Schäfer, Rz. 1; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25 f.; Terlau in Michalski u.a., Rz. 12; Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 15; zur AG Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 94 AktG Rz. 15 m.w.N.; a.A. die früher h.M., OLG Düsseldorf v. 28.2.1969 – 3 W 39/69, GmbHR 1969, 108; OLG Stuttgart v. 15.7.1960 – 8 W 143/60, NJW 1960, 2150; Stein in Hachenburg, § 44 Rz. 12. 42 Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts, ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 43 Erste Richtlinie des Rates vom 9.3.1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Abs. 2 des Vertrags im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (68/151/EWG), ABl. EG Nr. L 65 v. 14.3.1968, S. 8. 44 EuGH v. 12.11.1974 – C-32/74, Slg. 1974, 1201 Rz. 6 – Haaga (zu Art. 2 lit. d) Publizitätsrichtlinie); darauf Bezug nehmend auch BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, GmbHR 1998, 181, 182 f. 45 BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, GmbHR 1998, 181, 182 f.; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 5 Rz. 17. 46 Wie hier die h.M., etwa Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 27, § 35a Rz. 38; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 35a Rz. 22; Ziemons/Pöschke in BeckOK GmbHG, Stand: 1.11.2020, Rz. 16; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 3; zur AG Fleischer in BeckOGK AktG, Stand: 15.1.2020, § 94 AktG Rz. 9; Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 80 AktG Rz. 17, § 94 AktG Rz. 16 m.w.N.; a.A. – Angabe zwar nicht erforderlich, aber zulässig – Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider in § 35a Rz. 15 (12. Aufl.); Buck-Heeb in

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§ 44 Rz. 21 | Stellvertreter von Geschäftsführern rechtsrichtlinie, ursprünglich Art. 4 Publizitätsrichtlinie) verlangt von den Mitgliedstaaten zwar nur, den Kapitalgesellschaften vorzuschreiben, dass auf den Geschäftsbriefen Registergericht, Registernummer, Rechtsform und Sitz anzugeben sind. Die Angabe der vertretungsbefugten Geschäftsleiter wird von der Richtlinie nicht verlangt. Doch soll die Angabe des Registergerichts und der Registernummer die Einholung von Informationen über die Vertretungsverhältnisse ermöglichen47; es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen Geschäftsbrief- und Handelsregisterpublizität. Angesichts dessen wäre es ungereimt, im Handelsregister auf einer Eintragung ohne Stellvertreterzusatz zu bestehen, auf den Geschäftsbriefen aber in Abweichung davon den Zusatz zuzulassen. Eine derartige Abweichung wäre geeignet, im Rechtsverkehr doch wieder Unklarheiten über die Vertretungsverhältnisse entstehen zu lassen.

Gehrlein/Born/Simon, Rz. 3; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., § 35a Rz. 8; van Venrooy, GmbHR 2010, 169, 176; zur AG Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 80 AktG Rz. 4. 47 Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2014, § 94 AktG Rz. 16; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 27.

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§ 45 Rechte der Gesellschafter (1) Die Rechte, welche den Gesellschaftern in den Angelegenheiten der Gesellschaft, insbesondere in bezug auf die Führung der Geschäfte zustehen, sowie die Ausübung derselben, bestimmen sich, soweit nicht gesetzliche Vorschriften entgegenstehen, nach dem Gesellschaftsvertrag. (2) In Ermangelung besonderer Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages finden die Vorschriften der §§ 46 bis 51 Anwendung. Text seit 1892 unverändert. A. Allgemeines I. Das Konzept der §§ 45 ff. 1. Die Gesellschaftergesamtheit und der einzelne Gesellschafter . . . . . . . . 2. Nachgiebiges und zwingendes Recht a) Grundsatz: Vorrang der Satzung b) Beispiele für dispositives Recht . . c) Beispiele für zwingendes Recht . 3. Die Gesellschafter als Organ der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verhältnis zu anderen Organen 1. Gesetzliche Regelung a) Verhältnis zu den Geschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zum Aufsichtsrat . . . . 2. Übertragung von Zuständigkeiten auf andere Organe a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkurrierende und verdrängende Zuständigkeit . . . . . . . . . . . c) Verbot der Selbstentmündigung . d) Subsidiäre Zuständigkeit der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Taugliche Organe a) Aufsichtsrat? Geschäftsführer? . . b) Sonderorgane (Beiräte und vergleichbare fakultative Organe) . . c) Konfliktlösungsorgane? . . . . . . . . d) Drittzuständigkeiten? . . . . . . . . . . III. Sondersituationen 1. Handlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . 2. Liquidation und Insolvenz . . . . . . . . . B. Der Gesellschafterbeschluss I. Rechtsnatur und Abgrenzung 1. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschluss und Entschließung . . . . . . 3. Verfahrensleitende Verfügung . . . . . . 4. Beschlusstatbestand und Beschlussfeststellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschlusselemente 1. Stimmabgabe und Beschluss . . . . . . .

III. 1 2 3 4 5

C. I.

6 7

8 9 10 11 12 13 14 15 16 17

18 19 20 21 22

II.

2. Beschluss und Ausführungsgeschäft 23 3. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Arten von Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . 25 1. Unterscheidung nach dem Beschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 2. Unterscheidung nach Inhalt und Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Fehlerhafte Beschlüsse Grundlagen 1. Gesetzeslage und Rechtsfortbildung 35 2. Die Arten der Fehlerhaftigkeit . . . . . 37 3. Umfang der Fehlerhaftigkeit a) Teilweise Fehlerhaftigkeit . . . . . . 41 b) Abfärbung auf andere Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 4. Die Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit a) Nichtprozessuale Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 b) Nichtigkeit oder Unwirksamkeit 44 c) Anfechtbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . 45 5. Die kassatorische Klage („Anfechtungsklage“ oder „Nichtigkeitsklage“) im Besonderen a) Doppelfunktion . . . . . . . . . . . . . . 46 b) Kassatorische Funktion . . . . . . . . 47 c) Verhältnis zwischen „Anfechtungsklage“ und „Nichtigkeitsklage“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 d) Verhältnis zur Feststellungsklage nach § 256 ZPO . . . . . . . . . . . . . . 49 e) Der (festgestellte) Beschluss als Gegenstand der kassatorischen Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49a 6. Die Behandlung von sog. Scheinbeschlüssen a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 c) Eintragung ins Handelsregister . 52 Unwirksame Beschlüsse 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53

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§ 45 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse 2. Fälle der Unwirksamkeit a) Gesellschafterzustimmung . . . . . b) Gerichtliche Genehmigung . . . . . c) Behördliche Freistellung . . . . . . . d) Eintragungsbedürftige Beschlüsse als unwirksame Beschlüsse? . . . . 3. Rechtsfolgen der Unwirksamkeit a) Materielles Recht . . . . . . . . . . . . . b) Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . c) Eintragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nichtige Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen a) Numerus clausus . . . . . . . . . . . . . b) Zwingendes Recht . . . . . . . . . . . . 2. Verfahrensverstöße als Nichtigkeitsgründe a) Einberufungsmängel . . . . . . . . . . b) Verfahrensmängel bei schriftlicher Abstimmung . . . . . . . . . . . . . c) Beurkundungsmängel . . . . . . . . . d) Formverstöße beim Jahresabschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kein Kausalitätserfordernis . . . . . f) Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schwere Kompetenzüberschreitungen als Nichtigkeitsgründe . . . . . . . . 4. Schwere Inhaltsmängel als Nichtigkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unvereinbarkeit mit dem Wesen der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zwingende Vorschriften zum Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . c) Vorschriften im öffentlichen Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verstoß gegen die guten Sitten . . e) Materielle Satzungswidrigkeit . . . f) Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Nichtigkeit des Jahresabschlusses h) Nachträgliche Nichtigkeit . . . . . . 5. Rechtsfolgen der Nichtigkeit a) Materielles Recht . . . . . . . . . . . . . b) Geltendmachung im Prozess . . . . c) Eintragungshindernis . . . . . . . . . 6. Heilung von Nichtigkeitsmängeln . . a) Antizipierte Heilung . . . . . . . . . . b) Nachträgliche Heilung in Fällen des § 242 AktG . . . . . . . . . . . . . . . c) Andere Nichtigkeitsmängel . . . . . d) Bestandskraft von Eintragungen nach dem Umwandlungsgesetz . 7. Nichtigkeit kraft Staatsakts a) Kassatorisches Urteil (Anfechtungsurteil, Nichtigkeitsurteil) . . b) Amtslöschung nach § 398 FamFG IV. Anfechtbare Beschlüsse 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Anfechtbarkeit wegen Verfahrensverstoßes a) Fehlervarianten . . . . . . . . . . . . . . b) Relevanzerfordernis . . . . . . . . . . . 3. Anfechtbarkeit wegen Inhaltsverstoßes a) Gesetzwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . b) Willkürliche Ungleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Treupflichtverstoß . . . . . . . . . . . . d) Unerlaubte Sondervorteile . . . . . e) Grenzen und Rechtsfolgen der Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . f) Ungerechtfertigte Sanktionen . . . g) Positive Stimmpflichten . . . . . . . 4. Inhaltsverstoß gegen die Satzung oder gegen Vereinbarungen der Gesellschafter a) Satzungswidrigkeit . . . . . . . . . . . . b) Satzungszweckwidrigkeit . . . . . . c) Nebenabreden (sog. Gesellschaftervereinbarungen) . . . . . . . . . . . d) Familienverfassung . . . . . . . . . . . e) Vertragswidrigkeit? . . . . . . . . . . . f) Grenzen der Satzungsautonomie 5. Heilung von Anfechtungsmängeln und Rügeverlust a) Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollversammlung . . . . . . . . . . . . . c) Bestätigung durch Beschluss . . . d) Rügeverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsfolgen der Anfechtbarkeit a) Die sog. Anfechtungsklage . . . . . b) Anfechtungseinrede? . . . . . . . . . . c) Weisungsbeschlüsse . . . . . . . . . . . d) Eintragungshindernis? . . . . . . . . V. Der kassatorische Prozess („Anfechtungsklage“, „Nichtigkeitsklage“ und „positive Beschlussfeststellungsklage“) 1. Die Anfechtungsbefugnis a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Jeder Gesellschafter . . . . . . . . . . . c) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . d) Anfechtungsbefugnis von Organmitgliedern? . . . . . . . . . . . . e) Rechtsschutzinteresse . . . . . . . . . f) Missbräuchliche Klage . . . . . . . . g) Rügeverzicht, Rügeverlust . . . . . . 2. Die Anfechtungsfrist a) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine gesetzliche Monatsfrist . . . c) Die angemessene Frist . . . . . . . . . d) Satzungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . e) Fristlauf und Fristwahrung . . . . . f) Keine Verfristung von Nichtigkeitsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 1 § 45 3. Die Klage a) Aktivpartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Passivpartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Passivvertretung . . . . . . . . . . . . . . d) Zuständigkeiten; Schiedsfähigkeit e) Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Streitgegenstand und Streitwert a) Der Streitgegenstand der kassatorischen Klage . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streitwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mehrheit von Prozessen und von Parteien a) Streitgegenstand und objektive Klaghäufung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Streitgenossenschaft . . . . . . . . . . . c) Nebenintervention . . . . . . . . . . . . d) Verbindung von Prozessen . . . . . 6. Verfügung über den Streitgegenstand und über den Streitstoff a) Klägerseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beklagtenseite . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfügung über den tatsächlichen Streitstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Beweislast im kassatorischen Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Kosten des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . 9. Einfluss neuer Beschlüsse auf das Klagziel a) Aufhebender Beschluss . . . . . . . . b) Zweitbeschluss (insbesondere wiederholender Beschluss) . . . . . c) Bestätigender Beschluss . . . . . . . .

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10. Das der Klage stattgebende Urteil a) Gestaltungsurteil . . . . . . . . . . . . . b) Pflichten des Geschäftsführers . . c) Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . 11. Die Gestaltungswirkung a) Nichtigerklärung . . . . . . . . . . . . . b) Wirkung ex tunc . . . . . . . . . . . . . c) Wirkung erga omnes . . . . . . . . . . d) Kassatorische (beschlussvernichtende) Wirkung . . . . . . . . . . . . . . e) Gestaltungswirkung und materielle Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . 12. Das die Klage abweisende Urteil a) Ne bis in idem . . . . . . . . . . . . . . . b) Umfang der materiellen Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Die Anfechtung negativer Beschlüsse a) Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . b) Die „positive Beschlussfeststellungsklage“ als Annex der kassatorischen Klage . . . . . . . . . . . . . c) Verfahrensgestaltung . . . . . . . . . . d) Verfahrensschutz der Mitgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . VI. Fehlerhafte Beschlüsse von Kollektivorganen 1. Das Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die herrschende Auffassung . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktion als Abwehrklage . . . . . b) Funktion als Gestaltungsklage . .

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Schrifttum: Bochmann, Statutarische Konfliktvorsorge im Hinblick auf das Verfahren der Gesellschafterversammlung, GmbHR 2017, 558; Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., 8. Abschnitt – Die Gesellschafterversammlung; Emde, Die Bestimmtheit von Gesellschafterbeschlüssen, ZIP 2000, 59; Hüffer, Die Gesellschafterversammlung, in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 521; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970; Christoph Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000; Wolff in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, 7. Kapitel – Die Gesellschafterversammlung; Zöllner, Inhaltsfreiheit bei Gesellschaftsverträgen, in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 85. S. auch vor Rz. 6, vor Rz. 18, vor Rz. 35, Rz. 61, Rz. 178, vor Rz. 183.

A. Allgemeines I. Das Konzept der §§ 45 ff. 1. Die Gesellschaftergesamtheit und der einzelne Gesellschafter Die §§ 45–51 regeln die korporative Willensbildung und sind damit ein wesentlicher Teil des 1 Organisationsrechts der GmbH1. Im Gegensatz zu den §§ 35–44 regeln die §§ 45–51 nicht

1 Ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37 ff., 51; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1 ff.

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§ 45 Rz. 1 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse das Tätigwerden der GmbH durch ihre Geschäftsführer, sondern die Rechte der Gesellschafter. Im Gegensatz zum 2. Abschn. (§§ 13 ff.) geht es nicht um Rechte und Pflichten der einzelnen Gesellschafter, sondern um die Willensbildung durch ihre Gesamtheit. Die Gesamtheit der Gesellschafter ist nicht identisch mit der GmbH2. Ebenso wenig ist die Gesamtheit der Gesellschafter identisch mit der Summe der einzelnen Gesellschafter. Die Gesamtheit der Gesellschafter – nicht, wie verschiedentlich vorgetragen wird, die Gesellschafterversammlung (dazu 12. Aufl., § 48 Rz. 1) – fungiert als Willensbildungsorgan der Gesellschaft (Rz. 5). Die Willensbildung geschieht durch Beschluss, aber nicht notwendig in einer Versammlung (§ 48 Abs. 2 und 3, § 2 COVMG). Nur Elemente dieser Willensbildung sind die hiervon zu unterscheidenden3 Teilhabe- und Schutzrechte der einzelnen Gesellschafter, insbesondere die Einberufungsbefugnis nach § 50, das Informationsrecht nach § 51a, das Stimmrecht (12. Aufl., § 47 Rz. 13 ff.) und das Anfechtungsrecht (dazu Rz. 127 ff.). Dagegen gibt es nach geltendem Recht kein gesetzliches Individual- oder Minderheitsrecht auf Durchführung einer Sonderprüfung4. Die Voraussetzungen und die Modalitäten der Durchführung eines Sonderprüfungsverfahrens können in der Satzung verankert oder im Rahmen von § 46 Nr. 6 von der Mehrheit beschlossen werden (12. Aufl., § 46 Rz. 117). 2. Nachgiebiges und zwingendes Recht a) Grundsatz: Vorrang der Satzung 2 Wie sich aus beiden Absätzen des § 45 ergibt, enthalten die §§ 45–51 weitgehend nachgiebi-

ges Recht5. Der Gesellschaftsvertrag (die Satzung) hat insoweit Vorrang6. Er kann die Modalitäten der Willensbildung regeln und Zuständigkeiten von den Gesellschaftern als dem obersten Beschlussorgan auf andere Organe übertragen, z.B. die Ernennung und Abberufung der Geschäftsführer und Prokuristen (§ 46 Nr. 5, 7), die Ausübung des allgemeinen Überwachungsrechts (§ 46 Nr. 6) durch Bestellung eines Aufsichtsrats (§ 52) oder Beirats. Der Vorrang des Gesellschaftsvertrags gilt auch für die ergänzende Satzungsauslegung (12. Aufl., § 3 Rz. 122). Er beschränkt sich nicht auf die personalistische sogenannte Vertragsgesellschaft (im Gegensatz zur kapitalistisch geprägten sogenannten Satzungsgesellschaft)7, sondern gilt grundsätzlich für jedwede rechtstatsächliche Erscheinungsform8. Eine derartige kategorische Verengung der Gestaltungsfreiheit ist auch nicht erforderlich, besagt § 45 Abs. 2 doch nicht, dass die Satzung hinsichtlich der Zuständigkeiten der Gesellschafter und der Beschlussfassung jeder rechtlichen Kontrolle entzogen wäre. Vor allem bei sogenannten Satzungsgesellschaften muss zu den gesetzlichen Schranken der Gestaltungsfreiheit eine Inhaltskontrolle hinzutreten, die für (funktions-)gerechte Machtverteilung im Innenrecht der GmbH

2 Feine, S. 503. 3 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 19 III 3, § 21; Wiedemann, GesR I, §§ 7, 8; vgl. auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12 ff. 4 Altmeppen, § 46 Rz. 69; Fleischer, GmbHR 2001, 45, 48 f.; Schürnbrand, ZIP 2013, 1301; zur GmbH & Co. KG OLG München v. 14.12.2017 – 23 U 1481/17, juris = EWiR 2018, 197 m. Anm. Bochmann/ Becker. 5 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 2; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 2; Altmeppen, Rz. 1; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 1a; Laufke, Die Handelsgesellschaften und das zwingende Recht, 1931; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 182 ff., 189 ff., 202 ff.; Tazedakis, Die Beschränkung der Vertragsfreiheit bei der Gestaltung des Innenverhältnisses der GmbH, Diss. Bonn 1958, S. 54 ff. 6 RGZ 80, 388. 7 So aber Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 1972, S. 228 f.; dazu näher Karsten Schmidt in Kessal-Wulf u.a. (Hrsg.), Formale Freiheitsethik oder materiale Verantwortungsethik, Symposion Reuter, 2006, S. 9, 16 ff. 8 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 4 § 45

sorgt9. Das ist umso bedeutsamer, weil insofern (anders als bei der AG) selbst bei einer kapitalmarktorientierten GmbH (vgl. § 264d HGB sowie § 86 Abs. 2) nicht auf das Korrektiv des Kapitalmarktrechts vertraut werden kann. Auch eine AGB-Kontrolle findet nicht statt (12. Aufl., § 2 Rz. 9). Öffentlichen Unternehmen in der Rechtsform der GmbH10 genießen zwar keine GmbH-rechtliche Sonderstellung11; die durch § 45 Abs. 2 gewährte Gestaltungsfreiheit kann jedoch genutzt werden, Trägern hoheitlicher Verwaltung besonders enge Kontrollmöglichkeiten zu verleihen12. Voraussetzung ist, dass diese Träger hoheitlicher Verwaltung Gesellschafter sind (vgl. Rz. 15). Auch die Ausübung von Konzernleitungsmacht ist aufgrund satzungsmäßiger Klauseln möglich (12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13] Rz. 133)13. Dem Schutz der Gesellschaft und etwaiger Mitgesellschafter dienen in solchen Fällen Regeln des GmbH-Konzernrechts (dazu 12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13]). Keine Durchbrechung des Grundsatzes des Satzungsvorrangs ist § 2 COVMG14, der § 48 Abs. 2 ergänzt; statutarische Regelungen vermögen § 2 COVMG in jeder Hinsicht zu verdrängen. Die Herausforderung liegt allein in der Auslegung von Satzungsbestimmungen im Regelungsbereich des § 2 COVMG, die vor dessen Inkrafttreten geschaffen wurden (dazu 12. Aufl., § 48 Rz. 68b)15. Die Abgrenzung zwischen zwingendem und nachgiebigem GmbH-Recht wird in diesem Kommentar bezüglich der Einzelfragen an Ort und Stelle besprochen (Rz. 8 a.E.). Hier kann es nur um wichtige Beispiele gehen. b) Beispiele für dispositives Recht Über dispositive Beschlusskompetenzen vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 2 ff.; über Satzungsbestimmun- 3 gen zur Einberufungszuständigkeit 12. Aufl., § 49 Rz. 32; zur Einberufung der Versammlung 12. Aufl., § 51 Rz. 5; zur Ankündigung der Tagesordnung 12. Aufl., § 51 Rz. 19 ff.; zur Beschlussfassung 12. Aufl., § 48 Rz. 1 ff. c) Beispiele für zwingendes Recht Über zwingende Zuständigkeitsregeln vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 4, 178 ff.; nach § 51a Abs. 3 sind 4 die gesetzlichen Informationsrechte zwingend (dazu 12. Aufl., § 51a Rz. 50 f.); zum zwingenden Charakter der Minderheitenrechte nach § 50 vgl. 12. Aufl., § 50 Rz. 6. Zwingend ist die Zulassung gerichtlichen Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Beschlüsse (Rz. 44 f.)16. Auch Satzungsbestimmungen, die die Geschäftsführer weisungsfrei stellen, können nicht unbegrenzt zugelassen werden (12. Aufl., § 46 Rz. 113)17. Bedenken gegen solche Regelungen bestehen vor allem im Hinblick auf die Tätigkeit von Gesellschafter-Geschäftsführern.

9 Vgl. insoweit auch Flume, JurP, § 9 I. 10 Dazu Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 1 Rz. 23; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 1 Rz. 10; J. Schmidt in Michalski u.a., § 1 Rz. 18; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 1 Rz. 10 ff. 11 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 1 Rz. 10. 12 Vgl. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 1969, S. 318 ff.; Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969, S. 162 ff., 198 ff. 13 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 641; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 189; Karsten Schmidt, GesR, § 38 III, § 39 II 1; Korff, GmbHR 2009, 243; Zöllner, ZGR 1992, 173, 175; einschränkend Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, § 291 AktG Rz. 42; abl. Priester, GmbHR 2020, 575 ff. 14 In dieser Richtung aber Otte/Dietlein, BB 2020, 1163, 1164. 15 Überblicke bei Lieder, ZIP 2020, 837, 838 ff.; Reichert/Bochmann, GmbHR 2020, R340 ff.; Wicke, NZG 2020, 501. 16 S. auch RG, HRR 1931 Nr. 776 = DRZ 1931 Nr. 86. 17 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 184.

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§ 45 Rz. 5 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse 3. Die Gesellschafter als Organ der GmbH 5 Die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit sind ein Organ der GmbH (vgl. auch 12. Aufl., § 48

Rz. 1)18, das im Regelfall, aber nicht notwendig, in Versammlungen durch Beschlüsse agiert (auch dazu 12. Aufl., § 48 Rz. 2)19. Sie sind notwendiges Organ, dessen einzelne Befugnisse zwar weitgehend auf andere Organe übertragen, aber nicht im Kern beseitigt werden können20. Zugleich sind sie höchstes Organ, und ihre Zuständigkeit ist im Grundsatz allumfassend (vgl. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 1)21. Sie verfügen über die „Kompetenz-Kompetenz“22, die zugleich Grundlage für die Ausgestaltung und Übertragung von Gesellschafterrechten ist. Dieses Leitbild der inneren Verfassung der GmbH ist de lege lata im Grundsatz unverrückbar. Zum Einfluss des MitbestG vgl. Erl. zu § 52.

II. Das Verhältnis zu anderen Organen Schrifttum: Beuthien/Gätsch, Vereinsautonomie und Satzungsrechte Dritter, ZHR 156 (1992), 459; Bürkle, Rechte Dritter in der Satzung der GmbH, 1991; Fleck, Schuldrechtliche Verpflichtungen der GmbH im Entscheidungsbereich der Gesellschafter, ZGR 1988, 104; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006; Hammen, Zur Begründung von (organschaftlichen) Rechten Dritter im Gesellschaftsvertrag einer GmbH, WM 1994, 765; Herfs, Einfluss Dritter auf den Willensbildungsprozess der GmbH, 1994; Hofbauer, Die Kompetenzen des (GmbH-)Beirats, 1996; Joussen, Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995; Lieder, Annexkompetenzen der Gesellschafterversammlung, NZG 2015, 569; Lieder/Becker in MünchHdb. GesR IX, 6. Aufl. 2021, § 5 -Kontrollgremien; Mehringer/von Thunen, Flexible Beiratsgestaltungen in Familienunternehmen, DStR 2021, 116; Mertens, Der Beirat in der GmbH, in FS Stimpel, 1994, S. 417; K.J. Müller/Wolff, Verlagerung von Zuständigkeiten auf den Beirat der GmbH, GmbHR 2003, 810; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994; Petersheim, Satzungsdurchbrechungen, 2020; Pöschke, Satzungsdurchbrechende Beschlüsse in GmbH und AG, 2020; Reuter, Der Beirat in der GmbH, in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 631; Karsten Schmidt, Verbandsautonomie und Außeneinfluss, in Bumke/Röthel (Hrsg.), Autonomie im Recht, 2017, S. 143; Schubel, Verbandssouveränität und Binnenorganisation der Handelsgesellschaften, 2003; Selentin, Satzungsdurchbrechungen, 2019; Semrau, Die Dritteinflussnahme auf die Geschäftsführung von GmbH und Personengesellschaften, 2001; Spindler/ Kepper, Funktionen, rechtliche Rahmenbedingungen und Gestaltungsmöglichkeiten des GmbH-Beirats, DStR 2005, 1738, 1775; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970; Teubner, Der Beirat zwischen Verbandssouveränität und Mitbestimmung, ZGR 1986, 565; Thümmel, Möglichkeiten und Grenzen der Kompetenzverlagerung auf Beiräte, DB 1995, 2461; Uffmann, Überwachung der Geschäftsführung durch einen schuldrechtlichen GmbH-Beirat?, NZG 2015, 169; Ulmer, Begründung von Rechten für Dritte bei der GmbH?, in FS Werner, 1984, S. 911; Ulmer, Nochmals: Begründung von

18 Vgl. BGH v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, BGHZ 220, 354 Rz. 33 („sind in der GmbH die Gesellschafter das zentrale Entscheidungsorgan“) = GmbHR 2019, 528 m. Anm. Ulrich = ZIP 2019, 701 = EWiR 2019, 263 m. Anm. Bungert/Evertz; Karsten Schmidt, GesR, § 36 III 1; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Römermann in Michalski u.a., Rz. 12; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 3; Bochmann, GmbHR 2017, 558, 559; a.A. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7, 19; Altmeppen, Rz. 2; Hüffer in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 521 ff.: Organ sei die Gesellschafterversammlung; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 4. 19 Auch die Unterscheidung zwischen § 47 Abs. 1 (Mehrheit der abgegebenen Stimmen) einerseits und § 48 Abs. 2 (allseitiges Einverständnis) sowie § 2 COVMG (Beschlussfassung durch text- oder schriftförmige Stimmabgabe ohne Einverständnis sämtlicher Gesellschafter) andererseits betrifft lediglich Verfahrensregelungen für Beschlüsse „der Gesellschafter“; soviel zu Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 4. 20 RGZ 137, 308 f.; bedenklich RGZ 80, 387. 21 BGH v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, BGHZ 220, 354 Rz. 33 = GmbHR 2019, 528; Mollenkopf in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 45 GmbHG Rz. 2; Altmeppen, Rz. 2. 22 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb. Rz. I 1405.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 6 § 45 Rechten für Dritte in der Satzung einer GmbH?, in FS Wiedemann, 2002, S. 1297; Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, 1981; Wessing/Max, Zur Rückfallkompetenz der Gesellschafterversammlung bei Funktionsunfähigkeit des Beirats, in FS Werner, 1984, S. 975; Christoph Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000; Wessing, Zur Rückfallkompetenz der Gesellschafterversammlung bei Funktionsunfähigkeit des Beirates, in FS Schilling, 1973, S. 105; Wiedemann, Verbandssouveränität und Außeneinfluss, in FS Schilling, 1973, S. 105; Wiedemann, Beiratsverfassung in der GmbH, in FS Lutter, 2000, S. 801; Wiedemann/Kögel, Beirat und Aufsichtsrat im Familienunternehmen, 2. Aufl. 2020.

1. Gesetzliche Regelung a) Verhältnis zu den Geschäftsführern Das Verhältnis zu den Geschäftsführern ergibt sich hierarchisch aus der Überordnung der 6 Gesellschafter, funktionell aus der Aufgabenteilung der Organe. Die Überordnung wirkt sich in Gestalt einer Weisungsbefugnis der Gesellschafter aus (dazu 12. Aufl., § 37 Rz. 75 ff.). Mit dieser Weisungsbefugnis verbindet sich allerdings auch eine Verantwortlichkeit der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft, gegenüber verbundenen Unternehmen und evtl. auch gegenüber Gläubigern der Gesellschaft (vgl. 12. Aufl., § 13 Rz. 90 ff., 110 ff., 152 ff.)23. Die Aufgabenteilung zwischen den Gesellschaftern und den Geschäftsführern besteht im Grundsatz darin, dass die Gesellschafter Willensbildungsorgan, die Geschäftsführer dagegen Leitungs- und Vertretungsorgan sind24. Im Außenverhältnis wird die Gesellschaft grundsätzlich durch die Geschäftsführer (bzw. durch deren Bevollmächtigte) vertreten, nicht durch die Gesellschafter. Ausnahmen gibt es bei „Organisationsakten“, die sich teils ausdrücklich aus dem Gesetz ergeben, teils ungeschriebene Annexkompetenzen sind25. Diesbezüglich kann die Vertretungsmacht der Geschäftsführer von einem Gesellschafterbeschluss abhängig sein (so z.B. bei Unternehmensverträgen; vgl. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13] Rz. 148 ff., 188, 197), mitunter sind die Gesellschafter aber auch selbst zur Vertretung der Gesellschaft befugt wie etwa beim Übernahmevertrag im Zuge einer Kapitalerhöhung (12. Aufl., § 55 Rz. 75 f.), bei der Bestellung eines Geschäftsführers (12. Aufl., § 46 Rz. 71) oder bei dem Abschluss des Geschäftsführeranstellungsvertrags (12. Aufl., § 46 Rz. 80). Im Fall der Führungslosigkeit der Gesellschaft sind den Gesellschaftern auch Aufgaben der Passivvertretung und der Insolvenzantragspflicht zugewiesen (§ 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG, § 15a Abs. 3 InsO); es handelt 23 Vgl. zur schwankenden Rechtsprechung BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 17 ff. = BB 1975, 1450 f. m. Anm. Schilling; BGH v. 10.12.1984 – II ZR 308/83, BGHZ 93, 146, 148 ff. = NJW 1985, 1030, 1031 = GmbHR 1985, 191; BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 ff. = AG 2002, 43 = GmbHR 2001, 1036; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 = GmbHR 2002, 549; BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = GmbHR 2002, 902; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZIP 2005, 117 = GmbHR 2005, 225; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, GmbHR 2005, 299 = ZIP 2005, 250; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = AG 2007, 657 = GmbHR 2007, 927 – Trihotel; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = AG 2008, 542 = GmbHR 2008, 805 Rz. 28 a.E. – Gamma; BGH v. 9.2.2009 – II ZR 292/07, BGHZ 179, 344 = AG 2009, 407 = GmbHR 2009, 601 – Sanitary; BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, GmbHR 2012, 1070 Rz. 21, 25 m. Anm. Ulrich = EWiR 2012, 757 m. Anm. Beck = ZIP 2012, 1804; BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, GmbHR 2013, 529 Rz. 20 m. Anm. Blöse = EWiR 2013, 555 m. Anm. Hölzle; zum jüngsten, im StaRUG schlussendlich nicht Gesetz gewordenen Vorstoß bezüglich der Wahrung von Gläubigerinteressen durch die Geschäftsführer (§§ 2 f. StaRUG-RegE) (was nicht ohne Einfluss auf die Befugnisse der Gesellschafterversammlung geblieben wäre) Gehrlein, BB 2021, 66, 67. 24 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 36 II 1, III 1; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 81 ff. 25 Vgl. BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, BGHZ 222, 32 = GmbHR 2019, 883 = EWiR 2019, 453 m. Anm. Nolting; BGH v. 3.7.2018 – II ZR 452/17, GmbHR 2018, 1009 m. Anm. Haase = EWiR 2018, 551 m. Anm. Bochmann/Cziupka; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, § 35 Rz. 68; Mollenkopf in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 46 GmbHG Rz. 23; Überblick zu Annexkompetenzen bei Lieder, NZG 2015, 569 ff.

Karsten Schmidt/Bochmann | 683

§ 45 Rz. 6 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse sich dabei um individuelle Ersatzzuständigkeiten jedes Gesellschafters, nicht um die Zuständigkeit der Gesellschaftergesamtheit nach § 45 Abs. 1. b) Verhältnis zum Aufsichtsrat 7 Das Verhältnis zu einem etwa vorhandenen Aufsichtsrat ist unterschiedlich zu beurteilen, je

nachdem, ob es sich um einen fakultativen Aufsichtsrat nach § 52 oder um einen obligatorischen Aufsichtsrat nach dem MitbestG handelt. Auf die Erläuterungen bei § 52 ist zu verweisen (vgl. auch Rz. 8, 12 und 13). 2. Übertragung von Zuständigkeiten auf andere Organe a) Grundsatz 8 Im Rahmen der durch § 45 anerkannten Satzungsfreiheit (Rz. 2) können Aufgaben der Ge-

sellschafter auf andere Organe übertragen werden, soweit nicht zwingendes GmbH-Recht entgegensteht26, insbesondere auf einen Aufsichtsrat (vgl. Erl. § 52) sowie auf einen Beirat (Rz. 13). Dazu bedarf es, sollen organschaftliche Befugnisse eingeräumt werden, einer Satzungsregelung, wobei eine hinreichend bestimmte sogenannte Öffnungsklausel, von der später durch einfachen Gesellschafterbeschluss Gebrauch gemacht wird, ausreicht27. Eine bloße Geschäftsordnungsregelung der Gesellschafter genügt hingegen nicht28. Wenngleich satzungsbegleitende Gesellschaftervereinbarungen (12. Aufl., § 3 Rz. 104 ff.) korporative Wirkung entfalten können, taugen sie, wenn dies schon durch einfache Gesellschafterbeschlüsse nicht möglich sein soll29, nicht zur Übertragung von Kompetenzen der Gesellschafter. Hindernisse aus zwingendem GmbH-Recht können zunächst sachlicher Art sein. Insbesondere strukturändernde Beschlüsse – Satzungsänderung, Umwandlung, Unternehmensvertrag, Auflösung, Fortsetzung – können nicht von den Gesellschaftern auf andere Organe übertragen werden (vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 62 f.)30. Inwieweit einzelne sachliche Zuständigkeiten der Gesellschafter aus sachlichen Gründen zwingend sind, wird jeweils an Ort und Stelle behandelt (vgl. schon Rz. 2 a.E.). Im Prinzip gilt: Kompetenzverlagerungen sind in Anbetracht der Satzungsfreiheit grundsätzlich zulässig. Ausnahmen bedürfen der Begründung. b) Konkurrierende und verdrängende Zuständigkeit 9 Als Formen der Zuständigkeitsübertragung unterscheiden sich konkurrierende und ver-

drängende Zuständigkeitsregeln31; bei den ersten kann ein anderes Organ neben den Gesell-

26 Vgl. RGZ 137, 308; BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 264; Herfs, S. 71 ff. 27 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; krit. Heckschen, NZG 2019, 1281 ff.; eingehend Petersheim, Satzungsdurchbrechungen, S. 188 ff. 28 Zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9. 29 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; krit. Heckschen, NZG 2019, 1281 ff.; eingehend Petersheim, Satzungsdurchbrechungen, S. 188 ff. 30 BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261 = NJW 1965, 1378; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 7 (4); Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 106; Heermann in Habersack/Casper/ Löbbe, § 52 Rz. 352; Giedinghagen in Michalski u.a., § 52 Rz. 418; Spindler/Kepper, DStR 2005, 1738, 1742; Thümmel, DB 1995, 2461, 2463. 31 So zuerst Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 8; zust. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 93; Hofbauer, S. 94 ff.; Semrau, S. 138 ff.; Thümmel, DB 1995, 2462; vgl. auch Spindler/Kepper, DStR 2005, 1738, 1741.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 9 § 45

schaftern entscheiden, bei den letzten entscheidet es an Stelle der Gesellschafter. Die konkurrierende Zuständigkeit ist im Zweifel nicht gewollt32. Sollen die Gesellschafter zuständig bleiben33, so ist das andere Organ i.d.R. nur als Beratungsorgan (evtl. als Zustimmungsorgan) eingesetzt. Die Begründung einer konkurrierenden Zuständigkeit ist unzweckmäßig, wenn nicht geklärt ist, ob die Gesellschafter befugt bleiben, die vom konkurrierenden Organ getroffene Entscheidung durch actus contrarius wieder rückgängig zu machen34. Liegt eine verdrängende Zuständigkeit vor, so können die Gesellschafter diese Zuständigkeit durch Satzungsänderung – aber auch nur durch Satzungsänderung! – wieder an sich ziehen35. Zweifelhaft ist, ob die Gesellschafter auch ohne förmliche Satzungsänderung durch satzungsdurchbrechenden Beschluss im Einzelfall eine Entscheidung an sich ziehen können (vgl. zum satzungsdurchbrechenden Beschluss Rz. 34a sowie 12. Aufl., § 53 Rz. 27 ff.)36. Man wird dies bejahen können, sofern die satzungsmäßige Zuständigkeitsordnung nur ad hoc durchbrochen wird, doch ist umstritten, ob dies einstimmig geschehen muss oder ob die Mehrheitsvoraussetzungen einer Satzungsänderung genügen (auch dazu Rz. 34a sowie 12. Aufl., § 53 Rz. 28 ff.). Ein gegen Entziehung gesichertes satzungsmäßiges Sonderrecht kann nur Gesellschaftern individuell eingeräumt werden, nicht dem Organ als solchem. Die Gesellschafter können allerdings ihre Beschlüsse – wiederum unter dem Vorbehalt der Satzungsänderung oder rechtmäßiger Satzungsdurchbrechung und nur insoweit, wie eine Übertragung auf ein anderes Organ zulässig wäre (zu den diesbezüglichen Grenzen 12. Aufl., § 53 Rz. 62 f.) – an die Zustimmung eines anderen Organs binden37. Von der Zustimmung eines Dritten, der nicht Gesellschaftsorgan ist, kann die Beschlusskompetenz nicht abhängig gemacht werden38, denn Dritten können keine Gesellschafterkompetenzen, sondern nur schuldrechtliche Mitwirkungsansprüche39 zuerkannt werden (vgl. alsbald Rz. 15). Das gilt auch dann, wenn der Dritte mittelbarer Gesellschafter ist. Eine Satzungsregelung, die Nichtgesellschaftern Zustimmungsvorbehalte einräumt, kann im Einzelfall dahin ausgelegt werden, dass die Gesellschafter im Benehmen mit diesem Dritten – z.B. einer Behörde – entscheiden oder ihre Beschlüsse selbst an die Zustimmung des Dritten binden sollen, worüber sie sich aber auf Gesellschaftsebene hinwegsetzen können, ohne dass entsprechende Beschlussfassungen mangelbehaftet wären. Im Übrigen unterliegt auch eine solche Satzungsregelung der Satzungsänderung. Die Zustimmungskompetenz kann beseitigt werden, ohne dass der Träger des Zustimmungsrechts dem zustimmen müsste40.

32 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 94. 33 Hierfür im Zweifel Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 19: „Minimaleingriff“. 34 Ausführlich für dieses Recht Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 9, mit Hinweis auf BGH v. 1.12.1969 – II ZR 224/67, BB 1970, 226 = MDR 1970, 398; dagegen ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96 f.; nach h.M. gilt grundsätzlich das Prioritätsprinzip; vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 95. 35 Vgl. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 99; Hofbauer, S. 95 ff.; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 11. 36 Verneinend Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101 f. 37 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 103; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9. 38 Vgl. schon die Bedenken von Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 14 mit Hinweis auf Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 195; vgl. auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 103; Hüffer/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 34; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 25; a.M. Beuthien/Gätsch, ZHR 156 (1992), 477. 39 A.A. Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 616 ff. 40 Insofern wie hier Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41; Beuthien/Gätsch, ZHR 156 (1992), 477.

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§ 45 Rz. 9 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Nichtig ist die Satzungsregelung „Gesellschafterversammlung ist der Gemeinderat“, und zwar nach h.M. selbst dann, wenn die Gemeinde einzige Gesellschafterin der GmbH ist41. Dieser Standpunkt ist nicht ohne Zweifel, denn es geht nicht um die Entmündigung des Alleingesellschafters, sondern um die Wahrnehmung seines Stimmrechts durch das Beschlussorgan dies Gesellschafters. Ein solcher „organisationsrechtlicher Durchgriff“ ist nicht per se unzulässig, wenn eine organisierte juristische Person einzige Gesellschafterin ist und diese ihren Willen in ihrem Willensbildungsorgan bilden soll. Er kann z.B. auch darin bestehen, dass bei der Einheits-GmbH & Co. KG (Kommanditgesellschaft als Alleininhaberin ihrer Komplementär-GmbH) die Kommanditisten über die Stimmrechtsausübung in der KomplementärGmbH entscheiden (vgl. 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 58 ff.)42, wobei es sich freilich um eine Zuständigkeitsverlagerung auf Ebene der KG handelt. c) Verbot der Selbstentmündigung 10 Allgemeine Grenze der Zuständigkeitsverlagerung ist die Selbstentmündigung der Gesell-

schafter43. Dieser Grundsatz wurde hier in der 6. Aufl. (dort Rz. 8) mit der Formulierung umschrieben, dass die Kompetenz des höchsten Organs der GmbH „nicht bis zur Bedeutungslosigkeit ausgehöhlt“ werden könne. In der Literatur ist dieses zugegebenermaßen unbestimmte Kriterium auf Kritik gestoßen44. In der Sache wird daran festgehalten. Die bloße Einzelkontrolle, ob Beschlüsse mit dem „Wesen“ der Gesellschaft (vgl. Rz. 73) oder mit dem Schutz des individuellen Kernbereichs (12. Aufl., § 53 Rz. 43 ff.) unvereinbar sind, genügt nicht. Eine Satzungsregelung, die die Gesellschafterzuständigkeit im Kern beseitigt, ist nichtig45. 10a Das Verbot der Selbstentmündigung steht der namentlich in Familienunternehmen anzutref-

fenden (krass) asymmetrischen statutarischen Verteilung von Gesellschafterrechten nicht entgegen. Die Konzentration sämtlicher Stimmrechte oder einer (qualifizierten) Stimmrechtsmehrheit auf einen einzigen (Ein-Euro-)Geschäftsanteil (sog. Golden Share) und die damit einhergehende strukturelle Entmachtung aller übrigen Gesellschafter (s. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 11) ist uneingeschränkt zulässig, da auch in diesem Fall die fundamentalen Rechte zur Teilnahme an Gesellschafterversammlungen (12. Aufl., § 48 Rz. 13 ff.) sowie zur Beschlussanfechtung erhalten bleiben46. d) Subsidiäre Zuständigkeit der Gesellschafter 11 Die Gesellschafter bleiben subsidiär zuständig, auch wenn eine verdrängende Zuständigkeits-

regelung gewählt ist (Rückfallkompetenz). Ist das an Stelle der Gesellschafter zur Entscheidung berufene Organ handlungsunfähig, so kommt es für die Dauer der Handlungsunfähig-

41 So OLG Karlsruhe v. 18.12.1995 – 11 Wx 104/95, GmbHR 1996, 686 = Rpfleger 1996, 161; vgl. auch LG Dortmund v. 17.3.2015 – 6 O 47/14, BeckRS 2015, 9853; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 10; Erle/Becker, NZG 1999, 60; Gestaltungsmöglichkeiten bei Altmeppen, NJW 2003, 2561, 2563 ff. 42 Dazu Karsten Schmidt in FS Westermann, 2008, S. 1425; Bochmann in FS Karsten Schmidt, Bd. 1, 2019, S. 117, 125 ff.; vgl. auch § 170 Abs. 2 HGB-E i.d.F. des RegE Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts – MoPeG, BR-Drucks. 59/21. 43 So auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 152; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; Altmeppen, Rz. 4; Chr. Weber, S. 212 f. 44 Ähnlich wie hier Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 45 Rz. 7; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. 45 Ähnlich Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 64. 46 Vgl. BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 269 = GmbHR 1954, 125; Priester, GmbHR 2013, 223, 228; Schäfer, GmbHR 1998, 113 ff.; Grever, RNotZ 2019, 1, 2 f.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 12a § 45

keit zum Rückfall der Zuständigkeit an die Gesellschafter47. Dazu genügt allerdings nicht, dass nur die Besetzung des Organs behebbare Schwierigkeiten macht oder dass sich die Zuständigkeitsverlagerung als unbequem erweist (vgl. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 5). Im Einzelnen entscheidet eine ergänzende Satzungsauslegung nach dem Maßstab: Welche Regelung hätten vernünftige Satzungsverfasser für den Fall der Handlungsunfähigkeit im Einklang mit der gewählten Zuständigkeitsregelung getroffen? 3. Taugliche Organe a) Aufsichtsrat? Geschäftsführer? Die Übertragung auf vorhandene Organe ist insoweit zulässig, als nicht die Willensbil- 12 dungskompetenz der Gesellschafter grundsätzlich angetastet wird48. Weitgehend zulässig ist die Überlassung einzelner (!) Gesellschafterkompetenzen an einen fakultativen Aufsichtsrat, 12. Aufl., § 52 Rz. 10 ff., 176 ff.49. Die Regelung kann durch Satzungsklausel oder auf Grundlage einer Öffnungsklausel in der Satzung (Rz. 13) getroffen werden. Der (Individual-)Schutz absolut und relativ unentziehbarer Gesellschafterrechte sowie das Belastungsverbot (vgl. Erl. § 53) bleiben unberührt50, ebenso die Anfechtungsmöglichkeit (vgl. Rz. 187). Bedenken dagegen, dem Aufsichtsrat als einem Kontrollorgan wesentliche Willensbildungskompetenzen zu überlassen51, sind im Allgemeinen nicht begründet. Auf einen obligatorischen Aufsichtsrat nach dem MitbestG können allerdings nicht die Weisungsbefugnisse der Gesellschafter gegenüber der Geschäftsführung übertragen werden (vgl. 12. Aufl., § 52 Rz. 308). Dies wäre mit dem Sinn und Zweck des § 111 Abs. 4 AktG unvereinbar52. Problematisch ist hingegen die Übertragung von Gesellschafteraufgaben auf die Geschäfts- 12a führer53. Kernkompetenzen der Gesellschafter, insbesondere strukturändernde Maßnahmen einschließlich von Kapitalmaßnahmen, können den Geschäftsführern nur auf Grundlage gesetzlicher Ausnahmeregelungen übertragen werden (Beispiel: § 55a). Im Bereich des § 46 ist eine Ermächtigung der Geschäftsführer jedenfalls insoweit unzulässig, als es sich um Überwachungsaufgaben handelt54. Die (wechselseitige) Überwachung ist bereits Bestandteil der Geschäftsführerverantwortlichkeit55 (vgl. 12. Aufl., § 43 Rz. 10 ff., 141 ff.) und taugt nicht als Ersatz für die Kontrollkompetenz der Gesellschafter. Richtschnur kann sein, dass eine Ent-

47 Vgl. BGH v. 24.2.1954 – II ZR 88/53, BGHZ 12, 337, 340 (betr. fakultativen Aufsichtsrat); OLG Brandenburg v. 13.7.1999 – 6 U 286/96, NZG 2000, 143, 144; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 46 Rz. 94; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 19; Altmeppen, GmbHG, Rz. 4; insofern wie hier Beuthien/Gätsch, ZHR 157 (1993), 494; enger Hofbauer, S. 237 ff.; im Grundsatz ablehnend Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 74. 48 Ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92 ff. 49 Vgl. Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 86 ff.; eingehend Großfeld/Brondics, AG 1987, 295 ff. 50 Dazu Spindler in MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 716; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 114; Altmeppen, Rz. 4; Blath, RNotZ 2017, 218. 51 Vgl. Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 183; s. auch noch Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 12. 52 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 46 Rz. 93, 93a; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 30. 53 Hierzu Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 46 Rz. 177; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 46 Rz. 93; Altmeppen, Rz. 3; Bachmann/Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, S. 85 f. 54 Vgl. BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 264. 55 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227 Rz. 15 = EWiR 2019, 135 m. Anm. Kleindiek; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 43 Rz. 412; dazu Buck-Heeb, BB 2019, 584, 588 f.

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§ 45 Rz. 12a | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse scheidungsverlagerung auf die Geschäftsführer jedenfalls da ausgeschlossen ist, wo die Gesellschafter zwingend (12. Aufl., § 47 Rz. 173) von der Stimmrechtsausübung ausgeschlossen sind (zu den Stimmverboten vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 98 ff.). Zulässig ist jedoch ein weitestgehender Rückzug der Gesellschafter aus der Geschäftsführung durch Satzungsregelung oder Beschluss. Die Geschäftsführung kann daher umfassend von der Einholung zustimmender Beschlüsse freigestellt werden, und zwar auch bei der Veräußerung des gesamten Vermögens. Dem steht nicht entgegen, dass diesbezügliche grundsätzlich bestehende (ungeschriebene) Zustimmungsvorbehalte minderheitsschützenden Charakter (Beschlusskontrolle!)56 haben, da der initiale Rückzug aus der Geschäftsführung in jedem Falle eines Beschlusses bedarf und im Übrigen nicht irreversibel ist, so dass der Minderheit die Möglichkeit eröffnet ist, mit den zu Gebote stehenden Mitteln auf eine Intervention der Gesellschafterversammlung hinzuwirken. 12b Demgemäß ist die Übertragung von Gesellschafteraufgaben auf die Geschäftsführer regel-

mäßig nur als eine Abgabe von Erstzuständigkeiten zu verstehen, die die Hierarchie zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern unberührt lässt (vgl. auch zum Sinn der Kompetenzregeln des § 46 die Ausführungen bei 12. Aufl., § 46 Rz. 1) und lediglich besagt, dass die Geschäftsführer handeln dürfen, ohne eine Erstentscheidung der Gesellschafter herbeiführen zu müssen. b) Sonderorgane (Beiräte und vergleichbare fakultative Organe) 13 Aufgaben der Versammlung können einem eigens hierfür zu schaffenden Organ – insbeson-

dere einem Beirat, einer Delegiertenversammlung, einem Gesellschafterausschuss oder einem Stammesvertretergremium – übertragen werden57. Dies geschieht durch die Satzung oder aufgrund einer statutarischen Öffnungsklausel durch Gesellschafterbeschluss58 und ist namentlich bei Familienunternehmen eher die Regel als die Ausnahme. Die Funktionen eines Beirats können sehr unterschiedlicher – meist überwachender oder unterstützender, evtl. aber auch rein repräsentativer – Art sein (eingehend 12. Aufl., § 52 Rz. 82 ff.)59. Es kann sich auch um einen fakultativen Aufsichtsrat i.S.v. § 52 handeln (vgl. 12. Aufl., § 52 Rz. 10 ff.). Die Zusammensetzung des Beirats, insbesondere die Art der Bestellung und Abberufung der Mitglieder, muss sich aus der Satzung ergeben60. Die Zugehörigkeit zu einem Beirat kann einzelnen Gesellschaftern als Vorzugsrecht (Sonderrecht) eingeräumt sein, was jedoch, wenn damit eine Verkürzung der Rechte der übrigen Gesellschafter einhergeht (was regelmäßig der Fall sein wird), einer einstimmigen Entscheidung der Gesellschafter bedarf (12. Aufl.,

56 BGH v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, BGHZ 220, 354 Rz. 38 = GmbHR 2019, 528 m. Anm. Ulrich = ZIP 2019, 701 = EWiR 2019, 263 m. Anm. Bungert/Evertz. 57 Vgl. KG, JW 1926, 598 m. Anm. Fischer; OLG Düsseldorf v. 11.3.1982 – 6 U 174/81, GmbHR 1983, 124 = ZIP 1982, 694; OLG Köln v. 21.2.1990 – 13 U 195/89, GmbHR 1991, 156 = VersR 1991, 550 m. Anm. Altmeppen; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92; Spindler in MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 741 ff.; Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 349 ff.; Altmeppen, § 52 Rz. 86; Bochmann/Cziupka in GmbH-Hdb., Rz. I 1496 ff.; Huber, Der Beirat, 2004, Rz. 99; MüllerWolff, GmbHR 2003, 810 ff.; Spindler/Kepper, DStR 2005, 1738 ff., 1775 ff.; Wiedemann in FS Lutter, 2000, S. 801 ff.; Hölters, GmbHR 1980, 50 ff.; Voormann, S. 23 ff., 118 ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 186 ff.; Teubner, ZGR 1986, 565 ff. 58 Lieder/Becker in MünchHdb. GesR IX, § 5 Rz. 17, 44; zur Anfechtung eines solchen Beschlusses vgl. OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075 m. Anm. Römermann – MediaSaturn. 59 Vgl. Hofbauer, S. 64 ff.; Voormann, S. 8 ff., 14 ff.; Fuhrmann in GmbH-Hdb., Rz. I 1973 ff.; Spindler/Kepper, DStR 2005, 1738 ff., 1775 ff.; Wiedemann/Kögel, Beirat und Aufsichtsrat im Familienunternehmen, § 6. 60 Eingehend Voormann, S. 149 ff.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 14a § 45

§ 14 Rz. 26 ff.)61. Der Beirat kann sich auch vollständig aus Dritten rekrutieren62. Im Hinblick auf die Dritteinflussproblematik (Rz. 9, 15) können einem Beirat bindende Beschlusskompetenzen nur eingeräumt werden, wenn er auf das Gesellschaftsinteresse verpflichtet63 und vom Vertrauen der Gesellschafter abhängig ist64. Anderenfalls kann dem Beirat keine verdrängende Zuständigkeit zuerkannt werden. Etwa durch ein Kooptationssystem berufene Nichtgesellschafter müssen nicht zwingend durch Gesellschafterbeschluss abberufen und ersetzt werden können; es verbleibt aber bei der Unzulässigkeit der Selbstentmündigung der Gesellschafter (dazu Rz. 10 f.), die jederzeit in der Lage sein müssen, beispielsweise das Kooptationsmodell oder gar den Beirat selbst durch Satzungsänderung abzuschaffen. Handelt es sich bei dem Beirat um eine Delegiertenversammlung (Vertreterversammlung), 13a einen Gesellschafter- oder Stammesausschuss65, so gelten die genannten Grenzen der Zuständigkeitsverlagerung nur, wenn es sich um ein separates Organ der Gesellschaft, nicht lediglich ein Suborgan der Gesellschafterversammlung handelt; im letztgenannten Fall ist die Befassung des Ausschusses nur Delegation im Rahmen des § 45. Der Ausschuss ist echtes Organ, wenn er an Stelle der Gesellschafter entscheidet66. Vom Fall der obligatorischen Gruppenvertretung (12. Aufl., § 47 Rz. 80) unterscheidet sich dieser Fall darin, dass die Mitglieder einer Delegiertenversammlung eigene, mediatisierte Stimmrechte ausüben. c) Konfliktlösungsorgane? Schlichtungsstellen, insbesondere Mediationsstellen67, müssen von Schiedsgerichten 14 (§§ 1025 ff. ZPO) unterschieden werden68. Anders als das Schiedsgericht sollen Mediationsstellen nicht verbindlich einen Konflikt entscheiden, sondern die Konfliktparteien auf ihrem Weg zu einer einvernehmlichen Lösung begleiten69. Statutarische Mediationsklauseln im Sinne kostengünstiger und niedrigschwelliger Konfliktlösung sehen vor, dass bei Streitfällen aus oder im Zusammenhang mit dem Gesellschaftsverhältnis zunächst der Versuch der Beilegung durch Mediation zu unternehmen ist70. Den Rechtsweg kann das selbstredend nicht abschneiden, wohl aber Einwendungen bei Klageerhebung unter Verstoß gegen die Mediationsklausel begründen71. Ein Schiedsgericht ist als Rechtsprechungsorgan kein Gesellschaftsorgan, und umgekehrt 14a kann ein Gesellschaftsorgan in Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern nicht

61 Vgl. Lieder/Becker in MünchHdb. GesR IX, § 5 Rz. 44; Böhm in MünchHdb. GesR III, § 31 Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 3 Rz. 40; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 14 Rz. 18. 62 Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 334.; Voormann, S. 127 ff. 63 Dazu Voormann, S. 168 f., 171; auf Minderheitsinteressen ist der Beirat nur im gleichen Maße wie eine Gesellschafterversammlung verpflichtet; str.; vgl. Verhoeven, BB 1978, 335 ff. gegen Hölters, BB 1977, 105 ff. 64 Jedenfalls die Abberufung aus wichtigem Grund muss möglich sein; vgl. auch Voormann, S. 155 f. 65 Dazu vgl. BGH v. 2.2.1961 – KZR 3/60, BB 1961, 304; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 18 ff.; Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 308 ff.; Altmeppen, Rz. 3; über satzungsmäßige Schiedsklauseln vgl. Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 1066 ZPO Rz. 4 ff.; Karsten Schmidt, DB 2001, 1859. 66 Insoweit wie hier Hofbauer, S. 87. 67 Angaben bei Werner, GmbHR 2005, 1415, 1418. 68 Nur terminologisch anders Voormann, S. 40 ff.: „Beirat als Schiedsgericht“. 69 Prütting in MünchHdb. GesR IX, § 45 Rz. 30. 70 Gläßer in MünchHdb. GesR IX, § 49 Rz. 140; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 454; Töben, RNotZ 2013, 321; Schröder, GmbHR 2014, 960. 71 Vgl. Gläßer in MünchHdb. GesR IX, § 49 Rz. 141; vgl. auch BGH v. 29.10.2008 – XII ZR 165/06, NJW-RR 2009, 637 (Schlichtungsklausel in einem Pachtvertrag); OLG Saarbrücken v. 29.4.2015 – 2 U 31/14, juris (Mediationsklausel in einem Vertriebsvertrag).

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§ 45 Rz. 14a | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse als Schiedsgericht berufen sein72. Das gilt auch dann, wenn durch Schiedsklausel (§§ 1029, 1031, 1034 ZPO) ein satzungsmäßiges Schiedsgericht für Rechtsstreitigkeiten in der Gesellschaft konstituiert ist. Um ein solches handelt es sich aber nur, wenn die als Schiedsgericht bezeichnete Stelle rechtsverbindlich (§ 1055 ZPO) an Stelle eines staatlichen Gerichts über Rechtsstreitigkeiten entscheiden soll. Im Zweifel ist ein bei der Gesellschaft ständig eingerichtetes Gremium auch bei anderslautender Bezeichnung als Gesellschaftsorgan anzusehen, insbesondere wenn es auch Organisationskompetenzen wahrnimmt73. Seine Entscheidungen unterliegen nicht der Aufhebungsklage nach § 1059 ZPO, sondern als Organbeschlüsse der Nichtigkeits- und der Anfechtungsklage (dazu vgl. Rz. 185 ff.). Um Gesellschaftsorgane und nicht um Schiedsgerichte im Rechtssinne handelt es sich vor allem bei Spruchstellen in einer GmbH, die im Fall der Handlungsunfähigkeit der Versammlung („Pattsituation“) entscheiden sollen (vgl. auch Rz. 16)74. Stichentscheid bei Pattsituationen kann statutarisch auch Dritten überantwortet werden75, und zwar sowohl nach deren, ggf. näher zu definierendem Auswahlermessen zwischen den sich gegenüberstehenden Gesellschaftervoten wie auch durch Losentscheid. Eine unzulässige Entäußerung von Gesellschafterrechten liegt in derartigen Kautelen nicht, da sowohl der Konfliktauflösungsmechanismus wie auch die dem Dritten zur Letztentscheidung angetragenen Varianten auf den Willen der Gesellschafter zurückzuführen sind. d) Drittzuständigkeiten? 15 Übertragung einzelner Kompetenzen auf Dritte – also auf Nicht-Gesellschaftsorgane oder

auf ein von Dritten dominiertes Gesellschaftsorgan – ist im Hinblick auf die zu gewährleistende Autonomie der Gesellschaft problematisch76. Vielfach wird hierin ein Mittel gesehen, um die Gesellschaft Drittinteressen (z.B. öffentlichen) dienstbar zu machen, die außerhalb ihrer selbst liegen. Die Beteiligung Dritter an organschaftlichen Befugnissen ist nicht generell unzulässig. Dritte können Organmitglieder – z.B. Mitglieder eines von den Gesellschaftern gebildeten Beirats – sein77. Einem mit Dritten besetzten Organ können nach h.M. auch in den allgemeinen Grenzen der Satzungsautonomie und mit dem Vorbehalt der Satzungsänderungskompetenz78 einzelne Entscheidungen überlassen werden, die an sich den Gesellschaftern zustehen; z.B. die Ernennung und Abberufung von Geschäftsführern (12. Aufl., § 46 Rz. 72) oder die Ausübung von Weisungsrechten gegenüber den Geschäftsführern (12. Aufl., § 46 Rz. 113). Dagegen ist die verdrängende Ausstattung von gesellschaftsfremden Dritten mit organähnlichen Kompetenzen zweifelhaft und umstritten (vgl. schon Rz. 9 und 13). Mit den Vorauflagen wird von dem Grundsatz auszugehen sein, dass die Gesellschafter als Organ nicht

72 Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30; Römermann in Michalski u.a., Rz. 69; differenzierend Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 186 ff.; s. auch RGZ 55, 326. 73 BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261 = GmbHR 1965, 111; zust. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 24; Römermann in Michalski u.a., Rz. 68 f.; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 29; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 115 ff. 74 Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 342 ff. 75 Vgl. Fleischer, BB 2019, 2819, 2822; Lieder/Hoffmann, GmbHR 2017, 1233, 1240; krit. Wedemann, Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften, 2013, S. 464 f. 76 Beispiel KG, JW 1926, 598 m. Anm. Fischer; eingehend Bürkle, passim; Semrau, S. 34 ff., 261 ff., 286 ff.; Schubel, S. 515 ff.; Chr. Weber, S. 133, 212 ff.; vgl. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 45 ff.: Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911 ff.; Ulmer in FS Wiedemann, 2002, S. 1297 ff. 77 H.M.; vgl. bereits Fischer, JW 1926, 599. 78 RGZ 169, 65, 80; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; differenzierend Beuthien/Gätsch, ZHR 156 (1992), 477.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 17 § 45

durch echte Drittorgane ersetzbar sind79. Dritte können zwar von den Gesellschaftern zu Organmitgliedern bestellt oder mit schuldrechtlichen Weisungsrechten80 ausgestattet werden. Aber solche obligatorischen Bindungen begründen keine organgleichen Befugnisse (vgl. zum schuldrechtlichen Charakter der Stimmbindung auch 12. Aufl., § 47 Rz. 38). Ob man unter den an einen Beherrschungsvertrag zu stellenden Anforderungen (12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13] Rz. 139 ff.) die Einräumung beherrschender Drittbefugnisse zulassen kann („statutarischer Organkonzern“)81, ist zweifelhaft. Mit Blick auf das Erfordernis gesonderter, über die Satzungspublizität hinausgehender Handelsregistereintragung des statutarischen Beherrschungsverhältnisses82 sowie die Pflicht zum Verlustausgleich analog § 302 AktG (vgl. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13] Rz. 133) dürfte die Konstellation praktisch kaum auftreten.

III. Sondersituationen 1. Handlungsunfähigkeit Bei Handlungsunfähigkeit der Gesellschafterversammlung83 – ein unabweisbar notwendiger 16 Beschluss kommt, etwa weil die Satzung Einstimmigkeit verlangt, nicht zustande – kann, soweit nicht das Gesetz einen gerichtlichen Eingriff zulässt (§ 61), nicht etwa das Registergericht oder das Prozessgericht gestaltend eingreifen84. Abhilfe zu schaffen ist die Aufgabe der treupflichtgebundenen Gesellschafter (vgl. zur Treupflicht 12. Aufl., § 14 Rz. 64 ff.). Sie können verpflichtet sein, das Interesse der Gesellschaft durch Stimmabgabe in einem bestimmten Sinne zu fördern85. Eine Auflösung der Gesellschaft nach §§ 60, 6186 ist ultima ratio. Vorrang kann ein Ausschließungsverfahren gegenüber einem Gesellschafter haben (dazu 12. Aufl., § 61 Rz. 3; eingehend 12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 25 ff.). Ihr gegenüber kann, soweit zumutbar, auch die Durchsetzung einer positiven Stimmpflicht (12. Aufl., § 47 Rz. 31) Vorrang haben. Im Übrigen kann die Satzung für Abhilfe sorgen, etwa durch Stichentscheid87 oder durch Einrichtung einer Schlichtungs- oder Schiedsstelle (Rz. 14 f.)88. 2. Liquidation und Insolvenz Im Fall der Auflösung bleibt die Zuständigkeit der Gesellschafter zur Beschlussfassung erhal- 17 ten (12. Aufl., § 69 Rz. 7). Ihre Beschlüsse müssen mit dem Liquidationszweck vereinbar sein. Die Gesellschafter können allerdings die Fortsetzung beschließen und dadurch wieder aus dem Liquidationsstadium heraustreten (Erl. § 60)89. Die Gesellschafterversammlung behält ihre elementaren Zuständigkeiten sogar im Insolvenzverfahren der GmbH (dazu Erl. vor 79 Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911 ff.; Ulmer in FS Wiedemann, 2002, S. 1197 ff.; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, § 46 Rz. 23; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48; vgl. schon Fischer, JW 1926, 599. 80 Uffmann, NZG 2015, 169, 172 ff. 81 Bejahend Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 344; Beinert, Die Konzernhaftung für die satzungsmäßig abhängig gegründete GmbH, 1995; Beuthien, ZIP 1993, 1589 ff. 82 Priester, GmbHR 2020, 575, 577, unter Hinweis auf BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324 = GmbHR 1989, 25, 31 – Supermarkt. 83 Immenga, GmbHR 1971, 110. 84 Eingehend zu diesen Fragen Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 338 ff. 85 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276 = GmbHR 1987, 426; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 257; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 111. 86 RGZ 49, 146; RG, JW 1915, 196. 87 RGZ 49, 146 f. 88 Immenga, GmbHR 1971, 110. 89 Berner in MünchKomm. GmbHG, § 60 Rz. 234; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 Rz. 9.

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§ 45 Rz. 17 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse § 64). Sie kann jetzt noch die Satzung ändern und das Kapital erhöhen (vgl. näher ebd.; dort auch zur Entscheidung durch Insolvenzplan nach § 225a InsO)90. Allerdings ist der Insolvenzverwalter und nicht mehr ein Geschäftsführer zur Verfügung über das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen befugt (§ 80 InsO). Vor allem Entlastungsbeschlüsse können deshalb die Insolvenzmasse nicht berühren (auch dazu vor § 64 sowie 12. Aufl., § 46 Rz. 95). Unzutreffend ist aber die Auffassung, im Insolvenzverfahren gehe die Befugnis zur Entlastung auf den Insolvenzverwalter über91. Diese Auffassung verwechselt die Entlastung mit einem Generalbereinigungsvertrag (vgl. dazu 12. Aufl., § 46 Rz. 103 ff.). Die Entlastungskompetenz steht nach wie vor den Gesellschaftern zu92. Wegen § 80 InsO ist einer solchen Entlastung allerdings die Verzichtswirkung gegenüber der Insolvenzmasse abzusprechen93. Eine der Insolvenzeröffnung vorausgegangene Entlastung kann als masseschmälernde Rechtshandlung der Insolvenzanfechtung unterliegen94.

B. Der Gesellschafterbeschluss Schrifttum: Bacher/v. Blumenthal, Die Stimmenthaltung bei Beschlüssen in Personen- und Kapitalgesellschaften, GmbHR 2019, 261; Ballerstedt, Bedarf ein Beschluss der Gesellschafter einer GmbH der Verkündung durch den Vorsitzer?, GmbHR 1955, 160; Baltzer, Der Beschluss als rechtstechnisches Mittel …, 1965; Bartholomeyczik, Der Körperschaftsbeschluss als Rechtsgeschäft, ZHR 105 (1938), 293; Bauerfeind/Müller, Die Rechtsnatur des Gesellschafterbeschlusses, GmbHR 2020, 1215; Baumann/Reiß, Satzungsergänzende Vereinbarungen, ZGR 1989, 157; Bohn, Wesen und Rechtsnatur des Gesellschaftsbeschlusses, Diss. Hamburg 1950; Bohn, Die soziologische Natur des Verbandsbeschlusses, in FS Haff, 1950, S. 232; Busche, Zur Rechtsnatur und Auslegung von Beschlüssen, in FS Säcker, S. 45; Ernst, Der Beschluss als Organakt, in Liber Amicorum für Detlef Leenen, 2012, S. 1; O. v. Gierke, Die Genossenschaftstheorie …, 1887, S. 678 ff.; Göppel, Bedingte GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, 2008; Goette, „Nichtbefassungsbeschluss“ und § 50 GmbHG, in FS Ulmer, 2003, S. 129; Habersack/Schürnbrand, Die Bestätigung fehlerhafter Beschlüsse, in FS Hadding, 2004, S. 391; Haff, Grundlagen der Körperschaftslehre, Bd. I, 1915, passim; Koppensteiner, Treuwidrige Stimmabgaben bei Kapitalgesellschaften, ZIP 1994, 1325; Koppensteiner, Stimmabgabe und Beschluss, JBl 2017, 273; Krause, Gesellschafterbeschluss und Abstimmung, Diss. Marburg 1937; Lindemann, Die Beschlussfassung in der Einmann-GmbH, 1997; Maier-Reimer, Negative Beschlüsse von Gesellschafterversammlungen, in FS Oppenhoff, 1985, S. 193; Messer, Der Widerruf der Stimmabgabe, in FS Fleck, 1988, S. 221; Nader, Willensbildung in der GmbH, 2010; Renkl, Der Gesellschafterbeschluss, 1982; Saenger, Teilnahme an Gesellschafterbeschlüssen, 1936; Hubert Schmidt, Prozessuale Fragen der Beschlussfassung und Beschlussanfechtung im Recht der GmbH und der Personengesellschaften, in Liber amicorum Lindacher, 2007, S. 125; Karsten Schmidt, Die Behandlung treuwidriger Stimmen in der Gesellschafterversammlung und im Prozess, GmbHR 1992, 9; Schnorr, Teilfehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse, 1997; Semler/Asmus, Der stimmlose Beschluss, NZG 2004, 881; Skauradszun, Der Beschluss als Rechtsgeschäft, 2020; Tecklenburg, Wahl und Beschluss, ArchBürgR 43 (1919), 168; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986; Winnefeld, Stimmrecht, Stimmabgabe und Beschluss, ihre Rechtsnatur und Behandlung, DB 1972, 1053; Wolff in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 39; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht …, 1963, S. 10 ff.; Zöllner, Beschluss, Beschlussergebnis und Beschlussergebnisfeststellung, in FS Lutter, 2000, S. 821. 90 OLG Frankfurt a.M. v. 11.11.2014 – 20 W 317/11, GmbHR 2015, 363, 365; Haas in Baumbach/ Hueck, § 60 Rz. 53a; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, § 64 Rz. 78; Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1986. 91 KG v. 5.5.1959 – 2 U 150/59, GmbHR 1959, 257; zust. Oberle in MünchHdb. GesR III, § 65 Rz. 104; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, § 64 Rz. 79; Haas/Kolmann/Kurz in Gottwald/Haas, Insolvenzrechts-Handbuch, § 90 Rz. 358; Jaeger/Weber, 8. Aufl., §§ 207, 208 KO Rz. 34. 92 Vgl. schon Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 17; so auch H.-F. Müller, Der Verband in der Insolvenz, 2002, S. 166 f.; Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1986. 93 Nichts anderes sagt im Ergebnis auch KG v. 5.5.1959 – 2 U 150/59, GmbHR 1959, 257; näher Karsten Schmidt, ZGR 1978, 431 f.; Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1986. 94 Vgl. Nerlich in Michalski u.a., § 60 Rz. 70.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 19 § 45

I. Rechtsnatur und Abgrenzung 1. Rechtsnatur Der Beschluss ist die legitime Form der Willensbildung in Verbänden95. Beschlussorgan ist 18 i.d.R. ein Kollegialorgan, hier „die Gesellschafter“ als Organ der GmbH (Rz. 5). Die „Rechtsnatur“ des Beschlusses wurde in der 6. Aufl. noch ausführlich behandelt96. Nach richtiger Auffassung ist der Beschluss ein körperschaftlicher Gesamtakt, ein nichtvertragliches Rechtsgeschäft, beruhend auf den Stimmabgaben der Gesellschafter und gerichtet auf verbindliche Willensbildung der Gesellschaft. Im Gegensatz zum Vertrag kommt der Beschluss nicht durch Austausch von Willenserklärungen, sondern durch ein sich in dem Beschlussorgan (z.B. Gesellschafterversammlung) vollziehendes Verfahren zustande (ggf. auch als „Einpersonenbeschluss“). Urheber des Beschlusses ist – bei der Mehrpersonengesellschaft wie bei der Einpersonengesellschaft – die Gesellschaftergesamtheit als das eine Beschlussorgan (vgl. auch Rz. 1, 5). Da es um verbindliche Willensbildung der Gesellschaft geht, ist auch der Beschluss in der Einpersonen-GmbH Beschluss im Rechtssinne97. Auch bei der Mehrpersonengesellschaft ändert sich an der Einordnung des Beschlusses als eines korporativen Rechtsgeschäfts „der Gesellschafter“ nichts, wenn er durch Stimmabgabe des einzigen erschienenen Gesellschafters zustande kommt98. Die verbindliche Willensbildung der Gesellschafter kommt durch Entscheidung über einen Antrag zustande. Diese Entscheidung kann positiver oder negativer Art sein (Rz. 31). Nicht gerechtfertigt ist eine Sonderbeurteilung negativer, auf Ablehnung des gestellten Antrags lautender Beschlüsse99. Die Ablehnung des in der Versammlung gestellten Antrags ist kein Nullum, sondern echter Beschluss. Der Unterschied wirkt sich erst bei der prozessualen Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit von Beschlüssen aus (Rz. 178 ff.). 2. Beschluss und Entschließung Keine Beschlüsse sind Entschließungen der Gesellschafter, die auf unverbindliche Meinungs- 19 kundgabe ohne Rechtsfolgewillen oder auf eine authentische Absichts- oder Wissenserklärung gerichtet sind (vgl. auch Rz. 34)100. Die Entschließung101 kann sich auf gesellschaftsfremde Fragen erstrecken (politische Meinungskundgaben etc.), aber auch auf Fragen des Gesellschaftsverhältnisses (z.B. Meinungsbilder über Unternehmensstrategien, Gewinnverwendungsabsichten, auch Missfallenskundgebungen etc.). Auch ein „Probebeschluss“ ist i.d.R. nur eine Entschließung im Vorfeld eines eventuellen Beschlusses (Rz. 20)102. Im Gegensatz zum Weisungsbeschluss (12. Aufl., § 46 Rz. 116) ist die Entschließung für den Geschäftsführer nicht im strengen Sinne rechtsverbindlich, kann aber das Geschäftsführerermessen (12. Aufl., § 43 Rz. 70 ff.) einschränken und Einfluss auf die Treupflichten von Gesellschaftern haben. Die Entschließung kann inhaltlich gegen Gesetz oder Satzung verstoßen, aber sie kann nicht wie ein Rechtsgeschäft wirksam oder nichtig sein. Sie unterliegt auch nicht, wie ein Beschluss, der Anfechtung nach Rz. 93 ff. Allerdings kann eine Entschließung Einfluss auf das Rechtsschutzbedürfnis z.B. bei einer Feststellungsklage haben und, wenn sie Rechte verletzt,

95 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 15 I 1; Lindemann, S. 35 ff. 96 Jetzt wieder ausführlich Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 1 ff., 7 ff. und monografisch Skauradszun, Der Beschluss als Rechtsgeschäft. 97 Lindemann, S. 62 ff.; vgl. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 48 Rz. 63; Wicke, § 48 Rz. 9; Zöllner, Schranken, S. 11 f. 98 Baltzer, S. 133; zust. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 8; Beispiel: RGZ 68, 382. 99 Z.B. Winnefeld, DB 1972, 1055; s. auch Maier-Reimer in FS Oppenhoff, 1985, S. 193 ff. 100 So wohl auch BGH v. 25.11.2002 – II ZR 69/01, GmbHR 2003, 171, 173. 101 Der Begriff der „Entschließung“ ist aus dem Staatsrecht übernommen und wurde hier von Karsten Schmidt in der 6. Aufl. in die GmbH-Literatur eingeführt. 102 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 13.

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§ 45 Rz. 19 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Gegenstand einer Widerrufs- oder Unterlassungsklage sein103. Dies bestimmt auch die Abgrenzung zwischen Beschluss und Entschließung. Immer dann, wenn sinnvollerweise die Frage „wirksam oder nicht?“ gestellt werden kann, liegt ein echter Beschluss, also ein Rechtsgeschäft, vor. Z.B. ist die Entlastung (§ 46 Nr. 5), obwohl zunächst „innenpolitische“ Vertrauenskundgebung der GmbH, wegen der gewollten Rechtsverbindlichkeit ein solcher Beschluss, anders als eine bloße Würdigung der Geschäftsführung. Wird ein Antrag abgelehnt, so ist auch dies ein echter Beschluss (Rz. 31). Aus einer ordnungsgemäßen Ausführungshandlung im Außenverhältnis bei ausführungsbedürftigen Gegenständen (Rz. 29) auf Grundlage eines Einigseins der Gesellschafter in einer Universalversammlung wird regelmäßig auf eine konkludente Beschlussfassung – keine bloße Entschließung – hindeuten104. 3. Verfahrensleitende Verfügung 20 Kein Beschluss ist eine verfahrensleitende Verfügung des Versammlungsleiters in der Gesell-

schafterversammlung oder eines Geschäftsführers im schriftlichen Verfahren105; sie ist demgemäß kein tauglicher Gegenstand einer Anfechtungsklage106. Kommt es zu Verfahrensfehlern, so können die darauf beruhenden Beschlüsse anfechtbar sein (Rz. 94 ff.). Dasselbe gilt grundsätzlich für Verständigungen unter den Gesellschaftern über Fragen der Versammlungs- oder Beschlussprozedur. Anders verhält es sich, wenn eine Verfahrensfrage zum Gegenstand einer verbindlichen Beschlussfassung gemacht wird, was vorbehaltlich statutarischer Bestimmungen regelmäßig bei der Wahl (12. Aufl., § 48 Rz. 32 f.) und Abberufung (12. Aufl., § 48 Rz. 34) des Versammlungsleiters der Fall ist107. 4. Beschlusstatbestand und Beschlussfeststellung 21 Ein Beschluss ist zustande gekommen, wenn die (anwesenden oder sonst am Beschlussver-

fahren beteiligten) Gesellschafter durch Abgabe von Ja-Stimmen, Nein-Stimmen oder Stimmenthaltungen rechtsverbindlich über den Beschlussantrag befunden haben108. Darauf, ob die einzelnen Stimmen wirksam sind (Rz. 22), kommt es für den Beschlusstatbestand nicht an109. Dagegen ist eine nur vorläufige Entschließung, der ein solcher Wille (noch) nicht entnommen werden kann, insbesondere ein vom Versammlungsleiter oder schriftlich von einem Geschäftsführer eingeholtes bloßes „Meinungsbild“, nur Entschließung (Rz. 19) und noch kein Beschluss im Rechtssinne110. 21a Umstritten ist, ob die Beschlussfeststellung zum Tatbestand des Beschlusses gehört, d.h. kon-

stitutive Voraussetzung der Herbeiführung eines Beschlusses ist. Dies kann durch Satzungsbestimmung angeordnet werden111. Jedoch sind Klauseln, die eine Beschlussfeststellung

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Ausführlicher noch in der 9. Aufl., Rz. 30. Vgl. OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, GmbHR 2017, 295, 299 m. Anm. Haase. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 14. Vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 14. BGH v. 4.5.2009 – II ZR 166/07, GmbHR 2009, 1325, 1326 m. Anm. Münnich = EWiR 2010, 293 m. Anm. Lindfeld = ZIP 2009, 2193; OLG München v. 12.1.2005 – 7 U 3691/04, GmbHR 2005, 624; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 107; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 48 Rz. 14; Wicke, § 48 Rz. 3; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 48 GmbHG Rz. 14. Vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 2; Baltzer, S. 126. BGH v. 24.4.2006 – II ZR 30/05, BGHZ 167, 204 = ZIP 2006, 1134, 1137 Rz. 26; OLG Stuttgart v. 13.5.2013 – 14 U 12/13, GmbHR 2013, 803; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 7; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 3; a.M. Semler/Asmus, NZG 2004, 881, 890. Vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 13. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 11; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 54; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 21; Zöllner/Noack in Baumbach/

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 21b § 45

(durch einen Versammlungsleiter) anordnen, ohne diese hinreichend deutlich zur Voraussetzung der Beschlussfassung zu machen, im Zweifel nicht dahin auszulegen, dass die Feststellung zum Tatbestand des Beschlusses gehört112. Auch die mit derartigen Klauseln vorgeschriebene Beschlussfeststellung klärt in der Regel nur das Ergebnis der Abstimmung (hierzu Rz. 49a ff.) und ist nicht für das Vorliegen eines Beschlusses unerlässlich. Gesellschaftsvertragliche Beschlussfeststellungsklauseln können sogar lediglich Ordnungsvorschriften sein, deren Verletzung keinen zur Anfechtung berechtigenden Beschlussmangel darstellt (Rz. 99). Jenseits statutarischer Vorgaben gehört die Feststellung nicht zum Tatbestand des Beschlus- 21b ses und ist keine Existenz- oder Wirksamkeitsvoraussetzung des Beschlusses (12. Aufl., § 48 Rz. 52 f.)113. Eine Gegenposition vertritt vor allem Altmeppen114, allerdings mit der für die praktischen Konsequenzen wichtigen Besonderheit, dass keinesfalls nur ein Versammlungsleiter Beschlüsse festzustellen imstande sein soll. Die Beschlussfeststellung fällt nach Altmeppen in die originäre Organkompetenz der Gesellschafter (dazu noch Rz. 49d), und ein diese Aufgabe wahrnehmender Versammlungsleiter handle in ihrem Zuständigkeitskreis. Nur ein eindeutig mit der entsprechenden Kompetenz ausgestatteter „qualifizierter Versammlungsleiter“ kann nach Altmeppen die Gesellschafter aus dieser originären Beschlussfeststellungskompetenz verdrängen (dazu noch Rz. 49e)115. Allgemein können die Gesellschafter nach Altmeppen mit einfacher Mehrheit Beschlüsse konkludent feststellen, ebenso – im Einvernehmen mit der Gesellschaftermehrheit – auch ein lediglich moderierender Versammlungsleiter116. Nicht ohne Grund kritisiert Altmeppen, es sei inkonsequent, einerseits der Feststellung konstitutive Wirkung für die Beschlussgenese abzusprechen, andererseits die exklusive Eröffnung der fristgebundenen Anfechtungsklage analog §§ 241 ff. AktG von einer förmlichen Beschlussfeststellung abhängig zu machen117. Die Auflösung dieses Widerspruchs besteht jedoch eben nicht darin, dass erst die Beschlussfeststellung den Beschlusstatbestand vollendet. Sie besteht vielmehr darin, dass auch ein nicht förmlich festgestellter Beschluss (nur) mit der Anfechtungsklage angreifbar sein kann (dazu Rz. 49a ff.)118.

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Hueck, § 47 Rz. 27; Bochmann, GmbHR 2017, 558, 566; unklar OLG München v. 21.9.1994 – 7 U 3095/94, MittRhNotK 1995, 235, 236 m. Anm. Braunfels = GmbHR 1995, 231. Ähnlich Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 54 (Satzung muss Feststellung „ausdrücklich“ zur Wirksamkeitsvoraussetzung erheben). BGH v. 11.12.2006 – II ZR 166/05, GmbHR 2007, 260, 262 m. Anm. Wackerbarth = EWiR 2007, 201 m. Anm. Wagner = ZIP 2007, 268; OLG Celle v. 15.5.1996 – 9 U 185/95, GmbHR 1997, 172; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 2, 11; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 54; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 21; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 28; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 583; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 26, Anh. § 47 Rz. 91; Bayer/Möller, NZG 2018, 801, 807; Herchen in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 83, 89 ff.; Noack, GmbHR 2017, 792, 793; Zöllner in FS Lutter, 2000, S. 821, 826; missverständlich OLG Stuttgart v. 13.4.1994 – 2 U 303/93, GmbHR 1995, 228. Altmeppen, § 47 Rz. 3; Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2836 ff.; Altmeppen, ZIP 2017, 1185, 1187 f.; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 228; jeweils im Anschluss an Ernst in Liber amicorum Leenen, 2012, S. 1, 9 ff., 15 ff.; vgl. ferner Koppensteiner, JBl 2017, 273, 277; Skauradszun, Der Beschluss als Rechtsgeschäft, S. 79 ff. Altmeppen, § 48 Rz. 23; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 230; Altmeppen, ZIP 2017, 1185, 1187 f. Altmeppen, § 48 Rz. 14; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 230. Altmeppen, § 47 Rz. 5, Anh. § 47 Rz. 136; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 226. BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427 = ZIP 2008, 757; OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84, 88; OLG Stuttgart v. 10.2.2014 – 14 U 40/13, GmbHR 2015, 431, 432.

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§ 45 Rz. 22 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse

II. Beschlusselemente 1. Stimmabgabe und Beschluss 22 Der Beschluss muss von der einzelnen Stimmabgabe unterschieden werden119. Diese ist ein-

seitige, i.d.R. zugangsbedürftige Willenserklärung120. Für sie gelten die §§ 104 ff., 116 ff., 130 ff. BGB121. Insbesondere kann eine Stimmabgabe nach §§ 119 ff., 142 BGB mit Nichtigkeitsfolge angefochten werden122. Zur Nichtigkeit einer Stimme wegen Treupflichtverletzung vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 32. Die Bindungsdauer einer Stimmabgabe hängt, wie allgemein bei Willenserklärungen, vom Einzelfall ab. Wird ein Beschluss sukzessiv gefasst, so wird zum Teil verlangt, dass die Abstimmenden bis zur letzten Stimmabgabe oder sogar bis zur Feststellung des Beschlussergebnisses an ihrer Stimme festhalten123. Eine Gegenansicht hält die Stimmabgabe grundsätzlich für bindend124. Der BGH hat entschieden, dass eine Bindung jedenfalls dann bis zur letzten Stimmabgabe besteht, wenn ein solcher Bindungswille bei der Stimmabgabe erkennbar war125; umgekehrt muss das die auflösende Befristung der Stimmabgabe ermöglichen. Die Frage hat namentlich durch die auf Grundlage von § 2 COVMG erweiterten Möglichkeiten der präsenzlosen Beschlussfassung gemäß § 48 Abs. 2 (12. Aufl., § 48 Rz. 68a ff.) größere praktische Bedeutung als zuvor erlangt. Allgemein ist davon auszugehen, dass die Stimmabgabe als Willenserklärung gemäß § 130 Abs. 1 BGB nur bis zu deren Zugang bei der Gesellschaft widerrufbar ist126. Bei Beschlussfassungen im Umlaufverfahren, bei denen ein Umlaufschreiben jeweils dem nächsten Gesellschafter weitergeleitet wird, soll ein Widerruf daher solange möglich sein, bis das Umlaufschreiben auch der Gesellschaft zugegangen ist127.

119 Skauradszun, Der Beschluss als Rechtsgeschäft, S. 50 ff.; Koppensteiner, JBl 2017, 273, 274 ff. 120 BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 267; BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 173; BGH v. 27.10.1951 – II ZR 44/50, NJW 1952, 98, 99; OLG Jena v. 9.1.2006 – 6 U 569/05, GmbHR 2006, 985, 986; Lindemann, S. 35 ff.; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 193; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 2; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 31; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 44; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 7; Altmeppen, § 47 Rz. 48; a.M. Bühler, DNotZ 1983, 591. 121 OLG Düsseldorf v. 1.7.2011 – 17 U 122/10, GmbHR 2012, 1363; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, § 47 Rz. 8; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 44; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 13; Skauradszun, Der Beschluss als Rechtsgeschäft, S. 209 ff. 122 Vgl. nur OLG München v. 27.10.1982 – 7 U 4099/81, WM 1984, 260, 262; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 8; Altmeppen, § 47 Rz. 49; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 13; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 44; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 17; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 37. 123 Altmeppen, § 48 Rz. 45 (in analoger Anwendung des § 130 Abs. 1 BGB sei bei einem Gesellschafterbeschluss nicht auf den Zugang der einzelnen Stimmabgabe, sondern auf die Feststellung des Beschlussergebnisses abzustellen); vgl. zur Personengesellschaft RGZ 128, 172, 177; s. auch RGZ 163, 385, 392 f. 124 OLG Jena v. 9.1.2006 – 6 U 569/05, GmbHR 2006, 985, 986 (für das Umlaufverfahren); Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 168 f.; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 48 Rz. 52; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 48 Rz. 31; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 2 („Ein Widerruf der Stimme ist nach Zugang grundsätzlich ausgeschlossen“); Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 378 f.; Messer in FS Fleck, 1988, S. 221 ff. 125 BGH v. 19.2.1990 – II ZR 42/89, ZIP 1990, 505 (Personengesellschaft). 126 OLG Jena v. 9.1.2006 – 6 U 569/05, GmbHR 2006, 985, 986; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 168 f.; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 48 Rz. 52; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 48 Rz. 31; Noack in Baumbach/Hueck/Noack, Ergänzung zu § 2 COVMG, § 2 Rz. 40; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 2; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 378 f. 127 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 48 Rz. 31; Noack in Baumbach/Hueck/Noack, Ergänzung zu § 2 COVMG, § 2 Rz. 40; Altmeppen, § 48 Rz. 43.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 23 § 45

Dagegen gelten die Regelungen des BGB über Willenserklärungen nicht auch für den Beschluss selbst128. Ist eine Stimme unwirksam oder wirksam angefochten, so kann der Beschluss nur wegen Mitzählung der unwirksamen Stimme nach den bei Rz. 98 geschilderten Grundsätzen anfechtbar sein, ist aber nicht ohne Weiteres unwirksam oder nichtig. Mit gewissen Modifikationen lassen sich allerdings die für Rechtsgeschäfte allgemein geltenden Regeln der §§ 125, 134, 138, 139 und 140 BGB auf den Beschluss als solchen anwenden129: Ein Beschluss kann wegen Formmangels nichtig sein (Rz. 66 ff.). Auch können schwere Inhaltsverstöße, nämlich Gesetzwidrigkeit und Sittenwidrigkeit, zur Nichtigkeit eines Beschlusses führen (Rz. 72 ff.). Schließlich führt eine Teilnichtigkeit innerhalb eines einheitlichen Beschlussgegenstands – ein bloß sachlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang genügt aber nicht – in Anwendung des § 139 BGB im Zweifel zur Nichtigkeit des gesamten Beschlusses130. Zur Frage der Umdeutung vgl. Rz. 24. Eine besondere Stimmenauswertung durch den Vorsitzenden (Protokollierung, Verkündung) ist grundsätzlich kein zwingendes Beschlusselement (vgl. Rz. 21 ff., 49a ff., 12. Aufl., § 48 Rz. 51 ff.). 2. Beschluss und Ausführungsgeschäft Der Beschluss muss schließlich von einer etwa erforderlichen Erklärung des durch Beschluss 23 gebildeten Willens gegenüber Beteiligten oder Dritten unterschieden werden131. Es gibt Beschlüsse, die ihre Rechtswirkung in sich selbst tragen (z.B. ein Auflösungsbeschluss nach § 60 Abs. 1 Nr. 2). Von derartigen ipos iure rechtsgestaltenden Beschlüssen zu unterscheiden ist der ausführungsbedürftige Beschluss (Rz. 29). Dieser bedarf noch eines besonderen Ausführungsakts, also einer Geschäftsführungshandlung, ggf. eines Rechtsgeschäfts. Der Beschluss selbst ist nur ein Akt der gesellschaftlichen Willensbildung, nicht eine Willenserklärung der Gesellschaft132. Über die Zuständigkeit für die Ausführung des Beschlusses vgl. Rz. 30. Das Ausführungsgeschäft unterliegt den allgemeinen Regeln über Willenserklärungen

128 Vgl. BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 267; OLG München v. 27.10.1982 – 7 U 4099/81, WM 1984, 260, 262; Baltzer, S. 181; Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 320 ff., 322; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 9; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 3; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 193 f.; differenzierend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 5. 129 Ausführlicher noch Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 24; a.M. (jedenfalls für die §§ 125, 134, 138 BGB) Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 9; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 3; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 3; weitgehend ebenso: Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 5. 130 Vgl. BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rz. 70 = GmbHR 2019, 988 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; OLG München v. 9.1.2019 – 7 U 1509/18, GmbHR 2019, 298, 301; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 78; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 76; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 18; Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 324; Grunewald, NZG 2017, 1321 ff.; für AG BGH v. 19.5.2015 – II ZR 176/14, BGHZ 205, 319 = ZIP 2015, 1429, 1432 Rz. 30; RGZ 146, 385, 394; für Genossenschaft RGZ 118, 218, 221; RGZ 125, 143, 154; RGZ 137, 243, 250; RGZ 140, 174, 177; a.M. (im Hinblick auf Satzungsänderungen): Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, § 53 Rz. 110; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 92. 131 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 5, 10; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 11; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 39; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 22; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 193, 195 f. 132 Vgl. nur KG v. 16.3.1959 – 1 W 137/59, NJW 1959, 1446; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 4; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 46 Rz. 54 (für die Unterscheidung zwischen Bestellungsbeschluss im Innenverhältnis und Bestellungserklärung im Außenverhältnis); Franz Scholz, hier in der 5. Aufl., § 45 Rz. 8; Brodmann, § 47 Rz. 2a; Baltzer, S. 176; Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 299; Feine, S. 515; s. aber Bohn, S. 128 ff.; Manigk, Das rechtswirksame Verhalten, 1939, S. 341.

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§ 45 Rz. 23 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse einschließlich der §§ 119, 123 BGB133, der Beschluss als Akt der innergesellschaftlichen Willensbildung dagegen den Regeln über die Beschlussanfechtung. Im Fall der Einpersonengesellschaft können Beschluss und Ausführungsgeschäft zusammenfallen134. 23a Eine an sich erforderliche Ausführungshandlung erübrigt sich de facto, wenn der Vollzug des

(ausführungsbedürftigen) Beschlusses in einer Erklärung gegenüber dem Betroffenen erschöpft (vgl. zur Einforderung der Einlagen 12. Aufl., § 46 Rz. 49; zur Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern 12. Aufl., § 46 Rz. 80). Wenngleich etwa ein Einziehungsbeschluss nicht vor dessen Mitteilung gegenüber dem Betroffenen wirksam wird135, erübrigt sich ein gesonderter Mitteilungsakt, wenn der betroffene Gesellschafter bei der Beschlussfassung anwesend ist136. Auch der Ausschluss eines Gesellschafters durch satzungsmäßig vorgesehenen Gestaltungsbeschluss137 kann bereits mit der Beschlussfassung wirksam werden138, und zwar insbesondere ohne gleichzeitige Entscheidung über die Verwertung seines Geschäftsanteils139. Mit Recht verallgemeinert BGH v. 5.5.2003140 folgendermaßen: „Ein Gesellschafterbeschluss, der die Grundlage für ein Rechtsgeschäft oder eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung des Vertretungsorgans der GmbH bildet, wird mit seinem Zustandekommen regelmäßig zugleich mit Außenwirkung umgesetzt, sofern sowohl der Geschäftsführer der GmbH als auch der außenstehende Dritte als potentieller Empfänger der Erklärung oder Handlung bei der Beschlussfassung zugegen sind.“ 3. Auslegung 24 Bei der Auslegung von Beschlüssen stellte die ältere Rechtsprechung streng auf den Wortlaut

ab141. Umstände, die sich nicht unmittelbar aus dem Beschluss ergeben, sollten keine Berücksichtigung finden142. Diese strenge Praxis ist überholt143. Nach heute h.M. gelten die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB mit der Maßgabe, dass grundsätzlich eine objektive Auslegung geboten ist144. Dies folgt daraus, dass ein die Gesellschaftergesamtheit betreffender Verbandsakt und nicht ein bloß ein- oder zweiseitiges Rechtsgeschäft vorliegt. Zum Fall der Teilnichtigkeit vgl. Rz. 22. Eine berichtigende oder ergänzende Auslegung des Beschlusses unter Berücksichtigung des auch nur unvollkommen zum Ausdruck gebrachten Willens ist zulässig. Insbesondere können auch Umstände in die Auslegung einflie-

133 Vgl. auch aus dem Aktienrecht RG, HRR 1933 Nr. 45. 134 BGH v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, GmbHR 2007, 606, 607; BGH v. 20.10.2008 – II ZR 107/07, GmbHR 2008, 1316; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 11; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 160. 135 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 = ZIP 2012, 422, 423 Rz. 13 ff. = GmbHR 2012, 387; OLG Frankfurt a.M. v. 12.10.2010 – 5 U 189/09, GmbHR 2011, 1320, 1324; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 46 Rz. 28; Altmeppen, § 34 Rz. 20, 78. 136 OLG Dresden v. 28.10.2015 – 13 U 788/15, GmbHR 2016, 56, 57; Altmeppen, § 34 Rz. 20. 137 Zur Terminologie: hier Seibt, Anh. § 34 Rz. 58; ähnlich („rechtsgestaltender Gesellschafterbeschluss“) Kersting in Baumbach/Hueck, Anh. § 34 Rz. 16. 138 BGH v. 4.8.2020 – II ZR 171/19, GmbHR 2020, 1118, 1121 Rz. 25 f.; BGH v. 8.12.2008 – II ZR 263/07, ZIP 2009, 314 Rz. 5 f.; Strohn in MünchKomm. GmbHG, § 34 Rz. 176; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 34 Rz. 40; Kersting in Baumbach/Hueck, Anh. § 34 Rz. 16; Bayer, GmbHR 2017, 665, 667. 139 BGH v. 4.8.2020 – II ZR 171/19, GmbHR 2020, 1118, 1121 Rz. 26. 140 BGH v. 5.5.2003 – II ZR 50/01, GmbHR 2003, 954 = ZIP 2003, 1293, 1294. 141 Vgl. für AG RGZ 108, 326. 142 RGZ 146, 154. 143 Ausführlicher noch Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 27. 144 BGH v. 23.1.2018 – II ZR 76/16, juris = BeckRS 2018, 9330 Rz. 20; OLG Köln v. 9.6.1981 – 2 Wx 11/81, GmbHR 1982, 211; Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 105; Drescher in MünchKomm GmbHG, § 47 Rz. 10a.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 27 § 45

ßen, die zwar nicht aus dem Beschluss selbst, aber für den durch den Beschluss angesprochenen Personenkreis ersichtlich sind145. Aus diesem Grund können in Familienunternehmen gefasste Beschlüsse im Einzelfall unter Berücksichtigung einer Familienverfassung oder ähnlicher Abreden auszulegen sein, wenn sich die Beteiligten und Betroffenen den Inhalt der Familienverfassung redlicherweise entgegenhalten lassen müssen146. Auch eine von allen Gesellschaftern als satzungsgemäß akzeptierte Übung kann Berücksichtigung finden (zur authentischen Auslegung durch deklaratorischen Beschluss vgl. Rz. 34)147. Eine Umdeutung nichtiger Beschlüsse nach § 140 BGB ist zulässig, wenn die Fassung des umzudeutenden Beschlusses den Schluss auf einen hypothetischen Verbandswillen zulässt148. Ein allgemeines Bestimmtheitsgebot für Beschlüsse gibt es nicht149, erst recht kein Ausdrücklichkeitsgebot, so dass konkludente Beschlussfassungen möglich sind150. Solange durch Auslegung geholfen werden kann, ist auch ein unklarer Beschluss grundsätzlich wirksam. Lässt ein formell gefasster Beschluss überhaupt keine sinnvolle Auslegung zu, so liegt der Beschlusstatbestand nicht vor (vgl. auch Rz. 50)151.

III. Arten von Beschlüssen Die unterschiedlichen Arten von Beschlüssen werden hier nur insoweit dargestellt, als eine 25 Systematisierung die praktische Rechtsanwendung erleichtert. Die Systematisierung kann nach unterschiedlichen Gesichtspunkten erfolgen. 1. Unterscheidung nach dem Beschlussverfahren a) Nach dem Verfahren der Beschlussfassung unterscheidet man Versammlungsbeschlüsse 26 und Beschlüsse ohne Versammlung. Beide Beschlussarten sind Beschlüsse desselben Gesellschaftsorgans (vgl. Rz. 5; str.). Zu den Letzteren gehören insbesondere die Einpersonenbeschlüsse (12. Aufl., § 48 Rz. 69 ff.) und die im schriftlichen Verfahren ergehenden Beschlüsse (12. Aufl., § 48 Rz. 55 ff.). b) Formfreie und formbedürftige Beschlüsse sind zu unterscheiden. Grundsätzlich schreibt 27 das Gesetz keine Form für die Beschlussfassung und Beschlussfeststellung vor (anders § 130 Abs. 1 AktG)152. Gesetzlich vorgeschrieben ist in § 53 Abs. 2 Satz 1 die notarielle Beurkundung satzungsändernder Beschlüsse. Der Formzwang gilt auch für Umwandlungsbeschlüsse (vgl. § 13 Abs. 3, § 125, § 193 Abs. 3 Satz 1 UmwG). Zur Form bei der Beschlussfassung über Unternehmensverträge vgl. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht (nach § 13) Rz. 149. Der Verstoß

145 Drescher in MünchKomm GmbHG, § 47 Rz. 10a; Busche in FS Säcker, 2011, S. 45, 56. 146 Vgl. (jeweils im Hinblick auf die Auslegung der Satzung selbst) Fleischer, ZIP 2016, 1509, 1517 f.; Kalss in FS Binz, 2014, S. 343, 351, vgl. auch Prütting/Schirrmacher, ZGR 2017, 829, 835 ff. 147 Zustimmend Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 10a. 148 Die in der 6.-8. Aufl. vertretene Gegenansicht war unstimmig gerade in Bezug auf die hier akzeptierte sinngemäße Anwendbarkeit des § 139 BGB auf Beschlüsse; insofern treffend die Kritik bei Schnorr, Teilfehlerhafte Gesellschaftsbeschlüsse, 1997, S. 93 f.; gegen Umdeutung eines Einziehungsbeschlusses in einen Ausschließungsbeschluss OLG Hamm v. 1.2.1995 – 8 U 148/94, GmbHR 1995, 736, 738; Fischer/Schmidt in Beck’sches Handbuch der GmbH, 6. Aufl. 2021, § 4 Rz. 163. 149 A.M. Emde, ZIP 2000, 59, 60; wohl auch Hoffmann in Michalski u.a., § 53 Rz. 60. 150 Vgl. OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, GmbHR 2017, 295, 299 m. Anm. Haase; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 2; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 54. 151 A.M. Emde, ZIP 2000,59, 64: bei Kapitalanlagegesellschaften nur Anfechtbarkeit; für Nichtigkeit Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 54. 152 Vgl. OLG Brandenburg v. 20.9.2000 – 7 U 71/00, GmbHR 2001, 624, 625; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 54.

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§ 45 Rz. 27 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse gegen eine gesetzlich vorgeschriebene Form macht einen Beschluss nichtig (Rz. 66 ff.). Die Satzung kann die Einhaltung einer Form, insbesondere auch die Beurkundung von Beschlüssen, vorschreiben153. Dann sollte klargestellt werden, ob die Form nur der Dokumentation dienen oder Wirksamkeitserfordernis sein soll. Anderenfalls ist dies durch Auslegung zu ermitteln154. Statuarisch angeordneten notariellen Beurkundungserfordernissen wird eher als bloß schriftlicher oder textförmiger Protokollierungspflicht eine echte Wirksamkeitsvoraussetzung beizumessen sein155. 28 c) Eintragungsbedürftige Beschlüsse sind solche, die erst durch Eintragung wirksam wer-

den156. Vor allem gehören hierher wiederum die Satzungsänderung (§ 54 Abs. 3)157 und die Umwandlung (vgl. §§ 16 ff., 125, 198 f. UmwG). Zum Eintragungserfordernis beim Beschluss über Unternehmensverträge vgl. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht (nach § 13) Rz. 152 ff. Nach neuer Rechtsprechung des BGH unterliegen Teilgewinnabführungsverträge mit einer GmbH als abführungspflichtiger Gesellschaft in der Regel aber keinen besonderen Eintragungsanforderungen, wenn sie keine satzungsüberlagernde Wirkung haben158. Die Eintragung ist in Fällen eintragungsbedürftiger Beschlüsse nur Voraussetzung für den Eintritt der beschlossenen Rechtsfolge. Der Beschluss als solcher ist schon vor der Eintragung vorhanden und kann z.B. auch schon Gegenstand einer Anfechtungsklage sein159; auch wenn die Kapitalerhöhung erst mit Eintragung wirksam wird, kann der Kapitalerhöhungsbeschluss doch bereits die Pflicht zur zügigen Durchführung der Kapitalerhöhung durch die Gesellschaft begründen160. 29 d) Ausführungsbedürftige Beschlüsse sind solche, bei denen die beschlossene Rechtsfolge

noch vom Abschluss eines Rechtsgeschäfts oder von der Mitteilung des Beschlusses an einen Adressaten abhängt (Rz. 23a). Der Ausführung bedürfen z.B. die Einforderung von Einlagen (§ 46 Nr. 2) oder die Geltendmachung von Ersatzansprüchen (§ 46 Nr. 8). Der Beschluss, eine Anteilsabtretung werde genehmigt (§ 15 Abs. 5), stellt noch nicht die Genehmigungserklärung der Gesellschaft gegenüber dem Veräußerer oder Erwerber dar (vgl. 12. Aufl., § 15 Rz. 121, 128 ff.). Der Beschluss über einen Unternehmensvertrag (12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13] Rz. 139 ff.) ersetzt noch nicht den Vertragsschluss, der Beschluss über eine Verschmelzung noch nicht den Verschmelzungsvertrag161. Ein Einziehungsbeschluss (§ 34) führt die Einziehungswirkung mit seiner Mitteilung herbei (vgl. aber Rz. 23a)162. Der Beschluss, den P zum Prokuristen zu bestellen (§ 46 Nr. 7), ist noch keine Prokuraerteilung (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 126). Auch der Beschluss, den G zum Geschäftsführer zu bestellen oder die Bestellung zu widerrufen, bedarf noch der rechtsgeschäftlichen Mitteilung des Beschlusses an den Betroffenen (vgl. Rz. 23a sowie 12. Aufl., § 46 Rz. 79)163. Bis dies geschehen ist, kann der Beschluss durch neue Beschlussfassung aufgehoben werden, ohne dass das Rechtsver-

153 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 48 Rz. 23; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 54. 154 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 48 Rz. 23; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 56. 155 OLG Stuttgart v. 8.7.1998 – 20 U 112/97, GmbHR 1998, 1034, 1035; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 56; Altmeppen, § 48 Rz. 32. 156 Dazu Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 133 ff., 178. 157 Dazu Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 54 Rz. 97; Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 54 GmbHG Rz. 1. 158 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223,13 = GmbHR 2019, 1176, 1178 Rz. 21 ff. 159 Vgl. für die AG RGZ 77, 256. 160 BGH v. 3.11.2015 – II ZR 13/14, GmbHR 2015, 1315, 1316 f. m. Anm. Mock = EWiR 2016, 5 m. Anm. Lieder = ZIP 2015, 2315; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 54, 62. 161 Vgl. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 39 f. 162 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 = GmbHR 2012, 387 = ZIP 2012, 422. 163 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 46 Rz. 54.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 31 § 45

hältnis gegenüber dem Geschäftsführer bereits umgestaltet wäre und neu begründet werden müsste164. Die Zuständigkeit für die Ausführung des Beschlusses hängt davon ab, ob die Ausführung 30 ein Außengeschäft der GmbH oder ein Sozialakt ist165. Im ersteren Fall obliegt sie den Geschäftsführern, im letzteren Fall den Gesellschaftern selbst166. Insbesondere Verträge der GmbH mit Dritten, Vollmachterteilungen, aber auch z.B. Abreden über Gesellschafterdarlehen sind Rechtsgeschäfte der GmbH. Um einen Sozialakt handelt es sich bei der Übernahme einer Einlage auf das erhöhte Stammkapital (h.M.; vgl. 12. Aufl., § 55 Rz. 73)167 und bei der Bestellung eines Geschäftsführers (12. Aufl., § 46 Rz. 80). Aufgrund der Sachnähe zur Bestellung sind die Gesellschafter – vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmungen168 – in entsprechender Anwendung des § 46 Nr. 5 (Annexkompetenz) auch für den Abschluss, die Änderung und die Beendigung von Anstellungsverträgen mit (auch ausgeschiedenen) Geschäftsführern sowie sonstige unmittelbar auf das Geschäftsführeramt bezogene Rechtsgeschäfte (z.B. Generalbereinigungsvertrag) zuständig169. Die Gesellschafter können einen von ihnen, einen Geschäftsführer oder einen Dritten zur Ausführung eines Beschlusses bevollmächtigen oder ermächtigen170. Ist dies der Geschäftsführer, z.B. als Versammlungsleiter, so leitet sich seine Vertretungsmacht nicht aus § 35 her, sondern von den Gesellschaftern als Organ der Gesellschaft. Eine ausdrückliche Erteilung dieser (Unter-)Vollmacht ist entbehrlich, wenn in dem Beschluss zugleich die Weisung zu erblicken ist, das Ausführungsgeschäft vorzunehmen. 2. Unterscheidung nach Inhalt und Funktion a) Positive und negative Beschlüsse171 unterscheiden sich danach, ob der zur Beschlussfas- 31 sung gestellte Antrag Erfolg hat oder nicht. Durch den positiven Beschluss ist antragsgemäß entschieden. Durch den negativen Beschluss ist der Antrag gleichfalls verbraucht, aber abgelehnt. Insofern liegt eine Sachentscheidung über den Antrag vor172. Auch der „negative“ (den Antrag ablehnende) Beschluss ist echter Beschluss173, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Antrag mehrheitlich abgelehnt ist oder ob nur die für seine Annahme erforderliche 164 RGZ 68, 381, 385 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 31; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 41; Altmeppen, § 47 Rz. 29; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 24. 165 Ähnlich Wicke, § 47 Rz. 2; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 39 Rz. 92. 166 BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117, 120; Kuhn, WM 1972, 1152. 167 BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117, 119. 168 Zur satzungsmäßigen Übertragung der Be- und Anstellungskompetenz auf einen fakultativen Aufsichtsrat: BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, GmbHR 2019, 1233, 1235 Rz. 21. 169 Vgl. BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, BGHZ 222, 32 = GmbHR 2019, 883, 884 f. Rz. 18; BGH v. 3.7.2018 – II ZR 452/17, GmbHR 2018, 1009 Rz. 10 = EWiR 2018 551 m. Anm. Bochmann/Cziupka; OLG Koblenz v. 21.7.2017 – 5 U 399/17, GmbHR 2018, 90, 92; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 46 Rz. 23; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 254; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 37 Rz. 29; Lieder, NZG 2015, 569, 570 f., 573; Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449, 455. 170 BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117, 120; BGH v. 1.2.1968 – II ZR 212/65, WM 1968, 570; BGH v. 18.11.1968 – II ZR 121/67, WM 1969, 159; BGH v. 12.7.1971 – II ZR 127/69, WM 1971, 1151; Kuhn, WM 1972, 1152. 171 Dazu Skauradszun, Der Beschluss als Rechtsgeschäft, S. 54, 116, 304 ff.; Baltzer, S. 114; Baltzer, GmbHR 1972, 57 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 1. 172 Der Einwand, dass der Antrag neu gestellt werden kann (Maier-Reimer in FS Oppenhoff, 1985, S. 193; Baltzer, GmbHR 1972, 61), verfängt nicht. Ein neuer Antrag auf einen dem Beschluss entgegengesetzten Zweitbeschluss ist auch im Fall eines positiven Beschlusses möglich. 173 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320, 328 = GmbHR 1984, 93; BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 30 = AG 1986, 256 = GmbHR 1986, 156; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 15; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 3; Hüffer/Schäfer in

Karsten Schmidt/Bochmann | 701

§ 45 Rz. 31 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Mehrheit fehlt. Der negative Beschluss wirft besondere Rechtsschutzprobleme auf (näher Rz. 178 ff.). Kein (daher auch kein negativer) Beschluss liegt vor, wenn sich die Gesellschafter mit einem Antrag nicht sachlich befasst haben, da ein Beschluss stets eine Entscheidung in der Sache voraussetzt174. I.d.R. wird dann davon auszugehen sein, dass der Antrag mit dem Ende der Versammlung verbraucht und in einer neuen Gesellschafterversammlung neu zu stellen ist (der Antrag kann aber auch von der Versammlung als unerledigt aufgeschoben werden). Ein gegen den Willen eines Antragstellers gefasster Vertagungs- oder Nichtbefassungsbeschluss kann dagegen der Anfechtung unterliegen (vgl. Rz. 96)175. 32 b) Bestätigende Beschlüsse dienen der „Heilung“ (potentiell) fehlerhafter Beschlüsse (s.

auch Rz. 121, 165)176. Der Bestätigungsbeschluss ist ein körperschaftlicher Willensakt der Gesellschafter, durch den diese die im Ausgangsbeschluss getroffene Regelung als verbindlich anerkennen177. Eine solche Beschlussfassung kann sich empfehlen, wenn etwa Verfahrensfehler festgestellt worden sind oder Zweifel hinsichtlich des Abstimmungsergebnisses aufgetreten sind178. Ist der Ausgangsbeschluss anfechtbar, so beseitigt eine wirksame Heilung den Anfechtungsgrund und macht aus der nur vorläufigen eine endgültige Wirksamkeit (vgl. Rz. 165). Das setzt allerdings voraus, dass der Beschlussgegenstand identisch ist179. Der bestätigende Beschluss ist selbst eine beschlussförmige Regelung (kann also z.B. seinerseits fehlerhaft und damit nichtig oder anfechtbar sein). Materieller Regelungstatbestand bleibt aber der Ausgangsbeschluss. Deshalb müssen im Bestätigungszeitpunkt nicht alle Voraussetzungen des Ausgangsbeschlusses (erneut) vorliegen180. Sofern seinerseits wirksam, kann dann der bestätigende Beschluss den mangelhaften Beschluss heilen, wenn Ausgangs- und Bestätigungsbeschluss nicht am selben inhaltlichen Mangel leiden181. Die Heilungswirkung tritt allerdings erst mit seiner Unanfechtbarkeit ein (vgl. § 244 Satz 1 AktG und dazu Rz. 165)182. Die Anfechtung des wirksamen Bestätigungsbeschlusses ist zur Vermeidung der Bestäti-

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Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 36; Altmeppen, § 47 Rz. 13; a.M. Maier-Reimer in FS Oppenhoff, 1985, S. 193 ff. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 2; Wicke, § 47 Rz. 2. Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 24; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 12. Dazu BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206 = AG 2004, 204; ausführlich dazu Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 37; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 146; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 374; Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 324; Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391 ff.; krit. Zöllner, AG 2004, 397 ff. BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210 = AG 2004, 204; OLG Stuttgart v. 6.5.2004 – 20 U 16/03, AG 2004, 457; OLG Stuttgart v. 10.11.2004 – 20 U 16/03, AG 2005, 125; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 214; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 146 ff.; Hüffer, ZGR 2012, 730, 736; Ballerstedt, ZHR 124 (1962), 235; ausführlich Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391 ff.; krit. Zöllner, AG 2004, 397 ff. Zur Beschränkung auf formale Verstöße vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 148. Vgl. OLG Nürnberg v. 9.7.2008 – 12 U 690/07 und dazu Hommelhoff, GmbHR 2010, 1328, 1331 f.: Bilanzfeststellung heilt nicht den Gewinnverwendungsbeschluss des Vorjahrs. BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 209 f. = AG 2004, 204 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 146; sehr weitgehend für Einheitsbetrachtung der Beschlüsse Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391, 404 f. BGH v. 22.3.2011 – II ZR 229/10, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055, 1059 Rz. 25; BGH v. 9.10.2006 – II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 = ZIP 2006, 2167, 2170 Rz. 25; OLG München v. 14.11.2012 – 7 AktG 2/12, ZIP 2012, 2439, 2442 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 148; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 216; Hüffer, ZGR 2012, 730, 736. Zustimmend Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 149.

702 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 33 § 45

gungswirkung auch dann erforderlich, wenn sowohl Ausgangs- als auch Bestätigungsbeschluss unter demselben Verfahrensfehler leiden183. Eine echte rückwirkende Beseitigung des Mangels tritt durch die Bestätigung nicht ein184. Deshalb kann der Beschluss auch nicht ohne Zustimmung des Betroffenen rückwirkend in zwischenzeitlich erworbene Rechte eingreifen185. Ist der Ausgangsbeschluss nichtig, so kommt dem bestätigenden Beschluss nur die Wirkung eines Zweitbeschlusses zu (dazu sogleich Rz. 32a)186; die Bestätigung nichtiger Beschlüsse ist ausgeschlossen187. Zweitbeschlüsse (wiederholende Beschlüsse)188 sollen – im Gegensatz zu den bestätigenden 32a – nicht die durch den vorhandenen Beschluss getroffene Regelung „heilen“, sondern setzen eine Neuregelung an seine Stelle. Regelungsgrundlage ist dann nicht der Ausgangsbeschluss, sondern der Zweitbeschluss. Der Zweitbeschluss geht häufig mit der (stillschweigenden und daher erst aufgrund Auslegung ermittelbaren) Aufhebung des Ausgangsbeschlusses einher (Rz. 33)189. Dann kann man von einem ersetzenden Zweitbeschluss sprechen im Gegensatz zu dem unpraktischen (weil Unsicherheit schaffenden) ergänzenden Zweitbeschluss. In aller Regel ändert der Zweitbeschluss die im Ausgangsbeschluss getroffene Regelung inhaltlich. Besteht Rechtsunsicherheit, kann ein Zweitbeschluss aber auch vorsorglich mit demselben Inhalt wie der Erstbeschluss gefasst werden (weshalb ein bestätigender Beschluss im Fall der Unwirksamkeit des Ausgangsbeschlusses den Effekt eines Zweitbeschlusses haben kann). Verfügende („dingliche“) Rückwirkung kommt dem Zweitbeschluss nicht zu. Gesellschafter, die dem Beschluss zustimmen, können aber schuldrechtlich so zu stellen sein, als wirkte der Zweitbeschluss auf den Zeitpunkt des Erstbeschlusses zurück. Der bestätigende Beschluss oder Zweitbeschluss kann spezifische Prozessprobleme auslösen, wenn der ursprüngliche Beschluss angefochten worden war (dazu Rz. 164 ff.). c) Aufhebungsbeschlüsse zielen auf Außerkraftsetzung eines bereits gefassten Beschlusses. 33 Sie können gefasst werden, solange der Erstbeschluss noch aufhebbar, also noch nicht im Handelsregister eingetragen oder sonst vollzogen ist190. Ebenso wie Zweitbeschlüsse (Rz. 32a) haben sie keine „dinglich“ rückwirkende Kraft. Ein Aufhebungsbeschluss kann aber so gefasst sein, dass alle (zustimmenden) Gesellschafter schuldrechtlich so gestellt werden, als wirkte die Beschlussaufhebung in die Vergangenheit. Das kann sich sogar konkludent ergeben, wenn mit dem Aufhebungsbeschluss einer drohenden oder schon erhobenen Anfechtungsklage nachgegeben werden soll (dazu auch Rz. 163). Aufhebungsbeschlüsse können zugleich

183 OLG Karlsruhe v. 11.4.2014 – 14 U 25/13, BeckRS 2015, 14244; LG München v. 10.12.2009 – 5 HKO 13261/08, AG 2010, 173, 177; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 216; a.M. BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354 = NJW 1956, 1753, 1754. 184 Ausführliche Begründung von Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 37; ebenso BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206 = ZIP 2004, 310 f.; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 67; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 73, 131; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 151; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 213 f.; eingehend Karsten Schmidt, JZ 1977, 773 ff.; a.M. BayObLG v. 19.8.1977 – BReg 2 Z 52/76, NJW 1978, 1387 m.w.N. 185 BGH v. 8.5.1972 – II ZR 96/70, GmbHR 1972, 177; zust. Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 213 f. 186 Ähnlich Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 82; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 6. 187 BGH v. 22.3.2011 – II ZR 229/10, BGHZ 189, 32 = ZIP 2011, 1055, 1059 Rz. 27; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 82. 188 Die 6. Aufl. (Karsten Schmidt, Rz. 38) sprach in Anlehnung an die Verwaltungsrechtsliteratur von „wiederholenden Beschlüssen“; so auch BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210 = AG 2004, 204 = NJW 2004, 1165. 189 Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 244 AktG Rz. 6. 190 BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163 = WM 1967, 925; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 65; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 5; Altmeppen, § 47 Rz. 31; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 24.

Karsten Schmidt/Bochmann | 703

§ 45 Rz. 33 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse eine neue Sachregelung enthalten191. Sie sind dann Zweitbeschlüsse i.S. der hier verwendeten Terminologie (Rz. 32a). Mittlerweile unstreitig sind die Mehrheitserfordernisse beim Aufhebungsbeschluss192. Ein solcher bedarf der einfachen Mehrheit, und zwar grundsätzlich ohne Rücksicht (i) auf das Mehrheitserfordernis, das für die Fassung des aufzuhebenden Beschlusses galt193, sowie (ii) der tatsächlichen Mehrheit, die der aufzuhebende Beschluss gefunden hat194. Ein mit 60 % der Stimmen aller Gesellschafter gefasster Beschluss kann also mit 55 % der vertretenen Stimmen aufgehoben werden. Die Aufhebung eines satzungsändernden und noch nicht ins Handelsregister eingetragenen Beschlusses bedarf lediglich der einfachen Mehrheit. Eine Satzungsänderung oder vergleichbare qualifizierter Mehrheit bedürftige Maßnahme, die nicht einmal mehr die einfache Mehrheit hinter sich hat, verdient nicht die Eintragung im Handelsregister. Die Gesellschafter können (in den Grenzen der Treuepflicht) auch mit einfacher Mehrheit den Geschäftsführer anweisen, die Registeranmeldung zu unterlassen oder zurückzuziehen. Erst wenn bereits eingetragen ist, bedarf eine neuerliche Änderung des Verfahrens nach §§ 53 f.195. Dann ist der satzungsändernde Beschluss überhaupt nicht mehr aufhebbar. Die beschlossene Änderung ist mit ihrer Eintragung Satzungsinhalt, ihre Beseitigung ist ihrerseits Satzungsänderung i.S.v. § 53. Enthält ein Aufhebungsbeschluss jedoch eine neue Sachregelung – beschränkt er sich also nicht auf die bloße Aufhebung und stellt damit zugleich einen Zweitbeschluss (dazu Rz. 32a) dar –, gilt die für den neuen Beschlussgegenstand erforderliche Mehrheit196. 34 d) Satzungsändernde Beschlüsse sind in §§ 53 ff. geregelt (Erläuterung ebd.). Satzungsaus-

legende Beschlüsse sind bloße „Entschließungen“, wenn sie keinen rechtsverbindlichen Inhalt aufweisen (Rz. 19)197; auch Entschließungen können aber für die innergesellschaftliche Übung bedeutsam sein (vgl. zur Auslegung von Beschlüssen Rz. 24). Hält sich die Entschließung in diesem Rahmen, so kann sie nicht Gegenstand einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage, sondern nur einer Unterlassungs- oder Feststellungsklage sein (vgl. Rz. 19). Soweit solche Entschließungen objektiv mit der Satzung unvereinbar sind, sind sie nichtig und unbeachtlich198. Anderes gilt, wenn über die Ausführung oder über die Zulässigkeit oder Zustimmungsfreiheit von Maßnahmen entschieden werden soll, denn dann ist ein regelnder Charakter und damit ein Beschluss gegeben199. Ein regelnder Beschluss ist im Fall seiner Satzungswidrigkeit nicht nichtig, sondern nur anfechtbar (Rz. 114).

191 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 42; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 66; Baltzer, S. 184. 192 Früher noch anders Schilling in Hachenburg, 7. Aufl. § 47 Rz. 12; nunmehr Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 41. 193 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 31; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 41; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 627; Altmeppen, § 47 Rz. 31; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 24; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 95. 194 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 3; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 66; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 31; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 41; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 5; Altmeppen, § 47 Rz. 31; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 24; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 95. 195 Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 66; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 31; Altmeppen, § 47 Rz. 32; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 86 f.; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 95. 196 Altmeppen, § 47 Rz. 32; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 5. 197 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 69/01, DStR 2003, 699, 700 = GmbHR 2003, 171. 198 Vgl. auch BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264 = NJW 1954, 1563 = LM Nr. 1 zu § 29 GmbHG m. Anm. Rob. Fischer. 199 Beispiel: BGH v. 25.11.2002 – II ZR 69/01, GmbHR 2003, 195 (Beschluss über zustimmungsfreie Anteilsübertragung).

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 34b § 45

Satzungsdurchbrechende Beschlüsse200, also Beschlüsse, die mit dem Inhalt der Satzung 34a unvereinbar sind, sind unterschiedlich zu behandeln (vgl. auch 12. Aufl., § 53 Rz. 26 ff.)201: Eine satzungswidrige Dauerregelung ist unzulässig und wegen Fehlens der gebotenen Form – notarielle Beurkundung! – nichtig202; Satzungsregelungen können weder mit qualifizierter Mehrheit noch einstimmig außer Kraft gesetzt werden, ohne dass den Formalien der §§ 53, 54 Genüge getan wird. Auf einen Willen zur Satzungsdurchbrechung kommt es hierbei nicht an203. Nichtig ist etwa204 der Beschluss über die Einrichtung eines in der Satzung nicht vorgesehenen Aufsichtsrats205, die außerstatutarische Einführung eines Rechts, die Gesellschaft zu kündigen206, sowie konkrete Vertretungsregelungen, die nicht den statutarischen Vorgaben entsprechen207. Praktisch stets vorhandene tatsächlich-wirtschaftliche Folgewirkungen punktueller Abweichungen von Satzungsvorgaben begründen keine (nichtige) Satzungsdurchbrechung mit Dauerwirkung; entscheidend ist allein die rechtlich-strukturelle Abweichung von der geltenden Verfassung der GmbH. Bedenklich ist deshalb der Beschluss des OLG Dresden v. 9.11.2011208, nach dem Gewinnverwendungsbeschlüsse, die entgegen der Satzung gefasst werden, wegen der dauernden Folgen von Ausschüttungen als unwirksame Dauerregelungen qualifiziert werden müssen (dazu auch 12. Aufl., § 46 Rz. 44)209. Eine satzungswidrige Einzelentscheidung ist dagegen, weil sie keinen satzungsändernden 34b Inhalt hat, nicht nichtig210. Sie ist grundsätzlich anfechtbar (Rz. 115), kann aber dann nicht angefochten werden, wenn alle Gesellschafter zugestimmt haben (vgl. zum Rügeverlust

200 Eingehend über satzungsdurchbrechende Beschlüsse Petersheim, Satzungsdurchbrechungen, 2020; Pöschke, Satzungsdurchbrechende Beschlüsse in der GmbH und AG, 2020; Selentin, Satzungsdurchbrechungen, 2019; Leuschner, ZHR 180 (2016), 422 ff.; Priester, ZHR 151 (1987), 40 ff.; Habersack, ZGR 1994, 354 ff.; Zöllner in FS Priester, 2007, S. 879 ff. 201 OLG Frankfurt v. 5.6.2018 – 11 U 16/17 Kart, BeckRS 2018, 19511 Rz. 54; Kritisch zu dieser Unterscheidung Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 53 Rz. 50; Zöllner in FS Priester, 2007, S. 879 ff.; Pöschke, DStR 2012, 1089 ff. 202 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 (Rz. 70) = GmbHR 2019, 988 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 (Rz. 17) = GmbHR 2016, 754 m. Anm. Münnich; BGH v. 7.6.1993 – II ZR 81/92, BGHZ 123, 15 = LM Nr. 3 zu § 52 GmbHG m. Anm. Heidenhain = DB 1993, 1713 = GmbHR 1993, 497 = NJW 1993, 2247 = ZIP 1993, 1074; OLG Frankfurt v. 5.6.2018 – 11 U 16/17 Kart, WuW 2018, 638 = BeckRS 2018, 19511 Rz. 54; OLG Hamm v. 3.6.1992 – 8 U 272/91, GmbHR 1992, 807; BezG Dresden v. 14.12.1992 – U 87/92 SfH, GmbHR 1994, 123; OLG Köln v. 11.10.1995 – 2 U 159/94, DB 1996, 466, 467 = GmbHR 1996, 291; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 53 Rz. 29; Priester, ZHR 151 (1987), 55 ff.; Lawall, DStR 1996, 1172 ff.; im Grundsatz auch Habersack, ZGR 1994, 354 ff.; a.M. Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, § 53 Rz. 47 ff.; Tieves, ZIP 1994, 1346 f.; Zöllner in FS Priester, 2007, S. 879 ff. 203 OLG Dresden v. 9.11.2011 – 12 W 1002/11, GmbHR 2012, 213, 214; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 53 Rz. 30; vgl. demgegenüber Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 53 Rz. 42 ff. 204 Umfassende Aufarbeitung der Rechtsprechung bei Pöschke, Satzungsdurchbrechende Beschlüsse in GmbH und AG, 2020, S. 48 ff. 205 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rz. 60 = GmbHR 2019, 988 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; BGH v. 7.6.1993 – II ZR 81/92, BGHZ 123, 15 = GmbHR 1993, 497; Priester, NZG 2016, 774, 775; Nießen in Gehrlein/Born/Simon, § 52 Rz. 17. 206 OLG Köln v. 24.8.2018 – 4 Wx 4/18, GmbHR 2019, 188, 189. 207 Vgl. etwa OLG Düsseldorf v. 23.9.2016 – 3 Wx 130/15, GmbHR 2017, 36 = RNotZ 2017, 110. 208 OLG Dresden v. 9.11.2011 – 12 W 1002/11, GmbHR 2012, 213. 209 Überreaktion auf das Urteil (Totalablehnung der Unterscheidung) bei Pöschke, DStR 2012, 1089 ff. 210 Vgl. BGH v. 11.5.1981 – II ZR 25/80, WM 1981, 1218, 1219 = ZIP 1981, 1205, 1206; dazu Habersack, ZGR 1994, 366 f.; OLG Frankfurt v. 5.6.2018 – 11 U 16/17 Kart, WuW 2018, 638 = BeckRS 2018, 19511 Rz. 54; OLG Celle v. 15.5.1996 – 9 U 185/95, GmbHR 1997, 172, 173.

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§ 45 Rz. 34b | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Rz. 119, 139)211. Sie ist in diesem Fall zwischen allen Gesellschaftern verbindlich212. Offen gelassen hat der BGH bisher, ob auch satzungsdurchbrechende Mehrheitsbeschlüsse, soweit keine Dauerregelung getroffen wird, zulässig sind. Nach den Erläuterungen zu § 53 (12. Aufl., § 53 Rz. 30a) kann eine satzungsändernde Mehrheit genügen, wenn die beabsichtigte Satzungsdurchbrechung besonders angekündigt und der Beschluss notariell beurkundet ist213; es wird also auf die Eintragung – aber auch nur auf diese – verzichtet214. Das ist zu bezweifeln215. Da die Satzung Recht unter den Gesellschaftern schafft, darf sie ohne förmliche Satzungsänderung ohne den Willen aller Gesellschafter auch nicht im Einzelfall durchbrochen werden. Eine Ausnahme ist nur anzuerkennen, wenn im Einzelfall alle (bzw. alle betroffenen) Gesellschafter unter dem Gesichtspunkt der Treuepflicht gehalten sind, einer bestimmten (z.B. sanierenden) Maßnahme ohne Satzungsänderung zuzustimmen. Das wird ein krasser Ausnahmefall bleiben. Keine Satzungsdurchbrechung liegt vor, wenn eine schuldrechtliche Vereinbarung unter allen Gesellschaftern neben der Satzung getroffen wird, auch wenn diese einen auf das Gesellschaftsverhältnis bezogenen, in der Satzung nicht abgebildeten Dauerzustand schafft (vgl. zur Verbindlichkeit einer solchen Vereinbarung und zur Anfechtung entgegenstehender Beschlüsse Rz. 116 f.; krit. 12. Aufl., § 3 Rz. 114 ff.); Beispiel ist der – zulässige – schuldrechtliche Beirat, der dann freilich keine Organkompetenzen hat. Keine Satzungsdurchbrechung liegt gleichfalls vor, wenn ein Mehrheitsbeschluss nur mit unechten Satzungsbestandteilen (12. Aufl., § 3 Rz. 102) in Widerspruch steht. Es verhält sich dann ebenso wie bei einem Beschluss, der lediglich gegen schuldrechtliche Abreden der Gesellschafter verstößt (vgl. auch insofern Rz. 116 f.).

C. Fehlerhafte Beschlüsse Schrifttum: Altmeppen, Beschlussfeststellung, Stimmrecht und Klageobliegenheit in der GmbH, GmbHR 2018, 225; Altmeppen, Kernbereichslehre, Bestimmtheitsgrundsatz und Vertragsfreiheit in der Personengesellschaft, NJW 2015, 2065; Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981; Bayer/Lieder, Das aktienrechtliche Freigabeverfahren für die GmbH, NZG 2011, 1170; Bayer/ Möller, Beschlussmängelklagen de lege lata und de lege ferenda, NZG 2018, 801; Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1997, S. 410 ff.; Berg, Schwebend unwirksame Beschlüsse privatrechtlicher Verbände, 1994; Berger, GmbH-rechtliche Beschlussmängelstreitigkeiten vor Schiedsgerichten, ZHR 164 (2000), 295; Bloching, Der Streitwert der Anfechtungsklage in der GmbH analog § 247 I AktG, GmbHR 2009, 1265; Böhm, Konfliktbeilegung in personalistischen Gesellschaften, 2000; Böttcher/Helle, Zur Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten – Schiedsfähigkeit II, NZG 2009, 700; Bork, Zur Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten, ZHR 160 (1996), 374; Bork, Streitgegenstand der Beschlussmängelklage im Gesellschaftsrecht, NZG 2002, 1094; Buchs, Flexibilisierung der Beschlussmängelfolgen, 2020; Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; Casper, Das Anfechtungserfordernis im GmbH-Beschlussmängelrecht, ZHR 163 (1999), 54; Casper, Der stimmlose Beschluss, in FS Hüffer, 2010, S. 111; Casper/Risse, Mediation von Beschlussmängelstreitigkeiten, ZIP 2000, 437; Markus Emmerich, Die historische Entwicklung von Beschlussverfahren und Beschlusskontrolle …, 2000; Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss in der GmbH, 211 BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 Rz. 17 = GmbHR 2016, 754 m. Anm. Münnich; BGH v. 25.11.2002 – II ZR 69/01, GmbHR 2003, 171, 173 m. Anm. Riehm; OLG Frankfurt v. 5.6.2018 – 11 U 16/17 Kart, WuW 2018, 638 = BeckRS 2018, 19511 Rz. 54. 212 Vgl. BGH v. 11.5.1981 – II ZR 25/80, WM 1981, 1218 f. = ZIP 1981, 1205 f. 213 Priester, ZHR 151 (1987), 52, 58; krit. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 53 Rz. 51; Habersack, ZGR 1994, 367 f.; Tieves, ZIP 1994, 1346 f. 214 BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 Rz. 17 = GmbHR 2016, 754 m. Anm. Münnich deutet jedoch auf Entbehrlichkeit auch des Beurkundungserfordernisses bei punktuellen Satzungsdurchbrechungen hin; vgl. Pöschke, Satzungsdurchbrechende Beschlüsse in GmbH und AG, 2020, S. 55; für Beurkundungserfordernis aber Petersheim, Satzungsdurchbrechungen, 2020, S. 137 f.; differenzierend Selentin, Satzungsdurchbrechungen, 2020, S. 83 ff. 215 An dem hier seit der 6. Aufl. vertretenen Standpunkt wird also festgehalten.

706 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | vor Rz. 35 § 45 2011; Fischer, Der Rechtsstreit über die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, BB 2013, 2819; Fischer, Fragen aus dem Recht der GmbH, JZ 1956, 363; Feine, Die GmbH, in Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. III, 3, 1929, S. 542 ff.; Fleischer, Das Beschlussmängelrecht in der GmbH, GmbHR 2013, 1289; Fleischer, Zur (Nicht-)Anwendbarkeit des Freigabeverfahrens nach § 246a AktG im GmbH-Recht, DB 2011, 2132; Fleischer, Bagatellfehler im aktienrechtlichen Beschlussmängelrecht, ZIP 2014, 149; Geißler, Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Registersperre bei eintragungspflichtigen Gesellschafterbeschlüssen, GmbHR 2008, 128; Gerauer, Ladungsmängel und Nichtigkeitsfolge im Beschlussmängelrecht der GmbH, NZG 2019, 137; Goette, Neue Entscheidung des BGH: Beschlussmängelstreitigkeiten im GmbH-Recht sind schiedsfähig, GWR 2009, 103; Göz/Peitsmeyer, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelklagen bei der GmbH, DB 2009, 1915; Grigoleit, Reform des Beschlussmängelrechts, AG 2018, 645; Grunewald, Die Teilnichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen, NZG 2017, 1321; Habersack/Schürnbrand, Die Bestätigung fehlerhafter Beschlüsse, in FS Hadding, 2004, S. 391; Habersack/ Stilz, Zur Reform des Beschlussmängelrechts, ZGR 2010, 710; Harbarth, Reformbedarf im aktienrechtlichen Beschlussmängelrecht, AG 2018, 637; Herchen, Beschlussmängel im GmbH- und Personengesellschaftsrecht, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 83; Hilbig, Schiedsvereinbarungen über GmbH-Beschlussmängelstreitigkeiten, SchiedsVZ 2009, 247; Hoffmann, Zur Abgrenzung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit bei Gesellschafterbeschlüssen in der GmbH, NZG 1999, 1174; Hoffmann/Köster, Beschlussfeststellung und Anfechtungserfordernis im GmbH-Recht, GmbHR 2003, 1327; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Generalversammlungsbeschlüssen einer Aktiengesellschaft, 1924; A. Hueck, Gestaltungsklagen im Recht der Handelsgesellschaften, in FS 150 Jahre Carl Heymanns Verlag, 1965, S. 287; A. Hueck, Mangelhafte Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH, in FS Erich Molitor, 1962, S. 401; G. Hueck, Der Grundsatz gleichmäßiger Behandlung im Privatrecht, 1958; Hüffer, Beschlussmängel im Aktienrecht und im Recht der GmbH, ZGR 2001, 833; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 277; Immenga, Die Problematik der Anfechtungsklage im GmbH-Recht, GmbHR 1973, 5; Koch, Das Anfechtungserfordernis im GmbH-Beschlussmängelrecht, 1997; Koch, Empfiehlt sich eine grundlegende Reform des Beschlussmängelrechts im Gesellschaftsrecht?, in Verhandlungen des 72. Deutschen Juristentags Leipzig 2018, Band I, 2018; Koch, Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit, ZHR 182 (2018), 378; Koch, Die Reform des aktienrechtlichen Beschlussmängelrechts, in FS E. Vetter, 2019, S. 317; Kögler, Der Verbandsbeschluss und seine Anfechtung, 1995; Kolb, Über unwirksame, nichtige, anfechtbare Hauptversammlungsbeschlüsse nach dem Aktiengesetz vom 30.1.1937, in Erwin Bumke zum 65. Geburtstag, 1939, S. 259; Kort, Bestandskraft fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; Kreß, Gerichtliche Beschlusskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht, 1996; Lieder, Reform des gesellschaftsrechtlichen Beschlussmängelrechts, NZG 2018, 1321; Loo/Strnad, Familiengerichtliche Genehmigung bei Übertragung von Kommanditbeteiligungen an einer vermögensverwaltenden Gesellschaft auf Minderjährige, ZEV 2018, 617; Loos/Brewitz, Hindert eine Mediationsvereinbarung an der Klage? – Wie lange?, SchiedsVZ 2012, 305; Meilicke, Fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse, in FS W. Schmidt, 1959, S. 71; Andreas Meyer, Streitwert und Kostenerstattung im Beschlussmängelrechtsstreit der GmbH, GmbHR 2010, 1081; Mimberg, Das Zusammentreffen von Beschlussbestätigung und positiver Beschlussfeststellungsklage, in FS Hüffer, 2010, S. 663; Mülbert, Empfiehl sich eine Reform des Beschlussmängelrechts im Gesellschaftsrecht?, NJW 2018, 2771; Nehls, Die Anfechtungsfrist für GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, GmbHR 1995, 703; Nietsch, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten in der GmbH, ZIP 2009, 2269; Noack, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, 1989; Noack, Empfiehlt sich eine Reform des Beschlussmängelrechts im Gesellschaftsrecht, JZ 2018, 824; Noack, Der Versammlungsleiter im GmbH-Recht, GmbHR 2017, 792; Nolting, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten bei der GmbH, SchiedsVZ 2011, 319; Nolting, Rechtskrafterstreckung von Schiedssprüchen zu Beschlussmängeln im GmbH-Recht, GmbHR 2011, 1017; Pöschke, Satzungsdurchbrechende Beschlüsse in der GmbH, DStR 2012, 1089; Prior, Fehlerhafte Vereinsbeschlüsse, Diss. Bonn 1972; Raiser, Die Einrede der Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen in der GmbH, in FS Theodor Heinsius, 1991, S. 645; Raiser, Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen, in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 587; Raiser, Anwendbarkeit der Beschlussmängelvorschriften des UMAG und des ARUG auf die GmbH?, in FS Hüffer, 2010, S. 789; Raspe, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen der GmbH, Diss. Rostock 1932; Rensen, Die Benachrichtigung der GmbH-Gesellschafter von Beschlussmängelstreitigkeiten, NZG 2011, 569; Rohleder, Zur Anfechtungsklage gegen einen fehlerhaften Gesellschafterbeschluss in der GmbH, GmbHR 1989, 236; Saenger, Minderheitenschutz und gesellschaftliche Klagen bei der GmbH, GmbHR 1997, 112; Sauerbruch, Kein Freigabeverfahren für strukturändernde Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH, GmbHR 2007, 189; Carsten Schäfer, Zur angemessenen Verteilung der Prozesskosten bei Beschlussmängelstreitigkeiten im GmbHRecht, in FS Goette, 2011, S. 443; Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966; Hubert

Karsten Schmidt/Bochmann | 707

§ 45 Rz. 35 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Schmidt, Prozessuale Fragen der Beschlussfassung und Beschlussanfechtung im Recht der GmbH und der Personengesellschaften, in Liber amicorum Lindacher, 2007, S. 125; Karsten Schmidt, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, AG 1977, 205, 243; Karsten Schmidt, Zum Streitgegenstand von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen im Gesellschaftsrecht, JZ 1977, 769; Karsten Schmidt, Nichtigkeitsklagen als Gestaltungsklagen, JZ 1988, 729; Karsten Schmidt, Die Behandlung treuwidriger Stimmen in der Gesellschafterversammlung und im Prozess, GmbHR 1992, 9; Karsten Schmidt, Anfechtungsbefugnisse von Aufsichtsratsmitgliedern, in FS Semler, 1993, S. 329; Karsten Schmidt, Gesellschafterstreitigkeiten vor Schiedsgerichten, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 97 ff.; Schmidt-Diemitz, Gesellschafterkonflikte in der GmbH, in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 79; B. Schneider, Schiedsverfahren in GmbH-Beschlussmängelstreitigkeiten, GmbHR 2005, 86; Schnorr, Teilfehlerhafte Gesellschaftsbeschlüsse, 1997; Scholz, Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen und Rechtssicherheit, GmbHR 1952, 161; GmbHR 1954, 65; Schröder, Mediationsklauseln im Gesellschaftsvertrag einer GmbH, GmbHR 2014, 960; Schröder, Neue Konzepte zum Beschlussmängelrecht der GmbH und der Personengesellschaften, GmbHR 1994, 532; Martin Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2004; Schwedt/Lilja/Schaper, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten: Die neuen Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten der DIS, NZG 2009, 1281; Seidel, Die mangelnde Bedeutung mitgliedschaftlicher Treupflichten im Willensbildungsprozess der GmbH, 1998; Slabschi, Die sog. rechtsmissbräuchliche Anfechtungsklage, 1997; Steinmeyer/Seidel, Das Verhältnis von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen im Recht der Aktiengesellschaft und GmbH, DStR 1999, 2077; Teichmann, Rechte des einzelnen und Befugnisse der Minderheit in GmbH-Reform, 1970, S. 59; Thöni, Rechtsfolgen fehlerhafter GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, Wien 1998; Thöni, Drittschutz im aktien- und GmbH-rechtlichen Beschlussanfechtungsprozess, GesRZ 1994, 55; Thöni, Die Beschlussmängelfolge der Unwirksamkeit im Kapitalgesellschaftsrecht, GesRZ 1995, 73; Unberath, Mediationsklauseln in der Vertragsgestaltung, NJW 2011, 1320; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986, S. 193 ff.; Martin Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988; Martin Winter, Organisationsrechtliche Sanktionen bei Verletzung schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen?, ZHR 154 (1990), 259; Martin Winter, Gesellschafterkonflikte in der GmbH, in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 37; Witte/ Hafner, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten im Recht der GmbH am Maßstab der neuen BGH-Rechtsprechung und ihre Auswirkungen, DStR 2009, 2052; Wolany, Rechte und Pflichten des Gesellschafters einer GmbH, 1964; Zöllner, Satzungsdurchbrechung, in FS Priester, 2007, S. 879; Zöllner/ Noack, Geltendmachung von Beschlussmängeln im GmbH-Recht, ZGR 1989, 525.

I. Grundlagen 1. Gesetzeslage und Rechtsfortbildung 35 Im Gegensatz zum AktG (§§ 241 ff.) und prospektiv auch im Gegensatz zum Personengesell-

schaftsrecht (vgl. §§ 110 ff. HGB-E216) enthält das GmbH-Gesetz keine Regeln über fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse. Die Frage, ob sich eine rechtsformübergreifende Reform des Beschlussmängelrechts empfiehlt, war vor diesem Hintergrund Gegenstand des 72. Deutschen Juristentages im Jahr 2018217. Unabhängig von diesen Reformvorstößen hat die Rechtsentwicklung bereits zu einer starken Annäherung an die Grundsätze des AktG geführt218. Es handelt sich indes hierbei nicht um Einzelanalogien, sondern um die Besinnung auf allge216 Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG), BR-Drucks. 59/21. 217 Vgl. Koch, Gutachten 72. DJT, 2018; Koch, ZHR 182 (2018), 378, 393 ff.; Lieder, NZG 2018, 1321 ff.; Bayer/Möller, NZG 2018, 801 ff.; Mülbert, NJW 2018, 2771 ff. 218 RGZ 166, 131; RGZ 172, 78; BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 235; BGH v. 14.12.1961 – II ZR 97/59, BGHZ 36, 207, 211; BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 210; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 69 f. = AG 1988, 233 = GmbHR 1988, 304; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427; BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 588 Rz. 20; st. Rspr.; heute h.M.; weitere Belege noch in der 7. Aufl.; zur Rechtsentwicklung vgl. im Einzelnen Koch, S. 23 ff., 87 ff.; M. Lehmann, Die ergänzende Anwendung

708 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 35 § 45

meine Institutionen des Verbandsrechts219, die bei den unterschiedlichen Rechtsformen zwar nicht ganz einheitlich ausgestaltet werden können, aber zu gleichartigen Rechtsfolgen führen. Das Ergebnis dieser Rechtsentwicklung besteht in der Herausbildung des Instituts einer Anfechtungsklage als Gestaltungsklage und damit der Unterscheidung zwischen nichtigen bzw. unwirksamen Beschlüssen auf der einen Seite und anfechtbaren Beschlüssen auf der anderen220: Nicht jeder Beschlussmangel führt ohne weiteres zur Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit des Beschlusses. Vielmehr geben Anfechtungsgründe nur ein Recht auf Aufhebung des Beschlusses, sei es im Wege eines Aufhebungsbeschlusses (Rz. 33, 43, 45), sei es durch Anfechtungsklage und Anfechtungsurteil (Rz. 45 f., 127 ff.); nur die (schwerwiegenden) Nichtigkeitsgründe (Rz. 62 ff.) können auf jede Weise geltend gemacht werden (Rz. 81 f.); für Nichtigkeitsmängel steht überdies die Nichtigkeitsklage (Rz. 45 f., 82) zur Verfügung. Dieses erst allmählich gegen viele Widerstände herausgearbeitete Konzept221 basiert nicht, wie kritisch vorgetragen wird222, auf dem einer GmbH typischerweise gerade abgehenden Charakter der Kapitalgesellschaft als Sammelbecken für viele Anleger, sondern auf den charakteristischen Problemen bindender Mehrheitsbeschlüsse und der damit verbundenen Mehrheits-Minderheits-Konflikte223. Gleichwohl lädt die dem AktG eignende Starre zu Differenzierungen ein224. Der Anwendung der §§ 241 ff. AktG wird im Schrifttum ein elastischeres Gegenmodell entgegengesetzt, das die als formal eingeschätzte Anfechtungsklage ablösen und durch einen formlosen Rechtsschutz ersetzen soll225: An die Stelle der Anfechtungsklage wird teils eine Anfechtungserklärung226, teils ein Anspruch auf Rücknahme des Beschlusses227, teils auch die bloße Berufung auf die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses228 gesetzt. Als Hauptargumente führt diese Gegenansicht die folgenden Gesichtspunkte an: die für die häufig personalistischen Gesellschaften mbH besser passende Formlosigkeit des Rechtsschutzes und die Entlastung der Justiz von überflüssigen – nur aus Formalgründen geführten – Anfechtungsprozessen. Darüber hinaus wird die Flexibilisierung der Rechtsfolgen von Anfechtungsklagen plädiert229. Neben der Kassation werden die Beschlussaufhebung mit ausschließlich zukunftsbezogener Wirkung230, die bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit sowie

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220 221 222 223 224 225 226 227 228 229 230

von Aktienrecht …, 1970, S. 90 ff.; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 205 ff.; A. Hueck in FS Molitor, 1962, S. 401 ff.; Däubler, GmbHR 1968, 4 ff.; Karsten Schmidt, AG 1977, 247 f. Karsten Schmidt, GesR, § 15 II 3; vgl. auch Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217 ff.; Karsten Schmidt, AG 2009, 248, 254; zustimmend wohl Koch, Gutachten 72. DJT, 2018, S. F 68 ff.; einschränkend Fehrenbach, S. 195 ff.; a.M. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 3; Casper, ZHR 163 (1999), 54, 72 ff. Karsten Schmidt, GesR, § 15 II 2; zustimmend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 1 ff.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 1 ff. Der vorliegende Kommentar hatte daran Anteil. Fehrenbach, S. 113 ff., 119 ff. Karsten Schmidt, GesR, § 15 II 3b; Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217, 231 f. und seither öfter; krit. Fehrenbach, S. 308 f. Zusammenfassende Kritik an der h.M. bei Fehrenbach, S. 381 ff. Noack, S. 103 ff.; Buchs, S. 277 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 12 ff.; Zöllner/Noack, ZGR 1989, 532 ff.; Raiser in FS Heinsius, 1991, S. 655 ff. Vgl. dazu Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 175 f.; für nicht eintragungsbedürftige Beschlüsse Casper, ZHR 163 (1999), 76 ff. Noack, S. 46. Zöllner/Noack, ZGR 1989, 542 ff.; ausdrücklich anders nunmehr Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 15 sowie Noack, JZ 2018, 824, 832. Koch, Gutachten 72. DJT, 2018, S. F 89 ff.; Lieder, NZG 2018, 1321, 1322 f.; 1329 f.; für die GmbH ablehnend Mülbert, NJW 2018, 2771, 2774 f.; zur Diskussion der Flexibilisierung der Rechtsfolgen im Aktienrecht: Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710, 728 ff.; Fleischer, ZIP 2014, 149, 158. Vgl. zur Diskussion in der AG Grigoleit, AG 2018, 645, 655.

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§ 45 Rz. 35 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Schadensersatz erörtert231. Auf diese Weise solle der Schwere des Gesetzes- oder Satzungsverstoßes im Einzelfall angemessen(er) begegnet werden können232. 36 Die Stellungnahme muss folgende Gesichtspunkte in Rechnung stellen233: Es geht um die

Abwägung zwischen Elastizität und Rechtssicherheit. Das Rechtsinstitut der Anfechtbarkeit dient der Rechtssicherheit. Es besagt, dass rechtswidrige Beschlüsse nicht ohne weiteres unwirksam sind (nur bei besonders schweren Mängeln tritt Nichtigkeit ein), und basiert auf zwei Grundlagen: Anfechtungserfordernis (Rz. 45, 123) und kassatorische Klage (Rz. 46 ff.). Das Rechtsinstitut der Anfechtbarkeit schützt Beschlüsse, die keine schweren Mängel aufweisen, gegen Einwände materieller und formeller Art. Die jederzeitige Geltendmachung jedweden Rechtsfehlers auf jedwede Weise würde den Beschluss einer inakzeptablen Rechtsunsicherheit aussetzen. Auch die Einräumung einer Anfechtungsbefugnis nach dem Vorbild der §§ 119 ff. BGB könnte die notwendige Rechtssicherheit nicht gewährleisten, weil die bloße Geltendmachung eines Beschlussmangels auch hier einen Streit um die Beschlussnichtigkeit aufwerfen müsste. Bei eintragungspflichtigen Beschlüssen ist das Bedürfnis nach einer rechtssichernden Formalisierung und Begrenzung der Geltendmachung von Beschlussmängeln unbestreitbar234. Auf diese Beschlüsse begrenzt ist es aber nicht235. Die Anfechtungslösung zwingt auch nicht zur Führung überflüssiger Prozesse236. Dass die Gesellschaftermehrheit den Beschluss im Fall seiner Anfechtbarkeit aufheben kann (Rz. 43, 45) und hierzu bei feststehender Anfechtbarkeit auch verpflichtet wäre, ist nicht zu bestreiten. Deshalb taugen Beschlussmängelstreitigkeiten auch für ein Mediationsverfahren (Rz. 43). Dies macht aber im Streitfall die Führung eines Prozesses nicht entbehrlich (zur Beschlussaufhebung während des Prozesses vgl. Rz. 159, 163). Die Erwartung, dass das Gegenmodell Prozesse zu vermeiden hilft, ist deshalb unrealistisch. Damit reduziert sich der Meinungsstreit auf die mehr rechtstechnische Frage, ob die klagweise Geltendmachung der Anfechtbarkeit im Wege der Leistungsklage (auf Aufhebung des Beschlusses) oder der Gestaltungsklage (auf Nichtigerklärung) zu erfolgen hat. In diesem Licht erscheint die Gestaltungsklage nicht als eine Verkomplizierung, sondern als eine Vereinfachung der Prozessführung in Fällen, in denen ein Rechtsstreit nicht zu vermeiden ist. Der auch von der Rechtsprechung akzeptierten Anfechtungslösung ist deshalb mit der Maßgabe zu folgen, dass der die Anfechtbarkeit geltend machende Gesellschafter einen Anspruch gegen die Mitgesellschafter auf Aufhebung des Beschlusses hat. Der anfechtbare Beschluss kann – selbstverständlich – statt durch Urteil auch durch Beschluss beseitigt werden (Rz. 33), und für die Anfechtungsklage besteht ein Rechtsschutzinteresse nur, wenn dies nicht ge-

231 Koch, Gutachten 72. DJT, 2018, S. F 38 f.; zustimmend Harbarth, AG 2018, 637, 642 f.; Lieder, NZG 2018, 1321, 1322 f. 232 Koch, Gutachten 72. DJT, 2018, S. F 38 f.; Harbarth, AG 2018, 637, 642 f.; Lieder, NZG 2018, 1321, 1323. 233 Karsten Schmidt, GesR, § 15 II, § 36 III 4; krit. gegenüber dem Gegenmodell auch Koch, S. 60 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 3; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 17 ff.; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1290 ff.; Schröder, GmbHR 1994, 535 f.; die Einwände von Casper (ZHR 163 [1999], 66 ff.) gegen die hier vertretene Auffassung kranken an einer segmentierten Betrachtung; natürlich „zwingt“ (S. 86) weder das Organisationsrecht der Körperschaften noch das Mehrheitsprinzip noch der Gedanke der Rechtssicherheit zur Etablierung der Anfechtungsklage; es geht nur darum, ob und inwieweit die Gesichtspunkte, die zunächst zur rechtsfortbildenden, dann zur gesetzlichen Etablierung der Anfechtungsklage im Aktienrecht geführt haben, eine entsprechende Behandlung im GmbH-Recht tragen. Eine Beschränkung auf eintragungspflichtige Beschlüsse (S. 78 ff.) ist ohne Zweifel vertretbar, geht aber mit einer empfindlichen Einbuße an Rechtssicherheit einher. 234 Insoweit wie hier Casper, ZHR 163 (1999), 78 ff. 235 Insoweit a.M. Casper, ZHR 163 (1999), 66 ff. 236 In diesem Sinne Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 4.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 40 § 45

schieht. Die Vorschaltung eines Mediationsverfahrens vor einem etwa notwendig werdenden Anfechtungsprozess ist also ebenso wenig ausgeschlossen wie formlose Gespräche des Gesellschafters mit Geschäftsführung und Mitgesellschaftern, um die vom Gesellschafter behauptete Rechtswidrigkeit zu beheben (Rz. 43). Das für die Flexibilisierung der Rechtsfolgen von Anfechtungsklagen in Aktiengesellschaften angeführte Kernargument, die Nichtigerklärung eines Beschlusses könne bei geringfügigen („formalen“) Fehlern überschießend sein, verfängt bei der GmbH nur in deutlich eingeschränktem Maße. In GmbH wird aufgrund der weitgehenden Informalität bei der Herbeiführung von Gesellschafterbeschlüssen (12. Aufl., § 48 Rz. 2) regelmäßig gerade nicht über Formalia, sondern über Kernfragen der Legitimität von Beschlussfassungen wie die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht und Stimmverbote gestritten. Eine Flexibilisierung der Anfechtungsfolgen könnte zudem gerade in zerstrittenen Gesellschafterkreisen zu allzu leichtfertigen „standardmäßigen“ gerichtlichen Überprüfungen von Beschlüssen einladen, womit das Kernanliegen des Anfechtungsmodells – Rechtssicherheit – konterkariert würde. 2. Die Arten der Fehlerhaftigkeit a) Systematik. Üblicherweise werden nichtige, anfechtbare und unwirksame Beschlüsse un- 37 terschieden237. Genauer ist eine Unterscheidung zwischen Nichtigkeitsgründen, Anfechtungsgründen und Unwirksamkeitsgründen238. Derselbe Beschluss kann zugleich an Nichtigkeitsmängeln und an Anfechtungsmängeln leiden, und ein Beschluss kann auch gleichzeitig unwirksam (z.B. von der Zustimmung eines Betroffenen abhängig) und anfechtbar (also durch Klage vernichtbar) sein. Auch die Besonderheiten der kassatorischen Klage, insbesondere die bei Rz. 45 besprochene Möglichkeit, Nichtigkeitsmängel und Anfechtungsmängel mit derselben Klage geltend zu machen, erklären sich daraus, dass es sich nur um unterschiedliche Arten der Fehlerhaftigkeit handelt. Soweit auch hier von „nichtigen Beschlüssen“ oder „anfechtbaren Beschlüssen“ die Rede ist, gilt dies mit der Maßgabe, dass es in Wahrheit nur um unterschiedliche Beschlussmängel geht: b) Nichtigkeitsmängel sind Fehler, die den Beschluss ipso iure nichtig machen; sie können, 38 müssen aber nicht durch Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden (Rz. 62 ff.). c) Anfechtungsmängel geben jedem Anfechtungsberechtigten ein Recht auf Aufhebung des 39 Beschlusses, das aber im Streitfall nur durch Anfechtungsklage geltend gemacht werden kann. Sie machen den Beschluss zwar vernichtbar, aber nicht ohne weiteres nichtig (Rz. 93 ff.)239. d) Unwirksame Beschlüsse sind solche, denen noch ein Wirksamkeitserfordernis fehlt, z.B. 40 die Zustimmung eines Gesellschafters (Rz. 53 ff.). Diese Unwirksamkeit kann auf jede Weise, z.B. durch Feststellungsklage eines von einem zustimmungsbedürftigen Eingriff betroffenen Gesellschafters, geltend gemacht werden (vgl. Rz. 59). Hiervon unterschieden werden wirkungslose Beschlüsse, die entweder keine sinnvolle Rechtsfolge äußern240 oder über absolute Schranken der Gesellschafterkompetenz hinweggehen und deshalb gegenstandslos oder

237 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 16 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 20 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 4 ff.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 4 f.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 1 ff.; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 196 ff. 238 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 15 II; Karsten Schmidt, AG 1977, 205 ff.; ausführlicher hier noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 42 ff. 239 Krit. Fehrenbach, S. 275 ff. 240 Dazu Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 24; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 33 ff.; a.M. (inhaltliche Unbestimmtheit als Fall der Nichtigkeit) Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 7.

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§ 45 Rz. 40 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse unheilbar unwirksam sind241. Die Berechtigung dieser besonderen Kategorie wurde hier bereits in den Vorauflagen und wird auch sonst zunehmend bestritten242. Bei der ersten Variante (keine sinnvolle Rechtsfolge) wird es sich i.d.R. nur um formlose „Entschließungen“ und nicht um fehlerhafte Beschlüsse handeln (vgl. dazu Rz. 19). Bei der zweiten Variante (Gegenstandslosigkeit) geht es um Beschlüsse, die wegen Unmöglichkeit unheilbar nichtig sind (vgl. Rz. 71). 3. Umfang der Fehlerhaftigkeit a) Teilweise Fehlerhaftigkeit 41 Die teilweise Fehlerhaftigkeit eines Beschlusses kann sich auf den ganzen Beschluss erstre-

cken. Hierbei ist zu differenzieren. Soweit unterscheidbare Beschlüsse nur formell in der Tagesordnung zusammengefasst sind, bleibt eine den anderen Teil nicht berührende Nichtigkeit auf den betreffenden Beschlussteil beschränkt243. Besteht ein Sachzusammenhang zwischen den Beschlussteilen, so tritt das sogleich bei Rz. 42 besprochene Abfärbeproblem auf. Ist ein in sich einheitlicher Beschluss teilweise fehlerhaft, so richten sich die Folgen einer teilweisen Fehlerhaftigkeit nach dem sinngemäß auf den Kollektivakt des Beschlusses zu übertragenden § 139 BGB244: Der ganze Beschluss ist fehlerhaft, wenn nicht anzunehmen ist, dass er auch ohne den fehlerhaften Teil zustande gekommen wäre. Hieraus kann sich im Einzelfall eine Teilnichtigkeit oder Teilanfechtbarkeit des Beschlusses ergeben. Diese Regel ist auch im kassatorischen Prozess (Anfechtungsprozess, Nichtigkeitsprozess) zu beachten. Das Gericht hat demgemäß entweder den ganzen Beschluss oder nur einen genau zu bezeichnenden Teil für nichtig zu erklären (vgl. Rz. 168). Insbesondere gilt dies auch für quantitativ teilbare Beschlüsse, z.B. für den Beschluss über eine teils rechtmäßige, teils rechtswidrige Gewinnverwendung. b) Abfärbung auf andere Beschlüsse 42 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob bei unterscheidbaren Beschlüssen die Rechtswid-

rigkeit des einen Beschlusses die Wirksamkeit eines anderen Beschlusses berühren kann (Ab241 Dazu Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 37; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 6; als Beispiel nennen Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 24: BayObLG v. 7.1.1998 – 3Z BR 491/97, DB 1998, 465 = GmbHR 1998, 384 (Liquidatorenbestellung durch eine als vermögenslos gelöschte GmbH). 242 Vgl. OLG Hamm v. 28.10.2015 – 8 U 73/15, ZIP 2016, 1072, 1074 = GmbHR 2016, 423; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 13 ff.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 7; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 24. 243 Auch hier für die Anwendung des § 139 BGB BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 997 Rz. 70 f.; OLG München v. 9.1.2019 – 7 U 1509/18, GmbHR 2019, 298, 301; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 76; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rz. 18.; Grunewald, NZG 2017, 1321 ff.; für AG BGH v. 19.5.2015 – II ZR 176/ 14, BGHZ 205, 319 = ZIP 2015, 1429, 1432 Rz. 30. 244 Vgl. RG, JW 1928, 223; RGZ 146, 394; BGH v. 25.1.1988 – II ZR 148/87, AG 1988, 139 = ZIP 1988, 432; BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 11 = AG 1994, 1241 m. Anm. Kropff, ZGR 1994, 628 ff.; BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 997 Rz. 70 f. m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Wachter; OLG München v. 9.1.2019 – 7 U 1509/ 18, GmbHR 2019, 298, 301; für die AG: BGH v. 19.5.2015 – II ZR 176/14, BGHZ 205, 319 = ZIP 2015, 1429, 1432 Rz. 30; OLG München v. 24.3.1993 – 7 U 3550/92, AG 1993, 283, 284 = ZIP 1993, 676, 678; für Genossenschaft RGZ 118, 221; RGZ 125, 154; RGZ 137, 250; RGZ 146, 394; Baltzer, S. 181; Bartholomeyczik, ZHR 105 (1938), 324; heute h.M.; vgl. nur Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 78; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 25 (betr. Nichtigkeit); Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 222; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 18; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 147 f.; Grunewald, NZG 2017, 1321 ff.; a. M. Schnorr, S. 100 ff.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 44 § 45

färbewirkung).245 Dies kann sich aus dem Sachzusammenhang der Beschlüsse ergeben246. Die Nichtigkeit eines Beschlusses kann einen anderen Beschluss gegenstandslos machen (Beispiel: Bestellung und Anstellung eines Geschäftsführers). Aber die Fehlerhaftigkeit kann einen anderen Beschluss auch fehlerhaft machen247. So ist der Beschluss über die Ergebnisverteilung analog § 253 AktG nichtig, wenn die Feststellung des Jahresabschlusses nichtig ist (vgl. Rz. 79 sowie 12. Aufl., § 46 Rz. 42; vgl. auch zur Auswirkung der Nichtigerklärung auf nachfolgende Bilanzfeststellungsbeschlüsse Rz. 175). Auch kann die erfolgreiche Anfechtung der Feststellung des Jahresabschlusses eine daran anknüpfende Entlastung fehlerhaft machen (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 99). In diesen Fällen gilt nicht die Regel des § 139 BGB, nach der eine Erstreckung der Nichtigkeit auf einen, für sich gesehen, fehlerfreien Beschluss vermutet würde248. Dieser Rechtsgedanke passt nur in den bei Rz. 41 besprochenen Fällen. 4. Die Geltendmachung der Fehlerhaftigkeit a) Nichtprozessuale Geltendmachung Es versteht sich, dass jeder Beschlussmangel im Konsens sanktioniert werden kann, sei es 43 durch Heilung (Rz. 32, 119 ff., 165), sei es durch Aufhebung des Beschlusses (Rz. 33). Die Treupflicht der Gesellschafter kann es sogar gebieten, vor einer Klageerhebung konsensuale Lösungen anzustreben (zur Bedeutung für die Anfechtungsfrist vgl. Rz. 142 ff.). Der Gesellschaftsvertrag kann – vor allem bei einer personalistischen Gesellschaft – den Versuch einer konsensualen Problemlösung und ggf. auch die Vorschaltung eines nichtprozessualen Verfahrens (z.B. Mediation oder Einigungsversuch bei einer „Schiedsstelle“) regeln (Rz. 14 f.)249. Ist die Mediationsklausel als Verfahrensabrede in Form eines vorübergehenden Klageverzichts ausgestaltet, führt sie als prozessuale Einrede zur (derzeitigen) Unzulässigkeit der Beschlussmängelklage250. Sobald eine konsensuale Problemlösung evident aussichtslos ist, kann der Gesellschaftsvertrag den Rechtsweg nicht ausschließen. Insbesondere ein Mediationsverfahren ersetzt gerichtlichen Rechtsschutz nicht (Rz. 14)251. b) Nichtigkeit oder Unwirksamkeit Die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit von Beschlüssen kann, da sie ipso iure eintritt, auf jede 44 Weise geltend gemacht werden, also außerhalb von Prozessen ebenso wie innerhalb von Pro245 Offenlassend: BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 997 Rz. 71 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Wachter; in Ausnahmefällen für eine Ausstrahlungswirkung aber Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 151; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 GmbHG Rz. 77. 246 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 151; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 GmbHG Rz. 77; Schnorr, S. 126: wenn das Gesetz Beschlussfassungen voneinander abstrahiert. 247 Im Grundsatz a.M. Schnorr, S. 38 ff., 114. 248 Vgl. BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 997 Rz. 70; OLG Frankfurt v. 21.4.2009 – 5 U 68/08, AG 2009, 631 (AG); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 151; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 19; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 77; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 151; für die AG BGH v. 19.5.2015 – II ZR 176/14, BGHZ 205, 319 = ZIP 2015, 1429, 1432 Rz. 31. 249 Eingehend Böhm, passim; Gläßer in MünchHdb. GesR IX, § 49 Rz. 140 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 206 ff.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 454; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 125 ff.; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 562 ff.; Casper/Risse, ZIP 2000, 437 ff.; vgl. insoweit auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 13. 250 Gläßer in MünchHdb. GesR IX, § 49 Rz. 141; Schröder, GmbHR 2014, 960, 961; Unberath, NJW 2011, 1320, 1322; differenzierend Loos/Brewitz, SchiedsVZ 2012, 305, 307. 251 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 215.

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§ 45 Rz. 44 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse zessen (Rz. 58 f., 81 f.)252. Erst recht gilt das für den Fall des Nicht- oder Scheinbeschlusses (Rz. 51). In einem Prozess können diese Mängel als Vorfrage oder als Hauptfrage auftreten. Als Vorfrage können sie zugunsten eines Klägers eine Klagevoraussetzung oder zugunsten des Beklagten eine Einwendung darstellen253. Als Hauptfrage kann die Nichtigkeit oder Unwirksamkeit eines Beschlusses Gegenstand einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO254, aber auch einer „Nichtigkeitsklage“ analog § 249 AktG sein; die erste dieser Klagen ist eine reguläre, auf Feststellung inter partes zielende Feststellungsklage (Rz. 49, 81 f.); die zweite ist entgegen der hergebrachten Auffassung – ganz wie die Anfechtungsklage – eine auf inter omnes wirkende Außergeltungsetzung des Beschlusses zielende Gestaltungsklage (Rz. 45, 48, 82)255. Soweit sie zulässig ist, kann das Feststellungsinteresse für eine einfache Feststellungsklage fehlen256. c) Anfechtbarkeit 45 Die Anfechtbarkeit von Beschlüssen kann grundsätzlich nur durch eine Gestaltungsklage, die

sog. Anfechtungsklage, geltend gemacht werden257. Der BGH wendet in ständiger Rechtsprechung auf anfechtbare Beschlüsse der Gesellschafterversammlung die aktienrechtlichen Vorschriften über fehlerhafte Beschlüsse mit Ausnahme der Frist des § 246 AktG (Rz. 143) sinngemäß mit der Folge an, dass fehlerhafte, jedoch nur anfechtbare Beschlüsse vorläufig wirksam und gerichtlich anzufechten sind, wenn sie nicht endgültig wirksam werden sollen258. Dieses sog. Anfechtungsklageerfordernis wird verschiedentlich kritisiert und sogar bestritten259, nicht selten auch missverstanden. Ernsthaft in Abrede gestellt wird seine grundsätzli252 Vgl. für die Nichtigkeit BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 239; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 233; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 152; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 71; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 84; Fischer, BB 2013, 2819, 2823 f.; ausführlich noch Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 48. 253 Ungenau spricht man vielfach von der Geltendmachung durch Einrede; vgl. RG, LZ 1913, 683; Feine, S. 549 Fn. 37. 254 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 254 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 71; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 215; Karsten Schmidt, AG 1977, 208. 255 Zustimmend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 30a, 40; anders aber wohl die immer noch vorherrschende Doktrin; vgl. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 101; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 249 AktG Rz. 4; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 192. 256 BGH v. 13.1.2003 – II ZR 173/02, GmbHR 2003, 355, 356; BGH v. 23.2.1978 – II ZR 37/77, BGHZ 70, 384 = NJW 1978, 1325; OLG Koblenz v. 17.11.2005 – 6 U 577/05, NZG 2006, 270, 271; OLG Hamburg v. 31.5.1995 – 11 U 183/94, ZIP 1995, 1513, 1514 f. = GmbHR 1995, 734; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 84; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 256; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 71a. 257 BGH v. 3.5.1999 – II ZR 119/98, GmbHR 1999, 714 = ZIP 1999, 1001; Martin Schwab, S. 381 ff., 392; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 191; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 82; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 69; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 319; zur Begründung vgl. Karsten Schmidt, AG 1977, 208; Beschränkung des Konzepts auf förmlich festgestellte Beschlüsse bei BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 32 m. Anm. Wagner = EWiR 2016, 693 m. Anm. Wolffsky/Wahl = ZIP 2016, 817. 258 BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66 = AG 1988, 233 = GmbHR 1988, 304; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 288/94, AG 1996, 126 = ZIP 1995, 1982; BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, GmbHR 1999, 477 = ZIP 1999, 656; BGH v. 3.5.1999 – II ZR 119/98, GmbHR 1999, 714, 715 = ZIP 1999, 1001, 1002; OLG München v. 12.1.2017 – 23 U 1994/16, GmbHR 2017, 469, 471; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; h.M.; zusammenfassend Koch, S. 87 ff., 116 ff., 159 ff.; zustimmend Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 99; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 56. 259 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen Fehrenbach, S. 312 ff., 301 ff., 385; Zöllner/Noack, ZGR 1989, 525 ff.; Casper, ZHR 163 (1999), 73 ff.¸ vgl. mit Vorschlag zu Alternativkonzepten Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 4, 15, 15a.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 45 § 45

che Gültigkeit aber auch von Kritikern nicht mehr260. Die in der Vergangenheit beklagte Schwäche der Analogiegrundlage für die Übertragung des aktienrechtlichen Anfechtungsmodells auf die GmbH261 wird jedenfalls im Zuge der absehbaren Einführung des Anfechtungsmodells in das Recht der Personenhandelsgesellschaften behoben262, nicht etwa im Sinne eines Umkehrschlusses verstärkt. Selbstverständlich kann ein anfechtbarer Beschluss auch von den Gesellschaftern selbst durch einen aufhebenden Beschluss aus der Welt geschafft werden, und hierauf hat der anfechtungsberechtigte Gesellschafter sogar einen Anspruch (Rz. 36, 43)263. Aber das Instrument für die klageweise Geltendmachung dieses Anspruchs ist die einer Vollstreckung nicht bedürftige Anfechtungsklage (zu ihrer Rechtsnatur vgl. Rz. 46). Das Erfordernis einer fristgebundenen Anfechtungsklage dient vor allem der Rechtssicherheit264. Bei schweren (Nichtigkeits-)Mängeln gilt dieses Erfordernis nicht. Aus diesem Unterschied folgert die bisher h.M., dass die Anfechtungsklage eine Gestaltungsklage, die Nichtigkeitsklage dagegen eine Feststellungsklage sei265. Seit der 6. Aufl. dieses Kommentars und in früheren Arbeiten wurde ein Gegenkonzept entwickelt266: Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage sind nicht verschiedene Klagarten, sondern Gestaltungsklagen, gerichtet auf Nichtigerklärung des Beschlusses267. Als gemeinsamer Oberbegriff wurde in der 6. Aufl. die Kategorie „kassatorische Klage“ in das Gesellschaftsrecht aufgenommen268. Dieser Terminus (nicht die mit seiner Verwendung artikulierte Folgerung) hat sich weitgehend etabliert (Rz. 47). Auch die These von der Einartigkeit aller kassatorischen Klagen wird bestätigt durch die seit 1997 gesicherte BGH-Rechtsprechung, wonach Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage dasselbe materielle Ziel verfolgen269. 260 Vgl. Noack, GmbHR 2017, 792, 794 („Messe gelesen“); Altmeppen, GmbHR 2018, 225 („müssen uns … abfinden“). 261 Koch, Gutachten 72. DJT, 2018, S. F 72. 262 Vgl. auch Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 262 („Ungeachtet der Beschränkung seines Anwendungsbereichs auf Personenhandelsgesellschaften ist davon auszugehen, dass das Anfechtungsmodell auf das von der Rechtsprechung entwickelte Beschlussmängelrecht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung ausstrahlen wird…“). 263 Insoweit treffend Noack, S. 46. 264 Vgl. BGH v. 13.7.2009 – II ZR 272/08, DStR 2009, 2113, 2114 GmbHR 2009, 1101; Karsten Schmidt, AG 1977, 208 f.; kritisch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 3 ff. 265 So immer noch Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 215 f.; Renkl, Der Gesellschafterbeschluss, S. 117 f., 130 f.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 357; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 192; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 249 AktG Rz. 4, 22; Sosnitza, NZG 1998, 337; grundlegend A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 234 ff.; s. auch Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand im Zivilprozess, 1961, S. 201; Gehrlein, AG 1994, 105. 266 Vgl. Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 91, 146; Karsten Schmidt, JZ 1977, 769 ff.; Karsten Schmidt, AG 1977, 207 f.; Karsten Schmidt, JZ 1988, 729 ff.; vgl. auch Karsten Schmidt, GesR, § 15 II, § 21 V 2; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 477 ff.; im Wesentlichen zustimmend Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 43; von einer einem Gestaltungsurteil gleichkommenden Wirkung des der Klage stattgebenden Urteils spricht nunmehr die Kommentierung von Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 69. 267 Eingehend Karsten Schmidt, JZ 1977, 769 ff.; Karsten Schmidt, JZ 1988, 729 ff.; zust. Kindl, ZGR 2000, 172 ff.; ähnlich Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 40; Teichmann in Gehrlein/ Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 75; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 479 ff.; abl. Sosnitza, NZG 1998, 337. 268 Dazu auch Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 481; s. auch Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 159a, 167 mit Berufung auf Kindl, ZGR 2000, 170. 269 BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364 = GmbHR 1997, 655 (zur GmbH); BGH v. 22.7.2002 – II ZR 286/01, BGHZ 152, 1 = AG 2002, 677 m. Anm. Bub (AG); BGH v. 1.3.1999 – II ZR 305/97, AG 1999, 375 = ZIP 1999, 580 (zur AG); BGH v. 10.7.2012 – II ZR 122/10, AG 2012, 882, 883 Rz. 9; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68;

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§ 45 Rz. 45 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Diese Gerichtspraxis fügt sich in das hier vertretene Konzept ein: Es ist nicht zwischen der Anfechtungsklage (als Gestaltungsklage) und der Nichtigkeitsklage (als Feststellungsklage) zu unterscheiden, denn jeder kassatorische Prozess ist ein Gestaltungsprozess (Rz. 46). Zu unterscheiden ist zwischen Anfechtungsgründen und Nichtigkeitsgründen (Rz. 37)270; der Unterschied liegt darin, dass die Ersteren nur durch die kassatorische Klage geltend gemacht werden können, die Letzteren auch auf andere Weise, und dass die Ersteren innerhalb einer Anfechtungsfrist geltend gemacht werden müssen (Rz. 141 ff.)271. Deshalb kann das Gericht einer „Anfechtungsklage“ auch aufgrund eines Nichtigkeitsmangels stattgeben, und es kann einer „Nichtigkeitsklage“ auch aufgrund von Anfechtungsmängeln stattgeben, sofern nur die Anfechtungsfrist gewahrt ist (Rz. 48, 152)272. Es gibt auch keinen Unterschied zwischen einem „Anfechtungsurteil“ und einem „Nichtigkeitsurteil“ (vgl. Rz. 168)273; beide sind Gestaltungsurteile und führen dazu, dass der Beschluss mit Wirkung für und gegen jedermann für nichtig erklärt wird (Rz. 172). Wenn bei der Nichtigkeitsklage Antrag und Tenor üblicherweise auf die „Feststellung“ der Nichtigkeit lauten (vgl. § 249 AktG), so beruht dies auf dem Herkommen, ist also nur eine Antrags- und Tenorierungsusance und ändert an der Sache nichts (vgl. auch Rz. 48, 152, 168)274. Aus der üblichen Formulierung von Klagschrift und Urteil ergibt sich nur, dass nach der Auffassung des Klägers bzw. des Gerichts der Beschluss bereits ipso iure nichtig ist und nur um der Rechtssicherheit willen nunmehr auch vom Gericht mit Wirkung gegen jedermann für nichtig erklärt wird; es handelt sich dann um einen Fall der sog. „Doppelwirkungen im Recht“275. Die „Doppelwirkung“ besteht darin, dass ein Beschluss ungeachtet angenommener Nichtigkeit (die nur inter partes rechtskräftig festgestellt werden könnte) mit Wirkung für und gegen jedermann für nichtig erklärt wird276. 5. Die kassatorische Klage („Anfechtungsklage“ oder „Nichtigkeitsklage“) im Besonderen a) Doppelfunktion 46 Die gegen die Gesellschaft zu richtende kassatorische Klage („Anfechtungsklage“ oder „Nich-

tigkeitsklage“) hat eine Doppelfunktion277: Sie ist Abwehrklage und Gestaltungsklage. Als Abwehrklage dient sie dem Rechtsschutz gegen einen rechtswidrigen Beschluss278; als Gestal-

270 271 272 273 274 275 276 277 278

OLG Hamm v. 9.9.2019 – 8 U 7/17, GmbHR 2020, 204, 206; OLG München v. 12.1.2017 – 23 U 1994/16, GmbHR 2017, 469, 471; OLG Hamm v. 28.10.2015 – 8 U 73/15, GmbHR 2016, 423, 424; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 224; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 54; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 159a; dazu Kindl, ZGR 2000, 166; Steinmeyer/Seidel, DStR 1999, 2077; Bork, NZG 2002, 1094. Die vermeintliche Notwendigkeit einer besonderen Nichtigkeitsklage beruht historisch darauf, dass das RG Anfechtungsklagen gegen nichtige Beschlüsse nicht zugelassen hatte, vgl. RGZ 75, 239, 242; RGZ 89, 367, 379; dagegen mit Recht A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 237 ff. Karsten Schmidt, JZ 1988, 732 f. Vgl. Karsten Schmidt, JZ 1988, 732 f. Karsten Schmidt, AG 1977, 207 f.; der Sache nach ebenso für die AG BGH v. 1.3.1999 – II ZR 305/ 97, AG 1999, 375 = ZIP 1999, 580. Dies gegen die „konstruktiven“ Bedenken bei Sosnitza, NZG 1998, 337 f. Dazu Kipp in FS v. Martitz, 1911, S. 211 ff.; Oellers, AcP 169 (1969), 67 ff.; Schreiber, AcP 211 (2011), 35 ff. (mit engem Verständnis der „Doppelwirkung“). Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 75; Karsten Schmidt, AG 1977, 207; Karsten Schmidt, JZ 1988, 732 f.; abl. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 357. Karsten Schmidt, GesR, § 15 II 2a, § 21 V 2; zur Doppelfunktion der Anfechtungsklage vgl. Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 9 f.; Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217 f.; Karsten Schmidt in FS Semler, 1993, S. 331. Vgl. für die Anfechtungsklage Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 246 AktG Rz. 4; Knobbe-Keuk in FS Ballerstedt, 1975, S. 246 ff.; Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217 ff.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 48 § 45

tungsklage führt sie zur Nichtigerklärung des Beschlusses mit Wirkung für und gegen jedermann279. Sie ersetzt eine Klage, Verurteilung und Vollstreckung (§ 894 ZPO) wegen eines Anspruchs des Klägers auf Aufhebung des rechtswidrigen Beschlusses. Dies gilt gleichermaßen für die sog. „Anfechtungsklage“ und für die sog. „Nichtigkeitsklage“ (vgl. Rz. 44, 48), denn beide unterscheiden sich nicht als Klagarten voneinander, sondern nur hinsichtlich der zur Klagebegründung vorgebrachten Gründe und der einzuhaltenden Fristen (Rz. 45, 141 ff., 152). b) Kassatorische Funktion Anfechtungsklage und Nichtigkeitsklage wirken kassatorisch (vgl. zum Konzept der kassato- 47 rischen Klage Rz. 45). Die Charakterisierung der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen als „kassatorische“ Klagen hat nicht nur terminologische, sondern auch funktionelle Bedeutung: Diese Klagen zielen nur auf die Nichtigerklärung des Beschlusses (Rz. 174). Deshalb genügen reine Anfechtungs- und Nichtigkeitsanträge nicht, wo es – wie bei der Anfechtung negativer Beschlüsse („Der Antrag ist abgelehnt“) – darum geht, den „richtigen“ Beschluss im Prozesswege zu erzwingen (eine nicht-prozessuale Durchsetzung des Anspruchs auf den „richtigen“ Beschluss bleibt selbstverständlich neben der kassatorischen Klage möglich [vgl. Rz. 43], ebenso eine Leistungsklage gegen rechtswidrig abstimmende Gesellschafter [12. Aufl., § 47 Rz. 32]). Im Prozess gegen die Gesellschaft – nicht mittels Klageerhebung durch die Gesellschaft!280 – geschieht dies durch eine mit dem kassatorischen Antrag verbundene „positive Beschlussfeststellungsklage“ (Rz. 174)281. Allerdings handelt es sich bei diesem Beschluss-„Feststellungs“-Antrag der Sache nach nur um die Ergänzung des kassatorischen durch ein konstruktives Element, denn nur auf diese Weise kann die Klage der Beseitigung der durch den Beschluss herbeigeführten Rechtswidrigkeit i.S.v. Rz. 46 dienen. Deshalb kann auch diese Klage nur als Gestaltungsklage funktionieren (Rz. 180): Das Gericht setzt den „richtigen“ Beschluss mit gestaltender Wirkung an die Stelle des mit der Klage bekämpften ablehnenden Beschlusses (vgl. im Einzelnen Rz. 180 ff.). c) Verhältnis zwischen „Anfechtungsklage“ und „Nichtigkeitsklage“ Das Verhältnis zwischen der „Anfechtungsklage“ und der „Nichtigkeitsklage“ ist damit viel 48 einfacher, als herkömmlicherweise angenommen wurde282: Beide haben denselben Streitgegenstand, solange es um denselben Beschluss und um dieselben Beschlussmängel geht (vgl. zur Einartigkeit der kassatorischen Klagen Rz. 45, 82 sowie zum Streitgegenstand

279 BGH v. 13.10.2008 – II ZR 112/07, GmbHR 2009, 39, 40 Rz. 8; BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 = GmbHR 1997, 655, 656; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 87; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 246 AktG Rz. 13; Karsten Schmidt, AG 1977, 207 f.; Karsten Schmidt, JZ 1977, 769 ff.; Karsten Schmidt, JZ 1988, 732 f. 280 OLG Köln v. 14.6.2018 – 18 U 36/17, ZIP 2018, 2410; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 109. 281 Dazu eingehend OLG Köln v. 14.6.2018 – 18 U 36/17, ZIP 2018, 2410 ff.; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 249 AktG Rz. 98 ff.; Karsten Schmidt, AG 1980, 169 ff.; Karsten Schmidt, NJW 1986, 2020 f.; Zöllner, ZGR 1982, 623 ff.; Lindacher, ZGR 1987, 121 ff.; OLG Celle v. 15.5.1996 – 9 U 185/95, GmbHR 1997, 172, 174. 282 Eingehend Karsten Schmidt, JZ 1977, 669 ff.; Karsten Schmidt, JZ 1988, 729 ff.; zust. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 194; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 43; Kindl, ZGR 2000, 172 ff.; Steinmeyer/Seidel, DStR 1999, 2077 ff.; der Sache nach auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 166; „konstruktive“ Bedenken hiergegen bei: Sosnitza, NZG 1998, 337 f.; ausführliche Analyse bei Martin Schwab, S. 270 ff., der aber am Ende gleichwohl daran festhält, die Nichtigkeitsklage sei Feststellungsklage (S. 274); ähnlich Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 218, 327 f.

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§ 45 Rz. 48 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Rz. 152)283. Das Gericht beurteilt den Beschluss unabhängig von der Formulierung des Klageantrags sowohl mit Blick auf Nichtigkeits- wie auch auf Anfechtungsgründe und kann ohne weiteres ein „Nichtigkeitsurteil“ erlassen, auch wenn die Klage als „Anfechtungsklage“ erhoben wurde284; es kann auch einer „Nichtigkeitsklage“ stattgeben, wenn sich der geltend gemachte Mangel des Beschlusses als bloßer Anfechtungsgrund erweist, sofern nur die Anfechtungsfrist (Rz. 141 ff.) gewahrt ist285. Nichtigkeits- und Anfechtungsklage verfolgen das einheitliche Rechtsschutzziel der „richterlichen Klärung der Nichtigkeit“ eines Beschlusses in Bezug auf seine „fehlende Übereinstimmung mit Gesetz oder Satzung“286. Beantragt wird die für und gegen alle auszusprechende Nichtigkeit eines rechtswidrigen Beschlusses – seine definitive Außergeltungsetzung erga omnes. Es beruht nur auf traditionellen Antrags- und Tenorierungsusancen und auf dem irreführenden Wortlaut der §§ 248, 249 AktG, wenn Antrag und Urteil bei der „Anfechtungsklage“ und bei der „Nichtigkeitsklage“ unterschiedlich (nämlich einmal als Gestaltungsantrag, einmal als Feststellungsantrag) formuliert zu werden pflegen (Rz. 45, 152, 168). Die Praxis mag an dieser Übung festhalten. Diese ist an sich unschädlich, darf aber nicht in die Irre leiten287. Die Nichtigkeitsklage ist ebenso Gestaltungsklage wie die Anfechtungsklage, das Nichtigkeitsurteil ebenso Gestaltungsurteil wie das Anfechtungsurteil (Rz. 46). d) Verhältnis zur Feststellungsklage nach § 256 ZPO 49 Streng von der kassatorischen Klage – auch von der sog. Nichtigkeitsklage! – zu unterschei-

den ist die Feststellungsklage nach § 256 ZPO (vgl. Rz. 44, 82). Sie hat keinen Gestaltungscharakter. Sie kann deshalb auch nicht zur Aufhebung eines anfechtbaren Beschlusses führen, sondern nur den Inhalt eines Beschlusses oder die Wirksamkeit, Unwirksamkeit oder Nichtigkeit des Beschlusses im Verhältnis zwischen den Parteien klären288. Während der Streitgegenstand der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, soweit es um denselben Beschluss und dieselben Beschlussmängel geht, identisch ist (Rz. 48, 152), kann der Streitgegenstand einer Feststellungsklage nach § 256 ZPO mit diesen Klagen nicht identisch sein, selbst wenn derselbe Beschluss in Rede steht289. Im Gegensatz zur Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage entfaltet die allgemeine Feststellungsklage nach § 256 ZPO weder eine Gestaltungswirkung 283 BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68; BGH v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, BGHZ 206, 143 = ZIP 2015, 2069, 2074 Rz. 43; BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364 = AG 1997, 326, 327 GmbHR 1997, 655; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 359; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 31; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 194; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 70, 166; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 43. 284 Vgl. BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68; BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, AG 1995, 83; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 218; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rz. 43; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 31. 285 BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 f. = GmbHR 1997, 655; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 79; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 224 f. 286 BGH v. 22.7.2002 – II ZR 286/01, BGHZ 152, 1 = AG 2002, 677; vgl. auch BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364 = AG 1997, 326 = GmbHR 1997, 655; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/ 17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68. 287 Charakteristisch für die Schwierigkeiten der traditionellen, erst allmählich überwundenen Sichtweise noch die „konstruktiven“ Bedenken bei Sosnitza, NZG 1998, 337. 288 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 32 m. Anm. Wagner; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427 Rz. 22 m. Anm. Werner; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 249 AktG Rz. 6. 289 OLG Hamm v. 12.3.2008 – 8 U 190/06, juris = BeckRS 2008, 12848; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 246 AktG Rz. 83.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 49b § 45

noch eine für und gegen jedermann wirkende Rechtskraft290. Der Übergang von der kassatorischen Klage zur Feststellungsklage oder umgekehrt ist aufgrund des unterschiedlichen Rechtsschutzziels immer Klagänderung. e) Der (festgestellte) Beschluss als Gegenstand der kassatorischen Klage Gegenstand der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage ist der Beschluss (über Scheinbe- 49a schlüsse vgl. Rz. 50). Für den Tatbestand eines Beschlusses ist der Abschluss des Abstimmungsverfahrens erforderlich, nicht allerdings – wenngleich ratsam! – eine förmliche Feststellung des Beschlussergebnisses (Rz. 21a f.). Über das Vorhandensein und gegebenenfalls über den Inhalt eines Beschlusses kann unter den Voraussetzungen des § 256 ZPO in einem Feststellungsprozess entschieden werden291. Ein förmlich festgestelltes Beschlussergebnis kann dagegen nur im Wege der kassatorischen Klage angegriffen werden292. Zur förmlichen Feststellung des Beschlussergebnisses ist es erforderlich, dass das Ergebnis 49b festgestellt und verkündet wird293. Im Falle der Ergebnisverkündigung durch einen Versammlungsleiter (zu seiner Legitimation sogleich Rz. 49c, 49e) ist diese Voraussetzung stets erfüllt294. Ausweislich der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine „förmliche Feststellung … aber auch auf andere Weise möglich, soweit das Ziel, Unsicherheit über die Fassung eines Beschlusses zu beseitigen, erreicht wird“295. Das wiederum wurde insbesondere in dem 290 OLG Hamm v. 12.3.2008 – 8 U 190/06, juris = BeckRS 2008, 12848; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 360 ff. 291 Vgl. BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 32 m. Anm. Wagner = EWiR 2016, 693 m. Anm. Wolffsky/Wahl = ZIP 2016, 817; BGH v. 4.5.2009 – II ZR 169/07, GmbHR 2009, 1327 m. Anm. Münnich = ZIP 2009, 2195; BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, GmbHR 1999, 477, 478; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 68 f. = GmbHR 1988, 304; OLG München v. 23.2.2017 – 23 U 4888/15, GmbHR 2017, 476, 478; OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 989 m. Anm. Illhardt. 292 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rz. 31 = GmbHR 2019, 988 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 33 m. Anm. Wagner; BGH v. 13.1.2003 – II ZR 173/02, GmbHR 2003, 355, 356; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 288/94, GmbHR 1996, 47, 48; BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, GmbHR 1999, 477, 478; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 69 = GmbHR 1988, 304; BGH v. 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 154, juris-Rz. 14 ff. = GmbHR 1980, 295; Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 259; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 39; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 51, 72; Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 120; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 255; Rensen in Saenger/Inhester, Anh. § 47 Rz. 5; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 39; Wicke, Anh. § 47 Rz. 12; Wertenbruch, GmbHR 2020, 875, 876; i. Erg. auch Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 137. 293 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 33 m. Anm. Wagner = EWiR 2016, 693 m. Anm. Wolffsky/Wahl = ZIP 2016, 817; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427. 294 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 Rz. 31 = GmbHR 2019, 988 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427; BGH v. 10.4.1989 – II ZR 225/88, GmbHR 1990, 68 = ZIP 1989, 1261; OLG Stuttgart v. 10.2.2014 – 14 U 40/13, GmbHR 2015, 431; wohl auch OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 411; vgl. ferner Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 38; Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 120; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 40; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 229; Wicke, Anh. § 47 Rz. 12; Herchen in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 83, 101; Wertenbruch, GmbHR 2020, 875, 876. 295 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 33 m. Anm. Wagner = EWiR 2016, 693 m. Anm. Wolffsky/Wahl = ZIP 2016, 817; vgl. auch BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427; vgl. auch bereits – kritisch – Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 136 („stereotype Floskeln von der ‚Förmlichkeit‘“), sowie Herchen in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 83, 102 („nahezu kurios“).

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§ 45 Rz. 49b | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Fall bejaht, in dem die Satzung ein Beschlussprotokoll vorsah, das von einem Geschäftsführer zu unterzeichnen, den Gesellschaftern zu übermitteln und im Protokollbuch zu verwahren war und die von allen Gesellschaftern gleichlautend getroffene Feststellung der einstimmigen Fassung eines genau bezeichneten Beschlusses enthielt296. Gleiches soll bei beurkundeten Beschlüssen gelten, wenn der Notar Feststellungen über die Beschlussfassung getroffen hat297. Auch soll es einer verbindlichen Beschlussfeststellung entsprechen, wenn die Gesellschafter von einem bestimmten Beschlussergebnis „übereinstimmend ausgegangen“ sind298. 49c Die Voraussetzungen der Legitimation des Versammlungsleiters für Beschlussfeststellun-

gen sind umstritten. Mit der herrschenden299 – wenn auch nachdrücklich bestrittenen300 – Auffassung ist davon auszugehen, dass auch ein einfachmehrheitlich bestimmter Versammlungsleiter grundsätzlich zur Beschlussfeststellung legitimiert ist (12. Aufl., § 48 Rz. 53). Ein solcher mit Mehrheit bestimmter Versammlungsleiter wird als Funktionsgehilfe der Gesellschafterversammlung301 (12. Aufl., § 48 Rz. 32) Feststellungen stets im Sinne der Mehrheit, die ihn ins Amt gesetzt hat, treffen und damit Unsicherheit über die Fassung des Beschlusses beseitigen; insbesondere ist er nicht schon aufgrund eines ihn treffenden Stimmverbots an der Feststellung gehindert (12. Aufl., § 47 Rz. 175). Der Versammlungsleiter kann von der Gesellschafterversammlung im Hinblick auf Beschlussfeststellungen angewiesen werden und seine Feststellungen können von der Gesellschafterversammlung revidiert werden (vgl. auch 12. Aufl., § 48 Rz. 32)302. Dabei handelt es sich nicht um eine illegitime Abschneidung der allgemeinen Feststellungsklage303, sondern um die konsequente Anwendung des Anfechtungsmodells der §§ 241 ff. AktG. Widersetzt sich ein durch Mehrheitsbeschluss ins Amt gesetzter Versammlungsleiter dem Willen der beschlusstragenden rechnerischen Mehrheit, kann sie ihn jederzeit abberufen304 (dazu 12. Aufl., § 48 Rz. 34) und durch einen Versamm-

296 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427; BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 33 m. Anm. Wagner = EWiR 2016, 693 m. Anm. Wolffsky/Wahl = ZIP 2016, 817. 297 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 38; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 79; Wicke, Anh. § 47 Rz. 12; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 120. 298 OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84, 85; OLG Stuttgart v. 10.2.2014 – 14 U 40/13, GmbHR 2015, 431, 432; so auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 38; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 232; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 120a. 299 BGH v. 4.5.2009 – II ZR 166/07, GmbHR 2009, 1325, 1326 (vgl. zur mehrheitlichen Wahl als Grundlage der Versammlungsleitung die Vorinstanz OLG Karlsruhe v. 28.6.2007 – 15 U 19/07, BeckRS 2007, 15478, III.4.a); OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 411; OLG Celle v. 27.3.1997 – 9 U 154/96, GmbHR 1999, 35; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 17a; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 55; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 29, § 48 Rz. 32; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 107b; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 236; Wicke, GmbHR 2017, 777, 784; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 39 Rz. 82; teilweise anders noch Bochmann, GmbHR 2017, 558, 567. 300 OLG Frankfurt a.M. v. 4.12.1988 – 5 W 33/98, GmbHR 1999, 551; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, § 48 Rz. 17b; Noack in FS Lutter, 2000, S. 821, 827; Noack, GmbHR 2017, 792, 796. 301 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 48 Rz. 28; Römermann in Michalski u.a., § 48 Rz. 106; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 229; Lange, NJW 2015, 3190, 3193. 302 Altmeppen, § 48 Rz. 14; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 230; Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2837; Ernst in Liber amicorum Leenen, 2012, S. 1, 13 f.; vgl. zur Möglichkeit der Korrektur von Versammlungsleiterentscheidungen durch die Gesellschafterversammlung – allerdings ohne ausdrücklichen Bezug zur Beschlussfeststellung – Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 48 Rz. 16; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 48 Rz. 28, 36; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 39 Rz. 72; Wicke, GmbHR 2017, 777, 785. 303 So aber wohl Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 589. 304 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 48 Rz. 15; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 108; Römermann in Michalski u.a., § 48 Rz. 99.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 49d § 45

lungsleiter ersetzen, der Unsicherheit über das Abstimmungsergebnis in ihrem Sinne durch eine entsprechende Beschlussfeststellung beseitigt. Unbenommen ist der rechnerischen Gesellschafter-Stimmenmehrheit die eigene „förmli- 49d che“ Beschlussfeststellung, und zwar grundsätzlich auch gegen einen Versammlungsleiter (vgl. bereits Rz. 49c und zur Ausnahme sogleich Rz. 49e) – zu beseitigen305. Dies ist letztlich die Konsequenz der bloß abgeleiteten Beschlussfeststellungskompetenz des mehrheitlich bestimmten Versammlungsleiters (Rz. 49c) sowie seiner Funktionsgehilfeneigenschaft im Verhältnis zur Gesellschafterversammlung (Rz. 49c sowie 12. Aufl., § 48 Rz. 32). Einvernehmen aller Gesellschafter über ein bestimmtes Beschlussergebnis ist nicht erforderlich306. Die Argumente, die für die Beschlussfeststellungskompetenz des mehrheitlich bestimmten Versammlungsleiters angeführt werden307, sprechen letztlich auch für die mehrheitliche Beschlussfeststellungskompetenz der Versammlung selbst. Im Übrigen wäre die vorläufige Verbindlichkeit des auch ohne Feststellung in die Welt gesetzten (Rz. 21a f.) – wenn auch aufgrund von Stimmverboten etc. fehlerhaften – Beschlusses von Zufall und Rechtskunde der Mehrheit abhängig308. Denn diese hätte es nach herrschender Ansicht jederzeit in der Hand, einen Versammlungsleiter zu wählen, der die Beschlüsse in ihrem Sinne und notfalls auf ihre Weisung mit der Folge der vorläufigen Verbindlichkeit förmlich feststellt und verkündet (Rz. 49c). Wenn ein Mehrheitsgesellschafter gegen die Stimmen der Minderheit für einen Beschlussvorschlag stimmt und die Minderheit bei dem Mehrheitsgesellschafter ein Stimmverbot sieht, kann es für die Art des Rechtsschutzes der Minderheitsgesellschafter aber keinen Unterschied machen, ob der Mehrheitsgesellschafter sich en passant auch zum Versammlungsleiter wählt und das Ergebnis des aus seiner Sicht fraglos zu bejahenden Zustandekommens des Beschlusses förmlich feststellt und verkündet309. Der Beschlussfeststellungskompetenz der rechnerischen Gesellschaftermehrheit kann zwar entgegengehalten werden, dass die Feststellungsentscheidung ebenso von einem Stimmverbot etc. „infiziert“ sein kann wie die Zustimmung zum Beschlussgegenstand; die „förmliche“ Feststellung durch die Mehrheit steht damit gegebenenfalls auf ebenso tönernen Füßen wie die Beschlussfassung selbst, und im Nachhinein stellt sich gegebenenfalls heraus, dass tatsächlich gar keine Mehrheit wirksam abgegebener Stimmen vorhanden war. Wenn aber die vorläufige Wirksamkeit des Inhalts fehlerhafter – auch: fehlerhaft (durch einen Versammlungsleiter) festgestellter – Beschlüsse grundsätzlich akzeptiert ist, wäre es inkonsequent, der „förmlichen“ Feststellung durch die rechnerische Mehrheit diese Wirkung zu versagen. Im Wortsinn förmlich muss (und wird) diese dann nicht sein, soweit nur das nach der Recht-

305 Ähnlich bereits Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 136; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 230; Altmeppen, NJW 2016, 2833, 2834. 306 Anders aber OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84, 85; OLG Stuttgart v. 10.2.2014 – 14 U 40/13, GmbHR 2015, 431, 432; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 38; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 232; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 120a. 307 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 48 Rz. 17a; Wertenbruch, GmbHR 2020, 875, 879. 308 In dieser Richtung bereits Herchen in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 83, 102; Otte, ZIP 2020, 1743, 1744. 309 So aber die Konsequenz der Auffassung von Wertenbruch in MünchKomm. GmbH, Anh. § 47 Rz. 232 f., wonach der Widerspruch auch nur eines Gesellschafters bei Fehlen eines Versammlungsleiters den Weg zur allgemeinen Feststellungsklage weist; vgl. auch Wertenbruch, GmbHR 2020, 875, 876, dem zufolge die „Bestimmung des Versammlungsleiters … die entscheidende Weichenstellung für die Art der gerichtlichen Beschlusskontrolle und die unmittelbaren zivilrechtlichen Folgen gefasster Beschlüsse“ sein soll.

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§ 45 Rz. 49d | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse sprechung maßgebliche „Ziel, Unsicherheit über die Fassung eines Beschlusses zu beseitigen, erreicht wird“310. So wie bei offensichtlich und zweifelsfrei willkürlichen oder missbräuchlichen Feststellungen durch einen Versammlungsleiter (12. Aufl., § 48 Rz. 53)311 können in Ausnahmefällen auch hier Einschränkungen der vorläufigen Verbindlichkeit „förmlich“ festgestellter Beschlüsse erwogen werden. Frei von Zweifeln wird die Situation aber nur sein, wenn Gesellschafter die Nichtigkeit ihrer Stimmen bei einem Beschlussgegenstand von vornherein anerkennen, nicht mitstimmen und das rechnerische Ergebnis nicht beeinflussen oder wenn wie im Falle der Entlastung eines Gesellschafter-Geschäftsführers ganz eindeutige Stimmverbote eingreifen. 49e Besonderheiten gelten für einen sogenannten qualifizierten Versammlungsleiter, der be-

rechtigt ist, Beschlussergebnisse aus eigener Kompetenz und frei vom Einfluss der rechnerischen Mehrheit festzustellen312. Die Satzung kann die Versammlungsleitung zusammen mit derartiger Beschlussfeststellungkompetenz als Sonderrecht in die Hände eines bestimmten Gesellschafters legen313. Ein in diesem Sinne hinreichend klar legitimierter Versammlungsleiter ist in der Lage, Unsicherheit über das Beschlussergebnis nach eigenem pflichtgemäßem Urteil über das Eingreifen von Stimmverboten etc. zu beseitigen, auch wenn es der rechnerischen Mehrheit widerspricht. 49f Nur wenn außerhalb von Rz. 49b bis 49e tatsächliche Unsicherheit über das Ergebnis der

Abstimmung herrscht, bleibt Raum für die unbefristete Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO zur Klärung des richtigen Beschlussergebnisses (Rz. 49, 49a). Unsicherheit in diesem Sinne wird sich auf Ausnahmefälle beschränken, etwa auf einen größeren Gesellschafterkreis, bei dem in einem offenen Abstimmungsvorgang nicht sogleich ersichtlich ist, ob eine rechnerische Mehrheit den Beschlussvorschlag unterstützt, es aufgrund des Sitzungsverlaufs aber nicht zu einer Ermittlung kommt314. 49g Für zweigliedrige Gesellschaften mit paritätischem Stimmgewicht gelten keine Besonder-

heiten. Ein so genannter qualifizierter Versammlungsleiter im Sinne von Rz. 49e kann auch hier der einen oder anderen Seite die Anfechtungslast und gegebenenfalls die damit verbundene (ebenfalls fristgebundene) positive Beschlussfeststellungslast (Rz. 179 ff.) aufbürden. Wenn die Beschlussfeststellungskompetenz des Versammlungsleiters sich von der Gesellschaftermehrheit ableitet, es keinen Versammlungsleiter gibt oder dieser schlicht keine Feststellung trifft, ist bei konträrer Stimmabgabe Unsicherheit über das Beschlussergebnis dadurch ausgeräumt, dass für beide Gesellschafter unmissverständlich ersichtlich ist, dass der Beschlussvorschlag keine Mehrheit gefunden hat; zu Unrecht ist der BGH315 davon ausgegangen, eine Anfechtungsklage scheide in derartigen Konstellationen aus. Der Beschluss ist bei Stimmengleichheit und Uneinigkeit über die Nichtigkeit der Stimmen des gegen den

310 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 33 m. Anm. Wagner = EWiR 2016, 693 m. Anm. Wolffsky/Wahl = ZIP 2016, 817; vgl. auch BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427. 311 OLG Frankfurt a.M. v. 6.11.2008 – 20 W 385/08, GmbHR 2009, 378, 379; OLG München v. 16.4.1999 – 23 U 5491/98, NZG 1999, 1173, 1174 f.; Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086, 1088; Hoffmann/Köster, GmbHR 2003, 1327, 1332. 312 Vgl. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 18; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 48 Rz. 28; Noack, GmbHR 2017, 792, 795. 313 Vgl. Bochmann, GmbHR 2017, 558, 567. 314 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 232, nennt den Fall, in dem die Gesellschafterversammlung „im Tumult untergeht“, wobei es in dieser Konstellation nach seiner Auffassung – nicht überzeugend – auch dann an einer Feststellung fehlen soll, wenn das Abstimmungsergebnis bereits verlautbart wurde. 315 BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, GmbHR 1999, 477, 478; vgl. aber OLG Hamburg v. 31.5.1995 – 11 U 183/94, GmbHR 1995, 734, 735.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 51 § 45

Beschluss stimmenden Gesellschafters mangels rechnerischer Mehrheit abgelehnt316 (12. Aufl., § 47 Rz. 3). Der Gesellschafter, der einen positiven Beschluss herbeiführen will, muss den negativen Beschluss (Rz. 136, 179 ff.) mit der fristgebundenen kassatorischen Klage analog §§ 241 ff. AktG in Verbindung mit der ebenfalls fristgebundenen (Rz. 181) positiven Beschlussfeststellungsklage angreifen. Eine unsachgemäße Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten ist in der Befristung nicht zu erblicken, steht es dem Gesellschafter, der eine positive Beschlussfassung betreibt, doch jederzeit offen, eine neue Gesellschafterversammlung und Beschlussfassung zu initiieren. 6. Die Behandlung von sog. Scheinbeschlüssen a) Tatbestand Von einem Scheinbeschluss (Nichtbeschluss) wird gesprochen, wenn ein bestimmter Be- 50 schluss oder Beschlussinhalt von der Gesellschaft oder von Mitgesellschaftern lediglich behauptet wird, aber nicht vorliegt317. Diese Kategorie fehlerhafter Beschlüsse wird häufig geleugnet318. Das hängt damit zusammen, dass der Begriff „Scheinbeschluss“ zu der Annahme verleitet, man solle sich Scheinbeschlüsse wie nichtige und anfechtbare Beschlüsse als eine Beschlusskategorie vorstellen, die es natürlich nicht gibt (vgl. demgegenüber hier Rz. 37, 45). Es versteht sich von selbst, dass ein Nichtbeschluss schon begrifflich kein fehlerhafter Beschluss sein kann. Das Phänomen des Scheinbeschlusses erscheint in der Realität als ein Rechtsschutzproblem. Es geht um den Streit über die Frage, ob ein Beschluss dieses oder jenes Inhalts gefasst oder nur angeblich gefasst ist, wenn der angebliche Beschlusstatbestand oder der behauptete Beschlussinhalt überhaupt nicht vorliegt, aber – z.B. als angeblicher Generalversammlungsbeschluss – gegenüber einem Gesellschafter oder Dritten behauptet wird319. Auch ein Beschluss, der infolge Unbestimmtheit nicht einmal auslegungsfähig ist (Rz. 24) und deshalb ins Leere geht, ist im Streitfall als Scheinbeschluss zu behandeln320. Anders als in den Vorauflagen vertreten, handelt sich dagegen nicht um einen Scheinbeschluss, wenn Streit über die Behauptung besteht, ein nicht vom Versammlungsleiter formell festgestellter Beschluss habe die erforderliche Mehrheit gefunden (dazu Rz. 49c). b) Rechtsfolge Ein Scheinbeschluss äußert keinerlei Rechtswirkungen. Dies kann von jedermann auf jegli- 51 che Weise geltend gemacht werden. Im Prozess kann die Frage, ob ein Beschluss in Wahrheit nicht vorliegt, vom Gericht als Vorfrage oder als Hauptfrage geprüft werden. Will der Kläger diese Frage zur Hauptfrage machen, so kann er unter den Voraussetzungen des § 256 ZPO (Feststellungsinteresse!) gegen jeden Beschlussprätendenten eine unbefristete Feststellungs-

316 Altmeppen, § 47 Rz. 12 f.; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 17. 317 Karsten Schmidt, GesR, § 15 II 1b aa; s. auch Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 49 ff.; nach Semler/Asmus, NZG 2004, 881 gehört hierher auch der auf nichtigen Stimmen beruhende, deshalb „stimmlose“ Beschluss; dagegen überzeugend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 3, Anh. § 47 Rz. 26. 318 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 25 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 26 f.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 3; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 57; vgl. auch Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 11. 319 Vgl. als zweifelhaftes Beispiel BayObLG v. 26.10.1989 – BReg.3 Z 65/89, DB 1990, 157, 158 = [LS] GmbHR 1990, 216: Nichtbeschluss, wenn der Anteilserwerber den Anteilserwerb noch nicht nach § 16 a.F. angezeigt hatte. 320 A.M. Emde, ZIP 2000, 62, 64: anfechtbarer Beschluss.

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§ 45 Rz. 51 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse klage erheben (Rz. 20)321. Umgekehrt kann über den Inhalt eines angeblichen Beschlusses ein Feststellungsprozess nach § 256 ZPO geführt werden (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 52)322. Die Hauptschwäche dieser Verfahren besteht in der auf die Prozessparteien beschränkten Rechtskraft323. Beruft sich die Gesellschaft selbst (also die Geschäftsführung) auf den angeblichen Beschluss, so sollte deshalb die kassatorische Klage auf Aufhebung des (Schein-)Beschlusses gegen die Gesellschaft zugelassen werden324. Diese zunächst unvertraut wirkende Auffassung (Aufhebung eines gar nicht existierenden Beschlusses?) verträgt sich durchaus mit der Doppelwirkung der sog. Nichtigkeitsklage (Rz. 45). Ihr Nutzen ist ein doppelter: Zum einen wird der klagende Gesellschafter nicht schlechter geschützt, als wenn ein anfechtbarer oder nichtiger Beschluss vorliegt; seine kassatorische (Anfechtungs- oder Nichtigkeits-)Klage muss also nicht abgewiesen werden, wenn noch weniger als ein nichtiger Beschluss vorliegt. Zum anderen kann das Gericht im kassatorischen Urteil in zweifelhaften Fällen unentschieden lassen, ob ein fehlerhafter (anfechtbarer oder nichtiger) Beschluss oder nur dessen Rechtsschein vorliegt325. Das Gericht kann m.a.W. einer „Anfechtungsklage“ (Rz. 45) stattgeben und offen lassen, ob der angefochtene Beschluss anfechtbar, nichtig (Rz. 168) oder mangels Auszählung und Feststellung überhaupt nicht zustande gekommen ist326. Eine Heilung nach Rz. 119 ff. kommt bei einem bloßen Scheinbeschluss allerdings nicht in Betracht327. c) Eintragung ins Handelsregister 52 Ist ein bloß scheinbar gefasster (also naturgemäß nicht eintragbarer) Beschluss im Handels-

register eingetragen, so kommt nach dem Standpunkt der Praxis eine Amtslöschung nach § 395 FamFG in Betracht328. Es fehlt eine wesentliche Voraussetzung der Eintragung, nicht dagegen liegt, wie dies für § 398 FamFG erforderlich wäre, ein Inhaltsverstoß gegen zwingen-

321 BGH v. 4.5.2009 – II ZR 169/07, GmbHR 2009, 1327, 1328 f.; BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209 = GmbHR 1970, 119 m. Anm. Hofmann; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 27; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 181; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 51. 322 Vgl. BGH v. 13.11.1995 – II ZR 288/94, AG 1996, 126 = NJW 1996, 259; BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, GmbHR 1999, 477; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 181. 323 Vgl. BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, GmbHR 2015, 1148, 1150 Rz. 15; OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075, 1082; OLG Hamm v. 12.3.2008 – 8 U 190/06, juris = BeckRS 2008, 12848; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 364; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 73; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 248 AktG Rz. 2; a.M. offenbar noch OLG München v. 27.3.1996 – 7 U 6037/95, NJW-RR 1997, 988 = GmbHR 1996, 451 (Urteilswirkung analog § 248 AktG). 324 Karsten Schmidt, hier in der 6. Aufl., Rz. 47; zust. Hoffmann, NZG 1999, 1174; insoweit wie hier für unbestimmte Beschlüsse Emde, ZIP 2000, 64; a.M. BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209 = GmbHR 1970, 119 m. Anm. Hofmann; OLG Frankfurt v. 26.11.1996 – 5 U 111/95, GmbHR 1997, 171; Kolb in FS Bumke, 1939, S. 260; Kuhn, WM 1969, 1164. 325 Die Praxis stand hier immer wieder vor Abgrenzungsschwierigkeiten; vgl. die Belege bei Baums, S. 123 f. 326 In gleicher Richtung Casper, S. 46 ff. 327 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 5, 8; a.M. (für Anwendung des § 242 Abs. 2 AktG nach Eintragung ins Handelsregister) Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 60; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 25. 328 Vgl. (wenn man der Einordnung als Scheinbeschluss folgt) etwa KG, OLGE 44, 231, 232; KG, JFG 3, 206 = JR 1925 Nr. 1551; KG, JW 1934, 988 f.; OLG Hamburg, OLGE 8, 241; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 54 Rz. 132; Hoffmann in Michalski u.a., § 54 Rz. 52; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 54 Rz. 49.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 53a § 45

de Vorschriften vor. Die Amtslöschung nach § 395 FamFG kann ohne weiteres, nicht bloß unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 398 FamFG erfolgen329.

II. Unwirksame Beschlüsse 1. Grundlagen Unwirksam ist ein Beschluss, bei dem noch ein Wirksamkeitserfordernis fehlt (Rz. 40). Der 53 Beschlusstatbestand als solcher liegt bereits vor (es fehlt also nicht an der Abstimmung über einen Antrag); für die Wirksamkeit des Beschlusses fehlt aber noch ein zusätzliches Wirksamkeitserfordernis, i.d.R. eine (Genehmigungs-)Erklärung330. Ob ein unwirksamer Beschluss als „fehlerhaft“ eingeordnet werden kann331, ist irrelevant332. Die Unwirksamkeit ist ein Schwebezustand333, der nicht durch die Gesellschafterversammlung behoben werden kann. Der unwirksame Beschluss kann dadurch endgültig wirksam werden, dass das Wirksamkeitserfordernis nachträglich eintritt (evtl. auch durch Verwirkung des Rügerechts nach § 242 BGB). Er kann endgültig unwirksam und damit nichtig werden, wenn der Eintritt des Wirksamkeitserfordernisses ausgeschlossen ist (z.B. weil die Zustimmung eines Gesellschafters oder die Genehmigung einer Behörde unanfechtbar versagt wird)334. Kein Fall der Unwirksamkeit liegt vor, wenn der Beschlussinhalt unter einer aufschiebenden Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 1 BGB steht335. In diesem Fall liegt die Schwebelage dann in dem Inhalt des (wirksamen) Beschlusses begründet, nicht in einer schwebenden Unwirksamkeit des Beschlusses als solchem. Ob die Bedingung und damit die beschlossene Rechtsfolge eingetreten ist, kann Gegenstand einer Feststellungsklage, nicht einer kassatorischen Klage sein. Nicht abschließend geklärt ist die Berechtigung der Kategorie relativer Unwirksamkeit im 53a GmbH-Recht (s. auch 12. Aufl., § 14 Rz. 36, 48)336. Beschrieben werden damit Fälle, in denen

329 BayObLG v. 9.12.1955 – 2 Z 166 und 167/55, BayObLGZ 1955, 340; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 54 Rz. 132; Hoffmann in Michalski u.a., § 54 Rz. 52; Schnorbus in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 54 Rz. 49; a.M. Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 82; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 257 f.; krit. auch Baums, S. 122 ff. mit reichen Nachweisen. 330 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 20; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 4; Berg, S. 58 ff., 72 ff. 331 Von einer „dritten Kategorie von Mängeln“ neben Nichtigkeit und Anfechtbarkeit spricht BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, GmbHR 2007, 535 = NZG 2007, 381 (betr. KG). 332 Es gibt Beschlüsse, die ohne Zustimmung rechtswidrig sind (charakteristisch bis zur VO Nr. 1/ 2003 bzw. bis zur 7. GWB-Novelle 2005 die genehmigungsbedürftigen Kartellbeschlüsse), und andere, die schlicht unwirksam sind. 333 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 20; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 15; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 18; Berg, S. 58 ff., 162 ff.; Baums, ZHR 142 (1978), 582 ff., sieht darin nur heilbare Nichtigkeit. 334 Im Ergebnis ebenso Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 15; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 18; wie hier Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 21: endgültige Unwirksamkeit „unterscheidet sich auf der Rechtsfolgenseite von der Nichtigkeit … gar nicht.“ 335 Zur Zulässigkeit bedingter Beschlussinhalte BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, GmbHR 2006, 46, 47 f. Rz. 14 ff.; OLG Stuttgart v. 11.2.2004 – 14 U 58/03, GmbHR 2004, 417, 418 f. (jeweils zur auflösend bedingten Bestellung eines Geschäftsführers); Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 1; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 6; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 37 (einschränkend zur Zulässigkeit aufschiebender Bedingungen für den Fall, dass besondere Interessen Einzelner oder vorrangige gesetzliche Wertungen entgegenstehen). 336 Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 33; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 22; Hoffmann in Michalski u.a., § 53 Rz. 94, § 54 Rz. 29.

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§ 45 Rz. 53a | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse der Beschlussinhalt lediglich gegenüber individuellen Gesellschaftern aufgrund fehlender Zustimmung in unentziehbare Rechte oder wegen Beitragsvermehrung unwirksam, im Übrigen aber wirksam sein soll. Im Personengesellschaftsrecht ist dies höchstrichterlich anerkannt337, wird aber zugleich vehement bestritten338. Die grundsätzliche Frage wird praktisch kaum virulent werden, da lediglich relative Unwirksamkeit im Einzelfall voraussetzen soll, dass der Beschluss im Übrigen seinem Inhalt nach auch ohne die Zustimmung rechtmäßig ist und sinnvoll bestehen kann und soll (12. Aufl., § 14 Rz. 36, 12. Aufl., § 53 Rz. 96)339. Regelmäßig wird das aber nicht der Fall sein, sei es weil der Beschluss schon nach seinem Inhalt nur für und gegen alle Gesellschafter gelten soll, sei es weil der Beschluss die organisatorischen oder finanziellen Grundlagen der Gesellschaft betrifft oder sei es weil die individuelle Zustimmung des einen bedingt durch die des anderen ist (vgl. auch 12. Aufl., § 14 Rz. 36, 12. Aufl., § 53 Rz. 96). 2. Fälle der Unwirksamkeit a) Gesellschafterzustimmung 54 Unwirksamkeit liegt vor allem vor, wenn der Beschluss noch der Zustimmung einzelner (zur

Frage der relativen Unwirksamkeit Rz. 53a) oder aller übrigen Gesellschafter bedarf340. Die wichtigsten Fälle ergeben sich aus § 35 BGB und aus § 53 Abs. 3 GmbHG. Ein Beschluss, der die den Gesellschaftern obliegenden Leistungen vermehrt, bedarf der Zustimmung aller betroffenen Gesellschafter341. Zustimmungsbedürftig ist auch ein Beschluss, der in unentziehbare Gesellschafterrechte eingreift342. Das gilt auch für die Verschärfung der satzungsmäßigen Zwangseinziehung von Geschäftsanteilen (vgl. 12. Aufl., § 34 Rz. 21 f.) oder der Anteilsvinkulierung (vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 160 f.) sowie für eine zu Lasten der Gesellschafter ver337 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = GmbHR 2014, 1303, 1306 f. Rz. 16; BGH v. 16.10.2012 – II ZR 239/11, GmbHR 2013, 194, 196 Rz. 19; BGH v. 23.1.2018 – II ZR 76/16, BeckRS 2018, 9330 Rz. 17. 338 Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 104; Lieder in Oetker, § 119 HGB Rz. 71; Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2070. 339 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 33. 340 RGZ 148, 175, 186 (AG); BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 181 (Genossenschaft); BGH v. 13.7.1967 – II ZR 238/64, BGHZ 48, 141, 143; BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, WM 1962, 201; BGH v. 17.1.1966 – II ZR 157/63, WM 1966, 446, 447; BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, GmbHR 2007, 535 = NZG 2007, 381 (betr. KG); BGH v. 13.10.2020 – II ZR 359/18, GmbHR 2021, 23, 25 Rz. 21 (betr. KG); BGH v. 12.3.2013 – II ZR 73/11, ZIP 2013, 1322, 1326 Rz. 28 (betr. KG); OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 359; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 215; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 20; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 22; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 4; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 2; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 59 f., 63; Thöni, GesRZ 1995, 73. 341 RG, JW 1931, 2975; BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, GmbHR 2007, 535 = NZG 2007, 381 (betr. KG); BGH v. 26.3.2007 – II ZR 22/06, NJW-RR 2007, 1477 = ZIP 2007, 1368; BGH v. 21.5.2007 – II ZR 96/06, DB 2007, 1692 = ZIP 2007, 1458; BGH v. 9.2.2009 – II ZR 231/07, DB 2009, 895 = ZIP 2009, 864 (Personengesellschaft); Fastrich in Baumbach/Hueck, § 14 Rz. 16; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 22; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 74 ff. 342 RGZ 148, 175, 186 (AG); BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 181 (Genossenschaft); BGH v. 13.7.1967 – II ZR 238/64, BGHZ 48, 141, 143; BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, WM 1962, 201; BezG Dresden v. 14.12.1992 – U 87/92 SfH, GmbHR 1994, 123; Berg, S. 140; Reichert/ Weller in MünchKomm. GmbHG, § 14 Rz. 89; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 64; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 14 Rz. 17; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 22; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 14 Rz. 21; für bloße Anfechtbarkeit OGH, SZ Bd. 59 (1986) Nr. 105.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 55 § 45

schärfte Abfindungsklausel (vgl. zu solchen Klauseln 12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 59.)343. Zur Frage, ob das Zustimmungserfordernis auch außerhalb der Satzungsurkunde durch Nebenabreden begründet werden kann, vgl. Rz. 116. Der Zustimmung aller Gesellschafter bedarf eine Änderung des Zwecks der Gesellschaft (vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 181). Beschlüsse der abhängigen GmbH über Beherrschungs- und Ergebnisabführungsverträge (12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13] Rz. 129 ff., 198 ff.) bedürfen nach der in diesem Kommentar vertretenen Ansicht ebenfalls der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter (str.; vgl. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13] Rz. 144, 201). Die Zustimmungspflicht Einzelner kann zudem durch statutarische Sonderrechte begründet werden344, wobei diese Sonderrechte wiederum ohne Zustimmung des Betroffenen relativ unentziehbar sind345; hiervon wird häufig in der Nachfolgegestaltung bei Familienunternehmen zugunsten lediglich noch geringfügig beteiligter Seniorgesellschafter Gebrauch gemacht. Kein Unwirksamkeits-, sondern bloßer Anfechtungsgrund ist nach der heute mit Recht herrschenden Auffassung der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. auch Rz. 105 sowie 12. Aufl., § 14 Rz. 48)346. b) Gerichtliche Genehmigung Unwirksamkeit wegen Fehlens einer familiengerichtlichen Genehmigung kommt praktisch 55 kaum in Betracht, denn es ist zwischen dem Beschluss und etwaigen Ausführungsgeschäften zu unterscheiden (Rz. 23). Eine nach §§ 1643, 1821, 1822 BGB erforderliche Genehmigung betrifft i.d.R. das Vollzugsgeschäft, aber nicht den Beschluss347. Ob aus der Differenzierung der obergerichtlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Genehmigungsbedürftigkeit gemäß § 1822 Nr. 3 Var. 3 BGB zwischen Gewerblichkeit und Vermögensverwaltung bei Personengesellschaften348 geschlossen werden kann, dass zweckändernde Beschlussfassungen auch in der GmbH genehmigungsbedürftig sind349, ist zweifelhaft, da die GmbH unabhängig von ihrer Tätigkeit gemäß § 13 Abs. 3 GmbHG stets Handelsgesellschaft ist (12. Aufl., § 13 Rz. 47). Beteiligt sich ein Minderjähriger an einem Beschluss über die Auflösung der Gesellschaft, so bedarf der Beschluss selbst dann keiner familiengerichtlichen Genehmigung, wenn die Auflösung der Gesellschaft erfolgt, um mit dem Gesamtvermögen der Gesellschafter Gläu-

343 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257. 344 Mit Beispielen zu Sonderrechten J. Schmidt in Michalski u.a., § 3 Rz. 81 m.w.N. 345 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 53 Rz. 24; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 14 Rz. 96; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 180; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 53 Rz. 35; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 73. 346 Heute h.M.; vgl. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257, 261; RGZ 118, 68; RG, JW 1927, 2982; RG, JW 1935, 1776; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 91; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 116; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 37, 40; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 35; A. Hueck in FS Molitor, 1962, S. 403 f.; G. Hueck, Der Grundsatz gleichmäßiger Behandlung im Privatrecht, 1958, S. 309 ff.; Wolany, S. 165; Zöllner, Schranken, S. 416; a.M. A. Hueck, Anfechtbarkeit, S. 103 f.; Feine, S. 548; Berg, S. 127 ff.; Fischer, JZ 1956, 363; wohl auch Wiedemann in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 179 AktG Rz. 174, 177. 347 Beispiele noch in der 9. Aufl. 348 Für die KG: OLG München v. 4.1.2018 – 2 WF 1509/17, MittBayNot 2019, 132, 135; OLG Dresden v. 25.4.2018 – 17 W 160/18, NZG 2018, 1108, 1109 Rz. 14; Veit in Staudinger, § 1822 BGB Rz. 96; van de Loo/Strnad, ZEV 2018, 617, 622; a.M. (Satzungsänderungen bedürfen generell keiner familiengerichtlicher Genehmigung): Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 89. 349 So wohl Veit in Staudinger, § 1822 BGB Rz. 95; Stiftung Familienunternehmen (Hrsg.), Minderjährigkeit und Betreuung bei Familiengesellschaften, 2020, S. 43; überzeugender für die KG dagegen van de Loo/Strnad, ZEV 2018, 617, 622.

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§ 45 Rz. 55 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse biger zu befriedigen350. Durch die am 5.3.2021 vom Bundestag beschlossene Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts (§ 1643 Abs. 1, § 1852 BGB-E)351 bleiben diese Grundsätze unberührt. c) Behördliche Freistellung 56 Unwirksam ist ein Beschluss, der gegen ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt verstößt, das i.S.

des Nichtigkeitstatbestandes im öffentlichen Interesse gegeben ist (dazu Rz. 75)352. Es handelt sich dabei um eine schwebende Unwirksamkeit353. Hauptbeispiel ist für die GmbH die Kartellrechtswidrigkeit nach Art. 101 AEUV bzw. § 1 GWB354. Seit der VO Nr. 1/2003 (EUKartellrecht) und der 7. GWB-Novelle (nationales Kartellrecht) sind Legalausnahmen an die Stelle der Einzelfreistellungen getreten. Damit sind die Beschlüsse entweder wegen Kartellrechtswidrigkeit nichtig (Rz. 75) oder mangels Kartellrechtswidrigkeit wirksam355. Echte konstitutive Freigabeentscheidungen, die jedoch in der Praxis oft nur Vollzugsgeschäfte und nicht Beschlüsse (z.B. Verschmelzungsbeschlüsse) betreffen, gibt es im Verfahren der Zusammenschlusskontrolle (Art. 8 FKVO, § 40 GWB). Zur nachträglichen Nichtigkeit anfänglich unwirksamer Beschlüsse vgl. Rz. 80. d) Eintragungsbedürftige Beschlüsse als unwirksame Beschlüsse? 57 Auch ein Beschluss, der zu seiner Wirksamkeit in das Handelsregister eingetragen werden

muss (z.B. Satzungsänderung, Kapitalerhöhung, Umwandlung, Konzernbildung), wird von manchen als vor der Eintragung unwirksam angesehen356. Diese Einordnung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Registereintragung in den betroffenen Fällen Teil der gesellschaftsrechtlichen Regelungsprozedur ist, aber nicht dazu dient, ein dem Beschluss immanentes Wirksamkeitshindernis zu beheben. Wo das Gesetz für eine bestimmte Rechtsfolge (z.B. Satzungsänderung, Kapitalerhöhung, Umwandlung) Beschluss plus Eintragung verlangt, statuiert es aus Publizitätsgründen einen Doppeltatbestand, erklärt aber den Beschluss selbst nicht für unwirksam357. Im Gegensatz zu einem unwirksamen Beschluss (Rz. 60) ist ein solcher Beschluss naturgemäß eintragungsfähig358. Er kann zudem bereits vor seiner Eintragung zu einer Bindung der Geschäftsführer in der Weise führen, dass diese ihr Verhalten anhand des gefassten, aber noch nicht eingetragenen Beschlusses auszurichten – insbesondere die für den Vollzug einer Kapitalerhöhung erforderlichen Schritte voranzutreiben – haben359. 350 BGH v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 319 = JZ 1970, 290 m. Anm. Wiedemann = WM 1969, 1281; Kroll-Ludwigs in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 1822 BGB Rz. 28; Veit in Staudinger, § 1822 BGB Rz. 99; Kuhn, WM 1972, 1152. 351 Vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 25.9.2020, BR-Drucks. 564/20 und Gesetzesbeschluss vom 5.3.2021, BR-Drucks. 199/21. 352 Berg, S. 153 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 22; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 26. 353 Ähnlich Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 26 f. 354 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 26 f.; Bechtold/Bosch in Bechthold/Bosch, § 1 GWB Rz. 95; vgl. zum Schicksal der Gesellschaft selbst bei Kartellrechtswidrigkeit ihres Zwecks (keine von Gesetzes wegen eintretende Nichtigkeit) BGH v. 27.1.2015 – KZR 90/13, NZKart 2015, 240, 242 = WuW 2015, 629. 355 Vgl. Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Teil I (EU)/1, 6. Aufl. 2019, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rz. 33; Teil I (EU)/2, 6. Aufl. 2019, Art. 1 VO Nr. 1/2003 Rz. 29 ff. 356 Vgl. Berg, S. 155 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 22; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 17. 357 Zustimmend Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 27. 358 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 27. 359 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 54 Rz. 36; Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 54 GmbHG Rz. 20.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 59 § 45

Ein Sonderfall ist der des § 57n Abs. 2 (dazu 12. Aufl., § 57n Rz. 3 f.). Danach wird bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ein Beschluss über die Ergebnisverwendung für das letzte vor der Kapitalerhöhung abgelaufene Geschäftsjahr erst wirksam, wenn die Kapitalerhöhung eingetragen ist. Geschieht dies nicht binnen drei Monaten, so wird aus dem nach der Einschätzung des Gesetzgebers unwirksamen, jedoch nicht rechtswidrigen Beschluss360, ein nichtiger Beschluss. 3. Rechtsfolgen der Unwirksamkeit a) Materielles Recht Ein unwirksamer Beschluss äußert (vorläufig) nicht die beschlossenen Rechtswirkungen. So- 58 weit es sich um einen ausführungsbedürftigen Beschluss handelt (Rz. 29), ist den Geschäftsführern die Ausführung nicht gestattet. Die Geschäftsführer können aber verpflichtet sein, auf eine Behebung der Unwirksamkeit hinzuwirken, sich also z.B. um eine erforderliche Genehmigung zu bemühen. Ob auch die Gesellschafter aufgrund der Treupflicht hierzu verpflichtet sind, hängt vom Einzelfall ab. Zustimmungsrechte, die ihnen im Interesse des Selbstschutzes gegeben sind, dürfen nur dann zu pflichtgebundenen Rechten werden, wenn einem überragenden Gesellschaftsinteresse im Einzelfall keine hinlänglich schützenswerten Einzelinteressen gegenüberstehen. Soweit es dagegen um die Zustimmung Dritter – insbesondere von Behörden – geht, kann sich aus der Treupflicht ein Obstruktionsverbot, ggf. sogar eine Mitwirkungspflicht ergeben. b) Geltendmachung Die Unwirksamkeit eines Beschlusses kann von jedermann gegenüber jedermann auf jede 59 Weise geltend gemacht werden361. Unter den Voraussetzungen des § 256 ZPO kann auch auf Feststellung der Unwirksamkeit geklagt werden362. Eine Anfechtungsfrist (Rz. 141 ff.) braucht nicht eingehalten zu werden363, wohl allerdings kann die Berufung auf die Unwirksamkeit eines Beschlusses durch Verwirkung (§ 242 BGB) ausgeschlossen sein, wenn ein durch die Unwirksamkeit geschützter Gesellschafter den Beschluss in zurechenbarer Weise ungerügt gelassen und dadurch schützenswertes Vertrauen auf die Wirksamkeit des Beschlusses begründet hat. Ist aus der Unwirksamkeit definitive Nichtigkeit geworden, weil eine erforderliche Zustimmung endgültig versagt worden ist, so kann der Beschluss auch durch kassatorische Klage für nichtig erklärt werden364. Das Einheitsinstitut der kassatorischen Klage (Rz. 46 f.) rechtfertigt dies, zumal die Abgrenzung zwischen unwirksamen, nichtigen und anfechtbaren 360 Wie hier Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 20. 361 Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 215; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 24; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 2. 362 H.M.; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 369 f.; OLG Düsseldorf v. 12.10.2016 – VI-U (Kart) 2/16, WuW 2016, 598 = BeckRS 2016, 19234 Rz. 104; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 22; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 24; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 18; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 2; zur Personengesellschaft vgl. BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, GmbHR 2007, 535 = ZIP 2007, 766. 363 OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 360; a.M. OGH, SZ Bd. 59 (1986) Nr. 104. 364 OLG Düsseldorf v. 12.10.2016 – VI-U (Kart) 2/16, WuW 2016, 598 = BeckRS 2016, 19234 Rz. 104; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 2; Thöni, GesRZ 1995, 76; vgl. auch Casper, S. 276 ff. („Unwirksamkeitsklage“); nunmehr auch Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 24; als Fall der „Anfechtung wegen (endgültiger) Unwirksamkeit“ kann das Urteil BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, GmbHR 1987, 94 angesehen werden (Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers ohne seine notwendige Zustimmung).

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§ 45 Rz. 59 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Beschlüssen zweifelhaft sein kann365. Solange die schwebende Unwirksamkeit andauert, ist für eine kassatorische Klage kein Raum, weil diese auf definitive Nichtigerklärung zielt366. c) Eintragung 60 Die Eintragung eines unwirksamen Beschlusses in das Handelsregister ist unzulässig367. Das

Registergericht braucht diesbezüglichen Bedenken im Wege der Amtsermittlung (§§ 26, 382 FamFG) freilich nur nachzugehen, wenn die formalen Mindestanforderungen für die Eintragung nicht erfüllt sind oder wenn begründete Zweifel an der Wirksamkeit der zur Eintragung angemeldeten Erklärungen oder der Richtigkeit der mitgeteilten Tatsachen bestehen368. Ist die Eintragung trotz der Unwirksamkeit erfolgt, so bleibt eine Amtslöschung zunächst außer Betracht, denn § 395 FamFG tritt gegenüber § 398 FamFG zurück369; diese Vorschrift greift aber erst ein, wenn aus der (schwebenden) Unwirksamkeit eine (endgültige) Nichtigkeit geworden ist (dazu Rz. 53). Dann kann der Beschluss gelöscht werden, sofern die Nichtigkeit auf zwingenden Vorschriften (z.B. Art. 8 FKVO, § 40 GWB) beruht und die Beseitigung der Eintragung im öffentlichen Interesse erforderlich erscheint (näher Rz. 83). Die schwebende Unwirksamkeit berechtigt nicht zur Amtslöschung370.

III. Nichtige Beschlüsse 61 Schrifttum (vgl. zunächst Rz. 8, 35): Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981; Baums, Der unwirksame Hauptversammlungsbeschluß, ZHR 142 (1978), 583; Bochmann, Statutarische Konfliktvorsorge im Hinblick auf das Verfahren der Gesellschafterversammlung, GmbHR 2017, 558; Brete/Thomsen, Nichtigkeit und Heilung von Jahresabschlüssen der GmbH, GmbHR 2008, 176; Canaris, Mitbestimmungsgesetz und innergesellschaftliche Organisationsautonomie der Aktiengesellschaft, DB-Beil. 14/1981; Casper, Die Beseitigung geheilter Beschlüsse nach § 242 Abs. 2 S. 3 AktG – Ein Weckruf für eine Norm im Dornröschenschlaf, in FS Bergmann, 2018, S. 127; Casper, Die Heilung nichtiger Beschlüsse im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; Däubler, Fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH im Lichte des neuen Aktienrechts, GmbHR 1968, 4; Emde, Restitutionsansprüche nach Heilung gemäß § 242 Abs. 2 AktG, ZIP 2000, 1753; Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschafterbeschluss in der GmbH, 2011; Flume, Der minderjährige Gesellschafter, NZG 2014, 17; Hoffmann-Becking, Kombinierte Beschlussfassung in Gesellschafterversammlung und Aufsichtsrat, in FS Priester, 2007, S. 233; Gissel, Der Arbeitnehmerschutz für den GmbH-Geschäftsführer, 1987; Huber, Zur Entstehung und aktuellen Auslegung des § 241 Nr. 3 AktG, in FS Coing, Bd. 2, 1982, S. 167; Alfred Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, 1924; Alfred Hueck, Fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH, in FS Molitor, 1962, S. 406; Hülsmann, BGH-Rechtsprechungsreport: GmbH-Gesellschafterversammlung und Beschlussmängelstreit, GmbHR 2018, 831; Koch, Der Beurkundungsfehler als Nichtigkeitsgrund nach 365 Charakteristisch OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 360; BayObLG v. 4.2.1998 – 3Z BR 462/97, GmbHR 1998, 540 = ZIP 1998, 739 („unwirksam“, in Wahrheit nichtig); LG Münster v. 7.1.1982 – 22 O 185/81, GmbHR 1983, 201: nichtig, jedenfalls unwirksam. 366 OLG Düsseldorf v. 12.10.2016 – VI-U (Kart) 2/16, WuW 2016, 598 = BeckRS 2016, 19234 Rz. 104; a.M. für das österreichische Recht OGH, SZ Bd. 59 (1986) Nr. 104, S. 527; vgl. auch bereits OGH, SZ Bd. 52 (1979) Nr. 132, S. 636. 367 BGH v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, GmbHR 2011, 925, 926 Rz. 10; RGZ 136, 185, 192; RG, KGJ 27 A 228, 230; RG, KGJ 53 A 101; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1027; enger Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 91 ff. 368 BGH v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, GmbHR 2011, 925, 926 Rz. 10 m. Anm. Huth; OLG München v. 9.12.2008 – 31 Wx 106/08, GmbHR 2009, 148. 369 Und zwar auch, solange der Beschluss noch nicht nichtig, sondern nur unwirksam ist; zum Umfang der Sperrwirkung des § 144 Abs. 2 FGG (scl. § 398 FamFG) vgl. OLG Hamm v. 22.5.1979 – 15 W 314/78, BB 1981, 259, 261 = AG 1980, 79 m.w.N. 370 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 4.11.2016 – 20 W 269/16, GmbHR 2017, 868, 873 m. Anm. Heidinger = BeckRS 2016, 116146 Rz. 48; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 58.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 62 § 45 § 241 Nr. 2 AktG, in FS 25 Jahre DNotI, 2018, S. 491; Kort, Bestandskraft fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; Michael Lehmann, Die ergänzende Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH, 1970, S. 90 ff.; Lutter/Friedewald, Kapitalerhöhung, Eintragung im Handelsregister und Amtslöschung, ZIP 1986, 691; Martens, Mitbestimmungsrechtliche Bausteine in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, ZGR 1983, 244; Pentz/Maul, Zur Einziehung von Geschäftsanteilen bei der GmbH, in FS Haarmann, 2015, S. 164; Priester, Registersperre kraft Richterrechts?, GmbHR 2007, 296; Priester, Einziehungsbeschluss trotz Zahlungssperre aus § 30 GmbHG!, ZIP 2012, 658; Raiser, Ein mißglücktes Urteil zum Mitbestimmungsgesetz, NJW 1981, 2167; Karsten Schmidt, Gesetzliche Formenstrenge bei GmbH-Beschlüssen?, NJW 2006, 2599; Karsten Schmidt, Nichtigkeitsklagen als Gestaltungsklagen, JZ 1988, 732; Karsten Schmidt, Einschränkung der umwandlungsrechtlichen Eintragungswirkungen durch den umwandlungsrechtlichen numerus clausus?, ZIP 1998, 181; Schneider, Zur Ausfallhaftung der GmbH-Gesellschafter für Abfindungszahlungen bei Einziehungen, ZIP 2016, 2141; Scholz, Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen und Rechtssicherheit, GmbHR 1952, 161; 1954, 65; Steindorff/Joch, Die ersten Urteile des Bundesgerichtshofs zum Mitbestimmungsgesetz, ZHR 146 (1982), 336; W. Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986, S. 114; Wicke, Die GmbH in Zeiten der Corona-Pandemie, NZG 2020, 501; Wicke, Dos and don’ts bei der Einberufung und Durchführung von Gesellschafterversammlungen, GmbHR 2017, 777.

1. Grundlagen a) Numerus clausus Aus Gründen der Rechtssicherheit sind die Nichtigkeitsgründe auf einen numerus clausus 62 begrenzt371. Herkömmlich wurde dies auf die etwas unklare Formel gebracht, dass ein Rechtsverstoß den Beschluss „im Zweifel“ nur anfechtbar macht372. Das GmbH-Gesetz enthält keinen Katalog der Nichtigkeitsgründe. Ein solcher ist aber in Anlehnung an das Aktiengesetz, also an den heutigen § 241 AktG, entwickelt worden373. Es handelt sich dabei nicht um eine Gesetzesanalogie374, sondern um die Anerkennung eines Grundprinzips, das in § 241 AktG einen AG-spezifischen Ausdruck gefunden hat. Auch diese Vorschrift fasst nur eine bereits 371 Vgl. RGZ 166, 129, 131 f.; BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 235; BGH v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382, 384 f.; BGH v. 14.12.1961 – II ZR 97/59, BGHZ 36, 207, 210 f.; BGH v. 7.2.1983 – II ZR 14/82, BGHZ 87, 1, 2 = GmbHR 1983, 267; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 50 = AG 1984, 48 = GmbHR 1984, 151; BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 = GmbHR 1997, 655 = AG 1997, 326; BGH v. 17.10.1988 – II ZR 18/88, AG 1989, 95 = GmbHR 1989, 120, 122 = NJW-RR 1989, 347, 349; OLG München v. 27.10.1982 – 7 U 4099/81, WM 1984, 260, 263; OLG München v. 10.1.1992 – 23 U 4104/91, GmbHR 1992, 808 = NJW 1993, 684; OLG München v. 18.7.1991 – 24 U 880/90, NJW-RR 1993, 1507, 1508; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 66: Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 27; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 28; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 61. 372 Vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 28; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rz. 4; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 15. 373 RGZ 166, 129, 132 f.; BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 235; BGH v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382, 384; BGH v. 14.12.1961 – II ZR 97/59, BGHZ 36, 207, 210 f.; BGH v. 7.2.1983 – II ZR 14/82, BGHZ 87, 1, 2 = GmbHR 1983, 267; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 50 = AG 1984, 48 = GmbHR 1984, 151; BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364, 366 = GmbHR 1997, 655 = AG 1997, 326; BGH v. 17.10.1988 – II ZR 18/88, GmbHR 1989, 120, 122; BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, GmbHR 2006, 538, 539 Rz. 9 m. Anm. Stuppi = ZIP 2006, 707; st. Rspr.; OLG Brandenburg v. 15.10.1997 – 7 U 56/95, GmbHR 1998, 193, 196; OLG Celle v. 15.5.1996 – 9 U 185/95, GmbHR 1997, 172, 173; OLG München v. 16.4.1999 – 23 U 5491/98, NZG 1999, 1173 m. Anm. Hoffmann; OLG Düsseldorf v. 6.6.2019 – 16 U 79/19, BeckRS 2019, 40843 Rz. 66; vgl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 44 ff.; Renkl, S. 127; ausführliche Kritik bei Fehrenbach, S. 225 ff. 374 Vgl. dagegen RGZ 166, 129, 131; BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 993 Rz. 33 m. Anm. Münnich; BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, GmbHR 2006, 538, 539 Rz. 9 m. Anm. Stuppi = ZIP 2006, 707; OLG Düsseldorf v. 6.6.2019 – 16 U 79/19, BeckRS 2019, 40843

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§ 45 Rz. 62 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse in der vorausgegangenen Rechtsprechung erarbeitete Rechtslage für das Aktienrecht zusammen375. Deshalb ist der an § 241 AktG orientierte Katalog der Nichtigkeitsgründe im GmbHRecht fortbildungsfähig376. b) Zwingendes Recht 63 Die Satzung kann den Katalog der Nichtigkeitsgründe weder erweitern noch einschränken377.

Satzungsbestimmungen darüber, wann ein Beschluss nichtig ist, können deshalb nur unverbindlich-deklaratorische Bedeutung haben. Sie sind aus gutem Grund ungebräuchlich. 2. Verfahrensverstöße als Nichtigkeitsgründe a) Einberufungsmängel 64 Einberufungsmängel können entsprechend § 241 Nr. 1 AktG zur Beschlussnichtigkeit füh-

ren378, es sei denn, dass alle zu ladenden Gesellschafter – dabei handelt es sich nur um diejenigen im Sinne des § 16 Abs. 1 (12. Aufl., § 16 Rz. 36)379 – erschienen bzw. vertreten sind380.

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Rz. 66; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 8; Wicke, Anh. § 47 Rz. 4; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 4; insofern richtig auch Fehrenbach, S. 226 f. Vgl. entstehungsgeschichtlich Huber in FS Coing, Bd. 2, 1982, S. 173 ff. Wie hier Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 66; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 9; a.M. anscheinend BGH v. 17.10.1988 – II ZR 18/88, GmbHR 1989, 120, 122 = NJW-RR 1989, 347, 349. OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 989 (gegen statutarische „Herabsetzung“ von Nichtigkeits- zu Anfechtungsgründen) m. Anm. Illhardt; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 28, 83; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 27; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 9; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 4; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 23, 25 f.; für Zulässigkeit der Erweiterung Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 66 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 31. BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231 = LM (Leitsatz) Nr. 1 zu § 51 GmbHG m. Anm. Rob. Fischer = DNotZ 1954, 87 = NJW 1954, 385; BGH v. 14.12.1961 – II ZR 97/59, BGHZ 36, 207 = WM 1962, 198; BGH v. 7.2.1983 – II ZR 14/82, BGHZ 87, 1, 2 ff. = GmbHR 1983, 267 = NJW 1983, 1677 f.; BGH v. 19.1.1978 – II ZR 133/77, WM 1978, 551, 552; BGH v. 17.10.1983 – II ZR 80/83, WM 1983, 1354, 1355; BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, GmbHR 2006, 538 m. Anm. Stuppi = ZIP 2006, 707; BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 993 Rz. 33 m. Anm. Münnich; OLG Stuttgart v. 17.5.1973 – 10 U 136/72, NJW 1973, 2027, 2028; OLG München v. 19.1.1978 – 1 U 1292/77, BB 1978, 471, 472; OLG Celle v. 23.2.1983 – 9 U 114/ 82, 9 U 191/82, GmbHR 1983, 273, 274 f.; OLG Düsseldorf v. 24.8.1995 – 6 U 124/94, GmbHR 1996, 443, 447; OLG München v. 21.2.2000 – 7 W 2013/98, GmbHR 2000, 486 m. Anm. Emde; OLG Saarbrücken v. 9.5.2006 – 4 U 338/05-155, GmbHR 2006, 987; OLG Düsseldorf v. 6.6.2019 – 16 U 79/19, BeckRS 2019, 40843 Rz. 66; OLG München v. 9.1.2019 – 7 U 1509/18, GmbHR 2019, 298, 301 m. Anm. Bormann; LG Münster v. 7.1.1982 – 22 O 185/81, GmbHR 1983, 201, 202; LG Berlin v. 23.8.1985 – 98 T 12/85, BB 1985, 1752 = NJW-RR 1986, 195; AG Syke v. 2.3.1982 – 2 C 841/81, GmbHR 1985, 26, 27; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 206 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 45; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 29 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 11 f.; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 74 f.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 9; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 5; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 27. KG v. 18.3.2019 – 22 W 5/19, GmbHR 2020, 842, 843; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 11; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 45; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 81; Wicke, GmbHR 2017, 777, 780. Vgl. BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231 = LM (Leitsatz) Nr. 1 zu § 51 GmbHG m. Anm. Robert Fischer = DNotZ 1954, 87 = NJW 1954, 385; BGH v. 14.12.1961 – II ZR 97/59, BGHZ 36, 207 = WM 1962, 198; BGH v. 7.2.1983 – II ZR 14/82, BGHZ 87, 1, 2 ff. = GmbHR 1983, 267 = NJW 1983, 1677 f.; BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 = GmbHR 2014, 863,

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 64 § 45

Diese Ausnahme setzt allerdings voraus, dass die erschienenen bzw. wirksam vertretenen Gesellschafter mindestens konkludent der Durchführung der Versammlung zustimmen381. Wird ein Gesellschafter, der jedoch nicht im Sinne des § 16 Abs. 1 legimitiert ist, nicht geladen, liegt darin kein Ladungsmangel382. Im Falle minderjähriger oder betreuter Gesellschafter sind deren gesetzliche Vertreter zu laden383. Die Ladung lediglich des Minderjährigen soll jedenfalls dann zur Beschlussnichtigkeit entsprechend § 241 Nr. 1 AktG führen, wenn das Ladungsorgan die fehlerhafte Nichtladung des gesetzlichen Vertreters zu vertreten hat384. Ein zur Nichtigkeit führender Einberufungsmangel liegt z.B. vor, wenn überhaupt keine Einberufung stattgefunden hat (vgl. 12. Aufl., § 51 Rz. 26), wenn sie aufgehoben worden war (vgl. 12. Aufl., § 51 Rz. 29) oder die Einladung selbst an einem derart gravierenden Mangel leidet, dass sie einer Nichtladung der Gesellschafter gleichkommt und die Teilnahme faktisch unmöglich macht, weil etwa Ort und Zeit der Versammlung nicht oder nicht richtig angegeben wurden385 oder in den Abendstunden des Vortages auf den frühen folgenden Vormittag geladen wird386. Zur Nichtigkeit führt auch eine Einberufung durch unbefugte Personen (vgl. 12. Aufl., § 49 Rz. 16; 12. Aufl., § 51 Rz. 26), insbesondere auch eine Einberufung durch Gesellschafter, wenn die Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 nicht gegeben sind (vgl. 12. Aufl., § 50 Rz. 32; 12. Aufl., § 51 Rz. 26). § 121 Abs. 2 Satz 2 AktG kann nicht im Wege der Analogie auf die GmbH übertragen werden (vgl. 12. Aufl., § 49 Rz. 5), so dass einem abberufenen Geschäftsführer die Einberufungsbefugnis selbst dann fehlt, wenn er im Zeitpunkt der Einberufung noch im Handelsregister eingetragen ist387. Grundsätzlich ist seine Ladung unwirk-

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865 Rz. 12 = EWiR 2014 m. Anm. Priester; BGH v. 8.11.2016 – II ZR 304/15, BGHZ 212, 342 = GmbHR 2017, 188, 191 Rz. 32 m. Anm. Münnich = EWiR 2017, 101 m. Anm. Priester; OLG Stuttgart v. 17.5.1973 – 10 U 136/72, NJW 1973, 2027, 2028; OLG Düsseldorf v. 9.11.1989 – 6 U 21/89, BB 1990, 947 = GmbHR 1990, 265 = NJW-RR 1990, 806; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 209; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 45; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 39; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 14; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rz. 4; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 11; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 102. RGZ 92, 409, 410; BGH v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, BGHZ 100, 264, 269 f. = GmbHR 1987, 424; BGH v. 19.1.2009 – II ZR 98/08, GmbHR 2009, 437; BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 = GmbHR 2014, 863, 865 Rz. 12 = EWiR 2014 m. Anm. Priester; BGH v. 8.11.2016 – II ZR 304/15, BGHZ 212, 342 = GmbHR 2017, 188, 191 Rz. 32 m. Anm. Münnich = EWiR 2017, 101 m. Anm. Priester; OLG München v. 21.2.2000 – 7 W 2013/98, GmbHR 2000, 486; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 28, 57; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 45; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 39. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 11. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 51 Rz. 7; Wicke, GmbHR 2017, 777, 780. Vgl. BGH v. 20.2.1984 – II ZR 116/83, WM 1984, 473 f.; BayObLG v. 4.2.1993 – 3 Z BR 6/91, BayObLG v. 4.2.1993 – 3Z BR 6/93, GmbHR 1993, 223, 224; Flume, NZG 2014, 17, 20. BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, ZIP 2016, 817, 819 Rz. 21 = GmbHR 2016, 587; OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 71 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 36; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 9 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 45; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 5; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 87. BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, GmbHR 2006, 538 m. Anm. Stuppi = ZIP 2006, 707. BGH v. 8.11.2016 – II ZR 304/15, BGHZ 212, 342 = GmbHR 2017, 188, 190 Rz. 21 ff. m. Anm. Münnich = EWiR 2017, 101 m. Anm. Priester; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 49 Rz. 3; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 49 GmbHG Rz. 3; Römermann in Michalski u.a., § 49 Rz. 23 ff.; Wicke, § 49 Rz. 2; Hülsmann, GmbHR 2018, 831, 833; Liebscher/Steinbrück, GmbHR 2017, 497, 500 ff.; a.M. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 49 Rz. 2.

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§ 45 Rz. 64 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse sam und gefasste Beschlüsse sind nichtig388, wenn er nicht im Einzelfall als faktischer Geschäftsführer agiert und – was der BGH ausdrücklich offen gelassen hat389 – als solcher ladungsbefugt ist. Zur Heilung des Nichtigkeitsmangels durch Zustimmung aller betroffenen Gesellschafter zum gewählten Verfahren vgl. Rz. 85, 87390. Grundsätzlich nicht um Nichtigkeitsmängel handelt es sich dagegen bei bloßen Form- und Fristverstößen (12. Aufl., § 51 Rz. 26), bei Fehlern hinsichtlich des Versammlungsorts – soweit diese das Teilnahmerecht nicht faktisch vereiteln (Rz. 64) – (12. Aufl., § 51 Rz. 26) und bei der Verletzung statutarischer Einberufungsvorschriften (12. Aufl., § 51 Rz. 26). Die Abgrenzung zwischen Einberufungs- und Ladungsmängeln ist behandelt bei 12. Aufl., § 51 Rz. 26 ff. Nichtladung eines Aufsichtsratsmitglieds ist Ladungsmangel, nicht Einberufungsmangel und führt daher allenfalls zur Anfechtbarkeit391. b) Verfahrensmängel bei schriftlicher Abstimmung 65 Nichtig ist eine schriftliche Beschlussfassung, bei der entgegen § 48 Abs. 2 nicht jeder stimm-

berechtigte Gesellschafter zur Ausübung seines Stimmrechts aufgefordert worden war, es sei denn, dass sich alle stimmberechtigten Gesellschafter an der schriftlichen Abstimmung beteiligt haben392. Eine vom Wortlaut des § 48 abweichende, nicht ausdrücklich durch die Satzung zugelassene (kombinierte) Beschlussfassung ist selbst bei Einverständnis aller Gesellschafter nichtig393. Doch ist der Entscheidung des BGH nicht zu folgen (12. Aufl., § 48 Rz. 67)394. Im Gegensatz zu elementaren Verstößen machen alle die bloße Durchführung betreffenden Mängel des schriftlichen Abstimmungsverfahrens, also auch das Fehlen der Einverständniserklärung eines Gesellschafters nach § 48 Abs. 2, den schriftlich gefassten Beschluss nur anfechtbar395. Nichtig sind Beschlussfassungen gemäß § 2 COVMG, wenn nicht sämtliche Gesellschafter über die Einleitung des Abstimmungsverfahrens informiert und zur Teilnahme aufgefordert wurden (vgl. zu den „Ladungsanforderungen“ im Zusammenhang mit § 2 COVMG 12. Aufl., § 48 Rz. 68c f.)396.

388 BGH v. 8.11.2016 – II ZR 304/15, BGHZ 212, 342 = GmbHR 2017, 188, 190 Rz. 13 ff. m. Anm. Münnich = EWiR 2017, 101 m. Anm. Priester. 389 BGH v. 8.11.2016 – II ZR 304/15, BGHZ 212, 342 = GmbHR 2017, 188, 190 Rz. 31 ff. m. Anm. Münnich = EWiR 2017, 101 m. Anm. Priester. 390 Vgl. dazu auch OLG Stuttgart v. 13.5.2013 – 14 U 12/13, GmbHR 2013, 803, 809; Wicke, Anh. § 47 Rz. 5; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 21; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 141. 391 OLG Stuttgart v. 17.5.1973 – 10 U 136/72, NJW 1973, 2027, 2028; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 11; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 96 ff.; Wicke, GmbHR 2017, 777, 780. 392 BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 993 Rz. 33 m. Anm. Münnich; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 9; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 37, 32; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 45; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 46; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 94; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rz. 5; A. Hueck in FS Molitor, 1962, S. 408; Wicke, NZG 2020, 501. 393 BGH v. 16.1.2006 – II ZR 135/04, BB 2006, 1126 m. Anm. Gehrlein = GmbHR 2006, 706; ebenso Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 48 Rz. 41 f.; Gestaltungshinweise bei Bochmann, GmbHR 2017, 558, 565. 394 Karsten Schmidt, NJW 2006, 2599 f.; im Ergebnis ebenso Hoffmann-Becking in FS Priester, 2007, S. 233 ff.; Wicke, GmbHR 2017, 777, 781 (i.V.m. Fn. 74). 395 Vgl. Begr. RegE 1971, BR-Drucks. 595/71, S. 190; s. auch Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 38. 396 Noack in Baumbach/Hueck/Noack, Ergänzung zu § 2 COVMG, 2020, § 2 COVMG Rz. 46; Bochmann/Cziupka in GmbH-Handbuch, Rz. I 1720.3.

734 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 70 § 45

c) Beurkundungsmängel Ein Verstoß gegen das gesetzliche Erfordernis notarieller Beurkundung macht einen Be- 66 schluss – in Anlehnung an § 241 Nr. 2 AktG – nichtig397. Hauptanwendungsfall ist § 53 Abs. 2 (dazu Erl. § 53; zum satzungsdurchbrechenden Beschluss vgl. auch Rz. 34a) sowie § 13 Abs. 3 UmwG. Zur Beschlussfassung über Unternehmensverträge vgl. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht (nach § 13) Rz. 139 ff. Zum Formerfordernis bei Beschlüssen vgl. im Übrigen Rz. 27. Kein Nichtigkeitsgrund ist die Verletzung der Protokollierungsvorschrift des § 48 Abs. 3 67 (dazu 12. Aufl., § 48 Rz. 73 f.). Ein Verstoß gegen eine satzungsmäßig vorgeschriebene Form macht den Beschluss ebenso wenig nichtig wie die Verweigerung einer von einem Gesellschafter beantragten Beurkundung398. Ob Verletzung der satzungsmäßig vorgeschriebenen Form den Beschlusstatbestand berührt oder den Beschluss anfechtbar macht399, hängt vom Sinn der Satzungsregel ab. Häufig wird es sich nur um eine Ordnungsvorschrift handeln, deren Verletzung folgenlos bleibt (vgl. auch bereits Rz. 21a)400. d) Formverstöße beim Jahresabschluss Über Formverstöße beim Jahresabschluss vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 36 f. Hinzuweisen ist vor allem 68 darauf, dass eine Verletzung der gesetzlichen Prüfungspflicht zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses führt (vgl. § 256 AktG)401. e) Kein Kausalitätserfordernis Formelle Nichtigkeitsgründe sind absolute Beschlussmängel. Auf Kausalität, also darauf, ob 69 der Verfahrensfehler für die Fassung des fehlerhaften Beschlusses ursächlich gewesen ist, kommt es bei Nichtigkeitsmängeln nicht an402, ebenso wenig auf ihre Relevanz für das Beschlussergebnis (vgl. zum Merkmal der Relevanz Rz. 100). f) Abgrenzung Andere Verfahrensfehler als die hier genannten führen, selbst wenn es sich um schwere Ver- 70 stöße handelt, nicht zur Nichtigkeit (Rz. 62), sondern allenfalls zur Anfechtbarkeit der in 397 Vgl. § 191 Nr. 3 RegE 1971; RG, DR 1939, 721; BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264 = LM (Leitsatz) Nr. 1 zu § 29 GmbHG = NJW 1954, 1563; OLG Hamm, OLGZ 1974, 157 f.; OLG Köln v. 17.7.1992 – 2 Wx 32/92, GmbHR 1993, 164 (LS) = NJW-RR 1993, 223; OLG Brandenburg v. 20.9.2000 – 7 U 71/00, GmbHR 2001, 624, 625; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 49; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 40; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 15; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 6; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 59; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 40 ff.; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 207; M. Lehmann, S. 92 f. 398 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 64; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 42; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 31; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 6. 399 Dazu OLG Stuttgart v. 11.5.1983 – 4 U 6/83, BB 1983, 1050; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 112; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 49, 110; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 6. 400 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 64; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 112; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 6. 401 Vgl. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 128; Haas/Kersting in Baumbach/ Hueck, § 42a Rz. 26; Brete/Thomsen, GmbHR 2008, 176, 177 f. 402 RGZ 92, 411 f.; BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 239; BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/ 04, GmbHR 2006, 538 m. Anm. Stuppi = ZIP 2006, 707, 708 Rz. 15; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 28; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 10.

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§ 45 Rz. 70 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse der Versammlung gefassten Beschlüsse (vgl. Rz. 94 ff.). Insbesondere gilt dies grundsätzlich für die Wahl des Versammlungsorts oder der Versammlungszeit403, für die Beschlussfassung trotz Beschlussunfähigkeit, für die Nichteinhaltung der Ladungsfrist oder -form404 oder Mängel der Ankündigung der Tagesordnung405, für die Beeinträchtigung von Teilnahme- und Informationsrechten sowie für die Feststellung eines so nicht gefassten Beschlusses aufgrund unrichtiger Mitzählung oder Auswertung von Stimmen406. In diesen Fällen hat also der fehlerhafte Beschluss vorbehaltlich sonstiger Nichtigkeitsmängel Bestand, solange er nicht erfolgreich angefochten ist, und eine Anfechtungsklage hat nur Erfolg, soweit der Mangel für das Beschlussergebnis relevant ist (vgl. im Einzelnen Rz. 94 ff.). Anderes kann aber bei extrem gravierenden Verfahrensfehlern gelten, deren Resultat einer Nichtladung gleichkommt. Der Bundesgerichtshof hat Nichtigkeit etwa in einem Fall der Ladung am Vorabend der Versammlung angenommen407. 3. Schwere Kompetenzüberschreitungen als Nichtigkeitsgründe 71 Schwere Kompetenzüberschreitungen können einen Beschluss nichtig machen, wenn gegen

zwingende Kompetenzzuweisungen verstoßen wird. So, wenn etwa die Gesellschafter einer mitbestimmten GmbH den Geschäftsführer abberufen und hierdurch gegen § 31 MitbestG verstoßen408. Auch die Bestellung eines Liquidators für eine gelöschte Gesellschaft liegt außerhalb der Gesellschafterzuständigkeit409. Ein Teil der Literatur spricht hier von einem wirkungslosen Beschluss410, womit vor allem gesagt sein soll, dass der Mangel nicht durch Eintragung heilbar ist (dazu Rz. 89). Richtig ist, dass der Beschluss mangels Kompetenz gegenstandslos ist und bleibt (vgl. Rz. 84). Aber das hindert nicht, ihn als nichtig anzusehen411: als unheilbar nichtig. Auch ein auf eine objektiv unmögliche Rechtsfolge gerichteter Beschluss ist unheilbar nichtig (vgl. aber zur berichtigenden Auslegung Rz. 24). So beispielsweise die Berufung einer nicht voll geschäftsfähigen Person als Geschäftsführer412 oder der Beschluss

403 Vgl. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 39 f. 404 BGH v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, BGHZ 100, 264, ZIP 1987, 1117, 1119 f. = GmbHR 1987, 424; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 36; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 99. 405 BGH v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32 = GmbHR 2003, 408, 409 f. m. Anm. Hellberg = EWiR 2003, 199 m. Anm. Bayer/Fischer; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 45; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 26. 406 Vgl. über Protokollmängel auch OLG Düsseldorf v. 20.12.2006 – 15 U 39/06, DB 2007, 848, 849. 407 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 588 f. Rz. 21 m. Anm. Wagner = EWiR 2016, 693 m. Anm. Wolffsky/Wahl; BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, GmbHR 2006, 538 m. Anm. Stuppi = ZIP 2006, 707, 708 Rz. 9; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 45; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 36; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 26; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 9. 408 Vgl. dazu Gissel, Der Arbeitnehmerschutz für den GmbH-Geschäftsführer, 1987, S. 72 f.; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 24; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 6; Römermann in Michalski u.a., Anh. 47 Rz. 37; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 7, 14. 409 BayObLG v. 7.1.1998 – 3Z BR 491/97, DB 1998, 465 = GmbHR 1998, 384; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 24. 410 Vgl. noch Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 19; näher zu dieser Rechtskonstruktion Baums, ZHR 142 (1978), 583 f.; dagegen etwa vgl. auch OLG Hamm v. 28.10.2015 – 8 U 73/ 15, GmbHR 2016, 423, 426; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh § 47 Rz. 6. 411 Wie hier Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 24; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 7; Römermann in Michalski u.a., Anh. 47 Rz. 37. 412 Vgl. OLG Hamm v. 13.4.1992 – 15 W 25/92, DB 1992, 1401 = GmbHR 1992, 671.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 73 § 45

„dinglicher“ Rückwirkung eines Beherrschungsvertrags413. Lediglich anfechtbar ist dagegen ein Beschluss, der gegen die satzungsmäßige Kompetenzverteilung verstößt, z.B. wenn über die Bestellung von Geschäftsführern oder über Weisungen an Geschäftsführer beschlossen wird, obwohl nach dem Gesellschaftsvertrag ein Beirat zuständig ist414. 4. Schwere Inhaltsmängel als Nichtigkeitsgründe Nichtig ist ein Beschluss, der mit dem Wesen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung 72 nicht zu vereinbaren ist oder durch seinen Inhalt zwingende Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind, oder gegen die guten Sitten verstößt415. Ein ausdrücklich geregelter Fall ist der des § 57j Satz 2 über die disproportionale Zuteilung von neuen Geschäftsanteilen bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (vgl. dazu 12. Aufl., § 57j Rz. 6). Früher war umstritten, ob bei einem Einziehungsbeschluss dessen mit § 5 Abs. 3 Satz 2 unvereinbares Resultat zur Beschlussnichtigkeit führt416. Der BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13 hat diese Frage jedoch in dem Sinne geklärt, dass Divergenz zwischen Summe der Nennbeträge der verbleibenden Geschäftsanteile und Stammkapital weder ein Nichtigkeits- noch ein Anfechtungsgrund hinsichtlich des Einziehungsbeschlusses begründet417. a) Unvereinbarkeit mit dem Wesen der GmbH Die Unvereinbarkeit mit dem Wesen der GmbH (vgl. § 241 Nr. 3 AktG) spielt in der Praxis 73 keine bedeutende Rolle unter den Nichtigkeitsgründen418. Die systematische Funktion des Merkmals ist darin zu sehen, dass es „tragende Strukturprinzipien“ des GmbH-Rechts419 gibt, die nicht den Rang zwingender Vorschriften (Rz. 74, 75) genießen, aber gleichwohl durch Nichtigkeit sanktioniert sein müssen420. Im Falle der Verletzung drittschützender Vorschriften führt Verstoß nur dann zur Nichtigkeit analog § 241 Nr. 3 AktG, wenn er sich aus dem Inhalt des Beschlusses selbst ergibt421. § 110 Abs. 2 HGB-E422 verzichtet auf Nichtigkeitsgrund entsprechend § 241 Nr. 3 AktG und begründet dies damit, dass jener auf die akti-

413 Vgl. für das Aktienrecht OLG Hamburg v. 13.7.1990 – 11 U 30/90, AG 1991, 21 = GmbHR 1991, 417 (nur schuldrechtliche Rückwirkung); Hüffer/Koch, § 294 AktG Rz. 19; a.M. Altmeppen in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2020, § 294 AktG Rz. 57 ff. 414 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 24; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 6; Römermann in Michalski u.a., Anh. 47 Rz. 37; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 133. 415 Vgl. Jaeger in Oppenländer/Trölitzsch, § 19 Rz. 102; allg. M. 416 So noch OLG München v. 15.11.2011 – 7 U 2413/11, BeckRS 2015, 07344; LG Essen v. 9.6.2010 – 42 O 100/09, GmbHR 2010, 1034; Nichtigkeit aber bereits ablehnend OLG Saarbrücken v. 1.12.2011 – 8 U 315/10-83, GmbHR 2012, 209. 417 BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, BGHZ 203, 303 = GmbHR 2015, 416, 417 Rz. 22 ff. m. Anm. Blunk = EWiR 2015, 169 m. Anm. Römermann; zustimmend Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 213; Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 34 GmbHG Rz. 23; Kersting in Baumbach/Hueck, § 34 Rz. 17a. 418 S. auch Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 14; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 50; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 7; a.M. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 67. 419 Vgl. BGH v. 26.2.1996 – II ZR 77/95, BGHZ 132, 84, 93 f. = AG 1996, 264. 420 Zustimmend OLG Düsseldorf v. 21.7.2016 – 6 U 33/15, juris-Rz. 59 (nachgehend BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, ZIP 2018, 1492); ähnlich Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 14. 421 OLG Karlsruhe v. 19.4.2013 – 2 (7) Ss 89/12, GmbHR 2013, 1090, 1092; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 51. 422 I.d.F. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21.

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§ 45 Rz. 73 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse enrechtliche Satzungsstrenge zugeschnitten sei423. Hieraus wird man allerdings nicht schließen dürfen, dass mangels Satzungsstrenge in der GmbH die Analogie zu § 243 Nr. 3 AktG gänzlich verzichtbar ist. Praktische Bedeutung hat das Merkmal des „Wesens der Gesellschaft“ primär als Begrenzung zulässiger Satzungsänderungen: Eine Satzungsänderung, die unter Verstoß gegen zwingendes GmbH-Recht der Satzung einen absolut unzulässigen, auch durch Zustimmung betroffener Gesellschafter nicht heilbaren Inhalt ergibt, ist nichtig424. Ein mit dem Wesen der GmbH unvereinbarer und deshalb als Satzungsänderung nichtiger Beschluss kann auch nicht als satzungsdurchbrechender Beschluss aufrechterhalten werden (vgl. Rz. 34a)425. Das gilt insbesondere für die Beseitigung unverzichtbarer Individual- und Minderheitsrechte426, z.B. für den Ausschluss des Anfechtungsrechts427 (wohl nicht für die Beschränkung der Anfechtungsbefugnis auf Mindestquoten). Nichtig ist auch eine Satzungsregelung, die zwingende Organisationskompetenzen der Gesellschafter dauerhaft in die Hand der Geschäftsführung (und des Aufsichtsrats) gibt428 oder solche Kompetenzen (z.B. Satzungsänderung) auf Dritte verlagert (Rz. 10)429. Keine solchen Dritten sind die Kommanditisten in der EinheitsGmbH & Co. KG (vgl. Rz. 9 a.E. sowie 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 59). Zu den „tragenden Strukturprinzipien“ gehört auch das Stimmrecht der Gesellschafter430, nicht allerdings dessen unmittelbare Ausübung (Verlagerung auf einen Beirat ist zulässig) und nicht als Stimmrecht jedes einzelnen Gesellschafters (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 10). Deshalb ist z.B. die Ausschließung neuer Geschäftsanteile vom Stimmrecht, wenn jeder Gesellschafter auch stimmberechtigte Stammanteile hat, nicht unvereinbar mit dem „Wesen“ der GmbH431. Nicht einmal der völlige Ausschluss eines Gesellschafters vom Stimmrecht ist mit diesem „Wesen“ unvereinbar (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 11). Allerdings kann der Beschluss im Fall einer Satzungsänderung der Zustimmung betroffener Gesellschafter bedürftig und ohne deren Einwilligung unwirksam sein (relativ unentziehbares Recht; vgl. Rz. 54). Aber auch der Beschluss zur Einziehung eines Geschäftsanteils einer Person, die ausweislich der Gesellschafterliste nicht mehr Gesellschafter ist, soll analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig sein432.

423 Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 263. 424 Beispiel (Verstoß gegen § 4a) KG v. 25.7.2011 – 25 W 33/11, GmbHR 2011, 1104; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 7. 425 Ein Beschluss, der die Anfechtung eines Beschlusses für unzulässig erklärt (RG, HRR 1931 Nr. 776 = DRZ 1931 Nr. 86), kann nur als Rügeverzicht der anwesenden Gesellschafter aufrechterhalten werden. 426 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 17; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 7; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 14; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 73 f.; Wicke, Anh. § 47 Rz. 7; a.M. Römermann in Michalski u.a., Anh. 47 Rz. 134. 427 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 17; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 14; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 73; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 7. 428 Vgl. zu § 241 AktG LG Stuttgart v. 8.11.1991 – 2 KfH O 135/91, AG 1992, 236 = DB 1991, 2533 = WM 1992, 58; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 69; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 14; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 7. 429 Zust. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 131; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 73; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 14; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 7. 430 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 73. 431 BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 268 f. = NJW 1954, 1563; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 73; Wicke, § 47 Rz. 6. 432 OLG Brandenburg v. 21.8.2019 – 7 U 169/18, GmbHR 2020, 98, 102.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 74 § 45

b) Zwingende Vorschriften zum Gläubigerschutz Ein Inhaltsverstoß gegen zwingende Vorschriften zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft 74 (vgl. § 241 Nr. 3 AktG) liegt insbesondere vor, wenn der Beschluss mit Grundsätzen der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung sowie der Gesellschafterhaftung unvereinbar ist. Das gilt vor allem für Verstöße gegen die § 19 Abs. 2 und 3, § 22, § 24, §§ 30–34, § 57e, § 58433. Insbesondere ist § 30 zwar kein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB434, kann aber als zwingende Gläubigerschutznorm zur Beschlussnichtigkeit führen. Nichtig ist deshalb z.B. die entgeltliche Einziehung eines Anteils lediglich, wenn bei Beschlussfassung bereits feststeht, dass durch die Zahlung des Einziehungsentgelts entgegen § 30 Abs. 1 das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen angegriffen werden müsste435; vorhandene stille Reserven, deren Auflösung die Begleichung des Einziehungsentgelts ermöglichen würde, ändern hieran nichts436. Der Einziehungsbeschluss ist dagegen nicht nichtig, wenn sich erst nach Beschlussfassung ergibt, dass die Abfindung nicht ohne Verstoß gegen § 30 gezahlt werden kann, da die Einziehung – vorbehaltlich einer anderslautenden Satzungsregelung – von der Zahlung einer Abfindung grundsätzlich unabhängig ist437. Nichtig ist ein Kapitalerhöhungsbeschluss, nach dem die Gesellschaft eine auf das erhöhte Stammkapital zu leistende Einlageverpflichtung selbst übernimmt (12. Aufl., § 33 Rz. 5, 15)438. Nichtig ist ein Bilanzfeststellungsbeschluss im Fall der Überbewertung der Aktiven (12. Aufl., § 46 Rz. 37). Näher über Bilanzgenehmigungsbeschlüsse 12. Aufl., § 46 Rz. 39; über Gewinnverwendungsbeschlüsse 12. Aufl., § 46 Rz. 42 ff. Nur wenn der Beschlussinhalt selbst gegen die Vorschriften verstößt, kommt Nichtigkeit in Betracht. Das gilt etwa nicht für Geschäftsführerabberufung und -bestellung im Zusammenhang mit sog. „Firmenbestattungen“, da der Beschlussinhalt als solcher neutral ist439. Eine differenzierende Betrachtung verlangt die Unvereinbarkeit eines Ergebnisverwendungs- oder Vorabausschüttungsbeschlusses mit § 30: Da über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit

433 Vgl. auch OLG Jena v. 28.1.2016 – 2 W 547/15, GmbHR 2016, 291, 292 m. Anm. Heinze = EWiR 2016, 297 m. Anm. Wachter; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 33; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 46; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 53; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 18; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rz. 8; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 207. 434 BGH v. 12.3.2013 – II ZR 179/12, AG 2013, 431 = ZIP 2013, 819 = NZG 2013, 496 = JuS 2013, 738 (Karsten Schmidt); Fastrich in Baumbach/Hueck, § 30 Rz. 67; Heidinger in Michalski u.a., § 30 Rz. 139. 435 RGZ 142, 286 = JW 1934, 476; BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369 = NJW 2000, 2819, 2821 = GmbHR 2000, 822 = AG 2000, 515; BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, 238 = GmbHR 2012, 387, 388 Rz. 7 = ZIP 2012, 422, 423; BGH v. 5.4.2011 – II ZR 263/08, GmbHR 2011, 761 = ZIP 2011, 1104 Rz. 19; BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, BGHZ 220, 186 = GmbHR 2016, 754, 755 Rz. 13 m. Anm. Kleindiek = EWiR 2019, 101 m. Anm. Heckschen; BGH v. 26.6.2018 – II ZR 65/16, GmbHR 2018, 961, 962 Rz. 13 m. Anm. Wachter = EWiR 2018, 647 m. Anm. Göretzlehner/Hempel; BGH v. 4.8.2020 – II ZR 171/19, GmbHR 2020, 1118, 1121 Rz. 31 m. Anm. Münnich; Strohn in MünchKomm. GmbHG, § 34 Rz. 31; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 53; Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 34 GmbHG Rz. 13; Pentz/Maul in FS Haarmann, 2015, S. 164, 182; a.M. Altmeppen, § 34 Rz. 31; Schneider, ZIP 2016, 2141, 2146 f.; Priester, ZIP 2012, 658, 659 f. 436 BGH v. 26.6.2018 – II ZR 65/16, GmbHR 2018, 961, 962 Rz. 16 m. Anm. Wachter = EWiR 2018, 647 m. Anm. Göretzlehner/Hempel. 437 Vgl. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 34 GmbHG Rz. 13. 438 Vgl. zur Unvereinbarkeit mit § 33 Abs. 1 BGH v. 9.12.1954 – II ZB 15/54, BGHZ 15, 391 = LM Nr. 1 zu § 55 GmbHG m. Anm. Robert Fischer = DNotZ 1955, 93 = MDR 1955, 159 = NJW 1955, 222; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 118; Servatius in Baumbach/Hueck, § 55 Rz. 19. 439 OLG Karlsruhe v. 19.4.2013 – 2 (7) Ss 89/12, GmbHR 2013, 1090, 1092; a.M. OLG Zweibrücken v. 3.6.2013 – 3 W 87/12, GmbHR 2013, 1093, 1094.

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§ 45 Rz. 74 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse mit § 30 der Zeitpunkt der Zahlung entscheidet (12. Aufl., § 30 Rz. 53), trifft die Sanktion des § 30 nicht ohne weiteres den Beschluss440. Dieser ist nichtig, wenn die Verletzung des § 30 Gegenstand des Beschlusses (also intendiert)441 oder nach Lage der Dinge unvermeidbar ist (vgl. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 42)442. Auch ein Verstoß gegen § 15b InsO (etwa eine Weisung zur verbotenen Auszahlung; vgl. auch 12. Aufl. (Online-Aktualisierung), § 64 Rz. 8.1) oder gegen § 15a InsO (Weisung zur Weiterführung des Betriebs unter den Bedingungen des „wrongful trading“) macht einen Beschluss nichtig443. c) Vorschriften im öffentlichen Interesse 75 Bei den Vorschriften, die sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind (vgl. § 241 Nr. 3

AktG), handelt es sich um zwingende Bestimmungen. Der Begriff des öffentlichen Interesses444 wird von der h.M. weit gefasst445. Diese Formel ist missverständlich446. Es kommt darauf an, ob das öffentliche Interesse die strenge Nichtigkeitsfolge gebietet447. Das ist immer dann der Fall, wenn es im öffentlichen Interesse nicht hingenommen werden kann, dass der rechtswidrige Beschluss auch nur vorläufig wirksam ist, nur durch Anfechtungsklage beseitigt werden kann und durch Versäumung der Anfechtungsfrist endgültig wirksam würde. Vornehmlich wird es sich hierbei um Bestimmungen des Strafrechts und um zwingende Vorschriften des öffentlichen Rechts handeln448. Aber auch die Bestimmungen der §§ 25 ff. MitbestG über die innere Ordnung und die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats sind im öffentlichen Interesse gegeben449. Unter den wirtschaftsrechtlichen Bestimmungen ist vor allem auf die Kartellrechtsregeln der Artt. 101, 102 AEUV und der §§ 1, 19 ff. GWB sowie

440 BFH v. 7.11.2001 – I R 11/01, BFH/NV 2002, 540 = GmbHR 2002, 337, 339; BFH v. 15.5.2007 – I B 6/07, BFH/NV 2007, 1713; BFH v. 16.5.2007 – I R 84/06, BFH/NV 2007, 1925 = GmbHR 2007, 1058; Heidinger in Michalski u.a., § 30 Rz. 140 f.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 30 Rz. 52. 441 BFH v. 1.4.2003 – I R 51/02, BStBl. II 2003, 779, 78 = GmbHR 2003, 1015; Heidinger in Michalski u.a., § 30 Rz. 140; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 30 Rz. 52. 442 Vgl. BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369 = GmbHR 2000, 822, 823 = EWiR 2000, 943 m. Anm. Casper (Einziehungsbeschluss). 443 Zur Unbeachtlichkeit für den Geschäftsführer vgl. 12. Aufl., § 64 Rz. 205, 262. 444 Speziell für § 241 Nr. 3 AktG vgl. Huber in FS Coing, Bd. 2, 1982, S. 167 ff. 445 Vgl. für die AG OLG Düsseldorf v. 16.11.1967 – 6 U 280/66, DB 1967, 2155; für die GmbH Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 15; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 52; a.M. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 9; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 82. 446 Vgl. auch die Kritik bei Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 9; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 82. 447 Ausführlich noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 55; ebenso jetzt z.B. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 82. 448 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 10; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 48; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 83. 449 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 109 ff. = AG 1982, 218 = NJW 1982, 1525 ff.; BGH v. 25.2.1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151, 152 f. = AG 1982, 223 = NJW 1982, 1530 f.; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 50 = AG 1984, 48 = GmbHR 1984, 151 = NJW 1984, 733, 734 ff.; OLG Karlsruhe v. 20.6.1980 – 15 U 171/79, AG 1981, 102 f. = NJW 1980, 2137 ff.; OLG Hamburg v. 23.7.1982 – 11 U 179/80, AG 1983, 21 = DB 1982, 1765, 1767; OLG Hamburg v. 17.12.1982 – 11 U 21/82, AG 1983, 107 = GmbHR 1983, 98 = WM 1983, 130, 132; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 142; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 48; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 19; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 15; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 10; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 83; Canaris, DB-Beil. 14/1981, S. 5 f.; Raiser, NJW 1981, 2167; Steindorff/Joch, ZHR 146 (1982), 336; Martens, ZGR 1983, 244.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 76 § 45

auf die Beihilfebestimmungen der Artt. 107, 108 AEUV zu verweisen (vgl. auch Rz. 56)450. Ein Beschluss, der gegen das Kartellverbot verstößt, ist nichtig (über das Verhältnis zur Unwirksamkeit vgl. Rz. 56). Nicht im öffentlichen Interesse sind solche Vorschriften gegeben, die ausschließlich die Interessen der gegenwärtigen Gesellschafter schützen451. d) Verstoß gegen die guten Sitten Ein Verstoß gegen die guten Sitten (vgl. § 241 Nr. 4 AktG) macht den Beschluss gleichfalls 76 nichtig452. Der Begriff der guten Sitten muss hier in ähnlicher Weise konkretisiert werden wie der Begriff der im öffentlichen Interesse gegebenen Vorschriften (Rz. 75)453: Es handelt sich um – freilich ungeschriebene – zwingende Gebote oder Verbote von solcher Tragweite, dass eine auch nur vorläufige Wirksamkeit und seine Abhängigkeit von einer Anfechtungsklage nicht hingenommen werden kann. Darin sind drei Voraussetzungen enthalten: Erstens muss eine nichtgesetzliche zwingende Norm – nach der herkömmlichen Terminologie: das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ – verletzt sein454; zweitens muss sich der Verstoß aus dem Inhalt – nicht notwendig aus dem Wortlaut455 – des Beschlusses ergeben456; drittens muss es sich um einen schweren Verstoß handeln, der eine bloße Anfechtbarkeit als nicht ausreichend erscheinen lässt457. Als sittenwidrig würde wohl die neuere Rechtsprechung den Beschluss einer Muttergesellschaft ansehen, durch den der Geschäftsführer zur Vornahme unerlaubter existenzgefährdender Eingriffe in eine GmbH-Tochter angewiesen wird458. Sittenwidrig können danach auch Beschlüsse im Hinblick auf sog. „Firmenbestattungen“, die zu einer Beendigung der Gesellschaft unter Umgehung eines ord450 Vgl. LG Köln v. 14.4.2016 – 88 O (Kart) 61/15, WuW 2016, 320 Rz. 15; Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht I/1 (Europäisches Kartellrecht), 6. Aufl. 2019, Art. 101 Abs. 2 AEUV Rz. 41; Zimmer in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht II (GWB), 6. Aufl. 2020, § 1 GWB Rz. 33; zum GWB auch Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 15; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 48; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 10; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 84. 451 Vgl. OLG Karlsruhe v. 20.6.1980 – 15 U 171/79, AG 1981, 102, 103; (bzgl. § 46 Nr. 8) OLG Köln v. 24.5.2018 – 18 U 36/17, GmbHR 2018, 921, 922; vgl. ferner Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 15; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 144. 452 RGZ 131, 141, 145; RGZ 161, 129, 143 f.; BGH v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382, 385; OLG Dresden v. 14.7.1999 – 12 U 679/99, NZG 1999, 1109; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 55; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 51 f.; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 20; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 17; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 11. 453 Ausführlicher noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 56. 454 Zum Begriff der Sittenwidrigkeit etwa BGH v. 6.2.2009 – V ZR 130/08, NJW 2009, 1346, 1347 Rz. 10; Ellenberger in Palandt, 80. Aufl. 2021, § 138 BGB Rz. 2 ff. m.w.N. 455 BGH v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382 = LM Nr. 3 zu § 47 GmbHG m. Anm. Robert Fischer = JZ 1955, 208 m. Anm. A. Hueck = NJW 1955, 221; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 51. 456 RGZ 131, 141, 145; BGH v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382, 385; OLG Stuttgart v. 14.1.2013 – 14 W 17/12, GmbHR 2013, 535, 538 = EWiR 2013, 509 m. Anm. Baumann; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 20; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 55; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 39; Wicke, Anh. § 47 Rz. 8. 457 BGH v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382, 385 f.; vgl. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 15 (Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 BGB führt also nicht zwingend zur Nichtigkeit entsprechend § 241 Nr. 4 AktG). 458 Das Urteil BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = AG 2007, 657 = GmbHR 2007, 927 = DB 2007, 1802 = ZIP 2007, 1552 – Trihotel, stützt und begrenzt die Haftung von GmbH-Gesellschaftern für „existenzvernichtende Eingriffe“ auf § 826 BGB; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 52; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 39; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 12.

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§ 45 Rz. 76 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse nungsgemäßen Liquidations- oder Insolvenzverfahrens führen, sein459. Die bloß sittenwidrige Motivation eines Beschlusses genügt allerdings grundsätzlich nicht460. In Fällen schikanösen Machtmissbrauchs zum Schaden eines Dritten kann aber ausnahmsweise auch die sittenwidrige Absicht einen Beschluss nichtig machen461. Treupflichtverletzungen von Seiten der Stimmenmehrheit sind grundsätzlich nur Anfechtungsgründe, keine Nichtigkeitsgründe (vgl. Rz. 107)462, ebenso Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot (Rz. 105). Bloßer Stimmrechtsmissbrauch beim Zustandekommen des Beschlusses macht diesen nur anfechtbar (Rz. 107), nicht nichtig463. Auch eine Täuschung der Gesellschafter genügt grundsätzlich nicht464; sie kann allerdings zur Anfechtung der Stimmabgabe führen (vgl. dazu Rz. 22). Sittenwidrig und nichtig sind aber Beschlüsse, mit denen die Abfindung eines ausgeschlossenen Gesellschafters komplett ausgeschlossen wird, und zwar auch dann, wenn es hierfür eine statutarische Grundlage gibt und das Abfindungsentgelt gerade auf dieser Grundlage wegen grober Verletzung von Gesellschafterpflichten erfolgt465. e) Materielle Satzungswidrigkeit 77 Satzungswidrigkeit führt zur Nichtigkeit eines (nicht satzungsändernden) Beschlusses, wenn

dieser einen satzungswidrigen Rechtszustand herbeiführen soll (vgl. Rz. 34a). Während die Unvereinbarkeit einer beschlossenen Einzelmaßnahme oder Einzelentscheidung mit dem Gesellschaftsvertrag nur zur Anfechtbarkeit führen kann (Rz. 115), ist eine auf die Herstellung eines satzungswidrigen Dauerzustands, z.B. die Bestellung eines satzungswidrigen Organs, zielende Satzungsdurchbrechung nichtig. f) Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern 78 Die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern ist bei der AG nach § 250 AktG nichtig, wenn be-

stimmte schwere Fehler in der Besetzung vorliegen. Die Vorschrift ist nicht auf den fakultativen Aufsichtsrat gemäß § 52 anwendbar, wohl aber auf den obligatorischen Aufsichtsrat nach dem MitbestG (vgl. 12. Aufl., § 52 Rz. 206 ff.). Hier gelten die zwingenden Vorschriften über

459 Vgl. OLG Zweibrücken v. 3.6.2013 – 3 W 87/12, GmbHR 2013, 1093, 1094 (allerdings unter Heranziehung von § 134 BGB, § 241 Nr. 3 AktG analog); AG Memmingen v. 2.12.2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952 m. Anm. Wachter = MittBayNot 2004, 292, 293 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 55; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 52; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 39; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rz. 12. 460 OLG München v. 8.6.1994 – 7 U 4606/93, GmbHR 1995, 232; AG Memmingen v. 2.12.2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952 m. Anm. Wachter, MittBayNot 2004, 292, 293; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 17. 461 OLG Dresden v. 14.7.1999 – 12 U 679/99, NZG 1999, 1109: Schikanöse Wiederholung eines durch Urteil aufgehobenen Beschlusses und schädigende Satzungsänderung zu Lasten eines durch Anspruch gesicherten Anteilserwerbers; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 55; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 52. 462 Vgl. OLG Frankfurt v. 22.12.2004 – 13 U 177/02, GmbHR 2005, 550, 557 m. Anm. Fritsche; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 52; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 154. 463 Vgl. BGH v. 28.1.1953 – II ZR 265/51, BGHZ 8, 348, 355 m.w.N.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 112. 464 Vgl. OLG Celle v. 7.9.1983 – 9 U 34/83, AG 1984, 266 = WM 1984, 494 (für die AG). 465 BGH v. 29.4.2014 – II ZR 216/13, BGHZ 201, 65 = GmbHR 2014, 811, 812 m. Anm. Wachter = EWiR 2014, 509 m. Anm. Seibt; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 241 AktG Rz. 39; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 12.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 81 § 45

die Zusammensetzung des Aufsichtsrats, und damit gilt auch § 250 AktG analog466. Die Wahl zu einem fakultativen Aufsichtsrat ist dagegen aus Besetzungsgründen nur dann nichtig, wenn der Gewählte keine voll geschäftsfähige natürliche Person ist467. § 105 AktG findet über § 250 AktG insofern nur auf den obligatorischen, nicht aber auch den fakultativen Aufsichtsrat Anwendung468. g) Nichtigkeit des Jahresabschlusses Über die Nichtigkeit des Jahresabschlusses vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 36 f. Hinzuweisen ist vor 79 allem auf BGH v. 1.3.1982469, wonach der Jahresabschluss analog § 256 Abs. 5 AktG nichtig ist, wenn eine Überbewertung den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung widerspricht und ihrem Umfang nach nicht bedeutungslos ist470. Für den Fall der Unterbewertung folgert BGH v. 12.1.1998471 aus § 256 Abs. 5 Nr. 2 AktG, dass nur eine vorsätzliche – bedingter Vorsatz ist allerdings ausreichend – Verschleierung der Vermögens- und Ertragslage den Jahresabschluss nichtig macht472. Ist die Feststellung des Jahresabschlusses nichtig, so erfasst diese Nichtigkeit analog § 253 AktG auch den auf dem Jahresabschluss basierenden Gewinnverwendungsbeschluss (Rz. 42, 12. Aufl., § 46 Rz. 42)473. h) Nachträgliche Nichtigkeit Ein anfänglich (lediglich) unwirksamer Beschluss kann nichtig werden, wenn eine Behebung 80 des Wirksamkeitshindernisses (z.B. durch Zustimmung eines Gesellschafters oder durch behördliche Genehmigung) endgültig ausgeschlossen ist (vgl. Rz. 53). Die Anfechtbarkeit eines Beschlusses wird zur Nichtigkeit, wenn der Beschluss im Wege der Anfechtungsklage rechtskräftig aufgehoben worden ist (Rz. 91, 171 ff.). 5. Rechtsfolgen der Nichtigkeit a) Materielles Recht Der nichtige Beschluss ist rechtswidrig und ipso iure ohne jede Rechtswirksamkeit (zum 81 Fall bloßer Teilnichtigkeit vgl. Rz. 41). Dies kann auf jede Weise und von jedermann geltend gemacht werden, es sei denn, der Nichtigkeitstatbestand wäre geheilt (Rz. 87; zur Verwirkung vgl. Rz. 87, 146). Es kann sich also jedermann gegenüber jedermann auf die Nichtigkeit des

466 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 61; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 62; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 23; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 177; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 24; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 15; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 108. 467 Näher Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 64; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 22. 468 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 61; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 65 f.; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 181, 185; a.M. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 117, 118. 469 BGH v. 1.3.1982 – II ZR 23/81, BGHZ 83, 341 = GmbHR 1983, 169 = NJW 1983, 42. 470 Vgl. auch RGZ 131, 143; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 84; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 123 ff.; Haas in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 31. 471 BGH v. 12.1.1998 – II ZR 82/93, BGHZ 137, 378, 384 = NJW 1998, 1559, 1560 = GmbHR 1998, 324. 472 Eingehend Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 134; Haas in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 31. 473 Vgl. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 25; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 62; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 151.

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§ 45 Rz. 81 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Beschlusses berufen474, auch z.B. zur Begründung oder zur Abwehr475 von Ansprüchen. Im Rechtsstreit kann die Nichtigkeit jederzeit inzident geprüft werden. Es kann auch jedermann gegen jedermann auf Feststellung der Nichtigkeit klagen, sofern die Voraussetzungen einer zulässigen Feststellungsklage nach § 256 ZPO vorliegen (Rz. 44, 82)476. Die Befugnis, eine (weitergehende!) sog. Nichtigkeitsklage zu erheben, beseitigt noch nicht ohne weiteres das Feststellungsinteresse eines Gesellschafters für eine Feststellungsklage gegen einen Mitgesellschafter477. Die Geltendmachung der Nichtigkeit ist grundsätzlich unbefristet (vgl. hierzu und zu den Ausnahmen nach § 14 Abs. 1, § 125, § 195 UmwG Rz. 146). Sie kann allerdings, wie jede Rechtsausübung, dem Verwirkungseinwand unterliegen (Rz. 87)478. b) Geltendmachung im Prozess 82 Im Hinblick auf die prozessualen Wirkungen muss genau unterschieden werden zwischen

der bloßen Inzidentprüfung der Beschlussnichtigkeit in einem Zivilprozess mit anderem Streitgegenstand (vgl. Rz. 81), der Feststellungsklage nach § 256 ZPO und der kassatorisch wirkenden echten Nichtigkeitsklage nach dem Vorbild des § 249 AktG (vgl. zu dieser Klage Rz. 44). Jeder dieser Prozesse hat einen jeweils unterschiedlichen Streitgegenstand. Das ist aus den üblichen Klaganträgen und Tenorierungen nicht ohne weiteres ablesbar. Wird auf „Feststellung der Nichtigkeit“ geklagt, so kann dies unterschiedliche Bedeutung haben: Jedermann (nicht nur ein Gesellschafter) kann gegen jedermann (nicht nur gegen die Gesellschaft) auf Feststellung der Nichtigkeit klagen, wenn die Voraussetzungen des § 256 ZPO erfüllt sind (Rz. 81). Es handelt sich hierbei um einen reinen Feststellungsstreit; das diesbezügliche Feststellungsurteil wirkt nach allgemeinen Grundsätzen nur zwischen den Parteien479. Wer anfechtungsberechtigt ist (Rz. 127), kann (Rz. 49) aber gegen den Beschluss auch mit der sog. Nichtigkeitsklage gegen die Gesellschaft vorgehen. Diese Klage ist auf eine für und gegen jedermann verbindliche Nichtigerklärung des Beschlusses gerichtet; sie ist – wie die Anfechtungsklage – eine kassatorische Klage (Rz. 45) und damit entgegen der immer noch h.M. eine Gestaltungsklage (Rz. 46). Ihr kann auch stattgegeben werden, wenn kein „Nichtigkeitsantrag“, sondern ein „Anfechtungsantrag“ gestellt worden ist (Rz. 168)480, denn der Streit474 BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 239; OLG Hamburg v. 31.5.1995 – 11 U 183/ 94, GmbHR 1995, 734; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 233 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 68, 72; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 84 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 29; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 28; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 20; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 152; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 234. 475 RG, LZ 1913, 683; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 84; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 20. 476 BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1094 m. Anm. Podewils = ZIP 2008, 1818, 1820; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 152. 477 Zu weitgehend die Generalisierung bei OLG Hamburg v. 31.5.1995 – 11 U 183/94, GmbHR 1995, 734 = ZIP 1995, 1513; OLG Koblenz v. 17.11.2005 – 6 U 577/05, NZG 2006, 270. 478 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 32 m. Anm. Wagner = EWiR 2016, 693 m. Anm. Wolffsky/Wahl; Wicke, Anh. § 47 Rz. 11; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 258; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 236. 479 BGH v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, NJW 1966, 1458, 1459 = WM 1966, 614; OLG Hamm v. 12.3.2008 – 8 U 190/06, BeckRS 2008, 12848; OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075, 1080, 1082; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 259; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 30a; Altmeppen, § 47 Rz. 111; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 360 ff.; vgl. auch Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 249 AktG Rz. 41. 480 BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68; BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, LM Nr. 4 zu § 221 AktG m. Anm. Karollus = AG 1995, 83 = NJW 1995, 260; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Wertenbruch in MünchKomm.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 83 § 45

gegenstand der „Anfechtungs-“ und „Nichtigkeitsklage“ ist gleich (Rz. 45, 48, 91, 152), während der bloße Feststellungsantrag nach § 256 ZPO von beiden verschieden ist (Rz. 49). Der für echte Feststellungsklagen und für sog. Nichtigkeitsklagen einheitliche Klagantragsund Tenorierungsgebrauch („Feststellung“ der Nichtigkeit) verdeckt die Unterschiede in der Sache. Die Nichtigkeitsklage ist der weitergehende und bessere Rechtsschutz. Klagt ein Gesellschafter gegen die Gesellschaft auf „Feststellung“ der Nichtigkeit, so ist davon auszugehen, dass er die kassatorische Klage erhoben hat und nicht bloß die Feststellungsklage nach § 256 ZPO, für die es in diesen Fällen regelmäßig am Feststellungsinteresse fehlen wird481. Anderes gilt, wenn der Kläger nicht anfechtungsberechtigt ist. Die „Nichtigkeitsklage“ eines solchen Klägers wird im Zweifel als bloße Feststellungsklage nach § 256 ZPO auszulegen sein. c) Eintragungshindernis Die Eintragung eines nichtigen Beschlusses in das Handelsregister ist unzulässig482. Die 83 Möglichkeit, dass die Registereintragung den Nichtigkeitsmangel heilt (Rz. 89), ändert daran nichts483. Allerdings braucht das Registergericht Bedenken in tatsächlicher Hinsicht nur nachzugehen, wenn dafür Anhaltspunkte bestehen484. Eine Amtslöschung nimmt das Registergericht vor, wenn der Beschluss durch seinen Inhalt zwingende Vorschriften des Gesetzes verletzt und seine Beseitigung im öffentlichen Interesse erforderlich scheint. Grundlage ist § 398 FamFG485. Die Vorschrift verdrängt den weitergehenden § 395 FamFG486. Sie lässt dem Registerrichter trotz ihres missverständlichen Wortlauts („kann“) keinen Ermessensspielraum487. Da allerdings der Wortlaut des § 398 FamFG auf die Erforderlichkeit im öffent-

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GmbHG, Anh. § 47 Rz. 218; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 43; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 31. BGH v. 23.2.1978 – II ZR 37/77, BGHZ 70, 384 = NJW 1978, 1325 (Genossenschaft); BGH v. 13.1.2003 – II ZR 173/02, GmbHR 2003, 355, 356 (GmbH); OLG Hamburg v. 31.5.1995 – 11 U 183/94, GmbHR 1995, 734, 735; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 256; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 246; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 137; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 71a; bedenklich OLG Koblenz v. 17.11.2005 – 6 U 577/05, NZG 2006, 270 (fehlendes Feststellungsinteresse auch für Feststellungsklage gegen den Mitgesellschafter). OLG Köln v. 17.7.1992 – 2 Wx 32/92, GmbHR 1993, 164 [LS] = NJW-RR 1993, 223; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 68; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 84; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 29; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 20; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 232; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1027; enger Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 21–70. Vgl. OLG Köln v. 17.7.1992 – 2 Wx 32/92, GmbHR 1993, 164 [LS] = NJW-RR 1993, 223; Wicke, § 54 Rz. 6; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 54 Rz. 9. BayObLG v. 6.8.1981 – BReg.1 Z 39/81, GmbHR 1982, 43 = BayObLGZ 1981, 266; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 84; h.M.; zur AG Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1321. Dazu Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 11 ff.; Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 110 ff. Näher OLG Hamm v. 22.5.1979 – 15 W 314/78, AG 1980, 79 = BB 1981, 259 m. zust. Anm. Baums; OLG Karlsruhe v. 18.12.1985 – 11 W 86/85, AG 1986, 167 = ZIP 1986, 711; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 4; Krafka in MünchKomm. FamFG, 3. Aufl. 2019, § 398 FamFG Rz. 6; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 459; Holzer in Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 3; Lutter/Friedewald, ZIP 1986, 691 ff. Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 116 f.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 100; a.A. Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 20 u. § 397 FamFG Rz. 17; für intendiertes Ermessen Krafka in MünchKomm. FamFG, 3. Aufl. 2019, § 398 FamFG Rz. 10.

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§ 45 Rz. 83 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse lichen Interesse abstellt488, ist (anders als bei § 395 FamFG) doch ein Einschätzungsspielraum vorhanden489. Die Amtslöschung kommt nur bei Inhaltsmängeln des Beschlusses, nicht bei Beschlussverfahrensmängeln, in Betracht490. Das öffentliche Interesse, auf das § 398 FamFG abstellt, ist vom Interesse der Gesellschafter zu unterscheiden491. Die Amtslöschung ist entsprechend der Wertung des § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG auch dann noch möglich, wenn die Nichtigkeit des Beschlusses durch Ablauf der Dreijahresfrist analog § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG geheilt ist (Rz. 89)492. Einem Gesellschafter, der beim Registergericht die Amtslöschung eines länger als drei Jahre im Handelsregister eingetragenen Beschlusses wegen Nichtigkeitsgründen nach § 241 Nr. 3 oder 4 AktG anregt, steht gegen einen zurückweisenden Beschluss kein Rechtsmittel zu493. 6. Heilung von Nichtigkeitsmängeln 84 Eine Heilung von Nichtigkeitsmängeln kommt vor allem dann in Betracht, wenn der Nichtig-

keitsgrund in einer dem Gesellschafterschutz dienenden Verfahrensregel besteht. Aber auch materielle Nichtigkeitsmängel können behebbar sein. Unheilbar sind absolute Kompetenzverletzungen und objektiv unmögliche Beschlüsse (Rz. 71). Auch ein satzungsdurchbrechender und deshalb nach Rz. 34a nichtiger Beschluss wird nicht dadurch geheilt, dass eine beschlossene satzungswidrige Maßnahme (z.B. die Bestellung von Geschäftsführern als Alleinoder Gesamtvertreter) eingetragen wird494. Für Vertrauensschutz sorgt in diesen Fällen § 15 HGB. a) Antizipierte Heilung 85 Heilung des Mangels vor der Beschlussfassung liegt z.B. vor, wenn sich Ladungs- oder Ein-

berufungsmängel durch rügelose Vollversammlung oder durch individuellen Rügeverzicht des betroffenen Gesellschafters in der Versammlung erledigen (näher 12. Aufl., § 51 Rz. 31 ff.). Ist dies der Fall, so wird der Nichtigkeitstatbestand vermieden, bevor der Nichtigkeitsgrund greifen kann. Es kommt ein fehlerfreier Beschluss zustande.

488 Dazu in Auseinandersetzung mit dem Verf. Casper, S. 237 ff. 489 Vgl. auch Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 20; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 462; a.M. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 100. 490 Vgl. KGJ 30 A 141; OLG München, JFG 16, 339 = DFG 1938, 20; BayObLG, BayObLGZ 1956, 1383; OLG Hamm v. 22.5.1979 – 15 W 314/78, AG 1980, 79 = BB 1981, 259; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1263; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 12. 491 BGH v. 15.7.2014 – II ZB 18/13, BGHZ 202, 87 = ZIP 2014, 2237, 2239 Rz. 17 ff. = EWiR 2015, 5 m. Anm. Wilsing/Kleemann; KG, JW 1936, 1383; OLG Karlsruhe v. 18.12.1985 – 11 W 86/85, AG 1986, 167 = ZIP 1986, 711; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 16 f. 492 BGH v. 15.7.2014 – II ZB 18/13, BGHZ 202, 87 = ZIP 2014, 2237, 2238 Rz. 18 = EWiR 2015, 5 m. Anm. Wilsing/Kleemann (für die AG); Krafka in MünchKomm. FamFG, 3. Aufl. 2019, § 398 FamFG Rz. 5; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 18; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 247 (nach Heilung sei der Beschluss zwar nicht mehr nichtig, gleichwohl aber noch vernichtbar); Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 57 Rz. 53; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 146; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 242 Rz. 8; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 19; Priester, GmbHR 2007, 296, 298 f. 493 BGH v. 15.7.2014 – II ZB 18/13, BGHZ 202, 87 = ZIP 2014, 2237, 2238 Rz. 16 = EWiR 2015, 5 m. Anm. Wilsing/Kleemann (für die AG); Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 18; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 60. 494 Vgl. OLG Hamm v. 3.6.1992 – 8 U 272/91, BB 1992, 2312 = DB 1992, 2181 = GmbHR 1992, 807; ähnlich (Heilung möglich, sobald die Erfordernisse der förmlichen Satzungsänderung erfüllt sind) Marquardt in MünchHdb. GesR III, § 22 Rz. 99; differenzierend (Heilung möglich, wenn sich Heilung ausschließlich auf fehlende notarielle Beurkundung bezieht) Altmeppen, § 53 Rz. 63.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 88 § 45

b) Nachträgliche Heilung in Fällen des § 242 AktG Die nachträgliche Heilung behebt die bereits eingetretene Nichtigkeit des Beschlusses. Ent- 86 gegen dem Wortlaut von § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG handelt es sich um eine echte Heilung, d.h. mit dem Zeitablauf wird die materielle Rechtslage umgestaltet495. Dem steht nicht entgegen, dass eine Amtslöschung in den Fällen des § 242 Abs. 2 AktG möglich bleibt (Rz. 83)496. Das geltende Recht lässt folgende Fälle der Heilung zu497: Nichtigkeit wegen eines Fehlers in der Zuständigkeit, der Frist oder der Form bei der Ein- 87 berufung der Versammlung, wegen Ladungsmangels sowie Nichtigkeit wegen Übergehens von Gesellschaftern bei der schriftlichen Abstimmung wird geheilt, wenn alle, auch die in der Gesellschafterversammlung nicht erschienenen und nicht vertretenen Gesellschafter oder die an der schriftlichen Beschlussfassung nicht beteiligten stimmberechtigten Gesellschafter nachträglich dem Beschluss zustimmen498. Diese Heilung durch Rügeverzicht analog § 242 Abs. 2 Satz 4 AktG entspricht auch bei der GmbH dem geltenden Recht (vgl. 12. Aufl., § 51 Rz. 31)499. Der Rügeverzicht kann formlos erklärt werden. Schriftform ist nach geltendem Recht nicht erforderlich, hilft aber bei der Beweisführung gegenüber dem Registergericht. Vom heilenden Rügeverzicht ist die individuelle Verwirkung zu unterscheiden: Nach h.M. kann die Berufung auf Nichtigkeitsmängel nach § 242 AktG durch widersprüchliches Verhalten oder durch Verspätung ausgeschlossen sein500. Dieser Verwirkungstatbestand wird aber bei schweren Inhaltsverstößen, die die Nichtigkeit des Beschlusses begründen, kaum zum Tragen kommen. Nichtigkeit wegen mangelnder Beurkundung wird durch (versehentliche) Eintragung des 88 Beschlusses in das Handelsregister geheilt (§ 242 Abs. 1 AktG). Das ist auch ohne besondere Regelung geltendes Recht501 und gilt auch für zunächst nichtige Beschlüsse über Satzungsänderungen502. Für Umwandlungsbeschlüsse ist diese Heilung von Formfehlern in § 20 Abs. 1 Nr. 4, § 131 Abs. 1 Nr. 4, § 202 Abs. 1 Nr. 3 UmwG besonders geregelt. Einen Gegenschluss 495 Ausdrücklich offen gelassen von BGH v. 15.7.2014 – II ZB 18/13, BGHZ 202, 87 = ZIP 2014, 2237, 2238 Rz. 14 = EWiR 2015, 5 m. Anm. Wilsing/Kleemann; vgl. zur im Übrigen herrschenden Ansicht aber Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 57 Rz. 53; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 242 AktG Rz. 3; Hüffer/Koch, § 242 AktG Rz. 7; Casper in FS Bergmann, 2018, S. 127, 132 ff. 496 Vgl. Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 242 AktG Rz. 3; Casper in FS Bergmann, 2018, S. 127, 132 ff. 497 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 73; gegen die Anlehnung an § 242 AktG allerdings Fehrenbach, S. 234 ff. 498 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 14, 28; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 141; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 238, 252. 499 OLG Frankfurt v. 26.8.1983 – 20 W 528/83, BB 1983, 2139 = GmbHR 1984, 99; wie hier ferner Casper, S. 335; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 78; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 141; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 252; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 21; einschränkend Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 77, § 51 Rz. 30; a.M. OLG München v. 19.1.1978 – 1 U 1292/77, BB 1978, 471, 472; zu eng auch BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 239. 500 BGH v. 29.10.1956 – II ZR 130/55, BGHZ 22, 101, 106; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 86. 501 Vgl. BGH v. 6.11.1995 – II ZR 181/94, AG 1996, 176 = NJW 1996, 257; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 74; Casper, S. 333 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 79; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 26; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 29; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 22; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 142; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 208; Däubler, GmbHR 1968, 6. 502 Für die AG BGH v. 15.7.2014 – II ZB 18/13, BGHZ 202, 87 = ZIP 2014, 2237, 2238 Rz. 14 = EWiR 2015, 5 m. Anm. Wilsing/Kleemann; Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 242 AktG Rz. 2 ff.; Hüffer/Koch, § 242 AktG Rz. 7.

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§ 45 Rz. 88 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse erlauben diese Spezialregelungen nicht. Mit der im Aktienrecht h.M.503 wird man der Heilung „Rückwirkung“ zubilligen müssen, soweit nicht, wie bei Satzungsänderung und Umwandlung, die Beschlusswirkungen auch bei einem fehlerfreien Beschluss erst mit der Eintragung eintreten504. c) Andere Nichtigkeitsmängel 89 Andere Nichtigkeitsmängel – das rechtskräftige Anfechtungsurteil und die Löschung auf-

grund rechtskräftiger registergerichtlicher Entscheidung nach § 398 FamFG ausgenommen – werden analog § 242 Abs. 2 AktG geheilt, wenn der Beschluss in das Handelsregister eingetragen worden ist und seitdem drei Jahre verstrichen sind, ohne dass vor Fristablauf eine Nichtigkeitsklage (reguläre Feststellungsklage genügt nicht!) rechtshängig gemacht worden ist505. Umstritten war, ob auch die strikte Dreijahresfrist (heute analog § 242 Abs. 2 AktG) ohne gesetzliche Grundlage in das GmbH-Recht übernommen werden soll. Der BGH hatte dies ursprünglich verneint506. Heute wird die analoge Anwendung der Dreijahresfrist vom Bundesgerichtshof507 und von der h.M. überzeugend bejaht508: Die Nichtigkeit des Beschlusses wegen eines Inhaltsmangels wird geheilt, wenn der Beschluss in das Handelsregister eingetragen worden ist und seither drei Jahre verstrichen sind (sinngemäße Anwendung des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG). Die Frist kann nur durch Erhebung der kassatorischen Klage („Nichtigkeitsklage“ oder „Anfechtungsklage“) – nicht durch Geltendmachung der Nichtigkeit in sonstiger Weise – gewahrt werden509, denn nur diese Klage kann zu einem die Beschlussnichtigkeit mit Wirkung für und gegen jedermann begründenden Gestaltungsurteil führen (Rz. 173) Deshalb genügt weder die Erhebung der regulären Feststellungsklage nach § 256 ZPO510 (dazu Rz. 49, 82) noch die Geltendmachung der Nichtigkeit als Vorfrage in

503 Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 242 AktG Rz. 15; Hüffer/Koch, § 242 AktG Rz. 7; Ehrmann in Grigoleit, § 242 AktG Rz. 1. 504 Altmeppen, § 47 Rz. 29; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 242 AktG Rz. 19. 505 Zur analogen Anwendung des § 242 Abs. 2 AktG vgl. zusammenfassend (und die Analyse auf nichtige Satzungsbestimmungen ausdehnend) BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365 = AG 2000, 515 = GmbHR 2000, 822; OLG Jena v. 28.1.2016 – 2 W 547/15, GmbHR 2016, 291, 292 m. Anm. Heinze = EWiR 2016, 297 m. Anm. Wachter. 506 BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 244; BGH v. 14.12.1961 – II ZR 97/59, NJW 1962, 539 (insoweit nicht in BGHZ 36, 207); BGH v. 19.1.1978 – II ZR 133/77, WM 1978, 551, 552; ebenso noch Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 74; Däubler, GmbHR 1968, 6 f.; dagegen hier bereits Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 67 mit umfangreichen Nachweisen; es ging vor allem um die Frage, ob die Anwendung der Dreijahresfrist aus § 242 Abs. 2 AktG mit der Nichtanwendung der Monatsfrist aus § 246 AktG in Einklang zu bringen ist. 507 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365 = GmbHR 2000, 822, 823 = EWiR 2000, 943 m. Anm. Casper; BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212 = GmbHR 1982, 67 = ZIP 1981, 609 m. Anm. Karsten Schmidt; BGH v. 20.2.1984 – II ZR 116/83, AG 1984, 149 = WM 1984, 473. 508 Vgl. BayObLG v. 18.3.1991 – BReg.3 Z 69/90, DB 1991, 1270, 1271 = GmbHR 1991, 572, 573 f.; OLG Düsseldorf v. 9.11.1989 – 6 U 21/89, GmbHR 1990, 265, 266; Casper, S. 336 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 75; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 80; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 26; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 244; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 29; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 23; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 208. 509 BGH v. 20.2.1984 – II ZR 116/83, AG 1984, 149 = WM 1984, 473; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 81; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 26; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 23; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 145; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 244; a.M. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 75; nur referierend Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 30. 510 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 23.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 90 § 45

einem Zivilprozess511. Es reicht aus, dass die kassatorische Klage bei Ablauf der Dreijahresfrist rechtshängig ist (vgl. sinngemäß § 242 Abs. 2 Satz 2 AktG). Wird die Klage rechtzeitig eingereicht und demnächst zugestellt, so genügt auch dies (§ 167 ZPO)512. Auch wenn die Frist abgelaufen ist, bleibt noch eine Amtslöschung des Beschlusses im Handelsregister nach § 398 FamFG möglich (vgl. sinngemäß § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG)513. Der Beschluss erweist sich dann trotz Fortfalls der Nichtigkeit noch als vernichtbar514. Doch ist die Amtslöschung nur im öffentlichen Interesse, nicht im Interesse der Gesellschafter, zulässig (Rz. 83). Zu den Folgen der Amtslöschung vgl. Rz. 92. Zur Heilung der Nichtigkeit von Jahresabschlüssen analog § 256 Abs. 6 AktG vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 37. d) Bestandskraft von Eintragungen nach dem Umwandlungsgesetz Von der Nichtigkeitsheilung ist die Bestandskraft strukturverändernder Entscheidungen zu 90 unterscheiden515. Nach § 20 Abs. 2, § 131 Abs. 2, § 202 Abs. 3 UmwG lassen Mängel einer Verschmelzung, einer Spaltung bzw. eines Formwechsels die Wirksamkeit der eingetragenen Umwandlungsvorgänge unberührt. Zu einer materiellen Heilung vorhandener Nichtigkeitsmängel der zugrunde liegenden Beschlüsse führt diese Bestandskraft der Umwandlung jedoch nicht516. Dasselbe gilt für die Versäumung der in § 14 Abs. 1, § 195 Abs. 1 UmwG für die Klage gegen einen Umwandlungsbeschluss vorgeschriebene Monatsfrist (Rz. 141)517. Dessen ungeachtet kommt nach ganz h.M. anders als im Rahmen des § 242 Abs. 2 AktG eine Amtslöschung grundsätzlich nicht in Betracht518 (vgl. auch 12. Aufl., § 75 Rz. 3). Eine widerrechtliche Amtslöschung wäre konsequenterweise ihrerseits angreifbar519. Auch durch erfolgreiche Anfechtungsklage – das Rechtsschutzbedürfnis hierfür entfällt durch zwischenzeit-

511 BGH v. 20.2.1984 – II ZR 116/83, AG 1984, 149 = WM 1984, 473; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 81; vgl. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 26; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 23; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 145. 512 Vgl. zum Aktienrecht BGH v. 14.11.1988 – II ZR 82/88, AG 1989, 87. 513 BGH v. 15.7.2014 – II ZB 18/13, BGHZ 202, 87 = ZIP 2014, 2237, 2238 Rz. 18 = EWiR 2015, 5 m. Anm. Wilsing/Kleemann (für die AG); BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 268/95, GmbHR 1996, 441, 442; Krafka in MünchKomm. FamFG, 3. Aufl. 2019, § 398 FamFG Rz. 5; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 398 FamFG Rz. 18; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 247; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 57 Rz. 53; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 242 AktG Rz. 8; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 146; Priester, GmbHR 2007, 296, 298 f. 514 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 247; Casper in FS Bergmann, 2018, S. 127, 134. 515 Zum Streitstand umfassend Kort, Bestandskraft fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998, S. 250 ff. 516 Dem hier vertretenen Standpunkt zustimmend OLG München v. 14.4.2010 – 7 U 5167/09, GmbHR 2010, 531, 532 = EWiR 2010, 687 m. Anm. Blasche; Heidinger in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 20 UmwG Rz. 63; Winter in Schmitt/Hörtnagl, § 20 UmwG Rz. 111 f.; Casper, S. 292 mit umfangreichen Nachweisen; a.M. BayObLG v. 15.10.19999 – 3 Z BR 295/99, AG 2000, 130, 131. 517 Casper, S. 292, im Anschluss an Karsten Schmidt, DB 1995, 1849. 518 BGH v. 5.10.2006 – III ZR 283/05, ZIP 2006, 2312, 2315 Rz. 23 = GmbHR 2006, 1332; OLG Frankfurt a.M. v. 26.5.2003 – 20 W 61/03, ZIP 2003, 1607, 1608 = GmbHR 2003, 1276 = EWiR 2003, 941 m. Anm. Grunewald; Winter in Schmitt/Hörtnagl, § 20 UmwG Rz. 112; Hörtnagl in Schmitt/ Hörtnagl, § 131 UmwG Rz. 97; Heidinger in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 20 UmwG Rz. 63 f.: Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, Genossenschaftsgesetz, 4. Aufl. 2012, § 20 Rz. 7; mit abweichender Begründung Karsten Schmidt, ZIP 1998, 181, 187. 519 Heidinger in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 20 UmwG Rz. 64.

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§ 45 Rz. 90 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse liche Eintragung der Strukturmaßnahme nicht520 – lässt sich die einmal eingetragene Verschmelzung nicht rückgängig machen521. Um echte Heilungsvorschriften handelt es sich dagegen bei § 20 Abs. 1 Nr. 4, § 131 Abs. 1 Nr. 4, § 202 Abs. 1 Nr. 3 UmwG (Rz. 88). 7. Nichtigkeit kraft Staatsakts a) Kassatorisches Urteil (Anfechtungsurteil, Nichtigkeitsurteil) 91 Entsprechend § 241 Nr. 5 AktG ist ein Beschluss nichtig, wenn er angefochten und durch

rechtskräftiges Urteil für nichtig erklärt worden ist (dazu Rz. 171 ff.)522. Da nicht nur das sog. Anfechtungsurteil, sondern richtigerweise auch das Nichtigkeitsurteil ein Gestaltungsurteil ist (Rz. 168), gilt dasselbe, wenn analog § 249 AktG auf eine Nichtigkeitsklage die Nichtigkeit des Beschlusses rechtskräftig „festgestellt“ worden ist523, denn dieser Prozess ist entgegen der herkömmlichen Ansicht ein Gestaltungsverfahren (Rz. 45, 82), das vermeintliche Feststellungsurteil also ein Gestaltungsurteil (vgl. zu seinen Wirkungen Rz. 171 ff.). Darauf, ob der Beschluss (wie in einem „Nichtigkeitsurteil“, nicht dagegen in einem „Anfechtungsurteil“ impliziert) schon vor dem Urteil nichtig war, kommt es nach Rechtskraft des kassatorischen Urteils nicht mehr an (Stichwort: „Doppelwirkungen im Recht“)524: Der Beschluss mag vor der Rechtskraft des Urteils nichtig gewesen sein oder nicht – mit dem rechtskräftigen kassatorischen Urteil ist er es in jedem Falle (Literaturangaben bei Rz. 45). Das ist nicht praxisferne Theorie, sondern theoretisch saubere Erfassung und Deutung der praktischen Urteilswirkungen. Nicht diese Urteilswirkungen, sondern nur die gängigen Tenorierungsusancen lassen „Nichtigkeitsurteile“ und „Anfechtungsurteile“ als unterschiedliche Kategorien, nämlich als Feststellungsurteile und Gestaltungsurteile erscheinen (Rz. 82). Die Einordnung auch des „Nichtigkeitsurteils“ als Gestaltungsurteil weicht nur in rechtsdogmatischer Hinsicht von der h.M. ab, deren Ergebnisse erst bei dieser Einordnung verständlich werden. Ein Feststellungsurteil nach § 256 ZPO (Rz. 49, 82) hat die geschilderte Wirkung hingegen nicht. b) Amtslöschung nach § 398 FamFG 92 Wenn ein eingetragener Beschluss bestandskräftig nach § 398 FamFG als nichtig im Han-

delsregister gelöscht ist (Rz. 83), tritt entsprechend § 241 Nr. 6 AktG gleichfalls Nichtigkeit kraft Staatsakts ein525. Es kommt dann wie bei Rz. 91 nicht mehr darauf an, ob der Beschluss, wie das Registergericht angenommen hat, schon vor der Amtslöschung ipso iure nichtig war. War dies der Fall, so ist der Beschluss nunmehr auch aufgrund der Löschung nichtig (vgl. Rz. 91: „Doppelwirkung“); war es nicht der Fall, so ist der Beschluss jedenfalls aufgrund der

520 OLG München v. 14.4.2010 – 7 U 5167/09, GmbHR 2010, 531, 532 = EWiR 2010, 687 m. Anm. Blasche; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl, § 131 UmwG Rz. 99; Heidinger in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 20 UmwG Rz. 64. 521 OLG München v. 14.4.2010 – 7 U 5167/09, GmbHR 2010, 531, 532 = EWiR 2010, 687 m. Anm. Blasche; BayObLG v. 15.10.1999 – 3 Z BR 295/99, AG 2000, 130, 131; Heidinger in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 20 UmwG Rz. 64. 522 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 99; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 19; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 56; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 53; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 156; anders vereinzelt Fehrenbach, S. 348 ff. mit Nachweisen zur h.M. 523 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 99. 524 Karsten Schmidt, JZ 1988, 732 f. 525 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 57; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 54.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | vor Rz. 93 § 45

Löschung nichtig. Auch die Löschungsverfügung ist also ein gestaltender Staatsakt526. Die Gestaltungswirkung tritt ein, wenn die Löschungsverfügung unanfechtbar geworden ist527.

IV. Anfechtbare Beschlüsse Schrifttum Altmeppen, Beschlussfeststellung, Stimmrecht und Klageobliegenheit in der GmbH, GmbHR 2018, 225; Altmeppen, Nochmals: Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH aus wichtigem Grund, ZIP 2017, 1185; Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung, 1949, S. 175; Baumann/Reiß, Satzungsergänzende Vereinbarungen – Nebenverträge im Gesellschaftsrecht, ZGR 1989, 212; Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981; Bayer, Zum Stimmverbot des Betroffenen bei Beschlussfassungen „aus wichtigem Grund“, GmbHR 2017, 665; Bayer/Lieder, Das aktienrechtliche Freigabeverfahren für die GmbH, NZG 2011, 1170; Bitter, Rechtsperson und Kapitalerhaltung ZHR 168 (2004), 302; Blath, Das Mehrheitsprinzip im GmbH-Recht – Grundlegendes und Gestaltungsfragen, RNotZ 2017, 218; Bochmann, Aktuelle Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten bei der Nachfolgeplanung in Familienunternehmen, NotBZ 2019, 361; Bokelmann, Eintragung eines Beschlusses – Prüfungskompetenz des Registerrichters bei Nichtanfechtung, rechtsmissbräuchlicher Anfechtungsklage und bei Verschmelzung, DB 1994, 1344; Butzke, Die Heilungswirkung des Bestätigungsbeschlusses und ihre Grenzen, in FS Stilz, 2014, S. 83; Däubler, Fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH im Lichte des neuen Aktienrechts, GmbHR 1968, 4; Drescher, Fehlen und Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für eine Beschlussmängelklage, in FS Stilz, 2014, S. 125; Dürr, Nebenabreden und die Willensbildung in der GmbH, BB 1995, 1365; Dürr, Nebenabreden im Gesellschaftsrecht, 1994; Ehricke, Schuldvertragliche Nebenabsprachen zu GmbH-Gesellschaftsverträgen, 2004; Fehrenbach, Der fehlerhafte Gesellschaftsbeschluss in der GmbH, 2011; Feine, Die GmbH, in Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. III, 3, 1929, S. 542 ff.; Fleischer, Unternehmensspenden und Leitungsermessen des Vorstands im Aktienrecht, AG 2001, 171; Fleischer, Anforderungen an Anfechtungskläger im Aktienrecht: Widerspruchserfordernis – Verbot widersprüchlichen Verhaltens – Rügeobliegenheit, in FS Stilz, 2014, S. 143; Fleischer, Das Beschlussmängelrecht in der GmbH, GmbHR 2013, 1289; Fleischer, Das Rätsel Familienverfassung: Realbefund – Regelungsnatur – Rechtswirkungen, ZIP 2016, 1509; Fleischer/Harzmeier, Zur Abdingbarkeit der Treuepflichten bei Personengesellschaft und GmbH, NZG 2015, 1289; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958; Geißler, Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Registersperre bei eintragungspflichtigen Gesellschafterbeschlüssen, GmbHR 2008, 128; Geßler, Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, 1981; Grobecker/Kuhlmann, Der Bestätigungsbeschluss nach § 244 AktG in der Praxis, NZG 2007, 1; Habersack, Grenzen der Mehrheitsherrschaft in Stimmrechtskonsortien, ZHR 164 (2000), 1; Hahn, Die Parteispende der Aktiengesellschaft, AG 2018, 472; Hamburger Kreis Recht der Familienunternehmen, Standpunkte, DB 22/2018, M26; Happ, Stimmbindungsverträge und Beschlussanfechtung, ZGR 1984, 177; Harbarth, Freigabeverfahren für strukturändernde Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH, GmbHR 2005, 966; Harrer, Treuwidrige Stimmabgabe im Recht der GmbH, in FS Roth, 2011, S. 211; Henze, Treupflichten der Gesellschafter im Kapitalgesellschaftsrecht, ZHR 162 (1998), 186; Hoffmann-Becking, Der Einfluss schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen auf die Rechtsbeziehungen in der Kapitalgesellschaft, ZGR 1994, 442; Alfred Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, 1924; Alfred Hueck, Fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH, in FS Molitor, 1962, S. 406; Tobias Hueck, Die Familienverfassung, 2017; Hüffer, Die Bestätigung fehlerhafter Beschlüsse der Hauptversammlung, ZGR 2012, 730; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Joussen, Gesellschafterabsprachen, 1995; Kalss/ Probst, Familienunternehmen, 2013; Kiethe, Der Bestätigungsbeschluss nach § 244 AktG – Allheilmittel oder notwendiges Korrektiv?, NZG 1999, 1086; Kind, Darf der Vorstand einer AG Spenden an politische Parteien vergeben?, NZG 2000, 567; Kirchdörfer/Breyer, Delisting ohne Abfindungsangebot und Hauptversammlungsbeschluss, FuS 2014, 13; Kleindiek, Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen, Legitimationswirkung der Gesellschafterliste und einstweiliger Rechtsschutz, GmbHR 2017, 815; Kocher, Der Bestätigungsbeschluss nach § 244 AktG, NZG 2006, 1; Kolb, Über unwirksame, nichtige, anfechtbare 526 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 60; deutlicher jetzt Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 102; differenzierend Hüffer/Koch, § 241 AktG Rz. 30; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 85; Englisch in Hölters, § 241 AktG Rz. 89. 527 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 57.

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§ 45 vor Rz. 93 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Hauptversammlungsbeschlüsse nach dem Aktiengesetz vom 30.1.1937, in FS Bumke, 1939, S. 272; Koppensteiner, Treuwidrige Stimmabgabe und positive Beschlussfeststellung, GES 2012, 488; Kuhn, Die Rechtsprechung des BGH zur GmbH, WM 1969, 1164; Lehmann, Die ergänzende Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH, 1970; Lieder/Becker, Zwangseinziehung und einstweilige Verfügung, GmbHR 2019, 505; Lieder/Wernert, Der Teilgewinnabführungsvertrag im Recht der GmbH, NZG 2020, 361; Lutter, Treupflichten und ihre Anwendungsprobleme, ZHR 162 (1998), 164; Meilicke, Zuwendungen an politische Parteien aus Mitteln wirtschaftlicher Unternehmen, NJW 1959, 409; Meurer, Keine Übertragbarkeit des aktienrechtlichen Freigabeverfahrens (§ 246a AktG) auf die GmbH, GmbHR 2013, 729; Milch, Schuldrechtliche Absprachen bei der GmbH, 2004; Mock, Anmerkung zu einer Entscheidung des BGH, Urteil vom 16.7.2019 (II ZR 175/18) – Zur Frage der schuldrechtlichen Einordnung von Verträgen einer GmbH, die eine Teilabführung ihrer Gewinne vornehmen, JZ 2019, 1162; Nietsch, Stimmlosigkeit im Recht fehlerhafter Beschlüsse, WM 2007, 917; Noack, Zur vorläufigen Wirksamkeit angefochtener Gesellschafterbeschlüsse – Handlungen während der Schwebezeit, DB 2014, 1851; Noack, Der allseitige Gesellschafterbeschluss als „schuldrechtliche Abrede“ und dessen korporationsrechtliche Folgen, NZG 2010, 1017; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994; Paefgen, „Media-Saturn“: Beschlussfreiheit, unternehmerisches Ermessen, Gesellschaftsinteresse und Treubindung, ZIP 2016, 2293; Priester, Rechtskontrolle und Registerpublizität als Schranken satzungsgleicher Gesellschaftervereinbarungen bei der GmbH?, in FS Claussen, 1997, S. 319; Prütting/Schirrmacher, Die Auslegung von familiengesellschaftsbezogenen Rechtsgeschäften, ZGR 2017, 829; Raiser, Die Einrede der Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen in der GmbH, in FS Heinsius, 1991, S. 645; Rehbinder, Treuepflichten im GmbH-Konzern, ZGR 1976, 390; Reichert, Die Treuepflicht bei der Abstimmung über Geschäftsführungsmaßnahmen in personalistisch strukturierten Gesellschaften, in FS Karsten Schmidt, Band II, 2019, S. 229; Rittner, Unternehmensspenden an politische Parteien, in FS Knur, 1972, S. 223; Röthel/Karsten Schmidt, Die Verträge der Familienunternehmer, 2013; Rossig, Gesellschafterabsprachen bei GmbH und Close Corporation, 2003; Saenger, Treugebundene Zustimmungspflichten im GmbHRecht, in FS Bergmann, 2018, S. 603; Sauerbruch, Kein Freigabeverfahren für strukturändernde Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH, GmbHR 2007, 189; Karsten Schmidt, Unternehmen als Stifter und Spender – Überlegungen aus der Perspektive des Gesellschaftsrechts, in Non Profit Law Yearbook I, 2001, S. 116; Karsten Schmidt, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen (I), AG 1977, 205; Karsten Schmidt, Zum Streitgegenstand von Anfechtungsklagen und Nichtigkeitsklagen im Gesellschaftsrecht, JZ 1977, 775; Karsten Schmidt, Zur Überwindung der Bestandskraft eines anfechtbaren Gesellschafterbeschlusses über die Einziehung eines Geschäftsanteils, JZ 1987, 1083; Timm, Zur Bedeutung des gesellschaftsrechtlichen Abspaltungsverbots für den Nießbrauch am OHG (KG)-Anteil, in FS Fleck, 1988, S. 368; Uffmann, Family Business Governance – Rule-Making in the Shadow of Law and Love, ZIP 2015, 2441; Ulmer, „Satzungsgleiche“ Gesellschaftervereinbarungen bei der GmbH? – Zum Für und Wider der Trennung zwischen Satzung und schuldrechtlichen Gesellschafterabreden, in FS Röhricht, 2005, S. 633; Ulmer, Verletzung schuldrechtlicher Nebenabreden als Anfechtungsgrund im GmbH-Recht?, NJW 1987, 1849; v. Falkenhausen, Verfassungsgerichtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft, 1967; Vomhof, Keine Anfechtung eines Beschlusses der Gesellschafter der GmbH, der gegen vereinbarte Stimmbindung verstößt, GmbHR 1984, 181; W. Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986, S. 114; Wachter, Neues zu Teil-Gewinnabführungsverträgen mit GmbH’s, GmbHR 2019, 1153; Werner, Präsenz anwaltlicher Berater in der Gesellschafterversammlung der GmbH, GmbHR 2006, 871; Wertenbruch, Audiovisuelle Zuschaltung verhinderter Gesellschafter in der GmbH-Gesellschafterversammlung, GmbHR 2019, 149; Westermann, Das Verhältnis von Satzung und Nebenordnungen in der Kapitalgesellschaft, 1994; Wicke, Schuldrechtliche Nebenvereinbarungen bei der GmbH – Motive, rechtliche Behandlung, Verhältnis zum Gesellschaftsvertrag, DStR 2006, 1137; Wicke, Nachhaltigkeit als Unternehmenszweck, DNotZ 2020, 448; Wicke, Zur Zustimmungspflicht zu Erhaltungsmaßnahmen und Verlustvermeidung, NJW 2016, 2741; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988; Winter, Organisationsrechtliche Sanktionen bei Verletzung schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen?, ZHR 154 (1990), 259; Winter, Verdeckte Gewinnausschüttungen im GmbH-Recht, ZHR 148 (1984), 579; Wolany, Rechte und Pflichten des Gesellschafters einer GmbH, 1964; Ziemons, Die Gesellschafterhaftung für Einflussnahmen in der GmbH, 1996; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963; Zöllner/Noack, Geltendmachung von Beschlussmängeln im GmbH-Recht, ZGR 1989, 525.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 96 § 45

1. Grundlagen Anfechtungsgründe sind diejenigen Mängel des Beschlusses, die nur auf dem Wege der An- 93 fechtungsklage zur Nichtigkeit des Beschlusses führen können (vgl. Rz. 39). Ein Anfechtungsgrund macht den Beschluss rechtswidrig, aber nicht ohne Weiteres nichtig. Voraussetzung ist Gesetz- oder Satzungswidrigkeit528, die einerseits nicht zur Nichtigkeit führt und sich auf der anderen Seite nicht im Verstoß gegen bloße Soll- und Ordnungsvorschriften erschöpft. Gesetzesverletzung ist nicht nur Verletzung des GmbHG, sondern jeder Verstoß gegen eine zwingende, sich nicht in einer Sollvorschrift erschöpfende Rechtsnorm529. Satzungsverletzung ist ein Verstoß gegen echte (korporative) Satzungsbestandteile (dazu 12. Aufl., § 3 Rz. 2), nach h.M. im Einzelfall auch ein Verstoß gegen korporativ wirkende allseitige Abreden der Gesellschafter (vgl. Rz. 116). Zu unterscheiden sind auch hier Verfahrensverstöße und Inhaltsmängel530. Im Gegensatz zu den Nichtigkeitsgründen stellen die Anfechtungsgründe keinen numerus clausus dar531. Die folgende Aufzählung ist dementsprechend beispielhaft. 2. Anfechtbarkeit wegen Verfahrensverstoßes a) Fehlervarianten Ein Verfahrensfehler berechtigt dann zur Anfechtung, wenn er für das Ergebnis der Beschluss- 94 fassung relevant ist (vgl. zu diesem Merkmal der Relevanz Rz. 100). Folgende Hauptgruppen kommen in Betracht: aa) Fehler bei der Vorbereitung der Beschlussfassung können nur ausnahmsweise zur Nich- 95 tigkeit führen (vgl. Rz. 64), regelmäßig dagegen zur Anfechtbarkeit von Beschlüssen. Das gilt insbesondere für Ladungsmängel (12. Aufl., § 51 Rz. 27), für Ankündigungsmängel (12. Aufl., § 51 Rz. 28), für schriftliche Abstimmung ohne Zustimmung aller Gesellschafter (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 60) bzw. ohne hinreichende Information (vgl. Rz. 65, 12. Aufl., § 48 Rz. 64). Auch eine illoyale Doppeleinberufung (überholende Einberufung) kann die Beschlussfassung rechtswidrig und die missbräuchlich gefassten Beschlüsse anfechtbar machen (vgl. 12. Aufl., § 49 Rz. 14, 12. Aufl., § 50 Rz. 29). bb) Fehler bei der Versammlungsleitung und beim Abstimmungsverfahren können die in 96 der Versammlung gefassten Beschlüsse rechtswidrig und damit anfechtbar machen. In Betracht kommen beispielsweise folgende Mängel: Beschlussfassung trotz Beschlussunfähigkeit (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 43); Abweichung von der Tagesordnung (vgl. näher 12. Aufl., § 48 Rz. 47); Absetzung eines Tagesordnungspunkts ohne Anhörung der Gesellschafter (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 36). Die Nichtzulassung von Geschäftsführern, Aufsichtsratsmitgliedern oder Abschlussprüfern bei der Versammlung (12. Aufl., § 48 Rz. 20 ff.) berechtigt zur Anfechtung nur, wenn sie für die Willensbildung der Gesellschafter relevant sein kann (Rz. 102). Die Behinderung des Teilnahmerechts von Gesellschaftern wird bei Rz. 97 und 103 behandelt. Bei allen Fehlern 528 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 38, 43; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 35; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 81, 83; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 87; Bochmann/Cziupka in GmbH-Handbuch, Rz. I 1721; zur Ausrichtung an § 243 Abs. 1 AktG vgl. BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 340 Rz. 60 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 72 m. Anm. Werner; Fehrenbach, S. 246 ff. 529 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 84 f.; Bochmann/Cziupka in GmbH-Handbuch, Rz. I 1721; differenzierend Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 100. 530 OLG Jena v. 15.6.2018 – 2 U 16/18, GmbHR 2018, 1063, 1065; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 153; Bochmann/Cziupka in GmbH-Handbuch, Rz. I 1721. 531 Zustimmend Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 261; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 24.

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§ 45 Rz. 96 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse in der Versammlungsführung ist allerdings genau darauf zu achten, ob der Verstoß für die Beschlussfassung relevant ist (Rz. 100 ff.). Daran fehlt es regelmäßig bei solchen Verfahrensfehlern, die die Willensbildung nicht berühren; so etwa, wenn die Bestimmung des Versammlungsleiters fehlerhaft war (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 33) oder wenn Dritte unberechtigterweise zur Teilnahme zugelassen wurden (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 25 f.) oder wenn unerlaubte Audiomitschnitte vorgenommen wurden (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 41). 97 cc) Die Verletzung von Informations- und Teilnahmerechten kann den Beschluss anfecht-

bar machen. Hierher gehören insbesondere folgende Verfahrensmängel: Unberechtigte Informationsverweigerung (12. Aufl., § 51a Rz. 47); mangelhafte Information im Zuge einer schriftlichen Abstimmung (12. Aufl., § 48 Rz. 64); alle Behinderungen des Rechts zur Teilnahme an der Versammlung und Abstimmung (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 29). Beispiele hierfür sind etwa: Mängel der Einberufung und Ladung (vgl. soeben Rz. 95), Abweichungen von der Tagesordnung, unberechtigte Ordnungsmaßnahmen wie Wortentziehung oder Saalverweisung (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 37). Auch durch Manipulation des Abstimmungsverfahrens kann das Teilnahmerecht behindert werden; dann liegt ein Anfechtungsgrund vor (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 48). Ein Anfechtungsgrund ist auch die Überrumpelung bei einer Vollversammlung (vgl. 12. Aufl., § 51 Rz. 31). Auf diese Verfahrensfehler bezieht sich im Schwerpunkt die Diskussion um das „Kausalitäts-“ bzw. „Relevanz“-Erfordernis bei der Anfechtung (Rz. 100 ff.). 98 dd) Fehler bei der Beschlussfeststellung begründen die Anfechtbarkeit, wenn eine hinrei-

chende Beschlussergebnisfixierung existiert (dazu Rz. 49a ff., 12. Aufl., § 48 Rz. 53; im Falle eines bloßen Scheinbeschlusses gilt Rz. 50)532. Zu derartigen anfechtungsbegründenden Fehlern gehört die Annahme eines falschen Mehrheitserfordernisses, die Nichtzählung wirksamer533 ebenso wie die Mitzählung unwirksamer Stimmen (12. Aufl., § 48 Rz. 50), also z.B.: die Nichtberücksichtigung von Stimmen, die nur vermeintlich nach § 47 Abs. 4 vom Stimmrecht ausgeschlossen sind (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 175), oder die fälschliche Nichtberücksichtigung der Stimmabgabe eines Bevollmächtigten (vgl. im Einzelnen 12. Aufl., § 47 Rz. 92 ff.); die Mitzählung von Stimmen, obwohl der Betreffende kein Stimmrecht hatte (dazu 12. Aufl., § 47 Rz. 11, 23 ff.) oder es nach § 47 Abs. 4 bzw. nach § 181 BGB nicht wirksam ausüben konnte534 (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 175); ebenso die Mitberücksichtigung einer Stimmabgabe, die nichtig, angefochten oder mangels Vollmacht unwirksam war; auch die Treuwidrigkeit einer Stimmabgabe macht diese nichtig535 (12. Aufl., § 14 Rz. 121, 12. Aufl., § 47 Rz. 32, 12. Aufl., § 48 Rz. 50). Die Nichtigkeit oder die Anfechtung einzelner Stimmabgaben (Rz. 22) macht, auch wenn sie die Mehrheit der abgegebenen Stimmen verändert, den Beschluss nicht nichtig536. Sie hat aber zur Folge, dass die betreffenden Stimmen nicht mitgezählt werden

532 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66 = GmbHR 1988, 304 = NJW 1988, 1844; BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21, 23 = GmbHR 1989, 329; BGH v. 24.4.2006 – II ZR 30/ 05, BGHZ 167, 204 = AG 2006, 501 (AG); BGH v. 12.10.1992 – II ZR 286/91, GmbHR 1992, 801; OLG Celle v. 27.3.1997 – 9 U 154/96, GmbHR 1999, 35; OLG München v. 14.6.2012 – 31 Wx 192/12, GmbHR 2012, 905 m. Anm. Gerber = ZIP 2012, 2150; vgl. zum österreichischen Recht OGH,SZ Bd. 58 (1985) Nr. 88, S. 415 ff.; OGH v. 18.12.1992 – 6 Ob 588/92, AG 1993, 235; OGH, GesRZ 1993, 103; s. auch OLG Stuttgart v. 24.7.1990 – 12 U 234/89, GmbHR 1992, 48. 533 Vgl. BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 339 f. Rz. 47 ff. m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt. 534 Vgl. OLG Köln v. 14.5.2018 – 18 U36/17, GmbHR 2018, 921, 922. 535 Vgl. OLG Hamm v. 9.9.2019 – 8 U 7/17, GmbHR 2020, 204, 208 f. m. Anm. Mayer = EWiR 2020, 425 m. Anm. Schodder. 536 Vgl. RGZ 115, 383 (für die AG); BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 267 f.; OLG München v. 27.10.1982 – 7 U 4099/81, WM 1984, 260; OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/ 13, GmbHR 2015, 84, 88; Altmeppen, § 47 Rz. 49; Wiegand-Schneider in MünchHdb. GesR VII, § 39 Rz. 111; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 160; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 44; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 37.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 99 § 45

dürfen537. Wurde das angenommene Beschlussergebnis von der beschlusstragenden rechnerischen Mehrheit hinreichend eindeutig fixiert (Rz. 49d), ist der Beschluss als so gefasst anzusehen; im Falle der Beschlussfeststellung durch einen Versammlungsleiter (dazu Rz. 49c und 49e) ist der Beschluss so gefasst, wie er vom Versammlungsleiter verkündet und gegebenenfalls protokolliert worden ist (vgl. auch 12. Aufl., § 48 Rz. 53). Der Beschluss kann dann nur durch Aufhebung – im Streitfall also durch Anfechtungsklage – aus der Welt geschafft werden538. Ist – nach Auffassung des Klägers zu Unrecht – ein negativer, den Beschlussantrag also ablehnender Beschluss verkündet worden, so kann mit der Anfechtungsklage eine positive Beschlussfeststellungsklage verbunden werden (dazu Rz. 178 ff.). Besteht Streit über die Mitzählung von Stimmen, so kann allerdings auch ein bestätigender Beschluss (Rz. 32) das Problem aus der Welt schaffen539. ee) Verletzung von Ordnungsvorschriften. Keine Anfechtbarkeit begründen Verfahrensfeh- 99 ler, die nur einen Verstoß gegen eine Ordnungsvorschrift darstellen540. So wird es meistens bei dem Verstoß gegen statutarische Protokollierungsvorschriften sein (Rz. 21a, 12. Aufl., § 48 Rz. 51). Anderes wird regelmäßig für statutarische Einberufungsfristen gelten (vgl. 12. Aufl., § 51 Rz. 26). Ordnungsvorschriften sind nicht unbedingt bloße Sollvorschriften, und Sollvorschriften sind nicht stets bloße Ordnungsvorschriften. Die Verwendung des Wortes „soll“ in einer gesetzlichen oder satzungsmäßigen Bestimmung spricht nicht zwingend dafür, dass nur eine Ordnungsbestimmung vorliegt541, sie ist allerdings ein Indiz542. Es kommt darauf an, ob die Ver-

537 Vgl. BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 267 f.; BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, AG 1991, 137 = GmbHR 1991, 62; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43, 47; OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84, 88; OLG Köln v. 14.5.2018 – 18 U 36/17, GmbHR 2018, 921, 922; OLG Hamm v. 9.9.2019 – 8 U 7/17, GmbHR 2020, 204, 208 m. Anm. Mayer = EWiR 2020, 425 m. Anm. Schodder; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 18 f.; Altmeppen, § 47 Rz. 49; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 37; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 18. 538 Vgl. BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 69 = AG 1988, 233 = GmbHR 1988, 304; BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427 m. Anm. Werner; BayObLG v. 19.9.1991 – BReg.3 Z 97/91, GmbHR 1992, 306 = BB 1991, 2103; BayObLG v. 1.7.1993 – 3Z BR 96/93, GmbHR 1993, 741 = ZIP 1993, 1162; OLG München v. 16.4.1999 – 23 U 5491/98, NZG 1999, 1173; OLG Dresden v. 5.2.2001 – 2 U 2422/00, NZG 2001, 809; OLG Köln v. 16.5.2002 – 18 U 31/02, GmbHR 2002, 913; OLG München v. 28.7.2011 – 23 U 750/11, GmbHR 2011, 1040; OGH, SZ Bd. 58 (1985) Nr. 88, S. 415 ff.; OGH v. 18.12.1992 – 6 Ob 588/92, AG 1993, 235; OGH,GesRZ 1993, 103; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 18, 90; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 38; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 51 f.; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 104; speziell für die Anfechtung einer Stimmabgabe BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, AG 1991, 137 = GmbHR 1991, 62; OLG München v. 27.10.1982 – 7 U 4099/81, WM 1984, 260; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 19; eingehend Nietsch, WM 2007, 917 ff. 539 Vgl. BGH v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, ZIP 2006, 227, 228 f. = EWiR 2006, 161 m. Anm. Bork (für die AG); OLG Stuttgart v. 6.5.2004 – 20 U 16/03, AG 2004, 457; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 148. 540 OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, GmbHR 2017, 295, 297 m. Anm. Haase; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 206; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 85; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 100; A. Hueck in FS Molitor, 1962, S. 413; Däubler, GmbHR 1968, 4, 7. 541 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 85; Däubler, GmbHR 1968, 7. 542 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 207; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 100; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 85; Däubler, GmbHR 1968, 7.

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§ 45 Rz. 99 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse fahrensregel die Gesellschafter in dem Sinne schützt, dass nach ihrem Sinn und Zweck die Rechtmäßigkeit des Beschlusses durch ihre Verletzung berührt sein soll oder nicht. Die Zulassung Dritter zu einer Versammlung kann, soweit sie rechtswidrig ist (dazu 12. Aufl., § 48 Rz. 25), von Fall zu Fall die Anfechtbarkeit von Beschlüssen, jedoch niemals die Nichtigkeit, begründen543; regelmäßig wird es selbst für die Anfechtung an der Beschlussrelevanz fehlen (Rz. 102)544. b) Relevanzerfordernis 100 Im Gegensatz zu Inhaltsmängeln des Beschlusses machen Verfahrensmängel einen Beschluss

nicht in jedem Fall rechtswidrig. Zur Abgrenzung sollte es früher auf Kausalität ankommen545: Danach führte ein Verfahrensmangel zur Anfechtbarkeit nur dann, wenn der Beschluss auf dem Verfahrensmangel beruhte. Allerdings müsse die Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers nicht positiv festgestellt werden546. Ausreichend sei die Möglichkeit, dass der Beschluss auf dem gerügten Mangel beruht (sog. potenzielle Kausalität)547. Der Anfechtungskläger brauchte die Kausalität nach diesem Stand nicht darzulegen und zu beweisen. Aber ihm konnte der Einwand fehlender Kausalität entgegengehalten werden548. Doch war das korrigierende Merkmal der vermuteten Kausalität teils zu eng, teils zu weit. Auch hatte die Rechtsprechung bereits früh wertende Betrachtungen in die vorgebliche Kausalitätsfeststellung einbezogen. Schon RGZ 110, 194, 198 hatte treffend von der „Erheblichkeit“ des Verstoßes gesprochen. Im Anschluss an Zöllner549 verdiente deshalb das wertende Merkmal der Relevanz den Vorzug550. Seit dem die Aktiengesellschaft betreffenden Urteil des BGH v. 12.11.2001 (Sachsen543 BGH v. 29.1.1993 – V ZB 24/92, NJW 1993, 1329, 1331 (für WEG); OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 72 m. Anm. Werner; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 103; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 48 Rz. 15; Werner, GmbHR 2006, 872, 874; weitergehend (auch Anfechtbarkeit verneinend) Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 48 Rz. 9. 544 Vgl. OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 72 f. m. Anm. Werner; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 59. 545 Z.B. RGZ 110, 194, 198 (aber widersprüchlich); RG, JW 1931, 2961 f.; BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 267 f.; BGH v. 23.11.1961 – II ZR 4/60, BGHZ 36, 139; BGH v. 9.11.1972 – II ZR 63/71, BGHZ 59, 369 ff. (zum Vereinsrecht); BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 307; BGH v. 15.6.1992 – II ZR 18/91, BGHZ 119, 1, 19 (zum Aktienrecht); BGH v. 8.5.1972 – II ZR 96/70, BB 1972, 771, 772; BGH v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, BB 1987, 1551, 1553 (insoweit nicht in BGHZ 100, 26) = GmbHR 1987, 4244; OLG Hamburg v. 19.9.1980 – 11 U 42/ 80, AG 1981, 193 = DB 1981, 80, 82; OLG München v. 14.6.1991 – 23 U 4638/90, AG 1991, 358 = ZIP 1992, 327 (zum Aktienrecht); LG Frankfurt v. 22.2.1984 – 3/9 O 123/83, AG 1984, 193, 194; Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 85; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 212; Fehrenbach, S. 257 ff. 546 RGZ 110, 194, 198; dazu auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 125; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 265. 547 RGZ 90, 208; RGZ 110, 194, 198: Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 125; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 265; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 101. 548 RGZ 90, 208; RGZ 103, 6; RGZ 106, 263; RGZ 110, 194, 197; BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 267; BGH v. 23.11.1961 – II ZR 4/60, BGHZ 36, 139; BGH v. 8.5.1972 – II ZR 96/ 70, BB 1972, 771, 772 = GmbHR 1972, 177. 549 Zöllner in KölnKomm. AktG, 1. Aufl., § 243 AktG Rz. 81–104; für die GmbH Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 125 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 101; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 59. 550 Vgl. schon Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 81; jetzt h.M.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 50 f.; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 267; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 59; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 29; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe,

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 102 § 45

milch II)551 hat sich dieser Ansatz (Relevanzlehre) auch in der Rechtsprechung durchgesetzt552. Mit § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG hat sich der Gesetzgeber die Relevanzformel im Hinblick auf Informationsmängel in der Hauptversammlung zu eigen gemacht (Rz. 103). Es geht darum, einen Wertungsgehalt an die Stelle der rechtsblinden Kausalitätshypothese zu setzen553. Die Ergebnisse sind folgende: aa) Eine unrichtige Beschlussfeststellung (Rz. 98, Rz. 49a ff.) liegt nur vor, wenn der gerüg- 101 te Fehler (z.B. unrichtige Auszählung oder Mitzählung unwirksamer Stimmen) für den festgestellten Beschlusstenor ursächlich ist554. Hier gibt es keine Relevanz ohne Kausalität. Nur wenn die richtige Auszählung der Stimmen und Feststellung des Ergebnisses zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, hat eine Anfechtungsklage Erfolg. Mängel der Protokollführung und des Ablaufs der Tagesordnung berechtigen hingegen grundsätzlich nicht zur Anfechtung (vgl. auch über unerlaubte Audiomitschnitte 12. Aufl., § 48 Rz. 41). bb) Fehler in der technischen Beschlussvorbereitung und Versammlungsleitung ohne un- 102 mittelbare Behinderung des Informations-, Stimm- oder Teilnahmerechts eines Gesellschafters begründen mangels Relevanz i.d.R. nicht die Anfechtbarkeit der gefassten Beschlüsse. Dies gilt etwa für die unberechtigte Übernahme der Versammlungsleitung555. Auch machen Einberufungsmängel (Ladungsmängel), die nur Förmlichkeiten betreffen, nicht jedoch die Teilnahme an der Versammlung und die Vorbereitung der Willensbildung berühren, den Beschluss mangels Relevanz i.d.R. nicht anfechtbar556. Ebenso soll es an Relevanz fehlen, wenn Aufsichtsrats- oder Beiratsmitgliedern Teilnahme gesetzes- oder satzungswidrig verwehrt wird (Rz. 96)557 oder Dritte zu Unrecht zur Teilnahme an der Versammlung zugelassen wer-

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Anh. § 47 Rz. 101; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 170 ff.; Bochmann/ Cziupka in GmbH-Handbuch, Rz. I 1724; unentschieden noch OLG Hamm v. 17.11.1997 – II ZR 77/97, GmbHR 1998, 136 = NJW 1998, 684 = NZG 1998, 152, 153. BGH v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158 = AG 2002, 241 – Sachsenmilch II. Bestätigend BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 339 f. Rz. 48, 60 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; BGH v. 10.7.2012 – II ZR 48/11, BGHZ 194, 14 = GmbHR 2012, 1178, 1181 Rz. 37 = EWiR 2012, 647 m. Anm. Hoffmann-Theinert – Fresenius (für die AG); BGH v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 = AG 2005, 87 = ZIP 2004, 2428 (AG); BGH v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942, 1946 (Verein); OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 72 m. Anm. Werner; OLG Jena v. 15.6.2018 – 2 U 16/ 18, GmbHR 2018, 1063, 1065. Wie noch in der 9. Aufl. besonders herausgestellt, war dieser Wertungsgehalt den „Kausalitäts“Formeln der früheren Rechtsprechung schon immanent; wenig weiterführend die Kritik von Fehrenbach, S. 257 ff. RG, Holdh. 6, 121; RGZ 92, 411; BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 267 = BB 1954, 668; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 339 f. Rz. 48, 60 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701, 702 Rz. 15 = ZIP 2017, 1065 = EWiR 2017, 391 m. Anm. Hippeli; OLG Frankfurt v. 6.1.1976 – 5 U 110/74, GmbHR 1976, 110, 111; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 126; Raiser/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 110; hier übereinst. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 130; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 47. BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 Rz. 60 ff. = GmbHR 2019, 335 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Frankfurt a.M. v. 26.6.2012 – 5 U 144/09, NZG 2012, 942 (für die AG); Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 104; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 46. RG, JW 1897, 12; s. auch RGZ 110, 194, 197; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 102; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 271; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 126. Vgl. Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 46; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 103.

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§ 45 Rz. 102 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse den, wobei im letztgenannten Fall anderes gelten kann, wenn die Gesellschafter durch die Präsenz des Dritten in ihrem Abstimmungsverhalten beeinflusst werden558. Die Nichtbeiziehung von Abschlussprüfern oder anderen Gesellschaftsorganen kann, sofern rechtswidrig (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 20 ff.), für das Beschlussergebnis nach Lage des Falls relevant sein. Eine nach § 49 oder nach § 50 einberufene Versammlung kann unanfechtbare Beschlüsse auch dann fassen, wenn der vermeintliche Einberufungsgrund/-anlass nicht vorhanden war559; trotz Kausalität fehlt es an Relevanz. Auch wenn ein nicht erschienener Gesellschafter die Beschlussfassung hätte verhindern können, sind diese Beschlüsse mangels Relevanz des Fehlers nicht anfechtbar. 103 cc) Anders verhält es sich immer dann, wenn die Teilhabe des Gesellschafters an der Infor-

mation und Willensbildung in Frage steht560. Es genügt hierfür ein innerer Sachzusammenhang zwischen dem Fehler und dem Beschlussgegenstand. Für das Aktienrecht besagt § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG im Hinblick auf Informationsmängel, ein Hauptversammlungsbeschluss könne nur angefochten werden, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Information als wesentliche Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner Teilnahmerechte angesehen hätte561. Die Formulierung basiert auf dem Urteil des BGH v. 12.11.2001562, das noch von einer Kausalitätsvermutung bei Informationsmängeln ausging563. Nach dem Urteil des BGH v. 18.10.2004564 kommt es nur noch darauf an, ob die vorenthaltene Information aus der Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs für die sachgerechte Beurteilung erforderlich ist. Kausalität für Stimmabgabe und Beschluss wird nicht mehr gefordert565. Der Einwand, dass der betroffene Gesellschafter nicht hätte mitstimmen dürfen566, weil seine Stimmkraft am Ergebnis nichts geändert hätte und er auch die Mitgesellschafter nicht hätte umstimmen können567, ändert also nichts an der Relevanz eines hierauf bezogenen Verfahrensfehlers. Jede andere Auffassung würde den Minderheitsgesellschafter rechtlos stellen und sein Anfechtungsrecht bei Verfahrensverstößen entwerten. Ohne konkrete Kausalitätsprüfung berechtigen deshalb etwa folgende Verfahrensfehler zur Anfechtung (sofern nicht derart gravierend, dass eine zur Nichtigkeit führende Nichtla-

558 Vgl. OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 72 f. m. Anm. Werner; OLG Brandenburg v. 29.7.1998 – 7 U 29/98, GmbHR 1998, 1037, 1039; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 59; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 114; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 282; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 59. 559 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 272. 560 Vgl. z.B. OLG Hamm v. 3.11.1997 – 8 U 197/96, GmbHR 1998, 138, 139; LG Kassel v. 25.8.2016 – 11 O 4232/15, juris-Rz. 84; ausführlich Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 83; zust. z.B. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 102 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 28, 30; Karsten Schmidt führte hierfür in der 6. Aufl., wohl eher missverständlich, den aus dem Revisionsrecht entlehnten Begriff der „absoluten Anfechtungsgründe“ ein. 561 Vgl. zur sinngemäßen Anwendung auf das Recht der GmbH Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 106; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 168; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 53. 562 BGH v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, BGHZ 149, 158 = AG 2002, 241. 563 Vgl. auch BGH v. 8.5.1972 – II ZR 96/70, BB 1972, 771, 772 = NJW 1972, 1320, 1321; BGH v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, GmbHR 1987, 424 = BB 1987, 1551, 1553 = WM 1987, 1011, 1012 (insoweit nicht in BGHZ 100, 264). 564 BGH v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 = AG 2005, 87. 565 So auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 52; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 168; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 30. 566 Vgl. nur OLG Dresden v. 17.7.1996 – 12 U 202/96, GmbHR 1997, 946, 949 f. 567 Vgl. für die AG BGH v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 239 f. = AG 1993, 422 = GmbHR 1993, 446 = NJW 1993, 1976, 1983.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 103 § 45

dung mit faktischer Unmöglichkeit anzunehmen ist568): Einberufung zur Unzeit569, Einberufung unter Nichteinhaltung der in § 51 oder im Gesellschaftsvertrag geregelten Ladungsfrist570, Ankündigungsmängel bei der Ladung von Gesellschaftern571, rechtswidrige Ausschließung von der Versammlung572, Nichtzulassung von teilnahmeberechtigten Vertretern eines Gesellschafters573 (12. Aufl., § 48 Rz. 29), rechtswidrige Versagung der Zuziehung eines Beraters oder Beistands574 (zu den Voraussetzungen 12. Aufl., § 48 Rz. 29), rechtswidrige Informationsverweigerung575, rechtswidrige Redezeitbeschränkung (vgl. auch 12. Aufl., § 48 Rz. 37 f.)576,

568 Vgl. BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 588 f. Rz. 21 m. Anm. Wagner; BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, GmbHR 2006, 538, 539 Rz. 13 m. Anm. Stuppi; OLG München v. 9.1.2019 – 7 U 1509/18, GmbHR 2019, 298, 300 f.; OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 71 m. Anm. Werner; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 9 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 46; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 268 ff. 569 Vgl. LG Darmstadt v. 25.11.1980 – 15 O 446/80, BB 1981, 72 f.; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 37; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 269; Nichtigkeit etwa bei Ladung per EMail, wenn Gesellschafterversammlung damit für den nächsten Vormittag angekündigt wird: BGH v. 13.2.2006 – II ZR 200/04, GmbHR 2006, 538, 539 f. Rz. 9 ff.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 9. 570 Vgl. BGH v. 30.3.1987 – II ZR 180/86, GmbHR 1987, 424 = BB 1987, 1551, 1553 = WM 1987, 1011, 1012 (insoweit nicht in BGHZ 100, 264); BGH v. 17.11.1997 – II ZR 77/97, GmbHR 1998, 136 = AG 1998, 190 = NJW 1998, 684 = ZIP 1998, 22; OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 70 f. m. Anm. Werner; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 269. 571 Vgl. BGH v. 25.11.2002 – II ZR 49/01, BGHZ 153, 32, 36 = GmbHR 2003, 408 m. Anm. Hellberg = AG 2003, 319, 319 f. = ZIP 2003, 290, 291 f.; BGH v. 8.5.1972 – II ZR 96/70, BB 1972, 771, 772 = NJW 1972, 1320, 1321; BGH v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942, 1946 (Verein); zu Fällen, in denen Falschangabe von Versammlungsort oder -zeit zu Nichtigkeit führen: BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 588 f. Rz. 21 m. Anm. Wagner; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 51 Rz. 50; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 51 Rz. 28; zur Nichtigkeit wegen eines Verstoßes gegen § 51 Abs. 2 OLG München v. 9.1.2019 – 7 U 1509/18, GmbHR 2019, 298, 300 f. 572 Zutr. OLG Dresden v. 17.7.1996 – 12 U 202/96, GmbHR 1997, 946, 949; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 30; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 113, 126; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 243 AktG Rz. 26; a.M. noch Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 85 f., 89. 573 OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 113, § 48 Rz. 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 48 Rz. 9; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 52; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 23; zum abgeleiteten Teilnahmerecht des Stellvertreters auch OLG Dresden v. 25.8.2016 – 8 U 347/16, GmbHR 2016, 1149, 1151; a.M. (Nichtigkeit) Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 42; Wertenbruch, GmbHR 2019, 149, 155. 574 BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770, 771 Rz. 16 f. m. Anm. Podewils; OLG Dresden v. 25.8.2016 – 8 U 347/16, GmbHR 2016, 1149, 1153; Römermann in Michalski u.a., § 48 Rz. 125; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 48 GmbHG Rz. 12; vgl. auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 58. 575 Vgl. OLG Nürnberg v. 21.4.2010 – 12 U 2235/09, BeckRS 2010, 12479; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 52; Altmeppen, § 51a Rz. 52; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 51a Rz. 74; Wicke, § 51 Rz. 10; Römermann in Michalski u.a., § 51a Rz. 226 ff.; für diesen Fall auch Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 212 f.; s. auch zur AG BGH v. 29.11.1982 – II ZR 88/81, BGHZ 86, 1; BGH v. 18.10.2004 – II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 = AG 2005, 87 = ZIP 2004, 2428; BGH v. 9.2.1987 – II ZR 119/86, AG 1987, 344, 347 = WM 1987, 1065, 1068 f.; BGH v. 12.11.2001 – II ZR 225/99, AG 2002, 241 = ZIP 2002, 172 – Sachsenmilch II; ausführlich Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 243 AktG Rz. 38 ff.; im Falle der Informationsrüge als Anfechtungsgrund bedarf es einer besonders kritischen Prüfung, ob der Verstoß für den Beschluss relevant geworden ist, da anderenfalls rechtsmissbräuchlichen Anfechtungsklagen Vorschub geleistet werden könnte, vgl. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 275. 576 RGZ 36, 24 ff.; OLG Hamm v. 3.11.1997 – 8 U 197/96, GmbHR 1998, 138; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 30.

Karsten Schmidt/Bochmann | 759

§ 45 Rz. 103 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Überrumpelung und übereilte Beschlussfassung577. In diesen Fällen ist echte Kausalität des Mangels für den konkreten Beschlussinhalt nicht erforderlich578, jedoch Relevanz für das Beschlussverfahren (vgl. auch 12. Aufl., § 51a Rz. 47). 3. Anfechtbarkeit wegen Inhaltsverstoßes a) Gesetzwidrigkeit 104 Im Einklang mit § 243 Abs. 1 AktG sind Beschlüsse anfechtbar, wenn sie inhaltlich gegen das

Gesetz oder die Satzung verstoßen. Als Inhaltsmängel, die den Beschluss wegen Gesetzwidrigkeit anfechtbar machen, kommen alle Verstöße gegen zwingendes objektives Recht in Betracht, die nicht schon zur Nichtigkeit (Rz. 74) oder Unwirksamkeit (Rz. 56) führen. Gesetz in diesem Sinne ist jede materielle Rechtsnorm (Art. 2 EGBGB), also nicht nur eine positive Gesetzesnorm579, jedoch nur eine Rechtsnorm mit zwingendem Ge- oder Verbotscharakter (rechtsähnlich also dem § 134 BGB)580. Bloße Ordnungsvorschriften reichen nicht aus581. Auch gesetzliche Generalklauseln kommen in Betracht.582 Ein Verstoß gegen die guten Sitten scheidet dagegen aus583. Sittenwidrige Beschlüsse sind nichtig (Rz. 76). Fehlt es an der Sittenwidrigkeit des Inhalts, ist evtl. nur das Motiv der Gesellschaftermehrheit oder das Verfahren sittenwidrig, so kommt eine Anfechtbarkeit wegen Behinderung von Teilhaberechten (Verfahrensfehler nach Rz. 103) oder wegen Treupflichtverletzung (Inhaltsmangel nach Rz. 107) in Betracht584. Das Streben nach Sondervorteilen (§ 243 Abs. 2 AktG)585 sollte im GmbH-Recht nicht als Spezialtatbestand verstanden werden (Rz. 109). Der Tatbestand geht in dem Verbot treuwidriger Beschlussfassung auf (Rz. 107)586. Nicht immer einfach ist die Ab577 OLG Hamm v. 3.11.1997 – 8 U 197/96, GmbHR 1998, 138, 140; zur Nichtigkeit wegen eines Verstoßes gegen § 51 Abs. 2 und dem darin innewohnenden Überrumpelungscharakter OLG München v. 9.1.2019 – 7 U 1509/18, GmbHR 2019, 298, 300 f. 578 Im Ergebnis ähnlich Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 51 f. 579 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 43; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 111; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 243 AktG Rz. 16; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 299; allg. M.; missverständlich Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 173 („hoheitliche Rechtsnorm“). 580 Ähnlich Fehrenbach, S. 249: Normen der Verbandsverfassung oder Verbotsgesetze. 581 Vgl. OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, GmbHR 2017, 295, 296 f. m. Anm. Haase; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 85 (wo aber als Beispiel § 118 Abs. 3 Satz 1 AktG als eine formelle, nicht inhaltsbezogene Regel genannt wird); Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 111; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 300; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 32. 582 OLG Düsseldorf v. 12.7.2012 – 6 U 220/11, juris-Rz. 26; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 43; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 37; Wicke, Anh. § 47 Rz. 13; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 111; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 85; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 31. 583 A.M. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 86; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 112; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 88; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 43; Wicke, Anh. § 47 Rz. 13. 584 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 112. 585 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 87; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 113 ff. 586 Wicke, Anh. § 47 Rz. 13; für Erfassung von Fällen des § 243 Abs. 2 AktG im Rahmen des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots: BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1094 Rz. 18; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 36; für entsprechende Anwendung von § 243 Abs. 2 AktG im GmbH-Recht: BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 = ZIP 1980, 275, 276 f. = GmbHR 1981, 111; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 39; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 243 AktG Rz. 28; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 174; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 113; vgl. auch Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 306 ff.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 106 § 45

grenzung zu den Fällen der Unwirksamkeit (Rz. 54), zumal auch anfechtbare Beschlüsse geheilt und damit endgültig wirksam werden können (vgl. Rz. 119; selbst Nichtigkeitsmängel unterliegen der Heilung nach Rz. 84 ff.). Zur Geltendmachung der Unwirksamkeit vgl. Rz. 59. b) Willkürliche Ungleichbehandlung Willkürliche Ungleichbehandlung von Gesellschaftern ist gesetzwidrig (vgl. § 53a AktG) und 105 macht den Beschluss anfechtbar (vgl. auch 12. Aufl., § 14 Rz. 61)587. Ein wegen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgebot anfechtbarer Beschluss kann zugleich in relativ unentziehbare Rechte eingreifen und deshalb unwirksam sein (auch Rz. 54; zur Konkurrenz von Beschlussmängeln vgl. Rz. 37)588. Zur Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Recht der GmbH vgl. näher 12. Aufl., 106 § 14 Rz. 51 ff.589. Das Gleichbehandlungsgebot bewirkt eine Ermessensbindung durch ein Willkürverbot (12. Aufl., § 14 Rz. 56)590. Dieses verbietet nur unsachgemäße Differenzierungen, nicht also solche, die durch unterschiedliche Voraussetzungen oder sachlich gerechtfertigt sind oder denen der betroffene Gesellschafter zustimmt oder im Lichte der Treupflicht mit Rücksicht auf das Gesellschaftsinteresse591 zustimmen müsste (vgl. auch § 53a AktG). Beispielsweise kann Gesellschaftern, die freiwillig Nachschüsse leisten, hierfür im Einzelfall ein angemessener Vorzug eingeräumt werden592. Die Gleichbehandlung beschränkt sich nach

587 Heute ganz h.M.; vgl. BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 227 = GmbHR 1990, 344, 345; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 373 = GmbHR 1992, 257, 261 = NJW 1992, 892, 895 f.; OLG Hamm v. 25.3.1996 – 8 U 195/95, GmbHR 1996, 768, 769; OLG Celle v. 15.5.1996 – 9 U 185/95, GmbHR 1997, 172, 173; OLG Celle v. 30.12.1997 – 9 U 104/97, NZG 1998, 266 m. Anm. Impelmann (unrichtig der nichtamtliche Leitsatz GmbHR 1998, 288); für das Aktienrecht RGZ 118, 68, 72 f.; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175; BGH v. 19.12.1977 – II ZR 136/ 76, BGHZ 70, 117; Schockenhoff, Gesellschaftsinteresse und Gleichbehandlung beim Bezugsrechtsausschluss, 1988, S. 55 ff.; Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 128; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 175; Wicke, Anh. § 47 Rz. 15; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 91; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 55; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 35; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 116; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 322; Bitter, ZHR 168 (2004), 302, 349; Blath, RNotZ 2017, 218, 222; unentschieden noch BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, GmbHR 1972, 224 = MDR 1972, 933; missverständlich der Leitsatz bei OLG Celle v. 30.12.1997 – 9 U 104/97, GmbHR 1998, 288 (Nichtigkeit). 588 Zust. Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 128; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 116; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 323. 589 BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, GmbHR 1972, 224 = MDR 1972, 933; st. Rspr.; vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 116; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 31 ff.; Altmeppen, § 13 Rz. 61 ff.; Böhm in MünchHdb. GesR III, § 31 Rz. 18 ff.; eingehend Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 108 ff.; v. Falkenhausen, Verfassungsgerichtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft, 1967, S. 30 ff.; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958, S. 305 ff., 333 ff.; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 229 f.; Wolany, Rechte und Pflichten des Gesellschafters einer GmbH, 1964, S. 164 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 301 ff.; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd. 5, 3. Aufl. 2018, § 243 AktG Rz. 224 ff.; Lutter, AG 1968, 72 f.; krit. Konow, GmbHR 1973, 121 f. 590 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 373 = GmbHR 1992, 257, 261 = NJW 1992, 892, 896; Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 108; Böhm in MünchHdb. GesR III, § 31 Rz. 19; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 32; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 321; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 91; Blath, RNotZ 2017, 218, 222. 591 Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 108 f., 123; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 91; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 117; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 321; Blath, RNotZ 2017, 218, 222. 592 Wolany, Rechte und Pflichten des Gesellschafters einer GmbH, 1964, S. 166; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 51.

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§ 45 Rz. 106 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse h.M. auf den kollektiven Bereich der Gesellschaft593. Insbesondere betrifft dies Satzungsänderungen594, die Einforderung von Einlagen (vgl. § 19 Abs. 1) bzw. von Nachschüssen (vgl. § 26 Abs. 2), die (offene oder verdeckte) Verteilung oder Ausschüttung von Gewinnen595 oder einen sachlich nicht gerechtfertigten Bezugsrechtsausschluss bei der Kapitalerhöhung596 (vgl. 12. Aufl., § 55 Rz. 66 ff.). Aber der Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst auch Beschlüsse über Verkehrsgeschäfte der Gesellschaft mit Gesellschaftern, soweit korporativer Einfluss auf diese äußeren Beziehungen der Gesellschaft zu ihren Gesellschaftern durchschlägt597. Das gilt insbesondere im Rahmen von Sondervorteilen (dazu sogleich Rz. 109). Die Benachteiligung von Gesellschaftern unter Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ist gleichzeitig ein Treupflichtverstoß (vgl. Rz. 107, 109)598. c) Treupflichtverstoß 107 Zwingendes Gesellschaftsrecht ist auch das Verbot eines Missbrauchs der Stimmrechts-

macht. Ein Verstoß gegen dieses Verbot macht als Gesetzesverstoß (Rz. 104) den Beschluss anfechtbar599. Hierher gehört vor allem der Treupflichtverstoß600. Die treuwidrig abgegebene

593 G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958, S. 227; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 34; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 324; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 96; für Drittgeschäfte findet der Gleichbehandlungsgrundsatz daher grundsätzlich keine Anwendung, vgl. Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 121; Böhm in MünchHdb. GesR III, § 31 Rz. 23. 594 Vgl. RGZ 68, 213; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 177; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 325. 595 RGZ 41, 97, 99; RGZ 52, 287, 293 f.; RGZ 76, 155, 159; RGZ 80, 81, 86; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 20 f. = NJW 1976, 191; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224 = GmbHR 1990, 344; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 92; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 325; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 118, 120; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 40; Bitter, ZHR 168 (2004), 302, 349 f. 596 Hermanns in Michalski u.a., § 55 Rz. 47 ff.; Servatius in Baumbach/Hueck, § 55 Rz. 27; Wegmann in MünchHdb. GesR III, § 53 Rz. 24 f.; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 55 Rz. 36; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 90. 597 S. auch – jeweils zur Überprüfung der Angemessenheit der Geschäftsführervergütung – BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1094 Rz. 18; OLG Hamm v. 9.9.2019 – 8 U 7/17, GmbHR 2020, 204, 208 m. Anm. Mayer = EWiR 2020, 425 m. Anm. Schodder; OLG München v. 29.3.2012 – 23 U 3953/09, juris-Rz. 12; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 34. 598 Zur Einordnung des Gleichbehandlungsgrundsatzes als Konkretisierung der Treuepflicht im Zusammenhang mit der Rückforderung von Gesellschaftsdarlehen gegenüber Gesellschaftern: OLG Brandenburg v. 31.3.2009 – 6 U 4/08, ZIP 2009, 1955, 1957 = GmbHR 2009, 825; Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 113, 130; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 GmbHG Rz. 73; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 96. 599 RGZ 131, 141; RGZ 146, 396; RGZ 149, 312; RG, JW 1933, 2904 m. Anm. Ruth; RG, JW 1936, 181; BGH v. 28.1.1953 – II ZR 265/51, BGHZ 8, 355; BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 37 = GmbHR 1954, 123; BGH v. 9.2.1998 – II ZR 278/96, BGHZ 138, 71 = NJW 1998, 2054 (AG); BGH v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167 = NJW 1999, 3197 = NZG 1999, 1158 (AG); BGH v. 25.5.1970 – II ZR 115/69, BB 1970, 1192; BGH v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, GmbHR 1974, 110; BGH v. 11.7.1966 – II ZR 204/63, WM 1966, 1138; BGH v. 13.7.1967 – II ZR 238/64, WM 1967, 929; BGH v. 4.10.1976 – II ZR 204/74, WM 1976, 1226; OLG Karlsruhe, SoergRspr. 1926 Nr. 1 zu § 48; LG Hamburg, GmbHR 1952, 173; h.M.; vgl. statt vieler Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 47 GmbHG Rz. 85; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 212; Kuhn, WM 1969, 1164; Immenga, GmbHR 1973, 8; Martin Winter, S. 296 f. 600 Vgl. BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 = AG 1981, 48 = GmbHR 1981, 111; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 74 = AG 1981, 225 = GmbHR 1981, 189 = NJW 1981, 1512, 1514; BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, GmbHR 2005, 925, 927; OLG Frankfurt v. 22.12.2004 – 13 U 177/02, GmbHR 2005, 550, 555; für die AG vgl. BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ

762 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 107 § 45

Stimme ist nichtig, darf daher nicht mitgezählt werden und führt, wenn sie dennoch mitgezählt wurde und das Beschlussergebnis auf ihr beruht (Rz. 101), zur Anfechtbarkeit des Beschlusses601. Der Umfang der Treupflicht des GmbH-Gesellschafters ist bei 12. Aufl., § 14 Rz. 76 ff. erläutert. Virulent im Zusammenhang mit der Beschlussanfechtung sind folgende Konstellationen: (i) strukturändernde Entscheidungen602, etwa Kapitalerhöhungsbeschlüsse603, (ii) Auflösungsbeschlüsse (dazu auch 12. Aufl., § 60 Rz. 24)604; (iii) Befreiung von einem Wettbewerbsverbot605; (iv) Beeinträchtigung des Gewinnbezugsrechts („Aushungern“ der Minderheit606; dazu 12. Aufl., § 14 Rz. 103), etwa durch hohe Pensionsrückstellungen607; (v) Zwangseinziehung und Zwangsabtretung von Geschäftsanteilen608; (vi) Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern609; (vii) Entlastung der Geschäftsführung610. Bestandsgefährdende Beschlüsse können, auch wenn eine sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) zu verneinen ist (dazu 12. Aufl., § 13 Rz. 153 ff., 12. Aufl., § 14 Rz. 74)611, anfechtbar sein; für Anfechtbarkeit

601

602 603 604 605 606 607 608 609 610 611

83, 319, 322 = NJW 1982, 2444 f.; BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 189 f. = NJW 1988, 1579, 1580 m. Anm. Timm = JZ 1989, 443, 445 m. Anm. Wiedemann = JR 1988, 505, 507 m. Anm. Bommert; OLG München v. 14.6.2012 – 31 Wx 192/12, GmbHR 2012, 905 = ZIP 2012, 2150; OLG Düsseldorf v. 12.7.2012 – 6 U 220/11, BeckRS 2013, 4656; aus der Literatur Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 56; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 98 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 119 ff.; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rz. 37; Martin Winter, S. 296 f.; Saenger in FS Bergmann, 2018, S. 603 ff.; abl. Seidel, S. 95 ff.; krit. auch Fastrich in FS Kreutz, 2010, S. 585 ff. BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, GmbHR 1991, 62; BGH v. 12.7.1993 – II ZR 65/92, GmbHR 1993, 579, 581; BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759, 760 m. Anm. Schmitz-Herscheidt = EWiR 2016, 395 m. Anm. Seibt – Media-Saturn; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/ 90, GmbHR 1992, 43, 47; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 413 = EWiR 2017, 623 m. Anm. Rüppell; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 362; OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84, 88; OLG Düsseldorf v. 12.7.2012 – 6 U 220/11, BeckRS 2013, 4656; Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 198; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 185; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 14 Rz. 99; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 30; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 105; Saenger in FS Bergmann, 2018, S. 603, 614 f.; zweifelnd Harrer in FS Roth, 2011, S. 211 ff. Vgl. BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 360 = GmbHR 1983, 297 = NJW 1983, 1056 = JZ 1983, 556 m. Anm. Wiedemann (KG). LG Berlin v. 1.2.2019 – 94 O 16/18, juris-Rz. 35 ff. Vgl. BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 353 = AG 1981, 48 = GmbHR 1981, 111 (GmbH); BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 185 = AG 1988, 135 = NJW 1988, 1579 (AG); OLG München v. 15.1.2015 – 23 U 2469/14, juris-Rz. 16. BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 74 = NJW 1981, 1512, 1514 = GmbHR 1981, 189. BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263 = GmbHR 1996, 456; OLG Koblenz v. 1.2.2018 – 6 U 442/17, GmbHR 2018, 1016; OLG Nürnberg v. 9.7.2008 – 12 U 690/07, juris-Rz. 124 ff. Vgl. BGH v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, GmbHR 1974, 109, 110. Vgl. KG v. 9.3.2020 – 2 U 80/19, GmbHR 2020, 549 m. Anm. Wagner = ZIP 2020, 617 = EWiR 2020, 233 m. Anm. Mösinger. OLG Nürnberg v. 4.9.2015 – 12 U 2573/14, juris; OLG Hamm v. 27.11.2019 – 8 U 69/19, jurisRz. 132 (insofern nicht abgedruckt in NZG 2020, 986). Vgl. BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, GmbHR 2020, 1344, 1346 m. Anm. Mayer/Jenne = ZIP 2020, 2117 = EWiR 2020, 711 m. Anm. Nolting (zur GmbH & Co. KG) sowie die Vorinstanz OLG Frankfurt v. 23.5.2019 – 5 U 21/18, GmbHR 2019, 940 m. Anm. Mayer/Jenne. Vgl. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = AG 2007, 657 = GmbHR 2007, 927 = ZIP 2007, 1552 – Trihotel; zuvor: BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = AG 2002, 43 = GmbHR 2001, 1036 – Bremer Vulkan; dazu Altmeppen, ZIP 2001, 1837; Bitter, WM 2001, 2133; Karsten Schmidt, NJW 2001, 3577.

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§ 45 Rz. 107 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse genügt es, dass die zu beschließende Maßnahme aus objektiven Gründen im Interesse der Gesellschaft unabweisbar zu unterlassen ist612. 108 Da Treupflichten sowohl vertikal im Verhältnis der Gesellschafter zur Gesellschaft als auch

horizontal im Verhältnis der Gesellschafter untereinander bestehen613, kann der Tatbestand eines Missbrauchs der Mehrheitsherrschaft sowohl auf eine Verletzung von Gesellschaftsinteressen als auch auf eine durch die Mehrheitsherrschaft nicht legitimierte Beeinträchtigung der Minderheit gestützt werden. Die doppelte Richtung der Treupflicht (sowohl gegenüber Mitgesellschaftern als auch gegenüber der Gesellschaft) zeigt sich nicht nur bei ihrer Wirksamkeit als Abwehrrecht der Minderheitsgesellschafter, sondern auch umgekehrt bei ihrer Pflichtbindung. Die Treupflicht der Gesellschafter kann deshalb im Anfechtungsstreit nicht nur als Anfechtungsgrund zugunsten der Minderheit, sondern auch als Basis der Stimmpflicht zu ihren Lasten geltend gemacht werden (Rz. 113). Über die hierauf gestützte, mit der Anfechtung eines ablehnenden Beschlusses verbundene „positive Beschlussfeststellungsklage“ vgl. Rz. 180. d) Unerlaubte Sondervorteile 109 Die Anfechtung kann insbesondere darauf gestützt werden, dass ein Gesellschafter mit der

Ausübung des Stimmrechts für sich oder einen Dritten Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder der anderen Gesellschafter zu erlangen suchte und der Beschluss geeignet ist, diesem Zweck zu dienen. Dieser Spezialfall des anfechtungsbegründenden Stimmrechtsmissbrauchs wird bisher vielfach in Analogie zu § 243 Abs. 2 AktG entwickelt614. Es handelt sich aber um einen aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem Treupflichtgebot herausdestillierten allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatz615, dessen systematischer Eigenwert zweifelhaft ist616. Die Regelung über Sondervorteile verdrängt nicht die allgemeine Missbrauchskontrolle (Rz. 109) und geht im GmbH-Recht in dieser auf (Rz. 104). 110 Sondervorteil kann jedweder Vorteil des Gesellschafters oder des Dritten sein, den dieser

zum Nachteil der Gesellschaft (nicht notwendig unmittelbar aus deren Vermögen) und unter Ungleichbehandlung der Gesellschafter erlangt. Regelmäßig handelt es sich um Vermögens612 OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 414, unter Hinweis auf BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759 f. m. Anm. Schmitz-Herscheidt. 613 H.M.; vgl. RG, DR 1941, 1307; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 – ITT; BGH v. 23.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346, 349 = GmbHR 1981, 290; BGH v. 15.4.1985 – II ZR 274/83, GmbHR 1985, 297; BGH v. 14.2.2019 – IX ZR 149/16, BGHZ 221, 100 = GmbHR 2019, 460, 462 Rz. 17 = EWiR 2019 m. Anm. Bork; Karsten Schmidt, GesR, § 19 III 1; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 98; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 32; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 56; eingehend Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 140 ff.; Saenger in FS Bergmann, 2018, S. 603, 604; Lutter, ZHR 162 (1998), 176 ff.; Henze, ZHR 162 (1998), 186 ff.; s. aber Flume, JurP, § 8 I (S. 268 ff.). 614 Vgl. BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 = ZIP 1980, 275. 276 f.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 39; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 243 AktG Rz. 28; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 87; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 113; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 311 ff.; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 51; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 174; Lehmann, S. 99; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 212; Däubler, GmbHR 1968, 7; E. Rehbinder, ZGR 1976, 390. 615 Vgl. Wicke, Anh. § 47 Rz. 13; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 307; Flume, JurP, § 7 III („Todsünde der Stimmrechtsausübung“); Zöllner, Schranken, S. 309; Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 3b; für Erfassung von Fällen des § 243 Abs. 2 AktG im Rahmen des allgemeinen Gleichbehandlungsgebots: BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1094 Rz. 18; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 36. 616 Vgl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 90; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 114.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 111 § 45

vorteile, z.B. um die Übernahme des Gesellschaftsunternehmens617, um die Übernahme ihrer Betriebsaktivitäten oder von ihr gehaltener Anteile618, um einen günstigen Vertragsabschluss, etwa im Fall einer Betriebspacht619, oder um eine verdeckte Gewinnausschüttung zugunsten einzelner Gesellschafter620; aber auch eine Verbesserung der Gesellschafterrechte kann ein Vorteil in diesem Sinne sein621. Nur eine wertende Betrachtung kann Aufschluss darüber geben, ob ein Sondervorteil vorliegt622. Es muss sich um eine sachwidrige Bevorzugung handeln623. Sachwidrig ist z.B. die Bevorzugung des Gesellschafters gegenüber den anderen; sachwidrig ist auch die Schädigung der Gesellschaft durch einen Vertragsschluss mit dem Gesellschafter oder mit dem von ihm bevorzugten Dritten unter Übergehung eines sicheren anderen Interessenten, der evident vorteilhaftere Bedingungen bietet. Die Einräumung von Sondervorteilen an Gesellschafter macht einen Mehrheitsbeschluss nicht rechtswidrig und deshalb nicht anfechtbar, wenn die Bevorzugung durch andere Beschlusselemente angemessen kompensiert wird624. Zur Frage, ob der Beschluss über einen Unternehmensvertrag bei Fehlen eines angemessenen Ausgleichs- und Abfindungsangebots wegen unangemessenen Sondervorteils anfechtbar ist oder ob diese Frage analog § 1 SpruchG ausgetragen wird, vgl. 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 162625. e) Grenzen und Rechtsfolgen der Inhaltskontrolle Die Anerkennung der Treupflichten und des Gleichbehandlungsgrundsatzes darf nicht zu ei- 111 ner arbiträren allgemeinen Inhaltskontrolle von Mehrheitsbeschlüssen führen. Die Frage, inwieweit eine Inhaltskontrolle über die Ausübung des Stimmrechts zulässig ist, wird bei § 47 Rz. 26 ff. behandelt. Wie bei Rz. 107 und 12. Aufl., § 47 Rz. 32 ausgeführt, ist eine treuwidrige und deshalb missbräuchliche Stimmabgabe unwirksam, also bei der Beschlussfeststellung nicht mitzuzählen. Wurde der Beschluss unter Mitzählung der treuwidrigen Stimmen fixiert

617 Beispiel: BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 357 = AG 1981, 48 = GmbHR 1981, 111; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 313. 618 Beispiel (AG): BGH v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, AG 2012, 680 = ZIP 2012, 1753. 619 Beispiel: OLG Frankfurt v. 28.2.1973 – 13 U 2/72, AG 1973, 136 = BB 1973, 863 m. krit. Anm. Rasch; krit. zu dem Urteil Abrell, BB 1974, 1467; Martens, AG 1974, 11. 620 Zu den hieraus resultierenden Ansprüchen (nicht zur Anfechtungsklage) vgl. BGH, LM Nr. 2 zu § 29 GmbHG = GmbHR 1972, 224 = MDR 1972, 933; BGH v. 1.12.1986 – II ZR 306/85, AG 1987, 205 = GmbHR 1987, 187 = WM 1987, 348; OLG Karlsruhe v. 16.12.1983 – 15 U 99/82, WM 1984, 656; dazu Winter, ZHR 148 (1984), 579 ff.; krit. Konow, GmbHR 1973, 121. 621 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 87; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 313; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 243 AktG Rz. 76; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 243 AktG Rz. 54. 622 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 28 I 4 m.w.N. 623 Gesellschaftsfremd muss der Sondervorteil nicht sein; näher Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 243 AktG Rz. 80 f.; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 243 AktG Rz. 56; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 316. 624 Ausführlich noch 9. Aufl., Rz. 111; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 317; vgl. auch zum Aktienkonzernrecht BGH v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, AG 2012, 680 = ZIP 2012, 1753; a.M. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 55; die analoge Anwendung des § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG ablehnend: Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 174; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 89; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 114. 625 Für Anwendbarkeit des Spruchverfahrens vgl. auch Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 13 Rz. 71a; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 13 GmbHG Rz. 108; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 52 Rz. 105; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 1 SpruchG Rz. 10; Kubis in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2020, § 1 SpruchG Rz. 18; Hegemann, GmbHR 2012, 315, 320 f.; zweifelnd Altmeppen, Anh. § 13 Rz. 88; a.M. Wasmann in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 1 SpruchG Rz. 37.

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§ 45 Rz. 111 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse (12. Aufl., § 48 Rz. 53), so ist er anfechtbar (Rz. 98); fehlt es an einer hinreichenden Beschlussergebnisfixierung, ist die allgemeine Feststellungsklage eröffnet (Rz. 49, 49f). f) Ungerechtfertigte Sanktionen 112 Sachlich ungerechtfertigte Sanktionen können zur Anfechtung der zugrundeliegenden Be-

schlüsse berechtigen. So z.B. der rechtswidrige Ausschluss aus der Gesellschaft oder die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers aus vermeintlich wichtigem Grund (12. Aufl., § 46 Rz. 76)626. Es handelt sich um Inhaltsmängel, weil die Ermächtigung der Beschlussmehrheit, die Sanktion zu verhängen, vom Vorliegen des Grundes im Zeitpunkt der Beschlussfassung abhängt627 (zum Rechtsschutzinteresse für Anfechtungsklagen vgl. Rz. 136). Gegen eine sachlich ungerechtfertigte Sanktion kann sich der Betroffene auch mittels einer einstweiligen Verfügung zur Wehr setzen (dazu noch Rz. 183)628. g) Positive Stimmpflichten 113 Aus dem Missbrauchsverbot können sich ausnahmsweise auch positive Stimmpflichten er-

geben (vgl. Rz. 108, 12. Aufl., § 13 Rz. 50). Dieser hier seit der 6. Aufl. vertretene Grundsatz629 wird bei 12. Aufl., § 47 Rz. 31 näher entwickelt und ist zwischenzeitlich praktisch unbestritten630. Fälle positiver Stimmpflichten werden vor allem bei Satzungsänderungen (vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 37) und bei der Beschlussfassung über aussichtsreiche Sanierungsmaßnahmen anerkannt (12. Aufl., § 47 Rz. 31, 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 47, 54). Die positive Stimmpflicht wird in der Gerichtspraxis dann, aber auch nur dann, anerkannt, wenn der Beschluss im objektiven Interesse der Gesellschaft und der Mitgesellschafter erforderlich und für den widerstrebenden Gesellschafter zumutbar ist (näher 12. Aufl., § 47 Rz. 31). 113a Es genügt allerdings nicht, dass eine Maßnahme im Interesse der Gesellschaft liegt, die Zwe-

cke der Gesellschaft fördert und die Zustimmung dem Gesellschafter zumutbar ist (zu den

626 Vgl. nur BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701, 702 Rz. 14 = EWiR 2017, 391 m. Anm. Hippeli; OLG Brandenburg v. 15.10.1997 – 7 U 56/95, GmbHR 1998, 193, 194; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 53 ff.; krit. zur Rechtsfolge der Anfechtbarkeit und Anfechtungslast Altmeppen, § 38 Rz. 46 ff.; Altmeppen, GmbHR 2018, 225, 230; Bayer, GmbHR 2017, 665 ff. 627 BGH v. 4.4.2017 – II ZR 77/16, GmbHR 2017, 701, 702 Rz. 14 = EWiR 2017, 391 m. Anm. Hippeli; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770, 773 Rz. 35 m. Anm. Podewils; OLG Brandenburg v. 28.1.2015 – 7 U 170/13, GmbHR 2016, 357; OLG Stuttgart v. 13.5.2013 – 14 U 12/13, GmbHR 2013, 803, 806; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 163; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, § 38 Rz. 17; Wicke, § 38 Rz. 11; Altmeppen, ZIP 2017, 1185, 1186 f. 628 OLG Brandenburg v. 19.12.2018 – 7 U 152/18, GmbHR 2019, 234 ff.; OLG Jena v. 24.8.2016 – 2 U 168/16, GmbHR 2017, 416 ff. m. Anm. Wagner; OLG München v. 10.12.2012 – 23 U 4354/12, GmbHR 2013, 714; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 36; Fischer in MünchHdb. GesR VII, § 19 Rz. 65; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 38 GmbHG Rz. 69; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 62 ff.; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 16 GmbHG Rz. 35; Lieder/Becker, GmbHR 2019, 505, 508 ff.; Kleindiek, GmbHR 2017, 815, 819 ff. 629 Karsten Schmidt, 6. Aufl., § 47 Rz. 26; charakteristisch für die Reaktion der seinerzeit noch herrschenden Gegenansicht Geßler in Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, 1981, S. 43 f. 630 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276 = GmbHR 1986, 426 = BB 1986, 2152; BGH v. 23.3.1987 – II ZR 244/86, GmbHR 1987, 349; BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759, 760 f. m. Anm. Schmitz-Herscheidt = EWiR 2016, 395 m. Anm. Seibt – Media-Saturn; hierzu auch Paefgen, ZIP 2016, 2293; Wicke, NJW 2016, 2741; vgl. ferner OLG Jena v. 30.5.2018 – 2 U 800/15, GmbHR 2020, 433, 440; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 257 ff.; Martin Winter, S. 167 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 110 ff.; Reichert in FS Karsten Schmidt, Band II, 2019, S. 229 ff.; Saenger in FS Bergmann, 2018, S. 603, 609 ff.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 114 § 45

Grenzen der Inhaltskontrolle auch bereits Rz. 111)631. Eine positive Stimmpflicht kann nur angenommen werden, wenn die zu beschließende Maßnahme zur Erhaltung wesentlicher Werte oder zur Vermeidung erheblicher Verluste objektiv unabweisbar erforderlich ist und diese den Gesellschaftern unter Berücksichtigung ihrer eigenen schutzwürdigen Belange zumutbar ist632. Der Gesellschaftszweck und das Interesse der Gesellschaft müssen gerade die in Rede stehende Maßnahme zwingend gebieten633. Liegt ein solcher Fall vor, so kann ein ablehnender Beschluss anfechtbar und ein zustimmender Beschluss im Wege der sog. positiven Beschlussfeststellungsklage durchsetzbar sein (Rz. 180; 12. Aufl., § 47 Rz. 32). Es wird hingegen regelmäßig nicht genügen, die Mitgesellschafter auf eine Leistungsklage gegen den widerstrebenden Gesellschafter zu verweisen und die Rechtskraft des Leistungsurteils (§ 894 ZPO) abzuwarten634. Bei der positiven Beschlussfeststellungsklage wird die Stimmpflicht inzidenter geprüft (12. Aufl., § 47 Rz. 32). Eine treuwidrige Nein-Stimme wird bei der Beschlussfeststellung nicht mitgezählt (dazu 12. Aufl., § 47 Rz. 32; 12. Aufl., § 48 Rz. 50)635. Ihre Mitzählung ist rechtswidrig und macht den Beschluss anfechtbar, soweit sie das Beschlussergebnis verändert (Rz. 101, 107). 4. Inhaltsverstoß gegen die Satzung oder gegen Vereinbarungen der Gesellschafter a) Satzungswidrigkeit Ein Beschluss ist anfechtbar, sofern er seinem Inhalt nach mit Satzungsregelungen nicht in 114 Einklang steht (vgl. auch § 243 Abs. 1 AktG)636. Handelt es sich um (zustandsbegründende) Satzungsdurchbrechung mit Dauerwirkung, so kann der Beschluss sogar nichtig sein (str.; vgl. Rz. 34a sowie 12. Aufl., § 53 Rz. 27 ff.). Hierher gehört etwa die Änderung des Unternehmensgegenstands (dazu 12. Aufl., § 3 Rz. 19 f.) oder eine von der Satzung abweichende Beschlussfassung über die Auswahl künftiger Geschäftsführer. Eine nur ad hoc wirkende Sat-

631 BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759, 760 m. Anm. Schmitz-Herscheidt = EWiR 2016, 395 m. Anm. Seibt – Media-Saturn; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 413 = EWiR 2017, 623 m. Anm. Rüppell; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 111; Wicke, § 47 Rz. 11; Saenger in FS Bergmann, 2018, S. 603, 614. 632 BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759, 760 m. Anm. Schmitz-Herscheidt = EWiR 2016, 395 m. Anm. Seibt – Media-Saturn; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 413 f. = EWiR 2017, 623 m. Anm. Rüppell; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 111; Reichert in FS Karsten Schmidt, Band II, 2019, S. 229, 239 ff.; Saenger in FS Bergmann, 2018, S. 603, 612 ff.; Paefgen, ZIP 2016, 2293, 2297 ff. 633 BGH v. 7.2.2012 – II ZR 230/09, ZIP 2012, 917, 921, Rz. 44; BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759, 760 m. Anm. Schmitz-Herscheidt = EWiR 2016, 395 m. Anm. Seibt – MediaSaturn; Wicke, § 47 Rz. 11. 634 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 185; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 262; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 38 Rz. 73; für einen Vorrang der Leistungsklage aber wohl BGH v. 29.9.1986 – II ZR 285/85, WM 1986, 1556 = BB 1987, 506 (Personengesellschaft); für GmbH Koppensteiner, GES 2012, 488, 494. 635 BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 172, 176 = ZIP 1988, 22, 24 (KG); BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759, 760 m. Anm. Schmitz-Herscheidt = EWiR 2016, 395 m. Anm. Seibt – Media-Saturn; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43, 45 = ZIP 1991, 1430, 1432; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 413 = EWiR 2017, 623 m. Anm. Rüppell; Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 198; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 185; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 14 Rz. 99; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 30; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 105; Saenger in FS Bergmann, 2018, S. 603, 614 f. 636 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 110; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 133; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 43 f.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 206; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 211.

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§ 45 Rz. 114 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse zungsdurchbrechung macht den Beschluss anfechtbar (Rz. 34b), soweit nicht alle Gesellschafter zustimmen (auch hierzu Rz. 34b; teils abweichend 12. Aufl., § 53 Rz. 30a). Satzungswidrig ist der Beschluss nur, wenn er gegen „echte“ (korporative) Satzungsbestandteile (zur Abgrenzung 12. Aufl., § 3 Rz. 97) verstößt637, die nicht bloße Ordnungsvorschriften enthalten638. Diese Einschränkung spielt allerdings nur eine geringe Rolle, denn der Verstoß gegen „unechte“ (nichtkorporative) Satzungsregeln kann als Verstoß gegen Abreden unter den Gesellschaftern und damit aus diesem Grund als Anfechtungsgrund zu werten sein (Rz. 116). Korporativ wirkende Verträge (Unternehmensverträge nach § 291 AktG – gegebenenfalls auch solche nach § 292 AktG639 –, Verschmelzungs- und Spaltungsverträge nach §§ 4 ff., §§ 126 ff. UmwG) haben materiell Satzungscharakter und können nach der Eintragung der Konzernbildung oder Umwandlung dem Satzungsinhalt gleichstehen (zu den hiervon zu unterscheidenden Gesellschaftervereinbarungen vgl. Rz. 116)640. Von der objektiven Satzungsverletzung zu unterscheiden ist der Eingriff in satzungsmäßige Sonderrechte einzelner Gesellschafter; er macht den Beschluss vorbehaltlich der Zustimmung betroffener Gesellschafter unwirksam (Rz. 54). Für Verstöße gegen bloße statutarische Verfahrensvorgaben gelten die Ausführungen bei Rz. 64 ff., 99 ff. b) Satzungszweckwidrigkeit 115 Zu den satzungswidrigen und damit u.U. anfechtbaren Beschlüssen gehören auch Fälle der

Unvereinbarkeit mit dem Gesellschaftszweck641. Im Einzelnen ist zu unterscheiden: Maßnahmen, die den Gesellschaftszweck auf Dauer im Kern berühren (z.B. Aufgabe der erwerbswirtschaftlichen Zielsetzung), bedürfen nicht nur der einfachen oder gemäß § 53 Abs. 2 der qualifizierten Mehrheit, sondern es müssen entsprechend § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB alle Gesellschafter zustimmen642 (12. Aufl., § 53 Rz. 181). Fehlt es hieran, so ist der Beschluss unwirksam (vgl. Rz. 54). Beschlüsse über einzelne Maßnahmen, die ohne eigentliche Zweckänderung gegen den satzungsmäßigen Gesellschaftszweck verstoßen, können rechtswidrig und damit anfechtbar sein643. Hieraus lässt sich allerdings kein genereller Vorrang des objektiven Gesellschaftsinteresses vor dem Zweckmäßigkeitsurteil der Mehrheitsgesellschafter herleiten644. Der Gesellschaftszweck darf insbesondere nicht mit dem Unternehmensgegenstand gleichgesetzt werden (vgl. zu diesem 12. Aufl., § 3 Rz. 9 ff.). Der Unternehmensgegenstand 637 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 133. 638 RGZ 170, 83, 97; OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, GmbHR 2017, 295, 297 m. Anm. Haase; OLG Hamm v. 7.1.1985 – 8 U 47/84, ZIP 1985, 741, 744 = AG 1986, 260; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 133; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 206; Wicke, Anh. § 47 Rz. 13; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 110. 639 Zur (nicht-)satzungsüberlagernden Wirkung von Teilgewinnabführungsverträgen BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13 = GmbHR 2019, 1176 = ZIP 2019, 1857 = EWiR 2019, 649 m. Anm. Goslar; hierzu auch Lieder/Wernert, NZG 2020, 361; Mock, JZ 2019, 1162; Wachter, GmbHR 2019, 1153. 640 Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 43; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 138. 641 OLG Köln v. 2.6.1999 – 5 U 196/98, NZG 1999, 1228, 1229; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 93; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 33; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 135 f.; Zöllner, Schranken, S. 318 ff. 642 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 136; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, § 53 Rz. 118; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 360; Wicke, DNotZ 2020, 448, 449. 643 Wie hier Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 135. 644 Zöllner, Schranken, S. 320 f.; weitergehend aber Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 96.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 116 § 45

ist durch die Satzung festgeschrieben, so dass jede Änderung des Unternehmensgegenstands Satzungsänderung (bzw. Satzungsdurchbrechung mit Dauerwirkung i.S.v. Rz. 34a) ist645. Beschlüsse über Einzelmaßnahmen verstoßen nur ausnahmsweise gegen den Gesellschaftszweck. Der Gesellschaftszweck lässt dem Ermessen der Mehrheit646 hinsichtlich einzelner Strategien und Maßnahmen Spielraum. Das kann auch für nachteilige Geschäfte gelten647. Bloße Unzweckmäßigkeit der beschlossenen Maßnahme ist noch kein Verstoß gegen den Gesellschaftszweck, also noch nicht Anfechtungsgrund (gegen Zweckmäßigkeitskontrolle auch 12. Aufl., § 47 Rz. 26)648. Spenden können vom Gesellschaftszweck und damit von der Mehrheitsherrschaft umfasst sein649. Bei Spenden an politische Parteien, die mit dem Erwerbszweck kollidieren können650, und sonstigen freiwilligen Vermögenszuwendungen wird zu unterscheiden sein651. Über mit dem Erwerbszweck jedenfalls mittelbar vereinbare Spenden kann die Mehrheit nach eigenem, wenn auch pflichtgemäßem Ermessen entscheiden. Nur von Fall zu Fall stellt sich die Frage des Missbrauchs der Mehrheitsherrschaft (Rz. 107, 111). Maßnahmen dagegen, die, wie philanthropische oder allgemeinpolitische Spenden größeren Ausmaßes, völlig außerhalb des Erwerbszwecks einer GmbH mit Unternehmenszweck liegen, bedürfen der Zustimmung aller Gesellschafter und sind ohne eine solche Zustimmung unwirksam. Gleiches gilt für Unternehmensverträge, die – wie Gewinnabführungsverträge – durch den Erwerbszweck der Gesellschaft nicht mehr gedeckt sind (str.; vgl. Rz. 54; 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 146 f., 201). c) Nebenabreden (sog. Gesellschaftervereinbarungen) Ein Verstoß gegen Abreden der Gesellschafter untereinander (12. Aufl., § 3 Rz. 114 ff.) 116 macht den Beschluss nicht ohne weiteres anfechtbar (Rz. 117)652. Das wird auch bei 12. Aufl., § 47 Rz. 53 für den Bereich der rein obligatorischen Stimmbindungen ausgeführt. Sie begründen keine durch Anfechtbarkeit sanktionierte korporative Bindung653. Besondere Regeln gelten für Gesellschaftervereinbarungen (Nebenverträge) i.S.v. 12. Aufl., § 3 Rz. 114 ff. Soweit es um rechtsverbindliche Vereinbarungen von organisationsrechtlichem (korporativem) Charakter geht, die alle Gesellschafter binden, stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß einer Satzungswidrigkeit gleichgestellt werden kann. Im Fall ei645 Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 184; Hoffmann in Michalski u.a., § 53 Rz. 119; Ulmer/Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, § 53 Rz. 116. 646 Zum Mehrheitsermessen OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, GmbHR 1996, 689, 693 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 96; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 360. 647 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 360; zur Abgrenzung Zöllner, Schranken, S. 329 ff. 648 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 53 (Anfechtbarkeit nur bei „evident“ ermessensfehlerhaftem Beschluss); weiter geht Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 96. 649 Vgl. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 43 Rz. 103 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 137; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 361; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 33; Fleischer, AG 2001, 171 ff.; Karsten Schmidt in Non Profit Law Yearbook I, 2001, S. 116 f. 650 Dazu Rittner in FS Knur, 1972, S. 223; besonders eng Meilicke, NJW 1959, 409 ff.; vgl. aber auch Fleischer, AG 2001, 171, 179; Kind, NZG 2000, 567, 572; eingehend zur AG Hahn, AG 2018, 472, 474 ff. 651 Eingehend: Karsten Schmidt in Non Profit Law Yearbook I, 2001, S. 116 ff. 652 Zum Folgenden vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 139 ff.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 208 ff.; eingehend Ulmer, NJW 1987, 1849 ff.; Winter, ZHR 154 (1990), 259 ff.; Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 442 ff.; Zöllner in Henze/Timm/Westermann, Gesellschaftsrecht 1995, 1996, S. 89. 653 H.M.; vgl. statt vieler OLG Stuttgart v. 7.2.2001 – 20 U 52/97, BB 2001, 794, 797 f.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 45; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 139; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 532 ff.; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 250.

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§ 45 Rz. 116 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse ner Verletzung von Satzungsregelungen, die sich mit Hilfe der schuldrechtlichen Nebenabreden auslegen oder konkretisieren lassen, kann die Anfechtung auf die Satzungswidrigkeit des Beschlusses gestützt werden654. Soweit wirklich nur die schuldrechtliche Abrede unter den Gesellschaftern verletzt wird, wird erwogen, ob eine Treupflichtverletzung vorliegt655 oder ob der Durchgriffsgedanke eine Gleichstellung von Vertragswidrigkeit und Satzungswidrigkeit rechtfertigt656. Die Schwierigkeit beruht darauf, dass die Beschlussfassung Verbandshandeln ist und dass eine Rechtsbindung auf Verbandsebene grundsätzlich nur durch Gesetz, Satzung und Treupflicht gewährleistet ist. Die Einhaltung einer Nebenabrede muss deshalb grundsätzlich durch Klage gegen die zu ihrer Einhaltung verpflichteten Mitglieder durchgesetzt werden (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 55). Es gibt jedoch korporativ wirkende Bindungen der Gesellschafter auch außerhalb der Satzung657, und es ist zu bedenken, dass die Anfechtungsklage – obwohl Gestaltungsklage – ihrer Funktion nach dazu dient, die unter den Gesellschaftern bestehenden Ansprüche auf Beseitigung rechtswidriger Beschlüsse durchzusetzen (Rz. 36). Waren alle Mitglieder gebunden und kann die Rechtsverletzung nur durch Rückgängigmachung des Beschlusses behoben werden, so gebietet es schon die Prozessökonomie, die Anfechtung des Beschlusses zuzulassen (die a.A. wird in diesem Kommentar bei 12. Aufl., § 3 Rz. 116 von Cziupka vertreten)658. Dies ist im Ergebnis der Lösungsweg des BGH. Nach BGH v. 20.1.1983 (Kerbnägel)659 kann der Mehrheitsbeschluss, sich an einem fremden Unternehmen zu beteiligen, anfechtbar sein, wenn sich alle Gesellschafter untereinander verpflichtet haben, eine solche Geschäftstätigkeit der GmbH zu unterlassen. Der Beschluss, einen Gesellschafter-Geschäftsführer abzuberufen, kann anfechtbar sein, wenn sich alle Gesellschafter einig waren, eine Abberufung solle nur mit Zustimmung des betroffenen Geschäftsführers erfolgen660. Außerhalb des Anfechtungsrechts hat der BGH bezogen auf Sozialansprüche die korporative Wirkung solcher Abreden bestätigt661. Die Rechtsprechung ist allerdings uneinheitlich662. Die Grundlagenentscheidungen des BGH sind bei größeren Teilen der Literatur auf grundsätzliche Ablehnung ge654 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 118; krit. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 142; Ulmer, NJW 1987, 1851 f. 655 Vgl. zur Familienverfassung als konkretisierendem Aspekt der Treuepflicht Fleischer, ZIP 2016, 1509, 1518 f.; gegen die Annahme eines Treuepflichtverstoßes Martin Winter, S. 51 f. 656 Dazu Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 142; Ulmer, NJW 1987, 1853 f. 657 Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 5; im Ergebnis übereinst. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 118; umfassend Ehricke, Schuldvertragliche Nebenabsprachen zu GmbH-Gesellschaftsverträgen, 2004; Milch, Schuldrechtliche Absprachen bei der GmbH, 2004; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994; Noack, NZG 2010, 1017; Rossig, Gesellschafterabsprachen bei GmbH und Close Corporation, 2003; Westermann, Das Verhältnis von Satzung und Nebenordnungen in der Kapitalgesellschaft, 1994; Priester in FS Claussen, 1997, S. 319 ff.; Zöllner in Henze/ Timm/Westermann (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1995, 1996, S. 89; s. auch Baumann/Reiß, ZGR 1989, 212 f.; Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 455 ff.; Wicke, DStR 2006, 1137; Ulmer in FS Röhricht, 2005, S. 633 ff. 658 Insoweit wie hier OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075, 1078 m. Anm. Römermann – Media-Saturn; Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 5; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 45; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 34; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 250; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 118; Bedenken gegen eine solche Begründung bei Ulmer, NJW 1987, 1850; Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 450. 659 BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196 – Kerbnägel. 660 BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, GmbHR 1987, 94. 661 BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980 = ZIP 2010, 1541; dazu eingehend Noack, NZG 2010, 1017 ff. 662 Zustimmend OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075, 1078 m. Anm. Römermann – Media-Saturn; OLG Düsseldorf v. 11.7.2018 – U (Kart) 14/17, juris-Rz. 137; ablehnend OLG Stuttgart v. 7.2.2001 – 20 U 52/97, DB 2001, 854, 859 = (L) NZG 2001, 416 – Dornier.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 116a § 45

stoßen663. Ihnen ist aber aus den dargelegten Gründen im Grundsatz zu folgen (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 53)664. Im Fall des Rechts auf das Geschäftsführeramt ist sogar zu erwägen, ob nicht ein zuwiderlaufender Beschluss, weil gegen ein korporatives Sonderrecht verstoßend, unwirksam ist (Rz. 54). Die Einzelheiten sind noch immer nicht ausdiskutiert. Folgende Voraussetzungen scheinen unverzichtbar: Es müssen erstens alle Gesellschafter gebunden sein (sog. omnilaterale Gesellschaftervereinbarung)665; jedenfalls alle, die für den angefochtenen Beschluss gestimmt haben666. Ohne eine umfassende Bindung äußert die Vereinbarung keine korporativen Wirkungen. Die Bindung muss zweitens rechtsverbindlich sein; besteht nur ein formloses Einverständnis667, so kommt eine Anfechtung nur wegen Treupflichtverletzung in Betracht668. Die Bindung muss schließlich inhaltlichen Bezug zur Verfassung der GmbH haben; in Betracht kommt also nur eine Bindung, die auch tauglicher Satzungsbestandteil wäre. d) Familienverfassung Im Zuge der zunehmenden Verbreitung von Familienverfassungen669 – auch Familienstatut 116a oder Familiencharta genannt – wird deren rechtliche Relevanz für die korporative Ebene von Familiengesellschaften in jüngerer Zeit intensiv diskutiert670. Da es sich regelmäßig um Abreden ohne unmittelbare rechtliche Bindungswirkung handeln wird671, ist nach den zuvor skizzierten Grundsätzen die Anfechtung von Beschlüssen, die im Widerspruch zur Familienverfassung stehen, jedenfalls nach den Grundsätzen der Kerbnägel-Entscheidung ausgeschlossen; zudem sind an Familienverfassungen mitunter nicht lediglich Gesellschafter, son-

663 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 44; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 3 Rz. 58; Ulmer/ Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 3 Rz. 127; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 92; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 140 f.; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 536, Anh. § 47 Rz. 363; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 210; Dürr, Nebenabreden im Gesellschaftsrecht, 1994, S. 223; Martin Winter, S. 51 f.; Martin Winter, ZHR 154 (1990), 259 ff.; Vomhof, GmbHR 1984, 181 f.; Ulmer, NJW 1987, 1849; Ulmer in FS Röhricht, 2005, S. 633; Dürr, BB 1995, 1365 ff.; Habersack, ZHR 164 (2000), 1, 10; Wicke, DStR 2006, 1137, 1143 f.; reserviert auch Goette in Henze/Timm/Westermann (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1995, 1996, S. 128 f. 664 OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075, 1078 m. Anm. Römermann – Media-Saturn; OLG Hamm v. 12.4.2000 – 8 U 165/99, GmbHR 2000, 673, 674; Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 5, § 36 III 4c; Joussen, Gesellschafterabsprachen, 1995, S. 146 ff.; Ehricke, Schuldvertragliche Nebenabreden, 2004, S. 29 ff.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 45; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 34; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 250; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, § 47 Rz. 118; Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 442, 451 ff. 665 OLG Saarbrücken v. 24.11.2004 – 1 U 202/04, GmbHR 2005, 546, 548 m. Anm. Manger; OLG Düsseldorf v. 11.7.2018 – U (Kart) 14/17, juris-Rz. 137. 666 Zust. OGH Wien v. 5.12.1995 – 4 Ob 588/95, AG 1996, 329; vgl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 118; a.M. Happ, ZGR 1984, 177 f. 667 So wohl im Fall des BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, BB 1987, 218 = GmbHR 1987, 94. 668 Vgl. aber wiederum Martin Winter, S. 51 f. 669 Vgl. Fleischer, ZIP 2016, 1509; Hamburger Kreis Recht der Familienunternehmen, DB 22/2018, M26; Hueck in MünchHdb. GesR IX, § 50 Rz. 1. 670 Bochmann, NotBZ 2019, 361, 369; Fleischer, ZIP 2016, 1509 ff.; Hamburger Kreis Recht der Familienunternehmen, DB 22/2018, M26; Hueck, Die Familienverfassung, 2017, S. 59 ff.; Hueck in MünchHdb. GesR IX, § 50 Rz. 36 ff.; Lange in Röthel/Karsten Schmidt, Die Verträge der Familienunternehmer, 2013, S. 33, 43 f.; Kalss/Probst, Familienunternehmen, 2013, Rz. 3/1 ff.; Prütting/ Schirrmacher, ZGR 2017, 829, 837 ff.; Uffmann, ZIP 2015, 2441, 2448 ff.; „juristische Folgen“ generell verneinend Kirchdörfer/Breyer, FuS 2014, 13, 21. 671 Eingehend Hueck, Die Familienverfassung, 2017, S. 59 ff.; Hueck in MünchHdb. GesR IX, § 50 Rz. 22 ff.

Karsten Schmidt/Bochmann | 771

§ 45 Rz. 116a | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse dern auch deren Angehörige beteiligt672, was die Möglichkeit der Durchsetzung gegenüber der Gesellschaft im Zuge von Anfechtungsklagen nach den Grundsätzen omnilateraler Gesellschafterbindungen zusätzlichen Zweifeln aussetzt. Zur Beschlussanfechtung können Abreden in Familienverfassungen im Einzelfall aber nach den Grundsätzen der außerstatutarischen Satzungskonkretisierung (Rz. 116) sowie durch ihre Berücksichtigung bei der Konkretisierung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht (s. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 38)673 und anderer Generalklauseln674 führen. e) Vertragswidrigkeit? 117 Die Verletzung schuldrechtlicher Abreden gegenüber Dritten ist kein Anfechtungs-

grund675. Weder Nichtigkeit noch Anfechtbarkeit liegt z.B. vor, wenn sich sämtliche GmbHAnteile in der Hand von Treuhändern befinden, die ihren Treugeber durch Beschluss als Geschäftsführer abberufen676 oder sonst das Treuhandverhältnis verletzen677. Hier muss auf der Basis der schuldrechtlichen Treuhandbeziehung im Innenverhältnis für den Schutz des Treugebers gesorgt werden, zumal diesem ein Anfechtungsrecht gegen den Beschluss versagt ist (Rz. 128). Anders verhält es sich nur, wenn der Beschluss zugleich eine Treuwidrigkeit gegenüber dem Gesellschafter (Treuhänder) enthält; aber auch in diesem Fall steht nur dem Treuhänder das Anfechtungsrecht zu. Allgemein reicht der Verstoß gegen eine schuldrechtliche Verpflichtung (z.B. Stimmbindung [vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 53] oder einstweilige Verfügung [dazu 12. Aufl., § 47 Rz. 59]) nicht für eine Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit des Beschlusses aus (Rz. 116, näher auch 12. Aufl., § 47 Rz. 19). Kein allgemeiner Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgrund liegt auch vor, wenn Gesellschafter eine juristische Person ist, deren Organ bei der Abstimmung im Verhältnis zu den Mitgliedern dieser Gesellschafter-Gesellschaft pflichtwidrig handelt678. Wenn die beschlussfassenden Mitgesellschafter um die Pflichtwidrigkeit der Stimmabgabe wissen, kann diese allerdings wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht (12. Aufl., § 35 Rz. 187 ff.) unwirksam sein (vgl. zu den Konsequenzen für den Beschluss Rz. 51, 119; 12. Aufl., § 47 Rz. 32). f) Grenzen der Satzungsautonomie 118 Die Satzung kann die Anfechtungsgründe nicht wirksam beschränken, insbesondere nicht auf

einen numerus clausus begrenzen679. Dagegen kann die Satzung bestimmte Beschlüsse für 672 Baus, Die Familienstrategie, 5. Aufl. 2016, S. 108 f. 673 Fleischer, ZIP 2016, 1509, 1518; Hueck in MünchHdb. GesR IX, § 50 Rz. 51 ff.; vgl. auch Lange in Röthel/Karsten Schmidt, Die Verträge der Familienunternehmer, 2013, S. 33, 43; Uffmann, ZIP 2015, 2441, 2450; zur Dispositionsbefugnis hinsichtlich der Treuepflicht allgemein Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289 ff. 674 Hueck in MünchHdb. GesR IX, § 50 Rz. 54 f.; Hamburger Kreis Recht der Familienunternehmen, DB 22/2018, M26, M27. 675 Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 72; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 363; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 34. 676 BGH v. 1.3.1962 – II ZR 252/59, LM Nr. 5 zu § 47 GmbHG = BB 1962, 385 = MDR 1962, 374; ausführlicher noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 56 (keine Nichtigkeit) und 79 (kein Anfechtungsgrund). 677 BGH v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, LM Nr. 8 zu § 47 GmbHG = BB 1966, 636 = JZ 1966, 483 = NJW 1966, 1459 = WM 1966, 614; Kuhn, WM 1966, 1127; s. auch zum Vereinsrecht BGH v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942, 1943 Rz. 19; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 212. 678 A.A. für den Fall, dass die Mitgesellschafter dies wissen, OLG Hamburg, HansGZ 1923, B, 69, 71. 679 Vgl. BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 273 = NJW 1954, 1563; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 143; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 55; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 10; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 29.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 119 § 45

rechtens und bestimmte Verfahrensregeln zu bloßen Ordnungsvorschriften erklären, soweit nicht satzungsfeste Gesetzesvorschriften oder zwingende rechtliche Grundsätze entgegenstehen680. Vollends zeigt sich beim Anfechtungstatbestand der Satzungswidrigkeit (Rz. 114) der Vorrang der Satzungsautonomie gegenüber dem dispositiven Recht. 5. Heilung von Anfechtungsmängeln und Rügeverlust a) Zustimmung Anfechtungsmängel, die zur Disposition einzelner Gesellschafter stehen, können durch Zu- 119 stimmung der von dem Mangel Betroffenen geheilt werden681. Hierher gehören insbesondere: die Verletzungen von Informations- und Teilnahmerechten oder die Ungleichbehandlung von Gesellschaftern. Ähnlich, wenn die Stimmabgabe eines Vertreters nach § 177 BGB oder nach § 181 BGB unwirksam und das Stimmergebnis deshalb mangels Zustimmung falsch ausgezählt war (12. Aufl., § 47 Rz. 87 und 182). Bei Formalmängeln beseitigt die Zustimmung der Betroffenen die Relevanz des Mangels (Rz. 100 ff.). Individuelle Inhaltsmängel stehen zur Disposition derer, deren Rechte und Interessen beeinträchtigt sind. Insgesamt kommt diese Form der Heilung nur in Betracht, wenn sich der Beschlussmangel in der Verletzung individueller Rechte erschöpft682. Die Heilung des Anfechtungsmangels durch nachträgliche Zustimmung des Betroffenen ist nicht mit dem bloßen Fortfall der Anfechtungsbefugnis gleichzusetzen (vgl. auch Rz. 122). Die Heilung des Mangels berührt zwar nicht die Anfechtungsbefugnis aller, auch der von dem Mangel nicht selbst betroffenen, Gesellschafter (Rz. 128), denn es geht bei der Heilung um die Disposition über den Anfechtungsgrund. Die Heilung des Anfechtungsmangels lässt jedoch die Rechtswidrigkeit des Beschlusses entfallen und wirkt daher – anders als der Fortfall der Anfechtungsbefugnis – nicht nur gegen den Zustimmenden selbst. Der Fortfall der Anfechtungsbefugnis, etwa in Folge des Verzichts einzelner Gesellschafter auf die Anfechtung, beseitigt demgegenüber nicht die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses – den Anfechtungsgrund – und wirkt daher nur gegen den Zustimmenden (vgl. zu dieser Rz. 139)683. Die Zustimmung kann ausdrücklich oder stillschweigend erklärt werden, und zwar vor, während oder nach der Beschlussfassung684. Heilung (die einen Mangel mit Wirkung erga omnes beseitigt) verlangt mehr als ein bloßer Rügeverlust. Die bloße Nicht-Rüge kann grundsätzlich nur Formalfehler in der Versammlung heilen (vgl. 12. Aufl., § 51 Rz. 31). § 245 Nr. 1 AktG, der die Anfechtungsbefugnis von einem förmlichen Widerspruch abhängig macht, gilt nicht für die GmbH685 (vgl. auch dazu Rz. 139). Eine entsprechende Regelung kann aber durch die Satzung eingeführt werden. Die Unterschrift der Gesellschafter unter dem Protokoll kann als Zustimmung zu dem Beschluss verstanden werden, wenn sich nicht aus dem Protokoll selbst

680 Ebenso Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 143; Teichmann in Gehrlein/ Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 55: Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 29. 681 Vgl. OLG München v. 5.10.2010 – 31 Wx 140/10, GmbHR 2011, 91, 92; OLG Naumburg v. 30.7.1998 – 2 U (Hs) 305/97, BeckRS 1998, 31356196; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 68; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 154; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 60; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 369; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 21, 40; Wicke, GmbHR 2017, 777, 781. 682 Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 68; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 369; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 40. 683 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 168; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 40; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 370. 684 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 369. 685 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 136; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 384 ff.; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 63; Fleischer in FS Stilz, 2014, S. 143, 147; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1293.

Karsten Schmidt/Bochmann | 773

§ 45 Rz. 119 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse oder aus dem Ablauf der Versammlung oder den Modalitäten der Unterzeichnung ein anderes ergibt. b) Vollversammlung 120 Zur Heilung von Mängeln durch Abhaltung einer Vollversammlung vgl. 12. Aufl., § 51 Rz. 35 ff.

Zum Erfordernis einer rügelosen Beteiligung vgl. 12. Aufl., § 51 Rz. 36. c) Bestätigung durch Beschluss 121 Ein Sonderfall der Heilung ist der einer fehlerfreien Bestätigung eines anfechtbaren Be-

schlusses durch einen seinerseits ordnungsgemäßen Beschluss (vgl. Rz. 32, 165)686. Nach § 244 AktG kann die Anfechtung nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der anfechtbare Beschluss durch einen neuen Beschluss bestätigt worden ist und dieser Beschluss weder nichtig687 noch rechtzeitig angefochten ist688; die Anfechtung des Erst-Beschlusses entfällt auch, wenn eine gegen den Zweit-Beschluss gerichtete Anfechtungsklage rechtskräftig abgewiesen worden ist689. Im Gegensatz zu einem wiederholenden Beschluss (Rz. 32a, 164) setzt die Bestätigung keine Neuvornahme voraus, so dass die materiellen Voraussetzungen des zu bestätigenden Beschlusses im Zeitpunkt der Bestätigung nicht mehr vorliegen müssen690. Diese Regeln gelten auch für die GmbH691. Es handelt sich um allgemeine verbandsrechtliche Grundsätze, die im Aktiengesetz lediglich besonderen Ausdruck gefunden haben, einer speziellen Regelung aber nicht bedürfen692. Vertreten wird, dass eine solche Heilung nur bei Verfahrensmängeln möglich sei, während eine inhaltliche Nachbesserung stets als neuer Be-

686 Vgl. zur dogmatischen Einordnung Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 244 AktG Rz. 3; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 244 AktG Rz. 5 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 146 ff.; Butzke in FS Stilz, 2014, S. 83 ff.; Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391 ff.; Hüffer, ZGR 2012, 730 ff.; Kiethe, NZG 1999, 1086 ff.; Kocher, NZG 2006, 1 ff. 687 Vgl. BGH 12.12.2005 – II ZR 253/03, ZIP 2006, 227, 229 = EWiR 2006, 161 m. Anm. Bork (zur AG); Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 152; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 378; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 244 AktG Rz. 7. 688 BGH v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, ZIP 2006, 227, 229 f. = EWiR 2006, 161 m. Anm. Bork (zur AG); Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 65; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 132; BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206 = AG 2004, 204 verlangt, weitergehend, einen mangelfreien Beschluss. 689 Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 244 AktG Rz. 17; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 149. 690 BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206 = ZIP 2004, 310, 311 = EWiR 2004, 575 m. Anm. Hirte/Groß (für AG); OLG Frankfurt a.M. v. 20.10.2010 – 23 U 121/08, ZIP 2011, 24, 29 (für AG); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 214; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 65; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 150; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 41; erheblich zweifelnd Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 134. 691 Vgl.; OLG Karlsruhe v. 11.4.2014 – 14 U 25/13, BeckRS 2015, 14244; OLG Düsseldorf v. 31.7.2003 – 6 U 27/03, GmbHR 2003, 1006, 1009 = EWiR 2003, 929 m. Anm. Tepfer; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 146; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 61; Wicke, Anh. § 47 Rz. 16; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 65; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 41; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 56; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 372; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 214 f.; krit. Fehrenbach, S. 262 ff. 692 Vgl. OGH Wien v. 19.12.1991 – 8 Ob 595–596/90, GesRZ 1993, 103, 105 (wo eine Sonderregel fehlt).

774 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 123 § 45

schluss aufgefasst werden müsse693. Der praktische Unterschied ist gering, weil die Heilung wie auch die Neuvornahme nur durch einen neuen Beschluss erfolgen kann. Der Zweitbeschluss beseitigt einerseits nicht bloß das Rechtsschutzinteresse für eine Anfechtungsklage694, beseitigt aber anderseits auch nicht die anfängliche Rechtswidrigkeit des anfechtbaren Ausgangsbeschlusses. Geheilt wird nur die Rechtswidrigkeit der beschlossenen Regelung. Diese Folge tritt mit Wirkung ex nunc ein (arg. § 244 Satz 2 AktG)695. Zwischenzeitlich erworbene Rechte bleiben (vorbehaltlich des Einwands unzulässiger Rechtsausübung) unberührt696. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Anfechtungsklage für die Vergangenheit noch fortgesetzt werden kann, vgl. Rz. 166. d) Rügeverlust Von der Heilung zu unterscheiden ist der Verlust des Anfechtungsrechts durch Rügever- 122 zicht oder Rügeverlust (dazu Rz. 138 ff.). Beide Tatbestände überschneiden sich, haben aber unterschiedliche Rechtsfolgen697. Die Heilung macht aus dem rechtswidrigen Beschluss einen rechtmäßigen Beschluss; sie wirkt für und gegen jedermann, auch wenn sie nur von demjenigen herbeigeführt werden kann, der von dem Anfechtungsgrund betroffen ist (Rz. 119). Der Rügeverzicht oder Rügeverlust beseitigt nur die individuelle Anfechtungsbefugnis und macht den Beschluss als solchen nicht fehlerfrei. Auch der Ablauf der Anfechtungsfrist (Rz. 141) ist von der eigentlichen Heilung zu unterscheiden. Der Beschluss wird durch den Fristablauf zwar endgültig wirksam, dies aber nicht, weil er rechtmäßig wird, sondern weil er unanfechtbar geworden ist. 6. Rechtsfolgen der Anfechtbarkeit a) Die sog. Anfechtungsklage Die Anfechtbarkeit eines aus der Sicht der Gesellschafter verbindlichen Beschlusses wird 123 durch eine Gestaltungsklage geltend gemacht: durch die kassatorische Klage mit dem Antrag, den Beschluss für nichtig zu erklären698. Dieses sog. Anfechtungsklageerfordernis ist

693 OLG München v. 14.11.2012 – 7 AktG 2/12, AG 2013, 173 = ZIP 2012, 2439, 2442 (AG); Raiser/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 148: Wicke, Anh. § 47 Rz. 16; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 132; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 373; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 41; unentschieden Butzke in FS Stilz, 2014, S. 83, 85 f.; a.M. Grobecker/Kuhlmann, NZG 2007, 1, 2 ff. 694 Vgl. BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206 = ZIP 2004, 310, 311 = EWiR 2004, 575 m. Anm. Hirte/Groß (für AG); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131 gegen BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 356; Drescher in FS Stilz, 2014, S. 125, 130; s. aber Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 170. 695 Vgl. BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206 = ZIP 2004, 310, 311 = EWiR 2004, 575 m. Anm. Hirte/Groß (für AG); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 151; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 214; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 375; näher Zöllner, ZZP 81 (1968), 140 f.; Karsten Schmidt, JZ 1977, 775; a.M. Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 100. 696 BGH v. 8.5.1972 – II ZR 96/70, GmbHR 1972, 177; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 375. 697 Wie hier Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 40; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 154. 698 Vgl. z.B. RGZ 166, 129, 131; BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 235; BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 268; BGH v. 13.1.2003 – II ZR 227/00, BGHZ 153, 285 = GmbHR 2003, 351; Martin Schwab, S. 269 (für § 243 AktG); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 159, 166; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 175.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 40, 67; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 69 f.; Englisch in Hölters,

Karsten Schmidt/Bochmann | 775

§ 45 Rz. 123 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse umstritten, aber seine Anerkennung entspricht dem berechtigten Standpunkt der Gerichte (Rz. 45). Das sog. Anfechtungsklageerfordernis betrifft nur den Eintritt der Nichtigkeit. Es schließt eine nichtprozessuale Geltendmachung des Mangels nicht aus (Rz. 43), weil mit dem formellen Gestaltungsklagerecht ein materiellrechtlicher Anspruch auf Aufhebung des rechtswidrigen Beschlusses einhergeht und dem Anfechtungsanliegen auch durch Aufhebung des Beschlusses seitens der Gesellschafter genügt werden kann (vgl. Rz. 45). Heben die Gesellschafter den Beschluss nicht auf, so hilft nur die Anfechtungsklage. Eine bloße Anfechtungserklärung nach § 143 BGB genügt nicht, ebenso wenig ein Feststellungsprozess (der Unterschied liegt nicht nur in der konstitutiven Wirkung des Gestaltungsprozesses, sondern auch in dessen Festlegung auf bestimmte Parteien, vgl. Rz. 147 ff.). Erst mit der Rechtskraft des Gestaltungsurteils wird der anfechtbare Beschluss nichtig (vgl. zu den Urteilswirkungen näher Rz. 171 ff.)699. Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass auch schon die bloße Anfechtbarkeit Auswirkungen auf die Vollziehbarkeit des Beschlusses haben kann (sogleich Rz. 124). b) Anfechtungseinrede? 124 Die Anfechtbarkeit kann in engen Grenzen auch durch Einrede geltend gemacht werden700.

Dies ist aber keine „Anfechtung durch Einrede“701. Die Erhebung einer bloßen Einrede kann aus dem anfechtbaren keinen nichtigen oder unwirksamen Beschluss machen. Es geht bei der Einrede lediglich darum, dass sich die Beteiligten u.U. auch gegenüber den Rechtsfolgen eines Beschlusses auf dessen Rechtswidrigkeit (und damit Anfechtbarkeit) berufen können702. So wird beispielsweise im Ausschließungsprozess gegen einen Gesellschafter nicht nur die Wirksamkeit eines Ausschließungsbeschlusses geprüft, sondern auch die materielle Berechtigung des Ausschlusses703, ähnlich bei der Abberufung eines Geschäftsführers704. Regelmäßig richtet sich die Einrede der Anfechtbarkeit gegen den Vollzug eines anfechtbaren und damit nur vorläufig wirksamen Beschlusses. Dass die Anfechtbarkeit den Vollzug eines Beschlusses suspendieren kann, zeigt z.B. die Regelung des § 16 Abs. 2 Satz 2 UmwG. Ein wohl eher theoretisches Beispiel ist die Nichtbefolgung eines Auskunftsverweigerungsbeschlusses (12. Aufl., § 51a Rz. 43). Wenn über die Einforderung der Einlagen (§ 46 Nr. 2) bzw. von Nachschüssen (§ 26) oder über die Einziehung von Geschäftsanteilen (§ 46 Nr. 4) Beschluss gefasst worden ist, kann die

699 700

701

702 703 704

§ 246 AktG Rz. 13; eingehend Karsten Schmidt, AG 1977, 205 ff., 247 f.; s. aber Zöllner/Noack, ZGR 1989, 534. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 101; zu Unrecht einschränkend für personalistische Gesellschaften Timm in FS Fleck, 1988, S. 368 f. Vgl. dazu etwa Vorinstanz bei RGZ 89, 377; BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = ZIP 1987, 1251, 1253 = GmbHR 1988, 18; Karsten Schmidt, JZ 1987, 1083; Noack, S. 146 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 177 f.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 99; Zöllner/Noack, ZGR 1989, 543; weitergehend Fehrenbach, S. 316 ff.; ausdrücklich offenlassend zur Arglisteinrede OLG Düsseldorf v. 20.12.2006 – 15 U 39/06, OLGR Düsseldorf 2008, 180, 183. Obgleich bisweilen von einer solchen die Rede ist (vgl. nur RGZ 89, 377 – Ausführungen der Vorinstanz; RG, Holdh. 23, 103 = LZ 1913, 683, aber ohne hinreichende Trennung von Anfechtbarkeit und Nichtigkeit; OLG Karlsruhe, JW 1932, 2636; OLG München, HRR 1940 Nr. 1357); in die gleiche Richtung weist die von Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 175, 177, für ausreichend erachtete Anfechtungserklärung; s. auch Zöllner/Noack, ZGR 1989, 543; Raiser in FS Heinsius, 1991, S. 650; abl. mit Recht A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 161; Feine, S. 550; Kolb in FS Bumke, 1939, S. 272. Ausführlicher noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 50. Vgl. OLG Düsseldorf v. 22.10.1998 – 6 U 78/97, GmbHR 1999, 543, 547 (mit der bedenklichen Folgerung, eine Anfechtungs-Widerklage sei unzulässig). Vgl. OLG Brandenburg v. 15.10.1997 – 7 U 56/95, GmbHR 1998, 193, 196.

776 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 125 § 45

Anfechtbarkeit des Beschlusses aufschiebende Wirkung haben705, die durch Leistungsverweigerung, aber auch durch einstweilige Verfügung (Rz. 183) durchgesetzt werden kann. Im Fall eines Umwandlungsbeschlusses kann das Eintragungshindernis im Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3, § 198 Abs. 3 UmwG abgewendet werden (auch hierzu Rz. 183). Eine Gewinnauszahlung kann verweigert werden, wenn der Gewinnverwendungsbeschluss angefochten ist (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 45). Wenn sich ein auf Schadensersatz belangter Geschäftsführer auf Haftungsbefreiung durch Entlastung beruft, kann Anfechtbarkeit des Beschlusses eingewendet werden (dazu 12. Aufl., § 46 Rz. 99). Regelmäßig wirkt die sog. Einrede der Anfechtbarkeit nur dilatorisch. Es wird geltend gemacht, dass die Rechtslage in der Schwebe ist, solange nicht feststeht, ob der Beschluss unanfechtbar oder durch kassatorisches Urteil vernichtet werden wird. Dann kann der um die Leistung geführte Prozess nach § 148 ZPO ausgesetzt und das Ergebnis der Anfechtungsklage abgewartet werden. Wird der Beschluss bestandskräftig (z.B. weil die Anfechtungsfrist verstrichen ist), so entfällt die dilatorische Einrede. Nur ausnahmsweise begründet die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses unabhängig von seiner Aufhebung eine peremptorische Einrede. Diese Einrede basiert nicht auf der Anfechtbarkeit des Beschlusses (also auf seiner nur vorläufigen Wirksamkeit), sondern auf seiner auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist fortwirkenden materiellen Rechtswidrigkeit (dazu Rz. 143 a.E.). So verhält es sich insbesondere, wenn eine die Anfechtbarkeit begründende Rechtswidrigkeit unabhängig von der Beschlussanfechtung Ersatzansprüche auslöst. Nach BGH v. 15.5.1972706 lässt sich ein Verstoß gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Gesellschafter auf ganz unterschiedliche Weise ausgleichen, z.B. durch Rückgewährpflichten des Empfängers rechtswidrig zugesprochener Leistungen oder durch Ausgleichsansprüche benachteiligter Gesellschafter707. Insbesondere die Dauerwirkung eines rechtswidrigen Beschlusses kann zur Folge haben, dass trotz seiner Unanfechtbarkeit noch die Rechtswidrigkeit des Beschlusses geltend gemacht wird. Nach BGH v. 1.6.1987708 kann in der zweigliedrigen GmbH ein Gesellschafter gegen den anderen auch ohne Anfechtung und sogar nach Ablauf der Anfechtungsfrist geltend machen, dass der andere ein nur zum Schein abgegebenes vollstreckbares Schuldanerkenntnis rechtswidrig zur Einziehung des Geschäftsanteils missbraucht hat. Ähnlich wird man im Falle des Missbrauchs709 bei Beschlüssen, die die Unternehmensstrategie betreffen (Weisungen, Befreiung vom Wettbewerbsverbot etc.), die Berufung auf die Rechtswidrigkeit eines unanfechtbar gewordenen Beschlusses nicht davon abhängig machen dürfen, ob der Beschluss noch durch Anfechtungsurteil aufgehoben werden kann. Auch bei diesen Fällen handelt es sich nicht wirklich um eine „Anfechtung des Beschlusses durch Einrede“, sondern um die Geltendmachung seiner Rechtswidrigkeit, die auch (!) die Anfechtung rechtfertigen würde bzw. gerechtfertigt hätte. c) Weisungsbeschlüsse Geschäftsführer können die Anfechtbarkeit von Weisungsbeschlüssen einwenden, auch wenn 125 und solange diese nicht zur Nichtigkeit führt (vgl. 12. Aufl., § 43 Rz. 260 ff.; s. auch 12. Aufl., 705 Noch weitergehend BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = AG 1988, 15 = GmbHR 1988, 18 = JZ 1987, 1081 m. Anm. Karsten Schmidt; dazu Rz. 124. 706 BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, LM Nr. 2 zu § 29 GmbHG = MDR 1972, 933. 707 Im Anschluss an Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung, 1949, S. 175; vgl. zu verdeckten Gewinnausschüttungen auch 12. Aufl., § 29 Rz. 122 ff. 708 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = GmbHR 1988, 18 = JZ 1987, 1081 m. Anm. Karsten Schmidt. 709 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = GmbHR 1988, 18 = ZIP 1987, 1251, 1253 m. Anm. Karsten Schmidt, JZ 1987, 1083; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 177; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 99; im Hinblick auf die Arglisteinrede ausdrücklich offen OLG Düsseldorf v. 20.12.2006 – 15 U 39/06, OLGR Düsseldorf 2008, 180, 183.

Karsten Schmidt/Bochmann | 777

§ 45 Rz. 125 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse § 37 Rz. 98 ff.)710. Ist die Anfechtungsfrist abgelaufen, wobei wegen § 167 ZPO auch nach Ablauf der Klagefrist (dazu Rz. 145) noch mit einer fristgerechten Zustellung gerechnet werden muss, oder allseits auf die Erhebung der Anfechtungsklage verzichtet worden, ist der Geschäftsführer allerdings verpflichtet, auch einen aus seiner Sicht rechtswidrigen – aber nicht nichtigen (12. Aufl., § 43 Rz. 263 f.) – Beschluss zur Ausführung zu bringen711, soweit hieraus keine persönliche zivil- oder strafrechtliche Verantwortung erwächst. Solange keine Anfechtungsklage erhoben ist, wird teilweise Prognoseentscheidung zu Wahrscheinlichkeit der Klageerhebung und Erfolgsaussichten durch die Geschäftsführung gefordert, wobei nach den Grundsätzen zur Einholung von Rechtsrat aufgrund unvermeidbaren Rechtsirrtums im Einzelfall Ausführung auch bei schlussendlich erfolgreicher Anfechtung pflichtgemäß sein soll (12. Aufl., § 43 Rz. 264)712 (zur Frage, ob den Geschäftsführern sogar eine eigene Anfechtungsbefugnis zusteht, vgl. Rz. 134). Auf Prognose zur Anfechtbarkeit und Anfechtung allein kann es aber nicht ankommen. Vielmehr kann der Geschäftsführer auch bei überwiegender Wahrscheinlichkeit, dass Anfechtungsklage erfolgreich erhoben wird, zu pflichtgemäßer, am Unternehmenswohl orientierter Ermessensentscheidung gelangen, dass Gesellschaftsinteresse die unverzügliche Ausführung gebietet713. d) Eintragungshindernis? 126 Die bloße Anfechtbarkeit eines Beschlusses hindert nicht dessen Eintragung in das Handels-

register714. Das Registergericht kann allerdings das Eintragungsverfahren bis zum Ablauf der Anfechtungsfrist bzw. bis zur Beendigung eines schon laufenden Anfechtungsstreits aussetzen (vgl. § 381 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 1 FamFG)715. Dies setzt „besonders triftige Gründe“ voraus716 und wird von der Lage des Falls abhängen, wobei das Registergericht die Rechtsfolgen der Eintragung zu berücksichtigen sowie die Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage

710 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 19.; Altmeppen, § 37 Rz. 17; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 43 Rz. 93; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 177 und 186; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 44 Rz. 73. 711 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 43 Rz. 19; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 44 Rz. 73; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 22. 712 Vgl. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 43 Rz. 242; wohl auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 43 Rz. 19; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 43 Rz. 93. 713 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 44 Rz. 73; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 22; Ziemons in Michalski u.a., § 43 Rz. 106 ff.; Ziemons, Die Gesellschafterhaftung für Einflussnahmen in der GmbH, 1996, 31 f.; Noack, DB 2014, 1851, 1854. 714 BGH v. 2.7.1990 – II ZB 1/90, BGHZ 112, 9 = AG 1990, 538 (zu § 345 AktG); BGH v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 222 = NJW 1993, 1976, 1979 = GmbHR 1993, 446; KG, HRR 1936 Nr. 211 = JW 1936, 334; BayObLG v. 7.11.1991 – BReg.3 Z 120/91, GmbHR 1992, 41; OLG Köln v. 9.6.1981 – 2 Wx 11/81, GmbHR 1982, 211; OLG Stuttgart v. 25.10.2011 – 8 W 387/11, GmbHR 2011, 1277 = ZIP 2011, 2406; Feine, S. 550; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 82; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 187; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 381 FamFG Rz. 7; Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 64 ff.; vgl. allerdings A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 253 f.; Bokelmann, DB 1994, 1344. 715 OLG München v. 10.4.2018 – 31 Wx 72/18, AG 2018, 544 f.; OLG Frankfurt a.M. – 20 W 330/15, juris-Rz. 28; KG v. 7.7.2015 – 22 W 15/15, GmbHR 2016, 1159, 1163; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 82; Hoffmann in Michalski u.a., § 54 Rz. 30a; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 63; Bokelmann, DB 1994, 1341 m.w.N.; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 170 f.; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 381 FamFG Rz. 18. 716 OLG München v. 10.4.2018 – 31 Wx 72/18, AG 2018, 544 f.; KG v. 7.7.2015 – 22 W 15/15, GmbHR 2016, 1159, 1163; OLG Zweibrücken v. 10.10.2011 – 3 W 23/11, GmbHR 2012, 570, 571; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 170a.

778 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | vor Rz. 127 § 45

zu prüfen und zu berücksichtigen hat717. Der strengere Grundsatz des BGH v. 2.7.1990718, wonach eine Eintragung nur zulässig ist, wenn eine erhobene Anfechtungsklage zweifelsfrei aussichtslos ist, beruht auf verschmelzungsrechtlichen Sonderregeln. Diese sind in § 16 UmwG enthalten (vgl. auch § 198 Abs. 3 UmwG für den Fall des Formwechsels)719. Hat das Registergericht die Eintragung vorgenommen und ist der Beschluss später rechtskräftig für nichtig erklärt worden, so ist dies kein Grund, die Eintragung des Beschlusses von Amts wegen nach §§ 398, 395 FamFG wieder zu löschen (vgl. auch § 16 Abs. 3 Satz 10 Halbs. 2 UmwG: kein Anspruch auf Rückgängigmachung der Verschmelzung)720. Einzutragen ist aber das den Beschluss vernichtende Urteil (dazu Rz. 170). § 246a AktG, der das Freigabeverfahren auf Beschlüsse über Kapitalmaßnahmen und Unternehmensverträge ausdehnt, ist nach h.M. nicht entsprechend anwendbar721 (vgl. Rz. 137). Zur Frage, ob die Eintragung durch einstweilige Verfügung verhindert werden kann, vgl. Rz. 183.

V. Der kassatorische Prozess („Anfechtungsklage“, „Nichtigkeitsklage“ und „positive Beschlussfeststellungsklage“) Schrifttum Arens, Streitgegenstand und Rechtskraft im aktienrechtlichen Anfechtungsverfahren, 1959, S. 88; Ballerstedt, Die Bestätigung anfechtbarer Beschlüsse körperschaftlicher Organe, ZHR 124 (1962), 233; Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981; Bauschatz, Zur Reichweite der mit einer Anfechtungsklage verbundenen positiven Beschlussfeststellungsklage im GmbH-Recht, NZG 2002, 317; Bayer, Die Geltendmachung von Sozialansprüchen der GmbH durch den ausgeschiedenen Gesellschafter, GmbHR 2016, 505; Bayer, Schiedsfähigkeit von GmbH-Streitigkeiten,ZIP 2003, 881; Bayer/Lieder, Das aktienrechtliche Freigabeverfahren für die GmbH, NZG 2011, 1170; Bayer/Illhardt, Darlegungs- und Beweislast im Recht der GmbH anhand praktischer Fallkonstellationen, GmbHR 2011, 751; Becker, Typologie und Probleme der (handelsrechtlichen) Gestaltungsklagen unter besonderer Berücksichtigung der GmbH-rechtlichen Auflösungsklage (§ 61 GmbHG), ZZP 97 (1984), 314; Chr. Berger, GmbH-rechtliche Beschlußmängelstreitigkeiten vor Schiedsgerichten, ZHR 164 (2000), 295; Berger, Herausforderungen für die (deutsche) Schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2009, 289; Beyerle, Zur Klagebefugnis eines Aktionärs bei Übertragung der Aktien auf Dritte, DB 1982, 837; Bloching, Der Streitwert der Anfechtungsklage in der GmbH analog § 247 Abs. 1 AktG (§ 247 Abs. 1 AktG), GmbHR 2009, 1265; Bokelmann, Eintragung eines Beschlusses – Prüfungskompetenz des Registerrichters bei Nichtanfechtung, rechtsmißbräuchlicher Anfechtungsklage und bei Verschmelzung, DB 1994, 1344; Bork, Das Anerkenntnis im aktienrechtlichen Beschlußanfechtungsverfahren, ZIP 1992, 1205; Bork, Streitgegenstand der Beschlussmängelklage im Gesellschaftsrecht, NZG 2002, 1094; Bork, Zur Schiedsfähigkeit von Beschlußmängelstreitigkeiten, ZHR 160 (1996), 383; Borris, Die „Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten“ der DIS („DIS-ERGeS“), SchiedsVZ 2009, 299; Borris, Gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten in der Schiedspraxis, SchiedsVZ 2018, 242; Böttcher/Helle, Zur Schiedsfähigkeit

717 H.M.; vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 15.3.2016 – 20 W 330/15, juris-Rz. 28; KG v. 7.7.2015 – 22 W 15/15, GmbHR 2016, 1159, 1163; OLG Hamm v. 4.5.1988 – 15 W 61/88, AG 1988, 246 = GmbHR 1988, 396; OLG Hamm v. 11.5.1998 – 15 W 463/97, Rpfleger 1998, 522 = FGPrax, 1998, 190; OLG Zweibrücken v. 10.10.2011 – 3 W 23/11, GmbHR 2012, 570, 571; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 170a; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 381 FamFG Rz. 7 f.; Bokelmann, DB 1994, 1343; einschränkend Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 159 ff. m.w.N. 718 BGH v. 2.7.1990 – II ZB 1/90, BGHZ 112, 9 = AG 1990, 538. 719 Dazu auch Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 172 ff., 263. 720 Insoweit gleicher Ansicht Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 57 f.; vgl. demgegenüber aber OLG Hamm v. 22.5.1979 – 15 W 314/78, AG 1980, 79 = BB 1981, 259, 261, wo zu Unrecht eine Gleichsetzung mit Scheinbeschlüssen erwogen wird. 721 KG v. 23.6.2011 – 23 AktG 1/11, GmbHR 2011, 1044 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 173; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 54 Rz. 28; Sauerbruch, GmbHR 2007, 189 ff.; Meurer, GmbHR 2013, 729, 733 ff.; a.M. Harbarth, GmbHR 2005, 966 ff.; Geißler, GmbHR 2008, 128, 132 f.; Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 ff.

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§ 45 vor Rz. 127 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse von Beschlussmängelstreitigkeiten – Schiedsfähigkeit II, NZG 2009, 700; Boujong, Rechtsmissbräuchliche Aktionärsklagen vor dem BGH: Eine Zwischenbilanz, in FS Kellermann, 1991, S. 10; Casper, Das Anfechtungsklageerfordernis im GmbH-Beschlußmängelrecht, ZHR 163 (1999), 54; Casper/Risse, Mediation von Beschlussmängelstreitigkeiten, ZIP 2000, 437; v. Caemmerer, Die Bestätigung anfechtbarer Hauptversammlungsbeschlüsse, in FS Hueck, 1959, S. 290; Cramer/Koch, Die Grenzen der formellen Legitimationswirkung der GmbH-Gesellschafterliste, DStR 2020, 664; Drescher, Fehlen und Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für eine Beschlussmängelklage, in FS Stilz, 2014, S. 125; Ebbing, Schiedsvereinbarungen in Gesellschaftsverträgen, NZG 1998, 285; Eisenhardt, Zum Weisungsrecht der Gesellschafter in der nicht mitbestimmten GmbH, in FS Pfeiffer, 1988, S. 851; Ekkenga, Stimmverbote gegen den herrschenden Gesellschafter im GmbH-Konzern, ZGR 2019, 191; Emde, Der Angriff eines Mitgesellschafters gegen die Beschlussfeststellungsklage, ZIP 1998, 1475; Emde, Der Streitwert bei Anfechtung von GmbH-Beschlüssen und Feststellung der Nichtigkeit von KG-Beschlüssen in der GmbH & Co KG, DB 1996, 1557; Emde, Gesellschafterbeschluß: Nichtigkeit wegen Ladungsmängeln bei Einberufung einer Gesellschafterversammlung, GmbHR 2000, 491; v. Falkenhausen, Verfassungsgerichtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft, 1967; v. Falkenhausen/Kocher, Nachschieben von Gründen bei der aktienrechtlichen Anfechtungsklage, ZIP 2003, 426; Fleischer, Das Beschlussmängelrecht in der GmbH, GmbHR 2013, 1289; Fleischer, Zur (Nicht-)Anwendbarkeit des Freigabeverfahrens nach § 246a AktG im GmbHRecht, DB 2011, 2132; Fleischer, Zur ergänzenden Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH, GmbHR 2008, 673; Gehrlein, Beachtung der Anfechtungsfrist bei Klage vor nicht zuständigem Schiedsgericht, GmbHR 2016, 329; Gehrlein, Reichweite und Grenzen der Befugnisse von Gesellschaftern und Anteilseignern in der Regelinsolvenz, ZInsO 2017, 1977; Gehrlein, Zur streitgenössischen Nebenintervention eines Gesellschafters bei der aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage, AG 1994, 103; Geißler, Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Registersperre bei eintragungspflichtigen Gesellschafterbeschlüssen, GmbHR 2008, 128; Göz/Peitzmeyer, Schiedfähigkeit von Beschlussmängelklagen bei der GmbH, DB 2009, 1915; Habersack, Anmerkung zum Urteil des BGH vom 6.4.2009 (II ZR 255/08, JZ 2009, 794) – Schiedsfähigkeit II, JZ 2009, 797; Habersack/Schürnbrand, Die Bestätigung fehlerhafter Beschlüsse, in FS Hadding, 2004, S. 391; Harbarth, Freigabeverfahren für strukturändernde Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH, GmbHR 2005, 966; Hauschild/Böttcher, Schiedsvereinbarungen in Gesellschaftsverträgen, DNotZ 2012, 577; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand, 1961; Henn, Erhebung der Anfechtungsklage vor dem unzuständigen Gericht, AG 1989, 232; Henze, Die Schiedsfähigkeit von Gesellschafterbeschlüssen im GmbH-Recht, ZGR 1988, 542; Heuer, Die rechtsmißbräuchliche Erhebung der aktienrechtlichen Anfechtungsklage beim örtlich unzuständigen Gericht, AG 1989, 234; Hilbig, Schiedsvereinbarungen über GmbH-Beschlussmängelstreitigkeiten, SchiedsVZ 2009, 247; Hoffmann/ Köster, Beschlußfeststellung und Anfechtungsklageerfordernis im GmbH-Recht, GmbHR 2003, 1327; Alfred Hueck, Fehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse bei der GmbH, in FS Molitor, 1962, S. 406 ff.; Götz Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958; Joost, Die Parteirolle der personalistischen GmbH und ihrer Gesellschafter bei gesellschaftsinternen Klagen, ZGR 1984, 71; Hüffer, Die Bestätigung fehlerhafter Beschlüsse der Hauptversammlung, ZGR 2012, 730; Hüffer, Zur Vorbereitung und Durchführung von Grundlagenbeschlüssen in Aktiengesellschaften, in FS Fleck, 1988, S. 151; Kaulbach/Reidt, Interessen- und Gesellschafterkonflikte bei der Abberufung des GesellschafterGeschäftsführers – Mehrheit versus Minderheit und vice versa (Teil II), GmbHR 2021, 191; Lehmann, Die ergänzende Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH, 1970; Kindl, Die Notwendigkeit einer einheitlichen Entscheidung über aktienrechtliche Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen, ZGR 2000, 166; Köhler, Rückabwicklung fehlerhafter Unternehmenszusammenschlüsse (Unternehmensvertrag, Eingliederung, Verschmelzung, Gemeinschaftsunternehmen), ZGR 1985, 307; Kornmeier, Die Schiedsgerichtsvereinbarung in der GmbH-Satzung, DB 1980, 196; Kornmeier, Schiedsfähigkeit und materielle Vergleichsbefugnis Überlegungen zur Auslegung des Merkmals „Vergleich“ in § 1025 Abs 1 ZPO, ZZP 94 (1981), 27; Kornmeier, Vergleichsbefugnis und Schiedsfähigkeit, 1981, S. 62 ff.; Lieder/Becker, Zwangseinziehung und einstweilige Verfügung, GmbHR 2019, 505; Lindacher, Fragen der Beschlußfassung und -feststellung nach § 46 Nr. 8 GmbHG, ZGR 1987, 121; Lüke/Blenske, Die Schiedsfähigkeit von Beschlußmängelstreitigkeiten, ZGR 1998, 253; Lutter, Die entgeltliche Ablösung von Anfechtungsrechten – Gedanken zur aktiven Gleichbehandlung im Aktienrecht, ZGR 1978, 362; Lutz, Prozessvertretung der GmbH gegenüber dem Geschäftsführer und actio pro socio bei einstweiligen Verfügungen, NZG 2015, 424; Martens, Die Vergleichs- und Abfindungsbefugnis des Vorstandes gegenüber opponierenden Aktionären, AG 1988, 118; Mayer, Streitwert und Kostenerstattung im Beschlussmängelrechtsstreit der GmbH, GmbHR 2010, 1081; Meurer, Keine Übertragbarkeit des aktienrechtlichen Freigabeverfahrens (§ 246a AktG) auf die GmbH, GmbHR 2013, 729; Meyer, Streitwert und Kostenerstattung im Beschlussmängelrechtsstreit der GmbH, GmbHR 2010, 1081; Mimberg, Das Zusammentreffen von Beschluss-

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | vor Rz. 127 § 45 bestätigung und positiver Beschlussfeststellungsklage, in FS Hüffer, 2010, S. 663; Murray, Der Nießbrauch am GmbH-Anteil, 1965, S. 106 ff.; Nehls, Die Anfechtungsfrist für GmbH-Gesellschafterbeschlüsse, GmbHR 1995, 703; Niemeyer/Häger, Fünf Jahre „Schiedsfähigkeit II“ – ein Überblick unter besonderer Berücksichtigung der ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten der DIS, BB 2014, 1737; Nietsch, Die Zustellung der Anfechtungsklage des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2004, 1518; Nietsch, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten in der GmbH, ZIP 2009, 2269; Noack, Adieu „Feststellungsmodell“, bonjour „Anfechtungsmodell“ – über den Systemwechsel im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften, ZIP 2020, 1382; Noack, Empfiehlt sich eine Reform des Beschlussmängelrechts im Gesellschaftsrecht?, JZ 2018, 824; Nolting, Rechtskrafterstreckung von Schiedssprüchen zu Beschlussmängeln im GmbH-Recht, GmbHR 2011, 1017; Nolting, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten bei der GmbH, SchiedsVZ 2011, 319; Nolting, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten, NotBZ 2009, 241; Otto, Anforderungen an die Schiedsvereinbarung für gesellschaftsrechtliche Beschlussmängelstreitigkeiten, ZGR 2019, 1082; Raiser, Anwendbarkeit der Beschlussmängelvorschriften des UMAG und des ARUG auf die GmbH?, in FS Hüffer, 2010, S. 789; Raspe, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Gesellschafterbeschlüssen der GmbH, 1932, S. 70; Rehbinder, Zum Haftungsstatus unternehmenstragender BGB-Gesellschaften, in FS Fleck, 1988, S. 253 ff.; Rensen, Die Benachrichtigung der GmbH-Gesellschafter von Beschlussmängelstreitigkeiten, NZG 2011, 569; Riegger/Wilske, Auf dem Weg zu einer allgemeinen Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten?, ZGR 2010, 733; Römermann, Gesellschafterbeschluss: Anforderungen an die Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten, GmbHR 2009, 710; Sauerbruch, Kein Freigabeverfahren für strukturändernde Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH, GmbHR 2007, 189; Schäfer, Zur angemessenen Verteilung der Prozesskosten bei Beschlussmängelstreitigkeiten im GmbH-Recht, in FS Goette, 2011, S. 443; Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966, S. 330; Schlaus, Auskauf opponierender Aktionäre, AG 1988, 113; Karsten Schmidt, Anfechtungsbefugnisse von Aufsichtsratsmitgliedern, in FS Semler, 1993, S. 333; Karsten Schmidt, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen (I), AG 1977, 205; Karsten Schmidt, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen (II), AG 1977, 243; Karsten Schmidt, Grundfälle zum Gestaltungsprozeß, JuS 1986, 39; Karsten Schmidt, Nichtigkeitsklagen als Gestaltungsklagen, JZ 1988, 733; Karsten Schmidt, Nochmals – Berufungszuständigkeit nach § 92 GWB, BB 1976, 1285; Karsten Schmidt, Rechtsschutz des Minderheitsgesellschafters gegen rechtswidrige ablehnende Beschlüsse, NJW 1986, 2018; Karsten Schmidt, Schiedsfähigkeit von GmbH-Beschlüssen, ZGR 1988, 523; Karsten Schmidt, Schiedsklauseln und Schiedsverfahren im Gesellschaftsrecht als prozessuale Legitimationsprobleme – Ein Beitrag zur Verzahnung von Gesellschafts- und Prozessrecht, BB 2001, 1859; Karsten Schmidt, Vom Sonderrecht der „führungslosen GmbH“ zur subsidiären; Selbstorganschaft? – Überlegungen im Anschluss an das MoMiG, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157; Karsten Schmidt, Wohin geht die Berufung in Zivilrechtsstreitigkeiten mit kartellrechtlichem Einschlag?, BB 1976, 1051; Karsten Schmidt, Zivilprozessuale „Kartellrechtssachen“, JZ 1976, 307; Karsten Schmidt, Zur gesetzlichen Befristung der Nichtigkeitsklage gegen Verschmelzungs- und Umwandlungsbeschlüsse, DB 1995, 1849; Karsten Schmidt, Zum Streitgegenstand von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen im Gesellschaftsrecht, JZ 1977, 769; Schneider, Schiedsverfahren in GmbH-Beschlußmängelstreitigkeiten, GmbHR 2005, 86; Schnorr, Teilfehlerhafte Gesellschafterbeschlüsse, 1997; Schröder, Mediationsklauseln im Gesellschaftsvertrag einer GmbH, GmbHR 2014, 960; Schulte, Rechtsnatur und Wirkungen des Anfechtungs- und Nichtigkeitsurteils nach den §§ 246, 248 AktG, AG 1988, 72; Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2004, S. 373; Schulz, Zur Verdrängung und Ersetzung der Gesellschaftsorgane durch den Konkursverwalter, KTS 1986, 389; Schwedt/Lilja/Schaper, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten: Die neuen Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten der DIS, NZG 2009, 1281; Sosnitza, Nichtigkeits- und Anfechtungsklage im Schnittfeld von Aktien- und Zivilprozessrecht, NZG 1998, 337; Steinmeyer/Seidel, Nichtigkeits- und Anfechtungsklage im Schnittfeld von Aktien- und Zivilprozessrecht, DStR 1999, 2077; Tielmann, Die Anfechtungsklage – ein Gesamtüberblick unter Berücksichtigung des UMAG, WM 2007, 1686; Timm, Beschlußanfechtungsklage und Schiedsfähigkeit im Recht der personalistisch strukturierten Gesellschaften, in FS Fleck, 1988, S. 365 ff.; Töben, Mediationsklauseln, RNotZ 2013, 321; Triebel/Haffner, SchiedsVZ 2009, 313, Trittmann, Präklusion und „Heilung“ der Unzuständigkeit bei GmbH- Beschlussmängelstreitigkeiten im Schiedsverfahren, ZGR 1999, 359; Versin, Zur Schiedsfähigkeit von GmbH-Beschlussmängelstreitigkeiten, GmbHR 2015, 969; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986, S. 114; Walter, Die Vollstreckbarerklärung als Voraussetzung bestimmter Wirkungen des Schiedsspruchs, in FS Schwab, 1990, S. 539; Werner, Gesellschafterbeschluss: Nichtigkeit eines Ausschließungs- und Einziehungsbeschlusses und Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers, GmbHR 2013, 423; Werner, Prävention und Lösung von Gesellschafterkonflikten in der GmbH, GmbHR 2005, 1415; Werner,

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§ 45 Rz. 127 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten im Recht der GmbH, MDR 2009, 842; Westermann, Schiedsgerichte in kapitalgesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, ZGR 2017, 38; Wiedemann, Gedanken zur Mitgliedschaft und zu den mitgliedschaftlichen Rechtsverhältnissen, in FS Goette, 2011, S. 617; Witte/Hafner, Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten im Recht der GmbH am Maßstab der neuen BGH-Rechtsprechung und ihre Auswirkungen, DStR 2009, 2052; Wolany, Rechte und Pflichten des Gesellschafters einer GmbH, 1964; Wolff, Beschlussmängelstreitigkeiten im Schiedsverfahren, NJW 2009, 2021; Zilles, Vereinbarung des Schiedsverfahrens über Beschlüsse von GmbH-Gesellschaftern, BBBeil. 4/1999, S. 3; Zöllner/Noack, Geltendmachung von Beschlußmängeln im GmbH-Recht, ZGR 1989, 525.

1. Die Anfechtungsbefugnis a) Grundsatz 127 Im Gestaltungsprozess (Anfechtungsklage, Nichtigkeitsklage, positive Beschlussfeststellungs-

klage) kommt es auf die Person des richtigen Klägers an722. Im Gegensatz zur allgemeinen Feststellungsklage, die jeder Kläger gegen jeden Beklagten erheben kann, sofern die Voraussetzungen des § 256 ZPO erfüllt sind723, kann eine „Anfechtungs-“, „Nichtigkeits-“ oder sog. „Beschlussfeststellungsklage“ nur von einem hierzu Befugten durchgeführt werden724. Der kassatorischen Klage (Rz. 45) kann nur stattgegeben werden, wenn sie von einem „Anfechtungsberechtigten“ erhoben ist. Wer nicht „anfechtungsberechtigt“ ist, kann nur nach § 256 ZPO auf Feststellung der Nichtigkeit klagen (Rz. 81 f.). Von der h.M. wird die Anfechtungsbefugnis nicht als Sachurteilsvoraussetzung, sondern als eine materiellrechtliche Voraussetzung für das Gestaltungsurteil angesehen. Das Fehlen der Anfechtungsbefugnis soll also zur Abweisung der Klage als unbegründet – nicht als unzulässig – führen725. Das ist zu bestreiten726: Die Frage ist rechtsdogmatischer Art. Nennenswerte praktische Auswirkungen, insbesondere im Hinblick auf Rechtshängigkeit und Rechtskraft, hat sie nicht. Sie hängt mit dem Verhältnis zwischen dem materiellen Recht auf Beseitigung des rechtswidrigen Beschlusses (Rz. 45) und der Befugnis, den Gestaltungsprozess zu betreiben, zusammen727. Ginge es um die Geltendmachung des Anspruchs auf Aufhebung des 722 Vgl. BGH v. 13.10.2008 – II ZR 112/07, GmbHR 2009, 39, 40 Rz. 11; OLG Hamm v. 17.10.2007 – 8 U 28/07, juris-Rz. 28; sowie allgemein für Gestaltungsklagen Karsten Schmidt, JuS 1986, 39. 723 Vgl. BGH v. 23.2.1978 – II ZR 37/77, BGHZ 70, 384 = BB 1978, 629 = NJW 1978, 1325; BGH v. 13.10.2008 – II ZR 112/07, GmbHR 2009, 39, 40 Rz. 11; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70. 724 So im Ergebnis die einhellige Ansicht; die einheitliche Geltung dieses Grundsatzes für die genannten Klagen wurde ausführlicher entwickelt von Karsten Schmidt in der 6. Aufl., Rz. 90, 96; zustimmend OLG Hamm v. 17.10.2007 – 8 U 28/07, juris-Rz. 28; OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 990 m. Anm. Illhardt; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 135; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 153. 725 So noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 96; ebenso z.B. BGH v. 15.6.1992 – II ZR 173/91, AG 1992, 448 = DB 1992, 1567 = ZIP 1992, 1391 (betr. AG); OLG Düsseldorf v. 24.8.1995 – 6 U 124/94, GmbHR 1996, 443, 451; OLG Jena v. 30.5.2018 – 2 U 800/15, GmbHR 2020, 433, 435; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 135; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70, 75 (trotz Auswechslung des Worts „Aktivlegitimation“ durch „Anfechtungs-“ bzw. „Klagebefugnis“); Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 82; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 248 („Anfechtungsbefugnis“ = „Aktivlegitimation“ = „materiell-rechtliche Voraussetzung“ = „keine Prozessführungsbefugnis“); Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 57; Boujong in FS Kellermann, 1991, S. 10. 726 Vgl. schon Karsten Schmidt, AG 1977, 208 in Fn. 31; vgl. auch Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 245 AktG Rz. 6 zust. Martin Schwab, S. 396 f. 727 Vgl. auch Karsten Schmidt in FS Semler, 1993, S. 333; bei der „Anfechtungsklage“ im Verein, die vom BGH nur als Feststellungsklage angesehen wird, soll dagegen die Mitgliedschaft des Klägers Zulässigkeitsvoraussetzung sein (vgl. BGH v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942, 1947).

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 128 § 45

rechtswidrigen Beschlusses (Rz. 123) im Wege der Leistungsklage, so wäre die Anfechtungsbefugnis als Aktivlegitimation allerdings eine Frage des materiellen Rechts. Dagegen ist die Anfechtungsbefugnis als Befugnis, eine Gestaltungsklage zu erheben, (wie jede Gestaltungsklagebefugnis) eine Prozessführungsbefugnis und damit eine Sachurteilsvoraussetzung. Es wäre nicht konsequent, das Rechtsschutzinteresse zur Sachurteilsvoraussetzung zu erklären, die Anfechtungsbefugnis dagegen bei der Begründetheit der Klage zu prüfen. Klagt ein hierzu nicht Befugter gegen die Gesellschaft auf Nichtigerklärung eines Beschlusses, so ist die Klage abzuweisen, ohne dass das Gericht in eine Sachprüfung eintritt. Ähnliches gilt, wenn der Kläger die Anfechtungsbefugnis durch Rügeverzicht verloren hat (Rz. 139) oder von ihr unbefugten, insbesondere treuwidrigen Gebrauch macht (Rz. 140). Haben dagegen die Gesellschafter den Mangel eines Beschlusses geheilt (Rz. 119), so würde die von einem gleichwohl noch zur Anfechtung befugten Kläger (z.B. einem Organmitglied; vgl. Rz. 134 f.) erhobene Klage nicht mangels Anfechtungsbefugnis als unzulässig, sondern mangels Rechtswidrigkeit des Beschlusses als unbegründet abgewiesen (vgl. Rz. 122). Noch in einer anderen Beziehung hilft die hier vertretene Auffassung bei der Ordnung von Sachfragen: Der Kreis der Klageberechtigten wird herkömmlich für die „Anfechtungsklage“ und für die „Nichtigkeitsklage“ unterschiedlich gezogen: Zur „Anfechtungsklage“ sollen grundsätzlich nur die Gesellschafter befugt sein, zur „Nichtigkeitsklage“ dagegen jeder Gesellschafter, jeder Geschäftsführer und jedes Mitglied des Aufsichtsrats728. Da es sich indes richtigerweise um nach Klagart und Streitgegenstand gleichartige Prozesse handelt (Rz. 45, 152), kann die Unterscheidung nur bei der Frage ansetzen, wer unter welchen Voraussetzungen welche Beschlussmängel zur Grundlage der kassatorischen Klage machen kann. So gesehen ist der Differenzierungsansatz der h.M. durchaus von Nutzen. b) Jeder Gesellschafter Jeder Gesellschafter ist hinsichtlich aller Beschlussmängel zur Klage befugt729. Maßgeblich 128 ist gemäß § 16 Abs. 1 die Eintragung in der aktuellen zum Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste (12. Aufl., § 16 Rz. 34 ff.)730. Die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 Satz 1 steht jedoch unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben, so dass sich die Gesellschaft auf die Legitimationswirkung der Gesellschafterliste nicht berufen kann, wenn sie

728 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 69, 136 ff.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 77 f.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 46 f. 729 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426, 427 f. m. Anm. Werner = NZG 2008, 317, 318 = ZIP 2008, 757, 759; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 337 Rz. 21 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Düsseldorf v. 24.8.1995 – 6 U 124/94, GmbHR 1996, 443, 448; OLG Hamm v. 17.10.2007 – 8 U 28/07, BeckRS 2008, 05437 Rz. 29; OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 990 m. Anm. Illhardt; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 69, 136; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 84, 154; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 30, 70; 82; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 44; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 388. 730 BGH v. 13.10.2008 – II ZR 76/07, GmbHR 2009, 38 = EWiR 2008, 751 m. Anm. Blasche; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 337 Rz. 23 ff. m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Hamm v. 17.10.2007 – 8 U 28/07, BeckRS 2008, 05437 Rz. 29; OLG Naumburg v. 1.9.2016 – 2 U 95/15, GmbHR 2017, 86, 88 m. Anm. Werner = EWiR 2017, 267 m. Anm. Staake; OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 990 m. Anm. Illhardt; OLG Jena v. 30.5.2018 – 2 U 800/15, GmbHR 2020, 433, 435; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137, 155; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 45; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 390; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 63.

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§ 45 Rz. 128 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse selbst durch unredliches Verhalten die Aufnahme der Gesellschafterliste im Handelsregister herbeigeführt hat731. Es ist keine Mindestquote erforderlich. Anfechtungsberechtigt ist auch der Inhaber stimmrechtsloser Geschäftsanteile732. Nur für eigene Anteile der Gesellschaft gilt dies nicht, weil die Mitverwaltungsrechte aus eigenen Anteilen ruhen (12. Aufl., § 33 Rz. 37). Die Anfechtungsbefugnis umfasst alle Rechtsmängel. Zwischen formellen und materiellen Verstößen besteht ebenso wenig ein Unterschied wie zwischen Nichtigkeitsmängeln und Anfechtungsmängeln. Grundsätzlich kommt es nicht darauf an, dass der Kläger eine Verletzung in individuellen Rechten geltend macht (dazu Rz. 129). Jeder Gesellschafter ist Träger der gemeinschaftlichen rechtmäßigen Willensbildung und durch einen rechtswidrigen Beschluss jedenfalls abstrakt in seiner Mitgliedschaft betroffen. Mehrere Inhaber eines gemeinschaftlichen Anteils können das Anfechtungsrecht grundsätzlich nur gemeinschaftlich ausüben (12. Aufl., § 18 Rz. 17, 23). Sie klagen dann in notwendiger Streitgenossenschaft nach § 62 ZPO (Rz. 155)733. Für die Prozessführung haben sie nach 12. Aufl., § 18 Rz. 20 ff. einen gemeinschaftlichen Vertreter zu bestellen734. Prozesspartei sind dann alle Gesellschafter; für eine gewillkürte Prozessstandschaft, bei der ein AnteilsMitinhaber von den anderen ermächtigt wird und dann teils aus eigenem, teils aus fremdem Anfechtungsrecht im eigenen Namen klagt, besteht kein Bedürfnis735. Nicht um eine Mehrheit von Inhabern handelt es sich, wenn eine mehrgliedrige Körperschaft oder eine rechtsfähige Personengesellschaft (auch: Außen-GbR) Anteilsinhaberin ist736 (12. Aufl., § 18 Rz. 3a, 7). Das Anfechtungsrecht einer solchen Gesellschaft wird von ihren organschaftlichen Vertretern ausgeführt. Im Fall der Erbengemeinschaft kann sich die Anfechtungsbefugnis eines einzelnen Miterben aus § 2038 Abs. 1 Satz 2 BGB ergeben, wenn die Ausübung des Anfechtungsrechts eine notwendige Erhaltungsmaßnahme darstellt737; mit Blick auf § 744 Abs. 2 BGB gilt das auch für die Bruchteilsgemeinschaft738. Im Übrigen bleibt es auch hier bei der

731 BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 339 Rz. 42 ff. m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 993 Rz. 42 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; Cramer/ Koch, DStR 2020, 664, 668 f. 732 BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 270 f.; Schäfer, Der stimmrechtslose Geschäftsanteil, 1997, S. 280 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 157; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 44. 733 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 249; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 394. 734 Vgl. OLG Nürnberg v. 16.7.2014 – 12 U 2267/12, GmbHR 2014, 1147, 1149 = EWiR 2015, 175 m. Anm. Jänig/Schiemzik; Karsten Schmidt in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, §§ 744, 745 BGB Rz. 10; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 249; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 64; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 394. 735 Zust. OLG Nürnberg v. 16.7.2014 – 12 U 2267/12, GmbHR 2014, 1147, 1149 = EWiR 2015, 175 m. Anm. Jänig/Schiemzik; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 156; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 249. 736 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 250; Servatius in Baumbach/Hueck, § 18 Rz. 2. 737 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21, 30 f. = GmbHR 1989, 329, 332 = NJW 1989, 2694, 2696 f.; BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, ZIP 2018, 1492, 1493 Rz. 24 = EWiR 2018, 485 m. Anm. Hippeli; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 254; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 156; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 136; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 395 f. 738 BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, ZIP 2018, 1492, 1493 Rz. 23 f. = EWiR 2018, 485 m. Anm. Hippeli; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 254; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 136; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 64.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 129 § 45

Regel des § 18. Ein Testamentsvollstrecker übt das Anfechtungsrecht der Erben aus, jedoch nur im Rahmen seiner Zuständigkeit739. Im Insolvenzverfahren eines Gesellschafters macht statt seiner der Insolvenzverwalter das Anfechtungsrecht geltend (nach der rechtsdogmatisch bestreitbaren, aber vorherrschenden Amtstheorie im eigenen Namen, nicht im Namen des Gesellschafters)740, der insolvente Gesellschafter nur im Fall der Eigenverwaltung. Wird das Insolvenzverfahren nach Klageerhebung eröffnet, wird der Rechtsstreit in Anwendung des § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen741. Die Anfechtungsbefugnis ist wie das Stimmrecht (12. Aufl., § 47 Rz. 17 ff.) an das Vollrecht am Anteil gebunden742. Bei der Treuhand ist nur der Treuhänder, nicht der Treugeber klageberechtigt743; beim Nießbrauch am Gesellschaftsanteil nur der Gesellschafter, nicht der Nießbraucher744; bei gepfändetem oder verpfändetem Anteil der Gesellschafter und nicht der Pfandgläubiger745. Eine gesonderte Übertragung nur des Anfechtungsrechts auf einen NichtGesellschafter ist nicht möglich746. Wer den Gewinnanteil veräußert, aber den Geschäftsanteil behält, bleibt zur Anfechtung befugt747. Grundsätzlich setzt die Klagebefugnis keine individuelle Rechtsverletzung voraus. Es kommt 129 also im Grundsatz nicht darauf an, ob der Beschluss oder der mit der Klage gerügte Mangel den klagenden Gesellschafter in seinen Rechten verletzt748. Mit der Anfechtungsbefugnis ist

739 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21, 23 = GmbHR 1989, 329, 330; BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 = GmbHR 2014, 864, 865 Rz. 14 m. Anm. Werner = EWiR 2014, 613 m. Anm. Priester; OLG Nürnberg v. 16.7.2014 – 12 U 2267/12, GmbHR 2014, 1147 ff. = EWiR 2015, 175 m. Anm. Jänig/Schiemzik; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 139; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 162. 740 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45 = GmbHR 2011, 922 f. Rz. 7 m. Anm. Ulrich = EWiR 2011, 563 m. Anm. Bungert/Meyer; BGH v. 24.10.2017 – II ZR 16/16, GmbHR 2018, 201 Rz. 14 f. = EWiR 2018, 95 m. Anm. Keil; OLG Düsseldorf v. 24.8.1995 – 6 U 124/94, GmbHR 1996, 443, 446; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 162; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 139. 741 BGH v. 24.10.2017 – II ZR 16/16, GmbHR 2018, 201 Rz. 14 f. = EWiR 2018, 95 m. Anm. Keil; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70. 742 H.M.; vgl. BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, ZIP 2018, 1492, 1493 Rz. 20 = EWiR 2018, 485 m. Anm. Hippeli; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 247 f.; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 388. 743 Vgl. BGH v. 13.10.2008 – II ZR 112/07, AG 2009, 167 = GmbHR 2009, 39, 40; BGH v. 26.6.2018 – II ZR 205/16, ZIP 2018, 1492, 1493 Rz. 20 = EWiR 2018, 485 m. Anm. Hippeli; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 156; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 388; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 44; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 66; zur Nichtigkeitsklage BGH v. 25.4.1966 – II ZR 80/65, LM Nr. 8 zu § 47 GmbHG = Warn. 1966 Nr. 99 = BB 1966, 636 = GmbHR 1966, 189 = NJW 1966, 1459; s. auch zur AG BGH v. 15.4.1957 – II ZR 34/56, BGHZ 24, 119. 744 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 156; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 44; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 139; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 399; Raspe, Anfechtbarkeit, S. 70; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 21; a.M. Murray, Der Nießbrauch am GmbH-Anteil, 1965, S. 106 ff.; unentschieden RG, JW 1934, 977. 745 H.M.; z.B. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 156; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 399; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 64; Raspe, Anfechtbarkeit, S. 71. 746 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 161. 747 RGZ 82, 167; RGZ 98, 320; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 161. 748 RGZ 146, 385, 395; BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 265 f.; BGH v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, BGHZ 70, 117, 118; BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 308 = AG

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§ 45 Rz. 129 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse eine auf Herstellung eines dem Gesetz und der Satzung entsprechenden Rechtszustands zielende Kontrollbefugnis in die Hände der Gesellschafter gelegt, ohne dass dafür ein besonderes Rechtsschutzinteresse erforderlich wäre749. Im Gegensatz zu § 245 Nr. 1, 2 AktG (vgl. Rz. 139) hängt die Anfechtungsbefugnis eines Gesellschafters nicht davon ab, dass er in der Versammlung erschienen oder in seinem Teilnahmerecht behindert war. Allerdings kann ein Mangel, der nicht den Kläger, sondern einen Mitgesellschafter betrifft, ohne Zutun des Klägers geheilt werden (Rz. 119). Es kann auch sein, dass es am Rechtsschutzinteresse fehlt (Rz. 136) oder dass der Kläger seine Anfechtungsbefugnis durch Rügeverzicht, Rügeverlust oder Verwirkung verloren hat, insbesondere also durch Zustimmung zu dem Beschluss (Rz. 138 ff.)750. c) Maßgeblicher Zeitpunkt 130 Umstritten ist die Frage, in welchem Zeitpunkt der Kläger Gesellschafter gewesen sein muss.

Die Gesellschaftereigenschaft muss in jedem Falle im Zeitpunkt der Klageerhebung bestehen751. Wurde der Anteil durch Einziehung vernichtet, so erlischt das Anfechtungsrecht grundsätzlich erst nach Aufnahme einer neuen, dies ausweisenden Gesellschafterliste zum Handelsregister752 (zur Anfechtungsbefugnis bei Verlust der Gesellschafterstellung nach Rechtshängigkeit vgl. Rz. 133). Eine Korrektur der Gesellschafterliste vor Klageerhebung beseitigt die Anfechtungsbefugnis ausnahmsweise dann nicht, wenn sich der betroffene Gesellschafter gegen den Einziehungsbeschluss selbst wendet753. Der verfassungsrechtlich gebote-

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1989, 399 = NJW 1989, 2689, 2691; BGH v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 240 = AG 1993, 422 = GmbHR 1993, 446 = NJW 1993, 1976, 1983 = WM 1993, 1087, 1097 (AG); BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 337 Rz. 21 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; Martin Schwab, S. 373; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 136; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 154; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 393; Drescher in FS Stilz, S. 125, 126. BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 337 Rz. 21 = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 308 = AG 1989, 399 = NJW 1989, 2689, 2691; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 359 m. Anm. Wachter; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 71; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 83; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 136. OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 990 m. Anm. Illhardt; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 154; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137: fehlende Anfechtungsbefugnis. Vgl. nur OLG Düsseldorf v. 24.8.1995 – 6 U 124/94, GmbHR 1996, 443, 445; OLG Hamm v. 17.10.2007 – 8 U 28/07, BeckRS 2008, 05437 Rz. 29; OLG Hamm v. 19.7.2018 – 27 U 14/17, GmbHR 2018, 1276, 1277; OLG Brandenburg v. 8.5.2019 – 7 U 16/18, GmbHR 2019, 830, 831; OLG Jena v. 30.5.2018 – 2 U 800/15, GmbHR 2020, 433, 435; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 44; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 65; Bayer, GmbHR 2016, 505, 510 f. BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 337 Rz. 25 ff. m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 990 m. Anm. Illhardt; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137; Raiser/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 155, 160; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 45; Lieder/Becker, GmbHR 2019, 441 f., 444. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 = GmbHR 2012, 387, 390 Rz. 24 m. Anm. Münnich = EWiR 2012, 177 m. Anm. Lutter; BGH v. 29.1.2.2019 – II ZR 234/18, GWR 2019, 106; BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 993 Rz. 41 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; BGH v. 10.11.2020 – II ZR 211/19, GmbHR 2021, 84, 88 Rz. 35 m. Anm. Wachter = EWiR 2021, 101 m. Anm. Lieder; OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 990 m. Anm. Illhardt; OLG Jena v. 30.5.2018 – 2 U 800/15, GmbHR

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 131 § 45

ne effektive Rechtsschutz des betroffenen Gesellschafters gebietet es, ihm seine Anfechtungsbefugnis ungeachtet seiner entfallenen Listengesellschaftereigenschaft zu belassen754. Die bloße Erhebung einer Ausschließungsklage (12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 37 ff.) gegen den Kläger führt ebenfalls nicht zum Verlust seiner Anfechtungsbefugnis755. Veräußert der Gesellschafter seinen Anteilsbesitz vollständig, kann er ebenfalls nicht mehr anfechten756, bei Teilveräußerung bleibt sein Anfechtungsrecht erhalten757. Nach Maßgabe des § 16 Abs. 1 kommt es im Fall einer Anteilsveräußerung darauf an, ob die Veräußerung bei Klageerhebung schon in die Gesellschafterliste eingetragen war758. Umstritten ist, ob der Kläger zusätzlich bereits bei Beschlussfassung Gesellschafter gewesen sein muss (Rz. 131 f.) und ob er diese Rechtsstellung während des gesamten Rechtsstreits innehaben muss (Rz. 133). aa) Anteilserwerb zwischen Beschlussfassung und Klageerhebung. Bei einem der Be- 131 schlussfassung nachfolgenden Anteilserwerb durch den Kläger ist grundsätzlich zwischen originärem und derivativem Erwerb zu unterscheiden. Erwirbt der Gesellschafter seinen Anteil originär nach Beschlussfassung, z.B. durch Zulassung zur Übernahme eines Geschäftsanteils bei Kapitalerhöhung gemäß § 55, kann er einen vor der Eintragung im Handelsregister gefassten Beschluss nicht anfechten, weil er noch nicht mitgliedschaftlicher Träger und Betroffener des Beschlusses (12. Aufl., § 55 Rz. 120, 12. Aufl., § 57 Rz. 33) und der Anteil von vornherein durch den Beschluss geprägt war759. Auf die Kenntnis des Übernehmers von dem Beschluss kommt es hierfür nicht an760. Der Beschluss stellt keine Verletzung seines Mitgliedschaftsrechts dar, auch wenn er diesem gegenüber nachwirkt.

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2020, 433, 435; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 160; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 65; Lieder/Becker, GmbHR 2019, 441, 444 f.; Cramer/Koch, DStR 2020, 664, 668. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 = GmbHR 2012, 387, 390 Rz. 24 m. Anm. Münnich = EWiR 2012, 177 m. Anm. Lutter; BGH v. 2.7.2019 – II ZR 406/17, BGHZ 222, 323 = GmbHR 2019, 988, 993 Rz. 41 m. Anm. Münnich = EWiR 2019, 581 m. Anm. Priester; BGH v. 10.11.2020 – II ZR 211/19, GmbHR 2021, 84, 88 Rz. 35 m. Anm. Wachter = EWiR 2021, 101 m. Anm. Lieder; OLG Brandenburg v. 8.5.2019 – 7 U 16/18, GmbHR 2019, 830, 831; OLG Jena v. 30.5.2018 – 2 U 800/15, GmbHR 2020, 433, 435; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Cramer/Koch, DStR 2020, 664, 668. BGH v. 13.1.2003 – II ZR 227/00, BGHZ 153, 285 = GmbHR 2003, 351 = NZG 2003, 286; zur Maßgeblichkeit der Gesellschafterliste BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 337 Rz. 25 ff. m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 990 m. Anm. Illhardt; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137; Lieder/Becker, GmbHR 2019, 441 f., 444. BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 267; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 138; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 159; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 45. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 159. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 155; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 45; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 242 f.; zu § 16 Abs. 1 a.F. (BGH v. 21.10.1968 – II ZR 181/ 66, LM Nr. 3 zu § 16 GmbHG = NJW 1969, 133; OLG Düsseldorf v. 24.8.1995 – 6 U 124/94, GmbHR 1996, 443, 445). Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 158; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 414; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 45; vgl. auch zum Vereinsrecht BGH v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942, 1948; a.M. Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 65; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 138; Wolany, Rechte und Pflichten, S. 233. Zust. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; anders aber Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 138.

Karsten Schmidt/Bochmann | 787

§ 45 Rz. 132 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse 132 Liegt ein derivativer Erwerb nach Beschlussfassung im Wege der Einzel-761 oder Gesamt-

rechtsnachfolge762 vor, so geht das Anfechtungsrecht des Veräußerers auf den Erwerber insoweit über, wie es im Zeitpunkt des Übergangs bestanden hat763. Der Beschluss stellt eine Verletzung auch des zwischenzeitlich übergegangenen Mitgliedschaftsrechts dar. Das Mitgliedschaftsrecht wird also mit der Anfechtungsbefugnis des Gesellschafters erworben764. Im Fall der Einzelrechtsnachfolge kann sich aus dem Innenverhältnis zwischen den Beteiligten die Pflicht des Erwerbers ergeben, von seiner Anfechtungsbefugnis Gebrauch zu machen765. Veräußert der Gesellschafter nur Teile seines Anteils oder nur einen von mehreren Anteilen, so steht dem Erwerber das derivativ erworbene Anfechtungsrecht neben dem des Veräußerers zu766. Veräußert der Gesellschafter Geschäftsanteile oder Teile davon an verschiedene Erwerber, so hat jeder Erwerber das Anfechtungsrecht (zum Fall gemeinschaftlichen ungeteilten Erwerbs vgl. Rz. 128)767. Ein Erwerb bei Kaduzierung gemäß § 22 Abs. 4 ist im hiesigen Zusammenhang als ein derivativer Erwerb zu behandeln768, denn der Anteil wird zwar nach der hier nicht zu diskutierenden h.M. originär (12. Aufl., § 22 Rz. 20), aber doch so erworben, wie er sich zwischenzeitlich gestaltet hat (vgl. 12. Aufl., § 22 Rz. 22). In allen Fällen des derivativen Erwerbs muss sich der Rechtsnachfolger allerdings den in der Person des Rechtsvorgängers eingetretenen Ablauf der Anfechtungsfrist zurechnen lassen. 133 bb) Anteilsübertragung nach Klageerhebung. Fand eine Veräußerung nach Klageerhebung

statt, so kann der Altgesellschafter den Rechtsstreit fortsetzen769. Er kann dies jedenfalls, wenn er sich gegenüber dem Anteilserwerber die Rechte aus der bisherigen Beteiligung vorbehalten hat770.Aber man sollte die Anfechtungsbefugnis nicht hiervon abhängig machen, sondern sie dem Altgesellschafter allgemein zugestehen, wenn er nur rechtzeitig Klage erho-

761 BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 267; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 138; OLG Schleswig v. 16.3.2000 – 5 U 244/97, NZG 2000, 895 f. m. Anm. Jäger; Raiser/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 159; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 406; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 45. 762 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 155; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 138. 763 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 138; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 243. 764 Im Ergebnis übereinst. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 138; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 159. 765 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 159. 766 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 408 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 159. 767 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 159; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 138; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 407; früher str.; vgl. noch 9./10. Aufl. 768 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 402; a.M. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 158, 160. 769 Vgl. BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261 ff.; OLG Hamm v. 19.7.2018 – 27 U 14/17, GmbHR 2018, 1276, 1277; OLG Brandenburg v. 8.5.2019 – 7 U 16/18, GmbHR 2019, 830, 831; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 72; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 155; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 242; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 65; s. auch zur AG BGH v. 9.10.2006 – II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 = AG 2006, 931; a.M. OLG Celle v. 7.9.1983 – 9 U 34/83, ZIP 1984, 594; Beyerle, DB 1982, 837 ff. 770 BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 268; BGH v. 21.10.1968 – II ZR 181/66, LM Nr. 3 zu § 16 GmbHG; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 45; vgl. auch A. Hueck in FS Molitor, 1962, S. 424 f.: Zustimmung des Erwerbers.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 134 § 45

ben hat771. Denn die Fortsetzung des Rechtsstreits beruht auf dem in § 265 ZPO zum Ausdruck gelangten Kontinuitätsgedanken772, und es kommt bei den kassatorischen Klagen, also bei Anfechtungsklagen wie bei Nichtigkeitsklagen (Rz. 45, 82), nicht auf eine individuelle Rechtsverletzung, sondern auf die formalisierte Klageberechtigung an (Rz. 129); das muss auch noch nach Anteilsveräußerung gelten. Der aktienrechtliche Squeeze-out-Fall des BGH v. 9.10.2006773 zeigt allerdings, dass der BGH ein individuelles Rechtsschutzinteresse des ausgeschiedenen Gesellschafters verlangt. Anders nur, wenn das Rechtsschutzbedürfnis objektiv entfällt oder Missbrauch des Anfechtungsrechts vorliegt. Soll der Neugesellschafter – maßgebend ist auch hier die Listengesellschaftereigenschaft nach § 16 Abs. 1 – in diesen Prozess eintreten, so bleibt der Weg eines gewillkürten Parteiwechsels: Er kann nach § 265 Abs. 2 ZPO den Prozess mit Zustimmung der beklagten Gesellschaft, die ihre Zustimmung nicht rechtsmissbräuchlich verweigern darf, übernehmen774. Wahrt er die Anfechtungsfrist, so kann der Neugesellschafter vorbehaltlich anderweitiger Rechtshängigkeit aufgrund Klageerhebung durch den Rechtsvorgänger auch noch aus eigenem Recht klagen (vgl. Rz. 132)775. d) Anfechtungsbefugnis von Organmitgliedern? Die Anfechtungsbefugnis von Organmitgliedern, insbesondere von Geschäftsführern, Auf- 134 sichtsratsmitgliedern, Beiratsmitgliedern, ist umstritten. Herkömmlicherweise wird die Befugnis zur „Nichtigkeitsklage“ für jedes Mitglied der Geschäftsführung oder eines Aufsichtsrats bejaht776. Dem ist zuzustimmen. Insbesondere sind Mitglieder eines mitbestimmten Aufsichtsrats befugt, die Nichtigkeitsklage aus mitbestimmungsrechtlichen Gründen zu erheben777. Die herrschende Auffassung erkennt hingegen grundsätzlich kein Anfechtungsrecht von Geschäftsführern oder Aufsichtsratsmitgliedern an778. Es wird ihnen vereinzelt zuerkannt, 771 OLG Hamm v. 19.7.2018 – 27 U 14/17, GmbHR 2018, 1276, 1277; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 411; Bayer, GmbHR 2016, 505, 511. 772 BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 267; OLG Düsseldorf v. 8.3.2001 – 6 U 64/00, GmbHR 2001, 1049, 1052; OLG Brandenburg v. 8.5.2019 – 7 U 16/18, GmbHR 2019, 830, 831; Raspe, Anfechtbarkeit, S. 69; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 245 AktG Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 72; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 411; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 155; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 242; Emde, GmbHR 2000, 491; Bayer, GmbHR 2016, 505, 511; abl. Beyerle, DB 1982, 844. 773 BGH v. 9.10.2006 – II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 = AG 2006, 931. 774 Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 30; h.M.; vgl. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 242; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 72; Bayer, GmbHR 2016, 505, 513 f. 775 So wohl auch BGH v. 25.2.1965 – VII ZR 79/63, BGHZ 43, 276; OLG Celle v. 7.9.1983 – 9 U 34/ 83, ZIP 1984, 594; Bayer, GmbHR 2016, 505, 514; s. auch Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd. 5, 3. Aufl. 2018, § 245 AktG Rz. 52 ff. m.w.N. zur herrschenden Gegenansicht. 776 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 30; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 69; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 244 f.; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 418; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 46 f.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 78. 777 Vgl. BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 49 f. = AG 1984, 48 = GmbHR 1984, 151; OLG Hamburg v. 17.12.1982 – 11 U 21/82, AG 1983, 107 = GmbHR 1983, 98, 99 m. Anm. Konzen S. 92; LG Hamburg v. 11.9.1981 – 61 O 19/81, AG 1982, 53 = GmbHR 1982, 87 = WM 1982, 310, 311 = DB 1982, 271 m. Anm. Theisen S. 265; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 69; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 47. 778 BGH v. 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 154, 159 = AG 1981, 50 = GmbHR 1980, 295 = GmbHR 1981, 139 (Anfechtung durch Geschäftsführer); BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 = ZIP 2008, 757 (Rz. 26; undeutlich); Martin Schwab, S. 377 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/

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§ 45 Rz. 134 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse wenn sie im Fall der Ausführung des Beschlusses eine strafbare Handlung, eine Ordnungswidrigkeit oder eine zum Schadensersatz verpflichtende unerlaubte Handlung begehen würden779. Von anderer Seite wird eine Erweiterung dieser Anfechtungsbefugnis auf die Verletzung zwingender Rechtsvorschriften780 und auch eine Erweiterung auf alle ausführungsbedürftigen Beschlüsse781 vorgeschlagen. Dagegen wird eine analoge Anwendung des § 245 Nr. 4 und 5 AktG auf die GmbH nicht befürwortet782. Die vorliegende Kommentierung hatte in der 6. Aufl. vor dem Hintergrund der damals noch jede Anfechtungsbefugnis generell ablehnenden h.M. folgende Lösung herausgearbeitet783: Nichtigkeitsmängel können von jedem Geschäftsführer oder von jedem Mitglied eines obligatorischen Aufsichtsrats durch Klage geltend gemacht werden (h.M.)784; dem obligatorischen Aufsichtsrat in der mitbestimmten GmbH ist sogar, wie bei der AG, ein allgemeines Anfechtungsrecht zuzugestehen785, während dem fakultativen Aufsichtsrat (§ 52) ein solches Recht nur durch den Gesellschaftsvertrag eingeräumt werden kann (Rz. 135)786. Zur Anfechtung ausführungsbedürftiger Beschlüsse wegen inhaltlicher Mängel ist außer den Gesellschaftern – und zwar ohne die Beschränkung des § 245 Nr. 5 AktG787 – auch jeder Geschäftsführer befugt (str.)788. Die Geschäftsführer sollten nicht darauf angewiesen sein, die materielle Rechtswidrigkeit eines an-

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Hueck, Anh. § 47 Rz. 140 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 73 f.; Casper in Bork/ Schäfer, § 47 Rz. 80; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 431; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 79; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 46 f.; Feine, S. 551; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 247; M. Lehmann, S. 103; Däubler, GmbHR 1968, 8; Immenga, GmbHR 1973, 8; Ekkenga, ZGR 2019, 191, 219; a.M. früher noch Liebmann/Saenger, Rz. 5. Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 73 f.; Casper in Bork/Schäfer, § 47 Rz. 80; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 140 f.; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 66; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 46; a. M. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 79; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 431; Fleischer, GmbHR 2008, 673, 677; offengelassen von BGH v. 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 154, 159 = AG 1981, 50; ohne Stellungnahme auch Nietsch, GmbHR 2004, 1518. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff. Anh. § 47 Rz. 46. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff. Anh. § 47 Rz. 46. BGH v. 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 154, 159 = AG 1981, 50 = GmbHR 1980, 295 = GmbHR 1981, 139 = NJW 1980, 1527, 1528; OLG Hamm v. 17.10.2007 – 8 U 28/07, BeckRS 2008, 05437 Rz. 28; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 73; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 163; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 79; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 46; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 384 ff.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 258, 260; zum Normzweck dieser Bestimmungen vgl. Karsten Schmidt in FS Semler, 1993, S. 332 ff.; a.M. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 140 f.; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1294. Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 98. Ebenso BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 = ZIP 2008, 757 Rz. 34; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 69; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 244 f.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 47; Teichmann in Gehrlein/Born/ Simon, Anh. § 47 Rz. 61. Abl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 74; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 142. Karsten Schmidt in FS Semler, 1993, S. 341. So aber analog § 245 Nr. 5 AktG (nur zur Abwehr von Strafbarkeits- oder Haftungsrisiken) Casper in Bork/Schäfer, § 47 Rz. 80; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 140; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; s. auch Fehrenbach, S. 334 ff.; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1294. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 164; a.M. (mit zusätzlicher Voraussetzung einer aus der Ausführung folgenden Schadensersatzpflicht oder Strafbarkeit): OLG Hamm v. 17.10.2007 – 8 U 28/07, BeckRS 2008, 05437 Rz. 33; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 73; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 140; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1294; Anfechtungsbefugnis gänzlich ablehnend: Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 79; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 258, 260; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 430 f.; Eisenhardt in FS Pfeiffer, 1988, S. 851.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 135 § 45

fechtbaren Beschlusses im Wege der Einrede geltend zu machen (vgl. dazu Rz. 124). Auszudehnen ist diese Befugnis auf Sanktionsbeschlüsse im Rahmen von § 46 Nr. 8 (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 118) und entgegen der h.M.789 auch auf die Abberufung aus wichtigem Grund (12. Aufl., § 46 Rz. 76). Aufsichtsratsmitglieder als Einzelne können ausführungsbedürftige Beschlüsse zur Abwehr von Strafbarkeits- und Haftungsrisiken anfechten (insoweit rechtsähnlich § 245 AktG)790. Man wird diese Grundsätze auch auf Beiratsmitglieder auszudehnen haben, wenn der Beirat Ausführungs- oder Aufsichtskompetenzen hat791. Da der Fragenkreis nach wie vor sehr umstritten ist, kann die forensische Praxis in zweifelhaften Fällen auf die nach allgemeinen Regeln zulässige einfache Feststellungsklage nach § 256 ZPO ausweichen. Der Geschäftsführer kann beispielsweise die Feststellung begehren, dass er einen Weisungsbeschluss nicht auszuführen braucht792 (vgl. Rz. 125), und ein Aufsichtsratsmitglied kann im regulären Feststellungsprozess inter partes feststellen lassen, dass ein Beschluss nichtig ist. Das BGH-Urteil v. 11.2.2008793 steht dem nicht entgegen, besagt vielmehr nur, dass eine nach Versäumung der Anfechtungsfrist erhobene Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit aus den bei Rz. 141 genannten Gründen unbegründet (!) ist (Rz. 35). Eine Erweiterung der Klagebefugnis bei der Nichtigkeit von Aufsichtsratswahlen ergibt sich bei der mitbestimmten GmbH in entsprechender Anwendung von § 250 Abs. 2 AktG794. Die Klagebefugnis eines Organmitglieds endet mit dem Fortfall des Amts795. Erwogen wird auch eine Anfechtungsbefugnis des Insolvenzverwalters in der Insolvenz der Gesellschaft, wenn sich die kassatorische Klage gegen einen Beschluss richtet, dessen Nichtigkeit sich positiv auf die Insolvenzmasse auswirken kann796. Die Satzung kann die Anfechtungsbefugnis auf Organe und Organmitglieder ausdehnen, also 135 z.B. bestimmen, dass auch Geschäftsführer, Aufsichtsratsmitglieder oder Beiratsmitglieder zur Anfechtung befugt sind797. Dritten kann ein Anfechtungsrecht nicht zugestanden werden798. Eine Beschränkung gesetzlicher Anfechtungsbefugnisse ist grundsätzlich nicht zulässig799; die Satzung kann aber Verfahrensvorgaben hinsichtlich der Rüge von Fehlern statuieren (Rz. 140). Jedenfalls das Anfechtungsrecht der Gesellschafter (Rz. 128) ist unentziehbar. 789 Dazu aber BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 = ZIP 2008, 757; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 73; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 164; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 140; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1294. 790 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 74; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 165.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 141; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; a. M. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 260; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 79; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 430 f. 791 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 165. 792 Zustimmend Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 430 f.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 259. 793 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 = ZIP 2008, 757. 794 Vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 67; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 31. 795 Zust. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 432. 796 Vgl. OLG Dresden v. 9.11.2017 – 8 U 772/17, ZIP 2018, 1069, 1070 (zur AG); Müller in MünchKomm. GmbHG, § 64 Rz. 109; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 Rz. 56. 797 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 76; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 80: Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 166; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 10; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 217. 798 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 167; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 81; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 10; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 433; a.M. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 76. 799 BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 273; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 76; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 10; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75: vorsichtig zustimmend Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 166.

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§ 45 Rz. 135 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Hinsichtlich der Gesellschaftsorgane (Rz. 134) sollte dasselbe gelten800. Eindeutig unentziehbar sind nur die gesetzlich vorgegebenen, insbesondere mitbestimmungsrechtlichen Anfechtungsrechte801. e) Rechtsschutzinteresse 136 Die kassatorische Klage muss von einem Rechtsschutzinteresse getragen sein802. Dieses

braucht freilich kein individuelles Rechtsschutzinteresse des Klägers zu sein, denn die Anfechtungsbefugnis ist die formalisierte Befugnis, den Beschluss mit Nichtigkeits- und Anfechtungsgründen zu bekämpfen (Rz. 129). Ein individuelles Rechtsschutzinteresse gerade des Klägers ist also entbehrlich (vgl. auch Rz. 129)803. Die Klage wird nicht nur im Interesse des Klägers, sondern im Sinne der Kontrolle der Rechtmäßigkeit gefasster Beschlüsse sowie zur Herstellung gesetzes- und satzungskonformer Zustände erhoben804. Auch setzt die Klage im Allgemeinen keine Abmahnung voraus (die allerdings aus praktischen Gründen und wegen des Kostenrisikos bei Erledigung oder Rücknahme der Klage zweckmäßig sein kann, vgl. Rz. 159, 163). Die Klage ist allerdings wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig, wenn objektiv keinerlei Bedürfnis nach einer Nichtigerklärung des Beschlusses besteht805. Das ist insbesondere der Fall, wenn sich der Beschluss folgenlos erledigt hat. So kann es sich bei der Anfechtung negativer Beschlüsse verhalten806. Die Anfechtbarkeit negativer Beschlüsse

800 Zu dieser Konsequenz Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 438. 801 So auch Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 436. 802 BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 356 (AG); BGH v. 7.12.1987 – II ZR 86/87, AG 1988, 102 = GmbHR 1988, 213 = ZIP 1988, 87, 88; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 337 Rz. 21 = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 160; Drescher in FS Stilz, 2014, S. 125 ff. 803 So im Ergebnis die h.M.; vgl. RGZ 77, 257; RGZ 145, 338; RGZ 146, 395; BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 266; BGH v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, BGHZ 70, 117, 118; BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 308 = AG 1989, 399; BGH v. 13.1.2003 – II ZR 227/00, BGHZ 153, 285, 288 = GmbHR 2003, 351, 352 (Rechtsschutzinteresse folgt aus Anfechtungsbedürfnis); BGH v. 17.9.1964 – II ZR 136/62, WM 1964, 1188, 1191; BGH v. 17.1.1966 – II ZR 157/63, WM 1966, 446; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770 = ZIP 2009, 1158; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 337 Rz. 21 = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Frankfurt, GmbHR 1976, 110; OLG Celle v. 28.9.1988 – 9 U 78/87, AG 1989, 209 = ZIP 1989, 511; OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84, 85; OLG Hamm v. 28.10.2015 – 8 U 73/15, ZIP 2016, 1071, 1072 = GmbHR 2016, 423; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 359 m. Anm. Wachter; LG Hamburg, GmbHR 1952, 173; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 71; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 154; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 160; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 83; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 59; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 275; Drescher in FS Stilz, 2014, S. 125, 126. 804 Vgl. BGH v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, ZIP 2015, 2069, 2075 Rz. 47 f. (bzgl. Anfechtungsbefugnis des Komplementärs in der KGaA); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 248; Karsten Schmidt in Verhandlungen des 63. DJT II/1, 2001, S. O 15 f.; Drescher in FS Stilz, 2014, S. 125, 126; vgl. schon Kisch, Beiträge zur Urteilslehre, 1903, S. 110; Flechtheim in FS Zitelmann, 1913, S. 5. 805 BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = NJW 2013, 1535, 1536 Rz. 13 m. Anm. Cziupka/Pitz = EWiR 2013, 333 m. Anm. Schatz (für AG); BGH v. 8.1.2019 – II ZR 94/17, AG 2019, 682 (für Verschmelzung einer AG); OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84, 85; OLG Hamm v. 28.10.2015 – 8 U 73/15, ZIP 2016, 1071, 1072 GmbHR 2016, 423; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 160; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 84; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 276; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 168. 806 RG, JW 1936, 919; BGH v. 17.9.1964 – II ZR 136/62, WM 1964, 1188, 1191; BGH v. 13.1.2003 – II ZR 173/02, AG 2003, 383 = GmbHR 2003, 355; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 136 § 45

ist grundsätzlich anerkannt807. Zielt die Anfechtung eines negativen Beschlusses allerdings auf die Herbeiführung eines positiven Beschlusses, ohne dass die kassatorische Klage mit einer sog. positiven Beschlussfeststellungsklage (Rz. 179 f.) verbunden wird, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis808. Das Rechtsschutzinteresse fehlt hingegen nicht, wenn der Geschäftsführer erklärt, er werde sich auf einen Beschluss nicht berufen809. Auch wenn dem Rechtsschutzinteresse in einem anderen Verfahren voll und ganz Genüge getan werden kann, ist die Klage unzulässig; so, jedenfalls i.d.R., gegenüber einem Informationsverweigerungsbeschluss nach § 51a Abs. 2 Satz 2810 (vgl. 12. Aufl., § 51a Rz. 42). Das Rechtsschutzinteresse fehlt allerdings nicht schon dann, wenn die Rechtmäßigkeit des Beschlusses inzident bereits in einem anderen Prozess (z.B. im Rahmen eines Ausschließungsprozesses) geprüft wird811, denn die beantragte Nichtigerklärung (Rz. 171 f.) geht über diese bloße Inzidentprüfung hinaus. Ein Rechtsschutzinteresse kann fehlen, wenn der angefochtene Beschluss bereits mangelfrei wiederholt worden ist812. Nachträglich kann das Rechtsschutzinteresse entfallen, wenn ein anfechtbarer Beschluss fehlerfrei bestätigt wird813. Die Anfechtungsklage wird in einem solchen Fall als unzulässig ohne Prüfung des angefochtenen Beschlusses abgewiesen. Nach der Gegenmeinung814 entfällt nicht das Rechtsschutzinteresse, sondern das angeblich materielle Anfechtungsrecht (zur praktischen Bedeutungslosigkeit dieser Divergenz vgl. sinngemäß Rz. 127). Gleichzeitig liegt ein Fall der Erledigung in der Hauptsache vor (vgl. Rz. 166)815. Um einen Fall der Erledigung in der Hauptsache handelt es sich auch, wenn der Beschluss während des Anfechtungsprozesses von den Gesellschaftern aufgehoben wird (Rz. 163)816. Das Rechtsschutzinteresse fehlt schließlich, wenn der Anfechtungskläger verpflichtet ist, seinen Geschäftsanteil auf einen Mitgesellschafter zu

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§ 47 Rz. 169; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 69; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd. 5, 3. Aufl. 2018, § 241 AktG Rz. 9, § 249 AktG Rz. 9; ausf. Schilling in Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 241 AktG Rz. 5; a.M. noch RGZ 122, 108 = JW 1929, 626; RGZ 166, 188. Zur AG RGZ 122, 107; RGZ 142, 130; RGZ 146, 72; RG, JW 1936, 919; zur GmbH BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = GmbHR 1986, 156 = NJW 1986, 2051; OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84, 85 f.; Baltzer, GmbHR 1972, 57 ff., 62; Kuhn, WM 1972, 1153; unentschieden BGH, LM Nr. 2 zu § 29 GmbHG = GmbHR 1972, 225; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 160. Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 69; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 169; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 444; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 160; Drescher in FS Stilz, 2014, S. 125, 127; Ekkenga, ZGR 2019, 191, 212. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 168. Zust. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 169; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 445. Zu weitgehend deshalb OLG Düsseldorf v. 22.10.1998 – 6 U 78/97, GmbHR 1999, 543, 547; berechtigte Kritik bei Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 160; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 169. BGH v. 1.12.1954 – II ZR 285/53, BGHZ 15, 332; BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 356, näher zu diesem Fall Rz. 164. BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 356; BGH v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, LM Nr. 3 zu § 29 GmbHG = BB 1974, 854 = MDR 1974, 563 = GmbHR 1974, 109; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 169; von Caemmerer in FS Hueck, 1959, S. 290; v.d. Laden, DB 1962, 1299; krit. Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 330 f. BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = NJW 2013, 1535, 1536 Rz. 13 m. Anm. Cziupka/Pitz = EWiR 2013, 333 m. Anm. Schatz (für AG); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 277; Zöllner, ZZP 81 (1968), 142 ff. Das Verhältnis zum Fortfall des Rechtsschutzinteresses wurde in der 7. Aufl. noch näher erläutert; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 170. Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 330.

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§ 45 Rz. 136 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse übertragen und der betreffende Gesellschafterbeschluss nach Entstehung der Abtretungsverpflichtung gefasst wurde817. f) Missbräuchliche Klage 137 Das an sich pauschal zugebilligte Anfechtungsrecht steht unter dem Vorbehalt des Rechts-

missbrauchs. Die Klage ist ohne Sachprüfung abzuweisen im Fall rechtsmissbräuchlicher Beschlussanfechtung818, und zwar vor allem dann, wenn der Gesellschafter die Anfechtungsklage einsetzt, um der Gesellschaft erpresserisch seinen Willen aufzuzwingen819 oder sonstige sachfremde Ziele zu erreichen, z.B. indem er sich den sog. Lästigkeitswert einer unbegründeten oder objektiv unsachgemäßen Anfechtungsklage abkaufen lässt820. Der Missbrauch des Anfechtungsrechts macht die Anfechtungsklage nach h.M. unbegründet821. Dagegen soll eine Nichtigkeitsklage (zum Streitgegenstand vgl. Rz. 127) in diesem Fall unzulässig sein822. Nach der hier vertretenen Auffassung (Rz. 127: Anfechtungsbefugnis als Sachurteilsvoraussetzung) ist eine solche Klage – gleich ob als Anfechtungs- oder als Nichtigkeitsklage erhoben – unzulässig823. Sie wird ohne sachliche Prüfung abgewiesen. Voraussetzung ist, dass der Kläger seine Anfechtungsbefugnis in den Dienst eines missbilligenswerten Zweckes stellt und dass nicht ein objektives Interesse jedenfalls der Gesellschaft oder eines Dritten das auf diese Weise verfolgte Klagziel rechtfertigt. Der Missbrauchseinwand kommt praktisch nur bei Anfechtungsgründen in Betracht, nicht bei Nichtigkeitsgründen. Eigennutz des Anfechtungsklägers genügt nicht824. Es ist nicht Aufgabe des klagenden Gesellschafters, die Rechtswidrigkeitskontrolle durch kassatorische Klage den Interessen der Gesellschaft unterzuordnen825. Deshalb geht es nicht an, einem Minderheitsgesellschafter seinen Eigensinn oder Eigennutz als Treuwidrigkeit anzulasten, wenn er die Rechtswidrigkeit eines der Gesellschaft nützlichen Beschlusses rügt826. Liegt allerdings eine Klage aus sachfremden Motiven oder

817 OLG Celle v. 22.1.2014 – 9 U 93/13, GmbHR 2014, 370, 371 f.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 268; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 170. 818 Das ist wohl unstreitig seit der aktienrechtlichen Entscheidung BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296 = AG 1989, 399 = NJW 1989, 2689 – Kochs Adler; seither st. Rspr.; dazu auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 82; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 161; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 60; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 171; krit. noch Bokelmann, DB 1994, 1348 f. 819 RGZ 146, 305 ff.; BGH v. 1.3.1962 – II ZR 18/60, BB 1962, 426 = WM 1962, 456; s. auch OLG Hamburg v. 23.12.1952 – 1 U 126/52, JZ 1953, 406 m. Anm. Schilling; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 214; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 161; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 81; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 448 ff. 820 BGH v. 22.5.1989 – II ZR 206/88, BGHZ 107, 296, 308 ff. = AG 1989, 399 = NJW 1989, 2689, 2691 f.; BGH v. 25.9.1989 – II ZR 254/88, NJW 1990, 322; BGH v. 14.10.1991 – II ZR 249/90, GmbHR 1992, 264 = AG 1992, 86; OLG Hamburg v. 26.4.2019 – 11 U 375/18, juris-Rz. 57; OLG München v. 4.7.2018 – 7 U 131/18, ZIP 2018, 2367, 2372 (sämtlich für die AG); BGH v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, ZIP 2015, 2069, 2075 Rz. 47 f. (zur KGaA); Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 86; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 449. 821 Vgl. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 82; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 453; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 171; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 274; zum Aktienrecht BGH v. 15.6.1992 – II ZR 173/91, AG 1992, 448 = DB 1992, 1567 = ZIP 1992, 1391; Boujong in FS Kellermann, 1991, S. 10. 822 Vgl. zum Aktienrecht OLG Stuttgart v. 23.1.2002 – 20 U 54/01, AG 2003, 165. 823 Vgl. Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 245 AktG Rz. 5 f. 824 Vgl. Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd. 5, 3. Aufl. 2018, § 245 AktG Rz. 168. 825 Vgl. auch OLG Hamburg v. 23.12.1952 – 1 U 126/52, JZ 1953, 406 m. Anm. Schilling; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 450. 826 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 452; nach weitergehender Ansicht kann eine Klage auch dann rechtsmissbräuchlich sein, wenn der klagende Gesellschafter damit den Grundsatz der

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 139 § 45

sonst ein Fall manifest illoyaler Rechtsverfolgung – etwa bei Instrumentalisierung einer Kleinstbeteiligung zugunsten der Interessen gesellschaftsfremder Dritter827 – vor, so muss der Gesellschafter der Gesellschaft den aus dem Prozess entstandenen Schaden ersetzen828. In Umwandlungsfällen kann missbräuchlichen Anfechtungsklagen mit dem Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3, § 198 Abs. 3 UmwG begegnet werden829 (was eine Klagabweisung wegen Missbrauchs nicht ausschließt). § 246a AktG, wonach dasselbe bei Beschlüssen über Kapitalmaßnahmen und Unternehmensverträge gilt, ist nach h.M. auf Gesellschafterbeschlüsse der GmbH nicht entsprechend anwendbar (vgl. Rz. 126)830. Dem ist in Anbetracht der rechtstatsächlichen Strukturunterschiede zwischen AG und GmbH nicht beizupflichten831. g) Rügeverzicht, Rügeverlust Die Anfechtungsbefugnis entfällt durch Rügeverzicht und Rügeverlust. Wie bei Rz. 119 fest- 138 gestellt, muss dieser von der Heilung eines Mangels unterschieden werden832: Die Heilung beseitigt den Mangel des Beschlusses, der Rügeverzicht bzw. Rügeverlust nur die Befugnis des Gesellschafters, diesen Mangel geltend zu machen. aa) Zustimmung. Ein Anfechtungsberechtigter, der der Beschlussfassung in Kenntnis des 139 Mangels zustimmt oder nachträglich auf die Rüge verzichtet oder im Streit um die Rechtmäßigkeit des Beschlusses Partei für die Gesellschaft ergreift, verliert sein Anfechtungsrecht, auch ohne dass der Mangel materiell geheilt ist833. Anders als nach § 245 Nr. 1 AktG, der nicht analog anwendbar ist834, ist zwar nicht generell ein förmlicher Widerspruch für die Erhaltung des Anfechtungsrechts erforderlich835. Aber die Billigung des Beschlusses beseitigt

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Verhältnismäßigkeit (abgeleitet aus der Treuepflicht) verletzt, vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 161 unter Hinweis auf Koch in Verhandlungen des 72. DJT, 2018, F 90 ff. OLG Hamburg v. 26.4.2019 – 11 U 375/18, juris-Rz. 63 (zur AG). Vgl. OLG Hamburg v. 20.10.2010 – 11 U 127/09, ZIP 2011, 126 ff. (zur AG); Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 86; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 245 AktG Rz. 84 f. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 88; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 281. KG v. 23.6.2011 – 23 AktG 1/11, GmbHR 2011, 1044 = EWiR 2011, 711 (krit. Nicoleyczik); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 281; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 174; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 197, § 54 Rz. 28; Sauerbruch, GmbHR 2007, 181; Fleischer, DB 2011, 2132 ff.; Meurer, GmbHR 2013, 729, 733 ff.; a.M. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 88; Wicke, Anh. § 47 Rz. 17; Harbarth, GmbHR 2005, 966; Geißler, GmbHR 2008, 128; Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170. KG v. 23.6.2011 – 23 AktG 1/11, GmbHR 2011, 1044 = EWiR 2011, 711 (krit. Nicoleyczik); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 281; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 174; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 197, § 54 Rz. 28; Sauerbruch, GmbHR 2007, 181; Fleischer, DB 2011, 2132 ff.; Meurer, GmbHR 2013, 729, 733 ff. Wie hier Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 60; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 40; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 168; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 370. OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 990 m. Anm. Illhardt; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 154 (aber zögernd Raiser in FS Hüffer, 2010, S. 789, 798 f.); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 60; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 40. OLG Hamm v. 17.10.2007 – 8 U 28/07, BeckRS 2008, 05437 Rz. 28; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 71; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 136; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 98, 154; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 63; Fehrenbach, S. 326; A. Hueck in FS Molitor, 1962, S. 423; a.M. Lehmann, S. 102. OLG Hamm v. 17.10.2007 – 8 U 28/07, BeckRS 2008, 05437 Rz. 28; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 137; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 98, 154; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 63.

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§ 45 Rz. 139 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse das Anfechtungsrecht836. Die Billigung kann ausdrücklich oder konkludent erklärt werden (zum widersprüchlichen Verhalten vgl. Rz. 140), und sie kann im Zuge der Beschlussfassung ebenso wie nachträglich erklärt werden837. Sie macht die Klage nach der hier vertretenen Ansicht unzulässig (Rz. 127, 137), nach h.M. unbegründet. Auf die materielle Heilungswirkung der Zustimmung (Rz. 119) kommt es dann in Bezug auf den Zustimmenden nicht mehr an. Billigung und Rügeverzicht sind keine rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen, so dass die §§ 116 ff. BGB auf sie keine Anwendung finden838. Es bedarf dessen aber auch nicht, weil sich die notwendigen Regeln bereits aus den inneren Grenzen des Rügeverlustes ergeben. Wer etwa in erkennbarer Empörung alle Rechtsverletzungen zu billigen erklärt (vgl. § 118 BGB), hat nicht wirklich auf die Rüge verzichtet. Wer durch Täuschung zum Rügeverzicht bewogen wurde (vgl. § 123 BGB), verliert nicht das Rügerecht. 140 bb) Widersprüchliches Verhalten. Rügeverlust tritt auch ohne Rügeverzicht ein, wenn sich

die Anfechtung als widersprüchliches Verhalten darstellt. Das ist aber nur der Fall, wenn der Gesellschafter durch sein Vorverhalten eine dem Rügeverzicht ähnliche Vertrauenslage geschaffen hat. Nach OLG Hamburg v. 9.11.1990839 kann z.B. eine auf Beschlussunfähigkeit der Versammlung gestützte Anfechtungsklage missbräuchlich sein, wenn der Kläger die Beschlussunfähigkeit selbst treuwidrig durch Boykott herbeigeführt hat840. Auch kann die widerspruchslose Hinnahme einer Beschlussprozedur oder eines Beschlussergebnisses zur Verwirkung der Anfechtungsbefugnis unter dem Gesichtspunkt des widersprüchlichen Verhaltens führen841. Nicht generell zu verlangen, wenngleich zu empfehlen, ist eine Abmahnung vor der Klageerhebung oder eine ausdrückliche Aufforderung zur Aufhebung des Beschlusses (zur Bedeutung für die Verfahrenskosten vgl. dagegen Rz. 159)842. Die Satzung kann Vorschriften über die Erhaltung des Anfechtungsrechts treffen. Sie kann insbesondere vorschreiben, dass ein in der Versammlung anwesender Gesellschafter Verfahrensmängel nur rügen kann, wenn er diese in der Versammlung ausdrücklich gerügt hat843. Wirksam kann ein solcher Anfechtungsausschluss allerdings stets nur hinsichtlich solcher Mängel sein, die der Anfechtungsberechtigte kannte oder kennen musste. 2. Die Anfechtungsfrist a) Funktion 141 Der Kläger muss eine Anfechtungsfrist wahren, soweit es um die Geltendmachung von An-

fechtungsmängeln geht. Das Gericht prüft die Wahrung der Anfechtungsfrist von Amts we836 BGH v. 21.6.2010 – II ZR 24/09, ZIP 2010, 1437, 1441 Rz. 37 = EWiR 2010, 661 m. Anm. Lutter; OLG Düsseldorf v. 24.6.2016 – 16 U 74/15, GmbHR 2016, 988, 990 m. Anm. Illhardt; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 137; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 154; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 60; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 40; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 63. 837 Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 63; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 40; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 154. 838 A.M. Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 96. 839 OLG Hamburg v. 9.11.1990 – 11 U 92/90, NJW-RR 1991, 673. 840 Zust. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75. 841 Sehr weitgehend Martin Schwab, S. 374, 376. 842 Vgl. zur Kostenlast als Frage der Zumutbarkeit vorprozessualer Geltendmachung der Anfechtbarkeit KG v. 29.6.2005 – 2 W 6/05, GmbHR 2005, 1359 f.; LG Aachen v. 22.1.2015 – 41 O 75/14, BeckRS 2015, 3616; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 83; weitergehend Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 164; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 175. 843 Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 108; a.M. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 98; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 75; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 63.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 142 § 45

gen844. Die Frist ist jedoch keine prozessrechtliche Klagfrist. Sie gehört im Gegensatz zur Klagebefugnis (Rz. 127) dem materiellen Recht und nicht dem Prozessrecht an845. Die Anfechtungsfrist ist eine materiellrechtliche Ausschlussfrist. Ihre Versäumung macht die Anfechtungsklage nicht unzulässig846, bewirkt vielmehr die materiellrechtliche Präklusion von Anfechtungsgründen847. Die verfristete Klage ist unbegründet, soweit diese auf präkludierte Anfechtungsmängel gestützt ist. Im Hinblick auf die Identität des Streitgegenstands von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage (Rz. 45, 82) kann auf die verfristete Anfechtungsklage immer noch ein kassatorisches Urteil (Aufhebungsurteil) ergehen, nur kann dieses nicht mehr auf Anfechtungsgründe, sondern nur noch auf Nichtigkeitsgründe gestützt werden (Rz. 146)848. Nicht mit der Anfechtungsfrist gleichzusetzen sind die strikten Monatsfristen nach § 14 Abs. 1, § 125, § 195 Abs. 1 UmwG849. Sie machen die kassatorische Klage gegen Umwandlungsbeschlüsse unzulässig, auch soweit sie auf Nichtigkeitsmängel gestützt ist (Rz. 146). b) Keine gesetzliche Monatsfrist Die starre Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG ist, wie hier in der 6. Aufl. ausführlich be- 142 gründet wurde, nicht entsprechend anzuwenden850. Die Einführung einer dem § 246 Abs. 1 AktG entsprechenden starren Monatsfrist wäre Sache des Gesetzgebers gewesen (vgl. für Österreich § 41 Abs. 4 öGmbHG), und die rechtspolitische Opportunität einer solchen Regel wäre für GmbH-Fälle durchaus zweifelhaft. In BGH v. 1.6.1987851 blieb die Frage allerdings 844 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 40/97, AG 1998, 482 = GmbHR 1998, 891 = ZIP 1998, 1392; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 68; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 158. 845 Ausführlich noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 86; heute h.M.; vgl. OLG Frankfurt v. 13.12.1983 – 5 U 110/83, AG 1984, 110 = WM 1984, 209; OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 71 m. Anm. Werner; LG Frankfurt v. 22.2.1984 – 3/9 O 123/83, AG 1984, 193 = ZIP 1984, 321; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 158; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 8; Karsten Schmidt, JZ 1977, 771; a.M. Martin Schwab, S. 396 f. 846 So aber Martin Schwab, S. 396 f.; uneinheitlich auch Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 5, 6 a.E. 847 RGZ 123, 207; BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 590 Rz. 30 m. Anm. Wagner = EWiR 2016, 693 m. Anm. Wolffsky/Wahl; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 99; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 473; Otto, Die Präklusion, 1970, S. 28; für eine Heilung im Innenverhältnis Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 144, 151. 848 Vgl. im gleichen Sinne für das Aktienrecht BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, AG 1995, 83 = NJW 1995, 260 = LM Nr. 4 zu § 221 AktG m. Anm. Karollus. 849 Vgl. Karsten Schmidt, DB 1995, 1849 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 54; undeutlich Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 145; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 66; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 304. 850 Vgl. RGZ 170, 358, 380; RGZ 172, 76, 79; RG, DR 1944, 775, 777; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/ 87, BGHZ 104, 66, 70 ff. = NJW 1988, 1844, 1845 = GmbHR 1988, 304; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/98, BGHZ 111, 224, 225 = GmbHR 1990, 344; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 375 = GmbHR 1992, 256, 261 = NJW 1992, 892, 896; BGH v. 12.10.1992 – II ZR 286/91, GmbHR 1992, 801 = NJW 1993, 129; OLG Düsseldorf v. 8.7.2005 – 16 U 104/04, GmbHR 2005, 1353, 1355 m. Anm. Werner; OLG Düsseldorf v. 20.12.2006 – 15 U 39/06, DB 2007, 848, 850; OLG Jena v. 7.1.2015 – 2 U 317/14, juris-Rz. 35; OLG Frankfurt a.M v. 16.7.2019 – 5 U 84/18, juris-Rz. 43; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 145; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 53; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 179; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 92; Casper, ZHR 163 (1999), 54, 86; a.M. wohl Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 465 ff.; Rüppell/Hoffmann, BB 2016, 645, 649; vgl. auch die – wohl nicht wörtlich zu nehmende – Formulierung bei BGH v. 14.3.2005 – II ZR 153/03, AG 2005, 395, 397 = GmbHR 2005, 620, 623 m. Anm. Werner („einen Monat betragenden Anfechtungsfrist“). 851 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = GmbHR 1988, 18 = JZ 1987, 1081 m. Anm. Karsten Schmidt.

Karsten Schmidt/Bochmann | 797

§ 45 Rz. 142 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse ausdrücklich dahingestellt. Das Urteil des BGH v. 14.5.1990852 stellte sodann klar: „Für die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen gilt im GmbH-Recht nicht die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG, sondern eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende angemessene Frist. Dabei kann jedoch die Monatsfrist, die dem Gesellschafter in jedem Fall zur Verfügung stehen muss, als Leitbild herangezogen werden.“ Dieses Urteil entspricht der hier vertretenen, vormals näher begründeten Auffassung: Einzuhalten ist eine angemessene Frist. Dazu ist die Wahrung der aktienrechtlichen Monatsfrist stets ausreichend853, ihre Überschreitung aber nicht ausnahmslos schädlich (Rz. 143)854. 142a § 112 Abs. 1 Satz 2 HGB-E855 sieht für Anfechtungsklagen bei Personenhandelsgesellschaf-

ten eine Klagefrist von drei Monaten vor856; § 112 Abs. 1 Satz 2 HGB-E bestimmt zudem, dass gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen, die eine Anfechtungsfrist von weniger als einem Monat statuieren, unwirksam sind. Begründet wird dies wie folgt: Eine derart kurze Anfechtungsfrist wie in § 246 Abs. 1 AktG sei wegen der erheblichen Breitenwirkung des Hauptversammlungsbeschlusses und des besonderen Angewiesenseins auf Rechtssicherheit bei der Aktiengesellschaft „noch tragbar“857. In Personengesellschaften fordere der Gedanke der Rechtssicherheit im gesetzlichen Regelfall nicht in gleichem Maße eine solch enge zeitliche Begrenzung858. Da die Personengesellschaft ihrer Struktur nach in der Regel auf einen kleineren Kreis von Gesellschaftern beschränkt sei, die sich kennen und durch persönliche Beziehungen untereinander verbunden seien, sei die Breitenwirkung von Gesellschafterbeschlüssen regelmäßig geringer und das Gewicht individueller Interessen entsprechend größer als bei Aktiengesellschaften859. Die Konsequenzen (übereilter) Anfechtungsklagen für das Vertrauensverhältnis der Gesellschafter seien zudem häufig gravierend, während dieser Gesichtspunkt in Aktiengesellschaftern regelmäßig keine Rolle spiele860. 142b Die Begründung des Reg-E MoPeG für eine Dreimonatsfrist trifft ebenso wie die Abgren-

zung gegenüber den Verhältnissen in der Aktiengesellschaft auf Personenhandelsgesellschaften und GmbH gleichermaßen zu; dementsprechend wurde bereits zuvor eine Dreimonatsfrist für die GmbH vorgeschlagen861. Die Bestimmung der angemessenen Klagefrist in der GmbH sollte sich für den Fall, dass § 112 Abs. 1 HGB-E Gesetz wird, künftig deshalb an den dort vorgesehenen drei Monaten orientieren862. Auch diese Dreimonatsfrist wird bei der GmbH nicht als starre Frist zu verstehen sein, sondern als – neues – Leitbild. Da bei der gesetzgeberischen Bemessung der Dreimonatsfrist aber bereits diejenigen Gesichtspunkte berücksichtigt sind, die für eine längere Klagefrist als bei der Aktiengesellschaft sprechen863, werden Überschreitungen nur in engsten Ausnahmefällen und lediglich in geringem Maße zu rechtfertigen sein. 852 BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/98, BGHZ 111, 224 = GmbHR 1990, 344. 853 BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224 = GmbHR 1990, 344; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, AG 1988, 233 = GmbHR 1988, 304 = ZIP 1988, 703; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 145; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 179; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 63; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 92; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 54; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 302; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 214. 854 BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 226 = GmbHR 1990, 344; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 62; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 54. 855 Vgl. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 52. 856 Vgl. noch zum Mauracher Entwurf (§ 714c Abs. 1 Satz 1 BGB-E) Noack, ZIP 2020, 1382, 1386 f. 857 Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 265. 858 Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 265. 859 Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 265. 860 Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 265. 861 Dazu Nehls, GmbHR 1995, 703, 707; vgl. auch Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1294. 862 So auch Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 65. 863 Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 265.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 143 § 45

Die Anfechtungsfrist ist Konkretisierung gesellschaftsrechtlicher Treupflichten bei der Gel- 142c tendmachung von Beschlussmängeln864. Die aktiengesetzliche Monatsfrist – künftig gegebenenfalls die Dreimonatsfrist des Personengesellschaftsrechts (§ 112 Abs. 1 HGB-E) – hat lediglich Leitbildfunktion865. Der auf dem Modell der Publikumsgesellschaft basierende Ansatz, wonach der Zeitpunkt der Unangreifbarkeit eines Beschlusses inter omnes absolut feststehen soll, passt nicht auf die GmbH, zumal hier die Gesellschafter durch Treupflichten sogar an alsbaldiger Klageerhebung gehindert sein können (Rz. 43). Das gegenüber dieser Praxis bemängelte Defizit an Rechtssicherheit866 wird durch den vor allem bei personalistischen Gesellschaften begrüßenswerten Gewinn an Elastizität teilweise ausgeglichen. Vorgerichtlicher Konfliktbereinigung kommt bei der auf nachhaltiges wechselseitiges Vertrauen im Gesellschafterkreis angelegten – und angewiesenen – GmbH im Vergleich zur Aktiengesellschaft ein deutlich erhöhter Stellenwert zu. Die Gesellschafter haben es in der Hand, eine satzungsmäßige Frist zu statuieren (dazu Rz. 144). c) Die angemessene Frist Die angemessene Frist ist gegenwärtig mit Blick auf die aktienrechtliche Monatsfrist zu kon- 143 kretisieren, künftig voraussichtlich jedoch mit Rücksicht auf die Dreimonatsfrist des § 112 Abs. 1 HGB-E (Rz. 142b). Das gilt für die kapitalistisch strukturierte ebenso wie für die personalistische GmbH. Je mehr eine GmbH strukturell der AG ähnelt, desto mehr gewinnt der hinter § 246 Abs. 1 AktG stehende Gesichtspunkt der Rechtssicherheit an Gewicht867. Allgemein dient die Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG – künftig gegebenenfalls die Dreimonatsfrist des Personengesellschaftsrechts (§ 112 Abs. 1 HGB-E) – als Orientierungsmaßstab868. Liegen keine besonderen Umstände vor und ist eine einverständliche Lösung nicht

864 Nachweise bei Martin Schwab, S. 397; nachdrücklich Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 148 f. 865 BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = ZIP 1987, 1251, 1252 = GmbHR 1988, 18; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224 = BB 1990, 1293 = GmbHR 1990, 344 = NJW 1990, 2625; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 375 = LM Nr. 15 zu § 34 GmbHG m. Anm. Heidenhain = GmbHR 1992, 256, 261 = NJW 1992, 892, 896; OLG Hamm v. 3.7.1991 – 8 U 11/91, GmbHR 1992, 458; OLG Hamm v. 1.2.1995 – 8 U 148/94, GmbHR 1995, 736, 738; OLG Brandenburg v. 16.3.1995 – 8 U 35/94, GmbHR 1995, 736 = NJW-RR 1996, 29; OLG Brandenburg v. 17.1.1996 – 7 U 106/95, GmbHR 1996, 539, 540; OLG Dresden v. 5.12.1996 – 7 U 1338/96, NJW-RR 1997, 1535, 1536; OLG Naumburg v. 17.12.1996 – 7 U 196/95, GmbHR 1998, 90, 93; OLG Jena v. 6.11.2001 – 8 U 517/01, GmbHR 2002, 115 m. Anm. Löffler; OLG Düsseldorf v. 8.7.2005 – 16 U 104/04, GmbHR 2005, 1353, 1355 m. Anm. Werner; OLG Düsseldorf v. 20.12.2006 – 15 U 39/06, DB 2007, 848, 850; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 362 m. Anm. Wachter; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/ 14, ZIP 2017, 1417, 1419 = EWiR 2017, 623 m. Anm. Rüppell; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 62; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh: § 47 Rz. 145; ähnlich Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 302; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 92; Hillmann in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 5; Hoffmann/Köster, GmbHR 2003, 1327, 1336; Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 265; selbst hiergegen Zöllner/Noack, ZGR 1989, 531: mit dem Verwirkungsgedanken unvereinbar. 866 Vgl. besonders Nehls, GmbHR 1995, 703: generelle Dreimonatsfrist. 867 BGH v. 12.10.1992 – II ZR 286/91, GmbHR 1992, 801, 802; OLG Stuttgart v. 17.5.1973 – 10 U 136/72, NJW 1973, 2027, 2028. 868 BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224 = GmbHR 1990, 344; BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, GmbHR 2005, 925, 927; BGH v. 13.7.2009 – II ZR 272/08, GmbHR 2009, 1101, 1102; OLG Naumburg v. 17.12.1996 – 7 U 196/95, GmbHR 1998, 90, 93; OLG München v. 28.10.1999 – 14 U 268/99, GmbHR 2000, 385; OLG Düsseldorf v. 20.12.2006 – 15 U 39/06, DB 2007, 848, 850; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 362 m. Anm. Wachter; OLG Stuttgart

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§ 45 Rz. 143 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse zu erwarten, so muss der Gesellschafter Anfechtungsgründe, die ihm bei der Beschlussfassung erkennbar waren, grundsätzlich binnen Monatsfrist – wobei künftig jedoch die Dreimonatsfrist des § 112 Abs. 1 HGB-E maßgeblich werden dürfte – geltend machen869. Die anwaltliche Praxis sollte sich strikt hieran halten. Ob und inwieweit die Monatsfrist (bzw. Dreimonatsfrist) überschritten werden darf, richtet sich nach dem Verwirkungsgedanken870. Der Anfechtungsberechtigte muss die Klage mit aller ihm billigerweise zuzumutenden Beschleunigung erheben871. Anhand der Umstände des Einzelfalls sind die gegenläufigen Interessen der Gesellschaft an der Bestandskraft des Beschlusses gegen das Schutzinteresse des Gesellschafters abzuwägen. Im Fall BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/98, BGHZ 111, 224 = GmbHR 1990, 344 hielt der BGH eine nach mehr als zwei Monaten erhobene Klage im Hinblick auf die personalistische Struktur der Gesellschaft und auf die Kompliziertheit der Sache für rechtzeitig erhoben. Das OLG Brandenburg hat die nach fast zwei Monaten erhobene Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters einer ausländischen Gesellschafterin als rechtzeitig erhoben angesehen872. Absolute Höchstfristen, etwa eine 3-Monats-Maximalfrist873, bestehen nicht874, auch nicht im Falle des Inkrafttretens von § 112 Abs. 1 HGB-E (vgl. aber Rz. 142b).

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v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 71 m. Anm. Werner; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 63; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 92 f.; Wicke, Anh. § 47 Rz. 19. BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 226 = GmbHR 1990, 344; BGH v. 12.10.1992 – II ZR 286/91, GmbHR 1992, 801; BGH v. 13.7.2009 – II ZR 272/08, GmbHR 2009, 1101, 1102; OLG Hamm v. 4.12.2003 – 27 U 112/03, GmbHR 2004, 587 = ZIP 2004, 852; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; OLG Jena v. 7.1.2015 – 2 U 317/14, BeckRS 2015, 115628 Rz. 35; OLG Stuttgart v. 27.6.2018 – 14 U 33/17, GmbHR 2019, 67, 71 m. Anm. Werner; OLG Dresden v. 28.5.2020 – 8 U 2611/19, ZIP 2020, 1354, 1356 = EWiR 2020, 651 m. Anm. Schulteis; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 145; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 5; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 92; Lutz, Rz. 661; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1294 f.; krit. Zöllner/Noack, ZGR 1989, 530. OLG Jena v. 7.1.2015 – 2 U 317/14, BeckRS 2015, 115628 Rz. 35; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 148 ff.; insoweit wie hier Zöllner/Noack, ZGR 1989, 531; kritisch Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1294 f. RGZ 170, 358, 380; RGZ 172, 76, 79; RG, DR 1944, 775, 776; BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = GmbHR 1988, 18 = AG 1988, 15 = NJW 1987, 2514 = WM 1987, 1071 = JZ 1987, 1081 m. Anm. Karsten Schmidt; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 226 = GmbHR 1990, 344; BGH v. 17.10.1988 – II ZR 18/88, GmbHR 1989, 120, 122; BGH v. 12.10.1992 – II ZR 286/91, GmbHR 1992, 801, 802; OLG Hamburg v. 23.12.1952 – 1 U 126/52, JZ 1953, 405, 406; OLG Celle v. 24.7.1958 – 9 U 37/58, GmbHR 1959, 113; OLG Stuttgart v. 17.5.1973 – 10 U 136/ 72, NJW 1973, 2027, 2028; OLG Düsseldorf v. 11.3.1982 – 6 U 174/81, BB 1982, 1074, 1075 = ZIP 1982, 694, 696; OLG Koblenz v. 29.4.1986 – 6 W 273/86, ZIP 1986, 1120; OLG Hamm v. 5.2.1992 – 8 U 159/91, GmbHR 1992, 458; OLG Oldenburg v. 21.5.1992 – 1 U 13/92, GmbHR 1992, 667; KG v. 13.4.1995 – 2 U 582/94, GmbHR 1995, 735; OLG Hamm v. 1.2.1995 – 8 U 148/94, GmbHR 1995, 736, 738; OLG Brandenburg v. 16.3.1995 – 8 U 35/94, GmbHR 1995, 736; OLG Dresden v. 5.12.1996 – 7 U 1338/96, NJW-RR 1997, 1535; OLG München v. 28.10.1999 – 14 U 268/99, NJWRR 2000, 255; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 362 m. Anm. Wachter; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 63; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 54; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 148; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 92; Casper, ZHR 163 (1999) 54, 85 f. OLG Brandenburg v. 29.7.1998 – 7 U 29/98, GmbHR 1998, 1037. So aber für den Regelfall Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 63; vgl. auch Nehls, GmbHR 1995, 703, 707. Ebenso Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 303, 312; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 54; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 151; a.M. OLG Oldenburg v. 21.5.1992 – 1 U 13/92, GmbHR 1992, 667 (sechs Monate); Nehls, GmbHR 1995, 703, 708.

800 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 143 § 45

Überschreitungen der Monatsfrist um weniger als 24 Stunden können ganz vernachlässigt werden875. Jede weitere Überschreitung bedarf der Rechtfertigung durch triftige876, mehr und mehr zwingende Gründe877. Je weiter allerdings die Monatsfrist überschritten ist, desto gewichtiger müssen die Verzögerungsgründe sein878; wird die Dreimonatsfrist des § 112 Abs. 1 HGB-E künftig neues gesetzliches Leitbild, werden Überschreitungen allenfalls noch im Minimalbereich von weniger als einem Tag tolerabel sein. Hat ein Gesellschafter trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht an der Gesellschafterversammlung teilgenommen, soll im Rahmen der Ermittlung der angemessenen Frist eine zusätzliche Erkundigungsfrist von maximal zwei Wochen zu berücksichtigen sein879. In der Vergangenheit hielt die Rechtsprechung die Überschreitung der Monatsfrist um nur wenige Tage für im Regelfall unschädlich (vgl. auch Rz. 145 zur Anwendung des § 167 ZPO)880. Mehr und mehr wird auch dies aber auf irreguläre Fälle begrenzt881. Eine Überschreitung der Monatsfrist wird nur noch aus „zwingenden (?) Gründen“ hingenommen882. Wer in Kenntnis des Sachverhalts die Klageschrift erst nach sechs Wochen abfasst und dann noch einen Monat zuwartet, versäumt i.d.R. die Frist883, ebenso, wer die Klageerhebung einschließlich Zustellung um mehr als drei Monate verzögert884. Gerechtfertigte Monatsfristüberschreitungen können u.a. in folgenden Fällen gegeben sein: Wenn und solange der Gesellschafter unverschuldet von dem Beschluss keine Kenntnis erhält 875 OLG Naumburg v. 17.12.1996 – 7 U 196/95, GmbHR 1998, 90 (12 ½ Stunden); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 302; a.M. (bei fehlender Rechtfertigung) Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 65. 876 OLG München v. 28.10.1999 – 14 U 268/99, GmbHR 2000, 385; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 63. 877 Vgl. BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = ZIP 1987, 1251, 1252 = GmbHR 1988, 18; BGH v. 13.7.2009 – II ZR 272/08, GmbHR 2009, 1101, 1102; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 362 m. Anm. Wachter; OLG Dresden v. 28.5.2020 – 8 U 2611/19, ZIP 2020, 1354, 1356 = GmbHR 2020, 1130 = EWiR 2020, 651 m. Anm. Schulteis; OLG Schleswig v. 29.1.1998 – 5 U 125/96, GmbHR 1998, 892; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 145; Teichmann in Gehrlein/Born/ Simon, Anh. § 47 Rz. 65; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 5; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 54. 878 In gleicher Richtung BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = AG 1988, 15 = GmbHR 1988, 18 = JZ 1987, 1081 m. Anm. Karsten Schmidt; OLG Brandenburg v. 17.1.1996 – 7 U 106/95, GmbHR 1996, 539, 540; OLG Schleswig v. 29.1.1998 – 5 U 125/96, GmbHR 1998, 892; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 54. 879 OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 362 m. Anm. Wachter; OLG Dresden v. 28.5.2020 – 8 U 2611/19, ZIP 2020, 1354, 1357 = EWiR 2020, 651 m. Anm. Schulteis; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 96; zur Erkundigungslast Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 153; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 182; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 7; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 470 (unter Hinweis auf § 51a); Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1295. 880 Vgl. OLG Hamburg v. 23.12.1952 – 1 U 126/52, JZ 1953, 405, 406; OLG Stuttgart v. 17.5.1973 – 10 U 136/72, NJW 1973, 2027, 2028. 881 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, GmbHR 2005, 925, 927; OLG Hamm v. 4.12.2003 – 27 U 112/ 03, GmbHR 2004, 587 = ZIP 2004, 852. 882 BGH v. 18.4.2005 – II ZR 151/03, GmbHR 2005, 925, 927 m.w.N.; BGH v. 13.7.2009 – II ZR 272/ 08, GmbHR 2009, 1101, 1102; OLG Hamm v. 25.11.2009 – 8 U 61/09, GmbHR 2010, 477, 479; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 362 m. Anm. Wachter; OLG Dresden v. 28.5.2020 – 8 U 2611/19, ZIP 2020, 1354, 1356 = GmbHR 2020, 1130 = EWiR 2020, 651 m. Anm. Schulteis; von „triftigen“ Gründen spricht OLG München v. 28.10.1999 – 14 U 268/99, GmbHR 2000, 385. 883 OLG Brandenburg v. 16.3.1995 – 8 U 35/94, GmbHR 1995, 736. 884 KG v. 13.4.1995 – 2 U 582/94, GmbHR 1995, 735; OLG Köln v. 17.2.1995 – 19 U 167/94, GmbHR 1995, 457 (verspätete Gebühreneinzahlung).

Karsten Schmidt/Bochmann | 801

§ 45 Rz. 143 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse (vgl. auch 12. Aufl., § 51 Rz. 28; zum Fristlauf in diesem Fall vgl. Rz. 145)885; wenn Umfang und Schwierigkeit der Sache eine genauere Prüfung in tatsächlicher oder (und) rechtlicher Hinsicht erfordern886, wobei der Gesellschafter der Gesellschaft diesen Sachverhalt vor Ablauf der regelmäßigen Anfechtungsfrist unverzüglich offenbaren muss887; im Fall einer Stillhaltevereinbarung mit der Gesellschaft; wenn und solange Verhandlungen zwischen Gesellschaft und Gesellschafter über den Beschluss stattfinden888, insbesondere ein auf Prozessvermeidung gerichtetes Mediationsverfahren betrieben wird (Rz. 43); Vorbereitung eines Schiedsverfahrens (z.B. Bemühen um allseitig einverständliche Konstituierung eines Schiedsgerichts); bei Anfechtung nur eines von mehreren inhaltlich miteinander zusammenhängenden Beschlüssen, wenn der Gesellschafter deutlich macht, dass er die in den anderen Beschlüssen enthaltenen Rechtsverletzungen nicht hinnehmen will und er darauf vertrauen darf, die Gesellschaft werde sich freiwillig nach den Ergebnissen des „Musterprozesses“ richten889; erst recht dann, wenn eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen wird, die Prozessergebnisse auf die nicht angefochtenen Beschlüsse zu erstrecken. Nach Lage des Einzelfalls kann sich die Stillhaltephase über Monate hinziehen. Wegen des wachsenden Verfristungsrisikos empfiehlt sich aber eine diesbezügliche Verständigung mit der Geschäftsführung (und den Mitgesellschaftern). Endet die Stillhaltephase, scheitern die Verhandlungen890 oder wird deutlich, dass die Gesellschaft die Ergebnisse eines Parallelprozesses nicht respektieren wird891, muss der Gesellschafter unverzüglich, d.h. im Regelfall innerhalb eines Monats, Klage erheben892. Gleiches gilt, wenn der Gesellschafter nachträglich Kenntnis von den die Anfechtung begründenden Tatsachen erhält oder erhalten kann893. Schwierig ist die Beurteilung von Rechtsirrtümern. Wer rechtsirrtümlich die Monatsfrist überschreitet, klagt nicht in jedem Fall zu spät (eben dieser Elastizität dient ja die Anerken885 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 153 f.; Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 141; s. dazu auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 55 (Fristlauf erst ab Kenntnis). 886 RGZ 170, 358, 380; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 226 = GmbHR 1990, 344; BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = ZIP 1987, 1251, 1252 = GmbHR 1988, 18; OLG München v. 28.10.1999 – 14 U 268/99, GmbHR 2000, 385; OLG Düsseldorf v. 20.12.2006 – 15 U 39/06, DB 2007, 848, 850; OLG Dresden v. 28.5.2020 – 8 U 2611/19, ZIP 2020, 1354, 1356 = GmbHR 2020, 1130 = EWiR 2020, 651 m. Anm. Schulteis; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 150; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 303; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 181; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 93; Hillmann in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 6. 887 Vgl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 150. 888 RGZ 172, 76, 79; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 225 f. = GmbHR 1990, 344; OLG Düsseldorf v. 11.3.1982 – 6 U 174/81, GmbHR 1983, 124 = ZIP 1982, 694, 696; OLG Koblenz v. 29.4.1986 – 6 W 273/86, ZIP 1986, 1120; OLG Dresden v. 29.11.1996 – 7 U 1338/96, NJW-RR 1997, 1535; OLG Düsseldorf v. 20.12.2006 – 15 U 39/06, DB 2007, 848, 850; OLG Bremen v. 9.4.2010 – 2 U 107/09, GmbHR 2010, 1152, 1253; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 63; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 303, 311 (Gedanke des § 203 BGB); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 150; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1294 f. 889 RGZ 170, 358, 380; enger Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 141. 890 Vgl. die Fälle BGH v. 17.10.1988 – II ZR 18/88, AG 1989, 95 = GmbHR 1989, 120; OLG Düsseldorf v. 11.3.1982 – 6 U 174/81, GmbHR 1983, 124 = ZIP 1982, 694, 696; OLG Koblenz v. 29.4.1986 – 6 W 273/86, ZIP 1986, 1120; OLG Hamm v. 1.2.1995 – 8 U 148/94, GmbHR 1995, 736, 738. 891 Die Frist im Fall RGZ 170, 358 ff. (1 ½ Jahre) erklärt sich aus der kriegsbedingten Abwesenheit des Klägers und dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache. 892 OLG Dresden v. 5.12.1996 – 7 U 1338/96, NJW-RR 1997, 1535, 1536 = GmbHR 1998, 197; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 7; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 313; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 63. 893 Vgl. OLG Düsseldorf v. 9.11.1989 – 6 U 21/89, GmbHR 1990, 265, 267 (Heimkehr von einer Weltreise); OLG Schleswig v. 29.1.1998 – 5 U 126/96, GmbHR 1998, 892 = OLGR Schleswig 1998, 265; in gleicher Richtung Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 153.

802 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 144 § 45

nung einer „angemessenen“ Frist). Wer sich nicht rechtskundig macht, darf aber die Monatsfrist nicht erheblich überschreiten. Das gilt nicht nur für die Unkenntnis über Anfechtungsbedürfnis und Anfechtungsfrist im Allgemeinen, sondern auch dann, wenn der Gesellschafter einen in Wahrheit anfechtbaren Beschluss rechtsirrig für nichtig oder umgekehrt eine Klage für aussichtslos hielt. Stellt sich heraus, dass die Gesellschaftermehrheit auf der Wirksamkeit des vermeintlich nichtigen Beschlusses besteht, so präkludieren die Anfechtungsgründe, wenn der betroffene Gesellschafter nunmehr die Monatsfrist erheblich überschreitet894. Nur von Fall zu Fall kann dann noch wegen schwer missbräuchlichen Mehrheitsverhaltens eine längere Frist konzediert werden895. Nur ganz ausnahmsweise kann darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt der Treupflicht ein Anspruch des Gesellschafters auf Aufhebung des rechtswidrigen Beschlusses durch eine neue Beschlussfassung der Gesellschafter bestehen (insbesondere bei unzuträglicher Dauerwirkung des Beschlusses). Gegenstand einer Anfechtungsklage kann ein solcher Anspruch nicht sein (vgl. zum Aufhebungsbeschluss Rz. 43). Zum Nachschieben von Anfechtungsgründen vgl. Rz. 145. d) Satzungsregeln Der Gesellschaftsvertrag kann den Maßstab der angemessenen Frist konkretisieren896. Doch 144 muss die Frist angemessen bleiben. Anderenfalls wäre die Satzungsbestimmung mit der Unabdingbarkeit des Anfechtungsrechts (Rz. 4) unvereinbar. Ist die Satzungsregelung unwirksam, so bleibt es bei der angemessenen Frist nach Rz. 143897. Nach BGH v. 21.3.1988898 muss die Frist mindestens einen Monat betragen899. Schon eine Vierwochenfrist ist unzulässig900. Hier schlägt sich die Leitbildfunktion des § 246 Abs. 1 AktG (Rz. 142) in voller Schär-

894 Vgl. als Beispiel BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113 = AG 1988, 15 = GmbHR 1988, 18 = JZ 1987, 1081 m. Anm. Karsten Schmidt; OLG Stuttgart v. 27.10.1999 – 20 U 30/99, GmbHR 2000, 385; insoweit ähnlich auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 151. 895 Tendenziell großzügiger Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 149. 896 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 73 = AG 1988, 233 = GmbHR 1988, 304 m. Anm. Rohleder; BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21, 29 = GmbHR 1989, 329; OLG München v. 12.2.1959 – 6 U 1364/58, GmbHR 1959, 151; OLG Hamm v. 3.11.1997 – 8 U 197/96, GmbHR 1998, 138, 139; OLG Schleswig v. 29.1.1998 – 5 U 125/96, GmbHR 1998, 892 (zwei Wochen); OLG Dresden v. 15.11.1999 – 2 U 2303/99, NZG 2000, 429, 430 = GmbHR 2000, 435; OLG Düsseldorf v. 8.7.2005 – 16 U 104/04, GmbHR 2005, 1353, 1354 m. Anm. Werner; Karsten Schmidt, AG 1977, 249; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; OLG Jena v. 30.5.2018 – 2 U 800/15, GmbHR 2020, 433, 434; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 152; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 179; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 95; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 474; Wicke, Anh. § 47 Rz. 19; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1295. 897 OLG Brandenburg v. 17.1.1996 – 7 U 106/95, GmbHR 1996, 539, 540; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 64; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 95. 898 BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66 = GmbHR 1988, 304 m. Anm. Rohleder. 899 OLG Düsseldorf v. 20.12.2006 – 15 U 39/06, DB 2007, 848, 850; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 63 f.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 95; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 179; Wicke, Anh. § 47 Rz. 19; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 152. 900 Ebenso OLG Brandenburg v. 17.1.1996 – 7 U 106/95, GmbHR 1996, 539, 540; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 67; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 152; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 475; Kaulbach/Reidt, GmbHR 2021, 191, 198.

Karsten Schmidt/Bochmann | 803

§ 45 Rz. 144 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse fe nieder. § 112 Abs. 1 Satz 2 HGB-E901 bestätigt die Unzulässigkeit der statutarischen Unterschreitung der Monatsfrist. Beispielsweise kann eine Monatsfrist festgesetzt werden, die mit der Mitteilung des Beschlusses an den Kläger beginnt (vgl. auch für die GmbH & Co. KG 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 50)902. Nach OLG Düsseldorf v. 8.7.2005903 soll eine Monatsfrist unwirksam sein, wenn statt auf Kenntniserlangung auf einen Fristbeginn ab Protokollversendung abgestellt wird (bedenklich; vgl. Rz. 145). Im Fall BGH v. 7.6.1993904 schrieb der Gesellschaftsvertrag die Wahrung einer Dreimonatsfrist vor. In einem solchen Fall darf einer Klage, die die satzungsmäßige Frist wahrt, nicht mit dem Einwand begegnet werden, das Anfechtungsrecht sei durch Ausschöpfung der Frist verwirkt (möglich bleibt aber der Einwand des Rügeverlusts nach Rz. 122, 138)905. Auch Zweimonatsfristen finden sich in Gesellschaftsverträgen906. Im Hinblick auf die bei personalistischen Gesellschaften vielfach notwendige Flexibilität (Rz. 143) ist eine Monatsfrist, die zur Klageerhebung binnen eines Monats zwingt, nicht uneingeschränkt ratsam. Die Satzungsregelung sollte so klar wie möglich gestaltet werden. Sie ist aber auslegungsfähig907. So kann eine für eine Schiedsklage formulierte Ausschlussfrist auch für die Klage beim staatlichen Gericht gelten908. Ist eine förmliche Bekanntgabe von Beschlüssen an die Gesellschafter in der Satzung vorgeschrieben, so kann dies bedeuten, dass auch die Anfechtungsfrist nicht vorher beginnen soll, selbst wenn der klagende Gesellschafter bereits Kenntnis von dem Beschluss hatte909. Unzulässig und unverbindlich ist dagegen eine durch Einzelvertrag zwischen der durch den Geschäftsführer vertretenen Gesellschaft und einem Gesellschafter verabredete Verlängerung910. Eine andere Frage ist, ob hierdurch für den Einzelfall eine Vertrauenssituation geschaffen wird, die die angemessene gesetzliche Frist als gewahrt erscheinen lässt. Das ist Tatfrage. Insbesondere können sich Gesellschaft und Gesellschafter über eine angemessene Vorprüfung der Rechtslage ins Benehmen setzen (vgl. Rz. 143). e) Fristlauf und Fristwahrung 145 Fristlauf und Fristwahrung müssen an den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit (Präklusi-

onsfrist) und der Elastizität (angemessene Frist) orientiert sein. Der Fristlauf beginnt vorbehaltlich besonderer Satzungsregelungen (vgl. soeben Rz. 144) nach der hier im Einklang vor allem mit der älteren Judikatur vertretenen Ansicht einheitlich mit der Beschlussfassung911,

901 Vgl. Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 52 sowie 265. 902 Zustimmend Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 182; Anwendungsbeispiel: BGH v. 15.6.1998 – II ZR 40/97, GmbHR 1998, 891 = NJW 1998, 3344 = ZIP 1998, 1392. 903 OLG Düsseldorf v. 8.7.2005 – 16 U 104/04, GmbHR 2005, 1353. 904 BGH v. 7.6.1993 – II ZR 81/92, BGHZ 123, 15 = GmbHR 1993, 497. 905 OLG Hamm v. 29.6.1992 – 8 U 255/91, GmbHR 1992, 805; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 152. 906 Vgl. OLG Hamm v. 3.11.1997 – 8 U 197/96, GmbHR 1998, 138, 139; OLG Jena v. 30.5.2018 – 2 U 800/15, GmbHR 2020, 433, 434. 907 Zur Auslegung einer statutarisch festgelegten Frist, deren Lauf mit Scheitern etwaiger Verhandlungen oder einer Mediation beginnen soll, Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 308. 908 OLG Dresden v. 15.11.1999 – 2 U 2303/99, GmbHR 2000, 435, 438; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 476. 909 Vgl. für Beiratsbeschlüsse OLG Düsseldorf v. 11.3.1982 – 6 U 174/81, GmbHR 1983, 124 = ZIP 1982, 694. 910 Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 143. 911 Vgl. auch RGZ 170, 358, 380; RGZ 172, 76, 79; RG, DR 1944, 775, 776; OLG Hamburg v. 23.12.1952 – 1 U 126/52, JZ 1953, 405, 406; OLG Celle v. 24.7.1958 – 9 U 37/58, GmbHR 1959, 113; OLG Stuttgart v. 17.5.1973 – 10 U 136/72, NJW 1973, 2027, 2028; OLG Düsseldorf v.

804 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 145 § 45

nach gegenwärtig wohl überwiegender Auffassung erst mit Kenntniserlangung912. Die praktischen Unterschiede sind gering913. Soweit Gesellschafter von einem Beschluss erst nachträglich Kenntnis nehmen können, wird dies bei der Bemessung der angemessenen Frist (Rz. 143) berücksichtigt914. Das bedeutet: Auch wenn die Frist für alle Gesellschafter gleichzeitig beginnt, kann sie doch unterschiedlich lang dauern. Ist nach der Satzung die Klage innerhalb von einem Monat nach Mitteilung des Beschlusses zu erheben (Rz. 144), so kommt es auf den Zugang i.S.v. § 130 BGB an915. Sachgerecht kann ein Abstellen auf die Protokollzusendung mit fester Anfechtungsfrist sein916. Soweit das Protokoll auf dem Postweg versendet werden soll, kann auch auf die Aufgabe zur Post abgestellt werden (z.B. dritter Werktag nach dem Datum des Poststempels). Durch E-Mail-Versand kann dies vereinfacht werden. Der Fristlauf kann nicht nur für verschiedene Gesellschafter unterschiedlich sein, sondern die Frist kann auch für verschiedene Anfechtungsgründe gesondert laufen917 und muss demzufolge auch für jeden Anfechtungsgrund gesondert gewahrt werden. Fristwahrung geschieht durch Klageerhebung918, bei der ein bestimmter Klagantrag gestellt919 und der Anfechtungsgrund in seinem tatsächlichen Kern benannt werden muss920.

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11.3.1982 – 6 U 174/81, BB 1982, 1074, 1075 = ZIP 1982, 694, 696; OLG Koblenz v. 29.4.1986 – 6 W 273/86, ZIP 1986, 1120; OLG Brandenburg v. 16.3.1995 – 8 U 35/94, NJW-RR 1996, 29; OLG Schleswig v. 29.1.1998 – 5 U 125/96, GmbHR 1998, 892; OLG Hamm v. 28.10.2015 – 8 U 73/15, GmbHR 2016, 423, 424; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 468 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 182 m.w.N. Für Fristlauf ab Kenntnis mit unterschiedlicher Deutlichkeit BGH v. 15.6.1998 – II ZR 40/97, AG 1998, 482 = GmbHR 1998, 891 f.; OLG Schleswig v. 16.3.2000 – 5 U 244/97, NZG 2000, 895; OLG Jena v. 6.11.2001 – 8 U 517/01, GmbHR 2002, 115 f.; OLG Hamm v. 26.2.2003 – 8 U 110/02, GmbHR 2003, 843 f.; OLG Düsseldorf v. 8.7.2005 – 16 U 104/04, GmbHR 2005, 1353 m. Anm. Werner; KG v. 1.4.2010 – 2 W 36/10, ZIP 2010, 2047, 2049; Lutz, Rz. 662; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 62; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 66; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 153; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 7; s. auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 55; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 182; Wicke, Anh. § 47 Rz. 19; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 94, 96; Fleischer, GmbHR 2013, 1289, 1295; offenlassend OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 362 m. Anm. Wachter. Vgl. OLG Dresden v. 28.5.2020 – 8 U 2611/19, ZIP 2020, 1354, 1356 f. = GmbHR 2020, 1130 = EWiR 2020, 651 m. Anm. Schulteis. Exemplarisch OLG Schleswig v. 29.1.1998 – 5 U 125/96, GmbHR 1998, 892. BGH v. 15.6.1998 – II ZR 40/97, AG 1998, 482 = GmbHR 1998, 891, 892 = ZIP 1998, 1392, 1393. Vgl. OLG Hamm v. 14.2.2000 – 8 U 117/99, GmbHR 2001, 301; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 476; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 155. Vgl. BGH v. 11.7.1966 – II ZR 134/65, GmbHR 1966, 274 m. Anm. Ganssmüller = WM 1966, 1132, 1133; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 184; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 68; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 96; distanziert Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 156 f. OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Lutz, Rz. 664; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 183; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 158a; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 97; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 5; für nicht strukturändernde Beschlüsse genügt nach Casper, ZHR 163 (1999), 76 ff., die Anfechtungserklärung. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 97; vgl. zur AG LG Frankfurt a.M. v. 20.1.1992 – 3/1 O 169/91, AG 1992, 235. BGH v. 17.1.1966 – II ZR 157/63, WM 1966, 446, 447; BGH v. 11.7.1966 – II ZR 134/65, GmbHR 1966, 274 m. Anm. Ganssmüller = WM 1966, 1132, 1133; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 184; Karsten Schmidt, JZ 1977, 771; für das Genossenschaftsrecht vgl. RGZ 125, 143, 156; RGZ 170, 83, 94 f.; BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 180 f.; BGH v. 23.5.1960 – II ZR 89/58, BGHZ 32, 318, 322 f.; eingehend noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 86 m.w.N.

Karsten Schmidt/Bochmann | 805

§ 45 Rz. 145 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Soweit sich nichts anderes aus der Satzung ergibt, ist für die Fristwahrung Rechtshängigkeit der Klage erforderlich, bloße Anhängigkeit also nicht ausreichend921. Nach § 167 ZPO genügt für die Fristwahrung die Einreichung der Klagschrift, sofern die Zustellung „demnächst“922 erfolgt923. Dann darf aber die Zustellung nicht durch zögerliche Einzahlung der Gerichtsgebühren verzögert werden924. Das Nachschieben von Anfechtungsgründen im Rahmen des Anfechtungsprozesses ist zulässig und wirkt fristwahrend, dies aber nur, soweit diese Gründe im Zeitpunkt des Nachschiebens nicht ihrerseits bereits verfristet waren925. Ein Nachschieben neuer Anfechtungssachverhalte nach Fristablauf ist auch im Rahmen einer fristgemäß erhobenen Klage unzulässig926. Vom Nachschieben neuen Sachvortrags zu unterscheiden ist das Nachschieben bloßer Rechtsausführungen. Auch das Nachschieben neuer Tatsachen bleibt zulässig, solange es sich um bloße Ergänzungen des Tatsachenvortrags im Rahmen des unveränderten Lebenssachverhalts (Rz. 152) handelt927. Dann genügt, dass die Angriffsrichtung gegen den Be-

921 OLG Köln v. 17.2.1995 – 19 U 167/94, GmbHR 1995, 457. 922 Selbst bei mehrmonatiger Verzögerung; vgl. BGH v. 31.10.2000 – VI ZR 198/99, BGHZ 145, 358, 362 = NJW 2001, 885, 887; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 158a. 923 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 375 = GmbHR 1992, 256, 261 = NJW 1992, 892, 896; BGH v. 25.10.2016 – II ZR 230/15, ZIP 2017, 281, 282 f. Rz. 16, 23 f. = EWiR 2017, 295 m. Anm. von der Linden; OLG Karlsruhe v. 16.10.2003 – 12 U 63/03, GmbHR 2003, 1482; OLG Hamm v. 25.11.2009 – 8 U 61/09, GmbHR 2010, 477, 479; OLG Bremen v. 9.4.2010 – 2 U 107/09, GmbHR 2010, 1152; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; OLG Hamm v. 28.10.2015 – 8 U 73/15, GmbHR 2016, 423, 424 f.; OLG Jena v. 30.5.2018 – 2 U 800/15, GmbHR 2020, 433, 434 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 68; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 183; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 97; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 151, 158a; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 305; Gehrlein, GmbHR 2016, 329, 332; vgl. auch für vertragliche Klagfristen bei Personengesellschaften BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, GmbHR 1988, 20 = WM 1987, 1102 = NJW 1988, 411. 924 BGH v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, AG 2011, 335, 336 = NZG 2011, 637, 638 = ZIP 2011, 506, 507 (AG); BGH v. 25.10.2016 – II ZR 230/15, ZIP 2017, 281, 282 f. Rz. 16, 24 f. = EWiR 2017, 295 m. Anm. von der Linden; KG v. 13.4.1995 – 2 U 582/94, GmbHR 1995, 735; OLG Köln v. 17.2.1995 – 19 U 167/94, GmbHR 1995, 457; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 68; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 98; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 158a. 925 BGH v. 17.1.1966 – II ZR 157/63, WM 1966, 446, 447; BGH v. 11.7.1966 – II ZR 134/65, GmbHR 1966, 274 m. Anm. Ganssmüller = WM 1966, 1132, 1133; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 153/03, AG 2005, 395 = GmbHR 2005, 620 m. Anm. Werner = ZIP 2005, 706; OLG Hamm v. 18.5.2009 – 8 U 184/08, GmbHR 2009, 1161; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1961; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 360 m. Anm. Wachter; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 318; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 184; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 97; Karsten Schmidt, JZ 1977, 771; für das Genossenschaftsrecht vgl. BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 180 f.; BGH v. 23.5.1960 – II ZR 89/58, BGHZ 32, 318, 322 f.; eingehend noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 86 m.w.N. 926 Ebenso BGH v. 14.3.2005 – II ZR 153/03, AG 2005, 395 = GmbHR 2005, 620 m. Anm. Werner = ZIP 2005, 706; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 360 m. Anm. Wachter; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 68; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 184; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 318; Wicke, Anh. § 47 Rz. 19; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 97; Bork, NZG 2002, 1094; v. Falkenhausen/Kocher, ZIP 2003, 426; vgl. auch für das österreichische Recht OGH, SZ Bd. 40 Nr. 169; zur AG BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 14 = AG 1993, 1341; a.M. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 157. 927 Dazu Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 184; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 318; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 472; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 24.

806 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 146 § 45

schluss dieselbe bleibt928. Für das Nachschieben neuer Anfechtungsgründe wurde im Aktienrecht die Herausbildung von Regeln über Hemmung929 oder Wiedereinsetzung930 erwogen, die bisher aber nicht anerkannt sind931. Im Aktienrecht kann deshalb die Praxis, wo fixe Anfechtungsfristen bestehen, doch nicht ganz ernst machen mit dem Ausschluss nachgeschobener Anfechtungsgründe, so z.B., wenn es um die nachträgliche Geltendmachung eines Stimmrechtsmissbrauchs geht, dessen Motiv erst nach Ablauf der Anfechtungsfrist deutlich geworden ist932. Aber solange die Frist im GmbH-Recht elastisch gehalten wird (Rz. 141 ff.), können Billigkeitserwägungen im Rahmen der Prüfung, ob die „angemessene“ Anfechtungsfrist gewahrt ist, berücksichtigt werden. Zur prozessualen Seite des Nachschiebens von Anfechtungsgründen vgl. Rz. 151, 152. Die Klageerhebung bei einem unzuständigen Gericht wahrt die Frist und kann nach Verweisung zum Erfolg führen933. Selbstverständlich gilt dies nicht, wenn die Klage beim unzuständigen Gericht ihrerseits rechtsmissbräuchlich ist (vgl. Rz. 137)934. Ein Prozesskostenhilfeantrag steht der Klageerhebung nach h.M. nicht gleich935, verlängert aber die angemessene Frist936. Im Ergebnis ist damit für hinreichenden Rechtsschutz auch in Prozesskostenhilfefällen gesorgt. Im Hinblick auf das Aktienrecht sprechen gute Gründe für eine Gleichstellung von Prozesskostenhilfeantrag und Klage. Die bloße Ankündigung einer Klage (Mitteilung des Klagentwurfs etc.) steht der Klageerhebung nicht gleich. Allenfalls kann sie die angemessene Frist verlängern (vgl. Rz. 143). Im Fall der Schiedsklage (Rz. 150a ff.) genügt der Antrag auf Konstituierung eines Schiedsgerichts nicht937. Er kann aber die angemessene Klagfrist verlängern (vgl. Rz. 143), und zwar auch für eine eventuell unausweichliche Klage bei dem ordentlichen Gericht. f) Keine Verfristung von Nichtigkeitsgründen Für die Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen gilt die Anfechtungsfrist nicht938. Das 146 wäre selbstverständlich, wenn die Anfechtungsfrist eine auf die Anfechtungsklage beschränkte – die „Nichtigkeitsklage“ dagegen nicht berührende – prozessrechtliche Klagfrist wäre (dagegen Rz. 141). Richtigerweise sind aber „Nichtigkeitsklage“ und „Anfechtungsklage“ zu ei-

928 929 930 931 932 933 934 935 936

937 938

Englisch in Hölters, § 246 AktG Rz. 25, 28. OLG Frankfurt v. 8.10.1965 – 5 W 33/65, NJW 1966, 838 = AG 1966, 222. Lüke, NJW 1966, 839. Vgl. BGH v. 27.10.1951 – II ZR 44/50, NJW 1952, 99; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 13, 20; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd. 5, 3. Aufl. 2018, § 246 AktG Rz. 18 f. BGH v. 11.7.1966 – II ZR 134/65, BB 1966, 917 = DB 1966, 1268 = AG 1966, 398. Zivilprozessuale Belege noch in der 10. Aufl.; wie hier auch Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 98; Raiser/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 183; Gehrlein, GmbHR 2016, 329, 333; zum Aktienrecht Angaben bei Tielmann, WM 2007, 1686, 1690; a.M. für die AG Henn, AG 1989, 232 f. Vgl. LG Köln v. 22.4.2009 – 91 O 59/07, AG 2009, 593, 594; über Missbrauchsgefahren durch Klagen beim unzuständigen Gericht vgl. Heuer, AG 1989, 236 f. OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959; so aber Gehrlein, GmbHR 2016, 329, 332; offenlassend Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 183. Ausführlich noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 88, mit Nachweisen aus dem Aktienrecht; Lösungsvorschlag für das Aktienrecht bei Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 21; zust. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 98; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 151; Schwab in K. Schmidt/Lutter, § 246 AktG Rz. 14; a.M. OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 2013, 1958, 1959 f.; differenzierend Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 315 f. A.M. möglicherweise Zilles, BB-Beil. 4/1999, S. 3 f. Vgl. BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, AG 1995, 83 = NJW 1995, 260; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 360 m. Anm. Wachter; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 91; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 459; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 56.

Karsten Schmidt/Bochmann | 807

§ 45 Rz. 146 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse nem einheitlichen Rechtsinstitut der „kassatorischen Klage“ zusammenzufassen (Rz. 45, 48), und nur der für die Klage vorgetragene Sachverhalt, nicht die Frage der Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit bestimmt den Streitgegenstand (Rz. 152). Die Anfechtungsfrist ist eine materiellrechtliche Präklusionsfrist (Rz. 141). Sie gilt aber nur für Anfechtungsgründe. Dadurch unterscheidet sie sich von der in § 14 Abs. 1, § 125, § 195 Abs. 1 UmwG für die Klage gegen Umwandlungsbeschlüsse vorgeschriebenen Monatsfrist (Rz. 141), die auch eine auf Nichtigkeitsmängel gestützte kassatorische Klage ausschließt939. Auch Nichtigkeitsgründe können allerdings nicht zeitlich unbeschränkt geltend gemacht werden (vgl. auch Rz. 84 ff.)940. Deshalb ist die Überlegung angestellt worden, ob auch Nichtigkeitsgründe binnen angemessener Frist geltend zu machen sind941. Eine solche Präklusion ist aber nicht anzuerkennen (zum Ausnahmefall der Verwirkung vgl. Rz. 87). Auch durch Satzungsbestimmung kann nicht vorgeschrieben werden, dass Nichtigkeitsgründe wie Anfechtungsgründe fristgemäß durch Klage geltend gemacht werden müssen942, denn Nichtigkeitsgründe sind schwere Rechtsmängel, die den Beschluss ipso iure wirkungslos machen und nicht zur Disposition des Gesellschaftsvertrags gestellt werden können. Unberührt bleibt die Möglichkeit der Heilung und des Rügeverlustes (dazu Rz. 84 ff. und 138 ff.). Insbesondere die dreijährige Heilungsfrist (Rz. 89) hat eine andere Funktion als eine Anfechtungsfrist. Die Heilung macht aus dem nichtigen einen wirksamen Beschluss und präkludiert nicht nur die Rechte eines individuellen Klägers. 3. Die Klage a) Aktivpartei 147 Richtige Aktivpartei ist nur, wer zur Anfechtung befugt ist (dazu Rz. 127 ff.). Fehlt die An-

fechtungsbefugnis, so ist die Klage als Gestaltungsklage nach h.M. unbegründet, nach dem hier vertretenen Standpunkt unzulässig (Rz. 127). Im Insolvenzverfahren eines Gesellschafters wird eine die Masse betreffende Anfechtungsklage vom Verwalter erhoben943. Wer nicht zur Anfechtung befugt ist, kann unter den besonderen Voraussetzungen des § 256 ZPO eine Klage auf Feststellung der Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Beschlusses944, nach Lage des Falls auch eine Leistungsklage, erheben (wenn die Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit Vorfrage für Leistungsansprüche ist, vgl. auch Rz. 81 f.). Es handelt sich dann aber nicht um eine kassatorische (Gestaltungs-)Klage („Anfechtungs-“ oder „Nichtigkeitsklage“). Diese wäre unzulässig (Rz. 127; str.).

939 OLG Düsseldorf v. 22.6.2017 – I-6 AktG 1/17, AG 2017, 900, 901 – METRO; Decher in Lutter, § 14 UmwG Rz. 6; Marsch-Barner/Oppenhoff in Kallmeyer, § 14 UmwG Rz. 6; Karsten Schmidt, DB 1995, 1849 ff. 940 BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 242; BGH v. 29.10.1956 – II ZR 130/55, BGHZ 22, 101, 106; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 86. 941 BGH v. 16.12.1953 – II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 242 = NJW 1954, 385 m. Anm. Scholz. 942 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 29; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 91; bedenklich BGH v. 20.1.1977 – II ZR 217/75, GmbHR 1977, 177. 943 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45 = GmbHR 2011, 922 f. Rz. 7 m. Anm. Ulrich = EWiR 2011, 563 m. Anm. Bungert/Meyer; BGH v. 24.10.2017 – II ZR 16/16, GmbHR 2018, 201 Rz. 14 f. = EWiR 2018, 95 m. Anm. Keil; OLG Düsseldorf v. 24.8.1995 – 6 U 124/94, GmbHR 1996, 443; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 162; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 139. 944 BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07 GmbHR 2008, 1092, 1094 m. Anm. Podewils = ZIP 2008, 1818, 1820; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 152; problematisch BGH v. 2.7.2007 – II ZR 111/05, ZIP 2007, 1942, 1947 Rz. 60: Feststellungsklage (?) durch nicht anfechtungsberechtigten Kläger sei beim Verein unzulässig.

808 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 148 § 45

b) Passivpartei Richtige Passivpartei ist die Gesellschaft und nur die Gesellschaft945. Sie ist die Trägerin der 148 Beschlusshoheit. Im Gegensatz zu einer von der kassatorischen Klage (auch von der „Nichtigkeitsklage“946) zu unterscheidenden Leistungsklage oder allgemeinen Feststellungsklage (Rz. 49) kann die Gestaltungsklage nur gegen die Gesellschaft erhoben werden. Das gilt in der personalistisch strukturierten GmbH ebenso wie in der körperschaftlich strukturierten Gesellschaft947, auch für die Zweipersonengesellschaft948. Nach OLG Hamm v. 7.5.1984949 kann die Klage auch in der Zweipersonen-GmbH gegen die Gesellschaft erhoben werden; richtigerweise muss sie sogar gegen die Gesellschaft erhoben werden. Jede Gestaltungsklage braucht ihrer Natur gemäß einen genau zu bestimmenden „richtigen Beklagten“950, und dieser richtige Beklagte kann nicht wechseln, je nachdem, ob man die Gesellschaft für „kapitalistisch“ oder für „personalistisch“ und den einen oder den anderen Gesellschafter für den „Urheber“ des Beschlusses hält951. Neben praktischen Gesichtspunkten sprechen auch rechtsdogmatische Argumente für die Passivzuständigkeit der GmbH. Hiergegen wurde zwar eingewandt, dass die am aktienrechtlichen Vorbild ausgerichtete „Abspaltung der Parteirolle von dem wahren Interessenträger“ theoretisch wie praktisch unbefriedigend sei952, aber die Gesellschaft wird nicht als Interessenträger verklagt, sondern als Organisationszentrum. Wer eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage erhebt, kann also ohne weiteres gegen die Gesellschaft klagen und hat nicht darüber zu räsonieren, wer in concreto die „wahren Interessenträger“ des angegriffenen Beschlusses sind. Diese können dem Prozess ggf. nach Rz. 156 beitreten.

945 Vgl. BGH v. 14.12.1961 – II ZR 97/59, BGHZ 36, 207, 208; BGH v. 10.11.1980 – II ZR 51/80, GmbHR 1981, 195; BGH v. 13.5.2014 – II ZR 250/12, BGHZ 201, 216 = GmbHR 2014, 863, 865 Rz. 15 m. Anm. Werner = EWiR 2014, 613 m. Anm. Priester; OLG Hamm v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119; OLG Hamm v. 13.2.2012 – 8 U 118/11, BeckRS 2012, 6504; OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414, 416 m. Anm. Werner; OLG Brandenburg v. 15.11.2016 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 411; st. Rspr.; Wicke, Anh. § 47 Rz. 2; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 163; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 197; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 32, 77; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 49; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 69; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 87; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 13; a.M. (in personalistischer Gesellschaft sei die Klage gegen die Mitgesellschafter zu richten) Joost, ZGR 1984, 71 ff.; s. auch Lindacher, ZGR 1987, 128. 946 Im Ergebnis richtig OLG Hamm v. 13.2.2012 – 8 U 118/11, juris („Nichtigkeitsfeststellungsklage“); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 246, 283. 947 Zust. OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43, 45; wie hier auch Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 163; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 197; insofern a.M. Joost, ZGR 1984, 71 ff.; s. auch Lindacher, ZGR 1987, 128. 948 OLG Rostock v. 28.5.2003 – 6 U 173/02, GmbHR 2004, 587; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 32; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 197; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 283; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 13. 949 OLG Hamm v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119. 950 Karsten Schmidt, JuS 1986, 39. 951 Zust. OLG Rostock v. 28.5.2003 – 6 U 173/02, GmbHR 2004, 587; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 283; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 163. 952 Joost, ZGR 1984, 97.

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§ 45 Rz. 149 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse c) Passivvertretung 149 Die Klage wird gegen die GmbH, regelmäßig vertreten durch die Geschäftsführer, er-

hoben953. Das gilt auch im Fall einer nach Rz. 150a ff. zulässigen Schiedsklage954. Die GmbH kann nicht durch den Kläger vertreten werden955. Zustellung der Klage an einen Mitgeschäftsführer genügt (§ 170 Abs. 3 ZPO), und zwar auch dann, wenn dieser nur gesamtvertretungsberechtigt ist956 (vgl. § 35 Abs. 2 Satz 2). Dagegen ist nicht auch der Aufsichtsrat Vertreter der GmbH957. Das gilt auch für die mitbestimmte GmbH958. Im Fall der Führungslosigkeit sind die (Mit-)Gesellschafter für die Entgegennahme von Erklärungen und Zustellungen zuständig (§ 35 Abs. 1 Satz 2 und dazu 12. Aufl., § 35 Rz. 87 ff.)959. Sie sind aber damit nicht rundum gesetzliche Vertreter der Gesellschaft (keine subsidiäre Selbstorganschaft)960. BGH v. 25.10.2010961 folgert hieraus, dass § 35 Abs. 1 Satz 2 die durch Führungslosigkeit entstehende Prozessunfähigkeit der Gesellschaft nicht behebt. Deshalb muss zur Vermeidung der Abweisung der Klage als unzulässig analog § 29 BGB ein Notgeschäftsführer962 oder nach § 57 ZPO ein Prozesspfleger bestellt werden963. Bei der aufgelösten Gesell953 OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075, 1083; OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414, 416 m. Anm. Werner; OLG Karlsruhe v. 31.7.2013 – 7 U 184/ 12, GmbHR 2013, 1051; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 411; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 32, 77; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 285; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 198; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 49; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 87; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 69, 165; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 490; Wicke, Anh. § 47 Rz. 2; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 59; für Österreich OGH, SZ 49 Nr. 51; a.M. bei der personalistischen GmbH Joost, ZGR 1984, 71 ff. 954 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 435; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 104: anders noch Münch in MünchKomm. ZPO, 2. Aufl., § 1030 ZPO Rz. 20; dazu aber Karsten Schmidt, BB 2001, 1859. 955 OLG Brandenburg v. 15.11.2016 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 411; OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414, 416 m. Anm. Werner; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 87; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 287; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rn. 49; Lutz, NZG 2015, 424, 425. 956 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 288. 957 BGH v. 1.3.1962 – II ZR 18/60, GmbHR 1962, 134; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 32, Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 285; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 165; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 491; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 198; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 59; s. dagegen § 246 AktG und dazu OLG Frankfurt v. 13.12.1983 – 5 U 110/83, AG 1984, 110 = WM 1984, 209. 958 Vgl. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 491; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 198 m.w.N.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 165. 959 OLG Karlsruhe v. 31.7.2013 – 7 U 184/12, GmbHR 2013, 1051, 1052; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 32, der klagende Gesellschafter kommt selbst als Vertreter nicht in Betracht; vgl. OLG Brandenburg v. 15.11.2016 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 411; OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414, 416 m. Anm. Werner; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rn. 49; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 89; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 287; Lutz, NZG 2015, 424, 426 f. 960 OLG Karlsruhe v. 31.7.2013 – 7 U 184/12, GmbHR 2013, 1051, 1052; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 89; Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157 ff.; Lutz, NZG 2015, 424, 426 f. 961 BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, GmbHR 2011, 83. 962 Vgl. zur analogen Anwendung des § 29 BGB RGZ 138, 98, 101; BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/ 09, GmbHR 2011, 83, 84 Rz. 19 m. Anm. Münnich; BayObLG v. 2.6.1976 – Breg. 2 Z 84/75, BayObLGZ 1976, 126, 129 = Rpfleger 1976, 357; OLG Zweibrücken v. 22.1.2007 – 4 W 6/07, GmbHR 2007, 544; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 198. 963 Zur Anwendung des § 57 ZPO bei Klagen des einzigen Vertretungsorgans gegen die Gesellschaft vgl. BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, GmbHR 2011, 83, 84 Rz. 19 m. Anm. Münnich; OLG Hamburg, OLGE 31, 16; OLG Zweibrücken v. 22.1.2007 – 4 W 6/07, GmbHR 2007, 544; OLG Karlsruhe

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 149 § 45

schaft treten auch hier die Liquidatoren an die Stelle der Geschäftsführer964. Wird die Bestellung des Geschäftsführers oder Liquidators selbst angefochten, so genügt es für seine Vertretungsmacht, dass er im Fall des Obsiegens der Gesellschaft im Amt bestätigt wird965; dies gilt auch für die zweite Instanz, wenn die Bestellung in erster Instanz für unwirksam erklärt wurde966. Die Rechtslage im Insolvenzverfahren ist umstritten. Die Auffassung, dass in jedem Fall die Geschäftsführer zuständig bleiben967, hat sich mit Recht nicht durchgesetzt. Sie ist mit § 80 InsO unvereinbar. Das spricht für die Gegenauffassung, wonach der Insolvenzverwalter die Geschäftsführer mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Vertretungskompetenz verdrängt968. Es bleiben allerdings auch im Insolvenzfall die Geschäftsführer (bzw. Liquidatoren) neben dem Insolvenzverwalter im Amt (Nachweise 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 200). Die vorherrschende, schon unter der Geltung der Konkursordnung entwickelte Auffassung unterscheidet: Anfechtungsprozesse, welche die Masse betreffen, werden auf Seiten der Gesellschaft vom Verwalter geführt, während die Geschäftsführer in Anfechtungsprozessen vertretungsberechtigt bleiben, die nicht die Masse betreffen969. In diesem Fall berührt nach h.M. auch eine Eröffnung des Insolvenzverfahrens im laufenden Anfechtungsstreit diesen Prozess nicht970. Das gilt vor allem für rein organisatorische Beschlüsse ohne vermögensrechtliche Folgen971. Zu bejahen ist die Auswirkung auf die Masse immer dann, wenn der Beschluss Vermögenspositionen der Gesellschaft zum Gegenstand hat oder wenn seine Ausführung Vermögensveränderungen zur Folge hat oder vermindert. Gegenständlichen Vermögensbezug

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v. 31.7.2013 – 7 U 184/12, GmbHR 2013, 1051, 1052; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rn. 49; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 59; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 89; Lutz, NZG 2015, 424, 426 f. Vgl. § 66 Abs. 1, § 70 Satz 1; KG v. 4.3.1997 – 14 U 6988/96, GmbHR 1997, 1001; das gilt auch für die Anfechtung des Auflösungsbeschlusses selbst; vgl. BGH v. 14.12.1961 – II ZR 97/59, BGHZ 36, 207, 209; zust. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 285; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 198; Wicke, Anh. § 47 Rz. 2; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 494; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 89. BGH v. 10.11.1980 – II ZR 51/80, GmbHR 1981, 195 = WM 1981, 138; KG v. 4.3.1997 – 14 U 6988/96, GmbHR 1997, 1001; OLG München v. 12.12.2013 – 23 U 3331/13, juris-Rz. 6; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 289; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 493; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 59; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 89; vgl. auch für eine Feststellungsklage OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 493. KG, OLGE 21, 389 f.; W. Schmidt in Hachenburg, 6. Aufl., Anm. 45. Wolf Schulz, KTS 1986, 389 ff., insbes. S. 399 ff.; diese „ältere Gegenmeinung“ (so gewürdigt bei Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 496) ist jedenfalls jünger als die soeben zitierte; exemplarisch gegen diese Sichtweise auch Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 88. Vgl. BGH v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 32, 114, 121 = NJW 1960, 1006; BGH v. 19.7.2011 – II ZR 246/09, BGHZ 190, 291 = ZIP 2011, 1862, 1863 Rz. 9 = EWiR 2011, 789 m. Anm. Wilsing/ Illert (zur AG); OLG Braunschweig, OLGE 27, 380; OLG München v. 6.10.2010 – 7 U 2193/10, GmbHR 2011, 89, 90 = ZIP 2010, 2369; OLG München v. 6.10.2010 – 7 U 2193/10, GmbHR 2011, 89 = ZIP 2010, 2369; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 Rz. 56; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 87 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 199; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 32; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 49; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 496; Wicke, Anh. § 47 Rz. 2; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 286; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 59a; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 46; Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1987, für AG RGZ 76, 244, 246; für Genossenschaft RG, JW 1936, 181; BGH v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 32, 114, 121; OLG Königsberg, JW 1927, 2439. Vgl. BGH v. 19.7.2011 – II ZR 246/09, BGHZ 190, 291 = ZIP 2011, 1862, 1863 Rz. 9 = EWiR 2011, 789 m. Anm. Wilsing/Illert (zur AG); OLG Braunschweig, OLGE 27, 380; Drescher in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 46. Vgl. RGZ 76, 244, 247.

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§ 45 Rz. 149 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse haben etwa die Beschlüsse nach § 46 Nr. 2, 3 und 8. Auch ein Kapitalerhöhungsbeschluss fällt entgegen RGZ 76, 244, 247 in die Zuständigkeit des Verwalters (zur Frage, ob die Kapitalerhöhung wirksam bleibt, vgl. 12. Aufl., § 55 Rz. 32 ff.). Vermögensrechtliche Folgen kann etwa die Anfechtung der Abberufung eines Geschäftsführers haben, wenn es zugleich um dienstvertragliche Ansprüche geht972 oder wenn zugleich haftungsrechtliche Konsequenzen des Beschlusses in Frage kommen (s. auch zum Auflösungsbeschluss bei der Genossenschaft). Dasselbe gilt für Rechnungslegungsbeschlüsse nach § 46 Nr. 1973 sowie in Anbetracht der Entlastungswirkungen (12. Aufl., § 46 Rz. 93) auch für Entlastungsbeschlüsse nach § 46 Nr. 5974. Bei der Anfechtung eines vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gefassten Entlastungsbeschlusses ist nach h.M. der Insolvenzverwalter nicht der geeignete Repräsentant der beklagten GmbH975. Denn sein Interesse ist, wie das des Klägers, auf Beseitigung des Beschlusses gerichtet. Auch hier vertreten deshalb nach der bisher h.M. die Geschäftsführer die beklagte GmbH. Der Verwalter ist dagegen zuständig, wenn er die Entlastungswirkung nach §§ 129 ff. InsO durch Insolvenzanfechtung beseitigen will. Soweit der Insolvenzverwalter zuständig ist, wird ein bereits laufender Prozess nach § 240 ZPO unterbrochen976. Aufgrund der – wenig sachgerechten! – „Amtstheorie“ (zu ihr vgl. 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 175 ff.)977 erklärt dann die h.M. den Insolvenzverwalter zur Passivpartei des Anfechtungsprozesses und nicht zum Vertreter der beklagten Gesellschaft978. Kritik der h.M.979: Nach der hier vertretenen Auffassung werden Anfechtungsprozesse gegen Beschlüsse auf der Passivseite grundsätzlich vom Verwalter der GmbH geführt. Gibt es kein massefreies Vermögen der GmbH (12. Aufl., Vor § 64 Rz. 167), gibt es keine Prozesse, die die Masse nicht betreffen und vom Geschäftsführer mit massefreien Mitteln finanziert werden. Die in der Praxis herrschende, aber angreifbare „Amtstheorie“ (dazu 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 175 ff.) legt es nahe, dass Erhebung der Klage bzw. Fortsetzung des unterbrochenen Rechtsstreits gegenüber dem Insolvenzverwalter als Partei erfolgt. Aber die kassatorische Kla-

972 Vgl. auch über Aufsichtsratsmitglieder Fr. Weber, KTS 1970, 87. 973 BGH v. 21.4.2020 – II ZR 412/17, BGHZ 225, 198 = ZIP 2020, 1064, 1066 Rz. 23 ff. = EWiR 2020, 387 m. Anm. Wilsing/Hoveyes (zur AG); OLG München v. 6.10.2010 – 7 U 2193/10, GmbHR 2011, 89, 91 = ZIP 2010, 2369, 2370; OLG Dresden v. 9.11.2017 – 8 U 772/17, ZIP 2018, 1069, 1070 (zur AG); Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 88; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 Rz. 56; Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1987. 974 OLG München v. 6.10.2010 – 7 U 2193/10, GmbHR 2011, 89, 91 = ZIP 2010, 2369, 2370; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 Rz. 56; Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1987. 975 Vgl. auch RGZ 76, 249; BGH v. 21.4.2020 – II ZR 412/17, BGHZ 225, 198 = ZIP 2020, 1064, 1066 Rz. 28 = EWiR 2020, 387 m. Anm. Wilsing/Hoveyes (zur AG); OLG Dresden v. 9.11.2017 – 8 U 772/17, ZIP 2018, 1069, 1070 (zur AG); Haas in Baumbach/Hueck, § 60 Rz. 56; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 199; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 87; Müller in MünchKomm. GmbHG, § 64 Rz. 88; Hirte in Uhlenbruck, 15. Aufl. 2019, § 11 InsO Rz. 139; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 59a; Fr. Weber, KTS 1970, 87 f. 976 RG, JW 1936, 181; BGH v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 32, 114, 121; BGH v. 19.7.2011 – II ZR 246/09, BGHZ 190, 291 = ZIP 2011, 1862, 1863 Rz. 9 = EWiR 2011, 789 m. Anm. Wilsing/Illert (zur AG); BGH v. v. 24.10.2017 – II ZR 16/16, GmbHR 2018, 201 Rz. 15 = EWiR 2018, 95 m. Anm. Keil; BGH v. 21.4.2020 – II ZR 412/17, BGHZ 225, 198 = ZIP 2020, 1064, 1066 Rz. 28 = EWiR 2020, 387 m. Anm. Wilsing/Hoveyes (zur AG); OLG Königsberg, JW 1927, 2439; OLG Bremen v. 5.7.1957 – 1 U 351/56, NJW 1957, 1560; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 87. 977 Die Amts-“Theorie“ ist nicht mehr als eine formelle Usance bei Insolvenzverwalterverhandlungen und Insolvenzverwalterprozessen. 978 Vgl. statt vieler OLG München v. 6.10.2010 – 7 U 2193/10, GmbHR 2011, 89, 90 = ZIP 2010, 2369, 2371; Müller in MünchKomm. GmbHG, § 64 Rz. 88; Haas in Baumbach/Hueck, § 60 Rz. 56; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 163; Wicke, § 64 Rz. 10a; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 59a; Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1987. 979 Vgl. mit unterschiedlichen Ergebnissen Windel in Jaeger, 2007, § 85 Inso Rz. 49 ff.; Karsten Schmidt in FS Kreft, 2004, S. 503, 520 ff. (mit Zweifeln auf S. 522 f.).

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ge wird nicht gegen die Gesellschaft „als Schuldnerin“, sondern gegen die Gesellschaft als Trägerin organschaftlicher Entscheidungen erhoben, und der Insolvenzverwalter tritt hier an die Stelle ihrer Vertretungsorgane (12. Aufl., Vor § 64 Rz. 173). Er vertritt die Gesellschaft980. Diese bleibt auch im Insolvenzverfahren die Beklagte981. d) Zuständigkeiten; Schiedsfähigkeit Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sind Handelssachen (§ 95 GVG, vgl. auch § 246 Abs. 3 150 Satz 2 AktG). Ausschließlich zuständig ist entsprechend § 249 Abs. 1, § 246 Abs. 3 AktG das LG, in dessen Bezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat982. Ob Doppelsitz (dazu aber 12. Aufl., § 4a Rz. 13) Doppelzuständigkeit, nicht bloß Zuständigkeit beim Verwaltungssitz, bedeutet, ist umstritten983. Wie im Aktienrecht (§ 246 Abs. 3 Satz 2 AktG) ist die Kammer für Handelssachen auch ohne entsprechenden Antrag zuständig984. Wird die kassatorische Klage auf einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV oder gegen § 1 GWB gestützt, so ist sie Kartellrechtsstreitigkeit i.S.d. § 87 Satz 1 GWB985, so dass bei der Bestimmung des ausschließlich zuständigen LG § 89 GWB und bei der Bestimmung des Berufungsgerichts § 93 GWB zu beachten ist986. Die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts kann durch Satzungsklausel oder durch Schieds- 150a gerichtsvereinbarung begründet werden (§ 1030 ZPO)987. Beschlussstreitigkeiten sind ver980 Vgl. auch BGH v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 32, 114, 121. 981 Zust. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 489. 982 Vgl. RGZ 172, 77 f.; BGH v. 29.10.1956 – II ZR 130/55, BGHZ 22, 105; OLG München v. 14.9.2007 – 31 AR 211/07, AG 2007, 912 f. = GmbHR 2007, 1108; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 72; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 204; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 168; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 59; Otto, ZGR 2019, 1082, 1093. 983 Streitstand bei Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 246 AktG Rz. 72; Hüffer/Koch, § 246 AktG Rz. 37. 984 OLG München v. 14.9.2007 – 31 AR 211/07, GmbHR 2007, 1108 = AG 2007, 912; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 72; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 168; Hüffer/Koch, § 246 AktG Rz. 37. 985 Vgl. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 72; Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, EU, 6. Aufl. 2019, Anh. 3 zur VO 1/2003, Rz. 21 ff.; Bd. 2, GWB, 6. Aufl. 2020, § 87 Rz. 11 ff.; Karsten Schmidt, JZ 1976, 307; Karsten Schmidt in FS Peltzer, 2001, S. 409 ff. 986 Hierzu Karsten Schmidt, BB 1976, 1051 und 1285. 987 So im Ergebnis BGH v. 10.5.2001 – III ZR 262/00, BGHZ 147, 394 = AG 2001, 587; BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = JZ 2009, 794 m. Anm. Habersack = NJW 2009, 1962 m. Anm. Duve/Keller – Schiedsfähigkeit II; bestätigt durch BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, GmbHR 2015, 1148, 1150 m. Anm. Römermann = EWiR 2015, 727 m. Anm. Hangebrauck; BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, GmbHR 2017, 759, 760 f. Rz. 24 ff. m. Anm. Römermann = EWiR 2017, 523 m. Anm. Zarth/Buchner – Schiedsfähigkeit III (zur Personengesellschaft unter Bezugnahme zur Entscheidung Schiedsfähigkeit II); OGH Wien v. 10.12.1998 – 7 Ob 221/98w, NZG 1999, 307; OLG Hamm v. 7.3.2000 – 15 W 355/ 99, NZG 2000, 1183 m. Anm. Ebbing = GmbHR 2000, 676; OLG Düsseldorf v. 14.11.2003 – 16 U 95/98, GmbHR 2004, 572; OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075, 1080; OLG Karlsruhe v. 30.12.2011 – 7 U 95/10, BeckRS 2014, 01781; OLG Düsseldorf v. 30.8.2013 – 17 U 22/13, BeckRS 2015, 04479 Rz. 27; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 125; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 4 Rz. 4; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 95 f.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 403; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 33 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 208; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 76; Münch in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2017, § 1030 ZPO Rz. 35 ff.; Voit in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, § 1030 ZPO Rz. 2; Schlosser in Stein/Jonas, Bd. 10, 23. Aufl. 2014, § 1034 ZPO Rz. 42 ff.; Seiler in Thomas/Putzo, 41. Aufl. 2020, § 1030 ZPO Rz. 2; Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 1030 ZPO Rz. 10; Bender, BB 1998, 1900; Kröll, NJW 2001, 1177; Lüke/Blenske, ZGR 1998, 253 ff.; Nietsch, ZIP 2009, 2269; B. Schneider, GmbHR 2005, 86 ff.;

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§ 45 Rz. 150a | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse mögensrechtliche, also schiedsfähige Rechtsstreitigkeiten (§ 1030 Abs. 1 Satz 1 ZPO)988. Die Rechtsprechung hat ungeachtet einer zunehmenden Öffnung für Schiedsverfahren die Formulierung wirksamer Schiedsklauseln schwer gemacht, weshalb manche Satzungen Beschlussstreitigkeiten von der Schiedsgerichtszuständigkeit ausnehmen989. Vor der Schiedsverfahrensnovelle von 1997990 sah die h.M. eine Schiedsvereinbarung oder eine Schiedsklausel im Gesellschaftsvertrag hinsichtlich der Beschlussmängelstreitigkeiten als wirkungslos an, weil das Klagziel nicht Gegenstand eines Vergleichsvertrags werden könne (vgl. § 1025 Abs. 1 ZPO a.F.)991. Dem war schon nach dem damaligen Rechtszustand nicht zu folgen992. Auch das gleichfalls noch zum alten Schiedsverfahrensrecht ergangene Grundlagenurteil BGHZ 132, 287993 „Schiedsfähigkeit I“ wurde missverstanden, soweit es i.S. einer Ablehnung der Schiedsfähigkeit interpretiert wurde (ausführlicher noch in der 10. Aufl.). Ungeachtet der unsachgemäß formulierten994 Entscheidungsgründe („Bedenken“ gegen die „generelle Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten“), handelt schon dieses Urteil der Sache nach nur von den an die Besetzung eines über die Beschlusswirksamkeit entscheidenden Schiedsgerichts zu stellenden Anforderungen995. 150b Das für das GmbH-Beschlussmängelrecht richtungsweisende Folgeurteil „Schiedsfähig-

keit II“996 hat sodann in Fortführung dieser Entscheidung klargestellt, dass der Anfechtungsstreit seiner Art nach schiedsfähig ist. Schwierigkeiten bereitet nicht die Schiedsfähigkeit des Streitgegenstands, sondern die vertrags- oder satzungsmäßige Begründung der Schiedsgerichtszuständigkeit. Im Lichte der vom Kläger beantragten erga omnes wirkenden Gestaltungsentscheidung (Rz. 173) ist das Schiedsverfahren nur zulässig, wenn das Schiedsgericht entweder einverständlich durch alle Gesellschafter oder aufgrund einer Satzungsklausel bestellt wird, die nicht bloß ein Gleichgewicht des Klägers und der beklagten Gesellschaft (§ 1031 ZPO), sondern eine von allen Gesellschaftern zu akzeptierende Neutralität des Schiedsgerichts sicherstellt997.

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Karsten Schmidt in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 97 ff.; Karsten Schmidt, BB 2001, 1857 ff. m.w.N.; Otto, ZGR 2019, 1082, 1094 ff., 1101. Vgl. ebd. Beispiel: OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075 m. Anm. Römermann – Media-Saturn; vgl. auch Borris, SchiedsVZ 2018, 242, 243. BGBl. I 1997, 3224; dazu Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, 1988. Vgl. BGH, LM Nr. 1 zu § 199 AktG 1937; BGH v. 11.7.1966 – II ZR 134/65, WM 1966, 1133; OLG Hamm v. 8.12.1986 – 8 U 73/86, GmbHR 1987, 472 = AG 1988, 80 = ZIP 1987, 780; OLG Hamm v. 1.2.1995 – 8 U 148/94, GmbHR 1995, 736; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 164; Zöllner in Baumbach/Hueck, 15. Aufl., Anh. § 47 Rz. 18; Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 146, 201; Koppensteiner in Rowedder, 3. Aufl., § 47 Rz. 121; Lutter/Hommelhoff, 14. Aufl., Anh. § 47 Rz. 9, 65; Thomas in Thomas/Putzo, 23. Aufl. 2001, § 1030 ZPO Rz. 2; Bork, ZZP 100 (1987), 268 ff.; Henze, ZGR 1988, 542. Eingehend 8. Aufl., Rz. 150; Kornmeier, Vergleichsbefugnis und Schiedsfähigkeit, 1981, S. 62 ff.; Kornmeier, DB 1980, 196; Kornmeier, ZZP 94 (1981), 27 ff.; Timm in FS Fleck, 1988, S. 365 ff.; Karsten Schmidt, ZGR 1988, 523 ff. BGH v. 29.3.1996 – II ZR 124/95, BGHZ 132, 287 = GmbHR 1996, 437. Dazu Bork, ZHR 160 (1996), 383; Chr. Berger, ZHR 164 (2000), 295; Lüke/Blenske, ZGR 1998, 253; Schlosser, JZ 1996, 1020; Karsten Schmidt, BB 2001, 1857 ff. So BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705, 707 m. Anm. Römermann = JZ 2009, 794, 795 m. Anm. Habersack = NJW 2009, 1962, 1963 m. Anm. Duve/Keller; OLG Celle v. 31.7.1998 – 9 U 1/98, GmbHR 1999, 551 = NZG 1999, 167 m. Anm. Ebbing; Bosch, WiB 1996, 718; Ebbing, NZG 1998, 285 ff.; Lüke/Blenske, ZGR 1998, 255. Eingehend Karsten Schmidt, BB 2001, 1857 ff.; ausführlich B. Schneider, GmbHR 2005, 86 ff. BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705 m. Anm. Römermann = JZ 2009, 794 m. Anm. Habersack = NJW 2009, 1963 m. Anm. Duve/Keller. Vgl. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 127 ff.; Karsten Schmidt, BB 2001, 1857 ff.; Witte/Hafner, DStR 2009, 2052, 2054 f.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 150c § 45

Der BGH hat folgende vier Mindestvoraussetzungen für Schiedsklauseln für Beschluss- 150c mängelstreitigkeiten formuliert998: (1) Die Schiedsklausel muss unter Mitwirkung aller Gesellschafter in die Satzung aufgenommen worden sein, oder alle gegenwärtigen Gesellschafter müssen der Schiedsklausel oder einer ad hoc vereinbarten Schiedsgerichtsvereinbarung zugestimmt haben999. (2) Das Schiedsgericht muss entweder durch eine neutrale Stelle oder, sofern die Prozessparteien mitwirken, unter Mitwirkung aller Gesellschafter – in diesem Fall durchaus auch durch Mehrheitsbeschluss – ausgewählt und bestellt werden1000. (3) Es muss Zuständigkeitskonzentration gewährleistet sein, so dass alle denselben Streitgegenstand betreffenden Beschlussmängelstreitigkeiten bei einem und demselben Schiedsgericht ausgetragen werden1001. (4) Jeder Gesellschafter muss – neben den Gesellschaftsorganen – über die Einleitung und den Verlauf des Schiedsverfahrens informiert und dadurch in die Lage versetzt werden, dem Verfahren zumindest als Nebenintervenient beizutreten1002. Schiedsklauseln, die diesen Anforderungen nicht genügen, sieht der BGH wegen des in der Einschränkung des Rechtsschutzes liegenden Missbrauchs der Vertragsfreiheit als nach § 138 BGB nichtig an1003. Das Schiedsverfahren ist dann unzulässig und der Weg zu den staatli998 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705; BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, GmbHR 2015, 1148, 1150 m. Anm. Römermann = EWiR 2015, 727 m. Anm. Hangebrauck; BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, GmbHR 2017, 759, 760 f. Rz. 24 ff. m. Anm. Römermann = EWiR 2017, 523 m. Anm. Zarth/Buchner – Schiedsfähigkeit III (zur KG); OLG Frankfurt v. 9.9.2010 – 26 SchH 4/10, GmbHR 2011, 431; OLG Karlsruhe v. 30.12.2011 – 7 U 95/10, BeckRS 2014, 01781; OLG Düsseldorf v. 30.8.2013 – 17 U 22/13, BeckRS 2015, 04479 Rz. 28 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 97 ff.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 126 ff.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 404, 420 ff.; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 76; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 207 ff.; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 119; Berger, SchiedsVZ 2009, 289, 295; Böttcher/Helle, NZG 2009, 700; Borris, SchiedsVZ 2009, 301; Göz/Peitsmeyer, DB 2009, 1916; Habersack, JZ 2009, 797 ff.; Hilbig, SchiedsVZ 2009, 247; Nietsch, ZIP 2009, 2269; Nolting, NotBZ 2009, 241 ff.; Triebel/Haffner, SchiedsVZ 2009, 313 ff.; Karsten Schmidt in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 97 ff.; Werner, MDR 2009, 842 ff.; Reinmar Wolff, NJW 2009, 2021 ff.; Niemeyer/Häger, BB 2014, 1737 ff.; Borris, SchiedsVZ 2018, 242, 244. 999 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 404, 420; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 559; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 78; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 127; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 208, 213; Westermann, ZGR 2017, 38, 43; a.M. Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 124. 1000 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 434 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 209; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 561; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 36. 1001 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 36; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 436 f.; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 561; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 129; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 210; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 134; Otto, ZGR 2019, 1082, 1098. 1002 Ausführlich dazu Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 431 ff.; vgl. auch Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 561; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 36; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 130; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 79; Raiser/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 211; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 126. 1003 Vgl. BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, GmbHR 2015, 1148, 1152 Rz. 28 m. Anm. Römermann = EWiR 2015, 727 m. Anm. Hangebrauck; OLG Karlsruhe v. 30.12.2011 – 7 U 95/10, BeckRS 2014, 01781; OLG Düsseldorf v. 30.8.2013 – 17 U 22/13, BeckRS 2015, 04479 Rz. 28; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 131; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 1; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 37; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 405; kritisch Karsten

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§ 45 Rz. 150c | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse chen Gerichten steht offen1004. Wirksame satzungsmäßige Schiedsklauseln binden dagegen auch künftige Gesellschafter1005. 150d Gegen eine bei einem ordentlichen Gericht erhobene Beschlussmängelklage kann und muss

die Schiedseinrede (§ 1032 ZPO) erhoben werden1006. Anderenfalls entscheidet das ordentliche Gericht und steht einem nachfolgend angestrengten Schiedsverfahren gegebenenfalls die Einrede der Rechtskraft des vorangehenden Urteils des staatlichen Gerichts entgegen1007. Der Schiedsspruch eines aufgrund einer ordnungsgemäßen Schiedsklausel angerufenen Schiedsgerichts wirkt, ebenso wie die kassatorische Klage, rechtsgestaltend und entfaltet umfassende Rechtskraftwirkung1008. Stellt sich nach dem Schiedsspruch heraus, dass die Voraussetzungen einer wirksamen Schiedsvereinbarung nicht vorlagen und das Schiedsverfahren daher unzulässig war, ist das Schiedsurteil zwar wirksam, kann aber per Antrag i.S.v. § 1059 ZPO angegriffen werden1009. Sinnvoll sind aufgrund dieser Rechtsprechung Satzungsklauseln über die Besetzung1010. Vorgeschlagen wird insbesondere die Zuhilfenahme institutioneller Schiedsgerichtsbarkeit1011 oder die Bestellung durch neutrale Instanzen (Handelskammer, OLG-Präsident)1012 oder – wenig zweckmäßig – eine Wahl durch die Gesellschafterversammlung1013. 150e Alte Schiedsklauseln in GmbH-Satzungen können durch Satzungsänderung in einem

„Schiedsfähigkeit II“ entsprechenden Sinne nachgebessert werden1014. Eine Zustimmungs-

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Schmidt in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 97, 114 f.; Nolting, SchiedsVZ 2011, 319 ff.; Otto, ZGR 2019, 1082, 1096 f.; Versin, GmbHR 2015, 969, 971; Borris, SchiedsVZ 2018, 242, 244. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 37; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 131; Otto, ZGR 2019, 1082, 1101. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 208; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 39; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 420; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 78; Hauschild/Böttcher, DNotZ 2012, 577, 579; Versin, GmbHR 2015, 969, 971; Borris, SchiedsVZ 2018, 242, 244; zu außerstatutarischen Schiedsklauseln aber Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 39. OLG München v. 9.8.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075, 1080; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 214; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 82; vgl. dazu auch BGH v. 7.7.2016 – I ZB 45/15, ZIP 2016, 2435 f. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 403; Bayer, ZIP 2003, 881, 887; Nietsch, ZIP 2009, 2269, 2274. BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, GmbHR 2015, 1148, 1150 m. Anm. Römermann = EWiR 2015, 727 m. Anm. Hangebrauck; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 214; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 35; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 106; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 83; Nolting, GmbHR 2011, 1017 f.; Niemeyer/Häger, BB 2014, 1737, 1742. BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, GmbHR 2015, 1148, 1152 Rz. 30 m. Anm. Römermann = EWiR 2015, 727 m. Anm. Hangebrauck; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 83; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 214; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 139, 146; Niemeyer/Häger, BB 2014, 1737, 1742. Eingehend B. Schneider, GmbHR 2005, 86, 87 f. Vgl. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 10 Rz. 5; Trittmann, ZGR 1999, 359; Borris, SchiedsVZ 2009, 299 ff.; Hauschild/Böttcher, DNotZ 2012, 577, 586; Schwedt/Lilja/ Schaper, NZG 2009, 1281. Bork, ZHR 160 (1996), 383; Chr. Berger, ZHR 164 (2000), 305. Chr. Berger, ZHR 164 (2000), 306 ff.; krit. Lüke/Blenske, ZGR 1998, 287; Karsten Schmidt, BB 2001, 1859; für Wahl durch die beteiligungswilligen Gesellschafter Zilles, BB-Beil. 4/1999, S. 3. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 98; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 131; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 41; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 213; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 77; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 559; Karsten Schmidt in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 97,

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 151 § 45

pflicht der Gesellschafter zur Satzungsänderung in diesem Sinne1015 wird man unter dem Aspekt der Treuepflicht nur anerkennen können, wenn schon die vorhandene Schiedsklausel auch Anfechtungsstreitigkeiten einbezog und keine neuen Gesellschafter hinzugetreten sind, die auf Unwirksamkeit der Schiedsklausel vertraut haben1016. Eine ergänzende Satzungsbzw. Vertragsauslegung sollte in diesem Rahmen bezüglich alter Schiedsklauseln großzügiger als vom BGH angedeutet akzeptiert werden1017. Die Neu-Einführung einer Schiedsklausel bzw. deren Erweiterung auf Anfechtungsprozesse ist nur mit Zustimmung aller Gesellschafter möglich1018. Das Bemühen der Parteien um eine einverständliche Konstituierung des Schiedsgerichts hindert, solange nicht aussichtslos, den Ablauf der angemessenen Anfechtungsfrist (Rz. 143, 145). Zur Beteiligung der Mitgesellschafter am Prozess vgl. Rz. 156. Zur Urteilswirkung und zum Erfordernis der Vollstreckbarerklärung vgl. Rz. 171. Von der Streitentscheidung durch ein Schiedsgericht zu unterscheiden ist die außergerichtliche Streitbeilegung durch Mediation1019. e) Formalien Für die Erhebung der Klage gilt § 253 ZPO. Zur Formulierung des kassatorischen Antrags 151 vgl. Rz. 45, 152. Danach umfasst ein auf Nichtigerklärung gerichtetes Klagebegehren sowohl die Nichtigkeitsklage als auch die Anfechtungsklage, mag auch der Antrag entsprechend der forensischen Usance (unrichtig) als Nichtigkeitsfeststellungsantrag formuliert sein (vgl. auch Rz. 45, 152, 168). Es muss nur klar sein, dass der Kläger eine verbindliche Nichtigerklärung des angegriffenen Beschlusses beantragt, also nicht ein nur inter partes wirkendes reguläres Feststellungsurteil nach § 256 ZPO. Allerdings erwartet die hergebrachte Auffassung im Hinblick auf die vermeintlich unterschiedliche Rechtsnatur von Nichtigkeitsklagen und Anfechtungsklagen (Rz. 45) auch unterschiedliche Anträge, die z.B. im Hauptantrag auf „Feststel-

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123 f.; Karsten Schmidt, BB 2001, 1862; Witte/Hafner, DStR 2009, 2052, 2055 f.; Zilles, BBBeil. 4/1999, S. 3; Versin, GmbHR 2015, 969, 971. Dafür Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 98; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 561; einschr. Göz/Peitzmeyer, DB 2009, 1915, 1918. Vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 213; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 427 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 77; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 98; Karsten Schmidt, BB 2001, 1857, 1862; zust. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 561; Riegger/Wilske, ZGR 2010, 733, 744 f.; Nietsch, ZIP 2009, 2269, 2277; Schwedt/Lilja/Schaper, NZG 2009, 1281, 1284; Römermann, GmbHR 2009, 710, 711; zweifelnd Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 38; a.M. Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 143 f.; Witte/Hafner, DStR 2009, 2052, 2056 f. In dieser Richtung Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 423 ff.; Karsten Schmidt in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 97, 120; a.M. Nietsch, ZIP 2009, 2269, 2278; Versin, GmbHR 2015, 969, 971 ff., 977; s. auch OLG Bremen v. 22.6.2009 – 2 Sch 1/09, GmbHR 2010, 147: Schiedsklausel nichtig! OGH Wien v. 10.12.1998 – 7 Ob 221/98w, NZG 1999, 307; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 98; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 127; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 41; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 213; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 78; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 98; Karsten Schmidt, BB 2001, 1861 f. in Anlehnung an BGH v. 3.4.2000 – II ZR 373/98, BGHZ 144, 146 = LM Art. 2 GG m. Anm. v. Sachsen-Gesaphe = DStR 2001, 938 m. Anm. Goette = NZG 2000, 847 m. Anm. Ebbing (betr. Verein); Hauschild/Böttcher, DNotZ 2012, 577, 596; Versin, GmbHR 2015, 969, 971 f.; a.M. (für satzungsändernde Mehrheit) Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 124. Dazu etwa Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 454 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 215; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 562 ff.; Lehmann, Mediation in Beschlussmängelstreitigkeiten, 2013; Casper/Risse, ZIP 2000, 437 ff.; Werner, GmbHR 2005, 1415, 1418 ff.; Töben, RNotZ 2013, 321, 334 ff.; Schröder, GmbHR 2014, 960 ff.

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§ 45 Rz. 151 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse lung“ der Nichtigkeit (Nichtigkeitsklage) und hilfsweise auf Nichtigerklärung (Anfechtungsklage) lauten (Rz. 152). Wie bei Rz. 45 und 48 dargestellt, sind dies nur Antrags- und Tenorierungsusancen, die – ebenso wie der Wortlaut der §§ 248, 249 AktG – auf einer überholten und sachfremden Sichtweise beruhen. Die Formulierung unterschiedlicher („Nichtigkeits-“ und „Anfechtungs-“)Anträge ist noch immer gebräuchlich und empfiehlt sich, um akademische Debatten im Gerichtssaal zu vermeiden (solange Instanzgerichte noch am veralteten Konzept festhalten). Sie ist überflüssig, aber unschädlich, solange nur klar ist, dass eine kassatorische Klage (im Gegensatz zur echten Feststellungsklage) gemeint ist (auch dazu Rz. 152). Zur Bezeichnung von Gegenstand und Grund des Klagebegehrens gehört außer dem Beschluss auch der tatsächliche Vortrag über den gerügten Beschlussmangel. Spätere Ergänzung der tatsächlichen Behauptungen und rechtlichen Ausführungen ist grundsätzlich prozessual unschädlich (vgl. § 264 Nr. 1 ZPO), doch droht beim Nachschieben von Anfechtungsgründen deren gesellschaftsrechtliche Präklusion (vgl. Rz. 145). Im Wege der Widerklage können Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage nach der im Aktienrecht h.M.1020 schon deshalb nicht erhoben werden, weil § 246 Abs. 2 Satz 2 AktG eine Sonderregelung für die Prozessvertretung der AG trifft. Eine solche Besonderheit findet sich nicht im Recht der GmbH. Soweit der in § 33 ZPO geforderte Zusammenhang besteht (Zulässigkeitstheorie; bestr.) und soweit die ausschließliche Zuständigkeit gewahrt ist, sollte man die Widerklage zulassen1021. So etwa, wenn die Gesellschaft einen Gesellschafter-Geschäftsführer auf Feststellung der Beendigung seines Amtes verklagt und dieser widerklagend den Abberufungsbeschluss anficht. Indes wird sich der Praktiker als Vertreter des Anfechtungsklägers besser nicht auf dieses Experiment einlassen. 4. Streitgegenstand und Streitwert a) Der Streitgegenstand der kassatorischen Klage 152 Der Streitgegenstand der kassatorischen Klage1022 ist begrenzt durch Antrag und Lebenssach-

verhalt. Streitgegenstand ist die Nichtigerklärung des angegriffenen Beschlusses1023. Der Antrag ist gerichtet auf Nichtigerklärung eines genau zu bezeichnenden Beschlusses (Rz. 45, 151). Es ist zwischen dem Anfechtungsgegenstand und dem Streitgegenstand zu unterscheiden. Anfechtungsgegenstand ist immer der in der Klage zu benennende Beschluss, mag der Antrag als „Nichtigkeitsklage“ oder als „Anfechtungsklage“ formuliert sein (Rz. 151) und mag er auf Vollaufhebung oder auf Teilaufhebung gerichtet sein1024. Ist zweifelhaft, ob das Gericht den Beschluss als Einheit oder als Mehrheit ansehen wird, so ist der Anfechtungsgegenstand unmissverständlich klarzustellen. Eine Teilanfechtung eines Beschlusses ist, sofern dieser teilweise nichtig sein bzw. für nichtig erklärt werden kann (Rz. 41, 168), mög1020 Vgl. nur Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl., § 246 Anm. 2; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 246 AktG Rz. 13; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd, 5, 3. Aufl. 2018, § 246 AktG Rz. 10; zweifelnd Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 58. 1021 Jetzt wohl h.M.; vgl. Martin Schwab, S. 417 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 220; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 516; ausführlich noch Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 95. 1022 BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; BGH v. 30.6.2015 – II ZR 142/14, BGHZ 206, 143 = ZIP 2015, 2069, 2074 Rz. 43; BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364 = AG 1997, 326, 327 = GmbHR 1997, 655; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 359 m. Anm. Wachter; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; eingehend dazu auch Karsten Schmidt, JZ 1977, 669 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 166 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 194 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 78. 1023 BGH v. 22.7.2000 – II ZR 286/01, BGHZ 152, 1 = AG 2002, 677 (zur AG). 1024 Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 57.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 152 § 45

lich1025. Das wird für die „Nichtigkeitsklage“ anerkannt1026, sollte aber auch für die „Anfechtungsklage“ gelten (zur Streitgegenstandsidentität dieser Klagen vgl. Rz. 48)1027. Ebenso kann das Gericht, wenn ein solcher Beschluss insgesamt angefochten ist, den Beschluss teilweise für nichtig erklären und die Klage im Übrigen abweisen1028. Der Antrag wird herkömmlicherweise für die „Anfechtungsklage“ und für die „Nichtigkeitsklage“ unterschiedlich formuliert (Rz. 151)1029: Im Fall der „Anfechtungsklage“ pflegen Antrag und Urteil dahin zu lauten, dass der Beschluss „für nichtig erklärt“ wird (vgl. § 248 Abs. 1 AktG), während bei der „Nichtigkeitsklage“ auf „Feststellung der Nichtigkeit“ (vgl. § 249 AktG) geklagt und entsprechend verurteilt zu werden pflegt (vgl. auch zum Urteilstenor Rz. 168)1030. Diese auf der vermeintlich unterschiedlichen Rechtsnatur beider Klagen beruhende Übung ist unschädlich (Rz. 45, 48, 82), darf aber nicht irreführen1031: Es handelt sich, soweit der angegriffene Beschluss und der die Klage begründende Sachverhalt identisch bleiben, rechtlich um einen (Gestaltungs-)Antrag mit gleichem Streitgegenstand (Rz. 45, 48). Diese hier in der 6. Aufl. ausführlich entwickelte Auffassung ist jetzt die herrschende1032. Im Rahmen einer „Nichtigkeitsklage“ sind auch Anfechtungsgründe zu prüfen, soweit deren Geltendmachung nicht verfristet ist1033. Umgekehrt kann einer „Anfechtungsklage“ ohne weiteres aufgrund eines Nichtigkeitsgrundes stattgegeben werden1034. Der Übergang von der 1025 Vgl. OLG Hamm v. 9.9.2019 – 8 U 7/17, GmbHR 2020, 204, 207 m. Anm. Mayer/Jenne = EWiR 2020, 425 m. Anm. Schodder; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 219; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 48; a.M. Schnorr, S. 81 ff., 150 f. 1026 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111 = AG 1994, 124 m. Anm. Kropff, ZGR 1994, 628 ff.; OLG Hamm v. 9.9.2019 – 8 U 7/17, GmbHR 2020, 204, 207 m. Anm. Mayer/Jenne = EWiR 2020, 425 m. Anm. Schodder; vgl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 78; vgl. aber Schnorr, S. 150 f. (zur h.M. S. 82). 1027 OLG Hamm v. 9.9.2019 – 8 U 7/17, GmbHR 2020, 204, 207 m. Anm. Mayer/Jenne = EWiR 2020, 425 m. Anm. Schodder; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 48; die Gegenauffassung von Schnorr, S. 86 ff., 150 f., besagt im Ergebnis wohl nur, dass einer Teil-Anfechtungsklage nicht stattgegeben werden darf, wenn der Beschluss insgesamt nichtig oder anfechtbar ist (vgl. nämlich S. 151 zu „Ausnahmefällen“). 1028 Dazu auch Kindl, ZGR 2000, 166; Steinmeyer/Seidel, DStR 1999, 2077 ff. 1029 Charakteristisch die Formulierungen bei Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 328; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 512; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 218. 1030 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 512; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 218; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 327 f.: einheitliche Klageart mit einheitlichem Streitgegenstand, jedoch Urteil auf Feststellung der Nichtigkeit bzw. Gestaltungsurteil bei bloßer Anfechtbarkeit. 1031 Näher Karsten Schmidt, JZ 1977, 669 f.; Karsten Schmidt, JZ 1988, 733 f.; zust. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 196; Steinmeyer/Seidel, DStR 1999, 2077 ff.; charakteristisch für die Schwierigkeiten der traditionellen Auffassung Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 328, 357, 360 ff.; Sosnitza, NZG 1998, 337 f. 1032 Vgl. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 78; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 166; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 482, 511; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 194 ff.; s. auch Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 218; dogmatische Bedenken freilich bei Sosnitza, NZG 1998, 336 ff. 1033 BGH v. 17.2.1997 – II ZR 41/96, BGHZ 134, 364 = GmbHR 1997, 655; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 79. 1034 Vgl. BGH v. 26.9.1994 – II ZR 236/93, AG 1995, 83; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Hamm v. 9.6.2010 – 8 U 133/09, BeckRS 2010, 29327; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; OLG Karlsruhe v. 17.5.2013 – 7 U 57/12, ZIP 1958, 1961; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 79; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 218 f.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 70; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 29.

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§ 45 Rz. 152 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse „Anfechtungsklage“ zur „Nichtigkeitsklage“ ist also für sich allein keine Klagänderung, die Verbindung einer „Nichtigkeitsklage“ mit einer eventuellen „Anfechtungsklage“ ist, sofern gegen denselben Beschluss gerichtet und auf denselben Mangel gestützt, keine Klaghäufung, und es ist auch ohne weiteres möglich, dass das Gericht auf einen „Anfechtungsantrag“ ein „Nichtigkeitsurteil“ erlässt und umgekehrt (vorsorglich wird die forensische Praxis den Klagantrag umstellen). Dagegen liegt eine Änderung des Klagantrags und damit eine Klagänderung vor, wenn nicht mehr derselbe Beschluss angefochten wird (vgl. auch Rz. 164). Auch der der Klage zugrundeliegende, weit begriffene Lebenssachverhalt (nicht die in rechtlicher Hinsicht vorgetragenen Anfechtungsgründe bzw. Nichtigkeitsgründe) begrenzt den Streitgegenstand (vgl. auch Rz. 154)1035. Im Rahmen des dem Gericht dargelegten Lebenssachverhalts muss das Gericht alle in Betracht kommenden Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgründe prüfen1036. Es ist nicht erforderlich, dass die Beschlussmängel rechtlich spezifiziert werden; jedoch muss der Lebenssachverhalt hinreichend substanziiert im Hinblick auf Beschlussmängel vorgetragen werden. Werden aber, was selten sein wird, durch neuen Tatsachenvortrag im Rahmen eines neuen Lebenssachverhalts bisher nicht erkennbare neue Mängel des Beschlusses vorgebracht, so liegt der Tatbestand einer Klagänderung vor (§ 263 ZPO), sofern nicht die tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen nur ergänzt oder berichtigt werden (§ 264 Nr. 1 ZPO)1037. Vgl. zu diesen Fragen auch Rz. 145, 176. b) Streitwert 153 Die Kosten des Rechtsstreits richten sich nach der ZPO. Ausnahmsweise kommen mate-

riellrechtliche Erstattungsansprüche als Schadensersatz wegen Treupflichtverletzung in Betracht1038. Für den Streitwert ist § 247 AktG analog anzuwenden1039. Umstritten ist nur, ob auch die Streitwertobergrenzen des § 247 Abs. 1 Satz 2 AktG anzuwenden sind1040. Die Fra1035 Vgl. BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 167; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 78; die scheinbare Gegenposition bei BGH v. 22.7.2002 – II ZR 286/01, BGHZ 152, 1 = AG 2002, 677 = NJW 2002, 3465, wonach der Streitgegenstand alle einem Beschluss anhaftenden Mängel erfasst, dürfte in der Sache kaum etwas ändern; a.A. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 70 (alle „vorgetragenen Beschlussmängel“); Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 31. 1036 Vgl. BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Hamm v. 9.6.2010 – 8 U 133/09, jurisRz. 42; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 79; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 218 f. 1037 Anders die h.M.; vgl. BGH v. 22.7.2002 – II ZR 286/01, BGHZ 152, 1 = AG 2002, 677, freilich bezogen auf einen „außerordentlich eng“ betrachteten Lebenssachverhalt; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 318; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 196. 1038 Eingehend Schäfer in FS Goette, 2011, S. 443 ff.; Andreas Mayer, GmbHR 2010, 1081, 1086 f. 1039 Vgl. BGH v. 5.7.1999 – II ZR 313/97, NZG 1999, 999; OLG Hamm v. 23.6.1954 – 8 W 30/54, GmbHR 1955, 226; OLG Saarbrücken v. 4.1.2013 – 4 W 338/12, ZIP 2013, 999, 1000; OLG Naumburg v. 10.2.2015 – 2 U 143/12, NZG 2015, 1323 Rz. 13 = GmbH-StB 2015, 314 m. Anm. Tomat; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 73; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 171; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 233; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 350; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 83; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 66; Emde, DB 1996, 1557; abl. Fehrenbach, S. 369 ff., Bloching, GmbHR 2009, 1265 ff.; für das Vereinsrecht BGH v. 25.5.1992 – II ZR 23/92, AG 1992, 320 = ZIP 1992, 918. 1040 Bejahend OLG München v. 18.12.2007 – 7 W 1875/07, GmbHR 2008, 1267 m. Anm. Scheuffele; OLG Naumburg v. 10.2.2015 – 2 U 143/12, NZG 2015, 1323 Rz. 14 = GmbH-StB 2015, 314 m. Anm. Tomat; differenzierend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 83; Wertenbruch in

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 154 § 45

ge wurde hier in den Vorauflagen bejaht. Die herrschende Gegenansicht beruft sich darauf, dass der Normzweck des § 247 Abs. 1 Satz 2 AktG nur auf die regelmäßig große AG zugeschnitten ist und bei dieser den Kleinaktionär schützen soll. § 112 Abs. 5 HGB-E sieht die Übernahme der Regelung des § 247 Abs. 1 AktG unter Weglassung seines Satzes 2 ins Anfechtungsrecht der Personenhandelsgesellschaften vor; das Regulativ einer Kappung nach Vorbild von § 247 Abs. 1 Satz 2 AktG sei entbehrlich, da die Ermessensausübung nach Satz 1 hinreichend Raum für die verfassungskonforme Behandlung problematischer Konstellationen lasse1041. Jedenfalls die Begrenzung auf ein Zehntel des im Vergleich zu Aktiengesellschaften nicht selten verhältnismäßig geringen Stammkapitals wird in der GmbH in der Tat typischerweise unangemessen sein1042. Aber als Richtschnur ist die Regel nicht unpassend. Soweit die Bedeutung der Sache für den Kläger höher zu bewerten ist, hindert die Bestimmung eine Überschreitung selbstverständlich ebenso wenig wie im direkten Anwendungsfall der AG1043. § 247 AktG – und das kann für die analoge Anwendung nicht anders sein – gilt auch für die Feststellung der Beschwer im Rechtsmittelverfahren1044. 5. Mehrheit von Prozessen und von Parteien a) Streitgegenstand und objektive Klaghäufung Greift derselbe Kläger denselben Beschluss mit mehreren Anfechtungs- und/oder Nichtigkeits- 154 gründen an, so handelt es sich um einen Streitgegenstand, also nicht um eine Mehrheit von Prozessen, sofern – wie i.d.R. – der Lebenssachverhalt identisch bleibt (Rz. 48, 152)1045. Es wird also, wenn einer von mehreren Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgründen die Aufhebung des Beschlusses rechtfertigt, der Klage ohne Teilabweisung stattgegeben. Ein Teilurteil ist insoweit weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht zulässig1046. Greift der Kläger mehrere Beschlüsse an, so liegt objektive Klaghäufung vor.

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MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 351 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 66; einschränkend Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 234 Andreas Mayer, GmbHR 2010, 1081, 1083 (Kombination mit Untergrenze); verneinend OLG Frankfurt v. 17.7.1968 – 6 W 279/68, NJW 1968, 2112; OLG Karlsruhe v. 9.9.1994 – 15 W 30/94, GmbHR 1995, 302; OLG Saarbrücken v. 4.1.2013 – 4 W 338/12, AG 2013, 472; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 171; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 72; Wicke, Anh. § 47 Rz. 20; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 529; Bloching, GmbHR 2009, 1265 ff.; unentschieden BGH v. 5.7.1999 – II ZR 313/97, NZG 1999, 999; BGH v. 10.11.2009 – II ZR 196/08, NZG 2009, 1438; OLG Saarbrücken v. 4.1.2013 – 4 W 338/12, ZIP 2013, 999, 1000. Begr. RegE MoPeG, BR-Drucks. 59/21, S. 270. So und deshalb nur für die 500 000-Euro-Grenze Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 234; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 351 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 66; für 5000 Euro als Untergrenze, Andreas Mayer, GmbHR 2010, 1081, 1083. BGH v. 5.7.1999 – II ZR 313/97, NZG 1999, 999. BGH v. 15.3.1999 – II ZR 94/98, AG 1999, 376; BGH v. 21.6.2011 – II ZR 22/10, AG 2011, 823; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 171; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 247 AktG Rz. 1; Hüffer/Koch, § 246 AktG Rz. 4. BGH v. 22.7.2002 – II ZR 286/01, BGHZ 152, 1 = AG 2002, 677; BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/ 17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Hamm v. 9.6.2010 – 8 U 133/09, BeckRS 2010, 29327; OLG Jena v. 25.4.2012 – 2 U 520/11, GmbHR 2013, 149, 153; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 79 f.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 218 f.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 43; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 70; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 29. Vgl. insoweit BGH v. 13.10.2008 – II ZR 112/07, AG 2009, 167 = GmbHR 2009, 39 m. Anm. Podewils = ZIP 2009, 1818; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 70; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 29; Hüffer/Koch, § 246 AktG Rz. 13.

Karsten Schmidt/Bochmann | 821

§ 45 Rz. 155 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse b) Streitgenossenschaft 155 Erheben mehrere Anfechtungsberechtigte zusammen die Klage gegen denselben Beschluss,

so liegt notwendige Streitgenossenschaft nach § 62 Abs. 1 Alt. 1 ZPO, vor (zur Verbindung der Prozesse vgl. Rz. 157)1047. Der Grund liegt darin, dass die kassatorische Gestaltungswirkung des Urteils für und gegen jedermann eintritt (Rz. 168). Die erfolgreiche Anfechtungsklage setzt grundsätzlich nicht voraus, dass alle Kläger durch den Anfechtungsgrund persönlich beschwert sind (Rz. 129)1048. Anders, wenn ein Kläger nicht zum Kreis der Anfechtungsberechtigten gehört. Dann ist seine Klage nur eine reguläre Feststellungsklage nach § 256 ZPO und die Streitgenossenschaft keine notwendige. c) Nebenintervention 156 Nebenintervention (Streithilfe) ist nach § 66 ZPO zulässig, wenn eine andere Person als der

Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass der Kläger bzw. die beklagte Gesellschaft im Prozess obsiegt. Das Interesse kann z.B. mit der für und gegen jedermann wirkenden Gestaltungskraft des Urteils begründet werden1049. Zur Nebenintervention berechtigt sind Gesellschafter, Geschäftsführer und Mitglieder eines Aufsichts- oder (statutarischen) Beirats1050. Diese müssen zwar nicht zugleich anfechtungsbefugt sein, aber jedenfalls ein rechtliches Interesse an ihrem Beitritt geltend machen können1051. Streithelfer können auf beiden Seiten des Rechtsstreits beitreten1052. Auch der Geschäftsführer kann dem Rechtsstreit auf Kläger-

1047 Vgl. RGZ 93, 31; RGZ 164, 131 f.; BGH v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211 = AG 1993, 422 = GmbHR 1993, 446 (AG); BGH v. 12.7.1993 – II ZR 65/92, AG 1993, 514 = ZIP 1993, 1228, 1229; BGH v. 1.3.1999 – II ZR 305/97, AG 1999, 375 = DStR 1999, 643 m. Anm. Goette = NZG 1999, 469 m. Anm. Sosnitza (AG); BGH v. 8.2.2011 – II ZR 206/08, ZIP 2011, 637, 639 Rz. 20 = EWiR 2011, 433 m. Anm. Ruppert – Wella; OLG Karlsruhe, JW 1932, 2636; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 169; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 484; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 74; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 50; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 200; Henckel, Parteilehre und Streitgegenstand, 1961, S. 201; Kindl, ZGR 2000, 178 ff. 1048 BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 337 Rz. 21 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 m. Anm. Seibt; OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 359 m. Anm. Wachter; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 71; Wicke, Anh. § 47 Rz. 18; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 83; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 136; vgl. für die AG BGH v. 5.4.1993 – II ZR 238/91, BGHZ 122, 211, 240 = AG 1993, 422 = GmbHR 1993, 446 = NJW 1993, 1976, 1983 = WM 1993, 1087, 1097. 1049 Vgl. sinngemäß (zur AG) BGH v. 23.4.2007 – II ZB 29/05, AG 2007, 629 = ZIP 2007, 1528; BGH v. 26.5.2008 – II ZB 23/07, ZIP 2008, 1398, 1399 Rz. 8 = EWiR 2008, 575 m. Anm. Goslar; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 86; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 70; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 169; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 202; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 503; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 292; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 60. 1050 OLG Köln v. 14.6.2018 – 18 U 36/17, GmbHR 2018, 921, 922 f. (zum Gesellschafter); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 86; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 291; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 202; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 90; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 50; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 60. 1051 BGH v. 26.5.2008 – II ZB 23/07, ZIP 2008, 1398, 1399 Rz. 9 ff. = EWiR 2008, 575 m. Anm. Goslar (zur AG); Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 202; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 504; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 50. 1052 Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 70; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 202.

822 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 156 § 45

seite beitreten1053; in diesem Fall verliert er jedoch seine Befugnis, die Beklagte gegen die Beschlussmängelklage zu vertreten, so dass ggf. analog § 29 BGB ein Notgeschäftsführer1054 oder nach § 57 ZPO ein Prozesspfleger1055 zu bestellen ist1056. Regelmäßig handelt es sich bei dem Nebenintervenienten um einen Gesellschafter, und regelmäßig handelt es sich um einen Beitritt auf Seiten der beklagten Gesellschaft. Die Nebenintervention ist grundsätzlich auch zulässig, wenn die Anfechtungsfrist versäumt ist oder der Nebenintervenient sonst nicht zur Anfechtung befugt ist1057. Der Nebenintervenient kann ein gegen die Gesellschaft ergangenes Urteil auch im Fall ihres Rechtsmittelverzichts anfechten1058. Dagegen ist der Beitritt auf Seiten des Anfechtungsklägers nach dem Rechtsgedanken des § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG nur binnen angemessener Frist nach Kenntnis von der Klageerhebung zulässig1059. Die Nebenintervention ist in Anbetracht der Gestaltungswirkung des Urteils (Rz. 171) nach §§ 69, 61 ZPO eine streitgenössische1060. Sie setzt den Nebenintervenienten instand, Angriffs- und Verteidigungsmittel auch gegen den Willen der Hauptpartei vorzubringen und Rechtsmittel einzulegen. Eine notwendige Beiladung betroffener Dritter ist in der ZPO nicht vorgesehen und bleibt grundsätzlich außer Betracht1061. Die Anfechtungsberechtigten müssen grundsätzlich durch den Geschäftsführer analog § 246 Abs. 4 AktG von dem Prozess in Kenntnis gesetzt werden und erhalten auf diese Weise Gele-

1053 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 202; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 505. 1054 Vgl. zur analogen Anwendung des § 29 BGB RGZ 138, 98, 101; BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/ 09, GmbHR 2011, 83, 84 Rz. 19 m. Anm. Münnich; BayObLG v. 2.6.1976 – Breg. 2 Z 84/75, BayObLGZ 1976, 126, 129 = Rpfleger 1976, 357; OLG Zweibrücken v. 22.1.2007 – 4 W6/07, GmbHR 2007, 544; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 198. 1055 Zur Anwendung des § 57 ZPO bei Klagen des einzigen Vertretungsorgans gegen die Gesellschaft vgl. BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, GmbHR 2011, 83, 84 Rz. 19 m. Anm. Münnich; OLG Hamburg, OLGE 31, 16; OLG Zweibrücken v. 22.1.2007 – 4 W6/07, GmbHR 2007, 544; OLG Karlsruhe v. 31.7.2013 – 7 U 184/12, GmbHR 2013, 1051, 1052; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rn. 49; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 59; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 89; Lutz, NZG 2015, 424, 426 f. 1056 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 202; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 505. 1057 Vgl. BGH v. 15.6.2009 – II ZB 8/08, ZIP 2009, 1538 = AG 2009, 624; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 60. 1058 BGH v. 31.3.2008 – II ZB 4/07, GmbHR 2008, 660; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 292; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 169. 1059 Vgl. zur analogen Anwendung des § 246 Abs. 4 Satz 2 AktG Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 297; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 90; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 60; Rensen, NZG 2011, 569, 571; ablehnend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 86; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 70; lediglich als Orientierung heranziehend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 169; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 202. 1060 Vgl. RGZ 93, 31; BGH v. 23.4.2007 – II ZB 29/05, BGHZ 172, 137 = AG 2007, 629 Rz. 9 (AG); BGH v. 15.6.2009 – II ZB 8/08, ZIP 2009, 1538 = AG 2009, 624 (AG); BGH v. 11.8.2010 – II ZR 24/10, AG 2010, 709, 710; OLG Hamburg, GmbHRspr. I, § 48 Nr. 2; OLG Karlsruhe v. 13.6.1932 – 2 ZBS 107/32, GmbHRspr. IV, § 45 Nr. 12 = JW 1932, 2636; OLG Köln v. 14.6.2018 – 18 U 36/ 17, GmbHR 2018, 921, 922; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 86; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 70; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 169; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 90; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 202; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 506; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 50; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 60; s. auch zur Auflösungsklage RGZ 164, 130; eingehend Schlosser, Gestaltungsklagen, S. 207 ff.; Gehrlein, AG 1994, 103 ff.; Thöni, GesRZ 1994, 58. 1061 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 294.

Karsten Schmidt/Bochmann | 823

§ 45 Rz. 156 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse genheit zum Beitritt als Streitgenossen oder als Nebenintervenienten1062. Das Gericht braucht ihnen gegenüber jedenfalls so lange nichts zu veranlassen, wie keine Zweifel an einer hinreichenden Information der Gesellschafter bestehen1063 (vgl. näher Rz. 173, 182). Ein dem Rechtsstreit beitretender Gesellschafter muss als streitgenössischer Nebenintervenient – auch in einem schiedsgerichtlichen Verfahren (vgl. Rz. 150a ff.)1064 – zugelassen werden. Dasselbe wird gelten müssen, wenn die Gestaltungswirkung des beantragten Urteils (Rz. 171 ff.) unmittelbar in die Rechte eines Nicht-Gesellschafters, z.B. eines Geschäftsführers, dessen Bestellung oder Entlastung angefochten ist, eingreift. Außenstehende Dritte, die auch gegen eine von den Gesellschaftern beschlossene Aufhebung des Beschlusses nicht gesichert sind, sind dagegen i.d.R. nur reflexiv von dem Prozess betroffen und brauchen deshalb nicht förmlich über den Rechtsstreit in Kenntnis gesetzt zu werden (was eine rein schuldrechtliche Informationspflicht der Gesellschaft nicht ausschließt). Soweit sie zur Nebenintervention nach § 66 ZPO befugt sind, wird diese Nebenintervention keine streitgenössische sein1065. Der Nebenintervenient hat dann nur die Rechte nach § 67 ZPO1066. d) Verbindung von Prozessen 157 Mehrere gegen denselben Beschluss gerichtete kassatorische Klagen sind notwendig zu ver-

binden1067. Nach § 246 Abs. 3 Satz 6, § 249 Abs. 2 AktG ist nur die Verbindung von Anfechtungsprozessen zwingend, nicht auch eine Verbindung von Nichtigkeits- mit Anfechtungsprozessen. Das beruht auf der früher noch fehlenden Einsicht in die Rechtsnatur des kassatorischen Prozesses (vgl. Rz. 45 ff.) und ist mit der Einheitlichkeit des Streitgegenstands (Rz. 45, 82) unvereinbar1068. Die Verbindung ist auch bezogen auf Nichtigkeitsklagen obligatorisch1069! Sie ist es auch dann, wenn die verschiedenen Klagen auf unterschiedliche Anfechtungsgründe gestützt sind1070. Richten sich die Klagen mehrerer Kläger gegen unterschiedliche Beschlüsse, so ist die Verbindung zwar zulässig, aber nicht obligatorisch (vgl. § 147 ZPO).

1062 Vgl. BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 31 = GmbHR 1986, 156, 157; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 86; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 70; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 170; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 90; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 201; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 498; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 294; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 60; Karsten Schmidt, NJW 1986, 2018 ff.; Thöni, GesRZ 1994, 59 ff.; Rensen, NZG 2011, 569 ff. 1063 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 295; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 501. 1064 Vgl. zur Nebenintervention im Schiedsverfahren BGH v. 11.11.1982 – III ZR 77/81, BGHZ 85, 288, 290; Schultes in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl. 2020, § 66 ZPO Rz. 2; Becker, ZZP 97 (1984), 314, 320. 1065 Ohne diese Einschränkung bisher die h.L. 1066 A.M. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 291. 1067 Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 41; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 77; aber kein Einfluss auf die Verfahrensgebühren der Prozesse; vgl. BGH v. 10.5.2010 – II ZB 14/09, AG 2010, 590, 591; BGH v. 14.5.2013 – II ZB 12/12, AG 2013, 1145, 1147 Rz. 16 f.; Ehrmann in Grigoleit, § 246 AktG Rz. 18. 1068 Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 65; Drescher in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 41; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd. 5, 3. Aufl. 2018, § 246 AktG Rz. 182; s. auch Karsten Schmidt, AG 1977, 246. 1069 Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 41; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 65; dagegen für Verbindung nur als Regelfall: Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 77; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 249 AktG Rz. 33. 1070 Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 41; unentschieden noch Karsten Schmidt, AG 1977, 246 Fn. 83.

824 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 159 § 45

6. Verfügung über den Streitgegenstand und über den Streitstoff a) Klägerseite Der Prozess unterliegt allgemeinen Grundsätzen, aber es ergeben sich Zweifelsfragen aus der 158 besonderen Funktion des kassatorischen Rechtsstreits. Der Streitgegenstand ist der Verfügung der Beklagten entzogen, nicht der Verfügung des Klägers. Klagrücknahme (§ 269 ZPO), Klageverzicht (§ 306 ZPO), Rechtsmittelverzicht (§§ 515, 565 ZPO) und Versäumnisurteil gegen den Kläger (§ 330 ZPO) sind nach allgemeinen Grundsätzen und mit den in der ZPO geregelten Folgen möglich1071. Zur Abwendung der Kostentragungspflicht bei Klagrücknahme (§ 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO) kann die Gesellschaft dem Kläger Kostenausgleichung zusagen. Bedenken bestehen allerdings gegen einen „Abkauf“ des Anfechtungsrechts1072. b) Beklagtenseite Dagegen kann die beklagte Gesellschaft nicht nach Belieben der sie vertretenden Geschäfts- 159 führer über den Streitgegenstand verfügen1073. Eindeutig unzulässig ist auch ein zwischen Kläger und Gesellschaft, vertreten durch den Geschäftsführer, zu schließender (Prozess-)Vergleich des Inhalts, dass der Beschluss als vernichtet gelten soll1074. Nur die Gesellschafter sind befugt, den Beschluss aufzuheben, und dies geschieht grundsätzlich durch Gesellschafterbeschluss, nicht durch Prozesshandlung1075. Die Versammlung kann während des Rechtsstreits die gerügten Beschlussfolgen schlicht durch Aufhebungsbeschluss (Rz. 33) ex nunc beseitigen (Rz. 163). Die Klägerseite hätte, wenn man von einer begründeten Anfechtungsklage ausgeht, hierauf sogar einen Anspruch (Rz. 36). Zu den Folgen des Aufhebungsbeschlusses für den laufenden Prozess vgl. Rz. 1631076. Mit Blick auf die ausnahmsweise Zulässigkeit eines Anerkenntnisses auf Grundlage eines Gesellschafterbeschlusses wird man allerdings auch den von einem entsprechenden Gesellschafterbeschluss getragenen Vergleich als zulässig erachten müssen1077.

1071 Vgl. auch Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 345 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 228; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 522; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 62. 1072 Vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 228; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 85; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 58; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 175; zum Aktienrecht BGH v. 14.10.1991 – II ZR 249/90, GmbHR 1992, 264 = AG 1992, 86 = ZIP 1991, 1577; LG Köln v. 12.1.1988 – 3 O 703/87, DB 1988, 1059 = WM 1988, 758; Lutter, ZGR 1978, 362 f.; Schlaus, AG 1988, 113 ff.; Martens, AG 1988, 118 ff. 1073 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 85; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 57. 1074 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 348; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 523; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 229; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 85; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 217; zum Aktienrecht vgl. BGH v. 4.7.1951 – II ZR 117/50, LM Nr. 1 zu § 199 AktG; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 174 f.; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 74; a.M. bei Ermächtigung der Vertretungsorgane durch Gesellschafterbeschluss: Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 175; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 116; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 63; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 57. 1075 Kein Vergleich i.S.d. § 794 Nr. 1 ZPO ist deshalb der früher von W. Schmidt (in Hachenburg, 6. Aufl., Rz. 40) vorgeschlagene Vergleich unter Mitwirkung der Gesellschafterversammlung; näher dazu noch 9. Aufl., Rz. 159. 1076 Wie hier Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 229, 231; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 523. 1077 Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 116 f.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 63; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 229; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 345.

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§ 45 Rz. 159 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Auch ein Klaganerkenntnis und ein Anerkenntnisurteil nach § 307 ZPO muss als unzulässig gelten1078. Die Frage ist allerdings umstritten1079. Unstreitig ist nur, dass ein Anerkenntnis der beklagten Gesellschaft unwirksam ist, wenn es gegen den Widerspruch eines in streitgenössischer Nebenintervention beigetretenen Gesellschafters (Rz. 156) erklärt wird1080. Die Zulässigkeit eines Anerkenntnisses ist keine Frage der Vertretungsmacht der Geschäftsführer im Prozess1081, sondern eine Frage der Verfügbarkeit des Streitgegenstands. Die durch den Geschäftsführer vertretene GmbH kann – anders als die Gesamtheit der Gesellschafter (Rz. 43) – über den Beschluss nicht verfügen. Auch die Zustimmung von Gesellschaftern, die dem Kläger als Nebenintervenienten beigetreten sind (Rz. 156), genügt nicht1082. Eine Ausnahme wird man im Kosteninteresse zu machen haben (§ 93 ZPO), wenn alle Mitgesellschafter den Geschäftsführer ermächtigen, gegenüber dem Kläger das Anerkenntnis zu erklären1083. Im Einzelfall kann das bedeuten, dass die Gesellschaft i.S.v. § 93 ZPO keinen Anlass zur Klage gegeben hat1084. Bezüglich der Kostenlast ist dem Kläger eine versäumte Abmahnung der Gesellschaft allerdings nur zuzurechnen, soweit ihm diese (auch im Hinblick auf die Wahrung der Anfechtungsfrist (Rz. 141 ff.) zumutbar war1085. Ist ein an sich unzulässiges Anerkenntnisurteil ergangen, so hat dieses, ganz wie ein streitiges Urteil, uneingeschränkte kassatorische Wirkung1086; Nebenintervenienten können das Urteil ggf. angreifen1087. Insbesondere sollte das Anerkenntnis (Verfügung über den streiti1078 OLG München v. 27.3.1996 – 7 U 6037/95, GmbHR 1996, 451; LG Koblenz v. 16.12.2003 – 4 HK O 146/03, GmbHR 2004, 260; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 366 (für den Regelfall); Feine, S. 551; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 217; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 525; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 74; für die AG Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 75 ff.; Martin Schwab, S. 553. 1079 A.M. OLG Düsseldorf v. 20.12.2018 – 6 U 215/16, ZIP 2019, 1112, 1114 ff. = EWiR 2019, 365 m. Anm. von der Linden (für die AG); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 175; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 116 ff.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 230; Berndt, S. 24; vgl. auch den Sachverhalt bei KG v. 29.6.2005 – 2 W 6/05, GmbHR 2005, 1359; für positive Beschlussfeststellungsklage Bauschatz, NZG 2002, 317, 321; Bork, ZIP 1992, 1205 ff.; Emde, ZIP 1998, 1475; wohl auch RG, JW 1938, 750; differenzierend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 85 (bei Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 366; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 63; unentschieden BGH v. 12.7.1993 – II ZR 65/92, AG 1993, 514 = ZIP 1993, 1228, 1229. 1080 BGH v. 12.7.1993 – II ZR 65/92, AG 1993, 514 = ZIP 1993, 1228, 1229; OLG Düsseldorf v. 20.12.2018 – 6 U 215/16, ZIP 2019, 1112, 1114 ff. = EWiR 2019, 365 m. Anm. von der Linden (für die AG); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 85; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 366; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 114. 1081 So früher Feine, S. 551. 1082 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 366; a.M. LG Hannover v. 29.5.1992 – 23 O 64/91, 23 O 77/91, AG 1993, 187 = ZIP 1992, 1236; zustimmend Bork, ZIP 1992, 1205 ff., nach dessen Auffassung Gesellschafter, die den Beschluss verteidigen wollen, der Gesellschaft als Nebenintervenienten beizutreten haben. 1083 So auch Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 366; Mehrheitsbeschluss genügt nach Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 85; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 116. 1084 OLG Naumburg v. 22.10.1997 – 7 W 34/97, DB 1998, 1023, 1024 = GmbHR 1998, 744 (LS). 1085 Vgl. KG v. 29.6.2005 – 2 W 6/05, GmbHR 2005, 1359; LG Aachen v. 22.1.2015 – 41 O 75/14, BeckRS 2015, 3616; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 369 f.; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 83; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 164. 1086 BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, LM Nr. 23 zu § 47 GmbHG = GmbHR 1975, 183 = NJW 1975, 1273 f. = WM 1975, 540; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 85; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 230; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 366 f.; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 78. 1087 BGH v. 31.3.2008 – II ZB 4/07, GmbHR 2008, 660, 661 Rz. 8; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 169; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 292, 367; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 78.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 160 § 45

gen Beschluss) nicht mit dem Zugestehen von Tatsachen und Säumnis der Gesellschaft (Nichtbestreiten der tatsächlichen Behauptungen) gleichgestellt werden1088, denn über die Rechtsfrage, ob der Beschluss fehlerhaft ist, entscheidet im Fall des Zugestehens (Rz. 160) noch immer das Gericht, nicht die beklagte Gesellschaft. Eine nicht zu leugnende Unstimmigkeit entsteht freilich dadurch, dass die Gesellschaft den Verzicht auf Einlegung von Rechtsmitteln sowie eine Rechtsmittelrücknahme erklären und auf diesem Wege nachgeben und die Gestaltungswirkung faktisch beeinflussen kann1089. Aber dann wird eben das auf Nichtigerklärung des Beschlusses lautende Urteil rechtskräftig, nicht dagegen hebt die Beklagte durch ihre Erklärung den angefochtenen Beschluss auf. Die Gestaltungswirkung basiert auf dem Urteil und nicht auf der die Rechtskraft lediglich herbeiführenden Willensentscheidung der beklagten Gesellschaft; die Gegenansicht liefe zudem auf einen Rechtsmitteleinlegungszwang hinaus. Ein den Interessen der Gesellschaft zuwiderlaufender Rechtsmittelverzicht kann allerdings Haftungsfolgen haben (§ 43), denn der Geschäftsführer ist grundsätzlich zur Verteidigung des Beschlusses verpflichtet1090. Schließlich kann der Gesellschafter selbst Rechtsmittel einlegen, wenn er dem Rechtsstreit rechtzeitig als streitgenössischer Nebenintervenient beigetreten ist (Rz. 156)1091. c) Verfügung über den tatsächlichen Streitstoff Vom Anerkenntnis (Rz. 159) zu unterscheiden ist die Verfügung über den tatsächlichen Streit- 160 stoff durch Zugestehen oder durch Säumnis der beklagten Gesellschaft. Das Zivilprozessrecht ist vom Prinzip der formellen Wahrheit beherrscht. Nach § 288 ZPO (Geständnis) bedürfen zugestandene Tatsachen keines Beweises, und als zugestanden gelten nach § 138 Abs. 3 ZPO auch solche Tatsachen, die nicht bestritten werden. Erscheint der Beklagte nicht im Termin zur mündlichen Verhandlung und beantragt der Kläger ein Versäumnisurteil, so ist nach § 331 ZPO das tatsächliche mündliche Vorbringen des Klägers gleichfalls als zugestanden anzusehen. Es ist nicht zu verkennen, dass die beklagte Gesellschaft durch Säumnis oder durch Geständnis bzw. durch Nichtbestreiten faktisch auch über den Streitgegenstand verfügen, nämlich ein unrichtiges Urteil gegen sich ergehen lassen kann. Trotzdem ist dies nach geltendem Prozessrecht zulässig1092. Im Gegensatz zu echten Verfügungen über den Streitgegenstand (Rz. 159) bleibt es hier jedenfalls noch bei einer vollständigen rechtlichen Schlüssigkeitsprüfung durch das Gericht1093. Auch ist die Gefahr einer Manipulation vergleichsweise gering, denn die Gesellschaft wird durch den Geschäftsführer vertreten, und dieser ist jedenfalls im Innenverhältnis an Weisungen der Gesellschafter gebunden, die es ihrerseits in der Hand haben, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, wenn das ihrer Einschätzung entspricht (vgl. Rz. 43). Grundsätzlich ist dagegen der Geschäftsführer zur Verteidigung des Mehrheitsbeschlusses verpflichtet (Rz. 159). Dass er gegen den Willen der Mehrheit einen unrichtigen Tatbestand gesteht, ist unwahrscheinlich und würde den Geschäftsführer zum Scha-

1088 Nicht überzeugend deshalb Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 230. 1089 Dazu Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 237; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 367; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 169. 1090 Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 116 ff.; vgl. auch zur AG Martin Schwab, S. 552 ff. 1091 BGH v. 31.3.2008 – II ZB 4/07, GmbHR 2008, 660, 661 Rz. 8; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 169; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 292, 367; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 78 f. 1092 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 85; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 230; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 63; Teichmann in Gehrlein/ Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 74; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 349; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 175; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 71; a.M. noch Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 160. 1093 Den im Folgenden angestellten Überlegungen zust. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 349; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 525.

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§ 45 Rz. 160 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse densersatz verpflichten1094 (§ 43). Ausnahmsweise mag, wenn ein unrichtiges den Beschluss aufhebendes Anfechtungsurteil durch Manipulation zustande gekommen sein sollte, die Berufung auf dieses Urteil nach § 242 BGB unzulässig sein (vgl. auch Rz. 171a)1095. Dieser nur relativ wirkende Arglisteinwand nützt allerdings bei einem erga omnes wirkenden Gestaltungsurteil nur begrenzt1096 (vgl. auch hierzu Rz. 171 ff.). Bestand Anlass zu der Annahme, dass die von der Anfechtung betroffenen Mitgesellschafter nicht hinlänglich informiert waren, so kann ein Verstoß gegen Art. 103 GG vorliegen (vgl. dazu Rz. 156, 182; s. auch 12. Aufl., § 61 Rz. 21). 7. Die Beweislast im kassatorischen Prozess 161 Die Beweislast im kassatorischen Prozess ist wie folgt verteilt1097: Ist zweifelhaft, ob überhaupt

ein Anfechtungsgegenstand (vorläufig verbindlicher Beschluss) existiert, so trägt der Kläger dafür genauso wie für seine Anfechtungsberechtigung und die Einhaltung der Anfechtungsfrist die Darlegungs- und Beweislast1098 (nach Rz. 51 genügt im Fall eines Scheinbeschlusses die Berufung der Gesellschaft auf den Beschluss für die Eröffnung des Rechtsschutzes). Der Kläger trägt die Darlegungs- und Beweislast auch für die Geltendmachung materieller Beschlussmängel. Gleichfalls müssen Verfahrensfehler vom Kläger behauptet und im Streitfall bewiesen werden. Eine vollständige Beweislastumkehr zum Nachteil der Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes ist nicht anzuerkennen1099. Eine solche Beweislastumkehr würde zu dem bedenklichen Ergebnis führen, dass ein Beschluss schon dann für nichtig erklärt werden müsste, wenn sich seine materielle Mangelhaftigkeit weder ausschließen noch beweisen lässt. Wo allerdings ein Beschluss der sachlichen Rechtfertigung bedarf (12. Aufl., § 47 Rz. 29 f.), muss das Verfahrensrecht dem Kläger weiter entgegenkommen1100. Angesichts der Schwierigkeit, als Gesellschafter einen solchen Beweis zu führen, sowie der Tatsache, dass die Gesellschaft über alle zur Klärung erforderlichen Unterlagen und Informationen verfügt, ist es in einem solchen Fall Sache der Gesellschaft, die für die angefochtene Entscheidung maßgebenden Gründe im Einzelnen darzulegen, die der Gesellschafter dann ggf. zu widerlegen hat1101. Beim Streit um formelle Beschlussmängel kann, insbe-

1094 Vgl. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 118. 1095 Vgl. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 249; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 552. 1096 Bedenken deshalb noch von Karsten Schmidt in der 6. Aufl., Rz. 114. 1097 OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414, 418 m. Anm. Werner; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 414; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 221 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 174; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 517 ff.; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 80 ff.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 339 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 60 f.; ausführlich Hüffer in FS Fleck, 1988, S. 151 ff. 1098 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 340; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 174; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 517; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 221; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 60 f. 1099 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 48 = NJW 1978, 1316, 1318 m.w.N.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 221; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 519; a.M. (für fehlendes oder unvollständiges Protokoll) Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 344; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 61. 1100 Vgl. BGH v. 27.5.1982 – III ZR 157/80, BGHZ 84, 209, 222 = NJW 1984, 1038, 1041; BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 196 f. = AG 1988, 135 = NJW 1988, 1579, 1582; OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414, 418 m. Anm. Werner; OLG Brandenburg v. 5.1.2017 – 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 414; weitergehend Hüffer in FS Fleck, 1988, S. 163 ff.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 341; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 225 f.; Werner, GmbHR 2013, 423, 424. 1101 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 48 = NJW 1978, 1316, 1317 f.; OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414, 418 m. Anm. Werner; OLG Brandenburg v. 5.1.2017

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 163 § 45

sondere bei fehlender oder unzulänglicher Protokollierung, der Gesichtspunkt der Beweisvereitelung zugunsten des Klägers sprechen1102. Auch dieser Gesichtspunkt beeinflusst jedoch grundsätzlich nur die Beweiswürdigung und kehrt nur bei schweren vorsätzlichen Verstößen die Beweislast um1103. Die Beweislast für die Irrelevanz eines vom Kläger dargelegten und vom Gericht festgestellten Verfahrensfehlers für den angegriffenen Beschluss (Rz. 94 ff.) trifft die beklagte Gesellschaft1104. 8. Kosten des Rechtsstreits Für die Kosten des Rechtsstreits (zum Streitwert vgl. Rz. 153) gelten die §§ 91 ff. ZPO. Als 162 unterliegende Partei trägt im Fall einer erfolgreichen Klage also die beklagte Gesellschaft die Kosten, obwohl materiell nicht sie die Störung des Gesellschaftsverhältnisses veranlasst hat, sondern die Gesellschaftermehrheit (bei Formfehlern evtl. der Geschäftsführer und/oder ein Mehrheitsgesellschafter)1105. Im Einzelfall kann sich hieraus eine Verpflichtung ergeben, wegen Verstoßes gegen § 43 oder wegen schuldhafter Treupflichtverletzung den der Gesellschaft entstehenden Schaden auszugleichen1106. 9. Einfluss neuer Beschlüsse auf das Klagziel a) Aufhebender Beschluss Ein Aufhebungsbeschluss (vgl. Rz. 33, 43) nimmt das kassatorische Klagziel vorweg, soweit es 163 um die Beseitigung der Rechtswirkungen des angefochtenen Beschlusses ex nunc geht (zur Wirkung der Aufhebung auch für die Vergangenheit vgl. Rz. 33). Ob das Rechtsschutzinteresse entfällt1107 oder ob Erledigung in der Hauptsache vorliegt1108, ist streitig. Richtigerweise schließt beides einander nicht aus, so dass die Frage ohne Belang ist. Der Kläger wird Erledi-

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– 6 U 21/14, GmbHR 2017, 408, 414; ähnl. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 60; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2020, § 186 AktG Rz. 139; Füchsel, BB 1972, 1537; Werner, GmbHR 2013, 423, 424. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 343; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 224; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 61; Bayer/Illhardt, GmbHR 2011, 751, 758. Greger in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 286 Rz. 14a; Prütting in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl., § 286 ZPO Rz. 87 ff.; Seiler in Thomas/Putzo, 41. Aufl. 2020, § 286 ZPO Rz. 18; weitergehend Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 343 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 224; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 61; nur einschränkend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 174. a.M. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 519; so bei mangelndem Widerspruch des klagenden Gesellschafters in der Gesellschafterversammlung gegen unterbliebene Protokollierung auch OLG München v. 22.7.2015 – 7 U 2980/ 12, ZIP 2015, 1582, 1584. Zust. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 341; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 174; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 224; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 519; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 60. LG Karlsruhe v. 31.3.1998 – O 179/96, DB 1998, 1024, 1025; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 173; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 83. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 173; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 83; Schäfer in FS Goette, 2011, S. 443 ff.; Meyer, GmbHR 2010, 1081, 1084. BGH v. 27.9.2011 – II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195 = EWiR 2012, 65 m. Anm. Verhoeven (zur AG); BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 f. Rz. 11 = EWiR 2013, 333 m. Anm. Schatz; OLG Karlsruhe, GmbHRspr. IV Nr. 12 zu § 45 GmbHG; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 276; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 70. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 229, 231; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 523; krit. Schlosser, Gestaltungsklagen, 1966, S. 330 m.w.N.

Karsten Schmidt/Bochmann | 829

§ 45 Rz. 163 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse gung in der Hauptsache erklären, soweit nicht das Interesse an der rückwirkenden Rechtswidrigkeits- und Nichtigerklärung durch das Gericht fortbesteht. Über die Kostenentscheidung vgl. sinngemäß Rz. 159. b) Zweitbeschluss (insbesondere wiederholender Beschluss) 164 Ergeht während des Rechtsstreits ein Zweitbeschluss (zur Terminologie vgl. Rz. 32a), so ist

dieser Beschluss entgegen BGH v. 27.9.19561109 nicht ohne weiteres Gegenstand des Anfechtungsstreits1110. Gegenstand der kassatorischen Klage ist nicht die Rechtswidrigkeit „eines solchen“ Beschlusses, sondern die verbindliche Nichtigerklärung „dieses“, d.h. gerade des angefochtenen Beschlusses (Rz. 152). Auf diesen bezogen kann durch den Zweitbeschluss das Rechtsschutzinteresse entfallen1111. Der wiederholende Beschluss kann durch Änderung des Klagantrags zum Gegenstand des Rechtsstreits gemacht werden1112. Dies geschieht im (seltenen) Fall des kumulierenden Zweitbeschlusses durch Klageerweiterung, im Fall des ersetzenden Zweitbeschlusses durch Klagänderung. Eine andere Frage ist, ob die Rechtskraft des Urteils auch die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines wiederholenden Beschlusses umfasst. Dies ist zu bejahen (Rz. 175). c) Bestätigender Beschluss 165 Der bestätigende Beschluss (vgl. Rz. 32) wirft Sonderprobleme auf. Er ist kein den Ausgangs-

beschluss ersetzender Zweitbeschluss (zu diesem Rz. 164), sondern ein Akt körperschaftlicher Willensbildung, durch den die Gesellschafter einen früheren, mutmaßlich fehlerhaften Beschluss unanfechtbar zu machen suchen1113. Eine fehlerfreie Bestätigung des Ausgangsbeschlusses hat materiellrechtliche Wirkung und macht eine gegen den Ausgangsbeschluss erhobene Anfechtungsklage unbegründet1114. Wo ein Beschluss der Heilung von Anfechtungsmängeln dient, ist er im Zweifel als bestätigender Beschluss anzusehen, mag er auch als Zweitbeschluss (vgl. Rz. 32a) formuliert sein. Als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedan1109 BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354 = JZ 1957, 179 m. Anm. Mestmäcker. 1110 Vgl. m.w.N. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 335; Schlosser, S. 414; Karsten Schmidt, JZ 1977, 772 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 232; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 515; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 41; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 246 AktG Rz. 86; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 61; wie der BGH aber Arens, S. 88 ff.; v. Caemmerer in FS A. Hueck, 1959, S. 290. 1111 BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210 = AG 2004, 204; BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720, 721 Rz. 14 = EWiR 2013, 333 m. Anm. Schatz; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 215. 1112 OLG Stuttgart v. 10.11.2004 – 20 U 16/03, NZG 2005, 432; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 61; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 65; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 215; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 149; a.M. Pohle, AG 1957, 45. 1113 Vgl. BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210 = AG 2004, 204; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 214; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 146 ff.; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 244 AktG Rz. 3; Ballerstedt, ZHR 124 (1962), 235; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 65; Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391 ff.; Hüffer, ZGR 2012, 730, 736. 1114 BGH v. 15.12.2003 – II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210 = AG 2004, 204; vgl. auch BGH v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, AG 2006, 158 = ZIP 2006, 227, 228 (zur positiven Beschlussfeststellungsklage); BGH v. 19.2.2013 – II ZR 56/12, BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 f. Rz. 11 = EWiR 2013, 333 m. Anm. Schatz; BGH v. 26.1.2021 – II ZR 391/18, BeckRS 2021, 2175 Rz. 56; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 151; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 52; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 244 AktG Rz. 9; dazu krit. Mimberg in FS Hüffer, 2010, S. 663 ff.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 166 § 45

kens des geltenden Verfahrensrechts1115 gilt analog § 244 AktG1116: „Die Anfechtung kann nicht mehr geltend gemacht werden, wenn die Gesellschafter den anfechtbaren Beschluss durch einen neuen Beschluss bestätigt haben und dieser Beschluss innerhalb der Anfechtungsfrist nicht angefochten oder die Anfechtung rechtskräftig zurückgewiesen worden ist. Hat der Kläger ein rechtliches Interesse, dass der anfechtbare Beschluss für die Zeit bis zum Bestätigungsbeschluss für nichtig erklärt wird, so kann er die Anfechtung weiterhin mit dem Ziele geltend machen, den anfechtbaren Beschluss für diese Zeit für nichtig zu erklären.“ Die Folgerungen sind streitig. Man wird unterscheiden müssen: aa) Ist der Kläger der Auffassung, dass der Bestätigungsbeschluss wirksam ist und den An- 166 fechtungsgrund behoben hat, so kann er den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt erklären1117. Ob dann nach § 91a ZPO zu verfahren oder streitig zu entscheiden ist, richtet sich danach, ob sich die beklagte Gesellschaft der Erledigungserklärung anschließt. Falls nein, ist über die Erledigung und über die Kosten zu entscheiden1118. Der anfechtbare Beschluss bleibt in Fällen der Erledigungserklärung wirksam, denn der Beschluss hätte nur durch Anfechtungsurteil vernichtet werden können, und ein solches wird nicht mehr beantragt1119. Allerdings tritt die materiellrechtliche Heilungswirkung des bestätigenden Beschlusses analog § 244 Satz 1 AktG erst mit dessen Unanfechtbarkeit ein (vgl. auch Rz. 32)1120. Der Kläger kann aber auch die Anfechtung weiterhin mit dem Ziel geltend machen, den anfechtbaren Beschluss für die Zeit bis zu seiner Heilung für nichtig zu erklären (vgl. § 244 Satz 2 AktG). Das wird in Analogie zu § 244 Satz 2 AktG1121 begründet, ist aber allgemeines Verfahrensrecht (vgl. auch § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO)1122. Der Wortlaut des § 244 Satz 2 AktG setzt ein „rechtliches Interesse“ des Klägers daran voraus, dass der anfechtbare Beschluss bis zum Bestätigungsbeschluss für nichtig erklärt wird1123. Dies passt nicht zum ge-

1115 Vgl. verfahrensvergleichend Karsten Schmidt, JZ 1977, 776 f. 1116 BGH v. 26.1.2021 – II ZR 391/18, BeckRS 2021, 2175 Rz. 56; OLG Düsseldorf v. 31.7.2003 – 6 U 27/03, GmbHR 2003, 1006, 1009 = EWiR 2003, 929 m. Anm. Tepfer; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 131; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 65; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 151; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 61; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Anh. § 47 Rz. 41; Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391, 407. 1117 Vgl. Begr. RegE AktG bei Kropff, AktG, 1965, S. 332; OLG Frankfurt a.M. v. 22.7.2008 – 5 U 77/ 07, ZIP 2008, 2286, 2288 = EWiR 2009, 3 m. Anm. von der Linden (zur AG); Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 329; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 151; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 61; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 52; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 244 AktG Rz. 9. 1118 Klagänderung durch einseitige Erledigungserklärung; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 330; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 244 AktG Rz. 19; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 244 AktG Rz. 9. 1119 Vgl. näher Karsten Schmidt, JZ 1977, 775. 1120 OLG Karlsruhe v. 11.4.2014 – 14 U 25/13, BeckRS 2015, 14244; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 149; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 65; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Anh. § 47 Rz. 149; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 41; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 52; deshalb Aussetzung des Anfechtungsstreits nach § 148 ZPO möglich; vgl. Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391, 394. 1121 OLG Düsseldorf v. 31.7.2003 – 6 U 27/03, GmbHR 2003, 1006, 1009 = EWiR 2003, 929 m. Anm. Tepfer; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 61; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 41; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 52. 1122 Näher Karsten Schmidt, JZ 1977, 776. 1123 OLG Düsseldorf v. 31.7.2003 – 6 U 27/03, GmbHR 2003, 1006, 1009 = EWiR 2003, 929 m. Anm. Tepfer; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 131; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 151; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 41; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 376; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 52; so offenbar auch für die AG BGH v. 16.8.2010 – II ZR 105/09, AG 2010, 749.

Karsten Schmidt/Bochmann | 831

§ 45 Rz. 166 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse sellschaftsrechtlichen Anfechtungsstreit1124. Für ihn kann es nur darauf ankommen, dass der Kläger zur Geltendmachung des gerügten Mangels befugt (also anfechtungsberechtigt) ist und dass sich das Ziel der kassatorischen Klage durch Heilung des Mangels nicht erledigt hat1125. Ein individuelles „rechtliches Interesse“ gerade des Klägers ist so wenig zu prüfen wie sonst bei der kassatorischen Klage (vgl. dazu Rz. 129)1126. Ein bloßes Kosteninteresse (dafür ist § 91a ZPO da!) genügt aber nicht1127. 167 bb) Will der Kläger geltend machen, dass der bestätigende Beschluss den Mangel des ange-

fochtenen Beschlusses nicht behoben hat, so kann er den Anfechtungsprozess gegen den Ausgangsbeschluss fortsetzen. Die Auswirkungen des Zweitbeschlusses werden dann inzidenter geprüft. Der Kläger wird den Prozess auch dann fortsetzen, wenn er geltend macht, dass der bestätigende Beschluss seinerseits fehlerhaft, insbesondere anfechtbar ist. Er wird dann die kassatorische Klage durch Klagerweiterung auf diesen Beschluss erstrecken1128. Dies muss er tun, wenn der Mangel des bestätigenden Beschlusses ein bloßer Anfechtungsgrund ist (nur die Nichtigkeit des bestätigenden Beschlusses könnte auch inzidenter im Rahmen des ursprünglichen Anfechtungsprozesses geprüft werden). Dann wird über beide Beschlüsse einheitlich entschieden. Das gegen den bestätigenden Beschluss gerichtete Verfahren wegen Vorgreiflichkeit des Erstprozesses auszusetzen1129, wäre verfahrensfehlerhaft. Allenfalls kann der Erstprozess ausgesetzt werden (§ 148 ZPO)1130. 10. Das der Klage stattgebende Urteil a) Gestaltungsurteil 168 Das einer kassatorischen Klage („Anfechtungs-“ oder „Nichtigkeitsklage“) stattgebende Ur-

teil ist ein Gestaltungsurteil (vgl. Rz. 46). Das wird für das „Anfechtungsurteil“ nicht ernsthaft bestritten1131, gilt aber aus den bei Rz. 45, 48, 152 genannten Gründen auch für das „Nichtigkeitsurteil“1132. Die Gestaltungswirkung tritt mit der Rechtskraft ein (Rz. 171). Der

1124 Zöllner, ZZP 81 (1968), 144 ff.; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd. 5, 3. Aufl. 2018, § 244 AktG Rz. 113 ff. 1125 Karsten Schmidt, JZ 1977, 777. 1126 Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 104. 1127 Vgl. BGH v. 16.8.2010 – II ZR 105/09, AG 2010, 749 (AG). 1128 OLG Karlsruhe v. 11.4.2014 – 14 U 25/13, BeckRS 2015, 14244; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 334; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 149; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 65; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 132; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 41; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd. 5, 3. Aufl. 2018, § 244 AktG Rz. 86 ff.; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 244 AktG Rz. 20; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 244 AktG Rz. 24 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 61. 1129 Vgl. den Verfahrensgang bei BayObLG v. 19.8.1977 – BReg 2 Z 52/76, NJW 1978, 1387; Hüffer, ZGR 2012, 730, 746 f. 1130 Vgl. BGH v. 11.8.2010 – II ZR 24/10, AG 2010, 709 (AG); Horcher/Wilk in MünchHdb. GesR VII, § 29 Rz. 180; Ehrmann in Grigoleit, § 244 AktG Rz. 8; a.M. Hüffer, ZGR 2012, 730, 746 f.; für den Ausnahmefall der Nichtigkeit so auch Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 244 AktG Rz. 22. 1131 Vgl. nur RGZ 166, 131; RG, DR 1939, 720 Nr. 22; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 87; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 177; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 191; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 101; anders vereinzelt Fehrenbach, S. 348 ff. 1132 Eingehend Karsten Schmidt, AG 1977, 207 f., 245 f.; Karsten Schmidt, JZ 1977, 769 f.; Karsten Schmidt, JZ 1988, 735; zust. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 30a; a.M. A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 234 ff.; für ein Feststellungsurteil mit Gestaltungswirkung Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 69; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 222, 357; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 101; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe,

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 168 § 45

Tenor müsste richtigerweise in beiden Fällen auf Nichtigerklärung des Beschlusses lauten, denn ein rechtskräftig für nichtig erklärter Beschluss ist nunmehr kraft Staatsakts nichtig (Rz. 91), gleich, ob er dies nach der Einschätzung des Gerichts schon vorher war („Nichtigkeitsurteil“) oder nicht („Anfechtungsurteil“). Nur die in § 249 AktG zum Ausdruck gebrachte tradierte Tenorierungsusance lässt das Nichtigkeitsurteil wie ein Feststellungsurteil erscheinen („Es wird festgestellt, dass der … Beschluss nichtig ist“). Die für und gegen jedermann gerichtete Wirkung des „Nichtigkeitsurteils“ (§§ 249, 248 AktG) lässt dieses, anders als das Urteil im reinen Feststellungsprozess (vgl. Rz. 82), als Gestaltungsurteil erscheinen, nicht bloß als Feststellungsurteil (vgl. auch Rz. 45, 47)1133. Bei Anfechtungsurteilen pflegen die Gerichte den Gestaltungscharakter auch im Tenor zum Ausdruck zu bringen („Der … Beschluss … wird für nichtig erklärt.“). Ein sachlicher Unterschied verbindet sich nicht mit den unterschiedlichen Tenorierungen (vgl. schon Rz. 152 zum Klagantrag). Das Gericht kann der Anfechtungsklage stattgeben, ohne dass es darauf ankäme, ob der angefochtene Beschluss anfechtbar, nichtig (Rz. 45) oder überhaupt nicht zustande gekommen ist (Rz. 51). Unzulässig, weil mit der Einheitlichkeit des Streitgegenstands (Rz. 48, 152) unvereinbar, ist ein Teilurteil, das nur über Nichtigkeitsgründe oder nur über Anfechtungsgründe entscheidet1134. Das Gericht kann den Beschluss ganz oder teilweise für nichtig erklären (Rz. 41, 152)1135. Erklärt es ihn, obwohl die Klage ohne diese Einschränkung erhoben war, nur teilweise für nichtig, so weist es die Klage im Übrigen mit der Begründung ab, dass der Beschluss nur teilweise fehlerhaft ist. War der Klagantrag nur auf Teil-Aufhebung des Beschlusses gerichtet (Rz. 152), so kann das Gericht auch nur auf Teilaufhebung erkennen (§ 308 ZPO)1136. Ob sich daraus gemäß dem sinngemäß anzuwendenden § 139 BGB eine VollNichtigkeit des Beschlusses ergibt (Rz. 42), ist damit nicht entschieden1137 und ggf. einem weiteren Rechtsstreit vorzubehalten1138.

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Anh. § 47 Rz. 192; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 43, 64; s. auch noch Schulte, AG 1988, 72 f.; Gehrlein, AG 1994, 105. Vgl. Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 249 AktG Rz. 31; zust. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 30a; a.M. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 357; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 101; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 192; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 43, 64; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 249 AktG Rz. 24. BGH v. 1.3.1999 – II ZR 305/97, AG 1999, 375 = NJW 1999, 1638 = DStR 1999, 643 m. Anm. Goette = NZG 1999, 496 m. Anm. Sosnitza; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 35, 80; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 223; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 75; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 70. Es gibt der Klage auch dann ohne weiteres voll statt, wenn sich die Vollnichtigkeit aus § 139 BGB ergibt. Unnötig kompliziert Schnorr, S. 81, weil der Kläger „richtigerweise bezüglich des einen Teils des Beschlusses Anfechtungsklage, bezüglich des anderen Teils Klage auf Feststellung der Nichtigkeit nach § 139 BGB (hätte) erheben müssen“. Diese Annahme beruht auf der hier seit der 6. Aufl. bekämpften These von der unterschiedlichen Rechtsnatur dieser Klagen (vgl. denn auch einlenkend Schnorr, S. 81 f.), und sie überzeugt auch materiellrechtlich nicht. Eine auf dem Gedanken des § 139 BGB erfolgende Voll-Aufhebung des Beschlusses wegen eines TeilAnfechtungsmangels ist in toto Gegenstand und Folge der Anfechtung. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 149; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 223; zur Anwendung von § 308 Abs. 1 ZPO vgl. auch BGH v. 26.1.2021 – II ZR 391/18, BeckRS 2021, 2175 Rz. 21. OLG München v. 16.1.2014 – 23 AktG 3/13, ZIP 2014, 472, 475 = EWIR 2014, 311 m. Anm. Wilsing/Meyer (zur AG); Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 222; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 149; entgegen Schnorr (S. 151 f.) gibt es nach der h.M. keinen Zwang zur Gesamtanfechtung gesamtfehlerhafter Beschlüsse; im Fall der Teil-Anfechtung wird die Frage einer Gesamtnichtigkeit im Teil-Anfechtungsprozess (und damit auch ein Zwang zur Gesamtanfechtung) nicht geprüft. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 149; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 223.

Karsten Schmidt/Bochmann | 833

§ 45 Rz. 169 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse b) Pflichten des Geschäftsführers 169 Der Geschäftsführer hat den rechtskräftig angefochtenen, von ihm bisher verteidigten

(Rz. 159) Beschluss nunmehr als nichtig zu behandeln (dazu Rz. 91). Ist der Beschluss inzwischen ausgeführt, so ist dies im Innenverhältnis ggf. rückgängig zu machen. Ist der Bilanzfeststellungs- und Gewinnverteilungsbeschluss rechtskräftig angefochten, so hat der Geschäftsführer die Bilanz neu aufzustellen und unberechtigt empfangene Gewinnanteile von den Gesellschaftern zurückzufordern, soweit nicht ihr guter Glaube sie schützt (näher § 31, § 32). Wer beim Empfang die Gesetz- oder Satzungswidrigkeit kannte, muss zurückzahlen, auch wenn er bei der Abstimmung in gutem Glauben war. c) Handelsregister 170 Ist der Beschluss in das Handelsregister eingetragen, so ist dieses unrichtig. Eine Löschung

von Amts wegen findet allerdings nach § 398 FamFG nur statt, wenn der Beschluss durch seinen Inhalt zwingende Vorschriften des Gesetzes verletzt1139. Aber es muss nunmehr das Urteil in das Handelsregister eingetragen werden1140. Vgl. dazu § 44 HRV1141: „Urteile, durch die ein in das Register eingetragener Beschluss … einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung rechtskräftig für nichtig erklärt ist …, sind … einzutragen …“ Die Geschäftsführer haben das Urteil unverzüglich zum Handelsregister einzureichen, wenn der Beschluss eingereicht oder eingetragen war1142. Die Eintragung des Urteils ist in gleicher Weise wie die des Beschlusses bekanntzumachen1143. 11. Die Gestaltungswirkung a) Nichtigerklärung 171 Die Gestaltungswirkung bewirkt die für und gegen jedermann wirkende Nichtigkeit des Be-

schlusses (Rz. 91)1144. Die Gestaltungswirkung tritt ipso iure mit der Rechtskraft des Urteils ein1145. Sie ist von der Rechtskraft zu unterscheiden (Rz. 175), und zwar sowohl von der formellen als auch von der materiellen Rechtskraft des Urteils1146. Auch die Gestaltungswirkung eines Schiedsspruchs (Rz. 150a ff.), der unter den Parteien Rechtskraftwirkung hat (§ 1055 BGB), ist eine gesetzliche, nicht eine vertraglich vereinbarte Urteilswirkung1147. Sie 1139 OLG München v. 22.2.2010 – 31 Wx 162/09, GmbHR 2010, 527, 528 = EWiR 2010, 419 m. Anm. Melchior; Krafka in MünchKomm. FamFG, § 398 FamFG Rz. 8; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 460; Baums, Eintragung und Löschung von Gesellschafterbeschlüssen, 1981, S. 110 ff. 1140 Vgl. Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 77; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 179; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 365; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 102; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 241. 1141 Abdruck bei Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Anh. 2. 1142 H.M.; vgl. z.B. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 365; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 102; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 178; Teichmann in Gehrlein/ Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 77; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 241. 1143 H.M.; vgl. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 102; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 241. 1144 Hiergegen vereinzelt Fehrenbach, S. 348 ff. 1145 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 241; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 359; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 79. 1146 Näher Karsten Schmidt, JuS 1986, 38; unklar Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 360 f. 1147 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = AG 2009, 496 = GmbHR 2009, 705, 709 Rz. 33 m. Anm. Römermann = JZ 2009, 794 m. Anm. Habersack = NJW 2009, 1963 m. Anm. Duve/Keller; BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, GmbHR 2015, 1148, 1150 m. Anm. Römermann = EWiR 2015,

834 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 171a § 45

bedarf nach der hier bereits in den Vorauflagen vertretenen Auffassung zusätzlich einer rechtskräftigen Vollstreckungserklärung analog § 1060 ZPO1148. Diese Auffassung ist umstritten. Sie wurde zu einer Zeit entwickelt, da die Schiedsfähigkeit der Beschlussanfechtungsklagen überwiegend noch abgelehnt, hier aber bereits bejaht wurde1149. Heute nimmt sich dieser als Legitimation für die damals noch nicht anerkannten Anfechtungs-Schiedsklagen in die Diskussion eingeführte Standpunkt als eine Einschränkung der Schiedsgerichtskompetenz aus. Die heute mit Recht von der Schiedsfähigkeit ausgehende (Rz. 150a ff.) Gegenauffassung verzichtet auf die Vollstreckbarerklärung1150. Gute Gründe sprechen aber dafür, an dem Erfordernis festzuhalten1151. Die bloß rechtskraftgleiche Wirkung des Schiedsspruchs (§ 1055 ZPO) ersetzt die Vollstreckbarerklärung nicht1152. Die Gegenansicht1153 vernachlässigt die Besonderheit, dass die Gestaltungswirkung als Vollzug eines Anspruchs des Klägers auf Aufhebung des Beschlusses wirkt (Rz. 45) und rechtsähnlich einer Vollstreckung nach § 894 ZPO funktioniert. Ein Verzicht auf die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs wäre deshalb nur angängig, wenn auch im Bereich der Vollstreckung nach § 894 ZPO auf dieses Erfordernis verzichtet würde1154. Auch fehlt nach der auf die Vollstreckbarerklärung verzichtenden Auffassung eine Instanz, die die hohen Anforderungen des BGH an die Schiedsvereinbarung (Rz. 150b ff.) prüft, wenn nicht, wie in den BGH-Fällen, staatliche Gerichte angerufen werden. Die Gestaltungswirkung tritt kraft der Autorität des rechtskräftigen Urteils und damit un- 171a abhängig von der Frage ein, ob der Anfechtungsgrund wirklich bestand1155. Auch das unrichtige kassatorische (Anfechtungs- oder Nichtigkeits-)Urteil beseitigt mit Eintritt der Rechtskraft die Wirkungen des Beschlusses (Ausnahme: Verstoß gegen Art. 103 GG; vgl. Rz. 160), und zwar mit Wirkung für und gegen jedermann. Die Behauptung allein, der Beschluss sei zu Unrecht für nichtig erklärt worden, genügt also nicht, um die kassatorische Wirkung in Zweifel zu ziehen. Die Gestaltungswirkung kann grundsätzlich nur durch Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 578 ff. ZPO wieder beseitigt werden1156. Im Übrigen kann – wie gegenüber der materiellen Rechtskraft eines Leistungs- oder Feststellungsurteils – in Ausnahmefällen der Arglisteinwand aus § 826 BGB helfen1157. Der Einwand, dass die

1148 1149 1150

1151 1152 1153 1154 1155 1156 1157

727 m. Anm. Hangebrauck; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 214; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 35; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 106; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 83; Nolting, GmbHR 2011, 1017 f.; Niemeyer/Häger, BB 2014, 1737, 1742. Näher Karsten Schmidt, ZGR 1988, 536 mit Hinweis auf BayObLG v. 24.2.1984 – BReg.3 Z 197/ 83, GmbHR 1985, 86; zum neuen Schiedsverfahrensrecht vgl. Karsten Schmidt, BB 2001, 1860. Vgl. Vorauflagen; dazu näher Karsten Schmidt, BB 2001, 1860. Vgl. nur Geimer in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 1060 ZPO Rz. 6; Voit in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, § 1060 ZPO Rz. 2; Münch in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2017, § 1060 ZPO Rz. 6; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 42; für Notwendigkeit der Vollstreckbarerklärung, „wenn sich ein Bedürfnis dafür zeigt“ hingegen Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 214. In diesem Sinne abwartend Karsten Schmidt, BB 2001, 1860. So aber Walter in FS Schwab, 1990, S. 553 f. Vgl. besonders Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 42; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 106; Münch in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2017, § 1060 ZPO Rz. 6; Raiser/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 214. Dazu aber BGH v. 30.11.1961 – VII ZR 12/61, JZ 1962, 287, 288; Münch in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2017, § 1060 ZPO Rz. 5 f. A.M. noch A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 201. Zur Beseitigung der Gestaltungswirkung durch Nichtigkeits- oder Restitutionsurteile vgl. Jacobs in Stein/Jonas, Bd. 6, 23. Aufl. 2018, vor §§ 578–591 ZPO Rz. 24 f.; § 578 ZPO Rz. 1; § 590 ZPO Rz. 11. Ausführlicher Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 118; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 249.

Karsten Schmidt/Bochmann | 835

§ 45 Rz. 171a | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse kassatorische Wirkung des Urteils arglistig herbeigeführt ist (Rz. 160) oder dass die Berufung auf das Urteil arglistig ist, muss aber auf krasse Fälle inakzeptabler Urteile beschränkt bleiben, die durch das Recht der Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 578 ff. ZPO) nicht hinreichend gedeckt sind. Arglistig ist die Berufung auf ein Urteil, das kollusiv zum Nachteil Dritter erwirkt wurde, z.B. durch wissentlich unwahres Geständnis, durch Nichtbestreiten wider besseres Wissen, durch Säumnis, evtl. auch durch – unzulässiges! – Anerkenntnisurteil1158. Im Innenverhältnis können die Gesellschafter auch aus der Treubindung verpflichtet sein, den zu Unrecht aufgehobenen Beschluss mit Wirkung für und gegen jedermann durch einen Zweitbeschluss (Rz. 32a) wiederherzustellen. b) Wirkung ex tunc 172 Die Gestaltungswirkung tritt rückwirkend ein1159. Das ist bei den „Anfechtungsurteilen“

heute wohl unbestritten, gilt aber auch für „Nichtigkeitsurteile“: Mit Wirkung für und gegen jedermann wird der Beschluss als von Anfang an nichtig behandelt1160. Allerdings kann diese Rückwirkung Verkehrsschutzprobleme aufwerfen, insbesondere wenn es auf die Wirkung von Rechtsgeschäften ankommt. Das geltende Recht hilft auf verschiedene Weise. Zunächst gibt es Fälle, bei denen die Wirksamkeit des betroffenen Rechtsgeschäfts von der Unwirksamkeit des zugrundeliegenden Beschlusses unabhängig ist (so z.B. die Erteilung einer Prokura; vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 127). Sodann gibt es verbandsrechtliche Verkehrsschutzinstrumente: Fehlerhafte Organisationsakte wie die Bestellung eines Geschäftsführers (12. Aufl., § 46 Rz. 73 ff.), eines Prozessvertreters nach § 46 Nr. 8 (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 172) eine Kapitalerhöhung (12. Aufl., § 57 Rz. 44 ff.), ein Unternehmensvertrag oder ein Unternehmenszusammenschluss1161 bleiben für die Vergangenheit wirksam und können nur für die Zukunft berichtigt werden. Insbesondere bleiben die Handlungen und Rechtsgeschäfte eines fehlerhaft bestellten Geschäftsführers wirksam. Beschlüsse, an denen ein der Gesellschaft mitgeteilter Anteilserwerber teilgenommen hat, bleiben wirksam, auch wenn die Anteilsübertragung ausnahmsweise an die Zustimmung der Gesellschafter gebunden ist (12. Aufl., § 15 Rz. 121) und die Genehmigung des Anteilserwerbs inzwischen mit Außenwirkung angefochten worden ist (12. Aufl., § 15 Rz. 133). Wo diese Grundsätze nicht helfen, kommt immer noch individueller Vertrauensschutz, z.B. über § 15 Abs. 3 HGB, in Betracht1162.

c) Wirkung erga omnes 173 Die Gestaltungswirkung des Urteils tritt mit Wirkung für und gegen jedermann ein1163.

Das wird mehr und mehr aber auch für das Nichtigkeitsurteil anerkannt und folgt auch für

1158 Ungeklärt in BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, LM Nr. 23 zu § 47 GmbHG = GmbHR 1975, 183 = NJW 1975, 1273 f. = WM 1975, 540. 1159 OLG Brandenburg v. 15.10.1997 – 7 U 56/95, GmbHR 1998, 193, 196; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 178; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 79; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 242; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 101; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 64; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 76. 1160 Näher Karsten Schmidt, JZ 1988, 735; zust. vgl. nur Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 358; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 101, 103; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 241 f. 1161 Dazu BGH v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, GmbHR 1988, 174 = BB 1988, 361; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 707 ff.; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 208 ff.; Köhler, ZGR 1985, 307 ff.; Rehbinder in FS Fleck, 1988, S. 253 ff. 1162 Vgl. auch Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 104 f.; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 79. 1163 H.M.; RGZ 85, 313; RGZ 93, 32; OLG Koblenz v. 24.9.2007 – 12 U 1437/04, NZG 2008, 280; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 177; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 241; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 30a, 87; Ganzer in Rowedder/

836 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 174 § 45

das Letztere aus seinem Gestaltungscharakter (Rz. 45, 152, 168), während herkömmlich ungenau von einer „Feststellung inter omnes“ gesprochen wird1164. Die Urteilswirkung beschränkt sich also weder auf die Parteien noch, wie aus § 248 Abs. 1, § 249 Abs. 1 AktG geschlossen werden könnte, auf die Gesellschafter und Organe. Allerdings kann aufgrund der Art. 19 Abs. 4 und 103 GG ein Bedürfnis bestehen, betroffene Dritte gegen die Gestaltungswirkung zu schützen1165, aber subjektivrechtlich betroffen sind i.d.R. nur Gesellschafter, nicht auch Dritte (sie sind nur reflexiv betroffen, wenn und weil auch die Gesellschafter den Beschluss hätten aufheben können), und für den Schutz der Mitgesellschafter ist i.d.R. dadurch gesorgt, dass der Geschäftsführer die Prozessführung mitteilen (Rz. 156, 182) und den Gesellschaftern Gelegenheit geben muss, dem Prozess als Nebenintervenienten (Rz. 156) beizutreten1166. d) Kassatorische (beschlussvernichtende) Wirkung Die Gestaltungswirkung des Anfechtungs- oder Nichtigkeitsurteils wirkt lediglich kassato- 174 risch1167. Der mit der kassatorischen (Nichtigkeits- oder Anfechtungs-)Klage angegriffene Beschluss ist nunmehr rückwirkend als nichtig anzusehen (Rz. 171, 172). Nicht dagegen gilt ohne weiteres ein Beschluss des gesetzlich gebotenen Inhalts als gefasst (Rz. 47), wie dies eine vormals herrschende Auffassung meinte1168. Der nunmehr etablierte Gegenstandpunkt wurde in der 6. Aufl.1169 noch ausführlich begründet. Die Begrenzung auf eine rein kassatorische Wirkung darf aber nicht als Beschneidung des Rechtsschutzes, sondern muss als eine rein prozesstechnische Begrenzung von Antrag, Urteil und Streitstoff verstanden werden: Wer nur die Aufhebung des Beschlusses beantragt (Rz. 152), erhält im Erfolgsfall nur ein kassatorisches („Anfechtungs-“ oder „Nichtigkeits-“)Urteil. Dieses schafft die Beschlusswirkungen aus der Welt. Besteht das mit der Klage zu berichtigende Unrecht darin, dass ein beantragter Beschluss abgelehnt wurde, so muss der Kläger einen entsprechenden Klagantrag formulieren und mit dem Aufhebungsantrag eine sog. positive Beschlussfeststellungsklage verbinden (Rz. 180).

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Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 64; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 101; Karsten Schmidt, AG 1977, 207 f., 245 f.; abl. Fehrenbach, S. 362 ff.; distanziert Wiedemann in FS Goette, 2011, S. 617, 624. Vgl. z.B. noch Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 241; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 360; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 177; kritisch zur ehemals h.M. Karsten Schmidt, JZ 1988, 735. Vgl. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 87; abl. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 499 wegen der vermeintlichen, jedoch unrichtigen, Konsequenz der Verfassungswidrigkeit von Urteilen ohne Drittanhörung. Vgl. auch für die positive Beschlussfeststellungsklage BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 31 = AG 1986, 256 = NJW 1986, 2051, 2052 = GmbHR 1986, 156, 157; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 170; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 86; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 70; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 90; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 201; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 498; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 294; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 60. Heute h.M.; vgl. nur Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 241 ff.; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 186; grundlegend Zöllner, Schranken, S. 408 ff.; a.M. für die Nichtigkeitsklage Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 101. Für positive Feststellungswirkung ROHGE 23, 275 f.; RGZ 64, 260; RGZ 76, 248; RGZ 80, 337; RGZ 122, 107 f.; zustimmend: W. Schmidt in Hachenburg, 6. Aufl., Rz. 35a; W. Küster, Inhalt und Grenzen der Rechte der Gesellschafter, 1954, S. 83 ff.; ablehnend dagegen: RGZ 142, 129; RGZ 146, 72; RG, DR 1939, 721; BayObLGZ 1955, 343; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit, S. 228; Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 152; Ballerstedt, GmbHR 1955, 161; Zöllner, Schranken, S. 408 ff.; unentschieden BayObLG v. 9.12.1955 – 2 Z 166-167/55, GmbHR 1956, 61. § 45 Rz. 117.

Karsten Schmidt/Bochmann | 837

§ 45 Rz. 174 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Dieser Rechtsschutz durch positives Beschlussfeststellungsverfahren hat aus zwei Gründen zunehmende Bedeutung erlangt: Die unrichtige Beschlussergebnisfixierung (Rz. 70, 98) etwa aufgrund der Mitberücksichtigung wegen § 47 Abs. 4 unwirksamer Nein-Stimmen der Mehrheit erfordert neben der Anfechtungsklage der rechnerischen Minderheit die positive Feststellung des von ihr bei materiell-rechtlich zutreffender Bestimmung der insgesamt wirksam abgegebenen Stimmen gefassten Beschlusses. Daneben ist das Mittel zur Durchsetzung positiver Stimmpflichten (12. Aufl., § 47 Rz. 31) die Erzwingung eines positiven Beschlusses, nachdem ein Beschlussantrag in der Versammlung unter Außerachtlassung rechtswidrig verweigerter Ja-Stimmen zunächst als abgelehnt fixiert wurde. e) Gestaltungswirkung und materielle Rechtskraft 175 Gestaltungswirkung und materielle Rechtskraft des kassatorischen Urteils treten neben-

einander (vgl. schon Rz. 171)1170. Der Unterschied zwischen beiden hängt zusammen mit dem Unterschied zwischen Anfechtungsgegenstand und Streitgegenstand (Rz. 152). Die materielle Rechtskraft ist unentbehrlich, weil sich die Gestaltungswirkung in der Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses erschöpft (kassatorische Wirkung nach Rz. 45, 47, 171, 174). Wie schon in Rz. 164 ausgeführt, ist insbesondere ein Zweitbeschluss, der die Regelung wiederholt oder denselben Beschlussmangel aufweist (die Gesellschaft hält etwa an einer verfahrensfehlerhaften Praxis fest), nicht automatisch mit angefochten, also auch nicht mit vernichtet1171. Diese Begrenzung der kassatorischen Wirkung auf den Beschluss als Anfechtungsgegenstand schließt aber eine Rechtskrafterstreckung auf Vorfragen nicht aus. Wie bei der Anfechtungsklage im Verwaltungsprozess ist zwar die „Gestaltungswirkung“ auf den angefochtenen Rechtsakt beschränkt; rechtskräftig festgestellt ist aber auch seine Rechtswidrigkeit1172. Demgemäß muss zwar jeder neue Beschluss, weil er nicht Gegenstand des Anfechtungsprozesses war (Rz. 152), seinerseits angefochten werden, kann aber risikolos angefochten werden, soweit darin die bereits in einem vorausgegangenen kassatorischen Urteil geprüfte Rechtswidrigkeit nur wiederholt wurde. Denn das Gericht ist in diesem zweiten Prozess an die Inzidentfeststellung, dass der gerügte Mangel einen Beschluss vernichtbar macht, gebunden1173. Man wird dieser verbindlichen Vorfragenfeststellung sogar Wirkung zugunsten von jedermann zuerkennen können. Jeder zur Anfechtung Berechtigte, nicht bloß der Kläger des Vorprozesses, kann sich in einem neuen kassatorischen Prozess auf sie berufen. Eine unmittelbare Auswirkung des kassatorischen Urteils auf nachfolgende Beschlüsse ist nur da zu bejahen, wo das Beschlussorgan diese nachfolgenden Beschlüsse von der Wirksamkeit des vorausgegangenen Beschlusses abhängig gemacht hat (vgl. für das Verhältnis von Bilanzfeststellung und Gewinnverwendung 12. Aufl., § 46 Rz. 42). Die Urteile RGZ 64, 259, RGZ 98, 112, 114 und RGZ 120, 28, 35 haben deshalb angenommen, dass ein Gesellschafter, der

1170 Karsten Schmidt, JZ 1977, 773. 1171 OLG Karlsruhe v. 11.4.2014 – 14 U 25/13, BeckRS 2015, 14244; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 61; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 132; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 65; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 232, 247; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 41; a.M. BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354 = JZ 1957, 179 m. Anm. Mestmäcker = AG 1957, 43 m. Anm. Pohle; Arens, Streitgegenstand, S. 88 ff., 106 ff.; v. Caemmerer in FS Hueck, 1959, S. 281 ff., S. 290 f. 1172 Zum Verwaltungsprozess BGH v. 30.4.1953 – III ZR 268/51, BGHZ 9, 329; BGH v. 9.7.1953 – III ZR 193/51, BGHZ 10, 225; BGH v. 17.5.1956 – III ZR 280/54, BGHZ 20, 382; BGH v. 13.1.1983 – III ZR 118/81, BGHZ 86, 226, 232; BGH v. 25.11.1968 – III ZR 73/67, JR 1969, 181; abl. Bettermann, DVBl. 1954, 9; Papier/Shirvani in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 839 BGB Rz. 445. 1173 Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2013, § 248 AktG Rz. 12 ff.; Entwurf dieses Konzepts bei Karsten Schmidt, JZ 1977, 773; zust. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 247; a.M. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 108.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 176 § 45

einen Bilanzfeststellungsbeschluss erfolgreich angefochten hat, ohne weiteres die Maßgeblichkeit des Anfechtungsurteils auch für die späteren Bilanzen geltend machen kann1174. Die späteren Bilanzen werden aufgrund der Bilanzkontinuität von der Gesellschaft einfach berichtigt1175. Deshalb gehe auch ein Gesellschafter seines Anfechtungsrechts gegen einen Bilanzgenehmigungsbeschluss nicht dadurch verlustig, dass er, während der Prozess schwebt, in der folgenden Jahresversammlung für die Genehmigung der dieser vorgelegten Bilanz stimmt1176. Der Fragenkreis (insbesondere der Umgang mit den Folgebilanzen während des Rechtsstreits um die Vor-Bilanz) ist insgesamt sehr umstritten1177, eine gesonderte Anfechtung auch der Folge-Bilanzfeststellungen deshalb ggf. zu empfehlen. Nur von einer mittelbaren Auswirkung des kassatorischen Urteils auf nachfolgende Beschlüsse kann gesprochen werden, wo die Beseitigung eines Beschlusses verfahrensmäßige Konsequenzen für einen anderen hat. So, wenn Gesellschafter zu Unrecht ausgeschlossen wurden und nach erfolgreicher Anfechtung ihres Ausschlusses geltend machen, dass sie Gesellschafter geblieben sind und in einer späteren Versammlung ihre Stimme nicht zur Geltung bringen konnten. Hier wird man eine Anfechtung des zweiten Beschlusses infolge der Anfechtung des Ausschließungsbeschlusses nach allgemeinen Regeln unter dem Gesichtspunkt übergangener Stimmen zulassen können, wobei der Ausgeschlossene zum Zeitpunkt des späteren Beschlusses grundsätzlich noch Gesellschafter i.S.d. § 16 Abs. 1 gewesen sein muss (vgl. aber Rz. 130 ff.). Im Grunde liegt ein Rückwirkungsproblem (Rz. 174) vor. 12. Das die Klage abweisende Urteil a) Ne bis in idem Wird die Klage rechtskräftig abgewiesen, so stellt sich zunächst die Frage, inwieweit neue 176 Prozesse hierdurch unzulässig werden. Die Rechtskraftwirkung eines klagabweisenden Prozessurteils1178 hindert niemanden, auch nicht den Kläger, eine sonst zulässige neue kassatorische Klage zu erheben. Die materielle Rechtskraft eines die Klage (als unbegründet) abweisenden Sachurteils hindert nicht nur eine Anfechtungsklage desselben Klägers gegen denselben Beschluss (wegen der Anfechtungsfrist kein praktisch bedeutsames Problem), sondern auch eine zweite Nichtigkeitsklage, sofern nicht der geltend gemachte Beschlussmangel und damit der Streitgegenstand (Rz. 152) ein neuer ist (Rz. 177)1179. Nur wenn ein neuer Lebenssachverhalt mit neuen Nichtigkeitsgründen vorgetragen wird, ist die Klage zulässig. Das wird kaum je gelingen. Ein abweisendes Sachurteil hat jedoch keine erga omnes-Wirkung, so dass am ursprünglichen Prozess nicht beteiligte Aktivlegimitierte selbstständig Nichtigkeitsgrün-

1174 Zust. hier frühere Vorauflagen mit Hinweis auf BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 358; E. Vetter in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 256 AktG Rz. 26; Raspe, Anfechtbarkeit, S. 80; a.M. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 248; Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 256 AktG Rz. 86; RGZ 120, 28, 34 f. hatte dies auf eine Interpretation des Bilanzfeststellungsbeschlusses gestützt. 1175 RGZ 98, 112, 114. 1176 RGZ 98, 112, 114. 1177 Für schwebende Unwirksamkeit Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 256 AktG Rz. 86; Ehrmann in Grigoleit, § 256 AktG Rz. 16; Kropff in FS Budde, 1995, S. 341, 348; gegen automatische Nichtigkeit: Hennrichs in FS Bergmann, 2018, S. 303, 306 ff.; Zöllner in FS Scherrer, 2004, S. 355, 363; unentschieden OLG Nürnberg v. 9.7.2008 – 12 U 690/07. 1178 Dazu m.N. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974, S. 324. 1179 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 87; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 65; ebenso hier schon Karsten Schmidt, 6. Aufl., Rz. 124 m.N. zur damals noch herrschenden Gegenansicht; für eine umfassende Präklusion dagegen Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 167.

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§ 45 Rz. 176 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse de und, sofern die Anfechtungsfrist noch nicht verstrichen ist (theoretischer Fall), Anfechtungsgründe im Rahmen einer eigenen kassatorischen Klage geltend machen können1180. b) Umfang der materiellen Rechtskraft 177 Im Übrigen hängt der Umfang der materiellen Rechtskraft von den Modalitäten der Klag-

abweisung ab. Wurde dem Kläger nur die Anfechtungsbefugnis abgesprochen, so steht lediglich fest, dass er nicht mit Wirkung für und gegen alle auf Nichtigerklärung klagen konnte. Er kann dann noch die Nichtigkeit „auf andere Weise als durch Klage“ – auch durch reguläre Feststellungsklage – geltend machen (nach der hier vertretenen Ansicht ist das die Klage mangels Anfechtungsbefugnis abweisende Urteil Prozessurteil; vgl. Rz. 127). Aber das ist ein recht theoretischer Fall, denn in einem solchen Fall wird das Gericht schon seine „Nichtigkeitsklage“ als Klage nach § 256 ZPO ansehen und nicht als kassatorische Klage (Rz. 82). Wurde die Rechtswidrigkeit des Beschlusses verneint, so schafft die sachliche Klagabweisung unter den Parteien Rechtsgewissheit darüber, dass der Beschluss nicht aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts rechtswidrig und (nichtig oder) vernichtbar ist. Da jede „Anfechtungsklage“ auf Prüfung von Anfechtungsgründen und Nichtigkeitsgründen zielt (Rz. 46 ff.), kann dieser Kläger die Nichtigkeit aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts auch nicht mehr „auf andere Weise als durch Klage“ – also auch nicht mehr durch reguläre Feststellungsklage nach § 256 ZPO – geltend machen1181. Die Geltendmachung neuer Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe außerhalb des vorgetragenen Lebenssachverhalts (Rz. 152) wird dagegen durch die Klagabweisung nicht gehindert (objektive Grenze der Rechtskraft)1182. Nur die Versäumung der Anfechtungsfrist (Rz. 141 ff.) bzw. die Heilung eines nichtigen Beschlusses (Rz. 84 ff.), nicht die Rechtskraft des klagabweisenden Urteils kann die Geltendmachung von Beschlussmängeln hindern, die nicht in den kassatorischen Prozess eingeführt waren. Es ist also bei neuem Sachvortrag (Rz. 152) und damit nur ausnahmsweise (Rz. 176 a.E.) eine neue kassatorische Klage ebenso möglich wie eine Geltendmachung des neuen Nichtigkeitsgrundes „auf andere Weise als durch Klage“. Die formelle und materielle Rechtskraft des klagabweisenden Urteils wirkt nur unter den Parteien (subjektive Grenze der Rechtskraft)1183. Dritte sind durch die Rechtskraft nicht an der kassatorischen Klage (sofern klagebefugt) oder – im Fall der Nichtigkeit – an der Geltendmachung „auf andere Weise als durch Klage“ gehindert (wohl allerdings evtl. durch Verfristung des Anfechtungsrechts oder Heilung der Nichtigkeit). Auch der Registerrichter prüft nach wie vor frei, ob der Beschluss wirksam, nich-

1180 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 30a, 87; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 360; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 176; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 100. 1181 Zust. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 256; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 587. 1182 Näher Karsten Schmidt, JZ 1977, 771 f.; zust. BGH v. 20.11.2018 – II ZR 12/17, BGHZ 220, 207 = GmbHR 2019, 335, 341 Rz. 68 m. Anm. Wachter = EWiR 2019, 133 Seibt; Drescher in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 30; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 78; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 81; s. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 80, 87; a.M. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 361 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 167; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 65; offenlassend Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 239. 1183 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 176; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 240; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 65; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 30a, 87; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 360; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 100.

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 179 § 45

tig oder unwirksam ist1184. Denn die Klageabweisung hat keine die Nichtigkeit eines Beschlusses heilende Gestaltungswirkung. Die fortbestehende Nichtigkeit eines Beschlusses kann „auf andere Weise als durch (kassatorische) Klage“ geltend gemacht werden (Rz. 81 f.), auch z.B. als Vorfrage in einem kassatorischen Prozess, der sich gegen einen anderen Beschluss richtet (Begründung der Rechtswidrigkeit eines späteren, auf dem nichtigen Ausgangsbeschluss aufbauenden Beschlusses auch nachdem der Erstbeschluss vergeblich angefochten worden ist)1185. Dass Heilung oder Verwirkung entgegenstehen können, ist nur klarheitshalber anzumerken. 13. Die Anfechtung negativer Beschlüsse Schrifttum (vgl. zunächst Rz. 35): Bauschatz, Zur Reichweite der mit einer Anfechtungsklage verbun- 178 denen positiven Beschlussfeststellungsklage, NZG 2002, 317; Calavros, Urteilswirkungen zu Lasten Dritter, 1978; Casper, Der stimmlose Beschluss, in FS Hüffer, 2010, S. 111; Eickhoff, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, 1988; Ekkenga, Stimmverbote gegen den herrschenden Gesellschafter im GmbH-Konzern, ZGR 2019, 191; Emde, Der Angriff eines Mitgesellschafters gegen die Beschlussfeststellungsklage, ZIP 1998, 1475; Fischer, Der Rechtsstreit über die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, BB 2013, 2819; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974; Lindacher, Fragen der Beschlussfassung und -feststellung nach § 46 Nr. 8 GmbHG, ZGR 1987, 121; Maier-Reimer, Negative „Beschlüsse“ von Gesellschafterversammlungen, in FS Oppenhoff, 1985, S. 193; Marotzke, Urteilswirkungen gegen Dritte und rechtliches Gehör, ZZP 100 (1987), 164; Mimberg, Das Zusammentreffen von Beschlussbestätigung und positiver Beschlussfeststellungsklage, in FS Hüffer, 2010, S. 663; Oelrichs, Muß der Versammlungsleiter bei der Feststellung von Haupt- oder Gesellschafterversammlungsbeschlüssen treuwidrig abgegebene Stimmen mitzählen?, GmbHR 1995, 863; Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966; Karsten Schmidt, Geklärte und offene Probleme der „positiven Beschlussfeststellungsklage“, AG 1980, 169; Karsten Schmidt, Grundfälle zum Gestaltungsprozeß, JuS 1986, 35; Karsten Schmidt, Rechtsschutz des Minderheitsgesellschafters gegen rechtswidrige ablehnende Beschlüsse, NJW 1986, 2018; Martin Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2007, S. 328 ff. (zur AG); Werner, Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen gegen den Geschäftsführer durch den Minderheitsgesellschafter der GmbH, GmbHR 2017, 849; Wolf, Rechtliches Gehör und die Beteiligung Dritter am Rechtsstreit, JZ 1971, 405; Zeuner, Rechtliches Gehör, materielles Recht und Urteilswirkungen, 1974; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht …, 1963, S. 398 f.; Zöllner, Zur positiven Beschlußfeststellungsklage im Aktienrecht (und andere Fragen des Beschlußrechts), ZGR 1982, 623.

a) Problemstellung Auch ein negativer, den Antrag ablehnender Beschluss (Rz. 31) kann rechtswidrig, also 179 nichtig oder anfechtbar sein1186. Das entspricht heute einer gefestigten Rechtsprechung und

1184 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 240; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 78; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 239; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 535; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, Bd. 5, 3. Aufl. 2018, § 248 AktG Rz. 63. 1185 RG, JW 1928, 1552 m. Anm. Netter; vgl. auch Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 108. 1186 Vgl. BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320, 328 = GmbHR 1984, 93; BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = AG 1986, 256 = GmbHR 1986, 156; für die AG bereits RGZ 122, 102, 107; BGH v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191 = AG 1980, 187; OLG Köln v. 14.6.2018 – 18 U 36/17, GmbHR 2018, 921 f.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 372; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 36; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 15; Altmeppen, § 47 Rz. 13; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff. § 47 Rz. 67, 97; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 79 ff.; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 216; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 567; Mimberg in FS Hüffer, 2010, S. 663, 667; a.M. Maier-Reimer in FS Oppenhoff, 1985, S. 193; unentschieden noch BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, GmbHR 1972, 225.

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§ 45 Rz. 179 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Lehre1187. Der Beschluss kann also mit der kassatorischen (Anfechtungs- oder Nichtigkeits-) Klage mit Wirkung für und gegen jedermann für nichtig erklärt werden (Rz. 171 ff.). Das ist besonders bedeutsam, wenn man mit der inzwischen anerkannten Praxis und Lehre davon ausgeht, dass ein „förmlich“ festgestellter Beschluss (dazu Rz. 49a ff.) vorläufig verbindlich ist, auch wenn etwa die Stimmenzählung (z.B. wegen Mitzählung ungültiger Stimmen) unrichtig war (12. Aufl., § 48 Rz. 51 ff.)1188; der so fixierte Beschluss unterliegt der Anfechtung (Rz. 98)1189. Wird allerdings nur die Nichtigerklärung des negativen Beschlusses beantragt, so erschöpft sich das Gestaltungsurteil in dieser Nichtigerklärung (vgl. Rz. 47, 174). Für einen solchen Klageantrag, der dem Interesse des Klägers häufig nicht genügt, kann im Einzelfall sogar das Rechtsschutzinteresse fehlen1190. Das Gericht wird hierauf hinweisen und dem Kläger Gelegenheit zu einem Antrag nach Rz. 180 geben. – Ähnliches gilt im Bereich der positiven Stimmpflichten (12. Aufl., § 47 Rz. 31). Hier kann die Unwirksamkeit treuwidrig abgegebener Nein-Stimmen, wenn ein ablehnender Beschluss festgestellt worden ist, gleichfalls mit der „positiven Beschlussfeststellungsklage“ nach Rz. 180 geltend gemacht werden (12. Aufl., § 47 Rz. 32)1191. Gesellschafter, deren Nein-Stimmen auf Treuwidrigkeit geprüft werden sollen, müssen Gelegenheit zur Nebenintervention erhalten (Rz. 182). Eine separate Leistungsklage auf Abgabe einer Ja-Stimme (12. Aufl., § 47 Rz. 32) ist hierfür nicht erforderlich (vgl. Rz. 182). b) Die „positive Beschlussfeststellungsklage“ als Annex der kassatorischen Klage 180 Die Begrenzung des kassatorischen Klagantrags und des kassatorischen Urteils auf beschluss-

vernichtende Wirkung ist rein prozesstechnischer Art und darf effektiven Rechtsschutz nicht hindern (Rz. 174). Für diesen sorgt die sog. „positive Beschlussfeststellungsklage“, die mit dem „kassatorischen“ Antrag auf Nichtigerklärung des ablehnenden Beschlusses verbunden werden kann1192. Der Kläger beantragt dann neben der Nichtigerklärung des ablehnenden Be-

1187 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320, 328 = GmbHR 1984, 93; BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = GmbHR 1986, 156; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 250. 1188 OLG Köln v. 14.6.2018 – 18 U 36/17, GmbHR 2018, 921 f.; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 216; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 52; Wicke, § 47 Rz. 15; Altmeppen, § 47 Rz. 154; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 97; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 104, Anh. § 47 Rz. 186; auch, wenn sämtliche Mehrheitsstimmen ihrerseits nichtig waren; vgl. Casper in FS Hüffer, 2010, S. 111 ff. 1189 OLG Köln v. 14.6.2018 – 18 U 36/17, GmbHR 2018, 921 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 52; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 97; Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 216; Wicke, § 47 Rz. 15; Altmeppen, § 47 Rz. 154; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 104; Anh. § 47 Rz. 186; nach Zöllner, Schranken, S. 408 ff. richtet sich die Klage in diesem Fall nicht eigentlich gegen den Beschluss, sondern gegen dessen unrichtige Feststellung. 1190 Vgl. auch OLG Stuttgart v. 8.7.2015 – 20 U 2/14, AG 2016, 370, 371 (zur AG); Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 69; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 169; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 444, 570; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 190; Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Anh. § 47 GmbHG Rz. 4; Ekkenga, ZGR 2019, 191, 212. 1191 Dazu Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 262; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 38 Rz. 73; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 109 ff.; Oelrichs, GmbHR 1995, 863 ff. (mit der Auffassung, dass der Versammlungsleiter auch treuwidrig abgegebene Stimmen mitzuzählen hat) Werner, GmbHR 2017, 849, 852. 1192 BGH v. 13.3.1980 – II ZR 54/78, BGHZ 76, 191 = AG 1980, 187; BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/ 83, BGHZ 88, 320 = GmbHR 1984, 93; BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = AG 1986, 256 = GmbHR 1986, 156; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770 = ZIP 2009, 1158; OLG Celle v. 15.5.1996 – 9 U 185/95, GmbHR 1997, 172, 174; OLG Hamm v. 12.4.2000 – 8 U 165/99, GmbHR 2000, 673; OLG Saarbrücken v. 24.11.2004 – 1 U 202/04-35, GmbHR 2005, 546,

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 181 § 45

schlusses die Feststellung, dass der im Klagantrag genau zu benennende Beschluss gefasst (oder: der genau zu benennende Antrag angenommen) worden ist. Die „Feststellungsklage“ ist Teil des gegen den angegriffenen negativen Beschluss gerichteten Gestaltungsprozesses1193. Sie ist deshalb – trotz der spontan einleuchtenden, jedoch dogmatisch irreführenden Formulierung von Antrag und Tenor – eine Gestaltungsklage, gerichtet auf ein für und gegen jedermann wirkendes Urteil, mit dem der Beschlussinhalt verbindlich geklärt wird (vgl. auch Rz. 47)1194. Ob es sich bei der kombinierten Anfechtungs- und positiven Beschlussfeststellungsklage wirklich (wegen des doppelten Antrags) um eine kumulative Klaghäufung handelt1195 oder ob (wegen des in Wahrheit ungeteilten Rechtsschutzziels) nur ein einziger Streitgegenstand vorliegt1196, ist eine eher theoretische Frage. Handelt es sich wirklich um verschiedene Streitgegenstände, so wäre die Klage aber im Zweifel als Eventualklage erhoben (Anfechtung des negativen und im Erfolgsfall Feststellung des positiven Beschlusses), während die Praxis im Abweisungsfall beide Klagen abweist1197, so z.B. im Fall zwischenzeitlicher Beschlussbestätigung (dazu Rz. 165)1198. Rechtsdogmatisch wie rechtspraktisch spricht damit viel für die Einheitsbetrachtung. Die Formulierung eines doppelten Antrags und Urteilstenors bleibt auch dann aus Gründen der prozessualen Klarheit (Präzisierung des Rechtsschutz-Ziels) angezeigt. Nur für die Anfechtung negativer Beschlüsse kommt die „positive Beschlussfeststellungsklage“ in Betracht. Sie ist deshalb unzulässig, wenn ein positives Beschlussergebnis „förmlich“ festgestellt wurde (dazu Rz. 49a ff.)1199. c) Verfahrensgestaltung Richtiger Kläger kann jeder sein, der auch die einfache Anfechtungsklage erheben kann 181 (Rz. 127 ff.), also nicht nur derjenige, dessen Antrag durch den rechtswidrigen Beschluss ab-

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547 m. Anm. Manger; OLG Düsseldorf v. 23.2.2012 – 6 U 135/110, juris = BeckRS 2013, 00028; OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84, 85 f.; OLG Köln v. 14.6.2018 – 18 U 36/17, GmbHR 2018, 921; Wolff in MünchHdb. GesR III, § 40 Rz. 98 f.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 109 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 186; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 569; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 67; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 250; eingehend Eickhoff, S. 128 ff.; Winter in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 39 ff.; Karsten Schmidt, AG 1980, 169 ff.; Karsten Schmidt, NJW 1986, 2018 ff.; Zöllner, ZGR 1982, 623 ff.; Bauschatz, NZG 2002, 317; Fischer, BB 2013, 2819, 2823; Werner, GmbHR 2017, 849, 852; Ekkenga, ZGR 2019, 191, 212. BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 30 = GmbHR 1986, 156, 157: „gleichzeitig erhobene Feststellungsklage“; OLG Celle v. 15.5.1996 – 9 U 185/95, GmbHR 1997, 172, 174. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 40; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 81; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 374; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 252; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 40; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 109 ff.; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 81; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 51; Karsten Schmidt, GesR, § 15 I 3b, § 28 IV 5e; Karsten Schmidt, NJW 1986, 2020; Fischer, BB 2013, 2819, 2823; a.M. wohl immer noch Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 246 AktG Rz. 84. Dafür z.B. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 374; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 190; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 67. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 570; auch im Verwaltungsprozessrecht wird darüber gestritten, ob die „Versagungsgegenklage“ eine Kombination aus Anfechtungs- und Verpflichtungsklage oder nur eine Variante der Verpflichtungsklage mit einheitlichem Streitgegenstand darstellt. BGH v. 12.12.2005 – II ZR 253/03, ZIP 2006, 227 = AG 2006, 158. Ebd.; krit. dazu Mimberg in FS Hüffer, 2010, S. 663 ff. BGH v. 13.1.2003 – II ZR 173/02, GmbHR 2003, 355 = AG 2003, 383 = ZIP 2003, 435; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 187 f.; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 372; a.M. Maier-Reimer in FS Oppenhoff, 1985, S. 193, 204 ff.

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§ 45 Rz. 181 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse gelehnt worden ist; die Gesellschaft selbst kann die positive Beschlussfeststellungsklage daher nicht erheben1200. Richtige Passivpartei ist die Gesellschaft und nur die Gesellschaft (zu der ganz anderen Frage einer Leistungsklage gegen opponierende Gesellschafter vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 32)1201. Insgesamt gelten sinngemäß die Ausführungen der Rz. 148 ff. Gegen Gesellschafter und gegen Dritte, die sich auf den ablehnenden Beschluss berufen, kann zwar eine Feststellungsklage nach § 256 ZPO mit der Begründung erhoben werden, der ablehnende Beschluss sei nichtig (vgl. sinngemäß Rz. 147). Aber ein solcher nur inter partes geführter Feststellungsstreit hat mit der „positiven Beschlussfeststellungsklage“ als einer Gestaltungsklage nichts zu tun (vgl. auch schon Rz. 49 zum Verhältnis zwischen Nichtigkeitsklage und § 256 ZPO). Die Anfechtungsfrist (Rz. 141 ff.) gilt auch für diesen „Feststellungsantrag“1202. Das schließt aber ein Nachschieben des Antrags nach rechtzeitig erhobener Anfechtungsklage i.d.R. nicht aus, weil die rechtzeitige Anfechtung des negativen Beschlusses das auf den positiven Beschluss zielende Rechtsschutzbegehren impliziert. Der Klagantrag ist auf Nichtigerklärung des negativen Beschlusses und „Feststellung“, dass der in Rede stehende Beschluss gefasst wurde, zu richten. Für den Prozessverlauf gelten sinngemäß die Rz. 158 ff. Für die Schiedsfähigkeit gilt dasselbe wie bei der Anfechtungsklage1203 (vgl. Rz. 150a ff.). Für den Umfang der Rechtskraft und der Gestaltungswirkung des Urteils gelten sinngemäß die Rz. 171 ff. Durch ein der Klage rechtskräftig stattgebendes Urteil wird mit Wirkung für und gegen jedermann der vom Gericht „festgestellte“ Beschlussinhalt für verbindlich erklärt1204. Vorher ist eine von Mitgesellschaftern gegen den festgestellten Beschluss gerichtete Anfechtungsklage mangels Anfechtungsgegenstands (Rz. 152) gegenstandslos und unzulässig1205. Nach Rechtskraft des Urteils ist sie theoretisch möglich1206, jedoch i.d.R. durch die Rechtskraft ausgeschlossen1207. d) Verfahrensschutz der Mitgesellschafter 182 Es bedarf, wie stets bei Gestaltungsprozessen1208, eines verfahrensrechtlichen Schutzes derer,

die durch die Gestaltungswirkung subjektivrechtlich betroffen sind, und das sind hier dieje1200 Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 109. 1201 OLG Köln v. 24.5.2018 – 18 U 36/17, GmbHR 2018, 921; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 189; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 252; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 77; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 375; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 576; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 51; dazu auch Lindacher, ZGR 1987, 126; Emde, ZIP 1998, 1475. 1202 OLG Saarbrücken v. 24.11.2004 – 1 U 202/04-35, GmbHR 2005, 546, 547 m. Anm. Manger; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 79; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 252; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 572; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 188; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 51: für die Möglichkeit des Antrags der Beschlussfeststellung nach Ablauf der Anfechtungsfrist bei bereits erhobener Anfechtungsklage Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 68. 1203 Zust. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 252; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 581. 1204 Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 252; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 110; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 252. 1205 Emde, ZIP 1998, 1475 ff. 1206 A.M. Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 580; vgl. Bauschatz, NZG 2002, 319. 1207 Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 580; a.M. Bauschatz, NZG 2002, 319: Klage aufgrund anderen Lebenssachverhalts. 1208 Eingehend Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966, S. 164 ff.; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974, S. 228 ff.; Calavros, Urteilswirkungen zu Lasten Dritter, 1978, S. 17 ff.; Zeuner, Rechtliches Gehör, materielles Recht und Urteilswirkungen, 1974, S. 5 ff.;

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | vor Rz. 183 § 45

nigen Gesellschafter, die nicht für den Antrag gestimmt haben (vgl. auch Rz. 156). Mit Recht hat der BGH die Forderung abgelehnt, es müsse gegen jeden dieser Gesellschafter Klage auf Zustimmung zu dem abgelehnten Antrag erhoben werden1209. Wird die Klage darauf gestützt, dass das Beschlussergebnis auf unwirksamen Nein-Stimmen beruht, muss es ausreichen, dass diejenigen Gesellschafter, die nicht für den abgelehnten Antrag gestimmt haben (insbesondere also diejenigen, deren Stimmen nach der Auffassung des Klägers nichtig sein sollen), von dem Prozess Kenntnis erlangen und hierdurch in die Lage versetzt werden, dem Rechtsstreit auf Seiten der Gesellschaft als Nebenintervenienten beizutreten (s. auch Rz. 156, 173)1210. Da auch eine treuwidrige Stimmabgabe unwirksam ist (12. Aufl., § 47 Rz. 32)1211, ist nicht zwischen verbotener (§ 47 Abs. 4) und treuwidriger Abgabe von Nein-Stimmen zu unterscheiden. Eine solche Differenzierung erscheint schon aufgrund der sich nicht selten überschneidenden Tatbestände unsachgemäß. Da der Geschäftsführer (ähnlich wie nach § 246 Abs. 4 AktG der Vorstand) verpflichtet ist, die Gesellschafter zu unterrichten, hat das Prozessgericht i.d.R. keinen Anlass, die Gesellschafter seinerseits besonders zu informieren (vgl. auch Rz. 156, 160, 173). 14. Einstweiliger Rechtsschutz Schrifttum: Bayer, Einziehung des GmbH-Geschäftsanteils und Änderung der Gesellschafterliste: Ausreichender Rechtsschutz bei fehlendem Einziehungsgrund?, in FS Marsch-Barner, 2018, S. 35; Bayer/Selentin, Einstweiliger Rechtsschutz nach erfolgter Zwangseinziehung des GmbH-Geschäftsanteils, in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 391, Beyer, Vorbeugender Rechtsschutz gegen die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung, GmbHR 2001, 467; Calavros, Urteilswirkungen zu Lasten Dritter, 1978; Damm, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, ZHR 154 (1990), 413; Emde, Der Angriff eines Mitgesellschafters gegen die Beschlussfeststellungsklage, ZIP 1998, 1475; Geißler, Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Registersperre bei eintragungspflichtigen Gesellschafterbeschlüssen, GmbHR 2008, 128; v. Gerkan, Gesellschafterbeschlüsse, Ausübung des Stimmrechts und einstweiliger Rechtsschutz, ZGR 1985, 165; Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974; Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz im aktienrechtlichen Anfechtungs- und Nichtigkeitsverfahren, ZGR 1979, 293; Kleindiek, Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen, Legitimationswirkung der Gesellschafterliste und einstweiliger Rechtsschutz, GmbHR 2017, 815; Leuering, Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ausführung noch zu fassender Gesellschafterbeschlüsse, in FS Bergmann, 2018, S. 457; Liebscher/Alles, Einstweiliger Rechtsschutz im GmbH-Recht, ZIP 2015, 1; Lieder, Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Gesellschafterliste, GmbHR 2016, 271; Lieder/Becker, Zwangseinziehung und einstweilige Verfügung, GmbHR 2019, 505; Lindacher, Fragen der Beschlußfassung und -feststellung nach § 46 Nr 8 GmbHG, ZGR 1987, 121; Lutz, Einstweiliger Rechtsschutz bei Gesellschafterstreit in der GmbH, BB 2000, 839; Otto, Die „unfreundliche Übernahme“ der GmbH mittels Zwangseinziehung der Mehrheitsbeteiligung, GmbHR 2018, 123; Saenger, Minderheitenschutz und innergesellschaftliche Klagen bei der GmbH, GmbHR 1997, 112; Schlitt/Seiler, Einstweiliger Rechtsschutz im Recht der börsennotierten Aktiengesellschaften, ZHR 166 (2002), 544; Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966; Karsten Schmidt,

Bettermann, JZ 1962, 676 f.; Manfred Wolf, JZ 1971, 405 ff.; Karsten Schmidt, JuS 1986, 40 f.; Marotzke, ZZP 100 (1987), 164 ff., 208 ff. 1209 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 31 = GmbHR 1986, 156, 157. 1210 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 31 = GmbHR 1986, 156, 157; OLG Köln v. 24.5.2018 – 18 U 36/17, GmbHR 2018, 921, 922; OLG Saarbrücken v. 24.11.2004 – 1 U 202/0435, GmbHR 2005, 546, 547 m. Anm. Manger; Altmeppen, § 47 Rz. 110; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 253; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 576; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 81; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 379; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 189, 191; Karsten Schmidt, NJW 1986, 2020; Lindacher, ZGR 1987, 126 f.; Emde, ZIP 1998, 1477 f.; Saenger, GmbHR 1997, 112, 116; weitergehend (Information aller Gesellschafter erforderlich) Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Anh. § 47 Rz. 188. 1211 Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 373; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 122, 191.

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§ 45 Rz. 183 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Grundfälle zum Gestaltungsprozeß, JuS 1986, 35; Karsten Schmidt, Rechtsschutz des Minderheitsgesellschafters gegen rechtswidrige ablehnende Beschlüsse, NJW 1986, 2018; Schmidt-Diemitz, Einstweiliger Rechtsschutz gegen rechtswidrige Gesellschafterbeschlüsse, Diss. Tübingen 1993; H. Schmitt, Einstweiliger Rechtsschutz gegen drohende Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH?, ZIP 1992, 1212; Semler, Einstweilige Verfügungen bei Gesellschafterauseinandersetzungen, BB 1979, 1533; Winter, Gesellschafterkonflikte in der GmbH, in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 37; Wolf, Rechtliches Gehör und die Beteiligung Dritter am Rechtsstreit, JZ 1971, 405; Zeuner, Rechtliches Gehör, materielles Recht und Urteilswirkungen, 1974; Zutt, Einstweiliger Rechtsschutz bei Stimmbindungen, ZHR 155 (1991), 190.

183 Ein einstweiliger Rechtsschutz gegen rechtswidrige Beschlüsse durch einstweilige Verfügung

ist umstritten und wurde herkömmlich abgelehnt1212. Der Haupteinwand besteht darin, dass die Hauptsachenentscheidung nicht vorweggenommen werden darf. Doch muss unterschieden werden: Nicht möglich ist es, einen Beschluss durch einstweilige Verfügung für unwirksam zu erklären1213. Dagegen kann der Vollzug einer Maßnahme gemäß § 940 ZPO einstweilen untersagt werden, sofern dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen nötig erscheint1214. Die einstweilige Verfügung wird gegen die Gesellschaft, nicht gegen den Geschäftsführer beantragt und erlassen1215. Eine einstweilige Verfügung kann auch auf das Verbot gehen, einen angefochtenen Beschluss zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden1216 (vgl. zur Eintragung angefochtener Beschlüsse Rz. 126), oder auf die Verhinderung der Einreichung einer auf Grundlage eines angefochtenen Beschlusses geänderten Gesellschafterliste1217. 1212 Vgl. OLG Nürnberg v. 29.6.1951 – 3 U 51/71, BB 1971, 1478; OLG Celle v. 1.4.1981 – 9 U 195/ 80, GmbHR 1981, 264, 265; OLG Frankfurt v. 15.12.1981 – 5 W 9/81, GmbHR 1982, 237 = ZIP 1982, 180; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 85; Semler, BB 1979, 1536; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 2; umfassende Nachweise bei v. Gerkan, ZGR 1985, 168. 1213 OLG Saarbrücken v. 9.5.2006 – 4 U 338/05-155, GmbHR 2006, 987, 988; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 85; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 194; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 58; v. Gerkan, ZGR 1985, 1731; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 2. 1214 Vgl. OLG Koblenz v. 24.4.1986 – 6 U 87/86, GmbHR 1986, 430, 431; OLG Nürnberg v. 4.5.1993 – 3 U 136/93, GmbHR 1993, 588; OLG Saarbrücken v. 9.5.2006 – 4 U 338/05-155, GmbHR 2006, 987, 988; OLG Düsseldorf v. 11.11.2008 – 6 W 62/08 (Geschäftsführerbestellung); KG v. 10.12.2015 – 23 U 99/15, GmbHR 2016, 416, 417 m. Anm. Otto = EWiR 2016, 555 m. Anm. Vosberg/Klawa; OLG Jena v. 24.8.2016 – 2 U 168/16, GmbHR 2017, 416, 417 m. Anm. Wagner; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 195; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 85; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 120; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 88 f.; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 266; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 3; Leuering in FS Bergmann, 2018, S. 457, 458 ff.; Lieder, GmbHR 2016, 271 ff.; vgl. insoweit auch OLG Celle v. 1.4.1981 – 9 U 195/80, GmbHR 1981, 264, 265; OLG Frankfurt v. 15.12.1981 – 5 W 9/81, ZIP 1982, 180; Heinze, ZGR 1979, 313 f.; Saenger, GmbHR 1997, 117 f.; Lutz, BB 2000, 839 f.; vgl. auch für eine einstweilige Verfügung des Aufsichtsrats gegen Geschäftsführerabberufung OLG Stuttgart v. 15.4.1985 – 2 U 57/85, AG 1985, 193 = GmbHR 1986, 26. 1215 Zu der ganz andersartigen Konstellation eines Antrags der Gesellschaft gegen einen unwirksam bestellten Geschäftsführer auf Unterlassung vgl. OLG Saarbrücken v. 9.5.2006 – 4 U 338/05-155, GmbHR 2006, 987. 1216 OLG Saarbrücken v. 9.5.2006 – 4 U 338/05-155, GmbHR 2006, 987, 988; OLG München v. 13.9.2006 – 7 U 2912/06, AG 2007, 335 = ZIP 2006, 2334 (zur AG); OLG Hamm v. 18.9.2019 – 8 U 35/19, juris = BeckRS 2019, 25244 Rr. 5 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 89, 91; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 393 f.; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 120; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 197; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 265. 1217 Vgl. BGH v. 17.12.2013 – II ZR 21/12, GmbHR 2014, 198, 202 Rz. 39 m. Anm. Bayer = EWiR 2014, 205 m. Anm. Paefgen/Franke; KG v. 10.12.2015 – 23 U 99/15, GmbHR 2016, 416, 417 m. Anm. Otto = EWiR 2016, 555 m. Anm. Vosberg/Klawa; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon,

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Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 183 § 45

Vorrang hat allerdings, soweit anwendbar, das spezielle Sperr- und Freigabeverfahren nach §§ 16, 198 UmwG (zur umstrittenen und abzulehnenden Anwendbarkeit des § 246a AktG vgl. Rz. 126)1218. Sehr viel problematischer ist die Frage, ob die Beschlussfassung selbst durch einstweilige Verfügung unterbunden werden kann1219. Dazu wird nur im Ausnahmefall hinreichender Anlass bestehen. Gänzlich ausgeschlossen ist eine solche einstweilige Verfügung aufgrund von § 940 ZPO jedoch nicht1220. Sie setzt aber entweder eine eindeutige Rechtslage oder ein überragendes Schutzbedürfnis des Antragstellers voraus und wird regelmäßig auch am Gebot des geringstmöglichen Eingriffs scheitern1221. Die vorbeugende Untersagung der Beschlussausführung hat gegenüber der Untersagung der Beschlussfassung den Vorrang: Wo sie ausreicht, braucht die Beschlussfassung selbst nicht verhindert zu werden1222. Antragsgegner ist bei einer gegen die Beschlussausführung gerichteten einstweiligen Verfügung die Gesellschaft, während einstweilige Verfügungen zur Verhinderung der Beschlussfassung i.d.R. gegen die Mehrheitsgesellschafter erwirkt werden1223.

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Anh. § 47 Rz. 85; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 58; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 87; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 3; Bayer/Selentin in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 391 ff.; Bayer in FS Marsch-Barner, 2018, S. 35, 42 ff.; Kleindiek, GmbHR 2017, 815, 819 ff.; Lieder/Becker, GmbHR 2019, 505, 508 ff.; näher Winter in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 54 ff.; Heinze, ZGR 1979, 315 f.; vgl. aber OLG Koblenz v. 24.4.1986 – 6 U 87/86, GmbHR 1986, 430. Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 85; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 197, 201; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 205; Drescher in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 52, 56; Nachweise bei Winter in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 56. Grundsätzlich bejahend OLG Karlsruhe v. 23.12.1965 – 10 U 313/65 und Q 18/65, GmbHR 1967, 214; OLG Köln v. 14.7.1976 – 2 U 7/76, BB 1977, 464 (GmbH & Co. KG); OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 65/91, GmbHR 1991, 467 m. Anm. Karsten Schmidt; Beyer, GmbHR 2001, 467, 470; LG München v. 26.5.2020 – 5 HK O 6378/20, ZIP 2020, 1241, 1242 = EWiR 2020, 429 m. Anm. Linnerz; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 121 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 87; Leuering in FS Bergmann, 2018, S. 457, 458 ff.; Bayer in FS Marsch-Barner, 2018, S. 35, 44; Otto, GmbHR 2018, 123, 129 ff.; Lieder/Becker, GmbHR 2019, 505; 507; ablehnend OLG Nürnberg v. 29.6.1951 – 3 U 51/71, BB 1971, 1478; OLG Frankfurt v. 15.12.1981 – 5 W 9/81, GmbHR 1982, 237 = ZIP 1982, 180; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 392; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 202: H. Schmitt, ZIP 1992, 1212 ff. Dazu Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 89; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 123; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 261 ff.; Winter in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 58 ff.; v. Gerkan, ZGR 1985, 172 ff.; Damm, ZHR 154 (1990), 432 ff.; Leuering in FS Bergmann, 2018, 457, 458 ff. Vgl. OLG Celle v. 1.4.1981 – 9 U 195/80, GmbHR 1981, 264, 265 f.; OLG Stuttgart v. 20.2.1987 – 2 U 202/86, GmbHR 1987, 482; OLG Hamm v. 6.7.1992 – 8 W 18/92, GmbHR 1993, 163; auch Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 263 f.; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 86; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 121 f.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 87; v. Gerkan, ZGR 1985, 173 f.; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 3 f.; Lieder, GmbHR 2016, 271, 275 f. Zust. Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 263; eingehend auch Leuering in FS Bergmann, 2018, S. 457, 462 ff. Charakteristisch OLG Köln v. 14.7.1976 – 2 U 7/76, GmbHR 1977, 6; vgl. auch OLG Saarbrücken v. 9.5.2006 – 4 U 338/05-155, GmbHR 2006, 987, 988; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Anh. § 47 Rz. 87; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 93; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 123; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 197, 201; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 607; a.M. (Geschäftsführer der Gesellschaft im Falle des erstrebten Verbots, eine Gesellschafterliste zum Handelsregister anzumelden) KG v. 10.12.2015 – 23 U 99/15, GmbHR 2016, 416, 417 m. Anm. Otto = EWiR 2016, 555 m. Anm. Vosberg/Klawa.

Karsten Schmidt/Bochmann | 847

§ 45 Rz. 183 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob einem Gesellschafter die Ausübung des Stimmrechts in einem bestimmten Sinne untersagt oder umgekehrt sogar vorgeschrieben werden kann (dazu 12. Aufl., § 47 Rz. 59)1224. Das OLG Koblenz1225 hat die Zulässigkeit verbietender Verfügungen bejaht, dies allerdings gemäß einem späteren Urteil1226 unter der Voraussetzung, dass die einstweilige Verfügung auf eine Stimmbindung gestützt werden kann (vgl. zu diesem Fall 12. Aufl., § 47 Rz. 59). Weiter geht mit Recht das OLG Düsseldorf1227, wonach bei entsprechend gesteigertem Verfügungsgrund eine unzulässige Stimmabgabe verboten werden kann. Noch weiter das OLG Hamburg1228: Eine einstweilige Verfügung, durch die ein Gesellschafter angehalten wird, sein Stimmrecht bei einer Beschlussfassung in bestimmter Weise auszuüben, kommt nicht nur im Fall einer Stimmbindung, sondern auch dann in Betracht, wenn sich die Verpflichtung des Gesellschafters aus dem Gesellschaftsvertrag oder aus der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht (zu ergänzen ist: oder aus dem Gesetz) ergibt (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 32)1229. Das OLG München1230 lässt gegenüber der Mehrheitsgesellschafterin, die aufgrund der gegen einen Einziehungsbeschluss erhobenen Anfechtungsklage noch über die Stimmenmehrheit verfügt, eine einstweilige Verfügung zu, mit der ihr die Auswechselung der Geschäftsführung untersagt wird (vgl. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 81). Allerdings kann ein Verfügungsgrund nur bejaht werden, wenn eine schwerwiegende Interessenbeeinträchtigung diesen vorläufigen Eingriff in die Willensbildung der Gesellschaft unerlässlich macht und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtfertigt. Nicht möglich ist nach OLG Düsseldorf v. 30.6.1988 – 6 U 310/87, GmbHR 1988, 484 die Auflösung einer ungeklärten Pattsituation zwischen Gesellschafter-Geschäftsführern, die sich wechselseitig abberufen haben, durch einstweilige Verfügung (vgl. auch 12. Aufl., § 38 Rz. 78 ff.). Vom Problem des einstweiligen Rechtsschutzes gegen gefasste Beschlüsse ist die Frage zu unterscheiden, ob durch Unterlassungs- oder Feststellungsklagen gegen die Gesellschaft (und ggf. sogar durch einstweilige Verfügungen) vorbeugender Rechtsschutz gegen bevorstehende Beschlüsse eröffnet werden kann. Das LG Berlin hat dies für das Aktienrecht generell verneint1231. Richtig scheint: Der Rechtsschutz gegen Beschlüsse ist grundsätzlich als nachträglicher Rechtsschutz konzipiert. Die bloße Ankündigung eines Beschlusses in der Tagesordnung eröffnet den Opponenten grundsätzlich keine Klagmöglichkeit. Anders kann es sich verhalten, wenn effektiver Rechtsschutz auf andere Weise nicht erzielbar ist. Mangels Unterlassungsanspruchs kommt aber auch dann nur eine einstweilige Verfügung nach § 940 ZPO in Betracht1232. 1224 Grundsätzlich befürwortend Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 389; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 123; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 92; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 87; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 263; Leuering in FS Bergmann, 2018, S. 457, 461; ablehnend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 202; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 55. 1225 OLG Koblenz v. 27.2.1986 – 6 U 261/86, GmbHR 1986, 428 = ZIP 1986, 503. 1226 OLG Koblenz v. 25.10.1990 – 6 U 238/90, GmbHR 1991, 21; zust. Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 123. 1227 OLG Düsseldorf v. 18.5.2005 – 15 U 202/04, NZG 2005, 633; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 263. 1228 OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 65/91, GmbHR 1991, 467 m. Anm. Karsten Schmidt. 1229 OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 65/91, GmbHR 1991, 467 m. Anm. Karsten Schmidt; LG Mainz v. 19.12.1989 – 10 HO 65/89, GmbHR 1990, 513; Damm, ZHR 154 (1990), 434 f.; Schmidt-Diemitz, S. 68; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 389 ff.; Raiser/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 264; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 608; Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 123; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 53; Liebscher/Alles, ZIP 2015, 1, 3; Lieder/Becker, GmbHR 2019, 505, 507; anders wohl KG v. 8.7.1996 – 23 W 2352/96, GmbHR 1997, 175. 1230 OLG München v. 20.7.1998 – 23 W 1455/98, GmbHR 1999, 718. 1231 LG Berlin v. 26.5.1994 – 104 O 19/94, AG 1995, 41. 1232 In gleicher Richtung wohl OLG Brandenburg v. 19.12.2018 – 7 U 152/18, GmbHR 2019, 234, 236; Winter in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 58 ff.; Altmep-

848 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 185 § 45

VI. Fehlerhafte Beschlüsse von Kollektivorganen Schrifttum: Vgl. vor Rz. 6; Bayer/Selentin, Einstweiliger Rechtsschutz nach erfolgter Zwangseinziehung des GmbH-Geschäftsanteils, in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 391; Damm, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, ZHR 154 (1990), 434; Hölters, Der Beirat in der GmbH – Verantwortlichkeit, Haftung und Rechtsschutz, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes, BB 1977, 109; Koch, Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit? Auf der Suche nach einem rechtsformübergreifenden Sortiermechanismus, ZHR 182 (2018), 378; Leuering, Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Ausführung noch zu fassender Gesellschafterbeschlüsse, in FS Bergmann, 2018, S. 457; Liebscher/ Alles, Einstweiliger Rechtsschutz im GmbH-Recht, ZIP 2015, 1; Lieder/Becker, Zwangseinziehung und einstweilige Verfügung, GmbHR 2019, 505; Schmidt-Diemitz, Gesellschafterkonflikte in der GmbH, in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 79; Verhoeven, Nochmals – Minderheitenschutz und Beirat in der GmbH, BB 1978, 337; Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, 1981; Werner, Der fehlerhafte Beiratsbeschluss, GmbHR 2015, 577.

1. Das Problem Das Gesetz enthält für die Beschlüsse eines Aufsichtsrats, eines Beirats oder einer mehrköpfi- 184 gen Geschäftsführung keine Regeln. Noch weniger als bei den Gesellschafterbeschlüssen kann deshalb erwartet werden, dass das Gesetz die Behandlung rechtswidriger Beschlüsse klärt. 2. Die herrschende Auffassung Nach der wohl vorherrschenden Auffassung können die Grundsätze über fehlerhafte Be- 185 schlüsse nicht auf alle Gremienentscheidungen, wohl aber auf diejenigen Beschlüsse übertragen werden, die das Kollektivorgan an Stelle der Gesellschafter fasst, weil ihm Gesellschafterzuständigkeiten übertragen worden sind1233. Das kann z.B. für einen die Gesellschafterzuständigkeit verdrängenden Gesellschafterausschuss oder Beirat gelten. Dagegen sollen diese Regeln nicht auch für solche Beschlüsse gelten, die das Kollektivorgan in originärer Zuständigkeit fasst1234. Im Einzelnen sind diese Fragen noch überaus streitig1235. Die zum Aktienrecht ergangene ständige Rechtsprechung, in der eine entsprechende Anwendung der §§ 241 ff. AktG auf fehlerhafte Beschlüsse des Aufsichtsrats abgelehnt wird1236, wird von der

1233

1234 1235 1236

pen, Anh. § 47 Rz. 123; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 87; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 263; Leuering in FS Bergmann, 2018, S. 457, 461; Bayer/Selentin in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 391 ff.; ablehnend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 202; Drescher in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 246 AktG Rz. 55. BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 265 = GmbHR 1965, 111; OLG Düsseldorf v. 11.3.1982 – 6 U 174/81, GmbHR 1983, 124 = ZIP 1982, 694; OLG Schleswig v. 20.2.2003 – 5 U 29/02, GmbHR 2003, 843 = EWiR 2003, 419 (Hirte/Roth); s. auch BGH v. 27.5.1982 – III ZR 157/80, BGHZ 84, 209 = NJW 1984, 1038 = WM 1984, 955 (für bergrechtliche Gewerkschaft); OLG Düsseldorf v. 1.7.2011 – 17 U 122/10, GmbHR 2012, 1363; Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 387; Spindler in MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 771; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 49 Rz. 22; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 52 Rz. 81; Henssler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 52 GmbHG Rz. 21; Hölters, BB 1977, 109; a.M. Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 208; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 625; Werner, GmbHR 2015, 577, 579; einschr. auch Verhoeven, BB 1978, 337. Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 388; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 206; Henssler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 52 GmbHG Rz. 21; Spindler in MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 771. Eingehend und kritisch zur h.M. Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, 1981, S. 191 ff.; s. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 208. BGH v. 17.5.1993 – II ZR 89/92, BGHZ 122, 342 = AG 1993, 464 = ZIP 1993, 1079; BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 114; BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135,

Karsten Schmidt/Bochmann | 849

§ 45 Rz. 185 | Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse wohl h.M. auf die GmbH übertragen (12. Aufl., § 52 Rz. 459 ff.)1237. Konzediert wird allerdings, dass die Nichtigkeit eines Beschlusses nicht unbeschränkt geltend gemacht werden darf1238. Speziell über Aufsichtsratsbeschlüsse vgl. 12. Aufl., § 52 Rz. 459 ff. 3. Stellungnahme 186 Eine Stellungnahme muss zwischen den unterschiedlichen Funktionen der Anfechtungsklage

unterscheiden: Diese Klage hat zum einen negatorische, zum anderen kassatorische Funktion (Rz. 46). a) Funktion als Abwehrklage 187 Eine Abwehrklage eines Gesellschafters gegen rechtswidrige Entscheidungen und Maßnah-

men von Gesellschaftsorganen muss auch in diesem Bereich zugelassen werden. Soweit es sich um Maßnahmen handelt, die materiell zur Geschäftsführung gehören, ist eine Anfechtung im technischen Sinne überflüssig1239, nicht aber ein Rechtsschutz des Gesellschafters. Wenn und solange ein Beschluss oder eine Maßnahme rechtswidrig ist, kann dies von den Gesellschaftern durch Klage geltend gemacht werden, die gegen die Gesellschaft zu richten ist1240. Das Holzmüllerurteil des BGH1241 ist auch bezüglich dieser Abwehrfunktion wegweisend und durch das Gelatine-Urteil1242 nicht überholt1243. Als Klagarten kommen insbesondere die Unterlassungsklage und die Feststellungsklage in Betracht, ggf. auch die Beseitigungsklage. Klagebefugt sind Aufsichtsratsmitglieder, Gesellschafter und Geschäftsführer (12. Aufl., § 52 Rz. 465). b) Funktion als Gestaltungsklage 188 Hiervon ist die Frage zu unterscheiden, ob es neben nichtigen auch anfechtbare Beschlüsse

in dem Sinne gibt, dass die Rechtswidrigkeit eines anfechtbaren Beschlusses nur durch rechtzeitige Anfechtung und nur im Wege der Gestaltungsklage geltend gemacht werden kann (Anfechtungsklagebedürfnis nach Rz. 123)1244. Allgemein kann das nicht bejaht werden. Ob eine Analogie zu §§ 243 ff. AktG trägt, wenn der Beschluss eines Gremiums an die Stelle eines Gesellschafterbeschlusses treten soll, wie dies die h.M. annimmt (Rz. 185), ist zweifelhaft. Entweder nämlich führt dies zu unerwünschter Rechtsunsicherheit, weil das Abgrenzungskriterium unklar ist1245, oder aber, wenn man den Katalog des § 46 zugrunde legt, zu

1237

1238 1239 1240 1241 1242 1243 1244 1245

244, 247 = NJW 1997, 1926; OLG Naumburg v. 30.9.1998 – 2 U 127/96, NZG 1999, 317, 318 = GmbHR 1999, 818; Giedinghagen in Michalski u.a., § 52 Rz. 374; Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 241 AktG Rz. 97; vgl. de lege ferenda Koch, ZHR 182 (2018), 378, 406 ff. Vgl. nur Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 52 Rz. 95; Altmeppen, § 52 Rz. 46 f.; Spindler in MünchKomm. GmbHG, § 52 Rz. 574; Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 81 ff.; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 625; Werner, GmbHR 2015, 577, 578 f.; a.M. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 52 Rz. 96. Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 207; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 52 Rz. 95; Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 84; Werner, GmbHR 2015, 577, 578. Hierzu übereinst. Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, 1981, S. 195. Darauf, ob der Beschluss subjektive Rechte begründet, kommt es hierfür nicht an (dies zu Wertenbruch in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 47 Rz. 388). BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122. BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30. Vgl. auch BGH v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, BGHZ 220, 354 Rz. 43 = GmbHR 2019, 528. Das erkennen Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, 1981, S. 193, und Verhoeven, BB 1978, 337. Vgl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 208.

850 | Karsten Schmidt/Bochmann

Gesellschafterbeschlüsse/fehlerhafte Beschlüsse | Rz. 188 § 45

einem unerwünschten Formalismus1246. Zu eng ist es allerdings, wenn das Anfechtungserfordernis auf Grundlagenentscheidungen begrenzt wird1247. Wenn die rechtssichernde Technik der Anfechtungsklage entgegen der h.M. ins Spiel kommen soll, kann zwischen Maßnahmen und konstitutiven Entscheidungen unterschieden werden. Überall da, wo der Beschluss rechtsverbindlich (insbesondere: rechtsgestaltend) in dem Sinne sein soll, dass er subjektive Rechte begründet, verändert oder aufhebt, bedarf es der Anfechtung. Es kommt also, wenn das Gremium Beschlüsse nach § 46 Nr. 1–8 fällen soll, darauf an, ob diese Beschlüsse in gleicher Weise bindend sein sollen wie diejenigen einer Gesellschafterversammlung (dazu Rz. 8 ff.). Dies ist eine Frage der Satzungsauslegung und wird vermutet, wenn auch ein Gesellschafterbeschluss über diesen Gegenstand Konstitutivwirkung hat. Insbesondere gilt dies in den Fällen der folgenden Bestimmungen: § 46 Nr. 1–7, § 15 Abs. 5, § 52 i.V.m. § 101 AktG1248, nicht ohne weiteres allerdings im Fall des § 46 Nr. 8 (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 143). Soweit es hiernach der Anfechtung bedarf, ist richtiger Beklagter nur die Gesellschaft1249. Das bei Rz. 148 Gesagte gilt sinngemäß. Es muss dann für die Anfechtung eines solchen Beschlusses die angemessene Anfechtungsfrist (Rz. 141) gewahrt werden1250. Diese Frist beginnt nach Auffassung des OLG Düsseldorf1251, wenn der Beschluss den Gesellschaftern nach dem Vertrag besonders mitzuteilen ist, erst mit der vertragsmäßigen Mitteilung des Beschlusses, und zwar auch für einen Gesellschafter, der bereits vor der Mitteilung Kenntnis von dem Beschluss hatte. Dies ist in der Tat die im Regelfall naheliegende (nicht etwa generell zwingende) Auslegung. Allerdings kann es auch ohne die Mitteilung des Beschlusses schon zum Rügeverzicht oder Rügeverlust (Rz. 138 ff.) kommen.

1246 Vgl. auch die Kritik von Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, 1981, S. 194 f. 1247 In diesem Sinne wohl Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, 1981, S. 196. 1248 Vgl. auch Schilling/Zutt in Hachenburg, 7. Aufl., Anh. § 47 Rz. 227. 1249 Vgl. Hölters, BB 1977, 109. 1250 Vgl. OLG Düsseldorf v. 11.3.1982 – 6 U 174/81, GmbHR 1983, 124 = ZIP 1982, 694. 1251 OLG Düsseldorf v. 11.3.1982 – 6 U 174/81, GmbHR 1983, 124 = ZIP 1982, 694.

Karsten Schmidt/Bochmann | 851

Anhang § 45 Gesellschafterversammlung und Gesellschafterkompetenzen in der GmbH & Co. KG I. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beschlüsse in der GmbH 1. Modifikation der GmbH-Versammlung unter Berücksichtigung der Unternehmensträgerschaft der KG . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlerhafte Beschlüsse in der Komplementär-GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschlüsse in der KG 1. Gesellschafterzuständigkeiten in der KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesellschafterbeschlüsse nach dem Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

2 14

16 20 30

4. Das Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fehlerhafte Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Schaffung einer Einheitsversammlung 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesellschaft ohne Gesellschafteridentität 3. Gesellschaft mit Gesellschafteridentität . 4. Einheitsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Repräsentativverfassung in der GmbH & Co. KG 1. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlerhafte Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . .

39 48

55 56 57 58

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Schrifttum: Altmeppen, Kernbereichslehre, Bestimmtheitsgrundsatz und Vertragsfreiheit in der Personengesellschaft, NJW 2015, 2065; Bacher/v. Blumenthal, Die Stimmenthaltung bei Beschlüssen in Personen- und Kapitalgesellschaften, GmbHR 2019, 261; Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 12. Aufl. 2018; Eickhoff, Die Praxis der Gesellschafterversammlung bei GmbH und GmbH & Co. KG, 4. Aufl. 2006; Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse in Personengesellschaften, Wien 1995; Flume, Die Personengesellschaft, 1977; Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Hdb. GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020; Hadding, Mehrheitsbeschlüsse in der Publikums-KG, ZGR 1979, 636; Heckschen/Bachmann, Mehrheitsklauseln bei Personengesellschaften, NZG 2015, 531; Holler, Grenzen der Mehrheitsmacht in Personengesellschaften, DB 2008, 2067; Horst, Geschäftsführung, Vertretung und Beschlussfassung bei Personenhandelsgesellschaften, 1981; Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 39; A. Hueck, Gesellschafterbeschlüsse bei der offenen Handelsgesellschaft, in FS Heymann, Bd. I, 1931, S. 700; Immenga, Die Minderheitsrechte des Kommanditisten, ZGR 1974, 385; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personengesellschaften, 1933; Kleindiek, Mehrheitsentscheidungen in der Personengesellschaft, GmbHR 2017, 674; Klöhn, Minderheitenschutz im Personengesellschaftsrecht, AcP 216 (2016), 281; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970, S. 85 ff., 102 ff., 176 ff.; Max Noack, Adieu, „Feststellungsmodell“, bonjour „Anfechtungsmodell“ – über den Systemwechsel im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften, ZIP 2020, 1382; Priester, Eine Lanze für die Kernbereichslehre, NZG 2015, 529; Reichert, GmbH & Co. KG, 7. Aufl. 2015; Gummert/Weipert (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts (MünchHdb. GesR), Bd. II: Kommanditgesellschaft, GmbH & Co. KG, Publikums-KG, Stille Gesellschaft, 5. Aufl. 2019; Schäfer, Vom Einstimmigkeitsprinzip zum treupflichtgetragenen Mehrheitsentscheid im Personengesellschaftsrecht, ZGR 2013, 237; Schiffer, Mehrheitsentscheidungen in der Personengesellschaft, BB 2015, 584; Karsten Schmidt, Mehrheitsklauseln in GmbH & Co.-Verträgen: Verständnis oder Missverständnis des „Bestimmtheitsgrundsatzes“?, ZHR 158 (1994), 205; Karsten Schmidt, Zur Binnenverfassung der GmbH & Co. KG, in FS Röhricht, 2005, S. 511; Karsten Schmidt, Mehrheitsbeschlüsse in Personengesellschaften, ZGR 2008, 1; Karsten Schmidt, Die GmbH & Co. KG als Lehrmeisterin im Recht der Personengesellschaften, JZ 2008, 425; H. Schneider/Uwe H. Schneider, Die Organisation der Gesellschafterversammlung bei Personengesellschaften, in FS Möhring, 1975, S. 271; Sudhoff, Rechte und Pflichten des Kommanditisten, 3. Aufl. 1986; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 189; Teichmann in GmbH-Reform, 1970, S. 59; Ulmer, Gesellschafterbeschlüsse in Personengesellschaften, in FS Niederländer, 1991, S. 415; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986; Weipert, Stimmrecht, in MünchHdb. GesR II, 5. Aufl. 2019, § 14; Wertenbruch, Geschäftsführungsbezogene Gesellschafterbeschlüsse in KG und GmbH & Co. KG, NZG 2016, 1081; Wertenbruch, Ansprüche des Kommanditisten auf Einberufung der Gesellschafterversammlung und Ergänzung der Tagesordnung, NZG 2018, 1121; H.P. Westermann in Hdb. Personengesellschaften, Rz. I 472 ff.; Wiede-

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 2 Anh. § 45 mann, Mehrheitsbeschlüsse und Gesellschafterschutz in Personengesellschaften, in FS Hopt, Band II, 2010, S. 1491. S. auch vor Rz. 20, vor Rz. 48.

I. Übersicht In der GmbH & Co. KG gelten die §§ 45 ff. unmittelbar nur für die Willensbildung der 1 (Komplementär-)GmbH – bei der typischen GmbH & Co. KG also für die Willensbildung der Komplementärin –, nicht für die Willensbildung der Kommanditgesellschaft als Personengesellschaft, die als Unternehmensträgerin fungiert. Die Beschlussfassung der Gesellschafter einer Personengesellschaft ist in § 119 HGB nur fragmentarisch geregelt. Das Innenrecht der GmbH & Co. KG unterliegt weitgehender Gestaltungsfreiheit. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Einfluss der GmbH & Co. KG-Struktur auf die Willensbildung in der GmbH (Rz. 2 ff.) und den um die Gesellschafterversammlung der GmbH & Co. KG – praktisch also der Kommanditgesellschaft – kreisenden Fragen (Rz. 16 ff.). Ausgangspunkt ist die klare Unterscheidung zweier getrennter Gesellschaften mit je eigenen Organen1. Auch bei der Einladung zu Gesellschafterversammlungen sowie bei der Beschlussfassung und -protokollierung sollte hierauf genau geachtet werden (vgl. aber Rz. 26). Aber das Hauptproblem liegt in der sinnvollen Verknüpfung dieser voneinander verschiedenen Rechtsträger. Sonderprobleme ergeben sich bei einer Einheitsverfassung, insbesondere bei der sog. Einheitsgesellschaft (Rz. 55 ff.), und bei einer Repräsentativverfassung, insbesondere durch einen Beirat (Rz. 62 f.). Leitbild für diese Verknüpfung ist in starkem Maße das GmbH-Recht2, denn typischerweise ist die GmbH & Co. KG eine nach GmbH-typischen Regeln lebende Mitunternehmerschaft (§ 15 EStG) und damit eine körperschaftlich gefärbte Personengesellschaft3. Die folgende Kommentierung legt die bei Erscheinen des vorliegenden Bandes im Jahr 2021 geltende Gesetzeslage zugrunde, wird aber im Zuge der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts zu erwartenden Änderungen nicht unberücksichtigt lassen.

II. Beschlüsse in der GmbH 1. Modifikation der GmbH-Versammlung unter Berücksichtigung der Unternehmensträgerschaft der KG Nach §§ 45 ff. entscheidet innerhalb der GmbH eine Gesellschafterversammlung (genauer: 2 die Gesamtheit der stimmberechtigten GmbH-Gesellschafter) als deren Organ. Für Grundlagenbeschlüsse in der GmbH, z.B. Satzungsänderungen, Umwandlungen und Unternehmensverträge (alles bezogen auf die GmbH!), sind die Gesellschafter allein zuständig4. Ist die Komplementärbeteiligung an einer Kommanditgesellschaft nicht vom satzungsmäßigen Unternehmensgegenstand gedeckt, so bedarf es hierfür der Zustimmung aller Gesellschafter der GmbH. Die Gesellschafter sind auch im Fall einer GmbH & Co. KG innerhalb der GmbH deren höchstes Organ mit Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung (zum Sonderfall der Einheitsgesellschaft vgl. Rz. 58 ff.). Der Grundsatz der Allzuständigkeit der Gesellschafter (12. Aufl., § 45 Rz. 5) gilt auch in einer Komplementär-GmbH5. Die Besonderheit besteht

1 Vgl. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 109/06, BB 2007, 1914 m. Anm. Gehrlein = GmbHR 2007, 1034 = ZIP 2007, 1658. 2 So auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 45 Rz. 149, wo dem Verfasser (in Fehldeutung der Ausführungen in der FS Röhricht) eine abweichende Ansicht unterstellt wird. 3 Näher Karsten Schmidt, JZ 2008, 425, 426. 4 Vgl. auch Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 25 ff. 5 Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 30.

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Anh. § 45 Rz. 2 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG darin, dass die GmbH Trägerin dieses Organs, die KG aber Trägerin des Unternehmens ist. In der typischen GmbH & Co. KG ist die Komplementär-GmbH nicht Herrin des Unternehmens, sondern Dienerin der Kommanditisten (Rz. 22)6. Nicht zuletzt deshalb ist trotz der konstruktiven Trennung beider Gesellschaften zu überlegen, inwieweit die Versammlung jedenfalls de facto einem Einheitsorgan „des Unternehmens“ angenähert werden kann (Rz. 58 f.). 3 a) Satzungsmäßige Modifikationen der §§ 45 ff. sind für die Komplementärin einer typi-

schen GmbH & Co. KG insofern zu erwägen, als sich die von den Gesellschaftern der GmbH zu treffenden Entscheidungen stets auf die KG als Unternehmensträgerin beziehen. Es kann sich eine Satzungsregelung empfehlen, nach der hinsichtlich der § 46 Nr. 1, 5, 6, 7, 8, § 47 Abs. 2, 4, § 49 Abs. 2, 3, § 50 Abs. 1 ausschließlich oder auch auf die Verhältnisse in der KG (nicht oder nicht nur der GmbH) abgestellt werden soll. Solche Regeln werden vor allem in der „klassischen“ (beteiligungsidentischen) GmbH & Co. KG in Betracht kommen, bei der alle Kommanditisten auch Gesellschafter der GmbH sind, deren Zweck sich auf die Beteiligung an einer einzigen KG beschränkt. Zur Frage eines Kommanditistenstimmrechts mit Bezug auf die Komplementär-GmbH vgl. Rz. 22. Zur Einheitsgesellschaft vgl. Rz. 59 f. 4 b) Enthält die GmbH-Satzung solche Regeln nicht, so kommen die Verhältnisse der KG bei

der Anwendung dieser Bestimmungen nur insoweit in Betracht, als sie sich reflexiv auf die maßgebende Rechtslage bei der GmbH auswirken. Da bei Gesellschafteridentität und Beschränkung der GmbH auf die Beteiligung an der KG die „Komplementärinteressen“ gegenüber den Unternehmensinteressen nicht verselbständigt sind7, nimmt eine solche Reflexwirkung breiten Raum ein8. Das gilt namentlich in den folgenden Belangen (Rz. 5–10)9: 5 aa) Bei Jahresabschluss und Ergebnisverwendung (§ 46 Nr. 1) sind die Beschlussgegenstän-

de zwischen GmbH und KG am klarsten geteilt. Reflexwirkungen hinsichtlich der Beteiligung an der KG und eines etwaigen Anspruchs der GmbH auf Ausschüttung eines Anteils am Jahresgewinn der KG sind zwar denkbar10, doch ist bei typischen GmbH & Co. KG-Gestaltungen die GmbH nicht am Gewinn der Kommanditgesellschaft beteiligt. Die Entscheidung der GmbH-Gesellschafter nach § 46 Nr. 1 betrifft allerdings nur den Bilanzfeststellungsund Gewinnverwendungsbeschluss der GmbH. Dieser kann auch auf Belassung von vorgetragenen GmbH-Gewinnen als Darlehen im Vermögen der KG bestehen. Ist, wie in der Vertragsgestaltung die Regel, die GmbH an den Ergebnissen der KG nicht beteiligt, sondern auf eine prozentuale Haftungsvergütung beschränkt, so schlagen sich KG-Gewinne und KG-Verluste nicht direkt in der GmbH-GuV nieder. 6 bb) Die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern (§ 46 Nr. 5) ist GmbH-Be-

schlussfassung, auch soweit die GmbH-Geschäftsführer gleichzeitig die Geschäftsführungsfunktionen in der KG für die Komplementär-GmbH wahrnehmen11. Insbesondere bei der Auswahl von Geschäftsführern oder bei ihrer Abberufung aus wichtigem Grund spielt aber die Wahrnehmung von Aufgaben in der Kommanditgesellschaft eine entscheidende Rolle

6 Eingehend Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511, 520 ff. 7 Krit. deshalb Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 1973, S. 235. 8 Zust. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.106; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 32 f. m.w.N. 9 Zust. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.106; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 33 ff. m.w.N. 10 Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 43. 11 Dazu eingehend Binz/Sorg, § 9; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.106 ff.; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 34 f.; Herschel, DB 1967, 2202; Britsch, Die Rechte der Kommanditisten bei der Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH, Diss. Mainz 1976; Schmidt-Ruthenbeck, Die rechtliche Behandlung von Kollisionen im rechtsgeschäftlichen Bereich zwischen GmbH- und KG-Recht in einer personalistischen GmbH & Co. KG …, Diss. Münster 1973, S. 185 ff.; Wertenbruch, NZG 2016, 1081, 1087.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 8 Anh. § 45

(zum Weisungsrecht der Kommanditisten in Geschäftsführungsfragen vgl. Rz. 17, 22, 26; zur Kommanditistenzuständigkeit in der Einheitsgesellschaft Rz. 60). Der Anstellungsvertrag eines Geschäftsführers kann mit der GmbH oder mit der KG geschlossen werden (12. Aufl., § 35 Rz. 301). In beiden Fällen, also auch ohne Abschluss eines Geschäftsführervertrags mit der KG kann aufgrund Beschlusses in der KG eine Geschäftsführervergütung aus dem KGVermögen angeordnet werden12. cc) Bei der Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung (§ 46 Nr. 6) schlagen sich KG- 7 Belange reflexiv nieder, weil die Interessen und Geschäftsführungsmaßnahmen der GmbH in der typischen GmbH & Co. KG keine anderen sind als diejenigen der KG13. Maßnahmen, die der Geschäftsführer „in der KG“ trifft oder treffen soll, trifft er auch „in der GmbH“, die überdies für sämtliche KG-Schulden haftet. Es liegt auf der Hand, dass sich die Überwachung des Geschäftsführers durch die Gesellschafter der GmbH in gleichem Maße auf die Belange der KG erstreckt wie die Tätigkeit des Geschäftsführers selbst (zum Weisungsrecht der Kommanditisten gegenüber der Komplementärin vgl. Rz. 17, 22; zur Entscheidungszuständigkeit in der Einheitsgesellschaft Rz. 59 f.). dd) Da die Entlastung der Geschäftsführer (§ 46 Nr. 5) in der Billigung der Geschäftsfüh- 8 rung besteht (12. Aufl., § 46 Rz. 89), wird die Entscheidung hierüber bei der GmbH & Co. KG mit Selbstverständlichkeit die auf die Kommanditgesellschaft bezogene Geschäftsführung mit umfassen. Da die Entlastung kein Generalbereinigungsvertrag ist (12. Aufl., § 46 Rz. 91), liegt hierin kein unzulässiger Vertrag zu Lasten der KG. Richtig ist allerdings, dass die Entlastung auch Schadensersatzansprüche präkludieren kann (12. Aufl., § 46 Rz. 93 ff.), doch betrifft dies zunächst nur die Ansprüche der GmbH (vgl. zu diesen § 43). Bei Schädigung des Unternehmens tritt der Schaden bei der KG als Unternehmensträgerin und nicht bei der GmbH ein, deren Geschäftsführer ihn herbeigeführt hat. Eine Einheitsbetrachtung, nach der der „mittelbare“ Geschäftsführer der KG wie ihr „unmittelbarer“ Geschäftsführer betrachtet würde14, entspräche den faktischen Verhältnissen, denn funktionell ist die typische GmbH & Co. KG eine Kommanditgesellschaft mit einem nach §§ 35 ff. bestellten (Dritt-)Geschäftsführer. Das gilt vollends bei der sog. Einheits-GmbH & Co. KG (vgl. zum Organisationsdurchgriff bei diesem Gesellschaftstyp Rz. 58)15. Diese Sichtweise entspricht aber nicht der vorherrschenden Auffassung. Auch im Auslegungswege kann eine direkte Vertragsverbindung zwischen dem Geschäftsführer und der KG, wenn sie nicht vereinbart ist, nicht unterstellt werden16. Eine konventionelle Konstruktion, mit der sich dasselbe Ergebnis erzielen lässt, ist die einer Schutzwirkung des Geschäftsführervertrags zugunsten der KG (12. Aufl., § 43 Rz. 443)17. Nach richtiger Auffassung hat nicht nur ein Geschäftsführervertrag Schutzwirkung zugunsten der Kommanditgesellschaft, sondern dasselbe gilt für die gesetzliche Organhaftung gemäß § 4318. Gläubigerin von Schadensersatzansprüchen ist insoweit die Kommanditgesellschaft. Auch aus unerlaubter Handlung haften die Geschäftsführer der KG19. Die

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Dazu auch Wertenbruch, NZG 2016, 1081, 1088 f. Zust. Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 45. So früher Herschel, DB 1967, 2202 ff. Näher Karsten Schmidt in FS Westermann, 2008, S. 1425. Vgl. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.34. BGH v. 12.11.1979 – II ZR 174/77, BGHZ 75, 321 = GmbHR 1980, 127 (Publikumsgesellschaft); BGH v. 24.3.1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326, 337 f. = GmbHR 1980, 179; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 49/80, GmbHR 1981, 191; BGH v. 17.3.1987 – VI ZR 282/85, NJW 1987, 2008 = GmbHR 1987, 304; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, DB 2013, 1954 = ZIP 2013, 1712; Binz/Sorg, § 9 Rz. 16 ff.; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.66; Karsten Schmidt, GesR, § 56 IV 3; Karsten Schmidt, GmbHR 1984, 279; Grunewald, BB 1981, 581. 18 Vgl. BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 Rz. 16 = GmbHR 2013, 1044 Rz. 16; Karsten Schmidt, GsR, § 56 IV 3 b. 19 Vgl. BGH v. 17.3.1987 – VI ZR 282/85, NJW 1987, 2008 = GmbHR 1987, 304.

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Anh. § 45 Rz. 8 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG Wirkung einer von den GmbH-Gesellschaftern beschlossenen Entlastung ist demgemäß zweifelhaft. Die Entlastung des Geschäftsführers durch die Gesellschafter der Komplementär-GmbH kann Ansprüche der KG nur insoweit präkludieren, als sich die KG und ihre Kommanditisten die Entscheidung der GmbH-Gesellschafter entgegenhalten lassen müssen20. Bei der personenidentischen, verzahnten GmbH & Co. KG (Rz. 26) wirkt deshalb eine mit einer für beide Gesellschaften hinreichenden Mehrheit beschlossene Entlastung des GmbH-Geschäftsführers auch gegen die KG (12. Aufl., § 46 Rz. 108). Die Tatsache allein, dass die GmbH gleichzeitig vertretungsberechtigte Gesellschafterin der KG ist, rechtfertigt dagegen keine direkte Entlastungswirkung gegen die KG, denn die Organvertretungsmacht der Komplementärin umfasst nicht die Generalbereinigung im Innenverhältnis (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 109)21. Zur Zuständigkeit der Kommanditisten in der Einheitsgesellschaft vgl. Rz. 60. 9 ee) Die Bestellung von Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigten (§ 46 Nr. 7)

kann sich de iure auf die GmbH beziehen, denn diese ist Kaufmann (§ 13 Abs. 3 GmbHG, § 6 HGB) und als solcher fähig zur Bestellung von Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten; ein Prokurist der GmbH kann sogar die GmbH & Co. KG als Vertreter-Vertreter bei Verkehrsgeschäften wirksam vertreten22. Die Bestellung eines Prokuristen durch die GmbH kann nach Lage des Falls (zugleich) als Vollmachterteilung (auch) für die KG ausgelegt werden (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 138)23. Doch wird das Registergericht auf Klarstellung bestehen. Zur Frage, ob ein Beschluss gemäß § 46 Nr. 7 erforderlich ist, wenn die GmbH einen KG-Prokuristen bestellt, vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 137. Zur Kommanditistenzuständigkeit in der EinheitsGmbH & Co. KG vgl. wiederum Rz. 60. Doch ist die Bestellung von Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten speziell für die GmbH in einer Nur-Komplementär-GmbH mangels eigenen Handelsgeschäfts nicht sinnvoll24. Regelmäßig werden Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte durch die Komplementär-GmbH für die KG als Unternehmensträgerin bevollmächtigt. 10 ff) Die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft aus der Gründung oder

Geschäftsführung sowie die Vertretung der Gesellschaft in Prozessen, die sie gegen die Geschäftsführer zu führen hat (§ 46 Nr. 8), betrifft nach dem Gesetz Ansprüche der GmbH. Eine Erstreckung der Beschlussfassung auf Ansprüche der Kommanditgesellschaft scheint möglich, soweit es um die Verantwortlichkeit der Geschäftsführer geht. Hiervon zu unterscheiden ist die Anwendung des § 46 Nr. 8 auf die Kommanditgesellschaft selbst (dazu 12. Aufl., § 46 Rz. 176). In der personenidentischen GmbH & Co. KG ohne Kapitalbeteiligung der GmbH wird die Gesellschafterversammlung auch über die Geltendmachung von Ansprüchen der KG gegen einen Geschäftsführer entscheiden können, sofern den Mehrheitserfordernissen auch in der Kommanditgesellschaft genügt ist (dazu Rz. 23 ff.)25. Analog § 46 Nr. 8 können die Kommanditisten für die Durchsetzung von Ersatzansprüchen Prozessvertreter bestellen (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 177)26. Im Gegensatz zu § 46 Nr. 8 ist aber die Beschlussfassung grundsätzlich nicht gesetzliche Voraussetzung der Inanspruchnahme der Geschäfts-

20 Vgl. auch Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.109 f. 21 Zust. Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 39. 22 Zust. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.134; der Sache nach zust. auch Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 36, der dem Text offenbar „prinzipielle“ und „rechtliche“ Bedenken gegen eine Vertreterbestellung durch die GmbH unterstellt und sich deshalb gegen eine hier nicht vertretene Auffassung abzugrenzen versucht. 23 Wie hier Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.134; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 36. 24 Der Sache nach wie hier Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 36 mit Abgrenzung gegen eine hier nicht vertretene Gegenansicht. 25 Zust. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.134; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 41. 26 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, NJW 2012, 1656, 1657 = GmbHR 2012, 638; zweifelnd wohl Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.134.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 15 Anh. § 45

führer durch die Kommanditgesellschaft; doch kann dies im KG-Vertrag vereinbart sein (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 176). Zur Frage, ob wenigstens bei der Einheitsgesellschaft die Kommanditisten an Stelle der GmbH-Gesellschafter beschließen, vgl. Rz. 58. c) § 49 Abs. 2 – Einberufungspflicht im Interesse der Gesellschaft – bezieht sich nach dem 11 Gesetz nur auf die GmbH; praktisch ändert das nicht viel, denn die GmbH ist als Komplementärin von den Interessen der KG reflexiv betroffen; also ist die GmbH-Versammlung einzuberufen, mit ihr aber aus allgemeinen Erwägungen auch die Versammlung der KG (vgl. näher 12. Aufl., § 49 Rz. 38). Zum Einberufungsrecht von Minderheitsgesellschaftern nach § 50 vgl. 12. Aufl., § 50 Rz. 36. d) Teilnahmerechte in der Versammlung der GmbH stehen den GmbH-Gesellschaftern, nicht 12 den Kommanditisten zu27. Die Frage fällt bei der personen- und quotenidentischen GmbH & Co. KG praktisch nicht ins Gewicht. Bei Gesellschaften mit je eigenem Gesellschafterkreis müssen deren unterschiedliche Beschlussorgane (Gesellschafterversammlungen) unterschieden werden. Über die Zulassung von Nicht-GmbH-Gesellschaftern zur Versammlung vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 20 ff. Ein Recht auf eine solche Zulassung von Nur-Kommanditisten zur GmbH-Versammlung wird man ohne Satzungsgrundlage im Allgemeinen nicht anerkennen können. Nur-Kommanditisten (also solche, die nicht auch Geschäftsanteile an der GmbH halten) haben kein Stimmrecht in der GmbH (12. Aufl., § 47 Rz. 14 ff.; zur Frage, ob es ihnen durch den Gesellschaftsvertrag übertragen werden kann, vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 20). Möglich sind schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarungen zugunsten der Kommanditisten (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 35 ff.). Zur Stimmrechtsausübung in der Einheits-GmbH & Co. KG vgl. wiederum Rz. 59. e) Die Stimmverbote nach § 47 Abs. 4 gelten unmittelbar nur für die GmbH-Stimmen. Bei 13 der Anwendung dieser Stimmverbote kann allerdings die Interessenverflechtung zwischen der GmbH und der KG zum Tragen kommen (dazu 12. Aufl., § 47 Rz. 183). Über den Ausschluss des Stimmrechts in der Komplementär-GmbH bei der Ausübung von Kommanditistenstimmrechten vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 164, 185.

2. Fehlerhafte Beschlüsse in der Komplementär-GmbH a) GmbH-Beschlüsse können auch in der GmbH & Co. KG nach allgemeinen Regeln fehler- 14 haft, insbes. anfechtbar sein (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 93 ff.)28. Die bloße Verletzung von Interessen der Kommanditgesellschaft oder der Kommanditisten macht einen Beschluss der Komplementär-GmbH nicht ohne weiteres anfechtbar. Er ist dies nur, wenn er gegen das Recht der GmbH, gegen die GmbH-Satzung oder gegen Treupflichten der GmbH-Gesellschafter verstößt, in denen sich allerdings Belange der KG niederschlagen können. Eine Anfechtungsklage ist dann gegen die GmbH zu richten (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 148). Anfechtungsberechtigt sind – solange es sich um reine GmbH-Beschlüsse handelt – nur die GmbHGesellschafter, nicht auch die Kommanditisten (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 127 f.)29. b) Eine andere Frage ist, ob ein rechtswidriger GmbH-Beschluss einen Eingriff seitens der 15 Komplementärin in die Interessen und Zuständigkeiten innerhalb der Kommanditgesellschaft darstellen kann. Die GmbH kann sich nicht nur gegenüber der KG oder gegenüber den Kommanditisten schadensersatzpflichtig machen, sondern es ist bei schweren Kompetenzübergriffen der Komplementär-GmbH auch an Klagrechte der Kommanditisten gegenüber der Kommanditgesellschaft oder ihrer Komplementär-GmbH zu denken. Das für das

27 Ebenso Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 118. 28 Ausführlich Liebscher in Reichert, § 18 Rz. 63 ff. 29 Liebscher in Reichert, § 18 Rz. 71.

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Anh. § 45 Rz. 15 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG Aktienrecht entwickelte Recht des Aktionärs zur mitgliedschaftlichen Abwehrklage30 ist Ausdruck eines allgemeinen verbandsrechtlichen Grundsatzes31. Dagegen können die Kommanditisten von ihrer Komplementär-GmbH nicht im Klagewege die Unterlassung einer einfachen Geschäftsführungsmaßnahme verlangen32. Während die Abwehrklage eines Aktionärs nach der Grundlagenentscheidung BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 (Holzmüller) notwendig gegen die AG und nicht gegen die handelnden Organe gerichtet werden muss, dürfte hier eine Klage sowohl gegen die KG (vertreten durch die Komplementär-GmbH) als auch gegen die GmbH in Betracht kommen, denn in der Kommanditgesellschaft sind die Kommanditisten nicht nur mit der Kommanditgesellschaft, sondern auch mit deren Leitungsorgan (der Komplementärin) durch ein Sonderrechtsverhältnis verbunden, weil dieses Leitungsorgan ihr Mitgesellschafter ist33.

III. Beschlüsse in der KG 1. Gesellschafterzuständigkeiten in der KG 16 a) Anders als im Regierungsentwurf für die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts

vorgesehen (§ 109 HGB-E), regelt das HGB in der geltenden Fassung Gesellschafterbeschlüsse in der Personengesellschaft nur fragmentarisch (Rz. 1) und bringt die gesetzlichen Regeln und ihre Abänderbarkeit für die KG nicht besonders zum Ausdruck34. Allgemein sagt das Gesetz von Personengesellschaften, dass die Gesellschafter über ungewöhnliche Geschäfte (§ 116 Abs. 2 HGB), über die Auflösung der Gesellschaft (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 HGB), über den Fortbestand der Gesellschaft nach ihrer Auflösung (vgl. § 144 HGB) sowie über die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Verletzung des gesetzlichen Wettbewerbsverbots (§ 113 Abs. 2 HGB, für die typische GmbH & Co. KG kaum praktisch) entscheiden. Für die Kommanditgesellschaft schränkt das HGB die Gesellschafterkompetenz im Geschäftsführungsbereich noch weiter ein (Rz. 17). Gemeinsames Vorgehen aller Gesellschafter wird außerdem für die Durchführung des gesetzlichen Ausschließungsverfahrens (§ 140 HGB) sowie (für die typische GmbH & Co. KG nicht bedeutsam) für das Verfahren zur Entziehung von Geschäftsführung und Vertretungsmacht vorausgesetzt (§§ 117, 127 HGB). Man wird bei der KG als Personengesellschaft von einer auf Grundlagenentscheidungen beschränkten gesetzlichen Allzuständigkeit der Gesellschafter sprechen können (zur unbeschränkten Allzuständigkeit in der GmbH vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 1; zur Einführung einer umfassenden Allzuständigkeit bei der GmbH & Co. KG vgl. Rz. 22). Durch den Gesellschaftsvertrag können die Zuständigkeiten der Gesellschafter erweitert oder beschränkt werden (Rz. 20 ff.). Bei der personenidentischen GmbH & Co. KG empfiehlt sich eine weitgehende Annäherung an das Recht der GmbH unter Einschluss der Allzuständigkeit der Gesellschafter mit umfassenden Weisungsrechten in Geschäftsführungsangelegenheiten (Rz. 22). Vollends gilt dies bei der sog. Einheits-GmbH & Co. KG (Rz. 58).

30 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 = LM Nr. 1 zu § 118 AktG m. Anm. Fleck; dazu Flume, JurP, § 8 V 4; Karsten Schmidt, GesR, § 21 V 3. 31 Karsten Schmidt, GesR, § 21 V 3; Grunewald, Die Gesellschafterklage in der Personengesellschaft und der GmbH, 1990. 32 BGH v. 11.2.1980 – II ZR 41/79, BGHZ 76, 160 = GmbHR 1981, 186; Karsten Schmidt, GesR, § 21 V 3b, § 47 V 1d; krit. Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1997, S. 547 ff.; Grunewald, DB 1981, 407 ff.; die BGH-Entscheidung verdient im grundsätzlichen Zustimmung, ist aber in casu zweifelhaft. 33 Über die Mitgliedschaft als Rechtsverhältnis sowohl zu der Gesellschaft als auch zu den Mitgesellschaftern vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 19 III. 34 Katalog der gesetzlichen Zuständigkeiten bei Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 33 f.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 18 Anh. § 45

b) Im Bereich der Geschäftsführung sind dagegen die Kommanditisten – anders als GmbH- 17 Gesellschafter – nach dem gesetzlichen Leitbild der Kommanditgesellschaft von der Mitwirkung ausgeschlossen (zu abweichenden Vertragsregeln vgl. Rz. 22). Selbst soweit es nicht um eine außergewöhnliche Maßnahme geht, gesteht das Gesetz den Kommanditisten nur Widerspruchsrechte und keine Weisungskompetenz zu (§ 164 HGB). Die h.M. verlangt aber für den Vollzug einer außergewöhnlichen Maßnahme eine Beschlussfassung der Gesellschafter35, während die Bestellung eines Prokuristen nicht von der Beschlussfassung der Kommanditisten abhängt (vgl. § 116 Abs. 3 HGB). Die früher herrschende Auffassung gestand den Kommanditisten sogar gegenüber der vom Komplementär vorzunehmenden Bilanzaufstellung nur ein Prüfungs- und Beanstandungsrecht nach § 166 Abs. 1 HGB und keine Bilanzfeststellungskompetenz zu36. Durchgesetzt hat sich aber spätestens seit den Urteilen BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263 = NJW 1996, 1678 = GmbHR 1996, 456 und BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 = GmbHR 2007, 437 = NJW 2007, 1685 (Otto) die Gegenansicht37, wonach die Kommanditisten – ganz wie etwa an der Geschäftsführung nicht beteiligte Komplementäre – für die Entscheidung über die Zustimmung zur Jahresbilanz als der Grundlage der Gewinnermittlung und für die Prüfung zuständig sind, ob sich die Bilanzansätze in dem Rahmen halten, der durch den Gesellschaftsvertrag und die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gesetzt ist (vgl. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 48)38. In der Realität der typischen GmbH & Co. KG (GmbH ohne eigene Wirtschaftsfähigkeit, ohne Kapitalanteil und ohne Stimmrecht) ist von einem Weisungsrecht der Kommanditisten gegenüber der Komplementärin auszugehen (vgl. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 119)39. § 164 HGB steht dem nicht entgegen40. Die GmbH führt zwar im Außenverhältnis die Kommanditgesellschaft, ist aber im Innenverhältnis an Weisungen der Kommanditisten gebunden, denen sie (wie der Geschäftsführer einer GmbH) bei strategisch bedeutsamen Geschäftsführungsmaßnahmen zur Vorlage verpflichtet ist. c) Für Vertragsänderungen sind alle Gesellschafter zuständig. Soweit nicht eine nach dem 18 Vorbild der GmbH auch hierüber mehrheitlich beschließende Gesellschafterversammlung eingerichtet ist (Rz. 23), sind einstimmige vertragsändernde „Beschlüsse“, selbst wenn sie in „Versammlungen“ gefasst werden, rechtlich nichts anderes als mehrseitige Verträge. Versammlungen und Förmlichkeiten sind nicht vorgeschrieben41, und die „Abstimmung“ erfolgt i.d.R. durch Erklärungen der Gesellschafter untereinander42. Der im Mauracher Entwurf für die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vorgesehene Vermutungsregel, wonach eine Mehrheitsklausel auch für Vertragsänderungen gelten sollte (§ 714 Satz 2 des Entwurfs), wurde nicht in den Regierungsentwurf übernommen. Der einstimmige „Be35 RGZ 158, 302, 305; Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 164 HGB Rz. 2; Weipert in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 164 HGB Rz. 6. 36 Vgl. m.N. OLG Hamburg v. 25.11.1982 – 6 U 60/82, ZIP 1983, 59, 62; Huber, S. 341; Horn in Heymann, 2. Aufl., § 167 HGB Rz. 2; Schilling in Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 167 HGB Rz. 3. 37 Grundlegend Buchwald, JR 1948, 65; P. Ulmer in FS Hefermehl, 1976, S. 207 ff.; zust. Karsten Schmidt, GesR, § 53 III 2; Casper in Staub, 5. Aufl., § 167 HGB Rz. 6 f. 38 Vgl. zum Stand nach BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263 = NJW 1995, 1678 = GmbHR 1996, 456; Mueller-Thuns in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 7.177 ff.; Ihrig in Reichert, § 24 Rz. 16; Scholz in Hdb. PersG, Rz. I 600; Weipert in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 164 HGB Rz. 13 ff.; Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 167 HGB Rz. 2 f.; Grunewald in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 167 HGB Rz. 2 ff.; Oetker in Oetker, 6. Aufl. 2019, § 167 HGB Rz. 10 f.; Borges in Heymann, 3. Aufl. 2020, § 167 HGB Rz. 18 ff.; Binz/Sorg, DB 1996, 969; Schulze-Osterloh, BB 1995, 2519; Priester, DStR 2008, 1386. 39 Karsten Schmidt in FS Westermann, 2008, S. 1425, 1430; Karsten Schmidt, JZ 2008, 425, 432. 40 A.M. Binz/Sorg, § 4 Rz. 2; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.48; Wertenbruch, NZG 2016, 1081, 1085, 1088 f. 41 Vgl. RGZ 128, 176; RGZ 163, 392; BGH, WM 1957, 1130. 42 RGZ 163, 392 f.

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Anh. § 45 Rz. 18 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG schluss“ kommt zustande, wenn die letzte Willenserklärung allen Mitgesellschaftern zugegangen ist43. Die Prozedur einer solchen Vertragsänderung kann sich aber, auch ohne besondere gesellschaftsvertragliche Regelung, nach Beschlussregeln vollziehen (Einladung, Antrag mit Bitte um allseitige Zustimmung). 19 d) Einstimmigkeitsprinzip und Mehrheitskompetenz. In der Kommanditgesellschaft – auch

im Fall einer GmbH & Co. KG – gilt nach dem Gesetz der Grundsatz der Einstimmigkeit (§ 119 Abs. 1 HGB und dazu Rz. 23). Diese müsste (theoretisch) die Komplementär-GmbH einschließen (die jedoch i.d.R. vom Stimmrecht ausgeschlossen ist). Über Mehrheitsklauseln im Gesellschaftsvertrag vgl. Rz. 23 f. Auch ohne eine solche Mehrheitsregelung kann die Auffassung der Gesellschaftermehrheit durchdringen, soweit sich für einzelne Kommanditisten Zustimmungspflichten aus der Treupflicht ergeben (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 113 f.). Zustimmungspflichten – auch hinsichtlich von Änderungen des Gesellschaftsvertrags – können sich hierbei ergeben, wenn eine den Gegenstand des Beschlusses bildende Entscheidung objektiv im Gesellschaftsinteresse dringend geboten und subjektiv dem widerstrebenden Gesellschafter zuzumuten ist44.

2. Gesellschafterbeschlüsse nach dem Gesellschaftsvertrag Schrifttum (vgl. zunächst vor Rz. 1): Authenrieth, Zur Ablösung des Bestimmtheitsgrundsatzes im Personengesellschaftsrecht, DB 1983, 1034; Dürrschmidt, Änderungen des Personengesellschaftsvertrags durch Mehrheitsentscheidung, JuS 1997, 15; Enzinger, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, Wien 1995; Robert Fischer, Gedanken über einen Minderheitenschutz bei den Personengesellschaften, in FS Barz, 1974, S. 33 = Robert Fischer, Gesammelte Schriften, 1985, S. 193; Giehl, Willensbildung in der Einheits-GmbH & Co. KG, MittBayNot 2008, 268; Gillot, Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereichslehre als Schranken gesellschaftsrechtlich begründeter Mehrheitskompetenz, 2003; Göbel, Mehrheitsentscheidungen in Personengesellschaften, Diss. Berlin 1990; Goette, Minderheitsschutz bei gesellschaftsrechtlicher Abweichung vom Mehrheitsprinzip, in FS Sigle, 2000, S. 145; Haas, Unternehmensfinanzierung in der Personengesellschaft zwischen Kernbereich und Mehrheitsmacht, NZG 2007, 601; Heid, Mehrheitsbeschluss und Inhaltskontrolle als Instrumentarien des Kapitalanlegerschutzes in der Publikums-GmbH & Co. KG, 1986; Heinrichs, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, 2006; Binge/Binz, Abschied vom Bestimmtheitsgrundsatz, DB 1983, 713; Hermanns, Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereichslehre, ZGR 1996, 103; Holler, Grenzen der Mehrheitsmacht in Personengesellschaften, DB 2008, 2067; Kort, Zulässigkeit und Grenzen von Mehrheitsklauseln in Personengesellschaftsverträgen, DStR 1993, 401, 438; Kraffel, Der Bestimmtheitsgrundsatz bei Mehrheitsklauseln in Personengesellschaftsverträgen, DStR 1996, 1130; Leenen, „Bestimmtheitsgrundsatz“ und Vertragsänderungen durch Mehrheitsbeschluss im Recht der Personengesellschaften, in FS Larenz, 1983, S. 371; Lockowandt, Stimmrechtsbeschränkungen im Recht der Personengesellschaften, 1995; Löffler, Der Kernbereich der Mitgliedschaft als Schranke für Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften, NJW 1989, 2656; Marburger, Abschied vom Bestimmtheitsgrundsatz im Recht der Personengesellschaften?, NJW 1984, 2252; Marburger, Zum „Verzicht“ auf den Bestimmtheitsgrundsatz in der Personengesellschaft, ZGR 1989, 146; Martens, Bestimmtheitsgrundsatz und Mehrheitskompetenzen im Recht der Personengesellschaften, DB 1973, 413; Mecke, Vertragsändernde Mehrheitsbeschlüsse in der oHG und KG, BB 1988, 2258; Menk, Das Verhältnis des Bestimmtheitsgrundsatzes zur Kernbereichslehre im Recht der oHG, Diss. Hamburg 1975; Priester, Mehrheitserfordernisse bei Änderung von Mehrheitsklauseln, NZG 2013, 321; 43 OGHZ 4, 69. 44 BGH v. 10.6.1965 – II ZR 6/63, BGHZ 44, 40, 41 f. = NJW 1965, 1960; BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253, 257 = NJW 1975, 1410; BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276, 279 = GmbHR 1986, 426 = NJW 1987, 189; BGH v. 7.12.1972 – II ZR 131/68, NJW 1973, 1602; BGH v. 18.3.1974 – II ZR 80/72, NJW 1974, 1656; BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, NJW 1995, 194, 195 = GmbHR 1995, 55; BGH v. 8.11.2004 – II ZR 350/02, NJW-RR 2005, 263 = NZG 2005, 129 = ZIP 2005, 25; Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 7; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 36 f.; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 164 ff.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 22 Anh. § 45 Priester, Eine Lanze für die Kernbereichslehre, NZG 2015, 529; Röttger, Die Kernbereichslehre im Recht der Personengesellschaften, 1989; Schäfer, Mehrheitserfordernisse bei Stimmrechtskonsortien, ZGR 2009, 768; Schießl, Zukunft des Bestimmtheitsgrundsatzes im Recht der Personengesellschaften, DB 1986, 735; Karsten Schmidt, GesR, § 16 II; Karsten Schmidt, Mehrheitsregelungen in GmbH & Co.-Verträgen, ZHR 158 (1994), 205; Karsten Schmidt, Zur Binnenverfassung der GmbH & Co. KG, in FS Röhricht, 2005, S. 511; Karsten Schmidt, Mehrheitsbeschlüsse in der Personengesellschaft, ZGR 2008, 1; Karsten Schmidt, Die GmbH & Co. KG als Lehrmeisterin im Recht der Personengesellschaften, JZ 2008, 425; Uwe H. Schneider, Die Änderung des Gesellschaftsvertrages einer Personengesellschaft durch Mehrheitsbeschluss, ZGR 1972, 357; Spengler, Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften und deren Schranken, in FS Möhring, 1965, S. 165; Weitemeyer, Der Bestimmtheitsgrundsatz im Recht der Personengesellschaften, in FS Kreutz, 2010, S. 905; Wertenbruch, Beschlussfassung in Personengesellschaft und KG-Konzern, ZIP 2007, 798; Wertenbruch, Quorumsabänderung und zweistufige Beschlusskontrolle ohne Bestimmtheitsgrundsatz, NZG 2013, 641; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, 1980, § 8 I; Winter, Vertragsändernde Mehrheitsbeschlüsse im Personengesellschaftsrecht, GesRZ 1986, 74.

a) Zuständigkeit. Die Beschlusszuständigkeiten der Gesellschafter unterliegen vertraglicher 20 Gestaltung. Vertragsregeln können sich sowohl auf die Zuweisung von Stimmrechten (Rz. 21) als auch auf die Gegenstände der Beschlussfassung (Rz. 22) als auch auf die Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen erstrecken (Rz. 23 ff.). Sachgerecht ist in vielen Fällen eine Anlehnung der Gesellschafterzuständigkeiten an die Rechtslage bei der GmbH. b) Teilnahmerecht und Stimmrecht. Zur Teilnahme an Gesellschafterversammlungen der 21 Kommanditgesellschaft und zur Stimmabgabe berechtigt sind grundsätzlich alle Mitglieder der Gesellschaft, also Komplementäre und Kommanditisten (vgl. Rz. 39). Nach § 119 Abs. 2 HGB zählen die Stimmen bei Mehrheitsentscheidungen im Zweifel nach Köpfen, doch ist dies wenig sachgemäß und wird i.d.R. abbedungen (Rz. 23). Wird nach Kapitalanteilen abgestimmt (Rz. 23) und hält die GmbH keinen Kapitalanteil, so besteht grundsätzlich gleichwohl ein Teilnahmerecht der Komplementär-GmbH, das von ihrem Geschäftsführer ausgeübt wird. Der KG-Vertrag kann die GmbH vom Stimmrecht ausschließen oder, wenn die GmbH am Gesellschaftsvermögen nicht beteiligt ist, das Stimmrecht an Kapitalanteile binden. Die letzte Regelung ist verbreitet und vielfach zweckmäßig (vgl. Rz. 23). Gegen einen Ausschluss der Komplementärin vom Stimmrecht45 bestehen jedenfalls bei der personenidentischen GmbH & Co. KG und im Fall einer Einheits-GmbH, bei der die Interessen der GmbH von den Kommanditisten wahrgenommen werden können, keine durchgreifenden Bedenken (Rz. 40 a.E.). Möglich ist auch der Ausschluss der Komplementär-GmbH vom Teilnahmerecht (Rz. 34). Üblicherweise wird ihr Geschäftsführer aber auch dann zur Versammlung in gleicher Weise zugezogen werden wie der Fremdgeschäftsführer einer GmbH (dazu 12. Aufl., § 48 Rz. 20). c) Zu regeln ist weiter der Umfang der Gesellschafterkompetenzen46. Diese werden zweck- 22 mäßigerweise über den gesetzlichen Umfang (vgl. soeben Rz. 16 f.) hinaus erweitert47. Da das Innenrecht der KG weitgehend dispositiv ist, ist es zulässig, die Kommanditisten, wie die Gesellschafter einer GmbH, mit Allzuständigkeit auszustatten und sie intern zum höchsten Organ der Kommanditgesellschaft zu erklären48. Im Gegensatz zur Rechtslage nach dem Handelsgesetzbuch (Rz. 17) können die stimmberechtigten Gesellschafter dann auch Weisungsbeschlüsse in Geschäftsführungsangelegenheiten fassen49. Der Gesellschaftsvertrag kann die Kompetenz der Versammlung enumerativ aufzählen; ausreichend ist aber auch eine Ge45 Dazu BGH v. 24.5.1993 – II ZR 73/92, GmbHR 1993, 591 = NJW 1993, 2100 = ZIP 1993, 1076; Binz/Sorg, § 4 Rz. 56; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.135. 46 Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 33; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.130 ff. 47 Nitschke, S. 85 ff.; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.133 ff. 48 Vgl. auch Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 66. 49 Zur Zulässigkeit einer solchen Kompetenzregel vgl. BGH v. 24.5.1993 – II ZR 73/92, NJW 1993, 2100 = GmbHR 1993, 591.

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Anh. § 45 Rz. 22 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG neralverweisung des Vertrags auf das Recht der GmbH50. Generalklauseln im KG-Gesellschaftsvertrag wie „In Angelegenheiten der Gesellschaft entscheidet die Gesellschafterversammlung“ sichern ein Mitwirkungsrecht bei Geschäftsführungsangelegenheiten. Zu bedenken ist jedoch, dass die typische Komplementär-GmbH ohne Kapitalanteil (Rz. 21) wie ein „angestellter Komplementär“ lediglich dienendes Organ der KG ist (Rz. 17)51. Auf dieser Grundlage steht den Kommanditisten ein ungeschriebenes Weisungsrecht gegenüber der Komplementär-GmbH zu (Rz. 17). Dieses schließt richtigerweise auch die Durchführung einer Sonderprüfung ein (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 119 a.E.; str.). Liegt eine personenidentische GmbH & Co. KG vor und ist die GmbH von der Teilnahme an der Versammlung und/oder vom Stimmrecht ausgeschlossen (vgl. Rz. 21), so kann davon ausgegangen werden, dass die Kommanditisten in der KG auch ohne ausdrückliche Regelung in den Gesellschaftsverträgen dieselben Zuständigkeiten ausüben wie in der GmbH, insbesondere auch Weisungsrechte gegenüber der Komplementär-GmbH bzw. ihrem Geschäftsführer haben. 23 d) Für die GmbH & Co. KG als Personengesellschaft gilt von Gesetzes wegen das Einstim-

migkeitsprinzip52. Sollen Mehrheitsbeschlüsse gefasst werden, so bedarf dies einer Regelung im Vertrag (vgl. § 119 Abs. 1 HGB). Eine gesellschaftsvertragliche Mehrheitsklausel begründet die formelle Legitimation der von ihr erfassten Mehrheitsentscheidungen (zu ihrer Einführung und Änderung durch Gesellschafterbeschluss vgl. Rz. 28 f.)53. Soll es auf Kapitalmehrheiten und nicht auf Kopfmehrheiten ankommen, so bedarf auch dies der Regelung (vgl. § 119 Abs. 2 HGB). Bei einer GmbH & Co. KG kann sich dieser Wille auch durch Interpretation ergeben, insbesondere durch Verweisungen des KG-Vertrags auf das GmbHG (vgl. Rz. 26). Klare Vertragsregelungen sind unbedingt anzuraten54. Vor allem ist darauf zu achten, ob im KG-Gesellschaftsvertrag bewegliche oder – Regelfall! – feste Kapitalanteile vereinbart sind. Geklärt werden sollte auch, ob die Mehrheit der abgegebenen, die Mehrheit der in der Versammlung vertretenen oder die Mehrheit der insgesamt vorhandenen Stimmen den Ausschlag geben soll. Im Anschluss an das allgemeine Recht der Personengesellschaften55 geht die h.M. davon aus, dass ein Mehrheitsbeschluss im Zweifel die Stimmenmehrheit aller stimmberechtigten Gesellschafter erfordert56. Dem typischen Willen der Gründer einer GmbH & Co. KG entspricht i.d.R. ein Verständnis des KG-Vertrags, das Mehrheitsbeschlüsse in gleicher Weise zulässt wie in der GmbH. Das Gesamtbild der typischen GmbH & Co. KG spricht für eine Orientierung am GmbH-Modell, hier also an § 47 Abs. 1, und für eine Gewichtung der Stimmen nach Festkapitalanteilen. Deshalb wird man – anders als sonst bei Personengesellschaften – bei einer mit der GmbH verzahnten (personenidentischen) Kommanditgesellschaft keine übertriebenen Anforderungen an eine Mehrheitsregelung stellen dürfen. Das gilt vor allem dann, wenn die Kommanditgesellschaft schon von den Verfassern des KG-Vertrages auf die Bildung einer personenidentischen GmbH & Co. KG und auf die simultane Fassung von GmbH- und KG-Beschlüssen zugeschnitten ist. Jedenfalls genügt die Schaffung einer Einheitsversammlung (Rz. 55 ff.) oder die Verweisung des KG-Vertrags auf die für die GmbH geltenden Regeln (vgl. Rz. 26). Im Übrigen wird es auf die Umstände des Einzelfalls ankommen, insbesondere darauf, inwieweit der KG-Vertrag durch das Vorbild

50 Zust. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.123. 51 Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511, 525 ff.; Karsten Schmidt, JZ 2008, 425, 432. 52 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 354 = NJW 1983, 1056, 1057 = GmbHR 1983, 297; OLG Hamm v. 26.10.1988 – 8 U 21/88, GmbHR 1989, 295; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/ Mueller-Thuns, Rz. 4.155. 53 BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13, 21 Rz. 16, 25 = GmbHR 2009, 306 = ZIP 2009, 216; dazu Karsten Schmidt, ZIP 2009, 737, 741. 54 Wie hier auch Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 70, 185. 55 Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 16; Nitschke, S. 92. 56 Vgl. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.156; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 192; H. Schneider/Uwe H. Schneider in FS Möhring, 1975, S. 282.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 24 Anh. § 45

der GmbH geprägt ist. Klare Regelung im Gesellschaftsvertrag muss aber das Gebot der vertragsgestaltenden Praxis bleiben57. Durch sie werden Rechtsstreitigkeiten und Prozessrisiken minimiert. e) aa) Mehrheitsregelungen unterlagen nach langjähriger Rechtsprechung einem Bestimmt- 24 heitsgrundsatz58. Der Bestimmtheitsgrundsatz wurde z.B. angewandt bei Kapitalerhöhungen59, bei Änderungen der Gewinnverteilung und Verzinsung60, bei der Änderung der Rücklagenpraxis61, bei der Gestattung von Entnahmen62, bei einer Umwandlung der Gesellschafterstellung63, bei Auflösungsbeschlüssen bzw. Teil-Liquidationsbeschlüssen64, bei Fortsetzungsbeschlüssen65 oder bei einer Änderung der Kündigungsfolgen66. Nur eingeschränkt angewendet wurde der Bestimmtheitsgrundsatz allerdings im Bereich der Publikumsgesellschaften67 und der sonstigen körperschaftlich strukturierten Gesellschaften68, wofür es freilich nicht ausreichen sollte, dass sich die Zahl der Kommanditisten durch Erbgänge nachträglich vermehrt hat69. Diese Einschränkungen sind für das moderne Verständnis des Bestimmtheitsgrundsatzes als einer durch Auslegung präzisierbaren Ermächtigungsregel (Rz. 25) zweifelhaft geworden70. Der richtig verstandene Bestimmtheitsgrundsatz ist nicht durch den Gesellschaftsvertrag abdingbar71. Die gegenteilige Auffassung im Urteil BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/ 86, GmbHR 1988, 20 = NJW 1988, 411 = WM 1987, 1102 = ZIP 1987, 1178 beruht auf dem hier kritisierten überholten (Miss-)Verständnis des Grundsatzes (vgl. Rz. 25). Es kann stets – und konnte auch im Fall des BGH – nur um die Frage gehen, ob die in Rede stehende Ver57 Wie hier Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 185. 58 BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35 = NJW 1953, 102; BGH v. 13.7.1967 – II ZR 72/67, BGHZ 48, 251 = NJW 1967, 2157; BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 = GmbHR 2007, 437 = NJW 2007, 1685 = ZIP 2007, 475 – Otto; dazu Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1 ff.; Überblick bei Binz/Sorg, § 13 Rz. 67 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 16 II 2; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 186; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 517; Wiedemann, GesR II, 2004, § 4 I 3; Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 37 ff.; Goette in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 119 HGB Rz. 49 ff.; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 11; Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 17 ff.; Hadding/Kießling in Soergel, 13. Aufl. 2011, § 709 BGB Rz. 39; Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 206; Weitemeyer in FS Kreutz, 2010, S. 905 ff. 59 RGZ 91, 166, 168. 60 BGH, WM 1975, 662 f.; BGH v. 10.5.1976 – II ZR 180/74, BB 1976, 948 = GmbHR 1976, 948; BGH v. 5.11.1984 – II ZR 111/84, GmbHR 1985, 152 (einschr.); BGH v. 29.9.1986 – II ZR 285/85, NJWRR 1987, 285, 286 = WM 1986, 1556, 1557; OLG Hamm v. 21.11.1977 – 8 U 7/77, BB 1978, 120 f. 61 BGH v. 10.5.1976 – II ZR 180/74, WM 1976, 661, 662 = GmbHR 1976, 158. 62 BGH v. 2.6.1986 – II ZR 169/85, NJW-RR 1986, 1417, 1418. 63 OLG Düsseldorf v. 10.12.1982 – 3 W 217/82, BB 1983, 459. 64 OLG Hamm v. 26.10.1988 – 8 U 21/88, GmbHR 1989, 295. 65 BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35. 66 BGH v. 13.7.1967 – II ZR 72/67, BGHZ 48, 251. 67 BGH v. 24.11.1975 – II ZR 89/74, BGHZ 66, 82, 85 f.; BGH v. 12.5.1977 – II ZR 89/75, BGHZ 69, 160, 165 f.; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 63/77, BGHZ 71, 53, 58 f. = JZ 1978, 610 m. Anm. Wiedemann; weitere Nachweise bei Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 86, 94. 68 BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350 = GmbHR 1983, 297 = NJW 1983, 1056 = JZ 1983, 556 m. Anm. Wiedemann. 69 BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, GmbHR 1988, 20 = NJW 1988, 411 = WM 1987, 1102 = ZIP 1987, 1178. 70 Karsten Schmidt, GesR, § 16 II d bb; Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1, 13; Weitemeyer in FS Kreutz, 2010, S. 905. 71 Karsten Schmidt, GesR, § 16 II 2e; Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 219 f.; Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 23; Marburger, ZGR 1989, 153; vgl. auch Westermann in Hdb. PersG., Rz. I 523; a.M. BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, GmbHR 1988, 20 = NJW 1988, 411 = WM 1987, 1102 = ZIP 1987, 1178; unentschieden noch BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 357 = GmbHR 1983, 297 = NJW 1983, 1056 = JZ 1983, 556 m. Anm. Wiedemann.

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Anh. § 45 Rz. 24 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG tragsklausel im Lichte des Bestimmtheitsgrundsatzes einen Beschlussgegenstand deckt72. Ist dies der Fall, so ist der Bestimmtheitsgrundsatz nicht abbedungen, sondern gewahrt. 25 bb) Die Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes wurde im Schrifttum verschiedentlich be-

stritten73 und vom BGH mehrfach unentschieden gelassen74. Seit dem Urteil vom 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 gilt das Bestimmtheitserfordernis als aufgegeben75. Nach den Leitsätzen dieses Urteils kommt es nur darauf an, ob „die Auslegung des Gesellschaftsvertrags nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen ergibt, dass dieser Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll. Dem früheren Bestimmtheitsgrundsatz kommt für die formelle Legitimation einer Mehrheitsentscheidung keine Bedeutung mehr zu. Er ist bei der Auslegung auch nicht in Gestalt einer Auslegungsregel des Inhalts zu berücksichtigen, dass eine allgemeine Mehrheitsklausel restriktiv auszulegen ist oder sie jedenfalls dann, wenn sie außerhalb eines konkreten Anlasses vereinbart wurde, Beschlussgegenstände, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen oder ungewöhnliche Geschäfte beinhalten, regelmäßig nicht erfasst.“ Damit steht fest, dass eine Berufung auf den Bestimmtheitsgrundsatz in der forensischen Praxis, z.B. bei der Begründung einer Anfechtungsklage, nicht mehr zielführend sein kann. Ob es den Bestimmtheitsgrundsatz „gibt“ oder „nicht gibt“, ist damit nicht entschieden. Die Bestimmtheitsdiskussion ist teilweise nur terminologischer Natur76. Das „Otto“-Urteil vom 15.1.2007 hatte die Geltung des Grundsatzes zwischenzeitlich bestätigt und zugleich die Bedeutung des Bestimmtheitserfordernisses richtiggestellt77. Die nachfolgende Rechtsprechung78 nannte den Grundsatz nicht mehr. Sie entsprach, wie schon das „Otto“-Urteil, sachlich der hier vertretenen Ansicht79. Es gibt kein Bestimmtheitserfordernis als Wirksamkeitserfordernis für Mehrheitsklauseln, vielmehr handelt der sog. Bestimmtheitsgrundsatz nur von deren Reichweite. Als Maxime der Vertragsgestaltung besagt der Grundsatz, dass sich der Umfang möglicher Mehrheitsbeschlüsse mit hinreichender Bestimmtheit aus der Vertragsregelung ergeben muss80. Ob dies der Fall ist, 72 Marburger, ZGR 1989, 153; Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 219 f. 73 Vgl. Ulmer in MünchKomm. BGB, 4. Aufl. 2004, § 709 BGB Rz. 82; Robert Fischer, S. 41 f. bzw. S. 201 ff.; Binge/Binz, BB 1983, 713 ff.; Authenrieth, DB 1983, 1034 f.; s. auch Leenen in FS Larenz, S. 376; Brändel in FS Stimpel, 1985, S. 101; Schiemann, AcP 185 (1985), 75; Hüffer, ZHR 151 (1987), 407; Mecke, BB 1988, 2261; Priester in Personengesellschaft und Bilanzierung, 1990, S. 68 f.; Winter, GesRZ 1986, 76; Schäfer, ZGR 2013, 237, 242 ff.; Überblick bei Heinrichs, Mehrheitsbeschlüsse, S. 130 ff. 74 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 63/77, BGHZ 71, 53, 57 f. = NJW 1978, 1328 = GmbHR 1978, 207; BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 356 = GmbHR 1983, 297 = NJW 1983, 1056; s. auch unentschieden BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, LM Nr. 32 zu § 119 HGB m. Anm. Roth = JZ 1995, 311 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 1995, 55. 75 S. auch bereits BGH v. 16.10.2012 – II ZR 239/11, GmbHR 2013, 194, 195 = ZIP 2013, 65, 66: „keine Bedeutung mehr“; zusammenfassend m.w.N. Binz/Sorg, § 5 Rz. 97; Hoffmann/Bartlitz in Heymann, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 31 ff.; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 11; Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 86; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.160; Herrchen in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 83, 95; Klöhn, AcP 216 (2016), 281 ff.; Wertenbruch, NZG 2013, 641; zur umstrittenen Auslegung des Urteils vgl. den Diskussionsbericht bei Schirmer, AcP 216 (2016), 320 ff. 76 Vgl. auch Goette in FS Sigle, 2000, S. 145, 153; krit. Schäfer in MünchKomm. BGB, 6. Aufl. 2013, § 709 BGB Rz. 89; Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 119 HGB Rz. 36. 77 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283, 287 Rz. 9 = GmbHR 2007, 437 = NJW 2007, 1685 = ZIP 2007, 475 – Otto; dazu Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1 ff. 78 Repräsentativ BGH v. 15.11.2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293, 299 = NJW 2012, 1439, 1440; BGH v. 16.10.2012 – II ZR 251/10, GmbHR 2013, 197, 200 f. 79 Als vergeblicher Versuch einer „Rettung“ des Bestimmtheitsgrundsatzes wird die hier vertretene Ansicht eingeordnet von Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 89. 80 Vgl. BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 356 = GmbHR 1983, 297 = NJW 1983, 1056, 1057; Kindler in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 11.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 25 Anh. § 45

kann sich auch im Wege der Auslegung ergeben81. Auf eine Banalität reduziert, besagt der Bestimmtheitsgrundsatz nur, dass die Mehrheitsermächtigung nicht weiter reicht als sie reicht. Wie durch das „Otto“-Urteil82 klargestellt wurde, ist kein präziser Katalog aller Beschlussgegenstände zu verlangen, wohl aber muss feststehen, dass nach der gesellschaftsvertraglichen Regelung – ggf. auch nach deren Auslegung – gerade der in Frage stehende Beschlussgegenstand der Mehrheitsentscheidung unterliegt83. Ob dies durch einen Katalog oder auf andere Weise bewerkstelligt wird, ist ohne Belang. Bei einer GmbH & Co. KG genügt beispielsweise eine Vertragsregelung, die wegen der für Gesellschafterbeschlüsse erforderlichen Mehrheiten pauschal auf das Recht der GmbH verweist84. Es geht eben nicht um antizipierten Minderheitenschutz in dem Sinne, dass die Mehrheitsherrschaft nur im Rahmen vorformulierter Klauseln ausgeübt werden darf, sondern es geht um die Legitimation der Mehrheitsherrschaft in der Personengesellschaft durch hinreichend klare Vertragsregelung. Eine unspezifisch formulierte Mehrheitsklausel erfasst zwar ohne weiteres Beschlüsse in allgemeinen Geschäftsführungssachen85, richtigerweise auch die in § 46 für die GmbH aufgezählten Regularien, wie z.B. die Feststellung des Jahresabschlusses (12. Aufl., § 46 Rz. 48), nicht aber z.B. Grundlagenbeschlüsse86. Jedenfalls de lege lata nicht zu akzeptieren ist § 714 Satz 2 BGB-E im Mauracher Kommissionsentwurf von 2020 zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts: „Hat nach dem Gesellschaftsvertrag die Mehrheit der Stimmen zu entscheiden, gilt dies im Zweifel auch für Beschlüsse, die auf eine Änderung des Gesellschaftsvertrags gerichtet sind.“ Bei hinreichender Vertragsgrundlage und jedenfalls bei einem Mehrheitserfordernis von Dreivierteln mehrheitsfähig sind strukturändernde Beschlüsse (Vertragsänderung, Umwandlung)87. Die Diskussion um den Bestimmtheitsgrundsatz war bis zur „Otto“-Entscheidung durch Missverständnisse geprägt. Der Grundsatz wurde von seinen Befürwortern wie von seinen Gegnern vielfach in dem Sinne gedeutet, dass er zur Aufnahme eines Katalogs von Beschlussgegenständen in die Mehrheitsklausel zwingt88. Ein solcher Bestimmtheitsgrundsatz ist nicht anzuerkennen. Ungeachtet des Urteils vom 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = GmbHR 2014, 1303 = ZIP 2014, 2231 und letztlich ohne substantiellen Bruch mit der Rechtsprechung bleibt es bei der Unterscheidung zwischen der gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsermächtigung (herkömmlich sog. Bestimmtheitsgrundsatz) und dem Individualschutz von Minderheitsgesellschaftern (Belastungsverbot, Sonderrechte, Kernbereichsschutz) (Rz. 28 ff.)89. Hieraus ergeben sich qualitativ unterschiedliche 81 Vgl. BGH v. 15.11.2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293, 299 = NJW 2012, 1439, 1440; BGH v. 21.6.2011 – II ZR 262/09, ZIP 2011, 1509. 82 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 = GmbHR 2007, 231 = NJW 2007, 1685 = ZIP 2007, 475; bestätigend BGH v. 7.7.2008 – II ZR 151/07, DStR 2009, 1544 m. Anm. Goette; BGH v. 15.11.2011 – II ZR 266/09, BGHZ 191, 293, 299 = NJW 2012, 1439, 1440. 83 So hier bereits in der 9. Aufl. mit Hinweis auf RGZ 151, 321, 326 f.; BGHZ 8, 35, 42; BGH, WM 1973, 100, 101 f.; Uwe H. Schneider, ZGR 1972, 371 f. 84 Formulierungsbeispiel und Begründung bei Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 205, 206 ff.; Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1, 8; zust. Binz/Sorg, § 13 Rz. 78. 85 Vgl. RGZ 114, 393, 395; BGH v. 14.11.1960 – II ZR 55/59, DB 1961, 402; Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 83. 86 Vgl. RGZ 151, 321, 327; RGZ 163, 385, 391; BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35, 41 f.; BGH, WM 1973, 100, 101 f.; BGH v. 7.12.1972 – II ZR 131/68, WM 1973, 990, 991; BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, WM 1987, 1102 = NJW 1988, 411 = GmbHR 1988, 20. 87 Vgl. BayObLG v. 10.11.2004 – 3Z BR 148/04, GmbHR 2005, 364 = ZIP 2005, 16. 88 Kritische Analyse bei Karsten Schmidt, GesR, § 16 I 2; Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 205 ff.; charakteristisch jüngst noch Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 87 f. 89 Vgl. BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283, 287 f. = GmbHR 2007, 437, 438 = NJW 2007, 1685, 1686 f. = ZIP 2007, 475 – Otto; BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = GmbHR 2009, 306 = NJW 2009, 669 = ZIP 2009, 216 – Schutzgemeinschaft II; BGH v. 23.1.2006 – II ZR 306/04, NZG 2006, 306 = ZIP 2006, 562 = NJW-RR 2006, 827; BGH v. 23.1.2006 – II ZR 126/04, NZG 2006, 379 = ZIP 2006, 754 = NJW-RR 2006, 829; eingehend Binz/Sorg, § 13 Rz. 74; Lieder in

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Anh. § 45 Rz. 25 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG Bestimmtheitsstufen bezüglich der auslegungsfähigen Mehrheitsermächtigung und des legitimationsbedürftigen Eingriffs in Individualrechte90. Ob man das als Aufgabe des (alten) Bestimmtheitsgrundsatzes91 versteht oder, wie hier, als dessen überfällige Korrektur92, ist am Ende eine terminologische Frage93. Für Publikumsgesellschaften ist zunächst auf Rz. 24 zu verweisen. 26 f) Grundmodelle der Vertragsgestaltung. aa) Vollverzahnung von GmbH-Versammlung

und Kommanditistenversammlung bei der GmbH & Co. KG mit Gesellschafteridentität. Im Grundsatz bleibt es, vor allem bei den Formalien, auch bei der GmbH & Co. KG mit Beteiligungsidentität bei der Unterscheidung zwischen zwei Gesellschaften (Rz. 1, 31). Der Vertrag kann für vollständige Verzahnung der Gesellschafterkompetenzen in GmbH und KG sorgen (Rz. 23). Hierfür genügt die im KG-Vertrag enthaltene Regelung, wonach die Grundsätze des GmbH-Rechts auch für die Kommanditistenversammlung gelten sollen (Rz. 25). Das führt, obwohl die Gesellschafterversammlungen der KG und der GmbH de iure getrennt bleiben, de facto zu einem Doppelorgan, das Beschlüsse fasst, die jeweils der GmbH oder KG zugerechnet werden (vgl. auch Rz. 55 ff.). Dazu empfiehlt es sich, für die Einberufung und Organisation der GmbH-Gesellschafterversammlung und der Kommanditistenversammlung sowie für die Mehrheits- und Zustimmungserfordernisse (vgl. Rz. 24) gleichlautende Regeln einzuführen. Die Zurechnung von Beschlüssen zur GmbH und zur KG ist dann eine reine Rechtsfrage, über die die Gesellschafter an Ort und Stelle nicht nachdenken müssen, soweit sich die Zurechnung nicht aus der Natur der Sache ergibt (so z.B. bei der Beschlussfassung über die Rechnungslegung der GmbH und der KG). Die Führung getrennter Protokolle kann zweckmäßig sein, ist aber nicht vorgeschrieben. Praktisch wirkt sich der Unterschied zwischen KG-Beschlüssen und GmbH-Beschlüssen in der vollverzahnten GmbH & Co. KG nur im Fall der Fehlerhaftigkeit eines Beschlusses aus, und auch dies nur, soweit nicht Vertragsregeln für Gleichbehandlung sorgen (dazu Rz. 48 ff.). Die Zuständigkeiten der Gesellschafter und die Mehrheitserfordernisse stimmen in beiden Gesellschaften überein. Hierfür genügt eine auf das Recht der GmbH verweisende Generalklausel im Vertrag der KG (Rz. 25)94. Ein Katalog von Beschlussgegenständen braucht dafür nach nunmehr gesicherter Rechtsauffassung nicht aufgestellt zu werden (Rz. 25). Es ist dann eine Frage der Einzelgestaltung, ob über unternehmensbezogene Entscheidungen in der Komplementär-GmbH und/oder in der Kommanditgesellschaft Beschluss gefasst wird95. Regelmäßig wird dies Sache der Kommanditisten sein96, sei dies in Sachen der Kommanditgesellschaft, sei es in Form einer Weisung an die Komplementärin (Rz. 17, 22). Zur Einheitsversammlung bei der Einheits-GmbH & Co. vgl. Rz. 60.

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Oetker, 6. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 43 ff.; Goette in FS Sigle, 2000, S. 145 ff., 149; Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1, 8 ff.; BGH v. 16.10.2012 – II ZR 239/11, DB 2013, 49 = GmbHR 2013, 194 = NZG 2013, 63 = ZIP 2013, 65. Karsten Schmidt, GesR, § 16 II 2d; Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 214 ff.; zust. Goette in FS Sigle, 2000, S. 145 ff.; Haas in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 19b; Hermanns, ZGR 1996, 106; s. auch Kleindiek, GmbHR 2017, 674 ff.; abl. Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 89; reserviert Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 71. So zuletzt wieder Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 90. So das Anliegen des Verf. sowie BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283, 287 Rz. 9 = GmbHR 2007, 231 = NJW 2007, 1685 = ZIP 2007, 475. Vgl. auch Goette in FS Sigle, 2000, S. 149, 153; a.M. Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 89. Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 218; Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1, 8. Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511 ff. Vgl. Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511 ff.; im Ergebnis ähnlich, jedoch enger, OLG München v. 19.11.2003 – 7 U 4505/03, DB 2004, 866 = GmbHR 2004, 587.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 28 Anh. § 45

bb) GmbH & Co. KG ohne Vollverzahnung. Anders verhält es sich, wo nicht für Personen- 27 identität gesorgt ist oder wo die Stimmrechte in der GmbH und in der KG unterschiedlich verteilt sind97. In solchen Fällen ist zwischen der Gesellschafterversammlung der GmbH und der Gesellschafterversammlung (oder Kommanditistenversammlung) der KG auch de facto zu unterscheiden (Rz. 1). Allerdings ist auch bei einer solchen nicht personenidentischen GmbH & Co. KG zuzulassen, dass der Vertrag der KG gezielte Verweisungen auf das GmbHGesetz an die Stelle eines umfassenden Katalogs von Mehrheitszuständigkeiten setzt98. Schutzdefizite, die der Bestimmtheitsgrundsatz lässt, sind durch andere Instrumente des Minderheitenschutzes (Rz. 28) sowie durch die Inhaltskontrolle (Rz. 54) aufzufangen99. g) Grenzen für die Mehrheitsherrschaft zieht der Individualschutz der Gesellschafter ge- 28 gen die Beeinträchtigung subjektiver Rechte durch Mehrheitsentscheidungen100. Hierher gehören: das sog. Belastungsverbot des § 707 BGB101, das allerdings nur die unmittelbare Verpflichtung zu Mehrleistungen erfasst (vgl. sinngemäß 10. Aufl., § 53 Rz. 53)102; das Verbot, vorbehaltslos eingeräumte Sonderrechte ohne Zustimmung des Betroffenen und ohne wichtigen Grund zu schmälern103; das Verbot, durch Mehrheitsbeschluss den Kernbereich der Gesellschafterrechte (insbesondere Stimmrecht, Gewinnbezugsrecht, Recht auf die Liquidationsquote) zu schmälern104. Das schon bei Rz. 25 angeführte Urteil BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = ZIP 2014, 2231 ist zwar auch zur Rechtsfigur des Kernbereichs auf Distanz gegangen105, dies freilich zu Unrecht106: Jedem Gesellschafter ist ein mitgliedschaftlicher Besitzstand zuzuerkennen, in den ohne sein Zutun nicht eingegriffen werden kann. Auch das Informationsrecht des Gesellschafters ist in diesen Kernbereichsschutz

97 So im Fall OLG München v. 19.11.2003 – 7 U 4505/03, DB 2004, 866 = GmbHR 2004, 587. 98 Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 214 ff. 99 Vgl. nachdrücklich BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = NJW 2009, 669 = ZIP 2009, 216 = GmbHR 2009, 306 – Schutzgemeinschaft II; dazu Karsten Schmidt, ZIP 2009, 737. 100 Näher Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 91 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2009, 737, 740. 101 Dazu BGH v. 21.5.2007 – II ZR 96/06, NZG 2007, 620 = ZIP 2007, 1458; BGH v. 19.3.2007 – II ZR 73/06, NZG 2007, 382 = ZIP 2007, 812; BGH v. 21.5.2007 – II ZR 96/06, DB 2007, 1692 = ZIP 2007, 1458; BGH v. 3.12.2007 – II ZR 304/06, NJW-RR 2008, 403 = ZIP 2008, 695; OLG Stuttgart v. 19.4.2000 – 20 U 96/99, NZG 2000, 835; Wiedemann, GesR I, § 7 IV 1; Wiedemann, GesR II, § 2 IV 3 a; Wiedemann, ZGR 1977, 692; Karsten Schmidt, GesR, § 16 III 3b cc; Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 73; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 69. 102 Vgl. BGH v. 20.11.2012 – II ZR 98/10, BeckRS 2013, 01864: nicht bei Beschlussfassung über Liquidationsbilanz. 103 RGZ 159, 272, 281; RGZ 170, 358, 368; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; Uwe H. Schneider, ZGR 1972, 383. 104 BGH v. 5.11.1984 – II ZR 111/84, NJW 1985, 974 = GmbHR 1985, 152; OLG Hamm v. 26.10.1988 – 8 U 21/88, GmbHR 1989, 295; Wiedemann, GesR I, § 7 I; Flume, Personengesellschaft, § 14 III; Karsten Schmidt, GesR, § 16 III 3b bb; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 519 ff.; Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 64; Röttger, S. 95 ff., 109 ff., 124 ff., 159 ff.; Weipert in MünchHdb. GesR II, § 14 Rz. 49 ff.; Robert Fischer in FS Barz, 1974, S. 42; Hüffer, ZHR 151 (1987), 404. 105 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 Rz. 19 = ZIP 2014, 2231 Rz. 19 = GmbHR 2014, 1303; ähnlich Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 72; Lieder in Oetker, 6. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 53; Wertenbruch, DB 2014, 2875, 2876. 106 Vgl. Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 93; Altmeppen, NJW 2015, 2065, 2069 f.; Priester, NZG 2015, 529; Schäfer, ZIP 2015, 1313, 1315; Schiffer, BB 2015, 584, 586; Ulmer, ZIP 2015, 657, 658 f.

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Anh. § 45 Rz. 28 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG einzubeziehen107. Die Befugnis, in diese Rechte ohne Zustimmung der betroffenen Gesellschafter durch Mehrheitsbeschluss einzugreifen, setzt qualifizierte Bestimmtheit, regelmäßig eine katalogmäßige Bezeichnung der von der Zustimmung erfassten Beschlüsse, voraus108. Das gilt, wie richtigerweise auch bei einer GmbH im Fall des § 53 Abs. 3 (vgl. auch 12. Aufl., § 53 Rz. 55)109, insbesondere für zusätzliche Beiträge (Nachschüsse)110. Sie können durch Mehrheitsbeschluss ohne Zustimmung des einzelnen Gesellschafters nur eingefordert werden, wenn die zu beschließende Nachschusspflicht und deren Obergrenze im Gesellschaftsvertrag festgelegt ist111. Eine Vertragsklausel, die die Gesellschafter zu Nachschusszahlungen verpflichtet, „soweit Unterdeckungen auftreten“, genügt diesem qualifizierten Bestimmtheitserfordernis nicht112. Rechtsfolge eines Verstoßes ist eine „jedenfalls relative“ Unwirksamkeit des Beschlusses113, m.a.W. jedenfalls eine Nicht-Bindung dissentierender Gesellschafter114. Dies kann grundsätzlich auch noch nach Ablauf einer gesellschaftsrechtlichen Anfechtungsfrist für Beschlussmängelklagen geltend gemacht werden115. Ausnahmen aufgrund der gesellschaftsrechtlichen Treupflicht werden nur unter strengen Voraussetzungen anerkannt116. 29 h) Gesellschaftsvertragliche Regelung. Gesetzliche Vorschriften gibt es nicht. Das versteht

sich aufgrund des gesetzlichen Einstimmigkeitsprinzips (Rz. 23). Stimmrecht und erforderliche Mehrheiten werden zweckmäßigerweise im Gesellschaftsvertrag geregelt (über Mehrheitsklauseln vgl. Rz. 23 ff.; über Stimmmrechtsregelungen vgl. Rz. 39 f.). Die Änderung von Mehrheitsklauseln durch Mehrheitsbeschluss wirft Zweifelsfragen bezüglich der Mehrheitsanforderungen auf. Der BGH hat durch Urteil vom 16.10.2012 entschieden117: „Sieht der Gesellschaftsvertrag einer Publikumspersonengesellschaft für bestimmte Beschlussgegen-

107 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, LM Nr. 32 zu § 119 HGB m. Anm. Roth = NJW 1995, 194 = JZ 1995, 311 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 1995, 55; Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 36; . 108 Zusammenfassend BGH v. 21.5.2007 – II ZR 96/06, DB 2007, 1692 = ZIP 2007, 1458; Herausarbeitung bei Karsten Schmidt, ZHR 158 (1994), 225 ff. 109 Zutr. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 53 Rz. 33. 110 Über den vermeintlichen Gegensatz zu § 53 Abs. 3 vgl. BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 369 und dazu Robert Fischer in FS Barz, 1974, S. 42; krit. Flume, Personengesellschaft, § 14 III; s. auch RGZ 91, 166, 168 f.; RGZ 151, 321, 327; RGZ 163, 385, 391; BGH v. 12.11.1952 – II ZR 260/51, BGHZ 8, 35, 39. 111 BGH v. 4.7.2005 – II ZR 354/03, NJW-RR 2005, 1347, 1348 = NZG 2005, 753, 754 = ZIP 2005, 1455, 1456; BGH v. 23.1.2006 – II ZR 126/04, NJW-RR 2006, 829 = NZG 2006, 379 = ZIP 2006, 754; BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, GmbHR 2007, 535 = NZG 2007, 381 = ZIP 2007, 766; BGH v. 19.3.2007 – II ZR 73/06, NZG 2007, 382 = ZIP 2007, 812; BGH v. 26.3.2007 – II ZR 22/06, DStR 2007, 1313 = ZIP 2007, 1368; BGH v. 21.5.2007 – II ZR 96/06, DB 2007, 1692 = ZIP 2007, 1458; BGH v. 5.11.2007 – II ZR 230/06, NJW-RR 2008, 419, 420 = NZG 2008, 65 = ZIP 2007, 2413; BGH v. 3.12.2007 – II ZR 36/07, NJW-RR 2008, 903 = ZIP 2008, 697 = DB 2008, 895; BGH v. 9.2.2009 – II ZR 231/07, NJW-RR 2009, 753, 754 = ZIP 2009, 864 = DB 2009, 895; BGH v. 25.5.2009 – II ZR 259/07, NJW-RR 2009, 1264, 1266 = ZIP 2009, 1373 = NZG 2009, 862; BGH v. 20.11.2012 – II ZR 98/10, Juris; OLG Celle v. 21.12.2005 – 9 U 96/05, NZG 2006, 225 = ZIP 2006, 807; OLG Stuttgart v. 31.3.2010 – 14 U 20/09, DB 2010, 1058; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/ Mueller-Thuns, Rz. 4.162; Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 92. 112 BGH v. 19.3.2007 – II ZR 73/06, NZG 2007, 382 = ZIP 2007, 812; dazu Jungmann, ZfIR 2007, 582. 113 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 22/06, DStR 2007, 1313, 1314 = ZIP 2007, 1368, 1370 Rz. 10. 114 Zusammenfassend BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, GmbHR 2007, 535 = NZG 2007, 381 = ZIP 2007, 766; BGH v. 26.3.2007 – II ZR 22/06, DStR 2007, 1313 = ZIP 2007, 1368. 115 BGH v. 26.3.2007 – II ZR 22/06, DStR 2007, 1313 = ZIP 2007, 1368. 116 Zusammenfassend OLG Stuttgart v. 31.3.2010 – 14 U 20/09, DB 2010, 1058 Rz. 50. 117 BGH v. 16.10.2012 – II ZR 239/11, DB 2013, 49 = GmbHR 2013, 194 = NZG 2013, 63 = ZIP 2013, 65.

868 | Karsten Schmidt

Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 31 Anh. § 45

stände, zu denen auch Änderungen des Gesellschaftsvertrags gehören, eine qualifizierte Mehrheit von ¾ der anwesenden Stimmen vor und bestimmt er außerdem, dass für diese Beschlussgegenstände bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine höhere Mehrheit erforderlich ist, kann die Regelung über die höheren Mehrheitserfordernisse grundsätzlich mit ¾-Mehrheit aufgehoben werden, wenn zum Zeitpunkt der Beschlussfassung die Voraussetzungen für ihre Anwendbarkeit nicht erfüllt sind und sich dem Gesellschaftsvertrag auch nicht im Wege der Auslegung entnehmen lässt, dass die Aufhebung der höheren Mehrheitserfordernisse auch dann nur mit diesen höheren Mehrheiten möglich sein soll, wenn die Voraussetzungen, an die der Gesellschaftsvertrag ihre Geltung knüpft, nicht gegeben sind.“ Nach einem Urteil vom selben Tag sind derartige Änderungsbeschlüsse „für sich genommen nicht treuwidrig. Fasst die Mehrheit auf der Grundlage des geänderten Gesellschaftsvertrags künftig treuwidrige Entscheidungen zu Lasten der Minderheit, ist die Minderheit durch die gegen diese Beschlüsse gegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten hinreichend geschützt“118. Doch wird hiergegen eingewendet, qualifizierte Mehrheitsregeln könnten nur mit der in ihnen angeordneten Mehrheit abgeändert werden. Ausnahmen könnten sich nur aus der Treupflicht ergeben119. Dem ist, weil sonst das qualifizierte Mehrheitserfordernis seine Schutzfunktion einbüßt, zu folgen.

3. Die Formalien a) Versammlungsablauf und Art der Beschlussfassung – auch schriftliche Beschlussfassung 30 – unterliegen dem Prinzip der Vertragsfreiheit und Formlosigkeit120, der freien gesellschaftsvertraglichen Gestaltung, die allerdings unverzichtbare Teilhaberechte der Gesellschafter respektieren muss121. Die Gesellschafter können in Versammlungen, aber (im allseitigen Einverständnis) auch außerhalb von Versammlungen entscheiden. Für den letzten Fall sollte der Vertrag eine schriftliche Beschlussfassung vorschreiben. In einer Versammlung, die als Vollversammlung zusammentritt (12. Aufl., § 51 Rz. 34 ff.), kommt es, wenn keine Einwände erhoben werden, auf Förmlichkeiten der Einberufung und Ladung nicht an. Die folgenden Hinweise gelten nur, soweit der Vertrag schweigt. aa) Für Ort und Zeit der Versammlung gilt sinngemäß das bei 12. Aufl., § 48 Rz. 6 ff. zur 31 GmbH Gesagte122. Beides ist in der Ladung zu nennen (Rz. 33). Korrekterweise ist zu zwei Versammlungen einzuladen (auch im Fall eines faktischen Doppelorgans nach Rz. 26), doch weichen die Einladungen bei kleineren Familiengesellschaften hiervon nicht selten ab (unschädlich, sofern unmissverständlich). Versammlungsort ist i.d.R. ein geeigneter Platz am Geschäftssitz. Ein anderer Versammlungsort kann im Gesellschaftsvertrag vorgesehen oder formlos vereinbart werden. Von Fall zu Fall kann sich aus der Treubindung eine Pflicht der Gesellschafter geben, einem außerhalb des Geschäftssitzes befindlichen Versammlungsort zuzustimmen, wenn dies sachlich angezeigt und den Gesellschaftern zumutbar ist. Auch die Versammlungszeit muss dem Gesellschaftsvertrag oder dem Verkehrsüblichen und Zumut-

118 BGH v. 16.10.2012 – II ZR 251/10, DB 2013, 49 = GmbHR 2013, 197 = NZG 2013, 57 = ZIP 2013, 68; dazu Binz/Sorg, § 5 Rz. 104. 119 Priester, NZG 2013, 321 ff.; Wertenbruch, NZG 2013, 641, 645 (mit Einschr.). 120 Vgl. Nitschke, S. 75 f.; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 3.129; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.144; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 98. 121 Vgl. insbes. zu Publikumspersonengesellschaften Reichert/Winter, BB 1988, 986 (über Beschlussfähigkeitsregeln). 122 Vgl. auch Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.146; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 108; H. Schneider/Uwe H. Schneider in FS Möhring, 1975, S. 288; Uwe H. Schneider, ZGR 1978, 22; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 189.

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Anh. § 45 Rz. 31 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG baren entsprechen (zur Ladungsfrist vgl. Rz. 33). Der Geschäftsführer wird auf möglichst allseitige Terminverträglichkeit hinwirken. 32 bb) Einberufungsberechtigt ist, sofern nicht der Gesellschaftsvertrag besondere Regeln trifft,

die Komplementär-GmbH, vertreten durch jeden einzelnen Geschäftsführer123. Die Regel, dass bei einstimmig entscheidenden Versammlungen von Personengesellschaften jeder Gesellschafter befugt ist, Beschlussfassungen herbeizuführen124, gilt nicht für die GmbH & Co. KG125. Die einzelnen Kommanditisten haben ein ordentliches Einberufungsrecht nur, wenn es ihnen im Gesellschaftsvertrag eingeräumt worden ist. Sie sind sonst nicht Einberufungsorgan126, haben aber mindestens das außerordentliche Recht, eine Einberufung der Versammlung aus wichtigem Grund zu verlangen und ggf. die Einberufung selbst auszusprechen127. Auch der BGH hat in BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 172 = BB 1988, 159 f. = ZIP 1988, 22 ein solches Recht bei einer Personengesellschaft anerkannt (vgl. 12. Aufl., § 50 Rz. 36). Das formale Minderheitsrecht des § 50128 ist dem Personengesellschaftsrecht fremd und nur für den Fall zu bejahen, dass der KG-Vertrag auf den GmbH-Vertrag oder auf das GmbH-Gesetz verweist. Der Gesellschaftsvertrag sollte so präzis wie möglich gefasst werden129. Das gilt auch für Einberufungspflichten im Interesse der Gesellschaft (vgl. 12. Aufl., § 49 Rz. 38). Im Fall einer Einheitsversammlung nach Rz. 26, 58 stellen sich diese Fragen nicht. 33 b) Ladung und Ankündigung der Tagesordnung gegenüber den Gesellschaftern fallen –

wie bei der GmbH (12. Aufl., § 51 Rz. 5) – faktisch mit der Einberufung zusammen. Der Vertrag sollte Form, Frist und Formulierung der Einberufung, Ladung und Ankündigung regeln. Gesellschaftsvertragliche Anforderungen hinsichtlich Form, Frist und Inhalt sind i.d.R. in dem Sinne zwingend, dass eine wirksame Einberufung von der Einhaltung dieser Vorschriften oder von der Zustimmung aller Gesellschafter abhängig ist130. Erscheint ein Gesellschafter nicht, so ist seine Berufung auf einen Formmangel nur dann treuwidrig und unbeachtlich, wenn er von der Versammlung und dem Beschlussgegenstand wusste oder sich der Kenntniserlangung illoyal entzogen hatte131. Mangels Vertragsregelung müssen sich Frist und Form nach ihrem Zweck richten, die Teilnahme aller Gesellschafter und die sachgerechte Ausübung des Stimmrechts zu gewährleisten132. Insbesondere ist § 51 nicht ohne weiteres auf die GmbH & Co. KG anwendbar: Eingeschriebener Brief (§ 51 Abs. 1) ist nicht erforderlich, sofern nicht durch Gesellschaftsvertrag vorgeschrieben133. Auch die in § 51 vorgesehenen Fristen gelten mangels besonderer Anhaltspunkte im Vertrag nicht134. Trotzdem ist ein Vorgehen nach dem Vorbild des § 51 ratsam. Einzuhalten ist eine angemessene, auch der 123 Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.142; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 100; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 188; Eickhoff, Rz. 344. 124 Vgl. Nitschke, S. 200; s. auch § 109 Abs. 2 HGB-E RegE MoPeG. 125 Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 188. 126 Eickhoff, Rz. 344; Wertenbruch, NZG 2018, 1121 f. 127 Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.143; Nitschke, S. 200; H. Schneider/Uwe H. Schneider in FS Möhring, 1975, S. 289; Uwe H. Schneider, ZGR 1978, 25; ausführlich Wertenbruch, NZG 2018, 1121, 1126 f. 128 Dafür hier die 6. und 7. Aufl.; diese Kommentierung ging noch von einem gesetzlichen Einberufungsrecht kraft Analogie aus; verneinend Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.142; s. auch Gummert in MünchHdb. GesR II, § 50 Rz. 94; unentschieden Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 102 f. (Ausnahme bei Publikumsgesellschaften „denkbar“). 129 Ebenso Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 102. 130 Vgl. OLG Kassel, HRR 1937 Nr. 1220. 131 H. Schneider/Uwe H. Schneider in FS Möhring, 1975, S. 291. 132 Zutr. Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 104. 133 H. Schneider/Uwe H. Schneider in FS Möhring, 1975, S. 291. 134 Zust. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.145; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 109.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 34 Anh. § 45

Übung der Gesellschaft angemessene Frist135. Teilnahmerechte müssen gewährleistet werden. Ort und Zeit der Versammlung sind unbedingt mitzuteilen136. Die Tagesordnung muss mindestens klar erkennen lassen, worüber Beschlüsse gefasst werden können137. Ohne Anwesenheit aller Gesellschafter können Beschlüsse nur über angekündigte Tagesordnungspunkte gefasst werden138, sonst nur mit nachträglicher Zustimmung abwesender Gesellschafter (vgl. aber zum Streit über kombinierte Beschlüsse 12. Aufl., § 48 Rz. 65). Selbst in Vollversammlungen sind Mehrheitsbeschlüsse ohne vorherige Ankündigung des Beschlussgegenstands nur dann unbedenklich, wenn alle Gesellschafter auf eine Beanstandung der fehlenden Ankündigung verzichtet haben139. Eine Vertragsbestimmung, die Mehrheitsentscheidungen über nicht angekündigte Tagesordnungspunkte zulässt, ist unwirksam140. c) Teilnahmeberechtigt sind alle Gesellschafter. Die Komplementär-GmbH nimmt grund- 34 sätzlich in Gestalt ihres Geschäftsführers an der Versammlung teil141. Das Teilnahmerecht ist in der Substanz unentziehbar142. Ist in der „typischen“ GmbH & Co. KG mit Gesellschafteridentität in GmbH und KG ein „Einheitsorgan“ (vgl. Rz. 26, 58) geschaffen, das de facto in einer Kommanditistenversammlung besteht, so kann die GmbH-Komplementärin von der Teilnahme an der KG-Versammlung ausgeschlossen sein (Kommanditistenversammlung; vgl. Rz. 21)143. Dann wird der Geschäftsführer an Versammlungen nur in seiner Geschäftsführereigenschaft hinzugezogen (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 48 Rz. 20), nicht in Ausübung eines Teilnahmerechts der GmbH. Die Frage spitzt sich in Fällen der kleinen personenidentischen GmbH & Co. KG kaum zu (vgl. zur Kommanditistenversammlung Rz. 26)144. Besteht ein Teilnahmerecht der GmbH in der KG-Versammlung, so wird es vom Geschäftsführer ausgeübt. Dieser kann dann in der Personengesellschaft – anders als in der GmbH-Versammlung (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 20) – verlangen, dass man ihn zur Teilnahme zulässt145. Da aber dieses Recht nicht ihm als Person, sondern der GmbH zusteht, spielt das eigene Teilnahmerecht der GmbH eine praktische Rolle nur bei der GmbH & Co. KG ohne Gesellschafteridentität (dazu Rz. 27)146. Über Teilnahmerechte Dritter und die Zulassung nicht teilnahmeberechtigter Personen vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 48 Rz. 25, 28. Die Teilnahmeberechtigung von Bevollmächtigten ist abhängig von der Stimmrechtsvollmacht im Recht der Personengesellschaften (vgl. dazu Rz. 42). In einer Publikumsgesellschaft kann die Entsendung von Vertretern nicht wirksam untersagt werden. In einer personalistischen Gesellschaft kann dagegen der Gesellschafter ohne entsprechende Vertragsregelung grundsätzlich nicht verlangen, dass Nichtgesellschafter als Beistände oder Vertreter zugelassen werden (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 48 Rz. 25 f.). Allerdings kann die Treupflicht die Zulassung dritter Personen gebieten (vgl. auch Rz. 42 zur Vertretung). So, wenn der Gesellschafter nicht persönlich erscheinen kann und eine Wahrnehmung seiner Interessen durch anwesende Mitgesellschafter nicht zumutbar ist147. Teilnahme- und Stimmrecht können als sog. Pflichtrechte ausgestaltet sein148. Das 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148

Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 109. Vgl. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.146; Eickhoff, Rz. 100. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.147; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 106. Uwe H. Schneider, ZGR 1978, 22; weniger streng offenbar Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 185 f. Ähnlich wohl H. Schneider/Uwe H. Schneider in FS Möhring, 1975, S. 291 f. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.147; Uwe H. Schneider, ZGR 1978, 23. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.140. Vgl. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.140; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 127. Zust. Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 130. Übereinst. Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 130. Übereinst. Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 129. Übereinst. Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 130. Vgl. auch Goette in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 119 HGB Rz. 17. Vgl. Hoffmann/Bartlitz in Heymann, 3. Aufl., § 119 HGB Rz. 16; distanziert Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 499.

Karsten Schmidt | 871

Anh. § 45 Rz. 34 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG ist grundsätzlich nur bei klarer Vertragsregelung anzunehmen, u.U. auch, wenn keine Mehrheitsbeschlüsse vorgesehen sind, die Abhaltung von Versammlungen also dem Zweck einstimmiger Beschlussfassung dient. Wer treuwidrig fernbleibt, muss dann u.U. die einstimmige Entscheidung der Erschienenen, sofern im Ergebnis zumutbar, hinnehmen149. Wo Mehrheitsentscheidungen zugelassen sind (Rz. 23 ff.), darf eine Teilnahmepflicht ohne klaren Anhalt im Gesellschaftsvertrag nicht unterstellt werden150. Sie ist bestimmt zu verneinen, wo mit der Mehrheit der in der Versammlung vertretenen Stimmen entschieden wird. Die Tatsache allein, dass zustimmungsbedürftige Beschlüsse auf der Tagesordnung stehen (Rz. 28), begründet noch keine Teilnahmepflicht. 35 d) Über Leitung und Ablauf der Versammlung151 entscheiden Gesellschaftsvertrag, Be-

schluss und tatsächliche Übung. Anhaltspunkte geben bei fehlender Vertragsregelung die Bestimmungen des Vereinsrechts und des Rechts der Kapitalgesellschaften, insbesondere die für die GmbH geltenden Grundsätze (vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 32 ff.). Ziel dieser Grundsätze ist die Gewährleistung des Teilnahmerechts aller Gesellschafter (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 48 Rz. 16 ff.). Der Gesellschaftsvertrag kann Regelungen über die Versammlungsleitung und über die Führung eines Protokolls (Rz. 37) treffen152. Wo es daran fehlt, können die Gesellschafter durch Versammlungsbeschluss einen Versammlungsleiter bestimmen, dem dann auch die Protokollierung obliegt, sofern nichts anderes bestimmt wurde153. Auch ohne Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag dürfen sich Minderheitsgesellschafter einem solchen Geschäftsordnungsbeschluss nicht ohne sachlichen Grund entgegenstellen (Ablehnung eines Versammlungsleiters nur aus Obstruktion ist unbeachtlich). 36 e) Beschlussanträge. Jedem Gesellschafter steht das Recht zu, Anträge in der Versammlung

zu stellen. Näheres und Abweichendes kann der Vertrag unter Berücksichtigung des Kernbereichs der Teilnahmerechte regeln. Tagesordnung und Missbrauchsverbot begrenzen das Antragsrecht. In diesem Rahmen müssen Anträge durch Beschlussfassung beschieden werden (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 50 Rz. 4), und das Teilnahmerecht jedes Erschienenen umfasst Aussprache und Gehör zu jedem Antrag. Um eine Lähmung der Versammlung zu verhindern, darf der Vertrag (vor allem bei Publikumsgesellschaften) die Behandlung von Sachanträgen davon abhängig machen, dass ein bestimmtes Minderheitsquorum die Erörterung und Abstimmung wünscht154. Ein allgemeines Recht, durch einen schlichten Mehrheitsbeschluss, einen Antrag ohne sachliche Aussprache auszuschalten, ist dagegen nur unter Wahrung der Treupflicht anzuerkennen (noch strenger 12. Aufl., § 50 Rz. 4). 37 f) Form von Beschlüssen. Gesetzliche Vorschriften über die Form der Beschlussfassung gibt

es im Umwandlungsrecht (vgl. §§ 13 Abs. 3, 125, 193 Abs. 3 UmwG). Im Allgemeinen gilt Formfreiheit, aber auch Gestaltungsfreiheit. Formerfordernisse können durch den KG-Gesellschaftsvertrag aufgestellt werden. Er kann beispielsweise für eine Einheitsversammlung (Rz. 26, 58) bestimmen, dass KG-Beschlüsse (z.B. über Vertragsänderungen und Erhöhung des Kommanditkapitals) stets derselben Form bedürfen wie ein entsprechender GmbH-Beschluss. Auch die Rechtsfolgen von Formverstößen können klargestellt werden. Die Verkündung und Protokollierung eines Beschlusses durch einen Versammlungsleiter kann zwar die Rechtsschutzrichtung in einem Beschlussmängelprozess bestimmen (Rz. 38, 52), wird aber

149 BGH v. 24.1.1972 – II ZR 3/69, NJW 1972, 863; Tatfrage. 150 Teilweise a.M. wohl Hoffmann/Bartlitz in Heymann, 3. Aufl., § 119 HGB Rz. 16. 151 Dazu Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.149 ff.; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 132 f. 152 Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.149 ff. 153 Zur Beschlussfassung über den Versammlungsleiter einer GmbH vgl. OLG München v. 12.1.2005 – 7 U 3691/04, DB 2005, 1566 = GmbHR 2005, 624. 154 Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 213.

872 | Karsten Schmidt

Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 38 Anh. § 45

nicht als Voraussetzung eines wirksamen Beschlusses angesehen155. Protokollierungsregeln im Gesellschaftsvertrag dienen im Zweifel nur der Beweisführung. Bezogen auf mehrheitlich beschlossene Vertragsänderungen stellen sie jedoch im Zweifel Wirksamkeitsvoraussetzungen dar. Bei Gesellschaften, die mit Mehrheit beschließen, verlangt eine Schriftformklausel regelmäßig nur Protokollierung des Beschlusses durch den Versammlungsleiter, nicht seine Unterzeichnung durch alle Gesellschafter156. Sieht der Vertrag für Vertragsänderungen die Schriftform vor und lässt er zugleich Vertragsänderungen durch Mehrheitsbeschlüsse zu, so sind diese Regeln im Zusammenhang als eine Protokollierungsklausel zu lesen: Eine Unterzeichnung durch alle an der Beschlussfassung Beteiligten oder die schriftliche Abgabe aller Ja-Stimmen ist in diesem Fall zweckmäßig, aber nicht für die Wirksamkeit erforderlich. Die §§ 127, 126 BGB gelten im Zweifel nicht für die einzelnen Stimmabgaben (zum Unterschied zwischen Stimme und Beschluss vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 22). Eine andere Frage ist, ob Erklärungen, die einzelne Gesellschafter neben der Beschlussfassung abgeben, in einem solchen Fall der Schriftform bedürfen. Beispielsweise unterscheidet der BGH157 bei Kapitalerhöhungen in einer mit qualifizierter Mehrheit entscheidenden Kommanditistenversammlung streng zwischen dem eigentlichen Kapitalerhöhungsbeschluss (Protokollierung genügt) und einer der Mehrheitsentscheidung unzugänglichen Verpflichtung des einzelnen Gesellschafters, durch Einlagenerhöhung an der Kapitalerhöhung mitzuwirken (gesellschaftsvertraglich vereinbarte Schriftform nach §§ 127, 126 BGB)158. g) Maßgeblichkeit des Protokolls? GmbH-Beschlüsse können durch Protokoll und Be- 38 schlussverkündung rechtsverbindlich festgehalten werden (12. Aufl., § 48 Rz. 52), so dass unrichtige Beschlussverkündung bei einer GmbH nur durch Anfechtungsklage geltend gemacht werden kann (12. Aufl., § 45 Rz. 98). Bei Personengesellschaftsbeschlüssen gibt es die Anfechtungsklage nach noch immer h.M. nicht (dazu Rz. 48 ff.). Bei Streitigkeiten über den Beschlussinhalt kann es in Personengesellschaften nach ganz h.M. nicht auf den protokollierten Beschluss, sondern nur auf das wirklich Beschlossene ankommen159. Was beschlossen ist, richtet sich danach, ob der Antrag mit der objektiv ausreichenden Zahl an wirksamen Stimmen angenommen ist oder nicht. Während im Recht der GmbH Protokoll und Beschlussverkündung den Beschlussinhalt verbindlich feststellen (str., vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 53), scheidet eine solche Verbindlichkeit des Beschlussprotokolls im Recht der Personengesellschaften nach dieser h.M. aus. Einstweilen muss sich die Praxis deshalb darauf einrichten, dass im Streitfall über Beschluss und Beschlussinhalt in einem Feststellungsprozess, aber auch im Wege der Vorfragenprüfung in jedem anderen Prozess, gestritten wird. Richtige Parteien eines Feststellungsprozesses über den Beschlussinhalt sind nach h.M. die Gesellschafter untereinander160, womit eine Feststellungsklage gegen die Gesellschaft grundsätzlich als unzuläs155 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320, 329 = GmbHR 1984, 93; BGH v. 11.12.2006 – II ZR 166/05, NJW 2007, 917 Rz. 19 = ZIP 2007, 268 Rz. 19; RegE MoPeG, Begr. zu § 109 Abs. 1 HGB-E. 156 So jedenfalls für die Publikums-KG BGH v. 24.11.1975 – II ZR 89/74, BGHZ 66, 82 = BB 1976, 527 = NJW 1976, 958 = WM 1976, 472. 157 BGH v. 24.11.1975 – II ZR 89/74, BGHZ 66, 82 = BB 1976, 527 = NJW 1976, 958 = WM 1976, 472. 158 Dazu auch Karsten Schmidt, Einlage und Haftung des Kommanditisten, 1977, S. 18 f. 159 Vgl. nur Jüdel, S. 88 f.; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 134; Schäfer in Staub, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 88; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.165; unklar Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 550; ältere Nachw. bei Karsten Schmidt, AG 1977, 254. 160 Vgl. BGH v. 30.6.1066 – II ZR 149/64, BB 1966, 1169; BGH v. 23.10.1967 – II ZR 164/65, BB 1968, 145, 146; BGH v. 2.5.1983 – II ZR 94/82, WM 1983, 785; OLG Hamburg, BB 1967, 1267; OLG Rostock v. 5.4.2000 – 6 U 242/98, NZG 2000, 930; vgl. auch zur Feststellung der Mitgliedschaft BGH v. 15.6.1959 – II ZR 44/58, BGHZ 30, 195, 197 f.; BGH v. 5.6.1967 – II ZR 128/65, BGHZ 48, 175, 177; BGH v. 13.7.1981 – II ZR 56/80, BGHZ 81, 263, 264 f.; BGH v. 30.4.1984 – II ZR 293/83, BGHZ 91, 132, 133; OLG Celle v. 26.8.1998 – 9 U 56/98, NZG 1999, 64; Schäfer in Staub,

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Anh. § 45 Rz. 38 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG sig gilt (vgl. Rz. 49; krit. dazu Rz. 52)161. Der Gesellschaftsvertrag kann allerdings Beschlussklagen auch als Prozess gegen die Gesellschaft zulassen162, und der BGH gestattet auch Feststellungsklagen aus § 256 ZPO ohne solche Vertragsregelung, wenn der Gesellschafter eine ihm gegenüber eingetretene Unwirksamkeit des Beschlusses (Rz. 48) geltend macht (auch dazu Rz. 49)163. Das ist noch immer zu eng. Da eine Feststellungsklage im Gegensatz zur Gestaltungsklage keine vorgegebenen „richtigen Parteien“ kennt, in ihrer Zulässigkeit vielmehr vom Feststellungsinteresse abhängt (§ 256 ZPO), kann dem nur mit der Maßgabe zugestimmt werden, dass das Feststellungsinteresse mit der Rechtskraft in Beziehung zu setzen ist, weshalb in der personalistischen Gesellschaft regelmäßig, aber nicht notwendig, die Mitgesellschafter die richtigen Beklagten sind164. Namentlich bei Publikumsgesellschaften sollte demgegenüber eine Klage gegen die Gesellschaft selbst zugelassen werden165. Ist der Beschlussinhalt förmlich festgestellt und verkündet, so kann die treuwidrig verspätete Geltendmachung unrichtiger Beschlussfeststellung nach der h.M. allerdings – wie jede Nichtigkeitsklage im Recht der Personengesellschaften – unzulässig werden (vgl. Rz. 50). Nach der hier vertretenen Ansicht gibt es auch bei der KG gegen Mehrheitsbeschlüsse eine echte Anfechtungsklage (Rz. 52). Auf dieser Basis sollte eine nur durch Anfechtungsklage überwindbare Feststellungswirkung des Protokolls, also eine dem GmbH-Recht folgende Rechtsfortbildung, anerkannt werden. Die Einführung der Anfechtungsklage im Gefolge der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Rz. 48) wird hierfür die Grundlage bilden. Doch ist dies noch nicht – nicht einmal bei der Publikums-GmbH & Co. KG – der Stand der h.M. Erst de lege ferenda wird die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts von 2021 den Anfechtungsprozess in das Recht der Personengesellschaften implementieren (§§ 110 ff. HGB-E)166. Nach gegenwärtigem Stand sollte der Gesellschaftsvertrag einer GmbH & Co. KG festlegen, dass Beschlüsse bis zu ihrer wirksamen Anfechtung mit dem Inhalt gelten, mit dem sie protokolliert wurden. In diesem Fall ist eine Anfechtungsklage gegen die Gesellschaft bereits de lege lata zuzulassen (Rz. 49 f.).

4. Das Stimmrecht Schrifttum: vgl. vor Rz. 1; vor Rz. 20; 12. Aufl., § 45 vor Rz. 18; 12. Aufl., § 47 vor Rz. 35, 63, 75, 98; ferner: Bahnsen, Der Stimmrechtsausschluss der Komplementärin bei der GmbH & Co. KG, GmbHR 2001, 317.

39 a) Stimmberechtigt ist grundsätzlich jeder Gesellschafter der KG167. Das Stimmrecht eines

Gesellschafters namentlich der Komplementär-GmbH, kann durch den Gesellschaftsvertrag

161

162 163 164 165 166 167

5. Aufl., § 119 HGB Rz. 91; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.169; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 555. BGH v. 5.6.1967 – II ZR 128/65, BGHZ 48, 175, 177 = NJW 1967, 2159; BGH v. 13.7.1981 – II ZR 56/80, BGHZ 81, 263, 264 = NJW 1981, 2565; BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 353 = GmbHR 1983, 297 = NJW 1983, 1056, 1057; BGH v. 30.4.1984 – II ZR 293/83, BGHZ 91, 132, 133 = NJW 1984, 2104; krit. Noack, S. 175; Bork, ZGR 1991, 125 ff. BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, GmbHR 2007, 535 = NJW-RR 2007, 757; BGH v. 17.7.2006 – II ZR 242/04, NJW 2006, 2854, 2855 = ZIP 2006, 1579, 1581; BGH v. 24.3.2003 – II ZR 4/01, NZG 2003, 525 = ZIP 2003, 843; BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NZG 1999, 935, 936. BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, NJW-RR 2007, 757 = GmbHR 2007, 535 = NZG 2007, 381 = ZIP 2007, 766. Vgl. Karsten Schmidt, DB 1993, 2167. Vgl. Karsten Schmidt, DB 1993, 2167. Eingehend zum Mauracher Entwurf Drescher in ZGR-Sonderheft 23, 2021, S. 115, 123 ff.; M. Noack, ZIP 2020, 1382 ff.; zum Regierungsentwurf Tröger/Happ, NZG 2021, 133 ff. Vgl. Binz/Sorg, § 4 Rz. 35 ff.; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.135; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 146; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 494.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 40 Anh. § 45

ausgeschlossen werden (Rz. 21, 40). Das Komplementär-Stimmrecht ist ausgeschlossen, wenn die GmbH keinen Kapitalanteil an der KG hat und das Stimmrecht nach Kapitalanteilen verteilt ist (Rz. 40). Eigene Kommanditanteile der KG gibt es nach den Grundsätzen des Personengesellschaftsrechts nicht168. Im Gegensatz zum Recht der GmbH (12. Aufl., § 47 Rz. 24) ist eine von der KG i.S.v. § 17 AktG abhängige Gesellschaft mit Anteilen, die sie an der KG hält, nicht generell vom Stimmrecht in der KG ausgeschlossen169. Das Stimmrecht ist an die Mitgliedschaft, also an das Vollrecht am Anteil gebunden (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 17). Es steht deshalb nur den Gesellschaftern selbst zu (str.). Beim Nießbrauch am Anteil steht es nicht dem Nießbraucher170, beim Pfandrecht am Anteil nicht dem Pfandgläubiger zu171. Bei der Treuhand am Anteil steht das Stimmrecht dem Treuhänder und nicht dem Treugeber zu172. Wie bei der GmbH (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 35 ff., 76 ff.) kann den berechtigten Interessen Dritter an der Ausübung des Stimmrechts durch Stimmbindungsvereinbarungen oder durch die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht Genüge getan werden. Eine Übertragung des Stimmrechts ohne die Mitgliedschaft (Stimmrechtsabspaltung) ist wie bei der GmbH (12. Aufl., § 47 Rz. 20 ff.) unzulässig (näher Rz. 43). Die vom OLG Koblenz173 vertretene Auffassung, wonach bei einer Treuhand-Publikumsgesellschaft die Stimmrechte in der KG von den Treugebern und nicht von Treuhand-Kommanditisten ausgeübt werden, hat sich nicht durchgesetzt174. Die Treugeber als Nicht-Kommanditisten können freilich bei der Publikums-Treuhandgesellschaft in eine Gesamtorganisation eingebunden und in dieser mit Stimmrechten ausgestattet werden175. Ihre Versammlung ähnelt dann der Hauptversammlung einer KGaA (vgl. § 285 AktG) als Versammlung der „Gesamtheit der Kommanditaktionäre“ (vgl. zu dieser Rechtsfigur § 278 Abs. 2, § 287 Abs. 2 AktG)176. b) Stimmkraft. Das Stimmgewicht der Anteile kann im Vertrag geregelt werden177. An Stelle 40 der Einstimmigkeit (§ 119 Abs. 1 HGB) bzw. der Kopfmehrheit (§ 119 Abs. 2 HGB) werden bei der GmbH & Co. KG Beschlüsse im Rahmen von Mehrheitsklauseln regelmäßig mit Kapitalmehrheit gefasst (Rz. 23). Die meisten Gesellschaftsverträge bestimmen die Stimmkraft nach Festkapitalanteilen. Der Regierungsentwurf eines MoPeG spielt de lege ferenda von den „Beteiligungsverhältnissen“, was in der Sache nichts ändern wird. Doch lässt die Vertragsfreiheit vielfältige Gestaltungen zu. Mehrstimmanteile sind ebenso zulässig wie andere Sonderrechte (z.B. das Vetorecht eines Gesellschafters). Durch gesellschaftsvertragliche Zuerkennung mehrfachen Stimmrechts wird nicht der Anteil gespalten oder das Stimmrecht vervielfacht, sondern nur die Stimmkraft des ungeteilten Anteils erhöht (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 11). Nach BGHZ 20, 363, 370 droht eine bedenkliche Verkürzung der Rechtsstellung anderer Gesellschafter allenfalls dann, wenn Änderungen des Gesellschaftsvertrags durch Mehrheitsbeschluss zugelassen sind und wenn gerade durch die Ausstattung eines oder ein168 Karsten Schmidt, ZIP 2014, 493 ff.; s. auch RegE MoPeG § 711 Abs. 1 Satz 2 BGB-E; a.M. Priester, ZIP 2014, 245 ff. 169 BGH v. 6.10.1992 – KVR 24/91, BGHZ 119, 346 = GmbHR 1993, 44 = NJW 1993, 1265. 170 Str., für Stimmrecht des Nießbrauchers in Angelegenheiten ohne Grundlagenbezug z.B. Emmerich in Heymann, 3. Aufl., § 105 HGB Rz. 73; Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 12; Flume, Personengesellschaft, 1977, § 17 VI, S. 363; Rohlff, NJW 1971, 1337. 171 Vgl. weiterführend zum Pfandrecht Wiedemann, Die Übertragung …, 1965, S. 428. 172 Eingehend Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 61 ff.; str.; für Aufteilung des Stimmrechts z.B. Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 717 BGB Rz. 11. 173 OLG Koblenz v. 22.10.1987 – 6 U 777/86, BB 1989, 170. 174 Nachweise bei Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 61. 175 Dazu Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 79. 176 Die KGaA war historisch ähnlich konzipiert wie eine Treuhand-Publikums-KG; vgl. Karsten Schmidt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 278 AktG Rz. 5; Karsten Schmidt in Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Band II, 2007, Kap. 26, S. 1184. 177 Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 495.

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Anh. § 45 Rz. 40 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG zelner Gesellschaftsanteile mit einem erhöhten Stimmrecht eine gegen die guten Sitten verstoßende Abhängigkeit der übrigen Gesellschafter herbeigeführt wird178. Anteile ohne Stimmrecht sind möglich179. Häufig ist in GmbH & Co. KG-Verträgen die KomplementärGmbH vom Stimmrecht ebenso ausgeschlossen wie von der Kapitalbeteiligung (Rz. 21, 39)180, z.B. indem das Stimmrecht an die Festkapitalkonten gebunden und der GmbH kein Kapitalanteil eingeräumt wird. Die GmbH & Co. KG ohne Komplementärstimmrecht gilt sogar als typische Gestaltung (Rz. 39)181. Das Stimmrecht kann durch den Gesellschaftsvertrag auch hinsichtlich bestimmter Beschlussgegenstände ausgeschlossen werden182. Der Stimmrechtsausschluss findet allerdings eine sachliche Schranke, wo unentziehbare Gesellschafterrechte zur Disposition stehen, vor allem beim Entzug von Sonderrechten und bei der positionsverschlechternden Begründung von Gesellschafterpflichten183. Zum Zustimmungserfordernis in diesen Fällen vgl. Rz. 28. Bei der GmbH & Co. KG mit Gesellschafteridentität gilt dies allerdings nicht für die Komplementär-GmbH184. Sie ist durch die Teilnahme ihrer Gesellschafter als Kommanditisten hinreichend geschützt. Erst recht gilt dies bei der Einheitsgesellschaft (Rz. 58 ff.). Hier bildet die Kommanditistenversammlung ihren Willen auch mit Wirkung gegen die GmbH. 41 c) Gesetzliche Vertretung bei der Stimmrechtsausübung ist möglich185. Juristische Personen

nehmen mittels ihrer Organe an der Abstimmung teil186. Testamentsvollstrecker und Insolvenzverwalter eines Gesellschafters üben das Stimmrecht nach h.M. im eigenen Namen als Amtstreuhänder aus (näher 12. Aufl., § 15 Rz. 19, 250, 254)187, jedoch wird die Stimmrechtsausübung, im Ergebnis richtig, dem Gesellschafter zugerechnet (zur Fragwürdigkeit der Rechtskonstruktion vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 16). Die Zulässigkeit einer Verwaltungstestamentsvollstreckung an Kommanditanteilen ist seit dem Beschluss BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187 = NJW 1989, 3152 geklärt188. Die h.M. verlangt allerdings, dass der Gesellschaftsvertrag diese Art der Verwaltung zulässt oder dass alle Mitgesellschafter zustimmen189. Dem ist nicht zu folgen190. Bei der GmbH & Co. KG ist Verwaltungstestamentsvollstreckung

178 BGH v. 14.5.1956 – II ZRZ 229/54, BGHZ 20, 363, 370. Näher Uwe H. Schneider, ZGR 1978, 20. 179 BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 367 ff.; Huber, S. 44 ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 208; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 496; Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 37. 180 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 73/92, GmbHR 1993, 591 = NJW 1993, 2100 = ZIP 1993, 1076; Bahnsen, GmbHR 2001, 317 ff. 181 Binz/Sorg, § 4 Rz. 56; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.135. 182 Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.138; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 46. 183 BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 368; BGH v. 10.10.1994 – II ZR 18/94, LM Nr. 32 zu § 119 HGB m. Anm. Roth = NJW 1995, 194, 195 = JZ 1995, 311, 313 m. Anm. Karsten Schmidt; näher U. Huber, S. 47; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 496; Bahnsen, GmbHR 2001, 317, 319 f. 184 BGH v. 24.5.1993 – II ZR 73/92, GmbHR 1993, 591 = NJW 1993, 2100 = ZIP 1993, 1076. 185 RGZ 123, 298, 299; BGH v. 21.6.1965 – II ZR 68/63, BGHZ 44, 98, 100 f. = NJW 1965, 1961; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 12; Hoffmann/Barlitz in Heymann, 3. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 17; Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 34; speziell für die GmbH & Co. KG etwa Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.136; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 178. 186 S. auch RGZ 123, 299. 187 Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 62. 188 Str.; Nachweise bei Karsten Schmidt, GesR, § 45 V 7; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 139 HGB Rz. 45–51; § 177 HGB Rz. 27 ff. 189 BGH v. 3.7.1989 – II ZB 1/89, BGHZ 108, 187, 191 = NJW 1989, 3152, 3153 = GmbHR 1990, 28; OLG Hamm v. 17.1.1991 – 15 W 428/90, NJW-RR 1991, 837; h.M.; vgl. Oetker in Oetker, 6. Aufl. 2019, § 177 HGB Rz. 16. 190 Näher Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 177 HGB Rz. 27; Karsten Schmidt in FS Maier-Reimer, 2010, S. 629 ff.; vgl. schon Marotzke, JZ 1986, 457, 460.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 42 Anh. § 45

unter denselben Voraussetzungen zulässig wie bei der GmbH (zu ihr vgl. 12. Aufl., § 15 Rz. 250). d) Stimmrechtsvollmacht. Traditionell galt eine gewillkürte Stellvertretung (Teilnahme- und 42 Stimmrechtsvollmacht) im Recht der Personengesellschaften als problematisch (vgl. demgegenüber § 47 Abs. 3 für die GmbH)191. Dahinter verbarg sich ein zu enges Verständnis der Höchstpersönlichkeit des Stimmrechts. Die Bevollmächtigung eines zur Teilnahme an der Versammlung Berechtigten, insbesondere eines Mitgesellschafters, ist grundsätzlich unbedenklich192, die Bevollmächtigung eines Dritten dagegen nur nach Maßgabe des Einzelfalls, durchweg nur aufgrund vertraglicher Zulassung oder mit Billigung aller Gesellschafter193. Das Problem liegt weniger bei der Wirksamkeit der Bevollmächtigung als bei der Zulassung des Vertreters zur Teilnahme an der Versammlung194. Fehlt eine vertragliche Regelung, so kann nach wohl h.M. die Versammlung den Bevollmächtigten grundsätzlich zurückweisen. Wenn diese Rüge unterbleibt, kann die Unzulässigkeit der Stimmabgabe allerdings nicht mehr geltend gemacht werden195. Nur wenn die Bevollmächtigung eines Mitgesellschafters ebenso unzumutbar ist wie eigenes Erscheinen, soll die Bevollmächtigung selbst eines zur Berufsverschwiegenheit verpflichteten Dritten zulässig sein196. Diese h.M. bedarf der Korrektur. Sie stellt die berechtigten Schutzinteressen der Mitgesellschafter über die des vertretenen Gesellschafters197. Zwar gibt es kein generelles Teilnahmerecht Dritter (Rz. 34), aber die allseitigen Treupflichten gebieten im Einzelfall eine Interessenabwägung. Aus strukturellen Gründen ist jedenfalls in der „verzahnten“ GmbH & Co. KG (mit Identität von Kommanditisten und GmbH-Gesellschaftern oder mit der bei Rz. 55 ff. geschilderten Einheitsversammlung) eine Anpassung der Teilnahmerechte in beiden Gesellschaften am Platze. Vorbehaltlich anderer Vertragsregelung spricht dies dafür, die Stimmrechtsvollmacht bei der KG im gleichen Umfang zuzulassen wie bei der GmbH (vgl. dazu 12. Aufl., § 47 Rz. 76 ff.)198. Vollends unangebracht ist ein Verbot der Stimmrechtsvertretung in Fällen der Stimmabgabe außerhalb der Versammlung, z.B. bei schriftlicher Abstimmung199. Wo die Stimmrechtsvertretung mit der Teilnahme an Versammlungen einhergeht, ist auf eine flexible interessengerechte Lösung abzustellen, die sich im Fall der personenidentischen GmbH & Co. KG an 12. Aufl., § 47 Rz. 89 ff. auszurichten hat. Eine gesetzliche Form (vgl. § 47 Abs. 3: Textform) ist nicht vorgeschrieben, doch kann ein nicht hinreichend ausgewiesener Vertreter zurückgewiesen werden. Die Vertragspraxis sollte in allen diesen Fragen Klarheit schaffen200. Wird ein Mitgesellschafter – etwa die Komplementär-GmbH – zur Stimmabgabe bevollmächtigt, so prüft

191 Vgl. Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 490; Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 119 HGB Rz. 59. 192 Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 19. 193 Vgl. RGZ 123, 298, 299 f.; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 357 = JZ 1952, 144 m. Anm. Hueck; BGH v. 1.12.1969 – II ZR 14/68, NJW 1970, 706; Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 19; Hoffmann/Bartlitz in Heymann, § 119 HGB Rz. 17; Lieder in Oetker, 6. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 17; Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 21; Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 119 HGB Rz. 59; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 490. 194 Ausführlich Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 490 ff.; s. auch Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 25; Weipert in MünchHdb. GesR II, § 14 Rz. 77 ff. 195 RGZ 123, 298, 300; Robert Fischer in Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 119 HGB Rz. 27. 196 BGH v. 1.12.1969 – II ZR 14/68, LM Nr. 8 zu § 109 HGB = NJW 1970, 706; Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 19. 197 Karsten Schmidt, GesR, § 19 III 4c; Weipert in MünchHdb. GesR II, § 14 Rz. 79 ff. 198 Anders wohl die h.M.; besondere vertragliche Regelung oder Zustimmung der Mitgesellschafter verlangt Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.140. 199 Karsten Schmidt, GesR, § 19 III 4c; Weipert in MünchHdb. GesR II, § 14 Rz. 79; s. auch Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 490. 200 So auch Eickhoff, Rz. 354.

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Anh. § 45 Rz. 42 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG der BGH201, ob § 181 BGB verletzt ist, weil die Komplementär-GmbH sowohl im eigenen Namen als auch im Namen des Kommanditisten an der Beschlussfassung teilnimmt. Doch bestehen, abgesehen davon, dass § 181 BGB Befreiungen zulässt, nicht im Grundsatz Bedenken, sondern nur bei Interessenkonflikten im Einzelfall (näher 12. Aufl., § 47 Rz. 177 ff.). 43 e) Unzulässig ist nach h.M. auch hier (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 20) die abspaltende Sonder-

übertragung des Stimmrechts202. Der BGH hat hervorgehoben, dass auch „besondere Gestaltungsformen der Kommanditgesellschaft“, mithin auch die GmbH & Co. KG, von dieser Regel nicht ausgenommen sind203. Dieser Grundsatz wird nicht auf die Abspaltung des Stimmrechts in der Substanz beschränkt. Regelungen, die der Abspaltung praktisch gleichkommen, werden ihr auch rechtlich gleichgestellt. Die Praxis erklärt demgemäß auch die verdrängende (mit Stimmverzicht oder Unwiderruflichkeit verbundene) Stimmrechtsvollmacht für unwirksam204. Die Vollmacht kann allerdings als widerrufliche aufrechterhalten werden205. Gleiches gilt für die Ermächtigung eines Dritten zur ausschließlichen Ausübung des Stimmrechts im eigenen Namen206. Dagegen hat der BGH im Urteil vom 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 365 ff. die Abspaltung einer Stimmberechtigung zugunsten eines Mitgesellschafters für eine Konstellation aufrechterhalten, bei der der eine Anteil stimmrechtslos, der andere dagegen mit eigenem Mehrfachstimmrecht ausgestattet war207. Die Zulässigkeit einer solchen Regelung wurde allerdings im Gefolge dieser Entscheidung bezweifelt208; jedenfalls darf sie den Schutz gegen den Eingriff in unentziehbare Gesellschafterrechte nicht schmälern. Demgegenüber sind schuldrechtliche Stimmbindungen (12. Aufl., § 47 Rz. 35 ff.) auch gegenüber Dritten in der Personengesellschaft und in den bei § 47 dargestellten Grenzen auch der GmbH zulässig und durchsetzbar (Rz. 39)209.

44 f) Obligatorische Gruppenvertretung210. Keine unzulässige Stimmrechtsabspaltung ist die

obligatorische Gruppenvertretung (zu ihr auch 12. Aufl., § 47 Rz. 80 für die GmbH)211. 201 BGH v. 24.11.1975 – II ZR 89/74, BGHZ 66, 82 = BB 1976, 527 = NJW 1976, 958 = WM 1976, 472. 202 BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354 = JZ 1952, 114 m. Anm. Hueck; BGH v. 22.2.1060 – VII ZR 83/59, LM Nr. 6 zu § 105 HGB = JZ 1960, 490 m. Anm. A. Hueck; U. Huber, S. 50 ff.; Flume, Personengesellschaft, § 14 IV, S. 220 ff.; Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 19; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 11; Lieder in Oetker, 6. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 16; Immenga, ZGR 1974, 392 ff.; zu den Begründungen der h.M. vgl. kritisch H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit, 1970, S. 382 ff.; Beuthien, ZGR 1974, 53 ff. 203 BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 364. 204 BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354 = JZ 1952, 114 m. Anm. Hueck; BGH v. 15.12.1969 – II ZR 69/67, BB 1970, 187 = NJW 1970, 468; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 288/94, DStR 1996, 387 m. Anm. Goette; A. Hueck, ZHR 125 (1963), 8; Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 18; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 29; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 52; s. dazu auch Flume, Personengesellschaft, § 14 IV, S. 223 ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 225. 205 Vgl. U. Huber, S. 53. 206 BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 363, 365 f. 207 S. auch Robert Fischer in Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 119 HGB Rz. 25; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 52; Immenga, ZGR 1974, 393. 208 Goette in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 119 HGB Rz. 15. 209 Ausf. Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 500 ff. 210 Terminologie nach Karsten Schmidt, ZHR 146 (1982), 525; diese Terminologie hat sich durchgesetzt. 211 BGH v. 12.12.1966 – II ZR 41/65, BGHZ 46, 291 = NJW 1967, 826; dazu Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 5; Wiedemann, GesR II, § 4 I 6b; Michalski, Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Perpetuierung von Unternehmen, 1980, S. 171 ff.; Reuter, Privatrechtliche Schranken …, 1973, S. 210 ff.; Weipert in MünchHdb. GesR II, § 12 Rz. 26 ff.; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 536 ff.; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten, 1965, S. 185 ff.;

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 44 Anh. § 45

Grundlage der Gruppenvertretung ist eine Vertreterklausel, nach der die Angehörigen eines Gesellschafterstamms, z.B. die Erben und Erbeserben eines Gesellschafters, die Gesellschafterrechte nicht persönlich, sondern einheitlich nur durch einen Vertreter ausüben dürfen212. Die Vertreterklausel soll der Zersplitterung der Willensbildung, insbesondere in Familiengesellschaften, entgegenwirken, z.B. in Fällen der Nachfolge mehrerer Erben in einen Kommanditanteil (Stimmrecht nach Stämmen). Durch eine solche Vertreterklausel wird einer Aufspaltung des bisher einheitlichen Stimmrechts insbesondere in Fällen der (vorweggenommenen) Erbfolge vorgebeugt. Es ist dies ein Anliegen, dem bei der GmbH durch die §§ 16, 18 Genüge getan wird. Bei der GmbH & Co. KG kann die Vertreterklausel Instrument der Koordinierung der Willensbildung in der GmbH und der KG sein. Die Klausel wirkt allerdings nicht, wo es gilt, den Kommanditisten neue Pflichten aufzuerlegen oder in Sonderrechte bzw. sonst in unentziehbare Gesellschafterrechte einzugreifen, richtigerweise nicht einmal bei Beschlüssen, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen213. Im Übrigen bestimmt sich die Reichweite der Vertreterklausel nach deren Auslegung214. Der Vertreter wird grundsätzlich von den betroffenen Kommanditisten selbst bestellt215. Dies geschieht nach bisher h.M. einstimmig216, nach einer Gegenansicht folgt die erforderliche Mehrheit den in der (Haupt-)Gesellschaft geltenden Mehrheiten217, woraus sich ein Streit darüber ergeben hat, ob ggf. eine qualifizierte Mehrheit vonnöten ist218. Nach der hier vertretenen Auffassung erfolgt die Bestellung durch Mehrheitsentscheidung (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 80)219. Während der II. Zivilsenat des BGH im Urteil vom 12.12.1966 – II ZR 41/65, BGHZ 46, 291, 297 für das Einstimmigkeitsprinzip eingetreten ist und das Mehrheitsprinzip in BGH v. 4.10.2004 – II ZR 356/02, NJW-RR 2005, 39, 40 als „undifferenziert“ in Zweifel gezogen hat220, zeigte der Kartellsenat des BGH Tendenz zu dem hier vertretenen Mehrheitsprinzip221. Die hier vertretene Auffassung beruht auf dem Grundgedanken, dass die durch das Gruppenstimmrecht zusammengefassten Kommanditisten wie Mitberechtigte an einem ungeteilten Gesell-

212 213 214 215 216 217 218 219

220 221

Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 42 f.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 205 ff.; Hurst, DNotZ 1967, 7 ff.; Immenga, ZGR 1974, 393 ff.; Karsten Schmidt, ZHR 146 (1982), 525; Schmitz-Valckenberg, DNotZ 2006, 156 ff. Dazu etwa Casper in Staub, 5. Aufl. 2015, § 164 HGB Rz. 30; Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 52; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.136; ablehnend Reuter, Privatrechtliche Schranken …, 1973, S. 210 ff. Vgl. BGH v. 4.10.2004 – II ZR 356/02, NJW-RR 2005, 39, 40; BGH v. 4.10.2004 – II ZR 356/02, ZIP 2004, 2282, 2284; A. Hueck, ZHR 125 (1963), 10 f.; einschr. Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 205; unentschieden BGH v. 12.12.1966 – II ZR 41/65, BGHZ 46, 291, 295. Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 540. BGH v. 12.12.1966 – II ZR 41/65, BGHZ 46, 291, 297; näher A. Hueck, ZHR 125 (1963), 12. BGH v. 12.12.1966 – II ZR 41/65, BGHZ 46, 291, 296; Flume, Personengesellschaft, § 14 V; Weipert in MünchHdb. GesR II, § 12 Rz. 31 ff.; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten, 1965, S. 394 f.; Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 161 HGB Rz. 85. Wiedemann, GesR II, § 4 I 6b. Vgl. über Stimmrechtskonsortien Habersack, ZHR 164 (2000), 1, 19 ff.; krit. Zöllner in FS Ulmer, 2003, S. 725 ff.; König, ZGR 2005, 417, 422 ff. Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 5; Karsten Schmidt in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 76, §§ 744, 745 BGB Rz. 10; Karsten Schmidt, ZHR 146 (1982), 542 f.; zust. Schörnig, Die obligatorische Gruppenvertretung, 2001, S. 106–124; wohl auch Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 537 f.; Habersack, ZHR 164 (2000), 1, 18 f. Vgl. auch BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = GmbHR 2009, 306 = NJW 2009, 669 = ZIP 2009, 216 – Schutzgemeinschaft II; Lieder in Oetker, 6. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 30. BGH v. 6.10.1992 – KVR 24/91, BGHZ 119, 346, 353 ff. = NJW 1993, 1265, 1266 f. (insoweit nicht in GmbHR 1993, 44); s. auch BGH v. 19.1.1993 – KVR 32/91, BGHZ 121, 137, 150 f. = NJW 1993, 2114, 2116 = AG 1993, 334, 336; OLG Düsseldorf v. 6.7.1994 – 17 W 44/94, WM 1994, 1799, 1801 = ZIP 1994, 1447, 1448 = GmbHR 1995, 525.

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Anh. § 45 Rz. 44 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG schaftsanteil gestellt werden sollen (vgl. § 745 BGB)222. Nur Beschlüsse, die in das gemeinschaftliche Anteilsrecht eingreifen, unterliegen der einfachen Mehrheit223. Dies entspricht dem regelmäßigen Vertragswillen und verhindert, dass ein Außenseiter die ganze Gruppe handlungsunfähig macht. Bestimmt der Gesellschaftsvertrag, dass die Gesellschafter einstimmig beschließen, so kann dies allerdings dafür sprechen, dass dies auch innerhalb des Stammes gelten soll224. Eine Bestimmung des Vertreters durch Dritte, z.B. die Gesellschaft, ist nicht unbeschränkt zulässig, weil sie Abspaltungseffekte (Rz. 43) haben kann225. Die gebundenen Gesellschafter haben gegenüber ihrem Vertreter ein Weisungsrecht226. Dieses Weisungsrecht kann die Mehrheit der vertretenen Gesellschafter ausüben227. Die Gestaltung der Gruppenvertretung im Einzelnen wird im Innenverhältnis von der vertretenen Gruppe bestimmt. Sie muss aber, was das Außenhandeln der Gruppe und die Legitimation des Gruppenvertreters anlangt, mit dem Gesellschaftsvertrag im Einklang stehen. Der Gesellschaftsvertrag kann Näheres bestimmen, die Gebundenheit eines Gruppenvertreters aber nicht vollständig ausschließen; jedenfalls die Kündigung des Vertreters aus wichtigem Grund ist unabdingbar228. Die Abberufung des Gruppenvertreters kann nach bestrittener, aber richtiger Auffassung mangels anderweitiger Regelung durch die vertretene Gruppe mit einfacher Mehrheit erfolgen229. Vgl. zu all dem auch 12. Aufl., § 47 Rz. 80 für die GmbH. 45 g) Ein Drittstimmrecht wird ausnahmsweise für zulässig erklärt, wenn es den Interessen der

Gesellschaft und nicht nur dem Interesse des stimmberechtigten Dritten dient230. Im Hinblick auf das Abspaltungsverbot (Rz. 39) kann es sich aber bei diesem „Stimmrecht“ nur um die einem Dritten von den Gesellschaftern eingeräumte Einflussmöglichkeit handeln, die dem Dritten, ganz anders als das auf der Mitgliedschaft beruhende Stimmrecht, jederzeit wieder genommen werden kann231. Mitgliedschaftliche Sonderrechte (12. Aufl., § 3 Rz. 100 f.) können nur Gesellschaftern, nicht Dritten, zugestanden werden (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 20). 46 h) Die Stimmverbote des (fortgebildeten) § 47 Abs. 4 – „Insichgeschäft“ (12. Aufl., § 47

Rz. 109 ff.) und „Richten in eigener Sache“ (12. Aufl., § 47 Rz. 132 ff.) – gelten sinngemäß auch in der GmbH & Co. KG232. Speziell für die KG geregelt sind allerdings nur Einzelfälle des Verbots, bei der inneren Willensbildung als „Richter in eigener Sache“ mitzuwirken233:

222 Karsten Schmidt, ZHR 146 (1982), 545 f.; vgl. auch Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 537; Karsten Schmidt in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 741 BGB Rz. 76; Habersack, ZHR 164 (2000), 1, 18 ff. 223 Vgl. Karsten Schmidt in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, §§ 744, 745 BGB Rz. 11; Karsten Schmidt, ZHR 146 (1982), 525, 537 ff.; Habersack, ZHR 164 (2000), 1, 18 f. 224 Vgl. BGH v. 25.9.1989 – II ZR 304/88, NJW-RR 1990, 99, 100 = GmbHR 1990, 75. 225 Vgl. BGH v. 12.12.1966 – II ZR 41/65, BGHZ 46, 291, 297. 226 Vgl. BGH v. 12.12.1966 – II ZR 41/65, BGHZ 46, 291, 295; Flume, Personengesellschaft, § 14 V; Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 161 HGB Rz. 88; Immenga, ZGR 1974, 399 ff. 227 Karsten Schmidt, ZHR 146 (1982), 549; zust. Schilling in Staub, 4. Aufl., § 163 HGB Rz. 17; a.M. Flume, Personengesellschaft, § 14 V; Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 161 HGB Rz. 88. 228 Vgl. A. Hueck, ZHR 125 (1963), 22; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 205. 229 Vgl. A. Hueck, ZHR 125 (1963), 23; Immenga, ZGR 1974, 397 ff.; Karsten Schmidt, ZHR 146 (1982), 550 ff.; auch Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 543; a.M. Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 161 HGB Rz. 86 m.w.N. 230 BGH v. 22.2.1960 – VII ZR 83/59, NJW 1960, 963 = JZ 1960, 490 m. Anm. A. Hueck; zust. z.B. Robert Fischer in Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 119 HGB Rz. 24; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 48; eingehende Kritik bei Nitschke, S. 286 ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 220 ff. 231 U. Huber, S. 47 ff.; zust. auch Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.137. 232 Vgl. Binz/Sorg, § 4 Rz. 55; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.139; Liebscher in Reichert, § 17 Rz. 152 ff.; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 15; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 509; Weinhardt, DB 1989, 2417 ff. 233 Robert Fischer in Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 119 HGB Rz. 22; Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 2a bb.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 46 Anh. § 45

Über die Geltendmachung von Ansprüchen wegen Verletzung des gesetzlichen Wettbewerbsverbots beschließen die übrigen Gesellschafter (§ 113 Abs. 2 HGB); Anträge auf Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis oder der Vertretungsmacht und auf Ausschließung stellen die übrigen Gesellschafter (§§ 117, 127, 140 HGB). Die Fortsetzung einer Personengesellschaft trotz Gesellschafterinsolvenz und trotz Gläubigerkündigung ist nach § 141 HGB selbstverständlich Sache der verbleibenden Gesellschafter. Eine dem § 47 Abs. 4 oder seinen Schwestervorschriften entsprechende Stimmverbotsregel ist nicht einmal de lege ferenda in den Entwürfen für die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) vorgesehen, weil es dessen nicht bedürfe234. Nach ganz h.M. gelten die sich aus § 34 BGB, § 136 AktG, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 6 GenG ableitenden allgemeinen Regeln über den Stimmrechtsausschluss auch in der Personengesellschaft235. Demgemäß ist der Gesellschafter auch dann vom Stimmrecht ausgeschlossen, wenn über seine Entlastung, über die Befreiung von einer Verbindlichkeit oder über die Einleitung oder Verfolgung eines Rechtsstreits mit ihm beschlossen werden soll236. Dieses Stimmverbot ist unabdingbar (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 173). Umstritten war, ob auch das aus § 47 Abs. 4 ablesbare Stimmverbot wegen Insichgeschäfts für Personengesellschaften gilt237. Die bejahende Auffassung, hier bis zur 9. Aufl. noch ausführlich begründet, hat sich durchgesetzt238. Allerdings kann dieses Stimmverbot im Gesellschaftsvertrag wegbedungen werden239. Wegen der Einzelheiten kann auf 12. Aufl., § 47 Rz. 98–186 verwiesen werden. Auch behält die Ausnahme für Beschlüsse auf der Verbandsebene (sog. „Sozialakte“, vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 110 ff.) Geltung240, so dass bei der Beschlussfassung über die Geschäftsführung (Bestellung und ordentliche Abberufung) der Kandidat nicht als Gesellschafter vom Stimmrecht ausgeschlossen ist241. Die trotz Stimmverbots abgegebene Stimme ist ungültig. Ein Beschluss, der auf ihrer Mitzählung beruht, ist rechtswidrig und kann unwirksam oder anfechtbar sein, wenn er auf der falschen Auszählung beruht (vgl. zu den Folgen näher Rz. 47 ff.). Von dem Stimmverbot zu unterscheiden ist auch hier die Anwendung des § 181 BGB auf die Stimmabgabe durch Stellvertreter (12. Aufl., § 47 Rz. 178 ff. und 185). § 181 BGB behandelt nicht die Befangenheit des Abstimmenden gegenüber der Gesellschaft, sondern schützt den bei der Ausübung des Stimmrechts Vertretenen bei Interessenkonflikten (12. Aufl., § 47 Rz. 178). Nach BGH v. 24.9.1990 – II ZR 167/89, BGHZ 112, 339 = GmbHR 1991, 60 = NJW 1991, 691 findet § 181 BGB bei der Personengesellschaft Anwendung, wenn ein Gesellschafter, der von anderen Gesellschaftern bevollmächtigt ist, mit den Stimmen seiner Vollmachtgeber zum Geschäftsfüh234 Reserviert Drescher in ZGR-Sonderheft 23, 2021, S. 115, 122; scharfe Kritik bei Heckschen, NZG 2020, 761, 764. 235 Nachw. bei Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 15; Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 30 ff.; Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 65 ff.; s. auch beiläufig KG v. 26.2.2004 – 2 U 36/02, NZG 2004, 664 f. (zur GbR). 236 BGH v. 9.5.1974 – II ZR 84/72, BB 1974, 996; Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 32; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 20; Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 39. 237 Als Überblick vgl. Begr. RegE MoPeG 2021, zu § 714 BGB-E: bejahend z.B. Flume, Personengesellschaft, § 14 IX, S. 248; Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 2; Zöllner, Schranken, S. 193; Martens in Schlegelberger, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 40; Weinhardt, DB 1989, 2418; verneinend: A. Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, S. 170 f.; Geßler in Schlegelberger, 4. Aufl., § 119 HGB Rz. 3; Robert Fischer in Großkomm. HGB, 3. Aufl., § 119 HGB Rz. 22. 238 Vgl. zusammenfassend Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 70; a.A. Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 33; Beispiel für eine gesellschaftsvertragliche Verweisung auf § 47 Abs. 4: KG v. 26.2.2004 – 2 U 36/02, NZG 2004, 664, 665 (GbR). 239 Vgl. Goette in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 2. Aufl. 2008, § 119 HGB Rz. 14; Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 34. 240 In diesem Sinne Lieder in Oetker, 6. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 26. 241 KG v. 26.2.2004 – 2 U 36/02, NZG 2004, 664, 665.

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Anh. § 45 Rz. 46 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG rer bestellt wird. Die Anwendung des § 181 BGB kann durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 47 Rz. 173). Diese Tatsache ist in das Handelsregister eintragbar242, nach umstrittener, aber wohl richtiger Auffassung sogar eintragungspflichtig243. Für die Befreiung von § 181 BGB im Einzelfall ist der vertretene Gesellschafter zuständig. Vom formellen Stimmverbot muss als ein Problem der Inhaltskontrolle die Frage des Stimmrechtsmissbrauchs (Rz. 47) unterschieden werden. 47 i) Die Inhaltsgrenzen der Stimmrechtsmacht (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 47 Rz. 26 ff.)

müssen auch bei der KG von den Stimmverboten unterschieden werden. Insbesondere ist die Stimmrechtsausübung auch in der GmbH & Co. KG treupflichtgebunden (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 47 Rz. 180). Die Unentbehrlichkeit dieses Schutzes selbst neben dem Bestimmtheitsgrundsatz (Rz. 24 f.) wurde nachdrücklich betont in BGH v. 24.11.2008 – II ZR 116/08, BGHZ 179, 13 = GmbHR 2009, 306 = NJW 2009, 669 = ZIP 2009, 261 – Schutzgemeinschaft II. Ein Missbrauch der Stimmrechtsmacht und eine Treupflichtwidrigkeit des Beschlussergebnisses können den Beschluss rechtswidrig machen (Rz. 54). Insbesondere die Geschäftschancenlehre gilt auch für Personengesellschaften244. Auch positive Stimmpflichten eines Personengesellschafters sind anerkannt, wenn der beantragte Beschluss objektiv notwendig und dem Gesellschafter subjektiv zumutbar ist (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 31)245.

5. Fehlerhafte Beschlüsse Schrifttum (vgl. zunächst vor Rz. 1 und vor Rz. 20): Baumann/Wagner, Zur Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften, BB 2017, 1993; Bauschatz, Rechtsschutzmöglichkeiten bei der Feststellung des Jahresabschlusses einer KG, NZG 2002, 759; Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1997; Borris, Die „Schiedsfähigkeit“ von Beschlussmängelstreitigkeiten in der Personengesellschaft, NZG 2017, 761; Drescher, Beschlussmängelrecht, in ZGR-Sonderheft 23, Modernisierung des Personengesellschaftsrechts, 2021, S. 115 ff.; Emde, Der Streitwert bei Anfechtung von GmbH-Beschlüssen und Feststellung der Nichtigkeit von KG-Beschlüssen in der GmbH & Co. KG, DB 1996, 1537; Heinrich, Schiedsfähigkeit III – Richtungswechsel des BGH bei Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften, ZIP 2018, 411; Herrchen, Beschlussmängel im GmbH- und Personengesellschaftsrecht, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2016, 2017, S. 83; Kögler, Der Verbandsbeschluss und seine Anfechtung, 1995; Köster, Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gegen Gesellschafterbeschlüsse bei oHG und KG, 1981; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970; Max Noack, Adieu „Feststellungsmodell“, bonjour „Anfechtungsmodell“ – Über den Systemwechsel im Beschlussmängelrecht der Personengesellschaften, ZIP 2020, 1382; Ulrich Noack, Fehlerhafte Beschlüsse in Gesellschaften und Vereinen, 1989, S. 169 ff.; Otto, Anforderungen an die Schiedsvereinbarung für gesellschaftsrechtliche Beschlussmängelstreitigkeiten, ZGR 2019, 1082; Rittmeyer, Der Rechtsschutz gegen fehlerhafte Beschlüsse im privaten Verbandsrecht, Diss. Münster 2000; Schlüter, „Schiedsfähigkeit III“ – Ein Schritt in Richtung eines neuen Rechts der Beschlussmängelstreitigkeiten?, DZWIR 2018, 251; Karsten Schmidt, Die Beschlussanfechtungsklage bei Vereinen und Personengesellschaften, in FS Stimpel, 1985, S. 217; Karsten Schmidt, Rechtsschutz gegen Beschlüsse in der (Publikums-)Kapitalgesellschaft & Co., DB 1993, 2167; Karsten Schmidt, Schiedsklauseln in Personengesellschaftsverträgen – zugleich zum Beschluss „Schiedsfähigkeit III“, NZG 2018, 121; A. Schmitt, Das Be242 OLG Hamburg v. 29.4.1986 – 2 W 3/86, BB 1986, 1255; BayObLG v. 7.4.2000 – 3 Z BR 77/00, GmbHR 2000, 731 = BB 2000, 1054; Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 22. 243 Vgl. Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 125 HGB Rz. 26; Born in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 106 HGB Rz. 18; Krafka in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 8 HGB Rz. 33. 244 BGH v. 4.12.2012 – II ZR 159/10, DB 2013, 391 = NZG 2013, 216 = GmbHR 2013, 259. 245 Vgl. BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = NJW 2010, 65 = ZIP 2009, 2289 = GmbHR 2010, 32 – Sanieren oder Ausscheiden; zu Vertragsänderungen BGH v. 18.3.1974 – II ZR 80/72, NJW 1974, 1656 m. Anm. Reuter, ZGR 1976, 88; BGH v. 20.10.1986 – II ZR 86/85, NJW 1987, 952 = JZ 1987, 95 m. Anm. Wiedemann; BGH v. 8.11.2004 – II ZR 350/02, NJW-RR 2005, 263 = NZG 2005, 129.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 49 Anh. § 45 schlussmängelrecht der Personengesellschaften, 1997; Scholz, Beschlussmängelstreitigkeiten in Personengesellschaften, WM 2006, 897; Schröder, Neue Konzepte zum Beschlussmängelrecht der GmbH und der Personengesellschaften, GmbHR 1994, 532; Schwab, Das Prozessrecht gesellschaftsinterner Streitigkeiten, 2005; Timm, Beschlussanfechtungsklage und Schiedsfähigkeit im Recht der personalistisch strukturierten Gesellschaften, in FS Fleck, 1988, S. 365; Westermann, Die Verteidigung von Mitgliedschaftsrechten in der Personengesellschaft, NZG 2012, 1121.

a) Die herrschende Auffassung. Nach h.M. können Gesellschafterbeschlüsse in einer Per- 48 sonengesellschaft fehlerfrei oder nichtig oder (wenn sie genehmigungsfähig sind) unwirksam246, aber niemals anfechtbar sein247. Die im Kapitalgesellschaftsrecht miteinander zusammenhängenden Mechanismen der Anfechtbarkeit (12. Aufl., § 45 Rz. 93 ff.), des Anfechtungsbedürfnisses (12. Aufl., § 45 Rz. 123) und der kassatorischen, gestaltenden Anfechtungsklage werden nicht in das Personengesellschaftsrecht übernommen. Der entscheidende Konflikt zwischen den Zielen der Elastizität und der Rechtssicherheit (12. Aufl., § 45 Rz. 36) wird also, anders als bei der GmbH, von der h.M. zugunsten der Elastizität gelöst. Die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Beschlusses kann nach dieser h.M. auf jede Weise, z.B. durch Feststellungsklage (Rz. 49), geltend gemacht werden. Wie z.B. das Urteil BGH v. 7.6.1999248 zeigt, soll dies sogar für die Publikums-Personengesellschaft gelten249. Nur de lege ferenda richtet sich die h.M. auf das im GmbH-Recht praeter legem anerkannte Anfechtungsmodell (12. Aufl., § 45 Rz. 93 ff., 123) ein. In den §§ 110 ff. HGB-E des Regierungsentwurfs zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts wird eine Unterscheidung von Nichtigkeit und Anfechtbarkeit sowie die Einführung eines dem Kapitalgesellschaftsrecht entsprechenden Klagensystems vorgeschlagen250. aa) Herrschende Ansicht: Feststellungklage statt Anfechtungsklage. Das geltende Recht 49 kennt deshalb nach dieser h.M. keine („kassatorische“) Anfechtungsklage. Auch eine echte Nichtigkeitsklage mit gestaltender, d.h. für und gegen jedermann verbindlicher, Wirkung (vgl. zur Nichtigkeitsklage 12. Aufl., § 45 Rz. 46 ff., 174) erkennt die h.M. bei der GmbH & Co. KG als Personengesellschaft nicht an251. Rechtsstreitigkeiten über die Wirksamkeit von KG-Beschlüssen werden nach h.M. unter den Gesellschaftern ausgetragen252, und zwar durch

246 Vgl. nur Sudhoff, Rechte und Pflichten des Kommanditisten, S. 59; Unwirksamkeitsgrund ist z.B. insbesondere das Fehlen einer Zustimmung; vgl. BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, NJW-RR 2007, 757 = GmbHR 2007, 535 = NZG 2007, 381 = ZIP 2007, 381. 247 Vgl. A. Hueck, Das Recht der OHG, 4. Aufl. 1971, S. 184; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.166 ff.; Liebscher in Reichert, § 18 Rz. 52 ff.; Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 31; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 77 ff.; Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 119 HGB Rz. 75, 77 f.; Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 709 BGB Rz. 105 ff.; eingehend Nitschke, S. 206 ff. 248 BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113 = BB 1999, 1835 m. Anm. Casper = NZG 1999, 935 m. Anm. Brandes = JuS 2000, 298 (Karsten Schmidt). 249 Dazu auch OLG Rostock v. 30.7.2008 – 1 U 33/08, GmbHR 2009, 321 = NZG 2009, 705. 250 Eingehend zum Mauracher Entwurf eines MoPeG Drescher in ZGR-Sonderheft 23, 2021, S. 115, 123 ff.; Max Noack, ZIP 2020, 1382 ff.; zum Referentenentwurf Tröger/Happ, NZG 2021, 133 ff. 251 BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113 = BB 1999, 1835 m. Anm. Casper = NZG 1999, 935 m. Anm. Brandes = JuS 2000, 298 (Karsten Schmidt); BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, NJW 2011, 2578 = GmbHR 2011, 539; eingehend Nitschke, S. 206 ff. 252 Vgl. nur BGH v. 30.6.1966 – II ZR 149/64, BB 1966, 1169; BGH v. 23.10.1967 – II ZR 164/65, BB 1968, 145; BGH v. 2.5.1983 – II ZR 94/82, WM 1983, 785; OLG Hamburg, BB 1967, 1267; OLG Frankfurt v. 19.3.1993 – 24 U 50/92, DB 1993, 2172; bei Personengesellschaften sieht die h.M. die Gesellschafter als Parteien in Mitgliedschaftsstreitigkeiten an (vgl. BGH v. 15.6.1959 – II ZR 44/ 58, BGHZ 30, 195; BGH v. 5.6.1967 – II ZR 128/65, BGHZ 48, 175, 177; BGH v. 13.7.1981 – II ZR 56/80, BGHZ 81, 263, 264 f.; BGH v. 30.4.1984 – II ZR 293/83, BGHZ 91, 132, 133; BGH v. 6.11.1989 – II ZR 302/88, GmbHR 1990, 517 = WM 1990, 309; BGH v. 11.12.1989 – II ZR 61/89, WM 1990, 675; BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1995, 1218 = GmbHR 1995, 303; OLG Stutt-

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Anh. § 45 Rz. 49 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO253. Ein Feststellungsinteresse besteht für Feststellungsklagen gegenüber jedem einzelnen Mitgesellschafter254, jedenfalls aber für die Klage gegen alle die Nichtigkeit bestreitenden Mitgesellschafter255. Werden mehrere Mitgesellschafter verklagt, so sind sie nach dieser h.M. einfache, nicht notwendige Streitgenossen256. Durch Urteil vom 5.3.2007 hat der Bundesgerichtshof allerdings – endlich257! – anerkannt, dass ein Feststellungsinteresse auch für eine Feststellungsklage gegen die Gesellschaft bestehen kann, wenn ein Gesellschafter geltend macht, dass der Beschluss, um wirksam zu sein, seiner Zustimmung bedurft hätte258. Der Gesellschaftsvertrag kann (und sollte im Fall einer GmbH & Co. KG!) eine Klage gegen die Gesellschaft – d.h. die durch den Geschäftsführer der Komplementärin vertretene KG – statt gegen die Mitgesellschafter zulassen oder sogar vorschreiben (vgl. auch Rz. 50 a.E.)259. Die Vereinbarung einer „Anfechtungsfrist“ reicht dem BGH aber hierfür nicht aus260. Im Hinblick auf die bei Rz. 52 und 57 vertretene Auffassung scheint auch eine Vertragsregelung zulässig, die eine Feststellungsklage gegen die Komplementär-GmbH als Passivpartei statt gegen alle Mitgesellschafter zulässt. Auch eine Rechtskrafterstreckung auf alle Gesellschafter kann gesellschaftsvertraglich vereinbart werden261. Eine echte Anfechtungsklage als Gestaltungsklage kann der Gesellschaftsvertrag, wenn man von der h.M. ausgeht, nicht vorschreiben262, denn die Beteiligten können nicht durch Vertrag vom Gesetz nicht anerkannte Gestaltungsklagen einführen263. Dies kann nur im Wege der Gesetzgebung oder der Rechtsfortbildung geschehen (zu letzterer Rz. 52). Auf der Grundlage der h.M. wird

253

254 255 256 257 258 259

260 261 262 263

gart v. 27.8.2008 – 14 U 50/07, DStR 2009, 651 Rz. 33; OLG Stuttgart v. 31.3.2010 – 14 U 20/09, DB 2010, 1058 Rz. 70 f.; st. Rspr.; s. allerdings auch BGH v. 17.2.1992 – II ZR 100/91, ZIP 1992, 541 = JuS 1992, 792 m. Anm. Karsten Schmidt; kritisch zur Rspr. Bork, ZGR 1991, 125 ff. Dazu Köster, S. 85 ff.; Noack, S. 169; Lieder in Oetker, 4. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 97; Schäfer in Staub, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 90 ff.; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.168; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 555 ff.; Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 79 ff.; Beispiele: BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, WM 1987, 1102 = NJW 1988, 411 = GmbHR 1988, 20; BGH v. 11.12.1989 – II ZR 61/89, NJW-RR 1990, 474 = WM 1990, 675; BGH v. 21.10.1991 – II ZR 211/90, NJW-RR 1992, 227 = WM 1992, 57; BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113 = BB 1999, 1835 m. Anm. Casper = NZG 1999, 935 m. Anm. Brandes = JuS 2000, 298 (Karsten Schmidt); BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/009, BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, GmbHR 2011, 83, 85; OLG Stuttgart v. 27.8.2008 – 14 U 50/07, DStR 2009, 651 Rz. 33; OLG Stuttgart v. 31.3.2010 – 14 U 20/09, DB 2010, 1058 Rz. 70 f. BGH v. 30.6.1966 – II ZR 149/64, BB 1966, 1169; OLG Frankfurt v. 19.3.1993 – 24 U 50/92, DB 1993, 2172 = NJW-RR 1994, 727; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 557; zweifelnd OLG Hamburg v. 27.9.1967 – VIII ZR 79/66, BB 1967, 1267. OLG Hamburg v. 27.9.1967 – VIII ZR 79/66, BB 1967, 1267; Lieder in Oetker, 6. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 73; Beispiel: BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, WM 1987, 1102 = NJW 1988, 411 = GmbHR 1988, 20. OLG Hamburg v. 27.9.1967 – VIII ZR 79/66, BB 1967, 1267; Schäfer in Staub, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 92 mit Berufung auf BGHZ 30, 195 (betr. Ausschließung). Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 45 I 1b; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 174; Bork, ZGR 1991, 125 ff. BGH v. 5.3.2007 – II ZR 282/05, NJW-RR 2007, 757 = GmbHR 2007, 535 = ZIP 2007, 766 = NZG 2007, 381. BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 353 = NJW 1983, 1056, 1057 = GmbHR 1983, 297; BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, GmbHR 1988, 20 = NJW 1988, 411; BGH v. 24.3.2003 – II ZR 4/09, NJW 2003, 820; BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, GmbHR 2011, 539 = NJW 2011, 2578; OLG Celle v. 26.8.1998 – 9 U 56/98, NZG 1999, 64; OLG München v. 26.9.2012 – 7 U 2565/11; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 557. BGH v. 1.3.2011 – II ZR 83/09, NJW 2011, 2578 = GmbHR 2011, 539. Schäfer in Staub, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 92. Str.; vgl. Köster, S. 163 f. Vgl. Nitschke, S. 207; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 557; insoweit auch Karsten Schmidt, JuS 1986, 39; a.M. Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966, S. 293.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 50 Anh. § 45

man eine die Anfechtungsklage zulassende oder vorschreibende Vertragsregelung so zu verstehen haben, dass Beschlussmängel in den für GmbH-Beschlüsse geltenden Fristen (12. Aufl., § 45 Rz. 141 ff.) geltend gemacht werden müssen264, und zwar mit Rechtskraftwirkung unter allen Gesellschaftern265. Darüber hinaus wird man als richtigen Beklagten dann die Gesellschaft – d.h. die KG, vertreten durch den Geschäftsführer ihrer Komplementärin – ansehen müssen. Als zulässig anzusehen ist auch eine Regelung des Gesellschaftsvertrags, nach der diese Geltendmachung bei Mängeln, die nicht zwingend zur Nichtigkeit führen, durch Klage zu geschehen hat (Rz. 50)266. Das unterscheidet sich klar von einer automatisch eintretenden Unwirksamkeit und von deren Geltendmachung durch Feststellungsklage und kommt einem Anfechtungsmodell immerhin nahe. Mindestens bei Publikumsgesellschaften sollte aber die h.M. – auch ohne echte Anfechtungsklagen anzuerkennen – die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit oder auf Nichtdurchführung eines Beschlusses gegen die Gesellschaft als Normalfall anerkennen267. Sogar für eine Streitwertbemessung analog § 247 AktG werden gute Gründe vorgetragen268. Etabliert hat sich dieser Standpunkt vorerst aber nicht. bb) Herrschende Ansicht: keine Anfechtungsfrist. Ebensowenig wie eine echte Anfech- 50 tungsklage gibt es nach h.M. echte Anfechtungsfristen269. Die Klage unterliegt nur der Verwirkung270. Diese Verwirkung versteht sich als eine Präklusion von (Unwirksamkeits- oder) Nichtigkeitseinwänden. Wird die Unwirksamkeit oder Nichtigkeit verspätet geltend gemacht, so tritt Rügeverlust ein. Die Treupflicht hält den Gesellschafter an, die Fehlerhaftigkeit eines Beschlusses alsbald geltend zu machen. Scharfe Grenzen lassen sich nicht ziehen. Deswegen wäre es unangebracht, etwa auf die aktiengesetzliche Dreijahresgrenze (§ 242 AktG) oder Monatsfrist (§ 246 AktG) abzustellen271. Richtlinie sollte jedoch in der GmbH & Co. KG auch für die h.M. die Frage sein272: Könnte dieser Mangel nach GmbH-Recht noch geltend gemacht werden? Die traditionelle Auffassung ist weniger streng273. Doch kann der Gesellschaftsvertrag den Gesellschaftern vorschreiben, Mängel, die in der GmbH nur Anfechtungsgründe sind, rechtzeitig wie Anfechtungsgründe geltend zu machen274. Der Gesellschaftsvertrag kann sogar feste Fristen bestimmen (z.B. eine Monatsfrist275), wie dies auch bei der GmbH zulässig ist (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 144). Aber solche Vertragsklauseln unterliegen richterlicher Kontrolle. Eine Monatsfrist darf – wie bei der GmbH (12. Aufl., § 45 Rz. 144) – nicht unterschritten werden276. Ist eine feste Frist vorgesehen, so genügt i.d.R. die rechtzeiti-

264 Zu solchen Klauseln vgl. BGH v. 20.1.1977 – II ZR 217/75, BGHZ 68, 212, 216 = NJW 1977, 1292, 1296; BGH v. 30.6.1966 – II ZR 149/64, WM 1966, 1036 = BB 1966, 1169; BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, GmbHR 1988, 20 = WM 1987, 1102 = NJW 1988, 411. 265 Vgl. diesbezüglich Schäfer in Staub, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 92. 266 Dazu Noack, S. 176 f. 267 Karsten Schmidt, DB 1993, 2166 gegen OLG Frankfurt v. 19.3.1993 – 24 U 50/92, DB 1993, 2172 = NJW-RR 1994, 727. 268 Emde, DB 1996, 1557 ff. 269 Vgl. BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113 = BB 1999, 1835 m. Anm. Casper = NZG 1999, 935 m. Anm. Brandes = JuS 2000, 298 (Karsten Schmidt); Köster, S. 89 f.; Liebscher in Reichert, § 18 Rz. 9; ältere Angaben bei Karsten Schmidt, AG 1977, 253 f. 270 BGH v. 24.9.1990 – II ZR 167/89, BGHZ 112, 339, 344 = NJW 1991, 691, 693 = GmbHR 1991, 60, 61; BGH v. 7.6.1999 – II ZR 278/98, NJW 1999, 3113 = BB 1999, 1835 m. Anm. Casper = NZG 1999, 935 m. Anm. Brandes = JuS 2000, 298 (Karsten Schmidt); Freitag in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 79. 271 So auch OLG Celle v. 26.8.1998 – 9 U 56/98, NZG 1999, 64, 65. 272 In gleicher Richtung BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1995, 1218, 1219 = GmbHR 1995, 303, 304; Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 4.171. 273 Vgl. Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 223; ältere Nachweise bei Karsten Schmidt, AG 1977, 254. 274 Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 80 m.w.N. 275 Vgl. BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, GmbHR 1988, 20 = WM 1987, 1102 = NJW 1988, 411. 276 BGH v. 13.2.1995 – II ZR 15/94, NJW 1995, 1218 = GmbHR 1995, 303.

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Anh. § 45 Rz. 50 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG ge Einreichung der Klage, sofern nur die Zustellung „demnächst“ (§ 167 ZPO) erfolgt277. Eine Empfehlung für die Vertragsformulierung kann dahingehen, dass eine Frist und die Führung des Prozesses gegen die Gesellschaft vorgeschrieben wird (Rz. 42). Eine solche Vertragsregelung kommt dem vor der gesetzlichen Einführung stehenden und hier schon de lege lata vertretenen Anfechtungsmodell (Rz. 52 ff.) im Ergebnis nahe, ohne sich auf dieses festzulegen. Setzt sich die Anfechtungslösung durch, so bleibt sie im Einklang mit anerkanntem Recht. 51 cc) Heilbarkeit. Obwohl die h.M. keine Anfechtbarkeit von Beschlüssen kennt, unterscheidet

sie doch heilbare und unheilbare Verstöße. Die „Heilung“ besteht dann in der Beseitigung oder Präklusion eines behebbaren Unwirksamkeits- oder Nichtigkeitsgrundes. Sie kann der Beschlussfassung vorausgehen (Rügeverzicht, Vollversammlung) oder ihr nachfolgen (so etwa bei nachträglichem Rügeverzicht oder Rügeverlust). Durch die Versammlung heilbar sind i.d.R. Verfahrensverstöße278. Auch einen Bestätigungsbeschluss (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 32) wird man zulassen können. Fehlt noch eine Erklärung, so liegt in Wahrheit eine noch unvollständige Beschlussfassung oder schwebende Unwirksamkeit vor. So, wenn bei erforderlicher Einstimmigkeit oder bei erforderlicher Mitwirkung des von einem Mehrheitsbeschluss betroffenen Gesellschafters dessen Erklärung der Beschlussfassung nachfolgt279.

52 b) Stellungnahme: aa) Kassatorische Klagen (Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage) auch

gegen Mehrheitsbeschlüsse der Kommanditgesellschaft. Die vertragsgestaltende und die forensische Praxis muss sich auf die bei Rz. 48 ff. dargestellte h.M. einrichten. Aber die h.M. ist rückständig und für die Praxis der GmbH & Co. KG unzureichend auf das Recht der GmbH abgestimmt. Sie sollte durch Übernahme des bei 12. Aufl., § 45 Rz. 35–182 dargestellten GmbH-Konzepts überwunden werden280. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Beschlussanfechtungsklage sei ein Spezifikum des Kapitalgesellschafts- und Genossenschaftsrechts281. Bereits seit Jahrzehnten hatten einzelne Stimmen für die Anfechtungsklage bei Personengesellschaften plädiert282. Es gelang jedoch nicht, das entscheidende Kriterium herauszuarbeiten. Wenig überzeugend ist z.B. der Gedanke, die Beschlussanfechtungsklage auf die GmbH & Co. KG oder/und auf körperschaftlich strukturierte Gesellschaften zu beschränken283. So richtig es ist, dass insbesondere in Publikumsgesellschaften die Klage gegen die Gesellschaft zugelassen werden sollte (Rz. 49), so wenig ist doch eine solche Klage schon deshalb ohne weiteres als Gestaltungsklage und damit als Anfechtungsklage anzuerkennen. Das bei 12. Aufl.,

Vgl. BGH v. 15.6.1987 – II ZR 261/86, GmbHR 1988, 20 = WM 1987, 1102 = NJW 1988, 411. Vgl. Schäfer in Staub, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 89. Vgl. RGZ 163, 392; s. auch OGHZ 4, 69; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 551. Karsten Schmidt, GesR, § 15 II 3, § 56 IV 2a; Grundlegung bei Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217 ff.; vgl. auch Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1, 26 ff.; zust. Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1997, S. 515; ausführlich Martin Schwab, S. 425–461; zust. auch Enzinger in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 HGB Rz. 98 ff.; Schröder, GmbHR 1994, 532, 537; Scholz, WM 2006, 897, 904; sympathisierend Freitag in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 82; Hoffmann/Bartlitz in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 119 HGB Rz. 11; Weipert in MünchHdb. GesR II, § 14 Rz. 116 ff.; Westermann in Hdb. PersG, Rz. I 548; Rittmeyer, S. 90 ff., 114 ff.; Schröder, GmbHR 1994, 537; Scholz, WM 2006, 897, 904; a.M. Roth in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 119 HGB Rz. 32; Martens in Schlegelberger, § 119 HGB Rz. 9 ff.; Schäfer in Staub, 5. Aufl., § 119 HGB Rz. 92; Claussen, ZGR 1992, 262 f. 281 Karsten Schmidt, GesR, § 15 II 3, § 21 V 2; zust. m.w.N. Rittmeyer, S. 90 ff. 282 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen Jüdel, S. 87 ff.; Köster, S. 106 ff.; Düringer/Hachenburg/Flechtheim, 3. Aufl., § 119 HGB Rz. 5; in Richtung auf Anerkennung der Anfechtbarkeit auch Heck in FS Otto Gierke, 1911, S. 346 f.; J. v. Gierke, Handelsrecht und Schiffahrtsrecht, 8. Aufl., S. 200. 283 Dafür aber Köster, S. 115 ff.; zust. Timm in FS Fleck, S. 372 f.; dagegen Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 229.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 52 Anh. § 45

§ 45 Rz. 36, 45 artikulierte, das Anfechtungsprinzip rechtfertigende Bedürfnis nach Rechtssicherheit ist vielmehr ein Korrelat des Mehrheitsprinzips bei AG (§ 133 AktG) und GmbH (§ 47)284. Nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Körperschaften, sondern wegen der Mehrheitsherrschaft hat sich das Anfechtungskonzept bei diesen Rechtsformen durchgesetzt. Demgemäß sollte Folgendes gelten285: In allen Personengesellschaften, bei denen Mehrheitsbeschlüsse zugelassen sind, ist zwischen nichtigen, unwirksamen und anfechtbaren Beschlüssen zu unterscheiden. Soweit ein Beschluss lediglich anfechtbar ist (vgl. zur Abgrenzung sinngemäß 12. Aufl., § 45 Rz. 62, 93 ff.), muss dies binnen angemessener Frist (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 45 Rz. 141 ff.) durch Anfechtungsklage geltend gemacht werden. Das hätte wie bei der GmbH (12. Aufl., § 45 Rz. 179) auch für die Geltendmachung unrichtiger Beschlussfeststellung, z.B. bei Mitzählung ungültiger Stimmen zu gelten (vgl. zur h.M. dagegen Rz. 38). Richtige Beklagte ist die KG. Sie wird durch die GmbH vertreten. Bei einer personenidentischen GmbH & Co. KG, die in einer „Einheitsversammlung“ entscheidet, kann sich eine Vertragsregelung empfehlen, nach der die Anfechtungsklage gegen die Komplementär-GmbH zu erheben ist (Rz. 57). Auch die Streitwertbemessung sollte in Anlehnung an die GmbH-Anfechtungsklage (12. Aufl., § 45 Rz. 153) erfolgen286. Das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) wird diese Gesichtspunkte im hier vertretenen Sinne klarstellen (§§ 110 ff. HGB-E). Die Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelprozessen galt herkömmlich wegen der bei Rz. 49 dargestellten h.M. als unproblematisch. Allerdings musste die Schiedsabrede nach der bis 1998 h.M. gemäß § 1027 ZPO a.F. – anders als in der GmbH-Satzung – in einer besonderen Urkunde außerhalb des Gesellschaftsvertrags enthalten sein287. Dem war schon nach dem damaligen Rechtszustand nicht zu folgen288. Seit dem Urteil „Schiedsfähigkeit III“ des Ersten Zivilsenats289 gelten auch für Beschlussmängel-Schiedsverfahren in der KG sinngemäß die bei 12. Aufl., § 45 Rz. 150 ff. dargestellten Regeln: Die gesellschaftsvertragliche Schiedsklausel muss sowohl die Voraussetzungen für die alle Gesellschafter bindende Wirkung des Schiedsspruchs als auch den Einfluss der Gesellschafter auf die Besetzung des Schiedsgerichts gewährleisten. Diese Entscheidung ist als mit dem Beschlussmängelmodell bei Personengesellschaften (Rz. 49 f.) unvereinbar angegriffen worden290. Im Rahmen des hier vertretenen Anfechtungsmodells (Rz. 52) ist ihr zuzustimmen291. Vollends gilt dies de lege ferenda im Rahmen des vom RegE eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts vorgesehenen und vor der gesetzlichen Anerkennung stehenden Beschlussmängelrechts (vgl. Rz. 48). Dementsprechend gilt schon für das geltende Recht: Wie bei der GmbH sollten auch bei der GmbH & Co. KG gesellschaftsvertragliche Schiedsklauseln nach § 1066 ZPO (früher § 1048 ZPO a.F.) anerkannt werden292. Die noch h.M. sieht die Schiedsvereinbarung im KG-Vertrag als eine solche nach

284 Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217, 230; Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1, 27; so auch Martin Schwab, S. 434 ff., 446. 285 Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 217 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 15 II 3, § 56 IV 2a. 286 So gegen die h.M. Emde, DB 1996, 1560. 287 BGH v. 2.6.1966 – VII ZR 292/64, BGHZ 45, 282, 286; BGH v. 11.10.1979 – III ZR 184/78, NJW 1980, 1049; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 33. Aufl. 2012, § 1066 ZPO Rz. 5; Reichold in Thomas/Putzo, 71. Aufl. 2013, § 1066 ZPO Rz. 2. 288 Karsten Schmidt, GmbHR 1990, 16 ff.; Karsten Schmidt, DB 1991, 904. 289 BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, GmbHR 2017, 759 = ZIP 2017, 1024. 290 Vgl. nur Baumann/Wagner, BB 2017, 1995 ff.; Borris, NZG 2017, 761 ff.; Garbe/Eschen, GWR 2017, 222; Heinrich, ZIP 2018, 411 ff.; Nolting, ZIP 2017, 1641 ff.; Römermann, GmbHR 2017, 761; weitere Nachw. bei Otto, ZGR 2019, 1082, 1108. 291 Karsten Schmidt, NZG 2018, 121 ff.; in ähnlicher Richtung Schlüter, DZWIR 2018, 251 ff. 292 Geimer in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 1066 ZPO Rz. 1; vgl. Karsten Schmidt, BB 2001, 1857 ff.; Karsten Schmidt in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2009, 2010, S. 97, 129; Karsten Schmidt, NZG 2018, 121, 126.

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Anh. § 45 Rz. 52 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG § 1029 ZPO an293. Die Frage hat nach dem reformierten Schiedsverfahrensrecht nicht mehr dieselbe Tragweite wie bis 1998. 53 bb) „Positive Beschlussfeststellungsklage“ bei der KG? Auch die „positive Beschlussfeststel-

lungsklage“ (12. Aufl., § 45 Rz. 180) als Gestaltungsklage sollte auf die Personengesellschaft ausgedehnt werden (vgl. demgegenüber zur h.M. Rz. 54)294. Sie ist das Instrument gegen rechtswidrige ablehnende Beschlüsse in der Personengesellschaft und soll im Zuge der Modernisierung des Personengesellschaftsrechts ausdrücklich zugelassen werden (§ 115 HGB-E des Regierungsentwurfs). In diesem Prozess kann nicht nur die Stimmenauszählung und Beschlussfeststellung geprüft werden, sondern inzident geprüft werden kann auch die Frage, ob der Gesellschafter einer positiven Stimmpflicht unterlag (vgl. aber zur h.M. Rz. 54). Die Klage ist gegen die Gesellschaft zu richten. Da der betroffene Gesellschafter in das Verfahren einbezogen wird (12. Aufl., § 45 Rz. 182) und die Gestaltungswirkung erst mit der Rechtskraft eintritt (12. Aufl., § 45 Rz. 171 f., 180), resultiert hieraus kein Rechtsschutzdefizit gegenüber § 894 ZPO. 54 c) Nichtigkeitsgründe und Anfechtungsgründe wurden bisher von der h.M. nicht systema-

tisch unterschieden (vgl. Rz. 48). Diesen Stand gilt es zu überwinden (Rz. 52), und zwar nicht erst de lege ferenda (so aber § 110 HGB-E nach dem Regierungsentwurf). Die Unterscheidungskriterien im Recht der GmbH & Co. KG entsprechen im Wesentlichen denen der GmbH (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 61 ff.). Schwere Formfehler (z.B. Mehrheitsbeschluss ohne Einberufung; schriftlicher Mehrheitsbeschluss ohne Information der Minderheit) und schwere Inhaltsmängel (z.B. Sittenwidrigkeit des Beschlussinhalts oder Verletzung zwingender Bestimmungen, die dem Schutz der Öffentlichkeit gelten) machen den Beschluss nichtig. Andere Mängel machen ihn, wenn es ein Mehrheitsbeschluss ist, nur anfechtbar. Das gilt für Verfahrensmängel wie für Inhaltsmängel. Inhaltsgrenzen der Stimmrechtsmacht ergeben sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (12. Aufl., § 45 Rz. 76, 105 f.) und aus den Treupflichten der Gesellschafter295. Sinngemäß kann auf die Ausführungen bei 12. Aufl., § 45 Rz. 104 ff. verwiesen werden. Anfechtungsgrund ist vor allem ein Verstoß des Beschlusses gegen die Treupflichten der Gesellschafter. Er führt zur Rechtswidrigkeit der Stimmabgabe und zur Anfechtbarkeit des Beschlusses (vgl. Rz. 52), nach h.M. (Rz. 48 ff.) zu seiner Unwirksamkeit. Aus den Treupflichten können sich auch positive Stimmpflichten, insbesondere Vertragsänderungspflichten, ergeben (vgl. auch Rz. 28 a.E.)296. Das BGH-Urteil „Sanieren oder Ausscheiden“ vom 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = GmbHR 2010, 32 ist hierfür ein klassisches Beispiel (vgl. 12. Aufl., § 14 Rz. 101). Dazu muss die durchzusetzende Vereinbarung oder der Beschluss zur Verwirklichung des gemeinsamen Zwecks erforderlich und dem widerstrebenden Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen Belange auch

293 BGH v. 11.10.1979 – III ZR 184/78, NJW 1980, 1049 f.; OLG Karlsruhe v. 19.10.1990 – 15 U 150/ 90, NJW-RR 1991, 493; OLG Oldenburg v. 23.5.2001 – 1 U 9/01, NZG 2002, 931, 933 (Partenreederei); Münch in MünchKomm. ZPO, 5. Aufl. 2017, § 1030 ZPO Rz. 38. 294 Karsten Schmidt in FS Stimpel, 1985, S. 229. 295 Die Darstellung gehört in das allgemeine Gesellschaftsrecht und Personengesellschaftsrecht; vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 15 II, § 16, § 21 II. 296 Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Dauerrechtsverhältnissen, 1979, S. 247 ff.; Horn, Neuverhandlungspflicht, AcP 181 (1981), 255; Alfred Hueck, Inwieweit besteht eine gesellschaftsrechtliche Pflicht des Gesellschafters einer Handelsgesellschaft zur Zustimmung zu Gesellschafterbeschlüssen?, ZGR 1972, 236; Pabst, Die Mitwirkungspflicht bei der Abänderung der Grundlagen von Personengesellschaften, 1976; Karsten Schmidt, GesR, § 5 IV; H.P. Westermann, Die Anpassung von Gesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, in FS Hefermehl, 1976, S. 225; Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privaten Personenverbänden, 1963, S. 345 ff.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 56 Anh. § 45

zumutbar sein297. Nach der älteren Rechtsprechung des BGH ist allerdings die Zustimmungspflicht grundsätzlich nur gemäß § 894 ZPO erzwingbar298. Ein anderes soll sich ohne Leistungsklage und Vollstreckung aus § 242 BGB ergeben, wenn ohne die Zustimmung die Existenz der Gesellschaft bzw. ihres Unternehmens gefährdet würde299. Das Urteil „Sanieren oder Ausscheiden“300 hat auch insofern ein Zeichen gesetzt (vgl. auch 12. Aufl., § 13 Rz. 42)301. Doch wird die Rechtsprechung eine Durchsetzung der Stimmpflicht im Rahmen einer positiven Beschlussfeststellungsklage (Rz. 53)302 nicht anerkennen, solange sie nicht auch die gestaltende Anfechtungsklage bei der KG anerkennt (dazu vgl. Rz. 49 ff.). Die Darlegungslast und die Beweislast im Prozess trägt beim Streit um die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit von Beschlüssen grundsätzlich derjenige, der gegen den Beschluss vorgeht. Es genügt nicht, dass er ins Blaue hinein die Rechtmäßigkeit der Beschlussfassung leugnet303. Über Differenzierungen vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 161.

IV. Die Schaffung einer Einheitsversammlung 1. Grundsatz Die mit der Verzahnung von GmbH und KG verbundenen Schwierigkeiten können teilweise 55 durch die Schaffung eines beide Gesellschaften umfassenden Einheitsorgans überwunden werden304. Das ist mehr als das bei Rz. 26 beschriebene „Doppelorgan“, bei dem die beiden Gesellschafterversammlungen lediglich faktisch-organisatorisch verzahnt sind. Auch hier muss unterschieden werden zwischen der nicht personengleichen GmbH & Co. KG (sogleich Rz. 56), der personengleichen GmbH & Co. KG (alsbald Rz. 57) und der sog. Einheitsgesellschaft (Rz. 58 ff.).

2. Gesellschaft ohne Gesellschafteridentität Soweit es an der Gesellschafteridentität fehlt – das ist insbesondere bei Publikumsgesellschaf- 56 ten die Regel – stößt die Schaffung eines Einheitsorgans auf rechtliche Schwierigkeiten. Sie ist i.d.R. auch nicht gewollt. GmbH und KG sind unterschiedliche Verbände mit je unterschiedlichen Mitgliederkreisen und je eigenen Organen. Die Übertragung von Zuständig297 Grundlegend BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724; s. auch RGZ 162, 388, 396; BGH v. 10.6.1965 – II ZR 6/63, BGHZ 44, 40, 41; BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253, 257; BGH v. 1.12.1969 – II ZR 14/68, NJW 1970, 706; BGH v. 18.3.1974 – II ZR 80/72, NJW 1974, 1656; BGH v. 5.11.1984 – II ZR 111/84, GmbHR 1985, 152 = NJW 1985, 974 = JuS 1985, 554 m. Anm. Karsten Schmidt; BGH v. 21.10.1985 – II ZR 57/85, NJW-RR 1986, 256 = JuS 1986, 407 m. Anm. Karsten Schmidt; BGH v. 20.10.1986 – II ZR 86/85, DB 1987, 266 = JZ 1987, 95 m. Anm. Westermann = JuS 1987, 409; BGH v. 8.11.2004 – II ZR 350/02, NJW-RR 2005, 263 = NZG 2005, 129; eingehend Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privaten Personenverbänden, 1963, S. 345 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 5 IV. 298 BGH v. 29.9.1986 – II ZR 285/85, WM 1986, 1556; s. auch Karsten Schmidt, GesR, § 5 IV 3. 299 BGH v. 29.9.1986 – II ZR 285/85, WM 1986, 1556. 300 BGH v. 19.10.2009 – II ZR 240/08, BGHZ 183, 1 = GmbHR 2010, 32 = NZG 2009, 1347 = ZIP 2009, 2289. 301 Dazu zusammenfassend Karsten Schmidt, JZ 2010, 125; Wagner, NZG 2009, 1378; Westermann, DZWiR 2010, 265. 302 Vgl. für die GmbH BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320, 330 = GmbHR 1984, 93 und dazu 12. Aufl., § 47 Rz. 32. 303 Vgl. BGH v. 19.1.1987 – II ZR 158/86, WM 1987, 425. 304 Vgl. auch Lieder in Reichert, § 17 Rz. 136.

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Anh. § 45 Rz. 56 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG keiten der GmbH-Gesellschafter auf eine Kommanditistenversammlung richtet sich nach den bei 12. Aufl., § 45 Rz. 8 ff. geschilderten Grundsätzen. Es muss also ohne Verstoß gegen das Abspaltungsverbot (vgl. 12. Aufl., § 14 Rz. 50) ein Entscheidungsgremium der GmbH geschaffen werden. Eine bloße Kommanditistenversammlung kann zwar der GmbH als Komplementärin Weisungen erteilen, soweit der Gesellschaftsvertrag dies zulässt (vgl. insbesondere zur GmbH ohne Kapitalbeteiligung in der KG Rz. 26), und sie kann auch außergewöhnlichen Geschäften der Komplementär-GmbH widersprechen (vgl. § 164 HGB), aber sie kann damit noch keine Beschlüsse „in der GmbH“ fassen.

3. Gesellschaft mit Gesellschafteridentität 57 Sind GmbH und KG durch Quotenidentität der GmbH- und der Kommanditbeteiligungen

verzahnt, so pflegen die Versammlungen beider Gesellschaften de facto in einem stattzufinden. Bei den bei Rz. 26 geschilderten Doppelorganen handelt es sich zwar um zwei rechtlich zu unterscheidende Organe unterscheidbarer Gesellschaften (GmbH-Gesellschafterversammlung und Kommanditistenversammlung), aber die Beteiligten brauchen sich in der Versammlung nur wenig darum zu kümmern, welche ihrer Beschlüsse GmbH-Beschlüsse und welche Beschlüsse Kommanditistenbeschlüsse sind. Vielmehr kann jeder einzelne Beschluss unschwer, auch im Nachhinein, als „GmbH-Sache“ oder als „KG-Sache“ eingeordnet werden (auch dazu Rz. 26). Zweckmäßigerweise wird die Einrichtung eines solchen Doppelorgans durch sorgsame Verzahnung der Gesellschaftsverträge sichergestellt. Hierzu gehört vor allem, dass die GmbH selbst kein Stimmrecht in der Kommanditgesellschaft erhält und dass die Kommanditistenversammlung nach Zuständigkeit und Stimmkraft entsprechend der GmbHLösung ausgestaltet wird (vgl. zur Pauschalverweisung im Gesellschaftsvertrag Rz. 26). Erst wenn die Fehlerhaftigkeit eines Beschlusses geltend gemacht wird, wirkt sich das herkömmlich unterschiedliche Beschlussmängelrecht (Rz. 48 ff.) belastend aus. Empfehlenswert ist eine Regelung, nach der Beschlussmängel in beiden Gesellschaften mit denselben Fristen (Rz. 50) und durch Klage gegen die GmbH (Rz. 52) geltend zu machen sind. Eine Einheitsversammlung, die auch de iure ein Einheitsorgan der als Einheit begriffenen GmbH & Co. KG darstellt, ist damit allerdings noch nicht eingerichtet. Die h.M. lässt dies (noch?) nicht zu305.

4. Einheitsgesellschaft Schrifttum: Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 12. Aufl. 2018, § 8; Bülow, Zur wechselseitigen Beteiligung bei der GmbH & Co. KG, DB 1982, 527; Esch, Die GmbH & Co. als „Einheitsgesellschaft“, BB 1991, 1129; Fleck, Die sog. Einheitsgesellschaft – ein funktionsunfähiges Gebilde?, in FS Semler, 1993, S. 115; Giehl, Willensbildung in der Einheits-GmbH & Co. KG, MittBayNot 2008, 268; Hoffmann-Becking, Karsten Schmidt und die Praxis des Personengesellschaftsrechts, NZG 2019, 1321; Hunscha, Die GmbH & Co. KG als Alleingesellschafterin ihrer GmbH-Komplementärin, 1973; Ippen, Die GmbH & Co. KG als Inhaberin sämtlicher Geschäftsanteile ihrer allein persönlich haftenden GmbH-Komplementärin, Diss. Münster 1967; v. Oppenfeld, Die Einheitsgesellschaft, 1975; Pröpper, Die GmbH & Co. KG als Einheitsgesellschaft, GmbH-StB 2010, 49; Schilling, Die GmbH & Co. KG als Einheitsgesellschaft, in FS Barz, 1974, S. 67; Karsten Schmidt, Die GmbH & Co. – eine Zwischenbilanz, GmbHR 1984, 272, 277 ff.; Karsten Schmidt, Zur Einheits-GmbH & Co. KG, in FS Westermann, 2008, S. 1425; Karsten Schmidt, Fortschritt oder Rückschritt im Recht der Einheits-GmbH & Co. KG, ZIP 2007, 2193; Karsten Schmidt, Die GmbH & Co. KG als Lehrmeisterin des Personengesellschaftsrechts, JZ 2008, 425; Wachter, Anerkennung der Einheits-GmbH & Co. KG, ZNotP 2007, 410; Werner, Die Einheits-GmbH & Co. KG, StBW 2011, 810.

305 Charakteristisch Binz/Sorg, § 8 Rz. 25; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 2.479; Gehrlein, BB 2007, 1915.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 59 Anh. § 45

a) Zulässigkeit und Gestaltungsprobleme. Organisationsrechtliche Schwierigkeiten, die mit 58 ein Grund für die gegen diese Rechtskonstruktion erhobenen Bedenken sind, bestehen bei der Einheitsgesellschaft, bei der die KG Alleingesellschafterin ihrer Komplementär-GmbH ist. Die Einheitsgesellschaft wird als zu Ende gedachte GmbH & Co. KG ohne Verzahnungsprobleme gepriesen306, teils aber auch als konstruktives Monstrum verschmäht307. In der Praxis hat sie sich zunehmend etabliert308. Ob der Gestaltungspraxis zu ihr geraten werden kann, hängt von der Bewältigung ihrer Organisationsprobleme ab. Im Wesentlichen geht es um einen Organisationsdurchgriff, der es erlaubt, die GmbH & Co. KG als eine Personengesellschaft mit Fremdorgan zu begreifen309. Dazu müsste die Komplementär-GmbH gewissermaßen weggedacht und das Gesamtgebilde als eine aus den Kommanditisten bestehende und von dem bei der GmbH angesiedelten Geschäftsführer geleitete Gesellschaft behandelt werden, wie dies der Realität der Gestaltung entspricht310. So weit geht die h.M. aber nicht. Die rechtliche Zulässigkeit der Einheitsgesellschaft wird zwar nicht mehr ernsthaft bestritten311. § 172 Abs. 6 HGB zeigt, dass der Gesetzgeber jedenfalls mit ihr rechnet, und die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts soll dies noch unterstreichen (vgl. RegE MoPeG, § 170 Abs. 2 HGB-E). Die Organisationsprobleme bleiben aber schwierig. Die Duplizität und gleichzeitige Verschränkung der beiden Gesellschaften bereitet Gestaltungsprobleme. Deshalb wurde hier in älteren Auflagen von der Gestaltung der GmbH & Co. KG als Einheitsgesellschaft abgeraten (9. Aufl., Rz. 61)312. Durch Urteil vom 16.7.2007 hat der BGH die organisationsrechtliche Trennung beider Gesellschaften betont313. Das Kammergericht hat hieraus gefolgert, dass die KG als einzige Gesellschafterin in der Gesellschafterversammlung der GmbH ihr Stimmrecht durch den GmbH-Geschäftsführer abgibt314. Die Unstimmigkeiten, die dies bei Beschlüssen über die Bestellung, Abberufung und Entlastung von Geschäftsführern mit sich bringt, sind evident315. Genau die Trennung soll jedoch mit der Einheitsgesellschaft überwunden werden316. Ist die GmbH & Co. KG durch Alleinbeteiligung der KG an ihrer Komplementärin formal einem Einheitsgebilde angenähert, so empfiehlt sich die Schaffung eines Einheitsorgans noch mehr als bei der nur gesellschafteridentischen GmbH & Co. KG (vgl. Rz. 57). Ziel der Gestaltung ist die Schaffung eines Organs für „das Unternehmen“317. Dazu bedürfte es eines organisationsrechtlichen Durchgriffs318. Solange dieser nicht anerkannt wird319, handelt es sich de iure auch hier um zwei Gesellschaften mit rechtlich getrennten Gesellschafterversammlungen320. Im Wesentlichen bieten sich zwei Wege an: b) Das Bevollmächtigungsmodell versucht de facto durch Personalunion der an den Organ- 59 befugnissen beteiligten Personen ein Einheitsorgan zu schaffen. Die KG erteilt ihren Kom-

306 307 308 309 310 311 312 313 314 315 316 317 318 319 320

Dazu Binz/Sorg, § 8 Rz. 6, 74. Vgl. nur Westermann in FS BGH, Bd. II, 2000, S. 245, 271. Vgl. Hoffmann-Becking, NZG 2019, 1321, 1324. Dafür Schilling in FS Barz, S. 67, 71; s. auch Karsten Schmidt in FS Westermann, 2008, S. 1425. Karsten Schmidt in FS Westermann, 2008, S. 1425; Karsten Schmidt, ZIP 2007, 2193, 2194; Karsten Schmidt, JZ 2008, 425, 435 f. Vgl. Binz/Sorg, § 8 Rz. 7; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 2.464. Vgl. auch Karsten Schmidt, GmbHR 1984, 277; Westermann in FS BGH, Bd. II, 2000, S. 245, 271. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 109/06, BB 2007, 1914 m. Anm. Gehrlein = GmbHR 2007, 1034 = ZIP 2007, 1658; zust. Binz/Sorg, § 2 Rz. 14. KG v. 23.7.2019 – 22 W 40/19, GmbHR 2020, 31. Anders allerdings Binz/Sorg, § 8 Rz. 12. Kritik deshalb bei Karsten Schmidt, ZIP 2007, 2193, 2195. In Richtung auf ein echtes Einheitsorgan Schilling in FS Barz, 1974, S. 72 f. Karsten Schmidt in FS Westermann, 2008, S. 1425; Karsten Schmidt, ZIP 2007, Heft 47. Charakteristisch Gehrlein, BB 2007, 1915; Hoffmann-Becking, NZG 2019, 1321, 1324. Näher Karsten Schmidt, GesR, § 56 II 3d; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 2.472; Liebscher in Reichert, § 3 Rz. 9 ff.

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Anh. § 45 Rz. 59 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG manditisten Vollmacht für die Ausübung des Stimmrechts in der GmbH, weil diese sonst, vertreten durch ihren Geschäftsführer, als Komplementärin der KG das Stimmrecht „in sich selbst“ – der GmbH – ausüben müsste321. Eine formal argumentierende Auffassung, die sich durch das BGH-Urteil vom 16.7.2007 (Rz. 58)322 bestätigt sieht, will in der GmbH die KG, vertreten durch die ihrerseits von den Geschäftsführern vertretene GmbH, als Alleingesellschafterin abstimmen lassen323. Die Kommanditisten wären demnach darauf angewiesen, auf die von ihnen gewollte Stimmabgabe zu klagen324. Dass dies der Innenverfassung einer Einheitsgesellschaft nicht genügen kann, ist evident im Hinblick auf § 46 Nr. 5 und die Weisungsgebundenheit des Geschäftsführers325. Deshalb werden Bevollmächtigungen im Kommanditgesellschaftsvertrag empfohlen326. Demgegenüber werden zwar Bedenken insoweit geäußert, als die Bevollmächtigung der Kommanditisten einer organschaftlichen Vertretung nicht ebenbürtig ist und deshalb von der Komplementär-GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer, widerrufen werden könnte327. Aber das Recht, die Gesellschaft als Bevollmächtigte zu vertreten, kann den Kommanditisten im KG-Vertrag als Sonderrecht eingeräumt werden. Gleichfalls erwogen wird, die Kommanditisten durch GmbH-Satzungsklausel zum fakultativen Gesellschaftsorgan der GmbH zu erklären328, wogegen wiederum Formaleinwände wegen des Abspaltungsverbots (12. Aufl., § 47 Rz. 20) erhoben werden (Kommanditisten als „Dritte“)329. Wird dann zugleich eine Kommanditistenversammlung in der KG eingerichtet, so ist de facto ein Einheitsorgan geschaffen. Zwar muss die KG als Alleingesellschafterin das Stimmrecht in der GmbH einheitlich ausüben, so dass der GmbH-Beschluss, wie immer die Mehrheit unter den Kommanditisten aussah, formal stets als einstimmiger Beschluss anzusehen ist; dem KG-Vertrag und der Bevollmächtigung kann aber entnommen werden, dass die Vertretungsmacht bei GmbH-Beschlüssen nur ausgeübt werden kann, wenn innerhalb der KG die nach GmbH-Recht jeweils erforderliche Mehrheit zustande gebracht worden ist330. Auf diese Weise wird die Kommanditistenversammlung de facto zum Einheitsorgan der Einheitsgesellschaft, das allerdings de iure je nach Sachlage GmbH-Beschlüsse, KG-Beschlüsse oder Beschlüsse beider Gesellschaften zustande bringt. Da die Kommanditisten gleichzeitig als Organ der KG und als Bevollmächtigte der KG in der GmbH abstimmen, entscheidet letztlich immer das Innenrecht der KG darüber, inwieweit Beschlüsse gefasst werden können331. Fehlt eine Bevollmächtigung der Kommanditisten, so ist umstritten, ob sie nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen die Komplementär-GmbH auf Herbeiführung eines ihrem Willen entsprechenden Beschlusses haben332 oder ob ihnen das Recht zur Ausübung des Stimmrechts der KG als Alleingesellschafterin der GmbH jedenfalls dann automatisch zuwächst, wenn der Geschäftsführer nach § 47 Abs. 4 von der Ausübung des Stimmrechts ausgeschlossen ist333. Ist die Gesellschaft bewusst als Einheitsgesellschaft

321 Vgl. Binz/Sorg, § 8 Rz. 17 ff.; Hunscha, S. 39 ff.; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 2.476; s. auch Schilling in FS Barz, 1974, S. 71 f.; krit. Esch, BB 1991, 1131. 322 Vgl. nur Binz/Sorg, § 8 Rz. 14. 323 Giehl, MittBayNot 2008, 268, 269. 324 Binz/Sorg, § 8 Rz. 13; Fleck in FS Semler, 1993, S. 119, 131 f.; Gehrlein, BB 2007, 1914. 325 Vgl. Hunscha, S. 44 f.; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 2.471 ff.; krit. aber Binz/ Sorg, § 8 Rz. 12 ff. 326 Vgl. nur Binz/Sorg, § 8 Rz. 15 ff.; s. auch Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 2.476. 327 Vgl. Binz/Sorg, § 8 Rz. 20 ff.; Fleck in FS Semler, 1993, S. 131 f. 328 Vgl. Binz/Sorg, § 8 Rz. 16, 19. 329 Vgl. Giehl, MittBayNot 2008, 268, 271. 330 Nicht voll übereinstimmend Schilling in FS Barz, 1974, S. 72. 331 S. auch Schilling in FS Barz, 1974, S. 72. 332 So Binz/Sorg, § 8 Rz. 23 ff.; Fleck in FS Semler, 1993, S. 128 f. 333 Karsten Schmidt, GesR, § 56 II 3e.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 62 Anh. § 45

ausgestaltet, so sprechen Praktikabilitätsgesichtspunkte für die zweite Lösung (ergänzende Vertragsauslegung)334. c) Echte Einheitsversammlung der Kommanditisten? Ein auch de iure einheitliches Organ 60 von GmbH und KG in der Einheits-GmbH & Co. KG kann außer durch Bevollmächtigung auch dadurch geschaffen werden, dass man eine Kommanditistenversammlung einrichtet, die selbst Organ nicht nur der KG, sondern auch – statt der Gesellschafterversammlung – Organ der bei der Einheitsgesellschaft zu einem bloßen Sondervermögen und zu einer Brücke zur Fremdorganschaft marginalisierten GmbH ist335. Dagegen wurden hier seit der 6. Aufl. Bedenken geäußert336: Die Gesellschafterversammlung der GmbH ist nicht in toto durch ein anderes Organ ersetzbar, ihre Zuständigkeit nicht ohne weiteres abspaltbar. Auch die Verlagerung von Zuständigkeiten von der fortbestehenden Gesellschafterversammlung auf ein anderes Organ stößt jedenfalls bei strukturändernden Beschlüssen (Satzungsänderung, Umwandlung, Verschmelzung, Unternehmensvertrag, Auflösung) auf Grenzen. Die Kommanditistenversammlung kann deshalb nur de facto eine Einheitsversammlung sein. Auch wenn sich die Kommanditisten keine Gedanken mehr um die Unterscheidung machen müssen, bleibt es doch dabei, dass sie teils „in“ der KG deren Beschlüsse, teils „für“ die KG als Alleingesellschafterin GmbH-Beschlüsse fassen. d) Organisationsrechtlicher Durchgriff? Wirklich meistern lässt sich das Modell der Ein- 61 heits-GmbH & Co. KG nur, wenn Rechtsprechung und Rechtsdogmatik der Einheitsgestaltung mit einem organisationsrechtlichen Durchgriff entgegenkommen337. Die Komplementär-GmbH wäre danach organisationsrechtlich (nicht auch vermögensrechtlich) gleichsam wegzudenken (Rz. 58). Die Einheits-GmbH & Co. KG wäre als eine mitgliedschaftlich nur durch die Kommanditisten konstituierte, von einem Fremdorgan (dem Geschäftsführer) geleitete Personengesellschaft organisiert. Die Komplementär-GmbH wäre nur noch als Trägerin eines haftenden Garantievermögens von Interesse. Doch ist die Rechtsprechung ausweislich des BGH-Urteils vom 16.7.2007 (Rz. 58)338 hiervon noch weit entfernt. e) Reformgesetzgebung: Die Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Rz. 1) soll 62 zu einer Gesetzgebung führen, die ohne Umschweife zu dem hier favorisierten Ergebnis führt (RegE MoPeG § 170 Abs. 2 HGB-E: „Sofern der einzig persönlich haftende Gesellschafter der Gesellschaft eine Kapitalgesellschaft ist, an der die Gesellschaft sämtliche Anteile hält, werden vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung die Rechte in der Gesellschafterversammlung der Kapitalgesellschaft von den Kommanditisten wahrgenommen.“).

V. Repräsentativverfassung in der GmbH & Co. KG Schrifttum (vgl. zunächst vor Rz. 1): Binge/Binz, Die Steuerungsfunktion des Beirats in der Familiengesellschaft, DB 1987, 469; Hölters, Sonderprobleme des Beirats in der GmbH & Co. KG, DB 1980, 2225; Herwart Huber, Der Beirat, 2004; Herwart Huber, Beirat und Beiratsmitglied, GmbHR 2004, 772; Immenga, Die Minderheitsrechte der Kommanditisten, ZGR 1974, 391; Maulbetsch, Beirat und Treuhand in der Publikumspersonengesellschaft, 1984; Mutter, Fakultativer Beirat der Kommanditgesellschaft, in

334 Vgl. Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511, 529 f.; dagegen aber Gehrlein, BB 2007, 1915: „mit der ausdrücklichen Regelung des § 170 HGB nicht zu vereinbaren“. 335 Vgl. Knur, DNotZ 1964, 703; Fetsch, DNotZ 1969, Sonderheft, S. 127 f.; Esch, BB 1991, 1131 f.; s. auch Sudhoff, Der Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co., S. 62; krit. Hunscha, S. 45 f. 336 Vgl. auch Fleck in FS Semler, 1993, S. 130 f. 337 Eingehend Karsten Schmidt in FS Westermann, 2008, S. 1425; Karsten Schmidt, ZIP 2007, 2193, 2197; Karsten Schmidt, JZ 2008, 425, 435 f. 338 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 109/06, BB 2007, 1914 m. Anm. Gehrlein = GmbHR 2007, 1034 m. Anm. Werner = ZIP 2007, 1658; dazu Giehl, MittBayNot 2008, 268; Wachter, ZNotP 2007, 410; skeptisch auch Hoffmann-Becking, NZG 2019, 1321, 1324.

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Anh. § 45 Rz. 63 | Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG MünchHdb. GesR II, 5. Aufl. 2019, § 8; Niewiarra, Der mit Nichtgesellschaftern besetzte Beirat in der Personenhandelsgesellschaft, Diss. Bielefeld 2000; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970, S. 279; Rutenfranz, Der Beirat im Gesellschaftsrecht, NJW 1965, 238; Semrau, Die Dritteinflussnahme auf die Geschäftsführung von GmbH und Personengesellschaften, 2001; Voormann, Der Beirat im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1990; Wälzholz, Der Beirat im mittelständischen Unternehmen, DStR 2003, 511; Chr. Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 341 ff.; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten, 1965, S. 385 ff.; Wiedemann, Verbandssouveränität und Außeneinfluss, in FS Schilling, 1973, S. 105.

1. Zulässigkeit 63 Die Frage, inwieweit Kontroll-, Entscheidungs- und Exekutivkompetenzen in der GmbH &

Co. KG auf Repräsentativorgane verlegt werden können, ist eine Frage der allgemeinen Gestaltungsfreiheit bei Personengesellschaften. Sie stellt sich vor allem bei Publikumsgesellschaften. Bei ihnen werden vielfach „Beiräte“ oder Kommanditistenvertretungen gebildet, von denen ein Teil der Mitwirkungsrechte wahrgenommen wird. Aber auch bei personalistischen Gesellschaften können Beiräte gebildet werden. Ihre Funktionen sind vielfältig339. Hier interessiert nicht der Beirat als fakultativer Aufsichtsrat, sondern der Beirat zur Mediatisierung von Gesellschafterkompetenzen (Repräsentativverfassung), z.B. als Kommanditistenausschuss340. Die Repräsentativverfassung tendiert zur Schmälerung der Individualrechte, kann aber auch zu einer maßvollen Effektivierung dieser Rechte beitragen, die die Gesellschafter einzeln oder in ihrer Gesamtheit nicht hinreichend wahrnehmen können. Das Repräsentativorgan kann nach BGH v. 19.11.1984 – II ZR 102/84, BB 1985, 423 f. = GmbHR 1985, 188 sogar zur Entscheidung über Satzungsänderungen ermächtigt werden, und wie bei der Einführung von Mehrheitskompetenzen hat der BGH auch hier ausgesprochen, dass der Bestimmtheitsgrundsatz bei einer Publikumsgesellschaft nicht beachtet zu werden braucht. Für Kommanditistenschutz sorgt die Unantastbarkeit eines Kernbereichs an Mitgliedschaftsrechten (Rz. 28)341, daneben das sog. Belastungsverbot (Rz. 28)342 und selbstverständlich auch § 138 BGB. Außerhalb der Beiratskompetenz liegen vor allem343: Änderung der Beteiligung, Erhöhung der Haftsumme, Schmälerung der Gewinnbeteiligung oder des Auseinandersetzungsguthabens. Aber auch alle Beschlüsse, die Ungleichheit zwischen den Gesellschaftern schaffen, werden jenseits der Kompetenz eines Repräsentativorgans liegen344. Regelmäßig sollte die Zuständigkeit eines Repräsentativorgans auf Maßnahmen der laufenden Verwaltung des Unternehmens beschränkt und nicht auf Strukturveränderungen im Gesellschafterkreis ausgedehnt werden345. Eine Überwachungskompetenz im Planungsbereich der Gesellschaft ist demgegenüber sinnvoll346. Beschlüsse des Repräsentativorgans können in gleicher Weise rechtswidrig und demgemäß anfechtbar bzw. (bei der Personengesellschaft nach h.M. nur:) nichtig sein wie Gesellschafterbeschlüsse (Rz. 64)347. Die Besetzung des Beirats (und die Entlassung seiner Mitglieder!) ist, sofern dies nicht anders geregelt ist, ihrerseits Sache

339 340 341 342 343 344

Ausführlich Reichert/Ullrich in Reichert, § 19. Dazu Hoppe/Mühling in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 2.323. Vgl. Voormann, S. 95 ff. Vgl. Wiedemann, S. 390. Vgl. H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit …, 1970, S. 352 ff. In dieser Richtung auch für Stimmrechtsausschluss BGH v. 14.5.1956 – II ZR 229/54, BGHZ 20, 369. 345 Vgl. H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit …, 1970, S. 353. 346 Vgl. Binge/Binz, DB 1987, 471 f. 347 Vgl. im Einzelnen Wiedemann in FS Schilling, 1973, S. 122; für die GmbH BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261.

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Gesellschafterbeschlüsse in der GmbH & Co. KG | Rz. 64 Anh. § 45

der Gesellschafterversammlung, nicht Sache der durch die Komplementär-GmbH vertretenen Personengesellschaft348. Organisatorisch hat der Beirat als Organ der Gesellschaft eigene Befugnisse, die durch Beschluss der Gesellschafterversammlung nicht ohne weiteres beschnitten werden können. Deshalb kann die Gesellschafterversammlung einer GmbH & Co. KG, wenn der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsieht, einen Beschluss des Beirats nur mit der zur Änderung des Gesellschaftsvertrags erforderlichen Mehrheit ändern349. Die Verantwortlichkeit gegenüber der Gesellschaft lehnt sich nach den in BGH v. 4.7.1977 – II ZR 150/ 75, BGHZ 69, 207350 entwickelten Grundsätzen jedenfalls bei Publikumsgesellschaften an diejenige des Aufsichtsrats in der AG (§§ 116, 93 AktG) an.

2. Fehlerhafte Beschlüsse Für die Frage, ob Beiratsbeschlüsse nichtig oder anfechtbar sein und von den Gesellschaftern 64 im Klagewege angefochten werden können351, gelten sinngemäß die Ausführungen von 12. Aufl., § 45 Rz. 184 ff. Die Fragen rechtswidriger Beiratsbeschlüsse sind insgesamt wenig geklärt, und noch weniger sind sie es bei der Personengesellschaft, deren Organisationsrecht nach h.M. keine Anfechtungsklage kennt (Rz. 48 ff.). Nach h.M. wäre also auch die Rechtswidrigkeit eines Beiratsbeschlusses bei der Personengesellschaft auf jede Weise – z.B. durch Feststellungsklage – geltend zu machen352. Erkennt man entgegen der bisher noch h.M. das Institut der Anfechtungsklage auch bei der mehrheitlich beschließenden Personengesellschaft an (vgl. Rz. 52), so spricht dies für die Übertragung dieses Prinzips auch auf rechtswidrige Beschlüsse von Repräsentativorganen. Diese Beschlüsse können also im Klagewege von den Mitgliedern angegriffen werden. Es handelt sich dabei um ein unentziehbares, also auch durch den Gesellschaftsvertrag nicht ausschließbares Recht. Schwere Beschlussmängel (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 45 Rz. 64 ff.) machen einen Beschluss nichtig. Ist der Beschluss zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig, so muss er konsequenterweise wie ein Gesellschafterbeschluss fristgemäß angefochten werden. Anderenfalls wird er unanfechtbar (anders die bisher h.M.). In Anbetracht der Rechtsprechung über fehlerhafte Aufsichtsratsbeschlüsse (12. Aufl., § 45 Rz. 185) ist aber vorerst zweifelhaft, ob die Gerichtspraxis diesem Weg folgen wird.

348 BGH v. 23.10.1967 – II ZR 164/65, BB 1968, 145, 146; Reichert/Ullrich in Reichert, § 19 Rz. 105 ff. 349 BGH v. 1.12.1969 – II ZR 224/67, BB 1970, 226 = MDR 1970, 398. 350 BGH v. 4.7.1977 – II ZR 150/75, BGHZ 69, 207 = DB 1977, 2088 = NJW 1977, 2311 = WM 1977, 1221. 351 Dazu Voormann, S. 192 ff.; Reichert/Ullrich in Reichert, § 19 Rz. 165 ff. 352 Vgl. Mutter in MünchHdb. GesR II, § 8 Rz. 7; Reichert/Ullrich in Reichert, § 19 Rz. 170.

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§ 46 Aufgabenkreis der Gesellschafter Der Bestimmung der Gesellschafter unterliegen: 1. die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Ergebnisses; 1a. die Entscheidung über die Offenlegung eines Einzelabschlusses nach internationalen Rechnungslegungsstandards (§ 325 Abs. 2a des Handelsgesetzbuchs) und über die Billigung des von den Geschäftsführern aufgestellten Abschlusses; 1b. die Billigung eines von den Geschäftsführern aufgestellten Konzernabschlusses; 2. die Einforderung der Einlagen; 3. die Rückzahlung von Nachschüssen; 4. die Teilung, die Zusammenlegung sowie die Einziehung von Geschäftsanteilen; 5. die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern sowie die Entlastung derselben; 6. die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung; 7. die Bestellung von Prokuristen und von Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb; 8. die Geltendmachung von Ersatzansprüchen, welche der Gesellschaft aus der Gründung oder Geschäftsführung gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter zustehen, sowie die Vertretung der Gesellschaft in Prozessen, welche sie gegen die Geschäftsführer zu führen hat. Text von 1892; Nr. 1 geändert durch das Bilanzrichtlinien-Gesetz v. 19.12.1985 (BGBl. I 1985, 2355); Nr. 1a, b eingefügt durch das Bilanzrechtsreformgesetz v. 4.12.2004 (BGBl. I 2004, 3166). I. Grundlagen 1. Bedeutung des Katalogs von § 46 . . . . . 1 2. Zwingende und dispositive Beschlusskompetenzen a) Satzungsautonomie . . . . . . . . . . . . . . 2 b) Katalog des § 46 . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 c) Strukturänderungskompetenzen . . . 4 3. Rückfall von Beschlusskompetenzen an die Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . 5 II. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 1–1b: Jahresabschluss und Ergebnisverwendung, Internationaler Abschluss und Konzernabschluss 1. Grundlagen a) Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 6 b) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 7 c) Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . 9 d) Abschlussfeststellung und Entscheidung über die Ergebnisverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 e) Mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . . . 11 f) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

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2. Die Feststellung des Jahresabschlusses a) Gegenstand des Beschlusses . . . . . . . b) Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtspflicht der Beteiligten zur Herbeiführung eines Beschlusses . . d) Bedeutung des Beschlusses . . . . . . . . 3. Beschluss über die Ergebnisverwendung a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . c) Änderung des Ergebnisverwendungsbeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fehlerhafte Beschlüsse a) Fehlerhafte Feststellung des Jahresabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fehlerhafte Ergebnisverwendungsbeschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abweichende Satzungsregelungen a) Zuständigkeitsregeln . . . . . . . . . . . . . b) Inhaltsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Einzelabschluss nach IAS/IFRS (§ 46 Nr. 1a) und Konzernabschluss (§ 46 Nr. 1b) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | § 46 III. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 2: Einforderung der Einlagen 1. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich a) Jede GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geldeinlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Satzungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Insolvenz und Liquidation . . . . . . . . e) Abtretung und Pfändung . . . . . . . . . 3. Die Beschlussfassung und ihre Folgen a) Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtslage bei Nichtzustandekommen eines Beschlusses a) Materielles Recht . . . . . . . . . . . . . . . . b) Actio pro socio . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 3: Rückzahlung von Nachschüssen 1. Bedeutung der Vorschrift a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Satzungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beschlussfassung und ihre Folgen . 3. GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 4: Teilung, Zusammenlegung und Einziehung von Geschäftsanteilen 1. Bedeutung der Vorschrift . . . . . . . . . . . 2. Die Beschlussfassung und ihre Folgen a) Fall der Teilung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fall der Zusammenlegung . . . . . . . . c) Fall der Einziehung . . . . . . . . . . . . . . 3. GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 5: Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern 1. Die Gesellschafterkompetenz a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestellung und Anstellung . . . . . . . . c) Willensbildung und Vertretung . . . . d) Satzungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Beschluss a) Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fehlerhafte Beschlüsse . . . . . . . . . . . . 3. Der Vollzug der Bestellung (Anstellung) oder Abberufung (Kündigung) a) Bestellung durch Erklärung gegenüber dem Geschäftsführer . . . . . . . . b) Vertretung der Gesellschaft . . . . . . . c) Abberufung von Geschäftsführern .

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d) Eintragung in das Handelsregister . e) Vorschlagsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 5: Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich a) Betroffene Gesellschaftsorgane . . . . b) Gegenstand der Beschlussfassung . . c) Satzungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktion und Rechtsnatur a) Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsdogmatische Einordnung der Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konkludente (stillschweigende) Entlastungserklärungen? . . . . . . . . . 3. Umfang der Präklusionswirkung a) Persönliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . b) Sachliche Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgenseite . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unverzichtbare Ansprüche . . . . . . . . 4. Der Entlastungsbeschluss a) Tagesordnung und Beschlussantrag b) Beschlussfassung und Stimmverbot c) Beschlussumfang . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fehlerhafte Entlastung . . . . . . . . . . . 5. Entlastungsverweigerung und Entlastungsklage a) Verweigerung der Entlastung . . . . . . b) Kein Anspruch auf Entlastung . . . . . c) „Entlastungsklage“ . . . . . . . . . . . . . . 6. Generalbereinigung a) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompetenz der Gesellschafter . . . . . c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Privileg für Vergleichsverträge? . . . . e) Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . 7. GmbH & Co. KG a) Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Generalbereinigung . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 6: Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung . . . . . . . . 1. Die Aufgaben der Gesellschafter a) Zuständigkeit der Gesellschaftergesamtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Satzungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesellschafterinformation und Berichtspflichten der Geschäftsführer . d) Beschlussantrag der Gesellschafter oder Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . 2. Der Handlungsrahmen der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 46 | Aufgabenkreis der Gesellschafter 3. Beschlussfassung a) Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz gegen fehlerhafte Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 7: Bestellung von Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb 1. Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte der GmbH a) Prokura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einzelprokura und Gesamtprokura . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Generalhandlungsvollmacht . . . . . . . 2. Bedeutung der Gesellschafterzuständigkeit a) Vollmacht und Dienstvertrag (Arbeitsvertrag) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Willensbildung und Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedeutung des Beschlusses . . . . . . . . 3. Beschlussfassung a) Stimmrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussprozedur . . . . . . . . . . . . . . . c) Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vollmachterteilung, Registereintragung, Vollmachtswiderruf a) Vollmachterteilung . . . . . . . . . . . . . . b) Handelsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Widerruf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abweichende Satzungsregeln . . . . . . . . 6. GmbH & Co. KG a) Prokuristen der Kommanditgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Prokuristen der KomplementärGmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 8: Geltendmachung von Ersatzansprüchen und Bestellung von Prozessvertretern 1. Bedeutung der Bestimmung a) Inhalt und Zweck der Bestimmung . b) Praktische Auswirkung . . . . . . . . . . . 2. Die erste Variante des § 46 Nr. 8: Geltendmachung von Ersatzansprüchen a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ausnahmen vom Beschlusserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fehlende Beschlussfassung . . . . . . . . f) Actio pro socio . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die zweite Variante des § 46 Nr. 8: Vertretung der Gesellschaft in Prozessen mit den Geschäftsführern a) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Amt des Prozessvertreters . . . . . e) Verhältnis zur Prozesspflegschaft und zur Notgeschäftsführung . . . . . 4. GmbH & Co. KG a) Geltendmachung von Ersatzansprüchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestellung von Prozessvertretern . . . XI. Gesetzliche Zuständigkeiten außerhalb von § 46 1. Strukturändernde Beschlüsse . . . . . . . . 2. Sonstige Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . .

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I. Grundlagen Schrifttum: Bachmann/Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, 2012; Eickhoff, Die Praxis der Gesellschafterversammlung bei GmbH und GmbH & Co. KG, 4. Aufl. 2006; Born, GmbH-Recht – Höchstrichterliche Rechtsprechung, 2. Aufl. 2020, Rz. 1196 ff.; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 93, 185; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986; Wessing/Max, Zur Rückfallkompetenz der Gesellschafterversammlung bei Funktionsunfähigkeit des Beirats, in FS Werner, 1984, S. 975; Wolany, Rechte und Pflichten des Gesellschafters einer GmbH, 1964; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963. S. auch vor Rz. 6, vor Rz. 69, Rz. 85, Rz. 110, vor Rz. 139.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 2 § 46

1. Bedeutung des Katalogs von § 46 Im Recht der GmbH gilt ein Grundsatz der sachlichen Allzuständigkeit1 der Gesellschafter 1 (über die Gesellschaftergesamtheit als Organ der GmbH vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 5)2. Deshalb kann der Katalog des § 46 nicht erschöpfend sein (vgl. auch Rz. 2). Auch im Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführer können die Gesellschafter jederzeit Beschlüsse fassen (vgl. demgegenüber § 119 Abs. 2 AktG). Unberührt bleibt der organisationsrechtliche Unterschied zwischen dem Leitungsorgan (Geschäftsführung) und dem Willensbildungsorgan (Gesellschafter). Hauptaufgabe des § 46 ist die organisationsrechtliche Abgrenzung zwischen Geschäftsführerzuständigkeit und Gesellschafterzuständigkeit. Die in § 46 angeordnete Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung markiert teils eine ausschließliche Zuständigkeit der Gesellschafter unter Ausschluss der Geschäftsführer (so insbesondere Nrn. 1, 1a, 1b, 4– 6, 8)3, teils, nämlich im Bereich der Geschäftsführerzuständigkeit, jedenfalls eine Vorgriffszuständigkeit der Gesellschafter4, denn auch wo die Geschäftsführer für ausführende Handlungen zuständig sind, unterliegen sie den Weisungen und der Kontrolle der Gesellschafter (Rz. 111) und sind ggf. vorlagepflichtig (vgl. Rz. 114). Aus demselben Grund spielt bei § 46 immer wieder die Frage eine Rolle, ob die Gesellschafter nur für die Willensbildung oder auch für die Ausführung der beschlossenen Maßnahmen zuständig sind. Die Regeln des § 46 gelten für jede GmbH, auch für die Einpersonen-GmbH5 und auch für die Vor-GmbH (12. Aufl., § 11 Rz. 54 ff.). Bei einer GmbH mit obligatorischem Aufsichtsrat sind dessen Kompetenzen nach dem MitbestG bzw. nach dem DrittelbG zu beachten (vgl. dazu § 52).

2. Zwingende und dispositive Beschlusskompetenzen a) Satzungsautonomie Der Katalog des § 46 ist weitgehend dispositiv (vgl. sogleich Rz. 3). Der Gesellschaftsvertrag 2 kann Zuständigkeiten auf andere Gesellschaftsorgane verlagern (12. Aufl., § 45 Rz. 8 ff.). Es kann auch ein von § 46 abweichender gesellschaftsvertraglicher Katalog von Gesellschafterzuständigkeiten formuliert werden6. Der Gesellschaftsvertrag kann einzelne Zuständigkeiten aus dem gesetzlichen Katalog herausnehmen oder andere hinzufügen. Doch gibt es Grenzen (vgl. Auch 12. Aufl., § 45 Rz. 10). Die Trennung zwischen den Gesellschaftern als Eignern und Verbandsmitgliedern (Willensbildungsorgan) auf der einen und der Geschäftsführung (Leitungsorgan) auf der anderen Seite kann nicht völlig aufgehoben werden7. Auch wenn diese Trennung, wie beim Gesellschafter-Geschäftsführer einer Einpersonen-GmbH, nahezu unsichtbar wird8, bleibt doch der Unterschied zwischen Gesellschafterbeschluss und 1 Wie hier Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 2; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Masuch in Bork/Schäfer, Rz. 2; Römermann in Michalski u.a., Rz. 3 f.; Altmeppen, § 45 Rz. 2; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 1; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 134; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 1; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 89. 2 Unrichtige Korrektur bei Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1 („Kompetenzen der Gesellschafterversammlung“); nach dem Rechtsbild des GmbHG sind (mit oder ohne Versammlung) die Gesellschafter das Entscheidungsorgan (vgl. § 48 Abs. 2 sowie in diesem Kommentar 12. Aufl., § 45 Rz. 5, 12. Aufl., § 48 Rz. 1). 3 Vgl. Karsten Schmidt, KTS 2005, 261 f. 4 So offenbar auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 1 ff., 90; der Streit um Worte ist hoffentlich beigelegt; selbstverständlich war hier auch in der 9. Aufl. nicht gemeint, dass die Gesellschafter nur auf Initiative der Geschäftsführer entscheiden. 5 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 7. 6 Ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7. 7 Wie hier Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4 m.w.N. 8 Dazu etwa Zöllner/Hueck in Baumbach/Hueck, Rz. 7.

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§ 46 Rz. 2 | Aufgabenkreis der Gesellschafter Geschäftsführungsakt. Zudem muss die Satzungsautonomie der Gesellschafter unangetastet bleiben, und diese müssen oberstes Organ der Gesellschaft bleiben9. Umgekehrt kann den Gesellschaftern keine Zuständigkeit eingeräumt werden, die außerhalb der Verbandsmacht liegt. Beispielsweise kann die Versammlung nicht durch den Gesellschaftsvertrag zum Schiedsgericht für Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gesellschaft und einzelnen Gesellschaftern (oder der Gesellschafter untereinander) bestellt werden10. Wohl allerdings kann die Versammlung nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrags Schiedsstelle in dem Sinne sein, dass jeder Gesellschafter, bevor er Klage gegen die Gesellschaft erheben will, verpflichtet ist, die Versammlung als Gesellschaftsorgan mit dem Ziel der Schlichtung und Beschlussfassung anzurufen (vgl. über schiedsgerichtsähnliche Gesellschaftsorgane auch 12. Aufl., § 45 Rz. 14 f.). Ein auf diesem Wege gefasster Beschluss ist aber nur eine „Entschließung“ (dazu näher 12. Aufl., § 45 Rz. 19), die nicht zur Erhaltung des Rechtsschutzes angefochten werden muss. b) Katalog des § 46 3 Die meisten Zuständigkeiten aus dem Katalog des § 46 – nicht alle! – sind dispositiv11. Auf

Einzelheiten wird, soweit erforderlich, bei der Erläuterung der einzelnen Regelungen eingegangen. Nicht zwingend ist § 46 Nr. 1 (zulässige Verlagerung der Entscheidung über den Jahresabschluss oder die Gewinnverwendung auf ein anderes Gremium; vgl. Rz. 46). Dasselbe gilt für § 46 Nr. 1a und 1b12. Die Einforderung der Einlagen (§ 46 Nr. 2) kann nach dem Gesellschaftsvertrag ohne Beschluss zulässig sein oder an die Entscheidung eines anderen Organs (z.B. eines Aufsichtsrats) gebunden werden. Nicht zwingend ist auch § 46 Nr. 3, denn nur die Einforderung von Nachschüssen (12. Aufl., § 26 Rz. 14 f.), nicht aber deren Rückzahlung unterliegt der zwingenden Gesellschafterkompetenz. Ebenfalls dispositiv ist § 46 Nr. 4 (anderes sah für den Fall der Einziehung von Geschäftsanteilen § 77 Abs. 2 Nr. 4 RegE 1971 vor). Auch § 46 Nr. 5 (Bestellung, Abberufung und Entlastung von Geschäftsführern) ist grundsätzlich nicht zwingend, allerdings kann den Gesellschaftern das Recht nicht genommen werden, einen Geschäftsführer aus wichtigem Grund abzuberufen (eine gesetzliche Klarstellung war vorgesehen in §§ 77 Abs. 2 Nr. 12, 69 Abs. 2 RegE 1971). Was die Prüfung und Überwachung der Geschäftsführer anlangt (§ 46 Nr. 6), so ist zwar die Verantwortlichkeit der Geschäftsführer unabdingbar, aber die Aufgaben des Überwachungsorgans können verlagert werden (z.B. auf einen Aufsichtsrat oder Beirat), auch kann die Bestellung von Sonderprüfern vorgesehen werden. Auch § 46 Nr. 7 (Bestellung von Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigten) und Nr. 8 (Geltendmachung von Ersatzansprüchen und Prozessvertretung) sind nicht zwingend (vgl. Rz. 134, 143). c) Strukturänderungskompetenzen 4 Zur Frage, welche der in § 46 nicht aufgezählten gesetzlichen Beschlusskompetenzen der Ge-

sellschafter zwingend sind, vgl. Rz. 178 ff. Es handelt sich im Wesentlichen um die Beschlussfassung über strukturändernde Maßnahmen: Satzungsänderungen, Kapitalmaßnahmen, Unternehmensverträge und Umwandlungen. Bereits unter dieser Schwelle können allerdings Vorlagepflichten der Geschäftsführer zum Tragen kommen (Rz. 115).

9 H.M.; vgl. nur Zöllner/Hueck in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 3. 10 RGZ 55, 326. 11 Übereinst. Altmeppen, Rz. 1; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11. 12 So auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11; Altmeppen, Rz. 14; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 14 f.; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 16.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 5 § 46

3. Rückfall von Beschlusskompetenzen an die Gesellschafter Soweit der Gesellschaftsvertrag Gesellschafterzuständigkeiten wirksam ausschließt, können 5 die Gesellschafter nicht mit einfacher Mehrheit eine Erstzuständigkeit wieder an sich ziehen. Dies wäre ein satzungsdurchbrechender Beschluss (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 34a f.). Der Rückfall von Kompetenzen, die den Gesellschaftern durch Satzung entzogen sind, setzt in einem solchen Fall eine Satzungsänderung voraus. Ohne Satzungsänderung kommt ein automatischer Rückfall der Beschlusskompetenz an die Gesellschafter in Betracht, wenn ein Festhalten an der abweichenden Zuständigkeit die Gesellschaft handlungsunfähig machen würde (12. Aufl., § 45 Rz. 11) oder wenn die Satzungsregelung den Rückfall vorbehält. Dies ist eine Frage der Satzungsauslegung: Eine Kompetenzregelung in der Satzung, die ein anderes Organ für zuständig erklärt, kann im Einzelfall gegenstandslos werden. Dies gilt z.B. nach BGHZ 12, 337 ff. für eine Satzungsregelung, wonach statt der Gesellschafter der Aufsichtsrat den Geschäftsführer entlässt und das Dienstverhältnis kündigt, wenn der nach dem Gesellschaftsvertrag zuständige Aufsichtsrat handlungsunfähig ist. Doch kann ein Rückfall der Beschlusskompetenz jedoch ohne deutlichen Anhaltspunkt im Text der Satzung nur angenommen werden, soweit die Bedeutung und Eilbedürftigkeit der zu treffenden Entscheidung Vorrang vor einer Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des satzungsmäßig zuständigen Organs hat.

II. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 1–1b: Jahresabschluss und Ergebnisverwendung, Internationaler Abschluss und Konzernabschluss Schrifttum: (Auswahl; vgl. zunächst die Angaben bei § 29): Arnold, Der Gewinnauszahlungsanspruch des GmbH-Minderheitsgesellschafters, 2001; Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung, 1949; Beck’scher Bilanz-Kommentar, 12. Aufl. 2020; Bauschatz, Rechtsschutzmöglichkeiten bei Feststellung des Jahresabschlusses einer KG, NZG 2002, 759; Bitz, Der Anspruch des Gläubigers einer Kapitalgesellschaft auf … Jahres- oder Zwischenbilanz, 1996; Bödecker, Dividendenpolitik und Minderheitenschutz in der nicht-börsennotierten Kapitalgesellschaft, 1999; Bork/Oepen, Schutz des GmbH-Minderheitsgesellschafters vor der Mehrheit bei der Gewinnverteilung, ZGR 2002, 241; Brete/Thomsen, Nichtigkeit und Heilung von Jahresabschlüssen der GmbH, GmbHR 2008, 176; Claussen, Soll das Feststellungsrecht des Jahresabschlusses bei der GmbH reduziert werden?, in FS Semler, 1993, S. 97; v. Falkenhausen, Verfassungsrechtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft nach dem Recht der Kapitalgesellschaften, 1967; Geßler, Nichtigkeit und Anfechtung des GmbH-Jahresabschlusses …, in FS Goerdeler, 1987, S. 127; Goerdeler, Gewinnverwendung bei der GmbH …, in FS Werner, 1984, S. 153; Gutbrod, Vom Gewinnbezugsrecht zum Gewinnanspruch des GmbH-Gesellschafters, GmbHR 1995, 551; Hartmann, Das neue Bilanzrecht und der Gesellschaftsvertrag der GmbH, 1986; Heuser/Theile, Auswirkungen des Bilanzrechtsreformgesetzes auf den Konzernabschluss und Konzernlagebericht der GmbH, GmbHR 2005, 1539; Hommelhoff, Die Ergebnisverwendung in der GmbH nach dem Bilanzrichtliniengesetz, ZGR 1986, 428; Hommelhoff, Auszahlungsanspruch und Ergebnisverwendungsanspruch in der GmbH, in FS Rowedder, 1994, S. 171; Hommelhoff, Anmerkungen zum Ergebnisverwendungs-Entscheid der GmbHGesellschafter, GmbHR 2010, 1328; Hommelhoff/Hartmann/Hillers, Satzungsklauseln zur Ergebnisverwendung in der GmbH, DNotZ 1986, 323, 395; Hueck, Minderheitenschutz bei der Ergebnisverwendung in der GmbH, in FS Steindorff, 1990, S. 45; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Joost, Beständigkeit und Wandel im Recht der Gewinnverwendung, in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 289; Kallmeyer, Recht der Gewinnverwendung in der GmbH, GmbHR 1992, 788; Küting/ Pfitzer/Weber, Das neue deutsche Bilanzrecht: Handbuch zur Anwendung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes, 2. Aufl. 2009; Welf Müller, Die Änderung von Jahresabschlüssen, Möglichkeiten und Grenzen, in FS Quack, 1991, S. 360; Welf Müller, Bilanzfeststellungsbeschluss als Schuldanerkenntnis?, in GS Manfred Wolf, 2011, S. 281; Mueller-Thuns, Gewinnbezugsrecht und bilanzpolitische Gestaltungsmöglichkeiten in der GmbH, 1989; Priester, Die Gewinnverwendung, in MünchHdb. III, 5. Aufl. 2018, § 57 (S. 1444 ff.); Priester, Die Änderung von Gewinnverwendungsbeschlüssen, ZIP 2000, 261; Raiser, Das Recht der Gesellschafterklagen, ZHR 153 (1989), 1; Schneider, Der Ausgleich der Gesellschafterinteressen im neuen Gewinnverwendungsrecht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1987; Schön, Ge-

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§ 46 Rz. 6 | Aufgabenkreis der Gesellschafter winnermittlung, Gewinnverteilung und Gewinnausschüttung im Recht der Personengesellschaften und GmbH, in Max Hachenburg – Fünfte Gedächtnisvorlesung 2002, 2003, S. 17; Schulze-Osterloh, Ergebnisverwendungsbeschluss der GmbH für länger zurückliegende Geschäftsjahre, in FS Roth, 2011, S. 749; Sentrup, Gewinnverwendungsprobleme in der GmbH, 1991; van Venrooy, Feststellung von GmbH-Jahresabschlüssen, GmbHR 2003, 125; Walk, Die zweckmäßige Gewinnverwendungsklausel in der GmbH, 1993; Wichmann, Nichtigkeit eines Jahresabschlusses der GmbH im Fall einer verdeckten Gewinnausschüttung, GmbHR 1992, 643.; Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Aufl. 2015.

1. Grundlagen a) Rechtsgrundlagen 6 Die Nrn. 1–1b sind vergleichsweise junge Bestimmungen im GmbH-Gesetz. Die Nr. 1 ba-

siert, wie § 29, auf dem Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) von 1985 (dazu 12. Aufl., § 29 Rz. 3)13. § 46 Nr. 1a und Nr. 1b wurden durch das Bilanzrechtsreformgesetz von 2004 hinzugefügt (vgl. dazu Rz. 47a, 47b)14. Das Bilanzrichtlinien-Gesetz änderte die veraltete Terminologie in „Feststellung des Jahresabschlusses“ und „Verwendung des Ergebnisses“ (wegen des gleichfalls geänderten § 29). Vor allem änderten sich aber die Rahmenbedingungen für die Beschlüsse nach § 46 Nr. 1: Zum einen gilt ein für die Kapitalgesellschaften einheitliches, lediglich größenabhängiges (§ 267 HGB) Rechnungslegungsrecht; zum zweiten – und damit zusammenhängend – ermöglicht § 29 Gewinnverwendungsbeschlüsse mit einfacher Mehrheit (dazu 12. Aufl., § 29 Rz. 5 ff.). Das Bilanzrichtliniengesetz galt erstmals für das Geschäftsjahr 1987 (Art. 23 EGHGB). Nach der bei § 29 Rz. 8 (12. Aufl.) erläuterten Übergangsregelung15 galt es zunächst nur für „neue“ Gesellschaften, die nach dem 1.1.1986 ins Handelsregister eingetragen wurden. Dieser provisorische Zustand wurde durch zwischenzeitliche Satzungsänderungen (12. Aufl., § 29 Rz. 8) im Wesentlichen behoben. Die für „Altgesellschaften“ geltende Rechtslage wurde letztmals in der 10. Aufl. bei § 29 Rz. 14 ff. näher dargestellt. § 46 Nr. 1a und Nr. 1b beruhen auf dem Bilanzrechtsreformgesetz 2004 (vgl. Rz. 47a, 47b). b) Anwendungsbereich 7 aa) Die Bezeichnung als „Jahresabschluss“ nimmt Bezug auf die Definition in den §§ 242,

264 Abs. 1 Satz 1 HGB. Danach gehört der Lagebericht nicht zum Jahresabschluss. Er ist also im Gegensatz zur Bilanz, zur Gewinn- und Verlustrechnung sowie zum Anhang nicht Gegenstand der förmlichen Feststellung16. Beides ist allerdings so eng miteinander verbunden, dass die Unterscheidung anfangs als widersprüchlich und mit dem GmbH-Innenrecht unvereinbar kritisiert wurde17. Auch ist nach § 42a Abs. 1 Satz 1 der Lagebericht mit dem Jahresabschluss den Gesellschaftern vorzulegen, und zwar zum Zweck der Feststellung des Letzteren. Entgegen der hier nach dem BiRiLiG (7. Aufl. 1988) zunächst vertretenen Auffassung zwingt dies aber nicht dazu, die Feststellung des Jahresabschlusses auf den Lagebericht

13 Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rats der EG (Bilanzrichtliniengesetz) vom 19.12.1985, BGBl. I 1985, 2355. 14 Gesetz zur Einführung internationaler Rechnungslegungsstandards … (Bilanzrechtsreformgesetz) vom 4.12.2004, BGBl. I 2004, 3166. 15 Art. 12 § 7 GmbHG-Änderungsgesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836) in der Fassung des Art. 11 Abs. 2 des Bilanzrichtliniengesetzes vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, 2355). 16 Altmeppen, Rz. 3; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3 (gegen frühere Auflagen); Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16a; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 9. 17 Hartmann, S. 166 f.; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 478; a.M. Meyer-Landrut, Rz. 9.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 10 § 46

auszudehnen. Denn im Rahmen ihrer Allzuständigkeit (Rz. 1) können die Gesellschafter auch außerhalb des Wortlauts von § 46 Nr. 1 dem Lagebericht durch Beschluss seine endgültige Form geben18. Das Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung gibt ihnen diese Kompetenz19. Sie können also, müssen aber nicht, hierüber Beschluss fassen. Nach vernünftigem Verständnis ist jedoch eine etwaige Beschlussfassung auch über den Lagebericht in der Ankündigung des TOP „Jahresabschluss“ der Tagesordnung (12. Aufl., § 51 Rz. 20) mit gedeckt. bb) Die nach § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB zu erstellende Eröffnungsbilanz fällt nicht unter § 46 8 Nr. 1; sie ist nicht festzustellen20. Anderes gilt für die Liquidationsbilanzen: Entgegen dem zu engen Wortlaut haben die Gesellschafter auch über die Liquidationsjahresbilanz und die Liquidationseröffnungsbilanz zu entscheiden. Diese – früher umstrittene – Frage ist seit dem Bilanzrichtliniengesetz, in dem hier in der 6. Aufl. vertretenen Sinne, durch § 71 Abs. 2 geklärt (12. Aufl., § 71 Rz. 29). Das muss genauso für die Liquidationsschlussbilanz gelten (12. Aufl., § 71 Rz. 30)21. Der Grund liegt darin, dass die Rechnungslegung der Gesellschaft auch ohne anschließende Ergebnisverwendung und unabhängig vom Informationszweck eine innergesellschaftliche Bindungswirkung entfalten soll, die nur durch Feststellung zu erreichen ist. Auf gesetzlich nicht vorgeschriebene Zwischenbilanzen findet § 46 Nr. 1 keine Anwendung22. Wiederum können aber die Gesellschafter kraft ihrer Allzuständigkeit Feststellungsbeschlüsse fassen. c) Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses Der Feststellung des Jahresabschlusses geht dessen Aufstellung voraus, d.h. ein Bilanzent- 9 wurf unter Abschluss der laufenden Buchführung. Diese ist gemäß § 264 Abs. 1 Satz 1 HGB, §§ 41, 71 GmbHG Aufgabe der Geschäftsführer bzw. der Liquidatoren (12. Aufl., § 29 Rz. 12). Der aufgestellte Abschluss ist den Gesellschaftern unverzüglich mit dem Lagebericht zur Feststellung vorzulegen (§ 42a; über ergänzende Informationspflichten vgl. 12. Aufl., § 51a Rz. 4). Die Feststellung des Jahresabschlusses verleiht diesem rechtliche Verbindlichkeit im Verhältnis zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft sowie unter den Gesellschaftern selbst (12. Aufl., § 29 Rz. 13). Ihr hat ggf. die Prüfung durch einen Abschlussprüfer (§ 42a Abs. 1 Satz 1 GmbHG, §§ 316 ff. HGB) und den Aufsichtsrat (§ 42a Abs. 1 Satz 3 GmbHG) vorauszugehen. Die in § 245 Satz 1 HGB vorgeschriebene Unterzeichnung des Jahresabschlusses ist nicht Voraussetzung seiner Feststellung durch die Gesellschafter23. Im Gegenteil: Der zuvor festgestellte Jahresabschluss ist zu unterzeichnen, und zwar durch die von den Geschäftsführern lediglich vertretene GmbH. d) Abschlussfeststellung und Entscheidung über die Ergebnisverwendung Die Abschlussfeststellung (12. Aufl., § 29 Rz. 13, 12. Aufl., § 42a Rz. 22 ff.) und die Entschei- 10 dung über die Ergebnisverwendung (12. Aufl., § 29 Rz. 36 ff.) sind als Beschlussgegenstände rechtlich zu unterscheiden, auch wenn sie regelmäßig miteinander verbunden werden24. Beide

18 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. 19 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 9; zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16a. 20 RGSt. 29, 224; allg. M.; Altmeppen, Rz. 7; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; a.M. (analoge Anwendung) Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 85. 21 Haas in Baumbach/Hueck, § 71 Rz. 28; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17. 22 Für Analogie aber Altmeppen, Rz. 7; Zöllner/Hueck in Baumbach/Hueck, Rz. 85. 23 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19. 24 Vgl. nur Goerdeler in FS Werner, 1984, S. 153 f.; s. auch den Vorschlag im Rahmen der GmbH-Reform 1971, beide Beschlüsse zusammenzufassen: IdW/Wirtschaftsprüferkammer, WPg 1970, 161.

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§ 46 Rz. 10 | Aufgabenkreis der Gesellschafter zusammen bringen nach BGH v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 299 = GmbHR 1998, 1177 den Ausschüttungsanspruch des Gesellschafters zustande (vgl. Rz. 26; auch 12. Aufl., § 29 Rz. 36 f.; str.). Ob ein Beschluss beides zugleich enthält, ist Frage der Auslegung (kein automatischer Doppelbeschluss)25. Die Verbindlichkeit des Abschlusses ist allerdings Voraussetzung der Ergebnisverwendung. Wird über die Ergebnisverwendung beschlossen, so wird hierin vielfach die Abschlussfeststellung konkludent mit enthalten sein (näher 12. Aufl., § 42a Rz. 30)26. Abschlussfeststellung und Ergebnisverwendung können nicht nur in einem Beschluss zusammengefasst sein, vielmehr kann auch die vorgeschlagene Gewinnverwendung schon im Jahresabschluss vorbestimmt sein. Die Regelungen in § 268 Abs. 1 Satz 1 HGB, § 29 Abs. 1 Satz 2 GmbHG ermöglichen eine Aufstellung der Bilanz unter Berücksichtigung einer vollständigen oder teilweisen Ergebnisverwendung. Bei der AG ist dies vorgeschrieben (§ 152 AktG) und wegen der Kompetenz von Vorstand und Aufsichtsrat zur Rücklagenbildung bei der Feststellung (§ 58 Abs. 2 AktG) unproblematisch. Auch bei der GmbH ist diese Vorgehensweise zulässig, soweit das Innenrecht die Thesaurierung erlaubt27. Vorgeschrieben ist dieses Verfahren nur, wenn der Gesellschaftsvertrag dies bestimmt28. Zwingend ist dagegen der Abzug eigener Anteile vom gezeichneten Kapital (§ 272 Abs. 1a HGB)29. Für die Körperschaftsteuer geht das Gesetz vom Vorhandensein eines Ergebnisverwendungsvorschlags aus (§ 278 HGB und dazu 12. Aufl., § 42a Rz. 20). e) Mitbestimmte GmbH 11 Die dargestellten Regeln gelten auch für die mitbestimmte GmbH30. Die Feststellung des Jah-

resabschlusses und selbstverständlich die Entscheidung über die Ergebnisverwendung bleibt Sache der Gesellschafter. f) Frist 12 Die für Feststellungs- und Verwendungsbeschlüsse einzuhaltende Frist regelt § 42a Abs. 2

Satz 1. Danach müssen die Beschlüsse – je nach Größe der GmbH – innerhalb von 8 bzw. 11 Monaten gefasst werden. Die Fristen sind so gewählt, dass die Beschlüsse bei der Offenlegung des Abschlusses nach §§ 325 ff. HGB vorliegen. Die Geschäftsführer müssen dafür sorgen, dass die Fristen eingehalten werden können (12. Aufl., § 42a Rz. 25). Eine Überschreitung der Frist macht die Beschlüsse weder nichtig noch anfechtbar31 (vgl. Rz. 26a; näher 12. Aufl., § 42a Rz. 26). Im Einzelnen ist auf die Erläuterungen zu § 42a zu verweisen.

25 BFH v. 16.5.2007 – I R 84/06, GmbHR 2007, 1058, 1059 f.; OLG Hamm v. 17.4.1991 – 8 U 173/90, BB 1991, 2122; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 19. 26 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 19. 27 Vgl. BGH v. 10.5.1976 – II ZR 180/74, BB 1976, 948 m. Anm. Ulmer (in dieser Frage zweifelnd) = GmbHR 1976, 158 m. Anm. Ganßmüller; Hartmann, S. 172; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 17; Reiners in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 268 HGB Rz. 4. 28 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 29 Vgl. dazu Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Pfitzer/Weber, 5. Aufl., § 42 GmbHG Rz. 10a; Reiners in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 272 HGB Rz. 21 ff. 30 Vgl. Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 25 MitbestG Rz. 60; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 52 Rz. 89; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 6. Aufl. 2015, § 25 MitbestG Rz. 87; Zöllner, ZGR 1977, 324. 31 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 11; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; eingehend Schulze-Osterloh in FS Günter H. Roth, 2011, S. 249, 250.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 14 § 46

2. Die Feststellung des Jahresabschlusses a) Gegenstand des Beschlusses Gegenstand des Beschlusses über die Feststellung des Jahresabschlusses sind gemäß §§ 242, 13 264 Abs. 1 Satz 1 HGB die Jahresbilanz, die Gewinn- und Verlustrechnung und der Anhang (zum Lagebericht Rz. 7). Die Feststellung enthält die Anerkennung der Richtigkeit und, wo der Abschluss Vorfrage für weitere Entscheidungen und Rechtsfolgen ist, der Verbindlichkeit des Abschlusses (vgl. § 174 Abs. 1 Satz 2 AktG)32. Die Feststellung der Rechnungslegung ist gleichzeitig ein starkes Beweisindiz für das Bestehen von sich aus der Rechnungslegung ergebenden Ansprüchen und Verbindlichkeiten33. Umstritten ist, ob die Feststellung vertraglichen oder, was jedenfalls bei der GmbH der Rechtslage entspricht, korporativen Charakter hat34. Gleichfalls umstritten ist, inwieweit die Zustimmung zu einem Jahresabschluss bezüglich sich aus dem Jahresabschluss ergebender Forderungen zum Neubeginn der Verjährung nach § 212 BGB führt35. Das sollte für den Regelfall bejaht werden36. aa) An den Bilanzentwurf des Geschäftsführers sind die Gesellschafter nicht gebunden (vgl. 14 dagegen §§ 172 f. AktG)37. Sie können vielmehr den Abschluss verändern (12. Aufl., § 29 Rz. 13), sind dabei aber, wie der Geschäftsführer, an das Bilanzrecht (und ergänzende Satzungsbestimmungen) gebunden (vgl. § 42a Abs. 2 Satz 3). Ist die Gesellschaft prüfungspflichtig (§ 316 Abs. 1 Satz 1 HGB), so kann ein nicht geprüfter Abschluss nicht festgestellt werden (§ 316 Abs. 1 Satz 2 HGB). Eim Verstoß hiergegen macht die Beschlussfeststellung analog § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG nichtig38. Wird der geprüfte Abschluss bei der Feststellung geändert, so ist eine Nachtragsprüfung erforderlich (§ 316 Abs. 3 HGB; zur Änderung der Ergebnisverwendung vgl. § 278 Satz 2 HGB)39. Für die AG vereinfacht § 173 Abs. 3 AktG das Verfahren. Die analoge Anwendbarkeit auf die GmbH ist umstritten40. Eine in das GmbH-Recht passende Regelung enthielt noch der Reformentwurf eines § 42e E-GmbHG: Der Abschluss sollte jederzeit festgestellt werden können, aber erst nach der Prüfung wirksam werden. Die entsprechende Anwendung des § 173 Abs. 3 AktG kommt dem im Ergebnis nahe. Um Komplikationen und Schäden zu vermeiden, sollte der Geschäftsführer schon vor der Prüfung das

32 Dazu BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, GmbHR 2009, 706 = ZIP 2009, 1111; Karsten Schmidt, DB 2009, 1971, 1973. 33 OLG Celle v. 28.10.2009 – 9 U 125/06, GmbHR 2010, 87, 89. 34 Eingehend Habersack in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 781 BGB Rz. 22; Welf Müller in GS Wolf, 2011, S. 281, 288; undeutlich BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, DStR 2009, 1272 = GmbHR 2009, 712: „korporative Abrede“. 35 Bedenklich eng BGH v. 1.3.2010 – II ZR 249/08, GmbHR 2010, 814, 815 = ZIP 2010, 1341, 1342 (Personengesellschaft); OLG Stuttgart v. 20.11.2012 – 14 U 39/12, GmbHR 2013, 472; Schulze-Osterloh in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1487. 36 So (auf der Basis des Urteils BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, GmbHR 2009, 706 = ZIP 2009, 1111) Karsten Schmidt, DB 2009, 1971, 1973; vgl. auch Karsten Schmidt, NZG 2009, 361, 363 f. 37 BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092 = DB 2008, 2128; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 5; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 9. 38 Vgl. nur Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 39 Eingehend Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. 40 Dafür Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 26; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; dagegen Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/ Pfitzer/Weber, § 42a GmbHG Rz. 63.

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§ 46 Rz. 14 | Aufgabenkreis der Gesellschafter Einverständnis der Gesellschafter einholen41, so dass die endgültige Feststellung zu einer bloßen Formalität wird. 15 bb) Der Feststellungsbeschluss enthält nicht automatisch zugleich die Entlastung des Ge-

schäftsführers (Rz. 92, 96)42, obwohl die Rechnungslegung als Vorfrage auch bei der Entlastung eine Rolle spielen kann und beides vormals als Einheit begriffen wurde43. Vgl. zur Entlastung Rz. 85 ff. b) Beschlussfassung 16 aa) Die Beschlussfassung über den unverzüglich vorzulegenden Jahresabschluss (§ 42a Abs. 1

Satz 1 und dazu 12. Aufl., § 42a Rz. 10) erfolgt ausschließlich durch die Gesellschafter. Für ihre Vorbereitung wird die Einhaltung der in § 51 vorgesehenen gesetzlichen Fristen (vgl. 12. Aufl., § 51 Rz. 13 f., 24) vielfach nicht genügen. Das bedeutet: § 51 gilt nur für die Einladung zur Versammlung, während die vorbereitende Information über den Inhalt des Jahresabschlusses die Wahrung einer angemessenen Frist (Monatsfrist des § 171 Abs. 3 Satz 1 AktG reicht aus) voraussetzt44. Zum Kreis der Stimmberechtigten vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 13 ff. Nicht dazu zählen z.B. ein Nacherbe, ein Nießbraucher oder ein Dividendenzessionar45. Wer vom Gewinn, aber nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, stimmt mit. Stimmberechtigt sind auch diejenigen Gesellschafter, die als Geschäftsführer die Bilanz aufgestellt haben46. Anders, wenn die Bilanzfeststellung im Einzelfall doch zugleich den Entlastungsbeschluss untrennbar mit enthält (vgl. Rz. 15)47. Anders nach der Rechtsprechung auch, wenn der Bilanzfeststellungsbeschluss ausnahmsweise zugleich als Beschlussfassung über ein Rechtsgeschäft mit einem Gesellschafter angesehen werden muss (zweifelhaft, vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 122). 17 bb) Die Beschlussfassung erfolgt vorbehaltlich abweichender Satzungsregelung mit einfa-

cher Mehrheit. Schreibt die Satzung für den Ergebnisverwendungsbeschluss eine qualifizierte Mehrheit vor, so gilt das nicht ohne weiteres auch für den Abschlussfeststellungsbeschluss48. Formerfordernisse bestehen nicht49. In der Einpersonen-GmbH ist aber Protokollierung erforderlich (§ 48 Abs. 3); schriftliche Beschlussfassung ist bei Einhaltung der Anforderungen von § 48 Abs. 2 zulässig50. Bei Identität von Gesellschaftern und Geschäftsführern enthält die Unterzeichnung des Jahresabschlusses durch alle (§ 245 HGB) zugleich den Feststellungsbe-

41 Vgl. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 10. 42 RGZ 49, 146; RGZ 112, 19, 26; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31; Meyer-Landrut, Rz. 11; Karsten Schmidt, ZGR 1978, 425, 428. 43 Vgl. dazu Barz in Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 120 AktG Rz. 1; Boesebeck, JW 1935, 922; s. auch Karsten Schmidt, ZGR 1978, 428. 44 LG Saarbrücken v. 18.11.2009 – 7 KFH O 67/09, GmbHR 2010, 762, 764; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; Römermann in Michalski u.a., Rz. 59 f.; Altmeppen, Rz. 11. 45 RGZ 98, 320 m.N. auch zur aktienrechtlichen Rspr. 46 Vgl. nur RGZ 49, 146; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 9; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27; Karsten Schmidt, ZGR 1978, 428. 47 Herzfelder, Stimmrecht und Interessenkollision, 1927, S. 108. 48 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, DB 1974, 716; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27. 49 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Wolany, Rechte und Pflichten des Gesellschafters einer GmbH, 1964, S. 199; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 9; Altmeppen, Rz. 5; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28. 50 Vogel, Rz. 2; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12 (mit Vorbehalt gegen kombinierte Beschlussfassung); Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 21 § 46

schluss51. Das gilt auch für den Einpersonen-Gesellschafter52; dessen Rechtsnachfolger können nicht geltend machen, es fehle am Feststellungsbeschluss, wenn der Einpersonengesellschafter den Jahresabschluss unterzeichnet hatte. c) Rechtspflicht der Beteiligten zur Herbeiführung eines Beschlusses Die Beschlussfassung nach § 46 Nr. 1 ist Pflicht, nicht bloß Recht der Beteiligten.

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aa) Eine Aufstellungspflicht des Geschäftsführers ergibt sich aus der weit zu begreifenden 19 „Buchführungspflicht“ nach § 41 (vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 12, 12. Aufl., § 41 Rz. 12). Zu den Rechtsfolgen einer unterlassenen oder verzögerten Aufstellung vgl. 12. Aufl., § 41 Rz. 21 ff. Durch die in § 42a vorgeschriebene Vorlage des Jahresabschlusses haben die Geschäftsführer die Voraussetzungen für die Beschlussfassung nach § 46 Nr. 1 zu schaffen (Rz. 14). bb) Es besteht auch eine Pflicht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung (zur Ein- 20 berufungsfrist vgl. Rz. 16) und zur unverzüglichen Mitteilung des Abschlusses53. Wird keine Gesellschafterversammlung zur Feststellung des Abschlusses einberufen, so stehen einer Minderheit von mindestens 10 % des Stammkapitals die Rechte des § 50 zur Rechtsdurchsetzung zur Verfügung. Einer Minderheit, die das Quorum nicht erreicht, ist mit einer Auflösungsklage schwerlich gedient54. Jeder Gesellschafter kann in diesem Fall auf Abhaltung der Versammlung klagen (vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 21). Allerdings sichert dies allein nicht die Fassung eines bestimmten Beschlusses55. Geht es dem Gesellschafter nur um die Feststellung eines bereits aufgestellten Jahresabschlusses, so wird man eine Feststellungsklage gegen die Mitgesellschafter zulassen müssen (aber so wird es sich im Konfliktfall nicht verhalten). Mehr und mehr setzt sich die Auffassung durch, dass jedem Gesellschafter gegen die Gesellschaft ein erforderlichenfalls sogar klagbarer Anspruch auf Beschlussfassung zusteht (dazu 12. Aufl., § 29 Rz. 19, 20)56. Sehr zweifelhaft ist aber die Frage, ob ein solcher Anspruch nach Inhalt und Klagbarkeit hinreichend bestimmt ist, wenn es nicht um die Zustimmung zu einer sachgemäß aufgestellten Bilanz, sondern um Ausübung von Bewertungs- und Ermessensspielräumen geht (dazu Rz. 21)57. cc) Eine Pflicht der Gesellschafter zur Beschlussfassung über Bilanzfeststellung und Er- 21 gebnisverwendung wird im Urteil BGHZ 139, 299, 303 = GmbHR 1998, 1177, 1179 = NJW 1998, 3646, 3648 angenommen. Ihre Durchsetzung ist schwierig (vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 19). Die Gesellschafter können unter den Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 die Einberufung einer 51 BGH v. 17.5.1971 – III ZR 53/68, WM 1971, 1084; rechtskonstruktive Kritik, weil die Unterzeichnungspflicht öffentlich-rechtlicher Art ist und bereits die Beschlussfassung voraussetzt, bei Hüffer/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28; entbehrlich ist der Beschluss nach van Venrooy, GmbHR 2003, 125, 130, 137. 52 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12. 53 Vgl. Altmeppen, Rz. 11. 54 Als Ultima Ratio aber wohl Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 33; vgl. demgegenüber schon die Vorauflagen sowie bereits früher Becker, GmbHR 1941, 334; Ballerstedt, S. 174 f.; wie hier auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19. 55 Vgl. auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23. 56 OLG Düsseldorf v. 29.6.2001 – 17 U 200/00, NZG 2001, 1085; Arnold, Gewinnauszahlungsanspruch, S. 176 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7 f.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 38 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Altmeppen, Rz. 10; Bork/Oepen, ZGR 2002, 241 ff.; a.M. RGZ 49, 142, 145; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 7; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18 f., differenzierend Römermann in Michalski u.a., Rz. 48 f. 57 Für Anwendung der §§ 315 ff. BGB Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 7; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 66.

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§ 46 Rz. 21 | Aufgabenkreis der Gesellschafter Versammlung bewirken58. Doch besteht grundsätzlich nur eine Mitwirkungspflicht der Gesellschafter59, nicht eine auf einen bestimmten Beschluss zielende Zustimmungspflicht. Eine solche kommt nur in Betracht, wenn den Gesellschaftern kein Bilanzermessen bleibt60. Anderenfalls soll, wenn Techniken zur Auflösung einer Pattsituation (12. Aufl., § 3 Rz. 107) nicht zur Verfügung stehen, als letzte Sanktion nur die Auflösungsklage bleiben oder gar nur der Austritt des auf Beschlussfassung drängenden Gesellschafters61. Das ist schwer zu ertragen. Deshalb hat Zöllner62 einen ergänzenden Gerichtsschutz vorgeschlagen: Der Gesellschafter könne gegen die Gesellschaft klagen, und das Gericht dürfe notfalls gemäß §§ 315 ff. BGB nach billigem Ermessen entscheiden; diese Entscheidung ersetze gemäß § 894 ZPO den Gesellschafterbeschluss. Die Mitgesellschafter seien befugt, diesem Prozess als Nebenintervenienten beizutreten. Dieses Modell hat Zustimmung erfahren63, allerdings auch Kritik64. In der Tat ist die Lösung zwar als Ausweg aus der Patt-Situation elegant, rechtstechnisch jedoch gewalttätig. Die §§ 315 ff. BGB, die keine Leistungsklage und keine Vollstreckung nach § 894 ZPO vorsehen, passen schwerlich. Solange dieses Konzept nicht körperschaftsrechtlich überhöht wird, kann das Gericht nicht ohne eine dem § 315 BGB entsprechende vertragliche Legitimation sein billiges Ermessen an die Stelle der Gesellschafterentscheidung setzen65, wohl aber kann sich aus der kollektiven Treubindung ein Zwang zur Entscheidung und u.U. eine positive Stimmpflicht ergeben (zu dieser vgl. Rz. 41 sowie 12. Aufl., § 47 Rz. 31)66. Diese – typischerweise auf Feststellung einer aufgestellten Bilanz gerichtet – wird durch Klage eines Gesellschafters gegen die Gesellschaft auf Beschlussfassung, vollstreckbar nach § 894 ZPO, durchgesetzt (12. Aufl., § 29 Rz. 20)67. Die Ergebnisse werden sich von einer Anwendung der §§ 315 ff. BGB nicht wesentlich unterscheiden. Die Prozedur ähnelt der positiven Beschluss„Feststellungs“-Klage bei der Anfechtung negativer Beschlüsse (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 178 ff.). Zur Frage, inwieweit diese Stimmpflicht durch Gestaltungsurteil (Beschluss-„Feststellungs“Urteil) durchsetzbar ist oder nur zum Schadensersatz führen kann, vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 32 ff.68 – Der Geschäftsführer hat (sofern nicht zugleich Gesellschafter) keinen Anspruch auf Beschlussfassung69 und kann auch nicht im Namen der Gesellschaft eine bestimmte Beschlussfeststellung erzwingen70.

58 OLG Düsseldorf v. 29.6.2001 – 17 U 200/00, NZG 2001, 1085; OLG Nürnberg v. 9.7.2008 – 12 U 690/07, DB 2008, 2415, 2419 f. 59 Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 9. 60 RGZ 80, 330; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18 f.; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit …, 1924, S. 230 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht …, 1963, S. 408 Fn. 39; Ballerstedt, S. 174; s. auch Altmeppen, Rz. 10. 61 Vgl. für Auflösung Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7; krit. mit Recht Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24. 62 Zöllner, ZGR 1988, 416 ff.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 12. 63 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 20; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7, 12; Raiser, ZHR 153 (1989), 34; differenzierend Altmeppen, § 29 Rz. 38 ff.; Modifikation (Gestaltungsurteil) bei Arnold, Gewinnauszahlungsanspruch, S. 160 ff.; dazu krit. Bork/Oepen, ZGR 2002, 241, 264 ff. 64 Vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 19; eingehend Bork/Oepen, ZGR 2002, 241, 253 ff. 65 Vgl. demgegenüber Altmeppen, § 29 Rz. 44: Der Weg über § 315 BGB gehe in Anbetracht des direkt auf Ausschüttung gerichteten Gewinnstammrechts jedes Gesellschafters nicht weit genug. 66 Dazu auch Arnold, Gewinnauszahlungsanspruch, S. 186 ff. 67 Vgl. Beckmann/Hofmann in Gehrlein/Born/Simon, § 29 Rz. 23; Bork/Oepen, ZGR 2002, 241, 267 f., 285; für Vollstreckung nach § 888 ZPO OLG Düsseldorf v. 29.6.2001 – 17 U 200/00, NZG 2001, 1085, 1086; unentschieden OLG Nürnberg v. 9.7.2008 – 12 U 690/07, DB 2008, 2415, 2419 f. 68 Für positive Beschlussfeststellungsklage auch Römermann in Michalski u.a., Rz. 49. 69 RGZ 49, 144 f. = DJZ 1902, 77; Brodmann, Rz. 2c; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 11. 70 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 11.

908 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 25 § 46

d) Bedeutung des Beschlusses aa) Bis zur Feststellung existiert der Jahresabschluss nur als Entwurf, der jederzeit noch 22 geändert werden kann, und zwar auch durch den Feststellungsbeschluss der Gesellschafter (Rz. 14)71. Entsprechendes gilt, wenn ein nichtiger oder nach Anfechtung für nichtig erklärter Abschluss neu festgestellt werden muss (12. Aufl., § 29 Rz. 27). Dann können auch die Posten geändert werden, die nicht Grund der Beanstandung waren72. Eine Änderung des nach § 42a den Gesellschaftern mitgeteilten Jahresabschlusses nach Einladung der Gesellschafterversammlung kann allerdings Mitwirkungsrechte der Minderheit schmälern und einen Beschluss anfechtbar machen (12. Aufl., § 45 Rz. 97). bb) Den Feststellungsbeschluss können die Gesellschafter aus sachlichen, insbesondere 23 rechtlichen Gründen ändern, insbesondere aufheben und durch einen neuen ersetzen (vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 27, 12. Aufl., § 42a Rz. 27). Aber dies darf die Gewinnbezugsrechte von Gesellschaftern nicht beeinträchtigen, wenn schon über die Gewinnverwendung entschieden wurde (Rz. 25, 39). Eine Änderung nach dem Ergebnisverwendungsbeschluss setzt deshalb voraus, dass alle von ihr betroffenen Gesellschafter zustimmen (Rz. 25; 12. Aufl., § 29 Rz. 70)73. Auch kann die Offenlegung des Beschlusses eine Neufeststellung im Gläubigerinteresse verbieten74. Im Einzelnen unterscheidet die herrschende Ansicht, wie herkömmlich das Steuerrecht, zwischen der Berichtigung eines fehlerhaften Bilanzansatzes (§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG) auf der einen und der Änderung eines zulässigen Bilanzansatzes auf der anderen Seite (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG)75. aaa) Die Berichtigung fehlerhafter Ansätze ist grundsätzlich zulässig und im Fall einer Ge- 24 setzwidrigkeit sogar rechtlich geboten (12. Aufl., § 29 Rz. 27)76. Soweit eine Korrektur im folgenden Jahresabschluss zulässig ist, sind die Gesellschafter u.U. aus der Treupflicht hierzu verpflichtet. Aber die Treupflicht stößt an Grenzen, z.B. bei fehlender Verteilung des Jahresgewinns77. bbb) Eine Änderung zulässiger Ansätze darf nach der bisher h.M. nur erfolgen, wenn wich- 25 tige wirtschaftliche Gründe diese Änderung – z.B. die Wahl anderer als der ursprünglichen Werte – rechtfertigen (12. Aufl., § 29 Rz. 27)78. Diese Einschränkung ist aber bilanzrechtlich nicht zwingend. Auch bei zu veröffentlichenden Abschlüssen ist der Fall nachträglicher Änderung bedacht worden (§ 325 Abs. 1 Satz 6 HGB). Gesellschaftsrechtlich ist eine Änderung des Jahresabschlusses, sofern nicht das Willkürverbot entgegensteht (12. Aufl., § 45 Rz. 105 f.), zulässig. Sie ist allerdings ohne Zustimmung der betroffenen Gesellschafter unwirksam, wenn schon ein Ergebnisverwendungsbeschluss gefasst wurde, der Jahresüberschuss sich durch die Änderung verringert und dadurch in den Gewinnanspruch der Gesellschafter eingegriffen wird (vgl. Rz. 34).

71 Vgl. Fehrenbacher in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 325 HGB Rz. 39 f. 72 Vgl. nur Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 21 ff. 73 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 15; Schulze-Osterloh in FS G.H. Roth, 2011, S. 749, 753 f.; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 75. 74 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 15; Welf Müller in FS Quack, 1991, S. 363 ff. 75 So auch noch nach der Beseitigung der Unterscheidung im Wortlaut des § 4 EStG Loschelder in Ludwig Schmidt, 39. Aufl. 2020, § 4 EStG Rz. 280 ff.; so jetzt wohl auch Fehrenbacher in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 325 HGB Rz. 40. 76 Vgl. Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 75; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 22; Reichert in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 541, 544. 77 Zust. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 22. 78 So im Anschluss an BGH v. 24.1.1957 – II ZR 208/55, BGHZ 23, 150, 154 (zu § 52 AktG 1937) Arnold, Gewinnauszahlungsanspruch, S. 61 ff.; Reichert in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 541, 544; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 23; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 74; vgl. auch Merkt in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 245 HGB Rz. 5.

Karsten Schmidt | 909

§ 46 Rz. 26 | Aufgabenkreis der Gesellschafter

3. Beschluss über die Ergebnisverwendung a) Bedeutung 26 aa) Die Funktion des Ergebnisverwendungsbeschlusses besteht meist in der Entscheidung

über Rücklagenbildung und Gewinnausschüttung. Aber auch in einer not-for-profit-Gesellschaft, z.B. in einer gemeinnützigen Gesellschaft, die keine Gewinne ausschüttet, werden Ergebnisverwendungsbeschlüsse gefasst79. Erst der Beschluss über die Ergebnisverwendung (12. Aufl., § 29 Rz. 36 ff.) macht aus dem Gewinnbezugsrecht des Gesellschafters – das bereits vorher abtretbar und pfändbar ist (12. Aufl., § 29 Rz. 78) – ein unbedingtes und klagbares Forderungsrecht (12. Aufl., § 29 Rz. 78)80. Der Beschluss kann mit dem Feststellungsbeschluss verbunden werden und wird mit ihm häufig verbunden (Rz. 10). Nach BGH v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 299 = = GmbHR 1998, 1177 ist der Beschluss Entstehensvoraussetzung für den Gewinnauszahlungsanspruch (12. Aufl., § 29 Rz. 9, 37)81. Nach anderer Auffassung lässt der Beschluss die bereits bestehende Forderung fällig werden82. Der Beschluss hat jedenfalls nicht bloß deklaratorischen Charakter83. Das Erfordernis eines vom Bilanzfeststellungsbeschluss unterscheidbaren Ergebnisverwendungsbeschlusses ist nicht zwingendes Recht (12. Aufl., § 29 Rz. 38)84. Der Beschluss über die Ergebnisverwendung ist aber nicht schon dann entbehrlich, wenn es nach Gesetz oder Satzung nur einen rechtmäßigen Beschluss geben kann85. Entbehrlich ist er nur, wenn der Gesellschaftsvertrag eine satzungsmäßige Ergebnisverwendungsregel enthält und auf den Verwendungsbeschluss verzichtet (zur Streitfrage, ob eine Vollausschüttungsklausel hierfür genügt, vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 38)86. Neben dem Ergebnisverwendungsbeschluss bedarf es nicht noch eines zusätzlichen Verteilungsbeschlusses, denn die Ergebnisverteilung richtet sich ggf. nach den Geschäftsanteilen oder nach der Satzung (§ 29 Abs. 3). Die Allzuständigkeit der Gesellschafter lässt die Fassung eines solchen Beschlusses aber zu, soweit nicht in Gesellschafterrechte eingegriffen wird. Näher zu diesen Fragen 12. Aufl., § 29 Rz. 71 ff. 26a Eine Versäumung gesetzlicher Fristen macht den Beschluss nicht fehlerhaft (12. Aufl., § 29

Rz. 66)87. Zum Fall, dass keine Versammlung einberufen wird, vgl. Rz. 20. Vereinzelt wird die Ansicht vertreten, dass mit dem Ablauf der für die Gesellschaft nach § 42a Abs. 2 gesetz-

79 Dazu Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 124; Priester, GmbHR 1999, 149, 153. 80 Vgl. RGZ 87, 383; RGZ 98, 320; RGZ 143, 139; RGZ 167, 68; RG, DR 1941, 1950, 1952; BGH v. 24.1.1957 – II ZR 208/55 = BGHZ 23, 150 (für die AG); BGH v. 3.11.1975 – II ZR 67/73, BGHZ 65, 230, 234; BGH v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 299 = GmbHR 1998, 1177; BGH v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, WM 1974, 392; OLG Brandenburg v. 18.12.1996 – 7 U 78/96, GmbHR 1997, 750; Altmeppen, § 29 Rz. 8; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 22; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 12; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 122; Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 42; Ebenroth, EWiR 1989, 267. 81 Zust. Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 42; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 22; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; ablehnend Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 29 Rz. 40 (Feststellungsbeschluss genügt); Salje, NZG 1998, 986 f.; Bork/Oepen, ZGR 2002, 241, 270 f. 82 RGZ 98, 230; BFH v. 21.10.1981 – I R 230/78, GmbHR 1982, 74, 75; OLG Hamm v. 6.7.1988 – 8 U 315/86, NJW-RR 1989, 550 = GmbHR 1989, 126; insoweit auch Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 29 Rz. 4, 17; Hommelhoff in FS Rowedder, 1994, S. 186. 83 So noch Liebmann/Saenger, § 29 Rz. 2, 5 und § 46 Rz. 5; Annäherung hieran bei Hommelhoff in FS Rowedder, 1994, S. 183 ff. 84 Vgl. nur BFH v. 21.5.1986 – I R 199/84, BFHE 147, 44, 45 = GmbHR 1986, 329. 85 Allg. A.; RGZ 87, 386; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22; anders nur Feine, S. 364. 86 BFH v. 21.5.1986 – I R 199/84, BFHE 147, 44, 45 = GmbHR 1986, 329; Leuschner in Habersack/ Casper/Löbbe, § 29 Rz. 71 f.; s. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 87 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 18.

910 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 30 § 46

ten Frist der gesamte Jahresüberschuss zur Auszahlung fällig wird88. Dem ist nicht zu folgen (a.A. 12. Aufl., § 29 Rz. 62). Die Frist des § 42a Abs. 2 hat eine solche Folge schon deshalb nicht, weil der Beschluss nachgeholt werden kann (vgl. auch Rz. 12, 12. Aufl., § 29 Rz. 39). In den durch § 30 gezogenen Grenzen kann die Ergebnisverwendung auch für zurückliegende Geschäftsjahre beschlossen (korrigiert) werden89. bb) Inhaltlich ist der Beschluss an den festgestellten Jahresabschluss gebunden (12. Aufl., § 29 27 Rz. 42)90: Nur über den festgestellten Jahresüberschuss (zuzüglich Gewinnvortrag, abzüglich Verlustvortrag) bzw. den Bilanzgewinn kann verfügt werden (vgl. zur Verbindlichkeit des Jahresabschlusses sinngemäß § 174 Abs. 1 Satz 2 AktG; zur Begriffsbildung vgl. § 266 Abs. 3 A V, § 275 Abs. 2 Nr. 20, Abs. 3 Nr. 19, § 268 Abs. 1 Satz 2 HGB, § 29 GmbHG). Der Überschuss braucht nicht aus dem jeweiligen Geschäftsjahr zu stammen, sondern kann sich durch Auflösung von Rücklagen erhöhen oder dadurch erst entstehen. Im Einzelnen bestimmt § 29 den Beschlussinhalt. Es gibt folgende Möglichkeiten der Ergebnisverwendung (12. Aufl., § 29 Rz. 44 ff.)91: – Ausschüttung an die Gesellschafter – Einstellung in Gewinnrücklagen – Vortrag auf neue Rechnung. cc) Inhaltskontrolle des Beschlusses ist nur begrenzt möglich (Rz. 29 ff. 12. Aufl., § 29 28 Rz. 53 ff.). Der Beschluss über die Ergebnisverwendung steht im Spannungsfeld zwischen dem ;Thesaurierungsinteresse auf der einen und dem Gewinnausschüttungsinteresse auf der anderen Seite. Dem Interesse der Gesellschaft an einer hinlänglichen Selbstfinanzierung92 steht das Ausschüttungsinteresse des Gesellschafters gegenüber, und zwar nicht nur dann, wenn er für eigenen Bedarf auf die Gewinnausschüttung angewiesen ist93. Das BiRiLiG von 1985 hat durch Beseitigung des alten Vollausschüttungsprinzips (12. Aufl., § 29 Rz. 3 ff.) die Fähigkeit der Gesellschaft zur Innenfinanzierung gezielt zu verbessern gesucht94. Zu verweisen ist auf Rz. 31 ff. sowie auf 12. Aufl., § 29 Rz. 53 ff. b) Beschlussfassung Über die Verwendung des Jahresergebnisses entscheiden die Gesellschafter mit einfacher 29 Mehrheit (dazu 12. Aufl., § 29 Rz. 39). Ihr steht bei der Abwägung der evtl. widerstreitenden Finanzierungs- und Ausschüttungsinteressen ein Beurteilungsspielraum zu (12. Aufl., § 29 Rz. 58)95. Die Inhaltskontrolle ist begrenzt (vgl. über fehlerhafte Ergebnisverwendungsbeschlüsse Rz. 42 ff.). aa) Es gibt keine allgemeine Pflicht zu einer Zustimmung zur Rücklagenbildung. Doch 30 kann es die gesellschaftsrechtliche Treupflicht nach Lage des Falls gebieten, durch Rücklagenbildung zur Innenfinanzierung beizutragen (dazu 12. Aufl., § 29 Rz. 61 ff.)96. Auch wer 88 89 90 91 92 93 94 95 96

Hommelhoff in FS Rowedder, S. 184 ff. Schulze-Osterloh in FS G.H. Roth, 2011, S. 749 ff., 755. Vgl. auch Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 79. Vgl. auch Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 87 ff. Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 137; Kriterienkatalog bei OLG Nürnberg v. 9.7.2008 – 12 U 690/07, DB 2008, 2415, 2418. Vgl. etwa BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 276 f. = GmbHR 1996, 456 (KG); OLG Nürnberg v. 9.7.2008 – 12 U 690/07, DB 2008, 2415, 2418 („Kerbnägel“) und dazu Hommelhoff, GmbHR, 2010, 1328, 1329. Vgl. Begr. RegE BiRiLiG, BT-Drucks. 9/1878, S. 107. Exemplarisch OLG Nürnberg v. 9.7.2008 – 12 U 690/07, DB 2008, 2415, 2419. Vgl. Lutter, DB 1979, 1289; Hommelhoff, GmbHR 1979, 10 f.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 137.

Karsten Schmidt | 911

§ 46 Rz. 30 | Aufgabenkreis der Gesellschafter jahrelang dem Vortrag aller Gewinne zugestimmt hat, ist daran nicht für die Zukunft gebunden und kann für Ausschüttung stimmen97. Nur ausnahmsweise schafft das Vorverhalten eine dauerhaft bindende Vertrauenslage. 31 bb) Typischen Konfliktstoff bietet die überhöhte Rücklagenbildung. Hier gilt es, einen wirk-

samen Minderheitenschutz zu gewährleisten. Die Gesellschaftermehrheit ist bei der Thesaurierungsentscheidung gehalten, die wirtschaftlichen Interessen der Mitgesellschafter zu berücksichtigen98. Das ist bei 12. Aufl., § 29 Rz. 53 ff. ausgeführt. Der Konkretisierung dient aber die Wertung des § 254 AktG (12. Aufl., § 29 Rz. 55 ff.): Der Ermessensspielraum bei der Rücklagenbildung muss da enden, wo sie „bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung nicht notwendig ist, um die Lebens- und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern“. Damit ist der einzelne Gesellschafter jedenfalls gegen ein „Aushungern“ durch die Mehrheit geschützt99. Eine feste Mindestverzinsung wie bei § 254 AktG gibt es dagegen nicht (vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 56)100. Hommelhoff101 schlägt zur Konkretisierung des Maßstabs vor, dass die Gesellschaftermehrheit ohne weitere Begründung bis zu 60 % des Jahresergebnisses in Rücklagen einstellen darf, solange diese insgesamt das Stammkapital nicht überschreiten, darüber hinaus nur, wenn deren unabdingbare Notwendigkeit dargelegt wird. Diese Auffassung läuft jedoch der Absicht des Bilanzrichtliniengesetzgebers, es in dieser Frage bei der früheren Rechtslage zu belassen, zuwider (reserviert auch 12. Aufl., § 29 Rz. 57)102. Sie erkauft den Gewinn an Rechtssicherheit mit einer recht willkürlichen Grenze. 32 cc) Die Bildung von Gewinnrücklagen aus Wertaufholungen überlässt § 29 Abs. 4 schein-

bar dem Geschäftsführer und bindet ihn dabei an die Zustimmung des Aufsichtsrats oder der Gesellschafter. Diese dem § 58 Abs. 2a AktG nachgebildete Bestimmung widerspräche, wörtlich genommen, der Zuständigkeitsverteilung in der GmbH mit der Gesellschafterversammlung als oberstem Organ103. Der Geschäftsführer kann nur ein Vorschlagsrecht haben, der Aufsichtsrat ein Informations- und Äußerungsrecht, aber die Gesellschafterversammlung entscheidet unabhängig und abschließend (12. Aufl., § 29 Rz. 103 f.)104. 33 dd) Die Auflösung von Patt-Situationen ist ähnlich schwierig wie bei der Ergebnisfeststel-

lung. Kommt es zu keiner mehrheitlichen Entscheidung über die Ergebnisverwendung, so bleibt den Gesellschaftern im äußersten Fall die Auflösung, der Ausschluss oder der Austritt. Aber Vorrang haben mildere Mittel (12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 34). Eine wirksame, jedoch mit dem geltenden Recht kaum zu vereinbarende Lösung könnte darin liegen, dass Gesellschafter bei fehlender Gewinnverwendungsentscheidung auf Gewinnauszahlung klagen (dazu auch 97 Vgl. OLG Düsseldorf v. 6.12.1962 – 6 U 126/62, NJW 1963, 2080 m. Anm. Gröning. 98 Vgl. BGH v. 11.7.1966 – II ZR 134/65, WM 1966, 1132, 1134 f.; OLG Hamm v. 3.7.1991 – 8 U 11/ 91, DB 1991, 2477 = GmbHR 1992, 458; OLG Nürnberg v. 9.7.2008 – 12 U 690/07, DB 2008, 2415, 2418; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 125 ff.; Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 29 ff.; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 29 Rz. 21 ff.; Altmeppen, § 29 Rz. 30 ff.; Flume, JurP, § 8 III, S. 276; Immenga, S. 209; v. Falkenhausen, Verfassungsrechtliche Grenzen …, 1967, S. 56; Hommelhoff, GmbHR 2010, 1328, 1330 f. 99 Vgl. RGZ 87, 386; BGH v. 24.1.1957 – II ZR 208/55, BGHZ 23, 150, 156 (für die AG); OLG Düsseldorf, NJW 1963, 2080; Bödeker, Dividendenpolitik, 1999, S. 47 ff. 100 Differenzierend allerdings Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 31; Pentz in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 86. 101 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 29 Rz. 25; Hommelhoff, ZGR 1986, 425 ff. 102 Krit. auch Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 129 f.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 86; Liebs, DB 1986, 2421. 103 Dazu Hommelhoff, ZGR 1986, 434 ff. 104 Hommelhoff, ZGR 1986, 434 ff.; zust. Altmeppen, § 29 Rz. 36; Ekkenga in MünchKomm. GmbHG, § 29 Rz. 244; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 29 Rz. 34; Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 21; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 292; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 95; a.A. Maulbetsch, DB 1986, 954; Renkl, DB 1986, 1109.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 36 § 46

12. Aufl., § 29 Rz. 37). Eine Befugnis des Gerichts, an Stelle der Gesellschafter über Ausschüttung oder Thesaurierung zu entscheiden, ist im Gesetz nicht angelegt, weil damit in unternehmerische Elementarentscheidungen eingegriffen würde105. Insbesondere die auf Vertragsverhältnisse zugeschnittenen §§ 315 ff. BGB passen ohne Satzungsgrundlage nicht (vgl. schon Rz. 21). Jedoch können sich nach Lage des Falls klagbare Stimmpflichten ergeben (dazu 12. Aufl., § 47 Rz. 31), die ggf. sogar durch gegen die Gesellschaft gerichtete positive Beschlussfeststellungsklage durchgesetzt werden können (Rz. 21; s. auch Rz. 41). Evtl. kann der Feststellungsbeschluss i.S. eines konkludenten Ausschüttungsbeschlusses ausgelegt werden. c) Änderung des Ergebnisverwendungsbeschlusses Eine Änderung des Ergebnisverwendungsbeschlusses ist möglich (vgl. über rückbezogene 34 Ergebnisverwendungsbeschlüsse auch Rz. 26a a.E.), darf aber nicht gegen den Willen der Gesellschafter in Gewinnansprüche aus einem Ausschüttungsbeschluss eingreifen (vgl. schon Rz. 22, 25). Eine Beeinträchtigung des einmal entstandenen Gläubigerrechts ist nur mit Zustimmung des Betroffenen möglich (12. Aufl., § 29 Rz. 70 m.w.N.). Weder das Forderungsrecht selbst noch auch nur seine Fälligkeit und Klagbarkeit kann durch einen späteren Beschluss gegen den Willen des Berechtigten berührt werden106. Zulässig ist es dagegen, den Ausschüttungsanspruch nachträglich zu erhöhen107.

4. Fehlerhafte Beschlüsse a) Fehlerhafte Feststellung des Jahresabschlusses Eine Fehlerhaftigkeit der Abschlussfeststellung betrifft stets den feststellenden Beschluss und 35 damit nur indirekt den Abschluss selbst oder einzelne Bilanzposten. Die Terminologie des AktG unterscheidet zwischen der Nichtigkeit des Jahresabschlusses (§ 256 AktG) und der Anfechtung des Feststellungsbeschlusses (§ 257 AktG), wobei eine erfolgreiche Beschlussanfechtung wiederum nicht nur den Beschluss (§ 248 AktG), sondern den Jahresabschluss selbst nichtig macht (§ 256 Abs. 3 Nr. 3 AktG). Diese Terminologie hat sich auch für die GmbH eingebürgert. aa) Die Nichtigkeitsgründe sind nicht gesetzlich geklärt. Der Gesetzgeber des Bilanzricht- 36 liniengesetzes hatte auf die – zunächst in § 42 E-GmbHG vorgesehene – Regelung verzichtet und deren Entwicklung der Rechtsprechung überlassen; er verwies dabei ausdrücklich auf die Parallele zu § 256 AktG108. Zur Nichtigkeit aufgrund von Einberufungsmängeln (vgl. § 256 Abs. 3, § 241 Abs. 1 Nr. 1 AktG) s. 12. Aufl., § 51 Rz. 26. Nichtigkeitsgrund ist nach OLG München v. 7.1.2013 und 6.2.2013 – 7 U 2980/12, auch die Nichtübersendung des Prüfberichts mit der Einladung. Auf den Beschluss über die Feststellung des Jahresabschlusses ist § 256 AktG analog anzuwenden, soweit die Bestimmung auf die GmbH passt (12. Aufl., § 29 Rz. 24)109. § 256 Abs. 2 AktG (Feststellung durch Vorstand und Aufsichtsrat) passt 105 A.M. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 44. 106 Vgl. RGZ 22, 113, 114 f.; RGZ 37, 65; RGZ 87, 383, 386 f.; OLG Celle v. 28.9.1988 – 9 U 78/87, ZIP 1989, 511, 512 f. (für die AG); Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 50; Schön in FS BGH II, 2000, S. 155, 164; Priester, ZIP 2000, 261, 264. 107 Vgl. BFH v. 11.4.1990 – I R 38/89, GmbHR 1991, 126 = BB 1990, 2173. 108 BT-Drucks. 10/4268, S. 130 f.; eingehend Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 133 ff. 109 BGH v. 21.7.1994 – II ZR 82/93, BGHZ 137, 378, 380 = GmbHR 1998, 324; BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1093; OLG Stuttgart v. 11.2.2004 – 14 U 23/03, GmbHR 2004, 662, 663; OLG Hamm v. 17.4.1991 – 8 U 173/90, AG 1992, 233, 234; OLG München v. 19.7.2018 – 23 U 2737/17, ZIP 2018, 2476; Altmeppen, § 42a Rz. 37; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 24 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 24 ff.; Liebscher in MünchKomm.

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§ 46 Rz. 36 | Aufgabenkreis der Gesellschafter nicht110. Die Absätze 4 und 5 des § 256 AktG enthalten nähere Bestimmungen zu § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG (dazu auch 12. Aufl., § 29 Rz. 24). § 256 Abs. 1 AktG erklärt den Abschluss für nichtig, wenn 1. er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind, 2. er im Falle einer gesetzlichen Prüfungspflicht nicht nach § 316 Abs. 1 und 3 des Handelsgesetzbuchs geprüft worden ist, 3. er im Falle einer gesetzlichen Prüfungspflicht von Personen geprüft worden ist, die nach § 319 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs oder nach Artikel 25 des Einführungsgesetzes zum Handelsgesetzbuch nicht Abschlussprüfer sind oder aus anderen Gründen als einem Verstoß gegen § 319 Abs. 2, 3 oder Abs. 4, § 319a Abs. 1 oder 3 oder § 319b Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs nicht zum Abschlussprüfer bestellt sind, 4. bei seiner Feststellung die Bestimmungen des Gesetzes oder der Satzung über die Einstellung von Beträgen in Kapital- oder Gewinnrücklagen oder über die Entnahme von Beträgen aus Kapital- oder Gewinnrücklagen verletzt worden sind. 37 Entsprechend § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG ist der Abschluss nichtig beim Verstoß gegen gläu-

bigerschützende Vorschriften des Bilanzrechts (z.B. § 30) oder gegen gläubigerschützende GoB111, insbesondere bei (nicht nur unwesentlicher) Überbewertung von Posten112. Geringfügige Überbewertung schadet nicht113. Zur Nichtigkeit führt aber der Ansatz fiktiver Aktivposten oder das Weglassen von Passivposten114. Da auch die Bilanz der GmbH ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu vermitteln hat (§ 264 Abs. 2 HGB), ist entsprechend § 256 Abs. 5 Nr. 2 AktG im Fall einer vorsätzlichen Manipulation dieser Information durch Unterbewertung ebenfalls Nichtigkeit anzunehmen115. Bei Verstoß gegen die für die GmbH obligatorischen Gliederungsvorschrif-

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GmbHG, Rz. 36; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 194 ff.; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 16; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 68; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, § 42a Rz. 78; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 77 ff.; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Pfitzer/Weber, 5. Aufl., § 42a GmbHG Rz. 65 ff.; eingehend Hartmann, S. 197; Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 135 ff., (aber mit Einschränkung bei Nr. 4 hinsichtlich Gewinnrücklagen) Brete/Thomsen, GmbHR 2008, 176 ff.; vgl. auch BGH v. 1.3.1982 – II ZR 23/81, BGHZ 83, 341, 347 = GmbHR 1983, 169. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 24; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 73; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, § 42a Rz. 83. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 25; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 72; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 69; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 78; Brete/Thomsen, GmbHR 2008, 176, 177. RGZ 131, 143; BGH v. 1.3.1982 – II ZR 23/81, BGHZ 83, 341 = GmbHR 1983, 169; BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 177 = NJW 1994, 520, 522; BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 369 = GmbHR 2000, 822; FG Nürnberg v. 28.10.1986 – I 74/82, GmbHR 1987, 495; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 70; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 25; eingehend, ohne Beschränkung auf wesentliche Überbewertung, Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 141. Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 31; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 70; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 84; Koch in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 256 AktG Rz. 56 f.; Hüffer/Koch, § 256 AktG Rz. 25; Gudbrod, GmbHR 1966, 84. OLG Hamm v. 17.4.1991 – 8 U 173/90, AG 1992, 233, 234; Hüffer/Koch, § 256 AktG Rz. 25; Schwab in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 256 AktG Rz. 6; s. auch OLG Stuttgart v. 20.11.2012 – 14 U 39/12, GmbHR 2013, 472, 478. Vgl. BGH v. 21.7.1994 – II ZR 82/93, BGHZ 137, 378, 384 = GmbHR 1994, 631; Altmeppen, § 42a Rz. 37; Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Pfitzer/Weber, 5. Aufl., § 42a GmbHG Rz. 72; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 73; s. auch Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 142 f.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 38 § 46

ten (§§ 265 f. HGB) ist der Abschluss entsprechend § 256 Abs. 4 AktG nichtig, wenn Klarheit und Übersichtlichkeit des Abschlusses wesentlich beeinträchtigt sind116. Die durch das BilanzrichtlinienG angepassten Nrn. 2 und 3 des § 256 Abs. 1 AktG passen auch für die GmbH – soweit sie nach §§ 316 ff. HGB prüfungspflichtig ist117. § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG ist auf die GmbH entsprechend anwendbar, soweit es um die Verletzung gesetzlicher Vorschriften geht (z.B. § 42 Abs. 2 Satz 3 GmbHG, § 272 Abs. 2, 4 HGB); Satzungsverstöße machen den Abschluss hingegen nur anfechtbar (vgl. Rz. 38). Der Jahresabschluss ist auch nichtig, wenn der Anhang fehlt (vgl. § 264 Abs. 1 HGB)118; fehlt dagegen der Lagebericht, der nicht zum Jahresabschluss gehört, tritt keine Nichtigkeit ein (vgl. Rz. 7)119. Nichtigkeit tritt schließlich ein, wenn die Feststellung nach Anfechtung vom Gericht rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist (vgl. § 241 Nr. 5, § 256 Abs. 3 Nr. 3 AktG sowie 12. Aufl., § 45 Rz. 91). Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses zieht analog § 253 AktG ohne weiteres die Nichtigkeit auch des hierauf beruhenden Gewinnverwendungsbeschlusses nach sich (12. Aufl., § 29 Rz. 24)120. Die Nichtigkeit kann geheilt werden; auch § 256 Abs. 6 AktG gilt im GmbH-Recht entsprechend (12. Aufl., § 29 Rz. 24)121. Eine Heilung ist demnach nur ausgeschlossen, wenn der Jahresabschluss nicht gemäß den gesetzlichen Vorschriften geprüft (§ 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG) oder auf eine Anfechtungsklage hin für nichtig erklärt worden ist (§ 256 Abs. 3 Nr. 3 AktG; zur Heilung vgl. auch 12. Aufl., § 45 Rz. 84 ff.)122. Doch dürfen die Gesellschafter die Heilung nicht abwarten, müssen vielmehr den Nichtgkeitsgrund durch Aufstellung eines neuen Jahresabschlusses beheben123. Dem nichtigen Abschluss nachfolgende Abschlüsse sind nicht ohne weiteres nichtig, sondern nur, wenn sie ihrerseits an einem zur Nichtigkeit führenden Fehler leiden (vgl. sinngemäß auch zur Anfechtbarkeit Rz. 41)124. bb) Anfechtbarkeit des Feststellungsbeschlusses liegt analog § 243 AktG bei sonstigen, d.h. 38 nicht zur Nichtigkeit führenden, Verstößen gegen zwingendes Gesetzesrecht oder den Gesellschaftsvertrag vor125. Zu den Anfechtungsfolgen vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 123 ff., 168 ff. 116 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 117 = NJW 1994, 520, 522 (AG); vgl. auch Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 78; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 83; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 70; Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 139 f.; Brete/Thomsen, GmbHR 2008, 176, 179. 117 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Pfitzer/Weber, 5. Aufl., § 42a GmbHG Rz. 67; vgl. auch Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 26; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 47 Rz. 16; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 79; Raiser/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 72; Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 136; Brete/Thomsen, GmbHR 2008, 176, 178. 118 OLG Stuttgart v. 11.2.2004 – 14 U 23/03, GmbHR 2004, 662, 663; vgl. auch Hüffer/Koch, § 256 AktG Rz. 8. 119 Vgl. OLG Köln v. 24.11.1992 – 22 U 72/92, AG 1993, 86, 87 = ZIP 1993, 110, 112 m. Anm. Timm; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 78; Hüffer/Koch, § 256 AktG Rz. 8. 120 Vgl. Altmeppen, § 42a Rz. 37; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 94; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, § 42a Rz. 94. 121 Vgl. Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Pfitzer/Weber, 5. Aufl., § 42a GmbHG Rz. 74; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 25 ff.; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 32; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 29 Rz. 80; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 86; Wichmann, GmbHR 1992, 643; Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 143; a.A. Lehmann, S. 114 f.; Woltmann, DB 1986, 1862. 122 Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 32; Tiedchen in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 42a Rz. 86. 123 Altmeppen, § 42a Rz. 37. 124 Vgl. BGH v. 30.9.1996 – II ZR 51/95, NJW 1997, 196, 197 = GmbHR 1997, 171; Koch in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2016, § 256 AktG Rz. 86. 125 RGZ 101, 161; BGH v. 18.3.1974 – II ZR 2/72, BB 1974, 855; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 35; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39.

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§ 46 Rz. 38 | Aufgabenkreis der Gesellschafter Anders als nach § 257 Abs. 1 Satz 2 AktG kann eine Anfechtungsklage bei der GmbH auch auf einen Verstoß des Beschlusses gegen die Satzung gestützt werden126. Die Vorschrift des § 257 Abs. 1 Satz 2 AktG, die eine Anfechtung wegen Inhaltsmängeln ausschließt, beruht darauf, dass das Aktiengesetz für diesen Fall die Sonderprüfung nach den §§ 258 ff. AktG vorsieht, die nicht analogiefähig sind127. Die Anfechtbarkeit kann aus Treupflichtgründen ausgeschlossen sein, wenn der mit der Änderung des Beschlusses verbundene Aufwand zum Interesse des Klägers an seiner Aufhebung außer Verhältnis steht (vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 25)128. 39 aaa) Ein inhaltlicher Mangel liegt vor beim Verstoß gegen bilanzrechtliche Vorschriften

(über Nichtigkeitsgründe vgl. Rz. 37 sowie 12. Aufl., § 29 Rz. 24, 65). Wichtigster Anfechtungsmangel ist eine unvertretbare, aber nicht schon nach Rz. 37 zur Nichtigkeit führende Unterbewertung129, denn dies ist ein inhaltlicher Mangel, der das Gewinnbezugsrecht der Gesellschafter berührt130. Anfechtungsgrund ist auch die Unterlassung gebotener Rückstellungen131. Bei der Bewertung bleibt ein Ermessensspielraum, der nur durch das Willkürverbot begrenzt ist132. Hierdurch und insbesondere durch einseitige Ausübung von Wahlrechten gestattet das geltende Recht die Bildung verdeckter Rücklagen133. Spielraum gibt auch die Rückstellung für die einem Gesellschafter-Geschäftsführer gegebene Pensionszusage134. Überall hier ist danach zu fragen, ob die bilanzielle Handhabung nach der wirtschaftlichen Lage kaufmännisch vertretbar erscheint135. Steuerliche Zulässigkeit rechtfertigt nicht in jedem Fall136. 40 bbb) Hiervon zu unterscheiden ist die Anfechtung eines Beschlusses wegen formeller Män-

gel und wegen Verstößen bei der Beschlussvorbereitung (12. Aufl., § 45 Rz. 95) sowie wegen Nicht-Information und wegen Verletzung von sonstigen Teilhaberechten eines Gesellschaf126 Bohl/Schamburg-Dickstein in Küting/Pfitzer/Weber, 5. Aufl., § 42a GmbHG Rz. 68; vgl. auch Lehmann, Die ergänzende Anwendung von Aktienrecht …, 1970, S. 112 f.; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 27; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 130; differenzierend Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 146, 148. 127 BGH v. 21.7.1994 – II ZR 82/93, BGHZ 137, 378, 386 = GmbHR 1998, 324, 326; BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1093; OLG Brandenburg v. 30.4.1997 – 7 U 174/96, GmbHR 1997, 796, 797; KG v. 17.4.2001 – 14 U 380/99, NZG 2001, 845; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 57; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 24; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 75; Winter/Marx in Gehrlein/Born/Simon, § 42a Rz. 89; Lehmann, S. 111 f.; Brete/Thomsen, GmbHR 2008, 176, 177; differenzierend Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 109; Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 146, 148; a.M. Gutbrod, GmbHR 1966, 85 und Däubler, GmbHR 1968, 11, die dem Gesellschafter statt der Anfechtungsklage einen Anspruch auf Berichtigung im folgenden Abschluss zugestehen. 128 BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1093. 129 OLG Brandenburg v. 30.4.1997 – 7 U 174/96, GmbHR 1997, 796, 797; KG v. 17.4.2001 – 14 U 380/99, NZG 2001, 845; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 33; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39; eingehend Geßler in FS Goerdeler, 1987, S. 147 f. 130 Auf § 29 stützen sich auch: RGZ 101, 161; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 33. 131 OLG Brandenburg v. 20.3.1996 – 7 U 84/95, GmbHR 1996, 697; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 57; Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 28; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39. 132 Vgl. dazu nur BGH v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, MDR 1974, 563, 564; Haas/Kersting in Baumbach/ Hueck, § 42a Rz. 33; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39; Tietze in Küting/Pfitzer/Weber, 5. Aufl., § 279 HGB Rz. 4 ff. 133 Vgl. nur Tietze in Küting/Pfitzer/Weber, 5. Aufl., § 279 HGB Rz. 4 ff. 134 So der Fall BGH v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, DB 1974, 716. 135 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 47; Ulmer, DB 1976, 950 f. zu dem KG-Fall BGH v. 10.5.1976 – II ZR 180/74, BB 1976, 948; s. auch BGH v. 5.1.1966 – VIII ZR 264/63, WM 1966, 113. 136 BGH v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, MDR 1974, 563, 564.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 43 § 46

ters (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 97). Zur Relevanz dieser Mängel für das Beschlussergebnis vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 100 ff. ccc) Die Aufhebung des Beschlusses durch Anfechtungsurteil hat kassatorische Wirkung 41 (12. Aufl., § 45 Rz. 174)137. Nachfolgende Feststellungsbeschlüsse brauchen, soweit es nur um die Konsequenzen aus der Korrektur des von dem Mangel direkt betroffenen Abschlusses geht, nicht besonders angefochten zu werden138. Die kassatorische Wirkung ersetzt nicht ohne weiteres den rechtswidrigen durch einen rechtmäßigen Beschluss (vgl. dazu auch 12. Aufl., § 45 Rz. 174 f., 180) Hiervon zu unterscheiden ist die ausnahmsweise zulässige „Feststellung des richtigen Abschlusses“ durch das Gericht (vgl. Rz. 21, 33)139. Richtigerweise kann es sich hierbei allerdings nur um Fälle handeln, bei denen kein Abstimmungsermessen besteht (vgl. dazu Rz. 21 sowie 12. Aufl., § 47 Rz. 31)140; der angebliche Antrag auf „Bilanzfeststellung“ durch das Gericht stellt sich als positive Beschlussfeststellungsklage dar (12. Aufl., § 45 Rz. 180), nach der hier vertretenen Ansicht also als eine Gestaltungsklage141. Vorgeschlagen wird auch ein Direktanspruch jedes Gesellschafters auf Gewinnausschüttung, wobei die gerichtliche Bilanzfeststellung im Wege der Inzidentpüfung zu erfolgen hätte142. b) Fehlerhafte Ergebnisverwendungsbeschlüsse aa) Ergebnisverwendungsbeschlüsse sind in entsprechender Anwendung des § 253 AktG 42 nichtig, wenn der zugrundeliegende Abschlussfeststellungsbeschluss – z.B. auch aufgrund erfolgreicher Anfechtung – nichtig ist (vgl. auch 12. Aufl., § 29 Rz. 65)143. Nichtigkeit liegt auch vor, wenn dem Ergebnisverwendungsbeschluss gar kein festgestellter Jahresabschluss zugrunde liegt144. Wird mehr als der ausgewiesene Jahresüberschuss verteilt und verfügt die Gesellschaft nicht über entsprechende Rücklagen, so verstößt der Beschluss gegen §§ 29, 30 und ist daher nichtig (vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 65, 12. Aufl., § 45 Rz. 74)145. Hiervon zu unterscheiden ist der Fall, dass nicht der Beschluss als solcher, sondern nur sein Vollzug durch Auszahlung gesetzwidrig ist (auch dazu 12. Aufl., § 29 Rz. 65, 12. Aufl., § 45 Rz. 74)146. bb) Berührt der Beschluss schon entstandene Gewinnansprüche der Gesellschafter (Rz. 26 ff.), 43 so ist er, soweit nicht die betroffenen Gesellschafter zustimmen, unwirksam147; einer Anfechtung bedarf es hierfür nicht. Vgl. über unwirksame Beschlüsse allgemein 12. Aufl., § 45 Rz. 53 ff.

137 H.M.; vgl. nur Haas/Kersting in Baumbach/Hueck, § 42a Rz. 34; A. Hueck, Anfechtbarkeit und Nichtigkeit …, 1924, S. 228; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht …, 1963, S. 385; unentschieden OLG Colmar, OLGE 10, 242. 138 RGZ 64, 259; RGZ 98, 114; BGH v. 27.9.1956 – II ZR 144/55, BGHZ 21, 354, 358. 139 Vgl. RGZ 64, 262; RGZ 80, 337; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7. 140 Ähnlich jetzt Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20. 141 Ähnlich jetzt Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20. 142 Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24. 143 BGH v. 21.7.2008 – II ZR 39/07, GmbHR 2008, 1092, 1094; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 62; Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 43; Altmeppen, § 42a Rz. 37; s. auch OLG Hamm v. 17.4.1991 – 8 U 173/90, AG 1992, 233; OLG Frankfurt v. 22.12.2004 – 13 U 177/ 02, GmbHR 2005, 550, 556; FG Nürnberg v. 28.10.1986 – I 74/82, GmbHR 1987, 495, 496 = BB 1987, 520, 521. 144 Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 43. 145 Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 45. 146 Dazu BFH v. 7.11.2001 – I R 11/01, BFH/NV 2002, 540 = GmbHR 2002, 337; BFH v. 15.5.2007 – I B 6/07, BFH/NV 2007, 1713; Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 26, 56. 147 Vgl. OLG Celle v. 28.9.1988 – 9 U 78/87, ZIP 1989, 511; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49.

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§ 46 Rz. 44 | Aufgabenkreis der Gesellschafter 44 cc) Andere Rechtsverstöße machen den Beschluss anfechtbar. Nach tradierter Meinung fin-

det bezüglich des Gewinnverwendungsbeschlusses nicht § 254 AktG, sondern allein § 243 AktG entsprechende Anwendung148. Seit der Fassung des § 29 durch das Bilanzrichtliniengesetz mehren sich Stimmen für eine Anwendung auch des § 254 AktG, obwohl eine starre Garantiedividende für die GmbH gerade nicht eingeführt wurde (dazu Rz. 31 sowie 12. Aufl., § 29 Rz. 6)149. Nach dem bei Rz. 31 Gesagten kann man die Wertung des § 254 AktG unter Treupflichtgesichtspunkten in den Anfechtungstatbestand einfließen lassen150. Wird nach dem Beschluss mehr als der sich aus der Bilanzfeststellung ergebende Überschuss verteilt, so liegt neben der Verteilung von Bilanzgewinn eine Entnahme vor; der Beschluss ist dann im Fall eines Verstoßes gegen § 30 teilweise nichtig und sonst nur anfechtbar, soweit Auflösung und Ausschüttung der Rücklagen verboten waren151. Wird nach dem Beschluss weniger als der Überschuss verteilt und verstößt die Bildung von Rücklagen gegen § 29 (vgl. Rz. 28), so ist der Beschluss anfechtbar. 45 Anfechtung und Anfechtungsurteil wirken auch hier rein kassatorisch (vgl. Rz. 41). Aus-

nahmsweise, wenn der angefochtene Beschluss auf unrichtiger Stimmenauswertung beruht oder eine positive Stimmpflicht besteht, kann hiermit eine positive Beschlussfeststellungsklage (12. Aufl., § 45 Rz. 180) verbunden werden (vgl. auch Rz. 21, 41)152. Zu Lasten des anfechtungsberechtigten Gesellschafters bzw. dessen, der von ihm ein Gewinnbezugsrecht ableitet, bleiben anfechtbare Verwendungsbeschlüsse so lange maßgebend, bis sie durch Anfechtung aufgehoben sind153. Die Gesellschaft kann dagegen schon vor Erlass des Urteils die Auszahlung des Gewinns unter Berufung auf einen Anfechtungsgrund verweigern (dazu 12. Aufl., § 29 Rz. 67, 12. Aufl., § 45 Rz. 124). Ist der Beschluss für nichtig erklärt worden, so ist bereits ausgezahlter Gewinn nach § 812 BGB zurückzuzahlen; den gutgläubigen Gesellschafter schützt § 32 (vgl. 12. Aufl., § 32 Rz. 14). Zur Frage, ob ausnahmsweise Zahlung ohne Gewinnverwendungsbeschluss verlangt werden kann, vgl. Rz. 26.

5. Abweichende Satzungsregelungen a) Zuständigkeitsregeln 46 Die Zuständigkeit für die Feststellung des Jahresabschlusses wie die Entscheidung über die

Ergebnisverwendung kann durch die Satzung einem anderen Organ als der Gesellschafterversammlung übertragen werden (vgl. Rz. 3), insbesondere einem Bilanzausschuss, einem Aufsichts- oder Beirat154. Es kann auch einem Minderheitsgesellschafter die Kompetenz als Sonderrecht eingeräumt werden155. Die Feststellungszuständigkeit kann sogar auf die Geschäftsführung übertragen werden156. In diesem Sinne kann bestimmt werden, dass der Jah-

148 v. Falkenhausen, Verfassungsrechtliche Grenzen …, 1967, S. 55; Hommelhoff, ZGR 1986, 423 ff. 149 Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 30. 150 Vgl. Altmeppen, § 29 Rz. 31 ff.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, § 29 Rz. 128 ff.; Römermann in Michalski u.a., Anh. § 47 Rz. 349. 151 Kersting in Baumbach/Hueck, § 29 Rz. 45; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 18. 152 Für echte Feststellungsklage noch RGZ 80, 337; RGZ 87, 383, 386; krit. Kersting in Baumbach/ Hueck, § 29 Rz. 44; vgl. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; zur h.M. vgl. OLG München v. 28.11.2007 – 7 U 2282/07, GmbHR 2008, 362. 153 Vgl. RGZ 87, 383 ff.; OLG Hamburg, OLGE 30, 379 = GmbHRspr. II, Nr. 3 zu § 29 GmbHG. 154 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Altmeppen, Rz. 8; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 10. 155 Hartmann, S. 165; Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 475; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26 (s. aber auch Rz. 27). 156 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57; Altmeppen, Rz. 8; vgl. auch LG Halle, GmbHRspr. II, Nr. 5 zu § 46 GmbHG; Bedenken bei Hüffer/

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 47a § 46

resabschluss durch die Unterschrift der Geschäftsführer als festgestellt gilt157 oder dass es genügt, wenn nicht ein Gesellschafter oder die Mehrheit der Gesellschafter dem Abschluss widerspricht158. Der Gegenansicht159 ist zuzugeben, dass die Bilanzpolitik der Geschäftsführung auf diese Weise u.U. nicht effektiv überprüft wird. Gegen eine solche Kompetenzverschiebung schützt § 46 aber nicht160. Über den Rechtsschutz der Gesellschafter gegen rechtswidrige Organentscheidungen vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 184 ff. Auf den Ergebnisverwendungsbeschluss kann ganz verzichtet bzw. beide Beschlüsse können zu einem zusammengefasst werden (vgl. Rz. 10). Möglich ist es auch, die Zuständigkeit – etwa in Anlehnung an das aktienrechtliche Modell (vgl. §§ 172 ff. AktG) – aufzuteilen161. Unzulässig ist dagegen die Delegation auf Dritte162. Auch ist die Übertragbarkeit der Beschlussfassung über die Ergebnisverwendung streitig163. Sie sollte nur zugunsten eines von Weisungen abhängigen Gesellschafterbeirats und nur mit Zustimmung aller Gesellschafter zugelassen werden164. Eine Zuständigkeitsregel für die Ergebnisfeststellung ertreckt sich nicht ohne Weiteres auf die Ergebnisverwendung165. b) Inhaltsregeln Inhaltlich können der Bilanzaufstellungs- und -feststellungskompetenz sowie der Ergebnis- 47 verteilungskompetenz Grenzen gesetzt werden. Die gesetzlichen Vorschriften sind nämlich nur „halbzwingend“ und somit jedenfalls durch die Satzung verschärfbar. Unzulässig ist allerdings eine Ausrichtung allein an steuerrechtlichen unter Vernachlässigung zwingender handelsbilanzrechtlicher Vorschriften166. Wahlrechte und das Bewertungsermessen können konkretisierend verengt werden. Sinnvoll sind Regelungen über die Thesaurierung im Rahmen von Feststellungs- bzw. Verwendungsbeschluss167. Bei der Einführung solcher Regeln durch Satzungsänderung stellen sich Probleme des Minderheitenschutzes (12. Aufl., § 29 Rz. 75 f.)168. Über dem § 29 Rechnung tragende Satzungsänderungen vgl. 12. Aufl., § 29 Rz. 74 ff.

6. Einzelabschluss nach IAS/IFRS (§ 46 Nr. 1a) und Konzernabschluss (§ 46 Nr. 1b) a) § 46 Nr. 1a wurde eingeführt durch das Bilanzrechtsreformgesetz vom 4.12.2004 (BGBl. I 47a 2004, 3166). Die Regelung ist im Zusammenhang mit § 42a Abs. 4 Satz 2 GmbHG sowie

157 158 159 160 161 162 163 164 165 166 167

168

Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; strikt ablehnend Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 13. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 16. Hartmann, S. 165 f.; abl. auch Brodmann, Rz. 3. Ebenso Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 476 f. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 13; a.M. van Venrooy, GmbHR 2003, 125, 137. Näher Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 61. Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 13. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27. BayObLG v. 17.12.1987 – BReg 3 Z 127/87, MDR 1988, 412. Zur Klauselgestaltung s. Hommelhoff/Priester, ZGR 1986, 497 ff.; Hommelhoff/Hartmann/Hillers, DNotZ 1986, 323 ff., 395 ff.; die Verwendung des Wortes „Gewinnverwendung“ kann als Grundlage von Thesaurierungsbeschlüssen ausreichen (vgl. OLG Köln v. 28.11.1986 – 6 U 101/86, GmbHR 1987, 189 = WM 1987, 375 f.). Vgl. Hommelhoff, ZGR 1986, 451; zur Zustimmungspflicht s. S. 453 ff.

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§ 46 Rz. 47a | Aufgabenkreis der Gesellschafter mit § 325 Abs. 2a HGB zu lesen. Die Offenlegung einer Rechnungslegung nach internationalen Rechnungslegungsstandards kann nach § 325 Abs. 2a HGB bei großen und mittelgroßen Kapitalgesellschaften (§ 267 Abs. 3 und 2 HGB)169 an die Stelle der Offenlegung des HGB-Jahresabschlusses treten (dazu 12. Aufl., § 42a Rz. 41 ff.)170. Bei kleinen und damit nicht von § 325 Abs. 2a HGB erfassten Gesellschaften hat die Aufstellung eines Abschlusses nach internationalen Standards keine befreiende Wirkung und kann diese auch nicht durch einen Beschluss nach § 46 Nr. 1a erlangen171. Nicht nur aus diesem Grund, sondern auch wegen der wenig attraktiven Rechtsfolgen wird der Regelung geringe praktische Bedeutung attestiert172. Wenn die Gesellschafter über die Offenlegung eines Einzelabschlusses nach § 325 Abs. 2a HGB entschieden haben, gelten für ihn die in § 42a Abs. 1 bis 3 enthaltenen Verfahrensregeln über die Vorlage des Jahresabschlusses, den Beschluss über die Feststellung und Ergebnisverwendung sowie über die Teilnahme von Abschlussprüfern an der Gesellschafterversammlung (§ 42a Abs. 4 Satz 2). Zwei Beschlussgegenstände nennt Nr. 1a: die Entscheidung über die Offenlegung und die Billigung des Abschlusses. Die Entscheidung der Gesellschafter über die Offenlegung bedeutet: Die Gesellschafter und nicht die Geschäftsführer entscheiden über die Ausübung des Wahlrechts durch Offenlegung des IAS/ IFRS-Abschlusses173. Ohne den Beschluss nach § 46 Nr. 1a bleibt es bei der Offenlegung des HGB-Jahresabschlusses174. Bezüglich der Entscheidung über die Billigung des von den Geschäftsführern aufgestellten Abschlusses entspricht § 46 Nr. 1a der Formulierung des gleichfalls auf dem Bilanzrechtsreformgesetz beruhenden § 171 Abs. 4 Satz 2 AktG (Billigung des nach § 325 Abs. 2a HGB offenzulegenden Abschlusses durch den Aufsichtsrat). Diese Billigung wird jedoch von der Feststellung des Jahresabschlusses gemäß § 46 Nr. 1 unterschieden175. Sie bezieht sich auf die Offenlegung des Abschlusses nach § 325 Abs. 2a HGB und hat nicht die Bedeutung der sog. Bilanzfeststellung nach § 46 Nr. 1 (zu dieser vgl. Rz. 13 ff.)176. Die Gesellschafter können aufgrund ihrer Allzuständigkeit (Rz. 1) auch ohne Vorwegnahme des Wahlrechts beschließen, dass ein IAS/IFRS-Abschluss vorgelegt werden soll177. Ein solcher Beschluss ist jedoch kein Beschluss nach § 46 Nr. 1a. Diesen können die Gesellschafter in einem solchen Fall nachholen178. Das weitere Verfahren richtet sich nach § 42a (vgl. § 42a Abs. 4 Satz 2). Da § 325 Abs. 2a HGB nur von der Offenlegung, nicht aber von der Aufstellung und Feststellung eines HGB-Jahresabschlusses befreit179, bleibt in Bezug auf die Feststellung des HGB-Jahresabschlusses sowie in Bezug auf die Ergebnisverwendung § 46 Nr. 1 maßgeblich. Die Regelungen des § 46 Nr. 1a sind dispositiv180. Die Sat-

169 Bis zum EHUG vom 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553) waren nur große Kapitalgesellschaften erfasst; heute ergibt sich eine Beschränkung nur noch mittelbar aus der Voraussetzung eines Lageberichts in § 325 Abs. 2a Satz 4 HGB und der Prüfungspflicht (vgl. Fehrenbacher in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 325 HGB Rz. 80; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52). 170 Dazu Theile in GmbH-Handbuch, Lfg. 2018, Rz. II 604 f. 171 Fehrenbacher in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 325 HGB Rz. 80; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52; Altmeppen, Rz. 14; s. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 22 (noch unter Ausschluss auch der mittleren); Diskussionsstand bei Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 42a Rz. 24 ff. 172 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53. 173 Vgl. Altmeppen, Rz. 13; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 22; Teichmann in Gehrlein/Born/ Simon, Rz. 13. 174 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 175 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 22 (mit Kritik); Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30. 176 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14. 177 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 22; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 178 Ebd. 179 Vgl. Merkt in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 325 HGB Rz. 7. 180 Altmeppen, Rz. 14; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 48 § 46

zung kann also die Entscheidung über die Offenlegung des IAS/IFRS-Abschlusses auch in andere Hände legen (Rz. 3). b) § 46 Nr. 1b, gleichfalls durch das Bilanzrechtsreformgesetz vom 4.12.2004 (BGBl. I 2004, 47b 3166) in das Gesetz aufgenommen, betrifft den Konzernabschluss. Die Bestimmung setzt voraus, dass die GmbH nach § 290 HGB konzernabschlusspflichtig ist. Der Konzernabschluss wurde nach § 42a Abs. 4 a.F. den Gesellschaftern nur mit der Maßgabe vorgelegt, „dass es der Feststellung … nicht bedarf“. Heute stellt § 42a Abs. 4 den Konzernabschluss und Konzernlagebericht dem unter § 42a Abs. 1–3 fallenden Jahresabschluss bzw. Lagebericht gleich. Hieraus zieht § 46 Nr. 1b die Konsequenz und erklärt die Gesellschafter für zur Billigung des Konzernabschlusses zuständig. Das gilt gleichermaßen für einen HGB-Konzernabschluss und einen IAS/IFRS-Konzernabschluss181. Wie bei § 46 Nr. 1a bezieht sich die Billigung auch hier auf die Publizität des Abschlusses und hat keine Bilanzfeststellungswirkung (vgl. zur Bilanzfeststellung Rz. 13 ff.)182. Auch § 46 Nr. 1b ist eine dispositive Regelung183. Die Satzung (in Übereinstimmung mit § 42a Abs. 4 a.F.) kann auf das Erfordernis der Billigung des Konzernabschlusses durch die Gesellschafter verzichten oder die Kompetenz zur Billigung des Konzernabschlusses z.B. in die Hand eines Aufsichtsrats legen (Rz. 3).

7. GmbH & Co. KG In der GmbH & Co. KG gilt § 46 Nr. 1 für den Jahresabschluss der GmbH. Die Rechtslage 48 bei der Kommanditgesellschaft ist zweifelhaft. Seit dem Urteil BGHZ 132, 263 = NJW 1996, 1678 ist geklärt, dass entgegen der älteren Gegenansicht mangels entgegenstehender Vertragsregelung die Kommanditisten bei der Bilanzfeststellung mitwirken184. Ihr ist zuzustimmen (vgl. auch 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 17). Für den Fall der GmbH & Co. KG scheint es vollends sinnvoll, den Kommanditisten jene Mitwirkungsrechte nicht zu versagen, die den Gesellschaftern der GmbH zustehen. In der „klassischen“ GmbH & Co. KG ohne Kapitalanteil und Stimmrecht der GmbH ist die Parallelität vollends offenkundig. Das sollte sich auch auf das Bilanzierungsermessen erstrecken, so dass der Beschluss der Kommanditisten über eine bloße Genehmigung der vorgelegten Bilanz hinausgehen kann (im Detail noch wenig geklärt). Demnach wäre auch hier die von der geschäftsführenden Gesellschafterin aufgestellte Bilanz nur ein Entwurf, und die Bilanzfeststellung durch die Kommanditisten könnte, über eine bloße Genehmigungsentscheidung hinaus, die vorgelegte Bilanz auch ändern. Seit dem „Otto“-Urteil des BGH185 steht auch für die Praxis fest, dass die Feststellung des Jahresabschlusses kein besonderer Bestimmtheit bedürftiges Grundlagengeschäft ist186. Die Bilanzfeststellung ist also von der allgemeinen Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag ge181 Vgl. nur Altmeppen, Rz. 14; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 24; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11. 182 Altmeppen, Rz. 14; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 24. 183 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15. 184 Grundlegend Buchwald, JR 1948, 65; P. Ulmer in FS Hefermehl, 1976, S. 207 ff.; zust. MuellerThuns in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020, Rz. 7.177 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 53 III 2; Hopt in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 164 HGB Rz. 4; Habersack in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 781 BGB Rz. 22 (Fn. 72); Casper in Staub, 5. Aufl. 2015, § 167 HGB Rz. 7; Grunewald in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 167 HGB Rz. 2; Priester in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 HGB Rz. 54 ff.; Karsten Schmidt, JZ 2008, 425, 433. 185 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 = GmbHR 2007, 437; dazu Mueller-Thuns in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020, Rz. 7.178; eingehend Paefgen in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 929 ff. 186 So noch BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263, 268 = GmbHR 1996, 456.

Karsten Schmidt | 921

§ 46 Rz. 48 | Aufgabenkreis der Gesellschafter deckt187. Lässt der Gesellschaftsvertrag Mehrheitsbeschlüsse über die Bilanzfeststellung in der KG zu, so unterliegen diese nach der hier vertretenen Auffassung wie GmbH-Beschlüsse der Nachprüfung durch Anfechtungsklage (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 52). Auch der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts befürwortet (de lege ferenda) die Anfechtungsklage im Beschlussmängelrecht (dazu 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 48). Nach h.M. hat der überstimmte Gesellschafter die Möglichkeit, die Fehlerhaftigkeit der Bilanzfeststellung im Wege der Feststellungsklage prüfen zu lassen188. Die Bedeutung der Bilanzfeststellung für die Verjährung von Ansprüchen (Rz. 13 a.E.) ist auch im Recht der Personengesellschaften umstritten189. Auch hier ist richtigerweise der Zustimmung zum Jahresabschluss die Wirkung eines Neubeginns der Verjährung für sich aus der Bilanz ergebende Verbindlichkeiten zuzuerkennen190.

III. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 2: Einforderung der Einlagen 1. Bedeutung der Vorschrift 49 Die GmbH kann nach § 7 Abs. 2 eingetragen werden, sobald auf jeden Geschäftanteil auch

nur ein Viertel eingezahlt ist (freilich muss der Gesamtbetrag der eingezahlten Geldeinlagen zuzüglich des Gesamtbetrags der Sacheinlagen 12 500 Euro erreichen). Für die Kapitalerhöhung gilt § 57 Abs. 2. Nach § 46 Nr. 2 entscheidet sich, wann die verbleibende Einlageschuld fällig wird: Soweit nicht nach dem Gesellschaftsvertrag (der Satzung) die Fälligkeit sogleich eintritt oder einem anderen Organ zur Entscheidung überlassen ist, bedarf es für die Fälligkeit dieser weiteren Einzahlungen des Gesellschafterbeschlusses (12. Aufl., § 19 Rz. 13)191. Die Regelung gilt für den Nennbetrag der Einlage einschließlich eines etwa zu zahlenden Agio192. Die Einforderung erfolgt grundsätzlich nach dem Verhältnis der Nominalbeträge der Geschäftsanteile (12. Aufl., § 19 Rz. 17 ff.). Nach h.M. genügt für die Fälligkeit nicht die Beschlussfassung allein (Einforderungsbeschluss), sondern erforderlich ist, dass der Geschäftsführer die Einlage auch anfordert (Anforderungserklärung; vgl. 12. Aufl., § 19 Rz. 14)193. Hierfür genügt aber eine Mitteilung des Einforderungsbeschlusses. Im Verhältnis zu Gesellschaftern, die bei der Beschlussfassung anwesend sind, kann und wird regelmäßig eine besondere 187 Dazu BGH v. 7.7.2008 – II ZR 151/07, DStR 2009, 1544; Haar, NZG 2007, 601 ff.; Karsten Schmidt, ZGR 2008, 1, 21 f. 188 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, BGHZ 170, 283 = GmbHR 2007, 437; BGH v. 28.1.1991 – II ZR 20/90, BB 1991, 507 = DB 1991, 962; dazu Claussen, ZGR 1992, 255 ff., insbes. S. 262 f.; speziell zur Bilanzfeststellung Bauschatz, NZG 2002, 759 ff. 189 Anwendung des § 212 BGB grundsätzlich verneinend Priester in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 HGB Rz. 61 m.w.N. 190 Anwendung des § 212 BGB bejahend Karsten Schmidt, NZG 2009, 361, 364; Karsten Schmidt, DB 2009, 1971, 1973. 191 Vgl. BGH v. 29.6.1961 – II ZR 39/60, AG 1961, 265 = GmbHR 1961, 144; BGH v. 8.12.1986 – II ZR 55/86, GmbHR 1987, 224, 225; OLG Dresden v. 14.12.1998 – 2 U 2679/98, NZG 1999, 448, 449 = GmbHR 1999, 233; Altmeppen, Rz. 15; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 25; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; a.M. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33: Nr. 2 als bloße Kompetenznorm nur Voraussetzung der Durchsetzbarkeit; indifferent BGH v. 17.10.1988 – II ZR 372/87, GmbHR 1989, 151, 152: Voraussetzung der Einforderung. 192 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, GmbHR 2008, 147, 149 = NZG 2008, 73, 74; Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004, S. 153 f.; Altmeppen, Rz. 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 18; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 25; Römermann in Michalski u.a., Rz. 102. 193 H.M. vgl. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72; Römermann in Michalski u.a., Rz. 131, 134 ff.

922 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 51 § 46

Anforderung entfallen (12. Aufl., § 19 Rz. 14)194. Nach einer neueren Ansicht ergibt sich die Fälligkeit unmittelbar aus dem Beschluss195, und die Anforderung durch den Geschäftsführer ist lediglich Information über die ihm obliegende Geltendmachung der bereits mit dem Beschluss fällig gewordenen Forderung196. Vorbehaltlich anderer Satzungsregelung wird dies i.d.R. dem recht verstandenen Beschlussinhalt entsprechen. Die Geschäftsführung ist nach dem Gesetz nicht für die Entscheidung, für die Geltendmachung der Forderung, für Mahnung etc. zuständig (Rz. 56 sowie 12. Aufl., § 19 Rz. 13). Artifiziell und praktisch unergiebig ist demgegenüber eine weitere Auffassung, nach der der Gesellschafterbeschluss überhaupt keine materiell-rechtliche Bedeutung hat (auch nicht für die Fälligkeit), sondern nur eine Einforderungszuständigkeit der Geschäftsführer herbeiführt197.

2. Anwendungsbereich a) Jede GmbH Für jede GmbH gilt § 46 Nr. 2, auch für die Einpersonen-GmbH (vgl. 12. Aufl., § 7 Rz. 4) (so 50 auch schon vor dem MoMiG, Sonderregel des § 7 Abs. 2 Satz 3 a.F.). Die praktische Bedeutung der Vorschrift liegt allerdings ganz bei der Mehrpersonengesellschaft. In der Vorgesellschaft können gleichfalls schon Beschlüsse nach § 46 Nr. 2 gefasst werden (vgl. 12. Aufl., § 11 Rz. 55). Zahlungen vor der Eintragung sind dann keine freiwilligen Mehrleistungen (zu dieser nach älterer Rechtsprechung haftungsrelevanten, heute weitgehend überholten Problematik vgl. 12. Aufl., § 7 Rz. 47). b) Geldeinlagen Nur für Geldeinlagen gilt § 46 Nr. 2, dann aber auch für ein über den Nennbetrag hinaus zu 51 zahlendes Aufgeld (Agio; vgl. Rz. 49); bei gemischten Einlagen gilt § 46 Nr. 2 für den Geldeinlageteil. Auch bei Geldeinlagen gilt § 46 Nr. 2 nur für den Teil, der nicht schon kraft Gesetzes oder kraft Satzung sogleich fällig und vom Geschäftsführer ohne vorherige Beschlussfassung einzufordern ist. Für Sacheinlagen gilt § 46 Nr. 2 nicht. Sie müssen sogleich voll geleistet werden (vgl. 12. Aufl., § 7 Rz. 22). Gegenstandslos ist § 46 Nr. 2, wie bei 12. Aufl., § 9 Rz. 24 erläutert, auch bezüglich der auf Geldzahlung lautenden Differenzhaftung des Sacheinlegers nach § 9198. Die bei 12. Aufl., § 11 Rz. 124 ff. besprochene Unterbilanzhaftung fällt gleichfalls nicht unter § 46 Nr. 2, weil es sich nicht um eine Einlageschuld handelt, ebenso wenig die Rückerstattungspflicht nach § 31 bei verbotenen Ausschüttungen199 oder auf satzungsmäßiger Grundlage200; diese Forderungen der Gesellschaft fallen auch nicht unter § 46 Nr. 8 (dazu Rz. 148). Nicht unter § 46 Nr. 2 fällt auch das Neueinzahlungsverlangen wegen verdeckter Sacheinlage (dazu 12. Aufl., § 19 Rz. 132 ff.).

194 BGH v. 16.9.2002 – II ZR 1/00, BGHZ 152, 37, 39 f. = GmbHR 2002, 1193; OLG Dresden v. 14.12.1998 – 2 U 2679/98, NZG 1999, 448, 449 = GmbHR 1999, 233. 195 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 25; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 19 Rz. 6. 196 OLG Dresden v. 14.12.1998 – 2 U 2679/98, NZG 1999, 448, 449 = GmbHR 1999, 233; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 25; wohl auch Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 19. 197 So Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33. 198 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16; a.M. MeyerLandrut, Rz. 14 sowie § 9 Rz. 10. 199 Vgl. BGH v. 8.12.1986 – II ZR 55/86, GmbHR 1987, 224 = NJW 1987, 779; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16. 200 OLG Hamm v. 3.12.2012 – 8 U 20/12, ZIP 2013, 976.

Karsten Schmidt | 923

§ 46 Rz. 52 | Aufgabenkreis der Gesellschafter c) Satzungsregeln 52 Der Gesellschaftsvertrag (die Satzung) kann von § 46 Nr. 2 abweichen (Rz. 3), z.B. auf einen

Beschluss verzichten201. Eines Beschlusses nach § 46 Nr. 2 bedarf es nicht, wenn die Einlagen von vornherein oder zu bestimmten Terminen über den Mindestbetrag nach § 7 Abs. 2 hinaus einzuzahlen sind. Es ist dann ohne weiteres Sache des Geschäftsführers, den Zahlungsanspruch geltend zu machen202. Ein Gesellschafterbeschluss kann dann wegen § 19 Abs. 2 keine Stundung mehr gewähren (vgl. zum Stundungsverbot 12. Aufl., § 19 Rz. 59 ff.)203. Doch liegt eine sofortige Zahlungspflicht nicht schon dann vor, wenn die Satzung lediglich „Barzahlung“ vorschreibt204. § 46 Nr. 2 ist auch dann nicht abbedungen, wenn die Satzung eine „Anforderung“ durch die Gesellschaft vorsieht205. Die Satzung kann auch die Entscheidung eines anderen Organs, z.B. eines Aufsichtsrats oder Beirats, vorsehen206. Ein Beispiel für die Entscheidung durch einen fakultativen Aufsichtsrat ist immer noch der Fall RGZ 82, 386. Zuständig für die Geltendmachung des Anspruchs bleiben grundsätzlich die Geschäftsführer207. Sind sie nach der Satzung, abweichend von der bei Rz. 49 dargestellten Regel, auch für die Entscheidung über die Fälligkeit zuständig, so ist § 46 Nr. 2 abbedungen208. d) Insolvenz und Liquidation 53 Insolvenzverwalter und Liquidator können ohne Gesellschafterbeschluss selbst einfor-

dern209, jedoch nur, soweit der Insolvenzverfahrens- oder Liquidationszweck dies erfordert210. Im Einzelnen vgl. 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 180; 12. Aufl., § 69 Rz. 23, 38. Basis dieser h.M. ist eine teleologische Reduktion des § 46 Nr. 2: Die Einlage dient der Aufbringung liquiden Gesellschaftsvermögens. Nur solange dessen Zufluss Gegenstand unternehmerischen Ermessens ist, ist Raum für eine Entscheidung der für die Finanzierungsstrategie zuständigen Gesellschafter nach § 46 Nr. 2. Sobald Liquidität für den Gesellschaftszweck überlagernde Sanierungs- oder Abwicklungszwecke zur Verfügung stehen muss, gibt es kein solches Ermessen mehr, also auch keine Beschlusszuständigkeit nach § 46 Nr. 2. Der Anspruch der Gesell-

201 RGZ 95, 434; RGZ 138, 111 = GmbHRspr. IV, Nr. 8 zu § 16 GmbHG; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 73; allg. M. 202 RGZ 138, 106, 111 = GmbHRspr. IV, Nr. 8 zu § 16 GmbHG; RG, JW 1915, 196 = GmbHRspr. III, Nr. 7 zu § 46 GmbHG; RG, GmbHR 1916, 344 = GmbHRspr. III, Nr. 6 zu § 46 GmbHG; RG, Holdh. 27, 154 = SeuffArch. 74 Nr. 13 = Recht 1918 Nr. 1594–1599 = GmbHRspr. III, Nr. 5 zu § 21 GmbHG; OLG Oldenburg v. 26.7.2007 – 1 U 8/07, GmbHR 2007, 1043 = NZG 2008, 32. 203 RGZ 138, 106, 111 = GmbHRspr. IV, Nr. 8 zu § 16 GmbHG; RG, SeuffArch. 74 Nr. 13 = Recht 1918 Nr. 1594–1599 = GmbHRspr. II, Nr. 5 zu § 21 GmbHG; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 21. 204 BGH v. 29.6.1961 – II ZR 39/60, AG 1961, 265 = GmbHR 1961, 144; insofern noch unentschieden RGZ 138, 106, 112. 205 OLG Celle v. 21.5.1997 – 9 U 204/96, WiB 1997, 1034 m. Anm. Jaeger. 206 Allg. M.; vgl. Altmeppen, Rz. 15; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 19. 207 OLG Köln, OLGE 19, 639 = GmbHRspr. I, Nr. 6 zu § 46 GmbHG; Brodmann, Rz. 3b. 208 RGZ 138, 106, 111; OLG Celle v. 12.5.1997 – 9 U 204/96, GmbHR 1997, 748, 749; s. auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 73. 209 RGZ 138, 106, 111 = GmbHRspr. IV, Nr. 8 zu § 16 GmbHG; BGH v. 10.5.1982 – II ZR 89/81, BGHZ 84, 47, 48 = GmbHR 1983, 42; BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, GmbHR 2008, 147, 149 = ZIP 2007, 2416; OLG Frankfurt, Recht 1909, Nr. 3657 = GmbHRspr. I, Nr. 4 zu § 63 GmbHG; OLG Naumburg v. 10.5.1999 – 7 W 24/99, GmbHR 1999, 1037; OLG Brandenburg v. 8.6.2005 – 7 U 200/04, EWiR 2005, 729; OLG Jena v. 8.6.2007 – 6 U 311/07, GmbHR 2007, 982 = NZG 2007, 717; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 66; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 27. 210 RGZ 45, 155; RG, Warn. 1914 Nr. 120 = GmbHRspr. II, Nr. 8 zu § 46 GmbHG; OLG Köln, OLGE 13, 25 = GmbHRspr. I, Nr. 8 zu § 46 GmbHG; Brodmann, Rz. 3a.

924 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 55 § 46

schaft wird ipso facto fällig. Erst ein wirksamer Fortsetzungsbeschluss gibt den Gesellschaftern ihre Kompetenz nach § 46 Nr. 2 (auch hierzu 12. Aufl., § 69 Rz. 38). e) Abtretung und Pfändung Auch nach Abtretung oder Pfändung des Zahlungsanspruchs kann nach einer verbreiteten 54 Ansicht der Zessionar bzw. der Pfändungsgläubiger vom Gesellschafter Zahlung ohne vorherigen Einforderungsbeschluss verlangen211. Das ist nicht unzweifelhaft212. Sieht man mit der h.M. die Einlageforderung als abtretbar und als pfändbar an (vgl. 12. Aufl., § 19 Rz. 105 ff.)213, so fragt sich immer noch, warum nicht die Gesellschafter dem Zessionar (§ 404 BGB) oder dem pfändenden Gläubiger (§ 803 ZPO, §§ 1275, 404 BGB) die mangelnde Fälligkeit sollen entgegenhalten dürfen214. Angebracht wäre eine teleologische Reduktion des § 46 Nr. 2 nur aus einem der Insolvenz und Liquidation vergleichbaren Grund. Es kann also nur um Fälle gehen, bei denen die Abtretung oder Pfändung der Haftungsverwirklichung dient (z.B. nach Ablehnung einer Insolvenzverfahrenseröffnung mangels Masse)215. Im Pfändungsfall ist hiervon auszugehen (12. Aufl., § 19 Rz. 112)216. Dagegen kann der Geschäftsführer einer solventen GmbH die Gesellschafterzuständigkeit nach § 46 Nr. 2 nicht etwa dadurch umgehen, dass er die Einlageforderung – z.B. an eine Factorbank – abtritt (12. Aufl., § 19 Rz. 113)217. Dem Abtretungsempfänger ist vorsorglich anzuraten, auf einem Beschluss der Gesellschafter nach § 46 Nr. 2 zu bestehen (in einer Zustimmung der Gesellschafter zu einer Abtretung ist der Beschluss über die Beitreibbarkeit des Anspruchs konkludent enthalten)218.

3. Die Beschlussfassung und ihre Folgen a) Beschlussfassung Bei der Beschlussfassung wirkt (unter Beachtung von § 16) jeder stimmberechtigte Gesell- 55 schafter mit, auch der vom Beschluss Betroffene, der etwa allein noch im Rückstand ist (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 131)219. Ein klagbarer Anspruch auf Zustimmung besteht nach der

211 So RGZ 76, 435; RGZ 131, 147; RGZ 149, 301; RG, LZ 1912, 315 = GmbHRspr. II, Nr. 6 zu § 46 GmbHG; KG, DJZ 1911, 708; KG, LZ 1914, 1401; KG, LZ 1918, 857; OLG Hamburg, OLGE 27, 137; Altmeppen, Rz. 18 (Pfändung); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 66. 212 Nur noch für Pfändungsfälle dieser Meinung folgend Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Römermann in Michalski u.a., Rz. 112 ff. 213 Karsten Schmidt, ZHR 157 (1993), 291 ff. 214 Gegen die h.M. auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Römermann in Michalski u.a., Rz. 119: kein Vertrauensschutz für Abtretungsempfänger. 215 Karsten Schmidt, ZHR 157 (1993), 315 ff.; zust. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17. 216 Vgl. insoweit auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Römermann in Michalski u.a., Rz. 115. 217 Wie hier auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; s. auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 66. 218 Wir hier Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17. 219 RG, JW 1915, 195 f. = LZ 1915, 836 = GmbHRspr. II, Nr. 12 zu § 47 GmbHG; RGZ 138, 111 = GmbHRspr. IV, Nr. 8 zu § 16 GmbHG; BGH v. 9.7.1990 – II ZR 9/90, BB 1990, 1923 = GmbHR 1990, 452; OLG Breslau, GmbHR 1916, 342 = GmbHRspr. II, Nr. 16 zu § 47 GmbHG; OLG München v. 25.10.1989 – 7 U 3016/89, BB 1990, 367 = GmbHR 1990, 263; Altmeppen, Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; a.A. (jedoch beschränkt auf disquotale Einforderung) Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 93: Beschluss als „Einleitung eines Rechtsstreits“.

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§ 46 Rz. 55 | Aufgabenkreis der Gesellschafter hergebrachten Auffassung nicht. Danach bliebe äußerstenfalls nur die Auflösungsklage nach § 61220 bzw. im Fall der Zahlungsunfähigkeit die Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO). Nach richtiger Ansicht kann aber die Treupflicht die Gesellschafter zur Mitwirkung bei einem Beschluss nach § 46 Nr. 2 anhalten (Rz. 57)221. Insbesondere kann sich aus einem Liquiditätsbedarf der Gesellschaft eine positive Stimmpflicht ergeben (Rechtsfolge bei Rz. 57)222. In der Einpersonen-GmbH entscheidet der Gesellschafter (Rz. 50), nach RGZ 138, 111, 113 ff. evtl. sogar stillschweigend, z.B. durch unrichtige Buchung der Einlageschuld als schon getilgt. § 48 Abs. 3 steht der Wirksamkeit nicht entgegen (12. Aufl., § 48 Rz. 73)223. Fehlende Schriftlichkeit kann allerdings bedeuten, dass ein Einforderungsbeschluss nicht gewollt ist. b) Beschlussfolge 56 Aufgrund des Beschlusses hat die Gesellschaft einen durchsetzbaren Anspruch auf Einzah-

lung der hiermit fällig gewordenen Einlagerate (zum zweifelhaften Erfordernis einer besonderen Anforderungserklärung gegenüber dem Gesellschafter vgl. Rz. 49). Vor der Fälligkeit und Klagbarkeit läuft keine Verjährungsfrist224. Ausführungsorgan bei der Einforderung der Einlage ist der Geschäftsführer225. Ein fälliger Anspruch besteht nicht, wenn der Beschluss nichtig bzw. durch rechtskräftiges Anfechtungsurteil aufgehoben ist. Nichtigkeit kann auch einredeweise geltend gemacht werden (12. Aufl., § 45 Rz. 81). Lediglich anfechtbar ist der Beschluss, wenn er gegen § 19 Abs. 1 oder gegen die Satzung verstößt226. Darüber, ob Anfechtungsgründe ausnahmsweise auch einredeweise geltend gemacht werden können, vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 124. Ist wirksam ein- und angefordert, so kann die damit fällig gewordene Einlagerate nicht mehr gestundet werden (§ 19 Abs. 2)227, auch nicht durch Gesellschafterbeschluss (Rz. 52)228. Kein Verstoß gegen § 19 Abs. 2 liegt allerdings vor, wenn der Einforderungsbeschluss ohne Verstoß gegen die Satzung selbst ein Zahlungsziel setzt229. Erst ab Einzahlung kommt der Kapitalschutz nach § 30 zum Zuge230.

4. Rechtslage bei Nichtzustandekommen eines Beschlusses a) Materielles Recht 57 Fehlt ein Beschluss nach § 46 Nr. 2, so ist die Einlageforderung grundsätzlich nicht fällig

(Rz. 49; str.), es sei denn, dass es des Beschlusses ausnahmsweise nicht bedarf (Rz. 50 ff.). Ohne den erforderlichen Beschluss ist eine Einforderung gegenstandslos, eine im Namen der

220 Vgl. RGZ 138, 111; RG, JW 1915, 196. 221 So auch Altmeppen, Rz. 15. 222 Ähnlich Altmeppen, Rz. 15; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 25. 223 Ebenso Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17. 224 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36 in Auseinandersetzung mit BGH v. 8.12.1986 – II ZR 55/86, GmbHR 1987, 224 = NJW 1987, 779. 225 OLG Köln, OLGE 19, 369; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 12. 226 Vgl. nur Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 19 Rz. 19 m.w.N. 227 Vgl. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75. 228 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75. 229 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75. 230 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; s. auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16.

926 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 59 § 46

Gesellschaft erhobene Klage auf Einzahlung unbegründet231. Das Erfordernis eines Gesellschafterbeschlusses kann dann auch nicht durch die Klage eines Gesellschafters im Wege der actio pro socio (Rz. 58) unterlaufen werden232, denn die actio pro socio gibt dem Gesellschafter nur eine Klagebefugnis für die Geltendmachung einer Gesellschaftsforderung und ersetzt den eingeklagten Anspruch nicht (vgl. Rz. 161). Sie vermag auch die fehlende Fälligkeit nicht herbeizuführen. Von Fall zu Fall können die Gesellschafter aber kraft Treupflicht verpflichtet sein, die Fälligkeit der Einlageschuld herbeizuführen (Rz. 55). So wird es sich im Fall einer zulässigen actio pro socio vielfach verhalten. In einem solchen Fall dürfen sich widerstrebende Gesellschafter nicht auf das Fehlen eines Beschlusses berufen. Das gilt namentlich, wenn durch die Einforderung eine Zahlungsunfähigkeit behoben oder eine drohende Zahlungsunfähigkeit abgewendet werden soll (vgl. auch zur Nichtgeltung des § 46 Nr. 2 im eröffneten Insolvenzverfahren Rz. 53). b) Actio pro socio Die bei Rz. 161 behandelte Prozessführungsbefugnis eines einzelnen Gesellschafters, die Einla- 58 geforderung im Wege der actio pro socio mit Antrag auf Leistung an die Gesellschaft einzuklagen, wenn die Voraussetzungen der Fälligkeit vorliegen, ist zu bejahen, sofern der Geschäftsführer die Geltendmachung pflichtwidrig unterlässt (Subsidiarität der actio pro socio)233. Die actio pro socio als Individualrecht des einzelnen Gesellschafters befreit nicht von dem Erfordernis des Beschlusses nach § 46 Nr. 2 (Rz. 57)234.

5. GmbH & Co. KG Bei der GmbH & Co. KG gilt § 46 Nr. 2 kraft Gesetzes nur für die Einlagen in der Komple- 59 mentär-GmbH, nicht für die Kommanditeinlagen. Die Fälligkeit dieser Einlagen bestimmt sich nach dem KG-Vertrag. Grundsätzlich sind alle Kommanditeinlagen ohne weiteres fällig und werden durch die Komplementär-GmbH im Namen der KG geltend gemacht. Der Gesellschaftsvertrag der KG kann freilich, wenn eine Gesellschafterversammlung als Beschlussorgan eingerichtet ist (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 20 ff.), eine der Rechtslage bei der GmbH entsprechende Zuständigkeit der Gesellschafter begründen, z.B. auf § 46 Nr. 2 verweisen. Die Tatsache allein, dass die Kommanditgesellschaft als GmbH & Co. KG ausgestaltet ist, bedeutet noch nicht, dass die Fälligkeit rückständiger Kommanditeinlagen erst durch Gesellschafterbeschluss herbeigeführt werden muss. Auch wenn die erforderlichen Mehrheitsverhältnisse in der KG dem Recht der GmbH angepasst sind (Verzahnung der Verträge), folgt hieraus noch nicht eine dem § 46 Nr. 2 entsprechende Zuständigkeit der Gesellschafter in der KG.

231 Vgl. RGZ 138, 111. 232 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71; Th. Hoffmann, Die actio pro socio und ihre Anwendung auf die GmbH, 1962, S. 111 ff.; Th. Hoffmann, GmbHR 1963, 63; Landgrebe, Der Rechtsgedanke der actio pro socio im Recht der GmbH, 1966, S. 137 f.; Eickhoff, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, 1988, S. 198 f. 233 Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Eickhoff, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, 1988, S. 200; a.A. Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 14 Rz. 55 ff. 234 Vgl. nur Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 39.

Karsten Schmidt | 927

§ 46 Rz. 60 | Aufgabenkreis der Gesellschafter

IV. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 3: Rückzahlung von Nachschüssen 1. Bedeutung der Vorschrift a) Tatbestand 60 Nach § 26 Abs. 1 kann im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden, dass die Gesellschafter

über die Nennbeträge der Geschäftsanteile hinaus die Einforderung von Nachschüssen beschließen können. Eine entsprechende Satzungsklausel ist hierfür unerlässlich (12. Aufl., § 26 Rz. 9). Über die Einforderung beschließen nach § 26 Abs. 1 die Gesellschafter (12. Aufl., § 26 Rz. 14 ff.). § 46 Nr. 3 spricht nicht von der Einforderung, sondern von der Rückzahlung von Nachschüssen. Diese ist nur in den Grenzen von § 30 Abs. 2 zulässig (eingehend 12. Aufl., § 30 Rz. 135 ff.). Über sie beschließen nach § 46 Nr. 3 die Gesellschafter (vgl. auch 12. Aufl., § 30 Rz. 142). Das gilt auch bei der Einpersonengesellschaft235. b) Satzungsregeln 61 § 46 Nr. 3 ist dispositiv. Der Gesellschaftsvertrag (die Satzung) kann für die Rückzahlung

von Nachschüssen von § 46 Nr. 3 abweichen236. Im Gegensatz zu dem Beschluss über die Einforderung (12. Aufl., § 26 Rz. 14) kann die Entscheidung über die Rückzahlung auch in die Hände eines anderen Organs, auch des Geschäftsführers, gelegt werden237. Dagegen ist die Rückzahlungssperre des § 30 Abs. 2 zwingend.

2. Die Beschlussfassung und ihre Folgen 62 An der Beschlussfassung wirken alle stimmberechtigten Gesellschafter mit, auch diejeni-

gen, die Rückzahlungen erhalten sollen238. § 47 Abs. 4 steht nicht entgegen. Durch den Beschluss, nach Maßgabe des Beschlusses und in den Grenzen des § 30 Abs. 2 Satz 2 wird der Rückzahlungsanspruch fällig. Der Rückzahlungsbeschluss kann, anders als der über die Gewinnverwendung, jederzeit gefasst werden239. Er kann auch in einem Ergebnisverwendungsbeschluss nach § 46 Nr. 1 enthalten sein, wenn eine Ausschüttung über den Bilanzgewinn hinaus beschlossen wird240. Im Übrigen fällt der Rückzahlungsbeschluss nicht notwendig mit dem Gewinnverwendungsbeschluss zusammen, denn er kann jederzeit im Laufe des Geschäftsjahres unter Beachtung des § 30 ergehen.

3. GmbH & Co. KG 63 § 46 Nr. 3 gilt nur für die GmbH. Soweit im Vertrag der KG Nachschusspflichten vorgesehen

sind (§ 707 BGB und der Bestimmtheitsgrundsatz sind zu beachten!), hängt die Rückzahlbarkeit dieser Nachschüsse vom KG-Vertrag ab. Dieser kann auf § 46 Nr. 3 verweisen. Die Tatsache allein, dass eine GmbH & Co. KG vorliegt, ersetzt eine solche Vertragsregelung nicht. 235 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20. 236 Altmeppen, Rz. 19; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 21; Hüffer/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 41; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80; Meyer-Landrut, Rz. 6, 17; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 21. 237 Allg. M.; vgl. Altmeppen, Rz. 19; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16. 238 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; Römermann in Michalski u.a., Rz. 155; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 22. 239 Vgl. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79. 240 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 40; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; Römermann in Michalski u.a., Rz. 156.

928 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 65 § 46

V. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 4: Teilung, Zusammenlegung und Einziehung von Geschäftsanteilen Schrifttum: Vgl. die Angaben bei § 34.

1. Bedeutung der Vorschrift Die Teilung eines Geschäftsanteils ist dessen reale Zerlegung in mehrere selbständige Ge- 64 schäftsanteile (vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 159). Sie konnte nach § 17 a.F. nur als Teilveräußerung und nur mit Genehmigung der Gesellschaft stattfinden (vgl. 12. Aufl., § 17 a.F. Rz. 1), nicht also als Vorratsteilung (vgl. § 17 Abs. 6 a.F.). Das MoMiG von 2008 hat § 17 aufgehoben und diese Begrenzungen beseitigt (näher 12. Aufl., § 17 a.F. Rz. 1). Ohne die Fassung eines Teilungsbeschlusses ist die Veräußerung eines Teilgeschäftsanteils schwebend unwirksam241. Allerdings kann, wenn die Gesellschafter der Abtretung eines vinkulierten Teil-Anteils zustimmen, hierin zugleich ein konkludenter Teilungsbeschluss gesehen werden. Die Zusammenlegung von Geschäftsanteilen (12. Aufl., § 15 Rz. 45) ist die reale Verbindung mehrerer Geschäftsanteile zu einem Geschäftsanteil (richtigerweise auch in ideeler Mitberechtigung nach § 18). Bei der Einziehung (§ 34) unterscheidet man gleichfalls zwischen dem Einziehungsbeschluss der Gesellschafter und seiner Durchführung (12. Aufl., § 34 Rz. 41). Die Regelung des § 46 Nr. 4 ist dispositiv. Der Gesellschaftsvertrag (die Satzung) kann von § 46 Nr. 4 abweichen (Rz. 3)242. Er kann z.B. ein anderes Organ – etwa einen Beirat – an Stelle der Gesellschafter entscheiden lassen243. Die Möglichkeit einer statutarischen, automatisch wirkenden Einziehungsregelung ist str. (vgl. 12. Aufl., § 34 Rz. 49). Aus Gründen der Rechtssicherheit wird, in der anderen Richtung, die Aufnahme von Formerfordernissen, z.B. die Schriftlichkeit244 oder die notarielle Beurkundung245, empfohlen.

2. Die Beschlussfassung und ihre Folgen a) Fall der Teilung Im Fall der Teilung stimmen alle stimmberechtigten Gesellschafter mit, auch derjenige, der 65 eine Teilveräußerung vornehmen will246. § 47 Abs. 4 steht nicht entgegen. Dagegen ist seine Zustimmung nicht erforderlich247. Die wirksam vollzogene Teilung ist Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Teilveräußerung248. Der Teilungsbeschluss führt die Teilung unmittelbar

241 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 24. 242 Vgl. RGZ 85, 48; RG, Recht 1907 Nr. 662 = GmbHRspr. I, Nr. 10 zu § 46 GmbHG; OLG Rostock, GmbHRspr. II, Nr. 9 zu § 46 GmbHG; Altmeppen, Rz. 28; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 29; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 95; Niemeyer, GmbHR 1983, 168. 243 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 29; Meyer-Landrut, Rz. 6, 18; Michalski, GmbHR 1991, 90. 244 Vgl. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 27. 245 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22. 246 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Altmeppen, Rz. 20; Meyer-Landrut, Rz. 18; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85; BGH v. 29.5.1967 – II ZR 105/66, BGHZ 48, 163, 166 f. = WM 1967, 925; BGH v. 8.4.1965 – II ZR 77/63, WM 1965, 472; BGH v. 24.1.1974 – II ZR 65/72, WM 1974, 372, 375. 247 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 31d. 248 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18.

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§ 46 Rz. 65 | Aufgabenkreis der Gesellschafter herbei249 und bedarf keiner besonderen rechtsgeschäftlichen Mitwirkung des Anteilsinhabers250. Dies beruht auf der Zulassung der Vorratsteilung, die keine Verfügung über den Geschäftsanteil voraussetzt. Die Form einer Satzungsänderung muss nicht eingehalten werden251. b) Fall der Zusammenlegung 66 Der Fall der Zusammenlegung ist erst seit dem MoMiG ausdrücklich geregelt. Auch sie er-

folgt durch Mehrheitsbeschluss, der nicht die Voraussetzungen einer Satzungsänderung bedarf252. Entgegen der Begründung des MoMiG253 verlangt die h.M. die Zustimmung der(s) betroffenen Gesellschafter(s) zu dem Beschluss254. Hierfür spricht der mit der Zusammenlegung verbundene Eingriff in die Mitgliedschaftsrechte. Im Übrigen setzt die Zusammenlegung voraus, dass die betroffenen Geschäftsanteile nicht mit Rechten Dritter belastet sind und dass keine Einlagen oder Nachschüsse ausstehen255. c) Fall der Einziehung 67 Im Fall der Einziehung ist der betroffene Gesellschafter jedenfalls dann vom Stimmrecht aus-

geschlossen, wenn es sich um eine Zwangseinziehung aus wichtigem Grund handelt (vgl. 12. Aufl., § 34 Rz. 43). Das ergibt sich aus § 47 Abs. 4 und aus dem Verbot, Richter in eigener Sache zu sein (12. Aufl., § 47 Rz. 138). Für die freiwillige Einziehung ergibt sich das Stimmverbot nach h.M. nicht aus dem Gesetz und ist umstritten256. Vgl. auch dazu 12. Aufl., § 34 Rz. 43, § 47 Rz. 138. Von dem Beschluss ist auch hier die Einziehungserklärung der Gesellschaft gegenüber dem betroffenen Gesellschafter zu unterscheiden (näher 12. Aufl., § 34 Rz. 46 ff.). Diese ist aber unwirksam, wenn kein gültiger Beschluss zugrunde liegt257. Umstritten ist, ob der Beschluss bestandskräftig und die Einziehungserklärung wirksam auch dann sein kann, wenn die dem Beschluss zugrundeliegenden Einziehungsgründe fehlen. Vertreten wird, dass stets auch die satzungsmäßigen Einziehungsgründe geprüft werden müssen258. Eine Gegenauffassung meint, dass nur das evidente Fehlen der Einziehungsgründe den Einziehungsbeschluss gegenstandslos macht259. Hierfür sprechen Gesichtspunkte der Rechtssicherheit: Das Fehlen von Einziehungsgründen muss grundsätzlich im Wege der Anfechtungsklage (12. Aufl., § 45 Rz. 74, 104) geltend gemacht werden (näher 12. Aufl., § 34 Rz. 48). 249 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 31c; Altmeppen, Rz. 25 f.; a.M. Irriger/Münstermann, GmbHR 2010, 617 ff. 250 Anders noch vor dem MoMiG; ausführlich 10. Aufl., Rz. 66 mit umfangreichen Nachweisen. 251 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; h.M.; nur im Ergebnis auch Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 31a. 252 Nur im Ergebnis ebenso Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 32a. 253 BT-Drucks. 16/6140, S. 45. 254 Vgl. nur Altmeppen, Rz. 23 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 26; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 26; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 32a; D. Mayer, DNotZ 2008, 403, 427; a.M. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 90 mit wertender Differenzierung. 255 Vgl. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 89. 256 Vgl. statt vieler Kersting in Baumbach/Hueck, § 34 Rz. 14 (grundsätzlich kein Stimmverbot); Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 50 (grundsätzlich Stimmverbot); für ein Stimmverbot bei entgeltlicher Einziehung Niemeier, Rechtstatsachen und Rechtsfragen der Einziehung von Geschäftsanteilen, 1982, S. 253 ff.; Niemeier, GmbHR 1983, 161, 169. 257 RGZ 142, 268; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 50; Römermann in Michalski u.a., Rz. 188; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 94. 258 Vgl. Damrau-Schröter, NJW 1991, 1932 m.w.N. 259 So der Sache nach OLG München v. 10.1.1992 – 23 U 4104/91, GmbHR 1992, 808.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 69 § 46

3. GmbH & Co. KG Im Recht der GmbH & Co. KG gilt § 46 Nr. 4 nur für die GmbH. Der Gesellschaftsvertrag 68 der KG sollte so ausgestaltet werden, dass eine gewollte Verzahnung der Gesellschaften – vor allem bei der personenidentischen GmbH & Co. KG – nicht gefährdet wird. Insbesondere kann sich eine Regelung des Inhalts empfehlen, dass eine Teilung und Veräußerung von Kommanditistenanteilen nur gemeinsam mit dem GmbH-Geschäftsanteil möglich ist.

VI. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 5: Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern Schrifttum (Auswahl; vgl. im Übrigen die Angaben bei § 35): Bauer/Diller, Koppelung von Abberufung und Kündigung bei Organmitgliedern, GmbHR 1998, 809; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987; Baums, Zuständigkeit für Abschluss, Änderung und Aufhebung von Anstellungsverträgen, ZGR 1993, 141; Blath, Die Selbstbestellung des Geschäftsführers oder Vorstands der Muttergesellschaft zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH, GmbHR 2018, 345; Borrmann, Die Beendigung der Geschäftsführerstellung in der GmbH, 1972; Cramer, Abschluss der GmbH-Geschäftsführungsverträge bei satzungsmäßigen Sonderrechten, NZG 2011, 171; Eckardt, Die Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung in Kapitalgesellschaften, 1989; S. Fischer, Der Rechtsstreit über die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, BB 2013, 2819; Fleck, Zur Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 1970, 221; Fleischer/Wedemann, Zur sog. Annexkompetenz im GmbH- und Aktienrecht, GmbHR 2010, 449; Gach/Pfüller, Die Vertretung der GmbH gegenüber ihrem Geschäftsführer, GmbHR 1998, 64; Goette, Das Organverhältnis des GmbH-Geschäftsführers in der Rechtsprechung des BGH, DStR 1998, 938; Gross, Das Anstellungsverhältnis des GmbH-Geschäftsführers, 1987; Haertlein, Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers aus wichtigem Grund, in FS Schwark, 2009, S. 157; Harde, Die Abberufung des Geschäftsführers der GmbH von der Geschäftsführung und Vertretung, Diss. Münster 1969; Herfs, Einwirkung Dritter auf den Willensbildungsprozess der GmbH, 1994; Hoffmann/Liebs, Der GmbH-Geschäftsführer, 3. Aufl. 2009; Lieder, Annexkompetenzen der Gesellschafterversammlung, NZG 2015, 569; Martens, Die außerordentliche Beendigung von Organ- und Anstellungsverhältnis, in FS Werner, 1984, S. 495; Mildenberger, Der Geschäftsführervertrag, 2000; Müller, Die Bestellung des Geschäftsführers im Gesellschaftsvertrag der GmbH, 1999; Reher, Die Zweipersonen-GmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts?, 2003; Reuter, Die Bestellung und Anstellung von Organmitgliedern im Körperschaftsrecht, in FS Zöllner I, 1998, S. 487; Uwe H. Schneider, Die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer zweigliedrigen GmbH, ZGR 1983, 535; Sudhoff, Rechte und Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH und GmbH & Co. KG, 14. Aufl. 1994; Ulrich, BGH: Annexkompetenz zu § 46 Nr. 5 GmbHG ergreift auch Vereinbarungen mit Dritten, GmbHR 2019, R222; M. Wolf, Abberufung und Ausschluss in der Zweimann-GmbH, ZGR 1998, 92; van Venrooy, Bestellung und Funktion von stellvertretenden Geschäftsführern, GmbHR 2010, 169; Zwissler, Einstweiliger Rechtsschutz bei Abberufungskonflikten mit dem GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 1999, 336.

1. Die Gesellschafterkompetenz a) Grundsatz Nach § 46 Nr. 5 entscheiden die Gesellschafter über die Bestellung und die Abberufung von 69 Geschäftsführern (zur Bedeutung für deren Vertretungsmacht vgl. Rz. 79). Diese Beschlusskompetenz ist nicht in jedem Fall gegeben. Nach § 6 Abs. 3 Satz 2 erfolgt die Bestellung von Geschäftsführern entweder im Gesellschaftsvertrag oder nach Maßgabe des dritten Abschnitts. Kommt keine Satzungsregelung über die Geschäftsführung zum Zuge, so greift demnach § 46 Nr. 5 ein. Das gilt auch in der Ein- oder Zweipersonengesellschaft260. Enthält 260 A.M. für Zweipersonengesellschaft und Abberufung von Gesellschaftergeschäftsführern M. Wolf, ZGR 1998, 92 ff.: statt dessen Entziehungsklage analog §§ 117, 127 HGB.

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§ 46 Rz. 69 | Aufgabenkreis der Gesellschafter der Gesellschaftsvertrag eine Regelung, so muss unterschieden werden, ob diese Regelung echter (korporativer) Satzungsbestandteil oder nur unechter Satzungsbestandteil ist (dazu eingehend 12. Aufl., § 3 Rz. 93 ff.). Im ersten Fall ist von der Einräumung eines Sonderrechts an einen Gesellschafter-Geschäftsführer auszugehen (12. Aufl., § 6 Rz. 79 ff.). Das Sonderrecht kann dem Gesellschafter nur durch Satzungsänderung und nur mit seiner Zustimmung entzogen werden (12. Aufl., § 6 Rz. 85). Eine Abberufung als Geschäftsführer aus wichtigem Grund bleibt allerdings möglich261. Im zweiten Fall stellt die Satzungsregelung nur eine Vorwegnahme der nach Nr. 5 zulässigen Bestellung dar, so dass eine Abberufung durch Mehrheitsbeschluss nach § 46 Nr. 5 möglich bleibt (12. Aufl., § 6 Rz. 78). Aus der Aufnahme der Geschäftsführerbestellung in die Satzung ergibt sich nicht ohne Weiteres, dass ein Sonderrecht vorliegt (näher 12. Aufl., § 6 Rz. 81). Über Vorschlags- und Präsentationsrechte vgl. Rz. 83 sowie 12. Aufl., § 6 Rz. 80. Unterliegt die Gesellschaft dem MitbestG, so obliegt die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern dem Aufsichtsrat, nicht den Gesellschaftern (vgl. 12. Aufl., § 6 Rz. 112 f.; 12. Aufl., § 52 Rz. 349; anders nach dem DrittelbG; vgl. 12. Aufl., § 6 Rz. 76; 12. Aufl., § 52 Rz. 344). Das gilt nach der herrschenden Ansicht auch für den Abschluss des Anstellungsvertrags262. Das OLG Stuttgart hat in GmbHR 1986, 26 bei einem Übergriff der Gesellschafter sogar eine einstweilige Verfügung des Aufsichtsrats zugelassen. Zur Frage, ob diese Regelung zwingend ist, vgl. 12. Aufl., § 35 Rz. 334. b) Bestellung und Anstellung 70 Bestellung und Anstellung des Geschäftsführers sind zu unterscheiden263. Die Bestellung ver-

schafft dem Geschäftsführer die Organstellung, die Anstellung begründet das Dienstverhältnis des Geschäftsführers (12. Aufl., § 35 Rz. 251 ff.). Beide Elemente hängen jedoch sachlich miteinander zusammen264. Die Gesellschafterkompetenz nach § 46 Nr. 5 gilt für beide (sog. Annexkompetenz)265. Der Kompetenz der Gesellschafterversammlung zur Regelung der Ge-

261 Vgl. nur Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 20; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 11. 262 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48 = GmbHR 1984, 151 (Vorinstanz: OLG Hamburg v. 17.12.1982 – 11 U 21/82, WM 1983, 130 = ZIP 1983, 175); ebenso z.B. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 34, 36; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 52 Rz. 282 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23 f.; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 35 Rz. 69; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 38; ältere Nachweise bei Baums, S. 111 ff.; Säcker, Anpassung von Satzungen und Geschäftsordnungen an das MitbestG, 1978, S. 35 f.; Konzen, GmbHR 1983, 92 ff. 263 Vgl. nur RGZ 140, 315; RG, HRR 1933 Nr. 849; BGHZ 33, 194; h.M. Karsten Schmidt, GesR, § 36 II 2; Hoffmann/Liebs, Rz. 200 ff.; Sudhoff, S. 13 ff.; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 100 ff.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 33 ff.; a.M. Mildenberger, S. 46 ff., 61 f.; Schilling, JZ 1961, 545; Krause, BB 1957, 516; zum Ganzen Baums, passim. 264 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 14 III 2; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62; Fleck, ZHR 149 (1985), 387 ff.; insoweit übereinst. Baums, S. 85 ff., 212 ff.; außerhalb des GmbH-Rechts vgl. BGH v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 193; BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41. 265 Vgl., teils unter analoger Anwendung, RG, HRR 1933 Nr. 849; vgl. auch BGH v. 13.5.1968 – II ZR 103/66, BB 1968, 1400 = WM 1968, 1328; BGH v. 9.11.1992 – II ZR 234/91, GmbHR 1993, 33, 34; BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876 m. Anm. Haase; BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278; BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876; OLG Köln v. 21.2.1990 – 13 U 195/89, GmbHR 1991, 156, 157; OLG Köln v. 3.6.1993 – 1 U 71/92, GmbHR 1993, 734, 735; OLG Düsseldorf v. 10.10.2003 – 17 U 35/03, NZG 2004, 478, 479; OLG Frankfurt v. 22.12.2004 – 13 U 177/02, GmbHR 2005, 550, 553; OLG Brandenburg v. 9.5.2007 – 7 U 84/06; OLG Düsseldorf v. 23.4.2009 – 6 U 58/08, 6 U 58/08, ZInsO 2009, 1599, 1601; LG Bautzen v. 9.3.2009 – 1 O 503/07; Altmeppen, Rz. 48; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 36; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; Teichmann

932 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 70 § 46

schäftsführervergütung unterfällt auch eine Absprache der GmbH mit einem Dritten, nach der der Dritte die Kosten, die bei ihm deshalb ohne Gegenleistung anfallen, weil seine von ihm bezahlten Mitarbeiter ihrer Tätigkeit als Geschäftsführer der GmbH nachgehen, der GmbH weiterberechnen darf266. Ähnliches gilt für die Abberufung als Geschäftsführer und die Auflösung (Kündigung) des Dienstvertrags267. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Abschluss bzw. die Kündigung des Vertrags mit der Bestellung oder Abberufung des Geschäftsführers eng zusammenhängt268. Koppelungsklauseln, nach denen bei Beendigung der Organstellung auch das Dienstverhältnis automatisch enden soll, sind grundsätzlich zulässig269. Allerdings darf der Geschäftsführer durch langfristige Bindung nicht einseitig belastet werden270. Vertragsänderungen zwischen einem Geschäftsführer und der Gesellschaft sind entgegen einer veralteten Rechtsprechung271 ebenso wie eine einverständliche Vertragsaufhebung272 als Bestandteil des Gesamtkomplexes Organstellung/Anstellung von § 46 Nr. 5 erfasst, soweit nicht durch Gesetz (Rz. 69) oder Satzung (Rz. 72) eine andere Zuständigkeit bestimmt ist273. Das entspricht der hier bereits in älteren Auflagen vertretenen Ansicht. Erfasst sind alle auf das Geschäftsführer-Dienstverhältnis bezogenen, rechtsbegründenden, rechtsändernden oder beendigenden Erklärungen der Gesellschaft. Eine Nichtanwendung auf die Vertragsbeendigung würde extreme Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringen (Abfindungsvereinbarungen, Ausgleichsquittungen, etc.). Praktische Bedenken (Umständlichkeit) können zurückgestellt werden, weil Vertragsänderung und Vertragsauflösung konkludent beschlossen oder dadurch wirksam werden können, dass Mitgeschäftsführer von den Gesellschaftern hierzu bevollmächtigt werden (vgl. auch Rz. 80). Auch eine Vorwegbestimmung der Vertragsänderung im Satzungswortlaut macht den Beschluss entbehrlich274. Nur Drittgeschäfte, die ein Geschäftsführer wie ein außenstehender Dritter mit der Gesellschaft ver-

266 267

268 269 270 271 272 273

274

in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 31; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 36; Plander, GmbHR 1968, 197 ff.; Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449 ff.; Cramer, NZG 2011, 171, 172; Lieder, NZG 2015, 569. BGH v. 14.5.2019 – II ZR 299/17, BGHZ 222, 32 = GmbHR 2019, 883 = JuS 2019, 1215 (Karsten Schmidt); Altmeppen, Rz. 48; Ulrich, GmbHR 2019, R222. Vgl. aus der Praxis – analoge oder erweiterte Anwendung – RG, HRR 1933 Nr. 849; BGH v. 1.2.1968 – II ZR 212/65, WM 1968, 570; BGH v. 1.2.1968 – II ZR 212/65, DB 1968, 847 = WM 1968, 570; BGH v. 13.5.1968 – II ZR 103/66, WM 1968, 1328; BGH v. 14.10.1968 – II ZR 84/67, GmbHR 1969, 37, 38; BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, NJW 1991, 1680, 1681 = GmbHR 1991, 363; BGH v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, GmbHR 2007, 606, 607 = NJW-RR 2007, 1632, 1633; OLG Schleswig v. 13.2.1992 – 5 U 173/90, GmbHR 1993, 156; OLG Köln v. 3.6.1993 – 1 U 71/92, GmbHR 1993, 734, 735; OLG Düsseldorf v. 23.4.2009 – 6 U 58/08, ZInsO 2009, 1599, 1601. Vgl. BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 42 = NJW 1981, 758; OLG Düsseldorf v. 13.7.1989 – 8 U 187/88, 8 U 31/89, BB 1989, 1838 = GmbHR 1989, 468; eingehend Baums, S. 286 ff. BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, NZG 1999, 1215 = GmbHR 1999, 1140; Bauer/Diller, GmbHR 1998, 810 ff.; a.M. Eckardt, S. 139 ff.; zur AG Eckardt, AG 1989, 431 f. über sog. Gleichlaufklauseln vgl. Baums, S. 342, 440. Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809, 810 ff. BGH v. 17.4.1958 – II ZR 222/56, WM 1958, 675; BGH v. 21.9.1967 -II ZR 150/65, WM 1967, 1164; BGH v. 1.12.1969 – II ZR 224/67, WM 1970, 249, 251; zweifelnd aber schon BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 55 = GmbHR 1984, 151. Vgl. aus der älteren Rechtsprechung noch BGH, JZ 1961, 545 m. Anm. Schilling = NJW 1961, 507; KG, JW 1933, 1842. BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, BB 1991, 927 = GmbHR 1991, 363; ebenso OLG Schleswig v. 13.2.1992 – 5 U 173/90, GmbHR 1993, 156; OLG Köln v. 3.6.1993 – 1 U 71/92, GmbHR 1993, 734, 735; zustimmend Altmeppen, Rz. 50; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 125; Römermann in Michalski u.a., Rz. 252; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 38; Baums, ZGR 1993, 148 ff. OLG München v. 14.11.2011 – 7 U 2881/11 (Befreiung vom Wettbewerbsverbot).

Karsten Schmidt | 933

§ 46 Rz. 70 | Aufgabenkreis der Gesellschafter einbart, sind von der Annexkompetenz der Gesellschafter ausgenommen275. Beraterverträge mit ausscheidenden bzw. ausgeschiedenen Geschäftsführern fallen mit in die Gesellschafterkompetenz, wenn sie sachlich und zeitlich wie nachwirkende Bestandteile von Geschäftsführerverträgen vereinbart werden276. c) Willensbildung und Vertretung 71 Nicht nur die Willensbildung, sondern auch der Vollzug, also die Ausführung des Bestel-

lungs- oder Abberufungsakts (Organstellung) bzw. der Abschluss, die Änderung oder die Kündigung des Dienstvertrags (Anstellungsverhältnis), ist von § 46 Nr. 5 erfasst277. § 46 Nr. 5 beschränkt also für die hier vorliegenden Organisationsmaßnahmen die Vertretungsmacht der (anderen) Geschäftsführer (vgl. 12. Aufl., § 35 Rz. 328) und begründet eine organschaftliche Vertretungsmacht der Gesellschafter (Rz. 80)278. Vice versa beschränkt § 46 Nr. 5 die Vertretungsmacht der Geschäftsführer279. Diese Vorstellung macht auf theoretischer Ebene (rechtskonstruktiv) Schwierigkeiten, insbesondere bei der Ausführung von Mehrheitsbeschlüssen280. Aber die vertretungsbefugte Gesellschaftermehrheit kann durch Bevollmächtigte handeln281, z.B. durch den mit dem Vollzug beauftragten Versammlungsleiter. Die Gesellschafter können sich auch der (anderen) Geschäftsführer bedienen und werden dies vor allem beim Abschluss des Anstellungsvertrags oder beim Ausspruch einer Kündigung häufig tun, aber die Geschäftsführer handeln dann als Bevollmächtigte oder als bloße Boten, nicht als Organe der Gesellschaft nach §§ 35 ff.282. Näher Rz. 79 ff. Kein praktisches Problem tritt auf, wenn der Beschluss im Beisein des betroffenen Geschäftsführers verkündet und von ihm akzeptiert wird283. d) Satzungsregeln 72 Satzungsregeln (Rz. 3) können die Zuständigkeit als Sonderrecht (Vorzugsrecht) einzelnen

Gesellschaftern zuweisen (Rz. 83) oder von den Gesellschaftern auf ein anderes Gesellschaftsorgan verlagern284, z.B. auf einen Beirat oder auf einen fakultativen Aufsichtsrat. Die

275 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36 m.w.N. 276 Dazu Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64; ausfürhlich Leinekugel/Heusel, GmbHR 2012, 309 ff.; a.M. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 38a. 277 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 54 = GmbHR 1984, 151; BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, BB 1991, 927 = GmbHR 1991, 363; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, GmbHR 1995, 373, 375; Altmeppen, Rz. 48; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 35 f.; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 103, 128; Cramer, NZG 2011, 171, 172. 278 BGH v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 316, 321 = NJW 1970, 33, 34; BGH v. 9.10.1989 – II ZR 16/89, GmbHR 1990, 33 = NJW 1990, 387; OLG Hamm v. 12.2.2007 – 8 U 204/05; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 35; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 103, 128; Cramer, NZG 2011, 171, 172. 279 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 103. 280 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 40. 281 Zust. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23. 282 OLG Köln v. 21.2.1990 – 13 U 195/89, GmbHR 1991, 156, 158; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 67. 283 Vgl. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54 mit Hinweis auf BGH v. 17.9.2001 – II ZR 378/99, BGHZ 149, 28, 31 = GmbHR 2002, 26. 284 Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 16 f.; Altmeppen, Rz. 40; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 34a, 39; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 85 f.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47 ff.; Fleck, ZGR 1988, 121; eingehend Herfs, S. 117 ff.; Thanos, Die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers bei der personalistischen

934 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 72 § 46

Satzung sollte sehr genau unterscheiden (ggf. ist dies eine Auslegungsfrage): Es kann sich um ein bloßes „Präsentationsorgan“ handeln, was an der Berufungszuständigkeit der Gesellschafter nichts ändert, sondern nur die Vorauswahl einschränkt285; ein „Kreationsorgan“ ist selbst für die Entsendung von Geschäftsführern, also für deren Bestellung (und Abberufung) zuständig (vgl. Rz. 83); möglich ist aber auch ein bloßes „Exekutivorgan“, das die Gesellschaft nur bei der Ausführung des Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 5 vertritt. Ein Kreationsorgan ist im Zweifel auch für die Ausführung zuständig286. Soweit Ansprüche der Gesellschaft durch den Vertrag verkürzt werden und nicht auch § 46 Nr. 8 abbedungen ist, bleiben insoweit die Gesellschafter zuständig287. Umstritten ist, ob jedenfalls das Recht der Gesellschafter zur Abberufung aus wichtigem Grund zwingend ist (verneinend mit der wohl h.M. 12. Aufl., § 38 Rz. 22)288. Jedenfalls wenn die Befugnis zur Bestellung oder Abberufung (weiterer) Geschäftsführer einem Geschäftsführer übertragen wurde289, ist eine Rückfallzuständigkeit der Gesellschafter unerlässlich290. Damit ist nicht etwa die Zuständigkeitsverlagerung unwirksam, wohl aber eine Ersatzzuständigkeit (auch) der Gesellschafter für die Abberufung aus wichtigem Grund gesichert. Die Zuständigkeit eines fakultativen Aufsichtsrats oder eines von der Geschäftsführung unabhängigen Beirats kann dagegen auf die Abberufung aus wichtigem Grund ausgedehnt werden. Stets bleiben die Gesellschafter zuständig, wenn das satzungsmäßig zuständige Organ handlungsunfähig ist (Rz. 5)291. Verlagerung der Zuständigkeit auf einen Entscheidungsträger außerhalb der Gesellschaft – beispielsweise auf eine kreditgebende Hausbank – ist nach der hier vertretenen, allerdings umstrittenen Auffassung mit allgemeinen organisationsrechtlichen Grundsätzen unvereinbar292. Eine externe Bestellungszuständigkeit lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, hierdurch werde der Dritte zum Gesellschaftsorgan293. Dies ist er nur, wenn er in die Organisation der Gesellschaft integriert und eben nicht Dritter ist. Drittrechte bei der Geschäftsführerbestellung können nur schuldrechtlich vereinbart und nicht zu echten Satzungsbestandteilen gemacht warden (12. Aufl., § 38 Rz. 25; 12. Aufl., § 45 Rz. 15)294. Zulässig ist allerdings eine Verpflichtung der Gesellschafter untereinander zur Beachtung geeigneter Drittvorschläge. Kein vergleichbarer Fall ist die Verlagerung von Zuständigkeiten auf Kommanditisten in der Kapitalgesellschaft (GmbH) & Co. KG (dazu Rz. 84 und 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 20 ff.).

285 286 287 288 289 290 291 292

293 294

GmbH, Diss. Tübingen 1984, S. 42 ff.; Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000, S. 20 ff.; Beuthien/Gätsch, ZHR 157 (1993), 492 ff. Vgl. Fastrich in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 36. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 181 f.; Cramer, NZG 2011, 171, 172; eingehender hier noch 6. Aufl., Rz. 15; anders, aber zu umständlich, Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, vor § 35 Rz. 5. OLG Brandenburg v. 6.10.1998 – 6 U 278/97, NZG 1999, 210, 211 m. Anm. Brandes = (L) GmbHR 1999, 344. Überblick auch bei Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 185. Ablehnend gegen die hier in der 7. Aufl. vertretene Auffassung Hüffer in Ulmer, Rz. 77. Zustimmend Altmeppen, § 38 Rz. 13; sympathisierend wohl Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 94; a.M. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 87; Beuthien/Gätsch, ZHR 157 (1993), 494; Müller/Wolff, GmbHR 2003, 810, 811 f. BGH v. 24.2.1954 – II ZR 88/53, BGHZ 12, 337, 340; Altmeppen, § 38 Rz. 13; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86; Römermann in Michalski u.a., Rz. 220; Terlau in Michalski u.a., § 38 Rz. 18; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 94; Beuthien/Gätsch, ZHR 157 (1993), 494. Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86, im Anschluss an Ulmer in FS Werner, 1984, S. 919 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 183; Teichmann in Gehrlein/Ekkenga/Simon, Rz. 33; a.M. KG v. 5.2.1925 – 1 X 19/25, JW 1926, 598; Altmeppen, § 6 Rz. 61; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 31; Beuthien/Gätsch, ZHR 157 (1993), 493. In dieser Richtung wohl Fastrich in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 47. Selbst hiergegen Bedenken bei Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86; unklar Fastrich in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 47.

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§ 46 Rz. 73 | Aufgabenkreis der Gesellschafter

2. Der Beschluss a) Beschlussfassung 73 Für die Beschlussfassung genügt grundsätzlich die einfache Stimmenmehrheit nach § 47

Abs. 1295. Das gilt auch schon vor der Eintragung der GmbH in das Handelsregister (12. Aufl., § 6 Rz. 91, 12. Aufl., § 11 Rz. 55, 58)296. Die einfache Mehrheit genügt grundsätzlich auch bei der Abberufung, und zwar selbst dann, wenn der Geschäftsführer ohne Begründung eines Sonderrechts (vgl. 12. Aufl., § 6 Rz. 79 ff. sowie oben Rz. 69) durch den Gesellschaftsvertrag bestimmt ist297. Eine solche Bestimmung ist i.d.R. nur unechter Satzungsbestandteil (vgl. 12. Aufl., § 6 Rz. 78)298, die Abberufung des gesellschaftsvertraglich bestimmten Geschäftsführers dann also keine den Regeln des § 53 unterliegende Satzungsänderung299. Der Gesellschaftsvertrag kann eine höhere Stimmenzahl vorschreiben300. Soweit es sich um die Abberufung eines Geschäftsführers handelt, ist § 38 zu beachten (vgl. die Erläuterung dieser Bestimmung). Nach ständiger Rechtsprechung und h.L. kann eine Abberufung aus wichtigem Grund jedenfalls grundsätzlich nicht von einer höheren Mehrheit abhängig gemacht werden301. Der BGH hat offen gelassen, ob eine solche Erschwerung der Abberufung jedenfalls dann zulässig ist, wenn es sich um die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers handelt, dem ein Sonderrecht auf Geschäftsführung zusteht (dazu auch 12. Aufl., § 6 Rz. 79 ff., 12. Aufl., § 38 Rz. 41). Das wird hier seit der 6. Aufl. bejaht302. Grundsätzlich soll das Sonderrecht den Gesellschafter auch dagegen schützen, dass er mit der einfachen Stimmenmehrheit der stimmberechtigten anderen Gesellschafter aus angeblich wichtigem Grund abberufen wird (die bloß nachträgliche gerichtliche Prüfung, ob ein solcher Grund vorlag, schützt den Gesellschafter-Geschäftsführer nur unzureichend). Doch können Sonderrechte des Gesellschafter-Geschäftsführers mit körperschaftlich bindender Wirkung nur im Gesellschaftsvertrag oder durch sog. satzungsbegleitende Nebenabrede aller Gesellschafter („Gesellschaftervereinbarung“, vgl. 12. Aufl., § 3 Rz. 104 ff.) festgesetzt werden303. Diese Bindung äußert, solange die Vereinbarung nicht aufgehoben ist, korporative Wirkung (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 116 ff.; str.). Dagegen kann weder der Bestellungsbe-

295 Vgl. nur BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212, 214 = GmbHR 1982, 67 = ZIP 1981, 611; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 29. 296 Vgl. BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212, 214 = GmbHR 1982, 67 = ZIP 1981, 611; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57. 297 RGZ 44, 98; RG, JW 1906, 417. 298 Eingehend Servatius, NZG 2002, 708 ff. 299 OLG Hamm v. 24.1.2002 – 15 W 8/02, GmbHR 2002, 428 = NZG 2002, 421; dazu Servatius, NZG 2002, 708. 300 Vgl. RG, GmbHRspr. III, Nr. 3 zu § 38 GmbHG; OLG München v. 14.6.1956 – 6 U 953/56, BB 1956, 938; OLG Düsseldorf v. 11.2.1993 – 6 U 43/92, GmbHR 1994, 245 f.; Harde, S. 164 ff.; stark einschränkend noch RGZ 44, 95; KG, JW 1947, 549. 301 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 179 = GmbHR 1983, 149; BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 172, 178 f.; BGH v. 22.3.1982 – II ZR 74/81, WM 1982, 583; BGH v. 17.10.1983 – II ZR 31/83, WM 1984, 29; Terlau in Michalski u.a., § 38 Rz. 58; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 38 Rz. 19; eingehend Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 535 ff.; abl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 35 mit wenig praktischem Hinweis darauf, dass das Vorliegen des Abberufungsgrundes allemal der gerichtlichen Prüfung unterliegt. 302 Ebenso im Ergebnis Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 35 (ohne Beschränkung auf Gesellschafter-Geschäftsführer); Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 100. 303 RGZ 170, 367; BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, WM 1962, 201; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/ 67, DB 1968, 2166; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129; Sudhoff, S. 34 f.; Borrmann, S. 47 f.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 75 § 46

schluss304 noch der Anstellungsvertrag305 einem (Gesellschafter-)Geschäftsführer korporative Sonderrechte gewähren. Die Festlegung erschwerter Abberufungsvoraussetzungen bei der Bestellung bzw. im Anstellungsvertrag306 hat nur schuldrechtliche Wirkung (12. Aufl., § 38 Rz. 55). Wird gegen diese verstoßen, so besteht grundsätzlich kein nach § 894 ZPO durchsetzbarer Anspruch auf Wiederbestellung zum Geschäftsführer307. Die schuldrechtliche Bindung kann die körperschaftliche Verfassung der Gesellschaft nicht unterlaufen308. b) Stimmrecht Ein Stimmrecht haben grundsätzlich alle Gesellschafter, soweit nicht ihre Geschäftsanteile 74 stimmrechtslos sind oder ein Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 zum Zuge kommt (dazu Rz. 75 ff. sowie 12. Aufl., § 47 Rz. 99 ff.). Für eine Gesellschaft als Gesellschafterin der GmbH handelt deren Vertretungsorgan, im Fall einer Kapitalgesellschaft & Co. KG das Leitungsorgan der Komplementär-Gesellschaft (vgl. allerdings zur Einheits-GmbH & Co. KG 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 59)309. Im Fall einer Einpersonengesellschaft ist § 48 Abs. 3 zu beachten, jedoch kann eine vom Gesellschafter schriftlich ausgesprochene Kündigung die schriftliche Protokollierung des Beschlusses ersetzen310. aa) Das Stimmrecht eines Gesellschafters in eigener Sache ist unproblematisch hinsichtlich 75 der Bestellung; der Kandidat unterliegt keinem Stimmverbot (12. Aufl., § 47 Rz. 118)311. Das gilt nach h.M. auch für die Beschlussfassung über den Anstellungsvertrag312. Gegen eigennützige „Selbstbedienung“ des Mehrheits-Gesellschafter-Geschäftsführers helfen Instrumente der Inhaltskontrolle (Treupflicht, Verbot verdeckter Gewinnausschüttung)313. Eine nicht unbedeutende Gegenansicht will allerdings den Geschäftsführer nach § 47 Abs. 4 von der Beschlussfassung über den eigenen Geschäftsführervertrag ausschließen314. Zugegebenermaßen ist die h.M. in der Begründung angreifbar und auch im Ergebnis nicht unproblematisch315. Doch ist der h.M. trotz unleugbarer Zweifel zu folgen. Die Arbeitsbedingungen ei304 305 306 307 308 309 310 311

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Zutr. Borrmann, S. 47 f. Borrmann, S. 57 f. m.N.; s. aber Fleck, GmbHR 1970, 224 f. Dazu Borrmann, S. 56 ff.; Fleck, GmbHR 1970, 224. Borrmann, S. 59 f.; a.M. Harde, S. 95 ff.; Goerdeler, GmbHR 1959, 199. Vgl. RGZ 170, 367; vgl. auch zur Stimmrechtsbindung des Mehrheitsgesellschafters BGH v. 7.2.1983 – II ZR 25/82, ZIP 1983, 432. BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, GmbHR 1995, 373 = NJW 1995, 1750. BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, GmbHR 1995, 373, 376; KG v. 7.1.1999 – 2 U 1464/98, NZG 1999, 501 = (L) GmbHR 1999, 818. Allg. M.; RGZ 74, 276, 278 f.; BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 210; BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 215; KG v. 23.7.2019 – 22 W 40/19, GmbHR 2020, 31, 32; Baums, S. 133 ff.; Altmeppen, Rz. 41; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 106; einen Sonderfall betrifft BGH v. 9.12.1968 – II ZR 57/67, BGHZ 51, 209, 217. RGZ 74, 276, 279 f.; BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 210; OLG Düsseldorf v. 18.6.1998 – 6 U 78/97, GmbHR 1999, 549 (Kündigung); OLG Frankfurt v. 22.12.2004 – 13 U 177/ 02, GmbHR 2005, 550; OLG Hamm v. 12.2.2007 – 8 U 204/05; OLG Hamm v. 9.9.2019 – 8 U 7/ 17, GmbHR 2020, 204, 207; Baums, S. 141 ff.; Sudhoff, S. 94; Zöllner, Schranken, S. 234 f.; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 86; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63 und § 47 Rz. 184; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 45; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 32. Vgl. Baums, S. 147 f.; Wank, ZGR 1979, 241 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 44. Flume, JurP, § 7 V 6; Altmeppen, § 47 Rz. 109; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 89; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 249; Wilhelm, Rechtsform und Haftung …, 1981, S. 89 f.; Wolany, S. 214; Immenga/Werner, GmbHR 1976, 58; Remmert/Schmalz, GmbHR 2008, 85, 86; Scheuffele, GmbHR 2009. 1254; Wackerbarth, GmbHR 2009, 65. Vgl. auch Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 165.

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§ 46 Rz. 75 | Aufgabenkreis der Gesellschafter nes Gesellschafter-Geschäftsführers sind Bestandteil der inneren Organisation der Gesellschaft316, also trotz des schuldrechtlichen Charakters des Vertrags Gegenstand ihres korporativen Innenrechts (12. Aufl., § 47 Rz. 118). Über dieses entscheiden alle Gesellschafter, nicht nur die Mitgesellschafter, insbesondere in der Zweipersonen-GmbH nicht bloß der einzige Mitgesellschafter. Fälle wie eine nachträgliche Pensionsbewilligung317 zeigen allerdings die Gefahr eines Stimmrechtsmissbrauchs318; dem kann nur durch treupflichtbezogene Inhaltskontrolle begegnet werden319. Der Gesellschafter-Geschäftsführer wird also den Mitgesellschaftern durchaus die Frage vorlegen: „Was bin ich euch wert?“ Er darf sich nicht unter dem Deckmantel des stimmverbotsfreien Organisationsakts unkontrollier Gehälter und Pensionen zuschanzen. Dem steht auch das Verbot verdeckter Gewinnausschüttungen entgegen. Im Fall eines Selbstbedienungsgebarens kann der Gesellschafter-Geschäftsführer aus wichtigem Grund abberufen werden und ist dann vom Stimmrecht ausgeschlossen (Rz. 76). Eine letztverbindliche Entscheidung der Mitgesellschafter gegen und ohne den vom Beschluss betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführer rechtfertigt sich aber trotz unleugbarer Zweifel nicht. Im Rahmen des allen Gesellschaftern zustehenden Entscheidungsermessens stimmt auch der Gesellschafter-Geschäftsführer mit320. Gleichwohl ist Stimmenthaltung als Demonstration korporativen Takts gebräuchlich und anzuraten. 76 bb) Auch bei der Entscheidung über die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers

stimmt dieser grundsätzlich mit321, ebenso bei der Beschlussfassung über die Aufhebung oder ordentliche Kündigung seines Dienstvertrags322. Doch ist dieser Grundsatz in der Realität eher Ausnahme als Regel. Im Fall einer Beschlussfassung über die Abberufung aus wichtigem Grund greift der Stimmrechtsausschlussgrund des „Richtens in eigener Sache“323

316 Teilweise ähnlich Wolany, S. 226; krit. zur Argumentation des Textes Altmeppen, § 47 Rz. 109; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 184. 317 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205 ff. 318 Wolany, S. 226; Altmeppen, § 47 Rz. 109; Immenga/Werner, GmbHR 1976, 58; in ähnlicher Richtung schon Herzfelder, Stimmrecht und Interessenkollision, 1927, S. 130. 319 In dieser Richtung auch BGH v. 4.10.1976 – II ZR 204/74, DB 1977, 86 = WM 1976, 1226: Umsatztantieme für Mehrheitsgesellschafter kann auf Stimmrechtsmissbrauch beruhen; dazu Wank, ZGR 1979, 238 ff.; wie hier auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 184. 320 In diesem Sinne auch für einen nahen Angehörigen des Geschäftsführers OLG Hamm v. 9.9.2019 – 8 U 7/17, GmbHR 2020, 204, 207. 321 RGZ 81, 38; RGZ 104, 186 = GmbHRspr. III, Nr. 3 zu § 47 GmbHG; RGZ 138, 103 = GmbHRspr. IV, Nr. 28 zu § 47 GmbHG; OGH Wien, GesRZ 1986, 199; OLG Frankfurt, OLGE 22, 18; OLG Düsseldorf v. 13.7.1989 – 8 U 187/88, 8 U 31/89, BB 1989, 1838 = GmbHR 1989, 468; OLG Köln v. 14.7.1976 – 2 U 7/76, BB 1977, 464 = GmbHR 1977, 6; OLG Stuttgart v. 13.4.1994 – 2 U 303/ 93, GmbHR 1995, 228, 229; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 84; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 89; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 60, § 47 Rz. 186; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 117; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 32; Münch, DStR 1993, 917; unentschieden noch RGZ 75, 236 f. 322 OLG Koblenz v. 21.7.2017 – 5 U 399/17, GmbHR 2018, 90, 91 = ZIP 2018, 584, 585. 323 RGZ 124, 380; RGZ 138, 104 = JW 1933, 1021 = GmbHRspr. IV, § 46 Nr. 28 zu § 47 GmbHG; BGH v. 16.3.1961 – II ZR 190/59, BGHZ 34, 367, 371 = NJW 1961, 1299 zu § 745 BGB; BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 181 = GmbHR 1983, 149; BGH v. 21.4.1969 – II ZR 200/67, MDR 1969, 642; BGH v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, GmbHR 1985, 256 = WM 1985, 567; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770 = NJW 2009, 2300 = ZIP 2009, 1158; OLG Stuttgart v. 13.4.1994 – 2 U 303/93, GmbHR 1995, 228 = NJW-RR 1994, 811; OLG Stuttgart v. 13.4.1994 – 2 U 303/93, GmbHR 1995, 228; OLG Düsseldorf v. 18.6.1998 – 6 U 78/97, GmbHR 1999, 549, 550; OLG Frankfurt v. 4.12.1998 – 5 W 33/98, GmbHR 1999, 551 (L); OLG Stuttgart v. 19.12.2012 – 14 U 10/12, GmbHR 2013, 414, 422; LG Frankfurt v. 3.4.1951 – 3/2 Q 8/51, NJW 1951, 719 m. Anm. A. Hueck; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 85; Liebscher in: MünchKomm. GmbHG, Rz. 117; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 17; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 245; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 187; Münch, DStR

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 76 § 46

ein (dazu 12. Aufl., § 47 Rz. 141). Dieses Stimmverbot erfasst auch einen Mitgesellschafter, der an dem Verstoß des Geschäftsführers teilgenommen hat324. Der ernst zu nehmende (substantiierte) Vorwurf eines wichtigen Grundes kann hierfür ausreichen325. Nach einer Gegenansicht kommt es darauf an, dass der wichtige Grund objektiv existiert326. Das ist aus Gründen der Rechtssicherheit unannehmbar327, denn häufig – und namentlich dann, wenn der Betroffene auf seiner Teilnahme bei der Abstimmung besteht – stehen der objektive Sachverhalt und seine rechtliche Würdigung im Mittelpunkt des Gesellschafterstreits. Deshalb kann es nur darauf ankommen, ob ein als wichtiger Grund qualifizierbarer, nicht bloß hergeholter oder ins Blaue behaupteter Sachverhalt ohne evidente Treuwidrigkeit zum Gegenstand der Beschlussfassung über die Abberufung gemacht ist. Der hierin liegende Konflikt rechtfertigt das Stimmverbot (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 141). Der Gesellschafter-Geschäftsführer steht der ohne Mitzählung seiner Stimme gezählten Mehrheit nicht schutzlos gegenüber. Stellt sich der wichtige Grund als nicht vorhanden (der Verdacht also als tatsächlich unbegründet oder der Vorwurf als rechtlich nicht durchschlagend) heraus, so ist der Abberufungsbeschluss aus Sachgründen rechtswidrig, nicht wegen der Nicht-Mitzählung der Stimme des abberufenen Gesellschafter-Geschäftsführers (str.; vgl. auch 12. Aufl., § 38 Rz. 60a)328. Der Gesellschafter-Geschäftsführer kann hierauf eine Anfechtungsklage stützen (12. Aufl., § 45 Rz. 134, 12. Aufl., § 47 Rz. 141; zur zweifelhaften Anfechtungsbefugnis auch eines Nicht-Geschäftsführers vgl. dagegen 12. Aufl., § 45 Rz. 134). Die Wirksamkeit einer im Zusammenhang mit dem Beschluss ausgesprochenen Kündigung des Anstellungsvertrags hängt ggf. gleichfalls vom objektiven Bestehen des wichtigen Grundes ab (12. Aufl., § 38 Rz. 35)329. Hierüber kann ggf. ein Feststellungsprozess geführt werden. Wird über den Fortbestand der Geschäftsführerstellung, nicht über die Anfechtung eines Beschlusses, gestritten, so unterliegt ein solcher Feststellungsprozess nicht den Anfechtungsfristen, sondern nur den Regeln über die Verwirkung330. Die Feststellungsklage des vormaligen Geschäftsführers ist

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1993, 917; Baums, S. 319; Zöllner, Schranken, S. 235 ff.; Scholz, GmbHR 1951, 85; Immenga/Werner, GmbHR 1976, 59; a.M. noch OLG Frankfurt, OLGE 22, 17 = Recht 1909, 1059 = GmbHRspr. I, Nr. 14 zu § 47 GmbHG; KG, GmbHR 1914, 45 = GmbHRspr. II, Nr. 15 zu § 47 GmbHG; OLG Köln, JW 1926, 2107 = GmbHR 1927, 433 = GmbHRspr. IV, Nr. 11 zu § 47 GmbHG; KG, JW 1928, 239 = GmbHRspr. IV, Nr. 19 zu § 47 GmbHG; RGZ 81, 39 = JW 1913, 210; RGZ 104, 186 = GmbHRspr. III, Nr. 3 zu § 47 GmbHG; s. auch noch RGZ 81, 39 f.; nur in der Begründung abweichend (kein gesetzliches Stimmverbot, aber der Betroffene habe unbestreitbarerweise schon „im Ansatz“ kein Stimmrecht) Altmeppen, § 47 Rz. 104 im Anschluss an Wilhelm, Rechtsform, S. 90; in der Begründung abl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 85. BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770 = NJW 2009, 2300 = ZIP 2009, 1158. S. BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 181 f. = GmbHR 1983, 149; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 17; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 32; s. auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 91. OLG Düsseldorf v. 23.2.2012 – 6 U 135/10, Rz. 45; Zöllner, Schranken, S. 237 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 85; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 188; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 242 ff.; Thanos, Die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers in der personalistischen GmbH, Diss. Tübingen 1984, S. 54; Peters/Strothmann in FS Meilicke, 2010, S. 511, 519. Vgl. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 188: Das Erfordernis objektiven Vorhandenseins des wichtigen Grundes sei „unter dem Aspekt der Rechtssicherheit misslich, kann aber nach der Gesetzeslage (?) nicht vermieden werden.“ Nach Zöllner, Schranken, S. 239 liegt ein Inhaltsverstoß alledings nur vor, wenn die Satzung die Abberufung auf wichtige Gründe beschränkt. Insoweit wie hier Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 188. So im Fall einer Feststellungsklage der GmbH BGH v. 1.3.1999 – II ZR 205/98, GmbHR 1999, 477; insoweit wohl übereinstimmend für die Feststellungsklage gegen die Gesellschaft BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 = ZIP 2008, 757 Rz. 22; vgl. auch OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43 (Klage des Gesellschafters); dazu Karsten Schmidt, GmbHR 1992, 9 ff.

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§ 46 Rz. 76 | Aufgabenkreis der Gesellschafter allerdings unbegründet, wenn der Abberufungsbeschluss durch Versäumung der Anfechtungsfrist bestandskräftig geworden ist331. Ein gerichtliches Abberufungsverfahren analog §§ 117, 127 HGB, in dem der wichtige Grund vorab geprüft wird, gibt es im Recht der GmbH nicht332. 77 cc) In der Stimmrechtsausübung sind die Gesellschafter grundsätzlich frei (keine allgemei-

ne Inhaltskontrolle), sofern nicht ein satzungsmäßiges Sonderrecht auf Bestellung zum Geschäftsführer bzw. auf Bestimmung eines Geschäftsführers oder eine korporativ wirkende Bindung der Gesellschafter untereinander zu respektieren ist (dazu Rz. 73 und 83). Selbstverständlich müssen bei der Geschäftsführerbestellung die gesetzlichen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 beachtet werden333. Ob der Ernannte fachlich oder persönlich geeignet ist, entscheiden die Gesellschafter nach treupflichtgebundenem Ermessen334. Sie sind auch in der Ablehnung eines Kandidaten grundsätzlich frei335. Missbräuchlich und verboten ist nur eine evidente Gefährdung der Gesellschaftsinteressen (Beispiel: Konkurrent als Geschäftsführer)336, insbesondere die Bestellung eines Geschäftsführers durch Mehrheitsbeschluss, der aus wichtigem Grund abberufen worden ist337 bzw. nach seiner Bestellung evidentermaßen sogleich abberufen werden müsste338. Diese Ausführungen gelten sinngemäß auch für einen Abberufungsbeschluss. Wird über die Abberufung eines Geschäftsführers aus wichtigem Grund beschlossen, so ist der Abberufungsbeschluss nur rechtmäßig, wenn der wichtige Grund vorliegt oder der Beschluss als ordentliche Abberufung aufrechterhalten werden kann (sonst Anfechtbarkeit)339. Liegt ein wichtiger Grund vor, so kann sich hieraus die Verpflichtung der Gesellschafter ergeben, für die Abberufung zu stimmen (12. Aufl., § 47 Rz. 31)340. Zur Auswirkung auf die Wirksamkeit des Beschlusses vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 113 f. Bleibt aufgrund von Meinungsverschiedenheiten über die Gültigkeit abgegebener Stimmen das Beschlussergebnis ungewiss, so kann die Gesellschaft, der Geschäftsführer, aber auch ein Gesellschafter den Inhalt des wirksam gefassten Beschlusses – z.B. Abberufung aus wichtigem Grund – im Wege der Feststellungsklage gerichtlich klären lassen (Rz. 76). Besonders verhält es sich bei einem formell verkündeten Beschluss (12. Aufl., § 45 Rz. 49a ff.; 12. Aufl., § 48 Rz. 53). Zum Erfordernis der Amtsannahme für die Wirksamkeit der Bestellung vgl. Rz. 79. c) Fehlerhafte Beschlüsse 78 Ist die Bestellung eines Geschäftsführers nichtig, so können seine Rechtshandlungen nach

§ 15 Abs. 3 HGB oder sonst aufgrund von Rechtsscheingrundsätzen wirksam sein341. Aller331 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 = ZIP 2008, 757. 332 A.M. M. Wolf, ZGR 1998, 92 ff., 114 f. 333 Bei Verstoß Nichtigkeit; vgl. OLG Hamm v. 13.4.1992 – 15 W 25/92, GmbHR 1992, 671 (Bestellung eines Minderjährigen mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters). 334 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31. 335 Vgl. BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, NJW 1984, 491 = GmbHR 1984, 93. 336 BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, GmbHR 1991, 62. 337 BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, GmbHR 1991, 62. 338 Vgl. OLG Düsseldorf v. 1.7.2011 – 17 U 122/10, GmbHR 2012, 1363, 1364; OLG Düsseldorf v. 12.7.2012 – 6 U 220/11. 339 Nochmals hingewiesen sei allerdings auf den Standpunkt von Zöllner, Schranken, S. 239: Anfechtbarkeit nur, wenn die Satzung den wichtigen Grund verlangt. 340 Vgl. (ohne die Einschränkung „kann“) BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 172, 176 = NJW 1988, 969, 970; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43, 45; OLG Köln v. 1.6.2010 – 18 U 72/09, GmbHR 2011, 135. 341 Vgl. Altmeppen, § 6 Rz. 26; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, § 6 Rz. 13; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 2, 71; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 42; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 6 Rz. 42; eingehend zur Problematik Baums, S. 176 ff.; Ursula Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 35 ff.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 79 § 46

dings verlangt die h.M., dass die Eintragung von der GmbH veranlasst ist342. Der fehlerhaft bestellte Geschäftsführer kann nach den Grundsätzen über sog. „faktische“ Geschäftsführer sogar wie ein wirksam bestellter Geschäftsführer zuständig und verantwortlich sein (vgl. 12. Aufl., § 43 Rz. 30 ff.; 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 133; 12. Aufl., § 64 Rz. 266). Ist der Bestellungsbeschluss lediglich anfechtbar, so ist er vorläufig wirksam (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 39, 93). Mit Ablauf der Anfechtungsfrist (12. Aufl., § 45 Rz. 141 ff.) wird der anfechtbare Beschluss bestandskräftig343. Für das Anstellungsverhältnis gelten sinngemäß die Grundsätze über fehlerhafte Arbeitsverhältnisse (vgl. 12. Aufl., § 35 Rz. 363 f.)344. Soweit es um die Abberufung geht, schlägt eine Nichtigkeit des Beschlusses oder dessen erfolgreiche Anfechtung auf den Vollzug des Beschlusses durch Abberufung und Beendigung des Anstellungsverhältnisses durch345. Denn Kündigung und Abberufung setzen gleichermaßen einen rechtsgültigen Abberufungsbeschluss voraus346. Dem Geschäftsführer als solchem steht allerdings (im Gegensatz zum Gesellschafter-Geschäftsführer) nach h.M. kein Anfechtungsrecht zu (vgl. dazu aber 12. Aufl., § 45 Rz. 134)347. Bereits bei Rz. 76 erläutert wurde der Fall, dass der Geschäftsführer nur aus wichtigem Grund abberufen werden kann, dieser wichtige Grund aber fehlt348. Ergänzend kann auf 12. Aufl., § 38 Rz. 60 f. verwiesen werden.

3. Der Vollzug der Bestellung (Anstellung) oder Abberufung (Kündigung) a) Bestellung durch Erklärung gegenüber dem Geschäftsführer Die auf § 46 Nr. 5 beruhende Gesellschafterkompetenz umfasst auch den Vollzug des Be- 79 schlusses (Rz. 71). Die Bedeutung des § 46 Nr. 5 liegt nicht so sehr in der (nahezu selbstverständlichen) Willensbildungskompetenz der Gesellschafter wie in der Beschränkung der Vertretungsmacht der Geschäftsführer (Rz. 1, 71). Wer zum Geschäftsführer „bestimmt“ ist, ist noch nicht zum Geschäftsführer „bestellt“349, und schon gar nicht „angestellt“. Beispielsweise kann also die von den Gesellschaftern beschlossene Geschäftsführerbestellung nach h.M. noch durch Widerrufsbeschluss zurückgenommen werden, bis die Bestellung vollzogen ist. Die Bestellung (nicht anders die Abberufung oder Kündigung) bedarf der Erklärung gegenüber dem Geschäftsführer. Im Fall der Bestellung kommt noch die Annahme des Amts hinzu350. Diese kann konkludent, z.B. durch Unterzeichnung eines Anstellungsvertrags, erklärt werden. Die Anstellung bedarf eines Vertragsschlusses zwischen Gesellschaft und Ge-

342 OLG Brandenburg v. 21.6.2012 – 5 U 66/11, MDR 2013, 105, 106 = ZIP 2012, 2103, 2104 = JuS 2013, 360 (Karsten Schmidt). 343 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 = ZIP 2008, 757. 344 BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876 m. Anm. Haase. 345 Vgl. OLG Celle v. 17.6.1998 – 9 U 222/97, GmbHR 1999, 81; Einzelheiten bei Harde, S. 201 ff. 346 BGH v. 1.2.1968 – II ZR 212/65, WM 1968, 570; BGH v. 29.1.1976 – II ZR 3/74, WM 1976, 379, 380; Kuhn, WM 1976, 763. 347 BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 = ZIP 2008, 757; Harde, S. 231 ff.; Borrmann, S. 40 f. m.N.; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 140; a.M. noch Liebmann/Saenger, § 45 Rz. 5. 348 Zur Bedeutung der förmlichen Beschlussfeststellung oder ihres Fehlens in diesem Fall OLG Stuttgart v. 13.4.1994 – 2 U 303/93, GmbHR 1995, 228 = NJW-RR 1994, 811. 349 Vgl. BGH v. 4.10.1973 – II ZR 31/71, GmbHR 1973, 279, 280 = WM 1973, 1295, 1296; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 48 f.; vgl. auch Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 65. 350 Vgl. Klumpp, Beiträge zur Rechtsstellung der Geschäftsführer einer GmbH …, 1928, S. 43 ff.; Altmeppen, Rz. 46; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 49; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 32; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 108; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 35; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 29.

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§ 46 Rz. 79 | Aufgabenkreis der Gesellschafter schäftsführer351. Auch für diese Vollzugshandlungen sind, sofern nicht der Gesellschaftervertrag eine andere Regelung trifft, die Gesellschafter zuständig (Rz. 80, s. auch 12. Aufl., § 35 Rz. 328 ff.)352. Ist die Bestimmung des Geschäftsführers, nicht aber seine Bestellung einem anderen Organ übertragen (Rz. 72), so bedarf es für die Bestellung des schon zum Geschäftsführer Bestimmten immer noch des Ausführungsgeschäfts zwischen dem Gewählten und der Gesellschaft353. Entsprechend verhält es sich, wenn der Gesellschaftsvertrag selbst die Voraussetzungen festlegt, unter denen eine Person zum Geschäftsführer bestellt werden muss (Annäherung an § 6 Abs. 3 Satz 2). In all diesen Fällen kann die GmbH auch auf Vornahme der Geschäftsführerbestellung verklagt werden354. b) Vertretung der Gesellschaft 80 Die Vertretung der Gesellschaft bei der Bestellung und Abberufung sowie bei dem Abschluss,

der Änderung oder der Beendigung des Anstellungsvertrags (12. Aufl., § 35 Rz. 456 ff.) obliegt nicht einem etwa schon vorhandenen Geschäftsführer355, sondern „den Gesellschaftern“ – ggf. also dem Einpersonengesellschafter356 – als Vertretern der GmbH (Rz. 71)357. Wer ohne von den Gesellschaftern erteilte Vollmacht (Rz. 71) den Vertrag als Geschäftsführer im Namen der GmbH abschließt, handelt genehmigungsbedürftig als falsus procurator (§ 177 BGB). Dasselbe gilt, wenn ein Mehrheitsgesellschafter allein im Namen der GmbH handelt358. Da „die Gesellschafter“ als Gesellschaftsorgan faktisch oft gar nicht in der Lage sind, die Gesellschaft organschaftlich zu vertreten359, spielt sich die Ausführung des Bestellungsbeschlusses vielfach unmerklich ab (vgl. auch Rz. 70 sowie 12. Aufl., § 45 Rz. 23 f., 29). Aber auch dann wird die Bestellung erst wirksam, wenn sie gegenüber dem Ernannten erklärt und von ihm angenommen worden ist. Erfolgt die Wahl in seiner Gegenwart, so genügt Feststellung des Abstimmungsergebnisses. Erfolgt sie in seiner Abwesenheit, so wird die Bestellung nicht wirksam, bevor sie dem Ernannten durch alle Gesellschafter oder durch ihren evtl. nur konkludent beauftragten Boten bzw. Bevollmächtigten mitgeteilt ist360. Auch ein etwa bereits vorhandener Geschäftsführer (ggf. Auch Leiter der Gesellschafterversammlung) handelt ggf. als Bevollmächtigter oder Bote der Gesellschafter und nicht als zuständiges Gesellschaftsorgan (Rz. 71). Das gilt vor allem auch für den Abschluss des Anstellungsvertrags. 351 Vgl. nur BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876 m. Anm. Haase; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 35 Rz. 15. 352 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, GmbHR 1991, 363; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, GmbHR 1995, 373; BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1140 m. Anm. Haase; BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876 m. Anm. Haase; Altmeppen, Rz. 48; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 6 Rz. 54 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 35. 353 Vgl. BGH v. 4.10.1973 – II ZR 31/71, GmbHR 1973, 279 f. = WM 1973, 1295 f. 354 Vgl. auch hierzu BGH v. 4.10.1973 – II ZR 31/71, GmbHR 1973, 279 f. = WM 1973, 1295 f. 355 Eingehend m.N. Baums, S. 106 f.; Plander, ZHR 133 (1970), 341 ff. 356 Vgl. BGH v. 18.11.1968 – II ZR 121/67, WM 1969, 158. 357 BGH v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 316, 321 = NJW 1970, 33; BGH v. 1.2.1968 – II ZR 212/65, DB 1968, 847 = WM 1968, 570; BGH v. 13.5.1968 – II ZR 103/66, BB 1968, 1400 = WM 1968, 1328; BGH v. 18.11.1968 – II ZR 121/67, WM 1969, 158; BGH v. 9.10.1989 – II ZR 16/89, GmbHR 1990, 33, 34; BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, GmbHR 1991, 363; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, GmbHR 1995, 373; BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876; Altmeppen, Rz. 48; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54 ff.; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 65; Plander, ZHR 133 (1970), 334; Plander, GmbHR 1968, 197; Kuhn, WM 1972, 1152. 358 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 213/95, GmbHR 1997, 547 = WiB 1997, 753 m. Anm. Kugler; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 65. 359 Zutr. Begr. RegE 1971 zu § 62 Abs. 5. 360 BGH v. 22.9.1969 – II ZR 144/68, BGHZ 52, 316, 321; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55; allg. (zur Genossenschaft) BGH v. 19.6.1961 – II ZR 123/59, WM 1961, 799, 800; s. auch Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 65.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 82 § 46

Zu diesem Abschluss können die Geschäftsführer (den Versammlungsleiter) ohne ausdrücklichen Beschluss der Gesellschafter konkludent bevollmächtigt sein, sofern nur der Vertragsinhalt von den Gesellschaftern beschlossen worden ist (sonst evtl. Genehmigung nach § 177 BGB)361. In diesem Fall kann sich eine klarstellende Protokollnotiz empfehlen (etwa: „der Vorsitzende wird mit dem Gewählten die erforderlichen Erklärungen austauschen“). Bei Anwesenheit auch des bestellten Geschäftsführers kann dieser zusätzliche Schritt sich erübrigen. In einer kleinen GmbH kann die Vertretung durch Unterschriften des Geschäftsführers und der Gesellschafter unter dem Anstellungsvertrag klargestellt werden. c) Abberufung von Geschäftsführern Auch bei der Abberufung von Geschäftsführern werden Willensbildung und Vollzug von- 81 einander getrennt. Folge: Der Beschluss ist nur interne Willensbildung und bedarf der Ausführung durch Rechtsgeschäft zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer362. Dieses Rechtsgeschäft muss von dem Gesellschafterbeschluss inhaltlich gedeckt sein363. Ein Beschluss über die Abberufung als Geschäftsführer kann zugleich die Beschlussfassung über die Kündigung des Dienstvertrags enthalten364. Doch müssen nicht schon bei der Beschlussfassung gesetzliche Kündigungsfristen, die für die beschlossene Kündigung zu beachten sind, berücksichtigt werden365. Die Ausführung unterliegt der Vertretungsmacht der Gesellschafter bzw. des Alleingesellschafters366. Denn die organschaftliche Vertretungsmacht eines Geschäftsführers umfasst nicht die Abberufung367 des anderen; auch nicht die mit der Abberufung zusammenhängende Kündigung oder Aufhebung seines Vertrags (vgl. zum Meinungsstand bei Rz. 70, 79). Die Mitteilung kann auch hier konkludent, bei Anwesenheit des Adressaten z.B. im Zuge der Beschlussfassung, erfolgen368. Über eine Bevollmächtigung des Versammlungsleiters zum Vollzug des Beschlusses vgl. Sinngemäß Rz. 80. Vorläufiger Rechtsschutz durch einstweilige Verfügung (Verbot von Geschäftsführungsmaßnahmen) ist möglich369. d) Eintragung in das Handelsregister Die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern bedürfen der Eintragung in das 82 Handelsregister (§§ 10, 39). Zur Anmeldungsbefugnis vgl. 12. Aufl., § 39 Rz. 13. Die Eintra361 Ähnlich wohl Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57; vgl. auch zur Haftung nach § 179 BGB BGH v. 9.10.1989 – II ZR 16/89, GmbHR 1990, 33, 34. 362 RGZ 68, 385; RG, LZ 1920, 799; LG Dortmund v. 5.11.1997 – 10 O 51/97, GmbHR 1998, 334; Harde, S. 38; Borrmann, S. 36; Altmeppen, Rz. 45; ganz h.M.; beachtlich dagegen wiederum Feine, S. 470; s. auch Baums, S. 307. 363 Vgl. BGH v. 8.9.1997 – II ZR 165/96, NJW 1998, 76 = GmbHR 1997, 1062 (außerordentliche oder ordentliche Kündigung). 364 Näher OLG Düsseldorf v. 24.6.1999 – 6 U 144/97, NZG 2000, 209 = GmbHR 2000, 378. 365 Slabschi, ZIP 1999, 392 mit Kritik an BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, BGHZ 139, 89 = GmbHR 1998, 827. 366 BGH v. 18.11.1968 – II ZR 121/67, WM 1969, 158; LG Dortmund v. 5.11.1997 – 10 O 51/97, GmbHR 1998, 334. 367 BGH v. 1.2.1968 – II ZR 212/65, WM 1968, 570. 368 Vgl. BGH v. 11.2.2008 – II ZR 187/06, GmbHR 2008, 426 = ZIP 2008, 757 Rz. 35; OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43 (Abberufung aus wichtigem Grund). 369 Vgl. OLG Karlsruhe v. 4.12.1992 – 15 U 208/92, NJW-RR 1993, 1505, 1506 = GmbHR 1993, 154, 155; OLG Jena v. 21.10.1998 – 4 U 945/98, NZG 1998, 992 m. Anm. Dierkes (Antrag der Gesellschaft); OLG Frankfurt v. 18.9.1998 – 5 W 22/98, NZG 1999, 213 m. Anm. Eckardt (Antrag der Gesellschafter) = GmbHR 1998, 1126; OLG München v. 20.7.1998 – 23 W 1455/98, NZG 1999, 407 m. Anm. Michalski/Schulenburg = GmbHR 1998, 718; OLG Stuttgart v. 26.10.2005 – 14 U 50/ 05, DB 2007, 48 = GmbHR 2006, 1258; KG v. 11.8.2011 – 23 U 114/11, GmbHR 2011, 1272; OLG München v. 17.1.2013 – 23 U 4421/12, GmbHR 2013, 369; Zwisseler, GmbHR 1999, 336.

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§ 46 Rz. 82 | Aufgabenkreis der Gesellschafter gung hat allerdings nur deklaratorische Wirkung und ist nicht Voraussetzung einer wirksamen Bestellung oder Abberufung. Für Vertrauensschutz sorgt § 15 Abs. 1 und 3 HGB (vgl. auch Rz. 78)370. e) Vorschlagsrecht 83 Jeder einzelne Gesellschafter hat ein unverbindliches Vorschlagsrecht371. Ein klagbarer An-

spruch darauf, dass die Kandidatur auch zur Abstimmung gestellt wird, resultiert hieraus grundsätzlich nicht. Jedoch kann sich insbesondere bei der personalistischen GmbH die Treupflicht (12. Aufl., § 14 Rz. 64 ff.) zu einer Pflicht der Gesellschafter verdichten, sich jedenfalls mit der Sache zu befassen. Dieses bloße Vorschlagsrecht kann zu einem Präsentationsrecht und sogar zu einem Benennungsrecht erweitert werden, wenn die Satzung dies bestimmt (Rz. 72). Hierbei ist sorgsam zu unterscheiden (12. Aufl., § 6 Rz. 80)372: Einmal kann einem Gesellschafter die bloße Befugnis zugestanden sein, einen Kandidaten zur Abstimmung vorzuschlagen. Aus dem Präsentationsrecht können sich auch Zustimmungspflichten der Mitgesellschafter bzw. eines Gesellschafterstamms ergeben373. Dies kann bedeuten, dass die Mitgesellschafter den Vorgeschlagenen nur aus sachlichen Gründen ablehnen können374. Weiter kann die Satzung vorschreiben, dass der Vorgeschlagene nur aus wichtigen Gründen i.S.v. § 38 Abs. 2 abgelehnt werden kann375. Schließlich kann einem Gesellschafter sogar ein Kreationsrecht zugestanden werden, nämlich die Befugnis, den Geschäftsführer selbst, ohne Gesellschafterbeschluss, zu bestellen (12. Aufl., § 6 Rz. 80)376. Er kann dann selbst, wie nach dem gesetzlichen Konzept die Gesellschafter als Organ der Gesellschaft (Rz. 71), die Bestellung vornehmen und die Gesellschaft auch beim Abschluss des Anstellungsvertrags vertreten377. Diese Rechte können auch einem Familienstamm zustehen378. Diese Sonderrechte sind vom Sonderrecht eines Gesellschafters, selbst Geschäftsführer zu sein (Rz. 73), zu unterscheiden. Mit dem OLG Hamm379 ist anzunehmen, dass eine Regelung darüber, dass je eine Gesellschaftergruppe je einen Repräsentanten als Geschäftsführer benennt, im Zweifel kein eigenes Sonderrecht des benannten Geschäftsführers begründet, das seine Abberufung hindert; aber die Mitgesellschafter dürfen dem Vorgeschlagenen ihre Stimme dann je nach der Tragweite der Klausel nur aus sachlichen380 bzw. nur aus wichtigen381 Gründen versagen. Das Präsentationsrecht kann ins Leere gehen, wenn die Gesamtzahl der Geschäftsführer begrenzt ist und keine Geschäftsführerstelle vakant ist382.

370 Dazu BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78 = GmbHR 1991, 358; dazu Karsten Schmidt, JuS 1991, 1002; über Grenzen des § 15 Abs. 3 HGB vgl. OLG Brandenburg v. 21.6.2012 – 5 U 66/ 11, MDR 2013, 105 = JuS 2013, 360 (Karsten Schmidt). 371 Eingehend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25. 372 Dazu vgl. BGH v. 10.10.1988 – II ZR 3/88, NJW-RR 1989, 542; OLG Hamm v. 8.7.1986 – 8 U 295/ 83, GmbHR 1987, 268 = ZIP 1986, 1194 f. m. Anm. Lutter; OLG Düsseldorf v. 8.6.1989 – 6 U 223/88, GmbHR 1990, 219. 373 Beispiel: OLG Saarbrücken v. 24.11.2004 – 1 U 202/04-35, GmbHR 2005, 546. 374 Vgl. OLG Hamm v. 8.7.1986 – 8 U 295/83, GmbHR 1987, 268 = ZIP 1986, 1194 f. m. Anm. Lutter; s. auch OLG Saarbrücken v. 24.11.2004 – 1 U 202/04-35, GmbHR 2005, 546. 375 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.6.1989 – 6 U 223/88, GmbHR 1990, 219, 221. 376 Dazu Cramer, NZG 2011, 171 ff. 377 A.M., aber überkonstruiert und hoffnungslos unpraktisch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, vor § 35 Rz. 5. 378 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 34. 379 OLG Hamm v. 8.7.1986 – 8 U 295/83, GmbHR 1987, 268 = ZIP 1986, 1194 f. m. Anm. Lutter. 380 So OLG Hamm v. 8.7.1986 – 8 U 295/83, GmbHR 1987, 268 = ZIP 1986, 1194 f. m. Anm. Lutter. 381 So OLG Düsseldorf v. 8.6.1989 – 6 U 223/88, GmbHR 1990, 219, 221. 382 OLG Stuttgart v. 28.12.1998 – 20 W 14/98, GmbHR 1999, 537.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 85 § 46

4. GmbH & Co. KG Bei der GmbH & Co. KG gilt § 46 Nr. 5 nur für den Geschäftsführer der Komplementär- 84 GmbH. Dieser wird durch die Gesellschafter der GmbH – nicht der KG – berufen und abberufen383. Auch über den Geschäftsführervertrag und über seine etwaige Kündigung (vgl. Rz. 75) entscheiden die Gesellschafter der GmbH, nicht der KG384. Der BGH geht in dieser formalen Betrachtung so weit, dass bei einer sog. Einheits-GmbH & Co. KG (KG als Alleininhaberin der GmbH-Geschäftsanteile) ein Geschäftsführer als Vertreter der Alleingesellschafterin für die Kündigung des anderen Gesellschafters zuständig ist (zur Kritik vgl. 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 58 ff.)385. Dem ist nicht zu folgen. Vor allem bei der Einheits-GmbH & Co. KG ist eine Direktwahl und Direktabberufung (auch: Kündigung) der Geschäftsführer durch die Kommanditisten praktisch unentbehrlich (vgl. 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 60 f.; str.)386. Die Gesellschafter der GmbH haben, soweit zuständig, die Interessen der Kommanditisten mit zu berücksichtigen387. Eine Mitwirkung etwaiger Nur-Kommanditisten kann sich aus der Organisation der GmbH & Co. KG ergeben (vgl. näher 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 56, 58 ff.). Sie kann etwa darin bestehen, dass bei der GmbH ein Beirat gebildet wird388. Eine Vertragsregelung, wonach die Kommanditisten in der KG der Geschäftsführerbestellung der Komplementär-GmbH zustimmen müssen389, wirft formell die Frage nach der Zulässigkeit von Dritteinfluss auf die Geschäftsführerbestellung (Rz. 72) auf390. Man wird diesbezügliche Bedenken zurückzustellen haben (vgl. insbesondere zur Einheitsgesellschaft 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 58 ff.). Selbst wenn die direkte Mitwirkung der Kommanditisten bei der Bestellung des GmbH-Geschäftsführers problematisch gesehen wird, hindert doch nichts eine Regelung im KG-Vertrag, wonach sich die Komplementärin bei der Geschäftsführerbestellung an Weisungen der Kommanditisten zu halten hat.

VII. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 5: Entlastung Schrifttum: Ahrens, Vom Ende der Entlastungsklage des GmbH-Geschäftsführers und einem Neu- 85 beginn des BGH, ZGR 1987, 129; Barner, Die Entlastung als Institut des Verbandsrechts, 1990; Boesebeck, Die „Entlastung“ der Organe einer AG, GmbH oder Genossenschaft in neuer rechtlicher Betrachtung, ZAkDR 1935, 675; Brox, Probleme der Entlastung im Gesellschaftsrecht, BB 1960, 1226; Buchner, Die Entlastung des Geschäftsführers in der GmbH, GmbHR 1988, 9; Dicke, Der Generalbereinigungsvertrag zwischen der GmbH und ihrem Geschäftsführer, GmbHR 2019, 572; Heuer, Die Entlastung des Geschäftsführers, GmbHR 1951, 151; Hoeniger, Die Entlastung, DJZ 1922, 143; Holthausen, Entlastung und Generalbereinigung – unverzichtbare Instrumente zur Erlangung von Rechtssicherheit und persönlicher Haftungsbeschränkung, GmbHR 2019, 634; A. Hueck, Die Entlastung im Recht der GmbH, GmbHR 1959, 189; Knoche, Die sog. „Verzichtswirkung“ der Entlastung im privaten und öffentlichen Recht, 1995; Lieder/Felzen, Die Entlastung in der GmbH & Co. KG, NZG 2021, 6; Norbert Meier, Kann die Verpflichtung zur Entlastung der Geschäftsführung einer GmbH vorab vertraglich vereinbart werden?, GmbHR 2004, 111; Nägele/Nestel, Entlastung des GmbH-Geschäftsführers und des AG-Vorstands,

383 Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, 22. Aufl. 2020, Rz. 4.18 ff. 384 BGH v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, GmbHR 2007, 606 = ZIP 2007, 910; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 109/06, BB 2007, 1914 m. Anm. Gehrlein = GmbHR 2007, 1034; zust. OLG Hamburg v. 22.3.2013 – 11 U 27/12, GmbHR 2013, 580, 581. 385 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 109/06, GmbHR 2007, 1034 m. Anm. Werner = BB 2007, 1914 m. Anm. Gehrlein; so auch OLG Hamburg v. 22.3.2013 – 11 U 27/12, GmbHR 2013, 580 m. zust. Anm. Haase; krit. Karsten Schmidt, ZIP 2007, 2193, 2195 ff. 386 Eingehend Karsten Schmidt in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1425. 387 Vgl. Henze/Notz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, Anh. 1 zu § 177a HGB Rz. 160. 388 Vgl. Hölters, Der Beirat der GmbH und GmbH & Co. KG, 1979, S. 20 ff. 389 Vgl. OLG Hamm v. 18.6.1990 – 8 U 146/89, GmbHR 1991, 466. 390 Dazu Christoph Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000, S. 20 ff.

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§ 46 Rz. 85 | Aufgabenkreis der Gesellschafter BB 2000, 1253; Picenoni, Der Entlastungsbeschluss (Décharge) im Recht der Handelsgesellschaften …, 1945; Priester, Stimmverbot des GmbH-Gesellschafters bei Entlastungsbeschlüssen, in FS Rowedder, 1994, S. 369; Rühlicke, Entlastung und Rechtsverlust, 2015; Karsten Schmidt, Entlastung, Entlastungsrecht und Entlastungsklage des Geschäftsführers einer GmbH – Versuch einer Neuorientierung, ZGR 1978, 425; Schönle, Der Entlastungsbeschluss im deutschen Gesellschaftsrecht, ZHR 126 (1964), 199; Scholz, Rechtliche Bedeutung der Entlastung des Geschäftsführers, GmbHR 1940, 55; Schuricht, Die Klage des GmbH-Geschäftsführers auf Entlastung, 1988; Semler, Einzelentlastung und Stimmverbot, in FS Zöllner I, 1998, S. 553; Sigle, Die Entlastung des GmbH-Geschäftsführers und ihre Wirkung, DStR 1992, 469; Sudhoff, Rechte und Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH und einer GmbH & Co. KG, 14. Aufl. 1994, S. 96 ff.; Tellis, Die Entlastung …, 1988; Tellis, Die Entlastungsklage im GmbH-Recht, GmbHR 1989, 113; Ulrich, BGH: Annexkompetenz zu § 46 Nr. 5 GmbHG ergreift auch Vereinbarungen mit Dritten, GmbHR 2019, R222; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986, S. 74 ff.; Wagner, Die Rechtsnatur der Entlastung, Diss. 1938; Waldmann, Zur rechtlichen Natur der Entlastungsbeschlüsse, DGWR 1942, 186; Weitemeyer, Die Entlastung im Aktienrecht, ZGR 2005, 280; Wehl, Die Entlastung des Vorstands und Aufsichtsrats nach dem Aktiengesetz, KJ 1937, 935; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht …, 1963, S. 195 ff.

1. Anwendungsbereich a) Betroffene Gesellschaftsorgane 86 Nach § 46 Nr. 5 entscheiden die Gesellschafter über die Entlastung der Geschäftsführer. Das

gilt auch in der Vor-GmbH (vgl. 12. Aufl., § 11 Rz. 55)391 und in der mitbestimmten GmbH. § 46 Nr. 5 gilt auch im Insolvenzverfahren (vgl. 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 193 ff.). Allerdings hat ein nach Insolvenzverfahrenseröffnung gefasster Entlastungsbeschluss für die Dauer des Verfahrens nicht die bei Rz. 89 geschilderte Präklusionswirkung, denn die Gesellschafter können einen Geschäftsführer nicht mit Wirkung gegenüber der Masse von einer Schadensersatzverbindlichkeit freistellen (12. Aufl., Vor § 64 Rz. 193). Zur Rechtsnatur der Entlastung vgl. Rz. 89 ff. Die Entlastung anderer Organmitglieder – insbesondere etwaiger Beiratsmitglieder – ist nicht in § 46 Nr. 5 geregelt. Aus der Allzuständigkeit der Gesellschafter (Rz. 1) ergibt sich indessen, dass auch hierüber auf Antrag die Gesellschafter beschließen, sofern nicht die Satzung (der Gesellschaftsvertrag) eine andere Regelung trifft392. Die Entlastungsfolgen, insbesondere hinsichtlich der Präklusion von Ersatzansprüchen, entsprechen denen einer Geschäftsführer-Entlastung393. b) Gegenstand der Beschlussfassung 87 Der Entlastungsbeschluss ist an der Vergangenheit orientiert. Über die Entlastung kann

zeitraum- oder zeitpunktbezogen Beschluss gefasst warden. Sie bezieht sich regelmäßig auf eine bestimmte Geschäftsführungsperiode (z.B. auf ein Geschäftsjahr), kann sich aber auch als außerordentliche Entlastung auf einen bestimmten Vorgang beziehen. Die Billigung der Geschäftsführung schließt die Tatsache ein, dass diese bei der Unternehmensführung „eine gute Hand“ gehabt habe394. Die darin zugleich liegende Vertrauenskundgabe (Rz. 89) ist nur allgemeiner, nicht also konkreter Beschlussgegenstand. Wird, wie auch in einer AG zulässig (§ 119 Abs. 2 AktG), über eine Billigung im voraus beschlossen, so ist dies im rechtstechnischen Sinne keine Entlastung, wohl aber können die Gesellschafter dem Geschäftsführer im Rahmen ihrer Überwachungsaufgaben (§ 46 Nr. 6) Rückendeckung und sogar Weisungen wegen bevorstehender Maßnahmen geben (dazu Rz. 115). Eine solche Beschlussfassung äh391 392 393 394

Altmeppen, Rz. 54. Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 84. Näher Hölters, Der Beirat der GmbH und GmbH & Co. KG, 1979, S. 50 f. BGH v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94, 324, 327 = NJW 1986, 129, 130 = GmbHR 1985, 356.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 89 § 46

nelt der in § 119 Abs. 2 AktG hinsichtlich des AG-Vorstands vorgesehenen bindenden Vorab-Befassung der Hauptversammlung mit Geschäftsführungsmaßnahmen395. c) Satzungsregeln Die Gesellschafterkompetenz für die Entlastung ist nach h.M. nicht zwingend396. Satzungs- 88 regeln über die Verlagerung der Entlastungsbefugnis auf ein anderes, auch für die Beaufsichtigung der Geschäftsführer nach § 46 Nr. 6 für zuständig erklärtes Organ (vgl. Rz. 113) – Beirat, Aufsichtsrat, naturgemäß nicht auf die Geschäftsführer – sind demnach zulässig, wenn auch ungebräuchlich. Bedenken gegen eine solche Kompetenzverlagerung können nicht mehr erhoben werden, seit sich die hier vertretene Auffassung durchgesetzt hat, dass die Entlastung nur eine verbandsinterne Billigung der Geschäftsführung darstellt und einen Haftungsverzicht zwar zur Folge haben kann, nicht aber unmittelbar zum Inhalt hat (Rz. 89). Diese Präklusionswirkung wird man der Entlastung allerdings nur zuerkennen, wenn sie von einem Organ ausgesprochen wird, das der Wahrung der Gesellschaftsinteressen verpflichtet ist397. Denn die Präklusionswirkung eines Entlastungsbeschlusses nach § 46 Nr. 5 versteht sich im Zusammenhang mit den Gesellschafterkompetenzen nach § 46 Nr. 6 und Nr. 8. Hat nicht ein fakultativer Aufsichtsrat oder ein zur Wahrung der Gesellschaftsinteressen berufener Beirat den Beschluss gefasst, ist auch in Parallele zur Abberufung aus wichtigem Grund eine Rückfallzuständigkeit (Rz. 72) zu erwägen, die es der Gesellschafterversammlung erlauben kann, über die Belastung neu zu beschließen und dadurch dem Beschluss des Entlastungsorgans die Präklusionswirkung zu nehmen398.

2. Funktion und Rechtsnatur a) Funktion Die Entlastung ist Billigung der Geschäftsführung399 und Vertrauensbeweis für die Zukunft400. 89 Die Entlastung ist deshalb zu allererst ein „innenpolitischer Akt“ der Gesellschaft. Sie ist Bestandteil der allgemeinen Aufsicht der Gesellschafter über die Geschäftsführer und hängt insofern eng mit § 46 Nr. 6 zusammen. Nicht Gegenstand und Ziel, sondern nur Folge der Entlastung ist der Fortfall etwaiger Schadensersatzansprüche. Während im Aktienrecht die Entlastung im Hinblick auf § 93 Abs. 4, § 120 Abs. 2 AktG nur mehr eingeschränkte Bedeutung hat und grundsätzlich nichts anderes als eine allgemeine Billigung darstellt401, hat sie im

395 Zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133. 396 Vgl. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 94; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 88; Alfred Hueck, GmbHR 1959, 191. 397 Zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 187; a.M. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 88. 398 In diese Richtung wohl Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 187. 399 RGZ 55, 75; RGZ 65, 241; RGZ 75, 308; RGZ 167, 151; BGH v. 30.10.1958 – II ZR 253/56, NJW 1959, 193; OLG Hamm v. 29.6.1992 – 8 U 279/91, GmbHR 1992, 802, 803; Altmeppen, Rz. 54; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65; A. Hueck, GmbHR 1959, 190; allg. M.; Karsten Schmidt, GesR, § 14 VI 1, § 36 II 4d; Buchner, GmbHR 1988, 11 ff. 400 BGH v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94, 324, 326 = GmbHR 1985, 356 = NJW 1986, 129; OLG Hamburg, BB 1960, 996; OLG Hamm v. 29.6.1992 – 8 U 279/91, GmbHR 1992, 802, 803; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 68; Wagner, S. 34. 401 RGZ 167, 166; BGH v. 29.1.1962 – II ZR 1/61, BGHZ 36, 296, 306; BGH v. 12.3.1959 – II ZR 180/ 57, BGHZ 29, 385, 390; Hüffer/Koch, § 120 AktG Rz. 2, 13; Spindler in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 120 AktG Rz. 31; Tröger in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2021, § 120 AktG Rz. 25 f.; Weitemeyer, ZGR 2005, 280, 282 f.

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§ 46 Rz. 89 | Aufgabenkreis der Gesellschafter GmbH-Recht Präklusionswirkungen402. Durch die Entlastung begibt sich die Gesellschaft des Rechts, aus den zum Gegenstand der Entlastungsentscheidung gemachten Maßnahmen oder Versäumnissen des Geschäftsführers Rechtsfolgen gegen ihn herzuleiten (§ 242 BGB: Verbot des venire contra factum proprium). Auch die aktienrechtlich orientierte Reform der 70er Jahre wollte dies nicht grundsätzlich ändern und schränkte die Verzichtswirkung des Vergleichs nur bei gläubigerschädigenden Rechtsverstößen ein (vgl. § 75 Abs. 5, § 77 Abs. 2 Nr. 1 RegE 1971 mit Begründung). Die unterschiedliche Tragweite der Entlastung im Recht der GmbH und der AG ist rechtspolitisch keine Selbstverständlichkeit, wird aber mit der überragenden Stellung der GmbH-Gesellschafter gerechtfertigt und ist die Kehrseite von § 46 Nr. 6 und Nr. 8. Die in § 75 RegE 1971 enthaltenen Einschränkungen hinsichtlich etwaiger Verstöße gegen die Grundsätze der Kapitalsicherung sind nach richtiger Auffassung ohnedies geltendes Recht (Rz. 95). b) Rechtsdogmatische Einordnung der Entlastung 90 aa) Rechtsgeschäftliche Deutung? Die rechtsdogmatische Einordnung der Entlastung ist

umstritten403. Herkömmlich wurden folgende Auffassungen diskutiert: Erlass nach § 397 Abs. 1 BGB? Negatives Schuldanerkenntnis nach § 397 Abs. 2 BGB? Einseitiges Verzichtsgeschäft? Anspruchsausschließende Genehmigung? Beweisführungsmittel? Durchgesetzt hatte sich bis 1985 im Wesentlichen folgende Auffassung: Die Entlastung sei kein Vertrag404, habe aber die Wirkung eines negativen Schuldanerkenntnisses nach § 397 Abs. 2 BGB405. Die Rechtsfolge einer Entlastung ist nach dieser Auffassung Resultat einer zugangsbedürftigen Willenserklärung406; Verzichtswirkung hat deshalb noch nicht die Beschlussfassung407, wohl aber die mitgeteilte Beschlussfassung, und zwar selbst gegen den Willen des zu Entlastenden408. Diese ältere Doktrin ist für das Verständnis älterer Entscheidungen heute noch von Interesse.

402 So aus der Rspr. (teils zum alten Aktienrecht und sonstigen Korporationsrecht): RGZ 76, 248; RGZ 89, 397; RGZ 106, 262; RGZ 115, 250; RGZ 152, 282; RGZ 161, 144; RG, JW 1926, 2904; RG, JW 1935, 2904; RG, JW 1935, 921, 922; RG, DR 1939, 2164; RG, DR 1941, 506 m. Anm. Dietrich; BGH v. 30.10.1958 – II ZR 253/56, GmbHR 1959, 69 m. Anm. Wilhelm = JR 1959, 298 m. Anm. Goerdeler; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, MDR 1969, 204; BGH v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94, 324, 327 = NJW 1986, 129, 130 = GmbHR 1985, 356; OLG Hamburg v. 10.6.1960 – 1 U 6/60, AG 1960, 230 = BB 1960, 996; OLG Hamm v. 29.6.1992 – 8 U 279/91, GmbHR 1992, 802, 803; OLG München v. 18.7.1991 – 24 U 880/90, NJW-RR 1993, 1507, 1508; OLG Köln v. 2.6.1999 – 5 U 196/98, NZG 1999, 1228, 1229; OLG Frankfurt v. 9.3.2010 – 14 U 52/09; ebenso die h.L.; vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 14 VI 2; Altmeppen, Rz. 54 ff.; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 39 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 144 ff.; a.M. Barner, S. 71 ff. (gegen ihn Tellis, ZHR 156 [1992], 256 ff.). 403 Überblick bei Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 69; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 137 f.; Römermann in Michalski u.a., Rz. 261 ff.; Wagner, S. 11 ff.; A. Hueck, GmbHR 1959, 190; Karsten Schmidt, ZGR 1978, 429 ff.; Brox, BB 1960, 1226; Schönle, ZHR 126 (1964), 201 f. 404 S. aber Schönle, ZHR 126 (1964), 215; früher auch noch RGZ 106, 252; RGZ 115, 250; RG, JW 1926, 2904 m. Anm. Bing; RG, JW 1935, 921 m. Anm. Boesebeck. 405 So in der Sache RG, DR 1941, 506 m. Anm. Dietrich; BGH v. 30.10.1958 – II ZR 253/56, GmbHR 1959, 69 m. Anm. Wilhelm = JR 1959, 298 m. Anm. Goerdeler; s. auch OLG Hamm v. 29.6.1992 – 8 U 279/91, GmbHR 1992, 802, 803. 406 A.M. allerdings z.B. schon A. Hueck, GmbHR 1959, 190. 407 Vgl. auch RG, JW 1935, 921 m. Anm. Boesebeck; Schönle, ZHR 126 (1964), 212; a.M. aber Altmeppen, Rz. 58; missverständlich (in Fn. 98 resp. 107 nämlich der hier vertretenen Ansicht zust.) Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 26; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 41. 408 RG, DR 1941, 508; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 35; Boesebeck, JW 1935, 922; A. Hueck, GmbHR 1959, 190; Zweifel bei Schönle, ZHR 126 (1964), 213 f.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 92 § 46

bb) Ablehnung der rechtsgeschäftlichen Deutung. Die rechtsgeschäftliche Deutung der 91 Präklusionswirkung war und ist abzulehnen409. Seit 1986 ist dies h.M. Im Hinblick auf das mit der Frage nach einem „Entlastungsanspruch“ (Rz. 101) befasste Urteil BGH v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94, 324 = NJW 1986, 129 geht die h.M. von der vom Verfasser im vorliegenden Kommentar und in ZGR 1978, 425 ff. entwickelten Gegenauffassung aus410. So richtig es ist, dass der Beschluss ein Rechtsgeschäft darstellt (12. Aufl., § 45 Rz. 18), so unrichtig war die herkömmliche Annahme, dieses Rechtsgeschäft ziele im Fall der Entlastung auf einen Anspruchsverzicht. Die traditionelle rechtsgeschäftliche Begründung der Entlastungswirkungen stellte eine besonders augenfällige Folge der Entlastung einseitig in den Mittelpunkt und orientiert deshalb das ganze Institut an § 397 Abs. 2 BGB. Die Entlastung ist keine auf Anspruchsverzicht zielende Erklärung, sondern ein Beschluss, der – ganz im Gegenteil – in aller Regel von der Überzeugung getragen ist, dass Ersatzansprüche nicht bestehen. Gegenstand des Entlastungsbeschlusses ist nur die Billigung der Geschäftsführung (Rz. 89), während die Präklusion von Ansprüchen nichts als eine gesetzliche Folge dieser Billigung ist (Rz. 89)411. Auch führt nicht ein in Ausführung des Entlastungsbeschlusses abgeschlossenes Entlastungsgeschäft zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer, sondern der dem Geschäftsführer mitgeteilte Entlastungsbeschluss selbst die Entlastungswirkung herbei. Der Entlastungsbeschluss ist also kein ausführungsbedürftiger Beschluss. Die Mitteilung eines Entlastungsbeschlusses an den Geschäftsführer ist ein Informationsvorgang, nicht ein Verzichtsgeschäft412. Dadurch unterscheidet sich der Entlastungsbeschluss vom Generalbereinigungsvertrag (vgl. zu diesem Rz. 103). Damit leuchtet auch ein, dass für die Geltendmachung von Mängeln des Entlastungsbeschlusses die Regeln über fehlerhafte Beschlüsse und nicht die §§ 116 ff. BGB gelten (Rz. 99)413. Wohl allerdings ist die Entlastung eine „Rechtshandlung“ i.S.d. Insolvenzanfechtungsrechts, so dass ihre masseschmälernde Wirkung der Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO unterliegen kann414. c) Konkludente (stillschweigende) Entlastungserklärungen? Konkludente (stillschweigende) Entlastungserklärungen im Sinne der allgemeinen Rechts- 92 geschäftslehre gibt es grundsätzlich nicht, weil die Entlastung entgegen der früheren Deutung eben nicht als Willenerklärung einzuordnen ist (vgl. Rz. 91)415. Zwar kann u.U. die Nichtbeanstandung von Verstößen einer Inanspruchnahme von Geschäftsführern nach allgemeinen (strengen!) Regeln unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung oder allgemein des 409 Eingehend Karsten Schmidt, ZGR 1978, 425 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 14 VI 2b; Tellis, S. 44 ff.; s. auch bereits Boesebeck, JW 1935, 922 ff.; vgl. auch Barner, S. 50 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 70. 410 Zust. mit Unterschieden im Detail Knoche, S. 71 ff.; Tellis, S. 78 ff.; Altmeppen, Rz. 58; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 26; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71 ff.; Römermann in Michalski u.a., Rz. 266; Nägele/Nestel, BB 2000, 1254 ff. 411 Zur Begründung dieser Lehre vgl. Karsten Schmidt, ZGR 1978, 425 ff.; zusammenfassend Karsten Schmidt, GesR, § 14 VI 2, § 36 II 4d; zust. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 69 mit Fn. 206; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138; Tellis, S. 78 ff.; Priester in FS Rowedder, 1994, S. 371. 412 So jetzt auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 72. 413 RG, DR 1941, 506 m. Anm. Dietrich; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76; vgl. demgegenüber zur Anfechtung eines Generalbereinigungsvertrags BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, GmbHR 1975, 182; a.M. noch RG, JW 1926, 2904 m. Anm. Bing. 414 Über Gesellschafterbeschlüsse als anfechtbare „Rechtshandlungen“ vgl. Hirte in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2019, § 129 InsO Rz. 54, 378. 415 Wie hier OLG Hamm v. 28.6.1999 – 8 U 40/98, NZG 1999, 1221; Altmeppen, Rz. 63; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 141; Römermann in Michalski u.a., Rz. 273; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 41; a.M. Sudhoff, S. 97.

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§ 46 Rz. 92 | Aufgabenkreis der Gesellschafter widersprüchlichen Verhaltens entgegenstehen (§ 242 BGB), doch ist dieser kein konkludenter Entlastungsbeschluss. Die Entlastung ist ein korporativer Akt. In diesem Rahmen ist eine Auslegung des Gesellschafterwillens möglich. Konkludente Entlastungsbeschlüsse in dem Sinne, dass ein nicht explizit als solcher bezeichneter Beschluss als Entlastungsbeschluss auszulegen ist, sind also nicht ausgeschlossen416. Voraussetzung ist, dass die Geschäftsführungsmaßnahme (oder die Geschäftsführung während der Amtszeit) durch Beschluss gebilligt wird417. Eine sich an den Bericht über das Geschäftsjahr anschließende Beschlussfassung über Wiederbestellung als Geschäftsführer nach Ablauf einer Amtszeit oder die Gehaltserhöhung oder Bestätigung im Amt legt eine Auslegung als konkludente Entlastung nahe, dies aber nicht zwingend418. Die Feststellung des Jahresabschlusses nach § 46 Nr. 1 enthält nicht ohne Weiteres eine Entlastungsentscheidung für die Bilanzperiode (Rz. 15, 96)419.

3. Umfang der Präklusionswirkung a) Persönliche Grenzen 93 Der Umfang der Präklusionswirkung420 richtet sich zunächst in persönlicher Hinsicht da-

nach, ob „die Geschäftsführung“ oder einzelne Geschäftsführer entlastet werden (Gesamtentlastung oder Einzelentlastung). Über die Entlastung der Organe wird in der Regel nur im Ganzen Beschluss gefasst421, eine gesonderte Abstimmung über jedes einzelne Mitglied ist daher die Ausnahme. Der Unterschied kann sich auf das Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 auswirken (Rz. 97 und 12. Aufl., § 47 Rz. 134). Im Regelfall der Gesamtentlastung ergreift das Stimmverbot sämtliche Mitglieder des zu entlastenden Organs422, während im Ausnahmefall der Einzelentlastung das jeweils nicht betroffene Organmitglied nach h.M. grundsätzlich mit abstimmen darf (Rz. 97). Das ist fragwürdig423. Es kommt auf die im Raum stehenden Vorwürfe, nicht auf den formellen Beschlussantrag an424. Jedenfalls kann das Stimmverbot nicht durch Manipulationen der Tagesordnung, insb. durch künstliche Segmentierung von Entlastungsanträgen, umgangen werden (Rz. 97, 12. Aufl., § 47 Rz. 134). Bei einer periodenbezogenen Entlastungsentscheidung sind regelmäßig alle im Amt befindlichen Geschäftsführer befangen (zum Sonderfall, dass alle Gesellschafter auch Geschäftsführer sind, vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 106, 153)425. b) Sachliche Grenzen

94 Der sachliche Umfang der Entlastungswirkung ist zunächst bestimmt durch den Gegenstand

der Beschlussfassung (Geschäftsjahr, einzelne Maßnahme, Geschäftsführung im Ganzen). 416 RGZ 106, 263; RGZ 115, 250 f.; Altmeppen, Rz. 63; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 41; Fleck, GmbHR 1974, 228; missverständlich Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 38. 417 BGH v. 15.12.1975 – II ZR 17/74, WM 1976, 204. 418 Der Sache nach ähnlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 141; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 41; unscharf Altmeppen, Rz. 63. 419 Wie hier Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 141. 420 A. Hueck, GmbHR 1959, 192 f.; Schönle, ZHR 126 (1964), 216 f.; Karsten Schmidt, ZGR 1978, 436 f. 421 RGZ 55, 75, 76; RGZ 65, 243. 422 RGZ 55, 75, 76 zu § 252 Abs. 3 HGB – Entlastung, Aufsichtsrat; vgl. auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33. 423 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 77: Berufung auf den Gesetzeswortlaut „geradezu komisch“; tendenziell strenger als h.M. auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 84 (nicht aber § 46 Rz. 41). 424 Vgl. auch zu Abberufungsanträgen BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, NJW 2009, 2300, 2303 Rz. 30 = GmbHR 2009, 770. 425 Altmeppen, Rz. 62.

950 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 94 § 46

Vgl. zur Teilentlastung auch Rz. 98. Eine periodische Entlastungsentscheidung ist nicht notwendig auf den Aufgabenkreis des Geschäftsführers beschränkt, denn gerade auch der Geschäftsführer, der seinen Pflichtenkreis überschreitet, kann pflichtwidrig handeln (vgl. zur Gesamtverantwortung 12. Aufl., § 43 Rz. 120)426. Der zeitliche Umfang ergibt sich aus dem Beschluss(antrag) bzw. aus dem Beratungszusammenhang, z.B. im Zuge einer Bilanzfeststellung für ein Kalenderjahr. Wird die Entlastung im Zusammenhang mit dem Ausscheiden eines Geschäftsführers aus dem Amt beschlossen, so kann sie sich auf die gesamte Amtszeit beziehen427. In tatsächlicher Hinsicht beschränkt sich die Präklusion, da die Gesellschafter i.d.R. außerstande sind, eigene Tatbestandsermittlungen durchzuführen, auf diejenigen Tatsachen, die der Versammlung erkennbar sind, im Regelfall also auf die aus den den Gesellschaftern vorliegenden Unterlagen oder sonstigen Informationen ersichtlichen Fakten428. Insofern muss sich die Minderheit damit abfinden, wenn die Mehrheit in einem fairen Verfahren auf letzte Klärung von Zweifeln bewusst verzichtet hat429. Die Erkennbarkeit muss auch im Lichte des § 51a und des Verlaufs der Gesellschafterversammlung gesehen werden, dies allerdings in Ansehung auch der Rechenschafts- und Berichtspflichten des Geschäftsführers430. Entscheidend muss die Frage sein, ob ein Rekurs auf dem Geschäftsführer (den Geschäftsführern) angelastete Vorgänge der Gesellschaft (!) nachträglich als ein widersprüchliches Verhalten der Gesellschafter entgegengehalten werden kann (Rz. 89). Tatsachen, die durch Ausübung des Informationsrechts hätten bekannt werden können, sind nur dann erkennbar im hier besprochenen Sinne, wenn der Geschäftsführer den Gesellschaftern hinreichende Gelegenheit zur Ausübung von Einsichts- und Auskunftsrechten gegeben hatte. Außerhalb dieses Rahmens begründet grundsätzlich nur positive Kenntnis der Gesellschafter die Entlastungswirkung431. Private Kenntnis der Beteiligten genügt432, grundsätzlich allerdings nur bei Kenntnis aller, auch der nicht mitstimmenden oder überstimmten Gesellschafter433. Kenntnis nur einzelner Gesellschafter, die die Mehrheitsstimmen abgegeben haben, genügt grundsätzlich nicht. Ein widersprüchliches Verhalten liegt nur vor, wenn diejenigen, denen Kenntnis oder Kennenmüssen angelastet wird, den Entlastungsbeschluss hätten verhindern können. Nach einem Urteil des BGH soll Erkennbarkeit für einen Geschäftsführer, der gleichzeitig Mehrheitsgesellschafter ist, ausreichen434. Das ist bedenklich und gilt jedenfalls nur, wenn die in Rede stehende Tatsache nur andere Geschäftsführer und nicht auch den Mehrheitsgesellschafter belastet435. Rechte der Gesellschaft aus Pflichtwidrigkeiten, die im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht bekannt oder im geschilderten Sinne erkennbar wa426 S. auch BGH v. 30.10.1958 – II ZR 253/56, GmbHR 1959, 69. 427 OLG Hamburg v. 26.11.1999 – 11 U 182/98, GmbHR 2000, 1263. 428 RGZ 89, 396; RG, DR 1941, 508; BGH v. 30.10.1958 – II ZR 253/56, NJW 1959, 194; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, AG 1969, 46 = BB 1968, 1400; BGH v. 31.5.1976 – II ZR 185/74, WM 1976, 736; OLG Frankfurt v. 27.5.2008 – 5 U 190/07; OLG Frankfurt v. 9.3.2010 – 14 U 52/09; OLG München v. 27.2.2013 – 7 U 4465/11, GmbHR 2013, 813; h.L.; z.B. Feine, S. 501; Zöllner, Schranken …, S. 206; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 41 (etwas undeutlich in der Frage Kenntnis/Erkennbarkeit); Römermann in Michalski u.a., Rz. 280. 429 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 147; Römermann in Michalski u.a., Rz. 281. 430 Vgl. auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 148; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 42. 431 Ähnlich Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 41. 432 BGH v. 30.10.1958 – II ZR 253/56, NJW 1959, 194 m.N.; OLG Hamburg v. 26.11.1999 – 11 U 182/98, GmbHR 2000, 1263 (L); Altmeppen, § 43 Rz. 123; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 41; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 74. 433 Vgl. BGH v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94, 324, 326 = NJW 1986, 129 f. = GmbHR 1985, 356; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 74; s. auch Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 41. 434 BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, AG 1969, 46 = BB 1968, 1400. 435 Ähnlich Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 74.

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§ 46 Rz. 94 | Aufgabenkreis der Gesellschafter ren, nehmen an der gesetzlichen Präklusion (Rz. 89) nicht teil. Dass der Vorgang, auf den Ersatzansprüche gestützt werden sollen, aus den den Gesellschaftern bei der Entlastungsentscheidung unterbreiteten Unterlagen nicht oder nur mit wesentlichen Unvollständigkeiten erkennbar war, kann die Gesellschaft dem sich auf Entlastung berufenden Geschäftsführer ohne weiteres, vor allem ohne besondere Anfechtung nach §§ 123, 142 f. BGB, entgegenhalten436. Ausnahmsweise fehlt der Entlastung trotz Erkennbarkeit die Verzichtswirkung, wenn die Entlastung erschlichen ist437. Soweit der Geschäftsführer oder in seinem Interesse die Mehrheit relevante Tatsachen verschleiert hat, kann die Entlastungswirkung trotz Erkennbarkeit dieser Tatsachen entfallen438. Deshalb wirkt die Entlastung nicht, wenn der Geschäftsführer Bedenken der Gesellschafter durch unwahre Angaben zerstreut hat439. Dieser Fall ist demjenigen, dass die Gesellschafter Bedenken zurückgestellt und auf letzte Klärung verzichtet haben, nicht gleichzustellen. c) Rechtsfolgenseite 94a Innerhalb des Gegenstands der Beschlussfassung erstreckt sich die Präklusionswirkung über

Ersatzansprüche hinaus auf andere Sanktionen, schließt z.B. die außerordentliche Kündigung wegen der von der Entlastung betroffenen Handlungen aus440. Auch müssen aus der Geschäftsführung resultierende Ansprüche, die von der Präklusionswirkung umfasst sind, nicht Schadensersatzansprüche sein. Die Entlastungswirkung umfasst Ersatzansprüche auf jeder Rechtsgrundlage, soweit sie Resultat der Geschäftsführung sind441. Mit erfasst sind z.B. Bereicherungsansprüche442, Erstattungsansprüche (z.B. im Fall unangemessener Reiseaufwendungen), Ansprüche auf Herausgabe von Erträgen aus Verstößen gegen ein Wettbewerbsverbot443 sowie auch die zum Hauptanspruch gehörigen Hilfsrechte444, nicht allerdings Auskunftsansprüche über unbekannt gebliebene Pflichtwidrigkeiten. Die Entlastung befreit nur von den auf die Vergangenheit zielenden Sanktionen, nicht z.B. von der Pflicht des Geschäftsführers, Nachteile von der Gesellschaft abzuwenden, die künftig aus dem den Gegenstand der Entlastung bildenden Verhalten drohen445. d) Unverzichtbare Ansprüche 95 Im Gläubigerinteresse von der Präklusionswirkung ausgeschlossen sind Sanktionen, an de-

nen auch ein Weisungsbeschluss der Gesellschafter nichts ändern würde446. Das gilt namentlich für Ansprüche wegen Verstoßes des Geschäftsführers gegen die Grundsätze der Kapi436 RG, DR 1941, 506. 437 RG, DR 1941, 508; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 39, s. auch RGZ 152, 282. 438 Altmeppen, Rz. 55; Römermann in Michalski u.a., Rz. 282; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39. 439 OLG Frankfurt v. 9.3.2010 – 14 U 52/09; unrichtig LG Essen v. 7.12.1982 – 45 O 164/81, GmbHR 1983, 221, 223. 440 BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; Altmeppen, Rz. 56; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 39; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 35. 441 BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 382, 385 f. = GmbHR 1986, 260; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 35. 442 BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 382 = GmbHR 1986, 260; Altmeppen, Rz. 56 (nicht ohne Zweifel). 443 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149. 444 Römermann in Michalski u.a., Rz. 288; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73. 445 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, GmbHR 1977, 129; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151. 446 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 43 Rz. 67.

952 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 96 § 46

talsicherung (Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung) und wegen Insolvenzverschleppung von der Präklusionswirkung ausgenommen447. Insbesondere befreit eine von allen Gesellschaftern einmütig beschlossene dem § 30 zuwiderlaufende Ausschüttung den Geschäftsführer nicht von der Haftung aus § 43. Es kommt hierfür anders als im Fall eines Generalbereinigungsvertrags (Rz. 105), nicht, wie nach § 43 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 9b Abs. 1, darauf an, ob die Geltendmachung im konkreten Fall für die Gläubigerbefriedigung erforderlich ist448. Gleiches gilt für den Ersatz von Insolvenzverschleppungsschäden (§ 823 Abs. 2 BGB, §§ 15a, 92 InsO) und für den Ersatz masseschmälernder Zahlungen (§ 15b InsO; bis 2020 § 64 GmbHG a.F. und dazu Erl. 12. Aufl., § 64)449. Diese Ansprüche sind a limine indisponibel und auch durch Entlastung nicht präjudiziert450. Wegen anderer Maßnahmen, die nicht gegen die zwingende Kapitalsicherung verstoßen, können die Geschäftsführer dagegen grundsätzlich auf die Präklusionswirkung der Entlastung vertrauen. Die mit jeder Schmälerung des Gesellschaftsvermögens verbundene abstrakte Gläubigergefährdung ändert daran nichts. Dagegen hindern gesetzliche Erlass- oder Verzichtsverbote die haftungsbefreiende Wirkung451. Wenn eine Schadensersatzleistung zur Gläubigerbefriedigung erforderlich – die Gesellschaft insbesondere schon überschuldet – ist, tritt auch in diesen Fällen keine Präklusionswirkung ein (arg. § 43 Abs. 3 Satz 3)452. Im Übrigen kann die Entlastung, auch ohne dass der Präklusion eine rechtsgeschäftliche Natur beigegeben wird, eine nach §§ 129 ff. InsO anfechtbare „Rechtshandlung“ sein (Rz. 91). Im Insolvenzverfahren der Gesellschaft können die Gesellschafter keine Verzichtswirkung durch Entlastungsbeschluss mehr herbeiführen (vgl. Auch 12. Aufl., § 45 Rz. 17 sowie 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 193).

4. Der Entlastungsbeschluss a) Tagesordnung und Beschlussantrag Eine Entlastungsentscheidung kann auf die Tagesordnung jeder ordentlichen oder außer- 96 ordentlichen Gesellschafterversammlung gesetzt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Gesellschafter den Entlastungszeitraum überblicken können453. Obwohl Entlastungsbeschlüsse auslegungsfähig sind (Rz. 92), sollte die Einberufung der Versammlung den Tagungspunkt mit dem Stichwort „Entlastung“ bennenen und möglichst auch keinen Zweifel am Umfang der zu treffenden Entlastungsentscheidung lassen (Beispiel: Geschäftsjahr xy). Im Hinblick auf die notwendige Entscheidungsreife454 können bestimmte Vorgänge von der Beschlussankündigung auszunehmen sein. Üblich ist die periodische Entlastung je für ein Geschäftsjahr. Dann ist der Tagesordnungspunkt „Entlastung des Geschäftsführers (bzw. der Geschäftsführung)“ in der Tagesordnung ohne weiteres hinreichend bestimmt (zusätzliche Präzisierung allerdings immer ratsam). Ein Beschluss nur über die Feststellung des Jahresabschlusses wirkt nicht ohne weiteres entlastend (Rz. 15, 92)455. Ein im Zusammenhang hiermit ge447 Der hier vertretenen Ansicht zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151; a.M. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75 a.E. 448 So schon hier 6. Aufl.; Angaben bei Römermann in Michalski u.a., Rz. 292; a.M. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75 a.E.; A. Hueck, GmbHR 1959, 193. 449 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75; Holthausen, GmbHR 2019, 634, 637. 450 So wohl auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151. 451 Vgl. auch Altmeppen, Rz. 57; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 41. 452 Insofern ebenso BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 382, 389 = GmbHR 1986, 260; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75. 453 BGH v. 4.5.2009 – II ZR 169/07, GmbHR 2009, 1327 = ZIP 2009, 2195. 454 Vgl. ebd. 455 RGZ 112, 26; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 40.

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§ 46 Rz. 96 | Aufgabenkreis der Gesellschafter fasster Entlastungsbeschluss ist konkludent auf das betreffende Geschäftsjahr bezogen. Wird einheitlich über Bilanzfeststellung und Entlastung beschlossen, so kann sich die Anfechtung des Bilanzfeststellungsbeschlusses im Einzelfall auch auf den Entlastungsbeschluss auswirken456. Der Beschlussantrag lautet dahin, dem Geschäftsführer bzw. den Geschäftsführern oder einem bestimmten Geschäftsführer Entlastung zu erteilen. Ob der Antrag im Rahmen der Tagesordnung sachlich und persönlich ungeteilt oder geteilt gestellt wird (Gesamt- oder Einzelentlastung), steht im Ermessen des Versammlungsleiters457. Das Ermessen ist ggf. so auszuüben, dass Stimmverbote (Rz. 97) nicht umgangen werden können (vgl. auch Rz. 98). Nach RGZ 55, 76 ist über Entlastung des Organs im Ganzen, nicht seiner einzelnen Mitglieder abzustimmen, womit alle Geschäftsführer bei der Entlastung der übrigen vom Stimmrecht ausgeschlossen wären458. RGZ 65, 243 zeigt dann aber, dass zu unterscheiden ist (vgl. schon Rz. 93). Es gibt die Gesamtentlastung eines Organs („des Aufsichtsrats“, „der Geschäftsführung“), aber auch die Entlastung einzelner Organmitglieder. b) Beschlussfassung und Stimmverbot 97 Beschlossen wird mit einfacher Mehrheit459. Findet sich diese Mehrheit nicht, so ist die Ent-

lastung verweigert (Rz. 100). Zum Entlastungsermessen der Mehrheit vgl. Rz. 99. Dabei hat der zu Entlastende, auch wenn er Gesellschafter ist, kein Stimmrecht (§ 47 Abs. 4), wohl aber jeder andere Gesellschafter, auch wenn er im Entlastungszeitraum mit der GmbH kontrahiert hat (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 152)460. Es kommt nicht darauf an, ob der Beschluss als Entlastung bezeichnet ist (vgl. Rz. 92). Es kommt darauf an, ob der Sache nach eine Entlastung beschlossen werden soll, was z.B. auch bei der „Genehmigung“ bestimmter Geschäfte der Fall sein kann461. Über Gesamtentlastung und Einzelentlastung sowie zum diesbezüglichen Ermessen vgl. Rz. 96462. Bei der Entscheidung über die Entlastung des Geschäftsführers A kann aber auch beim Beschluss über eine Einzelentlastung der Geschäftsführer B nicht ohne weiteres mitstimmen463. Es kommt auf den objektiven Gegenstand der Entlastungsentscheidung an. Dass bei einer Gesamtentlastung alle Gesellschafter-Geschäftsführer betroffen und vom Stimmrecht ausgeschlossen sind, liegt auf der Hand (12. Aufl., § 47 Rz. 134)464. Im Fall der Einzelentlastung schließt eine Literaturansicht gleichfalls alle Geschäftsführer vom Stimmrecht aus465. Die h.M. differenziert: Nach ihr sind die anderen Gesellschafter-Geschäftsführer bei

456 RGZ 112, 26; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 40. 457 Vgl. sinngemäß (Entlastung des Aufsichtsrats bei AG) BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272 = NZG 2009, 1270. 458 Vgl. sinngemäß BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21 = GmbHR 1989, 329. 459 Vgl. nur Eickhoff, Die Praxis der Gesellschafterversammlung, 4. Aufl. 2006, Rz. 278 ff., 11 ff.; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 70. 460 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, GmbHR 1977, 129; OLG Nürnberg v. 18.2.1975 – 7 U 222/71, GmbHR 1975, 111 = MDR 1975, 761. 461 RGZ 106, 263; RGZ 115, 250 f. 462 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 155; Zöllner, Schranken, S. 200 ff.; vgl. auch § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG und dazu etwa Spindler in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 120 AktG Rz. 19–29. 463 Vgl. auch Altmeppen, Rz. 62; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 77; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 155 f.; tendenziell anders Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 41 und § 47 Rz. 82; grundlegend Herzfelder, Stimmrecht und Interessenkollision, 1927, S. 112; Zöllner, Schranken, S. 201 ff. 464 OLG München v. 18.7.1991 – 24 U 880/90, NJW-RR 1993, 1507. 465 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 47 Rz. 77 (unter Nennung mehrerer Stimmen für diese Auffassung).

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 99 § 46

der Einzelentlastung stimmberechtigt, wenn sie von der Beschlussfassung auch materiell nicht betroffen sind (d.h. auch nicht aufgrund der Gesamtverantwortung)466. Doch wird eine Einzelentlastung grundsätzlich nur in Betracht kommen, wenn über einzelne Maßnahmen einzelner Geschäftsführer beschlossen wird, bei denen die anderen nicht einmal durch stillschweigende Zustimmung mitgewirkt (vielleicht sogar opponiert) haben467. Manipulationen bei der Beschlussfassung, die das Stimmrecht einzelner Geschäftsführer zum Schein wiederherstellen, sind unzulässig und beseitigen das Stimmverbot nicht (vgl. auch 12. Aufl., § 47 Rz. 133 f., 149). Das dürfte seit BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = BB 1986, 1252 = NJW 1986, 2250 unstreitig sein. Wenn alle Gesellschafter Geschäftsführer sind, stimmen bei der Gesamtentlastung alle Gesellschafter (vgl. zum Stimmrecht bei allseitigem Betroffensein 12. Aufl., § 47 Rz. 106, 153), bei der Einzelentlastung alle nicht betroffenen Gesellschafter mit468. c) Beschlussumfang Beschlussanträge mit Bezug zur Entlastung können auch hinsichtlich einzelner Vorgänge 98 oder Zeiträume getrennt werden (Rz. 92), was vorbehaltlich des Missbrauchsverbots und unbeschadet der Ausführungen zum Stimmverbot (vgl. Rz. 96, 97) zulässig ist. Entlastungsanträge können, wenn der Informationsstand nicht ausreicht (vgl. Rz. 94), geteilt und auch ganz oder teilweise zurückgestellt werden. Nicht nur subjektive Teilentlastung, sondern auch objektive Teilentlastung ist möglich („Entlastung vorbehaltlich der Vorgänge um das Immobiliengeschäft in Spanien“). Auch hierfür bedarf es eines entsprechenden Beschlussantrags. Wird uneingeschränkt Entlastung beantragt, so kann dieser Antrag nur insgesamt angenommen oder abgelehnt werden (Teilentlastung dann nur aufgrund besonderen, auch konkludenten Antrags). d) Fehlerhafte Entlastung Die Präklusion von Ersatzansprüchen kann unter folgenden Voraussetzungen wegen Un- 99 wirksamkeit des Entlastungsbeschlusses entfallen469. Der Entlastungsbeschluss kann insbesondere nichtig oder wirksam angefochten sein (12. Aufl., § 45 Rz. 107, 149)470. Bei faktischem Zusammenhang mit einem Bilanzfeststellungsbeschluss (Rz. 96) kann dessen Anfechtung u.U. die Anfechtung der Entlastung einschließen (12. Aufl., § 45 Rz. 42)471. Ein auf Nichtigkeit des Entlastungsbeschlusses lautendes Anerkenntnisurteil braucht der entlastete Geschäftsführer nicht ohne weiteres gegen sich gelten zu lassen, wenn es ohne seine Beteiligung ergangen ist (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 159)472. Eine Anfechtung des Entlastungsbeschlusses folgt den bei 12. Aufl., § 45 Rz. 93 ff., 127 ff. dargestellten Regeln. Sie kommt zunächst aus Verfahrensgründen in Betracht (Beispiel: Mitzählung ausgeschlossener Stimmen)473. Wichtiger, aber auch schwieriger sind sachliche Anfechtungsgründe. Der Entlas466 Vgl. mit Unterschieden BGH v. 21.9.2009 – II ZR 174/08, BGHZ 182, 272, 280 = NZG 2009, 1270, 1271 f. = AG 2009, 824 (AG-Aufsichtsrat); OLG Köln v. 10.3.1999 – 5 U 43/97, NZG 1999, 1112, 1115 (Beirat); Altmeppen, Rz. 62; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 187; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 47 Rz. 82; Semler in FS Zöllner I, S. 561 f. 467 Vgl. Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 156. 468 Zöllner, Schranken, S. 205. 469 Zum Folgenden näher Karsten Schmidt, ZGR 1978, 435 f. 470 Vgl. RG, DR 1941, 506; BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 714; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 77; A. Hueck, GmbHR 1953, 193 f. 471 RGZ 112, 26; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 77. 472 Vgl. im Ergebnis BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, NJW 1975, 1273. 473 Vgl. etwa OLG Hamm v. 26.2.2003 – 8 U 110/02, GmbHR 2003, 843, 845.

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§ 46 Rz. 99 | Aufgabenkreis der Gesellschafter tungsbeschluss ist eine Ermessensentscheidung der abstimmenden Gesellschafter474. Vor allem die Würdigung der Tatsachen obliegt der Beurteilung der Gesellschafter475. Der Beschluss ist nicht schon deshalb anfechtbar, weil es Gründe gegeben hätte, die Entlastung wegen einer Pflichtwidrigkeit des Geschäftsführers zu verweigern476. Von einem freien Belieben der Gesellschafter (was praktisch bedeuten würde: der Gesellschaftermehrheit) kann aber nicht gesprochen werden477. Der Beschluss ist anfechtbar, wenn Missbrauch der Mehrheitsherrschaft (12. Aufl., § 45 Rz. 107 f.) vorliegt, so bei Kollusion zwischen der Mehrheit und dem Geschäftsführer478, oder wenn Entlastung wegen der Schwere der Pflichtwidrigkeit unvertretbar ist479. Anfechtbar ist der Entlastungsbeschluss vor allem, wenn die Gesellschafter kraft Treupflicht verpflichtet gewesen wären, an Stelle der Entlastung einen Beschluss nach § 46 Nr. 8 zu fassen (Rz. 153)480. Für die Anfechtbarkeit kann es aber auch ausreichen, wenn die Gesellschafter im Beschlusszeitpunkt nicht in der Lage waren, entlastungsrelevante Vorgänge zu überblicken481. Das Rechtsschutzinteresse an einem gerichtlichen Anfechtungsurteil entfällt nicht schon dann, wenn eine haftungsbefreiende Wirkung nach Rz. 94 zu verneinen, der Entlastungseinwand des Geschäftsführers also auch bei Fortbestand des Entlastungsbeschlusses unbegründet ist (Bedürfnis nach Beseitigung der Rechtsunsicherheit!). Dagegen unterliegt die Entlastung nicht den Grundsätzen der §§ 119 ff. BGB über die Anfechtbarkeit von Willenserklärungen (Rz. 91). Die Entlastungswirkung kann auch nicht wie die eines negativen Schuldanerkenntnisses nach § 812 BGB beseitigt werden, nur weil sich herausstellt, dass wider Erwarten doch Ersatzansprüche bestanden482. Dieser Abhilfe bedarf es auch nicht, wenn Ersatzansprüche auf bisher unbekannt gebliebene Fakten gestützt werden, auf die sich die Entlastung nicht erstreckt (Rz. 94). Im Übrigen kann die Präklusionswirkung eines Entlastungsbeschlusses nach den für fehlerhafte Beschlüsse geltenden Regeln beseitigt werden (Rz. 99), nicht z.B. nach §§ 119 ff. BGB483. Zweifelhaft ist, inwieweit dem Geschäftsführer ohne vorgeschalteten Anfechtungsprozess die bloße Anfechtbarkeit des Beschlusses entgegengehalten werden kann (dazu allg. 12. Aufl., § 45 Rz. 124). Allerdings müssen es sich die Gesellschafter im Rahmen von § 242 BGB entgegenhalten lassen, wenn sie eine Klärung der Entlastungsfolgen versäumen.

474 BGH v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94, 324, 327 = GmbHR 1985, 356; OLG Köln v. 2.6.1999 – 5 U 196/98, NZG 1999, 1228, 1229; OLG Frankfurt v. 23.5.2019 – 5 U 21/18, GmbHR 2019, 940, 944; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 143; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 43. 475 Vgl. BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, GmbHR 1986, 260, 261; OLG München v. 18.7.1991 – 24 U 880/90, NJW-RR 1993, 1507, 1508, 1509; zum Beirat vgl. BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21 = GmbHR 1989 329. 476 So wohl auch OLG Köln v. 2.6.1999 – 5 U 196/98, NZG 1999, 1228; strenger OLG Hamm v. 29.6.1992 – 8 U 279/91, GmbHR 1992, 802, 803. 477 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 43. 478 Vgl. BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, GmbHR 1977, 129. 479 Vgl. BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 714; zum Aktienrecht BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 51 = AG 2003, 273 – Macrotron; OLG Düsseldorf v. 22.7.1993 – 6 U 84/92, DB 1993, 2222; OLG Frankfurt v. 23.5.2019 – 5 U 21/18, GmbHR 2019, 940, 944 f. (KG); Verstoß gegen §§ 311 ff. AktG; OLG Köln v. 9.7.2009 – 18 U 167/08, AG 2010, 219; strenger wohl OLG Hamm v. 29.6.1992 – 8 U 279/91, GmbHR 1992, 802, 803. 480 Vgl. OLG Köln v. 2.6.1999 – 5 U 196/98, NZG 1999, 1228, 1229; OLG Frankfurt v. 23.5.2019 – 5 U 21/18, GmbHR 2019, 940, 945 („nichtig“). 481 Vgl. BGH v. 4.5.2009 – II ZR 169/07, GmbHR 2009, 1327 = ZIP 2009, 2195. 482 RG, JW 1926, 2904 f. m. Anm. Bing; RG, DR 1941, 208 m. Anm. Dietrich; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76; A. Hueck, GmbHR 1959, 194; Schönle, ZHR 126 (1964), 218. 483 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 101 § 46

5. Entlastungsverweigerung und Entlastungsklage a) Verweigerung der Entlastung Die Entlastungsverweigerung ist eine negative Sachentscheidung über den Entlastungs- 100 antrag. Sie ist von einem bloßen Aufschub der Entscheidung zum Zweck besserer Sachverhaltsklärung zu unterscheiden. Verweigerung der Entlastung ist Missbilligung der Geschäftsführung und Versagung der mit der Entlastung angestrebten Verzichtswirkung. Aus der Entlastungsverweigerung ergibt sich nicht in jedem Fall, dass sich die Gesellschaft eines bestimmten Anspruchs berühmt484. Folge der Entlastungsverweigerung ist nach Lage des Falls ein Recht zur Amtsniederlegung und ein außerordentliches Kündigungsrecht des Geschäftsführers nach § 626 BGB485. Darauf, ob die Entlastung zu Recht oder zu Unrecht verweigert wurde, kommt es hierfür nicht an. Wenn die Entlastungsablehnung nicht bloß eine beiläufige Einzelhandlung, sondern die Geschäftsführung als solche betrifft, genügt die hierin liegende Misstrauenskundgabe als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung seitens des Geschäftsführers486. Die wohl vorherrschende Gegenansicht487 verkennt, dass die Unzumutbarkeit einer Fortsetzung aus der Sicht des Geschäftsführers den Ausschlag gibt488. Diese Sichtweise will keine Pauschallösung postulieren und verweigert sich nicht einer bei Fragen des „wichtigen Grundes“ unerlässlichen Einzelfallwürdigung. Wenn die Gesellschafter eine Amtsniederlegung vermeiden wollen, müssen sie die Entlastungsentscheidung aufschieben oder die Entlastungsverweigerung zumutbar dosieren oder sich der Fortsetzungswilligkeit auf der Seite des Geschäftsführers vergewissern. Anderes gilt für eventuelle Schadensersatzansprüche nach § 628 BGB. Für diese kommt es darauf an, ob die Entlastung zu Unrecht versagt wurde489. Dagegen hat der Geschäftsführer kein Anfechtungsrecht gegen den einen Entlastungsantrag ablehnenden Beschluss490. b) Kein Anspruch auf Entlastung Eine früher herrschende Auffassung gestand dem ordnungsmäßig handelnden Organträger 101 „ein Recht auf Entlastung“ zu491, das allerdings Beibringung aller für die Entlastungsentscheidung erforderlichen Unterlagen durch den Geschäftsführer voraussetze492. Der Entlastungsanspruch wurde verneint, solange die Gefahr naheliegen konnte, dass er der GmbH durch seine Pflichtverletzung einen Schaden zugefügt hatte493. Wo dies nicht der Fall war, billigte diese Auffassung dem Geschäftsführer einen Entlastungsanspruch zu. Diese her-

484 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 158; Breit, JW 1917, 658. 485 Karsten Schmidt, ZGR 1978, 439. 486 Die Störung des Vertrauensverhältnisses genügt; Karsten Schmidt, ZGR 1978, 425, 439; a.M. insoweit Altmeppen, Rz. 65; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 43; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 83; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 159; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 48. 487 Vgl. ebd. 488 Deutlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 159. 489 Insoweit wohl allg. M. 490 Feine, S. 502; W. Schmidt in Hachenburg, 6. Aufl., Rz. 25; vgl. jetzt auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162. 491 RGZ 89, 396 = JW 1917, 657 m. Anm. Breit; Brodmann, Rz. 6k; Feine, S. 502; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 338; Sudhoff, S. 97; immer noch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 46; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 80; früher auch Fischer/Lutter/Hommelhoff, 12. Aufl. 1987, Rz. 12; Koppensteiner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, 1. Aufl. 1985, Rz. 25; A. Hueck, GmbHR 1959, 190 f.; Brox, BB 1960, 1226; Buchner, GmbHR 1988, 14. 492 OLG Celle, OLGE 27, 350 f. 493 RG, GmbHRspr. IV, Nr. 30 zu § 46 GmbHG.

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§ 46 Rz. 101 | Aufgabenkreis der Gesellschafter kömmliche Auffassung wird nur noch vereinzelt vertreten494. Sie wurde hier in der 6. Aufl. und in ZGR 1978, 425 vom Verfasser zurechtgerückt495. Ein gesetzlicher Anspruch auf Entlastung besteht nicht. Vielmehr unterliegt die Berechtigung des Entlastungsantrags der Einschätzung der Gesellschafter496. Das angebliche „Recht auf Entlastung“ besagt nur, dass eine Entlastungsverweigerung Rechtsverletzung sein kann497. Unverkennbar muss der Geschäftsführer gegen „Persönlichkeitseingriff“, „Diskriminierung“ und „Ansehensverlust“ geschützt werden (vgl. Rz. 100)498. Aber daraus ergibt sich kein klagbarer Anspruch auf Entlastung (Rz. 102)499. Ein solcher Anspruch kann nur durch eine Satzungsklausel begründet werden500. Die hier vertretene Auffassung hat sich mit dem Urteil BGHZ 94, 324 = NJW 1986, 129 in ihren wesentlichen Elementen durchgesetzt501. Die noch vernehmbaren Gegenstimmen502 müssten eine Klage auf den Entlastungsbeschluss zulassen, innerhalb derer sodann das Nichtbestehen aller von der Entlastungswirkung betroffenen Rechte der Gesellschaft (Rz. 94) zu prüfen wäre503. c) „Entlastungsklage“ 102 Die sog. Entlastungsklage kann nur Feststellungsklage, nicht Leistungsklage sein504. Nach

der bis 1985 vorherrschenden, heute noch vertretenen Lehre vom „Recht auf Entlastung“ als Leistungsanspruch (dagegen Rz. 101) kann auf Abgabe der Entlastungserklärung geklagt werden505. Vollstreckung soll nach § 894 ZPO erfolgen, d.h. die Entlastungserklärung gilt

494 Vgl. noch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 81; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 46; Buchner, GmbHR 1988, 9, 14; einschr. Beuthien, GmbHR 2014, 799 (Anspruch auf Entscheidung über Entlastungsantrag). 495 Dazu auch mit umgekehrten Vorzeichen Zöllner in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, Rz. 46 Fn. 113: „Die unglückliche Neuentwicklung hat K. Schmidt auf dem Gewissen“. 496 Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, GmbHR 1996, 689, 693 = ZIP 1996, 1083, 1088: „breite Spanne des Ermessens“. 497 Dass dies hier verkannt wird, meinen Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 81. 498 Das wird angemahnt bei Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 46; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 81. 499 Entgegen Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 78 stützt sich die hier entwickelte Auffassung nicht lediglich auf die nicht-rechtsgeschäftliche Natur der Entlastung; es handelt sich um verschiedene, wenn auch zusammenhängende Rechtsfragen. 500 Formulierungsvorschlag bei Holthausen, GmbHR 2019, 634, 638. 501 OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, DB 1996, 974, 975; Knoche, S. 55 ff.; Altmeppen, Rz. 64; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Norbert Meier, GmbHR 2004, 111, 112; Meyer-Landrut, Rz. 28; Römermann in Michalski u.a., Rz. 307 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 43; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164 ff.; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 78 f.; abl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 46; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 37; Weitemeyer, ZGR 2005, 280, 304 f. 502 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 46; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 81 f. 503 Auseinandersetzung mit RGZ 89, 396 = JW 1917, 657 m. Anm. Breit bei Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82; im Übrigen würde auch hier der Einwand von Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 47 gelten: „Wie groß müsste der Lastwagen sein, der diese Unterlagen herbeischafft …“. 504 BGH v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94, 324 = NJW 1986, 129 im Anschluss an Karsten Schmidt, ZGR 1978, 439 ff. und an die 6. Aufl. dieses Kommentars; vgl. dazu Jacobs, Der Gegenstand des Feststellungsverfahrens, 2005, S. 462 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 43; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164 f.; Karsten Schmidt, GesR, § 14 VI 3; Tellis, S. 115 ff.; Tellis, GmbHR 1989, 116 f.; Ahrens, ZGR 1987, 129 ff.; a.M. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 81; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 46; Buchner, GmbHR 1988, 14. 505 Brodmann, Rz. 6k; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 46; Flechtheim, JW 1920, 700; A. Hueck, GmbHR 1959, 191; Buchner, GmbHR

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nach Rechtskraft des Urteils als abgegeben506 bzw. der richtigerweise ausschlaggebende Beschluss als ersetzt507. Diese Auffassung geht zurück auf das Urteil RGZ 89, 396 = JW 1917, 657 m. Anm. Breit, wo sie für das alte Aktienrecht entwickelt wurde508. Die daran anknüpfende früher h.M. sieht hierin einen wesentlichen Unterschied der GmbH-Entlastung gegenüber dem heutigen Aktienrecht, wo sie mangels Rechtsschutzinteresses die Entlastungsklage für unzulässig hält. Im Einklang mit dem Urteil BGH v. 20.5.1985 – II ZR 165/84, BGHZ 94, 324 = GmbHR 1985, 356, ist demgegenüber festzuhalten: Die Entlastungsklage kann nicht Leistungsklage sein, sondern nur negative Feststellungsklage509. Der Sache nach war schon die vom RG zugelassene Klage überhaupt keine Leistungsklage auf Erteilung der Entlastung. Einen Anspruch auf Billigung der Geschäftsführung und auf Vertrauenskundgabe kann es vernünftigerweise nicht geben, und ebenso wenig gibt es einen Anspruch auf den Erlass von Ersatzansprüchen der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer. Im Recht der GmbH ist die Beschlussfassung über den Entlastungsantrag Teil der Kontrolle der Gesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer, nicht Erfüllung eines ihm zustehenden Anspruchs ihm gegenüber. Blickt man statt auf die Formulierungen auf die Sache, so stellte auch die von RGZ 89, 396 = JW 1917, 657 m. Anm. Breit zugelassene Entlastungsklage funktionell eine negative Feststellungsklage dar, und genau so, also ganz anders als bei einer von der Versammlung beschlossenen Entlastung, hat das Gericht auch die Wirkungen des der „Entlastungsklage“ stattgebenden Urteils beschrieben und in weiser Vorausschau die der hier vertretenen Ansicht untergeschobenen „fatalen“ Folgen für die Darlegungs- und Beweislast der „Entlastungskläger“510 explizit zurückgewiesen. Für diese de-facto-Feststellungsklage gilt allerdings die Besonderheit, dass ein Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO) schon aufgrund der Versagung der Entlastung besteht511: Es ist nicht erforderlich, dass sich die Gesellschaft eines Anspruchs gegen den Geschäftsführer berühmt. Stattgegeben werden kann der negativen Feststellungsklage allerdings nur, soweit der Geschäftsführer seinen Vorlagepflichten entsprochen hat. Insoweit kann er aber auch im Rechtssicherheitsinteresse verlangen, dass das Nichtbestehen von Ansprüchen mit Bezug auf umstrittene Vorgänge oder auf den kritischen Entlastungszeitraum festgestellt wird. Dieses Feststellungsbegehren war der gute Sinn der angeblichen Entlastungsklage nach der älteren Rechtsprechung512. Der von ihr bewirkte Rechtsschutz für den GmbH-Geschäftsführer sollte bewahrt und nicht aufgrund aktueller Erkenntnis einfach beiseitegelegt werden. Man sollte also dem Geschäftsführer, der die für die negative Feststellung erforderlichen Unterlagen beibringt, aus dem Sonderrechtsverhältnis zur Gesellschaft nach der Entlastungsverweigerung ein Interesse an der Feststellung zuerkennen, dass sich aus den dargelegten Vorgängen keine Schadensersatzpflicht ergibt513. Enger entscheidet freilich in diesem Punkt das Urteil BGHZ 94, 324 = NJW 1986, 129: Haben die Gesellschafter den Geschäftsführer wegen konkret bezeichneter Pflichtverletzungen und daraus hergeleite-

506 507 508 509 510 511 512

513

1988, 14; s. auch Nefling, NJW 1959, 1667; zum Recht der Genossenschaft OLG Hamburg, BB 1960, 997 = AG 1960, 230. Vgl. nur Brodmann, Rz. 6k; Feine, S. 502; Münzberg in Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 894 ZPO Rz. 1; Flechtheim, JW 1920, 700. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82. S. auch OLG Celle, OLGE 27, 350 f. So iIm Anschluss an ZGR 1978, 439 ff. hier schon die 6. Aufl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 47: „Wie groß müsste der Lastwagen sein, der diese Unterlagen herbeischafft …“. Karsten Schmidt, ZGR 1978, 439 ff. Vgl. ebd.; eine nur „begrenzte Sinnhaftigkeit der negativen Feststellungsklage“ (Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 47) ist nicht zu erkennen, noch weniger, dass im Verhältnis zu einer Entlastungsklage eine „umfassende Negativfeststellung zu weit führen würde“ (so umgekehrt Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 47). Karsten Schmidt, ZGR 1978, 443 ff.; abl. Jacobs, Der Gegenstand des Feststellungsverfahrens, 2005, S. 463; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 47.

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§ 46 Rz. 102 | Aufgabenkreis der Gesellschafter ter Ersatzansprüche nicht entlastet, so hat der Geschäftsführer nach dieser Entscheidung ein die Klage rechtfertigendes Feststellungsinteresse nur, soweit es darum geht, dass die bezeichneten Ansprüche nicht bestehen; eine weitergehende Feststellung, dass der Gesellschaft aus einer Entlastungsperiode auch sonstige Ansprüche, derer sie sich nicht berühmt hat, nicht zustehen, kommt dann nach Ansicht des BGH nicht in Betracht514. Der Bundesgerichtshof besteht also hinsichtlich des Feststellungsinteresses bei der negativen Feststellungsklage auf dem konventionellen Erfordernis, dass sich die Beklagte (Gesellschaft) bestimmter Ansprüche berühmt haben muss. Dass die Klage einen Beschluss, den Geschäftsführer nach § 46 Nr. 8 zu belangen, voraussetzt, kann damit schwerlich gemeint sein. Soweit die Auffassung des BGH als Schmälerung des Rechtsschutzes kritisiert wird515, ist Abhilfe in der Zuerkennung eines Feststellungsinteresses (§ 256 ZPO) bei Entlastungsverweigerung zu suchen, nicht in einer Rückkehr zur Entlastungsklage. Der BGH hat allerdings offengelassen, ob die erweiterte Feststellungsklage ohne Anspruchsberühmung dann zulässig ist, wenn die Entlastung ohne Begründung oder pauschal unter allgemeinem Hinweis auf Schadensersatzansprüche abgelehnt wird516. Die Anerkennung eines Feststellungsinteresses scheint in diesen Fällen besonders naheliegend517, eine Begrenzung auf diese Fälle aber kaum haltbar. Nachdem der BGH das Feststellungsinteresse in casu ganz auf die Anspruchsberühmung beschränkt hat, läge es wohl in der Konsequenz dieses Ansatzes, wenn er eine negative Feststellungsklage in den noch offengelassenen Fällen für unzulässig erklärte. Dem wäre nicht zu folgen.

6. Generalbereinigung a) Tatbestand 103 Ein Generalbereinigungsvertrag zwischen der GmbH und einem Geschäftsführer muss von

der Entlastung unterschieden werden518. Im Gegensatz zur Entlastung (Rz. 87) ist Gegenstand des Generalbereinigungsvertrags die Ersatzpflicht des jeweiligen Vertragspartners (Geschäftsführers). Anders als beim Entlastungsbeschluss (Rz. 90 f.) geht es hier wirklich um einen schuldbereinigenden Vertrag, und zwar – je nachdem, ob vom Nichtbestehen oder vom Bestehen von Ersatzansprüchen ausgegangen wurde – um ein negatives Schuldanerkenntnis oder um einen Erlass- oder Verzichtsvertrag. Regelmäßig hat die Generalbereinigung in neuerlichem Gegensatz zur Entlastung, die in erster Linie die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung konstatieren soll und die Beseitigung von Ersatzansprüchen nur zur Folge hat, den Charakter eines negativen Schuldanerkenntnisses519 oder eines Erlassvertrags520.

514 Dem BGH zust. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 166; Meyer-Landrut, Rz. 28; Römermann in Michalski u.a., Rz. 312; referierend Altmeppen, Rz. 64; Ahrens, ZGR 1987, 138 ff.; Holthausen, GmbHR 2019, 634, 637 f. 515 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 81 ff. 516 Dazu aber Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28. 517 Die von Ahrens (ZGR 1987, 135) erwogene Klage des Geschäftsführers auf Erklärung über etwaige Anspruchsberühmung ist unpraktisch. 518 BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, GmbHR 1975, 182, 183; BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278; BGH v. 18.9.2000 – II ZR 15/99, GmbHR 2000, 1258, 1260; Karsten Schmidt, GesR, § 14 VI 4; h.M.; vgl. Altmeppen, Rz. 66; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 45; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 84; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 167 ff.; Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 76; Lelley, GmbHR 2000, 1260; Dicke, GmbHR 2019, 572 ff.; Holthausen, GmbHR 2019, 634, 635. 519 Zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169. 520 BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, GmbHR 1975, 182, 183; BGH v. 16.11.1967 – II ZR 235/65, WM 1968, 114 = BB 1968, 146; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 84; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 45; Lelley, GmbHR 2000, 1260; Janert, GmbHR 2003, 830, 831; Holthausen, GmbHR 2019, 634, 635.

960 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 105 § 46

Die Generalbereinigung ist von einem (eventuellen) Verzichtswillen getragen, und sie setzt alle Merkmale eines Vertragsschlusses zwischen der Gesellschaft und dem (den) individuellen Geschäftsführer(n) voraus. Insbesondere liegt keine Generalbereinigung, sondern eine bloße Information des Geschäftsführers vor, wenn eine Entlastung beschlossen und dem Geschäftsführer mitgeteilt wird (dazu Rz. 91)521. Ein Anspruch auf eine Generalbereinigung besteht grundsätzlich nicht. b) Kompetenz der Gesellschafter Voraussetzung einer wirksamen Generalbereinigung zwischen Gesellschaft und Geschäfts- 104 führer ist, dass die § 46 Nr. 5 und § 47 Abs. 4 respektiert und nicht umgangen werden. Deshalb ist ein solcher Erlassvertrag von der Annexkompetenz der Gesellschafter nach § 46 Nr. 5 und Nr. 8 umfasst und liegt außerhalb der Vertretungsmacht der Geschäftsführer (vgl. auch 12. Aufl., § 43 Rz. 351)522. Das gilt auch im Verhältnis zu einem ausgeschiedenen Geschäftsführer523. Es bedarf eines Gesellschafterbeschlusses (zum Stimmrechtsausschluss vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 136) und seiner Ausführung (vgl. auch zur Ausdehnung der § 46 Nr. 8 auf Verzichtsverträge Rz. 151). Wird ein Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss hiermit betraut, so schließt er den Generalbereinigungsvertrag aufgrund dieser besonderen Vollmacht und nicht im Rahmen seiner organschaftlichen Vertretungsmacht ab. Auch andere Personen, z.B. Prokuristen, können den Vertrag (nur) aufgrund einer entsprechenden Beschlussfassung als Bevollmächtigte der Gesellschaft abschließen524. Im Übrigen entscheiden über die Wirksamkeit des Geschäfts die allgemeinen Regeln des BGB (§§ 116 ff.) einschließlich der Vorschriften über die Anfechtung von Rechtsgeschäften (§§ 119 ff., 142 f. BGB)525. Der Gesellschafterbeschluss ist entgegen einer vereinzelten und missverständlichen Formulierung des BGH526 für die Wirksamkeit des Generalbereinigungsvertrages von Bedeutung: Fehlt der Beschluss, so ist der Generalbereinigungsvertrag unwirksam527. c) Rechtsfolge Die Folge einer wirksamen Generalbereinigung ergibt sich aus § 397 BGB. Den Umfang der 105 Verzichtswirkung bestimmt der Vertrag. Empfohlen (allerdings häufig nicht umgesetzt) wird eine möglichst präzise Ausformulierung528. Im Übrigen ist jeder Generalbereinigungsvertrag 521 Zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169. 522 Vgl. BGH v. 16.11.1967 – II ZR 235/65, WM 1968, 115: „organschaftlicher Charakter“; BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278; BGH v. 7.4.2003 – II ZR 193/02, GmbHR 2003, 712, 713; Altmeppen, Rz. 66; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 39; Fleischer/Wedemann, GmbHR 2010, 449, 450; Detaildiskussion (sehr kleinteilig) bei Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 172; Janert, GmbHR 2003, 830, 832; Dicke, GmbHR 2019, 572 ff. 523 BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278. 524 Vgl. sinngemäß (Übernahmevertrag) BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117, 120. 525 BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, GmbHR 1975, 182, 183; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 84; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 174; Römermann in Michalski u.a., Rz. 319; Janert, GmbHR 2003, 830, 832 f. 526 BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, GmbHR 1975, 182, 183; zust. Römermann in Michalski u.a., Rz. 324; Janert, GmbHR 2003, 830, 833. 527 Vgl. BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278; abl. Dicke, GmbHR 2019, 572, 577 (dies sei ein „Unwirksamkeitsdurchgriff“). 528 Vorschlag bei Holthausen, GmbHR 2019, 634, 636; unfreiwillig übertrieben bei Janert, GmbHR 2003, 830, 831: „alle denkbaren bekannten oder unbekannten Ansprüche der Gesellschaft gegenüber dem Geschäftsführer im Zusammenhang mit dessen Geschäftsführertätigkeit, unabhängig von ihrem Rechtsgrund und vom Zeitpunkt ihrer Entstehung, soweit ein solcher Verzicht rechtsgeschäftlich vereinbart werden kann“.

Karsten Schmidt | 961

§ 46 Rz. 105 | Aufgabenkreis der Gesellschafter auslegungsfähig529. Liegt echte Generalbereinigung vor, so sind – über die Entlastungswirkung hinaus – alle, nicht nur die erkennbaren Ersatzansprüche, betroffen530. Allerdings kann sich die Verzichtswirkung auch ohne dass dies ausdrücklich vereinbart ist, auf Ansprüche aus der Verletzung von Geschäftsführerpflichten beschränken531. Hat der zu Entlastende die Gesellschafter getäuscht, so kann eine Anfechtung des Vertrags nach §§ 142, 123 BGB helfen532. Eine gesetzliche Grenze der Verzichtswirkung ergibt sich aus § 43 Abs. 3 Satz 3533. Soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist, kann eine Generalbereinigung den Haftungsanspruch der GmbH ebenso wenig beseitigen wie eine Entlastung (vgl. sinngemäß Rz. 95). Für die Anfechtung im Insolvenzverfahren gelten die §§ 129 ff. InsO (Rz. 107). d) Privileg für Vergleichsverträge? 106 Für bereinigende Einzelverträge, insbesondere für Vergleichsverträge zwischen der Gesell-

schaft und den Geschäftsführern über streitige Ansprüche können die strengen Voraussetzungen einer Generalbereinigung nicht uneingeschränkt gelten. Ist z.B. nach § 46 Nr. 8 die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs beschlossen worden, so kann auch ein Prozessvergleich, den ein Geschäftsführer im Namen der klagenden GmbH abschließt, hierdurch gerechtfertigt und demgemäß wirksam sein. e) Insolvenzverfahren 107 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH kann eine General-

bereinigung nicht mehr wirksam zu Lasten der Masse vereinbart werden. Allerdings kann der Insolvenzverwalter Vergleichsverträge (Rz. 106) mit Wirkung gegen die Masse abschließen534. Wirksame Generalbereinigungsverträge aus der Zeit vor dem Insolvenzverfahren können nach den Regeln der §§ 129 ff. InsO der Insolvenzanfechtung unterliegen. Ein gerichtlich bestätigter Insolvenzplan über das Vermögen der Gesellschaft kann sich mit Wirkung für und gegen alle Vergleichsschuldner auch auf die Haftungsansprüche gegen Gesellschaftsorgane auswirken535.

529 Altmeppen, Rz. 66; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 171. 530 BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 282, 289 = GmbHR 1986, 260; BGH v. 16.11.1967 – II ZR 235/65, WM 1968, 114, 115; BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, GmbHR 1975, 182, 183; BGH v. 31.5.1976 – II ZR 185/74, WM 1976, 736, 757 f.; h.M.; vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 45; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 39; Lelley, GmbHR 2000, 1260; Dicke, GmbHR 2019, 572, 575. 531 BGH v. 18.9.2000 – II ZR 15/99, GmbHR 2000, 1258, 1259. 532 BGH v. 13.3.1975 – II ZR 114/73, GmbHR 1975, 182, 183; h.M.; vgl. Janert, GmbHR 2003, 830, 832 f. 533 Vgl. BGH v. 31.5.1976 – II ZR 185/74, WM 1976, 736; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 84; Janert, GmbHR 2003, 830, 832; Lelley, GmbHR 2000, 1260; die häufig besonders genannten §§ 9b, 57 Abs. 4, 64 Satz 4 (a.F.) (vgl. nur Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 170) dürften daneben kaum eine Rolle spielen. 534 Karsten Schmidt in K. Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 7.155 ff.; Karsten Schmidt, KTS 2001, 378 f. 535 Vgl. für die AG im Liquidationsvergleich nach altem Recht BGH v. 9.7.1979 – II ZR 118/77, BGHZ 75, 96 = AG 1979, 258.

962 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 110 § 46

7. GmbH & Co. KG a) Entlastung In der GmbH & Co. KG sind nach dem Gesetz die Gesellschafter der GmbH, nicht der KG, 108 zur Entlastung des Geschäftsführers berufen (vgl. sinngemäß Rz. 84). Denn nur für die GmbH gilt § 46, und der Geschäftsführer ist ihr Organ. Die Präklusionswirkung der Entlastung (Rz. 93) ist allerdings durch den GmbH-Beschluss nur bezüglich etwaiger Ansprüche der GmbH legitimiert. Da der Geschäftsführer mittelbar die Geschäfte der KG führt, für deren Verbindlichkeiten die GmbH als Komplementärin haftet, müssen die Gesellschafter die Führung der KG-Geschäfte in die Würdigung der Geschäftsführung einbeziehen. Die Entlastung wirkt gegenüber Ansprüchen der Kommanditgesellschaft (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 8) nur dann, wenn sich auch die Kommanditisten die Entlastungsentscheidung zurechnen lassen müssen. Das ist ohne weiteres zu bejahen bei der gesellschafteridentischen GmbH & Co. KG (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 57)536. Fallen GmbH-Gesellschafterkreis und Kommanditistenkreis auseinander, so ist die Entlastungswirkung gegenüber der KG von der Billigung durch die Kommanditisten abhängig. Es kann ggf. eine besondere Kommanditistenversammlung (oder eine Einheitsversammlung aus Kommanditisten und GmbH-Gesellschaftern) geschaffen werden (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 60). Bei der Einheits-GmbH & Co. KG ist diese ohnedies kaum zu entbehren (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 59 ff.). In einer GmbH & Co. KG können die Kommanditisten über die Entlastung der Komplementärin entscheiden537. Ene Mehrheitsklausel im KG-Vertrag kann auch diesen Beschluss erfassen538. Die vorbehaltlose Entlastung der Komplementärin der GmbH & Co. KG durch ihre Mitgesellschafter bewirkt zugleich die Entlastung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH im Verhältnis zur Kommanditgesellschaft539. b) Generalbereinigung Auch hinsichtlich einer Generalbereinigung muss unterschieden werden zwischen den An- 109 sprüchen der GmbH und den Ansprüchen der KG (12. Aufl., § 43 Rz. 442 ff.)540. Mit Wirkung gegen die KG kann eine Generalbereinigung nur erklären, wer auch Vertretungsmacht für die Kommanditgesellschaft hat. Man wird hier grundsätzlich einen Beschluss der Kommanditisten verlangen müssen.

VIII. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 6: Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung Schrifttum: Bea/Scheurer, Die Kontrolle bei der GmbH, DB 1995, 1289; Beuthien/Gätsch, Einfluss Drit- 110 ter auf die Organbesetzung und Geschäftsführung …, ZHR 157 (1993), 483; Brandner, Sonderprüfungen zur Kontrolle der Geschäftsführung im Recht der GmbH, in FS Nirk, 1992, S. 75; Ebenroth, Die Geschäftsführerkontrolle durch den GmbH-Gesellschafter, 1972; Eisenhardt, Zum Weisungsrecht der Gesellschafter in der nicht mitbestimmten GmbH, in FS Pfeiffer, 1988, S. 839; Esch, Weisungsrechte der

536 Lieder/Felzen, NZG 2021, 6, 8 f.; so wohl auch OLG Nürnberg v. 6.7.1993 – 3 U 1339/93, GmbHR 1993, 594. 537 BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343 = ZIP 2020, 2117; Lieder/Felzen, NZG 2021, 6 ff. 538 BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343 Rz. 30 = ZIP 2020, 2117 Rz. 30; Lieder/Felzen, NZG 2021, 6 ff. 539 BGH v. 22.9.2020 – II ZR 141/19, NZG 2020, 1343 = ZIP 2020, 2117; dazu Lieder/Felzen, NZG 2021, 6 ff. 540 Unklar OLG Nürnberg v. 6.7.1993 – 3 U 1339/93, GmbHR 1993, 594.

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§ 46 Rz. 110 | Aufgabenkreis der Gesellschafter Gesellschafter der GmbH & Co. KG, NJW 1988, 1553; Ettinger/Reiff, Die Gelatine-Entscheidungen des BGH: Auswirkungen auf die Kompetenzverteilung in der GmbH …, GmbHR 2007, 617; Fleischer, Die Sonderprüfung im GmbH-Recht, GmbHR 2001, 45; Herfs, Einwirkung Dritter auf den Willensbildungsprozess der GmbH, 1994; Konzen, Geschäftsführung, Weisungsrecht und Verantwortlichkeit in der GmbH und GmbH & Co. KG, NJW 1989, 2977; Leinekugel, Voraussetzungen und Grenzen einer GmbH-rechtlichen Sonderprüfung …, GmbHR 2008, 632; Meier, Zum Verhältnis zwischen der Informationspflicht der Geschäftsführung und der Überwachungspflicht des fakultativen Aufsichtsrates bei einer GmbH, DStR 1997, 1894; Peters/Dechow, Sonderprüfungsrecht für GmbH-Minderheitsgesellschafter, GmbHR 2007, 236; Schürnbrand, Sonderprüfung und Sondervertretung bei der GmbH, ZIP 2013, 1301; Skauradszun, Detailfragen zur Sonderprüfung im GmbH-Recht, GmbHR 2012, 936; Sudhoff, Rechte und Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH und GmbH & Co. KG, 14. Aufl. 1994; Uffmann, Überwachung der Geschäftsführung durch einen schuldrechtlichen GmbH-Beirat?, NZG 2015, 169; van Venrooy, Zwingende Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafterversammlung gegebüber der Geschäftsführung, GmbHR 2005, 1243; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986; Christoph Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000; Wolany, Rechte und Pflichten des Gesellschafters einer GmbH, 1964; Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991.

1. Die Aufgaben der Gesellschafter a) Zuständigkeit der Gesellschaftergesamtheit 111 Die Zuständigkeit der Gesellschaftergesamtheit – nicht des einzelnen Gesellschafters541 – für

die Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung ergibt sich aus der Rangordnung der Organe in der GmbH (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 5). Auch die Zuständigkeit der Gesellschafter für die Entlastung erklärt sich aus dieser allgemeinen Hierarchie (vgl. Rz. 89). Die Aufsichtskompetenz der Gesellschafter ist nicht einfach Resultat der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer (zu dieser vgl. 12. Aufl., § 37 Rz. 75 ff.). Die Weisungsbefugnis der Gesellschafter umfasst den gesamten Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführung (also nicht bloß einzelne Geschäftsführungsmaßnahmen). Prüfung und Überwachung sind Eigenzuständigkeiten (nur) der Gesellschafter. In der mitbestimmten GmbH steht die Überwachung dem Aufsichtsrat zu (§ 25 MitbestG), doch ist die Verantwortlichkeit der Geschäftsführung gegenüber den Kapitaleignern hierdurch nicht beseitigt; vielmehr treten beide Kontrollinstanzen konkurrierend nebeneinander542. 112 Die Aufsichtsbefugnis der Gesellschafter gibt ihnen nicht ohne Weiteres individuelle Auf-

sichtspflichten auf543. Eine Sorgfaltspflicht der einzelnen Gesellschafter kann sich innergesellschaftlich aus dem Sonderrechtsverhältnis der Mitgliedschaft ergeben544. Dieses Sonderrechtsverhältnis besteht sowohl im Verhältnis des einzelnen Gesellschafters zur Gesellschaft als auch im Verhältnis der Gesellschafter untereinander (s. auch 12. Aufl., § 14 Rz. 73)545. Doch nur in sehr engen Grenzen können hieraus echte Schutzpflichten gegenüber der Ge-

541 Vgl. BGH v. 23.3.1992 – II ZR 128/91, GmbHR 1992, 365 = ZIP 1992, 758 a.E.; KG, Recht 1911 Nr. 1643; Feine, S. 507. 542 Vgl. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, 5. Aufl. 2017, § 25 MitbestG Rz. 193; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 25 MitbestG Rz. 49; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 7. Aufl. 2020, § 25 MitbestG Rz. 91 ff.; Overlack, ZHR 141 (1977), 139. 543 BFH v. 19.6.2007 – VIII R 54/05, GmbHR 2007, 1051, 1053. 544 Zu den Grundlagen vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 19 I 1a, 3a; Karsten Schmidt, ZIP 1986, 148 f.; Karsten Schmidt, NJW 2001, 3579 f.; in gleicher Richtung Priester, ZGR 1993, 515 ff.; Schnauder/ Müller-Christmann, JuS 1998, 948 f.; Ulmer, ZIP 2001, 1029. 545 Näher Karsten Schmidt, GesR, § 19 III 1.

964 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 113 § 46

sellschaft oder den Mitgesellschaftern erwachsen546. Die Gesellschafter sind der Gesellschaft nicht als Quasi-Aufsichtsrat verantwortlich547. Anderes kann sich seit dem „Bremer Vulkan“Urteil548 und seit dem „KBV-Urteil“549 im Fall einer Mitwirkung an existenzvernichtenden Eingriffen ergeben (eingehend 12. Aufl., § 13 Rz. 153 ff.), doch wird diese Haftung mit dem Urteil „Trihotel“ vom 16.7.2007 (BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = GmbHR 2007, 927) nicht mehr aus der mitgliedschaftlichen Sonderrechtsbeziehung abgeleitet, sondern aus § 826 BGB. Die Diskussion ist rechtsdogmatisch so wenig wie rechtspraktisch abgeschlossen (vgl. die Angaben bei 12. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.)550. b) Satzungsregeln Die Zuständigkeit der Gesellschafter ist nicht zwingend. Durch Satzungsbestimmung kann 113 sie auf andere Organe übertragen werden551, nicht allerdings auf außenstehende Dritte (vgl. auch 12. Aufl., § 45 Rz. 15). Insbesondere kann in einer nicht dem MitbestG unterliegenden GmbH ein Beirat mit den Überwachungsaufgaben betraut werden552. Betrauen die Gesellschafter Dritte mit Überwachungsaufgaben, so kann sich dies als Einrichtung eines Suborgans der Gesellschafter darstellen. Ein solcher Beirat übt die Befugnisse der Gesellschafter aus553. Der Beirat ist seinerseits weisungsabhängig554. Immer muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leitungsmacht und Kontrolle übrigbleiben555. Insbesondere kann die Kontrolle über die Geschäftsführer nicht dadurch beiseite geschoben werden, dass diese jeder von den Gesellschaftern beeinflussbaren Aufsicht entzogen werden, sich etwa nur gegenseitig überwachen556. Die Kontrollbefugnis eines von der Gesamtheit der Gesellschafter verschiedenen Gesellschaftsorgans muss satzungsmäßig fundiert sein und unmissverständlichen Ausdruck in der Satzung gefunden haben557. Bei Funktionsunfähigkeit dieses Organs sind wieder die Gesellschafter zuständig (Rz. 5; 12. Aufl., § 45 Rz. 11). Einem Gesellschafter kann das Weisungsrecht als Sonderrecht (Vorzugsrecht) eingeräumt werden (so wie ihm auch die Geschäftsführung selbst zugewiesen werden kann, vgl. 12. Aufl., § 14 Rz. 29), aber auch dann gibt er die Weisungen nur im Interesse aller Gesellschafter, und ihn trifft eine qualifizierte Treupflicht. Die satzungsmäßige Übertragung der Weisungsbefugnis an ein verbundenes Unternehmen führt diesem gegenüber eine Konzernabhängigkeit herbei558 und führt, wie beim Beherrschungsvertrag, zur Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens (näher 546 Zust. BFH v. 19.6.2007 – VIII R 54/05, GmbHR 2007, 1051, 1053; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 194. 547 Karsten Schmidt, NJW 2001, 3580. 548 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = GmbHR 2001, 1036. 549 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = GmbHR 2002, 902 = ZIP 2002, 1578. 550 Vgl. Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 183 ff.; zum Urteil v. 16.7.2007 vgl. Altmeppen, NJW 2007, 2657; Paefgen, DB 2007, 1907; Schanze, NZG 2007, 681. 551 Vgl. BSG, GmbHR 1974, 39; Herfs, S. 130 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 54; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 93; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 43; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 51; Beuthien/Gätsch, ZHR 157 (1993), 459; Spindler/Kepper, DStR 2005, 1738, 1741; allg. M. 552 Vgl. Hölters, Der Beirat der GmbH und GmbH & Co. KG, 1979, S. 11 ff.; Konzen, NJW 1989, 2980. 553 KG, JW 1929, 598 m. Anm. Fischer. 554 Abgrenzungsversuch bei Chr. Weber, S. 324 f. 555 Wie hier Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 203; einschr. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 45 Rz. 12; für Satzungsfreiheit Beuthien/Gätsch, ZHR 157 (1993), 495. 556 Zust. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 93. 557 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 93: ausdrücklich. 558 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 39 II 1; Beinert, Konzernhaftung für die satzungsmäßig abhängige GmbH, 1995, S. 38 ff.; Beuthien, ZIP 1993, 1589 ff.

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§ 46 Rz. 113 | Aufgabenkreis der Gesellschafter 12. Aufl., § 45 Rz. 15). Umstritten ist, ob eine Letztzuständigkeit der Gesellschafter in ihrer Gesamtheit zwingend ist559. Das wurde hier schon in der 6. Aufl. vertreten, und daran wird im Grundsatz festgehalten. Die Verantwortlichkeit der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern ist in ihrem Kern nicht abdingbar560. Wer sie beseitigt, schafft eine stiftungsähnliche Organisation ohne Dominanz der Eigner unter Beibehaltung der GmbH-Vermögensstruktur. Wenn die Beschlusskompetenz der Versammlung auf ein anderes Organ übertragen werden darf, dann nur entweder als Kompetenz neben der fortbestehenden Beschlusskompetenz oder als Kompetenz eines von der Gesellschafterversammlung abhängigen, z.B. von ihr gewählten, Organs. Auch das einem Gesellschafter eingeräumte Sonderrecht auf Beaufsichtigung der Geschäftsführung verdrängt die Gesellschafterkompetenz nicht vollständig. Im Regelfall wird man eine solche Satzungsregelung dahin aufzufassen haben, dass ein Gesellschafter nur die Zuständigkeit aller wahrzunehmen hat. Bei Vorliegen wichtiger Gründe wird man den Gesellschaftern in jedem Fall ein unmittelbares Weisungs- und Aufsichtsrecht zugestehen müssen561. Auch der Anstellungsvertrag kann, da er keine korporative Wirkung hat, den Geschäftsführer nicht von § 46 Nr. 6 freistellen. Gibt er dem Geschäftsführer Freiheiten, die mit § 46 Nr. 6 unvereinbar sind, so kann die Ausübung von Kontrollrechten den Geschäftsführer zwar zur Kündigung berechtigen. Aber einschränken kann der Geschäftsführervertrag diese Kontrollrechte nicht. c) Gesellschafterinformation und Berichtspflichten der Geschäftsführer 114 Ein Informationsrecht der Gesellschafter ergibt sich aus ihrer Aufsichtsaufgabe562. Es han-

delt sich dabei nicht um das in § 51a geregelte individuelle Informationsrecht jedes einzelnen Gesellschafters, sondern um ein „kollektives Informationsrecht“563, das den Gesellschaftern in ihrer Verbundenheit als Gesellschaftsorgan zusteht (vgl. zu der Unterscheidung von „individuellen“ und „kollektiven“ Informationsrechten 12. Aufl., § 51a Rz. 1, 9). Dieses Informationsrecht kann durch Beschlüsse und Weisungen ausgeübt werden. Die Gesellschafter können den Geschäftsführern Informationsmaßnahmen aufgeben oder selbst Maßnahmen zur Information in die Wege leiten. Mit den Kontrollrechten der Gesellschafter geht eine Berichtspflicht der Geschäftsführung einher564. Es genügt also nicht, dass der Geschäftsführer auf Anfrage Auskunft gibt, sondern das Unterworfensein unter die allgemeine Aufsicht der Gesellschafter bringt es mit sich, dass der Geschäftsführer diese über Mitteilenswertes auf dem Laufenden hält (vgl. 12. Aufl., § 51a Rz. 4). Insbesondere wenn nach Lage der Sache ein Interesse der Gesellschafter besteht, eine Entscheidung an sich zu ziehen, sind die Geschäftsführer zur Vorlage verpflichtet (12. Aufl., § 51a Rz. 4). Die Ausübung des kollektiven Informationsrechts kann durch Beschluss der Gesellschafter (nicht durch bloß schuldrechtlichen Auftrag) einer Person ihres Vertrauens überlassen werden. So erklärt sich auch im Fall der Sonderprüfung (Rz. 116) ein Informationsrecht des Sonderprüfers565.

559 In dieser Richtung BSG, GmbHR 1974, 39; Feine, S. 507; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 93; s. auch Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 43; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 51; einschr. wohl Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 45 Rz. 1, 2. 560 S. auch BSG, GmbHR 1974, 39. 561 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 51. 562 Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 92; Tietze, Die Informationsrechte des GmbH-Gesellschafters, 1985, S. 6. 563 Terminologie („individuell/kollektiv“) nach Karsten Schmidt, Informationsrechte in Gesellschaften und Verbänden, 1984, S. 15 ff. 564 Vgl. Karsten Schmidt, Informationsrechte in Gesellschaften und Verbänden, 1984, S. 16 ff.; Mertens in Hachenburg, 7. Aufl., § 43 Rz. 28; Grunewald, ZHR 146 (1978), 225 f.; Meier, DStR 1997, 1894. 565 Vgl. zu diesem Recht Leinekugel, GmbHR 2008, 630, 634; Überblick Skauradszun, GmbHR 2012, 936, 939.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 116 § 46

d) Beschlussantrag der Gesellschafter oder Geschäftsführer Der auf einen Beschluss nach § 46 Nr. 6 hinwirkende Antrag wird typischerweise aus dem 115 Kreis der Gesellschafter kommen. Aber auch auf Betreiben der Geschäftsführer kann ein Beschluss nach § 46 Nr. 6 über eine noch ausstehende oder laufende Maßnahme gefasst werden (vgl. auch 12. Aufl., § 49 Rz. 20 ff.). Ein von der Geschäftsführung angeregter Beschluss kann die Funktion einer „vorgezogenen Entlastung“ haben566: Der Geschäftsführer versichert sich der Billigung einer Maßnahme seitens der Gesellschafter (Rz. 87). Bei Grundsatzentscheidungen und ungewöhnlichen Einzelmaßnahmen kann er sogar verpflichtet sein, die Gesellschafter zu befragen (vgl. zur Vorlagepflicht 12. Aufl., § 37 Rz. 34 ff.)567. Hierher gehört als existentiell bedeutsame Maßnahme vor allem ein Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO (näher 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 139)568. Im Gegensatz zum Vorstand der AG569 ist die Vorlagepflicht bei außergewöhnlichen Maßnahmen für den GmbHGeschäftsführer zweifelsfrei570. Die Vorlagepflicht setzt deshalb bereits unter der Schwelle faktischer Umstrukturierungsmaßnahmen ein571. Wird der Beschluss gefasst, so kann dies nach dem Stand der Information und in den beschlossenen Grenzen die Maßnahme rechtfertigen und Ersatzansprüche ausschließen (12. Aufl., § 43 Rz. 260 ff.; vgl. aber § 43 Abs. 3 Satz 3 und dazu 12. Aufl., § 43 Rz. 262, 371). Nehmen die Gesellschafter nicht Stellung, so muss der Geschäftsführer selbst mit der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns entscheiden. Die Passivität der Gesellschafter erweitert allerdings seinen Ermessensspielraum. Soweit er diesen ohne Überraschungsentscheidung einhält, kann er einer Inanspruchnahme nach § 43 entgegenhalten, dass er den Gesellschaftern Gelegenheit gegeben habe, ihn von einem Tun oder Unterlassen abzuhalten.

2. Der Handlungsrahmen der Gesellschaft Die Maßregeln zur Prüfung und zur Überwachung der Geschäftsführung sind im Gesetz 116 nicht näher bestimmt, ergeben sich aber aus der Stellung der Gesellschafter als des den Geschäftsführern übergeordneten Beschlussorgans (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 5) und der korrespondierenden Pflichtbindung der Geschäftsführer. Eingriffe in seinen Tätigkeitskreis muss der Geschäftsführer infolge seiner Abhängigkeit von der Versammlung hinnehmen, auch wenn der mit ihm abgeschlossene Anstellungsvertrag keine Bestimmung hierüber enthält572. Beschlüsse, deren Ausführung verboten ist, binden nicht. Beispiele für Maßnahmen nach § 46 Nr. 6: Recht der Gesellschaftergesamtheit auf Einsicht in alle oder einzelne Geschäftsbücher; auf Besichtigung und Prüfung von Gegenständen oder Anlagen (z.B. von Fertigungsanlagen oder Fertigungsvorgängen); auf Auskunft und Abschriften; Vorbehalt der Genehmigung oder Verbot gewisser Geschäftsführungsmaßnahmen573; die Einforderung periodischer Berichterstattung; investigative Maßnahmen bei einem Verdacht erheblicher Pflichtverlet-

566 Krit. Römermann in Michalski u.a., Rz. 344. 567 Vgl. BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197 = NJW 1991, 1681 (Änderung der Geschäftspolitik); a.M. Zitzmann, S. 85 ff. 568 Vgl. OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, GmbHR 2013, 590, 593; LG Frankfurt v. 10.9.2013 – 3-09 O 96/13. 569 Nur in Einzelfällen bejahend BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 – Holzmüller; begrenzend BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 – Gelatine; zur „Macrotron“-Diskussion vgl. Weitemeyer, ZGR 2005, 280, 291 ff. 570 Unklar deshalb der Ansatz bei Ettinger/Reiff, GmbHR 2007, 617. 571 Hierauf beschränkt sich die Sichtweise von Ettinger/Reiff, GmbHR 2007, 617 ff. 572 RG, GmbHRspr. IV, Nr. 19 zu § 45 GmbHG. 573 Über Zustimmungsvorbehalte vgl. Bacher/v. Blumenthal, GmbHR 2016, 514; van Venrooy, GmbHR 2005, 1243 ff.

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§ 46 Rz. 116 | Aufgabenkreis der Gesellschafter zungen574; die Einsetzung von Sonderprüfern575. In dem durch § 46 Nr. 6 beschriebenen Umfang bedürfen diese Maßnahmen keiner besonderen Satzungsgrundlage. Das gilt insbesondere auch für investigative Maßnahmen bei einem Verdacht auf erhebliche Pflichtverletzungen. Die Zulässigkeit einer Sonderprüfung aufgrund Mehrheitsbeschlusses kann nach geltendem Recht unmittelbar aus § 46 Nr. 6 hergeleitet werden576. Ein formelles Minderheitsrecht nach dem Muster des § 142 Abs. 2 AktG kennt das GmbHG dagegen nicht (12. Aufl., § 51a Rz. 4)577. Auch eine diesbezügliche actio pro socio lehnt BGH v. 16.3.1992 – II ZR 152/ 91, GmbHR 1992, 365, 366 ab. Die Sonderprüfung hätte nach §§ 51c ff. des RegE 1977 eingehend geregelt werden können578. Diese Entwurfsbestimmungen fanden nicht Eingang in die Novelle 1980 und wurden auch in der GmbH-Reform 2007/2008 (MoMiG) nicht aufgegriffen. Auch Aufsichtssanktionen gegen Geschäftsführer kennt das GmbH-Gesetz nicht. Eingriffe in höchstpersönliche Rechte des Geschäftsführers (Verlust von Gewinnbezugsrechten, Ersatz von Aufwendungen etc.) können im Rahmen des privatrechtlich Zulässigen im Anstellungsvertrag vorgesehen werden. In die organisationsrechtliche Regelung des § 46 Nr. 6 gehören sie nicht hinein. Unverhältnismäßige und deshalb unzulässige Maßnahmen können den Geschäftsführer zur Niederlegung der Geschäftsführung und zur Kündigung des Geschäftsführervertrags berechtigen579. Über einstweiligen Rechtsschutz vgl. Rz. 154.

3. Beschlussfassung a) Mehrheit 117 Beschlossen wird mit einfacher Mehrheit. Inwieweit die Geschäftsführer mitstimmen dürfen

oder einem Stimmverbot unterliegen, wird unterschiedlich beurteilt580. Das hängt weniger mit unterschiedlichen Rechtsansichten zusammen als mit der Variationsbreite der erfassten Maßnahmen. Aus § 47 Abs. 4 wird zu folgern sein: In der Variante des Insichgeschäftsverbots (12. Aufl., § 47 Rz. 109 ff.) kommt das gesetzliche Stimmverbot im Rahmen von Beschlüssen nach § 46 Nr. 6 kaum zum Tragen581, sofern nicht ein Insichgeschäft seinerseits den Prüfungsgegenstand bildet (12. Aufl., § 47 Rz. 177–182). Dagegen kommt bei Beschlüssen mit Prüfungs- und Überwachungsinhalt nach § 46 Nr. 6 § 47 Abs. 4 in der Variante des Verbots, Richter in eigener Sache zu sein (12. Aufl., § 47 Rz. 142), zum Tragen. Soweit Maßnahmen (mit-)betroffen sind, die in der Vergangenheit liegen, ist der Gesellschafter-Ge-

574 Vgl. Fuhrmann, NZG 2016, 881 ff. 575 Vgl. Grote, Die Sonderprüfung im Recht der GmbH, 2013, S. 53 ff.; Fleischer, GmbHR 2001, 45 ff.; Peters/Dechow, GmbHR 2007, 236 ff.; Leinekugel, GmbHR 2008, 632 ff.; Skauradszun, GmbHR 2012, 936 ff. 576 Grote, Die Sonderprüfung im Recht der GmbH, 2013, S. 106; M. Lehmann, Die ergänzende Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH, 1970, S. 72; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 17; Fleischer, GmbHR 2001, 45, 46; für Analogie zum AktG dagegen Wolany, S. 159; nur für „Anlehnung mit erheblicher Zurückhaltung“ Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 50; eingehend zum Ganzen Grote, Die Sonderprüfung im Recht der GmbH, 2013; Brandner in FS Nirk, 1992, S. 75 ff.; Bea/Scheurer, DB 1995, 1290; Fleischer, GmbHR 2001, 45; Peters/Dechow, GmbHR 2007, 236 ff.; Leinekugel, GmbHR 2008, 632 ff.; Skauradszun, GmbHR 2012, 936 ff.; Schürnbrand, ZIP 2013, 1301. 577 Eingehend Peters/Dechow, GmbHR 2007, 236, 239; Schürnbrand, ZIP 2013, 1301, 1302. 578 Dazu eingehend 6. Aufl. im Anh. nach § 51 Rz. 63 ff.; Fleischer, GmbHR 2001, 45, 48; Peters/Dechow, GmbHR 2007, 236, 239. 579 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 50 a.E. 580 Ausführlich dazu noch in der 6. Aufl. 581 Vgl. auch LSG Baden-Württemberg v. 23.11.2016 – L 5 R 50/16, GmbHR 2017, 461, 467.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 119 § 46

schäftsführer grundsätzlich vom Stimmrecht ausgeschlossen (12. Aufl., § 47 Rz. 142)582. Insbesondere gilt dies bei allen Beschlüssen, die Prüfungsmaßnahmen vorbereiten, einleiten oder vollziehen583. Die Stimmabgabe für Beschlüsse über Maßnahmen der Geschäftsführung kann treupflichtgebunden sein (12. Aufl., § 47 Rz. 31), z.B. wenn ein Geschäftsführer im Interesse der Gesellschaft zur Geltendmachung von Rechten angewiesen werden soll584. b) Rechtsschutz gegen fehlerhafte Beschlüsse Im Fall (behaupteter) Fehlerhaftigkeit eines Beschlusses nach § 46 Nr. 6 sprechen gute 118 Gründe für ein Anfechtungsrecht des Geschäftsführers (12. Aufl., § 45 Rz. 134)585. Die h.M. lehnt ein Anfechtungsrecht des Geschäftsführers ab (auch dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 134). Aber wenigstens kann er auf Feststellung klagen, dass die beschlossene Maßnahme rechtswidrig, z.B. unverhältnismäßig, ist586.

4. GmbH & Co. KG In der GmbH & Co. KG ist zu unterscheiden zwischen der Überwachung des Komplemen- 119 tärs (der GmbH) durch die Kommanditisten und der Überwachung des GmbH-Geschäftsführers durch die Gesellschafter der GmbH nach § 46 Nr. 6. In der personenidentischen GmbH & Co. KG mit quotengleicher Beteiligung der Kommanditisten auch an der GmbH kommt dieser Unterschied nicht zum Tragen587. Fehlt es an der quotengleichen Beteiligung, so stehen einem Nur-Kommanditisten nach § 164 HGB nur beschränkte Mitwirkungs- und Kontrollrechte zu. Bei einer GmbH & Co. KG, deren Komplementär-GmbH keinen Kapitalanteil hält und von der Beteiligung am Gewinn und Verlust ausgeschlossen ist, passt diese Bestimmung nicht. Hier wird man auch ohne ausdrückliche Vertragsgrundlage Kontroll- und Weisungsbefugnisse der Kommanditisten anerkennen müssen (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 17)588. Weisungsempfänger ist innerhalb der Kommanditgesellschaft bei formaler Betrachtung die GmbH, de facto dagegen deren Geschäftsführer. Dagegen wird bei einer nicht von den Kommanditisten beherrschten GmbH & Co. KG das Recht aus § 46 Nr. 6 nur von den GmbHGesellschaftern gegenüber dem Geschäftsführer ausgeübt589. Abweichende Vertragsregeln sind möglich. Insbesondere kann sich die Übertragung auf eine Kommanditistenversammlung oder auf einen Beirat empfehlen (vgl. 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 62). Regelrecht notwendig ist dies bei der „Einheits-GmbH & Co. KG“, bei der die Kommanditgesellschaft einziger Gesellschafter der GmbH ist, denn der Geschäftsführer kann und darf sich nicht selbst kontrollieren (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 58 ff.)590. Ein gesetzliches Minderheitsrecht auf Sonderprüfung analog § 142 AktG ist auch bei der GmbH & Co. KG nicht gegeben591, jedoch spricht viel für den bei Rz. 116 dargestellten Rechtsgedanken (Kommanditistenbeschluss). Einer besonderen Sonderprüfungsklausel im Gesellschaftsvertrag, wie sie mehrfach von Gerichten

582 Altmeppen, Rz. 70; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 196; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 50. 583 Wie hier Altmeppen, Rz. 70; vgl. auch Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 42. 584 Vgl. auch zur AG BGH v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, BGHZ 135, 48 = GmbHR 1997, 705. 585 Sympathisierend Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 201. 586 Zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 201. 587 Vgl. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, 22. Aufl. 2020, Rz. 4.48. 588 Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511, 525 ff. 589 Ebd., S. 533 ff. 590 Eingehend Karsten Schmidt in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1425. 591 OLG Hamm v. 3.12.2012 – 8 U 20/12, ZIP 2013, 976, 980.

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§ 46 Rz. 119 | Aufgabenkreis der Gesellschafter verlangt worden ist592, bedarf es richtigerweise nicht für einen Kommanditistenbeschluss über die Sonderprüfung, sondern nur für die Ausübung eines Minderheitsrechts auf Sonderprüfung.

IX. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 7: Bestellung von Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb Schrifttum: Bärwaldt/Hadding, Die Bindung des Prokuristen an die Mitwirkung des Prinzipals, NJW 1998, 1103; Beuthien/Müller, Gemischte Gesamtvertretung und unechte Gesamtprokura, DB 1995, 461; Grooterhorst, Vollmachten im Unternehmen, 6. Aufl. 2014; Hesselmann, Die Prokura bei der GmbH, GmbHR 1960, 157; Hofmann/Fladung/van Ghemen, Der Prokurist, 8. Aufl. 2007; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 16 III (Rz. 16 ff.); Schroeder/Oppermann, Die Eintragungsfähigkeit der kaufmännischen Generalvollmacht in das Handelsregister, JZ 2007, 176; van Venrooy, Die Bestellung von Prokuristen und Generalhandlungsbevollmächtigten nach § 46 Nr. 7 GmbHG und das „Innenverhältnis“, GmbHR 1999, 800.

1. Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte der GmbH a) Prokura 120 Prokura kann jede GmbH erteilen, auch die GmbH ohne erwerbswirtschaftliche Zielsetzung,

denn die GmbH ist nach § 13 Abs. 3 Kaufmann kraft Rechtsform593. Für die Prokuristenbestellung gelten die §§ 48 ff. HGB. Zuständig für die Prokuraerteilung ist nach § 48 Abs. 1 HGB der Geschäftsführer als gesetzlicher Vertreter der GmbH (Rz. 124). Die Bedeutung des § 46 Nr. 7 liegt darin, dass die Entscheidung über die Prokura im Innenverhältnis dem Geschäftsführer (den Geschäftsführern) entzogen ist (vgl. Rz. 1 ff.). Diese Zuständigkeitsregel gilt für jede, auch die mitbestimmte GmbH (über abweichende Satzungsregeln vgl. Rz. 134)594. Tauglicher Prokurist kann nur eine mindestens beschränkt geschäftsfähige (§ 165 BGB) natürliche Person sein595. Diese Person kann auch Gesellschafter596, auch Alleingesellschafter597 der GmbH sein (vgl. zu alldem, insofern übereinst., auch 12. Aufl., § 35 Rz. 17). Dagegen scheidet der Geschäftsführer – auch ein bloßer Mitgeschäftsführer – nach h.M. aus (vgl. 12. Aufl., § 35 Rz. 17)598. Im Grundsatz ist diese Regel unschädlich, ein Bedürfnis nach einer Geschäftsführerprokura nämlich fernliegend. Als strikte Regel einzusehen ist die h.M. aber nicht599, denn es kann ein berechtigtes Interesse etwa daran bestehen, einem nur gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführer Einzelprokura zu erteilen mit der Folge, dass er die Gesellschaft im engeren Rahmen des § 49 HGB oder des § 50 Abs. 3 HGB aufgrund wi592 Vgl. OLG Hamm v. 3.12.2012 – 8 U 20/12, ZIP 2013, 976, 980; OLG München v. 14.12.2017 – 23 U 1481/17, EWiR 2018, 197 (Bochmann/Becker). 593 Nicht mehr bestritten. 594 Vgl. nur Altmeppen, Rz. 79. 595 Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 Rz. 17. 596 Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 46; s. auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 57. 597 Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 Rz. 18. 598 OGH Wien v. 7.11.2007 – 6 Ob 224/07w, GesRZ 2008, 110: OGH Wien v. 16.4.2009 – 6 Ob 43/ 09f, GesRZ 2009, 357; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 210; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 46; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 52; Hopt in Baumbach/Hopt, 39. Aufl. 2020, § 48 HGB Rz. 2; Krebs in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 48 HGB Rz. 33; a.M. Canaris, Handelsrecht, § 12 Rz. 6. 599 Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 Rz. 22 f.; vgl. auch Canaris, Handelsrecht, § 12 Rz. 6; Weber in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 48 HGB Rz. 20.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 122 § 46

derruflicher Prokura allein vertritt600. Dies ist auch keine Umgehung der Satzungskompetenz im Rahmen des § 35 Abs. 2601, denn es liegt kein Widerspruch darin, dass die Organvertretungsmacht eine gemeinschaftliche, die aufgrund Mehrheitsbeschlusses erteilte und frei widerrufbare Prokura dagegen eine Einzelvollmacht ist (vgl. auch Rz. 135 zur GmbH & Co. KG). Die Gestaltungspraxis wird in Anbetracht der entgegenstehenden h.M. von einer solchen Gestaltung allerdings Abstand nehmen. Unstreitig ausgeschlossen ist dagegen die Prokuraerteilung an ein Aufsichtsratsmitglied602. b) Einzelprokura und Gesamtprokura Die Prokura kann als Einzelprokura oder als Gesamtprokura erteilt werden603. Ein Prokurist, 121 dem Gesamtprokura erteilt ist, kann ohne besondere Einzelbevollmächtigung nur in Verbindung mit einem anderen Vertreter handeln. Bei der allseitigen Gesamtprokura gilt dies für alle Prokuristen, bei der halbseitigen Gesamtprokura nur für einen von zwei Prokuristen. Als gemischte Gesamtprokura bezeichnet man die Prokura, die den Prokuristen nur zum gemeinschaftlichen Auftreten mit einem organschaftlichen Vertreter – z.B. mit dem Komplementär einer KG oder mit dem Geschäftsführer einer GmbH – berechtigt (dazu 12. Aufl., § 35 Rz. 114 ff.). Es ist dann anzunehmen, dass der Prokurist über den Umfang des § 49 HGB hinaus an allen Geschäften mitwirken kann, die von der Vertretungsmacht des Vertretungsorgans gedeckt sind604. Um eine gemischt halbseitige Gesamtprokura handelt es sich, wenn nur der Prokurist an die Mitwirkung des organschaftlichen Vertreters – z.B. des GmbH-Geschäftsführers – gebunden ist, nicht aber umgekehrt dieser an die Mitwirkung des Prokuristen. Dies ist gerade auch bei der GmbH zulässig (12. Aufl., § 35 Rz. 114 f.)605. Umstritten war, ob der Prokurist auch an die Mitwirkung eines selbst nur gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführers gebunden werden kann606. Der BGH hat dies in einer klärenden Grundsatzentscheidung mit Recht bejaht (vgl. auch 12. Aufl., § 35 Rz. 115)607. c) Generalhandlungsvollmacht § 46 Nr. 7 spricht auch von der Bestellung von „Handlungsbevollmächtigten zum gesamten 122 Geschäftsbetrieb“. Gemeint ist die in § 54 Abs. 1 HGB beschriebene Generalhandlungsvollmacht, die aufgrund von § 13 Abs. 3 auch von einer GmbH ohne handelsgewerbliche Tätigkeit erteilt werden kann608. § 46 Nr. 7 gilt aber auch für die zulässige und recht verbreitete nicht organgleiche „Generalvollmacht“, die in ihrem Umfang sogar über den gesetzlichen 600 601 602 603 604 605 606 607

608

A.M. freilich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 210. A.M. Joost/Strohn in Staub, HGB, 5. Aufl. 2008, § 48 HGB Rz. 39. Vgl. m.w.N. Krebs in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 48 HGB Rz. 40. Vgl. dazu Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 Rz. 28 ff.; Joost/Strohn in Staub, HGB, 5. Aufl. 2008, § 48 HGB Rz. 82 ff.; referierend Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95. Vgl. RGZ 134, 303, 306; BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 64; BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170; BayObLG v. 19.6.1973 – 2 Z 21/73, DB 1973, 1340. BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170 ff. = NJW 1974, 1194, 1195; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 Rz. 51 ff.; krit. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 35 Rz. 51; abl. Beuthien/Müller, DB 1995, 461. Verneinend OLG Hamm v. 19.5.1983 – 15 W 424/82, GmbHR 1984, 43 = BB 1983, 1303 m. Anm. Bräutigam. BGH v. 6.11.1986 – V ZB 8/86, BGHZ 99, 76 = GmbHR 1987, 301; dazu auch Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 Rz. 51; Weber in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 48 HGB Rz. 46; für GmbH & Co. KG anders BayObLG v. 3.8.1994 – 3Z BR 174/94, GmbHR 1995, 305 = ZIP 1994, 1527; anders in früheren Auflagen auch hier noch die Kommentierung bei § 35 (Uwe H. Schneider). Zust. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 98; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 56.

Karsten Schmidt | 971

§ 46 Rz. 122 | Aufgabenkreis der Gesellschafter Umfang einer Prokura (§ 49 HGB) hinausgehen kann609. Nicht anwendbar ist § 46 Nr. 7 dagegen auf die – nach h.M. unzulässige! – Erteilung einer organgleichen Generalvollmacht für die GmbH (zur Abgrenzung vgl. 12. Aufl., § 35 Rz. 18 ff.), ebensowenig auf die in § 54 HGB beschriebene Arthandlungsvollmacht oder Spezialhandlungsvollmacht610. Selbstverständlich können die Gesellschafter im Rahmen ihrer Allzuständigkeit (Rz. 1) auch über die Erteilung oder den Widerruf solcher Handlungsvollmachten befinden. Der Geschäftsführer wird sich nach Lage des Einzelfalls um ein Meinungsbild oder sogar um einen Beschluss der Gesellschafter bemühen. Er kann hierzu nach Lage des Falls auch verpflichtet sein (vgl. Rz. 115). Aber eine gesetzliche Verpflichtung, vor der Vollmachterteilung einen Gesellschafterbeschluss herbeizuführen, besteht nach dem Gesetz in diesen Fällen nicht.

2. Bedeutung der Gesellschafterzuständigkeit a) Vollmacht und Dienstvertrag (Arbeitsvertrag) 123 Bestellung i.S.v. § 46 Nr. 7 ist nur die Erteilung der Vertretungsmacht. Explizit nicht erfasst

ist deren Widerruf611 und auch der Abschluss eines Dienstvertrags mit dem Prokuristen oder Generalhandlungsbevollmächtigten612 oder die Änderung des Vertrags613. Insoweit gilt § 37. Das ergibt sich nicht ohne weiteres aus der begrifflichen Trennung zwischen Außenverhältnis (Vollmacht) und Innenverhältnis (Dienstvertrag), wie schon die Einheitsbetrachtung bei § 46 Nr. 5 zeigt (Rz. 69 ff.). Die Beschränkung des § 46 Nr. 7 auf die Bevollmächtigung folgt aber aus dem Schutzzweck der Bestimmung. Schon die Tatsache, dass ein Dienstvertrag in diesen Fällen häufig bereits vorliegt, u.U. sogar unverändert bleibt, zeigt, dass das Bedürfnis nach Gesellschafterzuständigkeit nicht dasselbe ist wie bei § 46 Nr. 5. Hinzu kommt, dass der Vollmacht intern ein gleichartiges Dienstverhältnis zugrunde liegen kann wie etwa einer zustimmungsfreien Arthandlungsvollmacht. Selbstverständlich können die Gesellschafter (auch auf Betreiben des Geschäftsführers) im Rahmen ihrer Allzuständigkeit (Rz. 1) über das Dienstverhältnis beraten und mit bindender Wirkung beschließen. Sie können den Geschäftsführer auch anweisen, sie bei allen Vertragsvereinbarungen und -veränderungen zu befragen. Eine solche Verpflichtung kann sich auch aus einer Übung in der Gesellschaft ergeben. Wie schon im Rahmen des § 46 Nr. 6 (Rz. 115) gibt es außergewöhnliche Geschäfte, bei denen der Geschäftsführer vorab die Billigung der Gesellschafter einholen muss. Aber das ist nicht Inhalt des § 46 (vgl. zu dessen Tragweite Rz. 1). b) Willensbildung und Willenserklärung 124 Es muss weiter zwischen der Willensbildung über die Bevollmächtigung und dem Vollzug

dieses Willens durch Erteilung der Vollmacht unterschieden werden. Im Rahmen des § 46 Nr. 7 agiert die Versammlung als Willensbildungsorgan, nicht als Bestellungsorgan (Rz. 127). Dies ist anders als bei § 46 Nr. 5 (vgl. Rz. 80). § 46 Nr. 7 betrifft nur das Innenverhältnis und beschränkt nicht die Vertretungsmacht des Geschäftsführers für die Vollmachterteilung (12. Aufl., § 35 Rz. 40)614. 609 Zur Abgrenzung vgl. KG v. 11.6.1991 – 1 W 1581/91, GmbHR 1991, 579 = NJW-RR 1992, 34, 35; Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 Rz. 8; Joussen, WM 1994, 273 ff. 610 Vgl. zu diesen Begriffen im Einzelnen Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 Rz. 90 ff. 611 Statt aller Altmeppen, Rz. 73; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Teichmann in Gehrlein/Born/ Simon, Rz. 45. 612 Ebenso Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 54; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 59. 613 Vgl. nur Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 217. 614 BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 169; OLG Kolmar, Recht 1905 Nr. 1070 = GmbHRspr. I, Nr. 36 zu § 46 GmbHG; RG, JW 1923, 121 = Warn. Bd. 15 Nr. 101 = GmbHRspr.

972 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 127 § 46

c) Bedeutung des Beschlusses Die Bedeutung des Beschlusses für die Wirksamkeit der Prokura oder Handlungsvollmacht 125 ist damit die folgende: Der Beschluss ist im Außenverhältnis nicht ausreichend für die Bevollmächtigung als Prokurist oder Generalhandlungsbevollmächtigter (Rz. 127)615, jedoch im Innenverhältnis erforderlich. Regelmäßig enthält der Beschluss zugleich die Anweisung zur Erteilung der Vollmacht. Mit darin enthalten ist dann i.d.R. die Weisung, für einen angemessenen Dienstvertrag zu sorgen616. aa) Die Prokura muss durch Vollmachtserteilung (zu diesem Begriff § 166 Abs. 2 BGB) sei- 126 tens der GmbH als „Inhaber des Handelsgeschäfts“ erteilt werden (vgl. § 48 Abs. 1 HGB), und zwar durch ihre gesetzlichen Vertreter (auch dazu § 48 Abs. 1 HGB), d.h. durch die Geschäftsführer (§ 35 Abs. 1)617. Die Handlungsvollmacht wird von der GmbH durch ihre Geschäftsführer oder Bevollmächtigte (z.B. Prokuristen) erteilt. Der Gesellschafterbeschluss entscheidet nur darüber, ob die Handlungsvollmacht erteilt werden darf (Rz. 125). bb) Fehlende Zustimmung der Gesellschafter macht die Vollmachtserteilung unzulässig, 127 aber als Vertretungsgeschäft des Geschäftsführers (§ 35 Abs. 1) nicht unwirksam (vgl. § 37)618. Der Geschäftsführer ist dann im Innenverhältnis verpflichtet, eine Genehmigung seitens der Gesellschafter durch den Beschluss einzuholen oder die Prokura (Generalhandlungsvollmacht) zu widerrufen. Über mögliche Auswirkungen für die registergerichtliche Prüfung vgl. Rz. 132. Im Fall einer vom Gesellschafterwillen nicht gedeckten Prokuraerteilung oder Generalhandlungsbevollmächtigung steht allerdings der Einwand eines Missbrauchs der Vertretungsmacht (12. Aufl., § 35 Rz. 187 ff.) im Raum. Ist dem Empfänger der Vollmacht, also dem Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten, die fehlende Billigung seitens der Gesellschafter nicht verborgen geblieben (es genügt „Evidenz“ dieses Mangels!)619, so ist die Bevollmächtigung unwirksam620. Umdeutung in eine einfache Vollmacht wird unter solchen Umständen kaum in Betracht kommen. Dritte sind erforderlichenfalls durch Vertrauensschutzregeln geschützt (§ 15 Abs. 3 HGB; Anscheinsvollmacht). Ggf. sind die Geschäftsführer im Innenverhältnis zum Widerruf der Prokura (und Anmeldung ihres Erlöschens) oder Generalhandlungsvollmacht verpflichtet (s.o.).

615 616 617 618

619 620

III, Nr. 16 zu § 46 GmbHG; KG v. 11.6.1991 – 1 W 1581/91, GmbHR 1991, 579 = NJW-RR 1992, 34, 35; OLG Düsseldorf v. 25.2.1998 – 3 Wx 27/98, NJW-RR 1999, 107; Altmeppen, Rz. 73; h.M.; anders van Venrooy, GmbHR 1999, 800 ff. Vgl. RG, GmbHRspr. IV, Nr. 23 zu § 46 GmbHG; auch RG, Recht 1929 Nr. 1025 für den Einpersonen-Gesellschafter. Ähnlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 217: Geschäftsführer dürfen den Beschluss nicht durch unattraktive Konditionen konterkarieren. Schwerlich haltbar van Venrooy, GmbHR 1999, 800, 805: Die Gesellschafter seien „Inhaber des Handelsgeschäfts“ i.S.v. § 48 Abs. 1 HGB. Vgl. § 66 Abs. 2 Satz 2 RegE 1971 sowie die zum geltenden Recht ganz h.M.: RGZ 75, 164 = JW 1911, 334 = GmbHRspr. I, Nr. 35 zu § 46 GmbHG; RGZ 86, 265; RG, JW 1911, 334; RG, JW 1923, 121; RG, HRR 1929 Nr. 1750; RG, Warn. 1932, 318 = GmbHRspr. IV Nr. 23 zu § 46 GmbHG; KGJ 40, 70; KG, RJA 17, 93 = GmbHRspr. III, Nr. 15 zu § 46 GmbHG; KG, JFG 2, 218; KG, OLGE 44, 232 = GmbHRspr. IV, Nr. 19 zu § 46 GmbHG; OLG Düsseldorf, SJZ 1949, 779 = JMBl NRW 1949, 18; BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 168 = GmbHR 1974, 183; KG v. 11.6.1991 – 1 W 1581/91, NJW-RR 1992, 34, 35; Altmeppen, Rz. 73; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Meyer-Landrut, Rz. 37; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 52; a.M. van Venrooy, GmbHR 1999, 800, 802 ff. Fahrlässige Unkenntnis mangelnder Zustimmung schadet, wie allseits bekannt, nicht; so jetzt auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 52, 55. Vgl. auch Altmeppen, Rz. 73; unklar Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94.

Karsten Schmidt | 973

§ 46 Rz. 128 | Aufgabenkreis der Gesellschafter

3. Beschlussfassung a) Stimmrecht 128 Bei der Beschlussfassung wirken alle stimmberechtigten Gesellschafter mit, ggf. auch ein

Gesellschafter, um dessen Bevollmächtigung es bei dem Beschlussantrag geht621. § 47 Abs. 4 steht nicht entgegen (Organisationsakt; vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 118). Zur Frage, ob dies auch für den Dienstvertrag gilt, vgl. gleichfalls 12. Aufl., § 47 Rz. 118. b) Beschlussprozedur 129 Die Beschlussprozedur folgt den allgemeinen Regeln. Der Beschluss muss nicht in einer Ver-

sammlung gefasst werden (12. Aufl., § 48 Rz. 55 ff.). Gerade in Fällen des § 46 Nr. 7 kann ein schriftliches Verfahren oder sogar im allseitigen Konsens eine formlose Verständigung, z.B. per E-Mail (12. Aufl., § 48 Rz. 59 ff.), genügen. Der Beschluss kann für den Einzelfall ergehen, kann aber auch in Form eines Generalkonsenses Prokuraerteilungen oder Generalbevollmächtigungen zulassen. Er kann mit einfacher Mehrheit ex nunc beseitigt werden (zur Mehrheit bei Aufhebungsbeschlüssen vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 33). Ein widerrufsfester Generalkonsens lässt sich nur durch eine Satzungsbestimmung erreichen, die den § 46 Nr. 7 ausschaltet (Rz. 134). c) Zeitpunkt 130 Die Beschlussfassung sollte (und wird i.d.R.) der Bevollmächtigung vorausgehen. Folgt sie

ihr nach, ist nach dem bei Rz. 124 ff. Gesagten die Bevollmächtigung gleichwohl alsbald wirksam622. Durch eine solche Beschlussfassung sind auch etwaige Bedenken wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht (Rz. 127) analog §§ 177, 180 BGB behoben. Gleichzeitig erledigt sich die Frage, ob der Geschäftsführer die Prokura oder Handlungsvollmacht widerrufen muss (Rz. 127).

4. Vollmachterteilung, Registereintragung, Vollmachtswiderruf a) Vollmachterteilung 131 Die Bevollmächtigung liegt im Fall der Prokuraerteilung ausschließlich in der Hand der Ge-

schäftsführer (Rz. 124). Eine Generalhandlungsvollmacht (§ 54 Abs. 1 HGB) kann auch durch einen Prokuristen erteilt werden (Rz. 126). Die Prokura muss ausdrücklich erteilt werden (§ 48 Abs. 1 HGB), wofür aber z.B. ein Hinweis auf den Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 7, etwa durch Weiterleitung einer entsprechenden E-Mail, ausreicht, wenn sich zweifelsfrei ergibt, dass Prokura erteilt wird623. Die Handlungsvollmacht kann sogar konkludent erteilt werden. Üblich und ratsam ist aber eine schriftliche Bevollmächtigung unter Verwendung des Worts „Prokura“ bzw. „(Handlungs-)Vollmacht“. b) Handelsregister 132 Die Erteilung der Prokura – nicht auch der Handlungsvollmacht – ist zur Eintragung in das

Handelsregister anzumelden (§ 53 HGB), und zwar durch so viele Geschäftsführer, wie zur

621 Vgl. Altmeppen, Rz. 75; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 57; jetzt auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 52; a.A. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 96. 622 Vgl. Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 17. 623 Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 Rz. 25.

974 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 134 § 46

Vertretung der GmbH nach § 35 Abs. 2 erforderlich sind (§ 78). Der Prokurist selber ist zur Anmeldung weder berechtigt noch verpflichtet624. Widerruf der Anmeldung kann durch Geschäftsführer erfolgen, und zwar nicht nur durch diejenigen, die angemeldet haben625. Die Prüfungsbefugnis des Registergerichts erstreckt sich nach h.M. nur auf die Bevollmächtigung und nicht auf den Beschluss nach § 46 Nr. 7626. Das ist im Grundsatz richtig, weil die Bevollmächtigung ohne Rücksicht auf die Beschlussfassung wirksam ist (Rz. 127). Die Einreichung bzw. Vorlage eines Beschlusses kann ratsam sein, ist aber nicht gesetzlich geboten. Nur soweit Anhaltspunkte für ein eigenmächtiges Geschäftsführerhandeln bestehen (z.B. bei einer entsprechenden Eingabe eines Gesellschafters beim Registergericht), kann das Gericht die Vorlage eines Beschlusses verlangen, denn dann besteht begründeter Zweifel, ob nicht die Prokuraerteilung wegen Missbrauchs der Vertretungsmacht unwirksam ist (Rz. 127)627. Wird die Prokuraerteilung eingetragen und bekanntgemacht, so greift, wenn die Erteilung wirksam ist, § 15 Abs. 2 HGB, wenn sie unwirksam sein sollte, Vertrauensschutz nach § 15 Abs. 3 HGB ein. c) Widerruf Der Widerruf der Prokura oder der Handlungsvollmacht wird durch die Geschäftsführer (im 133 Fall der Handlungsvollmacht auch durch einen Prokuristen) erklärt. Eines Beschlusses nach § 46 Nr. 7 bedarf es hierfür nicht628. Praktisch ist diese Einschränkung des § 46 Nr. 7 nicht besonders bedeutsam, denn der Geschäftsführer wird sich der Zustimmung der Gesellschafter versichern, zumal sich ein Widerruf als Ungehorsam gegen den Bestellungsbeschluss darstellen könnte (vgl. Rz. 125 a.E.). Aufgrund ihrer Allzuständigkeit können die Gesellschafter den Geschäftsführer auch durch einfachen Beschluss anweisen, sie vor einem Widerruf oder vor einer Änderung der Verträge zu befragen629. Die Gesellschafter können den Geschäftsführer auch durch Beschluss anweisen, den Widerruf zu erklären (vgl. zur Widerrufspflicht auch Rz. 127). Die Widerruflichkeit der Prokura kann durch den Anstellungsvertrag mit dem Prokuristen nicht ausgeschlossen werden (§ 52 HGB). Ebensowenig ist eine unwiderrufliche Generalhandlungsvollmacht zulässig, denn hierdurch erhielte der Bevollmächtigte eine organähnliche Stellung und eine mit § 38 unvereinbare Herrschaftsmacht in der GmbH630.

5. Abweichende Satzungsregeln § 46 Nr. 7 ist nicht zwingend631. Die Regelung kann verschärft werden (z.B. Ausdehnung 134 des Beschlusserfordernisses auf den Dienstvertrag oder auf jede Veränderung der Vertre-

624 Auch nicht bei einer Gesamtprokura; vgl. OLG Frankfurt v. 28.2.2005 – 20 W 451/04, GmbHR 2005, 683. 625 Vgl. KG, JW 1939, 357; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 55. 626 Vgl. RG, GmbHRspr. IV, Nr. 23 zu § 46 GmbHG; BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 168 = GmbHR 1974, 183; OLG Düsseldorf, SJZ 1949, 779 = JMBl NRW 1949, 779; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 58; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 55; Grothus, DB 1960, 775; Hesselmann, GmbHR 1960, 158; Kuhn, WM 1976, 763; s. auch OLG Düsseldorf v. 25.2.1998 – 3 Wx 27/989, DB 1998, 1026 = GmbHR 1998, 743; für die AG vgl. etwa RGZ 134, 307; KG, JW 1925, 268 m. krit. Anm. Cohn. 627 So bereits die 6. Aufl.; unentschieden OLG Düsseldorf v. 25.2.1998 – 3 Wx 27/98, GmbHR 1998, 743; ausdrücklich a.M. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 55. 628 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Meyer-Landrut, Rz. 38; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 97; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 53; Hesselmann, GmbHR 1960, 159. 629 Hesselmann, GmbHR 1960, 159. 630 KGJ 40 A 72 = GmbHRspr. I, Nr. 34 zu § 46 GmbHG. 631 Altmeppen, Rz. 78.

Karsten Schmidt | 975

§ 46 Rz. 134 | Aufgabenkreis der Gesellschafter tungsmacht). Die Entscheidungsbefugnis der Gesellschafter kann aber auch beseitigt oder eingeschränkt oder einem anderen Organ übertragen werden632. Zum Rückfall der Gesellschafterkompetenz vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 45 Rz. 11. Bestellungsorgan bleibt bezüglich einer Prokuraerteilung in jedem Fall der Geschäftsführer633. Das ergibt sich aus § 35 sowie aus dem insofern zwingenden § 48 Abs. 1 HGB („gesetzlicher Vertreter“). Die Geschäftsführung unterliegt, auch wenn § 46 Nr. 7 abbedungen ist, weiterhin der Kontrolle nach § 46 Nr. 6 (zur Abbedingung insofern vgl. Rz. 72).

6. GmbH & Co. KG a) Prokuristen der Kommanditgesellschaft 135 aa) Bei der GmbH & Co. KG wirft die Anwendung von § 46 Nr. 7 Zweifelsfragen auf. Proku-

risten und Handlungsbevollmächtigte werden regelmäßig nicht für die GmbH bestellt, sondern für die und von der (durch die Komplementär-GmbH vertretenen) Kommanditgesellschaft634. Formal gesehen bleibt § 46 Nr. 7 außer Betracht, wenn nur die KG Prokuristen bestellt und nicht auch die GmbH. Der Geschäftsführer der GmbH kann zugleich Prokurist der KG sein (12. Aufl., § 35 Rz. 17)635. Das steht zwar nicht in Einklang mit der h.M. innerhalb der GmbH (dazu Rz. 120) und wird deshalb bestritten636, indes zu Unrecht (auch dazu Rz. 120). Ohne weiteres ist jeder Kommanditist tauglicher Prokurist. 136 bb) Ein Zustimmungsbeschluss der Kommanditisten ist nach dem Gesetz nicht erforder-

lich, sofern nicht die Kommanditisten geschäftsführende Gesellschafter der KG (!) sind (§§ 164, 116 Abs. 3 HGB)637. Doch will dieses Ergebnis auf eine Kommanditgesellschaft, die teilweise nach GmbH-Recht lebt, nicht passen. Eine Beteiligung der Kommanditisten kann sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, z.B. auch aus einer Regelung, nach der eine Kommanditistenversammlung eingerichtet ist, deren Zuständigkeiten an das GmbHG angelehnt sind (dazu 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 26 f.). Auch ohne besondere Vertragsregelung kann sich im Innenverhältnis aus den auf die KG bezogenen Schutzpflichten des Geschäftsführers ergeben, dass er die Kommanditisten zu Rate ziehen muss. Vor allem bei der Einheits-GmbH & Co. KG (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 58 ff.) wird i.d.R. ein Kommanditistenbeschluss zu fassen sein (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 60 f.; str.). 137 cc) Ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter der Komplementär-GmbH kann ent-

sprechend § 46 Nr. 7 erforderlich sein. Zwar ist nicht die GmbH, sondern die KG Vollmachtgeber, aber der Normzweck der Geschäftsführerkontrolle (Rz. 124) passt auch hier. Da die Komplementär-GmbH nach § 128 HGB aus allen Geschäften dieser Vertreter haftet, liegt auch ein entsprechendes Schutzbedürfnis der GmbH vor. Selbst wenn man eine analoge Anwendung des § 46 Nr. 7 verneint, wird man aus den allgemeinen Geschäftsführerpflichten 632 Vgl. KG, JFG 4, 203; OLG Düsseldorf v. 25.2.1998 – 3 Wx 27/989, DB 1998, 1026 = GmbHR 1998, 743 (Aufsichtsrat); Feine, S. 511; Hesselmann, GmbHR 1960, 157; h.M. 633 Zust. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 99; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 226. 634 Vgl. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, 22. Aufl. 2020, Rz. 4.134. 635 OLG Hamburg v. 15.12.1960 – 2 W 190/59, GmbHR 1961, 128, 129 m. zust. Anm. Hesselmann; BayObLG v. 20.1.1970 – 2 Z 68/69, WM 1970, 333; BayObLG v. 14.7.1980 – BReg.1 Z 17/80, BayObLG v. 14.7.1980 – BReg 1 Z 17/80, GmbHR 1981, 14 = DB 1980, 2232; OLG Hamm v. 21.4.1977 – 15 W 43/76, DB 1977, 1255, 1256; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 35 Rz. 112. 636 Ablehnend OGH Wien v. 7.11.2007 – 6 Ob 224/07w, GesRZ 2008, 110: OGH Wien v. 16.4.2009 – 6 Ob 43/09f, GesRZ 2009, 357; Krebs in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 48 HGB Rz. 35; Schubert in Oetker, § 48 HGB Rz. 30. 637 Vgl. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, 22. Aufl. 2020, Rz. 4.134.

976 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 138 § 46

i.d.R. eine Verpflichtung ableiten müssen, sich bei derart weitgehenden Entscheidungen der Zustimmung der GmbH-Gesellschafter zu vergewissern (vgl. auch Rz. 115). Bei einer personenidentischen GmbH & Co. KG (quotengleiche Beteiligung in beiden Gesellschaften) ist durch den Gesellschafterbeschluss für Legitimation in beiden Gesellschaften gesorgt. b) Prokuristen der Komplementär-GmbH Für die Erteilung einer Prokura oder Handlungsvollmacht durch und für die GmbH selbst 138 gilt § 46 Nr. 7 unmittelbar. Ein durch Beschluss der GmbH-Gesellschafter legitimierter und durch deren Geschäftsführer bevollmächtigter Vertreter kann die GmbH wirksam vertreten, ohne besondere Bevollmächtigung aber nicht die KG, denn das Organhandeln der GmbH als Komplementärin ist Eigenhandeln (durch den oder die Geschäftsführer) und kann durch Bevollmächtigte nur mit Zustimmung der Kommanditisten vorgenommen werden638. Die Frage ist zweifelhaft und kann vor allem bei einer Komplementär-GmbH auftreten, die neben der Komplementärtätigkeit auch selbst Unternehmensträgerin ist. Hier wird man den gesetzlich umschriebenen Umfang der Prokura auf die Geschäfte der GmbH beschränken und nicht dahin ausdehnen, dass die Prokura ohne weiteres auch die Ausübung der organschaftlichen Vertretungsmacht der GmbH in der KG vermittelt. Allerdings kann der GmbH-Geschäftsführer für den Abschluss von Verkehrsgeschäften der KG in deren Namen eine Vollmacht erteilen. Um eine solche Vollmachterteilung im Namen der KG kann es sich handeln, wenn – ein wohl wenig praktischer Fall – der Geschäftsführer einer reinen (d.h. nicht operativ tätigen) Komplementär-GmbH eine Prokura erteilt (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 9).

X. Zuständigkeit nach § 46 Nr. 8: Geltendmachung von Ersatzansprüchen und Bestellung von Prozessvertretern Schrifttum: Abeltshauser, Leitungshaftung im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; Altmeppen, Zur Rechtsnatur der actio pro socio, in FS Musielak, 2004, S. 1 ff.; Bachmann/Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, 2012, S. 58 ff.; Banerjea, Die Gesellschafterklage im GmbH- und Aktienrecht, 2000; Bayer, Die Geltendmachung von Sozialansprüchen der GmbH durch den ausgeschiedenen Geschäftsführer, GmbHR 2016, 505; Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1998; Berger, Die actio pro socio im GmbH-Recht, ZHR 149 (1985), 599; Bergnitz, Die GmbH im Prozess gegen ihren Geschäftsführer, GmbHR 2008, 225; Binge, Gesellschafterklagen gegen Maßnahmen der Geschäftsführer in der GmbH, 1993; Brandner, Minderheitenrechte bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen aus der Geschäftsführung, in FS Lutter, 2000, S. 317; Eickhoff, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, 1988; Fastrich, Zur Zuständigkeit der Geschäftsführer der GmbH bei der Beantragung von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zur Sicherung von Ersatzansprüchen gegen Geschäftsführer und Gesellschafter, DB 1981, 925; Gach/Pfüller, Die Vertretung der GmbH gegenüber ihrem Geschäftsführer, GmbHR 1998, 64; Gehrlein, Die Gesellschafterklage und § 46 Nr. 8 GmbHG – ein ungelöstes Problem?, ZIP 1993, 1525; v. Gerkan, Die Gesellschafterklage, ZGR 1988, 441; Grunewald, Die Gesellschafterklage, 1990; Hadding, Zur Einzelklagebefugnis des Gesellschafters einer GmbH, GesRZ 1984, 32; Hasselbach, Der Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder, DB 2010, 2037; Hoffmann, Die Klagebefugnis des GmbH-Gesellschafters, GmbHR 1963, 61; Klose, Die Vertretung einer Zweipersonen-GmbH bei Gesellschafterstreitigkeiten, GmbHR 2010, 1139; Konzen, Der besondere Vertreter in Kapital- und Personengesellschaften, in FS Hommelhoff, 2012, S. 565; Kort, Actio pro socio auch bei Klagen gegen Nicht-Gesellschafter, DStR 2001, 2162; Kowalski, Die Gesellschafterklage und § 46 Nr. 8 – kein unlösbares Problem, ZIP 1995, 1315; Krieger, Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen GmbH-Geschäftsführer, in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1998, 1999, S. 111; Kumkar, Die actio pro socio im GmbH-Recht, NZG 2020, 1012; Lindacher, Fragen der Beschlussfassung und -feststellung nach § 46 Nr. 8 GmbHG, ZGR 1987, 121; Lutz, Der

638 A.M. (Gleichstellung von GmbH-Prokuristen mit KG-Prokuristen) Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 35 Rz. 112.

Karsten Schmidt | 977

§ 46 Rz. 139 | Aufgabenkreis der Gesellschafter Gesellschafterstreit, 6. Aufl. 2020; Raiser, Das Recht der Gesellschafterklagen, ZHR 153 (1989), 1; Saenger, Minderheitenschutz und innergesellschaftliche Klagen bei der GmbH, GmbHR 1997, 112; Schanbacher, Actio pro socio – zur Dogmatik der Gesellschafterklage, AG 1999, 21; Karsten Schmidt, Geltendmachung der Geschäftsführerhaftung in Insolvenz und masseloser Liquidation. Grenzen des § 46 Nr. 8 GmbHG, KTS 2005, 261; Verse, Die actio pro socio im Personengesellschafts- und GmbH-Recht nach der Reform der derivativen Aktionärsklage, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1325 ff.; Zöllner, Die sog. Gesellschafterklagen im Kapitalgesellschaftsrecht, ZGR 1988, 392.

1. Bedeutung der Bestimmung a) Inhalt und Zweck der Bestimmung 139 Wie insgesamt bei § 46 (vgl. Rz. 1 ff.) geht es auch bei Nr. 8 im Wesentlichen nicht um die

gesetzliche Zuerkennung einer Gesellschafterkompetenz (diese versteht sich nach der Binnenhierarchie der GmbH von selbst), sondern um eine Einschränkung der Geschäftsführerkompetenz. Nach der Vorstellung der Gesetzesverfasser639 betrifft die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Gründer und Geschäftsführer sowie die Vertretung der GmbH in Prozessen gegen die Geschäftsführer den Grundlagenbereich der Gesellschaft und geht über den genuinen Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführung hinaus. Deswegen sollen die Gesellschafter entscheiden. Allerdings geht es der Sache nach bei § 46 Nr. 8 um unterschiedliche, wenngleich einander überschneidende640 Regeln: Soweit die Geltendmachung von Ersatzansprüchen in Frage steht (erste Variante des § 46 Nr. 8), will das Gesetz eigenmächtige Entscheidungen der Geschäftsführer über die Durchsetzung oder Nichtdurchsetzung solcher Ansprüche verhindern (dazu sogleich Rz. 141 ff.). Soweit über die Vertretung in Prozessen gegen die Geschäftsführer beschlossen wird (zweite Variante des § 46 Nr. 8), geht es um die ordnungsmäßige Vertretung der GmbH in Prozessen, bei denen der grundsätzlich für die Vertretung berufene Geschäftsführer selbst Prozessgegner ist (dazu Rz. 163 ff.). Die erste Variante von § 46 Nr. 8 erfasst deshalb nur bestimmte Ansprüche und betrifft deren Begründetheit. Die zweite Variante ist, unabhängig von der Art der streitigen Ansprüche, an einer bestimmten Prozesssituation orientiert und betrifft die Zulässigkeit der Klage. b) Praktische Auswirkung 140 Demgemäß ist auch der Effekt der beiden Varianten unterschiedlich. Die erste Variante

kann sich durchaus auch zum Nachteil der Gesellschaft auswirken, weil sie die Geltendmachung von Ansprüchen nicht nur befördern, sondern auch erschweren kann (vgl. Rz. 141). Die zweite Variante dagegen wirkt sich zugunsten der Gesellschaft aus, denn nach richtiger Ansicht zwingt sie nicht zur Bestellung von Prozessvertretern, sondern gibt der Gesellschaft nur diese Option, um die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft in Prozessen mit den Geschäftsführern sicherzustellen (vgl. Rz. 163).

2. Die erste Variante des § 46 Nr. 8: Geltendmachung von Ersatzansprüchen a) Grundlagen 141 aa) Normzweck und Bedeutung der Zuständigkeitsregel zielen nicht auf den Schutz des

Schuldners (dieser ist nur im Rahmen der innergesellschaftlichen Zuständigkeitsordnung mit-

639 Begründung 1891, S. 98 f.; Karsten Schmidt, KTS 2005, 261 f. 640 Altmeppen, Rz. 80.

978 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 143 § 46

geschützt) und auch nicht auf einen Schutz der Gesellschaft (diese ist nur in dem Sinne geschützt, dass die Entscheidungszuständigkeit geordnet sein soll); es geht vielmehr um eine funktionsgerechte Ordnung der Entscheidungskompetenz641: Da die Gesellschaft grundsätzlich – nämlich soweit nicht die Geltendmachung im Gläubigerinteresse unerlässlich ist – über die unter § 46 Nr. 8 fallenden Ansprüche verfügen kann, soll eine Geltendmachung ohne vorherige Willensbildung der Gesellschafter verhindert werden. Die Bestimmung ist die Kehrseite der sich aus § 46 Nr. 5 ergebenden Entlastungskompetenz (Rz. 89). Die Geltendmachung der von § 46 Nr. 8 erfassten Ansprüche kann ebenso wie sonstige Verfügungen über diese Ansprüche existentielle Folgen für das Innenverhältnis der GmbH haben. Über dieses zu entscheiden ist Sache der Gesellschafter. bb) Umstritten war, ob das Erfordernis Außenwirkung oder bloße Innenwirkung hat. Die 142 noch von Franz Scholz betreute 5. Aufl. des Scholz hatte sich für eine bloße Innenwirkung ausgesprochen642. Diese Ansicht gewann zwischenzeitlich an Boden643. Nach ihr folgt aus § 46 Nr. 8 nur, dass die Geschäftsführer verpflichtet sind, eine Zustimmung der Gesellschafter einzuholen. Nach der ganz herrschenden, vor allem vom BGH vertretenen und auch hier seit der 6. Aufl. geteilten Auffassung hat § 46 Nr. 8 Außenwirkung, und eine unter die Bestimmung fallende Klage ist, sofern ein nach § 46 Nr. 8 erforderlicher Beschluss fehlt, als unbegründet abzuweisen (eingehend Rz. 159). Die Gegenansicht (bloße Innenwirkung) hat allerdings den Vorzug der Einfachheit: Im Streitfall braucht das Gericht nur zu prüfen, ob die Gesellschaft nach allgemeinen Grundsätzen wirksam vertreten ist und ob die durch § 46 Nr. 8 nicht berührten materiellen Anspruchsvoraussetzungen vorliegen. Die Gegenansicht erspart sich außerdem eine Abgrenzung der in Rz. 152 zu schildernden Ausnahmen, weil diese nach ihr für die Begründetheit einer Klage keine Rolle spielen. Für die h.M. (Außenwirkung des § 46 Nr. 8) sprechen jedoch Argumente der Innenkompetenz in der Gesellschaftsorganisation. Die Gesellschafter sollen, sofern nicht einer der Ausnahmefälle nach Rz. 152 ff. vorliegt, verbindlich über Ersatzansprüche und deren Durchsetzung disponieren. So, wie sie darüber negativ befinden können (nämlich durch Entlastung nach § 46 Nr. 5), sollen sie auch positiv darüber entscheiden. Dies ist ebenso wie bei § 46 Nr. 2 (dazu Rz. 49, 56 f.) und im Gegensatz zu § 46 Nr. 7 will das Gesetz mit § 46 Nr. 8 nicht nur das Weisungsrecht der Gesellschafter stärken, sondern es will die Geltendmachung der Ansprüche verbindlich in die Hand der Gesellschafter geben. Schließlich wäre es zwar angesichts des unterschiedlichen Normzwecks nicht unerklärlich, aber doch sonderbar, wenn die Regelung des § 46 Nr. 8 hinsichtlich der Geltendmachung bloße Innenwirkung, dagegen hinsichtlich der Prozessvertretung Außenwirkung haben sollte. cc) § 46 Nr. 8 ist nicht zwingend644. Die Satzung (der Gesellschaftsvertrag) kann vorsehen, 143 dass es keiner Beschlussfassung bedarf oder dass diese nur im Innenverhältnis und nur unter besonderen Voraussetzungen erforderlich ist. Die Gesellschafter können die Entscheidung auch in die Hand eines anderen Organs – z.B. eines Aufsichtsrats oder Beirats – legen. Der Aufsichtsrat oder Beirat darf aber die den Gesellschaftern verbliebenen Kompetenzen nicht verletzen645. Über den Rückfall von Beschlusskompetenzen an die Gesellschafter vgl. Rz. 5. Für hinreichenden Schutz der Minderheitsgesellschafter ist durch das Institut der actio pro socio gesorgt (Rz. 161).

641 Ähnlich BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 357 = JR 1959, 299 m. Anm. Goerdeler = GmbHR 1959, 48 m. Anm. Wilhelm; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 100. 642 Wohl auch Winter, GmbHR 1965, 6. 643 Fastrich, DB 1981, 926 f.; vgl. auch noch Zöllner in Baumbach/Hueck, 15. Aufl., Rz. 40. 644 Wie hier OLG Düsseldorf v. 11.11.2008 – 6 W 62/08; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 131; Altmeppen, Rz. 94. 645 OLG Brandenburg v. 23.10.1997 – 12 U 216/96, NJW-RR 1998, 1196 = GmbHR 1998, 599.

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§ 46 Rz. 144 | Aufgabenkreis der Gesellschafter b) Geltungsbereich 144 aa) Das Prinzip. Die erste Variante des § 46 Nr. 8 gilt für jede GmbH (auch Vor-GmbH [§ 11;

vgl. Rz. 145], aufgelöste GmbH, mitbestimmte GmbH). Der Geltungsbereich des § 46 Nr. 8 wird bestimmt durch die Art des Anspruchs, nicht der zu erhebenden Klage. Die Vorschrift ist bei Leistungsklagen, positiven und negativen Feststellungsklagen über einen unter § 46 Nr. 8 fallenden Anspruch gleichermaßen zu beachten646. Für den einstweiligen Rechtsschutz nach §§ 916 ff. ZPO gilt das Erfordernis nicht (vgl. Rz. 154). 145 bb) Umfang. § 46 Nr. 8 gilt für Ansprüche der Gesellschaft, nicht eines Gesellschafters

(Rz. 158)647 und auch nicht eines Dritten. Ihrer Art nach (Rz. 144) sind diese Ansprüche beschrieben als Ansprüche aus der Gründung oder Geschäftsführung, also als organisationsrechtliche Ansprüche. Drittansprüche der Gesellschaft (z.B. Ersatzansprüche wegen des Kaufs eines Gegenstands von einem Gesellschafter) gehören nicht dazu, auch wenn ein Zusammenhang mit der Gründung oder Geschäftsführung besteht. Die Qualifikation des Anspruchs entscheidet (Rz. 144). Wo § 46 Nr. 8 die Geschäftsführung an der Geltendmachung von Forderungen hindert, gilt dies auch, wenn die Gesellschaft einen Gesellschafter oder einen Dritten wirksam zur Geltendmachung ihrer Forderungen im eigenen Namen ermächtigt648. Zu Fragen der actio pro socio vgl. Rz. 161. Ansprüche, die einer Vor-GmbH erwachsen sind, werden mit deren Eintragung automatisch zu Ansprüchen der GmbH (12. Aufl., § 11 Rz. 152) und fallen deshalb unter § 46 Nr. 8649. § 46 Nr. 8 sollte schon vor der Eintragung angewendet werden (12. Aufl., § 11 Rz. 55). Grundsätzlich macht eine Abtretung die Beschlussfassung nicht entbehrlich (Rz. 160). Der Zessionar muss sich nach § 404 BGB das Fehlen eines wirksamen Beschlusses nach § 46 Nr. 8 entgegenhalten lassen (über Ausnahmen bei Abtretung erfüllungshalber vgl. Rz. 152)650. Die Art des Anspruchs, auf die es ankommt, ändert sich durch die Abtretung nicht. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Beschlussfassung der Gesellschafter – vor allem bei Pfändung, Liquidation und Insolvenz – entbehrlich ist, vgl. Rz. 152, 153. 146 cc) Gesellschafter und Geschäftsführer. Schuldner der unter § 46 Nr. 8 fallenden Ansprüche

können gegenwärtige oder vormalige Gesellschafter sein651 bzw. gegenwärtige oder vormalige Geschäftsführer652. Die Einbeziehung ehemaliger Gesellschafter und Geschäftsführer 646 Der hier vertretenen Ansicht zust. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66; s. auch Altmeppen, Rz. 85. 647 BGH v. 24.1.1967 – VI ZR 92/65, BB 1967, 348; BGH v. 23.6.1969 – II ZR 272/67, BB 1969, 973 = MDR 1969, 909 = NJW 1969, 1712. 648 Zu dieser Möglichkeit BGH v. 14.7.1965 – VIII ZR 121/64, GmbHR 1965, 175 = NJW 1965, 1962; BGH v. 2.6.1986 – II ZR 300/85, NJW-RR 1987, 57 = JuS 1987, 323. 649 So schon 6. Aufl. unter Berufung auf RGZ 100, 177 = DJZ 1921, 203; a.M. wohl KG, OLGE 41, 210. 650 So im Ergebnis auch BGH v. 21.5.1964 – VII ZR 21/63, GmbHR 1965, 6 m. Anm. Winter; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; unentschieden BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, GmbHR 2004, 1279 = ZIP 2004, 1708, 1710; a.A. Altmeppen, Rz. 89. 651 Vgl. nur Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 59; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 65; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 243; Altmeppen, Rz. 90. 652 BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 357 = JR 1959, 299 m. Anm. Goerdeler = GmbHR 1959, 48 m. Anm. Wilhelm; BGH v. 21.5.1964 – VII ZR 21/63, GmbHR 1965, 4 m. Anm. Winter = DRspr. II 134a; BGH v. 21.2.1983 – II ZR 183/82, GmbHR 1983, 300 = WM 1983, 498; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, GmbHR 2012, 638, 639; OLG Köln v. 27.11.1992 – 19 U 89/92, GmbHR 1993, 157; OLG Düsseldorf v. 18.8.1994 – 6 U 185/93, GmbHR 1995, 232; OLG Oldenburg v. 21.1.2010 – 1 U 18/09, GmbHR 2010, 258; OLG Frankfurt v. 9.3.2010 – 14 U 52/09; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 59; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 35; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 65; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 243; Altmeppen, Rz. 90; Meyer-Landrut, Rz. 45; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon,

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 147 § 46

ist bisweilen bestritten worden. Das war verständlich, solange die h.M. zur Erklärung des § 46 Nr. 8 auf den Schutz dessen abstellte, der in Anspruch genommen werden soll (so hier die noch von Franz Scholz betreute 5. Aufl.)653. Aber in Anbetracht des bei Rz. 141 entwickelten Normzwecks kommt es nicht darauf an, ob das die Grundlage bildende Organisationsrechtsverhältnis zum Schuldner im Zeitpunkt der Geltendmachung von Ansprüchen noch besteht654. Soweit ein Dritter als Quasi-Gesellschafter, insbesondere als Treugeber eines Treuhandgesellschafters, nach den für den Gesellschafter geltenden Grundsätzen in Anspruch genommen werden kann, ist § 46 Nr. 8 auch auf ihn anzuwenden. Auch für Ansprüche gegen Liquidatoren gilt § 46 Nr. 8655. Eine andere Frage ist, inwieweit die Beschlussfassung in Liquidation und Insolvenz entbehrlich sein kann (Rz. 153). Auf Ansprüche gegen andere Organe – insbesondere gegen Beirats- und Aufsichtsratsmitglieder – wird § 46 Nr. 8 entsprechend angewandt656. Vorgeschlagen wird auch eine entsprechende Anwendung auf Ansprüche gegen Abschlussprüfer aus § 323 HGB657. Diese Ausdehnung ist nach dem Normzweck der Bestimmung (Rz. 141) zu bestreiten658. dd) Ersatzansprüche sind alle Ansprüche auf vertraglicher oder gesetzlicher Grundlage, die 147 aus schädigenden Handlungen oder Unterlassungen resultieren659. In erster Linie handelt es sich dabei um Schadensersatzansprüche aus dem Gesellschafts- oder Organschafts- bzw. Anstellungsverhältnis, auch wegen schädigender Einflussnahme auf die Gesellschaft. Ansprüche auf anderer Anspruchsgrundlage und Ansprüche, die auf Erstattung oder Herausgabe gehen, sind gleichfalls erfasst, wenn auch sie auf schädigenden Handlungen oder Unterlassungen beruhen und nach Lage des Falls dem Ausgleich eines Schadens am Gesellschaftsvermögen dienen, insbesondere mit einem Schadensersatzanspruch konkurrieren. Dies ist z.B. bei einem sog. Eintrittsrecht bei Verletzung eines Wettbewerbsverbots660 oder bei Ansprüchen wegen Geschäftsanmaßung (§ 687 Abs. 2 BGB) der Fall661. Auch Bereicherungsansprüche aus § 812 BGB können, wenn sie durch eine schädigende Handlung ausgelöst worden sind, hierher gehören662. Die Gesellschafterzuständigkeit nach § 46 Nr. 8 strahlt auch auf Auskunftsansprüche und Unterlassungsansprüche aus663: auf Auskunftsansprüche insofern, als für ei-

653 654 655 656 657 658 659

660 661 662 663

Rz. 49; Goette, DStR 1997, 253; a.M. OLG München, HRR 1940 Nr. 1357; OLG Nürnberg v. 2.4.1957 – 3 U 368/55, GmbHR 1959, 10, 11. Ausführliche Auseinandersetzung mit Scholz noch in der 6. Aufl. BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 357 = JR 1959, 299 m. Anm. Goerdeler = GmbHR 1959, 48 m. Anm. Wilhelm; h.M. Vgl. im Ausgangspunkt auch RG, HRR 1929 Nr. 2119; BGH v. 23.2.1969 – II ZR 272/67, BB 1969, 973 = NJW 1969, 1712. Jetzt h.M.; für viele Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 59; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 243. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103. Zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 243; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 59. Vgl. zu diesem Begriff BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 382 = GmbHR 1986, 260; BGH v. 13.2.1975 – II ZR 92/73, BB 1975, 578 = GmbHR 1975, 110; BGH v. 18.9.2000 – II ZR 15/ 99, GmbHR 2000, 1258, 1259 (Abgrenzung); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 58; Hüffer/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 104; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 232; Römermann in Michalski u.a., Rz. 415 f.; Altmeppen, Rz. 87 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66. Vgl. BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 76 = NJW 1981, 1512, 1514; bestätigend BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 382 = GmbHR 1986, 260; s. auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 232; Altmeppen, Rz. 87. BGH v. 13.2.1975 – II ZR 92/73, BB 1975, 578 = GmbHR 1975, 110; bestätigend BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 382 = GmbHR 1986, 260; s. auch Altmeppen, Rz. 87. Vgl. BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 382 = GmbHR 1986, 260; OLG Stuttgart v. 20.11.2012 – 14 U 39/12, GmbHR 2013, 472, 475; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 232; Altmeppen, Rz. 87; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 49. Jetzt h.M.; vgl. nur Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 232.

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§ 46 Rz. 147 | Aufgabenkreis der Gesellschafter nen nach § 46 Nr. 8 nicht durchsetzbaren Schadensersatzanspruch auch kein Auskunftsanspruch gewährt wird664, auf Unterlassungsansprüche insoweit, als diese der präventiven Durchsetzung der Pflichten bei Gründung und Geschäftsführung dienen665. Doch stehen solche Klagen der Gesellschaft gegen Geschäftsführer und Gesellschafter in der Gesellschaftspraxis nicht im Mittelpunkt. 148 Nicht hierher gehören Erfüllungsansprüche aus Rechtsgeschäften666 sowie aus Einlageverspre-

chen (vgl. zur Zuständigkeit der Gesellschafter für die Einforderung restlicher Bareinlagen nach § 46 Nr. 2 vgl. Rz. 49 ff.)667. Um ungedeckte Einlagen handelt es sich z.B. auch, wenn eine Sacheinlage überbewertet war und nach § 9 eine Bareinlage in Höhe der Differenz zu leisten ist (vgl. 12. Aufl., § 9 Rz. 6 ff.)668, auch im Fall der verdeckten Sacheinlage (12. Aufl., § 19 Rz. 116 ff.) oder wenn eine Bareinlage in unwirksamer Weise durch Aufrechnung erbracht worden ist und deshalb nochmals gezahlt werden muss (12. Aufl., § 19 Rz. 71 ff.). In allen diesen Fällen geht es nicht um Schadensersatz, sondern um ungedeckte Einlageleistungen669. Auch die Ausfallhaftung nach § 16 Abs. 2 oder nach § 24 ist keine unter § 46 Nr. 8 fallende Ersatzleistung. Kein Ersatzanspruch aus der Gründung ist auch der Anspruch aus der Unterbilanzhaftung (Differenzhaftung, Vorbelastungshaftung) gemäß § 11 Rz. 139 ff. (12. Aufl.), denn es geht hierbei nur um einen Erstattungsanspruch der Gesellschaft gegen ihre Gründer wegen Vorbelastungen670. Alle diese Ansprüche sind Bestandteile des Kapitalschutzrechts der GmbH. Das gilt auch für konzernrechtliche Ansprüche auf Verlustausgleich im Vertragskonzern bzw. auf Schädigungsausgleich im faktischen Konzern (dazu 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 85 ff., 180; zur Abgrenzung sogleich Rz. 150)671. Erst recht gilt dies für Rückgewähransprüche aus § 31 wegen verbotener Ausschüttungen (vgl. 12. Aufl., § 31 Rz. 5 ff.)672 oder von verbotenen Krediten an Geschäftsführer (§ 43a). Diese Ansprüche müssen jederzeit von den Geschäftsführern bzw. Liquidatoren geltend gemacht werden (vgl. schon Rz. 51). 149 ee) Ersatzansprüche gegen Geschäftsführer aus Gründung oder Geschäftsführung sind

insbesondere solche aus §§ 9a und 43 unter Einschluss der §§ 15a, 15b InsO (vgl. dazu allerdings Rz. 152). Auch Ansprüche aus einer Verletzung des Geschäftsführervertrags sowie alle sonstigen sich aus der Geschäftsführung herleitenden Schadensersatzansprüche, Herausgabeansprüche etc. auf vertraglicher oder außervertraglicher Grundlage fallen unter § 46 Nr. 8 (vgl. zu dieser Ausdehnung Rz. 147). 150 ff) Ersatzansprüche gegen Gesellschafter aus der Gründung werden im Wesentlichen sol-

che nach § 9a sein. Soweit eine Verschuldenshaftung wegen Unterkapitalisierung in Betracht gezogen wird673, fällt diese unter § 46 Nr. 8, wird aber regelmäßig erst im Insolvenzverfahren 664 BGH v. 13.2.1975 – II ZR 92/73, GmbHR 1975, 110, 111 = NJW 1975, 977 f. 665 Vgl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 58; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36. 666 BGH v. 18.9.2000 – II ZR 15/99, GmbHR 2000, 1258, 1259 m. Anm. Lelley; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 51; insoweit zutreffend auch OLG Brandenburg v. 23.10.1997 – 12 U 216/ 96, NJW-RR 1998, 1196 = GmbHR 1998, 599. 667 Wie hier inzwischen Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 105; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236. 668 Wie hier Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 233, 236. 669 Zust. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 105; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236; jetzt auch Altmeppen, Rz. 90; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 51; weiter als hier wohl auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 58. 670 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37. 671 Zust. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 105; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 51. 672 Vgl. auch zur Nichtanwendung des § 46 Nr. 2 auf Ansprüche aus § 31 BGH v. 8.12.1986 – II ZR 55/86, GmbHR 1987, 224 = NJW 1987, 779; Altmeppen, Rz. 90; zu § 46 Nr. 8 vgl. Eickhoff, Die Gesellschafterklage im GmbH-Recht, S. 202. 673 Karsten Schmidt, GesR, § 37 III 7; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 295 f.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 151 § 46

praktisch (dann Rz. 152). Ansprüche aus § 57 Abs. 4, § 9a stehen der Gründerhaftung gleich674. Ersatzansprüche gegen Gesellschafter „aus der Geschäftsführung“ kommen nicht nur bei Geschäftsführergesellschaftern in Betracht. Erfasst ist vielmehr jede Verschuldenshaftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft, soweit sie aus dem Gesellschaftsverhältnis herrührt. So die seit BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = GmbHR 2001, 1036 (Bremer Vulkan), BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 = NJW 2004, 1860 (Gelatine), BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = GmbHR 2007, 927 (Trihotel) und BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = GmbHR 2008, 805 m. Anm. Ulrich (GAMMA) sukzessiv ausdifferenzierte Verschuldenshaftung von Gesellschaftern bei existenzgefährdenden Schädigungen der Gesellschaft (dazu die Stellungnahme bei Rz. 112 sowie bei 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 121)675. Auch die rechtswidrig schuldhafte Belastung der Gesellschaft mit Kosten (Beratung zur Abwehr angemaßter Ansprüche, Kosten von Versammlungen etc.) kann u.U. zu solchen Ersatzansprüchen führen676. Diese Ansprüche werden außerhalb des Insolvenzverfahrens erst nach entsprechender Beschlussfassung geltend gemacht. Es ist deshalb umso wichtiger, diese Tatbestände der Verschuldenshaftung ganz klar gegen die Rückgewähr verbotener Ausschüttungen (§ 31) und die konzernrechtliche Verlustausgleichspflicht, die beide nicht unter § 46 Nr. 8 fallen (Rz. 148), abzugrenzen677. gg) Die „Geltendmachung“ von Ansprüchen kann Beschlussgegenstand sein. Beschluss- 151 antrag und Beschluss können positiv oder negativ gefasst werden. Auch eine Entscheidung über Erlass, Verzicht, Klagrücknahme, Vergleich usw. ist eine Entscheidung über die „Geltendmachung“ i.S.v. § 46 Nr. 8. Bei der Beschlussfassung über einen Vergleich fällt nicht nur der teilweise Verzicht auf Ansprüche unter § 46 Nr. 8, sondern auch der vom Geschäftsführer oder Gesellschafter zugestandene Teil der Forderung678. Vereinbarungen über Ausschlussoder Verjährungsfristen können gleichfalls unter § 46 Nr. 8 fallen679. Ähnlich wie bei § 46 Nr. 5 (Rz. 80) ergibt sich deshalb auch aus § 46 Nr. 8 eine Annexkompetenz der Gesellschafter für Verträge über Schadensersatzansprüche gegen aktuelle oder ehemalige Gesellschafter und damit eine Beschränkung der Geschäftsführer-Vertretungsmacht680. Deshalb bedarf es hierfür – auch im Außenverhältnis (Rz. 104) – einer Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8681. Nach Lage des Falls kann der Abschluss eines Prozessvergleichs von der Beschlussfassung über die Prozessführung mit gedeckt sein (Rz. 156). Schon bei Rz. 104 wurde ausgeführt, dass die organschaftliche Vertretungsmacht eines Geschäftsführers die Generalbereinigung nicht deckt. Die bloße Ablehnung eines nach § 46 Nr. 8 gestellten Beschlussantrags ist noch keine Entlastung (Rz. 158) oder Zustimmung zu einem Anspruchsverzicht682 und hindert nicht die Geltendmachung des Anspruchs durch Insolvenzverwalter (Rz. 152) oder im Wege der actio pro socio (Rz. 161 f.). Andere Verfügungen über den Anspruch, z.B. die Abtretung, fallen nicht unter § 46 Nr. 8. Ein intern wirkender Beschluss (Weisung oder Billigung) kann naturgemäß herbeigeführt werden; aber das hat mit § 46 Nr. 8 nichts zu tun. 674 675 676 677 678

679 680 681 682

Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 106. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 235. Zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 235. Vgl. näher Karsten Schmidt, GesR, § 37 III 3, § 39 III 3; Karsten Schmidt, ZIP 1986, 147 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1991, 1327 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1993, 549 ff. Bedenklich OLG Brandenburg v. 23.10.1997 – 12 U 216/96, NJW-RR 1998, 1196 = GmbHR 1998, 599 (vergleichsweise zustandegekommenes Vereinbarungsdarlehen); das OLG verneint die Anwendung des § 46 Nr. 8 auf die Geltendmachung der Darlehensforderung, verkennt aber die notwendige Anwendung des § 46 Nr. 8 auf den anspruchsbegründenden Vergleichsvertrag. OLG Brandenburg v. 6.10.1998 – 6 U 278/97, NZG 1999, 210, 211 m. Anm. Brandes = (L) GmbHR 1999, 344. BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 = GmbHR 1999, 921, 922; BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, GmbHR 1998, 278. Übereinst. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 108. Vgl. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 112.

Karsten Schmidt | 983

§ 46 Rz. 152 | Aufgabenkreis der Gesellschafter c) Ausnahmen vom Beschlusserfordernis 152 aa) Eine Ausnahme im Gläubigerinteresse gilt, wenn die Geltendmachung des Anspruchs

zur Befriedigung von Gesellschaftsgläubigern unentbehrlich ist (Gedanke des § 43 Abs. 3 Satz 3)683. Dies ist der meist unausgesprochene Grundgedanke einer weithin anerkannten teleologischen Reduktion des § 46 Nr. 8. Insbesondere im Insolvenzverfahren bedarf es keines Beschlusses nach § 46 Nr. 8684. Dasselbe kann im Fall der Liquidation gelten, jedenfalls dann, wenn ein Insolvenzverfahren mangels Masse nicht eröffnet oder eingestellt worden ist685. Näher zur masselosen Liquidation 12. Aufl., § 60 Rz. 38 ff. Auch ein pfändender Gläubiger kann die Anspüche ohne Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 geltend machen686. Dasselbe muss dann auch im Fall der Abtretung gelten, sofern die Forderung zur Sicherheit oder erfüllungshalber an einen Gläubiger der Gesellschaft abgetreten worden ist und dieser aus liquidem Gesellschaftsvermögen keine Befriedigung erlangt687. 153 bb) Ausnahmen im Gesellschafts- oder Gesellschafterinteresse können sich unter Treu-

pflichtgesichtspunkten ergeben. Das gilt zunächst im Fall positiver Stimmpflichten, insbesondere, wenn die Geltendmachung des Anspruchs für die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks, z.B. für die Abwendung der Insolvenz oder sonst im wohlverstandenen Interesse der Gesellschaft unerlässlich ist688. Die bloße Durchsetzung einer positiven Stimmpflicht der Gesellschafter (dazu und zur Durchsetzung der Stimmpflicht im Prozess vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 31 f.) ist für eine Sanierungssituation zu ineffizient. Deshalb ist dem Schuldner die Berufung auf das Fehlen eines Beschlusses nach § 242 BGB versagt. Besonders einleuchtend ist dies im Fall drohender Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit. Es kann dem Geschäftsführer oder Gesellschafter nicht geboten oder auch nur gestattet sein, die Gesellschaft durch Zahlungsverweigerung einem Insolvenz- oder Liquidationsverfahren auszusetzen, in dem der Einwand fehlender Beschlussfassung ohnedies ausgeschlossen wäre. Hiervon zu unterscheiden sind Fälle, in denen das Beschlusserfordernis als bloße Formalität, insbesondere als ein überflüssiger Umweg erscheint. So, wenn der Geschäftsführer oder Liquidator einer Einpersonengesellschaft mit formlosem Einverständnis des Gesellschafters, wenn auch ohne einen nach § 48 Abs. 3 dokumentierten Beschluss, klagt689; ebenso, wenn der Minderheitsgesellschafter, der allein stimmberechtigt wäre, auf der Geltendmachung der Ansprüche ge-

683 Vgl. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 105. 684 Übereinst. BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, GmbHR 2004, 1279 = NZG 2004, 962; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 60; Altmeppen, Rz. 89; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 102; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 62; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; Meyer-Landrut, Rz. 46; Friedrich Weber, KTS 1970, 78; Karsten Schmidt, KTS 2005, 261, 265; zur AG: RGZ 76, 248; RG, JW 1896, 697; zur Genossenschaft BGH v. 13.6.1960 – II ZR 73/ 58, NJW 1960, 1667. 685 Der hier vertretenen Auffassung folgend BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, GmbHR 2004, 1279, 1281 = NZG 2004, 962, 965; dazu Karsten Schmidt, KTS 2005, 261 ff.; zuerst Wolf Schulz, Die masselose Liquidation der GmbH, 1986, S. 137; a.M. noch BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 357 f. = WM 1958, 1544 f. 686 RG, LZ 1918, 856 = GmbHR 1918, 139 = GmbHRspr. III, Nr. 5 zu § 46 GmbHG; RG, HRR 1929 Nr. 2119 = LZ 1929, 1460 = JW 1930, 2685 = SeuffA 83 Nr. 214 (betr. Inanspruchnahme eines Liquidators); Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 60; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 102; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; Altmeppen, Rz. 89. 687 Nur insofern überzeugend Altmeppen, Rz. 89, wo abgetretene Ansprüche den gepfändeten generell gleichgestellt werden. 688 Vgl. zum Folgenden Karsten Schmidt, KTS 2005, 261, 262 f.; ausführlich Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 110 ff.; über Rechtspflichten der Gesellschafter im Zusammenhang mit der Unternehmenssanierung Karsten Schmidt, ZIP 1980, 332 ff. 689 BGH v. 9.12.1996 – II ZR 240/95, GmbHR 1997, 163, 164 = DStR 1997, 253 m. Anm. Goette; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 63.

984 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 155 § 46

gen den Mehrheitsgesellschafter besteht690. Nach Ansicht der Gerichte kann, wenn in einer Zweipersonengesellschaft beide Gesellschafter auch alleinvertretungsberechtigte Geschäftsführer sind, jeder aufgrund eigenen Entschlusses namens der GmbH Klage gegen den anderen wegen Verletzung der Geschäftsführerpflichten erheben691. Den Weg der im eigenen Namen zu erhebenden actio pro socio (Rz. 161 ff.) braucht der Gesellschafter dann nicht zu beschreiten (kann dies aber, ohne dass ein Einwand aus Rz. 161 entgegengesetzt werden kann). Dies zuzulassen ist vergleichsweise einleuchtend, wenn der die Prozessführung betreibende Gesellschafter gleichzeitig Geschäftsführer ist692. Die Bestellung eines besonderen Prozessvertreters nach § 46 Nr. 8 ist in einem solchen Fall zwar zulässig, aber nicht erforderlich. Das OLG München693 will diese Lösung offenbar auch auf den Fall ausdehnen, dass der auf Prozessführung dringende Minderheitsgesellschafter nicht Geschäftsführer ist. Anscheinend soll ihm analog § 46 Nr. 8 in diesem Fall ohne Gesellschafterbeschluss eine Vertretungsmacht für die Gesellschaft zuwachsen. Das ist eine bedenkliche Einladung zur Austragung von Gesellschafterstreitigkeiten auf (Prozess-)Risiko der Gesellschaft (Rz. 171). Im Namen der Gesellschaft kann ein nicht als Geschäftsführer berufener Minderheitsgesellschafter nur klagen, nachdem gemäß § 46 Nr. 8 auch über die Prozessvertretung beschlossen worden ist oder wenn der Beklagte die Herbeiführung eines Beschlusses (bei dem er vom Stimmrecht ausgeschlossen wäre) treuwidrig verhindert. Fehlt es daran, so bleibt nur eine Klage im Wege der actio pro socio, also im eigenen Namen (dazu Rz. 161). cc) Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes (12. Aufl., § 45 Rz. 183) sind nach dem 154 Normzweck grundsätzlich nicht von einem Beschluss nach § 46 Nr. 8 abhängig694. Ein vom Geschäftsführer beantragtes Arrestgesuch der Gesellschaft kann also grundsätzlich nicht mit der Begründung zurückgewiesen werden, ohne den nach § 46 Nr. 8 erforderlichen Gesellschafterbeschluss über die Geltendmachung des Anspruchs könne dieser nicht als Arrestanspruch geltend gemacht werden. Es genügt vielmehr, wenn ein solcher Beschluss für die Klageerhebung in der Hauptsache herbeigeführt werden soll und noch herbeigeführt werden kann. Dies ist als Bestandteil des Arrestgrundes glaubhaft zu machen. d) Der Beschluss aa) Die Beschlussfassung erfolgt vorbehaltlich anderer Satzungsbestimmungen mit einfa- 155 cher Mehrheit (§ 47 Abs. 1). Die Beschlussfassung bedarf grundsätzlich keiner Form (Sonderfall: § 48 Abs. 3)695. Sie kann unter den bei § 48 erläuterten Voraussetzungen ohne Versammlung und unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 auch spontan bei einer Zusammenkunft aller Gesellschafter zustandekommen696. Die Gesellschafter entscheiden unter Ab690 Vgl. BGH v. 28.6.1982 – II ZR 199/81, WM 1982, 928, 929 = ZIP 1982, 1203; BGH v. 29.11.2004 – II ZR 14/03, GmbHR 2005, 301, 302 = ZIP 2005, 320, 321; LG Düsseldorf v. 7.4.1994 – 32 O 225/ 92, DB 1994, 1028, 1029. 691 RG, SeuffA 94, 186 f. Nr. 75; BGH v. 4.2.1991 – II ZR 246/89, GmbHR 1991, 363 = NJW 1991, 1884; s. auch OLG Hamburg, GmbHRspr. IV, Nr. 31 zu § 47 GmbHG; OLG München v. 19.5.1982 – 7 U 4099/81, WM 1982, 1061, 1062; OLG Düsseldorf v. 20.5.2011 – 14 U 36/11, DStR 2012, 1350; Zöllner, ZGR 1988, 410; M. Wolf, ZGR 1998, 101; krit. Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 203. 692 So im Fall OLG Düsseldorf v. 20.5.2011 – 14 U 36/11, DStR 2012, 1350. 693 OLG München v. 19.5.1982 – 7 U 4099/81, WM 1982, 1061, 1062 f. 694 Im Ergebnis h.M.; vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 107; Meyer-Landrut, Rz. 47; vgl. vor allem Fastrich, DB 1981, 926, der aber eine Anwendung des § 46 Nr. 8 mit bloßer Innenwirkung vorzieht; a.A. Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 68. 695 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 = GmbHR 1999, 921 m. Anm. Klaus J. Müller; OLG Frankfurt v. 9.3.2010 – 14 U 52/09. 696 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 = GmbHR 1999, 921 m. Anm. Klaus J. Müller; OLG Frankfurt v. 9.3.2010 – 14 U 52/09.

Karsten Schmidt | 985

§ 46 Rz. 155 | Aufgabenkreis der Gesellschafter wägung aller der Gesellschaft entstehenden Vor- und Nachteile nach unternehmerischem Ermessen, also nicht nur, wie im Aufsichtsrat697, über die rechtlichen Aussichten einer Inanspruchnahme (über eventuelle positive Stimmpflichten vgl. allerdings Rz. 153)698. Der betroffene Gesellschafter darf nach § 47 Abs. 4 Satz 2 nicht mitstimmen (12. Aufl., § 47 Rz. 126, 140)699. Nach BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = BB 1986, 619 = NJW 1986, 2051700 ist nicht nur der unmittelbar Betroffene, sondern grundsätzlich auch ein Gesellschafter von der Abstimmung ausgeschlossen, der mit ihm gemeinsam die Pflichtverletzung begangen hat. Nach Auffassung der Praxis genügt deshalb für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der Zweipersonen-GmbH gegen ihren Gesellschafter-Geschäftsführer ein Beschluss, der in einer ordnungsgemäß einberufenen oder spontan zusammengetretenen Versammlung mit der Stimme des anderen Gesellschafters gefasst ist701. Die Geltendmachung des Anspruchs durch den allein stimmberechtigten Gesellschafter ohne vorherige Beschlussfassung702 kann Verletzung des Teilnahmerechts des vom Stimmrecht ausgeschlossenen Gesellschafters sein, jedoch nur, wenn das Beschlussverfahren überhaupt erforderlich ist (dazu Rz. 153). 156 bb) Antragsgemäß positive Beschlussfassung gibt dem Geschäftsführer nicht nur das

Recht, sondern verpflichtet ihn zur Geltendmachung des Anspruchs703, falls nicht ein Prozessvertreter bestellt wurde (Rz. 163 ff.). Ein Beschluss nach § 46 Nr. 8 liegt nur vor, wenn der Beschlussinhalt eindeutig den Willen erkennen lässt, die Ansprüche geltend zu machen. Die Abberufung eines Geschäftsführers und die bloße Bestellung eines Prozessvertreters genügt hierfür nicht (vgl. aber Rz. 76)704. Der Beschluss muss Anspruch und Klage individualisieren, also klarstellen, welcher Anspruch verfolgt werden soll705. Zwar müssen nicht die Anspruchsgrundlagen, wohl aber die in Frage stehenden Vorfälle im wesentlichen Kern benannt oder erkennbar sein, so dass der Lebenssachverhalt fixierbar ist. Übermäßige formelle Anforderungen sind nicht zu stellen706. Die Höhe des geltend zu machenden Betrags braucht nicht genannt zu werden. Ihre ungefähre Nennung kann aber dazu dienen, den in Frage stehenden Lebenssachverhalt (z.B. fortgesetzte Pflichtwidrigkeiten mit einer ganzen Summe von Schäden) besser zu umreißen. Der Beschluss ist auslegungsfähig. Beispielsweise kann (muss aber nicht) darin die Befugnis auch zu Vergleichsverhandlungen und zum Abschluss eines Vergleichsvertrags enthalten sein (Rz. 151). Die Beschlussfassung bedeutet zugleich, dass sich 697 Vgl. BGH v. 21.4.1997 – II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 – ARAG-Garmenbeck. 698 Vgl. BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 357; BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, GmbHR 2004, 1279 = ZIP 2004, 1708, 1710; Karsten Schmidt, ZIP 2005, 261, 262 f. 699 KG, JW 1934, 3074 = DNotZ 1936, 124; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 31/91, BGHZ 116, 353, 358 = GmbHR 1992, 102; OLG Hamburg, GmbHRspr. IV, Nr. 31 zu § 47 GmbHG; OLG Düsseldorf v. 28.10.1993 – 6 U 160/92, DB 1993, 2474, 2475 = GmbHR 1994, 172, 174; OLG Frankfurt v. 4.12.1998 – 25 U 39/98, GmbHR 1999, 1144 = NZG 1999, 767; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 62; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 248; Altmeppen, Rz. 93; Ganzer in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 69; s. auch OLG Stuttgart v. 20.11.2012 – 14 U 39/12, GmbHR 2013, 472, 475 f. (§ 47 Abs. 4 Satz 1). 700 Besprochen von Lindacher, ZGR 1987, 121 ff. 701 OLG Hamburg, GmbHRspr. IV, Nr. 31 zu § 47 GmbHG; OLG Nürnberg v. 24.7.1956 – 3 U 267/ 54, GmbHR 1958, 194. 702 RG, SeuffA 94, 186 f. Nr. 75. 703 Vgl. Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 67 m.w.N. 704 BGH v. 13.2.1975 – II ZR 92/73, GmbHR 1975, 110 = WM 1975, 422; OLG Düsseldorf v. 18.8.1994 – 6 U 185/93, GmbHR 1995, 232; in gleicher Richtung schon OLG München, HRR 1940 Nr. 1357; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 69. 705 OLG Nürnberg v. 5.7.1960 – 2 U 55/60, GmbHR 1961, 30; OLG Düsseldorf v. 18.8.1994 – 6 U 185/93, GmbHR 1995, 232; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 62; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109. 706 Zust. und ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 249.

986 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 158 § 46

die Gesellschaft eines Anspruchs berühmt. Der Betroffene kann dann seinerseits durch negative Feststellungsklage klären lassen, dass der in Frage stehende Anspruch nicht besteht (vgl. auch Rz. 102). Diese Klage genügt seinem Rechtsschutzbegehren besser als eine Anfechtungsklage gegen den Beschluss. Sie ist nicht etwa wegen fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig. cc) Eine Anfechtungsklage gegen den Beschluss ist nach den bei 12. Aufl., § 45 Rz. 123, 157 127 ff. dargestellten Grundsätzen zulässig (zur Frage der Anfechtungsbefugnis des Geschäftsführers vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 134). Die Möglichkeit, das Bestehen des Anspruchs durch Leistungsklage oder durch negative Feststellungsklage (Rz. 156) klären zu lassen, ändert hieran jedenfalls dann nichts, wenn die Anfechtungsklage nicht auf materielle Einwendungen gegen den Anspruch, sondern auf andere Gesichtspunkte (z.B. Informationsrechtsverletzung, Ungleichbehandlung, Treuwidrigkeit) gestützt wird. Dann kann ein Rechtsschutzinteresse (12. Aufl., § 45 Rz. 136) grundsätzlich nicht verneint werden, denn der Gesellschafterbeschluss ist eine zusätzliche Anspruchsvoraussetzung (Rz. 142)707. Solange der Beschluss nicht wirksam angefochten ist, begründen diesbezügliche Mängel, sofern sie nicht zur Nichtigkeit führen, im Haftungsprozess keine Einwendung (vgl. zum Anfechtungserfordernis 12. Aufl., § 45 Rz. 45)708. Ist Anfechtungsklage erhoben, so kann das Gericht einen bereits anhängigen Schadensersatzprozess nach § 148 ZPO aussetzen, um die Rechtskraft des Anfechtungsurteils abzuwarten, kann aber auch eine etwaige Unbegründetheit der Ersatzklage ohne weiteres aussprechen, wenn es die Klage schon aus anderen Gründen für abweisungsreif hält. Die Anfechtbarkeit des Beschlusses kann einredeweise geltend gemacht werden nach OLG München, HRR 1940 Nr. 1357 (vgl. auch Rz. 161; dazu aber 12. Aufl., § 45 Rz. 124). Wichtigste Anfechtungsgründe sind willkürliche Ungleichbehandlung und Stimmrechtsmissbrauch. dd) Wird die Mehrheit verfehlt, ist der Antrag abgelehnt. Stimmengleichheit bedeutet bei 158 gleicher Stimmkraft, dass der Antrag abgelehnt ist709. Die Ablehnung der Beschlussfassung ist kein Entlastungsbeschluss (Rz. 151), erst recht kein Verzicht auf den Anspruch710. Doch begründet dies eine Einwendung gegen den Anspruch. Eine trotzdem erhobene Klage der Gesellschaft wird als unbegründet abgewiesen (vgl. Rz. 142, 159), sofern nicht die Ausnahmen nach Rz. 152 ff. eingreifen. Hat die Mehrheit durch die Ablehnung gegen eine positive Stimmpflicht verstoßen (z.B. die Gesellschaft eigensüchtig geschädigt), so kann dies nach 12. Aufl., § 45 Rz. 178 ff. durch Anfechtungs- und Beschlussfeststellungsklage geltend gemacht werden (vgl. über positive Stimmpflichten 12. Aufl., § 47 Rz. 31). Es kann aber auch unter Verzicht auf neue Beschlussfassung geklagt und die Voraussetzung der Stimmpflicht inzident geprüft werden (vgl. Rz. 153). Bis zur Grenze von Verjährung und Verwirkung kann die Gesellschaft aufgrund neuer Beschlussfassung auf den Ersatzanspruch zurückkommen. Deshalb bleibt der Anspruch, sofern ansonsten begründet, auch bei fehlender Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 als bilanzieller Aktivposten bestehen. Allerdings können die Gesellschafter im Zuge der Ablehnung eines Antrags nach § 46 Nr. 8 auch die Entlastung des Geschäftsführers bzw. den Abschluss eines Erlassvertrags, auch mit einem in Anspruch zu nehmenden Gesellschafter, beschließen und damit Ansprüche präkludieren, soweit nicht ein Verzicht auf diese Ansprüche – vgl. §§ 9b, 43 Abs. 3 Satz 2 – unzulässig ist (vgl. zu diesen Grenzen Rz. 95). Einzelne Gesellschafter sind durch die Ablehnung an der Geltendmachung 707 Generell, also auch bei bloßer Geltendmachung materiellrechtlicher Nicht-Haftung, für Anfechtungsklage Römermann in Michalski u.a., Rz. 458 (wo der hier vertretene Standpunkt evtl. missverstanden wird); diese Auffassung würde dazu führen, dass die materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen komplett im Anfechtungsprozess zu prüfen wären, obwohl dieser keinen Vollstreckungstitel hervorbringen kann. 708 BGH v. 3.5.1999 – II ZR 119/98, GmbHR 1999, 714 = ZIP 1999, 1001. 709 Zöllner, ZGR 1988, 409. 710 Römermann in Michalski u.a., Rz. 449; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 112.

Karsten Schmidt | 987

§ 46 Rz. 158 | Aufgabenkreis der Gesellschafter individueller Schadensersatzansprüche nicht gehindert (Rz. 145)711. Es muss sich jedoch um ihren Schaden, nicht um den am Gesellschaftsvermögen erlittenen Schaden handeln (insoweit gibt es nur die actio pro socio; Rz. 161). e) Fehlende Beschlussfassung 159 aa) Materiellrechtlicher Einwand. Fehlt die Beschlussfassung, so begründet dies einen Ein-

wand gegen den Anspruch712, sofern nicht die Ausnahmen nach Rz. 152 ff. Platz greifen. Eine Klage auf Leistung ist bei Fehlen dieses materiellrechtlichen Erfordernisses unbegründet713, eine Aufrechnung unwirksam. Diese bei Rz. 142 geschilderte materiellrechtliche Außenwirkung beruht auf dem bei Rz. 141 geschilderten Normzweck. Die genaue Art und Rechtsnatur dieses materiellrechtlichen Einwands, insbesondere ihr Verhältnis zu den gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen der in Rede stehenden Forderung (z.B. aus § 43) ist theoretisch zweifelhaft. Es ist von einer spezifisch gesellschaftsrechtlichen Einwendung gegen den geltend zu machenden Anspruch auszugehen. Die materiellrechtliche Außenwirkung trifft die außerprozessuale ebenso wie die prozessuale Geltendmachung: Der Schuldner braucht bei Fehlen des erforderlichen Beschlusses nicht auf Anforderung seitens der Geschäftsführer zu leisten, gerät durch Nichtleistung nicht in Verzug usw. Das Beschlusserfordernis ist im Prozess, obwohl keine Sachurteilsvoraussetzung714, sondern ein materiellrechtlicher Einwand, von Amts wegen zu prüfen715. Die Darlegungslast für diese besondere Anspruchsvoraussetzung trifft grundsätzlich die GmbH716. Allerdings ist an die erleichterte Fassung von „Einpersonen-Beschlüssen“ (dazu 12. Aufl., § 48 Rz. 69 ff.) zu denken717. Eine zunächst ohne die erforderliche Beschlussfassung erhobene und damit zunächst unbegründete Klageerhebung genügt allerdings, um die Verjährung des geltend gemachten Ersatzanspruchs

711 BGH v. 24.1.1967 – VI ZR 92/65, Warn. 1967 Nr. 22 = BB 1967, 348 = MDR 1967, 480; BGH v. 23.6.1969 – II ZR 272/67, NJW 1969, 1712; Altmeppen, Rz. 95. 712 H.M.; vgl. Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 3 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 72; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 111; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 48; a.M. noch Römermann in Michalski u.a., Rz. 458; Fastrich, DB 1981, 926 f.; vgl. auch noch Zöllner in Baumbach/Hueck, 15. Aufl., Rz. 40 (wie hier inzwischen aber Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 61). 713 BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 359 = GmbHR 1959, 48 m. Anm. Wilhelm = JR 1959, 299 m. Anm. Goerdeler; BGH v. 21.5.1964 – VII ZR 21/63, GmbHR 1965, 4, 6 m. Anm. Winter; BGH v. 21.4.1986 – II ZR 165/85, BGHZ 97, 382, 390 = GmbHR 1986, 260; BGH v. 13.2.1975 – II ZR 92/73, GmbHR 1975, 110 = NJW 1975, 977; BGH v. 26.1.1998 – II ZR 279/96, NJW 1998, 1646; BGH v. 3.5.1999 – II ZR 119/98, GmbHR 1999, 714 = NJW 1999, 2115; BGH v. 14.7.2004 – VIII ZR 224/02, ZIP 2004, 1708, 1710 = GmbHR 2004, 1279; BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, GmbHR 2008, 144 = ZIP 2008, 117; BGH v. 22.3.2016 – II ZR 253/15, GmbHR 2016, 1035 = ZIP 2016, 2413 (zur zweiten Variante des § 46 Nr. 8); OLG Köln v. 27.11.1992 – 19 U 89/92, GmbHR 1993, 157; OLG Frankfurt v. 4.12.1998 – 25 U 39/98, GmbHR 1999, 1144 = NZG 1999, 767; OLG München v. 20.6.2012 – 7 U 3557/11; s. auch zur Genossenschaft BGH v. 13.6.1960 – II ZR 73/58, NJW 1960, 1967; Altmeppen, Rz. 87; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 72; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 110 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 48; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 61 Karsten Schmidt, KTS 2005, 261, 262. 714 So noch OLG München, HRR 1940 Nr. 1357; früher auch W. Schmidt in Hachenburg, 6. Aufl., Rz. 49a. 715 Jetzt h.M.; vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 111; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256. 716 BGH v. 13.2.1975 – II ZR 92/73, GmbHR 1975, 110 f. = NJW 1975, 977; unentschieden OLG Köln v. 17.9.1975 – 2 U 47/75, GmbHR 1975, 274, 275. 717 Vgl. auch BGH v. 13.5.1968 – II ZR 103/66, WM 1968, 1328, 1329; zur Klage in der Zweipersonen-GmbH vgl. OLG Nürnberg v. 24.7.1956 – 3 U 267/54, GmbHR 1958, 194.

988 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 161 § 46

nach § 204 BGB zu hemmen718. Die Beschlussfassung kann im Prozess in den Tatsacheninstanzen nachgeschoben werden719. Dann wird die zunächst unbegründete zu einer (bei Vorhandensein der anderen Anspruchsvoraussetzungen) begründeten Klage. Das OLG Köln720 hat eine alsbaldige Klagabweisung als Verstoß gegen § 139 ZPO angesehen, wenn die klagende Gesellschaft nichts vorträgt und der Beklagte (im konkreten Fall wahrheitswidrig!) behauptet, es fehle an dem von § 46 Nr. 8 geforderten Beschluss. Ist eine Klage wegen fehlender Beschlussfassung als (zur Zeit) unbegründet abgewiesen worden, so steht die materielle Rechtskraft einer späteren Klage nach Beschlussfassung nicht entgegen. bb) Drittwirkung. Das Fehlen eines nach § 46 Nr. 8 erforderlichen Beschlusses ist kein 160 höchstpersönlicher Einwand721. Der Einwand trifft den Anspruch als solchen (Rz. 144 f.). Jeder, der wegen der Verbindlichkeit des Gesellschafters oder Geschäftsführers in Anspruch genommen werden soll, kann sich auf den Einwand berufen, auch ein Gesamtrechtsnachfolger722 sowie jeder, der – z.B. als Bürge oder als Einzelrechtsnachfolger – für die Verbindlichkeit des Gesellschafters oder Geschäftsführers einzustehen hat723. Nichts anderes gilt überall da, wo es aus sonstigen Gründen darauf ankommt, ob ein klagbarer Anspruch besteht. Denn § 46 Nr. 8 ist keine Vorschrift, auf die sich der Gesellschafter oder Geschäftsführer „berufen“ muss (Rz. 159). Ist der Anspruch auf einen neuen Gläubiger übergegangen, so wirkt der Einwand grundsätzlich auch gegen ihn (vgl. Rz. 145). Auch hier ist allerdings auf die Ausnahmen nach Rz. 152 ff. hinzuweisen. f) Actio pro socio aa) Die actio pro socio als subsidiäre Klagebefugnis jedes Gesellschafters. Die actio pro 161 socio724 ist eine Mitgliedschaftsklage, mit der ein Gesellschafter Sozialansprüche der Gesellschaft geltend macht. Die actio pro socio ist auch bei der GmbH anerkannt (12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 86a)725. Als Belege für die Anerkennung der actio pro socio im GmbH-Recht werden häufig, indes zu Unrecht726, das Urteil BGHZ 65, 15 = BB 1975, 1450 m. Anm. Schilling = JZ 1976, 408 m. Anm. Wiedemann (ITT)727 und das Urteil BGH, BB 1967, 348 genannt. Beide Entscheidungen betrafen zwar die Situation einer actio pro socio, aber nicht den Lösungsweg einer actio pro socio. Trotzdem ist festzuhalten: Als subsidiäre Klagebefugnis steht dem GmbH-Gesellschafter die actio pro socio zu, wenn die Gesellschaft Ansprüche gegen Ge-

718 Vgl. BGH v. 3.5.1999 – II ZR 119/98, GmbHR 1999, 714 = ZIP 1999, 1001 (zu § 209 BGB a.F.); Altmeppen, Rz. 87; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 72. 719 BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, GmbHR 2008, 144 = ZIP 2008, 117 Rz. 7; OLG München, HRR 1940 Nr. 1357; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 111. 720 OLG Köln v. 17.9.1975 – 2 U 47/75, GmbHR 1975, 274, 275. 721 BGH v. 13.2.1975 – II ZR 92/73, BB 1975, 579 = GmbHR 1975, 110, 111. 722 Z.B. der Erbe; vgl. für die Genossenschaft BGH v. 13.6.1960 – II ZR 73/58, NJW 1960, 1667. 723 BGH v. 13.2.1975 – II ZR 92/73, BB 1975, 579 = GmbHR 1975, 110, 111. 724 Nicht, wie sie gelegentlich in vermeintlicher sprachlicher Verbesserung genannt wird: actio pro societate; vgl. zur Wortbedeutung Flume, JurP, § 8 V. 725 Vgl. Wiedemann, GesR I, § 8 IV 1c cc; Karsten Schmidt, GesR, § 21 IV; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 286 ff.; Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970, S. 86 ff.; Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 21 ff.; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen, 1988, S. 312 ff.; Altmeppen in FS Musielak, 2004, S. 1 ff.; Hoffmann, GmbHR 1963, 61; Maatz, GmbHR 1974, 124; Berger, ZHR 149 (1985), 599 ff.; Raiser, ZHR 13 (1989), 20 ff.; Gehrlein, ZIP 1993, 1525 ff.; Kumkar, NZG 2020, 1012 ff.; Saenger, GmbHR 1997, 120; Ulrich/Jäckel, NZG 2009, 1132, 1135; a.M. noch RG, JW 1929, 1373 m. Anm. Walter Schmidt; KG, JW 1934, 3073. 726 Karsten Schmidt, GesR, § 21 IV 6c. 727 Zusammenfassend Altmeppen in FS Musielak, 2004, S. 1, 23.

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§ 46 Rz. 161 | Aufgabenkreis der Gesellschafter schäftsführer oder Gesellschafter unberechtigterweise nicht geltend macht728. Diese Subsidiarität der actio pro socio ist berechtigt. Prinzipiell ist der Gesellschafter nämlich an das Organisationsrecht der GmbH gebunden. Der Gesellschafter macht mit der actio pro socio einen Anspruch der Gesellschaft in Prozessstandschaft im eigenen Namen geltend, nicht aber als eigenen Anspruch729. Die actio pro socio ist eine eigene Rechtsmacht des Gesellschafters zur Durchsetzung von Ansprüchen der Gesellschaft730. Die im Wege der actio pro socio einklagbaren Ansprüche müssen Sozialansprüche gegen Gesellschafter oder Gesellschaftsorgane sein731. In Betracht kommen insbesondere Einlagenansprüche (auch § 9), Erstattungs- und Ersatzansprüche (z.B. § 31, § 43)732. Als im Verhältnis zu § 46 Nr. 8 subsidiärer Rechtsbehelf kommt eine actio pro socio nur in Betracht, wenn eine Klageerhebung durch die Gesellschaft im Rahmen ihrer regulären Binnenverfassung nicht in die Wege geleitet wird733. Umstritten ist, ob sich der Gesellschafter ebenso wie die Gesellschaft das Fehlen eines nach § 46 Nr. 8 erforderlichen Beschlusses entgegenhalten lassen muss (vgl. schon Rz. 57)734. Die Frage stellt sich nur für die erste Variante des § 46 Nr. 8 (Geltendmachung des Anspruchs), nicht für die zweite (Beschlussfassung über die Prozessvertretung ist ein anderer Weg). Sie muss im Grundsatz bejaht werden, denn der im Wege der actio pro socio vorgehende Gesellschafter macht – wenn auch im eigenen Namen – nur den Anspruch der Gesellschaft geltend, muss sich also alle diesen Anspruch betreffenden Einwendungen entgegenhalten lassen (vgl. auch Rz. 145). Im Ergebnis schadet indessen das Fehlen eines Beschlusses in denjenigen Fällen der actio pro socio nicht, bei denen nach Rz. 153 eine Berufung auf das Fehlen eines Gesellschafterbeschlusses unzulässig ist735. Ist ein Antrag nach § 46 Nr. 8 durch Beschluss abgelehnt

728 OLG Köln v. 5.11.1992 – 18 U 50/92, GmbHR 1993, 816; OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/ 94, GmbHR 1996, 689, 695 f.; OLG Koblenz v. 8.4.2010 – 6 U 207/09, GmbHR 2010, 1043; Karsten Schmidt, GesR, § 21 IV; s. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 13 Rz. 55; Fastrich in Baumbach/ Hueck, § 13 Rz. 39; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113 f.; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 71; Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 64; Verse in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1325 ff.; Kowalski, ZIP 1995, 1317. 729 Vgl. nur OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, GmbHR 1996, 689, 695; OLG Düsseldorf v. 24.5.2007 – 6 U 78/06; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 38; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113; Karsten Schmidt, GesR, § 21 IV 1a; Ulrich/Jäckel, NZG 2009, 1132, 1135; Verse in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1325, 1330, 1333; Skepsis gegenüber dem Aussagewert bei Kumkar, NZG 2020, 1012, 1014. 730 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 21 IV 1; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 318 f., 321 f.; rechtsdogmatisch a.M. Altmeppen in FS Musielak, 2004, S. 1 ff.; krit. Kumkar, NZG 2020, 1012, 1014. 731 Enger Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 38; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 323: nur gegen Gesellschafter; weiter Kort, DStR 2001, 2162, 2165 f.: auch gegen nicht schutzbedürftige Dritte; Ulrich/Jäckel, NZG 2009, 1132, 1136 f. 732 Vgl. Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 324 f. 733 OLG Koblenz v. 8.4.2010 – 6 U 207/09, GmbHR 2010, 1043, 1044; vgl. auch OLG München v. 20.6.2012 – 7 U 3557/11 (GmbH & Co. KG); OLG Naumburg v. 8.1.2013 – 1 U 52/12.Hs, GmbHR 2013, 932 (GmbH & Co. KG); Kumkar, NZG 2020, 1012, 1018. 734 Grundsätzlich bejahend OLG Köln v. 5.11.1992 – 18 U 50/92, GmbHR 1993, 816; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 59; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113 f.; Meyer-Landrut, Rz. 45; Altmeppen, § 13 Rz. 27; Hoffmann, GmbHR 1963, 63; Maatz, GmbHR 1974, 128; Kowalski, ZIP 1995, 1317; tendenziell a.M. BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 21; Flume, JurP, § 8 V/2; Reher, Die Zweipersonen-GmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts?, 2003, S. 146; Berger, ZHR 149 (1985), 599, 611; Verse in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1325, 1339; differenzierend Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 122; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen, S. 316 f. zweifelnd Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 13 Rz. 53. 735 BGH v. 29.11.2004 – II ZR 14/03, GmbHR 2005, 301, 302; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 39; Karsten Schmidt, KTS 2005, 261, 263.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 163 § 46

worden, so bleibt dem Minderheitsgesellschafter die Anfechtung (Rz. 157)736. Man wird dem im Wege der actio pro socio klagenden Gesellschafter aber auch den Nachweis zuzubilligen haben, dass die Versäumung oder Ablehnung eines Beschlusses nach § 46 Nr. 8 nach Lage des Falls rechtswidrig ist737. In diesem Umfang – vor allem bei offenkundig rechtswidriger Verhinderung des Beschlusses – sollte wie in den Ausnahmefällen der Rz. 153 eine Inzidentprüfung im Schadensersatzprozess zulässig und die separate Erzwingung eines rechtmäßigen Beschlusses nach § 46 Nr. 8 überflüssig sein738. So insbesondere in der Zweipersonengesellschaft739. Ist hier die Rechtsverfolgung gegen einen Mitgesellschafter gerichtet, der an der Beschlussfassung nach § 47 Abs. 4 nicht teilnehmen könnte, so bedarf es eines Beschlusses nach § 46 Nr. 8 vollends nicht740. Die Gesellschaft kann dem Rechtsstreit als Nebenintervenientin beitreten741. Die Rechtskraft eines im Wege der actio pro socio erstrittenen Urteils wirkt für und gegen die Gesellschaft742. Das Kostenrisiko nach § 91 ZPO trägt vorbehaltlich ausnahmsweise möglicher Erstattungsansprüche im Innenverhältnis der Gesellschafter743. Will die Gesellschaft den Prozess aufgreifen, so kommt ein Parteiwechsel in Betracht, sonst evtl. eine Erledigungserklärung nach § 91a ZPO. Das Institut der actio pro socio ist zwingend744. Der Gesellschaftsvertrag kann zwar den Anwendungsbereich der (eben nur subsidiären) actio pro socio einschränken, indem er z.B. unter Verzicht auf eine Beschlussfassung nach § 46 Nr. 8 den Minderheitsgesellschaftern andere Rechtsbehelfe gibt (Rz. 162). Ausschließen und verbieten kann er diese ultima ratio des Minderheitenschutzes aber nicht. bb) Satzungsmäßiges Minderheitsrecht. Ein gesetzliches Minderheitsrecht auf Geltendma- 162 chung von Ersatzansprüchen durch die Gesellschaft (§ 90 RegE 1971; §§ 147 f. AktG) ist im geltenden GmbHG nicht verankert. Die Frage hat sich mit dem Scheitern der großen GmbH-Reform 1971/1973 vorerst erledigt745. Ein entsprechendes Minderheitsrecht kann im Gesellschaftsvertrag vorgesehen werden746. Es hat dann Vorrang vor der actio pro socio. Erwogen wurde auch eine analoge Anwendung des § 147 AktG (Rz. 171).

3. Die zweite Variante des § 46 Nr. 8: Vertretung der Gesellschaft in Prozessen mit den Geschäftsführern a) Normzweck aa) Der Sinn und Zweck dieser Gesellschafterzuständigkeit ist nicht derselbe wie bei der 163 ersten Variante (Rz. 139 f.), also bei der Beschlussfassung über die Geltendmachung von An736 OLG Köln v. 5.11.1992 – 18 U 50/92, GmbHR 1993, 816, 817 = NJW-RR 1994, 616, 617; Hüffer/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 115. 737 OLG Düsseldorf v. 28.10.1993 – 6 U 160/92, DB 1993, 2474 = GmbHR 1994, 172; Karsten Schmidt, KTS 2005, 261, 263; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 53; enger OLG Köln v. 5.11.1992 – 18 U 50/92, GmbHR 1993, 816 = NJW-RR 1994, 616. 738 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 115; vgl. Berger, ZHR 149 (1985), 599, 611 m.w.N. 739 So auch BGH v. 29.11.2004 – II ZR 14/03, GmbHR 2005, 301, 302; OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, GmbHR 1996, 689, 696; Reher, Die Zweipersonen-GmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts?, 2003, S. 146; insofern unentschieden OLG Köln v. 8.4.2010 – 6 U 207/09, GmbHR 2010, 1043, 1044. 740 OLG Düsseldorf v. 10.3.2016 – 6 U 89/15, GmbHR 2016, 542. 741 Vgl. m.w.N. Verse in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1325, 1339. 742 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 39. 743 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 13 Rz. 39. 744 Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 226 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 239; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 131; Ulrich/Jäckel, NZG 2009, 1132, 1136. 745 Eingehend noch 6. Aufl.; vgl. aber für analoge Anwendung des § 147 Abs. 3 AktG Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 74 ff. 746 Vgl. Altmeppen, Rz. 94.

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§ 46 Rz. 163 | Aufgabenkreis der Gesellschafter sprüchen. Die zweite Variante der Nr. 8 dient nicht der Willensbildung über die Durchsetzbarkeit einer Forderung, sondern sie soll einer Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft entgegenwirken und eine unvoreingenommene Prozessführung ermöglichen747. Es geht nur um die Bestellung eines organschaftlichen Vertreters für die Rechtsdurchsetzung748. Gleichzeitig begrenzt die Bestimmung, dem Gesamtkonzept des § 46 entsprechend (Rz. 1), die Zuständigkeit der Geschäftsführer. Die Bestimmung versteht sich im Zusammenhang mit der Tatsache, dass die GmbH i.d.R. keinen obligatorischen Aufsichtsrat hat, der gemäß § 112 AktG kraft Gesetzes zur Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Geschäftsführern berufen wäre (vgl. zur mitbestimmten GmbH Rz. 165). § 35 Abs. 1 Satz 2 (Gesellschafterzuständigkeit bei Führungslosigkeit) ersetzt die Vertreterbestellung nicht, denn die bloße Passivvertretung durch die Gesellschafter macht diese nicht zu Vertretungsorganen749. Zur Bestellung eines Notgeschäftsführers analog § 29 BGB vgl. Rz. 175 sowie 12. Aufl., § 6 Rz. 94 ff. Die richtige Vertretung der GmbH wird im Prozess von Amts wegen geprüft750. 164 bb) Die herkömmliche Auffassung folgerte aus § 46 Nr. 8, dass die organschaftliche Vertre-

tungsmacht der Geschäftsführer die Führung eines Prozesses gegen andere Geschäftsführer nicht umfasst751. Diese hier schon in den Vorauflagen abgelehnte Ansicht kann als überholt gelten (klarstellend auch 12. Aufl., § 35 Rz. 207). Sofern die Gesellschaft einen vom Prozessgegner unabhängigen zur (Einzel-)Vertretung berechtigten Geschäftsführer hat und die Gesellschafter keinen Beschluss nach § 46 Nr. 8 gefasst haben, kann dieser Geschäftsführer die Gesellschaft auch prozessual vertreten752, z.B. eine Prozessvollmacht erteilen753. Die Gesellschafter können zwar einen Prozessvertreter nach § 46 Nr. 8 bestellen, müssen dies aber nicht tun (vgl. Rz. 168). Die Frage wird in erster Linie im Prozess gegen ehemalige Geschäftsführer praktisch (Rz. 167), denn bei Auseinandersetzungen mit amtierenden Geschäftsführern wird regelmäßig ein Vertreter nach § 46 Nr. 8 bestellt. b) Geltungsbereich 165 aa) Die Bestimmung gilt für jede GmbH – auch für die Vor-GmbH (vgl. 12. Aufl., § 11 Rz. 55)

– mit Ausnahme der mitbestimmten GmbH mit obligatorischem Aufsichtsrat754. Eine mitbestimmte GmbH wird im Prozess mit den Geschäftsführern zwingend durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 52 GmbHG, § 112 AktG). In der mitbestimmten GmbH gilt deshalb die zweite Variante des § 46 Nr. 8 nicht (zur ersten Variante vgl. Rz. 144)755. Hat die Gesellschaft einen fakultativen Aufsichtsrat, so ist er der Vertreter in Prozessen mit gegenwärtigen oder

747 H.M.; vgl. Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 69 m.w.N. 748 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 67, 71; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 127; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 73 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 272 ff. 749 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157 ff. 750 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 282/07, GmbHR 2009, 653, 654 (zur AG); über eine Heilung vgl. OLG Oldenburg v. 21.1.2010 – 1 U 18/09, GmbHR 2010, 258, 259 m.w.N. 751 Vgl. dazu noch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 78. 752 BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, GmbHR 1992, 299 = ZIP 1992, 760; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/ 11, GmbHR 2012, 638, 639; OLG Frankfurt v. 9.3.2010 – 14 U 52/09; OLG Stuttgart v. 20.5.2011 – 14 U 36/11, DStR 2012, 1350; Hueck in FS Bötticher, 1969, S. 213; zust. Altmeppen, Rz. 81; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124; vgl. auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 68. 753 So offenbar auch BGH v. 7.10.1981 – VIII ZR 214/80, WM 1981, 1354. 754 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 69; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 74; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 119; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; für Anwendung des § 46 Nr. 8 Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 99 ff.; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 56. 755 A.M. mit Hinweis auf § 147 Abs. 2 Satz 1 AktG Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 56.

992 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 167 § 46

ehemaligen Geschäftsführern, falls nicht der Gesellschaftsvertrag dies anders regelt (12. Aufl., § 35 Rz. 204)756. Auch für die GmbH in Liquidation gilt § 46 Nr. 8 (12. Aufl., § 69 Rz. 38). bb) Die Bestimmung gilt für alle Prozesse zwischen der Gesellschaft und einem Geschäfts- 166 führer. Prozesse sind auch schiedsgerichtliche Streitigkeiten757. Die im Gesetz beschriebenen Parteirollen geben den Ausschlag, ohne Unterschied zwischen Aktiv- und Passivprozessen der Gesellschaft758. Der Gegenstand des Prozesses muss sich nicht auf die Organstellung oder auf das Anstellungsverhältnis beziehen759. Auch muss es sich nicht um einen Schadensersatzprozess handeln760. Umgekehrt ist nicht jeder in Geschäftsführerangelegenheiten geführte Prozess erfasst. Klagt ein Gesellschafter gegen die Gesellschaft auf Feststellung, dass ein Geschäftsführer wirksam bestellt oder abberufen ist, so greift § 46 Nr. 8 nicht ein761. Sind Gesellschaft und Geschäftsführer Prozessparteien, so gilt § 46 Nr. 8 auch für Passivprozesse der Gesellschaft762. Das leuchtet besonders bei negativen Feststellungsklagen des Geschäftsführers ein, gilt aber für alle Prozesse zwischen Gesellschaft und Geschäftsführer. Die Bedeutung des § 46 Nr. 8 ist freilich in Passivprozessen nicht dieselbe wie in Aktivprozessen. Will der Geschäftsführer die GmbH verklagen, so kann er zwar die Klagezustellung erreichen, wenn auch nur ein (als Kläger nicht beteiligter) Geschäftsführer außer ihm vorhanden ist (§ 171 ZPO). Aber diese Zustellungszuständigkeit macht einen Gesamtvertreter noch nicht zum Einzelvertreter im Prozess763. Bei Gefahr im Verzug kann der Vorsitzende des Prozessgerichts nach § 57 ZPO auf Antrag einen Prozessvertreter für den konkreten Prozess bestellen (12. Aufl., § 6 Rz. 111)764. Dieser fällt fort, wenn die Gesellschafter einen oder so viele weitere Geschäftsführer bestellt haben, wie zur Vertretung der GmbH erforderlich sind. Daneben haben die Gesellschafter nach § 46 Nr. 8 die Befugnis zur Bestellung eines Vertreters nur für diesen Prozess. Der so bestellte Vertreter ersetzt nicht nur einen etwa nach § 57 ZPO zu bestellenden Vertreter, sondern auch Kollektiv-Geschäftsführer, wo solche zur gesetzlichen Vertretung der GmbH erforderlich sind. Dagegen ist für eine Bestellung von Notgeschäftsführern nach § 29 BGB im Hinblick auf § 57 ZPO und auf § 46 Nr. 8 in Passivprozessen regelmäßig kein Raum (Rz. 175)765. cc) Der Prozessgegner der Gesellschaft muss Geschäftsführer sein (vgl. allerdings Rz. 170 167 zur analogen Anwendung auf einen Prozess gegen Mitgesellschafter). Auf den Gegenstand des Rechtsstreits kommt es nicht an (Rz. 166). Umstritten und nicht schon durch Rz. 146 entschieden ist die Anwendung auf Prozesse gegen ehemalige Geschäftsführer766. Der BGH hat die Anwendbarkeit des § 46 Nr. 8 bejaht767. Aber gegenüber einem ehemaligen Geschäfts756 BGH v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, BB 1990, 729 = GmbHR 1990, 297; BGH v. 22.4.1991 – II ZR 151/ 90, GmbHR 1991, 324. 757 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 75. 758 Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 75; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 67. 759 KG, OLGE 14, 368; Holdh. 21, 269 = GmbHRspr. II, Nr. 22 zu § 46 GmbHG; 7. Aufl., Rz. 167; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 266 ff. 760 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120; Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 67. 761 OLG Hamburg v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43. 762 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, GmbHR 2012, 638, 639; OLG Oldenburg v. 21.1.2010 – 1 U 18/09, GmbHR 2010, 258, 259; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 267; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 67; h.M.; a.M. wohl Feine, S. 511. 763 KG, OLGE 7, 151. 764 Vgl. OLG Braunschweig, GmbHRspr. III, Nr. 12 zu § 46 GmbHG. 765 KG, GmbHRspr. IV, Nr. 29 zu § 46 GmbHG = Nr. 5 zu § 39 GmbHG. 766 Ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 269 f. 767 BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 357 f. = NJW 1959, 194; s. auch BGH v. 16.12.1991 – II ZR 31/91, BGHZ 116, 353, 355 = GmbHR 1992, 102, 103; zust. Altmeppen, Rz. 90;

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§ 46 Rz. 167 | Aufgabenkreis der Gesellschafter führer wird die Gesellschaft durch den gegenwärtigen Geschäftsführer vertreten768. Nach der hier vertretenen Ansicht ist ein Beschluss nach § 46 Nr. 8 (2. Alt.) nicht erforderlich, wie dies der direkten Anwendung entspräche, wohl aber zulässig769. Der auf Sicherung der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft zielende Normzweck der zweiten Variante von § 46 Nr. 8 gebietet eine Beschlussfassung nicht770. Für die Zulassung eines Beschlusses nach § 46 Nr. 8 sprechen Praktikabilitätsgesichtspunkte. Beispielsweise kann gerade die Frage, ob der Geschäftsführer wirksam abberufen wurde, streitig sein771, oder die Klage soll gleichzeitig gegen den ehemaligen Geschäftsführer und einen gegenwärtigen Geschäftsführer erhoben werden (vgl. Rz. 170). Dann empfiehlt sich die Bestellung eines Vertreters nach § 46 Nr. 8 auch gegenüber dem ausgeschiedenen Geschäftsführer. Hiervon zu unterscheiden ist die andere Frage, ob für die Begründetheit der Klage eine Beschlussfassung nach der ersten Variante des § 46 Nr. 8 erforderlich ist (dazu Rz. 146). 168 dd) Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft wird vom Gesetz nicht vorausgesetzt. Der Be-

schluss kann also auch gefasst werden, wenn ein für die Vertretung geeigneter (Mit-)Geschäftsführer vorhanden ist (dazu Rz. 164). Typischerweise dient aber die Beschlussfassung dazu, eine Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft im Prozess zu vermeiden. Ein eindeutiger Anwendungsfall des § 46 Nr. 8 ist die Prozessführung gegen den einzigen oder gegen alle gegenwärtigen Geschäftsführer. Wird gegen einen von mehreren Geschäftsführern prozessiert und besteht Gesamtvertretungsmacht, so ist auch dies ein Fall des § 46 Nr. 8772, denn die Verhinderung dieses Geschäftsführers wandelt die Gesamtvertretungsmacht der anderen nicht ohne weiteres in eine Einzelvertretungsmacht um (vgl. 12. Aufl., § 35 Rz. 117). Besteht Einzelvertretungsmacht, so ist der Beschluss nach Auffassung derer erforderlich, die die Prozessführung gegen (ausgeschiedene oder Mit-)Geschäftsführer als durch §§ 35 ff. nicht gedeckt ansehen (vgl. Rz. 164). Nach der bei Rz. 167 vertretenen Auffassung ist ein Beschluss nach § 46 Nr. 8 dagegen nicht erforderlich, aber doch zuzulassen773. Haben die Gesellschafter einen Beschluss nach der zweiten Variante des § 46 Nr. 8 gefasst, also einen Vertreter bestellt und diesen Beschluss nicht wieder aufgehoben, so kann die Gesellschaft in dem betreffenden Rechtsstreit nur noch durch die zu Vertretern bestellten Personen vertreten werden, durch die verbleibenden Geschäftsführer dagegen nur noch dann, wenn dies im Beschluss zugelassen wurde bzw. wenn der Geschäftsführer selbst als Vertreter bestellt ist (zu diesem Fall auch Rz. 172)774. Die Gesellschaft wird also ohne Beschlussfassung durch den verbleibenden Einzelgeschäftsführer, nach Beschlussfassung dagegen durch den nach § 46 Nr. 8 bestellten Vertreter ordnungsgemäß im Prozess vertreten. 169 ee) § 46 Nr. 8 gilt nicht für die Erteilung einer Prozessvollmacht nach §§ 80 ff. ZPO775.

Zuständig für diese Vollmachtserteilung sind nicht die Gesellschafter, sondern die organschaftlichen Vertreter der GmbH, also z.B. ein Geschäftsführer (Rz. 164, 168) oder gemäß § 52 GmbHG, § 25 MitbestG, § 112 AktG der Aufsichtsrat oder schließlich ein nach § 46

768 769 770 771 772 773 774 775

Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; s. auch Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 75; Überblick bei Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121. Vgl. OLG Koblenz v. 15.11.1979 – 6 U 329/78, GmbHR 1981, 160 = AG 1980, 282; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 67. Vgl. BGH v. 20.11.1958 – II ZR 17/57, BGHZ 28, 355, 357 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121. OLG Brandenburg v. 23.10.1997 – 12 U 216/96, NZG 1998, 466 = GmbHR 1998, 599. Vgl. auch den Fall BGH v. 26.10.1981 – II ZR 72/81, WM 1981, 1353 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42. Vgl. KG, OLGE 7, 151. Wie hier OLG Düsseldorf v. 11.11.2008 – 6 W 62/08; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121. Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 127: verdrängen die Zuständigkeit. BGH v. 26.10.1981 – II ZR 72/81, WM 1981, 1353, 1354.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 171 § 46

Nr. 8 bestellter Vertreter776. Diese Bevollmächtigung ist ein bloßes Prozessrechtsgeschäft und unterscheidet sich darin von dem Beschluss nach § 46 Nr. 8, der ein Organisationsakt gesellschaftsrechtlicher Art ist. ff) Eine analoge Anwendung auf Prozesse gegen Gesellschafter, die nicht Geschäftsführer 170 sind, ist geboten, wenn eine gemeinsame Pflichtverletzung des Geschäftsführers und dieser Gesellschafter vorliegt und der Geschäftsführer aus diesem Grunde gehindert ist, die Gesellschaft im Prozess zu vertreten777. Diese Analogie stellt sicher, dass auch in einem solchen von § 46 Nr. 8 nicht unmittelbar erfassten Fall die Vertreterbestellung nach § 46 Nr. 8 Vorrang vor § 29 BGB, § 57 ZPO hat (vgl. sinngemäß Rz. 166 a.E.). Praktikabilitätserwägungen sprechen für einen weiteren Analogieschritt: Die Vertreterbestellung ist generell auch für Prozesse der Gesellschaft gegenüber Gesellschaftern zuzulassen778; es verhält sich dann wie bei Rz. 168 a.E. Für Klagen gegen Aufsichtsratsmitglieder sollte dasselbe gelten779. c) Beschlussfassung Die Beschlussfassung erfolgt mit einfacher Mehrheit (§ 47 Abs. 1). Zweifel kann das Stimm- 171 verbot des § 47 Abs. 4 aufwerfen. Ein Gesellschaftergeschäftsführer, der Gegenpartei des Rechtsstreits sein soll, stimmt nach § 47 Abs. 4 nicht mit (12. Aufl., § 47 Rz. 126, 140; Gedanke des Richtens in eigener Sache). Das ist wohl unbestritten780. Auch ein Gesellschafter, der lediglich mitverklagt werden soll oder sonst an der Rechtsverletzung mitgewirkt hat, darf nicht mitstimmen781. Nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen ist nach der hier seit der 6. Aufl. vertretenen, heute herrschenden Auffassung ein Gesellschafter, der durch den Beschluss zum Vertreter bestellt werden soll782, denn körperschaftliche Organisationsakte sind nicht vom Stimmrechtsausschluss betroffen (12. Aufl., § 47 Rz. 111). In der Zweipersonengesellschaft kann sich also für eine Klage gegen den Gesellschafter-Geschäftsführer der andere Gesellschafter selbst zum Vertreter bestellen783. Bleibt aufgrund des Stimmrechtsausschlusses nur ein stimmberechtigter Gesellschafter übrig, der nicht Geschäftsführer ist, so bedarf es grundsätzlich trotzdem eines Beschlusses nach der zweiten Variante des § 46 Nr. 8 (vgl. schon Rz. 153). Der Gesellschafter kann nach der bei Rz. 153 vertretenen Ansicht nicht ohne Be-

776 Vgl. BGH v. 26.10.1981 – II ZR 72/81, WM 1981, 1353, 1354; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 77; s. auch zu § 147 Abs. 2 AktG BGH v. 27.9.2011 – II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195. 777 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 35 = NJW 1986, 2051, 2053 = GmbHR 1986, 156; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 31/91, BGHZ 116, 353 = GmbHR 1992, 102; dazu Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 75; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 122; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 67a; Lindacher, ZGR 1987, 121 ff. 778 Vgl. Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 88 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 75; Hüffer/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 122. 779 Vgl. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 122; ablehnend Altmeppen, Rz. 84; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 75. 780 Vgl. nur KG, OLGE 14, 366, 368; KG, JW 1934, 3074 = DNotZ 1936, 124; KG, GmbHRspr. IV, Nr. 25 zu § 46 GmbHG = Nr. 23 zu § 47 GmbHG; OLG Nürnberg v. 24.7.1956 – 3 U 267/54, GmbHR 1958, 194; Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 70. 781 So BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = GmbHR 1986, 156; dazu Lindacher, ZGR 1987, 121 ff.; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 126; wohl auch OLG München v. 19.5.1982 – 7 U 4099/81, WM 1982, 1061, 1062; a.M. Zöllner, Schranken, S. 218 f. 782 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 73/85, BGHZ 97, 28, 34 f. = GmbHR 1986, 156; KG, GmbHRspr. IV, Nr. 26 zu § 46 GmbHG = Nr. 23 zu § 47 GmbHG; Altmeppen, Rz. 93; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 76; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 126; Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 70; Lindacher, ZGR 1987, 124 f.; inzwischen auch Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 70. 783 OLG Nürnberg v. 24.7.1956 – 3 U 267/54, GmbHR 1958, 194.

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§ 46 Rz. 171 | Aufgabenkreis der Gesellschafter schluss selbst als Prozessvertreter auftreten784. Nur auf die Beschlussfassung nach der ersten Variante des § 46 Nr. 8 kann in diesem Fall verzichtet werden (auch dazu Rz. 153), nicht dagegen auf die Vertreterbestellung nach der zweiten Variante des § 46 Nr. 8. Gelingt die Bestellung eines Prozessvertreters nicht, so muss der Gesellschafter notfalls im eigenen Namen, wenn auch für Rechnung der Gesellschaft, im Wege der actio pro socio (Rz. 161) vorgehen785. Erwogen wurde auch eine Vertreterbestellung analog § 147 Abs. 3 Satz 2 AktG a.F. (jetzt § 147 Abs. 2 AktG)786. Vgl. aber Rz. 162. d) Das Amt des Prozessvertreters 172 aa) Hinsichtlich der Person des Prozessvertreters macht das Gesetz keine Vorgaben. Pro-

zessvertreter kann ein Gesellschafter, ein Geschäftsführer oder ein Dritter sein787, auch ein Anwalt, der gleichzeitig Prozessbevollmächtigter werden soll. Für einen Prozess gegen einen Geschäftsführer kann ein anderer, sonst nur gesamtvertretungsberechtigter Geschäftsführer (Rz. 168) als Vertreter bestellt werden. Wird der Prozessanwalt als Prozessvertreter bestellt, so ist er nicht bloß Prozessbevollmächtigter nach den Regeln des Zivilprozessrechts, sondern er hat die organähnlichen Befugnisse des nach § 46 Nr. 8 Bestellten. Seine Stellung (Rz. 173) ist insofern eine andere als die eines Anwalts, den ein nach § 46 Nr. 8 bestellter Vertreter seinerseits für den im Namen der GmbH zu führenden Prozess beauftragt. 173 bb) Rechtsstellung. Der nach § 46 Nr. 8 zum Vertreter Bestellte hat eine organähnliche Stel-

lung, ist gleichsam ein Ad-hoc-Organ788. Er ist gegenüber den Gesellschaftern weisungsgebunden789. Ein Gesellschafter, der gleichzeitig Gegenpartei ist, darf bei Weisungsbeschlüssen ebensowenig mitwirken wie bei der Bestellung des Prozessvertreters (vgl. dazu soeben Rz. 171). Der Prozessvertreter hat organschaftliche (wenngleich nur abgeleitete) Vertretungsmacht und ist gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft i.S.d. §§ 51, 56 ZPO, doch begrenzt auf die Zwecke des konkreten Rechtsstreits790. Er hat daher Parteieide zu leisten und kann in diesem Prozess nicht als Zeuge vernommen werden791. Dagegen können Geschäftsführer, soweit sie weder Gegenpartei noch – aufgrund von § 46 Nr. 8 oder gemäß Rz. 164 – organschaftliche Vertreter der Gesellschaft sind, im Prozess Zeugen sein792. Der Prozessvertreter bestellt etwa notwendige Prozessbevollmächtigte (zur Besonderheit einer Personalunion von Prozessvertretern i.S.v. § 46 Nr. 8 und Prozessbevollmächtigten i.S.d. ZPO vgl. Rz. 172)793. Die Befugnis zur Rechtsverfolgung schließt im Zweifel die Verfolgung von Rechtsmitteln ein

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So aber OLG München v. 19.5.1982 – 7 U 4099/81, WM 1982, 1061. Enger wegen § 147 AktG Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 86. Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 74 ff. BGH v. 7.6.2010 – II ZR 210/09, ZIP 2010, 2345, 2346; OLG Stuttgart, OLGE 42, 222; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 45; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 123. Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 70; Krieger in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 1998, 1999, S. 111, 125 f.; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 70; zu den Rechtsfolgen einer fehlerhaften Bestellung vgl. sinngemäß BGH v. 27.9.2011 – II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195 (zu § 147 AktG). Vgl. Altmeppen, Rz. 86; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 45; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 78; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 127; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 280; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 71a. RG, Recht 1916, 317; OLG München v. 10.11.1995 – 23 U 2987/95, GmbHR 1997, 128 = WM 1996, 2202, 2203; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 69; eingehend Eickhoff, Gesellschafterklage, S. 69 m.w.N. KG, OLGE 14, 366; Brodmann, Rz. 9d; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 127. Vgl. auch Altmeppen, Rz. 86; Meyer-Landrut, Rz. 48. BGH v. 26.10.1981 – II ZR 72/81, WM 1981, 1353, 1354; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 127; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 278.

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Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 175 § 46

(was Fragepflichten im Innenverhältnis nicht ausschließt)794. Da seine Befugnisse nicht weiter gehen als die eines Geschäftsführers, muss er die durch die erste Variante des § 46 Nr. 8 gezogenen Grenzen beachten. Insbesondere kann er nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter über die unter § 46 Nr. 8 fallenden Ansprüche verfügen, etwa durch Abschluss eines Vergleichs oder durch Genehmigung eines mit Vorbehalt geschlossenen Prozessvergleichs (vgl. Rz. 151). Ihm kann diese Befugnis allerdings im voraus erteilt werden. Im Innenverhältnis gilt Auftragsrecht (mit Aufwendungsersatz nach § 670 BGB). Aus § 612 Abs. 1 BGB kann gefolgert werden, dass, soweit nur eine Tätigkeit gegen Vergütung zu erwarten ist, auch eine angemessene Vergütung stillschweigend vereinbart ist795. Das gilt aber (jedenfalls bei der personalistischen GmbH) nicht ohne weiteres, wenn ein Gesellschafter zum Vertreter bestellt wird (Gedanke des § 733 Abs. 2 Satz 3 BGB)796. Der zum Vertreter Bestellte hat in dieser Eigenschaft Informationsrechte, insbesondere einen Anspruch auf Auskunftserteilung und Bucheinsicht, den er ggf. gegen die GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer, einklagen kann797. cc) Die Beendigung des Amtes ist im Gesetz nicht geregelt. Die Gesellschafter können den 174 Vertreter mit einfacher Mehrheit abberufen. Im Übrigen endet sein Amt nach außen mit der Erledigung seiner Aufgabe, nach innen mit der entsprechenden Abwicklung. Die Folgen einer Insolvenzverfahrenseröffnung ergeben sich aus §§ 80, 115, 116 InsO. Der Prozessvertreter verliert seine Zuständigkeit, wenn über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Der Eintritt in das Liquidationsstadium (Auflösungsgrund nach § 60) beseitigt die Vertretungsmacht dagegen nicht798. e) Verhältnis zur Prozesspflegschaft und zur Notgeschäftsführung Im Verhältnis zu § 57 ZPO (Bestellung eines Prozesspflegers) und zu § 29 BGB (Bestellung 175 eines Notgeschäftsführers) hat § 46 Nr. 8 Vorrang (Rz. 166). In einem Passivprozess der Gesellschaft kommt ausnahmsweise die Bestellung eines Prozesspflegers nach § 57 ZPO in Betracht, kaum dagegen die Bestellung eines Notgeschäftsführers (vgl. Rz. 166). Auf einen Aktivprozess der Gesellschaft findet § 57 ZPO keine Anwendung799. Ausnahmsweise kann hier § 29 BGB praktisch werden (12. Aufl., § 6 Rz. 94 ff.). Zwar ist das Bedürfnis nach Notgeschäftsführung nach § 29 BGB bei einer an sich nicht führungslosen Gesellschaft gering800, aber nicht völlig ausgeschlossen801. Wenn ein Beschluss über die Ernennung eines bestimmten Vertreters nicht zustande kommt, kann das Amtsgericht gemäß § 29 BGB einen Notvertreter bestellen802. Ein Vorrang der actio pro socio (Rz. 161) besteht nicht. Die Einzelheiten des FamFG-Verfahrens werden hier nicht mehr dargestellt.

794 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 279. 795 Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 130; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 281. 796 Zust. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 281. 797 Vgl. RGZ 83, 250 (AG); OLG München v. 10.11.1995 – 23 U 2987/95, WM 1996, 2202, 2203 = (L) GmbHR 1997, 128. 798 Vgl. zur KGaA RGZ 74, 302. 799 RGZ 129, 108; Lindacher/Hau in MünchKomm. ZPO, § 57 ZPO Rz. 1. 800 KG, RJA 8, 213; KG, OLGE 14, 368 = GmbHRspr. I, Nr. 26 zu § 46 GmbHG; KG, Holdh. 21, 269 = Recht 1912 Nr. 3023 = GmbHRspr. II, Nr. 22 zu § 46 GmbHG. 801 In dieser Richtung allerdings KG, Recht 1912 Nr. 3023 = GmbHRspr. II, Nr. 22 zu § 46 GmbHG; Meyer-Landrut, Rz. 49. 802 KG, OLGE 42, 222 = GmbHRspr. III, Nr. 13 zu § 46 GmbHG; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 125; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 71 f.

Karsten Schmidt | 997

§ 46 Rz. 176 | Aufgabenkreis der Gesellschafter

4. GmbH & Co. KG a) Geltendmachung von Ersatzansprüchen 176 Das Beschlusserfordernis des § 46 Nr. 8 (erste Variante) gilt für die GmbH, dagegen nach

h.M. nicht für die Kommanditgesellschaft803. Ansprüche der KG gegen Gesellschafter und Geschäftsführer können grundsätzlich ohne vorherige Beschlussfassung geltend gemacht werden804. Die KG wird durch die GmbH (diese vertreten durch ihren Geschäftsführer) bei der Geltendmachung von Ansprüchen organschaftlich vertreten, und es bedarf grundsätzlich keines Beschlusses der GmbH-Gesellschafter, um einer Klage gegen Gesellschafter und Geschäftsführer zum Erfolg zu verhelfen805. Die Frage sollte aber dahingestellt werden, ob ein Beschluss der Kommanditisten erforderlich ist, insbesondere wenn der Geschäftsführer der GmbH nach § 43 auch für Schäden der KG verantwortlich ist und dieser Schadensersatz schuldet (12. Aufl., § 43 Rz. 443 ff.). Zweifelhaft ist deshalb, ob im Innenverhältnis eine Beschlussfassung der Geltendmachung von Ansprüchen vorausgehen sollte (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 10). Das kann nach Lage des Falls zu bejahen sein. Eine § 46 Nr. 8 entsprechende verbindliche Beschlusskompetenz der Kommanditisten kann jedenfalls im Gesellschaftsvertrag vereinbart werden (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 10). Zur Frage, ob bei einer Einheitsgesellschaft die Kommanditisten an Stelle der GmbH-Gesellschafter beschließen, vgl. 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 59 ff. Die actio pro socio (Rz. 161) ist im Personengesellschaftsrecht, und damit auch für die GmbH & Co. KG, anerkannt806, jedoch auch hier nur subsidiär807. Nach BGH v. 19.12.2017 – II ZR 255/16, GmbHR 2018, 308, kann ein Kommanditist einer GmbH & Co. KG nicht im Wege der actio pro socio Ansprüche der KG gegen den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH geltend machen. b) Bestellung von Prozessvertretern 177 Auch die zweite Variante des § 46 Nr. 8 gilt unmittelbar nur für die GmbH und nicht für die

KG. Doch können die Kommanditisten als Gesellschafter der Personengesellschaft (!) analog § 46 Nr. 8 einen Prozessvertreter bestellen, wenn Ansprüche nicht der GmbH, wohl aber der KG gegen den Geschäftsführer der GmbH geltend gemacht werden sollen808. Vertreter kann z.B. ein Beirat sein809. Nach der hier bis zur 10. Aufl. vertretenen Ansicht kann die Bestellung des Prozessvertreters (auch) durch Beschluss der GmbH-Gesellschafter erfolgen. Da es dann bei der Anwendung von § 46 Nr. 8 bleibt, tritt der bestellte Vertreter in diesem Fall an die Stelle des Geschäftsführers der GmbH. Die Kommanditgesellschaft klagt dann, vertreten durch die GmbH, diese vertreten durch den Prozessvertreter. Dieser Vorschlag dürfte sich erledigt haben, soweit die KG direkt vertreten werden kann.

803 BGH v. 24.3.1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326, 338 = GmbHR 1980, 179; BGH v. 10.2.1992 – II ZR 23/91, GmbHR 1992, 303 = NJW-RR 1992, 800; BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = ZIP 2013, 1712, 1714 = GmbHR 2013, 1044; OLG Hamm v. 28.10.1992 – 8 U 25/92, GmbHR 1993, 294; OLG Köln v. 22.1.2009 – 18 U 142/07, NZG 2009, 1223; KG v. 24.2.2011 – 19 U 83/10, GmbHR 2011, 477; OLG München v. 21.3.2013 – 23 U 3344/12, GmbHR 2013, 590, 591; OLG Karlsruhe v. 31.7.2013 – 7 U 184/12, ZIP 2013, 1767 = GmbHR 2013, 1051; h.M.; vgl. Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 51. 804 Ebd. 805 OLG Hamm v. 28.10.1992 – 8 U 25/92, GmbHR 1993, 294. 806 Vgl. auch Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 197 ff.; Vergleich mit GmbH-Recht bei Kumkar, NZG 2020, 1012, 1013 f. 807 Zusammenfassend OLG Naumburg v. 8.1.2013 – 1 U 52/12.Hs, GmbHR 2013, 932. 808 BGH v. 7.6.2010 – II ZR 210/09, DB 2010, 2610 = ZIP 2010, 2345 (im Ergebnis übereinst. in der Vorinstanz OLG Bremen v. 14.8.2009 – 2 U 140/08, NZG 2010, 181). 809 Ebd.

998 | Karsten Schmidt

Aufgabenkreis der Gesellschafter | Rz. 186 § 46

XI. Gesetzliche Zuständigkeiten außerhalb von § 46 1. Strukturändernde Beschlüsse a) Für Satzungsänderungen (§ 53) einschließlich Kapitalerhöhung (§§ 55 ff.) und Kapital- 178 herabsetzung (§ 58) sind die Gesellschafter zwingend zuständig. Vgl. wegen der Einzelheiten die Kommentierung dieser Bestimmungen. Zur Satzungsauslegung durch die Gesellschafter vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 19 und 34. b) Umwandlungsbeschlüsse über einen Formwechsel gehören jedenfalls zur zwingenden Zu- 179 ständigkeit der Gesellschafter. Das gilt für die formwechselnde Umwandlung in eine Personengesellschaft (vgl. §§ 228, 233 UmwG) ebenso wie für den Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform (§§ 233, 240 f. UmwG). c) Auch über eine Verschmelzung entscheiden nach § 13 Abs. 1, § 50 Abs. 1 UmwG aus- 180 schließlich und zwingend die Gesellschafter, ebenso über eine Spaltung (§ 125 Abs. 1, § 13 Abs. 1, § 50 Abs. 1 UmwG) und eine Vermögensübertragung (§§ 176 ff., § 13 Abs. 1, § 50 Abs. 1 UmwG). d) Über Unternehmensverträge beschließen gleichfalls die Gesellschafter (dazu 12. Aufl., 181 Anh. § 13 Rz. 143 ff.). e) Die Ausschließung eines Gesellschafters bedarf jedenfalls grundsätzlich eines Beschlusses 182 der Gesellschafter (vgl. 12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 39). f) Auflösung (§ 60 Abs. 1 Nr. 2) und Fortsetzung der Gesellschaft können nur von den Ge- 183 sellschaftern beschlossen werden (12. Aufl., § 60 Rz. 20 ff. und 102 ff.).

2. Sonstige Zuständigkeiten a) Aus dem GmbH-Gesetz ergibt sich noch die Zuständigkeit für die Einforderung von 184 Nachschüssen (§ 26 Abs. 1), für die Auswahl und Abberufung der Liquidatoren (§ 66 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 2) sowie für die Bestimmung über die Aufbewahrung von Büchern nach der Auflösung (§ 74 Abs. 2 Satz 2). Wegen der Einzelheiten wird auf die Kommentierung dieser Bestimmungen verwiesen. Das gilt auch für die im Gesetz nicht besonders hervorgehobene Beschlussfassung über die Liquidationsbilanzen (12. Aufl., § 69 Rz. 38; § 71 Rz. 29). b) Zur Frage, inwieweit die Gesellschafter für die Wahl, Entlastung und Abberufung von 185 Aufsichtsratsmitgliedern zuständig sind, vgl. 12. Aufl., § 52 Rz. 176, 188, 252. c) Nach § 318 Abs. 1 HGB sind die Gesellschafter zuständig für die Wahl der Abschlussprü- 186 fer.

Karsten Schmidt | 999

§ 47 Abstimmung (1) Die von den Gesellschaftern in den Angelegenheiten der Gesellschaft zu treffenden Bestimmungen erfolgen durch Beschlussfassung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. (2) Jeder Euro eines Geschäftsanteils gewährt eine Stimme. (3) Vollmachten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Textform. (4) Ein Gesellschafter, welcher durch die Beschlussfassung entlastet oder von einer Verbindlichkeit befreit werden soll, hat hierbei kein Stimmrecht und darf ein solches auch nicht für andere ausüben. Dasselbe gilt von einer Beschlussfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites gegenüber einem Gesellschafter betrifft. Abs. 2 geändert durch EuroEG vom 9.6.1998 (BGBl. I 1998, 1242) und durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026); Abs. 3 neu gefasst durch Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften vom 13.7.2001 (BGBl. I 2001, 1542). I. 1. 2. II. 1.

Grundlagen Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Mehrheitsbeschluss Die erforderliche Mehrheit (§ 47 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Stimmkraft (§ 47 Abs. 2) a) Stimme und Stimmkraft . . . . . . . . . . b) Zählstimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Satzungsbestimmungen a) Dispositives Recht . . . . . . . . . . . . . . . b) Abweichung von § 47 Abs. 1 . . . . . . c) Abweichung von § 47 Abs. 2 . . . . . . d) Vetorechte, Zustimmungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Inhaber des Stimmrechts 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Gesellschafter als Inhaber des Stimmrechts a) Inhaber des Stimmrechts . . . . . . . . . b) Mitberechtigung nach § 18 Abs. 1 . . c) Gesetzliche Vertreter und Amtswalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bindung des Stimmrechts an das Vollrecht am Anteil a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Treuhand, Nießbrauch, Pfandrecht . c) Kompensierender Interessenschutz . 4. Kein Stimmrecht eines Dritten a) Stimmrechtsabspaltung . . . . . . . . . . . b) Legitimationszession? . . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1000 | Karsten Schmidt

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5. Erlöschen und Ruhen des Stimmrechts a) Erlöschen des Stimmrechts . . . . . . . b) Ruhen des Stimmrechts . . . . . . . . . . c) Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Inhaltsgrenzen der Stimmrechtsmacht 1. Grundlagen a) Freiheit und Bindung . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung gegen Stimmverbote . . c) Das Problem der Kontrolldichte . . . 2. Missbräuchliche Stimmrechtsausübung 3. Positive Stimmpflichten . . . . . . . . . . . . . 4. Sanktionen des Stimmrechtsmissbrauchs a) Nichtigkeit der Stimmabgabe . . . . . . b) Schadensersatzpflichten . . . . . . . . . . c) Ausschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Stimmrechtsbindungen 1. Begriff, Rechtsnatur, Zweck . . . . . . . . . 2. Schuldrechtliche Vereinbarung . . . . . . . 3. Grundsätzliche Wirksamkeit a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stimmbindungen unter Gesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stimmbindungen gegenüber den Geschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . d) Stimmbindungen gegenüber Dritten 4. Gesetzliche Verbote a) Kartellverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gute Sitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stimmkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abstimmung | § 47 6. Grenzen wirksamer Stimmbindung a) Gesetzliche Stimmverbote . . . . . . . . b) Satzungs- und treuwidrige Stimmbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Pflichtenkollisionen . . . . . . . . . . . . . . d) Lösungsrechte und Anpassungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Bedeutung bindungsgemäßer und bindungswidriger Stimmabgabe für die Wirksamkeit des Beschlusses . . . . . . . . a) Stimmabgabe bei wirksamer Stimmbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stimmabgabe bei unwirksamer Stimmbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Klagbarkeit und Vollstreckbarkeit a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Technik der Vollstreckung . . . . . . . . c) Klagantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vollstreckungsvoraussetzungen . . . . e) Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . 9. Schadensersatz und andere Sanktionen bei einem Stimmbindungsverstoß a) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sanktionsvereinbarungen . . . . . . . . . 10. Stimmbindungen im internationalen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Einheitliche oder gespaltene Stimmabgabe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemlage a) Keine gesetzliche Klärung . . . . . . . . . b) Fallvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Tatbestand der gespaltenen Stimmabgabe a) Identität des Stimmrechtsinhabers, Uneinheitlichkeit der Stimmabgabe b) Uneinheitliche Stimmabgabe . . . . . . 3. Einheitliche Stimmrechtsausübung für den Geschäftsanteil a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mehrheit von Inhabern . . . . . . . . . . . c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Uneinheitliche Stimmrechtsausübung bei Mehrheit von Anteilen . . . . . . . . . . . 5. Satzungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . 6. Gesellschaftervereinbarungen und geduldete Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Teilnahme und Stimmabgabe von Bevollmächtigten 1. Grundlagen a) Zulässigkeit der Stellvertretung . . . . b) Vollmacht und gesetzliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47 48 49 51

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76 77

c) Der Stimmbote . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Arten der Vollmacht a) Umfang der Vollmacht . . . . . . . . . . . b) Einzel- und Gesamtvertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vertreterbestellung in den Fällen des § 18 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Konkurrierende und verdrängende Stimmrechtsvollmacht . . . . . . . . . . . e) Widerrufliche und unwiderrufliche Stimmrechtsvollmacht . . . . . . . . . . . f) Person des Bevollmächtigten . . . . . . 3. Erteilung und Erlöschen der Vollmacht a) Vollmachtserteilung . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vollmachtlose Vertretung . . . . . . . . . d) Erlöschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Legitimation und Zulassung des Bevollmächtigten a) Bedeutung der Textform . . . . . . . . . . b) Umfang der Ausweisfunktion . . . . . c) Entscheidung über die Zulassung . . d) Fehlerhafte Zulassung oder Nichtzulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Uneinigkeit zwischen Gesellschafter und Bevollmächtigtem . . . . . . . . . . . 5. Satzungsklauseln a) Grundsätzliche Zulässigkeit . . . . . . . b) Klauselvarianten . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Ausschluss von der Abstimmung (Stimmverbote) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliches a) Normzweck und Auslegungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Anwendungsgrenzen . . 2. Beschlussfassung über die Vornahme von Rechtsgeschäften a) Die erfassten Geschäfte . . . . . . . . . . . b) Abgrenzungsfragen . . . . . . . . . . . . . . c) Das Rechtsgeschäft als Gegenstand der Beschlussfassung . . . . . . . . . . . . . 3. Befreiung von einer Verbindlichkeit a) Der Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gläubiger und Schuldner . . . . . . . . . 4. Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die erfassten Rechtsstreitigkeiten . . c) Einleitung und Erledigung des Rechtsstreits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Gesellschafter als „Richter in eigener Sache“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78 79 80 81 82 83 84

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Karsten Schmidt | 1001

§ 47 Rz. 1 | Abstimmung a) Entlastung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kaduzierung, Einziehung, Ausschließung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Andere Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . d) Kein Stimmverbot . . . . . . . . . . . . . . . 6. „Umgehungsschutz“ und „Identitätsprobleme“ a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Trennung und Zusammenlegung von Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unmittelbare und mittelbare Interessenberührung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Betroffensein mehrerer Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Nähebeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Befangene Vertreter und Verwalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Abstimmung von Vertretern und Verwaltern aus einem „befangenen Anteil“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Abgeleitete Befangenheit bei mittelbarer oder gemeinschaftlicher Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Unterbeteiligung eines Befangenen . j) Verflechtung des Gesellschafters mit einer befangenen Drittgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Konzernfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Rechtsnachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . m) Drittbindung und Umgehungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133 137 140 146

148 149 150 153 154 155

157 159 162 163 165 169 171

7. Abweichende Satzungsregeln und Vereinbarungen a) Verschärfung der Stimmverbote im Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . b) Beschränkung der Stimmverbote im Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . c) Zulassung zur Abstimmung im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Rechtsfolgen des Stimmverbots a) Teilnahmerecht, Stimmrecht und Beschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Anwendung des § 181 BGB neben dem Stimmverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen a) Stimmabgabe und § 181 BGB . . . . . b) Zurechnungsfragen . . . . . . . . . . . . . . 2. Doppelvertretung bei vertragsähnlichen Beschlüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Von der Beschlussfassung betroffener Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Befreiung vom Vertretungsverbot . . . . X. Stimmverbote in der GmbH & Co. KG 1. Beschlüsse in der KomplementärGmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. KG-Beschlüsse a) Stimmverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 181 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einheitsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . .

172 173 174

175 176 177 178 179 180 181 182

183 184 185 186

Schrifttum: Zum Stimmrecht vgl. die Angaben bei 12. Aufl., vor § 45 Rz. 18 und 35; zu den Stimmbindungen vgl. vor Rz. 35; zur Spaltung des Stimmrechts Rz. 63; zur Stimmrechtsvollmacht vor Rz. 76; zu den Stimmverboten Rz. 98.

I. Grundlagen 1. Regelungsinhalt 1 Während sich § 46 mit den Zuständigkeiten der Gesellschafter und § 48 mit dem Verfahren

der Beschlussfassung befasst, geht es bei § 47 um Stimmrecht und Abstimmung. § 47 Abs. 1 und 4 sind seit 1892 unverändert. § 47 Abs. 2 wurde geändert durch das EuroEG von 19981 sowie durch das MoMiG von 20082. Die Textform in § 47 Abs. 3 beruht auf dem Gesetz von 20013. § 47 Abs. 1 befasst sich mit der erforderlichen Mehrheit (dazu Rz. 3), § 47 Abs. 2 mit der Stimmkraft (näher Rz. 6), § 47 Abs. 3 mit der Legitimation von Bevollmächtigten (eingehend Rz. 75 ff.) und § 47 Abs. 4 mit den sog. Stimmverboten, also mit dem Ausschluss eines Gesellschafters vom Stimmrecht in Bezug auf bestimmte Beschlussgegenstände (dazu

1 BGBl. I 1998, 1242. 2 BGBl. I 2008, 2026. 3 BGBl. I 2001, 1542.

1002 | Karsten Schmidt

Abstimmung | Rz. 4 § 47

Rz. 98 ff.). Die rechtsgeschäftlichen Grundlagen von Stimmabgabe und Beschlussfassung sind erläutert bei 12. Aufl., § 45 Rz. 18 ff., 22 ff. Über fehlerhafte Beschlüsse und über Beschlussmängelklagen vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 35 ff., 93 ff., 127 ff.

2. Geltungsbereich Die Vorschriften des § 47 gelten für jede GmbH (zur Frage der Abdingbarkeit durch Sat- 2 zungsbestimmungen vgl. Rz. 8 ff., 96 ff., 172 ff.), die UG (haftungsbeschränkt) nach § 5a eingeschlossen. Sie gelten bereits in der Vorgesellschaft (vgl. 12. Aufl., § 11 Rz. 55) und gelten auch noch in der Liquidation (vgl. 12. Aufl., § 69 Rz. 37). Zur GmbH & Co. KG vgl. 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 46 f. sowie unten Rz. 183 ff. Für die Abstimmung im Aufsichtsrat gilt § 47 nicht (12. Aufl., § 52 Rz. 443 ff.).

II. Der Mehrheitsbeschluss 1. Die erforderliche Mehrheit (§ 47 Abs. 1) a) Über Beschluss und Beschlussfassung als Rechtsgeschäft vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 18 ff. 3 Nach § 47 Abs. 1 entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Im Gegensatz zu den Personengesellschaften (§ 119 HGB) mit Einschluss der Kapitalgesellschaft (GmbH) & Co. KG (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 16 ff.) ist die GmbH nach dem Gesetz vom Mehrheitsprinzip beherrscht4. Die einfache Mehrheit entscheidet, und zwar nicht die Mehrheit „des bei der Beschlussfassung vertretenen“ Kapitals (z.B. § 52 Abs. 5, § 179 Abs. 2 AktG), sondern, ähnlich dem § 133 Abs. 1 AktG, die Mehrheit der abgegebenen Stimmen (entsprechend auch für die qualifizierte Mehrheit § 53 Abs. 2 Satz 1 und § 60 Abs. 1 Nr. 2: „Mehrheit von drei Vierteilen der abgegebenen Stimmen“). Regelmäßig, jedoch vorbehaltlich gesellschaftsvertraglicher Stimmrechtsregelungen (Rz. 8 ff.), entspricht diese Mehrheitsberechnung der nach dem vertretenen Kapital. Bei der Mehrheitsbildung zählt nicht mit, wer nicht mit einer gültigen Stimme an der Abstimmung teilnimmt, mag er freiwillig oder aufgrund einer Abrede oder gesetzlichen Vorschrift (§ 47 Abs. 4) sich der Stimme enthalten5. Stimmenthaltungen sind also nicht als Nein-Stimmen zu werten6. Dasselbe gilt für ungültige Stimmen7. Bei Stimmengleichheit ist der Antrag abgelehnt8, naturgenäß ebenso, wenn die Nein-Stimmen überwiegen (vgl. auch Rz. 9). Zur Beschlussfähigkeit vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 43. Erscheint nur ein Gesellschafter, so beschließt er allein9; über weitere Fälle des „Einpersonenbeschlusses“ vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 69 ff. b) Qualifizierte Mehrheiten verlangt das Gesetz in folgenden Fällen: – Satzungsänderung (§ 53 Abs. 2), – Auflösung durch Gesellschafterbeschluss (§ 60 Abs. 1 Nr. 2),

4

4 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 16 II. 5 RGZ 80, 189; RGZ 82, 388; h.M. 6 Allg. M.; vgl. OLG Celle v. 6.8.1997 – 9 U 224/96, GmbHR 1998, 140, 143; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 11; s. auch BGH v. 25.1.1982 – II ZR 164/81, BGHZ 83, 35, 36 = NJW 1982, 1585 (Verein). 7 BGH v. 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 154, 156; BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212, 215; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18; Karsten Schmidt, ZIP 1981, 612. 8 KGJ 40, A 75; allg. M. 9 RGZ 34, 116; RGZ 82, 388; KGJ 40, A 75; KG, GmbHR 1914, 185.

Karsten Schmidt | 1003

§ 47 Rz. 4 | Abstimmung – Formwechsel einer GmbH in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, eine Personenhandelsgesellschaft oder eine Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform (§ 193 Abs. 1, § 240 Abs. 1 UmwG), – Verschmelzung einer GmbH mit einer Personenhandelsgesellschaft oder einer Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform (§ 13 Abs. 1, § 50 Abs. 1 UmwG), – Aufspaltung der GmbH oder Abspaltung eines Teils einer GmbH, jeweils zur Aufnahme (§ 125 Satz 1, § 13 Abs. 1, § 50 Abs. 1 UmwG) oder zur Neugründung (§ 135 Satz 1, § 13 Abs. 1, § 50 Abs. 1 UmwG), – Übertragung des gesamten Vermögens (§ 176 Abs. 1, § 13 Abs. 1, § 50 Abs. 1 UmwG) oder eines Teils des Vermögens (§ 177 Abs. 1, § 13 Abs. 1, § 50 Abs. 1 UmwG) auf eine Körperschaft der öffentlichen Hand, – Erhöhung des Stammkapitals i.S.d. § 55. Hinzu kommen gesetzlich nicht geregelte Fälle qualifizierter Mehrheit: Für einen Ausschließungsbeschluss verlangt die Rechtsprechung vorbehaltlich besonderer Satzungsregelung eine Dreiviertelmehrheit (kritisch 12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 39)10. Über faktische Strukturänderungen vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 1, 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 47. Über Unternehmensverträge vgl. 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 145 f., 148 ff. Über den Fortsetzungsbeschluss einer aufgelösten Gesellschaft vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 103. 5 c) Zustimmung aller Gesellschafter wird verlangt für eine Änderung des Gesellschaftszwecks

(vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 181), ebenso nach umstrittener, aber wohl noch herrschender Auffassung in der GmbH als Konzerntochter zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags (vgl. 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 143 ff.) bzw. eines isolierten Gewinnabführungsvertrags (vgl. 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 201 f.). Von dem Erfordernis der Zustimmung aller Gesellschafter zu unterscheiden ist das Erfordernis der Zustimmung individuell betroffener Gesellschafter, insbesondere bei der Vermehrung der den Gesellschaftern obliegenden Leistungen (§ 53 Abs. 3) und beim Eingriff in satzungsmäßige Sonder- und Vorzugsrechte (dazu 12. Aufl., § 14 Rz. 34, 12. Aufl., § 45 Rz. 53a f., 114).

2. Die Stimmkraft (§ 47 Abs. 2) a) Stimme und Stimmkraft 6 Nach § 47 Abs. 2 gewährt jeder Euro eines Geschäftsanteils eine Stimme (vor dem MoMiG:

je 50 Euro eines Geschäftsanteils). § 47 Abs. 2 regelt nur die Stimmkraft der für einen Geschäftsanteil abgegebenen Stimme. Die Stimme selbst bleibt einheitlich und ungeteilt (Rz. 63 ff.). b) Zählstimmen 7 Es entscheidet die Stimmenmehrheit, nicht die Kopfmehrheit. Über die Stimmkraft entschei-

det nach § 47 Abs. 2 die Größe des Geschäftsanteils (Rz. 6). Die Einführung des Euro an Stelle der deutschen Mark blieb ohne Einfluss auf die Stimmkraft11. Seit der MoMiG-Reform (jeder Euro eines Geschäftsanteils gewährt eine Stimme) ist auch die früher zweifelhafte Frage 10 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 177 = NJW 1953, 780, 783 f.; BGH v. 13.1.2003 – II ZR 227/00, BGHZ 153, 285 = GmbHR 2003, 351 = EWiR 2003, 329 (Wilhelm); BGH v. 13.1.2003 – II ZR 173/02, AG 2003, 383 = ZIP 2003, 435; OLG Frankfurt v. 26.6.1979 – 5 U 219/78, DB 1979, 2127 = GmbHR 1980, 56; im Schrifttum umstritten; Überblick über den Meinungsstand in 12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 39. 11 Empfehlung für Satzungsänderungen bei Geyrhalter, ZIP 1998, 1608 ff.

1004 | Karsten Schmidt

Abstimmung | Rz. 9 § 47

erledigt, ob im Fall der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln entstehende Geschäftsanteile mit Nennbeträgen unter 50 Euro oder einer Teilbarkeit durch weniger als 50 Stimmrechte gaben (vgl. 12. Aufl., § 57m Rz. 9).

3. Satzungsbestimmungen a) Dispositives Recht § 47 Abs. 1 und Abs. 2 sind nicht zwingend (zu § 47 Abs. 4 vgl. demgegenüber Rz. 172, 8 173)12. Eine nachträgliche Abweichung von § 47 erfordert formelle Satzungsänderung gemäß § 53. Regelmäßig bedarf sie als Eingriff in Mitgliedschaftsrechte der Zustimmung aller von der Änderung betroffenen Gesellschafter (näher 12. Aufl., § 53 Rz. 158)13. Ergänzende Satzungsauslegung und mutmaßlicher Gesellschafterwille ersetzen die Änderung des Gesellschaftsvertrags (der Satzung) grundsätzlich nicht. Auch eine jahrelange Übung z.B. in dem Sinne, dass Konsensentscheidungen erstrebt und Mehrheitsentscheidungen vermieden wurden, hat nicht zur Folge, dass Mehrheitsbeschlüsse ungültig sind. Eine Einstimmigkeitsregelung oder Kopfstimmenregelung entsprechend § 119 HGB darf den Gesellschaftern auch nicht schon dann unterstellt werden, wenn die GmbH eine „personalistische“ ist14. Das gilt auch für die Komplementär-GmbH in der GmbH & Co. KG15. In der GmbH & Co. KG liegt eine Anpassung des KG-Vertrags an § 47 Abs. 1, 2 oder an das Statut der KomplementärGmbH im Hinblick auf Mehrheitsbeschlüsse regelmäßig näher als eine Anpassung der GmbH an § 119 HGB (12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 23). b) Abweichung von § 47 Abs. 1 Eine Verschärfung des Mehrheitserfordernisses ist zulässig16, und zwar auch bei Beschluss- 9 gegenständen, für die schon das Gesetz eine qualifizierte Mehrheit verlangt17. Sie kann insbesondere darin bestehen, dass über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus (generell oder für bestimmte Beschlussgegenstände) eine qualifizierte Mehrheit oder Einstimmigkeit vorgeschrieben wird. Solche Regeln stärken den Minderheitenschutz. Sie gehen aber mit einer Pflichtbindung der Stimmrechtsmacht einher (vgl. zur Stimmpflicht in der personalistischen GmbH Rz. 26 ff.). Ist die nach dem Gesellschaftsvertrag geforderte Mehrheit oder Einstimmigkeit nicht zustande gekommen, so ist der Beschlussantrag abgelehnt18. Für die Abberufung eines Geschäftsführers aus wichtigem Grund kann eine qualifizierte Mehrheit oder Einstimmigkeit nicht vorgeschrieben werden (12. Aufl., § 46 Rz. 73).

12 RGZ 137, 311; Feine, S. 522; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 97; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 7; Dieter Mayer, GmbHR 1990, 61 ff. 13 Vgl. Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 98. 14 Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967, S. 54 f.; Limbach, Theorie und Wirklichkeit der GmbH, 1966, S. 80. 15 Vgl. Wenzel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020, Rz. 4.127. 16 Vgl. BGH v. 22.3.2004 – II ZR 50/02, GmbHR 2004, 739 = NZG 2004, 516; OLG Saarbrücken v. 24.11.2004 – 1 U 202/04-35, GmbHR 2005, 546; OLG Frankfurt v. 19.10.2009 – 22 U 248/07, GmbHR 2010, 260, 261 = ZIP 2010, 1033, 1034; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 24; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21 ff.; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Meyer-Landrut, Rz. 9; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 17. 17 OLG Frankfurt v. 19.10.2009 – 22 U 248/07, GmbHR 2010, 260; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50. 18 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21 m.w.N.

Karsten Schmidt | 1005

§ 47 Rz. 10 | Abstimmung 10 Auch Regelungen, die die gesetzlichen Mehrheitserfordernisse unterschreiten, sind grund-

sätzlich zulässig19, z.B. der Stichentscheid eines Gesellschafters und wohl auch eines auf das Gesellschaftsinteresse verpflichteten Nichtgesellschafters (Geschäftsführer, Aufsichtsratsmitglied, Sitzungsvorsitzender, Syndikus)20 im Fall der Stimmengleichheit (vgl. auch über Zustimmungsvorbehalte und Vetorechte Rz. 12)21. Der Stichentscheid ist allerdings treupflichtgebunden (zur Treupflicht bei der Stimmabgabe vgl. Rz. 26 ff.). Seine Ausübung kann im Fall der Treuwidrigkeit unwirksam sein (vgl. sinngemäß Rz. 32, 12. Aufl., § 45 Rz. 107), aber ein im Sinne des Stichentscheids protokollierter und verkündeter Beschluss ist auch in diesem Fall wirksam, so dass für die Geltendmachung seiner Fehlerhaftigkeit eine Beschlussanfechtung nach den bei 12. Aufl., § 45 Rz. 123 ff. dargestellten Regeln erforderlich ist (vgl. sinngemäß 12. Aufl., § 45 Rz. 49a ff., 98, 12. Aufl., § 48 Rz. 53). Im Übrigen ist umstritten, ob ein Verzicht auf gesetzliche Mehrheitserfordernisse grundsätzlich unzulässig22 oder grundsätzlich zulässig ist23. Gesetzlich untersagt ist die Unterschreitung gesetzlicher Mehrheitserfordernisse nur für vereinzelte Fälle. So kann nicht vorgeschrieben werden, dass Satzungsänderungsbeschlüsse (§ 53) mit einer geringeren als der gesetzlichen Dreiviertelmehrheit gefasst werden können, denn nach § 53 Abs. 2 Satz 2 darf der Gesellschaftsvertrag die Voraussetzungen einer Vertragsänderung nur erschweren und nicht auch erleichtern (dazu 12. Aufl., § 53 Rz. 78, 86 ff.). Dasselbe gilt im Umwandlungsrecht nach § 50, §§ 125/50, §§ 176/50, §§ 177/50, § 233, § 240 UmwG. Dagegen bedarf der Auflösungsbeschluss nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 einer Dreiviertelmehrheit nur, sofern nicht im Gesellschaftsvertrag ein anderes bestimmt ist (vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 22). Auch für einen Fortsetzungsbeschluss (12. Aufl., § 60 Rz. 103) kann die einfache Mehrheit zugelassen werden24. Demgegenüber ist eine Satzungsregelung, wonach die Minderheit die Mehrheit gültig abgegebener Stimmen in einer Sachfrage überstimmt, grundsätzlich nicht zuzulassen (zum Sonderfall eines Vetorechts vgl. Rz. 12)25. Aber dieser Grundsatz lässt sich nur für Beschlüsse durchhalten, bei denen es lediglich um „Ja“ oder „Nein“ geht. Soweit z.B. bei Wahlen von mehreren Kandidaten derjenige als gewählt gilt, der die relative Mehrheit erhält (Verhältniswahl), bedarf es der absoluten Mehrheit nicht26. Im praktischen Ergebnis kann auch bei allen anderen Beschlussarten die Gesellschaftermehrheit einer Anteilsminderheit untergeordnet werden, indem die Satzung Mehrfachstimmrechte, Stimmverbote (Rz. 172) oder stimmrechtslose Anteile begründet (Rz. 11). Eine solche Satzungsregelung macht die Mitgesellschafter nicht schutzlos, denn es sind die beweglichen Grenzen der Stimmrechtsmacht zu beachten (Gleichbehandlung, Treupflicht, Missbrauchsverbot; vgl. zu diesen Grenzen Rz. 26 ff. sowie 12. Aufl., § 45 Rz. 104 ff.). Überhaupt keine Bedenken gegen Entscheidungsrechte der Minderheit bestehen, wenn es nicht um Sachentscheidungen geht, sondern Kontrollrechte der Minderheit gestärkt werden sollen, z.B. bei ei-

19 RGZ 49, 147; Casper in Bork/Schäfer, Rz. 11; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53; insoweit auch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 23; h.M. 20 S. auch Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 17; zum Streitstand Blasche, GmbHR 2013, 176 ff. 21 RGZ 49, 147; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53; Blasche, GmbHR 2013, 176; a.M. KG, SoergRspr. 1921 Nr. 3 zu § 47 GmbHG; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 23 (nur Gesellschafter). 22 Vgl. nur Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24. 23 So früher Scholz in diesem Kommentar, zuletzt 5. Aufl., Rz. 11. 24 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26. 25 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 24; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51. 26 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 24; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 28; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20; insoweit zust. auch Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26.

1006 | Karsten Schmidt

Abstimmung | Rz. 11 § 47

nem Beschluss über eine satzungsmäßig vorgesehene Sonderprüfung (dazu auch 12. Aufl., § 46 Rz. 116)27. c) Abweichung von § 47 Abs. 2 Eine Abweichung der Satzung von § 47 Abs. 2 ist grundsätzlich zulässig (Rz. 8), jedenfalls 11 bei der personalistischen GmbH. Es können mit bestimmten Geschäftsanteilen Mehrstimmrechte verbunden sein28. Umgekehrt kann der Gesellschaftsvertrag (die Satzung) auch ein Höchststimmrecht vorsehen29; es können Geschäftsanteile vom Stimmrecht ganz ausgeschlossen sein (stimmrechtslose Geschäftsanteile)30, und zwar auch für Satzungsänderungen und sonstige Grundlagenbeschlüsse31. Das Recht auf Teilnahme an den Versammlungen bleibt einem solchen Gesellschafter erhalten32, ebenso das unentziehbare Informationsrecht nach § 51a33 und das Recht zur Anfechtung von Beschlüssen (vgl. zum Teilnahmerecht § 48 Rz. 13; zum Informationsrecht 12. Aufl., § 51a Rz. 12; zum Anfechtungsrecht 12. Aufl., § 45 Rz. 127 ff.). Auch das Erfordernis einer Zustimmung des Gesellschafters bei Eingriffen in den Kernbereich seiner Mitgliedschaft und bei Leistungsvermehrungen durch Satzungsänderung (12. Aufl., § 53 Rz. 47, 50 ff.) bleibt unberührt34. Deshalb ist auch die nachträgliche Einführung einer solchen Beschränkung durch Satzungsänderung nur mit Zustimmung der betroffenen Gesellschafter wirksam (12. Aufl., § 53 Rz. 47, 158). Der Geschäftsanteil darf nicht aller mitgliedschaftlichen Rechte entkleidet werden. Das Zusammentreffen eines Ausschlusses sowohl vom Stimmrecht als auch vom Gewinnbezugsrecht ist bei BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 268 f. = GmbHR 1954, 125 m. zust. Anm. Schneider jedenfalls für den Fall anerkannt worden, dass die Regelung jeden Gesellschafter mit nur einem seiner Geschäftsanteile trifft. Hinzugesetzt wird aber (S. 273): Das Recht auf Teilnahme an den Versammlungen, der Anteil am Liquidationserlös, das Recht auf Auskunft und Einsicht in die Geschäftsbücher und das Recht zur Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen müsse gewahrt bleiben. Die Frage, welche Gesellschafterrechte kumulativ entzogen werden können, ohne dass das „Wesen“ der Mitgliedschaft unzulässig ausgehöhlt wird, ist zweifelhaft (vgl. auch 12. Aufl., § 45 Rz. 73). Von der konstitutionellen Stimmrechtslosigkeit eines Geschäftsanteils zu unterscheiden ist der Stimmrechtsausschluss für satzungsmäßig festgelegte Beschlussgegenstände oder Tatbestände. Die Reichweite eines solchen Stimmrechtsausschlusses hängt von 27 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 24; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 27; Schürnbrand, ZIP 2013, 1301, 1302. 28 BayObLG v. 21.11.1985 – BReg 3 Z 146/85, DNotZ 1986, 373, 375 f. = GmbHR 1986, 87; OLG Frankfurt v. 18.1.1989 – 13 U 279/87, GmbHR 1990, 79, 80; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 68; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 97; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 38; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Priester, GmbHR 2013, 225, 228 ff. 29 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 97. 30 RGZ 167, 65, 73; BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 269 = GmbHR 1954, 125 m. zust. Anm. Schneider; OLG Hamburg, OLGE 3, 66 = GmbHRspr. I, Nr. 1 zu § 47 GmbHG; KG, RJA 13, 232 = GmbHRspr. II, Nr. 1 zu § 47 GmbHG; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 69 f.; Casper in Bork/Schäfer, Rz. 21; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 58; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Römermann in Michalski u.a., Rz. 344; Karsten Schmidt, GesR, § 16 II 4b aa; ausführlich Carsten Schäfer, Der stimmrechtslose Geschäftsanteil, 1997; Carsten Schäfer, GmbHR 1998, 113 ff., 168 ff. 31 Vgl. nur Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 70a; Schäfer, GmbHR 1998, 116 f.; a.M. Wiedemann, WM-Beilage 8/1992, S. 28. 32 RGZ 167, 65, 73 f.; BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 271; BGH, GmbHR 1971, 207. 33 Vgl. Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 14 Rz. 18, der das Anwesenheits- und Informationsrecht zu den absolut unentziehbaren Rechten zählt. 34 Ausführlich Carsten Schäfer, Der stimmrechtslose GmbH-Geschäftsanteil, 1997, S. 171 ff.; zusammenfassend Carsten Schäfer, GmbHR 1998, 169.

Karsten Schmidt | 1007

§ 47 Rz. 11 | Abstimmung der Ausgestaltung und Auslegung der Satzung ab. Möglich ist z.B. eine Satzungsklausel, nach der ein Gesellschafter vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, solange er ein Konkurrenzunternehmen betreibt oder unternehmerisch an einer Konkurrenzgesellschaft beteiligt ist35. Dagegen geht es bei der Vertreterklausel (vgl. dazu Rz. 80 sowie 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 44) nicht um eine Beschränkung des Stimmrechts, sondern um dessen Ausübung durch obligatorische Gruppenvertreter. Umstritten, aber nach wohl richtiger Auffassung zulässig (Rz. 73), ist auch die Aufteilung des aus einem Geschäftsanteil auszuübeneden Stimmrechts. So die Regelung, dass je 50 Euro Geschäftsanteil eine separate Stimme geben sollen36 oder dass das Stimmrecht durch mehrere, unabhängig abstimmende Vertreter ausgeübt werden soll37. Daran kann z.B. ein Interesse bestehen, wenn ein Hoheitsträger (Allein-)Gesellschafter ist. d) Vetorechte, Zustimmungsvorbehalte 12 Als Vorzugsrechte (Sonderrechte) sind namentlich Vetorechte und Zustimmungsrechte mög-

lich (vgl. über Vorzugsgeschäftsanteile 12. Aufl., § 14 Rz. 27; über Sonderrechte allgemein 12. Aufl., § 14 Rz. 26 ff.). Ein Vetorecht hat zur Folge, dass der Beschluss – meist hinsichtlich bestimmter Gegenstände – nicht gegen den erklärten Willen eines Gesellschafters wirksam gefasst werden kann (12. Aufl., § 14 Rz. 29)38. Über die Treupflichtbindung des Berechtigten vgl. Rz. 31 a.E. Der Gesellschaftsvertrag kann die Wirksamkeit eines Beschlusses auch von der Zustimmung eines Gesellschafters abhängig machen39, wie sie im Fall des Eingriffs in den Kernbereich seiner Mitgliedschaftsrechte oder in Sonderrechte auch ohne besondere Regelung erforderlich ist (dazu 12. Aufl., § 53 Rz. 48). Regelmäßig wird die Satzung bestimmte Beschlussgegenstände nennen, die der Zustimmung eines Gesellschafters bedürfen (z.B. Geschäftsführerbestellung, Genehmigung einer Anteilsübertragung, Satzungsänderung). Zweifelhaft ist, inwieweit der Gesellschaftsvertrag die Wirksamkeit von Beschlüssen von der Zustimmung eines Dritten abhängig machen kann. Die h.M. lehnt dies ohne Unterscheidung ab40. So wenig, wie Dritten (z.B. einer Behörde, einem Verband oder einem Unternehmen, das die GmbH ohne Übernahme von Geschäftsanteilen beherrschen soll) ein Stimmrecht eingeräumt werden kann (Rz. 20), kennt das Recht der GmbH einen konstitutionellen Drittvorbehalt. Auch eine Ausnahme für Nichtgesellschafter, die als Organmitglieder (z.B. Aufsichtsratsmitglieder) auf das Gesellschaftswohl verpflichtet sind (Rz. 10), ist hier nicht angängig41. In Anbetracht der Zulässigkeit von Stimmbindungen (Rz. 39) kann ein schuldrechtlich wirkendes Zustimmungserfordernis nach Lage des Falls hingenommen werden. Die Gesellschaft kann sich in der Satzung der Zustimmung eines Dritten mit der schuldrechtlichen Wirkung unterwerfen, dass bestimmte Beschlüsse nicht ohne seine Zustimmung ausgeführt werden dürfen42, doch hat dann auch ein Verstoß nur schuldrechtliche Folgen. Eine korpora35 36 37 38

39 40 41 42

Vgl. Ivens, Das satzungsmäßige Konkurrenzverbot für GmbH-Gesellschafter, 1986, S. 20. Für Zulässigkeit wohl BayObLG, GmbHRspr. IV, Nr. 9 zu § 5. Für Zulässigkeit RGZ 137, 311 ff. Dazu OLG Stuttgart v. 8.10.1999 – 20 U 59/99, GmbHR 2000, 288 (LS) = NZG 2000, 490; Hüffer/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27; zur kartellrechtlichen Relevanz vgl. Art. 3 FKVO; Körber in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht I/2, 5. Aufl. 2012, Art. 3 FKVO Rz. 33, 82, 98; EGKommission, WuW/E EV 2185, 2186 (Newspaper Publishing); EG-Komm. v. 24.7.2009, M.5518 Rz. 7 ff. (Fiat Chrysler). Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 30; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 61; Hüffer/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20. Vgl. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 45 Rz. 9; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 64; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34. Wie hier Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 30; differenzierend Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 45 Rz. 8 f. Wie hier Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; a.M. insoweit Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 64; Römermann in Michalski u.a., Rz. 621; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 30.

1008 | Karsten Schmidt

Abstimmung | Rz. 14 § 47

tive Wirkung in dem Sinne, dass ohne die Drittzustimmung der Beschluss schwebend unwirksam sein soll, ist jedenfalls bei strukturändernden Beschlüssen (Satzungsänderung, Konzernierung, Auflösung, Umwandlung) ausgeschlossen43. Unbedenklich sind allerdings Zustimmungsvorbehalte, die nur auf gesetzliche Zustimmungserfordernisse (z.B. einer Behörde) Bezug nehmen. Auch können die Gesellschafter den Beschluss bei der Beschlussfassung von der Zustimmung eines Gesellschafters oder eines Dritten abhängig machen. Es liegt dann ein bedingter Beschluss vor (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 53).

III. Der Inhaber des Stimmrechts Schrifttum: Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung an Gesellschaften, 2000; Blasche, Überwindung von Pattsituationen unter Gesellschaftern mit Hilfe von gesellschaftsexternen Dritten, GmbHR 2013, 176; Fleck, Stimmrechtsabspaltung in der GmbH?, in FS Fischer, 1979, S. 107; Fock; Stimmrechtslose Geschäftsanteile, in FS Heinsius, 1991, S. 129; Hirte/Mohamed, Die Legitimationszession im GmbH-Recht, in 2. FS Karsten Schmidt, Bd. I 2019, S. 487; Immenga/Werner, Der Stimmrechtsausschluss eines GmbH-Gesellschafters, GmbHR 1976, 53; Ivens, Das Stimmrecht des GmbH-Gesellschafters bei Satzungsänderungen, GmbHR 1989, 61; Reuter, Stimmrechtsvereinbarungen bei treuhänderischer Abtretung eines GmbH-Anteils, ZGR 1978, 633; Schäfer, Der stimmrechtslose GmbH-Geschäftsanteil, 1997; Karsten Schmidt, Stimmrecht beim Anteilsnießbrauch, ZGR 1999, 601; Schön, Der Nießbrauch am Geschäftsanteil, ZHR 158 (1994), 229; Semler/Asmus, Der stimmlose Beschluss, NZG 2004, 881.

1. Bedeutung Das Stimmrecht ist untrennbarer Bestandteil der mitgliedschaftlichen Gesellschafterrech- 13 te44. Die Stimmabgabe ist Rechtsgeschäft (12. Aufl., § 45 Rz. 22) und Bestandteil der zur Beschlussfassung führenden Prozedur (12. Aufl., § 45 Rz. 18 ff.). Das Mitgliedschaftsrecht ist höchstpersönlich und unterliegt dem Abspaltungsverbot (12. Aufl., § 14 Rz. 50). Aber das gilt nur für die Innehabung und nicht für die Ausübung des Stimmrechts. Die Stimmabgabe muss nicht persönlich erfolgen, vielmehr kann das Stimmrecht auch durch gesetzliche Vertreter (Rz. 16, 77) und, soweit dies nicht rechtswirksam ausgeschlossen ist (Rz. 96), durch Bevollmächtigte ausgeübt werden (Rz. 76 ff.). Immer aber bleibt die Innehabung des Stimmrechts bedeutsam. Wer Träger des Stimmrechts ist, ist auch (Mit-)Träger der körperschaftlichen Willensbildung.

2. Der Gesellschafter als Inhaber des Stimmrechts a) Inhaber des Stimmrechts Inhaber des Stimmrechts ist der Gesellschafter und nur der Gesellschafter45. Zur Bedeutung 14 des § 16 vgl. Rz. 25. Taugliche Gesellschafter sindgehend 12. Aufl., § 2 Rz. 46 ff.): eine natürliche Person, eine juristische Person, eine werdende juristische Person (vgl. 12. Aufl., § 11 Rz. 39), eine rechtsfähige Personengesellschaft oder eine Erbengemeinschaft als gesamthän-

43 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; differenzierend Herfs, Einwirkung Dritter auf den Willensbildungsprozess der GmbH, 1994, S. 110 ff. 44 Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 1b; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 32. 45 Vgl. RGZ 82, 169; RGZ 139, 228; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 19; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 35; h.M.

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§ 47 Rz. 14 | Abstimmung derische Vermögensgemeinschaft mehrerer Erben (12. Aufl., § 2 Rz. 65)46. Hier überall handelt es sich um ein ungeteiltes Stimmrecht. Das gilt auch für den nichtrechtsfähigen Verein (12. Aufl., § 2 Rz. 64) und für die seit BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056 als rechtsfähig anerkannte Außengesellschaft bürgerlichen Rechts47 und für die nicht als rechtsfähig anerkannte Erbengemeinschaft48. Der rechtsdogmatische Streit darüber, ob mehrere Gesamthänder „zur gesamten Hand“ Gesellschafter sind oder ob die Gesamthand als solche Gesellschafterin ist, war durch die Regelung des § 18 schon vor dem BGH-Urteil von 2001 bedeutungslos und soll durch die Reform des Personengesellschaftsrechts 2021 beendet werden49: In der Ausübung ist das Stimmrecht allemal vereinheitlicht (vgl. Rz. 15 sowie 12. Aufl., § 18 Rz. 6 ff.). Das gilt gemäß § 18 sogar für die Gütergemeinschaft (dazu 12. Aufl., § 18 Rz. 10) und für die Bruchteilsgemeinschaft am Geschäftsanteil (12. Aufl., § 18 Rz. 5), obwohl der ungeteilte Geschäftsanteil hier zweifelsfrei mehreren Mitberechtigten als Gesellschaftern zusteht (und nicht einer ungeteilten Gemeinschaft). b) Mitberechtigung nach § 18 Abs. 1 15 In Fällen der Mitberechtigung nach § 18 Abs. 1 entsteht die Frage, ob mehrere Mitberechtig-

te zur Teilnahme an der Versammlung zuzulassen sind (vgl. dazu 12. Aufl., § 48 Rz. 15). Ist dies geschehen, so können sie das gemeinschaftliche Stimmrecht entweder gemeinsam oder durch einen gemeinsamen Vertreter ausüben (12. Aufl., § 18 Rz. 20). Im Gesellschaftsvertrag kann durch eine Vertreterklausel dafür gesorgt werden, dass die Mitberechtigten das Stimmrecht einheitlich durch einen Vertreter ausüben (§ 56 Abs. 1 RegE 1971 wollte eine Vertreterbestellung vorschreiben). Erscheint ein Vertreter, so muss über seine Legitimation entschieden werden (dazu Rz. 89). Nehmen alle Mitberechtigten (evtl. in wechselseitiger Vertretung) an der Versammlung teil, so können sie ihr Stimmrecht durch übereinstimmendes Handeln oder durch einen einstimmig benannten Vertreter ausüben (Rz. 81 sowie 12. Aufl., § 18 Rz. 20). Eine solche Stimmabgabe kann nicht zurückgewiesen werden. Umstritten ist, ob die Mitberechtigten auch mit der Mehrheit ihrer Stimmen (vgl. § 745 BGB) das gemeinschaftliche Stimmrecht in der Versammlung ausüben können. Das wird hier entgegen 12. Aufl., § 18 Rz. 20 bejaht50: Sind alle Bruchteilsberechtigten oder alle Miterben anwesend (zum Teilnahmerecht 12. Aufl., § 48 Rz. 15), so kann ihr Mehrheitsvotum unmittelbar als einheitliche Stimmabgabe nach § 18 Abs. 1 gewertet werden. Die mehrheitliche Stimmabgabe ist also nicht unwirksam (so aber 12. Aufl., § 18 Rz. 20)51. Dasselbe gilt für die Stimmabgabe durch einen von den Mitberechtigten mehrheitlich bevollmächtigten Vertreter (vgl. zur Vollmacht in diesem Fall Rz. 81). Der Versammlungsleiter kann die Stimme mitzählen52, muss dies aber nicht 46 Vgl. zur Rechtsträgerschaft eingehend Karsten Schmidt, GesR, § 8 III; Karsten Schmidt, BB 1983, 1699 f. m.w.N. 47 Vgl. BGH v. 3.11.1980 – II ZB 1/79, BGHZ 78, 311 = GmbHR 1981, 188; OLG Zweibrücken v. 24.11.1981 – 3 W 93/81, OLGZ 1982, 155, 158; Ulmer/Schäfer, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, 6. Aufl. 2013 (= MünchKomm. BGB), § 705 BGB Rz. 316, § 718 BGB Rz. 19; Karsten Schmidt, BB 1983, 1697; Koch, ZHR 146 (1982), 118 ff. 48 Vgl. OLG Hamm v. 18.11.1974 – 15 W 111/74, OLGZ 1975, 164, 168 ff. = GmbHR 1975, 83 ff.; Wiedemann, GmbHR 1969, 247 ff.; Priester, GmbHR 1981, 206. 49 Ausführlicher noch 6. Aufl., Rz. 16 m.N. 50 Vgl. auch BGH v. 12.6.1989 – II ZR 246/88, BGHZ 108, 21, 31 = GmbHR 1989, 329, 332; Wiedemann, GmbHR 1969, 248 f.; Karsten Schmidt in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, §§ 744, 745 BGB Rz. 10; vgl. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 18 Rz. 5; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 18 Rz. 60; a.M. Servatius in Baumbach/Hueck, § 18 Rz. 4; enger BGH v. 14.12.1967 – II ZR 30/67, BGHZ 49, 183, 192 f. = GmbHR 1968, 51. 51 Bei 12. Aufl., § 18 Rz. 20 wird sogar ein rechtspolitisches Bedürfnis für die hier vertretene Ansicht unter Hinweis auf die Möglichkeit einer Satzungsregelung verneint. 52 Wie hier OLG Karlsruhe v. 15.4.1994 – 15 U 143/93, GmbHR 1995, 824, 826 = NJW-RR 1995, 1189, 1190; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 18 Rz. 14.

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Abstimmung | Rz. 17 § 47

tun, wenn die Mehrheitslegitimation unsicher ist53. Die bei 12. Aufl., § 18 Rz. 20 kritisierte Bürde der Rechtssicherheit ist damit für die Mitberechtigten größer als für die Gesellschaft (d.h. für den Versammlungsleiter). Das gilt auch in denjenigen Fällen, bei denen nicht alle Mitberechtigten anwesend bzw. wirksam vertreten sind54 oder bei denen mit dem Votum der anwesenden Mehrheit das eines von den Mitberechtigten entsandten Vertreters kollidiert55. c) Gesetzliche Vertreter und Amtswalter Für gesetzlich vertretene Gesellschafter nehmen deren gesetzliche Vertreter das Stimmrecht 16 wahr, ohne selbst stimmberechtigt zu sein (Rz. 13, 77). Das gilt auch für organschaftlich vertretene Anteilsinhaber, z.B. Körperschaften oder Personengesellschaften56. Für betreute Gesellschafter gelten die §§ 1902, 1903 BGB57. Unterliegt der Geschäftsanteil der Verwaltung eines Nachlassverwalters (12. Aufl., § 15 Rz. 249), eines Testamentsvollstreckers (12. Aufl., § 15 Rz. 250 ff.) oder eines Insolvenzverwalters (12. Aufl., § 15 Rz. 254 ff.), so bleibt doch der Gesellschafter Träger des Stimmrechts (Rz. 13). Nur die Ausübung dieses Stimmrechts wird von dem Verwaltungstestamentsvollstrecker bzw. vom Insolvenzverwalter wahrgenommen58. Dass beide nach der – zumindest im Insolvenzrecht59 – angreifbaren, aber herrschenden Amtstheorie im eigenen Namen handeln und nicht als Vertreter der Erben bzw. des Insolvenzschuldners, ist als eine rein rechtstechnische Frage materiell folgenlos. Der Gesellschaftsvertrag (die Satzung) kann die Stimmrechtsausübung durch sie nicht ausschließen (differenzierend 12. Aufl., § 15 Rz. 250, 254)60. Das Stimmrecht wird vom Verwalter ungeteilt ausgeübt, im Fall der Insolvenzverwaltung also nicht beschränkt auf vermögenswirksame Beschlüsse (str.)61. Im Fall der Testamentsvollstreckung entscheidet die letztwillige Verfügung über die Frage, ob die Testamentsvollstreckung die Verwaltung vererbter Geschäftsanteile umfasst (vgl. 12. Aufl., § 15 Rz. 251)62.

3. Bindung des Stimmrechts an das Vollrecht am Anteil a) Grundsatz Das Stimmrecht ist streng an die Mitgliedschaft gebunden, und diese ist streng an das Voll- 17 recht am Anteil gebunden (vgl. zum Beginn und zum Ende der Stimmberechtigung Rz. 23

53 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 38. 54 Selbst dann wohl für Zulassung einer Mehrheitsentscheidung der anwesenden Mitberechtigten Wiedemann, GmbHR 1969, 249 unter 2; dagegen Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 38. 55 BGH v. 14.12.1967 – II ZR 30/67, BGHZ 49, 183, 194 = GmbHR 1968, 51 = NJW 1968, 743 ff. tritt dann in eine Prüfung der Auswirkungen des Mehrheitsvotums auf die Stimmrechtsvollmacht ein. 56 Ebenso Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 83. 57 Vgl. Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91. 58 Vgl. OLG München v. 24.8.2010 – 31 Wx 154/10, GmbHR 2010, 1038 = NJW-RR 2010, 1715 = ZIP 2010, 1756; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 42; speziell für den Testamentsvollstrecker Dörrie, Testamentsvollstreckung im Recht der Personengesellschaften und der GmbH, 1995, S. 85 ff.; Priester in FS Stimpel, 1986, S. 472; Groß, GmbHR 1994, 596 ff.; für den Insolvenzverwalter Bergmann in FS Kirchhof, 2004, S. 15 ff. = ZInsO 2004, 225 ff.; insgesamt Flume, JurP, § 7 II 1, S. 202 f. 59 Vgl. gegen die Amtstheorie Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl. 1997, § 6 KO Anm. 2; Karsten Schmidt, KTS 1984, 345 ff.; Karsten Schmidt, NJW 1987, 1905 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2012, 3344, 3345. 60 Zweifelnd Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 42; a.M. für Testamentsvollstreckung Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 31; für Insolvenzverwalter Heckschen, ZIP 2010, 1319, 1321 f. 61 Wie hier Bergmann in FS Kirchhof, 2004, S. 15, 22 = ZInsO 2004, 225, 228; a.M. Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 88. 62 Vgl. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 42 m.w.N.

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§ 47 Rz. 17 | Abstimmung und 25). Dieser Grundsatz wird immer wieder bestritten, aber er ist im Interesse der Rechtsklarheit unentbehrlich. Das ist bei Mehrpersonengesellschaften evident. Ob „materiell“ ein Dritter als Quasi-Gesellschafter von der Beschlussfassung betroffen ist, geht die Mitgesellschafter grundsätzlich nichts an, und noch weniger kann es im Fall eines Treuhandgesellschafters darauf ankommen, ob eine eigennützige oder fremdnützige Treuhand vorliegt (dazu Rz. 18). Die Beteiligten haben es in der Hand, eine Rechtsform zu wählen, die ihren Verwaltungsinteressen entspricht. Sie können auch durch Abreden im Innenverhältnis eine interessengerechte Ausübung des Stimmrechts durch den Gesellschafter sicherstellen (vgl. sogleich Rz. 18). b) Treuhand, Nießbrauch, Pfandrecht 18 Im Einzelnen gilt Folgendes (vgl. auch 12. Aufl., § 15 Rz. 18): Bei der Treuhand am Geschäfts-

anteil steht das Stimmrecht dem Treuhänder und nicht dem Treugeber zu (12. Aufl., § 15 Rz. 228)63. Das gilt auch für Grundlagenentscheidungen wie Satzungsänderung, Umwandlung, Unternehmensvertrag oder Auflösung. Eine Ausnahme bei offengelegter Treuhand64 ist ebenso wenig angezeigt wie eine Ausnahme bei der Einpersonengesellschaft (vgl. Rz. 17), weil eben der Rechtsklarheit durch bloße Kenntnis aller Gesellschafter nicht hinreichend gedient ist. Beim Nießbrauch am Geschäftsanteil steht dem Nießbraucher kein Stimmrecht zu (12. Aufl., § 15 Rz. 217)65; dies wird freilich bestritten, weil der Nießbrauch am Geschäftsanteil (anders als der bloße Nießbrauch am Gewinnstammrecht) eine auf Nutzung des Anteils zielende dingliche Belastung des Mitgliedschaftsrechts darstellt66. Trotz dieser Bedenken sollte es bei der herrschenden Meinung bleiben, weil der Nießbrauch die Mitgliedschaft als solche nicht spaltet und den Nießbraucher nicht zum Gesellschafter macht. Ist ein „Nießbraucherstimmrecht“ gewollt, können die Beteiligten auf eine nießbrauchsähnliche Nutzungstreuhand ausweichen, die den „Nießbraucher“ zum Nutzungstreuhänder und damit zum stimmberechtigten Inhaber des Geschäftsanteils macht67. Im Fall eines echten Nießbrauchs kann dagegen der Nießbraucher das Stimmrecht nur in Vollmacht des Gesellschafters ausüben68. Eine Aufteilung des Stimmrechts69 auf Gesellschafter und Nießbraucher ist ebenso abzulehnen wie die Vergemeinschaftung des Stimmrechts70, die ggf. zur Blockade der Stimm-

63 Vgl. RG, JW 1934, 2907 m. Anm. Hueck; BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354, 360 (oHG); BGH v. 21.3.1988 – II ZR 308/87, BGHZ 104, 66, 74 f. = NJW 1988, 1844, 1846; Armbrüster, S. 229; Christoph Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000, S. 70; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 77; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 35; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 43; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 57, 61. 64 Dafür Ulmer in FS Odersky, 1996, S. 873. 65 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, NJW 1999, 571 (Personengesellschaft); OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, GmbHR 1992, 464, 465; Christoph Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000, S. 71; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 77; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 35; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 43; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 29; Karsten Schmidt, GesR, § 61 II 3; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 21; Karsten Schmidt, ZGR 1999, 601 ff. 66 Flume, JurP, § 7 II 1; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 179 ff.; Sudhoff, GmbHR 1971, 54; unentschieden RG, JW 1934, 976, 977. 67 Dazu Karsten Schmidt, ZGR 1999, 611. 68 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 35; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 21. 69 Dafür eine im Personengesellschaftsrecht verbreitete Auffassung; vgl. die Nachw. bei Karsten Schmidt, ZGR 1999, 607. 70 Dafür Schön, ZHR 158 (1994), 260 ff.

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Abstimmung | Rz. 19 § 47

rechtsausübung durch Gesellschafter und Nießbraucher führen kann71. Erwägenswert, jedoch aus Gründen der Rechtsklarheit gleichfalls zu verneinen, ist eine Zuerkennung des Stimmrechts an den Nießbraucher bei Entscheidungen, die die Nutzung des Anteils, insbesondere das Gewinnbezugsrecht, betreffen72. Zweckmäßigerweise wird deshalb dem Nießbraucher eine Stimmrechtsvollmacht erteilt (zur Frage der Legitimationszession vgl. Rz. 21)73. Eine unzulässigerweise zwischen Gesellschafter und Nießbraucher vereinbarte Stimmrechtsübertragung auf den Nießbraucher kann in eine solche Vollmacht umgedeutet werden (Rz. 20)74. Auch ein Pfandrecht am Anteil verschafft dem Pfandgläubiger kein Stimmrecht (12. Aufl., § 15 Rz. 178)75. Kein Stimmrecht hat schließlich auch der Dividendenzessionar76. c) Kompensierender Interessenschutz Schutzinteressen eines mittelbar interessierten Nichtgesellschafters (Treugebers, Nießbrau- 19 chers, Pfandgläubigers) müssen grundsätzlich im Innenverhältnis zwischen ihm und dem stimmberechtigten Gesellschafter geordnet und berücksichtigt werden. Die Stimmrechtsausübung durch den Gesellschafter ist in diesen Fällen im Innenverhältnis pflichtgebunden. Dieser Schutz kann auf rechtsgeschäftliche Weise gestärkt werden, etwa durch Stimmbindungen (Rz. 35 ff., 42), aber auch durch die Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht (Rz. 76 ff.). Außenwirkung hat eine rein schuldrechtliche Pflichtbindung grundsätzlich nicht. Als Inhaltsmangel eines Beschlusses (dann Rz. 32!) kann eine gegenüber einem mittelbar interessierten Nichtgesellschafter begangene Pflichtverletzung grundsätzlich nicht zum Tragen kommen, so dass ein dessen Rechte verletzender Beschluss allein deshalb grundsätzlich nicht fehlerhaft ist (12. Aufl., § 45 Rz. 116a f.). Man wird hiervon nur bei schweren und evidenten Rechtsverletzungen, wohl sogar nur bei kollusiver rechtswidriger Schädigung des Dritten, eine Ausnahme machen dürfen (Enttäuschung von Gewinn- und Ausschüttungserwartungen genügt für sich allein nicht). Zur Verletzung von Stimmbindungsverträgen vgl. insbesondere auch Rz. 53. Ausnahmsweise kann die Stimmrechtsausübung bei der fremdnützigen Treuhand unwirksam sein, wenn der stimmberechtigte Treuhänder in für die Mitgesellschafter evidenter Weise seine Pflichten gegenüber dem Interessenträger verletzt77. Die vom BGH vertretene Ansicht, wonach die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht nicht auf den Missbrauch der Treuhänderstellung anwendbar sind78, ist abzulehnen79.

71 Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 21; Karsten Schmidt, ZGR 1999, 607 ff. 72 Wie hier Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 77; a.M. Fleck in FS Robert Fischer, 1979, S. 125. 73 Karsten Schmidt, GesR, § 61 II 3; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 27. 74 Vgl. OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, GmbHR 1992, 464, 465. 75 Vgl. nur RGZ 139, 228; RGZ 157, 55; KG, JW 1932, 757 m. Anm. Bing; OLG Frankfurt, JW 1933, 131 = GmbHRspr. IV, Nr. 33 zu § 47 GmbHG; Feine, S. 406; Teichmann, S. 234; Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 77; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 35; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 43; Lehmann, GmbHR 1953, 143; differenzierend KG, OLGE 37, 8 = GmbHR 1917, 47 = Recht 1916 Nr. 1997 = GmbHRspr. III, Nr. 11 zu § 47 GmbHG; s. auch vergleichend Hackenbroch, Die Verpfändung von Mitgliedschaftsrechten in OHG und KG, 1970, S. 77 f. 76 RGZ 98, 320. 77 Vgl. zum Missbrauch der Treuhand die Nachweise bei Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 69. 78 BGH, JZ 1968, 428 = NJW 1968, 1471 m. abl. Anm. Kötz; dem BGH zust. Armbrüster, S. 240; im Ergebnis auch Bitter, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung, 2006, S. 496. 79 Nähere Begründung bei Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, vor § 230 HGB Rz. 69.

Karsten Schmidt | 1013

§ 47 Rz. 20 | Abstimmung

4. Kein Stimmrecht eines Dritten a) Stimmrechtsabspaltung 20 Eine Stimmrechtsabspaltung, d.h. eine von der Mitgliedschaft losgelöste Übertragung des

Stimmrechts auf einen Dritten oder auf einen Mitgesellschafter, ist unzulässig und unwirksam (vgl. auch 12. Aufl., § 14 Rz. 50)80. Das gilt sowohl für eine Vereinbarung zwischen einem Gesellschafter und einem Dritten als auch für eine entsprechende Satzungsklausel. Im Grundsatz entspricht dies der h.M. (so auch 12. Aufl., § 15 Rz. 17)81. Allerdings wird die Auffassung vertreten, dass nur der Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte gegen Stimmrechte Dritter geschützt ist und dass die zeitlich begrenzte Stimmrechtsübertragung an einen Dritten zulässig ist, sofern dieser entweder weisungsgebunden oder aufgrund eines besonderen Rechtsverhältnisses mittelbar an der GmbH beteiligt ist und wenn die Schutzvoraussetzungen des § 15 beachtet sind82. Der BGH hat die Richtigkeit dieser Auffassung offen gelassen83. Gegen die vermittelnde Auffassung spricht allerdings die mit ihr verbundene Rechtsunsicherheit. Insbesondere kann aus der Zulässigkeit von Bevollmächtigungen nicht auf die Zulässigkeit der Stimmrechtsübertragung geschlossen werden84. Da Stimmbindung (Rz. 35 ff.) und Stimmrechtsvollmacht (Rz. 76 ff.) zulässig sind, besteht auch kein unabweisbares Bedürfnis für die Zulassung einer Stimmrechtsabspaltung (vgl. bereits Rz. 19). Eine unzulässige Stimmrechtsabspaltung wird i.d.R. in eine zulässige Regelung umgedeutet werden können (Rz. 22), insbesondere in eine Stimmrechtsvollmacht85. Unzulässig und auch nicht in eine Vollmacht umdeutbar ist die Begründung zusätzlicher Stimmrechte für Nicht-GmbH-Gesellschafter, z.B. stille Gesellschafter. Nicht um eine Übertragung des Stimmrechts auf Dritte handelt es sich bei dem organisationsrechtlichen Durchgriff bei der GmbH & Co. KG bzw. GmbH & Still ohne GmbH-Stimmrecht in der Personengesellschaft (GmbH-bezogenes Stimmrecht der Kommanditisten oder der stillen Gesellschafter?; dazu 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 12, 22, 60 f.). b) Legitimationszession? 21 Von der Übertragung des Stimmrechts unterscheidet die h.M. die sog. Legitimationszessi-

on, d.h. die Ermächtigung eines Nichtgesellschafters – z.B. Treugebers, Pfandgläubigers oder

80 RGZ 132, 149, 159; BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 267; BGH v. 4.12.1967 – II ZR 91/65, NJW 1968, 396, 397; BGH v. 11.10.1976 – II ZR 119/75, WM 1976, 1247, 1249 = GmbHR 1977, 244, 245; BGH v. 17.11.1986 – II ZR 96/86, ZIP 1987, 165, 166; BayObLG v. 21.11.1985 – BReg 3 Z 146/85, GmbHR 1986, 87 = ZIP 1986, 303; OLG Hamburg v. 22.2.1989 – 11 W 14/89, 11 W 15/89, 11 W 16/89, GmbHR 1990, 42, 43; OLG Frankfurt v. 18.1.1989 – 13 U 279/87, GmbHR 1990, 79; OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, GmbHR 1992, 464; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 40; Casper in Bork/Schäfer, Rz. 18; Römermann in Michalski u.a., Rz. 49; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 38; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54 (mit Einschränkungen); Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 14 Rz. 15; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 14 Rz. 45 f.; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 19; Flume, JurP, § 7 II 1; Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 1d; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 53 f.; Eickhoff, Rz. 171; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung …, 1965, S. 276 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 372 f.; Reuter, ZGR 1978, 638 f.; jeweils m.w.N.; differenzierend Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25 f.; eingehend Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 217 ff. (für Übertragung auf Mitgesellschafter). 81 Vgl. insoweit auch Fleck in FS Robert Fischer, 1979, S. 107 ff.; auch Hüffer/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 54 sowie Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 14 Rz. 46; Kritik bei Christoph Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000, S. 62 ff., 104 ff., 231 ff., 364. 82 Vgl. mit einzelnen Unterschieden Fleck in FS Robert Fischer, 1979, S. 107 ff. 83 BGH v. 17.11.1986 – II ZR 96/86, NJW 1987, 780 = ZIP 1987, 165, 166. 84 Anders noch Lutter/Hommelhoff, 16. Aufl. 2004, Rz. 2. 85 Vgl. OLG Hamburg v. 22.2.1989 – 11 W 14/89, 11 W 15/89, 11 W 16/89, GmbHR 1990, 42; OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, GmbHR 1992, 465.

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Abstimmung | Rz. 21 § 47

Nießbrauchers – zur Ausübung der Mitverwaltungsrechte, vor allem des Stimmrechts, im eigenen Namen86. Im Unterschied zur Stimmrechtsabspaltung wird hier nicht das Stimmrecht als Mitgliedschaftsrecht auf einen Nicht-Gesellschafter übertragen, sondern nur die Befugnis, dieses Recht auszuüben. Im Aktienrecht ist die Legitimationszession seit Langem anerkannt87 und durch das Aktiengesetz von 1965 positivrechtlich zugelassen (§ 129 Abs. 3 AktG). Die Legitimationszession ist jedoch praktisch unbedeutend geworden, seitdem das Depotstimmrecht (früher § 114 Abs. 4 AktG 1937) dem Prinzip der offenen Stellvertretung unterstellt ist (§ 135 AktG). Die Zulässigkeit der Legitimationszession im Recht der GmbH ist umstritten. Die traditionell vorherrschende Auffassung bejaht88, eine zunehmend vertretene Gegenansicht verneint sie89. Dieser verneinenden Auffassung wird hier seit der 6. Aufl. gefolgt (vgl. auch 12. Aufl., § 15 Rz. 17). Zwar erscheint der bloße Unterschied zwischen der Stimmabgabe im Namen des Gesellschafters (zulässige Vertretung) und im eigenen Namen (unzulässige Legitimationszession) zunächst nur als eine technische Äußerlichkeit90. Aber das Gesetz kennt keine solche „Stimmrechtsstandschaft“ eines Nichtgesellschafters, und es besteht bei der GmbH auch kein hinreichender praktischer Grund, der offenen Stellvertretung (§ 47 Abs. 3 mit § 164 BGB) die verdeckte Stimmrechtsausübungsermächtigung (§ 185 BGB) als gleichwertig zur Seite zu stellen. Richtig ist zwar, dass nach § 16 Abs. 1 bei der Veräußerung eines Geschäftsanteils erst die Eintragung des Erwerbers in die Gesellschafterliste zum Übergang des Stimmrechts auf den Erwerber führt und dass der Neugesellschafter die Rechtshandlungen des Rechtsvorgängers als für sich verbindlich anerkennen muss (12. Aufl., § 16 Rz. 39)91. Das RG92 sah dementsprechend unter Hinweis auf § 185 BGB im Unterlassen der Anmeldung bei der Gesellschaft eine Legitimation zur Ausübung der Mitgliedschaftsrechte durch den Veräußerer. Aber die von § 16 Abs. 1 ausgehende Legitimationswirkung ist eine gesetzliche, keine rechtsgeschäftliche. § 16 dient, und zwar vollends nach dem Willen des MoMiG-Gesetzgebers, der Transparenz und darf nicht zweckwidrig in den Dienst der Intransparenz gestellt werden. § 16 dient der Rechtssicherheit und erlaubt keine willkürliche Trennung der Rechtsinhaberschaft und der Rechtsausübung. Aus der Vorschrift kann weder hergeleitet werden, dass die Nichteintragung der Anteilsveräußerung vom Gesetz gebilligt wird (vgl. 12. Aufl., § 16 Rz. 13), noch kann in ihr eine Anerkennung der Legitimationszession als Rechtsgeschäft erblickt werden. Die Legitimationszession entspricht schließlich auch 86 OLG Frankfurt v. 18.1.1989 – 13 U 279/87, GmbHR 1990, 79; eingehend Hirte/Mohamed in 2. FS Karsten Schmidt, Bd. I 2019, S. 487 ff.; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten …, 1965, S. 288 ff. 87 Vgl. RGZ 118, 332; RGZ 146, 78; Sailer-Coceani in MünchHdb. GesR IV, § 14 Rz. 67 ff., § 17 Rz. 10. 88 Bejahend OLG Celle v. 15.11.2006 – 9 U 59/06, GmbHR 2007, 318, 319 = ZIP 2007, 631, 632 (rkr. nach Hinweisbeschluss BGH v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, GmbHR 2008, 702 = ZIP 2008, 1026 und Revisionsrücknahme); Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 78; Hüffer/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 56 f.; Römermann in Michalski u.a., Rz. 56; vgl. auch RGZ 157, 55 = JW 1938, 1398 m. Anm. Barz; A. Hueck, JW 1934, 2908 f.; für den Fall des Pfandrechts am Anteil vgl. auch Lehmann, GmbHR 1953, 143; unentschieden BGH v. 11.2.2008 – II ZR 291/06, GmbHR 2008, 702 = ZIP 2008, 1026; BayObLG v. 21.11.1985 – BReg 3 Z 146/85, GmbHR 1986, 87 = ZIP 1986, 303; OLG Hamburg v. 22.2.1989 – 11 W 14/89, 11 W 15/89, 11 W 16/89, GmbHR 1990, 42, 43; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 39 (jedenfalls gleiche Schranken wie Bevollmächtigung). 89 OLG Frankfurt, JW 1933, 132; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Casper in Bork/Schäfer, Rz. 18; Ganzer in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 30; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 41; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 14 Rz. 48; Teichmann in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 19; aus der älteren Lit. vgl. Brodmann, § 15 Rz. 2a; W. Schmidt in Hachenburg, 6. Aufl., Rz. 15; Flume, JurP, § 7 II 1 (S. 206); Renkl, S. 47; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 53; Wolany, S. 212; ausführlich Hirte/Mohamed in 2. FS Karsten Schmidt, Bd. I 2019, S. 487 , 491 ff. 90 Vgl. insofern OLG Celle v. 15.11.2006 – 9 U 59/06, GmbHR 2007, 318, 319 = ZIP 2007, 631, 632. 91 Hierauf stützt sich Römermann in Michalski u.a., Rz. 53. 92 RG, JW 1934, 2909 m. Anm. A. Hueck.

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§ 47 Rz. 21 | Abstimmung nicht den Wertungen des GmbH-Rechts. Wenn dieses die Stimmrechtsvollmacht zulässt (Rz. 76 ff.), nicht aber die Stimmrechtsabspaltung (Rz. 20), dann hat das nicht nur rechtsdogmatische Gründe. Dem Innenrecht der GmbH ist es darum zu tun, dass das Stimmrecht stets im Namen des Gesellschafters ausgeübt wird (Rz. 13). Sachgerecht ist deshalb, die offengelegte „Ermächtigung“ eines Nichtgesellschafters als eine solche Stimmrechtsvollmacht zu behandeln (zur Umdeutung vgl. Rz. 20): Der Nichtgesellschafter ist gehalten, im Namen des Gesellschafters abzustimmen (dazu sogleich Rz. 22). Lässt der Versammlungsleiter seine Stimmabgabe als Legitimationszessionar zu, so ist die Stimme als Stimmabgabe auch für einen ungenannten Gesellschafter wirksam (Rz. 22). c) Rechtsfolgen 22 Kaum geklärt sind bisher die Auswirkungen unzulässiger Stimmrechtsausübung durch ei-

nen Dritten auf Beschlüsse. Eine wirksame Stimmrechtsausübung durch einen Nicht-Gesellschafter (bzw. im Namen dieses Nicht-Gesellschafters) lässt das Gesetz nur im Fall des § 16 zu. Sonst darf die Stimmabgabe eines Dritten nach der hier bei Rz. 20, 21 vertretenen Ansicht nur unter den Voraussetzungen der Stellvertretung (Rz. 76) mitgezählt werden. Ist eine unzulässige Stimmrechtsübertragung offengelegt, so wird man die Übertragung bzw. Ermächtigung i.d.R. als eine Bevollmächtigung und die Stimmabgabe des Dritten i.S. einer Stellvertretung (um-)deuten. Die fehlende Benennung des Gesellschafters als Stimmrechtsinhaber wird i.d.R. unschädlich sein, denn nach § 164 Abs. 1 Satz 2 BGB genügt, dass der Dritte das Stimmrecht aus dem ihm nicht zustehenden Geschäftsanteil ausgeübt hat (Individualisierung des Geschäftsanteils genügt). Zusätzlich bedarf es der Vertretungsmacht. Der Anteilsinhaber muss den Abstimmenden autorisiert haben oder sein Handeln genehmigen (vgl. zur Umdeutung der Stimmrechtsabtretung bzw. -ermächtigung in eine Vollmacht schon Rz. 20 und 21)93. Über die Zulassung oder Nichtzulassung der Stimmabgabe durch den Versammlungsleiter und für die Rechtsfolgen der Abstimmung vgl. sinngemäß Rz. 89–94 (zu den Folgen unrichtiger Mehrheitsfeststellung vgl. 12. Aufl., § 48 Rz. 52 f.). Ggf. kommt auch ein Rügeverlust derjenigen Mitgesellschafter in Betracht, die dem Auftreten des nicht Stimmberechtigten zugestimmt haben (vgl. zum Rügeverlust 12. Aufl., § 45 Rz. 136, 138 ff.).

5. Erlöschen und Ruhen des Stimmrechts a) Erlöschen des Stimmrechts 23 Das Stimmrecht eines Gesellschafters endet im Fall des Ausschlusses (Kaduzierung) nach

§ 21 (vgl. 12. Aufl., § 21 Rz. 25) und der Einziehung (Amortisation) nach § 34 (vgl. 12. Aufl., § 34 Rz. 62)94. Im Fall der Ausschließung eines Gesellschafters kommt es darauf an, ob diese durch Einziehung nach § 34 oder durch Zwangsabtretung vollzogen wird (dazu 12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 48 ff.). Vor dem Vollzug der Ausschließung besteht das Stimmrecht fort (vgl. Rz. 25; zum einstweiligen Rechtsschutz gegen rechtswidrige Stimmrechtsausübung vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 183)95. Ist die Ausschließung bestandskräftig, so verschafft auch § 16 Abs. 1 dem Ausgeschlossenen kein Stimmrecht mehr96. Im Fall der Kaduzierung ruht das Stimmrecht in der Hand der jetzt als Treuhänder fungierenden Gesellschaft bis zum Eintritt eines Erwerbers (12. Aufl., § 21 Rz. 30). Ist der Geschäftsanteil unverkäuflich, so fällt er zwar der 93 Vgl. OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 6 U 963/91, GmbHR 1992, 464; wohl auch OLG Hamburg v. 22.2.1989 – 11 W 14/89, 11 W 15/89, 11 W 16/89, GmbHR 1990, 42. 94 Zum Folgenden auch Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71 ff. 95 Vgl. Römermann in Michalski u.a., Rz. 63: „mit dem Vollzug“; krit. Hüffer/Schäfer in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 48. 96 Zweifelnd Drescher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71 ff.

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Abstimmung | Rz. 24 § 47

Gesellschaft zu, doch ohne Stimmrecht wie im Fall des § 33 Abs. 2 (12. Aufl., § 23 Rz. 31 f.). Im Fall einer Preisgabe (Abandon) nach § 27 verbleibt das Stimmrecht dagegen bei dem abandonnierenden Gesellschafter, bis der Anteil veräußert oder der Gesellschaft zugefallen ist (12. Aufl., § 27 Rz. 19). Das Stimmrecht endet auch, wenn der Geschäftsanteil durch Satzungsänderung mit Zustimmung des Gesellschafters in einen stimmrechtslosen Anteil verwandelt wird. Vom Erlöschen des Stimmrechts zu unterscheiden ist dessen Übergang bei einem Gesellschafterwechsel (Rz. 25). b) Ruhen des Stimmrechts An eigenen Geschäftsanteilen der GmbH ruht das Stimmrecht97. Es erlischt nicht, kann 24 aber von der Gesellschaft nicht ausgeübt werden (12. Aufl., § 33 Rz. 37; zur GmbH & Co. KG vgl. dagegen 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 39, 58 ff.). Das Stimmrecht ruht auch in anderen Fällen der Zurechnung des Geschäftsanteils zur GmbH. So, wenn die Gesellschaft den Anteil für ihre Rechnung durch einen fremdnützigen Treuhänder halten lässt98. Der Regierungsentwurf 1971/73 dehnte diesen Grundsatz auch auf von der GmbH abhängige Unternehmen als Gesellschafter aus (vgl. § 82 Abs. 4 RegE 1971/73): „Das Stimmrecht kann nicht ausgeübt werden für Geschäftsanteile, die der Gesellschaft oder einem abhängigen Unternehmen oder einem anderen für Rechnung der Gesellschaft oder eines abhängigen Unternehmens gehören.“ Dass dese Regel Bestandteil des geltenden GmbH-Rechts ist, ist wohl allgemein anerkannt (vgl. auch 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 29)99. Zwar hatte die Aktienrechtspraxis vor der Absicherung in § 136 Abs. 2 AktG a.F. (jetzt § 71b AktG) gezögert, diese Regel als geltendes Recht anzuerkennen100, aber heute ist sie als allgemeiner körperschaftsrechtlicher Grundsatz auch für das GmbH-Recht anerkannt. Das Ruhen des Stimmrechts kann zur Steuerungsunfähigkeit der Gesellschaft führen. Hält die Gesellschaft sämtliche Anteile selbst, so ruhen alle Stimmrechte. Die Gesellschaft ist, solange nicht ein Dritter Anteile erwirbt, automatisch aufgelöst (vgl. zur „Keinmann-Gesellschaft“ 12. Aufl., § 60 Rz. 80). Bei einer auf wechselseitiger Beteiligung beruhenden wechselseitigen Abhängigkeit kann die Regel dazu führen, dass keine Gesellschaft in der anderen abstimmen kann101. Bei Gemeinschaftsunternehmen sowie in sonstigen Fällen der Abhängigkeit einer GmbH von mehreren Müttern wird man nach den in BGH v. 4.3.1974 – II ZR 89/72, BGHZ 62, 193, 198 angelegten Grundsätzen im Fall einer Beteiligung der Tochter an den Muttergesellschaften diese Grundsätze auf jede Beteiligung anwenden. Bei wechselseitiger Beteiligung ohne Abhängigkeit102 bestimmt § 328 97 BGH v. 6.10.1992 – KVR 24/91, BGHZ 119, 346, 356 = GmbHR 1993, 44 = NJW 1993, 1265, 1267. 98 6. Aufl., Rz. 23 mit sinngemäßem Hinweis auf RG, JW 1928, 625 m. Anm. Nußbaum; ausdrücklich § 82 Abs. 4 RegE 1971/73; wie hier Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 57; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48; Römermann in Michalski u.a., Rz. 69; Ganzer in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 31. 99 Bejahend: BGH v. 6.10.1992 – KVR 24/91, BGHZ 119, 346, 355 = GmbHR 1993, 44 = NJW 1993, 1265, 1267; BGH v. 27.4.2009 – II ZR 167/07, GmbHR 2009, 770, 773 = NJW 2009, 2300, 2303 = ZIP 2009, 1158, 1161; BGH v. 4.5.2009 – II ZR 168/07, GmbHR 2009, 1330 = NJW-RR 2010, 48 = ZIP 2009, 2194; OLG München v. 7.4.1995 – 23 U 6733/94, GmbHR 1995, 590, 591; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 57; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47; Römermann in Michalski u.a., Rz. 68; Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955, S. 111 ff.; Zöllner, Schranken, S. 143; s. auch H.P. Westermann in Der GmbH-Konzern, 1976, S. 34 f.; früher verneinend: RGZ 103, 64, 67; Feine, S. 453 f.; W. Schmidt in Hachenburg, 6. Aufl., Anh. § 47 Rz. 2; zum Sonderfall der GmbH & Co. KG vgl. BGH v. 6.10.1992 – KVR 24/91, BGHZ 119, 346, 356 f. = NJW 1993, 1265, 1267 = GmbHR 1993, 44. 100 RGZ 115, 253; 149, 308 f.; Kronstein, Die abhängige juristische Person, 1931, S. 120 ff. 101 Tröger in KölnKomm. AktG, 3. Aufl., § 136 AktG Rz. 77. 102 Zur Problematik eingehend Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964, S. 452 ff.; Emmerich in FS H. Westermann, 1974, S. 55 ff.; Ramming, Wechselseitige Beteiligungen außerhalb des Aktienrechts, 2005, S. 87.

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§ 47 Rz. 24 | Abstimmung AktG, dass Rechte aus den fraglichen Anteilen nur für höchstens den vierten Teil aller Anteile ausgeübt werden können. Während § 266 RegE 1971/73 dem AktG auch insoweit folgen wollte, bestehen berechtigte Bedenken, diesen Grundsatz ohne gesetzliche Niederlegung für die GmbH anzuerkennen (näher 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 35 ff.)103. Dagegen kann ein herrschendes Unternehmen das Stimmrecht aus seinen Geschäftsanteilen in der abhängigen GmbH ausüben (zu der ganz anderen Frage nach dem Stimmverbot des § 47 Abs. 4 im Konzernbereich vgl. Rz. 165 f.) Auch die Stimmrechtsausübung der Gesellschaft als Bevollmächtigte im Namen eines Gesellschafters ist eine andere Frage und durch die hier besprochene Regel nicht ausgeschlossen104. Zum Stimmrecht in der Einheits-GmbH & Co. KG, bei der die Kommanditgesellschaft gleichzeitig Inhaberin der Geschäftsanteile ihrer Komplementär-GmbH ist, vgl. 12. Aufl., Anh. § 45 Rz. 58. c) Veränderungen 25 Wer nur noch vorübergehend Gesellschafter ist – z.B. bereits den Austritt aus der Gesell-

schaft erklärt oder den Geschäftsanteil aufschiebend bedingt übertragen hat oder ihn, etwa als Treuhänder, demnächst (zurück-)übertragen muss, oder wer noch nicht wirksam ausgeschlossen ist –, hat im Grundsatz das volle Stimmrecht (vgl. auch 12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 17)105. Mit Recht hat BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320 = GmbHR 1984, 93 entschieden, dass eine im Gesellschaftsvertrag zugelassene Kündigung mit der Folge, dass der Geschäftsanteil eingezogen oder von einem Mitgesellschafter übernommen werden kann, ein Ruhen des Stimmrechts nur bewirkt, wenn die Satzung dies so anordnet (zust. 12. Aufl., Anh. § 34 Rz. 17 m.w.N.). Gleichfalls mit Recht unterscheidet der BGH hiervon die ganz andere Frage, ob die Stimmrechtsausübung im Einzelfall rechtmäßig ist. Der kündigende Gesellschafter missbraucht z.B. sein Stimmrecht, wenn er sich einer Maßnahme widersetzt, die seine Vermögensinteressen nicht mehr unmittelbar oder mittelbar berühren kann (vgl. zur Treubindung auch Rz. 26 ff.). Im Fall eines Ausschließungsverfahrens kann die Stimmrechtsausübung durch den Ausschließungsadressaten gleichfalls treuwidrig sein. Im Fall eines Gesellschafterwechsels ist § 16 Abs. 1 zu beachten (12. Aufl., § 16 Rz. 16 ff., 45)106; zur Bedeutung des § 16 für die sog. Legitimationszession vgl. Rz. 21). Das BayObLG sah einen Beschluss der Anteilserwerber ohne Anzeige des Anteilserwerbs (seit dem MoMiG: ohne Eintragung in die Gesellschafterliste) selbst dann als einen Nichtbeschluss an, wenn die Abstimmenden sämtliche Geschäftsanteile erworben hatten (bedenklich!)107. Heute kann § 16 Abs. 1 Satz 2 helfen.

IV. Inhaltsgrenzen der Stimmrechtsmacht 1. Grundlagen Schrifttum: Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, 1949, S. 181 ff.; Bischoff, Sachliche Voraussetzungen von Mehrheitsbeschlüssen in Kapitalgesellschaften, BB 1987, 1055; Ekkenga, Stimmverbote gegen den herrschenden Gesellschafter im GmbH-Konzern, ZGR 2019, 191; v. Falkenhausen, Verfassungsrechtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft nach dem Recht der Kapitalgesellschaften, 1967; Harrer, Treuwidrige Stimmabgabe im Recht der GmbH, in FS Roth, 2011, S. 211; Henze, Treupflichten im Kapitalgesellschaftsrecht, ZHR 162 (1998), 186; Hüffer, Zur gesellschaftsrecht-

103 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 58. 104 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 59. 105 BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320 = BB 1984, 88; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 36; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 45. 106 Dazu OLG Zweibrücken v. 15.12.2011 – 3 W 144/11, GmbHR 2012, 689. 107 BayObLG v. 26.10.1989 – BReg 3 Z 65/89, GmbHR 1990, 216.

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Abstimmung | Rz. 26 § 47 lichen Treupflicht als richterrechtlicher Generalklausel, in FS Steindorff, 1990, S. 59; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 261 ff.; Immenga, Bindung von Rechtsmacht durch Treuepflichten, in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 189; Koppensteiner, Treuwidrige Stimmabgaben bei Kapitalgesellschaften, ZIP 1994, 1325; Koppensteiner, Treuwidrige Stimmabgabe und positive Beschlussfeststellung, GES 2012, 488; Korehnke, Treuwidrige Stimmen im Personengesellschafts- und GmbHRecht, 1997; Lutter, Verfassungsrechtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft nach dem Recht der Kapitalgesellschaften, AG 1968, 73; Lutter, Zur inhaltlichen Begründung von Mehrheitsentscheidungen, ZGR 1981, 171; Lutter, Treupflichten und ihre Anwendungsprobleme, ZHR 162 (1998), 164; Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970; Martens, Die GmbH und der Minderheitenschutz, GmbHR 1984, 265; Nentwig, Durchsetzung von Sanierungsmaßnahmen im Recht der GmbH, GmbHR 2012, 664; Nonn, Zustimmungspflichten des Kapitalgesellschafters, 1995; Paschke, Treuepflichten im Recht der juristischen Personen, in FS Serick, 1992, S. 313; Priester, „Sanieren oder Ausscheiden“ im Recht der GmbH, ZIP 2010, 497; Raiser, Die Treuepflichten im GmbH-Recht als Beispiel der Rechtsfortbildung, ZHR 151 (1987), 422; Rottnauer, Gesellschaftsrechtliche Treupflichten bei Holdingbildung durch Anteilseinbringung, NZG 2001, 115; Schaudwet/Paul, Die gegenseitigen Treuebindungen der GmbH-Gesellschafter, GmbHR 1970, 5; H.M. Schmidt, Die gegenseitige Treuepflicht der GmbH-Gesellschafter, GmbHR 1960, 137; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV, § 21 II 3; Karsten Schmidt, Zur Behandlung treuwidriger Stimmen in der Gesellschafterversammlung und im Prozess, GmbHR 1992, 9; Seidel, Die mangelnde Bedeutung mitgliedschaftlicher Treupflichten im Willensbildungsprozess der GmbH, 1998; Timm, Zur Sachkontrolle von Mehrheitsentscheidungen im Kapitalgesellschaftsrecht, ZGR 1987, 403; Ulmer, Recht der GmbH und GmbH & Co., in 50 Jahre BGH, Bd. II 2000, S. 273; Vorwerk/Wimmers, Treubindung des Mehrheitsgesellschafters oder der Gesellschaftermehrheit bei der Beschlussfassung in der GmbH-Gesellschafterversammlung, GmbHR 1998, 717; Martin Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, 1999; Wiedemann, Rechtsethische Maßstäbe im Unternehmens- und Gesellschaftsrecht, ZGR 1980, 147; Wiedemann, Zu den Treuepflichten im Gesellschaftsrecht, in FS Heinsius, 1991, S. 949; Wiedemann, Entwicklungen im Kapitalgesellschaftsrecht, DB 1993, 141; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988; Winter, Gesellschafterkonflikte in der GmbH, in Karsten Schmidt/Riegger (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1999, 2000, S. 37; Wolany, Rechte und Pflichten der Gesellschafter einer GmbH, 1964; Worch, Treupflichten von Kapitalgesellschaftern, 1983; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963.

a) Freiheit und Bindung Die Stimmrechtsmacht gibt den Gesellschaftern die Befugnis, nach eigenem Gutdünken und 26 nach den Maximen des eigenen Vorteils, nicht jedoch in unbegrenzter Willkür zu entscheiden. Das Schikaneverbot (§ 226 BGB), der gemeinsame Zweck der Gesellschaft (Erl. zu § 1) und vor allem die Treupflicht der Gesellschafter (dazu 12. Aufl., § 14 Rz. 64 ff.) ziehen der Stimmrechtsmacht inhaltliche Grenzen. Innerhalb dieser Grenzen kann jeder Gesellschafter nach eigenem Ermessen abstimmen. Das Recht kennt keine allgemeine Zweckmäßigkeitskontrolle der Stimmabgabe (zur Abgrenzung vgl. Rz. 30)108. Das Selbstbestimmungsrecht der Gesellschafter findet erst an den genannten Verboten seine Grenze. Namentlich für die im Gesetz vorgeprägten Beschlüsse gilt, was BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 353 für den Auflösungsbeschluss sagt: Ein mit der nötigen Mehrheit gefasster Beschluss bedarf grundsätzlich keiner sachlichen Rechtfertigung. Das schließt aber die Möglichkeit einer Inhaltskontrolle nicht grundsätzlich aus (Rz. 28). Die Inhaltsschranken der Stimmrechtsmacht sind gesetzliche, wenn auch im Wortlaut des GmbHG-Gesetzes nicht notwendig zum Ausdruck gebrachte Grenzen der Stimmrechtsausübung. Hierdurch unterscheiden sie sich von satzungsmäßigen oder vertraglichen Bindungen der Gesellschafter (zu diesen vgl. Rz. 35 ff.).

108 Wie hier Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 53; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 46; a.M. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 93 ff.

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§ 47 Rz. 27 | Abstimmung b) Abgrenzung gegen Stimmverbote 27 Die Inhaltsgrenzen der Stimmrechtsmacht müssen von den Stimmverboten des § 47 Abs. 4

unterschieden werden (dazu Rz. 98 ff.). Geht es bei den Stimmverboten um die Frage, ob ein Stimmrecht überhaupt ausgeübt und ob die von einem Gesellschafter abgegebene Stimme mitgezählt werden kann, so geht es hier um die inhaltliche Rechtmäßigkeit der Stimmabgabe. Der Unterschied wirkt sich vor allem in den Sanktionen aus (Rz. 32, 99, 175) sowie auch in dem hierauf gerichteten Verfahren109. c) Das Problem der Kontrolldichte 28 Der Umfang der Inhaltskontrolle ist wechselhaft, bisweilen individualistisch, bisweilen mehr

kollektivistisch beurteilt worden110. RGZ 68, 235 betonte noch, Mehrheitsbeschlüsse seien „für die Minderheit auch dann maßgebend, wenn sie dieser als verkehrt, wirtschaftlich nachteilig und die Bestrebungen der Minderheit schädigend erscheinen“. Demgegenüber sprach RGZ 132, 163, 169 von der Pflicht der Mehrheit, „im Rahmen des Gesamtinteresses auch den Belangen der Minderheit Berücksichtigung angedeihen zu lassen“. BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 38 sagte dann wieder: „Sowohl bei der Stimmrechtsausübung wie bei der Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses braucht aber weder der Aktionär noch der GmbH-Gesellschafter seine eigenen Interessen hinter die der Gesellschaft zurückzustellen.“ Und BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 353: „Ein mit der nötigen Mehrheit gefasster Auflösungsbeschluss bedarf keiner sachlichen Rechtfertigung; er trägt seine Rechtfertigung in sich.“ Ganz ähnlich hat BGH v. 9.2.1998 – II ZR 278/96, BGHZ 138, 71 über die Kapitalherabsetzung in der Aktiengesellschaft entschieden: Der Beschluss „bedarf keiner sachlichen Rechtfertigung. Eine solche folgt bereits aus der gesetzlichen Regelung …“ Für andere strukturändernde Beschlüsse (Unternehmensverträge, Umwandlungen usw.) kann nichts anderes gelten. Die aktienrechtliche Linotype-Entscheidung BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 hat aber auch deutlich gemacht, dass dieser Grundsatz eine Prüfung unter dem Gesichtspunkt der Treupflichtverletzung nicht ausschließt. Richtig scheint folgendes: Es gibt keine generelle Verpflichtung zu zweckmäßigen Entscheidungen111. Deshalb bedürfen Mehrheitsbeschlüsse grundsätzlich keiner positiven Rechtfertigung. Der Grundsatz der Abstimmungsfreiheit steht aber unter dem allgemeinen Vorbehalt der bei Rz. 29 ff. dargestellten Loyalitätspflichten. Deshalb kann die Ausübung des Stimmrechts im Einzelfall illoyal und ein sich aus treuwidrigen Stimmen ergebender Mehrheitsbeschluss anfechtbar sein (vgl. Rz. 29 f.; zum Auflösungsbeschluss 12. Aufl., § 60 Rz. 20 ff.). Aber nicht nur durch Abgabe einer Ja-Stimme, sondern nach Lage des Falls auch durch Ablehnung des Antrags kann der Gesellschafter gegen die Treupflicht verstoßen (Rz. 31). Auch ist zu betonen, dass nicht nur die Mehrheit, sondern nach Lage des Falls auch die Minderheit durch Treupflichten gebunden sein kann (Missbrauch einer Sperrminorität bei strukturändernden Beschlüssen; Missbrauch von Zustimmungsrechten bei zustimmungsbedürftigen Beschlüssen).

109 Vgl. die gegensätzlichen Fälle BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320 = NJW 1984, 489 und BGHZ 97, 28 = NJW 1986, 2151. 110 Dazu Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 3; Martin Weber, S. 29 ff., 75 ff.; Winter, S. 131 ff.; Lutter, ZGR 1982, 171 ff.; Timm, ZGR 1987, 410 ff., 414 f.; Bischoff, BB 1987, 1057 ff. 111 BGH, WM 1970, 1165; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 53; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Anh. § 47 Rz. 46; Karsten Schmidt, GesR, § 21 II 3; vgl. auch BGH v. 14.2.1974 – II ZR 76/72, GmbHR 1974, 109, 110; a.M. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 93 ff. („Gesellschaftszweckbindung“ jedoch unter Zuerkennung eines unternehmerischen Ermessens); zu weitgehend und schwerlich haltbar demgegenüber Flume, JurP, § 7 II: „Die Autonomie der Ausübung des Stimmrechts deckt … auch die törichte Entscheidung.“

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Abstimmung | Rz. 29 § 47

2. Missbräuchliche Stimmrechtsausübung a) Die Treupflicht als Grenze der Mehrheitsmacht verpflichtet im Rahmen des gemeinsa- 29 men Zwecks zur Loyalität gegenüber der Gesellschaft und zur angemessenen Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen von Mitgesellschaftern (12. Aufl., § 14 Rz. 73 ff., 82). Zunächst gilt auch für die GmbH das in § 243 Abs. 2 AktG zum Ausdruck gebrachte Verbot des Verfolgens von Sondervorteilen zum Schaden der Gesellschaft oder der anderen Gesellschafter (12. Aufl., § 45 Rz. 109 f.)112. Über die Sanktionen bei Treupflichtverletzung vgl. im Übrigen Rz. 32 ff., 12. Aufl., § 14 Rz. 120 ff. Treupflichtgebunden sind in erster Linie organisationsrechtliche Beschlüsse mit strukturändernder oder jedenfalls die Gesellschaftsorganisation betreffender Wirkung (vgl. über Satzungsänderungen 12. Aufl., § 14 Rz. 98 ff.). Deshalb kann selbst ein Auflösungsbeschluss wegen Stimmrechtsmissbrauchs anfechtbar sein, wenn er dem Mehrheitsgesellschafter dazu dient, das Unternehmen mit illoyalen Mitteln an sich zu ziehen (12. Aufl., § 14 Rz. 109; 12. Aufl., § 60 Rz. 28)113. Rechtswidrig ist auch ein sonstiger Beschluss, durch den die Gesellschaft und die Minderheitsgesellschafter im eigensüchtigen Interesse des Mehrheitsgesellschafters geschädigt werden114. Beschlüsse über verdeckte Ausschüttungen sind unabhängig vom Nichtigkeitsgrund des § 30 (12. Aufl., § 45 Rz. 74) treuwidrig und anfechtbar, wenn sie einen Gesellschafter begünstigen (12. Aufl., § 29 Rz. 121, 12. Aufl., § 45 Rz. 106, 109 f.). Treuwidrig kann beispielsweise die Bewilligung einer unangemessenen Tantieme an den Mehrheitsgesellschafter als Geschäftsführer sein115. Treupflichtwidrig kann die Entlastung eines dem Mehrheitsgesellschafter nahestehenden Geschäftsführers sein, der ihm Vorteile zugeschanzt hat116. Die Befreiung eines Geschäftsführers und (oder) Gesellschafters von einem Wettbewerbsverbot kann treupflichtwidrig sein, wenn sie dem Interesse der Gesellschaft nicht entspricht117. Ein unbegründeter Austausch des Abschlussprüfers kann treuwidrig sein118, ebenso aber auch die Verweigerung einer Neubestellung. Zur Treupflicht bei der Entscheidung über die Übertragung vinkulierter Geschäftsanteile vgl. 12. Aufl., § 14 Rz. 105, 12. Aufl., § 15 Rz. 125 ff. Zur Treupflicht bei der Einziehung von Geschäftsanteilen vgl. 12. Aufl., § 14 Rz. 106. Gehen die Gesellschafter wechselseitig gegeneinander mit Ausschließungsverfahren vor, so kann die Stimmabgabe eines, nämlich des objektiv auszuschließenden, Gesellschafters missbräuchlich sein119. Zur Treupflicht bei der Bestellung, Abberufung und Entlastung von Geschäftsführern vgl. 12. Aufl., § 14 Rz. 96 f., 12. Aufl., § 46 Rz. 75 ff., 99. Zur Treupflicht bei der Beschlussfassung über die Geltendma112 BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 357 = NJW 1980, 1278 f. = WM 1980, 378 f.; OLG Hamm v. 29.6.1992 – 8 U 279/91, GmbHR 1992, 802 = ZIP 1993, 119, 121; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 113; Vorwerk/Wimmers, GmbHR 1998, 720; insoweit auch Flume, ZIP 1996, 162. 113 BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352 = WM 1980, 378 (GmbH); BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184 = NJW 1988, 1579 (AG); Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 115. 114 BGH v. 4.10.1976 – II ZR 204/74, JZ 1977, 267, 268 f. m. Anm. Verhoeven = WM 1976, 1226, 1227; BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, WM 1977, 361; LG Düsseldorf v. 7.4.1994 – 32 O 225/92, DB 1994, 1028 f.; enger wohl Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 122. 115 BGH v. 4.10.1976 – II ZR 204/74, JZ 1977, 267, 268 m. Anm. Verhoeven = WM 1976, 1226, 1227; s. auch BGH v. 22.3.2004 – II ZR 50/02, NJW-RR 2004, 899, 900 = GmbHR 2004, 739 (Unterlassungsanspruch); BGH v. 11.12.2006 – II ZR 166/05, GmbHR 2007, 260 = DZWiR 2007, 292 m. Anm. Lieder (Schadensersatz); Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 115; Winter, ZHR 148 (1984), 579, 583. 116 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, WM 1977, 361; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 115; Winter, S. 95 ff., 121 ff. 117 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 74 f. = GmbHR 1981, 189; Raiser/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 47 Rz. 120. 118 BGH v. 23.9.1991 – II ZR 189/90, GmbHR 1991, 568 = ZIP 1991, 1427. 119 Vgl. aber BGH v. 22.1.1990 – II ZR 21/89, GmbHR 1990, 162 f.

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§ 47 Rz. 29 | Abstimmung chung von Ansprüchen vgl. Rz. 31 sowie 12. Aufl., § 46 Rz. 153, 158. Zum Bezugsrechtsausschluss bei der Kapitalerhöhung vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 106, 12. Aufl., § 55 Rz. 54 ff.120. Zur Konzerneingangskontrolle durch Treupflichten des Mehrheitsgesellschafters vgl. 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 56. Zur Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vgl. 12. Aufl., § 14 Rz. 60 ff., 12. Aufl., § 45 Rz. 105 f. 30 b) Bei Beschlüssen in Angelegenheiten der gesellschaftlichen Zweckverfolgung, insbeson-

dere der Geschäftsführung, besteht eine Begrenzung der Stimmrechtsmacht durch Gesellschaftszweck und Gesellschaftsinteresse121. Seit dem die GmbH & Co. KG betreffenden ITTUrteil BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15 = BB 1975, 1450 m. Anm. Schilling = NJW 1976, 191 m. Anm. Ulmer kann als anerkannt gelten, dass eine Nachteilszufügung ohne angemessenen Ausgleich auch in einer GmbH rechtswidrig ist122. Im Übrigen ist umstritten, inwieweit Beschlüsse, die keine Grundlagenentscheidungen darstellen oder jedenfalls Organisationsmaßnahmen betreffen (Rz. 29), treupflichtgebunden sind und damit der Inhaltskontrolle unterliegen. Vertreten wird, dass nur oder in erster Linie Grundlagenentscheidungen treupflichtgebunden sind123. Aber eine Kategorienbildung ist unergiebig, eine Einzelfallbetrachtung unvermeidlich (vgl. 12. Aufl., § 14 Rz. 76 ff.). Teilweise wird darauf abgestellt, inwieweit der Beschluss in Mitgliedspositionen eingreift124. In diesem Sinne wird eine nach der Intensität der Beeinträchtigung differenzierende Betrachtung vorgeschlagen125. Richtig scheint: Jeder Beschluss, auch ein die gewöhnliche Geschäftsführung betreffender Beschluss, unterliegt als Bestandteil der gesellschaftlichen Zweckverfolgung der Treubindung (wobei sich die Treupflicht bei der Einpersonengesellschaft oder bei Zustimmung aller Gesellschafter auf die Gesellschaft selbst konzentrieren kann). Doch unterscheiden sich die Beschlussgegenstände von Fall zu Fall hinsichtlich ihrer Treupflichtrelevanz und der Verletzungsanfälligkeit. Je dauerhafter, grundsätzlicher und einschneidender der Beschluss Rechte und Interessen der Beteiligten berührt, um so weiter gehen die aus der Treupflicht resultierenden Rücksichtnahmepflichten. Es geht um die Konkretisierung des Abstimmungsermessens am Maßstab des gemeinsamen Zwecks der Gesellschaft und der Interessen der Mitgesellschafter. Solche Ermessensschranken kann es auch da geben, wo die Gesellschafter vom Gesetz aufgerufen sind, Eigeninteressen gegen die