377 62 12MB
German Pages 1610 Year 2021
Scholz · GmbH-Gesetz · Kommentar
.
Scholz Kommentar zum GmbH-Gesetz Bearbeitet von
Prof. Dr. Georg Bitter Dr. Christian Bochmann Dr. Carsten Cramer Prof. Dr. Georg Crezelius Prof. Dr. Volker Emmerich Prof. Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt Prof. Dr. André Meyer Prof. Dr. Hans-Joachim Priester Prof. Dr. Thomas Rönnau Dr. Johannes Scheller Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt Dr. Sven H. Schneider Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider Prof. Dr. Christoph H. Seibt Dr. Georg Seyfarth Dr. Joachim Tebben Prof. Dr. Rüdiger Veil Prof. Dr. Dirk A. Verse Prof. Dr. Dres. h.c. Harm Peter Westermann Prof. Dr. Hartmut Wicke II. Band §§ 35 - 52 Anh. § 45 Gesellschafterversammlung und Gesellschafterkompetenzen in der GmbH & Co. KG 12. neubearbeitete und erweiterte Auflage
2021
.
Bearbeiter Prof. Dr. Georg Bitter
Dr. Sven H. Schneider, LL.M. (Berkeley)
o. Professor, Universität Mannheim
Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, Attorney-at-Law (New York)
Dr. Christian Bochmann, LL.M. (Cambridge) Rechtsanwalt in Hamburg
Dr. Carsten Cramer, LL.M. (Columbia) Notar in Hamburg
Prof. Dr. Georg Crezelius o. Professor em., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Steuerberater in München
Prof. Dr. Volker Emmerich
Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider o. Professor em., Technische Universität Darmstadt, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Prof. Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale) Rechtsanwalt in Hamburg, Attorney-at-Law (New York), Honorarprofessor, Bucerius Law School, Hamburg
o. Professor em., Universität Bayreuth, Richter am OLG Nürnberg a.D.
Dr. Georg Seyfarth, LL.M. (Duke)
Prof. Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt
Dr. Joachim Tebben, LL.M. (Michigan)
Rechtsanwalt in Hamburg, Honorarprofessor, Bucerius Law School, Hamburg
Prof. Dr. Rüdiger Veil
Prof. Dr. André Meyer, LL.M. Taxation
Rechtsanwalt in Düsseldorf
Notar in Düsseldorf
o. Professor, Ludwig-Maximilians-Universität München
o. Professor, Universität Bayreuth
Prof. Dr. Dirk A. Verse, M.Jur. (Oxford) Prof. Dr. Hans-Joachim Priester Notar a.D. in Hamburg, Honorarprofessor, Universität Hamburg
Prof. Dr. Thomas Rönnau o. Professor, Bucerius Law School, Hamburg
o. Professor, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Prof. Dr. Dres. h.c. Harm Peter Westermann o. Professor em., Eberhard Karls Universität Tübingen, Mitglied der Akademie Athen
Dr. Johannes Scheller Notarassessor in Hamburg
Prof. Dr. Hartmut Wicke, LL.M. (Stellenbosch)
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt
Notar in München, Honorarprofessor, Ludwig-Maximilians-Universität München
o. Professor em., Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Professor, Bucerius Law School, Hamburg
Zitierempfehlung: Bearbeiter in Scholz, GmbHG, 12. Aufl., § … Rz. …
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-32565-7 (II. Band) ISBN 978-3-504-32567-1 (I.–III. Band) ©2021 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany
Vorwort zum II. Band Mit dem Erscheinen des Bandes II ist die 12. Auflage des Scholz komplett. Der Band enthält mit dem dritten Abschnitt des GmbH-Gesetzes das Recht der Vertretung und Geschäftsführung, die Anmeldung der Geschäftsführer, die Gesellschafterliste, das Bilanzrecht, die Haftung der Geschäftsführer, Rechte und Aufgaben der Gesellschafter, das Beschlussrecht, die Gesellschafterversammlung, das Auskunfts- und Einsichtsrecht und das Recht des Aufsichtsrats. Die Verfasser verfolgen mit der Konzeption und Ausgestaltung des Kommentarwerks das Ziel, den täglichen Anforderungen wie auch den Zukunftsaufgaben einer wissenschaftlich fundierten Rechtspraxis gerecht zu werden. Neben zuverlässiger und gründlicher Information bietet der Kommentar deshalb durchgehend Vorschläge für die Beantwortung ungelöster Fragen durch Rechtsgestaltung und Judikatur. Garant dafür ist ein erfahrener Bearbeiterkreis, der sich auch im Band II teilweise neu zusammensetzt. Herr Professor Dr. André Meyer bearbeitet seit der 12. Auflage in Nachfolge von Herrn Professor Dr. Georg Crezelius das Rechnungslegungsrecht (§§ 41–42a GmbHG). Herr Professor Dr. Dirk A. Verse hat die §§ 43–44 von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider übernommen. Herr RA Dr. Christian Bochmann führt in Nachfolge von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt die Kommentierung des § 45 GmbHG fort, und Herr RA Dr. Georg Seyfarth hat von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider den § 52 GmbHG übernommen. Den bisherigen Autoren gilt auch an dieser Stelle unser allergrößter Dank für zuverlässige, tiefgängige und rechtsfortbildende Kommentierungen seit vielen Auflagen. Der Autorenwechsel hat in weiten Teilen zu grundlegenden Überarbeitungen geführt. Im Einzelnen: Die Vorschriften über das Rechnungslegungsrecht der GmbH (§§ 41–42a GmbHG) werden von Herrn Professor Dr. André Meyer vollständig neu kommentiert. Dabei wurde der Umfang der Erläuterungen zu § 41 GmbHG erweitert, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Hintergründe und die Reichweite der Sorgepflicht der Geschäftsführer gelegt wird. Die neueste Rechtsprechung zum Schutzgesetzcharakter von Rechnungslegungsvorschriften ist eingearbeitet. Die Dogmatik des § 42a GmbHG wird um neue Überlegungen bereichert, die insbesondere die Vorlagepflicht der Geschäftsführer und die Teilnahme des Abschlussprüfers an den Verhandlungen über die Feststellung des Jahresabschlusses betreffen. Die §§ 43–44 GmbHG haben nach dem Wechsel zu Herrn Professor Dr. Dirk A. Verse eine völlige Neubearbeitung erfahren. Das Recht der Organhaftung präsentiert sich nun auf rundum neuem Stand. Sämtliche neuere Entwicklungen sind umfassend eingearbeitet. Dazu gehören u.a. die Diskussion der Compliance-Pflichten der Geschäftsleiter nach „Siemens/ Neubürger“, ausführliche Stellungnahmen zu aktuellen Streitfragen (z.B. Umgang mit Interessenkonflikten, Handeln bei unklarer Rechtslage, Regress von Verbandsgeldbußen, Haftungsmilderungen in Anlehnung an arbeitsrechtliche Grundsätze), eine Analyse der neueren BGH-Rechtsprechung zum rechtmäßigen Alternativverhalten („Schloss Eller“) und zur Verjährung („Easy Software“) sowie ein Überblick über neuere Tendenzen im Recht der D&OVersicherung. Im Abschnitt der §§ 45–47 GmbHG von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt führt Herr RA Dr. Christian Bochmann die Bearbeitung des § 45 GmbHG unter Beibehaltung der Struktur der bisherigen Kommentierung und unter Berücksichtigung einer Vielzahl von aktuellen Entwicklungen und Entscheidungen fort. Das Recht des Aufsichtsrats (§ 52 GmbHG) wurde von Herrn RA Dr. Georg Seyfarth vollständig aktualisiert und teilweise neu bearbeitet. Erstmals sind die Vorschriften zur Geschlechterquote (§ 52 Abs. 2 GmbHG) bei der Besetzung des Aufsichtsrats kommentiert. Zudem konnVII
Vorwort zum II. Band
te auch noch das bei Redaktionsschluss kurz vor der Verabschiedung stehende FüPoG II Eingang in die Kommentierung finden. Dies gilt ebenso für den neuen § 36 GmbHG, dessen Kommentierung erstmals von den Herren Professor Dr. h.c. Uwe H. Schneider und RA Dr. Sven H. Schneider in dieser Auflage beigesteuert wird. Die Neu-Kommentierung des Aufsichtsrats von Herrn Dr. Seyfarth umfasst zugleich eine Reihe von Corporate GovernanceThemen und Rechtsfragen, die rechtsformübergreifend alle Überwachungsorgane betreffen, etwa zu Investorenkontakten, zur Ausstattung des Aufsichtsrats oder zu den Kompetenzen bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Geschäftsführung. Insgesamt befindet sich der II. Band auf dem Stand von Februar 2021. Eine Vielzahl der in diesem Band enthaltenen Kommentierungen wurde schon zu Beginn und im Laufe des Jahres 2020 in die Datenbanken, in denen der Scholz enthalten ist, vorab eingestellt. Durch diese Online first-Strategie konnte zum Nutzen der Datenbank-Abonnenten eine besondere Aktualität erzielt werden. Die Autoren dieser Kommentierungen haben es sich gleichwohl nicht nehmen lassen, kurz vor Drucklegung nochmals eine Aktualisierung vorzunehmen, so dass der vorliegende Band insgesamt auf einem einheitlichen Stand ist. Den Aktualitätsvorteil der Online first-Strategie wollen die Scholz-Autoren und der Verlag auch zukünftig nutzen und beabsichtigen, bei besonderem Anlass (vor allem grundlegenden Gesetzesänderungen) den Austausch ganzer Kommentierungen in der Online-Version auch unabhängig von der Printveröffentlichung fortzusetzen. Daher lohnt sich – sofern nicht schon geschehen – eine kontinuierliche Beschäftigung mit der Online-Version des Scholz. Aktuell ist der Scholz in mehreren Datenbanken vertreten – bei Juris im PartnerModul GmbHRecht und im Zusatzmodul für die Hochschulen, bei Otto Schmidt online im Aktionsmodul Gesellschaftsrecht und Beratermodul Kommentare Gesellschaftsrecht (weitere Informationen dazu unter www.juris.de/pm-gmbhrecht und www.otto-schmidt.de/akgr). Verschiedentlich erreichen uns Hinweise aus dem Kreis der Benutzer, die wir gerne aufgreifen und berücksichtigen. Wir bitten, uns auch künftig in gleicher Weise zu unterstützen. Anregungen und Bemerkungen erbitten wir per E-Mail ([email protected]) an den Verlag. Februar 2021
Verfasser und Verlag
Es bearbeiten im II. Band: Christian Bochmann
§ 45 (in Nachfolge Karsten Schmidt)
Klaus-Stefan Hohenstatt
§ 35 (Rz. 251–564)
André Meyer
§§ 41–42a (in Nachfolge Georg Crezelius)
Karsten Schmidt
Anh. § 45, §§ 46–47, §§ 51a/b
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
§ 35 (Rz. 1–250), §§ 35a–39
Christoph H. Seibt
§§ 40, 48–51
Georg Seyfarth
§ 52 (in Nachfolge Uwe H. Schneider)
Dirk A. Verse
§§ 43–44 (in Nachfolge Uwe H. Schneider)
VIII
Inhaltsverzeichnis II. Band Seite
Vorwort zum II. Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
VII XI XV
Dritter Abschnitt: Vertretung und Geschäftsführung § 35 Vertretung der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 35a Angaben auf Geschäftsbriefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 36 Zielgrößen und Fristen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 37 Beschränkungen der Vertretungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 38 Widerruf der Bestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 39 Anmeldung der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 40 Liste der Gesellschafter, Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . § 41 Buchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 42 Bilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 42a Vorlage des Jahresabschlusses und des Lageberichts . . . . . . . . . . . . . . . § 43 Haftung der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 43a Kreditgewährung aus Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 44 Stellvertreter von Geschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 45 Rechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang § 45: Gesellschafterversammlung und Gesellschafterkompetenzen in der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 46 Aufgabenkreis der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 47 Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 48 Gesellschafterversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 49 Einberufung der Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 50 Minderheitsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 51 Form der Einberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 51a Auskunfts- und Einsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 51b Gerichtliche Entscheidung über das Auskunfts- und Einsichtsrecht . . . . § 52 Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
... ...
1 174
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . . . .
187 198 237 278 290 362 379 393 420 642 667 677
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
852 896 1000 1123 1173 1192 1212 1239 1290 1313
Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1551
IX
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Adler/Düring/Schmaltz Altmeppen Bartl/Bartl/Beine/Koch/Schlarb/ Schmitt Baumbach/Hopt Baumbach/Hueck Baumbach/Hueck Bayer/Habersack (Hrsg.) Bayer/Koch (Hrsg.) Beck’scher Bilanz-Kommentar Beck’sches Handbuch der GmbH Bitter Bitter/Heim Bitter/Röder Bork/Schäfer (Hrsg.) Brandmüller Brodmann Brodmann Buchegger (Hrsg.)
Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, Kommentar, 6. Aufl. 1997 ff. GmbHG, Kommentar, 10. Aufl. 2021; siehe auch Roth/Altmeppen Heidelberger Kommentar zum GmbH-Recht, 8. Aufl. 2019 Kurzkommentar zum HGB, 39. Aufl. 2020 Kurzkommentar zum AktG, 13. Aufl. 1968 Kurzkommentar zum GmbHG, 22. Aufl. 2019 Aktienrecht im Wandel, 2007 Das neue GmbH-Recht, 2008 Handelsbilanz und Steuerbilanz. Herausgegeben von Grottel/Schmidt/Schubert/Störk, 12. Aufl. 2020 Gesellschaftsrecht, Steuerrecht. Herausgegeben von Prinz/Winkeljohann, 5. Aufl. 2014 Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000 Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2020 BGB Allgemeiner Teil, 5. Aufl. 2020 Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl. 2019 Der GmbH-Geschäftsführer im Gesellschafts-, Steuerund Sozialversicherungsrecht, 18. Aufl. 2006 Kommentar zum AktG, 1928 Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 1930 Österreichisches Insolvenzrecht, Kommentar, Erster Zusatzband (BWG, GenKonkV, EKEG, VAG, URG, Insolvenz und Steuern), 2009
Centrale für GmbH (Hrsg.) Cranshaw/Paulus/Michel (Hrsg.)
GmbH-Handbuch, Loseblatt Bankenkommentar zum Insolvenzrecht, Bd. 1 und 2, 3. Aufl. 2016
Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn Erman
Handelsgesetzbuch, Kommentar, 4. Aufl. 2020 Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 16. Aufl. 2020 Die Praxis der Gesellschafterversammlung, 4. Aufl. 2006
Eickhoff Fabricius (Hrsg.)
Gemeinschaftskommentar zum Mitbestimmungsgesetz, Loseblatt Feine Die GmbH in Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. III, 3, 1929 Flume Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1 1. Teil, Die Personengesellschaft, 1977 Flume Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1 2. Teil, Die juristische Person, 1983 Frankfurter Kommentar zur InsO siehe Wimmer
XI
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis
Gehrlein/Born/Simon (Hrsg.)
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Kommentar, 4. Aufl. 2019 Gehrlein/Witt/Volmer GmbH-Recht in der Praxis, 4. Aufl. 2019 Gersch/Herget/Marsch/Stützle GmbH-Reform 1980, 1980 Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff Aktiengesetz, Kommentar, 1974 ff. Godin/Wilhelmi Aktiengesetz, Kommentar, 4. Aufl. 1971 Goette/Goette Die GmbH, 3. Aufl. 2019 Goette/Habersack (Hrsg.) Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009 Gottwald (Hrsg.) Insolvenzrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2015 Goutier/Seidel Handkommentar zum GmbH-Gesetz und zur GmbHNovelle, 1990 Graf-Schlicker (Hrsg.) InsO Kommentar, 5. Aufl. 2020 Grigoleit/Rieder GmbH-Recht nach dem MoMiG, 2009 Großkommentar zum AktG Herausgegeben von Hopt/Wiedemann, 4. Aufl. 1992 ff. Herausgegeben von Hirte/Mülbert/M. Roth, 5. Aufl. 2014 ff. Großkommentar zum GmbHG siehe Ulmer/Habersack/Löbbe und Habersack/Casper/ Löbbe Großkommentar zum HGB siehe Staub Habersack/Casper/Löbbe (Hrsg.)
Habersack/Henssler Hachenburg Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht Happ Heckschen/Heidinger (Hrsg.)
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Großkommentar. Bd. 1: 3. Aufl. 2019, Bd. 2: 3. Aufl. 2020; siehe auch Ulmer/Habersack/ Löbbe Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018 Großkommentar zum GmbHG. Begründet von Hachenburg, 8. Aufl. herausgegeben von Ulmer, 1990 ff. siehe Schmidt Die GmbH im Prozess, 1997 Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018 Gesellschaftsrecht, Kommentar, 4. Aufl. 2019 Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020
Henssler/Strohn (Hrsg.) Hesselmann/Tillmann/MuellerThuns Heymann Hölters (Hrsg.) Hoffmann/Liebs Hüffer/Koch
Handelsgesetzbuch, Kommentar, 2. Aufl. 1995 ff. Handbuch Unternehmenskauf, 9. Aufl. 2019 Der GmbH-Geschäftsführer, 3. Aufl. 2009 Aktiengesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2020
Jaeger/Ziemons (Hrsg.)
BeckOK GmbHG
Kallmeyer Kayser/Thole (Hrsg.) Knobbe-Keuk Koller/Kindler/Roth/Drüen Kölner Kommentar zum AktG
Umwandlungsgesetz, Kommentar, 7. Aufl. 2020 Heidelberger Kommentar zur InsO, 10. Aufl. 2020 Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993 Handelsgesetzbuch, Kommentar, 9. Aufl. 2019 Herausgegeben von Zöllner, 2. Aufl. 1988 ff. Herausgegeben von Zöllner/Noack, 3. Aufl. 2004 ff. Koppensteiner GmbH-Gesetz (Österreich), 2. Aufl. 1999 Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.) Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017 Kübler (Hrsg.) Handbuch der Restrukturierung in der Insolvenz, 3. Aufl. 2019 XII
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis
Kübler/Assmann Kübler/Prütting/Bork (Hrsg.) Küting/Pfitzer/Weber (Hrsg.)
Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006 InsO, Kommentar zur Insolvenzordnung, Loseblatt Handbuch der Rechnungslegung, Loseblatt
Langenfeld/Miras Liebmann/Saenger Lutter
GmbH-Vertragspraxis, 8. Aufl. 2019 Kommentar zum GmbHG, 7. Aufl. 1927 Umwandlungsgesetz. Herausgegeben von Bayer/J. Vetter, 6. Aufl. 2019 GmbH-Gesetz, Kommentar, 20. Aufl. 2020 Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020 Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998
Lutter/Hommelhoff Lutter/Krieger/Verse Lutter/Scheffler/U. H. Schneider (Hrsg.) Lutter/Ulmer/Zöllner (Hrsg.) Meyer-Landrut/Miller/Niehus Michalski/Heidinger/Leible/ J. Schmidt Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts
Münchener Kommentar zum AktG Münchener Kommentar zum BGB Münchener Kommentar zum GmbHG Münchener Kommentar zum HGB Münchener Kommentar zur InsO Münchener Kommentar zur ZPO
Festschrift 100 Jahre GmbHG, 1992 Kommentar zum GmbH-Gesetz, 1987 GmbHG, 3. Aufl. 2017 Herausgegeben von Römermann, 4. Aufl. 2018 Band 2: Kommanditgesellschaft, GmbH & Co. KG, Publikums-KG, Stille Gesellschaft. Herausgegeben von Gummert/Weipert, 5. Aufl. 2019; Band 3: Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Herausgegeben von Priester/ Mayer/Wicke, 5. Aufl. 2018; Band 4: Aktiengesellschaft. Herausgegeben von Hoffmann-Becking, 5. Aufl. 2020 Herausgegeben von Goette/Habersack, 4. Aufl. 2014 ff., 5. Aufl. 2019 ff. Herausgegeben von Rixecker/Säcker/Oetker, 6. Aufl. 2012 ff. Herausgegeben von Säcker/Rixecker/Oetker/ Imperg, 7. Aufl. 2015 ff., 8. Aufl. 2019 ff. Herausgegeben von Fleischer/Goette, Bd. 1: 3. Aufl. 2018, Bd. 2: 3. Aufl. 2019, Bd. 3: 3. Aufl. 2018 Herausgegeben von Karsten Schmidt, 4. Aufl. 2016 ff. Herausgegeben von Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer, 4. Aufl. 2019 ff. Herausgegeben von Krüger/Rauscher, 5. Aufl. 2016 f.
Nerlich/Römermann (Hrsg.)
Insolvenzordnung, Loseblatt
Obermüller
Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 9. Aufl. 2016
Palandt
Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 79. Aufl. 2020
Raiser/Veil Raiser/Veil/Jacobs
Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015 Kommentar zum Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 7. Aufl. 2019 Das österreichische GmbH-Recht in systematischer Darstellung, 1983; 2. Aufl., Bd. I, 1997 HGB, Kommentar, 5. Aufl. 2019
Reich-Rohrwig Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas (Hrsg.)
XIII
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis
Römermann/Wachter (Hrsg.) Roth/Altmeppen Rowedder/Schmidt-Leithoff Saenger/Inhester (Hrsg.) Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg.) Schlegelberger Schlegelberger/Quassowski A. Schmidt (Hrsg.)
GmbH-Beratung nach dem MoMiG, GmbHR-Sonderheft 2008 (Oktober) GmbHG, Kommentar, 9. Aufl. 2019; siehe auch Altmeppen Kommentar zum GmbH-Gesetz, 6. Aufl. 2017 GmbHG, Kommentar, 4. Aufl. 2020 Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017
Staudinger
Kommentar zum HGB, 5. Aufl. 1973 ff. Kommentar zum Aktiengesetz 1937, 3. Aufl. 1939 Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2019 Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002 Handelsrecht, 6. Aufl. 2014 Insolvenzordnung, Kommentar, 19. Aufl. 2016 AktG, 4. Aufl. 2020 Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016 BGB, Kommentar, 13. Aufl. 1999 ff. Großkommentar zum Handelsgesetzbuch. Herausgegeben von Canaris/Habersack/Schäfer, 5. Aufl. 2009 ff. Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2003 ff.
Tillmann/Mohr Tillmann/Schiffers/Wälzholz/ Rupp
GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020 Die GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht, 6. Aufl. 2015
Uhlenbruck Ulmer/Habersack/Löbbe
Insolvenzordnung, Kommentar, 15. Aufl. 2019 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Großkommentar. Bd. 3: 2. Aufl. 2016, siehe auch Habersack/Casper/Löbbe
Vogel
Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 1956
Wicke
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), 4. Aufl. 2020 Umwandlungsrecht, Kommentar, Loseblatt Gesellschaftsrecht, Bd. 1: Allgemeine Grundlagen, 1980, Bd. 2: Recht der Personengesellschaften, 2004 Frankfurter Kommentar zur InsO, 9. Aufl. 2018 Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2016 Kommentar zum GmbHG (Österreich), 1988 Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl. 1981
Karsten Schmidt Karsten Schmidt Karsten Schmidt (Hrsg.) Karsten Schmidt/Lutter (Hrsg.) Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.) Soergel Staub
Widmann/Mayer Wiedemann Wimmer (Hrsg.) Wißmann/Kleinsorge/Schubert Wünsch Würdinger Zöller
XIV
Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. abl. ABl. EG/EU Abs. Abschn. Abt. abw. AbzG AC AcP ADHGB a.E. AEUV a.F. AFG AG AGB AGG AktG allg. M. Alt. a.M. AnfG AngKSchG Anh. Anl. Anm. AnwBl. AO AöR AP APAReG APAS ApoG ApSL ArbG ArbGG ArbN ArbNErfG ArbZG AReG arg. Art. art. ARUG AT
anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften/Union Absatz Abschnitt Abteilung abweichend Abzahlungsgesetz Adler-Clemens, Sammlung handelsrechtlicher Entscheidungen (Österreich) Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift); Aktiengesellschaft; Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Aktiengesetz allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Anfechtungsgesetz Angestellten-Kündigungsschutzgesetz Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz Abschlussprüferaufsichtsstelle Gesetz über das Apothekenwesen Lov Nr. 371a 13.6.1973 om anpartsseleskaber Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitnehmer Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeitszeitgesetz Abschlussprüfungsreformgesetz argumentum Artikel article Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Allgemeiner Teil XV
Abkürzungsverzeichnis
AtomG AÜG AufenthG Aufl. AuR AuslG AVG AWD AWG AWV Az. AZO BABl. BadNotZ BadWürttVGH BÄO BAFA BaFin BAG BAGE BankArch BAnz. BAnzDiG
BauersZ BauR BausparkG BAV BayObLG BayObLGSt. BayObLGZ BayVerfGH BB BBankG BBergG BBG Bd. BDSG BeckOK BEEG Begr. Begr. RegE Beil. BerDGesVölkR BetrAV XVI
Atomgesetz Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet Auflage Arbeit und Recht Ausländergesetz Angestelltenversicherungsgesetz Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftsverordnung Aktenzeichen Arbeitszeitordnung Bundesarbeitsblatt Badische Notariatszeitschrift Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Bundesärzteordnung Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bank-Archiv Bundesanzeiger Gesetz zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der Zivilprozessordnung, des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabeordnung Der Handelsgesellschafter, hrsg. von Bauer Baurecht Bausparkassengesetz Die Betriebliche Altersversorgung, Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Bayerischer Verfassungsgerichtshof Betriebs-Berater Gesetz über die Deutsche Bundesbank Bundesberggesetz Bundesbeamtengesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Beck’scher Online-Kommentar Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Begründung Begründung zum Regierungsentwurf Beilage Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Betriebliche Altersversorgung
Abkürzungsverzeichnis
BetrAVG BetrVG BeurkG BewG BfA BFH BFHE BFH/NV BFuP BGB BGBl. BGH BGHSt. BGHZ BGleiNRG BilKoG BilKomm. BilMoG BilReG BilRUG BImSchG BiRiLiG BKK BKR BlfG BlStSozArbR BMF BMJV BNotO BörsZulVO BR BRAK-Mitt. BRAO BR-Drucks. BRRG BSG BSGE BStBl. BT-Drucks. BürgA BUrlG BUV BuW BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW
Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Beurkundungsgesetz Bewertungsgesetz Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Bilanzkontrollgesetz Bilanz-Kommentar Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bilanzrechtsreformgesetz Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Bundesimmissionsschutzgesetz Bilanzrichtliniengesetz Die Betriebskrankenkasse Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Blätter für Genossenschaftswesen Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesnotarordnung Börsenzulassungs-Verordnung Bundesrat Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Archiv für Bürgerliches Recht Bundesurlaubsgesetz Betriebs- und Unternehmensverfassung Betrieb und Wirtschaft Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Burgerlijk wetboek XVII
Abkürzungsverzeichnis
BWNotZ BZRG
Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg Bundeszentralregistergesetz
Cc CCZ CFL c.i.c. Cod. civ. Cod. com. COMI Cornell L.Rev. COVInsAG
Code civil Corporate Compliance Zeitschrift Corporate Finance law (Zeitschrift) culpa in contrahendo Codice civile Code de Commerce center of main interest Cornell Law Review Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Computer und Recht Corporate Social Responsibility CSR-Richtlinienumsetzungsgesetz
COVMG CR CSR CSR-RUG DAV DB DBW DCGK Décr. DepotG DGVZ DGWR DIHT Diss. DJ DJT DJZ DNotI DNotI-Report DNotV DNotZ D&O DR DrittelbG DRiZ DRpfl. DRZ DStR DStZ DurchfVO DVBl. DZWIR/DZWiR
XVIII
Deutscher Anwaltverein Der Betrieb Die Betriebswirtschaft Deutscher Corporate Governance Codex Décret Depot-Gesetz Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht Deutscher Industrie- und Handelstag Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Deutsches Notarinstitut Informationsdienst des Deutschen Notarinstituts Zeitschrift des Deutschen Notarvereins Deutsche Notarzeitschrift Directors and Officers Deutsches Recht (1939–1945) Drittelbeteiligungsgesetz Deutsche Richterzeitung Der deutsche Rechtspfleger Deutsche Rechtszeitschrift (1946–1950) Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuer-Zeitung Durchführungsverordnung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht; ab 1999: Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht
Abkürzungsverzeichnis
E EBLR EBOR ecolex EFG EFTA EFZG EG EGAktG EGBGB EGGmbHG EGHGB EGInsO E-GmbHG EGR EG-VO EHUG EinfG Einl. EinzelhG EKV EO EPG ErbbauRG ErbR ErbStG ErbStR ErbStRG ErfK Erg. Erg.-Band Erl. EStB EStG EStR ESUG EU EU-APrRiLi
EU-APrVO
EuGH EuGHE EuGRZ
Entwurf European Business Law Review (Zeitschrift) European Business Organization Law Review Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Association Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft; Einführungsgesetz; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Entwurf zum GmbHG Entscheidungssammlung Gewerblicher Rechtsschutz Verordnung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister Einführungsgesetz Einleitung Einzelhandelsgesetz Europäische Kooperationsvereinigung Exekutionsordnung (Österreich) Europäische Privatgesellschaft Gesetz über das Erbbaurecht Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Erbschaftsteuer-Richtlinien Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Ergebnis/Ergänzung Ergänzungsband Erläuterung(en) Ertrag-Steuerberater Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Richtlinien Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen Europäische Union Richtlinie 2014/56/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen Verordnung (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse und zur Aufhebung des Beschlusses 2005/909/EG der Kommission Europäischer Gerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäische Grundrechte-Zeitschrift
XIX
Abkürzungsverzeichnis
EuGVVO EuInsVO EuR EuroEG EuZW e.V. EvBl. EWG EWGV EWiR EWIV EWIVG EWR EWRA EWS f., ff. FamFG FamRZ FAZ Festg. FG FGG FGO FGPrax FiMaNoG (2.) FKVO FMStBG
Fn. FR FRUG FS FüPoG I FüPoG II
G GA GBl. GBO XX
Europäische Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Insolvenzverordnung Europarecht Euro-Einführungsgesetz Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (Beilage zur ÖJZ) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Gesetz über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Festgabe Finanzgericht; Freiwillige Gerichtsbarkeit Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Zweites Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz) Fusionskontrollverordnung Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ (Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz) Fußnote Finanz-Rundschau Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz Festschrift Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Zweites Führungspositionen-Gesetz) Gesetz Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gesetzblatt Grundbuchordnung
Abkürzungsverzeichnis
GbR, GdbR GBVfg. GebrMG GenG GeschäftsO GeschGehG GeschmMG GesLV GesO GesR GesRGenRCOVMVV GesRZ GewA GewO GewStG GewStR GG ggf. GK GKG gl. M. GlTeilhG GmbH GmbHÄndG, ÄndG GmbHG GmbHR GmbHRspr. GmbH-StB GmS-OGB GNotKG GoB GoltdArch GPR grdl./grdlg. grds. GrErwStG, GrEStG Großkomm. Gruch. GrundbuchR GrünhutsZ GRUR GS
Gesellschaft des bürgerlichen Rechts Allgemeine Verfügung über die Einrichtung und Führung des Grundbuchs Gebrauchsmustergesetz Genossenschaftsgesetz Geschäftsordnung Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Geschmacksmustergesetz Gesellschafterlistenverordnung Gesamtvollstreckungsordnung Gesellschaftsrecht Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Der Gesellschafter, Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Österreich) Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gerichtskostengesetz gleicher Meinung Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften vom 4.7.1980 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Die GmbH in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte GmbH-Steuerberater Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union grundlegend grundsätzlich Grunderwerbsteuergesetz Großkommentar Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Grundbuchrecht Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, begründet von Grünhut Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Der Gerichtssaal (Zeitschrift) XXI
Abkürzungsverzeichnis
GStB GüKG GuV GVBl. GVG GVGA GWB GwG GWR
Gestaltende Steuerberatung Güterkraftverkehrsgesetz Gewinn- und Verlustrechnung Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Geldwäschegesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht
h.A. HandelsR HandwO HansGRZ HansOLG Hdb. HdJ HdU HGB h.L. h.M. Holdh., HoldheimsMS
HWB
herrschende Ansicht Handelsrecht Handwerksordnung Hanseatische Gerichtszeitung Hanseatisches Oberlandesgericht Handbuch Handbuch des Jahresabschlusses Handbuch der Unternehmensbesteuerungen Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Monatszeitschrift für Handelsrecht und Bergwesen, begr. von Holdheim Handelsrechtsreformgesetz Handelsregister Handelsregistergebühren-Neuordnungsgesetz Verordnung über das Handelsregister Handelsregisterverfügung Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber Handelsregisterverordnung Handelsrechtliche Entscheidungen, begr. v. Stanzl, hrsg. v. Steiner (Österreich) Handwörterbuch
IAS i.d.F. i.d.R. IdW i.E. i.e.S. IFRS IHK InsO InsR.Hdb. IntGesR InvG InVo IPG IPR IPRax
International Accounting Standard in der Fassung in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer im Ergebnis im engeren Sinne International Financial Reporting Standards Industrie- und Handelskammer Insolvenzordnung Insolvenzrechts-Handbuch Internationales Gesellschaftsrecht Investmentgesetz Insolvenz und Vollstreckung Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts
HRefG HReg HRegGebNeuOG HRegV HRegVfg. HRR Hrsg. HRV HS
XXII
Abkürzungsverzeichnis
IPRspr. i.S. i.V.m. IWRZ JA JB JbFfSt. Jb.Int.R. JBl. J. B. L. JFG JherJB JKomG JMBlNRW JöR JR JStG Jura JurA JurBl. JurBüro jurisPR-InsR JurP JuS JVEG JW JZ KAGB Kap. KapAEG KapCoRiLiG KapErhG KapGes. KapGesR KartG(er) KartRdsch. KfW KG KGaA KGBl. KGJ KO KölnKomm. KonsG KonTraG KoordG KostO
Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts im Sinne in Verbindung mit Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Jahrbuch für internationales Recht Justizblatt; Juristische Blätter (Österreich) Journal of Business Law Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Jherings Jahrbücher der Dogmatik des Bürgerlichen Rechts Justizkommunikationsgesetz Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau Jahressteuergesetz Juristische Ausbildung Juristische Analysen Juristische Blätter Das Juristische Büro Juris PraxisReport Insolvenzrecht Juristische Person Juristische Schulung Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitalanlagegesetzbuch Kapitel Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz Kapitalerhöhungsgesetz Kapitalgesellschaft Kapitalgesellschaftsrecht Kartellgericht Kartell-Rundschau Kreditanstalt für Wiederaufbau Kammergericht; Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit Konkursordnung Kölner Kommentar Konsulargesetz Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Koordinierungsgesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien Kostenordnung XXIII
Abkürzungsverzeichnis
KostRMoG krit. KSchG KStDV KStG KStR KSzW KTS KVStDV KVStG KWG
Kostenrechtsmodernisierungsgesetz kritisch Kündigungsschutzgesetz Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Richtlinien Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kapitalverkehrsteuer-Durchführungsverordnung Kapitalverkehrsteuergesetz Kreditwesengesetz
LAG LBO L.Coord. Lfg. LFGB LG lit. Lit. LK LLC LM/LMK LöschG LSC
Landesarbeitsgericht Leveraged Buy-Out Lois coordonnées par arrêté royal d. 30.12.1935 (Belgien) Lieferung Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht Buchstabe(n) Literatur Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Limited Liability Company Lindenmaier-Möhring (Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs) Löschungsgesetz Loi no. 66–537 d. 24.7.1966 sur les sociétés commerciales (Frankreich) Loi d. 10.8.1915 concernant les sociétés commerciales (Luxemburg) Landessozialgericht linke Spalte laut Limited Luftverkehrsgesetz
LSC lux. LSG l.Sp. lt. Ltd. LuftverkehrsG, LuftVG LZ MarkenG m.a.W. MDR MgVG MitbestErgG MitbestG MittBayNot MittRhNotK MMR m.N. MoMiG MontanMitbestErgG MontanMitbestG XXIV
Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung Mitbestimmungsergänzungsgesetz Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Multimedia und Recht mit Nachweisen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz Montanmitbestimmungsgesetz
Abkürzungsverzeichnis
MoPeG MünchHdb. MünchKomm. MuW m.w.N.
Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts Münchener Handbuch Münchener Kommentar Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen
Nachw. NB N. B. W. NdsRpfl. n.F. NJOZ NJW NJWE-WettbR NJW-RR NotBZ NotVORPräs. Nr. NStZ NWB NZ NZA NZA-RR NZG NZI NZKart NZM NZS NZWist
Nachweis(e) Neue Betriebswirtschaft Nieuw Burgerlijk Wetboek Niedersächsische Rechtspflege Neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht Rechtsprechungsreport der Neuen Juristischen Wochenschrift Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Notverordnung des Reichspräsidenten Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Wirtschafts-Briefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Notariatszeitung (Österreich) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Rechtsprechungsreport Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Kartellrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht
öABGB öAktG öBankArch ÖBl.
österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch österreichisches Aktiengesetz österreichisches bank-Archiv Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 6.3.1906 (Österreich) Österreichische Juristen-Zeitung Österreichischer Oberster Gerichtshof Österreichische Steuerzeitung österreichischer Verwaltungsgerichtshof Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Oberfinanzdirektion (Österreichischer) Oberster Gerichtshof; auch Oberster Gerichtshof für die britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone in Zivilsachen Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht
öGmbHG ÖJZ ÖstOHG ÖstZ öVwGH ÖZW OFD OGH OGHZ OHG OLG
XXV
Abkürzungsverzeichnis
OLGE/OLGR
OR OstEuR OVG OWiG
Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Zivilrechts OLG-Rechtsprechung Neue Länder Entscheidungen des Oberlandesgerichts in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Schweizerisches Obligationenrecht Osteuropa-Recht (Zeitschrift) Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
PartGG PatAnwO PatG PharmaZ PrOVG PSV PublG PVV
Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe Patentanwaltsordnung Patentgesetz Pharma-Zeitschrift Preußisches Oberverwaltungsgericht Pensionssicherungsverein Publizitätsgesetz Positive Vertragsverletzung
RabelsZ
Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begr. v. Rabel Reichsarbeitsgericht; Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Randnummer Recht der Wirtschaft Das Recht, Rundschau für den deutschen Juristenbund Referentenentwurf Regierungsentwurf revidiert Revue Internationale de Droit Comparé Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft Reichsjustizministerium Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts rechtskräftig Richtlinie Rheinische Notar-Zeitschrift Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Der Deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift) Rechtspflegergesetz
OLG-NL OLGZ
RAG RBerG RdA Rdnr. RdW Recht RefE RegE rev. Rev. Int. Dr. Comp. RFH RFHE RG RGBl. RGSt. RGZ RIW RJ RJA rkr. RL RNotZ ROM I-VO ROM II-VO Rpfleger RPflG XXVI
Abkürzungsverzeichnis
r.Sp. Rspr. RStBl. RWP RZ
rechte Spalte Rechtsprechung Reichssteuerblatt Kartei der Rechts- und Wirtschaftspraxis (österreichische) Richterzeitung
S. s. SächsA SAE SAG SanInsFoG SARL ScheckG, SchG sched. SchiedsVZ SchlHA SchwerbehG Schw. Jb. Int. R. SchwZStrafR SE SeuffArch., SeuffA
Seite siehe Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Die Schweizerische Aktiengesellschaft Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz Société à responsabilité limitée Scheckgesetz schedule Zeitschrift für Schiedsverfahren Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schwerbehindertengesetz Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Societas Europaea; Europäische Gesellschaft Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Süddeutsche Juristenzeitung; Schweizerische Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Sammlung Spalte Societas Privata Europaea (Europäische Privatgesellschaft) Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren Sociedad de Responsabilidad Limitada salve statuto = vorbehaltlich anderer Regelung im Gesellschaftsvertrag Steueranpassungsgesetz Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz Steuerberatungsgesetz Steuerberater-Jahrbuch Die steuerliche Betriebsprüfung Steuerentlastungsgesetz Stille Gesellschaft Strafgesetzbuch Strafprozessordnung strittig Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Steuerrechtsprechung in Karteiform Ständige Rechtsprechung Strafverteidiger Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg Steuer und Wirtschaft Straßenverkehrsgesetz
SGb. SGB SGG SJZ SK Slg. Sp. SPE SpruchG SRL s. stat. StAnpG StaRUG StBerG StbJb. StBp. StEntlG StG StGB StPO str. StrEG StRK st. Rspr. StrVert StudZR StuW StVG
XXVII
Abkürzungsverzeichnis
SUP SZ
Societas Unius Personae Entscheidungen des OHG in Zivilsachen
TEHG TransPuG TreuhG, TreuhandG TVG tw. TzBfG
Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz Transparenz- und Publizitätsgesetz Treuhandgesetz Tarifvertragsgesetz teilweise Teilzeit- und Befristungsgesetz
UAbs. Ubg U.C.C. U.Chi.L.Rev. UG UGB UMAG
Unterabsatz Die Unternehmensbesteuerung Uniform Commercial Code University of Chicago Law Review Unternehmergesellschaft Unternehmensgesetzbuch (Österreich) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes Umwandlungssteuergesetz unstreitig Umsatzsteuer-Rundschau Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz Urheberrechtsgesetz Umsatzsteuergesetz Unternehmensteuerreformgesetz University of Toronto Law Journal unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
UmwG UmwGÄndG UmwStG unstr. UR UrhDaG UrhG UStG UStRG U Tor L.J. u.U. UWG VAG Var. VerBAV VereinsG Verf. VermBG VerschmG VerschmRiLiG VersR VerwGG VerwR vGA VGH vgl. VglO VGR v.H. VkBkmG VO vs. XXVIII
Versicherungsaufsichtsgesetz Variante Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Vereinsgesetz Verfasser Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer Verschmelzungsgesetz Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz Versicherungsrecht Verwaltungsgerichtsgesetz Verwaltungsrecht verdeckte Gewinnausschüttung Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergleichsordnung Gesellschaftsrechtliche Vereinigung von Hundert Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetz Verordnung versus
Abkürzungsverzeichnis
VVaG VVG VwGO VwVfG VZS
Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Vereinigte Zivilsenate
WährG WarnR, WarnRspr.
WvK WZG
Währungsgesetz Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, hrsg. von Warneyer Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) Wet Formeel Buitenlandse Vennootschappen (Niederlande) Wechselgesetz Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Wirtschaft und Recht in Osteuropa Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wertpapier-Mitteilungen Die Wirtschaftsprüfung Gesetz über den Wertpapierhandel Wirtschaftsprüferordnung Wettbewerb in Recht und Praxis Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungssammlung zum Kartellrecht Wetboek van Koophandel (Niederlande) Warenzeichengesetz
Yale L.J.
Yale Law Journal
ZAkDR z.B. ZBB ZBH ZErb ZEuP ZEV ZfA ZfB ZfgG, ZgesGenW ZfPW ZfRV
Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Rechtsvergleichung, internationales Privatrecht und Europarecht Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht
WBl. WFBV WG WGG WHG WiB WiRO wistra WM WPg WpHG WPO WRP WuB WuM WuW WuW/E
ZGB ZGR ZGS ZgS ZHR Ziff. ZInsO
XXIX
Abkürzungsverzeichnis
ZIP ZLR ZMR ZNotP ZPO ZRP ZRvgl ZSR ZStW zust. zutr. ZVglRWiss ZWeR ZWH ZZP
XXX
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für die Notar-Praxis Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft zustimmend zutreffend Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Wettbewerbsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen Zeitschrift für Zivilprozess
Dritter Abschnitt Vertretung und Geschäftsführung
§ 35 Vertretung der Gesellschaft (1) Die Gesellschaft wird durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Hat eine Gesellschaft keinen Geschäftsführer (Führungslosigkeit), wird die Gesellschaft für den Fall, dass ihr gegenüber Willenserklärungen abgegeben oder Schriftstücke zugestellt werden, durch die Gesellschafter vertreten. (2) Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, sind sie alle nur gemeinschaftlich zur Vertretung der Gesellschaft befugt, es sei denn, dass der Gesellschaftsvertrag etwas anderes bestimmt. Ist der Gesellschaft gegenüber eine Willenserklärung abzugeben, genügt die Abgabe gegenüber einem Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1. An die Vertreter der Gesellschaft nach Absatz 1 können unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke für die Gesellschaft zugestellt werden. Unabhängig hiervon können die Abgabe und die Zustellung auch unter der eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person nach § 10 Abs. 2 Satz 2 erfolgen. (3) Befinden sich alle Geschäftsanteile der Gesellschaft in der Hand eines Gesellschafters oder daneben in der Hand der Gesellschaft und ist er zugleich deren alleiniger Geschäftsführer, so ist auf seine Rechtsgeschäfte mit der Gesellschaft § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs anzuwenden. Rechtsgeschäfte zwischen ihm und der von ihm vertretenen Gesellschaft sind, auch wenn er nicht alleiniger Geschäftsführer ist, unverzüglich nach ihrer Vornahme in eine Niederschrift aufzunehmen. Abs. 4 angefügt durch die GmbH-Novelle von 1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 4 Satz 2 (jetzt Abs. 3 Satz 2) angefügt durch Gesetz vom 18.12.1991 (BGBl. I 1991, 2206); Abs. 1 Satz 2 angefügt, Abs. 2 neu gefasst, Abs. 3 aufgehoben, bisheriger Abs. 4 wird Abs. 3 mit Wirkung vom 1.11.2008 durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. Vertretung und Geschäftsführung bei der GmbH 1. Der Inhalt der §§ 35 bis 52 . . . . . . . . . 2. Die Organe der GmbH . . . . . . . . . . . . 3. Die nicht mitbestimmte GmbH a) Die Grundform der GmbH . . . . . . . b) Sonderformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . . 5. Die GmbH als Konzernunternehmen II. Der Geschäftsführer als notwendiges Handlungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Zuständigkeiten . . . . . . . . . . . . . . 2. Kein Ausschluss und keine Übertragbarkeit der Befugnisse . . . . . . . . . . . . . 3. Prokura, Handlungsvollmacht, Generalvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der Geschäftsführer als Vertretungsorgan 1. Organschaftliche Vertretungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 4 5 7 9 10 11 14 17
23
2. Erkennbares Handeln für die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt, Umfang und Grenzen der Vertretungsmacht a) Der Grundsatz der Unbeschränktheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsgeschäfte mit Gesellschaftern und Konzernunternehmen . . . . . . . d) Rechtsgeschäfte mit den Geschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsgeschäfte mit den Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Erteilung von Prokura und Handlungsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ausübung von Beteiligungsrechten h) Verpflichtung zur Satzungsänderung und über Organrechte . . . . . . i) Einzahlung und Einlagen . . . . . . . . j) Genehmigung der Anteilsabtretung
24a
25 26 28 33 39 40 41 45 51 52
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 1
§ 35 | Vertretung der GmbH k) Gründung von Gesellschaften, Anteilserwerb, Genussscheine . . . . . . . l) Unternehmens- und Fusionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vertretung durch mehrere Personen 1. Gesetzliche Regel a) Aktivvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Passivvertretung (§ 35 Abs. 2 Sätze 2 bis 4) aa) Zustellung an inländische Geschäftsanschrift . . . . . . . . . . . bb) Passivvertretung durch empfangsberechtigte Person . . . . . . . c) Passivvertretung bei Fehlen von Geschäftsführern (§ 35 Abs. 1 Satz 2) aa) Frühere Rechtslage . . . . . . . . . . . bb) Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Legaldefinition der Führungslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Nur Passivvertretung . . . . . . . . . ee) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Zustellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausübung der Gesamtvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Teilerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abweichende Regelungen der Vertretungsform a) In der Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durch Gesellschaftsorgan . . . . . . . . c) Einzelvertretung und Mischformen d) Die gemischte Gesamtvertretung/ unechte Gesamtvertretung . . . . . . . e) Die gemischte Gesamtprokura . . . . f) Verhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Das Fehlen der in der Satzung vorgesehenen Zahl von Geschäftsführern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wissenszurechnung und Irrtum 1. Wissen von Geschäftsführern . . . . . . 2. Ausgeschiedene Organmitglieder . . . 3. Wissenszurechnung im Konzern . . . . VI. Selbstkontrahieren und Mehrfachvertretung 1. Der Zweck des Verbots und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterbevollmächtigter und Prokurist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesamtvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausnahmen a) Erfüllungsgeschäft . . . . . . . . . . . . . .
2 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
55 58
59
60 65
69 70 73 77 79 87 91 92 93 97
103 104 107 111 114 117 118 121 131 132
133 135 139 140 141
b) Lediglich rechtlicher Vorteil . . . . . . c) Gestattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Selbstkontrahieren des alleingeschäftsführenden Alleingesellschafters a) Die Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . b) Der Gesetzeszweck . . . . . . . . . . . . . . c) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vertretung bei Verhinderung . . . . . f) Befreiung von den Beschränkungen g) Anstellungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . 7. Eintragung im Handelsregister . . . . . 8. Konzerninterne Rechtsgeschäfte a) Mehrfachvertretung . . . . . . . . . . . . . b) 100 % Tochtergesellschaft . . . . . . . . 9. Die nachträgliche Bestellung mehrerer Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . 10. Die mitbestimmte GmbH . . . . . . . . . 11. Niederschrift bei Selbstkontrahieren in Einmann-GmbH . . . . . . . . . . . . . . . VII. Missbrauch der Vertretungsbefugnis 1. Arglistiges Zusammenwirken . . . . . . 2. Verletzung interner Beschränkungen ohne Schädigung . . . . . . . . . . . . . 3. Bewusstes Handeln zum Nachteil der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die Vertretung im Prozess . . . . . . . . . IX. Die Vertretung gegenüber Behörden X. Zur Form der Zeichnung (§ 35 Abs. 3 a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Das Anstellungsverhältnis – Allgemeines (Hohenstatt) 1. Verhältnis von Organstellung und Anstellungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anstellungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . b) Regelung in der Satzung . . . . . . . . . c) Fehlen von Regelung in Satzung oder Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche Einordnung (Rechtsnatur) des Anstellungsvertrages . . . . . . a) Nationales Recht aa) Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Arbeits- oder Dienstvertrag . . . cc) Arbeitnehmerähnliche Person . b) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Autonome unionsrechtliche Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verweis auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . .
142 143
147 149 152 155 157 162 168 171 174 175 178 180 183 187 188 190 194 200 201 202 215 216
251 253 254 255 258 259 260 261 273 276 277 278
Vertretung der GmbH | § 35 cc) Maßgeblichkeit eines unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusätzliches oder früheres Arbeitsverhältnis mit der GmbH . . . . . . . . . . 5. Anstellungsverhältnis im Konzern . . 6. Anstellungsverhältnis in der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Abschluss und Änderung des Anstellungsvertrages 1. Verhältnis zu Satzung und Gesetz . . a) Anstellungsvertrag und zwingendes Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . b) Anstellungsvertrag mit satzungsdurchbrechender Regelung . . . . . . . c) Anstellungsvertrag und dispositives Gesetzesrecht . . . . . . . . . . . . . . . d) Regelungen zur Konkretisierung der Satzung oder gesetzlicher Organisationsnormen . . . . . . . . . . . e) Verpflichtung zur Bestellung . . . . . . 2. Parteien a) Gesellschaft als Vertragspartner . . . b) Anstellungsvertrag mit Dritten . . . . 3. Zuständigkeit/Vertretung a) Zuständigkeit in der nicht mitbestimmten GmbH aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorwirkende und nachwirkende Zuständigkeit und Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Abweichende Regelung in der Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuständigkeit in der mitbestimmten GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bedeutung des AGG für den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag a) Persönlicher Anwendungsbereich . b) Sachlicher Anwendungsbereich aa) § 6 Abs. 3 AGG . . . . . . . . . . . . . bb) § 6 Abs. 1 AGG . . . . . . . . . . . . . c) Benachteiligung und Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Positive Maßnahmen, § 5 AGG bb) Ungleichbehandlung wegen beruflicher Anforderungen, § 8 AGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ungleichbehandlung wegen des Alters . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anwendbarkeit von § 22 AGG . . . . 7. Fehlerhafter Anstellungsvertrag . . . .
286 295 297 301
311 312 313 320 322 323 324 325
328 332 333 334 338 340
343 344 347 348 349 350 351 359 361 363
XIII. Inhalt des Anstellungsvertrages 1. Vergütung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Angemessenheit; analoge Anwendung von § 87 AktG . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten der Vergütung der Gesellschafter-Geschäftsführer . . . . d) Vergütungsformen aa) Festvergütung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tantieme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bonuszahlungen aufgrund Zielvereinbarung . . . . . . . . . . . . dd) Gratifikationen . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnisabhängige Vorzugsdividende und (anwachsende) Beteiligung des GesellschafterGeschäftsführers . . . . . . . . . . . . e) Vergütung bei vorübergehender Verhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Anpassung der Vergütung, insb. in der Krise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Abtretung, Pfändung, Verjährung . 2. Auslagenersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Urlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ruhegehaltsanspruch (Betriebliche Altersversorgung) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendbarkeit des BetrAVG aa) Persönlicher Geltungsbereich . . bb) Sachlicher Geltungsbereich . . . cc) Abdingbarkeit der Regelungen des BetrAVG . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unverfallbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abfindung von Versorgungsanwartschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anpassung von Versorgungsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Anrechnung anderweitiger Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Kürzung oder Widerruf der Versorgung; Aufrechnung aa) Wirtschaftliche Notlage . . . . . . bb) Schwere Pflichtverletzung . . . . . h) Steuerliche Anerkennung der Versorgungszusage . . . . . . . . . . . . . . 6. Beschäftigungsanspruch; Suspendierung; Annahmeverzug . . . . . . . . . . 7. Kreditgewährung an den Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Leistungsstörungen a) Dienstverhinderung aa) Nicht zu vertretende Dienstverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
371 372 374 378 379 384 385
386 388 389 393 396 400 401
402 405 410 412 413 416 417 419 422 424 428 430 434
435
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 3
§ 35 | Vertretung der GmbH bb) Zu vertretende Dienstverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Annahmeverzug der Gesellschaft . . c) Betriebsrisiko der Gesellschaft . . . . d) Schlechtleistung . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Beendigung des Anstellungsverhältnisses 1. Allgemeines a) Beendigungsmöglichkeiten . . . . . . . b) Zuständigkeit für die Beendigung aa) Vertragliche Aufhebung . . . . . . bb) Kündigung durch die GmbH . . cc) Kündigung durch den Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . c) Form der Beendigung . . . . . . . . . . . 2. Vertragliche Verknüpfung mit der Beendigung des Organverhältnisses: Koppelungsvereinbarungen . . . . . . . . 3. Befristung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ordentliche Kündigung a) Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung vor Dienstantritt . . . . . c) Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Außerordentliche Kündigung a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erfordernis einer Abmahnung? . . . c) Wichtige Gründe für die Kündigung durch die GmbH . . . . . . . . . . . aa) Schädigung der Gesellschaft durch pflichtwidrige Geschäftsführungsentscheidungen . . . . . . bb) Korruption, Unterschlagung oder anderweitiger finanzieller Eigennutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verstoß gegen zentrale rechtliche Verpflichtungen . . . . . . . . dd) Verstoß gegen Bilanzierungsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Verbotene Wettbewerbstätigkeit bzw. Nebentätigkeiten . . . . ff) Verstoß gegen Weisungen der Gesellschafter bzw. Berichtspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zerstörung des Vertrauens zu den Gesellschaftern . . . . . . . . . .
437 438 445 446 447
455 456 457 460 461
462 467 471 475 476 486 487 490 493 494 495 496 497 498 499
hh) Pflichtwidrige Niederlegung des Geschäftsführeramtes bzw. Vorenthaltung der Arbeitsleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ii) Pflichtverstöße bei der Führung und im Umgang mit Mitarbeitern . . . . . . . . . . . . . . . . jj) Schädigendes außerdienstliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . d) Nicht ausreichende Gründe für die Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Besonderheiten der Verdachtskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Gründe für die Kündigung durch den Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . aa) Vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verlust der Amtsstellung bzw. Bedeutungsverlust bei Umwandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . g) Vereinbarung wichtiger Gründe . . . h) Interessenabwägung . . . . . . . . . . . . . i) Frist, Fristbeginn, Kenntnis . . . . . . j) Nachschieben von Kündigungsgründen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . k) Umdeutung in eine ordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anwendbarkeit besonderer Kündigungsschutzvorschriften a) Schwerbehinderte . . . . . . . . . . . . . . . b) Besonderer Kündigungsschutz bei Schwangerschaft; Mutterschutz . . . 7. Folgen der Beendigung . . . . . . . . . . . . a) Pflichten des Geschäftsführers nach Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansprüche des Geschäftsführers nach Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . XV. Sozialversicherungspflicht des Geschäftsführers . . . . . . . . . . . . . . . . . XVI. Geschäftsführer in der Insolvenz 1. Kündigung des Dienstvertrages; Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gehaltsanspruch des Geschäftsführers als Insolvenzforderung . . . . . . . . 3. Insolvenzgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Insolvenzschutz des Ruhegehalts . . . XVII. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
500 501 502 503 504 505 506 508 515 516 519 525 529
530 531 535 537 538 545
548 556 557 558 562
Schrifttum zur Rechtsstellung des Geschäftsführers: Altmeppen, Verbandshaftung kraft Wissenszurechnung am Beispiel des Unternehmenskaufs, BB 1999, 749; Bauer, Abhängige GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 1981, 16; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987; Böhringer, Das neue GmbH-Recht in der Notarpraxis, BWNotZ 2008, 104; Brand, Der Organbesitz, 2015; Buß, Der letzte gesamtvertretungsberechtigte GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 2002, 374; Ellers, Die Zurechnung von Gesellschafterwissen an die GmbH – insbesondere beim gutgläubigen Erwerb eines Sacheinlagegegenstands, GmbHR
4 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | § 35 2004, 934; Fleischer, Reichweite und Grenzen der unbeschränkten Organvertretungsmacht im Kapitalgesellschaftsrecht, NZG 2005, 529; Ganssmüller, Schaden des Gesellschafter-Geschäftsführers – insbesondere der Einmann-GmbH, GmbHR 1977, 265; Gaul, Erfordernisse und Wirkungen einer Aufgabendelegation für den GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 1979, 25; Gehrlein, Der aktuelle Stand des neuen GmbH-Rechts, Der Konzern 2007, 771; Herrler/König, Aktuelle Praxisfragen zur GmbH-Gründung im vereinfachten Verfahren (Musterprotokoll), DStR 2010, 2138; Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020; Joost, Die Parteirolle der personalistischen GmbH und ihrer Gesellschafter bei gesellschaftsinternen Klagen, ZGR 1984, 7; Jula, Der GmbH-Geschäftsführer, 4. Aufl. 2012; Katschinski/Rawert, Stangenware versus Maßanzug – Vertragsgestaltung im GmbH-Recht nach Inkrafttreten des MoMiG, ZIP 2008, 1993; Kindler, Grundzüge des neuen Kapitalgesellschaftsrechts – Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), NJW 2008, 3249; Kruck, Tote Kapitalgesellschaften im Handelsregister, ZIP 2011, 1550; Lips/ Randel/Werwigk, Das neue GmbH-Recht – Ein Überblick, DStR 2008, 2220; Mackenroth, Die GmbHReform: Kampf den Firmenbestattern!, NJ 2009, 1; Miras, Die bisherige Rechtsprechung zur Unternehmergesellschaft – Eine kritische Analyse, DB 2010, 2488; Nietsch, Die Zustellung der Anfechtungsklage des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2004, 1518; Ries, Muster ohne Wert?, NZG 2009, 739; Schmahl, Subsidiäres Insolvenzantragsrecht bei führungslosen juristischen Personen nach dem Regierungsentwurf des MoMiG, NZI 2008, 6; Karsten Schmidt, GmbH-Reform auf Kosten der Geschäftsführer?, GmbHR 2008, 449; Karsten Schmidt, Vom Sonderrecht der „führungslosen GmbH“ zur subsidiären Selbstorganschaft? – Überlegungen im Anschluss an das MoMiG, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 157; Karsten Schmidt, GmbH-Reform, Solvenzgewährleistung und Insolvenzpraxis, GmbHR 2007, 1; Schmitz, Die Vernehmung des GmbH-Geschäftsführers im Zivilprozess, GmbHR 2000, 1140; Uwe H. Schneider, Die Geschäftsordnung der GmbH-Geschäftsführer, in FS Mühl, 1981, S. 633; Uwe H. Schneider, Die Zweimann-GmbH, in FS Kellermann, 1991, S. 403; Scholz, Missbrauch der Vertretungsmacht durch Gesellschafter-Geschäftsführer, ZHR 182 (2018), 656; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007; Schwarz, Die Gesamtvertreterermächtigung, NZG 2001, 529; Servatius, Zur Eintragung organschaftlicher Vertretungsmacht ins Handelsregister, NZG 2002, 456; Spie/Pisker, Der Geschäftsbereich des Arbeitsdirektors, 1982; Stein, Wer ist Gesellschafter der führungslosen GmbH?, in FS HoffmannBecking, 2013, S. 1207; Tebben, Die Reform der GmbH – das MoMiG in der notariellen Praxis, RNotZ 2008, 441; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970; Theisen, Eigengeschäfte des Gesellschafter-Geschäftsführers, GmbHR 1981, 295; Tillmann/Mohr, GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020; van Venrooy, Widersprüchliche Ausübung des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts durch mehrere GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 2001, 7; Wedemann, Die Übergangsbestimmungen des MoMiG – was müssen bestehende GmbHs beachten?, GmbHR 2008, 1131. Schrifttum zur Stellung des Geschäftsführers in der mitbestimmten GmbH: Ballerstedt, Das Mitbestimmungsgesetz zwischen Gesellschafts-, Arbeits- und Unternehmensrecht, ZGR 1977, 133; Baumann, GmbH und Mitbestimmung, ZHR 142 (1978), 557; Hölters, Die zustimmungspflichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen im Spannungsfeld zwischen Satzungs- und Aufsichtsratsautonomie, BB 1978, 640; Hölters, Satzungsgestaltung und Organisationsstruktur von Unternehmen bei Einführung der qualifizierten Mitbestimmung, BB 1975, 797; Hoffmann/Neumann, Die Mitbestimmung bei GmbH und GmbH & Co. KG nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976, GmbHR 1976, 149, 183; Hommelhoff, Unternehmensführung in der mitbestimmten GmbH, ZGR 1978, 119; Immenga, Zuständigkeiten des mitbestimmten Aufsichtsrats, ZGR 1977, 249; Konzen, Die Anstellungskompetenz des GmbH-Aufsichtsrats nach dem Mitbestimmungsgesetz, GmbHR 1983, 92; Overlack, Der Einfluss der Gesellschafter auf die Geschäftsführung in der mitbestimmten GmbH, ZHR 141 (1977), 125; Reuter/Körnig, Mitbestimmung und gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit, ZHR 140 (1976), 494; Säcker, Die Geschäftsordnung für das zur gesetzlichen Vertretung eines mitbestimmten Unternehmens befugte Organ, DB 1977, 1993; Uwe H. Schneider, GmbH und GmbH & Co. KG in der Mitbestimmung, ZGR 1977, 335; P. Ulmer, Der Einfluss des Mitbestimmungsgesetzes auf die Struktur von AG und GmbH, 1979, Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 140; Vollmer, Die mitbestimmte GmbH, ZGR 1979, 135; Wiedemann, Das Mitbestimmungsgesetz zwischen Gesellschafts-, Arbeits- und Unternehmensrecht, ZGR 1977, 160; Wiedemann, Aufgaben und Grenzen der unternehmerischen Mitbestimmung der Arbeitnehmer, BB 1978, 5; Zöllner, GmbH und GmbH & Co. KG in der Mitbestimmung, ZGR 1977, 319. S. auch die Schrifttumshinweise vor Rz. 23 zur Vertretungsbefugnis und vor Rz. 251 zum Anstellungsvertrag.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 5
§ 35 Rz. 1 | Vertretung der GmbH
I. Vertretung und Geschäftsführung bei der GmbH 1. Der Inhalt der §§ 35 bis 52 1 a) Die unter der Überschrift „Vertretung und Geschäftsführung“ im dritten Abschnitt zu-
sammengefassten §§ 35 bis 52 regeln für die Grundform der GmbH die interne Willensbildung der Gesellschaft, insbesondere bei der Unternehmensleitung. Sie regeln das Handeln der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten, also die Vertretung der Gesellschaft sowie die Stellung der Gesellschafter und der Geschäftsführer. Die gesetzliche Regelung der Verfassung der GmbH ist jedoch lückenhaft. 2 b) Die Stellung der Geschäftsführer, ihre Zuständigkeiten und Pflichten werden durch die
§§ 35 bis 44 näher bestimmt. Dabei regeln einzelne Vorschriften nur die Vertretung, also das Außenverhältnis (§§ 35, 35a), andere sowohl das Innen- wie auch das Außenverhältnis (§§ 35, 38). § 36 bestimmt Zielgrößen und Fristen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern. §§ 41 bis 43 handeln von bestimmten Geschäftsführerpflichten und der Haftung bei Verletzung der Leitungs- und Loyalitätspflichten. Geregelt sind ferner die Publizität (§§ 35a, 39 und 40) sowie die Erstreckung der Vorschriften über die Geschäftsführer auf deren Stellvertreter (§ 44). Der Widerruf der Bestellung (Abberufung) ist in § 38 normiert.
2. Die Organe der GmbH 3 Die GmbH hat nur zwei notwendige Handlungsorgane, nämlich die Gesellschafter und die
Geschäftsführer. Weitere Organe, insbesondere ein Aufsichtsrat, können durch die Satzung vorgesehen werden (vgl. dazu bei § 52). Die Einrichtung eines Aufsichtsrats ist nur dann zwingend angeordnet, wenn bestimmte weitere Voraussetzungen vorliegen. Zum Verhältnis der Gesellschafter zu den Geschäftsführern s. 12. Aufl., § 37 Rz. 4 ff., zum Aufsichtsrat s. 12. Aufl., § 52 Rz. 271 ff.
3. Die nicht mitbestimmte GmbH a) Die Grundform der GmbH 4 Die §§ 35 bis 52 ordnen nur die Verfassung der Grundform der GmbH. Ist die Gesellschaft
mitbestimmt, so wird hierdurch die Verfassung der GmbH, abhängig von der Art der Mitbestimmung, verändert (s. 12. Aufl., § 52 Rz. 23 ff.). Wirtschaftsrechtliche Vorschriften können bestimmte Gestaltungen vorschreiben. Hiervon abgesehen, können die Gesellschafter durch Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag die Verfassung der Gesellschaft in vielfältiger Weise modifizieren; denn die gesetzliche Regelung der internen Willensbildung und der Stellung der Geschäftsführer zu der Gesellschafterversammlung ist in der Regel nicht zwingend. Die Gesellschafter können daher besonders berücksichtigen, dass die Gesellschaft entweder nur wenige oder aber viele Gesellschafter hat, dass es sich um eine Familiengesellschaft, ein Gemeinschaftsunternehmen usw. handelt. Die Stellung der Geschäftsführer kann gestärkt werden, einzelnen Gesellschaftern können besondere Befugnisse im Rahmen der Geschäftsführung eingeräumt werden. Auch kann die Vertretungsbefugnis in unterschiedlicher Weise ausgestaltet werden. Diese hohe Anpassungsfähigkeit gilt jedoch nur für die nicht mitbestimmte GmbH. b) Sonderformen 5 Da die Gesellschaft nicht mehr als einen Gesellschafter zu haben braucht, und dieser Gesell-
schafter zugleich Geschäftsführer sein kann, ergeben sich gerade auch für die Willensbildung 6 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 9 § 35
und die Vertretung eine Reihe von besonderen Problemen (Einmann-GmbH). Sie sind teilweise im Gesetz besonders angesprochen, teilweise hat die höchstrichterliche Rechtsprechung besondere Regeln für die Einmann-GmbH entwickelt. Auch für die GmbH, an der zwei Gesellschafter je zur Hälfte beteiligt sind (Zweimann- 6 GmbH), hat die Rechtsprechung eine Reihe von Sonderregeln herausgebildet, so dass sich von einem Sonderrecht der zweigliedrigen GmbH sprechen lässt. Das hohe Maß an Gestaltungsfreiheit erlaubt darüber hinaus den Gesellschaftern, die Willensbildung und Entscheidungsfindung in der Gesellschaft in unterschiedlichster Weise zu ordnen und hierbei auch der Entscheidungsorganisation der Personengesellschaften anzugleichen (personalistische GmbH)1.
4. Die mitbestimmte GmbH Die §§ 35–52 regeln in erster Linie die nicht mitbestimmte GmbH. Die Stellung der Gesell- 7 schaftsorgane, die interne Zuständigkeitsverteilung in der Gesellschaft, ja selbst die Vertretung der Gesellschaft sind jedoch abhängig davon, ob und nach welchen Vorschriften die Gesellschaft mitbestimmt ist2. Hiervon abhängig ist auch, in welchem Umfang die Gesellschafter durch Vereinbarungen in der Satzung von den gesetzlichen Bestimmungen des GmbHG abweichen können3. In der Folge wird daher zwischen der nicht mitbestimmten und der mitbestimmten GmbH in ihren unterschiedlichen Formen unterschieden. Ist die Gesellschaft mitbestimmt, so hat sie zwingend einen Aufsichtsrat. Dessen Zusammen- 8 setzung, die Bestellung der Mitglieder und dessen Zuständigkeit ist abhängig davon, ob die Gesellschaft in den Anwendungsbereich des DrittelbG4, des MontanmitbestG, des MontanmitbestErgG oder des MitbestG fällt (vgl. dazu 12. Aufl., § 52 Rz. 23 ff.).
5. Die GmbH als Konzernunternehmen Die §§ 35–52 regeln anders als etwa das AktG (vgl. in diesem Zusammenhang vor allem § 90 9 Abs. 1–3, § 131 Abs. 1, 3, § 293 Abs. 1, 2, § 310, § 317 Abs. 4 AktG) nur die nichtverbundene, konzernfreie GmbH. Ist jedoch ein Unternehmen mit einem anderen Unternehmen verbunden (§ 15 AktG), so hat dies u.a. nachhaltige Einwirkungen auf die interne Zuständigkeitsordnung, die Stellung der Gesellschaftsorgane zueinander und die Rechte der Gesellschafter. Dies gilt in besonderer Weise im Konzern. Daher ist für die verbundene und vor allem für die konzernierte GmbH gesondert festzustellen, welche Besonderheiten sich hieraus für die Zuständigkeitsordnung ergeben. Auch können die Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag an die Konzernlage anpassen. Sie können etwa die Zuständigkeiten der Geschäftsführer im Rahmen der Konzernleitung festlegen, sie können bestimmen, welche Maßnahmen, die bei Tochtergesellschaften verwirklicht werden, ihrer Zustimmung bedürfen, und sie können die Informationspflichten für Konzernsachverhalte konkretisieren und erweitern.
1 S. dazu vor allem: Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970. 2 Vgl. etwa Zöllner, ZGR 1977, 319; Overlack, ZHR 141 (1977), 125; Hommelhoff, ZGR 1978, 119; Baumann, ZHR 142 (1978), 557; Vollmer, ZGR 1979, 135. 3 Reuter/Körnig, ZHR 140 (1976), 494; Wiedemann, ZGR 1977, 160. 4 S. dazu Huke/Prinz, BB 2004, 2633.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 7
§ 35 Rz. 10 | Vertretung der GmbH
II. Der Geschäftsführer als notwendiges Handlungsorgan 10 Zu unterscheiden ist zwischen dem Geschäftsführer als dem notwendigen Handlungsorgan
innerhalb der korporativen Zuständigkeitsordnung, seiner Bestellung, d.h. der auf einem körperschaftlichen Akt beruhenden Eingliederung in die körperschaftliche Organisation, und der Abberufung, die zur Beendigung der Organstellung führt, auf der einen Seite und dem Anstellungsverhältnis auf der anderen Seite. Zum Anstellungsverhältnis s. Rz. 251 ff.
1. Die Zuständigkeiten 11 Die Geschäftsführer sind das zur Geschäftsführung und zur Vertretung der Gesellschaft be-
rufene Organ. Als Geschäftsführung wird dabei die im Innenverhältnis wirkende Befugnis verstanden, die Gesellschaft zu verwalten und das Unternehmen der Gesellschaft zu leiten. Einzelheiten 12. Aufl., § 37 Rz. 2 f. 12 Als Vertretungsmacht wird die im Außenverhältnis wirkende Befugnis bezeichnet, Erklärun-
gen im Rechtsverkehr abzugeben, die für und gegen die Gesellschaft wirken. Zugleich sind den Geschäftsführern für die Dauer des Bestehens der Gesellschaft zwingende, im öffentlichen Interesse liegende Pflichten auferlegt. Die Geschäftsführer sind daher ein notwendiges Handlungsorgan der Gesellschaft. Die Gesellschaft muss einen oder mehrere Geschäftsführer haben (§ 6 Abs. 1). Ohne Geschäftsführer kann die Gesellschaft nicht zum Handelsregister angemeldet (§§ 7, 78), und ohne Geschäftsführer darf die Gesellschaft nicht eingetragen werden. 13 Daneben handelt der Geschäftsführer bei Realakten, wie Besitzergreifung und -innehabung,
für die GmbH als Organ mit Außenwirkung5.
2. Kein Ausschluss und keine Übertragbarkeit der Befugnisse 14 a) Die organschaftliche Vertretungsbefugnis ist notwendiger Bestandteil der Organstellung.
Ist „eigenhändig“ zu zeichnen, muss der Geschäftsführer zeichnen6. Sie kann einem Geschäftsführer durch die Satzung nicht entzogen werden. Das gilt auch für die Geschäftsführungsbefugnis des einzigen Geschäftsführers. Zur Entziehung oder Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis bei einem von mehreren Geschäftsführern s. 12. Aufl., § 37 Rz. 45 ff. Die Vertretungsbefugnis kann auch nicht insgesamt oder für Teilbereiche auf ein anderes Gesellschaftsorgan, also die Gesellschafter oder den Aufsichtsrat übertragen werden. Der Geschäftsführer kann seine organschaftliche Vertretungsmacht nur auf einen anderen Geschäftsführer übertragen7. Insoweit ist die Zuständigkeitsverteilung zwingendes Organisationsprinzip der GmbH8.
15 b) Die organschaftliche Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis kann auch nicht durch
Rechtsgeschäft auf Dritte übertragen werden9.
5 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 72; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12; eingehend hierzu Brand, Der Organbesitz, 2015. 6 BFH v. 16.5.2002 – III R 27/01, GmbHR 2002, 803. 7 BGH v. 18.7.2002 – III ZR 124/01, NZG 2002, 813, 814 = ZIP 2002, 1896 = GmbHR 2002, 972. 8 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 65; BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 76; BGH v. 19.6.1975 – II ZR 170/73, WM 1975, 790; BGH v. 18.10.1976 – II ZR 9/75, WM 1976, 1246; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 2; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 8; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Kuhn, WM 1978, 605. 9 Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911.
8 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 18 § 35
c) Keine Übertragung von Organbefugnissen liegt in der Vereinbarung, dass ein Rechtsge- 16 schäft nur wirksam sein soll, wenn die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat zustimmen10. Hierbei kann es sich um eine Wirksamkeitsvoraussetzung, einen bedingten Vertrag oder einen Optionsvertrag handeln. Die Vereinbarung hat jedoch keine gesellschaftsrechtliche Wirkung.
3. Prokura, Handlungsvollmacht, Generalvollmacht a) Die GmbH kann ohne Einschränkung rechtsgeschäftliche Vertreter bestellen, und zwar 17 durch Erteilung einer Prokura, §§ 48 ff. HGB, einer Handlungsvollmacht, § 54 HGB, oder einer Vollmacht nach den §§ 164 ff. BGB. Da die GmbH Formkaufmann ist, kann sie auch dann Prokura erteilen, wenn sie ideelle Zwecke verfolgt11. Vollmacht kann auch den Gesellschaftern und Aufsichtsratsmitgliedern erteilt werden. Dagegen kann der Geschäftsführer nicht zugleich Prokurist sein12. Die gesetzliche Vertretung schließt, zumindest grundsätzlich, eine rechtsgeschäftliche Vertretung in demselben Bereich aus13. Die Organstellung bei der GmbH hindert jedoch nicht, dass der Geschäftsführer zugleich bei einer GmbH & Co. KG Prokurist ist14. b) Keine Einigkeit15 besteht darüber, ob durch eine GmbH eine im Gesetz nicht geregelte 18 Generalvollmacht erteilt werden kann und wie gegebenenfalls eine solche Generalvollmacht einzuordnen ist16. Die Praxis verbindet mit der Bezeichnung „Generalvollmacht“ nicht nur im Außenverhältnis eine umfassende Vertretungsmacht, sondern auch im Innenverhältnis eine weitgehende Entscheidungsbefugnis17. Deshalb führt die Bestellung zum Generalbevollmächtigten, wobei nur an den Titel gedacht ist, zur Anwendung der Regeln über die Anscheinsvollmacht. Unzulässig ist die Übertragung von Organbefugnissen, durch die der Bevollmächtigte, ohne zum Geschäftsführer bestellt zu sein, alle Funktionen eines solchen wahrnehmen und damit anstelle eines Geschäftsführers wie ein Vertretungsorgan der GmbH tätig sein soll. Eine solche organvertretende Generalvollmacht ist selbst dann unzulässig, wenn alle Gesellschafter zugestimmt haben18. Die Gesellschafter können daher nicht auf die Bestellung eines Ge10 RG v. 1.3.1927 – II 175/26, RGZ 115, 296, 302 (für die AG). 11 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 235; Krebs in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 48 HGB Rz. 5. 12 Lenz in Michalski u.a., Rz. 9; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236; anders für den Fall der Gesamtvertretung Karsten Schmidt, Handelsrecht, § 16 III 2c. 13 Vgl. BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BB 1975, 535; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; allgem. M. 14 OLG Hamm v. 8.2.1973 – 15 W 344/72, BB 1973, 354; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 14; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236; s. auch 12. Aufl., § 46 Rz. 135. 15 Zur (zu verneinenden) Frage, ob sich die Äußerungen des BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411 = GmbHR 2009, 138 – Trabrennbahn, zur unzulässigen Delegation von Vertretungsbefugnissen auf das Gesellschaftsrecht übertragen lassen, vgl. Leitzen, WM 2010, 637. 16 Gegen Zulässigkeit allgemein: Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 355; wie hier: Hübner, ZHR 143 (1979), 1, 18; Janssen, WM 1994, 277; vgl. zum Ganzen auch Schippers, DNotZ 2009, 353. 17 Geitzhaus, GmbHR 1989, 229. 18 OLG Frankfurt v. 7.11.2011 – 20 W 459/11, GmbHR 2012, 751, 753; BGH v. 18.7.2002 – III ZR 124/01, NZG 2002, 813, 814 = GmbHR 2002, 972, 973; BGH v. 18.10.1976 – II ZR 9/75, NJW 1977, 199 = WM 1976, 1246; BGH v. 8.5.1978 – II ZR 209/76, WM 1978, 1047, 1048; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 31 = LM Nr. 3 zu § 35 GmbHG m. Anm. Fischer, für den Fall der Verhinderung eines Gesamtvertreters; BFH v. 16.5.2002 – III R 27/01, BFHE 198, 283, 287 =
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 9
§ 35 Rz. 18 | Vertretung der GmbH schäftsführers verzichten und nur einen „Generalbevollmächtigten“ berufen. Ebenso wenig können in Betriebsführungsverträgen (§ 292 AktG) Generalvollmachten erteilt werden, die den Betriebsführer wie einen Geschäftsführer stellen19. 19 Davon abzugrenzen ist die zulässige rechtsgeschäftliche Generalvollmacht, durch die der
Vertreter ermächtigt wird, die Gesellschaft bei allen Rechtsgeschäften zu vertreten mit Ausnahme solcher, bei denen wegen des besonderen Charakters des Rechtsgeschäfts ein Handeln eines Organs der Gesellschaft erforderlich ist20. Eine unzulässige organvertretende Generalvollmacht ist im Zweifel in eine rechtsgeschäftliche Generalvollmacht umzudeuten21. 20 Die Generalvollmacht kann hierbei als Vollmacht nach den §§ 164 ff. BGB22, aber auch wie
eine erweiterte Prokura23 ausgestaltet sein. Sie kann nur als widerrufliche Vollmacht erteilt werden. Der entscheidende Unterschied zur unzulässigen organvertretenden Generalvollmacht besteht darin, dass die rechtsgeschäftliche Generalvollmacht und erst recht die Generalhandlungsvollmacht nach § 54 HGB die Organbefugnisse des Geschäftsführers, seine Zuständigkeiten und Verantwortung unberührt lassen24. Aus diesem Grund berechtigt eine rechtsgeschäftliche Generalvollmacht nicht zur Stellung des Insolvenzantrags25. 21 Welche Bedeutung die Bestellung zum „vice president“, „general manager“ oder „Gebiets-
leiter“ etc. hat, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Auszulegen ist die Erklärung des Vollmachtgebers. Ist umfassende Vertretungsbefugnis gewollt, kommt eine Prokura in Betracht. Bei einer solchen „repräsentativen Titel-Ausstattung“ können die Regeln über die Anscheinsvollmacht heranzuziehen sein26. 22 c) Nach außen kann der alleinvertretungsbefugte Geschäftsführer wirksam Generalvollmacht
erteilen. Intern müssen über eine Generalvollmacht aber die Gesellschafter beschließen, § 46 Nr. 727. Sind die Geschäftsführer gesamtvertretungsberechtigt, so bedarf es zunächst einer Änderung der Satzung, es sei denn, die Art der Vertretungsmacht kann durch die Gesellschafter (s. Rz. 104) geregelt werden. Nur im zuletzt genannten Fall ist ein Gesellschafterbeschluss genügend, aber auch erforderlich. Die Vertretungsmacht der gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführer reicht allein nicht aus; denn sie können ihre organschaftliche Gesamtvertretungsbefugnis nicht rechtsgeschäftlich als Generalvollmacht bei einem Dritten zusammenfas-
19 20 21 22 23 24 25 26 27
GmbHR 2002, 803; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 15; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 237; Geitzhaus, GmbHR 1989, 229, 232. Loos, BB 1963, 615. Ebenso: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 126; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 237; Geitzhaus, GmbHR 1989, 229; enger: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2 f.; a.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9. BGH v. 18.7.2002 – III ZR 124/01, NZG 2002, 813, 814 = GmbHR 2002, 972, 973; BGH v. 8.5.1978 – II ZR 209/76, WM 1978, 1047; Lenz in Michalski u.a., Rz. 10; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236. Hopt in Baumbach/Hopt, Einl. vor § 48 HGB Rz. 2; Joussen, WM 1994, 273: nur Vollmacht nach § 164 BGB. Zu den Grenzen einer Generalvollmacht: OLG Zweibrücken v. 12.4.1990 – 3 W 9/90, GmbHR 1990, 400. A.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 237 mit Hinweis auf den abschließenden Charakter von § 48 HGB. Hübner, ZHR 143 (1979), 1; a.A. Ripfel, GmbHR 1953, 181. Flume, Die juristische Person, 1983, S. 366; a.A. Hübner, ZHR 143 (1979), 1, 22. Borsch, GmbHR 2004, 1376; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151. BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 168; Geitzhaus, GmbHR 1989, 229, 233; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10.
10 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | vor Rz. 23 § 35
sen28. Ist die Generalvollmacht wie eine erweiterte Prokura ausgestaltet, so bedarf es der Eintragung ins Handelsregister29.
III. Der Geschäftsführer als Vertretungsorgan Schrifttum: Altmeppen, Gestattung zum Selbstkontrahieren in der GmbH, NJW 1995, 1182; Altmeppen, In-sich-Geschäfte der Geschäftsführer in der GmbH, NZG 2013, 401; Auktor, Praktische Probleme der Mehrfachvertretung bei Gesellschaften, NZG 2006, 334; Bacher/von Blumenthal, Die Gestattung nach § 181 BGB in der GmbH & Co. KG, GmbHR 2015, 457; Bachmann, Zum Verbot von Insichgeschäften im GmbH-Konzern, ZIP 1999, 85; Baetzgen, Insichgeschäfte im Gesellschaftsrecht, RNotZ 2005, 193; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999; Beise, Beschränkung der Prozessführungsmacht des GmbH-Geschäftsführers in Ausnahmefällen, GmbHR 1987, 259; Berger, Insolvenzantragspflicht bei Führungslosigkeit der Gesellschaft nach § 15a Abs. 3 InsO, ZInsO 2009, 1977; Bergwitz, Die GmbH im Prozess gegen ihren Geschäftsführer, GmbHR 2008, 225; Bernhardt/Bredol, Rechtsfragen zu Organstellung und Anstellungsvertrag einer paritätisch mitbestimmten GmbH, NZG 2015, 419; Beuthien, Zur Theorie der Stellvertretung im Gesellschaftsrecht, in FS Zöllner, 1998, S. 87; Beuthien/Müller, Gemischte Gesamtvertretung und unechte Gesamtprokura, DB 1995, 461; Blasche, Die Vertretungsbefugnis des verbleibenden Geschäftsführers bei Verhinderung oder Fortfall aller anderen Geschäftsführer, GmbHR 2017, 123; Blasche, Musterprotokoll und Vertretungsmacht des bei der Gründung bestellten Geschäftsführers sowie etwaiger weiterer Geschäftsführer, GmbHR 2015, 403; Blasche/König, Befreiung des GmbH-Geschäftsführers vom Selbstkontrahierungsverbot im Einzelfall und Genehmigung von Rechtsgeschäften nach Verbotsverstößen, NZG 2012, 812; Blasche/König, Möglichkeiten der einzelfallbezogenen Erweiterung der Vertretungsbefugnis des gesamtvertretungsberechtigten GmbH-Geschäftsführers zur Einzelvertretungsbefugnis, NZG 2013, 1412; Blath, Die Selbstbestellung des Geschäftsführers oder Vorstands der Muttergesellschaft zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH, GmbHR 2018, 345; Bork, Zurechnung im Konzern, ZGR 1994, 237; Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, Probleme der gesetzlichen Vertretung von Handelsgesellschaften im gesellschaftsinternen Rechtsstreit, NJW 2015, 2215; Brand/Brand, Die insolvenzrechtliche Führungslosigkeit und das Institut des faktischen Organs, NZI 2010, 712; Breitenstein/Meyding, Der Regierungsentwurf zum MoMiG: Die Deregulierung des GmbH-Rechts schreitet voran, BB 2007, 1457; Buchwald, Die Gesamtvertretung bei der GmbH, GmbHR 1960, 180; Buck, Wissen und juristische Person, 2001; Buck-Heeb, Wissenszurechnung, Informationsorganisation und Adhoc-Mitteilungspflicht bei Kenntnis eines Aufsichtsratsmitglieds, AG 2015, 801; Bühler, Die Befreiung des Geschäftsführers der GmbH von § 181 BGB, DNotZ 1983, 588; Coing, Die Vertretungsordnung juristischer Personen und deren Haftung gemäß § 31 BGB, in FS Fischer, 1979, S. 65; Drexl, Wissenszurechnung im Konzern, ZHR 161 (1997), 491; Fest, Gesetzliche Vertretung und Prozessfähigkeit einer führungslosen Gesellschaft nach dem MoMiG, NZG 2011, 130; R. Fischer, Der Missbrauch der Vertretungsmacht auch unter Berücksichtigung der Handelsgesellschaften, in FS Schilling, 1973, S. 3; Fleck, Schuldrechtliche Verpflichtungen einer GmbH im Entscheidungsbereich der Gesellschafter, ZGR 1988, 104; Fleck, Missbrauch der Vertretungsmacht oder Treubruch des mit Einverständnis aller Gesellschafter handelnden GmbH-Geschäftsführers aus zivilrechtlicher Sicht, ZGR 1990, 31; Frenzel, Erstarkung der Gesamt- zur Alleinvertretungsbefugnis bei Ausscheiden der übrigen Geschäftsführer?, GmbHR 2011, 515; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, 1972; Gasteyer/Goldschmidt, Wissenszurechnung bei juristischen Personen und im Konzern, AG 2016, 116; Gehrlein, Reichweite und Grenzen der Befugnisse von Gesellschaftern und Anteilseignern in der Regelinsolvenz, ZInsO 2017, 1977; Geitzhaus, Die Generalbevollmächtigung – empfehlenswertes Instrument der Unternehmensführung?, GmbHR 1989, 229, 278; Grigoleit, Zivilrechtliche Grundlagen der Wissenszurechnung, ZHR 181 (2017), 160; Goette, Externe Bindung des Geschäftsführers an Zustimmungsvorbehalt der Gesellschafterversammlung, DStR 1997, 1298; Grunewald, Wissenszurechnung bei juristischen Personen, in FS Beusch, 1993, S. 301; Haas, Die Vertreterhaftung bei Weglassen des Rechtsformzusatzes nach § 4 II GmbHG, NJW 1997, 2854; Harder, Das Selbstkontrahieren mit Hilfe eines Untervertreters, AcP 170 (1970), 295; Hauschild, § 181 BGB im Gesellschaftsrecht – eine heilige Kuh auf (international) verlorenem Posten?, ZIP 2014, 954; Heinemann, 28 BGH v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, GmbHR 1988, 101 = ZIP 1988, 371 (für Generalhandlungsvollmacht); Hübner, ZHR 143 (1979), 1, 15; a.A. Flume, Die juristische Person, 1983, S. 367. 29 Hübner, ZHR 143 (1979), 21; enger: Flume, Die juristische Person, 1983, S. 367; Joussen, WM 1994, 274; Schroeder/Oppermann, JZ 2007, 176.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 11
§ 35 vor Rz. 23 | Vertretung der GmbH Der Geltungsbereich des § 181 BGB für Rechtsbeziehungen zwischen der GmbH und ihrem Vertretungsorgan und seine Steuerrelevanz, GmbHR 1985, 176; Hildesheim, Das Selbstkontrahierungsverbot in der neueren Rspr. des BFH und der FG zur verdeckten Gewinnausschüttung, DStZ 1998, 741; von der Höh, § 181 BGB im Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers der nicht nach dem MitbestG mitbestimmten GmbH, GmbHR 2018, 241; Höpfner, Die Gehaltserhöhung mit sich selbst, NZG 2014, 1174; Horstkotte, Die führungslose GmbH im Insolvenzantragsverfahren, ZInsO 2009, 209; Immenga, Entscheidungsunfähigkeit von Gesellschaftsorganen, GmbHR 1971, 107; Ising, Befreiung von § 181 BGB durch ihrerseits selbst nicht befreite Organe, NZG 2011, 841; Joussen, Die Generalvollmacht im Handels- und Gesellschaftsrecht, WM 1994, 273; Kieser/Kloster, Wissenszurechnung bei der GmbH, GmbHR 2001, 176; Klose, Die Vertretung einer Zweipersonen-GmbH bei Gesellschafterstreitigkeiten, GmbHR 2010, 1139; Knauth, Die Prozess(un)fähigkeit einer insolventen führungslosen Gesellschaft, NZI 2018, 55; Köhler-Ma/de Bruyn, Führungslos ins Insolvenzverfahren?, ZIP 2018, 261; Konow, Das Selbstkontrahieren des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH bei einer GmbH & Co. KG, GmbHR 1972, 262; Kreutz, § 181 BGB im Lichte des § 35 Abs. 4 GmbHG, in FS Mühl, 1981, S. 409; Leitzen, Grenzen der Bevollmächtigung Dritter durch organschaftliche Gesamtvertreter im Lichte des „Trabrennbahn“-Urteils, WM 2010, 637; Leuering/Rubner, Geschäftsverteilung zwischen GmbH-Geschäftsführern, NJW-Spezial 2009, 239; Leuering/Stein, Wann erstarkt die Gesamt- zur Einzelvertretungsbefugnis?, NJW-Spezial 2014, 527; Mertens, Die Schranken gesetzlicher Vertretungsmacht im Handelsrecht, JurA 1970, 466; Metzing, Folgen des Erlöschens organschaftlicher Vertretungsmacht, NJW 2017, 3194; Michalski, Missbrauch der Vertretungsmacht bei Überschreiten der Geschäftsführungsbefugnis, GmbHR 1991, 349; Mielke, Die Vertretung der Kommanditgesellschaft gegenüber einem Komplementär bzw. Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, BB 2017, 1734; Passarge, Zum Begriff der Führungslosigkeit – scharfes Schwert gegen Missbrauch oder nur theoretischer Papiertiger?, GmbHR 2010, 295; Passarge/Brete, Führungslosigkeit in Theorie und Praxis – eine kritische Bestandsaufnahme, ZInsO 2011, 1293; Paulus, Zur Zurechnung arglistigen Vertreterhandelns, in FS Michaelis, 1972, S. 215; Philipp, Die Ausübung von Beteiligungsrechten nach § 32 des Mitbestimmungsgesetzes, DB 1976, 1622; Plander, Die Geschäfte des Gesellschafter-Geschäftsführers der Einmann-GmbH mit sich selbst, 1969 (Rechtsfragen der Handelsgesellschaften, Heft 24); Raiser, Kenntnis und Kennenmüssen von Unternehmern, in FS Bezzenberger, 2000, S. 561; Rawert/Endres, Der falsus procurator und § 181 BGB, ZIP 2015, 2197; Reinicke/Tiedtke, Das Erlöschen der Befreiung von dem Verbot der Vornahme von In-sich-Geschäften, WM 1988, 441; Reinicke/Tiedtke, Die Befreiung des Geschäftsführers vom Verbot von In-sich-Geschäften bei Verwandlung der mehrgliedrigen in eine eingliedrige GmbH, deren Gesellschafter der Geschäftsführer ist, GmbHR 1990, 200; Robles y Zepf, Praxisrelevante Probleme der Mehrfachvertretung bei der GmbH und der Aktiengesellschaft gemäß § 181 2. Alt. BGB, BB 2012, 1876; Römermann, Aktuelles zur Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO, NZI 2010, 241; Römermann, Insolvenzrecht im MoMiG, NZI 2008, 641, 645; Roth, Missbrauch der Vertretungsmacht durch den GmbHGeschäftsführer, ZGR 1985, 275; Roquette, Rechtsfragen zur unechten Gesamtvertretung im Rahmen der gesetzlichen Vertretung von Kapitalgesellschaften, in FS Oppenhoff, 1985, S. 335; Scheuch, „Wissenszurechnung“ bei GmbH und GmbH & Co, GmbHR 1996, 828; Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983; Schimmelpfennig/Hauschka, Die Zulassung der Ein-Personen-GmbH in Europa und die Änderung des deutschen GmbH-Rechts, NJW 1992, 942; Schindeldecker, Insichgeschäfte im Gesellschaftsrecht – Anwendungsfälle und praktische Lösungen für die notarielle Praxis, RNotZ 2015, 533; Schippers, Organvertretende Generalvollmachten – Zulässigkeitsgrenzen von „shared legal services“ im GmbH-Konzern –, DNotZ 2009, 353; Karsten Schmidt, Führungslosigkeit der GmbH oder GmbH & Co. KG im Prozess, GmbHR 2011, 113; Schmidt-Ott, Befreiung von § 181 BGB durch einen nicht befreiten Vertreter?; ZIP 2007, 943; Schmitt, Praktische Probleme der Mehrfachvertretung, § 181 2. Alt. BGB, in Unternehmen, WM 2009, 1784; Uwe H. Schneider, Die Vertretung der GmbH bei Rechtsgeschäften mit ihren Konzernunternehmen, BB 1986, 201; Schroeder/Oppermann, Die Eintragungsfähigkeit der kaufmännischen Generalvollmacht in das Handelsregister, JZ 2007, 176; Schubert, Die Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 181 BGB bei In-sich-Geschäften, WM 1978, 290; Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2000; Schürnbrand, Wissenszurechnung im Konzern, ZHR 181 (2017), 357; M. Schultz, Zur Vertretung im Wissen, NJW 1990, 477; W. Schultz, Die Bedeutung der Kenntnis des Vertretenen beim Vertreterhandeln für juristische Personen und Gesellschaften, NJW 1996, 1392; W. Schultz, Nochmals: Die Bedeutung der Kenntnis des Vertretenen beim Vertreterhandeln für juristische Personen und Gesellschaften, NJW 1997, 2093; Schulze, Geschäfte der Kapitalgesellschaft mit ihren Organmitgliedern, 2010; Schwab, Missbrauchsbekämpfung durch die GmbH-Reform: Schutzinstrumente und Schutzlücken, DStR 2010, 333; Schwarz, Das Gesetz zur Durchführung der Zwölften gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie – Neuerungen für die Einpersonen-GmbH, DStR 1992, 221; Schwin-
12 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 24 § 35 towski, Die Zurechnung des Wissens von Mitgliedern des Aufsichtsrats in einem oder mehreren Unternehmen, ZIP 2015, 617; Spindler, Wissenszurechnung in der GmbH, AG und im Konzern, ZHR 181 (2017), 311; Steffek, Zustellungen und Zugang von Willenserklärungen nach dem Regierungsentwurf zum MoMiG – Inhalt und Bedeutung der Änderungen für GmbHs, AGs und ausländische Kapitalgesellschaften, BB 2007, 2077; Stein, Die neue Dogmatik der Wissensverantwortung bei der außerordentlichen Kündigung von Organmitgliedern der Kapitalgesellschaften – Bespr. zu BGH, ZIP 1998, 1269, ZGR 1999, 264; Stein, Die Grenzen vollmachtloser Vertreter der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern, AG 1999, 28; Steinbeck, Besicherung von Gesellschafterverbindlichkeiten durch die GmbH – Missbrauch der Vertretungsmacht durch den Geschäftsführer?, WM 1999, 885; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017; Stenzel, Handelsregistereintragung von „c/o“-Adressen, NZG 2011, 851; Terner, Die Befreiung des GmbH-Liquidators von den Beschränkungen des § 181 BGB, DStR 2017, 160; Theiselmann, Die Bestellung eines GmbHNotgeschäftsführers, GmbH-StB 2017, 17; Tiedtke, Fortbestand der Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens bei der Umwandlung einer mehrgliedrigen in eine Einmann-GmbH, ZIP 1991, 355; Tiedtke, Zur Form der Gestattung von Insichgeschäften des geschäftsführenden Mitgesellschafters einer GmbH, GmbHR 1993, 385; Tiedtke, Zur Übernahme der Bürgschaft durch die GmbH oder deren Geschäftsführer persönlich, GmbHR 1995, 336; Timm, Mehrfachvertretung im Konzern, AcP 193 (1993), 423; Vedder, Der Missbrauch der Vertretungsmacht, 2007; Vedder, Das Vorsatzerfordernis beim Missbrauch der Vertretungsmacht durch GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 2008, 736; Verse, Doppelmandate und Wissenszurechnung im Konzern, AG 2015, 413; Viehöfer/Eser, Probleme der Vertretungsbefugnis bei der sogenannten unechten Gesamtprokura, BB 1984, 1326; Waltermann, Zur Wissenszurechnung – am Beispiel der juristischen Personen des privaten und des öffentlichen Rechts, AcP 192 (1992), 181; Wälzholz, Die insolvenzrechtliche Behandlung haftungsbeschränkter Gesellschaften nach der Reform durch das MoMiG, DStR 2007, 1914; Weinhardt, Ausübung und Einschränkung der Gesamtvertretung im bürgerlichen und im Gesellschaftsrecht, 1988; Westerholt, Vertretung der GmbH und Eintragung in das Handelsregister, GmbHR 1993, 85; H. P. Westermann, Missbrauch der Vertretungsmacht, JA 1981, 521; H. P. Westermann/Menger, Gesellschafterstreitigkeiten im GmbH-Recht, DWiR 1991, 143; Wiesner, Zum Beginn der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB bei Kenntniserlangung durch Organmitglieder, BB 1981, 1533; Winkler, In-sich-Geschäfte des Gesellschafter-Geschäftsführers einer Einmann-GmbH, DNotZ 1970, 476; Wübbelsmann, Die öffentliche Zustellung von Steuerbescheiden an Gesellschaften – Änderungen durch das MoMiG?, DStR 2011, 126; Zacher, Beschränkungen und Missbrauch der Vertretungsmacht des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 1994, 842; Ziche, Die Verweisung des § 35 Abs. 4 GmbHG auf das Verbot der Vornahme von Insichgeschäften, 1991.
1. Organschaftliche Vertretungsbefugnis Der Geschäftsführer erhält mit seiner Bestellung die Befugnis, die Gesellschaft im Rechtsver- 23 kehr zu vertreten. Der Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft auch vor Gericht, gegenüber Behörden und öffentlich-rechtlichen Körperschaften, bei Verbänden (Arbeitgeberverband) und bei der Stellung eines Strafantrags30. Er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters. Handeln des Geschäftsführers im Außenverhältnis ist daher Handeln der Gesellschaft. Die ausdrückliche Hervorhebung des Gerichts durch „gerichtlich und außergerichtlich“ (§ 35 Abs. 1 Satz 1) ist altmodisch. Sie hat keine rechtliche Bedeutung (vgl. auch §§ 49, 124 HGB und noch § 78 Abs. 1 AktG). Sie ist ein untrennbarer Bestandteil. Die Geschäftsführer sind jedoch nicht das einzige Organ der Gesellschaft mit organschaftli- 24 cher Vertretungsbefugnis. In Einzelfällen wird die Gesellschaft durch die Gesellschafterversammlung oder durch den Aufsichtsrat vertreten. Seit der Anfügung von § 35 Abs. 1 Satz 2 durch das MoMiG wird die Gesellschaft zudem im Falle der Führungslosigkeit von den Gesellschaftern passiv vertreten (s. hierzu Rz. 70 ff.). Zur Vertretung durch die Gesellschafterversammlung s. Rz. 311 ff. Zur Vertretung der Gesellschaft durch den Aufsichtsrat s. 12. Aufl., § 52 Rz. 358 ff. 30 BGH v. 8.1.1954 – 1 StR 260/53, GmbHR 1954, 140.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 13
§ 35 Rz. 24a | Vertretung der GmbH
2. Erkennbares Handeln für die Gesellschaft 24a In § 36 a.F. war die Wirkung der Vertretung geregelt. Die Vorschrift ist weggefallen. Vorgese-
hen war, dass die Gesellschaft nur ordnungsgemäß vertreten und berechtigt und verpflichtet wird, wenn der Geschäftsführer in einer für den Erklärungsempfänger erkennbaren Weise „in Vertretung der Gesellschaft“ vorgenommen wird. Entscheidend ist somit, dass der Wille des Erklärenden, für die Gesellschaft zu handeln, deutlich wird, § 164 BGB31. Dies geschieht ausdrücklich durch Worte wie „im Namen“, „in Vertretung“ der Gesellschaft oder konkludent32. So kann sich aus den Umständen, z.B. der Unternehmensbezogenheit eines Geschäfts, ergeben, dass trotz fehlender Verwendung des GmbH-Zusatzes die Gesellschaft und nicht der Handelnde Vertragspartei sein soll33. Das Entsprechende gilt bei Verwendung der Firma bei Unterzeichnung. Dies macht deutlich, dass die Gesellschaft verpflichtet sein soll, mag auch der Geschäftsführer im Schriftverkehr die „Ich-Form“ verwendet haben34. 24b Im Namen der Gesellschaft handelt daher, wer auf einem Wechsel unter dem Stempel einer
Personenfirma zeichnet. Er verpflichtet hiermit die Gesellschaft und nicht sich selbst, auch wenn nicht ausdrücklich vermerkt ist, dass er als Vertreter und nicht als Firmeninhaber handelt35. Die Beweislast für ein Handeln in fremdem Namen trägt der Geschäftsführer36. 24c Haben mehrere Gesellschaften denselben Geschäftsführer, etwa in einem Konzern, und
wird nicht deutlich, welche der Gesellschaften er vertritt, so ist bei einem betriebsbezogenen Geschäft dasjenige Unternehmen Vertragspartner geworden, dem das Geschäft nach den objektiven Umständen zugeschrieben werden kann. Fehlt es an ausreichenden Unterscheidungsmerkmalen, so müssen beide Gesellschaften die Erklärung gegen sich gelten lassen37.
3. Inhalt, Umfang und Grenzen der Vertretungsmacht a) Der Grundsatz der Unbeschränktheit 25 Die organschaftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers ist unbeschränkt. § 35 ent-
spricht damit den Anforderungen des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.8.2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschafts-
31 BGH v. 13.10.1994 – IX ZR 25/94, WM 1994, 2233 m. abl. Anm. Tiedtke, GmbHR 1995, 336; BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764; OLG Düsseldorf v. 8.3.1996 – 17 U 193/95, GmbHR 1996, 765: Unterschriften zweier Geschäftsführer; s. ferner OLG Düsseldorf v. 10.10.1996 – 10 U 247/95, WM 1997, 1719 sowie OLG Koblenz v. 16.2.2004 – 12 U 37/03, NZG 2004, 373. 32 BGH v. 27.10.2005 – III ZR 71/05, NJW-RR 2006, 109; OLG München v. 26.11.1999 – 23 U 4566/ 99, GmbHR 2000, 1258 = NZG 2000, 1037; OLG Hamm v. 17.1.2000 – 18 U 148/99, VersR 2001, 979. 33 BGH v. 17.4.1980 – VII ZR 120/79, WM 1980, 780, 782; BGH v. 18.5.1998 – II ZR 355/95, DB 1998, 1610 = GmbHR 1998, 883; vgl. auch BGH v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 220 f.; BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 15; OLG Karlsruhe v. 25.9.2018 – 9 U 117/16, GmbHR 2018, 1198. 34 OLG Köln v. 27.8.1999 – 19 U 26/99, GmbHR 2000, 383. 35 BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11 = JR 1975, 459 m. Anm. Karsten Schmidt. 36 BGH v. 9.11.1982 – VI ZR 293/79, BGHZ 85, 252, 258; BGH v. 12.10.1961 – III ZR 109/60, WM 1961, 1381; BGH v. 27.1.1975 – III ZR 117/72, NJW 1975, 775; BGH v. 13.10.1994 – IX ZR 25/94, GmbHR 1995, 377 = WM 1994, 2233; OLG Koblenz v. 16.2.2004 – 12 U 37/03, NZG 2004, 373. 37 BGH v. 22.5.1978 – II ZR 160/77, GmbHR 1980, 11 = WM 1978, 1151; s. auch BGH v. 15.1.1986 – VIII ZR 6/85, ZIP 1986, 366.
14 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 26 § 35
rechts38. Von der Vertretungsbefugnis gedeckt ist daher auch der Abschluss von Rechtsgeschäften, die mit dem Gesellschaftszweck und die mit dem Unternehmensgegenstand nicht vereinbar sind39. Sie ist auch nicht der Höhe nach beschränkt. Sie ermächtigt zu ungewöhnlichen Rechtsgeschäften, zur Erteilung von Prokura und Handlungsvollmacht (s. Rz. 40), zur Veräußerung und zur Belastung von Grundstücken, zur Aufnahme und zur Gewährung von Krediten, zu Spenden und zu Schenkungen. Damit sollen die Geschäftspartner davon befreit sein, die Legitimation des Geschäftsführers im Einzelfall zu überprüfen. Sie dürfen davon ausgehen, dass die Geschäftsführer die Gesellschaft unbegrenzt verpflichten und über ihr Vermögen frei verfügen können. Im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft bleiben die Geschäftsführer weiterhin vertretungsbefugt, soweit nicht die Verwaltungs- und Verfügungskompetenz des Insolvenzverwalters nach § 80 Abs. 1 InsO betroffen ist40. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen kann der Geschäftsführer daher nur noch solche Kompetenzen und Befugnisse ausüben, die nicht die Insolvenzmasse betreffen41. Hinsichtlich des Zeitpunktes, zu dem der Geschäftsführer vertretungsbefugt sein muss, kommt es bei einer Anmeldung zum Handelsregister in entsprechender Anwendung des § 130 Abs. 2 BGB auf den Zeitpunkt der Abgabe der Anmeldung an, nicht jedoch auf den Zeitpunkt des Eingangs der Anmeldung beim Registergericht an42. Nach einer Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 12.2.201443 kann der einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer zwar mehrere Dritte z.B. zur Vornahme einer Registereintragung bevollmächtigen; aus dem Inhalt der Vollmachtsurkunde muss sich jedoch zweifelsfrei der Umfang der Vertretungsbefugnis ergeben. Im Zweifel muss davon ausgegangen werden, dass der geringere Umfang der Vollmacht gilt. b) Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit Die organschaftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers ist zugleich im Interesse des 26 Verkehrsschutzes sachlich unbeschränkbar44. Sie kann nur personell dadurch begrenzt werden, dass ein Geschäftsführer nur zusammen mit einem anderen Geschäftsführer, also nur im Wege der Gesamtvertretung, handeln darf (s. Rz. 91). Hiervon abgesehen, wirken satzungsmäßige Bindungen an die Zustimmung der Gesellschafterversammlung oder des Aufsichtsrats und Weisungen der Gesellschafterversammlung nur im Innenverhältnis45 (zu den Ausnahmen s. Rz. 190). Sie verpflichten zwar den Geschäftsführer, sich an die interne Bindung zu halten. Sie beschränken aber nicht seine Vertretungsbefugnis. Die Aufzählung in § 37 Abs. 2 Satz 2 ist nur beispielhaft. Unwirksam ist demgemäß auch eine Beschränkung
38 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 39 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Mertens, AG 1978, 309, 311; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 4; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 10; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911, 929; s. aber auch Ganßmüller, GmbHR 1957, 49 und BGH v. 29.11.1956 – II ZR 282/55, GmbHR 1957, 57: Betreiben die Gesellschafter einer GmbH, ohne Firma, Sitz und Gegenstand und Gesellschaftsform zu ändern, an einem anderen Ort ein anderes Handelsgewerbe, deren Eintragung gar nicht beabsichtigt ist, so liegt darin schlüssig der Abschluss eines auf den Betrieb einer OHG gerichteten Gesellschaftsvertrags. 40 Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1985. 41 OLG Stuttgart v. 27.12.2016 – 10 U 97/16, GmbHR 2017, 148, 150. 42 OLG Zweibrücken v. 29.10.2013 – 3 W 82/13, GmbHR 2014, 251 = NZG 2015, 319. 43 OLG Düsseldorf v. 12.2.2014 – 3 Wx 31/14, GmbHR 2014, 373. 44 Vgl. BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26, 33; BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, WM 1997, 1570; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 16; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9. 45 Vgl. hierzu OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2015, 358, 359: Eine Satzungsregelung, nach der für bestimmte Maßnahmen die Zustimmung der Gesellschafter erforderlich ist, ist regelmäßig dahin auszulegen, dass allen Gesellschaftern ein individuelles Sonderrecht eingeräumt ist.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 15
§ 35 Rz. 26 | Vertretung der GmbH der Vertretungsmacht auf eine Zweigniederlassung46 oder auf einen bestimmten Geschäftsbereich. Das Risiko, dass sich die Geschäftsführer nicht an interne Bindungen halten, trägt somit die Gesellschaft. Das schließt aber vertragliche Vereinbarungen, dass ein Rechtsgeschäft nur wirksam sein soll, wenn die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat zustimmen, nicht aus47. Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht gilt auch für den Notgeschäftsführer48. 27 Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht wird freilich durch die Regeln
über den Missbrauch der Vertretungsmacht relativiert (s. dazu Rz. 187 ff.). Interne Beschränkungen können Dritten in der Regel nicht entgegengesetzt werden49. Kennt aber der Dritte die internen Beschränkungen, kennt er die satzungsmäßigen Bindungen, weiß er von internen Weisungen oder von dem Widerspruch der Mitgeschäftsführer, so kann ein Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegen. In der Regel kann der Dritte zwar davon ausgehen, dass sich der Geschäftsführer intern mit der Gesellschafterversammlung, dem Aufsichtsrat oder dem Mitgeschäftsführer auseinandersetzt. Voraussetzung ist aber, dass das Rechtsgeschäft nicht offensichtlich zum Nachteil der Gesellschaft ist. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat allerdings auch dann einen Missbrauch der Vertretungsmacht angenommen, wenn ein Rechtsgeschäft zwar nicht nachweislich dem Interesse des Vertretenen zuwiderläuft, der Vertragsgegner aber weiß oder sich sagen muss, dass der Vertreter dem Geschäftsherrn Tatsachen vorenthält, bei deren Kenntnis dieser den Vertrag nicht abgeschlossen hätte50. c) Rechtsgeschäfte mit Gesellschaftern und Konzernunternehmen 28 aa) Von der Vertretungsmacht der Geschäftsführer gedeckt sind Verkehrsgeschäfte mit den
Gesellschaftern. Zum Abschluss des Anstellungsvertrags mit dem Gesellschafter-Geschäftsführer s. aber Rz. 311. 29 bb) Streitig ist, ob auch für Rechtsgeschäfte einer GmbH mit den Gesellschaftern der Grund-
satz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht gilt. Dagegen könnte man einwenden, die Satzung und daher auch die Beschränkung der Vertretungsmacht brauchten dem Gesellschafter nicht bekannt oder gegenwärtig zu sein. Daher könne dem Gesellschafter allenfalls bei einem Verschulden eine entsprechende Satzungsbestimmung entgegengehalten werden51. Der Umfang einer Vertretungsmacht bestimmt sich jedoch nicht nach subjektiven Merkmalen in der Person des Geschäftspartners, sondern nach objektiven Kriterien auf der Seite der Gesellschaft und ihres Vertretungsorgans. Im Blick hierauf hat die höchstrichterliche Rechtsprechung bei den Personenhandelsgesellschaften es den Gesellschaftern freigestellt, die Vertretungsbefugnis für Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern zu beschränken, und davon abhängig gemacht, dass das Rechtsgeschäft die Zustimmung der 46 KG v. 10.12.1920 – 1a. X. 738/20, KGJ 53, 97; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 52. 47 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, WM 1997, 1570 m. Anm. Teichmann/Schröder, WuB, II C. § 37 GmbHG 1.97; Goette, DStR 1997, 1298; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 171. 48 BayObLG v. 6.12.1985 – BReg 3 Z 116/85, GmbHR 1986, 189 = ZIP 1986, 93; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 6 Rz. 94; Fastrich in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 32; s. auch 12. Aufl., § 6 Rz. 102 f. 49 S. Art. 9 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2017/1132 v. 14.8.2017. 50 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, WM 1984, 305, 306 = GmbHR 1984, 96 sowie schon BGH v. 24.4.1972 – II ZR 153/69, WM 1972, 1380 und RG v. 14.10.1931 – I 10/31, RGZ 134, 67, 71; enger aber BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, WM 1983, 83, 85 = GmbHR 1983, 149 und BGH v. 15.12.1975 – II ZR 148/74, WM 1976, 658; s. auch Rz. 190. 51 Tiefenbacher, BB 1962, 1259; Beitzke, JR 1963, 184; Däubler, GmbHR 1964, 226; wie hier aber Mertens, JurA 1970, 34.
16 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 32 § 35
Gesellschafterversammlung gefunden hat. Der Gesellschafter bedarf nicht desselben Schutzes wie Dritte, die am Geschäftsverkehr teilnehmen. Solange daher ein Gesellschafterbeschluss fehlt, fehlt es auch an der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer52. Dies lässt sich auf die GmbH übertragen53. Auch bei der GmbH ist davon auszugehen, dass 30 interne Bindungen der Geschäftsführer bei Geschäften mit den Gesellschaftern zur Beschränkung der Vertretungsbefugnis führen54. Die Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter muss nur dort eingeengt werden, wo es um den Schutz unbeteiligter Dritter geht. Gerade dem dient die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht. Die Gesellschafter einer GmbH verdienen diesen besonderen Schutz aber nicht. Ob sich der Gesellschafter bei Abschluss des Rechtsgeschäfts der internen Beschränkung bewusst war, ist unbeachtlich; denn er muss sich entgegenhalten lassen, dass er als Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag kennen und dass er sich um die Kenntnis von Weisungen bemühen muss. Das bedeutet, dass auch bei der GmbH interne Beschränkungen des Geschäftsführers bei seiner Geschäftsführung zugleich auch seine organschaftliche Vertretungsmacht beschränken, soweit sie ihn zu Rechtsgeschäften mit den Gesellschaftern berechtigt, und dass die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss in der Gesellschafterversammlung die Vertretungsmacht des Geschäftsführers für bestimmte Geschäfte zwischen der Gesellschaft und einem Gesellschafter beschränken können55. Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht dürfte aber nur dann im Ver- 31 hältnis zu den Gesellschaftern uneingeschränkt gelten, wenn die Gesellschafter typischerweise nicht an der Satzungsgestaltung mitwirken, sondern durch Beitritt ihre Gesellschafterstellung erlangt haben, also etwa bei Publikumsgesellschaften. Aus entsprechenden Erwägungen begrenzen bei konzerninternen Rechtsgeschäften die inter- 32 nen Beschränkungen zugleich die Vertretungsbefugnis. Hier bedarf es keines Verkehrsschutzes. Das gilt jedenfalls im Verhältnis zu 100%igen Tochter- und zwischen solchen Schwestergesellschaften56. Ist bei einer GmbH & Co. KG die KG gleichzeitig Gesellschafterin der GmbH, so kann folglich im Verhältnis zur KG die Vertretungsmacht der Geschäftsführer beschränkt werden57.
52 BGH v. 20.9.1962 – II ZR 209/61, BGHZ 38, 26, 32; BGH v. 9.5.1974 – II ZR 84/72, BB 1974, 996; BGH v. 24.11.1975 – II ZR 89/74, BB 1976, 527; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 126 HGB Rz. 9; Roth in Baumbach/Hopt, § 126 HGB Rz. 6. 53 S. aber auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, BGHZ 136, 125 = GmbHR 1997, 790: Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Kapitalerhaltungsgebot bestimmen sich auch dann ausschließlich nach § 31, wenn es dem Beteiligten auf die Umgehung der Kapitalerhaltungsvorschriften ankommt. 54 Ebenso: BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, WM 1997, 1570; BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, ZIP 1994, 1290, 1294 = GmbHR 1994, 629; OLG Stuttgart v. 14.1.2013 – 14 W 17/12, GmbHR 2013, 535, 541; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 53: Anbindung der Vertretungs- an die Geschäftsführungsbefugnis; a.A. Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 25: Missbrauch der Vertretungsmacht; ebenso: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 168; differenzierend: Zacher, GmbHR 1994, 842: Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit bei Verkehrsgeschäften; offen gelassen von Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 19; s. aber auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 48: Es bleibt beim Grundsatz von der unbeschränkbaren organschaftlichen Vertretungsmacht, es sei denn der andere Teil ist nicht schutzbedürftig. Das setze aber Evidenz des Verstoßes voraus. 55 Uwe H. Schneider, BB 1986, 201, 202. 56 Uwe H. Schneider, BB 1986, 201, 203; vgl. auch BGH v. 29.9.1981 – KVR 2/80, BGHZ 82, 122 und OLG Hamburg v. 5.9.1980 – 11 U 1/80, AG 1981, 344. A.A. OLG Frankfurt v. 19.1.1988 – 5 U 3/86, GmbHR 1989, 254; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25: Missbrauch der Vertretungsmacht; ebenso Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 169. 57 A.A. Hesselmann in Aktuelle Probleme der GmbH & Co., 1967, S. 81.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 17
§ 35 Rz. 33 | Vertretung der GmbH d) Rechtsgeschäfte mit den Geschäftsführern 33 aa) Die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer berechtigt auch zum Abschluss von Ver-
kehrsgeschäften (Umsatzgeschäften) der Gesellschaft mit anderen noch tätigen oder bereits ausgeschiedenen Geschäftsführern58. Eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung ist nicht erforderlich. Die Satzung kann aber eine solche Zustimmung verlangen. Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, gilt § 52 i.V.m. § 112 AktG (s. auch Rz. 38 sowie 12. Aufl., § 52 Rz. 359 ff.). 34 Ein Verkehrsgeschäft liegt nur vor, wenn ein entsprechendes Rechtsgeschäft im Blick auf Ge-
genstand, Gegenleistung und Zeitpunkt in dieser Weise auch mit einem Dritten abgeschlossen worden wäre („Drittvergleich“). Nicht um ein Verkehrsgeschäft handelt es sich dagegen und zuständig ist demgemäß die Gesellschafterversammlung sowohl in Bezug auf die Willensbildung als auch für die Bekanntgabe59, wenn das Rechtsgeschäft wegen der bestehenden oder früheren Organstellung (Gesellschafterstellung) getätigt wird, wie Bestellung, Abberufung oder Weisungen. 35 Zu beachten bleiben auch bei Verkehrsgeschäften die allgemeinen Beschränkungen der Ver-
tretungsmacht. Besteht Gesamtvertretung, hat die Gesellschaft nur zwei Geschäftsführer, soll das Rechtsgeschäft mit einem von diesen abgeschlossen werden, so ist dieser nach § 181 BGB von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen. Der andere Geschäftsführer ist nur unter den in Rz. 118 ff. genannten Voraussetzungen einzelvertretungsbefugt. Ein gesamtvertretungsberechtigter Geschäftsführer kann seinen Mitgeschäftsführer zur Alleinvertretung ermächtigen. Darin liegt keine Erteilung einer Untervollmacht und somit keine Umgehung des § 181 BGB60. Darüber hinaus wirken ebenso wie bei den Rechtsgeschäften mit Gesellschaftern interne Zuständigkeitsbeschränkungen als Beschränkung der Vertretungsmacht61. Von der Vertretungsbefugnis nicht gedeckt sind daher solche Rechtsgeschäfte mit Geschäftsführern, die wegen ihres Umfangs, ihres ungewöhnlichen Inhalts oder Risikos (s. 12. Aufl., § 37 Rz. 15) oder aufgrund der Satzung der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen. 36 Der Rechtsgedanke von § 89 AktG, wonach Kredite jeder Art an Vorstandsmitglieder nur auf-
grund eines Beschlusses des Aufsichtsrats gewährt werden dürfen, ist in dieser Allgemeinheit auf die GmbH aber nicht übertragbar (s. 12. Aufl., § 43a Rz. 7). Zu beachten sind jedoch die durch § 43a gezogenen Grenzen. 37 Zur Vertretung der Gesellschaft bei Abschluss, Änderung, Aufhebung und Kündigung des
Anstellungsvertrags s. Rz. 311 ff. 38 bb) Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, so vertritt dieser die Gesellschaft beim Abschluss
von Rechtsgeschäften mit den Geschäftsführern. § 52, § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG und § 25 MitbestG verweisen auf § 112 AktG. Handelt es sich um einen lediglich fakultativen Aufsichtsrat, so kann jedoch im Gesellschaftsvertrag oder durch Beschluss der Gesellschafterversammlung Abweichendes bestimmt werden62. Bei Verkehrsgeschäften des täglichen Lebens kann die Gesellschaft auch durch die Mitgeschäftsführer vertreten werden (str.; Einzelheiten 12. Aufl., § 52 Rz. 364).
58 Ohne Beschränkung auf Verkehrsgeschäfte: Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 19; wie hier: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 99; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10 f. 59 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18. 60 BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72. 61 Ebenso wohl auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 19. 62 BGH v. 23.4.2007 – II ZR 149/06, DStR 2007, 1358, 1359; BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, ZIP 2008, 117, 118 = GmbHR 2008, 144, 145; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 102; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 52 Rz. 31.
18 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 42 § 35
e) Rechtsgeschäfte mit den Arbeitnehmern Die Geschäftsführer handeln als Vertreter der Gesellschaft bei Rechtsgeschäften mit den Ar- 39 beitnehmern, also insbesondere beim Abschluss von Arbeitsverträgen, bei Kündigungen, Vertragsänderungen usw.63. Sie üben für die Gesellschaft das Direktionsrecht aus, §§ 611, 315 BGB64. Bei Arbeitsverhältnissen mit Gesellschaftern führen entsprechende Satzungsbestimmungen oder Gesellschafterbeschlüsse, die solche Rechtsgeschäfte von einem Gesellschafterbeschluss abhängig machen, regelmäßig zur Beschränkung der Vertretungsmacht (s. Rz. 28 ff.)65. Die Gesellschaft wird auch bei Wahrnehmung der betriebsverfassungsrechtlichen Zuständigkeiten sowie bei Abschluss von Betriebsvereinbarungen und von Firmentarifverträgen durch die Geschäftsführer vertreten66. f) Erteilung von Prokura und Handlungsvollmacht Nach § 46 Nr. 7 unterliegen der Bestimmung der Gesellschafter die Bestellung von Prokuristen 40 und von Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb. Diese interne Zuständigkeit begrenzt aber nicht die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers. Er kann auch ohne Gesellschafterbeschluss wirksam einen Prokuristen oder einen Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb bestellen67. Dasselbe gilt für den Widerruf der Prokura68. Das schließt aber nicht aus, dass die Erteilung der Prokura nur wirksam sein soll, wenn die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat zustimmen. g) Ausübung von Beteiligungsrechten Die Mitverwaltungsrechte aus Anteilen an Beteiligungs- und an Konzerngesellschaften wer- 41 den durch die Geschäftsführer wahrgenommen69. Das gilt für das Stimmrecht, unabhängig davon, was der Gegenstand der Abstimmung ist, für die Ausübung von Informations- und Kontrollrechten usw. Unter bestimmten Voraussetzungen können aber einzelne Mitverwaltungsrechte aus einer 42 gesellschaftsrechtlichen Beteiligung „durch das zur gesetzlichen Vertretung des Unternehmens befugte Organ nur auf Grund von Beschlüssen des Aufsichtsrats ausgeübt werden“, § 15 MitbestErgG, § 32 MitbestG. Die beiden Vorschriften sind bei allen Beteiligungslagen anwendbar, sofern die Beteiligung nicht weniger als ein Viertel beträgt, also nicht nur im Konzern. Zusätzliche Voraussetzung ist bei Gesellschaften, die nach dem MitbestG mitbestimmt sind, dass das Unternehmen, an dem die Beteiligung besteht, gleichfalls in den Anwendungsbereich des MitbestG fällt70.
63 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96. 64 van Venrooy, GmbHR 2001, 7; Ostheim, Die Weisung des Arbeitgebers als arbeitsrechtliches Problem, 1970; Birk, Die arbeitsrechtliche Leitungsmacht, 1973, S. 93. 65 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8. 66 Ebenso: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8. 67 RG v. 26.1.1911 – VII 76/10, RGZ 75, 164; RG v. 21.4.1922 – 545/21 VII, JW 1923, 121; BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 233; OLG Düsseldorf v. 13.4.1948 – 3 W 49/48, SJZ 1949, 779; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 104; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 7. 68 OLG Düsseldorf v. 25.2.1998 – 3 Wx 27/98, GmbHR 1998, 743. 69 FG Düsseldorf v. 23.6.2010 – 7 K 2019/08 GE, GmbHR 2010, 1173, 1174. 70 Einzelheiten bei Uwe H. Schneider in GK-MitbestG, § 32 Anm. 13, 65; Habersack in Habersack/ Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 32 MitbestG Rz. 6.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 19
§ 35 Rz. 43 | Vertretung der GmbH 43 Die Rechtsnatur ist streitig. Teilweise wird die Ansicht vertreten, es werde hierdurch nur die
interne Zuständigkeit geändert71. Das würde bedeuten, dass das geschäftsführende Organ sich über die gesellschaftsinterne Zuständigkeitsverlagerung im Außenverhältnis wirksam hinwegsetzen könnte. Das aber widerspricht dem Zweck der Vorschrift. Nach anderer Ansicht sollen die Vorschriften eine gesetzliche Beschränkung der Vertretungsmacht enthalten72. 44 Das wäre systemfremd, weil die gesetzliche Vertretungsmacht des Geschäftsführers grund-
sätzlich unbeschränkt ist. Keine der vorgenannten Auslegungen überzeugt daher. Das Gesetz ordnet vielmehr das Ruhen der Stimmrechte an, solange der Aufsichtsrat nicht Beschluss gefasst hat (vgl. auch § 20 Abs. 7, § 21 Abs. 4, § 136 Abs. 1, 2 AktG). Beschränkt wird nicht die Vertretungsmacht, sondern die Mitverwaltungsrechte „können“ (Wortlaut § 32 MitbestG) während ihres Ruhens nicht ausgeübt werden73. Der Beschluss des Aufsichtsrats ist Wirksamkeitsvoraussetzung für das Wiederaufleben der Rechte74. Der nach Vorliegen eines Aufsichtsratsbeschlusses von der Weisung abweichende Geschäftsführer handelt daher nicht ohne Vertretungsmacht, sondern nur gegen die intern getroffene Entscheidung des Aufsichtsrats75. h) Verpflichtung zur Satzungsänderung und über Organrechte 45 aa) Von der organschaftlichen Vertretungsmacht der Geschäftsführer nicht gedeckt sind Sat-
zungsänderungen76. Hierfür sind die Gesellschafter zuständig. Die Geschäftsführer können weder die Zuständigkeit an sich ziehen noch die Gesellschafter vertreten. Die Geschäftsführer können daher keine weiteren Gesellschafter aufnehmen, Gesellschafter ausschließen oder die Firma der Gesellschaft ändern. Bei Abschluss des Übernahmevertrages einer auf das erhöhte Kapital zu leistenden Stammeinlage wird die Gesellschaft durch ihre Gesellschafter vertreten. Die Gesellschafter können jedoch einen Geschäftsführer zum Abschluss des Übernahmevertrages ermächtigen77. 46 bb) Von der Zuständigkeit zur Satzungsänderung sind zwei Fragen zu unterscheiden, näm-
lich erstens, ob die Geschäftsführer die Gesellschaft Dritten gegenüber zur Satzungsänderung verpflichten können, und zweitens, ob die Geschäftsführer die Gesellschaft verpflichten können, dass Organrechte in bestimmter Weise wahrgenommen oder nicht wahrgenommen werden.
71 Für § 15 MitbestErgG: Kunze, AuR 1956, 261; für § 32 MitbestG: Eichler, BB 1977, 1064; Säcker, DB 1977, 2035; Crezelius, ZGR 1980, 372. 72 Für § 15 MitbestErgG: Fitting, BABl. 1956, 509; Boldt, MitbestErgG, § 15 Anm. 6; Kötter, MitbestErgG, § 15 Anm. 6; für § 32 MitbestG: Bayer, ZGR 1977, 191; Lehmann/Heinsius, Aktienrecht und Mitbestimmung, S. 41; Philipp, DB 1976, 1624; Habersack in Habersack/Henssler, 4. Aufl. 2018, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 15; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 32 MitbestG Rz. 24; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Anm. 28, der jedoch auch vom Ruhen der Stimmrechte spricht; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 32 MitbestG Anm. 42; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 43 f.; Bernhardt/Bredol, NZG 2015, 419, 421 f. 73 A.A. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 2; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56. 74 Näher hierzu: Uwe H. Schneider in GK-MitbestG, § 32 Anm. 28; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Rz. 16. 75 Uwe H. Schneider in GK-MitbestG, § 32 Anm. 61; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 32 MitbestG Anm. 32; Philipp, DB 1976, 1626; a.A. Lehmann/Heinsius, Aktienrecht und Mitbestimmung, S. 41; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 9; dazu OLG Köln v. 17.1.1996 – 5 U 255/93, DB 1996, 1713. 76 RG v. 20.12.1939 – II 88/39, RGZ 162, 374; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, 1980, S. 524. 77 BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BB 1968, 59.
20 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 50 § 35
Bei der Verpflichtung zur Satzungsänderung ist etwa an eine Vereinbarung im Rahmen ei- 47 nes Darlehensvertrages zu denken, das Kapital zu erhöhen, einen Aufsichtsrat einzurichten oder einen weiteren Gesellschafter aufzunehmen. Auch zu solchen Verpflichtungen berechtigt die organschaftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers nicht78. Es handelt sich nicht um Maßnahmen der Unternehmensleitung, sondern um Maßnahmen, die die Grundlagen der Gesellschaft betreffen. Die organschaftliche Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers berechtigt aber nur zur Verpflichtung der Gesellschaft im Außenverkehr. Solche Vereinbarungen sind aber auch nicht unzulässig. Jeder Gesellschafter kann für sich eine Verpflichtung eingehen, seine Stimmrechte entsprechend zu verwenden. Wirksam ist auch eine Verpflichtung der Gesellschaft zur Satzungsänderung. Dabei wird die Gesellschaft zwar durch den Geschäftsführer vertreten, ein entsprechender Gesellschafterbeschluss ist aber Wirksamkeitsvoraussetzung79. Auch für Verträge, durch die die Gesellschaft sich verpflichtet, dass Organrechte bei der 48 eigenen Gesellschaft in bestimmter Weise ausgeübt werden, fehlt dem Geschäftsführer die Vertretungsbefugnis. Zu denken ist an eine Verpflichtung, eine bestimmte Person als Geschäftsführer oder als Mitglied des Aufsichtsrats zu berufen, den Geschäftsführer auf Wunsch des Vertragspartners abzuberufen (s. 12. Aufl., § 38 Rz. 24) oder bestimmte Informationen nicht an den Aufsichtsrat, an einzelne Aufsichtsratsmitglieder oder an die Gesellschafter weiterzugeben. Generell unwirksam sind Verpflichtungen, durch die in allgemeiner Form Zuständigkeiten 49 und Aufgaben eines Organs auf einen Dritten verlagert werden oder die verhindern, dass die Organmitglieder ihre Pflichten ordnungsgemäß erfüllen können. Unwirksam wäre daher eine selbständige Verpflichtung gegenüber einem Dritten, auf dessen Verlangen einen von dem Dritten benannten Geschäftsführer zu bestellen oder abzuberufen80. Soweit aber nicht in allgemeiner Form Organzuständigkeiten verlagert, sondern nur eine 50 Verpflichtung begründet wird, die intern einen Gesellschafterbeschluss erfordert, ist die Zulässigkeit unbedenklich. Daher kann die Gesellschaft sich in einem Darlehensvertrag zugleich verpflichten, einen bestimmten Geschäftsführer abzuberufen (s. auch 12. Aufl., § 38 Rz. 55). Beim Abschluss eines solchen Rechtsgeschäfts wird die Gesellschaft durch die Geschäftsführer vertreten. Die Zustimmung des betreffenden Organs ist freilich Wirksamkeitsvoraussetzung81. Solche Verträge haben aber keine organisationsrechtliche Wirkung. Sie gewähren dem Dritten keinen Erfüllungsanspruch, sondern gegebenenfalls nur Schadensersatzansprüche. Dagegen können die Geschäftsführer in einer schuldrechtlichen Vereinbarung als unselbständige Nebenbestimmung mit Wirkung für die GmbH Dritten Informations- und Einsichtsrechte einräumen82.
78 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; ausführlich: Fleck, ZGR 1988, 104, 110. 79 Vgl. OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 8 U 91/00, NZG 2001, 763; a.A. die h.M.: Vertretung durch Gesellschafter: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19. 80 Ebenso „für eine ganz allgemeine Abrede“, den Aufsichtsrat nicht zu informieren: Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl. 2006, S. 166 ff.; differenzierend: Fleck, ZGR 1988, 104. 81 S. auch Mertens in FS Werner, 1984, S. 571: Verträge sind bei kollusiver Schädigung und bei Beeinträchtigung der Informationsrechte grundsätzlich sittenwidrig, sonst aber bestehe Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer; s. auch Mertens, AG 1980, 74; OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 8 U 91/00, NZG 2001, 763. 82 Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911, 930.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 21
§ 35 Rz. 51 | Vertretung der GmbH i) Einzahlung und Einlagen 51 Der Anspruch auf Einzahlung der Einlagen steht der Gesellschaft zu. Er wird vom Geschäfts-
führer gegen den Gesellschafter geltend gemacht, s. dazu 12. Aufl., § 19 Rz. 13. j) Genehmigung der Anteilsabtretung 52 Nach § 15 Abs. 5 kann der Gesellschaftsvertrag die Abtretung eines Gesellschaftsanteils von
der Genehmigung der Gesellschaft abhängig machen. Wer für die Erteilung der Genehmigung zuständig ist und wer hierbei die Gesellschaft vertritt, ist streitig (s. 12. Aufl., § 15 Rz. 121). 53 Einigkeit dürfte bestehen, dass die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag vorsehen können,
dass der Geschäftsführer die Genehmigung erteilt und hierbei die Gesellschaft vertritt83. Fehlt es an einer ausdrücklichen Vereinbarung, und lässt sich auch nicht durch Auslegung ermitteln, ob die Gesellschafter oder der Geschäftsführer zuständig sein sollen, so erteilt der Geschäftsführer die Genehmigung. Im Innenverhältnis bedarf es jedoch eines Gesellschafterbeschlusses84. 54 Teilweise wird vertreten, der Geschäftsführer könne die Genehmigung nicht wirksam ertei-
len und dabei die Gesellschaft vertreten, wenn intern ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist85; denn in solchen Fällen sei auf Grund der internen Zuständigkeit der Gesellschafter die organschaftliche Vertretungsmacht beschränkt (s. Rz. 29 f.). Dem ist entgegenzuhalten, dass von der Erklärung auch der Erwerber des Anteils betroffen ist, der die innergesellschaftlichen Vorgänge – und dazu gehört der Gesellschafterbeschluss – nicht nachprüfen kann. Aus diesem Grund ist in § 68 Abs. 2 AktG vorgesehen, dass die Zustimmung zur Übertragung von Namensaktien auch dann der Vorstand erteilt, wenn der Aufsichtsrat oder die Hauptversammlung über die Erteilung der Zustimmung beschließen. Angesichts der Außenwirkung der Abtretungsgenehmigung ist eine Beschränkung der Vertretungsbefugnis abzulehnen86. k) Gründung von Gesellschaften, Anteilserwerb, Genussscheine 55 aa) Von der Vertretungsmacht gedeckt ist die Mitwirkung an der Gründung einer Gesell-
schaft und der Erwerb von Gesellschaftsanteilen87 (str., Einzelheiten s. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht [nach § 13] Anh. § 13 Rz. 58 f.). Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Bildung eines faktischen Konzerns aus der Sicht des herrschenden Unternehmens eine Maßnahme der Geschäftsführung ist. 56 bb) Von der organschaftlichen Vertretungsmacht des Geschäftsführers gedeckt ist der Ab-
schluss eines typischen stillen Gesellschaftsvertrags, und zwar sowohl für den Fall, dass die GmbH Geschäftsinhaberin ist, als auch für den Fall, dass die GmbH stille Gesellschafterin ist88. Wird die GmbH Geschäftsinhaberin, so ist freilich Voraussetzung, dass hierdurch das 83 Leßmann, GmbHR 1985, 179, 185. 84 BGH v. 14.3.1988 – II ZR 211/87, GmbHR 1988, 260 = WM 1988, 704. 85 So: Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 99 f.; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 80 f.; Leßmann, GmbHR 1985, 179, 182; a.A. RG v. 13.6.1922 – II 771/21, RGZ 104, 413; Zimmermann, BB 1966, 1171; Fischer, ZHR 130 (1969), 367; offengelassen in BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25; BGH v. 14.3.1988 – II ZR 211/87, GmbHR 1988, 260 = WM 1988, 704: Genehmigung unwirksam, wenn Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegt; s. auch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6. 86 Ebenso Goette, Die GmbH nach der BGH-Rechtsprechung, S. 199; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 166. 87 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10. 88 BGH v. 26.10.1978 – II ZR 119/77, DB 1979, 644; Lamprecht in Blaurock, Handbuch Stille Gesellschaft, 9. Aufl. 2020, § 9 Rz. 9.63; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 22.
22 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 59 § 35
Gewinnbeteiligungsrecht der Gesellschafter nicht wesentlich beeinträchtigt wird89. Der Geschäftsführer kann auch eine stille Beteiligung kündigen; denn die Begründung einer stillen Gesellschaft bedeutet nicht den Eintritt des stillen Gesellschafters in die GmbH, sondern die Begründung eines Rechtsverhältnisses, das zwischen der GmbH und dem stillen Gesellschafter besteht90. Im Verhältnis zu Dritten handelt es sich um Verkehrsgeschäfte. Wenn jedoch die Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters erheblich das Gewinnbeteiligungsrecht der GmbH-Gesellschafter beschneidet, bedarf es als Wirksamkeitsvoraussetzung eines Gesellschafterbeschlusses91. cc) Genussrechte werden durch schuldrechtlichen Vertrag zwischen der Gesellschaft mit 57 dem ersten Erwerber begründet92. Dabei wird die Gesellschaft durch den Geschäftsführer vertreten. Ist ein Gesellschafterbeschluss erforderlich, weil durch die Begründung wesentlich in die Gewinnbeteiligungsrechte der Gesellschafter eingegriffen wird, so entsteht das Recht erst, wenn der entsprechende Beschluss gefasst ist (str., Einzelheiten 12. Aufl., § 14 Rz. 69 f.). l) Unternehmens- und Fusionsverträge S. hierzu 12. Aufl., Anh. Konzernrecht (nach § 13) Anh. § 13 Rz. 129 ff.
58
IV. Vertretung durch mehrere Personen 1. Gesetzliche Regel a) Aktivvertretung Die GmbH kann einen oder mehrere Geschäftsführer haben. Hat sie mehrere, so gilt für die 59 aktive gesetzliche Vertretung der Gesellschaft als gesetzliche Regel Gesamtvertretung durch alle Geschäftsführer. Dies galt schon vor Inkrafttreten des MoMiG in entsprechender Anwendung des § 78 AktG93 und wird heute durch den neu gefassten § 35 Abs. 2 Satz 1 klargestellt. Sieht der Gesellschaftsvertrag keine von der gesetzlichen Vertretungsregelung abweichende Bestimmung vor, ist bei Fortfall aller anderen Geschäftsführer der verbleibende Geschäftsführer alleinvertretungsbefugt94. Werden für die Gesellschaft rechtsgeschäftliche Erklärungen abgegeben (Aktivvertretung), so werden diese erst wirksam, wenn alle Gesamtvertreter ihre Erklärungen als Teil der Gesamterklärung in entsprechender Form abgegeben haben95. Deshalb liegt keine wirksame Vertretung vor, wenn die Erklärung auch nur eines Gesamtvertreters nichtig ist96. Im Rahmen der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen ist hingegen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 InsO auch in Fällen der Gesamtvertretung jeder Geschäftsführer befugt, aufgrund der durch die InsO verliehenen Vertretungsmacht ohne Mitwirkung der übrigen Geschäftsführer einen Eröffnungsantrag zu stellen97. Die insoweit bestehende Einzelvertretungsmacht des ansonsten gesamt-
89 Näher zur Abgrenzung vom Gewinnabführungsvertrag: Uwe H. Schneider/Reusch, DB 1989, 713. 90 BGH v. 14.2.1957 – II ZR 190/55, WM 1957, 543, 544; BGH v. 18.10.1962 – II ZR 12/61, WM 1962, 1353, 1354. 91 Str.; s. Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 126 HGB Rz. 11 sowie Uwe H. Schneider/Reusch, DB 1989, 713, 715. 92 RG v. 13.3.1931 – II 315/30, RGZ 132, 199. 93 Vgl. 10. Aufl., Rz. 51. 94 Blasche, GmbHR 2017, 123, 128. 95 BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, LM Nr. 15 zu § 164 BGB. 96 BGH v. 9.2.1970 – II ZR 137/69, BGHZ 53, 214: Geschäftsunfähigkeit; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 114; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 56. 97 Gehrlein, ZInsO 2017, 1977.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 23
§ 35 Rz. 59 | Vertretung der GmbH vertretungsberechtigten Geschäftsführers kann auch nicht durch die Satzung beseitigt oder beschränkt werden98. In Angelegenheiten, in denen die Gesellschaft ausschließlich durch Geschäftsführer vertreten werden kann, muss, wenn kein Geschäftsführer vorhanden ist oder eine Gesamtvertretung nicht möglich ist, ein Notgeschäftsführer bestellt werden99. b) Passivvertretung (§ 35 Abs. 2 Sätze 2 bis 4) aa) Zustellung an inländische Geschäftsanschrift 60 Für den Fall des Empfangs von Willenserklärungen (Passivvertretung) gilt Einzelvertretungs-
befugnis, und zwar auch dann, wenn für die Aktivvertretung Gesamtvertretung vorgesehen ist. Das bedeutet: Zugang der Erklärung gegenüber einem Gesamtvertreter genügt100. Das Gleiche gilt für Zustellungen in gerichtlichen Verfahren (§ 170 Abs. 3 ZPO), die an jedem Ort erfolgen kann, an dem der Geschäftsführer angetroffen wird (§§ 170, 177 ZPO)101. Alle Vertreter der Gesellschaft sind nunmehr unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift (s. hierzu sogleich bei Rz. 62) zu erreichen. Unter dieser Anschrift können auch Zustellungen an die Gesellschaft bewirkt werden102. Es genügt jedoch auch, wenn die Erklärung an die Privatanschrift des Geschäftsführers erfolgt103. § 35 Abs. 2 Satz 2 entspricht § 26 Abs. 2 Satz 2 BGB, § 78 Abs. 2 Satz 2 AktG. Damit ist sie der Gesellschaft rechtswirksam zugegangen (§ 130 BGB). Diese Vorschrift ist zwingend, kann also durch das Statut nicht abgeändert werden (unstreitig). Soweit aber die Prokura und die Handlungsvollmacht reichen (§§ 48 ff. HGB), genügt auch eine Erklärung an einen Träger dieser Vollmachten. Beispiele der Passivvertretung sind: Mahnungen, Kündigungen, Fristsetzungen, Mängelanzeigen gegenüber der GmbH, Zahlungsaufforderungen an die GmbH104. 61 Die Erklärung gegenüber einem faktischen Geschäftsführer reicht nicht105, gegenüber dem
Prokuristen nur dann nicht, wenn sie dem gesetzlichen Vertreter gegenüber zu erklären ist. 62 Der Name des Vertreters braucht nicht genannt zu werden106. § 35 Abs. 2 Satz 4 ist im Zu-
sammenhang mit § 8 Abs. 4 Nr. 1, § 10 Abs. 1 Satz 1 zu sehen. Verlangt ist hiernach die Eintragung einer inländischen Geschäftsanschrift. Eine Änderung der Geschäftsanschrift ist ebenfalls anzumelden (§ 13 Abs. 3 GmbHG, § 31 Abs. 1 HGB). Der Anmeldepflicht unterliegt der Geschäftsführer persönlich (§ 78), der insoweit die GmbH nach Maßgabe von § 35 Abs. 1 und 2 vertritt107. Damit wird nunmehr vermieden, dass Geschäftspartner von Gesell98 BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587 m. Anm. Wagner = ZIP 2016, 817, 818. 99 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 32; Metzing, NJW 2017, 3194, 3197; eingehend zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines Notgeschäftsführers Theiselmann, GmbH-StB 2017, 17; vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – 3 Wx 302/15, GmbHR 2016, 1032, 1033 f.; OLG Frankfurt v. 16.1.2014 – 20 W 309/13, NZG 2014, 391, 392 ff. = GmbHR 2014, 929. 100 BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 173 = GmbHR 1974, 182; s. auch BGH v. 17.9.2001 – II ZR 378/99, GmbHR 2002, 27; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 27. 101 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 13; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 29. 102 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 103 BGH v. 31.7.2003 – III ZR 353/02, NJW 2003, 3270 = WM 2003, 1820: Einlegen in privates Postfach des Geschäftsführers soll genügen; krit. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 65; a.A. Fleischer, NJW 2006, 3239, 3242. 104 RG v. 31.12.1902 – I 320/02, RGZ 53, 230: Erhebung von Wechsel- und Scheckprotest; RG v. 16.10.1920 – V 34/20, RGZ 100, 138. 105 A.A. FG Hessen v. 20.10.1997 – 4 K 1420/93, GmbHR 1998, 901. 106 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 66; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 170; Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1172 f.; a.A. Schwab, DStR 2010, 333, 335. 107 OLG Hamburg v. 27.1.2011 – 11 W 4/11, GmbHR 2011, 828, 829.
24 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 65 § 35
schaften mit Sitz im Ausland den zeit- und kostenintensiven Weg der Auslandszustellung beschreiten müssen, um Schriftstücke zuzustellen oder Willenserklärungen wirksam abzugeben108. § 35 Abs. 2 Satz 3 erste Alternative begründet eine unwiderlegliche Vermutung109. Vermutet 63 wird, dass unter der im Handelsregister eingetragenen Adresse ein Vertreter der Gesellschaft erreichbar ist110. Es kommt somit nicht darauf an, dass die entsprechende Adresse zutreffend ist. Die anzumeldende Geschäftsanschrift ist – anders als bei Personenhandelsgesellschaften – frei wählbar111. Und nicht erforderlich ist, dass tatsächlich ein Geschäftslokal besteht112. Der Normzweck verlangt lediglich, dass die betreffende Geschäftsanschrift im Handelsregister angegeben ist. Daraus ergibt sich ein zurechenbarer Rechtsschein113. Es kommt auch nicht darauf an, dass der Vertreter auch tatsächlich die Erklärung zur Kenntnis genommen hat, denn die Vermutung bezieht sich auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme. Zudem ist es unschädlich, wenn dem Erklärenden bekannt ist, dass die Vertreter derzeit nicht erreichbar sind, z.B. weil sie sich im Ausland aufhalten. Auch ist nicht verlangt, dass der Erklärende weiß, dass ein Fall der Führungslosigkeit vorliegt. Bislang nicht gänzlich geklärt ist die Zulässigkeit der Eintragung von sog. „c/o-Adressen“ als Geschäftsanschrift114. Die bisherige Rechtsprechung115 geht davon aus, dass c/o-Adressen den Anforderungen an eine inländische Geschäftsanschrift genügen können; Voraussetzung sei jedoch, dass eine (notfalls Ersatz-)Zustellung an die Adresse tatsächlich möglich sei. S. zur Geschäftsanschrift auch 12. Aufl., § 8 Rz. 33 f. Sofern eine Zustellung an die im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift aus tat- 64 sächlichen Gründen unmöglich ist, kann – bei Vorliegen der Voraussetzungen116 – die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung gemäß § 185 Nr. 2 ZPO erfolgen. bb) Passivvertretung durch empfangsberechtigte Person Nach § 10 Abs. 2 Satz 2 kann eine Person auch mit einer inländischen Anschrift zur Eintra- 65 gung in das Handelsregister angemeldet werden. Für diesen Fall kann nach § 35 Abs. 2 Satz 4
108 Mackenroth, NJ 2009, 1, 3; Kindler, NJW 2008, 3249, 3254; Steffek, BB 2007, 2077. 109 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 777; anders Zirngibl in Bunnemann/Zirngibl, Auswirkungen des MoMiG auf bestehende GmbHs, § 4 Rz. 104 ff., nach dem die Vermutung widerlegt sein soll, wenn an der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift kein Geschäftslokal existiert. Jedoch bezieht sich die von § 35 Abs. 2 Satz 3 aufgestellte Vermutung nicht auf die Existenz des Geschäftslokals, sondern auf den Zugang der Erklärung; so auch Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 777; Steffek, BB 2007, 2077, 2080. Und sofern kein Geschäftslokal (mehr) existiert, ist ein zurechenbarer Rechtsschein eines solchen durch die Eintragung der Geschäftsanschrift im Handelsregister geschaffen worden, der nur durch positive Kenntnis des Erklärenden vom Nichtvorhandensein eines Geschäftslokals erschüttert würde. 110 Breitenstein/Meyding, BB 2007, 1457, 1460. 111 OLG Schleswig v. 14.11.2011 – 2 W 48/11, GmbHR 2012, 800, 802. 112 A.A. offenbar OLG Schleswig v. 14.11.2011 – 2 W 48/11, GmbHR 2012, 800, 802; nach Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47 ist eine Empfangsvorkehrung erforderlich; ebenso Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 171, 245; Schwab, DStR 2010, 333, 335; wie hier jedoch Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 46; s. auch Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 68: zurechenbarer Rechtsschein des Bestehens eines Geschäftslokals genügt. 113 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 114 Vgl. etwa Stenzel, NZG 2011, 851, 853: für vorbehaltlose Zulässigkeit (m.w.N.). 115 OLG Naumburg v. 8.5.2009 – 5 Wx 4/09, GmbHR 2009, 832; OLG Rostock v. 31.5.2010 – 1 W 6/ 10, GmbHR 2011, 30; OLG Hamm v. 20.1.2011 – 15 W 485/10, GmbHR 2011, 595. 116 Vgl. zu den Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung an juristische Personen: KG v. 12.7.2010 – 12 W 20/10, MDR 2011, 125.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 25
§ 35 Rz. 65 | Vertretung der GmbH die Zustellung auch unter der ins Handelsregister eingetragenen Anschrift der empfangsberechtigten Person erfolgen. 66 Durch § 35 Abs. 2 Satz 4 wird, durch Eintragung einer weiteren empfangsberechtigten Per-
son nach den Voraussetzungen des § 10 Abs. 2 Satz 2, Dritten eine weitere Möglichkeit eröffnet, die Gesellschaft zu erreichen. Die Gesellschaft eröffnet sich dadurch die zusätzliche Möglichkeit zur Kenntniserlangung von Willenserklärungen und zugestellten Schriftstücken117. Eine solche Maßnahme kommt etwa in Betracht, wenn bei einer neu gegründeten Gesellschaft als Geschäftsanschrift zunächst die Privatanschrift des Geschäftsführers angegeben wird oder wenn kurzfristig die Verlegung des Geschäftslokals geplant ist118. 67 Einer nach § 10 Abs. 2 Satz 2 eingetragenen empfangsberechtigten Person gegenüber kann
jederzeit eine Willenserklärung abgegeben und können Schriftstücke zugestellt werden, ohne dass zuvor ein Zustellversuch an die Vertreter der Gesellschaft unter deren Geschäftsanschrift erfolgt sein muss119. Soll jedoch eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen, ist gemäß § 185 Nr. 2 ZPO Voraussetzung, dass die reguläre Zustellung an die gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 empfangsberechtigte Person unmöglich ist, sofern eine solche Person eingetragen ist120. 68 Willenserklärungen und Zustellungen, die der nach § 10 Abs. 2 Satz 2 eingetragenen Person
zugehen, gelten als der Gesellschaft zugegangen, da die eingetragene Person die Stellung eines Empfangsvertreters einnimmt. Daher haben die Vertreter der Gesellschaft Sorge dafür zu tragen, dass von der empfangsberechtigten Person weitergeleitete Nachrichten und Schriftstücke rechtzeitig zur Kenntnis genommen werden können. Dementsprechend hat die empfangsberechtigte Person die Aufgabe, ihr zugegangene Willenserklärungen und zugestellte Schriftstücke für die Gesellschaft deren Vertretern zuzuleiten. Sofern die empfangsberechtigte Person diese Verpflichtung schuldhaft verletzt, ist sie der Gesellschaft gegenüber zum Ersatz eines daraus entstandenen Schadens verpflichtet. c) Passivvertretung bei Fehlen von Geschäftsführern (§ 35 Abs. 1 Satz 2) aa) Frühere Rechtslage 69 Vor der Einfügung von § 35 Abs. 1 Satz 2 durch das MoMiG galt: Hat die GmbH keinen
Geschäftsführer, so konnten gegenüber der Gesellschaft Erklärungen, außer den Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten der Gesellschaft gegenüber121, nicht abgegeben werden. Diese Verhinderung des Zugangs musste sich die Gesellschaft zurechnen lassen, weshalb der Zugang unterstellt wurde122. Eine Erklärung gegenüber dem Mehrheitsgesellschafter war weder ausreichend noch erforderlich123. Dieser, vielfach als unbefriedigend empfundenen Situation stellte der Gesetzgeber den durch das MoMiG neu eingeführten § 35 Abs. 1 Satz 2 entgegen. bb) Normzweck 70 Durch den neu eingefügten § 35 Abs. 1 Satz 2 soll die Zustellungs- und Zugangsvereitelung
von Schriftstücken und Willenserklärungen verhindert werden. Die Norm dient insoweit der 117 118 119 120
Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43. Tebben, RNotZ 2008, 441, 450. Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 778. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 173; zu den Voraussetzungen im Einzelnen Hirte, NZG 2008, 761, 766. 121 So noch zur alten Rechtslage Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 18. Aufl. 2006, Rz. 105. 122 Ebenso noch vor dem MoMiG Altmeppen in Roth/Altmeppen, 5. Aufl. 2005, Rz. 55. 123 So aber OLG München v. 25.5.1993 – 18 U 7176/92, GmbHR 1994, 122.
26 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 73 § 35
Missbrauchsbekämpfung. Insbesondere soll der Praxis der sog. „Firmenbestatter“124 entgegengetreten werden, bei der mit unguten Absichten der einzige Geschäftsführer sein Amt niedergelegt hat oder abberufen und kein Nachfolger bestellt wird. Dadurch wird ein Zustand herbeigeführt, durch den u.a. der Zugang von Erklärungen und die Zustellung von Schriftstücken gegenüber der GmbH, wie auch der UG (haftungsbeschränkt), verzögert oder tatsächlich unmöglich wird125. Durch die neue Vorschrift wird die zeitaufwändige Bestellung eines Notgeschäftsführers entbehrlich126. Für die Zustellung von Schriftstücken geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Gesellschaft 71 selbst eine nicht prozessfähige Person ist127. Damit werden zwar diejenigen Stimmen ignoriert, die die Prozessfähigkeit inzwischen auf alle juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften erweitern wollen128. Jedoch lässt sich aus § 170 ZPO entnehmen, dass – ungeachtet einer möglichen Prozessfähigkeit – bei Zustellungen an nicht natürliche Personen an deren gesetzliche Vertreter zuzustellen ist129, so dass bei der GmbH die Zustellung grundsätzlich an den die Gesellschaft gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 vertretenden Geschäftsführer zu erfolgen hat. Fehlte es an einem Geschäftsführer, konnte folglich die Zustellung gegenüber der Gesellschaft bisher nicht ordnungsgemäß bewirkt werden, da die Zustellung gegenüber der Gesellschaft als solcher wegen § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO unwirksam ist130. Daran sollte auch der ebenfalls mit dem MoMiG neu eingeführte § 185 Nr. 2 ZPO nichts ändern, da § 170 Abs. 1 Satz 2 ZPO einer öffentlichen Zustellung weiterhin entgegenstehen soll131. Diesen Missstand hat der Gesetzgeber nun mit der Einführung der ersatzweisen Empfangsvertretung der Gesellschaft durch ihre Gesellschafter beseitigt. Näher zur Prozessfähigkeit s. Rz. 78. Die Folge der Neuregelung ist eine auch an anderer Stelle zu beobachtende Veränderung 72 der Gesellschafterstellung, und zwar weg von einem passiven Investor hin zu einem Gesellschafter mit subsidiärer Verantwortlichkeit für die Geschäftsführung der Gesellschaft. cc) Legaldefinition der Führungslosigkeit § 35 Abs. 1 Satz 2 erweitert die Passivvertretung im Falle der Führungslosigkeit132. Tatbe- 73 standsmerkmal in § 35 Abs. 1 Satz 2 ist die Führungslosigkeit. Sie wird legal definiert: Führungslos ist eine Gesellschaft, die keinen Geschäftsführer hat. Die Gründe sind unerheblich. Führungslos ist die Gesellschaft z.B. nach Abberufung des Geschäftsführers, nach dessen Amtsniederlegung und bei Tod des Geschäftsführers133. Hatte die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer und ist ein Geschäftsführer weggefallen, so ist die Gesellschaft nicht führungslos134. Zu welchem Zeitpunkt die Führungslosigkeit beginnt, bestimmt sich nach den Regeln
124 S. dazu AG Memmingen v. 2.12.2003 – HRB 8361, GmbHR 2004, 952; AG Duisburg v. 2.1.2007 – 64 IN 107/06, NZG 2007, 439; Haarmeyer, ZInsO 2006, 449; Haas, GmbHR 2006, 729, 732; Hey/ Regel, GmbHR 2000, 15; Hirte, ZInsO 2003, 833; König/Bormann, DNotZ 2008, 652, 670; Mackenroth, NJ 2009, 1, 2; Wachter, GmbHR 2004, 955; s. auch schon Gustavus, GmbHR 1992, 15; zum Ganzen auch Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2018, S. 65 ff. 125 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 126 König/Bormann, DNotZ 2008, 652, 671. 127 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 128 Althammer in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 52 ZPO Rz. 2 a.E. 129 Schultzky in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 170 ZPO Rz. 3. 130 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 131 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 132 Zustimmend: Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449, 451. 133 Gehrlein, ZInsO 2017, 1977, 1978. 134 Berger, ZInsO 2009, 1977, 1980; Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, NJW 2015, 2215, 2217.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 27
§ 35 Rz. 73 | Vertretung der GmbH über Beginn und Ende der Organstellung135. Jedoch kann sich ein Dritter auf § 15 Abs. 1 HGB berufen, wenn ein wirksam bestellter Geschäftsführer nicht im Handelsregister eingetragen wurde136. 74 Keine Führungslosigkeit liegt vor, wenn der Geschäftsführer bloß vorübergehend137 nicht
erreichbar138 oder tatsächlich nicht in der Lage oder nicht willens ist139, die Geschäfte zu führen. Denn dann verfügt die Gesellschaft dem Wortlaut der Norm nach nicht über „keinen“ Geschäftsführer, sondern allenfalls über einen verhinderten oder untauglichen Geschäftsführer140. Nicht ausreichend ist auch eine bloß „eventuelle Führungslosigkeit“, etwa wenn der Aufenthaltsort eines – möglicherweise flüchtigen – Geschäftsführers unbekannt141, mit seinem Auftauchen aber zeitnah zu rechnen ist. Ein solches „Abtauchen“ kann in der Regel auch nicht142 als konkludente Amtsniederlegung gewertet werden143. Die Gesellschaft ist dagegen führungslos, wenn der Geschäftsführer längere Zeit, z.B. auf Grund einer mehrmonatigen Weltreise, nicht greifbar ist144. 75 Ebenfalls keine Führungslosigkeit soll vorliegen, wenn für die Abwicklungsphase der Gesell-
schaft Liquidatoren an Stelle der Geschäftsführer treten145. Dies ist unter Berücksichtigung der Legaldefinition in dem ebenfalls mit dem MoMiG neu angefügten § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO, wonach Führungslosigkeit bei einer juristischen Person dann vorliegt, wenn diese keine organschaftlichen Vertreter hat, stimmig. Führungslosigkeit erfordert also das Fehlen eines organschaftlichen oder sonstigen gesetzlichen Vertreters der Gesellschaft. Daher hindert auch ein faktischer Geschäftsführer – mangels wirksamer Berufung und Organstellung – nicht die Annahme von Führungslosigkeit146. In diesem Fall bestehen die Verantwortlichkeiten der Gesellschafter bei Führungslosigkeit (s. Rz. 77) neben denjenigen, die den faktischen Geschäftsführer treffen147. Unklar bleibt, warum der Gesetzgeber bei der Legaldefinition der
135 Schmahl, NZI 2008, 6, 7. 136 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1162. 137 Bloß vorübergehende Unerreichbarkeit soll nur vorliegen, wenn die grundsätzliche Bereitschaft zur Wahrnehmung der Geschäftsführeraufgaben außer Frage steht: Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160. 138 AG Potsdam v. 24.1.2013 – 35 IN 978/12, ZIP 2013, 1638. 139 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44: „Strohmanngeschäftsführer“; Römermann, NZI 2008, 641, 645; Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160; Wälzholz, DStR 2007, 1914, 1916. 140 Zu den Voraussetzungen an die Person des Geschäftsführers s. auch § 6 Abs. 2. 141 AG Hamburg v. 27.11.2008 – 67c IN 478/08, NJW 2009, 304; OLG Düsseldorf v. 1.3.2016 – 3 Wx 191/15, ZIP 2016, 1068, 1071 = GmbHR 2016, 824; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 240; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 10; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 42; Berger, ZInsO 2009, 1977, 1980; a.A. Passarge, GmbHR 2010, 295, 297; Passarge/Brete, ZInsO 2011, 1293, 1297. 142 Römermann, NZI 2010, 241, 243; Berger, ZInsO 2009, 1977, 1981. 143 AG Hamburg v. 27.11.2008 – 67c IN 478/08, NJW 2009, 304; Römermann, NZI 2008, 641, 645; Römermann, NZI 2010, 241, 243; a.A. Dahl, NJW-Spezial 2009, 55; unklar Gehrlein, BB 2008, 846, 848; die praktischen Probleme dieses Ansatzes betonend Passarge/Brete, ZInsO 2011, 1293, 1299. 144 A.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 10; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 240. 145 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160; Wicke, Rz. 26. 146 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 29; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 72; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 240; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 10; Wicke, Rz. 26; Römermann, NZI 2010, 241, 242; Berger, ZInsO 2009, 1977, 1981; Knauth, NZI 2018, 55, 57; a.A. (für den Fall des § 10 Abs. 2 InsO); s. zum Ganzen auch Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1161 f. 147 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1161.
28 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 78 § 35
Führungslosigkeit in § 35 Abs. 1 Satz 2 sich nicht an die weniger zweifelhafte Formulierung des § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO gehalten hat148. Die Führungslosigkeit bestimmt sich nach objektiven Merkmalen. Keine Voraussetzung der 76 Führungslosigkeit ist daher die Kenntnis der Gesellschafter von der Tatsache, dass die Gesellschaft keinen organschaftlichen Vertreter hat149. Auch ist keine Mindestbeteiligung des Gesellschafters erforderlich150. Daraus folgt, dass auch ein Zwerggesellschafter ohne eigene Kenntnis der näheren Umstände der Führungslosigkeit in die Rolle als ersatzweises QuasiOrgan der Gesellschaft geraten kann. Der Eintritt der Rechtsfolgen des § 35 Abs. 1 Satz 2, also Passivvertretung bei den Gesellschaftern, lässt sich auch nicht durch eine Satzungsbestimmung vermeiden, nach der bei Führungslosigkeit der fakultative oder obligatorische Aufsichtsrat passiv vertretungsbefugt sein soll151. Denn die passive Einzelvertretungsbefugnis kann nicht durch Satzungsregelungen abgeändert werden152. dd) Nur Passivvertretung § 35 Abs. 1 Satz 2 handelt nur von der Passivvertretung, nämlich davon, dass der Gesell- 77 schaft gegenüber Willenserklärungen abgegeben werden oder die Zustellung eines Schriftstücks erfolgen sollen153. Eine Befugnis zur Aktivvertretung ist damit nicht verbunden154. Die Abgabe der Willenserklärung richtet sich nach den §§ 116 ff. BGB. Zustellung eines Schriftstücks ist nach der Legaldefinition des § 166 Abs. 1 ZPO die Bekanntgabe eines Dokuments an eine Person. Auf die Zustellung finden die Bestimmungen der §§ 166 ff. ZPO Anwendung. Daneben hat die Führungslosigkeit der Gesellschaft nur dort Auswirkungen auf die Pflichten der Gesellschafter, wo dies ausdrücklich gesetzlich vorgesehen wird, wie der Antragsstellungspflicht nach § 15a Abs. 3 InsO, der Anhörung nach § 10 Abs. 2 Satz 2 InsO sowie dem Insolvenzantragsrecht nach § 15 Abs. 1 Satz 2 InsO155. Mit dem Einrücken der Gesellschafter in die Stellung eines ersatzweisen Passivvertreters bei 78 Führungslosigkeit ist keine Prozessfähigkeit verbunden156. Daher bleibt es auch dabei, dass die führungslose Gesellschaft nicht prozessfähig ist und zur Erlangung der Prozessfähigkeit ein Prozesspfleger oder Notgeschäftsführer bestellt werden muss157. Freilich schafft § 35 Abs. 1 Satz 2 die Möglichkeit eine Klage trotz Führungslosigkeit durch Zustellung rechtshängig zu machen158.
148 Dieser Kritik mit Blick auf den Verweis in § 69 entgegentretend Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160 (in dortiger Fn. 20). 149 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 11; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 242; Böhringer, BWNotZ 2008, 104, 113. 150 Tebben, RNotZ 2008, 441, 450. 151 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 11; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 73. 152 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 243. 153 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1160; Lips/Randel/Werwigk, DStR 2008, 2220, 2227. 154 LG Bonn v. 26.5.2009 – 30 T 426/09, NZG 2009, 1077; FG Sachsen-Anhalt v. 15.3.2012 – 3 K 83/ 10, GmbHR 2012, 1151; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 246. 155 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43. 156 BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, GmbHR 2011, 83; FG Sachsen-Anhalt v. 15.3.2012 – 3 K 83/ 10, GmbHR 2012, 1151; zur Frage der Verfahrensfähigkeit im Insolvenzverfahren vgl. Horstkotte, ZInsO 2009, 209. 157 Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 70; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 247; Fest, NZG 2011, 130; Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1165 und 1175; Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 113. 158 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 247; Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 113, 114.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 29
§ 35 Rz. 79 | Vertretung der GmbH ee) Rechtsfolgen 79 Bei Vorliegen eines Falls der Führungslosigkeit sind die Gesellschafter nicht etwa bloße Emp-
fangsboten. Sie müssten in diesem Fall die Erklärung an den Empfänger weiterleiten. Die Gesellschafter sind vielmehr ersatzweise passiv vertretungsberechtigt, also Empfangsvertreter für die gegenüber der Gesellschaft zuzustellenden Schriftstücke und abzugebenden Willenserklärungen. Das hat Folgen für die Beweislast. Für den Umstand, dass die Erklärung in den „Machtbereich“ der Gesellschaft gelangt ist, trägt der Absender die Beweislast159. Die ersatzweise passive Vertretungsbefugnis tritt bei denjenigen ein, die in der zum Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste eingetragen sind160 bei fehlerhafter Gesellschafterliste jedoch auch bei den wahren Gesellschaftern161. 80 Die Stellung als Empfangsvertreter hat zur Folge, dass die Voraussetzungen für den Zugang
in der Person des Vertreters, also des jeweiligen Gesellschafters, erfüllt sein müssen162. Mithin kommen auch die Regelungen der §§ 104 ff. BGB und insbesondere des § 131 BGB zur Anwendung. Deren genereller Anwendungsbereich wird auch von der spezielleren Regelung des § 35 Abs. 1 Satz 2 auf Grund des für den Rechtsverkehr überragenden Interesses an einem Schutz geschäftsunfähiger Personen nicht verdrängt. 81 Da die Kenntnis der Gesellschafter von der Führungslosigkeit nicht erforderlich ist163, stellt
sich die Frage, ob und inwieweit die Gesellschafter verpflichtet sind, die Führungslosigkeit der Gesellschaft zu überwachen und für den möglichen Fall der ersatzweisen Empfangszuständigkeit Vorsorge zu treffen, um eingehende Willenserklärungen bzw. Zustellungen empfangen und rechtzeitig darauf reagieren zu können164. Sofern man eine solche Verpflichtung der Gesellschafter bejaht, stellt sich als Folgefrage, ob sie dann auch für eine Verletzung dieser Pflicht haften, sofern der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht. Die Problematik ist nicht zu verwechseln mit der (zu bejahenden) Frage, ob die nach § 10 Abs. 2 Satz 2 eingetragene empfangsberechtigte Person eine schadensersatzbewehrte Weiterleitungspflicht bezüglich ihr zugegangener Willenserklärungen und zugestellter Schriftstücke trifft (s. dazu bereits Rz. 68). 82 Eine Pflicht der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber Dritten, das Vor-
liegen einer Führungslosigkeit zu überwachen oder sie zu beseitigen, besteht nicht165. Es fällt zwar in den Aufgabenbereich der Gesellschafter, die Geschäftsführer zu bestellen. Sie sind dazu jedoch weder gegenüber dem Registergericht noch den Gläubigern gegenüber verpflichtet (12. Aufl., § 6 Rz. 94). Dann kann es erst recht keine Pflicht geben, den „Wegfall“ des Geschäftsführers und damit die Führungslosigkeit zu überwachen, zumal hier eine gesetzliche Regelung zum Schutze Dritter und der Gesellschaftsgläubiger in der passiven Empfangsvertretung der Gesellschafter gegeben ist. 83 Jedoch wird der Gesellschafter, auf Grund seiner gesetzlich normierten Rolle als potentieller
Empfangsvertreter der Gesellschaft, entsprechend dafür Sorge tragen müssen, für den Fall der Führungslosigkeit Willenserklärungen und Zustellungen für die Gesellschaft rechtzeitig zur Kenntnis nehmen, um in angemessener Zeit darauf reagieren zu können. 84 In diesem Zusammenhang ist auch der neu gefasste § 35 Abs. 2 zu sehen, nach dessen Satz 3
an die Vertreter der Gesellschaft (also einschließlich der ersatzweisen Empfangsvertreter) un159 Ebenso Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 67. 160 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; a.A. Schwab, DStR 2010, 333, 335. 161 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 244; Stein in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1207, 1214. 162 Ellenberger in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 130 BGB Rz. 8. 163 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 42; Stein in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1207, 1211. 164 Steffek, BB 2007, 2077, 2082. 165 Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1163.
30 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 89 § 35
ter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift Willenserklärungen abgegeben und Schriftstücke zugestellt werden können. S. dazu bereits Rz. 62 ff. Für die Abgabe von Willenserklärungen gegenüber der Gesellschaft ist es ohne Bedeutung, 85 dass der Vertreter der Gesellschaft korrekt bezeichnet wird, solange die Erklärung der Gesellschaft unter der im Handelsregister eingetragenen Geschäftsanschrift zugeht und erkennbar zum Ausdruck kommt, dass die Erklärung gegenüber der Gesellschaft abgegeben wird166. Ist die Willenserklärung an eine falsche Adresse übermittelt worden, die nicht der im Han- 86 delsregister eingetragenen entspricht, so gilt die Erklärung gleichwohl als zugegangen, wenn entweder der Vertreter der Gesellschaft von der Mitteilung Kenntnis erlangt hat oder wenn die Adresse vom Empfänger benannt wurde oder in sonstiger Weise ein zurechenbarer Rechtsschein für diese Adresse gesetzt wurde. ff) Zustellung In Bezug auf Zustellungen i.S.d. §§ 166 ff. ZPO ist jedoch zu beachten, dass nach § 182 Abs. 2 87 Nr. 1 ZPO zwingender Inhalt der Zustellungsurkunde die Bezeichnung der Person ist, an die zugestellt werden soll (Zustellungsadressat). Dabei soll nach der für die GmbH erforderlichen Zustellung an den gesetzlichen Vertreter eben dieser zu benennen sein, wohingegen die bloße Angabe des Vertretenen, also der Gesellschaft, nicht ausreichen soll167. Da der zustellende Dritte regelmäßig keine Kenntnis von der Führungslosigkeit haben wird, wird in der Zustellungsurkunde folglich der Name des Geschäftsführers angegeben werden. Wenn dieser weggefallen ist, also Führungslosigkeit vorliegt, würde die Zustellung dadurch fehlgehen168. Der Dritte könnte dann darauf angewiesen sein, den Namen eines nunmehr ersatzweise 88 empfangsberechtigten Gesellschafters aus der im Handelsregister geführten Gesellschafterliste zu ermitteln und die Zustellung – unter der Geschäftsanschrift – zu wiederholen. Dies wird jedoch dem vom Gesetzgeber mit dem MoMiG im Allgemeinen169 und der Einführung des § 35 Abs. 1 Satz 2 im Besonderen170 verfolgten Zielen der Missbrauchsverhinderung und Vermeidung von Zugangsvereitelung nicht gerecht171. Zudem besteht die Gefahr, dass die Gesellschafternamen – vorsätzlich oder versehentlich – falsch in die Gesellschafterliste aufgenommen wurden. Dadurch würde der Regelungszweck des § 35 Abs. 1 Satz 2 verfehlt. Deswegen muss – entgegen der oben dargestellten Ansicht172 – im Falle der Führungslosig- 89 keit der Gesellschaft eine wirksame Zustellung auch dann möglich sein, wenn in der Zustellungsurkunde nicht der Gesellschafter als ersatzweiser Empfangsvertreter, sondern der Geschäftsführer benannt wird. Da der Gesetzgeber für den Fall der Führungslosigkeit und deren Rechtsfolgen die Kenntnis der Gesellschafter nicht voraussetzt und der zustellende Dritte regelmäßig keine Kenntnis von der Führungslosigkeit der Gesellschaft haben kann, darf nicht verlangt werden, dass er, nachdem er die Führungslosigkeit zur Kenntnis genommen
166 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 167 Zum Stand der Diskussion: Schultzky in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 182 ZPO Rz. 5 m.w.N.; Schwab, DStR 2010, 333, 335; a.A. Vogt-Beheim in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, 78. Aufl. 2020, § 182 ZPO Rz. 7 m.w.N. 168 A.A. Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1173. 169 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 1. 170 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 42. 171 So i.E. auch Kleindiek in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 8.46; Karsten Schmidt in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1157, 1173. 172 S. dazu Schultzky in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 182 ZPO Rz. 5 m.w.N.; Schwab, DStR 2010, 333, 335; a.A. Vogt-Beheim in Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, 78. Aufl. 2020, § 182 ZPO Rz. 7 m.w.N.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 31
§ 35 Rz. 89 | Vertretung der GmbH hat, die Zustellungsurkunde entsprechend berichtigen muss, um durch eine Wiederholung der Zustellung ihre Wirksamkeit zu erreichen173. 90 Soll die Zustellung in den Geschäftsräumen (§ 178 Abs. 1 Nr. 2, § 180 ZPO) ausgeführt wer-
den, so gilt es zu beachten, dass diese ihre Eigenschaft als Geschäftslokal im Sinne der Zustellungsvorschriften nicht notwendigerweise dadurch verlieren, dass der Geschäftsführer inhaftiert ist; diese Frage ist vielmehr im Einzelfall nach den allgemeinen Voraussetzungen für ein Geschäftslokal abzuklären174.
2. Die Ausübung der Gesamtvertretung 91 Die Gesamtvertretung kann in unterschiedlicher Weise ausgeübt werden175. Die Einzelheiten
sind streitig: – Die Gesamtvertreter geben eine einheitliche Erklärung ab. – Die Gesamtvertreter geben Teilerklärungen ab. – Ein Gesamtvertreter kann dadurch mitwirken, dass er dem Rechtsgeschäft ausdrücklich oder konkludent zustimmt. – Ein Gesamtvertreter kann einen anderen Gesamtvertreter zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder zu bestimmten Arten von Rechtsgeschäften ermächtigen. a) Teilerklärungen 92 Die Gesamtvertretung erfolgt durch Teilerklärungen der Gesamtvertreter. Dabei können die
Gesamtvertreter zusammenwirken, wenn sie alle anwesend sind oder gemeinsam ein Schreiben unterzeichnen. Möglich ist auch, dass jeder Gesamtvertreter getrennt seine Erklärung dem Empfänger gegenüber abgibt176. Voraussetzung einer wirksamen Gesamtvertretung ist demnach eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung aller mitwirkenden Gesamtvertreter. Dabei müssen die Wirksamkeitsvoraussetzungen wie etwa die Form bei allen Einzelerklärungen vorliegen177. Solange auch nur eine Teilerklärung fehlt oder unwirksam ist, ist die Gesellschaft nicht vertreten. Das Rechtsgeschäft wird wirksam, wenn die letzte Erklärung vorliegt und zu diesem Zeitpunkt die Erklärung der anderen Gesamtvertreter noch wirksam ist178. b) Ermächtigung 93 aa) § 125 Abs. 2, § 150 Abs. 2 HGB, § 78 Abs. 4, § 269 Abs. 4 AktG ermöglichen, eines der
Organmitglieder zur Vornahme von Rechtsgeschäften zu ermächtigen. Das gilt im Recht der
173 Zur öffentlichen Zustellung s. Kleindiek in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009, Rz. 8.48 ff. 174 BGH v. 2.7.2008 – IV ZB 5/08, ZIP 2008, 1747, 1748. 175 Allgemein hierzu: Flume, AT des Bürgerlichen Rechts, II. Bd., Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl. 1992, S. 782; Hofmann, Handelsrecht, 11. Aufl. 2002, S. 148. 176 BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, NJW 1959, 1183. 177 BGH v. 9.2.1970 – II ZR 137/69, BGHZ 53, 210, 215; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 115; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 37; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 154; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 56: Anwendbarkeit von § 139 BGB. 178 BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, NJW 1959, 1183; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 115; Kötter in FS Hefermehl, 1976, S. 99 Fn. 74.
32 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 94 § 35
GmbH entsprechend179. Die § 174, § 180, § 182 Abs. 3 BGB sind auf einseitige Rechtsgeschäfte entsprechend heranzuziehen180. Gemeint ist damit keine Ermächtigung i.S.v. § 185 BGB, die sich nur auf Verfügungen bezieht. Auch handelt es sich nicht um eine rechtsgeschäftliche Einzelvollmacht, die einem der Gesamtvertreter erteilt wird181. Dagegen spricht, dass niemand in demselben Bereich zugleich gesetzlicher und rechtsgeschäftlicher Vertreter sein kann. Eine solche Verbindung widerspricht der organschaftlichen Ausgestaltung und der daran anknüpfenden Verantwortung und Haftung182. Eine solche Ermächtigung ist vielmehr ein organschaftlicher Akt, auf Grund dessen die gesetzliche Vertretungsbefugnis eines der Organmitglieder zur Alleinvertretungsbefugnis erstarkt183. Der ermächtigte Gesamtvertreter handelt daher als Gesellschaftsorgan und nicht als rechtsgeschäftlicher Vertreter. bb) Die Ermächtigung kann formlos erteilt werden184. In Grundbuchsachen ist nach § 29 94 Abs. 1 Satz 1 GBO hingegen eine öffentlich beglaubigte Ermächtigung erforderlich185. Es genügt auch eine schlüssige Erklärung. Ist ein Geschäftsführer verhindert, so folgt hieraus allerdings noch nicht, dass er den anderen Geschäftsführer zur Alleinvertretung ermächtigt hat186. Auf die Erteilung der Ermächtigung finden die Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht Anwendung187. Erteilt wird die Ermächtigung durch die anderen Geschäftsführer. Die Mitwirkung des Ermächtigten ist hierbei zulässig188. Zur Erteilung durch Gesellschafterbeschluss sind jedoch auch die Gesellschafter berechtigt189. Dabei genügt, dass die Ermächtigung von so vielen Geschäftsführern ausgesprochen wird, wie zur Gesamtvertretung erforderlich sind. Ist nach der Satzung die Mitwirkung des Aufsichtsrats oder der Gesellschafter erforderlich, so hat dies nur interne Bedeutung. Eine Eintragung im Handelsregister erfolgt nicht. Die Ermächtigung ist jederzeit widerruflich. Einer Begründung bedarf es nicht. Zuständig ist jeder Geschäftsführer auch dann, wenn er die Ermächtigung nicht selbst ausgesprochen hat190.
179 BGH v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, WM 1988, 216; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 61; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 155; Blasche, GmbHR 2017, 123, 124; Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1413. 180 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 46; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 61. 181 So aber RG v. 8.10.1912 – II 271/12, RGZ 80, 180 und RG v. 14.2.1913 – II 378/12, RGZ 81, 325; wohl auch Flume, Die juristische Person, 1983, S. 361; s. auch Schwarz, NZG 2001, 529: Ausübungsermächtigung. 182 BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 75; Wiedemann, Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, § 115 II 2b. 183 BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 75; BAG v. 18.12.1980 – 2 AZR 980/78, DB 1981, 1044; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 155 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 26; Hübner, ZHR 143 (1979), 15; Pleyer, GmbHR 1959, 161; allgemein: Wolf/Neuner, AT BGB, 11. Aufl. 2016, § 49 Rz. 41; zum Ganzen: Schwarz, NZG 2001, 529. 184 RG v. 5.2.1929 – II 332/28, RGZ 123, 288; BGH v. 14.6.1976 – III ZR 105/74, WM 1976, 1054; BGH v. 15.2.1982 – II ZR 53/81, WM 1982, 426. 185 Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1413. 186 BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29; BGH v. 18.12.1974 – VIII ZR 179/73, WM 1975, 157; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 159. 187 RG v. 5.2.1929 – II 332/28, RGZ 123, 288; BGH v. 12.2.1952 – I ZR 96/51, BGHZ 5, 112; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 159; österr. OGH, GesRZ 1977, 67. 188 Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1413. 189 OLG München v. 16.9.2011 – 34 Wx 376/11, ZIP 2011, 2466, 2468. 190 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 125; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 63.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 33
§ 35 Rz. 95 | Vertretung der GmbH 95 cc) Die Ermächtigung kann nur für bestimmte oder eindeutig abgrenzbare Arten von Ge-
schäften erteilt werden. Durch „Generalermächtigung“ kann daher nicht einer der Geschäftsführer so gestellt werden, als habe er umfassende Alleinvertretungsbefugnis191. Hinreichend aber ist etwa die Ermächtigung für Geschäfte unterhalb einer gewissen Wertgrenze192. Und zulässig ist die „Ressortermächtigung“. Dadurch ist der Geschäftsführer zu allen Rechtsgeschäften vertretungsbefugt, die in seinem Ressort anfallen193. Den Umfang der Ermächtigung bestimmen die Geschäftsführer, die die Ermächtigung erteilen.
96 Fehlt es an einer wirksamen Ermächtigung, so ist das Hauptgeschäft schwebend unwirksam.
Eine nachträgliche Ermächtigung ist möglich194. c) Genehmigung 97 Tritt der Gesamtvertreter als Einzelvertreter auf, so handelt er ohne Vertretungsmacht. Auf
diesen Fall sind die §§ 177 ff. BGB anzuwenden. Die anderen Gesamtvertreter können nachträglich genehmigen195. Doch ist dies nicht bei einseitigen Rechtsgeschäften möglich, § 180 BGB. 98 Die Genehmigung (§§ 182, 184 BGB) muss durch so viele Gesamtvertreter erfolgen, wie
zur Vertretung vorgesehen sind. Hierbei wird auch der Geschäftsführer, der das zu genehmigende Geschäft vorgenommen hat, bei der erforderlichen vertretungsberechtigten Anzahl der Geschäftsführer mitgezählt196. Eine Zustimmung durch die Gesellschafterversammlung bzw. den Aufsichtsrat reicht nicht aus197. Dagegen ist nicht erforderlich, dass die Erklärung dem Vertragsgegner gegenüber abgegeben wird198. Ausreichend ist eine Erklärung gegenüber dem Gesamtvertreter, der als Einzelvertreter gehandelt hat, oder auch gegenüber ande191 BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 30; BGH v. 8.5.1978 – II ZR 209/76, WM 1978, 1047 = GmbHR 1979, 271; BGH v. 15.2.1982 – II ZR 53/81, LM § 164 BGB Nr. 46; BGH v. 25.11.1985 – II ZR 115/85, ZIP 1986, 501, 503 = WM 1986, 315 (GbR) = EWiR § 714 BGB 1/86, 25 (Klaus Müller); Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 45; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 64; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 39; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 26; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, Rz. 1345; Flume, Die juristische Person, 1983, S. 361; Blasche, GmbHR 2017, 123, 124; a.A. Heim, NJW 1961, 1515; Heim, NJW 1962, 1333. 192 BGH v. 15.2.1982 – II ZR 53/81, WM 1982, 426; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 157; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 78 AktG Rz. 57. 193 OLG München v. 19.9.2013 – 23 U 1003/13, ZIP 2013, 1955, 1956 = GmbHR 2013, 1208: Zulässigkeit der Ressortermächtigung, wenn die Geschäftsführer zugleich die einzigen Gesellschafter sind; wohl auch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 39; a.A. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 45; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 157; wie hier Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 64; Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2009, 239 f. 194 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44. 195 RG v. 6.11.1928 – II 235/28, RGZ 122, 229, 231; BGH v. 22.6.1985 – V ZR 55/64, WM 1965, 868 (mehrere Testamentsvollstrecker); Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 58; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 161; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; Bydlinski, JBl. 1983, 627. 196 Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1418. 197 BGH v. 21.10.1971 – II ZR 90/68, LM § 177 BGB Nr. 12 (für AG); Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; a.A. Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1417 f. 198 RG v. 8.10.1912 – II 271/12, RGZ 80, 180; RG v. 14.2.1913 – II 378/12, RGZ 81, 325; RG v. 18.2.1921 – III 354/20, RGZ 101, 343; RG v. 6.2.1923 – VI 310/22, RGZ 106, 268; RG v. 11.2.1927 – II 129/26, RGZ 116, 116; RG v. 4.10.1927 – II 37/27, RGZ 118, 168; RG v. 5.2.1929 – II 332/28, RGZ 123, 288; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 30 = LM § 35 GmbH Nr. 3 m. Anm. Fischer.
34 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 103 § 35
ren Mitgeschäftsführern. Stillschweigen des nicht beteiligten Gesamtvertreters lässt sich im Allgemeinen nicht als Genehmigung ansehen199. Die Genehmigungserklärung bedarf nicht der Form, die das durch den Vertreter vorgenom- 99 mene Rechtsgeschäft verlangt, § 182 Abs. 2 BGB200. Im Handelsregister- und Grundbuchverfahren ist jedoch ein Nachweis in öffentlich beglaubigter Form erforderlich201. Die Genehmigung wirkt auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück. Da- 100 durch unterscheidet sie sich von der nachgeschobenen Teilerklärung. Kommt es daher darauf an, dass Rechtsfolgen rückwirkend eintreten, so empfiehlt sich diese Form der Gesamtvertretung, vorausgesetzt, dass nicht alle Gesamtvertreter gleichzeitig ihre Erklärungen abgeben. Nicht erforderlich ist es, dass der als Einzelvertreter tätige Geschäftsführer mit dem Geschäft noch einverstanden ist202. Damit würde er sich mit seinem eigenen Verhalten in Widerspruch setzen. Entscheidend ist letztlich, ob der Geschäftsgegner auf die Aufrechterhaltung des Vertrages vertrauen darf. Diese durch die Rechtsprechung anerkannte Möglichkeit der Ausübung der Gesamtvertre- 101 tung erleichtert den Verkehr, führt aber auch zu Unsicherheiten, da der Vertragspartner jene Vorgänge zwischen den Geschäftsführern nicht zu kennen braucht. Solange auch nur eine Genehmigung fehlt, ist das Rechtsgeschäft schwebend unwirksam. Der Geschäftsgegner kann daher die Gesellschaft nach § 177 Abs. 2 BGB zur Erklärung über die Genehmigung auffordern. Hat noch nicht die erforderliche Zahl von Gesamtvertretern zugestimmt, so kann der Ge- 102 schäftsführer, der zuerst seine Erklärung abgegeben hat, seine eigene Erklärung nicht widerrufen, solange die erforderlichen Genehmigungen nicht erklärt sind203. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der zunächst erklärende Geschäftsführer den Widerruf vorbehalten hat.
3. Abweichende Regelungen der Vertretungsform a) In der Satzung Nur die Form der Passivvertretung ist zwingend, § 35 Abs. 2 Sätze 2–4. Die Form der Aktiv- 103 vertretung kann dagegen von den Gesellschaftern abweichend von der gesetzlichen Gestaltung geregelt werden, § 35 Abs. 2 Satz 1. Dabei haben sie zwei Möglichkeiten. Zum einen kann in der Satzung die gewünschte Vertretungsform festgelegt werden. Zum anderen können in der Satzung die Gesellschafterversammlung oder der Aufsichtsrat ermächtigt werden, die Vertretungsform zu bestimmen204. Ist die Vertretungsform in der Satzung geregelt, so bedarf jede Änderung einer Satzungsänderung. Bei einer GmbH-Gründung im „vereinfachten Verfahren“ gemäß § 2 Abs. 1a ist das in der Anlage bestimmte Musterprotokoll zu verwenden. Da dieses zwingend nur einen Geschäftsführer vorsieht, ist dieser dann notwendigerweise – in Anwendung der gesetzlichen Regel – einzelvertretungsbefugt. Bei Bestellung 199 BGH v. 9.2.1951 – V ZR 1/50, LM § 177 BGB Nr. 1. 200 BGH v. 14.6.1976 – III ZR 105/74, WM 1976, 1053; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 58; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 163. 201 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 38; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 163. 202 A.A. RG v. 14.2.1913 – II 378/12, RGZ 81, 329; BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, LM § 164 BGB Nr. 15; wie hier: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117. 203 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44, 42; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 54; a.A. BGH v. 10.3.1959 – VIII ZR 44/58, NJW 1959, 1183. 204 RG v. 26.6.1940 – II B 3/40, RGZ 164, 177; BGH v. 19.6.1975 – II ZR 170/73, NJW 1975, 1741 = GmbHR 1975, 201; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 35
§ 35 Rz. 103 | Vertretung der GmbH weiterer Geschäftsführer nach der Eintragung der Gesellschaft, sind diese ebenso wie der ursprüngliche Alleingeschäftsführer gesamtvertretungsbefugt205. Die Möglichkeit der Erteilung von Einzelvertretungsbefugnis zugunsten des bisherigen alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführers kann nur durch eine Satzungsänderung erfolgen, wobei der betroffene Geschäftsführer die Einzelvertretungsbefugnis nach § 54 Abs. 3 erst mit der Eintragung der Satzungsänderung im Handelsregister erlangt206. b) Durch Gesellschaftsorgan 104 In der Satzung können die Gesellschafter oder der Aufsichtsrat ermächtigt werden, die Ver-
tretungsform zu bestimmen207. Eine dahingehende Satzungsbestimmung kann sich empfehlen, um einer möglichen Handlungsunfähigkeit des Vertretungsorgans vorzubeugen208. So können die Gesellschafter z.B. jedem oder einzelnen Geschäftsführern Einzelvertretungsmacht verleihen, wobei dies sogar schon für die Zukunft geschehen kann, wenn im Zeitpunkt der Beschlussfassung erst ein Geschäftsführer vorhanden ist, die Satzung aber die Bestellung weiterer Geschäftsführer vorsieht209. Fehlt eine solche Bestimmung, so kann nicht durch einfachen Beschluss der Gesellschafter die Form der Vertretung der Gesellschaft geändert werden210. Nach OLG München v. 25.7.2017211 bedarf ein Gesellschafterbeschluss, der die Vertretungsregelung abweichend von der Satzung bestimmt, einer gesonderten Ermächtigung in der Satzung. Die konkrete Satzungsbestimmung bildet hierbei den Rahmen, innerhalb dessen das ermächtigte Organ Vertretungsbefugnis erteilen kann212. Zusätzliche Restriktionen sind zulässig. Der Rahmen kann also gleichsam nach unten hin überschritten werden213. 105 Ist aber in der Satzung eine solche Ermächtigung enthalten, so kann die Gesellschafterver-
sammlung durch Beschluss die Vertretungsform bestimmen. Zulässig ist auch eine entsprechende Regelung in einer Geschäftsordnung214. Das war in § 62 Abs. 3 RegE GmbHG 1971 ausdrücklich vorgesehen. Die jeweilige Regelung ist im Handelsregister einzutragen. 106 Ob die Gestaltung der Vertretungsverhältnisse auch den Geschäftsführern selbst überlassen
werden kann, ist streitig215. Bei der Aktiengesellschaft ist dies ausdrücklich ausgeschlossen, § 78 Abs. 2, 3 Satz 2 AktG. Indessen verlangt weder der Schutz Dritter noch der Schutz der Gesellschaft eine solche Beschränkung der Satzungsfreiheit. Der Verkehr ist geschützt; denn
205 OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, NZG 2009, 1431 = GmbHR 2009, 1334; OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827, 829; OLG Celle v. 26.1.2011 – 9 W 12/11, GmbHR 2011, 305, 306; Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2139; Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 1993, 1994; Miras, DB 2010, 2488, 2489. 206 Blasche, GmbHR 2015, 403, 408. 207 RG v. 26.6.1940 – II B 3/40, RGZ 164, 177; BGH v. 19.6.1975 – II ZR 170/73, NJW 1975, 1741; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134. 208 Immenga, GmbHR 1971, 108 f. 209 OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 8/13, NZG 2013, 1069, 1070 = GmbHR 2013, 1094. 210 BGH v. 19.6.1975 – II ZR 170/73, GmbHR 1975, 201. 211 OLG München v. 25.7.2017 – 31 Wx 194/17, GmbHR 2017, 1145 = ZIP 2017, 1855. 212 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134. 213 Str., wie hier Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134; Link, RNotZ 2009, 351, 352; dagegen LG Mönchengladbach v. 18.2.2009 – 8 T 13/09, RNotZ 2009, 350, 351; OLG München v. 25.7.2017 – 31 Wx 194/17, GmbHR 2017, 1145 = ZIP 2017, 1855; Frenzel, GmbHR 2011, 515, 517; Blasche, GmbHR 2017, 123, 127. 214 Uwe H. Schneider in FS Mühl, 1981, S. 638. 215 Dafür Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 97; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 53; Lenz in Michalski u.a., Rz. 53; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 49; a.A. Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 44.
36 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 111 § 35
die Änderung der Vertretungsmacht muss ins Handelsregister eingetragen werden, § 39. Eine entsprechende Satzungsbestimmung hat auch Sinn; denn eine Gesamtvertretung hat nicht nur Kontroll- und damit Schutzfunktion zugunsten der Gesellschaft, sondern auch zugunsten der Geschäftsführer. Verzichtet die Gesellschaft hierauf, so kann doch den Geschäftsführern überlassen bleiben, ob sie hiervon Gebrauch machen wollen oder nicht. Vor allem aber ermöglicht eine solche Gestaltung auch kurzfristig eine Anpassung der Vertretungsmacht an veränderte Verhältnisse. c) Einzelvertretung und Mischformen aa) Inhalt: Anstelle der Gesamtvertretungsbefugnis kann einzelnen oder allen Geschäftsfüh- 107 rern Einzelvertretungsbefugnis216 verliehen werden. Zulässig sind Satzungsbestimmungen, dass zwei oder drei von mehreren Geschäftsführern zusammenwirken müssen. Für einzelne kann Einzelvertretungsbefugnis, für andere das Zusammenwirken mit einem anderen – auch einzelvertretungsberechtigten – Geschäftsführer vorgesehen werden217. Es können auch Geschäftsführer zu Vertretungspaaren verbunden werden. bb) Grenzen der Gestaltungen: Mit dem Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertre- 108 tungsmacht unvereinbar sind der Ausschluss der Vertretungsmacht für einen von mehreren Geschäftsführer oder sachliche Unterscheidungen nach Art und Umfang eines Rechtsgeschäfts218. Dem Schutz des Rechtsverkehrs widerspricht auch, die Art der Vertretung davon abhängig zu machen, ob ein Geschäftsführer Gesellschafter ist219 oder ob ein anderer Geschäftsführer verhindert ist220. Der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit hindert auch, die Befugnis zur Einzelvertretung auf 109 bestimmte Arten von Rechtsgeschäften zu beschränken oder für bestimmte Rechtsgeschäfte z.B. die Verfügung über Grundstücke oder die Aufnahme von Kredit auszuschließen. Unzulässig sind ferner Gestaltungen, die die Ausübung der organschaftlichen Vertretung der 110 Gesellschaft an die Mitwirkung Dritter binden, die keine Prokura der Gesellschaft haben221. Daher kann bei einer GmbH & Co. KG nicht vorgesehen werden, dass die GmbH durch ihren Geschäftsführer und einen Prokuristen der KG vertreten wird222. d) Die gemischte Gesamtvertretung/unechte Gesamtvertretung aa) Inhalt: Als „gemischte Gesamtvertretung“ oder „unechte Gesamtvertretung“ wird eine 111 Satzungsanordnung bezeichnet, wonach die GmbH nicht nur durch mehrere Geschäftsführer, sondern auch durch einen Geschäftsführer und einen Prokuristen gemeinsam vertre-
216 BGH v. 19.3.2007 – II ZB 19/06, GmbHR 2007, 704: synonyme Verwendung der Begriffe „Alleinvertretungsbefugnis“ und „Einzelvertretungsbefugnis“ durch das Handelsregister. 217 RG v. 9.3.1917 – II 1/17, RGZ 90, 21; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 101; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 122; Goette, Die GmbH, 2. Aufl., S. 256. 218 KG, RJA 12, 32; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 51; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132. 219 Vgl. BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269. 220 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Blasche, GmbHR 2017, 123, 124. 221 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; Lenz in Michalski u.a., Rz. 60. 222 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 48; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 112; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 75.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 37
§ 35 Rz. 111 | Vertretung der GmbH ten werden kann223. Eine solche zusätzliche Satzungsbestimmung ergänzt eine ohnehin bestehende Gesamtvertretung. Die Zulässigkeit ist zwar nicht ausdrücklich in § 35 aufgeführt. Sie wird aber im Anschluss an § 78 Abs. 3 AktG und § 125 Abs. 3 HGB in dem dort bestimmten Umfang allgemein anerkannt224. 112 Es handelt sich dem Inhalt und Umfang nach um eine organschaftliche Vertretung225. Der
Prokurist bleibt in den genannten Fällen nicht gewillkürter Vertreter („Abschlussgehilfe“), sondern er wird mit zur gesetzlichen Vertretung der Gesellschaft berufen226. Er ist dabei in eigener Verantwortung tätig. Das bedeutet nicht „weisungsfrei“227, sondern, dass er sich bei einer Pflichtverletzung nicht darauf berufen kann, ein Geschäftsführer habe mitgewirkt. Gegenseitige Ermächtigung und Genehmigung gelten hier daher ebenso wie unter KollektivGeschäftsführern. Auch besteht die Beschränkung für die Prokura aus § 49 Abs. 2 HGB nicht; denn der Umfang der Vertretungsmacht bestimmt sich insoweit nach der Vertretungsmacht des Geschäftsführers228. 113 bb) Grenzen der Gestaltungen: Voraussetzung für zulässige Gestaltungen ist, dass die gesetz-
liche Vertretung der Gesellschaft grundsätzlich ohne einen Prokuristen möglich ist. Die Vertretungsmacht des einzigen Geschäftsführers kann daher nicht an die Mitwirkung eines Prokuristen gebunden werden229. Daher kann in der Satzung nicht bestimmt werden, dass von mehreren Geschäftsführern jeder nur mit einem Prokuristen gemeinsam handeln könne230. Es muss zumindest auch möglich sein, dass die Geschäftsführer gemeinsam ohne Prokuristen handeln. Dies gilt auch dann, wenn nach Wegfall eines Geschäftsführers der oder die verbleibenden Geschäftsführer nach Maßgabe der Satzung nur noch zusammen mit einem Prokuristen handeln könnten231. Unzulässig ist ferner eine Gestaltung, die die Vertretungsmacht an die Mitwirkung von Nicht-Prokuristen bindet (s. schon Rz. 110)232.
223 Zur Begriffsbildung s. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 78 AktG Rz. 33 und Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 110 einerseits und Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 78 AktG Rz. 44 ff. andererseits; eingehend: Roquette in FS Oppenhoff, 1985, S. 335. 224 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 64; BGH v. 6.2.1958 – II ZR 210/56, BGHZ 26, 332 (KG); BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 48; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 110; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Stötter, BB 1975, 767. 225 A.A. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 78 AktG Rz. 39; wie hier Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 125; Roquette in FS Oppenhoff, 1985, S. 335; Beuthien/Müller, DB 1995, 461. 226 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 64; BayObLG v. 19.6.1973 – BReg 2 Z 21/73, GmbHR 1973, 199. 227 S. dazu van Venrooy, GmbHR 2001, 7, 18 Fn. 62. 228 RG v. 22.12.1931 – II B 30/31, RGZ 134, 303, 306; BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 64; BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166; KG v. 12.4.1962 – 1 W 728/62, GmbHR 1962, 136; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 50. 229 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 49; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 61; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 71; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 126. 230 KG v. 12.1.1905 – 1 Y 1293/04, KGJ 29, 95; KG v. 1.3.1912 – 1a. X. 155/12, KGJ 42, 170; OLG München v. 25.7.2017 – 31 Wx 194/17, GmbHR 2017, 1145 = ZIP 2017, 1855. 231 Metzing, NJW 2017, 3194, 3195. 232 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; Lenz in Michalski u.a., Rz. 60.
38 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 117 § 35
e) Die gemischte Gesamtprokura Von der gemischten Gesamtvertretung als einer besonderen Form organschaftlicher Vertre- 114 tung ist die gemischte Gesamtprokura oder, wie es auch heißt, unechte Gesamtprokura, zu unterscheiden. Prokuristen können in der personellen Ausübung der Vertretungsbefugnis durch die notwendige Mitwirkung eines Geschäftsführers beschränkt werden. Hierbei handelt es sich um eine nach h.A.233 zulässige personelle Bindung der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht des Prokuristen und nicht um eine nach § 50 Abs. 1 HGB unzulässige Beschränkung des Umfangs der Prokura234. Eine entsprechende Ausgestaltung der Handlungsvollmacht als gemischt halbseitige Handlungsvollmacht ist nicht zulässig. Der Geschäftsführer seinerseits kann einzelvertretungsbefugt (halbseitige Gesamtvertre- 115 tung)235, unecht gesamtvertretungsbefugt oder gesamtvertretungsberechtigt sein236. Ist unechte Gesamtvertretung vorgesehen, so liegt hierin nicht ohne weiteres, dass auch der Prokurist nur gemeinsam mit einem Geschäftsführer vertreten könne. Er kann trotzdem, doch nur im Rahmen des § 49 HGB, alleinvertretungsbefugt sein237, aber notwendig ist das nicht238. Eine Gesamtprokura von Geschäftsführer und Prokuristen ist rechtlich nicht möglich239. Die gemischt halbseitige Gesamtprokura ist zwar im Handelsregister einzutragen240. Sie 116 darf aber nicht als „Gesamtprokura“ eingetragen werden241. Aus der Eintragung muss sich vielmehr ergeben, dass der Prokurist die Gesellschaft mit einem Geschäftsführer vertreten kann. f) Verhinderung Ist ein Gesamtvertreter an der Vornahme eines Geschäfts tatsächlich verhindert, so sind, falls 117 nicht das Statut in zulässiger Weise vorsorgt, die anderen nicht allein vertretungsberechtigt242. Die tatsächliche Verhinderung auch nur eines Geschäftsführers kann daher zur
233 BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170; BGH v. 6.11.1986 – V ZB 8/86, BGHZ 99, 76 = GmbHR 1987, 301 = NJW 1987, 841; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 128; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 16 III 3c) (3); a.A. OLG Frankfurt v. 4.4.1973 – 20 W 920/72, BB 1973, 677; Beuthien/Müller, DB 1995, 461; kritisch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 51. 234 So aber Beuthien/Müller, DB 1995, 461; kritisch Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 51. 235 BGH v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170; OLG München v. 28.10.1971 – 1 U 1391/71, BB 1972, 114; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 59; a.A. OLG Frankfurt v. 4.4.1973 – 20 W 920/72, GmbHR 1973, 223. 236 BGH v. 6.11.1986 – V ZB 8/86, NJW 1987, 841 = GmbHR 1987, 301 (Vorlagebeschluss) m. Anm. Karsten Schmidt, JuS 1987, 494. 237 KG v. 13.3.1924, OLGR 43, 282; KG v. 22.10.1925 – X 659/25, OLGR 46, 254. 238 OLG Hamm v. 1.3.1971 – 15 W 607/70, BB 1971, 492. 239 OLG Hamm v. 1.3.1971 – 15 W 607/70, BB 1971, 492. 240 A.A. OLG Frankfurt v. 4.4.1973 – 20 W 920/72, GmbHR 1973, 223. 241 OLG Hamm v. 1.3.1971 – 15 W 607/70, BB 1971, 492; BayObLG v. 18.6.1982 – BReg 3 Z 48/82, Rpfleger 1970, 92 = GmbHR 1983, 171 = BB 1982, 1590; Ziegler, Rpfleger 1984, 6. 242 RG v. 17.2.1922 – II 442/21, RGZ 103, 417; RG v. 11.2.1927 – II 129/26, RGZ 116, 117; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29 = LM § 35 GmbHG Nr. 3 m. Anm. Fischer; BGH v. 18.12.1974 – VIII ZR 179/73, WM 1975, 157, 158; BGH v. 8.2.1993 – II ZR 62/92, BGHZ 121, 263 = GmbHR 1993, 508; s. auch OLG Rostock v. 25.4.2002 – 1 U 108/00, GmbHR 2002, 974: Tod des Mitgeschäftsführers; Immenga, GmbHR 1971, 107; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 44, 62; Blasche, GmbHR 2017, 123 f.; anders nach Ausscheiden des einzigen Mitgeschäftsführers: BGH v. 4.5.2007 –II ZR 330/05, BB 2007, 1411 = GmbHR 2007, 824.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 39
§ 35 Rz. 117 | Vertretung der GmbH Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen. Ob dies auch bei einer rechtlichen Verhinderung (Abberufung, Amtsniederlegung usw.) gilt, ist bislang nicht entschieden243. Daher würde es sich anbieten, in der Satzung vorzusehen, dass im Falle der tatsächlichen Verhinderung eines Geschäftsführers ohne weiteres der oder die anderen Geschäftsführer allein zur Vertretung berechtigt sein sollen244. Eine solche bedingte Regelung der Vertretungsbefugnis ist indessen unzulässig245. Als Lösung bleibt daher für den Einzelfall die Bestellung eines Notgeschäftsführers; s. 12. Aufl., § 6 Rz. 94 ff. Freilich setzt dies eine echte Verhinderung eines der Geschäftsführer voraus. Die Bestellung eines Notgeschäftsführers ist unzulässig, wenn nur eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Geschäftsführern besteht246. Noch ungeklärt ist die Frage, ob einem gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführer durch Gesellschafterbeschluss Einzelvertretungsmacht für ein einzelnes Rechtsgeschäft erteilt werden kann, wenn die anderen Geschäftsführer verhindert sind247. Zur Vertretung der Gesellschaft durch die Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit s. Rz. 70 ff. g) Das Fehlen der in der Satzung vorgesehenen Zahl von Geschäftsführern 118 aa) Fehlt in der Satzung eine Bestimmung über die Zahl der Geschäftsführer und die Vertre-
tungsmacht, sind aber mehrere Geschäftsführer bestellt, so sind diese nach § 35 Abs. 2 Satz 1 gesamtvertretungsberechtigt. Fällt einer von zwei Geschäftsführern weg, so ist der verbleibende Geschäftsführer in Anwendung der gesetzlichen Regel alleinvertretungsberechtigt248. 119 bb) Ist in der Satzung vorgesehen, dass die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer zu bestellen
hat und ist diese Zahl nicht erreicht, so ist im Wege der Auslegung der Satzung zu ermitteln, ob der verbleibende Geschäftsführer einzelvertretungsbefugt bzw. ob die verbleibenden Geschäftsführer gesamtvertretungsberechtigt sein sollen (zur Auslegung der Satzung: 12. Aufl., § 2 Rz. 33). Fehlen Anhaltspunkte für eine solche Auslegung, so ändert der Wegfall eines Geschäftsführers die Vertretungslage der Gesellschaft nicht249. Die Vertretungsbefugnis des nunmehr einzigen Geschäftsführers erstarkt nicht zur Einzelvertretungsbefugnis, die Gesamtvertretungsbefugnis verengt sich nicht auf die übrigen Geschäftsführer250. Die satzungsmäßige Festlegung der Zahl der Geschäftsführer enthält vielmehr zugleich mittelbar eine Bestimmung über die Art der Vertretung (s. auch § 29 BGB).
243 S. aber BGH v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, BB 1960, 880 = GmbHR 1960, 185: Alleinvertretung nach Abberufung; krit. zur Unterscheidung zwischen tatsächlicher und rechtlicher Verhinderung Leuering/Stein, NJW-Spezial 2014, 527, 528. 244 Dafür auch Leuering/Stein, NJW-Spezial 2014, 527, 528. 245 RG v. 17.2.1922 – II 442/21, RGZ 103, 417 – obiter dictum; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 78 AktG Rz. 37; offen gelassen in BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29. 246 OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 363/65, NJW 1966, 504; zur Abgrenzung: Immenga, GmbHR 1971, 108. 247 Dafür OLG München v. 16.9.2011 – 34 Wx 376/11, ZIP 2011, 2466, 2468; krit. hierzu Heinze, DNotZ 2011, 951, 954 ff.; eingehend hierzu Blasche/König, NZG 2013, 1412, 1414 ff. 248 BGH v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, GmbHR 1960, 185; BGH v. 26.2.2007 – II ZR 330/05, GmbHR 2007, 824; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 140; Metzing, NJW 2017, 3194, 3195; s. auch OLG Schleswig v. 15.12.2010 – 2 W 150/10, GmbHR 2011, 253 sowie hierzu Frenzel, GmbHR 2011, 515. 249 Differenzierend Blasche, GmbHR 2017, 123, 129. 250 RG v. 17.2.1922 – II 442/21, RGZ 103, 417; RG v. 11.2.1927 – II 129/26, RGZ 116, 117; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29; Roquette in FS Oppenhoff, 1985, S. 335, 339; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 26; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 46; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 43 f.; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 144; Buck-Heeb in Gehrlein/ Born/Simon, Rz. 40; Metzing, NJW 2017, 3194, 3196; unklar: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109.
40 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 123 § 35
Das Fehlen eines von mehreren Geschäftsführern schließt die Geschäftsführung und Vertre- 120 tung durch die anderen Geschäftsführer jedoch nicht aus, sofern die allgemeinen Voraussetzungen für eine wirksame Vertretung der Gesellschaft vorliegen. Schreibt die Satzung vor, dass die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer vertreten wird, dass aber drei Geschäftsführer zu bestellen sind, so können daher beim Wegfall eines Geschäftsführers die beiden verbleibenden Geschäftsführer die Gesellschaft vertreten251. Zwar unterbleibt in diesem Fall eine organinterne Kontrolle. Auch entfällt damit der mittelbare Zwang, die Zahl der Geschäftsführer zu ergänzen. Wäre aber die Gesellschaft nicht vertreten und vertretbar, so würde dies zu Lasten des Schutzes Dritter gehen sowie dazu führen, dass die im öffentlichen Interesse liegenden Pflichten der Geschäftsführer nicht wahrgenommen werden könnten.
V. Wissenszurechnung und Irrtum 1. Wissen von Geschäftsführern Wenn es für bestimmte Rechtsfolgen auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen von Tatsa- 121 chen ankommt, so stellt sich die Frage, ob die Gesellschaft, die mehrere Geschäftsführer hat, sich die Kenntnis eines einzelnen Geschäftsführers, die Kenntnis von Mitarbeitern oder von Informationen, die in einem gesellschaftsinternen Informationssystem hinterlegt sind, zurechnen lassen muss. a) Juristische Personen handeln durch ihre Organe. Diese vermitteln ihr daher auch ihr 122 Wissen252. Wissen oder fahrlässige Unkenntnis des handelnden Geschäftsführers ist Wissen oder fahrlässige Unkenntnis des Organs und damit Wissen oder fahrlässige Unkenntnis der Gesellschaft253. Dabei kommt es nicht darauf an, wie das Wissen erworben wurde, ob beruflich oder privat254. Ist der Geschäftsführer aber selbst Schuldner der Gesellschaft, so wird der Gesellschaft sein Wissen nicht zugerechnet255. b) Streitig ist, ob die Gesellschaft sich auch die Kenntnis eines vertretungsberechtigten Or- 123 ganmitglieds zurechnen lassen muss, wenn dieses Organmitglied an einem Rechtsgeschäft nicht mitgewirkt hat oder ausgeschieden ist. Teilweise wird an § 166 Abs. 1 BGB angeknüpft („Vertretertheorie“)256. Hiernach soll der juristischen Person nur das Wissen des im Einzel-
251 Ebenso auch Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 76 AktG Rz. 110 ff. für die AG; a.A. für die AG: Ph. Möhring, NJW 1966, 1, 5; wie hier Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109. 252 Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 132; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 284; Richardi, AcP 169 (1969), 385; Baumann, ZGR 1973, 290; Tintelnot, JZ 1987, 800; Grunewald in FS Beusch, 1993, S. 301, 302; Caspar, JuS 1998, 910. 253 BGH v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, BGHZ 20, 149, 153; BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 330; Paefgen in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 204; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 63; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 214; Tintelnot, JZ 1987, 795: „Das Wissen des Organs ist das Wissen der Gesellschaft“. 254 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 119. 255 BGH v. 15.3.2011 – II ZR 301/09, GmbHR 2011, 534. 256 Gegen die Heranziehung des Rechtsgedankens von § 166 BGB: BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 331; dafür aber unter Aufgabe der „Organtheorie“: BGH v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117, 104; BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30 = GmbHR 1996, 373 = JZ 1996, 731 m. Anm. Taupitz; s. ferner mit einer differenzierten Betrachtung: Raiser in FS Bezzenberger, 2000, S. 561; eingehend zu den verschiedenen Herleitungsansätzen Buck-Heeb, AG 2015, 801, 803.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 41
§ 35 Rz. 123 | Vertretung der GmbH fall handelnden Organmitglieds zugerechnet werden können257. Das Wissen unbeteiligter Organpersonen sei der Gesellschaft nur dann zuzurechnen, wenn diese von der fraglichen Rechtshandlung wussten und sie geschehen ließen. Nach a.A. führt die Kenntnis jedes einzelnen Organmitglieds zur Kenntnis der juristischen Person („Organtheorie“; „Theorie der absoluten Wissensvertretung“)258. Jedes Organ repräsentiere die juristische Person, ihr Wissen sei der juristischen Person zuzurechnen; und dies gelte auch für das Wissen eines einzelnen Organmitglieds. Die arbeitsteilige Organisation der juristischen Person dürfe im Vergleich zur natürlichen Person nicht zu einer Besserstellung führen259. 124 c) Das Problem der arbeitsteiligen Wissensaufspaltung bei juristischen Personen verlangt
aber im Einzelfall eine wertende Betrachtung260. Deutlich wird dies bei der Gesamtvertretung. Die juristische Person benötigt, um handlungs- und wissensfähig zu sein, nur einen Geschäftsführer. Werden aber bei der Vertretung mehrere Geschäftsführer tätig, wird die Gesamtvertretung durch Teilerklärungen ausgeübt, so reicht bereits die Kenntnis oder das Kennenmüssen eines der Gesamtvertreter261. 125 Die Grenzen der Wissenszurechnung sind aber im Blick „auf die berechtigten Erwartungen
des Rechtsverkehrs“ zu ziehen262. Daher muss sich die Gesellschaft das Wissen nichtbeteiligter Geschäftsführer oder leitender Angestellter der Gesellschaft sowohl bei der Abgabe von Willenserklärungen als auch außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereichs nur zurechnen lassen, wenn entweder der erklärende oder zuständige Geschäftsführer bei verantwortlicher Speicherung in einem ordnungsgemäßen unternehmensinternen Informationssystem und entsprechende Abfrage Kenntnis gehabt hätte oder wenn er nach Vorgaben unternehmensinterner Entscheidungen gehandelt hat263.
126 Zum einen darf die Arbeitsteilung und damit auch die Dezentralisierung des Wissens in der
Gesellschaft nicht zu Lasten Dritter gehen. Zur ordnungsgemäßen Organisation der Unternehmensleitung der Gesellschaft gehört vielmehr die Einrichtung eines unternehmensinternen Informationssystems („Einrichtungsverantwortung“). Die Gesellschaft muss sich daher auch solches Wissen anderer nichtbeteiligter Geschäftsführer zurechnen lassen, das bei ordnungsgemäßer Organisation in dieses Informationssystem eingegeben („Eingabeverantwortung“), zur Verfügung gehalten („Speicherungsverantwortung“) und dem erklärenden Ge-
257 Baumann, ZGR 1973, 284, 289 ff.; Tintelnot, JZ 1987, 795, 799; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 60. 258 BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 331; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 286; s. auch Beuthien in FS Zöllner, 1998, S. 87, 102. Zur Rechtslage in der Schweiz: von der Crone/Reichmuth, SZW 2018, 406, 411. 259 „Gleichstellungsargument“; zustimmend: Medicus in Karlsruher Forum 1994, Beil. VersR S. 4, 11. 260 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 35 = GmbHR 1996, 373; BGH v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, ZIP 2001, 26, 27; BGH v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, WM 1997, 1092, 1093; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 217; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 63; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; krit. hierzu Gasteyer/ Goldschmidt, AG 2016, 116, 117; zur Entwicklung der Diskussion: Waltermann, AcP 192 (1992), 182; Taupitz in Karlsruher Forum 1994, Beil. VersR S. 4; Raiser in FS Bezzenberger, 2000, S. 561; Kieser/Kloster, GmbHR 2001, 176. 261 BGH v. 23.10.1958 – II ZR 127/57, WM 1959, 81, 84 und BGH v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, GmbHR 1988, 101 = WM 1988, 216 (Duldungsvollmacht bei Gesamtvertretung) m. Anm. Uwe H. Schneider, WuB II C. § 35 GmbHG 2.88; BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 73/83, DB 1985, 237; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 60; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 111; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 205; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30; Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 119; differenzierend: Grunewald in FS Beusch, S. 308. 262 BGH v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, WM 1997, 1093: für nachgeordnete Mitarbeiter. 263 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 119.
42 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 128 § 35
schäftsführer hätte bekannt sein müssen („Zugriffsverantwortung“)264. Die Anforderungen an die „Einrichtungsverantwortung“ und die „Zugriffspflicht“ müssen dabei den Umständen entsprechen265. Parallel hierzu ist jedes handelnde Organmitglied verpflichtet, sich regelmäßig die für die Ausübung der Geschäftsführung notwendigen Informationen zu verschaffen. Hierfür ist es z.B. erforderlich, bei einem Kollegen nachzufragen oder auf das unternehmensinterne Informationssystem zuzugreifen, um sich das relevante Wissen zu verschaffen (Abfragepflicht)266. Zum anderen muss sich die Gesellschaft das Wissen der an der unternehmensinternen Wil- 127 lensbildung beteiligten Personen zurechnen lassen, wenn der erklärende Geschäftsführer auf Wunsch, nach einer Beratung oder gar nach vorangegangener Beschlussfassung im Gremium der Geschäftsführer oder nach Weisung der Gesellschafterversammlung gehandelt hat267. Das gilt auch, wenn bei einer Gesamtvertretung der nicht unmittelbar beteiligte Gesamtvertreter den anderen Geschäftsführer zu einem bestimmten Rechtsgeschäft ermächtigt268 oder wenn er nachträglich das Rechtsgeschäft genehmigt. Bei einer Ermächtigung zu einer bestimmten Art von Rechtsgeschäften schadet die Kenntnis des Ermächtigenden nicht. Ohne Bedeutung ist hierbei, in welchem Zusammenhang und in welcher Eigenschaft der zuständige Geschäftsführer seine Kenntnisse erlangt hat269. Zufällig erworbenes Wissen genügt daher. Nicht zurechnen lassen muss sich die Gesellschaft regelmäßig das Wissen eines ihrer Gesellschafter270. Zudem kann das Wissen von Beirats- oder Aufsichtsratsmitgliedern der juristischen Person ebenfalls grds. nicht zugerechnet werden, da der Aufsichtsrat gegenüber dem Organvertreter nicht zur Berichterstattung verpflichtet ist271. Weiterhin kann es die im Einzelfall anzustellende wertende Betrachtung (vgl. Rz. 124) bedin- 128 gen, dass die Zurechnung von „privat“ erworbenem Wissen des am Rechtsgeschäft völlig unbeteiligten Geschäftsführers eine Grenze dort findet, wo eine Weitergabe von Kenntnissen mit kollidierenden Pflichten des Geschäftsführers konfligieren würde272. Zu denken ist etwa an Insiderinformationen oder solche Kenntnisse, die der Geschäftsführer als Aufsichtsrat einer fremden Gesellschaft erworben hat (vgl. § 116 Satz 2 AktG)273. So kann einer Bank das Wissen ihres Prokuristen nicht zugerechnet werden, wenn dieser Mitglied des Aufsichtsrats einer AG ist und er dieses der Verschwiegenheitspflicht (§ 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG) unterliegende Wissen im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Aufsichtsrats264 S. auch BGH v. 24.1.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117, 104; BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 37: „Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation der Kommunikation“; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 214; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 61; Grunewald in FS Beusch, 1993, S. 311; Taupitz in Karlsruher Forum 1994, Beil. VersR S. 4; Medicus in Karlsruher Forum 1994, Beil. VersR S. 11; Scheuch, GmbHR 1996, 831; Schultz, NJW 1997, 293; Raiser in FS Bezzenberger, 2000, S. 561; Kieser/Kloster, GmbHR 2001, 180; Buck-Heeb, AG 2015, 801, 803 f. 265 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 38 = GmbHR 1996, 373, 375; BGH v. 15.4.1997 – XI ZR 105/96, BGHZ 135, 202, 205; Baum, Die Wissenszurechnung, 1999, S. 472. 266 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 120. 267 Vgl. BGH v. 21.6.1968 – V ZR 32/65, BGHZ 50, 364, 368; BGH v. 24.10.1968 – II ZR 214/66, BGHZ 51, 141, 147; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 65; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 219, 223. 268 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 219. 269 BGH v. 30.4.1955 – II ZR 5/54, WM 1955, 830: Kenntnis des Sachverhalts, der den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründet. 270 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 65; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 223; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30; Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 123; dazu Ellers, GmbHR 2004, 934. 271 Buck-Heeb, AG 2015, 801, 807 ff.; zweifelnd auch Verse, AG 2015, 413, 417; a.A. wohl Schwintowski, ZIP 2015, 617, 623. 272 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 221. 273 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 222.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 43
§ 35 Rz. 128 | Vertretung der GmbH mitglied erlangt hat274. Die Möglichkeit der Zurechnung findet ihre Grenze auch dort, wo die Weiterleitung des Wissens gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen oder das Bankgeheimnis verstoßen würde275. 129 d) Das Entsprechende gilt für Willensmängel, §§ 119 ff. BGB. War ein Geschäftsführer am
Rechtsgeschäft nicht beteiligt, so berechtigt sein Irrtum nicht zur Anfechtung. War er beteiligt, so besteht die Anfechtungsmöglichkeit unabhängig davon, ob Einzel- oder Gesamtvertretung vorgesehen war, und unabhängig davon, ob auch die anderen Geschäftsführer im Irrtum waren276; u.U. besteht aber unter den Geschäftsführern eine Aufklärungspflicht. Ist diese verletzt, so kann sich die Gesellschaft auf den Irrtum ihres Geschäftsführers nicht berufen. 130 Bei einer arglistigen Täuschung ist nicht erforderlich, dass der Täuschende selbst als Ver-
treter aufgetreten ist. Ausreichend ist, wenn ein Geschäftsführer den Vertrag schloss, der andere aber von dem bevorstehenden Vertragsschluss und der Täuschung des Vertragsgegners Kenntnis hatte277.
2. Ausgeschiedene Organmitglieder 131 Die Wissenszurechnung kann auch nach dem Ausscheiden oder dem Tod des Organvertre-
ters fortdauern278. Verlangt ist aber eine wertende Betrachtung, ob ein einmal vermitteltes Wissen typischerweise aufgrund eines unternehmensinternen Informationssystems „aktenmäßig“ oder in der EDV festgehalten wird279. Nur bei „Aktenwissen“ oder „Speicherwissen“ kann zugerechnet werden280. Vor diesem Hintergrund ist die bisherige Rechtsprechung zu sehen, und zwar für die Kenntnis von der Kündigung eines Vertrages281, vom Eingang eines Bestätigungsschreibens282, von der Einstellung eines Organmitglieds zur Anerkennung eines fehlerhaften Anstellungsverhältnisses283, von der Einbeziehung einer Forderung in ein Kontokorrentverhältnis284, von den Umständen, die die Bösgläubigkeit beim Besitzerwerb begründen, § 990 BGB285, von der Zahlungseinstellung286 und vom Mangel eines Kaufgegen-
274 BGH v. 26.4.2016 – XI ZR 108/15, GmbHR 2016, 818 ff. 275 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 122. 276 RG v. 19.2.1912 – VI 291/11, RGZ 78, 354; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 218; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 65; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 67; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 229; Köhl, NZG 2005, 197; a.A. Habersack/Foerster in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2015, § 78 AktG Rz. 38, 42; Grunewald in FS Beusch, 1993, S. 308. 277 RG v. 4.3.1913 – II 511/12, RGZ 81, 433; BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327: Kenntnis der Umstände genügt; Flume, Die juristische Person, 1983, S. 400. 278 BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327, 331; BGH v. 23.10.1958 – II ZR 127/57, WM 1959, 81, 84; kritisch: Schilken, Wissenszurechnung im Zivilrecht, 1983, S. 127 ff.; Baumann, ZGR 1973, 285, 295; zur Rechtslage bei der GmbH & Co. KG: BGH v. 17.5.1995 – VIII ZR 70/94, NJW 1995, 2159 = GmbHR 1995, 522; BGH v. 31.1.1996 – VIII ZR 297/94, NJW 1996, 1205 = GmbHR 1996, 294. 279 BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30 = GmbHR 1996, 373; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 220; Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 121. 280 Enger: Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 285: „keine Berufung auf rasches Vergessen oder Verdrängen einmal erlangter Kenntnis“. 281 RG v. 30.1.1925 – VI 301/24, RGZ 110, 145. 282 BGH v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, BGHZ 20, 153; BGH v. 16.11.1987 – II ZR 92/87, ZIP 1988, 370, 371 = GmbHR 1988, 101. 283 BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 287. 284 BGH v. 23.10.1958 – II ZR 127/57, WM 1959, 81 = ZfgG 9 (1959), 331 m. Anm. Paulick. 285 BGH v. 31.3.1971 – VIII ZR 256/69, NJW 1971, 1358. 286 BGH v. 1.3.1984 – IX ZR 34/83, NJW 1984, 1953 (Bankkassierer).
44 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 133 § 35
standes287. Jedoch endet die Abfragepflicht des handelnden Organvertreters mit dem Eintritt seines Ausscheidens288.
3. Wissenszurechnung im Konzern Ungeklärt ist die Wissenszurechnung im Konzern289. Zu unterscheiden ist die Zurechnung 132 des Wissens von Geschäftsführern einer Tochtergesellschaft gegenüber dem herrschenden Unternehmen, das Wissen der Geschäftsführer des herrschenden Unternehmens gegenüber den Tochtergesellschaften und die Wissenszurechnung zwischen Schwestergesellschaften. Die Rechtsprechung rechnet zu, wenn die Möglichkeit bestehe, auf die Daten Zugriff zu nehmen290. Nach allgemeinen Grundsätzen kann bei Organidentität zugerechnet werden291. Im Übrigen soll die Zurechnung erfolgen, wenn Konzernunternehmen als Einheit gegenüber einem Dritten auftreten oder ein Konzernunternehmen Alleingesellschafter des beherrschten Konzernunternehmens ist292. Der zuletztgenannten Ansicht ist nicht zuzustimmen. Entscheidend sind bei Konzernlagen nicht die Beteiligungsverhältnisse. Die Pflicht zur Einrichtung eines konzernweiten Informationssystems und dessen Umfang mit der Folge konzernweiter Zurechnung ist abhängig von der Ausgestaltung der Konzernleitung, dem Gegenstand der Konzernunternehmen, der konzernweiten Risikolage (z.B. bei Kreditinstituten) sowie den vertragsrechtlichen (arbeitsrechtlichen), aufsichtsrechtlichen und datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen. Die bloße Abhängigkeit genügt für die Zurechnung nicht. In diesem Zusammenhang ist eine Zurechnung des Wissens der Tochter- an die Muttergesellschaft möglich, wenn Letztere die für sie rechtlich relevanten Informationen nicht bei der Tochtergesellschaft abfragt bzw. diese durch entsprechende organisatorische Maßnahmen nicht sicherstellt, dass die Tochtergesellschaft die relevanten Informationen an sie weiterleitet293.
VI. Selbstkontrahieren und Mehrfachvertretung 1. Der Zweck des Verbots und Voraussetzungen Der Geschäftsführer kann im Namen der Gesellschaft weder mit sich im eigenen Namen 133 noch als Vertreter eines Dritten ein Rechtsgeschäft vornehmen, § 181 BGB294. § 181 BGB ist auch auf die Vornahme von Rechtsgeschäften durch die Organe juristischer Personen anwendbar295. 287 BGH v. 8.12.1989 – V ZR 246/87, BGHZ 109, 327. 288 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 121. 289 S. dazu Schüler, Die Wissenszurechnung im Konzern, 2000, S. 128; Bork, ZGR 1994, 237, 252; Drexl, ZHR 161 (1997), 491; Sajnovits, Financial-Benchmarks, 2018, S. 218; Verse, AG 2015, 413; Buck-Heeb, AG 2015, 801; Schürnbrand, ZHR 181 (2017), 357. 290 BGH v. 14.7.1993 – IV ZR 153/92, BGHZ 123, 224. 291 A.A. BGH v. 13.10.2000 – V ZR 349/99, BB 2000, 2592, 2593 nur bei Ausgliederung eines Teilaufgabenbereichs auf andere juristische Personen; gegen „automatische Zurechnung“ Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 225; differenzierend Verse, AG 2015, 413, 418 ff. 292 Drexl, ZHR 161 (1997), 507; wohl auch Schwintowski, ZIP 2015, 617, 622 f., der sich für eine umfassende und pauschale konzerninterne Wissenszurechnung ausspricht; a.A. Bork, ZGR 1994, 252: keine konzernspezifische Zurechnung; Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 124; Spindler, ZHR 181 (2017), 311, 333. 293 Gasteyer/Goldschmidt, AG 2016, 116, 124. 294 Krit. zur Anwendung des § 181 BGB im Gesellschaftsrecht Hauschild, ZIP 2014, 954 ff. 295 BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, BGHZ 56, 97, 101 = JR 1971, 503 m. Anm. Giesen; BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 115, 120; BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 232 m. Anm. Uwe H. Schneider; Stephan/Tieves in MünchKomm.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 45
§ 35 Rz. 134 | Vertretung der GmbH 134 Der Zweck des § 181 BGB ist nicht eindeutig. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht
zwar von der Ordnungsfunktion des § 181 BGB aus. Daher ist bei Personenidentität § 181 BGB auch dann anwendbar, wenn keine Interessenkollision besteht296. Sie sieht aber zugleich den Sinn und Zweck der Vorschrift auch darin, zu verhindern, dass einander widersprechende Interessen durch dieselbe Person vertreten werden297. § 181 BGB dient daher in erster Linie dem Schutz des Vertretenen. Er dient aber auch dem Schutz des Rechtsverkehrs und damit dem Schutz der Gläubiger298.
2. Unterbevollmächtigter und Prokurist 135 Sieht man in § 181 BGB nur eine formale Ordnungsvorschrift, so liegt kein Verstoß vor,
wenn der Geschäftsführer mit einem von ihm bestellten Unterbevollmächtigten das Rechtsgeschäft vornimmt; denn die Vollmachterteilung ist kein durch § 181 BGB verbotenes Rechtsgeschäft mit sich selbst. Der Vertreter, der auf der Gegenseite handelt, ist aber mit dem Geschäftsführer nicht personengleich. Daher hat es das RG für zulässig erachtet, dass der Vertreter, der durch § 181 BGB gehindert ist, ein Rechtsgeschäft vorzunehmen, einen Unterbevollmächtigten bestellen kann, der dann für die Gesellschaft handelt299. Sieht man aber den Zweck der Vorschrift auch darin, zu verhindern, dass einander widersprechende Interessen durch dieselbe Person vertreten werden, so besteht der Interessenkonflikt auch bei Einschaltung eines Unterbevollmächtigten. Er wird vom Geschäftsführer ausgewählt, und er ist typischerweise von den Weisungen seines Vollmachtgebers abhängig300. Auch eine Befreiung des Untervertreters von den Beschränkungen des § 181 BGB durch den selbst nicht von § 181 BGB befreiten Organvertreter ist nicht möglich301. 136 Die Grenze bildet das Rechtsgeschäft, das ein Einzelvertreter im eigenen Namen mit einem
anderen Einzelvertreter abschließt. Unproblematisch ist es dabei, wenn beide gesetzliche Vertreter sind. Es liegt aber auch dann kein Verstoß gegen § 181 BGB vor, wenn der Geschäftsführer im eigenen Namen mit einem Prokuristen oder einem Handlungsbevollmächtigten, der für die Gesellschaft handelt, abschließt302.
296 297 298 299 300
301 302
GmbHG, Rz. 174; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 32; Schubert in MünchKomm. BGB, § 181 BGB Rz. 9; zur Frage der Anwendbarkeit des § 181 BGB auf den sog. falsus procurator vgl. Rawert/Endres, ZIP 2015, 2197 ff. und Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 537 ff. Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 534. BGH v. 27.2.1980 – V ZB 15/79, BGHZ 77, 7, 9 = JR 1980, 412 m. Anm. Kuntze; BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 232 m. Anm. Uwe H. Schneider. BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, BGHZ 56, 97, 104; BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, DB 1983, 1192, 1193 = GmbHR 1983, 269. RG v. 27.9.1924 – V 367/23, RGZ 108, 405; RG v. 27.1.1938 – V B 13/37, RGZ 157, 31; vgl. auch noch BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 231; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189. BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72, 76 = LM Nr. 18 zu § 181 BGB m. Anm. Fleck; Fleck, Anm. zu BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, LM Nr. 15 zu § 181 BGB und zu BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, LM Nr. 16 zu § 181 BGB; OLG Frankfurt v. 22.1.1974 – 20 W 810/73, OLGZ 1974, 347; OLG Hamm v. 2.10.1980 – 15 W 117/80, ZIP 1980, 1115 (Ehegatte); Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 37 Rz. 61; Pfretzschner, Anm. zu BGH LM Nr. 17 zu § 181 BGB; Harder, AcP 170 (1970), 300; W. Blomeyer, AcP 172 (1972), 15; Göggerle, GmbHR 1979, 79, 85; mit anderer Begründung für Anwendbarkeit des § 181 BGB: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 205. Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 61; Auktor, NZG 2006, 334, 337; Robles y Zepf, BB 2012, 1876, 1881 f.; a.A. für den Organvertreter: Ising, NZG 2011, 841, 842; Schmidt-Ott, ZIP 2007, 943, 945. Für den Prokuristen als Vertreter der Gesellschaft: BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 232 m. Anm. Uwe H. Schneider; BAG v. 29.5.1969 – 2 AZR 444/68, AP § 181 BGB Nr. 1 = DB 1969, 1704; KG v. 12.12.1904, OLGE 11, 395; vgl. auch Leptien
46 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 139 § 35
Bedenklich ist zwar, dass der Prokurist weisungsabhängig ist und dass der Geschäftsführer 137 den Dienstvertrag der Gesellschaft mit dem Prokuristen kündigen kann. Auch wird im Außenverhältnis die Prokura durch den Geschäftsführer erteilt und widerrufen. Im Innenverhältnis entscheidet aber über die Erteilung und über den Widerruf der Prokura die Gesellschafterversammlung. Das gibt dem Prokuristen und entsprechend dem Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb eine gewisse Selbständigkeit. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Rechtsgeschäft im Einzelfall interessengerecht ist303. Wohl aber kommt ein Missbrauch der Vertretungsmacht in Betracht, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind. Fehlt dem Prokuristen aber die Möglichkeit, sich an die Gesellschafterversammlung zu wen- 138 den, weil der Geschäftsführer zugleich der alleinige Gesellschafter ist, und muss er aus demselben Grund mit dem Widerruf seiner Prokura rechnen, so ist der Prokurist nicht anders zu sehen wie ein Unterbevollmächtigter304. Er kann die Gesellschaft nicht wirksam vertreten.
3. Gesamtvertretung Einer von zwei gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführern, der mit der Gesellschaft ei- 139 nen Vertrag abschließen will, ist durch § 181 BGB nicht gehindert, zunächst den anderen Geschäftsführer zur Alleinvertretung der Gesellschaft zu ermächtigen und dann mit diesem das Rechtsgeschäft abzuschließen305. Gegen diese höchstrichterliche Rechtsprechung wurde eingewandt, der persönlich verhinderte Geschäftsführer wirke durch die Ermächtigung des anderen mittelbar am Geschäft mit306. Indessen unterscheidet sich der vorgenannte Fall von der Untervollmacht; denn der ermächtigte Geschäftsführer ist bei gesetzlicher Ausgestaltung der Geschäftsführung unabhängig von Weisungen. Er hat vielmehr die sachliche Entscheidung selbständig zu vertreten. Anders wäre die Lage zu beurteilen, wenn ein internes Weisungsverhältnis besteht („weisungsgebundener Untervertreter“). Dagegen, meint Fleck307, sei die Lage auch dann anders zu beurteilen, wenn der nicht am Geschäft beteiligte Gesamtvertreter mit Zustimmung des Gesamtvertreters handle, mit dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wird. Diese Unterscheidung erscheint angesichts derselben Interessenlage nicht gerechtfertigt.
303 304 305 306
307
in Soergel, § 181 BGB Rz. 29; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 554; a.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 62; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 51; kritisch: Fleck, WM 1985, 678; eingehend Fleck, ZGR 1988, 118. A.A. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 189 f.; anders auch Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 206 (maßgeblich sei, ob die Erteilung gerade zur Ermöglichung des Geschäfts erfolgt). Uwe H. Schneider, Anm. zu BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, GmbHR 1985, 79 = JR 1985, 234; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Fleck, WM 1985, 678. Altmeppen, NZG 2013, 401, 409; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 553; für die KG: BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, BGHZ 64, 72 = LM Nr. 18 zu § 181 BGB m. Anm. Fleck; BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = GmbHR 1992, 107. Reinicke, NJW 1975, 1185, 1187; Plander, DB 1975, 1495; Klamroth, BB 1975, 851; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 204; zweifelnd auch Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 65 f., die sich für die Bestellung eines weiteren alleinvertretungsberechtigten Organvertreters ausspricht; wie hier Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 96. Fleck, Anm. zu BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, LM Nr. 18 zu § 181 BGB.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 47
§ 35 Rz. 140 | Vertretung der GmbH
4. Die Rechtsfolgen 140 Liegt ein Insichgeschäft oder eine Mehrfachvertretung vor, so wird hierdurch das Geschäft
nicht nichtig, sondern nur schwebend unwirksam308. Es kann daher durch Genehmigung, auch stillschweigende, seitens der Gesellschafter (§ 46 Nr. 5, wobei der von § 181 BGB betroffene Gesellschafter-Geschäftsführer wegen § 47 Abs. 4 nicht mitstimmen kann) wirksam werden309. Ist neben dem als Vertragspartner auftretenden Geschäftsführer ein weiterer Geschäftsführer vorhanden, der das Geschäft als Vertreter der Gesellschaft hätte wirksam abschließen können, so kann dieser auch das Insichgeschäft genehmigen310. Die Rückwirkung der Genehmigung hat u.U. auch die entsprechende steuerliche Anerkennung zur Folge311. Bei konzerninternen Rechtsgeschäften muss das bei einem Verstoß gegen das Verbot der Mehrfachvertretung nach § 181 Alt. 2 BGB schwebend unwirksame Geschäft stets von beiden vertretenen Parteien genehmigt werden, selbst wenn der Doppelmandatsträger durch eine der Konzerngesellschaften von den Beschränkungen des § 181 Alt. 2 BGB befreit worden ist. Unterschiedlich beurteilt wird die Frage, ob auch ein Geschäftsführer, der selbst nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit ist, ein schwebend unwirksames Geschäft genehmigen kann312.
5. Ausnahmen a) Erfüllungsgeschäft 141 Das Selbstkontrahieren oder eine Mehrfachvertretung ist ausnahmsweise gestattet, wenn es
sich um bloße Erfüllungsgeschäfte handelt. Zu denken ist an die Auszahlung des Gehalts und den Ersatz von Aufwendungen. b) Lediglich rechtlicher Vorteil 142 Das Verbot besteht nicht, wenn das Rechtsgeschäft der Gesellschaft lediglich einen rechtlichen
Vorteil bringt313. Die vorgenannte Entscheidung ist aus verschiedenen, aber wenig überzeu308 Anstelle anderer: Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 423; a.A. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 104: relativ unwirksam. 309 RG v. 4.11.1903 – I 228/03, RGZ 56, 104; RG v. 6.11.1907 – V 194/07, RGZ 67, 51; RG v. 26.2.1908 – V 185/07, RGZ 68, 37; RG v. 13.5.1909 – IV 248/08, RGZ 71, 163; RG v. 3.2.1917 – V 341/16, RGZ 89, 367; RG v. 25.11.1927 – (VII) VI 322/27, RGZ 119, 116; BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, NJW 1956, 1433 (Erbauseinandersetzungsvertrag); OLG Frankfurt v. 22.1.1974 – 20 W 810/73, OLGZ 1974, 374; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 196; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 37 Rz. 69; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., S. 543f. 310 BGH v. 29.11.1993 – II ZR 107/92, BB 1994, 164, 165 = GmbHR 1994, 122; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 69; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Blasche/König, NZG 2012, 812, 815; a.A. wohl Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 38. 311 BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, BFHE 181, 328 = GmbHR 1997, 34 (für Alleingesellschafter-Geschäftsführer bei nachträglicher Befreiung in Satzung); BFH v. 15.10.1997 – I R 19/97, BFH/NV 1998, 746 = GmbHR 1998, 546. 312 Dagegen BayObLG v. 26.2.1993 – 2Z BR 6/93, juris Rz. 17; OLG München v. 28.8.2013 – 34 Wx 223/13, MittBayNot 2014, 234, 235; dafür LG Leipzig v. 21.8.2014 – 3 O 3737/13, juris Rz. 73; Rawert/Endres, ZIP 2015, 2197, 2201 f.; Blasche/König, NZG 2012, 812, 816: Ausschluss des selbst nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiten Geschäftsführers bezüglich der Genehmigung nur, wenn die Genehmigung selbst ein Insichgeschäft darstellt. Eingehend hierzu Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 539 f. 313 BGH v. 27.9.1972 – IV ZR 225/69, BGHZ 59, 236 = LM Nr. 17 zu § 181 BGB m. Anm. Pfretzschner = JZ 1973, 284 m. Anm. Stürner und krit. Anm. Giesen, JR 1973, 62; BGH v. 18.10.2017 – I
48 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 143 § 35
genden Gründen kritisiert worden, weil das Tatbestandsmerkmal „lediglich rechtlicher Vorteil“ Probleme bei der Auslegung ergebe. Bei der rechtlichen Betrachtung blieben wirtschaftliche Folgen unberücksichtigt. Auch dürften bei der Abwägung nicht nur die aktuellen Vermögensinteressen eines Vertragspartners berücksichtigt werden314. c) Gestattung Das Verbot des Selbstkontrahierens und der Mehrfachvertretung (s. Rz. 174) kann durch be- 143 sondere Gestattung aufgehoben sein. Diese Gestattung muss sich nicht auf bestimmte Geschäfte beziehen, sondern kann bestimmte Arten oder alle Geschäfte des Geschäftsführers umfassen315. Eine solche Genehmigung kann in allgemeiner Form durch die Satzung erfolgen316. Aus der Formulierung der Erklärung muss sich jedoch eindeutig ergeben, dass der Bevollmächtigte von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit wurde und auf welche Alternative sich die Gestattung bezieht. Eine Formulierung wie z.B. „Dem Vertreter wird Befreiung von der Beschränkung des § 181 BGB erteilt.“ wäre insoweit nicht eindeutig, da nicht feststellbar ist, von welcher der beiden Alternativen des § 181 BGB befreit worden ist317. Die Genehmigung ist in das Handelsregister als Vertretungsregel einzutragen318. Voraussetzung ist freilich, dass die Art der Befreiung zulässig ist. So kann nicht vorgesehen und eingetragen werden, dass der Geschäftsführer befreit sein soll, wenn er alleiniger Gesellschafter ist319. Bei der Gründung einer GmbH im vereinfachten Verfahren nach § 2 Abs. 1a ist der (notwendigerweise einzige) Geschäftsführer zwingend von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit320. Dies ergibt sich aus den zu verwendenden Musterprotokollen, die in der Anlage zu § 2 Abs. 1a bestimmt sind. Soll der Geschäftsführer nicht vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit sein, wird von der Mustersatzung abgewichen. Ein solches Verbot bedarf der notariellen Beurkundung321. Zur Wirksamkeit der Befreiung nach Bestellung weiterer Geschäftsführer s. Rz. 179.
314 315 316 317 318
319 320 321
ZR 6/16, NZG 2018, 221, 223 = GmbHR 2018, 251; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 196; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Säcker/Klinkhammer, JuS 1975, 626; Göggerle, GmbHR 1979, 79, 84; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 534. So vor allem: Schubert, WM 1978, 290; für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise: Stürner, JZ 1973, 287. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 64; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 182. BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 402/97, NJW 2000, 664 = GmbHR 2000, 136; KG v. 21.3.2006 – 1 W 252/05, GmbHR 2006, 653; Schmitt, WM 2009, 1784, 1785. OLG Nürnberg v. 12.2.2015 – 12 W 129/15, GmbHR 2015, 486; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 541. BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 402/97, GmbHR 2000, 136; BayObLG v. 29.5.1979 – BReg 1 Z 36/79, GmbHR 1979, 207; BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/81, BayObLGZ 1982, 41, 44 = GmbHR 1982, 257; BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, BayObLGZ 1984, 109 = GmbHR 1985, 116; BayObLG v. 21.9.1989 – BReg 3 Z 5/89, GmbHR 1990, 213; OLG Zweibrücken v. 30.12.1981 – 3 W 82/81, OLGZ 1983, 36; OLG Stuttgart v. 26.11.1984 – 8 W 435/84, OLGZ 1985, 37 = GmbHR 1985, 221; OLG Hamm v. 28.10.1986 – 15 W 319/86, GmbHR 1987, 430 = WM 1987, 405; OLG Stuttgart v. 18.10.2007 – 8 W 412/07, GmbHR 2007, 1270; OLG Düsseldorf v. 30.11.2009 – 3 Wx 195/09, GmbHR 2010, 313, 314; a.A. nicht eintragungsfähig: OLG Karlsruhe v. 2.10.1963 – 5 W 57/63, GmbHR 1964, 78; LG Oldenburg v. 7.6.1972 – 6 T (KH) 3/72, BB 1972, 769; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 94; Lenz in Michalski u.a., Rz. 92 sowie oben bei § 10. BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269; s. auch OLG Hamm v. 15.1.1996 – 15 W 463/95, DNotZ 1996, 816 m. abl. Anm. Kanzleiter. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 27; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 193; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 65; Katschinski/ Rawert, ZIP 2008, 1993, 1994; Miras, DB 2010, 2488, 2489. Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 775.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 49
§ 35 Rz. 144 | Vertretung der GmbH 144 Fehlt eine satzungsmäßige Gestattung, so kann im Einzelfall das Organ Befreiung erteilen,
das für die Bestellung und Abberufung des Geschäftsführers zuständig ist322. In der Regel sind das die Gesellschafter, die mit einfacher Mehrheit entscheiden323. Ausreichend ist auch ein formloser Beschluss außerhalb einer Gesellschafterversammlung, ja selbst ein schlüssiges Verhalten der Gesellschafter, aus dem sich die Gestattung ergibt324. Ist ein Aufsichtsrat (Beirat o.Ä.) gebildet und ist dieser zur Bestellung bzw. Abberufung der Geschäftsführer zuständig, so kann dieser die Befreiung vornehmen325. 145 Streitig ist, ob auch eine generelle Befreiung durch einfachen Gesellschafterbeschluss zuläs-
sig ist326. Dafür soll sprechen, dass die generelle Gestattung keine andere Rechtsqualität habe als die individuelle Gestattung. Der Gläubigerschutz hänge nicht davon ab, ob der Gesellschafter Insichgeschäfte tätige. Die Gestattung habe mit § 10 Abs. 1 Satz 2 nichts zu tun. Dagegen spricht aber, dass die generelle Gestattung des Selbstkontrahierens erhebliche Risiken für die Gesellschaft und wegen § 31 Abs. 3 für die Gesellschafter (Ausfallhaftung) in sich birgt. Verlangt ist daher unabhängig von der Eintragung ein erhöhtes Quorum für die generelle Gestattung. 146 Einer Form bedarf weder der Beschluss noch das Rechtsgeschäft. Steuerlich werden Gehalts-
zahlungen an den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer als Betriebsausgaben nur anerkannt, wenn die Vereinbarung „im voraus klar und eindeutig getroffen worden ist“327. Nach Ansicht des BFH328 greift das Rückwirkungsverbot nicht, wenn der Alleingesellschafter-Geschäftsführer nachträglich durch Satzungsänderung vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit wird. Die Insichgeschäfte seien dann nachträglich als genehmigt anzusehen. Zur Befreiung bei mehreren gesamtvertretungsberechtigten Geschäftsführern s. Rz. 139; zur Anwendbarkeit von § 181 BGB bei Sozialakten s. 12. Aufl., § 47 Rz. 177 ff.
322 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 192; BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59, 60 = GmbHR 1983, 269 = WM 1983, 446; KG v. 23.8.2001 – 8 U 8644/99, GmbHR 2002, 327; Goette, DStR 2000, 697; Fleck, WM 1985, 678; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 35; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 543; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 57; a.A. Ekkenga, AG 1985, 40, 46 ff.; BFH v. 31.7.1974 – I R 42/72, WM 1975, 457; nur bei Grundlage in der Satzung BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, GmbHR 1985, 116 = DB 1984, 1517; OLG Köln v. 2.10.1992 – 2 Wx 33/92, GmbHR 1993, 37; OLG Celle v. 16.8.2000 – 9 W 82/00, GmbHR 2000, 1098. 323 §§ 47 f.; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 192 = LM Nr. 8 zu § 181 m. Anm. Fischer; BGH v. 18.12.1974 – VIII ZR 179/73, WM 1975, 157, 158; Schmitt, WM 2009, 1784, 1785. 324 BGH v. 17.5.1971 – III ZR 53/68, WM 1971, 1082 für eine zweigliedrige GmbH; Konow, GmbHR 1972, 262; offen gelassen in BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 115, 120. 325 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 192; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 232, 251; Robles y Zepf, BB 2012, 1877, 1880. 326 Altmeppen, NJW 1995, 1185; Altmeppen, NZG 2013, 401; Kanzleiter, DNotZ 1996, 819; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 66; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 90; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 184; wohl auch BGH v. 19.11.1979 – II ZR 197/78, GmbHR 1980, 166; dagegen: Priester, DStR 1992, 254; Tiedtke, GmbHR 1993, 385. 327 BFH v. 31.7.1974 – I R 42/72, WM 1975, 456; Birkholz, GmbHR 1974, 18. 328 BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, BFHE 181, 328 = GmbHR 1997, 34; BFH v. 15.10.1997 – I R 19/ 97, BFH/NV 1998, 746 = GmbHR 1998, 546.
50 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 151 § 35
6. Selbstkontrahieren des alleingeschäftsführenden Alleingesellschafters a) Die Vorgeschichte Das Reichsgericht329 und zunächst auch noch der BGH330 hatten aus Gründen der Rechts- 147 sicherheit, insbesondere des Gläubigerschutzes die Auffassung vertreten, dass der geschäftsführende Alleingesellschafter nicht namens der GmbH selbstkontrahieren könne. Der BGH hat in der Folgezeit diese formale Betrachtung aufgegeben und ausgeführt, es bestehe keine Gefahr des Interessenkonflikts. Für Rechtsgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters mit sich selbst sei § 181 BGB daher nicht anwendbar331. Im RegE zur Novelle 1977 war vorgesehen, diese Rechtsprechung festzuschreiben. § 35 Abs. 4 148 Satz 1 und 2 sollte lauten: „Befinden sich alle Geschäftsanteile der Gesellschaft in der Hand eines Gesellschafters und ist er zugleich deren alleiniger Geschäftsführer, so bedürfen seine Rechtsgeschäfte mit der Gesellschaft der Schriftform. Auf die Rechtsgeschäfte ist § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuches nicht anzuwenden.“ Die Novelle 1980 ist dem nicht gefolgt. Nach § 35 Abs. 4, eingefügt durch die GmbH-Novelle 1980, ist § 181 BGB auch auf die Rechtsgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters mit der Gesellschaft anzuwenden. Durch das MoMiG wurde der bisherige Abs. 4 ohne Änderung als Abs. 3 beibehalten. b) Der Gesetzeszweck § 35 Abs. 3 in seiner jetzigen Form soll vor allem den Gläubigerschutz verbessern; denn bei 149 wirtschaftlicher Betrachtung gibt es keinen Interessengegensatz zwischen der Gesellschaft und dem Alleingesellschafter-Geschäftsführer332. Die Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung für das einzelne Rechtsgeschäft reiche hierfür nicht aus333. Die Vorschrift ist ein Stück verfehlte Gesetzgebung. Die Bedenken sind vielfältig. Der gläu- 150 bigerschützende Charakter und die gläubigerschützende Wirkung dieser Vorschrift sind höchst zweifelhaft334. Die Vorschrift hindert nicht Gewinnentnahmen. Zahlungen aus dem gebundenen Vermögen waren aber auch schon vor der Novelle 1980 unzulässig. Die Vorschrift will auch nicht Rechtsgeschäfte zwischen der Gesellschaft und dem geschäfts- 151 führenden Alleingesellschafter verbieten. § 35 Abs. 3 erschwert nur solche Rechtsgeschäfte, wobei sich zahlreiche Zweifelsfragen ergeben. An die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB werden erhöhte Anforderungen gestellt. Es soll sichergestellt werden, dass die Gläubiger sich über die Möglichkeit von Insichgeschäften informieren können335. Zugleich
329 S. etwa RG v. 20.3.2008 – II 586/07, RGZ 68, 172, 175 und RG v. 21.10.1924 – II 640/23, RGZ 109, 77, 79. 330 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189 und BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117. 331 BGH v. 19.11.1979 – II ZR 197/78, BGHZ 75, 358 = GmbHR 1980, 166 = JuS 1980, 606 m. Anm. Emmerich sowie schon BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, BGHZ 56, 97 = LM § 181 BGB Nr. 15 m. Anm. Fleck; zur Entwicklung der Diskussion in der Lehre insbesondere: Blomeyer, AcP 172 (1972), 4; Fischer in FS Hauß, 1978, S. 61; Klamroth, BB 1973, 398; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 251; Hübner, Jura 1982, 85; Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 409; Leßmann, BB 1976, 1377; Ekkenga, AG 1985, 40. 332 BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, DStR 2000, 645 = GmbHR 2000, 330; Altmeppen, DB 2000, 657; Goette, DStR 2000, 697. 333 Vgl. Bericht der Abgeordneten Lambinus u.a., BT-Drucks. 8/3908, S. 74. 334 Krit. auch Ulmer, BB 1980, 1006; Altmeppen, NJW 1995, 1182, 1185; Altmeppen, NZG 2013, 401, 402; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 138 ff.; Kanzleiter, DNotZ 1996, 819. 335 Robles y Zepf, BB 2012, 1877, 1878.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 51
§ 35 Rz. 151 | Vertretung der GmbH ist für die Anerkennung von Insichgeschäften, soweit gestattet, zumindest die ordnungsgemäße Verbuchung bei der Gesellschaft erforderlich. § 35 Abs. 3 stellt daher nicht nur den geschäftsführenden Alleingesellschafter dem Geschäftsführer der Normal-GmbH gleich. Die Vorschrift beseitigt nicht nur eine früher von der Rechtsprechung vorgenommene Ausnahme. Sie stellt vielmehr an das Selbstkontrahieren des geschäftsführenden Alleingesellschafters besonders strenge Anforderungen. Die Aussagen der früheren Rechtsprechung336 gelten auch heute noch337. Zur Befreiung in der Satzung und deren Eintragung im Handelsregister s. Rz. 171; zur Gestattung durch die Gesellschafterversammlung s. Rz. 165; zu den Besonderheiten beim Abschluss des Anstellungsvertrages s. Rz. 168. c) Anwendungsbereich 152 § 181 BGB i.V.m. § 35 Abs. 3 ist dem Wortlaut nach nur anwendbar, wenn sich erstens alle
Anteile in der Hand eines Gesellschafters oder der Gesellschaft befinden und dieser Gesellschafter zweitens alleiniger Geschäftsführer ist. Ohne Bedeutung ist dabei, ob eine solche Lage von Anfang an bestand oder ob sie erst nachträglich eingetreten ist. 153 Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass bei einer Einmann-Gesellschaft, die neben dem
Gesellschafter-Geschäftsführer einen weiteren Geschäftsführer hat, § 181 BGB nicht anzuwenden ist. Insoweit bliebe es bei der alten Rechtsprechung338. Wollte man aber durch § 35 Abs. 3 den Gläubigerschutz verstärken, so würde eine Lücke entstehen, wenn bei Vorhandensein weiterer Geschäftsführer § 181 BGB nicht anzuwenden wäre. Die Gefahr nicht nachweisbarer Vermögensverschiebungen durch ein Selbstkontrahieren des GesellschafterGeschäftsführers zu Lasten der Haftungsmasse ist aber in solchem Fall nicht anders zu bewerten. Das rechtfertigt eine entsprechende Anwendung des § 35 Abs. 3. § 181 BGB ist daher auch anwendbar, wenn die Gesellschaft zwar mehrere Geschäftsführer hat, der Alleingesellschafter aber die Gesellschaft bei Abschluss des Rechtsgeschäfts mit sich vertritt339. Zur Vertretung der Gesellschaft durch den Mitgeschäftsführer s. Rz. 157. Treuhänderisch durch Dritte für den Gesellschafter gehaltene Anteile werden ihm zugerechnet. Zuzurechnen sind auch, obgleich vom Wortlaut nicht gedeckt, Anteile, die abhängige Unternehmen halten, vgl. § 16 Abs. 4 AktG. 154 Obwohl vom Wortlaut nicht gedeckt, ist § 35 Abs. 3 darüber hinaus auch im Fall der Mehr-
fachvertretung anzuwenden, vorausgesetzt, dass der Geschäftsführer unmittelbar oder mittelbar alle Anteile hält340. Noch ungeklärt ist, ob § 35 Abs. 3 auch bei gesellschaftsinternen Organisationsakten wie z.B. einem Verschmelzungs- oder Gewinnabführungsvertrag zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft zur Anwendung gelangt, wenn beide Gesellschaften durch denselben Geschäftsführer vertreten werden341. Davon ist auszugehen, wenn man den obigen Überlegungen folgt.
336 BGH v. 19.11.1979 – II ZR 197/78, BGHZ 75, 358, 362. 337 BGH v. 8.3.2004 – II ZR 316/01, GmbHR 2004, 949. 338 So LG Berlin v. 23.8.1985 – 98 T 13/85, GmbHR 1985, 396 = ZIP 1985, 1492; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; Bachmann, ZIP 1999, 89; dagegen aber wie hier: Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 63; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 56; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 181; Ekkenga, AG 1985, 40; zweifelnd: Fleck, ZIP 1986, 270. 339 Robles y Zepf, BB 2012, 1877, 1878. 340 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 58; Bachmann, ZIP 1999, 85; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 34, 29; Blasche/König, NZG 2012, 812, 813. 341 Dafür Baetzgen, RNotZ 2005, 193, 205; dagegen Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 179; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 543.
52 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 159 § 35
d) Rechtsfolgen Ist dem Vertreter nach § 181 BGB das Selbstkontrahieren nicht gestattet, so macht es das 155 Rechtsgeschäft nur schwebend unwirksam, aber nicht nichtig. Ob dies auch für Insichgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters gilt, ist streitig. Teilweise wird die Ansicht vertreten, solche Rechtsgeschäfte seien nichtig, wenn dem Geschäftsführer das Selbstkontrahieren nicht gestattet sei342. Dies verlange der Schutzzweck der Norm. Eine solche Ausnahme ist jedoch nicht gerechtfertigt. § 35 Abs. 3 hat den Gläubigerschutz nur verstärkt. Das schwebend unwirksame Rechtsgeschäft kann daher rückwirkend von Anfang an wirksam werden, wenn der Geschäftsführer in der Folge von den Beschränkungen des § 181 BGB in der Satzung befreit wird und er das Rechtsgeschäft nachträglich genehmigt343. Das steuerliche Rückwirkungsverbot gilt für diesen Fall nicht344. Rechtsgeschäfte sind ausnahmsweise sofort wirksam, wenn sie der Gesellschaft lediglich ei- 156 nen rechtlichen Vorteil bringen345 oder nur der Erfüllung einer Verbindlichkeit dienen (Ersatz von Aufwendungen, Erfüllung von Schadensersatzansprüchen usw.). e) Vertretung bei Verhinderung aa) Bestellung eines weiteren Geschäftsführers: Der Alleingesellschafter kann einen zwei- 157 ten Geschäftsführer bestellen, der sodann die Gesellschaft bei dem Rechtsgeschäft vertritt. Wird nämlich die Gesellschaft durch einen weiteren Geschäftsführer vertreten, so liegt kein Fall der Mehrfachvertretung vor346. In der Vertretung durch den zweiten Geschäftsführer kann freilich eine Umgehung des § 35 Abs. 3 liegen, wenn der zweite Geschäftsführer nur zu dem Zweck bestellt wurde, das Rechtsgeschäft vorzunehmen347. Der andere Geschäftsführer muss jedoch, um die Gesellschaft vertreten zu können, alleinver- 158 tretungsbefugt sein. Dies ist nur der Fall, wenn die Satzung dies ausdrücklich vorsieht (s. Rz. 103). Fehlt dagegen eine besondere Satzungsbestimmung, so sind beide Geschäftsführer gesamtvertretungsberechtigt. In der Regel kann zwar unter diesen Umständen der eine Geschäftsführer, der mit der Gesellschaft ein Rechtsgeschäft vornehmen will, den anderen zur Alleinvertretung ermächtigen. Dies scheidet jedoch dann aus, wenn der vertretende Geschäftsführer völlig den Weisungen des anderen unterworfen ist348. Der mitgeschäftsführende Alleingesellschafter kann daher nicht den anderen Geschäftsführer zur Alleinvertretung ermächtigen. bb) Nicht durch Prokurist oder Handlungsbevollmächtigten: § 181 BGB ist bei einer Ge- 159 sellschaft, die nicht in den Anwendungsbereich des § 35 Abs. 3 fällt, nicht anzuwenden, wenn der Geschäftsführer im eigenen Namen mit einem Prokuristen oder einem Handlungsbevollmächtigten, der die Gesellschaft vertritt, abschließt349. Das gilt jedoch nicht, wenn die Gesell-
342 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82; Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 428; Bachmann, ZIP 1999, 88. 343 Ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; Brandes, WM 2000, 217; a.A. Blasche/König, NZG 2012, 812, 815, die für die Genehmigung keine satzungsmäßige Grundlage fordern. 344 BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, BFHE 181, 328 = GmbHR 1997, 34; BFH v. 15.10.1997 – I R 19/ 97, BFH/NV 1998, 746 = GmbHR 1998, 546. 345 A.A. Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 421. 346 Bachmann, ZIP 1999, 86; a.A. Ekkenga, AG 1985, 44; zur Rechtslage vor der Novelle 1980: BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 193; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 235. 347 S. Fleck, WM 1985, 678 und Rz. 153. 348 S. auch Fleck, Anm. zu BGH v. 6.3.1975 – II ZR 80/73, LM Nr. 18 zu § 181 BGB. 349 BGH v. 13.6.1984 – VIII ZR 125/83, BGHZ 91, 334 = GmbHR 1985, 79; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 62; Einzelheiten s. Rz. 135.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 53
§ 35 Rz. 159 | Vertretung der GmbH schaft nur einen Gesellschafter hat350. Dann fehlt dem Prokuristen die Möglichkeit, sich an die Gesellschafterversammlung zu wenden. Er muss damit rechnen, dass seine Prokura widerrufen wird, wenn er sich dem Willen des geschäftsführenden Alleingesellschafters nicht beugt. Ihm fehlt wie dem Unterbevollmächtigten die Unabhängigkeit. Ist daher der allein geschäftsführende Alleingesellschafter von den Beschränkungen des § 181 BGB nicht befreit, so kann er nicht dadurch seine Verhinderung überwinden, dass die Gesellschaft durch einen Prokuristen oder einen Handlungsbevollmächtigten vertreten wird351. 160 cc) Notgeschäftsführer: Fehlt ein weiterer Geschäftsführer oder ist dieser nicht allein vertre-
tungsbefugt, so ist der geschäftsführende Alleingesellschafter verhindert, mit sich selbst das Rechtsgeschäft vorzunehmen. Die Gesellschaft ist nicht vertreten. Es kann daher in entsprechender Anwendung von § 29 BGB ein Notgeschäftsführer bestellt werden352. Eine solche Bestellung ist auch zulässig, wenn der Geschäftsführer nicht auf Dauer, sondern nur in einem Einzelfall wie hier etwa auf Grund von § 181 BGB verhindert ist353. Dies zeigt, dass Rechtsgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters mit der Gesellschaft auch vorgenommen werden können, ohne dass dies in allgemeiner Form der Öffentlichkeit bekannt wird. 161 dd) Genehmigung nach Satzungsänderung: Folgt man der Ansicht, dass bei Fehlen einer
Satzungsbestimmung das Rechtsgeschäft nur schwebend unwirksam, aber nicht nichtig ist (s. Rz. 155), so kann das Rechtsgeschäft bereits vor der Satzungsänderung abgeschlossen, die Satzungsänderung nachgeholt werden, um anschließend das bis zu diesem Zeitpunkt schwebend unwirksame Rechtsgeschäft zu genehmigen354. f) Befreiung von den Beschränkungen 162 aa) Durch die Satzung: Das Selbstkontrahieren kann dem geschäftsführenden Alleingesell-
schafter von Anfang an durch die Satzung gestattet werden355. Auch in der EinpersonenGmbH ist die Gesellschafterversammlung für die Gestattung des Selbstkontrahierens zuständig. Der Alleingesellschafter unterliegt bei der Beschlussfassung keinem Stimmverbot356. Die Befreiung kann entweder generell für alle Geschäftsführer oder individuell für einen bestimmten Geschäftsführer erfolgen. Die Gestattung kann auch nachträglich in die Satzung aufgenommen werden357. Es ist ferner ausreichend, wenn in der Satzung eine Befreiungsmöglichkeit vorgesehen ist, der Alleingesellschafter vor dem Notar sich zum Geschäftsführer bestellt, der von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit ist, und dies im Handelsregister 350 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Fleck, WM 1985, 678. 351 Wie hier: Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Bachmann, ZIP 1999, 86; BuckHeeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 30; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 56. 352 RG v. 25.10.1932 – II B 17/32, RGZ 138, 98, 101; BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 193; BayObLG v. 4.10.1955 – BReg. 2 Z 104/55, BayObLGZ 1955, 290; BayObLG v. 2.6.1976 – BReg. 2 Z 84/75, Rpfleger 1976, 357; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 258; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 30; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 53. 353 Arnold in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, § 29 BGB Rz. 8. 354 S. dazu BGH v. 29.5.1991 – VIII ZR 214/90, DB 1991, 1976; OLG Hamm v. 19.5.1992 – 29 U 169/ 91, GmbHR 1992, 669, 670; BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, GmbHR 1997, 34, 36; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; a.A. Bachmann, ZIP 1999, 88. 355 BGH v. 8.3.2004 – II ZR 316/01, NZG 2004, 667, 668 = GmbHR 2004, 949, 950; zur Befreiung bei UG: OLG Hamm v. 4.11.2010 – 15 W 436/10, GmbHR 2011, 87. 356 Altmeppen, NZG 2013, 401, 403. 357 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269 = DB 1983, 1192 = WM 1983, 446; BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 402/97, GmbHR 2000, 136 = DStR 2000, 164 m. Anm. Goette; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31; zweifelnd zur früheren Rechtslage: Leßmann, DB 1976, 1382; a.A. bei Alleingesellschafter-Geschäftsführer Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82.
54 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 166 § 35
eingetragen wird („Dispens aufgrund satzungsmäßiger Ermächtigung“)358. Der Geschäftsführer kann dann die zuvor vorgenommenen aber noch schwebend unwirksamen Insichgeschäfte genehmigen (str., s. Rz. 155). Wird die Befreiung zu einem Zeitpunkt erteilt, in dem es sich noch um eine mehrgliedrige 163 GmbH handelt, wandelt sich die Gesellschaft aber in der Folgezeit zu einer Einmann-GmbH, so wirkt die Befreiung fort. Sie erlöscht nicht – oder anders formuliert – sie muss nicht neu erteilt werden. Der hier vertretenen Ansicht hat sich auch die höchstrichterliche Rechtsprechung angeschlossen, nachdem die Frage zunächst zwischen den Instanzgerichten streitig war359. Die Befreiung wirkt für alle Rechtsgeschäfte des Geschäftsführers mit der Gesellschaft. Sie 164 umfasst insbesondere auch den Abschluss des Anstellungsvertrags, also ein Rechtsgeschäft, bei dem die Gesellschaft nicht durch den Geschäftsführer, sondern durch „die Gesellschafter“ vertreten wird (s. Rz. 168). Da die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB ins Handelsregister einzutragen ist 165 (s. Rz. 171), kann das Selbstkontrahieren dem Geschäftsführer in der Satzung nur in einer Weise gestattet werden, die eintragungsfähig ist. Nicht wirksam beschlossen und eingetragen werden kann, dass der Geschäftsführer befreit sein soll, wenn er alleiniger Gesellschafter ist360. bb) Nicht durch Gesellschafterbeschluss: Fehlt eine Satzungsbestimmung, durch die der ge- 166 schäftsführende Alleingesellschafter vom Verbot des Selbstkontrahierens befreit ist361, kann der Gesellschafter weder für alle Fälle (generell) noch im Einzelfall durch Gesellschafterbeschluss362 das Selbstkontrahieren gestatten363. Das würde dem Zweck des Gesetzes widersprechen364. Verträge mit der Gesellschaft kann der geschäftsführende Alleingesellschafter in 358 BGH v. 3.4.2000 – II ZR 379/99, DStR 2000, 697 m. Anm. Goette; krit. mit Blick auf das Notarerfordernis Blasche/König, NZG 2012, 812, 814. 359 BGH v. 8.4.1991 – II ZB 3/91, BGHZ 114, 167 = GmbHR 1991, 261; BFH v. 13.3.1991 – I R 1/90, GmbHR 1991, 332; BFH v. 17.9.1992 – I R 89-98/91, GmbHR 1993, 46; a.A. BayObLG v. 22.5.1987 – BReg 3 Z 163/86, WM 1987, 982 = GmbHR 1987, 428; BayObLG v. 21.9.1989 – BReg 3 Z 5/89, GmbHR 1990, 213; wie hier: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 54; Reinicke/Tiedtke, WM 1988, 441; Reinicke/Tiedtke, GmbHR 1990, 200 sowie Tiedtke, ZIP 1991, 355; im Ergebnis auch Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188; Schmitt, WM 2009, 1784, 1785; krit. hierzu Altmeppen, NZG 2013, 401, 405 f. 360 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269 = DB 1983, 1192 = WM 1983, 446. 361 Nach BGH v. 8.3.2004 – II ZR 316/01, GmbHR 2004, 949, 950 soll angesichts der üblichen notariellen Gestaltung von Satzungen eine tatsächliche Vermutung für eine Befreiung des Alleingesellschafters und Geschäftsführers vom Verbot des Selbstkontrahierens sprechen; s. aber auch OLG Koblenz v. 13.7.2004 – 3 U 1213/03, GmbHR 2005, 476. 362 KG v. 21.3.2006 – 1 W 252/05, GmbHR 2006, 653; a.A. KG v. 23.8.2001 – 8 U 8644/99, GmbHR 2002, 327. 363 Zum Erfordernis eines Satzungsvorbehalts im Falle des Liquidators einer GmbH vgl. OLG Köln v. 21.9.2016 – 2 Wx 377/16, GmbHR 2016, 1273; OLG Düsseldorf v. 23.9.2016 – v. 30.3.2009 – 3 Wx 130/15, GmbHR 2017, 36 = NZG 2016, 1424; anders OLG Zweibrücken v. 6.7.2011 – 3 W 62/11, GmbHR 2011, 1209; Terner, DStR 2017, 160 ff. 364 Vgl. Bericht der Abgeordneten Lambinus u.a., BT-Drucks. 8/3908, S. 74: „… nur wirksam sein, wenn sie dem Einmann-Gesellschafter-Geschäftsführer durch den Gesellschaftsvertrag ausdrücklich gestattet sind“; OLG Hamm v. 27.4.1998 – 15 W 79/98, GmbHR 1998, 683; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 80, 82; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 53; Deutler, GmbHR 1980, 146; Karsten Schmidt, NJW 1980, 1775; Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 427; Goette, DStR 2000, 697; a.A. Bühler, DNotZ 1983, 596; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 102; Altmeppen, NJW 1995, 1182, 1185; Altmeppen, NZG 2013, 401, 402; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 66; Blasche/ König, NZG 2012, 812, 815; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 187; wohl auch Kanzleiter, DNotZ 1996, 819.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 55
§ 35 Rz. 166 | Vertretung der GmbH diesem Fall nur abschließen, wenn die Gesellschaft in anderer Weise vertreten ist. Fehlt eine Satzungsbestimmung, so kann der Alleingesellschafter nur die Satzung ändern365, Befreiung erteilen und das zuvor vorgenommene schwebend unwirksame Geschäft genehmigen366. 167 Eine zulässige Zwischenlösung ist ferner die in der Satzung vorgesehene Ermächtigung367. In
einem solchen Fall bestimmt die Satzung, dass der Geschäftsführer durch einfachen Gesellschafterbeschluss von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden kann. Auch bei einer solchen Satzungsklausel können sich die Geschäftspartner darauf einstellen, dass der geschäftsführende Alleingesellschafter von dieser ihm durch die Satzung eingeräumten Befugnis auch tatsächlich Gebrauch macht368. Der Geschäftsführer kann dann als Alleingesellschafter einen dahingehenden Beschluss fassen. Der Beschluss bedarf einer ordnungsgemäßen Protokollierung369. Einer konkreten Benennung des zu befreienden Geschäftsführers in der Satzung bedarf es aber nicht370. Das Stimmverbot nach § 47 Abs. 4 Satz 2 gilt für den Befreiungsbeschluss nicht. Zur Eintragung im Handelsregister s. Rz. 171. g) Anstellungsvertrag 168 Fehlt eine Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens in der Satzung, so ergeben sich
beim Abschluss des Anstellungsvertrags mit dem geschäftsführenden Alleingesellschafter rechtliche und tatsächliche Sonderprobleme. Beim Abschluss des Anstellungsvertrags wird die Gesellschaft nicht durch den Geschäftsführer, sondern durch die Gesellschafter vertreten (s. Rz. 311). § 35 Abs. 3 aber ist eine Regelung im Rahmen einer Vorschrift, die vom Geschäftsführer handelt. § 35 Abs. 3 selbst unterscheidet jedoch nicht danach, ob die Gesellschaft durch die Geschäftsführer oder die Gesellschafter als Organ vertreten wird. Der Anwendbarkeit des § 35 Abs. 3 könnte man daher entgegenhalten, die enge Verknüpfung von Bestellung und Anstellung verlange, dass der Gesellschafter nicht nur sich selbst bestellen könne, sondern dass er auch den Anstellungsvertrag mit sich abschließen kann. Ebensowenig wie es aber für die Selbstbestellung einer Befreiung bedürfe, sei sie für die Selbstanstellung erforderlich. Auch von dem Gesellschafter-Geschäftsführer könne niemand erwarten, dass er ohne Anstellungsvertrag tätig werde. Indessen zeigt die steuerrechtliche Rechtsprechung, dass gerade auch über den Anstellungsvertrag unangemessene Zahlungen an den Gesellschafter-Geschäftsführer geleistet werden. Würde man den Abschluss des Anstellungsvertrags aus dem Regelungsbereich des § 35 Abs. 3 ausnehmen, so würde nicht nur eine Lücke entstehen, sondern eine breite Bresche geschlagen371. Sind aber für den Abschluss des Anstellungsvertrags die Gesellschafter zuständig, so können auch ein alleinvertretungsbefugter 365 Zur Genehmigung einer Satzungsänderung eines vollmachtlosen Vertreters durch den Alleingesellschafter vgl. OLG München v. 5.10.2010 – 31 Wx 140/10, GmbHR 2011, 91. 366 BayObLG v. 10.4.1981 – BReg 1 Z 26/81, GmbHR 1981, 195 = BB 1981, 869; OLG Köln v. 2.10.1992 – 2 Wx 33/92, GmbHR 1993, 37; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; a.A. Altmeppen, NZG 2013, 401, 409. 367 BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, DB 1984, 1517 = GmbHR 1985, 116; OLG Hamm v. 27.4.1998 – 15 W 79/98, GmbHR 1998, 682 = EWiR § 35 GmbHG, 2/98, 701 (Bokelmann); Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 53; Kreutz in FS Mühl, 1981, S. 427; Bachmann, ZIP 1999, 86; Blasche/König, NZG 2012, 812, 814; krit. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 90 ff. 368 Zur Amtspflicht eines Notars bei Beurkundung der Befreiung BGH v. 18.11.1999 – IX ZR 402/97, GmbHR 2000, 136 = NJW 2000, 664 = BB 2000, 167. 369 BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, GmbHR 1985, 116 = DB 1984, 1517: unterschriebene Niederschrift. 370 OLG Düsseldorf v. 20.5.2014 – 12 U 96/12, MittBayNot 2015, 125; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 542. 371 Wie hier: Fleck, WM 1985, 677; Fleck, ZIP 1986, 270; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; von der Höh, GmbHR 2018, 241, 243; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 55; Hadding, JuS 1983, 532; Heinemann, GmbHR 1985, 179.
56 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 172 § 35
Mitgeschäftsführer oder ein Notgeschäftsführer die Gesellschaft nicht vertreten; denn sie sind hierfür nicht das zuständige Organ. Indessen kann auch für den zur Vertretung der Gesellschaft verhinderten Gesellschafter ein 169 Notorgan in entsprechender Anwendung von § 29 BGB bestellt werden372. Es ersetzt dann nicht den Geschäftsführer, sondern „die Gesellschafterversammlung“373. Ist in der Satzung der Geschäftsführer von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit, so 170 könnte man die Frage stellen, ob die Befreiung auch dann gilt, wenn für die Gesellschaft nicht der Geschäftsführer, sondern die Gesellschafterversammlung als Organ handelt und die Gesellschaft vertritt. Richtigerweise müsste es heißen, dass die namentlich zu bezeichnende Person sowohl in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer als auch in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit ist. Enthält jedoch die Satzung die Gestattungsklausel, so sollte selbstverständlich sein, dass dies auch für den Abschluss solcher Verträge gilt, bei denen die Gesellschaft durch die Gesellschafterversammlung vertreten wird374.
7. Eintragung im Handelsregister a) § 35 Abs. 3 GmbHG i.V.m. § 181 BGB will sicherstellen, dass die Gläubiger sich über die 171 Möglichkeit von Insichgeschäften informieren können. Die Einsicht in den Gesellschaftsvertrag als ein zum Handelsregister eingereichtes Schriftstück ist zwar jedem gestattet, § 9 Abs. 1 HGB. Dies reicht aber nicht aus. Um den gläubigerschützenden Charakter von § 35 Abs. 3 zu verwirklichen, genügt die Publizität des Gesellschaftsvertrags nicht375. Die Gestattung des Selbstkontrahierens in der Satzung ist daher eine eintragungspflichtige Tatsache376. Die Eintragungspflicht folgt aus § 10 Abs. 1 Satz 2. Einzutragen ist hiernach, welche eingeschränkte oder nichteingeschränkte Vertretungsbefugnis die Geschäftsführer haben. Entsprechend bedarf es der Eintragung der konkreten Vertretungsbefugnis des Alleingesellschafter-Geschäftsführers, wenn sie auf einem durch die Satzung gestatteten Gesellschafterbeschluss beruht377. Damit soll sichergestellt werden, dass jeder Geschäftspartner sich unschwer Kenntnis über die Befugnis der mit der Vertretung betrauten Personen verschaffen kann. Hierzu gehört auch die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB. b) Die Entscheidung des II. Senats des Bundesgerichtshofs378 erging zur Befreiung des Al- 172 leingesellschafter-Geschäftsführers. Sieht man aber in § 181 BGB eine Vorschrift mit gläubi-
372 Enger von der Höh, GmbHR 2018, 241, 244: Bestellung eines Notorgans nur, wenn im Gesellschaftsvertrag eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB nicht rechtzeitig möglich wäre. 373 Allgemein: Beitzke in FS Ballerstedt, 1975, S. 185 ff. 374 A.A. von der Höh, GmbHR 2018, 241, 244, der für die gesellschaftsvertragliche Regelung folgende Formulierung vorschlägt: „Der Geschäftsführer und der Gesellschafter, soweit er die Gesellschaft vertritt, sind von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.“ 375 Vgl. aber Bericht der Abgeordneten Lambinus u.a., BT-Drucks. 8/3908, S. 74. 376 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269 = DB 1983, 1192 = WM 1983, 446; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 195; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 36; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., S. 543; F. Fischer in FS Hauß, 1978, S. 70; Kanzleiter, Rpfleger 1984, 1; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 80,94; Altmeppen, NZG 2013, 401, 405; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 57; Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 234; Kreuzer, ZIP 1980, 724; unklar Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 80; anders zur früheren Rechtslage auch: BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 191. 377 OLG Hamm v. 27.4.1998 – 15 W 79/98, GmbHR 1998, 683. 378 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59 = GmbHR 1983, 269.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 57
§ 35 Rz. 172 | Vertretung der GmbH gerschützendem Charakter, so spricht dies dafür, dass die generelle Befugnis eines GmbHGeschäftsführers, die Gesellschaft bei allen Rechtsgeschäften mit sich selbst uneingeschränkt zu vertreten, auch dann einzutragen ist, wenn die Gesellschaft entweder mehrere Gesellschafter oder mehrere Geschäftsführer hat379. Die Befreiung im Einzelfall bedarf hingegen auch innerhalb des Anwendungsbereichs von § 35 Abs. 3 nicht der Eintragung ins Handelsregister380. 173 c) Ist in der Satzung vorgesehen, dass der Geschäftsführer durch einfachen Gesellschafter-
beschluss von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden kann (s. Rz. 144), so bedarf zwar nicht die Satzungsbestimmung der Eintragung im Handelsregister381; denn sie ermächtigt nur. Einzutragen ist aber der befreiende Gesellschafterbeschluss382.
8. Konzerninterne Rechtsgeschäfte a) Mehrfachvertretung 174 § 181 BGB beschränkt die Vertretungsmacht auch bei der Mehrfachvertretung. Der Vertreter
handelt hierbei nicht zugleich im eigenen Namen, sondern er vertritt beide Geschäftspartner. Ein solcher Fall ist gegeben, wenn der Vertreter Organmitglied zweier Gesellschaften ist und er bei Abschluss des Rechtsgeschäfts für beide Gesellschaften handelt383. Besondere Bedeutung erlangt dies für konzerninterne Rechtsgeschäfte, wenn bei der Muttergesellschaft und bei der Tochtergesellschaft oder bei mehreren Tochtergesellschaften der Geschäftsführer personengleich ist384. § 181 BGB ist auch anzuwenden, wenn der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH mit der KG ein Rechtsgeschäft vornimmt385 und wenn bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts zwei Kommanditgesellschaften in der Rechtsform der GmbH & Co. KG diese zwar durch unterschiedliche Komplementär-GmbHs, sie ihrerseits aber wieder durch denselben Geschäftsführer vertreten werden386. Ist der alleinige Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH im Verhältnis zur GmbH von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit387, so kann – auch wenn der Gesellschaftsvertrag der KG eine allgemeine Erlaubnis für den Ge379 BayObLG v. 29.5.1979 – BReg 1 Z 36/79, DB 1979, 1933; BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/ 81, GmbHR 1982, 257 = DB 1982, 689; BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, DB 1984, 1517 = GmbHR 1985, 116; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 30. 380 Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 58 f.; Blasche/König, NZG 2012, 812, 814. 381 Kanzleiter, Rpfleger 1984, 1, 3. 382 BayObLG v. 29.5.1979 – BReg 1 Z 36/79, BayObLGZ 1979, 182; BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/81, GmbHR 1982, 257 = WM 1982, 1033; OLG Zweibrücken v. 30.12.1981 – 3 W 82/81, MittBayNot. 1982, 81; OLG Stuttgart v. 26.11.1984 – 8 W 435/84, Rpfleger 1985, 116 = GmbHR 1985, 221. 383 RG v. 3.2.1917 – V 341/16, RGZ 89, 367. 384 Einzelheiten bei Uwe H. Schneider, BB 1986, 201; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 79 ff.; zust. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; a.A. für Vertragskonzern: Timm, AcP 193 (1993), 423, 435; eingehend zur Selbstbestellung des Geschäftsführers der Muttergesellschaft zum Geschäftsführer der Tochter-GmbH als Anwendungsfall von § 181 BGB Blath, GmbHR 2018, 345 ff. 385 BGH v. 7.2.1971 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 116 = LM Nr. 16 zu § 181 BGB m. Anm. Fleck; BGH v. 15.4.2014 – II ZR 44/13, GmbHR 2014, 817 = NZG 2014, 780; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 37; Bacher/von Blumenthal, GmbHR 2015, 457, 459; Höpfner, NZG 2014, 1174, 1176. 386 BayObLG v. 31.5.1979 – BReg 2 Z 67/78, GmbHR 1979, 252; Bacher/von Blumenthal, GmbHR 2015, 457, 461; zur Anwendung von § 181 BGB bei Konzernverrechnungsklauseln: BGH v. 27.3.1985 – VIII ZR 5/84, WM 1985, 696 m. Anm. Crezelius, EWiR, § 387 BGB 1/85, 363 und Anm. Uwe H. Schneider, WuB, II G. § 35 GmbHG 1.85. 387 Kritisch zu dieser Voraussetzung Schmidt-Ott, ZIP 2007, 943, 945 f.
58 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 177 § 35
schäftsführer der GmbH namens der KG Geschäfte mit sich selbst abzuschließen, nicht vorsieht – die GmbH als Geschäftsführer der KG eine solche auf den Einzelfall bezogene Erlaubnis erteilen388. Die generelle Gestattung des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH, Geschäfte mit sich im eigenen Namen und der KG vorzunehmen, kann als eintragungsfähige Tatsache im Handelsregister der KG eingetragen werden389. Bei Rechtsgeschäften zwischen der Komplementär-GmbH und der KG liegt aus Sicht der vertretenen KG nicht nur ein Fall des Selbstkontrahierens vor, sondern zugleich aus Sicht der vertretenen GmbH ein Fall der Mehrfachvertretung390. Infolge dessen bedarf nicht nur die mit sich selbst kontrahierende Komplementär-GmbH als Vertretungsorgan der KG einer Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB durch die KG. Vielmehr muss der Geschäftsführer der GmbH sowohl durch die GmbH als auch durch die KG jeweils von den Beschränkungen der Norm befreit werden391. Bei konzerninternen Rechtsgeschäften liegt ein Verstoß gegen § 181 BGB auch dann vor, wenn eine Vereinbarung sowohl einen Darlehensvertrag als auch eine Garantievereinbarung enthält und die Darlehensnehmerin und die Sicherungsgeberin als Tochtergesellschaft der Darlehensnehmerin von den selben Prokuristen vertreten werden, die jedoch nicht von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit worden sind; das Bestehen eines Weisungsrechts des herrschenden Unternehmens gegenüber dem beherrschten Unternehmen nach § 308 Abs. 1 AktG steht der Anwendung von § 181 BGB nicht entgegen392. b) 100 % Tochtergesellschaft Handelt es sich um eine 100 % Tochtergesellschaft in Form einer GmbH und handelt der 175 Geschäftsführer der Tochtergesellschaft auch als Vertreter der Muttergesellschaft, so ist bei der Tochtergesellschaft zugleich § 35 Abs. 3 entsprechend anzuwenden393. Zwar ist der Geschäftsführer nicht Alleingesellschafter. Es kann jedoch keinen Unterschied machen, ob der Geschäftsführer Alleingesellschafter ist oder ob er für den Alleingesellschafter handelt (Mehrfachvertretung). Auch bei der Muttergesellschaft ist § 35 Abs. 3 anzuwenden, wenn bei konzerninternen 176 Rechtsgeschäften der vertretende Geschäftsführer deren alleiniger Gesellschafter ist394. Fehlt daher eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB in der Satzung, so wird das Rechtsgeschäft auch nicht durch Gestattung des Selbstkontrahierens durch Gesellschafterbeschluss bei der Tochtergesellschaft wirksam395. Aus entsprechenden Erwägungen entfällt die Möglichkeit, dass die 100 % Tochtergesellschaft 177 durch einen Prokuristen vertreten wird. Zwar hat die Rechtsprechung trotz Identität der Geschäftsführer die Anwendung des § 181 BGB abgelehnt, wenn der eine Vertragspartner durch einen Prokuristen vertreten wird. Im Konzern gilt dies jedoch nicht396. 388 OLG Düsseldorf v. 29.9.2004 – 3 Wx 125/04, GmbHR 2005, 105; Schindeldecker, RNotZ 2015, 533, 546; krit. hierzu Mielke, BB 2017, 1734, 1736. 389 BayObLG v. 4.11.1999 – 3Z BR 321/99, GmbHR 2000, 91; BayObLG v. 7.4.2000 – 3Z BR 77/00, GmbHR 2000, 731. 390 Bacher/von Blumenthal, GmbHR 2015, 457, 461. 391 BGH v. 15.4.2014 – II ZR 44/13, NZG 2014, 780, 781 = GmbHR 2014, 817; Hauschild, ZIP 2014, 954, 955; Höpfner, NZG 2014, 1174, 1176. 392 OLG Frankfurt v. 11.4.2018 – 13 U 31/16, AG 2018, 635. 393 A.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 189; Bachmann, ZIP 1999, 85, 91: einfacher Gesellschafterbeschluss genügt; für eine weitgehende Nichtanwendung von § 35 Abs. 3 sowie § 181 BGB Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 175 ff. 394 Eb. Bachmann, ZIP 1999, 88, 91. 395 Robles y Zepf, BB 2012, 1876, 1879; Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 43; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 78. 396 Anders noch BGH v. 30.11.1967 – II ZR 68/65, BGHZ 49, 117, 120.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 59
§ 35 Rz. 178 | Vertretung der GmbH
9. Die nachträgliche Bestellung mehrerer Geschäftsführer 178 Bestimmt die Satzung der GmbH weder die Zahl der Geschäftsführer noch die Art der Ver-
tretung und ist zunächst nur ein Geschäftsführer vorhanden, so vertritt dieser allein die Gesellschaft. Wird dann noch, wofür ein einfacher Beschluss der Gesellschafter genügt, ein zweiter Geschäftsführer bestellt, so sind mit der Bestellung des zweiten beide automatisch gesamtvertretungsberechtigt. Ist nun im Einzelfall einer der Geschäftsführer an der Mitwirkung tatsächlich oder aus Rechtsgründen verhindert (z.B. bei Abschluss eines Vertrages zwischen ihm selbst und der Gesellschaft, § 181 BGB), so wird nicht der andere alleinvertretungsberechtigt397. Scheidet der zweite Geschäftsführer wieder gänzlich aus, so ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob die Alleinvertretungsbefugnis des ersten wieder aufleben soll. Beim Schweigen des Statuts kann allein daraus, dass die Gesellschaft einmal zwei Geschäftsführer gehabt hat, nicht gefolgert werden, dass sie dauernd gesamtvertretungsbedürftig geworden ist398. Bestimmt das Statut aber ausdrücklich, dass die Gesellschaft mehr als einen Geschäftsführer haben muss und diese nur gesamtvertretungsberechtigt sein sollen, dann muss bei Wegfall eines der Geschäftsführer (z.B. durch Tod) entweder ein neuer Geschäftsführer bestellt oder der Gesellschaftsvertrag geändert werden. So lange kann die Gesellschaft keine Erklärungen abgeben. 179 Eine spezielle Fragestellung entsteht durch die nachträgliche Bestellung mehrerer Geschäfts-
führer bei Gesellschaften, die im vereinfachten Verfahren gegründet wurden. Im Falle der Gründung einer GmbH im „vereinfachten Verfahren“ gemäß § 2 Abs. 1a ist der (notwendigerweise einzelvertretungsbefugte, vgl. Rz. 103) Geschäftsführer zwingend von den Beschränkungen des § 181 BGB zu befreien; s. dazu bereits Rz. 143. Wird nun nachträglich ein weiterer Geschäftsführer bestellt399, so stellt sich die Frage, ob die Befreiung des ursprünglichen Geschäftsführers fortgilt400. Die Frage ist zu verneinen; denn nun gilt wieder die allgemeine Regel, dass die Befreiung besonders vorgesehen sein muss.
10. Die mitbestimmte GmbH 180 Fällt die GmbH in den Anwendungsbereich des MontanMitbestG oder des MitbestG, so wer-
den zwar die Geschäftsführer durch den Aufsichtsrat bestellt. Gleichwohl kann die Art der Vertretungsmacht durch die Satzung, oder, wenn die Satzung dies zulässt, durch die Gesellschaft geregelt werden. § 78 Abs. 2, 3 Satz 2 AktG wird durch das MitbestG nicht auf die GmbH übertragen. 181 Dies gilt auch für den Arbeitsdirektor. Für das MitbestG folgt dies schon daraus, dass der
Arbeitsdirektor kein Mitbestimmungsorgan, sondern ein Geschäftsführer wie jeder andere ist. Eine Grenze bildet hier nur das Diskriminierungsverbot. Daher bestehen keine Bedenken
397 RG v. 17.2.1922 – II 442/21, RGZ 103, 417; RG v. 11.2.1927 – II 129/26, RGZ 116, 117; BGH v. 12.12.1960 – II ZR 255/59, BGHZ 34, 27, 29; BGH v. 18.12.1974 – VIII 179/73, WM 1975, 158. 398 BGH v. 9.5.1960 – II ZB 3/60, GmbHR 1960, 185; Pleyer, GmbHR 1960, 184; a.A. Brodmann, § 35 Anm. 2d. 399 Zur Möglichkeit vgl. etwa OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09, GmbHR 2009, 1210, 1211; OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/09, GmbHR 2010, 872, 873. 400 Dafür: Dignas, GmbHR 2011, 88, 89; Ries, NZG 2009, 739, 740; Miras, DB 2010, 2488, 2489; Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2139; Wachter, NZG 2009, 1432, 1433; Blasche, GmbHR 2015, 403, 407; Schmidt, ZIP 2016, 74, 75 ff.; dagegen: OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827, 829; OLG Hamm v. 4.11.2010 – 15 W 436/10, GmbHR 2011, 87 (m. krit. Anm. Dignas); OLG Nürnberg v. 15.7.2015 – 12 W 1208/15, GmbHR 2015, 1279, 1280; wohl auch schon OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, GmbHR 2009, 1334; 88.
60 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 184 § 35
nur dem „Vorsitzenden der Geschäftsführung“401 Alleinvertretungsbefugnis, den anderen Geschäftsführern aber nur Gesamtvertretungsbefugnis zu erteilen402. Unzulässig ist dagegen eine Beschränkung der Vertretungsmacht des Arbeitsdirektors ohne sachlichen Grund. Aber auch bei den Gesellschaften, die montanmitbestimmt sind, ist der Arbeitsdirektor nur 182 als „gleichberechtigtes“ nicht als „bevorrechtigtes“ Mitglied der gesetzlichen Vertretung zu bestellen, § 13 MontanMitbestG. Daher bestehen auch bei diesen Gesellschaften keine Bedenken, beim Arbeitsdirektor dieselbe Form der Vertretungsmacht vorzusehen wie für die anderen Geschäftsführer403.
11. Niederschrift bei Selbstkontrahieren in Einmann-GmbH Der RegE zur GmbH-Novelle 1980404 forderte zunächst in § 35 Abs. 4 Satz 1 für Insich- 183 geschäfte des Einmann-Gesellschafter-Geschäftsführers mit der Gesellschaft die Schriftform. Dies wurde zwar nicht Gesetz. Schon früher wurde jedoch an dieser Stelle die Ansicht vertreten, dass Insichgeschäfte des geschäftsführenden Alleingesellschafters der Schriftform bedürfen405. Durch das Gesetz zur Durchführung der 12. EG-Richtlinie auf dem Gebiet des Gesellschafts- 184 rechts vom 18.12.1991406 wurde § 35 Abs. 4 Satz 2 eingefügt, der dem § 35 Abs. 3 Satz 2 in seiner jetzigen Fassung entsprach. Die Vorschrift verlangt daher eine Auslegung, die sich am EU-Gemeinschaftsrecht orientiert. Verlangt wird die Aufnahme aller zwischen dem Alleingesellschafter und der von ihm vertretenen Gesellschaft vorgenommenen Rechtsgeschäfte – also nicht nur der Verträge – in einer Niederschrift, nicht aber der Beschlüsse der EinmannGesellschafterversammlung (dazu § 48 Abs. 3)407. Die Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob die Gesellschaft weitere Geschäftsführer hat oder nicht. Sie besteht unabhängig davon, ob der Geschäftsführer Einzelvertretungsbefugnis oder Gesamtvertretungsbefugnis hat. Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer und besteht Gesamtvertretung, so bedarf es der Niederschrift auch für den Fall, dass die Gesellschaft durch den geschäftsführenden Gesellschafter und einen weiteren Fremdgeschäftsführer vertreten wird408. Die Dokumentation ist auch unabhängig davon erforderlich, ob die Gesellschaft durch den Geschäftsführer vertreten wird oder, wenn es um den Abschluss des Anstellungsvertrags geht, durch den Gesellschafter409. 401 Zur Zulässigkeit: Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Anm. 73. 402 Meyer-Landrut, DB 1976, 388; Hoffmann, BB 1977, 21; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 33 MitbestG Anm. 25; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Anm. 77 ff.; Rumpff in GK-MitbestG, § 33 Anm. 36; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 31; Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 36. 403 Kötter, Mitbestimmungsrecht, 1952, § 13 Anm. 8; Boldt, Mitbestimmungsgesetz 1952, § 13 Anm. 4b. 404 BT-Drucks. 8/1347, S. 11. 405 S. dazu auch schon BGH v. 19.4.1971 – II ZR 98/68, BGHZ 56, 97, 105; BGH v. 19.11.1979 – II ZR 197/78, BGHZ 75, 358, 363 = GmbHR 1980, 166; BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, GmbHR 1980, 27 = WM 1983, 120 insoweit in BGHZ 75, 209 nicht abgedruckt; so auch OLG Rostock v. 27.8.2015 – 3 U 93/13, NZG 2016, 382, 383. 406 BGBl. I 1991, 2206. 407 Zur Frage der analogen Anwendung von § 35 Abs. 3 Satz 2 auf konzerninterne Geschäfte eingehend Stenzel, Das Verbot der Mehrfachvertretung im Aktien- und GmbH-Konzern, 2017, S. 163 ff. 408 S. Begr. RegE BT-Drucks. 12/625, S. 6; Schimmelpfennig/Hauschka, NJW 1992, 944. 409 Ebenso Schwarz, DStR 1992, 221; Schimmelpfennig/Hauschka, NJW 1992, 944.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 61
§ 35 Rz. 185 | Vertretung der GmbH 185 Die Niederschrift muss unverzüglich erfolgen. In welcher Weise sie vorgenommen wird,
bleibt offen. Entscheidend ist, dass das Rechtsgeschäft bei einer späteren Prüfung nachvollzogen werden kann410. Aus diesem Grund müssen das Zustandekommen des Rechtsgeschäfts, der Inhalt einschließlich der Art und der Höhe der Gegenleistung und der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses festgehalten werden. Eine Unterzeichnung der Niederschrift ist nicht erforderlich; denn die Niederschrift verlangt nicht etwa eine papiergebundene Dokumentation. Vielmehr reicht eine Dokumentation auf Datenträgern aus411. 186 Zweifelhaft ist, ob die fehlende Dokumentation zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts führt.
Dies ist abzulehnen412. Die Dokumentationspflicht dient zwar dem Gläubigerschutz. Den Gläubigerinteressen ist aber auch bei Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts hinreichend gedient, wenn Schadensersatzansprüche bestehen; denn fehlt die Niederschrift, so kann dies Schadensersatzansprüche gegenüber den Geschäftsführern auslösen413, ganz abgesehen von den möglichen steuerlichen Folgen. Offen ist, ob, wie vereinzelt für vertretbar gehalten wird, das Niederschriftserfordernis ein Schutzgesetz für Gläubiger i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB darstellt414. Ein möglicher Verstoß wird aber in den seltensten Fällen für einen Schaden beim Gläubiger kausal sein. Das pflichtwidrige Unterlassen der Niederschrift kann aber für den EinmannGeschäftsführer mit nachteiligen Beweislastfolgen verbunden sein415.
VII. Missbrauch der Vertretungsbefugnis 187 Auch wenn sich der vertretungsberechtigte Geschäftsführer formal im Rahmen seiner Ver-
tretungsbefugnis hält, ist bei einem Missbrauch der Vertretungsmacht die Gesellschaft nicht gebunden. Art. 9 der Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts416 (s. Rz. 25), der den Grundsatz der unbeschränkten und unbeschränkbaren Vertretungsmacht europarechtlich vorgibt, steht dem nicht entgegen417. Bei der Abgrenzung sind die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht im Interesse des Verkehrsschutzes mit dem berechtigten Schutzbedürfnis der Gesellschaft ins Verhältnis zu setzen.
1. Arglistiges Zusammenwirken 188 Die 1. Fallgruppe ist unstreitig: Ein Missbrauch der Vertretungsmacht liegt vor, wenn der
Dritte mit dem Geschäftsführer arglistig zusammenwirkt, um die Gesellschaft zu schädigen (Kollusion)418.
410 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 57. 411 Begr. RegE BT-Drucks. 12/625, S. 6 sowie Schwarz, DStR 1992, 222 und Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 209. 412 Eb. OLG Köln v. 13.3.2008 – 18 U 85/06, BeckRS 2008, 09160; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 109; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 211; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 40; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, S. 233; von der Höh, GmbHR 2018, 241, 244. 413 Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 33; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 57; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 211; Schwarz, DStR 1992, 222; einschränkend Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 61. 414 Lenz in Michalski u.a., Rz. 104; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 61. 415 OLG Köln v. 13.3.2008 – 18 U 85/06, BeckRS 2008, 09160; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 61; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 211; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 109: Beweisvereitelung; Lenz in Michalski u.a., Rz. 104. 416 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 417 EuGH v. 16.12.1997 – C-104/96, ECLI:EU:C:1997:610, WM 1998, 865. 418 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 114; BGH v. 31.1.1991 – VII ZR 291/88, BGHZ 113, 315, 320; BGH v. 15.12.1975 – II ZR 148/74, WM 1976, 658; BGH v. 25.2.1985 – II ZR 99/84,
62 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 190 § 35
Ein Missbrauch der Vertretungsmacht in der Form der Kollusion soll auch vorliegen, wenn 189 der Geschäftsführer mit einem Gesellschafter zusammenwirkt und ihm Vermögensvorteile zuwendet, sei es aus dem gebundenen Vermögen unter Verletzung des § 30419, sei es aus dem ungebundenen Vermögen unter Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (s. 12. Aufl., § 29 Rz. 120). Dabei wird übersehen, dass es schon an der Vertretungsmacht fehlt; denn bei Gesellschafter-Geschäften gilt der Grundsatz der Unbeschränktheit der Vertretungsmacht nicht; s. Rz. 26 ff.
2. Verletzung interner Beschränkungen ohne Schädigung Die 2. Fallgruppe betrifft die Vertretung unter Verletzung der internen Zuständigkeitsord- 190 nung. Insoweit trägt grundsätzlich der Vertretene, also die Gesellschaft, das Risiko eines Missbrauchs der Vertretungsmacht durch einen Fremdgeschäftsführer und einen Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht soll aber vorliegen, wenn der Geschäftsführer erstens unter Verletzung interner Beschränkungen und damit objektiv pflichtwidrig handelt („kompetenzwidriges Handeln“). Zu denken ist daran, dass das Rechtsgeschäft mit dem Gesellschaftszweck oder dem Gegenstand des Unternehmens nicht zu vereinbaren ist420, dass satzungsmäßige Beschränkungen, z.B. Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafter, verletzt werden421 („Vertragsschluss ohne Gremienvorbehalt“) oder dass der Geschäftsführer gegen interne Weisungen handelt. Erforderlich sein soll zweitens, dass der Dritte weiß oder es sich ihm geradezu aufdrängen musste, dass der Geschäftsführer seine ihm im Innenverhältnis gezogenen Grenzen überschritten hat422. Beispiel: Der Geschäftsführer nimmt zu marktüblichem Zins ein Darlehen auf. Die durch die Satzung verlangte Zustimmung der Gesellschafter fehlt, was dem Kreditinstitut bekannt ist. Bei der Frage nach der Kenntnis sind die Regeln über die Wissenszurechnung (s. dazu Rz. 121 ff.) anwendbar423. Für diese Fallgruppe soll nicht erforderlich sein, dass die Gesellschaft objektiv geschädigt wird oder dass auf seiten des Geschäftsführers subjektiv eine Schädigungsabsicht besteht, mag dies auch der typische Fall sein424. Das gilt auch, wenn der Geschäftsführer
419
420 421 422
423 424
WM 1985, 997 m. Anm. Hüffer, WuB, II I. §§ 164, 177 ff. BGB 1.85; BGH v. 5.11.2003 – VIII ZR 218/01, NZG 2004, 139, 140 = DStR 2004, 148 m. Anm. Goette; BGH v. 14.6.2016 – XI ZR 483/ 14, WM 2016, 1437, 1438; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 39; zum Ganzen: Vedder, Missbrauch der Vertretungsmacht, 2007: Missbrauchseinwand nur bei vorsätzlich interessenwidrigem Vertreterhandeln; Karsten Schmidt, JuS 2018, 997. Maier-Reimer in Lutter/Scheffler/U. H. Schneider, Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998, S. 508; auch Hager, ZGR 1989, 71, 97; a.A. LG Frankfurt v. 19.6.1997 – 2/25 O 374/96, ZIP 1997, 1464, 1467 = GmbHR 1997, 952; Mülbert, ZGR 1995, 605: Die §§ 30 ff. enthalten abschließende Regelung; s. auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, BGHZ 136, 125 = GmbHR 1997, 790. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23. Brandes, WM 1989, 334. BGH v. 14.3.1988 – II ZR 211/87, WM 1988, 704, 706 = GmbHR 1988, 260; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 = GmbHR 1996, 111, 113; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 273; s. auch BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, ZIP 1997, 1419 = GmbHR 1997, 836; BGH v. 14.6.2016 – XI ZR 483/14, WM 2016, 1437, 1439. OLG Hamm v. 22.2.2011 – 19 U 133/10, GmbHR 2011, 1099, 1100; OLG Düsseldorf v. 31.5.2012 – 16 U 53/11, GmbHR 2012, 793, 794; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24. BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 = GmbHR 1996, 111, 113: „Eine Grenzüberschreitung kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Vertragskonditionen beim Abschluss gegenseitiger Verträge für die Gesellschaft grob nachteilig sind“; OLG Koblenz v. 9.8.1990 – 6 U 888/90, GmbHR 1991, 264, 268; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 72; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 259; a.A. Michalski, GmbHR 1991, 349; Nachteilszufügung erforderlich; Zacher, GmbHR 1994, 842: Voraussetzung ist Schaden der
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 63
§ 35 Rz. 190 | Vertretung der GmbH Minderheitsgesellschafter ist425. Wenn der Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer aber die Möglichkeit hatte, auf Grund seines Stimmrechts einen Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung herbeizuführen, sind die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht nur anzuwenden, wenn die Gesellschaft einen Nachteil erlitten hat426. 191 Die höchstrichterliche Rechtsprechung sieht jedenfalls dann eine Beschränkung der Vertre-
tungsmacht, wenn eine durch Gesellschafterbeschluss begründete Beschränkung der Befugnis des GmbH-Geschäftsführers, die Gesellschaft zu vertreten, dem Vertragspartner erkennbar war427. Das Entsprechende müsste gelten, wenn sich die Beschränkung aus der Satzung ergibt. Kenntnis ist nicht erforderlich. Erkennbarkeit soll genügen. Nach der neuesten Rechtsprechung können die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht allerdings nicht uneingeschränkt auf ein Insichgeschäft nach § 181 BGB übertragen werden. Die Unwirksamkeit eines Insichgeschäfts setzt unter dem Aspekt des Missbrauchs der Vertretungsmacht voraus, dass das Insichgeschäft auch für den Vertretenen nachteilig ist428. 192 Stellungnahme: Abzulehnen ist die Ansicht, ein Verstoß gegen den Gesellschaftszweck oder
Rechtsgeschäfte außerhalb des Unternehmensgegenstandes, die Kenntnis des Dritten unterstellt, begründeten einen Missbrauch der Vertretungsmacht; denn damit würde die ultra-vires-Lehre durch die Hintertür wieder eingeführt. Die Regeln über den Missbrauch der Vertretungsmacht sind auch bei der Verletzung interner Beschränkungen nicht anzuwenden, wenn der Dritte davon ausgehen darf, dass die Gesellschafter das Geschäft nachträglich billigen werden429. Dies verlangt eine gemeinschaftskonforme Auslegung, Art. 9 Abs. 2 Richtlinie (EU) 2017/1132430. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der Geschäftsgegner weiß oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen muss, dass der Geschäftsführer nachträglich intern die Zustimmung zu dem Geschäft nicht erhalten wird431. Gegen eine weitere Ausdehnung sprechen der Wortlaut von § 37 Abs. 2 und der Sinn dieser Vorschrift, wonach die interne Zuständigkeit nicht auf die externe Befugnis, nämlich die Vertretungsmacht, wirken soll. 193 § 37 Abs. 2 schließt im Übrigen nicht aus, dass in einem Vertrag der Gesellschaft mit einem
Dritten die Zustimmung der Gesellschafterversammlung zur Wirksamkeitsvoraussetzung gemacht wird432. Darin liegt keine unzulässige Beschränkung der Vertretungsmacht der Geschäftsführer.
425 426 427 428 429
430 431 432
Gesellschaft sowie grob fahrlässige Pflichtverletzung des Geschäftsführers und Kenntnis des Geschäftsgegners hiervon; Vedder, GmbHR 2008, 736: Vorsatz beim Vertreter stets erforderlich. Scholz, ZHR 182 (2018), 656, 662. S. dazu Scholz, ZHR 182 (2018), 656. BGH v. 10.4.2006 – II ZR 337/05, GmbHR 2006, 876; hierzu kritisch Vedder, GmbHR 2008, 736. BGH v. 18.10.2017 – I ZR 6/16, GmbHR 2018, 251, 253 = EWIR 2018, 361 m. Anm. Göbel; Hülsmann, GmbHR 2018, 393; Scholz, ZHR 182 (2018), 656. So wohl auch BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/ 94, GmbHR 1996, 111, 113; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, 1980, S. 530: „liquide Kenntnis“; Fischer in FS Schilling, 1973, S. 20; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 82 AktG Rz. 46: auf massive Verdachtsmomente gründende objektive Evidenz; Frotz, Verkehrsschutz im Vertretungsrecht, 1972, S. 611; Jüngst, Der Missbrauch organschaftlicher Vertretungsmacht, 1981, S. 101; John in FS Mühl, 1981, S. 349, 355; Teichmann/Schröder, Anm. zu BGH, WuB, II C. § 37 GmbHG 1.97. ABl. EU Nr. 169 v. 30.6.2017, S. 46. Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 43; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 55. BGH v. 23.6.1997 – II ZR 353/95, WM 1997, 1570 = GmbHR 1997, 836; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 37 Rz. 171.
64 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 197 § 35
3. Bewusstes Handeln zum Nachteil der Gesellschaft a) Bei der 3. Fallgruppe fehlt es an einem arglistigen Zusammenwirken des Geschäftsführers 194 mit dem Dritten. Auch ist nicht Voraussetzung, dass interne Beschränkungen verletzt sind. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht soll gleichwohl vorliegen, wenn erstens das Rechtsgeschäft für die Gesellschaft nachteilig ist, zweitens der Geschäftsführer bewusst zum Nachteil der Gesellschaft gehandelt hat und drittens die Schädigungsabsicht des Geschäftsführers dem Geschäftspartner bekannt war oder sich ihm geradezu aufdrängen musste. Auch bei dieser Fallgruppe sind die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen streitig. b) Streitig ist, ob auf Seiten des Geschäftsführers die objektive Verletzung seiner Pflichten 195 zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung genügt oder Bösgläubigkeit auf Seiten des Geschäftsführers, ein bewusstes Handeln zum Nachteil der Gesellschaft und ein konkreter Nachteil auf Seiten der Gesellschaft vorliegen muss433. Die Rechtsprechung verlangt teils Schädigungsvorsatz434, teils wird lediglich Kenntnis des Geschäftsführers der Umstände verlangt, die zu einem Überschreiten der Vollmachtsgrenzen führen435. Verzichtet man auf den Schädigungsvorsatz, so hätte dies zur Folge, dass bei jedem für den Geschäftspartner erkennbar nachteiligen Rechtsgeschäft ein Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegt. Das Risiko nachteiliger Entscheidungen würde dann auf den Geschäftspartner verlagert. Es ist aber nicht die Aufgabe des Vertragsgegners, über Vor- und Nachteil eines Rechtsgeschäfts für die Gesellschaft zu entscheiden. Ein „Missbrauch“ setzt daher den durch subjektive Elemente geleiteten Fehlgebrauch seiner Funktion voraus436. Hat der Geschäftsführer auf Weisung der Gesellschafter gehandelt, so liegt auch dann kein 196 Missbrauch der Vertretungsmacht vor, wenn das Rechtsgeschäft bei objektiver Betrachtung für die Gesellschaft nachteilig und dem Geschäftsführer dies bekannt ist437; denn die Gesellschafter können auch Zahlungen an Dritte veranlassen, sofern hierdurch nicht gegen das Auszahlungsverbot des § 30 verstoßen wird438, der Gesellschaft keine existenzwichtigen Mittel entzogen werden439 oder die Auszahlung aus sonstigen Gründen rechtswidrig ist440. c) Streitig sind auch die Anforderungen auf Seiten des Geschäftspartners. In der höchst- 197 richterlichen Rechtsprechung war die Ansicht vertreten worden, der Dritte müsse es sich in Anwendung von § 242 BGB entgegenhalten lassen, wenn das gesetzliche Vertretungsorgan
433 Zacher, GmbHR 1994, 845; Vedder, GmbHR 2008, 736; a.A. OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 8 U 91/00, NZG 2001, 763; OLG Stuttgart v. 2.6.1999 – 9 U 246/98, GmbHR 1999, 1295 = NZG 1999, 1009; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 72; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 54 f. 434 BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 953, 954; BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, WM 1983, 83, 85 = GmbHR 1983, 149 = ZIP 1983, 155; anders BGH v. 10.4.2006 – II ZR 337/05, GmbHR 2006, 876. 435 BGH v. 14.3.1988 – II ZR 211/87, WM 1988, 704, 706 = GmbHR 1988, 260; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 = GmbHR 1996, 111. 436 Zum Missbrauch der Vertretungsmacht bei Konzernunternehmen: BGH v. 27.3.1985 – VIII ZR 5/ 84, WM 1985, 696 m. Anm. Crezelius, EWiR, § 387 BGB 1/85, 363 und Anm. Uwe H. Schneider, WuB, II G. § 35 GmbHG 1.85. 437 BGH v. 8.12.1954 – II ZR 291/53, BGHZ 15, 382; Fleck, ZGR 1990, 31; s. aber auch die widersprüchliche strafrechtliche Rechtsprechung, etwa BGH v. 29.5.1987 – 3 StR 242/86, GmbHR 1987, 464 = DB 1987, 1930 sowie hierzu Kohlmann in FS Werner, 1984, S. 387 und wenig überzeugend: Gribbom, ZGR 1990, 1. 438 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 340 = GmbHR 1986, 78; BGH v. 11.8.1989 – 3 StR 75/89, wistra 1990, 99 = GmbHR 1989, 465. 439 Ulmer in FS Pfeiffer, 1988, S. 853. 440 Fleck, ZGR 1990, 31.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 65
§ 35 Rz. 197 | Vertretung der GmbH „in ersichtlich verdächtiger Weise“441 handelte und er „bei verkehrsüblicher Sorgfalt einen Missbrauch der Vertretungsmacht erkennen konnte“442. Damit wurde dem Geschäftspartner eine gewisse Nachprüfungspflicht auferlegt. 198 Der Geschäftspartner ist jedoch kaum in der Lage, die objektive Pflichtverletzung des Ge-
schäftsführers zu ermitteln. Vor allem aber würde über § 242 BGB der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht ausgehöhlt. Von der Nachprüfung des Umfangs der Vertretungsbefugnis soll der Geschäftspartner gerade befreit sein. Von einem Missbrauch der Vertretungsmacht ist daher nur auszugehen, wenn dem Dritten das schädigende Verhalten des Geschäftsführers entweder bekannt war oder sich „geradezu aufdrängen musste“443. Fahrlässige Unkenntnis der Pflichtwidrigkeit genügt nicht. Der Geschäftspartner hat daher keine besondere Nachprüfungspflicht, ob der Geschäftsführer auch den Interessen der Gesellschaft nachkommt. Er darf sich aber auch nicht einer offenkundigen Schädigungsabsicht des Geschäftsführers verschließen („Evidenz des Missbrauchs“). In der Lehre schwanken die Formulierungen. So wird verlangt, dass der Dritte das Überschreiten der Befugnis klar erkennen konnte, beziehungsweise, dass es „ohne weiteres“444 und „offensichtlich“445 erkennbar war. Eine „Schädigungsabsicht“446 oder eine „bewusste Schädigung“447 oder ein sonstiges „subjektives Element“ ist auf Seiten des Vertreters nicht erforderlich448. Bei der Frage nach der Kenntnis sind die Regeln über die Wissenszurechnung (s. dazu Rz. 121 ff.) anwendbar449. 199 d) Das schädigende Verhalten des Geschäftsführers muss ferner grob anstößig sein, ohne
dass jedoch die Grenzen des § 138 BGB erreicht zu sein brauchen450. Diese weitere Einschränkung wird in der Rechtsprechung nicht formuliert. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich aber eine Eingrenzung des Grundsatzes der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht rechtfertigen. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht liegt daher noch nicht vor, wenn etwa der Geschäftsführer einen erkennbar zu aufwendigen Geschäftswagen erwirbt.
441 BGH v. 18.2.1960 – VII ZR 21/59, WM 1960, 612; BGH v. 28.2.1966 – VII ZR 125/65, WM 1966, 491; BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112; „in schuldhafter Weise nicht bekannt“; zustimmend: Mertens, JurA 1970, 473. 442 BGH v. 17.10.1973 – VIII ZR 67/72, WM 1973, 1320; zu einer Nachprüfungspflicht und bei Verletzung dieser Pflicht zu Ansprüchen aus culpa in contrahendo: Heckelmann, JZ 1970, 65; dazu krit. Mertens, JurA 1970, 473. 443 BGH v. 31.1.1991 – VII ZR 291/88, BGHZ 113, 315, 320; BGH v. 15.12.1975 – II ZR 148/74, WM 1976, 658; BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 954; BGH v. 17.10.1980 – V ZR 30/79, WM 1980, 1453; BGH v. 10.12.1980 – VIII ZR 186/79, WM 1981, 66, 67 = DB 1981, 840; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, GmbHR 1984, 96 = WM 1984, 306; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, DB 1996, 266, 267 = GmbHR 1996, 111, 113; sowie BGH v. 19.4.1994 – XI ZR 18/93, BB 1994, 1103 (öffentlich- rechtliche Körperschaft); OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 8 U 91/00, NZG 2001, 763; OLG Stuttgart v. 2.6.1999 – 9 U 246/98, NZG 1999, 1009; OLG Stuttgart v. 16.12.2008 – 12 U 172/08, DB 2009, 445, 446; OLG Brandenburg v. 30.4.2008 – 4 U 127/07, BeckRS 2008, 10814; OLG Oldenburg v. 4.2.2010 – 8 U 121/09, GmbHR 2010, 1093, 1094; Fischer in FS Schilling, 1973, S. 3 und H. Hübner in FS Klingmüller, 1974, S. 173. 444 Flume, Die juristische Person, 1983, S. 789: „Evidenz des Missbrauchs“; ebenso John in FS Mühl, 1981, S. 349, 359. 445 Geßler in FS v. Caemmerer, 1978, S. 544. 446 So BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, WM 1983, 83, 85 = GmbHR 1983, 149; John in FS Mühl, 1981, S. 357. 447 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 114. 448 BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 59/87, NJW 1988, 3012, 3013; OLG Stuttgart v. 2.6.1999 – 9 U 246/98, GmbHR 1999, 1295 = NZG 1999, 1009 m. Anm. Michalski/Arends. 449 OLG Hamm v. 22.2.2011 – 19 U 133/10, GmbHR 2011, 1099, 1100; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24. 450 Weitergehend Michalski, GmbHR 1991, 354: „Notwendig ist eine zum Ausgleich verpflichtende Nachteilszufügung“.
66 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 202 § 35
4. Rechtsfolgen Über die Rechtsfolgen eines Missbrauchs der Vertretungsmacht besteht keine Einigkeit. Bei 200 kollusivem Zusammenwirken verstößt das Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten und ist nichtig451. Hiervon abgesehen werden die Rechtsfolgen der §§ 177 ff. BGB herangezogen452. Dem ist zuzustimmen. Das Rechtsgeschäft ist schwebend unwirksam und genehmigungsfähig. Wer wusste oder wem sich aufdrängen musste, dass der Vertreter seine Vertretungsmacht missbraucht, muss sich so behandeln lassen, wie jemand, der das Fehlen der Vertretungsmacht kannte. Bei nachteiligen Rechtsgeschäften können nur die Gesellschafter genehmigen. Nach anderer Ansicht bestimmen sich die Rechtsfolgen wie bei einem Verschulden bei Vertragsschluss453. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat der Gesellschaft den Arglisteinwand gegeben mit der Folge, dass der Dritte aus der Vereinbarung keine Rechte gegen den Vertretenen ableiten kann. Die Gesellschaft ist an das Rechtsgeschäft nicht gebunden454. In Anwendung von § 254 BGB sollen aber die nachteiligen Folgen auf den Dritten und den Vertretenen verteilt werden455. Ist dem Dritten durch das Rechtsgeschäft eine Rechtsmacht zur Verpflichtung eingeräumt worden, so darf er hiervon keinen Gebrauch machen. Bei schuldhafter Verletzung dieser Pflicht haftet der Dritte dem Vertretenen auf Ersatz des dadurch entstandenen Schadens456.
5. Beweislast Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den Missbrauch der Vertretungs- 201 macht begründen, trifft die Gesellschaft457.
VIII. Die Vertretung im Prozess 1. Bei allen Aktiv- und Passivprozessen, bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit458 und 202 bei Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die Gesellschaft, vertritt der Geschäftsführer die 451 BGH v. 14.6.2016 – XI ZR 483/14, WM 2016, 1437; Ulrich, GmbHR 2014, R149. 452 So etwa BGH v. 20.6.2007 – IV ZR 288/06, MittBayNot 2008, 67, 68; OLG Hamm v. 22.8.2005 – 5 U 69/05, NZG 2006, 827, 828; OLG Stuttgart v. 2.6.1999 – 9 U 246/98, NZG 1999, 1009; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 44; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 41; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 260; Zacher, GmbHR 1994, 848; Heckelmann, JZ 1970, 62 ff.; Michalski, GmbHR 1991, 356. 453 Stoll in FS Lehmann, 1937, S. 138. 454 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 114; BGH v. 18.2.1960 – VII ZR 21/59, WM 1960, 613; BGH v. 28.2.1966 – VII ZR 125/65, WM 1966, 491; BGH v. 15.12.1975 – II ZR 148/74, WM 1976, 658; BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 954; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, GmbHR 1984, 96 = NJW 1984, 1462; BGH v. 18.5.1988 – IVa ZR 59/87, WM 1988, 1199 = NJW 1988, 3012; OLG München v. 21.3.2012 – 7 U 358/12, BeckRS 2012, 07948; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 260; H.P. Westermann, JA 1981, 526; Steinbeck, WM 1999, 889. 455 BGH v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 115; BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 954; OLG Oldenburg v. 14.2.2008 – 8 U 165/07, BeckRS 2008, 10423; Mertens, JurA 1970, 475; Fischer in FS Schilling, 1973, S. 3; ebenso im Ergebnis, wenn auch mit anderer Begründung: Heckelmann, JZ 1970, 62; H. Hübner in FS Klingmüller, 1974, S. 173; John in FS Mühl, 1981, S. 349, 360 ff. 456 BGH v. 19.5.1980 – II ZR 241/79, WM 1980, 954. 457 OLG München v. 26.4.1995 – 7 U 3167/91, OLG-Rp 1995, 244 = GmbHR 1996, 207 (LS); Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 37 Rz. 46. 458 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324 = GmbHR 1989, 25: Herbeiführung einer konstitutiven Eintragung im Handelsregister.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 67
§ 35 Rz. 202 | Vertretung der GmbH Gesellschaft. Ist die Gesellschaft ohne Geschäftsführer, so ist sie nicht prozessfähig. § 35 Abs. 1 Satz 2 steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift handelt nur von der Passivvertretung. Die Prozessführung verlangt aber, dass ihre Vertreter auch zur Aktivvertretung befugt sind459. Wenn daher der einzige Geschäftsführer sein Amt niederlegt, verliert die Gesellschaft ihre Prozessfähigkeit460. Das Entsprechende gilt bei Klagen gegen Gesellschafter461. Für den Fall, in dem die Gesellschafter der GmbH wegen Führungslosigkeit nach § 15a Abs. 3 InsO zur Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Gesellschaftsvermögen verpflichtet sind, verneint die Rechtsprechung auch mangels Verfahrensfähigkeit der führungslosen und somit auch nicht wirksam vertretenen Gesellschaft die Zulässigkeit des Insolvenzantrags462. Bei Nichtigkeit der Bestellung des Geschäftsführers nach § 6 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 134 BGB kommt es für die Wirksamkeit der Prozessvertretung darauf an, ob der Organvertreter als Alleinvertreter oder als einer von mehreren Gesamtvertretern bestellt worden ist. Wurde er als Alleinvertreter bestellt, liegt von vornherein keine wirksame Vertretung der Gesellschaft vor. Wurde er indes als einer von mehreren Gesamtvertretern bestellt, ist zu prüfen, ob infolge der unwirksamen Bestellung die Zahl der zur Gesamtvertretung erforderlichen Geschäftsführer unterschritten wird463. Ist ein Rechtsanwalt zugleich Gesellschafter und Geschäftsführer, so darf dieser, weil er als Geschäftsführer weisungsgebunden ist, die Gesellschaft nicht vertreten464. Möglich ist es ebenfalls nicht, als gesetzlicher Vertreter einer Partei einen Prozess mit sich selbst zu führen. Dies ist z.B. der Fall, wenn eine Person sowohl auf Kläger- als auch auf Beklagtenseite entweder Partei oder (auch gesetzlicher) Parteivertreter ist465. Überaus zweifelhaft ist die Vertretung der Gesellschaft bei Klagen gegen Gesellschafterbeschlüsse, von und gegen Geschäftsführer sowie von und gegen Aufsichtsratsmitglieder466. 203 2. Im Rechtsstreit über den Mitgliederbestand soll die GmbH durch die Geschäftsführer
vertreten werden467. Doch sollen Prozesshandlungen rechtlich unbeachtlich sein, wenn die Geschäftsführer ihre Vertretungsmacht missbrauchen. Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen sind nach h.M. gegen die Gesellschaft zu richten. Auch hierbei soll die Gesellschaft durch die Geschäftsführer vertreten werden468. Sinnvoller wäre es in beiden Fällen, wenn die Gesellschaft durch die Gesellschafter vertreten würde469. Dem Geschäftsführer ist auch die Klage zuzustellen470. In einem Rechtsstreit, der die Nichtigkeit des Auflösungsbeschlusses zum Ge459 BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, DB 2010, 2719 = GmbHR 2011, 83; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 247; Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 113; Theiselmann, GmbH-StB 2017, 17, 19. 460 BFH v. 28.8.2012 – I B 69/12, BFH/NV 2013, 50 = GmbHR 2013, 167. 461 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 12; zur Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft durch Mehrheitsgesellschafter im Wege gewillkürter Prozessstandschaft: BGH v. 2.6.1986 – II ZR 300/85, NJW-RR 1987, 57. 462 LG Kleve v. 21.3.2017 – 4 T 577/16, ZIP 2017, 1955, 1956 f.; AG Oldenburg v. 24.6.2016 – 65 IN 9/16, NZI 2016, 925, 926; a.A. Knauth, NZI 2018, 55, 56 f.; Köhler-Ma/de Bruyn, ZIP 2018, 261, 262 ff. (Verfahrensfähigkeit der Gesellschaft für die Dauer des Insolvenzverfahrens). 463 Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, NJW 2015, 2215, 2216. 464 EhrGH Bay. v. 24.3.2004 – BayAGH I - 14/03, GmbHR 2004, 1089. 465 OLG Stuttgart v. 14.1.2013 – 14 W 17/12, GmbHR 2013, 535, 539. 466 S. dazu Hueck in FS Bötticher, 1969, S. 197, 209; Joost, ZGR 1984, 71; zur Prozessvertretung der GmbH & Co. KG in einem Rechtsstreit gegen ihre persönlich haftende Komplementär-GmbH bzw. Geschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH eingehend Mielke, BB 2017, 1734, 1739 f. 467 BGH v. 1.3.1962 – II ZR 1/62, WM 1962, 415, 418. 468 S. hierzu BGH v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 32, 114, 119; BGH v. 10.11.1980 – II ZR 51/80, GmbHR 1981, 195 = NJW 1981, 1041; OLG Hamm v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, Anh. § 47 Rz. 165; a.A. Joost, ZGR 1984, 97; Einzelheiten bei § 45. 469 S. auch BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 118; s. ferner 12. Aufl., § 38 Rz. 69. 470 BGH v. 1.3.1962 – II ZR 18/60, GmbHR 1962, 134.
68 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 207 § 35
genstand hat, wird die Gesellschaft aber nicht durch den Geschäftsführer, sondern durch den Liquidator vertreten471. Zweifelhaft ist die Vertretung bei Aktiv- und Passivprozessen zwischen der Gesellschaft und 204 ihren Geschäftsführern472. Nicht möglich ist die Vertretung durch den Prokuristen473. Hat die Gesellschaft einen Aufsichtsrat, so findet § 52 GmbHG i.V.m. § 112 AktG Anwendung. Die Gesellschaft wird durch den Aufsichtsrat vertreten474. Aus dem Zweck des § 112 AktG folgt darüber hinaus, dass der Aufsichtsrat die Gesellschaft vertritt, wenn der Geschäftsführer ausgeschieden ist475. Auf diese Weise ist eine von Individualinteressen gelöste Prozessvertretung gesichert476. Wird die Klage gegen die GmbH, vertreten durch einen noch tätigen oder durch einen schon 205 ausgeschiedenen Geschäftsführer erhoben, obwohl zur Vertretung der Aufsichtsrat zuständig ist, kann der Vertretungsmangel geheilt werden477. Der Aufsichtsrat kann die Prozessführung übernehmen und diese ausdrücklich oder konkludent genehmigen478. Verpflichtet ist der Aufsichtsrat zur Genehmigung der Prozessführung aber nicht479. Hat ein ehemaliger Geschäftsführer Klage gegen eine GmbH, vertreten durch ihren Auf- 206 sichtsrat, erhoben und wird die GmbH in der Folge mit einer AG verschmolzen, so tritt diese als Rechtsnachfolgerin kraft Gesetzes in den Rechtsstreit ein, § 246 Abs. 1 ZPO. Wird in der Berufungsschrift der Aufsichtsrat nicht als Vertretungsorgan der AG bezeichnet, so kann dies nach § 319 ZPO berichtigt werden480. Hat die Gesellschaft keinen Aufsichtsrat, so ist zu unterscheiden. Über die Geltendmachung 207 von Ersatzansprüchen, die Kündigung des Anstellungsvertrags u.a. entscheiden die Gesellschafter. Sodann verlangt § 46 Nr. 8 Halbsatz 2 bei allen Rechtsstreitigkeiten mit Geschäftsführern die Bestellung eines Prozessvertreters481, wenn andernfalls die Gesellschaft durch die Mitgeschäftsführer nicht ordnungsgemäß vertreten ist482. Eine solche Bestellung ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft durch die nicht prozessbeteiligten Geschäftsführer
471 BGH v. 10.3.1960 – II ZR 56/59, BGHZ 36, 114, 207. 472 S. hierzu Bergwitz, GmbHR 2008, 225. 473 OLG Frankfurt v. 11.7.1996 – 24 U 235/95, NJW-RR 1997, 31: Prozess gegen AlleingesellschafterGeschäftsführer; Bergwitz, GmbHR 2008, 225, 227. 474 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 127/01, BB 2004, 126 = GmbHR 2004, 259; BGH v. 28.2.2005 – II ZR 220/03, WM 2005, 888; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, S. 235; Hueck in FS Bötticher, 1969, S. 212; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 115; Lücke/Simon in Saenger/ Inhester, Rz. 13. 475 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 127/01, BB 2004, 126 = GmbHR 2004, 259; BGH v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, GmbHR 1990, 297; BGH v. 22.4.1991 – II ZR 151/90, GmbHR 1991, 324; OLG München v. 31.7.2002 – 7 U 2216/02, NZG 2003, 634 = GmbHR 2003, 841; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17. 476 Anders bei Klagen gegen abberufenen Geschäftsführer: OLG Koblenz v. 15.11.1979 – 6 U 329/78, GmbHR 1981, 160 = AG 1980, 282 = BB 1980, 175. 477 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1140, 1141; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, S. 235. 478 Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, NJW 2015, 2215, 2217. 479 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1141. 480 BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, GmbHR 2004, 182 m. Anm. Weßling. 481 OLG Oldenburg v. 21.1.2010 – 1 U 18/09, GmbHR 2010, 258, 259; vgl. hierzu auch BGH v. 22.3.2016 – II ZR 253/15, GmbHR 2016, 1035 f. 482 Zweifelhaft: BGH v. 10.11.1980 – II ZR 51/80, GmbHR 1981, 195 = WM 1981, 138; OLG Hamm v. 7.10.1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743, 745: Ist Streitgegenstand, ob Geschäftsführer ordnungsgemäß bestellt oder abberufen, so erfolgt Vertretung der GmbH durch diesen Geschäftsführer.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 69
§ 35 Rz. 207 | Vertretung der GmbH vertreten werden kann483. Im Prozess über die Kündigung oder Aufhebung des Anstellungsvertrags können die Mitgeschäftsführer jedoch nur vertreten, wenn die Gesellschafter dies beschlossen haben484. 208 Der Name des Geschäftsführers ist im Klagerubrum aufzuführen (§ 51, § 130 Nr. 1, § 253
Abs. 4 ZPO). Mängel in dieser Richtung hat das Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen, § 56 ZPO. Ist einer von mehreren Geschäftsführern Prozessgegner, so wird die GmbH durch die anderen Geschäftsführer vertreten. Hat die Gesellschaft nur einen Geschäftsführer, so kommt § 57 ZPO (Bestellung eines besonderen Prozessvertreters durch das Prozessgericht) oder § 29 BGB (Ernennung eines Notgeschäftsführers durch das Amtsgericht; Einzelheiten 12. Aufl., § 6 Rz. 94 ff. und 12. Aufl., § 46 Rz. 175) in Frage485. 209 3. Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so genügt die Zustellung an einen486, und
zwar unabhängig davon, wo er sich gerade aufhält487. Das gilt auch, wenn einer von mehreren Geschäftsführern Prozessgegner ist488. An sich selbst kann dieser Geschäftsführer aber nicht zustellen, was sich schon aus dem prozessualen Verbot des In-Sich-Prozesses ergibt489; unzulässig ist auch die Ersatzzustellung490 (§ 178 Abs. 2 ZPO). Zustellung an die Aufsichtsratsmitglieder ist auch bei Anfechtungsklage wohl nicht erforderlich. § 246 Abs. 2 AktG ist wohl entsprechend anwendbar (zweifelhaft). Wenn die Zustellung an die im Handelsregister eingetragene Geschäftsanschrift (vgl. Rz. 62) und gegebenenfalls an die einer eingetragenen empfangsberechtigten Person (s. dazu Rz. 63) nicht möglich ist, eröffnen § 15a HGB, § 185 Nr. 2 ZPO und § 10 Abs. 1 Nr. 2 VwZG die Möglichkeit öffentlicher Zustellung491. Voraussetzung ist, dass keine andere inländische Anschrift bekannt ist492, nicht jedoch, dass Ermittlungs- und Zustellversuche an die Privatanschrift der Geschäftsführer bzw. Gesellschafter unternommen wurden493. Zur Zustellung an die Gesellschafter im Falle der Führungslosigkeit s. Rz. 87 ff. 210 4. Prozessvollmacht erteilt der Geschäftsführer, der Aufsichtsrat nur im Falle des § 52
GmbHG i.V.m. § 112 AktG. 211 5. Die Vermögensauskunft nach § 802c Abs. 1 ZPO und eidesstattliche Versicherungen
nach § 802c Abs. 3 ZPO sind für die Gesellschaft durch den Geschäftsführer zu leisten, der zurzeit der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung im Amt ist, mag er auch noch nicht zum Handelsregister angemeldet sein494. Der Geschäftsführer kann sich seiner Verpflichtung 483 BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, WM 1992, 731 = DB 1992, 983 (Anfechtung einer Abberufung); Happ, Die GmbH im Prozess, 1997, S. 29; Bergwitz, GmbHR 2008, 225, 227; zum Verfahren der einstweiligen Verfügung: OLG Hamm v. 7.10.1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743; a.A. Zöllner/ Noack in Baumbach/Hueck, § 46 Rz. 65, 67. 484 BGH v. 10.5.1993 – II ZR 54/92, DStR 1993, 843, Bespr. von Goette. 485 Eingehend hierzu Born/Ghassemi-Tabar/Gehle, NJW 2015, 2215, 2217 f. 486 § 35 Abs. 2 Satz 2; § 170 Abs. 3 ZPO; s. auch OLG Frankfurt v. 24.1.1978 – 20 W 853/77, Rpfleger 1978, 134: Zustellung an ausgeschiedenes Vorstandsmitglied. 487 OLG Düsseldorf v. 13.2.1998 – 7 W 6/98, OLG-Report Düsseldorf 1998, 273. 488 BGH v. 11.7.1983 – II ZR 114/82, NJW 1984, 57; BVerfG v. 11.7.1984 – 1 BvR 1269/83, BVerfGE 67, 208, 211; Nietsch, GmbHR 2004, 1518, 1520. 489 BGH v. 11.7.1983 – II ZR 114/82, NJW 1984, 57. 490 Vgl. BAG v. 15.7.1974 – 5 AZR 482/73, BB 1974, 1535. 491 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 172; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 69; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 34; Kindler, NJW 2008, 3249, 3254; Wübbelsmann, DStR 2011, 126 (Steuerbescheid). 492 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 69; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 172. 493 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 69; Breitenstein/Meyding, BB 2007, 1457, 1460. 494 Zum alten Recht: OLG Hamm v. 8.5.1984 – 14 W 23/84, GmbHR 1984, 318 = DB 1984, 1927 und OLG Hamm v. 9.11.1984 – 14 W 136/84, GmbHR 1985, 219 = ZIP 1984, 1482; KG v. 15.1.1996 – 25 W 8543/95, ZIP 1996, 289; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14.
70 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Vertretung der GmbH | Rz. 215 § 35
nicht dadurch entziehen, dass er sein Amt niederlegt495. Wird das persönliche Erscheinen der Gesellschaft als Partei gemäß § 141 ZPO angeordnet, so richtet sich die Terminsladung an den Geschäftsführer als gesetzlichen Vertreter. Ein Ordnungsgeld nach § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO kann jedoch grundsätzlich nur gegen die GmbH, nicht gegen den Geschäftsführer festgesetzt werden (str.)496. 6. Der Geschäftsführer, weil Organ, kann als Partei auch eidlich497, nicht dagegen als Zeuge 212 vernommen werden, §§ 446, 449 ZPO. Dies gilt auch, soweit ein Geschäftsführer nicht am Prozess teilnimmt498. Nach ihrem Ausscheiden können Geschäftsführer aber als Zeugen vernommen werden499, ebenso im Insolvenzverfahren der Gesellschaft500. Eine zeitweise Abberufung eines Geschäftsführers, um ihn als Zeuge vernehmen zu können, soll missbräuchlich und daher nichtig sein501. Missbräuchlich ist jedoch nur die Benennung als Zeuge, nicht aber die Abberufung502. Ein Geschäftsführer kann auch nicht Schiedsrichter sein, wenn die Gesellschaft Partei ist. Als Betroffene haben Geschäftsführer in Straf- und Ordnungswidrigkeitsverfahren ein Aussageverweigerungsrecht (§§ 163a, 136 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG), vorausgesetzt, sie amtieren zum Vernehmungszeitpunkt503. 7. Zur Vertretung bei einer GmbH in Liquidation, nach Beendigung der Liquidation und 213 nach Löschung wegen Vermögenslosigkeit504 s. bei § 66. 8. Zur Vertretung bei der Anmeldung zum Handelsregister s. bei § 78.
214
IX. Die Vertretung gegenüber Behörden Auch gegenüber Behörden wird die GmbH durch ihre Geschäftsführer vertreten505. Erfolgt 215 daher etwa die Zustellung eines Steuerbescheids nur an die Anschrift der GmbH und nicht zu Händen des Geschäftsführers, so ist der Steuerbescheid mangels Bekanntgabe nicht wirksam506.
495 OLG Stuttgart v. 10.11.1983 – 8 W 340/83, GmbHR 1984, 100 = ZIP 1984, 113; LG Bonn v. 28.2.1989 – 4 T 24/89, DGVZ 1989, 120; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 28; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14. 496 OLG Dresden v. 2.11.2011 – 5 W 1069/11, NZG 2012, 554; OLG Frankfurt v. 8.4.2005 – 19 W 16/ 05, MDR 2006, 170; KG v. 20.4.2007 – 12 W 18/07, VersR 2008, 1234; LAG Hamm v. 25.1.1999 – 1 Ta 727/98, BB 1999, 908; a.A. OLG Nürnberg v. 28.3.2001 – 1 W 887/01, MDR 2001, 954; LAG Köln v. 13.2.2008 – 7 Ta 378/07, NZA-RR 2008, 491 L. 497 §§ 445, 448, 452 ZPO; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 18. Aufl. 2018, § 123 Rz. 17, 24. 498 RG v. 1.10.1880 – II 184/80, RGZ 2, 400; RG v. 9.1.1900 – VIa 275/99, 46, 319; OLG Koblenz v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, GmbHR 1987, 276 = WM 1987, 481; LG Oldenburg v. 25.4.1975 – 5 S 4/75, BB 1975, 983 (GmbH & Co. KG); Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 114; anders: OLG Braunschweig v. 7.3.1913, OLG-Rspr 27, 97. 499 Einschränkend: OLG Koblenz v. 5.3.1987 – 6 W 38/87, GmbHR 1987, 276 = WM 1987, 480 = WuB, II C. § 43 GmbHG 2.87 (Heinsius); wie hier: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 114; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15. 500 Happ, Die GmbH im Prozess, 1997, S. 148. 501 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 24; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 14. 502 S. auch Schmitz, GmbHR 2000, 1140, 1143. 503 BVerfG v. 26.2.1975 – 2 BvR 820/74, BB 1975, 1315 – Kartellordnungswidrigkeitsverfahren; Winterfeld, BB 1976, 344. 504 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 62/92, BGHZ 121, 263 = GmbHR 1993, 508; BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR 448/02, GmbHR 2003, 1009, 1011. 505 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113. 506 FG Stuttgart v. 23.11.1967 – VI 101/67, GmbHR 1968, 191.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 71
§ 35 Rz. 216 | Vertretung der GmbH
X. Zur Form der Zeichnung (§ 35 Abs. 3 a.F.) 216 Auf die Zeichnungsregeln in § 35 Abs. 3 a.F. ist zum Zwecke der Deregulierung als einem der
wesentlichen Ziele des MoMiG507 verzichtet worden. Die Ziele der ehemaligen Zeichnungsregeln, nämlich Klarheit und Sicherheit des Rechtsverkehrs, würden durch die allgemeinen Regeln der §§ 164 ff. BGB hinreichend gewährleistet508. Daher konnte § 35 Abs. 3 a.F. vollständig aufgehoben werden und § 35 Abs. 4 a.F. ohne inhaltliche Änderung zu § 35 Abs. 3 werden. 217–250 Einstweilen frei.
XI. Das Anstellungsverhältnis – Allgemeines Schrifttum: Alversleben/Haug/Schnabel, Der Fremdgeschäftsführer im Spannungsfeld zwischen Arbeitgeberposition und Arbeitnehmereigenschaft, BB 2012, 774; Arteaga, Endlich Konkurssicherheit für Unternehmer-Pensionszusagen, ZIP 1998, 276; Baeck/Götze/Arnold, Festsetzung und Herabsetzung der Geschäftsführervergütung – Welche Änderungen bringt das VorstAG?, NZG 2009, 1121; Bartenbach/ Fock, Erfindungen von Organmitgliedern – Zuordnung und Vergütung, GRUR 2005, 384; Bascope/Hering, Verdeckte Gewinnausschüttungen im Zusammenhang mit der Vergütung von Gesellschafter-Geschäftsführern, GmbHR 2005, 741; Bauer, Haftung von Organmitgliedern und sanktionierender „Widerruf“ von Versorgungszusagen, ZGR 1999, 314; Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Aufl. 2014; Bauer/Arnold, AGB-Kontrolle von Vorstandsverträgen, ZIP 2006, 2337; Bauer/Arnold, AGG-Probleme bei vertretungsberechtigten Organmitgliedern, ZIP 2008, 993; Bauer/Arnold, Kann die Geltung des KSchG für GmbH-Geschäftsführer vereinbart werden?, ZIP 2010, 709; Bauer/Arnold, Altersdiskriminierung von Organmitgliedern, ZIP 2012, 597; Bauer/Baeck/von Medem, Altersversorgung und Übergangsgeld in Vorstandsanstellungsverträgen, NZG 2010, 721; Bauer/Diller, Koppelung von Abberufung und Kündigung bei Organmitgliedern, GmbHR 1998, 809; Bauer/Diller/Krets, BGH contra BAG – Schadensersatz nach § 628 Abs. 2 BGB wegen Abberufung und/oder Nichtbestellung eines GmbH-Geschäftsführers?, DB 2003, 2687; Bauer/Göpfert/Siegrist, Abberufung von Organmitgliedern: Wegfall der variablen Vergütung?, DB 2006, 1774; Bauer/Krieger, Formale Fehler bei Abberufung und Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, ZIP 2004, 1247; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987; Baums, Zuständigkeit für Abschluß, Änderung und Aufhebung von Anstellungsverträgen, ZGR 1993, 141; Boemke, Aktuelles zum GmbH-Geschäftsführer aus arbeitsrechtlicher Sicht, RdA 2018, 1; Buchner/ Schlobach, Die Auswirkung der Umwandlung von Gesellschaften auf die Rechtsstellung ihrer Organpersonen, GmbHR 2004, 1; Commandeur/Kleinebrink, Der Status des Geschäftsführers als Arbeitnehmer – Geschäftsführer als Subjekt unionsrechtlicher Schutzvorschriften, NZA-RR 2017, 449; Diller/Arnold/ Kern, Abdingbarkeit des Betriebsrentengesetzes für Organmitglieder, GmbHR 2010, 281; Dimsic/Link, Bestandsschutzstreitigkeiten von GmbH-Geschäftsführern, BB 2015, 3063; Döring/Grau, Anwendbarkeit der Änderungen durch das VorstAG auf die paritätisch mitbestimmte GmbH, DB 2009, 2139; Eßer/ Baluch, Bedeutung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes für Organmitglieder, NZG 2007, 321; Fabritius/Markgraf, Sozialversicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern, NZS 2016, 808; Fischer, Die Fremdgeschäftsführerin und andere Organvertreter auf dem Weg zur Arbeitnehmereigenschaft, NJW 2011, 2329; Fleischer, Haftungsfreistellung, Prozesskostenersatz und Versicherung für Vorstandsmitglieder, WM 2005, 909; Fleischer, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG 2009, 801; Forst, Unterliegen Geschäftsführer dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG)?, GmbHR 2012, 821; Forst, GmbH-Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts, EuZW 2015, 664; Friemel/Kamlah, Der Geschäftsführer als Erfinder, BB 2008, 613; Gach/Pfüller, Die Vertretung der GmbH gegenüber ihrem Geschäftsführer, GmbHR 1998, 64; Gaul, B., Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, 2. Aufl. 2011; Gaul/Janz, Das neue VorstAG – Veränderte Vorgaben auch für die Geschäftsführer und den Aufsichtsrat der GmbH, GmbHR 2009, 959; Giesen, Der europäische Arbeitnehmerbegriff und die Mitglieder der Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften, ZfA 2016, 47; Goette, Zur Insolvenzsicherung vonVersorgungszusagen für „Mitunternehmer“, ZIP 1997,
507 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 1. 508 Begr. RegE BT-Drucks. 16/6140, S. 43.
72 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider und Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | vor Rz. 251 § 35 1317; Goette, Das Anstellungsverhältnis des GmbH-Geschäftsführers in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, DStR 1998, 1137; Goll-Müller/Langenhan-Komus, Der Geschäftsführer mit Arbeitsvertrag und dennoch ohne Kündigungsschutz, NZA 2008, 687; Graef/Heilemann, Das Bundesarbeitsgericht und der GmbH-Geschäftsführer – eine Rechtsprechungsanalyse, GmbHR 2015, 225; Greger, Der Vergütungsanspruch des abberufenen Geschäftsführers, in FS Boujong, 1996, S. 153; Haase, Zum vertragswidrigen Verhalten der GmbH bei Widerruf einer Gesellschafterbestellung, GmbHR 2003, 102; Haase, Der Erholungsurlaub des Geschäftsführers einer GmbH aus rechtlicher Sicht (I), GmbHR 2005, 265; Haase, Der Erholungsurlaub des Geschäftsführers einer GmbH aus rechtlicher Sicht (II), GmbHR 2005, 338; Habersack, VorstAG und mitbestimmte GmbH – eine unglückliche Beziehung!, ZHR 174 (2010), 2; Habersack/Verse, Rechtsfragen der Mitarbeiterbeteiligung im Spiegel der neueren Rechtsprechung, ZGR 2005, 451; Harle/Kulemann, Nochmals: Angemessenheit der Gehälter von GesellschafterGeschäftsführern, GmbHR 2003, 941; Hase, v., Fristlose Kündigung und Abmahnung nach neuem Recht, NJW 2002, 2278; Hasselbach/Seibel, Die Freistellung des GmbH-Geschäftsführers von der Haftung für Kartellrechtsverstöße, GmbHR 2009, 354; Heilmann, Arbeitsverhältnisse von Organen juristischer Personen im Konkurs, ZIP 1980, 344; Heine/Buchholz, Die Überlassung als Geschäftsführer – Anwendbarkeit des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes?, DStR 2018, 529; Henssler, Das Anstellungsverhältnis der Organmitglieder, RdA 1992, 289; Hoch, Der Verleih von GmbH-Geschäftsführern: (K)Ein Fall fürs AGG?!, BB 2016, 1658; Hoffmann-Becking/Krieger, Leitfaden zur Anwendung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), NZG-Beil. 2009, I; Hohaus/Weber, Aktuelle Rechtsprechung zum Gesellschafterausschluss und die Bedeutung für Managementbeteiligungen, NZG 2005, 961; Hohenstatt/Naber, Diskriminierungsschutz für Organmitglieder: Konsequenzen für die Vertragsgestaltung, ZIP 2012, 1989; Hueck, Zur arbeitsrechtlichen Stellung des GmbH-Geschäftsführers, ZfA 1985, 25; Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl. 2016; Junker, Die Einflüsse des europäischen Rechts auf die personelle Reichweite des Arbeitnehmerschutzes – Der Arbeitnehmerbegriff in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, EuZA 2016, 184; Kamanabrou, Europarechtskonformer Schutz vor Benachteiligungen bei Kündigungen, RdA 2007, 199; Khanian, Die Inhaltskontrolle von Geschäftsführerverträgen, GmbHR 2011, 116; Koch, Das Abmahnungserfordernis bei der außerordentlichen Kündigung von Organmitgliedern einer Kapitalgesellschaft, ZIP 2005, 1621; Kort, Michael, Ungleichbehandlung von Geschäftsleitungsmitgliedern bei AG und GmbH wegen des Alters, WM 2013, 1049; Kothe-Heggemann/Dahlbender, Ist der GmbH-Geschäftsführer nach Abberufung weiterhin zur Arbeitsleistung verpflichtet?, GmbHR 1996, 650; Kothe-Heggemann/Schelp, Beschäftigungsanspruch, Verpflichtung zur Dienstleistung und Annahmeverzug nach Abberufung des GmbHGeschäftsführers, GmbHR 2011, 75; Krupske, Zur unendlichen Streitfrage – Angemessenheit der Gehälter von Gesellschafter-Geschäftsführern, GmbHR 2003, 208; Lindemann, Herabsetzung der Geschäftsführervergütung in der Krise und Insolvenz, GmbHR 2009, 737; Lunk, Rechtliche und taktische Erwägungen bei Kündigung und Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, ZIP 1999, 1777; Lunk, Mutterschutz für die GmbH-Geschäftsführerin? – Deutsches Arbeitsrecht im Widerstreit mit Verfassungsund Europarecht, in FS Bauer, 2010, S. 705; Lunk/Hildebrand, GmbH-Geschäftsführer und Massenentlassungen, NZA 2016, 129; Lunk/Rodenbusch, Der Weiterbeschäftigungsanspruch des GmbH-Geschäftsführers, NZA 2011, 497; Lunk/Rodenbusch, Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff und seine Auswirkungen auf das deutsche Recht, GmbHR 2012, 188; Lunk/Stolz, Die Bezüge des GmbH-Geschäftsführers in der Krise – Auswirkungen des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) auf die GmbH, NZA 2010, 121; Mohr, Die Angemessenheit der Gesamtvergütung des GmbHGeschäftsführers im Gesellschaftsrecht, GmbHR 2011, 402; Nebendahl, Ansprüche eines GmbH-Geschäftsführers aus betrieblicher Übung?, NZA 1992, 289; Neumann, Tantiemevereinbarungen mit dem beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH (I), GmbHR 1996, 740; Oberthür, Unionsrechtliche Impulse für den Kündigungsschutz von Organvertretern und Arbeitnehmerbegriff, NZA 2011, 253; Perwein, Pensionszusage und Rückdeckungsversicherung in der Insolvenz der GmbH, GmbHR 2007, 589; Preis/Sagan, Der GmbH-Geschäftsführer in der arbeits- und diskriminierungsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, BGH und BAG, ZGR 2013, 26; Priester, Nichtkorporative Satzungsbestimmungen bei Kapitalgesellschaften, DB 1979, 681; Reichold/Heinrich, Zum Diskriminierungsschutz des GmbH-Geschäftsführers, in FS H. P. Westermann, 2008, S. 1315; Reinecke, Fremdgeschäftsführer und Vorstandsmitglieder – Rechtsweg und Status, ZIP 2014, 1057; Reinfelder, Arbeitnehmer – Gesellschafter – Geschäftsführer, RdA 2016, 87; Reiserer, Die ordentliche Kündigung des Dienstvertrages des GmbH-Geschäftsführers, DB 1994, 1822; Reiserer, Der GmbH-Geschäftsführer in der GmbH und Co. KG, BB 1996, 2461; Reufels/Molle, Diskriminierungsschutz von Organmitgliedern, NZA-RR 2011, 281; Reuter, Bestellung und Anstellung von Organmitgliedern im Körperschaftsrecht, in FS Zöllner, 1998, S. 487; Riesenhuber/v. Steinau-Steinrück, Zielvereinbarungen, NZA 2005, 785; Röder/Linge-
Hohenstatt | 73
§ 35 Rz. 251 | Das Anstellungsverhältnis mann, Schicksal von Vorstand und Geschäftsführer bei Unternehmensumwandlungen und Unternehmensveräußerungen, DB 1993, 1341; Säcker, Kompetenzstrukturen bei Bestellung und Anstellung von Mitgliedern des unternehmerischen Leistungsorgans, BB 1979, 1321; Sagan, Die Sanktion diskriminierender Kündigungen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, NZA 2006, 1257; Uwe H. Schneider, Der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers einer GmbH im Konzern, GmbHR 1993, 10; Uwe H. Schneider, Abmahnung des Geschäftsführers vor Kündigung des Anstellungsvertrags aus wichtigem Grund?, GmbHR 2003, 1; Uwe H. Schneider/Brouwer, Aufrechnung gegen Ruhegehaltsansprüche des Geschäftsführers, GmbHR 2006, 1019; Uwe H. Schneider/Brouwer, Die Aufrechnung von Ansprüchen der Gesellschaft auf Schadensersatz gegen Ansprüche des Geschäftsführers auf Ruhegeld, in FS Röhricht, 2005, S. 541; Schuhmann, Zur Schriftformklausel im Vertrag mit einem GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer, GmbHR 1993, 79; Schuhmann, Die Umsatztantieme – ein Dauerbrenner?, GmbHR 2005, 921; Seibt, Geschäftsführerbestellung und Anstellungsvertrag, NJW-Spezial 2004, 123; Selig-Kraft/ Beeger, Steuerliche Fallstricke bei der Restrukturierung von Gesellschafter-Geschäftsführer-Pesionszusagen (Teil 3) – Zukunftsfähige Neueinrichtung einer Gesellschafter-Geschäftsführer-Versorgung, BB 2017, 1885; Sethe, Zivilrechtliche Rechtsfolgen der Korruption am Beispiel von Bankgeschäften, WM 1998, 2309; Stagat, Risiken und Nebenwirkungen von Geschäftsführer-Anstellungsverträgen, NZA-RR 2011, 617; Stein, Die neue Dogmatik der Wissensverantwortung bei der außerordentlichen Kündigung von Organmitgliedern der Kapitalgesellschaften, ZGR 1999, 264; v. Steinau-Steinrück/Mosch, Schwangere Geschäftsführerin: Managerin oder Arbeitnehmerin, NJW-Spezial 2011, 178; Tänzer, Die aktuelle Geschäftsführervergütung 2005, GmbHR 2005, 1256; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970; Thüsing, Das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung, AG 2009, 517; Thüsing/Granetzny, Zur Abdingbarkeit des BetrAVG bei Organmitgliedern, NZG 2010, 449; Thüsing/Stiebert, Altersgrenzen bei Organmitgliedern, NZG 2011, 641; Tiedtke, Zur steuerlichen Bedeutung der bürgerlich-rechtlichen Wirksamkeit von Verträgen zwischen der GmbH und ihrem beherrschenden Gesellschafter, DStR 1993, 933; Tillmann/Mohr, GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020; Tillmann/Schmidt, Vermeidung einer vGA aus Geschäftsführerverträgen, GmbHR 1995, 796; Timm, Der GesellschafterGeschäftsführer im Pfändungs- und Insolvenzrecht, ZIP 1981, 10; Timm, Die Kündigung des Gesellschafter-Geschäftsführers im Konkurs der GmbH, ZIP 1987, 69; Wank, Neues zum Arbeitnehmerbegriff des EuGH, EuZW 2018, 21; Willemsen, Koppelungsklauseln in Anstellungsverträgen mit Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern, in FS Buchner, 2009, S. 971; Winter, Organisationsrechtliche Sanktionen bei Verletzung schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen? – Eine Skizze zur Abgrenzung von Organisationsrecht und „satzungsergänzendem“ Schuldrecht bei der Kapitalgesellschaft –, ZHR 154 (1990), 259; Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe im europäischen Arbeitsrecht, 2011; Zimmer/Rupp, Kein Kündigungsschutz für bei der GmbH & Co. KG angestellten Geschäftsführer, GmbHR 2006, 572; Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979.
1. Verhältnis von Organstellung und Anstellungsverhältnis 251 Die körperschaftliche Organstellung des Geschäftsführers auf der einen und das schuldrecht-
liche Anstellungsverhältnis auf der anderen Seite sind voneinander zu unterscheiden. Beide Rechtsverhältnisse stehen rechtlich selbständig nebeneinander (sog. Trennungsprinzip)509. So geht mit dem gesellschaftsrechtlichen Akt der Bestellung zum Geschäftsführer nicht zwin-
509 Heute h.M.; bereits angedeutet in BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 191, 194; BGH v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, BGHZ 36, 142, 143; ausdrücklich etwa in BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 85, 87 = GmbHR 1980, 270; BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 51 f. = GmbHR 1984, 151; BGH v. 10.2.1992 – II ZR 23/91, NJW-RR 1992, 800, 801 = GmbHR 1992, 303; BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653 = NJW 1995, 2850; BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 53; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 46; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 1; G. Hueck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 366; a.A. Einheitstheorie: Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 3 ff.; Hachenburg/Schilling, 6. Aufl. 1959, Rz. 40 m.w.N.
74 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 256 § 35
gend der Abschluss eines Anstellungsvertrages einher510. Gleiches gilt für Abberufung und Kündigung. Aus der Abberufung des Geschäftsführers ergibt sich nicht die Kündigung des Anstellungsvertrages; dies folgt insbesondere auch aus § 38 Abs. 1511. Infolgedessen bilden Bestellung und Anstellungsvertrag auch kein einheitliches Rechtsverhältnis i.S.v. § 139 BGB512. Dennoch bestehen zwischen Bestellung und Anstellung gewisse Wechselbeziehungen513. Re- 252 gelmäßig besteht ein Interesse des Geschäftsführers am Abschluss eines Anstellungsvertrages, wenn er zum Organ bestellt wird514. Ebenso besteht umgekehrt ein Interesse der Gesellschaft an der Auflösung des Anstellungsvertrages, wenn der Geschäftsführer abberufen werden soll oder abberufen wurde. Aufgrund dieses Zusammenhangs können Anstellung und Bestellung sowie Abberufung und Kündigung auch in einem einheitlichen Vorgang erfolgen515. Ob in der Bestellung zugleich der Abschluss eines Anstellungsvertrages gesehen werden kann und ob in der Abberufung zugleich eine Kündigung liegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nicht selten wird die Anstellung schuldrechtlich durch eine sogenannte Koppelungsvereinbarung oder Koppelungsklausel an die Organstellung geknüpft516.
2. Regelungsebenen Die Beziehungen des Geschäftsführers zur Gesellschaft können in der Satzung oder in einem 253 schuldrechtlichen Vertrag geregelt sein. a) Anstellungsvertrag In aller Regel werden die Rechte und Pflichten des Geschäftsführers in einem schuldrecht- 254 lichen Anstellungsvertrag geregelt. b) Regelung in der Satzung Ist die Stellung als Geschäftsführer einem Gesellschafter als Sonderrecht zugewiesen, so kön- 255 nen zugleich in der Satzung auch die laufenden Bezüge, das Ruhegehalt, die Zulässigkeit von Nebentätigkeiten usw. geregelt werden. Im Zweifel ist dann davon auszugehen, dass es sich um „korporative Satzungsbestandteile“ (= echte Satzungsbestandteile) handelt517. Eines besonderen Anstellungsvertrages bedarf es in diesem Fall nicht. Fehlt es an einem besonderen Mitgliedschaftsrecht für einen einzelnen Gesellschafter, kann 256 gleichwohl in der Satzung bestimmt werden, welchen Inhalt der Anstellungsvertrag haben soll. In diesem Fall bindet der Gesellschaftsvertrag die Gesellschafter, wenn sie den Anstellungsvertrag mit dem Geschäftsführer abschließen518. Der Fremdgeschäftsführer kann aus
510 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430; vgl. auch BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 52 = GmbHR 1984, 151; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 53, 56. 511 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41. 512 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 53; a.A. Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 33 ff. 513 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41. 514 Vgl. Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, Rz. 6. 515 BGH v. 20.10.2008 – II ZR 107/07, ZIP 2008, 2260 = GmbHR 2008, 1316. 516 Zur Ausgestaltung und Wirksamkeit solcher Vereinbarungen s. Rz. 462 ff. 517 S. dazu Priester, DB 1979, 681, 684; Fuhrmann in GmbH-Hdb., Teil I, Rz. I 2068 ff. und hier 12. Aufl., § 53 Rz. 16. 518 S. auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 100.
Hohenstatt | 75
§ 35 Rz. 256 | Das Anstellungsverhältnis einer solchen Satzungsregelung aber keine eigenständigen persönlichen Rechte ableiten. Eine Haftungsmilderung in der Satzung wirkt aber auch für den Fremdgeschäftsführer. 257 Die Regelungen über die Beziehungen der Gesellschaft zu dem Geschäftsführer können auch
ein „nicht korporativer Satzungsbestandteil“ (= unechter Satzungsbestandteil) sein519. In diesem Fall verlangt ihre Änderung keine Satzungsänderung. Die in die Satzung aufgenommenen Vereinbarungen können vielmehr in der Folge durch einfachen Beschluss geändert werden. In dieser Konstellation spricht allerdings alles dafür, die entsprechenden Regelungen statt in die Satzung in den Anstellungsvertrag zu integrieren520. c) Fehlen von Regelung in Satzung oder Vertrag
258 Fehlt es an ausdrücklichen Regelungen der Anstellungsbedingungen in der Satzung und ist
auch kein Anstellungsvertrag abgeschlossen, könnte man daran denken, die Anstellungsbedingungen aus dem organisationsrechtlichen Bestellungsverhältnis abzuleiten. Hiervon geht offensichtlich § 52 GmbHG i.V.m. § 113 Abs. 1 AktG für die Aufsichtsratsmitglieder aus (s. 12. Aufl., § 52 Rz. 487 ff.). Über die Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder, den Ersatz für die entstandenen Aufwendungen usw. werden meist keine schuldrechtlichen Vereinbarungen getroffen. Entsprechend lassen sich auch für den Geschäftsführer beim Fehlen eines Anstellungsvertrages die Vergütung usw. aus dem Bestellungsverhältnis ableiten; denn es kann nicht erwartet werden, dass der Geschäftsführer zwar für die Gesellschaft tätig wird, dass er hierfür aber keine Vergütung erhält. Der Praxis entspricht dies jedoch nicht. In aller Regel wird das organisationsrechtliche Bestellungsverhältnis vielmehr um einen schuldrechtlichen Anstellungsvertrag ergänzt und in diesem werden die persönlichen Verhältnisse geregelt. Deshalb wird im Folgenden auch lediglich auf die nicht mitgliedschaftliche Beziehung in Form eines Anstellungsvertrages zwischen GmbH und Geschäftsführer eingegangen.
3. Rechtliche Einordnung (Rechtsnatur) des Anstellungsvertrages 259 Ob das Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers als Arbeits- oder als Dienstvertrag zu qua-
lifizieren ist, gehört seit Langem und bis heute zu den meistdiskutierten Fragen im Geschäftsführerrecht. Insbesondere bestimmt sich hiernach die Anwendbarkeit zahlreicher arbeitsrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Bestimmungen. Dabei ist die Arbeitnehmereigenschaft des GmbH-Geschäftsführers nicht in jedem Fall nach nationalem Recht zu bestimmen; beruht das nationale Gesetz auf einer unionsrechtlichen Grundlage, muss u.U. ein unionsrechtlich definierter Arbeitnehmerbegriff zur Anwendung kommen (s. dazu ausführlich Rz. 276 ff.). Im Folgenden wird daher zwischen der rechtlichen Einordnung des Anstellungsvertrags nach nationalem Recht und dessen Einordnung nach Unionsrecht unterschieden. a) Nationales Recht aa) Auftrag 260 Wird der GmbH-Geschäftsführer unentgeltlich tätig, handelt es sich bei dem Anstellungsver-
trag um einen Auftrag i.S.d. § 662 BGB521 . 519 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, NJW 1955, 1716; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67 (KG), NJW 1969, 131; eingehend Priester, DB 1979, 681 sowie hier 12. Aufl., § 53 Rz. 13 ff. 520 S. auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 100. 521 HansOLG Hamburg v. 18.1.2000 – 4 U 114/92, NZG 2000, 698; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 54, § 37 Rz. 100; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 2.
76 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 264 § 35
bb) Arbeits- oder Dienstvertrag Handelt es sich um entgeltliche Tätigkeit, ist zu prüfen, ob es sich bei dem Anstellungsver- 261 trag um einen Arbeits- oder um einen Dienstvertrag handelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Anstellungsvertrag des 262 GmbH-Geschäftsführers einheitlich als freier Dienstvertrag gemäß §§ 611 ff. BGB zu qualifizieren522. Der Geschäftsführer ist Mitglied des Vertretungsorgans einer juristischen Person; als solches übt er Arbeitgeberfunktionen aus523 und hat organschaftliche Aufgaben wahrzunehmen524. Das gesellschaftsrechtliche Weisungsrecht ist nicht mit dem arbeitsrechtlichen Weisungsrecht gleichzusetzen525. Auch das Bundesarbeitsgericht geht davon aus, dass der Geschäftsführer einer GmbH in 263 aller Regel auf Grundlage eines Dienstvertrages tätig wird526. Im Einzelfall hält es aber auch eine Einordnung als Arbeitnehmer für möglich527. Die rechtliche Qualifikation des Anstellungsvertrages als Arbeitsvertrag hängt danach insbesondere davon ab, ob der Geschäftsführer ausnahmsweise auch einer arbeitsrechtlichen Weisungsgebundenheit unterliegt (s. auch § 611a Abs. 1 BGB). Eine solche kann vorliegen, wenn der Gesellschaft ihm gegenüber eine über das gesellschaftsrechtliche Weisungsrecht hinausgehende Weisungsbefugnis eingeräumt ist528. Während nach der Rechtsprechung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts zwar in der Regel ein freies Dienstverhältnis, je nach Umständen des Einzelfalls jedoch auch ein Arbeitsverhältnis vorliegen kann529, hält der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts eine Einordnung als Arbeitsverhältnis nur in extremen Ausnahmefällen für möglich530. Der Rechtsprechung des 2. Senats Bundesarbeitsgerichts ist im Wesentlichen zu folgen: 264 Zwar ist einzuräumen, dass sich Arbeitnehmereigenschaft und (organschaftlicher) Geschäftsführerstatus nicht zwingend ausschließen531. Angesichts der Arbeitgeberstellung des Geschäftsführers kann aber nur unter ganz außergewöhnlichen Umständen ein Arbeitsverhältnis angenommen werden. Bei genauer Betrachtung sieht dies auch der 5. Senat nicht anders. Danach ist eine Arbeitnehmerstellung nur dann in Betracht zu ziehen, wenn die Gesellschaft dem Geschäftsführer nicht nur die Richtung vorgibt, sondern arbeitsbegleitende und verfahrensorientierte Weisungen erteilt532 und damit über die Umstände bestimmt, unter denen der Geschäftsführer seine Leistung erbringt533. Ob das der Fall ist, sei anhand aller Umstände 522 St. Rechtspr. seit BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187, 191; BGH v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 31; BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, BGHZ 79, 291, 292 ff. = GmbHR 1981, 158; BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, GmbHR 2001, 1158, 1159; BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, GmbHR 2010, 808, 809; Reinfelder, RdA 2016, 87, 88 f. 523 BGH v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30, 31; BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435, 1437; BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160, 162. 524 BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, GmbHR 2001, 1158, 1159. 525 BGH v. 8.1.2007 – II ZR 267/05, ZIP 2007, 910, 911 = GmbHR 2007, 606; so auch BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 = GmbHR 2006, 592; Schulze/Hintzen, ArbRAktuell 2012, 263. 526 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 f. = GmbHR 2006, 592; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, GmbHR 2008, 1259, 1260 f. 527 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 = GmbHR 2006, 592. 528 BAG v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, GmbHR 2014, 137; BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, GmbHR 1999, 925, 927; BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 = GmbHR 2006, 592. 529 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, GmbHR 1999, 925, 926. 530 BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 614/04, NJW 2006, 1899, 1900 = GmbHR 2006, 592; BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, GmbHR 2020, 1070 Ls. 3 und Rz. 25 ff. 531 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 988 = GmbHR 1999, 925. 532 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 989 = GmbHR 1999, 925; Boemke, ZfA 1998, 209, 213. 533 BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 989 = GmbHR 1999, 925.
Hohenstatt | 77
§ 35 Rz. 264 | Das Anstellungsverhältnis des Einzelfalls zu ermitteln534. Dabei sei jedoch unerheblich, ob die nach außen unbegrenzte Vertretungsbefugnis des GmbH-Geschäftsführers im Innenverhältnis beschränkt sei535. Denn dies betreffe allein die Kompetenzverteilung unter den Gesellschaftsorganen und sage nichts über eine etwaige arbeitsrechtliche Weisungsgebundenheit aus536. Insb. Jaeger/Steinbrück537 haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es der freien Entscheidung der Gesellschafter vorbehalten ist, wie engmaschig sie ihr gesellschaftsrechtliches Weisungsrecht ausüben – der Sache nach konkretisieren sie durch ihre Weisungen die Organpflichten des Geschäftsführers. Die Sichtweise des 5. Senats steht damit aber nicht notwendigerweise im Widerspruch. Im konkreten Fall hat der Senat die Arbeitnehmereigenschaft einer stellvertretenden Geschäftsführerin bereits mit der Feststellung verneint, dass diese ihren Urlaub frei festlegen konnte und diesen nur innerhalb der Geschäftsführung abstimmen musste und dass sie bei der Festlegung der Lage ihrer Arbeitszeit im Wesentlichen frei war. Auf dieser Grundlage würde der 5. Senat vermutlich ein Arbeitsverhältnis nur dann annehmen, wenn dem Geschäftsführer jegliche Freiheit bei der Entscheidung darüber genommen wird, wann und wo die Arbeitsleistung erbracht wird; Gleiches wäre anzunehmen, wenn dem Geschäftsführer keinerlei Spielräume dahingehend verbleiben, wie innerhalb des zugewiesenen Aufgabenbereichs die gesetzten unternehmerischen Ziele zu verfolgen sind. Derlei Sachverhalte werden in der Praxis ausgesprochen selten sein; es ist deshalb wenig überraschend, dass das BAG – soweit ersichtlich – bislang in keinem Sachverhalt allein aus einem besonders engmaschig ausgeübten Weisungsrecht der Gesellschafter(versammlung) auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geschlossen hat. 265 Von vornherein ausgeschlossen ist eine arbeitsrechtliche Weisungsgebundenheit, wenn es
sich um einen Gesellschafter-Geschäftsführer handelt, der zumindest über eine Sperrminorität verfügt538. Denn dessen Einfluss auf die Führung der Gesellschaft ist so erheblich, dass er auch die Leitungsmacht über seine eigene Tätigkeit als Geschäftsführer ausübt539. 266 Wenn die Parteien die Anstellung des Geschäftsführers auf der Grundlage eines ausdrück-
lich als Arbeitsvertrag bezeichneten Vertrages vornehmen, ergibt sich daraus noch nicht, dass von einem Arbeitsverhältnis im rechtlichen Sinne auszugehen ist; darin liegt – entgegen der Rechtsprechung des BAG540 – nicht notwendigerweise die (bewusste) Entscheidung, den Vertrag dem arbeitsrechtlichen Schutzsystem zu unterwerfen541. Angesichts der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung muss sich die Praxis allerdings darauf einstellen, dass sie sich durch den Begriff „Arbeitsvertrag“ unkorrigierbar festlegt. In englischsprachigen Verträgen sollte deshalb der häufig übergreifend gewählte Begriff „Employment Agreement“ zugunsten von „Managing Director’s Service Agreement“ oder einer ähnlichen Bezeichnung vermieden werden. Ergibt sich nach einer Bewertung aller Umstände ausnahmsweise, dass der Geschäftsführer Arbeitnehmer (vgl. § 611a BGB) ist, sind grundsätzlich sämtliche Vorschriften, die an die Arbeitnehmereigentschaft anknüpfen, auf ihn anzuwenden. Ausgenommen sind lediglich diejenigen Normen, die ausdrücklich nicht auf Organmitglieder anzuwenden sind (vgl. § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG542, § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG543)544. 534 535 536 537 538 539 540 541 542 543 544
So auch Köhl, DB 1996, 2597, 2602 f. BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 989 = GmbHR 1999, 925. BAG v. 26.5.1999 – 5 AZR 664/98, NZA 1999, 987, 989 = GmbHR 1999, 925. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 279; vgl. auch Lohr, NZG 2001, 828, 829. BAG v. 17.9.2014 – 10 AZB 43/14, NJW 2015, 572, 574 = GmbHR 2015, 30; Boemke, RdA 2018, 1, 3. BAG v. 17.9.2014 – 10 AZB 43/14, NJW 2015, 572, 574 = GmbHR 2015, 30; Boemke, RdA 2018, 1, 3. BAG v. 22.11.2016 – 9 AZB 41/16, AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 105 Rz. 17; s. auch bereits BAG v. 8.9.2015 – 9 AZB 21/15, AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 74 m.w.N. So aber LAG Düsseldorf v. 10.12.2019 – 3 Ta 402/19, BeckRS 2019, 43637 Ls. 2 und Rz. 30 ff. S. ausführlich Rz. 476 ff. S. ausführlich Rz. 562 ff. Hierzu Boemke, RdA 2018, 1, 3.
78 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 269 § 35
Liegt hingegen – wie im Regelfall – ein Dienstverhältnis vor, können bestimmte arbeitsrecht- 267 liche Vorschriften unter Umständen gleichwohl analog anzuwenden sein545. Eine analoge Anwendung kommt nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Betracht, wenn der Geschäftsführer – gleich einem Arbeitnehmer – der Gesellschaft seine Arbeitskraft hauptberuflich zur Verfügung stellt und von den Einkünften aus seiner Tätigkeit wirtschaftlich abhängig ist546. Das sei bei einem Fremdgeschäftsführer547 und bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer ohne Mehrheitsbeteiligung548 regelmäßig der Fall. Sogar bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer mit beherrschendem Einfluss sei eine Analogie grundsätzlich möglich, je nachdem, wie der Einzelfall liegt und welche arbeitsrechtliche Vorschrift konkret in Rede steht549. Folgende Vorschriften sind hingegen (nach h.M.) niemals – auch nicht analog – auf den Ge- 268 schäftsführer anzuwenden: – ArbNErfG550 – § 623 BGB551 – Betriebliche Übung552 – EFZG553 – TVG554 Das Arbeitnehmererfindungsgesetz (AErfG) gilt gemäß dessen § 1 für Arbeitnehmer. Damit 269 ist es auf Geschäftsführer nicht direkt und nach h.M. auch nicht analog anwendbar555. Insbesondere beruht es auch nicht auf einer europäischen Richtlinie, so dass nicht ein unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff maßgeblich ist.
545 BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, NJW 1953, 1465, 1465 f.; BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1270 f. = GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2528 f. = GmbHR 1984, 312; BGH v. 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073, 2074 = GmbHR 1987, 263. 546 Vgl. BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, NJW 1953, 1465, 1465 f.; BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1270 f. = GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2528 f. = GmbHR 1984, 312; BGH v. 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073, 2074 = GmbHR 1987, 263. 547 BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1271 = GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2529 = GmbHR 1984, 312. 548 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2529 = GmbHR 1984, 312. 549 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2529 = GmbHR 1984, 312; ablehnend konkret für analoge Anwendung von § 622 BGB BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528, 2529 = GmbHR 1984, 312; BGH v. 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073, 2074 = GmbHR 1987, 263. 550 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160, 161; OLG Düsseldorf v. 10.6.1999 – 2 U 11/ 98, GmbHR 1999, 1093; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 110. 551 OLG Düsseldorf v. 10.10.2003 – 17 U 35/03, NZG 2004, 478, 480; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250; Gaul, DStR 2000, 691; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Oetker in Staudinger, § 623 BGB Rz. 12; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 134. 552 Kania in Küttner, Personalhandbuch, 25. Aufl. 2018, Stichwort Geschäftsführer, Rz. 26; ausführlich hierzu Nebendahl, NZA 1992, 293 f. 553 Vogelsang in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 1 EFZG Rz. 8; Reinhard in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 EFZG Rz. 2. 554 S. Boemke, RdA 2018, 1, 11 f. m.w.N.; eine Anwendung kann sich allerdings ergeben, wenn der Geschäftsführer als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen ist, § 12a TVG. 555 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160, 161; OLG Düsseldorf v. 10.6.1999 – 2 U 11/ 98, GmbHR 1999, 1093; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 110.
Hohenstatt | 79
§ 35 Rz. 270 | Das Anstellungsverhältnis 270 § 623 BGB (Schriftform für Kündigung) gilt nur für Arbeitnehmer, ist also auf GmbH-Ge-
schäftsführer nur in den Ausnahmefällen anwendbar, in denen diese in einem Arbeitsverhältnis stehen556. Zum Teil wird eine analoge Anwendung auf Geschäftsführer, die nicht am Kapital der GmbH beteiligt sind, gefordert557. Nach ganz herrschender Meinung ist eine solche Analogie allerdings abzulehnen558. 271 Ansprüche des Geschäftsführers lassen sich in der Regel nicht aus betrieblicher Übung her-
leiten, da das gesellschaftsrechtliche Treueverhältnis zwischen Geschäftsführer und GmbH nicht mit der arbeitsrechtlichen Treuebeziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vergleichbar ist559. 272 Das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) geht vom allgemeinen arbeitsrechtlichen Arbeitneh-
merbegriff aus560 und ist daher in der Regel nicht auf Geschäftsführer anwendbar561. cc) Arbeitnehmerähnliche Person 273 Einige arbeitsrechtliche Vorschriften schließen neben Arbeitnehmern auch sog. arbeitneh-
merähnliche Personen in ihren Anwendungsbereich ein, so z.B. § 2 Satz 2 BUrlG oder § 12a TVG. Auch wenn – wie im Regelfall – der Geschäftsführer nicht als Arbeitnehmer einzuordnen ist, kann er als arbeitnehmerähnliche Person dennoch unter den Schutz dieser Normen fallen562. Dafür ist die Rechtsnatur des Anstellungsverhältnisses irrelevant563. Die Einordnung als Dienstvertrag präjudiziert folglich nicht, ob Arbeitnehmerähnlichkeit vorliegen kann. Entscheidend für die Einordnung als arbeitnehmerähnliche Person ist allein, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmerähnlichkeit vorliegen564. 274 Diese Voraussetzungen werden je nach dem Kontext, in dem die relevante Norm steht, un-
terschiedlich definiert. So verlangt etwa § 2 Satz 2 BUrlG lediglich eine wirtschaftliche Abhängigkeit des Beschäftigten. Diese kann bei Fremdgeschäftsführen ohne Weiteres gegeben sein565. Bei Gesellschafter-Geschäftsführern, die zumindest über eine Sperrminorität verfügen, ist dies aber allenfalls ganz ausnahmsweise anzunehmen566. Keine Voraussetzung ist hingegen die persönliche Abhängigkeit bzw. Weisungsgebundenheit567. Ob der Beschäftigte weisungsgebunden und eingegliedert ist, betrifft allein die Frage nach der Arbeitnehmereigenschaft (s. Rz. 263 ff.)568.
556 Spingler in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 623 BGB Rz. 41. 557 Spingler in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 623 BGB Rz. 41. 558 OLG Düsseldorf v. 10.10.2003 – 17 U 35/03, NZG 2004, 478, 480; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250; Gaul, DStR 2000, 691; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Oetker in Staudinger, § 623 BGB Rz. 12; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 134. 559 Kania in Küttner, Personalhandbuch, 25. Aufl. 2018, Stichwort Geschäftsführer, Rz. 26; hierzu ausführlich Nebendahl, NZA 1992, 289 ff. 560 Dörner in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 EFZG Rz. 2. 561 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 82. 562 Zur Frage, ob der Geschäftsführer arbeitnehmerähnliche Person sein kann, s. BGH v. 14.5.1990 – II ZR 122/89, NJW-RR 1990, 1313, 1313 = GmbHR 1990, 389; BAG v. 25.7.1996 – 5 AZB 5/96, AP ArbGG 1979 § 5 Geschäftsführer einer Betriebskrankenkasse als arbeitnehmerähnliche Person Nr. 28; BAG v. 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, Rz. 13, NJW 1981, 302 = GmbHR 1982, 113; Grobys, NJW-Spezial 2005, 513, 514; ausführlich Boemke, RdA 2018, 1, 3, 4. 563 Boemke, RdA 2018, 1, 4. 564 Boemke, RdA 2018, 1, 4. 565 Vgl. BGH v. 14.5.1990 – II ZR 122/89, GmbHR 1990, 389 = AP GmbHG § 35 Nr. 7; Boemke, ZfA 1998, 209, 219 f. 566 Boemke, RdA 2018, 1, 4; vgl. Boemke, ZfA 1998, 209, 220 f. 567 Hierzu auch Wank, AuR 2017, 140, 145; Wank, EuZW 2018, 21, 29. 568 Vgl. Wank, AuR 2017, 140, 145; Wank, EuZW 2018, 21, 29.
80 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 278 § 35
Andere Vorschriften stellen über die wirtschaftliche Abhängigkeit hinausgehende Anfor- 275 derungen an die Arbeitnehmerähnlichkeit. So verlangt § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG auch eine soziale Schutzbedürftigkeit. Diese liegt vor, wenn der Geschäftsführer seiner gesamten sozialen Stellung nach ähnlich einem Arbeitnehmer schutzbedürftig ist569. Entscheidendes Kriterium ist hierbei, ob der Beschäftigte die geschuldete Leistung persönlich und im Wesentlichen ohne Unterstützung durch eigene Beschäftigte erbringt570. Ist das der Fall, besteht regelmäßig Arbeitnehmerähnlichkeit. Mag ein Gesellschafter-Geschäftsführer mit Sperrminoriät unter Umständen von seiner Tätigkeit wirtschaftlich abhängig sein (s. oben), so wird man eine soziale Schutzbedürftigkeit i.S.v. § 12a Abs. 1 Satz 1 TVG generell verneinen müssen. Denn ein solcher Geschäftsführer wird letztlich für sein eigenes Unternehmen tätig und lenkt durch die Blockademöglichkeit bei Gesellschafterbeschlüssen seine Geschäftsführungsbefugnis maßgeblich selbst571. Dies gilt erst recht für Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführer572. b) Unionsrecht Bestimmte Normen des Arbeitsrechts können allerdings auf Geschäftsführer anzuwenden 276 sein, unabhängig davon, ob sie unter den national definierten Arbeitnehmerbegriff fallen. Die unionsrechtliche Grundlage zahlreicher arbeitsrechtlicher Rechtsnormen macht eine Prüfung dahingehend erforderlich, ob der betr. Geschäftsführer unter den im maßgeblichen Sachzusammenhang relevanten unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff fällt. Dabei ist darauf zu achten, dass sich (einstweilen) noch kein für das gesamte Unionsrecht maßgeblicher Arbeitnehmerbegriff entwickelt hat, so dass für jeden Normzusammenhang eine spezifische Begriffsbestimmung vorzunehmen ist573. aa) Autonome unionsrechtliche Definition In einigen Fällen enthält das maßgebliche Unionsrecht bereits eine Legaldefinition574; dann 277 ist das Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers unter diesen Begriff zu subsumieren. So gilt nach der Arbeitsschutzrahmenrichtlinie575 (RL 89/391/EWG) jede Person als Arbeitnehmer, die von einem Arbeitgeber beschäftigt wird, einschließlich Praktikanten und Lehrlinge, jedoch mit Ausnahme von Hausangestellten (Art. 3 lit. a der RL). Als Arbeitgeber wiederum definiert die Richtlinie jede natürliche oder juristische Person, die als Vertragspartei des Beschäftigungsverhältnisses mit dem Arbeitnehmer die Verantwortung für das Unternehmen bzw. den Betrieb trägt (Art. 3 lit. b der RL). Nach dieser Definition ist der Fremdgeschäftsführer stets als Arbeitnehmer anzusehen. bb) Verweis auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff Bestimmte unionsrechtliche Regelungen verweisen wiederum ausdrücklich auf den jewei- 278 ligen nationalen Arbeitnehmerbegriff. In diesem Fall richtet sich die Einordnung nach den vom Bundesgerichtshof und vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Kriterien (s. Rz. 261 ff.). Auch hier unterliegen die Mitgliedstaaten aber im Sinne eines „effet utile“ gewissen Be569 BAG v. 30.8.2000 – 5 AZB 12/00; BAG v. 15.11.2005 – 9 AZR 626/04, AP BGB § 611 Arbeitnehmerähnlichkeit Nr. 12; BAG v. 17.1.2006 – 9 AZR 61/05, NZA-RR 2006, 616. 570 Boemke, RdA 2018, 1, 4; vgl. Boemke, ZfA 1998, 209, 219. 571 Boemke, RdA 2018, 1, 4. 572 Vgl. Boemke, RdA 2018, 1, 4. 573 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 15. 574 Vgl. hierzu auch Boemke, RdA 2018, 1, 5; Wank, EuZW 2018, 21, 30. 575 S. hierzu Ziegler, Arbeitnehmerbegriffe im Europäischen Arbeitsrecht, 2011, S. 267 ff.
Hohenstatt | 81
§ 35 Rz. 278 | Das Anstellungsverhältnis schränkungen576, und zwar mit der Zielrichtung, dass die Wirksamkeit des unionsrechtlichen Rechtsaktes nicht durch eine Aushöhlung des Anwendungsbereichs außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden darf. 279 Hierzu zählen vor allem folgende Vorschriften:
– – – –
§ 613a BGB AÜG §§ 15, 18 BEEG577 TzBfG
280 Obwohl § 613a BGB der Umsetzung der Richtlinie 77/187/EWG dient, ist der Arbeitneh-
merbegriff im Zusammenhang mit Betriebsübergängen nicht unionsrechtlich auszulegen, sondern bestimmt sich nach nationalem Recht578. § 613a BGB erfasst nur bestehende Arbeitsverhältnisse und ist nicht analog auf Dienstverhältnisse von Organmitgliedern anwendbar579. 281 Auch der Arbeitnehmerbegriff des AÜG ist nach nationalem Recht zu definieren580. Denn
Art. 3 Abs. 1 der zugrunde liegenden Richtlinie 2008/104 bestimmt: „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck Arbeitnehmer eine Person, die in dem betreffenden Mitgliedstaat nach nationalem Arbeitsrecht als Arbeitnehmer geschützt ist.“ Allerdings heißt es in Art. 1 Abs. 1 der RL 2008/104, dass Arbeitnehmer Personen sind, „die (…) einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind“.
282 Fraglich ist, ob die zusätzliche Erwähnung des „Beschäftigungsverhältnisses“ den Anwen-
dungsbereich der Richtlinie ausdehnt und dazu anhält, den deutschen Arbeitnehmerbegriff weiter auszulegen. Grundsätzlich gilt, dass der EuGH im Fall einer Verweisung auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff nicht selbst feststellen darf, wer Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie ist, es sei denn, das nationale Recht ist missbräuchlich ausgestaltet581. Eine europäisch-autonome Begriffsbestimmung verbietet sich also582. Gleichwohl hat das BAG in Anlehnung an ein Urteil des EuGH583 entschieden, dass Vereinsmitglieder der DRK Schwesternschaft Arbeitnehmer i.S.d. RL sind584, obwohl dies weder sei-
576 Reinfelder, RdA 2016, 87, 89; EuGH v. 13.9.2007 – C-307/05, ECLI:EU:C:2007:509, NZA 2007, 1223, Rz. 29 – Del Cerro Alonso; EuGH v. 18.1.2007 – C-385/05, ECLI:EU:C:2007:37, NZA 2007, 193, Rz. 40 f. – CGT; Forst, EuZW 2015, 664, 665; vgl. zur Pflicht der unionsrechtskonformen Auslegung zuletzt z.B. BAG v. 4.8.2015 – 3 AZR 137/13, NZA 2015, 1447, Rz. 48 ff.; BAG v. 17.3.2015 – 1 ABR 62/12 (A), ZTR 2015, 400. 577 Vgl. Gaul in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 15 BEEG Rz. 1; Gallner in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 15 BEEG Rz. 3. 578 EuGH v. 6.9.2011 – C-108/10, ECLI:EU:C:2011:542, NZA 2011, 1077, 1082; EuGH v. 10.12.1998 – verb. Rs. C-173/96 u. C-247/96, ECLI:EU:C:1998:595, NJW 1999, 1697, 1698; Giesen, ZfA 2016, 47, 60. Zu Folgeproblemen, die sich aus der Danosa-Entscheidung des EuGH ergeben können, Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449, 459. 579 BAG v. 13.2.2003 – 8 AZR 654/01, NZA 2003, 552, 554 = GmbHR 2003, 765; Müller-Bonanni in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 613a BGB Rz. 226; Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 613a BGB Rz. 67. 580 So LAG Düsseldorf v. 21.7.2015 – 3 Sa 6/15, BeckRS 2015, 71812; Hoch, BB 2016, 1658, 1659; Lunk, ArbRB 2016, 75; Wank in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 AÜG Rz. 5; Waas in Thüsing, Kommentar AÜG, 4. Aufl. 2018, § 1 Rz. 30. 581 Zutreffend Wank, EuZW 2018, 21, 23. 582 Zutreffend Wank, EuZW 2018, 21, 23. 583 EuGH v. 17.11.2016 – Rs. C-216/15, ECLI:EU:C:2016:883 = NZA 2017, 41 – Ruhrlandklinik (Rs. C-216/15). 584 BAG v. 21.2.2017 -1 ABR 62/12, NZA 2017, 662.
82 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 284 § 35
ner vorigen Rechtsprechung585, noch der herrschenden Meinung in der Literatur586 entsprach. Im Ergebnis führt das dazu, dass bei Richtlinien, die zwar auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff verweisen, indes auch das „Beschäftigungsverhältnis“ in ihren Anwendungsbereich mit einbeziehen, nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gerichte einen weit(er)en nationalen Arbeitnehmerbegriff zugrunde legen587. Dies darf jedoch nicht mit einer unionsrechtlich-autonomen Begriffsbildung verwechselt werden, die in dieser Konstellation gerade nicht statthaft ist (vgl. Rz. 278). Es bleibt dabei, dass der EuGH lediglich eine Missbrauchskontrolle vornehmen darf588, m.a.W. bloß prüfen darf, ob Arbeitsrecht umgangen wird589. Denn der Verweis auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff würde ausgehöhlt, wenn der EuGH den Begriff des „Beschäftigten“ autonom definieren dürfte590. Selbst wenn man Fremdgeschäftsführer nun unter bestimmten Umständen in den Anwen- 283 dungsbereich des AÜG einbeziehen wollte, wäre das Gesetz nur in Fällen anwendbar, in denen ein Geschäftsführer dem Entleiher zur Verfügung gestellt wird, damit er „bei diesem eine weisungsabhängige Tätigkeit gegen Entgelt verrichtet, und er aufgrund seiner Arbeitsleistung ähnlich einem Arbeitnehmer sozial geschützt ist“591. Eine solche Konstellation ist in der Praxis kaum denkbar. Keinesfalls ist das AÜG in Fällen anwendbar, in denen der Geschäftsführer zusätzlich zu seiner Tätigkeit bei der Anstellungsgesellschaft die Aufgaben eines Geschäftsführers in anderen Konzerngesellschaften erbringt, es sei denn, dass er im Hinblick auf seine Tätigkeit bei der anderen Konzerngesellschaft im Sinne der allgemeinen Regeln (s. Rz. 261 ff.) ausnahmsweise als Arbeitnehmer anzusehen ist; in diesen Konstellationen fehlt es bereits an einer Tätigkeit als Arbeitnehmer oder einer solchen in vergleichbarer sozialer Stellung592. Maßgebliches Kriterium für die Annahme einer Arbeitnehmerüberlassung ist die „arbeitsbezogene Weisungsbefugnis des Entleihers“ gegenüber der überlassenen Person593. Auch bei einer zusätzlichen Tätigkeit als Arbeitnehmer einer verbundenen Gesellschaft ohne gesonderten Arbeitsvertrag wäre das AÜG nicht anwendbar, da keine hauptberufliche Tätigkeit vorläge594. Alleingesellschafter-Geschäftsführer und solche mit Mehrheitsbesitz am Gesellschaftskapital unterfallen von vornherein nicht dem AÜG595. Denn sie unterfielen „nicht einmal“ dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff (s. unten). Für die Frage, ob ein Geschäftsführer unter den perönlichen Anwendungsbereich der §§ 15, 284 18 BEEG fällt, ist der nationale Arbeitnehmerbegriff heranzuziehen596. Die Maßgeblichkeit 585 BAG v. 20.2.1986 – 6 ABR 5/85, NJW 1986, 2906; BAG v. 6.7.1995 – 5 AZB 9/93, NZA 1996, 33; BAG v. 22.4.1997 – 1 ABR 74/96, NZA 1997, 1297. 586 Weber, Ist die Rotekreuzschwester Arbeitnehmerin ihrer Schwesternschaft?, 2009, S. 2 ff. mit zahlreichen Literaturhinweisen. 587 Vgl. Wank, EuZW 2018, 21, 30. 588 Wank, EuZW 2018, 21, 22. 589 BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 62/12, NZA 2017, 662 (DRK-Schwesternschaft) Leitsatz Nr. 5. 590 Wank, EuZW 2018, 21, 23. 591 BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 62/12, NZA 2017, 662 (DRK-Schwesternschaft) Leitsatz; so auch Boemke in Boemke/Lembke, 3. Aufl. 2013, § 1 AÜG Rz. 37. 592 Boemke, RdA 2018, 1, 14; Boemke in Boemke/Lembke, 3. Aufl. 2013, § 1 AÜG Rz. 37. 593 Höpfner in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 1 AÜG Rz. 21; s. auch BAG v. 17.1.2017 – 9 AZR 76/16, NZA 2017, 572 = GmbHR 2017, 748. 594 Vgl. zu diesem Kriterium BAG v. 21.2.2017 – 1 ABR 62/12, NZA 2017, 662 (DRK-Schwesternschaft) Rz. 30. 595 BAG v. 17.1.2017 – 9 AZR 76/16, NZA 2017, 572 Rz. 22 = GmbHR 2017, 748; Lembke, NZA 2013, 1312, 1314 f.; Schüren/Hamann, 5. Aufl. 2018, § 1 AÜG Rz. 60; Boemke, RdA 2018, 1, 13 f. 596 Zu den Einzelheiten und der Bedeutung von Art. 2 RL 2019/1158/EU nach Ablauf der Umsetzungsfrist (2.8.2022) für den GmbH-Fremd-Geschäftsführer vgl. Gaul in Henssler/Willemsen/
Hohenstatt | 83
§ 35 Rz. 284 | Das Anstellungsverhältnis eines unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs ergibt sich insbesondere auch nicht aus der Rahmenvereinbarung über den Elternurlaub zur RL 2010/18/EG597. Denn Abschnitt II, § 1 Abs. 2 der Rahmenvereinbarung bezieht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren Anwendungsbereich ein, die gemäß den Rechtsvorschriften (…) in dem jeweiligen Mitgliedstaat einen Arbeitsvertrag haben. Allerdings werden auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer umfasst, die ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind (ebenda). Vor diesem Hintergrund könnte sich die Rechtsprechung auch hier versucht fühlen, einen weiter gefassten Arbeitnehmerbegriff zugrunde zu legen (s. dazu Rz. 282). 285 Das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) findet schon seinem
Wortlaut nach nur auf Arbeitsverhältnisse Anwendung und ist auf Geschäftsführer-Dienstverträge folglich nicht anwendbar. Das Gesetz beruht auf den Richtlinien 1999/70/EG und 97/81/EG. In deren Anhang ist jeweils in § 2 Nr. 1 vermerkt, dass die Richtlinie für Teilzeitbeschäftigte gilt, welche nach nationalem Recht in einem Arbeitsverhältnis stehen598. Folglich ist allein maßgeblich, ob nach nationalem Recht ein Arbeitsverhältnis vorliegt599. Es kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Europäische Gerichtshof den Arbeitnehmerbegriff im Rahmen der Befristungsrichtlinie unionsrechtlich auslegt (s. dazu Rz. 467). cc) Maßgeblichkeit eines unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs 286 In allen anderen Fällen – wenn also weder eine autonome unionsrechtliche Begriffsbestim-
mung vorliegt noch auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff verwiesen wird – ist durch Auslegung der unionsrechtlichen Rechtsgrundlage nach Wortlaut, Historie, Systematik und Telos zu ermitteln, welcher Arbeitnehmerbegriff zugrunde zu legen ist600. In der Regel zieht der EuGH den Arbeitnehmerbegriff heran, der im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach Art 45 AEUV entwickelt worden ist601.
287 Danach ist Arbeitnehmer, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach des-
sen Weisungen Leistungen erbringt, für die er eine Vergütung erhält602. Nach dieser Definition können lediglich Alleingesellschafter-Geschäftsführer und Geschäftsführer mit Mehrheitsbeteiligung von vornherein keine Arbeitnehmer sein603; in allen anderen Konstellationen kommt es auf den Grad der Weisungsabhängigkeit im Einzelfall an. Die EuGH Entschei-
597 598 599
600 601 602
603
Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 15 BEEG Rz. 1; Gallner in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 15 BEEG Rz. 3; Rolfs in Ascheid/Preis/Schmidt, 5. Aufl. 2017, § 18 BEEG Rz. 4 f.; vgl. VG Darmstadt v. 26.3.2012 – 5 K 1830/11 DA, BeckRS 2012, 53528; Boemke, RdA 2018, 1, 19. S. hierzu Boemke, RdA 2018, 1, 19. S. aber EuGH v. 8.9.2011 – Rs. C-177/10, ECLI:EU:C:2011:557, NZA 2011, 1219, 1221 – Rosado Santana. So auch Laux in Laux/Schlachter, 2. Aufl. 2011, § 2 TzBfG Rz. 7; Giesen, ZfA 2016, 47, 60 f.; a.A.: Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 3 TzBfG Rz. 2: Eine unionsrechtliche Interpretation des Arbeitnehmerbegriffs komme unter Einbeziehung jedenfalls der Fremdgeschäftsführer in Betracht. S. Boemke, RdA 2018, 1, 5. Z.B. EuGH v. 7.4.2011 – C-519/09, ECLI:EU:C:2011:221 = BeckRS 2013, 87054 – May; zur Kritik an dieser Praxis s. Junker, EuZA 2016, 184, 190 ff.; Wank, EuZW 2018, 21, 29. EuGH v. 3.7.1986 – 66/85, ECLI:EU:C:1986:284, NJW 1987, 1138; EuGH v. 27.6.1996 – Rs. C107/94, ECLI:EU:C:1996:251, NJW 1996, 2921, 2922; EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU: C:2010:674, NJW 2011, 2343, 2344; EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455, NJW 2015, 2481, 2482. EuGH v. 27.6.1996 – C-107/94, ECLI:EU:C:1996:251, NJW 1996, 2921; EuGH v. 10.9.2015 – Rs. C-47/14, ECLI:EU:C:2015:574, NZA 2016, 183 („Holtermann“). EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/ 09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343; Lunk, NZA 2015, 917, 919; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 58.
84 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 290 § 35
dung Danosa604 war insofern richtungsweisend. Mit der Entscheidung Balkaya605 wurde darüber hinaus klargestellt, dass es für die Arbeitnehmereigenschaft des nicht oder nur unwesentlich beteiligten Geschäftsführers darauf ankommt, dass dieser jederzeit und ohne Weiteres von seiner Organstellung abberufen werden kann, was gemäß § 38 Abs. 1 den Regelfall darstellt. Bei satzungsmäßigen Einschränkungen der Abberufungsmöglichkeit (§ 38 Abs. 2) und bei Gesellschaften, die unter das MitbestG fallen, fehlt es an diesem Kriterium, weshalb die betreffenden Geschäftsführer in aller Regel nicht unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff fallen. Damit scheint die Weisungsgebundenheit erste und entscheidende Voraussetzung für die 288 (unionsrechtliche) Arbeitnehmereigenschaft zu sein. Diese herrschende Lesart606 der Danosa-Entscheidung zieht Annuß jedoch in Zweifel607. Nicht die Weisungsgebundenheit, sondern das weiter gefasste Kriterium der Unterordnung sei in der Sache Danosa entscheidungsleitend gewesen608. Die Frage der Weisungsgebundenheit sei zwar bei der Prüfung der Arbeitnehmereigenschaft zu berücksichtigen; ihr komme indes nicht die allein entscheidende Bedeutung zu609. Arbeitnehmer sei vielmehr, wer in eine fremdgeschaffene hierarchische Struktur eingegliedert sei610. Für dieses Verständnis spricht, dass der EuGH in der genannten Entscheidung die Weisungsgebundenheit eines Organwalters für die Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft für entbehrlich erklärte, solange dieser nur in die Gesellschaft eingegliedert sei und seine Tätigkeit gegen Entgelt und unter Aufsicht eines anderen Gesellschaftsorgans ausübe611. Daraus folgert Annuß, dass auch der Vorstand einer Aktiengesellschaft Arbeitnehmer nach den in der Danosa-Entscheidung entwickelten Kriterien ist612. Dabei folge die Arbeitnehmereigenschaft nicht alleine aus dem Anstellungsvertrag, sondern bereits aus der organschaftlichen Stellung des Vorstands, die ihn der Verteilungsmacht der Gesellschaft unterstelle613. Das überzeugend herausgearbeitete – weiter gefasste – Kriterium der Unterordnung führt 289 dazu, dass Fremdgeschäftsführer und Gesellschafter-Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss erst recht dem Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV unterfallen. Aber auch der Gesellschafter-Geschäftsführer mit Sperrminorität wäre nach dieser Ansicht wohl unter den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zu subsumieren; denn auch jener ist in eine fremdgeschaffene hierarchische Struktur eingegliedert. Ob sich diese – nur sehr grob skizzierten – Leitlinien allerdings in allen denkbaren Zusam- 290 menhängen als gültig erweisen, ist keineswegs gesichert. Ebenso wie die Abgrenzung von Arbeitsverhältnis und freiem Dienstvertrag nach deutschem Recht in Abhängigkeit davon erfolgt, um welchen Regelungszusammenhang es geht, fehlt es auch im Europäischen Recht an einer absolut trennscharfen Unterscheidung, so dass für jeden Normzusammenhang eine spezifische Begriffsbestimmung vorzunehmen ist614. 604 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343. 605 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455, NJW 2015, 2481 = GmbHR 2015, 979. 606 Vgl. nur Kort, NZG 2013, 601, 602; Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1990; Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597; Baeck/Winzer, NZG 2011, 101; Miras, GWR 2012, 311; Reufels/Molle, NZA-RR 2011, 281, 283. 607 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 15 ff. 608 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16; so auch Ziemons, KSzW 2013, 19, 20. 609 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16. 610 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16. 611 EuGH v. 11.11.2010 – Rs. C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343; hierzu auch Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16. 612 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 16, 17. 613 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 17. 614 Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11, 15.
Hohenstatt | 85
§ 35 Rz. 291 | Das Anstellungsverhältnis 291 Zu den Vorschriften, denen im Grundsatz der Arbeitnehmerbegriff des Art. 45 AEUV zu
Grunde liegt, gehören vor allem: – ArbZG – BUrlG – MuSchG615 – §§ 17 ff. KSchG (Anzeigepflichten bei Massenentlassungen)616 – AGG617 – §§ 168 ff. SGB IX (Kündigungsschutz schwerbehinderter Menschen) 292 Dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) ist der allgemeine arbeitsrechtliche Arbeitnehmerbegriff zu-
grunde zu legen, der sich nach dem am 1.4.2017 in Kraft getretenen § 611a BGB bestimmt. Bei rein nationaler Betrachtung wäre das Gesetz damit in der Regel nicht auf Geschäftsführer anzuwenden618. Auf der Grundlage einer Entscheidung des EuGH619 zu einem beamteten Feuerwehrmann wird allerdings zunehmend vertreten, dass im Arbeitszeitrecht ein „autonomer Begriff“ des Arbeitnehmers zugrunde gelegt werden müsse620. Daraus schließen einige Autoren, dass das ArbZG auch auf Fremdgeschäftsführer anzuwenden sei, sofern sie jederzeit und ohne Weiteres abberufen werden können621. Dies ist jedoch abzulehnen, da mit dieser Sicht der Dinge eine Verwechslung der Verantwortlichkeiten einherginge. Es ist ja gerade Aufgabe der Geschäftsführer, den Betrieb so zu organisieren, dass das ArbZG Beachtung findet; der Geschäftsführer ist deshalb nicht in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert622. Dem steht nicht entgegen, dass das ArbZG auf der Richtlinie 2003/88/EG beruht und demnach ein unionsrechtlich zu bestimmender Arbeitnehmerbegriff zu Grunde zu legen ist. Wie bereits ausgeführt, gibt es gerade keinen einheitlichen unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff; dieser ist im jeweiligen Normenumfeld zu bestimmen (s. Rz. 276). Im Arbeitszeitrecht ergibt es aber keinen Sinn, Personen einzubeziehen, die keinem arbeitsrechtlichen Weisungsrecht im engeren Sinne unterliegen. Im Übrigen gestattet Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie, von den Vorgaben über die wöchentliche Arbeitszeit und über Nachtarbeit abzuweichen, wenn die Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen und/oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann, und zwar insbesondere in Bezug auf leitende Angestellte oder sonstige Personen mit selbstständiger Entscheidungsbefugnis. Darunter fallen nach zutreffender Ansicht auch Fremdgeschäftsführer623. Es ist deshalb folgerichtig, auf Geschäftsführer
615 S. hierzu Rz. 531 ff. 616 EuGH v. 9.7.2015 – C-229/14, ECLI:EU:C:2015:455, NJW 2015, 2481 = GmbHR 2015, 979; ausführlich und kritisch hierzu Lunk/Hildebrand, NZA 2016, 129. 617 S. hierzu Rz. 343. 618 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284; Gäntgen in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 2 ArbZG Rz. 10. 619 EuGH v. 3.5.2012 –C-337/10, ECLI:EU:C:2012:263 – Neidel, NVwZ 2012, 688 m. Anm. Stiebert/ Pötters. 620 Wank in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 2 ArbZG Rz. 3; Giesen, ZfA 2016, 47, 64; Forst, EuZW 2015, 664, 667; a.A. Gäntgen in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 2 ArbZG Rz. 10; Baeck/Deutsch, 3. Aufl. 2014, § 2 ArbZG Rz. 22. 621 Henssler/Lunk, NZA 2016, 1425, 1429 m.w.N.; Wank in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 2 ArbZG Rz. 3. 622 S. zu diesem Kriterium Baeck/Deutsch, 3. Aufl. 2014, § 2 ArbZG Rz. 94. 623 Forst, EuZW 2015, 664, 667.
86 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 295 § 35
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG anzuwenden624, soweit man sie – entgegen der hier vertretenen Auffassung – überhaupt in den gesetzlichen Schutzbereich einbeziehen möchte. Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) gewährt gemäß § 1 BUrlG nur Arbeitnehmern einen 293 Anspruch und ist nach wohl noch h.M. nicht (analog) auf Geschäftsführer in einem Geschäftsführer-Dienstverhältnis anwendbar625. Inzwischen weist ein Teil der Literatur jedoch richtigerweise darauf hin, dass sich bei unionsrechtskonformer Auslegung eine Anwendung des Gesetzes auf Geschäftsführer ergibt, da Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs vom unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausgeht626. Da unter diesen Begriff auch Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss fallen, sofern sie jederzeit und ohne Weiteres abberufen werden können, dürfte das Bundesurlaubsgesetz auch auf diese anwendbar sein (s. zum Urlaub des Geschäftsführers noch näher unter Rz. 401). Nach der wohl h.M. sind die Vorschriften des besonderen Kündigungsschutzes für schwer- 294 behinderte Menschen (§§ 168 ff. SGB IX) nicht auf Organmitglieder anwendbar627. Es bestehen mittlerweile aber Zweifel, ob dieser Schutz nicht auch auf (bestimmte) Geschäftsführer Anwendung finden muss. In der Rechtssache Milkova hat es der EuGH628 in einem Fall, den ein bulgarisches Gericht vorgelegt hatte, für denkbar gehalten, dass der besondere Kündigungsschutz von Schwerbehinderten auch auf Beamte anzuwenden sein könnte, wenn anderenfalls bei der Anwendung der Richtlinie und des darauf beruhenden nationalen Rechts ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot zu verzeichnen wäre. Dieses Ergebnis stützte der EuGH auf Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, der im Licht des mit dem Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26.11.2009 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigten Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und in Verbindung mit dem in den Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auszulegen sei. Daraus wird in der Literatur der Schluss gezogen, dass sich auch Geschäftsführer im unionsrechtlichen Sinne auf den Schutz gemäß §§ 168 ff. SGB IX berufen können; denn für deren Ausschluss aus dem Anwendungsbereich gebe es keine im Rahmen des Schutzzwecks der Vorschriften rechtfertigenden Gründe629.
4. Zusätzliches oder früheres Arbeitsverhältnis mit der GmbH Für die rechtliche Einordnung des Anstellungsverhältnisses des Geschäftsführers kann das 295 Bestehen zusätzlicher oder früherer Arbeitsverhältnisse mit derselben GmbH von Bedeutung
624 Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 193; Hildebrand, Arbeitnehmerschutz von geschäftsführenden Gesellschaftsorganen im Lichte der Danosa-Entscheidung des EuGH, Frankfurt a.M., 2014, S. 253 ff.; a.A. Henssler/Lunk, NZA 2016, 1425, 1429; Preis/Sagan, ZGR 2013, 26, 55 f. 625 OLG Frankfurt v. 9.2.2007 – 24 U 185/06, GmbHR 2007, 1222; OLG Düsseldorf v. 23.12.1999 – 6 U 119/99, GmbHR 2000, 278; einschränkend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 140; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 82, 121; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284, die jedoch zu Recht auf die kaum vorhandene praktische Relevanz dieser Frage hinweisen. 626 Forst, GmbHR 2012, 821; Leopold, ZESAR 2011, 362, 367; Fischer, NJW 2011, 2329, 2332; für eine grundsätzliche Anwendung des BurlG, wenngleich mit zahlreichen Einschränkungen Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, Rz. 119 f. 627 Thies in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 168 SGB IX Rz. 7; Rolfs in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 168 SGB IX Rz. 3. 628 EuGH v. 9.3.2017 – C-406/15 – Mikova, NZA 2017, 439. 629 Porsche, ZESAR 2017, 451, 455; wohl auch Sagan, NZA-Beilage 2018, 47, 49; Schubert/Jerchel, EuZW 2017, 551, 557; Köhlert, NZA-RR 2018, 113, 118.
Hohenstatt | 87
§ 35 Rz. 295 | Das Anstellungsverhältnis sein. Wenn der Geschäftsführer zusätzlich zu seinem Geschäftsführer-Anstellungsverhältnis ein Arbeitsverhältnis mit derselben Gesellschaft begründet hat, können parallel zwei Anstellungsverträge verschiedener Rechtsnatur vorliegen630. Dabei dürfte es sich allerdings um eine selten anzutreffende Vertragspraxis handeln, von der aus Gründen der Rechtssicherheit abzuraten ist. 296 Praktisch bedeutsamer ist der Fall, dass ein bereits als Arbeitnehmer tätiger Mitarbeiter
zum Geschäftsführer derselben Gesellschaft bestellt wird. Während nach früherer Rechtsprechung ein vor dem Abschluss des Geschäftsführer-Dienstvertrages bestehendes Arbeitsverhältnis während der Durchführung des Geschäftsführerverhältnisses im Zweifel nur ruhen und nach Beendigung wieder aufleben sollte, ist nach aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (s. im Einzelnen Rz. 478 ff.) regelmäßig davon auszugehen, dass mit dem Abschluss eines Geschäftsführer-Dienstvertrages ein zuvor bestehendes Arbeitsverhältnis aufgehoben wird. Wird ein schriftlicher Geschäftsführer-Dienstvertrag geschlossen, besteht das vorherige Arbeitsverhältnis nur ruhend fort, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben. Fehlt eine solche Vereinbarung, ist im Zweifel von der Aufhebung des Arbeitsverhältnisses auszugehen, wenn nicht weitere Umstände hinzutreten, die deutliche Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Parteiwillen ergeben (vgl. hierzu und zur Einhaltung der Schriftform gemäß § 623 BGB in diesem Zusammenhang Rz. 479 f.).
5. Anstellungsverhältnis im Konzern 297 Die Rechtsnatur des Anstellungsverhältnisses kann dadurch beeinflusst werden, dass der Ge-
schäftsführer nicht bei der GmbH selbst, sondern bei einem Dritten angestellt ist, ohne dass ein gesonderter Geschäftsführer-Dienstvertrag abgeschlossen wird oder wenn mit diesem Dritten der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag abgeschlossen wird. Denkbar sind die folgenden Fallgestaltungen: 298 Ein Mitarbeiter des herrschenden Unternehmens wird zum Geschäftsführer der Tochterge-
sellschaft bestellt. Er bleibt für das herrschende Unternehmen in nicht unwesentlichem Umfang tätig. Hat er nur mit dem herrschenden Unternehmen einen Vertrag (sog. Drittanstellung), so ist die Übernahme der Geschäftsführertätigkeit bei der Tochtergesellschaft ein unselbständiger Teil seines Arbeitsvertrages631 (vgl. Rz. 480). Dies kann freilich nur gelten, wenn der Geschäftsführer nicht Mehrheitsgesellschafter des herrschenden Unternehmens ist632. 299 Ein Mitarbeiter des herrschenden Unternehmens wird zum Geschäftsführer der Tochterge-
sellschaft bestellt. Er ist nur noch bei der Tochtergesellschaft tätig. Der Arbeitsvertrag wird anlässlich der Bestellung nicht ausdrücklich aufgehoben oder zum Ruhen gebracht. Wenn neben dem Arbeitsvertrag kein gesonderter Dienstvertrag geschlossen wurde, kann das Arbeitsverhältnis schuldrechtliche Grundlage der Organstellung sein633. Wird hingegen ein schriftlicher Dienstvertrag geschlossen, geht die Rechtsprechung davon aus, dass das Arbeitsverhältnis im Zweifel aufgehoben wird, sofern nicht deutliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Arbeitsverhältnis lediglich ruhen soll634. Wird der Dienstvertrag mit der Toch-
630 Reiserer in Moll, Münchener Anwaltshandbuch ArbR, 4. Aufl. 2017, Teil B, § 6 Rz. 78. 631 OLG Frankfurt v. 5.6.1997 – 5 W 4/97, GmbHR 1997, 1106, 1107 = GmbH-StB 1997, 288; vgl. Reinfelder, RdA 2018, 87, 93. 632 BAG v. 6.5.1998 – 5 AZR 612/97, GmbHR 1998, 928, 930. 633 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430. 634 BAG v. 8.6.2000 – 2 AZR 207/99, NJW 2000, 3732, 3733 f. = GmbHR 2000, 1092; BAG v. 7.10.1993 – 2 AZR 260/93, GmbHR 1994, 243, 244; BAG v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, NJW 2007, 3228 =
88 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 302 § 35
tergesellschaft geschlossen, ist zu berücksichtigen, dass zur Aufhebung des Arbeitsvertrages mit der Muttergesellschaft insbesondere auch die Unterzeichnung des diesbezüglich vertretungsberechtigten Organs der Muttergesellschaft erforderlich ist635 (§ 623 BGB; vgl. Rz. 479). Denkbar ist schließlich der Fall, dass der Geschäftsführer der Tochtergesellschaft zugleich 300 auch für das herrschende Unternehmen tätig ist und mit beiden Gesellschaften Verträge hat. Hier ist zu fragen, ob beide Verträge eine Einheit bilden oder ob sie sich trennen lassen636. Bestimmte Umstände sprechen dabei für einen einheitlich gemischten Vertrag. Solche Umstände sind der gleichzeitige Vertragsabschluss, ein einheitlicher Inhalt der verschiedenen Vereinbarungen und die gegenseitige Abhängigkeit der Vereinbarungen voneinander. Entscheidend ist dann das wirtschaftliche Schwergewicht dieses einheitlichen gemischten Vertrages. Liegt der Schwerpunkt in der Tätigkeit als Geschäftsführer, so ist der Vertrag, wenn man der herrschenden Ansicht folgt, ein Dienstvertrag des selbständig Tätigen. Liegt der Schwerpunkt in der nachgeordneten Tätigkeit beim herrschenden Unternehmen, so handelt es sich um einen Arbeitsvertrag. Sprechen die Umstände aber gegen einen einheitlich gemischten Vertrag, so sind die einzelnen Verträge rechtlich getrennt zu beurteilen. Der eine Vertrag etwa kann gekündigt werden, während der andere Vertrag fortbesteht; für den einen Vertrag mag Kündigungsschutz bestehen und für den anderen nicht. Der Praxis ist zu empfehlen, die Rechtsnatur und den Inhalt beider Vertragsverhältnisse zweifelsfrei zu regeln. Gleiches gilt für eine etwaige Verknüpfung der Rechtsverhältnisse.
6. Anstellungsverhältnis in der GmbH & Co. KG In der GmbH & Co. KG kann der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers auch zwischen 301 der KG und dem Geschäftsführer geschlossen werden. Mangels Organstellung im Verhältnis zur KG hat das Bundesarbeitsgericht früher angenommen, dass der Geschäftsführer – je nach Ausgestaltung des Vertrags im Einzelnen – Arbeitnehmer oder eine arbeitnehmerähnliche Person der KG sein kann637. Das Bundesarbeitsgericht ist inzwischen jedoch von dieser streng formalen Betrachtungsweise abgerückt638. Zwar bezieht sich diese Rechtsprechung explizit nur auf die Frage, ob die Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift. Jedoch stellt das Bundesarbeitsgericht mit dieser neueren Rechtsprechung wesentlich darauf ab, dass der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auch zur Vertretung der KG berufen ist639. Damit steht der Geschäftsführer auch bei der KG im Arbeitgeberlager und kann daher auch bei Anstellung durch die KG zu dieser nur in einem Dienstverhältnis, nicht aber in einem Arbeitsverhältnis stehen (zur Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes in dieser Konstellation s. Rz. 481). Wird ein Arbeitnehmer der GmbH & Co. KG zum Geschäftsführer der Komplementär- 302 GmbH bestellt, muss darauf geachtet werden, dass für die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses die KG zuständig ist und deshalb Partei des schriftlich (§ 623 BGB) abzuschließenden Aufhebungsvertrages sein muss. Bei der Umwandlung einer GmbH in eine GmbH & Co.
635 636 637 638 639
GmbHR 2007, 1219; anders noch BAG v. 9.5.1985 – 2 AZR 330/84, NZA 1986, 792, 794 = GmbHR 1986, 263. Goll-Müller/Langenhan-Komus, NZA 2008, 687, 688 f. Vgl. BAG v. 24.8.1972 – 2 AZR 437/71, AP BGB § 611 Gemischter Vertrag Nr. 2. BAG v. 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, GmbHR 1981, 109, 111 m. Anm. Bauer. Vgl. BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NZA 2003, 1108, 1109 f. = GmbHR 2003, 1208. BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NZA 2003, 1108, 1110 = GmbHR 2003, 1208; zustimmend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 294; Koch in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 5 ArbGG Rz. 8; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 103.
Hohenstatt | 89
§ 35 Rz. 302 | Das Anstellungsverhältnis KG wandelt sich der Dienstvertrag nicht in ein dem Kündigungsschutz unterliegendes Arbeitsverhältnis640, auch wenn es zukünftig zur KG besteht. 303–310 Einstweilen frei.
XII. Abschluss und Änderung des Anstellungsvertrages 1. Verhältnis zu Satzung und Gesetz 311 Streitig ist die Behandlung von Vereinbarungen im Anstellungsvertrag, die von den gesetzli-
chen (gesellschaftsrechtlichen) Bestimmungen und/oder der Satzung abweichen oder sie konkretisieren. Zu denken ist an Vereinbarungen über die zu bestellende Zahl der Geschäftsführer, über den Umfang der Geschäftsführungs- und die Art der Vertretungsbefugnis (Einzelvertretung oder Gesamtvertretung), über die Geschäftsverteilung, über die Grenzen der Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung (s. 12. Aufl., § 37 Rz. 46), über die Dauer der Bestellung, über die Voraussetzungen der Abberufung, z.B. Beschränkung auf das Vorliegen wichtiger Gründe (s. 12. Aufl., § 38 Rz. 38 f.), über eine Haftungsbegrenzung oder Haftungsmilderung usw. a) Anstellungsvertrag und zwingendes Gesetzesrecht 312 Widerspricht der Anstellungsvertrag zwingenden gesellschaftsrechtlichen Bestimmun-
gen641, etwa Vorschriften zum Schutz der Gläubiger oder Minderheitsgesellschafter, enthält er z.B. entgegen § 51a ein Verbot, Minderheitsgesellschaftern Auskunft zu erteilen, oder widerspricht der Anstellungsvertrag sonstigem zwingendem Gesetzesrecht (z.B. Freistellung von Bilanzierungspflichten), ist die entsprechende Regelung gemäß § 134 BGB nichtig642. Abweichungen von dispositivem Gesetzesrecht sind hingegen wirksam (s. Rz. 320 f.). b) Anstellungsvertrag mit satzungsdurchbrechender Regelung 313 Weitgehend Einigkeit besteht auch im Hinblick auf Bestimmungen im Anstellungsvertrag,
die von der Satzung abweichen (sog. Satzungsdurchbrechung). Beispiel: Der Anstellungsvertrag entbindet den Geschäftsführer von einem statuarischen Zustimmungsvorbehalt zugunsten eines Beirats643. Die früher vereinzelt vertretene Auffassung, wonach satzungsdurchbrechenden Vereinbarungen im Anstellungsvertrag Vorrang gegenüber der Satzung644 zukomme, ist nicht haltbar. Nach ganz herrschender Meinung haben umgekehrt Satzungsregelungen Vorrang gegenüber der im Anstellungsvertrag vereinbarten Regelung645. Teilweise wird vertreten, dass satzungsdurchbrechende Regelungen im Anstellungsvertrag „nicht mög-
640 Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 160. 641 OLG Stuttgart v. 27.2.1979 – 12 U 171/77, DB 1979, 884, 885 (betr. Vorstandsmitglied einer AG). 642 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 5; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 11. 643 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 13. 644 Flume, Die juristische Person, 1983, S. 350; van Venrooy, GmbHR 1982, 175, 178. 645 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, GmbHR 2010, 808, 809: das Anstellungsverhältnis ist nachrangig, dienstvertragliche Abreden dürfen deshalb nicht in die statuarische Ausgestaltung des Organverhältnisses eingreifen; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 274; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 244; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 13; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 42 Rz. 47; a.A. Flume, Die juristische Person, 1983, S. 350; van Venrooy, GmbHR 1982, 175, 178.
90 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 315 § 35
lich“646 – also unwirksam – seien. Überwiegend geht man hingegen von der schuldrechtlichen Wirksamkeit der satzungsdurchbrechenden Regelungen im Anstellungsvertrag aus647. Die Gesellschaft ist nicht gehindert, Vereinbarungen abzuschließen, die der Satzung widersprechen. Aus derlei Bestimmungen steht dem Geschäftsführer jedoch weder ein Erfüllungsnoch ein Unterlassungsanspruch zu; er ist bei Nichterfüllung vielmehr – sofern die übrigen Voraussetzungen hierfür gegeben sind – auf Schadensersatz beschränkt648. Vereinzelt wird hingegen nach dem Zeitpunkt der Divergenz zwischen Satzung und ver- 314 traglicher Regelung differenziert649: Liege die Divergenz bereits bei Abschluss des Anstellungsvertrages vor, sei die vertragliche Regelung unwirksam; entstehe sie hingegen durch eine spätere Satzungsänderung, bleibe die vertragliche Abrede wirksam650. Diese Auffassung führt in der Regel zu richtigen Ergebnissen, da sie zu schuldrechtlichen Sekundäransprüchen des Geschäftsführers nur in den Konstellationen gelangt, in denen eine nachträgliche Satzungsänderung im Widerspruch zum Anstellungsvertrag steht. Dogmatisch konsequenter erscheint jedoch die Linie, die generell vom organisationsrechtlichen Vorrang der Satzung und damit von der organisationsrechtlichen Wirkungslosigkeit651 der entgegenstehenden Bestimmungen im Anstellungsvertrag, andererseits jedoch von ihrer schuldrechtlichen Wirksamkeit ausgeht; Schadensersatzansprüche bleiben auch nach dieser Lehre auf die Fälle einer nachträglichen Satzungsänderung beschränkt, da der Geschäftsführer bei Abschluss des Anstellungsvertrages nicht auf Vertragsregelungen vertrauen darf, die erkennbar im Widerspruch zur Satzung stehen. In jedem Fall muss sich der Geschäftsführer im Rahmen seiner organschaftlichen Pflichten 315 an die (geänderten) Satzungsbestimmungen halten, (auch) sofern diese über die Pflichten gemäß dem Anstellungsvertrag hinausgehen. Eine Geschäftsordnung oder Einzelweisungen der Gesellschafter sind auch dann zu befolgen, wenn sie dem Anstellungsvertrag widersprechen; dies folgt aus § 37 Abs. 1652. Verstößt der Geschäftsführer gegen die zwingenden Vorgaben der Satzung, kann dies die Gesellschaft ggfls. zur außerordentlichen Kündigung des Anstellungsvertrages gemäß § 626 Abs. 1 BGB berechtigen653; die Gesellschaft muss den Geschäftsführer allerdings bei nicht völlig klarer Rechtslage auf den Vorrang der Satzung und die organisationsrechtlichen Wirkungslosigkeit der satzungsdurchbrechenden Bestimmungen des Anstellungsvertrages hinweisen654. Bei unzumutbaren Einschränkungen seines Aufgaben- und Kompetenzbereichs kann der Geschäftsführer allerdings seinerseits nach § 626 BGB außerordentlich kündigen (vgl. Rz. 317)655.
646 So noch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 38 Rz. 21 (zur schuldrechtlichen Einschränkung der Abrufbarkeit). 647 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 13, 15 m.w.N. 648 Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 42 Rz. 47; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 16; für das österreichische Recht: Koppensteiner, 2. Aufl., Wien 1999, § 15 GmbHG Rz. 19; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 27. 649 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 275. 650 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 247; vgl. Reuter in FS Zöllner, 1998, S. 487, 492 f. 651 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 13. 652 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 14, 17; OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/ 84, ZIP 1984, 1476, 1478 f. 653 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 7; vgl. Lenz in Michalski u.a., Rz. 168. 654 Dies gilt trotz des Grundsatzes, dass gegenüber Geschäftsführern i.d.R. keine Notwendigkeit einer Abmahnung besteht (vgl. Rz. 487 ff.). In der hier gegebenen Konstellation trägt die Gesellschaft eine (Mit-)Verantwortung für die Vereinbarung satzungsdurchbrechender Regelungen im Anstellungsvertrag. 655 OLG Frankfurt v. 17.12.1992 – 26 U 54/92, GmbHR 1993, 288, 290; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 16 („weiche und liquidiere“); Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 247.
Hohenstatt | 91
§ 35 Rz. 316 | Das Anstellungsverhältnis 316 Werden dem Geschäftsführer im Anstellungsvertrag Beschränkungen auferlegt, die über die
Satzung hinausgehen (z.B. zusätzliche Zustimmungserfordernisse), sind diese zwar organisationsrechtlich wirkungslos, schuldrechtlich hingegen wirksam; es ist daher inkonsequent, wenn die h.M. in dieser Konstellation bei einem Verstoß gegen die vertraglichen Vorgaben Sanktionen auf der Ebene des Anstellungsvertrages ausschließt656. 317 Bei Satzungsänderungen, die im Widerspruch zum Anstellungsvertrag stehen und die dem
Geschäftsführer die Fortsetzung seiner Tätigkeit bis zum nächsten ordentlichen Beendigungstermin unzumutbar machen, kann der Geschäftsführer sein Amt niederlegen und den Anstellungsvertrag gemäß § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich kündigen. Ggfls. steht ihm ein Schadensersatzanspruch gemäß § 628 Abs. 2 BGB zu. Hiergegen könnte man einwenden, dass der Gesellschaft gemäß § 38 Abs. 1 vom Gesetz sogar die Möglichkeit eingeräumt wird, den Geschäftsführer jederzeit abzuberufen; darin liegt also kein vertragswidriges Verhalten657. Man könnte deshalb vertreten, dass deshalb die (wesentlich weniger einschneidende) Beschränkung der Kompetenzen des Geschäftsführers ebenfalls kein vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft darstellen und somit keinen Schadensersatzanspruch nach § 628 Abs. 2 BGB begründen können658. Dabei würde jedoch übersehen, dass eine Kompetenzbeschränkung qualitativ etwas anderes ist als die Abberufung; mit ihr können ein erheblicher Autoritätsverlust des Geschäftsführers und eine empfindliche Beschränkung seiner unternehmerischen Handlungsfähigkeit verbunden sein. Hierfür bietet § 38 Abs. 1 keine Gundlage. Sind im Anstellungsvertrag bestimmte Kompetenzen vereinbart und schränkt die Gesellschaft diese ohne Grund ein, wird sie vertragsbrüchig mit der Folge, dass der Geschäftsführer bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Anstellungsvertrages bis zum nächstmöglichen ordentlichen Beendigungstermin gemäß § 626 Abs. 1 BGB außerordentlich kündigen (vgl. Rz. 505 ff.) und ggfls. gemäß § 628 Abs. 2 BGB Schadensersatz verlangen kann659. 318 Um die Wirksamkeit einer satzungsdurchbrechenden schuldrechtlichen Vereinbarung her-
beizuführen, genügt nicht etwa ein bloßer Gesellschafterbeschluss mit qualifizierter Mehrheit. Erforderlich ist vielmehr die Einhaltung der für eine Satzungsänderung geforderten Formvorschriften660. 319 Unabhängig von der Vereinbarung mit der Gesellschaft kann eine satzungsdurchbrechende
Nebenabrede freilich ebenfalls als Vereinbarung zwischen dem Geschäftsführer und den zustimmenden Gesellschaftern auszulegen sein, eine Satzungsänderung herbeizuführen oder ihr mindestens zuzustimmen, um die Wirksamkeit der Vereinbarung mit der Gesellschaft herbeizuführen. Haben alle Gesellschafter der Vereinbarung zugestimmt, und hat zwischenzeitlich kein Gesellschafterwechsel stattgefunden, kann in diesem Fall ein unmittelbarer Erfüllungsanspruch des Geschäftsführers gegen die Gesellschaft bestehen.
656 So aber Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 17; Baukelmann in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 84, solange sich der Geschäftsführer im Rahmen der ihm durch die Satzung zugewiesenen Befugnisse hält. 657 BGH v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, GmbHR 2003, 100, 101; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, GmbHR 2012, 638, 639 f.; OLG Karlsruhe v. 23.3.2011 – 7 U 81/10, GmbHR 2011, 535, 537 f.; a.A. BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, GmbHR 2003, 105, 109; zur Frage, ob die Abberufung ein vertragswidriges Verhalten i.S.v. § 628 Abs. 2 BGB darstellt, s. Rz. 507. 658 OLG Karlsruhe v. 23.3.2011 – 7 U 81/10, GmbHR 2011, 535, 537 f.; offen gelassen von BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, GmbHR 2012, 638, 640. 659 So im Ergebnis auch OLG Frankfurt v. 17.12.1992 – 26 U 54/92, GmbHR 1993, 288, 291. 660 BGH v. 7.6.1993 – II ZR 81/92, ZIP 1993, 1074, 1075.
92 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 322 § 35
c) Anstellungsvertrag und dispositives Gesetzesrecht Regelungen im Anstellungsvertrag, die von dispositivem Gesetzesrecht abweichen, sind 320 schuldrechtlich wirksam (Beispiel661: Freistellung des Geschäftsführers von Gesellschafterweisungen, um diesem eine vorstandsähnliche Position zu verschaffen). Indessen hat das Organisationsrecht der Gesellschaft, das sich neben der Satzung aus dem (dispositiven) Gesetzesrecht ergibt, dennoch Vorrang. Im Beispielfall sind die Gesellschafter demnach nicht daran gehindert, dennoch Weisungen zu erteilen; eine vom gesetzlichen Leitbild abweichende Weisungsfreiheit würde eine Verankerung im Gesellschaftsvertrag erfordern662. Die Abgrenzung, ob eine anstellungsvertragliche Regelung vom Gesetz abweicht oder es le- 321 diglich konkretisiert, kann schwierig sein. Das gilt insbesondere für die Haftung des Geschäftsführers; denn einerseits trifft das Gesetz in § 43 insoweit eine konkrete Regelung, geht aber andererseits in § 46 Nr. 5 Fall 3, Nr. 8 davon aus, dass die Gesellschafter in jedem Einzelfall mit einfacher Mehrheit darüber entscheiden, ob der Geschäftsführer sich ihrer Ansicht nach sorgfaltsgemäß oder sorgfaltswidrig verhalten hat und ihm Entlastung erteilt wird oder ob sie gegebenenfalls Schadensersatzansprüche gegen ihn geltend machen wollen. Letzteres könnte dafür sprechen, dass für die Wirksamkeit einer anstellungsvertraglichen Haftungsregelung ein bloßer Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit ausreicht. Das wird namentlich dann anzunehmen sein, wenn die anstellungsvertragliche Regelung in erster Linie eine Konkretisierung der Geschäftsführerpflichten beinhaltet. Eine generelle Haftungsmilderung (oder -verschärfung) stellt dagegen eine Abweichung von § 43 dar und bedarf daher einer statutarischen Grundlage (Einzelfallregelung oder Ermächtigungsnorm). Die Stimmbindungsvereinbarung mit den Gesellschaftern kann sich auf eine dauerhafte Regelung in der Satzung oder auf die Entlastung im Einzelfall beziehen. d) Regelungen zur Konkretisierung der Satzung oder gesetzlicher Organisationsnormen Werden durch die Vereinbarung im Anstellungsvertrag lediglich gesetzliche Organisations- 322 normen oder Bestimmungen der Satzung konkretisiert, wird etwa einem Geschäftsführer ein bestimmtes Ressort zugewiesen, so ist die Vereinbarung wirksam. Es genügt intern ein einfacher Gesellschafterbeschluss. Die Gesellschafter können sich aber jederzeit über die Vereinbarung hinwegsetzen. Es besteht für den Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft kein Anspruch auf Erfüllung663, sondern gegebenenfalls nur ein Anspruch auf Schadensersatz. Die entsprechende Vereinbarung kann aber im Einzelfall zugleich so auszulegen sein, dass sich die zustimmenden Gesellschafter gegenüber dem Geschäftsführer im Wege eines Stimmbindungsvertrages verpflichten, ihre Stimme im Sinne eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses einzusetzen (oder gegen dessen nicht durch wichtige Gründe gerechtfertigte Aufhebung zu stimmen). Ist dies der Fall, so soll der Geschäftsführer ausnahmsweise auch unmittelbar von der Gesellschaft Erfüllung verlangen können, wenn alle Gesellschafter der schuldrechtlichen Nebenabrede zugestimmt haben und zwischenzeitlich kein Gesellschafterwechsel stattgefunden hat664. Ob dieser auf prozess-ökonomischen Gründen beruhenden höchstrichterlichen Rechtsprechung zuzustimmen ist, ist zweifelhaft, weil durch eine solche
661 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 11. 662 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 11; ähnliche Beispiele mit Übereinstimmung im Sinne des Vorrangs der Satzung als „grundlegendes Organisationsstatut“ Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 6. 663 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 13; teilweise abweichend aber Fleck, ZGR 1988, 104, 123 ff. 664 BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196.
Hohenstatt | 93
§ 35 Rz. 322 | Das Anstellungsverhältnis unmittelbare Wirkung von Stimmbindungsverträgen die Grenze zwischen Organisationsund Schuldrecht aufgeweicht wird665. e) Verpflichtung zur Bestellung 323 Für die Vereinbarung einer schuldrechtlichen Verpflichtung, die angestellte Person als Ge-
schäftsführer zu bestellen, kann ein wirtschaftliches Bedürfnis bestehen. So wird sich ein Nichtgesellschafter u.U. nur dann bereitfinden, seine bisherige Stellung bei einem anderen Unternehmen aufzugeben, wenn sich die Gesellschaft zur Bestellung verpflichtet. Einen durchsetzbaren Erfüllungsanspruch auf Bestellung kann der Anstellungsvertrag indessen nicht einräumen666. Unterbleibt die Bestellung, wandelt sich das Anstellungsverhältnis nicht in ein Arbeitsverhältnis um, es sei denn, dass dies ausdrücklich vereinbart wird (vgl. Rz. 482)667.
2. Parteien a) Gesellschaft als Vertragspartner 324 Vertragspartner des Anstellungsvertrages ist in der Regel die Gesellschaft. Der Vertrag kommt
jedoch nicht automatisch mit der Bestellung zustande668. Er ist vielmehr gesondert abzuschließen; dies kann ausdrücklich oder konkludent geschehen669. Der Vertrag kann aufschiebend bedingt, nämlich abhängig von der Bestellung, und auflösend bedingt bis zur Beendigung der Organstellung, abgeschlossen werden (s. zu sog. Koppelungsklauseln unter Rz. 462 ff.). Zur Sicherung der Interessen des Geschäftsführers ist auch der Abschluss eines Vorvertrages möglich, wenngleich dies in der Praxis selten vorkommt. Rechtliche Beziehungen zu den Gesellschaftern oder zu den Gläubigern der Gesellschaft werden durch den Anstellungsvertrag nicht begründet, sofern dies nicht ausdrücklich vereinbart ist. b) Anstellungsvertrag mit Dritten 325 Der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers kann auch mit einem Dritten abgeschlossen
werden (sog. Drittanstellung). Typische Beispiele hierfür sind der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers eines Konzernunternehmens mit der Obergesellschaft670 und der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH mit der KG671. 326 Hiergegen werden insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Interessenkollision Bedenken
geäußert672. Die h.M. hält die Drittanstellung hingegen für grundsätzlich zulässig, und zwar
665 Ähnlich und weitere Bedenken bei: Winter, ZHR 154 (1990), 259, 268 f. 666 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 28; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 291. 667 BAG v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, NZA 1997, 1363, 1364 = GmbHR 1997, 837; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 291. 668 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 56. 669 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 156, wenngleich ein konkludenter Vertragsschluss regelmäßig nicht den Vorstellungen und dem Willen der Parteien entsprechen werde, da sonst insb. Entgelt und Urlaubsanspruch offenblieben. 670 BGH v. 26.10.1964 – II ZR 127/62, WM 1964, 1320, 1321; OLG Celle v. 21.9.1979 – 3 U 197/79, GmbHR 1980, 32, 33; Martens in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 466; G. Hueck, ZfA 1985, 36. 671 BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, GmbHR 1984, 70, 71; BGH v. 16.1.1995 – II ZR 290/93, ZIP 1995, 377, 377 f. = GmbHR 1995, 306; s. auch Reiserer, BB 1996, 2461, 2463. 672 Unzulässig: Winter, GmbHR 1965, 196; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 197 ff.; so noch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl., Rz. 165: „höchst zweifelhaft“.
94 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 328 § 35
unabhängig davon, ob die Anstellung bei einem Gesellschafter oder bei einem außenstehenden Dritten erfolgt673. Entscheidend dafür ist, dass die organschaftlichen Pflichten von der Drittanstellung nicht berührt werden674 (s. 12. Aufl., § 37 Rz. 68). Daraus ergibt sich auch, dass der Anstellungsvertrag bei der Drittanstellung nicht als Vertrag zugunsten Dritter abgeschlossen werden muss675. Man wird aber verlangen müssen, dass entweder die Satzung eine Drittanstellung ausdrücklich gestattet676 oder die Gesellschaft ihre Zustimmung zu der Drittanstellung erklärt677, was ggfls. konkludent geschehen kann. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, stellt dies angesichts des Trennungsprinzips (vgl. Rz. 251, 455) hingegen nicht die Wirksamkeit des Anstellungsvertrages in Frage678. Es liegt in der Risikosphäre der Anstellungsgesellschaft, wenn sie ohne Zustimmung des zuständigen Organs die Drittanstellung eines Geschäftsführers vornimmt und diese deshalb ggfls. nicht realisieren kann. Die Gesellschaft, deren Geschäftsführer betroffen ist, kann sich dadurch schützen, dass sie den drittangestellten Geschäftsführer entweder nicht bestellt oder seine ggfls. schon erfolgte Bestellung widerruft. In der gemäß MitbestG oder MontanMitbestG mitbestimmten GmbH ist der Aufsichtsrat 327 zwingend für den Abschluss des Anstellungsvertrages zuständig (s. dazu Rz. 334 f.). Eine Drittanstellung scheidet hier deshalb nach ganz h.M. aus679.
3. Zuständigkeit/Vertretung a) Zuständigkeit in der nicht mitbestimmten GmbH aa) Allgemeines Für die Bestellung und in Anknüpfung hieran auch für die Entscheidung über den Abschluss 328 des Anstellungsvertrages ist in der Regel die Gesellschafterversammlung zuständig, § 46 Nr. 5680. Dies gilt auch für die Vorgesellschaft681. Die Mitgeschäftsführer sind nicht zuständig; sie sind im Hinblick auf den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag nicht vertretungs-
673 H.Rspr.: BGH v. 26.10.1964 – II ZR 127/62, WM 1964, 1320, 1321; BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 430; Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 388; G. Hueck, ZfA 1985, 36; Uwe H. Schneider, GmbHR 1993, 10, 13; Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 89 ff.: aber Unterlassungsklage der Gesellschafter bei dienstvertraglichen Weisungen; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; Lenz in Michalski u.a., Rz. 125; in diese Richtung mit Einschränkungen auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 65. 674 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 12; Lenz in Michalski u.a., Rz. 125; Beursklens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 66. 675 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 9; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 65; Lenz in Michalski u.a., Rz. 125. 676 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 65. 677 Lenz in Michalski u.a., Rz. 125; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 65; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 9; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; Winter, GmbHR 1965, 194, 196; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, S. 200 ff.; Fleck, ZHR 149 (1985), 388; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 330. 678 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 330; a.A. (schwebende Unwirksamkeit) Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 9; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; ähnlich Lenz in Michalski u.a., Rz. 125: Wirksamkeit nur dann, wenn dem Dritten faktisch großer Einfluss auf die Gesellschaft zusteht. 679 Lenz in Michalski u.a., Rz. 126; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252, 257 m.w.N. 680 BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, NJW 2000, 2983 = GmbHR 2000, 876; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 6 Rz. 62; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 6; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 46 Rz. 97. 681 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 6.
Hohenstatt | 95
§ 35 Rz. 328 | Das Anstellungsverhältnis befugt. Gleiches gilt für die Änderung, Aufhebung und Kündigung – zuständig ist die Gesellschafterversammlung682. 329 Die Gesellschafterversammlung trifft ihre Entscheidungen über den Anstellungsvertrag vor-
behaltlich abweichender Satzungsregelungen mit Mehrheit. Sie kann und sollte zugleich einen oder mehrere der Gesellschafter oder einen der anderen Geschäftsführer damit beauftragen, die dem Beschluss entsprechenden Willenserklärungen abzugeben (z.B. Abschluss oder Änderung des Anstellungsvertrages oder Ausspruch einer Kündigung)683. Macht die Gesellschafterversammlung von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch, wird die Gesellschaft nicht notwendigerweise durch alle Gesellschafter vertreten; vielmehr genügt, wenn die „beschlussfassende Mehrheit“ handelt684; ansonsten könnten die in der Abstimmung unterlegenen Gesellschafter die Umsetzung des Beschlusses erschweren. Wird eine einseitige Willenserklärung nicht von allen Gesellschaftern abgegeben, was die sicherste Vorgehensweise wäre, einer Unwirksamkeit durch Zurückweisung gemäß § 174 BGB zu entgehen685, muss ordnungsgemäße Bevollmächtigung nachgewiesen werden; dies geschieht durch Vorlage einer von allen Gesellschaftern oder vom Protokollführer unterschriebenen Originalausfertigung des Gesellschafterbeschlusses686. 330 Fraglich ist, wer zur Entgegennahme von Willenserklärungen des Geschäftsführers befugt
ist (passive Vertretungsbefugnis), insbesondere bei Amtsniederlegung (s. 12. Aufl., § 38 Rz. 85 ff.) oder bei Kündigung des Anstellungsvertrages. Unstreitig ist es ausreichend, wenn die Kündigungserklärung dem für die Anstellung zuständigen Organ – im Zweifel also der Gesellschafterversammlung – zugeht687. Nach der h.M. in der Literatur688 muss die Kündigung in diesem Fall allen Gesellschaftern zugehen; der BGH689 hat es allerdings ausreichen lassen, wenn die Kündigung einem Gesellschafter übergeben worden war, und zwar selbst dann, wenn dieser die anderen Gesellschafter nicht informierte. Nach den Regeln über die Passivvertretung der Gesellschaft (§ 35 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 1) genügt indessen auch die Abgabe der Willenserklärung gegenüber einem Mitgeschäftsführer, und zwar auch dann, wenn die Geschäftsführer nur gemeinschaftlich vertretungsbefugt sind690.
682 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, NJW 1991, 1680, 1681 = GmbHR 1991, 363; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373; BGH v. 8.9.1997 – II ZR 165/96, NZG 1998, 67 = GmbHR 1997, 1062; BGH v. 8.12.1997 – II ZR 236/96, NZG 1998, 226 = GmbHR 1998, 178; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 254 f.; Zöllner/Noack in Baumbach/ Hueck, § 46 Rz. 36; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 46 Rz. 23; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 84, 86; Baums, ZGR 1993, 141, 151; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64; Goette, DStR 1998, 1137, 1139 f.; Seibt, NJW-Spezial 2004, 123. 683 BGH v. 13.5.1968 – II ZR 103/66, WM 1968, 1328, 1328 f.; zur stillschweigenden Beauftragung zur Ausführung des Beschlusses OLG Köln v. 21.2.1990 – 13 U 195/89, GmbHR 1991, 156, 157; s. auch zum vollmachtlosen Gesellschafter BGH v. 9.10.1989 – II ZR 16/89, GmbHR 1990, 33, 34; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 62; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 46 Rz. 103; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 6. 684 OLG Frankfurt v. 28.4.1981 – 20 W 795/80, NJW 1982, 2388, 2389; Mertens, AG 1981, 216, 217; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; a.A. Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 66 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 6. 685 Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Aufl. 2014, D. Rz. 125. 686 Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 9. Aufl. 2014, D. Rz. 126. 687 Für Amtsniederlegung so OLG Düsseldorf v. 3.6.2005 – 3 Wx 118/05, NZA-RR 2005, 1199. 688 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 98 m.w.N.; Gach/Pfüller, GmbHR 1998, 64, 68. 689 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 378/99, GmbHR 2002, 26, 27. 690 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 166; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 98; insoweit abweichend für die Amtsniederlegung auch Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, 12. Aufl., § 38 Rz. 91.
96 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 334 § 35
Wird der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers der Tochtergesellschaft mit dem herr- 331 schenden Unternehmen abgeschlossen, so ist dessen Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan zuständig, also im Falle einer GmbH deren Geschäftsführer. Das gilt auch, wenn der Anstellungsvertrag zwar mit der Tochtergesellschaft abgeschlossen, die Muttergesellschaft aber alleinige Gesellschafterin ist691. Einer Mitwirkung der Gesellschafterversammlung der herrschenden GmbH bedarf es nur, wenn der Betreffende zugleich Geschäftsführer der Obergesellschaft ist und ein einheitlicher Anstellungsvertrag abgeschlossen wird692. bb) Vorwirkende und nachwirkende Zuständigkeit und Vertretung Die Gesellschafter sind auch zuständig und vertreten die Gesellschaft, wenn der Anstellungs- 332 vertrag schon vor der Bestellung abgeschlossen („vorwirkende Zuständigkeit“) oder nach der Abberufung oder Amtsniederlegung geändert, gekündigt oder aufgehoben wird („nachwirkende Zuständigkeit“). Ein enger zeitlicher Zusammenhang mit der Bestellung, Abberufung oder Amtsniederlegung muss nicht bestehen693. Die Rechtsprechung verlangt aber einen sachlichen Zusammenhang („Zuständigkeitskontinuität“). Daran soll es fehlen, wenn es um den Abschluss eines nicht mit der Organstellung zusammenhängenden Dienst- oder Arbeitsverhältnisses geht694. Nicht der „sachliche Zusammenhang“ mit der Anstellung, sondern der Zusammenhang mit der bisherigen Organstellung ist indessen maßgebend für die Zuständigkeitsverlagerung; denn diese erfolgt bei der Anstellung nicht nur wegen der Verknüpfung mit der Bestellung, sondern auch wegen der Zweifel, ob die Mitgeschäftsführer die Interessen der Gesellschaft angemessen wahrnähmen. Die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung sollte daher auf alle Konstellationen erstreckt werden, bei denen ein solcher Interessenkonflikt angesichts des noch bestehenden zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs mit der Bestellung nicht ausgeschlossen werden kann. Zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen ausgeschiedene Geschäftsführer und die Vertretung der Gesellschaft im Prozess gegen diese s. § 46 Nr. 8 (vgl. hierzu 12. Aufl., § 46 Rz. 141 und 163). cc) Abweichende Regelung in der Satzung Die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung ist nicht zwingend. Die Satzung kann viel- 333 mehr die Zuständigkeit zum Abschluss, zur Änderung und Kündigung des Anstellungsvertrages auf ein anderes Gremium, z.B. einen fakultativen Aufsichtsrat oder Beirat, übertragen695. b) Zuständigkeit in der mitbestimmten GmbH Für die dem MitbestG unterfallenden GmbHs regelt § 31 Abs. 1 und 2 MitbestG, dass der 334 Aufsichtsrat für die Bestellung der Geschäftsführer und für den Widerruf der Bestellung zuständig ist. Nach ganz h.M. gilt dies im Sinne einer Annexkompetenz auch für den Abschluss, die Änderung und die Beendigung des Anstellungsvertrages, da der Aufsichtsrat nur auf dieser Grundlage die ihm nach dem MitbestG zukommende Rolle sinnvoll ausüben kann696. Die früher vereinzelt vertretene Auffassung, wonach es auch in der mitbestimmten BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373. Uwe H. Schneider, GmbHR 1993, 10, 15. Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 46 Rz. 38. BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373. BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, NJW 1999, 3263, 3264 = GmbHR 1999, 1140; BGH v. 26.11.2007 – II ZR 161/06, NJW-RR 2008, 484 = GmbHR 2008, 144; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 62; Harbarth, BB 2015, 707. 696 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, NJW 1984, 733, 734 = GmbHR 1984, 151; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 38 f.; Schubert in Wiß-
691 692 693 694 695
Hohenstatt | 97
§ 35 Rz. 334 | Das Anstellungsverhältnis GmbH möglich sein soll, durch die Satzung oder durch Gesellschafterbeschluss die Zuständigkeit für den Anstellungsvertrag auf ein anderes Organ zu übertragen697, wird heute einhellig als nicht mit Sinn und Zweck des § 31 MitbestG vereinbar angesehen. Allerdings wird man es als zulässig ansehen können, wenn durch Satzung oder Gesellschafterbeschluss Richtlinien über die Anstellungsbedingungen (z.B. Vergütungsstruktur oder Laufzeiten) erlassen werden, sofern hierdurch das Auswahl- und Widerrufsrecht des Aufsichtsrates nicht unangemessen eingeschränkt wird698. Insbesondere müssen die Richtlinien von der Person des konkreten Amtsinhabers oder Kandidaten unabhängig sein. 335 Der sog. Plenarvorbehalt gemäß § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG gilt über § 25 Abs. 1 Nr. 2 Mit-
bestG auch für die Festlegung der Vergütung des Geschäftsführers in der dem MitbestG unterfallenden GmbH. Zwar finden die gesetzlichen Vorgaben des § 87 AktG für die Vergütung, auf die § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG verweist, bei der GmbH keine Anwendung. Die h.M. entnimmt § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG, der im Zuge des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) neu geregelt wurde, indessen die Zielrichtung größerer Transparenz der Vergütungsentscheidungen des Aufsichtsrates, weshalb der Plenarvorbehalt unabhängig davon, ob § 87 AktG direkt oder sinngemäß anzuwenden sind, auch für die mitbestimmte GmbH gelten soll699. 336 Liegt die GmbH im Anwendungsbereich des MontanMitbestG, so liegt die Zuständigkeit so-
wohl für die Bestellung als auch für den Abschluss des Anstellungsvertrages und für dessen Änderung beim Aufsichtsrat700. 337 Fällt die GmbH unter den Anwendungsbereich des DrittelbG, fehlt es an einer § 31 Mit-
bestG vergleichbaren Bestimmung, so dass die Gesellschafterversammlung gemäß § 46 Nr. 5 für den Anstellungsvertrag zuständig ist701.
4. Form 338 Der Anstellungsvertrag kann formfrei abgeschlossen werden702. Er kann daher auch kon-
kludent zustande kommen oder geändert werden703. Insbesondere findet das Nachweisgesetz
697 698 699
700 701 702 703
mann/Kleinsorge/Schubert, 5. Aufl. 2017, § 35 Rz. 91; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, 6. Aufl. 2015, § 31 MitbestG Rz. 24 f.; Oetker in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 31 MitbestG Rz. 10; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 31 MitbestG Rz. 12; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 257. Hoffmann/Neumann, GmbHR 1976, 185; W. Werner in FS R. Fischer, 1979, S. 821 ff. Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, 6. Aufl. 2015, § 31 MitbestG Rz. 25; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 40a; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 31 MitbestG Rz. 12. Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1126; Fleischer, NZG 2009, 801, 804; Thüsing, AG 2009, 517, 524; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 258; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 31 MitbestG Rz. 12; Oetker in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 31 MitbestG Rz. 10; Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 962 f.; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 127 f.; zweifelnd Hoffmann-Becking/Krieger, NZG Beilage 26/2009, 1, 10; a.A. Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 9 f. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 340; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18. So auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260. BGH v. 27.1.1997 – II ZR 213/95, GmbHR 1997, 547, 548; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 55; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 261. BGH v. 20.12.1993 – II ZR 217/92, NJW-RR 1994, 357, 358 = GmbHR 1994, 112 (Ruhegehaltszusage); BGH v. 27.1.1997 – II ZR 213/95, NJW-RR 1997, 669, 670 = GmbHR 1997, 547 und BGH v. 12.5.1997 – II ZR 50/96, NJW 1997, 2319, 2320 = GmbHR 1997, 645.
98 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 341 § 35
keine Anwendung, sofern der Geschäftsführer nicht ausnahmsweise Arbeitnehmer ist704. Aus Gründen der Beweissicherung und zur Vermeidung von Streitigkeiten ist der Abschluss eines schriftlichen Anstellungsvertrages indessen dringend zu empfehlen. Bei vertraglicher Vereinbarung eines Schiftform-Erfordernisses705 für etwaige Änderungen oder Ergänzungen des Vertrages ist zu beachten, dass der Anstellungsvertrag des Fremdgeschäftsführers nach neuerer Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der AGB-Kontrolle unterliegt (s. Rz. 340 ff.). Sogenannte einfache Schriftformklauseln sind zwar wirksam, gehen jedoch letztlich ins Leere, da vertragsändernde oder -ergänzende Abreden in der Regel als konkludente Aufhebung des Schriftformerfordernisses angesehen werden706. Mündliche Einzelabreden haben gemäß § 305b BGB Vorrang vor allgemeinen Geschäftsbedingungen. Sog. doppelte Schriftformklauseln halten einer AGB-Kontrolle nur dann Stand, wenn sie einen Vorrang für individuell ausgehandelte Abreden vorsehen707. Übernimmt der Geschäftsführer zugleich einen Geschäftsanteil, so ist die Form der §§ 15, 48 339 Abs. 3 einzuhalten. Für den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer verlangt der BFH eine klare und von vornherein abgeschlossene Vereinbarung, die auch durchgeführt wird, weil andernfalls eine verdeckte Gewinnausschüttung angenommen werden könne708.
5. AGB-Kontrolle Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt jedenfalls der Fremdgeschäfts- 340 führer bei Abschluss eines Anstellungsvertrages als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB, so dass die Regelungen des Anstellungsvertrages gemäß § 310 Abs. 3 BGB der AGB-Kontrolle unterliegen709. Dasselbe gilt für den Gesellschafter-Geschäftsführer, soweit er nicht zumindest über eine Sperrminorität verfügt und Leitungsmacht über die Gesellschaft ausüben kann710. Das Bundesarbeitsgericht hat sogar offen gelassen, ob dies auch für Geschäftsführer gilt, die als Gesellschafter über eine Sperrminorität verfügen; mangels Schutzbedürftigkeit ist dies indessen abzulehnen711. Die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB greift für den Anstellungsvertrag des Geschäftsführers nach ganz herrschender Meinung nicht, da hierunter nur die unmittelbar mitgliedschaftlich geprägten Vertragstypen fallen, nicht hingegen solche, bei denen es sich um schuldrechtliche Austauschverhältnisse handelt712. Die hat zur Folge, dass gemäß § 310 Abs. 3 BGB auch solche Klauseln der AGB-Kontrolle 341 unterliegen, welche nur zur einmaligen Verwendung bestimmt sind. Eine AGB-Kontrolle findet gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB nur dann nicht statt, wenn der Verbraucher auf ihren Inhalt Einfluss nehmen konnte. Eine Möglichkeit der Einflussnahme besteht dann, wenn der Verwender den gesetzesfremden Kerngehalt seiner allgemeinen Geschäftsbedingungen ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verwendungsgegner Gestaltungsfreiheit zur Wah-
704 Vgl. Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 NachwG Rz. 5; wie hier Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, Rz. 97. 705 Zur Schriftformklausel: BFH v. 24.7.1996 – I R 115/95, DStR 1997, 66, 67; Schuhmann, GmbHR 1993, 79. 706 BAG v. 24.6.2003 – 9 AZR 302/02, NZA 2003, 1145, 1147. 707 BAG v. 20.5.2008 – 9 AZR 382/07, NJW 2009, 316, 319; zur Übertragung dieser Rechtsprechung auf Fremdgeschäftsführer Frank, GWR 2010, 411. 708 BFH v. 17.9.1992 – I R 89-98/91, GmbHR 1993, 45, 46 und BFH v. 31.5.1995 – I R 64/94, GmbHR 1996, 60, 61; kritisch Tiedtke, DStR 1993, 933, 937; Neumann, GmbHR 1996, 740, 743; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 262; Lenz in Michalski u.a., Rz. 127. 709 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 = GmbHR 2010, 1142. 710 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 = GmbHR 2010, 1142. 711 Zustimmend Boemke, RdA 2018, 1, 12. 712 Basedow in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 310 BGB Rz. 86, 89.
Hohenstatt | 99
§ 35 Rz. 341 | Das Anstellungsverhältnis rung seiner Interessen einräumt713. Bleibt es dennoch bei dem vorformulierten Vertragstext, kann der Vertrag als Ergebnis des Aushandelns gewertet werden, wenn der Verwender sich deutlich und ernsthaft zu gewünschten Änderungen bereiterklärt hat und dies dem Verwendungsgegner bei Vertragsschluss bewusst war714. 342 Bei der Frage nach den Kontrollmaßstäben kann die Rechtsprechung des Bundesarbeitsge-
richts zur AGB-Kontrolle von Arbeitsverträgen herangezogen werden715. Zu erwägen ist im Rahmen dessen eine analoge Anwendung von § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB. Diese Vorschrift schützt den Arbeitgeber vor einer uneingeschränkten Anwendung des AGB-Rechts auf Arbeitsverträge716. Ein solches Korrektiv ist auch in Bezug auf Geschäftsführer-Anstellungsverträge erforderlich. Angesichts der ähnlichen Regelungsgegenstände würde es zu erheblichen Wertungswidersprüchen führen, wenn die Maßstäbe für die Inhaltskontrolle von Geschäftsführer-Anstellungsverträgen und Arbeitsverträgen auseinanderfielen717. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Geschäftsführer gerade kein Arbeitnehmer ist: Weder die stärkere soziale Unabhängigkeit des Geschäftsführers noch die Wahrnehmung von Arbeitgeberfunktionen ändern etwas daran, dass der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag nicht dem Leitbild der den AGB-Vorschriften zugrundeliegenden Bedarfsdeckungsverträgen entspricht718.
6. Bedeutung des AGG für den Geschäftsführer-Anstellungsvertrag a) Persönlicher Anwendungsbereich 343 Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt seit dem 14.8.2006719. Gemäß § 6 Abs. 3
AGG gilt das Benachteiligungsverbot im Hinblick auf die in § 1 AGG genannten Kriterien für Geschäftsführer entsprechend, soweit Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie der berufliche Aufstieg betroffen sind. Aufgrund von Sinn und Zweck des § 6 Abs. 3 AGG gilt das Benachteiligungsverbot nicht nur in Bezug auf den Abschluss des Anstellungsvertrages, sondern auch bezüglich der Berufung zum Geschäftsführer; ohne Bestellung zum Geschäftsführer kann der Anstellungsvertrag nicht durchgeführt werden720. In europarechtskonformer Auslegung ist das AGG umfassend auf Geschäftsführer anwendbar, die Arbeitnehmer i.S.v. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AGG sind721. Dies ergibt sich aus der Danosa-Entscheidung des EuGH vom 11.11.2010722. Auf Fremdgeschäftsführer und Gesellschafter-Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss ist das AGG folglich umfassend anwendbar723.
BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 = GmbHR 2010, 1142. BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, NJW 2010, 2827, 2829 = GmbHR 2010, 1142. So auch Frank, GWR 2010, 411. Stagat, NZA-RR 2011, 617, 621. Khanian, GmbHR 2011, 116, 121. Khanian, GmbHR 2011, 116, 120. BGBl. I 2006, 1897. BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 778 = GmbHR 2012, 845, 847. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1989 f.; Junker, NZA 2011, 950, 951; Reufels/Molle, NZA-RR 2011, 281, 282 f.; Stagat, NZA-RR 2011, 617, 622; Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 192 f.; Paefgen, ZIP 2012, 1296, 1297; analoge Anwendung des gesamten AGG Reichold/Heinrich in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1315, 1329 f.; a.A. Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 995 f. 722 EuGH v. 11.11.2010 – C-232/09, ECLI:EU:C:2010:674, NJW 2011, 2343 = AG 2011, 165. 723 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1989 f.; Commandeur/Kleinebrink, NZA-RR 2017, 449, 461; Nolting, EWiR 2017, 619, 620; Stagat, NZA-RR 2011, 617, 622; Paefgen, ZIP 2012, 1296, 1297; nach Annuß in FS Willemsen, 2018, S. 11 ist das Merkmal der Weisungsgebundenheit nicht prägend für den Arbeitnehmerbegriff des AGG und der zugrundeliegenden Richtlinie, weshalb das Gesetz auch auf Vorstände einer AG (und folglich auch auf Gesellschafter-Geschäftsführer) anwendbar sei.
713 714 715 716 717 718 719 720 721
100 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 346 § 35
b) Sachlicher Anwendungsbereich aa) § 6 Abs. 3 AGG Sachlich ist das AGG für Geschäftsführer schon nach § 6 Abs. 3 AGG anzuwenden auf 344 – den Abschluss von Anstellungsverträgen, – die Nichtverlängerung von Anstellungsverträgen, soweit eine Neubesetzung des Postens erfolgen soll, – die Entscheidung, ob ein befristeter oder ein unbefristeter Vertrag angeboten wird, – die Entscheidung über die Dauer einer Befristung, – Vereinbarung der automatischen Beendigung wegen Erwerbsunfähigkeit und – die Entscheidung über die Bestellung. Der Abschluss eines Anstellungsvertrages und ebenso die Nichtverlängerung von Anstellungs- 345 verträgen, soweit eine Neubesetzung des Postens erfolgen soll, betreffen den „Zugang zur Erwerbstätigkeit“724. Das Ob und die Dauer der Befristung zählen zu den „Einstellungsbedingungen“, weil sie bereits bei Abschluss des Anstellungsvertrages geregelt werden und deshalb den Zugang zur Beschäftigung betreffen725. Vereinbarungen über die automatische Beendigung wegen Erwerbsunfähigkeit werden ebenfalls im Zeitpunkt des Vertragsschlusses getroffen und sind deshalb „Einstellungsbedingungen“. Nach dem unionsrechtlichen Verständnis von „Behinderung“ i.S.d. AGG ist der Begriff nämlich nicht auf Schwerbehinderte gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX beschränkt. Vielmehr wird die „Erwerbsunfähigkeit“ regelmäßig als „Behinderung“ i.S.d. AGG zu sehen sein. Unberührt bleibt hingegen das Recht der Gesellschaft, den Anstellungsvertrag zu kündigen, weil das Organmitglied seinen vertraglichen Pflichten nicht mehr nachkommen kann726. Die Bestellung fällt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs unter das Merkmal des „Zugangs zur Beschäftigung“727. In der Literatur wurde dies in der Vergangenheit mit Verweis auf die Trennung von Anstellungs- und Organverhältnis anders gesehen728. Der Bundesgerichtshof begründet seine Ansicht damit, dass der Anstellungsvertrag ohne Bestellung nicht durchgeführt werden kann und der Zahlungsanspruch gemäß § 615 BGB die in der Nichtbestellung liegende Diskriminierung nicht in vollem Umfang ausgleichen kann729. Soweit das AGG auf Geschäftsführer anwendbar ist, gilt für sie der gleiche Diskriminierungs- 346 schutz wie für andere Personengruppen, weil für eine gespaltene Auslegung keine Anhaltspunkte vorliegen730. Aus der lediglich „entsprechenden“ Anwendung gemäß § 6 Abs. 3 AGG lässt sich keine Absenkung des Schutzniveaus ableiten731.
724 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1990; hierzu auch Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 344 ff.; Boemke, RdA 2018, 1, 9; zur Nichtverlängerung: Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 603; Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 999; vgl. auch BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, GmbHR 2012, 845 = ZIP 2012, 1291 Rz. 20; zum Abschluss des Anstellungsvertrages: BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, GmbHR 2012, 845 = ZIP 2012, 1291 Rz. 19. 725 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1992. 726 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1992; vgl. Bahnsen, NJW 2008, 407, 409 f. 727 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 778 = GmbHR 2012, 845, 847; ablehnend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 25. 728 Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 997 f.; Rupp in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 2 AGG Rz. 5; wie der BGH bereits Masel in FS Canaris, 2007, S. 809, 815 f.; Lutter, BB 2007, 725, 726; Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 328. 729 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 778 = GmbHR 2012, 845, 846. 730 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 778 = GmbHR 2012, 845, 847; im Anschluss an den BGH Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1994. 731 A.A. Thüsing/Stiebert, NZG 2011, 641, 644; Bauer/Arnold, ZIP 2008, 933, 996.
Hohenstatt | 101
§ 35 Rz. 347 | Das Anstellungsverhältnis bb) § 6 Abs. 1 AGG 347 Zudem muss das AGG aufgrund seiner umfassenden Geltung für Fremdgeschäftsführer732
und Gesellschafter-Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss gemäß § 6 Abs. 1 AGG auch gelten für – Beschäftigungs- und Anstellungsbedingungen, – Entlassungsentscheidungen und Kündigungen, da § 2 Abs. 4 AGG, der Kündigungen vom Anwendungsbereich des AGG ausnimmt, nicht auf Organmitglieder zugeschnitten und daher nicht auf diese anzuwenden ist733, und – den Widerruf der Bestellung. c) Benachteiligung und Rechtfertigung 348 Benachteiligungen aufgrund eines der in § 1 AGG genannten Kriterien sind grundsätzlich
gemäß § 7 AGG verboten, können jedoch zulässig sein, wenn damit zulässige Ziele i.S.v. §§ 8–10 AGG verfolgt werden. Die Benachteiligung muss nicht ausschließlich auf einem in § 1 AGG genannten Grund beruhen, sondern ist auch schon dann verboten, wenn ein in § 1 AGG genannter Grund Teil eines Motivbündels ist, das zur negativen Entscheidung geführt hat734. aa) Positive Maßnahmen, § 5 AGG 349 Nach § 5 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung zulässig, wenn durch geeignete und an-
gemessene Maßnahmen bestehende Nachteile verhindert oder ausgeglichen werden sollen. In der Praxis kann dies vor allem in Bezug auf weibliche Organmitglieder relevant werden, da – je nach Branche – nur zwischen 9,3 % und 38 % der Führungspositionen von Frauen besetzt sind735. Auf der Ebene der Vorstände ist ein noch wesentlich geringerer Frauenanteil zu verzeichnen736. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofs setzt eine Regelung zur Bevorzugung weiblicher Bewerber bei gleicher Eignung voraus, dass gleich qualifizierten männlichen Bewerbern im Einzelfall garantiert ist, dass ihre Bewerbungen Gegenstand einer objektiven Beurteilung sind, bei der alle die Person des Bewerbers betreffenden Kriterien berücksichtigt werden737.
732 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1990; Kort, WM 2013, 1049, 1057; Zange, AuA 2013, 440; kritisch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 25 und § 38 Rz. 144; Mohr, ZHR 172 (2014), 326, 340 f. 733 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1991; im Ergebnis auch Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 194; für eine generelle Nichtanwendung von § 2 Abs. 4 AGG aufgrund von dessen Richtlinienwidrigkeit Sagan, NZA 2006, 1257, 1259. 734 BVerfG v. 16.11.1993 – 1 BvR 258/86, NJW 1994, 647, 648; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 7 AGG Rz. 5. 735 S. das Zahlenmaterial unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/575509/umfrage/frauenan teil-in-fuehrungspositionen-in-deutschland-nach-branchen/. Der Wert von 9,3 % bezieht sich auf die Maschinenbaubranche. Im Gesundheitswesen beträgt der Frauenanteil in Führungspositionen 38 %. 736 Der Frauenanteil in den Vorständen der 200 größten deutschen Unternehmen betrug 2018 9 %. S. hierzu die Statistik des DIW unter https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c. 611733.de/19-3.pdf. 737 EuGH v. 11.11.1997 – Rs. C-409/95, ECLI:EU:C:1997:533, Slg. I 1997, 6363 – Hellmut Marschall/ Land Nordrhein-Westfalen.
102 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 353 § 35
bb) Ungleichbehandlung wegen beruflicher Anforderungen, § 8 AGG Ungleichbehandlungen können gemäß § 8 AGG wegen beruflicher Anforderungen gerecht- 350 fertigt sein. Für Organmitglieder kommt eine Rechtfertigung gemäß § 8 AGG nur ausnahmsweise in Betracht, etwa im Falle der Besetzung der Geschäftsführerposition eines Frauenverbands mit einer Frau738. cc) Ungleichbehandlung wegen des Alters Eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ist gemäß § 10 Satz 1 AGG zulässig, 351 wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Als legitime Ziele kommen Interessen der Allgemeinheit wie Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung in Betracht739. Ob darüber hinaus auch (ausschließlich) betriebsund unternehmensbezogene Interessen als Rechtfertigungsgründe in Betracht kommen, ist umstritten740. Der Bundesgerichtshof und das Bundesarbeitsgericht haben sich für die Berücksichtigung solcher Ziele ausgesprochen741. Sie beziehen sich dabei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs im Fall Age Concern England742. Für die Berücksichtigung solcher Interessen spricht, dass die Richtlinie 2000/78/EG, die dem AGG zugrunde liegt, die vorgenannten Rechtfertigungsmöglichkeiten in Art. 6 Abs. 1 nur „insbesondere“ und daher nicht abschließend als legitime Ziele zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ansieht743. Allerdings sprechen sowohl die Rechsprechung des Europäischen Gerichtshofs als auch die Richtlinie 2000/78/EG dagegen, ausschließlich unternehmensbezogene Interessen als Rechtfertigungsgründe heranzuziehen. So können nationale Rechtsvorschriften Arbeitgebern nach der Rechtsprechung des Europä- 352 ischen Gerichtshofs im Fall Age Concern England bei der Verfolgung der legitimen Ziele „einen gewissen Grad an Flexibilität“ einräumen. Von einer Rechtfertigung durch unternehmens- oder sozialpolitische Zwecke ist hingegen nicht die Rede. Vielmehr betont der Europäische Gerichtshof, dass die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG genannten Rechtfertigungsgründe solche sind, die im Allgemeininteresse stehen und keine individuellen Beweggründe darstellen, die der Situation des Arbeitgebers eigen sind744. Daraus wird man wohl ableiten müssen, dass es europarechtlichen Anforderungen nicht genügt, wenn im Rahmen der Generalklausel des § 10 Satz 1 und 2 AGG allein Individualinteressen verfolgt werden; es müssen zumindest auch sozialpolitische Interessen verfolgt werden745. Das Erfordernis eines bestimmten Mindestalters der Person des Geschäftsführers kann ge- 353 mäß § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG gerechtfertigt sein. Da für Führungsaufgaben und für die damit
738 ArbG München v. 14.2.2001 – 38 Ca 8663/00, NZA-RR 2001, 365 f. 739 EuGH v. 5.3.2009 – C-388/07, ECLI:EU:C:2009:128, NZA 2009, 305, 307 – Age Concern England; EuGH v. 13.9.2011 – C-447/09, ECLI:EU:C:2011:573, NZA 2011, 1039 = ZIP 2011, 1882 – Prigge; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 2. 740 Hierfür BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945, 949; BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 781 = GmbHR 2012, 845, 849; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 16; dagegen Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 2. 741 BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945, 949; BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 781 = GmbHR 2012, 845, 849. 742 EuGH v. 5.3.2009 – C-388/07, ECLI:EU:C:2009:128, NZA 2009, 305 ff. – Age Concern England. 743 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 1. 744 EuGH v. 5.3.2009 – C-388/07, ECLI:EU:C:2009:128, NZA 2009, 305, 308 – Age Concern England; so auch Thüsing in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 10 AGG Rz. 11. 745 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 2.
Hohenstatt | 103
§ 35 Rz. 353 | Das Anstellungsverhältnis verbundene Verantwortung eine gewisse Erfahrung erforderlich ist, ist ein angemessenes Mindestalter regelmäßig zulässig746. 354 Für die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung kommt eine Rechtfertigung nach
§ 10 Satz 3 Nr. 3 AGG in Betracht. Aus Gründen der Kontinuität besteht regelmäßig ein Interesse der Gesellschaft daran, Organmitglieder mindestens für eine gewisse Dauer zu beschäftigen. Angemessen erscheint eine mögliche Beschäftigung für mindestens drei Jahre. Würde das Organmitglied eine (rechtlich zulässige) Altersgrenze im Unternehmen schon vor Ablauf dieser Zeit erreichen und könnte in den Ruhestand eintreten, so muss die Gesellschaft diesen Gesichtspunkt berücksichtigen und den Bewerber ggf. aus diesem Grund ablehnen dürfen747. Eine Rechtfertigung kommt unter diesen Gesichtspunkten im Falle einer Nichtverlängerung des Geschäftsführer-Anstellungsvertrages allerdings nicht in Betracht, weil die Geschäftsführungskontinuität nicht berührt wird, wenn der Bewerber schon zuvor Geschäftsführer der GmbH war748. 355 Fraglich ist, ob die Vereinbarung der Beendigung des Geschäftsführer-Dienstvertrages bei Er-
reichen eines bestimmten Lebensalters (Altersgrenze) zulässig ist. Eine Rechtfertigung nach § 10 Satz 1 AGG wird regelmäßig schwerfallen. Zwar kommt als legitimes Ziel die Sicherung der effektiven Geschäftsführung in Betracht, jedoch kann diese regelmäßig durch mildere Mittel, bspw. Gesundheitschecks, gesichert werden749. Regelaltersgrenzen können allerdings gemäß § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG gerechtfertigt sein. Die europarechtliche Zulässigkeit von § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG wurde sowohl vom Europäischen Gerichtshof750 als auch vom Bundesarbeitsgericht751 bestätigt. Wird eine Beendigung mit Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze vereinbart, so ist dies gemäß § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG gerechtfertigt752. 356 In Betracht kommt darüber hinaus, dass die Ablehnung einer Vertragsverlängerung durch
§ 10 Satz 3 Nr. 5 AGG gerechtfertigt ist, wenn das Erreichen der Regelaltersgrenze kurz bevorsteht. Im Fall der Vorbeschäftigung greift § 10 Satz 3 Nr. 3 AGG nicht (s. Rz. 354). Dennoch kann eine sehr kurze Anstellung die Leitung der Gesellschaft beeinträchtigen. Es spricht daher vieles dafür, dass kein Verstoß gegen das AGG vorliegt, wenn eine Wiederanstellung in Fällen unterbleibt, in denen die betroffene Person die Regelaltersgrenze in weniger als einem Jahr nach Wiederanstellung erreichen würde753. 357 In der Praxis scheiden Organmitglieder häufig jedoch schon vor Erreichen der Regelalters-
grenze aus den Diensten der Gesellschaft aus, weil zum Teil niedrigere Altersgrenzen festgelegt werden. Allein mit der besonderen Funktion und Bedeutung der Organstellung lässt sich eine solche Altersgrenze nicht rechtfertigen754: In der Prigge-Entscheidung hat sich der
746 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 264a; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 10 AGG Rz. 7. 747 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1994 mit Bezug auf BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 781 = GmbHR 2012, 845, 849. 748 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 781 = GmbHR 2012, 845, 849. 749 Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, Rz. 100. 750 EuGH v. 12.10.2010 – C-45/09, ECLI:EU:C:2010:601, NZA 2010, 1167 – Rosenbladt. 751 BAG v. 21.9.2011 – 7 AZR 134/10, NZA 2012, 271, 273. 752 LAG Hamm v. 19.6.2019 – 8 U 18/17, NZG 2017, 1065, 1067 = GmbHR 2017, 1037; Hohenstatt/ Naber, ZIP 2012, 1989, 1994. 753 Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1994 f. 754 Für eine Rechtfertigung durch Funktion und Bedeutung der Organstellung LAG Hamm v. 19.6.2019 – 8 U 18/17, GmbHR 2017, 1037 = NZG 2017, 1065 mit Verweis auf Bauer/Arnold, ZIP 2012, 597, 600 und Mohr, ZHR 178 (2014), 326, 365 f.; problematisch auch die Annahme einer in der Regel gegebenen Rechtfertigung der Altersgrenze 58 (so Lutter, BB 2007, 725, 729) bzw. Altersgrenze 60 (Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 Rz. 35).
104 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 359 § 35
Europäische Gerichtshof sehr zurückhaltend gezeigt, was die Zulässigkeit von Altersgrenzen angeht755. Lediglich Ziele aus den Bereichen „Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder berufliche Bildung“ kommen für eine Rechtfertigung in Betracht756. Der Europäische Gerichtshof hat darauf abgestellt, dass nationale und internationale Vorgaben eine Altersgrenze von 65 Jahren vorsehen. Für Organmitglieder gibt es keine solche Altersgrenze und es ist auch nicht ersichtlich, weshalb Organmitglieder typischerweise vor Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze nicht mehr in der Lage sein sollten, ihre Aufgaben zu erfüllen. Ob die Nachfolgeförderung eine Altersgrenze unterhalb der Regelaltersgrenze erfordert, ist ebenfalls fraglich. Nachwuchsförderung kann auch durch Bestellung von jungen Führungskräften zum Mit-Geschäftsführer oder Stellvertreter erreicht werden, so dass eine Einarbeitung durch erfahrene Kräfte möglich ist757. Anders kann die Beurteilung hingegen ausfallen, wenn die Altersgrenzen mit einem System 358 der betrieblichen Altersvorsorge kombiniert werden. Für Organmitglieder ist eine betriebliche Altersvorsorge häufig bereits deutlich vor der Regelaltersgrenze vorgesehen. Vor diesem Hintergrund kommt eine Rechtfertigung einer Befristung nach § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG oder jedenfalls gemäß § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG in Betracht, wenn sie auf ein Lebensalter erfolgt, zu dem das ausscheidende Organmitglied eine auskömmliche oder jedenfalls nicht ganz geringfügige betriebliche Altersversorgung in Anspruch nehmen kann758. Dies kann jedoch nicht grenzenlos gelten. Eine betriebliche Altersversorgung wird nach bisheriger steuerrechtlicher Betrachtung regelmäßig erst angenommen, wenn die Leistungen frühestens mit Vollendung des 60. Lebensjahres einsetzen. Wegen der Erhöhung des Rentenalters geht die Finanzverwaltung inzwischen von einer Grenze ab 62 Lebensjahren aus759. Von daher ließe sich bei Organmitgliedern mit einer korrespondierenden Altersversorgung eine Altersgrenze ab einem Alter von 62 Jahren rechtfertigen760. Eine solche Altersgrenze ist auch mit den europarechtlichen Vorgaben vereinbar: Die betriebliche Altersversorgung für Organmitglieder ist oftmals deutlich werthaltiger als die gesetzliche Rente. Somit hat sie für das einzelne Organmitglied weitaus größere Bedeutung als die gesetzlich Rente, bei deren Erreichen ein vertragsmäßiges Ausscheiden gerechtfertigt wäre761. Eine Altersgrenze kann, wie die gesetzlichen Regelaltersgrenzen, in der Gesellschaft einen Mechanismus zum Ausgleich zwischen sozialen, demographischen und wirtschaftlichen Erwägungen schaffen und eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen sicherstellen762. d) Rechtsfolgen Bei Verstoß gegen ein Benachteiligungsverbot steht dem benachteiligten Organmitglied oder 359 dem Bewerber um die Organposition ein Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 AGG sowie eine verschuldensunabhängig763 zu zahlende angemessene Entschädigung für immaterielle Schäden nach § 15 Abs. 2 AGG zu. Ein Schadensersatzanspruch besteht nur, 755 756 757 758 759 760 761 762 763
EuGH v. 13.9.2011 – C-447/09, ECLI:EU:C:2011:573, NZA 2011, 1039 = ZIP 2011, 1882 – Prigge. EuGH v. 13.9.2011 – C-447/09, ECLI:EU:C:2011:573, NZA 2011, 1039, 1043. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1995; skeptisch auch Nolting, EWiR 2017, 619, 620. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1996; in diese Richtung auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 264d; skeptisch Kort, WM 2013, 1049, 1052 ff.; vgl. zum Ganzen auch Preis/ Sagan, ZGR 2013, 26, 69 ff. BMF-Schreiben v. 30.1.2008 – IV C8 – S2222/07/0003, Rz. 9, geändert 18.8.2008, BStBl. I 2008, 887. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1996; für die Zulässigkeit einer Altersgrenze von 60 Jahren OLG Hamm v. 19.6.2017 – 8 U 18/17, NZG 2017, 1065, 1067 = GmbHR 2017, 1037; hierzu kritisch Nolting, EWiR 2017, 619. Hohenstatt/Naber, ZIP 2012, 1989, 1996. EuGH v. 12.10.2010 – C-45/09, ECLI:EU:C:2010:601, NZA 2010, 1167, 1169 f. – Rosenbladt. BAG v. 22.1.2009 – 8 AZR 906/07, NZA 2009, 945, 951.
Hohenstatt | 105
§ 35 Rz. 359 | Das Anstellungsverhältnis wenn der Bewerber nachweist, dass es bei benachteiligungsfreier Auswahl zum Abschluss des Anstellungsvertrages gekommen wäre764. Wäre der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden, ist außerdem der Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG auf drei Monatsgehälter begrenzt. Im Übrigen sind Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, gemäß § 7 Abs 2 AGG unwirksam. Einen Anspruch auf Bestellung und/oder Abschluss eines Anstellungsvertrages gewährt das AGG nicht, § 15 Abs. 6 AGG. 360 Die Wirksamkeit des Widerrufs der Bestellung bleibt auch bei Verstößen gegen das AGG
unberührt: Im Rahmen von § 38 Abs. 1 besteht kein Raum für die Berücksichtigung der Wertungen des AGG. Die diskriminierende Kündigung ist hingegen unwirksam gemäß § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 134 BGB765 und/oder gemäß §§ 242, 138 BGB766. Dem steht auch nicht § 15 Abs. 6 AGG entgegen: Diese Vorschrift schließt nur einen Anspruch auf Abschluss eines Anstellungsvertrages aus. Beendigungen sind vom Wortlaut hingegen nicht erfasst. § 15 Abs. 6 AGG besagt daher nicht, dass sich aus einem Verstoß gegen Vorschriften des AGG ausschließlich Sekundäransprüche ergeben können767. Bliebe die Wirksamkeit der Kündigung unberührt, wäre das AGG im Hinblick auf Kündigungen von Geschäftsführer-Dienstverträgen praktisch wirkungslos. e) Anwendbarkeit von § 22 AGG 361 Gemäß § 22 AGG muss der Benachteiligte nur Indizien beweisen768, die eine Benachteiligung
aus einem in § 1 AGG genannten Grund vermuten lassen. Gelingt dies, so geht die Beweislast für das Nichtvorliegen einer verbotenen Benachteiligung auf die andere Seite über. § 22 AGG erleichtert mithin den Nachweis der Kausalität zwischen Benachteiligung und dem verpönten Merkmal769. § 22 AGG greift nicht in Bezug auf die Kausalität zwischen Benachteiligung und dem materiellen Schaden i.S.v. § 15 Abs. 1 AGG770. 362 Zwar erklärt § 6 Abs. 3 AGG nur die Vorschriften des zweiten Abschnitts für entsprechend
auf Geschäftsführer anwendbar, während § 22 AGG zum vierten Abschnitt des AGG gehört. Nach dem Schutzzweck von § 22 AGG muss dieser jedoch auch für die Fälle des § 6 Abs. 3 AGG Anwendung finden: Dem Kläger soll ein strenger Nachweis von Tatsachen, die in der Sphäre des Unternehmens liegen und ihm somit nicht zugänglich sind, erspart werden771. § 22 AGG soll damit sicherstellen, dass der Benachteiligte seine Ansprüche auch im Prozessweg durchsetzen kann772. Organmitglieder i.S.v. § 6 Abs. 3 AGG sind auf die Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast typischerweise in gleichem Maße angewiesen wie Beschäftigte i.S.v. § 6 Abs. 1 AGG. Anhaltspunkte für eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers
764 BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412, 1417; Thüsing in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 15 AGG Rz. 27; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 15 AGG Rz. 4. 765 Vgl. Sagan, NZA 2006, 1257, 1259; Diller/Krieger/Arnold, NZA 2006, 887, 889 f. 766 Hamacher/Ulrich, NZA 2007, 657, 658; Kamanabrou, RdA 2007, 199, 201; Linck in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 17. Aufl. 2017, § 129 Rz. 23. 767 Vgl. BAG v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, NZA 2010, 561, 562; Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 15 AGG Rz. 4; a.A. (für eine Ausweitung der Vorschrift) Thüsing in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 15 AGG Rz. 43. 768 Es genügt eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Indizien, zum Meinungsstand ausführlich und mit überzeugendem Ergebnis: ArbG Berlin v. 12.11.2007 – 86 Ca 4035/07, NZA 2008, 492, 494 f. 769 BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412, 1415. 770 BAG v. 19.8.2010 – 8 AZR 530/09, NZA 2010, 1412, 1417. 771 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 22 AGG Rz. 1. 772 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 779 = GmbHR 2012, 845.
106 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 364 § 35
gegen die Anwendbarkeit von § 22 AGG auf Organmitglieder liegen nicht vor. § 22 AGG findet daher entsprechende Anwendung auf Organmitglieder i.S.v. § 6 Abs. 3 AGG773.
7. Fehlerhafter Anstellungsvertrag Für Mängel des Anstellungsvertrages gelten bis zur Aufnahme der Tätigkeit durch den Ge- 363 schäftsführer uneingeschränkt die allgemeinen Regeln des BGB. Die Parteien können sich auf die Nichtigkeit des Anstellungsvertrages berufen. Allerdings ist der bislang wichtigste Fall der Nichtigkeit, nämlich der vorsätzliche Verstoß gegen § 30, nach Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung entfallen. Früher wurde in Anwendung von § 134 BGB die Nichtigkeit des Anstellungsvertrages angenommen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung geht seit 1997 davon aus, dass sich die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Kapitalerhaltungsgebot auch dann ausschließlich nach § 31 richten, wenn es den Beteiligten auf die Umgehung der Kapitalerhaltungsvorschriften ankommt774. Die Parteien können auch eine Erklärung wegen Irrtums, Drohung oder arglistiger Täuschung (§§ 119 ff. BGB) mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (§ 142 Abs. 1 BGB) anfechten. Ein Anfechtungsrecht kann der Gesellschaft insbesondere wegen Irrtums oder wegen arglistiger Täuschung (auch durch pflichtwidriges Verschweigen) über persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse des Geschäftsführers, z.B. mangelnde Fachkenntnisse, Unzuverlässigkeit, Vorstrafen u.Ä., zustehen. Nach Aufnahme der Tätigkeit können Mängel des Anstellungsvertrages grundsätzlich nur 364 mit Wirkung für die Zukunft geltend gemacht werden, da eine Rückwirkung wegen der mit dem Geschäftsführeramt verbundenen Pflichtenstellung nicht interessengemäß und die Rückabwicklung des Anstellungsverhältnisses nach Bereicherungsgrundsätzen im Allgemeinen nicht sachgerecht und häufig auch gar nicht möglich wäre775. Der Geschäftsführeranstellungsvertrag ist daher für die Dauer der Durchführung unter sinngemäßer Heranziehung der Grundsätze zum fehlerhaften Arbeitsverhältnis als wirksam zu behandeln776. Wurde die Gesellschaft bei Abschluss des Anstellungsvertrages durch ein hierfür nicht zuständiges Organ vertreten, ist der Geschäftsführer für eine bestimmte Zeit tätig gewesen und wurde die fehlende Zuständigkeit nicht gerügt, so kann es treuwidrig sein, wenn sich die Gesellschaft noch auf die fehlende Vertretungsbefugnis beruft; insofern ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen777. Ansonsten erfolgt die Beendigung des fehlerhaften Anstellungsverhältnis773 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, NZG 2012, 777, 779 = GmbHR 2012, 845; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 266; Reufels/Molle, NZA-RR 2011, 281, 285; Bauer/Göpfert/Krieger, 5. Aufl. 2018, § 6 AGG Rz. 37; a.A. Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 325 f., die das deutsche Gesetz infolge dessen für richtlinienwidrig halten und mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut von § 6 Abs. 3 AGG eine richtlinienkonforme Auslegung ablehnen. 774 BGH v. 23.6.1997 – II ZR 220/95, GmbHR 1997, 790 = WM 1997, 1621; anders aber noch etwa für den Anstellungsvertrag: OLG Düsseldorf v. 8.6.1989 – 8 U 197/88, GmbHR 1990, 134 f.; s. eingehend 12. Aufl., § 30 Rz. 120. 775 Vgl. BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287 f.; BGH v. 23.10.1975 – II ZR 90/73, BGHZ 65, 190, 194 f.; BGH v. 8.3.1973 – II ZR 134/71, WM 1973, 506 (betr. jeweils Vorstand einer AG); BGH v. 16.1.1995 – II ZR 290/93, GmbHR 1995, 306 = ZIP 1995, 377; zustimmend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 6 Rz. 58; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 73; Kuhn, WM 1966, 50, 53 f.; Gerlach, AG 1965, 251, 257; Veith, DB 1965, 807 ff.; ablehnend Spieker, DB 1964, 1287 ff.; zum Ganzen auch Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 196 ff. 776 BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876; BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, GmbHR 2019, 1233 = NJW 2019, 3718 Ls. 1 und Rz. 26 (m. Besprechung von Kruse/Welskop, DStR 2020, 173). 777 BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876, 877; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 277.
Hohenstatt | 107
§ 35 Rz. 364 | Das Anstellungsverhältnis ses durch Erklärung der zur Geltendmachung des Mangels berechtigten Partei (Recht zur Lösung des faktischen Anstellungsverhältnisses „ex nunc“)778. 365–370 Einstweilen frei.
XIII. Inhalt des Anstellungsvertrages 1. Vergütung a) Allgemeines 371 Die Parteien können die Vergütung im Rahmen der Vertragsfreiheit im Wesentlichen ohne
gesetzliche Vorgaben frei gestalten779; dies gilt insb. für die Ausgestaltung des Vergütungssystems, das Verhältnis von fester und variabler Vergütung sowie für die Höhe der zugesagten Leistungen. Es kann auch die Unentgeltlichkeit der Geschäftsführertätigkeit vereinbart sein780. Die Vergütungsabrede kann gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig sein, wenn ein besonders krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung festzustellen ist und daraus auf eine verwerfliche Gesinnung der betroffenen Partei geschlossen werden kann; das KG Berlin781 hat dies in einem Fall angenommen, in dem der Geschäftsführer, der seine gesamte Arbeitskraft einzusetzen hatte, lediglich rückforderbare Vorschüsse auf eine Tantieme erhielt, die nur bei einem Jahresüberschuss verdient war. Insofern ist allerdings ein strenger Maßstab anzulegen. Mangels einer ausdrücklichen oder wirksamen Vergütungsabrede ist die übliche Vergütung i.S.v. § 612 Abs. 2 BGB geschuldet782. b) Angemessenheit; analoge Anwendung von § 87 AktG 372 Die Interessenlage bei der GmbH ist insofern verschieden von derjenigen der AG, weshalb
die Vorgaben gemäß § 87 AktG nach ganz h.M. auf den Geschäftsführer keine unmittelbare oder entsprechende Anwendung783 finden. Im Hinblick auf die dem MitbestG unterfallende GmbH ist die Rechtslage streitig. Für eine (analoge) Anwendung784 von § 87 AktG spricht, dass auch hier der Aufsichtsrat – und nicht die Gesellschafterversammlung – für den Anstellungsvertrag und damit für die Festlegung der Vergütung zuständig ist (vgl. hierzu Rz. 334). Die h.M.785 lehnt indessen richtigerweise auch für die mitbestimmte GmbH eine
778 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 277; BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, GmbHR 2019, 1233 = NJW 2019, 3718. 779 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 31. 780 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 24. 781 KG v. 12.3.1996 – 14 U 7775/94, GmbHR 1996, 613, 614; vgl. hierzu auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 302; ablehnend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 129. 782 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 302; Lenz in Michalski u.a., Rz. 149; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 24. 783 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 25; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 31; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304; vgl. auch OLG Frankfurt v. 22.12.2004 – 13 U 177/02, GmbHR 2005, 550, 554; s. auch im Zusammenhang mit dem VorstAG, Beschlussempfehlung BT-Drucks. 16/13433, S. 16, 18; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 128. 784 Für analoge Anwendung sprachen sich aus OLG Köln v. 6.11.2007 – 18 U 131/07, GmbHR 2008, 1216, NZG 2008, 637; OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423, 424; a.A. Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 40. 785 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 305; Raiser in Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, 6. Aufl. 2015, § 25 MitbestG Rz. 90; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 126; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 31; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 25 MitbestG Rz. 11.
108 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 376 § 35
analoge Anwendung von § 87 AktG ab. Zum einen folgt dies daraus, dass § 87 AktG in § 25 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG nicht genannt ist. Zum anderen ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zum VorstAG786, dass der Gesetzgeber § 87 AktG nicht als Leitnorm für die Geschäftsführervergütung ansieht und nicht von deren Anwendung auf die mitbestimmte GmbH ausgeht. Dennoch eignet sich § 87 Abs. 1 AktG durchaus als Leitmaßstab für die Strukturierung und 373 für die Festlegung des Umfangs der Vergütung von Geschäftsführern. Die Norm ist Ausfluss von Grundsätzen zur verantwortungsvollen und nachhaltigen Unternehmensführung, so dass sie auch von den Aufsichtsgremien von Unternehmen anderer Rechtsform sinngemäß berücksichtigt werden sollte787. c) Besonderheiten der Vergütung der Gesellschafter-Geschäftsführer Die Vergütung der Gesellschafter-Geschäftsführer ist zum Schutz der Gläubiger an § 30 zu 374 messen788. Aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht folgt, dass die Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu derjenigen steht, die vergleichbaren Fremdgeschäftsführern tatsächlich gewährt wird oder die – fiktiv – einem Fremdgeschäftsführer in vergleichbarer Stellung und mit gleichwertiger Qualifikation bei marktkonformem Verhalten gewährt würde („Grundsatz des Fremdvergleichs“)789. Diese Betrachtung erfordert eine Gesamtwürdigung aller Umstände, insbesondere der Branche, der Größe und Leistungsfähigkeit des Unternehmens sowie der Biographie und Qualifikation des Geschäftsführers790. Aus der steuerlichen Angemessenheit der Vergütung (s. hierzu Rz. 375 f.) kann nicht ohne Weiteres auf die gesellschaftsrechtliche Angemessenheit geschlossen werden791. Da die Zahlung der Geschäftsführervergütung eine abzugsfähige Betriebsausgabe darstellt, 375 bestehen für die Vergütung der Gesellschafter-Geschäftsführer zusätzliche steuerrechtliche Schranken. Zahlungen an Gesellschafter-Geschäftsführer, die steuerlich unangemessen sind, stellen eine verdeckte Gewinnausschüttung i.S.d. § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG dar792. Dies führt in aller Regel dazu, dass sich hierdurch der körperschaftsteuerliche Gewinn und die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer erhöhen. Beim Geschäftsführer kann die nachträgliche Feststellung der steuerlichen Unangemessenheit der Vergütung oder der Nebenleistungen zu komplexen Umschichtungen der steuerlichen Einkunftsarten führen; die nachträgliche Geltendmachung von Werbungskosten kann erschwert oder ausgeschlossen sein. Die Finanzverwaltung nimmt bei der Überprüfung der steuerlichen Angemessenheit in der 376 Regel eine dreistufige Prüfung vor: (1) Zunächst wird geprüft, ob einzelne Vergütungsleistungen dem Grunde nach als durch das Gesellschafterverhältnis veranlasst anzusehen sind. Ist dies der Fall, beseitigt dies die steuerliche Abzugsfähigkeit der gesamten Position. Davon ist vor allem auszugehen, wenn eine Vergütungsleistung grundlegend von dem ab786 Beschlussempfehlung BT-Drucks. 16/13433, S. 10; vor diesem Hintergrund explizit gegen analoge Anwendung von § 87 AktG auf die paritätisch mitbestimmte GmbH Habersack, ZHR 174 (2010), 2, 8; Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2140; Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959, 961; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 305. 787 S. auch Beschlussempfehlung BT-Drucks. 16/13433, S. 16, 18; vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 315. 788 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 128; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 31a; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 307. 789 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 307. 790 BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, GmbHR 1990, 344, 345; BGH v. 15.6.1992 – II ZR 88/91, GmbHR 1992, 605, 606; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 364. 791 Offen gelassen von OLG Frankfurt v. 22.12.2004 – 13 U 177/02, GmbHR 2005, 550, 553; vgl. hierzu auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 307. 792 Umfassend Bascopé/Hering, GmbHR 2005, 741; Briese, GmbHR 2005, 597; grundlegend und rechtsvergleichend Fleischer, WM 2007, 909.
Hohenstatt | 109
§ 35 Rz. 376 | Das Anstellungsverhältnis weicht, was mit einem Fremdgeschäftsführer vereinbart wurde bzw. – fiktiv – bei marktkonformem Verhalten vereinbart würde. Zweifel ergeben sich regelmäßig bei einer Vergütung, die ausschließlich aus einer Gewinnbeteiligung besteht793 (sog. „Nur-Tantieme“794). Eine solche Vergütungsvereinbarung kann allerdings ausnahmsweise steuerlich angemessen sein in der Start-Up-Phase, im Sanierungsfall oder bei einem auf hohe Geschäftsrisiken ausgerichteten Geschäftsmodell795. (2) Sodann wird geprüft, ob die Leistungen der Höhe nach gerechtfertigt sind. Dabei wird insbesondere das Verhältnis der festen zur variablen Vergütung überprüft. In der Regel wird eine Angemessenheit der variablen Vergütung angenommen, wenn sie 25 % der Gesamtvergütung (Verhältnis fix/variabel 75/25) nicht übersteigt796. Bei der Gesamtvergütung sind auch Nebenleistungen und insbesondere die Versorgungszusage mit einzubeziehen797. (3) Schließlich ist die Gesamtvergütung des Gesellschafter-Geschäftsführers zu bewerten, insbesondere im Hinblick auf die in Rz. 374 genannten Kriterien (Gesamtbetrachtung). Aus Gründen der Vereinfachung wird hier der Halbteilungsgrundsatz zur Anwendung gebracht, wonach die Gesamtvergütung eines Gesellschafter-Geschäftsführers in der Regel nicht mehr als 50 % des für die Gesellschafter verbleibenden Jahresüberschusses nach Abzug der Geschäftsführer-Vergütung und vor Ertragssteuern betragen darf798. Hierbei handelt es sich allerdings um eine widerlegbare Vermutung, so dass Ausnahmen – zum Beispiel bei besonders ertragsschwachen Unternehmen – denkbar sind799. Angesichts der Rechtsunsicherheit, die mit der steuerlichen Angemessenheitsprüfung verbunden ist, wird den Gesellschaften ein Toleranzspielraum von 20 % eingeräumt. Erst wenn diese Grenze überschritten ist, wird (nur) der überschießende Teil der Vergütung – sofern sich nicht schon auf der ersten oder zweiten Prüfungsstufe Beanstandungen ergeben – als verdeckte Gewinnausschüttung behandelt800. 377 In der Praxis sollte auf eine besonders sorgfältige Dokumentation der Vergütung der (be-
herrschenden) Gesellschafter-Geschäftsführer und auf eine konsequente Anwendung der vereinbarten Regularien geachtet werden, da sich ansonsten Indizien für eine verdeckte Gewinnausschüttung ergeben. Im Einzelnen: Die Vergütungsregeln sollten schriftlich vereinbart („Klarheitsgebot“801) werden, und zwar im Vorhinein („Rückwirkungsverbot“ oder auch „Nachzahlungsverbot“802). Die Vereinbarung sollte auch konsequent durchgeführt werden („Durchführungsgebot“803). Ein weiteres Indiz für eine regelwidrige Vergütungsabrede ist die mehrfache substantielle Erhöhung in kurzen Zeitabständen804.
793 BFH v. 27.3.2001 – I R 27/99, GmbHR 2001, 580, 582. 794 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 310. 795 BMF-Schreiben v. 1.2.2002 – IV A 2 - S 2742 - 4/02, GmbHR 2002, 291; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 310. 796 Vgl. BFH v. 27.3.2001 – I R 27/99, GmbHR 2001, 580, 582. 797 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 311 Fn 735. 798 BMF-Schreiben v. 14.10.2002 – IV A 2 – S2742 – 62/02, NZG 2002, 1102. 799 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 295 f.; zustimmend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 312. 800 BFH v. 12.10.1995 – I R 27/95, BB 1996, 250, 251 = GmbHR 1996, 221; BFH v. 5.10.1994 – I R 50/94, GmbHR 1995, 385, 386 f.; zu Einzelheiten Krupske, GmbHR 2003, 208, 210 f.; Harle/Kulemann, GmbHR 2003, 941 ff. 801 BFH v. 30.1.1985 – I R 37/82, GmbHR 1985, 380 f.; BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, GmbHR 1997, 34 ff.; BFH v. 1.4.2003 – I R 78, 79/02, GmbHR 2003, 1502 ff. 802 BFH v. 21.7.1982 – I R 56/78, GmbHR 1982, 267; BFH v. 29.4.1987 – I R 176/83, GmbHR 1987, 492; BFH v. 23.10.1996 – I R 71/95, GmbHR 1997, 34 ff.; BFH v. 1.4.2003 – I R 78, 79/02, GmbHR 2003, 1502. 803 BFH v. 4.2.1998 – XI R 45/97, BStBl. II 1998, 301; BFH v. 28.7.1993 – I B 54/93, BFH/NV 1994, 345 = GmbHR 1994, 416. 804 BFH v. 6.4.2005 – I R 27/04, GmbHR 2005, 1143 (Verdoppelung der Vergütung innerhalb von 2 1/2 Monaten).
110 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 380 § 35
d) Vergütungsformen aa) Festvergütung In der Praxis stellt die feste Vergütung (Festgehalt) nach wie vor den Schwerpunkt der Ho- 378 norierung von Geschäftsführern dar. Die Vereinbarung eines Festgehalts ist indessen nicht zwingend; die Vergütung kann sich – vorbehaltlich der Grenze der Sittenwidrigkeit oder Treuwidrigkeit (s. hierzu Rz. 371) auch auf eine Tantieme oder eine andere Form der Ergebnisbeteiligung beschränken; zu den steuerlichen Risiken einer solchen Gestaltung s. Rz. 376). bb) Tantieme Der Begriff der „Tantieme“ hat sich in der Praxis als Sammelbegriff für ergebnisabhängige 379 bzw. variable Vergütungsbestandteile für Organmitglieder durchgesetzt. Abweichend wird auch von Bonuszahlungen/Boni und von Gratifikationen (s. hierzu Rz. 385) gesprochen, ohne dass damit notwendigerweise andere Konzeptionen verbunden wären. Sinnvollerweise sollte der Begriff der Tantieme nur für Leistungen vorgesehen werden, die an das Ergebnis der Gesellschaft anknüpfen. Bei Zahlungen aufgrund einer Beurteilung der Leistungen des Geschäftsführers – insbesondere wenn dies auf der Grundlage einer Zielvereinbarung geschieht – sollte man von Boni sprechen. Die sog. Gewinntantieme knüpft, soweit nicht abweichend vereinbart, an den in der Han- 380 delsbilanz (§ 266 HGB) ausgewiesenen Jahresüberschuss der Gesellschaft an805. Soweit ausnahmsweise die Steuerbilanz zugrunde zu legen ist, wird man im Zweifel auf den Gewinn vor Abzug der Körperschaftsteuer abstellen. Die Tantieme des Geschäftsführers ist, sofern Gegenteiliges nicht ausdrücklich vereinbart wurde, nicht von der Berechnungsgrundlage abzuziehen806. Die Bildung von Rücklagen hat keine Minderung der Bemessungsgrundlage zur Folge, da es sich hierbei um eine Entscheidung über die Ergebnisverwendung handelt807; umgekehrt wirkt sich die Auflösung von Rücklagen nicht erhöhend aus. Ein Verlustvortrag ist dann anzurechnen, wenn er während der Zeit der Tantiemepflicht entstanden ist808. Regelungsbedürftig ist, ob auch Erträge aus außergewöhnlichen Geschäften in die Bemessungsgrundlage einbezogen sein sollen. Da außergewöhnliche Erträge i.S.d. § 275 Abs. 2 Nr. 15 HGB in den Jahresüberschuss einfließen, besteht keine allgemeine Regel, dass diese nicht berücksichtigt werden dürfen809. Es kann sich daher eine ausdrückliche Ausschlussregelung oder ein Anknüpfen an das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit empfehlen. Abzuziehen ist hingegen ein Gewinnvortrag aus dem Vorjahr. Alternativ oder zusätzlich kann sich eine Vertragsbestimmung analog § 87 Abs. 1 Satz 3 AktG anbieten (Begrenzungsmöglichkeit für den Fall „außergewöhnlicher Entwicklungen“)810. Die Gewinntantieme ist im Zweifel erst mit Feststellung des Jahresabschlusses (§ 46 Nr. 1) fällig; bei treuwidriger Hinauszögerung dieses Zeitpunkts kann jedoch frühere Fälligkeit eintreten811. Bei unterjährigem Ausscheiden entsteht ein etwaiger Tantiemeanspruch im Zweifel anteilig. Soweit vor-
805 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 31; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314; zum ergebnisabhängigen Tantiemenanspruch bei lediglich auf Veräußerung von Gesellschaftsvermögen beruhendem positiven Geschäftsergebnis LG Hamburg v. 25.6.2014 – 404 HKO 158/13, juris. 806 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 32. 807 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314. 808 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 31 m.w.N. 809 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314. 810 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 314. 811 OLG Köln v. 27.11.1992 – 19 U 89/92, GmbHR 1993, 157, 158.
Hohenstatt | 111
§ 35 Rz. 380 | Das Anstellungsverhältnis geschlagen wird, auf das Ergebnis zum Zeitpunkt des Ausscheidens abzustellen812, ist dies bei einer Gewinntantieme in aller Regel nicht praktikabel. Insofern kommt nur eine Berechnung pro rata temporis813 in Betracht. Bei anderen Bemessungsgrundlagen oder bei der Bemessung nach Zielvereinbarung kann hingegen u.U. eine Berechnung des bis zum Ausscheiden erzielten Bonus erfolgen. Am Zeitpunkt der Fälligkeit ändert sich hingegen – vorbehaltlich einer abweichenden vertraglichen Regelung – durch das vorherige Ausscheiden nichts814. 381 Umsatztantiemen sind grundsätzlich zulässig, von Ausnahmefällen abgesehen (Start-Up-Si-
tuation) jedoch in aller Regel nicht sinnvoll. Bei Gesellschafter-Geschäftsführern werden sie regelmäßig als verdeckte Gewinnausschüttung gewertet815. Ausnahmsweise in einer „Anlaufsituation“ gerechtfertigte Umsatztantiemen müssen zeitlich und betragsmäßig begrenzt werden816. 382 Nicht ungebräuchlich sind auch Ermessenstantiemen, hinsichtlich derer der Aufsichtsrat
oder die Gesellschafterversammlung unter Berücksichtigung möglichst im Vorhinein festgelegter Kriterien (z.B. wirtschaftliche Lage der Gesellschaft, persönliche Leistung des Geschäftsführers) eine Abwägung vornehmen, in welcher Höhe eine variable Vergütung angemessen ist. Die Festsetzung hat in diesen Fällen nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) zu erfolgen817. Durch eine detaillierte Vorgabe der für die Entscheidung maßgeblichen Kriterien kann das Ermessen erheblich eingeschränkt sein; insofern ist der Übergang zu einer Bonuszahlung auf der Grundlage einer Zielvereinbarung (Rz. 384) fließend. Für Gesellschafter-Geschäftsführer kommen wegen des sog. Nachzahlungsverbots (vgl. auch Rz. 377) Ermessenstantiemen nicht in Betracht; für diesen Personenkreis muss die Tantieme im Nachhinein durch einen transparenten und im Vorhinein festgelegten Rechenvorgang zu ermitteln sein. 383 Mindest- oder Festtantiemen sind bei genauer Betrachtung Bestandteil der festen Vergü-
tung818; sie sind nicht ergebnis- oder leistungsabhängig. Die Mindesttantieme will sicherstellen, dass die Vergütung des Geschäftsführers trotz eines womöglich erheblichen variablen Anteils an der Gesamtvergütung nicht unter ein bestimmtes Vergütungsniveau absinkt. In diesem Fall ist die Mindesttantieme auf den gesamten Tantiemeanspruch anzurechnen. Den Effekt einer Mindestvergütung könnte man ebenso durch die Erhöhung des Festgehalts erzielen. Ähnlich verhält es sich bei der fest zugesagten Tantieme. Sie wirkt wie Festgehalt; ihre gesonderte Zahlung hat in erster Linie Bedeutung für die Versorgungszusage für den Geschäftsführer (vgl. Rz. 402 ff.), sofern deren Höhe an ein „rentenfähiges Einkommen“ anknüpft, das häufig mit dem Festgehalt identisch ist. Die Festtantieme ist in diesen Fällen eine Möglichkeit, die fixe Vergütung ohne Auswirkungen auf den Umfang der Versorgungszusage zu erhöhen819.
812 So wohl OLG Hamm v. 8.10.1984 – 8 U 265/83, GmbHR 1985 155, 157; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 321 i.S. einer „primären Lösung“, sofern möglich. 813 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 32; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 32; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 414. 814 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 32. 815 BFH v. 19.5.1993 – I R 83/92, GmbHR 1994, 265; offen gelassen von BFH v. 25.10.1995 – I R 9/ 95, GmbHR 1996, 299 f.; BFH v. 19.2.1999 – I R 105-107/97, GmbHR 1999, 484, 486; vgl. auch Schuhmann, GmbHR 2005, 921 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 316. 816 BFH v. 19.2.1999 – I R 105-107/97, BStBl. II 1999, 321 = GmbHR 1999, 484. 817 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 124; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 33; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 317. 818 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 318. 819 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 32; vgl. auch OLG München v. 15.7.1998 – 7 U 6334/97, GmbHR 1999, 184, 185.
112 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 385 § 35
cc) Bonuszahlungen aufgrund Zielvereinbarung In der Praxis werden anstelle oder in Ergänzung von Gewinntantiemen zunehmend häufig 384 Zielvereinbarungen abgeschlossen, die das Verhalten des Geschäftsführers im Interesse der Gesellschaft lenken sollen, und zwar detailbezogener als bei einer ausschließlichen Anknüpfung an den erzielten Gewinn. Gebräuchlich sind z.B. abteilungs- oder spartenbezogene quantitative Ziele (Beispiele: Erfindungen und Innovationen, Verbesserung der Produktivität) sowie qualitative Ziele (z.B. Verbesserung der Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit, Schaffung eines Risk Management Systems etc.)820. Ein Vorteil besteht auch darin, dass z.B. jährlich eine Neuausrichtung der Zielvereinbarung erfolgen kann, um die jeweils aktuelle Unternehmensstrategie zu berücksichtigen. Das Erfordernis einer regelmäßigen Zielvereinbarung kann jedoch zu Konflikten führen. Insbesondere kann Streit entstehen, wenn der Abschluss einer Zielvereinbarung verzögert wird oder mangels Einigung gänzlich unterbleibt. Der BGH821 wendet in diesen Fällen § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB analog an, so dass im Zweifel das Gericht eine angemessene Zielvereinbarung festlegen muss. Dies ist eine unvermeidliche Folge für den Fall, dass sich die Parteien nicht über eine neue Zielvereinbarung verständigen können, wenngleich eine solche Festlegung im Nachhinein mit größten Schwierigkeiten verbunden sein wird. Häufig orientieren sich die Gerichte an den Bonuszahlungen in den Vorjahren. Hat es allerdings die Gesellschaft versäumt, einen Vorschlag für eine Zielvereinbarung vorzulegen oder hat sie offensichtlich unangemessene Vorschläge unterbreitet, die nicht billigem Ermessen entsprechen822, soll der Geschäftsführer nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts823 im Wege des Schadensersatzes gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 249, 252 Satz 1 BGB, § 287 Abs. 1 ZPO die bei 100 % Zielerreichung im Anstellungsvertrag vorgesehene Bonuszahlung verlangen dürfen. Insofern muss aber berücksichtigt werden, wenn der Geschäftsführer auch in den Vorjahren keine 100 % Zielerreichung vorweisen konnte824. dd) Gratifikationen Gratifikationen sind zu besonderen Anlässen gewährte Vergütungsleistungen (insb. Weih- 385 nachts- und Urlaubsgeld, Jahresabschlussvergütung, Jubiläumszahlung etc.). Es ist nicht generell davon auszugehen, dass es sich dabei um freiwillige Leistungen im rechtlichen Sinne handelt825; im Gegenteil dürfte es der Regel entsprechen, dass derlei Leistungen im Anstellungsvertrag zugesagt werden; ausnahmsweise kann auch durch wiederholte vorbehaltlose Gewährung ein Vertrauenstatbestand und damit ein Zahlungsanspruch entstehen826. Die Freiwilligkeit bezieht sich allenfalls auf den Umstand, dass die Gesellschaft gesetzlich nicht dazu verpflichtet ist, Gratifikationen zu gewähren. Wird eine Gratifikation im Anstellungsvertrag als „freiwillig und jederzeit widerruflich“ deklariert, ist dies widersprüchlich, was zur
820 Vgl. zu Zielvereinbarungen Bauer/Diller/Göpfert, BB 2002, 882 ff.; Riesenhuber/v. Steinau-Steinrück, NZA 2005, 785 ff.; Annuß, NZA 2007, 290 ff. 821 BGH v. 9.5.1994 – II ZR 128/93, NJW-RR 1994, 1055, 1056 = GmbHR 1994, 546; vgl. auch Annuß, NZA 2007, 290, 295. 822 Vgl. zu den Anforderungen an realistische Zielvorgaben BAG v. 10.12.2008 – 10 AZR 889/07, NZA 2009, 256, 257. 823 BAG v. 12.12.2007 – 10 AZR 97/07, NZA 2008, 409, 411; vgl. auch Riesenhuber/v. Steinau-Steinrück, NZA 2005, 785, 792; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 318. 824 BAG v. 12.5.2010 – 10 AZR 390/09, DB 2010, 1944, 1945. 825 So aber Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 125; ebenfalls Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 34. 826 BGH v. 14.5.1990 – II ZR 122/89, GmbHR 1990, 389; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 34.
Hohenstatt | 113
§ 35 Rz. 385 | Das Anstellungsverhältnis Unwirksamkeit des Vorbehalts führt827 (vgl. zur AGB-Kontrolle des Anstellungsvertrages Rz. 340 ff.). ee) Ergebnisabhängige Vorzugsdividende und (anwachsende) Beteiligung des Gesellschafter-Geschäftsführers 386 Der Gesellschaftsvertrag kann für den Geschäftsführer auch eine ergebnisabhängige Vor-
zugsdividende als Sonderrecht vorsehen. Bei Unterbilanz und Überschuldung muss die Zahlung jedoch unterbleiben (12. Aufl., § 30 Rz. 52 ff.). 387 Auch kommt in Betracht, dass die Gesellschafter dem Geschäftsführer in Abhängigkeit vom
erzielten Ergebnis eine Beteiligung bzw. deren Ausweitung zusagen828. Die Beteiligung von Geschäftsführern an der GmbH als Bestandteil ihrer Vergütung wird auch als Manager Modell bezeichnet829. Diese Vergütungsform soll den Gleichlauf der Interessen des Geschäftsführers mit denen der Gesellschafter sicherstellen und zu einer stärkeren Identifikation mit den Zielen der Gesellschaft führen. Allerdings kann diese Vergütungsvariante zu Komplikationen im Fall streitiger Trennungen führen, es sei denn, dass von Vornherein unter der aufschiebenden Bedingung der Abberufung vom Amt des Geschäftsführers die Rückgabe der Anteile vereinbart wurde830. Die Wirksamkeit solcher Regelungen ist anerkannt831, da die Beteiligung des Geschäftsführers im Rahmen des Manager Modells nur als Bestandteil seines Vergütungspakets anzusehen ist und es von daher als systemkonform angesehen wird, wenn diese gleichzeitig mit der Geschäftsführerstellung endet832. e) Vergütung bei vorübergehender Verhinderung 388 S. dazu Rz. 435 f.
f) Anpassung der Vergütung, insb. in der Krise 389 Grundsätzlich gilt für die Geschäftsführervergütung Gleiches wie im Vertragsrecht allgemein:
pacta sunt servanda. Eine im Anstellungsvertrag nicht vorgesehene Erhöhung der Vergütung z.B. zum Ausgleich der Inflation oder ihre Herabsetzung im Krisenfall kommen daher in aller Regel nicht in Betracht. 390 Ein Anpassungsanspruch nach oben kann sich bei nicht nur geringfügig beteiligten Gesell-
schafter-Geschäftsführern dann ergeben, wenn ohne Vertragsanpassung unter Berücksichtigung des Treuepflichtgedankens ein „evident unangemessener“ Zustand einträte833. Bei
827 BAG v. 8.12.2010 – 10 AZR 671/09, NZA 2011, 628; zur Wirksamkeit eines Freiwilligkeitsvorbehalts bezüglich Bonuszahlungen OLG Düsseldorf v. 4.3.2013 – 14 U 144/12, BeckRS 2014, 22316. 828 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 320. 829 Vgl. hierzu BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, NZG 2005, 968 ff. = GmbHR 2005, 1558; Hohaus/ Weber, NZG 2005, 961 ff. 830 Alternativ kommen satzungsmäßige Ausschließungs- und Einziehungsrechte der Gesellschafter in Betracht; vgl. BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, NZG 2005, 968, 969 = GmbHR 2005, 1558; s. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 320. 831 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, NZG 2005, 968, 970 = GmbHR 2005, 1558; zuvor bereits Habersack/Verse, ZGR 2005, 451, 461 ff. m.w.N. 832 Ebenso Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 320. 833 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 323; Beurskens in Baumbach/Hueck, 37 Rz. 129.
114 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 392 § 35
diesem Personenkreis können insoweit auch die für Personengesellschaften entwickelten Grundsätze834 herangezogen werden835. Bei Fremdgeschäftsführern ist eine Anpassung der Vergütung ohne vertragliche Grundlage 391 von vorneherein nur bei langfristig und fest abgeschlossenen Anstellungsverträgen denkbar (z.B. drei bis fünf Jahre oder länger), da das Ungleichgewicht ansonsten durch Kündigung und Neuverhandlung oder Trennung beseitigt werden kann836. Im Übrigen kann bei Fremdgeschäftsführern nicht auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht rekuriert werden. Es müssen daher die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) herangezogen werden837, so dass ein Anpassungsanspruch bei einer schwerwiegenden Geldentwertung, völlig unerwartetem wirtschaftlichen Wachstum der Gesellschaft bzw. deren Erträgen sowie bei einer durch äußere Umstände erfolgenden wesentlichen Ausweitung der Aufgaben in Betracht kommen kann. Auch eine im Vertrag nicht vorgesehene Herabsetzung der Vergütung – insbesondere im 392 Fall der Krise – ist nur ganz ausnahmsweise zulässig. § 87 Abs. 2 AktG ist nicht anwendbar, auch nicht entsprechend838 (vgl. zur Anwendung von § 87 AktG auf die (mitbestimmte) GmbH bereits Rz. 372). Eine vertragliche Regelung, die § 87 Abs. 2 AktG entspricht, wäre hingegen zulässig und im Einzelfall auch sinnvoll839. Ohne vertragliche Grundlage kann hingegen ein Recht zur nachträglichen Herabsetzung der Vergütung im Einzelfall nur aus der organschaftlichen Treuepflicht des Geschäftsführers hergeleitet werden840. Dies kommt nur im Fall einer „qualifizierten Krise“841 in Betracht, insbesondere wenn eine existenzgefährdende Notlage eingetreten ist und die Gesellschaft auf die Mittel zwingend zum Überleben angewiesen ist842. Die herabgesetzte Vergütung muss für den Geschäftsführer aber noch zumutbar sein. Die Herabsetzung ist auf die unbedingt erforderliche Dauer zu befristen. Bei der Entscheidung über die Herabsetzung ist zu berücksichtigen, dass der Geschäftsführer in der Krise ohnehin seine gesamte variable Vergütung (oder erhebliche Anteile davon) ein-
834 BGH v. 10.6.1965 – II ZR 6/63, BGHZ 44, 40 f.; BGH v. 6.7.1967 – II ZR 218/65, WM 1967, 1099; BGH v. 24.1.1974 – II ZR 128/71, WM 1974, 274, 276; vgl. zu diesen Grundsätzen auch eingehend Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979; Harry Westermann in FS Hefermehl, 1976, S. 239. 835 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 129. 836 Ähnlich Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 129; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 29, der allerdings eine Anpassung bei befristeten Verträgen generell ausschließen will; dies dürfte bei langfristigen Verträgen jedoch eine sachwidrige Betrachtung sein. 837 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 323; ähnlich Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 386. 838 Wie hier Döring/Grau, DB 2009, 2139, 2140; Lunk/Stolz, NZA 2010, 121, 123; Mohr, GmbHR 2011, 402, 403; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 324; so offenbar auch BGH v. 27.10.2015 – II ZR 296/14, NJW 2016, 1236 Rz. 25; für analoge Anwendung OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423, 424; OLG Köln v. 6.11.2007 – 18 U 131/07, NZG 2008, 637; für eine Vergütungsherabsetzung in der GmbH analog § 87 Abs. 2 AktG Schnitzler, GmbHR 2016, 1026; für eine analoge Anwendung bei allerdings strengeren Maßstäben Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 34a; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 377; uneingeschränkt für eine analoge Anwendung Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 26. 839 Baeck/Götze/Arnold, NZG 2009, 1121, 1125 f. 840 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 324 ff.; Schnitzler, GmbHR 2016, 1026 hält die Treuepflicht als solche hingegen für kein geeignetes Rechtsinstitut, was Fragen der Vergütung von Geschäftsleitern betrifft. 841 Lindemann, GmbHR 2009, 737, 741. 842 Im Ergebnis ebenso Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 130; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 34a; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 324a.
Hohenstatt | 115
§ 35 Rz. 392 | Das Anstellungsverhältnis büßt, so dass sich die Herabsetzung nur auf das Festgehalt beziehen wird, wofür besonders strenge Grenzen zu gelten haben843. g) Abtretung, Pfändung, Verjährung 393 Die Abtretung von Vergütungsansprüchen des Geschäftsführers wird sehr häufig vertrag-
lich ausgeschlossen (§ 399 Alt. 2 BGB), was sich im Hinblick auf den mit Abtretungen verbundenen Verwaltungsaufwand, aber insbesondere zum Schutz der Geschäftsgeheimnisse der Gesellschaft empfiehlt. In aller Regel kann die Gesellschaft nämlich nicht erfolgreich geltend machen, dass die Abtretung variabler Vergütungsansprüche wegen Verstoßes gegen § 85 (Geheimhaltungspflicht) unwirksam sei, obwohl sich aus § 402 BGB die Verpflichtung des Zedenten ergibt, dem Zessionar die Unterlagen zur Verfügung zu stellen, aus der sich die Höhe der Leistung ableitet. Bei einer Gewinntantieme (s. Rz. 380) fehlt es angesichts bestehender Publizitätspflichten in aller Regel an einem Geheimhaltungsinteresse der Gesellschaft844. Bei anderen Modellen der variablen Vergütung, die sich an geheimhaltungsbedürftigen Parametern orientieren, besteht ebenfalls kein dinglich wirkendes Abtretungsverbot845. Allerdings kann der Geschäftsführer schuldrechtlich verpflichtet sein, § 402 BGB auszuschließen und mit dem Zessionar zu vereinbaren, dass dieser die Forderung für ihn einzieht. Verstößt er gegen diese Verpflichtung, macht er sich ggfls. schadensersatzpflichtig846. 394 Rechtsprechung und Literatur gehen einhellig davon aus, dass der gesetzliche Pfändungs-
schutz für Arbeitseinkommen (§§ 850 ff. ZPO) für Fremdgeschäftsführer bzw. solche, die nicht wesentlich an der Gesellschaft beteiligt sind, Anwendung findet847. In der Literatur spricht sich die h.M. zu Recht auch für eine Anwendung auf Gesellschafter-Geschäftsführer mit wesentlicher Beteiligung aus, da auch bei diesem Personenkreis das Geschäftsführer-Einkommen in aller Regel die wesentliche wirtschaftliche Existenzgrundlage darstellt848. 395 Die Vergütungsansprüche des Geschäftsführers verjähren nach drei Jahren (§ 195 BGB).
Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.
2. Auslagenersatz 396 Der Geschäftsführer hat Anspruch auf Ersatz seiner Auslagen (§§ 669 f., 675 BGB)849; fehlt
es an einem Anstellungsvertrag, folgt der Anspruch aus § 713 BGB, § 110 HGB analog; eine Geschäftsführung ohne Auftrag (§ 683 BGB) liegt hingegen in aller Regel beim Geschäftsfüh-
843 Vgl. insgesamt Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 324a. 844 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 331. 845 So für Abtretungen trotz Bankgeheimnis BAG v. 27.2.2007 – XI ZR 195/05, NJW 2007, 2106 = ZIP 2007, 619 Rz. 18; vgl. hierzu auch BVerfG v. 11.7.2007 – 1 BvR 1025/07, NJW 2007, 3707, 3708. 846 So im Fall der Abtretung einer Darlehnsforderung BGH v. 27.2.2007 – XI ZR 195/05, NJW 2007, 2106 = ZIP 2007, 619 Rz. 19. 847 BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, AG 1978, 162, 165 f.; BGH v. 17.11.1997 – II ZR 367/96, DStR 1998, 576; Seiler in Thomas/Putzo, 39. Aufl. 2018, § 850 ZPO Rz. 6a; Herget in Zöller, 33. Aufl. 2020, § 850 ZPO Rz. 9; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 136; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 35; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 332. 848 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 35; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 332; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 319. 849 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 55.
116 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 398 § 35
rer gerade nicht vor850. Art und Umfang der erstattungsfähigen Auslagen werden sinnvollerweise im Anstellungsvertrag oder in einer allgemeinen bzw. speziell auf die Geschäftsführung zugeschnittenen Kostenordnung geregelt. Im Zweifel sind diejenigen Auslagen zu ersetzen, die der Geschäftsführer im Unternehmensinteresse für erforderlich halten durfte (Beispiele: Reise- und Übernachtungskosten, Kosten für die Bewirtung von Geschäftspartnern oder (potentiellen) Kunden sowie sonstigen Personen, wenn dies im geschäftlichen Interessse liegt). Die Erstattungspflicht besteht jedoch mangels abweichender vertraglicher Regelung nur im Rahmen der steuerlichen Absetzbarkeit, was auch die Vorlage entsprechender Belege erforderlich macht851. Schmiergelder sind generell keine erstattungsfähigen Aufwendungen. Die Zahlung bzw. Ent- 397 gegennahme von Schmiergeldern ist in Deutschland und in nahezu allen ausländischen Rechtsordnungen verboten. Wenn sich der Geschäftsführer darüber hinwegsetzt, kann er selbst dann keine Erstattung verlangen, wenn das daraus resultierende Geschäft für die Gesellschaft günstig war852. Ausnahmen für im Ausland gezahlte Schmiergelder zur Herbeiführung eines nicht rechtswidrigen Erfolgs (z.B. Beschleunigung von bewusst verschleppten Verfahren) unter Hinweis auf die Üblichkeit solcher Praktiken853 sind spätestens seit der Strafbarkeit der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, die sich auch auf Auslandstaten bezieht (§ 299 Abs. 3 StGB), nicht mehr vertretbar. Aus diesem Grund kommt auch eine nachträgliche Erstattung von Schmiergeldern nicht in Betracht. Im Allgemeinen besteht kein Anspruch auf Übernahme bzw. Erstattung von Geldstrafen 398 und Bußgeldern; gleiches gilt für Verfahrens- und Rechtsberatungskosten im Zusammenhang mit gegen den Geschäftsführer laufenden Bußgeld- oder Strafverfahren854. Ausnahmsweise kann ein Erstattungsanspruch in Betracht kommen, wenn das Verschulden des Geschäftsführers gering erscheint und er im guten Glauben im Interesse der Gesellschaft gehandelt hat. Von einem geringen Verschulden wird z.B. dann ausgegangen werden können, wenn der Geschäftsführer auf Weisung der Gesellschafter handelte855 und ihm nicht bewusst war, mit deren Befolgung gegen Gesetze zu verstoßen (Beispiel: Bußgeld wegen unvollständiger oder verspäteter Erfüllung betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte gemäß § 121 BetrVG, sofern der Pflichtverstoß auf unzureichenden oder verspäteten Informationen der Gesellschafter beruhte). Dies gilt allerdings nicht, wenn dem Geschäftsführer die Gesetzeswidrigkeit seines Handelns bewusst war oder bewusst sein musste (Beispiel: Geldstrafen wegen Behinderung einer Betriebsratswahl oder der Betriebsratsarbeit gemäß § 119 BetrVG können nie erstattungsfähig sein). Stellt sich die Unschuld des Geschäftsführers heraus, kann er Erstattung von Verfahrenskosten etc. verlangen, sofern er nicht schuldhaft den Verdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit auf sich gelenkt hat.
850 § 683 BGB ist nur beim unentgeltlich tätigen Geschäftsführer anwendbar; so Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 55; unklar Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 30 („zu differenzieren“). 851 Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB Klauselwerke, Geschäftsführerverträge, D III. 4 Rz. 123. 852 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 55; Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB Klauselwerke“ Geschäftsführerverträge, D III. 4 Rz. 123. 853 Thüsing in Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB Klauselwerke“ Geschäftsführerverträge, D III. 4 Rz. 123. 854 Vgl. Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 56, der dem Geschäftsführer indes einen Anspruch auf Ersatz der Verfahrenskosten bei Freispruch zuspricht; vgl. zudem Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 30, der im Grundsatz ebenfalls von fehlender Erstattungsfähigkeit ausgeht, eine Ausnahme aber dort anerkennt, wo mit dem zugrundeliegenden Verhalten des Geschäftsführers keine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft einhergeht. 855 Der Rechtsgedanke des § 93 Abs. 4 Satz 2 AktG kann auf den weisungsgebundenen Geschäftsführer nicht übertragen werden.
Hohenstatt | 117
§ 35 Rz. 399 | Das Anstellungsverhältnis 399 Eine im Vorhinein getroffene Vereinbarung, wonach dem Geschäftsführer Geldstrafen
oder Bußgelder erstattet werden, ist sittenwidrig und deshalb nichtig856, soweit die Zusage auch bei vorsätzlichem Handeln gelten soll. Nach einer darüber hinausgehenden Auffassung gilt dies sogar für den Fall fahrlässigen Handelns857; dies erscheint jedoch angesichts der zunehmenden Regulierung und den daraus folgenden Strafbarkeitsrisiken zu eng858. Eine nachträgliche Übernahme von Geldstrafen, Bußgeldern und Verfahrens- und Rechtsanwaltskosten durch die Gesellschaft ist in aller Regel zulässig859. Sie ist insbesondere nicht stets dann ausgeschlossen, wenn die mit Geldstrafe oder Bußgeld belegte Tat zugleich eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers darstellte860; auch in dieser Konstellation kann die Gesellschafterversammlung der Auffassung sein, dass es unbillig wäre, dem Geschäftsführer eine Erstattung zu verweigern.
3. Erfindungen 400 Sofern der Geschäftsführer im Zusammenhang mit dem Anstellungsverhältnis Erfindungen
macht, kann ihm hierfür ein zusätzlicher Vergütungsanspruch zustehen. Das ArbnErfG ist indessen nach ganz h.M. auf Organmitglieder nicht anwendbar861. Dies gilt auch für den Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH, wenn die Erfindung dem Geschäftsbetrieb der KG zugutekommt862. Aus dem Anstellungsvertrag folgt jedoch – vorbehaltlich abweichender vertraglicher Regelungen – die Verpflichtung, der Gesellschaft Diensterfindungen (zum Begriff: § 4 Abs. 2 ArbnErfG863) anzubieten864. Hierfür kann der Geschäftsführer im Zweifelsfall gemäß § 612 BGB eine angemessene Vergütung verlangen; allerdings sind die Vergütungsrichtlinien des ArbnErfG insoweit nicht – auch nicht entsprechend – anwendbar865. Auch kann der Geschäftsführer nicht ohne Weiteres eine Lizenzgebühr verlangen, wie sie einem freien Erfinder zustehen würde, auch wenn dieser Ansatzpunkt regelmäßig am Beginn der anzustellenden Überlegungen stehen dürfte866. Für die Höhe kommt es vielmehr auf die Umstände des Einzelfalls an, insb. darauf, ob die Erfindung im Rahmen des Betriebes mit Mitteln des Arbeitgebers gemacht wurde und ob die entsprechende Arbeitsleistung Teil der anstellungsvertraglich geschuldeten Tätigkeit war867.
856 Es kommt auch Nichtigkeit wegen § 134 BGB in Betracht, wenn die Zusage auf eine Begünstigung i.S.v. § 257 Abs. 1 StGB gerichtet ist; vgl. Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 56. 857 Fleischer, WM 2005, 909, 916. 858 Vgl. Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 56; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 197; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 30. 859 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 30; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 56; s. hierzu ausführlich Hasselbach/Seibel, GmbHR 2009, 354, 358. 860 So noch Wiesner in MünchHdb. GesR IV, 3. Aufl. 2007, § 21 Rz. 63, nach dessen Auffassung eine Übernahme von Geldstrafen oder Geldbußen (4. Aufl. 2015) nur noch dann in Betracht komme, wenn in der Begehung der Tat nicht zugleich eine schuldhafte Pflichverletzung gegenüber der Gesellschaft zu sehen sei; Wiesner in MünchHdb. GesR IV, 4. Aufl. 2015, § 21 Rz. 89. 861 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160; OLG Düsseldorf v. 10.6.1999 – 2 U 11/98, GmbHR 1999, 1093; Gaul, DB 1990, 671 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284. 862 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160. 863 Zum Begriff der Diensterfindung s. auch Bayreuther in MünchHdb. ArbR, Band 1, 4. Aufl. 2018, § 98 Rz. 4 ff. 864 Gaul, GmbHR 1982, 101, 103; Gaul, DB 1990, 671, 673. 865 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160. 866 Haase, GmbHR 2005, 338, 342 f. 867 BGH v. 24.10.1989 – X ZR 58/88, GmbHR 1990, 160; vgl. zur Thematik weiterführend Friemel/ Kamlah, BB 2008, 613, 615 ff.; Bartenbach/Fock, GRUR 2005, 384, 388.
118 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 403 § 35
4. Urlaub Nach wohl noch h.M. ist das BUrlG auf Geschäftsführer nicht anwendbar868; eine gebotene 401 europarechtskonforme Auslegung des Gesetzes kommt für den nicht wesentlich an der Gesellschaft beteiligten Geschäftsführer jedoch zu einem abweichenden Ergebnis (s. hierzu Rz. 293). Selbst wenn man das BUrlG aber nicht anwenden wollte, ergäbe sich ein Anspruch auf angemessenen Erholungsurlaub bei Fortzahlung der Vergütung aus der Treue- und Fürsorgepflicht der Gesellschaft869. Ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung besteht bei entsprechender Vereinbarung im Anstellungsvertrag oder bei Unmöglichkeit der Inanspruchnahme wegen Beendigung der Anstellung oder wegen betrieblicher Notwendigkeiten870. Teilweise wird ein Abgeltungsanspruch abgelehnt, soweit der Anstellungsvertrag keinen Urlaubsanspruch gewährt871; dieser folgt jedoch ebenso aus der Treue- und Fürsorgepflicht wie der Urlaubsanspruch selbst. Die Abgeltung von Urlaubsansprüchen wird bei Gesellschafter-Geschäftsführern nicht als verdeckte Gewinnausschüttung gewertet872.
5. Ruhegehaltsanspruch (Betriebliche Altersversorgung) a) Allgemeines Die Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung an Geschäftsführer ist ebenso wie für 402 Arbeitnehmer freiwillig. Eine – geringfügige – Ausnahme ergibt sich aus § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Sofern der Geschäftsführer rentenversicherungspflichtig ist (§ 17 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG), kann er verlangen, dass von seinen zukünftigen Entgeltansprüchen bis zu 4 % der Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung durch Entgeltumwandlung für seine betriebliche Altersversorgung verwendet werden. Hierbei handelt es sich indessen um eine rein arbeitnehmerfinanzierte Versorgung („Deferred Compensation“)873. Die vertragliche Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung ist auch für Geschäftsfüh- 403 rer weit verbreitet874; auch sie sind auf eine angemessene Absicherung im Alter angewiesen, zumal die gesetzliche Rente hierzu in aller Regel nicht ausreichen wird. Hierfür bedarf es jedoch einer vertraglichen Anspruchsgrundlage. Aus einer betrieblichen Übung ergibt sich eine solche regelmäßig nicht875; dieses Institut ist für die Begründung von Ansprüchen von Geschäftsführern nicht geeignet876. Ausnahmsweise kann sich ein Anspruch für Geschäftsführer, die nicht maßgeblich an der Gesellschaft beteiligt sind, aus dem Gleichbehandlungs-
868 OLG Frankfurt v. 9.2.2007 – 24 U 185/06, GmbHR 2007, 1222; OLG Düsseldorf v. 23.12.1999 – 6 U 119/99, GmbHR 2000, 278; wohl auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 140; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 82, 121; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284. 869 Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 58; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 198; BGH v. 21.4.1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761, 763. 870 OLG Düsseldorf v. 23.12.1999 – 6 U 119/99, GmbHR 2000, 278, 281; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 37 Rz. 141; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 105; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 327; Lohr, NZG 2001, 826, 835. 871 Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 198. 872 BFH v. 8.1.1969 – I R 21/68, BStBl. II 1969, 327 f.; BFH v. 10.1.1973 – I R 119/70, BStBl. II 1973, 322 f. 873 Vgl. hierzu Höfer, § 1a BetrAVG Rz. 1 ff. 874 Zahlenangaben bei Tillmann/Mohr, GmbH Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020, Rz. 333 Fn. 1; Tänzer, GmbHR 2005, 1256, 1259. 875 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 338 Fn. 808. 876 A.A. ohne Begründung Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 142; vgl. Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 40, nach dessen Auffassung ein solcher Anspruch nicht „allein“ aufgrund betrieblicher Übung enstehen kann; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 179.
Hohenstatt | 119
§ 35 Rz. 403 | Das Anstellungsverhältnis grundsatz877 ergeben, insb. wenn die Gesellschaft die Geschäftsführer alle nach demselben Vergütungsprinzip entlohnt und danach eine Altersversorgung vorgesehen ist. Von einer solchen Praxis darf die Gesellschaft nicht willkürlich zu Lasten eines einzelnen Geschäftsführers abweichen, bei Vorliegen sachlicher Gründe aber sehr wohl878. 404 Die Zusage einer betrieblichen Altersversorgung hat durch das für den Anstellungsvertrag
zuständige Organ879 zu erfolgen, regelmäßig also durch die Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 5) bzw. bei Anwendbarkeit des MitbestG oder bei entsprechender Satzungsregelung durch den Aufsichtsrat/Beirat. Schriftform ist nicht vorgeschrieben, so dass auch mündliche oder konkludente Zusagen möglich wären. Da die steuerliche Anerkennung der Rückstellungen gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG jedoch voraussetzt, dass die Zusage schriftlich erteilt wurde, ist die Einhaltung der Schriftform dennoch üblich und – auch zu Beweiszwecken – dringend zu empfehlen. b) Anwendbarkeit des BetrAVG aa) Persönlicher Geltungsbereich 405 Das BetrAVG enthält wesentliche Vorschriften zum Schutz des Versorgungsempfängers, insb.
durch den Grundsatz der Unverfallbarkeit (§ 1b BetrAVG), die Einschränkung der Abfindung und Übertragung von Anwartschaften (§§ 3 und 4 BetrAVG), das Auszehrungs- und Anrechnungsverbot (§ 5 BetrAVG), die Verpflichtung zur Anpassung der laufenden Pensionsleistungen (§ 16 BetrAVG) und schließlich durch den Insolvenzschutz (§§ 7 ff. BetrAVG). Soweit der Anstellungsvertrag bzw. die Versorgungszusage das BetrAVG nicht ausdrücklich für anwendbar erklären, was in vielen Konstellationen angesichts der hohen Rechtssicherheit innerhalb des gesetzlichen Rahmens empfehlenswert sein kann880, ist es für den Geschäftsführer daher u.U. von existentieller Bedeutung, ob er unter den persönlichen Geltungsbereich des BetrAVG fällt. Ob dies der Fall ist, richtet sich nach § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG. Danach können auch Personen unter das BetrAVG fallen, die nicht Arbeitnehmer sind, wenn ihnen „aus Anlass ihrer Tätigkeit für ein Unternehmen“ Versorgungsleistungen zugesagt wurden. Nach dieser sehr weiten Definition könnten sowohl Fremd- als auch Gesellschafter-Geschäftsführer in den Anwendungsbereich des Gesetzes fallen881, ja überhaupt jedermann, der in irgendeiner Weise für ein Unternehmen tätig wird und hierfür eine Versorgungszusage erhält882. Es besteht daher Einigkeit, dass § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG teleologisch einzuschränken ist883. Hierfür besteht insbesondere wegen des gesetzlichen Insolvenzschutzes ein unabweisbares Bedürfnis. Die teleologische Einschränkung des Anwendungsbereichs soll vermeiden, dass sich der Unternehmer (z.B. der Hauptgesellschafter) in die Lage versetzt, die sich selbst versprochene Versorgung gegen Insolvenz zu versichern. Es besteht daher im Grundsatz Einigkeit, dass diejenigen Personen das Gesetz nicht in Anspruch 877 Für Gehaltserhöhungen bei Geschäftsführern BGH v. 14.5.1990 – II ZR 122/89, NJW-RR 1990, 1313 f. = GmbHR 1990, 389. 878 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 338. 879 Vgl. hierzu ausführlich Rz. 328 ff. 880 Der gesetzliche Insolvenzschutz gemäß §§ 7 ff. BetrAVG setzt allerdings voraus, dass der Versorgungsempfänger vom persönlichen Anwendungsbereich des BetrAVG umfasst ist; eine diesbezügliche schuldrechtliche Zusage genügt nicht; s. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 353 f. 881 Vgl. Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 42. 882 Vgl. hierzu kritisch Heilck, BB 2017, 632; vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 340; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 43 spricht von einer „Nachlässigkeit des Gesetzgebers“. 883 LG Aachen v. 12.2.2016 – 43 O 26/15, NZA-RR 2016, 322, 324; Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 450; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 42.
120 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 407 § 35
nehmen können, die selbst Unternehmer sind, d.h. sowohl vermögensmäßig als auch einflussmäßig mit der Gesellschaft so eng verbunden sind, dass sie das Unternehmen als ihr eigenes betrachten können884. Der in der Literatur vorherrschende Ansatz885 stellt hingegen darauf ab, ob sich der Zusageempfänger in einer schutzwürdigen Situation befindet, die einem Arbeitnehmer vergleichbar ist; die hierdurch hergeleiteten Ergebnisse unterscheiden sich jedoch kaum von der Rechtsprechung des BGH886. Unstreitig ist der Geschäftsführer in den folgenden Konstellationen vom Anwendungsbe- 406 reich des BetrAVG ausgeschlossen: – Der als Geschäftsführer tätige Alleingesellschafter887, – der Mehrheitsgesellschafter888, wobei keine automatische Zurechnung der Anteile von Familienangehörigen erfolgt889, – der Geschäftsführer, der genau 50 % der Anteile hält, da dieser vorbehaltlich gegenteiliger Vorschriften der Satzung gegen seine Interessen gerichtete Entscheidungen verhindern kann890, – der Geschäftsführer, der über eine Minderheitsbeteiligung verfügt, jedoch z.B. über einen Stimmbindungsvertrag insgesamt mehr als 50 % der Anteile repräsentiert891. Streitig sind die Konstellationen, in denen mehrere Geschäftsführer jeweils „nicht ganz un- 407 bedeutend“ i.S. einer Minderheitsbeteiligung an der Gesellschaft beteiligt sind, gemeinsam jedoch über die Gesellschaftsmehrheit verfügen. Insofern berücksichtigt die Rechtsprechung nur Beteiligungen, die über ca. 10 % liegen892. Allerdings stellt es einen fragwürdigen Ansatz dar, wenn in solchen Konstellationen Einzelfallbetrachtungen angestellt werden, die notwendigerweise Spekulationen über das – gleichgerichtete? – Handeln und Stimmverhalten der Minderheitsgesellschafter beinhalten; mit der vom BGH angestrebten Rechtssicherheit, die bei der Anwendung des BetrAVG dringend erforderlich ist, lässt sich dies schwerlich in Ein-
884 So auch die Gesetzesmaterialien, BT-Drucks. 7/1281, S. 30 (zu § 7 Abs. 1 Satz 2 RegE, der später zu § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG wurde). 885 S. nur Steinmeyer in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 BetrAVG Rz. 3; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 61 f.; Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 47. 886 Vgl. Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 48. 887 BGH v. 24.6.2015 – IV ZR 411/13, NZA 2016, 111; BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162, 164. 888 BGH v. 24.6.2015 – IV ZR 411/13, NZA 2016, 111; BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162, 164; BGH v. 25.9.1989 – II ZR 259/88, NJW 1990, 49, 50 = GmbHR 1990, 72; BGH v. 2.6.1997 – II ZR 181/96, NJW 1997, 2882 = GmbHR 1997, 843; Reinfelder, RdA 2016, 87, 90. 889 BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162 ff. unter III. 10. 890 BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, NJW 1980, 2257, 2258 = GmbHR 1980, 266; bestätigt durch BGH v. 1.2.1999 – II ZR 276/97, NZG 1999, 436; LG Aachen v. 12.2.2016 – 43 O 26/15, NZA-RR 2016, 322, für den Fall, dass der Gesellschafter mindestens 50 % der Anteile hat und weitere Umstände wie maßgebliche Leitungsmacht hinzutreten; Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 87; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 341; a.A. Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 89, wobei diesen Gesellschaftern nach dem Umständen des Einzelfalls die Anteile anderer Gesellschafter zuzurechnen seien; zudem könne mit Blick auf das oben zitierte Urteil des LG Aachen ein 50 %-Anteil ausreichen, wenn weitere Gründe hinzuträten, die den Betreffenden als Unternehmer erscheinen ließen. 891 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 224/79, AP Nr. 3 zu § 17 BetrAVG; weitere Beispiele bei Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 193 ff. 892 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 224/79, AP Nr. 3 zu § 17 BetrAVG (8 % Beteiligung reichte nicht aus); BGH v. 9.6.1980 – II ZR 180/79, AP Nr. 4 zu § 17 BetrAVG (11, 86 % wurden als „nicht unbedeutend“ angesehen); vgl. hierzu Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 91; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 342; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 37.
Hohenstatt | 121
§ 35 Rz. 407 | Das Anstellungsverhältnis klang bringen893. Im Ergebnis sollten Minderheitsgesellschafter, die zugleich Geschäftsführer sind, nur von der Anwendung des BetrAVG ausgeschlossen werden, wenn sie aufgrund von Stimmbindungsverträgen, Vetorechten oder Stimmrechten für minderjährige Kinder, die ihnen übertragen sind, über einen unternehmergleichen Einfluss verfügen. 408 Bei der GmbH & Co. KG, bei der die GmbH nur die Geschäfte der KG führt, werden die
Gesellschaften als wirtschaftliche Einheit betrachtet, so dass es auf die jeweilige Beteiligung des Geschäftsführers in beiden Gesellschaften ankommt. Die direkte Beteiligung und die durch die GmbH vermittelte werden also zusammengerechnet894. 409 Vollzieht eine Person während ihrer Tätigkeit einen Statuswechsel vom Arbeitnehmer zum
Unternehmer bzw. Nicht-Arbeitnehmer oder umgekehrt, bezieht sich der Insolvenzschutz unter entsprechender Anwendung von § 2 BetrAVG nur auf die als Arbeitnehmer erdienten Anwartschaften895. bb) Sachlicher Geltungsbereich 410 Das BetrAVG ist gemäß dessen § 1 Abs. 1 Satz 1 nur anwendbar, wenn dem Geschäftsführer
Leistungen der Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenversorgung „aus Anlass seines Arbeitsverhältnisses“ (angesichts § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG zu verstehen im betriebsrentenrechtlichen Sinne) zugesagt wurden. Entscheidend ist der Versorgungszweck. Die Leistungspflichten sollen durch eines der in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG genannten biologischen Ereignisse ausgelöst werden896. Bei einem sehr niedrig angesetzten Renteneintrittsalter kann zweifelhaft sein, ob eine Altersversorgung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG vorliegt. Die Zusage von Übergangs- oder Überbrückungsgeldern, die für Zeiten einer etwaigen Arbeitslosigkeit gedacht sind, stellen keine Altersversorgung dar897. Bislang hat die Rechtsprechung regelmäßig ein Renteneintrittsalter von 63 Jahren als unproblematisch angesehen898. Ausgehend von der steuerrechtlichen Beurteilung, nach der ein Mindestalter von 60 Lebensjahren maßgeblich war, wurden auch ab diesem Zeitpunkt einsetzende Versorgungsleistungen als unproblematisch angesehen899. Allerdings ist zu beachten, dass die Finanzverwaltung angesichts der Anhebung der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung nunmehr von einer Mindestaltersgrenze von 62 Jahren ausgeht900. Von dieser Altersgrenze sollte man sich in der Praxis daher leiten lassen, um den vollständigen Insolvenzschutz der Zusage nicht zu gefährden. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 30a Abs. 1 BetrAVG kann ein Geschäftsführer bereits ab dem 60. Lebensjahr eine vorgezogene Betriebsrente verlangen. Es ist nicht erforderlich, dass ab diesem Zeitpunkt auch ein Anspruch auf eine Rente aus der 893 Kritisch auch BAG v. 16.4.1997 – 3 AZR 869/95, NZA 1998, 101, 103 = GmbHR 1998, 84; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 94; Goette, ZIP 1997, 1317, 1322 f. 894 BGH v. 28.4.1980 – II ZR 254/78, GmbHR 1980, 162 Leitsatz 1; BGH v. 25.9.1989 – II ZR 259/88, NJW 1990, 49 unter I. 2. a) = GmbHR 1990, 72; mit Einschränkungen Höfer, § 17 BetrAVG Rz. 106 f.; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 17 BetrAVG Rz. 105 ff. mit weiteren Details und Differenzierungen; zur Anwendbarkeit des BetrAVG auf Gesellschafter einer Personengesellschaft Heilck, BB 2017, 632. 895 BGH v. 9.6.1980 – II ZR 255/78, NJW 1980, 2257, 2259 = GmbHR 1980, 266; BGH v. 16.3.1981 – II ZR 222/79, NJW 1981, 2410 = GmbHR 1982, 160; BGH v. 19.5.1983 – II ZR 49/82, NJW 1983, 2256 = GmbHR 1984, 16. 896 Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1 BetrAVG Rz. 5. 897 BGH v. 16.3.1981 – II ZR 222/79, NJW 1981, 2410, 2411 = GmbHR 1982, 160; BGH v. 2.7.1984 – II ZR 259/83, NZA 1984, 356, 357; BAG v. 26.4.1988 – 3 AZR 411/86, AP Nr. 45 zu § 7 BetrAVG unter I. 1. b; vgl. auch Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1 BetrAVG Rz. 68 f. 898 BGH v. 16.3.1981 – II ZR 222/79, NJW 1981, 2410, 2411 = GmbHR 1982, 160. 899 BAG v. 24.6.1986 – 3 AZR 645/84, NZA 1987, 309; BAG v. 17.9.2008 – 3 AZR 865/06, NZA 2009, 440. 900 BMF-Schreiben v. 30.1.2008 – IV C 8-S2222/07/0003, geändert 18.9.2008, BStBl. I 2008, 887.
122 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 412 § 35
gesetzlichen Rentenversicherung besteht901. Mit dieser Entscheidung hat das BAG die bislang höchstrichterlich noch nicht entschiedene Frage geklärt, ob die Regelung des § 30a BetrAVG über vorgezogene Altersrenten auch zugunsten der den Arbeitnehmern gleichgestellten Personen i.S.v. § 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG gilt. Damit hat das BAG nunmehr klargestellt, dass auch Personen, die nicht Arbeitnehmer sind, eine vorgezogene betriebliche Altersrente beanspruchen können, soweit sie die Voraussetzungen des § 30a BetrAVG erfüllen. Dies hat das Gericht mit der Entstehungsgeschichte und der Zielsetzung des § 30a BetrAVG, auch Männern die Möglichkeit einzuräumen, bereits ab dem 60. Lebensjahr vorgezogene Betriebsrente in Anspruch zu nehmen, begründet902. Nur die in § 1 BetrAVG geregelten Durchführungswege der betrieblichen Altersversorgung 411 fallen unter den sachlichen Anwendungsbereich. Deshalb fällt die reine Beitragszusage, bei der die Gesellschaft lediglich die Zuführung bestimmter Beiträge in ein Versorgungssystem zusagt und das Anlagerisiko hinsichtlich dieser Beiträge allein beim Geschäftsführer liegt, nicht unter das BetrAVG903. Eine dennoch in dieser Form erteilte Versorgungszusage kann allerdings zu Lasten der Gesellschaft als Beitragszusage mit Mindestleistung (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 BetrAVG) auszulegen sein904. cc) Abdingbarkeit der Regelungen des BetrAVG Fällt eine Versorgungszusage zugunsten des Geschäftsführers unter den persönlichen und 412 sachlichen Geltungsbereich des BetrAVG, stellt sich umgekehrt die Frage, ob von den einzelnen Bestimmungen des BetrAVG auch zu Ungunsten des Geschäftsführers abgewichen werden darf. § 19 Abs. 1 BetrAVG bejaht dies für zahlreiche zentralen Vorschriften des BetrAVG, soweit dies „in Tarifverträgen“ geschieht. Dies gilt auch, wenn der Tarifvertrag nicht qua beiderseitiger Tarifbindung sondern durch vertragliche Inbezugnahme Anwendung findet (§ 19 Abs. 2 BetrAVG). Ansonsten kann von allen Bestimmungen des BetrAVG „nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden“, § 19 Abs. 3 BetrAVG. Der BGH905 wendete die Vorschrift des § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG a.F. (§ 19 Abs. 3 BetrAVG n.F.) entgegen ihrem engen Wortlaut lange Zeit auch auf Geschäftsführer an und hielt Abweichungen im Anstellungsvertrag zu deren Ungunsten für unwirksam906. Das BAG907 vertritt – ohne dabei je eine Divergenz zum BGH angenommen zu haben – die Auffassung, dass bei Geschäftsführern durch vertragliche Abrede von den Vorschriften des BetrAVG abgewichen werden dürfe, ebenso wie dies bei Arbeitnehmern durch Tarifvertrag zulässig sei. Dies bedeutet richtigerweise, dass hinsichtlich der §§ 1a, 2 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 4, § 3 BetrAVG, mit Ausnahme des § 3 Abs. 2 Satz 3 BetrAVG sowie hinsichtlich der §§ 4, 5, 16, 18a Satz 1, §§ 27, 28 BetrAVG auch vertragliche Abweichungen zuungunsten des Geschäftsführers zulässig sind. Ansonsten wären Geschäftsführer im Vergleich zu Arbeitnehmern, bei denen Abweichungen immerhin durch Tarifvertrag möglich sind, sogar bessergestellt. Dass bei ihnen 901 BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 114/12, ZIP 2014, 1548 = GmbHR 2014, 929; hierzu kritisch Büdenbender, EWiR 2017, 761. 902 BAG v. 15.4.2014 – 3 AZR 114/12, ZIP 2014, 1548, 1549 f. = GmbHR 2014, 929; hierzu Beck, ArbRAktuell 2014, 320; Rossa-Heise, GmbH-StB 2014, 316. 903 BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 635/06, AP Nr. 49 zu § 1 BetrAVG Rz. 29. 904 So wohl BAG v. 13.11.2007 – 3 AZR 635/06, AP Nr. 49 zu § 1 BetrAVG Rz. 29; Rolfs in Blomeyer/ Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1 BetrAVG Rz. 89a; Steinmeyer in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 BetrAVG Rz. 16. 905 BGH v. 3.2.1986 – II ZR 54/85, NJW-RR 1986, 766; BGH v. 29.5.2000 – II ZR 380/98, NZA 2001, 266, 267; BGH v. 16.3.2009 – II ZR 68/08, NZA 2009, 613, 614 Rz. 19. 906 Vgl. hierzu auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 344 Fn. 817. 907 BAG v. 22.4.2009 – 5 AZR 133/08, AP Nr. 20 zu § 1 BetrAVG Beamtenversorgung Rz. 44 ff.: Dieses Urteil erging zu der Tariföffnungsklausel gemäß § 17 Abs. 3 BetrAVG a.F., die inhaltlich identisch mit § 19 Abs. 1 BetrAVG ist.
Hohenstatt | 123
§ 35 Rz. 412 | Das Anstellungsverhältnis einzelvertragliche Eingriffe möglich sein sollen, begründet das BAG mit der auf Geschäftsführerebene grundsätzlich nicht vorliegenden „Verhandlungsunterlegenheit“908. Diese BAGRechtsprechung ist für die Praxis von größter Bedeutung, da sie vom Gesetz abweichende Regelungen insb. zur Berechnung der Versorgungsanwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden (s. hierzu Rz. 415), bei der Abfindung von Anwartschaften (s. hierzu Rz. 416) und bei der Anpassung von laufenden Versorgungsleistungen (s. hierzu Rz. 417) zulässt. Der BGH hat sich nunmehr der Rechtsprechung des BAG angeschlossen909. c) Unverfallbarkeit 413 Anwartschaften des Geschäftsführers auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wer-
den nach § 1b BetrAVG unverfallbar, wenn das Anstellungsverhältnis nach Vollendung des 25. Lebensjahres endet und die Versorgungszusage zu diesem Zeitpunkt schon fünf Jahre bestanden hat. Kommt es zu einem Arbeitgeberwechsel und wird die Versorgung vom neuen Arbeitgeber übernommen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG), wird die Unverfallbarkeitsfrist hierdurch nicht unterbrochen. Bei einer Entgeltumwandlung besteht sofortige Unverfallbarkeit (§ 1b Abs. 5 BetrAVG). Da § 1b BetrAVG in § 19 Abs. 1 BetrAVG nicht genannt ist, sind die Unverfallbarkeitsregeln des § 1b BetrAVG zwingend; von ihnen kann nicht zum Nachteil des Geschäftsführers abgewichen werden910. Insbesondere kommt eine Verlängerung der Fünfjahresfrist nicht in Betracht. Hingegen ist die Vereinbarung einer sofortigen oder nach kürzerer Frist eintretenden vertraglichen Unverfallbarkeit zulässig und in bestimmten Konstellationen nicht unüblich911. Zu differenzieren ist in den Konstellationen, in denen die Erteilung einer Versorgungszusage für einen zukünftigen Zeitpunkt in Aussicht gestellt wird (Beispiel: „Sofern wir Sie entsprechend unserer Planung in drei Jahren zum Geschäftsführer berufen, wird Ihnen die Gesellschaft eine Versorgungszusage erteilen.“912). Hier ergibt sich im Ergebnis eine Verlängerung des Zeitraums bis zum Erreichen der gesetzlichen Unverfallbarkeit dadurch, dass die Frist des § 1b Abs. 1 BetrAVG erst ab dem Zeitpunkt der tatsächlich erteilten Zusage zu laufen beginnt. Dieser Effekt tritt hingegen nicht bei der Vereinbarung von Vorschaltzeiten ein. In diesem Fall hängt die Versorgungszusage ausschließlich vom Zeitablauf ab, so dass ein Automatismus vorliegt. In diesem Fall läuft die Fünfjahresfrist bereits mit dem Beginn der Vorschaltzeit913. 414 Hiervon zu unterscheiden sind sog. Wartezeiten. Diese beziehen sich nicht auf den Zeit-
punkt der Versorgungszusage selbst, sondern auf den Zeitpunkt, zu dem die entsprechende Versorgungsleistung erstmals verlangt werden kann. So kann z.B. festgelegt werden, dass bestimmte Rentenzahlungen frühestens 10 Jahre nach Erteilung der Versorgungszusage beginnen. Auf den Lauf der Unverfallbarkeitsfrist hat dies keine Auswirkungen (§ 1b Abs. 1 Satz 5 BetrAVG). Die Leistungen gemäß der unverfallbaren Anwartschaft können dann jedoch erst
908 BAG v. 22.4.2009 – 5 AZR 133/08, AP Nr. 20 zu § 1 BetrAVG Beamtenversorgung Rz. 45; zustimmend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 344; Cisch/Bleeck, BB 2010, 1215, 1216; Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 450; Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 282; Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 19 BetrAVG Rz. 58. 909 BGH v. 23.5.2017 – II ZR 6/16, GmbHR 2017, 876 = NZG 2017, 948; zustimmend Büdenbender, EWiR 2017, 496; Rein, DB 2017, 2236; zu den durch eine partielle Abdingbarkeit des BetrAVG aufgeworfenen Folgefragen Diller, ArbRAktuell 2017, 365. 910 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 68/08, NZA 2009, 613, 614. 911 BGH v. 16.3.2009 – II ZR 68/08, NZA 2009, 613, 614; vgl. auch schon BGH v. 17.12.2001 – II ZR 222/99, NZA 2002, 511; vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 348; vgl. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 37. 912 Sog. statusbezogene Zusagevoraussetzung; vgl. hierzu Höfer, § 1b BetrAVG Rz. 79 ff. sowie 101 ff.; Doetsch, DB 1983, 981, 982; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 349. 913 Vgl. nur Höfer, § 1b BetrAVG Rz. 79.
124 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 417 § 35
nach Ablauf der Wartezeit (die auch nach dem Ausscheiden aus dem Anstellungsverhältnis noch erfüllt werden kann) geltend gemacht werden914. Während die Regelungen des § 1b BetrAVG einseitig zwingend zugunsten des Geschäftsfüh- 415 rers Anwendung finden, ist die Berechnung der Versorgungsanwartschaft, die in § 2 Abs. 1 BetrAVG geregelt ist, nicht zwingend (vgl. § 19 Abs. 1 BetrAVG). Im Anstellungsvertrag könnte demnach – was allerdings in der Praxis eher eine Seltenheit darstellen dürfte – eine nachteilige Berechnungsweise vereinbart werden, die zu Lasten des Geschäftsführers von der sog. m/n-tel Methode abweicht915. Durch eine solche Regelung darf allerdings das gesetzlich zwingend ausgestaltete Prinzip der Unverfallbarkeit (§ 1b BetrAVG) nicht ausgehöhlt werden. Es entspricht daher der h.M., dass alternative Berechnungsmethoden nicht dazu führen dürfen, dass die Hälfte der Anwartschaft, die sich aus § 2 Abs. 1 BetrAVG ergeben würde, unterschritten wird916. d) Abfindung von Versorgungsanwartschaften Gemäß § 3 BetrAVG dürfen unverfallbare Anwartschaften im Falle der Beendigung des Ar- 416 beitsverhältnisses nur unter sehr engen Bedingungen abgefunden werden. Dasselbe gilt für laufende Rentenleistungen. Diese Bestimmung hat in der Vergangenheit Trennungsverhandlungen mit Organmitgliedern erschwert und die Parteien häufig gezwungen, trotz einer gewünschten vollständigen Trennung die erworbenen Anwartschaften und damit ein betriebsrentenrechtliches Rechtsverhältnis aufrecht zu erhalten. Die Entscheidung des BAG vom 22.4.2009917 hat insofern die Flexibilität deutlich erhöht. Versorgungsanwartschaften von Geschäftsführern können daher jederzeit – also während und nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses sowie anlässlich dessen Beendigung – durch die Zahlung eines Betrages abgefunden werden918. Die Höhe des Abfindungsbetrages kann frei vereinbart werden; § 3 Abs. 5 BetrAVG i.V.m. § 4 Abs. 5 BetrAVG sind ebenfalls nicht zwingend. Sofern eine Abfindung nicht vertraglich geregelt ist, kann weder die Gesellschaft einseitig die Abfindung einer Anwartschaft herbeiführen, noch kann der Geschäftsführer eine solche Abfindung verlangen919. e) Anpassung von Versorgungsleistungen Nach dem Ausscheiden und bis zum Eintritt des Versorgungsfalls sind Anwartschaften auf 417 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nicht gegen inflationsbedingten Wertverlust abgesichert, sofern derlei nicht ausdrücklich vereinbart ist. Das Gesetz sieht eine Anpassungsverpflichtung erst nach Eintritt des Versorgungsfalls vor (§ 16 BetrAVG). Das Gesetz stellt aber rechtssichere Alternativen zur Standard-Anpassung zur Verfügung, und zwar die Anknüpfung an die Verbraucherpreise oder die Nettolöhne der Arbeitnehmer (§ 16 Abs. 2 BetrAVG) oder die fest zugesagte Erhöhung von jährlich mindestens 1 % (§ 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG). Da § 16 BetrAVG dispositiv ist, sind auch abweichende Anpassungsmechanismen
914 Vgl. Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1b BetrAVG Rz. 138; s. zu sog. „Wartezeitenklauseln mit ausschließender Wirkung“ Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 1b BetrAVG Rz. 151 ff. 915 S. zur m/n-tel Methode nur Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7 Aufl. 2018, § 2 BetrAVG Rz. 23 ff. m.w.N. 916 Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 283; Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 451; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 345. 917 S. hierzu schon Rz. 412. 918 Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 451; Bauer/Baeck/v. Medem, NZG 2010, 721, 724; Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 285; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 346. 919 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 346.
Hohenstatt | 125
§ 35 Rz. 417 | Das Anstellungsverhältnis gestattet; die Parteien können auch gänzlich von einer Anpassungsverpflichtung absehen920, auch wenn dies – je nach wirtschaftlicher Entwicklung – zu einer raschen und substantiellen Entwertung der Zusage führen kann. Allerdings kann bei einer besonders drastischen und damit unerwarteten Inflationsentwicklung von einer Anwendbarkeit der Grundsätze des § 313 BGB auszugehen sein921. 418 Nicht mehr haltbar ist damit die von einigen Autoren aus Treu und Glauben hergeleitete Ver-
pflichtung zur Anpassung von Versorgungszusagen zugunsten Gesellschafter-Geschäftsführern mit nicht unwesentlicher Beteiligung922, für die das BetrAVG keine Anwendung findet (vgl. Rz. 405 f.). Wenn § 16 BetrAVG sogar für Fremdgeschäftsführer abdingbar ist, muss dies erst recht für den Personenkreis gelten, der gar nicht vom Schutzbereich des BetrAVG umfasst ist. f) Anrechnung anderweitiger Leistungen 419 § 5 Abs. 1 BetrAVG verbietet die „Auszehrung“ von Renten durch die Anrechnung von Ren-
tenanpassungen im Hinblick auf andere Renten des Versorgungsempfängers. Die Gesellschaft soll also nicht davon profitieren, dass andere Renten des Versorgungsempfängers (insbesondere die gesetzliche Rente) an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst werden923. § 5 Abs. 2 BetrAVG verbietet die Anrechnung von Renten, die allein auf Versorgungsbeiträgen des Versorgungsempfängers beruhen. § 5 BetrAVG ist für Geschäftsführer dispositiv924, so dass von diesen Bestimmungen zulasten des Geschäftsführers abgewichen werden könnte; dies dürfte allerdings nur äußerst selten praktisch relevant werden. 420 Hingegen lässt § 5 BetrVG die Anrechnung anderer Versorgungsbezüge unberührt. Ins-
besondere ist es zulässig, dass ein Arbeitgeber die Versorgungsleistungen anderer Arbeitgeber ganz oder teilweise anrechnet, soweit diese nicht überwiegend vom Geschäftsführer finanziert sind925. Hierdurch kann sich der Umfang der Versorgungszusage erheblich schmälern, weshalb diesbezüglichen Klauseln größte Aufmerksamkeit zuzuwenden ist. 421 Im Übrigen können anderweitige Einkünfte des bisherigen Geschäftsführers, die auf der
Verwertung seiner Arbeitskraft beruhen, ganz oder teilweise angerechnet werden926. Dies ist insbesondere üblich bis zum Erreichen einer bestimmten Altersgrenze. Auch ist es zulässig, Karenzentschädigungen, die der ausgeschiedene Geschäftsführer für die Einhaltung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbotes927 erhält, auf die Pension anzurechnen928. g) Kürzung oder Widerruf der Versorgung; Aufrechnung aa) Wirtschaftliche Notlage 422 Häufig enthalten Geschäftsführer-Anstellungsverträge bzw. Versorgungszusagen eine Bestim-
mung, wonach sich die Gesellschaft bei einer nachhaltigen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage vorbehält, die Versorgungsleistungen zu kürzen oder einzustellen. Aus der seit 1999 geltenden Systematik des Insolvenzschutzes (Streichung der wirtschaftlichen Notlage 920 Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 287; einschränkend Thüsing/Granetzny, NZG 2010, 449, 452. 921 Diller/Arnold/Kern, GmbHR 2010, 281, 287. 922 S. nur BGH v. 28.5.1973 – II ZR 58/71, NJW 1973, 1599. 923 Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 5 BetrAVG Rz. 16 f. 924 S. hierzu schon Rz. 412. 925 Rolfs in Blomeyer/Rolfs/Otto, 7. Aufl. 2018, § 5 BetrAVG Rz. 163. 926 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 352. 927 Zur Karenzentschädigung s. hier 12. Aufl., § 43 Rz. 250 f. 928 BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 162/84, NZA 1985, 809, 810.
126 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 424 § 35
aus dem Katalog des § 7 Abs. 1 BetrAVG) ergibt sich jedoch die Unwirksamkeit dieses vertraglichen Vorbehalts im Hinblick auf Geschäftsführer, die unter den Anwendungsbereich des Gesetzes929 fallen. Im Hinblick auf diesen Personenkreis kann sich die Gesellschaft nur durch Insolvenz von ihrer Leistungspflicht befreien930; an ihre Stelle tritt dann der PensionsSicherungs-Verein931. Die Gesellschaft kann allenfalls den Versuch unternehmen, einen Vergleich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 BetrAVG abzuschließen932. Dies gelingt allerdings nur auf der Basis eines umfassenden Sanierungskonzepts und als Ergebnis eines außerordentlich komplexen Verfahrens; ein Rechtsanspruch auf Zustimmung des PSV besteht nicht933. Ausgeschiedene Gesellschafter-Geschäftsführer, die nicht unter den Anwendungsbereich des 423 gesetzlichen Insolvenzschutzes fallen934, müssen hingegen aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht für den Fall einer existenzbedrohenden wirtschaftlichen Notlage eine Kürzung oder eine (zeitweise) Aussetzung der Rentenzahlung hinnehmen. Auch insofern werden jedoch hohe Anforderungen gestellt. Insbesondere muss der verlangte Verzicht Bestandteil eines umfassenden und ausgewogenen Sanierungskonzeptes sein935. Bei Scheitern der Sanierung oder nach Überwindung der wirtschaftlichen Notlage leben die Ansprüche wieder auf936. bb) Schwere Pflichtverletzung Auch an die Kürzung oder den Widerruf von Versorgungsleistungen wegen schwerer 424 Pflichtverletzung sind – insbesondere bei Geschäftsführern, die unter den Anwendungsbereich des BetrAVG fallen937 – strengste Anforderungen zu stellen, da ansonsten die Gefahr bestünde, dass der Bestandsschutz des BetrAVG ausgehebelt würde. Es muss eine Situation vorliegen, in der die Geltendmachung der Versorgungsansprüche durch den Geschäftsführer rechtsmissbräuchlich wäre.938 Hierfür ist zum einen Voraussetzung, dass Pflichtverletzungen bzw. Verfehlungen von einer Intensität vorliegen, die über die Anforderungen an den wichti929 S. hierzu Rz. 405 f. 930 A.A. wohl noch Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 52, der indes auch davon auszugehen scheint, dass eine Kürzung oder gar Einstellung praktisch nur in einer Insolvenz erfolgen könne und nicht lediglich in einer „wirtschaftlichen Notlage“ („Bei einem abhängigen Geschäftsführer muss die GmbH zudem alles versuchen, damit er sein Ruhegeld über die Insolvenzversicherung weiter beziehen kann); wie hier die h.M.; s. nur Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 39. 931 BAG v. 17.6.2003 – 3 AZR 396/02, DB 2004, 324; Schnitker in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/ Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. J 348, 352; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 355; zur Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusses des Vorbehalts der wirtschaftlichen Notlage BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats v. 29.2.2012 – 1 BvR 2378/10, ZIP 2012, 1979. 932 Vgl. Merkblatt des PSV Nr. 110/M („Die wesentlichen Grundsätze für die Übernahme betrieblicher Versorgungsleistungen aufgrund eigener Zustimmung des PSVaG im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs“) im Netz unter https://www.psvag.de/fileadmin/doc/merkblaetter/110/110_m_ 1_grundsaetze_des_aussergerichtlichen_vergleichs.pdf; s. zum Vergleich auch BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats v. 29.2.2012 – 1 BvR 2378/10, ZIP 2012, 1979, 1981. 933 Instruktiv Schnitker in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. J 365 ff. 934 Vgl. Rz. 405 f. 935 OLG Stuttgart v. 1.7.1998 – 20 U 9/98, NZG 1998, 914; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 356. 936 BGH v. 11.2.1985 – II ZR 194/84, NJW 1985, 2951, 2952; OLG Stuttgart v. 1.7.1998 – 20 U 9/98, NZG 1998, 914, 916 unter III. 4.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 467; Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 94. 937 S. hierzu Rz. 405 f. 938 BAG v. 13.11.2012 – 3 AZR 444/10, NZA 2013, 1279.
Hohenstatt | 127
§ 35 Rz. 424 | Das Anstellungsverhältnis gen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB939 deutlich hinausgehen940. Beispiele aus der Rechtsprechung: Fortgesetzte Schädigung der Anstellungskörperschaft mit einem Schaden i.H.v. 1,5 Mio. Euro, worauf zur Existenzerhaltung eine Kapitalerhöhung durchgeführt werden musste941; bewusste und gewollte Schädigung einer Bank mit einem Schaden von ca. 500 Mio. Euro942. Nicht zum Widerruf berechtigen hingegen Schäden, die ein ehemaliger Arbeitnehmer, der nach Ende des Arbeitsverhältnisses Aufsichtsratsvorsitzender wird, dadurch verursacht, dass er in dieser Funktion seine Überwachungspflichten vernachlässigt, wenn nicht wenigstens auch ein Verstoß gegen nachvertragliche Pflichten oder sonst eine schwere Verfehlung gegeben ist.943 Die Pflichtverletzungen müssen so schwer wiegen, dass die Tätigkeit des Geschäftsführers im Nachhinein als wertlos erscheint. Im Übrigen – also zusätzlich – muss durch das Handeln des Geschäftsführers ein Schaden entstanden sein, der die Gesellschaft in eine existenzgefährdende Lage bringt944. Diese zusätzliche Anforderung führt dazu, dass selbst in Fällen einer bewussten Schädigung in sehr beträchtlichem Umfang ein Widerruf der Versorgungsleistungen ausscheiden muss, wenn die Gesellschaft angesichts ihrer wirtschaftlichen Substanz ohne Weiteres in der Lage ist, den Schaden zu verkraften. Beispiel aus der Rechtsprechung: Ein Geschäftsführer und seine Mittäter hatten insgesamt Schmiergelder in Höhe von knapp 1 Mio. Euro erhalten, um bestimmte Vertragspartner entgegen der Gesellschaftsinteressen zu bevorzugen. Es entstand ein direkter Schaden in Höhe von 60 000 Euro und die Gesellschaft musste von einem der in Konkurs gefallenen Vertragspartner ein Firmengebäude zum Preis von ca. 3,4 Mio. Euro erwerben, um die Interessen der Gesellschaft in dieser Situation zu wahren. Angesichts der wirtschaftlichen Leistungskraft des Unternehmens ging der BGH945 davon aus, dass es nicht rechtsmissbräuchlich sei, wenn der Kläger dennoch seine Altersversorgung beanspruche. In der Instanzenrechtsprechung946 finden sich sogar noch drastischere Fälle. In der Literatur ist dies zu Recht als zu weitgehend kritisiert worden947. In Fällen einer bewussten und strafrechtlich relevanten Schädigung des Arbeitgebers, die zu einem außergewöhnlich hohen Schaden führt, darf das Recht zum Widerruf der Versorgungszusage nicht von der wirtschaftlichen Leistungskraft der Gesellschaft abhängen. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsprechung auch außerhalb der Fälle der Existenzgefährdung Fallgruppen anerkennt, bei denen schon die Herbeiführung eines außergewöhnlich hohen Schadens zu einem (teilweisen) Widerrufsrecht führt; in einer Entscheidung vom 18.6.2007948 hat der BGH dies als Möglichkeit angedeutet. Die Praxis muss sich jedoch darauf einstellen, dass der Widerruf der Versorgungsleistungen wegen grober Pflichtverletzung nur in Extremfällen in Betracht kommt.
939 S. hierzu Rz. 492 ff. 940 BGH v. 25.11.1996 – II ZR 118/95, NJW-RR 1997, 348, 348 f.; BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, NZA 1990, 807 Leitsatz 4. 941 BGH v. 19.12.1983 – II ZR 71/83, NJW 1984, 1529, 1530 = GmbHR 1984, 75; ähnlich BGH v. 13.12.1999 – II ZR 152/98, NJW 2000, 1197 (fortgesetzte Untreue zulasten einer Bank, resultierend in einem Sanierungsaufwand von ca. DM 190 Mio. bei einem Eigenkapital von nur DM 22 Mio.). 942 BGH v. 20.9.1993 – II ZA 4/93, m. Anm. Goette, DStR 1994, 146. 943 LAG Baden-Württemberg v. 9.1.2015 – 9 Sa 16/14, juris. 944 BAG v. 8.5.1990 – 3 AZR 152/88, NZA 1990, 807, 807 f.; BGH v. 25.11.1996 – II ZR 118/95, NJWRR 1997, 348; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 222/99, DStR 2002, 412, 413 m. Anm. Goette = NZA 2002, 511, 512. 945 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 222/99, DStR 2002, 412. 946 OLG München v. 25.1.2005 – 18 U 3299/03, DB 2005, 2198, 2199; kritisch hierzu Greth, DB 2005, 2199; Schumann, DB 2005, 2200. 947 Goette, DStR 2002, 413; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 357; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 459. 948 BGH v. 18.6.2007 – II ZR 89/06, NJW-RR 1563, 1565 Rz. 18; vgl. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 38.
128 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 427 § 35
Die vom BAG entwickelten Grundsätze zum Widerruf der Versorgungszusage wegen grober 425 Pflichtverletzung949 greifen nicht nur, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen oder nachvertraglichen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitgeber verletzt. Auch grobe Pflichtverletzungen, die ein früherer Arbeitnehmer im Rahmen eines anderen Rechtsverhältnisses mit seinem ehemaligen Arbeitgeber zu dessen Lasten begeht und die zu einem existenzgefährdenden Schaden des ehemaligen Arbeitgebers führen, können die Berufung des ehemaligen Arbeitnehmers auf sein Versorgungsversprechen nach § 242 BGB missbräuchlich machen950. Allerdings kann eine Aufrechnung der Gesellschaft mit ihren Schadensersatzansprüchen er- 426 folgen. Die Aufrechnung gegen Versorgungsansprüche ist im allgemeinen analog § 394 Satz 1 BGB, § 850i ZPO nur insoweit zulässig, als dem Versorgungsempfänger unter Einbeziehung seiner sonstigen Einkünfte eine Grundsicherung verbleibt951. Es ist möglich, laufende Rentenzahlungen für einen Zeitraum von max. sechs Monaten im Voraus zu tilgen und im Hinblick auf den sich daraus ergebenden Betrag insgesamt die Aufrechnung zu erklären952. Sofern der Gesellschaft das Recht eingeräumt ist, die Anwartschaften des Versorgungsempfängers zu kapitalisieren, kann auch eine Aufrechnung gegen den Gesamtbetrag in Betracht kommen953. Sofern der aufzurechnende Anspruch gegen den Geschäftsführer allerdings auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung beruht, ist die Aufrechnung ohne Rücksichtnahme auf Pfändungsfreigrenzen möglich; ihm muss nur dasjenige verbleiben, was erforderlich ist, damit er nicht den Sozialkassen zur Last fällt954. Bei Gesellschafter-Geschäftsführern ist – soweit sie nicht unter den Anwendungsbereich des 427 BetrAVG fallen – der Widerruf von Versorgungsleistungen erleichtert. Bei schweren Pflichtverstößen kommt bei ihnen ein gänzlicher oder teilweiser Widerruf in Betracht, wobei insofern § 242 BGB eine Begrenzung der Handlungsmöglichkeiten der Gesellschaft bewirkt. Die Schwere des Pflichtverstoßes und die hierdurch eingetretenen Schäden einerseits sind der Dauer der beanstandungsfreien Zusammenarbeit sowie dem Versorgungsinteresse des Gesellschafter-Geschäftsführers gegenüberzustellen. Die Abwägung kann ergeben, dass die Versorgung nur teilweise widerrufen werden darf955. Jedenfalls ist es nicht Voraussetzung eines Widerrufs, dass die Pflichtverletzung über das Maß hinausgeht, das für eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB erforderlich ist. Daher ist es zulässig, im Anstellungsvertrag vorzusehen, dass eine wirksame außerordentliche Kündigung, die der Gesellschafter-Geschäftsführer zu vertreten hat, den Versorgungsanspruch beseitigt956. Jaeger/ Steinbrück957 weisen zutreffend darauf hin, dass sich diese Vertragsgestaltung im Rahmen
949 BAG v. 13.11.2012 – 3 AZR 444/10, NZA 2013, 1279. 950 BAG v. 20.9.2016 – 3 AZR 77/15, NZG 2017, 69; a.A. LAG Baden-Württemberg v. 9.1.2014 – 9 Sa 16/14, juris. 951 BAG v. 16.12.1986 – 3 AZR 198/85, AP Nr. 1 zu § 8 BetrAVG a.E. = ZIP 1987, 1339, 1342 f. 952 BAG v. 16.12.1986 – 3 AZR 198/85, AP Nr. 1 zu § 8 BetrAVG Leitsatz 1 = ZIP 1987, 1339; BGH v. 15.3.2006 – VIII ZR 120/04, NZG 2006, 590 Leitsatz 1; kritisch zur Beschränkung auf einen Sechsmonatszeitraum Uwe H. Schneider/Brouwer, GmbHR 2006, 1019; Uwe H. Schneider/Brouwer in FS Röhricht, 2005, S. 541, 546. 953 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 464; dies gelte aufgrund des Kapitalisierungsverbots nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG indes nicht für Versorgungsansprüche, die unter den betriebsrentenrechtlichen Unverfallbarkeitsschutz gemäß §§ 1b, 2 BetrAVG fielen. 954 BAG v. 18.3.1997 – 3 AZR 756/95, NZA 1997, 1108; vgl. hierzu auch Bauer/v. Steinau-Steinrück, ZGR 1999, 314, 336; weitergehend Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 465, der die Aufrechnung ohne Einschränkung zulassen will. 955 BGH v. 19.12.1983 – II ZR 71/83, NJW 1984, 1529, 1530 f. = GmbHR 1984, 75. 956 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 236/06, GmbHR 2008, 256; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 358. 957 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 358.
Hohenstatt | 129
§ 35 Rz. 427 | Das Anstellungsverhältnis einer gerichtlichen Abwägung, ob wichtige Gründe für eine außerordentliche Kündigung vorliegen, faktisch zulasten der Gesellschaft auswirken kann, weil die Gerichte die einschneidenden Folgen der Kündigung mit bedenken werden. Bei richtiger Handhabung dürfte im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB indessen allein die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Anstellungsvertrages bis zur nächsten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit958 ausschlaggebend sein. h) Steuerliche Anerkennung der Versorgungszusage 428 Ebenso wie die Geschäftsführervergütung bei Gesellschafter-Geschäftsführern auf ihre steu-
erliche Angemessenheit zu überprüfen ist (vgl. Rz. 375 ff.), wird sich auch bei Versorgungszusagen gegenüber diesem Personenkreis häufiger die Frage der steuerlichen Anerkennung stellen. Dies beurteilt sich nach der dreistufigen Prüfung, die die Finanzverwaltung im Rahmen der Überprüfung der Geschäftsführervergütung anstellt959. Darüber hinaus gelten im Bereich der Versorgungszusagen gewisse Besonderheiten. Insbesondere darf die Zusage nicht „zu spät“ oder „zu früh“ erfolgen. Die Anerkennung kann daher z.B. versagt werden, wenn der Grundsatz der „Erdienbarkeit der Pension“960 verletzt ist. Dies ist der Fall, wenn der Zusageempfänger zum Zeitpunkt der Zusage bereits das 60. Lebensjahr vollendet hat961. Im Übrigen ist darauf zu achten, dass zwischen dem Zeitpunkt der Zusage und dem Zeitpunkt des regulären Versorgungsfalls mindestens fünf Jahre liegen. Der BFH962 hat in einer Entscheidung aus dem Jahre 1996 zwar noch auf die alten Unverfallbarkeitsfristen (10 Jahre) abgestellt; seit der Verkürzung dieser Fristen müsste wohl aber die steuerliche Betrachtung entsprechend modifiziert erfolgen963. Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Zusage prüft die Finanzverwaltung im Sinne der „Üblichkeit“ der Zusage darüber hinaus, ob ein externer Fremdgeschäftsführer in vergleichbarer Konstellation bereits eine Versorgungszusage erhalten hätte oder ob eine Bewährungszeit vorgeschaltet worden wäre (sog. Vorschaltzeit964)965. Hierfür ist entscheidend, ob die Gesellschafter die Leistungen des Zusageempfängers zum Zusagezeitpunkt bereits verlässlich einschätzen konnten966. 429 Auch im Hinblick auf den Umfang der Versorgung bestehen Grenzen im Hinblick auf die
steuerliche Anerkennung. Aus dem Verbot der Überversorgung ergibt sich, dass die Be-
958 S. hierzu Rz. 486. 959 S. BMF-Schreiben v. 14.10.2002 – IV A 2 – S2742 – 62/02, GmbHR 2002, 1152; vgl. Rz. 376; SeligKraft/Beeger, BB 2017, 1885, 1886 ff. 960 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359. 961 BFH v. 16.12.1998 – I R 96/95, NJW 1999, 3070, 3071; vgl. auch Tillmann/A. Schmidt, GmbHR 1995, 796, 801; Selig-Kraft/Beeger, BB 2017, 1885, 1887. 962 BFH v. 24.1.1996 – I R 41/95, GmbHR 1996, 701 = DStR 1996, 1240. 963 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359, die von einer Erfüllung des Kriteriums der Erdienbarkeit der Pension ausgehen, wenn zwischen Versorgungszusage und Inanspruchnahme mindestens der jew. Zeitraum der gesetzlichen Unverfallbarkeitsfrist liegt; anders zunächst BFH v. 5.6.2014 – VI R 76/13, DStR 2014, 1769, der weiterhin auf eine Frist von mindestens zehn Jahren abstellte und zusätzlich verlangte, dass der Gesellschafts-Geschäftsführer im Erdienungszeitraum auch tatsächlich aktiv wird und nicht vorzeitig aus dem Anstellungsverhältnis ausscheidet; sodann hat der BFH mit Urteil v. 20.7.2016 – I R 33/15, DB 2016, 2516, 2518 f. = GmbHR 2016, 1275 aber klargestellt, dass das Kriterium der Erdienbarkeit im Einzelfall auch dann gegeben sein könne, wenn der 10-Jahres-Zeitraum nicht erreicht, jedoch sichergestellt sei, dass mit der Versorgungszusage die künftige Arbeitsleistung des Geschäftsführers abgegolten werde. 964 Vgl. zu Vorschaltzeiten Rz. 413. 965 BFH v. 18.2.1999 – I R 51/98, GmbHR 1999, 990 = NJW 2000, 535; BFH v. 18.8.1999 – I R 10/99, NJW 2000, 1671, 1672 = GmbHR 1999, 1306. 966 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359.
130 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 434 § 35
triebsrente zusammen mit etwaigen Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung 75 % der Bezüge aus aktiver Tätigkeit nicht übersteigen darf967.
6. Beschäftigungsanspruch; Suspendierung; Annahmeverzug Der Anstellungsvertrag gibt keinen klagbaren Anspruch gegenüber der Gesellschaft, als Ge- 430 schäftsführer berufen bzw. nicht abberufen zu werden. Das folgt aus der organisationsrechtlichen Natur der Bestellung und mittelbar aus § 38968. Der Geschäftsführer kann die unterbliebene Berufung bzw. die Abberufung jedoch u.U. zum Anlass nehmen, den Anstellungsvertrag außerordentlich zu kündigen und Schadensersatz nach § 828 Abs. 2 BGB zu verlangen969. Der Geschäftsführer kann nach einer Abberufung auch nicht verlangen, in angemessener lei- 431 tender Stellung unterhalb der Geschäftsführungsebene weiterbeschäftigt zu werden, soweit dies im Anstellungsvertrag nicht ausdrücklich vorgesehen ist970. Regelmäßig hat der Geschäftsführeranstellungsvertrag nur die Geschäftsführung zum Inhalt, so dass ein Anspruch auf andere Beschäftigung nicht in Betracht kommt971. Eine Ablehnung eines Angebots zur anderweitigen Beschäftigung stellt daher auch keinen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar972. Die Gesellschaft kann den Geschäftsführer zeitweilig von seiner Geschäftsführertätigkeit ent- 432 binden (suspendieren)973. Die Möglichkeit zu einer solchen Freistellung ergibt sich aus dem Weisungsrecht der Gesellschafter (vgl. näher 12. Aufl., § 38 Rz. 94 f.). Bietet der Geschäftsführer seine Dienste weiterhin an, setzt er die Gesellschaft in Annahme- 433 verzug, s. Rz. 438 ff. Das Unterbleiben der Bestellung bzw. der Widerruf der Bestellung kann den Geschäftsführer zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB berechtigen974. Zur Frage nach dem Anspruch des Geschäftsführers auf Schadensersatz gemäß § 628 Abs. 2 BGB s. Rz. 506. Zur Pflicht des Geschäftsführers zur Arbeitsleistung nach Abberufung s. 12. Aufl., § 38 Rz. 34.
7. Kreditgewährung an den Geschäftsführer S. 12. Aufl., § 43a Rz. 22 ff.
434
967 BFH v. 18.2.1999 – I R 51/98, GmbHR 1999, 990 = NJW 2000, 535 a.E.; vgl. auch BMF-Rundschreiben v. 3.11.2004 – IV B 2 - S 2176 - 13/04, BStBl. I 2004, 1046; zur Haftung des Steuerberaters in diesem Zusammenhang BGH v. 27.3.2012 – I R 56/11, GmbHR 2012, 758. 968 BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, GmbHR 2011, 82; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 28; Kothe-Heggemann/Schelp, GmbHR 2011, 75, 77; Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497, 498. 969 Vgl. hierzu Rz. 507. 970 BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, GmbHR 2011, 82 f. 971 BGH v. 11.10.2010 – II ZR 266/08, GmbHR 2011, 82 f. 972 Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497, 498. 973 OLG Jena v. 8.1.2014 – 2 U 627/13, NZG 2014, 391 = GmbHR 2014, 706 zur Möglichkeit, einen Geschäftsführer im Wege der einstweiligen Verfügung zu suspendieren, bis die Frage, ob ein wichtiger Grund für seine Abberufung oder Kündigung tatsächlich gegeben ist, im Hauptsacheverfahren geklärt werden kann. 974 S. Rz. 507.
Hohenstatt | 131
§ 35 Rz. 435 | Das Anstellungsverhältnis
8. Leistungsstörungen a) Dienstverhinderung aa) Nicht zu vertretende Dienstverhinderung 435 In der Regel bestimmt der Anstellungsvertrag, für welchen Zeitraum dem Geschäftsführer
die Vergütung bei unverschuldeter Dienstverhinderung (insb. Krankheit, Unfall) fortzuzahlen ist975. Fehlt eine entsprechende Anspruchsgrundlage im Vertrag, behält der Geschäftsführer Anspruch auf Vergütung für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“, sofern er den Verhinderungsgrund nicht verschuldet hat, § 616 Satz 1 BGB976. Ein Anspruch gemäß dem Entgeltfortzahlungsgesetz scheidet hingegen aus977. Für den Zeitraum, der i.S.d. § 616 Satz 1 BGB als eine noch „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ angesehen werden kann, beziehen sich Gerichte und Literatur im Sinne einer groben Orientierung jedoch auf die Sechswochenfrist des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG978, was angesichts des Wortlauts von § 616 BGB als zu weitgehend erscheint. Während der in § 616 BGB genannten Dauer besteht Anspruch auf die volle Vergütung („Entgeltausfallprinzip“)979. Dies bedeutet, dass auch die variable Vergütung fortzuzahlen ist. Da § 616 BGB dispositiv ist980, kann hiervon jedoch vertraglich abgewichen werden. Häufig wird in Anstellungsverträgen danach differenziert, wie lange die Verhinderung andauert, und wird nach einem bestimmten Zeitraum (z.B. sechs Wochen oder drei Monate) festgelegt, dass sodann nur noch eine Fortzahlung der Festvergütung erfolgt981. 436 Die h.M. zieht in Bezug auf das Verschulden die Grundsätze heran, die für die Entgeltfort-
zahlung im Krankheitsfall gelten982. Ein Verschulden liegt demnach bei einem groben Verstoß gegen die eigenen Interessen eines verständigen Menschen vor983. bb) Zu vertretende Dienstverhinderung 437 Hat der Geschäftsführer die Dienstverhinderung zu vertreten, verliert er gemäß § 326 Abs. 1
BGB seinen Anspruch auf Vergütung. Hat der Geschäftsführer selber die (fristlose) Kündigung erklärt und stellt sich die Kündigung als unwirksam heraus, so kann er sich nicht auf § 615 Satz 1 BGB bzw. § 326 Abs. 2 BGB berufen; darin läge ein widersprüchliches Verhalten984. b) Annahmeverzug der Gesellschaft 438 Beschäftigt die Gesellschaft den Geschäftsführer trotz des Fortbestands des Anstellungsver-
trages nicht, befindet sie sich im Annahmeverzug. In diesem Fall kann der Geschäftsführer 975 Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl. 2016, S. 128 ff. 976 Vgl. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 126; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 41; Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 217. 977 Vgl. Rz. 272. 978 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 326; Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 616 BGB Rz. 10a; Haase, GmbHR 2005, 1260, 1266 f. 979 Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 616 BGB Rz. 46; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 616 BGB Rz. 62. 980 BAG v. 20.6.1995 – 3 AZR 857/94, NZA 1996, 383; Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 616 BGB Rz. 49 f. m.w.N. 981 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 326. 982 Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 616 BGB Rz. 11; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 616 BGB Rz. 56. 983 Reinhard in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 3 EFZG Rz. 23; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 616 BGB Rz. 56. 984 BGH v. 8.11.1999 – II ZR 7/98, GmbHR 2000, 85 (noch zum alten Schuldrecht).
132 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 441 § 35
gemäß § 615 Satz 1 BGB die ihm zugesagte Vergütung verlangen, ohne dass er zur Nachleistung der Dienste verpflichtet wäre. Dies setzt allerdings voraus, dass der Geschäftsführer die Gesellschaft durch das Anbieten seiner Dienste in Annahmeverzug setzt985. Die erklärte Bereitschaft zur Weiterarbeit vor Ausspruch einer Kündigung genügt nicht; das Angebot muss vielmehr nach der Kündigung wiederholt werden986. Ein solches Angebot ist nur dann nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft zu erkennen gibt, unter keinen Umständen zur Weiterbeschäftigung bereit zu sein987. Eine solche Erklärung liegt jedoch nicht schon in der Abberufung bzw. der Kündigung988. Bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung seitens der Gesellschaft liegt in der Erhebung einer Klage hiergegen das wörtliche Angebot, da der Geschäftsführer hierdurch bereits seine fortbestehende Leistungsbereitschaft zum Ausdruck gebracht hat989. Ein Annahmeverzug der Gesellschaft kommt insbesondere in drei Fällen in Betracht: (1) Der 439 Geschäftsführer wird abberufen, ohne dass der Anstellungsvertrag gekündigt wird, (2) der Anstellungsvertrag läuft nach Abberufung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder für die Restlaufzeit des Vertrages weiter und (3) bei Ausspruch einer unwirksamen außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung. Der Annahmeverzug der Gesellschaft nach Abberufung von der Organstellung widerspricht 440 nicht § 297 BGB (Ausschluss des Verzugs bei Unmöglichkeit)990; die Gesellschaft kann sich nämlich auf die Unmöglichkeit nicht berufen, wenn sie diese durch eine (jederzeit mögliche – § 38) Abberufung selbst herbeigeführt hat991. Fraglich ist, ob die Gesellschaft den Annahmeverzug dadurch aufheben kann, dass sie ihm 441 eine andere leitende Stellung unterhalb der Geschäftsführungsebene anbietet (vgl. hierzu auch 12. Aufl., § 38 Rz. 34). Dies wird zutreffend mit Verweis darauf, dass der Geschäftsführer nach dem Anstellungsvertrag regelmäßig lediglich Geschäftsführertätigkeiten schuldet, abgelehnt992. Der Geschäftsführer schuldet mangels vertraglicher Vereinbarung auch dann keine Tätigkeit unterhalb der Geschäftsführungsebene, wenn er die Abberufung pflichtwidrig verschuldet hat993. Das Angebot von Tätigkeiten außerhalb des vertraglich geschuldeten Bereichs kann den Annahmeverzug des Arbeitgebers generell nicht beseitigen994; auf ein etwaiges Vertretenmüssen der Gründe für den Annahmeverzug kommt es insofern nicht an. Allerdings kann die Gesellschaft dem Geschäftsführer dennoch eine zumutbare Tätigkeit unterhalb der Geschäftsführungsebene anbieten995. Der Geschäftsführer ist – wie dargelegt – zwar nicht zur Annahme verpflichtet. Lehnt er allerdings eine zumutbare Tätigkeit innerhalb 985 986 987 988 989 990 991 992 993 994 995
Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 98 und 101. BGH v. 20.1.1988 – IVa ZR 128/86, ZIP 1988, 453, 454. BGH v. 9.10.2000 – II ZR 75/99, GmbHR 2000, 1256, 1257. Vgl. zur Kündigung BGH v. 20.1.1988 – IVa ZR 128/86, ZIP 1988, 453, 454; anders liegt der Fall bei Abberufung und Bestellung eines anderen Geschäftsführers: BGH v. 9.10.2000 – II ZR 75/99, GmbHR 2000, 1256. Ständige Rechtsprechung des BAG; s. etwa BAG v. 24.11.1994 – 2 AZR 179/94, NZA 1995, 263, 265; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 328; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 38 Rz. 98; zur Risikovermeidung empfiehlt sich weiterhin ein ausdrückliches Angebot. OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875; s. hierzu Wittmann/Bürger, jurisPR-HaGesR 7/2016 Anm. 6. Kritisch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 99; a.A. Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497, 499; s. auch Greger in FS Boujong, 1996, S. 153 f. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 330; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 25; a.A. OLG Karlsruhe v. 25.8.1995 – 15 U 286/94, GmbHR 1996, 208, 209. A.A. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 330 unter Hinweis auf BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 969; BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435, 1436. BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NJW 2007, 2062 Rz. 16. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 100.
Hohenstatt | 133
§ 35 Rz. 441 | Das Anstellungsverhältnis der Gesellschaft ab, muss er sich eine für diese Tätigkeit angemessene (fiktive) Vergütung gemäß § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen996. Dabei ist nicht jede Tätigkeit, die nach dem bestehenden Vertrag nicht geschuldet ist, von vornherein unzumutbar997. Der Geschäftsführer muss jedoch keine Tätigkeiten annehmen, die seinen Ruf oder sein Ansehen schädigen könnten. 442 Der Annahmeerzug setzt nicht voraus, dasss sich der Dienstverpflichtete ständig abrufbereit
hält. So beendet der Aufbau einer neuen wirtschaftlichen Existenz den Annahmeverzug nicht, solange es dem Arbeitnehmer ohne Weiteres möglich ist, diese Tätigkeit wieder aufzugeben998. Der Regelung des § 615 Satz 2 BGB sei zu entnehmen, dass eine anderweitige Verwendung der Arbeitskraft grundsätzlich nur zu einer Anrechnung des Entgelts, nicht aber zu einer Beendigung des Gläuberverzugs führe999. Das BAG hat es für den Fall der Eingehung eines neuen Arbeitsverhältnisses als mit dem Fortbestand des Annahmeverzugs vereinbar erachtet, wenn der Arbeitnehmer das neue Arbeitsverhältnis auch unter Einhaltung einer Kündigungsfrist beenden kann1000. 443 § 615 Satz 2 BGB ist auch im Falle einer einseitigen Freistellung anwendbar. Ausgeschlossen
ist die Anrechnung anderweitigen Verdienstes dann, wenn der Verdienst auch bei fortlaufender Geschäftsführertätigkeit hätte erzielt werden können1001. 444 Während des Annahmeverzuges hat der Geschäftsführer Anspruch auf die Fortzahlung aller
Vergütungen, auch der variablen Leistungen1002. Entgegen einer gelegentlich vertretenen Auffassung1003 besteht auch Anspruch auf Zahlung leistungsabhängiger Vergütungsleistungen – im Annahmeverzug kann sich die Gesellschaft nicht darauf berufen, dass der Anspruch mangels Leistungserfüllung nicht begründet sei. Auch Naturalleistungen, namentlich die Gestellung eines Dienstwagens zur Privatnutzung, sind weiter zu erbringen. Wird dem Geschäftsführer – z.B. auf der Grundlage einer vermeintlich wirksamen außerordentlichen Kündigung – das Nutzungsrecht entzogen, kann der Geschäftsführer Schadensersatz für die entgangene Privatnutzung verlangen1004. Da § 615 Satz 1 BGB abdingbar1005 ist, können im Anstellungsvertrag anderweitige Regelungen vorgesehen werden. Allerdings darf die vom Gesetz abweichende Regelung nicht dazu führen, dass der vertragliche Inhaltsschutz vollkommen preisgegeben wird1006. Im Übrigen darf die Regelung den Geschäftsführer nicht un-
996 So auch Lunk/Rodenbusch, NZA 2011, 497, 500; vgl. BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NJW 2007, 2062 Rz. 16 f.; a.A. Kothe-Heggemann/Schelp, GmbHR 2011, 75, 78; zur Frage, ob und wenn ja unter welchen Voraussetzungen die Nichtannahme einer solchen Alternativtätigkeit ein böswilliges Unterlassen i.S.d. § 615 Satz 2 BGB darstellt, Bork, NZA 2015, 199. 997 BAG v. 7.2.2007 – 5 AZR 422/06, NJW 2007, 2062 Rz. 16 f. 998 OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875, 881. 999 OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875, 881 mit Verweis auf Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014, § 615 BGB Rz. 56. 1000 BAG v. 16.5.2012 – 5 AZR 251/11, NZA 2012, 971, 972. 1001 OLG Oldenburg v. 17.2.2000 – 1 U 155/99, NZG 2000, 1038, 1040 f. m. Anm. Loritz. 1002 OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875 Rz. 108; Preis in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 615 BGB Rz. 76 f.; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 615 BGB Rz. 56; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 329; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 398. 1003 Werner, NZA-RR 2020, 235, 237. 1004 S. nur BGH v. 16.11.1995 – 8 AZR 240/95, NZA 1996, 415, 416 f.; Meier, NZA 1999, 1083, 1084 f. 1005 BAG v. 10.1.2007 – 5 AZR 84/06, NZA 2007, 384 Rz. 28; OLG München v. 24.3.2016 – 23 U 1884/15, GmbHR 2016, 875, 879; Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 615 BGB Rz. 107 m.w.N., der zudem auf die (Ausnahme)Fälle der Unabdingbarkeit, § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG sowie §§ 19 Abs. 1 Nr. 2a, 25 BBiG, hinweist. 1006 Krause in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 615 BGB Rz. 107; für Billigkeitskontrolle auch Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 615 BGB Rz. 10 f.
134 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 454 § 35
angemessen benachteiligen (§ 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB). Im Hinblick auf die variable Vergütung während des Annahmeverzuges wird in der Literatur vertreten, dass ein gänzlicher Ausschluss der variablen Vergütung während des Annahmeverzugs (z.B. nach erfolgter Abberufung) zulässig sei, da hierdurch das Prinzip von Leistung und Gegenleistung (§ 326 BGB) unterstrichen werde1007. Bei einem sehr hohen Umfang der variablen Leistungen im Verhältnis zur Gesamtvergütung könnte der BGH, der solche Klauseln bislang nicht zu beurteilen hatte, unter dem Gesichtspunkt des Inhaltsschutzes des Vertrages Bedenken erheben, da es die Gesellschaft ansonsten in der Hand hätte, den Geschäftsführer mittels einer jederzeit zulässigen Abberufung um einen erheblichen Teil seiner Vergütungsaussichten zu bringen. Es ist fraglich, ob die Rechtsprechung dies im Hinblick auf § 38 Abs. 1 Halbsatz 2 und den Grundgedanken des Annahmeverzuges für zulässig ansehen wird. Im Hinblick auf die Gestellung eines Dienstwagens zur Privatnutzung kommt eine gänzliche Abbedingung von § 615 Satz 1 BGB hingegen ohne Weiteres in Betracht, was dazu führt, dass auch Schadensersatzansprüche wegen der Vorenthaltung des Dienstwagens entfallen1008. c) Betriebsrisiko der Gesellschaft Kann der Geschäftsführer seine Arbeitsleistung aus Gründen nicht erbringen, die dem Be- 445 triebsrisiko der Gesellschaft zuzurechnen sind (z.B. schadhafte Arbeitsgeräte), besteht der Vergütungsanspruch unbefristet fort (analog § 615 Satz 3 BGB). Auch der Gesellschafter-Geschäftsführer muss sich nicht wegen seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung das Betriebsrisiko zurechnen lassen. Insoweit ist zwischen den Verantwortungsbereichen des Geschäftsführers aus seinem Anstellungsverhältnis und aus seiner Gesellschafterposition zu trennen1009. Die Vergütung kann jedoch dann nach § 326 Abs. 1 BGB gekürzt werden, wenn sich beim Betriebsausfall eine Gefahr verwirklicht hat, die im Einflussbereich des Geschäftsführers lag1010. d) Schlechtleistung Erfüllt der Geschäftsführer seine Pflichten schuldhaft schlecht, haftet er nur nach § 43 auf- 446 grund seiner Organstellung und nicht daneben wegen Pflichtverletzung aus dem Vertrag. Die Vergütung kann dem Geschäftsführer allenfalls in Extremfällen, beispielsweise im Falle völliger Wertlosigkeit der Leistung, vorenthalten oder gekürzt werden1011.
9. Wettbewerbsverbot S. hierzu 12. Aufl., § 43 Rz. 186 ff., zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot s. 12. Aufl., § 43 447 Rz. 245 ff. Einstweilen frei.
448–454
1007 Bauer/Göpfert/Siegrist, DB 2006, 1774, 1777 (auch mit Klauselvorschlägen); vgl. auch Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337, 2340, die der Auffassung sind, dass derlei Regelungen zur variablen Vergütung „Preisvereinbarungen“ darstellen, die keiner Inhaltskontrolle unterliegen. 1008 Vgl. BAG v. 5.9.2002 – 8 AZR 702/01, NZA 2003, 973, 975 f., wobei diese Entscheidung nur einen relativ kurzen Zeitraum betraf; zu vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten beim Dienstwagen Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl. 2016, S. 135 ff. 1009 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 42; a.A. Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 218. 1010 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 42; Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 218 zu § 323 Abs. 1 BGB a.F. 1011 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 43; Fleck in FS Hilger/Stumpf, 1983, S. 197, 219.
Hohenstatt | 135
§ 35 Rz. 455 | Das Anstellungsverhältnis
XIV. Beendigung des Anstellungsverhältnisses 1. Allgemeines a) Beendigungsmöglichkeiten 455 Die Beendigung des Anstellungsverhältnisses tritt ein durch Kündigung, durch vertragliche
Aufhebung, durch Zeitablauf, wenn der Vertrag für eine fest bestimmte Zeit geschlossen wurde, durch Bedingungseintritt bei Vereinbarung einer sog. Koppelungsklausel (Abberufung)1012 oder durch Tod des Geschäftsführers. Bestehen in einem Konzern Anstellungsverträge zu mehreren Konzernunternehmen, so kann die Kündigung eines Anstellungsvertrages auch die Beendigung der anderen Anstellungsverträge herbeiführen, wenn die Verträge eine Einheit bilden1013. Dagegen beendigt weder die Abberufung als Geschäftsführer1014 (es sei denn, dass eine Koppelungsklausel vereinbart ist) noch die Amtsniederlegung1015 (dito) den Anstellungsvertrag. Dies ergibt sich aus dem sog. Trennungsprinzip1016, das sich aus § 38 Abs. 1 herleitet. Vielmehr ist sowohl bei der Abberufung wie auch bei der Amtsniederlegung gesondert zu prüfen, ob die Kündigungsvoraussetzungen vorliegen und die Kündigung wirksam erklärt ist. Zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses in der Insolvenz der Gesellschaft s. Rz. 548 ff. b) Zuständigkeit für die Beendigung aa) Vertragliche Aufhebung 456 Die Entscheidung über die einverständliche vertragliche Aufhebung des Anstellungsvertrages
und die damit verbundene Regelung über die Beendigung der Organstellung fällt in den Zuständigkeitsbereich der Gesellschafter1017. Die Gesellschafter vertreten die Gesellschaft auch beim Abschluss des Aufhebungsvertrages. Diese Zuständigkeit gilt auch für den Aufhebungsvertrag mit bereits abberufenen Geschäftsführern. Insoweit wurde früher teilweise die Ansicht vertreten, die Gesellschaft werde durch die verbliebenen Geschäftsführer vertreten1018. Dabei wurde aber vernachlässigt, dass die Zuständigkeit für den Abschluss des Anstellungsvertrages eine Annexkompetenz zur Zuständigkeit für die Bestellung darstellt. Diese bleibt erhalten, solange noch ein gewisser sachlicher, nicht notwendig zeitlicher Zusammenhang mit der Abberufung besteht („nachwirkende Zuständigkeit“)1019. In der gemäß dem MitbestG mitbestimmten GmbH tritt an die Stelle der Gesellschafterversammlung der Aufsichtsrat. In der nicht mitbestimmten GmbH kann die Zuständigkeit durch die Satzung einem fakultativen Aufsichtsrat oder Beirat zugewiesen sein. Insofern gilt wiederum Gleiches wie für den Abschluss des Anstellungsvertrages (s. hierzu Rz. 333 ff.).
1012 S. zu Koppelungsklauseln Rz. 462 ff. 1013 BGH v. 16.2.1967 – II ZR 53/66, WM 1967, 540, 541; s. auch allgemein: Martens in FS 25 Jahre BAG, 1979, S. 367. 1014 BGH v. 14.7.1966 – II ZR 212/64, WM 1966, 968, 969; BGH v. 3.7.1975 – II ZR 35/73, DB 1975, 1548, 1550; BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 109, 110. 1015 BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82 = GmbHR 1980, 270 = MDR 1980, 999 = WM 1980, 1117, 1119; BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, GmbHR 1978, 85. 1016 Zum Trennungsprinzip (auch „Trennungstheorie“) s. schon Rz. 251 f. 1017 BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, NJW 1991, 1680, 1681 = GmbHR 1991, 363 unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung. 1018 BGH v. 6.4.1964 – II ZR 11/62, NJW 1964, 1270, 1270; BGH v. 17.4.1976 – II ZR 157/64, NJW 1967, 1711, 1712. 1019 BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373.
136 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 459 § 35
bb) Kündigung durch die GmbH Für die Kündigung des Anstellungsvertrages durch die GmbH ist dasselbe Organ wie für den 457 Abschluss zuständig. Das ist bei der mitbestimmungsfreien Gesellschaft die Gesellschafterversammlung, die die Gesellschaft gegenüber dem Geschäftsführer auch bei Abgabe der Kündigungserklärung vertritt1020. Im Beschluss über die Kündigung kann zugleich einer der Gesellschafter oder ein Geschäftsführer zur Abgabe der Kündigungserklärung bevollmächtigt werden1021. In diesem Fall muss der Kündigungserklärung jedoch ein Original des Gesellschafterbeschlusses beigefügt werden, um eine Zurückweisung der Kündigung gemäß § 174 Satz 1 BGB auszuschließen. Die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung bleibt auch erhalten, wenn seit der Abberufung des Geschäftsführers bereits geraume Zeit verstrichen ist1022, solange noch ein sachlicher Zusammenhang besteht. Ist dagegen nach der Abberufung oder nach der Amtsniederlegung das Anstellungsverhältnis als neuer Dienstvertrag (mit völlig anderem Inhalt) oder als Arbeitsvertrag fortgeführt worden (s. Rz. 332), so ist für die Kündigung der (neue) Geschäftsführer zuständig1023. Die Zuständigkeit kann nur durch Satzung auf den Aufsichtsrat, einen fakultativen Aufsichtsrat oder einen einzelnen Gesellschafter übertragen werden1024. In der gemäß dem MitbestG mitbestimmten GmbH ist zwingend der Aufsichtsrat für die Kündigung zuständig1025. Der Kündigung des Anstellungsvertrages muss ein entsprechender – wirksamer – Gesell- 458 schafterbeschluss zugrunde liegen. Fehlt es daran, ist die Kündigung unwirksam1026. Eine rückwirkende Genehmigung durch die Gesellschafter, wenn ein Beschluss fehlte, ist nicht möglich1027. Eine Vertretung im Willen, also die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf ein anderes Gremium oder eine andere Person, ist ausgeschlossen1028; nur durch Satzung können andere Zuständigkeiten festgelegt werden, sofern diese nicht – wie bei Anwendbarkeit des MitbestG – zwingend sind1029. Bei der Abstimmung über eine außerordentliche Kündigung ist ein Gesellschafter-Geschäfts- 459 führer, dessen Anstellungsvertrag betroffen ist, vom Stimmrecht ausgeschlossen (Einzelheiten bei 12. Aufl., § 47 Rz. 141).
1020 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 415; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 51. 1021 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 52. 1022 BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, NJW 1984, 2528 = GmbHR 1984, 312; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 51. 1023 BGH v. 27.3.1995 – II ZR 140/93, NJW 1995, 1750, 1751 = GmbHR 1995, 373; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 51. 1024 BGH v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, GmbHR 1990, 297; BGH v. 25.3.1991 – II ZR 169/90, GmbHR 1991, 363; BGH v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, AG 1997, 328, 329. 1025 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, NJW 1984, 733, 734 = GmbHR 1984, 151; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 37 ff.; Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 304; jeweils m.w.N.; zur Vertretung der Gesellschaft mit fakultativem Aufsichtsrat gegenüber ehemaligen Geschäftsführern: BGH v. 5.3.1990 – II ZR 86/89, AG 1990, 359 = GmbHR 1990, 297, 298; Lenz in Michalski u.a., Rz. 164; a.A. Rittner, DB 1979, 973. 1026 OLG Köln v. 21.2.1990 – 13 U 195/89, GmbHR 1991, 156; OLG Nürnberg v. 22.12.2000 – 6 U 1604/00, NZG 2001, 810, 811 = GmbHR 2001, 973; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 130; Harbarth, BB 2015, 707; Lunk, ZIP 1999, 1777 f.; für fehlenden Aufsichtsratsbeschluss bei der AG: OLG Karlsruhe v. 21.2.1990 – 17 U 62/03, NZA 2005, 300, 301 f. 1027 OLG Köln v. 21.2.1990 – 13 U 195/89, GmbHR 1991, 156. 1028 OLG Düsseldorf v. 17.11.2003 – 15 U 225/02, NZG 2004, 141, 142 für die AG; vgl. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 129 f. 1029 Harbarth, BB 2015, 707.
Hohenstatt | 137
§ 35 Rz. 460 | Das Anstellungsverhältnis cc) Kündigung durch den Geschäftsführer 460 Kündigt der Geschäftsführer seinen Anstellungsvertrag, so muss er die Erklärung gegenüber
einer passivvertretungsberechtigten Person abgeben, s. dazu Rz. 330. c) Form der Beendigung 461 Die Beendigung von Dienstverträgen ist formlos möglich. Die Formvorschrift des § 623 BGB
ist grundsätzlich nicht anzuwenden. § 623 BGB gilt nur für Arbeitnehmer, ist also auf GmbHGeschäftsführer nur in den Ausnahmefällen1030 anwendbar, in denen diese in einem Arbeitsverhältnis stehen1031. Die Vorschrift ist auf Dienstverhältnisse weder direkt noch entsprechend anwendbar1032. Zum Teil wird eine analoge Anwendung auf Geschäftsführer, welche nicht am Kapital der GmbH beteiligt sind, gefordert1033. Nach ganz herrschender Meinung ist eine solche Analogie allerdings abzulehnen1034. Es fehlt an einer für die Analogie erforderlichen Regelungslücke, da der Gesetzgeber die Vorschrift bewusst eng gefasst hat. Eine Begründung der Kündigung ist nicht erforderlich, gleich von welcher Seite sie ausgesprochen wird1035. Gemäß § 626 Abs. 2 Satz 3 BGB müssen dem Gekündigten jedoch nach Ausspruch der Kündigung auf Verlangen die Kündigungsgründe schriftlich mitgeteilt werden.
2. Vertragliche Verknüpfung mit der Beendigung des Organverhältnisses: Koppelungsvereinbarungen 462 Die Beendigung der Organstellung führt nicht automatisch auch zur Beendigung des Anstel-
lungsvertrages (sog. Trennungsprinzip; vgl. Rz. 251 f. und 455). Sofern keine besonderen vertraglichen Abmachungen bestehen, muss daher nach einer Amtsniederlegung durch den Geschäftsführer bzw. nach einer Abberufung geprüft werden, ob die Voraussetzungen für eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages gegeben sind. In aller Regel kann auch die Abberufung oder Amtsniederlegung nicht (zusätzlich) als Kündigung des Anstellungsverhältnisses ausgelegt werden, es sei denn, dass sich durch Auslegung ergibt, dass die erklärende(n) Parteie(n) beide Rechtsverhältnisse aufheben wollte(n)1036. Organstellung und Anstellungsverhältnis können jedoch schuldrechtlich durch eine entsprechende Klausel im Anstellungsvertrag miteinander verknüpft werden (sog. Koppelungsklausel, vgl. auch 12. Aufl., § 38 Rz. 36). In Betracht kommen Klauseln, nach denen in der Abberufung zugleich eine Kündigung des Anstellungsvertrages zum nächsten zulässigen Termin liegt (zur insofern mindestens einzuhaltenden Kündigungsfrist s. Rz. 473). Diese sind rechtlich nicht zu beanstanden1037. Durch die Abberufung wird lediglich eine Kündi-
1030 S. hierzu schon Rz. 270. 1031 Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 623 BGB Rz. 2. 1032 Hennsler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 134, 146. 1033 Spilger in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 623 BGB Rz. 41 f. 1034 OLG Düsseldorf v. 10.10.2003 – 17 U 35/03, NZG 2004, 480; Bauer/Krieger, ZIP 2004, 1247, 1250; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 623 BGB Rz. 6; Oetker in Staudinger, § 623 BGB Rz. 12; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 134. 1035 BGH v. 3.11.2003 – II ZR 158/01, GmbHR 2004, 57. 1036 OLG Stuttgart v. 12.11.2019 – 1 U 247/18, BeckRS 2019, 39812 Rz. 18 ff. 1037 LG Frankfurt v. 11.12.2013 – 3-03 O 156/12, juris; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 393; für die AG BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1191 = GmbHR 1989, 415.
138 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 464 § 35
gung fingiert, welche sonst in einer separaten Erklärung ausgesprochen werden müsste1038. In Anstellungsverträgen, die für die Dauer ihrer Befristung nur außerordentlich gekündigt werden können, bedarf es allerdings einer Klarstellung, dass diese Beschränkung im Fall einer Beendigung der Organstellung nicht gelten soll1039. Ansonsten ergibt die Auslegung, dass die Koppelungsklausel nur greifen kann, wenn die Voraussetzungen gemäß § 626 Abs. 1 BGB vorliegen1040. Die Beendigung der Organstellung (insb. die Abberufung) kann vertraglich auch als auf- 463 lösende Bedingung für den Bestand des Anstellungsvertrages vereinbart werden1041. Gegen die gesellschaftsrechtliche Wirksamkeit einer so gestalteten Koppelungsklausel bestehen keine Bedenken1042. Da die Abberufung gemäß § 38 Abs. 1 ohne Einhaltung einer Frist erfolgen kann1043, ist die Variante einer auflösenden Bedingung indessen rechtlich problematisch. Die Rechtsprechung hat in dieser Konstellation eine sofortige Beendigung des Anstellungsvertrages – zu Recht – nur dann zugelassen, wenn zugleich ein wichtiger Grund für die Beendigung des Anstellungsvertrages vorliegt1044; denn die Voraussetzungen des nicht dispositiven1045 § 626 BGB dürfen nicht umgangen werden1046. Bei einer Koppelungsklausel, die im Fall einer Abberufung die sofortige (und bedingungslose) Beendigung des Anstellungsvertrags vorsah, erfolgte nach nunmehr überholter Rechtsprechung des BGH1047- die Beendigung des Anstellungsvertrages erst nach Ablauf der Mindestkündigungsfrist nach § 622 Abs. 1 BGB1048. Dabei würde es sich jedoch um eine unzulässige geltungserhaltende Reduktion handeln1049. Eine solche Koppelungsklausel ist nicht umzudeuten, sondern gänzlich unwirksam; eine Beendigung des Anstellungsverhältnisses erfolgt damit bei Abberufung nicht1050. Das gilt zumindest für Geschäftsführer, deren Dienstverträge der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterfallen1051. Soweit der Dienstvertrag – wie regelmäßig der Fall – der AGB-Kontrolle unterliegt (vgl. 464 hierzu Rz. 340 ff.), muss bei der Formulierung von Koppelungsklauseln besondere Sorgfalt
1038 So auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 393. 1039 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 44; vgl. hierzu Lohr, NZG 2001, 826, 832; s. zum Gesichtspunkt der Transparenz (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) auch Rz. 464. 1040 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, NJW 1999, 3263, 3264 = GmbHR 1999, 1140. 1041 OLG Saarbrücken v. 8.5.2013 – 1 U 154/12, NZG 2013, 784. 1042 BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, NJW 1995, 2850 = GmbHR 1995, 653; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 96; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 44. 1043 BGH v. 1.12.1997 – II ZR 232/96, GmbHR 1998, 534, 535; BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, ZIP 1989, 1190, 1192 = GmbHR 1989, 415. 1044 BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683, 2684 = GmbHR 1989, 415. 1045 BGH v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, NJW-RR 2008, 1488, 1490; BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, NJW 2000, 2983, 2984 = GmbHR 2000, 876; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 109. 1046 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394a; Koehler, NZA 2019, 1406, 1410, dessen Klauselvorschlag (S. 1412) allerdings die nicht korrekte Formulierung einer Abberufung „aus wichtigem Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB“ enthält. Es müsste heißen: „…wenn die Abberufung aus einem Grund erfolgt, der zugleich einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 626 Abs. 1 BGB darstellt.“. 1047 BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683, 2684 = GmbHR 1989, 415 (wo auf § 622 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. verwiesen wird). Diese Entscheidung erging indes vor Aufnahme der AGB-Kontrolle in das BGB. 1048 So auch weiterhin Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 81. 1049 OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, NZG 2016, 226; zustimmend Haase, GmbHR 2017, 295, 301 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394a. 1050 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394a m.w.N. 1051 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394a.
Hohenstatt | 139
§ 35 Rz. 464 | Das Anstellungsverhältnis aufgewandt werden1052. Keinesfalls können Koppelungsklauseln per se als überraschend i.S.v. § 305c BGB angesehen werden1053. Dies gilt auch dann, wenn der Dienstvertrag ansonsten nicht ordentlich kündbar sein sollte1054 oder wenn eine längere Kündigungsfrist vereinbart wurde. Allerdings sollte im Vertrag – auch wegen des Transparenzgebots gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB – eine Verknüpfung zwischen den allgemeinen Kündigungsregelungen und der Koppelungsklausel hergestellt werden, um beim Geschäftsführer keine Fehlvorstellungen über den ihm zugesagten Bestandsschutz hervorzurufen1055. Unter dieser Voraussetzung einer uneingeschränkten Transparenz sind Bedenken aus § 305c BGB bzw. § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unberechtigt. Auch benachteiligen Koppelungsklauseln den Geschäftsführer nicht entgegen Treu und Glauben, und zwar auch dann nicht, wenn der Dienstvertrag befristet abgeschlossen wurde1056. Die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung im befristeten Arbeitsverhältnis ist gesetzlich anerkannt (§ 15 Abs. 3 TzBfG). Ebenso ist unbestritten, dass § 620 Abs. 1 BGB der Vereinbarung einer ordentlichen Kündigungsmöglichkeit nicht entgegensteht1057. Koppelungsklauseln weichen daher nicht vom gesetzlichen Leitbild ab1058. 465 Sieht der Anstellungsvertrag nur eine Kündigungsmöglichkeit oder eine Auflösung im Fall
des Widerrufs der Bestellung (Abberufung) vor, nicht aber für den Fall der Amtsniederlegung durch den Geschäftsführer, könnte dies im Hinblick auf § 622 Abs. 6 BGB problematisch sein. Nach richtiger Auffassung besteht hier jedoch weder eine Gesetzeslücke noch eine vergleichbare Interessenlage mit derjenigen im Arbeitsverhältnis, so dass § 622 Abs. 6 BGB nicht analog auf den Geschäftsführer übertragen werden kann, der nicht zugleich (ausnahmsweise1059) Arbeitnehmer ist1060. 466 Bei Koppelungsklauseln gilt generell, dass nur eine wirksame Beendigung der Organstellung
zu einer Kündigungsmöglichkeit der Gesellschaft bzw. zur Auflösung des Dienstvertrages führt1061. Es muss demnach ein wirksamer Gesellschafterbeschluss (bzw. eine wirksame Amtsniederlegung durch den Geschäftsführer) vorliegen.
3. Befristung 467 Das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG) gilt in Bezug auf die
Befristung nur für Arbeitsverhältnisse und damit nicht für Anstellungsverhältnisse von Organmitgliedern, sofern diese nicht ausnahmsweise in einem Arbeitsverhältnis stehen (vgl. Rz. 261 ff.)1062. Zwar ist in der dem TzBfG zugrundeliegenden Richtlinie 1999/70/EG vermerkt, dass sich das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses im Sinne der Richtlinie nach natio1052 Ausführlich v. Westphalen, BB 2015, 834; Werner, NZA 2015, 1234; Koehler, NZG 2019, 1406; vgl. hierzu auch Moll/Grobys in Moll, Münchener Anwaltshandbuch ArbR, 4. Aufl. 2017, § 80 Rz. 55 ff. 1053 Vgl. auch Werner, NZA 2015, 1234, 1237. 1054 Offen gelassen von OLG Karlsruhe v. 25.10.2016 – 8 U 122/15, NZG 2016, 226 = GmbHR 2017, 295. 1055 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394d; s. auch Jaeger, Der Anstellungsvertrag des GmbH-Geschäftsführers, 6. Aufl. 2016, S. 186 Alt. 3 und S. 184 ff. 1056 So aber Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809, 811 f. 1057 S. nur Rennpferdt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 620 BGB Rz. 10. 1058 Willemsen in FS Buchner, 2009, S. 972, 982; a.A. v. Westphalen, NZG 2020, 321, 323. 1059 S. hierzu Rz. 261 ff. 1060 Wie hier: Willemsen in FS Buchner, 2009, S. 972, 973 ff.; a.A. Ganßmüller, GmbHR 1977, 132, 133; Bauer, DB 1979, 2178, 2179; Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 8. Aufl. 2007, III Rz. 24; Bauer/Diller, GmbHR 1998, 809, 812 f. 1061 BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/88, NJW 1989, 2683, 2684 = GmbHR 1989, 415. 1062 Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 3 TzBfG Rz. 2.
140 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 470 § 35
nalem Recht bestimmt (s. schon Rz. 285)1063. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Europäsche Gerichtshof seine Rechtsprechung in Bezug auf die Einbeziehung von Organmitgliedern in den Schutzbereich arbeitsrechtlicher Vorschriften auch in diesem Fall anwendet1064. Der Europäische Gerichtshof hat die Anwendbarkeit der Befristungsrichtlinie auf im öffentlichen Dienst Beschäftigte bejaht und insofern den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff angewendet1065. Selbst wenn der Europäische Gerichtshof die Richtlinie auf Geschäftsführer anwenden würde, kann das TzBfG jedoch nicht ohne weiteres in diesem Sinne ausgelegt werden. Insbesondere zeigt der Verweis in § 620 Abs. 3 BGB, dass für Dienstverträge, welche kein Arbeitsverhältnis darstellen, lediglich § 620 BGB gelten soll1066. Ein befristeter Anstellungsvertrag kann mit Blick auf § 620 Abs. 1 BGB nur außerordentlich 468 gekündigt werden, sofern die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung nicht vertraglich vereinbart ist (für Arbeitsverträge nunmehr klargestellt in § 15 Abs. 3 TzBfG)1067. Wird das Dienstverhältnis nach Fristablauf vom Verpflichteten mit Wissen und ohne Widerspruch des anderen Teils fortgesetzt, so gilt das Vertragsverhältnis gemäß § 625 BGB als auf unbestimmte Zeit verlängert. Häufig werden zusätzlich zu einer Befristung Regelungen über die Verlängerung des Anstellungsvertrages vereinbart. So kann vereinbart werden, dass sich der Vertrag automatisch um eine bestimmte Dauer verlängert, wenn er nicht vor Ablauf mit einer bestimmten Frist gekündigt wurde. Wegen der ohnehin bestehenden Befristung handelt es sich dabei nicht um eine Kündigung im engeren Sinne, sondern um eine „Nichtverlängerungsanzeige“1068. Auch für diese sind jedoch die gesetzlichen und vertraglichen Regelungen zu den Anforderungen einer Kündigung einzuhalten (Beschluss des für die Abberufung und Kündigung zuständigen Gremiums, im Zweifel der Gesellschafterversammlung, Schriftform, Vollmacht zur Abgabe der Erklärung etc.). Befristungen, welche an ein bestimmtes Lebensalter anknüpfen, sind ggf. am AGG zu mes- 469 sen (s. dazu schon Rz. 351 ff.). § 41 Satz 2 SGB VI gilt lediglich für Arbeitsverhältnisse, die dem KSchG unterfallen1069, und damit insbesondere nicht für Geschäftsführer-Dienstverträge1070. In der gemäß dem MitbestG mitbestimmten GmbH ist eine Befristung des Dienstvertrages 470 gemäß § 31 Abs. 1 MitbestG i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 5 AktG mit der Höchstdauer von fünf Jahren zwingend vorgeschrieben1071.
1063 So auch Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 18. Aufl. 2018, § 3 TzBfG Rz. 2; wohl ebenfalls für das Zugrundelegen des nationalen Arbeitnehmerbegriffs Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 5; a.A. Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 3 TzBfG Rz. 2: Eine unionsrechtliche Interpretation des Arbeitnehmerbegriffs komme jedenfalls unter Einbeziehung des Fremdgeschäftsführers in Betracht; unklar insoweit: EuGH v. 8.9.2011 – C-177/10, ECLI:EU:C:2011:557, NZA 2011, 1219 – Rosado Santana. 1064 Lunk/Rodenbusch, GmbHR 2012, 188, 193. 1065 EuGH v. 13.9.2007 – C-307/05, ECLI:EU:C:2007:509, NZA 2007, 1223, 1224 f. – Del Cerro Alonso; bestätigt in EuGH v. 8.9.2011 – C-177/10, ECLI:EU:C:2011:557, NZA 2011, 1219, 1221 – Rosado Santana. 1066 Herms in Meinel/Heyn/Herms, 5. Aufl. 2015, § 3 TzBfG Rz. 2. 1067 BGH v. 21.6.1999 – II ZR 27/98, GmbHR 1999, 1140, 1142; Hesse in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 620 BGB Rz. 11; Preis in Staudinger, § 620 BGB Rz. 4; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 73. 1068 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 401. 1069 Ricken in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 41 SGB VI Rz. 7; a.A. Rolfs in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 41 SGB VI Rz. 11. 1070 Vgl. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 144. 1071 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 73; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 245.
Hohenstatt | 141
§ 35 Rz. 471 | Das Anstellungsverhältnis
4. Ordentliche Kündigung a) Frist 471 Für die bei Ausspruch der ordentlichen Kündigung einzuhaltende Frist ist zunächst die ver-
tragliche Vereinbarung maßgebend1072, soweit diese nicht kürzer ist als die zwingende gesetzliche Frist1073. Ist letzteres der Fall, so ist die vereinbarte Kündigungsfrist unwirksam. 472 Fehlt es an einer Vereinbarung bzw. ist die im Vertrag geregelte Kündigungsfrist unwirksam,
gilt die gesetzliche Kündigungsfrist. Insofern ist – obwohl vom Wortlaut her einschlägig – bei Fremdgeschäftsführern und solchen, die nicht mehrheitlich an der Gesellschaft beteiligt sind, nicht auf § 621 BGB abzustellen1074 (danach würde in den ganz überwiegenden Fällen die Kündigung spätestens am 15. eines Monats zum Monatsende auszusprechen sein – vgl. § 621 Nr. 3 BGB). Die h.M. wendet vielmehr wegen der vergleichbaren Schutzbedürftigkeit dieses Personenkreises § 622 Abs. 1 und 2 BGB an1075. Der Zweite Senat des BAG1076 wendet hingegen auf Geschäftsführer, die nicht Arbeitnehmer sind, ausschließlich § 621 BGB an; für eine analoge Anwendung des § 622 BGB fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke.
473 Nach wohl herrschender Ansicht soll hingegen nur für Geschäftsführer, welche aufgrund ih-
rer Beteiligung die Gesellschaft beherrschen, die Kündigungsfrist des § 621 Nr. 3 BGB gelten, während § 622 Abs. 1 BGB analog für Geschäftsführer-Dienstverträge von Geschäftsführern, die an der Gesellschaft nicht beteiligt sind oder keine beherrschende Stellung innehaben, Anwendung finden soll1077. Begründet wird die Analogie mit der vergleichbaren Schutzwürdigkeit des Geschäftsführers ohne beherrschende Stellung mit dem Arbeitnehmer: Auch ersterer stellt der Gesellschaft seine Arbeitskraft zur Verfügung und ist von dem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses abhängig1078. Während die Kündigungsfrist im Rahmen von § 621 BGB abdingbar ist1079, gilt § 622 BGB aufgrund der besonderen Schützwürdigkeit der Geschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss auch im Rahmen der analogen Anwendbarkeit zwingend1080.
1072 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 410; vgl. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 136. 1073 Gegen einen zwingenden Charakter der gesetzlichen Kündigungsfristen aber: Beurkens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 138. 1074 So aber OLG Düsseldorf v. 3.6.1976 – 8 U 265/75, BB 1976, 901 = GmbHR 1977, 132 m. abl. Anm. Ganßmüller; Säcker, BB 1979, 1321, 1324. 1075 So BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, NJW 1981, 1270, 1271 = GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/83, GmbHR 1984, 312; BGH v. 9.3.1987 – II ZR 132/86, NJW 1987, 2073, 2074 = GmbHR 1987, 263; BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, NZG 2005, 968, 970 = GmbHR 2005, 1558; Miller, BB 1977, 723, 724 ff.; Bauer, DB 1979, 2178 f.; Lunk, ZIP 1999, 1770, 1780; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 410; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 53; im Ergebnis wohl zustimmend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 137. 1076 BAG v. 11.6.2020 – 2 AZR 374/19, BeckRS 2020, 17925. 1077 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 411; Preis in Staudinger, § 622 BGB Rz. 14; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 94; Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 622 BGB Rz. 4; Stöhr, GmbHR 2020, 411, 415 f.; offen gelassen in Bezug auf die Differenzierung von BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, GmbHR 1981, 158; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 120/ 83, BGHZ 91, 217 = GmbHR 1984, 312. 1078 BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, GmbHR 1981, 158; Preis in Staudinger, § 622 BGB Rz. 14. 1079 Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 621 BGB Rz. 14. 1080 So im Ergebnis auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 410; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 138; s. i.Z.m. Kopplungsklauseln auch BGH v. 29.5.1989 – II ZR 220/ 88, NJW 1989, 2683, 2684; ebenso BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, NJW 2019, 3718 Rz. 34.
142 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 477 § 35
Für den Fall, dass der Geschäftsführer-Dienstvertrag auf Lebenszeit geschlossen ist, kann 474 gemäß § 624 BGB nach Ablauf von fünf Jahren mit einer Frist von sechs Monaten zum Monatsende gekündigt werden. b) Kündigung vor Dienstantritt Der Anstellungsvertrag sollte regeln, ob eine Kündigung bereits vor Dienstantritt erfolgen 475 kann. In der Regel wollen dies beide Seiten ausschließen. Fehlt eine vertragliche Bestimmung hierzu, ist der Wille der Parteien durch Auslegung zu ermitteln. Es ist regelmäßig davon auszugehen, dass eine Kündigung vor Dienstantritt ausgeschlossen sein soll1081. c) Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nimmt Organvertreter juristischer Personen unabhängig davon, ob 476 sie aufgrund eines Arbeitsverhältnisses oder eines Dienstverhältnisses tätig werden, vom Geltungsbereich der Vorschriften des allgemeinen Kündigungsschutzes aus1082. Das gilt in gleicher Weise für den Fremdgeschäftsführer, für den nur geringfügig beteiligten GesellschafterGeschäftsführer und für den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer1083. Es sind allerdings die folgenden Sonderfälle zu beachten: Anstellungsvertrag verpflichtet auch zur Tätigkeit außerhalb der Geschäftsführung: Teil- 477 weise wird angenommen, dass die Fiktion des § 14 Abs. 1 KSchG nicht greift, wenn der Anstellungsvertrag auch zu Tätigkeiten außerhalb der Geschäftsführung verpflichtet und keinen Anspruch auf die Geschäftsführerposition beinhaltet1084. Grund für die Fiktion des § 14 Abs. 1 KSchG sei nämlich, dass der Anstellungsvertrag unabhängig von seiner Rechtsnatur einen Anspruch auf die Geschäftsführerposition einräume und in diesem Fall der Kündigungsschutz entgegen § 38 Abs. 1 auf einen Fortbestand der Geschäftsführerposition gegen den Willen der Gesellschaft hinauslaufe1085. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Nach h.M. liegt der Grund für die Regelung in § 14 Abs. 1 KSchG darin, dass der Geschäftsführer Arbeitgeberfunktionen ausübt1086. Solange die Organstellung besteht, greift deshalb § 14 Abs. 1 KSchG unabhängig davon, zu welchen Tätigkeiten der Anstellungsvertrag den Geschäftsführer verpflichtet und ob er einen Anspruch auf die Geschäftsführertätigkeit begründet. Selbst wenn es sich beim Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers ausnahmsweise um ein Arbeitsverhältnis handeln sollte, führt die Fiktion des § 14 Abs. 1 KSchG zur Unanwendbarkeit des KSchG1087.
1081 OLG Hamm v. 8.10.1984 – 8 U 265/83, GmbHR 1985, 155, 156 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 409; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 139; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 55. 1082 BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, GmbHR 2008, 429, 431. 1083 Anstelle vieler: Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 107; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 47; OLG Frankfurt v. 10.4.1980 – 20 W 722/79, MDR 1980, 673 = GmbHR 1981, 16; Reiserer, DB 1994, 1822, 1824. 1084 OLG Schleswig-Holstein v. 21.8.2003 – 5 U 44/02, GmbHR 2003, 1130, 1133. 1085 Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 395. 1086 BAG v. 17.1.2002 – 2 AZR 719/00, NZA 2002, 854; Hergenröder in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 14 KSchG Rz. 1. 1087 BAG v. 6.5.1999 – 5 AZB 22/98, GmbHR 1999, 816 = NJW 1999, 3069; BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NJW 2003, 3290, 3291 = GmbHR 2003, 1208; BAG v. 14.6.2006 – 5 AZR 592/05, NZA 2006, 115 = GmbHR 2006, 1101; s. auch BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 Rz. 7 m. Anm. Dzida = GmbHR 2010, 808 m. Anm. Ulrich; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282; ebenso zu § 5 Abs. 1 Satz 3 KSchG BAG v. 26.10.2012 – 10 AZB 60/12, DB 2012, 2699 = GmbHR 2013, 83; bestätigt durch BAG v. 21.9.2017 – 2 AZR 865/16, NZA 2018,
Hohenstatt | 143
§ 35 Rz. 478 | Das Anstellungsverhältnis 478 Früheres Arbeitsverhältnis mit der GmbH: Unter Umständen kann das Kündigungsschutz-
gesetz Anwendung finden, wenn nicht (nur) der Anstellungsvertrag als Geschäftsführer beendet sondern darüber hinaus bzw. gleichzeitig ein ruhendes Arbeitsverhältnis gekündigt wird. Von einer solchen Konstellation war die frühere Rechtsprechung1088 ausgegangen, wenn ein Angestellter zum Geschäftsführer der GmbH berufen wurde, ohne dass sich an den Vertragsbedingungen ansonsten etwas änderte. In dieser Konstellation nahm man an, dass der Arbeitnehmer mit der Bestellung nicht endgültig auf den bisher erworbenen Bestandsschutz seines Arbeitsverhältnisses verzichten wollte, ohne dafür einen finanziellen Ausgleich durch eine höhere Vergütung zu erhalten. In diesem Fall sollte für die Kündigung des ruhenden Arbeitsverhältnisses das Kündigungsschutzgesetz Anwendung finden1089. Hiervon ist nach neuerer Rechtsprechung nur noch in den Fällen auszugehen, in denen die Parteien den Fortbestand eines ruhenden Arbeitsverhältnisses, das mit Beendigung der Organstellung wieder aufleben soll, vereinbaren. 479 Das Bundesarbeitsgericht geht heute im Zweifel von der Beendigung eines vor der Bestel-
lung zum Geschäftsführer bestehenden Arbeitsverhältnisses aus1090. Mit dem Abschluss des neuen Geschäftsführervertrages werden im Zweifel alle bisherigen Anstellungsverträge aufgehoben. Die für die Aufhebung der Arbeitsvertrages gemäß § 623 BGB erforderliche Schriftform wird durch Abschluss eines schriftlichen Dienstvertrages gewahrt1091. Fehlt es an einem schriftlichen Geschäftsführervertrag und an einem schriftlichen Aufhebungsvertrag bezüglich des Arbeitsverhältnisses, so ist das Schriftformerfordernis des § 623 BGB nicht erfüllt und das Arbeitsverhältnis besteht ruhend fort1092. Vorsicht ist auch geboten, wenn das Arbeitsverhältnis mit einer anderen Konzerngesellschaft bestand. Zwar wollen die Parteien auch in dieser Konstellation in aller Regel das bisherige Arbeitsverhältnis aufheben; ein schriftlicher Geschäftsführervertrag, der nicht zwischen den bisherigen Parteien, sondern mit einer anderen Gesellschaft abgeschlossen wird, wahrt nicht die Schriftform gemäß § 623 BGB. Die Zweifelsregelung gilt damit nur, wenn der Geschäftsführervertrag auch zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages geschlossen wird1093. Der Vertragsarbeitgeber muss sich daher beim Abschluss des Geschäftsführervertrags durch die Gesellschaft vertreten lassen. 480 Anstellung im Konzern und in der GmbH & Co. KG: Zu beachten ist, dass § 14 Abs. 1 Nr. 1
KSchG nur greift, wenn die Organstellung bei der Anstellungsgesellschaft besteht. Wurde das Anstellungsverhältnis nicht mit der Gesellschaft geschlossen, bei der die Organstellung besteht, greift der Ausschluss des Kündigungsschutzgesetzes gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG
1088 1089 1090
1091 1092 1093
358, 360 = GmbHR 2018, 419. Hier hat das BAG zudem klargestellt, dass eine Einbeziehung des Geschäftsführers in den gesetzlichen Kündigungsschutz auch nicht unionsrechtlich geboten ist. BAG v. 9.5.1985 – 2 AZR 330/84, NZA 1986, 792 m. ablehnender Anm. Martens, AP Nr. 3 in § 5 ArbGG 1979 = GmbHR 1986, 263; BAG v. 28.9.1995 – 5 AZB 4/95, NJW 1996, 143, 144. Vgl. hierzu auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 4. BAG v. 14.6.2006 – 5 AZR 592/05, NZA 2006, 1154 Rz. 18 = GmbHR 2006, 1101; BAG v. 19.7.2007 – 6 AZR 774/06, GmbHR 2007, 1219 = NJW 2007, 3228; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, NJW 2008, 3514 m. Anm. Dzida = GmbHR 2008, 1259 m. Anm. Moll; BAG v. 15.3.2011 – 10 AZB 32/10, NJW 2011, 2684 = GmbHR 2011, 867; erstmals in diese Richtung BAG v. 7.10.1993 – 2 AZR 260/93, NZA 1994, 212 = GmbHR 1994, 243; vgl. hierzu auch die Darstellung bei Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 4. BAG v. 14.6.2006 – 5 AZR 592/05, NZA 2006, 1154 = GmbHR 2006, 1101; BAG v. 3.2.2009 – 5 AZB 100/08, NJW 2009, 2078 = GmbHR 2009, 651. BAG v. 15.3.2011 – 10 AZB 32/10, GmbHR 2011, 867 m. Anm. Grobys = NJW 2011, 2684; BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, NJW 2008, 1018, 1020 m. Anm. Diller = GmbHR 2008, 429. BAG v. 24.10.2013 – 2 AZR 1078/12, NZA 2014, 540 = GmbHR 2014, 923; hierzu Ginal, GWR 2014, 226; so bereits Dzida, Anm. zu BAG v. 5.6.2008, NJW 2008, 3516, 3517; s. auch die Praxishinweise bei Arnold, ArbRAktuell 2014, 225.
144 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 483 § 35
grundsätzlich nicht1094. Es ist dann gesondert nach allgemeinen Grundsätzen zu überprüfen, ob ein Arbeitsverhältnis vorliegt. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn Arbeitnehmer des herrschenden Unternehmens zusätzlich zu ihren dortigen Aufgaben die Geschäftsführung einer Tochtergesellschaft übernehmen1095. Besteht die Aufgabe des Angestellten hingegen im Wesentlichen in der Geschäftsführung der Tochtergesellschaft und ist er diesbezüglich nur insoweit weisungsgebunden, wie dies für Fremdgeschäftsführer üblich ist, wird von einem freien Dienstverhältnis auszugehen sein1096. Diese Grundsätze gelten allerdings nicht, wenn der Anstellungsvertrag des Geschäftsführers 481 der Komplemtär-GmbH mit der GmbH & Co. KG abgeschlossen worden ist1097, wenngleich früher angenommen wurde, dass in dieser Konstellation ein Arbeitsverhältnis vorliegen könne1098. Im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass diese gesetzliche Fiktion auch auf den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH Anwendung findet1099. Angesichts der parallelen Wertungen, die § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG und § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG zugrunde liegen1100, ist davon auszugehen, dass für den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, der bei der KG angestellt ist, ebenfalls § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG gilt1101. Nach Beendigung der Organstellung greift die Fiktion des § 14 Abs. 1 Nr. 1 KSchG nicht1102. 482 Mit der Abberufung wandelt sich der Geschäftsführer-Anstellungsvertrag jedoch nicht ohne Weiteres in ein dem Kündigungsschutz unterliegendes Arbeitsverhältnis um1103. Umgekehrt entsteht auch kein dem Kündigungsschutz unterliegendes Arbeitsverhältnis alleine dadurch, dass die im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag vorgesehene Berufung in die Organstellung unterbleibt1104. Das Kündigungsschutzgesetz kann allerdings anwendbar sein, wenn der Geschäftsführer ab- 483 berufen und danach durch die Gesellschaft mit Aufgaben unterhalb der Geschäftsführung weiter beschäftigt wird. In diesen Fällen kann ausdrücklich oder konkludent ein neues Ar-
1094 BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405 = GmbHR 1984, 70; BAG v. 25.10.2007 – 6 AZR 1045/06, NJW 2008, 1018 m. Anm. Diller = GmbHR 2008, 429; Hergenröder in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 14 KSchG Rz. 4; Biebl in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 14 KSchG Rz. 9. 1095 BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405, 2406 = GmbHR 1984, 70; a.A. Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 400. 1096 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 253. 1097 Vgl. hierzu schon Rz. 301. 1098 BAG v. 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, NJW 1981, 302, 303 = GmbHR 1982, 113; BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405 = GmbHR 1984, 70. 1099 BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NJW 2003, 3290, 3291 f. = GmbHR 2003, 1208; ebenso OLG München v. 10.4.2003 – 7 W 656/03, GmbHR 2003, 776 = NZG 2003, 722; OLG Hamm v. 18.6.1990 – 8 U 146/89, GmbHR 1991, 466, 467. 1100 Für ein gleichlaufendes Verständnis von § 14 Abs. 1 KSchG und § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG: BAG v. 15.4.1982 – 2 AZR 1101/79, NJW 1983, 2405 = GmbHR 1984, 70. 1101 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 294; Kiel in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 14 KSchG Rz. 3; Zimmer/Rupp, GmbHR 2006, 572, 576; Thies in Henssler/Willemsen/ Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 14 KSchG Rz. 3; v. Hoyningen-Huene in v. Hoyningen-Huene/Linck, 15. Aufl. 2013, § 14 KSchG Rz. 17a; kritisch bzw. a.A. jedoch Biebl in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 14 KSchG Rz. 10 m.w.N. 1102 Kiel in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 14 KSchG Rz. 5; Goll-Müller/Langenhan-Komus, NZA 2008, 687, 690. 1103 BGH v. 10.1.2000 – II ZR 251/98, ZIP 2000, 508; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 754/06, GmbHR 2008, 1259; BAG v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, NZA 1997, 1363, 1364 f. = GmbHR 1997, 837. 1104 BAG v. 25.6.1997 – 5 AZB 41/96, NZA 1997, 1363, 1364 f. = GmbHR 1997, 837; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 291.
Hohenstatt | 145
§ 35 Rz. 483 | Das Anstellungsverhältnis beitsverhältnis zustande kommen1105. Es ist allerdings missverständlich, in diesen Fällen von einer Umwandlung in ein Arbeitsverhältnis zu sprechen. Ein solches wird in dieser Konstellation erst neu begründet, weshalb erst ab diesem Zeitpunkt die Wartezeit für den Kündigungsschutz (§ 1 Abs. 1 KSchG) beginnt. 484 Vereinbarung des Kündigungsschutzes nach dem KSchG: Im Geschäftsführer-Anstellungs-
vertrag kann vereinbart werden, dass auf ihn das KSchG Anwendung finden soll1106. Hiergegen wurde eingewandt, dass die Anwendung des KSchG mit der Natur der Geschäftsführerstellung und insb. mit der freien Widerrufbarkeit der Bestellung gemäß § 38 Abs. 1 nicht zu vereinbaren sei1107. Aufgrund des Trennungsprinzips (vgl. Rz. 455) wird die Widerrufbarkeit durch die Beschränkung der Kündigungsmöglichkeiten jedoch nur mittelbar, nämlich durch die der Gesellschaft erwachsenden wirtschaftlichen Belastungen, beeinflusst1108. Solche mittelbaren Beschränkungen der Entscheidungsfreiheit werden jedoch gemäß § 38 Abs. 1 vom Gesetz ausdrücklich hingenommen1109. In gemäß dem MitbestG mitbestimmten GmbHs müssen allerdings gemäß § 31 Abs. 1 MitbestG i.V.m. § 84 AktG stets auf höchstens fünf Jahre befristete Dienstverträge abgeschlossen werden, so dass die vertraglich vereinbarte Anwendung des KSchG auf in diesen Gesellschaften tätige Geschäftsführer unzulässig wäre1110. 485 Bei vertraglich vereinbarter Anwendung des KSchG kann sich die Frage stellen, ob die Abbe-
rufung einen personenbedingten Kündigungsgrund i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG darstellt1111. Dafür spricht zwar, dass für einen abberufenen GmbH-Geschäftsführer regelmäßig keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bestehen wird1112. Dagegen spricht jedoch, dass die Vereinbarung der Anwendbarkeit der KSchG bei diesem Verständnis keine praktischen Auswirkungen hätte, da der Geschäftsführer gemäß § 38 Abs. 1 jederzeit und ohne Angabe von Gründen abberufen werden kann1113. Hingegen sind die §§ 9, 10 KSchG von einem Verweis auf das KSchG im Zweifel umfasst, so dass sich aus einer entsprechenden Vertragsregelung kein verlässlicher Bestandsschutz für den Geschäftsführer ergeben wird. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 KSchG werden sich bei Geschäftsführern in der Regel nachweisen lassen, so dass ein Auflösungsantrag der Gesellschaft mangels abweichender vertraglicher Regelung keiner Begründung bedarf1114.
1105 OLG Karlsruhe v. 25.8.1995 – 15 U 286/94, GmbHR 1996, 208, 209; Wiesner in MünchHdb. GesR IV, 4. Aufl. 2015, § 21 Rz. 29 f.; Kothe-Heggemann/Dahlbender, GmbHR 1996, 652; Jaeger/ Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 293. 1106 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 Rz. 7 m. Anm. Dzida = GmbHR 2010, 808. 1107 Bauer/Arnold, ZIP 2010, 709, 711 f. 1108 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 = GmbHR 2010, 808 Rz. 9 ff. 1109 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 = GmbHR 2010, 808 Rz. 9 ff.; zustimmend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 405. 1110 Dzida, Anm. zu BAG v. 10.5.2010, NJW 2010, 2346. 1111 Hierfür: Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 107; a.A. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 406. 1112 Vgl. zur fehlenden Eignung als personenbedingter Kündigungsgrund Linck in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 17. Aufl. 2017, § 131 Rz. 1. 1113 BGH v. 10.5.2010 – II ZR 70/09, NJW 2010, 2343 Rz. 16 (mit zustimmender Anm. Dzida) = GmbHR 2010, 808; s. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 406. 1114 Dzida, Anm. zu BAG v. 10.5.2010, NJW 2010, 2345 f.
146 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 487 § 35
5. Außerordentliche Kündigung a) Allgemeines Das Recht zur außerordentlichen Kündigung ist – unabhängig davon, ob ein befristeter oder 486 unbefristeter Dienstvertrag abgeschlossen wurde – unverzichtbar1115. Deshalb sind Vereinbarungen, die dem Geschäftsführer auch bei Kündigung aus wichtigem Grund eine Abfindung versprechen, wegen § 134 BGB nichtig1116. Die fristlose Kündigung nach § 626 BGB ist nach gefestigter Rechtsprechung1117 nur zulässig, wenn erstens ein Grund vorliegt, der an sich geeignet ist, einen „wichtigen Grund“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen (s. Rz. 490 ff.). Zweitens muss dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zu seinem ordentlichen Ablauf nicht zugemutet werden können (s. Rz. 516 ff.). Es ist demnach eine zweistufige Prüfung durchzuführen1118. Dies bedeutet, dass die Interessenabwägung auf der zweiten Stufe selbst dann vorzunehmen ist, wenn unzweifelhaft von einer schweren Pflichtverletzung auszugehen ist (keine absoluten Kündigungsgründe)1119. Allerdings ist unübersehbar, dass es bei einer ganzen Reihe schwerwiegendster Pflichtverletzungen in aller Regel ausgeschlossen sein wird, dass sich auf der zweiten Prüfungsebene so gewichtige Gesichtspunkte ergeben, dass eine außerordentliche Kündigung als ungerechtfertigt erscheint1120. b) Erfordernis einer Abmahnung? Es ist umstritten, ob der im Arbeitsrecht geltende Grundsatz des Erfordernisses einer Ab- 487 mahnung auf Geschäftsführer bzw. Organmitglieder übertragen werden kann. Der BGH lehnt dies ab und hält eine Abmahnung gegenüber Geschäftsführern für entbehrlich, weil das Leitungsorgan einer Kapitalgesellschaft die ihm obliegenden Pflichten regelmäßig kenne und sich der Tragweite einer Pflichtverletzung auch ohne besonderen Hinweis im Klaren sei1121. In der Tat kann der im Rahmen des Kündigungsschutzrechts geltende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auf der starken sozialen Abhängigkeit des Arbeitnehmers beruht, nicht auf Geschäftsführer übertragen werden. Geschäftsführer sind dafür verantwortlich, dass in der Gesellschaft die Regeln des Rechts beachtet werden. Diese Rolle erfordert es, dass der Geschäftsführer auch bezogen auf seine eigene Rolle die Pflichten kennt und diese einhält. Aus § 314 Abs. 2 BGB ergibt sich nichts anderes, wie auch der BGH1122 klargestellt hat. § 314 Abs. 2 Satz 2 BGB ordnet die entsprechende Anwendung von § 323 Abs. 2 BGB an. Danach kann bei Vorliegen besonderer Umstände eine sofortige Beendigung – ohne Abmah-
1115 Allgemeiner Grundsatz für Dauerschuldverhältnisse; vgl. auch § 314 Abs. 1 BGB; s. nur BGH v. 17.3.2008 – II ZR 239/06, NJW-RR 2008, 1488, 1490; vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 416. 1116 BAG v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, NZG 2000, 983 = GmbHR 2000, 876. 1117 Beispiele aus der jüngeren Rechtsprechung BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, BB 2011, 59 (m. Anm. Kock/Fandel); BAG v. 27.4.2006 – 2 AZR 386/05, NJW 2006, 2939 (m. Anm. Mengel). 1118 S. etwa Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 417. 1119 BAG v. 25.3.1976 – 2 AZR 163/75, NJW 1976, 2180, 2181; BAG v. 15.11.1984 – 2 AZR 613/83, NJW 1986, 342; BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1231; Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 24. 1120 So zutreffend Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 626 BGB Rz. 77; vgl. Fischermeier in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 95; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 417. 1121 BGH v. 14.2.2000 – II ZR 218/98, GmbHR 2000, 431; BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, GmbHR 2003, 105, 109; im Grundsatz zustimmend Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 114; Jaeger/ Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 427. 1122 BGH v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, NZG 2007, 674 = GmbHR 2007, 936.
Hohenstatt | 147
§ 35 Rz. 487 | Das Anstellungsverhältnis nung – erfolgen. Nach Auffassung des BGH1123, der zuzustimmen ist, ist die Funktion des Geschäftsführers ein solcher besonderer Umstand1124. Dies verkennen diejenigen Autoren, die den „besonderen Umstand“ in der Pflichtverletzung des Geschäftsführers erkennen und deshalb nur bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen von einem Abmahnungserfordernis absehen wollen1125. Dies würde eine beträchtliche Rechtsunsicherheit bewirken, da es eine mit großer Unsicherheit belastete Abwägungsentscheidung darstellt, ob man eine Pflichtverletzung als „schwerwiegend“ einordnen will. Im Übrigen würde diese Auffassung der besonderen Stellung und Verantwortung des Geschäftsführers keinerlei Rechnung tragen. Denn dass bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen keine Abmahnung erforderlich ist, ergibt sich bereits aus den allgemeinen Regeln – auch aus denjenigen für Arbeitnehmer1126. 488 Dennoch ist der Praxis zu empfehlen, Geschäftsführer schriftlich bzw. in beweisbarer Form
auf die Einhaltung bestimmter Regeln hinzuweisen, insb. wenn Anhaltspunkte bestehen, dass der Geschäftsführer diese Regeln nicht kennt oder sie für nicht beachtenswert hält. Dies kann, muss aber nicht in Gestalt einer formellen Abmahnung (mit Androhung kündigungsrechtlicher Konsequenzen) geschehen. Entscheidend ist, dass nach einem ausdrücklichen Hinweis die Schwere der Pflichtverletzung höher einzuschätzen ist, wenn der Geschäftsführer (erneut) gegen eine ihm deutlich in Erinnerung gerufene Vorgabe verstoßen hat. 489 Die von einigen Autoren vorgeschlagene Ausnahme1127, wonach eine Abmahnung insbeson-
dere dann erforderlich sein soll, wenn der Geschäftsführer wegen bestimmter Umstände Grund zu der Annahme hatte, ein bestimmtes Verhalten sei von der Gesellschaft geduldet, ist bei genauer Betrachtung nicht erforderlich. In solchen Fällen dürfte es nämlich bereits an einem hinreichend schwerwiegenden Pflichtverstoß des Geschäftsführers fehlen. Wenn durch frühere Umstände eine Unklarheit entstanden ist, ob ein bestimmtes Verhalten erwünscht bzw. geduldet ist, oder ob es sich um einen Pflichtverstoß handelt, kann eine Kündigung nur Erfolg haben, wenn das Kündigungsorgan zuvor den entstandenen Vertrauenstatbestand beseitigt hat1128, z.B. durch Klarstellung der Regularien oder durch gezielte Instruktion des Geschäftsführers. Ohne eine solche Klarstellung wäre hingegen selbst eine Abmahnung unwirksam – mangels eindeutigem Pflichtverstoß. c) Wichtige Gründe für die Kündigung durch die GmbH 490 Der „wichtige Grund“ zur Abberufung nach § 38 Abs. 2 ist nicht notwendig auch ein „wich-
tiger Grund“ zur Kündigung des Anstellungsvertrages durch die Gesellschaft. Der Begriff „wichtiger Grund“ ist vielmehr jeweils gesondert auszulegen1129. 491 Der „wichtige Grund“ wird in aller Regel im Verhalten bzw. in der Person des Geschäftsfüh-
rers liegen. Es müssen Tatsachen vorliegen, die die Fortsetzung des Anstellungsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar machen1130. Ein pflichtwidri-
1123 BGH v. 2.7.2007 – II ZR 71/06, NZG 2007, 674 = GmbHR 2007, 936; zustimmend Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 143; Gehrlein, BB 2004, 2585, 2590; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 61a; Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 43 Rz. 91. 1124 So auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 114. 1125 von Hase, NJW 2002, 2278, 2281 f.; Koch, ZIP 2005, 1621, 1626; ansatzweise auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 427; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 114. 1126 S. nur Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 29c. 1127 Goette, DStR 2000, 696; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 114. 1128 So sinngemäß auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 428. 1129 BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, GmbHR 1978, 85; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 38 Rz. 20b. 1130 OLG München v. 22.6.2017 – 23 U 3293/16, GmbHR 2017, 1099 = ZIP 2017, 1808.
148 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 493 § 35
ges oder gar schuldhaftes Verhalten ist keine zwingende Voraussetzung1131. Maßgeblich ist, ob objektiv aus Sicht eines verständigen Betrachters unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen der weiteren Zusammenarbeit die Grundlage entzogen ist1132. Auch objektive Umstände können ausreichen (z.B. die dauernde Arbeitsunfähigkeit1133 oder der dauernde Wegfall der Geschäftsfähigkeit). Der wichtige Grund kann auch bei der Gesellschaft liegen, wie etwa der wirtschaftliche Niedergang des Unternehmens, wenn für eine echte Geschäftsführertätigkeit in dem vereinbarten Sinn kein Raum mehr ist1134. Zu würdigen sind die Gesamtumstände im Einzelfall. Vorbehaltlich der durchzuführenden Interessenabwägung (zweite Prüfungsstufe, vgl. 492 Rz. 516 ff.) sind folgende Umstände in der Regel Anlass und wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung durch die Gesellschaft: aa) Schädigung der Gesellschaft durch pflichtwidrige Geschäftsführungsentscheidungen 493 – Erschleichung von Subventionen durch Falschangaben1135. – Nichteinrichtung effektiver Compliancesysteme1136. – Überschreitung der von der Gesellschafterversammlung gesetzten Kreditlinien und Vergabe unzureichend gesicherter Kredite in erheblichem Umfang zum Schaden der Gesellschaft1137. – Gefährdung der Vermögenslage der Gesellschaft durch Abschluss außergewöhnlicher und grob nachteiliger Geschäfte, die gegenüber den Gesellschaftern/Aufsichtsrat nicht hinreichend offengelegt wurden1138. – Gewährung von „heimlichen“ Sonderzuwendungen an Mitarbeiter, für die weder ein Gesellschafterbeschluss noch eine arbeitsvertragliche Grundlage besteht1139. – Eine einmalige fahrlässige Schlechtleistung kann eine außerordentliche Kündigung in der Regel nicht begründen1140. Sie kommt allenfalls in Betracht, wenn sich darin zeigt, dass der Geschäftsführer nicht über die zur Ausübung seiner Tätigkeit selbstverständlich erforderlichen Fähigkeiten verfügt1141.
1131 BGH v. 17.2.1997 – II ZR 278/95, AG 1997, 328 = DStR 1997, 1053 m. Anm. Goette; OLG München v. 22.6.2017 – 23 U 3293/16, GmbHR 2017, 1099 = ZIP 2017, 1808. 1132 OLG München v. 22.6.2017 – 23 U 3293/16, GmbHR 2017, 1099 = ZIP 2017, 1808. 1133 Vgl. BGH v. 13.5.2004 – 2 AZR 36/04, NZA 2004, 1271, 1274. 1134 BGH v. 21.4.1975 – II ZR 2/73, WM 1975, 761. 1135 BGH v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, GmbHR 1985, 112 = WM 1984, 1187. 1136 Der Geschäftsführer ist verpflichtet, ein effektives Kontrollsystem zur Aufdeckung von Scheinrechnungen im Unternehmen zu installieren: Thüringer OLG v. 12.8.2009 – 7 U 244/07, DStR 2010, 126. 1137 BGH v. 3.12.1973 – II ZR 85/70, WM 1974, 131. 1138 BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, NZG 2002, 46, 47 = GmbHR 2001, 1158. 1139 Dies gilt insbesondere wenn der Geschäftsführer Maßnahmen getroffen hat, den Vorgang zu verschleiern (z.B. schwarze Kassen), und absichtlich weder Steuern noch Sozialversicherungsabgaben abgeführt wurden: OLG Hamm v. 25.11.2009 – 8 U 61/09, GmbHR 2010, 477. 1140 BGH v. 22.4.1982 – VII ZR 160/81, MDR 1982, 843 = WM 1982, 797. 1141 LAG München v. 15.7.1975 – 5 Sa 392/75, DB 1975, 1756.
Hohenstatt | 149
§ 35 Rz. 494 | Das Anstellungsverhältnis bb) Korruption, Unterschlagung oder anderweitiger finanzieller Eigennutz 494 – Strafbare Untreue gemäß § 266 StGB zulasten der Gesellschaft.
– Schon das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter Einrichtung von verdeckten Kassen durch leitende Angestellte eines Wirtschaftsunternehmens führt zu einem endgültigen Nachteil i.S.v. § 266 Abs. 1 StGB. Die Absicht, das Geld im wirtschaftlichen Interesse der Gesellschaft zu verwenden, beseitigt die Strafbarkeit nicht1142. – Unzulässige Zahlungen an betriebsverfassungsrechtliche Mandatsträger können als Untreue zu bewerten sein. Hierdurch entstehende Vermögensnachteile des Unternehmens werden nicht dadurch aufgewogen, dass man sich davon einen „kooperationsbereiten“ Betriebsrat verspricht; dieser ist ohnehin dem Wohle des Betriebes verpflichtet1143. – Nur wenn kollektivarbeitsrechtlich unzulässige Zahlungen eindeutige wirtschaftliche Vorteile des Unternehmens zur Folge haben, kann ein Vermögensnachteil i.S.d. § 266 StGB entfallen1144. – Der Geschäftsführer einer GmbH handelt aber auch im Falle wirtschaftlich nachteiliger und nicht mit dem Gesellschaftszweck in Einklang stehender Dispositionen objektiv dann nicht pflichtwidrig, wenn er aufgrund eines wirksamen Einverständnisses der Gesellschafter vorgeht. Das Einverständnis der Gesellschafter ist allerdings unbeachtlich, wenn es auf Willensmängeln beruht oder gesetzeswidrig oder missbräuchlich erteilt wurde. Letzteres ist der Fall, wenn unter Verstoß gegen auch Gläubigerinteressen dienenden Rechtsvorschriften die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft gefährdet wird, indem etwa die Kapitalerhaltungsregel des § 30 Abs. 1 missachtet, eine Überschuldung der Gesellschaft herbeigeführt oder vertieft oder deren Liquidität unmittelbar existenzbedrohend gefährdet wird1145. – Entnahme von finanziellen Mitteln der Gesellschaft für private Zwecke1146. – Die ungenehmigte umfangreiche Verwendung der Firmenkreditkarte zu privaten Zwecken stellt ebenso einen Grund für eine außerordentlichen Kündigung des Anstellungsverhältnisses des Fremdgeschäftsführers dar wie der Umstand, dass dieser die von der GmbH verauslagten Beträge überhaupt nicht bzw. nicht zeitnah erstattet1147. – Annahme von Schmiergeldern. – Wer sich als Geschäftsführer bei der Ausführung seiner dienstlichen Tätigkeit Vorteile versprechen lässt oder entgegennimmt, die dazu bestimmt oder geeignet sind, sein geschäftliches Verhalten zugunsten Dritter oder zum Nachteil seines Arbeitgebers zu beeinflussen und damit gegen das sog. Schmiergeldverbot verstößt, handelt den Interessen seines Arbeitgebers zuwider und gibt diesem damit regelmäßig einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung1148. – Dabei kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob es zu einer den Arbeitgeber schädigenden Handlung gekommen ist oder ob überhaupt der Arbeitnehmer ernsthaft beabsichtigt hat, gegen die Interessen seines Arbeitgebers zu handeln.
1142 1143 1144 1145 1146 1147 1148
BGH v. 29.8.2008 – 2 StR 587/07, NJW 2009, 89 – Siemens. BGH v. 17.9.2009 – 5 StR 521/08, NJW 2010, 92, 94 – Hartz. BGH v. 13.9.2010 – 1 StR 220/09, NJW 2011, 88, 90 – Siemens/AUB. Vgl. Thüringer OLG v. 12.1.2011 – 1 Ws 352/10, GmbHR 2011, 813 ff. BGH v. 17.10.1983 – II ZR 31/83, WM 1984, 29, 30. OLG Brandenburg v. 20.2.2007 – 6 U 22/06, GmbHR 2007, 874. BAG v. 17.8.1972 – 2 AZR 415, AP BGB § 626 Nr. 65; vgl. auch Sethe, WM 1998, 2309, 2320.
150 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 495 § 35
– Vorzeitige (eigenmächtige) Entnahme von Tantiemen ohne notwendigen Gesellschafterbeschluss. – Ein wichtiger Grund liegt regelmäßig dann vor, wenn der Geschäftsführer, ohne vorher die Entscheidung der Gesellschafter einzuholen, sich einen im Anstellungsvertrag vereinbarten, teils bedingten, teils in das freie Ermessen der Gesellschafter gestellten Bonus eigenmächtig auszahlen lässt1149. – Abschluss von Geschäften mit Gesellschaften, an denen der Geschäftsführer oder ein naher Verwandter beteiligt ist, ohne Aufklärung der Gesellschafter1150. Richtigerweise kommt es in dieser Konstellation wegen des Vertrauensbruchs nicht darauf an, ob die Gesellschaft konkret geschädigt wurde1151. – Vermischung von Gesellschafts- und privaten Geldern, insbesondere wenn sich der Geschäftsführer weigert, an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken1152. – Unerlaubte Verwendung von Material und Arbeitskräften der GmbH für Privatzwecke1153. – Vorsätzliche Falschabrechnung von Spesen. – Der finanzielle Schaden braucht nicht erheblich zu sein, da es entscheidend auf den Vertrauensverlust ankommt1154. – Dabei ist gemäß OLG Celle ein betrügerisches Vorgehen (Täuschung) nicht erforderlich; es genügt die Geltendmachung von in der Sache unbegründeten Spesenerstattungen1155. Dies wird aufgrund der Revisionsentscheidung des BGH vom 28.10.20021156 nun teilweise bezweifelt1157. Der BGH bezog sich in seiner Begründung jedoch auf die unklare Vertragslage, so dass letztlich unklar war, ob dem Geschäftsführer der Anspruch nicht sogar zustand. In Fällen klarer Vertragslage muss es aber dabei bleiben, dass das Einreichen nicht erstattbarer Spesenerstattungen auch ohne Täuschungshandlung einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen kann. Dies gilt schon deshalb, weil die für die Prüfung der Spesenabrechnung zuständigen Mitarbeiter wegen ihrer hierarchischen Unterordnung nur selten eine effektive Kontrollinstanz darstellen. Ein ungeschmälertes Vertrauen in die Redlichkeit des Geschäftsführers ist daher unverzichtbar. – Eigenmächtige Verbuchung von Spesenvorschüssen als Darlehen1158. cc) Verstoß gegen zentrale rechtliche Verpflichtungen – Schwerwiegende Verstöße des Geschäftsführers gegen Pflichten des Bürgerlichen Rechts, 495 Strafrechts, Wettbewerbsrechts, Steuerrechts oder gegen sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften. – Zu den Kardinalspflichten eines Geschäftsführers gehört es, sich bei der Amtsführung gesetzestreu zu verhalten. Der Geschäftsführer hat demnach für die Einhaltung und Erfüllung aller Rechtsnormen bzw. Verkehrspflichten zu sorgen. 1149 BGH v. 9.11.1992 – II ZR 234/91, GmbHR 1993, 33 = DStR 1993, 134; OLG Hamm v. 24.6.1994 – 25 U 149/90, GmbHR 1995, 732, 733. 1150 OLG Brandenburg v. 13.7.1999 – 6 U 286/96, NZG 2000, 143, 145. 1151 OLG Karlsruhe v. 8.7.1988 – 10 U 157/87, NJW-RR 1988, 1497 = GmbHR 1988, 484. 1152 BGH v. 20.9.1993 – II ZR 244/92, DStR 1993, 1752, 1753. 1153 BGH v. 2.6.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 = DStR 1997, 1338 m. Anm. Goette; OLG Düsseldorf v. 24.2.2012 – 16 U 177/10, AG 2012, 511 ff. 1154 OLG Celle v. 27.1.2010 – 9 U 38/09, NJW-RR 2010, 299, 301 = GmbHR 2010, 365. 1155 Für die Abrechnung von privat angefallenen Benzinkosten ohne entspr. Anspruch; s. hierzu KG v. 10.11.2000 – 14 U 9587/99, NZG 2001, 325, 326 = GmbHR 2001, 925. 1156 BGH v. 28.10.2002 – II ZR 353/00, GmbHR 2003, 33, 34 f. 1157 S. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 418. 1158 OLG Köln v. 26.11.1993 – 19 U 93/93, NJW-RR 1995, 123.
Hohenstatt | 151
§ 35 Rz. 495 | Das Anstellungsverhältnis – Insbesondere Insidergeschäfte oder andere Verstöße gegen das WpHG können die Gesellschaft zur fristlosen Kündigung berechtigen1159. – Bildung von schwarzen Kassen unter Verletzung von Buchführungsvorschriften1160. – Verletzung der Insolvenzantragspflicht. – Schuldhafte Insolvenzverschleppung des Geschäftsführers durch Verletzung der Insolvenzantragspflicht trotz objektiv feststellbarem Eintritt einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft1161. – Die angeblich ungerechtfertigte Ankündigung oder Stellung eines Insolvenzantrages bildet nur dann einen wichtigen Grund, wenn die Gesellschaft beweisen kann, dass eindeutig kein Insolvenzgrund vorlag1162. – Strafbare oder jedenfalls regelwidrige Bevorzugung oder Benachteiligung von betriebsverfassungsrechtlichen Amtsträgern. – Das rechtswidrige Herunterladen von Software (insbesondere Hackersoftware) und die damit verbundene Gefahr eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie bei etwaigem öffentlichem Bekanntwerden des Vorgangs die Gefahr eines unternehmensschädigenden Datenskandals ist in der Regel ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 BGB1163. dd) Verstoß gegen Bilanzierungsvorschriften 496 – Gänzliche Unterlassung oder grob unsachgemäße Buchführung und Buchführungsma-
nipulationen. – Die Verletzung von Buchführungspflichten, insbesondere die Nichteinreichung der Jahresabschlüsse beim Finanzamt, stellt in der Regel eine schwerwiegende Pflichtverletzung des hierfür verantwortlichen Geschäftsführers dar1164. – Ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Anstellungsvertrages liegt auch vor, wenn der Geschäftsführer von ihm getätigte Barabhebungen mangels ordnungsgemäßer Buchführung überhaupt nicht begründen kann1165. – Fälschung von Buchungsunterlagen und Bilanzierung von „Scheinaufträgen“. – Fälschung von Abrechnungsbelegen, selbst wenn ein konkreter Vermögensschaden der GmbH nicht nachzuweisen ist1166. – Aufstellung unzutreffender Bilanzen mit überhöhten Ergebnissen. – Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses befasste Geschäftsführer einer GmbH muss entweder alle maßgeblichen Unterlagen der beauftragten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft überlassen oder aber selbst den Divergenzen in zumutbarem Umfang nachgehen, wenn er mit Bewertungsdivergenzen in den Zahlenwerken seiner Mitarbeiter konfrontiert wird. Unterlässt er beides und kommt es deswegen zum Nachteil der Gesellschaft zum Ausweis eines erheblich höheren Ergebnisses, stellt dies ein Fehlverhal-
1159 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, GmbHR 1997, 25 = NJW 1997, 130; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 43 Rz. 30 f. 1160 Vgl. BGH v. 27.8.2010 – 2 StR 111/09, WM 2010, 1957, 1964 = GmbHR 2010, 1146; vgl. auch OLG Celle v. 21.12.2005 – 9 U 100/05, GmbHR 2006, 377, 379. 1161 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 236/06, GmbHR 2008, 256. 1162 BGH v. 12.2.2007 – II ZR 308/05, ZIP 2007, 674, 675 unter Hinweis auf einen gewissen Beurteilungsspielraum des Geschäftsführers bei der Feststellung der Überschuldung. 1163 OLG Celle v. 27.1.2010 – 9 U 38/09, GmbHR 2010, 365. 1164 BGH v. 12.1.2009 – II ZR 27/08, NJW-RR 2009, 618, 619 = GmbHR 2009, 434. 1165 OLG Rostock v. 14.10.1998 – 6 U 234/97, GmbHR 1999, 344 = NZG 1999, 216. 1166 OLG Hamm v. 7.5.1984 – 8 U 22/84, GmbHR 1985, 119, 120.
152 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 498 § 35
ten dar, das zur fristlosen Kündigung des Angestelltenvertrages gemäß § 626 BGB berechtigt1167. ee) Verbotene Wettbewerbstätigkeit bzw. Nebentätigkeiten – Die Ausnutzung von Erwerbschancen des Unternehmens zur Verfolgung privater Inte- 497 ressen (vgl. hierzu auch 12. Aufl., § 43 Rz. 177 ff.). – Der geschäftsführende Gesellschafter muss in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Gesellschaft berühren, deren Wohl und nicht seinen eigenen Nutzen oder den Vorteil anderer im Auge haben. Er darf Erwerbschancen nicht für sich, sondern nur für die Gesellschaft ausnutzen und hat ihr, wenn er hiergegen verstößt, einen dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen1168. – Nutzt ein GmbH-Geschäftsführer seine Stellung dazu aus, ein vorteilhaftes Geschäft, das ihm nur mit Rücksicht auf diese Stellung angetragen wird, ohne Unterrichtung der anderen Gesellschaftsorgane für eigene Rechnung abzuschließen, so bedeutet das in der Regel einen schweren Vertrauensbruch, der die außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages auch dann rechtfertigen kann, wenn das Geschäft selbst die Interessen der Gesellschaft nicht beeinträchtigt hat1169. – Der Geschäftsführer setzt auch einen Grund für seine fristlose Kündigung, wenn er eine Geschäftschance nicht nutzt, sondern diese einem anderen Unternehmen, an dessen Gewinn er beteiligt ist, in der Absicht überlässt, das Geschäft zu einem späteren Zeitpunkt zu einem unverhältnismäßig höheren Preis vorzunehmen1170. – Verletzung von Wettbewerbsverboten (vgl. auch 12. Aufl., § 43 Rz. 186 ff.). – Ob Verstöße gegen ein Wettbewerbsverbot eine fristlose Kündigung rechtfertigen können, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles, insbesondere von Umfang, Intensität und Dauer des Verstoßes ab. Verletzt der Geschäftsführer ständig und besonders massiv ein Wettbewerbsverbot und gefährdet damit die wirtschaftliche Existenz der Gesellschaft, ist ein wichtiger Grund anzunehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Tätigkeit in den Kernbereich der Geschäfte der Gesellschaft fällt1171. – Sonstige Nebentätigkeiten, die zu schweren Interessenkollisionen führen, können eine fristlose Kündigung ebenfalls rechtfertigen. ff) Verstoß gegen Weisungen der Gesellschafter bzw. Berichtspflichten – Nachhaltige Verweigerung von Auskünften bzw. Berichten gegenüber den zuständigen 498 Organen der Gesellschaft. – Gemäß § 51a Abs. 1 haben die Geschäftsführer jedem Gesellschafter auf Verlangen unverzüglich Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft zu geben und Einsicht in Bücher und Schriften zu gestatten1172. – Auch der Verstoß gegen Berichtspflichten (insbesondere zur finanziellen Lage der Gesellschaft) kann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 BGB darstellen. Die gilt auch dann,
1167 OLG Bremen v. 20.3.1997 – 2 U 110/96, NZA-RR 1998, 61 = GmbHR 1998, 536. 1168 BGH v. 23.9.1985 – II ZR 257/84, MDR 1986, 292 = WM 1985, 1444; s. aber auch BGH v. 13.2.1995 – II ZR 225/93, GmbHR 1995, 296, 297. 1169 BGH v. 8.5.1967 – II ZR 126/65, BB 1967, 731. 1170 BGH v. 12.6.1989 – II ZR 334/87, NJW-RR 1989, 1255. 1171 OLG Düsseldorf v. 24.2.2000 – 6 U 77/99, GmbHR 2000, 1050 = NZG 2000, 1135. 1172 OLG Frankfurt v. 24.11.1992 – 5 U 67/90, GmbHR 1994, 114 = NJW-RR 1994, 498.
Hohenstatt | 153
§ 35 Rz. 498 | Das Anstellungsverhältnis wenn der Geschäftsführer trotz entsprechender Aufforderungen keinen schriftlichen kaufmännischen Rechenschaftsbericht vorlegt, sondern nur mündlich berichtet1173. – Widersetzlichkeit gegen Weisungen der Gesellschafter. – Die Gesellschafter einer GmbH können den Geschäftsführern auch ohne satzungsmäßige Grundlage Weisungen in jeder beliebigen Angelegenheit der Geschäftsführung und mit jedem beliebigen Inhalt erteilen. Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um allgemeine Richtlinien oder um Einzelfallentscheidungen handelt. – Ständige Widersetzlichkeit des Geschäftsführers gegenüber Weisungen des Bevollmächtigten des Alleingesellschafters stellt einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar1174. Auch die einmalige Nichtbefolgung einer wesentlichen Weisung kann einen wichtigen Kündigungsgrund darstellen1175. – Überschreitet ein Geschäftsführer seine Befugnisse und übergeht bei wichtigen Fragen die Gesellschafterversammlung, ist ein wichtiger Grund ebenfalls anzunehmen1176. gg) Zerstörung des Vertrauens zu den Gesellschaftern 499 – Gewalttätigkeiten gegenüber Gesellschaftern oder Mitgeschäftsführern.
–
– – – – –
– Tätlichkeiten muss besondere Bedeutung beigemessen werden, wenn sie in den Betriebsräumen und in der Gegenwart von Betriebsangehörigen begangen werden1177. Tiefgreifendes Zerwürfnis mit einem Mitgeschäftsführer. – Sind zwei oder mehrere Geschäftsführer aufgrund eines unheilbaren Zerwürfnisses untereinander so zerstritten, dass eine Zusammenarbeit zwischen ihnen nicht mehr möglich ist, kann jeder von ihnen jedenfalls dann gekündigt werden, wenn er durch sein – nicht notwendigerweise schuldhaftes – Verhalten zu dem Zerwürfnis beigetragen hat. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass der Verursachungsanteil des gekündigten Geschäftsführers denjenigen des Mitgeschäftsführers überwiegt1178. Missachtung der Ressortzuständigkeit eines Mitgeschäftsführers1179. Ehrverletzende und verleumderische Äußerungen über einen Gesellschafter1180. Schwerwiegende Verletzung der Schweigepflicht. Grob gesellschaftsschädigende Äußerungen in der Öffentlichkeit. Verdacht schwerer Pflichtverletzungen, insbesondere strafbaren Verhaltens (s. genauer Rz. 504).
hh) Pflichtwidrige Niederlegung des Geschäftsführeramtes bzw. Vorenthaltung der Arbeitsleistung 500 – Unberechtigte Amtsniederlegung (vgl. 12. Aufl., § 38 Rz. 89).
– Die unberechtigte Niederlegung des Geschäftsführeramtes rechtfertigt regelmäßig die fristlose Kündigung des Anstellungsvertrages. Das gilt auch dann, wenn das VertragsKG v. 18.6.1999 – 14 U 8940/97, NZG 2000, 101, 102. OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476. BGH v. 20.8.2019 – II ZR 121/16, NJW 2019, 3718 Ls. 2 und Rz. 37. Abwägend: BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, AG 1991, 235, 236 = GmbHR 1991, 197. BGH v. 24.10.1994 – II ZR 91/94, DStR 1994, 1746 m. Anm. Goette. BGH v. 12.1.2009 – II ZR 27/08, GmbHR 2009, 434 = NZG 2009, 386; BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91, GmbHR 1992, 299 = NJW-RR 1992, 993. 1179 LG Berlin v. 10.11.2003 – 95 O 139/02, GmbHR 2004, 741, 744. 1180 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZA 1998, 1005, 1007 = GmbHR 1998, 827.
1173 1174 1175 1176 1177 1178
154 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 503 § 35
verhältnis ohnehin in einigen Monaten endet, die Gesellschaft sich aber auf die Fortführung der Leitungsaufgabe durch den Geschäftsführer bis zu diesem Zeitpunkt eingerichtet hat1181. – Vorenthaltung der Arbeitsleistung. – Ein Geschäftsführer kann aus einem von der GmbH zu vertretenden wichtigen Grund sein Amt niederlegen, ohne zugleich das Anstellungsverhältnis fristlos kündigen zu müssen. Verweigert er allerdings unberechtigt weitere Dienstleistungen, so liegt darin für die Gesellschaft ein wichtiger Grund zur Kündigung des Anstellungsverhältnisses1182. ii) Pflichtverstöße bei der Führung und im Umgang mit Mitarbeitern – Sexuelle Belästigung von Mitarbeitern1183. 501 – Unterbliebenes Einschreiten gegen sexuelle Belästigungen durch Mitarbeiter oder Mitgeschäftsführer. – Zu den Pflichten der Führungskräfte eines Unternehmens gehört es nicht nur, selbst Belästigungen gegenüber Mitarbeitern zu unterlassen, sondern auch, derartige Belästigungen von den Angestellten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit fernzuhalten und, soweit dies im Einflussbereich des Geschäftsführers liegt, aktiv dagegen einzuschreiten und entsprechenden Beschwerden nachzugehen1184. jj) Schädigendes außerdienstliches Verhalten – Außerdienstliches strafbares Verhalten1185. 502 – Trunkenheit am Steuer oder ähnliche erhebliche Verfehlungen. – Derartige Vorkommnisse lassen auf schwerwiegende Zuverlässigkeitsmängel schließen. Sonstiges einmaliges fahrlässiges Fehlverhalten kann eine außerordentliche Kündigung nur ausnahmsweise begründen1186. d) Nicht ausreichende Gründe für die Kündigung – Betriebsbedingte Gründe. 503 – Dringende betriebliche Gründe, zu denen der Fortfall eines Arbeitsplatzes aufgrund einer Betriebsstilllegung gehört, rechtfertigen in aller Regel nur eine ordentliche Kündigung. – Druck eines Geschäftspartners der Gesellschaft1187. – Private Nutzung des dienstlichen Mobiltelefons ohne ausdrückliches Verbot1188.
BGH v. 19.6.1995 – II ZR 228/94, DStR 1995, 1359. BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435. OLG Frankfurt v. 27.5.2008 – 5 U 233/04, GmbHR 2009, 488, 489. OLG Hamm v. 1.3.2007 – 27 U 137/06, GmbHR 2007, 823. BGH, WM 1956, 867, 868. BGH v. 22.4.1982 – VII ZR 160/81, NJW 1982, 1708, 1709. Goette, DStR 1999, 1537 f.; im Fall BGH v. 23.10.2006 – II ZR 298/05, NZG 2007, 189 = AG 2007, 125 ging es demgegenüber allein um die Abberufung eines AG-Vorstandes aus der Organstellung (auf Druck der Hausbank und nach Stellung des Insolvenzantrags). 1188 LAG Rheinland-Pfalz v. 23.10.2008 – 10 Sa 787/05, juris.
1181 1182 1183 1184 1185 1186 1187
Hohenstatt | 155
§ 35 Rz. 503 | Das Anstellungsverhältnis – Kurzfristige Überschreitung des Erholungsurlaubs1189. – Fachliche Leistungsmängel1190, soweit sie nicht zur Unzumutbarkeit der Zusammenarbeit führen sowie lang anhaltende Erkrankung des Geschäftsführers1191. – Abschluss eines Scheinvertrages und Kompetenzüberschreitung1192. – Gefahr der Insolvenz bzw. Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft1193. Eine so genannte Druckkündigung ist grundsätzlich ausgeschlossen, weil es in der Regel ausreichend ist, den Geschäftsführer abzuberufen. Allenfalls in Ausnahmesituationen kann darüber hinaus eine Kündigung des Anstellungsvertrages erforderlich sein1194. e) Besonderheiten der Verdachtskündigung 504 Während dem Kündigungsberechtigten im Fall einer sog. Tatkündigung die volle Darlegungs-
und Beweislast für das Vorliegen der geltend gemachten Kündigungsgründe obliegt1195, gelten für die Verdachtskündigung besondere Regeln. Hier genügt der Nachweis, dass (i) aufgrund objektiver Tatsachen der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht und (ii) hierdurch das zur Fortsetzung der Zusammenarbeit erforderliche Vertrauen unwiderruflich zerstört worden ist1196. Zusätzlich muss die Gesellschaft nachweisen, dass sie alles Zumutbare unternommen hat, um den Sachverhalt vollständig aufzuklären; hierzu gehört zwingend die Anhörung des in Verdacht geratenen Geschäftsführers, die eine Wirksamkeitsvoraussetzung jeder Verdachtskündigung darstellt1197. Das Erfordernis der Anhörung gilt auch für Geschäftsführer, da es sich hierbei nicht um eine Anforderung handelt, die spezifisch auf Arbeitsverhältnisse zugeschnitten ist1198. Der Ausspruch einer Verdachtskündigung schließt es nicht aus, die Kündigung im Prozess auch auf die erwiesene Pflichtverletzung zu stützen1199. In Fällen, in denen die Gesellschaft nicht sicher sein kann, ob ihr der lückenlose Beweis der Pflichtverletzung gelingt, dürfte es häufig sinnvoll sein, die Kündigung zumindest auch als Verdachtskündigung auszusprechen und eine hierfür zwingende Anhörung des Geschäftsführers durchzuführen. Auch ein späteres Nachschieben (vgl. hierzu Rz. 525 ff.) des Tatverdachts als Kün-
1189 S. OLG Hamburg v. 12.7.1990 – 10 U 15/90, AG 1991, 242; s. aber auch BGH v. 26.6.1995 – II ZR 122/94, AG 1995, 464, 466. 1190 BGH v. 18.6.1984 – II ZR 221/83, WM 1984, 1120, 1121 = GmbHR 1985, 86. 1191 Vgl. OLG Zweibrücken v. 5.6.2003 – 4 U 117/02, GmbHR 2003, 1206, 1207. 1192 BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, GmbHR 2013, 645 = NJW 2013, 2425. 1193 OLG Naumburg v. 16.4.2003 – 5 U 12/03, GmbHR 2004, 423 f.; s. auch OLG Stuttgart v. 18.9.1981 – 2 U 27/81 u. 64/81, 2 U 27/81, 2 U 64/81, ZIP 1981, 1336, 1337. 1194 Goette, DStR 1999, 1537, 1538; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 420 mit Hinweisen auf einschlägige Rechtsprechung in Fn. 997. 1195 Vgl. Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 438 m.w.N. 1196 BAG v. 13.9.1995 – 2 AZR 587/94, NZA 1996, 81, 83; BAG v. 14.9.1994 – 2 AZR 164/94, NZA 1995, 269, 271; BAG v. 10.2.2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1056, 1057 f.; Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 173 ff.; Fischermeier in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 225; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 426. 1197 BAG v. 10.2.2005 – 2 AZR 189/04, NZA 2005, 1056, 1058; BAG v. 26.9.2002 – 2 AZR 424/01, NZA 2003, 991 (Leitsatz 1); BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 496/00, NZA 2002, 847, 849; vgl. auch Rüppel/Hoffmann, BB 2016, 645, 650 m.w.N. 1198 Lunk, ZIP 1999, 1777, 1781; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 94; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 426. 1199 BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 496/00, NZA 2002, 847, 850.
156 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 507 § 35
digungsgrund ist möglich; auch hierfür ist jedoch erforderlich, dass der Geschäftsführer vor Ausspruch der Kündigung Gelegenheit zur Stellungnahme hatte1200. f) Gründe für die Kündigung durch den Geschäftsführer Sofern der Dienstvertrag mit dem Geschäftsführer die Möglichkeit einer ordentlichen Kün- 505 digung vorsieht, ist diese jederzeit im Rahmen der vertraglichen Abmachungen möglich, ohne dass hierfür besondere Gründe geltend gemacht werden müssen. Bei Verträgen mit langer Kündigungsfrist bzw. eingeschränkten Kündigungsmöglichkeiten (Beispiel: ordentliche Kündigung ist lediglich mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende, frühestens jedoch nach einer Vertragsdauer von zwei Jahren zulässig) bzw. bei fest für eine Vertragsperiode abgeschlossenen Verträgen stellt sich in der Praxis regelmäßig die Frage, ob dem Geschäftsführer in bestimmten Konstellationen ein Recht zur außerordentlichen Kündigung zusteht. Dies setzt nach § 626 Abs. 1 BGB ebenso wie bei einer außerordentlichen Kündigung seitens der Gesellschaft einen „wichtigen Grund“ voraus. Des weiteren muss es dem Geschäftsführer unzumutbar sein, den Vertrag bis zum vereinbarten Vertragende oder bis zur ersten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit fortzusetzen. Je weiter entfernt die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung zeitlich liegt, desto eher kann von einer Unzumutbarkeit ausgegangen werden1201. aa) Vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft Ein wichtiger Grund für die Geschäftsführerkündigung ist in aller Regel gegeben, wenn die 506 Gesellschaft ihrerseits in substantieller Weise gegen ihre Verpflichtungen verstößt, sofern dies zu Belastungen für den Geschäftsführer führt, die diesem nicht zuzumuten sind. Soweit der Gesellschaft ein vertragswidriges Verhalten nachgewiesen werden kann, macht sie sich gemäß § 628 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig, sofern die (berechtigte) Kündigung des Geschäftsführers darauf beruht. Allerdings erweist sich diese Sanktion häufig als „stumpfes Schwert“. Sobald es nämlich dem Geschäftsführer gelingt, eine andere – ähnlich oder besser vergütete – Position zu finden, laufen die nunmehr erzielten Vergütungen gegen seinen Schadensersatzanspruch1202. Eine außerordentliche Kündigung wegen vertragswidrigen Verhaltens der Gesellschaft kann 507 insbesondere in folgenden Konstellationen vorliegen: – Vertragswidrig unterlassene Bestellung zum Geschäftsführer1203, ohne dass der Betreffende hierfür schuldhaft Anlass geboten hat. – Abberufung des Geschäftsführers, ohne dass dem ein schuldhaftes Verhalten des Geschäftsführers zugrunde lag1204. In diesen Fällen liegt allerdings nach der Rechtsprechung des BGH1205 kein vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft vor, so dass zwar ein Recht
1200 Fischermeier in Gemeinschaftskommentar zum KSchG, 12. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 231. 1201 OLG Jena v. 1.12.1998 – 5 U 1501/97, NZG 1999, 1069, 1070; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 425. 1202 Müller-Glöge in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 628 BGB Rz. 41 m.w.N. 1203 BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, NZG 2002, 1177, 1178 = GmbHR 2003, 105. 1204 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 58; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 120; mit Einschränkung auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 421; a.A. Röhrborn, BB 2014, 1978, 1978 f.; offen gelassen von BGH v. 28.10.2002 – II ZR 146/02, GmbHR 2003, 100, 101; offen gelassen auch durch OLG Karlsruhe v. 22.3.2003 – 14 U 46/01, GmbHR 2003, 771, 772 = NZG 2003, 480, 481. 1205 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, NZG 2012, 502, 503 Rz. 15; Bauer/Diller/Krets, DB 2003, 2687; Haase, GmbHR 2003, 102; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 140; Beurskens in Baum-
Hohenstatt | 157
§ 35 Rz. 507 | Das Anstellungsverhältnis
– – – – – – –
zur außerordentlichen Kündigung bestehen könne, ein Schadensersatzanspruch gemäß § 628 Abs. 2 BGB jedoch aufgrund der jederzeit zulässigen Abberufung ausscheide. Ungerechtfertigte außerordentliche Kündigung durch die Gesellschaft1206. Vorenthaltung der Dienstbezüge, sofern dies in nicht nur geringem Umfang und beharrlich geschieht1207. Vertragswidrige Reduzierung der Zuständigkeiten und Befugnisse des Geschäftsführers, jedenfalls soweit Kernbereiche betroffen sind, soweit dem keine Gründe im Verhalten oder in der Person des Geschäftsführers zugrunde liegen1208. Verhinderung des Zugangs zu wichtigen Buchungsunterlagen oder anderen Informationen, die für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung unerlässlich sind1209. Äußerungen der Gesellschafter oder diesen zuzurechnender Dritter über den Geschäftsführer und dessen Leistungen in der Öffentlichkeit, die dessen Ruf zu schädigen geeignet sind (soweit sie nicht erkennbar scherzhaft gemeint sind1210). Beharrliche Erteilung von gesetzes- oder sittenwidrigen Weisungen, soweit die Interessen des Geschäftsführers nicht hinreichend dadurch gewahrt werden, dass er deren Befolgung verweigert1211. Weigerung der Gesellschafter, die für eine Sanierung der Gesellschaft notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, insb. wenn hierdurch die Gefahr einer persönlichen Haftung des Geschäftsführers entsteht1212.
bb) Verlust der Amtsstellung bzw. Bedeutungsverlust bei Umwandlungen 508 Im Rahmen von Umwandlungen kann der Fall eintreten, dass Geschäftsführer ihre Amtsstel-
lung verlieren. Dies ist bei Verschmelzungen (§§ 2 ff. UmwG) im Hinblick auf die Geschäftsführer des übertragenden Rechtsträgers der Fall1213. In dieser Konstellation geht zwar der Dienstvertrag auf den übernehmenden Rechtsträger über (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG)1214. Die Organstellung beim untergehenden Rechtsträger wandelt sich hingegen nicht automatisch in eine solche beim aufnehmenden Rechtsträger um. Bestellen die Gesellschafter des aufnehmenden Rechtsträgers das betreffende Organmitglied unverzüglich zum Geschäftsführer des aufnehmenden Rechtsträgers bzw. bieten sie dies an, wird in aller Regel kein wichtiger
1206 1207 1208 1209 1210 1211 1212 1213 1214
bach/Hueck, § 38 Rz. 153; Preis in Staudinger, Neubearbeitung 2016, § 628 BGB Rz. 38a; Henssler in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2016, § 628 BGB Rz. 71. BGH v. 1.12.1993 – VIII ZR 129/92, NJW 1994, 443, 444 (Entscheidung betrifft Kündigung eines Reinigungsvertrages). BAG v. 8.8.2002 – 8 AZR 574/01, NZG 2002, 1177, 1180 = GmbHR 2003, 105; BGH v. 19.10.1987 – II ZR 97/87, GmbHR 1988, 100 = NJW-RR 1988, 352. OLG Karlsruhe v. 23.3.2011 – 7 U 81/10, GmbHR 2011, 535; bestätigt durch BGH v. 6.3.2012 – II ZR 76/11, GmbHR 2012, 638, 639 ff.; OLG Frankfurt v. 17.12.1992 – 26 U 54/92, GmbHR 1993, 288, 289; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 421. BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639, 1640 m. zust. Anm. Goette (S. 1641 f.) = GmbHR 1995, 653. BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639, 1640 = GmbHR 1995, 653. Ähnlich Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 58; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 120. BGH v. 9.2.1978 – II ZR 189/76, NJW 1978, 1435, 1436; BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, NJW 1980, 2415, 2416 = GmbHR 1980, 270; vgl. auch Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 421. Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1, 3. Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1, 3 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 GmbHG Rz. 292; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1344.
158 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 511 § 35
Grund für eine außerordentliche Kündigung durch den Geschäftsführer vorliegen1215. Eine Ausnahme könnte allenfalls gelten, wenn sich durch die angebotene Organstellung der maßgebliche Aufgaben- und Verantwortungskreis tiefgreifend ändert und dies dem Geschäftsführer nicht zumutbar wäre (z.B. Änderung des Unternehmensgegenstandes bzw. der Branche; substantielle Vergrößerung des Verantwortungsbereichs ohne zusätzliches Gehalt bzw. Vergütungschancen zum Risikoausgleich). Unterbleibt hingegen eine Bestellung zum Geschäftsführer im aufnehmenden Rechtsträger und wird der ehemalige Geschäftsführer entweder freigestellt oder wird ihm lediglich eine Tätigkeit als leitender Angestellter angeboten, löst dies in aller Regel ein außerordentliches Kündigungsrecht des Betroffenen aus1216, es sei denn, dass in der zweiten Konstellation ohnehin ein Recht der Gesellschaft vertraglich vorbehalten war, die Person unterhalb der Geschäftsführungsebene zu beschäftigen, was eine eher seltene Ausnahme darstellt1217. Bei der Verschmelzung kommt ausnahmsweise auch ein außerordentliches Kündigungsrecht 509 der Geschäftsführer beim aufnehmenden Rechtsträger in Betracht. Diese behalten zwar ihre Organstellung und der Anstellungsvertrag besteht unverändert fort. Auch auf sie bezogen kann jedoch eine Unzumutbarkeit eintreten (ebenfalls bei Änderung des Unternehmensgegenstandes bzw. der Branche; substantielle Vergrößerung des Verantwortungsbereichs ohne zusätzliches Gehalt bzw. Vergütungschancen zum Risikoausgleich). Auch ein Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG) kann – bei Fortbestand des Dienstvertrages – zum 510 Verlust der Organstellung führen, z.B. bei der Umwandlung einer GmbH in eine AG. Der bisherige Geschäftsführer müsste in diesem Fall ggfls. durch gesonderten Akt zum Vorstand der Gesellschaft bestellt werden. Wird ihm dies angeboten, wird für eine außerordentliche Kündigung des Dienstvertrages seitens des bisherigen Geschäftsführers kein Raum sein1218. Umgekehrt verhält es sich bei der Umwandlung einer AG in eine GmbH1219. Die Stellung als Geschäftsführer ist der eines Vorstands nicht gleichwertig, so dass eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt, es sei denn, dass dem Geschäftsführer schuldrechtlich oder durch die Satzung eine vorstandsähnliche Stellung eingeräumt wird. Bei der Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG) verlieren die Geschäftsführer des übertragenden 511 Rechtsträgers ebenfalls ihre Organstellung, so dass insofern die Auswirkungen für die Verschmelzung entsprechend gelten. Bei der Abspaltung oder Ausgliederung (§ 123 Abs. 2 und Abs. 3 UmwG) bleiben die Geschäftsführer des übertragenden Rechtsträgers hingegen im Amt, da die Gesellschaft, deren Organ sie sind, nicht untergeht. Hier kann allerdings der Fall eintreten, dass durch die Spaltung ein erheblicher Bedeutungsverlust für den Geschäftsführer eintritt (Beispiel: das operative Geschäft wird komplett abgespalten, ohne dass die Geschäftsführer die Zuständigkeit hierfür behalten, z.B. weil der übernehmende Rechtsträger veräußert wird). In diesen Fällen besteht in aller Regel ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1
1215 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b. 1216 Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, § 17 Rz. 12 f.; Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b; Buchner/Schlobach, GmbHR 2004, 1, 8; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1347. 1217 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b; Gaul, Das Arbeitsrecht der Betriebs- und Unternehmensspaltung, 2002, § 17 Rz. 14; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341, 1347. 1218 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b. 1219 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159b hält die Zumutbarkeit auch in dieser Konstellation für gegeben.
Hohenstatt | 159
§ 35 Rz. 511 | Das Anstellungsverhältnis BGB, insb. wenn der Geschäftsführer ansonsten noch beträchtliche Zeit an den Dienstvertrag gebunden wäre, ohne ansatzweise vergleichbare Tätigkeiten fortführen zu können. 512 Dass der Geschäftsführer an der Umwandlung mitwirkt und diese mit vorbereitet, beseitigt
das Recht zur außerordentlichen Kündigung inbesondere dann nicht, wenn er insofern auf Weisung der Gesellschafter gehandelt hat. Das Kündigungsrecht ist auch dann nicht von vorneherein ausgeschlossen, wenn der Geschäftsführer die Umwandlung selbst vorgeschlagen hat oder wenn er aus freien Stücken an ihr mitwirkt, weil sie im besten Interesse der Gesellschaft liegt. In diesen Fällen wird man den Geschäftsführer allerdings für verpflichtet halten müssen, die Inanspruchnahme seines Kündigungsrechts anzukündigen, damit sich die Gesellschafter auf diese Situation einstellen und durch entsprechende Gestaltungen dazu beitragen können, den Geschäftsführer einzubinden (z.B. durch eine Aufbesserung der Vergütung). Ansonsten wäre die Kündigung treuwidrig und daher unwirksam. 513 Außerordentliche Kündigungen wegen des Amtsverlustes oder wegen unzumutbarer Auswir-
kungen auf die Tätigkeit aufgrund von Umwandlungen ziehen allerdings regelmäßig keine Schadensersatzansprüche des Geschäftsführers gemäß § 628 Abs. 2 BGB nach sich. Die Durchführung einer gesellschaftsrechtlichen Umstrukturierung, die nachvollziehbaren Zwecken im Interesse der Gesellschaft dient, stellt kein vertragswidriges Verhalten der Gesellschaft i.S.v. § 628 Abs. 2 BGB dar1220. Etwas anderes könnte allenfalls gelten, wenn der alleinige Zweck einer Umwandlung darin bestünde, dem Geschäftsführer die bisherige Tätigkeit und seine Stellung zu entziehen. 514 Angesichts der Vielfältigkeit der Konstellationen im Umfeld von Umwandlungen ist drin-
gend zu empfehlen, bereits im Vorfeld Überlegungen über den Bedarf an Führungskräften nach Vollzug der Umwandlung anzustellen und Einvernehmen mit den bisherigen Geschäftsführern über die weitere Zusammenarbeit herzustellen. Insbesondere kommt in Betracht, das Recht zur außerordentlichen Kündigung auszuschließen und – aufschiebend bedingt – Vereinbarungen über den zukünftigen Einsatz und die materiellen Bedingungen zu treffen1221. g) Vereinbarung wichtiger Gründe 515 Das Recht zur außerordentlichen Kündigung darf nicht vertraglich eingeschränkt werden.
Im Vertrag dürfen daher die Gründe, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, nicht abschließend festgelegt werden1222. Zur Erhöhung der Rechtssicherheit können die Vertragsparteien allerdings beispielhaft Ereignisse bzw. Verhaltensweisen nennen, die als „wichtiger Grund“ i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB gelten sollen. Damit dokumentieren die Parteien, welche Gesichtspunkte ihnen in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung sind, was bei der Bewertung bestimmter Sachverhalte mit zu berücksichtigen ist (Auslegungshilfe). Soweit die von den Parteien angeführten Kündigungsgründe grundsätzlich geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, kann bei deren Vorliegen eine zusätzliche Interessenabwägung unterbleiben; die Kündigung ist dann ohne weiteres gerechtfertigt i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB1223. Soweit allerdings Gründe definiert werden, die nach der Rechtspre-
1220 BAG v. 21.2.2008 – 8 AZR 157/07, NZA 2008, 815 Rz. 24 a.E.; Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 159a. 1221 Willemsen in Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 5. Aufl. 2016, Rz. H 160. 1222 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 423 f. m.w.N. 1223 BAG v. 7.7.1988 – I ZR 78/87, NJW-RR 1988, 1381, 1382; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 423; so wohl auch Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 128.
160 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 519 § 35
chung gerade keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen (z.B. Entzug des Vertrauens oder Abberufung), müssen zum Schutz des Geschäftsführers, für den § 622 BGB Anwendung findet (vgl. Rz. 472 f.), die Kündigungsfristen gemäß dieser Vorschrift eingehalten werden1224. Soweit die Vereinbarung dies nicht vorsieht, ist sie nichtig. In der Sache handelt es sich damit um die Vereinbarung eines ausnahmsweise gegebenen ordentlichen Kündigungsrechts. h) Interessenabwägung Zusätzlich zum „wichtigen Grund“ setzt eine wirksame außerordentliche Kündigung gemäß 516 § 626 Abs. 1 BGB voraus, dass sich als Ergebnis einer Interessenabwägung ergibt, dass der kündigenden Partei der Fortbestand des Dienstvertrages bis zur nächstmöglichen ordentlichen Beendigungsmöglichkeit nicht mehr zuzumuten ist. Da es sich hierbei um eine Einzelfallbetrachtung handelt, besteht nicht die Möglichkeit der abschließenden Festlegung aller relevanten Kriterien1225. Nach der h.M. ist bei der Interessenabwägung ein objektiver Maßstab anzulegen1226; die dabei anzustellenden Bewertungen werden jedoch zwangsläufig von einer gewissen Subjektivität geprägt sein. Entsprechend zurückhaltend sollte auf dieser Prüfungsebene verfahren werden: im Zweifel sollte bei Vorliegen wichtiger Gründe das Kündigungsrecht nicht ausgeschlossen sein. Insbesondere sind bei einer Kündigung durch die Gesellschaft die Folgen für den Geschäfts- 517 führer zu bedenken (insb. Verlust von Besitzständen, z.B. einer Anwartschaft auf betriebliche Altersversorgung, weil noch keine Unverfallbarkeit gegeben ist). Auch die Dauer der beanstandungsfreien Zusammenarbeit kann relevant sein1227, wenngleich diese bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen nicht den Ausschlag geben kann. Schließlich ist zu berücksichtigen, wenn auch die kündigende Partei Pflichtverstöße begangen1228 oder in anderer Weise den Kündigungssachverhalt mit verursacht hat. Auch die Dauer bis zur nächsten Möglichkeit einer ordentlichen Vertragsbeendigung ist 518 bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (s. schon Rz. 505 a.E.). Hingegen kann die Gesellschaft generell nicht darauf verwiesen werden, dass sie den Geschäftsführer nach § 38 Abs. 1 jederzeit abberufen könne1229, wodurch zukünftiger Schaden bereits vermieden werde. Der Fortbestand des Dienstvertrages und die damit einhergehenden Vergütungsansprüche stellen eine häufig substantielle finanzielle Belastung der Gesellschaft dar, die ihr bei Vorliegen wichtiger Gründe nur in Ausnahmefällen auferlegt werden darf. i) Frist, Fristbeginn, Kenntnis Die Kündigung aus wichtigem Grund kann nur innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis 519 des für die außerordentliche Kündigung tragenden Sachverhalts ausgesprochen werden, § 626 Abs. 2 BGB1230. Es handelt sich um eine materiellrechtliche Ausschlussfrist1231, die für Kündigungen beider Seiten gilt, also auch für diejenige des Geschäftsführers. Handelt es sich bei dem Kündigungsgrund um ein pflichtwidriges Dauerverhalten, so beginnt die Aus-
1224 1225 1226 1227 1228 1229 1230 1231
Vgl. BGH v. 11.5.1981 – II ZR 126/80, ZIP 1981, 858. BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1231. S. nur Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 110 m.w.N. BGH v. 26.3.1956 – II ZR 57/55, WM 1956, 631. BGH v. 18.12.2000 – II ZR 171/99, DStR 2001, 1312. Zutreffend Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 425. S. beispielhaft BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, GmbHR 1998, 827, 828. BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103; BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 852/98, NZA 2000, 381, 383.
Hohenstatt | 161
§ 35 Rz. 519 | Das Anstellungsverhältnis schlussfrist nicht vor Beendigung dieses Dauerverhaltens zu laufen1232. Werden verschiedene Pflichtverstöße moniert, die nicht in einem inneren Zusammenhang stehen, ist die Frist im Hinblick auf jeden Einzelverstoß einzuhalten1233. Im Hinblick auf § 626 Abs. 2 BGB verwirkte Kündigungssachverhalte können im Rahmen der Gesamtabwägung Berücksichtigung finden; dies setzt allerdings voraus, dass ein nicht verfristeter Kündigungssachverhalt verbleibt, der mit den verfristeten Sachverhalten in einem inneren Zusammenhang steht, so dass man von einem „letzten Glied in einer Kette von Verhaltensweisen“ sprechen kann, die sich „zu einem Gesamtverhalten zusammenfassen lassen“1234. 520 Häufig entsteht Streit darüber, wann von einer hinreichend umfassenden Kenntnis von dem
Kündigungssachverhalt auszugehen ist. Entscheidend ist der Zeitpunkt, zu dem der Kündigungsberechtigte Kenntnis des maßgeblichen Sachverhalts erhalten hat, auf dessen Grundlage eine Entscheidung möglich ist, ob er die Fortsetzung des Dienstvertrages noch für zumutbar ansieht1235. Die Zweiwochenfrist beginnt nicht zu laufen, solange der Kündigungsberechtigte sich nach pflichtgemäßem Ermessen noch für berechtigt halten darf, den Sachverhalt weiter aufzuklären1236. Hierzu gehören nicht nur belastende Tatsachen sondern auch solche, die den Geschäftsführer entlasten1237. Die Sachverhaltsaufklärung hat mit der gebotenen (nicht hektischen) Eile1238 zu erfolgen. Sofern eine Anhörung des Geschäftsführers, die mit Ausnahme der Verdachtskündigung (s. Rz. 504) nicht Wirksamkeitsvoraussetzung ist, geboten erscheint, muss auch diese zügig herbeigeführt werden; in der Regel soll sie spätestens nach einer Woche seit Bekanntwerden des Sachverhalts erfolgen1239. Wurden vorstehende Regeln eingehalten, kommt es für die Einhaltung der Zweiwochenfrist nicht darauf an, ob die Anhörung des Geschäftsführers oder ob andere Sachverhaltsaufklärungen tatsächlich weitere Erkenntnisse erbracht haben1240. Entscheidend ist vielmehr eine ex ante Betrachtung, ob zusätzliche Aufklärungsmaßnahmen als geeignet erscheinen konnten, um den Sachverhalt hinreichend umfassend abzusichern. Bei komplexen Sachverhalten können auch Ermittlungen von zweimonatiger Dauer im Einzelfall gerechtfertigt sein1241. 521 Ausschlaggebend für den Fristbeginn ist die Kenntnis des „Kündigungsberechtigten“; dies ist
bei der GmbH in der Regel die Gesellschafterversammlung, soweit nicht ein mitbestimmter Aufsichtsrat oder qua Satzung ein fakultativer Aufsichtsrat/Beirat zuständig ist (vgl. hierzu Rz. 457). Da es sich hierbei um Kollegialorgane handelt, die ihren Willen durch Beschluss fassen, ist für die Wissenszurechnung die Kenntnis der Organmitglieder in ihrer Eigenschaft als Mitwirkende an der kollektiven Entscheidungsfindung maßgebend (Kollektivwissen des für die Kündigung zuständigen Organs). Im Hinblick hierauf stellt die inzwischen gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung auf den Zeitpunkt ab, zu dem dem Gremium im
1232 BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, GmbHR 2005, 1049; vgl. Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 212. 1233 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 360/99, DStR 2001, 861, 862. 1234 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 360/99, DStR 2001, 861, Leitsatz 1, und 862. 1235 Vgl. hierzu etwa BAG v. 26.2.1996 – II ZR 114/95, NJW 1996, 1403, 1404 = GmbHR 1996, 452; BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744, 746; BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103. 1236 BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744, 746; BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103; OLG Hamm v. 25.11.2009 – 8 U 61/09, GmbHR 2010, 477, 481. 1237 BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103. 1238 BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 46/05, NZA 2006, 1211, 1214; BAG v. 31.3.1993 – 2 AZR 492/92, NZA 1994, 409, 411; Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 210. 1239 BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103; BAG v. 2.3.2006 – 2 AZR 46/05, NZA 2006, 1211, 1213 f.; Niemann in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 626 BGB Rz. 211. 1240 BAG v. 17.3.2005 – 2 AZR 245/04, NZA 2006, 101, 103. 1241 BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744, 746 ff.
162 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 524 § 35
Rahmen einer ordnungsgemäßen Sitzung der maßgebliche Sachverhalt unterbreitet wird1242. Die Kenntnis des Vorsitzenden des Gremiums oder eines einzelnen Mitglieds genügt nicht1243. Allerdings ist der Vorsitzende des Gremiums verpflichtet, zügig nach Kenntniserlangung von 522 einem kündigungsrelevanten Verhalten eine Sitzung des Gremiums einzuberufen1244. Sehen die Satzung oder die Geschäftsordnung hierfür lange Fristen vor, muss notfalls eine außerordentliche Sitzung einberufen werden1245. Ggfls. genügt auch eine schriftliche Information und Abstimmung im schriftlichen Verfahren oder durch telefonische Stimmabgabe, soweit vorgesehen. Wurde eine Beschlussfassung nicht mit der gebotenen Beschleunigung herbeigeführt, muss sich die Gesellschaft im Hinblick auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB so behandeln lassen, als ob diese rechtzeitig stattgefunden hätte. Die Frist gilt dann ab diesem Zeitpunkt zu laufen1246. Auf der Basis der Rechtsprechung des OLG München1247 wird als Faustregel („2 + 2 Regel“1248) eine höchstens zweiwöchige Frist zwischen Kenntniserlangung durch den Vorsitzenden und der Einberufung der Sitzung zur Beschlussfassung vorgeschlagen. In Fällen, in denen die Einberufung einer Sitzung des Gremiums keine besonderen Schwierigkeiten verursacht, ist dies ein hilfreicher Anhaltspunkt für die Praxis. Dieser Zeitraum ist allerdings in besonders gelagerten Fällen (z.B. Aufenthalt der Mitglieder im entfernten Ausland, ggfls. in unterschiedlichen Zeitzonen, schwere Erreichbarkeit, erschwerte Satzungsvoraussetzungen für außerordentliche Sitzungen etc.) angemessen zu verlängern. Weigert sich der (einzige) Geschäftsführer, die Gesellschafterversammlung gemäß § 49 Abs. 1 einzuberufen, müssen die Gesellschafter von ihrem Recht gemäß § 50 Abs. 3 Gebrauch machen (sog. Selbsthilferecht; s. 12. Aufl., § 50 Rz. 21 ff.)1249. Wird dem Geschäftsführer auf dessen Wunsch eine angemessene Bedenkzeit zur Prüfung 523 einer ihm angebotenen einvernehmlichen Trennung eingeräumt, kann es gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn sich der Geschäftsführer wegen der hierdurch eingetretenen Verzögerung auf § 626 Abs. 2 BGB beruft, sofern die Kündigung unverzüglich nach Ablauf der Bedenkzeit ausgesprochen wurde1250. Die Gesellschaft trägt die Beweislast, dass die Zwei-Wochen-Frist eingehalten wurde und 524 demzufolge die Beweislast dafür, dass erst zu einem bestimmten Zeitpunkt sichere und umfassende Kenntnis bestand und dass die Aufklärung mit der notwendigen Eile betrieben wurde1251.
1242 BGH v. 20.6.2005 – II ZR 18/03, GmbHR 2005, 1049, 1050; BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 f. = GmbHR 2013, 645, 646; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 432; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 64; zum Ganzen: Stein, ZGR 1999, 264 ff. 1243 BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, DStR 2001, 2166 = GmbHR 2001, 1158; s. auch schon BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, 635 = GmbHR 1998, 827. 1244 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, 635 = GmbHR 1998, 827. 1245 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, 635 = GmbHR 1998, 827; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 433. 1246 BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, Leitsatz 2, und 635 = GmbHR 1998, 827; BGH v. 9.4.2013 – II ZR 273/11, ZIP 2013, 971 f. = GmbHR 2013, 645, 646 Rz. 14. 1247 OLG München v. 25.3.2009 – 7 U 4835/08, NZG 2009, 665, 667 = GmbHR 2009, 937; OLG München v. 14.7.2005 – 6 U 5444/04, ZIP 2005, 1781, 1784, wonach ein Zeitraum von 2,5 Monaten deutlich zu lang gewesen sein soll. 1248 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 433. 1249 S. zu den Einzelheiten BGH v. 15.6.1998 – II ZR 318/96, NZG 1998, 634, 635 = GmbHR 1998, 827; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 435. 1250 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 131/73, NJW 1975, 1698, 1699. 1251 BAG v. 28.3.1985 – 2 AZR 113/84, NZA 1985, 559; BGH v. 2.7.1984 – II ZR 16/84, GmbHR 1985, 112; BGH v. 2.6.1997 – II ZR 101/96, GmbHR 1997, 998 = DStR 1997, 1338 ff. m. Anm. Goette;
Hohenstatt | 163
§ 35 Rz. 525 | Das Anstellungsverhältnis j) Nachschieben von Kündigungsgründen 525 Werden dem Kündigungsberechtigten kündigungsrechtlich relevante Sachverhalte erst nach
Ausspruch der Kündigung bekannt, kann die Gesellschaft im Rahmen eines über die Kündigung geführten Rechtsstreits berechtigt sein, die sich daraus ergebenden zusätzlichen Kündigungsgründe nachzuschieben. 526 Umstände, die erst nach der Kündigungserklärung eingetreten sind (also z.B. weitere
Pflichtverletzungen des Geschäftsführers nach Ausspruch der Kündigung) können nicht nachgeschoben werden, sondern rechtfertigen allenfalls eine erneute außerordentliche Kündigung1252. Allenfalls ist denkbar, dass derlei zeitlich nach der Kündigung liegende Umstände im Rahmen einer Gesamtbetrachtung den Gründen für die bereits ausgesprochene Kündigung größeres Gewicht verleihen. 527 Umstände, die vor der Kündigungserklärung eingetreten sind, können prinzipiell nachge-
schoben werden, um die bereits ausgesprochene Kündigung (zusätzlich) zu rechtfertigen1253. Allerdings ist auch insofern § 626 Abs. 2 BGB zu beachten. Der Kündigende darf von diesen Umständen nicht früher als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung Kenntnis erlangt haben1254. Ein sachlicher Zusammenhang zwischen dem ursprünglichen und dem nachgeschobenen Kündigungsgrund ist nicht erforderlich1255. Sofern kein sachlicher Zusammenhang besteht, soll allerdings ein neuer Gesellschafterbeschluss als Grundlage für das Nachschieben der Kündigungsgründe erforderlich sein1256, da ansonsten der Fall eintreten kann, dass sich eine Kündigung nur aus Gründen als wirksam erweist, über die sich die Gesellschafterversammlung keine eigene Meinung gebildet hat. Sofern die Gesellschaft allerdings eine erneute vorsorgliche Kündigung im Hinblick auf die nachgeschobenen Gründe ausgesprochen hat1257, ist darin auch die Zustimmung zum Nachschieben dieser Grunde zu sehen1258. 528 Sind die nachgeschobenen Kündigungsgründe verfristet, können sie allenfalls im Rahmen
der erforderlichen Gesamtabwägung zu berücksichtigen sein. Dies ist insbesondere dann zulässig, wenn die einzelnen Vorgänge in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen1259.
1252 1253 1254 1255 1256
1257
1258 1259
BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, GmbHR 1994, 629; BAG v. 1.2.2007 – 2 AZR 333/06, NZA 2007, 744, 746. BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, GmbHR 2004, 182, 184; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 442; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 129; Beurskens in Baumbach/ Hueck, § 38 Rz. 127. BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, NJW 2004, 1528, 1529 = GmbHR 2004, 182. BGH v. 11.7.1978 – VI ZR 266/76, WM 1978, 1123, 1127; BGH v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, GmbHR 1992, 38. BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, GmbHR 2004, 182, 184; BAG v. 14.10.1991 – II ZR 239/90, NJW-RR 1992, 292, 294 = GmbHR 1992, 38. BGH v. 29.3.1973 – II ZR 20/71, NJW 1973, 1122, 1123; BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, NJW 2004, 1528, 1529 = GmbHR 2004, 182; OLG Köln v. 6.12.1999 – 16 U 94/98, GmbHR 2000, 432, 433; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 442; Beurskens in Baumbach/Hueck, § 38 Rz. 127. So die Empfehlung von Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 38 Rz. 127. Eine solche vorsorgliche Kündigung steht jedenfalls dem Nachschieben derselben Gründe im Hinblick auf eine bereits ausgesprochene Kündigung nicht entgegen; so ausdrücklich BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/ 02, NJW 2004, 1528, 1529 = GmbHR 2004, 182. BGH v. 1.12.2003 – II ZR 161/02, NJW 2004, 1528, 1529 = GmbHR 2004, 182. BGH v. 10.9.2001 – II ZR 14/00, GmbHR 2001, 1158, 1159 f.; BGH v. 9.3.1992 – II ZR 102/91, NJW-RR 1992, 992, 993 = GmbHR 1992, 301; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 443.
164 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 534 § 35
k) Umdeutung in eine ordentliche Kündigung Fehlen für die außerordentliche Kündigung die Voraussetzungen, so kann sie in eine ordent- 529 liche Kündigung umgedeutet werden, wenn dies dem Willen des Kündigenden entspricht und dieser Wille in seiner Erklärung für den Empfänger der Kündigung erkennbar zum Ausdruck gekommen ist1260. Eine Umdeutung ist allerdings dann ausgeschlossen, wenn auch die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung nicht vorliegen1261.
6. Anwendbarkeit besonderer Kündigungsschutzvorschriften a) Schwerbehinderte Den §§ 168 ff. SGB IX ist nach umstrittener Auffassung der unionsrechtliche Arbeitnehmer- 530 begriff zugrunde zu legen1262. Damit können sich Fremdgeschäftsführer und GesellschafterGeschäftsführer ohne beherrschenden Einfluss auf den besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen berufen. Vgl. Rz. 294. b) Besonderer Kündigungsschutz bei Schwangerschaft; Mutterschutz Das MuSchG galt gemäß § 1 MuSchG a.F. für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, 531 Heimarbeit verrichten oder Heimarbeitnehmerinnen gleichgestellt sind. Seit der Novellierung des Mutterschutzrechts zum 1.1.2017 gehören nunmehr alle Beschäftigten i.S.v. § 7 Abs. 1 SGB IV zum geschützten Personenkreis1263. Damit ist der Anwendungsbereich nicht länger auf das nicht selbstständige Arbeitsverhältnis 532 beschränkt1264. Indessen bedeutet der Verweis auf § 7 Abs. 1 SGB IV nicht, dass der Kündigungsschutz nach § 17 MuSchG eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung voraussetzt1265. Vielmehr sollte der (weitere) unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff in das Gesetz aufgenom- 533 men werden1266. Dies war folgerichtig. Denn RL 92/85/EWG legt – mangels Verweis auf den nationalen Arbeitnehmerbegriff – einen unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff zugrunde (s. bereits Rz. 291). Demnach können sich Fremdgeschäftsführer sowie solche Gesellschafter-Geschäftsführer, 534 die über keinen beherrschenden Einfluss verfügen, auf den besonderen Kündigungsschutz des § 16 MuSchG berufen1267.
1260 BGH v. 28.1.1985 – II ZR 79/84, GmbHR 1985, 256; BGH v. 8.9.1997 – II ZR 165/96, GmbH-StB 1997, 263 = GmbHR 1997, 1062 = EWiR § 140 BGB 1/98, 203 (Finken). 1261 Vgl. BGH v. 14.2.2000 – II ZR 285/97, GmbHR 2000, 376; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 408. 1262 S. nur Rolfs in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 168 SGB IX Rz. 3 m.w.N. 1263 Zur Novellierung des Mutterschutzrechts s. Rolfs in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, §16 MuSchG Rz. 1 ff. 1264 Hierzu Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 MuSchG Rz. 6. 1265 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 MuSchG Rz. 6. 1266 Schlachter in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 1 MuSchG Rz. 6. 1267 S. nur Oberthür, NZA 2011, 253, 255; i.E. ebenfalls Rolfs in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 16 MuSchG Rz. 6, 8.
Hohenstatt | 165
§ 35 Rz. 535 | Das Anstellungsverhältnis
7. Folgen der Beendigung 535 Die Kündigung beendet das Anstellungsverhältnis, aber nicht notwendig auch die Organstel-
lung, wie umgekehrt die Abberufung nicht automatisch zur Beendigung der Anstellung führt (s. auch Rz. 455 sowie 12. Aufl., § 38 Rz. 33). 536 Die einmal erfolgte Kündigung ist unwiderruflich, falls sie nicht wegen Irrtums oder Zwan-
ges angefochten wird (§§ 119 ff. BGB). Notfalls bedarf es einer neuen Anstellung durch das hierzu berufene Organ, doch nicht erneuter Eintragung im Handelsregister (§ 39), falls das Ausscheiden noch nicht eingetragen war1268. Dem gekündigten Geschäftsführer ist Freizeit zur Stellensuche zu gewähren, § 629 BGB. a) Pflichten des Geschäftsführers nach Beendigung 537 Nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses hat der Geschäftsführer Rechnung zu legen.
Alle Geschäftsunterlagen sind zurückzugeben, §§ 675, 667 BGB1269. Ein Zurückbehaltungsrecht zur Sicherung noch bestehender Geldansprüche steht ihm nicht zu1270. b) Ansprüche des Geschäftsführers nach Beendigung 538 Der Geschäftsführer hat Anspruch auf ein Zeugnis entspr. § 630 BGB. Die Rechtsprechung
hat dies bislang nur für Fremdgeschäftsführer und Gesellschafter-Geschäftsführer mit nicht beherrschender Stellung bestätigt1271. Der beherrschende Gesellschafter-Geschäftsführer kann im Hinblick auf sein berufliches Fortkommen indessen in gleicher Weise auf ein Zeugnis angewiesen sein. Der Anspruch ergibt sich ggfls. aus dem gesellschaftsrechtlichen Treueverhältnis. Das Zeugnis stellt die Gesellschafterversammlung bzw. der Aufsichtsrat aus, falls dieser für die Anstellung zuständig ist. Der Geschäftsführer kann die Gesellschafterversammlung zu diesem Zweck einberufen und, falls er selbst Gesellschafter ist, mitstimmen. 539–544 Einstweilen frei.
XV. Sozialversicherungspflicht des Geschäftsführers 545 Ob zwischen der GmbH und dem Geschäftsführer ein sozialversicherungspflichtiges Be-
schäftigungsverhältnis besteht, richtet sich danach, ob der Geschäftsführer eine „nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) erbringt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind dafür „Anhaltspunkte“ (sic!) „eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers“. Mit anderen Worten soll die „persönliche Abhängigkeit“1272 des Geschäftsführers von der Gesellschaft bei Ausübung der Tätigkeit das entscheidende Kriterium für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses darstellen. Dies bedeutet, dass diejenigen Geschäftsführer, die ihr Amt – abweichend von der Regel – auf der Grundlage eines Arbeitsverhältnisses (s. hierzu Rz. 261 ff.) erbringen, in jedem Fall auch sozialversicherungsrechtlich als Beschäftigte gelten. Umgekehrt impliziert das Vorliegen eines Dienstvertrages
1268 RG v. 14.5.1908 – VI 384/07, RGZ 68, 384. 1269 BGH v. 24.2.1992 – II ZR 79/91 (Zweibrücken), NJW-RR 1992, 993, 994 = GmbHR 1992, 299; s. dort den letzten Absatz der Gründe. 1270 BGH v. 11.7.1968 – II ZR 108/67, WM 1968, 1325. 1271 BGH v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30. 1272 Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298.
166 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 547 § 35
jedoch gerade nicht, dass der Geschäftsführer sozialversicherungsfrei beschäftigt ist1273. Gleiches gilt, wenn der Geschäftsführer gegenüber anderen Arbeitnehmern Arbeitgeberfunktionen wahrnimmt und in der Regel keinen Weisungen Dritter bezüglich Zeit, Art und Ort ihrer Arbeitsleistung unterliegt1274. Bei Fremdgeschäftsführern ist vielmehr – von Ausnahmen abgesehen – in aller Regel von einer Sozialversicherungspflicht auszugehen1275. Der Alleingesellschafter, der zugleich Geschäftsführer ist, ist nie persönlich abhängig; dies 546 gilt auch für Gesellschafter-Geschäftsführer mit maßgeblichem Einfluss auf die GmbH, insb. wenn sie mit einer Mehrheit an Kapital und Stimmrechten ausgestattet sind1276. Bei Beteiligungsquoten unterhalb von 50 % kommt eine Sozialversicherungsfreiheit ebenfalls in Betracht, allerdings nur dann, wenn besondere Konstellationen vorliegen, die dem Geschäftsführer einen maßgeblichen Einfluss ermöglichen, z.B. in folgenden Fällen: – Möglichkeit, Entscheidungen der Gesellschafter zu verhindern, z.B. bei Sperrminorität; von letzterer muss der Geschäftsführer nicht unbedingt Gebrauch machen1277. – Bei Beteiligungsquote über 25 %, sofern Beschlussfähigkeit voraussetzt, dass 75 % des Stammkapitals vertreten sind, es sei denn, dass in einer weiteren Gesellschafterversammlung, die ohne größere Hürden einberufen werden kann, 50 % genügen1278. – Die familiäre Verbundenheit mit den Gesellschaftern allein begründet nach neuerer Rechtsprechung keine selbstständige Stellung des Geschäftsführers1279. Der (familiär verbundene) Geschäftsführer ist vielmehr nur dann kein Beschäftigter, wenn er gesellschaftsrechtlich unwiderruflich1280 in erheblichem Umfang weisungsfrei handeln kann1281. – Der Geschäftsführer ist „Kopf und Seele“ des Unternehmens, so dass die Gesellschafter ihr Direktionsrecht faktisch nicht ausüben können1282. Diese Voraussetzungen können ganz ausnahmsweise sogar bei einem Fremdgeschäftsführer vorliegen1283. In Zweifelsfällen kann ein sog. Anfrageverfahren durchgeführt werden (§ 7a Abs. 1 SGB IV), 547 aufgrund dessen die Deutsche Rentenversicherung Bund eine Entscheidung trifft. Bei Gesellschafter-Geschäftsführern ist die Einzugsstelle verpflichtet, eine Klärung über das Anfrage-
1273 BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618 = BB 2000, 674 m. Anm. Langgut = DStR 2001, 39; BSG v. 18.4.1991 – 7 RAr 32/90, GmbHR 1992, 172, 172 f.; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298. 1274 BSG v. 18.12.2001 – B 12 KR 10/01 R, NZA-RR 2003, 325, 326. 1275 BSG v. 6.3.2003 – B 11 AL 25/02 R, GmbHR 2003, 494; BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618, 619. 1276 BSG v. 11.6.1990 – 2 RU 59/89, NZA 1990, 960 = GmbHR 1991, 17; BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618, 619; BSG v. 4.6.2009 – B 12 KR 3/08 R, NJW 2010, 1836; Freckmann, DStR 2008, 52, 57; zum Sonderfall eines Treuhandvertrages, der maßgeblichen Einfluss ausschließt, LSG Schleswig Holstein v. 14.1.2010 – L 5 KR 81/08, NZS 2011, 184, 185, dort abw. unter Gesch.zeichen 25 KR 81/08. 1277 BSG v. 25.1.2006 – B 12 KR 30/40 R, BeckRS 2006, 41119 Rz. 30. 1278 BSG v. 9.2.1995 – 7 RAr 76/94, Die Beiträge 1995, 358 ff. 1279 S. hierzu BSG v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R, NZA-RR 2013, 252; BSG v. 29.7.2015 – SozR 42400 § 7 Nr. 24; anders noch BSG v. 14.12.1999 – B 2 U 48/98 R, GmbHR 2000, 618, 619; s. hierzu auch Rolfs in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 16 MuSchG Rz. 7. 1280 BSG v. 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R, GmbHR 2016, 537 m. Anm. Brötzmann = SGb 2017, 54 m. Anm. Legde; dazu Thees, DB 2016, 352 f. 1281 Hierzu Rolfs in Erfurter Komm. z. ArbR, 19. Aufl. 2019, § 7 SGB IV Rz. 21. 1282 BSG v. 29.10.1986 – 7 RAr 43/85, GmbHR 1987, 351, 352; BSG v. 7.9.1988 – 10 RAr 10/87, GmbHR 1989, 34 = NZA 1989, 288 (Leitsatz); BSG v. 8.8.1990 – 11 RAr 77/89, GmbHR 1991, 461 = NZA 1991, 324 (Leitsatz). 1283 BSG v. 29.10.1986 – 7 RAr 43/85, GmbHR 1987, 351, 352; BSG v. 8.12.1987 – 7 RAr 25/86, BB 1989, 72, 72 f.; BSG v. 30.1.1990 – 11 RAr 47/88, NZA 1990, 950, 951 f.
Hohenstatt | 167
§ 35 Rz. 547 | Das Anstellungsverhältnis verfahren herbeizuführen (§ 7a Abs. 1 Satz 2 SGB IV). An die Entscheidung der Deutsche Rentenversicherung Bund sind die Sozialversicherungsträger gebunden.
XVI. Geschäftsführer in der Insolvenz 1. Kündigung des Dienstvertrages; Schadensersatz 548 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt nicht zur Beendigung des Dienstvertrages.
§§ 115, 116 InsO können nicht angewendet werden1284. Der Anstellungsvertrag kann aber gemäß § 113 Satz 1 InsO sowohl vom Geschäftsführer als auch vom Insolvenzverwalter ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer oder auf einen vereinbarten Kündigungsausschluss gekündigt werden. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate zum Monatsende, wenn nicht kraft Gesetzes oder Anstellungsvertrages eine kürzere Frist maßgeblich ist, § 113 Satz 2 InsO (zu den gesetzlichen Kündigungsfristen s. Rz. 472 f.). Dass § 113 InsO auch für das Dienstverhältnis der Organmitglieder gilt, ist unstreitig und für den GmbH Geschäftsführer vielfach entschieden1285. 549 Aus § 113 InsO ergibt sich indirekt, dass die Insolvenzeröffnung selbst keinen wichtigen
Grund zur Kündigung schafft1286. Im Umfeld einer Insolvenz können aber selbstverständlich Gründe vorliegen oder entstehen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen können (vgl. Rz. 495). Ein zu hohes Gehalt des Alleingesellschafters, das aus der Masse nicht mehr bestritten werden kann, stellt keinen wichtigen Grund dar; hier ist vielmehr eine Herabsetzung kraft Treuepflicht geboten1287. 550 § 113 InsO schafft keinen eigenständigen Kündigungsgrund1288, sondern betrifft lediglich
die anzuwendende Kündigungsfrist bzw. ermöglicht die ordentliche Kündigung trotz ihres vertraglichen Ausschlusses. Für eine ordentliche Kündigung des Dienstvertrages außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes (s. zum nur ausnahmsweise bestehenden Kündigungsschutz Rz. 476 ff.) ist aber ohnehin kein gesonderter Kündigungsgrund erforderlich. Die Kündigung gemäß § 113 InsO durch den Insolvenzverwalter beendet nur das Anstellungsverhältnis; die Organstellung muss gesondert durch Abberufung beendet werden1289, wofür die Gesellschafterversammlung zuständig ist (§ 46 Nr. 5)1290. 551 § 113 InsO gilt auch für den beherrschenden (Unternehmer-)Geschäftsführer. Dies hat der
BGH bereits zu § 22 KO entschieden1291. Da § 113 InsO insofern im Vergleich zu § 22 KO keine Rechtsänderung herbeiführen wollte, bleibt es bei der früheren Rechtslage1292. 1284 OLG Hamm v. 29.3.2000 – 8 U 156/99, NZI 2000, 475, 476 = GmbHR 2001, 392. 1285 BGH v. 29.1.1981 – II ZR 92/80, GmbHR 1981, 158 = WM 1981, 377; OLG Brandenburg v. 11.12.2002 – 7 U 37/02, NZI 2003, 324; OLG Hamm v. 29.3.2000 – 8 U 156/99, NZI 2000, 475; Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 14. 1286 Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 1 ff.; Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 16. 1287 S. Rz. 392; dagegen hält BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, NJW 1980, 595, 595 f. = GmbHR 1980, 27 in dieser Konstellation einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB für möglich. 1288 S. nur Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 1; Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 7. 1289 Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 2; Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 7. 1290 Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 16. 1291 BGH v. 25.6.1979 – II ZR 219/78, GmbHR 1980, 27 = NJW 1980, 595. 1292 OLG Hamm v. 29.3.2000 – 8 U 156/99, NZI 2000, 475, 476 = GmbHR 2001, 392; OLG Düsseldorf v. 14.4.2000 – 16 U 109/99, NZG 2000, 1044, 1044 f.; ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 69; a.A. Heilmann, ZIP 1980, 344; Timm, ZIP 1981, 10; Timm, ZIP 1987, 69.
168 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 555 § 35
Das Kündigungsrecht gemäß § 113 Satz 1 InsO steht (neben dem Geschäftsführer selbst) nur 552 dem Insolvenzverwalter zu. Eine analoge Anwendung auf den vorläufigen Insolvenzverwalter hat das BAG abgelehnt1293. Bei Kündigung durch den Insolvenzverwalter kann der Geschäftsführer als Insolvenzgläubi- 553 ger Schadensersatz wegen vorzeitiger Beendigung des Dienstverhältnisses verlangen, § 113 Satz 3 InsO. Dieser Anspruch ist verschuldensunabhängig1294 und kommt nur bei einer Kündigung durch den Insolvenzverwalter und nicht etwa auch bei einer Eigenkündigung des Geschäftsführers1295 zum Tragen; im letzteren Fall kommt ein Schadensersatzanspruch nur in Betracht, wenn der Geschäftsführer eine berechtigte außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, wobei die bloße Tatsache der Insolvenzeröffnung keinen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB darstellt (vgl. Rz. 549), und wenn die Voraussetzungen gemäß § 628 Abs. 2 BGB vorliegen1296. Ein mit dem Insolvenzverwalter abgeschlossener Aufhebungsvertrag löst keinen Schadensersatzanspruch aus1297. Zu ersetzen ist gemäß § 113 Satz 3 InsO ggfl. der sog. Verfrühungsschaden1298. Der An- 554 spruch erfasst die vollständige Vergütung – einschließlich der zu erwartenden variablen Bezüge1299 – zwischen der vorzeitigen Beendigung bis zum Ablauf des Vertrages gemäß der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist. Bei befristeten Dienstverhältnissen, die bis zum vereinbarten Ablauf ordentlich unkündbar sind, sind die entgangenen Vergütungsansprüche bis zum Vertragsende zu ersetzen1300. Allerdings besteht kein Anspruch auf Ersatz eines „Ewigkeitsschadens“, da dies mit dem Gedanken des Interessenausgleichs, den § 113 InsO zwischen den Interessen der Gläubiger und denen des Geschäfstführers herbeiführt, nicht zu vereinbaren wäre. Ist z.B. die ordentliche Kündigung bis zum Erreichen des Renteneintrittsalters ausgeschlossen, beschränkt sich der Zeitraum für den Schadensersatz gemäß § 113 Satz 3 InsO nur auf die längste ordentliche Kündigungsfrist gemäß § 622 BGB1301. Einen etwaigen Schadensersatz gemäß § 113 Satz 3 InsO kann der Geschäftsführer „als Insol- 555 venzgläubiger“ (§ 38 InsO) geltend machen. Die Geltendmachung erfolgt gemäß §§ 174 ff. InsO. Eine Klage gegen den Insolvenzverwalter ist unzulässig1302.
1293 BAG v. 20.1.2005 – 2 AZR 134/04, NZA 2006, 1352 = ZIP 2005, 1289; s. hierzu auch Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 47; a.A. Berscheid, AnwBl. 1995, 8, 9; Caspers in MünchKomm. InsO, 3. Aufl. 2013, vor §§ 113–128 InsO Rz. 29 f. 1294 BAG v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, EzA § 113 InsO Nr. 19 Rz. 17 = ZIP 2007, 1875; dem Anspruch gemäß § 113 Satz 3 InsO kann nicht gemäß § 254 BGB entgegengehalten werden, dass der Geschäftsführer die Insolvenz verschuldet oder mit verursacht habe; so BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, AP InsO § 113 Nr. 24 Rz. 30 ff. = BeckRS 2007, 46523; Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 24; vgl. auch Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 17 f. 1295 S. nur Andres in Andres/Leithaus, 4. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 24. 1296 Vgl. Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 99 ff. 1297 BAG v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, EzA § 113 InsO Nr. 19 Rz. 16 ff. = ZIP 2007, 1875; in diesem Fall war streitig, ob ein sog. Abwicklungsvertrag nach Ausspruch einer Kündigung oder ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen war. 1298 BAG v. 25.4.2007 – 6 AZR 622/06, EzA § 113 InsO Nr. 19 Rz. 17 = ZIP 2007, 1875. 1299 Vgl. Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 91 m.w.N. 1300 BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, AP InsO § 113 Nr. 24 Rz. 21 m.w.N. = BeckRS 2007, 46523. 1301 BAG v. 16.5.2007 – 8 AZR 772/06, AP InsO § 113 Nr. 24 Rz. 22 ff., 27 = BeckRS 2007, 46523; s. auch Beck in Braun, 7. Aufl. 2017, § 113 InsO Rz. 17. 1302 Eisenbeis in Frankfurter Komm. InsO, 9. Aufl. 2018, § 113 InsO Rz. 94 m.w.N.
Hohenstatt | 169
§ 35 Rz. 556 | Das Anstellungsverhältnis
2. Gehaltsanspruch des Geschäftsführers als Insolvenzforderung 556 Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende rückständige Bezüge des Geschäfts-
führers sind als einfache Insolvenzforderung beim Insolvenzverwalter anzumelden (§ 38 InsO)1303. Die frühere Privilegierung1304 gemäß §§ 59, 61 KO besteht nicht mehr. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehende Vergütungsansprüche sind Masseverbindlichkeiten, § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO1305.
3. Insolvenzgeld 557 Geschäftsführer haben in aller Regel Anspruch auf Insolvenzgeld gemäß §§ 165 ff. SGB III,
wenn sie bei einem Insolvenzereignis (s. § 165 Abs. 1 Satz 2 SGB III), insb. bei Insolvenzeröffnung, für die vorausgegangenen drei Monate noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Anspruchsberechtigt sind allerdings nur Geschäftsführer, die i.S.v. § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV „nichtselbständige Arbeit“ erbringen und damit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne „persönlich abhängig“ (s. hierzu Rz. 545 f.) sind. Insb. Allein- oder Mehrheitsgesellschafter sind daher in aller Regel von Ansprüchen ausgeschlossen1306.
4. Insolvenzschutz des Ruhegehalts 558 Im Insolvenzfall bzw. vom Gesetz gleichgestellten Fällen sind die Anwartschaften bzw. An-
sprüche des Geschäftsführers auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung geschützt, sofern der persönliche Geltungsbereich des BetrAVG eröffnet ist. Dies ist nicht der Fall bei Gesellschafter-Geschäftsführern, die im Hinblick auf die von ihnen geleitete Gesellschaft selbst als Unternehmer gelten (vgl. hierzu ausführlich Rz. 405 ff.). Ggfls. besteht ein gesetzlicher Anspruch gegen den Träger der Insolvenzsicherung; dies ist der Pensions-SicherungsVerein (§ 14 BetrAVG). Geschützt sind nur Anwartschaften und Leistungen, die eine betriebliche Altersversorgung i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG darstellen (s. zum sachlichen Anwendungsbereich Rz. 410 f.). 559 Grundsätzlich schuldet der PSVaG die Höhe der Leistungen, die die Gesellschaft aufgrund
der Versorgungszusage zu erbringen hätte, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden wäre, § 7 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Allerdings ist der monatliche Anspruch höchstens auf das Dreifache der im Zeitpunkt der ersten Fälligkeit maßgebenden monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV begrenzt, § 7 Abs. 3 BetrAVG. Bei Eintritt des Versorgungsfalls im Jahre 2018 betrug die monatliche Bezugsgröße in den alten Bundesländern 3045 Euro und in den neuen Bundesländern 2695 Euro. Es sind ausschließlich laufende Versorgungen und unverfallbare Anwartschaften geschützt. Die Unverfallbarkeit von Anwartschaften richtet sich ausschließlich nach § 1b BetrAVG; eine vertraglich vereinbarte Unverfallbarkeit (vgl. Rz. 413) führt nicht zu einer Ausweitung des Insolvenzschutzes1307. § 7 Abs. 5 BetrAVG schließt zudem bestimmte Fälle des Missbrauchs der Insolvenzsicherung aus.
1303 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 137. 1304 S. hierzu BGH v. 23.1.2003 – IX ZR 39/02, GmbHR 2003, 472 = NZG 2003, 327. 1305 Beurskens in Baumbach/Hueck, § 37 Rz. 138; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 72. 1306 S. hierzu eingehend Peters-Lange in Gagel, SGB II/III, § 165 SGB III Rz. 12. 1307 S. nur Schipp in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 7 BetrAVG Rz. 15.
170 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 562 § 35
Ruhegehaltsleistungen für einen Unternehmer-Geschäftsführer kann die GmbH nur durch 560 Abschluss einer Rückdeckungsversicherung absichern und anschließend die Ansprüche gegen die Versicherung an den Geschäftsführer verpfänden1308. Gleiches gilt für Anwartschaften, die der Höhe nach nicht insolvenzgeschützt sind (§ 7 Abs. 3 BetrAVG; vgl. Rz. 559); auch dieser Teil der Versorgung kann über eine verpfändete Rückdeckungsversicherung abgesichert werden. Um die Verpfändung der Rückdeckungsversicherung wirksam werden zu lassen, bedarf es der schriftlichen Anzeige an die Versicherungsgesellschaft, § 1280 BGB. Es reicht nicht aus, wenn der Versicherer auf andere Weise davon Kenntnis erlangt. Ohne eine wirksame Verpfändung kann der Insolvenzverwalter die Bezugsberechtigung mit der Folge widerrufen, dass der Rückkaufswert in die Insolvenzmasse fällt1309. Die Verpfändung unterliegt nicht der Insolvenzanfechtung nach § 133 InsO1310, es sei denn, 561 die Gesellschaft und der Geschäftsführer hielten im Zeitpunkt der Verpfändung den Eintritt des Insolvenzfalles bereits für hinreichend konkret1311. Das Pfandrecht steht dem Geschäftsführer bedingt auf den Versorgungsfall zu. In der Insolvenz der GmbH ist die bedingte Ruhegehaltsforderung bei der Verteilung in vollem Umfang zu berücksichtigen (§ 191 InsO); der Wert ist jedoch gemäß § 198 InsO zu hinterlegen, bis der Versorgungsfall eintritt1312. Dem Geschäftsführer steht dann ein Absonderungsrecht nach § 50 InsO, §§ 1282, 1228 Abs. 2 BGB zu1313. Tritt die Bedingung nicht ein, weil der Geschäftsführer vor Erreichen der Altersgrenze verstirbt, wird der hinterlegte Betrag nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 InsO verteilt1314. Im Übrigen stellt der Abschluss der in der Höhe angemessenen Rückdeckungsversicherung und deren Verpfändung keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Kapitalerhaltung dar, sofern die abgesicherte Versorgung einem Drittvergleich standhält. Denn die Versorgung ist die Gegenleistung für die erbrachte Geschäftsführertätigkeit1315. Bei Abschluss der Rückdeckungsversicherung ist darauf zu achten, dass sie etwas höher als die zugesagte Versorgung zu bemessen ist, denn im Insolvenzfall fallen Insolvenzfeststellungskosten i.H.v. 4 % an, § 171 Abs. 1 InsO. Ist auch eine Hinterbliebenenversorgung zugesagt, muss den Angehörigen jeweils ein eigenes Pfandrecht bestellt werden, sofern auch diese Anwartschaften insolvenzgeschützt sein sollen.
XVII. Rechtsweg Für Rechtsstreitigkeiten aus dem Anstellungsvertrag des Geschäftsführers sind die ordentli- 562 chen Gerichte zuständig. Bei den Landgerichten sind die Kammern für Handelssachen zuständig (§ 95 Abs. 1 Nr. 4a GVG)1316. Der Weg zu den Arbeitsgerichten hingegen ist durch 1308 Die bloße Abtretung des Anspruchs gegen die Versicherung ist nicht „insolvenzsicher“; vgl. BAG v. 16.6.1978 – 3 AZR 783/76, DB 1978, 1843. 1309 BGH v. 4.3.1993 – IX ZR 169/92, NJW 1993, 1994, 1995. 1310 BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 161/96, NJW 1998, 312 = GmbHR 1997, 936; Arteaga, ZIP 1998, 276, 277 f.; Neumann, BB 1997, 2658, 2659. 1311 BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 161/96, NJW 1998, 312, 315 = GmbHR 1997, 936. 1312 BGH v. 10.7.1997 – IX ZR 161/96, NJW 1998, 312 = GmbHR 1997, 936; BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NJW 2005, 2231, 2232; dazu Armbrüster, DZWiR 2005, 385, 386; Elfring, NJW 2005, 2192 ff.; Perwein, GmbHR 2007, 589 ff.; Lohkamp/Fiala, VersR 2006, 331, 334; vgl. auch instruktiv Bäuerle in Braun, 5. Aufl. 2012, § 35 InsO Rz. 29 ff. 1313 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NJW 2005, 2231, 2232; dazu Armbrüster, DZWiR 2005, 385, 386; Lohkamp/Fiala, VersR 2006, 331, 335. 1314 BGH v. 7.4.2005 – IX ZR 138/04, NJW 2005, 2231, 2232; Bitter, NZI 2000, 399, 400; Blomeyer, VersR 1999, 653, 662; Stegmann/Lind, NVersZ 2002, 193, 201. 1315 KG v. 13.10.2003 – 2 W 25/03, ZIP 2003, 2253, 2254 = GmbHR 2004, 56; Breitling, EWiR 2004, 659 f.; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 448. 1316 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 6 Rz. 75.
Hohenstatt | 171
§ 35 Rz. 562 | Das Anstellungsverhältnis § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verschlossen, sofern die Parteien nicht, was in der Praxis selten vorkommt, von § 2 Abs. 4 ArbGG Gebrauch gemacht und die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte vereinbart haben. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gelten Organmitglieder nicht als Arbeitnehmer (negative gesetzliche Fiktion). Die Fiktion soll sicherstellen, dass das Mitglied eines Vertretungsorgans einer juristischen Person keinen Rechtsstreit vor den Gerichten für Arbeitssachen führt, solange es zum Organ bestellt ist. So soll ein Arbeitsgerichtsprozess im „Arbeitgeberlager“ vermieden werden. Diese Fiktion gilt unabhängig davon, ob sich das Anstellungsverhältnis materiell-rechtlich als Dienstverhältnis oder als Arbeitsverhältnis (hierzu Rz. 261 ff.) darstellt1317. § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG gilt auch für Rechtsstreitigkeiten über den Anstellungsvertrag des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH, wenn dieser mit der GmbH & Co. KG abgeschlossen ist1318. 563 § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG greift nicht mehr, wenn der Geschäftsführer bereits abberufen wur-
de1319 (hierfür ist die Mitteilung des Abberufungsbeschlusses gegenüber dem Geschäftsführer maßgebend; die Eintragung der Abberufung im Handelsregister wirkt nur deklatorisch1320) oder wenn er sein Amt niedergelegt hat (auch hierfür ist der Zugang der entsprechenden Erklärung des Geschäftsführers gegenüber dem zuständigen Organ maßgeblich1321). Die Beendigung der Organstellung durch Abberufung oder Niederlegung ist für die Rechtswegbestimmung auch dann noch zu berücksichtigen, wenn sie erst nach Einreichung der Klage oder nach deren Zustellung beim Beklagten erfolgt1322. Der Geschäftsführer kann sich mithin noch bis zur mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz bzw. vor Rechtskraft eines gerichtlichen Verweisungsbeschlusses auf die inzwischen erfolgte Beendigung der Organstellung und damit auf den Wegfall der Indizwirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG berufen1323. Dies gilt nicht nur für sog. sic-non-Fälle, sondern für alle Klagen aus dem Anstellungsverhältnis1324. Die dargestellte Rechtsprechung führt indes nicht zu einer generellen Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Streitigkeiten mit Geschäftsführern nach Beendigung ihrer Organstellung1325. In Sic-non Fällen muss der Kläger weiterhin das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses nur behaupten, während in den Et-Et und Aut-Aut Fällen das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses substantiiert und schlüssig darzulegen ist1326.
1317 BAG v. 6.5.1999 – 5 AZB 22/98, GmbHR 1999, 816; BAG v. 23.8.2011 – 10 AZB 51/10, GmbHR 2011, 1200 Rz. 12. 1318 BAG v. 20.8.2003 – 5 AZB 79/02, NJW 2003, 3290, 3291 f. = GmbHR 2003, 1208; a.A. noch BAG v. 10.7.1980 – 3 AZR 68/79, GmbHR 1981, 109 = NJW 1981, 302; vgl. zum Anstellungsvertrag bei der GmbH & Co. KG Rz. 301. 1319 Abweichend noch BAG v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, GmbHR 2014, 137 = BeckRS 2014, 73465 Rz. 16 a.E. 1320 Anders noch BAG v. 26.10.2012 – 10 AZB 55/12, GmbHR 2013, 253 = BeckRS 2013, 66911; klargestellt durch BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60 = GmbHR 2015, 27. 1321 BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, GmbHR 2015, 250 = NZA 2015, 180. 1322 BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, NZA 2015, 60 Rz. 27 = GmbHR 2015, 27; BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, NZA 2015, 180 Rz. 21 = GmbHR 2015, 250; zustimmend Reinfelder, RdA 2018, 87, 96. 1323 Vielmeier, NZA 2016, 1241, 1243; s. auch BAG v. 22.10.2014 – 10 AZB 46/14, = NJW 2015, 570 Os. 2 = GmbHR 2015, 27; BAG v. 3.12.2014 – 10 AZB 98/14, NZA 2015, 718 Os. 2 = GmbHR 2015, 250. 1324 BAG v. 8.9.2015 – 9 AZB 21/15, NZA 2015, 1342 Rz. 18 = GmbHR 2015, 1211; anders noch die Vorinstanz LAG Sachsen v. 18.3.2015 – 4 Ta 300/14 (6), BeckRS 2015, 68455. 1325 Zutreffend Vielmeier, NZA 2016, 1241, 1244; Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282a; Grobys, GmbHR 2015, 1213. 1326 LAG Hamburg v. 10.7.2017 – 4 Ta 10/17, BeckRS 2017, 126021; LAG Mecklenburg-Vorpommern v. 19.11.2015 – 3 Ta 38/15, NZA-RR 2016, 100.
172 | Hohenstatt
Das Anstellungsverhältnis | Rz. 564 § 35
Die Fiktion greift allerdings nicht ein, wenn der Streit nicht das der Organstellung zu Grun- 564 de liegende Rechtsverhältnis, sondern eine weitere Rechtsbeziehung betrifft1327. Nach der Abberufung als Geschäftsführer greift die gesetzliche Fiktion des § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG nicht mehr, so dass arbeitsvertragliche Ansprüche, beispielsweise aus einem ruhenden Arbeitsverhältnis, vor den Arbeitsgerichten geltend gemacht werden können1328.
1327 BAG v. 15.3.2011 – 10 AZB 32/10, NZA 2011, 874 = GmbHR 2011, 867 Rz. 11; BAG v. 15.11.2013 – 10 AZB 28/13, GmbHR 2014, 137 = BeckRS 2014, 73465 Rz. 17. 1328 BAG v. 23.8.2011 – 10 AZB 51/10, GmbHR 2011, 1200 Rz. 14 = AP § 5 ArbGG Nr. 69.
Hohenstatt | 173
§ 35a Angaben auf Geschäftsbriefen (1) Auf allen Geschäftsbriefen gleichviel welcher Form, die an einen bestimmten Empfänger gerichtet werden, müssen die Rechtsform und der Sitz der Gesellschaft, das Registergericht des Sitzes der Gesellschaft und die Nummer, unter der die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist, sowie alle Geschäftsführer und, sofern die Gesellschaft einen Aufsichtsrat gebildet und dieser einen Vorsitzenden hat, der Vorsitzende des Aufsichtsrats mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen angegeben werden. Werden Angaben über das Kapital der Gesellschaft gemacht, so müssen in jedem Falle das Stammkapital sowie, wenn nicht alle in Geld zu leistenden Einlagen eingezahlt sind, der Gesamtbetrag der ausstehenden Einlagen angegeben werden. (2) Der Angaben nach Absatz 1 Satz 1 bedarf es nicht bei Mitteilungen oder Berichten, die im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung ergehen und für die üblicherweise Vordrucke verwendet werden, in denen lediglich die im Einzelfall erforderlichen besonderen Angaben eingefügt zu werden brauchen. (3) Bestellscheine gelten als Geschäftsbriefe im Sinne des Absatzes 1. Absatz 2 ist auf sie nicht anzuwenden. (4) Auf allen Geschäftsbriefen und Bestellscheinen, die von einer Zweigniederlassung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz im Ausland verwendet werden, müssen das Register, bei dem die Zweigniederlassung geführt wird, und die Nummer des Registereintrags angegeben werden; im Übrigen gelten die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 für die Angaben bezüglich der Haupt- und der Zweigniederlassung, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen nötig macht. Befindet sich die ausländische Gesellschaft in Liquidation, so sind auch diese Tatsache sowie alle Liquidatoren anzugeben. Abs. 1 bis 3 eingefügt durch Gesetz vom 15.8.1969 (BGBl. I 1969, 1146); Abs. 4 eingefügt durch Gesetz zur Durchführung der Elften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 22.7.1993 (BGBl. I 1993, 1282); Abs. 1 Satz 1 geändert durch EHUG vom 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553); Abs. 4 Satz 1 geändert durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. II. III. 1. 2. 3. 4. 5. IV. 1. 2.
Das Entstehen der Vorschrift . . . . . . . . 1 Der Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Geschäftsbriefe Die handelnde Person . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die äußere Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Webseiten, E-Mails, neue Kommunikationsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Bestimmter Empfänger . . . . . . . . . . . . . . 9 Interner Schriftverkehr . . . . . . . . . . . . . . 10 Angaben auf Geschäftsbriefen Die notwendigen Angaben . . . . . . . . . . . 11 Angaben über das Gesellschaftskapital . 18
3. Nicht erforderliche Angaben . . . . . . . . . V. Vordrucke bei Geschäftsverbindung . . VI. Inländische Niederlassung einer GmbH mit Sitz im Ausland oder einer ausländischen Gesellschaft (§ 35a Abs. 4) 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erforderliche Angaben . . . . . . . . . . . . . . VII. Verletzungsfolgen 1. Ordnungsvorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung der Handelnden . . . . . . . . . . . . 3. Unlauterer Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . .
20 21
25 28 32 34 35
Schrifttum: Altmeppen, Irrungen und Wirrungen um den täuschenden Rechtsformzusatz und seine Haftungsfolgen, NJW 2012, 2833; Ankele, Änderungen des Handels- und Gesellschaftsrechts aufgrund der Ersten EWG-Richtlinie, Information über Steuer und Wirtschaft 1970, 117; Bärwaldt/Schabacker, Angaben auf Geschäftspapieren inländischer Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaft, AG 1996, 461; Beck, Die Haftung des Handelnden bei falscher Firmierung, ZIP 2017, 1748; Beurskens, What’s in a name? – Rechtsformzusatz und Haftungsbeschränkung, NZG 2016, 681; Bredol, Angaben
174 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 2 § 35a auf Geschäftsbriefen bei Handeln Dritter, NZG 2017, 611; Glaus/Gabel, Praktische Umsetzung der Anforderungen zu Pflichtangaben in E-Mails, BB 2007, 1744; Haßler, Der vakante Aufsichtsratsvorsitz im Licht von § 80 AktG, BB 2016, 461; Hoeren, Überblick über die Informationspflichten von Anbietern im Internet, MittdtschPatAnw 2010, 351; Hoeren/Pfaff, Pflichtangaben im elektronischen Geschäftsverkehr, MMR 2007, 207; Kindler, Neue Offenlegungspflichten für Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften, NJW 1993, 3301; Kindler, Grundzüge des neuen Kapitalgesellschaftsrechts – Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), NJW 2008, 3249; Klein, Ein Apfel unterm Birnenbaum? – Rechtsfolgen des Handelns bei fehlendem oder fehlerhaftem Rechtsformzusatz, NJW 2015, 3607; Kreplin, Erweiterte Angabenpflicht auf Geschäftsbriefen für Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien und Gesellschaften mit beschränkter Haftung, BB 1969, 1112; Leuering/Rubel, Pflichtangaben in E-Mail: Der Link ins Internat als Alternative, NJW-Spezial 2008, 47; Lutter, Die erste Angleichungsrichtlinie zu Art. 54 Abs. 3 lit. g) EWGV und ihre Bedeutung für das geltende deutsche Unternehmensrecht, EuR 1969, 1; Maaßen/Orlikowski-Wolf, Stellt das Fehlen von Pflichtangaben in Geschäftskorrespondenz einen Wettbewerbsverstoß dar?, BB 2007, 561; Mutter, Pflichtangaben auf Geschäftsbriefen auch im E-mail-Verkehr?, GmbHR 2001, 336; Otte, Folgen der Trennung von Verwaltungs- und Satzungssitz für die gesellschaftsrechtliche Praxis, BB 2009, 344; Pietzarka, Vertreterhaftung bei fehlendem Rechtsformzusatz – Auswirkungen der „Rechtsscheinhaftung analog § 179 BGB“, GmbHR 2017, 73; Rath/Hausen, Viel Lärm um Nichts? Pflichtangaben in geschäftlichen E-Mails, K&R 2007, 113; Roth/Groß, Pflichtangaben auf Geschäftsbrief und Bestellschein im Internet, K&R 2002, 127; Karsten Schmidt, Publizität von „Schein-Auslandsgesellschaften“ durch Firmenrecht und durch Angaben auf Geschäftsbriefen, in Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 15; Schmittmann/Ahrens, Pflichtangaben in E-Mails – Ist die elektronische Post ein Geschäftsbrief?, DB 2002, 1038; Schweinoch/Böhlke/Richter, E-Mails als elektronische Geschäftsbriefe mit Nebenwirkungen, CR 2007, 167; Seibert, Die Umsetzung der ZweigniederlassungsRichtlinie der EG im deutschen Recht, GmbHR 1992, 738; Seibert, Neuordnung des Rechts der Zweigniederlassung im HGB, DB 1993, 1705; Wild, E-Mail-Pflichtangaben, DuD 2007, 374.
I. Das Entstehen der Vorschrift Die Vorschrift über Angaben auf Geschäftsbriefen der GmbH ist durch das Gesetz zur Durch- 1 führung der Ersten Richtlinie des Rats der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 15.8.19691 eingefügt worden. Verlangt ist daher eine richtlinienkonforme Auslegung. § 35a geht auf Art. 4 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d der Ersten Richtlinie des Rates vom 9.3.19682 zurück. Die genannten Vorschriften sind durch Art. 26 i.V.m. Art. 9 und Art. 14 Buchst. d der Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14.6.20173 ersetzt worden. Bestimmt werden hierdurch angabepflichtige Tatsachen durch die Einbeziehung der Personen der Geschäftsleitung (§ 35a Abs. 1 Satz 1). Entsprechende Bestimmungen enthalten § 125a und § 177a HGB4. Andererseits befreit § 35a Abs. 2 beim Bestehen einer Geschäftsverbindung eine bestimmte Art von Geschäftsbriefen von der Angabepflicht, was zwar dem Wortlaut des Art. 26 der Richtlinie nicht entspricht, aber mit dessen Sinn vereinbar ist. Dieser europarechtliche Hintergrund gebietet es, die Grundsätze richtlinienkonformer Auslegung bei § 35a stets im Blick zu behalten5. § 35a Abs. 4 enthält besondere Offenlegungsvorschriften für Zweigniederlassungen einer 2 GmbH mit Sitz im Ausland. Umgesetzt werden damit Art. 29 ff., Art. 36 ff. der Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14.6.20146. § 35a Abs. 4 geht auf das MoMiG zurück. Nach § 35a Abs. 4 Satz 1
1 2 3 4
BGBl. I 1969, 1146. ABl. EG Nr. L v. 14.3.1968, S. 8. ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. Zu den zahlreichen weiteren Parallelvorschriften s. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6, die für eine rechtsformneutrale Regelung plädieren. 5 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5. 6 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 175
§ 35a Rz. 2 | Angaben auf Geschäftsbriefen Halbsatz 2 ist vorgesehen, dass die Vorschriften der Abs. 1 bis 3 auch für die Angaben bezüglich der Haupt- und Zweigniederlassung anzuwenden sind. Die Änderung dient mehreren Zwecken. Zunächst wird eine Klarstellung der Angabepflicht inländischer Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften erreicht. Damit werden deutsche Gesellschaften mbH, die UG (haftungsbeschränkt) sowie ausländische Gesellschaften in Bezug auf die „Geschäftsbriefpublizität“7 in vollem Umfang gleich behandelt8. Der frühere Meinungsstreit über das Bestehen einer doppelten Angabeverpflichtung (dazu 10. Aufl., Rz. 24) wurde damit durch den Gesetzgeber abschließend entschieden9. Dies dient nicht zuletzt der Stärkung der Transparenz und fördert dadurch den Gläubigerschutz10. Die Ergänzung ist mit der sog. „Zweigniederlassungsrichtlinie“11 vereinbar und berücksichtigt die aktuelle Rechtsprechung des EuGH12.
II. Der Zweck 3 Der Zweck des § 35a ist es, den Geschäftsverkehr – nicht nur, wie die amtliche Begr.13 zu Art. 2
Nr. 7 Erste Richtlinie zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts meint, für den zwischenstaatlichen Bereich – mit der GmbH zu erleichtern. Dritte sollen sich über die verantwortliche Geschäftsleitung informieren können, ihnen soll der Zugang zu Informationen aus dem Handelsregister erleichtert werden, und sie sollen vor irreführenden Angaben über die Kapitalverhältnisse geschützt werden. Die Regelung über die Angabe der Kapitalverhältnisse wird diesem Zweck nur sehr unvollkommen gerecht14. Es wäre sachgemäßer gewesen, die Angabe des Stammkapitals nur zuzulassen, wenn das aus der letzten Bilanz ersichtliche Reinvermögen der Gesellschaft nicht geringer ist15. Die besondere Informationspflicht erstreckt sich nur auf die in der Vorschrift näher bezeichneten Angaben auf Geschäftsbriefen usw. Bei mündlichen Verhandlungen besteht eine entsprechende Informationspflicht nicht16.
III. Geschäftsbriefe 1. Die handelnde Person 4 Geschäftsbriefe sind alle von den Geschäftsführern oder von den Mitarbeitern verwendeten
Briefe. Auf das Innenverhältnis zwischen der Gesellschaft und der handelnden Person kommt es nicht an. Verlangt ist nur, dass es sich um Personen handelt, die für die Gesellschaft handeln, also auch Dritte, die im Namen der Gesellschaft handeln17.
7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Begriff bei Kindler, AG 2007, 721, 730. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 2. So auch Kindler, AG 2007, 730. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43. Richtlinie 89/666/EWG, ABl. EG Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 36. Die Zweigniederlassungsrichtlinie ist mittlerweile in die Richtlinie (EU) 2017/1132 vom 14.6.2017 (ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46) über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts übergegangen. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43. BT-Drucks. V/3862. Einmahl, AG 1969, 134. Krit. auch Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9. BGH v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, WM 1981, 873 = GmbHR 1992, 154; OLG Hamm v. 7.12.1984 – 20 U 151/84, WM 1985, 645. Tw. abweichend Bredol, NZG 2017, 611.
176 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 6 § 35a
2. Die äußere Form Nach Wortlaut und Zweck des § 35a ist der Begriff „Geschäftsbriefe“ weit auszulegen18. Durch 5 das EHUG wurde noch ausdrücklich hinzugefügt „gleichviel welcher Form“. Er umfasst jede von der GmbH ausgehende schriftliche Mitteilung, die ihre geschäftliche Betätigung nach außen betrifft, und zwar nicht nur bei der Anbahnung, sondern auch im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen19. Ausgenommen sind daher Briefe mit rein persönlichem Inhalt wie Glückwünsche oder Kondolenzschreiben. Abzulehnen ist die Auffassung, die aus dem weiteren Erfordernis, wonach nur die an einen bestimmten Empfänger gerichteten Geschäftsbriefe erfasst werden, schließen zu können glaubt, dass sie einen auf den Empfänger bezogenen individuellen Inhalt haben müssten20. Diese auf die Entstehungsgeschichte des früheren § 100 AktG 1937 gestützte Einschränkung21 ist für § 35a nicht aufrechtzuerhalten. Geschäftsbriefe sind demzufolge u.a. auch persönlich adressierte Geschäftsrundschreiben22, gleichförmige Verkaufsangebote, Preislisten sowie formularmäßige Mitteilungen, z.B. Bestellscheine, Auftragsbestätigungen, Lieferscheine, Schecks23, Wechsel24, Rechnungen und Quittungen25. Doch kann insoweit die Befreiung nach § 35a Abs. 2 greifen (s. Rz. 21). „Geschäftsbriefe“ sind auch Mitteilungen an den Arbeitnehmer, wenn sie das Arbeitsverhältnis betreffen, z.B. die Kündigung26, nicht aber Mitteilungen an die Gesellschafter27. Auf die äußere Form der geschäftlichen Mitteilung kommt es nicht an. Es sind nicht nur Briefe im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs, sondern auch Postkarten gemeint28. Voraussetzung ist aber, dass der Empfänger die Mitteilung entweder im Original oder in einer Ablichtung erhält. Das hat Bedeutung für Schreiben, die im Wege der neuen Telekommunikationsmedien übermittelt werden. Keine Geschäftsbriefe im Sinne der Vorschrift sind daher Telegramme und Fernschreiben29. Erfasst werden dagegen die durch Telebrief oder Telefax übermittelten Schreiben30.
3. Webseiten, E-Mails, neue Kommunikationsformen Art. 26 der Richtlinie vom 14.6.2017 entspricht31 dem früheren Art. 5 der Richtlinie vom 6 16.9.2009 und verlangt, dass bestimmte Angaben auch auf den Webseiten der Gesellschaft 18 LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, WM 1990, 1872 = GmbHR 1991, 23; LG Heidelberg v. 31.5.1996 – 8 O 2/96, GmbHR 1997, 446; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 3 ff.; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3. 19 S. dagegen Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1. 20 So z.B. Kreplin, BB 1969, 1113. 21 Vgl. Schmidt/Meyer-Landrut in Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 80 AktG Anm. 1. 22 LG Heidelberg v. 31.5.1996 – 8 O 2/96, GmbHR 1997, 446. 23 LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, GmbHR 1991, 23; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 7; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 24 A.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 7; Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 25 Weitgehend übereinstimmend Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 80 AktG Rz. 14. 26 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 6. 27 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2. 28 A.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; wie hier Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8. 29 A.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. 30 Ebenso Lenz in Michalski u.a., Rz. 8; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3; Wünsch in FS Schwarz, Wien 1991, S. 581. 31 S. die Entsprechungstabelle, die der Richtlinie (EU) 2017/1132, ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 129 als Anlage beigefügt ist.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 177
§ 35a Rz. 6 | Angaben auf Geschäftsbriefen gemacht werden. Dazu gehören die notwendigen Angaben zur Identifizierung des Registers, die Nummer der Eintragung der Gesellschaft sowie die Rechtsform und der satzungsmäßige Sitz der Gesellschaft und gegebenenfalls, dass sich die Gesellschaft in Liquidation befindet. Wird das Gesellschaftskapital angegeben, so bedarf es der Angabe des gezeichneten und des eingezahlten Kapitals. 7 Die Angaben nach § 35a Abs. 1 sind auch bei E-Mails anzugeben32. Dies gilt aber nicht für
SMS33. Das folgt aus Sinn und Zweck der Vorschrift. Die Signatur und die notwendigen Angaben lassen sich ohne technischen Aufwand anfügen. Dem lässt sich nicht entgegenhalten, es widerspreche dem Gedanken der papierlosen elektronischen Kommunikation. Es folgt dies aber aus einer richtlinienkonformen Auslegung. In der Richtlinie vom 14.6.201734 heißt es ausdrücklich in Art. 26, dass die Angaben gemeint sind, die auf Briefen oder Bestellscheinen zu erfolgen haben, soweit diese in Papier „oder in sonstiger Weise“ erstellt werden. Nicht ausreichend ist eine Verknüpfung mit einem Hyperlink, der die erforderlichen Angaben enthält35. Denn die Abrufbarkeit und die inhaltliche Unverändertheit der extern gespeicherten Angaben, auf die der Link verweist, ist regelmäßig nicht gewährleistet. Ein E-Mail-Anhang muss die Vorgaben des § 35a Abs. 1 insoweit erfüllen, als dieser ebenfalls einen Geschäftsbrief darstellt36. 8 Noch weitgehend ungeklärt ist die Anwendbarkeit des § 35a auf Twitter-Mitteilungen und
Blogbeiträge. Richtigerweise ist ein Blog einem Geschäftsbrief i.S.d. § 35a nur dann gleichzustellen, wenn er vom Unternehmen betrieben wird37. Dies folgt aus dem Zweck der Vorschrift, Gläubigerschutz und Transparenz zu stärken. Twittermitteilungen dürften SMS gleichzustellen sein38. Auf sie ist die Vorschrift also nicht anzuwenden39.
4. Bestimmter Empfänger 9 Der Geschäftsbrief muss an einen bestimmten Empfänger gerichtet sein. Das trifft dann zu,
wenn die geschäftliche Mitteilung selbst oder der sie verschließende Umschlag an eine individuell bezeichnete Person adressiert ist. Keine Unterrichtspflicht im Sinne des § 35a Abs. 1 Satz 1 besteht danach bei geschäftlichen Mitteilungen der GmbH für einen unbestimmten oder nur durch Gruppenmerkmale bestimmten Personenkreis, z.B. bei der Verteilung von Werbeschriften, Postwurfsendungen (adressiert an „alle“ Hauseigentümer, Ärzte usw.), Zeitschriftenanzeigen oder anderen „öffentlichen Bekanntmachungen“. Die Angabepflicht er32 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 7; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Lenz in Michalski u.a., Rz. 8; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3; Reusch, NVersZ 2000, 1, 4; Schmittmann/Ahrens, DB 2002, 1038; Maaßen/Orlikowski-Wolf, BB 2007, 561; zur Umsetzung in der Praxis: Glaus/Gabel, BB 2007, 1744; a.A. für § 35a Abs. 1 Satz 1 a.F. Mutter, GmbHR 2001, 336. 33 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3; Hoeren/Pfaff, MMR 2007, 207, 208; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Maaßen/OrlikowskiWolf, BB 2007, 561. 34 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 35 A.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 8; Glaus/Gabel, BB 2007, 1744, 1747; Leuering/Rubel, NJW-Spezial 2008, 47, 48; wie hier: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28; Hoeren, MittdtschPatAnw 2010, 351, 358; Hoeren/Pfaff, MMR 2007, 207, 209; Rath/Hausen, K&R 2007, 113, 115; vgl. umfassend zu technischen Lösungsansätzen Roth/Groß, K&R 2002, 127. 36 Haßler, BB 2016, 461. 37 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3. 38 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 3; für Facebook und Twitter vgl. auch Spindler in MünchKomm. AktG, § 80 Rz. 18. 39 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Haßler, BB 2016, 461 für § 80 AktG; a.A. Schrey/Kielkowski/Gola, MMR 2017, 656, 658.
178 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 14 § 35a
streckt sich in gleicher Weise auf den Geschäftsverkehr im Inland wie auf den Geschäftsverkehr mit dem Ausland.
5. Interner Schriftverkehr Der interne Schriftverkehr der Gesellschaft fällt nicht unter § 35a. Dazu rechnet auch der 10 Schriftverkehr mit den betriebsverfassungsrechtlichen Organen, mit oder zwischen den Zweigniederlassungen der Gesellschaft, nicht dagegen derjenige zwischen rechtlich selbständigen Konzernunternehmen40. Ebenso wenig ist der Schriftverkehr der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern betroffen, soweit er sich auf das Gesellschaftsverhältnis bezieht41.
IV. Angaben auf Geschäftsbriefen 1. Die notwendigen Angaben Die in § 35a Abs. 1 Satz 1 aufgezählten Angaben müssen auf den Geschäftsbriefen der Gesell- 11 schaft gemacht werden, soweit nicht die Ausnahme des § 35a Abs. 2 eingreift. a) Die Rechtsform kann wie auch sonst im Geschäftsverkehr (s. §§ 4, 19) in der abgekürzten 12 Form „GmbH“ verwendet werden. Ihre Bedeutung ist allgemein bekannt42. In der Insolvenz der Gesellschaft ändert sich deren Rechtsform nicht. Dennoch ist die Angabe darüber nach Sinn und Zweck der Vorschrift notwendig43. Für die Unternehmergesellschaft ist das Kürzel „UG“ zulässig44; jedoch ist der Zusatz „haftungsbeschränkt“ in jedem Fall zwingend ungekürzt anzufügen45, vgl. § 5a Abs. 1. b) Der anzuführende Sitz der Gesellschaft ist derjenige i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG, § 17 13 ZPO46. Nicht genügend ist daher die Angabe des Ortes der Betriebsstätte oder einer Zweigniederlassung, auch wenn der Geschäftsbrief von dort aus abgesandt worden ist47. Desgleichen reicht die bloße Ortsangabe beim Datum nicht aus48, da sich daraus nicht hinreichend sicher auf den satzungsmäßigen Sitz schließen lässt. c) Das Registergericht und die Registernummer müssen als solche zweifelsfrei erkennbar 14 dem Geschäftsbrief zu entnehmen sein, was aber auch mit einer abgekürzten Angabe, wie
40 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; a.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; differenzierend: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13. 41 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 6; Lenz in Michalski u.a., Rz. 5; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 42 Eb. Kreplin, BB 1969, 1113; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Lenz in Michalski u.a., Rz. 2; Wünsch in FS Schwarz, Wien 1991, S. 586; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 11: Rechtsformzusatz erfolgt schon in Firma. 43 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 11; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; a.A. Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31. 44 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 8; zur Haftung des Handelnden bei fehlendem Rechtsformzusatz; Pietzarka, GmbHR 2017, 73; Beck, ZIP 2017, 1748. 45 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 31; BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, NJW 2012, 2871, 2873 = GmbHR 2012, 953, 954. 46 BGH v. 7.10.1977 – I ARZ 494/77, WM 1977, 1427. 47 Eb. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 12. 48 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; a.M. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Kreplin, BB 1969, 1113.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 179
§ 35a Rz. 14 | Angaben auf Geschäftsbriefen z.B. „Amtsgericht X HRB 5“49, zu erreichen ist, zumal diese Form auch in den Rechten anderer EU-Staaten gebräuchlich ist. 15 d) Die Geschäftsbriefe müssen alle Geschäftsführer der GmbH, also auch die Notgeschäfts-
führer und die stellvertretenden Geschäftsführer (§ 44) mit dem Familiennamen und mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen anführen. Der Hinweis auf die Stellvertretereigenschaft ist zulässig, aber nicht notwendig50. Hat die Gesellschaft einen Arbeitsdirektor zu bestellen, so kann dies aufgeführt werden. Es besteht jedoch keine gesetzliche Pflicht hierzu51. Sollte ein Notgeschäftsführer bestellt worden sein, so ist dieser anzugeben52. 16 e) Falls vorhanden, ist in derselben Weise auch der Vorsitzende des Aufsichtsrats zu nennen.
Für die Veröffentlichungspflicht ist insoweit nicht die Bezeichnung des Gesellschaftsorgans im Gesellschaftsvertrag, sondern nur der Umstand maßgebend, dass ihm (jedoch nicht notwendig allein) die Aufgaben des Aufsichtsrats (vgl. dazu § 52) übertragen worden sind53. Ohne Bedeutung ist es auch, ob es sich um einen obligatorischen oder einen fakultativen Aufsichtsrat handelt54 und ob die Pflicht zur Wahl eines Vorsitzenden besteht. Ist die Position des Vorsitzenden des Aufsichtsrats vakant, ist es nicht erforderlich, den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden auf den Geschäftsbriefen der Gesellschaft aufzuführen, da der Stellvertreter durch den Wegfall des Vorsitzenden nicht automatisch zum Aufsichtsratsvorsitzenden aufrückt55. 17 f) Noch ungeklärt ist die Frage, welche Angaben auf Geschäftsbriefen aufzuführen sind, wenn
– anders als es die Regelung des § 35a Abs. 1 an sich vorsieht – die Gesellschaft nicht für sich im eigenen Namen tätig wird, sondern für einen Dritten gehandelt wird. Da die Verpflichtung aus § 35a Abs. 1 die GmbH dann trifft, wenn ihr ein Handeln zuzurechnen ist, ist maßgeblich, ob die handelnde Person innerhalb der Gesellschaft tätig ist oder außerhalb der Gesellschaft56. Im ersten Fall liegt eine Mitteilung der vertretenen Gesellschaft vor, so dass die Angaben für die GmbH zu machen sind, im zweiten läge eine Mitteilung der vertretenden Person vor, so dass diese ihr eigenes Briefpapier benutzen müsste57.
2. Angaben über das Gesellschaftskapital 18 Die Gesellschaft braucht in ihren Geschäftsbriefen keine Angaben über das Gesellschafts-
kapital, über die Vermögensverhältnisse oder über die Bilanzsumme zu machen. Wenn sie es aber gleichwohl tut, so muss sie den Betrag des Stammkapitals und den Gesamtbetrag der ausstehenden Geldeinlagen angeben (§ 35a Abs. 1 Satz 2). Sacheinlagen erwähnt das Gesetz wegen der Verpflichtung zur Vollleistung vor der Anmeldung nicht, § 7 Abs. 3. Sind die Sacheinlagen aus irgendeinem Grunde dennoch ganz oder teilweise nicht geleistet, so wird man die Angabepflicht auch auf sie erstrecken müssen58.
49 So Kreplin, BB 1969, 1114 Fn. 26. 50 Eb. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 14; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 2; a.A. (unzulässig) Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22. 51 Eb. Lehmann/Heinsius, Aktienrecht und Mitbestimmung, 1986, S. 44. 52 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23. 53 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24 m.w.N. 54 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 3; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15. 55 Haßler, BB 2016, 461, 462 zu § 80 AktG. 56 Bredol, NZG 2017, 611, 613. 57 Bredol, NZG 2017, 611, 613. 58 Lenz in Michalski u.a., Rz. 3; a.M. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25.
180 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 23 § 35a
Die Regelung des § 35a Abs. 1 Satz 2 schließt nicht aus, dass Dritte durch die genannten Angaben irregeführt werden, z.B. beim Verlust eines wesentlichen Teils des Stammkapitals. Ein Schutz vor irreführenden Angaben ist nur unter den Voraussetzungen der §§ 3, 5 UWG, § 826 BGB gegeben, u.U. auch aus Verschulden bei Vertragsschluss. Über den Verweis in § 71 Abs. 5 Halbsatz 2 ist eine sinngemäße Anwendung des § 35a auf 19 Gesellschaften in Liquidation angeordnet; Halbsatz 1 der Vorschrift ordnet ferner einen ergänzenden Hinweis auf die Tatsache an, dass sich die Gesellschaft in Liquidation befindet59.
3. Nicht erforderliche Angaben Der Katalog der in § 35a Abs. 1 genannten verpflichtenden Angaben ist abschließend. Anga- 20 ben darüber, ob die Gesellschaft ein Konzernunternehmen ist, welche Gesellschaft herrschendes Unternehmen ist und ob Unternehmensverträge bestehen usw., sind daher zwar nicht verpflichtend, aber zur Information der Geschäftspartner zulässig. Weiterhin können Angaben über die Zertifizierung, die Gleichstellungspolitik des Unternehmens, die Größenordnung der Steuerzahlungen im Inland usw. erfolgen.
V. Vordrucke bei Geschäftsverbindung Die Befreiung von der Veröffentlichungspflicht in § 35a Abs. 2 ist in mehrfacher Hinsicht 21 beschränkt. 1. Sie bezieht sich nur auf geschäftliche Mitteilungen und Berichte, für die im Geschäftsver- 22 kehr üblicherweise Vordrucke verwendet werden, die lediglich mit den sich auf den Einzelfall beziehenden besonderen Angaben (z.B. über den Gegenstand der Lieferung oder Leistung, den Preis, die Lieferzeit u.Ä.) ausgefüllt zu werden brauchen. Zu denken ist an Kontoauszüge, Lieferscheine, Scheckformulare60, Rechnungen, Mahnungen61. Üblich ist die Verwendung eines Vordrucks dann, wenn er zumindest von einem nicht nur unerheblichen Teil des Geschäftsverkehrs regelmäßig benutzt wird; auch für branchenspezifische Vordrucke kann das zutreffen. Erforderlich ist, dass sich die ausfüllungsbedürftigen Teile des Vordrucks ebenfalls im Rahmen des Üblichen halten62. 2. Die Befreiung setzt weiter voraus, dass zwischen der Gesellschaft und dem Dritten eine 23 Geschäftsverbindung besteht. Es braucht sich nicht um eine schon längere Zeit andauernde Geschäftsverbindung zu handeln, sondern es genügt, wenn zuvor erst ein geschäftlicher Kontakt stattgefunden hat und bei dieser Gelegenheit in der Korrespondenz die vorgeschriebenen Angaben einmal gemacht worden sind63. Allerdings darf dieser Kontakt nicht zu lange zurückliegen64, da die Ausnahme des § 35a Abs. 2 auf der Annahme einer durch die Geschäftsverbindung vermittelten Kenntnis der angabepflichtigen Umstände beruht. Abzuleh-
OVG Berlin-Brandenburg v. 13.10.2009 – OVG 11 S 51.09, BeckRS 2009, 40105 = Juris. LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, GmbHR 1991, 23. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 5 (Rechnungen); Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 24. Eb. Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 80 AktG Rz. 18. Einmahl, AG 1969, 136; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37. 64 A.A. Lenz in Michalski u.a., Rz. 10; ähnlich wie hier Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 11, es dürfe nicht mehr als ein Jahr vergangen sein.
59 60 61 62 63
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 181
§ 35a Rz. 23 | Angaben auf Geschäftsbriefen nen ist deshalb auch die Meinung, die es für ausreichend hält, dass die Parteien schon „irgendwie“ miteinander in Verbindung getreten waren65. 24 Die Ausnahme von der Angabepflicht ist auf Bestellscheine nicht anwendbar (§ 35a Abs. 3
Satz 2).
VI. Inländische Niederlassung einer GmbH mit Sitz im Ausland oder einer ausländischen Gesellschaft (§ 35a Abs. 4) 1. Anwendungsbereich 25 § 35a Abs. 4 wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der Zweigniederlassungsrichtlinie der
EG66 eingefügt67. Die einschlägigen Vorschriften befinden sich heute in Art. 29 ff. Richtlinie (EU) 2017/113268. § 35a Abs. 4 entspricht § 80 Abs. 4 AktG. Erleichtert wurde hierdurch die Niederlassung von EU-Gesellschaften im Inland und geschützt werden Personen, die mit einer Zweigniederlassung einer ausländischen Gesellschaft in Beziehung treten. 26 Erweitert wurden die Angabepflichten auf inländische Zweigniederlassungen ausländischer
Gesellschaften mit Sitz im Ausland. Das Gesetz unterscheidet dabei nicht zwischen Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten und Gesellschaften aus Drittstaaten. Entscheidend ist: Die Gesellschaft muss der GmbH entsprechen69. Für ausländische Gesellschaften, die im Wege des grenzüberschreitenden Handelsverkehrs unmittelbar aus dem Ausland tätig werden, fehlt eine entsprechende Vorschrift im Inland70. Für Gesellschaften mit Sitz in einem anderen EU-Land bestehen jedoch aufgrund der Richtlinie (EU) 2017/1132 entsprechende Regelungen. Weil das Register anzugeben ist, in dem die Zweigniederlassung eingetragen ist, könnte man schließen, dass nur eingetragene Zweigniederlassungen betroffen sind. Die Angabepflichten bestehen jedoch auch für nicht eingetragene Zweigniederlassungen und Betriebsstätten71. 27 § 35a Abs. 4 ist auch auf eine deutsche GmbH mit Sitz im Ausland anzuwenden, wenn sie
im Inland eine Niederlassung hat72.
2. Erforderliche Angaben 28 Anzugeben ist das inländische Register, bei dem die Zweigniederlassung geführt wird, § 13d
HGB, und die Nummer des Registereintrags. Im Übrigen verweist § 35a Abs. 4 auf die Abs. 1 bis 373. Mit Blick darauf war streitig, ob die Geschäftsbriefe und Bestellscheine einer Zweigniederlassung zusätzlich zu den eigenen Angaben auch Angaben über die im Ausland belegene Gesellschaft, nämlich das ausländische Gesellschaftsregister und die ausländische
65 So noch Meyer-Landrut in Großkomm. AktG, 3. Aufl., § 80 AktG Anm. 2; wie hier Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 20 („in überschaubarer Vergangenheit“). 66 BGBl. I 1993, 1282, 1285. 67 Seibert, GmbHR 1992, 738: „Gemeinschafts-Allotria“. 68 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 69 S. dazu Seibert, GmbHR 1992, 741 sowie dort Fn. 14; Kindler, NJW 1993, 3303. 70 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41. 71 Ebenso Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 25; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6. 72 A.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42. 73 Gestaltungsvorschläge bei Bärwaldt/Schabacker, AG 1996, 462.
182 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 32 § 35a
Registernummer, enthalten mussten74. Der Streit ist zugunsten einer doppelten Angabeverpflichtung zu entscheiden. Dies entspricht dem Gesetz zur Modernisierung des GmbHRechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, wonach zugunsten einer Stärkung der Transparenz und des Gläubigerschutzes in § 35 Abs. 4 Satz 1 nach den Wörtern „Absätze 1 bis 3“ die Wörter „für die Angaben bezüglich der Haupt- und Zweigniederlassung“ eingefügt wurden (s. hierzu schon Rz. 2). Verlangt ist, dass auch inländische Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften die 29 nach § 35a Abs. 1 bis 3 erforderlichen Angaben machen müssen, soweit nicht das ausländische Recht Abweichungen erfordert. Anzugeben ist insbesondere der statuarische Sitz der Gesellschaft75. Der Inhalt der geforderten Pflichtangaben ergibt sich aus der Richtlinie (EU) 2017/ 1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts76. Es besteht eine doppelte Angabeverpflichtung: Es müssen die Angaben für die inländische 30 Zweigniederlassung und zusätzlich die für die ausländische Hauptniederlassung angefügt werden. Die Angaben – auch über die ausländische Hauptniederlassung – haben dabei in deutscher Sprache zu erfolgen77. Bereits bestehende inländische Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften, die bisher die Angaben über die ausländische Hauptniederlassung nicht aufgeführt haben, müssen ihre Geschäftsbriefe daher entsprechend ergänzen. Anzugeben sind die vollständige ausländische Firma nebst Rechtsformzusatz78. Die Anga- 31 ben sind in deutscher Sprache zu machen79. Die ausländische Rechtsform ist nicht zu übersetzen80; zulässig sind aber erläuternde Klammerzusätze (z.B. GmbH französischen Rechts). Aufzuführen sind ferner die Registerangaben der ausländischen Gesellschaft81. Wird das Register nicht bei einem Gericht geführt, so ist die Institution anzugeben, die das Register führt82. Eine Freistellung erfolgt nach dem Wortlaut nach § 35a Abs. 4 nur, soweit das ausländische Recht Abweichungen nötig macht, etwa weil kein Register besteht oder keine Eintragung erforderlich ist83. Befindet sich die ausländische Gesellschaft in Liquidation, so sind nach der ausdrücklichen Regelung des § 35a Abs. 4 Satz 2 auch diese Tatsache sowie alle Liquidatoren anzugeben.
VII. Verletzungsfolgen 1. Ordnungsvorschrift § 35a enthält eine Ordnungsvorschrift. Das Registergericht des Gesellschaftssitzes hat für 32 die Befolgung zu sorgen. Es kann gegen die Geschäftsführer oder Liquidatoren nach § 79 Ordnungsstrafen verhängen, wenn die Geschäftsbriefe der Gesellschaft die vorgeschriebenen Angaben nicht oder, was dem gleichsteht, nicht richtig enthalten. Doch soll das Registerge74 Dafür etwa schon Altmeppen in Roth/Altmeppen, 5. Aufl. 2005, Rz. 6; Lenz in Michalski, 1. Aufl. 2002, Rz. 15; dagegen etwa noch Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 18. Aufl. 2006, Rz. 10. 75 Otte, BB 2009, 344, 345. 76 Richtlinie (EU) 2017/1132, ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46, die die Richtlinie 2009/101/EG, ABl. Nr. L 258 v. 1.10.2009, S. 11, und ihre Ergänzung (Richtlinie 2003/58/EU, ABl. EU Nr. L 221 v. 4.9.2003, S. 13) ersetzt. 77 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43. 78 Lenz in Michalski u.a., Rz. 15; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6. 79 Begr. RegE MoMiG zu § 35a, BT-Drucks. 16/6140, S. 104. 80 Kögel, 1993, 8, 9. 81 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 6; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 26; einschränkend: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52. 82 Bärwaldt/Schabacker, AG 1996, 461, 463 sowie die Zusammenstellung in EuZW 1992, 528. 83 Bärwaldt/Schabacker, AG 1996, 461.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 183
§ 35a Rz. 32 | Angaben auf Geschäftsbriefen richt die Vorlage eines aktuellen Geschäftsbriefbogens nicht im Wege des Zwangsgeldverfahrens erzwingen können84. Fehlen die vorgeschriebenen Angaben, so werden in dem Geschäftsbrief enthaltene Willenserklärungen nicht unwirksam. § 35a ist keine Formvorschrift i.S.v. § 125 BGB. Zu erwägen ist jedoch, ob ein Anfechtungsgrund gegeben ist85. Darüber hinaus kommt es im Verwaltungsverfahren in Betracht, ein Widerspruchsschreiben, das die nach § 35a erforderlichen Angaben nicht enthält, nicht als Widerspruch der Gesellschaft selbst anzusehen86. Berufsrechtliche Sanktionen gegen den GmbH-Geschäftsführer wie ein Verweis oder die Auferlegung einer Geldbuße kommen ebenfalls in Betracht, da die Einhaltung wichtiger Formvorschriften der Pflicht des Geschäftsführers zur gewissenhaften Berufsausübung unterliegt87. 33 § 35a ist zugleich Schutzgesetz i.S.d. § 823 BGB88. Schadensersatzansprüche können sich
nicht nur ergeben, wenn die entsprechenden Angaben fehlen, sondern auch, wenn die betreffenden Angaben falsch oder unvollständig sind. Die Verletzung kann auch zu Ansprüchen aus Verschulden bei Vertragsschluss89, § 311 Abs. 2 BGB, gegen die Gesellschafter und die Geschäftsführer – und ggf. auch aus Rechtsscheinhaftung90 führen. Denkbar erscheint auch die Versagung der Einrede der Verjährung wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben91.
2. Haftung der Handelnden 34 Wer für eine GmbH auftritt, ohne deren Rechtsform offenzulegen, haftet in Analogie in § 179
Abs. 1 1. Alt. BGB persönlich92. Eine Privilegierung nach § 179 Abs. 2 BGB lehnt die Rechtsprechung ab. Begründet wird die Haftung der Handelnden mit dem Vertrauen Dritter in 84 So wenig überzeugend OLG Frankfurt a.M. v. 14.7.2015 – 20 W 257/13, GmbHR 2016, 366. 85 LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, WM 1990, 1872 = GmbHR 1991, 23; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 30. 86 OVG Berlin-Brandenburg v. 13.10.2009 – OVG 11 S 51.09, BeckRS 2009, 40105 = Juris für den Fall einer GmbH i.L. 87 LG Bremen v. 27.5.2014 – 2 StL 1/12, DStR 2014, 2096. 88 LG Detmold v. 20.10.1989 – 9 O 402/89, GmbHR 1991, 23; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52; ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, § 80 Rz. 22; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 31 und, soweit es um den Rechtsformzusatz geht, Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2836. 89 LG Heidelberg v. 31.5.1996 – 8 O 2/96 GmbHR 1997, 446; LG Frankfurt a.M. v. 26.4.2001 – 2/24 S 342/00, 2-24 S 342/00, NJW-RR 2001, 1425; Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2836; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 8; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 90 LG Heidelberg v. 31.5.1996 – 8 O 2/96, GmbHR 1997, 446; BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953: Haftung des handelnden GmbH-Geschäftsführers analog § 179 Abs. 1 BGB, wenn er durch das Weglassen des Rechtsformzusatzes beim Geschäftsgegner den Eindruck erweckt hat, ihm hafte eine natürliche Person unbeschränkt; enger hingegen LG Düsseldorf v. 16.10.2013 – 9 O 434/12, ZIP 2014, 1174, 1175 f. = GmbHR 2014, 33: keine persönliche Haftung bei Verwendung der Bezeichnung „UG“ ohne den Zusatz „(haftungsbeschränkt)“; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; kritisch gegenüber der allgemeinen Rechtsscheinhaftung Klein, NJW 2015, 3607, 3609 ff.; Pietzarka, GmbHR 2017, 73, 77; vgl. auch Beurskens, NZG 2016, 681, 686, der sich für eine Analogie zu § 11 Abs. 2 ausspricht; eingehend zu den verschiedenen Haftungsmöglichkeiten bei fehlendem oder fehlerhaftem Rechtsformzusatz Beck, ZIP 2017, 1748. 91 LG Frankfurt a.M. v. 26.4.2001 – 2/24 S 342/00, NJW-RR 2001, 1425; Beurskens in Baumbach/ Hueck, Rz. 30; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 92 BGH v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 222; BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 16; BGH v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, GmbHR 1982, 154 = NJW 1981, 2569; Beck, ZIP 2017, 1748; Klein, NJW 2015, 3607; Pietzarka, GmbHR 2017, 73; kritisch Beurskens, NZG 2016, 681.
184 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Angaben auf Geschäftsbriefen | Rz. 36 § 35a
die Rechtsform und ihr gebundenes Vermögen. Die Haftung erstreckt sich auf jeden Handelnden, also nicht nur auf die vermeintlichen Organmitglieder93.
3. Unlauterer Wettbewerb Streitig ist, ob das Fehlen von Pflichtangaben auf Geschäftsbriefen einen Wettbewerbsverstoß, 35 und zwar gegen § 3a UWG, darstellt94. Dafür spricht, dass die Pflicht zu den vorgeschriebenen Angaben nicht nur auf einer Ordnungsvorschrift beruht. Die Transparenz der Identität des Absenders hat insbesondere Bedeutung für den Wettbewerb. Im Zweifel greift die Bagatellgrenze des § 3 UWG95. Diese dürfte jedenfalls dann nicht überschritten sein, wenn dem Empfänger die nach § 35a erforderlichen Angaben im Rahmen einer bestehenden Geschäftsbeziehung im Wesentlichen bekannt wurden96. Für die Frage lassen sich unter Berücksichtigung der UWG-Novelle97 neue Erkenntnisse gewinnen98. Neben einem Verstoß gegen § 3a UWG kann durch das Unterlassen der Pflichtangaben – zu- 36 mindest in Fällen des Angebots von Waren und Dienstleistungen gegenüber Verbrauchern99 – auch eine unlautere Handlung durch irreführendes Unterlassen i.S.v. § 5a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 Nr. 2 UWG vorliegen. Danach handelt unlauter, wer die Entscheidung eines Verbrauchers durch Vorenthalten einer – für den Verbraucher – wesentlichen Information beeinflusst, § 5a Abs. 2 UWG. Als wesentlich gilt dabei auch die Information über die Identität des Unternehmers, § 5a Abs. 3 Nr. 2 Alt. 1 UWG. Durch § 5a Abs. 2 UWG soll, in Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG100, gewährleistet werden, dass der Verbraucher eine an wesentlichen Informationen ausgerichtete geschäftliche Entscheidung treffen kann. Die Vorschrift begründet also keine generelle Informationspflicht, sondern verpflichtet grundsätzlich allein zur Offenlegung solcher Informationen, die für die geschäftliche Entscheidung erhebliches Gewicht haben und deren Angabe unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen vom Unternehmer erwartet werden kann101. Die Identität des Absenders eines Geschäftsbriefs ist dabei ebenso wesentlich wie etwa die Angabe der Identität desjenigen, der ein Produkt bewirbt.
93 LG Frankfurt a.M. v. 26.4.2001 – 2/24 S 342/00, NJW-RR 2001, 1425; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 94 Dafür LG Bonn v. 22.6.2006 – 14 O 50/06, BeckRS 2006, 10375 = Juris (zu § 35a); Krebs in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 37a HGB Rz. 12; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57; Rath/Hausen, K&R 2007, 113, 114; Maaßen/Orlikowski-Wolf, BB 2007, 561, 564; dagegen KG v. 26.2.1991 – 5 U 466/91, 5 W 467/91, GmbHR 1991, 470; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; Lenz in Michalski u.a., Rz. 12; offen gelassen OLG Düsseldorf v. 6.5.2003 – 20 U 174/02, GRUR-RR 2004, 25 = NJW-RR 2004, 41; nach OLG Köln v. 28.4.2017 – 6 U 152/16, GmbHR 2017, 983, 985 stellt § 325 HGB keine Marktverhaltensregelung i.S.d. § 3a UWG dar. 95 Vgl. Hoeren, MittdtschPatAnw 2012, 351, 359; Maaßen/Orlikowski-Wolf, BB 2007, 561, 564 f. 96 OLG Hamburg v. 12.9.2007 – 5 U 208/06, BeckRS 2008, 02754 = Juris. 97 Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 2.12.2015, BGBl. I 2015, 2158. 98 S. auch Maaßen/Orlikowski-Wolf, BB 2007, 561; zurückhaltend aber Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 99 Begr. RegE für ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, BTDrucks. 16/10145, S. 49. 100 Richtlinie 2005/29/EG vom 11.5.2005, ABl. EU Nr. L 149 v. 11.6.2005, S. 22. 101 BGH v. 16.5.2012 – I ZR 74/11, WM 2013, 949.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 185
§ 35a Rz. 37 | Angaben auf Geschäftsbriefen 37 Wettbewerbsrechtlich relevant sind insbesondere die zusätzlichen (doppelten) Pflichtanga-
ben, die inländische Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften machen müssen. Denn die Ergänzung des § 35a in Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 2 dient nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich der Stärkung der Transparenz und des Gläubigerschutzes sowie der Gleichbehandlung deutscher Gesellschaften mbH mit Auslandsgesellschaften102. Der Empfänger eines Geschäftsbriefs soll erkennen können, wer, in welchem Staat und in welcher Organisationsform hinter der „im inländischen Gewande“ auftretenden Zweigniederlassung steht. 38 Die Transparenz der Identität des Absenders hat heute nicht mehr nur „auch“ Bedeutung
für den Wettbewerb. Vielmehr ist die Kenntnis über die genaue Identität des Geschäftspartners zu einem maßgeblichen Wettbewerbsfaktor geworden.
102 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 43.
186 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
§ 36 Zielgrößen und Fristen zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern Die Geschäftsführer einer Gesellschaft, die der Mitbestimmung unterliegt, legen für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer Zielgrößen fest. Die Zielgrößen müssen die für die jeweilige Führungsebene angestrebte Anzahl der Frauen und den angestrebten Frauenanteil an der jeweiligen Führungsebene beschreiben. Legen die Geschäftsführer für den Frauenanteil auf einer der Führungsebenen die Zielgröße Null fest, so haben sie diesen Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen. Liegt der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgrößen unter 30 Prozent, so dürfen die Zielgrößen den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten. Gleichzeitig sind Fristen zur Erreichung der Zielgrößen festzulegen. Die Fristen dürfen jeweils nicht länger als fünf Jahre sein. Eingefügt durch Gesetz vom 24.4.2015 (BGBl. I 2015, 642). Durch das Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG II) ist geplant, nach Satz 1 die hier kursiv gesetzten Sätze 2 bis 4 einzufügen. Zum Zeitpunkt der Drucklegung stand die Verabschiedung noch bevor. Die Kommentierung nimmt bereits Bezug auf den neuen Gesetzestext. I. II. III. 1. 2. IV. 1. 2. V. 1.
Der Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Verfassungsrechtliche Vorbehalte? . . . 5 Der Anwendungsbereich Gesetzliche Mitbestimmungen . . . . . . . 6 Konzernunternehmen . . . . . . . . . . . . . . 7 Die Pflichten der Geschäftsführer Konzernfreie Gesellschaften . . . . . . . . . 8 Weisungen der Gesellschafter . . . . . . . . 11 Die Zielgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Ermittlung des Ist-Zustands . . . . . . . . . 13
2. 3. 4. 5. 6. VI.
Ermittlung der Zielgrößen . . . . . . . . . . Die beiden Führungsebenen . . . . . . . . . Konkretisierung der Zielgrößen . . . . . . Die Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernunternehmen . . . . . . . . . . . . . . Erklärungen zur Unternehmensführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Veröffentlichungen . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Verhältnis zum AGG . . . . . . . . . . . . . .
15 18 21a 22 24 25 31 32 37
Schrifttum: DAV, Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, NZG 2014, 1214; Franzmann, Praxisfragen der Frauenquote, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, Bd. 21 2016, S. 97; Fromholzer/Simons, Die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Aufsichtsrat, Geschäftsleitung und Führungspositionen, AG 2015, 457; Göpfert/Rottmeier, Frauenquote aus arbeitsrechtlicher Sicht, ZIP 2015, 670; Habersack/Kersten, Chancengleiche Teilhabe an Führungspositionen in der Privatwirtschaft – Gesellschaftsrechtliche Dimensionen und verfassungsrechtliche Anforderungen, BB 2014, 2819; Herb, Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen – Umsetzung in der Praxis, DB 2015, 964; Hohenstatt/Seibt, Geschlechter- und Frauenquote in der Privatwirtschaft, 2015; Hohenstatt/Willemsen/Naber, Zum geplanten Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe an Führungspositionen. Gut gemeint aber auch gut gemacht?, ZIP 2014, 2220; Jung, Herausforderung Frauenquote, DStR 2014, 960; Junker/Schmidt-Pfitzner, Quoten und Zielgrößen für Frauen (und Männer) in Führungspositionen, NZG 2015, 929; Kraack/Steiner, Der Widerspruch gegen die Gesamterfüllung der festen Geschlechterquote im Aufsichtsrat, ZIP 2018, 49; Leydecker/Bahlinger, Frauenquoten im Gesellschaftsrecht, NZG 2020, 1212; Löwisch, Zielgrößen für den Frauenanteil auf Führungsebenen: Beteiligung von Betriebsrat und Sprecherausschuss, BB 2015, 1909; Müller-Bonanni/Forst, Frauenquoten in Führungspositionen der GmbH, GmbHR 2015, 621; Ohmann-Sauer/Langemann. Der Referentenentwurf zur Einführung einer „gesetzlichen Frauenquote“, NZA 2014, 1120; Olbrich/Krois, Das Verhältnis von „Frauenquote“ und AGG, NZA 2015, 1288; Röder/Arnold, Geschlechterquoten und
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 187
§ 36 Rz. 1 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern Mitbestimmungsrecht – Offene Fragen der Frauenförderung, NZA 2015, 279; Röder/Arnold, Zielvorgaben zur Förderung des Frauenanteils in Führungspositionen, NZA 2015, 1281; Rotsch/Weniger, Geschlechterquote – Umsetzungsfragen für die Praxis, Der Konzern 2015, 298; Rubner/Leuering, Die Frauenquote im Unternehmen, NJW-Spezial 2015, 207; Schüppen/Walz, „Mitbestimmungslücke“ und mangelhafte Berichterstattung über die „Frauenquote“, WPg 2015, 1155; Schulz/Ruf, Zweifelsfragen der neuen Regelungen über die Geschlechterquote im Aufsichtsrat und die Zielgrößen für die Frauenbeteiligung, BB 2015, 1155; Seibert, Frauenförderung durch Gesellschaftsrecht – Die Entstehung des Frauenfördergesetzes, NZG 2016, 16; Seibt, Geschlechterquote im Aufsichtsrat und Zielgrößen für die Frauenbeteiligung in Organen und Führungsebenen in der Privatwirtschaft, ZIP 2015, 1193; Seidler, Fehlende, unvollständige oder falsche Angaben eines Unternehmens zur Frauenquote: Pflichten des Abschlussprüfers?, BB 2016, 939; Stüber, Der Referentenentwurf zum Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst im Überblick, CCZ 2014, 261; Stüber, Regierungsentwurf zur sog. „Frauenquote“ – eine Übersicht der Neuerungen, CCZ 2015, 38; Stüber, Die Frauenquote ist da – Das Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe und die Folgen für die Praxis, DStR 2015, 947; Stüber, Frauenquote: Der Praxisleitfaden und weitere aktuelle Entwicklungen, BB 2015, 2243; Teichmann/Rüb, Die gesetzliche Geschlechterquote in der Privatwirtschaft, BB 2015, 898; Thüsing/Fütterer, Führungsebene im Sinne des § 74 IV AktG, NZG 2015, 778; Wasmann/Rothenburg, Praktische Tipps zum Umgang mit der Frauenquote, DB 2015, 291; Weller/ Benz, Frauenförderung als Leitungsaufgabe, AG 2015, 467; Weller/Harms/Rentsch/Thomale, Der internationale Anwendungsbereich der Geschlechterquote für Großunternehmen, ZGR 2015, 361; Winter/ Marx/De Decker, Zielgrößen für den Frauenanteil in Führungspositionen bei mitbestimmten Unternehmen, DB 2015, 1331.
I. Der Normzweck 1 § 36 GmbHG, eine gesellschafts- und sozialpolitisch begründete Vorschrift, wurde zugleich
mit § 76 Abs. 4 AktG und § 9 Abs. 3 GenG durch Art. 15 Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG I) vom 24.4.2015 (BGBl. I 2015, 642) eingeführt. Die Vorschrift ist am 1.5.2015 in Kraft getreten1. Die praktischen Erfahrungen mit dieser Vorschrift sind noch beschränkt. Zur Orientierung haben die EAF Berlin und die KPMG unter Förderung durch die Bundesministerien für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie der Justiz und für Verbraucherschutz einen interessenorientierten Praxisleitfaden zum Gesetz 2015 veröffentlicht2. Dazu heißt es, der Leitfaden habe keine bindende Wirkung, er enthalte keine Kommentierung des Gesetzes und er beschreibe auch keine Verwaltungspraxis. Der Praxisleitfaden wolle lediglich konkrete Hinweise zur Festlegung der Zielgrößen für Frauen in Führungspositionen geben. 2 Ausgangspunkt für die Einführung der Vorschrift war die Beobachtung, dass bisher der An-
teil weiblicher Führungskräfte in Spitzenpositionen der deutschen Wirtschaft und der Bundesverwaltung gering war. Sie widerspreche, so heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung, „einer geschlechtergerechten Teilhabe an verantwortungsvollen Positionen in der deutschen Wirtschaft“3. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Satz 3 GG hat der Staat die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Freiwillige Selbstverpflichtungen der Unternehmen hatten nicht die gewünschte Wirkung erzielt, den Frauenanteil an Führungspositionen zu erhöhen. Auch das Bundesgremienbesetzungsgesetz und das Frauenfördergesetz, jeweils aus dem Jahr 1994, sowie das Bundesgleichstellungsgesetz aus dem Jahr 2001 hatten im Bereich des öffentlichen 1 Zur Entstehung: Seibert, NZG 2016, 16. 2 Bei BMFSFJ abrufbar unter http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung4/Meldungen/Zielsi cher-Mehr-Frauen-in-Fuehrungspositionen/praxisleitfaden,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de, rwb=true.pdf; s. dazu Stüber, BB 2015, 2243. 3 BT-Drucks. 18/3784.
188 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 5 § 36
Dienstes des Bundes nicht die gewünschte Wirkung. Dabei ist die Zahl qualifizierter Frauen in den letzten Jahren stetig angestiegen. Ziel des Gesetzes ist es, den prozentualen Anteil an Frauen in Spitzenpositionen der Unternehmen zu fördern, und zwar in einem ersten Schritt durch eine flexible Frauenquote „in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer“. Denn es reiche nicht aus, nur den Frauenanteil im Vorstand bzw. bei den Geschäftsführern und dem Aufsichtsrat zu erhöhen. „Es müssen Frauen auch auf den Ebenen unterhalb des Vorstands gefördert werden.“4 Das Gesetz ist in wesentlichen Bereichen Symbolgesetzgebung. Das Gesetz begrenzt nicht 3 die Organisationsfreiheit bei der GmbH. Das Gesetz erfüllt seinen öffentlichen Auftrag, weil es die Unternehmen anhält, sich der gesellschaftlichen Diskussion zu stellen, „mittelfristig eine signifikante Erhöhung des Frauenanteils an Führungspersonen“ zu erreichen. Es enthält aber in begrenztem Umfang auch neue Pflichten. Dazu gehören fünf neue Informationspflichten in den Art. 3–19 des genannten Gesetzes. Zweifelhaft sind die Rechtsfolgen bei Verletzung des Verschlechterungsverbots. Teilweise wird 4 nämlich die Ansicht vertreten, dass die Zielgrößen nach § 36 den jeweils erreichten Frauenanteil in den Führungspositionen nicht unterschreiten dürften. Dies hätte zur Folge, dass die Gesellschaft einen Arbeitsplatz nur noch mit weiblichen Arbeitnehmern besetzen dürfte5. Dem ist nicht zu folgen (s. dazu Rz. 36). Das FüPoG I soll durch das Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die 4a gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG II)6 ergänzt werden. Vorgesehen ist, nach § 36 Satz 1 folgende Sätze einzuführen: „Die Zielgrößen müssen die für die jeweilige Führungsebene angestrebte Anzahl der Frauen und den angestrebten Frauenanteil an der jeweiligen Führungsebene beschreiben. Legen die Geschäftsführer für den Frauenanteil auf einer der Führungsebenen die Zielgröße Null fest, so haben sie diesen Beschluss klar und verständlich zu begründen. Die Begründung muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zugrunde liegen.“ Der am 6.1.2021 vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzentwurf ist zum Zeitpunkt der Kommentierung noch nicht endgültig beschlossen, mit seiner Verabschiedung ist aber zu rechnen. Vorgesehen sind u.a. in der mitbestimmten GmbH weitergehendende Beschreibungs- und Begründungspflichten für die Geschäftsführer für die nach dem FüPoG I bestimmten Zielgrößen (s. Rz. 21a-c).
II. Verfassungsrechtliche Vorbehalte? Verfassungsrechtliche Vorbehalte gegenüber dem genannten Gesetz im Allgemeinen und ge- 5 genüber § 36 sind nicht begründet; denn das Gesetz handelt nur von Zielgrößen, die nicht unter 30 Prozent für Frauen liegen sollen. § 36 enthält daher eine flexible Regelung unter Beachtung der Entscheidungsfreiheit der Gesellschaft und der zuständigen Organe. Bedenklich könnte nur die Verletzung der Geschlechterneutralität sein7.
4 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119; sehr kritisch Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 2. 5 So Buck/Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 4. 6 Zweites Führungspositionsgesetz (FüPoG II), Veröffentlichung des BMFSFJ vom 6.1.2021, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/blob/164128/e8fc2d9afec92b9bd424f89ec28f2e5b/gesetzentwurf-aende rung-fuepog-data.pdf. 7 So Habersack/Kersten, BB 2014, 2819, 2828; Altmeppen, 10. Aufl., Rz. 5; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 461; wie hier Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 189
§ 36 Rz. 5 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern Verfassungsrechtlich unbedenklich ist die Anwendung von § 36, wenn und weil Frauen nicht allein wegen ihres Geschlechts vorgezogen werden, sondern auch andere berufsqualifizierende Merkmale bei der Förderung berücksichtigt werden8. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre nur eine gesetzliche Pflicht zur Bevorzugung von Frauen bei gleicher Qualifikation. Das verlangt aber § 36 nicht. § 36 rechtfertigt nicht, Frauen nur wegen ihres Geschlechts zu bevorzugen. Männer werden daher nicht diskriminiert.
III. Der Anwendungsbereich 1. Gesetzliche Mitbestimmungen 6 Der Anwendungsbereich von § 36 ist auf inländische Gesellschaften beschränkt, wenn sie
der gesetzlichen Mitbestimmung unterliegen. Das sind Gesellschaften, die nach dem DrittelbG, dem MitbestG 1976, dem Montan-MitbestG oder dem MitbestErgG mitbestimmt sind. Das sind Gesellschaften mit in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmern. GmbHs mit in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmern sind daher nicht im Anwendungsbereich des § 36. Nicht im Anwendungsbereich liegen zudem Gesellschaften, die aus anderen gesetzlichen Gründen, z.B. nach § 18 Abs. 2 KAGB, einen Aufsichtsrat zu bilden haben, aber nicht mitbestimmt sind. Das Entsprechende gilt für Unternehmen, die auf freiwilliger Basis Arbeitnehmervertreter in die Aufsichtsräte aufgenommen haben. Maßgebend ist jeweils der „SollZustand“. Nicht entscheidend ist auf der anderen Seite, dass die Gesellschaften in der Praxis auch einen mitbestimmten Aufsichtsrat gebildet haben9; denn § 36 Satz 1 spricht nur davon, dass die Gesellschaft der Mitbestimmung „unterliegt“ und nicht davon, dass ein Aufsichtsrat in der Praxis auch tatsächlich gebildet und Arbeitnehmervertreter auch in den Aufsichtsrat aufgenommen wurden. Ferner fallen nicht in den Anwendungsbereich des § 36 Gesellschaften, die nur kraft Vereinbarung Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat aufnehmen. Dazu gehören auch Gesellschaften nach dem Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG), es sei denn, § 1 Abs. 2 Satz 2 MgVG i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 2 MgVG kommen zur Anwendung. Entfallen die Voraussetzungen für eine gesetzliche Mitbestimmung, entfällt auch die Verpflichtung zur Bestimmung von Zielgrößen. Einer ausdrücklichen Aufhebung der Quotenfestsetzung bedarf es in diesem Fall nicht10.
2. Konzernunternehmen 7 Bezugsgröße für die Festlegung der Zielgrößen ist bei Bestehen eines Konzerns nur das ein-
zelne Konzernunternehmen. Konzernunternehmen können gesetzlich mitbestimmt sein, auch wenn sie selbst keine Arbeitnehmer haben. Dazu gehören nach § 5 MitbestG auch GmbHs, denen die Arbeitnehmer der Tochter- und Enkelgesellschaften zugerechnet werden. Auch solche Gesellschaften haben für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer Zielgrößen festzulegen. Das Entsprechende gilt für die Komplementär-GmbH, denen die Arbeitnehmervertreter der KG nach § 4 MitbestG zugerechnet werden. Eine Zusammenfassung der Zielgrößen ist im Konzern nicht vorgesehen11.
8 9 10 11
Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Müller-Bonanni/Forst, GmbHR 2015, 621, 624. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Schüppen/Walz, WPg 2015, 1157. A.A. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 4. EAF Berlin und KPMG, Praxisleitfaden 2015, S. 12; Schulz/Ruf, BB 2015, 1155, 1161; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5.
190 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 11 § 36
IV. Die Pflichten der Geschäftsführer 1. Konzernfreie Gesellschaften Nach § 36 Satz 1 legen die Geschäftsführer für den Frauenanteil in den beiden Führungsebe- 8 nen unterhalb der Geschäftsführer Zielgrößen fest. Diese Aufgabe ist den Geschäftsführern als Gemeinschaftsaufgabe persönlich auferlegt. Eine Übertragung der Aufgabe an einen einzelnen Geschäftsführer im Wege der Ressortzuweisung oder gar die Delegation auf nachgeordnete Mitarbeiter ist unzulässig. Vielmehr müssen alle Geschäftsführer der Festlegung der Zielgrößen zustimmen12. Das schließt eine Vorbereitung der Maßnahmen durch einen einzelnen Geschäftsführer oder durch nachgeordnete Mitarbeiter nicht aus. Der Betriebsrat ist an der Aufstellung von Zielgrößen nicht zu beteiligen. § 95 BetrVG ist 9 nicht anwendbar; denn es geht nicht um eine „Auswahlrichtlinie“. Auch § 92 Abs. 1, 3 BetrVG greift nicht, wenn auf der Führungsebene lediglich leitende Angestellte in den Blick zu nehmen sind. Sind in der zweiten Führungsebene auch nicht leitende Mitarbeiter beschäftigt, so ist der Betriebsrat zu informieren. Und die angestrebte Zielfestlegung ist mit dem Betriebsrat nach § 92 Abs. 2 BetrVG zu beraten. Ein Mitbestimmungsrecht besteht nicht13. Dagegen ist der Sprecherausschuss an der Aufstellung der Zielgrößen in die Beschlussfassung einzubinden14. Die Aufgabe, Zielgrößen für den Frauenanteil festzulegen, ist zwar nach dem Wortlaut des 10 § 36 den Geschäftsführern auferlegt. Die Bestimmung der Zielgrößen gehört aber zu den wesentlichen Aufgaben der Unternehmensleitung. Hierfür sind in der Regel die Gesellschafter zuständig und nicht die Geschäftsführer. Der zu veröffentlichende Entscheid hat für die Gesellschafter nicht nur Symbolcharakter, sondern ist für die Anerkennung der Gesellschaft im Markt, für die Mitarbeiter und die weitere Entwicklung der Gesellschaft und deren Zukunft von grundsätzlicher Bedeutung. Es ist daher die Pflicht der Geschäftsführer, die Richtlinien den Gesellschaftern zur Diskussion und zur Beschlussfassung vorzulegen15. Dabei können die Gesellschafter auch von der Vorlage der Geschäftsführer abweichen. Sie sind aber zur Beschlussfassung verpflichtet16.
2. Weisungen der Gesellschafter Die Festlegung der Zielgrößen ist eine wesentliche Maßnahme der Geschäftsführung und 11 nicht Teil der Unternehmenspolitik. Zulässig ist daher auch eine Weisung der Gesellschafter. Damit können die verbliebenen Ermessensspielräume von den Gesellschaftern ausgeschöpft werden, wenn sie dies wünschen. Allerdings sind auch die Gesellschafter an die nach § 36 zwingenden gesetzlichen Vorgaben gebunden. Für den Weisungsbeschluss der Gesellschafter genügt die einfache Mehrheit.
12 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Altmeppen, 10. Aufl., Rz. 6; a.A. Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 5: Delegation ist unzweifelhaft möglich. 13 Müller-Bonanni/Forst, GmbHR 2015, 621, 626. 14 Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 5; Löwisch, BB 2015, 1909, 1910. 15 A.A. Altmeppen, 10. Aufl., Rz. 10; wie hier: DAV: Stellungnahme zum Referentenentwurf NZG 2014, 1214, 1228, Rz. 149; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7. 16 A.A. Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 191
§ 36 Rz. 12 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern
V. Die Zielgröße 12 Konkretisiert wird die Mindestzielgröße und die in Zukunft zu erreichende Quote in § 36
nicht17. Auszugehen ist vielmehr davon, dass die Geschäftsführer ein breites Ermessen bei Bestimmung der Zielgröße, dem Verfahren zur Bestimmung der Zielgröße, der Festlegung der Fristen usw. haben. Dabei ist eine Reihe von Fragen zu unterscheiden, wobei der Ermessensspielraum und die zwingenden gesetzlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich sind.
1. Ermittlung des Ist-Zustands 13 Die Geschäftsführer haben zunächst bezogen auf einen bestimmten Stichtag oder im Durch-
schnitt für einen bestimmten Zeitraum (Berichtszeitraum) den Ist-Zustand hinsichtlich der Beteiligung von Frauen zu ermitteln. Der EAF/KPMG Praxisleitfaden 2015 verlangt hierzu höchstambitioniert eine quantitative und qualitative Analyse. Dazu gehöre auch eine Simulation der Mitarbeiterentwicklung für die nächsten zehn Jahre18. Das ist jedenfalls für kleine und mittlere Unternehmen nicht zu begründen. 14 Dieser Ist-Zustand ist für jede Führungsebene getrennt und zwar nach Köpfen festzustellen.
Maßgebend ist, ob ein konkretes Arbeitsverhältnis besteht. Daher sind auch Teilzeit-Beschäftigte in vollem Umfang zu berücksichtigen19, aber auch Frauen im Mutterschutz und Leiharbeiter. Dabei kommt auch in Betracht, dass eine Mitarbeiterin beiden Führungsebenen in vollem Umfang zugerechnet wird, wenn ihr mehrere Aufgaben zugeteilt sind.
2. Ermittlung der Zielgrößen 15 Das Gesetz verlangt keinen zwingenden Mindestanteil an Frauen. Auch ist keine Mindest-
größe als Ausgangspunkt festgelegt. Daher kann eine Gesellschaft die Zielgröße in Zahlen oder in Prozentzahlen bestimmen. Die Angabe einer Bandbreite soll nicht ausreichen20. Sie kann auch damit beginnen, zunächst keinen Frauenanteil auszuweisen21, und die Gesellschaft kann es dabei z.B. aus Gründen des Unternehmensgegenstands oder aus religiösen Gründen auch belassen. In der Regel gilt aber das Folgende: – Liegt der Frauenanteil in der ersten oder zweiten Führungsebene unterhalb der Geschäftsführer im Zeitpunkt der Festlegung der Zielgröße unter 30 Prozent, so dürfen die festzulegenden Zielgrößen nicht mehr hinter dem bereits erreichten Zustand (status quo) zurückbleiben; denn es gilt das Verschlechterungsverbot. – Liegt der Frauenanteil dagegen im Zeitpunkt der Festlegung bei 30 Prozent oder darüber, darf die festzulegende Zielgröße für die entsprechende Führungsebene den erreichten Wert wieder unterschreiten. Wenn allerdings der tatsächliche Frauenanteil unter 30 Prozent fällt, gilt wieder das Verschlechterungsverbot. Die dann festzulegende Zielgröße darf nicht weiter zurückfallen. § 36 Satz 222 sagt lediglich, dass der erreichte Anteil in der Folgezeit nicht unterschritten werden darf. Keine Rechtsfrage ist es, ob eine Gesellschaft damit im Markt bestehen kann.
17 18 19 20 21
Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 119. EAF/KPMG Praxisleitfaden 2015, S. 14. Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Müller-Bonanni/Forst, GmbHR 2015, 621, 623. Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 14. A.A. Teichmann/Rüb, BB 2015, 902; wie hier: Altmeppen , 10. Aufl., Rz. 8; Noack in Baumbach/ Hueck, Rz. 11; vermittelnd: Weller/Benz, AG 2015, 471. 22 Nach Verabschiedung des FüPoG II Satz 5 (s. Rz. 4a).
192 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 19 § 36
Den Geschäftsführern steht es daher frei festzulegen, ob der Frauenanteil stagnieren oder ge- 16 steigert werden soll. Sie haben hierbei einen weiten Ermessensspielraum23. Sie können von einer Steigerung absehen oder auch die Steigerung in gemächlichen Schritten oder zügig vorsehen. Entscheidend ist nur, dass der einmal erreichte Frauenanteil nicht mehr unterschritten werden darf. Das ist nicht ganz unproblematisch, weil das Rückschrittsverbot die Geschäftsführer davon abhalten kann, den Frauenanteil zügig voranzutreiben. Eine Begründung oder eine Erklärung gegenüber den Mitarbeitern sind für die Förder- 17 richtlinie nicht erforderlich. Begründungspflichtig sind aber künftige Abweichungen vom ursprünglichen Vorschlag, § 289f Abs. 2 Nr. 5 HGB.
3. Die beiden Führungsebenen Im RegE BT-Drucks. 18/3784, S. 119 heißt es, für die Festlegung der beiden Führungsebenen 18 unterhalb der Geschäftsführer gehe es nicht um die Definition „nach betriebswirtschaftlichen Lehren“. Gemeint seien vielmehr die tatsächlichen im konkreten Unternehmen eingerichteten Hierarchieebenen unterhalb der Geschäftsführer. Dabei handelt es sich um die organisatorischen Einheiten, welche zueinander erstens gleichberechtigt und zweitens einer gemeinsamen Führung untergeordnet sind. Maßgebend ist die jeweilige Gesellschaft und nicht etwa der Konzern oder die Unternehmensgruppe24. Für die Praxis heißt das, dass es eine Vielfalt von „Abgrenzungsvarianten“ gibt, „die von den tatsächlichen Führungsstrukturen geprägt sind“25. – Bei einer vielstufigen Hierarchie sind damit nur die beiden Ebenen gemeint, die dem Geschäftsführer unmittelbar unterstehen. Sie müssen Führungsaufgaben wahrnehmen, also in die Planung und Strategie des Unternehmens eingebunden sein. – Bei flachen Hierarchien, also solchen Hierarchien, bei denen es unterhalb der Geschäftsführer nur eine Führungsebene gibt, bezieht sich die Verpflichtung nur auf diese Ebene26. Sie kann auch aus einer einzelnen Person bestehen. Bei einer Matrix-Organisation gehören zur ersten Hierarchieebene unter den Geschäftsführern die Leitungsfunktionen, die sich unmittelbar gegenüber den Geschäftsführern verantworten. – Sind in einem Konzern die Führungsebenen über die rechtliche Organisationsstruktur hinweg ausgestaltet, besteht eine „gesellschaftsüberspannende Unternehmensorganisation“27, so können auch die Führungsebenen nach § 36 die Rechtsform überschreiten. – Bestehen unterhalb der Geschäftsführer keine Führungsebenen, so ist streitig, ob Zielgrößen festzulegen sind28. Aus dem Wortlaut nach dem Sinn des Gesetzes lässt sich dies nicht ableiten. Das bedeutet, dass die einzelnen Führungsebenen nicht getrennt betrachtet werden. Festzule- 19 gen ist jeweils getrennt für jede Führungsebene eine eigene Zielgröße. Diese Zielgröße kann allerdings für beide Führungsebenen identisch sein. Entscheidend ist, dass eine Gesamtbetrachtung beider Führungsebenen unzulässig ist. Im Ergebnis ist freilich ein großer Spielraum bei der Festlegung der Führungsebenen zugestanden29.
23 24 25 26 27 28
Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6. BT-Drucks. 18/4227, S. 21. Franzmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, S. 106. Noack in Baumbach/Hueck, Rz. 8; krit. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4. Franzmann in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2015, S. 106. Dagegen Schulz/Ruf, BB 2015, 1155, 1160; Fromholzer/Simons, AG 2015, 457, 460; Wasmann/Rothenburg, DB 2015, 291, 294. 29 Beschlussempfehlung BT-Drucks. 18/4227, S. 21; Junker/Schmidt-Pfitzner, NZG 2015, 929, 935.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 193
§ 36 Rz. 20 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern 20 Hat das Unternehmen keine oder nur eine Führungsebene unterhalb der Geschäftsführer, so
sind die Geschäftsführer nach § 36 nicht verpflichtet, zwei Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer einzurichten30. Maßgebend für die Anwendung der Vorschrift ist vielmehr die konkrete Ausgestaltung der Gesellschaft; und diese konkrete Ausgestaltung ist in den Zielgrößen zugrunde zu legen. 21 Ist die Gesellschaft eine Konzerngesellschaft, so sind für jedes einzelne Konzernunterneh-
men die Zielgrößen getrennt zu bestimmen31. Das bedeutet, dass nur auf die Führungskräfte abzustellen ist, die Mitarbeiter der Gesellschaft sind. Eine Konsolidierung findet nicht statt. Es gibt auch keinen Befreiungstatbestand etwa in der Weise, dass die nachgeordneten Tochtergesellschaften von der Verpflichtung zur Aufstellung von Zielgrößen befreit sind, weil bereits die Konzernholding entsprechende Pläne hat. Bei der Erstellung der Zielgrößen kann sich aber jedes Konzernunternehmen mit Rücksicht auf die Lage im Konzern abstimmen.
4. Konkretisierung der Zielgrößen 21a Durch den mit dem FüPoG II (s. Rz. 4a) geplanten § 36 Satz 2 ist vorgesehen, dass die Ziel-
größen der für die jeweilige Führungsebene angestrebten Zahl der Frauen und der angestrebte Frauenanteil durch die Geschäftsführer beschrieben werden müssen. Diese Begründungspflicht entspricht § 76 Abs. 4 Satz 1 AktG, ebenfalls geplant durch das FüPoG II. In der Praxis waren bislang Prozentangaben üblich und sinnvoll. Sie sind aber künftig nicht mehr ausreichend32. Verlangt ist vielmehr von den Geschäftsführern die Beschreibung einer kurz- und mittelfristigen Organisationsplanung sowie die Beschreibung der Personalentwicklung und des Personals – insbesondere der Frauenförderung. Dazu gehört die Nennung der geplanten Gesamtzahl der weiblichen Führungskräfte und der geplante Zeitpunkt der Berufung. Sollte das Unternehmen zwischenzeitlich neue Führungskräfte einstellen, ist der zu nennende Frauenanteil anzupassen. 21b Eine konkrete Namensnennung der zukünftig zu bestellenden Frauen ist nicht verlangt, eben-
so wenig deren Information. Die Organisationsfreiheit der Gesellschafter und der Geschäftsführer wird durch diese Regelungen nicht beschränkt33. 21c Eine weitergehende Begründungspflicht ist in § 36 Satz 3 vorgesehen. Die Vorschrift ent-
spricht § 76 Abs. 4 Satz 2 AktG, ebenfalls geplant durch das FüPoG II. Legen die Geschäftsführer etwa bei einer Großschlachterei für den Frauenanteil auf Führungsebene die Zielgröße Null fest, so ist dies klar und verständlich zu begründen. Entscheidend ist alleine der Wille der Geschäftsführer. Sozialpolitisch nachvollziehbar muss die Begründung nicht sein. Dies gilt auch, wenn sich das Unternehmen keine Ziele setzt34. Die Begründung (Rechtfertigungszwang) muss ausführlich die Erwägungen darlegen, die der Entscheidung zu Grunde liegen. Zu denken ist etwa daran, dass die derzeit männlichen Geschäftsführer auf Lebenszeit bestellt wurden und zeitnah nicht mit der Bestellung weiterer Geschäftsführer zu rechnen ist. Beruht der angestrebte Frauenanteil auf einer Vereinbarung des Geschäftsführers, so sind die Geschäftsführer zu befragen, damit die Ergänzungen dargelegt werden können. „Die inhalt-
30 31 32 33 34
Altmeppen, Rz. 7; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Teichmann/Rüb, BB 2015, 253. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5. Begr. RegE FüPoG II zu § 76 AktG. Altmeppen, 10. Aufl., Rz. 7; Teichmann/Rüb, BB 2015, 259, 263 und BB 2015, 898, 903. Leydecker/Bahlinger, NZG 2020, 1212, 1216.
194 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 26 § 36
liche Plausibilität und Überzeugungskraft der Begründung wird durch die interessierte Öffentlichkeit bewertet werden“.35
5. Die Fristen Nach § 5 Satz 1 EGGmbHG sind die Zielgrößen erstmals zum 30.9.2015 zu bestimmen. Die 22 Höchstfrist für die Bestimmung der Zielgrößen darf nach § 36 Satz 4 nicht länger als fünf Jahre sein. Sie sind in den Zielgrößen zu bestimmen und können nach Ermessen der Geschäftsführer festgesetzt werden. Zu bestimmen ist sodann der Zeitpunkt, bis zu dem die jeweiligen Zielgrößen erreicht sein sollen. Die veröffentlichte Frist ist keine Frist mit Sperrwirkung. Vielmehr können die Geschäfts- 23 führer auch vor Ablauf der Frist neue Zielgrößen veröffentlichen und damit die Zukunft einfangen.
6. Konzernunternehmen Ob eine GmbH, die ein Konzernunternehmen ist, in den Anwendungsbereich von § 36 fällt, 24 hängt davon ab, ob sie mitbestimmt ist. Ist dies der Fall, so haben die Geschäftsführer unabhängig davon, ob die GmbH herrschendes Unternehmen, Tochtergesellschaft oder Enkelgesellschaft ist, die Zielgröße für den Frauenanteil in beiden Führungsebenen festzulegen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Konzern zentral oder dezentral geführt wird und ob es sich um einen faktischen Konzern oder um einen Vertragskonzern handelt. Tochterund Enkelgesellschaften sind auch nicht deshalb freigestellt, weil auch die Holding verpflichtet ist, entsprechende Zielgrößen festzulegen.
VI. Erklärungen zur Unternehmensführung Nach § 289f Abs. 4 HGB sind GmbHs verpflichtet, in ihrem Lagebericht als gesonderten 25 Abschnitt eine Erklärung zur Unternehmensführung mit den Festlegungen und Angaben aufzunehmen und jährlich zu veröffentlichen. Zu berichten ist über die selbstgesetzten Zielgrößen und Umsetzungsfristen für den Frauenanteil, die Feststellung, ob die Zielgrößen erreicht wurden und wenn nicht, die Angabe der Gründe, weshalb die Zielgröße nicht erreicht wurde. Nicht vorgesehen ist eine Pflicht zur Zwischenberichterstattung36. Durch die Erklärung soll der Öffentlichkeit gezeigt werden, „ob und wie sich Unternehmen anstrengen, eine gerechte Teilhabe von Frauen und Männern in den Führungsebenen unterhalb des Vorstandes zu erreichen“37. Anzugeben ist, ob die nach § 36 festgelegte Zielgröße während des Bezugszeitraumes erreicht worden ist und wenn nicht, sind entsprechende Angaben zu den Gründen zu machen. Was den Inhalt betrifft, so ist zu unterscheiden: 26 – Ist im Berichtsjahr die von den Geschäftsführern gesetzte Frist nach § 36 Satz 4 und 5 nicht abgelaufen, so sind die konkret festgelegten Führungsebenen und die für diese festgeleg-
35 Begr. RegE FüPoG II zu § 76 AktG, S. 96, Veröffentlichung des BMFSFJ vom 6.1.2021, abrufbar unter https://www.bmfsfj.de/blob/164128/e8fc2d9afec92b9bd424f89ec28f2e5b/gesetzentwurf-aende rung-fuepog-data.pdf. 36 Grottel in Beck’scher Bilanz-Kommentar, 11. Aufl. 2018, § 289f HGB Rz. 87. 37 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/3784, S. 19.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 195
§ 36 Rz. 26 | Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern ten Zielgrößen zu veröffentlichen. Ein weitergehender Zwischenbericht ist nicht zu veröffentlichen. – Ist im Berichtsjahr die gesetzte Frist abgelaufen, so ist zu berichten, ob die gesetzlichen Zielgrößen erreicht wurden bzw. weshalb dies nicht der Fall war. Wurden die Zielgrößen erreicht, so ist dies nicht weiter zu begründen. Zu informieren ist lediglich darüber, welcher tatsächliche Frauenanteil erreicht wurde. 27 Anders ist die Lage, wenn die gesetzte Zielgröße nicht erreicht wurde. Dann sind die Gründe
anzugeben. Exemplarisch sind die fehlende Bewerbung von geeigneten Frauen, neue Entwicklungen im Markt und neue Anforderungen im Unternehmen. Eine Offenlegung der internen Beschlusslage im Unternehmen ist nicht geboten. Die Geschäftsführer müssen also nicht darüber Auskunft geben, welche internen Diskussionen stattfanden. 28 Die Erklärung zur Unternehmensführung und damit auch der Bericht über die Erlangung
der Zielgrößen ist nicht Teil der Abschlussprüfung. Sie erstreckt sich nicht auf kleine Gesellschaften, § 316 Abs. 1 Satz 1 HGB i.V.m. § 276 Abs. 1 HGB. Die Formulierung zur Begründung zum Regierungsentwurf38 ist weder vom Gesetzeswortlaut noch von der Diskussion vor Erlass des Gesetzes gedeckt. Wörtlich heißt es in der genannten Begründung zum RegE: „In Fällen der Nichterreichung hat der Vorstand allerdings nachvollziehbar darzulegen, was er unternommen hat und weshalb es keinen Erfolg hatte.“ 29 Die Abschlussprüfung erstreckt sich nur darauf, ob ein entsprechender Bericht durch die Ge-
schäftsführer vorgelegt wurde und ob dieser Bericht die notwendigen Teile enthält39. Fehlt es an einem entsprechenden Bericht, so ist dies in dem Prüfungsbericht zu vermerken, § 321 Abs. 2 Satz 2 HGB. Der Bestätigungsvermerk ist entsprechend einzuschränken, § 322 Abs. 4 HGB i.V.m. § 317 Abs. 2 Satz 3 HGB. 30 Für Konzerngesellschaften besteht die Möglichkeit, von der Pflicht zur Aufstellung eines
Jahresabschlusses und eines Lageberichts nach § 264 Abs. 3 HGB befreit zu werden. Damit entfällt auch die Pflicht nach § 289a HGB. Da in § 315 HGB nicht auf § 289a HGB verwiesen wird, sind für Konzerngesellschaften in dem von der Muttergesellschaft aufzustellenden Konzernlagebericht keine Angaben zu Zielgrößen und Umsetzungsfristen für Konzerngesellschaften zu machen.
VII. Veröffentlichungen 31 Kleine Gesellschaften im Sinne von § 267 Abs. 1 HGB sind verpflichtet, ihren Bericht zu den
Zielgrößen auf ihrer Internetseite zugänglich zu machen, § 289f Abs. 4 Satz 240 HGB. Sie können dies auch im Rahmen ihres freiwillig zu veröffentlichenden Lageberichts vornehmen, § 325 Nr. 1 HGB i.V.m. § 289f Abs. 4 Satz 341 HGB. Die anderen Gesellschaften haben den Bericht über die Zielgrößen als Teil der Erklärung zur Unternehmensführung im Bundesanzeiger zu veröffentlichen, § 325 Abs. 1 HGB. In Betracht kommt auch, den Bericht über die Zielgrößen auf die Internetseite zu stellen. § 289f Abs. 1 Satz 3 HGB verlangt, dass dieser Umstand im Lagebericht zu vermerken ist. 31a § 289f Abs. 2 Nr. 4 und 5 HGB sollen ebenfalls durch das FüPoG II neu gefasst werden
(Rz. 4a). Ziel ist eine bessere Übersichtlichkeit. Die Angabe der Begründungen bei Festlegung der Zielgröße Null zur Beteiligung von Frauen bei den Geschäftsführern soll gewährleisten,
38 39 40 41
BT-Drucks. 18/3784, S. 120. Seidler, BB 2016, 939. Nach Verabschiedung des FüPoG II Satz 3 (s. Rz. 4a). Nach Verabschiedung des FüPoG II Satz 4 (s. Rz. 4a).
196 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern | Rz. 38 § 36
dass die Entscheidung über den Frauenanteil durch eine breite Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann.
VIII. Rechtsfolgen Zu unterscheiden sind die Rechtsfolgen für die Gesellschaft einerseits und die Geschäftsfüh- 32 rer andererseits. Die Verletzung der Pflichten nach § 36, also insbesondere die fehlende oder fehlerhafte An- 33 gabe der Mindestgröße oder die fehlerhafte Angabe der Zielgrößen ist weder für die Gesellschaft noch für die Geschäftsführer mit entsprechenden Sanktionen, etwa einem Bußgeld, bedroht. Das Entsprechende gilt, wenn die Aufstellung eines Berichts über die Zielgrößen unterlassen, der Bericht fehlerhaft oder nicht fristgemäß aufgestellt wird. § 36 ist auch kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Die Durchsetzung der Pflich- 34 ten ist vielmehr eine gesellschaftliche Aufgabe. Sanktionen drohen erst, wenn die Gesellschaft ihren Rechtspflichten nicht nachkommt. Mit 35 Geldbuße bis zu 50000 € bedroht ist die Gesellschaft bei fehlerhafter Berichterstattung nach § 334 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 HGB i.V.m. § 289f Abs. 4 HGB. Ist die Erklärung durch die Geschäftsführer vorsätzlich unterlassen oder fehlerhaft abgegeben worden, so stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar. In schwerwiegenden Fällen ist die Begehung oder Unterlassung strafbar, § 331 Abs. 1 HGB. Zweifelhaft ist die Rechtslage, wenn die selbstgewählte Quote nicht erreicht wird. § 36 Satz 242 36 sagt, dass der Frauenanteil bei Festlegung der Zielgröße unter 30 Prozent den jeweils erreichten Anteil nicht mehr unterschreiten dürfe. Daraus wird abgeleitet, dass ein Arbeitsplatz bei Ausscheiden einer Arbeitskraft nur mit einer eben solchen wiederbesetzt werden dürfe. Das Entsprechende müsste gelten, wenn sich die Zahl der männlichen Arbeitskräfte erhöht und allein deshalb die selbstgewählte Quote nicht erreicht wird. Ein solcher Besetzungszwang widerspricht der Intention des Gesetzes.
IX. Verhältnis zum AGG Die Anwendung der Vorschriften des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG) wird durch 37 die Einführung des § 36 nicht ausgeschlossen43 Daraus folgt aber nicht, dass durch die Förderung und Erreichung der Zielgrößen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 Satz 1 AGG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG verletzt wird44; denn § 36 geht davon aus, dass es derzeit noch tatsächliche Benachteiligungen für Frauen auf der Führungsebene gibt. Wenn daher zugleich berufsqualifizierende Merkmale berücksichtigt werden, ist die entsprechende Frauenförderung aus Sicht des AGG unbedenklich45. Die Zielabweichung, also die Verfehlung der selbstgewählten Quote ist auch kein Indiz für 38 eine Verletzung des Benachteiligungsverbots nach § 22 AGG46, denn bei der Festlegung der Zielgröße, handelt es sich nur um eine unverbindliche Planung, die keine drittschützende Wirkung hat und auch keine Indizwirkung.
42 43 44 45 46
Nach Verabschiedung des FüPoG II Satz 5 (s. Rz. 4a). Olbrich/Krois, NZA 2015, 1288. S. dazu Rieble in Bork/Schäfer, Rz. 28. Ähnlich Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 30. Ebenso Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 19; Rieble in Bork/Schäfer, Rz. 26.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 197
§ 37 Beschränkungen der Vertretungsbefugnis (1) Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang ihrer Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind. (2) Gegen dritte Personen hat eine Beschränkung der Befugnis der Geschäftsführer, die Gesellschaft zu vertreten, keine rechtliche Wirkung. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Vertretung sich nur auf gewisse Geschäfte oder Arten von Geschäften erstrecken oder nur unter gewissen Umständen oder für eine gewisse Zeit oder an einzelnen Orten stattfinden soll, oder dass die Zustimmung der Gesellschafter oder eines Organs der Gesellschaft für einzelne Geschäfte erfordert ist. Text seit 1892 unverändert. I. Inhalt und Bedeutung der Vorschrift II. Der Inhalt der Geschäftsführung . . . . III. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Grundsätze der Unternehmenspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die laufende Geschäftsführung . . . . . a) Compliance als Aufgabe der Geschäftsführer aa) Legalitätspflicht als Kardinalspflicht der Geschäftsführer . . . . . bb) „Compliance“ als Organisationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ressortverantwortung und Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Wesentlicher Inhalt von Compliance-Managementprogrammen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Regulierte Unternehmen . . . . . . ff) Compliance im Konzern . . . . . . b) Risikomanagement . . . . . . . . . . . . . . 3. Ungewöhnliche Maßnahmen . . . . . . . . 4. Die Ausübung von Beteiligungsrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Organisationsrechtliche Akte . . . . . . . 6. Der Grundsatz der Satzungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Mehrere Geschäftsführer 1. Gesamtgeschäftsführung . . . . . . . . . . . 2. Einzelgeschäftsführung . . . . . . . . . . . . 3. Organinterne Information und Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ressortzuweisung/Geschäftsverteilung a) Durch Satzung oder Beschluss der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . .
198 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
1 2 4 5 12
14 17 21 23 26 27 28 34 40 42 43 46 49 51
54
b) Wirksamkeit und Grenzen zulässiger Geschäftsverteilung . . . . . . . . . c) Rechtsfolgen der Geschäftsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Grenzen für Geschäftsverteilung und Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Outsourcing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Vorsitzender der Geschäftsführung . . V. Beschränkungen der Geschäftsführung 1. Der Grundsatz der Weisungsabhängigkeit a) Durch Gesellschafter und Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Durch Dritte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kernbereich eigenverantwortlicher Geschäftsführung? a) Bei der mitbestimmungsfreien GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bei der mitbestimmten GmbH . . . . c) Mindestzuständigkeit des Arbeitsdirektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zustimmung durch Aufsichtsrat . . . 3. Schranken der Weisungsbefugnis . . . 4. Weisungen bei satzungsmäßigem Sonderrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Beschränkungen im Anstellungsvertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Geschäftsordnung der Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die organexterne Geschäftsordnung . 2. Die organinterne Geschäftsordnung . VII. Geschäftsführung im Konzern 1. Konzerngründung . . . . . . . . . . . . . . . .
59 62 68 69 72 73
75 81
84 87 91 97 98 104 105 109 112 116 118
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | § 37 2. Konzernleitung beim herrschenden Unternehmen a) Konzernpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Laufende Konzerngeschäftsführung 122 c) Konzernweite Mitverwaltungsrechte der Gesellschafter . . . . . . . . . . 125
VIII. Die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 IX. Die Außenwirkungen der Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 X. Einstweiliger Rechtsschutz . . . . . . . . . 130
Schrifttum (s. auch bei § 35): Arbeitskreis Externe und Interne Überwachung der Unternehmung der Schmalenbach-Gesellschaft, Köln, Compliance: 10 Thesen für die Unternehmensführung, DB 2010, 1509; Bacher/v. Blumenthal, Der Zustimmungsvorbehalt für Geschäftsführungsmaßnahmen in der Satzungsgestaltung, GmbHR 2016, 514; Bardorf, Der Gesellschaftereinfluss auf die GmbH-Geschäftsführung nach dem Mitbestimmungsgesetz, 1981; Boesebeck, Das Weisungsrecht der Gesellschafter einer GmbH, GmbHR 1960, 118; Brandner, Geschäftsführungsbefugnis, Unternehmensgegenstand und Unternehmenszweck, in FS Rowedder, 1994, S. 41; Buck-Heeb, Ressortaufteilung und Haftung von Geschäftsführern, BB 2019, 584; Ebert, Folgepflicht und Haftung des GmbH-Geschäftsführers beim Erhalt und bei der Ausführung von Weisungen, GmbHR 2003, 444; Eisenhardt, Zum Weisungsrecht der Gesellschafter in der nicht mitbestimmten GmbH, in FS Pfeiffer, 1989, S. 839; Esch, Weisungsrechte der Gesellschafter der GmbH & Co. KG, NJW 1988, 1553; Eufinger, Die Regresshaftung von Vorstand und Geschäftsführer für Kartellverstöße der Gesellschaft, WM 2015, 1265; Fleischer, Das unternehmerische Ermessen des GmbH-Geschäftsführers und seine GmbH-spezifischen Grenzen, NZG 2011, 521; Fleischer, Vorstandsverantwortlichkeit und Fehlverhalten von Unternehmensangehörigen, AG 2003, 291; Frühauf, Geschäftsleitung in der Unternehmenspraxis, ZGR 1998, 407; Fuhrmann, Internal Investigations: Was dürfen und müssen Organe beim Verdacht von Compliance-Verstößen tun?, NZG 2016, 881; Gieseke, Interessenkonflikte der GmbH-Geschäftsführer bei Pflichtenkollisionen, GmbHR 1996, 486; Geißler, Begrenzungen der Weisungsbindung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2009, 1071; Geißler, Der Geschäftsführer der vertraglich konzernierten GmbH im Spannungsfeld gefährdender Weisungen des herrschenden Unternehmens, GmbHR 2015, 734; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006; Haake, Zur Zuständigkeit des Arbeitsdirektors nach § 33 MitbestG für leitende Angestellte, BB 1983, 1490; Hammacher, Aus der Praxis eines Arbeitsdirektors, RdA 1993, 163; Hanau, Zur Zuständigkeit des Arbeitsdirektors (§ 33 MitbestG) für leitende Angestellte und Unternehmenssparten, ZGR 1983, 1490; Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance – Handbuch der Haftungsvermeidung von Unternehmen, 3. Aufl. 2016, 2. Abschn., Kap. 6 (S. 1226-1301 ff.); Hennrichs, Gesellschafterbeschlüsse über Geschäftsführungsmaßnahmen und Treupflicht, NZG 2015, 41; Henssler, Die Ernennung des Vorsitzenden der Geschäftsführung in der mitbestimmten GmbH, GmbHR 2004, 321; Henze/Lübke, „Virtuelle Reorganisation“ im mehrstufigen GmbH-Konzern, Der Konzern 2009, 159; Hölters, Die zustimmungspflichtigen Geschäftsführungsmaßnahmen im Spannungsfeld zwischen Satzungs- und Aufsichtsautonomie, BB 1978, 640; Hoffmann-Becking, Arbeitsdirektor der Konzernobergesellschaft oder Konzernarbeitsdirektor?, in FS Werner, 1984, S. 301; Hommelhoff, Jahresabschluss und Gesellschafterinformation in der GmbH, ZIP 1983, 383; Hommelhoff, Risikomanagement im GmbH-Recht, in FS Sandrock, 2000, S. 373; Hülsmann, GmbH-Geschäftsführer; Anforderungen an die Geschäftsverteilung, GmbHR 2019, 209; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Immenga, Die Problematik der Anfechtungsklage im GmbH-Recht, GmbHR 1973, 5; John, Zum Missbrauch der Vertretungsmacht durch Gesellschaftsorgane, GmbHR 1983, 90; Kaffiné, Begrenzung der Haftungsrisiken des Geschäftsführers einer GmbH gegenüber der Gesellschaft bei Ausführung wirtschaftlich nachteiliger Weisungen der Gesellschafter, 2001; Konzen, Geschäftsführung, Weisungsrecht und Verantwortlichkeit in der GmbH und GmbH & Co. KG, NJW 1989, 2977; Kort, Die Änderung der Unternehmenspolitik durch den GmbH-Geschäftsführer, ZIP 1991, 1272; Krauel/Klie, Lenkungsmöglichkeiten im Konzern unter besonderer Berücksichtigung des Aufsichtsrechts für Kreditinstitute und Versicherungen, WM 2010, 1735; Kremer/Klahold, Compliance-Programme in Industriekonzernen, ZGR 2010, 113; Leuering/Dornhegge, Geschäftsverteilung zwischen GmbH-Geschäftsführern, NZG 2010, 13; Leuering, Das Widerspruchsrecht der GmbH-Geschäftsführer untereinander, in FS Seibert, 2019, S. 543; Meier, Zum Verhältnis zwischen der Informationspflicht der Geschäftsführung und der Überwachungspflicht des fakultativen Aufsichtsrates bei einer GmbH, DStR 1997, 1894; Merkt, Compliance und Risikofrüherkennung in kleinen und mittleren Unternehmen, ZIP 2014, 1705; Moosmayer, Compliance Praxisleitfaden für Unternehmen, 3. Aufl. 2015; Oetker, Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung und Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats in der mitbestimmten GmbH, ZIP 2015, 1461; Peters, Ressortverteilung zwischen GmbH-Geschäftsführern und ihre Folgen, GmbHR 2008, 682;
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 199
§ 37 Rz. 1 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis Poelzig/Thole, Kollidierende Geschäftsleiterpflichten, ZGR 2010, 836; Reuter/König, Mitbestimmung und gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit, ZHR 140 (1976), 494; Rodewald/Paulat, Führung von Gruppengesellschaften durch Gesellschafterweisungen im faktischen Konzern – Möglichkeiten und Grenzen in Deutschland und ausgewählten EU-Staaten, GmbHR 2013, 519; Rohleder, Die Übertragbarkeit von Kompetenzen auf GmbH-Beiräte, 1991; Uwe H. Schneider, Konzernleitung durch Weisungen der Gesellschafter der abhängigen GmbH an ihre Geschäftsführer?, in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1071; Schauf, Rolle und Kompetenzen des GmbH-Geschäftsführers in einer Matrixstruktur, BB 2017, 2883; Schockenhoff, Ressortaufteilung unter GmbH-Geschäftsführern: im Minenfeld, GmbHR 2019, 514; Spie/Priester, Der Geschäftsbereich des Arbeitsdirektors, 1983; Schneider, Uwe H., Konzerngründung im faktischen GmbH-Konzern, GmbHR 2014, 113; Schnorbus/Klormann, Erkrankung eines Vorstandsmitglieds, WM 2018, 1078, 1113; Stück, Compliance in der GmbH, GmbHR 2016, 561; Tomat, Grenzen des Weisungsrechts der GmbH-Gesellschafter, 2001; Ulmer, Der Zölibats-Geschäftsführer, in FS Schwark, 2009, S. 271; van Venrooy, Widersprüchliche Ausübung des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts durch mehrere GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 2001, 7; van Venrooy, Zwingende Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsführung, GmbHR 2005, 1243; E. Vetter, Organisation (Geschäftsverteilung und Delegation) und Überwachung, in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22; Vollmer, Die mitbestimmte GmbH, ZGR 1979, 135; Wank, Der Kompetenzkonflikt zwischen Gesellschaftern und Aufsichtsrat in der mitbestimmten GmbH, GmbHR 1980, 121; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996; Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991.
I. Inhalt und Bedeutung der Vorschrift 1 Die gesellschaftsinterne Zuständigkeitsordnung der GmbH ist nur sehr unzulänglich ge-
regelt. Es fehlt eine ausdrückliche Zuweisung der Entscheidungskompetenz für die Bestimmung der Grundsätze der Geschäftspolitik und die Leitung des Unternehmens. § 37 geht ebenso wie die anderen Vorschriften zur Geschäftsführung, nämlich §§ 40, 41, 42, 49, 64 und 78 davon aus, dass jedenfalls die laufende Geschäftsführung den Geschäftsführern zugeordnet ist. § 37 Abs. 1 handelt dabei von den Beschränkungen, denen die Geschäftsführer bei ihrer Geschäftsführung unterliegen und betrifft daher ausschließlich das Innenverhältnis. Insofern gibt die seit 2008 amtliche Überschrift1 den Norminhalt nur unzulänglich wieder2. § 37 Abs. 2 bestimmt demgegenüber die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsbefugnis. Zur Unterscheidung zwischen Geschäftsführung und Vertretung vgl. 12. Aufl., § 35 Rz. 11 f.
II. Der Inhalt der Geschäftsführung 2 Der Begriff „Geschäftsführung“ wird in unterschiedlicher Weise verwendet. In einem weite-
ren Sinn gehört hierzu die Festlegung der Grundsätze der Unternehmenspolitik, die Leitung des Unternehmens der Gesellschaft, unabhängig davon, ob es sich um Maßnahmen der laufenden Geschäftsführung oder um ungewöhnliche Maßnahmen handelt, und die allgemeine Verwaltung der Gesellschaft3; insoweit dient der Begriff zur Abgrenzung von den Grundlagen-Geschäften der Gesellschaft. 3 In einem engeren Sinn wird zur Geschäftsführung dagegen nur die laufende Geschäftsfüh-
rung, also die Sorge für das rechtmäßige Verhalten der Gesellschaft und seiner Mitarbeiter
1 Eingef. durch Art. 1 Nr. 51 MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) m.W.v. 1.11.2008. 2 Wicke, Rz. 1; Hinweis auf die terminologische Ungenauigkeit des § 37 Abs. 1 bei Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1072. 3 OLG Karlsruhe v. 25.8.1995 – 15 U 286/94, GmbHR 1996, 208, 209; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen …, 1996, S. 12.
200 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 9 § 37
(Compliance)4, die Einrichtung der Unternehmensorganisation, der Entwurf der langfristigen Unternehmenspolitik und ihrer Umsetzung, die Entwicklung kurzfristiger Pläne und Taktiken, die Steuerung und Überwachung des unternehmerischen Gesamtgeschehens und die Abwicklung des Tagesgeschäfts gerechnet, nicht aber die Entscheidung über die Grundsätze der Unternehmenspolitik und außergewöhnliche Maßnahmen5. Unabhängig hiervon können Maßnahmen der Geschäftsführung der Vornahme von Rechtsgeschäften dienen, aber auch tatsächliche Akte sein. Zur Geschäftsführung gehört die Entscheidung hierüber ebenso wie die Ausführung.
III. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung Die Zuständigkeit zur Geschäftsführung im weiteren Sinn ist schon nach dem Gesetz, also 4 ohne jede präzisierende Vertragsbestimmung zwischen den Geschäftsführern und den Gesellschaftern aufgeteilt.
1. Die Grundsätze der Unternehmenspolitik Eine umfassende Kompetenzzuweisung an die Gesellschafter, die Grundsätze der Unterneh- 5 menspolitik festzulegen, ist im Gesetz nicht enthalten. Jedoch sind einzelne wichtige Entscheidungsbereiche ausdrücklich den Gesellschaftern vorbehalten. a) Vorzulegen sind alle Maßnahmen, die der Satzung widersprechen. Auf diese Weise be- 6 kommen die Gesellschafter die Möglichkeit, darüber nachzudenken und gegebenenfalls zu beschließen, die Satzung zu ändern, z.B. den Unternehmensgegenstand zu ändern. So genügt ein Beschluss der Mehrheit der Gesellschafter nicht für satzungsdurchbrechende Beschlüsse. Erforderlich ist vielmehr eine Satzungsänderung. b) Nach § 46 Nr. 1 unterliegen der Bestimmung der Gesellschafter die Feststellung der Jah- 7 resbilanz und die Verteilung des aus derselben sich ergebenden Reingewinns. Die Gesellschafter beschließen über die Bilanzpolitik und das heißt vor allem über die Bildung und Auflösung offener Rücklagen und stiller Reserven6. Sie entscheiden ferner über die Erhöhung bzw. Herabsetzung des Stammkapitals. Die Gesellschafter bestimmen damit einen wesentlichen Teilbereich der Finanzierung des Unternehmens, nämlich in welchem Umfang das Unternehmen Investitionen mit Eigenkapital finanzieren kann. c) Neben den Grundlagen der Finanzierung ist den Gesellschaftern nach § 46 Nr. 5 und 7 8 die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern sowie deren Entlastung und die Bestellung von Prokuristen und von Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb zugewiesen. Das bedeutet, dass die Gesellschafter – auch – indirekt über die Auswahl der Führungsspitze die Unternehmenspolitik bestimmen können. d) Ergänzt wird dies durch die Möglichkeit, die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung 9 der Geschäftsführung zu beschließen, § 46 Nr. 6.
4 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2442 = GmbHR 2008, 805, 810; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25. 5 Str.; wie hier: Hommelhoff, ZGR 1978, 119; Vollmer, ZGR 1979, 135; differenzierend Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 19. 6 Vgl. dazu: Lutter, DB 1978, 1965; Forster/Lutter, DB 1979, 1099; Hommelhoff, GmbHR 1979, 103.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 201
§ 37 Rz. 10 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis 10 e) Darüber hinaus dürfen die Geschäftsführer keine Entscheidung treffen, von der anzuneh-
men ist, dass die Gesellschafter sie zumindest mehrheitlich missbilligen werden7. Die mögliche Ablehnung durch einzelne Gesellschafter („Querkopf“) genügt nicht. 11 f) Aus dieser Finanz-, Personal- und Überwachungskompetenz sowie den allgemeinen
Schranken für die laufende Geschäftsführung folgt die allgemeine Zuständigkeit der Gesellschafter, die Grundzüge der Unternehmenspolitik festzulegen8. Die Gesellschafter haben somit nicht nur die Möglichkeit, die Grundzüge der Unternehmenspolitik über Weisungen festzulegen. Sie sind vielmehr in erster Linie berufen, hierüber zu entscheiden. Um dies den Gesellschaftern zu ermöglichen, sind die Geschäftsführer verpflichtet, Pläne über die Zukunft des Unternehmens zu entwickeln und den Gesellschaftern vorzuschlagen9. Die Geschäftsführer selbst sind zur Entscheidung über die künftige Geschäftspolitik nur zuständig, wenn die Gesellschafter ihnen die Entscheidung über die Unternehmenspolitik zuweisen – sei es generell in der Satzung oder der Geschäftsordnung, sei es punktuell beschränkt durch Gesellschafterbeschluss – oder schlicht untätig bleiben10. Haben aber die Gesellschafter die Grundsätze der Unternehmenspolitik festgelegt, sind die Geschäftsführer gehindert, grundlegende Änderungen vorzunehmen, ohne dass dem die Gesellschafter zugestimmt haben11. Dies gilt auch dann, wenn die Änderung keine Änderung im Personalbestand und keinen zusätzlichen Finanzbedarf begründet, wie etwa die Aufgabe einer ganzen Sparte oder der Abbruch eines umfassenden Forschungsvorhabens.
2. Die laufende Geschäftsführung 12 Die laufende Geschäftsführung obliegt den Geschäftsführern12. Dazu gehören die tatsäch-
lichen und rechtsgeschäftlichen Handlungen, die der gewöhnliche Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft mit sich bringt, die Marktanalyse, die Innovation, die Produktplanung, die Herstellung, der Vertrieb und die Personalverwaltung, die Verfügung über die finanziellen Mittel, die Verwaltung des Beteiligungsvermögens insbesondere die Ausübung von Mitverwaltungsrechten aus Beteiligungen13 und solche organisatorische Maßnahmen, die zur gewöhnlichen Verwaltung der Gesellschaft gehören („Tagesgeschäft“). Dazu gehört heute
7 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134; Hommelhoff, ZGR 1978, 125; Fleischer, NZG 2011, 521, 525. 8 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197 = EWiR 1991, 469 (Meyer-Landrut); Hommelhoff, ZGR 1978, 124; Hommelhoff, ZIP 1983, 385; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., S. 1069; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Wicke, Rz. 3; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 4; Lenz in Michalski u.a., Rz. 9; Ettinger/ Reiff, GmbHR 2007, 617, 619; Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 47; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8 (Das Regelstatut der GmbH kennt keine Grundsatzkompetenz der Gesellschafter); Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen …, 1996, S. 18; Kort, ZIP 1991, 1274: Abgrenzung nicht möglich; Brandner in FS Rowedder, 1994, S. 47; Lindacher, JuS 1984, 672; auf den Einzelfall abstellend: Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 22 f. 9 Altmeppen, ZGR 1999, 291, 305; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 63. 10 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1073. 11 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197 = ZIP 1991, 1274 (Kort); Goette, Die GmbH nach der BGH-Rechtsprechung, 1997, S. 197; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1072; a.A. Brandner in FS Rowedder, 1994, S. 47. 12 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12. 13 Hüffer/Koch, 12. Aufl., § 76 AktG Rz. 49.
202 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 15 § 37
auch die Vergabe von Spenden an gemeinnützige Einrichtungen in angemessener Höhe14. Spenden in ungewöhnlicher Höhe verlangen einen Beschluss der Gesellschafter15. Zur laufenden Geschäftsführung gehört auch die Organisation des Unternehmens angefan- 13 gen bei der Forschung, über den Einkauf, die Produktion, den Betrieb, die Finanzierung bis hin zum Personalwesen16. Die Anforderungen an die Organisation sind dabei abhängig von der Größe des Unternehmens, der Branche, den Risiken usw. a) Compliance als Aufgabe der Geschäftsführer Schrifttum: Cichy/Cziupka, Compliance–Verantwortung der Geschäftsleiter bei Unternehmenstätigkeit mit Auslandsbezug, BB 2014, 1482; Fissenewert, Compliance für den Mittelstand, 2. Aufl. 2018; Fuhrmann, Internal Investigation: Was müssen und dürfen Organe beim Verdacht von Compliance-Verstößen tun?, NZG 2016, 881; Harbarth/Brechtel, Rechtliche Anforderungen an eine pflichtgemäße Compliance-Organisation im Wandel der Zeit, ZIP 2016, 241; Hoffmann/Schieffer, Pflichten des Vorstands bei der Ausgestaltung einer ordnungsgemäßen Compliance-Organisation, NZG 2017, 401; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschafts- und Konzernrecht, 2014; Kleinert, Aktuelle Entwicklungen bei der Organhaftung für Compliance-Verstöße, in FS Baums, 2017, S. 669; Menne/Rieder, Internal Investigation – Rechtslage, Gestaltungsmöglichkeiten und rechtspolitischer Handlungsbedarf, CCZ 2018, 203; Merkt, Compliance und Risikofrüherkennung in kleinen und mittleren Unternehmen, ZIP 2014, 1705; Paefgen, „Compliance“ als gesellschaftsrechtliche Organpflicht?, WM 2016, 433; Reichert/Lüneborg, Compliance in der GmbH – 10 Jahre MoMiG, GmbHR 2018, 1141; Römermann, 2014 – Ein Jahr im Zeichen der Compliance: nun auch für die mittelständische GmbH, GmbHR 2014, 1; Uwe H. Schneider, Compliance – Eine Aufgabe auch für die Gesellschafter?, CCZ 2015, 49; Uwe H. Schneider, Investigative Maßnahmen und Informationsweitergabe in konzernfreien Unternehmen und im Konzern, NZG 2010, 1201; Schockenhoff, Haftung und Enthaftung von Geschäftsleitern bei Compliance-Verstößen in Konzernen mit Matrix-Strukturen, ZHR 180 (2016), 197; Simon/Merkelbach, Organisationspflichten des Vorstands betreffend das Compliance-System – Der Neubürger-Fall, AG 2014, 318; Stück, Compliance in der GmbH, GmbHR 2016, 561; Unmuth, Die Entwicklung der Corporate Compliance in Recht und Praxis, AG 2017, 249.
aa) Legalitätspflicht als Kardinalspflicht der Geschäftsführer Zu den wesentlichen Aufgaben und Pflichten der Geschäftsführer gehört es sicherzustellen, 14 dass sich das Unternehmen, die Organmitglieder und die Mitarbeiter rechtmäßig, sich also „compliant“ verhalten17. Diese sich hieraus ergebende Legalitätspflicht gehört zu den Kardinalspflichten der Ge- 15 schäftsführer im Verhältnis zur eigenen Gesellschaft. Die früher vertretene Ansicht18, es gehe nur um Erwartungen, nicht aber um Aufgaben und Pflichten des Geschäftsführers ist heute aufgegeben. Bezeichnet wird die Legalitätspflicht vielfach als „Compliance“. Der Begriff „Compliance“ ist jedoch weiter und vor allem kein Rechtsbegriff. „Compliance“ umfasst nicht nur regelkonformes Verhalten, sondern auch rechtsethisches Verhalten unter Berücksichtigung der Reputation des Unternehmens. Und „Compliance“ bezieht auch das Verhalten der Gesellschaft im Verhältnis zu Dritten mit ein, obgleich nach ganz h.A. keine Organpflichten der Geschäftsführer im Verhältnis zu Dritten bestehen. Und ferner wird in die „Compliance“ des Unternehmens auch das Verhalten der Zulieferer, Abnehmer und Kreditinstitute 14 15 16 17
Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1310. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 43 Rz. 76. Fuhrmann in GmbH-Hdb., Loseblatt, Teil I, Rz. I 2165. BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, NJW 2008, 2437, 2441 = GmbHR 2008, 805; Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 355; Habersack in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 429; Dreher in FS Hüffer, 2010, S. 161; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25. 18 S. dazu Hüffer/Koch, § 76 AktG Rz. 13.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 203
§ 37 Rz. 15 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis des Unternehmens miteinbezogen. Geht man hiervon aus, so gehört heute die Verletzung der internen „Compliance“-Pflichten zu den deutlich gewachsenen Haftungsrisiken der Geschäftsführer und zu den Risiken, dass aus der Verletzung von „Compliance“-Pflichten Gründe für die Abberufung des Geschäftsführers hergeleitet werden. 16 Die Aufgabe der Geschäftsführer beschränkt sich dabei nicht auf die Beachtung der Gebote
und Verbote einzelner Rechtsgebiete, etwa die Verhinderung von Rechtsverletzungen nur in bestimmten Bereichen im Inland und im Ausland, etwa die Einhaltung der Vorschriften zur Produktionssicherheit19, des Korruptionsrechts20, des Kartellrechts21, des Datenschutz- und Außenwirtschaftsrechts22, des Steuer- und Sozialabgabenrechts, sondern gilt für alle rechtlichen Gebote und Verbote des deutschen und europäischen Rechts. bb) „Compliance“ als Organisationspflicht 17 Die Aufgabe und die sich hieraus ergebende Legalitätspflicht der Geschäftsführer haben da-
bei zwei Seiten. Die Pflicht der Geschäftsführer zu persönlich rechtmäßigem Verhalten ist eine Selbstverständlichkeit. Das ist aber nur die eine Seite. Die Geschäftsführer haben darüber hinaus dafür Sorge zu tragen, „dass das Unternehmen so organisiert und beaufsichtigt ist, dass keine … Gesetzesverletzungen stattfinden …“. Einer derartigen Organisationspflicht („Legalitätskontrollpflicht“) genügt der Vorstand – bei der GmbH der Geschäftsführer – bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er sich nicht auf die Aufklärung rechtswidrigen Verhaltens beschränkt, sondern eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte „Compliance-Organisation“ einrichtet23. Dabei ist jedoch bei der GmbH zu unterscheiden:24 18 – Bei kleineren und mittleren Unternehmen können der oder die Geschäftsführer die ge-
nannte Aufgabe in Person wahrnehmen. Es gibt keine Rechtspflicht, die es den Geschäftsführern versagt, die Aufgabe auf nachgeordnete Mitarbeiter zu delegieren und einen besonderen Compliance-Officer zu bestellen, dem die Aufgabe übertragen wird. 19 – Mit zunehmender Größe des Unternehmens und bei besonderer Risikolage wird es
den Geschäftsführern des Unternehmens jedoch nicht möglich sein, die genannte Aufgabe selbst wahrzunehmen. In diesem Fall gehört die Einrichtung eines Überwachungssystems (Compliance-Managementsystems)25 zu den Aufgaben der Geschäftsführer. Die pflichtenbegründenden Voraussetzungen werden durch die Gefährdungslage, die Größe des Unternehmens, die Branche, die besonderen Risikobereiche usw. begründet26.
19 S. dazu EU-Richtlinie vom 3.12.2001 (200/95/E6) sowie Durchführungsbeschluss der EU-Kommission vom 8.11.2018 (EU 2019/417). 20 Hauschka/Grewe, BB 2007, 165. 21 BGH v. 10.12.1985 – KRB 3/85, WuW/E BGH 2205; BGH v. 24.3.1987 – KRB 8/86, WuW/E BGH 2394; BGH v. 25.10.1988 – KRB 2/88, WuW/E BGH 2543; Klahold, CCZ 2017, 46; Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016; Reimers/Hainz, CCZ 2016, 188. 22 Pfeil/Mertgen, Compliance im Außenwirtschaftsrecht, 2016. 23 LG München v. 10.12.2013 – 5 HK O 1387/10, WM 2014, 947 = NZG 2014, 345; Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 355; Fleischer, AG 1003, 291; Hauschka, NJW 2004, 257; Kremer/Klahold, ZGR 2010, 113; a.A. etwa Hüffer/Koch, § 76 AktG Rz. 14. 24 Zur Compliance bei der mittelständischen GmbH: Römermann, GmbHR 2014, 1; Merkt, GmbHR 2014, 1705. 25 Managementsysteme sind Organisations-, Kontroll- und Informations-Systeme, die der Durchsetzung bestimmter Ziele sowie der Sammlung und Verwaltung von Unternehmensdaten dienen, um die Geschäftsführer bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. 26 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 4; Hauschka, CCZ 2018, 159.
204 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 23 § 37
Die Ausgestaltung des Compliance-Managementsystems ist gesetzlich nicht bestimmt. Viel- 20 mehr sind die Geschäftsführer bei der Ausgestaltung frei, d.h. die Ausgestaltung steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen vorausgesetzt, dass bestimmte Anforderungen erfüllt sind. Dazu gehört eine Risikoanalyse, also die Identifizierung der wesentlichen Risiken und ein System der Überwachung. Den vielfältigen Versuchen, bestimmte zwingende Vorgaben für die Ausgestaltung des Compliance-Managementsystems zu formulieren, ist nicht zu folgen. Es handelt sich in aller Regel nur um unverbindliche Handlungsanleitungen. Das gilt auch für den Standard zur Prüfung von Compliance-Managementsystemen IDW PS 980 und ISO 1960027. cc) Ressortverantwortung und Delegation Compliance ist eine Aufgabe aller Geschäftsführer, also nicht etwa nur des Geschäftsfüh- 21 rers, der für Recht und Soziales zuständig ist. Dabei haben die Geschäftsführer kein Ermessen, ob sie gegen rechtswidriges Verhalten des Unternehmens oder einzelner Mitarbeiter vorgehen, das rechtswidrige Verhalten abzustellen oder nicht. Die Legalitätspflicht ist vielmehr zwingend. Sie muss uneingeschränkt wahrgenommen werden. Das konnte man früher bestreiten, was bestimmtes rechtswidriges Verhalten im Ausland betraf. Für die Korruption ausländischer Amtsträger gilt dies aber nicht mehr, § 1 EuBestG und § 2 IntBestG. Compliance ist jedoch keine Aufgabe, die zwingend von allen Geschäftsführern wahrgenom- 22 men werden müsste. Die Aufgabe kann vielmehr auch durch einen einzelnen Geschäftsführer im Wege der Geschäftsverteilung oder einem nachgeordneten Mitarbeiter im Unternehmen, sprich einem „Compliance-Officer“28 im Wege der Delegation übertragen werden. Das ist rechtlich unbedenklich, soweit nicht durch Gesetz oder Satzung ausdrücklich das Zusammenwirken aller Geschäftsführer oder zumindest die Zuständigkeit eines Geschäftsführers vorgeschrieben ist. dd) Wesentlicher Inhalt von Compliance-Managementprogrammen Zu den Mindestvoraussetzungen eines Compliance-Managementprogramms gehören die 23 folgenden Elemente29: – Die Organisation des Unternehmens und die sachgerechte Aufgabenzuweisung an Mitarbeiter, um rechtswidriges Verhalten zu verhindern. – Eine regelmäßig sich wiederholende Risikoanalyse. – Die eingehende Information und die laufende Unterrichtung der Mitarbeiter vor allem über die sensiblen Rechtsbereiche und die dringende Aufforderung, für rechtmäßiges Verhalten zu sorgen. Diese Information hat zum Ziel, die Mitarbeiter über das geltende Recht zu informieren, um Rechtsverletzungen zu verhindern. – Die laufende Überwachung der Mitarbeiter und die Identifikation von Rechtsverletzungen30. Zur Überwachung genügen Stichproben, die aber in regelmäßigen Abständen vorzunehmen sind.
27 Busekist/Hein, CCZ 2012, 41, 86; Hauschka, CCZ 2018, 159, 160; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141, 1146; anders Fissenewert, Compliance für den Mittelstand, 2. Aufl. 2018, § 6 Rz. 174 ff. 28 Zu den strafrechtlichen Risiken als Compliance Officer: BGH v. 17.7.2009 – 5 StR 394/08, WM 2009, 1882 = NJW 2009, 3174; Blasse, WM 2018, 603. 29 United States Centencing Commisssion Guidelines Manual § 8 B2.1(a) (November 2016). S. auch Trölitzsch in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl. 2020, S. 242; Schulz, BB 2019, 579. 30 Zur internen Untersuchung: Uwe H. Schneider, NZG 2010, 1201; Fuhrmann, NZG 2016, 881; Rieder/Menne, CCZ 2018, 203.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 205
§ 37 Rz. 23 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis – Besteht ein Verdacht, dass es zu rechtswidrigen Handlungen gekommen ist, haben die Geschäftsführer die Aufgabe, dem gezielt nachzugehen, die Rechtsverletzungen aufzudecken und dafür zu sorgen, dass es nicht zu Wiederholungen kommt. – Die angemessene Sanktionierung von Mitarbeitern durch Ermahnungen, Abmahnungen oder schlimmstenfalls Kündigung von Mitarbeitern, die sich rechtswidrig verhalten haben31. Viele Großunternehmen haben zur Sicherung von Recht, Ordnung und Gleichbehandlung der Mitarbeiter Sanktionsleitlinien und ein „Sanctions Advisory Committee“ entwickelt. 24 Auf welche Weise die Information der Mitarbeiter und die Überwachung der Mitarbeiter er-
folgen, steht im Ermessen der Geschäftsführer bzw. des Compliance-Beauftragten. Die Information kann durch Seminare, durch elektronische Medien, vor allem aber durch die Aufstellung unternehmensinterner Richtlinien und vor allem auch durch persönliche Gespräche geschehen. Die Überwachung verlangt ganz gewiss kein Blockwartsystem. Verlangt sind aber regelmäßige vertiefte Prüfungen der Arbeitsvorgänge und im Zweifel Nachforschungen vor Ort32. 25 Streitig ist, ob die Einrichtung einer Meldestelle für Hinweisgeber („Whistleblower“) zu den
zwingenden Aufgaben gehört. Ausdrücklich verpflichtend vorgesehen ist dies für Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen. Auch der Vorschlag für eine Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das EU-Recht melden33, verlangt für bestimmte Unternehmen die Einrichtung „interner Kanäle und Verfahren“. Davon abgesehen ist die Einrichtung von unternehmensinternen oder unternehmensexternen Hinweisgeberstellen im Ermessen der Geschäftsführer34. ee) Regulierte Unternehmen 26 Für regulierte Unternehmen – also etwa Kreditunternehmen – ist Compliance nicht nur eine
Aufgabe und Pflicht der Geschäftsführer aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Zuständigkeit sondern auch eine aufsichtsrechtliche Verhaltenspflicht, § 25a Abs. 1 KWG, § 80 WpHG, § 64a VVG35. ff) Compliance im Konzern 27 S. Rz. 123.
b) Risikomanagement Schrifttum: Altmeppen, Die Auswirkungen des KonTraG auf die GmbH, ZGR 1999, 291; Baums, Risiko und Risikobesteuerung im Aktienrecht, ZGR 2011, 218; Drygala, Die Pflicht des Managements zur Vermeidung existenzgefährdender Risiken, in FS Hopt, 2010, S. 541; Hannemann/Steinbrecher/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement, 5. Aufl. 2018; Heermann, Unternehmerisches Ermessen, Organhaftung und Beweislastverteilung, ZIP 1998, 762; Hommelhoff, Risikomanagement in GmbH-Recht, in FS Sandrock, 2000, S. 373; Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, 2. Aufl. 2020, S. 211; Jakobus, Die Vorstandspflicht zum Risikomanagement: eine juristische und ökonomische Betrachtung in § 91 Abs. 2 AktG, 2014; Kessler, Der Einsatz komplexer Finanzinstrumente im Unternehmen – gesellschaftsrechtliche Anforderungen an das Risikomanagement, BB 2013, 1098; Lück, Ele31 32 33 34
Miege, CZ 2017, 283. Uwe H. Schneider, NZG 2010, 1201. COM (2018) 218 final. Ebenso Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Schmolke, WM 2012, 1013, 1016; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141; weitergehend: Grützner/Leisch, BB 2012, 787, 792. 35 Verse, ZHR 175 (2011), 401, 403.
206 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 31 § 37 mente eines Risiko-Managementsystems, DB 1998, 8; Mülbert/Wilhelm, Risikomanagement und Compliance im Finanzmarktrecht – Entwicklung der aufsichtsrechtlichen Anforderungen, ZHR 178 (2014), 502; Tanski/Radtke/Uhlemann, Managerhaftung und Risikomanagement, 2009; Ziemons in Michalski u.a., § 43 Rz. 168.
Neben der Aufgabe für rechtmäßiges Verhalten des Unternehmens und der Mitarbeiter zu 28 sorgen, gehört zur Aufgabe des Geschäftsführers, die Risiken für das Unternehmen zu identifizieren, sie laufend zu beobachten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Das Eingehen von Risiken gehört zwar zur unternehmerischen Tätigkeit36. Damit verbunden ist aber die Aufgabe, die langfristigen Risiken für die unternehmerische Tätigkeit, für die gegenwärtige und künftige Unternehmensstrategie und die Risiken für die laufende Geschäftsfähigkeit in den Blick zu nehmen. Die Aufgabe des Geschäftsführers beschränkt sich somit nicht auf die Früherkennung existenzgefährdender Risiken. Der Wortlaut von § 91 Abs. 2 AktG ist zu eng. Richtig ist vielmehr, dass sich der Geschäftsführer jederzeit einen umfassenden Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Gesellschaft zu machen hat. Dabei darf sich der Geschäftsführer nicht darauf beschränken, nur die Risiken zu erkennen. Er hat vielmehr darauf hinzuwirken, Risiken für die Gesellschaft zu erkennen, durch entsprechende Maßnahmen sie zu vermeiden, falls dies nicht möglich ist, sie zu steuern. Nicht bei jeder GmbH sind die Geschäftsführer verpflichtet, ein Risikomanagement-System 29 einzurichten. Teilweise wird die Ansicht vertreten, ein Risikomanagement sei bei der GmbH nur einzurichten, wenn die Gesellschaft den Kapitalmarkt in Anspruch nehme oder sie nach dem Mitbestimmungsgesetz 1976 mitbestimmt ist37. Das sind jedoch keine überzeugenden Anknüpfungskriterien. Entscheidend ist vielmehr für eine entsprechende Aufgabe der Geschäftsführer, ob ein eigenständiges, wirksames Risikomanagement- und ÜberwachungsSystem einzurichten ist, die Größe und Struktur des Unternehmens, die Branche, die Zahl der Arbeitnehmer, die besonderen Risikobereiche, wie etwa die besonderen Anforderungen an die Produktsicherheit usw. Gemeint ist mit den Risiken die Gefahr negativer Veränderungen aufgrund gegenwärtiger 30 oder künftiger ungewisser Ereignisse. Dabei ist die Aufgabe weit zu fassen. Zu den Risiken gehören alle politischen, sozialen, umweltbezogenen, wirtschaftlichen und technischen Risiken, die für den Bestand des Unternehmens gefährlich sind. Zu denken ist an Finanzierungsebenso wie IT-Risiken bis hin zu disruptiven Risiken. Für Kreditinstitute verlangt § 25a Abs. 1 KWG, für Finanzdienstleistungsinstitute verlangt Art. 435 CRR (VO (EU) Nr. 575/2013) ausdrücklich die Einrichtung eines angemessenen wirksamen Risikomanagements38. Die aufsichtsrechtliche Aufgabe und Pflicht überlagert die gesellschaftsrechtliche Pflicht. Sie wird in § 25a KWG weitergehend konkretisiert. Wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, steht es nicht im Ermessen des Ge- 31 schäftsführers, ob ein Risikosystem eingesetzt wird. Vielmehr handelt es sich gegebenenfalls um eine Pflichtaufgabe. Nur die Ausgestaltung des Risikomanagements steht im Ermessen des Geschäftsführers39. Voraussetzung ist freilich, dass es einerseits die Früherkennung der Risiken zum Gegenstand hat und andererseits deren laufende Überwachung40. Bei Konzernlagen hat der Geschäftsführer der Obergesellschaft die Aufgabe, auch die Risiken, die von
36 BGH v. 20.2.1995 – II ZR 9/94, GmbHR 1995, 299 = ZIP 1995, 560; KG v. 9.10.1998 – 14 U 4823/ 96, GmbHR 1999, 663 = NZG 1999, 400; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 43 Rz. 61. 37 So Hommelhoff in FS Sandrock, 2000, S. 373. 38 Hannemann/Steinbrecher/Weigl, Mindestanforderungen an das Risikomanagement, 5. Aufl. 2018. 39 OLG Frankfurt a.M. v. 12.12.2007 – 17 U 111/07, AG 2008, 453: Vorstand einer Bank. 40 S. dazu Ihrig/Schäfer, Rechte und Pflichten des Vorstands, 2. Aufl. 2020, S. 213 ff.; Steffan in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl. 2020, S. 633 ff.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 207
§ 37 Rz. 31 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis den Tochtergesellschaften ausgehen, zu erkennen und zu steuern und zugleich die Risiken, die die Lage des Konzernunternehmens gefährden, zu würdigen. Der Geschäftsführer muss sich einen umfassenden Überblick über die wirtschaftliche und finanzielle Lage nicht nur des herrschenden Unternehmens, sondern des Konzerns machen. Ob dies die Einrichtung eines konzernweiten Konzern-Risikomanagement-System verlangt, ist wie beim konzernfreien Unternehmen von der Größe des Unternehmens, der Branche, der Risikobereiche der Konzernunternehmen usw. abhängig41 . Im Blick hierauf ist eine angemessene Information der Mitarbeiter, deren Überwachung und deren Sanktionierung bei Rechtsverletzungen verlangt. Dabei haben auch die Geschäftsführer rechtmäßiges Verhalten vorzuleben42. 32 Zum Zuständigkeitsbereich der Geschäftsführer gehört auch die Beherrschung der Unter-
nehmensrisiken durch ein, freilich abhängig von der Unternehmensgröße, angemessenes internes Überwachungs- und Frühwarnsystem („Risiko-Controlling“). Das folgt bereits aus § 43 und nicht aus einer Analogie zu § 91 Abs. 2 AktG; denn auch im Aktienrecht ergibt sich die Pflicht zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems aus § 76 AktG und nicht aus § 91 Abs. 2 AktG43. Ausnahmsweise kann kraft Gesetzes auch für Maßnahmen der Geschäftsführung die Mitwirkung anderer Organe angeordnet sein. So verlangt etwa § 15 KWG für Kredite an die in § 15 Abs. 1 Nr. 1–12 KWG genannten Personen nicht nur einen einstimmigen Beschluss sämtlicher Geschäftsleiter, sondern auch die ausdrückliche Zustimmung durch den Aufsichtsrat44. 33 In der Krise der Gesellschaft hat der Geschäftsführer das Vermögen der Gesellschaft zu si-
chern und den Insolvenzantrag nach § 15a InsO zu stellen45.
3. Ungewöhnliche Maßnahmen 34 Ungewöhnliche Maßnahmen, insbesondere Maßnahmen, die nicht mehr vom Unterneh-
mensgegenstand und der konkret beschlossenen Unternehmenspolitik gedeckt sind, und die Entscheidung über ungewöhnliche Maßnahmen fallen in den Zuständigkeitsbereich der Gesellschafter46. Diese ungeschriebene Entscheidungsbefugnis ist nicht nur ein Zustimmungsvorbehalt, sondern belässt die Ausübung der Befugnis in vollem Umfang bei den Gesellschaftern. Liegt eine solche Entscheidung im Interesse der Gesellschaft, so hat der Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung einzuberufen, § 49 Abs. 247. Von dieser Verpflichtung, eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung herbeizuführen, ist der Geschäftsführer nicht deshalb entbunden, weil er die Zustimmung des Mehrheitsgesellschafters eingeholt hat. Er41 Ziemons in Michalski u.a., § 43 Rz. 173. 42 Fleischer, AG 2003, 291; Uwe H. Schneider, ZIP 2003, 645; Kremer/Klahold in Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 25, S. 767, 778. 43 Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, § 91 AktG Rz. 14; Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 91 AktG Rz. 28; Dreher in FS Hüffer, 2010, S. 161 f. 44 Krauel/Klie, WM 2010, 1735, 1737. 45 BGH v. 8.1.2001 – II ZR 88/99, BGHZ 146, 264 = GmbHR 2001, 190. 46 OLG München v. 29.3.2012 – 23 U 4344/11, BeckRS 2012, 07661 = Juris; OLG Stuttgart v. 14.1.2013 – 14 W 17/12, GmbHR 2013, 535; Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286; a.A. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 47. 47 BGH v. 29.3.1973 – II ZR 139/70, NJW 1973, 1039; Peltzer in FS Rowedder, 1994, S. 335: Darlehen an Geschäftsführer; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 46; a.A. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 336; eingehend: Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991; hinsichtlich der Herleitung ausdrücklich a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129: aus dem allgemeinen Weisungsrecht sei vielmehr die Bildung von Fallgruppen ungeschriebener Vorlagepflichten angezeigt, vgl. zu diesen die dortigen Rz. 131 ff.
208 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 38 § 37
forderlich ist vielmehr ein förmlicher Gesellschafterbeschluss, damit auch die Minderheitsgesellschafter die Möglichkeit haben, an der Entscheidung mitzuwirken48. Die Gesellschafter entscheiden, von Maßnahmen außerhalb des Unternehmensgegenstandes abgesehen, mit einfacher Mehrheit, was in der zweigliedrigen GmbH mit jeweils hälftiger Beteiligung dazu führt, dass jeder Gesellschafter ein Vetorecht hat. Unternehmensleitende Maßnahmen, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Geschäfts- 35 führer fallen, sind demnach die folgenden: – Maßnahmen, die außerhalb des in der Satzung festgelegten Unternehmensgegenstandes 36 liegen49; wie etwa die Gründung von Tochtergesellschaften, die außerhalb des statuarischen Unternehmensgegenstandes tätig sein sollen50. Hierzu zählen auch Maßnahmen, die satzungsähnlichen Charakter haben, wie etwa die Gründung von Tochtergesellschaften, auf die ein wesentlicher Teil des Unternehmensvermögens übertragen werden soll51 (s. näher bei Rz. 40). Und hierzu zählt die Veräußerung von Unternehmensteilen, die zur Satzungsunterschreitung führt52. Solchen Maßnahmen müssen die Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit zustimmen. – Maßnahmen, die den von den Gesellschaftern festgelegten Grundsätzen der Geschäftspo- 37 litik widersprechen, wie etwa die Aufnahme neuer Produktgruppen, die Verlagerung der Produktion ins Ausland, die Umstellung der Vertriebswege53. – Maßnahmen, die wegen ihrer Bedeutung und den mit ihnen verbundenen Risiken unge- 38 wöhnlich sind, also Ausnahmecharakter haben54. Entscheidend ist nicht, ob mit einem Widerspruch der Gesellschafter zu rechnen ist, sondern auch die materielle Bedeutung der Maßnahmen, die damit verbundenen Risiken und die Kosten der Maßnahme. Hierzu zählen etwa der Verkauf eines bedeutenden Betriebes oder Betriebsteils55 von mehr als 10 % des Produktionsbereichs, die Gewährung eines großen Kredits, Rechtsgeschäfte mit einzelnen Gesellschaftern oder Mitgeschäftsführern, sofern diese einen bedeutenden Um48 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197; zust. Kort, ZIP 1991, 1275; weitergehend: Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 87. 49 OLG München v. 29.3.2012 – 23 U 4344/11, BeckRS 2012, 07661 = Juris; LG Berlin v. 14.8.1991 – 94 O 164/91, GmbHR 1992, 184 = WM 1992, 22 = AG 1992, 91; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 27; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 26; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 9; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 268; Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1289 weist mit Recht darauf hin, dass solche Beschlüsse nicht nur ungewöhnlich, sondern satzungswidrig sind. 50 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 13 Anh. Rz. 960; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Anh. § 13 Rz. 156. 51 BGH v. 30.5.2005 – II ZR 236/03, DStR 2005, 1066 (92 % des Produktionsbereichs); Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113. 52 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16 unter Bezugnahme auf (für AG) OLG Köln v. 15.1.2009 – 18 U 205/07, AG 2009, 416 – Strabag. 53 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197; OLG Frankfurt v. 19.1.1988 – 5 U 3/86, GmbHR 1989, 254 = AG 1988, 335 m. Anm. Spahn; OLG Stuttgart v. 14.1.2013 – 14 W 17/12, GmbHR 2013, 535; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. 54 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, DB 1984, 661 = GmbHR 1994, 96; BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 287/ 97, ZIP 1998, 1693 = GmbHR 1998, 931 (Kündigung des Arbeitsvertrages eines Gesellschafter-Prokuristen); OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 267; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Emmerich/Habersack, Konzernrecht,10. Aufl., § 9 Rz. 9; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen …, 1996, S. 13; Roth, ZGR 1985, 268; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1072; Fleischer, NZG 2011, 521, 525; zu eng: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 46; a.A. Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991, S. 90. 55 BGH v. 30.5.2005 – II ZR 236/03, DStR 2005, 1066.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 209
§ 37 Rz. 38 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis fang bzw. einen ungewöhnlichen Inhalt haben oder ein erhebliches Risiko enthalten, die Beteiligung eines stillen Gesellschafters56, die Digitalisierung der Unternehmensleitung, die Gründung von Tochtergesellschaften, in denen mehr als 10 % des Unternehmensvermögens gebunden ist57, die Übertragung der Anteile an wesentlichen Tochtergesellschaften58, Spenden in ungewöhnlicher Höhe59, usw. Dazu kann auch die Begründung, Änderung oder Kündigung eines Arbeitsverhältnisses mit einem Gesellschafter gehören60. Entscheidend ist die Bedeutung der Maßnahme für die Gesellschaft. Für den erforderlichen Gesellschafterbeschluss genügt die einfache Mehrheit. 39 – Maßnahmen, bei denen mit einem Widerspruch der Gesellschafter zu rechnen wäre, wenn
sie hiervon Kenntnis hätten61. Ist der Widerspruch nur eines Minderheitsgesellschafters zu erwarten, so genügt dies nicht62.
4. Die Ausübung von Beteiligungsrechten 40 Die Wahrnehmung von Mitverwaltungsrechten aus Beteiligungen, die der Finanzanlage die-
nen, ist in der Regel Teil der Unternehmensleitung und damit Teil der laufenden Geschäftsführung63. Das gilt auch für Unternehmen, die nach dem DrittelbG mitbestimmt sind. 41 Ist die Gesellschaft aber nach dem MontanMitbestErgG bzw. nach dem MitbestG mitbe-
stimmt und beträgt die Beteiligung nicht weniger als ein Viertel, so enthalten § 15 MontanMitbestErgG und § 32 MitbestG eine Zuständigkeitsverlagerung. Voraussetzung bei § 32 MitbestG ist zusätzlich, dass auch das Beteiligungsunternehmen nach dem MitbestG mitbestimmt ist. Einzelne Mitverwaltungsrechte ruhen in diesen Fällen, solange der Aufsichtsrat nicht beschlossen hat, in welcher Weise die Mitverwaltungsrechte auszuüben sind.
5. Organisationsrechtliche Akte 42 In einer Reihe von Fällen sind die Geschäftsführer für organisationsrechtliche Akte zuständig.
Dazu gehören insbesondere die Einberufung und die Vorbereitung der Gesellschafterversammlung, § 49 Abs. 1.
6. Der Grundsatz der Satzungsfreiheit 43 Die gesetzlichen Bestimmungen über die interne Zuständigkeitsordnung sind für die Gesell-
schafter nicht bindend. Eine § 23 Abs. 5 AktG entsprechende Vorschrift fehlt im GmbHG. 56 Boesebeck, JW 1937, 1493. 57 Str.; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 116. 58 Hans. OLG v. 28.6.1991 – 11 U 148/90, GmbHR 1992, 43, 46; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 245. 59 Ebenso Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1311. 60 BAG v. 28.4.1994 – 2 AZR 730/93, GmbHR 1994, 629; BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 287/97, GmbHR 1998, 931; Sitzenfrei/Tischer, DB 2008, 1307. 61 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, GmbHR 1984, 96 = WM 1984, 305 mit Bespr. Roth, ZGR 1985, 268; OLG Frankfurt v. 19.1.1988 – 5 U 3/86, GmbHR 1989, 255; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; Ettinger/Reiff, GmbHR 2007, 617, 619; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1073. 62 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 45; a.A. OLG Frankfurt v. 19.1.1988 – 5 U 3/86, GmbHR 1989, 254, 255. 63 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19.
210 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 47 § 37
Daher können die Gesellschafter im Unterschied zur Aktiengesellschaft in der Satzung die Stellung der Geschäftsführer und ihr Verhältnis zu der Gesellschafterversammlung weitgehend nach ihren Vorstellungen regeln64 (Grundsatz der Satzungsfreiheit). Die Eigenverantwortlichkeit der Geschäftsführer und zwar einzelner oder aller Geschäftsführer kann daher gestärkt, die Entscheidung über die Geschäftspolitik kann ihnen übertragen, das Weisungsrecht der Gesellschafter kann zurückgedrängt werden. Voraussetzung ist jedoch eine Bestimmung in der Satzung. Eine Freistellung im Anstellungs- 44 vertrag ist unzulässig65. Auf der anderen Seite können in der Satzung bestimmte Einzelmaßnahmen des Tagesge- 45 schäfts ausdrücklich verboten oder an die Zustimmung der Gesellschafter gebunden werden. Es kann auch in allgemeiner Form die Vornahme aller Geschäfte und Rechtshandlungen, die der Betrieb der Gesellschaft nicht gewöhnlich mit sich bringt, an die Zustimmung der Gesellschafterversammlung gebunden sein66. Exemplarisch ist die Gründung von Tochtergesellschaften, alle Geschäfte, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen67, die Einleitung von Rechtsstreitigkeiten oder die Vornahme von Leerverkäufen. Für den Zustimmungsbeschluss genügt die einfache Mehrheit der Stimmen der Gesellschafter. Vorgesehen kann sein, dass die Zustimmung als Einwilligung vor der Verwirklichung der Maßnahme oder aber auch nach der Verwirklichung durch Genehmigung erteilt werden kann.
IV. Mehrere Geschäftsführer 1. Gesamtgeschäftsführung Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so gilt im Außenverhältnis als gesetzliche Regel 46 Gesamtvertretung, § 35 Abs. 1. Für das Innenverhältnis fehlt eine entsprechende Vorschrift. Doch ist spiegelbildlich davon auszugehen, dass bei gesetzlicher Ausgestaltung entsprechend § 77 Abs. 1 Satz 1 AktG die Geschäftsführer auch im Innenverhältnis nur gemeinschaftlich zu handeln befugt sind (Gesamtgeschäftsführung)68. Der RegE 1971 sah in § 61 ausdrücklich Gesamtgeschäftsführungsbefugnis vor. Das bedeutet, dass Maßnahmen der Geschäftsführung zunächst durch alle Geschäftsführer zu beschließen sind. Dabei besteht Einigkeit, dass die §§ 28, 32 BGB (Mehrheitsbeschluss der Geschäftsführer) für die GmbH nicht anwendbar sind. Vielmehr gilt der Grundsatz der Einstimmigkeit69. Stimmenthaltungen gelten als Neinstimmen. Zugleich gilt der Grundsatz der allseitigen Mit- 47 wirkung. Das bedeutet, dass alle Geschäftsführer an der Entscheidung mitwirken müssen und nicht nur die zufällig bei einer Sitzung anwesenden Organmitglieder70. Damit unterscheidet sich das deutsche Recht deutlich von ausländischen Rechtsordnungen. Fehlt eine wirksame Geschäftsverteilung, so soll bei organisatorischen Maßnahmen des Tagesgeschäfts eine Ab64 Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 273; Bacher/v. Blumenthal, GmbHR 2016, 514. 65 SG München v. 8.10.2013 – S 4 R 1860/12, NZS 2014, 184; LSG Berlin-Brandenburg v. 16.11.2017 – L 9 KR 369/16, NZG 2018, 387. 66 BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 287/97, EWiR § 37 GmbHG 1/98, 785 (Goette); mit der Frage, ob Zustimmungsvorbehalte formuliert werden müssen, beschäftigt sich van Venrooy, GmbHR 2005, 1243. 67 Streicher, GmbHR 2015, 1188, 1189; Bacher/v. Blumenthal, GmbHR 2016, 514, 517. 68 RG v. 3.2.1920 – II 272/19, RGZ 98, 100; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 33; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 12; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 26; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.50; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13. 69 Ebenso: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 26. 70 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 211
§ 37 Rz. 47 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis stimmung nach Mehrheit genügen71. Bedeutung hat dies vor allem, weil in einem solchen Fall keine Mitwirkung aller Geschäftsführer erforderlich ist. Zu denken ist an Weisungen im Tagesgeschäft gegenüber Arbeitnehmern, Dienstreisen, die Verteilung von Parkplätzen, Festlegung der Tagesordnung von Geschäftsführersitzungen. 48 Die Beschlussfassung bedarf keiner Form72. Sie kann auch konkludent erfolgen. Eine Stell-
vertretung ist ausgeschlossen. Abwesende Geschäftsführer können jedoch ihre Stimme überreichen lassen oder telefonisch bzw. telegrafisch oder durch E-Mail mitwirken.
2. Einzelgeschäftsführung 49 Hat eine Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so kann für diesen Fall in der Satzung das
Mehrheitsprinzip, aber auch Einzelgeschäftsführung, das Handeln von mindestens zwei Geschäftsführern oder eines Geschäftsführers und eines Prokuristen (unechte Gesamtgeschäftsführung) vorgesehen werden. Es gilt volle Gestaltungsfreiheit73. Die Geschäftsführungsbefugnis kann auch für die einzelnen Geschäftsführer in unterschiedlicher Weise geordnet sein74. 50 Fehlt eine Regelung in der Satzung zur Geschäftsführungsbefugnis und gilt für die Vertretung
Einzelvertretungsbefugnis, so ist zugleich zu vermuten, dass auch Einzelgeschäftsführungsbefugnis besteht75. Im Zweifel hat jeder Geschäftsführer dann aber ein Widerspruchsrecht, § 115 HGB analog76.
3. Organinterne Information und Widerspruch 51 Um bei einer Gesamtgeschäftsführung eine kollegiale Zusammenarbeit zu ermöglichen, ha-
ben die Geschäftsführer sich gegenseitig zu informieren77. Jeder Geschäftsführer kann von jedem seiner Mitgeschäftsführer umfassende Aufklärung über alle Vorgänge der Geschäftsführung verlangen. Im Verhältnis der Geschäftsführer zueinander gibt es kein Verschwiegenheitsgebot über vertrauliche Vorgänge. Jeder darf alles wissen78, und jeder hat Anspruch darauf, über alles informiert zu werden. Er kann sich auch selbst unmittelbar vor Ort informieren79; Mitarbeiter befragen, wenn der Mitgeschäftsführer die Information verweigert80,
71 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80. 72 Für die AG: BGH v. 15.3.1990 – I ZR 53/88, WM 1990, 1248. 73 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 13 ff.; Lenz in Michalski u.a., Rz. 32; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis,3. Aufl.2015, S. 242. 74 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 18; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 27. 75 BGH v. 12.10.1992 – II ZR 208/91, WM 1992, 2055 = AG 1993, 82; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96 f. 76 BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261 = NJW 1965, 1378; Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 8 Rz. 52; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 370. 77 Fleck, GmbHR 1974, 225; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 34; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 17. 78 OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 38; OLG München v. 22.10.2015 – v. 17.9.2015 – 23 U 4861/14, GmbHR 2015, 1324; Lutter, Information und Vertraulichkeit im Aufsichtsrat, 3. Aufl., S. 151; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 83; Peters, GmbHR 2008, 682, 685; Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 274; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15; einschränkend: Paefgen/Dettke, WuB II C § 37 GmbHG 1.08. 79 OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 38; Peters, GmbHR 2008, 682, 685; a.A. Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 275 f. 80 Offengelassen von Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 276; weitergehend: Peters, GmbHR 2008, 682, 685; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15.
212 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 57 § 37
etc. Nur auf diese Weise kann jeder Geschäftsführer die Geschäftsführung insgesamt verantworten (zum Grundsatz der Gesamtverantwortung näher 12. Aufl., § 43 Rz. 120 ff.). Ist ein Geschäftsführer mit Maßnahmen seiner Mitgeschäftsführer nicht einverstanden, so 52 kann er widersprechen81. Bei Maßnahmen von größerer Bedeutung und bei Maßnahmen, bei denen mit einer Ablehnung durch die anderen Geschäftsführer zu rechnen ist, muss die Berichterstattung vor der Verwirklichung erfolgen82. Zur Lösung von Pattsituationen kann einem Geschäftsführer (Vorsitzender) das Recht zum 53 Stichentscheid gewährt werden83. Die Befugnis zum Widerspruch kann in der Satzung für einzelne Geschäftsführer auch ausgeschlossen werden84. Bestimmt die Satzung, dass die Mehrheit über die Zweckmäßigkeit einer Maßnahme entscheidet, so ist der überstimmte Geschäftsführer im Zweifel aber verpflichtet, den Gesellschaftern zu berichten85.
4. Ressortzuweisung/Geschäftsverteilung a) Durch Satzung oder Beschluss der Geschäftsführer aa) Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so gilt zwar der Grundsatz der Gesamtge- 54 schäftsführung. Das bedeutet, dass in der Regel alle Geschäftsführer bei der Geschäftsführung zusammenwirken müssen. Es können aber auch bestimmte Entscheidungsbereiche und Überwachungsaufgaben wie z.B. 55 der Einkauf, die Produktion, die elektronische Datenverarbeitung oder die Finanzierung einzelnen Geschäftsführern (Grundsatz der Einzelgeschäftsführung) zugewiesen werden. Die vielfältigsten Gestaltungen und Mischformen sind denkbar, wie etwa die Berufung von zwei Geschäftsführern, die nur zusammenwirken können, die Einführung eines Vetorechts zugunsten des Vorsitzenden oder das Mehrheitsprinzip86. Zulässig sind solche Gestaltungen zur Geschäftsführung durch Regelung in der Satzung87, 56 durch einfachen Beschluss der Gesellschafter im Wege der Weisung an die Geschäftsführer oder durch einstimmigen Beschluss der Geschäftsführer. Regelungen in der Satzung können ausdrücklich geschehen. Sind in der Satzung neue Re- 57 gelungen zur Vertretung der Gesellschaft enthalten, so ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob das Entsprechende auch für die Geschäftsführung gelten soll. Im Zweifel ist hiervon auszugehen88. Sieht daher die Satzung für alle Geschäftsführer Einzelvertretung vor, so gilt das Entsprechende für die Geschäftsführung. Zulässig ist es auch, einem Geschäftsführer ein
81 BGH v. 13.5.1968 – II ZR 103/66, WM 1968, 1329; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 17; Lücke/ Simon in Saenger/Inhester, Rz. 28; Roth, ZGR 1985, 267; van Venrooy, GmbHR 2001, 7. 82 LG Paderborn v. 5.8.2008 – 7 O 29/08, BeckRS 2008, 20871 = Juris. 83 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.55; für die AG s. Priester, AG 1984, 253; Hoffmann-Becking, NZG 2003, 745, 748. 84 So auch Peters, GmbHR 2008, 682, 685. 85 RG v. 3.2.1920 – II 272/19, RGZ 98, 98; BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 65; BGH v. 20.10.1954 – II ZR 280/53, BGHZ 15, 78; Fleck, GmbHR 1974, 225; vgl. auch BGH v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, WM 1971, 1548. 86 Leuering in FS Seibert, 2019, S. 543, 545. 87 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 90. 88 Ebenso Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 15; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Stephan/ Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 213
§ 37 Rz. 57 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis Weisungsrecht gegenüber einem anderen Geschäftsführer einzuräumen89. Bei der AG ist das ausdrücklich in § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG vorgesehen. Sinn macht das bei einer Gesellschaft mit einem Gesellschaftergeschäftsführer, wenn die Weisungsbefugnis gegenüber einem Fremdgeschäftsführer eingeräumt wird. Fehlt in der Satzung eine Regelung zur Geschäftsführung, so können die Geschäftsführer durch Beschluss die Art der Geschäftsführung also etwa Einzelgeschäftsführung vorsehen90. Dem wird entgegengehalten, eine solche Aufteilung von Zuständigkeiten habe aber nicht dieselbe Wirkung wie die Festlegung von Ressortzuständigkeiten durch die Gesellschafter91. Die Geschäftsführer müssten weiterhin die von den Gesellschaftern vorgegebene Zuständigkeit für die Geschäftsführung beachten. Dem widerspricht die Befugnis der Geschäftsführer zur Organisation ihrer Arbeit, wenn dies nicht durch die Gesellschafter vorgegeben ist. 58 Entscheiden die Geschäftsführer über die Zuständigkeiten der Geschäftsführung, bedarf es
eines einstimmigen Beschlusses aller Geschäftsführer92. Ein Beschluss durch die Mehrheit der Geschäftsführer genügt nicht. Die Grenzen der Selbstorganisation werden in § 77 Abs. 2 Satz 3 AktG deutlich. b) Wirksamkeit und Grenzen zulässiger Geschäftsverteilung 59 Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit einer Geschäftsverteilung („Ressortleitung“) wer-
den nicht einheitlich bestimmt. Was gesellschaftsrechtlich ausreicht, muss nicht auch steuerrechtlich durch die Finanzverwaltung oder die Bankenaufsicht anerkannt werden. Für jeden Rechtsbereich muss daher die Wirksamkeit der Geschäftsverteilung getrennt ermittelt werden. Allgemein gilt: Eine Geschäftsverteilung wird rechtlich nur anerkannt93, wenn sie von allen Geschäftsführern einvernehmlich mitgetragen wird94 und der Entscheidungsbereich der Geschäftsverteilung zugänglich ist95. Grenzen für eine zulässige Geschäftsverteilung können sich aus dem Gesetz, aus der Satzung oder einer Weisung der Gesellschaft ergeben. Grundsätzliche Fragen, wie etwa die Vorbereitung der Geschäftspolitik und die Erfüllung der sich aus § 15a InsO ergebenden Pflichten96, müssen in der Zuständigkeit des Gesamtgremiums der Geschäftsführer zwingend auch dann verbleiben, wenn Einzelgeschäftsführungsbefugnis besteht. Hiervon abgesehen ist jeder Teilbereich der Geschäftsführung einer Ressortzuweisung zugänglich; – wenn eine klare und eindeutige Aufteilung aller Geschäftsführungsaufgaben erfolgt, welcher Geschäftsführer für welchen Bereich zuständig ist97, – wenn die Aufteilung der Geschäftsführungsaufgaben in schriftlicher Form erfolgt und 89 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 49. 90 OLG München v. 19.9.2013 – 23 U 1003/13, GmbHR 2013, 1208 = NZG 2013, 1225; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 100; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Lenz in Michalski u.a., Rz. 34, Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 34. 91 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 100. 92 H.M., Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 35; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 14. 93 Der Kommentierung hier in der 7. Aufl. nahezu wörtlich folgend: Sina, GmbHR 1990, 65. 94 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29. 95 BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, GmbHR 1990, 500, 503; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 282; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.30. 96 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), ZIP 1994, 891, 892 = GmbHR 1994, 460. 97 BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, GmbHR 1985, 309 = ZIP 1984, 1345; BFH v. 4.3.1986 – VII S 33/ 85, WM 1986, 1024 = GmbHR 1986, 288; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227.
214 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 63 § 37
– wenn der zuständige Geschäftsführer die erforderliche persönliche und fachliche Qualifikation besitzt, um die zugewiesenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erfüllen98. Unstreitig ist, dass eine klare und eindeutige Aufteilung der Geschäftsführungsaufgaben er- 60 folgen muss. Streitig ist, ob die Aufteilung in schriftlicher Form zu erfolgen hat. Der II. Senat des BGH lässt in einer Entscheidung vom 6.11.201899 eine einvernehmliche Entscheidung aller Geschäftsführer genügen. Sie müssen nicht einmal zwingend ausdrücklich vereinbart werden. Es erscheine nicht ausgeschlossen, dass eine auf einer faktischen Arbeitsteilung oder einer stillschweigenden Übereinkunft beruhende Geschäftsverteilung durch ihre tatsächliche Handhabung zu einer Aufgabenzuweisung erstarke. Der Senat verlangt eine schriftliche Dokumentation auch, „wenn auf andere Weise den Vorgaben an eine sorgfältige Unternehmensleitung nicht Rechnung getragen werden kann“100. Demgegenüber verlangt der Bundesfinanzhof101 für die Anerkennung der Geschäftsverteilung bei Erfüllung der steuerlichen Pflichten in der Regel die Schriftform. Nur ausnahmsweise dürfen nach der Rechtsprechung des BFH „Geschäfte des laufenden Verkehrs“, soweit sie für die Gesellschaft nicht von existenzieller Bedeutung sind, auch ohne schriftliche Aufgabenverteilung auf einen einzelnen Geschäftsführer übertragen werden102. Das von der Rechtsprechung des II. Senats vertretene Regel/Ausnahmeverhältnis überzeugt 61 nicht. Es verletzt das Gebot der klaren und eindeutigen Abgrenzung der Geschäftsführungsaufgaben, der Pflichten der Geschäftsführer und ihrer Haftung. Angesichts der unklaren Abgrenzung kann der Praxis nur dringend geraten werden, die Geschäftsverteilung in schriftlicher Form vorzunehmen. c) Rechtsfolgen der Geschäftsverteilung Der zur Wahrnehmung der Ressortaufgaben zuständige Geschäftsführer nimmt nach ord- 62 nungsgemäßer Geschäftsverteilung weiterhin Geschäftsführungsaufgaben wahr. Er trägt für die ihm zugewiesenen Aufgaben die volle Handlungsverantwortung. Für die anderen Geschäftsführer ist bei wirksamer Geschäftsverteilung die Verantwortung 63 begrenzt. Sie haben fehlerhafte Maßnahmen in den Ressorts, für die sie nicht zuständig sind, nicht zu vertreten103. Bei rechtlich anerkannter Geschäftsverteilung verbleibt aber bei jedem Geschäftsführer, auch wenn er für ein bestimmtes Ressort nicht zuständig ist, eine Informations- und Überwachungsverantwortung. Er hat sich über die grundlegenden mit der Lei-
98 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227; BFH v. 9.7.1996 – VII R 136/95, BFH/NV 1997, 10, 11. 99 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 11/17, GmbHR 2019, 227; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 28; Jacoby in Bork/Schäfer, Rz. 6; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15; Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 44 Rz. 87; zustimmend auch Buck-Heeb, BB 2019, 584; Hülsmann, GmbHR 2019, 209, der als Berater einer Prozesspartei mitgewirkt hat; a.A. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 43 Rz. 115; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.48; Ziemons in Michalski u.a., § 43 Rz. 338; Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 477, 484 f.; Dreher, ZGR 1992, 22, 59 f. 100 Vgl. Goette, ZHR 175 (2011), 388, 397. 101 BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443, 447 m. Anm. Wilke = GmbHR 1985, 309; BFH v. 4.3.1986 – VII S33/85, WM1986, 1023; BFH v. 17.5.1988 – VII R 90/85, GmbHR 1989, 170. 102 BFH v. 4.3.1986 – VII S 33/85, BFHE 146, 23, 26 = GmbHR 1986, 288. 103 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, WM 1985, 1293, 1294 = GmbHR 1986, 19, 20; BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, GmbHR 1986, 302 = WM 1986, 789; BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, BFHE 141, 443, 447 = GmbHR 1985, 30, 31; Geßler, NB 1972, Heft 2, S. 13; Hommelhoff, ZHR 143 (1979), 288, 298.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 215
§ 37 Rz. 63 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis tung verbundenen Aufgaben in regelmäßigen Abständen zu informieren104. Er hat daher auch einen Anspruch auf umfassende Information105. 64 Er hat sich erstens regelmäßig zu informieren, ob der Mitgeschäftsführer weiterhin die Qua-
lifikation besitzt, um die zugewiesenen Aufgaben zu bewältigen106; und ob der einzelne Geschäftsführer seinen Aufgaben auch tatsächlich nachkommt. Jeder nicht zuständige Geschäftsführer hat zweitens beim Verdacht von unzweckmäßigen Maßnahmen durch den zuständigen Geschäftsführer oder gar beim Verdacht von Pflichtverletzungen zunächst den zuständigen Geschäftsführer zu befragen und bei fortbestehenden Zweifeln das Gesamtgremium zu informieren. Im Zweifel ist die Einzelentscheidung und bei schweren Zweifeln ist der gesamte Aufgabenbereich in das Gesamtgremium zurückzuholen („Rückholpflicht“)107. Drohen schwere Nachteile für die Gesellschaft und sind die Mitgeschäftsführer nicht bereit, dem abzuhelfen, so ist zunächst zu widersprechen („Widerspruchspflicht“). Hiernach ist jeder, der nicht zuständigen Geschäftsführer verpflichtet einzugreifen, „wenn sich Anhaltspunkte ergeben, dass der zuständige Geschäftsführer in seinem Arbeitsbereich die Geschäfte nicht ordnungsgemäß führt“108. Sodann sind die Gesellschafter zu unterrichten („Unterrichtungspflicht“)109. Die Möglichkeit beruflicher Nachteile entlastet ebenso wenig wie die Tatsache, dass ein Geschäftsführer eine dominierende Stellung hat und sich die Mitgeschäftsführer diesem unterordnen110. Im Ergebnis führt dies dazu, dass der eine Mitgeschäftsführer wegen einer fehlerhaften Entscheidung, der zweite Geschäftsführer wegen mangelhafter Überwachung und der dritte Geschäftsführer deshalb pflichtwidrig gehandelt haben kann, weil er gegen die Entscheidung nicht vorgegangen ist. 65 Streitig ist, ob der nicht zuständige Geschäftsführer schon vor der Befragung des zuständigen
Geschäftsführers selbständig Ermittlungen aufnehmen darf, kann oder gar muss. Bei rechtswidrigen Maßnahmen und bei Gefahr, dass dauerhafter Schaden für die Gesellschaft entsteht, ist jeder Geschäftsführer verpflichtet einzuschreiten, Mitarbeiter zu befragen und den Schaden abzuwenden111. 66 Für „sachnähere Ressortleiter“ bestehen keine weitergehenden Überwachungspflichten112.
Nur vom Vorsitzenden der Geschäftsführung darf man eine erhöhte Überwachung und im Zweifel Nachforschung erwarten; denn seine Aufgabe besteht auch in der Koordination. In
104 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), DStR 1994, 1092 (Goette); BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, DStR 1995, 1639 (Goette) = GmbHR 1995, 653; BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, GmbHR 2004, 302, 304; OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Uwe H. Schneider, DB 1993, 1909; Habersack, WM 2005, 2360. 105 OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37; Peters, GmbHR 2008, 682. 106 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 375 = GmbHR 1997, 25. 107 BGH v. 27.6.1985 – VII ZB 21/84, WM 1985, 1294; BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, GmbHR 1986, 302 = WM 1986, 789; BFH v. 4.3.1986 – VII S 33/85, WM 1986, 1023, 1024; Hans. OLG v. 16.9.1986 – 3 Ss 26/86 OWi, GmbHR 1987, 272. 108 BGH v. 8.7.1985 – II ZR 198/84, NJW 1986, 54, 55 = GmbHR 1986, 19; BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, NJW-RR 1986, 1293 = GmbHR 1986, 302; BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, NJW 1997, 130, 132 = GmbHR 1997, 25; Leuering in FS Seibert, 2019, S. 543, 551. 109 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 65; BGH v. 20.10.1954 – II ZR 280/53, BGHZ 15, 71, 78; Fleck, GmbHR 1974, 225; vgl. auch BGH v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, WM 1971, 1548. 110 BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, GmbHR 1990, 500, 503. 111 BGH v. 26.6.1995 – II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653 = WM 1995, 1665; BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, GmbHR 2008, 815 = ZIP 2008, 1275, 1276 = WM 2008, 1403, 1404; Leuering in FS Seibert, 2019, S. 543, 548. 112 So aber VG Frankfurt v. 8.7.2004 – 1 E 7363/03 (1), WM 2004, 2157 m. Anm. Branscheid, WuB II R. § 34 VAG 1.05; wie hier Habersack, WM 2005, 2360.
216 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 68 § 37
der Krise der Gesellschaft verschärfen sich die Pflichten113. Doch darf dies nicht dazu führen, dass eine Geschäftsverteilung nicht mehr anerkannt wird. Jeder Geschäftsführer hat die anderen Geschäftsführer regelmäßig über die wesentlichen Vor- 67 gänge aus seinem Ressort zu informieren114. Im Zweifel kann das Gesamtgremium der Geschäftsführer jederzeit Maßnahmen der Geschäftsführung wieder an sich ziehen.
5. Delegation Die Geschäftsführer in ihrer Gesamtheit und der zuständige Ressortleiter brauchen nicht 68 jede einzelne Maßnahme im Unternehmen der Gesellschaft selbst vorzunehmen, sondern können im Rahmen des unternehmerischen Ermessens115 die einzelnen Sachfunktionen auf die nachgeordneten Mitarbeiter delegieren. Machen die Geschäftsführer von dieser Delegationsbefugnis Gebrauch, so haben sie insoweit nur für eine ordnungsgemäße Auswahl der Mitarbeiter, ihre den Aufgaben angemessene Einweisung116 und Information sowie die erforderliche Überwachung einzustehen117. Im Blick hierauf sind etwa Arbeitnehmer auf sicherheitsrelevanten Arbeitsplätzen auf ihre körperliche Leistungsfähigkeit zu untersuchen und laufend zu überwachen118. Ferner ist regelmäßig zu prüfen, ob die Mitarbeiter und – bei mehrfach gestufter Hierarchie – die unmittelbar nachgeordneten Geschäftsbereichsleiter ihren Aufgaben angemessen nachkommen, ob sie die Führungsaufgaben im Verhältnis zu ihren Mitarbeitern wahrnehmen und ihren Pflichten im Verhältnis zu den Geschäftsführern (Information usw.) und gegenüber Dritten erfüllen (Führungsverantwortung)119. Über die öffentlich-rechtlichen Normen, etwa des Umweltschutzrechts, des Kartellrechts usw., sind die Mitarbeiter nicht nur eindringlich zu belehren, sondern die Einhaltung der Vorschriften ist auch laufend zu überwachen120.
113 BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370 = GmbHR 1997, 25; Habersack, WM 2005, 2362; zurückhaltend: Karsten Schmidt, JbFSt. 1997/98, S. 249, 252. 114 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), NJW 1994, 2149, 2150; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 43 Rz. 46 f.; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 90; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 15. 115 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 224/00, BGHZ 152, 280, 287 = GmbHR 2003, 113 m. Anm. Lelley; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. 2010, § 32 Rz. 85; Turiaux/Knigge, DB 2004, 2204, 2204; Überblick bei E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.63. 116 Zu weitgehend: BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 307 = GmbHR 1997, 305, 309. 117 BGH v. 21.1.1997 – VI ZR 338/95, BGHZ 134, 304, 307 = GmbHR 1997, 305, 307 (zumal in der Krise); BGH v. 5.12.1989 – VI ZR 335/88, GmbHR 1990, 207; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Großfeld/Noelle, AG 1986, 275; Medicus, GmbHR 1998, 9; Uwe H. Schneider, DB 1993, 1909; Menzer, GmbHR 2001, 511; Froesch, DB 2009, 722; für die steuerlichen Pflichten: BFH v. 10.5.1988 – VII R 24/85, BFH/NV 1989, 72; BFH v. 27.11.1990 – VII R 20/89, BStBl. II 1991, 284 = GmbHR 1991, 381. 118 Bergau, NZA 1988, 90; keine Aids infizierten Piloten. 119 Österr. OGH v. 25.2.1981 – 6 Ob 542/81, GesRZ 1981, 113; Koppensteiner/Gruber in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15. 120 Zu der sehr weitgehenden, teilweise überzogenen Rechtsprechung im Zusammenhang mit § 130 OWiG, insbesondere aufgrund der Verletzung der Organisationspflichten bei Kartellverstößen: BGH v. 24.3.1981 – KRB 4/80, WuW/E 1799; BGH v. 25.6.1985 – KRB 2/85, WuW/E 2202; BGH v. 10.12.1985 – KRB 3/85, WuW/E 2205; BGH v. 11.3.1986 – KRB 7/85, WuW/E 2262 und BGH v. 24.3.1987 – KRB 8/86, WuW/E 2394 sowie Brunner, Der Täterkreis bei Kartellordnungswidrigkeiten, 1986; Herrmanns in Schwerpunkte des Kartellrechts 1984/85, 1986, S. 15; Tessin, BB 1987, 984.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 217
§ 37 Rz. 69 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis
6. Grenzen für Geschäftsverteilung und Delegation 69 Aus dem Gesetz, aus der Satzung und aus der Führungsverantwortung des Geschäftsführers
ergeben sich Grenzen für die Geschäftsverteilung, also die Zuweisung von Aufgaben an die Mitgeschäftsführer und für die Delegation an nachgeordnete Mitarbeiter. Der Kernbereich zwingender Gesamtzuständigkeit der Geschäftsführer ist bei der GmbH jedoch erheblich kleiner als bei der AG121, weil der einzelne von mehreren Geschäftsführern von der Geschäftsführung auch weitgehend ausgeschlossen werden kann (str.; s. dazu Rz. 46). Von der Möglichkeit einer Zuweisung und Delegation kann die Erfüllung bestimmter der Gesellschaft oder den Geschäftsführern persönlich auferlegter Pflichten ausgenommen sein, wie etwa die Erfüllung bestimmter Meldepflichten gegenüber dem Handelsregister (s. etwa 12. Aufl., § 7 Rz. 10) und die Insolvenzantragspflicht122. Soweit die Erfüllung der gesetzlichen Pflicht zuweisungsfähig ist, also in die Verantwortung eines Geschäftsführers gegeben werden kann, wie etwa die ordnungsgemäße Buchführung oder die Wahrnehmung der steuerlichen Pflichten der Gesellschaft, obliegen den anderen Geschäftsführern besonders strenge Überwachungspflichten. 70 Aus dem Grundsatz der Gesamtverantwortung folgt, dass auch bei Einzelgeschäftsführung
Maßnahmen, die für die Gesellschaft von grundlegender Bedeutung sind, vom Gesamtgremium entschieden werden müssen123. Aus diesem Grund sind die Vorbereitung der Pläne für die Unternehmenspolitik124, die Festlegung der Organisationsstruktur, die Geschäftsverteilung, die Auswahl und Überwachung der leitenden Mitarbeiter und existentielle Entscheidungen, wie etwa wesentliche Veränderungen in der Produktpalette, die Ausgliederung der Datenverarbeitung, der Wechsel der Hausbank usw., weder zuweisungsfähig noch delegierbar125. Setzen sich die Geschäftsführer über das Delegationsverbot hinweg, so können sie auch dann schadensersatzpflichtig werden, wenn den Mitarbeiter kein Vorwurf trifft. Die Pflichtverletzung durch den Geschäftsführer liegt darin, dass er die Entscheidung nicht selbst vorgenommen hat. 71 Die Satzung kann, unabhängig hiervon, ausdrücklich bestimmte Entscheidungen zwingend
dem Gesamtgremium der Geschäftsführer zuweisen, etwa die Vergabe von Krediten ab einer bestimmten Höhe, die Veräußerung von Grundstücken usw. Aus der Ausgestaltung der Vertretungsbefugnis kann im Wege der Auslegung zu entnehmen sein, ob die Gesellschafter Entscheidungen in bestimmter Weise behandelt sehen wollen126.
7. Outsourcing 72 Auch die Auslagerung von unternehmerischen Aufgaben auf selbständige Dienstleister (Out-
sourcing), sei es auf konzernfreie Unternehmen oder auf Konzernunternehmen, steht im unternehmerischen Ermessen der Gesellschafter oder der Geschäftsführer. Deshalb greifen die
121 Zur Lage bei der AG: K.-P. Martens in FS Fleck, 1988, S. 191. 122 BGH v. 1.3.1993 – II ZR 61/92 (II ZR 81/94), GmbHR 1994, 460, 461 (Pflicht zur rechtzeitigen Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens); s. ferner die Aufzählung bei Uwe H. Schneider in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 473. 123 BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, GmbHR 1990, 500, 503; Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 44 Rz. 85; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 282. 124 Dreher, ZGR 1992, 57. 125 BGH v. 28.10.1971 – II ZR 49/70, WM 1971, 1548, überschlägige Prüfung der Kalkulation; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 484 f.; Tillmann/Mohr, GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020, Rz. 635; weitere Beispiele bei Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 283. 126 BGH v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 65.
218 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 74 § 37
allgemeinen Grenzen des unternehmerischen Ermessens auch hier. Das Outsourcing muss rechtlich zulässig sein und es darf nicht gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensleitung verstoßen. Liegt aber eine zulässige „externe Delegation“ vor, haftet der Geschäftsführer nur für die sorgfältige Auswahl des Dienstleisters und für dessen Überwachung127. § 25a KWG konkretisiert die aufsichtsrechtlichen Anforderungen128. Das lässt sich auch gesellschaftsrechtlich fruchtbar machen. Pflichtverletzungen des Dienstleisters gegenüber der Gesellschaft oder gegenüber Dritten muss sich der Geschäftsführer nicht zurechnen lassen129.
8. Vorsitzender der Geschäftsführung Hat die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer, so haben alle Geschäftsführer dieselben Befug- 73 nisse. Die Bestellung eines Vorsitzenden der Geschäftsführung mit erweiterten Befugnissen und Pflichten ist im Gesetz nicht vorgesehen. In der Satzung oder durch Beschluss der Gesellschafter kann jedoch bestimmt werden, dass ein Vorsitzender oder ein Sprecher der Geschäftsführung bestellt wird. Freilich können entsprechende Zusätze wie etwa „Sprecher der Geschäftsführung“ nicht in das Handelsregister eingetragen werden130; dies liefe dem Sinn des Handelsregisters, Klarheit über die Vertretung zu schaffen, zuwider. Der Vorsitzende kann mit besonderen Befugnissen ausgestattet werden. In Betracht kommt etwa das Recht zum Stichentscheid131 oder ein Vetorecht132 oder auch ein positives Alleinentscheidungsrecht. Im GmbH-Recht gibt es kein Verbot der Alleinentscheidung durch den Vorsitzenden, wie es § 77 Abs. 1 Satz 2 AktG für den Vorstandsvorsitzenden der AG enthält. Demgemäß findet man in mitbestimmungsfreien GmbHs bisweilen die Figur eines „Hauptgeschäftsführers“, der berechtigt ist, Meinungsverschiedenheiten im Kollegium der Geschäftsführer auch gegen seine Kollegen zu entscheiden133. Auch bei einer solchen Gestaltung treffen die übrigen Geschäftsführer die aus der Gesamtverantwortung folgenden Überwachungspflichten134, wie sie der BGH für die mehrgliedrige Geschäftsführung einer GmbH besonders nachdrücklich formuliert hat135. Auch wenn die GmbH nach DrittelbG oder nach MitbestG136 mitbestimmt ist, ist eine Re- 74 gelung in der Satzung zulässig, wonach die Gesellschafter für die Ernennung eines Vorsitzenden zuständig sind. Dafür sprechen Wortlaut, Gesetzessystematik und eine teleologische Auslegung. Solche Satzungsgestaltungen müssen jedoch bei Gesellschaften im Anwendungs-
127 128 129 130 131 132 133 134 135 136
E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 102. S. dazu auch Braun/Wolfgarten in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, 5. Aufl., § 25a KWG Rz. 85b. Uwe H. Schneider/Brouwer in FS Priester, 2007, S. 713. OLG München v. 5.3.2012 – 31 Wx 47/12, GmbHR 2012, 750; vgl. für Stellvertreterzusatz bereits: BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, NJW 1998, 1071 = GmbHR 1998, 181. LG Koblenz v. 29.10.1971 – 71 HT 14/71, BB 1972, 113. Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 103. A.A. (für die AG): Hoffmann-Becking, NZG 2003, 745, 748 (kein Vetorecht gegen Mehrheitsbeschlüsse). LG Koblenz v. 29.10.1971 – 71 HT 14/71, BB 1972, 113; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 87; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 19; Lenz in Michalski u.a., Rz. 35. BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, GmbHR 2008, 815, 816. BGH v. 15.10.1996 – VI ZR 319/95, BGHZ 133, 370, 376 ff. = GmbHR 1997, 25, 27. Str., für zwingende Zuständigkeit des Aufsichtsrats: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 22; Lutter/Krieger/Verse, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 7. Aufl. 2020, Rz. 1142; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 9; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, § 30 MitbestG Rz. 10; für Zuständigkeit der Gesellschafter: Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Henssler, GmbHR 2004, 321.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 219
§ 37 Rz. 74 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis bereich des MitbestG den Grundsatz der Gleichbehandlung der Geschäftsführer und den Kernbereich von Zuständigkeiten des Arbeitsdirektors in Personal- und Sozialfragen beachten137. Bei diesen Gesellschaften ist daher mit Rücksicht auf die Rechtsstellung des Arbeitsdirektors die Einräumung eines allgemeinen Vetorechts unzulässig138. Die Gesamtheit der Geschäftsführer kann jedoch jede Angelegenheit ins Gesamtgremium zurückholen139. Schweigt die Satzung, so obliegt dem Vorsitzenden nur die Organisation der Meinungsbildung zwischen den Geschäftsführern und die Erklärung der Geschäftsführerbeschlüsse gegenüber den anderen Gesellschaftsorganen. Eine Vermutung, dass dem Vorsitzenden das Recht zum Stichentscheid zusteht, besteht nicht140.
V. Beschränkungen der Geschäftsführung 1. Der Grundsatz der Weisungsabhängigkeit a) Durch Gesellschafter und Aufsichtsrat 75 Im Unterschied zum Vorstand der Aktiengesellschaft leitet der Geschäftsführer die Gesell-
schaft nicht in eigener Verantwortung. Die Gesellschafterversammlung kann vielmehr den Geschäftsführern in allen Bereichen der Unternehmensleitung Weisungen erteilen (Grundsatz der Weisungsabhängigkeit), § 37 Abs. 1. Den Geschäftsführern ist die Pflicht auferlegt, diese Weisungen auszuführen (Grundsatz der Folgepflicht)141. Die Weigerung eines Geschäftsführers, Gesellschafterweisungen nachzukommen, kann ein wichtiger Grund zur Abberufung und zugleich eine Verletzung dienstvertraglicher Pflichten darstellen142. Diese Weisungen können genereller Art sein. So werden die Gesellschafter durch Richtlinien die Geschäftspolitik bestimmen. Durch generelle Weisung können einzelne Maßnahmen des Tagesgeschäfts an die Zustimmung der Gesellschafter gebunden werden. Die Weisungen können aber auch konkreten Charakter haben und einzelne Maßnahmen betreffen143. 76 Geht man hiervon aus, so kommen zwei Arten von Weisungen in Betracht, nämlich
– die ausführende Weisung, wodurch der Geschäftsführer angewiesen wird, eine bestimmte Maßnahme vorzunehmen. In diesem Fall verbleibt dem Geschäftsführer nur die Entscheidung über die Art und Weise der Ausführung;
137 Zum Vorsitzenden der Geschäftsführung in der mitbestimmten GmbH: Henssler, GmbHR 2004, 321. 138 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 58 = WM 1983, 1378 = GmbHR 1984, 151; Seibt in Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, § 33 MitbestG Rz. 8; Konzen, GmbHR 1983, 98; a.A. Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 33 MitbestG Anm. 24. 139 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 34. 140 A.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42: Ernennung impliziert eine Geschäftsverteilungsentscheidung. 141 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 278; BFH v. 9.10.1996 – XI R 47/96, GmbHR 1997, 374; OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476, 1478; OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, ZIP 1997, 451 = GmbHR 1997, 346; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 3; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 89, 247, 278; Immenga, GmbHR 1973, 6; Flume, Die juristische Person, 1983, S. 61 Fn. 128; Boesebeck, GmbHR 1960, 118; Fleck, GmbHR 1974, 226; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 13; s. auch Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, 1980, Tz. 659 ff. 142 BGH v. 20.8.2019 – II ZR 12/16, GmbHR 2019, 1233, 1236. 143 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 12; a.A. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 336: Die Gesellschafterversammlung kann über einzelne Geschäftsführungsfragen nur dann entscheiden, wenn die Geschäftsführer dies an sie herantragen.
220 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 80 § 37
– die untersagende Weisung, die dem Geschäftsführer eine bestimmte Maßnahme schon vor oder nach ihrer Ausführung untersagt. Ist die Maßnahme bereits ausgeführt, so hat der Geschäftsführer alles zu unternehmen, um die Folgen zu beseitigen. Den einzelnen Gesellschaftern steht es frei, dem Weisungsbeschluss zuzustimmen, sich zu 77 enthalten oder gegen einen Weisungsbeschluss zu stimmen. Entgegen einer Entscheidung des OLG München vom 14.8.2014144 ist ein Gesellschafter aufgrund seiner Treuepflicht nicht verpflichtet, einem Beschlussantrag über eine zu erteilende Weisung zuzustimmen145 Das Weisungsrecht steht nur der Gesellschafterversammlung und nicht einzelnen Gesell- 78 schaftern zu, selbst wenn sie über die Mehrheit der Stimmen verfügen (Mehrheitsgesellschafter) und aus diesem Grund einen entsprechenden Gesellschafterbeschluss herbeiführen könnten146. Der Weisung muss daher ein förmlicher Gesellschafterbeschluss vorausgehen. Einfache Mehrheit genügt147. Eine Dreiviertelmehrheit für den Weisungsbeschluss ist ausnahmsweise erforderlich bei me- 79 diatisierenden Maßnahmen der Konzernbildung sowie bei tiefgreifenden Strukturentscheidungen148. Das folgt aus der Nähe zur Satzungsänderung149. Durch die Satzung kann das Weisungsrecht aber auch auf einen besonders eingerichteten 80 Aufsichtsrat (Beirat u.Ä.)150 mit nach-, gleich- oder vorrangiger Kompetenz zu derjenigen der Gesellschafterversammlung delegiert werden151. Sie kann auch einem einzelnen Gesellschafter als Sonderrecht übertragen werden. Die Einzelheiten sind streitig. So wird teilweise die Ansicht vertreten, die Übertragung sei nur zulässig, wenn sie durch einfachen Gesellschafterbeschluss revidierbar ist und ein subsidiäres Weisungsrecht der Gesellschafter erhalten bleibe152. Ist bei einer GmbH & Co. KG die KG zugleich Gesellschafterin der GmbH, so kann ihr durch die Satzung der GmbH das Sonderrecht eingeräumt werden, dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH Weisungen zu erteilen153. Zu den Grenzen des Weisungsrechts und der Folgepflicht s. 12. Aufl., § 43 Rz. 260 ff. Die Gesellschafter können aber auch in der Satzung einzelne oder alle Geschäftsführer für die Zukunft in vollem Umfang oder in Teilbereichen von Weisungen freistellen. Wollen die Gesellschafter hieran etwas ändern, so bedarf es der Änderung der Satzung. Ein Beschluss der Gesellschafter mit einfacher Mehrheit genügt dann nicht (s. Rz. 11).
144 OLG München v. 14.8.2014 – 23 U 4744/13, GmbHR 2015, 84 = NZG 2015, 66. 145 Ebenso Hennrichs, NZG 2015, 41. 146 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 110; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 14; Ausnahme: Weisung des alleinigen Gesellschafters: BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 278; BGH v. 28.9.1992 – II ZR 299/91, WM 1992, 2053 = GmbHR 1993, 38: kein förmlicher Gesellschafterbeschluss erforderlich; ebenso: BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85. 147 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17. 148 Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1287; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 18. 149 So BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122 (AG) – Holzmüller; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 = ZIP 2004, 993 – Gelatine. 150 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 41; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 11, 19, 23; Uwe H. Schneider, BB 1973, 1464; Hölters, BB 1977, 105; s. auch 12. Aufl., § 52 Rz. 307. 151 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 109; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 41. 152 S. anstelle vieler: Konzen, NJW 1989, 2980; Thümmel, DB 1995, 2461; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996, S. 9; zum Ganzen Rohleder, Die Übertragbarkeit von Kompetenzen auf GmbH-Beiräte, 1991, sowie 12. Aufl., § 52 Rz. 307. 153 S. dazu: BGH v. 12.11.1979 – II ZR 174/77, GmbHR 1980, 129; Winter, GmbHR 1965, 196.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 221
§ 37 Rz. 81 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis b) Durch Dritte? 81 Teilweise wird die Ansicht vertreten, auch Dritten könnten Weisungsrechte eingeräumt wer-
den, wenn sie „statutarisch in die Organisation der Gesellschaft“ eingebettet seien und auf deren Interesse ausgerichtet sind. Damit werde der Dritte zum Gesellschaftsorgan154. Zu denken ist an Kreditinstitute, die künftig erben, oder die Gläubiger einer Anleihe. Hier ist Vorsicht geboten, weil naheliegt, dass der Dritte als Gesellschafter in die Gesellschaft aufgenommen ist. Die Regel lautet daher: Dritten, also Personen, die keine Gesellschafter sind, können weder durch die Gesellschafter noch durch die Gesellschaft mitgliedschaftliche Weisungsrechte eingeräumt werden155. Dem steht zwar nicht entgegen, dass die Satzung als Organisationsvertrag die rechtliche Ausgestaltung der juristischen Person einschließlich der Mitgliedschaftsrechte der Gesellschafter regelt156; denn dadurch ist nicht ausgeschlossen, dass die Satzung zum Vertrag zu Rechten Dritter wird. Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge sind organisationsrechtliche Verträge, die Rechte zugunsten Dritter begründen157.
82 Die Einräumung von mitgliedschaftsrechtlichen Weisungsrechten an Dritte ohne die beson-
deren konzernrechtlichen Schutzbestimmungen widerspricht dem Selbstbestimmungsrecht der Gesellschafter. Den Gesellschaftern sind für die Dauer der Mitgliedschaft Rechte und Pflichten auferlegt. Sie haben das Ergebnis der Unternehmensleitung mitzutragen. Die Folgen der Weisungen wirken sich auf ihre Rechte und Pflichten aus. Eine solche auf Dauer angelegte Fremdbestimmung widerspricht der Konzeption des Gesellschaftsrechts. 83 Das hindert jedoch nicht, in einem schuldrechtlichen Vertrag, z.B. in einem Darlehensver-
trag, schuldrechtliche Weisungsrechte zugunsten Dritter zu begründen. Damit werden keine Organkompetenzen übertragen158. Die Weisungen richten sich an die Gesellschaft und nicht an das Organ: Geschäftsführer. Befolgt die GmbH diese Weisungen nicht, so berechtigen sie den Dritten nur zur Kündigung und gegebenenfalls zum Schadensersatz159.
2. Kernbereich eigenverantwortlicher Geschäftsführung? a) Bei der mitbestimmungsfreien GmbH 84 Die Zuweisung der Geschäftsführung an die Geschäftsführer ist kein zwingender Organisati-
onssatz der GmbH. Es besteht vielmehr grundsätzlich Satzungsfreiheit. Streitig ist aber, ob es einen zwingenden Kernbereich eigenverantwortlicher Geschäftsführungsbefugnis für die Geschäftsführer gibt. Hier sind zwei Fragen zu unterscheiden.
154 So Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Fleck, ZGR 1988, 133. 155 Ebenso OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, ZIP 1997, 451 = GmbHR 1997, 346; Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 189 ff., 217; Feine, S. 480; vgl. auch Winter, GmbHR 1965, 196; Timm, ZIP 1986, 1388; a.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20; Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 44 Rz. 72; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 25; differenzierend: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37 sowie Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72: Nichtgesellschafter erhalten Organqualität; Fleck, ZGR 1988, 132. 156 So aber Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911. 157 Ähnlich: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20. 158 Maulbetsch, Beirat und Treuhand in der Publikumspersonengesellschaft, 1984, S. 54 ff. 159 Einzelheiten bei Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 404.
222 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 86 § 37
aa) Zunächst stellt sich die allgemeine Frage, ob einem Geschäftsführer durch die Satzung 85 die Geschäftsführungsbefugnis in vollem Umfang entzogen werden kann160. Das ist zu verneinen, wenn die Gesellschaft nur einen Geschäftsführer hat161. Auch kann ein Geschäftsführer nicht aus den ihm auferlegten besonderen öffentlich-rechtlichen Pflichten162 (vgl. etwa § 15a InsO und § 34 AO) und aus seiner Überwachungspflicht163 entlassen werden. Im Übrigen aber erlaubt die Gestaltungsfreiheit bei einer Gesellschaft mit mehreren Geschäftsführern, einzelne von der Befugnis und Pflicht zur aktiven Geschäftsführung freizustellen („Zölibatsklausel“)164. Damit können jüngere Geschäftsführer in ihre künftige Führungsaufgabe eingearbeitet und zugleich den Geschäftspartnern vorgestellt werden165 (bedeutsam für § 33 KWG). bb) Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob und in welchem Umfang bei gesetzlicher Aus- 86 gestaltung des Innenverhältnisses der Gesellschaft das Weisungsrecht der Gesellschafter beschränkt ist und sich daraus ein weisungsfreier Mindestbereich ergibt. Teilweise wird die Ansicht vertreten, durch Einzelweisungen könne das unternehmerische Initiativ- und Entscheidungszentrum nicht in vollem Umfang von den Geschäftsführern auf die Gesellschafter verlagert werden166. Es bestehe ein „unternehmerischer Kardinalbereich“167. Dem Geschäftsführer werde jene Autorität genommen, derer er für die Durchführung seiner Kernaufgaben bedürfe. In einem rigiden Machtentzug liege eine Verletzung der Treuepflicht168. Dem ist nicht zuzustimmen. Erstens gibt es keinen Entscheidungsbereich, der weisungsimmun wäre169. Grenzen für das Weisungsrecht bestehen dem Inhalt nach nicht. Das Weisungsrecht ist daher nicht auf allgemeine Richtlinien beschränkt. Erteilt werden können auch Einzelweisungen zur Unternehmenspolitik, zum Tagesgeschäft, die ungewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen darstellen, die die Art und Weise der Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflichten betreffen usw. Es wird zweitens kein überzeugender Grund genannt, der die Gesellschafter hindern könnte, breitflächig Weisungen zu erteilen mit der Folge, dass der Geschäftsführer zum reinen Ausführungsorgan (Exekutivorgan) wird170. Das 160 Dagegen: Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 336; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 93; Zöllner, ZGR 1977, 325; Wank, GmbHR 1980, 122; für Unentziehbarkeit aller gesetzlich explizit zugewiesenen Aufgaben: Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 23; s. aber Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 32. 161 Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271. 162 Peters, GmbHR 2008, 682, 684; Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271, 273 f. 163 OLG Hamm v. 8.7.1985 – 8 U 295/83, ZIP 1986, 1188, 1193 m. Anm. Lutter; OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 38; Peters, GmbHR 2008, 682, 684; zweifelnd: Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22. 164 OLG Hamm v. 8.7.1985 – 8 U 295/83, ZIP 1986, 1190; OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 269; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68, 94 f.; Ulmer in FS Schwark, 2009, S. 271; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18a. 165 Ähnlich: Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1076. 166 Hommelhoff, ZGR 1978, 127; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, S. 336. 167 Gieseke, GmbHR 1996, 486. 168 Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1075. 169 OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476, 1478; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 118; Rohleder, Die Übertragbarkeit von Kompetenzen auf GmbH-Beiräte, 1991, S. 34; Eisenhardt in FS Pfeiffer, 1988, S. 839, 845; Konzen, NJW 1989, 2979; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.78. 170 OLG Düsseldorf v. 15.11.1984 – 8 U 22/84, ZIP 1984, 1476; OLG Nürnberg v. 9.6.1999 – 12 U 4408/98, NZG 2000, 154 = AG 2000, 228; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 32; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 4; Baukelmann in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 25; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen …, 1996, S. 21 ff.; Uwe H. Schneider, BB 1973, 1469; Wank, GmbHR 1980, 123; Konzen, NJW 1989, 2979; Ebert, GmbHR 2003, 444; Ulmer in FS
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 223
§ 37 Rz. 86 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis Interesse Dritter wird nicht berührt. § 46, der die Zuständigkeiten der Gesellschafter auflistet, spricht nicht gegen ihre Allzuständigkeit und damit gegen ein umfassendes Weisungsrecht171. Es handelt sich insoweit nur um zwingende Zuständigkeiten, die nicht den Geschäftsführern überlassen sind. In den Aufzählungen liegt jedoch keine Beschränkung der Zuständigkeit. b) Bei der mitbestimmten GmbH 87 Die einzelnen Mitbestimmungsgesetze enthalten keine ausdrücklichen Vorschriften, die Sat-
zungsbestimmungen oder Weisungen der Gesellschafterversammlung entgegenstehen würden. 88 aa) Ist die GmbH nach dem DrittelbG mitbestimmt, so ändert dies an der Satzungsfreiheit
bei der Ausgestaltung der Geschäftsführungszuständigkeit und der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer grundsätzlich nichts. 89 bb) Liegt die GmbH aber im Anwendungsbereich des MitbestG, soll der Zuständigkeitsbe-
reich der Geschäftsführer verfestigt sein. Am weitesten geht die Ansicht, durch die Verweisung auf § 111 AktG in § 25 Abs. 1 MitbestG sei das Verhältnis der Organe in der mitbestimmten GmbH nach dem Vorbild der AG geregelt. Satzungsmäßige Geschäftsführungsbefugnisse der Gesellschafter, Weisungen der Gesellschafter u.Ä. seien nicht zulässig172. Nach anderer Ansicht sollen Gesellschafterweisungen nur im Bereich der Tagesgeschäfte dem Mindestsinn der Mitbestimmung zuwiderlaufen. Die Weisungsbefugnis beschränke sich „auf grundsätzliche und wesentliche Fragen“173. Eine dritte Ansicht sieht die Schranken wie bei der Normal-GmbH. Dem Geschäftsführer sei nur ein „Spielraum eigenen Wirkens“ im Bereich der laufenden Geschäftsführung zu belassen, was aber Weisungen im Einzelfall nicht ausschließe174. 90 Gegen eine Einschränkung der Satzungsfreiheit und Weisungsbefugnis spricht zunächst all-
gemein, dass das Mitbestimmungsgesetz „auf der Grundlage des geltenden Gesellschaftsrechts“175 aufbaut. Änderungen gegenüber der Normal-GmbH sind daher nur dort anzunehmen, wo dies unmittelbar aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes folgt. Dabei zeigt zunächst der fehlende Bezug in § 25 MitbestG auf § 119 Abs. 2 AktG, dass das MitbestG nichts daran ändern wollte, dass die Gesellschafter über Maßnahmen der Geschäftsführung entscheiden. Die Frage kann daher nur sein, ob dem Umfang nach engere Grenzen bestehen. Das MitbestG sucht keine unmittelbare Beteiligung der Arbeitnehmervertreter an jeder einzelnen Entscheidung, sondern nur den Einfluss über die Auswahl der Führungsspitze. Das gilt auch für die GmbH. Verhindert werden jedoch selbst bei der AG nicht Geschäftsführungsentscheidungen durch die Hauptversammlung. Bei der GmbH bleibt es bei der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer176. Dabei genügt ein Beschluss mit einfacher Mehr-
171 172 173 174 175 176
Schwark, 2009, S. 271; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18a; Hommelhoff, ZGR 1978, 129; Gieseke, GmbHR 1996, 486, 490; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1074; offengelassen von Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286. So aber Hommelhoff, ZGR 1978, 129; Geißler, GmbHR 2009, 1071, 1074. Reich/Lewerenz, AuR 1976, 272; Naendrup, AuR 1977, 231 f.; Reuter/Körnig, ZHR 140 (1976), 508 (für die sog. Satzungsgesellschaft); Vollmer, ZGR 1979, 142. Säcker, DB 1977, 1845; so auch noch Fitting/Wlotzke/Wißmann, 2. Aufl., § 25 MitbestG Anm. 63; nunmehr jedoch a.A.: „umfassender Charakter“ des Weisungsrechts: Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 25 MitbestG Rz. 194. Zöllner, ZGR 1977, 326; Hommelhoff, ZGR 1978, 139. Begr. RegE BR-Drucks. 200/74. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 346 = BB 1979, Beilage 2, S. 16: „Es kommt hinzu, dass das MitbestG 1976 der Anteilseignerversammlung als oberstem Unternehmensorgan die Befugnis belässt, erheblichen Einfluss auf die Geschäftsführung auszuüben“, ebenso BGH v. 14.11.1983 –
224 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 92 § 37
heit177. Die entscheidenden Unterschiede liegen darin, dass erstens in der mitbestimmten GmbH die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer organisationsrechtlich eingebunden ist. Die Geschäftsführer haben im Blick hierauf eine organisatorische Pflicht, Weisungen entsprechend zu überprüfen. Sie haben ihre Durchführung zu verweigern, wenn sie gröblich die Interessen der Arbeitnehmer verletzen178. Die Gesellschafter können zweitens die Abberufung der Geschäftsführer nicht unmittelbar durchsetzen, wenn sie ihrer Folgepflicht nicht nachkommen. Die Gesellschafter können demzufolge auch in der mitbestimmten GmbH den Geschäftsführern nicht nur Einzelweisungen, sondern auch generelle Weisungen, etwa in Form einer Geschäftsordnung179 erteilen. c) Mindestzuständigkeit des Arbeitsdirektors Der Arbeitsdirektor, der nach § 13 MontanMitbestG zu bestellen ist, ist ein verselbständigtes 91 Mitbestimmungsorgan. Dagegen ist der Arbeitsdirektor nach § 33 MitbestG nur ein gleichberechtigtes Mitglied der Geschäftsführung. Das ist bei der Frage nach seinen Zuständigkeiten zu berücksichtigen; denn weder das MontanMitbestG noch das MitbestG nennen den Zuständigkeitsbereich des nach diesen Gesetzen zu bestellenden Arbeitsdirektors. aa) Aus dem Begriff „Arbeitsdirektor“, aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift und aus der 92 Entstehungsgeschichte des § 33 MitbestG folgt, dass ihm „zumindest auch Zuständigkeiten in Personal- und Sozialfragen übertragen sein müssen“180. Auch in den Personal- und Sozialangelegenheiten steht ihm aber nur ein Kernbereich zu, nicht jedoch die Allzuständigkeit181. Insoweit ist ein allgemeines Vetorecht des Vorsitzenden mit dem durch § 33 MitbestG zwingend zugewiesenen Zuständigkeitsbereich des Arbeitsdirektors unvereinbar182. Die Ausgestaltung im Einzelnen ist von der Größe des Unternehmens, der Konzernzugehörigkeit u.Ä. abhängig183. Gerade bei kleineren Unternehmen, die dem MitbestG unterfallen, kommt daher in Betracht, den Arbeitsdirektor mit zusätzlichen Aufgaben zu betrauen184, vorausgesetzt, es hindert ihn nicht, seine Zuständigkeiten im Personal- und Sozialwesen wahrzunehmen185.
177 178 179 180 181 182
183 184 185
II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 57 = GmbHR 1984, 151; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 46; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 19; Flume, Die juristische Person, 1983, S. 61 Fn. 128; Wiedemann, BB 1978, 6; Henssler in FS 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, 2000, Bd. II, S. 387, 402; Streicher, GmbHR 2014, 1188. Str., s. 12. Aufl., § 52 Rz. 341. Hommelhoff, ZGR 1978, 138 f.; Ulmer, Der Einfluss des Mitbestimmungsgesetzes auf die Struktur von AG und GmbH, 1979, S. 49; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 32; Fleischer, GmbHR 2010, 1307, 1309. Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 32; Säcker, DB 1977, 1850 Fn. 46; Overlack, ZHR 141 (1977), 135. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 346 = BB 1979, Beilage 2 S. 23; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30. Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 16; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 33 MitbestG Rz. 44; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 20; Peters, GmbHR 2008, 682, 684: auch nicht ausschließliche Zuständigkeit. BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 58 = GmbHR 1984, 151; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 20; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.55; a.A. Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 44 Rz. 84. Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 32 f.; Meyer-Landrut, DB 1976, 388. BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 346 = BB 1979, Beilage 2 S. 23; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 33 MitbestG Rz. 50 f.; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 30.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 225
§ 37 Rz. 93 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis 93 Zu den unabdingbaren Zuständigkeiten, in denen der Arbeitsdirektor federführend sein
muss, zählen u.a.: Das Umsetzen der von den Gesellschaftern (dazu Rz. 11) festgelegten Grundsätze für den Personal- und Sozialsektor, das Einstellungs-, Urlaubs- und Kündigungswesen, Beurteilungen und Personalakten, die betriebliche Entgeltfindung, die Sozialleistung und die Arbeitsplatzgestaltung, die Überwachung der Personalverwaltung, die Arbeitssicherheit, die Unfallverhütung, die berufliche Ausbildung, Umschulung und Fortbildung, die Sozial- und Altersfürsorge sowie das Pensionswesen. Er vertritt zugleich die Geschäftsführung gegenüber dem Betriebsrat, dem Gesamtbetriebsrat, dem Wirtschaftsausschuss und den Gewerkschaften, soweit es um die Personal- und Sozialangelegenheiten geht186. 94 Nicht zwingend hierher gehören dagegen die Zuständigkeit für die Angelegenheiten der lei-
tenden und außertariflichen Angestellten187 und die Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Arbeitgeberverbänden188. Diese Möglichkeit der Ausklammerung folgt aus der Tatsache, dass in diesen Entscheidungsbereichen die Interessen der Arbeitnehmer in anderer Weise wahrgenommen werden. Die Angelegenheiten der leitenden und außertariflichen Angestellten werden vom allgemeinen Ressort für Personal- und Sozialwesen getrennt und unmittelbar einem Geschäftsführer zugeordnet. 95 Der Konzernarbeitsdirektor ist nicht nur für das Personal- und Sozialwesen des eigenen Un-
ternehmens zuständig, sondern für die entsprechenden Angelegenheiten im Gesamtkonzern, soweit sie vom herrschenden Unternehmen wahrgenommen werden189. 96 bb) Der Arbeitsdirektor unterliegt ebenso wie die anderen Geschäftsführer der Weisungsbe-
fugnis der Gesellschafter190. Er darf aber innerhalb des Geschäftsführergremiums nicht diskriminiert werden. d) Zustimmung durch Aufsichtsrat 97 S. 12. Aufl., § 52 Rz. 322 ff.
186 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 48; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 21; weitergehend: Schubert in Wißmann/Kleinsorge/ Schubert, § 33 MitbestG Rz. 64, 38. 187 Str. wie hier eingehend: Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 48; Martens, Der Arbeitsdirektor nach dem MitbestG, S. 67 ff.; Lehmann/Heinsius, Aktienrecht und Mitbestimmung, 1979, S. 43; Hoffmann, BB 1976, 1236; Hoffmann/Neumann, GmbHR 1976, 186; Spieker, BB 1968, 1089; Hanau, ZGR 1983, 346; einschränkend: Säcker, DB 1977, 1995; a.A. Reich/Lewerenz, AuR 1976, 367; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 33 MitbestG Rz. 41, dennoch sei aber die Zuweisung sowohl an das Gesamtorgan als auch an ein anderes Mitglied möglich: Rz. 48; Rumpff in GK-MitbestG, § 33 Anm. 65; Wlotzke, Jahrbuch des ArbR 14 (1977), 36. 188 Henssler in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 33 MitbestG Rz. 49; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 21; Bedenken gegen Übertragung dieser Aufgaben auf den Arbeitsdirektor: Zöllner, DB 1976, 1767; a.A. OLG Frankfurt v. 23.4.1985 – 5 U 149/84, GmbHR 1986, 26 = AG 1986, 415 = EWiR, § 33 MitbestG 1/85, 417 m. Anm. Hanau. 189 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 33 MitbestG Rz. 54; Säcker, DB 1977, 1995; Duden, ZHR 141 (1977), 145, 165; Rumpff in GK-MitbestG, § 31 Anm. 89; wohl auch Hoffmann-Becking in FS Werner, 1984, S. 301; a.A. Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 18 (Zuständigkeit liegt zunächst beim Gesamtvorstand). 190 BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 57 = GmbHR 1984, 151; Paefgen in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 48; Rumpff in GK-MitbestG, § 33 Anm. 91; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 19; Overlack, ZHR 141 (1977), 140; Hommelhoff, ZGR 1978, 139.
226 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 101 § 37
3. Schranken der Weisungsbefugnis Die Gesellschafter entscheiden bei Weisungen an die Geschäftsführer zwar über die Zweck- 98 mäßigkeit einer Maßnahme. Weisungen sind aber nur in Übereinstimmung mit Gesetz und Gesellschaftsvertrag zulässig191. Die Einzelheiten sind streitig. Zu unterscheiden ist die Frage, ob eine Weisung trotz ihrer Fehlerhaftigkeit wirksam ist, ob eine Folgepflicht begründet wird und ob trotz fehlender Folgepflicht eine Ausführungswahlmöglichkeit für die Geschäftsführer besteht; denn nicht jede Rechtsverletzung führt zur Nichtigkeit des die Folgepflicht begründenden Gesellschafterbeschlusses. Zur Folgepflicht bei anfechtbaren Gesellschafterbeschlüssen s. 12. Aufl., § 43 Rz. 260 ff. – Weisungen sind fehlerhaft, wenn sie den der Gesellschaft oder den Geschäftsführern auf- 99 erlegten öffentlich-rechtlichen Pflichten widersprechen. So darf der Geschäftsführer keinen Weisungen folgen, die etwa den zwingenden umweltrechtlichen, den kartellrechtlichen oder den steuerrechtlichen Pflichten widersprechen192. Auch ist der Geschäftsführer nicht verpflichtet einer Weisung zu folgen, die der Erfüllung seiner Überwachungspflichten zuwiderläuft193. Fehlerhaft ist ferner die Weisung entgegen § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO keinen Insolvenzantrag zu stellen. – Fehlerhaft sind Weisungen, die den allgemein zwingenden gesetzlichen Bestimmungen, 100 also insbesondere § 138 BGB widersprechen194. – Fehlerhaft sind Weisungen, die den zwingenden gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen 101 widersprechen, also etwa Weisungen, gebundenes Vermögen entgegen § 30 an die Gesellschafter auszuschütten195 oder Zahlungen entgegen § 64 zu tätigen196 oder, wenn die Gesellschaft gegen die Insolvenzantragspflicht verstößt197. Wirksam sind dagegen in der Regel Weisungen, Zahlungen vorzunehmen, soweit sich diese nur auf das freie Vermögen auswirken. Ihnen hat der Geschäftsführer zu folgen. Zu denken ist an unternehmerische Maßnahmen, die bei objektiver Betrachtung mit hoher Wahrscheinlichkeit oder sogar Sicherheit Schaden verursachen. Zu denken ist auch an verdeckte Zahlungen an Gesellschafter aus dem freien Vermögen198. Etwas anderes gilt nur, wenn die Ausführung der Weisung zur Existenzgefährdung der Gesellschaft führt, wie dies etwa bei einem vollstän-
191 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 278; BGH v. 28.1.1980 – II ZR 84/79, BGHZ 76, 159 = GmbHR 1980, 295; BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 6, 18; Fleck, GmbHR 1974, 227; Konzen, NJW 1989, 2981; Eisenhardt in FS Pfeiffer, 1988, S. 839, 844. 192 BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 372 = GmbHR 1994, 390, 392; OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, GmbHR 1997, 346; OLG Naumburg v. 10.2.1999 – 6 U 1566/97, GmbHR 1999, 1028. 193 OLG Koblenz v. 22.11.2007 – 6 U 1170/07, GmbHR 2008, 37, 40 = WuB II C § 37 GmbHG 1.08 m. Anm. Paefgen/Dettke. 194 Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 18. 195 BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = GmbHR 2004, 302; BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, S. 244. 196 BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, GmbHR 2010, 85; Stephan/Tieves in MünchKomm GmbHG, Rz. 26, 118. 197 LG München v. 26.1.2017 – 3 O 3420/15, GmbHR 2017, 705. 198 BGH v. 10.12.1984 – II ZR 308/83, BGHZ 93, 146, 148 = GmbHR 1985, 191; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 340 = GmbHR 1986, 78; BGH v. 12.12.1983 – II ZR 14/83, NJW 1984, 1037; OLG Frankfurt v. 7.2.1997 – 24 U 88/95, GmbHR 1997, 346 = ZIP 1997, 451 sowie anstelle vieler Fleck, ZGR 1990, 34 m.w.N. sowie oben bei § 30; s. aber auch die abweichende höchstrichterliche Rechtsprechung zur Untreue zum Nachteil der GmbH, zusammengestellt bei Gribbohm, ZGR 1990, 1.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 227
§ 37 Rz. 101 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis digen Entzug der Liquidität der Fall sein kann199. Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine Verletzung von §§ 30 f. vorliegt. Das gilt auch für die Einmann-GmbH200. 102 – Fehlerhaft sind Weisungen, die der Satzung widersprechen, sofern kein satzungsdurch-
brechender Gesellschaftsbeschluss vorliegt201. Zu denken ist etwa an die Weisung, den Sitz der Gesellschaft zu verlegen oder eine andere Firma, wie in der Satzung vorgesehen, zu verwenden.
103 – Fehlerhaft sind Weisungen, die gegen die den Gesellschaftern obliegende gesellschafts-
rechtliche Treuepflicht verstoßen202.
4. Weisungen bei satzungsmäßigem Sonderrecht 104 Ist die Geschäftsführungsbefugnis dem Gesellschafter-Geschäftsführer als Sonderrecht einge-
räumt, so ist er, wenn abweichende Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag fehlen, von Weisungen freigestellt203. Er kann daher unabhängig und selbständig die laufende Geschäftsführung festlegen. Maßstab ist das Interesse der Gesellschaft, der Gesellschaftszweck und der Unternehmensgegenstand. Sofern nicht ausdrücklich in der Satzung etwas anderes bestimmt ist, können aber bei einer personalistisch ausgestalteten Gesellschaft – dies dürfte im gegebenen Fall die Regel sein – von den Gesellschaftern Weisungen hinsichtlich der Unternehmenspolitik und ungewöhnlicher Geschäftsführungsmaßnahmen erteilt werden204. Dies gilt vor allem, wenn der Geschäftsführer sich im Interessenwiderstreit befindet. Doch darf auch durch solche Weisungen die Geschäftsführungsbefugnis des Gesellschafter-Geschäftsführers nicht unterlaufen werden.
5. Beschränkungen im Anstellungsvertrag? 105 Im Anstellungsvertrag werden vielfach Vereinbarungen über die Geschäftsverteilung, den
Umfang und die Form der Geschäftsführungsbefugnis sowie über die Ausgestaltung der Weisungsbefugnis aufgenommen. Teilweise wird damit die organisationsrechtliche Folgepflicht des Geschäftsführers im Anstellungsvertrag wiederholt. Teilweise lässt sich der Geschäftsführer zusichern, dass ihm für das Tagesgeschäft keine Weisungen erteilt werden können. Sein Ziel ist es, sich einen Geschäftsbereich und in diesem einen unternehmerischen Freiraum abzusichern. 106 Im Einzelnen ist zu unterscheiden, ob es sich um satzungskonkretisierende oder satzungs-
durchbrechende Nebenabreden im Anstellungsvertrag handelt (s. dazu 12. Aufl., § 35 199 LG München v. 26.1.2017 – 3 O 3420/15, GmbHR 2017, 705; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 7; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 17; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Karsten Schmidt, ZIP 1986, 148; Karsten Schmidt, ZIP 1988, 1506; Roth, ZGR 1989, 429; Priester, ZIP 1989, 1303; Ulmer in FS Pfeiffer, 1988, S. 870; Fleck, ZGR 1990, 37; Gieseke, GmbHR 1996, 486. 200 Offengelassen in: BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 340, 345 = GmbHR 1986, 78, 80 und BGH v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, GmbHR 1993, 427; a.A. Adams, AG 1989, 337. 201 A.A. Boesebeck, GmbHR 1960, 119: Satzungsänderung erforderlich; zu den Voraussetzungen eines satzungsdurchbrechenden Gesellschafterbeschlusses s. bei § 53. 202 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15; Konzen, NJW 1989, 2981; Ebenroth/Lange, GmbHR 1992, 73. 203 RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116; Fischer, GmbHR 1953, 133; Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967, S. 31; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 96. 204 § 116 HGB entspr.: Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, S. 96.
228 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 110 § 37
Rz. 312 ff.). Satzungsdurchbrechende Nebenabreden sind unwirksam. Verlangt ist zunächst eine Satzungsänderung. Die Vereinbarung wird sodann zur satzungskonkretisierenden Nebenabrede. Sie ist zwar wirksam, gibt aber in der Regel keinen Erfüllungsanspruch, sondern nur einen Anspruch auf Schadensersatz, wenn die Gesellschaft von der Vereinbarung abweicht205. Ausnahmsweise soll ein Erfüllungsanspruch bestehen, wenn alle Gesellschafter der schuldrechtlichen Nebenabrede zugestimmt haben und zwischenzeitlich kein Gesellschafterwechsel erfolgt ist206. Umgekehrt können dem Geschäftsführer im Anstellungsvertrag zusätzliche Bindungen auf- 107 erlegt werden, wie etwa besondere Informationspflichten gegenüber der Gesellschafterversammlung oder Zustimmungsvorbehalte hinsichtlich einzelner Maßnahmen der Geschäftsführung. Auch solche Bindungen entfalten keine organisationsrechtliche Wirkung. Die Verletzung der Pflichten aus dem Anstellungsvertrag kann aber einen wichtigen Grund zur Abberufung darstellen. Die Zulässigkeit solcher Bindungen im Anstellungsvertrag ist zweifelsfrei, soweit der Ver- 108 tragspartner die Gesellschaft ist. Aber auch in einem schuldrechtlichen Vertrag mit einem Dritten, z.B. bei einer Drittanstellung des Geschäftsführers, können schuldrechtliche Weisungsrechte enthalten sein207. Befolgt der Geschäftsführer die Weisungen des Dritten, so wird er von der organisationsrechtlichen Haftung nicht freigestellt. Aus einer Drittanstellung können sich daher unlösbare Pflichtenkollisionen ergeben208.
VI. Die Geschäftsordnung der Geschäftsführer Die Geschäftsverteilung, die Berichterstattung an die Gesellschafterversammlung und den 109 Aufsichtsrat, die Willensbildung und die Entscheidungsfindung der Geschäftsführer, die Modalitäten ihrer Zusammenarbeit, wie etwa die Bildung von Ausschüssen, die Art und Weise der gegenseitigen Information, die Koordinierung des Urlaubs usw. können in unterschiedlicher Weise geordnet sein. Sie können in der Satzung festgeschrieben werden. Die Bestimmungen hierüber können aber auch in einer Geschäftsordnung zusammengefasst sein, wobei diese durch die Gesellschafterversammlung oder, wenn die Satzung dies bestimmt, durch den Aufsichtsrat den Geschäftsführern vorgegeben wird (organexterne Geschäftsordnung). Die Geschäftsführer können sich auch selbst die Geschäftsordnung geben (organinterne Geschäftsordnung)209. Hinreichend, aber auch erforderlich ist für die Geschäftsordnung die einfache Schriftform210. 110 Einfache Weisungen der Gesellschafter verlangen keine Form. Die Geschäftsordnung aber ist 205 S. aber auch Fleck, ZGR 1988, 104; ähnlich wie hier: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 247. 206 BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196. 207 Str.; wie hier: Fleck, ZHR 149 (1985), 387; Uwe H. Schneider, ZGR 1977, 335, 339 (für Aufsichtsratsmitglied); a.A. Winter, GmbHR 1965, 195, 196; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 25 MitbestG Rz. 79 (für Aufsichtsratsmitglied); Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 25 MitbestG Rz. 126 (für Aufsichtsratsmitglied); Raiser, ZGR 1978, 391 (für Aufsichtsratsmitglied). 208 Eingehend: Fleck, ZHR 149 (1985), 406. 209 Zur Geschäftsordnung der Geschäftsführer im Einzelnen: Uwe H. Schneider in FS Mühl, 1981, S. 633 ff.; van Venrooy, GmbHR 2001, 7, 10. 210 BFH v. 26.4.1984 – V R 128/79, GmbHR 1985, 30, 32; Haas, Geschäftsführerhaftung und Gläubigerschutz, 1997, S. 285; E. Vetter in Krieger/Uwe H. Schneider, Handbuch Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, § 22 Rz. 22.48; einschränkend: Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 104; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; für die AG: Ausschussbericht bei Kropff, AktG, S. 100; Mertens/ Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2009, § 77 Rz. 56; Hüffer/Koch, § 77 AktG Rz. 21.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 229
§ 37 Rz. 110 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis eine auf Dauer auch über den Wechsel der Geschäftsführer hinaus angelegte Regelung. Nur die Schriftform sichert die gleichmäßige Anwendung. 111 Liegt die Gesellschaft im Anwendungsbereich des DrittelbG, des MontanMitbestG oder des
MitbestG, so kann die Geschäftsordnung auch die Aufgaben des Arbeitsdirektors näher umschreiben, § 13 Abs. 2 Satz 2 MontanMitbestG, § 33 Abs. 2 Satz 2 MitbestG.
1. Die organexterne Geschäftsordnung 112 Den Gesellschaftern steht es frei, den Geschäftsführern eine Geschäftsordnung zu geben211.
Auch kann die Satzung einen besonderen Regelungsauftrag enthalten, etwa die zustimmungspflichtigen Maßnahmen zu konkretisieren. Wählen die Gesellschafter diesen Weg, so begründet eine solche Geschäftsordnung innergesellschaftliches Recht. Sie bindet die Geschäftsführer. Der für ihren Erlass, die Änderung oder Aufhebung erforderliche Gesellschafterbeschluss verlangt in entsprechender Anwendung von § 53 Abs. 2 Satz 1 drei Viertel der abgegebenen Stimmen212. Wird nur ein einfacher Mehrheitsbeschluss gefasst, so ist die Geschäftsordnung nur Gegenstand einer Weisung durch die Gesellschafter an die Geschäftsführer. Die bloße Tatsache, dass die Satzung Zustimmungsvorbehalte für Geschäfte vorschreibt, die in der Geschäftsordnung bestimmt sind, führt nicht zu erhöhten Anforderungen für die Aufhebung der Geschäftsordnung213. 113 Hat die Gesellschaft einen fakultativen oder einen obligatorischen Aufsichtsrat, so kann die
Satzung auch diesem Organ die Aufgabe zuweisen, für die Geschäftsführer eine Geschäftsordnung zu erlassen. Fehlt dagegen eine ausdrückliche Zuweisung und hat die Gesellschaft nur einen fakultativen Aufsichtsrat, so ist der Aufsichtsrat auch dann nicht zum Erlass der Geschäftsordnung zuständig, wenn die Gesellschafter den Geschäftsführern keine Geschäftsordnung gegeben haben. In § 52 fehlt ein Verweis auf § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG. 114 Ist die Gesellschaft mitbestimmt, so wird teilweise die Ansicht vertreten, der Aufsichtsrat sei
in diesem besonderen Fall für den Erlass ausschließlich oder doch konkurrierend zuständig214. Der Ansicht ist nicht zu folgen. § 25 MitbestG verweist zwar für die GmbH auf eine Reihe aktienrechtlicher Vorschriften. § 77 Abs. 2 Satz 1 AktG ist aber nicht dabei. Auch fehlt es an sonstigen Hinweisen darauf, dass der Aufsichtsrat für den Erlass der Geschäftsordnung zuständig sein soll. Dann aber bleibt es bei der Regel, dass die Gesellschafter dem geschäftsführenden Organ eine Geschäftsordnung geben können215. 115 Auch für eine konkurrierende Zuständigkeit, die mit einschließen soll, dass nach dem Er-
lass durch den Aufsichtsrat für eine Geschäftsordnung durch die Geschäftsführer selbst kein Raum mehr ist, bedürfte es einer gesetzlichen Regelung. Da sie aber fehlt, bleiben die Ge-
211 OLG Stuttgart v. 24.7.1990 – 12 U 234/89, GmbHR 1992, 48; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16. 212 A.A. einfache Mehrheit: Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 33; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 98; Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 44 Rz. 86; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 14. 213 OLG Hamm v. 28.7.2010 – I-8 U 112/09, GmbHR 2010, 1033. 214 Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl., § 30 MitbestG Rz. 58. 215 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 30 MitbestG Rz. 57; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 23; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, § 30 MitbestG Rz. 21; Säcker, DB 1977, 1850 Fn. 46; Overlack, ZHR 141 (1977), 135; Hanau, ZGR 1983, 375; Peters, GmbHR 2008, 682, 683.
230 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 118 § 37
schäftsführer auch in der mitbestimmten Gesellschaft zur Regelung ihrer Angelegenheiten berufen, solange die Gesellschafter ihnen keine Geschäftsordnung gegeben haben216.
2. Die organinterne Geschäftsordnung In der Satzung kann vorgesehen werden, dass die Geschäftsführer sich selbst eine Geschäfts- 116 ordnung zu geben haben. Aber auch wenn eine solche Bestimmung fehlt, können die Geschäftsführer die Form ihrer Zusammenarbeit usw. in einer organinternen Geschäftsordnung regeln. Einer besonderen Ermächtigung bedarf es nicht217; denn jedes Organ kann seine Arbeitsweise selbst bestimmen218. Der betreffende Beschluss verlangt in Analogie zu § 77 Abs. 2 AktG zwingend einen einstimmigen Beschluss aller Geschäftsführer219. Für eine organinterne Geschäftsordnung ergeben sich freilich zusätzliche Regelungsgren- 117 zen. Sie darf nicht gegen gesetzliche Bestimmungen und gegen Vereinbarungen in der Satzung verstoßen. Daraus folgt, dass in einer organinternen Geschäftsordnung nicht von der Gesamtgeschäftsführung als der gesetzlichen Regel abgewichen und Einzelgeschäftsführung vorgesehen werden kann. Das hindert aber nicht, dass jedem Geschäftsführer ein bestimmter Verantwortungsbereich delegiert wird. Jeder Geschäftsführer bleibt jedoch für die gesamte Geschäftsführung verantwortlich. Er hat die anderen Geschäftsführer zu überwachen220. Widerspricht daher ein Geschäftsführer einer Geschäftsführungsmaßnahme, so muss sie auch dann unterbleiben, wenn ihm dieser Leitungsbereich nicht zugewiesen ist221. Haben es aber die Gesellschafter den Geschäftsführern überlassen, die Form der Geschäftsführung und die Form der Vertretung selbst zu bestimmen, so können sie dies in der Geschäftsordnung festlegen (str., Einzelheiten 12. Aufl., § 35 Rz. 104 ff.).
VII. Geschäftsführung im Konzern 1. Konzerngründung Die Gründung einer Tochtergesellschaft, der Anteilserwerb222, die Herstellung einheitlicher 118 Leitung, die Verlagerung von Geschäftstätigkeiten auf Tochtergesellschaften und die Umstrukturierung eines bereits bestehenden Konzerns wird aus der Sicht des herrschenden Unternehmens223, teilweise unabhängig davon, welche Funktionen oder welcher Betrieb ihr über-
216 A.A. Schubert in Wißmann/Kleinsorge/Schubert, § 30 MitbestG Rz. 58; wie hier aber Raiser/Veil/ Jacobs, MitbestG und DrittelbG, § 33 MitbestG Rz. 23. 217 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 34; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 27, 29. 218 Wie hier: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Fleck, GmbHR 1974, 225. 219 Wie hier: Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 16; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 35; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 27, 29; Leuering/Dornhegge, NZG 2010, 13, 14; a.A. Hoffmann/Lehmann/Weinmann, § 30 MitbestG Anm. 27. 220 RG v. 3.2.1920 – II 272/19, RGZ 98, 100; BGH v. 2.6.2008 – II ZR 27/07, GmbHR 2008, 815, 816; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 34; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 28. 221 OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 266; s. auch bei Uwe H. Schneider in FS Mühl, 1981, S. 633, 645 f.; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 28. 222 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 223 Zur Konzerngründung aus Sicht der GmbH als Tochtergesellschaft: Uwe H. Schneider in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1071, 1076.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 231
§ 37 Rz. 118 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis tragen wird, als Teil der Geschäftsführung gesehen224. Das ist in dieser Allgemeinheit nicht zu vertreten. 119 a) Handelt es sich bei der Beteiligung um eine Finanzanlage, so gehört die Entscheidung über
die Begründung und die Beendigung der Anlage zur Geschäftsführung, jedenfalls soweit nicht das wesentliche Vermögen der Gesellschaft gebunden wird. 120 b) Handelt es sich um eine unternehmerische Beteiligung, wird die betreffende Gesellschaft
in die einheitliche Leitung einbezogen und damit ein Konzern gegründet (§ 18 AktG), so ist zu unterscheiden: 1. Fallgruppe: Ist die Tochtergesellschaft nicht im selben unternehmerischen Bereich tätig und ist dies nicht bereits in der Satzung vorgesehen, so ist eine Satzungsänderung oder ein satzungsdurchbrechender Beschluss erforderlich; denn Bindungen für die Geschäftsführung aus dem Unternehmensgegenstand gelten auch, wenn das Unternehmen über eine abhängige Gesellschaft betrieben wird225. Ist die betreffende Tochtergesellschaft im selben Unternehmensbereich wie die Muttergesellschaft tätig, so ist zu unterscheiden: 2. Fallgruppe: Ein Gesellschafterbeschluss mit qualifizierter Mehrheit ist erforderlich, wenn die zu gründende Tochtergesellschaft einen Produktionsbereich von mehr als 50 % betrifft, insbesondere wenn ihr oder einem Dritten das im Wesentlichen ganze Vermögen der Gesellschaft übertragen werden soll226. Das folgt aus der Holzmüller/Gelatine-Doktrin227; denn der Vorgang kommt einer Satzungsänderung nahe. Durch die Übertragung auf eine Tochtergesellschaft und die Ausübung einheitlicher Leitung wird die gesellschaftsinterne Zuständigkeits- und Vermögensordnung nachhaltig verändert. Die Mitverwaltungsrechte der Gesellschafter werden verkürzt und die Gewinnbeteiligungsrechte werden mediatisiert228. 3. Fallgruppe: Ein Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit ist erforderlich, aber auch hinreichend, wenn die Gründung der Tochtergesellschaft eine ungewöhnliche Maßnahme der Geschäftsführung darstellt. Davon ist in der Regel auszugehen, wenn mehr als 10 % des Produktionsbereichs betroffen sind und dieser auf die Tochtergesellschaft oder auf einen Dritten übertragen werden soll229.
224 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 27; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 52 Anh. Rz. 42. 225 Uwe H. Schneider in Hommelhoff u.a. (Hrsg.), Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, 1986, S. 825, 846; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 116; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 13 Anh. Rz. 960; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; weitergehend Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 52 Rz. 34 und Rehbinder in FS Coing, 1982, S. 423: jede Konzernierung ist eine „Gegenstandsänderung per se“; für die AG: Stein in MünchKomm. AktG, § 179 Rz. 112; zum Ganzen auch Grauer, Konzernbildungskontrolle im GmbH-Recht, 1991; Wehlmann, Kompetenzen von Gesellschaftern und Gesellschaftsorganen bei der Bildung faktischer GmbHKonzerne, 1996; sowie hierzu 12. Aufl., Anh. Konzernrecht (nach § 13) Rz. 60. 226 BGH v. 30.5.2005 – II ZR 236/03, DStR 2005, 1066; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 13 Anh. Rz. 960; Priester in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1281, 1286; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 116; anders 11. Aufl.: 80 %. 227 Dagegen Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18. 228 Ebenfalls auf Mediatisierungseffekt abstellend: (für die AG) OLG Köln v. 15.1.2009 – 18 U 205/ 07, AG 2009, 416 – Strabag. 229 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 13 Anh. Rz. 979; Decher in MünchHdb. GesR III, § 68 Rz. 13; Beurskens in Baumbach/Hueck, KonzernR Rz. 57; Uwe H. Schneider, ZGR Sonderheft 6/ 1986, S. 121, 128; Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 114.
232 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 121 § 37
Die Schwellenwerte zwischen erster, zweiter und dritter Fallgruppe sind streitig230. Feste Schwellenwerte zu bestimmen, ist problematisch, weil bei der Beurteilung, ob eine ungewöhnliche Maßnahme vorliegt, auch andere Kriterien zu berücksichtigen sind, z.B., ob es sich um einen besonders gewinnbringenden Teil handelt, ob der Preis angemessen oder zweifelhaft ist, etc. 4. Fallgruppe: Die Ausgliederung einer Tochtergesellschaft, wobei weniger als 10 % des Produktionsbereichs betroffen sind, gehört zur laufenden Geschäftsführung231. Dafür sind die Geschäftsführer zuständig. Die Gesellschafter können den Vorgang jedoch an sich ziehen oder die Geschäftsführer anweisen, dass jede Gründung einer Konzerngesellschaft den Gesellschaftern vorzulegen ist. Zu den weiteren Einzelheiten, insbesondere auch zur Gründung eines Vertragskonzerns, s. 12. Aufl., Anh. Konzernrecht (nach § 13) Rz. 60 ff.232.
2. Konzernleitung beim herrschenden Unternehmen Schrifttum: Aberle/Holle, Aufsichtspflichten im Unternehmensverbund, in Eisele/Koch/Theile, Der Sanktionsdurchgriff im Unternehmensverbund, 2014, S. 117; Behr, OLG München bejaht Konzernweite von § 130 OWiG – unter Umständen, Anwendung zu einer Entscheidung des OLG München, Urteil v. 23.9.2014 – 3 Ws 599, 600/14, BB 2015, 2004; Bosch, Verantwortung der Konzernobergesellschaft im Kartellrecht, ZHR 177 (2013), 454; Brettel/Thomas, Compliance und Unternehmensverantwortlichkeit im Kartellrecht, 2016, S. 27 ff.; Holle, Legalitätskontrolle im Kapitalgesellschaftsrecht- und Konzernrecht, 2014; Kersting, Wettbewerbsrechtliche Haftung im Konzern, Der Konzern 2011, 445; Kersting, Konzernhaftung im Kartellrecht, Der Gesellschafter 2015, 377; Kokott/Dittert, Die Verantwortlichkeit von Muttergesellschaften für Kartellvergehen ihrer Tochtergesellschaften im Lichte der Rechtsprechung der Unionsgerichte, WuW 2012, 670; Reichert/Lüneborg, Compliance in der GmbH, GmbHR 2018, 1141; Uwe H. Schneider, Compliance im Konzern, NZG 2009, 1321; Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, Konzern-Compliance als Aufgabe der Konzernleitung, ZIP 2007, 2061; Seibt, Relationship Agreements: Vertragliche Ausgestaltung des faktischen Konzerns durch Konzernkoordinationsverträge, in 2. FS für Karsten Schmidt, 2019, 2. Bd., S. 431.
a) Konzernpolitik Übt die Gesellschaft die einheitliche Leitung über andere Konzernunternehmen aus, ist sie 121 herrschendes Unternehmen im Konzern, so ist die Konzernleitung beim herrschenden Unternehmen Teil der Geschäftsführung. Das ist sowohl im Vertragskonzern wie im faktischen Konzern qualitativ etwas anderes als die Ausübung der Mitverwaltungsrechte aus den Beteiligungen an den Konzernunternehmen. Entsprechend bestimmt sich die Zuständigkeit in der Gesellschaft. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, dass die Feststellung der Unternehmenspolitik in die Zuständigkeit der Gesellschafter fällt (s. Rz. 11), so gilt dies auch für die Aufstellung der Konzernziele, die Festlegung der mittel- und langfristigen Konzerngeschäftspolitik, die Erarbeitung der jährlichen Konzernpläne und damit verbunden die Feststellung des Produktionsund Verkaufsprogramms sowie die Genehmigung der Investitionspläne im Konzern. Hierüber entscheiden die Gesellschafter.
230 S. etwa Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17 a.E. und 18. 231 Uwe H. Schneider, GmbHR 2014, 113, 119. 232 S. auch BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, WM 2011, 1416, 1418 = GmbHR 2011, 922, 924, zur Kündigung eines Beherrschungsvertrags.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 233
§ 37 Rz. 122 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis b) Laufende Konzerngeschäftsführung 122 Die laufende Konzerngeschäftsführung und die laufende Kontrolle der Konzernunternehmen
gehört zur laufenden Geschäftsführung und damit zum Aufgabenbereich der Geschäftsführer233 des herrschenden Unternehmens. 123 Das gilt auch für die Konzerncompliance234 und das konzernweite Risikomanagement.
Streitig ist, welche Aufgaben die Geschäftsführer der Holding im Blick auf die Beachtung der rechtlichen Regeln bei den Tochtergesellschaften haben. Weitgehend Einigkeit besteht, dass die Geschäftsführer der herrschenden GmbH im Konzern sich nicht darauf berufen können, die entsprechenden Risiken würden allein und ausschließlich von den Tochtergesellschaften erfasst und bewertet235. Das gilt zumal in zunehmendem Maße das herrschende Unternehmen auch im faktischen Konzern für Geldbußen, die etwa für kartellrechtswidriges Verhalten einer Tochtergesellschaft verhängt werden, in Anspruch genommen werden kann236. Aus dieser Konzernhaftung, die keine verschuldensabhängige Pflichtverletzung voraussetzt, ergeben sich weitergehende Herausforderungen für die Konzern-Compliance. Daher dürfen sich die Geschäftsführer der Obergesellschaft nicht „blind“ auf die Angaben und die Geschäftsführung der Tochtergesellschaften verlassen, soweit Vorgänge bei Tochtergesellschaften auch zu entsprechenden Risiken für die Muttergesellschaft werden können. Das gilt jedenfalls dann, „wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass dort in der Vergangenheit relevante Risiken verkannt worden sind oder, wenn ernsthafte Gefahr besteht, dass Informationen über Risiken von der Tochtergesellschaft nicht weitergegeben werden“237. Sie sind im Verhältnis des herrschenden Unternehmens verpflichtet, einzugreifen und rechtswidriges Verhalten zu verhindern. 124 Daraus folgt weiter, dass die Geschäftsführer der konzernleitenden GmbH eine konzernwei-
te Compliance-Organisationspflicht haben238. Diese ist jedoch nicht identisch mit der entsprechenden Organisationspflicht im eigenen Unternehmen. Aufgabe der Geschäftsführer der Obergesellschaft ist vielmehr erstens sich einen Überblick über die Risiken bei Konzernunternehmen zu verschaffen. Sie haben zweitens dafür zu sorgen, dass die Tochter- und Einzelgesellschaften eine eigene Compliance-Organisation einrichten. Sie haben drittens die Aufgabe einzuschreiten, wenn der Verdacht auf Rechtsverletzungen bei einer der Tochtergesellschaften besteht und entsprechende Maßnahmen von der betreffenden Tochtergesellschaft nicht ergriffen werden. c) Konzernweite Mitverwaltungsrechte der Gesellschafter 125 Problematisch ist, ob Maßnahmen, die beim herrschenden Unternehmen wegen ihrer Rechts-
natur (Satzungsänderung), auf Grund der Satzung (satzungsmäßige Zustimmungsvorbehalte)
233 S. hierzu Uwe H. Schneider, BB 1981, 249; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 7; Uwe H. Schneider in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1071, 1075. 234 S. dazu Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, ZIP 2007, 2061; Verse, ZHR 175 (2011), 401; Fett/ Theusinger, BB Special 4 zu BB 2010 Heft 50; Reichert/Lüneborg, GmbHR 2018, 1141; Karst, WuW 2012, 150; Seibt in 2. FS Karsten Schmidt, 2019, 2. Bd., S. 431. 235 LG Stuttgart v. 19.12.2017 – 31 O 33/16 KfH, NZG 2018, 665, 677 Rz. 217. 236 § 81 Abs. 3a GWG: Geldbuße kann festgesetzt werden; EuGH v. 10.9.2009 – C-97/08, ECLI:EU: C:2009:536 und v. 18.1.2017 – C-623/15 P; Vollmer in MünchKomm. Kartellrecht, 2. Aufl., § 81 GWB; Habersack, AG 2016, 691; Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, S. 83; Teichmann, ZGR 2017, 485, 495; Glöckner, NZKart 2018, 464. 237 LG Stuttgart v. 19.12.2017 – 31 O 33/16 KfH, NZG 2018, 665, 677 Rz. 217. 238 Nietsch in Gehrlein/Born/Simon, Anh. 4 Rz. 64.
234 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Beschränkungen der Vertretungsbefugnis | Rz. 127 § 37
oder wegen der Bedeutung der Maßnahme eines Gesellschafterbeschlusses bedürfen, auch dann eine Mitwirkung der Gesellschafter verlangen, wenn die Maßnahme bei einem abhängigen Konzernunternehmen (Satzungsänderung, Aufnahme eines Darlehens) verwirklicht wird. Die Frage ist für die Personengesellschaften und für die AG höchstrichterlich entschieden. Solche Mitwirkungsrechte sollen „im Zweifel auch gelten, soweit der geschäftsführende Gesellschafter der Obergesellschaft deren Rechte in der Untergesellschaft wahrnimmt“239. Das bedeutet für die GmbH jedoch nicht, dass sich die Entscheidungszuständigkeit beim herrschenden Unternehmen nach dem formalen Inhalt der Entscheidung bei der beherrschten Gesellschaft richtet (Durchgriffstheorie). Gegen eine undifferenzierte Verlängerung spricht, dass eine für Konzernunternehmen unge- 126 wöhnliche Maßnahme der Geschäftsführung für das herrschende Unternehmen nur Teil der laufenden Geschäftsführung, und umgekehrt eine Maßnahme, die beim abhängigen Konzernunternehmen zur laufenden Geschäftsführung gehört, für das herrschende Unternehmen ungewöhnlich sein kann. Aus der Sicht der Obergesellschaft sind daher Maßnahmen, die bei abhängigen Konzernunternehmen verwirklicht werden, selbständig zu werten. Das ist ins Verhältnis zu setzen mit der Frage, aus welchem Grund intern beim herrschenden Unternehmen ein Mitwirkungsrecht der Gesellschafter besteht (konzernweite Qualifikationstheorie)240. Daher bedarf etwa die Bestellung eines Prokuristen bei einer unbedeutenden Tochtergesellschaft keines Gesellschafterbeschlusses beim herrschenden Unternehmen. Dagegen wird man in der Regel davon auszugehen haben, dass bedeutsame Rechtsgeschäfte, die bei der Muttergesellschaft aufgrund einer Regelung in der Satzung oder aufgrund ihres Ausnahmecharakters der Zustimmung der Gesellschafter bedürfen, wie etwa die Veräußerung von Grundstücken, die Aufnahme von Darlehen, Rechtsgeschäfte mit Organmitgliedern, die Veräußerung wesentlicher Betriebsteile usw., auch dann der Zustimmung der Gesellschafter der Muttergesellschaft bedürfen, wenn die Maßnahmen bei der Tochtergesellschaft vorgenommen werden241. Dies gilt auch bei mehrstufigen Konzernlagen, also wenn die Maßnahmen bei Enkelgesellschaften vorgenommen werden.
VIII. Die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht Zur Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht, § 37 Abs. 2, s. 12. Aufl., § 35 Rz. 26.
239 Für Personengesellschaften: BGH v. 9.5.1972 – II ZR 108/70, BB 1973, 212 – Schuhladen; wohl auch OLG Koblenz v. 9.8.1990 – 6 U 888/90, ZIP 1990, 1570, 1574 = GmbHR 1991, 264 sowie zum Urteil der Vorinstanz: Kellermann, EWiR § 37 GmbHG 1/90, 696; Mülbert in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, Konzernrecht der Personengesellschaften, Rz. 69 ff.; für die AG: BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 138 – Holzmüller; allgemein: Uwe H. Schneider in FS Bärmann, 1975, S. 873; Uwe H. Schneider, BB 1981, 249; für die AG: Lutter in FS H. Westermann, 1974, S. 347; Lutter in FS Fischer, 1979, S. 433; Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825, 835; Ulmer, AG 1975, 16. 240 OLG Karlsruhe v. 4.5.1999 – 8 U 153/97, NZG 2000, 266; OLG Koblenz v. 9.8.1990 – 6 U 888/90, ZIP 1990, 1570, 1574 m. Anm. v. Gerkan, EWiR § 37 GmbHG 3/90, 1213 = GmbHR 1991, 264; Uwe H. Schneider in Der GmbH-Konzern, 1976, S. 79, 98; Uwe H. Schneider, BB 1981, 249, 251; zustimmend: Lutter in FS Stimpel, 1985, S. 825, 842; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 10. Aufl., § 9 Rz. 9 f.; Jungkurth, Konzernleitung bei der GmbH, 2000, S. 30 ff. 241 A.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 12.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 235
127
§ 37 Rz. 128 | Beschränkungen der Vertretungsbefugnis
IX. Die Außenwirkungen der Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis 128 Beschränkungen der Geschäftsführungsbefugnis beschränken nicht zugleich auch die Vertre-
tungsbefugnis. Sie haben nur Wirkungen im Innenverhältnis. Wer einen Vertrag mit einer GmbH abschließt, braucht sich daher nicht darum zu kümmern, ob der Geschäftsführer die sich aus dem Innenverhältnis ergebenden Schranken seiner Befugnis einhält. Die Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht soll gerade verhindern, dass sich der Geschäftspartner vor dem Abschluss von Rechtsgeschäften nach internen Beschränkungen erkundigen muss242. 129 Kennt der Dritte aber die internen Beschränkungen, kennt er die satzungsmäßigen Bindun-
gen, weiß er von internen Weisungen oder von dem Widerspruch der Mitgliedschaftsführer, so kann ein Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegen. Zum Missbrauch der Vertretungsmacht s. 12. Aufl., § 35 Rz. 187.
X. Einstweiliger Rechtsschutz 130 Zum Verbot der Ausübung der Geschäftsführungsbefugnis im Wege des einstweiligen Rechts-
schutzes s. 12. Aufl., § 38 Rz. 72 ff.
242 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 56/82, ZIP 1984, 310, 311 = GmbHR 1984, 96; BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, ZIP 1996, 68, 69 = GmbHR 1996, 111, 113; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 375 f.
236 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
§ 38 Widerruf der Bestellung (1) Die Bestellung der Geschäftsführer ist zu jeder Zeit widerruflich, unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen. (2) Im Gesellschaftsvertrag kann die Zulässigkeit des Widerrufs auf den Fall beschränkt werden, dass wichtige Gründe denselben notwendig machen. Als solche Gründe sind insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung anzusehen. Text seit 1892 unverändert. I. Beendigungsgründe für die Organstellung 1. Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beendigung durch Zeitablauf und Tod . 3. Beendigung des Anstellungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beendigung durch vertragliche Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wegfall der gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sonstige Beendigungsgründe . . . . . . . . II. Die Widerruflichkeit der Bestellung 1. Der Grundsatz der freien Abberufbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Abberufungsorgan a) Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . b) Regelung in der Satzung . . . . . . . . . . c) Die mitbestimmte GmbH (MontanMitbestG, MitbestG) . . . . . . . . . . . . . d) Abberufung durch gerichtliche Entscheidung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Abberufungserklärung . . . . . . . . . . 5. Eintragung im Handelsregister . . . . . . . 6. Die Rechtsfolgen a) Beendigung der Organstellung . . . . b) Auswirkungen auf den Anstellungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschränkung der Abberufbarkeit 1. Gesetzliche Beschränkung . . . . . . . . . . . 2. Satzungsmäßige Beschränkung . . . . . . . a) Beschränkung auf wichtigen Grund b) Der Geschäftsführer kraft Sonderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der wichtige Grund a) Unzumutbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3
4. 5.
5
6. IV. 1. 2.
7 8 10
12 15 19 21
3. 4. V. 1. 2.
28 28a 29 31 32 33 37 38 39 41 43
VI. VII. 1. 2.
3. 4. VIII. IX.
b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweipersonen-GmbH . . . . . . . . . . . . Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschränkung durch Anstellungsvertrag? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wiederbestellung nach Abberufung . . Die fehlerhafte Abberufung . . . . . . . . Anfechtbarer Abberufungsbeschluss . . Unwirksamer oder nichtiger Abberufungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Fehlen wichtiger Gründe . . . . . . . . Streit über die Wirksamkeit der Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutz und Vertretung im Prozess Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einstweiliger Rechtsschutz a) Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geschäftsführer: Vor der Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geschäftsführer: Nach der Abberufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Abberufung von Organmitgliedern im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Amtsniederlegung Der Grundsatz der freien Amtsniederlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amtsniederlegung durch den alleingeschäftsführenden Alleingesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nach der Amtsniederlegung . . . . . . . . . Sonstige Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . Die vorläufige Dienstenthebung (Suspendierung) . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47 53 54 55 56 57 58 59 60 61
69 72 74 75 82
85
90a 91 92 93 94
Schrifttum: Altmeppen, Machtverhältnisse bei Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers in der GmbH aus „wichtigem Grund“, NJW 2016, 2833; Bauder, Amtsniederlegung des GmbH-Geschäfts-
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 237
§ 38 | Widerruf der Bestellung führers, BB 1993, 1749; Bauer, Rechtsstellung des GmbH-Geschäftsführers, in FS Binz, 2014, S. 39; Bauer/Göpfert/Siegrist, Abberufung von Organmitgliedern: Wegfall der variablen Vergütung?, DB 2006, 1774; Bayer/Illhardt, Einberufung der Gesellschafterversammlung durch den abberufenen GmbH-Geschäftsführer bzw. den nicht wirksam bestellten Komplementär einer Publikums-KG?, NZG 2017, 801; Bauer/Krieger, Formale Fehler bei Abberufung und Kündigung vertretungsberechtigter Organmitglieder, ZIP 2004, 1247; Damm, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, ZHR 154 (1990), 413; Denzer, Konzerndimensionale Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung, 2005; Dernbach, Abberufung und Kündigung des GmbH-Geschäftsführers, BB 1982, 1266; Dietsch, Abberufung des einzigen Geschäftsführers der selbstorganschaftlichen Einpersonen-GmbH, NotBZ 2006, 233; Eckardt, Die Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung in Kapitalgesellschaften, 1989; Eckert, Die Amtsniederlegung des Alleingeschäftsführers einer GmbH, KTS 1990, 33; Eichele/Kießling, Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers und Registerlöschung, GmbHR 1999, 1165; Fedke, Rechtsfragen der Bestellung von Geschäftsführern in der mitbestimmungspflichtigen GmbH, NZG 2017, 848; Fischer, Der Rechtsstreit über die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, BB 2013, 2819; Fonk, Rechtsfragen nach der Abberufung von Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern, NZG 1998, 408; Freund, Abberufung und ordentliche Kündigung des Geschäftsführers, GmbHR 2010, 117; Greger, Der Vergütungsanspruch des abberufenen Geschäftsführers, in FS Boujong, 1996, S. 146; Grobys/Littger, Amtsniederlegung durch das Vorstandsmitglied einer AG, BB 2002, 2292; Grunewald, Die Abberufung von Gesellschaftergeschäftsführern in der GmbH, in FS Zöllner, 1998, S. 177; Haas, Unwirksame Amtsniederlegung des alleinigen Gesellschafter-Geschäftsführers bei Insolvenz der GmbH, DStR 2001, 454; Klatte, Die Amtsniederlegung des Geschäftsführers einer GmbH, 1997; Kort, Ungleichbehandlung von Geschäftsleitungsmitgliedern bei AG und GmbH wegen des Alters, WM 2013, 1049; Kruse/Stenslik, Mutterschutz für Organe von Gesellschaften?, NZA 2013, 596; Kubis, Geklärte und ungeklärte Fragen bei der Geschäftsführer-Abberufung aus wichtigem Grund, in Liber amicorum für Martin Winter, 2011, S. 387; Liebscher/Alles, Einstweiliger Rechtsschutz im GmbH-Recht, ZIP 2015, 1; Lieder/Ringlage, Kein Sonderrecht der zweigliedrigen GmbH!, GmbHR 2017, 1065; Link, Die Amtsniederlegung durch Gesellschaftsorgane, 2003; Littbarski, Maßnahmen einstweiligen Rechtsschutzes zum Zwecke der Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers, DStR 1994, 906; Littbarski, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, 1996; Lohr, Die Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers, RNotZ 2002, 706; Lohr, Die Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers – Voraussetzungen der Niederlegung und Folgen für das Angestelltenverhältnis, DStR 2002, 2173; Lotz, Die Abberufung des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers, 2014; Lunk, Rechtliche und taktische Erwägungen bei Kündigung und Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, ZIP 1999, 1777; Lutz, Einstweiliger Rechtsschutz bei Gesellschafterstreit in der GmbH, BB 2000, 833; Lutz, Prozessvertretung der GmbH gegenüber dem Geschäftsführer und actio pro socio bei einstweiligen Verfügungen, NZG 2015, 424; Martens, Die außerordentliche Beendigung von Organund Anstellungsverhältnis, in FS Werner, 1984, S. 459; Meilicke, Kündigungs- und Abberufungsschutz für Gesellschafter-Geschäftsführer, DB 1994, 1761; Meyer-Landrut, Zur Suspendierung eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft, in FS R. Fischer, 1979, S. 477; Mielke/Heinemann, Die wirksame Amtsniederlegung des Fremdgeschäftsführers bei Führungslosigkeit, ZIP 2017, 1941; Morawietz, Die Abberufung der Gesellschafter-Geschäftsführer in der Zweipersonen-GmbH bei tiefgreifendem Zerwürfnis, GmbHR 2000, 637; Münch, Amtsniederlegung, Abberufung und Geschäftsunfähigkeit des Geschäftsführers einer GmbH, DStR 1993, 916; Nietsch, Einstweiliger Rechtsschutz bei Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung, GmbHR 2006, 393; Oppenländer, Von der Rechtsprechung entwickelte Sonderregeln für die Zweipersonen-GmbH, DStR 1996, 922; Peltzer, Rechtsprobleme beim unfreiwilligen Ausscheiden von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften und Geschäftsführern von Gesellschaften m.b.H., BB 1976, 1249; Pentz, Die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers, GmbHR 2017, 801; Plander, Die Vertretung der nicht aufsichtsratspflichtigen GmbH bei Begründung, Änderung und Beendigung von Organstellung und Anstellungsverhältnis der Geschäftsführer, ZHR 133 (1970), 327; Reichert, Die unberechtigte Amtsniederlegung aus wichtigem Grund, ZWE 2002, 438; Reiserer/Peters, Die anwaltliche Vertretung von Geschäftsführern und Vorständen bei Abberufung und Kündigung, DB 2008, 167; Röder/Lingemann, Schicksal von Vorstand und Geschäftsführer bei Unternehmensumwandlungen und Unternehmensveräußerungen, DB 1993, 1341; Rüppell/Hoffmann, Abberufung und Kündigung eines (Gesellschafter-)Geschäftsführers aus wichtigem Grund, BB 2016, 645; Säcker, Rechtsprobleme beim Widerruf der Bestellung von Organmitgliedern und Ansprüche aus fehlerhaften Anstellungsverträgen, in FS Müller, 1981, S. 745; Schmolke, Die Abberufung des Vorstandsmitglieds auf Verdacht, AG 2014, 377; H. Schneider/Uwe H. Schneider, Die Amtsniederlegung durch den Geschäftsführer einer GmbH, GmbHR 1980, 4; Uwe H. Schneider, Die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers einer zweigliedrigen GmbH, ZGR 1983, 535; Uwe H. Schneider, Die Zweimann-GmbH, in FS Keller-
238 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Widerruf der Bestellung | Rz. 3 § 38 mann, 1991, S. 403; Schuhmann, Zur Amtsniederlegung eines GmbH-Geschäftsführers, NZG 2002, 706; Schuhmann, Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 2007, 305; von Schurbein/Neufeld, Die fristlose Abberufung und Kündigung eines Geschäftsführers mit Minderheitsbeteiligung, BB 2011, 585; Semler, Einstweilige Verfügungen bei Gesellschafterauseinandersetzungen, BB 1979, 1533; Stenzel/Lühr, Zum richtigen Erklärungsempfänger der Amtsniederlegung eines Geschäftsführers bei einem Gesellschafterwechsel, NZG 2015, 743; Trölitzsch, Die Amtsniederlegung von Geschäftsführern in der Krise der GmbH, GmbHR 1995, 857; Tschöpe/Wortmann, Abberufung und ordentliche Kündigung von geschäftsführenden Organvertretern – Grundlagen und Verfahrensfragen, NZG 2009, 85, 161; Voigt, Die Entlassung des GmbH-Geschäftsführers aus wichtigem Grund, 2001; Vollmer, Die Abberufung von Geschäftsführern der mitbestimmten GmbH, GmbHR 1984, 5; Vorwerk, Rechtsschutz bei Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, GmbHR 1995, 266; Wachter, Amtsniederlegung von GmbH-Geschäftsführern, GmbHR 2001, 1129; Werner, Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers aus wichtigem Grund, GmbHR 2015, 1185; Werner, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschafterstreit in der GmbH, NZG 2006, 761; Werner, Gerichtlicher Rechtsschutz im Streit über die Abberufung des GmbHGeschäftsführers, GmbHR 2015, 1297; Werner, Koppelungsklauseln in Geschäftsführerdienstverträgen und ihre rechtlichen Rahmenbedingungen, NZA 2015, 1234; Winkler, Gesellschafterausschluss und Geschäftsführer-Abberufung in der Zweipersonen-GmbH, GmbHR 2017, 334; Wolf, Abberufung und Ausschluss in der Zweimann-GmbH, ZGR 1998, 92; Wolf, Das unheilbare Zerwürfnis als Abberufungsgrund, GmbHR 1998, 1163; Wolff, Bestellung und Abberufung von GmbH-Geschäftsführern im Ausland, ZIP 1995, 1489. Vgl. auch das Schrifttum zu 12. Aufl., § 35 Rz. 23 und § 35 vor Rz. 251.
I. Beendigungsgründe für die Organstellung 1. Übersicht Das Gesetz regelt die Beendigungsgründe für die Organstellung des Geschäftsführers nur un- 1 vollkommen. Beendigungsgründe sind der Zeitablauf bei befristeter Bestellung und der Tod des Geschäftsführers (Rz. 3 f.), die vertragliche Aufhebung (Rz. 7), der Wegfall der gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen (Rz. 8 ff.), der Widerruf (Abberufung) (Rz. 12 ff.), die Amtsniederlegung (Rz. 85 ff.) sowie die Umwandlung und die Verschmelzung der Gesellschaft (Rz. 10 f.). Ob die Beendigung des Anstellungsvertrages auch zur Beendigung der Organstellung führt, ist streitig (Rz. 5). § 38 handelt nur von dem Grundsatz der freien Abberufbarkeit des Geschäftsführers, also 2 von der Beendigung der Organstellung. Die Vorschrift handelt nicht von der Beendigung des Anstellungsvertrages.
2. Beendigung durch Zeitablauf und Tod Die Bestellung zum Geschäftsführer kann befristet und unbefristet, entgegen der höchstrich- 3 terlichen Rechtsprechung aber weder aufschiebend noch auflösend bedingt1 erfolgen. In der Satzung kann die Befristung ausdrücklich vorgesehen werden, z.B. eine Altersgrenze. Die Befristung kann auch im Beschluss über die Bestellung erfolgen. Welche der Möglichkeiten die Gesellschafter wählen, steht in ihrem Ermessen. Liegt die Gesellschaft aber im Anwendungsbereich des MontanMitbestG, des MitbestErgG oder des MitbestG, ist die Befristung zwingend vorgeschrieben. Die § 12 MontanMitbestG, § 13 MitbestErgG, § 31 MitbestG ver-
1 Ebenso Altmeppen in Roth/Altmeppen, § 6 Rz. 68; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 Rz. 41a; Schumacher, GmbHR 2006, 292; a.A. BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, GmbHR 2006, 46; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 81; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 286; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Tebben in Michalski u.a., § 6 Rz. 86; s. auch 12. Aufl., § 6 Rz. 74.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 239
§ 38 Rz. 3 | Widerruf der Bestellung weisen auf § 84 AktG. Hiernach gilt als Höchstgrenze eine Bestellung auf die Zeit von fünf Jahren. 4 Bei befristeter Bestellung endet die Organstellung mit dem Zeitablauf. Einer besonderen Er-
klärung durch das Bestellungsorgan oder durch den Geschäftsführer bedarf es nicht. Die Organstellung endet mit dem Tod des Geschäftsführers. Die Organstellung ist nicht vererblich. Im Gesellschaftsvertrag kann aber vorgesehen sein, dass ein Erbe in der Organstellung nachfolgt2 oder einen Anspruch auf Bestellung zum Geschäftsführer erwirbt. Allerdings bedarf es auch in diesem Fall zusätzlich einer Bestellung und der Annahme durch den Bestellten3.
3. Beendigung des Anstellungsverhältnisses 5 Teilweise wird die Ansicht vertreten, die Beendigung des Anstellungsverhältnisses führe auch
ohne weiteres zur Beendigung der Organstellung4. Die Kündigung entziehe der Organstellung den Boden, weil ein Geschäftsführer im Allgemeinen nicht ohne Vertragsgrundlage weiterarbeiten wird5. Die höchstrichterliche Rechtsprechung will hiervon nur dann eine Ausnahme machen, wenn die Bestellung eines Gesellschafters nicht auf seinem Anstellungsvertrag beruht. In diesem Fall brauche der Ablauf des Vertrages in Verbindung mit der Erklärung, ihn nicht verlängern zu wollen, nicht ohne weiteres auch die Beendigung der Organstellung herbeizuführen6. 6 Für eine Verknüpfung von Organstellung und Anstellungsverhältnis besteht jedoch kein
Grund7. Für den umgekehrten Fall der Abberufung und der Amtsniederlegung ist dies anerkannt. Die Abberufung muss nicht auch zur Beendigung des Anstellungsverhältnisses führen (s. Rz. 33). Zwar kann im Einzelfall, was durch Auslegung zu ermitteln ist, die Erklärung der Gesellschafterversammlung zugleich als Abberufung und als Kündigung zu verstehen sein. Beschränkt die Gesellschafterversammlung die Erklärung auf die Kündigung, so hat der Geschäftsführer im Zweifel die Möglichkeit zur Amtsniederlegung. Doch kann auch ein gemeinsames Interesse daran bestehen, nur das Anstellungsverhältnis zu beenden und die Organstellung zu erhalten, z.B. weil der Anstellungsvertrag in der Folge mit einem Dritten abgeschlossen werden soll. Eine solche Trennung ist zulässig (str., s. 12. Aufl., § 35 Rz. 251).
4. Beendigung durch vertragliche Aufhebung 7 Soll die Organstellung vorzeitig enden, wollen die Beteiligten aber einseitige Erklärungen ver-
meiden, so können sie den Weg der Beendigung durch vertragliche Aufhebung wählen8. Eine 2 A.A. wohl Terlau in Michalski u.a., Rz. 80 und Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 84. 3 Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 69. 4 RG v. 5.6.1934 – II 59/34, RGZ 144, 386; s. auch BGH v. 16.12.1953 – II ZR 41/53, BGHZ 12, 1, 9; BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41 = WM 1981, 30 = DB 1981, 308; differenzierend: Dernbach, BB 1982, 1270; wohl auch Martens in FS Werner, 1984, S. 503. 5 BGH v. 24.11.1980 – II ZR 182/79, BGHZ 79, 38, 41. 6 BGH v. 21.9.1981 – II ZR 104/80, WM 1981, 1200, 1201 = GmbHR 1982, 133, 134. 7 OLG Frankfurt v. 18.2.1994 – 10 U 16/93, GmbHR 1994, 549; Goette, Die GmbH, S. 249; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 103: Verknüpfung mit Organstellung kann aber durch auflösende Bedingung erfolgen. 8 BGH v. 8.12.1977 – II ZR 219/75, WM 1978, 110 = GmbHR 1978, 38; OLG Köln v. 27.10.1999 – 27 U 2/99, NZG 2000, 436; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 87; für die AG: Spindler in MünchKomm. AktG, 4. Aufl. 2014, § 84 AktG Rz. 205; Meyer-Landrut in FS Fischer, 1979, S. 477, 484; Westhoff, DB
240 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Widerruf der Bestellung | Rz. 11 § 38
solche einvernehmliche Beendigung ist auch dann zulässig, wenn ein wichtiger Grund nicht vorliegt, die Satzung aber für die Abberufung einen wichtigen Grund verlangt. Dabei wird die Gesellschaft durch das Bestellungs- und Abberufungsorgan vertreten9. Ändern die Vertragsparteien den Aufhebungsvertrag oder erklärt eine der Vertragsparteien 7a den Rücktritt, so führt dies nicht dazu, dass der Geschäftsführer wieder in seine Organstellung eintritt10. Er muss vielmehr wieder bestellt werden.
5. Wegfall der gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen Nach § 6 Abs. 2 kann Geschäftsführer nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Per- 8 son sein. Verliert ein Geschäftsführer nach seiner Bestellung die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit, so verliert er damit automatisch auch seine Stellung als Geschäftsführer11. Die Organstellung endet auch, wenn einer der in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1–3 und Satz 3 aufge- 9 führten gesetzlichen Ausschlussgründe eintritt. Der Geschäftsführer verliert daher etwa seine Organstellung mit Rechtskraft eines Strafurteils, wenn er wegen einer Insolvenzstraftat verurteilt wurde. Als Verurteilung i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Buchst. a gilt nicht nur die Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Es genügt vielmehr, dass der Geschäftsführer wegen einer solchen Tat unter Vorbehalt der Verhängung einer Geldstrafe verwarnt wurde (§ 59 Abs. 1 StGB)12. Dagegen verliert ein Geschäftsführer seine Organstellung nicht deshalb, weil eine satzungsrechtliche Eignungsvoraussetzung entfällt13. Sieht daher etwa die Satzung vor, dass nur Familienangehörige zu Geschäftsführern bestellt werden können, so behält gleichwohl der Geschäftsführer nach Rechtskraft des Scheidungsurteils seine Organstellung.
6. Sonstige Beendigungsgründe Bei formwechselnder und bei übertragender Umwandlung verlieren die Geschäftsführer au- 10 tomatisch ihre Organstellung. Die Organstellung bei der übertragenden Gesellschaft endet auch bei der Verschmelzung 11 durch Aufnahme in der aufgenommenen Gesellschaft; bei einer Verschmelzung durch Neubildung endet die Organstellung in beiden Gesellschaften, die fusionieren, § 20 UmwG14.
9 10 11 12 13 14
1980, 2520, 2522; Krieger, Personalentscheidungen des Aufsichtsrats, 1981, S. 147; Hoffmann-Becking in FS Stimpel, 1985, S. 589; P. Hofmann, ZfgG 1987, 179. Zur Beendigung durch gerichtlichen Vergleich: BGH v. 13.1.1958 – II ZR 212/56, BGHZ 26, 236. BGH v. 19.6.1995 – II ZR 228/94, DStR 1995, 1359 m. Anm. Goette; LAG Hessen v. 21.6.2000 – 13 Sa 1300/99, GmbHR 2001, 298; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 38; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 287. BGH v. 16.10.1992 – II ZR 63/92, DStR 1992, 1816. BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 80 = GmbHR 1991, 358, 359; BayObLG v. 16.7.1982 – BReg 3 Z 74/82, GmbHR 1983, 152 = BB 1982, 1508; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 290; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 Rz. 12. OLG Naumburg v. 3.2.2017 – 5 Wx 2/17, GmbHR 2017, 403 = NZG 2017, 1223. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 67; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 80. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 292; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 92; Grunewald in Lutter, § 20 UmwG Rz. 28; Röder/Lingemann, DB 1993, 1341.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 241
§ 38 Rz. 12 | Widerruf der Bestellung
II. Die Widerruflichkeit der Bestellung 1. Der Grundsatz der freien Abberufbarkeit 12 a) § 38 regelt den Grundsatz der freien Abberufbarkeit des Geschäftsführers. Der Grundsatz
dient in Anbetracht der nach außen unbeschränkten Vertretungsmacht der Geschäftsführer der Sicherheit der Gesellschaft. Er ist zugleich eine Ergänzung des Grundsatzes der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer, also der Regelung, dass die Geschäftsführer den Weisungen der Gesellschafter unterliegen. 13 b) Das Gesetz unterscheidet nicht zwischen der Abberufung eines Gesellschafter-Geschäfts-
führers und der Abberufung eines Fremdgeschäftsführers. Ist aber der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter, so erscheinen einzelne Regelungsprobleme in anderem Licht, und es stellen sich zahlreiche zusätzliche Fragen. Die Fragen verschärfen sich noch, wenn die Gesellschafter je zur Hälfte an der Gesellschaft beteiligt sind15. 14 c) Die Vorschrift spricht zwar von dem Widerruf der Bestellung. Indessen soll nicht der Be-
stellungsakt ex tunc rückgängig gemacht, sondern die Organstellung ex nunc beendet werden16. Vorzuziehen ist daher der Begriff: Abberufung.
2. Die Voraussetzungen 15 a) Die Abberufung ist ebenso wie die Bestellung selbst ein körperschaftlicher Akt. Sie bedarf
eines Beschlusses durch das zuständige Organ (Abberufungsbeschluss). Der Beschluss muss sodann dem Geschäftsführer mitgeteilt werden (Abberufungserklärung) (s. Rz. 29). Einer Annahme durch den Geschäftsführer, wie dies für die Bestellung erforderlich ist, bedarf es bei der Abberufung nicht. 15a Die Abberufung ist, sofern in der Satzung nicht etwas anderes vereinbart wurde, jederzeit
möglich. Sie ist formfrei. Sie kann befristet (Widerruf zum 31.12.)17, aber nicht bedingt vorgenommen werden18. Die vorherige Anhörung des Geschäftsführers ist weder Wirksamkeitsvoraussetzung, noch hat der Geschäftsführer ein Recht auf Anhörung vor der Abberufung19. Keinen Unterschied macht es, ob der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter ist oder nicht, und ob er im Gesellschaftsvertrag ernannt ist oder nicht. Wird der einzige Geschäftsführer abberufen, so ist dies nicht davon abhängig, dass die Gesellschafter zugleich den Nachfolger bestellen20. 16 b) Besondere gerichtlich nachprüfbare „vernünftige sachliche Gründe“21 brauchen nicht
vorzuliegen22. Was „vernünftig“ ist, entscheiden die Gesellschafter. Die Grenze bilden im Rah-
15 S. dazu: BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177 = GmbHR 1983, 149; BGH v. 25.1.1960 – II ZR 207/57, LM § 38 GmbHG Nr. 2; BGH v. 14.10.1968 – II ZR 84/67, LM § 38 GmbHG Nr. 4; OLG Karlsruhe v. 23.12.1965 – 10 U 313/65 – Q 18/65, GmbHR 1967, 214; OLG Nürnberg v. 8.10.1970 – 2 U 84/70, GmbHR 1971, 208; eingehend: Uwe H. Schneider, ZGR 1983, 535. 16 Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 1; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Lücke/Simon in Saenger/Inhester, Rz. 2. 17 Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 9. 18 Diekmann in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl., § 42 Rz. 42. 19 BGH v. 4.7.1969 – II ZR 168/58, GmbHR 1960, 220; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 33; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 177. 20 Goette, Die GmbH, S. 246. 21 Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 3. Aufl. 2015, S. 255; Henze/Born, GmbH-Recht, 2013, S. 357. 22 BGH v. 3.11.2003 – II ZR 158/01, GmbHR 2004, 57.
242 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider
Widerruf der Bestellung | Rz. 18 § 38
men von §§ 226, 826 BGB „offenbar unsachliche Gründe“23. Der Geschäftsführer trägt hierfür die Beweislast (vgl. § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG)24. Die Abberufung bedarf in der Regel keiner näheren Begründung25. c) Streitig ist, ob dies auch für den Gesellschafter-Geschäftsführer der personalistischen 17 GmbH gilt. Die engen gesellschaftlichen Beziehungen und die persönliche Verbundenheit mit dem Gesellschaftsunternehmen sollen eine analoge Anwendung von §§ 117, 127 HGB begründen. Das würde bedeuten, dass sich die Organstellung des Gesellschafter-Geschäftsführers bei der personalistischen GmbH zum mitgliedschaftlichen Sonderrecht verdichtet, das nur bei wichtigem Grund entzogen werden kann26. Gegen eine solche Analogie sprechen jedoch insbesondere die stärkere Vermögensbindung und die unterschiedliche Haftungslage bei den Personengesellschaften27. Das schließt nicht aus, dass die Gesellschafter in der Satzung zwar nicht ausdrücklich, wohl aber mittelbar auf die jederzeitige Widerruflichkeit verzichtet haben. Ob eine solche Beschränkung vereinbart ist, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln28. Die Regel heißt somit, dass auch für den Gesellschafter-Geschäftsführer das freie Widerrufs- 18 recht gemäß § 38 Abs. 1 nicht eingeschränkt ist. Dies gilt auch für die Zweimann-GmbH29. Wohl aber kann die Abberufung eines Mitgesellschafters als Geschäftsführer aufgrund der Treuepflichten30 der anderen Gesellschafter beschränkt sein, auch wenn ihm kein Sonderrecht zusteht31; denn die Gesellschafter schulden gegenüber der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern ein Verhalten, das auf die mitgliedschaftlichen Interessen der anderen Gesellschafter Rücksicht nimmt32. Verlangt ist daher in diesen Sonderfällen ein sachlicher Grund33. Hat daher etwa ein Gesellschafter-Geschäftsführer seine Tätigkeit als Geschäftsführer zum Lebensberuf gemacht und sich hierauf eingerichtet, so kann er nicht ohne sachlichen Grund
23 A.A. Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 4; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; wie hier: Buck-Heeb in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 3. 24 BGH v. 28.4.1954 – II ZR 211/53, BGHZ 13, 192 = GmbHR 1954, 92 m. Anm. H. Schneider, DB 1975, 1548; Harde, Die Abberufung des Geschäftsführers der GmbH …, 1971, S. 110. 25 OLG Zweibrücken v. 8.6.1999 – 8 U 138/98, NZG 1999, 1011; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2. 26 Limbach, GmbHR 1968, 181. 27 Fleck, GmbHR 1970, 221. 28 Fischer, GmbHR 1953, 131; Fischer in FS W. Schmidt, 1959, S. 121. 29 Schönle/Ensslin, GmbHR 1968, 23; Schönle/Ensslin, GmbHR 1969, 103; Fleck, GmbHR 1970, 221; a.M. OLG Karlsruhe v. 23.12.1965 – 10 U 313/65 – Q 18/65, GmbHR 1967, 214; Winkler, GmbHR 2017, 334, 339. 30 Zur Frage, ob und inwiefern die Gesellschafter aufgrund ihrer gesellschaftsinternen Treuepflicht in ihrer Stimmrechtsausübungsfreiheit beschränkt werden können, vgl. BGH v. 12.4.2016 – II ZR 275/14, GmbHR 2016, 759 m. Anm. Schmitz-Herscheidt, ZIP 2016, 1220 f.; OLG München v. 23.6.2016 – 23 U 4531/15, GmbHR 2016, 925 f. Eingehend hierzu auch Kubis in Liber amicorum Winter, S. 389 ff.; s. auch oben Seibt, 12. Aufl., § 14 Rz. 64. 31 OLG Saarbrücken v. 10.10.2006 – 4 U 382/05-169, GmbHR 2007, 143, 150; OLG Zweibrücken v. 5.6.2003 – 4 U 117/02, GmbHR 2003, 1206; Beurskens in Baumbach/Hueck, Rz. 25; Grunewald in FS Zöllner, 1998, S. 177; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 2 und 7 a.E.; Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12; Winkler, GmbHR 2017, 334, 339; Pentz, GmbHR 2017, 801, 812 f.; zurückhaltend OLG Naumburg v. 13.1.2000 – 7 U (Hs) 24/99, NZG 2000, 608, 609; ohne satzungsmäßiges Sonderrecht ablehnend Lotz, Die Abberufung des GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführers, 2014, S. 25 ff. 32 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276 ff. = GmbHR 1986, 426; sowie 12. Aufl., § 14 Rz. 73. 33 KG v. 23.7.2015 – 23 U 18/15, NZG 2016, 787, 789 = GmbHR 2016, 29; a.A. Stephan/Tieves in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Altmeppen in Roth/Altmeppen, Rz. 4; Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065, 1066.
Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider | 243
§ 38 Rz. 18 | Widerruf der Bestellung abberufen werden34. Dies gilt auch für den Fall, dass seine finanzielle Versorgung nicht gefährdet ist.
3. Das Abberufungsorgan a) Gesetzliche Regelung 19 aa) Über die Abberufung entscheidet bei der mitbestimmungsfreien GmbH und bei der nach
dem DrittelbG mitbestimmten GmbH die Gesellschafterversammlung, § 46 Nr. 535. Zur Frage der Beschlussfassung und zum Stimmrecht des Abzuberufenden s. bei § 46 und bei § 47. 20 bb) Der einzelne Gesellschafter kann auch bei Vorliegen eines wichtigen Grundes die Abbe-
rufung nicht selbst vornehmen. Die Gesellschafterversammlung bleibt in jedem Fall das zuständige Organ. Bei der Beschlussfassung über die gewöhnliche Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers unterliegt dieser keinem Stimmverbot36. Dagegen unterliegt der Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Beschlussfassung über eine Abberufung aus wichtigem Grund einem Stimmverbot37. Streitig ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum, unter welchen Voraussetzungen der Gesellschafter-Geschäftsführer bei der Abstimmung über die Abberufung aus wichtigem Grund einem Stimmverbot unterliegt. S. dazu die Kommentierung bei § 4738. Es bleibt im Ermessen der Gesellschafter, ob sie trotz des Vorliegens eines wichtigen Grundes die Abberufung nicht vornehmen. Die gesellschaftliche Treuepflicht kann jedoch gebieten, dass widersprechende Gesellschafter der Abberufung zustimmen müssen39. Dabei müssen aber die Voraussetzungen einer Treuepflichtverletzung im Einzelfall gesondert geprüft werden40. Die Stimmabgabe unter Verletzung dieser gesellschaftlichen Treuepflicht ist nichtig, die Stimme ist bei der Ermittlung des Beschlussergebnisses nicht mitzuzählen41. Werden die Stimmen gleichwohl mitgezählt, so ist der Beschluss wirksam, aber anfechtbar42. Das Entsprechende gilt, wenn ein Geschäftsführer, nachdem er aus wichtigem Grund abberufen wurde, wiederbestellt wird43. In diesem Fall ist die Stimmabgabe für die Wiederbestellung treuwidrig, wenn der wichtige Grund, der zur Abberufung führte, fortbesteht.
34 BGH v. 29.11.1993 – II ZR 61/93, DStR 1994, 214 m. Anm. Goette; a.A. Meilicke, DB 1994, 1761. 35 Zur Zuständigkeit eines vom Komplementär der Alleingesellschafte