Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten: Parteien, Militante und Intellektuelle im Kampf gegen die 'One World' [1. Aufl.] 9783658306656, 9783658306663

Holger Oppenhäuser analysiert in der Studie die Herausbildung einer nationalistischen Globalisierungskritik, welche an d

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German Pages XII, 558 [564] Year 2020

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Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten: Parteien, Militante und Intellektuelle im Kampf gegen die 'One World' [1. Aufl.]
 9783658306656, 9783658306663

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XII
Einleitung (Holger Oppenhäuser)....Pages 1-3
Fragestellung und Methode (Holger Oppenhäuser)....Pages 5-35
Der nationalistische Interdiskurs (Holger Oppenhäuser)....Pages 37-134
Globalisierung im mediopolitischen Diskurs (Holger Oppenhäuser)....Pages 135-172
Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten (Holger Oppenhäuser)....Pages 173-275
Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller (Holger Oppenhäuser)....Pages 277-406
Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung (Holger Oppenhäuser)....Pages 407-478
Ausblick (Holger Oppenhäuser)....Pages 479-486
Back Matter ....Pages 487-558

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Edition Rechtsextremismus

Holger Oppenhäuser

Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten Parteien, Militante und Intellektuelle im Kampf gegen die ‘One World’

Edition Rechtsextremismus Reihe herausgegeben von Fabian Virchow, Hochschule Düsseldorf, Düsseldorf Nordrhein-Westfalen, Deutschland Alexander Häusler, Hochschule Düsseldorf, Düsseldorf Nordrhein-Westfalen, Deutschland

Die „Edition Rechtsextremismus“ versammelt innovative und nachhaltige Beiträge zu Erscheinungsformen der extremen Rechten als politisches, soziales und kulturelles Phänomen. Ziel der Edition ist die Konsolidierung und Weiterentwicklung sozial- und politikwissenschaftlicher Forschungsansätze, die die extreme Rechte in historischen und aktuellen Erscheinungsformen sowie deren gesellschaftlichen Kontext zum Gegenstand haben. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei transnationalen Entwicklungen in Europa.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/12738

Holger Oppenhäuser

Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten Parteien, Militante und Intellektuelle im Kampf gegen die ‘One World’

Holger Oppenhäuser Marburg, Deutschland Dissertation am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg vorgelegt von Holger Oppenhäuser im Januar 2019. Die Promotion wurde von 2004 bis 2008 durch das Studienwerk der Heinrich-BöllStiftung gefördert.

ISSN 2625-9311 ISSN 2625-932X  (electronic) Edition Rechtsextremismus ISBN 978-3-658-30666-3  (eBook) ISBN 978-3-658-30665-6 https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Danksagung Die vorliegende Untersuchung ist eine leicht überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich im Januar 2019 am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie der Philipps-Universität Marburg eingereicht habe. Ich danke Fabian Virchow für ihre Aufnahme in die Edition Rechtsextremismus. Die Erstellung der Studie war ein unerwartet langer, steiniger und anstrengender Weg, den ich ohne vielfältige Unterstützungen und Ermutigungen nicht hätte zu Ende gehen können. Zunächst möchte ich John Kannankulam und Alex Demirović für die Betreuung der Arbeit danken. Ich danke dem Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung, das die Arbeit von 2004 bis 2008 mit einem Stipendium gefördert hat. Für die Unterstützung bei der Recherche bedanke ich mich beim Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS), insbesondere bei Martin Dietzsch sowie beim Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin (APABIZ), insbesondere bei Michael Weiss. Martin G. Meier danke ich für gründliche Korrekturen und hilfreiche Anmerkungen in der Schlussphase der Arbeit. Ganz herzlich danke ich meiner Familie. Meine Eltern haben mir als erstem Familienmitglied ein Studium ermöglicht und mir auch während der schwierigsten Phasen beim Erstellen der Dissertation Rückhalt gegeben. Für Rückhalt, inhaltlichen Austausch und ein solidarisches Geben und Nehmen, bei all dem was uns der Alltag mit zwei wunderbaren Kindern zwischen Lohnarbeit und zwei Promotionen so abverlangt hat, danke ich Sophie Schmitt. Patrick Bohländer danke ich dafür, dass er über all die Jahre ein offenes Ohr hatte, wenn ich auf dem langen Weg wieder einmal Rast bei ihm gemacht habe. Schließlich habe ich auch den vielen weiteren Freund*innen, Kolleg*innen und politischen Weggefährt*innen zu danken, ohne deren vielfältigen Anregungen im Zuge gemeinsamer Debatten und politischer Praxen diese Arbeit nicht dieselbe wäre. In diesem Sinne widme ich das Buch all denen, die am 5. Februar 2020 mit auf den Straßen waren, um spontan gegen die Wahl eines Ministerpräsidenten mit Stimmen der AFD zu protestieren.

Inhalt 1 Einleitung

1

2 Fragestellung und Methode

5

2.1 Frage und Forschungsstand 2.1.1 Stand der 'Rechtsextremismusforschung' 2.1.2 Befunde auf der programmatischen Ebene 2.1.3 Befunde zur sozialen Basis 2.1.4 Gesellschaftstheoretische Einordnungen

5 5 6 8 11

2.2 Methodischer Zugang: Analyse politischen Wissens nach Foucault 2.2.1 Diskurs und Aussage 2.2.2 Interdiskurse und Kollektivsymbole 2.2.3 Diskursive und politisch-ökonomische Praxen 2.2.4 Gekoppelte Zyklen: Zur Kompatibilität von Diskurs-, Regulationsund materialistischer Staatstheorie 2.2.5 Schnittstellen zur Bewegungsforschung

15 16 17 19

2.3 Materialauswahl und Aufbau der Arbeit

29

2.4 Zum Diskursbegriff und zur Schreibweise

33

3 Der nationalistische Interdiskurs

37

21 25

3.1 Die Rede des Vorsitzenden auf dem Bundesparteitag der NPD 2004 37 3.1.1 Erste Übersicht über Struktur und Inhalt der Rede 38 3.1.2 Die Pronominalstruktur als Schlüssel zum Text 44 3.1.2.1 'Ich – der Führungsoffizier – melde Euch': Die erste Person Singular und die zweite Person (Singular und Plural) 46 3.1.2.2 'Wir national gesinnten Deutschen': Die erste Person Plural 50 3.1.2.3 'Der Gegner – das System': Die dritte Person Singular und Plural 53 3.1.3 Zwischenresümee: Der Antagonismus und das nationalistische Feld 57 3.2 Volk gegen System 3.2.1 Volk 3.2.2 Geschichte 3.2.3 Staat

62 65 68 72

VIII

Inhalt

3.2.4 Demokratie (Carl Schmitt) 3.2.4.1 Interessen 3.2.4.2 Wahlkönig 3.2.4.3 Physische Bedingungen 3.2.4.4 Gewaltenbalance: Souverän gegen das Volk 3.2.4.5 Das Irrationale 3.2.4.6 Starker Staat und gesunde Wirtschaft 3.2.4.7 Wirkliche Demokratie 3.2.5 Väter 3.2.6 Identität 3.2.7 Ausländer 3.2.8 Etablierte 3.2.9 Medien 3.2.10 Juden

75 76 78 81 85 91 96 101 102 111 114 118 123 126

3.3 Zwischenresümee: Zentrale Aussagen des nationalistischen Diskurses

131

4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

135

4.1 Eine mediale Großdebatte: Zeitenwende Globalisierung 4.1.1 Wirtschaftstheorie als Glaubenskrieg 4.1.2 Globalisierungskritik und Bindestrich-Kapitalismus

136 139 140

4.2 Weltmarkt: Ein Ozean 4.2.1 Flusssystem: Kapital 4.2.2 Ströme und Fluten: Transnationale Prozesse 4.2.3 Schotten, Dämme und Schranken: Staatliche Regulierung

143 143 144 148

4.3 Finanzmarkt: Gespenster am Roulettetisch 4.3.1 Kasino: Finanzmärkte 4.3.2 Gesichtslose Mächte: Finanzmarktakteure 4.3.3 Zauberlehrling, Dompteur und Schiedsrichter: Der Staat

151 151 152 154

4.4 Konkurrenz: Spiel, Sport, Krieg und Evolution 4.4.1 Gewinner und Verlierer 4.4.2 Krieg 4.4.3 Ballsport und Brettspiele 4.4.4 Darwin

155 155 156 157 158

4.5 Klassenverhältnisse: Soziale Denormalisierung 4.5.1 Erdbeben: Transformationen der Klassenverhältnisse 4.5.2 Bedrohte Mitte, gelähmte Gesellschaft und der Mittelstand: Mediopolitische Anrufungen

161 162 163

Inhalt

IX

4.6 Transformationen im Weltsystem: Versinken im Meer der Mittelmäßigkeit

167

4.7 Zwischenresümee: Elemente der Globalisierungsdebatte

169

5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

173

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD 5.1.1 Die Abwehr der globalen Fluten 5.1.1.1 Ströme, die Staatsgrenzen passieren: Geld, Güter und Menschen 5.1.1.2 Versinken im Meer der Habenichtse 5.1.1.3 Geschlossener Handelsstaat: Volkswirtschaft gegen Weltwirtschaft 5.1.1.4 Deutsche Souveränität gegen das EU-Europa 5.1.2 One World 5.1.2.1 Amerikanisierung 5.1.2.2 Internationalismus 5.1.2.3 Finanzmärkte: Jüdische Spekulanten 5.1.2.4 Die diskursive Vorgeschichte der One-World-Aussage 5.1.3 Exkurs: Zur Reartikulation des mediopolitischen Diskurses 5.1.4 Globalisierungskritik: Deutsche Arbeiter gegen 'Global Player' und Ausländer 5.1.4.1 Nationaler Sozialismus 5.1.4.2 Gesunder Mittelstand 5.1.4.3 Arbeit als etwas Höheres begreifen 5.1.4.4 Sozialstaat versus multikulturelle Gesellschaft 5.1.5 Zwischenresümee: Zentrale Aussagen zum Thema Globalisierung

173 173 174 177 179 182 183 186 188 189 192 198 202 202 207 212 215 216

5.2 'Freie Kräfte und jugendliche bekennende Deutsche' – Neonazis und die RechtsRock-Szene 220 5.2.1 'Einige wollten noch zum Konzert fahren' – Die RechtsRock-Szene 223 5.2.1.1 'Eine patriotische und sozialistische Band' – Politisch-ökonomische Gehalte 223 5.2.1.2 Diskursive Positionen: Skinheadtradition versus Partei 227 5.2.2 Diskursive Positionen: Bewegung und / oder Partei 228 5.2.2.1 Position I: Gesamtbewegung 229 5.2.2.2 Position II: Nationalsozialisten 231 5.2.2.3 Position III: Nationalrevolutionäre 233

X

Inhalt

5.2.3 National-Sozialistische Bewegung als 'einziges Gegengift zur Globalisierung' 5.2.3.1 Attac als Vertreter der One World 5.2.3.2 Mit Niekisch gegen Amerikanisierung 5.2.3.3 Der Blick auf die globalisierungskritische Bewegung 5.2.3.4 Ein Plakat zum Opel-Streik 5.2.3.5 Ein Flugblatt zu Hartz IV 5.2.4 Zwischenresümee: 'Nationale Sozialisten'

239 240 241 243 245 248 252

5.3 Die 'nationalen Parteien' 5.3.1 Organisationskonkurrenz: Kurze Anmerkung zur DVU und den Kleinstparteien 5.3.2 Reform statt Revolution: Die Republikaner (REP) 5.3.2.1 Die Positionierung im nationalen Lager 5.3.2.2 Gesunder Mittelstand gegen rote Aristokraten, Nieten in Nadelstreifen und Altparteien 5.3.2.3 Nationaler Sozialstaat versus multikultureller Wohlfahrtsstaat 5.3.2.4 Globalisierung I: Nationalistische Kritik 5.3.2.5 Globalisierung II: Nationale Selbstbehauptung im Wettbewerb

254

5.4 Zwischenresümee: Der Diskurs und seine Fraktionierungen

274

6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

277

6.1 Karlheinz Weißmann: Eliten-Training und effektive Quarantäne 6.1.1 Die Positionierung des Autors im Feld 6.1.2 Schmitt docet: Volks-Nation, substanzielle Demokratie und Elite 6.1.3 Heroische Männlichkeit: Starker Staat und weibliche Dekadenz 6.1.4 Mittelstand contra Wohlfahrtsstaat 6.1.5 Globalisierung: Die amerikanisierte One World 6.1.6 Deterritorialisierung: Juden und Ausländer 6.1.7 Imperium (Mittel-)Europa: Geschlossener Handelsstaat gegen globale Menge

280 281 285 290 295 298 304

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum 6.2.1 Traditionelles Denken und querverbindendes Zitieren 6.2.1.1 Geschichte: Von der 'dekadenten Moderne' zur 'Post-Moderne' 6.2.1.2 Von der 'konservativen Revolution' zur 'Kulturrevolution von rechts'

312 316

254 255 255 259 262 266 272

309

318 320

Inhalt

6.2.1.3 Diskurstaktik: Die Logik des ausgeschlossen Dritten 6.2.2 Die Globalisierungserzählung 6.2.2.1 Der Hauptfeind: Der Liberalismus in Gestalt der USA 6.2.2.2 Die deterritorialisierende Welt der Netze 6.2.3 Perspektiven der Reterritorialisierung 6.2.3.1 Ein autozentrisches Europa 6.2.3.2 Eine organische Gesellschaft 6.2.3.3 Eine volkliche Demokratie im europäischen Reich 6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen? 6.3.1 Mittelstand 6.3.1.1 Unternehmer gegen die Machtwirtschaft von Konzernen und Gewerkschaften 6.3.1.2 Zwischen Sachzwang und Kritik 6.3.2 Gegen die One World des internationalen Monopolkapitals 6.3.2.1 EU-Europa 6.3.2.2 US-Imperialismus 6.3.2.3 Political Correctness 6.3.2.4 Jüdische Drahtzieher 6.3.3 Reterritorialisierung 6.3.3.1 Starke Männerkörper gegen Inflation, Wohlfahrtstaat und Demokratie 6.3.3.2 Geschlossen gegen die globale Menge 6.3.4 Globalisierungskritik: Unternehmer und Arbeiter gegen Monopolkapital und Ausländer

XI

329 335 336 342 350 352 355 362 367 368 368 372 376 378 379 384 386 390 390 397 400

6.4 Zwischenresümee: Positionierungen im publizistischen Feld

404

7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

407

7.1 Volk und Souveränität 7.1.1 Die Nationform 7.1.2 Nationalistischer Populismus 7.1.3 Der imaginäre Souverän

409 410 413 419

7.2 Gegen die One World 7.2.1 Weltanschauung gegen Liberalismus und Marxismus 7.2.2 Ein Rückblick in ideologiekritischer Perspektive 7.2.3 Ein Rückblick in ideologietheoretischer Perspektive 7.2.4 Die neue Konjunktur am Ende des 20. Jahrhunderts 7.2.5 Nationale Sozialisten und Nationalliberale

421 422 423 426 429 430

XII

Inhalt

7.2.6 Wirtschafts- und sozialpolitische Positionen: Zwischen Sachzwang und nationalistischer Kritik

433

7.3 Nationale Schaffensgemeinschaft 7.3.1 Arbeiter wehrt euch 7.3.2 Die hart arbeitende Mitte 7.3.3 Mittelständische Unternehmer

436 437 438 445

7.4 Reterritorialisierung 7.4.1 Deterritorialisierung und Reterritorialisierung 7.4.2 Verschlossene Körper 7.4.3 Grenzverhärtung und Protonormalismus 7.4.4 Das nationalstaatliche Dispositiv und die inneren Grenzen 7.4.5 Die Ströme von Arbeit und Kapital

448 449 452 453 456 460

7.5 Geschlossener Handelsstaat 7.5.1 Deutschtümelei fährt in die Materie 7.5.2 Handelspolitische Optionen 7.5.3 Die Grenze nach Unten: Globale Menge 7.5.4 Die Grenze nach Oben: Amerikanisierung 7.5.5 Verschiebung der Grenze: Europäischer Handelsstaat?

463 464 466 470 473 476

8 Ausblick

479

Literatur

487

Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004

515

I.1 Das Redemanuskript I.2 Die Pronominalstruktur der Rede

515 528

Anhang II: Abbildungen

535

Anhang III: Verzeichnisse und Übersichten

553

III.1 Tabellenverzeichnis III.2 Abkürzungsverzeichnis III.3 Übersicht zu Schreibweisen und ihrem methodischen Hintergrun III.4 Aussagen des nationalistischen Interdiskurses III.5 Aussagen der Globalisierungsdebatte im mediopolitischen Diskurs

553 554 555 556 558

1 Einleitung Am 28. November 2018 dokumentierte die FRANKFURTER RUNDSCHAU auszugsweise eine Rede des Literaturwissenschaftlers Heinrich Detering zur "Rhetorik der parlamentarischen Rechten" (Detering 2018)1, die er einige Tage zuvor beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken gehalten hatte. Anhand aktueller Äußerungen von Politiker*innen2 der ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (AFD) beschreibt Detering unter anderem die folgenden Elemente: Ein alles dominierender Gegensatz zwischen 'dem Volk' und 'den Ausländern' beziehungsweise 'Migranten' (vgl. ebd.: 2), ein symbolischer Gegensatz zwischen Strömen-Fluten-Auflösung auf der einen und Wurzeln-Festigkeit auf der anderen Seite (vgl. ebd.: 2, 5), ein Geschichtsverständnis, nach dem 1945 eine Epoche des Niedergangs eingesetzt hat, beziehungsweise eine Phase der 'Umerziehung und Amerikanisierung' (vgl. ebd.: 4ff.) und ein deutlich vernehmbarer Vorbehalt beim Sprechen über Juden (vgl. ebd.: 7). Weiterhin weist Detering mit der Frage "Wer ist wir?" auf eine spezifische Gemeinschaftsbildung mittels der rechten Rhetorik hin. Diese spricht die Rezipienten gleitend als Teil des 'deutschen Volkes', als 'nationalistische Gesinnungsgenossen' und schließlich als Teil einer bestimmten Fraktion der Rechten an (vgl. ebd. 5f.). Das 'Volk' wird dabei durch den strikten Gegensatz zu 'Ausländern' definiert. Die 'nationalistischen Gesinnungsgenossen' werden von 'inneren Feinden' wie Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen abgegrenzt, was letztlich in einen Gegensatz zwischen dem 'heutigen System' und einer 'bevorstehenden Revolution' (vgl. ebd.: 2f. und 5) mündet. Die Fraktionierungen der Rechten schließlich betreffen nicht zuletzt den Unterschied zwischen einem fundamental-oppositionellen Flügel, der mit der Revolution Ernst machen will, und einem legalistischen Flügel, der seine prinzipielle Verfassungstreue bekundet (vgl. ebd.: 5f.). Exakt diese Muster des nationalistischen Diskurses werden in der vorliegenden Arbeit, ausgehend von einer Rede des damaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt aus dem Jahr 2004, entwickelt. Damals war die NPD nur im sächsischen Landtag vertreten und die mittlerweile aufgelöste DVU in dem von Brandenburg. Heute hingegen ist die AFD in allen Landtagen und dem Bundestag präsent. Was hat sich seither verändert? Bei dieser Frage geraten rein sprachwissenschaftliche Untersuchungen an ihre Grenzen. Hier ist es, wie Detering ausdrücklich sagt, "ebenso 1

Im Folgenden wird aus dem vollständigen Redetext zitiert, der im Internet dokumentiert ist. Im Bemühen um eine geschlechtergerechte Sprache wird in dieser Studie das Gendersternchen benutzt. An einigen Stellen wird allerdings bewusst das generische Maskulinum genutzt, insbesondere dort, wo Positionen der nationalistischen Rechten referiert werden. Denn es wäre schlicht falsch Positionen, die eine klassisch-patriarchale Zweigeschlechtlichkeit politisch verteidigen, in geschlechtergerechter Sprache wiederzugeben. Aus dem gleichen Grund wird dort, wo Befunde aus der Analyse der Leitmedien referiert werden, deren generisches Maskulinum übernommen. 2

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten, Edition Rechtsextremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3_1

2

1 Einleitung

banal wie grundlegend wichtig, daran zu erinnern, dass Wörter und Sätze sich meistens auf außersprachliche Wirklichkeiten beziehen, deren Sichtweise und Darstellung damit ebenfalls zur Debatte steht" (ebd.: 1). Zu den Begebenheiten der außersprachlichen Wirklichkeit, die hinsichtlich der Erfolge der nationalistischen Rechten zu berücksichtigen sind, gehören die politischen und ökonomischen Transformationsprozesse, die seit Mitte der 1990er-Jahre unter dem Schlagwort Globalisierung debattiert werden und deren Krisenhaftigkeit auf unterschiedlichsten Ebenen in der vergangenen Dekade offenkundig wurde. Dieser Zusammenhang wird in der vorliegenden Arbeit untersucht. Die nationalistische Rechte hat die breite gesellschaftliche Globalisierungsdebatte von Beginn an aufgegriffen und dabei eine spezifische Globalisierungskritik entwickelt. Diesbezüglich ist die gleiche Bedeutungszunahme festzustellen wie für den Diskurs insgesamt. So kamen die zentralen Aussagen zum Thema Globalisierung, die im Laufe der Arbeit rekonstruiert werden, vor zehn Jahren kaum über Szeneorgane hinaus, während sie heute unter anderem in einem viel beachteten FAZ-Artikel des AFD-Vorsitzenden Alexander Gauland vom 6. Oktober 2018 enthalten sind. Der Tonfall des Artikels erinnert stark an die Globalisierungserzählung, die Alain de Benoist um die Jahrtausendwende im einschlägigen HOHENRAIN VERLAG veröffentlich hat 3 . Gauland (2018) spricht von einer "neuen Klasse" von "Globalisten", die seit Anfang der 1990er-Jahre entstanden sei und nicht nur in transnationalen Konzernen, sondern auch in NGOs und allen Arten von international ausgerichteten Organisationen sitze. Den Gegensatz zu dieser "urbanen Elite", die "fließend Englisch" spricht, "'sexy'" und "kulturell 'bunt'" sei, bildeten diejenigen, "für die Heimat noch immer ein Wert an sich ist" (ebd.). In diesen übergreifenden Gegensatz baut Gauland die zentralen Aussagen ein, die – wie gezeigt werden wird – in kaum einem nationalistischen Text zum Thema Globalisierung fehlen. So verbirgt sich, wie im Laufe der folgenden Analysen dargelegt wird, hinter dem unscheinbaren Stichwort der 'One World', von der die angebliche Elite träume, eine komplexe weltanschauliche Erzählung, welche die Grundhaltung der nationalistischen Rechten zu allen inter- oder transnationalen Phänomenen zum Ausdruck bringt. Des Weiteren werden Bilder gefährlicher grenzüberschreitender Ströme gemalt, angesichts derer eine Abschottung zumindest erwogen werden müsse. Erwartungsgemäß sind diese Bilder auf das Thema Migration bezogen, zugleich aber auch – und das wird oft übersehen – auf Außenwirtschaftsfragen. Und schließlich setzt Gauland die AFD als Stimme des 'wirtschaftlichen Mittelstandes' in Szene, der wesentlicher Teil einer breiten 'bürgerlichen Mittelschicht' sei.

3

vgl. Kapitel 6.2.2 der vorliegenden Arbeit.

1 Einleitung

3

Gauland beschreibt die soziale Basis der AFD als "eine Allianz" dieser 'bürgerlichen' Gruppen mit "sogenannte[n] einfache[n] Menschen" (ebd.), die sich wegen schwindender Jobs sowie niedriger Löhne und Renten sorgen. Ungeachtet seiner ideologischen Erzählung trifft er hier einen entscheidenden Punkt, denn tatsächlich ist die Wählerschaft der AFD damit recht treffend charakterisiert. Es handelt sich um ein Bündnis von eher binnenmarktorientierten Teilen des Bürgertums mit Teilen der Lohnabhängigen, das über bestimmte ideologische Muster wie eine verinnerlichte Leistungsorientierung, einen ausgeprägten Rassismus und nicht zuletzt die nationalistische Globalisierungserzählung konstituiert wird. Genau diese Konstellation hat sich in den Texten der nationalistischen Rechten bereits abgezeichnet, bevor die AFD 2013 im Zuge der sogenannten 'Eurokrise' gegründet wurde. Die vorliegende Dissertation untersucht die Entstehung der ideologischen Grundlangen dieser Konstellation anhand von empirischem Material aus dem Zeitraum von Mitte der 1990er- bis Mitte der 2000er-Jahre. Seit diese Texte geschrieben wurden ist mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Gleichwohl sind die Muster, die in der Analyse zutage treten, heute in gewisser Hinsicht aktueller als im Untersuchungszeitraum selbst, wie die Untersuchung von Detering und der FAZ-Artikel von Gauland aus dem Herbst 2018 exemplarisch zeigen. Das Wechselverhältnis von Sprache und nicht-sprachlicher Wirklichkeit, auf das Detering hinweist und das für die von Gauland beschriebene Bündniskonstellation entscheidend ist, wird dabei im Anschluss an Foucaults Diskursbegriff konzeptualisiert (Kapitel 2). Auf dieser Basis werden die grundlegenden Aussagen der nationalistischen Rechten rekonstruiert (Kapitel 3). Anschließend werden zentrale diskursive Muster der Globalisierungsdebatte anhand des Leitmediums DER SPIEGEL rekapituliert (Kapitel 4) und es wird untersucht, wie diese Muster im Diskurs der nationalistischen Rechten auf spezifische Weise verarbeitet werden (Kapitel 5). Dies wird durch die Analyse von drei Positionen nationalistischer Intellektueller vertieft (Kapitel 6). Anschließend werden die rekonstruierten diskursiven Muster in Beziehung zu den gesellschaftlichen Verhältnissen gesetzt, auf die sie in ihrer besonderen Weise Bezug nehmen (Kapitel 7), um ganz am Ende noch einmal knapp auf die Frage der aktuellen politischen Konjunktur zurückzukommen (Kapitel 8). Nach der Entwicklung der Fragestellung, der Rekapitulation des Forschungstandes und der Darlegung der methodischen Grundlagen wird dieser Aufbau der Arbeit in Kapitel 2.3 genauer erläutert.

2 Fragestellung und Methode 2.1 Frage und Forschungsstand In der vorliegenden Arbeit wird untersucht, wie die Globalisierungsdebatte in jenem Bereich aufgenommen wurde, den die Politikwissenschaft heute zumeist als 'Rechtsextremismus' bezeichnet. Im Folgenden wird aber nicht von 'Rechtsextremismus' die Rede sein, sondern es wird ein Feld spezifischer Aussagen rekonstruiert, das – der inhaltlichen Ausrichtung dieser Aussagen entsprechend – als nationalistischer Diskurs gefasst wird und es wird untersucht, wie sich das 'Thema' beziehungsweise das 'diskursive Ereignis' Globalisierung in dieses Aussagefeld einschreibt4. Dieser Zugang liegt quer zur Rechtsextremismusforschung, die – bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen methodischen und theoretischen Zugänge – grundlegend in einem politischen Nomalitätsdispositiv verankert ist (vgl. Link 1990, Oppenhäuser 2011, FKR 2011). Das heißt der Gegenstand 'Rechtsextremismus' wird dort isoliert und symbolisch als Extrem, als Pathologie und ähnliches codiert und von der Mitte der Gesellschaft, der Normalität etc. unterschieden. Bestenfalls wird auf dieser Basis dann nach dem Zusammenspiel der Extreme mit der Mitte gefragt. Der hier gewählte diskurstheoretische Zugang schließt dagegen eine solche Trennung schon aus methodischen Gründen aus, weil die gesellschaftlichen Verhältnisse insgesamt als konstitutiv für die infrage stehenden Diskurse anzusehen sind. Zudem kann der Gegenstand als solcher nicht vorausgesetzt werden, sondern es gilt ihn anhand des empirischen Materials zu rekonstruieren und inhaltlich zu konturieren. 2.1.1 Stand der 'Rechtsextremismusforschung' Dennoch bilden die Ergebnisse der Rechtsextremismusforschung den Ausgangspunkt der Untersuchung. Die Überblickswerke in diesem Forschungszweig (vgl. Butterwegge 1996, 2002, Pfahl-Traughber 1999, Jaschke 2001, Stöss 2007, Salzborn 2014) folgen zumeist der gleichen Systematisierung: Nach einer einleitenden Verortung innerhalb des vorherrschenden Extremismus-Paradigmas folgen Betrachtungen zur 'Ideologie', die sich entweder in einer Aufzählung zentraler Ideologeme erschöpfen oder diese unter spezifischen Gesichtspunkten systematisieren (vgl. Gessenharter/Fröchling 1998, Lenk 1998). Daran werden deskriptive Darstellungen des entsprechenden institutionellen Feldes (Parteien, militanter Neonazismus, Jugendsubkultur, Zeitschriftenprojekte) angeschlossen. Danach werden 4 Link (vgl. 1999, 150) weist darauf hin, dass Foucault den Begriff 'diskursives Ereignis' in zweierlei Weise gebraucht, nämlich einmal im 'kleinen' Sinne einfacher Aussagen, dann jedoch im 'großen' Sinne zentraler Brüche, welche die Transformation einer Wissensordnung anzeigen. Link schlägt vor, den Begriff für Umbrüche von epochaler Bedeutung zu reservieren, in der frühen Version der kritischen Diskursanalyse von Jäger (vgl. 1993, 181) liegt er auf einer mittleren Ebene und bezeichnet Ereignisse, welche die Qualität eines (inhaltlich definierten) Diskursstranges entscheidend verändern.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten, Edition Rechtsextremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3_2

6

2 Fragestellung und Methode

die Analysen zur Wählerschaft (vgl. Arzheimer 2008, Spier 2016), sowie zum Einstellungspotenzial (vgl. die Untersuchungsreihen 'Deutsche Zustände', zuletzt Heitmeyer 2011 und die 'Mitte-Studien', zuletzt Decker/Kiess/Brähler 2016) präsentiert und schließlich folgen verschiedene Erklärungsansätze. Dazu gehören neben sozialpsychologischen Ansätzen wie den klassischen Studien zum Autoritären Charakter (vgl. Adorno u.a. 1999) verschiedene soziologische, meist modernisierungstheoretisch grundierte (vgl. Scheuch-Klingemann 1967, Lipset 1967, Heitmeyer 1987) sowie geschlechtsspezifische Ansätze (vgl. dazu Rommelspacher 2000, Möller 2010, Birsl 2011, Bitzan 2016). Im Wesentlichen folgen auch die vertiefenden Untersuchungen in zahllosen Einzelstudien und Beiträgen zu den einschlägigen Sammelbänden (Falter/Jaschke/Winkler 1996, Schubarth/Stöss 2000, Klärner/Kohlstruck 2006, Virchow/Langebach/Häusler 2016) diesem Schema. Trotz der mittlerweile kaum noch überschaubaren Fülle der Rechtsextremismusforschung gilt jedoch noch immer, was Jaschke formulierte: "Eine Theorie des Rechtsextremismus gibt es noch nicht" (Jaschke 2001: 86, vgl. Winkler 1996). Es wäre vermessen zu behaupten, dass die vorliegende Arbeit dieses Desiderat behebt. Allerdings sollen einige Argumente dafür gesammelt werden, dass es eines allgemeinen gesellschaftstheoretischen Zugangs bedarf, um jene Phänomene zu begreifen, die in der Politikwissenschaft unter dem Label des 'Rechtsextremismus' diskutiert werden und dass die Foucaultsche Diskurstheorie dabei einen geeigneten Ansatz zur Analyse sprachlichen Materials bietet. Wie in Kapitel 2.2.5 erläutert wird, ist ein solcher Zugang anschlussfähig an die Konzepte der Bewegungsforschung, die sich seit einigen Jahren als weiterer Ansatz der Rechtsextremismusforschung etabliert haben. 2.1.2 Befunde auf der programmatischen Ebene Zur speziellen Frage nach Globalisierung und Rechtsextremismus sind ebenfalls bereits einige Studien erschienen, an welche die vorliegende Untersuchung anknüpfen kann. Mit den relevanten diskursiven Mustern beschäftigen sich die Untersuchungen spezieller Ideologeme des ZENTRUM DEMOKRATISCHE KULTUR – ZDK (2003), die kommentierte Materialsammlung von Maegerle (2005) sowie die Analyse der Positionen zentraler Akteure von Pfahl-Traughber (2006). Grumke/Klärner (2006) haben die Thematisierung von sozialer Frage und Globalisierungskritik seitens der nationalistischen Rechten in Großbritannien und Deutschland vergleichend untersucht und kommen zu dem Ergebnis, dass diese Themen "seit einiger Zeit im Mittelpunkt der rechtsextremen Agitation" (ebd.: 177) stehen, denn "Rechtsextremisten holen mittlerweile ihre potentiellen Anhänger inhaltlich dort ab, wo sie stehen" (ebd.) und lösen sich dafür von der Dominanz "der Vergangenheitspolitik" (ebd.). Wamper (2009) und Zimmermann (2011) habe in diskursanalytischen Studien die entsprechende Thematisierung von Globalisierung im NPD-Organ DEUTSCHE STIMME untersucht. Wamper (2009)

2.1 Frage und Forschungsstand

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betont dabei, dass sich der "völkische Antikapitalismus" (ebd.: 83) der dabei dominiert, im ökonomischen Sinne "nicht im Widerspruch mit dem Kapitalismus" (ebd.) befindet, sondern auf einer "emotional / psychologischen" (ebd.) Ebene darauf reagiert. Zimmermann (2011) arbeitet die dahinterstehende Vorstellung eines "völkisch-nationale[n] Korporatismus" (ebd.: 321) auf der ökonomischen Ebene heraus. Greven (2006) diskutiert vor dem Hintergrund der sozialwissenschaftlichen Globalisierungsdebatten inwiefern dieser "rechtsextreme Gegenentwurf" einer "re-nationalisierte[n], völkische[n] Ordnung" (ebd.: 23) eine realistische Option wäre. Allerdings ginge eine reine Fokussierung auf die von der völkischen Ideologie dominierten Wirtschaftskonzepte fehl. Denn was die ökonomiebezogenen Aussagen der nationalistischen Rechten im Allgemeinen angeht, konstatiert eine Reihe von Arbeiten eine Polarisierung des Feldes seit dem Aufkommen der Globalisierungsdebatte Mitte der 1990er Jahre5. Betz (2001) spricht von einem "Spannungsfeld zwischen neoliberalistischen Wirtschaftskonzepten und antiliberaler autoritärer Ideologie" (ebd.: 167). Ganz ähnlich stellt Ptak (1999) bei einer Untersuchung der wirtschaftspolitischen Konzepte fest, dass sich "die extreme Rechte zwischen autoritärem Neoliberalismus und völkisch-rassistischer Mobilisierung" (ebd.: 133) bewegt. Auch Butterwegge macht eine "Dualisierung des Rechtsextremismus [...] im Rahmen der Globalisierung aus: Neben den völkischen Nationalismus in Bevölkerungsschichten, die Angst vor einem 'Turbo-Kapitalismus' [...] haben, tritt ein Standortnationalismus, den in erster Linie solche Schichten unterstützen, die von einer neoliberalen Modernisierung profitieren und die den 'Umbau' des Wohlfahrtsstaates nach Marktgesetzen forcieren sowie die soziale Ausgrenzung der weniger Leistungsfähigen intensivieren möchten" (Butterwegge 2006: 24, vgl. Ders. 2008b: 12ff.).

Schon seit den 1980er Jahren changieren nationalistische Parteien in ganz Europa zwischen diesen Polen6. Insbesondere Schui u.a. (1997) haben das Aufkommen einer neuen primär neoliberal ausgerichteten Rechten beschrieben. Sie analysieren die ideologische Übereinstimmung zwischen neoliberalen und klassischen Rechten in punkto Sozialdarwinismus (vgl. Schui 2006), Ablehnung des Wohlfahrtsstaates (vgl. Butterwegge 1998) und Bevorzugung autoritärer Entscheidungsstrukturen (vgl. Birsl 2002, Lösch 2008, Wagner 2011) und betonen die neoliberalen Elemente in den damaligen Programmen der REPUBLIKANER, des BUND FREIER BÜRGER und der FREIHEITLICHEN PARTEI ÖSTERREICHS (FPÖ). Butterwegge 5 Historisch ist dieses Spannungsfeld allerdings gar nicht so neu, wenn die gesamte nationalistische Rechte in den Blick genommen wird, wie es Faye (1977a) in seiner Studie zur Weimarer Rechten tut. 6 Vgl. die Analysen zu einzelnen europäischen Ländern in Heitmeyer/Loch 2001, Demirović/Bojadžijev 2002a, Bathke/Spindler 2006 und Scharenberg 2007.

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2 Fragestellung und Methode

erkennt zudem im Standortnationalismus – das heißt einem "Konkurrenzdenken, das auf den 'eigenen' Wirtschaftsstandort fixiert ist, von der Bevölkerungsmehrheit einen Verzicht auf Wohlstandszuwächse fordert [... und damit] die internationale Wettbewerbsfähigkeit" (Butterwegge 2008a: 217, vgl. Ders. 1998) steigern will – ein Moment der wechselseitigen Verstärkung von neoliberaler und nationalistischer Politik. Kreisky (2002) hat am Beispiel der im Jahr 2000 erstmals zur Regierungspartei aufgestiegenen FPÖ ebenfalls auf "ideologische Affinitäten zwischen Rechtspopulismus und Neoliberalismus" (ebd.: 73) hingewiesen. In Deutschland blieben die entsprechenden Parteien bis zur Gründung der Alternative für Deutschland (AfD) im Jahr 2013 allerdings lange Zeit erfolglos. Noch 2006 konstatierte Wiegel völlig zurecht: "Für Deutschland fällt [...] die Bilanz einer [...] um neoliberale Elemente modernisierten extremen Rechten jedoch äußerst mager" aus, vielmehr ließ "die verbale Wendung gegen einen liberalisierten, globalen Kapitalismus […] verbunden mit völkischen Parolen und einem manifesten Rassismus […] die NPD zur unbestritten führenden Kraft der extremen Rechten" (Wiegel 2006: 77) werden. Gebhardt (2010, 2009) hat den 'völkischen Antikapitalismus' der NPD und ihres Umfeldes untersucht. Er konstatiert, dass es dabei nicht im Entferntesten um eine "Kritik der politischen Ökonomie und Ideologiekritik geht" (Gebhardt 2010: 148). Dieser "andere[] 'Antikapitalismus" gehe vielmehr mit einem "Lobgesang auf das 'freie Unternehmertum'" einher und die Lohnabhängigen sollen sich jenseits "einer klassenspezifischen Interessenvertretung [...] als Volksgenossen in die hierarchische Gesellschaft einfügen" (ebd.: Hervorhebung i.O. kursiv). Ähnlich konstatiert Virchow: "Was hier angesichts der zunehmenden Zahl von Menschen, die mit der Globalisierung den Verlust von Arbeitsplätzen und eine Gefährdung der sozialen Sicherungssysteme verbinden und dadurch verunsichert sind[], als radikale Geste inszeniert wird, kann bei näherem Hinsehen nicht verdecken, dass es der extremen Rechten nicht um eine Infragestellung oder gar Überwindung der Grundlagen bürgerlich-kapitalistischer Wirtschaftsform geht […]. Mit einem verkürzten Kapitalismusverständnis und der Reduzierung der Idee des Sozialismus auf den Gedanken der (Volks)Gemeinschaft verbindet sich der Angriff auf die Gewerkschaften und die politische Linke. Einer internationalistischen Entgegnung auf die Zumutungen des Kapitalismus wird das Modell einer klassen-versöhnlichen, ständischen und nach nationalstaatlicher Autarkie strebenden völkischen Gemeinschaft gegenübergestellt, in der Arbeit idealisiert wird" (Virchow 2007b: 359f.).

2.1.3 Befunde zur sozialen Basis Verschiedene Studien haben untersucht, ob mit dieser ideologischen Neuorientierung – beziehungsweise Wiederaufnahme bestimmter Traditionslinien (vgl. Cremet 1999) – seitens der nationalistischen Rechten tatsächlich eine entsprechende Veränderung ihrer sozialstrukturellen Basis einhergeht. So hat Stöss die Hypothese untersucht, ob

2.1 Frage und Forschungsstand

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"sich unter dem Eindruck von sozialem Wandel und Globalisierung [...] im Grenzbereich von rechtsextremen und sozialistischen Einstellungen ein neues Einstellungsmuster ('völkisch-nationalistischer Sozialismus') herausgebildet hat, das die Grundlage für die neuerlichen Erfolge des organisierten Rechtsextremismus bildet" (Stöss 2008: 59).

Diese These hat sich in der quantitativ angelegten Studie nicht bestätigt, allerdings ist das "rechtsextreme Einstellungspotenzial" nach ihren Befunden "über alle sozialen Gruppen hinweg fast vollständig mit kapitalismuskritischen Orientierungen verbunden" (ebd.: 62). Einzige Ausnahme sind hier Selbständige. Insofern treffe der "völkisch-nationalistische Antikapitalismus bzw. Sozialismus der NPD [...] exakt die (Protest-)Stimmung ihrer Adressaten" (ebd.). Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Fichtner/Stöss/Zeuner (2008) bei einer Untersuchung von Gewerkschaftsmitgliedern (im Vergleich zu Nicht-Mitgliedern). Demnach neigen vor allem Lohnabhängige mit niedrigem Einkommen und niedriger Bildung zu 'rechtsextremen' Einstellungen, nämlich zu rund einem Drittel. Lohnabhängige in mittleren Lagen tendieren zu 19 Prozent (Gewerkschaftsmitglieder) beziehungsweise 13 Prozent (Nicht-Mitglieder) dazu, und solche mit hoher Bildung und hohem Einkommen immerhin zu rund 7 Prozent. "Kurzum: Die Anfälligkeit der Individuen Für Rechtsextremismus hängt weniger davon ab, wie ihr sozialer Status ist, als davon, wie sie die aus ihrem sozialen Status resultierenden Probleme subjektiv verarbeiten" (Fichtner/Stöss/Zeuner 2008: 263). Geringqualifizierte neigen vor allem dann nach rechts, wenn sie "geringe partizipatorische, dafür aber systemkritische Orientierungen" (ebd.: 264) haben. Umgekehrt korreliert die höhere Partizipationsneigung (insbesondere der Gewerkschafter*innen) in oberen Statusgruppen mit der vergleichsweise geringen Neigung zu rechten Orientierungen. Verantwortlich für die relativ starken Tendenzen in den mittleren Statusgruppen und gerade bei Gewerkschafter*innen ist dagegen, dass diese "teilweise extrem unzufrieden mit den wirtschaftlich sozialen und politischen Verhältnissen sind und deshalb zu heftiger Systemkritik" (ebd.: 266) neigen, die nach rechts tendiert. Damit korrespondieren Ergebnisse aus dem qualitativen Teil der Studie, wonach "Versatzstücke eines eher traditionalistischen Sozialismus und das Eintreten für soziale Gerechtigkeit" (ebd.: 271) rechter Ideologie nicht per se entgegenwirken. Im Gegenteil "passen Forderungen nach Verstaatlichung, nach einem Kampf gegen das Weltkapital und nach gerechter Entlohnung 'ehrlicher Arbeit' auch in faschistische Programme" (ebd.). Im O-Ton eines Gewerkschafters entsteht gerade aus dem Bewusstsein über die Macht der Unternehmen, die gegebenenfalls die Produktion verlagern, "der Wunsch nach dem starken Mann, der auch Unternehmen sagt, was sie sollen" (ebd.: 273). Auch Dörre (vgl. 2008: 244f.) betont, dass rechte Orientierungen weniger eine Frage der sozialen Lage sind, als vielmehr der Alltagsphilosophien, mit denen sie individuell verarbeitet werden. Seine Forschungsgruppe hat unterschiedliche

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2 Fragestellung und Methode

Verarbeitungsweisen von Arbeitnehmer*innen in den 'Zonen der Integration, der Prekarität und der Entkopplung' (Castel) rekonstruiert und findet auch hier jeweils unterschiedliche potenzielle Zugänge zu rechter Ideologie: • Die rebellische Variante: Teile der unteren Zonen "schwanken zwischen Resignation und imaginärer Revolte" die jedoch "in gewisser Weise richtungslos" ist und "sich gleichermaßen gegen 'die da oben' wie gegen 'Fremde' und 'Andere'" (ebd.: 248) richtet. • Die konservierende Variante: Ein Teil der Integrierten, die einen sozialen Abstieg befürchten, setzen "Ressentiments gegen andere [...] gezielt als Mittel in der Konkurrenz um Ressourcen und einen hohen gesellschaftlichen Status" ein und setzen einen "reaktive[n] Nationalismus" gegen die "Internationalisierung der Märkte" (ebd.). • Die konformistische Variante: Ein Teil der Integrierten hingegen – der oftmals "kontrollierende Arbeitstätigkeiten" hat – beugt sich dem "Leistungsund Anpassungsdruck" und verlangt das gleiche "desto vehementer [...] von anderen", wobei die eigene "nahtlose[] Integration in die betriebliche Arbeitswelt [...] als normative Referenzfolie" für die "nahtlose Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft" (ebd.: 249) dient. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch die Untersuchungen zum Zusammenhang von sozioökonomischem Wandel und Rechtspopulismus im Rahmen des europäischen SIREN-Projektes (vgl. Hentges/Flecker/Balazs 2008). Auch hier zeigt sich länderübergreifend, dass verschiedene soziale Lagen je nach subjektiver Verarbeitung Wege zur nationalistischen Rechten eröffnen können. Zwei Muster haben dabei um die Jahrtausendwende eine besondere Bedeutung. Erstens ein verletztes Gerechtigkeitsgefühl, das mit der "Erfahrung oder Furcht" von Menschen einhergeht, "dass sie trotz harter Arbeit und großer Opfer nicht dazu in der Lage sind, ihren früheren Lebensstandard und sozialen Status aufrechtzuerhalten bzw. [...] zu verbessern" (ebd.: 111). Das zweite Muster besteht aus Unsicherheit, Abstiegsängsten und Gefühlen der Machtlosigkeit, angesichts der Transformationen des Arbeitslebens (vgl. ebd.: 115ff.). In Deutschland hat die Forschungsgruppe die Interviewten in die drei Kategorien "Aufstieg, Abstieg und Prekarität" (Hentges/Wiegel 2008: 162) unterteilt und beschreiben jeweils politische Orientierungen, die mit diesen sozialen Situationen einhergehen, darunter auch die folgenden Hinwendungen zur Rechten. In der "Gruppe der sozial Aufgestiegenen" wirken vor allem "Standortnationalismus sowie Konkurrenz- und Leistungsorientierung als Türöffner der extremen Rechten" (ebd.: 162, vgl. 176ff.). In der Abstiegsgruppe finden sich unter anderem kleine Selbständige, welche "die Prozesse weltwirtschaftlicher Verflechtung, der zunehmenden Kapitalkonzentration, den Niedergang des Mittelstandes und des Handwerks, den Verlust an konservativen Werten" (ebd.: 166) und andere Facetten des kulturellen Wandels als bedrohlich

2.1 Frage und Forschungsstand

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erleben und bei den REPUBLIKANERN politisch aktiv wurden. Bei den Interviewten in prekären Situationen schließlich steht "ihr verzweifelter Versuch der Reintegration in das Erwerbsleben" (ebd.: 168) im Vordergrund. "Gefühle von Ohnmacht, Erniedrigung und Verzweiflung veranlassen einige von ihnen [...] zu einer doppelten Abgrenzung gegenüber der politischen Klasse und schwächeren sozialen Gruppen. Politiker, Sozialschmarotzer, Juden und Ausländer, so der Grundtenor ihrer Interviews, wollten auf Kosten der Betrogenen und hart arbeitenden Deutschen leben" (ebd.: 169).

Alle zuletzt genannten Studien kommen zu dem Ergebnis, dass es zwar Zusammenhänge zwischen der beruflichen beziehungsweise sozialen Situation und der Neigung zu rechten Politiken gibt, allerdings nicht im Sinne einer kausalen Determination durch die Lage. Entscheidend sind vielmehr die 'Alltagsphilosophien' (Dörre) mit denen die eigene Situation subjektiv verarbeitet wird. Dies betont auch Vester, der Milieus im sozialen Raum nach Bourdieu erhoben und ihre historische Genese7 rekonstruiert hat. Auf dieser Basis betonte er, "daß die autoritären Potentiale […] einen festen (und langfristig auch schrumpfenden) Ort in bestimmten 'Klassenmilieus' am rechten und unteren Rand des sozialen Raums [… haben]. Sie entstehen dabei nicht aus bestimmten ökonomischen Lagen, sondern bei bestimmten Mentalitätstypen" (Vester 2001: 299).

Von diesen Mentalitäten hängt es auch ab, wie "die heute wieder häufigeren Lagen der Deklassierung" verarbeitet werden, nämlich "autoritär oder resignativ" einerseits und "solidarisch oder demokratisch" (ebd.) andererseits. Den Schwerpunkt des autoritären und ressentimentbehafteten Lagers bildet nach den Befunden der Forschungsgruppe noch immer das (schrumpfende) kleinbürgerliche Milieu am rechten unteren Rand des sozialen Raumes, allerdings gemischt mit Teilen des 'leistungsorientierten', des 'traditionellen' und des 'traditionslosen Arbeitermilieus' (vgl. ebd.: 332.ff.). 2.1.4 Gesellschaftstheoretische Einordnungen Neben den Untersuchungen zur aktuellen Programmatik und zur Zusammensetzung ihrer sozialen Basis gibt es Ansätze, welche die nationalistische Rechte auf einer allgemeineren Ebene mit den Transformationen der Ökonomie und des Staates in Beziehung setzen. Exemplarisch für recht allgemeine Gesellschaftsdiagnosen auf der Makroebene steht Heitmeyes These,

7 Eine Entwicklungslinie reicht zum Beispiel vom traditionellen Arbeitermilieu der Großeltern Anfang des 20. Jahrhunderts über das leistungsorientierte Arbeitnehmermilieu der Elterngeneration in der Phase des Fordismus hin zum leistungsorientierten Arbeitnehmermilieu das gegen Ende des 20. Jahrhunderts 18 Prozent der Bevölkerung umfasst (Vgl. Vester 2001: 320f.).

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2 Fragestellung und Methode

"daß sich ein autoritärer Kapitalismus herausbildet, der vielfältige Kontrollverluste erzeugt, die auch zu Demokratieentleerungen beitragen, so daß neue autoritäre Versuchungen durch staatliche Kontroll- und Repressionspolitik wie auch rabiater Rechtspopulismus befördert werden" (Heitmeyer 2001: 500).

Die Gefahr sei weniger der "traditionelle Rechtsextremismus", der vielmehr als "kontrastfähige Negativfolie" (ebd.: 526) diene und den Blick auf das Entscheidende verdecke, nämlich die Erosion der Demokratie unter dem Mantra der Sachzwänge. Das heißt konkret, die zunehmende Deregulierung der Ökonomie und die Reduktion von Sozialleistungen bei spiegelbildlichem Ausbau staatlicher Überwachung. Dies gehe mit einer zunehmenden Verunsicherung und politischen Frustration großer Teile der Bevölkerung einher und hier setze potenziell der "Rechtspopulismus […] an und kanalisiert, organisiert und funktionalisiert gerade diese über den ökonomischen Prozess erzeugten Ängste. In dem sie gegen andere Gruppen ausgerichtet werden, wird der Anschein eines neuen 'Kontrollgewinns' der eigenen Gemeinschaft suggeriert und als real interpretiert" (ebd.: 528).

Die von Heitmeyer erwähnte und nun schon mehrfach festgestellte Dualisierung in eine traditionelle und eine neoliberale nationalistische Rechte hat Steinmetz (1994: 301) bereits Anfang der 1990er Jahre auf Basis der regulationstheoretischen Unterscheidung von Fordismus und Postfordismus wie folgt gefasst: "There are […] two different strands of neofascism, one reactionary and Fordist, the other modernizing an Post-Fordist". Auf der einen Seite stehe eine primär von jungen männlichen Arbeitern getragene Bewegung, welche angesichts der fortgeschritten Erosion der entsprechenden Regulationsweise die Sehnsucht nach einem imaginären Fordismus (männlicher Familienernährer, wohlfahrtsstaatliche Sicherung, binnenzentrierte Ökonomie und hierarchische Unterordnung von eingewanderten Arbeiter*innen) zum Ausdruck bringe (vgl. ebd.: 282). Auf der anderen Seite stehe dagegen eine seinerzeit durch die REPUBLIKANER repräsentierte von mittelständischen Sektoren unterstütze politische Strömung, welche im Gegenteil auf die weitere Zerstörung von Elementen der fordistischen Regulierung ziele (vgl. ebd.: 300f.). Dagegen hat Demirović (1996: 98) eingewandt, dass die "rassistische Gewalt" hier als "bloß äußerliches Phänomen" beschrieben werde, das in keinem engeren Zusammenhang mit der "Krise des wohlfahrtsstaatlich-fordistischen Konsenses" zu stehen scheine. Demgegenüber sei zu "vermuten, daß Rechtsextremismus und der Rassismus in der Bundesrepublik selbst ein Bestandteil des wohlfahrtsstaatlichen Kompromisses waren" (ebd., vgl. auch Demirović 2001). Dies beinhaltet zwei Aspekte: Bezogen auf den 'Rechtsextremismus' wurden erstens die entsprechenden "politisch-sozialen Strömungen mit ihren Organisatoren und Intellektuellen in umfassendem Maße von den etablierten Parteien, vor allem der CDU, absorbiert", wobei "ein Teil der rechten Szene abgespalten" wurde und trotz der Stigma-

2.1 Frage und Forschungsstand

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tisierung als die "Unverbesserlichen und Sektierer" eine "zivilgesellschaftliche Infrastruktur" (Demirović 1996: 98f.) aufbauen und aufrechterhalten konnte. Unter dem Stichwort des Rassismus geht es zweitens darum, "daß ein rassistisches Politikmuster, die Verfügung über Menschen anderer Herkunft als subaltern Beschäftigte und den deutschen Lohnabhängigen Untergeordnete, zu einem Regulationsmuster des widersprüchlichen Verhältnisses von Bürgertum und führenden Gruppen einerseits und lohnabhängig Beschäftigten und Subalternen andererseits wurde" (ebd.: 97).

In der Transformationsphase der 1990er Jahre versuchten nun die lange Zeit untergeordneten rechten Kräfte neue Autonomie zu gewinnen und das vorhandene Potenzial zu bündeln und für ihre seit jeher verfolgte Politik einer Stärkung des Staates gegen Wohlfahrtsstaat und Parlamentarismus zu mobilisieren. "In der Krise also, die auch eine Krise tradierter politischer Konsensmuster ist, entfalten die vorhandenen Kräfte in der Zivilgesellschaft wie in der politischen Gesellschaft eine private und politische Initiative zur Herausbildung eines autoritären Klassenblocks als soziale Grundlage für einen neuen Etatisierungsschub" (ebd.: 99f.).

Diese Analyse baut implizit auf den Staatstheorien von Gramsci und Poulantzas auf. In diesem Zusammenhang lassen sich Nationalismus und Rassismus allgemein als "Elemente einer Politik der Blockbildung von oben und unten, als eine Form des sozialen Konsenses verstehen, der in Phasen der hegemonialen Krise Teile des Bürgertums mit Kleinbürgertum und Arbeitern zu einer kompakten politischen Einheit verschmilzt" (ebd.: 91).

So zeigen Demirović/Bojadžijev (2002b: 10f.), dass die im Jahr 2000 gebildete Koalition aus ÖVP und FPÖ in systematisch auf die "Schwächung und Zerstörung der wohlfahrtsstaatlichen Strukturen des [...] fordistischen Klassenkompromisses" zielte, der seinerseits allerdings "wie in anderen vergleichbaren Ländern auf einer systematischen Unterschichtung durch und Diskriminierung von ArbeitsmigrantInnen" beruhte, die in Österreich bis hin zum Ausschluss aus den Vertretungsorganen der Lohnabhängigen reichte. Mit anderen Worten ging der um die Jahrtausendwende in Europa erstarkende 'Rechtspopulismus' mit einer Transformation des Rassismus einher. Das zentrale Element der "populistischen Allianz", mit der in unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung Zustimmung für das neoliberale Projekt mobilisiert wurde, war (neben Elitenschelte und dem Anprangern von 'Sozialschmarotzern') die Darstellung von "MigrantInnen und Flüchtlinge[n] als Belastung" (ebd.: 13), deren 'Plausibilität' von den nationalistischen und rassistischen Elementen der fordistischen Regulationsweise herrührte. Auf dieser Basis "erweist sich Rechtspopulismus als ergiebige Methode zur Sammlung realer wie potentieller VerliererInnen aus Modernisierung und Globalisierung", die es "vermag sozialen Protest in effektiver Weise zu kanalisieren und dadurch selbst neoliberaler Privatisierung und Deregulierung den politischen Durchmarsch zu

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2 Fragestellung und Methode

sichern" (Kreisky 2002: 74). Allerdings geht in diesen Analysen die anderweitig konstatierte Dualisierung der nationalistischen Rechten in ökonomischen Fragen tendenziell verloren. So weist Kaindl (2006: 61) darauf hin, dass es eine bestimmte Konstellation war, in der "rechtspopulistische Politikoptionen als 'Dammbrecher' für den Neoliberalismus und gegen Sozialdemokratie und Wohlfahrtsstaat auftreten konnten". Insbesondere nach der neoliberalen Wende der Sozialdemokratie trat die Kritik des Neoliberalismus in den Vordergrund. "Zentrale Mobilisierungspunkte der extremen Rechten richten sich [nun] gegen Globalisierung, Liberalismus, Sozialabbau und verteidigen stattdessen die 'gute alte Arbeit' und Arbeiterrechte. Gleichzeitig sind diese Argumentationen eingebunden in Konzepte von völkischen Solidargemeinschaften, die die Frage von Arbeitsplätzen und Sozialleistungen auf Kosten von so genannten Ausländern oder sozial Schwachen lösen sollen und sich gleichzeitig 'nach oben' abgrenzen gegen die 'Manager und Bosse' sowie die Politiker, die allesamt zu viel Gehalt bekämen" (ebd.: 65).

Diese Rechte beschwört die "autoritären und nationalen Momente des Fordismus" (Kaindl 2010: 52) und knüpft damit genau an die vom SIREN-Projekt empirisch festgestellte Enttäuschung an, dass der Tausch von Unterordnung und harter Arbeit gegen soziale Sicherheit für viele nicht mehr gilt (vgl. Kapitel 2.1.3). Die Rede von der 'sozialen Demagogie der Rechten' greift insofern zu kurz als die entsprechende Ideologie es offensichtlich vermag "subjektive Erfahrungen mit gesellschaftlichen Umbrüchen" (Kaindl 2006: 65f.) zu einem spezifischen Ausdruck zu bringen. Konkret ermöglicht sie "ein widersprüchliches Bewegen in den neoliberalen Subjektanforderungen: Einerseits werden sie zurückgewiesen und im rechtsextremen Modell von volksgemeinschaftlichem Sozialstaat aufgelöst. [...] Andererseits werden ihre Formen der Ausgrenzung, Brutalisierung und Mobilisierung des Subjekts aufgegriffen und gegen die gesellschaftlich Marginalisierten gewendet" (ebd.: 73).

Die nationalistische Rechte ist also Teil der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um die "Subjektanforderungen der Produktionsweise" (ebd.: 70, vgl. Kaindl 2005: 186ff.). In der vorliegenden Untersuchung geht es genau um diesen "in den Institutionen der Zivilgesellschaft stattfindenden Prozeß der Ausarbeitung und Verallgemeinerung von für das kollektive Leben verbindlichen Bedeutungen" beziehungsweise um die "materiellen Redeereignisse, in denen soziale Akteure ihre Lebensweise verstehen, ihr Bedeutung geben und ihre Praxis entwerfen" (Demirović 1996: 93). Es geht um die Reproduktion des nationalistischen Diskurses samt seiner institutionellen Stützen in der Zivilgesellschaft und es geht um die Relation dieses Diskurses zum diskursiven Ereignis 'Globalisierung', sprich zu einer zentralen gesellschaftlichen Debatte in der um die Bedeutung wesentlicher Transformationen der Produktionsweise gerungen wird. In gängigen Worten der Rechts-

2.2 Methodischer Zugang: Analyse politischen Wissens nach Foucault

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extremismusforschung geht es um die sprachlichen Prozesse (präziser: diskursiven Praxen) in denen 'Ideologien' erzeugt und 'soziale Lagen' wahrgenommen werden, in denen sich 'Einstellungsmuster und Wahlpräferenzen' herausbilden und mit denen spezifische (mitunter gewalttätige) Praxen einher gehen. Bei der theoretischen Einordung der Ergebnisse in Kapitel 7 wird der Faden der hier skizzierten gesellschaftstheoretischen Einordnungen wieder aufgenommen und unter Einbeziehung weiterer Literatur vertiefend diskutiert. 2.2 Methodischer Zugang: Analyse politischen Wissens nach Foucault Oftmals wirft schon der Blick ins Inhaltsverzeichnis der oben genannten Standardwerke der Rechtsextremismusforschung das Problem der 'Ideologie' auf. So ist beispielsweise in einem Überblicksband von Stöss (2007: 3f.) von der "Ideologie des Rechtsextremismus" die Rede, es werden eine "Geburtsstunde des Rechtsextremismus" sowie "ideologische Traditionen [...] des Nachkriegsrechtsextremismus" ausgemacht, auf deren Basis verschiedene Kampagnen, zuletzt eine "Kampagne gegen die Globalisierung" durchgeführt worden seien. Es wird aber weder expliziert, was theoretisch unter einer Ideologie zu verstehen wäre, noch wie sie methodisch zu untersuchen sei. Unklar bleibt auch, in welchem Verhältnis die 'Ideologie' zu jenen Faktoren steht, die als ihre komplementäre "Programmatik und Praxis" und ihre "Ursachen" gefasst werden, darunter "antidemokratische Diskurse in Politik und Medien" (ebd.). Angesichts dieser typischen theoretisch-methodologischen Unschärfe vieler politikwissenschaftlicher Studien wird im Folgenden vorgeschlagen 'politische Ideologien' als 'politisches Wissen' (vgl. Foucault 1981: 274ff.) beziehungsweise als 'Diskurs' im Sinne Foucaults zu analysieren. Zur Operationalisierung der Foucaultschen Diskurstheorie und verwandter Ansätze liegen zahlreiche Vorschläge vor (vgl. Bublitz 1999, Keller 2004, Ders. u.a. 2001, Ders. u.a. 2003). In Auseinandersetzung damit sowie mit ideologietheoretischen und frühen diskursanalytischen Arbeiten zum Nationalsozialismus und der zeitgenössischen nationalistischen Rechten8 wurde der im Folgenden vorgestellte Zugang zum Material entwickelt. Dabei werden insbesondere die Überlegungen von Diaz-Bohne (vgl. 1999, Ders. 2005) zur Operationalisierung von Foucaults Diskursbegriff, die Interdiskurstheorie von Link (vgl. 2013) sowie das Konzept der antagonistischen Äquivalenzketten von Laclau/Mouffe (vgl. 1991) aufgegriffen.

8 Dies sind insbesondere die Arbeiten von Poulantzas (1973), Faye (1977a), Laclau (1981), Maas (1984), PIT (1980) Laclau/Mouffe (1991) und Jäger (1993). Zentrale Argumente der ideologietheoretischen Arbeiten werden in Kapitel 7.2.3 behandelt.

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2 Fragestellung und Methode

2.2.1 Diskurs und Aussage Eine erste Schwierigkeit beim Sprung aus der Höhe der Diskurstheorie in die Tiefen des empirischen Materials betrifft das Verhältnis zwischen einem Diskurs und einzelnen Dokumenten. Da Foucault ein rekonstruktives Verfahren vorschlägt, kann der Diskurs nicht (deduktiv) anhand vorab aufgestellter Kriterien bestimmt werden, allerdings ist eine "Hypothese über die Existenz und Einheit eines Diskurses [...] notwendig, um sich ihm empirisch zu nähern" (Diaz-Bone 1999: 131) und einen ersten Korpus zu erstellen. Gemäß der Annahme, dass sich die 'rechtsextreme Ideologie' im Sinne der Politikwissenschaft als Diskurs rekonstruieren lässt, bestand das Material im vorliegenden Fall zunächst aus entsprechenden Szenezeitschriften, Parteiprogrammen, Publikationen einschlägiger Verlage und ähnlichem (vgl. Kapitel 2.3). Die dazugehörigen nationalistischen Organisationen entsprechen dabei in etwa dem, was Foucault (vgl. 1981: 75ff.) als 'Formation der (institutionellen) Äußerungsmodalitäten' des Diskurses bezeichnet. Doch wo sind dabei die Grenzen zu ziehen und mit welchen Gründen lassen sich die so eingegrenzten Dokumente als Bestandteile eines Diskurses begreifen? Der Blick in die 'Archäologie des Wissens' hilft dabei nur bedingt. Hier definiert Foucault (1981: 170) einen Diskurs als eine "begrenzte Zahl von Aussagen", die über eine gewisse Periode hinweg regelmäßig – gemäß den Formationsregeln des Diskurses – reproduziert werden und er betont, dass sich die "Aussageanalyse [...] auf gesagte Dinge, auf Sätze, die wirklich ausgesprochen oder geschrieben worden sind" (ebd.: 159) bezieht. Wie eine Aussage als solche zu identifizieren und ein empirischer Nachweis ihrer Reproduktion zu führen wäre, bleibt allerdings relativ vage. An dieser Stelle wird vorgeschlagen, eine 'Aussage' als zentralen Begriff des Diskurses zu fassen, um den sich bestimmte begriffliche Gegensätze gruppieren. Im nationalistischen Diskurs ist beispielsweise das VOLK ein solcher Begriff, der primär durch die Gegensätze {Volk, biologische Abstammung, Nation, ...} / {Bevölkerung, Ausländer, multikulturelle Gesellschaft, ...} bestimmt wird. In Anlehnung an Laclau/Mouffe (1991) formuliert, ist die Aussage VOLK durch zwei antagonistische Äquivalenzketten definiert. Wie in diesem Beispiel wird ein solcher Antagonismus, der eine Aussage definiert, auch im Folgenden jeweils in der Form AUSSAGE {Äquivalenzkette 1} / {Äquivalenzkette 2} dargestellt. Empirisch lässt sich die Reproduktion dieser Aussage somit anhand von Textstellen belegen, die (bestimmte Momente) diese(r) Struktur realisieren, wie es bei folgendem Zitat der Fall ist: "Es gibt einen Zusammenhang zwischen 'Volk' 'Nation' und 'Staat'. Das 'Volk' ist [...] nicht einfach irgendeine Bevölkerung" (WM9 2000: 283, vgl. Kapitel 9 Um die Lesbarkeit zu erhöhen werden einige vielzitierte Quellen im Text abgekürzt. WM 2000 steht für Weißmann, Karlheinz (2000): Alles was recht(s) ist. Graz, Stuttgart. Im Literaturverzeichnis findet sich unter WM 2000 die korrekte Angabe.

2.2 Methodischer Zugang: Analyse politischen Wissens nach Foucault

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6.1). Entscheidend ist dabei, wie gesagt, die Struktur – das heißt hier Volk in der Kette {Volk, Staat, Nation} und im Gegensatz zur {Bevölkerung} – und nicht alleine die Verwendung bestimmter Worte. So ist das Wort 'Volk' vieldeutig und könnte in einem Kontext, der primär auf die parlamentarische Demokratie abhebt, beispielsweise im Antagonismus {Volk, Demos, Souverän} / {Absolutismus, Diktatur} erscheinen. Diese und viele andere Möglichkeiten werden von Weißmann aber nicht realisiert, sondern das Volk wird als Abstammungskollektiv im Gegensatz zur Bevölkerung (samt 'Ausländern') definiert und dies wird in weiteren Textstellen fortgeschrieben, etwa durch die Entgegensetzung des bis 1999 gültigen deutschen Staatsbürgerschaftsrechtes und der 'multikulturellen Gesellschaft' (vgl. ebd.: 274). Mit der Rekonstruktion solcher Aussagen aus dem Material heraus ist also ein inhaltliches Kriterium der Zuordnung von Dokumenten zum Diskurs gewonnen, anhand dessen die ursprüngliche Hypothese überprüft und der Korpus gegebenenfalls erweitert werden kann. Das spezifische Aussagefeld, das auf diese Weise rekonstruiert wird, bildet den 'nationalistischen Diskurs'. 2.2.2 Interdiskurse und Kollektivsymbole Von einem 'nationalistischen Diskurs' kann gesprochen werden, weil die positiv gewerteten Äquivalenzketten der rekonstruierten Aussagen jeweils einen deutlichen Bezug zur Nation haben – häufig mit der adjektivischen Markierung 'national'. Damit bildet die Nation den roten Faden – das 'Artikulationsprinzip' (vgl. Laclau 1981) – der Aussagen beziehungsweise des Diskurses. In der Terminologie von Link (vgl. 2013: 10ff.) kann dieser Diskurs genauer als 'Interdiskurs' gefasst werden. Im Gegensatz zu den von Foucault primär untersuchten hochspezialisierten, meist wissenschaftlichen Diskursen re-integrieren 'Interdiskurse' dieses spezialisierte Wissen in popularisierter Form. Allerdings funktionieren auch diese Diskurse nach bestimmten Regeln und üben dabei Machteffekte aus, indem sie die Individuen 'anrufen'10, das heißt ihnen Identifikationsangebote machen und bestimmte Verhaltensweisen nahelegen. Ein zentraler Interdiskurs ist nach Link der 'mediopolitische Diskurs', also die journalistische Aufbereitung politischer Ereignisse. Auf dieser Ebene ist auch der nationalistische Diskurs angesiedelt, der die Individuen permanent als 'Angehörige der Nation' anruft und dies mit bestimmten Aussagen über das politische System, über Einwanderung und anderes mehr verknüpft. Der oben zitierte Band von Weißmann ist ein gutes Beispiel dafür. Es handelt sich um ein Kompendium von Beiträgen zu gesellschaftlichen Debatten (Doppelte Staatsbürgerschaft, Globalisierung usw.), die in Zeitschriften wie BURSCHENSCHAFTLICHE BLÄTTER, JUNGE FREIHEIT oder der FAZ erschienen waren. 10

Zu Althussers Begriff der Anrufung s.u. Kapitel 2.2.4.

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Die Texte mäandern beständig zwischen Anekdoten, religiösen Bildern, Mythen, unbelegten weitreichenden Behauptungen sowie punktuellen Bezugnahmen auf andere Medien und auf wissenschaftliche Texte. Dabei werden geradezu beiläufig zentrale Aussagen des nationalistischen Diskurses reproduziert, die sich bei genauerer Analyse aber als strukturierendes Prinzip des jeweiligen Textes ausweisen lassen. Auf diese Weise wird zugleich eine bestimmte 'diskursive Position' in den jeweils aktuellen medialen Großdebatten eingenommen und ein eigenständiger 'elaborierter Interdiskurs' reproduziert (vgl. Link 2013: 16ff.). Das Wechselspiel zwischen dem hegemonialen 'mediopolitischen Diskurs' und dem 'nationalistischen Interdiskurs' lässt sich am Beispiel der Globalisierungsdebatte gut nachvollziehen, die im nationalistischen Feld zeitgleich mit dem allgemeinen medialen Durchbruch des Themas einsetzte. Ausgangspunkt der Debatte war in beiden Fällen das Erscheinen des Buches 'Die Globalisierungsfalle' (GF, vgl. dazu Kapitel 4) im Jahr 1996. Dieser Bestseller zweier damaliger Autoren des SPIEGEL wurde in nahezu allen großen Tages- und Wochenzeitungen ebenso besprochen, wie in den relevanten rechtsintellektuellen Blättern. Inhaltlich könnte das Buch grob als 'linksliberal' gekennzeichnet werden, es betont die negativen Seiten der ubiquitären Deregulierungseuphorie und unterbreitet einige Re-Regulierungsvorschläge, darunter die Tobin-Steuer. Es ist bemerkenswert, dass die wirklich große mediale Debatte in dem Moment begann, in dem der bereits zuvor gängigen 'Sachzwang-Position' erstmals explizit eine 'globalisierungskritische Position' entgegengesetzt wurde. In der Folge bildete sich auch im nationalistischen Diskurs eine – allerdings ganz spezifische – Kritikposition heraus, die nicht nur an den Themen, sondern vor allem an der Bildsprache – der Kollektivsymbolik – des medialen Mainstreams anknüpfte. Am Titelbild der 'Globalisierungsfalle' (Abbildung 2) lässt sich verdeutlichen, wie Kollektivsymbole hier als Gleitschienen zwischen verschiedenen diskursiven Positionen funktionieren. Darauf werden die politisch-ökonomischen Prozesse, die unter dem Label Globalisierung thematisiert werden, in Form einer Personalisierung dargestellt, nämlich in Gestalt einer anonymen, gesichtslosen Macht, die die Welt in ihren Händen hält. Dieses weit verbreitete Motiv ziert auch das Cover eines Buches aus dem nationalistischen Feld (Abbildung 3). Allerdings steht die Figur (Pictura) dabei jeweils für ganz unterschiedliche Dinge (Subscriptiones), nämlich im ersten Fall für die Macht des Managements von transnationalen Konzernen, Fondsgesellschaften etc. und im zweiten Falle für die alte Erzählung von einer jüdischen Weltverschwörung. Denn letztere lebt hier wieder auf, wenn die Globalisierung – unter Nennung zahlreicher jüdischer Personen und Organisationen – als eine "für uns alle gefährliche Planung" seitens der "Hochfinanz der amerikanischen Ostküste" (HH: 89, dazu Kapitel 6.3) präsentiert wird.

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Das Beispiel unterstreicht die generelle Bedeutung von solchen Kollektivsymbolen im Bereich der Interdiskurse. Kollektivsymbolik meint "die Gesamtheit der am weitesten verbreiteten Allegorien und Embleme, Vergleiche und metaphorae continuatae, Exempelfälle, anschaulichen Modelle und Analogien einer Kultur [...]. Ein Kollektivsymbol besteht [...] ganz allgemein aus einem rudimentär expandierten, zumindest potentiell ikonisch realisierbaren Symbolisanten (dem 'Bild', der Pictura, zum Beispiel einem 'Auto') sowie einem bzw. in der Regel mehreren Symbolisaten (dem 'Sinn', den Subscriptiones, z.B. einer Wirtschaftskrise [...])" (Link 2013: 13, kursiv H.O., vgl. Drews/Link/Gerhard 1985).

Wie das exemplarische Auto im Zitat werden symbolische Elemente im Folgenden jeweils kursiv gekennzeichnet. 2.2.3 Diskursive und politisch-ökonomische Praxen Die Symbolik ist also in unterschiedliche Erzählungen eingebaut, die zugleich mit differenten politisch-ökonomischen Programmen im engeren Sinne einhergehen. Während Schumann/Martin auf den Schutz von Arbeitnehmer*innenrechten, die Einführung von sozial-ökologisch ausgerichteten Steuern und ähnliches zielen (vgl. Kapitel 4.1.2), präsentieren Hamer/Hamer Kernforderungen mittelständischer Unternehmer*innen im Rahmen eines Antagonismus, der 'uns Deutsche mit unseren mittelständischen Betrieben' den 'transnationalen Konzernen der (jüdischen) Hochfinanz' und zugleich den 'internationalistischen Gewerkschaften' entgegensetzt (vgl. Kapitel 6.3). Dies unterstreicht "die Funktion [...], die der untersuchte Diskurs in einem Feld nicht-diskursiver Praktiken ausüben muß" (Foucault 1981: 99). Letztere rechnet Foucault unter dem Stichwort 'Formation der Strategien' explizit zu den Formationsregeln der Diskurse und erläutert dies am Beispiel ökonomischer Praktiken und sozialer Kämpfe (vgl. ebd.), die er später wiederum als zentralen Bezugspunkt von Untersuchungen des 'politischen Wissens' nennt (vgl. ebd.: 274, 277). Insofern ist die Frage nach der politisch-ökomischen Dimension bei der Analyse systematisch zu berücksichtigen11. Mit anderem Worten geht die von Foucault vorgeschlagene Analyse 'politischen Wissens' zunächst von der empirisch feststellbaren Reproduktion seiner konstitutiven Elemente (Aussagen) und ihrer Artikulation in spezifischen Diskursen aus, betont jedoch zugleich, dass die dauerhafte Reproduktion dieser Diskurse im Zusammenhang mit den damit korrespondierenden (darin artikulierten) nicht-diskursiven Praxisfeldern und ihren immanenten Konflikten analysiert werden müssen. Demnach muss ein politischer Diskurs mit den politisch-ökonomischen 11 Unter dem Stichwort 'Formation der Strategien' legt Foucault (vgl. 1981: 99f.) neben der Berücksichtigung der nicht-diskursiven (politisch-ökonomischen) Praxen auch den systematischen Einbezug sozialpsychologischer Aspekte nahe. Trotz zahlreicher möglicher Anschlusspunkte (prominent etwa Theweleit 2000 oder Adorno u.a. 1999) kann dies hier allerdings nicht erfolgen.

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2 Fragestellung und Methode

Dispositiven der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in Beziehung gesetzt werden, die mit seiner Reproduktion korrespondieren. In dieser Hinsicht weist die Diskurstheorie Parallelen zu 'ideologiekritischen' Ansätzen auf, die Foucault (vgl. 1981: 262ff., Ders. 1978: 34) allerdings im Verdacht hat, ein 'wahres Wissen über die gesellschaftlichen Verhältnisse' vorauszusetzen, wohingegen er betont, dass Diskurse mit spezifischen Wahrheitseffekten einhergehen und immanenter Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse sind. Demnach sind die zahlreichen unterschiedlichen Aussagen, die in der Globalisierungsdebatte von ganz verschiedenen Seiten (re-)produziert werden, nicht einfach ein mehr oder weniger falscher 'Ausdruck einer objektiven Konfliktkonstellation' im Spannungsfeld zwischen dem kapitalistischem Weltmarkt, der nationalstaatlichen Herrschaftsform und supranationalen Regulierungsinstanzen. Sondern sie sind Formen des Wissens, in denen diese 'Dispositive' (vgl. Foucault 1978: 119f.) artikuliert sind und die zugleich zu deren Reproduktion oder zu bestimmten Transformationen tendieren. Daher sind die diskursiven Praxen, durch die diese Wissensformen hervorgebracht, reproduziert und transformiert werden eben nicht 'Ausdruck', sondern Teil der multiplen Konfliktkonstellation und der damit einhergehenden sozialen Kämpfe. Insofern kann es hier auch nicht darum gehen zu definieren, 'was die Globalisierung eigentlich ist' und dies mit den Aussagen im Material zu konfrontieren. Vielmehr wird die gesamte Debatte als ein bedeutendes '(inter-)diskursives Ereignis' der 1990er-Jahre analysiert und als solches punktuell in Beziehung zu politisch-ökonomischen Analysen der kritischen Sozialwissenschaften, etwa regulationstheoretischen Arbeiten gesetzt. Letzteres soll einen möglichst angemessenen – freilich aber selbst diskursiven – Zugang zu dem ermöglichen, was hier sehr abstrakt als Dispositive der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bezeichnet wurde. Sowohl mit seinen Überlegungen unter dem Stichwort 'Formation der Strategien' in der 'Archäologie des Wissens', als auch später mit dem Begriff des Dispositivs kreist Foucault um diesen konstitutiven Zusammenhang von sprachlichen und nicht-sprachlichen Praxen (vgl. Link 2013: 17ff.). Laclau/Mouffe (vgl. 1991: 157f.) lehnen diese Unterscheidung dagegen ab. In ontologischer Hinsicht radikaler insistieren sie auf der unhintergehbaren Diskursivität des Sozialen, was zwar einerseits stimmig ist, aber andererseits zu Inkonsistenzen führt, wenn sie sich konkreten gesellschaftlichen Prozessen zuwenden und dabei ad hoc gesellschaftstheoretische Begriffe einführen, ohne deren epistemologischen Status zu klären (vgl. Demirović 2007b: 66f.). Hier kann nicht weiter auf das Problem dieses diskursanalytischen Zirkels – auch die nicht-diskursiven Praxen, die eine Ebene der Analyse bilden, sind zwangsläufig diskursiv konstituiert – eingegangen werden. Insofern wird pragmatisch an Foucaults Unterscheidung festgehalten.

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2.2.4 Gekoppelte Zyklen: Zur Kompatibilität von Diskurs-, Regulations- und materialistischer Staatstheorie An dieser Stelle bietet sich eine Verknüpfung der Interdiskurstheorie mit der Regulationstheorie und der an Gramsci anschließenden materialistischen Staatstheorie an. Diese Theorieansätze sind freilich jeweils komplex und intern differenziert und es kann hier nicht darum gehen, sie im Einzelnen zu diskutieren und die Möglichkeit einer kohärenten Verbindung jeweils im Detail zu prüfen. Dennoch soll kurz gezeigt werden, dass diese Theorien in wesentlichen Grundannahmen übereinstimmen, die ihre Integration grundsätzlich ermöglichen. Im Kern besteht die Übereinstimmung in einem Modell der zyklischen Reproduktion (widersprüchlicher) Strukturen durch soziale Praxen – siehe Foucaults Definition des Diskurses als materielle Reproduktion eines Aussagefeldes durch diskursive Praxen. Link selbst hat diesen Kern in Auseinandersetzung mit den Theorien von Marx, Gramsci, Althusser und Foucault hervorgehoben. So sieht er insbesondere in den ökonomischen Schriften von Marx ein 'zyklologisches' Denken am Werk, wie er am Beispiel der einfachen Reproduktion erläutert (vgl. Link 1983a). Geldkapital verwandelt sich in Waren, nämlich Produktionsmittel und Arbeitskraft zur Produktion einer neuen Ware, die am Ende wiederum durch Verkauf in Geldkapital verwandelt wird. Dem entspricht auf der Seite der Arbeiter*innen der Verkauf der Arbeitskraft gegen Lohn, der wiederum für Konsumgüter ausgegeben wird, so dass sich auch die Arbeitskraft reproduziert, die erneut verkauft werden muss, um das Überleben zu sichern. Und beide miteinander verknüpften Reproduktionskreisläufe reproduzieren nicht nur das Kapital und die Arbeitskraft, sondern zugleich auch das Kapitalverhältnis. Wörtlich sagt Marx: "Der kapitalistische Produktionsprozess […] als Reproduktionsprozeß, produziert also nicht nur Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert zugleich das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten, auf der anderen den Lohnarbeiter" (MEW 23: 604, Hervorhebung H.O.). Auf diese Weise denkt Marx, so Link, nicht nur die weiteren Kreisläufe der verschiedenen Kapitalformen, sondern auch die Kopplungen dieser ökonomischen an natürliche Zyklen, neben der körperlichen Reproduktion etwa an die Wachstumszyklen natürlicher Rohstoffe. Allerdings habe Marx die sogenannten 'Überbauten' insbesondere die Ideologie nicht hinreichend zyklologisch gedacht (vgl. Link 1996)12.

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Auch das kann jedoch anders gelesen werden. "Wenn [wie Marx schrieb] die Voraussetzungen des kapitalistischen Verwertungsprozesses selbst in diesem Prozess noch reproduziert werden müssen, dann tritt das Wollen und Bewusstsein ebenso wie die Kritik nicht von außen hinzu. Diese Reproduktion wird nicht unabhängig vom Wissen, den Diskursen, den Erwartungen der Akteure organisiert, sondern die Verhältnisse werden durch ihr individuelles und gemeinsames Handeln reproduziert bzw. nicht reproduziert. Marx selbst ist in diesem Punkt nicht so eindeutig" (Demirović 2010a: 163f.).

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Ansätze dazu gäbe es allerdings bei Althusser und zwar dort, wo er die Frage nach der Reproduktion der Produktionsbedingungen stellt. An dieser Stelle konstatiert Althusser (1977: 112), dass neben der physischen Reproduktion der Arbeitskraft auch die Qualifikation der Arbeiter*innen und die "Reproduktion ihrer Unterwerfung unter die Regeln der etablierten Ordnung" gewährleistet sein müsse. Dies geschehe durch die "Anrufung der Subjekte" durch eine Vielzahl von "ideologischen Staatsapparaten" (ebd.: 148), worunter gesellschaftliche Institutionen von der Familie über Kirchen, Gewerkschaften und Medien bis hin zu der im engeren Sinne staatlichen Schule gefasst werden. Der Begriff der Anrufung verweist auf sprachliche Prozesse, die dazu führen, dass Individuen sich selbst und ihr Verhältnis zur Welt auf eine bestimmte Art und Weise wahrnehmen und zwar so, dass sie sich in die Rituale der jeweiligen Apparate einfügen und auf diese Weise die bestehende Ordnung reproduzieren. An dieser Stelle schlägt Link (1988b: 61, i.O. ohne Großbuchstaben) vor, die ideologischen Staatsapparate als vorläufige "Modelle für diskursive Reproduktionszyklen sowie für deren Kopplung an z.B. ökonomische Zyklen" aber auch an physiologisch/psychische Zyklen im Zusammenhang "mit der Reproduktion von Subjektivitäten" zu lesen. Allerdings habe Althusser den Prozess der Reproduktion zu hermetisch konzipiert. Dieser könne jedoch immer stocken und in die Krise geraten, wenn die notwenige Artikulation13 zweier Elemente nicht gelingt, beziehungsweise wenn die Kopplung zweier Zyklen nicht greift und es zu Reibungsverlusten kommt, wie Link es kollektivsymbolisch formuliert. Eine Anrufung kann misslingen, verschiedene Anrufungen können in Konflikt miteinander geraten (vgl. Pêcheux 1984), eine ökonomische Krise mit hoher Arbeitslosigkeit kann die eingeschliffenen Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster der Individuen infrage stellen und ihren Reproduktionsprozess 'stören' und so weiter. Den gleichen Vorwurf erhebt die Regulationstheorie auf der ökonomischen Ebene gegen den strukturalen Marxismus (vgl. Lipietz 1992: 37f., zum Folgenden auch 13 Der Begriff der Artikulation beziehungsweise Koppelung ist zentral für die hier behandelten, sowohl diskurs- als auch ökonomietheoretischen Ansätze in der Nachfolge Althussers. Hall erläutert ihn treffend, indem er von der Doppelbedeutung des Wortes im Englischen (ähnlich der im Französischen) ausgeht: "Es hat die Bedeutung von ausdrücken, Sprache formen. Aber wir sprechen auch von einem verkoppelten (articulated) Lastwagen: Ein Lastwagen, bei dem das Führerhaus mit einem Anhänger verkoppelt sein kann aber nicht muss. […] Eine Artikulation ist demzufolge eine Verknüpfungsform, die unter bestimmten Umständen aus zwei verschiedenen Elementen eine Einheit herstellen kann. Es ist eine Verbindung, die nicht für alle Zeiten notwendig, determiniert, absolut oder wesentlich ist. […] Die sogenannte 'Einheit' eines Diskurses ist in Wirklichkeit die Artikulation verschiedener, unterschiedlicher Elemente, die in sehr unterschiedlicher Weise reartikuliert werden können, weil sie keine notwendige 'Zugehörigkeit' haben. Die 'Einheit' auf die es ankommt, ist eine Verbindung zwischen diesem artikulierten Diskurs und den sozialen Kräften, mit denen e[r], unter bestimmten historischen Bedingungen aber nicht notwendig verbunden werden kann" (Hall 2000: 65, Hervorhebung i.O kursiv).

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Atzmüller u.a. 2013: 7ff.). Mit dem Fokus auf die Reproduktion vernachlässige er die sozialen Auseinandersetzungen und die Möglichkeit von Krisen, die Lipietz (1992: 47ff.) wiederum am Zyklus der einfachen Reproduktion erläutert, indem er darauf hinweist, dass der Verkauf der produzierten Waren scheitern kann. Schon dieser einfache Reproduktionsprozess setzt also voraus, dass Produktion und Konsum in Einklang stehen, dass die produzierten Konsumgüter tatsächlich von den gezahlten Löhnen gekauft werden (können) und dass andererseits die Löhne nicht so hoch sind, dass der Produktionsprozess nicht mehr rentabel ist. Angesichts der Möglichkeit von Krisen schon auf dieser basalen Ebene, kehrt die Regulationstheorie die Perspektive um und fragt, wie eine gelingende Reproduktion überhaupt möglich ist. Die Antwort findet sie in raum-zeitlich spezifischen Akkumulationsregimen, in denen Produktions- und Konsumnormen jeweils kompatibel sind. Paradigmatisch ist die parallele Entwicklung von Produktivität und Löhnen korrespondierend mit der Ausweitung der Produktion von Massenkonsumgütern im Fordismus. Ein solches Akkumulationsregime setzt eine entsprechende Regulationsweise voraus, die definiert wird als "Gesamtheit institutioneller Formen, Netze und expliziter oder impliziter Normen, die die Vereinbarkeit von Verhaltensweisen im Rahmen eines Akkumulationsregimes sichern" (Lipietz 1985: 121). Das umfasst staatliche Regulierungen (Arbeitsgesetze, Geldpolitik usw.), geht jedoch mit den allgemeinen Hinweisen auf Institutionen, implizite Normen und Verhaltensweisen auch deutlich darüber hinaus. Letztlich stellt sich hier wieder die von Althusser aufgeworfenen Frage, nach der Hervorbringung von 'passender' Subjektivität im Rahmen des Ensembles gesellschaftlicher Institutionen. Zudem blieben die Fragen nach sozialen Auseinandersetzungen und der Rolle des Staates unklar, wie von Seiten der materialistischen, insbesondere an Gramsci anschließenden Staatstheorie eingewandt wurde (vgl. Demirović u.a. 1992, Esser u.a. 1994). In den Worten von Gramsci handelt es sich bei einer relativ stabilen Phase gesellschaftlicher Reproduktion um "einen 'historischen Block'", in dem "das komplexe, widersprüchliche und ungleiche Ganze der Überbauten" der Gesamtheit der "gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse" entspricht. Er geht also von einer "notwendigen Wechselwirkung zwischen Basis und Überbau" (Gramsci 1967: 163) aus. In diesem Zusammenhang definiert er Hegemonie als den "'spontanen Konsensus', den die großen Bevölkerungsmassen jener Richtung gewährt, die dem gesellschaftlichen Leben durch die herrschende Hauptklasse aufgeprägt wird" (ebd.: 412). Dabei geht es um den praktischen, "den tätigen Konsensus" (ebd.: 354), also um den Vollzug konformer Handlungen, entsprechend den Maßstäben und Normen des im Alltagsverstand verkörperten Wissens. Ausgearbeitet wird dieses (stets umkämpfte) Wissen in den zahlreichen Institutionen der Zivilgesellschaft. "Die diskursiven Praktiken von Intellektuellen sind also von entscheidender Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung, sofern sie

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bestimmte Tendenzen ausmachen, sie verstärken, befestigen und zu einer stabilen kollektiven Lebensweise verallgemeinern" (Demirović 1992b: 152) und zwar einer Lebensweise, die den Erfordernissen der Reproduktion bestimmter materieller Zyklen entspricht und somit die Hegemonie der dominanten Kräfte des historischen Blocks begründet. Die Interdiskurstheorie schließt ebenfalls an Gramscis Überlegungen an und es wird vorgeschlagen, neben der Klassenteilung auch die Arbeitsteilung als wesentliches Moment eines historischen Blocks zu einzubeziehen (vgl. Link/Link-Heer 1980: 280ff., Brieler u.a. 1986, Link 2004)14. Dabei geht es um die systematische Berücksichtigung gesellschaftlicher Praxisbereiche wie Medizin, Militär, Technologie, Justiz, Sport und so weiter samt ihrer Spezialdiskurse, die fraglos zum 'widersprüchlichen Ganzen' gehören, von dem Gramsci spricht. Das spezialisierte Wissen aus diesen Bereichen wird durch Interdiskurse popularisiert und gesellschaftlich integriert. Dies geschieht nicht zuletzt dadurch, dass Elemente der Spezialdiskurse als Kollektivsymbole genutzt werden, so dass etwa im Sprechen über Ökonomie Konjunkturspritzen verabreicht werden (Bildbereich des medizinischen Körpers), so dass der Motor der Konjunktur wieder anspringt (Bildbereich der Technik) und so weiter. Tatsächlich finden sich zahlreiche solcher Bilder bei der Thematisierung von Globalisierung im mediopolitischen Interdiskurs (siehe Kapitel 4), an die der nationalistische Interdiskurs in spezifischer Weise anschließt. Dabei sind die Interdiskurse Medium des Kampfes um Hegemonie, insofern sich durch diskursive Praktiken unterschiedliche diskursive Positionen herausbilden, etwa wenn den Konjunkturspritzen die rote Karte gezeigt wird, weil eine Rosskur und scharfe Einschnitte im Sinne von Austeritätspolitik notwendig seien um als Mannschaft wieder fit zu werden (Bildbereiche Sport und Medizin). Zugleich haben die Interdiskurse subjektbildende Wirkungen (Anrufungs- oder Subjekteffekte nach Althusser und Foucault). Sie konstituieren und verbinden Erfahrungen als Autofahrer*in, als Patient*in, als Fußballfan oder Soldat*in, übertragen diese auf andere Praxisbereiche und legen bestimmte (politische) Verhaltensweisen nahe. So stellen Brieler u.a. (1986, 63ff.) zum Beispiel eine "massive[] Verbreitung militärischer Symbole und Rituale in der Weimarer Zeit" fest, die sowohl in den rechten Kampfbünden wie in der Arbeiter*innenbewegung als positives Ordnungselement der eigenen Organisation gegenüber dem verbreiteten, negativ konnotierten Symbol des Chaos (der sozialen Verhältnisse) fungierte. Sie fassen dies als ein kulturelles Moment, das "zur Stabilisierung des [...] historischen Blocks" 14 In diesem Zusammenhang wird ein zweidimensionales Modell vorgeschlagen, das die vertikale Achse der Klassendimension einer Gesellschaftsformation als 'sozial-historischen Block' analytisch von der horizontalen Achse gesellschaftlichen Arbeitsteilung als 'formierend-historischem Block' unterscheidet.

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beitrug und "in dessen Hegemoniekrise, sicherlich ungewollt – das gibt es zu betonen – die faschistische Lösung" (ebd.: 65) vorbereitete. Ähnlich findet sich heute – wie im Laufe der Arbeit gezeigt wird – im mediopolitischen Diskurs die hegemoniale Anrufung als Teil einer 'hart arbeitenden Mitte', die sich gegen Oben und Unten abgrenzt (vgl. Kreft 2001). Diese Figur ist erstens Teil eines äußerst wirkmächtigen Normalitätsdispositivs (vgl. Link 2006). Sie ist zweites hochgradig anschlussfähig an den Diskurs der nationalistischen Rechten (vgl. Kapitel 3.2.8). Und sie findet sich drittens zugleich vielfach im Alltagsverstand (Gramsci), den Link (vgl. 2013: 13f.) als Elementardiskurs fasst. Dies zeigen qualitative empirische Untersuchungen, die danach fragten, wie Lohnabhängige die aktuellen Transformationen der Arbeitswelt erleben (vgl. Hentges/Wiegel 2008: 169, Papouschek u.a. 2008: 202, Poglia Mileti u.a. 2008: 229). Diese diskursiv präformierten Selbstauskünfte über das Erleben der eigenen Position in den ökonomischen Reproduktionsprozessen des finanzmarktdominierten Akkumulationsregimes (vgl. Demirović/Sablowski 2013) sind ein Beispiel dafür, wie "die diskursiven Zyklen als Zyklen eigener Materialität [...] mit den nichtdiskursiven Zyklen zum Reproduktionsnetz 'Gesamtgesellschaft' zusammengekoppelt sind" (Link/Link-Heer 1988: 5, i.O. ohne Großbuchstaben). Zu diesem Reproduktionsnetz gehören nicht zuletzt die staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen, und das Beispiel zeigt, dass mögliche Erfolge nationalistischer (und anderer politischer) Akteure immer auch mit entsprechenden Anrufungseffekten von Interdiskursen artikuliert sind. 2.2.5 Schnittstellen zur Bewegungsforschung In der Rechtsextremismusforschung wurde seit Ende der 1990er-Jahren des Öfteren auf Konzepte der Bewegungsforschung zurückgegriffen (vgl. Koopmans/ Hellmann 1998, Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen 4/2003, Klärner 2008: 39-63, Schedler 2016). Im Folgenden soll gezeigt werden, dass diese Konzepte zusammengenommen einen heuristischen Rahmen bilden, in dem sich wesentliche Momente des Gegenstandes 'nationalistische Rechte' systematisch fassen lassen und dass dieser Rahmen zugleich an die hier verwendeten diskurs- und gesellschaftstheoretischen Konzepte angeschlossen werden kann. Im Gegensatz zu den zuvor erläuterten Übereinstimmungen zwischen Diskurs-, Regulations- und materialistischer Staatstheorie, die eine kohärente Integration möglich erscheinen lassen, geht es an dieser Stelle allerdings 'nur' um eine heuristische Schnittstelle – zumal schon die verschiedenen Ansätze der Bewegungsforschung von unterschiedlichen theoretischen und methodologischen Voraussetzungen ausgehen.

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In Tabelle 2.1, die im Folgenden erläutert wird, sind die entsprechenden Berührungspunkte zwischen der Bewegungsforschung und der Diskurstheorie/-analyse abgetragen und werden in der letzten Spalte anhand von Beispielen aus der vorliegenden Analyse illustriert. Tabelle 2.1: Konzepte der Bewegungsforschung und der Diskurstheorie Konzepte der Bewegungsforschung (1) Strukturelle Spannungen

Diskurstheoretische Konzepte Nicht-diskursive Praxen, Dispositive der Arbeitsteilung

(2) Gelegenheitsstrukturen

Diskursive Ereignisse, Strukturen des (mediopolitischen) Interdiskurses Elaborierter Interdiskurs, spezifische Aussagestruktur

(3) Framing (4) Kollektive Identität (5) Ressourcenmobilisierung

Zentrale Anrufungen bzw. Subjektpositionen Institutionelle Äußerungsmodalitäten des Diskurses (Foucault)

Beispiele aus der vorliegenden Untersuchung Zunehmende ökonomische Transnationalisierung, Wettbewerbsstaat, Auswirkungen auf soziale Klassen, ... Globalisierungsdebatte, hegemoniales Deutungsmuster: Global / National Aussage ONE WORLD: {Globalisierung, One World} / {Völker, Nationen} "Wir Deutschen", "Wir, die nationale Opposition", ... Feld der nationalistischen Rechten, mit seinen Fraktionierungen, Konkurrenzen und Kooperationen

(1) Mit dem Konzept der 'Strukturellen Spannungen' werden Prozesse sozialen Wandels auf der makrosoziologischen Ebene in den Blick genommen, die zum Ausgangspunkt sozialer Bewegungen werden. Es geht insbesondere darum, Gruppen zu identifizieren, die auf eine spezifische Art von gesellschaftlichen Transformationen betroffen sind und daher zur sozial-strukturellen Basis einer Bewegung werden oder auch das Elektorat bestimmter Parteien bilden (vgl. Leggewie 1998). Dabei zeigt sich eine fragwürdige modernisierungstheoretische Tendenz (Stichwort 'Modernisierungsverlierer'). Dennoch ist dies eine wichtige Analyse-Ebene, analog zur systematischen Einbeziehung der Dispositive der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in die Analyse politischen Wissens. Bezogen auf die vorliegende Untersuchung ist etwa an die zunehmende Transnationalisierung ökonomischer Prozesse (Produktionsketten, Finanz-, Arbeits- und Absatzmärkte), die damit einhergehenden Transformationen des Staates und die entsprechenden Auswirkungen auf unterschiedliche soziale Gruppen zu denken. Hier zeigt sich erneut das hohe Abstraktionsniveau dieser Ebene. Diese muss in der Analyse mit dem empirischen Material in Beziehung gesetzt werden. Erst dann wird beispielsweise deutlich, dass sowohl der Protest gegen das Hartz-IV-Gesetz, als auch die Sorge bestimmter Unternehmensfraktionen angesichts der zunehmenden Weltmarkt-

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konkurrenz im nationalistischen Diskurs artikuliert werden können. Dies wiederum zeigt, dass der Diskurs eine relativ heterogene (und entsprechend spannungsreiche) soziale Basis zu integrieren vermag. Erst dieser Analyseschritt trägt auch der Tatsache Rechnung, dass sich (sozial-)strukturelle Spannungen15 keineswegs automatisch, sondern allenfalls diskursiv vermittelt, in politische Mobilisierungen übersetzen. Genauso sind letztere nicht rein voluntaristisch zu begreifen, sondern nur durch ihre spezifische Artikulation sozialer Konflikte. (2) Unter dem Begriff der 'Gelegenheitsstrukturen' werden konkrete Protestanlässe thematisiert, die sich in diesem skizzierten makrostrukturellen Rahmen ergeben. In diskurstheoretisches Vokabular übersetzt, geht es dabei um diskursive Ereignisse, die politisch und medial umstritten sind und daher zur politischen Mobilisierung genutzt werden können. Ein Beispiel wäre wiederum das Hartz-IV-Gesetz, gegen dessen Verabschiedung ganz unterschiedliche Akteure, darunter Teile der nationalistischen Rechten, protestiert haben. Auch die weitaus abstraktere Globalisierungsdebatte, in der die erwähnten politisch-ökonomischen Transformationstendenzen zum Thema wurden, bildete den Ausgangspunkt unterschiedlicher Mobilsierungen, nämlich einerseits der sogenannten 'globalisierungskritischen Bewegung' und andererseits wiederum der verstärkten nationalistischen Mobilisierung. Welche Ereignisse oder Prozesse zu weithin wahrgenommen diskursiven Ereignissen werden, hängt mit den grundlegenden Strukturen des mediopolitischen Diskurses zusammen. Dies betrifft auch die Frage, welche Art von Protestmobilisierung dabei begünstigt wird. So hat etwa die breite politisch-mediale Skandalisierung der Einwanderung von Asylsuchenden zu Beginn der 90er Jahre (in deutlichem Gegensatz zu der von Aussiedlern aus Osteuropa) erheblich zur damaligen Welle rassistischer Mobilisierungen beigetragen (vgl. Koopmans 1998). Die insgesamt wesentlich ambivalentere Globalisierungsdebatte bot dagegen von Beginn an Anknüpfungspunkte für ganz unterschiedliche Diskurse, wobei dominante Strukturen wie das Gegensatzpaar global/national eine nationalistische Mobilisierung offensichtlich begünstigen16. Mit dem zentralen Begriff des nächsten Konzeptes ausgedrückt, erleichtert dieses Muster das 'Framing' von Globalisierung im nationalistischen Sinne. 15 Auch wenn die Beispiele, die sich durch den Fokus auf die Globalisierungsdebatte ergeben, dies nahelegen könnten, geht es an dieser Stelle keineswegs alleine um die Sozialstruktur im engeren Sinne von Klassenverhältnissen, sondern beispielsweise auch um das Geschlechterverhältnis, um die Verhältnisse zwischen kulturellen Mehrheiten und Minderheiten, zwischen Stadt und Land und so weiter. Alle diese Verhältnisse interferieren mit den Klassenverhältnissen und den im engeren Sinne politischen Fragen etwa hinsichtlich der Repräsentanz verschiedener Gruppen in den Staatsapparaten. 16 An dieser Stelle bietet sich auch die Einbeziehung (und konzeptionelle Schärfung) von Ansätzen an, welche die nationalistische Rechte als Problem der 'politischen Kultur' untersuchen (vgl. Virchow 2006a: 35ff. besonders 52, Klärner 2008: 53ff., Butterwegge 2008b: 29ff.).

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2 Fragestellung und Methode

(3) Mit Framing wird die Rahmung einer Thematik im Sinne einer bestimmten Problemdefinition bezeichnet. So greift die nationalistische Rechte die vermeintliche Bedrohung der Nation durch die Globalisierung nach dem Muster 'global / national' aus dem mediopolitischen Diskurs auf und erhebt sie – modifiziert in die Aussage ONE WORLD {One World, Globalisierung} / {Völker, Nationen} – zum zentralen Problem der Debatte. Damit werden mögliche alternative Frames aus dem mediopolitischen Diskurs – etwa 'Neoliberalismus / Keynesianismus' – ausgeschlossen oder zumindest untergeordnet. Auf diese Weise integrieren die nationalistischen Intellektuellen das Thema Globalisierung in ihren 'elaborierten Interdiskurs', der sich so gesehen auch als eine Reihe spezifischer Rahmungen gesellschaftlicher Debatten gemäß der Grundstruktur seiner Aussagen begreifen ließe. (4) Diese Grundstruktur des Diskurses und insbesondere die damit einhergehenden Anrufungseffekte entsprechen dem Konzept der 'Kollektiven Identität', mit dem in der Bewegungsforschung die zentralen ideologischen Muster und das Selbstverständnis der Akteure einer Bewegung bezeichnet werden. Im Falle der nationalistischen Rechten geht es dabei um Selbstbeschreibungen als wahre Deutsche, als nationale Opposition und so weiter, die auch Bergmann/Erb (1998) als zentrale Elemente der kollektiven Identität der 'rechtsextremen Bewegung' beschrieben haben. Wobei diese Anrufungen keineswegs auf die im engeren Sinne bewegungsförmige Rechte, also die Neonazi-Szene beschränkt sind, sondern auch in jenen Bereichen dominieren, die gemeinhin als national-konservativ oder als 'rechtspopulistisch' bezeichnet werden. (5) Diese Topographie des nationalistischen Feldes lässt sich schließlich mit dem Konzept der 'Ressourcenmobilisierung' in den Blick nehmen. Dieses wurde entwickelt, um die institutionellen Voraussetzungen erfolgreicher sozialer Bewegungen zu erfassen, also die Organisationen und zentralen Personen sowie deren Erschließung und Nutzung von Ressourcen wie Finanzen, Medien und Symboliken. Dieser Bereich entspricht in etwa dem, was Foucault in der 'Archäologie des Wissens' als 'Formation der Äußerungsmodalitäten' (s.o., Kapitel 2.2.1) bezeichnet hat. Mit anderen Worten geht es um das institutionelle Feld, das mit der Produktion der spezifischen Aussagen eines Diskurses korrespondiert. Konkret ist dabei an die Fraktionierungen der 'nationalen Opposition' in unterschiedliche strategische Ausrichtungen (Bewegung versus Partei, Fundamentalopposition versus konkrete Machtoption etc.) und unterschiedliche ideologische Orientierungen (etwa jungkonservativ versus nationalrevolutionär oder national-sozialistisch versus national-liberal) zu denken. Diese Fraktionierungen bringen insgesamt ein dynamisches Feld teils konkurrierender, teils kooperierender Organisationen hervor, dessen konkrete Ausgestaltung in bestimmten historischen Momenten entscheidend für die Erfolgsaussichten einzelner Projekte ist. Als Manko des

2.3 Materialauswahl und Aufbau der Arbeit

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Bewegungsansatzes zeigt sich hier allerdings erneut, dass er tendenziell nur einen Teil des Diskurses und der ihn stützenden institutionellen Struktur erfasst, da die primär auf Wahlen und konkrete Koalitionsoptionen ausgerichteten Parteien schnell aus dem Blick geraten17. Insgesamt aber lassen sich mit diesen einander ergänzenden Konzepten der Bewegungsforschung wesentliche Aspekte der nationalistischen Rechten systematisch untersuchen. Dabei ist es bemerkenswert, dass die Vertreter*innen entsprechender Ansätze selbst immer wieder direkt oder indirekt auf den Begriff des Diskurses beziehungsweise auf zentrale diskursanalytische Fragestellungen zu sprechen kommen. So ist im Zusammenhang mit dem Konzept der 'Kollektiven Identität' zu untersuchen, "wie sich die Rechten in ihren Diskursen selbst beschreiben" (Bergmann/Erb 1998: 150). Bei der Frage nach 'politischen Gelegenheitsstrukturen' geht es nicht zuletzt um die "politisch-diskursiven Gelegenheitsstrukturen", sprich Situationen, in denen "die je aktuellen Diskurse [...] auf der Folie sedimentierter, gleichwohl aufrufbarer mentalitätsgeschichtlicher Traditionen [...] entfaltet" (Virchow 2006a: 52) werden. Und das Konzept der Ressourcenmobilisierung bezieht sich unter anderem auf "symbolische Ressourcen wie Medien, Musik, Texte, Bilder et cetera" (Klärner 2008: 49). Diese Liste ließe sich verlängern und insofern bietet sich die Diskursanalyse als Ansatz an, mit dem zentrale Analysedimensionen der Rechtsextremismusforschung, beziehungsweise der dabei integrierten Konzepte aus der Bewegungsforschung, auf einer theoretisch konsistenten Grundlage integriert werden können. 2.3 Materialauswahl und Aufbau der Arbeit Anknüpfend an die theoretischen Überlegungen sind bei der Analyse drei Aspekte systematisch zu berücksichtigen. Erstens muss der infrage stehende 'nationalistische Interdiskurs' selbst, das heißt die Reproduktion eines entsprechenden Feldes spezifischer Aussagen, empirisch aus dem Material heraus rekonstruiert werden. In diesem Zusammenhang wird deutlich werden, dass sich das Thema Globalisierung in der Tat so in den Diskurs einschreibt, dass die bereits bestehende Grundstruktur seiner Aussagen intakt bleibt18. Eine entscheidende Frage ist zweitens, auf 17 Dieses Manko betrifft nicht nur die Untersuchung der nationalistischen Rechten, wie die Entstehung der Grünen im Kontext der neuen sozialen Bewegungen oder der WASG und ihrer Fusion mit der PDS zur LINKEN im Zuge der Hartz-Proteste zeigt. 18 Hier unterscheidet sich die gewählte Methodologie von themenzentrierten Ansätzen wie sie unter anderem Jäger und Höhne vorschlagen haben. Höhne (2003, 391) definiert den Diskurs selbst als "thematisch gebundene, sprachlich-semiotische Einheit" und Jäger (1999, 136; vgl. Ders. 1993, 153, 180ff.) schlägt, ausgehend von der allgemeinen Definition von "Diskurs 'als Fluss von »sozialen Wissensvorräten« durch die Zeit'", die Untersuchung thematischer "Diskursstränge" vor. Beide betonen zwar die institutionelle Eingebundenheit der Diskurse bzw. des Wissens, jedoch ohne dies in die Definition ihres Diskursbegriffes eingehen zu lassen. Ihre Definitionen liegen damit gewissermaßen quer

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2 Fragestellung und Methode

welche Muster des hegemonialen mediopolitischen Diskurses dabei Bezug genommen wird, so dass deutlich wird, welche Anknüpfungspunkte, Überschneidungen und Parallelen es gibt, aber auch welche spezifischen Abweichungen, Zuspitzungen und Transformationen den untersuchten 'elaborierten Interdiskurs' auszeichnen. Drittens muss schließlich der Bezug der Aussagen zur politisch-ökonomischen Praxis herausgearbeitet werden. Diesen methodologischen Überlegungen folgten sowohl die Materialauswahl als auch der Aufbau der Arbeit. Das empirische Material wurde in mehreren, an den Vorschlägen von Keller (2004, 82ff.) orientierten Schritten ausgewählt. Als Untersuchungszeitraum wurden die ersten zehn Jahre der Globalisierungsdebatte von 1996 bis 2005 gewählt. Den Ausgangspunkt der Debatte bildete das Erscheinen des viel beachteten Bestsellers 'Die Globalisierungsfalle' 1996, dessen Thesen in zwei aufeinander folgenden Titelstories des SPIEGEL (39-40/1996) einflossen. Rund zehn Jahre später erschien erneut eine Reihe von Artikeln zum Thema 'Globalisierung' im SPIEGEL, die 2005 auch als SPIEGEL-SPEZIAL veröffentlicht wurden und politisch deutlich andere Akzente als das Buch setzten. Zusammengenommen bilden diese beiden Texte die diskursiven Muster der medialen Hochphase der Globalisierungsdebatte recht gut ab, wie ein Blick in digitale Archive von FAZ, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG und TAZ sowie andere entsprechende Analysen (vgl. Knobloch 2007, Karasek 2007) bestätigen. Auch in der nationalistischen Rechten setzte die Globalisierungsdebatte mit Besprechungen der 'Globalisierungsfalle' ein und wurde zu einem wesentlichen Aspekt einer breiteren inhaltlichen und organisatorischen Neuausrichtung ab Mitte der 1990erJahre. Diese kam 2004 mit der Beteiligung nationalistischer Kader an den Protesten gegen Hartz IV und dem Einzug der NPD in den sächsischen Landtag zu einem vorläufigen Höhepunkt, was ebenfalls für die entsprechende Eingrenzung des Untersuchungszeitraums sprach. Inhaltlicher Ausgangspunkt zur Erstellung des Korpus waren, wie schon erwähnt, zunächst die in der Rechtsextremismusforschung genannten Organisationen und zu einer Bestimmung des Diskurses als begrenztem Aussagefeld, das durch Formationsregeln – also nicht zuletzt institutionelle Arrangements – bestimmt wird. Eine thematische Definition hatte Foucault (1981, 54ff.) bei der Entwicklung dieses Diskursbegriffes ausdrücklich ausgeschlossen. Das bedeutet nicht, dass die Untersuchung primär thematisch orientierter Fragestellungen, im Sinne Höhnes oder Jägers vor dem diskurstheoretischen Hintergrund ausgeschlossen sind. In der gängigen Kollektivsymbolik formuliert, fließen oder mäandern solche thematischen Untersuchungseinheiten, durch die Felder der geregelten Aussagestreuungen. Sie sind jedoch kein geeigneter Zugang, wenn das Ziel der Analyse die Beschreibung einer spezifischen diskursiven Formation, also eines Feldes, ist. In diesem Fall setzt die Untersuchung der Artikulation eines "Themas" (vgl. Link 1999, 152f.) bzw. eines Themenstranges wie Globalisierung – jedenfalls logisch – die Beschreibung des Diskurses als solchem voraus. Erst wenn das Feld der Sagbarkeit, das den entsprechenden Formationsregeln gehorcht, konstituiert ist, lässt sich fragen, wie ein neues Thema (Begriffe, Gegenstände etc.) darin erscheinen bzw. artikuliert werden kann.

2.3 Materialauswahl und Aufbau der Arbeit

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Publikationsorgane. Neben den oben genannten politikwissenschaftlichen Standardwerken gaben hier insbesondere einige als Szene-Überblick angelegte Werke (Grumke/Wagner 2002, Braun/Hörsch 2004), die einschlägigen Publikationen des DUISBURGER INSTITUTS FÜR SPRACH- UND SOZIALFORSCHUNG (DISS) (Dietzsch/Schobert 2001, Dietzsch u.a. 2003) sowie antifaschistische Zeitschriften wie DER RECHTE RAND wichtige Hinweise. Die erste Durchsicht des so erhobenen Materials gab dann den Anstoß zur Berücksichtigung weiterer Zeitschriften, Einzelpublikationen oder digitaler Medien. Die Periodika, die zum großen Teil in der DEUTSCHEN NATIONALBIBLIOTHEK in Frankfurt/M zugänglich sind, wurden jeweils für den gesamten Untersuchungszeitraum durchgesehen. Dabei wurden alle Artikel ausgewählt, die 'Globalisierung' thematisieren und solche, die anderweitig von besonderer Bedeutung für den Diskurs und das organisatorische Feld zu sein schienen. Im Bereich der Parteien wurden Programme und Wahlwerbung von NPD, DVU und REPUBLIKANERN (REP), sowie die mit diesen Parteien verbundenen Zeitschriften DEUTSCHE STIMME (DS), NATIONALZEITUNG und DER REPUBLIKANER (D-REP ) – ab 2004: ZEIT FÜR PROTEST! (ZFP) berücksichtigt. Weitere systematisch einbezogene Periodika waren JUNGE FREIHEIT (JF), NATION & EUROPA (N&E), OPPOSITION, STAATSBRIEFE, DESG-INFORM, WIR SELBST, DAS OSTPREUSSENBLATT, DER SELBSTÄNDIGE, CRITICON, BURSCHENSCHAFTLICHE BLÄTTER, SEZESSION und BLÄTTER DER DEUTSCHEN GILDENSCHAFT. Im Bereich des militanten Neonazismus und der damit verbundenen subkulturellen Szene wurde im ANTIFASCHISTISCHEN PRESSEARCHIV UND BILDUNGSZENTRUM BERLIN (APABIZ) recherchiert. Neben der systematischen Durchsicht von Szene-Organen wie ZENTRALORGAN, DER FAHNENTRÄGER, ROCKNORD und UNSERE WELT wurden hier auch Flugblätter, Plakate und Musik-CDs berücksichtigt und insbesondere in diesem Bereich wurden auch weitere Webseiten heruntergeladen und in die Analyse einbezogen19. Die sogenannten sozialen Medien spielten im Erhebungszeitraum bis 2005 noch keine so entscheidende Rolle wie im darauffolgenden Jahrzehnt. Aus diesem breiten Korpus wurden dann zentrale Dokumente zur vertieften Analyse ausgewählt, die mit Blick auf die Aussagestruktur, das damit verbundene institutionelle Feld oder die Thematisierung von 'Globalisierung' besonders relevant

19 Im militanten und subkulturellen Spektrum waren das insbesondere die Seiten: www.antikap.de, www.die-kommenden.net, www.eine-bewegung-werden.de, www.faustrecht.de, www.keineagenda2010.de und www.widerstandnord.com. Zudem wurden die zu den o.g. Organisationen und Periodika gehörenden Websites gesichert und punktuell in die Analyse einbezogen.

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2 Fragestellung und Methode

erschienen. Auch diese Auswahl und der entsprechende Aufbau der Arbeit folgten den genannten methodologischen Überlegungen: Als Ausgangspunkt zur Rekonstruktion des nationalistischen Interdiskurses in Kapitel 3 wurde eine Rede des Parteivorsitzenden der NPD gewählt, einer Partei also, die zweifellos zu den institutionellen Trägern des Diskurses gehört. Eine Analyse der Pronominalstruktur dieser Rede diente zum einen als Schlüssel zum Feld der nationalistischen Akteure und zum anderen als Zugang zur Struktur der zentralen Aussagen des Diskurses, die anschließend unter Einbeziehung weiterer Dokumente der NPD rekonstruiert wurden. Kapitel 4 leitet anschließend zur Globalisierungsdebatte über und beschreibt zunächst zentrale Aussagemuster im medialen Mainstream beziehungsweise im mediopolitischen Interdiskurs. Als Material dienten hier der oben genannte Bestseller 'Die Globalisierungsfalle' von 1996 und das SPIEGEL-SPEZIAL zum Thema 'Globalisierung' aus dem Jahre 2005. In Kapitel 5.1 wird anschließend noch einmal am Beispiel der NPD gezeigt, wie die jeweils zuvor rekonstruierten zentralen Aussagen der Globalisierungsdebatte mit jenen des nationalistischen Diskurses verknüpft werden. Dies mündet in die Zusammenfassung zentraler, innerhalb des Diskurses zirkulierender Aussagen zur Globalisierung. In den folgenden Kapiteln werden diese Aussagen auch in anderen Teilen des nationalistischen Feldes rekonstruiert, so dass der nationalistische Diskurs als ganzer weiter konturiert wird. Die Kapitel 5.2 und 5.3 nehmen (auch in den Überschriften) die Präsentation des Feldes auf, die der NPD-Vorsitzende in der eingangs analysierten Rede entwickelt hat. Zunächst werden die militanten Neonazis, die in Teilen ein Bündnis mit der NPD eingegangen sind, sowie die eng damit verbundene subkulturelle Szene untersucht. Anschließend werden die REPUBLIKANER als konkurrierendes parteipolitisches Projekt analysiert. Wenngleich viele der damaligen Akteure schon wenige Jahre danach keine Rolle mehr spielen, werden hier doch Strukturen deutlich, die den Diskurs dauerhaft kennzeichnen, etwa permanent schwelende Konflikte entlang der Linien (subkulturelle, militante) Bewegung versus Partei oder parteipolitische Fundamentalopposition versus Koalitionsoptionen20. Die verschiedenen strategischen Optionen gehen dabei – wie sich zeigen wird – mit unterschiedlichen ideologischen Positionierungen (etwa 'national-liberal' versus 'national-sozialistisch') und konkreten Programmatiken (etwa hinsichtlich staatlicher Eingriffe in die Ökonomie) einher, die wiederum innerhalb eines 20 Mit Blick auf solche synchronen Strukturen des Diskurses nehmen jüngere Akteure wie die 'Autonomen Nationalisten' oder die ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (AFD) lediglich Positionen ein die im Untersuchungszeitraum von anderen Akteuren besetzt waren. Auch historisch - insbesondere mit Blick auf die 1920er Jahre – lassen sich weitere Belege für die permanente Relevanz dieser Fraktionierungen innerhalb des Diskurses finden (vgl. Faye 1977a, Ders. 1977b).

2.4 Zum Diskursbegriff und zur Schreibweise

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breiteren publizistischen Feldes von unterschiedlichen Intellektuellen vertreten werden. In Kapitel 6 werden drei charakteristische Positionen innerhalb dieses Feldes genauer untersucht, die von Karl-Heinz Weißmann als Vertreter einer Reformstrategie (6.1), von Alain de Benoist als Vertreter einer 'revolutionären' Perspektive (6.2) und schließlich von Eike und Eberhard Hamer als Vertretern der unmittelbar mit mittelständischen Interessenverbänden verknüpften Fraktion 21 (6.3). Die verbindende Klammer zwischen einzelnen empirischen Analysen bildet der Nachweis, dass im Material jeweils bestimmte Aussagen reproduziert werden, die so den nationalistischen Diskurs als ganzen konstituieren. Dadurch und durch die Betrachtung der Polemiken, die sich im Feld um die jeweilige Position entfalten, wird deutlich, dass es sich jeweils um bestimmte (durchaus differente) Teilmengen eines Diskurses handelt und nicht etwa um völlig verschiedene Diskurse, wenngleich die Vertreter der verschiedenen Positionen dies mitunter behaupten. In Kapitel 7 schließlich werden die Aussagen des nationalistischen Diskurses, die im Kontext der Globalisierungsdebatte besonders relevant sind, auf ihre Beziehungen zu Dispositiven der gesellschaftlichen Arbeitsteilung befragt. Dabei wird an die in den Kapiteln 2.1.2 bis 2.1.4 dargestellten Ergebnisse der bisherigen Forschung sowie weitere Literatur angeknüpft. Mit Blick auf die untersuchte Phase um die Jahrtausendwende werden dabei noch einmal die Beziehungen zwischen dem hegemonialen mediopolitischen Diskurs und dem nationalistischen Interdiskurs rekapituliert. Mit Blick auf die relativ dauerhafte Reproduktion des Diskurses (mindestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts) werden aber auch thematisch einschlägige Befunde zur nationalistischen Rechten in früheren historischen Phasen einbezogen. Das Ziel ist es, so zu einer genaueren Kenntnis des politisch-ökonomischen Gehaltes dieses Diskurses zu kommen und seine potenzielle Bedeutung in künftigen sozialen Auseinandersetzungen besser einordnen zu können. 2.4 Zum Diskursbegriff und zur Schreibweise Methodologisch bezieht sich die folgende Analyse auf Foucaults Definition eines Diskurses als regelmäßige Streuung von Aussagen. Eine Aussage wird dabei als zentraler Begriff definiert, der mit einem Antagonismus im Sinne von Laclau/Mouffe verbunden ist (siehe Kapitel 2.2.1). Weiterhin wird auf die Konzepte des Interdiskurses und der Kollektivsymbole von Link rekurriert (siehe Kapitel 2.2.2). Dabei werden die folgenden Schreibweisen verwendet:

21 Die Relevanz dieser letzten Strömung hat sich später auch im Zuge der Eurokrise und der Gründung der ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND gezeigt. Hier bestehen enge Verbindungen zu den Vertretern einer 'reaktionären mittelständischen Fraktion', die Heine/Sablowski (2013) als Minderheit innerhalb des deutschen 'Block an der Macht' (Poulantzas) ausmachen.

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2 Fragestellung und Methode

Eine AUSSAGE im Sinne Foucaults wird durch Kapitälchen gekennzeichnet. AUSSAGEN aus dem hegemonialen mediopolitischen Diskurs (zusammengefasst in Kapitel 4.7 und Anhang III.5) werden in dieser Form, ohne weitere Markierung dargestellt. AUSSAGEN aus dem elaborierten Interdiskurs der nationalistischen Rechten (zusammengefasst in den Kapitel 3.1.3 sowie 5.1.5 und Anhang III.4) werden zusätzlich fett markiert. Antagonismen im Sinne von Laclau/Mouffe werden dargestellt, indem die Elemente der beiden gegensätzlichen Äquivalenzketten in Mengenklammern aufgezählt und durch einen Schrägstrich getrennt werden: {Äquivalenzkette I: Element 1, ... Element x} / {Äquivalenzkette II: Element 1, ... Element x}. Exemplarisch ist der Antagonismus der in Kapitel 2.2.1 bereits knapp eingeführten VOLK-Aussage aus dem nationalistischen Diskurs: {Volk, biologische Abstammung, Nation, ...} / {Bevölkerung, Ausländer, multikulturelle Gesellschaft, ...}. In manchen Fällen sind die Elemente einer Äquivalenzkette in sich widersprüchlich, dies wird durch einen untergeordneten Antagonismus in runden Klammern verdeutlicht: {Äquivalenzkette I: Element 1, ... Element x} / {Äquivalenzkette II: (Element 1a, ... Element xa) / (Element 1b, ... Element xb)}. Ein Beispiel dafür ist die Aussage ONE WORLD, die in Kapitel 5.1.2 rekonstruiert wird: {souveräne Völker, nationale Volkswirtschaft} / {One World: (schrankenloser Kapitalismus) / (linker Internationalismus)}. Hier stehen die 'Völker' der 'One World' gegenüber, die jedoch aus zwei verschiedenen (und potenziell antagonistischen Elementen) besteht, dem schrankenlosen Kapitalismus einerseits und dem linken Internationalismus andererseits. Kollektivsymbole nach Jürgen Link werden kursiv markiert. Alle kursiven Worte sind als Symbole (Picturae) zu lesen. Auch in Zitaten wurden kursive Markierungen in der Regel zur Kennzeichnung von Symbolen hinzugefügt. Ausgewiesen werden nur die Fälle in denen das Original kursiv gesetzt war. Namen von INSTITUTIONEN werden durch Großbuchstaben gekennzeichnet. Sonstige Hervorhebungen des Autors (H.O.) werden durch Unterstreichung markiert.

2.4 Zum Diskursbegriff und zur Schreibweise

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In Anhang III.3 sind diese Schreibweisen noch einmal in einer kurzen Übersicht zusammengestellt.

3 Der nationalistische Interdiskurs Mit diesem Kapitel beginnt die Analyse des nationalistischen Interdiskurses. Zunächst wird in Abschnitt 3.1 die Rede eines ehemaligen NPD-Vorsitzenden ausführlich analysiert. Dabei wird der Gegensatz zwischen Volk und System rekonstruiert, der die Rede strukturiert. In Abschnitt 3.2 werden die positiven Bezugspunkte dieses Gegensatzes (Volk, Geschichte, Staat, Väter und Identität) sowie die negativen Bezugspunkte (Ausländer, Etablierte, Medien und Juden) unter Berücksichtigung weiterer Materialien aus dem Umfeld der NPD genauer analysiert. Das Kapitel abschließend werden in Abschnitt 3.3 zentrale Aussagen des nationalistischen Diskurses festgehalten, deren Relevanz im Laufe der Arbeit anhand weiterer Materialen belegt wird. 3.1 Die Rede des Vorsitzenden auf dem Bundesparteitag der NPD 2004 Als Einstieg in die Diskursanalyse wird im Folgenden die Rede des damaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt auf dem Bundesparteitag am 31. Oktober 2004 in Leinefelde ausführlich untersucht. Dieses Diskursfragment bietet sich aus mehreren Gründen an. Erstens fand der Parteitag kurz nach dem spektakulären Wahlerfolg der NPD in Sachsen statt, bei dem die Partei am 19. September 9,2 Prozent der Stimmen erhielt und seither mit zwölf Abgeordneten im Landtag vertreten war22. Anhand dieses Ereignisses, das die Rede in weiten Teilen bestimmt und für die nationalistische Rechte insgesamt von zentraler Bedeutung war, lässt sich die Dynamik des gesamten Feldes im Untersuchungszeitraum (1996 bis 2005) rekonstruieren. Der genaue Blick auf diesen (diachronen) Prozess, das heißt die konflikthafte Stärkung beziehungsweise Schwächung bestimmter strategischer Optionen innerhalb des Diskurses, ermöglicht es zugleich, die dauerhafte (synchrone) Struktur dieser Optionen als konstitutives Element des Diskurses freizulegen. Zweitens sind in der Rede, mehr oder minder ausführlich, eine ganze Reihe zentraler thematischer Komplexe und Symboliken präsent, die ebenfalls konstitutiv für den Diskurs als ganzen sind. Drittens fanden 2004 eine Reihe ungewöhnlich intensiver sozialer Auseinandersetzungen, insbesondere der 'wilde' Streik bei Opel/General Motors und die Proteste gegen das Hartz-IV-Gesetz, statt. Diese wurden in der nationalistischen Rechten in unterschiedlicher Weise aufgenommen und häufig – so auch in der Rede – mit dem Thema Globalisierung verknüpft, so dass sich hier ein Zugang zur zentralen Frage der Untersuchung ergibt. Grundlage der Analyse ist das Manuskript der Rede, das während des Parteitages als PDF-Datei auf der Homepage der NPD zum Download bereitstand. Teile daraus wurden in einem Artikel der Parteizeitung 'Deutsche Stimme' (11/2004: 12) ausführlich wiedergegeben. Das Dokument besteht aus 707 Zeilen und macht den 22

Vgl. dazu die Studie von Steglich (2005).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten, Edition Rechtsextremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3_3

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3 Der nationalistische Interdiskurs

Eindruck einer eilig zusammengestellten Textdatei, die nicht gründlich redigiert wurde. Vermutlich wurde es aufgrund der Aktualität kurzzeitig (z.B. für Journalist*innen) im Internet bereitgestellt, wo es einige Tage später nicht mehr zu finden war. Es enthält zahlreiche Rechtschreibfehler und die graphische Gestaltung, die alle Standardregister gängiger Textverarbeitungsprogramme zieht (fett, kursiv, unterstrichen, Rahmen, verschiedene Schriftgrößen, zentrierter oder Blocksatz), wirkt wenig einheitlich und durchdacht. Die Rede ist unter Beibehaltung der formalen Gestaltung, lediglich ergänzt um Zeilennummern und die Markierung der Seitenenden des Originals, im Anhang der Arbeit dokumentiert (Anhang I.1). 3.1.1 Erste Übersicht über Struktur und Inhalt der Rede Als erster Schritt der Analyse wird nun, in Übereinstimmung mit den von Maas (1984: 17ff.) und Jäger (1993: 188ff.) vorgeschlagenen Verfahren, zunächst der Inhalt des Textes abschnittsweise zusammengefasst. Den Inhalt des gesamten Textes anzugeben ist hier zunächst insofern schwierig, als sich einzelne Textpassagen deutlich von anderen unterscheiden, ohne dass dabei ein stringenter Argumentationsaufbau hinsichtlich einer zentralen Thematik sichtbar wird. Abschnitte, die sich mit kurz- und mittelfristigen Perspektiven der NPD beschäftigen, stehen neben geschichtlichen Exkursen und Passagen zur sozial- und wirtschaftspolitischen Situation in Deutschland oder zur Europäischen Union. Hinzu kommt, dass die graphische Gestaltung – gerade auch die Überschriften – an manchen Stellen eher zusätzlich irritiert, als dass sie die diversen Thematiken in eine übersichtliche Struktur bringt. So wird beispielsweise die graphisch am deutlichsten herausgestellte Überschrift – das Parteitagsmotto "Arbeit – Familie – Vaterland" (3) – ihrer erwartbaren Orientierungsfunktion insofern nicht gerecht, als der Text an keiner Stelle näher auf das Thema Familie eingeht. Das Wort kommt ganze fünf Mal vor, davon drei Mal (3, 25, 705) in Rahmen des Mottos selbst und zwei Mal (77, 202) wiederum in schlagwortartiger Reihung mit Vaterland. Im Laufe der Analyse wird sich zeigen, dass die Überschrift sehr wohl eine Orientierungsfunktion hat, allerdings eine, die gerade nicht kognitiv und themenbezogen, sondern affektiv auf die Subjektivität des anwesenden Publikums abgestimmt ist. Zunächst aber lässt sich der Textinhalt am besten ganz allgemein ausgehend von dem in Zeile 1 deklarierten ritualisierten Anlass der Rede bestimmen. Der Parteivorsitzende der NPD, der sich zur Wiederwahl stellt, rekapituliert seine bisherige Amtszeit, geht auf die aktuelle Situation der Partei ein, formuliert künftige Perspektiven und verknüpft dies mit Exkursen zu Grundpositionen der Partei, zur Geschichte und zur aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation Deutschlands (als Teil der Europäischen Union). Dementsprechend gliedert sich die Rede in folgende Hauptteile:

3.1 Die Rede des Vorsitzenden auf dem Bundesparteitag der NPD 2004

I II III IV V VI

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Einleitung (4-31) Rückblick und Schlussfolgerungen (32-209) II.1 Verhältnis zu den Freien und dem nationalen Widerstand (64-114) II.2 Das geplante Verbot zur Ausschaltung der nationalen Opposition (115-209) Das strategische Konzept der NPD (210-381) III.1 Ausgangslage (215-321) III.2 Das Drei-Säulen-Modell sollte um eine vierte Säule ergänzt werden (322-381) Kritische Lagebeurteilung derzeitiger Möglichkeiten der Partei (382-479) IV.1 Gewinnung neuer Zielgruppen (383-417) IV.2 Integration 'Nationaler Sozialisten'? (418-479) Die derzeitige Diffamierungskampagne gegen die NPD (480-566) Ausblick und Zusammenfassung (567-705) VI.1 Unterschriftensammlung gegen den EU-Beitritt der Türkei (582-630) VI.2 Bündnispolitik (631-705)

Die Hauptüberschriften (I-VI) kommen als solche im Wortlaut vor und stimmen mit der graphischen Gestaltung überein23. Dagegen sind die Unterüberschriften, die ebenfalls überwiegend im Originalmanuskript vorkommen, dort aber völlig unübersichtlich gestaltet sind24, an größeren thematischen Abschnitten orientiert. Die Unterüberschriften III.2 und IV.1 kommen zwar im Wortlaut, aber nicht als Überschrift vor, sie sind jedoch geeignet, den jeweiligen Textabschnitt überblicksartig zu charakterisieren. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden auch nicht alle Unterüberschriften, die im Text vorkommen und bestimmte thematische Zusammenhänge weiter untergliedern, berücksichtigt. Die folgenden Zusammenfassungen einzelner Abschnitte mögen die Stimmigkeit der (ergänzten) Überschriften mit Blick auf die inhaltlichen Schwerpunkte verdeutlichen. I Einleitung (4-31) Die vierzig Jahre alte NPD ist nach sechsunddreißig Jahren erneut in einem Landtag vertreten (5-14); die 4 Prozent NPD-Wähler im Saarland und die 9,2 Prozent in Sachsen entschieden sich für das Volk und gegen multikulturelle Gesellschaft, Internationalisten, Globalisten und etablierte Parteien (15-24); die eingeleitete

23 Die Schriftart und -größe der entsprechenden Überschriften sind gleich und mit Ausnahme der Einleitung über die gesamte Zeile hinweg gerahmt. Zwar stimmen auch die Unterüberschriften in Teil II (64, 115, 145) mit diesem Layout überein (Schriftart, Größe und Rahmung über die ganze Zeile), dass es sich dennoch um Unterüberschriften handelt, zeigt sich aber daran, dass es inhaltlich gemäß der Hauptüberschrift jeweils um zentrale Fragen der jüngeren Vergangenheit der Partei geht. 24 In Teil II sind die Unterüberschriften wie die Hauptüberschriften gestaltet (siehe vorherige Anmerkung), in den Teilen III, IV und VI (215, 401, 418, 582, 681) ist nur der Text und nicht die ganze Zeile gerahmt, und in Teil V (484, 493, 504, 531) fehlt jeglicher Rahmen. Hinzu kommen die nur in Teil III verwendeten kleineren Unterüberschriften ohne Rahmen.

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3 Der nationalistische Interdiskurs

politische Wende könnte mit Unterstützung aus allen nationalen Gruppen 2006 zu einer nationalen Fraktion aus NPD und DVU im Reichstag führen (25-31). II Rückblick und Schlussfolgerungen (32-209) Als Voigt 1996 die Führung der Partei übernahm, hatten viele keine Hoffnung mehr (33-41); vorherige Misserfolge lagen an den Kampagnen der politischen Gegner, nicht am konsequent deutschen Programm (42-52); der seitherige konsequente Kurs führte dazu, dass die NPD eine feste Größe in der politischen Landschaft wurde (53-63). II.1 Verhältnis zu den Freien und dem nationalen Widerstand (64-114) Die Aufhebung alter Unvereinbarkeitsbeschlüsse brachte junge Aktivisten des Nationalen Widerstands in die Partei und zu Großveranstaltungen wie dem Protest gegen die Wehrmachtsausstellung (65-80); das Ausweichmanöver der vorübergehenden Einstellung von Demonstrationen während der Verbotsdiskussion führte zu Vorbehalten bei 'Freien Kräften' (81-97); 2004 begann eine konstruktive Zusammenarbeit mit 'Freien Kräften' und eine Wahl der neuen Kameraden in den Vorstand ist geplant (98-114). II.2 Das geplante Parteiverbot zur Ausschaltung der nationalen Opposition (115-209) Einflüsterungen des Zentralrats der Juden überredeten die Herrschenden, einen Verbotsantrag gegen die NPD zu stellen (116-129); erfolglose Verbote wie die gegen die SPD, NSDAP und NPD sind das letzte Mittel eines untergehenden Systems (130-144); Hartz IV zeigt, warum die NPD verboten werden sollte (145-148); die Verträge von Maastricht und Amsterdam nahmen Deutschland unverzichtbare Souveränitätsrechte und führen zu Arbeitslosigkeit und Steuerausfall (149-170); steuerliche Umverteilungsmaßnahmen zugunsten des Kapitals und der Konzerne werden durch die Agenda 2010 fortgesetzt (171-184); das Verbot sollte die NPD als einzige wirkliche Opposition, die sich massiv gegen Globalisierung und multikulturelle Gesellschaft wendet, ausschalten (185-191); die 'Partei aus dem Volk für das Volk' sollte auch verboten werden, weil sie die Umgestalter des Volks, die den Deutschen ihre Identität nehmen wollen, stört, aber sie ist jetzt stärker als zuvor (192-209). III Das strategische Konzept der NPD (210-381) Das strategische Konzept – Kampf um die Straße, die Parlamente und die Köpfe – muss um die vierte Säule – Kampf um den organisierten Willen – ergänzt werden (211-214).

3.1 Die Rede des Vorsitzenden auf dem Bundesparteitag der NPD 2004

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III.1 Ausgangslage (215-321) Deutschland ist seit 1945 ein besetztes, von korrupten Kollaborateuren geführtes Land (216-223); die NPD organisiert sich als nationale Kraft unter Fremdherrschaft und muss die Köpfe vom Denken der Feinde befreien (224-227); prominente NPD-Mitglieder der Gründerzeit (228-235); im politischen Kampf müssen Intellektuelle, Volkstribunen, Organisierer und Marschierer zusammenwirken (236-241); die 1200jährige deutsche Geschichte ist voller Lichtgestalten, wie Friedrich Wilhelm von Hohenzollern oder Friedrich dem Großen (242-253); in der derzeitigen Nacht über Deutschland – Produktionsverlagerungen aufgrund der Globalisierungspolitik – steigen die Chancen, dass neue Lichtgestalten erscheinen, das Ende der BRD und der Anfang eines neuen Deutschland stehen bevor (254266); NPD-Positionen sind vermehrt aus der alten BRD-Elite zu hören (Zitate: Wirtschaftswoche, Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine, Fritjof Meyer, Arnulf Baring) (267-308); in Deutschland stehen revolutionäre Veränderungen an, in denen nur die national gesinnten Deutschen dem Volk eine neue Zukunft weisen können (309-315); durch Unterlaufung der political correctness können Schwierigkeiten im Kampf um die Köpfe überwunden und Unterstützung durch Eliten erreicht werden (316-321). III.2 Das Drei-Säulen-Modell sollte durch eine vierte Säule ergänzt werden (322-381) Zum Kampf um die Köpfe gehört die Personalisierung der Partei, die gerade wegen der Diffamierungskampagnen der Medien gegen die präsentierten Personen richtig ist (324-342); beim Kampf um die Straße, durch den sich Jugendliche an die Partei binden und die Schweigespirale durchbrochen wird, sollte künftig auf Minidemonstrationen verzichtet werden (343-355); der erfolgreiche Kampf um die Parlamente, der finanzielle Mittel bringt, wird mit dem Bündnispartner DVU auf Landes- und Bundesebene fortgeführt werden (356-366); beim Kampf um den organisierten Willen, dem Versuch, möglichst alle nationalen Kräfte (NPD, DVU, Freie, Deutsche Partei, Republikaner) zu konzentrieren, geht es um Geld, Posten, Macht, Volk und Vaterland (367-381). IV Kritische Lagebeurteilung derzeitiger Möglichkeiten der Partei (382-479) IV.1 Gewinnung neuer Zielgruppen (383-417) Schwerpunkt der künftigen Arbeit wird die Aus- und Weiterbildung der unteren Führungsebene sein, um neue Zielgruppen zu erschließen und zu integrieren (383396); entgegen den Produzenten und Überwachern der political correctness müssen die Tabubrüche der bislang als BRD-Eliten gehandelten (Möllemann, Hohmann, u.a.) gemäß dem Streben nach einer Volksgemeinschaft verstärkt werden (397-417).

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3 Der nationalistische Interdiskurs

IV.2 Integration 'Nationaler Sozialisten'? (418-479) Die Medien diffamieren die NPD als 'neonazistisch', aber die nationale und die soziale Frage sind untrennbar verbunden und 'Nationale Sozialisten' dürfen nicht als 'Neo-Nazis' diffamiert werden (419-435); die Systemmedien versuchen Wähler zu beeinflussen, nationalliberale und nationalkonservative Kräfte von Bündnissen abzuhalten und das erfolgreiche Bündnis mit der DVU aufzusprengen (436448); die Gefahr besteht darin, dass die NPD sich die 'Neonazi'-Diskussion aufzwingen lässt und diejenigen, die deutsch fühlen, in zwei Lager (bürgerlicher Anzug / Glatze) teilt (449-456); das Ausgrenzen von Skinheads ist eine Herrschaftstechnik der Etablierten, demgegenüber will die NPD die Protesthaltung dieser jungen Menschen in politischen Einsatz für eine nationale Erneuerung verwandeln und die Großveranstaltungen mit einem besser werdenden Erscheinungsbild und Besuchern aus dem bürgerlich-nationalen Lager zeigen, dass der Ausgrenzungsmechanismus der Systemmedien immer weniger funktioniert (457479). V Die derzeitige Diffamierungskampagne gegen die NPD (480-566) Eine Diffamierungskampagne der Systemmedien verlangt die folgenden Begriffsklärungen (481-483): Was bedeutet für uns 'Nationale Revolution' (484): Nationale Revolution bedeutet zunächst ein revolutionär verändertes Wahlverhalten der Deutschen, und darüber hinaus, dass sie wieder zu ihrer Identität finden und es möglich wird, Politik für das eigene Volk zu machen (485-492). Sind Nationaldemokraten antisemitisch? (493): Deutsche, die noch Deutsche sein wollen und organisierte 'Berufsjuden' als Gleiche unter Gleichen betrachten und behandeln, werden als Antisemiten diffamiert (494-503). Ist die Forderung nach Systemüberwindung staatsfeindlich? (504): Die NPD ist nicht staatsfeindlich und steht auf dem Boden des Grundgesetzes, weil sie seine Abwicklung gemäß Artikel 146 fordert (505-515); die gegenwärtige parlamentarische Demokratie ist faktisch eine Oligarchie, gegenüber der die NPD eine wirkliche Demokratie will, in der das Parlament keinen direkten Einfluss auf die Exekutive hat (516-521); die NPD will eine bevormundende Politik gegen die Mehrheitsmeinung des Volkes überwinden (522-530). Die NPD ist nicht ausländerfeindlich, weil sie inländerfreundlich ist (531): Die NPD lehnt eine multikulturelle Gesellschaft ab, weil diese Ausländern und Deutschen ihre Identität nimmt, sie fordert die Ausgliederung von Ausländern aus den Sozialversicherungen, ein Einstellungsverbot für Ausländer, solange gleich qualifizierte Deutsche arbeitslos sind, die Ausweisung arbeitsloser Ausländer, gesetzliche Heimwanderungsmaßnahmen für beschäftigte Ausländer und proklamiert das 'Recht auf Arbeit für alle Deutschen' (532-556); sie fordert weiter: Grenzen dicht für Lohndumping und Einfuhr billiger Waren, soziale Ächtung statt

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steuerlicher Förderung von Produktionsverlagerungen ins Ausland, Aufgabe von Globalisierung und Freihandel zugunsten einer raumorientierten Volkswirtschaft, Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen (557-566). VI Ausblick und Zusammenfassung (567-705) Die ausweglose wirtschaftliche Lage und die fehlende Gegensteuerung der etablierten Parteien, die Sozialabbau betreiben, wird zum Erfolg der an nationaler Politik ausgerichteten Parteien führen, der Weg in den Bundestag ist vorgezeichnet (568-581). VI.1 Unterschriftensammlung gegen den EU-Beitritt der Türkei (582-630) Die Kampagne von NPD/DVU ist das Original im Gegensatz zur zurückgezogenen Unterschriftensammlung der CDU/CSU, die nationale Wählerstimmen binden sollte (583-594); Hauptgesichtspunkte der Kampagne sind erstens eine Massenzuwanderung von (unqualifizierten) Türken und zweitens finanzielle Belastungen für Deutschland (595-609); die Türkei gehört geographisch und bevölkerungsmäßig nicht zu Europa, das eine Aufnahme auch aus ökonomischen Gründen nicht verkraften kann (610-617); anstelle von EU-Europa und einem Beitritt der Türkei ist eine europäische Neuordnung – zum Schutz der Völker Europas vor Einwanderung – notwendig, an deren Ende bilaterale Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei stehen können (618-630). VI.2 Bündnispolitik (631-705) Die Erfahrung zeigt, dass keine der nationalen Parteien alleine Macht entfalten kann (632-634); gegenüber einer linken Volksfront bis zur CDU, die den Sozialstaat zugrunde richtet und der demographischen Entwicklung nichts entgegensetzt, gilt es dem deutschen Volk zu zeigen, dass es Kräfte (wie NPD und DVU) gibt, die ihre persönlichen oder gruppenegoistischen Interessen zum Wohle des Ganzen zurückstellen (635-644); die NPD hat eine neue Bedeutung erlangt, sie sucht die Auseinandersetzung mit den etablierten Politikern und will – durch Gewinnung der ALG-II-Empfänger – 2005 in den Schleswig-Holsteinischen Landtag und 2006 in den Bundestag einziehen (645-659); der Anfang einer deutschen Volksfront (aller nationalen Kräfte), die erfolgreichen Wahlabsprachen mit der DVU, sollen im Falle der Wiederwahl Voigts so fortgesetzt werden, dass die NPD Führerin einer gemeinsamen Liste zur Bundestagswahl wird (660-680); nur der Feind im Inneren kann den entscheidenden politischen Umbruch noch gefährden, etwa die V-Leute, denen die NPD nicht mehr so leicht auf den Leim gehen wird (688692); Aufruf zur geschlossenen Unterstützung der Bündnispolitik und damit des begonnen Aufbruchs in Deutschland (693-705).

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3 Der nationalistische Interdiskurs

Nach dieser detaillierten Erfassung der thematischen Blöcke lässt sich der zentrale Gegenstand der Rede genauer bestimmen, der in allen Hauptteilen, mit Ausnahme von V, präsent ist. Voigt plädiert für eine Bündnispolitik der NPD mit anderen Teilen des 'nationalen Lagers', insbesondere mit der DVU und den 'Freien'. Dieser thematische Bogen spannt sich von der Einleitung (10, 28f.) über die gesamten Unterkapitel II.1, III.2, IV.1 bis hin zum Schlussteil VI.2. 3.1.2 Die Pronominalstruktur als Schlüssel zum Text In Anlehnung an ein von Maas (1984: 73ff., Ders. 1989: 173ff.) bei der Analyse von Reden im Nationalsozialismus entwickeltes methodisches Vorgehen wird im folgenden zweiten Schritt die Pronominalstruktur des Textes untersucht. Grundlage für diesen Analyseschritt ist die im Anhang I.2 dokumentierte Tabelle. Diese muss zunächst erläutert werden, bevor die eigentliche Analyse im nächsten Abschnitt beginnt (Kapitel 3.1.2.1) In der Tabelle sind alle Personal-, Possessiv- und Reflexivpronomen mit eindeutigem Bezug25 erfasst. In den Zeilen ist ihre jeweilige grammatikalische Form neben der entsprechenden Textzeile abgetragen, in den Spalten werden sie nach ihrer pragmatischen Textfunktion unterschieden: • Die erste Person Singular (Spalte 1) bezeichnet eindeutig den Sprecher, in der vorliegenden Rede also den Parteivorsitzenden. • Sein direktes Publikum – die Delegierten – wird ebenfalls eindeutig in der zweiten Person Singular oder Plural (Spalte 2) angesprochenen. • Weniger eindeutig ist der Gebrauch der ersten Person Plural und der dritten Person Singular und Plural. Hier wird der Bezugspunkt des Pronomens jeweils in der letzten Spalte der Tabelle (Spalte 5) angegeben, um die Interpretation nachvollziehbar zu machen. • Die erste Person Plural (Spalte 3) schließt in jedem Fall den Sprecher mit ein, aber nicht zwangsläufig auch die direkten Adressaten. Folglich ist hier zwischen einem 'adressaten-inklusiven Wir' (hier im naheliegendsten Fall: wir NPD-Mitglieder) und einem 'adressaten-exklusiven Wir' (beispielsweise: wir, die beiden Parteivorsitzenden von NPD und DVU) zu unterscheiden. Allerdings kann auch das Offenhalten zwischen beiden Funktionen (etwa zwischen einem adressaten-inklusiven 'wir Parteimitglieder' und einem adressaten-exklusiven 'wir Vorstandsmitglieder') als stilistisches Mittel eingesetzt werden.

25 Ausgenommen sind Indefinitpronomen und die – zumeist innerhalb phrasenhafter Wendungen verwendeten – Pronomen, die sich nicht eindeutig auf bestimmte Personen oder Institutionen beziehen sondern entweder auf unbestimmte Konstruktionen wie 'jeder, der sich...' (46)' 'eine Partei, die sich...' (49f.), 'die einen, die sich...' (454) und so weiter oder auf Allgemeinplätze wie 'das Wort' (240), 'Hiobsbotschaften' (258), den 'Kampf um die Köpfe' (326) und ähnliches.

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Die dritte Person Singular und Plural (Spalte 4) verweist zunächst allgemein auf nicht unmittelbar anwesende Personen oder auch Gruppen und Institutionen. Hier werden in der Tabelle – anders als bei Maas26 – wiederum die Kategorien 'adressaten-inklusiv' und 'adressaten-exklusiv' unterschieden. Kriterium der Einteilung ist, ob die jeweiligen Bezugspunkte der Pronomen an anderer Stelle auch in der Wir-Gruppe, also in der ersten Person Plural, vorkommen (etwa ein rein grammatikalisch bedingter Bezug auf die NPD in der dritten Person), beziehungsweise einen klaren kontextuellen Bezug zu dieser Wir-Gruppe haben (etwa NPD-Wähler) oder ob sie ausschließlich in der dritten Person vorkommen und an keiner Stelle in einem positiven Bezug zur Wir-Gruppe stehen (wie zum Beispiel die 'etablierten Parteien'). Ziel der letztgenannten Zuordnung ist es, die Fälle zu isolieren, in denen die grammatikalische Form der dritten Person nicht nur auf die Abwesenheit in der konkreten Redesituation verweist, sondern zur Markierung von Personen, Gruppen und Institutionen als generell 'nicht zu uns gehörig' dient27. Dieser Schritt ist am stärksten interpretationsabhängig. Er setzt zunächst voraus, den einen Pol, die 'adressaten-inklusive' Gruppe anhand der ersten Person Plural zu bestimmen. Auf dieser Basis kann eine erste Zuordnung der Dritten Personen zu den beiden Polen vorgenommen werden. Anschließend ist zu überprüfen, ob sich diese Zuordnung anhand weiterer Kriterien plausibilisieren lässt. Als ein solches ebenfalls von der formalen Textstruktur ausgehendes Kriterium wird sich im vorliegenden Fall die mit der Zuordnung übereinstimmende Verwendung bestimmter gegensätzlicher Adjektive erweisen. Schien keine klare Zuordnung zwischen einer adressaten-inklusiven oder -exklusiven Verwendung der ersten Person Plural sowie der dritten Person Singular und Plural möglich, sind die Pronomen in der Tabelle mit (?) markiert, in beiden möglichen Funktionsspalten abgetragen und beide möglichen Bezüge werden angegeben. Stellen, an denen der Bezug der Pronomen aufgrund grammatikalischer Fehler interpretationsbedürftig ist, sind mit (*) gekennzeichnet und die Pronominalformen, die in indirekter Rede vorkommen, sind durch ("") ausgewiesen. Schließlich sind die Grenzen der oben herausgestellten inhaltlichen Abschnitte

26 Umgekehrt erweisen sich einige der von Maas (1984: 73f.) vorgenommen Differenzierungen der pragmatischen Funktionen – etwa die Unterscheidung zwischen einem individuellen (Du/Sie) oder kollektiven (Sie/Ihr) Bezug der zweiten Person oder die Kategorie des 'paternalistischen Wir' – im vorliegenden Fall als überflüssig. 27 Im Falle von Maas' (1984: 53ff.) Analyse der Hitlerrede, in der die dritte Person generell unberücksichtigt bleibt, ließen sich auf dieses Weise etwa "die internationalen jüdischen Bolschewistenverbrecher" (ebd.: 67, §41 Z 420-425) und damit das im NS omnipräsente 'Nicht-Wir' isolieren, das den Rahmen für die Bearbeitung 'innerer' Widersprüche bildet, die Maas ausführlich analysiert.

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durch Linien markiert, damit erkennbar wird, inwieweit sich die Sequenzierung der Inhaltsangabe mit der Pronominalstruktur deckt. 3.1.2.1 'Ich – der Führungsoffizier – melde Euch': Die erste Person Singular und die zweite Person (Singular und Plural) Das erste Personalpronomen des Textes ist ein fett gesetztes 'Ich': "Ich melde der Partei zum heutigen Tag: 'Nach 36 Jahren ist es uns gelungen mit [...] kluger Bündnispolitik [...] in ein Landesparlament einzuziehen. Wir sind wieder da!'" (911, Hervorhebung i.O. fett)28. Diese kurze Sequenz aus der Einleitung versammelt bereits alle charakteristischen Elemente des Einsatzes der ersten Person in der Rede. Voigt verweist im militärischen Stil des Soldaten, der Meldung erstattet, auf (s)eine kluge Politik, die den großen Triumph seiner Amtszeit, die Wahl in den Sächsischen Landtag, ermöglicht hat und kommt auf das ebenso zentrale wie konflikthafte Thema der Bündnispolitik zu sprechen, indem er zum adressateninklusiven Wir der Partei übergeht. Die Selbstinszenierung als Soldat rahmt die Rede. Die Figur des Soldaten, der zu Beginn Meldung erstattet, tritt in der Einleitung der Schlusssequenz erneut auf: "Ich sah es heute als meine Pflicht an Ihnen die Positionen [...] der Führung mitzuteilen" (693f.). Es handelt sich also um einen Soldaten mit Führungsrang, einen Offizier, der bestimmte Kompetenzen hat, die in den Überschriften zum Ausdruck kommen. Er stellt das "strategische Konzept" (210) vor und verbindet die "Ausgangslage" (216) mit einer "Lagebeurteilung" (382). Diese symbolische Selbstinszenierung als Offizier ist Teil der dominanten Kollektivsymbolik mit militärischem Bildspender (s.u.) und ermöglicht es Voigt sich, beziehungsweise die politischen Optionen, die mit seiner Person zur Wiederwahl stehen, im Gestus dessen zu präsentieren, der Führungskompetenz hat, zugleich aber Soldat wie alle anderen geblieben ist und wie die anderen auch 'nur seine Pflicht tut'. Seine Kompetenz stellt der Redner zudem in der schriftlichen Fassung durch die Angabe seines akademischen Titels in der Unterschrift "Dipl. sc. pol. Udo Voigt" (707) heraus29. Die damit signalisierte politische Klugheit wird im Redetext selbst durch Formulierungen wie die folgenden betont: "Jeder, der sich mit Politik beschäftigt, musste wissen, [...]. Denn ich habe es auf allen Parteitagen wiederholt gesagt" (46ff.); "[...] halte ich auch heute für politisch richtig und weise" (85f.); "[s]eit gut zwei Jahren ist ein Hinweis Bestandteil meiner Reden [...]" (262). 28 Sämtliche folgenden Zitate ohne anderweitige Angabe beziehen sich auf die Rede des Parteivorsitzenden. In Klammern wird die entsprechende Zeilennummer angegeben, grammatikalische Fehler entsprechen dem Originaltext. Hervorhebungen aller Art werden sowohl bei der Rede als auch bei anderen Quellen aus Gründen der Lesbarkeit in der Regel nicht berücksichtigt, oder wie an dieser Stelle als solche gekennzeichnet. 29 Diesen Titel verwendet Voigt auch für "Artikel, Briefe und Presseerklärungen" (Staud 2005: 22) und zur Unterzeichnung seiner regelmäßigen Kolumne in der Parteizeitung (vgl. DS 11/2004: 2).

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Gestützt wird diese Selbstinszenierung durch den gelegentlichen Verweis auf den politischen Erfolg, insbesondere die Wahl in den Landtag. So endet der Abschnitt "Kampf um die Parlamente" (356ff.) im Strategieteil mit den Worten: "Der erfolgreich eingeschlagene Weg wird unter meiner Führung fortgesetzt werden" (366). Und zu Beginn des Rückblicks heißt es: "Als ich 1996 die Führung der Partei übernahm, tat ich das in dem Bewußtsein, für [...] die NPD[] Teilhabe an der politischen Macht in Deutschland zu erlangen" (33f.). Anschließend verweist er mit den Worten "Viele hatten keine Hoffnung mehr" (35) auf den Beginn seiner Amtszeit und damit implizit auf weitere Erfolge, die in späteren Passagen auch genannt werden, nämlich die Gewinnung neuer, vorwiegend junger Mitglieder – "Immer mehr junge [...] Mensche kamen in unsere NPD" (69) – und die Konsolidierung der Finanzen durch "Teilhabe an der staatlichen Teilfinanzierung der Parteien" (57f.)30. Aus dieser Position der Stärke heraus geht Voigt auf innerparteiliche Kritiker – "manche beschimpften mich als 'Betonkopf'" (36) – seiner Linie ein, die er als "konsequent deutsche[s] Programm" (48f.) von einem "Wischi-Waschi-Programm" abgrenzt, das sich "an die C-Parteien annähert" (50f.) – um am Ende des Abschnitts noch einmal auf die politischen Erfolge anzuspielen (vgl. 62f.). Diese Art, seine Wahl zwischen zwei grundsätzlichen Optionen innerhalb des Diskurses zu präsentieren, ist symptomatisch für den Einsatz der ersten Person. Das Gewicht der systematisch aufgebauten Position des klug agierenden, politisch erfolgreichen Offiziers wird gezielt bei der Thematisierung konflikthafter Punkte, insbesondere der Bündnispolitik, in die Waagschale geworfen. Das Strukturmuster der Personalpronomen in der Tabelle (Anhang I.2) zeigt – vor allem unter Ausklammerung von phrasenhaften Redewendungen wie "wird mir klar" (147), "ich denke, daß" (569) und ähnlichem (228, 267, 318, 410f., 649) –, dass die erste Person insbesondere in den Teilen II.1, IV.1 und VI.2 eingesetzt wird. Diese Abschnitte, in denen die Bündnispolitik mit der DVU und vor allem den 'Freien Kräften' verhandelt wird, sind zugleich die einzigen, in denen das Verhältnis von Redner und Publikum explizit präsent ist, nämlich im grammatikalischen Wechselspiel zwischen der ersten und zweiten Person (85-112, 663-703) und dem Satz: "[S]ie erwarten hier zurecht einige deutliche Worte des Parteivorsitzenden" (448). Im Einzelnen werden dabei die folgenden Konfliktpunkte angesprochen: Im Abschnitt 83-97 geht es um den Beschluss, im Vorfeld des Verbotsverfahrens zeitweise keine Demonstrationen durchzuführen, der "damals in den Reihen 30 Die Parteizeitung kommentiert diese Passage mit den Worten: Voigt rief "den Versammelten noch einmal ausführlich in Erinnerung, welche Ausgangsvoraussetzungen er vorfand, als er 1996 zum NPDVorsitzenden gewählt wurde" (DS 11/2004: 12).

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'Freier Kräfte' zu erheblichen Vorurteilen gegenüber der NPD" (95f.) führte. Diesen Beschluss charakterisiert Voigt als "Ausweichmanöver" (92), das "politisch richtig und weise" (86) gewesen sei. Direkt im Anschluss (98-114) geht er auf die Befürchtung ein, dass mit der erneuten intensiven Zusammenarbeit eine "gegenseitige Übernahme" (107f.) geplant sein könnte und beendet die Passage mit den Worten: "Sollten Sie mich heute wieder zum Parteivorsitzenden wählen, werde ich aus dem Kreis der neuen Kameraden zur Wahl Vorschläge für den Parteivorstand machen, damit ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer nationalen Volksfront geschaffen wird!" (111ff.).

Das gleiche Thema bestimmt auch Teil IV.2 der Rede (419-479), in dem die erste Person zu Beginn und am Ende gehäuft vorkommt. Die Konfliktpunkte in diesem Abschnitt lassen sich nur im Zusammenhang mit Kontextinformationen verstehen, die sich nicht unmittelbar aus der Rede erschließen lassen31. Verhandelt wird nämlich ein seit längerem bestehender Konflikt zwischen (dem Vorsitzenden) der DVU und den 'Freien Kräften'. Frey und andere Autoren seiner NATIONALZEITUNG hatten während des Verbotsverfahrens mit Blick auf die subkulturell geprägte Szene der Freien von "widerwärtig kostümierte[n] kriminelle[n] Idioten bei abstoßenden NPD-Aufmärschen"32 und ähnlichem gesprochen. Umgekehrt hegen die Freien, die sich selbst als 'Nationale Sozialisten' bezeichnen und deren zentraler Slogan "Frei, Sozial und National"33 lautet, erhebliche Vorbehalte gegenüber "der rechtsreaktionären DVU des Immobilienhais und NS-Devotionalienhändlers Frey"34. Vor diesem Hintergrund stellt Voigt die umstrittene Frage "Integration 'Nationaler Sozialisten'?" (418) und inszeniert sich zunächst in einer kleinen Erzählung über sein Agieren gegenüber der Presse wiederum als derjenige, der es versteht, politisch geschickt zu handeln (419-427). Dann fährt er fort mit den Worten: "Ich sehe mich heute außerstande hier vorzutragen, wie oft ich oder die NPD in den letzten 30 Jahren als 'neonazistisch' diffamiert worden ist" (428ff.), um so 31 Aus Darstellungsgründen greift die Interpretation an dieser Stelle vor. Streng genommen wäre an dieser Stelle zunächst noch textimmanent zu verfahren, um die auftretenden Widersprüche später anhand von weiterem Material zu klären. 32 NATIONALZEITUNG 38/2000, zitiert nach ARCHIV-NOTIZEN des DUISBURGER INSTITUT FÜR SPRACH- UND SOZIALFORSCHUNG Oktober 2004: 19. An gleicher Stelle sind weitere entsprechende Äußerungen dokumentiert. 33 Nachzulesen etwa im Text "Über freien und autonomen Nationalismus" von Christian Worch, einem exponierten Vertreter dieser Fraktion (vgl. Kapitel 5.2): "Das Lied von André Lüders 'Frei, sozial und national' wurde zur Hymne und als Sprechchor auf Demonstrationen gleichzeitig zu einer Art Schlachtruf und Erkennungszeichen". Quelle: http://www.widerstand.info/meldungen/689.html [01.07.2006]. 34 http://www.die-kommenden.net/ [01.06.2007]. Die Internet-Seite DIE KOMMENDEN rechnet sich dem Spektrum eines 'Revolutionären Nationalismus' beziehungsweise 'Nationalen Sozialismus' zu (vgl. Kapitel 5.2), das Zitat stammt aus einem Kommentar zur Bündnispolitik der NPD ('Politische Wochenschau vom 18-24 September').

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zur Antwort auf die Frage zu kommen: "Die nationale Frage und die soziale Frage sind untrennbar miteinander verbunden [...]. Wir lassen es nicht zu, daß jeder der sich als 'Nationaler Sozialist' begreift als 'Neo-Nazi' diffamiert wird" (433ff.). Mit dem sloganartigen ersten Satz ist zunächst ein klares Signal zur weiteren Integration der 'Freien' gesendet, und mit dem zweiten werden diejenigen (Parteimitglieder und potenziellen Bündnispartner) durch ein adressaten-inklusives Wir integriert, die sich davon abgeschreckt sehen könnten. Letzteres wird mit der Argumentation fortgeführt, die Medien zielten darauf "Wähler zu beeinflussen" (436), die Bündnisfähigkeit der NPD mit "nationalliberalen und nationalkonservativen Kräften" (437f.) zu beschädigen und zu verhindern, "daß die Kräfte, die während des Verbotsverfahrens schon auf Distanz zur NPD gingen, nun etwa zur NPD kommen" (439f.). Unmittelbar darauf wird das "derzeit erfolgreiche Bündnis mit der DVU und ihrem Vorsitzenden Dr. Frey" (441f.) direkt angesprochen, bevor in allgemeinen Wendungen der Konflikt zwischen denjenigen benannt wird, die sich wechselseitig den Vorwurf machen, "einen bürgerlichen Anzug zu tragen" (453) oder aber "Glatzen[]" (454), das Signum der "Skinheadszene" (457). Dass mit den genannten Distinktionsmerkmalen einer ursprünglich von Arbeiterjugendlichen getragenen Subkultur und eines bürgerlichen Auftretens, ebenso wie mit den ideologischen Bezeichnungen 'nationale Sozialisten' und 'Nationalliberale und Nationalkonservative', auch ein sozialer Widerspruch artikuliert ist, sei zunächst nur am Rande vermerkt. Voigt selbst geht es primär um die konträren Bündnispartner, die er einbinden will und die er wechselseitig beruhigt, indem er – in der ersten Person – in Richtung der 'Freien' auf Großdemonstrationen und Richtung Frey auf ein 'besser werdendes' Äußeres verweist: "Wenn ich mir die letzten Großdemonstrationen oder auch Großveranstaltungen wie unser Pressefest ansehe, dann bemerke ich ein deutlich besser werdendes Erscheinungsbild und sehe zugleich immer mehr Mitdemonstranten und Veranstaltungsbesucher aus dem bürgerlich-nationalen Lager" (473ff.).

Der gesamte Schlussteil schließlich und damit der letzte Abschnitt, in dem die erste Person gehäuft und im Wechselspiel mit der zweiten eingesetzt wird (663704), ist noch einmal ein Plädoyer für die Bündnispolitik. Bemerkenswert ist zunächst, wie dabei ein weiterer heikler Punkt aufgegriffen wird, nämlich die hohe Durchsetzung der Partei mit V-Leuten des Verfassungsschutzes, die während des NPD-Verbotsverfahrens öffentlich wurde und die der formale Grund für die Einstellung des Verfahrens war: "[I]ch denke, daß nur wir uns selbst von den längst überfälligen politischen Erfolgen abhalten können. [...]. Ich spreche hier nicht gegen sachliche und konstruktive Kritik, sondern gegen Destruktivität, Fatalismus und persönliche Hetze, welche unnützen Streit und Mißgunst in unsere Reihen tragen. Wenn es noch V-Leute bei uns gibt, dann kenne ich bereits jetzt deren künftigen Auftrag, Neid zu säen und Mißgunst zu schüren [...]! Eine erkannte Gefahr ist nur

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noch eine halbe Gefahr und ich bin zuversichtlich, daß wir Nationaldemokraten diesen Herrschaften künftig nicht mehr so leicht auf den Leim gehen werden" (681ff.).

Damit ist das Thema V-Leute als potenzieller Kritikpunkt so abgehandelt, dass potenzielle Kritiker (von Voigts Linie insgesamt) selbst als "Feind im Innern" (685), als mutmaßlich eingeschleuste Spitzel und Provokateure gelten35. Zusammenfassend zeigt die Analyse der ersten Person Singular, dass sich der Redner gestützt auf Erfolge – die Gewinnung von Mitgliedern, Wählerstimmen und damit Posten und Finanzmitteln sowie das gescheiterte Verbotsverfahren – immer dort persönlich in Szene setzt und in direkten Dialog mit dem Publikum tritt, wo er auf strittige Punkte hinsichtlich der strategischen Ausrichtung der Partei unter seinem Vorsitz eingeht. So verteidigt er die 'betonköpfige' Ausrichtung auf eine Fundamentalopposition gegenüber einer pragmatischen Annäherung an die C-Parteien. Vor allem aber bearbeitet er die Widersprüche des offensichtlich prekären Bündnisses zwischen den bewegungsorientierten und subkulturell geprägten Freien Kräften auf der einen und der DVU als konkurrierender Partei auf der anderen Seite, die sich auf der Ebene der Selbstetikettierung als Gegensatz zwischen 'nationalen Sozialisten' und 'bürgerlichem Nationalliberalismus oder Nationalkonservatismus' äußern. Schließlich wendet er die Problematik der V-Leute, die letztlich für die gesamte Konfrontation mit dem Verfassungsschutzdispositiv bis hin zum Verbotsverfahren steht, gegen potenzielle interne Kritiker. 3.1.2.2 'Wir national gesinnten Deutschen': Die erste Person Plural Am Ende der Rede inszeniert sich Voigt, wie bereits angesprochen, als Führungsoffizier und führt die angesprochenen Konfliktpunkte in einem abschließenden Plädoyer zusammen. An dieser Stelle ist das Verhältnis von Redner und Publikum auch grammatikalisch präsent (1. und 2. Person Singular) und zugleich ist der Abschnitt symptomatisch für den Einsatz der ersten Person Plural: "Ich sah es heute als meine Pflicht an, Ihnen die Positionen und grundsätzlichen Überlegungen der Führung mitzuteilen, damit Sie dann über den weiteren Kurs der Partei entscheiden können. Mit unserer Bündnispolitik haben wir den gordischen Knoten durchschlagen. Jetzt muß die Parole heißen: 'Gemeinsam für unser Vaterland'. Das bedingt Vertrauen unter uns und zu dem gleichberechtigten Partner, der DVU. Die soziale und die nationale Frage sind untrennbar miteinander verbunden. Zeigen wir auf dem Parteitag die Einigkeit und Geschlossenheit, die man von einer neuen Kraft, die Ordnung schafft erwartet" (693-700, unterstrichen H.O.).

Die Delegierten, die zunächst im Gestus des Führungsoffiziers direkt als diejenigen angesprochen werden, die über den weiteren Kurs entscheiden können, 35 Der Einsatz dieses Verdachtes als Mittel der innerparteilichen Auseinandersetzung ist eine Konstante in der Geschichte der NPD (vgl. Hoffmann 1999: 90, 141, 212). Die Rolle von V-Leuten in der Partei (die teilweise in Absprache mit dem Vorstand für die Verfassungsschutzämter tätig waren), insbesondere der Schlüsselfiguren im gescheiterten Verbotsverfahren, haben Dietzsch/Schobert (2002) analysiert.

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werden anschließend mehrfach dem adressaten-inklusiven Wir subsumiert, das Voigts (Bündnis-)Politik unmittelbar zu 'ihrer' Politik macht. Diese Identifikation der Wir-Gruppe mit Voigts Position funktioniert spiegelbildlich zum vorher aufgebauten Generalverdacht, der potenzielle Kritiker als agents provocateurs aus der Wir-Gruppe ausschließt. Besonders deutlich wird dies in dem Satz 'Mit unserer Bündnispolitik haben wir den Gordischen Knoten durchschlagen'. Hier kann die erste Person wie an etlichen anderen Stellen der Rede auch sowohl inklusiv als auch exklusiv gelesen werden kann. Denn de facto ist es zunächst der bisherige Vorstand unter Voigt, der diese Bündnispolitik betreibt, wie unter anderem die entsprechende Verwendung eines adressaten-exklusiven Wir zeigt (s.u.). Dennoch liegt hier die inklusive Lesart nahe, da die nachfolgenden Stellen allesamt inklusiv zu lesen sind und damit den Appell zur Unterstützung dieser Politik untermauern. Mit der 'Parole: Gemeinsam für unser Vaterland' werden zunächst sowohl die Delegierten als auch die Bündnispartner zu einem großen nationalen 'Wir' zusammengezogen. Dazu werden noch einmal Botschaften an die verschiedenen Gruppen gesendet. Die Delegierten werden zum 'Vertrauen unter uns' aufgefordert, in Richtung der DVU wird die 'gleichberichtigte Partnerschaft' betont, als Signal an die 'Freien' wird die Parole 'die soziale und die nationale Frage sind untrennbar' wiederholt und darauf folgt noch einmal der direkte Appell an die Delegierten: 'Zeigen wir auf dem Parteitag Einigkeit und Geschlossenheit'. Diese Passage ist, wie gesagt, charakteristisch für den Einsatz der ersten Person Plural. Ein eindeutig adressaten-exklusives Wir kommt nur an zwei Stellen vor, an denen es einmal pronominal für den NPD-Vorstand und 'Freie Kräfte' (107) und einmal für die Vorsitzenden von NPD und DVU (671) steht. Damit ist es der grammatikalische Ausdruck der Bündnispolitik des NPD-Vorstandes unter Voigt. Dagegen ist das adressaten-inklusive Wir, wie der Strukturtabelle (Anhang I.2) leicht zu entnehmen ist, in jedem Teil der Rede dominant, wobei es meist auf die (Mitglieder der) Partei bezogen ist, stellenweise aber auch auf größere Einheiten ausgedehnt wird. Interessant sind zunächst die in der Tabelle (Anhang I.2) mit (?) markierten Stellen, an denen nicht eindeutig zwischen einem inklusiven Wir und dem exklusiven Wir des Parteivorstandes zu unterscheiden ist, wodurch dessen Entscheidungen, wie gesehen, unmittelbar zur Politik der Delegierten gemacht werden. Dementsprechend findet sich diese Präsentation von Vorstandsentscheidungen in der zur Identifikation einladenden Wir-Form gehäuft an den kritischen Stellen, die bereits durch das Wechselspiel zwischen erster und zweiter Person auffielen, also in den Teilen II.1, IV.2 und VI.2. Mit anderen Worten wird das Publikum an jeder Stelle, an der es durch den Redner direkt (in der zweiten Person) angesprochen wird, auch durch das adressaten-inklusive Wir mit ihm beziehungsweise seiner inhaltlichen Position, verschmolzen. Der Effekt dieses Stilmittels dürfte umso wirksamer sein,

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als das Publikum ohnehin durchgehend im inklusiven Wir der Partei angesprochen wird, so dass sich die distanzierte Frage, ob es gerade um exklusive Entscheidungen des Vorstandes geht, in der Redesituation kaum stellt. So wird dieses Mittel auch in Teil III der Rede eingesetzt, in dem es um das strategische Konzept geht. Darin heißt es einleitend "Unbeirrbar hielten wir an unserem strategischen Konzept [...] fest" (211f.) und es folgt der Hinweis auf die geplante Erweiterung um die Bündnispolitik ("Kampf um den organisierten Willen" (214)). Dieser Faden wird in III.2 wieder aufgenommen. Hier werden die Delegierten zunächst im Abschnitt 325-432 mit in die Verantwortung für eine Personalpolitik genommen, die ein negatives Medienecho fand: "Diffamierungskampagnen der Medien [... gegen] die von uns präsentierten 'Köpfe'" (334f.). In 356-366 wird das bisherige wahltaktische Agieren des Vorstandes resümiert (tendenziell exklusives Wir: 359, 362, 363) und es werden weitere Erfolge der Partei (tendenziell inklusives Wir: 364) "unter meiner Führung" (366) angekündigt. Und am Ende des Strategieteils (367381) wird wiederum die Bündnispolitik des Vorstandes als gemeinsames Projekt der Versammelten angesprochen: "Mit dem 'Leipziger Appell' begannen wir [...] den Versuch einer Konzentration möglichst aller nationalen Kräfte" (369ff.). Diese Präsentation seiner Politik in der Form des adressaten-inklusiven Wir der Partei, das die gesamte Rede dominiert, ist das zentrale strategisch eingesetzte Stilmittel des Redners. Wie aber an der Formulierung "unser Vaterland" (696) in der Schlusssequenz ebenfalls schon deutlich wurde, wird das adressaten-inklusive Wir nicht ausschließlich mit Bezug auf die NPD verwendet, sondern stellenweise auf größere Einheiten ausgedehnt, nämlich erstens die "national gesinnten Deutschen" (311), die unter anderem von NPD und DVU repräsentiert werden (vgl. 660ff.), und zweitens auf ein nationales Kollektiv insgesamt, das durch die folgenden Bezugspunkte aufgebaut wird: Volk (193, 199, 205, 255), Land (53, 205, 319, 636), Deutsche (138, 197, 309), Väter und Großväter bzw. Vorväter (76, 80, 201), Kinder (202), deutsche Geschichte (242), Vaterland (696) und schließlich Identität (200). Damit gleitet das Kollektiv, das mit dem adressaten-inklusiven Wir durch die gesamte Rede hindurch aufgebaut wird, zwischen drei Bestimmungen, von der größten Ebene des 'deutschen Volkes' über die Organisationen der 'national gesinnten Deutschen' hin zur NPD. Entsprechend wird die Identität, die der Redner zwischen seiner Position und der Partei herstellt, auf diese größeren Ebenen ausgedehnt und seine Politik legitimiert sich durch den Bezug auf sie: Der Wahlerfolg für die NPD ist ein "großartige[r] Erfolg für ein besseres Deutschland" (14), "Deutschland braucht [...] eine Partei" (53f.) mit "konsequent deutschem Programm" (48f.), die Wahl von Repräsentanten der 'Freien' in den Vorstand ist ein "Meilenstein auf dem Weg zu einer nationalen Volksfront" (113f.), bei "der Konzentration möglichst

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aller nationalen Kräfte" (370f.) "geht es um mehr als Geld und Posten", nämlich "um Volk und Vaterland" (380f.) und so weiter. Die Untersuchung der ersten Person Plural zeigt also insgesamt, dass der Redner seine politischen Optionen, die bereits bei der Untersuchung der ersten Person Singular deutlich wurden, überwiegend als gemeinsames Projekt der Angesprochenen präsentiert. Dabei wird das entsprechende Kollektiv schrittweise von den (delegierten) Mitgliedern der Partei über die (potenziellen) Bündnispartner der 'national gesinnten Deutschen' bis hin zur Identifikation dieser beiden kleineren Ebenen mit 'Volk und Vaterland' ausgedehnt. Wobei die Unterscheidung dieser Ebenen – ungeachtet der strategischen Wirksamkeit dieses Stilmittels – anzeigt, dass es gerade keine gemeinsame Identität gibt, dass die Politik des Vorstandes nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt, dass das 'nationale Lager' aus konkurrierenden Fraktionen besteht und dass dieses auf der Ebene des Nationalstaates selbst eine politische Option unter anderen darstellt. 3.1.2.3 'Der Gegner – das System': Die dritte Person Singular und Plural Neben den Organisationsnamen NPD und DVU erwiesen sich die Substantive Volk, Deutsche, Deutschland sowie die Adjektive deutsch und national, die zu den mit Abstand meistgebrauchten Worten der Rede gehören36, als zentrale Bestimmungen der Wir-Gruppe. Werden diese als Maßstab an die Bezugspunkte der Pronomen in der dritten Person angelegt, lässt sich ein großer Teil davon ebenfalls eindeutig der Wir-Gruppe zuordnen. Dadurch werden zum einen der Gruppe der 'national gesinnten Deutschen' noch weitere Bestimmungen hinzugefügt, die sie weiter konturieren. Dass die "Wähler" (22ff.) der NPD, der zur Partei gehörige "Verlag[] Deutsche Stimme" (60) oder der DVU-Vorsitzende Frey (663) mit ihr assoziiert sind, ist offensichtlich. Als Teilgruppe der "nationale[n] Politiker" (702) beziehungsweise als eine der "derzeitigen nationalen Parteien in der BRD" (632f.) werden aber auch "die Republikaner" (378) und – ohne Pronominalbezug – die "Deutsche[] Partei" (377) angesprochen. Ebenso zeigen sich noch einmal die nicht parteiförmigen Akteure, die bereits bei der Betrachtung der Konflikte auffielen, die der Redner im direkten Dialog mit dem Publikum anspricht, nämlich derjenige, "der sich als 'Nationaler Sozialist' begreift" (434) und die "jugendlichen bekennenden Deutschen" (466), die "durch ihr Äußeres der 'Skinheadszene' zugerechnet werden" (457), als Teil der 'nationalen' beziehungsweise 'bekennend deutschen' Gruppe.

36 Es findet sich jeweils folgende Anzahl von Verwendungen: NPD (49), Volk (35), Deutsche (26), Deutschland (26), DVU (16) sowie national (37) und deutsch (29). Unter Berücksichtigung von Komposita wie Volksgemeinschaft, Volksfront oder nationalliberal etc. würden sich die Zahlen noch weiter erhöhen.

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Zum anderen wird die nationale und damit allgemeinste Bestimmung der WirGruppe um die Identifikationspunkte "deutsche Landsleute" (452), "durch das System eingeschüchterte deutsche Menschen" (195f.), und nicht zuletzt "der deutsche Staat" (150f.) erweitert. Bei den restlichen Bezugspunkten der Personalpronomen in der dritten Person liegt nun die Vermutung nahe, dass sie per se nicht zu 'uns' gehören, zumal sich darunter die allgemeinen Bezeichnungen "die anderen" (404ff.) und "der Gegner" (349) finden. In diesem Zusammenhang zeigen sich vier bedeutsame Kategorien: 1. Herrschende im Sinne politischer Parteien und der Regierung: die Herrschenden (122, 146), herrschende BRD-Politiker (170), BRD-Regierung (181, 185), vaterlandslose Gesellen (204, 206), etablierte vaterlandslose Gesellen (81), etablierte Parteien (578), linke Volksfront bis zur CDU (635ff.), SPD (134ff.), CSU (68). 2. Medien: Medien (336), Medienmafia (339f.). 3. Ausländer: Ausländer (542), Chinesen und Türken (547), halbe Bevölkerung Istanbuls (602). 4. Juden: Berufsjuden (497ff.), Spiegel und Friedman (502f.). Wie ihre ausschließliche Nennung in der dritten Person vermuten lässt, stehen diese Gruppen explizit im Gegensatz zur Wir-Gruppe. So ist beispielsweise die Rede von Maßnahmen der "etablierten vaterlandslosen Gesellen [...] gegen uns" (80f.), von Spiegel und Friedman, die "sich stetig dazu berufen fühlen, uns Nationaldemokraten zu diffamieren" (502f.), sowie von den "uns feindlich gesonnenen Medien" (453f.). Mit Blick auf Ausländer heißt es: "Wir [...] wollen sie aber auf Dauer weder hier haben, noch integrieren" (546f.). Wie schon die Wir-Gruppe ist auch dieses Gegenüber mit einer Reihe überdurchschnittlich häufig und oftmals in Kombination gebrauchter Worte verknüpft. Neben den Substantiven BRD, Herrschende, Medien, Ausländer und dem Adjektiv etabliert, die explizit als Bezugspunkte der Pronomen vorkommen, sind dies vor allem die Worte System und Gesellschaft37. Diese werden im Verlauf der gesamten Rede als Gegensätze zu denjenigen gebraucht, welche die Wir-Gruppe bestimmen, beispielsweise in der Gegenüberstellung "von unserem Volk", dem "Deutschen Volk" und "der Wohnbevölkerung der BRD" (193f.). Darüber hinaus werden sie durch eine Vielzahl von Kombinationen in nahezu synonyme Bezeichnungen eines Gesamtkomplexes verwandelt. Exemplarisch dafür sind etwa die fließenden Übergänge von den "etablierten Parteien" (24, 578) zu den "etablierten Herrschaftskreise[n]" (465), den "Herrschenden des BRD-Systems" (143), den "Systemmedien" (439, 478, 482, 684), der "vom System produzierten kaputten 37 Unter doppelter Zählung von Komposita wie BRD-System finden sich jeweils die folgende Anzahl von Nennungen: BRD (17), System (14), etabliert (11) Medien (10), Ausländer (10) Gesellschaft (8) und Herrschende und herrschend (5 und 2).

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BRD-Gesellschaft" (460f.) und schließlich zur "multikulturelle[n] Gesellschaft" (23, 188, 197, 533, 550). Ausgehend von den Bestimmungen der Wir-Gruppe und den davon unterschiedenen Bezugspunkten der Pronomen in der dritten Person zeigt sich damit der zentrale Gegensatz, der die gesamte Rede bestimmt, nämlich die Gegenüberstellung der Wortreihen 'Volk, Deutschland, Deutsche, national, ...' auf der einen und 'Herrschende, BRD, Ausländer, etabliert, ...' auf der anderen Seite. Spiegelbildlich zur Identifikation seiner Position mit der positiv besetzten Seite dieser zentralen Dichotomie, die bei der Betrachtung der ersten Person Plural deutlich wurde, bindet der Redner auch das negative Gegenüber strategisch in die Präsentation seiner Politik ein. Beispielhaft dafür ist der Abschnitt IV.2, in dem die Medien durchgehend38 als Konterpart der Bündnispolitik aufgebaut werden. Wer diese nicht mitträgt, prolongiert demnach einen von außen "bewusst manipulierte[n] Gegensatz" (476) und sitzt damit einer "schändliche[n] Herrschaftstechnik" (559) der "etablierten Herrschaftskreise" (465) auf. Ein anderes Beispiel für diesen strategischen Einsatz findet sich im Schlussteil (VI.2), in dem appelliert wird "zu zeigen, daß es politische Kräfte jenseits des herrschenden Lobbyismus gibt, die bereit sind, ihre persönlichen oder gruppenegoistischen Interessen zum Wohle des Ganzen zurückzustellen" (642ff., unterstrichen H.O.). Anhand von Signalworten wie national oder herrschend kann der größte Teil der Personalpronomen in der dritten Person den Kategorien adressaten-inklusiv und exklusiv eindeutig zugeordnet werden. Unter den übrigen Fällen, bei denen ein solches Signalwort fehlt, finden sich zunächst einige, die sich aus dem Kontext ebenfalls recht eindeutig einem der beiden Pole zuordnen lassen. So ist klar, dass "Reemtsma" (72) als Vorstand des Hamburger Instituts für Sozialforschung, das die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" ("volksverhetzende Schau [...] gegen die Ehre des deutschen Soldaten" (72f.)) erarbeitet hat, nicht zur Wir-Gruppe zählt. Eindeutig ist auch, dass das argentinische "Währungssystem" (308) und die "Türkei" (615) keinerlei Bezug dazu haben, zumal letztere im entsprechenden Abschnitt (VI.1) explizit von den "Kulturen und Völker[n] Europas" (623) unterschieden wird. Ebenso ist 'ein Unternehmer, der einen Ausländer beschäftigt' (vgl. 539f.), relativ klar von der eigenen Position unterschieden ("dann soll der diesen künftig auf seine Kosten privat versichern" (540)). Dass auch die "gegenwärtige parlamentarische Demokratie" (516) und das "Parlament" (520) selbst – im Gegensatz zum 'deutschen 38 Vgl. die folgende Reihe: "Presse" (419), "Propagandaküchen der Medien" (428), "Propagandamaschine" (430), "Propagandaabteilungen der Systemmedien" (438f.), "man" (441, 445), "Argumente der uns feindlich gesonnenen Medien" (453f.), "die Medien" (462) und "der Ausgrenzungsmechanismus der Systemmedien" (476).

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Staat' im Allgemeinen (s.o.) – der Gegenseite zugerechnet werden müssen, zeigt sich unter anderem an der Kennzeichnung 'gegenwärtig', da der Abschnitt (504530) insgesamt die "Forderung nach Systemüberwindung" (504) begründet. Dagegen sind "der Preußische Staat" (251) und die symbolischen "Lichtgestalten, welche meist in düsterer Zeit aus dem Volk hervortraten" (242f.), als Teil 'unserer deutschen Geschichte' (vgl. ebd.) eindeutig positive Bezugspunkte. Ebenso ist die Figur "political correctness" (320, 399, 490) eindeutig der Gegenseite zugeordnet, so dass 'diejenigen, die nicht bereit sind, sich ihr anzupassen' (vgl. 406f.), der eigenen Seite zuzurechnen sind. Bei einer letzten Gruppe von Pronomen ist keine eindeutige Zuordnung möglich. So bleiben "die bislang als BRD-Eliten gehandelten 'Köpfe" (397), die Voigt zustimmend zitiert (vgl. 273-321 und 415ff.), darunter "Oskar Lafontaine" (284ff.), ambivalent. Einerseits sind sie als BRD-Elite den anderen zuzuordnen, andererseits werden bestimmte Aussagen von ihnen als die eigenen in Anspruch genommen. Diese Ambivalenz, die keine eindeutige Zuordnung der Pronomen und ihrer Bezüge erlaubt, ergibt sich aus der argumentativen Funktion der Zitate. Zum einen wird das Prestige der Zitierten für die eigene Position in Anspruch genommen, so verwandelt sich hier auch ein 'Systemmedium' in ein "renommierte[s] Magazin" (275). Zum anderen werden sie aber als Symptom für "revolutionäre Veränderungen" (314f., vgl. 354-366) beschrieben, die sich "selbst in der derzeitigen alten BRD-Elite" (273f.) ankündigen. Wie im Falle der parlamentarischen Demokratie (s.o.) verläuft die Trennung zwischen den beiden Seiten entlang einer zeitlichen Bestimmung: Während die andere Seite mit den Worten 'bislang, derzeitig, alt' gekennzeichnet ist, steht die eigene für das (revolutionär) Neue und die Zitate stehen genau an der Schnittstelle. Ähnliche Schwierigkeiten macht die Zuordnung des Pronomens, das sich gleichzeitig auf NSDAP und SPD bezieht (132). Diese werden im Zusammenhang mit dem NPD-Verfahren als historische Beispiele zunächst verbotener und später erfolgreicher Parteien angeführt und suggerieren damit künftige Erfolge der eigenen Partei. Die Schwierigkeit in der Zuordnung liegt darin, dass zwar die SPD als 'etablierte Partei' fraglos der Gegenseite zugeordnet werden kann, dass aber andererseits ein positiver Bezug zur NSDAP in der Rede offengehalten wird. Bei der folgenden Gruppe von Pronomen schließlich liegt die gemeinsame Schwierigkeit der Zuordnung nicht im argumentativen Zusammenhang, sondern auf einer allgemeineren Ebene, nämlich im Fall der Bezugspunkte "die Bürger" (185), "die Massen" (240), die "Personen, denen die NPD bisher egal ist" (326), die "Zielgruppen" (395) und "die ALG-II-Empfänger" (654). Diese Begriffe liegen per se zwischen den Polen der zentralen Dichotomie. Denn bei ihnen handelt es sich jeweils um mehr oder weniger spezifizierte Synonyme des Volkes im demokratietheoretischen Sinne des Wortes, also um Bezeichnungen für diejenigen,

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um deren ideologische Einbindung, Mobilisierung und Repräsentation alle politischen Gruppen konkurrieren, die NPD und die anderen Fraktionen des 'nationalen Lagers' ebenso wie die vielfältigen Positionen, die hier zur 'linken Volksfront' beziehungsweise 'dem System' als großem Antipoden zusammengezogen werden. Anknüpfend an die Ergebnisse der Betrachtung der ersten Person Plural hat die Untersuchung der Pronomen in der dritten Person vor allem eine streng dualistische Grundstruktur der Rede offenbart, deren zentraler Gegensatz zwischen dem 'Volk' auf der einen und dem 'System' auf der anderen Seite besteht. Bezugspunkte des Volkes sind 'wir Deutschen, unser (Vater-)Land, unsere Vorväter, unsere Kinder, unsere 1200jährige Geschichte, unsere Identität und der deutsche Staat', während das 'System' mit Funktionsträgern der parlamentarischen Demokratie, den Medien sowie Ausländern und schließlich Juden assoziiert ist. Spiegelbildlich zur Identifikation mit dem 'Volk' setzt der Redner seine politischen Optionen – Fundamentalopposition und Bündnispolitik – gegenüber dem System in Szene. Das 'nationale Lager' und insbesondere die NPD erscheinen als Repräsentanten des Volkes gegenüber den Vertretern des Systems ('dem Gegner'). Zwischen beiden Polen herrscht ein unüberbrückbarer Gegensatz, der nur im Sinne revolutionärer Veränderung – der Ersetzung des 'derzeitigen Alten' durch 'Neues' – möglich ist. Ambivalenzen zeigen sich allerdings dort, wo die 'Masse der Bürger' (im Gegensatz zum proklamierten Vertretungsanspruch) als 'Zielgruppe' angesprochen wird und wo auf politische Entwicklungen Bezug genommen wird, die (angeblich) mit den eigenen Zielen übereinstimmen. 3.1.3 Zwischenresümee: Der Antagonismus und das nationalistische Feld In einen theoretischen Begriff übersetzt hat die Untersuchung der Personalpronomen die Struktur der textimmanenten Anrufungen freigelegt, das heißt das spezifische Angebot an die Rezipienten, sich in einer bestimmten Art und Weise als Subjekte wahrzunehmen und sich damit zugleich in den sozialen Verhältnissen, in denen der Text verfasst beziehungsweise die Rede gehalten wurde, zu verorten (vgl. Kapitel 2.2.4). Die Verwendung des adressaten-inklusiven Wir hat dabei ergeben, dass die entsprechenden Identifikationspunkte in der Rede zwischen drei verschiedenen Ebenen gleiten, nämlich dem 'Deutschen Volk' (a), der Gruppe der 'national Gesinnten' (b) und der NPD (c). (a) Das 'Deutsche Volk': Auf der abstraktesten Ebene wird das 'Volk' dem 'System' entgegengestellt. Das Volk wird durch die Punkte, auf die pronominal (auch) in der ersten Person Plural Bezug genommen wird, näher bestimmt (Nation, Deutsche, etc.), das System durch die Attribute, auf die ausschließlich Pronomen in der dritten Person bezogen sind (Ausländer, Etablierte etc.). Wiederum in theoretische Begriffe übersetzt bilden diese beiden Reihen von 'Elementen' zwei 'Äquivalenzketten', deren Gegenüberstellung

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{Volk, Deutschland, national, Deutsche, ...} / {System, BRD, etabliert, Ausländer, ...} den zentralen Antagonismus konstituiert, der die Rede fundamental strukturiert (vgl. Kapitel 2.2.1). Insgesamt werden die Rezipienten durch das antagonistische Grundmuster, dessen inhaltliche Komponenten im folgenden Kapitel genauer untersucht werden, beständig als "Kämpfer für ein besseres Deutschland" (8) gegen das "BRD-System[]" (511) angerufen. Dementsprechend mündet die strikte Dichotomie zwischen 'Deutschland' und der 'BRD' – die unter anderem in zeitlichen Attributen wie 'derzeit' gegenüber 'neu'39 durchgehenden präsent ist – in die "Forderung nach Systemüberwindung" (504) und die Projektierung einer "nationalen Revolution" (485) beziehungsweise "nationale[n] Erneuerung" (472). Die diskursive Praxis, durch die solche Anrufungsstrukturen – die letztlich jeder Text, mehr oder weniger offensichtlich und in unterschiedlicher inhaltlicher Ausprägung enthält – hergestellt werden, besteht wesentlich in der Bearbeitung vorgefundener Bedingungen, in der selektiven Bezugnahme auf bestimmte Elemente, in Verschiebungen von Bedeutungen und ähnlichen Verfahren. Die ambivalenten Personalpronomen, die weder dem einen noch dem anderen Pol zugeordnet werden können, sind eine der unvermeidbaren Spuren dieser Prozesse, eine der Lücken, die sie hinterlassen. Die Zitate, die zur Untermauerung des Antagonismus zwischen 'uns' und den 'anderen' ausgewählt werden, widersprechen ihm zugleich, insofern sie die Zitierten in die Schwebe zwischen seine beiden Pole rücken. Für einen Moment werden 'Systemmedien' in 'renommierte Magazine' und 'BRD-Eliten' in 'Tabubrecher' verwandelt. Ebenso zeigt die Benennung der 'Zielgruppen' die Lücke, die zwischen 'Massen', 'Bürgern' oder 'ALG-II-Empfängern' und ihrer permanenten Eingliederung in die Kette des 'Deutschen Volkes' klafft. Das heißt nicht, dass der Text oder der Diskurs, dessen Bestandteil er ist, widersprüchlich ist. Insofern die antagonistische Grundstruktur beständig präsent ist, ist er auf der entscheidenden Ebene der Anrufungen, die keineswegs logisch widerspruchsfrei sein muss, im Gegenteil hochgradig konsistent (vgl. Laclau 1981: 89f.). Aber es besteht eben keine Identität zwischen 'den Massen' und 'dem Volk', sondern der Antagonismus zielt darauf, diese herzustellen, indem er die 'ALG-II-Empfänger' und andere Positionierungen 'in der Masse' beständig als 'Teilchen des Volkes und Gegner des Systems' anspricht und die Individuen einlädt, sich entsprechend zu identifizieren. (b) Die 'national Gesinnten': Solche Lücken klaffen zwischen allen drei Ebenen der Anrufung, die in der Rede präsent sind. Einerseits setzt die Eingliederung in 39 Die folgenden Stellen rufen diesen Gegensatz zwischen 'derzeit' (26, 254, 273, 528) und 'neu' (40, 255, 266, 272, 312, 699) auf.

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die Wir-Kette das 'Volk', das 'nationale Lager' und schließlich die NPD identisch, andererseits zeigt die notwendige Unterscheidung dieser Ebenen, dass es diese Identität gerade nicht gibt, dass sie vielmehr durch die gleitenden Anrufungen hergestellt werden soll. So erscheint das nationale Lager zwar insgesamt als Repräsentant des 'Volkes' gegenüber dem System, zugleich sind aber zahlreiche miteinander verwobene interne Fraktionierungen und Konfliktfelder zu erkennen: • In diesem Zusammenhang wurden die gegensätzlichen Optionen einer 'konsequent deutschen' Fundamentalopposition – für die der 'Betonkopf' Voigt steht – gegenüber einer pragmatischen 'Annäherung an die C-Parteien', also die Konservativen, deutlich. • Weiterhin zeigt die Betonung, dass es bei den jeweiligen Bündnissen nicht um 'Übernahmen', sondern um 'gleichberechtigte Partnerschaft' gehe, eine Organisationskonkurrenz mit unterschiedlichen Ausprägungen. • Auf der parteipolitischen Ebene, auf der die DEUTSCHE VOLKSUNION (DVU), die REPUBLIKANER (REP) und die DEUTSCHE PARTEI (DP) genannt werden, äußerst sich dies in einer Wahlkonkurrenz mit dem Ergebnis, "daß keine der derzeitigen nationalen Parteien in der BRD von sich aus [...] wirksamen politischen Einfluß und gestalterische Macht" (632ff.) erlangen konnte. • Daneben wurde der Konflikt zwischen Partei- und Bewegungsorientierung an den 'Vorbehalten der Freien' gegen die zeitweilige Einschränkung von Demonstrationen deutlich. • Darin zeigte sich zum Teil auch ein Generationenkonflikt zwischen denjenigen, die den "Kampf um die Straße" favorisieren, der "gerade bei Jugendlichen" (344) vor allem aus der subkulturellen RechtsRock-Szene ankommt, die aber auf Vorbehalte aus Teilen der älteren Generation, etwa des DVUVorsitzenden, stößt. • Schließlich ist mit der Fraktionierung in 'Nationalliberale und Nationalkonservative' im 'bürgerlichen Anzug' und den 'nationalen Sozialisten', die sich tendenziell mit dem Gegensatz zwischen älteren Parteiorientierten und jugendlichen Bewegungsaktivisten deckt, ein sozialer Widerspruch artikuliert. (c) Die NPD: Wie bereits an der Zusammenfassung der einzelnen Abschnitte deutlich wurde, besteht der zentrale Inhalt der Rede letztlich in der Bearbeitung dieses widersprüchlichen Feldes. In diesem Zusammenhang erklärt sich die Dominanz der Personalpronomen, welche die Parteimitglieder als solche anrufen, nicht alleine aus der durch das Parteitagsritual definierten Redesituation. Entscheidend ist vor allem ihr strategischer Einsatz in diesem institutionellen Rahmen, als Mittel zur alternativlosen Präsentation und weiteren Durchsetzung der Politik des amtierenden Vorstandes. Das Gleiten zwischen den verschiedenen Ebenen der Anru-

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fung ist wesentlich auf die Durchsetzung von dessen Option gerichtet, nämlich einer fundamentaloppositionellen Ausrichtung und der darauf basierenden Initiierung von Bündnissen, insbesondere mit der Bewegungsfraktion der 'Freien Kräfte' und der DVU. Der stufenweise Aufbau eines kollektiven Wir von der Partei über das 'nationale Lager' der potenziellen Bündnispartner hin zum 'Deutschen Volk' überdeckt die Widersprüche und Konkurrenzen auf der jeweiligen Ebene und schreibt mit der Abgrenzung zum 'System' auf der höchsten Ebene zugleich die fundamentaloppositionelle Ausrichtung fest. Zudem wird dieser Antagonismus gezielt zur Bearbeitung einzelner Konfliktpunkte eingesetzt, wie der Aufbau der Systemmedien als gemeinsamer Antipode der unterschiedlich ausgerichteten Bündnispartner in Teil IV.2 oder die Berufung auf 'Volk und Vaterland' am Ende des Strategieteils exemplarisch gezeigt haben. Vor dem Hintergrund dieser strategischen Ausrichtung der Rede erklären sich auch die auf den ersten Blick so merkwürdigen thematischen Exkurse. Die Ausführungen zur Europäischen Union und der Agenda 2010 in Teil II.2, zur deutschen Geschichte in Teil III.1 und die 'Begriffsklärungen' in Teil V, die mit dem Thema Globalisierung enden, das dann in VI.1 weitergeführt wird, wiederholen allesamt bekannte Grundpositionen der Partei, die zum Teil wörtlich aus dem Parteiprogramm übernommen werden40. Sie dienen damit kaum der Bearbeitung aktueller politischer Fragen, sondern vor allem dem Aufbau des Antagonismus und damit des kollektiven Wir, unter dessen Dach die internen Widersprüche bearbeitet werden. In allen drei Blöcken wird das komplementäre Bild des "untergehenden Systems" (130, vgl. 265, 504ff.) und der "Nationalen Revolution" (484, vgl. 314f.) gezeichnet, um abschließend Erfolgsaussichten einer fundamentaloppositionellen Strategie zu präsentieren: "[W]ir sind wieder da und viel stärker als vor dem Versuch uns zu verbieten!" (208f.) "Die Wähler in Sachsen und Brandenburg haben [...] gezeigt, daß die Zeit in Deutschland jetzt reif ist für revolutionäre Veränderungen" (313ff.). "Der Weg in den Bundestag ist damit vorgezeichnet" (581). Dabei wird zugleich ein unmittelbar mit dieser strategischen Ausrichtung verbundenes Thema behandelt, das in der gesamten Rede präsent ist und nicht zuletzt die Exkurse II.1 und V entscheidend prägt, nämlich der mit dem Stichwort Verbot und der oben betrachteten V-Leute-Problematik bereits angeklungene taktische Umgang mit dem Verfassungsschutzdispositiv. Analog zur Funktion der thematischen Exkurse erklärt sich auch das Geheimnis des inhaltlich völlig bezugslos bleibenden Parteitagsmottos. In der Einleitung wird es als Beispiel "für Werte und Begriffe, die [...] den derzeit noch Herrschenden nichts bedeuten" (25), eingeführt. Als solches steht es auch am Ende des Textes, 40 Die Zeilen 553f und 561 bis 66 stimmen wörtlich mit Teilen von Abschnitt "5. Die raumorientierte Volkswirtschaft" des Parteiprogramms überein (NPD 1997: o.S.).

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nämlich als letzter Satz des Schlussappells zur Unterstützung des Vorstands, in dem auch noch einmal das Bild der bevorstehenden nationalen Revolution (Ende der Nachkriegszeit, begonnener Aufbruch) und der Gegensatz {etabliert, geldgierig} / {national, dem Volk verpflichtet} bemüht werden: "Die Nachkriegszeit muß ein für allemal beendet werden. Deutschland braucht nationale Politiker, die sich dem Volk gegenüber verpflichtet fühlen und nicht ihrem Geldbeutel. Unterstützen Sie den begonnenen Aufbruch in Deutschland. Stellen Sie heute die Weichen für eine Politik, die unser heutiges Parteitagsmotto treffend beschreibt, für: Arbeit – Familie – Vaterland!" (701-705, Hervorhebung i.O. fett).

Das Motto dient also allein dazu, den Wir-Pol und damit die gesamte dualistische Grundstruktur aufzurufen. Dieses Potenzial einer schlichten Reihe von drei Schlagworten verdeutlicht die hohe – subjektive, nicht logische – Kohärenz der Anrufungsstruktur, zumal in einem institutionellen Rahmen, der die entsprechende Vorstrukturierung der Anwesenden garantiert 41 . Zugleich zeigt die Schlusssequenz einmal mehr, wie der Redner seine politischen Optionen strategisch in diesen diskursiven Rahmen einzuschreiben versteht. Der Bericht über Voigts Rede in der folgenden Ausgabe der NPD-Zeitung DEUTSCHE STIMME gibt die zuletzt zitierte Schlusspassage komplett wieder und endet darauf mit den Worten: "Die so angesprochenen Delegierten und Gäste reagierten mit langanhaltendem, starkem Applaus und der klaren Botschaft an die versammelten Medienvertreter: 'Deutschland, wir kommen!'" (DS 11/2004: 12) Auf der gleichen Seite ist zu lesen, dass "der allergrößte Teil der Delegierten voll und ganz hinter dem Kurs ihres alten und neuen Vorsitzenden Udo Voigt steht. Mit rund 87 Prozent Ja-Stimmen sprachen sie ihm ihr Vertrauen aus" (ebd.). Nachzulesen ist auch, dass Thorsten Heise – in der Rede als Vertreter der Freien vorgestellt – nun dem Parteivorstand angehört, während der "ehemalige NPD41

Das Milieu beziehungsweise das institutionelle Umfeld, in dem diese Parole ihre Wirkung entfalten kann, geht allerdings weit über den engen Kreis der NPD und ihrer unmittelbaren Bündnispartner hinaus, wie ein Artikel aus dem Tagesspiegel vom 30.11.2006 zeigt. Darin wird berichtet, dass der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche nach Angaben eines anderen CDU-Mitgliedes auf einer Veranstaltung gesagt habe, "man brauche den Patriotismus, 'um endlich vom Schuldkult runterzukommen' – und damit 'Deutschland nie wieder von Multikultischwuchteln in Berlin regiert wird'". Weiter heißt es, "Nitzsche hat der CDU schon mehrfach Ärger bereitet. [...] Im Sommer 2005 fiel Nitzsche auf, als er mit der Parole 'Arbeit, Familie, Vaterland' in den Bundestagswahlkampf zog. Dasselbe Motto hatte auch das französische Vichy-Regime propagiert, das mit den Nazis kollaborierte und tausende Juden auslieferte. Auch diesmal hagelte es Kritik, doch Nitzsche blieb stur – und wurde sogar wieder in den Bundestag gewählt". Die gleiche Parole funktioniert also im Rahmen des Vichy-Regimes, des Bundesparteitages der NPD 2004 und des Bundestagswahlkampfes eines CDU-Abgeordneten im Jahre 2005. Die JUNGE FREIHEIT zählte Nitzsche nach der Bundestagswahl 2005 zu den 16 letzten Konservativen im Bundestag (vgl. Martin Dietzsch: Die extreme Rechte und die Bundestagswahl 2005, In: DISS-Journal 14 (2005), 10) und die NPD hat ihn nach dem Skandal 2006 zum Übertritt aufgefordert (vgl. taz vom 01.12.2006).

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Vorsitzende Günter Deckert, der den Kurs der Parteiführung in den letzten Jahren zumeist kritisch begleitete, [...] in einer persönlichen Erklärung auf eine Kandidatur" (ebd.) verzichtete. Dem Bericht eines unabhängigen Journalisten über den Parteitag ist einer der Hintergründe zu entnehmen: "'Mit denen setzt sich die NPD nur Läuse in den Pelz' meinte er [Deckert] zu den Kameradschaftsführern"42. Das Parteiorgan schweigt sich dazu aus, berichtet aber ausführlich über den Auftritt des DVU-Vorsitzenden: "Weil die Machthaber alles tun würden, um den Aufstieg nationaler Kräfte zu unterbinden, appellierte Dr. Frey, alles zu unterlassen was den Anschein von 'Neonazismus' erwecken könne. [...] Weil das Bündnis zwischen NPD und DVU so erfolgreich sei, solle es nach dem Willen der antideutschen Kräfte baldmöglichst zerschlagen werden. Man habe mit allem zu rechnen, natürlich auch wieder mit eingeschleusten V-Männern, üblen Provokationsagenten also. Insofern gelte es besonders umsichtig und vernünftig zu handeln" (DS 11/2004: 13).

Der Aufmacher auf der Titelseite schließlich steht unter der Überschrift "Nationale Volksfront im Aufwind" und zeigt ein Foto von Voigt, Frey und dem stellvertretenden NPD-Vorsitzenden Apfel, die sich an den erhobenen Händen halten, mit der Unterschrift: "Mit 'Hoch die nationale Solidarität'-Rufen feierte der Parteitag die nationale Einheitsfront" (ebd.: 1). Ein weiterer journalistischer Beobachter resümiert: "Auf diesem Parteitag gelang Voigt das Kunststück, die NPD in zwei entgegengesetzte Richtungen zu öffnen, zur nationalpopulistischen DVU ebenso wie zu militanten Neonazis. Damit ist die extreme Rechte geeint wie nie zuvor; und viele fragten sich, wie Voigt das hinbekommen hat" (Staud 2005: 24). Der Machteffekt des analysierten Diskursfragmentes (das die sprachlichen Mittel der taktischen Ausrichtung im Vorfeld des Parteitages verdichtet) ist ein zentraler Mosaikstein zur Beantwortung dieser Frage. Anknüpfend an die Zwischenergebnisse werden im weiteren Verlauf dieses Kapitels zunächst die Elemente der antagonistischen Grundstruktur und die damit verknüpften Themen, mit anderen Worten das Aussagefeld der NPD, in dessen Rahmen die Rede ihre Wirkung entfaltet, genauer untersucht. Zentraler Bezugspunkt bleibt dabei das Redemanuskript, ergänzend wird aber weiteres Material, insbesondere die bereits zitierte Ausgabe der DEUTSCHEN STIMME (11/2004) und das NPD-Parteiprogramm herangezogen. Die Fraktionierungen des 'nationalen Lagers' werden später in den Kapiteln 5.2 und 5.3 sowie 6 wieder aufgenommen, in denen untersucht wird, wie sich der nationalistische Diskurs aus der Position anderer involvierter Akteure darstellt. 3.2 Volk gegen System Das vorherige Kapitel hat den Antagonismus freigelegt, der die Rede von Voigt fundamental strukturiert. Nicht nur die zum Ausgangspunkt genommenen 42

Andreas Speit: "Es zählt, was eint" In: Der rechte Rand Nr. 92 (2005): 7.

3.2 Volk gegen System

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Personalpronomen, sondern auch eine Reihe von Adjektiven, wie national/etabliert und insbesondere zeitliche Bestimmungen wie derzeit-alt/neu-künftig, folgen einer streng binären Logik und rufen die Rezipient*innen permanent als Subjekt einer 'Nationalen Revolution' gegen das 'BRD-System' an. Dieser Effekt wird durch die Kollektivsymbolik noch weiter verstärkt. Zunächst ist bemerkenswert, wie der Antagonismus auf der bildhaften Ebene der Symbole (unabhängig vom jeweiligen inhaltlichen Zusammenhang) ein weiteres Mal akzentuiert wird. So ist unter anderem die Symbolkette {Ende (265), kaputt (461), marode (573), untergehen (130), Nacht (254) und Kollaps (573)} auf das 'System' bezogen, während die nationale Wir-Gruppe mit den komplementären Elementen {Anfang (265), Erneuerung (472), reif (300, 314), Aufbruch (703) Lichtgestalten (255) und aufwachen (261)} verknüpft ist. Insgesamt malt diese Symbolik das Bild eines zyklischen Prozesses, der kurz vor der Wende (27, 243) beziehungsweise dem Umbruch (681) steht43. Dabei ist das 'System' mit den Bildern der absteigenden Phase – mit anderen Worten, der 'Dekadenz' – gekoppelt, die 'nationale Wir-Gruppe' dagegen mit der aufsteigenden Phase und der Wendepunkt markiert dabei die 'nationale Revolution'. Die suggestive Wirkung der Symbolik – ihr spezifischer Anrufungseffekt – ist nicht primär in den einzelnen Bildelementen begründet. Entscheidend ist gerade der Umstand, dass die Symbole als solche zu einem weithin geteilten gesellschaftlichen Orientierungswissen gehören, auf dem der Redner aufbaut, um die einzelnen Elemente gemäß seiner politischen Position anzuordnen. Dies kann exemplarisch an den Picturae aus dem Bereich des Verkehrs verdeutlicht werden. So gehört die Imagination der Gesellschaft als Auto, Schiff, Flugzeug etc. mit der entsprechenden Symbolisierung politischer Entscheidungen als Steuerung (Wende, Kurshalten, etc.), die 'uns' aus der Sackgasse führt, beziehungsweise vor dem Untergang oder dem Absturz bewahrt, zum Standardrepertoire des Kollektivsymbolsystems der Bundesrepublik (vgl. Link 1990: 16ff.). In der Rede wird mittels dieses Symbolkomplexes allerdings ein besonderes Bild gezeichnet: "Die Zeichen stehen [...] auf Sturm" (309), die BRD wurde mangels "Gegensteuerung" (576) in eine "ausweglose Lage" (570) manövriert, "Einwanderungsströme" (628) dringen ein, "Finanzchaos" (167) bricht aus und "das letzte Mittel eines untergehenden Systems" (130) wird aufgeboten, während 'wir' das ganze von einem anderen Schiff aus beobachten, um in "Zukunft in die richtige Richtung zu steuern" (311). Dass diese Zitatmontage, die der bildhaften Seite, der über den Text verteilten Symbole folgt, tatsächlich das zentrale Motiv erfasst, das die entsprechenden Stellen insgesamt konnotieren, zeigt ein Kommentar Voigts in der folgenden Ausgabe 43 Technisch gesprochen bilden die Symbole insgesamt eine symbolische Prozess-Topik (vgl. Drews u.a. 1985: 269).

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der Deutschen Stimme: "Es ist unglaublich, aber die REP-Führung will wirklich noch an Bord des absaufenden BRD-Schiffs klettern. Wir werden dem Treiben vom neuen Schiff Deutschland in sicherer Entfernung zusehen, um nicht selbst in den Sog des Niedergangs zu geraten. Dann wird ein neuer deutscher Kurs angesteuert" (DS 11/2004: 2). Auf diese Weise verbindet sich die geläufige Symbolisierung des politischen Systems als Schiff mit der antagonistischen Grundstruktur der Rede. Die Rezipienten werden in einem neuen Schiff – einem Gegen-System – verortet, so dass sich auch die Bedeutung der geforderte "Wende" (27) von einer Alternative innerhalb des Systems zur Systemalternative verschiebt. Ein weiteres Symbol für diesen absoluten Bruchpunkt ist die militärische Front, die zusammen mit etlichen weiteren Picturae aus dem militärischen Bereich einen apokalyptischen Kampf zwischen den beiden Polen des Diskurses inszeniert und damit die heroische Anrufung der "Kämpfer für ein besseres Deutschland" (8) verstärkt. So steht die Volksfront der Wir-Gruppe (114, 450, 661), verknüpft mit {Ausweichmanöver (92), Freiheitskampf (226), entsenden (30f.), erobern (365)} gegen die Volksfront des Systems (635), mit den Attributen {Propagandaabteilungen (438), Waterloo (284), schutzlos ausliefern (639) und Kollaboration (218)}44. Insgesamt sind Picturae, die aus dem Bereich des Militärs stammen oder ihn zumindest konnotieren, überaus dominant in der Rede (s.u. Kapitel 3.2.5). In diesen symbolischen Bereich fällt auch die Selbstinszenierung des Redners als Offizier, deren strategischer Einsatz im vorherigen Kapitel herausgestellt wurde. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass es sich dabei – oder bei der Symbolik insgesamt – nur um einen rein rhetorischen Trick handelt. Interessant ist vielmehr, dass gerade diese Präsentationsform gewählt wird, dass sie innerhalb des Diskurses funktioniert und inwieweit sie dem Habitus des ehemaligen Bundeswehroffiziers Voigt (und dem seines Publikums) entspricht: "Voigt sagt, was er bei der Bundeswehr gelernt habe nütze ihm heute sehr, Strategien der Menschenführung etwa oder Lageanalyse [...]. Das Soldatische geht bei Voigt ins Detail: Als zum Abschluss des NPD-Parteitages in Leinefelde alle drei Strophen des Deutschlandliedes gesungen wurden, [...] stand er kerzengerade, exakt nach Bundeswehr-Vorschrift, die Hände an der Hosennaht, die Fäuste leicht geballt" (Staud 2005: 23f.).

Dieses Ritual wird auch in der Berichterstattung der DS über den Parteitag hervorgehoben, die im ersten Satz vom "geschlossenen Einzug" (DS 11/2004: 12) des Parteivorstandes erzählt und mit folgenden Worten abschließt: "Mit dem Lied der 44 Insbesondere im Bereich der Kollektivsymbolik zeigt sich damit, dass die Rede dem "Syndrom Dekadenz-Apokalypse-Heroismus" entspricht, das Kurt Lenk (2005a, 50, kursiv i.O.; vgl. Ders. 2005b) als typisches Muster rechter Diskurse herausstellt. Ebenso sind Übereinstimmungen mit der Definition von Roger Griffin (2004; Ders. 2005) zu konstatieren, nach der Faschismus auf der ideologischen Ebene die Verbindung eines ethnischen Ultranationalismus mit der Idee der nationalen Widergeburt – als Wendepunkt eines zyklischen Geschichtsprozesses – bezeichnet.

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Deutschen endete der 30. Bundesparteitag der NPD – ein echtes Erlebnis für jeden, der an ihm teilgenommen hat" (ebd.: 13). Das gemeinsame Singen des 'Liedes der Deutschen' – nur der Journalist Staud hält es für nötig, die beiden ersten Strophen, die es von der offiziellen Nationalhymne unterscheiden, explizit zu erwähnen – bildet den Schlusspunkt eines echten Erlebnisses, die nationale Anrufung findet ihre Entsprechung im körperlichen Vollzug eines militärischen Rituals. Nach diesen Hinweisen auf die symbolische Ausgestaltung der Anrufungsstruktur und ihre bis ins körperliche Erleben reichende subjektkonstituierende Wirkung, werden nun zentrale Elemente ihrer komplementären Ketten – {Volk, Geschichte, Staat, Väter, Identität} einerseits {Ausländer, Etablierte, Medien, Juden} andererseits – genauer untersucht. 3.2.1 Volk In Kapitel 3.1 wurde bereits deutlich, dass der Begriff des Volkes im Zentrum einer positiv gewerteten Äquivalenzkette steht, die insgesamt eine bestimmte Variante des Nationalismus bildet. Sie besteht aus der Verknüpfung einer genealogisch definierten Gruppe (Deutsche, Vorväter, Kinder) mit einem bestimmten Territorium (unser Land), einem Staat (der deutsche Staat) und einer Geschichtsmythologie (unsere 1200jährige Geschichte, der preußische Staat etc.) und kulminiert im Abstraktum der 'nationalen Identität'. Die Gegenüberstellung von 'Volk und Bevölkerung' (193f.), verweist dabei auf eine biologi(sti)sche Bestimmung nach dem Kriterium der Fortpflanzung. Die Bedeutung dieser Gegenüberstellung zeigt der folgende Abschnitt aus einem Interview, das am Tag der Parteitagsrede veröffentlicht wurde. Darin führt alleine das Stichwort Bevölkerung dazu, dass Voigt – ungeachtet des eigentlich angesprochenen Themas – sofort das Wort Volk dagegensetzt, das er auf Nachfrage biologisch-genealogisch im Gegensatz zu juristischen Bestimmungen definiert: "[Frage:] Kriterium für Ihre Wirtschaftspolitik wäre also, welchen Nutzen sie für die deutsche Bevölkerung … [Voigt:] Für das deutsche Volk. [Frage:] ... also für das deutsche Volk und nicht für die Wirtschaft hat. Wer ist denn das deutsche Volk? [Voigt:] Das sind die Menschen, die über Generationen dieses Land geprägt haben. [Frage:] Über Generationen? [Voigt:] Wir haben bis zum Jahr 2001 ein Reichsstaatsbürgerschaftsgesetz gehabt, und das ist nach wie vor für uns verbindlich. Und danach definiert sich ein Deutscher dadurch, dass ein Elternteil – der Vater – ein Deutscher ist. Und auch unserer Meinung nach definiert sich das deutsche Volk nach dem Abstammungsprinzip. [Frage:] Ist nicht jeder, der einen deutschen Pass hat, ein Deutscher? [Voigt:] Nein". (Berliner Zeitung vom 29.10.2004)

Noch deutlicher stellt Jürgen W. Gansel den Gegensatz in einem Artikel der DS (11/2004: 2) heraus, in dem er, vor dem impliziten Hintergrund der

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Einwanderungsgeschichte der USA, von "der degenerierten amerikanischen Bevölkerung (um ein 'Volk' handelt es sich nicht, bestenfalls um eine Retorten-Nation)" und einem "rassisch, kulturell, religiös und sozial [...] zutiefst gespaltene[n] Land" spricht. Die biologische Bestimmung wird hier sowohl symbolisch akzentuiert {(Einwanderungsland), Bevölkerung, Degeneration, Retorte} als auch unmittelbar ausgesprochen, nämlich mit dem Adjektiv rassisch, das sich in die Reihe {Volk, Nation, Kultur, Religion, Land} einordnet. Die positive Formulierung dieser Kette bestimmt auch die ersten beiden Punkte des NPD-Parteiprogramms und mündet dort wiederum in eine biologistische Bestimmung: "Die Völker sind die Träger der Kulturen. Völker unterscheiden sich durch Sprache, Herkunft, geschichtliche Erfahrung, Religion, Wertvorstellungen und ihr Bewußtsein. [...] Die politische Organisationsform eines Volkes ist der Nationalstaat [...]. Deutschland ist das Land der Deutschen und somit die Heimstatt unseres Volkes. [...] Die Familie ist lebendes Bindeglied überlieferter Traditionen. In ihr werden die Muttersprache gelehrt und Kultur und Gebräuche vermittelt. Die Familie ist Träger des biologischen Erbes" (NPD 1997: §§ 1 und 2).

Das (innerhalb einer institutionellen Familienordnung zu reproduzierende) biologische Erbe definiert das Volk, das (sekundär) als Träger einer spezifischen Kultur gilt. In diesem Sinne steht die "Volkssubstanz" gegen Migration und "völkerverachtende Integration" (ebd.: § 8) und "Kindergeld als volkspolitische Maßnahme des Staates darf nur an deutsche Familien ausgezahlt werden" (ebd.: §2). Selbst ein geläufiges Kompositum wie Bevölkerungspolitik wird in Volkspolitik umgewandelt, um klarzustellen, dass es um die biologische Reproduktion einer bestimmten zur Substanz erklärten Gruppe geht, einer Gruppe deren Angehörige dadurch definiert werden, dass sie 'über Generationen' hinweg zwischen den generativen Akten die territorialen Grenzen bestimmter Herrschaftsordnungen nicht dauerhaft übertreten haben. Technisch geschrieben lautet die Aussage VOLK {Volk, biologische Abstammung, Nation, Staat, Identität, Sprache, Geschichte, Kultur, Schicksalsgemeinschaft} / {Bevölkerung, Ausländer, Einwanderungsgesellschaft}. Diese Verschränkung biologischer und sozialer Bestimmungen wird nach beiden Seiten hin abgestützt. Auf der Seite des sozialen Herrschaftszusammenhangs beruft sich Voigt im zitierten Interview auf die juristische Tradition des (nach dem Vorbild entsprechender Regelungen in Preußen formulierten) Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes aus dem Jahr 191345. Dieses Gesetz, das seither in mehrfach novellierter Form – in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik – bis heute gültig ist, macht die biologische Reproduktion zum juristischen Kriterium der Staatsangehörigkeit (ius sanguinis). In der Novelle 45

Vgl. dazu Baumann/Dietl/Wippermann (1999).

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von 1999 wurde dies durch eine partielle Berücksichtigung des Geburtsortes (ius soli) ergänzt, weshalb Voigt sie im zitierten Interview explizit ablehnt. Auf der anderen, der unmittelbar biologischen Seite, stützt sich der Volksbegriff auf wissenschaftliche Konzepte, die ihrerseits Untersuchungen der biologischen Konstitution und Reproduktion von Menschen zur Grundlage der Erklärung von sozialen Verhältnissen machen. Exemplarisch dafür ist ein Interview mit dem Humangenetiker Volkmar Weiss in der DS, dessen Titel "Bevölkerungsimplosion und Intelligenzverfall" (DS 11/2004: 3), die beiden wichtigsten Botschaften bereits kollektivsymbolisch zusammenfasst. Die Thematik des "Verfall[s] der nationalen Begabung" dreht sich um die Hypothese, dass "es so etwas wie eine biologische Vererbung von Begabung und Intelligenz gibt", beziehungsweise dass "[e]ine Bevölkerung [...] auch eine Struktur, also nicht nur eine Quantität sondern auch eine Qualität" (ebd.) hat. Der Abschnitt des NPD-Parteiprogramms zur Bildungspolitik, der "fehlende Eliten" beklagt, beruft sich entsprechend darauf, dass "die Erfahrung zeigt und die Wissenschaft überzeugend nachgewiesen hat, [... dass] die Menschen hinsichtlich ihrer Begabungen und ihres Leistungsvermögens ungleich" sind und fordert die "Achtung der natürlichen Ungleichheit der Menschen" (NPD 1997: §13). Zentrales Thema des Interviews ist aber nicht diese Rückführung gesellschaftlicher Arbeitsteilung auf angeblich-natürliche Unterschiede 'qualitativer' Art, sondern der 'quantitative' Aspekt. Der Text präsentiert eine dramatische Erzählung46 vom "Überlebenskampf der Völker", in dem "die Bevölkerungssubstanz in Deutschland verloren geht" und schmückt diese mit allerlei weiteren symbolischen Komponenten {"Bedrohlichkeit der Lage", "alarmierend niedrige[s] Niveau", "Bevölkerungsimplosion", "Bevölkerungskollaps"} aus (DS 11/2004: 3 und 5). In diese Rahmenhandlung werden Faktoren der demographischen Statistik (Geburten- und Sterberaten, Alterskohorten etc.) eingebaut, die unter anderem aus einem Bericht an das Bayrische Staatsministerium aus dem Jahr 1974 zitiert werden47. Dabei wird deutlich inwiefern das entsprechende bevölkerungsstatistische Dispositiv in der Auswahl der Faktoren – etwa bei der gesonderten Erfassung von Einwanderern und ihren Nachkommen – selbst bestimmte Konzepte von Bevölkerung konstituiert, die im Text dann systematisch gemäß 46 Dass es sich nicht alleine um die Wiedergabe eines mündlichen Gesprächs handelt, sondern um einen Text in Interviewform, in dem sich Frage und Antwort ergänzen, zeigt sich unter anderem daran, dass über lange Passagen, samt gekennzeichneter Auslassungen, zitiert wird. 47 Weiss selbst, dessen Beitrag zur Entwicklung und statistischen Fundierung von Bevölkerungspolitik in der DDR am Anfang des Interviews hervorgehoben wird, konnte später auf Initiative der NPD als externer Berater in der Enquete-Kommission 'Demografische Entwicklung und ihre Auswirkungen für die Lebensbereiche der Menschen im Freistaat Sachsen sowie ihre Folgen für die politischen Handlungsfelder' fungieren (Vgl. Andreas Speit: Nichts dazugelernt. In: DER FREITAG vom 27.05.2005). Einige Jahre später bezieht sich Thilo Sarrazin in seinem Bestseller "Deutschland schafft sich ab" auf Schriften von Weiss. Vgl. dazu auch das Interview mit Weiss in JUNGE FREIHEIT 37/2010.

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3 Der nationalistische Interdiskurs

dem biologisch-genealogischen Volksbegriffs ausgebreitet werden. So steht die dramatische Erzählung, die auch die Fragen nach der "Auswirkung auf die Renten" und dem "Mangel an [...] hochqualifizierten Fachkräften" berührt, in deutlichem Gegensatz zu der beiläufigen Bemerkung, dass Migration "die Einwohnerzahl sogar leicht wachsen" (ebd.) ließ. Der konstitutive Gegensatz von Volk und Bevölkerung erscheint hier als Differenz zwischen Bevölkerung und der Einwohnerzahl, der Signifikant 'Bevölkerung' hat die Seiten gewechselt, während die dualistische Struktur des Signifikats – biologische Reproduktion / räumliche Herrschaftsordnung – erhalten bleibt. Denn diese liegt der dramatischen Erzählung und dem entsprechenden Einbau statistischer Daten zugrunde. Bedroht ist die mit der Kette {Volk (biologische Substanz), Kultur, Nation, Staat, ...} proklamierte Identität: "Die Völker Europas [...] stehen jetzt vor der Entscheidung, ob sie ihre relativ geschlossenen, christlich geprägten Nationalstaaten aufs Spiel setzen. Gefährlich wird es vor allem wenn große Massen nicht integrierbarer Fremder zuwandern. Diese Situation ist in Deutschland durch den türkischen Bevölkerungsanteil bereits eingetreten" (ebd.).

Die panikartigen Elemente der dramatischen Erzählung – Gefahr, Bedrohung, Alarm, Verlust etc. – stehen in Beziehung zu einem Subjektschema, welches das Individuum und seine Haltung zur Welt als Ganzes, bis hin zur Antwort auf transzendente Fragen umfasst. So ist darin auch "unsere Sehnsucht, nach jener Ewigkeit, die uns nur durch die Weiterexistenz unserer Kultur und unseres Volkes durch unsere Kinder geschenkt werden kann" (ebd.) artikuliert48 . Unmittelbare Konsequenz der Erzählung von der Implosion – auf die Voigts Bemerkung von der "negativen demografischen Entwicklung" (640f.) in der Rede anspielt – ist die Forderung nach bevölkerungspolitischen Maßnahmen. Während Weiss, neben der Ausrichtung des Steuersatzes und der Rentenhöhe an der Kinderzahl, arbeitsrechtliche Maßnahmen zur Erhöhung der Geburtenrate von berufstätigen Frauen (insbesondere Akademikerinnen) vorschlägt, fordert das NPD-Programm die erwähnte Beschränkung des Kindergeldes auf Deutsche sowie ein weitgehendes Abtreibungsverbot und ein Hausfrauen- und Müttergehalt. 3.2.2 Geschichte Das Konzept der biologischen Genealogie geht mit der Erzählung eines nationalen Mythos einher. Sein Grundmuster ist eine mehr oder weniger weit zurückgreifende und lückenhafte Reihung von Herrscherfiguren, präsentiert als "Lichtgestalten, welche meist in düsteren Zeit aus dem Volk hervortraten, um der Zukunft eine positive Wende zu geben" (242f.). Dabei ist das Bild von Geschichte als 48 Es ist bemerkenswert, dass 'unsere Kinder' dabei Mittel zum Zweck werden, der eigenen – mit dem Volk identifizierten – Existenz Ewigkeit zu verleihen. Dazu passt, dass es Voigt in der Rede vor allem auf deren "Liebe zum Vaterland, zum Volk, zur Familie" (202) ankommt.

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zyklischem Prozess der zwischen Dekadenz und Erneuerung oszilliert, in seiner symbolischen Zeichnung (siehe oben, Kapitel 3.2) deutlich zu erkennen. Voigt lässt die Erzählung von den Lichtgestalten in der Rede implizit mit Karl dem Großen beginnen, wenn er eine "rund 1200jährige deutsche Geschichte" (ebd.) ausmacht. Es folgen "Friedrich Wilhelm von Hohenzollern" (244), "Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, und Friedrich der Große" (247f.) sowie zuletzt "der Deutsche Kaiser" (136). In einem Artikel der DS wird die Chronologie nach beiden Seiten verlängert. Dort heißt es zu der Frage, wie "die Regierung Hitler die mentale und wirtschaftliche Depression" überwand: "Am Anfang stand der Wille sich auf ureigenste Kräfte und Stärken zu besinnen, auf die Leistungen von 2000 Jahren deutscher Geschichte" (DS 11/2004: 20). Mit den 2000 Jahren ist implizit auf die mythenumwobene Figur des Arminius (Herrmann der Cherusker) Bezug genommen und die Entgegensetzung zur mentalen und wirtschaftlichen Depression zeigt an, dass Hitler ebenfalls in die Reihe der Lichtgestalten eingeordnet wird. Deutlich wird dies auch daran, wie die mit den jeweiligen Figuren verknüpften Bilder verschiedener Herrschaftsordnungen, zur Deckung gebracht werden: "Die Idee der Volksgemeinschaft [...] konnte sowohl an germanische Quellen als auch am preußischen Staatsethos anknüpfen. Der deutsche Idealismus als Gegenmodell zum kapitalistischen-bolschewistischen Materialismus" (ebd.: 21). An dieser Stelle geht die Geschichtserzählung über zur aktuellen Situation. Die nationale Geschichte endet vorerst mit dem "Besatzungskonstrukt BRD" (ebd.: 20) als Folge des verlorenen Krieges, doch ein aktuelles Krisenempfinden legt nahe, dass ihre Fortsetzung im Sinne der Herrschaftsmythologie großer Ordnungen und ihrer Symbolfiguren unmittelbar bevorsteht. Denn Anlass zur Betrachtung der NSWirtschaftspolitik – die der Artikel im Tenor der (teils zitierten) damaligen Parteipropaganda darstellt – gibt, wie es einleitend heißt, die "Auseinandersetzung um Hartz IV" und der Blick auf "einen einzigartigen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Niedergang in Folge der Globalisierung" (ebd.: 20). Am Ende wird dies wieder aufgegriffen, indem der 'deutsche Idealismus', der die gesamte nationale Erzählung von den Germanen über Preußen bis zum NS bündelt, dem "kapitalistischen Regime" mit dem "Geist der Krämerseelen" und der Situation "in der BRD" entgegengesetzt wird: "Erst nach der Entlegitimierung des Systems wird eine offene Diskussion über Lösungen möglich sein, die zwangsläufig den Ansatz eines nationalen Sozialismus enthalten müssen" (ebd.: 21). Der gleiche Übergang zur aktuellen Situation findet sich bei Voigt. Der Nationalsozialismus – dessen Apologie in der Parteizeitung offensichtlich ist49 – wird hier, 49 Neben dem zitierten Artikel, der die 'NS-Wirtschaftspolitik' – unter expliziter Nennung von Maßnahmen wie dem 'Gesetz zur Widerherstellung des Berufsbeamtentums' – lobt und als Modell für künftige Diskussionen preist, sind vor allem die Wehrmacht und die Waffen-SS ständig präsente

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sicherlich mit Blick auf die hohe öffentliche Aufmerksamkeit während des Parteitages, weitgehend ausgelassen. Gleichwohl ist ein positiver Bezug mit den Formulierungen vom 'heldenhaften Kampf' im Weltkrieg (s.o.) oder vom "AuschwitzDogma" (296f.), verbunden mit der Forderung "die Deutschen nicht länger nur als 'Täter', sondern auch als 'Opfer' zu sehen" (297f.), systematisch offengehalten. Dies gilt auch für den entsprechenden Abschnitt des Parteiprogramms "Ein Volk ohne Vergangenheit hat keine Zukunft". Dieser ist, ohne den NS explizit zu nennen, auf ihn bezogen, indem er unter anderem ein "nationales Geschichtsbild" gegenüber der "Aufwertung des Landesverrats [… und …] Verherrlichung alliierter Kriegsverbrecher" (NPD 1997: § 11) fordert. Die Opferthematik ist hier mit dem Stichworten "Bombardierung [...] und Vertreibung" präsent und die Forderung nach "Freiheit der Forschung und Lehre" gegenüber einem "von politischer Justiz überwachte[n] Geschichtsbild" (ebd.) zielt in diesem Kontext offensichtlich auf die Möglichkeit, straffrei den Massenmord an Juden* zu leugnen und korrespondiert so mit der Forderung nach einem "Ende der einseitigen Vergangenheitsbewältigung" (ebd.) und der Formulierung vom 'Auschwitz-Dogma' in der Rede. Zwischen den Zeilen kann auch Voigts Episode zur Geschichte der SPD (134ff.) als Variante dieser Geschichtserzählung, einschließlich des Nationalsozialismus gelesen werden. Denn die Partei, deren Abgeordnete "sich erlauben [konnten], sitzen zu bleiben, als der Deutsche Kaiser den Reichstag betrat" (135f.), erscheint als Antipode sowohl des Deutschen Reiches (Sozialistengesetz), als auch des Nationalsozialismus (Konzentrationslager), während sie umgekehrt in den geschmähten Systemen nach 1918 und nach 1945 "an die Schalthebel der Macht" (138) gelangt sei. Damit ist auch Voigt bei der heutigen Situation, der "Ausgangslage" (216), angekommen. "Deutschland ist für uns seit 1945 ein besetztes Land, geführt von einer Clique mehr oder weniger korrupter Politiker" (217f.). "Die NPD ist die politisch nationale Kraft in Deutschland, die sich unter einer Fremdherrschaft organisiert" (224f.) und Ziel ist es, "erstmalig nach dem bitteren Ende des Zweiten Weltkrieges, eine starke nationale Fraktion in den Deutschen Reichstag zu entsenden" (30f., unterstrichen H.O.). Das ist die Stelle an der die nationale Mythologie in ein politisches Projekt übergeht, ein Sprung in die unmittelbare, durch eine ökonomische Krisenwahrnehmung gekennzeichnete Gegenwart: "Derzeit ist es wieder Nacht geworden über Deutschland und somit steigen die Chancen, daß sich wieder neue Lichtgestalten finden, welche die Geschicke unseres Volkes leiten werden. [...] Die Deutschen beginnen den Preis für die Globalisierungspolitik zu Bezugspunkte. So wird ganzseitig im Stil von Landser-Heften über einen Jagdflieger des Zweiten Weltkrieges berichtet (DS 11/2004: 20). Es wird in einer Anzeige unter dem Motto "Für die Freiheit unseres Volkes – Für die Ehre unserer Toten!" zum "Ehrenaufmarsch für den deutschen Frontsoldaten" (ebd., 5) aufgerufen, der DS-Verlag preist "Scharfschützen der Waffen-SS" als "Buch des Monats an" (ebd. 17) etc..

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bezahlen und wachen langsam auf" (254ff.). Mit anderen Worten steht der nächste Umschlag der zyklischen Geschichtsmythologie unmittelbar bevor. Ein weiteres konstantes und ebenso mythologisches Element in diesem Übergang von 1200 Jahren knapp erzählter Geschichte zur nächsten Bundestagswahl ist das Reich: Von Karl dem Großen, über den Kaiser des Deutschen Reiches von 1871 (und in Klammern: den Überwinder der Depression, dessen Drittes Reich 1945 ein 'bitteres Ende' fand) hin zur 'Entsendung einer nationalen Fraktion in den Reichstag'. Indem das Gebäude an Stelle der Institution – des Bundestages – genannt wird (31, 365), schwingt die Bedeutung der historischen Institutionen – der Reichstage – und vor allem die Vielzahl von Reichsmythologien der nationalistischen Opposition zur Weimarer Republik50 zukunftweisend mit. Solche Worte sind mit Bedacht gewählt in einer Partei, die "eine Parteizentrale in der Reichshauptstadt Berlin" (58f., unterstrichen H.O.) erworben hat und deren Vorsitzender "bei der Diskussion um das Reich" in die rhetorische Trickkiste greift und auf "Frankreich" (DS 11/2004: 6, unterstrichen i.O.) verweist. In dieser Erzählung vom Reich erscheint die heutige Situation als ein durch militärische Besatzung gekennzeichnetes Interregnum. Zu seiner Charakterisierung findet sich im Redemanuskript knapp, graphisch hervorgehoben aber nicht ausgeführt, der folgende "Hinweis: siehe Alliierte Anweisung zur Re-Education" (223, i.O. fett und kursiv). Umgekehrt bedeutet die 'Nationale Revolution', die das Interregnum bald beenden soll, "zunächst einmal ein revolutionär verändertes Wahlverhalten der Deutschen, die man bislang für erfolgreich 'umerzogen' gehalten hat" (485ff.). Unter den aktuellen Buchempfehlungen des DEUTSCHE STIMME VERLAGES in der Parteizeitung ist die passende Lektüre-Empfehlung: "Caspar von Schrenck-Notzing – Charakterwäsche. Der (aktualisierte) Klassiker über die mentalitätsverbiegenden Auswirkungen einer von langer Hand vorbereiteten Umerziehung" (DS 11/2004: 17). Ein Artikel der DS zitiert aus diesem Buch und expliziert damit in den Worten Schrenck-Notzings das Verständnis der Re-Education, das in der Rede stichwortartig aufgerufen wird und zwar als "Versuch durch die Besatzung eine Änderung des deutschen Volkscharakters zu bewirken" (DS 11/2004: 7). Der Volkscharakter – ein weiteres Volks-Kompositum, das ähnlich dunkel auf 'wesenhaftes' verweist wie die Volks-Substanz, die sich letztlich als biologische gezeigt hat – ist also der Gegensatz zur Umerziehung. Letztere steht wiederum in einem engen Zusammenhang mit der Revolte von 1968, die in der DS (11/2004: 3) als "Sieg des Neomarxismus (der 'Frankfurter Schule') mit einhergehender Beherrschung der Medien und damit der 'öffentlichen Meinung'"

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Vgl. Sontheimer (1968: 222ff.), Breuer (1995: 104ff., ders. 2001: 188ff.).

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charakterisiert wird51. Ein Jahr später bringt Rolf Kosiek – Autor des Buches "Die Machtübernahme der 68er. Die Frankfurter Schule und ihre zersetzenden Auswirkungen" – den Zusammenhang an gleicher Stelle (DS 06/2005) wie folgt auf den Punkt: "Der Kampf der Frankfurter Schule »gegen das Bestehende« war, da er auch von den Besatzungsmächten und zahlreichen deutschen Kollaborateuren gefördert wurde, sehr erfolgreich. […] Die 68er stellen als die Zöglinge der Frankfurter Schule heute Bundeskanzler und Minister. Sie sind der Umerziehung verpflichtet und fördern grobe Geschichtsfälschungen wie die Heer-Reemtsmasche Anti-Wehrmachtausstellung. Das einseitig die Deutschen belastende Geschichtsbild der Sieger des Zweiten Weltkrieges bestimmt heute den Geist der Schulbücher wie den der veröffentlichten Meinung, auch wenn die historischen Tatsachen dagegen sprechen".

Zusammengefasst ergibt sich aus den zitierten Stellen die Aussage GESCHICHTE mit folgendem Antagonismus {Aufstieg, Lichtgestalten: Reiche, 1871, (1933), Volkscharakter} / Umbruch, nationale Revolution /52 {Niedergang: 1918, 1945, Besatzung, Umerziehung, 1968, BRD-System}. Die implizite Erzählung dieser Aussage ruft Voigt im Schlussappell mit den Worten "Die Nachkriegszeit muß ein für allemal beendet werden" (701, vgl. 291) auf. Bleibt zu erwähnen, dass dieses Ende der Nachkriegszeit zugleich die territoriale Ausdehnung des Nationalstaates nach dem Motto "Deutschland ist größer als die Bundesrepublik!", das heißt konkret "die Revision der nach dem Krieg abgeschlossenen Grenzanerkennungsverträge" bedeuten würde, wie im Parteiprogramm unter der Überschrift "Deutschland ins seinen geschichtlich gewachsenen Grenzen" (NPD 2004: §10) nachzulesen ist. Auch dieser revanchistische Anspruch ist in der Rede präsent, wenn Voigt von einer "Teilvereinigung" (571, vgl. DS 11/2004: 8) spricht und die an die Oder-Neiße-Linie grenzenden Gebiete als "Mitteldeutschland" (18, 653, vgl. NPD 2004: §4, §10) bezeichnet. 3.2.3 Staat Die Geschichtserzählung ist auch für die Thematik des Staates von Bedeutung, insofern eine mangelnde Souveränität infolge der militärische Niederlage Deutschlands im Zweiten Weltkrieg beklagt wird, die auch über den Zwei-plusVier-Vertrag von 1990 hinaus andauere. So heißt es in einem DS-Artikel mit der Überschrift "Das Grundgesetz als Diktat der Siegermächte": 51 Zur engen Verknüpfung von Dekadenz, Umerziehung und '68' im Diskurs der nationalistischen Rechten vgl. Weiß (2016). 52 Der Umbruch und die nationale Revolution bezeichnen genau den Moment, in dem die entgegengesetzten Phasen der Dekadenz und des Aufstiegs aufeinandertreffen, daher werden sie hier am Punkt des Antagonismus beziehungsweise an der Schnittstelle der gegensätzlichen Äquivalenzketten eingetragen.

3.2 Volk gegen System

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"In den letzten Jahrzehnten bekam die BRD zwar Souveränitätsrechte zugestanden, nur war es so, daß jedes Souveränitätsrecht verbunden war mit dem baldigen Verlust desselben durch Übertragung an überstaatliche Institutionen. Zunächst war dies die Zwangseinbindung in die von Westeuropa dominierten europäischen Wirtschaftsstrukturen, heute die Exekution von Vorgaben durch die EU, die WTO oder den IWF" (DS 11/2004: 8).

Die zentrale Zielrichtung des Artikels ist allerdings die Delegitimierung der Verfassung. Die Argumentation läuft auf den Punkt hinaus, dass "die Männer des 'Parlamentarischen Rates' im Grundgesetz wenigstens noch eine kleine Schneise für die Zukunft" schlugen, nämlich "Artikel 146" (ebd.), der die Möglichkeit einer neuen Verfassungsgebung nach dem Ende der Besatzung vorsieht, die mit dem Eintreten dieser Situation 1990 zugunsten einer Übernahme des Grundgesetzes nicht realisiert wurde. Auch Voigt beruft sich in der Rede auf diesen Artikel. Der entsprechende Abschnitt (504-515) und der gesamte Teil V (480-566) in dessen Rahmen er steht, sind durch einen taktischen Umgang mit dem Verfassungsschutzdispositiv bestimmt. Das NPD-Verbotsverfahren hatte die mit der fundamentaloppositionellen Strategie verbundene neue Qualität der Konfrontation deutlich gemacht und das trotz seiner mit Formfehlern begründeten Einstellung. Während Voigt dies einerseits als notwendige Folge einer konsequenten Opposition darstellt, wird doch andererseits das Bemühen deutlich, weitere juristische Schritte gegen die Partei zu erschweren53. Vor diesem Hintergrund ist der Teil V, den Voigt mit den Worten einleitet "Ich halte es für zwingend [...] einige Begriffsklärungen vorzunehmen [... und zu] verdeutlichen, wie wir zu verstehen sind" (481ff.), als Fixierung von 53 Die ganze Rede lässt sich auch in dieser Hinsicht lesen. Einerseits wird die verschärfte Konfrontation als logische Konsequenz der eigenen Politik dargestellt, etwa dort wo Berufsverbote und ähnliches als Folge des 'konsequent deutschen Programms' (vgl. 42ff.) behandelt werden. Entsprechende Maßnahmen werden so als Teil des Kampfes zwischen den 'Herrschenden' und der 'nationale Opposition' eingeordnet. In diesem Zusammenhang mündet der gesamte Exkurs zur EU und der Agenda 2010 in Teil II.2 (130-184) in die Erklärung, die NPD "sollte als einzige wirkliche Oppositionspartei durch Verbot aus dem Rennen genommen werden, damit diese Herrschaften ungehindert mit der geplanten Ausbeutung des deutschen Volks [...] fortfahren können" (188, vgl. 146-148, 185-191). Wie bei der Betrachtung der Spitzelthematik in Kapitel 3.1.2.1 bereits deutlich wurde, wird dieses verschwörungsideologische Muster, in das sich auch Hinweis auf die 'Einflüsterungen von Juden' (vgl. 122f.) einfügt, schließlich noch gegen potenzielle interne Kritiker eingesetzt. Andererseits wird das gleichzeitige Bemühen deutlich, weitere juristische Schritte gegen die Partei zu erschweren, was Voigt im Zusammenhang mit dem Verbotsverfahren als 'Ausweichmanöver' charakterisiert (87ff.). So wird unter anderem im Rückblick auf die Geschichte der NPD nicht nur der frühe Vertreter des fundamentaloppositionellen Parteiflügels "Professor Anrich" genannt, sondern auch ausdrücklich auf die politische Karriere ehemaliger Aushängschilder der pragmatischen Fraktion verwiesen, nämlich auf "Dr. Linus Kather, 1. Präsident des Bundes der Vertriebenen und stellvertretender Kanzler unter Adenauer [und] den ersten Ministerpräsidenten des Saarlandes Dr. Hubert Ney" (230ff.). Die damaligen parteiinternen Auseinandersetzungen und die Bedeutung der genannten Personen sind in der Studie von Hoffmann (1999) zur Entwicklung der NPD dargestellt.

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3 Der nationalistische Interdiskurs

Sprachreglungen mit Blick auf ein nach wie vor mögliches Verbotsverfahren zu lesen54. Denn die Punkte, die dabei als Teil einer "Diffamierungskampagne der Systemmedien" (482) abgehandelt werden, waren allesamt zentrale Bestandteile der Verbotsanträge von Bundestag und Bundesrat. So heißt es beispielsweise unter der Überschrift "Demokratie und Rechtsstaatsfeindlichkeit" im Antrag der Bundesregierung: "Die NPD bekämpft die Demokratie, wie das Grundgesetz sie begründet hat und den Rechtsstaat, wie er in der Bundesrepublik eingerichtet ist. Zwar behauptet die NPD auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung zu stehen [...], sie vertritt aber Ziele, die damit nicht zu vereinbaren sind" (Antrag der Bundesregierung55: 39, unterstrichen H.O.). Diese Formulierungen werden im Abschnitt 504-530 unter der Überschrift "Ist die Forderung nach Systemüberwindung staatsfeindlich?" (504, unterstrichen H.O.) aufgegriffen, wobei das im Antrag verwendete und dort auf das Grundgesetz bezogene 'rechtsstaatsfeindlich' durch ein allgemeines 'staatsfeindlich' ersetzt ist. Diese Ersetzung ermöglicht es die Frage auf die eigenen Vorstellungen eines 'deutschen Staates' zu beziehen und mit "Nein" (505) zu beantworten. Den gleichen Effekt hat umgekehrt die darauffolgende, selektive Bezugnahme auf Artikel 146, die es ermöglicht die Formulierung vom "Boden des Grundgesetzes" (505, unterstrichen H.O.) für die NPD in Anspruch zu nehmen und zugleich dessen "Abwicklung gemäß der Vorgabe des Artikels 146" (514f.) zu fordern. Die Bezugnahme auf Artikel 146 knüpft somit zum einen an die Geschichtserzählung (militärische Niederlage, Umerziehung, Verfassungsdiktat) an. Zum anderen ermöglicht sie, eine "Reform des deutschen Rechtssystems nach streng rechtsstaatlichen Grundsätzen" (NPD 1997: § 14) zu fordern, die aber im Gegensatz zum "Fetisch [...] Rechtsstaat" (DS 11/2004: 2) steht, den laut DS die "nationalpolitisch abgestumpfte[n] Bundesdeutsche[n]" (ebd.) anbeten. Um welche Staatsform es dabei geht, deutet Voigt im unmittelbar folgenden Absatz (516-521) an. Hier wird die "gegenwärtige parlamentarische Demokratie" (516) – an anderer Stelle als unechte "'Demokratie'" (560) in Anführungszeichen präsentiert – gegen eine "eine wirklich gewaltenteilige Demokratie" (519) gestellt. Bezogen auf die Verfassung zeigt sich hier der Antagonismus

54 Der NPD-Funktionär Claus Cremer hat das entsprechende Dilemma der fundamentaloppositionellen Ausrichtung auf einer Demonstration gegen den Bau einer Synagoge deutlich ausgesprochen: "Ihr könnt euch vorstellen, dass es mir sehr schwer fällt diese Rede hier zu halten. Das was ich sagen will darf ich nicht, das was ich sagen darf will ich nicht, Kameradinnen und Kameraden" (Dokumentation der Rede von Claus Cremer (NPD) am 26.6.2004 in Bochum, in: Archiv-Notizen des Duisburger Instituts für Sprach und Sozialforschung November 2004: 4). 55 Der Antrag ist dokumentiert unter: http://www.extremismus.com/dox/antrag.pdf [15.10.2007].

3.2 Volk gegen System

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{BRD-System, 'Demokratie', parlamentarische Demokratie} / {deutscher Staat, Gewaltenteilung, wirkliche Demokratie}. Im Folgenden wird den Implikationen dieser Argumentationsfigur, bei der sich Voigt auf einen Klassiker der politischen Theorie, nämlich "Montesquieu" (518) beruft, genauer nachgegangen. Das ausführliche Kapitel, das den Bezügen auf die politische Ideengeschichte folgt, soll dreierlei zeigen: Erstens welcher institutionelle Entwurf eines autoritären Staates der parlamentarischen Demokratie entgegengesetzt wird, zweitens wie die Argumentation dabei an das antidemokratische Denken der Weimarer Rechten, insbesondere an Carl Schmitt, anknüpft und drittens schließlich wie die ökonomische Fundierung von Schmitts ideengeschichtlicher Erzählung sich ebenfalls in den programmatischen Vorstellungen der NPD reproduziert. 3.2.4 Demokratie (Carl Schmitt) Die Frage nach der Staatsform und dem damit einhergehenden spezifischen Demokratiebegriff nimmt in den Texten der Partei einen relativ breiten Raum ein. Gut zweieinhalb Jahre vor Voigts Parteitagsrede führte der damalige DS-Redakteur Jürgen W. Gansel ein Interview mit "Kamerad Schwab" (DS 07/2002: 3). "Der Publizist Jürgen Schwab" ist zu diesem Zeitpunkt "Burschenschafter, Mitglied im Sprecherrat der Deutschen Akademie (DA) und leitet den Arbeitskreis 'Volk und Staat' beim NPD-Parteivorstand" (ebd.)56. Das Motto des Gespräches "Intellektualisierung des Nationalismus" (ebd.) korrespondiert mit dem Selbstverständnis Schwabs. Seine Schriften haben "zunächst einmal einen theoretischen Anspruch, richten sich aber vor allem an den politischen Praktiker, der in der Pressearbeit, bei der Formulierung eines Flugblatts, am Infotisch, im Bürgergespräch" und so weiter seine Ziele schlüssig begründen muss. Schwab nennt zwei Beispiele für die "komplizierte politische Theorie" die er für den "NPD-Infotisch" aufbereitet, indem er sie "gar nicht so kompliziert formuliert" (ebd.). So habe er sich bei seinem vorletzten Buch die Frage gestellt "für welchen Staat tritt eigentlich die NPD ein", denn "das Angebot in und um die Partei reichte damals von einer 'besseren' BRD und einer 'besseren' DDR bis zum Programm des Parlamentarismus der 1848er Revolution, der konservativen Revolution und einer Reform des Dritten Reiches" (ebd.) und sei letztlich bis dato nicht geklärt. Das zweite Beispiel hängt eng mit dieser Frage zusammen: "Was ist Demokratie? Horst Mahler beispielsweise kennt keinen Unterschied zwischen Demokratie einerseits und Liberalismus bzw. Parlamentarismus andererseits. Somit wäre aber das liberale BRD-System als 'Demokratie' zu bezeichnen. [...] Oder aber man trennt den

56

Zu Schwab vgl. Pfahl-Traughber 2007.

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3 Der nationalistische Interdiskurs

liberalen Parlamentarismus der BRD vom demokratischen Gedanken der Volkssouveränität [...] im Sinne von Carl Schmitt" (ebd.).

Die Äquivalenzen sind klar geschieden in ein 'einerseits' {Liberalismus, Parlamentarismus, 'Demokratie', BRD-System} und ein 'andererseits' {Demokratie, Gedanke der Volkssouveränität}. Der Antagonismus aus Voigts Rede wird hier um das Wort 'Liberalismus' auf der Seite des Systems ergänzt und diesmal unter Bezug auf einen anderen Theoretiker präsentiert, nämlich Carl Schmitt. Der Zusammenhang zwischen dieser Argumentationsfigur, Carl Schmitt und Montesquieu, den Voigt heranzieht, ist Schwabs Buch "Volksstaat statt Weltherrschaft" zu entnehmen, dessen Erscheinen den Anlass zum Interview in der DS gab. Dort wird das Thema Gewaltenteilung mit Bezug auf Montesquieu in vier Kapiteln angesprochen (Schwab 2002: 79ff., 234ff., 257ff., 330ff.), in denen zugleich ausführlich Carl Schmitts Text "Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus"57 zitiert beziehungsweise paraphrasiert58 wird. Die fundamentale Bedeutung von Schmitts Text für die Argumentation von Schwab zeigt sich nicht nur an den ausführlichen direkten Bezugnahmen, sondern erst recht dann, wenn Schwabs weiteren Quellen nachgegangen wird, die sich ihrerseits wiederum auf diesen Text stützen, so insbesondere das Buch "Der totale Parteienstaat" von Klaus Kunze (1994)59. 3.2.4.1 Interessen Das erste der genannten Kapitel trägt den Titel "III.1 Die Profiteure des Parteienstaates" (Schwab 2002: 79ff.) und enthält bereits alle Elemente der zentralen Argumentationsfigur. Hier unterscheidet Schwab gleich zu Beginn, "Einzelinteressen (der Bürger), besondere Interessen (gesellschaftliche Gruppen) und das allgemeine Interesse (von Volk und Staat)" (ebd.: 79). Als Vertreter der 'besonderen Interessen' werden zum einen "Parteien" und zum anderen "Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände, Konfessionen, Berufsgruppen wie die Landwirtschaftsverbände und besondere gewerbliche und industrielle Verbände" (ebd.) vorgestellt. Bereits hier fällt die Entgegensetzung von universell {allgemein: Staat, Volk} und partikular {einzeln, besonders: Bürger, Gruppen} auf, die soziale Gegensätze (Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften) in den Hintergrund treten lässt. Diese Vereinheitlichung gegensätzlicher sozialer Interessen verstärkt sich noch durch den folgenden Gegensatz von Staat und Gesellschaft: 57 Die erste Fassung des Textes veröffentlichte Schmitt 1923, die zweite Auflage mit einer ausführlichen "Vorbemerkung (über den Gegensatz von Parlamentarismus und Demokratie)" (Schmitt 1926: 5) erschien drei Jahre später. Schwab zitiert unter anderem das ergänzte Vorwort nach einen unveränderten Nachdruck dieser zweiten Auflage (7. Auflage, 1991). 58 So finden sich beispielsweise an den Stellen Schwab (2002: 261, 294) klare Bezüge auf Schmitt (1926: 54, 28f.). 59 Vgl. dazu Pfahl-Traughber 1998: 171ff.

3.2 Volk gegen System

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"Daß sich aus dem Bereich der Gesellschaft einzelne und besondere Interessen artikulieren wollen ist für ein gesundes Gemeinwesen ein normaler Vorgang. Ein Problem besteht nur dann, wenn ein politisches System bewirkt, daß die Gesellschaft insgesamt oder einzelne Gruppen den Staat zur Durchsetzung eigener Interessen vereinnahmen und somit das Gemeinwohl von Volk und Staat auf der Strecke bleibt" (ebd.: 80, unterstrichen H.O.).

Der zuvor als Beispiel für die 'besonderen Interessen' an erster Stelle aufgeführte Antagonismus von Arbeit und Kapital, wird hier bereits nicht mehr erwähnt und zugleich implizit in bemerkenswerter Symbolik zum Zeichen der Gesundheit und Normalität sozialen Zusammenlebens erklärt. Der zentrale Gegensatz besteht nun zwischen den Bereichen einer durch gesunde und normale Konkurrenz sich auszeichnenden Gesellschaft und dem bereits zuvor als universell gesetzten Staat. Als Problem gilt die potenzielle Aufhebung dieser Trennung und als Akteure einer solchen 'Vereinnahmung des Staates durch die Gesellschaft' werden im Folgenden ausschließlich und ausführlich 'die Parteien' behandelt, die – analog zur Vereinheitlichung sozialer Gegensätze in 'der Gesellschaft' – als homogener Akteur erscheinen. "So ist es möglich, dass unter rein formalen Kriterien der Demokratie, vor allem des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, eine Oligarchie entsteht. Und genau zu diesem Ergebnis führt in der Tat der Parlamentarismus, der in der Bundesrepublik mustergültig verwirklicht ist. [...] Diese Parteiherrschaft fand und findet ihre Verwirklichung im politischen System der sogenannten 'parlamentarischen Demokratie', zu deren Kernbestand die parlamentarische Regierungsbildung gehört, [...] wodurch nicht zuletzt dem Montesquieuschen Gebot der Gewaltenteilung widersprochen wird" (ebd.: 80).

Das sind die drei Elemente, die auch Voigt an der entsprechenden Stelle (516-521) anführt: Die parlamentarische Demokratie, eine 'Demokratie' in Anführungsstrichen, erscheint als Oligarchie – wie Schwab unablässig wiederholt (vgl. u.a. Schwab 2002: 82, 98, 99) – die der Gewaltenteilung nach Montesquieu widerspricht. Im Anschluss daran kommt Schwab auf den Gegensatz von 'allgemeinem' und 'besonderen Interessen' zurück. Das Problem der parlamentarischen Regierungsbildung sei nämlich, dass die Regierung "vom Vertrauen – und somit von den besonderen Interessen des Parlaments – abhängig" und deshalb nicht in der Lage sei, "Einschnitte in besondere Vorrechte einzelner sozialer Gruppen" (ebd.: 80) durchzusetzen. Der Gegensatz von Parlament und Regierung wird analog zu den vorherigen Binarismen partikular/universell sowie Gesellschaft/Staat eingeführt. Einmal mehr werden in sich widersprüchliche (im Parlament vertretene) Interessen zu einem 'besonderen Interesse' (des Parlaments) vereinheitlicht. Dabei wird die strikte Trennung vom Parlament aber gerade gefordert, damit die Regierung Einschnitte (ebenfalls ein bemerkenswertes Symbol) gegenüber bestimmten sozialen Gruppen ohne parlamentarische Kontrolle autoritär durchsetzen kann. Mit anderen Worten soll die Regierung ermächtigt werden, gegenüber bestimmten

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3 Der nationalistische Interdiskurs

'besonderen Interessen' durchzuregieren. Eines dieser gesunden und normalen 'besonderen Interessen', nämlich 'Profit aus der Arbeitskraft' anderer anzueignen, nennt Schwab unmittelbar darauf, wo er wiederum auf das 'allgemeine Interesse' zu sprechen kommt: "Für das besondere gesellschaftliche Interesse ist es auch egal, wer zu Mehrung des Nutzens dieses besonderen Interesses beiträgt – ob beispielsweise der Profit aus der Arbeitskraft von Inländern oder Ausländern herrührt. Das formierte Gemeinwohl würde eine solche irrsinnige Frage gleich im Voraus zugunsten des inländischen allgemeinen Interesses beantworten" (ebd.: 80f.)

Das von Beginn an mit 'Volk und Staat' identifizierte Gemeinwohl, das symbolisch als formiertes erscheint, konstituiert sich bei Schwab 'gleich im Voraus' durch die Entgegensetzung Inländer/Ausländer. Die 'innere' Vereinheitlichung sozialer Interessen (immer wieder: Profit, Gewerkschaften etc.) bei gleichzeitiger Ermächtigung des Staates zu autoritativen Einschnitten gegen bestimmte soziale Gruppen, hängt von dieser Abgrenzung des 'Volkes' von 'Ausländern' ab. 3.2.4.2 Wahlkönig Auf dieser Basis geht Schwab am Ende des Kapitels dann auf die Frage ein, was die 'wirkliche Demokratie' institutionell auszeichnen würde, indem er ausführlich Carl Schmitt zitiert: "Daß jedoch Demokratie auch und gerade ohne Parlamentarismus denkbar ist, darauf hat bereits Carl Schmitt im Jahre 1923 hingewiesen: 'Der Glaube an den Parlamentarismus, an ein »government by discussion«, gehört in die Gedankenwelt des Liberalismus. Es gehört nicht zur Demokratie. Beides, Liberalismus und Demokratie, muß von einander getrennt werden, damit das heterogene Gebilde erkannt wird, das die moderne Massendemokratie ausmacht.'[] Und weiter meint Carl Schmitt: 'Es kann eine Demokratie geben ohne das, was man modernen Parlamentarismus nennt und einen Parlamentarismus ohne Demokratie; und Diktatur ist ebenso wenig der entscheidende Gegensatz zu Demokratie wie Demokratie zu Diktatur.'" [...] Wie Carl Schmitt zu Recht feststellt ist, 'das ganze parlamentarische System schließlich nur eine schlechte Fassade vor der Herrschaft der Parteien und wirtschaftlichen Interessen'.[] Wenn nun aber ein eifriger Verfechter des liberalen Parlamentarismus entgegnen wollte, daß das gesamte Staatsvolk zu groß und zu unmündig sei, um sämtliche Entscheidungen treffen zu können, und deshalb das Parlament als eine Art Ausschuß des gesamten Volkes fungieren müsse, so würde ihm Carl Schmitt wohl auch heute entgegnen: 'Wenn aus praktischen und technischen Gründen statt des Volkes Vertrauensleute des Volkes entscheiden, kann ja auch im Namen desselben Volkes ein einziger Vertrauensmann entscheiden, und die Argumentation würde ohne aufzuhören demokratisch zu sein, einen antiparlamentarischen Cäsarismus rechtfertigen.'" (Schwab 2002: 103f., unterstrichen H.O.: Zitate Schmitt 1926: 13, 41, 29, 42)

Auch bei Schmitt stehen 'die Herrschaft der Parteien und die wirtschaftlichen Interessen', die Schwab als 'besondere Interessen' zusammenfasst, zunächst in einer Reihe. Mit Blick auf letztere heißt es im Original: "Auch Nichtsozialisten erkannten endlich die Verbindung von Presse, Partei und Kapital und behandelten die Politik nur noch als den Schatten ökonomischer Realitäten" (Schmitt 1926: 30).

3.2 Volk gegen System

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Allerdings stehen diese Erwähnungen wirtschaftlicher Interessen allesamt in der Einleitung neben anderen geläufigen Kritiken an parlamentarischen Verfahren (die auch Schwab anführt)60, etwa an der "Diätenpraxis" oder dem "Fraktionszwang" (ebd.: 28) und der Akzent verschiebt sich im Folgenden auch hier allein auf die Kritik der 'Parteienherrschaft'. Entscheidend ist zunächst die Re-Definition des Demokratiebegriffs, die Schmitt an den zitierten Stellen vornimmt, indem er Gegensätze einführt (gehört nicht zu..., muss getrennt werden..., ist denkbar ohne...) und umgekehrt Gegensätzliches zusammenführt (ebenso wenig der entscheidende Gegensatz..., kann ja auch..., ohne aufzuhören...). Das Ergebnis ist die Entgegensetzung der Äquivalenzketten {Liberalismus, Parlamentarismus, Herrschaft von Parteien und wirtschaftlichen Interessen, 'government by discussion'} / {Demokratie, Diktatur, Vertrauensmann des Volkes, Cäsarismus}. Demokratie wird zum Synonym von Diktatur. Gegen die Herrschaft von Parteien und wirtschaftlichen Interessen wird die Herrschaft eines Mannes gestellt. Dessen Verhältnis zu wirtschaftlichen Interessen bleibt allerdings im Dunkeln, obgleich er sowohl bei Schwab (s.o.) als auch bei Schmitt (s.u.) Einschnitte durchsetzen soll. Im letzten Abschnitt des Kapitels erläutert Schwab, wie ein solcher Cäsarismus (die Demokratie ohne Anführungszeichen bei Schwab und Voigt) institutionalisiert werden sollte und inwiefern das "eine wirklich gewaltenteilige Demokratie" (Voigt: 519) sei. "Eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative ist vom Ansatz nur möglich mittels einer verfassungsrechtlich verankerten Direktwahl des Staatsoberhauptes, das für die Regierungsbildung zuständig wäre, wobei die Frage nach der Bezeichnung des Staatsoberhauptes (»Präsident«, »Führer«, »Wahl-König«, »Kaiser« und dergleichen) zweitrangig ist.[] Den modernen Begriff von Gewaltenteilung definierte umfassend zuerst Montesquieu: 'Alles wäre verloren, wenn [...] die gleiche Körperschaft [...] folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen. [...] Es gäbe keine Freiheit mehr, wenn [...] die exekutive Befugnis bestimmten, von der legislativen Körperschaft ausgesuchten Personen anvertraut wäre, denn die beiden Befugnisse (Legislative und Exekutive) wären somit vereint.' Und im Grundgesetz steht geschrieben: 'Der Bundeskanzler wird [...] vom Bundestag [...] gewählt. [...] Die Bundesgesetze werden vom Bundestag beschlossen.'[] Dieses Horrorszenario, das Montesquieu malt, trifft nun tatsächlich in vollem Umfang auf die Bundesrepublik zu [...]. Wer dieses Regime nun befürwortet, der mag Anhänger des Liberalismus, Parlamentarismus und Parteienstaats sein; mit Demokratie im eigentlichen Sinne des

60 Schmitt (1926: 29) nennt in diesem Zusammenhang zahlreiche zeitgenössische Schriften in einer Fußnote und Schwab bezieht sich ausführlich auf Hans Herbert von Arnim (Staat ohne Diener, München 1993) sowie Erwin K. und Ute Scheuch (Cliquen, Klüngel und Karrieren, Reinbek 1993).

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Begriffs hat dieses Konzept der sogenannten parlamentarischen Demokratie allerdings nichts zu tun" (Schwab 2002: 109).

Das Argument das Montesquieu Mitte des 18. Jahrhunderts, mit Blick auf das Verhältnis von Monarch und ständischem Parlament entwickelt hatte, wird hier unmittelbar gegen die parlamentarische Regierungsbildung, im Rahmen einer auf allgemeinem Wahlrecht und der Idee der Volkssouveränität beruhenden Demokratie des 20. Jahrhunderts gestellt. Damit wird die Forderung nach einer nahezu unkontrollierten, im Staatsoberhaupt konzentrierten Exekutivgewalt untermauert. Die wahlweise Bezeichnung einer solchen institutionellen Position als 'Präsident' zeigt an, dass die entsprechende Vorstellung unter der "Typenvielfalt von demokratischen Modellen [...] eher dem Modell einer Präsidialdemokratie" (ebd.) zugeneigt ist. Wobei die anderen möglichen Bezeichnungen zeigen, dass letztendlich an ein Herrschaftssystem gedacht ist, das weit über existierende Formen der Präsidialdemokratie hinausginge. Der 'Wahl-König' bringt am besten auf den Punkt, dass hier ein "[q]uasi monarchischer Herrscher" (ebd.: 374) als Staatsoberhaupt entworfen wird. Dieser sollte nach Schwabs Phantasie auf Lebenszeit gewählt werden, um dann eine allein ihm verantwortliche Regierung sowie Verfassungsrichter zu ernennen und Gesetze in Kraft zu setzen (vgl. ebd. 375f.). Wie Demokratie zum Synonym von Diktatur wird, wird Gewaltenteilung zur Bestimmung einer Person über legislative, exekutive und judikative Apparate. Die zitierten Argumente werden von Schwab über die gesamten 400 Seiten beständig wiederholt. Im Kapitel "V.2 Die Frage nach der Staatsform" (Schwab 2002: 234ff.) werden – wiederum mit Verweis auf Montesquieu (vgl. ebd. 247) – exakt die gleichen Stellen von Schmitt noch einmal zitiert (vgl. ebd.: 241, 243, 246f., 248)61. Hier wird schließlich auch das letzte Element der grundlegenden Argumentationsfigur – die Trennung von 'Fremdem' als Basis der imaginären Homogenisierung 'innerer' Konflikte – auf Zitate von Schmitt (ebenfalls eine Wiederholung, vgl. ebd.: 191) gestützt: "Demokratie und demokratisches Wahlrecht setzt also völkische Homogenität voraus – im Gegensatz zur »multikulturellen« Heterogenität. Für Carl Schmitt jedenfalls steht fest: 'In der Demokratie gibt es nur die Gleichheit der Gleichen und den Willen derer, die zu den Gleichen gehören.'[] Hingegen ist 'die Gleichheit aller Menschen als Menschen [...] nicht Demokratie, sondern eine bestimmte Art Liberalismus.' [...] Carl Schmitt meint: 'Das allgemeine und gleiche Wahl- und Stimmrecht ist vernünftigerweise nur die Folge der substantiellen Gleichheit innerhalb des Kreises der Gleichen und geht nicht weiter als diese Gleichheit. Ein solches gleiches Recht hat einen guten Sinn, wo Homogenität besteht.'

61 Das Montesquieu-Zitat wird ebenfalls wiederholt (vgl. Schwab 2002: 289) und Carl Schmitts entsprechende Trennung von Parlamentarismus und Demokratie wird gleich dreimal wörtlich zitiert (vgl. ebd.: 103, 241, 335).

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Der Umkehrschluß zu diesem demokratischen Prinzip der Homogenität besteht nun für Schmitt, wie bereits gesagt, darin, daß eine Demokratie nur zu erhalten oder wiederherzustellen ist, wenn die Homogenität des Volkes erhalten oder wiederhergestellt wird: 'Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, daß sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß.'" (Schwab 2002: 244f., Hervorhebung H.O.: Zitate Schmitt 1926: 22, 18, 16, 14))

Die oben herausgestellten Äquivalenzketten, die Schmitts Text bestimmen, werden hier auf jeder Seite erweitert, es gilt nun auch {Liberalismus, Parlamentarismus, Herrschaft von Parteien und wirtschaftlichen Interessen, 'government by discussion', Gleichheit der Menschen als Menschen} / {Demokratie, Diktatur, Vertrauensmann des Volkes, Cäsarismus, substanzielle Gleichheit, Homogenität}. Schwab artikuliert den gesamten Antagonismus unter dem Gegensatzpaar 'völkische Homogenität' / 'multikulturelle Heterogenität' und wiederholt damit die nunmehr explizit völkisch-biologistische Homogenisierung von gesellschaftlichen Widersprüchen im Inneren, durch die Entgegensetzung zu Migrant*innen als angeblichen Verursacher*innen der Heterogenität. 3.2.4.3 Physische Bedingungen Carl Schmitt selbst kannte freilich weder das Wort multikulturell als Bezeichnung einer Einwanderungsgesellschaft, noch hätte er seine Position in der Phase der Weimarer Republik als völkisch bezeichnet, weil das Wort zu diesem Zeitpunkt eine recht klar abgegrenzte Gruppe der nationalistischen Rechten bezeichnet hat, bei der biologistisches Rassendenken absolut im Vordergrund stand. Dass Schwab dennoch den Kern von Schmitts Argumentation trifft, der es ihm 1933 mühelos erlaubte, seine Theorie in der Terminologie der nun tonangebenden Völkischen zu reformulieren62, zeigt ein größerer Ausschnitt aus Schmitts Originaltext, der das letzte Zitat von Schwab enthält: "Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens – nötigenfalls – die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen. Zur Illustrierung dieses Satzes sei mit 62 Zu diesem Zeitpunkt, an dem Schmitt "zum reinen und schlichten Nazifeldgeschrei übergeht" (Faye 1977a: 485), wird die 'demokratische Homogenität', von der er 1926 spricht – und die, wie gleich gezeigt wird, schon hier in erster Linie physisch und national bestimmt wird – durch die "geradezu zoologische" (Marcuse 1967: 70, Anm.) Kategorie der Art definiert, ein zentrales Konzept der Völkischen also. Faye geht in seiner Studie von Carl Schmitts Begriff 'totaler Staat' aus und zeigt, wie die verschiedenen Fraktionen der nationalistischen Rechten ihm, auf der Basis einer weitgehend geteilten Grundstruktur der Aussagen, "Ersatzformeln entgegensetzen (so wie die 'völkische Ganzheit' usw.)" (Faye 1977a: 15; vgl. 474ff.). Dadurch rekonstruiert er den Prozess, in dem diese Fraktionen 1933 im NS konvergieren, wobei nicht zuletzt die widersprüchlichen Interessen (der Anhängerschaften), die von ihnen artikuliert werden, durch den NS als 'ideologischen Entlader' (vgl. ebd.: 569ff.) punktuell kurzgeschlossen werden, imaginär zwar, aber mit weitreichenden politischen Folgen.

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einem Wort an zwei verschiedene Beispiele moderner Demokratien erinnert: an die heutige Türkei mit ihrer radikalen Aussiedlung der Griechen und ihrer rücksichtslosen Türkisierung des Landes – und an das australische Gemeinwesen, das durch Einwanderungsgesetzgebung unerwünschten Zuzug fernhält und, wie andere Dominions, nur solche Einwanderer zuläßt, die dem right type of settler entsprechen. Die politische Kraft einer Demokratie zeigt sich darin, daß sie das Fremde und Ungleiche, die Homogenität Bedrohende zu beseitigen oder fernzuhalten weiß. Bei der Frage der Gleichheit handelt es sich nämlich nicht um abstakte logischarithmetische Spielereien, sondern um die Substanz der Gleichheit. Sie kann in bestimmten physischen und moralischen Bedingungen gefunden werden [...]. Seit dem 19. Jahrhundert besteht sie vor allem in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation, in der nationalen Homogenität.[]" (Schmitt 1926: 14, Hervorhebungen i.O.).

Die zur Basis der Demokratie erklärte Gleichheit definiert sich hier also exakt durch den (einen Pol des) Antagonismus, der die Rede Voigts kennzeichnet und den Schwab mit dem Gegensatz völkisch/multikulturell aufruft, nämlich durch {nationale Homogenität, Substanz, physische Bedingungen} / {Heterogenität, Ausländer, Bsp. Griechen, Einwanderer}. Auch bei Schmitt ist die 'Substanz' eine physische, sprich biologische. Verknüpft durch ein 'und' wird diese physische Bestimmung durch 'moralische' Bestimmungen ergänzt, die dann an Beispielen ausgeführt werden. Diese Beispiele wurden im Zitat ausgelassen, weil sie gerade das Entscheidende verdecken. Denn die physisch-biologische Substanz ist das Primäre, das durch ein 'und' – nicht einmal ein 'oder' – mit der Moral verbunden wird. Diese Substanz wird zur Grundlage demokratischer Gleichheit erklärt, nicht Moral, nicht die normative Gleichheit aller Menschen als Menschen und nicht 'abstrakte logarithmetische Spielereien', sprich die mit dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht institutionalisierte Gleichheit der Stimmen. Die Rede von der 'Ausscheidung oder Vernichtung' macht die Tendenz ('nötigenfalls') zum rassistisch motivierten Massenmord deutlich, die dieser Figur 'substanzieller Gleichheit' innewohnt. Beide Komponenten werden dann am Beispiel der Türkei erläutert. Der Ausscheidung (aus dem Volkskörper, wie sich das Symbol fortschreiben lässt) entspricht dabei zunächst die Aussiedlung von Griechen. Die Vernichtung ist homolog zum Massenmord an den Armeniern, der von Schmitt hinter der Formulierung 'rücksichtslose Türkisierung des Landes' verborgen wird. Einige Zeilen später steht das Physische im Zusammenhang mit der Heterogenität wiederum an erster Stelle. Hier konstruiert Schmitt den "idyllischen Fall, dass ein Gemeinwesen" besteht, in dem "jeder jedem anderen physisch, psychisch, moralisch und ökonomisch so ähnlich ist, dass eine Homogenität ohne Heterogenität vorliegt" (ebd.). Hier, genau an der Stelle, an der eine ökonomische Bestimmung ins Spiel kommt, ist von einer anderen Art von Heterogenität die Rede. Es geht nämlich um die 'innere' Heterogenität eines Gemeinwesens, die zuvor durch die Unterscheidung von 'der äußeren' überdeckt beziehungsweise explizit in einen

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'anderen Zusammenhang' verwiesen worden war. In einer Fußnote zur oben zitierten 'nationalen Homogenität' merkt Schmitt nämlich an: "Die zur Demokratie gehörige politische Substanz kann wohl nicht im bloß Ökonomischen liegen. Aus der ökonomischen Gleichheit folgt noch keine politische Homogenität; wohl können – negativ – große ökonomische Ungleichheiten eine sonst bestehende Homogenität aufheben oder gefährden. Die weitere Ausführung dieser Thesen gehört in einen anderen Zusammenhang" (Schmitt 1926: 14, vgl. ebd. 34).

Im ersten Satz wird etwas zögernd ('wohl') jene Marx-Interpretation zurückgewiesen, welche die demokratietheoretische Figur des souveränen Volkes mit dem Proletariat als universeller Klasse identifiziert. Der zweite Satz gesteht allerdings zu, dass Klassengegensätze ('große ökonomische Ungleichheiten') die 'sonst bestehende Homogenität' (das heißt die 'nationale Homogenität', die mit einer Fußnote erläutert wird) 'aufheben'. An anderer Stelle wird Schmitt deutlicher: "Sobald an die Stelle politischer Begriffe wirtschaftliche Kategorien treten und ökonomische Gegensätze in Verbindung mit einem marxistischen Klassenbegriff die demokratische Homogenität gefährden, ändern sich [...] auch alle Vorstellungen über [...] das richtige Verhältnis und die Verteilung der Einnahmen und Ausgaben des Staates" (Schmitt 1988 [1940]63: 86).

Wie sich im Folgenden zeigt, geht es dabei um die Möglichkeiten zur staatlichen Umverteilung des privat angeeigneten Reichtums, die mit der "Massendemokratie" (ebd.), das heißt dem allgemeinen Wahlrecht potenziell gegeben sind. "Auch hier offenbart das Wort 'Volk' seine abgründige Vieldeutigkeit" (ebd.: 87), es besteht die Möglichkeit, dass es mit der Mehrheit der Eigentumslosen identifiziert wird, eine Bedeutung die Schmitts Begriff des Volkes als physisch-nationaler Homogenität auszuschließen sucht. Wenn er dann im Zusammenhang mit 'innerer' Heterogenität wiederum das Physische an erster Stelle nennt, vollzieht sich kaum merklich jener Übergang zwischen der jeweils biologistisch bestimmten 'Quantität' und der 'Qualität' eines 'Volkes', der auch im Interview der DS mit dem Humangenetiker Weiss zu beobachten war (vgl. Kapitel 3.2.1). Im ersten Schritt hin zur Biologie wird herrschaftliche Arbeitsteilung negiert, indem ein homogenes Volk-als-Substanz gegenüber äußerer Heterogenität abgegrenzt wird. Im zweiten Schritt kehren die Herrschaftsverhältnisse dann als legitimierte 'innere Heterogenität' zurück, weil diese 'physische Substanz des Volkes' eine natürliche 'qualitative Gliederung' aufweise. Laut Jürgen Schwab "ist deshalb von der naiven Vorstellung Abstand zu nehmen, das deutsche Volk, wie andere Völker auch, bestehe nur aus völkischer Homogenität. Dies ist nur ein Teil der Wahrheit, der

63 Der ursprünglich 1927 geschriebene Aufsatz "Demokratie und Finanz" wurde 1940 in dem Band "Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles" erneut abgedruckt, hier zitiert nach einem unveränderten Nachdruck aus dem Jahr 1988.

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andere besteht in der Inhomogenität eines Volkes in Geschlechtern, sozialen Klassen und [...] ein paar Unterscheidungsmerkmalen mehr" (Schwab 2002: 168).

Eine Seite zuvor unterscheidet er in diesem Sinne zwischen "charakterstarken und charakterschwachen Individuen, Fleißigen und Faulen, Intelligenten und Dummen, Fähigen und Unfähigen" (ebd.: 167). Diese Aussage der HETEROGENITÄT {Volk, Homogenität, natürliche Gliederung: (Elite/Masse, Leistungsstarke/schwache, obere Klassen/untere Klassen, Männer/Frauen)} / {Inhomogenität: Ausländer, multikulturelle Gesellschaft}, gilt es festzuhalten, weil sie in aller Regel hinter der Rede vom scheinbar homogenen VOLK verborgen bleibt, obgleich sie gerade dabei vorausgesetzt ist. Elaborierter als Schwab schreibt Schmitt in diesem Zusammenhang, dass im Gegensatz zu 'dem idyllischen Fall innerer Homogenität', die vielleicht "in primitiven Bauerndemokratien [...] möglich sein könnte [...], im Allgemeinen zu einer Demokratie bisher immer auch Sklaven gehörten oder Menschen, die in irgendeiner Form ganz oder halb entrechtet und von der Ausübung der politischen Gewalt ausgeschlossen waren" (Schmitt 1926: 15f.).

Mit den Sklaven nimmt Schmitt hier zum einen auf die antiken Demokratien Bezug. Diese sind ein zentrales Element der politischen Ideengeschichte, die als Legitimation dieser oder jener Form staatlicher Herrschaft in immer neuen Variationen erzählt wird. Schmitts Version begründet an dieser Stelle den Ausschluss demokratischer Partizipation auf Grundlage der 'inneren Heterogenität'. Zum anderen wird auch hier eine bestimmte Marx-Interpretation (die sich ihrerseits auf ein Amalgam aus Engels 'heiliger Familie' und dem 'Kommunistischen Manifest' beruft) negiert. Die Geschichte, nach der die Menschheit vom primitiven Urkommunismus kommend mit dem Übergang zur Sklavenhaltergesellschaft den ersten Schritt zur Abfolge von Klassengesellschaften getan hat, wird hier aus einer Perspektive erzählt, die Klassenherrschaft als eine durch 'physische Eigenschaften' legitimierte bejaht. Dementsprechend endet die Erzählung hier auch nicht mit einer kommenden klassenlosen Gesellschaft, sondern mit der Feststellung, dass der "moderne Imperialismus [...] zahlreiche neue [...] Herrschaftsformen herausgebildet [hat], die sich in dem selben Maße ausdehnen, wie sich innerhalb des Mutterlandes die Demokratie entwickelt" (ebd.: 15). Nur in letzterem besteht allgemeines und gleiches Wahlrecht, nicht in den Kolonien, denn "die Farbigen würden mit ungeheurer Mehrheit die Weißen überstimmen" (ebd.: 15f.). Es ist nicht einfach eine große Mehrheit, Schmitt imaginiert hier wirklich ein Ungeheuer, das die globale Dominanz der Weißen bedroht. Diese Angst treibt Schmitts Anhänger noch heute um (vgl. Kapitel 5.1.1.2).

3.2 Volk gegen System

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3.2.4.4 Gewaltenbalance: Souverän gegen das Volk Sowohl Schmitt als auch Schwab entwickeln also einen auf 'physischen Eigenschaften' beruhenden Demokratiebegriff, zu dessen Konsequenzen zugleich die Ausscheidung dessen gehört, was als physisch heterogen bestimmt wird und im Gegenzug die Anerkennung herrschaftlicher Arbeitsteilung als gesunde und natürliche Konstitution eines Volkskörpers. Der Unterschied zwischen Schmitts Original und der Übersetzung für den NPD-Infotisch, besteht vor allem im intellektuellen Vermögen und nicht in den (durch die Äquivalenzketten definierten) zentralen Aussagen. Die Aussagen zitiert Schwab zielsicher, obgleich er sie dabei oftmals krude aus dem Zusammenhang reißt und zu erkennen gibt, dass ihm der Hintersinn von Schmitts Spiel mit den Elementen der politischen Ideengeschichte entgeht. Dies gilt nicht zuletzt für die Berufung auf Montesquieu, den Schwab nach Textauszügen in einem Schulbuch für Geschichte zitiert (vgl. Schwab 2002: 289, Anm. 428) und von dem er unter anderem behauptet, er sei "Geistiger Urvater" der "Vorstellung einer Volkssouveränität" (ebd.). Diese Behauptung steht allerdings diametral zu Schmitts Interpretation der Gewaltenteilung, die von zentraler Bedeutung in dem ausführlich (und nach dem Original) zitierten Text ist, nämlich im Abschnitt "II. Die Prinzipien des Parlamentarismus" (Schmitt 1926: 41-63). Schmitt bezieht sich hier gleich an der ersten Stelle, an der das Thema Gewaltenteilung angesprochen wird, auf den Ökonomen Hasbach (vgl. ebd. 42f.), wie er es übrigens auch in jenem Abschnitt seines Buches 'Die Diktatur' getan hat, in dem er zuvor seine Interpretation der Gewaltenteilung entwickelte und auf das er hier ebenfalls verweist (vgl. ebd., 52). Ein zentrales Argument von Hasbach ist nun, dass Montesquieu nicht nur kein 'Urvater', sondern ausdrücklicher Gegner der Volkssouveränität gewesen sei. Er habe sich nicht nur gegen einen "fürstlichen" und einen "aristokratischen", sondern auch gegen den "demokratischen Absolutismus" (Hasbach 2005 [1911]: 39) ausgesprochen, der auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhe und in der parlamentarischen Regierungsbildung zum Ausdruck komme (vgl. ebd. 39f.)64. In diesem Zusammenhang fällt bereits bei 64 Schmitt beruft sich nicht auf diesen, sondern auf spätere Texte von Hasbach, die sich in der Entgegensetzung {Montesquieu, Gewaltenteilung} / {Volkssouveränität, Naturrecht, parlamentarische Regierung} nicht unterscheiden dürften. Sicher gilt dies für den von Schmitt sowohl in der 'Geistesgeschichtlichen Lage' als auch in der 'Diktatur' genannten Aufsatz, aus dem er die Auffassung übernimmt, dass die Gewaltenteilung bei Montesquieu und anderen bewusst als symbolische Balance konstituiert werde (vgl. Hasbach 1916). Der hier zitierte frühe Aufsatz von Hasbach ist sowohl stärker an Montesquieu orientiert als auch pointierter, weshalb er wohl von den Herausgebern des Bandes "Montesquieu-Traditionen in Deutschland" (Mass, Weinacht 2005) ausgewählt wurde. Es ist bemerkenswert, welches Gewicht die Herausgeber in der Auswahl ihrer Texte und vor allem in der einleitenden Kommentierung (vgl. ebd. 7-30) auf jene Interpreten (nicht zuletzt Carl Schmitt) legen, die sich auf Montesquieu als Antipoden des Gedankens der Volkssouveränität stützen. Dass sie dies durchaus

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Hasbach das Wort Oligarchie genau in dem Sinn, in dem es wie gezeigt auch Voigt und Schwab gebrauchen: "In diesem demokratischen Absolutismus sieht dagegen die demokratische Staatslehre ihr Ideal in der Unterwerfung der Bürger unter den ungebrochenen Mehrheitswillen des Volkes, von außen gesehen – von innen: unter die geheime Kabinettsregierung der unverantwortlichen Oligarchie, welche die öffentliche Meinung bildet und die Massen lenkt durch Volksversammlungen, Zeitungen, die Korrektur des Büchermarktes, die Arkana der Parteiorganisation und die Strategie wie die Taktik des Wahlkampfes" (ebd.: 40, kursiv i.O.).

Schmitt selbst kommt auf andere Weise zu diesem Ergebnis. Er schiebt die Themen der parlamentarischen Regierung und der Volkssouveränität zunächst beiseite, da sie nicht das Wesentliche des Parlamentarismus träfen (vgl. Schmitt 1926: 41f.). Der Begriff der Volkssouveränität wird dabei sorgsam umgangen und mit der Interpretation des Parlaments als Ausschuss des Volkes und der Regierung als Ausschuss des Parlaments umschrieben. In diesem Zusammenhang findet sich die von Schwab zitierte Stelle, nach der statt eines Ausschusses ebenso gut ein Einzelner entscheiden könne (s.o.). Dies trifft sich später wieder mit der Interpretation der Gewaltenteilungslehre, nach der in der Exekutive ein Einzelner entscheiden muss. Einführend benennt Schmitt die "Gewaltenteilung, richtiger [als] die Lehre von der Balancierung entgegengesetzter Kräfte" (ebd. 46), näher bestimmt als "Dreiteilung der Gewalten, inhaltliche Unterscheidung von Legislative und Exekutive, Ablehnung des Gedankens, dass die Fülle der Staatsgewalt sich in einem Punkt sammeln dürfe". Entscheidend ist zweierlei: Zum einen das Thema der Balance, das Schmitt in 'Die Diktatur' anhand von Montesquieu und in Anlehnung an Hasbach entwickelt hat. Zum anderen die 'inhaltliche Unterscheidung' zweier Gewalten, nämlich Legislative und Exekutive, auf deren Balance es Schmitt im Folgenden alleine ankommt65: "Daß in der Teilung der Gewalten das Parlament die Rolle der Legislative bekommt, hierauf aber beschränkt ist, macht den Rationalismus, der dem Gedanken einer Balancierung zugrunde liegt, selbst wieder relativ und unterscheidet dieses System, wie gleich zu zeigen sein wird, von dem absoluten Rationalismus der Aufklärung" (ebd. 50).

Mit diesen Unterscheidungen relativer Rationalismus (Gewaltenbalance) / absoluter Rationalismus (Aufklärung) sowie Legislative (Parlament, Rationalismus) / mit Blick auf aktuelle politische Implikationen tun, zeigt ihr letzter Satz, in dem sie konstatieren, dass "politischer Streit [...], wo er existenziell wird, immer auch ein 'Kampf um Worte' (Carl Schmitt)" (ebd.: 30) ist. Das Schmitt-Zitat wird nicht belegt, es liegt allerdings nahe darin eine Anspielung auf den Band "Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles (1923-1939)" (Schmitt 1988 [1940]) zu sehen. 65 Maus (vgl. 2005: 690ff.) weist darauf hin, dass mit dieser Konzentration auf Legislative und Exekutive gerade der Aspekt von Montesquieus Gedanken ausgeblendet wird, der am ehesten mit einem auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhenden, parlamentarischen Gewaltenteilungssystem kompatibel ist, nämlich die konsequente Gesetzesbindung der Justiz.

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Exekutive führt Schmitt zentrale Elemente der Grundstruktur seiner Argumentation zum Thema Gewaltenteilung ein, die mit dem Gegensatz Rationalismus / Irrationalismus verschränkt ist. Die Kopfzeile der Tabelle (3.1) zeigt die dreigliedrige Struktur dieser Verschränkung, die sich aus den genannten Unterscheidungen und jenen, die im weiteren Verlauf des Textes eingeführt werden, ergibt. Die tabellarische Übersicht, die im Folgenden genauer erläutert wird, soll verdeutlichen, dass diese Struktur von Gegensatzpaaren den roten Faden von Schmitts Text bildet. Der Text mäandert zwischen verschiedenen Themen (Entstehen einer konstitutionellen Theorie, Frage nach der Souveränität, Unterscheidung von konstitutionellem und absolutistischem Gesetzesbegriff etc.), um dann am Ende das Thema Gewaltenteilung so abzuschließen, dass sich der Begriff mit Schmitts cäsaristischer Re-Definition von Demokratie trifft. Die Begriffe, die in den einzelnen Spalten der Tabelle (3.1) abgetragen sind, stehen untereinander in einer Äquivalenzbeziehung, während die zentralen Differenzen zwischen den einzelnen Spalten bestehen. Schmitt baut diese Beziehungen auf, indem er bestimmte Begriffe unabhängig vom jeweiligen thematischen Zusammenhang immer wieder miteinander verbindet und zugleich explizit von anderen unterscheidet66. Exemplarisch ist die folgende Stelle: "Das Gesetz, Veritas im Gegensatz zu bloßer Autoritas, und die generell richtige Norm im Gegensatz zu dem bloß wirklichen konkreten Befehl, [...] werden als etwas Intellektualistisches aufgefasst zum Unterschied von der Exekutive, die wesentlich Handeln ist. Gesetzgebung ist deliberare, Exekutive agere. Auch dieser Gegensatz hat seine Geschichte, die mit Aristoteles beginnt [...]" (Schmitt 1926: 56, kursiv i.O.)

Zwei Seiten zuvor führt Schmitt den Gegensatz von 'autoritas' und 'veritas' bei der Erläuterung eines absolutistischen Gesetzesbegriffs mit einem Zitat von Hobbes ein. Hier nimmt er ihn im Zusammenhang mit der Unterscheidung von Legislative und Exekutive als Moment der Gewaltenteilung wieder auf. Worauf es ankommt ist aber weder der Gesetzesbegriff noch die Gewaltenteilung, sondern es sind die begrifflichen Gegensatzpaare selbst, {Gesetz, Veritas, deliberare, Legislative, Intellektualismus} / {Befehl, Autoritas, agere, Exekutive, Handeln}, die dann an weiteren Beispielen aus dem Textreservoir der politischen Ideengeschichte ('beginnt mit Aristoteles ...') illustriert und fortentwickelt werden.

66 Augenscheinlich sind diese Relationen auch daran, dass bestimmte Attribute wie zum Beispiel 'konkret' systematisch bestimmten Spalten zugeordnet sind {konkrete Person, konkrete Sachlage, konkreter Befehl}, während ihr kontradiktorisches Pendant, in diesem Fall 'generell', systematisch anderen Spalten zugewiesen ist {Generelles, generelles Gesetz, genereller rationaler Satz}.

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Tabelle 3.1: Äquivalenz-/Differenzstrukturen in Carl Schmitts "Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus" (Schmitt1926: 52ff.) Irrationalismus Rationalismus relativer Rationalismus absoluter Rationalismus Gewaltenteilung/-balance Aufklärung Exekutive Legislative (Parlament) parlamentarische Regierung Thema: konstitutionelle Theorie (S. 52f.) Exekutive Legislative Aufhebung der Trennung konkrete Person des Rex überpersönliches Diktatur Regnum konstitutioneller / parlamentarischer Gesetzesbegriff universale Ratio Befehl Gesetz Singuläres Generelles Thema: Souveränität (S. 53f.) König persönlich unpersönliches bzw. generelles Gesetz Souverän konkrete Sachlage Ausnahme vom generellen Gesetz der über die Ausnahme entscheidet Thema: Konstitutionelles und absolutistisches Denken (S. 54) konkrete genereller rationaler Satz Einzelverfügung Maßnahme Befehl Parlamentieren Autorität Counsell Command Wahrheit, Richtigkeit Autorität Veritas Autoritas gouvernment by gouvernment by will constitution Thema volonté générale (S. 55) rechtsstaatlicher Gesetzesbegriff volonté particulière Gesetz als volonté générale räsoniert befiehlt

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Thema Balancetheorie (S. 56ff.) Autoritas konkreter Befehl wesentlich Handeln -

Gesetz, Veritas richtige Norm etwas Intellektualistisches agere deliberare Exekutive Gesetzgebung Hand eines Mannes größere Versammlung Dezision Deliberation Einheit der Dezision Gegensätze der Meinungen und Parteien Balancetheorie Aufhebung d. Balance Exekutive Legislative, Parlament Aufhebung d. Teilung Irrationales Rationales absoluter Rationalismus relative Wahrheit Diktatur der Vernunft Identifikation von Gesetz und Wahrheit Balancierung der kontradiktorische Meinungen Gegensätze deliberiert Thema: Dt. Liberalismus des 19. Jahrhunderts (S. 58ff.) Einheit des Staates Liberale Diskussion überragende Person des ständische Vertretung Fürsten parlamentarische Exekutive Legislative Regierung konkreter Befehl allgemeines Gesetz öffentliche Diskussion Wahrheit und Gerechtigkeit Thema: Parlamentarismus heute (S. 62f.) Teilung der Gewalten parlamentarische Regierung

Gerade wegen dieses Verfahrens – das nicht in der rationalen Argumentation bezüglich eines klar definierten staatsrechtlichen Problems (z.B. für und wider parlamentarischer Regierungsbildung), sondern im Aufbau von Assoziationsketten während eines ständigen Wechsels von Themen besteht – zeigt die tabellarische Übersicht deutlicher als das Nachzeichnen der einzelnen Themen und Argumente, wofür beziehungsweise wogegen hier plädiert wird. So erweist sich die parlamentarische Regierungsbildung, die Schmitt am Anfang des Kapitels beiseitegeschoben hatte, weil sie nichts Wesentliches zum Thema beizutragen habe, am Ende als zentral. In den beiden letzten Abschnitten des Kapitels erscheint sie nämlich als zentrale Antithese (Tabelle 3.1: rechts unten, vgl. Schmitt 1926: 60, 62) zu dem, was Schmitt als "Prinzipien" (ebd.: 61) eines gewaltenteiligen Parlamentarismus präsentiert. Diese 'geistesgeschichtlichen'

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Grundlagen des Parlaments (und damit die Institution selbst) seien überholt, denn erstens verletzt die Arbeit in Ausschüssen und anderen nicht-öffentlichen Gremien das Prinzip der öffentlichen Diskussion im Parlament (vgl. ebd. 62; Schwab 2002: 32, 103f.) und zweitens habe sich die "parlamentarische Regierung [...] gerade als das wichtigste Mittel erwiesen, die Teilung der Gewalten und mit ihr die alte Idee des Parlamentarismus aufzuheben" (Schmitt 1926: 62). Hier zeigt sich exakt die gleiche Verschiebung des Gewaltenteilungsbegriffes wie bei Schwab, mit dem Unterschied, dass sie diesmal vom belesenen Autor anhand ideengeschichtlicher Quellen und nicht mit der schlichten Gegenüberstellung eines Schulbuchtextes von Montesquieu und des Grundgesetzes illustriert wird. Wie die linke Spalte der Tabelle 3.1 zeigt, bedeutet Gewaltenteilung auch bei Schmitt die umfassende, letztlich über dem Gesetz stehende Handlungsmacht eines Mannes, eines (Quasi-)Monarchen. Dieser erscheint hier im wörtlichen Sinne (rex, der König persönlich etc.), weil Schmitt Hasbach folgend die Gewaltenteilungslehre ausschließlich der konstitutionellen Monarchie zurechnet (s.u.) und die Verbindung zu seinem 'cäsaristischen Demokratiebegriff' an dieser Stelle nicht zieht, obgleich die entsprechenden, im vorigen Abschnitt herausgestellten Äquivalenzketten mit den ersten beiden Spalten der Tabelle 3.1 offensichtlich fortgeschrieben werden: {Demokratie, Cäsarismus, Hand eines Mannes, konkrete Person des Rex, Einheit der Dezision, ...} / {Liberalismus, 'gouvernment by discussion', Konstitutionalismus, parlamentieren, deliberieren, Gegensätze der Meinungen und Parteien, ...}. Das Entscheidende an der Balancetheorie – die Schmitt als den Begriff der Gewaltenteilung präsentiert – ist, dass die Vorrangstellung des (Quasi-)Monarchen vor dem Parlament und dem Gesetz gewahrt bleibt, während umgekehrt die konsequente Bindung der Exekutive an die von der Legislative erlassenen Gesetze, sowie die parlamentarische Kontrolle der Regierung als Aufhebung der Gewaltenteilung erscheint: "Auch Montesquieu ist ja der Meinung, daß die Exekutive in der Hand eines Einzigen sein müsse, weil es sich bei ihr um sofortige Aktion handle" (Schmitt 1926: 57, Anm.). Dabei entgeht Schwab trotz aller sonstigen Übereinstimmung, dass die Begriffe Volk und Souveränität im Zuge dieser Begründung einer umfassenden, quasimonarchischen Exekutivgewalt gerade getrennt werden. Denn die Souveränität des Volkes soll verfassungsrechtlich ja gerade darin zum Ausdruck kommen, dass die Legislative als (ab)wählbarer Ausschuss des Volkes die allgemeinen Gesetze erlässt, welche auch die Regierung binden, die zudem als parlamentarische Regierung von diesem Ausschuss kontrolliert wird. Deshalb spricht Schmitt eben nicht von Volkssouveränität, sondern wiederholt ganz im Gegenteil genau hier seine bekannte Definition von Souveränität als Entscheidung über den Ausnahme-

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zustand (vgl. Schmitt 1926: 53; Schwab 2002: 191, 227), welche die Trennung Volk / Souveränität von Beginn an intendiert67. In der 'Balancetheorie' – das heißt der Gegenüberstellung 'König persönlich' / 'überpersönliches Gesetz' (siehe Tabelle 3.1) – ordnet sich die entsprechende Vorstellung vom Souverän dann explizit auf Seiten der Exekutive ein, und damit im Gegensatz zur Legislative beziehungsweise Volksvertretung. Schmitts Re-Defintion des Demokratiebegriffs als Cäsarismus trifft sich gerade deshalb mit der Balancetheorie, weil auch hier von Volkssouveränität keine Rede ist. Das Argument, dass auch ein Einzelner den Willen des Volkes repräsentieren und exekutieren könne, beruht gerade darauf, dass das Volk nicht als Souverän in Erscheinung tritt. In der "Reihe von Identitäten", die Schmitt als "Kern des demokratischen Prinzips" ausmacht, also "Identität von Staat und Volk [... ,] von Regierenden und Regierten, Herrscher und Beherrschten" (Schmitt 1926: 35) und so weiter, findet sich nirgends ein Paar 'Regierende und souveränes Volk' oder ähnliches, weil die Souveränität dem Herrscher (der Singular im Zitat ist wörtlich zu nehmen) zukommt, wie die entsprechende Definition später zeigt. Der Demokratiebegriff von Schmitt richtet sich fundamental gegen die im Gedanken der Volkssouveränität angelegte Selbstbestimmung von Menschen, angefangen bei der eingeschränkten Form regelmäßiger politischer Partizipation. "Der Wille des Volkes kann durch Zuruf, durch acclamatio, durch selbstverständliches unwidersprochenes Dasein ebensogut und noch besser demokratisch geäußert werden, als durch den statistischen Apparat, den man seit einem halben Jahrhundert […] ausgebildet hat" (ebd. 22).

Dieser 'statistische Apparat' bedeutet nichts anderes als regelmäßige Wahlen. 3.2.4.5 Das Irrationale Auch historisch wird die Balancetheorie von Schmitt ganz explizit als Abwehr der Demokratie im Sinne der Volkssouveränität eingeordnet, sie habe nämlich ihr "klassisches Zeitalter im Bürgerkönigtum" gehabt, "die alte Monarchie und Aristokratie waren [...] überwunden, die herannahende Demokratie erschien als chaotischer Strom gegen den man einen Damm bauen mußte" (Schmitt 1926: 63). Dem politischen Dammbruch (zur Symbolik vgl. Kapitel 3.2.5) der Demokratisierung, entspricht bei Carl Schmitt ein theoretischer, nämlich das Einfließen des Rationalismus der Aufklärung. In der Tabelle 3.1, die die Äquivalenz-/Differenzbeziehungen der Begriffe im Text abbildet, ist die mittlere Spalte deutlich als Bruchpunkt zu erkennen. Einerseits steht sie auf Seiten der Balancetheorie gegen den 'absoluten Rationalismus der Aufklärung'. Andererseits sickert hier doch bereits eine 67 "Es war Carl Schmitt, der den für eine starke Demokratie konstitutiven Begriff der Souveränität [...] auf die Handlungskompetenz der Exekutive hin umpolte" (Maus 2005: 830)

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'relativer Rationalismus' ein, der sie vom "Irrationalen" unterscheidet, nämlich von der Dezision der Exekutive, die Schmitt als "das einer rationalen Diskussion nicht Zugängliche" (Schmitt 1926: 57) behauptet. Das aufklärerische Element liegt in der Deliberation – einer vernunftbezogenen, begründungspflichtigen Wahrheitssuche in öffentlicher Diskussion – die, so die Idee, mit dem parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren als Prinzip der Politik institutionalisiert werden soll. Schmitt bringt seine generelle Verachtung für deliberative Praxen häufig in beiläufigen Bemerkungen zum Ausdruck, etwa in der Formel vom "ewigen Gespräch[]" ohne "definitives Resultat" (ebd.: 46, vgl. 58) oder in der Bezeichnung des Parlaments als "Platz, wo man deliberiert" (ebd.: 58), beziehungsweise als Ort "des Parlamentierens" (ebd.: 54, vgl. 43) – wenig geläufige Bezeichnungen in denen Delirieren und Lamentieren anklingen. Das in der Weimarer Republik gängige Schlagwort der 'Schwatzbude', das Schmitt mit diesen subtileren Wendungen aufruft, fällt schließlich wieder bei dem stets auf Eindeutigkeit bedachten Jürgen Schwab, nach dem der "Bundestag mittlerweile zur 'Schwatzbude des Bundes' verkommen" (Schwab: 2002: 105) ist. Dementsprechend kommt es Carl Schmitt auf die "Spannung zwischen Montesquieu und der Aufklärung" an, er rezipiert den "Vertreter des aufgeklärten Staatsabsolutismus" (Schmitt 2005 [1921]: 61) in einer historischen Situation, in der es gerade nicht mehr um die Integration des aufklärerischen Momentes in die Theorie (und institutionelle Praxis) des Staates, sondern umgekehrt um die Verteidigung des absolutistischen Elements geht. Konkret bedeutet dies die Verteidigung des "volonté particulière" der Exekutive (vgl. Tabelle 3.1), gegenüber der Erweiterung des "rechtsstaatlichen Gesetzesbegriffs" zur "Lehre vom Gesetz als der volonté générale" (Schmitt 1926: 55). Schmitt betont "wie wenig in der Balancetheorie daran gedacht war, den für Legislative und Parlament maßgebenden Rationalismus auf die Exekutive auszudehnen und auch sie in Diskussion aufzulösen" (ebd.: 57), das heißt, die 'konkreten Befehle' der Exekutive an die vom Parlament verabschiedeten 'allgemeinen Gesetze' zu binden und der parlamentarischen Kontrolle zu unterstellen. "Ein solcher Rationalismus führt zur Aufhebung der Balance, zur Diktatur der Vernunft" (ebd.: 58). Spiegelbildlich zur Synonymisierung von Demokratie und Diktatur (s.o.) erscheint hier die konstitutionelle Beschränkung diktatorischer Befugnisse als eigentliche Diktatur. Die "Beschränkung des Parlaments auf Gesetzgebung" (ebd. 56) – wie die Zwischenüberschrift des entsprechenden Textabschnittes lautet – die unter Berufung auf Montesquieu gefordert wird, ist in theoretischer Hinsicht der letzte brüchige Damm gegen den "abstrakte[n] Rationalismus" (Schmitt 2005 [1921]: 62) der Aufklärung und in praktischer Hinsicht die Verteidigung der letztlich über dem Gesetz stehenden (quasi)monarchischen Exekutive, der "überragende[n], die Einheit des Staates repräsentierende[n] Person" (Schmitt 1926: 58).

3.2 Volk gegen System

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In den folgenden Kapiteln der 'Geistesgeschichtlichen Lage' baut Schmitt das im Zusammenhang mit der Balancetheorie eingeführte dreigliedrige Verhältnis von Rationalismus, Irrationalem und der Übergangszone des 'relativen Rationalismus' weiter aus. In Kapitel III wird zunächst "der radikale Marxistische Sozialismus" (ebd.: 64) als Fortsetzung des 'absoluten Rationalismus' der Aufklärung eingeführt, der sich jedoch – so das Ende des Kapitels – selbst aufhebe und in Irrationalismus umschlage: "Dem absoluten Rationalismus der Erziehungsdiktatur [der Aufklärung bzw. des Marxismus, H.O.] sowohl wie dem relativen Rationalismus der Gewaltenteilung trat eine neue Theorie unmittelbarer Gewaltanwendung entgegen, dem Glauben an die Diskussion eine Theorie der direkten Aktion" (ebd.: 76).

Im Zusammenhang mit dieser Theorie, für die in erster Linie Sorel als Beispiel dient, sieht Schmitt sein Diktum bestätigt, wonach politische Entscheidungen per se in den Bereich des Irrationalen fallen: "Ihren Kern bildet eine Theorie vom Mythus, die den stärksten Gegensatz zum absoluten Rationalismus und seiner Diktatur bedeutet, aber gleichzeitig, weil sie eine Lehre unmittelbarer aktiver Entscheidung ist, einen noch stärkeren Gegensatz zu dem relativen Rationalismus des ganzen Komplexes, der sich um Vorstellungen wie Balancierung, öffentliche Diskussion und Parlamentarismus gruppiert" (ebd.: 80).

Daraus ergibt sich zugleich Schmitts letztes Argument gegen die parlamentarische Demokratie. "Die Theorie vom Mythus ist der stärkste Ausdruck dafür, daß der relative Rationalismus des parlamentarischen Denkens seine Evidenz verloren hat" (ebd. 89). Damit stellt sich die Frage nach der Alternative und die implizite Antwort darauf erschließt sich wiederum aus dem Gegensatz von Rationalismus und Irrationalismus. Die Theorie des Mythus sei nämlich in zwei (antithetischen) Formen relevant. Auf der einen Seite stehe der "Klassenkampfmythus" und auf der anderen Seite der "nationale Mythus" (ebd.: 88), der sich faktisch als der stärkere erweise. Während der erste wie gesehen aus der durchweg negativ beurteilten 'rationalistischen' Tradition hervorgegangen sei, gilt der zweite umgekehrt als "Grundlage einer neuen Autorität, eines neuen Gefühls für Ordnung, Disziplin und Hierarchie" (ebd. 89) und ist damit deutlich dem positiv gewerteten Pol der 'Irrationalität' zugeordnet. Zudem entspricht der 'nationale Mythus' recht genau Schmitts um das 'Physische' und die entsprechenden Sekundärkategorien aufgebautem Begriff der 'demokratischen Homogenität': "Im Nationalgefühl sind verschiedene Elemente auf höchst verschiedenartige Weise bei den verschiedenen Völkern wirksam: die mehr naturhafte Vorstellung von Rasse und Abstammung, ein anscheinend eher für kelto-romanische Stämme typischer 'terrisme'; dann Sprache, Tradition, Bewusstsein gemeinsamer Kultur und Bildung, Bewußtsein einer Schicksalsgemeinschaft, eine Empfindlichkeit für das Verschiedensein an sich" (ebd.).

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In dieser Konstellation wird Schmitts Beispiel für die Praxisrelevanz der 'Theorie des Mythos' zum zukunftweisenden Modell: "Bisher gibt es nur ein einziges Beispiel dafür, dass unter bewusster Berufung auf den Mythus Menschheitsdemokratie und Parlamentarismus verächtlich beiseite gesetzt wurden, und das war ein Beispiel für die irrationale Kraft des nationalen Mythus. In seiner berühmten Rede vom Oktober 1922 in Neapel, vor dem Marsch auf Rom, sagte Mussolini: 'Wir haben einen Mythus geschaffen, der Mythus ist ein Glaube, ein edler Enthusiasmus, er braucht keine Realität zu sein, er ist ein Antrieb und eine Hoffnung, Glaube und Mut. Unser Mythus ist die Nation, die Große Nation, die wir zu einer konkreten Realität machen wollen.' In derselben Rede nennt er den Sozialismus eine inferiore Mythologie. Wie damals [Machiavelli], im 16. Jahrhundert, hat wieder ein Italiener das Prinzip der Politik ausgesprochen. Die geistesgeschichtliche Bedeutung dieses Beispiels ist deshalb besonders groß, weil der nationale Enthusiasmus auf italienischem Boden bisher eine demokratische und parlamentarischkonstitutionelle Tradition hatte und ganz von der Ideologie des angelsächsischen Liberalismus beherrscht zu sein schien" (ebd.: 89).

Das Stichwort 'geistesgeschichtlich' greift den Titel der Schrift auf und das faschistische Italien zeigt sich hier, auf der vorletzten Seite des Textes, als das zentrale Gegenüber 'des Parlamentarismus heute'. Mussolini spricht mit seiner Berufung auf den Mythos das 'Prinzip der Politik' im Sinne per se irrationaler Entscheidungen aus. Zugleich sind in diesem Abschnitt noch einmal die zentralen Stichworte jener gegenläufigen Äquivalenzketten konzentriert, die unter dem Oberbegriff des Rationalismus eingeführt wurden: {Irrationalismus: nationaler Mythus, (dezisionistisches) Prinzip der Politik} / {Rationalismus: Liberalismus, Parlamentarismus, Menschheitsdemokratie, Sozialismus}. Das hier entwickelte Verhältnis von Rationalismus und Irrationalismus, das sich anhand einer Rekonstruktion der begrifflichen Strukturen als tragendes Prinzip des Textes ausweisen lässt, ist zugleich symptomatisch für Schmitts politische Interventionen, mit denen er stets soweit wie möglich Argumente für das irrationale Element, die Ausweitung der Entscheidungsbefugnisse der Exekutive, geliefert hat. Lag der Schwerpunkt zunächst – seit der Entwicklung der Balancetheorie in 'Die Diktatur' – auf dem Plädoyer für die Auslegung des Artikels 48 der Weimarer Verfassung im Sinne einer Präsidialdiktatur, setzt sich spätestens 1932 das Plädoyer für die Diktatur auf der Basis des nationalen Mythos nach dem Vorbild des faschistischen Italien68 durch, die sich als Möglichkeit erstmals in der Schrift von 1923 abzeichnet. Deutlich wird dies an einem Vortrag Schmitts aus dem Jahr 1932, in dem er die von ihm in die deutsche Diskussion eingeführte Figur des 'totalen Staates' in dem Sinne präzisiert, in dem "sich der faschistische Staat einen 'stato totalitario' nennt" (Schmitt 1995 [1932]: 74). In diesem Text finden sich die 68

Vgl. Breuer 1995: 130ff., Faye 1977b: 65ff.

3.2 Volk gegen System

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gleichen Äquivalenz-/Differenzbeziehungen, die schon für die 'Lage' charakteristisch waren. Der unter Bezug auf den Faschismus vorgestellte Staat ist "total im Sinne der Qualität [...]. Er denkt nicht daran [...] seine Macht unter irgendwelchen Stichworten, Liberalismus, Rechtsstaat oder wie man es nennen will, untergraben zu lassen" (ebd.). Dagegen steht als Negativbild der "deutsche Parteienstaat", der "total in einem rein quantitativen Sinne" (ebd.) ist. Diese Gegenüberstellung der zwei Versionen des 'totalen Staates' ist kaum mehr als die Verlängerung der Äquivalenzketten von 1923 um zwei weitere Synonyme: {qualitativ totaler Staat: der faschistische Staat, nationaler Mythus, irrationales Prinzip der Politik} / {quantitativ totaler Staat: deutscher Parteienstaat, Liberalismus, Rechtsstaat, Parlamentarismus, Menschheitsdemokratie, Sozialismus}. Der Unterschied zwischen den beiden Texten liegt in der Deutlichkeit, mit der die unmittelbaren politischen Schlussfolgerungen erläutert werden. Der Schwerpunkt liegt auch hier zunächst noch auf dem Artikel 48, der bereits seit "zwei Jahren" seine "praktische Brauchbarkeit und Energie" (ebd.: 70) unter Beweis stellt, verschiebt sich am Ende allerdings deutlich hin zum Bruch mit der Weimarer Verfassung: "Die Regierung soll sich aller verfassungsmäßigen Mittel, aber auch aller verfassungsmäßigen Mittel bedienen [...]. Wenn dann neben anderen formal verfassungsmäßigen Institution, die vielleicht stören wollen, aber deren Störungen zu beseitigen sind, neue Methoden, Gremien, oder auch einzelne Personen sich bewähren, dann entsteht eine Autorität, der gegenüber, glaube ich die Bereitwilligkeit des deutschen Volkes zu folgen [...] sehr groß ist. Dann wird das Problem der verfassungsrechtlichen Legalisierung neuer Institutionen keine unüberwindliche Schwierigkeit mehr bereiten" (ebd.: 84f., kursiv i.O.).

Bekanntlich haben sich in der Tat 'neue Methoden' (offener Terror), 'Gremien' (eine Partei – präsentiert als Bewegung gegen den Parteienstaat) und eine 'einzelne Person' durchgesetzt, zu deren 'verfassungsrechtlicher' Legitimierung Schmitt knapp zwei Jahre später den Aufsatz 'Der Führer schützt das Recht' schreibt, in dem der nunmehr praktische Sieg des 'Irrationalismus' über den 'gemäßigten Rationalismus' des gewaltenteiligen Konstitutionalismus gefeiert wird: "In Wahrheit war die Tat des Führers [der Befehl zu den Morden von Juni 1934, H.O.] echte Gerichtsbarkeit. Es war nicht die Aktion eines republikanischen Diktators, der in einem rechtsleeren Raum [...] vollendete Tatsachen schafft, damit dann, auf dem so geschaffenen Boden der neuen Tatsachen, die Fiktion der lückenlosen Legalität wieder Platz greifen kann. Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jedes Volkes entspringt. [...] Alles Recht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes. [...] In einem Führerstaat aber in dem Gesetzgebung, Regierung und Justiz sich nicht, wie in einem liberalen Rechtsstaat, gegenseitig mißtrauisch kontrollieren[], muß das, was sonst für einen 'Regierungsakt' [i.S. von 'Notstandsmaßnahmen', H.O.] rechtens ist, in unvergleichlich höherem Maße für eine

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Tat gelten, durch die der Führer sein höchstes Führertum und Richtertum bewährt hat" (Schmitt 1988 [1940]69: 200 u. 202).

Hier ist Schmitt am Endpunkt seiner ideengeschichtlichen Erzählung – einem auf dem Volksmythos basierenden Neo-Absolutismus – angekommen, an dem er auch den 'relativen Rationalismus' Montesquieus, die Dreiteilung der Gewalten, die sich 'misstrauisch kontrollieren', endgültig hinter sich gelassen hat. Unabhängig vom staatsrechtlichen Kontext gilt es an dieser Stelle die Aussage IRRATIONALISMUS {Nationaler Mythos} / {Rationalismus, Menschheit: (Liberalismus) / (Marxismus)} festzuhalten, die zu den tragenden Elementen des nationalistischen Diskurses gehört. 3.2.4.6 Starker Staat und gesunde Wirtschaft Trotz der expliziten Frontstellung gegen den Universalismus der Aufklärung sind Schmitts Positionen aber nicht antimodern. Die Polemik gegen die Gleichheit der Menschen als Menschen, bewegt sich mit dem Gegenmodell der 'demokratischen Homogenität' selbst im modernen Bezugsrahmen und richtet sich allein gegen die sich abzeichnenden Möglichkeiten der Ausdehnung deliberativer Verfahren im Sinne einer Einbeziehung vormals ausgeschlossener Gruppen in die Entscheidungsprozesse und einer umfassenden Demokratisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, einschließlich der ökonomischen. Gegen sie wird eine unangefochtene staatliche Exekutivgewalt, als notwendig irrationales Element im Rahmen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse mit ihren 'großen ökonomischen Ungleichheiten' behauptet (s.o. Kapitel 3.2.4.3). Am deutlichsten spricht Schmitt dies wohl in jener bereits zitierten Version seines Vortrags über den 'Totalen Staat' aus, den er unter dem Titel "Starker Staat und gesunde Wirtschaft" vor dem 'Langnam-Verein', einem Verband der Schwerindustrie, gehalten hat. Hier stellt er – der ansonsten keine Gelegenheit auslässt, das Schlagwort 'Liberalismus' als Gegenprinzip zu seiner Staatsidee zu gebrauchen (so auch hier als Gegensatz zum qualitativ totalen Staat, s.o.) – sich in die Tradition "unserer liberalen Großväter" (Schmitt 1995 [1932]: 79)70 und spricht aus, dass 69 Geschrieben wurde der Aufsatz "Der Führer schützt das Recht" 1934. 1940 hat Schmitt ihn in den Band "Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles" aufgenommen, hier zitiert nach einem unveränderten Nachdruck aus dem Jahr 1988. 70 In diesem Zusammenhang hat Marcuse (1967 [1934]) betont, dass Schmitt und andere Vertreter der nationalen Rechten bei ihrer Subsumierung jeglicher politischer Gegner, nicht zuletzt der Sozialisten, unter dem Schlagwort 'Liberalismus', sowohl die ökonomische Dimension der liberalen Theorie als auch die politische Praxis der Liberalen – welche die "Ideen von 1789" mitunter "sogar aufs Schärfste bekämpft" (ebd.: 43) haben – ausblenden, weil sie in der Frage des Privateigentums an

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den Enkeln, also den Schwerindustriellen und ihrem Theoretiker, das Parlament zum Problem geworden ist, weil es unter den Bedingungen des allgemeinen Wahlrechts zu einer "unruhigen, revolutionär gesinnten, aus allgemeinen Wahlen der im wesentlichen besitzlosen Massen hervorgegangenen" (ebd.: 83) Institution wurde. Daraus erklärt sich auch das Phänomen des 'quantitativ totalen Staates'. "Sein Volumen ist ungeheuer ausgedehnt [...], aus der Unfähigkeit heraus dem Ansturm der Parteien und organisierten Interessenten Stand zu halten [...], die auf dem Weg über das Parlament den Staat beherrschen und ihn zum Objekt ihrer Kompromisse machen" (ebd.: 74f.). Der 'quanitativ totale Staat' ist mit anderen Worten der Staat des neuartigen Klassenkompromisses unter den Bedingungen des allgemeinen Wahlrechts, der sich aus der etatistischen Sicht von Schmitt schon dadurch disqualifiziert, dass er nicht 'Subjekt souveräner Herrschaft' über die Gesellschaft, sondern 'Objekt gesellschaftlicher Kompromisse' ist. Hinzu kommt, dass hinter dem Ansturm der Parteien vor allem das Heer der 'im wesentlichen besitzlosen Massen' steht, das den Staat auf parlamentarischem Weg in einen Wohlfahrtsstaat transformiert, wie Schmitt in der Schrift 'Hüter der Verfassung' deutlich macht, in der er die Figur des totalen Staates erstmals – hier in Anlehnung an Ernst Jüngers Formulierung 'totale Mobilmachung' – zur Charakterisierung der Weimarer Republik gebraucht: "Die zum Staat gewordene Gesellschaft wird ein Wirtschaftsstaat, Kulturstaat, Fürsorgestaat, Wohlfahrtsstaat, Versorgungsstaat; [...] Die Parteien, in denen die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen und Tendenzen sich organisieren, sind die zum Parteienstaat gewordene Gesellschaft selbst [...] Die gewaltige Wendung lässt sich als Teil einer dialektischen Entwicklung konstruieren, die in drei Stadien verläuft: vom absoluten Staat des 17. und 18. Jahrhunderts über den neutralen Staat des 19. Jahrhunderts zum totalen Staat der Identität von Staat und Gesellschaft" (Schmitt 1931: 79).

Dagegen setzt Schmitt die "Entpolitisierung, eine Abhebung des Staates von nichtstaatlichen Sphären", die "nur von der Seite des staatlichen Ganzen her kommen" (Schmitt 1995 [1932]: 77) kann. In ökonomischer Hinsicht ist der Schmittsche Antagonismus also folgendermaßen zu ergänzen:

Produktionsmitteln übereinstimmen (vgl. Kapitel 7.2.2). Nach Marcuse ist die Entstehung der irrationalistischen Theorien in den zwanziger Jahren – die insgesamt "nur Abhub von Schmittschen Gedanken" (ebd.: 68, Anm.) sind – vielmehr umgekehrt als ein Umschlagen des Liberalismus in Irrationalismus zu begreifen, der einsetzt, wenn die Ausklammerung der ökonomischen Verhältnisse aus dem Anspruch auf eine rationale Gestaltung der Gesellschaft nicht mehr aufrechterhalten werden kann.

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{'qualitativ totaler Staat': das staatliche Ganze, Trennung von Staat und Gesellschaft, Abwehr der besitzlosen Massen} / {'quantitativ totaler Staat': Parteienstaat, Identität von Staat und Gesellschaft, Wohlfahrtsstaat}. Schmitt präsentiert die politischen Konsequenzen, die er aus dieser Gegenüberstellung zieht, zunächst, indem er die Körpersymbolik aufgreift, die durch das Motto der Tagung des Langnam-Vereins 'Gesunde Wirtschaft im starken Staat' vorgegeben ist: "Nur ein sehr starker Staat [kursiv i.O.] könnte die furchtbare Verfilzung mit allen möglichen, der Sache nach nicht staatlichen Angelegenheiten und Interessen lösen. Das wäre ein schmerzhafter chirurgischer Eingriff der nicht 'organisch' im Sinne langsamen Wachstums vor sich gehen könnte. Im Sinne organischen Wachstums werden Wucherungen und Unkraut schneller wachsen und sich hemmungsloser vermehren als das Gesunde, das heute von ihnen verdeckt und verdrängt wird" (Schmitt 1995: 77).

Schmitt codiert also den Gegensatz 'qualitativ totaler Staat' / 'Wohlfahrtsstaat' durch den symbolischen Antagonismus {Stärke, Gesundheit} / {ausgedehntes Volumen, Wucherungen, hemmungslose Vermehrung, Unkraut, Filz}. Der starke Staat zeichnet sich durch die Fähigkeit zu schmerzhaften Eingriffen aus, welche die wirtschaftliche Gesundheit gewährleisten und Schmitt entwickelt, neben der bereits beschriebenen politischen Programmatik des starken Staates, auch ein sehr klares inhaltliches Konzept einer gesunden Wirtschaftsordnung im Sinne derjenigen, die das Körper-Bild mit dem Motto der Tagung vorgegeben haben. Sein dreigliedriger Entwurf sieht neben einer Sphäre staatlicher Infrastrukturmonopole und der "Sphäre des freien, individuellen Unternehmers" mit Namen "reine Privatsphäre", auch eine Sphäre der "wirtschaftlichen Selbstverwaltung" vor, mit der es sich aber anders verhält, "als etwa mit der 'Wirtschaftsdemokratie',[] wie sie vor einigen Jahren von bestimmter Seite propagiert worden ist" (Schmitt 1995 [1932]: 80), nämlich von der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften. Denn als Subjekt der 'wirtschaftlichen Selbstverwaltung' sieht Schmitt gerade nicht die in diesen Organisationen zusammengeschlossenen unmittelbaren Produzent*innen vor, sondern im Gegenteil diejenigen, die als (Vertreter*innen der) Eigentümer*innen weiterhin über den Produktionsprozess bestimmen sollen, aber einer koordinierenden "Sphäre, die nichtstaatlich, aber öffentlich ist" (ebd.) bedürfen: "Wir kennen heute bereits unter dem bisher nicht genügend geklärten Wort 'Wirtschaftliche Selbstverwaltung'[] mannigfache Erscheinungen: Industrie- und Handelskammern, Zwangssyndikate der verschiedensten Art, Verbände, Monopole

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usw." (ebd.) Faye fasst den (jeweils im engeren Sinne) politischen und ökonomischen Gehalt von Schmitts Aussagen zum 'totalen Staat' zusammen: "Wenn man die beiden Aussagen der Funktion / gesunde Wirtschaft : starker Staat / analysiert, erscheinen zwei charakteristische Parameter dieser Aussagen [...]: 'wirtschaftliche Selbstverwaltung' der Monopole 'societas perfecta' des totalen Staates" (Faye 1977a: 888, Übersetzung korrigiert H.O.)71.

Der Text von 1932 weist Schmitts 'geistesgeschichtliche' Erzählung – die ihr praktisches Vorbild in Italien und praktische Auswirkungen in der juristischen Rechtfertigung der politischen Entwicklung der Weimarer Republik (Preußenschlag, Präsidialkabinette, Führerdiktatur) hat – als Arbeit an einer theoretischen Konzeption für jene Phase aus, die von der zeitgenössische Kritik als Monopolkapitalismus bezeichnet wurde und die schließlich mit der "Schachtschen Organisation, in der 'die Selbstverwaltung der Industrie' realisiert wird" (Faye 1977a: 890), ihr institutionelles Pendant findet. 71 Anhand der Veröffentlichung des Aufsatzes von Schmitt in den 'Mitteilungen des Langnam-Vereins' und kurze Zeit später in einer Zeitschrift der völkischen Rechten, illustriert Faye (1977a: 879ff.) die Konvergenz zwischen den an der 'wirtschaftlichen Gesundheit' interessierten Industriellen und den Anhängern des 'starken Staats' in den diversen Fraktionen der nationalistischen Rechten. Günter Maschke, der die hier zitierte Version des Aufsatzes 1995 in einem Sammelband verschiedener Schriften Schmitts bei Duncker und Humblot erneut publiziert hat, schreibt dazu Folgendes: "Schmitts Text berührt sich mit [...] dem Aufsatz 'Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland', Europäische Revue, Februar 1933, S. 65 – 70. Nachdrucke in: Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles, 1940, S. 185 – 190, u. in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, 1958, S. 359 – 366 (mit Erläuterungen). Trotz der starken Überschneidungen ist es jedoch falsch, den 1933 veröffentlichten Aufsatz mit dem Langnam-Vortrag mehr oder minder ineinszusetzen, wie dies J.P. Faye, Totalitäre Sprachen, II, 1977, 880-889, tut, der von der 'Version 32' und der 'Version 33' spricht. Der 1933 in der Europ. Revue publizierte Aufsatz sollte als 'Vorbereitung zu einer nochmaligen Auflösung des Reichstags, die als letzte Kraftprobe der Regierung Schleicher gedacht war' (so Schmitt Verfassungsrechtliche Aufs., op. zit., S. 365) dienen, um so Hitler den Weg zu versperren" (Maschke in Schmitt 1995: 90). Diese Stelle dient offensichtlich dazu, Fayes Studie zu diskreditieren und die Legende, Schmitt sei Gegner des NS gewesen, zu stärken. Sie zeigt zugleich, mit welchen Verfahren dabei gearbeitet wird. Denn was Maschke zugunsten von Schmitts Behauptung aus dem Jahr 1958 verschweigt, ist, dass sich zu dem immerhin erwähnten Nachdruck in 'Positionen und Begriffe...' aus dem Jahr 1940 (neben dem Aufsatz 'Der Führer schützt das Recht' und Ähnlichem) ebenfalls eine knappe Erläuterung Schmitts findet, die Faye zweifellos Recht gibt. Dort heißt es nämlich: "Diese Darlegungen – in dieser Form im Februarheft 1933 der 'Europäischen Revue' erschienen – bilden den Inhalt mehrerer Vorträge vom Herbst und Winter 1932/33" (Schmitt 1988 [1940]: 316). Maschkes weitgehende Übereinstimmung mit den Positionen der NPD (Dekadenz, Auflösung des Staates, Umerziehung, Auswanderungsgesetz usw.) geht aus einem Interview in der DEUTSCHEN STIMME (DS 2/2001) hervor, das Jürgen Schwab als damaliger Redakteur mit ihm geführt hat und das um die zentralen Begriffe Schmitts kreist. Zu entsprechenden Beiträgen Maschkes in der JUNGEN FREIHEIT vgl. Dietzsch u.a. (2003: 116ff.)

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Ungeachtet aller Differenzen hinsichtlich der historischen Situation und der konkreten institutionellen Vorstellungen ist die Imagination einer idealen Gesellschaftsordnung als Kombination von kapitalistischen Produktionsverhältnissen und einem Etatismus, dem streng hierarchische staatliche Herrschaft als jeder rationalen Erwägung entzogener Selbstzweck gilt, nach wie vor ein zentrales Moment der Schmitt-Rezeption im Umfeld der NPD. In den Worten von Jürgen Schwab: "Der Nationalsozialismus war unfähig zu einem Staatsethos. [...] Und da ist Benito Mussolini visionärer als Adolf Hitler, wenn der Duce schrieb: 'Wer die dramatischen Widersprüche des Kapitalismus allein lösen kann ist der Staat.' Diese Losung Mussolinis könnte man heute auf Anti-Globalisierungstransparente schreiben. Der Nationalsozialismus hat nichts Vergleichbares für die heutige Zeit anzubieten. Mit Ausnahme von Carl Schmitts Werk" (DS 07/2002: 3).

Entsprechend werden Schmitts Aussagen zum 'totalen Staat', das heißt die oben genannten Äquivalenzketten, einschließlich der symbolischen Komponenten, bis hin zur wörtlichen Eingliederung des 'totalen Parteienstaates' (vgl. Schwab 2002: 94) und des 'totalen Wohlfahrtsstaats' (NPD-Programm, s.u.) in die Negativkette des Antagonismus, reproduziert. Wie in Kapitel 3.2.4.1 deutlich wurde, gilt Schwab – analog zu Schmitts Kritik der 'Identität von Staat und Gesellschaft' als Merkmal des 'qualitativ totalen Staates' – die 'Vereinnahmung des Staates durch besondere Interessen beziehungsweise die Gesellschaft insgesamt' als Problem. Dagegen proklamiert er, "daß Staat und Gesellschaft zu trennen" (Schwab 2002: 101) seien und der "Interessenwahrer des Ganzen, nämlich das Staatsoberhaupt" (ebd.: 117) letztlich über die Interessenkonflikte zu entscheiden habe. Dies solle nicht zuletzt für Tarifkonflikte gelten, sofern sich die "naturgemäßen Kontrahenten Arbeitnehmer und Arbeitgeber" (ebd.: 376) im Rahmen der von Schwab entworfenen ständestaatlichen Ordnung (vgl. ebd.) nicht einigen könnten. Dabei kommt auch die gleiche Symbolik zum Tragen. In beiden Fällen geht es darum, das 'staatliche Ganze' zu Einschnitten (Schwab) beziehungsweise schmerzhaften chirurgischen Eingriffen (Schmitt) zu ermächtigen, um die Gesundheit der Wirtschaft (Schmitt) beziehungsweise der gesellschaftlichen Sphäre der 'besonderen Interessen' (Schwab) zu gewährleisten. Dieses Bild eines idealen Gesellschaftskörpers {staatliche Stärke (schmerzhafte Einschnitte) + wirtschaftliche Gesundheit} bildet ein zentrales symbolisches Pendant zur oben genannten idealen Gesellschaftsordnung {autoritärer Staat + kapitalistische Produktionsverhältnisse}. Zugleich ist es an eine Vielzahl symbolischer Binarismen (stark/schwach, gesund/krank, Wucherungen/Einschnitte, militärischformiert/formlos, Männerkörper/Frauenkörper, energetisch/voluminös, Trockenheit/Fluten, vgl. Kapitel 3.2.5) angeschlossen, die den Antagonismus zu konkurrierenden Gesellschaftskonzepten artikulieren. Diese symbolische Komponente, die zu den auffällig häufig gebrauchten Elementen im vorliegenden Material

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gehört, gilt es nicht zuletzt deshalb zu betonen, weil sie einerseits eine bestimmte gesellschaftliche Ordnungsvorstellung festschreibt, andererseits aber viel Raum für die Einschreibung von (beziehungsweise imaginäre Identifikation mit) konkreten institutionellen Ausgestaltungen lässt. 1932 verbindet sie Schmitts Entwurf nicht nur mit der Fragestellung und den Interessen seines schwerindustriellen Publikums, sondern, wie Faye hervorhebt, zugleich mit den Anhängern des starken Staates auf der nationalistischen Rechten und ihren divergierenden wirtschaftspolitischen Vorstellungen. Analog dazu findet sich die gleiche Symbolik später in einem breiten Spektrum unterschiedlicher, aber jeweils deutlich an zentrale Gedanken Schmitts angelehnter Entwürfe. Das Bild ist im neoliberalen Programm der Republikaner (vgl. Kapitel 5.3) ebenso präsent wie in Jürgen Schwabs Phantasien über einen Ständestaat, die in den Szeneblättern der 'Freien Nationalisten' beziehungsweise 'Nationalen Sozialisten' diskutiert werden (vgl. Kapitel 5.2), und schließlich in den Vorstellungen einer am Idealbild des mittelständischen Unternehmers ausgerichteten 'Raumorientierten Volkswirtschaft' der NPD (vgl. Kapitel 5.1.4). 3.2.4.7 Wirkliche Demokratie Somit ergibt sich schließlich der volle Sinn jener Passage der Parteitagsrede, in der Voigt frei "nach Montesquieu" (518) und nahezu im Wortlaut von Schmitt fordert, dass das "Parlament [...] sich auf seine eigentliche Aufgabe der Gesetzgebung [...] beschränken" (520f.) müsse, erst im Zusammenhang mit zwei Abschnitten des Parteiprogramms: Erstens dem zur Sozialpolitik, in dem die "nationale Volksgemeinschaft" gegen "vorhandene Gruppeninteressen" und das "Traumbild des totalen Wohlfahrtsstaates" (NPD 1997: §7) steht, und zweitens dem zum Staatsverständnis, in dem der Staat als "Wahrer des Ganzen" (NPD 1997: § 3) wiederum "den Egoismen einzelner Gruppen" entgegengesetzt wird. Hier findet sich schließlich das komplementäre Element zur Beschränkung des Parlaments, wenn es heißt, der "Präsident muß als Staatsoberhaupt über den Parteien und dem politischen Tageskampf stehen. Daher soll er [...] unmittelbar durch das Volk gewählt werden" (ebd.). Offensichtlich – obgleich weniger explizit als bei Schwab – geht es dabei um die Installation des 'Wahlkönigs', als höchster Instanz der Exekutive. Denn auch hier bildet die "gegenwärtige parlamentarische Demokratie" (516) den antithetischen Ausgangspunkt der Argumentation. Entsprechend finden sich zu der in der Rede erwähnten Kontrollfunktion, wie zum Parlament insgesamt keine Aussagen im Programm. Im Zusammenhang mit diesem institutionellen Entwurf erweisen sich schließlich auch die "Volksabstimmungen" (520, vgl. NPD 2004: §3) weniger als Ausweitung politischer Partizipationsmöglichkeiten, denn als gelegentliche Akte der Legitimationsbeschaffung per Akklamation, die Schmitt wie gesehen als 'bessere', der regelmäßigen Partizipation vorzuziehende,

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demokratische Praxis bezeichnet. Der Antagonismus, der in Kapitel 3.2.3 den Ausgangspunkt des Demokratie-Kapitels markierte, kann also um einige Elemente ergänzt werden und ergibt so die Aussage DEMOKRATIE {wirkliche Demokratie, Gewaltenteilung, Direktwahl des Staatsoberhauptes, Volksabstimmungen} / {'Demokratie', Parlamentarismus, Parteienstaat, etablierte Parteien}. Festzuhalten gilt es weiterhin die Kritik am WOHLFAHRTSSTAAT {Trennung von Staat und Gesellschaft, starker Staat, Einschnitte} / {Identität von Staat und Gesellschaft, schwacher Staat, Wuchern, Ausufern, Volumen} samt ihren symbolischen Elementen, die im gleichen Kontext auch von neoliberaler Seite gebraucht werden (vgl. Kapitel 5.3.2.5). 3.2.5 Väter So, wie sich hinter der beiläufigen Erwähnung von Montesquieu eine ganze ideengeschichtliche Erzählung verbirgt, die sich genauer besehen als diktatorische Programmatik entpuppt, so ist auch die auf den ersten Blick kaum auffällige Tatsache, dass sich 'unsere Väter und Vorväter' unter den Pronominalbezügen finden keineswegs zufällig. Dies verweist darauf, dass dieses (Selbst-)Bild des Familienvorstandes in Verbindung mit anderen Männlichkeitskonzepten zu den strukturierenden Prinzipien des Sprachgebrauchs der NPD gehört. Die Figur des Vaters erscheint (vorwiegend in Komposita) immerhin neunzehnmal im Text, ohne dass dieser sich mit der Thematik der Vaterschaft oder ähnlichem auseinandersetzt. Charakteristisch für den Gebrauch des Wortes sind die Stellen an denen Voigt in der Rede besonderen Nachdruck auf "unsere[] Väter und Vorväter" (201) legt und immer wieder das "Vaterland" (381, 696) bemüht, das im Rahmen des Parteitags-Mottos – Arbeit – Familie – Vaterland – (3, 25, 705) und an weiteren Stellen (77, 202) in schlagwortartiger Reihung neben der Familie steht. Ebenso charakteristisch ist die Rede vom "heldenhaften Kampf unserer Väter und Großväter" (80) im Zweiten Weltkrieg, beziehungsweise vom "Opfergang[] unserer Väter und Großväter, die im Krieg täglich ihr Leben für Familie und Vaterland einsetzten" (76f.). Hier verbindet sich das Bild des Vaters und seiner Familie mit dem des (heroisch kämpfenden) Soldaten. Um die zentrale Bedeutung dieser Anrufungen einer spezifischen Männlichkeit zu erfassen, lohnt es sich noch einmal auf die in Kapitel 3.2.4 ausführlich behandelten Texte zurückzukommen. So zeigt sich unter anderem eine symbolische Koppelung des Vaters mit dem Staat, bei Jürgen Schwab (2002: 76), der es als "Treppenwitz erachtet [...], wenn die rotgrünen Koalitionäre in Nordrhein-Westfalen [...] davon gesprochen haben, der bisherige 'Vater Staat' solle zum 'Partner Staat'

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werden". Schwab berichtet also von der Infragestellung des bekannten Bildes vom Vater Staat zugunsten des Bildes vom Partner, das heißt einer Pictura, die ebenfalls dem Bereich der familiären Beziehungen zugehört, dabei aber Transformationstendenzen der vergangenen Jahrzehnte aufnimmt und entsprechend weniger autoritär konnotiert ist. Offensichtlich fühlt sich Schwab dadurch derart provoziert, dass er es erwähnt und als 'Treppenwitz' ablehnt, obgleich es inhaltlich keine Rolle spielt und auch nicht weiter behandelt wird. Dies zeigt exemplarisch, dass Schwab, Schmitt und andere dort wo sie von der "Krisis des modernen Staates" (Schmitt 1926: 22) sprechen, zugleich die Angst eines männlichen Subjektes vor einer Krise patriarchaler Dominanz artikulieren. Sie sagen mit denselben Worten, "daß eine Massen- und Menschheitsdemokratie keine Staatsform [...] zu realisieren vermag" (ebd.) und "daß infolge der modernen Demokratie der männliche Typus zurückgedrängt wird und eine allgemeine Feminisierung eintritt" (ebd.: 11). Dementsprechend sind Schmitts Texte fundamental durch jenen Symbolkomplex strukturiert, den Theweleit (2000) am Beispiel der Freikorpsliteratur als Element der 'Männerphantasien' herausgearbeitet hat. Diese Symbolik ist konstitutiv für den Diskurs der nationalistischen Rechten, das heißt insbesondere die Entgegensetzung der Ketten {Frau – feucht werden, menstruieren: Flut, Strom, Auflösung, formlos-wimmelnde-schmutzige Masse} / {Mann – hart werden: Herausragen, Damm, Fluss-Regulierung, formiert-marschierende Masse}72. Auch wenn es in Form unausgewiesener Zitate präsentiert wird, ist es offensichtlich Schmitts eigene Position, wenn es heißt, "die herannahende Demokratie erschien als chaotischer Strom gegen den man einen Damm bauen mußte" (Schmitt 1926: 63). Um diesen "furchtbaren Strom zu regulieren", aus "Angst vor dem demokratischen Chaos", vor der "Flut der Demokratie, gegen die es seit 1789 keinen Damm mehr zu geben schien" (ebd.: 31), entstand der gewaltenteilige Parlamentarismus. In ihm ragt noch die Exekutive, "die überragende, die Einheit des Staates repräsentierende Person" (ebd.: 58) aus der chaotischen Flut, während die Forderung nach der parlamentarischen Regierung danach trachtet "auch sie in Diskussion aufzulösen" (ebd.: 57). Im Zuge solcher Demokratisierung erschlafft die 72 Vgl. zu diesen Symbolen im Einzelnen Theweleit (2000: I-235ff., I-401ff., I-447ff., II-8ff.), sowie zu den im Folgenden erwähnten Elementen Abwatschen von Frauen (I-178ff., II-294ff.) Nation als männliches Subjekt (II-82ff.), Kastration/Tod (I-401ff.) und soldatische Männlichkeit (II-144ff.). Kämper (2005) analysiert die entsprechende Strukturierung von Texten der zeitgenössischen intellektuellen Rechten am Beispiel des Sammelbandes 'Die selbstbewußte Nation' (Schwilk/Schacht 1994) und Sombart (1997) liest Carl Schmitts Texte als Ausdruck eines spezifischen Männlichkeitskonzeptes.

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Exekutive, "das ganze Leben des Staates erschöpft sich [...] in Gesetz und Anwendung des Gesetzes" (ebd.: 55). Das Ergebnis sind die "schlimmsten Formlosigkeiten" (ebd.: 17), die Auflösung im "Ausfluß [...] des quantitativ totalen Staates" (Schmitt 1995: 78). "Stände nicht noch die letzte Säule [...], der Reichspräsident [...], so wäre wahrscheinlich das Chaos bereits vorhanden" (ebd.: 77). In gewisser Hinsicht gibt es sogar einen realen Prozess der 'Feminisierung', der hier als Horrorstory (explizit: Angst, furchtbaren, schlimmste) von der chaotischen Flut erscheint, in der das männliche Subjekt unterzugehen und sich aufzulösen droht. Denn die Erzählung vom politischen Dammbruch beginnt bei Schmitt 1789 in Frankreich, das heißt unter anderem mit der 'Erklärung der Menschen und Bürgerrechte', in deren Folge die 'Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin' von Olympe de Gouges verfasst wurde. Hier ist die Quelle des furchtbaren Stroms der Demokratie, der sich kaum regulieren lässt, sich vielmehr durch das "kritische Jahr 1848" (Schmitt 1926: 64, vgl. 36) verbreitert und zur roten Flut der "Novembersozialisten des Jahres 1918" (ebd. 36) steigert, die schließlich zur Formlosigkeit der Massen-Demokratie führt, in der die Frauen in Deutschland das Wahlrecht erlangen. Von diesem Prozess der Durchsetzung demokratischer Rechte von Frauen findet sich bei Schmitt allerdings kein Wort, stattdessen erscheint der Staat der verhassten Massendemokratie als feminine Figur. Der 'quantitativ totale Staat' ist geradezu per definitionem eine Frau, gekennzeichnet durch ihren Ausfluss (s.o), ihre Körperlichkeit und Passivität ("total im Sinne des bloßen Volumens, nicht der Intensität und der [...] Energie"; das "Volumen ist ungeheuer ausgedehnt") sowie ihre "Schwäche und Widerstandslosigkeit" (Schmitt 1995: 74f.). Genauer betrachtet handelt es sich um eine Prostituierte, die "jedem nachgeben, jeden zufriedenstellen und [...jedem] zu gefallen sein" (ebd.: 75) muss. "Die Politik gerät [...] zur Prostituierten des Kapitals" heißt es explizit in Jürgen Schwabs (2002: 99) Kapitel zum "totale[n] Parteienstaat" (ebd.: 94). Der 'qualitativ totale Staat' wird, komplementär dazu, als sexuell aktiver Mann präsentiert. Er ist "ein besonders starker Staat. Er ist total im Sinne der [...] Energie [...]. Ein solcher Staat lässt in seinem Inneren keinerlei [...] staatshemmende [...] Kräfte aufkommen" (Schmitt 1995: 74), in seinem Zentrum steht das ausführende Organ – die herausragende Person des Monarchen, die Säule des Präsidenten – dessen Intensität und Energie nachlassen, das erschlafft, wenn sich sein Leben in der Anwendung des Gesetzes erschöpft (s.o.). Auch diese symbolische Koppelung einer "handlungsfähigen" (ebd. 74) Exekutive mit der Potenz eines männlichen Geschlechtsorgans, die im Umkehrschluss einem kastrierten Staat fehlt, findet sich bei Jürgen Schwab: "Rüdiger ALTMANN hatte in den sechziger Jahren den modernen Staat, beziehungsweise das, was im befreiten Westdeutschland von ihm übriggeblieben war, mit einem kastrierten Kater verglichen: Dieser nehme an Umfang immer mehr zu, was allein fehle sei die Potenz. Thor

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WALDSTEIN stellt gar fest, daß mittlerweile dieser 'großwestdeutsche Kater', der schon vor dreißig Jahren nichts mehr zeugen konnte, aufgrund seines weiter gewucherten Fettgewebes noch nicht einmal mehr gehen könne" (Schwab 2002: 78). VON

Dass das Bild hier von anderen Autoren zitiert wird, unterstreicht noch einmal die Verbreitung dieses symbolischen Elements im nationalistischen Diskurs. Durch die Kastration wird der männliche Staat quasi zur Frau, und so wie Schmitt den weiblichen Staat als voluminös imaginiert, so nimmt er auch hier an Umfang zu und wird gar fett73. Bemerkenswert ist hier aber vor allem, dass die Gleichsetzung des 'BRD-Systems' mit einem fetten impotenten Kater zwar auf einen komischen Effekt zielt, dabei aber ohne jedes Gespür für die unfreiwillige Komik der implizierten Identifikation der staatlichen Exekutive mit einem männlichen Geschlechtsorgan (noch dazu dem eines Katers) ist. Der verbissene Ernst, mit dem diese Aussagen regelmäßig wiederkehren74, weist wohl daraufhin, dass das Bild der Kastration des männlichen (Staats-)Subjektes männliche Rezipienten tatsächlich so anzurufen vermag, dass sie einen bedrohlichen Griff zwischen die eigenen Beine imaginieren. Als weitere Parallele im Symbolgebrauch von Schmitt und Schwab bleibt schließlich festzuhalten, dass auch letzterer die anzustrebende Gesellschaftsordnung als formiertes Gemeinwohl (Kapitel 3.2.4.1) bezeichnet, während er umgekehrt die "Auflösung aller Staatlichkeit" fürchtet (Schwab 2002: 116). Damit sind für beide Autoren jene Elemente belegt, die Theweleit an folgender Stelle versammelt, an der er einen Teil seiner empirischen Ergebnisse zusammenfasst: "Das öffentliche Erscheinen revolutionärer Massen ist eine Folge von Dammbrüchen [...] Die [von den Faschisten] gefeierte Masse ist immer eine formierte, in Dammsysteme gegossene. Ein Führer ragt aus ihr heraus. Die verachtete erscheint dagegen immer unter den Attributen des Flüssigen, Schleimigen, Wimmelnden. [...] Alles mit den 'Fluten', alles mit 'Schmutz' verbundene erscheint dann in den Texten, wenn direkt von der Masse die Rede ist. ('Rote Flut' bezeichnet ja bestimmte Menschenmassen.) Das gilt für die revolutionäre besonders, aber auch für jede andere nicht formierte Masse" (Theweleit 2000: II-8).

Das Zitat verdeutlicht, wie die zuvor beschriebene Imagination einer staatlichen Ordnung als Männerkörper in dessen Zentrum eine Erektion steht, mit dem militärischen Männer-Ritual des Marschierens auf Befehl der herausragenden Offiziere verknüpft ist. Dabei ist der Abstand zwischen der Symbolik und der Rede 73 Nebenbei bemerkt gleitet die Körpersymbolik auch hier in das Bild des voluminösen Staates, gegen den Schmitt die schmerzhaften chirurgische Eingriffe empfohlen hat (s.o.), beziehungsweise in das des hypertrophen Staates, das in den vergangenen Dekaden in der Kritik des Wohlfahrtsstaates zum Tragen kam, welche umgekehrt für den schlanken Staat plädiert. 74 Neben den weiteren Beispielen in der gleichen Ausgabe (s.u.) schreibt die DS (11/2004: 19) unter der freigestellten Zwischenüberschrift "Politische Kastration", dass der Vorsitzende der nationalistischen Schweizer Volkspartei Blocher durch die Einbindung in den Bundesrat "zu einem politischen Eunuchen beschnitten werden" könne.

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über konkrete institutionelle Ordnungsmodelle minimal. So sieht Carl Schmitt "wenigstens eine Insel in dem Meere [...]: die vom Parteienstaat reingebliebene Reichswehr. Ihr ist es gelungen der trüben Flut zu entgehen" (Schmitt 1995: 78). Nach dieser Einordnung der Reichswehr in den symbolischen Antagonismus {rein, Insel} / {trüb, Flut, Meer}, doziert er dann auf der folgenden Seite, es gäbe "kein sinnvolles allgemeines Wahlrecht ohne die notwendig korrespondierende allgemeine Wehrpflicht" (ebd.: 79) und der Herausgeber Maschke verweist in einer Anmerkung dazu auf die passende Stelle aus Schmitts Verfassungslehre. Doch auch dieser institutionelle Entwurf wird umgehend wieder in die Symbolik geschlechtlicher Köper übersetzt, wenn von "der entmilitarisierten, das heißt entehrten Zone" (79) die Rede ist, wenn also Entmilitarisierung gleichgesetzt wird mit dem verführten Mädchen, das Wahrigs Deutsches Wörterbuch (1994) als eine der Bedeutungen des Wortes entehrt angibt. Aus dieser Gesellschaft – einem Kasernenhof, in dem die formierten Massen auf Befehl der staatlichen Führung marschieren – sind Frauen zur Zeit von Schmitts Schriften per definitionem ausgeschlossen, schon deshalb erübrigt sich jedes Wort über ihr demokratisches Wahlrecht. Genau dieses Bild ruft aber auch Voigt in der Rede auf: "Volkstribunen [...] und Marschierer müssen zusammen wirken. [...] Denn das Wort verhallt ungehört, wenn es sich nicht an die Spitze der Massen stellt. Die Massen werden aber zerstäuben und sich verflüchtigen, wenn ihnen nicht das Wort voranmaschiert" (23841). Diese Stelle zeigt noch einmal die Symbolisierung heterogener Massen als {trüb, wimmend, schmutzig, zerstäubend, verflüchtigend}, betont aber vor allem das entgegengesetzte Moment der positiv gewerteten homogenen, auf Befehl marschierenden Masse und ruft damit ebenfalls das soldatische Männlichkeitskonzept auf, das angesichts der historisch relativ neuen Aufnahme von Frauen ins Militär wohl noch als solches gelten kann. Allerdings reagiert die NPD auf letzteres mit folgender Aussage im Parteiprogramm: "Wehrdienst ist Ehrendienst am deutschen Volk. Daher bejaht die NPD den soldatischen Dienst in der Bundeswehr. Frauen können freiwillig am Wehrdienst teilnehmen oder ein soziales Jahr leisten" (NPD 1997: §15). Das heißt implizit Frauen können, Männer müssen eine soldatische Subjektivität ausbilden, die mit der Dominanz militärischer Picturae und Ritualen wie dem Einmarsch der Parteiführung und dem Singen der Nationalhymne korrespondiert (vgl. Kap. 3.2). Auf eine andere Transformationstendenz der Geschlechterverhältnisse, nämlich die Prominenz von Frauen in der politischen Öffentlichkeit, reagiert ein Artikel der Deutschen Stimme. Dort heißt es in einem Bericht über einen TV-Auftritt Voigts: "Die überforderte Stewardeß Sabine Christiansen winkte ab. [...] Auch die ach so tapfere Maybrit Illner machte sich ins Höschen. Beide erklärten, keine nationalen Politiker in ihre

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Sendungen zu lassen. Moderatorinnen sind dem Charme von Nationaldemokraten offenbar nicht gewachsen. Schließlich hatten Christiansen und Illner das unrühmliche Beispiel ihrer Geschlechtsgenossinnen [...] vor Augen, die ob ihrer kläglichen Vorstellung am Wahlabend des 19. September landauf, landab verbal abgewatscht wurden. Also mussten Männer ran" (DS 11/2004: 6).

Als ernstzunehmende politische Diskutanten kommen demnach nur Männer in Frage. Nur ihnen könnte die virile Tugend der Tapferkeit ohne Ironie zugesprochen werden, Frauen verhalten sich im Gegenteil kläglich und unrühmlich. Zugleich verkehren sich gesellschaftliche Prestigeverhältnisse, die diesem Verständnis entgegenstehen, im Symbolisch-Imaginären mittels eines sexuellen Bildes. Frauen, die in der Rolle der politischen Diskutantin anerkannt sind, verwandeln sich in überforderte Dienstleisterinnen, auf deren eingenässtes Höschen und Abgewatscht-werden der pornographische Blick des sprechenden Subjektes gerichtet ist, das – die Momente des Begehrens und der Überlegenheit im Bild noch einmal steigernd – als unwiderstehlich männlich-charmant erscheint. Nur eine Seite weiter findet sich das angstbesetzte Gegenstück zu dieser männlichen Omnipotenzphantasie. Dort heißt es in einem Artikel mit der Überschrift "Identitätstod" zu den Folgen eines möglichen EU-Beitritts für die Türkei: "[J]edes pornographische Druckwerk, jede Selbstbeschmutzung darf 'endlich' auf den Markt gebracht werden. Auch bei Kapitalverbrechen dürfen sich die ländlichen Anatolier auf Freigang statt auf Schutz durch Strafe einstellen. Die Scheidungsrate kann endlich in die Höhe schnellen. Kinder werden verhütet oder abgetrieben, und auch in Ankara regieren bald die Schwulen. Identitätskastration ist das Danaergeschenk für alle EU-Neulinge" (DS 11/2004: 7).

Hier werden die bereits herausgestellten Symbolisierungen 'souveräner Regierung' auf die '(nationale) Identität' (vgl. das folgende Kapitel) – ausgedehnt und ihr symbolisches Gegenüber wird um die Picturae der Homosexualität und des Todes ergänzt: {Regierung, nationale Identität, Männerkörper} / {Schmutz, Homosexualität, Kastration, Tod}. Insgesamt wird an dieser Stelle ein männliche Selbst angerufen, das sich {Pornographie, Schmutz, Kapitalverbrechen, Ehescheidung, Verhütung, Abtreibung, Homosexualität, Kastration, Tod} gegenübersieht. Gemeinsamer Nenner dieser langen Kette, in der die symbolischen Komponenten kaum trennscharf von anderen zu unterscheiden sind, ist die Konnotation von Angst und Sexualität, die einmal mehr in der Kastration – hier als explizites symbolisches Äquivalent zum Tod des männlichen Subjektes – kulminiert. Während das Begehren in der zitierten Omnipotenzphantasie selbst in einem pornographischen Blick artikuliert ist, sind Pornographie und Homosexualität als Formen des Begehrens, die sich nicht

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3 Der nationalistische Interdiskurs

unmittelbar in eine traditionelle Familienordnung einfügen, hier in einem Angstkomplex artikuliert und verbinden sich dabei mit anderen Infragestellungen (Scheidung, Verhütung, Abtreibung) jener Institution, die das Fortbestehen der patriarchalen 'Linie der Väter ' sichern soll. Letzteres zeigt der Abschnitt zum Thema Familie im Parteiprogramm, der die Thematik der biologischen Reproduktion mit der Verteidigung der – nicht zuletzt durch die feministische Bewegung – zunehmend in Frage gestellten Institution der Hausfrauen-Ehe verbindet: "Nationaldemokraten lehnen die jede Gemeinschaft gefährdende 'Selbstverwirklichung' [...] ab. [...] Die Familie ist Träger des biologischen Erbes. [...] Die Leistung der Hausfrau und Mutter ist mit keiner Arbeitsleistung anderer Berufe zu vergleichen. Ihr gebührt ein nach Anzahl der Kinder gestaffeltes Hausfrauen- und Müttergehalt, [...] da der Beruf in der Familie sie voll auslastet. [...] Dies gilt alternativ auch für alleinerziehende Väter" (NPD 1997: §2, unterstrichen H.O.).

Ähnlich wie der Soldat ist also auch der Vater sowohl zentrales Symbol als auch Subjektposition im Rahmen konkreter institutioneller Ordnungsvorstellung, hier einer tradierten Form der geschlechtlichen Arbeitsteilung und der Regulation generativen Verhaltens. Dabei geht noch der generative Akt selbst mit einer spezifischen Emphase auf den Vater einher, wie die oben zitierte Interviewpassage (Kapitel 3.2.1) zeigt, in der Voigt als entscheidendes Kriterium des Staatsangehörigkeitsrechts angibt, "dass ein Elternteil – der Vater – ein Deutscher ist"75 (Berliner Zeitung vom 29.10.2004). Auch hier ist der Übergang von institutionellen Regeln zur eingangs zitierten Umschreibung des 'biologischen Volkes' als 'Väter und Vorväter' in der Rede also fließend, und wenn Voigt exakt die gleiche Formulierung zur Bezeichnung der deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg verwendet, wird sowohl das Bild des Soldaten angeschlossen, als auch die nationalistische Geschichtserzählung aufgerufen76. Auf diese Weise verdichten sich die zentralen 75 Diese entscheidende Bedeutung des Vaters war in der ursprünglichen Fassung des Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetzes in der Tat festgeschrieben, was jedoch bereits in den 1970er Jahren wegen Unvereinbarkeit mit der Verfassung geändert wurde. 76 Ein gutes Beispiel für die Artikulation des Komplexes der soldatischen Männlichkeit (mit ihren Ritualen, insbesondere der Hymne und der komplementären Abwertung einer als flüssig imaginierten Weiblichkeit) mit der nationalistischen Geschichtserzählung von Kaisern und Frontsoldaten ist ein Text von Götz Kubitschek. Es ist die Einleitung zu einem Buch, in dem er als Stichwortgeber für ein in Interviewform gebrachtes Selbstgespräch von Karlheinz Weißmann fungiert (WM 2006). Darin erzählt Kubitschek eine kleine Geschichte von seinen drei Mentoren. Als ersten Mentor stellt er den Rektor seines Gymnasiums vor, "er unterrichtete Latein und Geschichte und erzählte manchmal vom Krieg, in den er noch als Flakhelfer gezogen war" (ebd.: 7). In seinem Geschichtsunterricht gab es einen "Lehrsatz [der] lautete: 'Unsere Kaiser haben unsere ganze Aufmerksamkeit verdient'. Unsere Kaiser!" (ebd.). Als zweiten Mentor wird "ein Major, Hörsaalleiter des Fahnenjunker-Lehrgangs" vorgestellt, mit dem der Ich-Erzähler "lange Gespräche [...] über den Soldatenberuf, über Ethik im Krieg, über Männlichkeit" (ebd. 8) führt. Nach einem solchen Gespräch, während einer Nachtübung verschläft er, wird vom Major geweckt und entschuldigt sich, worauf dieser erwidert "Tun Sie das nie wieder! [...] Ich meine nicht ihr Nickerchen. Ich meine ihre wortreiche Entschuldigung, Ihren Schwall,

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Elemente des Diskurses in einem männlichen Subjektschema. Dieses geht von den tradierten Institutionen Militär und Familie aus und bildet einen spezifischen Symbolkomplex von Männlichkeit/Weiblichkeit, der die Rede über die Kernvorstellungen {Volk, Geschichte, Staat} insgesamt (mit)strukturiert. Es gibt also eine bestimmte Aussage von MÄNNLICHKEIT {Vater, Soldat, männlich, hart, formiert, starker Staat} / {Kastration, Homosexualität, weiblich, weich, fließend, schwacher Staat}. Die damit artikulierten symbolischen Elemente sind Teil eines umfassenden symbolischen Antagonismus, der anknüpfend an Deleuze/Guattari als Aussage der RETERRITORIALISIERUNG {geschlossen, fest, Damm, Schott, Trockenheit, hart, männlich, stark, ...} / {offen, flüssig, Strom, Flut, Welle, Auflösung, weich, weiblich, schwach, ...} bezeichnet werden kann (vgl. Kapitel 3.3 und 7.4.1). Die Tabelle 3.2 fasst diesen Komplex, dessen Elemente noch in anderen Zusammenhängen – nicht zuletzt der Rede über 'Globalisierung' – wichtig werden, noch einmal zusammen.

Ihr Gewäsch: Die weibische Methode wortgewaltig zu versagen, wird unser Volk in den Ruin treiben" (ebd. 9). Als dritter Mentor wird schließlich Weißmann vorgestellt, mit dem der Erzähler gemeinsam dafür sorgt, dass zum Ende eines Bundestreffens der 'Deutschen Gildenschaft' weiterhin das Deutschlandlied in allen Strophen gesungen wird. Zu diesem Zweck sollte "Weißmann seinen Festvortrag in ein suggestives Bild unserer Nation münden lassen. [...] Er ließ an den Hörern den historischen Zug der Deutschen vorbeiziehen, nannte Kaisergeschlechter, Bauernführer, Siedler, Künstler, Denker, Epochen, [...] die Frontsoldaten, die Männer des 20. Juli, die letzten Verteidiger der Ostgrenzen, die Vertriebenen, [...] die Arbeiter der 17. Juni [...], um mit denen zu enden, die die Mauer eingerissen hatten [...] und es erhoben sich alle und sangen selbstverständlich wieder alle Strophen des Deutschlandliedes" (ebd 10f.). Dazu passend beschreibt Kubitschek ein Jahr später in der NPD-Zeitung "die Haltung des Wahlpreußen von heute" mit den Worten: "Er muß bekämpfen was den Staat zerstört und die Nation kastriert" (DS 01/2007, zitiert nach Kellershohn (2007: 142)).

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3 Der nationalistische Interdiskurs

Tabelle 3.2.: Geschlechtersymbolik im nationalistischen Diskurs (von Carl Schmitt zur NPD) Pictura männlicher Typus Stärke Damm Regulierung Insel Herausragen Säule Spitze (Ragen, Säule, Spitze) Energie, Intensität Hemmungslosigkeit Potenz

Abwatschen Charme rein

Subscriptio Pictura Subscriptio Leitdifferenz: männliche Stärke / weibliche Schwäche Monarchie Feminisierung moderne Demokratie qualitativ Schwäche Quantitativ totaler Staat totaler Staat Trockenheit und Fluten konstitutionelle (chaotische) Flut Massen Monarchie Demokratie (rote Flut) Sozialismus " (chaotischer) Strom Demokratie Reichswehr Meer Parteienstaat Monarch Ausfluss Parteien-/ Wohlfahrtsstaat Reichspräsident Auflösung Parlamentarische Demokratie Volkstribun Sexualität Exekutive (Ausfluss) Parteien-/ Wohlfahrtsstaat qualitativ Volumen, Umfang, quantitativ totaler Staat Ausdehnung, Fett totaler Staat " Widerstandslosigkeit " handlungsfähiger Staat, Identität

Entehrung Kastration (Tod)

Schwule Prostituierte Stewardess mit nassen Höschen Nationaldemokraten erliegen (nicht gewachsen) Reinheit und Schmutz Selbst/Identität schmutzig trübe Flut Staub

Entmilitarisierung moderner (westdeutscher) Staat, EU Regierung Parteien-/ Wohlfahrtsstaat TV-Moderatorinnen TV-Moderatorinnen

Parteienstaat heterogene Masse

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3.2 Volk gegen System

Militär Form formiert Marschierer tapfer, heldenhaft Kämpfer

Staat staatlich organisiert homogene Masse Wehrmacht Nationaldemokraten

Vater Väter und Vorväter

Staat Volk, Wehrmachtssoldaten

Formlosigkeit

Massendemokratie

kläglich, unrühmlich

TV-Moderatorinnen

Väter Partner

3.2.6 Identität Auch im Abschnitt "Deutsche Souveränität und das Europa der Völker" des Parteiprogramms, in dem die "Selbstaufgabe Deutschlands" der von "Vätern und Vorvätern geschaffenen nationalen Gemeinschaft" entgegengesetzt wird, erscheint das projektierte "Europa der Völker" im Bild eines (männlichen) Körpers, der "gesund, kräftig [...] und in seiner nationalen Identität geschützt ist" (NPD 1997: § 9). Unabhängig von der geschlechtlichen Konnotation ist der durch die Körpersymbolik akzentuierte Übergang von der Imagination eines souveränen, individuellen 'Selbst' beziehungsweise einer individuellen 'Identität' hin zu einem kollektiven 'Selbst', nämlich der 'nationalen Identität' und 'nationalen Souveränität' bemerkenswert. Diese 'nationale Identität' fungiert als Label, das die in Frage stehenden politischen Vorstellungen zusammenfasst. Die zitierte Passage aus dem Programm zeigt dies ebenso wie die Rede der DS (11/2004: 15) vom europaweiten "Erstarken nationalidentitärer [...] Parteien". Letztlich handelt es sich bei dem ontologisierenden Begriff um ein Synonym des Volksbegriffes, wie das Kapitel die "Nationale Identität" im bereits behandelten Buch von Jürgen Schwab (2002: 140ff.) zeigt, in welchem er schreibt: "Der Wesenskern der politischen Definition von nationaler Identität ist das völkische Prinzip" (ebd.: 141). Darüber hinaus fasst der abstrakte Begriff der Identität die Vielzahl von (ontologischen, historischen, soziologischen, linguistischen, politischen und geographischen) Kategorien zusammen, die an den biologischen Volksbegriff angeglichen werden, wie zwei Stellen aus der Rede zeigen. So stellt Voigt die "eigene Identität" – die er als Gegensatz zu einem "Vielvölkerstaat" einführt – in eine Reihe aus "Leistungen unserer Väter und Vorväter [...,] unseren Kindern" sowie "Liebe zum Vaterland, zum Volk, zur Familie und zur Heimat" (200-202). An anderer Stelle zitiert er zustimmend die folgende, angeblich der WIRTSCHAFTSWOCHE entnommene, Passage: "Das Wesen einer Nation ist dadurch gekennzeichnet, dass eine Gemeinschaft den Eindruck hat, in der Vergangenheit große Dinge getan zu haben und entschlossen ist, auch in Zukunft

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3 Der nationalistische Interdiskurs

Großes zu leisten. [...] Identität lebt von Herkunft. Und Herkunft bedeutet Geschichte". (277280).

In wenigen Zeilen entsteht also die folgende Substantivkette: {Identität: (Vor)Väter, Kinder, Familie, Volk, Vaterland, Heimat, Wesen, Nation, Gemeinschaft, Herkunft, Geschichte}. Damit leistet die Figur der 'nationalen Identität', die sich auf die Analogie zu einer individuellen Wahrnehmung als ein identisches Selbst stützt, eine Verdichtung aller Elemente der positiv gewerteten Äquivalenzkette, des Antagonismus Volk / System. Entsprechend lässt sich jedes dieser Elemente unter Verweis auf das Abstraktum noch einmal akzentuieren. So kommt etwa die territoriale Komponente, die in der zitierten Reihe als 'Vaterland' präsent ist (und nur wenige Zeilen später erneut in der Reihung "unser Volk, [...] uns unser Land" (205) erscheint), im Parteiprogramm deutlicher zum Ausdruck, wo es heißt man müsse "Millionen von Deutschen in den abgetrennten Gebieten […] helfen, ihre deutsche Kultur und ihre nationale Identität zu bewahren" (NPD 1997: § 10). Mit den wie Gliedmaßen abgetrennten Gebieten ist ein intaktes Selbst bedroht, dessen Identität in der Einheit {biologisches Volk (Deutsche), Territorium (Gebiete), Kultur} besteht. Die Proklamierung der 'nationalen Identität' zielt auf die praktische Herstellung dessen, was sie als immer schon gegeben unterstellt und nur zu bezeichnen vorgibt, etwa die Ausdehnung des Nationalstaates auf die 'abgetrennten Gebiete'. Wie das Zitat aus der WIRTSCHAFTSWOCHE zeigt, ist Identität nicht einfach gegeben, sondern es bedarf der (kollektiven) 'Entschlossenheit', sie zu verwirklichen. Dementsprechend fasst Voigt das Ziel seiner Politik in einer paradoxen Wendung. Es gehe nämlich um einen Zustand, in dem "die Deutschen wieder zu ihrer eigenen Identität finden können" (487f.), also das werden können, was sie per definitionem längst schon sein müssten. Deutlich wird dieser Anrufungscharakter als wesentliches Moment der Rede von der Identität auch in der Formulierung von den "Deutsche[n] die noch Deutsche sein wollen" (495, ähnlich 55, 455, 463, wörtlich auch in DS 11/2004: 2), die Voigt von Horst Mahler übernimmt77. Dies verweist auf die grundsätzliche Aporie der Figur der Identität, die entgegen ihrer unterstellten Behauptung, ein Immergleiches zu bezeichnen, eine selbstreflexive Kategorie ist, welche ein (imaginiertes individuelles oder kollektives) Selbst dazu anleitet, das zu sein, beziehungsweise im Rahmen moderner Konkurrenzverhältnisse zu 77 Die Formel stammt aus der Unterüberschrift eines Textes von Mahler aus dem Jahre 1998: "Flugschrift an die Deutschen die es noch sein wollen über die Lage ihres Volkes" und findet seither rege Verwendung. Einige Hinweise zur Rezeption finden sich bei Dietzsch u.a. (2003: 178). So wurde der ursprüngliche Text als Serie in 'Das Ostpreußenblatt' (6-8/1999) abgedruckt und die Formel wurde in einem in dem Buch analysierten Artikel von Michael Wiesberg in der JUNGEN FREIHEIT gebraucht. Ein weiterer Publikationsort des ursprünglichen Textes war die Ausgabe (3-4/1998) der Zeitschrift WIR SELBST.

3.2 Volk gegen System

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erreichen, was es als Identität setzt und wodurch es sich von anderen unterscheidet (vgl. Demirović 2001, Ders. 2003). Das zentrale Andere des mit der 'nationale Identität' proklamierten Kollektivsubjektes sind 'Ausländer'. Migrant*innen, die nationalstaatliche Grenzen dauerhaft überschritten haben und ihre Nachkommen, stellen per se eine Störung jener Äquivalenzkette dar, welche die anzustrebende Identität definiert. Diese Störung lässt sich jedoch nicht nur aus der Perspektive des 'Selbst' formulieren, um das es hauptsächlich geht, sondern sie kann auch im scheinbaren Interesse derjenigen formuliert werden, welche zur Sicherung der proklamierten eigenen Identität abgeschoben werden sollen. Voigt tut dies im Rahmen einer gängigen Argumentation, die den "Vorwurf der Ausländerfeindlichkeit" (532) zurückweisen soll, wenn er betont, dass 'Ausländer' im Rahmen des völkischen Denkens "ein genauso großes Recht auf Bewahrung der eigenen Identität haben, wie das deutsche Volk" (535f.), sofern das Prinzip "die Chinesen in China und die Türken in der Türkei" (546) gewahrt und damit die Deckung der vielfältigen Elemente der Identitätskette gewährleistet bleibt. Auch im Parteiprogramm findet sich eine entsprechende Formulierung dieses Prinzips, das seit den 1970er Jahren auch unter dem Namen "Ethnopluralismus" (Schwab 2002: 140) bekannt ist78. Hier steht "das Recht der Völker auf Selbstbestimmung, auf kulturelle und nationale Identität" gegen Immigration, denn diese bedeute, dass "Ausländer und Deutsche [...] gleichermaßen ihrer Heimat entfremdet und entwurzelt [werden], ihnen droht der Verlust ihrer Identität, der bis zur Zerstörung der Familien führt" (NPD 1997: §8). Hier wird die Wurzel in die Kette {nationale Identität: Heimat, Familie, Volk} eingereiht, ein symbolisches Element, das in diesem Zusammenhang überaus häufig gebraucht wird. Die Äquivalenz von Identität und Verwurzelung findet sich noch in einem weiteren Abschnitt des Programms, in dem ökologische Zerstörung mit der "Vernichtung der traditionellen Bindungen und Kulturen" parallelisiert wird, um aus beidem zu folgern: "Der Mensch wird entfremdet und entwurzelt, er verliert seine Identität" (NPD 1997: §12). Auch Jürgen Schwab (2002: 148) nutzt das Symbol in seinem Kapitel zur nationalen Identität, in welchem er die "These Gehlens, der Mensch sei durch seine biologischen Wurzeln festgelegt"79 verteidigt, nachdem er kurz zuvor die "multikulturelle Gesellschaft" (ebd.: 147) als Kontrastbild zum Identitätskonzept einführt. Dieses Gegensatzpaar 'nationale Identität' / 'multikulturelle Gesellschaft' gehört, wie die analoge Symbolik der Verwurzelung / Entwurzelung, zu den hochgradig rekurrenten Elementen. "Wir [...] lehnen eine 78 Ein entscheidender Beitrag zur Karriere der neuen Begriffe 'Ethnopluralismus' und 'nationale Identität' für den alten Gedanken der bio-ontologischen Differenz von Völkern war das Buch Henning Eichbergs 'Nationale Identität. Entfremdung und nationale Frage in der Industriegesellschaft' aus dem Jahr 1978 (vgl. Assheuer/Sarkowicz 1990: 153ff.). 79 Schwab paraphrasiert hier einen Text von Karlheinz Weißmann (vgl. Kapitel 6.1).

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multikulturelle Gesellschaft ab, weil diese sowohl den Deutschen wie den Ausländern die eigene Identität nimmt" (550f.), heißt es in der Rede, in der die Begriffe noch in zwei weiteren Abschnitten (vgl. 533-536 und 188-200) spiegelbildlich gebraucht werden. Es gilt also der Antagonismus {nationale Identität, Wurzel, Deutsche} / {multikulturelle Gesellschaft, Entwurzelung, Ausländer}. Die nationale Identität und die Wurzel schreiben sich in die positive Kette der VOLK-Aussage ein, die multikulturelle Gesellschaft und die Entwurzelung spiegelbildlich in die negative Kette. Hier bietet es sich an, zur Negativ-Kette des übergreifenden Antagonismus Volk/System überzugehen. 3.2.7 Ausländer Wie der vorige Abschnitt gezeigt hat, liegt die zentrale Bedeutung des Themenkomplexes {Ausländer, multikulturelle Gesellschaft} darin, die fundamentale Definition der Wir-Gruppe als Einheit von genealogisch definiertem Volk, Territorium und Nationalstaat zu akzentuieren, indem ihr Migrant*innen als Angehörige analog definierter anderer Völker gegenübergestellt werden. Diese Stabilisierung der Kette {Volk(szugehörige), Land, Kultur, Nationalstaat} durch die Entgegensetzung entsprechend definierter Einheiten kann an jedem ihrer Elemente ansetzen. Besonders deutlich wird dies im Rede-Abschnitt zum EU-Beitritt, in dem die "Türkei und Israel" als "raumfremde Länder" zugleich "geographisch" und "[b]evölkerungsmäßig" den "Kulturen und Völker[n] Europas", insbesondere Deutschland als "Land der Deutschen", gegenübergestellt werden und die "Zunahme des Ausländeranteils" beziehungsweise die "Bildung einer 'Multikulturellen Gesellschaft' Europas" als Bedrohung für den "Fortbestand vieler europäischer Völker" präsentiert wird (610-628). In diesem Zusammenhang werden Türken und die Türkei ausdrücklich dem "christlich-abendländisch geprägten Europa" (616f.) gegenübergestellt. Diese religiöse Komponente ist schon deshalb bemerkenswert, weil die christliche Religion (mit Blick auf ihren Universalismus und ihre Verbindung zur jüdischen Religion) in der NPD umstritten ist und oft zugunsten heidnisch-germanischer Mythologie abgelehnt wird80. An dieser Stelle ermöglicht der christlich-abendländische Bezug allerdings den Anschluss an einen zentralen Topos der öffentlichen Debatten um den EU-Beitritt, um den Bau von Moscheen oder politisch-religiösen Fundamentalismus. So präsentiert Voigt die "Unterschriftenkampagne von NPD und DVU" gegen den Beitritt der Türkei als "das Original" (593f.), das tatsächlich 80 Vgl. Staud (2005: 95ff.), der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass in einem parteiinternen Papier das 'christlich' aus dem formelhaften Bekenntnis zur 'abendländischen Kultur' gestrichen wurde (vgl. ebd.: 97).

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durchgeführt wird, im Gegensatz zu entsprechenden Überlegungen in der CDU/CSU, die schließlich verworfen wurden. Vor diesem Hintergrund ist es nahezu ausschließlich die unter anderem religiös codierte Reihe {Türken, Masseneinwanderung, Islam, Islamismus} durch welche die abstrakten 'Ausländer' konkretisiert werden81. Auch bei Voigt kommen ausschließlich 'Türken' (die in einer redundanten Phrase mit "Chinesen" (546) parallelisiert werden) als 'Ausländer' vor. Diese werden dem 'Christlich-Abendländischen' entgegengesetzt und erscheinen als drohende "Masseneinwanderung" (597, unterstrichen H.O.) der halben "Bevölkerung Istanbuls" (600f.). Gleiches gilt für die DS, in der neben einem Artikel zu den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei (DS 11/2004: 1, 4) vor allem ein weiterer zur (medial insbesondere durch die BILD-Zeitung breit diskutierten) Abschiebung von Metin Kaplan, das Thema "falsche Ausländerpolitik" (ebd.: 2) an Türken durchexerziert. Im Letztgenannten wird der "Islam-Hetzer" – stellvertretend für "die Islamisten" bzw. "islamischen Landnehmer" – in die Tradition historischer Morde an Christen (s.u.) gestellt und zum Anlass genommen, gegen den "Rechtsstaat samt 'offener Gesellschaft'" zu polemisieren (ebd.). Das symbolische Gegenstück zur offenen Gesellschaft findet sich an der bereits zitierten Stelle (vgl. Kapitel 3.2.1), an welcher der Humangenetiker Weiss sein Bevölkerungskonzept konkretisiert, in dem er ebenfalls die Ketten {Völker Europas, relativ geschlossen, christlich geprägt, Nationalstaat, Deutschland} / {große Massen, nicht integrierbar, Fremde, türkischer Bevölkerungsanteil} gegenüberstellt (vgl. DS 11/2004: 2). Das Symbol der offenen / geschlossenen Gesellschaft verweist darauf, dass die Grenze ein zentrales Moment im Zusammenhang mit der 'Ausländerthematik' ist, nicht nur weil transnationale Migration de facto ein Überschreiten nationalstaatlicher Grenzen darstellt, sondern vor allem weil damit die Grenzen der fundamentalen Identitätskette praktisch in Frage gestellt sind. Ein gängiges Bild, das Massendynamiken aller Art als tendenziell bedrohliche Grenzüberschreitung codiert (Kapitel 3.2.5 und 4.2.2) werden und das häufig zur Symbolisierung transnationaler Migration genutzt wird, ist das des Stroms beziehungsweise der Flut. Obwohl diese Figur weit über das vorliegende Material hinaus beinahe schon stereotyp verwendet wird, spielt es hier eine zentrale Rolle. So wird in der DS die "Überflutung Deutschlands mit Ausländern" (DS 11/2004: 23) und als 81 Die Bedeutung dieses Elements nahm im nationalistischen Diskurs in den folgenden Jahren immer weiter zu. Dies zeigt nicht zuletzt die Entstehung der "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) im Jahr 2014. Zu PEGIDA vgl. Rehberg/Kunz/Schlinzig (2016), Geiges/Marg/Walter (2015), Keil (2015). Zur jüngeren Entwicklung der nationalistischen Rechten und zum Mythos Abendland vgl. Weiß (2017).

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Konsequenz die "Auflösung Deutschlands" (ebd.: 17) gefürchtet. Ersteres in einem Leserbrief, letzteres als Titel eines beworbenen Buches, das die Geschichte einer "grundlegenden Krise – gekennzeichnet durch Geburtenmangel, Überalterung und Masseneinwanderung" (ebd., unterstrichen H.O.) erzählt. Der Umschlag des Buches zeigt einen nahenden Orkan der im Begriff ist, Deutschland, symbolisiert als Haus (mit schwarzrotgoldenem Dach), zum Einsturz zu bringen. Der zugehörige Klappentext übersetzt dies in ein weiteres Symbol für bedrohliche Massendynamiken, nämlich ein Szenario des militärischen Angriffs: "Die millionenfache Einwanderung von Ausländern [...] verschärft durch deren Landnahme die Lage" (Sawall 2004). Als freigestellter Eye-Catcher finden sich "Landraub und Überfremdung" auch in einem Artikel der DS (11/2004: 1, 4). Hier ist der "Türkensturm" wiederum katachretisch mit einer "Überfremdungswelle" beziehungsweise einer "Türkenschwemme" verbunden und es wird beklagt, dass durch eine "zu starke 'Abschottung' [...] die immigrationistischen Leitideen der Europäischen Union verletzt" (ebd.) würden. Die militärische Komponente kommt zudem in zwei Bildunterschriften zum Tragen. Ein Bild zeigt Muslimas mit dem Kommentar "Kopftuch-Geschwader im Anflug auf Europa", ein anderes einen Ausschnitt aus der Bild-Zeitung mit dem Kommentar "Volksverrat: In der 'Bild' [...] propagiert von Weizsäcker den Beitritt der Türkei" (ebd.). Die Befürwortung des Türkeibeitritts bedeutet Kollaboration mit einem militärischen Feind, der "uns unser Land nehmen und wenn es sein muss erobern" will und damit die gleiche Bedrohung darstellt wie sein Vorfahre "Fathi – der Eroberer", der die "Ausmordung der Christen" (ebd.: 2) in Konstantinopel betrieb. In Voigts Rede ist die Katachrese dort präsent, wo er die "Abwehr weiterer Einwanderungsströme" 82 (628) und "Grenzen dicht für Lohndumping und Einfuhr billiger Waren" (557) fordert. Diese Stelle weist zwei ökonomische Bezüge auf. Zum einen verdeutlicht die Parallelisierung von Arbeitsmigration ('Lohndumping') und Warenimport, dass die absolut negativ akzentuierte Symbolik der offenen Grenze im Zusammenhang mit Migration (siehe Tabelle 3.3) eng an die Bewertung grenzüberschreitender ökonomischer Transaktionen gebunden ist (s.u. Kapitel 5.1.1). Zum anderen zeigt das Wort Lohndumping in diesem Zusammenhang die rassistische Artikulation des Konkurrenzverhältnisses auf dem Arbeitsmarkt an. Diese ist ein wesentliches Moment der Thematisierung von 'Ausländern' beziehungsweise 'Türken', wie aus dem Abschnitt 531-566, in dem das Wort fällt, deutlich hervorgeht. Das durch die Überschrift vorgegebene Thema 'Ausländer' wird hier vielfach mit dem Thema Arbeit, Arbeitsplätze, Arbeitslosigkeit gekoppelt. Exemplarisch ist die Forderung "Arbeitsplätze [...] zuerst an Deutsche" (553) mit der Erläuterung, jeder 82 Ein Bericht der DS über die Unterschriftenaktion von NPD und DV, der in weiten Teilen wörtlich mit dem entsprechenden Redeabschnitt (582-609) übereinstimmt, steht unter der Überschrift "Der orientalischen Landnahme trotzen" (DS 11/2004: 14).

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"beschäftigte Ausländer, der nach Hause geht, macht einen Arbeitsplatz für Deutsche frei, der besser als mit 1 Euro bezahlt wird" (554ff.). Voigt wiederholt hier wörtlich die zentralen Aussagen aus dem Wahlkampf in Sachsen, wenn er mit dem Stichwort 'Ein-Euro-Jobs' auf (die Proteste gegen) das Hartz-IV-Gesetz Bezug nimmt und dies in Parolen einbaut, die seit Jahren die Wahlwerbung der Partei dominieren (vgl. Grumke/Klärner 2006: 84ff. und Steglich 2005: 35ff.). In einem Flugblatt mit der Überschrift 'Quittung für Hartz IV' heißt es: "Wir fordern die Schließung der Grenzen für Lohndrückerei durch ausländische Billiglohnarbeiter. Wir fordern die Schließung der Grenzen für billige Waren, die im Ausland mit Billiglöhnen ohne Arbeitsplatz- und Umweltschutz hergestellt werden. Wir fordern, die hier arbeitenden und arbeitslosen Ausländer zurück in ihre Heimatländer zu bringen. Jeder beschäftigte Ausländer der zurück in seine Heimat geht, macht einen Arbeitsplatz für Deutsche frei. Jeder ausländische Sozialhilfeempfänger der nach Hause geht, liegt unserem Sozialversicherungssystem nicht mehr auf der Tasche" (NPD-Flugblatt: Quittung für Hartz IV. Berlin, o.J.).

Die Rede zeigt, dass es der NPD grundsätzlich um "die Ausgliederung der hier lebenden Ausländer aus dem Sozial-, Renten- und Arbeitslosenversicherungssystem" (537f., vgl. NPD 1997: §7) geht, da das Identitätsparadigma jede ökonomische Überlegung dominiert ("Wenn ein Unternehmer einen Ausländer braucht, dann soll der diesen künftig auf seine Kosten privat versichern" (539)). Entsprechend sind 'Ausländer' immer als ökonomisches Problem präsent. Sofern sie arbeiten, werden sie als Konkurrenten um Arbeitsplätze – nicht etwa als Beitragszahler zur Sozialversicherung – präsentiert, vor allem aber erscheinen sie als Sozialhilfe-Empfänger und "Ausländer, die [...] arbeitslos sind" (545), also als Bezieher von Sozialleistungen und damit als Kostenfaktor des Sozialversicherungssystems. So wird die Kette absolut negativ gewerteter Symbole für Migranten (die in der rechten Spalte der Tabelle 3.3 abgetragen sind) um die Elemente des Auf-der-Tasche-Liegens, der "finanziellen Belastungen, die auf Deutschland zukommen" (605) und der "fremden Sozialhilfeschmarotzer" (DS 11/2004: 2) erweitert und der Schluss gezogen, dass "die verfehlte Ausländerpolitik [...] für leere Kassen sorg[t]" (547ff.). Unter Einbezug der zentralen Symbole lautet die Aussage AUSLÄNDER {Volk, nationale Identität, Homogenität} / {multikulturelle Gesellschaft, Inhomogenität, Überfremdung, Ausländer, Türken, (ökonomische) Belastung, Entwurzelung, Flut, Welle, Schwemme}.

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Tabelle 3.3: Symbolisierung transnationaler Migration. Nationalstaat Grenze Immigration Autochthone geschlossene Grenze Grenzüberschreitung Migrant*innen geschlossener Staat offene Gesellschaft Wurzel Entwurzelung (Festland) Abdichtung (Damm, Deich) Überflutung (Flut) Auflösung Welle Schwemme Ströme (Schiff) Abdichtung Schott (Untergang) Haus (Stabilisierung) (Mauer) Einsturz Orkan Belastung Türkensturm (Militärische Abwehr (Staatsgrenze) Landnahme Türkensturm Formation) (Front) Landraub Eroberer Geschwader (Organismus) (Gesundheit) (Körpergrenze) (Krankheit) Schmarotzer Belastung (Volkswirtschaft) (volle Kasse) leere Kasse auf der Tasche liegen Subscriptiones; belegte Picturae; (ergänzte Picturae)

3.2.8 Etablierte Während die Gegenüberstellung Volk / Ausländer die Konstruktion des 'Volkes' als homogene, letztlich biologische Einheit stützt, nimmt der Gegensatz Volk / Herrschende den demokratietheoretischen Sinn des Wortes auf. Die Figur der Volkssouveränität (etwa Artikel 20 GG: 'Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus') wird kontrastiert mit "einer Politik, die ständig gegen die Mehrheitsmeinung des Volkes" (524f.), beziehungsweise "den Mehrheitswillen des Volkes" (528) stehe. Das entsprechende Grundmuster des Populismus, in welchem die Sprechenden beanspruchen den Willen des Volkes im Gegensatz zum aktuellen Personal des Staates selbst zu repräsentieren, ist in der gesamten Rede präsent. Besonders deutlich wird es im Zitieren der Klischees des "Kleinen Mannes" (182) und des Satzes "Die da oben machen ja doch was sie wollen" (523) auf der einen Seite und der Darstellung der NPD als "Partei aus dem Volk für das Volk" (192), die den "derzeitigen Zustand der Bevormundung des Volkes [...] überwinden" (528ff.) will, auf der anderen. Zentrales Gegenüber der populistisch angerufenen Gruppe sind die 'Etablierten', eine entsprechende adjektivische Markierung steht in der Rede vor "Parteien" (24, 427, 578), "Politikern" (510, 647), "Politik" (569), "Kreisen" (270), "Herrschaftskreise" (465), "Lügenbarone" (295), "vaterlandslosen Gesellen" (81) und schließlich "inländerfeindliche[] Parteien" (491f.). Ein Artikel aus der DS mit der Überschrift "Unerschöpfliche Gier der Etablierten. Der Bundestag als Selbstversorgungseinrichtung der Systemlinge" schreibt das Muster fort, auch

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hier steht "das Volk als angeblicher Souverän" gegen die "etablierte[] Politikerkaste" beziehungsweise das "einfache Volk" gegen die "FDGO-Elite" (DS 11/2004: 5). In diesem Artikel, der in erster Linie "Ministerbezüge" und "Abgeordnetengehalt" mit dem "sozialen Raubbau infolge von 'Hartz IV'" (ebd.) kontrastiert, wird die Kritik an der 'Politikerkaste' um eine soziale Dimension ergänzt. Ausgangspunkt ist ein Zitat vom damaligen Kanzler Schröder, der eine "Mentalität bis weit in die Mittelschicht hinein" behauptet hatte, nach der "man staatliche Leistungen mitnimmt, wo man sie kriegen kann" (ebd.). Dagegen setzt der Artikel folgende Erzählung: "Gerade in den Kreisen, in denen sich Schröder bewegt, ist es doch ganz normal, mitzunehmen, was mitzunehmen ist. Der gesamte Liberalkapitalismus beruht schließlich auf Gier und Geldgeilheit, und gerade die weitgehend parasitäre Oberschicht bedient sich jedes noch so kleinen Steuerschlupflochs. Welcher Normaldeutsche ist schon in der Lage, seinen Wohnsitz ins Ausland zu verlagern, um damit ganz 'legal' Steuern hinterziehen? [...] Im Gegenteil, der Anständige und der Ehrliche ist immer der Dumme. Die etablierte Politik war es, die ein Steuer-, Subventions- und Sozialwesen schuf, das überall Anreize zur ganz legalen Vorteilnahme für alle bereit hält, die dazu in der Lage sind. [...] Denn die Vertreter der Systemparteien [...] gehören weder finanziell der Mittelschicht, noch geistig dem Volke an, das zu vertreten sie vorgeben" (ebd.).

Die Kritik am Personal des politischen Systems wird also dahingehend ergänzt, dass es als Teil einer ökonomisch herrschenden Gruppe erscheint und sich somit auch hinsichtlich der eigenen finanziellen Interessen von denjenigen unterscheidet, die es dem Anspruch nach vertritt. Dabei operiert die Erzählung mit einer bemerkenswerten Symbolik, zu der später noch einiges zu sagen sein wird. So wird zum einen die Klassendimension, die unterschiedliche Verfügbarkeit über finanzielle Ressourcen, in der normalistischen Terminologie angesprochen, welche die diesbezügliche gesellschaftliche Rede insgesamt dominiert (vgl. Kapitel 4.5.2). Der Artikel verteidigt die Normalität der Mitte – die Normaldeutschen in der Mittelschicht – gegen die Aussage von Schröder und rechnet diesen wie sämtliche 'Systempolitiker' einem Oben – die da oben, die Oberschicht – zu, das diese Mitte bedroht beziehungsweise ökonomisch übervorteilt. Zum anderen wird die Oberschicht durch die Pictura des Parasiten und die Kette {Gier, Geldgeilheit, Schamlosigkeit (s.u.)} symbolisch ausstaffiert, wobei die Konnotation der Kette {finanzieller Reichtum, sexuelles Begehren, Unmoral} wiederum mit der ebenso unklaren wie moralisierenden Identifikation der normaldeutschen Mittelschicht mit 'Anstand und Ehrlichkeit' korrespondiert.

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3 Der nationalistische Interdiskurs

Im Zentrum der populistischen Erzählung steht also die Aussage ETABLIERTE {Volk, Mehrheitswille-Mehrheitsmeinung, angeblicher Souverän, kleiner Mann, einfaches Volk, Mittelschicht, Normaldeutsche, Anstand, Ehrlichkeit} / {System, Etablierte Parteien, FDGO-Elite, Herrschende, die da oben, Oberschicht, Parasiten, Gier, Geldgeilheit-Schamlosigkeit}. Die Aussage vereinigt damit ein ökonomisch-soziales und ein politisches Moment, zum einen die kleinen Leute von unten und vor allem aus der Mitte gegenüber der Oberschicht und zum anderen das Volk als politischer Souverän gegenüber dem Staatspersonal. Bis zu dieser Stelle bleiben die politischen Konsequenzen der Erzählung allerdings relativ unklar. Von der Verschiebung des geläufigen Normalbürgers in den 'Normaldeutschen' vielleicht abgesehen, zeigt sich hier die häufig festgestellte Ambivalenz populistischer Diskurse, die symbolisch gesprochen sowohl nach links als auch nach rechts tendieren können. Die spezifische Nutzung der populistischen Anrufung liegt im vorliegenden Fall in der Übersetzung der in Kapitel 3.2.4 beschrieben Demokratiekritik in den Modus politischer Mobilisierung. Bezogen auf die Demokratietheorie ließe sich sagen, es handelt sich um den Versuch, das 'Volk' dahingehend zu mobilisieren, dass es seiner eigenen Entmachtung zugunsten einer cäsaristischen Diktatur zustimmt. So finden sich die Schlüsselbegriffe der populistischen Anrufung bei Voigt gehäuft in jenem Abschnitt der Rede (522-530), der unmittelbar an die Umschreibung der Schmittschen Parlamentarismuskritik (516-521) anschließt und im Vorspann des DS-Artikels heißt es entsprechend: "Der Parlamentarismus, der so etwas hervorbringt, hat viel mit schamloser Bereicherung nach liberalkapitalistischem Muster zu tun, aber nichts mit einer richtig verstandenen Demokratie" (DS 11/2004: 5). Es gilt also {Volk: kleiner Mann, ... wahre Demokratie, ...} / {System: Herrschende, ... Parlamentarismus, ... Liberalkapitalismus}. Damit ist die populare Anrufung mit der Schmittschen Redefinition der Demokratie als Diktatur amalgamiert. Als zentrales Moment der letzteren hat sich die Konstruktion eines homogenen Volkes im Sinne 'physischer Eigenschaften' (Schmitt) gezeigt, die Jürgen Schwab als Gegensatz von formiertem Gemeinwohl und Ausländern formuliert. Dies hat den Effekt, dass die potenzielle soziale Bestimmung des Volkes im Sinne der (Nicht-)Verfügung über ökonomische Ressourcen in den Hintergrund tritt. Dass Voigts gesamte Rede durch das biologische Volksverständnis bestimmt ist, muss nicht noch einmal gezeigt werden, aber es ist bemerkenswert, wie die Wendung der "etablierten inländerfeindlichen Parteien" (491f.) das populistische Moment noch einmal unmittelbar mit der rassistischen Variante des Volksbegriffes verknüpft. Noch deutlicher ist der DS-Artikel, der gegen die "angebliche Mitnahmementalität vieler Deutscher" nicht nur die "Mitnahmementa-

3.2 Volk gegen System

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lität der Herrschenden", sondern vor allem auch die "Ausländermassen und deren Absahnmentalität" stellt und der politischen Elite in einem Atemzug vorwirft, "den Sozialstaat abzuwickeln und [ihn] der Verausländerung preiszugeben" (DS 11/2004: 5). Die Besonderheit dieses populistischen Diskurses besteht also in der Transformation des sozial- und / oder demokratietheoretisch bestimmten Begriffes 'Volk' in eine biologistische Bestimmung desselben, die zugleich den theoretischen Ausgangspunkt für den Entwurf einer autoritären Staatsform bildet. Wie die NPD diese ambivalenten Bezugspunkte des Wortes Volk strategisch einsetzt, lässt sich anhand der Parole 'Wir sind das Volk' und der historisch damit verbundenen Protestform der Montagsdemonstrationen nachvollziehen, die in der Rede mehrfach angesprochen werden. Voigt nimmt auf den historischen Ursprung der Parole, "die großen Montagsdemonstrationen, welche das System der DDR zum Einsturz brachten" (306), mit einem Zitat von Arnulf Baring Bezug, in dem dieser zu einem "Aufstand gegen das erstarrte Parteiensystem" aufruft, den er in die Tradition der Protestbewegung von 1989 zu stellen versucht: "Alle Deutschen sollten unsere Leipziger Landsleute als Vorbilder entdecken, sich von ihrer Parole des Herbstes vor dreizehn Jahren zu eigen machen: Wir sind das Volk!" (303ff.). Der zitierte Text von Baring ist selbst ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie die Erinnerung an die Parole und die historischen Ereignisse von 1989 in das Arsenal der populistischen Mobilisierung gegen das 'System' übergegangen ist. Baring spielt ebenfalls die Rolle des 'wahren Repräsentanten' und verbindet diese mit dem Projekt einer rigiden Fiskalpolitik, zu deren Durchsetzung – geradezu analog zur oben analysierten Rede Carl Schmitts von 1932 (vgl. Kapitel 3.2.4.7) – die Verfassung in Frage gestellt werden müsse (vgl. FAZ vom 19.11.2002). Voigt knüpft allerdings vor allem an den appellativen Charakter der von Baring zitierten Passage an, die sich nahtlos in die antagonistische Struktur der Rede einfügt (vgl. 300ff.) {Volk, Widerstand, reif, Barrikaden, ...} / {Parteiensystem, hilflose Politiker, verrotten, weiter bergab}. Wie die schiefe Analogie zu aktuellen Ereignissen in Argentinien (vgl. 307f.) unterstreicht, geht es ihm hauptsächlich um die Figur vom 'Ende eines Systems durch Proteste des Volkes', um das Bevorstehen eines entsprechenden Szenarios für das 'BRD-System' zu suggerieren, in dem die nationalistische Rechte die Rolle des Volksrepräsentanten spielen werde (vgl. 309-315). Analog dazu taucht die Parole in der DS im Zusammenhang mit der Forderung nach 'Abwicklung des Grundgesetztes nach Artikel 146' auf (s.o. Kapitel 3.2.3), zu deren Untermauerung ein Beitrag des ehemaligen Verfassungsrichters Mahrenholz zur Verfassungsdebatte des Jahres 1990 zitiert wird:

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3 Der nationalistische Interdiskurs

"Das Wort 'Wir sind das Volk', das so unbezähmbar schien, soll offenbar doch noch gezähmt werden. Seine Kraft hatte es aus der Idee der Volkssouveränität empfangen, es nahm den grotesken Begriff der 'Volksdemokratie' beim Wort. 'Genug des Volkes' so lässt sich die Diskussion darüber verstehen, ob eine Verfassung auch von diesem gebilligt werden muß" (DS 11/2004: 8).

In diesem Zusammenhang ist es interessant zu sehen, wie die NPD und andere Organisationen der nationalistischen Rechten zum damaligen Zeitpunkt damit beschäftigt waren, den demokratischen Gehalt des – ursprünglich in der Tat auf die Selbstbeschreibung der DDR als 'Volksdemokratie' bezogenen – Slogans der Protestbewegung in Richtung des genealogischen Volksverständnisses zur verschieben. So berichtet ein Funktionär davon, dass sich Parteimitglieder nach der Grenzöffnung an den Leipziger Demonstrationen beteiligt haben, und beansprucht den Umschwung "von der Parole 'Wir sind das Volk' zu 'Wir sind ein Volk'" (Hoffmann 1999: 250, Zitat im Zitat: NPD-Funktionär Krauß) (mit) bewirkt zu haben83. Von Beginn an dominant war das völkische Element später, bei Horst Mahlers Versuch 1999, im Zusammenhang mit der Reform des Staatbürgerschaftsrechtes "Montagsdemonstratione[n] gegen Doppelpass und für Volksentscheid" unter dem Motto "Wir sind das Volk!"84 durchzuführen, zu denen jeweils nur wenige Vertreter*innen unterschiedlicher Fraktionen der nationalistischen Rechten fanden. Eine bedeutsame Neuauflage erfuhren die Montagsdemonstration erst 2004, diesmal erneut im Rahmen einer spontanen Protestbewegung, die sich von Ostdeutschland aus auf den Westen ausdehnte und zeitweise jeden Montag 150.000 Teilnehmer*innen mobilisierte. Initiiert und getragen wurde die Bewegung unter Parolen wie 'Weg mit Hartz IV – Das Volk sind wir' zunächst von vielen, die von Leistungskürzungen und Entrechtungen durch das so genannte Hartz-IV-Gesetz betroffen waren, bevor sowohl linke Organisationen als auch die NPD und militante Kameradschaften zu den Demonstrationen aufriefen. Letztere wurden dabei an manchen Orten ausgeschlossen, während sie an anderen organisatorische Funktionen übernahmen85. Im Strategieteil der Rede greift Voigt die "Montagsdemo" als Beispiel für gute Aktionen "zu einem aktuellen Thema" (350) auf und das Ende des vorigen Kapitels 3.2.7 hat gezeigt, dass es auch in diesem Fall primär darum ging, die (nun implizit auf Artikel 20 GG bezogene) Einforderung gesellschaftlicher Teilhabe in den Gegensatz von Volk und Ausländern zu transformieren, das heißt den sozialen Protest von unten in den Gegensatz von innen und außen zu 83 Einen Eindruck von den Aktivitäten vielfältiger Gruppierungen der nationalistischen Rechten aus Westdeutschland auf die Montagsdemonstrationen in der Phase nach der Grenzöffnung vermittelt die zeitnahe Dokumentation von Ködderitzsch/Müller (1990), denen die Autoren die Worte "'Wir sind ein Volk!' NPD-Wahlkampfparole 1985" vorangestellt haben (zu den Aktivitäten der NPD im Zeitraum 1989/90 vgl. ebd.: 222ff.). 84 Flugblatt: Aufruf zu einer Demonstration am 19.04.1999 in Frankfurt am Main. 85 Vgl. Maegerle (2006), Jentsch (2004).

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überführen und zugleich die demokratische Einforderung von Rechten gegen die Demokratie zu wenden. Zehn Jahre später sollte 'Wir sind das Volk' dann zu einem der zentralen Slogans auf den Montagsdemonstrationen der PEGIDA-Bewegung (Vgl. Geiges/Marg/Walter 2015, Keil 2015) werden und auch die durch PEGIDA bekannt gewordene Figur der 'Lügenpresse' gehört implizit schon lange zum nationalistischen Diskurs, wie der folgende Abschnitt zeigt. 3.2.9 Medien Der Gegensatz Volk / Herrschende korrespondiert mit dem Thema Medien und dessen zentraler Figur der 'political correctness'. Im Vordergrund steht dabei die Präsentation der eigenen, mit dem Volk identifizierten, politischen Vorstellungen aus der Position des Verfemten, beziehungsweise der von den Herrschenden unterdrückten Opposition. Die Synonymisierung von Medien und Herrschenden zeigt sich am häufigen Gebrauch des Kompositums "Systemmedien" (439, 477, 482, 648) in der Rede ebenso wie daran, dass "die Etablierten und ihre medialen Meinungsverstärker" in der DS (11/2004: 15) eine Einheit bilden. Entsprechend präsentiert Voigt die Medien auch symbolisch als Herrschaftsinstrument, nämlich als "Propagandaküchen" (428), "Propagandamaschine" (430) und "Propagandaabteilungen" (438f.). Die ihnen zugeschrieben Rolle ist die der "Produzenten und Überwacher der PC (political correctness)" (400). PC bildet bei Voigt einen inhaltlich kaum gefüllten Komplex aus "Denkblockaden und Tabus" (398, vgl. 490), beziehungsweise "Denkschablonen" (319), deren Missachtung die "Abstrafung" (320) zur Folge hat. Die in der Rede implizierte Verknüpfung von PC mit den Medien expliziert ein Artikel der DS (11/2004: 7) unter dem in Anführungszeichen gesetzten Stichwort "'Mediendemokratie'". Demnach besteht die "Propagandatätigkeit" der Medien darin, das "in Deutschland herrschende totalitäre 'Gutmenschenklima'" durch eine "'Nachzensur', also die öffentliche Hinrichtung von Abweichlern und sonstigen 'Tabubrechern'" herzustellen. Die Behauptung eines solchen, symbolisch als Totalitarismus {totalitär, Propaganda, Abstrafung, Hinrichtung} gekennzeichneten Komplexes präsentiert die eigenen Positionen zwangsläufig in der sympathischen Rolle desjenigen, der "kritisch hinterfragt" (ebd.), der nicht bereit ist, sich "anzupassen" (407) und deshalb die "beginnenden Tabubrüche" (415) unterstützt, kurz desjenigen, der sagt "was sich viele, durch das System eingeschüchterte deutsche Menschen, nicht mehr zu sagen trauen" (195f.). Das Schlagwort PC dient im vorliegenden Material alleine dazu, sich in der Rolle des unerschrockenen Oppositionellen präsentieren und sich zugleich in beliebigen thematischen Zusammenhängen der eigenen Kernvorstellungen zu versichern, indem jegliche Gegenposition der pejorativen Figur subsumiert wird. Deutlich wird dies etwa an der allgemeinen Rede vom "politisch korrekten 'Kampf gegen rechts'

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3 Der nationalistische Interdiskurs

in dem europaweit die Mainstream-Medien und das linksgepolte Establishment getrommelt haben" (DS 11/2004: 15)86. An anderer Stelle zeigt sich das gleiche Muster einmal mehr mit der nachdrücklichen Stilisierung als unterdrückte Opposition gegen das 'System', das an dieser Stelle als 'kapitalistisches Regime' erscheint: "Die Verteufelung der nationalen Opposition durch die Medien ist konsequent und folgerichtig, wird doch hier der Hauptfeind des Regimes ausgemacht [...]. Damit wird aber auch klar, dass die Medienmacher die Hauptverantwortung für die Verwerfungen des kapitalistischen Regimes zu tragen haben [...]. Sie stehen für eine unablässige Propaganda zugunsten von Globalisierung, Massenzuwanderung, Ausbeutung, Werteverfall und Korruption" (ebd.: 7).

Diese schon enorme Reihe missliebiger Phänomene wird in anderen Artikeln beständig verlängert. Der Humangenetiker Weiss beklagt, dass ein angeblicher "Sieg des Neomarxismus [...] mit einhergehender Beherrschung der Medien und damit der 'öffentlichen Meinung' [...] die Vererbung von Begabung zum absoluten Tabuthema gemacht hat. [...] Das ist in dieser Hinsicht Grundkonsens der 'politischen Korrektheit' der gesamten westlichen Welt" (DS 11/2004: 3). Eine Seite zuvor stellt ein Artikel den Zusammenhang mit dem Thema Ausländer her, denn auch "dafür, daß Deutschland dieser 'multikulturellen Bereicherung' nicht verlustig geht, setzen sich linksliberale Gutmenschen ein" (ebd.: 2). Ein besonderes Reizthema ist in diesem Zusammenhang der Umgang mit dem Nationalsozialismus. "Kein Normalmensch (nur der 'Gutmensch') käme auf die perverse Idee den Kindern und Enkeln seit 60 Jahren pausenlos die schlimmen Taten der Ahnen um die Ohren zu hauen" (ebd.). Entsprechend "beweist" der Autor einer "'FAZ'-Rezension seine politische Korrektheit" (ebd.: 16), weil er ein (vom DS-Verlag vertriebenes) Buch über den NS als unwissenschaftlich verrissen hat. Indem er den Gegensatz von "Dogmen bundesrepublikanischer Geschichtswissenschaft" und "solch freigeistigen Büchern" aufmacht, arbeitet der Artikel mit der Codierung Religion/Aufklärung und unterstreicht damit noch einmal den primär symbolischen Charakter der Grundfigur. Die Aussage POLITICAL CORRECTNESS {Herrschende, Tabu, Gutmensch, Totalitarismus, Dogmen} / {nationale Opposition, Tabubruch, Normalmensch, kritisches Denken, Freisinn}, dient alleine der Selbstbestätigung der eigenen Positionen, beziehungsweise der Inszenierung als einzige Opposition, die von den Medien, den Herrschenden und so weiter unterdrückt wird. In diese Struktur lassen sich die fundamentalen Antagonismen wie biologische Determination / gesellschaftliche Arbeitsteilung,

86 Es handelt sich um ein Zitat des FPÖ-Politikers und -Theoretikers Andreas Mölzer, aus der Einleitung seines Buches 'Europa im rechten Licht', das der DS-Artikel bespricht.

3.2 Volk gegen System

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positives Geschichtsbild / Aufarbeitung des NS, Volk / multikulturelle Gesellschaft und so weiter beliebig einschreiben. Der letztgenannte Artikel legt zugleich eine besondere Verbindung der Medienthematik mit der nationalistischen Geschichtserzählung nach 1945 (vgl. Kapitel 3.2.2) offen, denn die Rezension "zeigt das ungebrochene Bemühen der tonangebenden Umerziehungsschickeria jede scheuklappenfreie Geschichtsschreibung zu diskreditieren" (ebd.). Das Verbindungsstück zwischen den Medien und der Erzählung von der (vorläufigen) Fremdbestimmung in Folge des verlorenen Krieges ist der Verweis auf die Vergabe von Presselizenzen durch die Alliierten in der Phase von Kriegsende bis zum Inkrafttreten des Grundgesetzes. Realisiert wird die Figur im Artikel zur 'Mediendemokratie', der sich zunächst auf die zentrale Autorität in Sachen Umerziehungserzählung stützt: "Caspar Schrenck-Notzing hat im Kapitel 'der Lizenzträger' seiner Studie 'Charakterwäsche' beschrieben, wie durch die Besatzungsmächte die subtile Methode indirekter Pressezensur eingeführt wurde" (ebd.: 7). Daran anschließend heißt es, heute "haben die BRD-Medien den Auftrag der Besatzer längst verinnerlicht" (ebd.). In der großen Gesichtserzählung sind die Herrschenden, die mittels der Medien den 'wahren Willen des Volkes', oder in Schrenck-Notzings Worten den 'Volkscharakter' unterdrücken also selbst nur Marionetten einer fremden Macht, nämlich der Alliierten, insbesondere der USA. Das verschwörungsideologische Bild der "Strippenzieher" (ebd.) findet sich in der Tat gleich zweimal in dem Artikel, der beginnend mit einem Zitat von Arundhaty Roy ausführt: "'Die Medien gehören nicht zum neoliberalen Projekt, sie sind das neoliberale Projekt.' Dort laufen die Fäden zusammen [...]. Dort hat ein elitärer Kreis die Macht zu dauerhafter Propaganda in eigener Sache [...]. Dort stößt man auf Geisteshaltungen, die mit Geldmacht ihr Gewicht verstärken" (ebd.).

Die 'Geldmacht', das 'neoliberale Projekt' und das oben zitierte 'kapitalistische Regime' bilden einen Schwerpunkt des Artikels, der die Medien gleich zu Beginn als "die mächtigste Kontrollinstanz im demokratisch-kapitalistischen Staat" einführt, deren "wichtigste[] Aufgabe die Etablierung des Kommerzsystems" durch eine "permanente Kaufanimation" sei. Was zunächst nach Marcuses 'Eindimensionalen Menschen', nach materialistischer Staatstheorie und Widerstand gegen aktuelle politisch-ökonomische Transformationen (Roy) klingt, ergibt hier jedoch einen völlig anderen Sinn, den der letzte Abschnitt des Artikels zeigt. Darin verdichten sich nämlich die zentralen Elemente Kapitalismus, US-Amerikanische Umerziehung und die verschwörungstheoretischen Bilder vom elitären Kreis der Strippenzieher zur antisemitischen Figur des 'Juden'. Unter der freigestellten Überschrift "Israel als Herzensanliegen" wird hier "Haim Saban [...] als Sohn eines jüdischen Basarhändlers" und typischer "Repräsentant des etablierten Medienkartells"

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vorgestellt, dessen Vertreter sich – wie der letzte Satz noch einmal betont – allein "Macht, Geld und Einfluß sichern" wollten (DS 11/2004: 7). Der als Mehrheitseigner der Sender ProSieben-Sat.1 öffentlich bekannt gewordene Saban wird dann mit den Worten "Ich habe ein Anliegen und das ist Israel" (ebd.) zitiert, womit sich in der DS auch der Kreis zum Thema Umerziehung schließt, gelten hier doch die USA und Israel als Einheit "USrael" (ebd.: 10), beziehungsweise die USA als jüdisch kontrolliert. Dass zuvor auch "der Mitherausgeber der Wochenzeitung 'Die Zeit' und frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann" sowie "Heribert Prantl, Leiter des Ressorts Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung" und "Beiratsmitglied der linksradikalen 'Humanistischen Union'" als Vertreter des "antideutschen Gesinnungskartells" (DS 11/2004: 7) vorgestellt werden, steht gerade nicht im Widerspruch dazu, dass sich abschließend alles Kritisierte in einer Figur verdichtet: 'Juden' {USrael, System, Medien, political correctness, Alliierte-Umerziehung, Kapitalismus, politische Repräsentanten, Linksradikale, elitärer Kreis, Strippenzieher}. 3.2.10 Juden Wie das Ende des vorigen Abschnittes bereits deutlich macht, bilden 'Juden' das Gegenstück zur 'nationalen Identität' in der Positivkette des Antagonismus, das heißt ein Abstraktum, das letztlich alle missliebigen Phänomene in sich vereinigt. Dabei werden insbesondere die beiden zentralen Gegensätze Volk/Ausländer und Volk/Herrschende verschmolzen, insofern Juden zugleich als anderes Volk und als Herrschende dargestellt werden. Der erste Aspekt zeigt sich deutlich an der in Kapitel 3.2.7 bereits zitierten Stelle, an der im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt der Türkei zugleich auch Israel als 'raumfremdes Land, geographisch und bevölkerungsmäßig von den Völkern Europas' unterschieden wird (vgl. 610ff.), obwohl ein Beitritt Israels aktuell überhaupt nicht zur Debatte stand. Der zweite Aspekt wird an den Stellen der Rede deutlich, an denen der Vorsitzende des Zentralrats der Juden beiläufig mit den Herrschenden identifiziert wird, nämlich einmal dort, wo Innenminister "Schily, Paul Spiegel und der Rest der Herrschenden des BRD-Systems" (142f.) in eine Reihe gestellt werden, und ein anderes Mal dort, wo die "Einflüsterungen des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland" (122) für die Stellung des Verbotsantrages gegen die NPD durch die Bundesregierung verantwortlich gemacht werden. Durch die enge Kopplung mit dem Thema Herrschaft ist der Antisemitismus auf andere Weise mit der rassistischen Konstruktion bio-genealogischer Kollektive verbunden, als das vor allem mit ökonomischer Konkurrenz um Arbeitsplätze, Sozialleistungen und so weiter verknüpfte Thema 'Ausländer'. Dieser Unterschied lässt sich auch anhand der Symbolik nachvollziehen. So wurde in Kapitel 3.2.6 deutlich, dass die Wurzel ein Äquivalent zur 'nationalen Identität' bildet, während transnationale Migration, welche dieses Identitätspostulat in Frage

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stellt, spiegelbildlich als Entwurzelung symbolisiert wird. Voigt streift dieses Bild der identitären Verwurzelung dort, wo er Migranten in "ihre angestammte Heimat zurückschicken" (547) will. Vor allem aber wendet er sich "gegen die Globalisierung [...] und eine multikulturelle Gesellschaft" (187f.), weil er darin eine "geplante[] Ausbeutung des Deutschen Volkes und der europäischen Nachbarvölker" (190) zu erkennen glaubt, die ins Werk gesetzt werde durch herrschende "vaterlandslose[] Gesellen, ohne eigene Verwurzelung, angetrieben von der Gewinnsucht des schnöden Mammons" (204f.). Dieses Motiv findet sich vielfach. Jürgen Schwab schreibt: "In den 60er Jahren wurden auf Wunsch des Großkapitals Fremdarbeiter […] nach Deutschland geholt. […] Dieser Schritt hatte unwillkürlich, und von den Herrschenden wohl auch so beabsichtigt, zur Folge, daß den Fremden gestattet wurde in Westdeutschland Wurzeln zu schlagen" (Schwab 2002: 146).

Ähnlich heißt es im Parteiprogramm: "Im Zusammenspiel von Großkapital, Regierung und Gewerkschaften wurden Millionen von Ausländern wie Sklaven der Neuzeit nach Deutschland geholt. […] Ausländer und Deutsche werden gleichermaßen ihrer Heimat entfremdet und entwurzelt, ihnen droht der Verlust ihrer Identität" (NPD 1997: § 8).

In der DS schließlich treten die Herrschenden als "Eurokraten" auf, welche mit ihrer Migrationspolitik "an die Stelle der gewachsenen Volks- und Kulturgemeinschaften eine entwurzelte, konsumorientierte und zu Sklavenlöhnen für das internationale Großkapital schuftende 'Bevölkerung' zu setzen bestrebt sind" (DS 11/2004: 1). In vielfältigen Varianten wird hier die Geschichte einer herrschenden Macht {Herrschende, Regierung, Eurokraten, (internationales) Großkapital, Gewerkschaften, vaterlandslose Gesellen} erzählt, die auf ökonomischen Profit {Gewinnsucht, Ausbeutung, Sklavenlöhne, Sklaven} aus sei. In dieser Geschichte stehen die Gewerkschaften und die internationalistische Arbeiter*innenbewegung (vaterlandslose Gesellen) nicht etwa auf der Seite der Sklaven, sondern auf der Seite der Herrschenden. Sie stehen neben dem Kapital, das ebenfalls als international mindestens aber als Großkapital gekennzeichnet und damit implizit vom nationalen, kleinen oder mittelständischen Kapital unterschieden wird. Zustande kommt diese Konstellation, weil Gewinnstreben, Ausbeutung und so weiter hier zunächst nichts mit dem Gegensatz von Arbeit und Kapital zu tun haben, sondern erst dort ins Spiel kommen, wo das Prinzip der 'nationalen Identität' verletzt wird. Der Kampf gegen 'Sklavenlöhne' wird zum Kampf gegen Migration und schließlich gegen Migrant*innen. Trotz der zentralen Bedeutung dieser rassistischen Artikulation von Konkurrenzverhältnissen auf dem Arbeitsmarkt und der generellen Ablehnung von Migrant*innen als Störung der 'nationalen Identität' (s.o., Kapitel 3.2.7) sind sie aber nicht der entscheidende Antipode in der Geschichte von der

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ökonomischen Macht, die hier erzählt wird. Darin erscheinen sie vielmehr als gleichermaßen von 'Identitätsverlust' und Entwurzelung bedroht wie das 'eigene Volk'. Der Antagonismus verläuft hier zwischen den verwurzelten (Angehörigen von) 'Völkern-Nationen' und den internationalistischen 'Herrschenden', die eine systematische Entwurzelung zu Zwecken der ökonomischen Ausbeutung betrieben und selbst als wurzellos gekennzeichnet werden. Die Wurzellosigkeit, für die auch Wahrigs Deutsches Wörterbuch (1994) die Bedeutung "nirgends recht heimisch" kennt, konnotiert die ursprünglich christliche Legende vom Ahasver, dem ewigen Wanderer beziehungsweise dem 'ewigen Juden' und Voigt verknüpft dies in der oben größtenteils zitierten Passage 204-206 mit einer ganzen Reihe weiterer Symbole, die gleichermaßen eine antisemitische Konnotation haben (vgl. Schoeps/Schlör 1995), nämlich vaterlandslosen Gesellen, Gewinnsucht-Mammon, planmäßige Zerstörung und zerstörerisches Werk. So bleibt an der angeblichen 'Herrschaft von Juden', ohne dass sie explizit ausgesprochen würde, kein Zweifel mehr. Die vaterlandslosen Gesellen nehmen das Motiv der Heimatlosigkeit auf und sind zugleich ein bekanntes Bild für die internationale Arbeiter*innenbewegung, die damit einmal mehr in die Reihe der 'Herrschenden' gestellt wird. Das Gegenstück zu dieser Anspielung des 'jüdischen Kommunismus', nämlich der 'jüdische Kapitalismus', wird mit dem Bild der Gewinnsucht und aufgerufen und zusätzlich durch das biblische (Lk 16, 13) Wort Mammon unterstrichen. Das greift die in Kapitel 3.2.8 herausgestellte Kette {Gier, Geldgeilheit, Schamlosigkeit} auf, mit der das Staatspersonal symbolisch als Teil einer parasitären Oberschicht markiert wird. Während der entsprechende Artikel, der den moralisierenden Gegensatz von Geld-Sexualität/Anstand-Ehrlichkeit (vgl. DS 11/2004: 5) aufmacht, Juden mit keinem Wort erwähnt, artikuliert ein anderer den gleichen Komplex umso deutlicher. Unter dem Titel "Finanznomaden weiden den Globus ab", stellt dieser Artikel den "berüchtigten jüdischen Großspekulanten George Soros" (vgl. dazu Kap. 5.1.2.3) vor. Dabei kommt die Rede von den "Spekulanten und ihrem schmutzigen Geld", von "ungehemmten Finanzströmen", und der "völlig ungehemmten Hedgefonds-Spekulation" in der Aussage auf den Punkt, man müsse "ein erotisches Verhältnis zum Geld haben, wie man es gemeinhin den Juden nachsagt", um sich daran zu beteiligen. Der gesamte in Kapitel 3.2.5 beschriebene Symbolkomplex negativ gewerteter weiblicher Sexualität {Ströme, Schmutz, ...} lässt sich also ebenfalls als 'jüdisch' dechiffrieren, was sich mit dem Thema 'jüdische Sexualität' als weiterem konstitutiven Bestandteil des Antisemitismus trifft. Die in diesem Zusammenhang betonte Bedeutung der Ehe als institutioneller Regulierung der Sexualität, korrespondiert mit dem moralisierenden Gegensatz von Sexualität / Anstand, der wiederum auf den sozialen Antagonismus

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reich / arm beziehungsweise Herrschende / Volk übertragen wird87. Das Motiv des Planmäßigen, das bei Voigt in der geplanten Ausbeutung und planmäßigen Zerstörung des Volkes auftritt, ergibt im Zusammenhang mit seiner Bemerkung über die Einflüsterungen des Zentralrats der Juden das Bild der 'jüdischen Verschwörung', das auch in der DS durch den elitären Kreis der Strippenzieher aufgerufen wird, den hauptsächlich ein Jude repräsentiert (vgl. Kapitel 3.2.9). Die Zerstörung des Volkes als Ziel des Planes, beziehungsweise das zerstörerische Werk, ergibt schließlich das ebenso klassische Motiv der Zersetzung. Über das Material verteilt findet sich also die folgende Symbolkette {Wurzellosigkeit, vaterlandslose Gesellen, Nomaden, Gewinnsucht, Gier, Geldgeilheit, Schamlosigkeit, ungehemmte Ströme, Schmutz, geplante Ausbeutung, planmäßige Zerstörung, Einflüsterungen, elitärer Kreis, Strippenzieher, zerstörerische Werk, Zersetzung, Parasiten}, deren einzelne Elemente nicht zwangsläufig auf Juden bezogen sind, aber klassische antisemitische Erzählungen konnotieren. Diese Erzählungen werden durch die punktuelle Häufung der Elemente, welche die entsprechenden Konnotationen unterstreicht, fortgeschrieben. Hinzu kommt die ebenso punktuelle Verknüpfung mit einzelnen prominenten Juden. So zeichnet die Nennung des Zentralrats-Vorsitzenden Paul Spiegel (der qua Amt politische Stellungnahmen abgibt), des Medienunternehmers Haim Saban und des Fondsmanagers George Soros das Bild der 'jüdische Herrschaft über Medien, Politik und Wirtschaft'. Eine Herrschaft, die auch durch 'linksradikale Publizisten' und 'internationalistische Gewerkschafter' ausgeübt werde (s.o.). Die zentrale Bedeutung der herausgestellten Symbolik, die ein wesentliches Element antisemitischer Erzählungen seit Ende des 19. Jahrhunderts ist, erklärt sich heute auch durch den Ausschluss eines offen erklärten Antisemitismus aus dem gesellschaftlich legitimen Bereich der Rede bis hin zu juristischen Sanktionsmöglichkeiten. Dieser Ausschluss gibt zudem der historisch ebenfalls älteren Selbststilisierung der Antisemiten als 'Opfer der Juden' eine besondere Relevanz88 und fügt sich nahtlos in die im vorigen Kapitel beschriebene Präsentation als verfolgte Opposition mittels POLITICAL CORRECTNESS. Auch in dieser Hinsicht ist es also kein Zufall, dass ein Jude als typischer Vertreter des Mediensystems dargestellt wird. Entsprechend steht die Täter-Opfer-Umkehr im Zentrum jener Passage der Rede, die sich explizit mit Juden beschäftigt. Voigt geht dabei von der Frage "Sind Nationaldemokraten antisemitisch?" (503) aus und behauptet in der Folge:

87

Vgl. dazu Haug (1987: 126ff.). Vgl. Holz (2001: 548). Zur generellen Übereinstimmung von Voigts Rede mit der "politisch-soziale[n] Semantik des nationalen Antisemitismus" (ebd.: 549), die Holz herausgearbeitet hat, vgl. Oppenhäuser (2006). 88

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3 Der nationalistische Interdiskurs

"Jede Kritik eines Juden, der Politik einer jüdischen Organisation oder gar des jüdischen Staates wird als 'antisemitisch' diffamiert. Eine kritische Einstellung gegenüber organisierten 'Berufsjuden', welche sich immer wieder in einer 'auserwählten' Sonderrolle sehen, ist normal und legitim. Bürger aber, die sie wegen dieser selbsternannten 'auserwählten' Sonderrolle kritisieren, sie als Gleiche unter Gleichen betrachten und behandeln, werden als Antisemiten diffamiert. Wenn wir die Herrn Paul Spiegel oder Michael Friedmann nicht mögen, dann liegt das nicht daran, daß sie Juden sind, sondern weil sie sich stetig dazu berufen fühlen, uns Nationaldemokraten zu diffamieren" (495-503).

Unter der pejorativen Bezeichnung "Berufsjuden" nimmt Voigt Bezug auf einzelne Repräsentanten jüdischer Organisationen und weicht damit der mit dem Thema Antisemitismus aufgeworfenen Frage nach einer generellen Ablehnung von Juden zunächst aus. Anschließend wird sie jedoch implizit in der Rede von der Behandlung "als Gleiche unter Gleichen" zugegeben, denn diese kann entweder als 'Juden unter Deutschen' oder als 'Berufsjuden unter Juden' gelesen werden, wobei die zweifache Anspielung auf das 'auserwählte Volk' und die generelle strikte Unterscheidung zwischen 'Juden und Deutschen' in der NPD die zweite Lesart nahe legen. So spricht auch die DS (11/2004: 2) von "auserwählten Minderheiten" als Merkmal der USA, dem "noch vor Israel [...] meistgehassten Staat, dem ganze Völker um ihres eigenen Überlebens willen den Untergang wünschen". Zugleich behauptet Voigt umgekehrt, die Kritik an einzelnen Juden werde "als 'antisemitisch' diffamiert", so dass Antisemitismus als gegnerischer Kampfbegriff erscheint und die eigene Haltung als 'normale und legitime' Abwehr von Diffamierungen durch '(Berufs)Juden'. Wie in Kapitel 3.2.2 zu sehen war, bestimmt dieses Muster der Täter-Opfer-Umkehr auch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, insbesondere dem Massenmord an Juden* und zielt in diesem Zusammenhang auf ein 'nationales Geschichtsbild', das gleichbedeutend mit dem 'Ende der Vergangenheitsbewältigung' und der legalen Möglichkeit der Auschwitz-Leugnung ist. Dass all dies implizit auch dort vorhanden ist, wo Voigt im Zusammenhang mit dem Thema Arbeitslosengeld II davon spricht, dass "deutsches Geld für deutsche Aufgaben eingesetzt und verantwortungsvolle Politik für das eigene Volk betrieben" (655ff.) werden müsse, zeigt das Flugblatt der NPD zu Hartz IV. Darin heißt es: "Wir fordern die Durchsetzung des Grundsatzes: 'Deutsches Geld endlich für deutsche Aufgaben', statt Finanzierung von [...] Holocaust-Denkmälern sowie die Einstellung von sogenannten 'Wiedergutmachungs-Zahlungen'" (NPD-Flugblatt: Quittung für Hartz IV. Berlin, o.J.).

Mit anderen Worten wäre demnach die prekäre Lage der ALG-II-Empfänger unter anderem dadurch zu erklären, dass 'deutsches Geld' für 'jüdische Interessen' ausgegeben werde. Dies verdeutlicht noch einmal, dass 'Juden' hier als Abstraktum fungieren, dem alles Missliebige zugeschrieben wird und das dadurch die WirGruppe stabilisiert.

3.3 Zwischenresümee: Zentrale Aussagen des nationalistischen Diskurses

131

Die Aussage JUDEN {Volk, Wurzel, deutsches Geld, nationales Geschichtsbild, etc.} / {fremdes Volk, Wurzellosigkeit, Strippenzieher, Herrschende (in Wirtschaft, Medien und Politik), USA-Israel, Entschädigung} bündelt – nicht zuletzt durch symbolische Analogiebildungen – zentrale Elemente des Diskurses und präsentiert das angerufene nationale Kollektiv in der Rolle des Opfers. 3.3 Zwischenresümee: Zentrale Aussagen des nationalistischen Diskurses Die Analyse der Parteitagsrede im Zusammenhang mit anderen Texten der NPD hat eine Reihe von zentralen Aussagen offengelegt, die konstitutiv für den Diskurs der Partei sind und, wie im weiteren zu zeigen sein wird, darüber hinaus für den gesamten Diskurs der nationalistischen Rechten. Im Zentrum des Diskurses steht das VOLK {Volk, biologische Abstammung, Nation, Land, Staat, Identität, Sprache, Geschichte, Kultur, Gemeinschaft, Wurzeln} / {Bevölkerung, Ausländer, multikulturelle Gesellschaft}, verstanden als eine letztlich biologische Substanz der Nation, die scharf von Ausländern als nicht zugehöriger Bevölkerung unterschieden wird. Diese angenommene Substanz bildet den Kern einer Äquivalenzkette, in der die definitorischen Merkmale des Nationalstaates, also Territorium, nationale Geschichtserzählung, Kultur und so weiter integriert werden. Die nationale GESCHICHTE {Zyklus d. Aufstiegs: Reiche, Lichtgestalten, 1871ff., (1933ff.)} / {Zyklus d. Dekadenz: 1918ff., 1945ff., 1968ff., Umerziehung} wird dabei als zyklische Abfolge von Phasen der Dekadenz und solchen des Aufstieges mit zentralen Herrscherfiguren konzipiert. Die Phasen des Aufstiegs umfassen dabei insbesondere die Abfolge von 'Reichen' bis hin zum Ende des Deutschen Kaiserreiches 1918. Die Ansicht zum 'dritten Reich' wird dabei in der Schwebe gehalten. Die Weimarer Republik gilt dagegen ebenso als Phase der Dekadenz, wie die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die durch Umerziehung seitens der Siegermächte geprägt sei. Diese zerstöre den Charakter des Volkes und sei dennoch im Zuge der Revolte von 1968 verinnerlicht worden.

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3 Der nationalistische Interdiskurs

Das zentrale Gegenstück zum Volk bilden AUSLÄNDER {Volk, nationale Identität, Homogenität} / {multikulturelle Gesellschaft, Inhomogenität, Überfremdung,Ausländer, Türken, (ökonomische) Belastung, Entwurzelung, Flut, Welle, Schwemme}. Während die VOLK-Aussage die positiv gewerteten Elemente der für den Nationalstaat konstitutiven Äquivalenzkette in den Vordergrund stellt, betont die spiegelbildliche AUSLÄNDER-Aussage die negative Seite, indem sie Eingewanderte (insbesondere aus der Türkei) als Ursache von Inhomogenität und ökonomischen Problemen darstellt. Diese Erzählung wird durch zahlreiche Kollektivsymbole ausgeschmückt. So gelten Migrant*innen selbst als entwurzelt, erscheinen aber vor allem als Überflutung und Belastung der Nation. Durch diese Abgrenzung konstituiert sich das VOLK als homogene Gemeinschaft, die jedoch zugleich durch innere HETEROGENITÄT {Homogenität, Volk, natürliche Gliederung: (Elite /Masse, Leistungsstarke/-schwache, obere Klassen/untere Klassen, Männer/Frauen)} / {Inhomogenität, Ausländer, multikulturelle Gesellschaft} gekennzeichnet ist. Das VOLK weise nämlich – angeblich natürliche – innere Gliederungen auf. Diese umfassen implizit hierarchische Verhältnisse, darunter Klassen-, Geschlechter- und politische Führungsverhältnisse. Das patriarchale Geschlechterverhältnis kommt auch in der Herausstellung einer spezifischen Form von MÄNNLICHKEIT {Vater, Soldat, männlich, hart, formiert, starker Staat} / {Kastration, Homosexualität, weiblich, weich, fließend, schwacher Staat} zum Ausdruck. Den Kern der entsprechenden Aussage bilden tradierte Rollenbilder des Vaters und des Soldaten, die in enger Verbindung mit der Vorstellung eines streng hierarchischen und häufig im Bild des starken Männerkörpers symbolisierten Staates stehen. Die dichotomen Bilder von Männlichkeit und (abgewerteter) Weiblichkeit, die dabei zum Tragen kommen, sind zugleich Bestandteile des umfassenderen symbolischen Antagonismus der RETERRITORIALISIERUNG {geschlossen, fest, Damm, Schott, Trockenheit, Wurzel, wachsen, sesshaft, gebunden, hart, männlich, stark} / {offen, flüssig, Strom, Flut, Welle, Auflösung, Entwurzelung, Wurzellosigkeit, wuchern, nomadisch, bindungslos, weich, weiblich, schwach}.

3.3 Zwischenresümee: Zentrale Aussagen des nationalistischen Diskurses

133

Im Anschluss an die entsprechende Unterscheidung von Deleuze/Guattari (1977) wird die erste Äquivalenzkette als Reterritorialisierung bezeichnet, während die zweite spiegelbildlich Symbole der Deterritorialisierung umfasst. Bei den einzelnen Elementen dieser Ketten – die noch verlängert werden könnten – und auch den einzelnen Binarismen (fest / flüssig etc.) handelt es sich zunächst um gängige Kollektivsymbolik. Typisch für die untersuchte diskursive Position ist aber deren spezifische Nutzung, nämlich die konsequent positive Wertung der reterritorialisierenden Seite {geschlossen, hart etc.} und die entsprechend negative Wertung der anderen {offen, fließend etc.}. Schon ein Blick auf die symbolischen Elemente in den Äquivalenzketten der einzelnen Aussagen (VOLK = Wurzel, AUSLÄNDER = Flut etc.) zeigt ihre konstitutive Funktion für den nationalistischen Diskurs. Dies gilt auch für die Rede über die Staatsform. So erscheint der negativ bewertete WOHLFAHRTSSTAAT {Trennung von Staat und Gesellschaft, starker Staat, Einschnitte} / {Identität von Staat und Gesellschaft, schwacher Staat, Wuchern, Ausufern, Volumen, Missbrauch} als schwach, ausufernd und wuchernd. Dagegen müsse ein starker Staat eine notwendige Trennung von Staat und Gesellschaft aufrechthalten und die entsprechenden Ansprüche (besitzloser Bevölkerungsgruppen) abwehren. In diesem Zusammenhang lautet der Vorwurf an die parlamentarische Demokratie, dass sie nicht in der Lage sei, den Staat als 'neutrale Instanz' zu behaupten, sondern ihn den gesellschaftlichen Interessen und den damit verbundenen Parteien ausliefere. Eine wirkliche DEMOKRATIE {wirkliche Demokratie, Gewaltenteilung, Direktwahl d. Staatsoberhauptes, Volksabstimmungen} / {'Demokratie', Parlamentarismus, Parteienstaat, etablierte Parteien} beruhe dagegen auf der strikten Trennung von Parlament und direkt gewählter Regierung, ergänzt durch plebiszitäre Elemente. Dahinter steht wiederum der substanzialistische Begriff des VOLKES, hier imaginiert als Kollektivsubjekt, dessen (einheitlicher) Wille durch eine autoritäre Staatsführung oder unmittelbare Äußerung per Plebiszit zum Ausdruck kommen soll. Im Modus der politischen Mobilisierung geht diese Demokratiekritik über in die Form der populistischen Anrufung gegen ETABLIERTE {Volk, Mehrheitswille, Souverän, kleiner Mann, einfaches Volk, Mittelschicht, Normaldeutsche, Anstand, Ehrlichkeit} / {System, etablierte Parteien, FDGO-Elite, Herrschende, die da oben, Oberschicht, Parasiten, Gier, Schamlosigkeit}.

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3 Der nationalistische Interdiskurs

An dieser Stelle ist das Volk sowohl politisch (Volkssouveränität) als auch sozial ('kleine Leute') bestimmt. Die Dominanz des VOLKES, im Sinne eines völkischen Kollektivsubjektes, tritt jedoch bei der Charakterisierung der Herrschaft sogleich wieder hervor. Denn es seien JUDEN {Volk, Wurzel} / {fremdes Volk, Wurzellosigkeit, Strippenzieher, Herrschende (in Wirtschaft, Medien und Politik), USA-Israel, Entschädigung}, die Medien und Politik beherrschten, um sich letztlich ökonomisch zu bereichern. Dieses Motiv dominiert auch die Thematisierung von Israel (in enger Verbindung mit den USA) sowie der Ermordung der Juden* im Nationalsozialismus (Entschädigungszahlungen). Die Konstruktion der JUDEN als (letztlich weltweit) Herrschende kommt auch in der Kollektivsymbolik zum Ausdruck. Während das Volk als verwurzelt und Ausländer als entwurzelt gelten, erscheinen Juden als gänzlich wurzellos beziehungsweise nomadisch und ziehen die genannte Symbolik der Deterritorialisierung ebenso auf sich, wie die gängigen verschwörungsideologischen Bilder (Strippenzieher und ähnliches). In den Anrufungen der zuletzt genannten Aussagen ist eine Selbstwahrnehmung als Opfer, nämlich der JUDEN, der etablierten Parteien, der Medien und so weiter angelegt. Dies nimmt die Rede von der POLITICAL CORRECTNESS {nationale Opposition, Tabubruch, Normalmenschen, kritisches Denken, Freisinn} / {Herrschende, Tabus, Gutmenschen, Totalitarismus, Dogmen} auf und präsentiert die eigene Position der 'nationalen Opposition' im Gestus der Aufklärung als mutigen Widerstand gegen die vermeintliche Unterdrückung. Dieser Gestus ist umso paradoxer, als es dort, wo die theoretischen Grundlagen thematisiert werden ganz explizit um ein gegen-aufklärerisches Projekt geht, nämlich um einen IRRATIONALISMUS {Nationaler Mythos} / {Rationalismus, Menschheit: (Liberalismus) / (Marxismus)}, der den Mythos gegen Rationalismus und Universalismus stellt. Dabei wird der Mythos mit der Nation gleichgesetzt und der Rationalismus beziehungsweise Universalismus zugleich mit Liberalismus und Marxismus. Damit artikuliert die Aussage zugleich die Vorstellung vom Nationalismus als 'drittem Lager' beziehungsweise 'drittem Weg' zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Die beschriebenen Aussagen sind in Anhang III.4 tabellarisch zusammengefasst.

4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs Die Thematisierung von Globalisierung im nationalistischen Interdiskurs findet in Auseinandersetzung mit anderen Interdiskursen, insbesondere dem mediopolitischen Interdiskurs – also der politischen Berichterstattung in den Leitmedien – statt. Im Folgenden werden die zentralen Aussagen dieser breiteren Globalisierungsdebatte rekonstruiert, um anschließend in den Kapiteln 5 und 6 zu untersuchen, in welcher Beziehung die Aussagen des nationalistischen Diskurses dazu stehen. Rückblickend lässt sich die Etablierung des Wortes Globalisierung im mediopolitischen Interdiskurs und der damit verbundenen Großdebatte überraschend klar datieren. Ausgangspunkt war eindeutig der 1996 erschienenen Bestseller "Die Globalisierungsfalle" (GF) der damaligen SPIEGEL-Journalisten Hans-Peter Martin und Harald Schumann. Im BROCKHAUS von 1997 ist das Buch eine von damals gerade sieben Literaturangaben zum Stichwort Globalisierung. Zeitgleich mit dem Erscheinen widmete DER SPIEGEL dem Thema zwei aufeinander folgende Titelstories (39-40/1996), die deutlich durch die Vorgaben des Buches geprägt sind89 und in deren Rahmen Auszüge (39/1996: 90f.) abgedruckt wurden. Seither hat das Wort einen festen Platz im Sachregister des Wochenmagazins und ein vergleichender Blick in die Datenbanken der TAZ, der FAZ, der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG oder der ZEIT bestätigt dieses Bild. Fand sich das Wort in der TAZ beispielsweise in den (Unter-)Überschriften der Jahrgänge 1988 bis 1995 ganze drei Mal, so ergeben sich 1996 achtzehn Treffer, Tendenz exponentiell steigend. Außerdem lassen sich an dem Buch Strukturmuster aufzeigen, die auch zehn Jahre nach dem Erscheinen noch charakteristisch für die Debatte sind. Dies wird im im Folgenden anhand von Beispielen aus einen "SPIEGEL-SPEZIAL Globalisierung" (SP) aus dem Jahre 2005 gezeigt90. Der Vergleich dieser beiden Publikationen wurde auch deshalb gewählt, weil sich hier exemplarisch verdeutlichen lässt, dass das Thema Globalisierung im mediopolitischen Diskurs ein Debattenfeld eröffnet, das zum einen weithin geteilte Aussagestrukturen aufweist, innerhalb dessen aber zum anderen unterschiedliche Positionierungen möglich sind. So finden sich jeweils die gleichen thematischen Schwerpunkte, binären Gegensatzpaare und vor allem Komplexe von Kollektivsymbolen im Sinne einer stabilen Verbindung von Picturae und Subscriptiones. Der Unterschied besteht aber darin, dass Globalisierung im SP überwiegend als 'Sachzwang' erscheint, während die 89 Sowohl der auf dem Titelblatt verwendete Begriff "Turbo-Kapitalismus" (vgl. GF: 249ff.) als auch die Überschrift des Hauptartikels "Allein der Markt regiert" (vgl. GF: 135) lassen sich beispielsweise auf das Buch zurückführen. 90 Das Heft bündelt eine Serie von Beiträgen aus dem zweiten Halbjahr 2005 und nennt die Globalisierungsfalle nach wie vor als eines von mittlerweile 19 weiterführenden Büchern zum Thema (vgl. SP: 154).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten, Edition Rechtsextremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3_4

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

GF eher eine 'Kritik'-Position einnimmt. Die Ermöglichung dieser gegensätzlichen Positionierungen gehört zu den wesentlichen Strukturen dieses medialen 'Feldes der Sagbarkeit', das zugleich klare Grenzen aufweist, die andere denkbaren Kritiken ausschließen. 4.1 Eine mediale Großdebatte: Zeitenwende Globalisierung Zu den Elementen, die von beiden Positionen geteilt werden, gehört die Annahme, dass das Wort Globalisierung auf einen epochalen Bruch verweist: Wir sind "unterwegs zu einer neuen Zivilisation" (GF: 9, 14), eine "Zeitenwende von globaler Dimension ist angebrochen" (GF: 47). Martin/Schumann sehen eine "neue Welt der globalisierten Märkte" (GF: 69), beziehungsweise die "neue Weltordnung im Zeitalter der Globalisierung" (GF: 70) entstehen. Zeitgleich schreibt DER SPIEGEL (39/1996, 81) über eine "ökonomische Zeitenwende [...], einen 'nie dagewesenen Wettbewerbsdruck' [...], eine 'geopolitische Revolution' [...], ein 'neues multinationales Zeitalter' – eine Ära, die Gefahren und Chancen zugleich birgt". Zehn Jahre später berichtet das SPIEGEL-SPEZIAL unter dem Titel "Die Neue Welt" über die "Zeiten der Globalisierung" (SP: 110, 111, 112, 144, 145, 148), beziehungsweise die "globalisierte" (SP: 151, 143, 140) oder schlicht "globale Welt" (SP: 3, 37, 69, 139, 151). Die Aussage der ZEITENWENDE mit ihrer Opposition ALT (FRÜHER) / NEU (JETZT) gehört zu den konstitutiven Elementen der Debatte. Karasek (2007), der die Thematisierung von Globalisierung in der FAZ untersucht hat, weist ebenfalls darauf hin, dass der "Faktor Zeit [...] eine elementare Rolle im Globalisierungsdiskurs" (ebd.: 57) spielt und einen neuartigen Handlungsdruck proklamiert. Im Falle der FAZ zielt dies darauf, "das Verhalten der Adressaten im Sinne der Reformrhetorik zu regulieren". Diese besagt, dass Sozialstaat, betriebliche Mitbestimmung, Flächentarife und so weiter dem Gestern angehören und sich im Heute der Globalisierung nicht mehr halten lassen. Damit hält die FAZ jene Position durch, die den Ausgangspunkt der eigentlichen Debatte bildet und den Knobloch wie folgt charakterisiert: "Mitte der 90er Jahre überwiegt im Wirtschaftsteil der deutschen 'Qualitätszeitungen'" eine "Geschichte des Typs: 'Deutsches Unternehmen muss sich globalisieren, damit es nicht abgehängt wird'" (Knobloch 2007a: 184). Der Erfolg der "Globalisierungsfalle" und die Tatsache, dass damit das Thema Globalisierung als gesellschaftliche Großdebatte gesetzt wurde, erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass die Autoren sich gegen diese "von Ökonomen und Politikern verbreiteten Erklärungen" wenden, die "stets in einem Wort", nämlich "Globalisierung" (GF: 15), zusammenlaufen. Dieser Debatte konnte sich auf Dauer auch die FAZ nicht entziehen, die zunächst keine Rezension der GF brachte – im Gegensatz etwa zur SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (14.10.1996), der TAZ (02.10.1996) oder der ZEIT (02.09.1996) –, sondern

4.1 Eine mediale Großdebatte: Zeitenwende Globalisierung

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lediglich im Rahmen der Rubrik neue Bücher schrieb, "das wird gewiß noch ein großes Ressentiment-Thema werden" (FAZ 27.09.1996). Mitte der 1990er Jahre wird Globalisierung also zu einem 'diskursiven Ereignis', das nicht weniger als einen aktuellen Epochenbruch besagt, auf den es – auf die eine oder andere Weise – gesellschaftlich zu reagieren gilt. Unabhängig von den im engeren Sinne diskursiven Fragen ist dabei unstrittig, dass die Kernthemen der Debatte durchaus auf Transformationen politischer und ökonomischer Praxen verweisen, die seit Anfang der 1970er Jahre zu beobachten sind, nämlich: • Eine gestiegene Bedeutung von Finanztransaktionen und -krisen (Staaten, Finanzunternehmen aller Art und Rating-Agenturen als Akteure des internationalen Devisen- und Wertpapierhandels), • veränderte Managementpraxen in Industrieunternehmen, insbesondere transnationalen Konzernen (Shareholder-Value-Konzept, Umstrukturierungen durch Zu- und Verkauf von Produktionseinheiten, Entlassungen oder 'Steuerplanung'), • veränderte Formen nationalstaatlicher Regulierungen (Geldpolitik, Fiskalpolitik, Privatisierung von Staatseigentum, Mindestlöhne oder Arbeitsschutzbestimmungen), • veränderte Formen inter- und supranationaler Regulierung (Aufhebung fester Wechselkurse, GATT/WTO, IWF, Weltbank, EU-Binnenmarkt oder NAFTA) und • im Ergebnis steigende Ungleichheit in der Verteilung von Arbeit und Reichtum, innerhalb von sowie zwischen Nationalstaaten. Die Dominanz dieser Themen gilt sowohl für das Buch von Martin/Schumann als auch für das SPIEGEL-SPEZIAL. Mit Siegfried Jäger gesprochen, besteht der 'Diskursstrang' Globalisierung also im Kern aus einer begrenzten Anzahl 'thematischer Knoten', die von bestimmten Formen politisch-ökonomischer Praxis handeln und in zweiter Linie mit vielfältigen Themen wie transnationaler Migration, Ökologie, Kulturindustrie und anderem verknüpft sind. Das Wort Globalisierung oder das bildliche Pendant des Globus (vgl. die Abbildungen 1 und 2) fungieren dabei als eine Art 'leerer Signifikant' (Laclau), der den Strang selbst repräsentiert und damit stabilisiert. Zusätzliche Kohärenz bewirkt eine Reihe häufig verwendeter binärer Elemente – neben ALT / NEU etwa GLOBAL / NATIONAL (s.u.) – welche die unter diesem Dach versammelte Menge von Aussagen strukturiert. Einen kritischen sozialwissenschaftlichen Zugang zu den dabei besprochenen sozialen Prozessen bieten regulationstheoretische Arbeiten (vgl. Kapitel 2.2.4), die sie primär unter dem Gesichtspunkt der Krise und Transformation des Fordismus

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

untersuchen91. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, inwiefern ein neues 'finanzgetriebenes Akkumulationsregime' entstanden ist, das ähnlich stabile Reproduktionszyklen wie in früheren historischen Phasen ermöglicht. Unklar ist dabei vor allem, inwiefern sich eine neue 'Regulationsweise' (im allgemeinsten Sinne relativ stabiler Formen sozialen Handelns im Rahmen des veränderten Akkumulationsmodus) herausbildet, welche die dauerhafte Reproduktion (und internationale Koordination) entsprechender kapitalistischer Gesellschaftsformationen gewährleisten könnte. Wenngleich dies den Hintergrund der Analyse bildet, stehen im Folgenden jedoch nicht die sozialen Prozesse und ihre sozialwissenschaftliche Konzeptualisierung selbst im Zentrum, sondern die Frage wie sie medial in "elementares sozio-ökonomisches Wissen" (Kreft 2001: 129)92 übersetzt werden. In dieser Perspektive zeigt sich zum einen, dass sich die Globalisierungsdebatte – ungeachtet des postulierten Epochenbruches und der beobachteten nicht-diskursiven Transformationsprozesse – primär in relativ dauerhafte Strukturen des medialen Interdiskurses einschreibt. Zum anderen eröffnet sich mit der Frage nach den impliziten Handlungsimpulsen dieses populären Wissens im Falle gelingender Anrufungen ein wichtiger Zugang zur Frage der Hegemonie im Sinne Gramscis. In dieser Hinsicht erweist sich der interdiskurstheoretische Zugang als komplementär zu den regulationstheoretischen Arbeiten, in denen 'neoliberale Hegemonie' häufig mit entsprechenden staatlichen Regulierungen gleichgesetzt wird. Sicherlich hat die neoliberale Theorie eine legitimatorische Funktion für die in der Globalisierungsdebatte besprochenen Transformationen staatlicher Regulierungspraktiken. Dennoch ist der Neoliberalismus zunächst als Teil des wirtschaftswissenschaftlichen Spezialdiskurses von der Sphäre des Interdiskurses getrennt, und das Entstehen einer neoliberalen Hegemonie – oder auch gegenläufige Tendenzen – zu analysieren, bedeutet demnach zu untersuchen, wie entsprechende Lehrsätze aus dem Spezialdiskurs so in den mediopolitischen Interdiskurs übersetzt werden, dass sie letztlich auf der Ebene des elementaren (Alltags-)Wissens massenhaft akzeptabel erscheinen. Ein entscheidender Effekt der Globalisierungsdebatte – der nicht zuletzt am Entstehen der neue antagonistischen Subjektpositionen 'Globalisierungskritiker vs. Befürworter' – deutlich wird, ist die Infragestellung eines solchen Konsenses.

91 Zur frühen regulationstheoretischen Thematisierung von Globalisierung vgl. Hirsch (1995), Becker u.a. (1997), Demirović (1997b) Menz u.a. (1999), Sablowski (2001). Zur Frage der Entstehung eines 'finanzgetrieben Akkumulationsregimes' vgl. Aglietta (2000), Candeias/Deppe (2001) Brand/Raza (2003), Chesnais (2004), Dörre/Brinkmann (2005), Dörre (2009) und schließlich unter dem Eindruck der Krise von 2008ff. Atzmüller u.a. (2013). 92 Die zitierte Formulierung von Kreft schließt an den Begriff des Elementardiskurses von Link an, der von Gramscis Begriff des Alltagsverstandes inspiriert ist (vgl. Link 1996: 136).

4.1 Eine mediale Großdebatte: Zeitenwende Globalisierung

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4.1.1 Wirtschaftstheorie als Glaubenskrieg So gehört die Thematisierung des NEOLIBERALISMUS – häufig mit explizitem Verweis auf die Frontstellung Friedman-Hayek / Keynes-Tobin innerhalb der Wirtschaftswissenschaften – selbst zu den tragenden Aussagen des Diskursstranges (GF: 152ff., DER SPIEGEL 40/1996 131f., SP: 49, 53)93. Entscheidend ist aber auch hier die Einbindung von solchen spezialdiskursiven Elementen in den Interdiskurs, nicht zuletzt mittels Kollektivsymbolik. Tatsächlich ist es überaus charakteristisch für die diskursive Position von Martin/Schumann, wie sie den Komplex NEOLIBERALISMUS symbolisch codieren. Gleich zu Beginn des Buches erscheint er in einer Katachrese aus militärischem Angriff und religiöser Lehre94: "Die globale Integration ist begleitet vom Aufstieg einer wirtschaftspolitischen Heilslehre, die eine Heerschar von Wirtschaftsberatern fortwährend in die Politik trägt: Des Neoliberalismus. [...] Ausgehend von den Ideen [...] Milton Friedmans erhoben die mehrheitlich wirtschaftsliberalen Regierungen des Westens während der achtziger Jahre dieses Dogma zur Richtschnur ihrer Politik. Deregulierung statt staatlicher Aufsicht, Liberalisierung von Handel und Kapitalverkehr sowie Privatisierung der staatlichen Unternehmen wurden die strategischen Waffen im Arsenal marktgläubiger Regierungen [...]. Mit diesen Instrumenten fochten sie einen Freiheitskampf fürs Kapital, der bis heute andauert. [...] Der Zusammenbruch der Parteidiktaturen des Ostblocks verschaffte diesem Glauben zusätzlichen Schub und globale Durchschlagskraft" (GF: 18f.)95.

Insbesondere Picturae aus dem Bereich der Religion werden durch das gesamte Buch hindurch (und nahezu ausschließlich) im Zusammenhang mit dem Neoliberalismus herangezogen. Zusammenmontiert ergibt sich daraus folgendes Gesamtbild: Über allem schweben "die höheren Mächte des ökonomischen Fortschritts" (GF: 285) beziehungsweise der "allmächtige Gott 'Freier Markt'" (GF: 180), dem "Millionenopfer" (GF: 145, vgl. 98, 317) dargebracht werden. Verbreitet wird der "Glauben an die ordnende Kraft des Marktes" (GF: 136) von "den Hohepriestern der Wirtschaft, den Ökonomieprofessoren von Stanford, Harvard und Oxford" (GF: 10) und anderen "Mystikern des Marktes" (GF: 212). Insbesondere "jenes selbständige ökonomische System 'Finanzmarkt'" ist es, "dem Politikwissenschaftler und Ökonomen inzwischen den Charakter einer Art höherer Macht zubilligen" (GF: 74) 96 . In den USA wurden "die Glaubenslehren der Marktradikalen [...] 1980 zum Dogma erhoben" (GF: 297). "Zum wahren Orden der Marktradikalen entwickelte sich jedoch die EG-Kommission in Brüssel" (GF: 186), obgleich Bundesbankchef Tietmeyer durch sie 93

Zur Kritik des Neoliberalismus vgl. Butterwegge/Lösch/Ptak (2007). Zur religiösen Symbolik im Rahmen der Globalisierungsdebatte siehe auch Dellwing (2008). 95 Identische Formulierungen – "Freiheitskampf für das Kapital", "wirtschaftspolitisches Dogma zur Richtschnur ihrer Politik" – werden in dem Kapitel verwendet, das die obligatorische Gegenüberstellung "Von Keynes zu Hayek" (GF: 152f.) realisiert. 96 Wie jede Religion hat auch die hier beschriebene ihre verschiedenen Ausprägungen. In einer eher säkularen, hegelianischen Variante lässt sich der "grenzenlose Finanzmarkt als universale Quelle des Wohlstands und Hüter der ökonomischen Weltvernunft" denken (GF: 91), während die stärker mythologische Strömung im "Shareholder Value [...] die Zauberformel" (GF: 180) sieht. 94

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

"den heiligen Gral seiner monetaristischen Glaubenslehre bedroht sieht, die unabhängige deutsche Notenbank" (GF: 117). Des Weiteren zählen zur "internationale Gemeinde der Neoliberalen" (GF: 194) beziehungsweise der "Marktgläubigen" (GF: 91, 317) all jene "Experten[, die] im festen Glauben an die neoliberale Theorie versprechen, dass die Kostensenkung den High-Tech- und Dienstleistungsbetrieben dazu verhilft, neue, bessere Arbeit zu schaffen. Doch das Wunder tritt nie ein" (GF: 191). Da sich die "Vision vom Wohlstandswunder durch den totalen Markt als naive Illusion" (GF: 196) erweist, schlägt nun die Stunde der Ketzer. Insbesondere "die Wiedereinführung von Kapitalverkehrskontrollen [...gilt...] Bankern und den Marktgläubigen der Wirtschaftswissenschaft [...] als bösartige Häresie" (GF: 122). Dennoch: "Praktiker aus Wirtschaft- und Politik zweifeln zusehends an den orthodoxen Lehrmeinungen der Wirtschaftswissenschaft" (GF: 172), so zum Beispiel "Stephen Roach, ChefÖkonom bei Morgan Stanley, der viertgrößten New Yorker Investmentbank [, ... der] öffentlich widerrief, wie es sonst nur Reformer der katholischen Kirche tun. 'Über Jahre habe ich die Tugend der Produktivitätssteigerung gepriesen', schrieb er. 'Aber ich muss bekennen, dass ich nun sehr anders darüber denke, ob uns dies wirklich ins Gelobte Land geführt hat'" (GF: 173). Wie wir seit Galilei wissen, sind Ketzer in der Regel im Recht. "Meinen die europäischen Politiker ihre vielfach wiederholte Beteuerung ernst, die Arbeitslosigkeit sei ihre größte Sorge, dann Betreiben sie Wahnsinn mit Methode. Wissen sie noch was sie tun? Zweifel sind berechtigt" (GF: 189f.).

Für die Vertreter der überkommen Lehre sollten wir also – frei nach dem LukasEvangelium: 'Herr vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!' – die Gnade des wahren Gottes erbitten. Der Wahnsinn mit Methode – auch "Effizienzwahn" (GF: 192) oder "Weltmarktwahn" (GF: 324) – funktioniert äquivalent zum ironisierend wirkenden Komplex der Religion. Durch die Verkettung mit {Religion = Mystik = Dogma = Wahn} wird der Neoliberalismus von den entgegen gesetzten Elementen {Aufklärung = Wissenschaft = Theorie = Vernunft} getrennt und auf diese Weise symbolisch disqualifiziert. Entsprechend werden Begriffe wie "Erfahrung" (GF: 196), "Beweis" (GF: 317) oder "simple Wahrheit" (GF: 212) explizit als Gegensatz zu den religiösen Kodierungen verwendet. 4.1.2 Globalisierungskritik und Bindestrich-Kapitalismus Passenderweise soll Hans Olaf Henkel, der damalige Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und spätere AFD-Abgeordnete im Europaparlament97 das Buch als Ausruf der "Gegenreformation" (JF 13/1997: 21) bezeichnet haben, womit er implizit die eigene Position als Reformator ebenfalls religiös codieren musste98. Die Globalisierungsfalle tritt den "stereotypen Formeln der Globalisierer" (GF: 21) entgegen, die Henkel oder der "Chef des Weltkonzerns Siemens [...] 97 Henkel gehörte in der Anfangsphase der AFD zum primär neoliberalen Flügel um den Initiator Bernd Lucke. Nach der Niederlage gegen den primär nationalistischen Flügel im Jahr 2015 – symbolisiert durch die Wahl Frauke Petrys zur Parteivorsitzenden – folgte Henkel Lucke in die neugegründete Partei ALLIANZ FÜR FORTSCHRITT UND AUFBRUCH – ALFA (später LIBERALKONSERVATIVE REFORMER – LKR), die bedeutungslos blieb. 98 Die Alternative wäre gewesen, weiter als Vertreter der reinen ökonomischen Vernunft aufzutreten und Martin/Schumann des Wahnsinns zu bezichtigen.

4.1 Eine mediale Großdebatte: Zeitenwende Globalisierung

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und andere Bannerträger des neuen Globalismus" (GF 18) verbreiten. Damit eröffnet das Buch jenes Spannungsfeld, in dem den "Globalisierer[n]" (GF: 21, 313) künftig die neue Subjektposition "Globalisierungsgegner" (SP: 3, 143, 151) entgegengesetzt wird und zwischen dessen Polen Pro / Contra beziehungsweise Chancen / Risiken sich der Bogen der Generaldebatte entspannt. Dementsprechend gehört die Aussage der GLOBALISIERUNGSKRITIK mit den Entgegengesetzten Polen {SACHZWANG-POSITION: Pro, Chancen, ...} / {KRITIK-POSITION: Contra, Risiken, ...} zu den grundlegenden Elementen der Debatte. Die Position von Martin/Schumann ist also klar. Ihr Buch liest sich im Nachhinein wie ein vorab veröffentlichtes Manifest von ATTAC, jener ein Jahr später zunächst in Frankreich gegründeten Organisation, die seither den Mainstream der internationalen globalisierungskritischen Bewegung repräsentiert99. Entsprechend wird das zentrale Kollektivsymbol aus dem Titel im Text mehrfach aufgegriffen und katachretisch ausgebaut: Der "demokratische Staat verliert seine Legitimation. Globalisierung gerät zur Falle für die Demokratie" (GF: 20). "Die Globalisierungsfalle scheint endgültig zugeschnappt, und die Regierungen der reichsten und mächtigsten Länder der Welt erscheinen als Gefangene einer Politik, die einen Kurswechsel gar nicht mehr zulässt" (GF: 160). Damit stellt sich die Frage, welche "Regierung [es] sein wird, die als erste aus der Globalisierungsfalle ausbricht " (GF: 297), beziehungsweise, "der Welt einen Ausweg aus der Globalisierungsfalle weist" (299). Wenn "das Umsteuern noch möglich" (GF: 23) sein soll, braucht es allerdings ein "Ende der Orientierungslosigkeit", um der "Sackgasse [zu] entkommen" (GF: 311). Klar ist jedenfalls, "dass es im nationalen Alleingang kein Entkommen aus der Weltmarktfalle gibt. Darum müssen wir andere Auswege suchen und gehen" (GF: 318)100.

99 Tatsächlich hat Schumann später den analytischen Teil "Die Globalisierung folgt dem falschen Programm" zum ersten Buch beigesteuert, das die Gründung von ATTAC in Deutschland wohlwollend begleitet hat (Grefe/Greffrath/Schumann 2002). Hans-Peter Martin machte später eine schillernde politische Karriere als Abgeordneter des Europäischen Parlaments (1999-2014), zunächst als parteiloser Spitzenkandidat der SOZIALDEMOKRATISCHEN PARTEI ÖSTERREICHS und später als Gründer der "Liste Dr. Martin". Der österreichische Politologe Anton Pelinka beschrieb ihn in der ZEIT, vom 31.08.2006 als "Populist neuen Typs", der kein klassischer "Rechts- und auch kein Linkspopulist" sei, mit beiden aber das Feindbild der "politischen Klasse" teile. Dabei plädiere er für "nationale Souveränität" und setze auf direkte Demokratie "gegen den 'Parteienstaat'", allerdings ohne dies mit rassistischen Parolen zu verknüpfen, wie es im Rechtspopulismus üblich sei. 100 Die Beispiele ließen sich um weitere ergänzen. Im Zusammenhang mit dem oben zitierten widerrufenden Häretiker findet sich nebst anderen Symbolen ebenfalls die komplette Kette Falle, Kehrtwende, anderen Weg einschlagen, Kurswechsel vom Abbau zum Aufbau (vgl. GF: 173) und die letztgenannte Hoch-Tief-Topik, wird in der Überschrift "Ausbruch aus der Abwärtsspirale" (GF: 220) wiederum mit der Falle gekoppelt.

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

Ihren Ausweg bzw. Kurs skizzieren die Autoren am Ende in zehn kurzen Vorschlägen (vgl. GF: 331ff.). Sie plädieren für eine Stärkung und Europäisierung der Bürgergesellschaft sowie den Aufbau europäischer Gewerkschaften, die gemeinsam folgendes Bündel alternativer Regulierungsoptionen durchsetzen sollen: Demokratisierung der EU-Institutionen, Europäische Währungsunion sowie die Einführung der Besteuerung auf EU-Ebene (insbesondere: Tobin-Steuer, ökologische Steuerreform, Luxussteuer). Außerdem den Stopp von Privatisierung und Öffnung staatlich kontrollierter Märkte, solange keine alternativen Arbeitsplätze vorhanden sind, sowie die Durchsetzung globaler sozialer und ökologischer Standards durch die WTO. Kurz: "Die Europäische Union kann Wirklichkeit werden, und ihre Lenker können ihrerseits das Ruder der Weltwirtschaftspolitik in die Hand nehmen" (GF: 299). Neben der religiösen Codierung des Neoliberalismus ist die Falle/Sackgasse ein weiteres geschickt gewähltes Symbol, aus dem Repertoire der Standardsymbole für politische Regulierungsoptionen (vgl. Link 1988a), mit dem Martin/Schumann ihre politische Position präsentieren. Mit solchen Mitteln gelingt es ihnen, ein hunderttausendfach verkauftes Buch zu lancieren, das die Dominanz neoliberaler Positionen im mediopolitischen Diskurs infrage stellt. Neben der Religion gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Bildbereiche – (Glücks-)Spiel, Sport, Vehikel/Verkehr, Maschine, (Raub-)Tiere, Krieg, Landschaft und Mythologie – aus denen einige Symbole von großer Bedeutung in der Globalisierungsdebatte sind. Ihre zentrale Stellung lässt sich bereits daran erkennen, dass bestimmte Elemente daraus zur allgemeinen Charakterisierung der neuen Epoche nach der ZEITENWENDE herangezogen werden. Im Bereich Fahrzeuge/Verkehr beispielsweise borgen sich Martin/Schumann das Kompositum des Turbo-Kapitalismus von Edward Luttwak für die Kapitelüberschrift "Tempo, Tempo, Tempo: Der Turbo-Kapitalismus überfordert alle" (GF: 249, vgl. SP: 143). Damit arbeiten sie die für die Debatte charakteristische Aussage der BESCHLEUNIGUNG (langsam / schnell)101 aus, welche unter anderem die erhöhte Bedeutung von kurzfristigen Finanztransaktionen, die "Renditejagd mit Lichtgeschwindigkeit" (GF: 74, vgl. 156ff.), mit den sozialen Folgen der ökonomischen Transformationen koppelt: "Bei diesem Tempo bleiben zwangsläufig immer mehr Menschen zurück" (GF: 251). Im SPIEGEL-SPEZIAL lautet die entsprechende Formulierung: "Und das alles mit wachsender Geschwindigkeit: Die Globalisierung schreitet immer schneller voran, viele können da nicht mithalten" (SP: 13). Vom Turbo-Kapitalismus, den DER SPIEGEL zum Titel der ersten Globalisierungsnummer 1996 machte, bis hin zur sogenannten Kapitalismus-Debatte, die der damalige SPDBundesvorsitzende Müntefering 2005 wahlkampftaktisch entfachte, ist eine 101 Rosa (vgl. 2009) hat das Motiv der Beschleunigung gesellschaftstheoretisch ausgearbeitet und ins Zentrum seiner soziologischen Gegenwartsdiagnose gestellt.

4.2 Weltmarkt: Ein Ozean

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erstaunliche Renaissance des einstmals verpönten K-Wortes zu beobachten. Die typische Form dieses BINDESTRICH-KAPITALISMUS markiert dabei aber zugleich eine Grenze des Sagbaren in der Debatte. Zwar ist es erlaubt, eine globalisierungskritische Position einzunehmen und die aktuellen Transformationen als {Turbo-, Kasino-, Raubtier-, Shareholder-} NEGATIV-KAPITALISMUS zu kritisieren, aber das implizite Gegenüber besteht dabei automatisch aus einem POSITIV-KAPITALISMUS, der freilich anders heißt, nämlich mehrheitlich nach wie vor (soziale) Marktwirtschaft (vgl. GF: 213, SP: 142). Jenseits der Grenze liegt jedoch der Gebrauch des Wortes als Kategorie zur Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse, die zugleich auf deren Überwindung (Nicht-Kapitalismus) zielt. Als Teil des ökonomischen Spezialdiskurses ist Marx also tabu. Allerdings wird ab und an auf solche Theoreme zurückgegriffen, die zu den Strukturmustern der Debatte passen. So kann die Einleitung des Manifest (SP: 13), zur Illustration des im Folgenden beschriebenen Gegensatzpaares global/national (vgl. Kapitel 4.2.2) dienen, und der Verweis auf das Verelendungstheorem (GF: 17) kann die Denormalisierung sozialer Verteilungen unterstreichen (vgl. Kapitel 4.5.1). Zudem teilt der mediopolitische Diskurs symbolische Elemente mit den Schriften von Marx, nicht zuletzt den zentralen Bildbereich der Flüssigkeiten im Zusammenhang mit ökonomischen Prozessen. 4.2 Weltmarkt: Ein Ozean 4.2.1 Flusssystem: Kapital "Kapital ist in der Sprache des Aktienhandels ein Gewässer" (Schwarz 1998: 49), und nicht nur dort, lässt sich ergänzen. Schon der Terminus technicus der "Liquidität" (SP: 119) verweist auf die Flüssigkeit als wichtige symbolische Eigenschaft des Kapitals und der Fluss steht in diesem Zusammenhang im Zentrum des Bildbereiches. Wer beispielsweise angesichts der Diskussion um die Finanzmärkte in Band III des Kapitals den Abschnitt über fiktives Kapital nachliest, trifft unter anderem auf die Formulierung: "Das verleihbare Kapital, worüber die Banken verfügen, fließt ihnen in mehrfacher Weise zu. Zunächst konzentriert sich in ihrer Hand, da sie Kassierer der industriellen Kapitalisten sind, das Geldkapital, das jeder Produzent und Kaufmann als Reservefonds hält oder das ihm als Zahlung zufließt" (MEW 25: 416). Und im Zusammenhang mit der englischen Bankenkrise von 1847 heißt es einige Seiten später: "der rasch und leicht dahinströmende Fluß der Zahlungen geriet ins Stocken, erst hier und da und dann allgemein" (ebd. 422). Auch hundertzwanzig Jahre nach der Herausgabe dieses Bandes durch Engels sind die "Kapitalflüsse" (GF: 181, vgl. ebd. 135, DER SPIEGEL 40/1996, 140) – der "Fluss von Waren und Kapital" (GF: 290), der "Geldfluss[]" (SP: 99) – die Form,

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in der "liquides Kapital im System unterwegs" (GF: 120) ist. Entsprechend fließen auch heute alle Arten von Zahlungen102: "Subventionen fließen"(SP: 52) aus Brüssel, "Geld fließt [...] in den Konsum" (SP: 114), "20 Milliarden Dollar fließen in ein neues Flughafenprojekt" (GF: 36). "Gäbe es keine Zölle mehr, würden sofort 500 Milliarden Dollar mehr in den Welthandel fließen" (SP: 122). "Die Mehrzahl der Investitionen fließt [...] in die anderen Industrienationen" (GF: 218), "das billige Kapital floss sofort in ausländische höher rentierende Märkte" (GF: 106), "300 Milliarden Dollar aus japanischen Quellen flossen allein in den Erwerb von US-Anleihen" (GF: 135). "PrivatEquity-Firmen" haben enorme "Mittelzuflüsse" (SP: 23), und es ist zu hören, die "Dividende fließe meist in die Vereinigten Staaten" (SP: 27).

Mit Marx könnte in der "Auspressung" (GF: 203, vgl. 173) der Arbeitskräfte die Quelle dieser Wertflüsse entdeckt und die Systematik ihres Mäanderns kartographiert werden. Entsprechende Belege finden sich im vorliegenden Material allerdings nicht. Dafür jedoch zahlreiche andere Beispiele für die "syntagmatische Expansion des Symbolisanten" (Drews/Gerhard/Link 1985: 261): Wenn beispielsweise "der Steuerboykott der Konzerne und Vermögenden die Staatshaushalte austrocknet[, ...] müssen neue Einnahmequellen erschlossen werden" (GF: 320, vgl. 276, 333) etwa durch "die Trockenlegung der Steueroasen" (GF: 300, 332). Der Monetarismus behauptet, durch "die freie Fluktuation des Kapitals über alle nationalen Grenzen hinweg [...] soll das Sparvermögen stets dahin fließen, wo es am besten eingesetzt wird" (GF: 90), wohingegen Tobin argumentiert: "Der deregulierte Kapitalfluss mit seinen abrupten Richtungsänderungen und chaotischen Kursausschlägen schade der materiellen Wirtschaft" (GF: 119).

Jedenfalls ist das Flusssystem eine der zentralen Symbolisierungen der Finanzmärkte: "Nun kam aus dieser Ecke des Marktes ein Verkaufsimpuls [...] und quasi aus dem Nichts entwickelte sich eine weltweite Verkaufswelle. So löste ein Nebenarm des großen Flusssystems im Kapitalmarkt [...] eine Flut aus" (GF: 125). 4.2.2 Ströme und Fluten: Transnationale Prozesse Das Symbol des Flusses liegt in der Schnittmenge der Bildbereiche der Flüssigkeiten und der Landschaften. Eine Eigenschaft jener Landschaften ist die HochTief-Topik (Berg/Tal u.a.), die soziale Ungleichheiten abbildet (s.u.). Dies wird beispielsweise bei der Thematisierung der Kapitalflüsse zwischen oberen und unteren Normalitätsklassen103 relevant: "Es spricht gegen alle Erfahrung, dass arme Staaten das reichste Land der Welt mit Kapital versorgen. Das ist, als würde 102 Zum Bildbereich der Flüssigkeiten gehört auch das technische Symbol der Pumpe, das dort zum Einsatz kommt, wo bestimmte Zahlungsvorgänge besonders betont werden sollen: Bis 1995 haben "US-Geldmanager [...] Milliarden in das vordem viel versprechende Entwicklungsland [Mexiko] gepumpt" (GF: 134), in den "ehemals sozialistischen Osten" Deutschlands "sind Hunderte Milliarden Euro reingepumpt worden" (SP: 48), und "[m]angels Renditen im klassischen Anlagegeschäft pumpen inzwischen selbst konservative Pensionskassen gewaltige Summen in die undurchsichtigen Geldmaschinen" (SP: 28f.). 103 Dieser Begriff von Link wird in Kapitel 4.6 genauer erläutert.

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Wasser plötzlich den Berg hinauffließen" (SP: 118). Und mit der EU-Ost-Erweiterung "kam, was kommen musste: Wie Wasser ins Tal flossen bald Investitionen und Arbeitsplätze Richtung Osten" (SP: 14). Im bildlichen Gegensatz zu diesem Gefälle fließt jedoch ein Strom in umgekehrter Richtung: "Fast 650 000 einheimische Bauhandwerker haben ihren Arbeitsplatz inzwischen verloren, dafür strömen jedes Jahr Tausende ausländischer Maurer oder Betongießer in die Bundesrepublik. [...] Um die Mindestlöhne zu verteidigen, hat die Bundesregierung unter dem Druck von Bauindustrie und -gewerkschaft beinahe jährlich neue Initiativen, Programme und Aktionspläne gegen die illegale Beschäftigung gestartet [...]. Es hat alles nichts genutzt. Und seit im Zuge der Osterweiterung freiberufliche Fliesenleger oder Trockenbauer aus Polen, Tschechien und der Slowakei ins Land strömen, ist ihr Kampf noch aussichtsloser. [...] Aber man hätte den Zustrom besser regulieren und die schlimmsten Auswüchse verhindern können. Die Verträge über die EU-Osterweiterung, das zeigt sich in deutschen Schlachthöfen und auf den Baustellen des Landes, wurden allzu leichtfertig ausgehandelt" (SP: 112f.).

Klaus Theweleit (2000: 236ff.) hat darauf aufmerksam gemacht, dass eine zentrale Eigenschaft der Symbole des Stroms und der Flut in der Grenzüberschreitung104 besteht, und dass die Ströme und Fluten zu den Standardsymbolen gehören, welche Migration als gefährliche Grenzüberschreitung und Bedrohung 'unseres Systems' codieren (vgl. Link 1992: 338ff.), wie das obige Zitat einmal mehr belegt, ist ebenfalls bekannt. Das bedrohliche105 Überschreiten der Grenze als Konnotat der Fluss/Flut-Symbolik ist aber auch dann relevant, wenn sie mit der Subscriptio des Kapitals verwendet wird und verzahnt sich im Rahmen der Globalisierungsdebatte mit der zentralen Stellung des Nationalstaates beziehungsweise des Gegensatzpaares GLOBAL-NATIONAL 106 . Die enge Verbindung zwischen symbolischen Kapitalströmen und -fluten sowie ihren gefährlichen Charakter hat auch Thomas Schwarz (1998: 50, Hervorhebungen H.O.) hervorgehoben: "Bei den symbolischen Bewegungen der Geld-Gewässer[] verkörpern regulierte Flussläufe Normalität, während Flut und Sturm auf Panikgefahr verweisen: 'An den international vernetzten und weitgehend unregulierten Märkten lösen Stimmungsschwankungen innerhalb 104 "Die Flut ist so abstrakt, dass sehr verschiedene Vorgänge unter ihrem Bild subsumiert werden können; gemeinsam sein muß ihnen lediglich eine Art Grenzüberschreitung: Landesgrenzen, Körpergrenzen, Grenzen des Anstands, der Gewohnheit; diese Überschreitungen müssen Verbotenes betreffen. Dann beginnt etwas zu fließen, innen wie außen, erregend und beängstigend zugleich" (Theweleit 2000: 239f.). 105 Theweleit weist ausdrücklich auf die Ambivalenz der Flutsymbolik, die sowohl attraktiv als auch bedrohlich wirken kann (siehe vorherige Anmerkung). Die nahezu ausschließliche Akzentuierung der bedrohlichen Momente ist ein "spezifischer Gebrauch" (Theweleit 2000: 237), der für sein Material ebenso charakteristisch ist wie für das hier vorliegende. Theweleit zitiert auch Gegenbeispiele (vgl. ebd. 265ff.), neben jenen aus dem Bereich der Literatur, vor allem den Gebrauch der Stromsymbolik bei Deleuze/Guattari, auf die er sich auch theoretisch bezieht (siehe auch Kapitel 7.4). 106 Zu diesem diskursiven Muster vgl. Knobloch 2007a. Zur Frage der Transformation des Staates im Zuge 'der Globalisierung' vgl. Hirsch 1995, Jessop 1997, Demirović 1997.

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kurzer Zeit gewaltige Kapitalströme aus, die sich in enormen Kursschwankungen niederschlagen' ([FAZ] 3.3.94). In diesem Zitat wird rationaler Regulierungsbedarf für den Kapitalmarkt angemeldet, dessen Dynamik aus Emotionen gespeist werde".

Ein anderes Zitat aus der FAZ ("Eine wahre Geldflut ergießt sich über die Fondsgesellschaften. Allein im Januar flossen den heimischen Aktienfonds 2,3 Mrd. DM frische Mittel zu..." (ebd.: 53) kommentiert Schwarz wie folgt: "Kapitalakkumulation in der symbolischen Form der Geldflut ist auf den ersten Blick positiv. Doch erzeugt dieses Bild auch einen normalistischen Handlungsbedarf. Die Analysten haben sich deshalb die Aufgabe gestellt 'den globalen Kapitalstrom in die richtigen Kanäle zu leiten' (Spiegel 17.3.97)"107 (ebd., Hervorhebung H.O.)

Die Unterstreichungen sollen ergänzend zu Schwarz' Kommentar darauf hinweisen, dass die Ströme und Fluten in diesen Beispielen stets 'globalen' oder 'internationalen' Charakter haben und in Opposition zum einzelnen Nationalstaat (etwa seinen 'heimischen Aktienfonds') stehen. Dieser Befund ist keineswegs zufällig. Im vorliegenden Material kreuzen zwar auch viele der zitierten Flüsse nationalstaatliche Grenzen, aber die Ströme und Fluten symbolisieren in jedem Fall grenzüberschreitende, häufig explizit als global-international-transnational gekennzeichnete Prozesse. So berichtet DER SPIEGEL von den "Geldströme[n] der globalen Wirtschaft" (SP: 116), vom "Warenstrom zwischen" (SP: 138) Brasilien und Argentinien oder von "internationalen Konzernen, die [...] wieder ins Land [nach Indien] geströmt waren" (SP: 59). Vor allem aber wird das Symbol oftmals in Kontexten eingesetzt, in denen es um einen Gegensatz zwischen Regulierungsoptionen von Nationalstaaten und transnationalen Akteuren oder Prozessen geht: "Es sind nur kleine Stellschrauben, an denen die Regierung drehen kann, die großen Finanzströme lassen sich so nicht beeinflussen" (SP: 29), meinen Journalisten des SPIEGEL. Dagegen erzählt Gerhard Schröder "auf dem Evangelischen Kirchentag [...], dass er, um die internationalen Finanzströme zu bändigen, mit der sogenannten Tobin-Steuer, einer Abgabe auf grenzüberschreitende Finanztransaktionen, sympathisiere" (SP:143). Martin/Schumann bieten entsprechend ihrer favorisierten Optionen staatlicher Re-Regulierung, besonders viele Beispiele, wie die Folgenden: "Weltweit sinkt der Anteil, den Kapitaleigner und Vermögensbesitzer zur Finanzierung staatlicher Aufgaben beitragen. Auf der anderen Seite fahren die Lenker der globalen Kapitalströme das Lohnniveau ihrer steuerzahlenden Beschäftigten kontinuierlich nach unten" (GF: 17 gleichlautend in DER SPIEGEL 39/1996, 90). Diese Lenker (vgl. GF: 101, 135) oder auch "Dirigenten" (GF: 181, 276) sind "global agierende Händler in Devisen und Wertpapieren, die einen täglich wachsenden Strom von freiem Analagekapital 107 Schumann/Martin berichten ebenfalls von einem Hedge-Fonds-Manager, der versucht, "die zwei Milliarden Dollar seiner Kunden in die richtigen Kanäle zu lenken" (GF: 82), und im Zusammenhang mit Steuerhinterziehung, geht es um "Kanäle, durch die der Steuerhaushalt zur Ader gelassen wird" (GF: 94). Selbstverständlich fordern die Autoren den "Abfluss der Gelder" (ebd.) zu stoppen, das heißt "die Fluchtkanäle zu verstopfen" (GF: 95). Gleichzeitig warnen sie – ebenfalls mittels einer Koppelung der Flüsse an den körperlichen Blutkreislauf – dass "Milliarden Dollar aus illegalen Quellen" in den "legalen Geldkreislauf eingeschleust werden" (GF: 93).

4.2 Weltmarkt: Ein Ozean

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dirigieren und damit über Wohl und Wehe ganzer Nationen entscheiden können – weitgehend frei von staatlicher Kontrolle" (GF: 71). "Internationale Investitionen lenken nun die Handelsströme, Milliardentransfers mit Lichtgeschwindigkeit bestimmen die Wechselkurse sowie die internationale Kaufkraft eines Landes" (GF: 156) und Analysten übernehmen dabei die Rolle "des Pfadfinders für den transnationalen Kapitalstrom" (GF: 83). "Somit entscheiden aber nicht mehr demokratisch gewählte Regierungen über die Höhe der Besteuerung, vielmehr legen die Dirigenten der Kapital- und Warenströme selbst fest, welchen Beitrag sie zur Erfüllung staatlicher Aufgaben noch leisten wollen. Wie bewusst dies so manchem Global Player inzwischen ist, brachte [...] der Vorstandschef von Daimler-Benz, den Haushaltsexperten des Deutschen Bundestages schmerzhaft bei" (GF: 276). Es gibt aber auch umgekehrte Beispiele: "Ohne Ausnahme setzten die Aufsteiger des Fernen Ostens auf eine Strategie, die im Westen verpönt ist: massive staatliche Intervention [...]. Nicht nur in die kurzfristigen Kapitalströme auf den Finanzmärkten greifen die asiatischen Wachstumsingenieure ein, auch die direkten Investitionen der transnationalen Konzerne unterliegen präzisen Auflagen" (GF: 199f.).

Stellen die grenzüberschreitenden Ströme bereits den Nationalstaat in Frage, so symbolisieren die Fluten bzw. Überschwemmungen vollends ihre katastrophale Bedrohung: "Jahrhundertelang florierte hier, in Ostwestfalen, die Textilindustrie. Ihre Wurzeln reichen bis tief ins Mittelalter. Ihr Niedergang dauerte nicht einmal ein Jahrzehnt: Anfang der siebziger Jahre wurde der Markt plötzlich überschwemmt von Billigware aus Fernost" (SP: 38). Mögen die Wurzeln an dieser Stelle auch durch die Pictura des Florierens und durch die Subscriptio einer lange zurückreichenden lokalen ökonomischen Praxis motiviert sein, so konnotieren sie doch auch den Komplex der Verwurzelung / Entwurzelung, der eng mit der symbolischen Konstruktion von Ethnokollektiven aller Art verbunden ist und im Gegensatz zur Symbolik der Ströme und Fluten steht. Ebenso ist die Nennung des 'Alten Landes bei Hamburg' im folgende Beispiel keineswegs zwingend, um die ökonomische Problematik zu verdeutlichen, um die es in erster Linie geht: "Und sogar die Apfelbauern im Alten Land bei Hamburg sind schon in Sorge um ihren Wohlstand, seit China die EU mit Saftkonzentrat überflutet" (SP: 143). Von China geht im SPIEGEL-SPEZIAL die größte symbolische Flutgefahr aus: "China überschwemmt die Welt mit Billigprodukten" (SP: 118) und bedroht damit sowohl die USA als auch die EU. "Seit Anfang des Jahres überschwemmt China die Welt mit billigen Stoffen. Die Dimensionen sind so gewaltig, dass die EU in zähen Verhandlungen mit China eine Schonfrist für bestimmte Warengruppen von weiteren zwei Jahren erwirkte: Sie beruft sich dabei auf Schutzklauseln, die beim WTO-Beitritt Chinas vereinbart wurden" (SP: 149). Die Bedrohung für die USA rührt daher, dass "die Chinesen ihren Währungskurs künstlich niedrig halten und damit ihre Billigwaren subventionieren, die derzeit den US-Markt überschwemmen und das Leistungsbilanzdefizit weiter in die Höhe treiben" (SP: 115).

Doch auch die USA waren schon Ausgangspunkt gefährlicher Fluten: "In den sechziger Jahren überschwemmten sie die Welt mit Geld, um den Vietnam-Krieg zu finanzieren" (SP: 114) und Anfang der neunziger Jahre bedrohten sie Mexiko: "Gleichzeitig setzte aber die rasante Öffnung gegenüber den vereinigten Staaten wichtige nationale

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Wirtschaftsbereiche der US-Konkurrenz aus. Eine Importwelle überschwemmte das Land, und die arbeitsintensive mittelständische Industrie ging in die Knie" (GF: 194)108.

Und in Deutschland schließlich ist die Flutgefahr in der Globalisierungsdebatte äquivalent mit der Heuscheckenplage109: "Die meist angelsächsischen Fonds mit Namen wie Cerberus ('der Höllenhund') [...] können [...] bis zu 1400 Milliarden Euro mobilisieren. Ein Hauptziel der Kapitalflut sind deutsche Unternehmen" (SP: 26). 4.2.3 Schotten, Dämme und Schranken: Staatliche Regulierung Ein weiteres Element aus dem Bildbereich der Gewässer sind die Schotten, die Nationalstaaten oder supranationale Freihandelszonen in ein symbolisches Schiff verwandeln und vor dem Untergang im "globalen Wirtschaftsozean" (GF: 37) schützen. Sie symbolisieren im vorliegenden Material ausschließlich den Protektionismus. Dieser bildet die Kehrseite der FREIHANDEL-Aussage (Freihandel/Protektionismus), die zu den konstitutiven Elementen der Globalisierungsdebatte gehört und obligatorisch einen Verweis auf den ökonomischen Spezialdiskurs verlangt, nämlich auf das Theorem der komparativen Kostenvorteile von Ricardo (vgl. GF: 155, SP: 18, 150f.)110. Klassischer Protektionismus hätte, so die durchgängige Botschaft, für die Nationalstaaten oder supranationalen Handelszonen mindestens so viele Nachteile wie Vorteile und erscheint auch Kritikern des Freihandels wie Martin/Schumann nicht als sinnvolle Alternative: "Wer sich vor den Billigstandorten im Osten am liebsten abschotten möchte, der müsste dann aber auch in Kauf nehmen, dass seine Digitalkamera nicht 200 Euro, sondern vielleicht das Doppelte kostet und ein Hemd statt 40 eher 100 Euro" (SP: 145). "Fraglich ist ob, eine Abschottung gegen die Niedriglohnkonkurrenz die galoppierende Entwertung der Arbeitskraft 108 Wie die Importwelle hier verdeutlicht, ist das Symbol der Welle eng mit dem der Flut verbunden. Im vorliegenden Material zeigt es ebenfalls rein negative Wertungen an. Die Rede ist von "Krisenwellen" (GF: 135), "einer Aufwertungswelle[...], die wohl erneut eine Million Arbeitsplätze kosten würde" (GF: 118), "Pleitewellen" (GF: 185, 313, SP: 116), "Kündigungswellen" (GF: 250), einer "Welle von Werkschließungen" (SP: 53) und von "Spekulationswellen" (GF: 87, 115, 88, DER SPIEGEL 39/1996: 93). Eine der letztgenannten war 1993 gegen den Franc gerichtet und damals "wurden die Wellen zur Flut" (GF: 88, vgl. die oben zitierte Stelle GF: 125). Wie aber passt eine 'wahre Gründungswelle' in dieses Bild? "Seit der EU-Erweiterung können Osteuropäer im alten Europa ein Gewerbe anmelden. Davon machen sie reichlich Gebrauch. Die Handwerkskammern registrieren quer durch die Republik eine wahre Gründungswelle" (SP: 10). 109 Zum Kollektivsymbol der Heuschrecke vgl. Oppenhäuser (2007: 45ff.). Seine Konjunktur im Zusammenhang mit dem Thema Globalisierung geht auf die sogenannte Kapitalismus-Debatte (vgl. Knobloch 2007b) zurück, die der damalige SPD-Bundesvorsitzende Müntefering 2005 mit einem Interview ausgelöst hatte. Nebenbei bemerkt, hatte Jürgen Elsässer – einst Autor zahlreicher linker Zeitschriften und später Chefredakteur des rechten Monatsmagazins COMPACT – sein nationalistisches Coming-out 2007 mit der Veröffentlichung des Buches "Angriff der Heuschrecken" im traditionslinken PAHL-RUGENSTEIN-VERLAG. 110 Zur politischen Ökonomie des Freihandels vgl. Altvater/Mahnkopf (1999: 197ff.). Weiteres dazu in Kapitel 7.5.

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in den hochentwickelten Ländern überhaupt aufhalten könnte" (GF: 208). "Nur wenn ein Staat sich auch gegen die Konkurrenz aus den anderen hochentwickelten Ländern abschotten würde, könnte er seine arbeitsintensiven Industrien wieder aufbauen. Damit würde er jedoch alle eigenen Exportmärkte verlieren [...] – eine Chaos-Strategie" (GF: 211). "Würde sich die EU abschotten wollen, müsste der Konzern [Siemens], wenn auch schweren Herzens seine Zentrale in die USA oder nach Fernost verlagern" (GF: 265). Die Konsequenz malt ein Bild im SPIEGEL-SPEZIAL mit der Unterschrift "Ernteeinsatz in Nordkorea: Abgeschottet vom Rest der Welt" (SP: 144).

Im Rahmen der FREIHANDEL-Aussage ist der Protektionismus (bei dem es gerade nicht um durchaus vorhandene nicht-diskursive Praktiken geht, die als protektionistisch gekennzeichnet werden könnten) zudem eng mit dem Rückblick auf die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, sowie dem Erscheinen dem zeitgenössischen Nationalismus verknüpft. Dieser Zusammenhang ist mit Blick auf die Ökonomietheorie, insbesondere ihre Entwicklung in Deutschland von Mitte des neunzehnten bis Mitte des zwanzigstens Jahrhunderts, auch durchaus nahe liegend (vgl. Barkai 1988: 68ff.). Im historischen Rückblick auf die Außenhandelspolitik schreiben Martin/Schumann: "Später griffen sie [die Regierungen] zur Abschottung der Märkte gegen allzu viel Konkurrenz, vor allem aus dem Ausland, das seinerseits sofort mit gleicher Münze antwortete. Nicht der Freihandel, sondern der Protektionismus, im Wortsinne 'Schutzpolitik', wurde spätestens seit der Jahrhundertwende und erst recht in den zwanziger Jahren das Tagesgeschäft der Regierungen. Ungewollt stürzten sie schließlich mit den eskalierenden Handels- und Währungskriegen die auch damals schon hochgradig verflochtene Weltwirtschaft in die große Depression der frühen dreißiger Jahre" (GF: 313f.).

Und mit Blick auf die aktuelle Situation heißt es: "Längst suchen Millionen verunsicherter Mittelstandsbürger ihr Heil in Fremdenhaß, Separatismus und Abschottung vom Weltmarkt" (GF: 21). Ähnlich spricht DER SPIEGEL von einer "Vertrauenskrise, in der die Idee vom freien Welthandel steckt. Die zukunftsängstlichen Menschen flüchten in die scheinbare Sicherheit des Nationalen. Sie rufen nach Zöllen und Quoten. Gut möglich, dass sich ein neuer Protektionismus breit macht und sich einzelne Wirtschaftsblöcke vom Rest der Welt abschotten" (SP: 143).

Hier zeigen sich allerdings auch die "umfassenden Möglichkeiten der 'Globalisierer', jedwede Form der widerständigen Wirtschaftspolitik einem öffentlich diskreditierten Nationalismus zuzurechen" (Knobloch 2007a: 201). Trotz ihrer äußerst positiven symbolischen Eigenschaft das Schiff vor dem Untergang zu bewahren, werden die Schotten also ausschließlich mit negativen Wertungen verbunden. Die völlige Abdichtung der Grenzen, die nicht nur unerwünschte, sondern auch erwünschte Einflüsse verhindern würde, ist offenbar ein zu starkes Bild. An dieser Stelle wird der "freie Kapitalverkehr" (GF: 87, 89, 95 und weitere) als symbolisches Äquivalent der Kapitalflüsse relevant, denn "(Grenz-)Kontrollen im

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Kapitalverkehr " (GF: 91) können eine deutlich flexiblere Regulierung grenzüberschreitender Prozesse symbolisieren: Die "Regierungen der großen Industrieländer [...] haben seit Beginn der siebziger Jahre systematisch alle Schranken niedergerissen, die ehedem den grenzüberschreitenden Geld- und Kapitalverkehr regierbar und damit beherrschbar machten. [...] Die Vereinigten Staaten, die Bundesrepublik Deutschland, Kanada und die Schweiz gaben ab 1970 die Kapitalverkehrskontrollen auf. So brach der Damm. [...] Gleichzeitig kamen alle anderen Länder, die noch an Kontrollen festhielten, unter Druck" (GF: 72f.). In der Folge "hoben die Briten die letzten Beschränkungen auf", dann "gaben auch Frankreich und Italien im Jahr 1990 den Geld- und Kapitalverkehr frei" (GF: 73f.) und der IWF vergab Kredite nur mit der Auflage "das Land für den internationalen Kapitalverkehr zu öffnen" (GF: 74).

Tabelle 4.1 fasst zusammen, wie der nicht-diskursive Komplex der staatlichen Regulierung transnationaler ökonomischer Prozesse mittels der Symboliken der Gewässer und des Verkehrs verhandelt wird. Die (Picturae-)Spalten betonen die Kohärenz bestimmter Symbolkomplexe, wobei einzelne Elemente auch in andere Spalten passen würden (Kanäle sind auch Verkehrswege und Fluten werden auch eingedämmt). Entscheidend sind vor allem die Äquivalenzbeziehungen der Symbole und Subscriptiones in den Zeilen. Tabelle 4.1: Kollektivsymbolik im Zusammenhang mit Handelsfragen Subscriptiones Ökonomie Transaktionen Grenze Nationalstaat Regulierung I: Freihandel Regulierung II: Zölle, Tobinsteuer u.a.

Ozean Flut Schott Schiff Überflutung / Untergang Abschottung

Picturae Flüsse / Kanäle Strom/Fluss Damm Festland Bruch / Überschwemmung Eindämmung/ Kanalisierung/ Regulierung

Verkehrswege Verkehr Schranke Nationalstaat Freigabe / Öffnung Verkehrskontrolle/ Beschränkung

Auf dieser Basis konfrontieren sich nun die diskursiven Positionen. Die NPD fordert in der Tat nicht nur die 'Abwehr weiterer Einwanderungsströme', sondern auch 'Grenzen dicht für Lohndumping und Einfuhr billiger Waren' (vgl. Kapitel 5.1.1), während sich andere, seien es Befürworter oder Gegner des Freihandels, wie gesehen, gegen derlei Abschottung verwahren. Die einen – wie Martin/Schumann oder auch Jörg Huffschmid (vgl. 2002: 265ff.) – warnen vor Überschwemmungen und plädieren entsprechend für die Regulierung der Kapitalströme bzw. die Einführung von Schranken und Verkehrskontrollen. Die Befürworter von Freihandel und De-Regulierung wiederum schweigen von Fluten und Verkehrstoten und fordern stattdessen freie Fahrt für freie Bürger, also Abbau von Schranken {= "Barrieren" (GF: 18, 152, SP: 48) = "Hürden" (GF: 211)}. Und manche schließlich

4.3 Finanzmarkt: Gespenster am Roulettetisch

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wollen sich – wie Negri/Hardt – weder von den Strömungen des Kapitals, noch den Dämmen des Staates, von ihrem Begehren abbringen lassen, in die Fluten einzutauchen111. 4.3 Finanzmarkt: Gespenster am Roulettetisch 4.3.1 Kasino: Finanzmärkte Stärker noch als die Handelspolitik ist das Thema Finanzmärkte mit bestimmten Kollektivsymbolen verknüpft. Eine besondere Rolle spielt dabei die bereits von Keynes in der 'General Theorie' genutzte Analogie des Kasinos. Der Kasino-Kapitalismus (vgl. GF: 266) ruft nämlich den gesamten Bildbereich der Glücksspiele, beziehungsweise des Zockens, mit all seinen Konnotationen auf. Der nicht-diskursive Zusammenhang, der diese Symbolik hauptsächlich auf sich gezogen hat, ist die zunehmende Bedeutung verschiedener Formen des zinstragenden und des fiktiven Kapitals112, in die Vermögensbesitzer*innen infolge der Krise des fordistischen Akkumulationsregimes und veränderter staatlicher Regulierungen vermehrt investierten. Stärker noch als bei Investitionen in Produktion und Warenhandel (die an die keineswegs garantierte Erwartung gelingenden Verkaufes geknüpft sind), ist damit ein spekulatives Moment verbunden. Nämlich die Hoffnung, durch künftige Preisänderungen von gekauften Devisen oder Aktien und anderen Wertpapieren das angelegte Geld zu vermehren. Ob dies tatsächlich geschieht, hängt letztendlich aber wiederum von der gelingenden Akkumulation im produktiven Bereich ab. Wertpapiere verbriefen nur Ansprüche auf einen Anteil künftig zu produzierenden Mehrwerts, fällt dieser zu gering aus wird dieses fiktive Kapital (massenhaft in Börsencrashs) entwertet und das Papier bringt am Ende nicht mehr, sondern weniger Geld ein. In den letzten Jahrzehnten ist eine zunehmende Disproportionalität zwischen dem Anwachsen von Formen des zinstragenden und des fiktiven Kapitals gegenüber der realen Wertschöpfung zu beobachten. Zugleich versuchen Banken und Investoren, die das Geld der Vermögensbesitzer*innen verwalten, deren Anteil am Mehrwert zu erhöhen (Sharholder-Value) und bestimmen dadurch indirekt oder direkt als Anteilseigner im Aufsichtsrat das Management von Unternehmen mit. Solche und ähnlich komplexe Vorgänge etwa im 111 Exemplarisch ist die folgende Passage aus Empire: "Die Bewegungen von Individuen, Gruppen und Bevölkerungen, die wir heute im Empire beobachten können, lassen sich den Gesetzen kapitalistischer Akkumulation jedoch nicht vollständig unterwerfen – in jedem Augenblick fluten sie über die Grenzen des Maßes hinweg und lassen diese zertrümmert zurück. Autonome Bewegungen der Menge eröffnen neue Räume und etablieren neue Aufenthaltsorte. Reisepässe und andere Dokumente werden unsere Bewegungen über Grenzen hinweg immer weniger regulieren können. Die Menge lässt eine neue Geographie entstehen, in der der produktive Strom von Körpern neue Flüsse und Häfen ausbildet" (Negri/Hardt 2002: 403f.). 112 Vgl. Huffschmid (2002), Menz/Becker/Sablowski (1999: 32ff.), Demirović/Sablowski (2013).

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

Devisenhandel lassen sich mittels der Symbolik des Glückspiels im Alltagsverstand/Elementardiskurs plausibilisieren. Wer Geld hat – seien es einzelne Vermögende, Unternehmen oder Staaten – geht ins Kasino (GF: 79, 266, SP: 28, 113), setzt (GF: 78, 230, SP: 28, 113) beim Roulette (GF: 315, 229) oder zockt (GF: 230, SP: 52, 31) bei anderen Wetten (GF: 79, 86, SP: 38, 144) mit und hat am Ende gewonnen oder seine Einsätze (GF: 80, 110) verspielt (GF: 87). Ein ideologischer Effekt dieser Symbolik besteht darin, dass die Fragen nach dem Einsatz und den Waren, die sich die Gewinner kaufen können, scheinbar mit dem Spiel selbst überhaupt nichts zu tun haben. Von diesem zentralen Punkt her dehnt sich die Symbolik über weitere Subscriptiones aus. So dreht sich für diejenigen, die keinen Einsatz außer ihrer Arbeitskraft haben, eben das "Jobroulette" (SP: 8, 15), und Staaten spielen "Standortpoker" (SP: 4, 51) um die Gunst der Unternehmen, insbesondere der "global player" (GF: 10, 295, SP: 17, 139). 4.3.2 Gesichtslose Mächte: Finanzmarktakteure Die "Global Player im Finanzmarkt" (GF: 107), insbesondere alle Arten von Fonds-Gesellschaften, ziehen wohl auch aufgrund ihrer relativ unbekannten Funktionsweisen eine ganze Palette von Kollektivsymbolen an. Die entsprechende Äquivalenzkette umfasst unter anderem die folgenden Symbole, die auf der Ebene der Picturae wiederum mit den bereits genannten zentralen Bildbereichen verknüpft sind: (Manager von) Fondsgesellschaften {Hasardeure, Freistil-Investoren, Lenker der Kapitalströme, undurchsichtige Geldmaschinen, Renditejäger, Befehlshaber, Armeen, Geldsammelstelle, Akrobaten, Jongleure, Gurus, Heuschrecken}113. Die ökonomischen Prozesse, in die diese Akteure involviert sind, erscheinen ähnlich überlanden mit Kollektivsymbolen. Neben den bereits genannten Symbolen des Flusssystems und des Kasinos erscheinen sie unter anderem als "Finanzdschungel" (GF: 109) und als "Weltfinanzmaschine" (GF: 133), die als "Schaltzentrale der Globalisierung" (GF: 328) oder auch "Herz des Kapitalismus" (SP: 102) gelten. An dieser Stelle ist bemerkenswert, dass sich auch Marx bei der Analyse des zinstragenden Kapitals veranlasst sah, das Symbol des Fetischs (hier ebenfalls katachretisch mit der Maschine gekoppelt) besonders zu betonen114. Mit 113 Belegstellen: Hasardeure (SP: 28), Freistil-Investoren (SP: 29), Lenker der Kapitalströme (GF: 17, 101), undurchsichtige Geldmaschinen (SP: 29 vgl. GF: 74, 117, 135), Renditejäger (GF: 88, 174), Befehlshaber, Armeen (GF: 81, vgl. 119), Geldsammelstelle (SP: 23, vgl. GF: 81), Akrobaten (SP: 29), Jongleure (GF: 126, 127, 140, SP: 29), Gurus (GF: 71, 129, SP: 29), Heuschrecken (SP: 22, 23, 26f.). 114 "In der Form des zinstragenden Kapitals erscheint dies unmittelbar, unvermittelt durch den Produktionsprozess und Zirkulationsprozess. Das Kapital erscheint als mysteriöse und selbstschöpferische Quelle des Zinses, seiner eigenen Vermehrung. Das Ding (Geld, Ware, Wert) ist nun als bloßes Ding schon Kapital, und das Kapital erscheint als bloßes Ding [...]. Im zinstragenden Kapital ist daher dieser

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dieser "Analogie" aus der "Nebelwelt der Religion" (MEW 23: 86) beschreibt er bekanntlich die mit der Warenproduktion einhergehende verdinglichte Wahrnehmung sozialer Verhältnisse. Das (zinstragende) Kapital ist mithin ein so komplexer Gegenstand, dass offenbar auch seine kritische Analyse kaum ohne den Rückgriff auf Symbolik auskommt. Zugleich setzt hier die antisemitische Rede vom 'jüdischen Finanzkapital' mit Gottfried Feders (1919) Unterscheidung von 'raffendem und schaffendem' Kapital an. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der "Finanzguru George Soros" (GF: 71, 129, SP: 29) immer wieder als stellvertretender "Vater aller Spekulanten" (SP: 112) erscheint. Ähnlich mystisch wird Christopher Hohn (Manager eines Hedge-Fonds, der Anteile an der Deutsche-Börse-AG hält) in der Einleitung eines Artikels des SPIEGEL-SPEZIAL vorgestellt, die ihn mit folgender Liste von Charakterisierungen versieht: Staatsfeind Nummer eins, personifizierte Heuschrecke, Microsoft-Milliardär Bill Gates, Zauberlehrling Harry Potter und Phantom, das kein Gesicht hat (vgl. SP: 22). Anschließend fasst DER SPIEGEL die Tatsache, dass Hohns Fonds zusammen mit anderen Teilhabern Einfluss auf die Geschäftspolitik der Börse-AG nimmt, in die Worte: "Die Geschicke der Deutschen Börse, eines Aushängeschildes der deutschen Wirtschaft, eines Unternehmens, das immerhin im deutschen Aktienindex (Dax) vertreten ist, liegen in Hohns Hand – in der Hand eines Spekulanten" (SP: 22). Hinter diesem suggestiven Bild verschwindet die Tatsache, dass jene Deutsche-Börse gerade die 'Geschicke' der Londoner Börse komplett übernehmen wollte, was Hohns Fonds und andere Akteure verhindert haben und es erscheint dem SPIEGEL als fraglos besser, wenn autochthone Manager der deutschen Börse vorstehen115. Zugleich werden komplexe Entscheidungsprozesse, an denen vielfältige Akteure im Rahmen institutioneller Machtbeziehungen beteiligt sind, auf die Hand eines Phantoms, nämlich eines gesichtslosen Spekulanten reduziert116. Die gleiche symbolische Personalisierung automatische Fetisch rein herausgearbeitet, der sich selbst verwertende Wert, Geld heckendes Geld, und trägt es in dieser Form keine Narben seiner Entstehung mehr. Das gesellschaftliche Verhältnis ist vollendet als Verhältnis eines Dings, des Geldes zu sich selbst. [...] Es verdreht sich auch dies: Während der Zins nur ein Teil des Profits ist, den der fungierende Kapitalist dem Arbeiter auspresst, erscheint jetzt umgekehrt der Zins als die eigentliche Frucht des Kapitals, als das Ursprüngliche und der Profit, nun in die Form des Unternehmergewinns verwandelt, als bloßes im Reproduktionsprozess hinzukommendes Accessorium und Zutat. Hier ist die Fetischgestalt des Kapitals und die Vorstellung vom Kapitalfetisch fertig. [...] Für die Vulgärökonomie, die das Kapital als selbständige Quelle des Werts, der Wertschöpfung darstellen will, ist natürlich diese Form ein gefundenes Fressen" (MEW 25: 405f, vgl. ebd. 412). 115 Einer der damaligen Manager der Deutschen Börse, Werner Seifert, hat die Auseinandersetzung später in dem Buch "Invasion der Heuschrecken. Intrigen – Machtkämpfe – Marktmanipulation. Wie Hedge Fonds die Deutschland AG attackieren" verarbeitet. 116 Als gesichtslos kennzeichnet auch Müntefering die Investoren in seiner berühmten HeuschreckenAussage (in BILD AM SONNTAG vom 17.04.205) und die IG-Medien Zeitschrift 'M Menschen

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steckt in der regelmäßig verwendeten Figur des Finanzjongleurs (GF: 79, 126, 140, SP: 29, 53, 113). Diese ziert nicht zuletzt das Cover der Globalisierungsfalle (Abbildung 2) in Gestalt eines gesichtslosen Herrn im Anzug, der mit seinen deutlich im Vordergrund stehenden Händen mit der Weltkugel jongliert. Das Titelbild unterstreicht damit noch einmal die gleich an zwei Stellen vom IWF-Direktor Camdessus zustimmend zitierte Aussage: "Die Welt liegt in den Händen dieser Burschen" (GF: 70, 260). Und in der Beschreibung der Mexiko-Krise "schrumpft der sonst so machtbewußte Direktor des weltgrößten Kreditgebers selbst zur Marionette, deren Fäden Leute in der Hand halten, die er nicht einmal kennt" (GF: 64). Dagegen ist dem Buch selbst zu entnehmen, welche weitreichenden Entscheidungen der Direktor des IWF zusammen mit anderen Akteuren z.B. während der Mexiko-Krise getroffen hat (vgl. GF: 64ff.). Das gleiche gilt für die Tatsache, dass Soros selbst zwar Besitzer des Quantum-Fonds, aber selbst gar nicht mehr als Manager tätig war, als dieser 1992 (zusammen mit anderen Fonds und die finanzpolitischen Strategien der europäischen Staaten nutzend) die Abwertung des englischen Pfund provozierte und Millionen daran verdiente (ebd.: 84ff.). Nun ist unbestreitbar, dass das Management von Finanzunternehmen – im Rahmen ökonomischer Gesetzmäßigkeiten und bestimmter Formen staatlicher Regulierung – zunehmend Macht ausübt, die sich wiederum auf die Möglichkeiten politischer Regulierung und vor allem auf die Lebensbedingungen zahlloser Menschen auswirkt. Aber die auf die Hände des mythischen Spekulanten konzentrierte Symbolik wirkt hier nicht nur komplexitätsreduzierend. Sie blendet vielmehr zentrale Akteure aus und zeichnet als Subtext auf der Bildebene eine Verschwörungstheorie, die sich nahtlos in das tradierte Bild des jüdischen Spekulanten einfügen lässt, das an genau dieser Stelle auch greift (vgl. Kapitel 5.1.2.3 und mit jüngeren Beispielen Oppenhäuser (2019)). 4.3.3 Zauberlehrling, Dompteur und Schiedsrichter: Der Staat Dirk Verdicchio (2006: 59) hat die Darstellungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit den komplexen Prozessen an den Finanzmärkten in Spielfilmen über Finanzökonomie untersucht und betont dabei die "Semantik des Monströsen", die in der Globalisierungsdebatte ebenfalls präsent ist. Dabei steht ein Bild im Zentrum, das überaus häufig durch Elemente der folgenden komplementären Äquivalenzketten aufgerufen wird: {Entfesselung, Monster, unsichtbare Macht, Mächte} vs. {Fesselung, Zähmung, Bändigung, Kandare} 117 . Die Bestie ist synonym mit Machen Medien' (06/2005) titelt angesichts der Übernahmen des Berliner Verlages durch Mecom und Veronis Suhler Stevenson "Quo vadis Berliner Verlag. In der Hand britisch-amerikanischer Finanzinvestoren" (zit. nach Bürgin/Fransecky 2006, 337). 117 Belegstellen: Entfesselung (SP: 76, 8, 9 GF: 22, 102, 296, 300, 322), Monster (SP: 142, 144), unsichtbare Macht (SP: 3), Mächte (SP: 41, GF: 123), Fesselung (SP: 144), Zähmung (SP: 142, 144, 153, GF: 314), Bändigung (SP: 9, GF: 102, 119, 121, 300, 307, 309, 320), Kandare (GF: 122).

4.4 Konkurrenz: Spiel, Sport, Krieg und Evolution

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Globalisierung, wobei zum einen die Ökonomie beziehungsweise der Kapitalismus im Allgemeinen, zum anderen die (Finanz-)Märkte oder die Finanzunternehmen im Besonderen als konkrete Subscriptiones zu finden sind. Bändigung bezieht sich jedenfalls durchgehend auf die gesetzlichen bzw. steuerlichen Fesseln des Staates118. Im Zusammenhang mit der Entfesselung erscheinen Regierungen als "Zauberlehrlinge", die "der Geister nicht mehr Herr werden, die sie und ihre Vorgänger herbeiriefen" (GF: 72). Zugleich gleiten die Picturae {zähmen, bändigen, Kandare} in den Bereich der wilden Tiere, in dem der Staat der "wildgeworden Finanzmaschine" (GF: 135, vgl. 121) als hilfloser Dompteur gegenübersteht: "Die Ökonomie frisst die Politik" (GF: 290). Eine weitere regelmäßig erscheinende Symbolisierung des Staates ist der Schiedsrichter. Ein Vorstand der Dresdener Bank meint zwar, die Akteure auf den Finanzmärkten seien "die Schiedsrichter, welche die Fehler der Politik mit Abwertung und höheren Zinsen bestrafen" (GF: 90), ansonsten herrscht aber recht einhellig die Meinung, dass der Staat die "Spielregeln aufstellen" (GF: 123) und überwachen soll: "Der Kapitalismus benötigt Spielregeln. Er braucht ein verlässliches Rechtssystem" (SP: 153). Schon Adam "Smith war überzeugt, dass der Staat Spielregeln aufstellen muss" (SP: 149), und auch die "globale Welt braucht Spielregeln und Institutionen, die die Einhaltung dieser Spielregeln überwachen – Organisationen wie die Welthandelsorganisation (WTO)" (SP: 3). Während der Zauberlehrling dem eng mit den Finanzmärkten verknüpften Bildbereich des Mystischen entnommen ist, verweisen die Figuren des Dompteures und des Schiedsrichters auf die Bereiche des Sports, der Krieges und der wilden Tiere, beziehungsweise der Evolution, die in enger Verbindung mit den kapitalistischen Konkurrenzverhältnissen stehen, wie im Folgenden gezeigt wird. 4.4 Konkurrenz: Spiel, Sport, Krieg und Evolution 4.4.1 Gewinner und Verlierer Ein zentrales Motiv in der Debatte um den 'globalisierten Turbokapitalismus', ist ein ständiges "Rennen" (SP: 35), in dem symbolische Fahrzeuge um eine "führende Position" (SP: 13), am besten die "Spitze" (SP: 14), kämpfen, bei dem sie "überholen" (SP: 46) und einen "Rang" (SP: 38) beziehungsweise "Platz" (SP: 61) gutmachen aber auch "zurückfallen" können (SP: 143). Jürgen Link (2006: 325ff.) hat die Bedeutung dieses Motivs – samt seinen semantischen Übergängen zu den Leistungstabellen aller Disziplinen – für die Symbolisierung moderner Konkur118 Zu den genannten Subscriptiones: Bestie = Ökonomie (SP: 8, GF 23, 300) = Kapitalismus (SP: 76, 9, 153 GF: 102, 314, 322) = (Finanz-)Märkten (GF: 296, 307, 309,) = Finanzunternehmen (SP: 144, GF: 119, 121). Bändigung = gesetzliche (SP: 153) oder steuerliche (GF: 119, 121, 300, 320) Fesseln des Staates (SP: 9, GF: 22, 123, 296, 320).

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renzen119 herausgestellt. Im Anschluss daran hebt auch Thomas Schwarz (1998: 49) hervor, dass der sportliche Wettbewerb das "Äquivalent zur kapitalistischen Konkurrenz liefert" und betont "die semantische Schnittmenge des Verlierens und der Niederlage einerseits, des Gewinnens und des Sieges andererseits", die unter anderem den Effekt hat, "dass sich die Nachrichten von der Börse gelegentlich tatsächlich wie Kriegsberichterstattung lesen" (ebd.: 52). All das bestätigt sich eindrucksvoll am vorliegenden Material. Insbesondere das Paar GEWINNER / VERLIERER, das an unzähligen Stellen mit Bezug auf Unternehmen, Nationalstaaten, Regionen und Bevölkerungsgruppen verwendet wird, gehört zu den tragenden Elementen des Diskursstranges. "Der Wohlstand auf der Welt wird neu verteilt, es gibt Auf- und Absteiger, Gewinner und Verlierer" (SP: 3, vgl. 4, 8, 15), heißt es beispielsweise in der Einleitung zum SPIEGEL-SPEZIAL und Martin/Schumann behelfen sich mit einer entsprechenden Katachrese um den Output der "globalen Wirtschaftsmaschine" (GF: 106, 214) zu verdeutlichen: "Ökonomisch ist die Weltmarktintegration hocheffizient. Aber bei der Verteilung des so erzeugten Reichtums arbeitet die globale Wirtschaftsmaschine alles andere als effizient, die Zahl der Verlierer übersteigt die der Gewinner bei weitem" (GF: 317, vgl. 20, 103, 315). Gewinner und Verlierer bilden die Schnittmenge der sich wechselseitig stabilisierenden Bildbereiche Sport, Verkehr, Ökonomie und Krieg, die allesamt auf praktischen Konkurrenzen aufbauen und die Rezipienten symbolisch auf individuelle (oder auch kollektive: Unternehmen, Nation) Leistungskonkurrenz trimmen120. 4.4.2 Krieg Ein symbolischer Krieg herrscht unter anderem auf den Finanzmärkten: "Geradezu legendär wurde die Schlacht des George Soros' gegen das britische Pfund" (SP: 111). "Für die Angreifer in der Schlacht um das EWS waren die Daten über die DM-Reserven der Notenbank so wertvoll wie im Krieg das Wissen um die Nahrungs- und Wasservorräte einer belagerten Stadt" (GF: 86). "Mit ihren unbegrenzten D-Mark-Mitteln hätte" die Bundesbank "das Pfund theoretisch gegen jeden Angriff verteidigen können" (GF: 87). Einige 119 Jürgen Link betont, dass das Konkurrenzdispositiv moderner Gesellschaften nicht ökonomistisch reduziert werden darf (Link 2006: 327, Ders. 1985: 111ff.). Im hiesigen Zusammenhang liegt es allerdings besonders nahe, auf die "relativ 'dichteste[]' und am wenigsten suspendierbare[] Reproduktionszyklik" (Link 1985: 113) der nicht-diskursiven ökonomischen Praxis sowie die entsprechenden Gewinn-Verlust-Rechnungen zu verweisen. 120 Im Gegensatz zu diesen Belegstellen aus dem SPIEGEL-SPEZIAL verbinden Schumann/Martin das "selbstmörderische Weltmarktrennen" (GF: 319) überwiegend mit negativen Wertungen und sind sparsam mit der entsprechenden Konkurrenzsymbolik (die aber dennoch vorhanden ist, vgl. GF: 160, 164, 198): "Im globalen Rennen um Anteile am Weltmarktkuchen fahren die Nationen auf einer vielspurigen Hochgeschwindigkeitsstrecke, auf der – bis zum globalen Crash – einzelne Länder nur bei Gefahr des eigenen Untergangs umkehren können" (GF: 318f.). Hier zeigt sich – genauso wie beim symbolischen Einsatz darwinistischer Schlüsselbegriffe (s.u.) – die Differenz der diskursiven Positionen die SP und GF repräsentieren.

4.4 Konkurrenz: Spiel, Sport, Krieg und Evolution

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Jahre später haben "Hedgefonds und Großbanken [...] begonnen, die thailändische Währung zu attackieren. [...] Wie ein Rudel Wölfe kreisten sie die Tresore von Rerngchais Notenbank ein [...] und in einem verzweifelten Abwehrkampf verpulverte die Bank letztlich fast alle ihre Reserven" (SP: 112). Generell gilt: Der "Gradmesser für die Kräfteverhältnisse im Krieg um die finanzökonomische Vormacht sind die Devisenkurse" (GF: 106) und in diesem Sinn fungiert auch der "Dollar als Waffe" (GF: 105).

Kriegs-Symbolik gekoppelt mit dem Bildbereich des Sports findet sich aber auch bezogen auf die Gütermärkte: "Weltwirtschaft ist ein Spiel der Finten und Fallen, der Drohungen und Lockrufe, ein Spiel mit doppelten Böden und ständig wechselnden Allianzen. Und die Arena oder das Schlachtfeld ist [...] das Sekretariat der WTO" (SP: 122). "In Zukunft", heißt es, "werden nicht mehr alle Länder von der Globalisierung profitieren, weil Niedriglohnländer wie China zunehmend auch technologisch aufholten und die Industrieländer auch bei Qualitätsprodukten angriffen" (SP: 18). "Selbst die bisherigen Herren der Weltwirtschaft können sich dem Wandel nicht entziehen. Angstvoll sehen sie den Ansturm der neuen Rivalen: Fressen die Arbeitsheere in der Dritten Welt den Reichtum der Ersten Welt auf? [...] Der Wettstreit der Standorte ist voll entbrannt. Das Wirtschaftsmagazin The Economist prophezeit den 'War of the Worlds', den Krieg der Wirtschaftswelten. Jede Nation sei [...] ein großes Unternehmen, das auf dem Weltmarkt mit anderen konkurriert" (DER SPIEGEL 40/1996: 131).

Auch die EU wird zum Schauplatz wirtschaftlicher Schlachten: Die Firma "Elan hat das ganz große, das globale Geschäft im Visier. Schon jetzt belegt die slowenische Skimanufaktur in der Branche weltweit den achten Rang. [...] Jedes Jahr steige der Umsatz um zehn Prozent – und das, obwohl der Markt für Wintersportartikel umkämpft" (SP: 45) ist. "Wie Slowenien brillieren auch andere EU-Novizen durch Eifer und [...] Angriffslust. Eineinhalb Jahre nachdem die acht neuen Staaten offiziell in den Wirtschaftskreis der Europäer aufgenommen wurden, ist klar, dass zwischen Tallinn im Norden und Ljubljana im Süden eine Region heranwächst, die nur ein Ziel hat: den globalen Markt – zum Schrecken der [...] Industriestaaten des alten Europa. [...] Selbst das entlegene Litauen, derzeit mit Lettland noch ärmstes Land der EU, will angreifen" (SP: 45f.).

Manchmal findet sich die Symbolik des Kampfes und des Kriegs auch bezogen auf soziale Klassen – zum Beispiel wenn "Deutschlands Unternehmensverbände […] die Schwäche ihrer ehemaligen Sozialpartner [… für] einen Großangriff nach dem anderen" (GF: 184) nutzen. Generell dominiert aber die Erzählung von den großen Schlachten, sprich: Konkurrenzen zwischen Unternehmen und zwischen Nationen. War of the worlds instead of classwar. 4.4.3 Ballsport und Brettspiele Als populärste Sportart eignet sich auch der Fußball bestens zur symbolischen Verhandlung ökonomischer Zusammenhänge. "Die Globalisierung führt die Spieler aller Firmen und Nationen zusammen wie bei einer Fußball-Weltmeisterschaft. Bildlich gesprochen bedeutet dies jedoch, dass es in der Welt der großen wirtschaftlichen Entscheidungen noch nicht einmal gemeinsame Spielregeln gibt, geschweige denn bestimmte Schiedsrichter. [...] 'Viele Kulturen bringen ganz andere

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Spielregeln mit'. [...] Jedenfalls wissen und verstehen viele neue Spieler und Mannschaften gar nicht, was wir unter fairem Wettbewerb verstehen" (GF: 267). Ein Blick auf westliche Textilhändler, zeigt allerdings, dass fair play keine Frage der Kultur ist, sondern dann eingefordert wird, wenn die eigene Mannschaft verliert: "Dann sind die Menschen zu sehen, die im Hinterhof der Globalisierung festsitzen, dort, wo keine Regeln gelten und wo die spielen, die sonst – etwa aus plötzlicher Angst vor China – sofort nach dem Schiedsrichter rufen. Weil ihr Spiel mit dem Elend der Menschen in Bangladesch einigen Zuschauern etwas zu ruppig wurde und diese anfingen zu pfeifen, haben sich die westlichen Textilhersteller selbst zu Schiedsrichtern gemacht. Sie erfanden Worte wie 'social accountability' und 'social auditing' – nicht unbedingt, um diese Regeln durchzusetzen, sondern um in Ruhe weiterspielen zu können. Bangladesch hat das Spiel wenig gebracht: Die Hälfte der Einwohner lebt heute von weniger als einem Dollar am Tag" (SP: 68). Und Berthold Huber von der IG-Metall erklärt, warum der Widerstand gegen schlechte Arbeitsbedingungen schwach ist: "Während die Konzerne schon lange auf dem globalen Spielfeld aktiv sind, haben wir zu viel Zeit damit verbracht, die Trikots anzuziehen" (SP:133).

Die gleichen Zusammenhänge lassen sich auch im Bildbereich der Brettspiele formulieren: Lohnabhängige werden so zu "Spielfiguren" (GF: 176), und die "Liberalisierung des Handels setzt ganze Branchen matt" (GF: 178). "Die Spielregeln des neuen erdumspannenden Monopoly werden heute weitgehend von Anlegern, Analysten und Fondsmanagern diktiert" (SP: 34). "Egal, was sie tun, die meisten Arbeitnehmer können bei diesem Spiel nur noch verlieren" (GF: 221). Im "Währungsspiel" (GF: 107) sind die Devisen "Spielball der Spekulanten" (SP: 113), denn das System von Bretton Woods funktionierte nur "solange sich alle an die Spielregeln hielten. Als der wichtigste Spieler dazu nicht mehr bereit war, brach das System zusammen" (SP: 114). "Neuerdings aber sind weitere mächtige Spieler hinzugekommen: Asiatische Notenbanken" (SP: 112). Nach einer Meinung "ist Welthandel ein Spiel, in dem alle gewinnen können" (SP:123), wogegen ein chinesischer Diplomat sagt: "Wir spielen nach euren Regeln, und wenn wir gewinnen, wollt ihr die Regeln ändern" (SP: 124). Ganz ähnlich sagt ein Vertreter von Oxfam: "Die entwickelten Länder bestimmen das Spiel, und für jedes Eingeständnis, das sie bei irgendeiner Kleinigkeit machen, bekommen sie Profite, die den Abstand zu den nichtentwickelten Ländern vergrößern" (SP: 127).

4.4.4 Darwin Auch die klassisch mit der Konkurrenz gekoppelte darwinistische Terminologie ist keineswegs vom Aussterben bedroht, sondern überlebt, indem sie sich beständig neuen symbolischen Nischen im Dschungel der Interdiskurse anpasst. Martin/Schumann sind in dieser Hinsicht wachsam. Sie wenden sich mehrfach gegen naturalisierende 'Metaphern' 121 von Vertretern entgegengesetzter diskursiver 121 "Gewinner wie Heinrich von Pierer, Chef des Weltkonzerns Siemens, triumphieren: 'Der Wettbewerbswind ist zum Sturm geworden, und der richtige Orkan steht uns noch bevor.'[] Die Wortwahl Pierers und anderer Bannerträger des neuen Globalismus soll glauben machen, bei alldem handele es sich um einen gleichsam naturgegebenen Prozess, Ergebnis eines unaufhaltsamen technischen und wirtschaftlichen Fortschritts. Das ist Unsinn. Die globale wirtschaftliche Verflechtung ist keineswegs ein Naturereignis, sondern wurde durch zielstrebige Politik bewusst herbeigeführt" (GF: 18). Pierers Bild taucht übrigens – auch graphisch umgesetzt – als SPIEGEL-Titel (17/2005) wieder auf, in jenem Heft, das die Serie eröffnet, die dann als Sonderheft in der Reihe SPIEGEL-SPEZIAL aufgelegt wird.

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Positionen und kritisieren explizit "die neuen Sozialdarwinisten", die mit dem "Ressentiment vom Sozialschmarotzer" (GF: 315) und ähnlichem hantieren. Entsprechend erscheint ein zentrales sozialdarwinistisches Prinzip in der Form eines konjunktivisch in Frage gestellten Zitates – "Die Frage sei künftig 'to have lunch or to be lunch', zu essen haben oder gefressen werden" (GF: 12). Das Konzept der Anpassung wird durchweg ähnlich distanziert – bis hin zum Kompositum "Anpassungsopfer" (GF: 177) – behandelt: "Wer sich 'anpasst' erzwingt nur die erneute Anpassung anderswo und ist bald schon selbst wieder dran" (GF: 221). "Die blinde Anpassung an Weltmarktzwänge steuert die bisherigen Wohlstandgesellschaften unausweichlich in die Anomie" (GF: 223, vgl. 89, 180, 260, 264). Vollkommen beiläufig ist die Rede vom Überleben (GF: 113, 182, 171) und von "Nischenmärkte[n]" (GF: 116). Alles in allem verbinden sich die verstreuten darwinistischen Schlüsselbegriffe hier nicht zum entsprechenden Vollbild. Ganz im Gegenteil werden sie oftmals von gegnerischen Positionen zitiert und dienen in der eigenen Verwendung nicht zur Naturalisierung sondern zur Anklage sozialer Verhältnisse. Die "High-Tech-Ökonomie frisst der Wohlstandsgesellschaft die Arbeit weg" (GF: 145) und das weitet den "Überlebenskampf ohne sicheren Job" (GF: 13) aus. Ähnlich schrieb Ernst Ulrich von Weizsäcker in seiner Besprechung des Buches für die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG (14.10.1996) unter der Überschrift "Im Turbokapitalismus herrschen die Gesetze des Dschungels": "Es ist einfach nicht zu bestreiten, dass der entfesselte Markt etwas mit der brutalen Durchsetzung der Stärkeren zu tun hat". Diese Verwendung darwinistischer Bilder unter negativen Vorzeichen, die typisch für die globalisierungskritische Position ist, findet ihren allgemeinsten Ausdruck wohl im "Raubtierkapitalismus", der es auch schon zum SPIEGEL-Titel (28/2002) brachte (vgl. Abbildung 4). Dass im SPIEGEL-SPEZIAL von 2005 dagegen eine ganz andere diskursive Position dominiert, zeigt sich unter anderem daran, dass es geradezu von einem darwinistischen Paradigama durchzogen ist. Die folgende relativ ausführliche Montage mag dies belegen und zeigt zugleich die vielfältigen katachretischen Übergänge, an denen dieses Muster in die symbolischen Äquivalenzstrukturen eingewoben wird. In einem Artikel mit der Überschrift "Anpassen oder Untergehen" wird das Paradigma expliziert: "In der Wirtschaft gelten, so scheint es, längst die gleichen Prinzipien, die der Naturforscher Charles Darwin einst für die Pflanzen- und Tierwelt beschrieben hat: Den Kampf ums Überleben kann nur bestehen, wer sich seiner Umgebung schnell genug anpasst" (SP: 35). "Wer heute mit seinem Unternehmen überleben will, muss sich den neuen Bedingungen der globalen Wirtschaft anpassen" (SP: 35), in der sich die Firmen bekanntlich vermehrt gegenseitig schlucken (vgl. GF: 176 SP: 147, 16, 26, 34). Zum Beispiel "übernahm Royal Philips Electronics N.V. die Optiva Corp. [...]. Vom Finanzvolumen her war es, als ob ein Blauwal eine Sardine schluckte". (SP: 139) Die "Überlebensstrategien der Konzerne" (SP: 3) sind unterschiedlich. "Die einen streben nach Größe, die anderen suchen sich eine Nische oder erfinden

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sich komplett neu. Wer überleben will, akzeptiert die neuen Spielregeln – oder verschwindet" (SP: 34). "Insbesondere Firmen, die standardisierte Massenprodukte herstellten, hielten lange an dem Glauben fest, den Billiganbietern aus Fernost Paroli bieten zu können. Sie versäumten es, sich zu spezialisieren und in Nischen zu überleben" (SP: 39). Um dem Automobilzulieferer "Beru für die Zukunft die nötige Größe zu verschaffen, versuchte das Management zweimal, mit einem anderen Unternehmen zusammenzugehen", aber die "vorgeschlagenen Übernahmeprojekte seien schlicht zu riskant gewesen, um Beru für die Zukunft überlebensfähig zu machen" (SP: 28). Umgekehrt hat der "frühere Hoechst-Chef Jürgen Dormann [...] den Konzern zerlegt. Dann brachte er Einzelteile an die Börse oder verkaufte sie. Der Pharmabereich wurde zuerst mit Rhône-Poulenc zusammengeworfen, das fusionierte Unternehmen schließlich an Sanofi verkauft. Hoechst ist tot. Die Einzelteile leben [...]. Dormann nannte das eine 'selbstgewählte, selbstgesteuerte Zellteilung'" (SP: 34). "Selbst die einst so mächtige Deutsche Bank ist inzwischen ein denkbares Übernahmeopfer. Bank-Chef Josef Ackermann müht sich geradezu verzweifelt, eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent zu erzielen und damit den Aktienkurs zu steigern. Nur so, glaubt er, kann die Bank als selbständiges Finanzinstitut überleben" (SP: 17). Aber "Unternehmensgröße allein, das zeigt das Beispiel Daimler, sichert das Überleben nicht. Porsche-Chef Wendelin Wiedeking spottet deshalb seit langem: 'Wenn Größe das entscheidende Kriterium wäre, müssten die Dinosaurier heute noch leben.' [...] Überhaupt sind es oft die kleinen, anpassungsfähigen Unternehmen, die sich behaupten, auch wenn außerhalb der eigenen Branche meist noch nicht einmal ihr Name bekannt ist" (SP: 39). Damit beschäftig sich wiederum ein ganzer Artikel unter der Überschrift: "Überleben in der Nische. Die Globalisierung birgt für mittelständische Unternehmen viele Gefahren – und jede Menge Chancen: In keinem anderen Land gibt es so viele spezialisierte kleine Weltmarktführer" (SP: 42) wie in Deutschland. Außerdem sind hier die "Lohnstückkosten im Vergleich zum Durchschnitt in der Euro-Zone innerhalb von sechs Jahren um zehn Prozent gefallen. Auch das ist ein Stück Anpassung an die Mächte der Globalisierung" (SP: 41). "So breitflächig wird der Tarifvertrag mittlerweile unterlaufen, dass selbst das WSI von 'zunehmenden Zweifeln an der Überlebensfähigkeit des deutschen Tarifmodells' spricht" (SP: 16). "In Amerika, wo es keine starken Gewerkschaften gibt, die die Löhne hochhalten, nehmen die Menschen einen Job an, auch wenn er schlechter bezahlt wird als der vorherige. [...] Blockiert man diese Anpassung, verliert die Volkswirtschaft immer mehr an Kraft [...], wenn das Wachstum in Deutschland Fahrt aufnehmen soll, benötigt es eine andere Einstellung der Menschen. Selbst in Dänemark können Arbeitgeber Mitarbeiter feuern, und die Gewerkschaften unterstützen dies. Das ist ein Teil von dem, was man braucht, um zu überleben und zu wachsen" (SP: 152). Dementsprechend erzählt ein Arbeiter von GM in den USA: "Wir müssen zusammenhalten, wenn wir überleben wollen. Wir haben hier eine hundertjährige Erfahrung im Autobau. Das zählt. Sonst würde ja alle unsere Arbeit nach Mexiko gehen" (SP: 130). Das scheint dennoch nicht unwahrscheinlich, denn der "amerikanische Publizist Daniel Pink vergleicht die [internationale] Arbeitsteilung mit der Zuordnung im menschlichen Gehirn. Demnach übernehmen Aufsteigerstaaten wie China und Indien die Funktionen der linken Hirnhälfte, die für rationale, mechanische Arbeiten zuständig ist wie Zählen und Rechnen, also für Routineaufgaben wie die Produktion von Massenware und das Abwickeln von Dienstleistungen. Die westlichen Länder dagegen konzentrieren sich laut Pinks Analogie auf die Aufgaben der rechten Gehirnhälfte, auf alles eben, was mit Kreativität und Innovationen zu tun hat" (SP: 40). "Doch deshalb seien die Nationalstaaten der Globalisierung keinesfalls ausgeliefert: 'Die Herausforderung besteht darin, sich intelligent anzupassen'" (SP: 144). "Die zentrale Aufgabe ist zu klären, wie wir mit jenen Branchen und Arbeitern umgehen, die nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Wie und vor allem wie lange begleiten wir den Anpassungsprozess? Welches Sicherungsnetz können wir den Menschen bieten?" (SP: 120) "Intelligente Anpassung bedeutet aber auch eine Vereinfachung des Steuersystems, wie sie Finanzfachleute ebenfalls seit

4.5 Klassenverhältnisse: Soziale Denormalisierung

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Jahren empfehlen: mit niedrigen Sätzen, einer breiten Bemessungsgrundlage und einem Minimum an Ausnahmen" (SP: 144). "Regierungen und Weltbehörden, Bürger und Unternehmer sind also durchaus in der Lage, die Globalisierung zu gestalten – vorausgesetzt, sie passen sich ihren Anforderungen intelligent an. Das freilich ist mühsam. Es bedeutet mehr Unsicherheit, mehr Verantwortung, mehr Stress" (SP: 149).

Zumindest in einigen Artikeln des SPIEGEL-SPEZIAL werden also "ahistorische bzw. naturwissenschaftliche Kategorien aus entsprechenden Spezialdiskursen fälschlich zu Dominanten" erhoben und es "entstehen die von Marx als 'ideologisch' bezeichneten ahistorisierenden und naturalisierenden Sem-Synthesen" (Link: 1996, 137). Der Vollständigkeit halber sollen aber auch die beiden Stellen zitiert werden, an denen die darwinistische Terminologie unter negativen Vorzeichen gebraucht wird, wobei sich allerdings fragen lässt, inwiefern es im ersten Beispiel noch um die Symbolik des Überlebens oder um die reale physische Existenzbedrohung von Menschen geht: Baumwolle ist das zentrale Thema "für Burkina Faso, weil dort, im Westen Afrikas, drei Millionen Menschen, ein Viertel der Einwohner, abhängig sind von Baumwolle, im stärksten Sinne: Es ist eine Frage von Verhungern oder Überleben für sie. Doch weil die amerikanische Regierung von der Agrarlobby der Südstaaten durch ihre Wahlkämpfe getragen wurde, erhalten ein paar tausend Baumwollfarmer in Texas oder Arkansas über drei Milliarden Dollar Subventionen im Jahr, und deshalb fallen die Preise, und deshalb kann ein Land wie Burkina Faso seinen wichtigsten Exportartikel nicht exportieren. Weltwirtschaft ist gnadenlos, aus der Sicht der Verlierer" (SP: 122).

Als wäre es eine Antwort darauf, formuliert der US-amerikanische Ökonom Paul Samuelson in einem Interview: "Die Republikaner, also die Partei von Präsident George W. Bush, waren immer die Partei des Protektionismus. Vielleicht sind unsere darwinistischen Wurzeln dafür verantwortlich: Im Dschungel überlebt man nur, wenn man Fremden gegenüber vorsichtig ist" (SP: 150). Diesen ironischen Bezug auf den Darwinismus und eine darauffolgende Relativierung des RicardoTheorems quittiert DER SPIEGEL prompt mit dem Satz: "Sie klingen beinahe wie ein Globalisierungsgegner" (SP: 151). 4.5 Klassenverhältnisse: Soziale Denormalisierung Nicht nur international, sondern auch innerhalb der Industriestaaten nimmt die soziale Ungleichheit122 zu, und auch dies wird regelmäßig durch ein bestimmtes Set an Symbolen abgebildet, an erster Stelle durch die Bruchzahlen-Gesellschaft. So ist ein zentrales Bild der Globalisierungsfalle die Einfünftelgesellschaft. Bereits in der Einleitung heißt es unter der Überschrift: "Die 20:80-Gesellschaft. Weltenlenker unterwegs in eine andere Zivilisation" (GF: 9): "Nicht mehr die 122 Der Verteilungseffekt der Finanzmärkte ist dabei allerdings nur ein Faktor neben der Fiskalpolitik des Staates und der Lohnpolitik, wenngleich sein Gewicht im Zuge der Deregulierung der Finanzmärkte seit den 1970er Jahren kontinuierlich zugenommen hat.

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Zweidrittelgesellschaft, vor der sich die Europäer seit den achtziger Jahren fürchten, beschreibt demnach die künftige Verteilung von Wohlstand und gesellschaftlicher Stellung. Das Weltmodell der Zukunft folgt der Formel 20:80. Die Einfünftelgesellschaft zieht herauf, in der die Ausgeschlossenen mit Tittytainment ruhiggestellt werden müssen" (GF: 14). Martin/Schumann generieren das Bild der Einfünftelgesellschaft durch die Verallgemeinerung von Aussagen über den sinkenden Arbeitskräftebedarf in High-Tech-Unternehmen auf einer Konferenz von Managern transnationaler Konzerne und Politikern im Jahre 1995 und ziehen es als roten Faden durch das Buch (GF: 12, 14, 21, 47, 52, 221, 238, 319, 327), bis hin zu den abschließenden "Zehn Ideen gegen die 20:80-Gesellschaft" (GF: 331ff.), in denen sie ihre politische Perspektive entfalten. Jürgen Link (vgl. 2006: 323ff.) hat die normalistischen Formationsregeln beschrieben, nach denen hier soziale Klassenverhältnisse (im Sinne nicht-diskursiver Verteilungen) diskursiv verhandelt werden. Als positive Normalität einer Gesellschaftsformation gilt demnach eine statistische Verteilung des (wie auch immer erhobenen) 'Wohlstandes' in der Form der Normalverteilung bzw. Gaußkurve. Normalität zeigt also beispielsweise das (von Bolte in die Sozialstrukturanalyse eingeführte) Kollektivsymbol der Zwiebel an, die von einer schmalen Spitze des Reichtums kontinuierlich über die breite Mitte bis hin zum schmalen Boden der Armut reicht. Eine Transformation hin zu einer Zweidrittel- oder gar Einfünftelgesellschaft wirkt dagegen symbolisch als alarmierende Denormalisierung, insbesondere dann, wenn das Kontinuum reißt und Teile abgekapselt (s.u.) werden, so dass eine antagonistische Figur (drohender 'Klassenkampf') entsteht. 4.5.1 Erdbeben: Transformationen der Klassenverhältnisse Hinsichtlich der weiteren Kollektivsymbolik kippen in diesem Zusammenhang vor allem die symbolische Sporttabellen, welche die entsprechenden statistischen Daten anderweitig symbolisieren, in die waagrechte und bilden soziale Landschaften, wobei die Oben-Unten-Topik der Rankings erhalten bleibt, in dem sie in Niveaus, Berge, Täler, Risse und ähnliches transformiert werden (vgl. Kreft: 2001: 128f.). Entsprechend sind auf-/absteigen, gewinnen/verlieren äquivalent zu klettern/abrutschen (einbrechen, abstürzen, …). Innerhalb dieses geographischen Bildbereiches wird die Globalisierung mit ihrer Umstrukturierung von Klassenverhältnissen als ein "wirtschaftliches und soziales Erdbeben bisher unbekannten Ausmaßes" (GF: 145) symbolisiert, das die symbolischen Landschaften durcheinander bringt: "Ohne soziale Verwerfungen geht dieses wirtschaftliche Beben jedoch nicht ab" (GF: 52). Zu "welch tiefgreifenden Verwerfungen der ökonomische und technische Wandel führt" (GF: 328, vgl. 318), zeigen unter anderem die "großen Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt" (GF: 210, vgl. 146). "Wie nie zuvor spaltete die Globalisierung die deutsche Arbeitnehmerschaft. Wurden die Vorteile des internationalen Handels in früheren Jahrzehnten einigermaßen

4.5 Klassenverhältnisse: Soziale Denormalisierung

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gleichmäßig verteilt, gab es nun tiefe Risse und Verwerfungen zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern – und noch mehr Unsicherheit" (SP: 15). "Das Gros der Ausfuhrgewinne landete [...] auf den Konten der kapitalintensiven und wissensorientierten Branchen wie Maschinen- und Anlagenbau, Chemie- Elektro- und Präzisionstechnik. Diese Verschiebung ist die wichtigste Ursache für die Krise der Arbeit [...] Nicht der allgemeine Wohlstand vermindert sich, sondern nur die Lohnquote, also der Teil der Wirtschaftsleistung, der auf Löhne und Gehälter entfällt. Sogar im bis vor kurzem auf Ausgleich bedachten Deutschland schrumpfte der Lohnanteil seit 1982 um 10 Prozent. Zugleich wächst die ungleiche Verteilung der Lohnsumme unter den verschiedenen Berufsgruppen. Schwer ersetzbare Spezialisten [...] können durchaus noch auf wachsende Gehälter hoffen. Der große Rest und am meisten die Ungelernten rutschen nach unten ab" (GF: 209). "Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch vergrößert" (SP: 53). "Zu deutlich dokumentiert die Einkommensstatistik die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich" (GF: 221), weshalb Martin/Schumann die "Umverteilung von unten nach oben" (223) durch "Umschichtung der Steuerlast" (GF: 333) stoppen wollen. Andernfalls wird dem "sozialen Erdbeben [...] das politische folgen". (GF: 21,) "Der Absturz von Millionen wohlsituierter Mitglieder der Mittelschicht in eine neue bescheidene Mittelmäßigkeit, lässt sich auch mit einer umfassenden und zweifellos notwendigen Bildungsoffensive in den kommenden Jahren nicht mehr bremsen [...]. Die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft sich, wer zu den Besserverdienenden zählt, will sich mit dem immer aggressiver erscheinenden Volk immer weniger gemein machen. [...] Die Abkapselung der Reichen wird zur Norm, Brasilien zum Vorbild" (GF: 334f., vgl. 315). "Der soziale Kitt, der Gesellschaften zusammenhält, ist brüchig geworden. Das heraufziehende politische Erdbeben [nationalistische Rechte] fordert alle modernen Demokratien heraus" (GF: 227).

Die zuletzt zitierten Stellen – mit den Bildern der abstürzenden Mittelschicht, der abgekapselten Reichen und so weiter – reproduzieren ein spezifisches Gesellschaftsbild und ein darauf aufbauendes Krisenszenario. Beides hat Kreft (2001) als typische Elemente des mediopolitischen Interdiskurses Ende der 1990er Jahre analysiert. 4.5.2 Bedrohte Mitte, gelähmte Gesellschaft und der Mittelstand: Mediopolitische Anrufungen In der entsprechenden Untersuchung weist Kreft zunächst nach, dass in Printmedien wie DER SPIEGEL, STERN, BILD und so weiter ein dreigliedriges Grundmodell der sozialen Ordnung bestehend aus Oben, Mitte und Unten vorherrschend ist, das implizit am o.g. Ideal der sozialen Zwiebel, also einer statistischen Normalverteilung, orientiert ist. Im Zentrum steht die Mittelschicht "zu der im SPIEGEL 'leistungswillige Angestellte, geschäftstüchtige Selbständige, aber auch gut bezahlte Facharbeiter' gehören" (Kreft 2001: 129). Diese Mittelschicht, der eine hohe Arbeitsmoral und eine familialistische Bindung zugeschrieben wird, bildet das 'Wir' der Medien, das heißt eine zentrale Anrufung der Rezipient*innen. Diese "Mitte konstituiert sich als die Gemeinschaft der normalsten Normalen" (ebd.: 133). Dies korrespondiert wiederum mit der breiten Mitte der Normalverteilung, wobei die Bezugnahme auf statistische Daten zwar punktuell immer wieder hergestellt wird, aber keineswegs konsistent ist. Vielmehr dominieren die

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

symbolisch-narrativen Elemente. So stehen etwa in BILD nicht primär (relativ) hoch entlohnte Arbeiter*innen und Angestellte im Zentrum, vielmehr wird die Figur der "kleinen Leute" mit dem Motiv "harte Arbeit/karger Lohn" (ebd.) in Szene gesetzt. Während die Mitte sich in jedem Fall durch eine 'hohe, ehrliche Arbeitsmoral' auszeichnet, sind die Randzonen des Oben und des Unten ambivalent. In der positiven Variante sind sie – wiederum über Leistung und Tugendhaftigkeit – mit der symbolischen Mitte verbunden, in der negativen dagegen weisen sie in erster Linie eine Mangel entsprechender Tugenden auf. Bezogen auf das Unten lautet die positive Erzählung, dass "gerade ein Mangel an ökonomischem oder kulturellem Kapital dazu führt, dass sich Herzenswärme, Körperkraft oder Charakterstärke" (ebd.: 136) voll entfalten. In der negativen Variante gilt das soziale Unten dagegen nicht nur als "Brutstätte von Gewalt und Verbrechen" und potenzieller Ort "sozialer Sprengsätze und Explosionen des Hasses" (ebd.), sondern auch als Zone der Leistungsverweigerer. Die einschlägige Figur ist "'der Sozialhilfe-Empfänger', der in Bild keinerlei Leistung bringt, aber auf der Besitzskala auf der Höhe der kleinen Leute oder sogar darüber liegt" (ebd.: 133). Auch bezogen auf das Oben findet sich die Differenzierung nach dem Doppelkriterium Leistung plus Moral. Auf der positiven Seite "verorten die Medien zum einen Angehörige der traditionellen Sozialeliten. Diese Geschichten erzählen bevorzugt von symbolischen Personen mit stark familialistischer Bindung, die seit Generationen dem Gemeinwohl dienen […]. Zum anderen werden hier Mitglieder der meritokratischen technologischen Funktionseliten verortet; ihre Position gilt als Gratifikation für Höchstleistung" (ebd.: 134).

In der negativen Variante zeichnet sich das Oben dagegen durch "soziale Kälte, Gier, […] Degeneration und Dekadenz" (ebd.: 135) aus. Die symbolischen Personen aus diesem Bereich sind "häufig extrem bindungslos, geldgierig und asozial", sie "zeigen eine symbolische Nähe zur ebenfalls hier verorteten Mafia", sie werden selbst "kriminell oder verfallen diversen Formen der Sucht – in erster Linie dem Kokain, der Arbeitssucht und dem Zocken an der Börse" (ebd.), und wenn der Stern die Oberschicht in einer Abbildung eine "freizügige Orgie" feiern lässt, zeigt sich eine sexuelle Konnotation die im Gegensatz zur familialistischen Moral steht. Das Motiv der Gier – das später zu einer medialen Standarderklärung für die globale Krise von 2008ff. avanciert – ist auch im SP an einigen Stellen zu finden. Zwar findet es hier keine Zustimmung, aber es wird als exemplarische Aussage der – überwiegend negativ konnotierten – Kritiker der globalen ökonomischen Entwicklung zitiert, die etwa fordern, "dass der Staat [...] allzu gierigen Finanzinvestoren das Handwerk legt" (SP: 9), die erwarten, "dass 'wir den Preis für das gierigste Jahrzehnt der Geschichte werden zahlen' müssen", oder die die "anonymen Mächte[]" der Finanzmärkte "von Menschen beherrscht" sehen, "deren Gier

4.5 Klassenverhältnisse: Soziale Denormalisierung

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nach Geld ihre Hirne zerfrisst" (SP: 143f.). Aufbauend auf dieser basalen Topik der positiven Mitte und der ambivalenten Randzonen des Oben und Unten hat Kreft zwei zentrale Krisenszenarien der sozialen Ordnung im mediopolitischen Interdiskurs ausgemacht. Szenario 1: "Die Bedrohung der Mitte" (Kreft 2001: 137): Die entsprechende Erzählung knüpft vor allem an die negativen Varianten der Randzonen an und treibt sie auf die Spitze. Die Mitte ist demnach zum einen von einer dekadenten und mafiösen Oberschicht bedroht, die Steuerprivilegien erhält oder Steuerhinterziehung betreibt. Auf dieser symbolischen Klaviatur spielen auch Martin/Schumann, vor allem in jenen Kapiteln in denen vom 'Verschwinden der Mittelklasse' (vgl. GF: 225ff.) und von 'grenzenloser Kriminalität' (vgl. GF: 269ff., 91ff.) im Zusammenhang mit Off-shore-Finanzplätzen die Rede ist. Zum anderen – hier allerdings im Gegensatz zu Martin/Schumann – wird die Mitte in diesem medialen Szenario von unten durch "sogenannte 'Drückbergerei' und 'Schmarotzertum als Lebensstil'" bedroht, worunter der "völlig legale Gebrauch von Sozialleistungen" zunehmend eingeordnet wird (Kreft 2001: 139). In diesem Zusammenhang finden sich neben dem Schmarotzer noch weitere bemerkenswerte Stereotype mit einer antisemitischen Konnotation. So hat ein entsprechender Artikel des Stern die Überschrift "Die einen müssen schaffen, die andern dürfen raffen" (ebd.: 141), und eine entsprechende Karikatur des Focus zeigt eine Gruppe von Vampiren die (den Bundesadler also) den Staat aussaugt (ebd.: 139). Zudem ist diese Erzählung von der Ausbeutung der Mitte im inneren der (nationalstaatlichen) Gesellschaft mit entsprechenden Bedrohungen von außen verknüpft: "Nach außen verschwinden zum Beispiel riesige Geldmengen zur Europäischen Union oder in Steueroasen, während oben die Mafia und unten die sogenannten Asylantenfluten eindringen" (ebd.: 140). Die Lösungsperspektive, die sich im Szenario der 'Bedrohten Mitte' andeutet, lautet: "Der Staat soll Schutz bieten: er soll 'Schlupflöcher' stopfen, 'Privilegien' abbauen, 'Drückeberger' zur Arbeit zwingen. Das wichtigste Ziel aber ist der Schutz der Mitte: Sie soll wieder normal werden [...] gesichert vor Bedrohung und Ausbeutung" (ebd.: 141). Hier bestehen ganz offensichtliche Parallelen zu den Aussagen der NPD (vgl. Kapitel 3.2.8 und 5.1.4.3). Obwohl die 'Ausnutzung des Sozialstaates' in diesem ersten medialen Krisenszenario ein zentrales Motiv ist, wird der Sozialstaat hier insgesamt noch eher positiv beurteilt. Dies ist ein wesentlicher Unterscheid zur zweiten medialen Krisenerzählung, die Kreft herausarbeitet. Szenario 2: "Die überversorgte und gelähmte Gesellschaft" (Kreft 2001: 141): Der implizite Ausgangspunkt "dieses Krisenszenarios sind Leistungskonkurrenzen: globale Konkurrenzen und solche innerhalb der sozialen Ordnung" (ebd.: 142). Entsprechend dominieren hier wiederum die Picturae aus den Bereichen Sport,

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

Krieg und Darwinismus und vor diesem Hintergrund wird die Gesellschaft primär als Körper symbolisiert, der in seiner negativen Variante als krank – "schlaff, überaltert, gelähmt, verfettet, unbeweglich" (ebd.: 141) sowie "verweichlicht und geschwächt" (ebd. 142) – erscheint. In der positiven Variante ist er dagegen durch "Fitnesstraining [...] muskulöser, härter, kampfbereiter für den Sieg im globalen Wettbewerb" geworden123. Hier zeigt sich eine bemerkenswerte Analogie zu Carl Schmitts Positionen zu Beginn der 30er Jahre (vgl. Kapitel 3.2.4.6) und zwar sowohl hinsichtlich der inhaltlichen Ebene – Ablehnung des Wohlfahrtsstaates – als auch auf der Ebene der symbolischen Codierung mittels eines Gegensatzes von männlichem und weiblichem beziehungsweise männlich-impotentem Körper: {passiv, schlaff, weich, schwach} / {aktiv, hart, muskulös, kampfbereit}. Während bei Schmitt vor allem der soldatische Körper (als zentrales Element des insgesamt dominanten Bildspenders Militär) als Ideal erscheint, ist heute – neben dem fitten Körper des Sportlers – vor allem der Unternehmer das neue Leitbild (vgl. Kreft 2001: 143ff.)124. In Verbindung damit steht eine Transformation der symbolischen Mitte: "Keine stabile Ruhezone soll sie sein, sondern eine Trainingszone des Aufbruchs", aus der heraus "junge Selbständige, Miniunternehmer [...] den großen Sprung in die Freiheit wagen" (ebd.: 144). Im Gegensatz zu Szenario 1 gilt hier "die symbolische Mitte selbst als das Hauptproblem" (ebd. 142), insofern sie sich auf potenzielle sozialstaatliche Transferzahlungen verlässt und sich eben nicht 'unternehmerisch' verhält. Verstärkt wird diese Anrufung ein entsprechendes Selbstbild und Verhalten zu entwickeln noch dadurch, dass zugleich die "untere Randzone [...] in diesem Szenario deutlich als dynamisierte Region künftiger Aufsteiger akzentuiert" (ebd. 144) wird, gegen die es sich zu behaupten gilt. Wie Kreft zeigt, koexistieren beide Krisenszenarien in den Medien und überlappen sich teilweise. So ist letztlich auch die soziale Mitte – die zentrale mediale Anrufung – mehrdeutig. "Die Mitte erscheint in den Medien als ruhender verlässlicher Kern, aber zugleich kann sie als starrer, unflexibler Block gedeutet werden. Sie ist positive Versicherung und zugleich negative Mittelmäßigkeit". In Erzählungen, in denen es gilt, eine Spitzenposition gegen die Konkurrenz zu verteidigen, ist Mittelmaß nicht genug. Die Elemente, die Kreft primär mit Blick auf die gesellschaftliche Ungleichheit innerhalb des Nationalstaates und die damit verbundenen Anrufungen der Rezipient*innen analysiert, sind auch in anderer Hinsicht relevant, vor allem im Bereich 123

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Zu dieser mit dem Neoliberalismus gekoppelten Körpersymbolik vgl. Kreisky (2008). Zur Karriere des unternehmerischen Selbst als gesellschaftlichem Leitbild vgl. Bröckling (2007).

4.6 Transformationen im Weltsystem: Versinken im Meer der Mittelmäßigkeit

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der (Weltmarkt-)Konkurrenzen von Unternehmen und Staaten. So haben das Ideal des Unternehmers (Pictura) und die Figur der dynamischen und hart arbeitenden Mitte (die letztlich von beiden Krisenerzählungen geteilt wird) eine Entsprechung im Bereich der Unternehmen (Subscriptio), nämlich den ebenfalls weitgehend positiv konnotierten Mittelstand. Dass es sich dabei – ungeachtet der ohnehin vielstimmigen (statistischen) Definitionen der entsprechenden Kategorie – in den Medien primär um eine symbolische Figur handelt, lässt sich am Beispiel des SP verdeutlichen. Mal gilt die Form der Personengesellschaft als wesentliches Merkmal, so wenn es heißt: "Dass viele deutsche Mittelständler mit der Globalisierung bislang besser zurechtkommen als manch großer Konzern, liegt auch an einer Besonderheit: Die Kleinen sind oft in Familienbesitz, werden nicht an der Börse gehandelt und sind deshalb keinem Aktionär verpflichtet" (SP: 39).

Ein anderes Mal werden aber auch Aktiengesellschaft darunter gefasst, gar "die Heidelberger Druckmaschinen AG", das heißt "die größte Druckmaschinenfabrik der Welt" mit mehreren tausend Mitarbeiter*innen, die weltweit "40 Prozent Marktanteil bei Bogenoffset-Druckmaschinen" (SP: 43) hat. Obwohl ein solches Unternehmen in kaum einer Statistik in der Mitte auftauchen dürfte, dient es als Beispiel in einem Artikel mit der Überschrift "Die Globalisierung birgt für mittelständische Unternehmen viele Gefahren – und jede Menge Chancen: In keinem anderen Land gibt es so viele spezialisierte kleine Weltmarktführer" (SP: 42). Der Artikel erzählt von den Chancen der "ideenreiche[n] Mittelständler", die sich auf bestimmte Produkte spezialisieren. In diesem Kontext wird am Ende die Heidelberger Druckmaschinen AG aufgeführt, deren Vorstandschef das Erfolgsrezept beschreibt: "So drückte er die Lohnkosten um 15 Prozent, indem er Sonderleistungen strich, Erfolgsbeteiligungen aushandelte, Zuschläge kürzte und Arbeitszeiten verlängerte. 'Das ist den Mitarbeitern lieber als ein neues Werk in Tschechien', sagt Schreier" (SP: 43). 4.6 Transformationen im Weltsystem: Versinken im Meer der Mittelmäßigkeit Dieser zuletzt genannten Botschaft entspricht ein weiterer Artikel im SP nach dem, die "neue Konfliktlinie der globalisierten Welt […] nicht mehr zwischen Kapital und Arbeit, sondern zwischen Arbeit und Arbeit, zwischen Kapital und Kapital" (SP: 140) verläuft. Hier wird gegen Ende das Lächeln eines chinesischen Managers beschrieben und wie folgt kommentiert: "Vielleicht gefällt ihm die Vorstellung, dass ein Europäer Angst hat vor China, es geht voran". Knobloch hat den entsprechenden Artikel – der Arbeitsverhältnisse im Rahmen einer globalen Fertigungskette beschreibt – im Anschluss an Kreft (2001) wie folgt interpretiert:

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

"Es handelt sich bei dieser exemplarischen Spiegel-Geschichte gewissermaßen um einem Metageschichte, um die 'globale' Applikation eines massenmedialen Gesellschaftsbildes, das die 'verfettete' und überversorgte 'Mitte' der Gesellschaft, die dringend eine 'Fitnesskur' benötigt, mit den dynamisch-vitalen Unterschichten konfrontiert [Kreft 2001]. Alles was für 'uns' als rechte Zumutung erscheint, ist für die vitalen Armen eine glänzende Chance. Per G[lobalisierung] wird das Verhältnis der Nationen zueinander als 'Standorte' so rekodiert, dass es den aus dem medialen Interdiskurs vertrauten Binnenverhältnissen entspricht. Die Armutszonen Osteuropas und der 'Dritten Welt' erscheinen nunmehr als 'dynamisierte Region(en) künftiger Aufsteiger' [Kreft 2001: 144], ihre Protagonisten haben unternehmerische Qualitäten und Energien, von denen man in den 'Ruhezonen' des Westens nur träumen kann" (Knobloch 2007a: 193).

An dieser Stelle wird deutlich, wie die Erzählung von den globalen Konkurrenzen (die in der gewählten Perspektive des nationalstaatlichen Vergleichs die Form 'Arbeit gegen Arbeit und Kapital gegen Kapital' annimmt) und die Aufforderung zu individuellem Konkurrenzverhalten im Szenario der 'gelähmten Gesellschaft' in ihrem Anrufungseffekt zusammenwirken. Auf der einen Seite ruft das "Unternehmer-Leitbild bevorzugt die Metaphorik des Krieges, der militärischen Eroberung und des jagenden Raubtieres" auf und hält die Rezipient*innen dazu an, als "wagemutige Pioniere [...] ferne Länder zu erobern und Beute zu machen" (Kreft 2001: 144). Auf der anderen Seite wird genau dieses Verhalten – etwa im Artikel "Angreifer Indien – Ein Moloch erwacht. Indien will die Weltmärkte erobern" (SP: 54) – auf die Konkurrenz projiziert und kehrt so als 'Bedrohung von außen' zurück, die es erst recht notwendig macht sich selbst entsprechend zu verhalten. Mit ähnlichen Effekten wird das gesamte symbolische Repertoire des Konkurrenzdispositivs auf die zwischenstaatlichen Verhältnisse übertragen. Neben dem Krieg finden sich hier also auch die Sporttabellen oder die topographischen Niveaus, die mit Geschichten von Auf-/Abstieg, klettern, abrutschen und so weiter einhergehen. Allerdings klafft die internationale Verteilung des Wohlstandes so eklatant, dass die dominant-normalistische Rede an dieser Stelle mit der Schaffung von 'Normalitätsklassen' operiert, die ihre je eigenen Standards haben (vgl. Link 2006: 431ff.). Hier befinden 'wir uns' – in den deutschen Medien – als Gesellschaft mit enormem Ressourcenverbrauch, als langjähriger Exportweltmeister und so weiter freilich in einer Spitzenposition, die es zu verteidigen gilt. Hier kann Mitte nur den Abstieg im Ranking der Normalitätsklassen ins Mittelmaß bedeuten. Entsprechend werden im geographischen Bildbereich eindringende Ströme und Fluten befürchtet (s.o.), die schlimmstenfalls zum Versinken führen oder auch internationale "Beben" (vgl. SP: 112, 122), beispielsweise "Finanzbeben" (SP: 116, vgl. GF: 135), die zum Absenken des topographischen Niveaus führen: "Schneller als je zuvor entsteht eine neue Topographie der Macht. Neue Länder steigen auf und mehren ihren Wohlstand [...]; alte Imperien versinken im Meer der Mittelmäßigkeit – womöglich gehört Europa dazu" (DER SPIEGEL 39/1996: 83f.). "Der Wohlstand der Welt wächst, aber er verteilt sich neu. Nationen, die heute arm sind, können morgen reich sein –

4.7 Zwischenresümee: Elemente der Globalisierungsdebatte

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und umgekehrt. Die tektonischen Verschiebungen der globalisierten Welt sind dabei erst in Ansätzen erkennbar. Der Aufstieg Chinas und Indiens wird Konsequenzen für Amerika und Europa haben. Werden sie mithalten können – oder zurückfallen?" (SP: 143).

4.7 Zwischenresümee: Elemente der Globalisierungsdebatte Unter dem Schlagwort Globalisierung werden im mediopolitischen Diskurs seit Mitte der 1990er Jahre politisch-ökonomische Transformationsprozesse thematisiert. So zum Beispiel die gestiegene Bedeutung von Finanzmärkten und transnationalen Konzernen oder veränderte Regulierungen des internationalen Handels sowie deren soziale Folgen. Diese Debatte ist durch eine Reihe wiederkehrender Aussagen strukturiert. Zunächst erscheint Globalisierung, deren zentrales Bild der Globus ist, als Signum einer ZEITENWENDE {früher, alt} / {jetzt, neu}. Dieses neue Zeitalter zeichnet sich durch eine, häufig durch den Turbo symbolisierte, BESCHLEUNIGUNG {langsam, abgehängt werden} / {schnell, mitkommen} sozialer, insbesondere ökonomischer Beziehungen aus. Wie die Symbolik des Mithaltens oder Abgehängt-werdens zeigt, ist diese Aussage eng mit der Vorstellung von WETTBEWERB {Gewinner, Aufstieg} / {Verlierer, Abstieg} verknüpft. Dabei handelt es sich um ein zentrales symbolisches Element, das die ökonomischen Markt-Konkurrenzen im Bildbereich des Sports und der Gesellschaftsspiele abbildet, der eng an die Bereiche des Krieges und – klassisch – der Evolutionstheorie (Fitness, Anpassung) gekoppelt ist. In der Aussage GLOBAL-NATIONAL {global, Globalisierung} / {national, Nationalstaat} erscheint der Nationalstaat als das zentrale Gegenüber der Globalisierung. Auch er ist auf der Ebene des Weltmarktes in Konkurrenzverhältnisse eingebunden und ihm droht im Falle Deutschlands der symbolische ABSTIEG {1. Liga, Spitzenposition, Wohlstandsinsel} / {Mittelmaß, Zurückfallen, Untergang}

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

aus der 1. Normalitätsklasse (J. Link) in untere Gefilde. Eng damit verbunden ist eine primär bedrohlich konnotierte Symbolik der DETERRITORIALISIERUNG {transnationale Prozesse, Ströme, Wellen, Fluten} / {Nationalstaat, Festland, Insel}125. Diese steht in einem etwas paradoxen Verhältnis zur Aussage FREIHANDEL {Freihandel, Ricardo} / {Protektionismus, Nationalismus}. Denn einerseits gehören die Warenströme zu den tendenziell bedrohlichen Deterritorialisierungen, andererseits ist Freihandel durchweg positiv gewertet, während sein explizites Gegenüber, der Protektionismus, ökonomischen Nationalismus und die Phase der 1930er-Jahre konnotiert. Als weiteres bedrohliches Gegenüber des Nationalstaates, aber auch anderer Einheiten wie Unternehmen oder gar der ganzen Welt, erscheinen anonyme MÄCHTE {gesichtslose Herren, Finanzjongleure, Geisterbeschwörer etc.} / {Unternehmen, Staaten, die ganze Welt}, als symbolische Personalisierung der Finanzmärkte. Diesen Mächten und den transnationalen Konzernen stehen aber nicht alleine Staaten gegenüber sondern auch der MITTELSTAND {Großkonzerne} / {Mittelstand, Unternehmer}. Diese in definitorischer Hinsicht unklare Kategorie, der die Kioskbesitzerin teils ebenso untergeordnet wird wie eine Aktiengesellschaft mit vielen hundert Lohnabhängigen, ruft das Bild eines überschaubaren Personenunternehmens auf, das als idealer Akteur und Kern der ökonomischen Aktivität des Nationalstaates erscheint. Dieses Bild des Mittelstandes ist eng mit dem der Mittelschicht verknüpft, die als soziales Ideal gilt. Dementsprechend werden die steigenden sozialen Ungleichheiten, die diese Mittelschicht gefährden, symbolisch als VERWERFUNGEN {Bruchzahlen-Gesellschaft, Risse, Abrutschen} / {breite Mittelschicht, soziale Landschaft, Aufstieg} dargestellt. 125 Die Aussage DETERRITORIALISIERUNG weist offensichtlich eine analoge Struktur zu jener der RETERRITORIALISIERUNG (vgl. Kapitel 3.3) auf. Im mediopolitischen Diskurs steht neben der negativ konnotierten Symbolik der DETERRITORIALISIERUNG aber auch positive konnotierte (offene Gesellschaft und ähnliches), während die Aussage der RETERRITORIALISIERUNG die durchgehend negative

Wertung jeglicher Deterritorialisierung im nationalistischen Diskurs bezeichnet.

4.7 Zwischenresümee: Elemente der Globalisierungsdebatte

171

Hauptsächlich daran schließt die Globalisierungskritik an, die eine Polarisierung des Feldes anzeigt, in der sich zwei komplementäre aber gegensätzlich gewertete Aussagen gegenüberstehen: {SACHZWANG-POSITION: Pro, Chancen, ...} / {KRITIK-POSITION: Contra, Risiken, ...} anzeigt. Am Pol der SACHZWANG-POSITION erscheint Globalisierung als eine Art 'ökonomisches Naturgesetz', als Sachzwang eben oder als Chance. Am Pol der KRITIK-POSITION stehen dagegen die politisch-ökonomischen Entscheidungen im Zentrum und es werden diesbezügliche Risiken und negative soziale Folgen betont. Diese binäre Struktur erstreckt sich über mehrere andere Aussagen. So verweist der NEOLIBERALISMUS {Hayek, Friedman, ...} / {Keynes, Tobin, ...} auf den Gegensatz zwischen marktradikalen Positionen und der Befürwortung politischer Regulierung im wirtschaftswissenschaftlichen Spezialdiskurs. Und schließlich stehen sich zwei Krisendiagnosen gegenüber, die mit unterschiedlichen Anrufungen einhergehen. Die SACHZWANG-POSITION betont die globalen Konkurrenzen und fordert in diesem Zusammenhang nicht nur einen schlanken Staat, sondern ruft auch die Rezipient*innen mit dem Szenario der GELÄHMTEN GESELLSCHAFT {Fitness, Spitzenleistung, Stärke, Unternehmergeist} / {Fettleibigkeit, Mittelmaß, Schwäche, Versorgungsmentalität} zum Fitnesstraining für den globalen Wettbewerb auf. Dies impliziert die Kritik an denjenigen, die sich solchen Aufforderungen verweigern, und hier trifft sich das Szenario mit einem zweiten, nämlich dem der BEDROHTEN MITTE {Mittelschicht, Normalität, kleine Leute, Arbeitsmoral} / {(unten: Drückeberger, Schmarotzer, Kriminelle) / (oben: Gier, Dekadenz, Mafia)}. An dieser Gegenüberstellung der 'hart arbeitenden kleinen Leute und einer gierigen Oberschicht', schließt zugleich aber auch die KRITIK-POSITION mit ihrer Betonung der steigenden sozialen Ungleichheit tendenziell an. Auch die Aussage des BINDESTRICH-KAPITALISMUS {Turbo-, Raubtier-, Casino-, Etc.-Kapitalismus} / {(soziale) Marktwirtschaft}

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4 Globalisierung im mediopolitischen Diskurs

wird insbesondere von der KRITIK-POSITION genutzt. Darin wird dem symbolisch ausgeschmückten 'Kapitalismus' als negativem Signifikanten für das bestehende Wirtschaftssystem ein positiver Signifikant für das gleiche – allenfalls anders regulierte – System entgegengesetzt. Das Signifikat steht außerhalb der Kritik: Die medial präsente Globalisierungskritik fordert im Wesentlichen eine staatliche Korrektur der Markteffekte durch aktive Wirtschaftspolitik und sozialstaatliche Umverteilung. Die beschriebenen Aussagen sind in Anhang III.5 tabellarisch zusammengefasst. Im Folgenden wird es darum gehen, wie der elaborierte Interdiskurs der nationalistischen Rechten an diese Aussagen anschließt, welche er aufgreift, verstärkt, zurückweist oder transformiert.

5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten 5.1 Das 'nationale Original': Die NPD Nachdem in Kapitel 3 die fundamentalen Aussagen des nationalistischen Diskurses am Beispiel der NPD und in Kapitel 4 die zentralen Muster der mediopolitischen Debatte zum Thema Globalisierung rekonstruiert wurden, wird es nun darum gehen, wie sich beides in den Texten der NPD verbindet126. Als zentrale Gemeinsamkeit fällt hier zunächst die übereinstimmende Verwendung des Symbolkomplexes der DETERRITORIALISIERUNG beziehungsweise der RETERRITORIALISIERUNG auf. 5.1.1 Die Abwehr der globalen Fluten Ein Beispiel dafür ist ein Beitrag in der DS von 1997. Der Artikel mit der Überschrift "Wir sind gefangen in der Globalisierungsfalle" (DS 10/1997: 6) besteht zu weiten Teilen aus Zitaten und Paraphrasen des Buches von Martin/Schumann, darunter die folgende Montage: Die Autoren sagen vorher, "daß große Teile des Arbeitsmarktes einfach wegbrechen werden und erkennen, daß sich ein wirtschaftliches und soziales Erdbeben unbekannten Ausmaßes ankündigt [vgl. GF 144f.]. Eine Zeitenwende von globaler Dimension sei angebrochen, da nicht Aufstieg und Wohlstand sondern Verfall, ökologische Zerstörung und kulturelle Degeneration zusehends den Alltag der Menschheitsmehrheit bestimmen würden [vgl. GF: 47]. Und der Ökonom Edward Luttwak beschreibt das neue globale Zeitalter als eine 'Vereinigung von Pfützen, Teichen, Seen und Meeren von dörflichen, provinziellen, regionalen und nationalen Wirtschaften zu einem einzigen globalen Wirtschaftsozean, der die kleinen Bereiche riesigen Wogen wirtschaftlichen Wettbewerbs statt wie früher nur kleinen Wellen und ruhigen Gezeiten aussetzt' [vgl. GF: 37]" (ebd.).

Hier werden verschiedene unausgewiesene Zitate so kombiniert, dass sie einen neuen Sinn annehmen. Auffällig sind etwa die symbolischen Elemente der Aussage GESCHICHTE (Zeitenwende, Verfall, kulturelle Degeneration), für die einige Stellen mit einem kulturpessimistischen Unterton bei Martin/Schumann durchaus Anschlussstellen bieten (vgl. GF: 31ff.). Vor allem aber rückt die Verknüpfung vom Wegbrechen des Arbeitsmarktes mit Abstieg (statt Wohlstand) und der Vereinigung von Wirtschaftseinheiten zu einem Ozean der Konkurrenz eine nationale Perspektive ins Zentrum, die auch dadurch unterstrichen wird, dass das 'Wir' der Überschrift im Artikel durchgehend national ausbuchstabiert wird. Während Bezüge auf den Nationalstaat bei Martin/Schumann immer wieder durch den Verweis auf internationale wie innergesellschaftliche Ungleichheiten und Machtverhältnisse gebrochen sind (erkennbar am im Zitat verbliebenen Verweis 126 Zu den wirtschaftspolitischen Aussagen der NPD vgl. Wamper (2009), Ptak (1999), Greven (2006), Wiegel (2006), Kaindl (2006), Pfahl-Traughber (2006).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten, Edition Rechtsextremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3_5

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

auf die Menschheitsmehrheit), fragt der DS-Artikel direkt im Anschluss an die zitierte Passage: "Würde es genügen, das 'Rad der Geschichte' einfach zurückzudrehen und zu abgeschotteten, möglichst autarken, überschaubaren nationalen oder regionalen Wirtschaftsräumen zurückzukehren?" (DS 10/1997). Während der Autor diese Frage – unter dem Eindruck des Buches – offen lässt, wird sie in der Folgezeit von der NPD entschieden bejaht. Gegen die riesigen Wogen transnationaler ökonomischer Prozesse – ein zentrales symbolisches Element der Mediendebatte – setzt die nationalistische Rechte ein traditionelles Element ihres Diskurses, nämlich die Abschottung. Nach dem bedrohlichen Strom der Demokratie, den roten Fluten und den Ausländerfluten, geht es nunmehr (auch) um die Abwehr der globalen ökonomischen Ströme. 5.1.1.1 Ströme, die Staatsgrenzen passieren: Geld, Güter und Menschen So gehört es zu den auffälligsten Merkmalen des Materials, dass erstens die beiden Themenkomplexe Globalisierung und Migration (vgl. Kapitel 3.2.7) häufig analogisiert werden, wobei die Aussagen jeweils durch den symbolischen Antagonismus der RETERRITORIALISIERUNG strukturiert werden, also durch die Elemente {geschlossen, verwurzelt-gewachsen, Dämme-Dichtung-Schott-Trockenheit, sesshaft-gebunden} / {offen, entwurzelt-wurzellos, Ströme-Fluten-Wellen-Auflösung, nomadisch-ortlos}. "Zuwanderung und Freihandel" gelten in der DS als nahezu identische Übel, wodurch "ungehinderter Zugang für ausländische Finanzdienstleister, Nichtdiskriminierung ausländischer Waren und Dienstleistungen" und so weiter gleichbedeutend mit "der Türkenschwemme" oder "einer weiteren Überfremdungswelle" werden und "Abschottung" als Lösung erscheint (DS 11/2004: 4). Das gleiche Muster zeigt sich auch in der Parteitagsrede von Voigt, laut der die NPD-Wähler "gegen eine multikulturelle Gesellschaft" votierten und sich zugleich den "Globalisten [...] der etablierten Parteien" (23f.) widersetzten. Die NPD stehe gegen "Globalisierung und [...] Überfremdung" (53) und sei die "einzige Partei [...] die sich massiv gegen die Globalisierung wendet und eine multikulturelle Gesellschaft ablehnt" (187f.). Schließlich geht der Teil der Rede, der hauptsächlich AUSLÄNDER behandelt (531ff.), am Ende mit folgernder Formulierung zum Thema Globalisierung über: "Grenzen dicht für Lohndumping und Einfuhr billiger Waren" (557). Die dichte Grenze fungiert als symbolischer Übergang zwischen den beiden Themenkomplexen Globalisierung und Migration, indem sie die zuvor angesprochene Arbeitsmarktkonkurrenz unter dem Stichwort Lohndumping weiterführt und zugleich gegen die 'Einfuhr billiger Waren' gerichtet ist. Auch im NPD-Aktionsprogramm von 2004 ist die Kontrolle der Flüsse ein zentrales Moment. So heißt es unter der Überschrift "Kontrolle der Kapitalflüsse":

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD

175

"Die um den gesamten Globus fließenden Ströme des Spekulationskapitals müssen eingedämmt werden. Neben einer Kontrolle der Geldflüsse von und nach Deutschland müssen die Geldflüsse, die der Spekulation dienen, besteuert werden" (NPD 2004: 22). Und an anderer Stelle tritt wiederum die Kontrolle der Menschen und Güterströme neben die des Geldes, wenn "eine verschärfte Kontrolle der Menschen-, Geld- und Warenströme, die die Staatsgrenzen passieren" (ebd.: 39, vgl. 20) gefordert wird. Dass die Aussagen der NPD zum Thema Globalisierung (vor allem zu Beginn der Debatte) nahezu ausschließlich auf der Übertragung einer traditionellen symbolischen Erzählung der nationalistischen Rechten beruhen, die hochgradig affektiv besetzt ist, zeigt sich besonders deutlich an den personellen und thematischen Bezugnahmen auf die Weimarer Rechte, mit denen Jürgen Schwab sich in seinem Buch 'Volksstaat statt Weltherrschaft' (vgl. Kapitel 3.2.4) dem Thema nähert. Gleich zu Beginn klagt er, "daß sich die Staatlichkeit weltweit in Auflösung befindet, weil die Verantwortungslosen an den Schalthebeln von Politik, Medien und Wirtschaft einer zunehmenden Europäisierung und Globalisierung das Wort reden" und setzt dagegen (einmal mehr mit einem Zitat von Carl Schmitt) die Geschlossenheit: "Der Staat ist [...] der politische Status eines in territorialer Geschlossenheit organisierten Volkes" (Schwab 2002: 11f.). Im Kapitel zum 'Parteienstaat' findet sich die Symbolik dann zunächst bei der Wiederholung der 'Liberalismus-Kritik' der Weimarer Rechten (hier: Moeller van den Bruck): "Bar jeder Einbindung in eine gewachsene Ordnung wird der Einzelne von den Wellen eines ortlosen Liberalismus fortgespült" (ebd.: 77). Kurz darauf wird dies wieder auf die Globalisierung übertragen, wenn es heißt, von "der Bindungslosigkeit des Menschen" profitiert "an erster Stelle das vagabundierende Kapital, das seine 'Industrie- und Computernomaden' (Reinhold Oberlercher) an die Stelle des Globus absendet, wo die besten Geschäfte winken" (ebd.: 81). Schließlich findet sich auch in dem Abschnitt, der sich hauptsächlich mit wirtschaftlichen Fragen beschäftigt, die entsprechende Symbolik samt der bezeichnenden Parallelisierung von Migration und Globalisierung. Dort heißt es, "diejenige Klasse, die derzeit am meisten unter der Globalisierung zu leiden hat, vor allem vom [sic!] Arbeitsplatzabbau in und vom Fremdarbeiterzustrom nach Deutschland, [ist] der Großteil des Volkes, der außer seiner Arbeitskraft [...] nichts auf dem 'Markt' anzubieten hat" (ebd.: 177f.). Während der "Eigentümer von Produktionsmitteln diese [...] verlegen kann, [...] ist es für den Arbeiter nicht so einfach seine Heimat zu verlassen und – im Stile eines modernen Nomaden – den 'Jobs' mit samt seiner Familie hinterher zu ziehen [...]. Der Faktor Arbeit ist weitestgehend an den Faktor Boden gebunden, mit ihm verwurzelt. [...] Deshalb muß der Staat dafür Sorge tragen, daß der Faktor Kapital an [...] den Boden und die Arbeit[] gebunden [...] wird. Man könnte hierbei auch von der Notwendigkeit einer 'Verwurzelung' des Faktors Kapital im Rahmen des deutschen Volksstaates sprechen" (ebd.: 177).

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

So konstituiert sich eine Erzählung über ökonomische Transformationsprozesse, die als solche kaum mehr vorkommen. Wirtschaftliche Daten etwa, die in der Mediendebatte präsentiert und dabei in bestimmte Erzählungen und Symboliken übersetzt werden, treten vollkommen in den Hintergrund gegenüber den bildhaften Elementen. Nicht zuletzt in 'konzeptionellen' Schriften fehlen sie vollständig. Exemplarisch ist ein zweiteiliger Beitrag der DS (9-10/1998: 12 und 11/1998: 14) aus dem Jahr 1998 von Reinhold Oberlercher – Mitglied im Arbeitskreis Wirtschaftspolitik der NPD – zur wirtschaftspolitischen Diskussion in der Partei, der in verschiedenen Versionen auch in anderen Zeitschriften gedruckt wurde127 und auf den sich Schwab in seinem Buch bezieht (s.o.). Darin beschreibt Oberlercher Globalisierung als "die Zerstörung aller gewachsenen und steuerbaren Volkswirtschaften" und die "Erzwingung des globalen Einheitsmarktes" durch eine Wirtschaftspolitik, die "allein dem global nomadisierenden Finanz- und Monopolkapital" nütze und zur "teilweisen bis gänzlichen Auflösung der althergebrachten deutschen Wirtschaftsordnung" führe. Das gleiche Bild zeigt sich am Anfang der Debatte auch hinsichtlich konkreter wirtschaftspolitischer Forderungen. So enthält der Punkt "Währung, Steuern und Finanzen" aus dem Programm von 1997 keine entsprechende Programmatik und ist stattdessen mit Symbolik überladen, wenn es etwa heißt, die "im kapitalistischen Finanz- und Wirtschaftssystem betriebene florierende schrankenlose Vermehrung des Geldkapitals durch Subventions-, Steuer-, Kredit- und Zinsprivilegien [...] muß eingedämmt werden" (NPD 1997: § 6). Diese generelle Dominanz symbolischer Sprache im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Fragen, die sich auch in der Rede Voigts zeigt (vgl.: 570-577: ausweglose Lage, Belebung, maroder Kreislauf, Kollaps, leere Kassen, Gegensteuerung), hat Tradition in der Partei und korrespondiert mit offensichtlicher Inkompetenz und Widersprüchlichkeit auf diesem Gebiet (vgl. Hoffmann 1999: 303ff., 352ff.). Mit anderen Worten gewinnen die wirtschaftlichen Aussagen ihre Kohärenz primär auf einer symbolisch-imaginären Ebene, durch die tendenzielle Entkoppelung gängiger Symboliken von einem konkret greifbaren inhaltlichen Bezug. Es ist bezeichnend, dass die DS (9-10/1998: 12) Oberlerchers oben zitierten Text als ersten Beitrag zu einem parteiinternen "Diskussionsprozess" ankündigt, "an dessen Ende die Formulierung eines tragfähigen und kompetenten wirtschaftspolitischen Programms der NPD stehen" sollte. Ebenso bezeichnend ist, dass dieser Beitrag eine Vielzahl abstruser 'wirtschaftspolitischer' Aussagen enthält, deren Plausibilität sich allenfalls aus der Übereinstimmung mit der ideologischen Basiserzählung erklären lässt, so etwa die "mittelalterlich[e]" (Ptak 1999: 120) Forderung nach einer "Binnenzollmacht" subnationaler

127

STAATSBRIEFE 2/1997, DESG-INFORM 9/1998 und OPPOSITION 4/1998.

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD

177

"Gebietskörperschaften" (DS 9-10/1998: 12), die der 'Auflösung der althergebrachten deutschen Wirtschaftsordnung' (s.o.) entgegengesetzt wird. 5.1.1.2 Versinken im Meer der Habenichtse Die symbolische Globalisierungserzählung der NPD handelt also von der Auflösung einer 'verwurzelten deutschen Wirtschaftsordnung' durch das Nomadentum beziehungsweise durch grenzüberschreitende Ströme. Entsprechend rückt dieses symbolische Element der Globalisierungsdebatte – das auch in den Medien an die Aussage GLOBAL-NATIONAL gekoppelt ist und meist eine Bedrohung konnotiert – ins Zentrum und wird zum strukturierenden Prinzip. Ein Artikel aus der DS von Arne Schimmer zum Streik bei Opel 2004 zeigt deutlich, wie dieser Umschreibungsprozess funktioniert. Aufhänger des Beitrags mit der Überschrift "Globalisierungsfalle und Basarökonomie" sind "Massenentlassungen" bei Opel und anderen Firmen. Diese deuten darauf hin, "daß der Globalisierungsprozeß nun endgültig in ein neues Stadium getreten ist, der erst zur Schmelze der dortigen Kerne und schließlich zur Implosion der westeuropäischen Hochlohnmärkte führt. Der 'Spiegel' kommt im Titelthema seiner Ausgabe vom 25. Oktober 2004 zum gleichen Ergebnis. Unter der Überschrift 'Bey-bey made in Germany' heißt es dort: '[...] Seit Mitte der neunziger Jahre haben Unternehmen in Deutschland bereits 2,2 Millionen Stellen in der Produktion abgebaut, jeden Tag gut 600 Jobs. Damals wurde die Welle, die über Deutschland hereinbrach, erstmals als Folge der Globalisierung begriffen, nun rollt eine weitere heran: Sie ist noch mächtiger, schneller, und viele halten sie für weitaus bedrohlicher. Sie strömt tief hinein in die deutsche Volkswirtschaft, sie erfasst den industriellen Kern – und droht große Teile einfach fortzuspülen'" (DS 11/2004: 9).

Ebenfalls dem Spiegel entnommen sind Aussagen der Ökonomen Hans-Werner Sinn und Paul Samuelson. Sinn "sprach jüngst das denkbar vernichtendste Urteil über die deutsche Volkswirtschaft. Diese entwickle sich zur 'Basar-Ökonomie', in der alles gehandelt, aber nichts hergestellt werde. Deutschland sei schon längst keine vollwertige Volkswirtschaft mehr [...]. Deutschland sitzt tief in der Globalisierungsfalle" (ebd.).

Aktuelle (Medien-)Ereignisse, in diesem Fall Meldungen über Entlassungen bei Opel und anderen Firmen, werden in der Parteizeitung aufgegriffen, soweit sie sich in die Basiserzählungen einbauen lassen, wobei auch hier vor allem die symbolischen Elemente übernommen werden, wie die SPIEGEL-Zitate verdeutlichen. In der Globalisierungsfalle, in der bei Martin-Schuhmann 'Wohlstand und Demokratie' sitzen, sitzt nun 'Deutschland', und die Basar-Ökonomie, mit der Hans-Werner Sinn – der ebenfalls nach dem SPIEGEL zitiert wird – die Forderung nach niedrigeren Löhnen im Produktionssektor untermauert (Vgl. SP: 9ff., 40, 132)128, 128 Nebenbei bemerkt hat Sinn im Jahr darauf sein Konzept ebenfalls symbolisch als Ausweg aus der Globalisierungsfalle präsentiert (vgl. RHEINISCHER MERKUR vom 24.02.2005).

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

dient hier als Beweis dafür, dass 'die deutsche Volkswirtschaft keine richtige VOLKswirtschaft' (s.u.) mehr sei, während zugleich die Implosion der europäischen Hochlohnmärkte befürchtet wird. In diesem Zusammenhang wird ausführlich die Symbolik der Wellen und Ströme zitiert, die 'den industriellen Kern der deutschen Volkswirtschaft fortzuspülen' drohen. Dass dieses Motiv der von den globalen Fluten bedrohten 'Hochlohnländer' von Beginn an in den Texten der NPD zum Thema Globalisierung präsent ist, zeigt der zu Beginn dieses Kapitels zitierte DS-Artikel (10/1997: 6), der Martin/Schumann paraphrasiert und das Wegbrechen des Arbeitsmarktes und den nationalen Abstieg in die Armut prognostiziert. Ein weiteres Beispiel findet sich in der ersten Ausgabe der Zeitschrift "Nation und Europa" (6/1996) zum Thema Globalisierung. Hier schreibt der Chefredakteur und spätere Berater der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag Karl Richter einleitend, "daß der freie Welthandel, der freie Verkehr von Menschen, Dienstleistungen und Waren", das heißt der Vorgang "Grenzen abzuschaffen" und damit "natürliche Mechanismen, die auf Abwehr, Ab- und Ausgrenzung ausgehen, außer Funktion zu setzen", falsch sei und zwar nicht zuletzt, weil die Konkurrenz mit "philippinische[n] oder lateinamerikanische[n] Habenichtse[n] [...] für gewachsene Industrie- und Kulturregionen wie die Weltinsel Europa [...] mit dem Ruin enden" werde, wobei auch "die Deutschen [...] auf der Verliererbank" (N&E 6/1996: 4) landen würden. Hier zeigt sich, wie die Grenzschutzerzählung gleitend von den (nationalstaatlichen) politischen Grenzen der Regulierung ökonomischer Prozesse zur biologistischen Figur natürlicher Abgrenzung übergeht. Zugleich erzählen die drei zuletzt genannten Beispiele jeweils die gleiche symbolische Geschichte vom Untergang der Industrienationen in einem globalen Meer von Habenichtsen. Ausgangspunkt sind die Lohnentwicklung und die steigende Arbeitslosigkeit in den Industriestaaten, die als Effekte von riesigen Wogen erscheinen, welche über diese Länder hereinbrechen und Teile des Arbeitsmarktes wegbrechen lassen beziehungsweise fortspülen. Dabei verschiebt sich die Perspektive auf die Länder als ganze, die als Schiff oder Insel im Ozean der globalen Konkurrenz unterzugehen drohen, was symbolisch äquivalent zu ihrem Abstieg im nationalstaatlichen Ranking beziehungsweise mit dem Landen auf der Verliererbank ist. Konsequenz ist die Abschottung beziehungsweise die Schließung der Grenze gegen die eindringenden Ströme. Diese Aussage GLOBALE MENGE {Hochlohnländer, Deutschland, Insel} / {Niedriglohnländer, globale Habenichtse, Ozean der Konkurrenz} gilt es festzuhalten.

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD

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5.1.1.3 Geschlossener Handelsstaat: Volkswirtschaft gegen Weltwirtschaft Eine weitere Variante der Grenzschutzerzählung ist die Gegenüberstellung von offener Gesellschaft und geschlossenem Handelsstaat. So schreibt die DS in einem Artikel über den "Finanznomaden" George Soros, dass dieser "die Entwicklung offener Gesellschaften in einzelnen Ländern fördern" wolle und "eine offene Weltgesellschaft" anstrebe, die dem "Marktfundamentalismus mit seinen ungehemmten Finanzströmen" entspreche, um zu dem Schluss zu kommen, nur "Verbrecher und skrupellose Spekulanten" könnten "sich eine Welt ohne Grenzen wünschen" (DS 11/2004: 10). Das Gegenstück zur Offenheit ist die 'territoriale Geschlossenheit' die Jürgen Schwab mit Carl Schmitt der Globalisierung entgegensetzt (vgl. Kapitel 5.1.1.1). Entsprechend fordert Oberlercher den "deutsche[n] nationale[n] Einheitsmarkt mit seiner staatlichen Volkswirtschaftsordnung wiederherzustellen" und zwar als "'Geschlossene[n] Handelsstaat'". (Oberlercher in DS 9-10/1998: 12 und 11/1998: 14) Fichtes Konzept des 'geschlossenen Handelsstaates', auf das sich Oberlercher hier explizit bezieht, gehört zu den Elementen, die im Materialkorpus zu Beginn der Debatte des Öfteren als Gegenkonzept zur Globalisierung assoziiert werden129, als deren zentrales Merkmal der Freihandel gilt. So wendet sich Oberlercher gegen "die diktatorische Durchsetzung der Freihandelsdoktrin durch das antinationale Finanzkapital" (ebd.) und Voigt proklamiert in der Rede: "Generell müssen Globalisierung und Freihandel zugunsten einer raumorientierten nationalen Volkswirtschaft aufgegeben werden" (560f.). Obgleich sie das Wort Protektionismus in aller Regel vermeidet, nimmt die NPD mit ihrer prinzipiellen Zurückweisung des Freihandels genau die Position der Abschottung ein, mit der die nationalistische Rechte im Zusammenhang mit der medialen FREIHANDEL-Aussage verknüpft ist. Dass es sich sowohl bei dieser Gegenüberstellung, als auch bei der Positionierung der NPD um spezifische Erzählungen handelt, die einer genaueren Betrachtung der politischen Regulierung ökonomischer Prozesse kaum standhalten, muss an dieser Stelle nicht weiter interessieren (vgl. dazu Kapitel 7.5). Hier geht es zunächst um die Konstituierung dieser Erzählung in diskursiven Praxen, die insofern auf die politisch-ökonomischen Prozesse zurückwirken, als sie bestimmte Regulierungen nahelegen. Dass die Abschottungsposition der NPD primär durch die Grundstruktur ihres Diskurses, nämlich durch die dominante Grenzschutz-Erzählung motiviert ist, zeigt sich daran, dass sie oftmals ohne Verweis auf ein entsprechendes ökonomisches Kalkül proklamiert wird. Im Parteiprogramm von 1997 heißt es beispielsweise nur, die "Globalisierung der Wirtschaft [...] gemäß dem sogenannten 'Gesetz der komparativen Vorteile'" bedrohe die "heimatliche[] Wirtschaftsbasis in ihrer Vielfalt und Substanz" (NPD 1997: §5). Der entscheidende Gegensatz verläuft zwischen 129

Vgl. etwa JF 31/1996: 13 und N&E 10/1998: 9.

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

Globalisierung (Freihandel, Ricardo) und der 'heimatlichen Wirtschaftsbasis'. Erst im Laufe der Zeit wird die prinzipielle Ablehnung des Freihandels durch den Hinweis auf ein entsprechendes ökonomisches Kalkül ergänzt. Das Hauptargument ist dabei, dass das Lohnniveau in Deutschland durch Zölle vor der Konkurrenz von 'Billiglohnländern' geschützt werden müsse. Dies ist bereits mehrfach angeklungen, nämlich in Voigts Forderung, die Grenzen für billige Waren dicht zu machen, oder im oben zitierten Artikel zum Opelstreik, der den Focus auf die 'Hochlohnländer' legt. Dabei wird aus dem SPIEGEL zitiert, in dem der US-Ökonom Samuelson "die Erwartung, daß die westlichen Industriegesellschaften mit ihren Hochlohnstrukturen aus dem Freihandel Vorteile zögen als 'grundfalsch'" bezeichnet hatte (DS 11/2004: 9). Gegenpositionen aus der medialen Debatte – etwa die von Martin/Schumann (s.u. Kapitel 5.1.3) – werden freilich nicht zitiert. Entsprechend kritisiert die NPD im Aktionsprogramm von 2004 die "Aufhebung der nationalen Zölle" (NPD 2004: 17) beziehungsweise den "Freihandelsextremismus der EU und [des] GATT" und fordert eine "Anti-Lohndumping-Abgabe" (und ähnliches bezogen auf Arbeits- und Umweltschutzbestimmungen), die erstens dafür sorgen soll, dass "der deutsche Arbeiter nicht mit Billigarbeitern der dritten Welt konkurrieren muß" und die zweitens "unmittelbar der Exportindustrie zugute kommen" soll (ebd.: 21). Dies führe zur "Schaffung von Arbeitsplätzen in Industrien, die in den letzten Jahren Arbeitsplätze ins Ausland exportiert haben" und diese "Entlastung der sozialen Sicherungssystem ermöglicht eine Senkung der Lohnnebenkosten" (ebd.: 27). Dieses Kalkül der Importbeschränkung bei gleichzeitiger Exportförderung ist bereits in Oberlerchers frühen Beitrag zur wirtschaftspolitischen Diskussion in aller Deutlichkeit formuliert, in dem er fordert: "Schutz der Deutschen Industrie durch ein Freihandelsverbot, für Nationalmarktzweige, in denen Deutschland nicht weltführend ist" (DS 11/1998: 14). Das Changieren zwischen genereller Ablehnung des Freihandels und der Forderung nach protektionistischen Maßnahmen bei gleichzeitiger Förderung deutscher Exporte (die fraglos unkalkulierbare Gegenmaßnahmen der betroffenen Staaten auslösen würden), bestimmt die wirtschaftliche Diskussion der NPD von Beginn an. Schon in ihrem ersten Programm von 1967 wollte sie einerseits die "heimische[] Wirtschaft vor Überfremdung durch ausländisches Kapital, vor dem Ausverkauf an Weltkonzerne und ruinöser Einfuhr schützen" und betonte andererseits – mit Blick auf deutsche Exporte – die Notwendigkeit "einer Verflechtung mit anderen Volkswirtschaften" (zit. nach Hoffmann 1999: 304). Wie an diesem letzten Zitat deutlich wird, sind die Aussagen der NPD zu wirtschaftlichen Fragen – ebenso wie alle anderen – seit jeher vom Motiv der nationalen Abgrenzung (dem 'Schutz der Heimat vor Überfremdung' etc.) dominiert. Die Formel, auf die dieses Motiv zu Beginn der Globalisierungsdebatte gebracht wird, ist die 'raumorientierte Volkswirtschaft', die Voigt in der Rede nennt. An

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD

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prominenter Stelle taucht sie erstmals als Überschrift im Programm von 1997 auf, unter der es heißt, die "NPD lehnt die in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung systematisch betriebene Internationalisierung der Volkswirtschaften entschieden ab", bevor der bereits zitierte Gegensatz von Globalisierung (Freihandel) und 'heimischer Wirtschaft' aufgemacht wird. Der Antagonismus lautet also {Globalisierung, Internationalisierung, Freihandel} / {raumorientierte Volkswirtschaft, heimische Wirtschaft}. In diesem Zusammenhang fungiert das Wort 'Volkswirtschaft' nur sekundär als ökonomische Kategorie, die auf die Strukturierung ökonomischer Prozesse durch das System von Nationalstaaten verweist. Primär ist es als VOLKswirtschaft zu lesen, das heißt als Verlängerung der VOLK-Kette um die Vorstellung einer geschlossenen Wirtschaftseinheit, die im Gegensatz zur 'Weltwirtschaft' steht. Dies ist auch an der Häufung von Elementen wie {Raum, Staat, Heimat, Nation, ...} zu erkennen, die regelmäßig in Äquivalenz mit der 'Volkswirtschaft' gebracht werden. Jürgen Schwab (2002: 170f.) "lehnt" beispielsweise "eine 'Weltwirtschaftsordnung' ab" und stellt den "Begriff 'Volkswirtschaft' [...] als wesentliche[n] Bestandteil einer funktionierenden Volksgemeinschaft" vor. Anschließend zitiert er Teile der folgenden Stelle aus Oberlerchers Thesenpapier: "Das deutsche Volk ist [...] der Souverän, der sich politisch als reeller Nationalstaat, ökonomisch als wirkliche Volkswirtschaft und psychologisch als [...] Nationalbewußtsein selber organisiert. Führungsorgan von Politik und Wirtschaft ist sein eigener, nach dem Grundsatz EinVolk-Ein-Staat gebildeter Nationalstaat, wodurch seine Wirtschaft zur raumgerechten Nationalökonomie wird", die als solche im Gegensatz zur "Globalwirtschaft" (DS: 9-10/1998: 12) steht.

Analog zur Überführung der Symbolik der DETERRITORIALISIERUNG in das Projekt des Grenzschutzes (RETERRITORIALISIERUNG), wird das Paar GLOBAL-NATIONAL zum Leitprinzip aller Aussagen und zwar im spezifischen Sinn einer 'Verteidigung des VOLKes gegen das Globale'. Hinter dieses Prinzip treten ökonomische Bestimmungen im engeren Sinne vollkommen zurück. Die einzelnen Elemente der entsprechenden Aussage GESCHLOSSENER HANDELSSTAAT {VOLKswirtschaft, Nationalstaat, Protektionismus, geschlossen-Schott-Damm} / {Weltwirtschaft, Globalisierung, Freihandel, offen-Ströme-Fluten} haben kaum eine Bedeutung, die über das Aufrufen des zentralen Gegensatzes Globalisierung/VOLK hinausginge. Entsprechend nebulös sind die politischen Forderungen jenseits der vorgeschlagenen Importzölle. So wird unter der Überschrift "'Multinationale Konzerne entflechten'" deren "Nationalisierung" (NPD 2004: 21) in Aussicht gestellt. Bezüglich der Kontrolle der 'transnationalen Kapitalströme' soll ein "Wirtschafts- und Finanzbeirat" nach geeigneten "Mitteln der

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Währungspolitik" suchen (ebd. 22), was freilich "DM statt Euro", also den "Ausstieg aus der Währungsunion" (ebd.: 67) voraussetzen würde. 5.1.1.4 Deutsche Souveränität gegen das EU-Europa Das Thema EU spricht Voigt auch in seiner Rede an. Dabei behandelt er die staatsrechtlichen Entwicklungen vom Grundgesetz bis zu den Verträgen von Maastricht und Amsterdam als Gegensatz von 'militärischer Besatzung' und 'deutscher Souveränität': "Unterwerfungsklauseln und Souveränitätseinschränkungen im Grundgesetz, Sonderverträge wie Truppenstatut, Finanzabkommen, Überleitungsvertrag und dem 2+4 Abkommen [sic!], Verlust der Währungshoheit und Wegfall der Grenzen stehen einer deutschen Souveränität entgegen" (219ff.). Die letzten beiden Punkte werden unter dem gleichen Aspekt auch an anderer Stelle angesprochen: "Mit den Verträgen von Maastricht und Amsterdam wurden uns Deutschen grundlegende und unverzichtbare staatliche Souveränitätsrechte genommen, ohne die der deutsche Staat seine Schutzfunktion für Land und Volk nicht wahrnehmen kann" (149ff.). Die proklamierten Souveränitätsrechte werden anschließend als Gegensätze zu politischen Regulierungen auf der EU-Ebene entwickelt. Neben der an erster Stelle genannten "Sicherung der nationalen Grenzen" (152), geht es dabei vor allem um Regulierungen der Ökonomie. Zum einen wird die "Währungshoheit" (153) gegen die Europäische Währungsunion gestellt. Zum anderen wird europäischen Privatisierungsrichtlinien (die als solche nicht genannt werden) das "Recht auf die Sicherung existenziell wichtiger nationaler Infrastrukturbereiche (z.B. des Post- und Fernmeldewesens, der Straßen-, Schienen- und Wasserwege, der Energieversorgung, der Trink- und Abwasserwirtschaft)" (161ff.) entgegengesetzt. Das Thema EU abschließend, heißt es dann: "Diese Verträge sind heute die Ursache des Arbeitsplatzverlustes durch Globalisierung" (166). Der entscheidende Gesichtspunkt ist jedoch nicht die damit in den Raum gestellte soziale Dimension, die Voigt im Folgenden unabhängig von der EU behandelt, sondern der Gegensatz von supranationaler politischer Regulierung und 'deutscher Souveränität', der in der Proklamierung 'nationalstaatlicher Rechte' (152-165) zum Ausdruck kommt. Dies zeigt auch der entsprechende Abschnitt des Parteiprogramms, mit der Überschrift "Deutsche Souveränität und das Europa der Völker" (NPD 1997: § 9). Dort heißt es, wiederum ausgehend von der ökonomischen und sozialen Dimension, dass "Staatsverschuldung, Massenarbeitslosigkeit" und anderes mehr "ein 'EU-Europa' der Beamten und Technokraten" kennzeichneten, zu dessen Gunsten "freiwilligen Souveränitätsverzicht zu leisten, die DM-Währung aufzugeben und das Ausländerwahlrecht einzuführen [...] einer Selbstaufgabe Deutschlands" (ebd.) gleichkomme. Der zentrale Gegensatz zwischen dem "EU-Europa" und dem proklamierten "Europa der Völker" bedeutet entsprechend nichts anderes als das Ende "supranationaler" staatlicher Regulierung zugunsten des "nationalstaatlichen Ordnungsprinzip[s]" basierend auf der "Volksabstammung" (ebd.). In der DS, in der

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das Thema eine große Rolle spielt, wiederholt sich das gleiche Muster. Auch hier dienen populäre Kritiken an der EU-Bürokratie, an den Kosten für deutsche Steuerzahler und an der EU-Wirtschaftspolitik als Aufhänger für den entscheidenden Gegensatz zwischen den supranationalen EU-Institutionen und der nationalstaatlichen Souveränität. Kritisiert werden die "Eurokraten" (DS 11/2004: 1) und die "zentralistische Brüsseler EU" (ebd.: 15), deren Politik dem "Wunschzettel der 'Global Players' [entspreche]: Privatisierung staatlicher Unternehmen und Banken, ungehinderter Zugang für ausländische Finanzdienstleister, 'Nicht-Diskriminierung' ausländischer Waren und Dienstleistungen" und so weiter. Die Kosten dafür habe "vornehmlich der deutsche Steuerzahler aufzubringen" (ebd.: 4). Dagegen werden "staatliche[] Souveränität, Sozialfürsorge und Wertesysteme" (ebd.) in einem "Europa der Freien Völker und Vaterländer" (ebd.: 15) gesetzt, wobei Themen der Wirtschafts- und Sozialpolitik wiederum wage bleiben, während das nationalstaatliche Prinzip mit der Kritik "des Völkergefängnisses namens EU" (ebd.: 1) und der "europäischen Integration als reine 'Nivellierungs- und Einebnungsbewegung'" (ebd.: 15) im völkischen Sinn akzentuiert wird. Die ständig wiederkehrenden Elemente beim Thema EU reduzieren sich letztlich auf die Aussage EUROPA {Europa der Vaterländer, nationale Souveränität, Prinzip der Volksabstammung, Währungshoheit (D-Mark)} / {EU-Europa, supranationale Institution, Völkergefängnis, Euro, Nettozahler Deutschland, Bürokratie}. 5.1.2 One World Ein 'tragfähiges wirtschaftspolitisches Programm', das die NPD – wie oben zitiert – seit 1996 zu entwickeln versucht, lässt sich in ihren bisher beleuchteten Aussagen zum Themenfeld kaum entnehmen, wohl aber eine Erzählung in der das VOLK (und die damit verbunden Aussagen) an die mediale Verhandlung aktueller ökonomischer Transformationsprozesse angeschlossen wird. Ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Globalisierungsdebatte auf diese Weise in den nationalistischen Diskurs einschreibt, ist das Buch "Völker statt 'One World'" des langjährigen NPDMitgliedes Rolf Kosiek (1999). Es handelt sich um die ergänzte Neuauflage seines Buches 'Das Volk in seiner Wirklichkeit' (Kosiek 1975), dessen Kapitelüberschriften allesamt mit dem Wort Volk beginnen. In den ersten Kapiteln folgen sie dem Muster 'Volk als...' und stellen es als "kybernetisches System" (32ff.), "genetisches Sammelbecken" (45ff.) und "Verhaltensgruppe" (67ff.) vor. In den folgenden Kapiteln werden dann nach dem Muster 'Volk und...' die zentralen Elemente der Volkskette {Kultur (83ff.), Sprache (101ff.), Geschichte (112ff.), Nation (119ff.), Raum (125ff.), Staat (147ff.), Wirtschaft (155ff.) und so weiter} abgehandelt.

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Dabei wird die biologistische Bestimmung in Anlehnung an "Kybernetik, Biologie, [...] und Verhaltensforschung" in der Einleitung gegen die "Ideologien [...] des Marxismus und des Liberalismus" mit ihrer "Humanitätsduselei von der Gleichheit aller Menschen" (ebd.: 8) gerichtet. Grundmotiv ist also die Aussage IRRATIONALISMUS (vgl. Kapitel 3.2.4.5), mit ihrer Gegenüberstellung von {Volks-Mythos} / {Menschheit: (Liberalismus) / (Sozialismus)}. Die Neuauflage des Buches begründet Kosiek mit der Aktualität dieses Volksbegriffes, die sich in einer "Auseinandersetzung" zeige, "die man schlagwortartig mit den folgenden Gegensätzen ausdrücken kann: Welt der vielen Völker – eine Welt (One World), Nationalstaaten – Globalisierung, Europa der Vaterländer – zentral gelenkter Bundesstaat Europa, Volksgemeinschaften – multiethnische und multikulturelle Gesellschaften" (Kosiek 1999: 11). Das wenige, was dann zum Thema Globalisierung zu erfahren ist, lautet im Kern: "Im Rahmen der Globalisierung wird nicht mehr in Volkswirtschaften gedacht, sondern von den 'global players' ohne Rücksicht auf Staats- und Volksbelange der maximale Profit erstrebt" (ebd.: 17). Doch so, wie die Völker den "gleichmacherischen Marxismus", den "Linke und Internationalisten" vertreten, in Gestalt des "real existierenden Sozialismus [...] ungebrochen überlebt" haben, so "werden sie sich auch gegen die gegenwärtigen Bedrohungen durch die zunehmende Globalisierung behaupten"130 (ebd.: 24). Diese kurzen Passagen rechtfertigen die Neuauflage des Buches unter einem Titel, der mit der One World ein zentrales Synonym der Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten aufnimmt. Der Gegensatz Völker / One World zeigt die charakteristische Aufnahme und Transformation der medialen Aussage GLOBALNATIONAL an. Oftmals genügt alleine die Nennung des Stichwortes, um die zentralen Äquivalenzketten zum Thema aufzurufen, deren Muster Kosiek in aller Kürze reproduziert: {One World (Eine Welt): Globalisierung, global Player, Internationalisten, ...} / {Völker: Nationalstaaten, Volkswirtschaft, Volks- und Staatsbelange, ...}. Entsprechend erweist sich die Verwendung des Terminus 'One World' als nahezu hundertprozentig treffsicheres Kriterium zur Zuordnung eines Diskursfragmentes zum Materialkorpus. Während sie hier überaus gehäuft und in Kombination mit 130 Kurz zuvor wird die 'internationalistische Linke' auch kurz und knapp in die GESCHICHTE-Aussage eingebaut. Sie habe nämlich gemeinsam mit den "Siegermächten des Zweiten Weltkriegs" die "Umerziehung" – das heißt die "Diffamierung alles Volklichen" – betrieben, zunächst durch die "Lizensierung der Massenmedien" und "neuerdings die 'Political Correctness'", welche nicht zuletzt gegen die "neuen Ergebnisse des Revisionismus von früheren Holocaust-Behauptungen" (Kosiek 1999: 23) gerichtet sei.

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den entsprechenden Figuren des Feldes auftritt, kommt die 'One World' in der Mediendebatte so gut wie nicht vor131. Wie sich die Globalisierungsdebatte in die Grundstruktur des Aussagefeldes einschreibt, zeigt der Vergleich der Aussage IRRATIONALISMUS in Kosieks Einleitung aus dem Jahr 1975 mit den Synonymen ihrer Elemente, die 1999 hinzugefügt werden. 1975: {Volk} / {Menschheit: (Liberalismus) / (Marxismus)}. 1999: {Völker} / {One World: (Globalisierung) / (Internationalisten)}. Dass diese Zuordnung der Synonyme keineswegs willkürlich ist, sondern tatsächlich den Kern des Einschreibungsprozesses erfasst, zeigen die folgenden Beispiele aus der Diskursgeschichte des Terminus 'One Wold' (vgl. Tabelle 5.1 am Ende von Kapitel 5.1.2.4). Bereits 1977 taucht das Schlagwort in einem Papier der NPD-Jugendorganisation mit dem Titel "20 Thesen zum Sozialismus" auf, in dem es heißt: "Wir Jungen Nationaldemokraten wehren uns gegen die Fremdbestimmung der Menschen und Völker durch den Wirtschaftsimperialismus der Multis und des UdSSR-Staatskapitalismus. Wall-Street und Kreml wollen Menschen und Völker zu Spielbällen ihrer weltweiten Kapitalinteressen machen. Eines ihrer Mittel ist die Propagierung ihrer 'One-World'-Ideologie: Den Welt-Einheits-Menschen hoffen sie hinsichtlich der Ausbeutung seiner Arbeitskraft und der Ausrichtung seines Konsumverhaltens besser manipulieren zu können" (JN 1979: o.S.).

Auch hier ist die 'One-World-Ideologie' Synonym mit dem 'Welt-Einheits-Menschen' gegenüber den 'Völkern' als zentraler Unterscheidung. Marxismus und Liberalismus sind, der Konstellation des Kalten Krieges entsprechend, synonym mit 'UdSSR-Kreml-Staatskapitalismus' einerseits und mit '(USA)-Multis-Wall-Street' andererseits, so dass die nationalistische Position als 'dritter Weg' erscheint132. Obwohl sie so bereits relativ früh eingeführt wurde, wird die One World doch erst mit dem Beginn der Globalisierungsdebatte 1996 zu einem zentralen Topos. Exemplarisch ist das Titelbild der Zeitschrift Nation&Europa (N&E 6/1996), auf dem einem Globus – dem zentralen medialen Bild in Sachen Globalisierung (vgl. Abbildungen 1 und 2) – die "Droge" (ebd.: 3f.) der 'One World' in Form von 'USDollar' injiziert wird – natürlich just in Deutschland (siehe Abbildung 6). Einige Monate später erscheint in der gleichen Zeitschrift unter der Überschrift "'One World' ohne Illusionen" (N&E 2/1997: 77f.) eine Rezension der 'Globalisierungsfalle' (GF). Darin wird das Buch empfohlen und zugleich werden zentrale 131

Allenfalls findet sich vereinzelt die Formulierung der 'Einen Welt', die Knobloch (vgl. 2007a: 178) als Element der 'Ökologen' ausmacht, das sich in die Globalisierungsdebatte einschreibt und die bei Martin/Schumann (vgl. GF: 39ff.) unter dem Stichwort 'Die eine Welt zerfällt' der globalen sozialen Fragmentierungen entgegengesetzt wird (womit sie grade nicht durch den Gegensatz zum Nationalstaat bestimmt ist). 132 Zur antisemitisch konnotierten Ausbeutungserzählung im Zitat siehe Kapitel 5.1.2.3.

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Differenzen markiert, wobei sich insgesamt zeigt, wie die Debatte mittels der Figur der 'One World' aufgenommen wird: "Besonders illustrativ" sei die "Darstellung der internationalen Finanzmärkte gelungen", die "souveräne Volkswirtschaften, ja jede Vorstellung von Souveränität zwangsläufig in Frage" stellen. "Daß freier Welthandel und schrankenloser One-World-Kapitalismus nicht der Weisheit letzter Schluß sein können", hätten allerdings "andere, nämlich 'rechte' Kritiker der 'Neuen Weltordnung' schon vor Jahren" gewusst. "So recht überzeugt von ihrer Kritik an der One World [...] scheinen die beiden Autoren zudem selbst nicht zu sein. Von protektionistischen Maßnahmen zum Schutz der einheimischen Volkswirtschaft, erst recht von 'Neuen Rechten' á la Haider wollen sie nichts wissen, dagegen empfehlen sie – in bester Internationalistenmanier – Wirtschaftssanktionen gegen 'autoritäre Regime'" (ebd.).

Hier ist die One World synonym mit der Globalisierung und den zentralen Themen der Debatte, die im charakteristischen Antagonismus präsentiert werden: {Globalisierung, freier Welthandel, schrankenloser Kapitalismus, internationale Finanzmärkte} / {Souveränität, Protektionismus, einheimische Volkswirtschaft, souveräne Volkswirtschaften}. Diese Aussage ONE WORLD {souveräne Völker, nationale VOLKswirtschaft} / {One World: (schrankenloser Kapitalismus) / (linker Internationalismus)} gilt es festzuhalten. Der darin artikulierte Komplex Freihandel-Weltwirtschaft / Protektionismus-VOLKswirtschaft wurde bereits herausgestellt. Einen besonderen Akzent enthält er an dieser Stelle durch die Eingliederung der internationalen Finanzmärkte in die Negativ-Kette. Bemerkenswert ist weiterhin, dass die 'One World' hier zum einen wiederum mit den USA identifiziert wird, nämlich mit dem Verweis auf die 'Neue Weltordnung', und dass sie zum anderen erneut '(linke) Internationalisten' umfasst, nämlich Martin/Schumann, die Protektionismus und Rechte, wie Haider, ablehnen. Diese drei zentralen Elemente der nationalistischen Globalisierungsdebatte – Amerikanisierung, Internationalisten, Finanzmärkte – werden im Folgenden beschrieben. 5.1.2.1 Amerikanisierung Schon im oben zitierten Thesenpapier aus den 1970er-Jahren geht die Figur der One World mit der Erzählung einher, dass die USA – als Inbegriff von Kapitalismus und Imperialismus – die 'Ausbeutung der Völker' anstrebten. Dieses Motiv, auf das Voigt in der Rede mit den "Kriegen der USA" (526f.) und dem "amerikanischen Wirtschaftsimperialismus" (619) anspielt, wird in der Globalisierungsdebatte zentral und nimmt im Aktionsprogramm ein ganzes Kapitel ein (NPD 2004: 49ff.). Ausgehend von den Kriegen seit dem Golfkrieg von 1991 heißt es darin,

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die USA "betreiben seit ihrer Gründung eine imperialistische Politik". Ihr aktuelles Projekt sei die "Umsetzung der 'Neuen Weltordnung' der US-Ostküste" (50), das heißt die "Durchsetzung der Globalisierung", die dem "Spekulationskapital" beziehungsweise den "Spekulanten" (ebd.: 51) erlaube weltweit zu agieren (vgl. Kapitel 5.1.2.3 und 5.1.2.4). Unter dieser Voraussetzung werden dann noch einmal zentrale Themen der Globalisierungsdebatte wie Unternehmensübernahmen, Senkung von Löhnen und Sozialleistungen, Währungsspekulation, Umweltstandards und anderes stichwortartig angeschnitten. Beachtet werden müsse aber auch eine weitere "Erscheinungsformen des US-Imperialismus" (ebd.: 52), nämlich der "Kulturimperialismus" (ebd.: 53), der auf eine globale "Kulturnivellierung und Vernichtung natürlich gewachsener Volksstrukturen" (ebd.: 8, vgl. 53) ziele. Dieser diene dazu, "Widerstand gegen die[] Ausbeutungspolitik zu brechen", indem "kulturelle Zersetzung" in Form einer "Amerikanisierung in Rundfunk, Musik, Film und Fernsehen" (ebd.: 51, vgl. 53, 11) gefördert werde. An dieser Stelle sind implizit zwei Bezüge vorhanden. Zum einen wird an einen thematischen Seitenstrang der medialen Globalisierungsdebatte angeknüpft, in dem unter dem Stichwort 'kulturelle Globalisierung' häufig das Bild einer 'globalen (amerikanischen) Einheitskultur' gezeichnet wird (vgl. Kapitel 5.1.2.1). Zum anderen wird das traditionelle kulturpessimistische Ressentiments der nationalistischen Rechten gegen die – seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit den USA identifizierte – moderne Popkultur fortgeschrieben. In diesem Zusammenhang wird die One-World-Figur unmittelbar zur "'One-World' der USA" (NPD 2004: 53), wobei sie auch hier im Gegensatz zur "Welt der tausend Völker", beziehungsweise "den Interessen der Völker und souveräner Nationalstaaten" (ebd.: 76) steht und durchgehend mit "Universalismus" (ebd.: 52f.) verbunden ist. Der Antagonismus lautet an dieser Stelle also: {One-World der USA, Universalismus: Wirtschaftsimperialismus (Globalisierung, US-Ostküste, Spekulanten), Kulturimperialismus (Kulturnivellierung, Amerikanisierung, Zersetzung)} / {Welt der tausend Völker, souveräne Nationalstaaten, gewachsene Volkskulturen}. Festzuhalten gilt es hier die Aussage AMERIKANISIERUNG {Welt der tausend Völker, souveräne Nationalstaaten, gewachsene Volkskulturen} / {US-Imperialismus: wirtschaftlich (Globalisierung, US-Ostküste, Spekulationskapital), kulturell (globale amerikanische Einheitskultur, kulturelle Zersetzung), militärisch}.

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Im Rahmen der ONE-WORLD-Aussage nimmt die AMERIKANISIERUNG potenziell den Platz des 'schrankenlosen Kapitalismus' ein, der über die Brücke des nicht näher bestimmten 'Universalismus' mit der 'internationalistischen Linken' gleichgesetzt wird. 5.1.2.2 Internationalismus So heißt es im Sofortprogramm der NPD einige Zeilen nach der Einführung der expliziten Nennung der ONE WORLD: "die von einer internationalistischen Linken als Mittel angepriesenen Instanzen der Zivilgesellschaft geben der Globalisierung nur eine zynische und scheinhumanitäre Form" (NPD 2004: 54), denn nur eine "Welt der Völker" beziehungsweise das "Selbstbestimmungsrecht" dieser biogenealogisch vorgestellten Quasisubjekte könne die Alternative sein. Im Glossar zu einer Sammlung von Thesenpapieren der Jungen Nationaldemokraten ist der Gegensatz mustergültig formuliert: "Internationalismus ist der Versuch, weltweit die Völker, ihre Wirtschaft und ihre überlieferten Lebensweisen zu beherrschen, umzuformen und des Gewinns willen auszubeuten. Internationalismus ist das Gegenstück zum Nationalismus: er behauptet, daß alle Menschen auf der Erde gleich seien, gleiche Anliegen hätten und eine solidarische Menschheit darstellen würden. Liberalismus, Marxismus sowie die christliche Irrlehre entwickelten gleichermaßen internationalistische Ziele und Vorstellungen" (JN 1998: 25)133.

Bei Jürgen Schwab lautet die entsprechende Formulierung: "Der vor Jahren erfolgte Zusammenbruch der kommunistischen Systeme hat gezeigt, daß Internationalismus, Gleichschaltung und Gleichmacherei die Totengräber einer nationalstaatlichen Ordnung sind. Wir werden schon bald den Zusammenbruch der westlichen liberalkapitalistischen Systeme mit ihren menschenverachtenden Massengesellschaften erleben, die an Internationalisierung, Mulitkulti und Globalisierung genauso scheitern werden" (Schwab 2002: 174).

Schwabs Gegenbegriff dazu ist die "raumorientierte Volkswirtschaft" (ebd.). Wie diese Stellen zeigen, fungiert der Terminus des Internationalismus – ebenso wie die ONE WORLD, in deren Nachbarschaft er gehäuft auftritt – weitgehend als Synonym der IRRATIONALISMUS-Aussage: {Internationalismus, Gleichheit der Menschen: (Marxismus, kommunistische Systeme) / (Liberalismus, kapitalistische Systeme)} / {Nationalismus: Selbstbestimmungsrecht der Völker, raumorientierte Volkswirtschaft, ...}.

133 2006 taucht diese Bestimmung wörtlich auf der Internetseite zu einer 'Antikapitalismus-Kampagne' wieder auf, die ein Bündnis aus Teilen der NPD und der 'freien' Neonaziszene 2006 initiierte (vgl. http://www.antikap.de/?antikap=theorie [02.12.2009])

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Nach dem Ende der Systemkonkurrenz wird der Term im Zuge der Globalisierungsdebatte dann auf die globalisierungskritische Bewegung einerseits und die ökonomische Globalisierung andererseits bezogen. Letzteres zeigt sich etwa in Voigts Rede von den "Internationalisten" und "Globalisten [...] der etablierten Parteien" (23f.). Entsprechend wird die Paraphrase zentraler Thesen von Schumann/Martin in der DS unter der Unterüberschrift "Die Luft des kapitalistischen Internationalismus-Klimas wird immer dünner für deutsche Arbeitnehmer" (DS 10/1997: 6), präsentiert, während die Autoren in der Rezension von N&E selbst des linken Internationalismus geziehen werden (vgl. Kapitel 5.1.2). Ein weiteres Beispiel bietet ein Leserbrief in der DS, der die "rot-grün-schwarz-gelbe internationalistische Politik" beklagt, welche "unser Land und seine Wirtschaftskraft an die internationale Finanzoligarchie verkauf[t]" oder auch umgekehrt von der "internationalistische[n] US-Finanzoligarchie und ihre Politvasallen im Berliner Reichstag" spricht, um am Ende "die 'Eine Welt' nach US-Muster mit 90% Proletariermasse und 10% Superreichen" gegen die "Welt der tausend Völker" und ein "neues sozial gerechtes deutsches Vaterland" (DS 11/2004: 23) zu setzen.

Dieser kurze Text mit der Überschrift "Kampf der Finanzoligarchie" zeigt noch einmal den engen Zusammenhang der Elemente {One World, Amerikanismus, Internationalismus} und verdeutlicht zugleich den kapitalismuskritischen Jargon (Proletariermasse vs. Superreiche), mit dem diese Aussagen bei der NPD einhergehen. Wenn er dann am Ende noch auf die NS-Ideologen 'Feder und Strasser' zu sprechen kommt, zeigen sich außerdem die mehr oder minder expliziten NS-Bezüge dieser Aussagen und ihre antisemitische Grundierung. 5.1.2.3 Finanzmärkte: Jüdische Spekulanten Eine klassische Figur ist in diesem Zusammenhang bekanntlich das Bild des 'jüdischen Kapitalisten' beziehungsweise des 'jüdischen Finanzkapitals' 134 , das prompt ein Artikel in der gleichen Ausgabe der DS aufruft und zwar am Beispiel von George Soros, dem medialen Paradebeispiel eines Hedgefonds-Mangers (vgl. Kapitel 4.3.2). Diesen stellt der Autor als den "berüchtigten jüdischen Großspekulanten" und stellvertretend für die "zumeist jüdischen Hedgefonds-Manager" (DS 11/2004: 10) vor. "Soros erklärte Absicht" sei es, "eine antinationale Elite heranzubilden, die dann bei der Abwicklung der Nationalstaaten dienlich sein soll. [...] Mit einfachen Worten: Soros will die Eine Welt [...] mit allen bekannten verheerenden Folgen für jene, die sich dem USraelischen Universalismus nicht beugen möchten [...]. Genau diesem Ziel [schneller Profit] gilt die ganze elende Globalisierung unter USraelischer Regie, bei der letztlich alle ehrlich arbeitenden Menschen auf der Strecke bleiben" (ebd.).

134

Vgl. Barkai (1995).

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Hier wird die Kette {Globalisierung, One World, Universalismus, USA} also explizit in die JUDEN-Aussage {jüdische Spekulanten, USrael} eingeordnet, die im Gegensatz zu 'ehrlich arbeitenden Menschen' steht. Dabei lässt sich beobachten, wie die gängige mediale Symbolik – genauer gesagt: die der KRITIK-POSITION – aufgegriffen und in diesen Kontext überführt wird. So wird der "Haifischkapitalismus" zur Sache von "Verbrecher[n] und skrupellose[n] Spekulanten", der "Börsenzocker" kann "mit seiner Zockerei" ein Milliardenvermögen "zusammenraffen", der "Marktfundamentalismus" entspricht dem "Heiligen Gral des global agierenden Finanzjudentums" (ebd.) und schließlich kommt in diesem Kontext die antisemitische Konnotation mehr oder weniger gängiger DeterritorialisierungsSymbolik, wie den "ungehemmten Finanzströmen" oder den "Finanznomaden" (ebd., vgl. Kapitel 3.2.10) voll zum Tragen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die antisemitische Botschaft implizit auch in anderen Dokumenten transportiert wird, in denen von JUDEN keine Rede ist. Dies gilt beispielsweise für Oberlerchers wirtschaftspolitisches Papier, in dem die einschlägige Symbolik (vgl. Kapitel 5.1.1.1) ebenfalls mit der Botschaft verknüpft wird, die Globalisierung laufe auf "zersetzte[] Volkswirtschaften und entmachtete[] Nationalstaaten" hinaus und sei das Werk des "antinationale[n] Finanzkapital[s]" (DS 9-10/1998: 12). Und nicht zuletzt wird im Aktionsprogramm der NPD von 2004, im Zusammenhang mit den globalen Kapitalströmen eine 'Klasse asozialer Spekulanten' ausgemacht, die mit den Motiven 'Spekulation, Wucher und Zins' in Verbindung gebracht wird: "Die Kapitalströme, die täglich, nur aus Gründen der Spekulation, um den Globus rasen, haben beinahe das hundertfache Ausmaß der Geldströme, denen ein realer Warenaustausch zu Grunde liegt. Eine Klasse asozialer Spekulanten macht sich breit, die ihr Einkommen nicht mehr aus realer Arbeit bezieht, sondern aus müheloser Spekulation, welche der Gemeinschaft nachhaltig schadet. [...] Die um den gesamten Globus fließenden Ströme des Spekulationskapitals müssen eingedämmt werden. Neben einer Kontrolle der Geldflüsse von und nach Deutschland müssen die Geldflüsse, die der Spekulation dienen, besteuert werden. Dem Preiswucher und der Spekulation durch Zins und Zinseszins muß Einhalt geboten werden" (NPD 2004: 18, 22).

Hier ist erneut zu beobachten, wie die politischen und ökonomischen Transformationsprozesse, um die es vermeintlich geht, zugunsten der narrativen Momente vollkommen in den Hintergrund treten. So wird der politisch-ökonomische Bezugspunkt der ausgiebig gebrauchten Symbolik der rasenden Kapitalströme mit keinem Wort erwähnt, nämlich der Übergang zu marktregulierten Wechselkursen, der neuartige Formen der Währungsspekulation ermöglicht, wodurch sich das Verhältnis von Güter- und Devisentransaktionen verändert. Was bleibt ist die Botschaft, die Ströme müssen eingedämmt werden und – das ist die spezifische Erzählung der NPD – die Präsentation von Schuldigen im Gegensatz

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{asoziale Spekulanten, mühelose Spekulation} / {Gemeinschaft, reale Arbeit}, den die DS, wie oben gezeigt wurde, auch direkt auf die Formel {jüdische Spekulanten, hemmungslose Ströme} / {ehrlich arbeitende Menschen} bringt, die das antisemitische Motiv mit einem moralisierenden (hemmungslos / ehrlich) Appell zur Arbeit (vgl. Kapitel 5.1.4.3) verknüpft. Das gleiche Muster findet sich auch bei der Thematisierung von Unternehmensbeteiligungen und Shareholder-Value-Steuerung im Aktionsprogramm. Auch hier dominiert die symbolische Rede und es handelt sich wiederum um einen Aufhänger für die Figur des 'Spekulanten', die mit dem Motiv des Aussaugens verknüpft wird: "Spekulationskapital in schwindelerregender Höhe jagt jeden Tag um den Globus, um einen möglichst hohen Profit zu erzielen. Unternehmensbeteiligungen haben [...] den Charakter von kurzfristigen Wetten [...]. Es gilt [...] das Unternehmen möglichst schnell finanziell auszusaugen, [...] möglichst hohe Profite für die Spekulanten zu erzielen, den sogenannten 'Shareholder-Value'" (NPD 2004: 17f.).

Die Thematik der Finanzmärkte wird insgesamt unter Einbeziehung entsprechender Stichworte aus der öffentlichen Diskussion – die dafür durchaus problematische Anschlussstellen bietet – in die klassische Erzählung vom 'jüdischen Kapital' {Wucher, Zins, Spekulanten, Nomaden, Zersetzung, Aussaugen} übersetzt. Konkrete politische Vorschläge fehlen auch hier weitgehend. Wie etwa eine 'Besteuerung von Geldflüssen, die der Spekulation dienen' auszusehen hätte – der Gedanke an die Tobin-Steuer läge nahe – wird nicht gesagt. Der einzig konkrete Vorschlag, der im entsprechenden Abschnitt des Parteiprogramms gemacht wird, liegt nicht im Bereich der Steuerpolitik, sondern lautet, dass "der Staat als Vertreter der Allgemeinheit das Stimmrecht nicht anwesender Aktionäre" (NPD 2004: 22) in Aufsichtsräten an Stelle der Banken wahrnehmen solle. Auch hier ist ein ideologisches Motiv – der Staat als Vertreter des Allgemeinwohls (vgl. Kapitel 3.4.2) – ausschlaggebend. Zugleich impliziert dieser Vorschlag, dass die anwesenden Aktionäre – in der Regel eben Banken und andere institutionelle Investoren – ihr Stimmrecht wie gehabt wahrnehmen und dass die (institutionellen wie individuellen) Shareholder, die das gleiche Programm als 'Klasse asozialer Spekulanten' präsentiert, freilich weiterhin ihren Value ('Spekulantenprofit') erhalten sollen.

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5.1.2.4 Die diskursive Vorgeschichte der One-World-Aussage In einer Broschüre, die als interne Argumentationshilfe für Funktionsträger konzipiert wurde, wird der antisemitische Kern der Globalisierungserzählung der NPD mustergültig zusammengefasst: "Es handelt sich bei der Globalisierung um das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter der Führung des großen Geldes. Dieses hat, obwohl seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch und ortlos, seinen politisch beschirmten Standort vor allem an der Ost-Küste der USA. Deshalb ist Globalisierung eine unverblümte Imperialismusstrategie der USA. [...] Für Peter Scholl-Lautour sind Globalisierung und Amerikanisierung deshalb Synonyme. Die durch die modernen Massenmedien geförderte kulturelle Veramerikanisierung greift die organisch gewachsenen Identitäten der Völker an und arbeitet an einem konsumistisch abgerichteten Welteinheitsmenschen" (NPD 2006: 19).

Die Struktur wurde bereits ausführlich rekonstruiert. Die zentralen Elemente der Negativkette sind in fließendem Übergang zwischen den Aussagen AMERIKANISIERUNG {USA, kapitalistische Wirtschaftsweise, (kultureller) Imperialismus} und JUDEN {großes Geld, jüdisch-nomadisch, ortlos, Ost-Küste der USA}, die meist unter dem Schlagwort der ONE WORLD im übergreifenden Antagonismus {Welteinheitsmensch} / {organisch gewachsene Völker} artikuliert werden. Damit ist eine Erzählung verbunden, wonach der 'Welteinheitsmensch konsumistisch abgerichtet' werde, was bedeutet, dass jeder universalistische Bezug letztlich nur partikularen Profitinteressen – namentlich eben der USA respektive der JUDEN – diene. An diesen drei eng verbundenen Elementen der USA, der Ausbeutungserzählung und der JUDEN, soll im Folgenden kurz verdeutlicht werden, dass die Aussagen der NPD zur Globalisierung (auch) eine Fortschreibung des historischen NS-Diskurses sind, die zwar zumeist implizit bleibt, mitunter aber durch entsprechende Bezugnahmen offengelegt wird. Im Sofortprogramm von 2004 wird die "'One World' der USA" im Kapitel zur "Außenpolitik" erläutert, in welchem die NPD zugleich ihre Zielvorstellung als "großraumpolitische Ordnung mit [...] Interventionsverbot für raumfremde Mächte" (NPD 2004: 53f.) vorstellt. Mit anderen Worten besteht das außenpolitische Konzept der NPD im Expansionsprojekt der Nazis, dessen Legitimationsschrift 'Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte' von Carl Schmitt aus dem Jahr 1939 hier implizit zitiert wird (vgl. auch Schwab 2002: 205ff.). In diesem Zusammenhang fällt auch die einschlägige Identifizierung der ONE WORLD mit dem "Universalismus" (NPD 2004: 53), beziehungsweise der "universalistischen Ideologie" (ebd.: 54). Hintergrund ist auch hier das Konzept Schmitts, welches das "traditionelle Völkerrecht [...] als Schöpfung der Juden[] und Deckmantel des britischen Imperialismus verdammt" und seinem "Universalismus [...] das Denken in 'konkreten Ordnungen'" und das heißt konkret "das 'Großdeutsche Reich'" (Neumann 1977: 199f.) entgegenstellt hat. So schrieb Schmitt seinerzeit unter anderem, dass

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"das Deutsche Reich, in der Mitte Europas, zwischen dem Universalismus der Mächte des liberaldemokrtischen völkerassimilierenden Westens und dem Universalismus des bolschewistisch-weltrevolutionären Ostens liegt und nach beiden Fronten die Heiligkeit einer nichtuniversalistischen, volkhaften, völkerachtenden Lebensordnung zu verteidigen hat" (Schmitt 1988 [1940]: 304)

Hier zeigt sich, wie die anhand von Schmitts Parlamentarismus-Schrift entwickelte IRRATIONALISMUS-Aussage (vgl. Kapitel 3.2.4.5) von ihm selbst, zum gegebenen Zeitpunkt erstens auf die Ebene der internationalen Beziehungen übertragen und zweitens bezüglich der Negativkette mit JUDEN identifiziert wird (vgl. exemplarisch ebd.: 294): {(jüdischer) Universalismus: (liberaldemokratischer Westen) / (bolschewistischer Osten)} / {nichtuniversalistisch-volkhafte Lebensordnung, Deutsches Reich}. In den Worten von Hitler klang die Schmittsche Gleichsetzung von Bolschewismus und Kapitalismus wie folgt: "Die Bolschewisierung Deutschlands, d.h. die Ausrottung der nationalen völkischen deutschen Intelligenz und die dadurch ermöglichte Auspressung der deutschen Arbeitskraft im Joche der jüdischen Weltfinanz ist nur als Vorspiel gedacht für die Weiterverbreitung dieser jüdischen Welteroberungstendenz" (Hitler 2016 [1925/26]: 1581).

Hier erfolgt die Gleichsetzung nicht in der relativ sublimen Form über den theoretischen Universalismus, sondern durch den direkten verschwörungsideologischen135 Verweis auf eine 'jüdische Welteroberungstendenz': {jüdische Welteroberungstendenz: (Bolschewismus) / (Weltfinanz)} / {nationale-völkisch-deutsche Intelligenz, deutsche Arbeitskraft}. Rückblickend ist die historische Wirksamkeit dieser absurden Konstruktion – nach der die sozialistische Arbeiterbewegung der kapitalistischen Ausbeutung und beide zusammen der jüdischen Weltherrschaft dienten – deutlich zu erkennen. Denn damit ist die Rechtfertigung der späteren Politik vorweggenommen, vom Verbot der sozialistischen Organisationen, über den Krieg (den die Juden Deutschland erklärt hätten), bis hin zur systematischen Ermordung der Juden* (die ihrerseits der Ausrottung bezichtigt wurden). Hier soll jedoch vor allem die verschwörungsideologische Erzählung von der ökonomischen Ausbeutung – der 'Auspressung der deutschen Arbeitskraft' – in den Blick genommen werden, deren Grundmuster von der NPD an zahlreichen Stellen fortgeschrieben wird. So wurde in Kapitel 3.2.10, im Zusammenhang mit den symbolischen Elementen der 135 Zum Begriff Verschwörungsideologie vgl. Pfahl-Traughber (2002), Wippermann (2007), Oppenhäuser (2009).

194

5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

JUDEN-Aussage, die Geschichte rekonstruiert, nach der die 'internationalistischen und wurzellosen, Herrschenden (Großkapital, Regierung, Gewerkschaften)' die Migration förderten, um 'gewachsene Volksgemeinschaften durch eine entwurzelte, konsumorientierte und zu Sklavenlöhnen für das internationale Großkapital schuftende Bevölkerung zu ersetzen'. Ein weiteres Beispiel ist das Thesenpapier der JN vom Ende der 1970er-Jahre, in dem erstmals der Begriff der 'One World' auftaucht (vgl. Kapitel 5.1.2). Seinerzeit diente der Begriff der Gleichsetzung der gegnerischen Blöcke des Kalten Krieges und war mit der Erzählung verbunden, dass beide ein gemeinsames Interesse an der 'ökonomischen Ausbeutung der Völker (Imperialismus, Kapitalismus, Ausbeutung, manipuliertes Konsumverhalten)' hätten, wobei die USA (mittels der 'Wall-Street') zum Inbegriff des kapitalistischen Blocks und der Multis werden. Dies setzt sich, wie ausführlich gezeigt wurde, in der Globalisierungsdebatte fort, wobei häufig noch einmal an den OstBlock erinnert wird, der an seinem 'Internationalismus' gescheitert sei. Oder es wird zeitgemäßer der 'linke Internationalismus' der globalisierungskritischen Bewegung kritisiert. In einer weiteren Permutation der fundamentalen Aussage, welche die Linke stets der 'internationalistisch-universalistischen' Gegenseite zuordnet, wird schließlich das Wort 'Sozialismus' für die Wir-Gruppe reklamiert. Exemplarisch ist der in Kapitel 3.2.2 rekonstruierte DS-Artikel (vgl. DS 11/2004: 20), der den Antagonismus {kapitalistisch-bolschewistischer Materialismus} / {deutscher Idealismus, nationaler Sozialismus} aufmacht. Der gleiche Übergang findet sich in jenem Leserbrief, der in Kapitel 5.1.2.2 im Zusammenhang mit mit dem Term 'Internationalismus' zitiert wurde und der 'One World nach US-Muster mit 90% Proletariern und 10% Superreichen' ein 'neues sozial gerechtes Deutschland' gegenüberstellt. Der in der Überschrift genannte Appell lautet dabei "Kampf der Finanzoligarchie", und bei diesem Kampf, so der Autor, "dürfen weder die Erkenntnisse eines Gregor Strasser, oder Gottfried Feder noch die eines Silvio Gesell [...] ausgeklammert werden" (DS 11/2004: 23). Mit Gottfried Feder wird eines der zentralen Gründungsdokumente der verschwörungsideologischen Form der IRRATIONALISMUS-Aussage aufgerufen. In seinem 'Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft' von 1919 sind alle Elemente versammelt: 1. Die Anklage gegen den 'Mammonismus', das heißt gegen das 'internationale Großkapital' als 'Feind der Völker': "Unter Mammonismus ist zu verstehen [...] die internationalen übergewaltigen Geldmächte, die über allem Selbstbestimmungsrecht der Völker thronende überstaatliche Finanzgewalt, das internationale Großkapital, die einzig goldene Internationale" (Feder 1919: 12).

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD

2.

3.

4.

195

Die Identifizierung der ökonomisch führenden 'angloamerikanischen' nationalstaatlichen Konkurrenten als Agenten des 'internationalen Kapitals': "Die großen Geldgewaltigen stecken doch als letzte treibende Kraft hinter dem weltumspannenden anglo-amerikanischen Imperialismus" (ebd.: 12). Die Identifizierung der Kommunisten und Sozialdemokraten als Agenten des Großkapitals: So stellt Feder die rhetorische Frage, "ob die Führer und Rufer im Streit gegen den Kapitalismus, ob die Verfasser des kommunistischen Manifestes, des Erfurter Programmes [und] die jetzigen Führer" nicht die wahren Zusammenhänge "zu Gunsten des Großleihkapitals verschleiert" hätten und deutet die "Antwort auf diese Fragen" mit dem Hinweis "auf große, dunkle Zusammenhänge" an, indem er den "Ausspruch Disraelis" zitiert: "'Niemand darf das Rassenprinzip, die Rassenfrage, gleichgültig behandeln. Sie ist der Schlüssel zur Weltgeschichte'" (ebd.: 57f.). Schließlich die explizite Identifizierung der 'Geldgewaltigen' als JUDEN: "Tief erschüttert erkennen wir die furchtbare Klarheit und Wahrheit der alten Bibelweissagungen, wonach der Judengott Jahve seinem auserwählten Volk verheißt: 'Ich will Dir zu eigen geben alle Schätze der Welt, Dir zu Füßen sollen alle Völker der Erde liegen und Du sollst herrschen über sie'" (ebd.: 62).

In Federschen Worten lautet der Antagonismus also: {Juden, Geldgewaltige, Mammonismus, goldene Internationale: (Großkapital, angloamerikanischer Imperialismus) / (Sozialdemokraten, Kommunisten)} / {Völker der Erde}. Bekanntlich wurde Feder der entscheidende Wirtschaftsideologe in der Frühphase der NSDAP, der die 'Brechung der Zinsknechtschaft' unter anderem im '25 PunkteProgramm' von 1920 verankert hat. Von Feder übernahm Hitler die Unterscheidung von 'raffendem und schaffendem Kapital', die sich wie folgt in den Federschen Antagonismus einfügt: "Das zinsfressende Leihkapital ist die Geißel der Menschheit, das ewige mühe- und endlose Wachstum des Großleihkapitals führt zur Ausbeutung der Völker, nicht das schaffende, gütererzeugende, industrielle Betriebskapital" (ebd.: 57). Und bereits hier wird der Sozialismus auf der Seite 'der Völker' und das heißt auf der Seite des 'schaffenden Kapitals' eingeordnet: "Mammonismus ist der Geist der Habgier, der schrankenlosen Herrschsucht, der nur auf Erraffung der Güter und Schätze der Welt gerichteten Sinnesart [...]. Mammonismus ist das gerade Gegenteil von Sozialismus. Sozialismus, als höchste sittliche Idee aufgefaßt, als Idee dessen, daß der Mensch [...] sittliche Verpflichtungen hat gegenüber der Zukunft [...] seines Volkes" (ebd.: 11f.).

196

5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

Tabelle 5.1: Von der Irrationalismus-Aussage zur One-World-Aussage Quelle Feder (1919) * Schmitt (1926)

{Positiver Pol} Völker der Erde

nationaler Mythus

Schmitt (1940) nicht-universalist., volkhafte Lebensordnung Hitler Völkische (1925) * Intelligenz

JN (1979) * Kosiek (1975) Kosiek (1999)

deutsche Arbeitskraft Völker

Volk Völker

{Negativer Pol: Juden

(Negativ 1) Großkapital

(Negativ 2)} Kommunisten

angloamerikan. Imperialismus Liberalismus

Sozialdemokraten Sozialismus

liberaldemokratischer Westen

bolschewistischer Osten

Jüdische Welteroberung

Weltfinanz

Bolschewismus

One World

Wall-Street (USA)

UdSSR

WeltEinheitsmensch Gleichheit der Menschen One World

Multis

Kreml

Liberalismus

Marxismus

Globalisierung

Linke Internationalisten

goldene Internationale Menschheitsdemokratie (jüdischer) Universalismus

Nationalstaaten

Global Player

Volkswirtschaft N&E (1997)

DS-Artikel (2004) *

Nationale Souveränität

One World

Souveräne Volkswirtschaften

Internationale Finanzmärkte

heimische Volkswirtschaft

schrankenloser Kapitalismus

Nationalstaaten

Eine Welt Universalismus

DS-Leserbrief (2004)

Globalisierung

Welt der Völker

Eine Welt

'Neue Weltordung' (USA) Welt ohne Grenzen Jüdische Spekulanten USrael Internationalist. US-Finanzoligarchie

(linke) Internationalisten

(Demokratie) (internationale Rechtsnormen)

197

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD

NPD Aktionsprogramm (2004) *

Welt der tausend Völker

One-World der USA

US-Imperialismus, US-Ostküste, Kulturimperialismus

Internationalist. Linke

Großraumordnung

Universalismus

Globalisierung, Spekulanten

internationale Zivilgesellschaft

* offen verschwörungsideologische Varianten

Hier nimmt der übergreifende Antagonismus Juden / Völker also die Form {Raffen, zinsfressendes Leihkapital, Gier, Mammonismus} / {Schaffen, industrielles Kapital, Sozialismus, Sittlichkeit, Zukunft des Volkes} an. Drei Elemente verdienen Beachtung: Erstens der moralisierende Gegensatz von Gier und Sittlichkeit (dazu mehr in Kapitel 5.1.4.3). Zweitens die Reklamierung des Sozialismus im Gegensatz zum Sozialismus der Sozialdemokraten und Kommunisten (dazu mehr in Kapitel 5.1.4.1). Drittens schließlich die Trennung dieses Terms von der Frage der Verfügung über die Produktionsmittel, indem verschiedene Formen, die das Kapital im Prozesse seiner Zirkulation immer wieder annimmt (produktives Kapital, Geldkapital, zinstragendes Kapital und so weiter), sprachlich gegeneinandergestellt werden. Diese Vorstellungen und auch die Referenzautoren prägen nach wie vor die Debatten in der NPD und ihrem Umfeld. Es ist kein einzelner Leserbriefschreiber, der Gesell, Feder und Strasser in Erinnerung ruft. Als ein Bündnis aus Teilen der NPD und der 'Freien Kameradschaften' 2006 eine Antikapitalismus-Kampagne durchführte, fanden sich auf der entsprechenden Homepage136 im Download-Bereich etliche Papiere, in denen – in Auseinandersetzung mit entsprechenden Artikeln aus der DS – über die 'Überwindung des Zinssystems' debattiert wird. Während der Tenor hier lautet, Feder sei zwangsläufig gescheitert und man müsse Gesells 'Freiwirtschaftslehre'137 folgen, meint Jürgen Schwab: "Die rechte Dauerdebatte um die vermeintlich erforderliche 'Brechung der Zinsknechtschaft' als 'Schlüssel' zu einer erfolgversprechenden Volkswirtschaft führt in die sektiererische Sackgasse. Allerdings stellt das Zinssystem dann ein Problem wie im Kapitalismus dar, wenn es von Seiten des Staates keine ausreichende Reglementierung in diesem Bereich gibt" (Schwab 2002: 181).

Wie diese 'Reglementierung' auszusehen hätte, ist nicht zu erfahren, fest steht nur, dass 'der Kapitalismus' abgeschafft wäre, wenn 'die Nationale Opposition' die 136

137

Vgl. www.antikap.de [30.10.2006]. Zu Gesell vgl. Bierl (2012).

198

5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

ökonomischen Staatsapparate kontrollieren könnte. Letztlich hat die NPD 1997 bei der Aufnahme des Wortes 'Globalisierung' in ihr Programm (vgl. Kapitel 5.1.1) bereits das gesagt, was sie im Kern dazu zu sagen hat, nämlich dass sie die 'im Kapitalismus betriebene Internationalisierung ablehnt' und ihr die Vorstellung einer 'raumorientierten Volkswirtschaft', in der 'Zinsprivilegien abgeschafft' seien, entgegensetzt. In Tabelle 5.1 sind die behandelten Formen der Aussage IRRATIONALISMUS und ihres Übergangs zur Aussage ONE WORLD noch einmal zusammengefasst. 5.1.3 Exkurs: Zur Reartikulation des mediopolitischen Diskurses Wie ist es zu erklären, dass ein Buch wie die Globalisierungsfalle in einem solchen Kontext, abgesehen von punktuellen kritischen Anmerkungen, überwiegend positiv aufgenommen wird und dies obwohl seine Autoren offenkundig keinerlei Sympathien für die Politik der nationalistischen Rechten hegen und ausdrücklich davor warnen (vgl. GF: 21, 225ff., 303ff.)? Vielleicht liegt gerade in dieser Warnung eine erste Erklärung. Denn das beständige Argument, ohne eine Demokratisierung der EU würden vor allem die "Populisten [...], die ihren Wählern versprechen, die Politik ließe sich wieder renationalisieren", das heißt die "Propheten der nationalen Wiedergeburt wie Jean Marie Le Pen, Jörg Haider oder Gianfranco Fini" (GF: 303) gestärkt, muss nicht zwangsläufig die intendierte Stärkung der eigenen Position zur Folge haben, die auf einen Common Sense baut, dass derartige Positionen schlicht inakzeptabel sind. Spätestens wenn dies am Ende in die dramatische Erzählung von einer Alternative zwischen "den beiden mächtigen Strömungen des europäischen Erbes" mündet, einerseits "die demokratische, die auf das Paris des Jahres 1789 zurückgeht" und andererseits "die totalitäre, die im Berlin des Jahres 1933 siegte" (GF: 328f.), dann lässt sich das im Diskurs der nationalistischen Rechten freilich auch als Verheißung lesen. Denn hier steht a priori fest, dass die 'nationale Wiedergeburt' die Alternative sowohl zu einer "demokratisierte[n...] Europäischen Union", als auch zu ihrer "derzeitigen Form" (GF: 331) ist, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte. Viel entscheidender aber als diese offensichtliche Umkehrung der Intention von Martin/Schumann dürfte es sein, dass diese mit einer ganzen Reihe von Symboliken und begrifflichen Gegensätzen arbeiten, die jeweils eigenständige kleine Erzählungen konstituieren und die ihre politischen Argumente mitunter konterkarieren. Gerade auf dieser Ebene besteht oftmals eine hochgradige Anschlussfähigkeit an den Diskurs der nationalistischen Rechten, was die Autoren hin und wieder selbst zu spüren scheinen, wenn sie entsprechende Lesarten antizipieren und ihnen explizit widersprechen. Dies soll im Folgenden an vier Beispielen verdeutlicht werden. (1) Wie in Kapitel 4 ausführlich gezeigt wurde, ist das Buch von Martin/Schumann (wie die gesamte mediale Debatte) fundamental durch das Gegensatzpaar GLOBAL-NATIONAL strukturiert und zwar in Verbindung mit Symboliken der

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD

199

DETERRITORIALISIERUNG, welche eine Bedrohung der Nation signalisieren. Auf dieser Ebene schließt die Grenzschutzerzählung der nationalistischen Rechten – welche bei der Lektüre des Buches spontan aufgerufen wird, wie die Rezeption in der DS oder in N&E zeigt (vgl. Kapitel 5.1 und 5.1.2) – durchaus konsistent an. Dagegen hilft es wenig, wenn Martin/Schumann sich ausdrücklich gegen die Erklärung "die ausländische Konkurrenz ist schuld" und ihre protektionistischen Implikationen wenden, zumal es von "diesem – ökonomisch falschen – Argument nur ein kleiner Schritt zur offenen Feindschaft gegen alles Fremde [...], Separatismus und Abschottung vom Weltmarkt" (GF: 21) sei. Hinzu kommt, dass eine ganze Bandbreite negativ konnotierter DETERRITORIALISIERUNGs-Erzählungen und nicht etwa nur das Bild der ökonomischen Fluten in einzelnen Passagen präsentiert wird. Zwar handelt es sich – anders als in den Texten der nationalistischen Rechten – nicht um ein dominantes Element, aber vereinzelt finden sich die einschlägigen Bilder durchaus. Das fängt beim "Heer der Entwurzelten" beziehungsweise der "Masse vagabundierender Migranten" (GF: 21, 44)138 an und reicht bis hin zur Erzählung, der "grenzenlose Aktienhandel löst die nationalen Bindungen" (GF: 180) auf. (2) Ein weiteres Beispiel dafür, wie der Subtext auf der symbolischen Ebene die Argumentation konterkariert, ist die Präsentation der Finanzmarktakteure. Hier ist es bezeichnend, dass in der N&E-Rezension die 'illustrative Darstellung der Finanzmärkte' gelobt wird (vgl. Kapitel 5.1.2), denn gerade diese Thematik ist, wie in Kapitel 4.3 gezeigt wurde, mit Kollektivsymbolen überladen, die zudem häufig zu einer Mystifizierung der entsprechenden Akteure tendiert, als deren pars pro toto George Soros fungiert. Prompt ist genau an dieser Stelle die Umschreibung in die Geschichte des 'jüdischen Spekulanten' zu beobachten, in der Soros als exemplarischer JUDE präsentiert und die DETERRITORIALISIERUNGs-Symbolik in Richtung ihrer antisemitischen Konnotation zugespitzt wird (vgl. Kapitel 5.1.2.3)139. Auch an dieser Stelle lässt sich angesichts von Bildern wie Drahtziehern oder gesichtslosen Finanzjongleuren als Herren über die Welt (u.a. auf dem Cover des Buchs, vgl. Abbildung 2, dazu auch Kapitel 6.3.2.4) fragen, inwieweit einer verschwörungsideologischen Lesart durch die folgende Stelle entgegengewirkt wird: "Die vermeintliche Verschwörung ist gar keine. Kein Kartell profitgieriger Banker ist hier am Werk. Nirgendwo treffen sich geheime Zirkel in verborgenen Hinterzimmern, um die Währung dieses Landes zu schwächen oder Kurse an jener Börse in die Höhe zu treiben. Was an 138

Vgl. zum Thema Migration auch GF 60f. Gut zu beobachten sind diese Mechanismen auch in Texten von Horst Mahler (1999) und Arne Schimmer (WIR SELBST 01/2001: 31). Mahlers Text wurde als Rede auf einem NPD-Parteitag gehalten und Schimmer, einer der zentralen Wirtschaftsideologen der NPD, ist Autor des in Kapitel 5.1.1.2 zitierten Artikels zum Opelstreik. 139

200

5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

den Finanzmärkten geschieht, folgt durchaus einer weitgehend nachvollziehbaren Logik und wurde von den Regierungen der großen Industrieländer selbst heraufbeschworen" (GF: 72).

Mit der 'nachvollziehbaren Logik' sind ökonomische Handlungskalküle im Rahmen bestimmter Formen politischer Regulierung gemeint – hier konkret die Effekte des währungspolitischen Übergangs vom Festkurssystem zur Marktregulierung. Aber gerade solche systemischen Zusammenhänge – um die es den Autoren fraglos geht – stehen oftmals in Konkurrenz zu den erzählerischen Mitteln, mit denen sie präsentiert werden. So werden die vielfältigen politischökonomischen Interessenskonstellationen und Handlungslogiken – die durch Faktoren wie soziale Klassen, ökonomische Branchen oder die nationalstaatliche Position im Weltsystem überdeterminiert sind – des Öfteren auf den Gegensatz von "handlungsfähigen Regierungen" und "der neuen Transnationalen" (GF: 320) gebracht. An einer Stelle heißt es beispielsweise: Die "Internationale der Hochfinanz untergräbt unentwegt [...] die Handlungsfähigkeit der Nationalstaaten" (GF: 136). Angesichtes solcher Formulierungen und der entsprechenden Symbolik verwundert es nicht, dass – zumindest entsprechend disponierte – Rezipienten dies im Sinne der Erzählung von der 'Goldenen Internationale' aufnehmen, obwohl das Buch eine Menge Informationen und Gesichtspunkte anbietet, die dieser Interpretation entgegenstehen. (3) Wie die gerade zitierte 'Untergrabung der staatlichen Handlungsfähigkeit' schon andeutet, stützen Martin/Schumann ihr Plädoyer für bestimmte Formen der Re-Regulierung auch dadurch, dass sie die konservative Erzählung vom Staatsversagen in diesen Zusammenhang stellen. Obgleich sie selbst vor allem für eine Stärkung der (beziehungsweise Regulierung auf der Ebene der) Europäischen Staatsapparate plädieren, dient ihnen doch vor allem die 'nationale Souveränität' (vgl. GF: 269, 91, 200, 275, 308) als positiver Orientierungspunkt. Dem souveränen Staat steht die Anarchie (vgl. GF: 91, 123, 291, 317) deregulierter Märkte und "die anarchische, antistaatliche Gesinnung, der Lenker des Kapitalflusses" (GF: 135) gegenüber. Auf die Spitze getrieben wird diese Erzählung in dem Kapitel "Wem gehört der Staat. Der Niedergang der Politik und die Zukunft der nationalen Souveränität" (GF: 269ff.) und darin noch einmal in einem Abschnitt mit dem Titel "Grenzenlos kriminell" (GF: 285ff., vgl. 91ff.). Hier beklagen Martin/Schumann das "Staatsversagen[] vor der Anarchie des Weltmarktes" (GF: 289) und arbeiten dabei mit einer engen symbolischen140 Koppelung von Freihandel und Kriminalität {"Kriminelle Multis" (GF: 285), "kriminelle[] Netzwerke" (GF: 288), "Untergrundökonomie" (GF: 285), "Unterwanderung der legalen Sektoren" (GF: 287) usw.}. Der Nationalstaat erscheint in diesem Zusammenhang symbolisch in 140 Die Grenzen zwischen Symbolik und nicht-symbolischer Rede sind dabei fließend, denn es gibt durchaus die Phänomene des durch den Freihandel erleichterten Schmuggels oder der 'Geldwäsche' in Offshore-Finanzplätzen, auf die sich Martin/Schumann hier auch beziehen.

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD

201

einer Katachrese aus einstürzendem Gebäude {"untergräbt die Grundlage" (GF: 285), "schwankt [...] eine weitere Säule" (GF: 285)} und krankem, männlichem Körper {"chronischen" (GF: 285), "Symptom" (GF: 285), "Impotenz" (GF: 290)}. Mit diesen Bildern der Impotenz und des Versagens wird genau jene Symbolik der MÄNNLICHKEIT, nämlich des männlichen Staates im Kampf mit {Anarchie, Chaos, Kriminalität} reproduziert, die sich bei Carl Schmitt – dem Ideologen der souveränen Exekutivgewalt – und seinen Apologeten in den Reihen der NPD findet (vgl. Kapitel 3.2.5). Folglich besteht auch auf dieser Ebene ein Identifikationsangebot für die nationalistische Rechte. (4) Ebenso finden sich zentrale Elemente der AMERIKANISIERUNGs-Erzählung (vgl. Kap 5.1.2.1). Gleich zu Beginn des Buchs wird in schillernden Farben das Bild einer "Disney-Kolonialisierung der globalen Kultur" (GF: 28)141 gezeichnet, das vom "Fernsehsender MTV" (ebd.) über das "Trillern von Madonna und Michael Jackson" (GF: 29) und natürlich "Hollywood" (ebd.) bis hin zum "Kehlenverführer Coca-Cola" (GF: 32) und gar der "designfixierten Spaßgesellschaft" (ebd.) kein Klischee des traditionellen kulturpessimistischen Lamentos142 auslässt. Wenn diese Klage, dass "ein monotoner globaler US-Einheitston 'screech'" entstehe, am Ende in die Diagnose mündet, dass sich auch das "Kulturgut Sport" (nicht zuletzt die Fußball-Bundesliga) entsprechenden amerikanischen Vorbildern annähere, wobei "ein Image (…) an die Stelle eines kulturell gewachsenen Zugehörigkeitsgefühls" trete, ist der Antagonismus {Amerikanisierung} / {gewachsene Kultur}, der die Texte der nationalistischen Rechten in diesem Zusammenhang bestimmt, in Reinform realisiert. Dieses einleitend skizzierte Bild des "amerikanischen Kulturimperialismus" (GF: 58) taucht im Verlaufe des Buches ein ums andere Mal auf und verbindet sich mit der Rede von den USA als "Mutterland der kapitalistischen Gegenrevolution" (GF: 160) oder der Wahrnehmung, "auf den Finanzmärkten bedeute[] Globalisierung bisher wenig mehr als die Amerikanisierung der Welt" (GF: 109). Mag dies auch auf politisch-ökonomische Gegebenheiten bezogen sein – etwa den Neoliberalismus der Chicago-School und sein Pendant die 'Reagonomics' (vgl. GF: 152ff.) oder auf die Weltgeldfunktion des Dollar und seine strategische Nutzung durch die US-Zentralbank (vgl. GF: 105ff.) – so wird es doch in einer Weise präsentiert, die sich kaum von der NPDErzählung unter dem Stichwort AMERIKANISIERUNG unterscheidet.

141 Es handelt sich hier um ein Zitat von Benjamin Barber, dessen Position und vor allem seine an gleicher Stelle zitierte Formel "Jihad vs. McWorld" insbesondere von Alain de Benoist aufgegriffen und im Sinne der AMERIKANISIERUNGS-Aussage zugespitzt wird (vgl. Kapitel 6.2.2). 142 Ein Beispiel aus dem Materialkorpus, das alle Elemente des antiamerikanischen Ressentiments versammelt, ist die Ausgabe 01/2001 der Zeitschrift WIR SELBST.

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5.1.4 Globalisierungskritik: Deutsche Arbeiter gegen 'Global Player' und Ausländer Wie gezeigt wurde, greift die NPD die erzählerischen Elemente der medialen Globalisierungsdebatte auf und schließt dabei die zentralen Aussagen ihres Diskurses an, die sich in den politischen Konsequenzen beträchtlich von jenen Positionen unterscheiden können, auf die Bezug genommen wird. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass sich die NPD von Beginn an positiv auf die KRITIK-POSITION bezieht. Auch dies lässt sich am Buch von Martin/Schumann und seinem zentralen Symbol, der Globalisierungsfalle verdeutlichen. So zeigen einige bereits zitierte Beispiele, dass die DS (vgl. 10/1997: 6 und 11/2004: 9) das Symbol des Öfteren benutzt, und Oberlercher formuliert in seinem wirtschaftspolitischen Positionspapier: "Die raumorientierte Volkswirtschaft ist der Ausweg aus der Globalisierungsfalle" (DS 9-10/1998: 12), was wiederum Jürgen Schwab (vgl. 2002: 171) in seinem Buch 'Volksstaat statt Weltherrschaft' zitiert, wobei er die Falle in eine symbolische Äquivalenz zum "Raubtierkapitalismus" (ebd. vgl. 177) bringt. Dies zeigt, wie der medial gängige BINDESTRICH-KAPITALISMUS aufgenommen wird, wobei die sonst üblichen Bezugnahmen auf 'soziale Marktwirtschaft' und ähnliches durch das zentrale Schlagwort der NPD in ökonomischen Fragen ersetzt wird: {raumorientierte Volkswirtschaft} / {Raubtierkapitalismus, Globalisierungsfalle, ...}. Entsprechend wird in einem Thesenpapier der JN einiges aus dem symbolischen Repertoire der KRITIK-POSITION aufgeboten. Unter anderem heißt es darin, "das unsoziale Wettbewerbsverhalten des kapitalistischen Wirtschaftssystems" müsse "endgültig überwunden" (JN 1998: 22) werden und zwar durch eine "nationalistische Wirtschaftsordnung", die "einem entfesselten Markt soziale Zügel" (ebd.: 20) anlege. Weiterhin werden die "durch das kapitalistische Lohnsystem geschaffenen wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeiten" beklagt und mit der "20:80Prozent-Gesellschaft" (ebd.: 22), also dem Denormalisierungsszenario von Martin/Schumann verbunden. Andere Versionen der Bruchzahlen-Gesellschaft finden sich in der Rede von Voigt ("Zwei-Drittelgesellschaft" (638)) oder in jenem oben zitierten Leserbrief (vgl. DS 11/2004: 23), der eine Verteilung von '90% Proletariermasse zu 10 % Superreichen' ausmacht und empfiehlt, auf Gregor Strasser zurückzugreifen. 5.1.4.1 Nationaler Sozialismus In der gleichen Ausgabe der DS finden sich mehrere Artikel, die zu dieser Empfehlung passen. Ein Artikel macht ausgehend von den Debatten um Hartz IV und Globalisierung und unter positiver Bezugnahme auf den historischen NS den Antagonismus {kapitalistisches System} / {nationaler Sozialismus} auf (DS 11/2004:

5.1 Das 'nationale Original': Die NPD

203

20f., vgl. Kapitel 3.2.2). In einem anderen Artikel wird wie folgt über eine Aktion von "60 Kameraden" (11/2004: 11) im Zuge des Streiks bei Opel 2004 berichtet: "Auf dem Höhepunkt der Proteste" habe eine "nationale[] Veranstaltung, die mit der Sympathie aller deutschen Opel-Mitarbeiter rechnen durfte", stattgefunden, nämlich eine "Demonstration unter dem Motto 'Das Volk blutet – Das Kapital kassiert! Globalisierung zerstört deutsche Arbeitsplätze'", wobei die Redner "hart mit dem liberalkapitalistischen System und der Globalisierung ins Gericht" (ebd.) gegangen seien. Die anschließende Auseinandersetzung mit der Polizei wird als "Indikator der Angst, mit der die Herrschenden einer Nationalisierung der Deutschen Globalisierungsverlierer entgegensehen" gewertet, denn diese wüssten um "die politische Sprengkraft, die ein sozialrevolutionärer Nationalismus" (ebd.) darstellen könne.

Der Antagonismus lautet an dieser Stelle also {deutsche Arbeiter und Arbeitslose, sozialrevolutionärer Nationalismus, nationaler Sozialismus} / {Kapital, Herrschende, Globalisierung, Etablierte, liberalkapitalistisches System}. Mit den Worten 'sozialrevolutionär' und 'Sozialismus' werden – wie im historischen Nationalsozialismus – traditionell 'linke' Elemente mit dem gängigen VOLK/System-Gegensatz artikuliert, der dadurch, sowie durch die Anrufung der Arbeiter und Arbeitslosen, eine spezifische sozio-ökonomische Konnotation erhält. Dass es hier primär darum geht, sich denjenigen, die in den sozialen Auseinandersetzungen aktiv sind, als Alternative zu Gewerkschaften und der 'Linken' insgesamt anzubieten, zeigt ein weiterer Artikel zum Opel-Streik, in dem es heißt: "Die Belegschaften der betroffenen Werke sind bei alldem machtlos – im Zeitalter der Globalisierung ist [...] kein von Arbeitnehmern ernsthaft geführter Tarifkonflikt, geschweige denn Klassenkampf im orthodox-marxistischen Sinne mehr möglich, da die völlig internationalisierte Arbeitsteilung zu massiven Entsolidarisierungsprozessen der rund um den Globus verteilten Belegschaften führt [...] Die gemeinsamen Aktionen der europäischen Gewerkschaften beschränkten sich auf einen kraftlosen Aktionstag [...]. Noch mehr als früher erweist sich heute die linke Parole von einer 'internationalen Solidarität' als Fiktion" (DS 11/2004: 9).

In dieser Situation komme es zu einem "national-sozialen Klimawandel im Land" (ebd.), lautet die Prognose, die dem Artikel vorangestellt ist. In ähnlichem Tenor handelt auch Voigt den Opel-Konflikt in der Parteitagsrede ab (vgl. 258-261). Der Versuch, sich als Alternative zur Linken zu präsentieren, wird auch an anderen Stellen deutlich. So zitiert die DS den SPD-Politiker Peter Glotz – der ein TVStreitgespräch mit Voigt geführt hatte – im Zusammenhang mit Hartz IV mit den Worten: "Herr Voigt, Sie kommen mir ein bisschen vor, wie manche Linke, mit denen ich ja häufig diskutiere" (DS 11/2004: 6). Eine solch Präsentation als 'Linke von rechts', verbunden mit der expliziten Anrufung der 'deutschen Arbeiter und Arbeitslosen', dominiert zunehmend das Erscheinungsbild der NPD seit Voigt

204

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1996 den Vorsitz übernommen hat. Dies kontrastiert erheblich mit der primär antikommunistischen Ausrichtung der Partei in der Gründungszeit und der alleinigen Konzentration auf die Themen AUSLÄNDER und Geschichtsrevisionismus, während der 1980er und frühen 1990er-Jahre143. Die politische Strategie, die hinter dieser neuen Akzentuierung der nationalistischen Basisaussagen steht, verdeutlicht Jürgen Schwab: "Die klassenmäßigen Träger des Nationalbewußtseins können über die Epochen hin wechseln", und heute sei es die "Klasse, die am meisten unter der Globalisierung zu leiden hat", die Klasse der "Lohn- und Gehaltsempfänger beziehungsweise Arbeitslosen", welche "schon aus ökonomischem Sachverstand heraus" von den nationalistischen Ideologen "als die Zielgruppe anzusprechen" (Schwab 2002: 177f., Hervorhebung i.O. kursiv) sei. Dazu komme ein Repräsentationsdefizit im Parteienspektrum, das es ermögliche, die "weitestgehend freigewordene Position des Antikapitalismus" (ebd.: 169) einzunehmen.

Aus Sicht des nationalistischen Ideologen geht es also primär um die Ansprache einer bestimmten Zielgruppe, die er angesichts der politischen und ökonomischen Situation für mobilisierbar hält. Aber inwiefern schlägt sich diese strategische Neuausrichtung programmatisch nieder? Werden politische Projekte formuliert, die mit dem Auftreten als Interessenvertretung der 'deutschen Arbeiter' oder gar als 'Sozialisten' korrespondieren? Wie steht es um das Privateigentum an Produktionsmitteln, um die Herrschaft der Unternehmer*innen im Betrieb, um Löhne und Arbeitszeiten und so weiter? Auch hier finden sich die idealtypischen Aussagen bei Schwab (ebd.: 175), der "eine neue Wirtschaftsordnung" in folgenden Worten entwirft: Es gehe darum, "die scheinbare Gegensätzlichkeit von individualistisch orientierter Wirtschaftsordnung, die am Privateigentum orientiert ist, und kollektivistisch orientierter Wirtschaftsordnung, die an staatlicher Ordnung ausgerichtet ist, zu einer gesunden Symbiose zusammenzuführen" (ebd). Was die Ausrichtung an staatlicher Ordnung beziehungsweise das "geforderte Primat der Politik über die Wirtschaft" angeht, nach welchem "dem Staat das wirtschaftspolitische Strategiemonopol und den Unternehmen die wirtschaftliche Taktikfreiheit" zukomme, "wäre eine Wiederverstaatlichung zumindest von Bahn, Post, teilweise Rüstungsindustrie, Banken und Energiewirtschaft erforderlich" (ebd.). Dafür müssten aber "heute schon 'rechte' Tabus beiseite geräumt werden", namentlich "das des Privateigentums" (ebd.: 179). "Wer den Liberalismus in Frage stellen will, muß notgedrungen auch die Verabsolutierung und alleinige Vergötzung des Privateigentums in Frage stellen, ohne – und soviel muss klar sein! – die Berechtigung des privaten Eigentums insgesamt in Frage zu stellen" (ebd.). Es müsse "einen aus Privat-, Gruppen- und Gemeineigentum bestehenden Fächer" (ebd.: 180) geben, der nicht weiter konkretisiert wird. "Wer solche Positionen vertritt, ist bereits in bescheidenem Maße 'Sozialist'" (ebd.: 182).

Die Elemente der gesunden Symbiose (zur Symbolik vgl. das folgende Kapitel 5.1.4.2), die hier angeboten wird – nämlich die Proklamierung eines Primats des 143 Zur Phase bis 1996 vgl. Hoffmann (1999). Zur Frühphase des Rückgriffs auf den 'rechten Antikapitalismus' vgl. Cremet (1999).

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Staates, die Verstaatlichung bestimmter Industrien bei einer expliziten Befürwortung privaten Unternehmertums – finden sich vielfach. Dies gilt etwa für das oben zitierte Thesenpapier der JN (vgl. 1998: 20ff.) oder für Oberlerchers wirtschaftspolitischem Entwurf (vgl. DS 9-10/1998: 12 und 11/1998: 14), auf den sich Schwab in ökonomischen Fragen meist ausdrücklich bezieht. Genauer besehen unterscheidet den 'bescheidenen Sozialismus', der hier skizziert wird, nichts grundsätzlich vom 'BRD-System', dem er vollmundig entgegengesetzt wird: Denn auch wenn die konkrete Wirtschaftspolitik der vergangenen Dekaden eher zur Privatisierung als zur Verstaatlichung tendierte, ist der geforderte Mix an Eigentumsformen doch grundsätzlich realisiert. Der zentrale Unterschied wird dementsprechend nicht im Zusammenhang mit ökonomischen Fragen, sondern en passant beim Entwurf der Staatsform abgehandelt: Denn hier entwirft Schwab ein System von "berufsständischen Kammern", in welche "die heute existierende Handwerkskammer (HWK), die Industrie und Handelskammer (IHK), der Bauernverband, die Gewerkschaften" (Schwab 2002: 371f.) und weitere Verbände eingegliedert werden sollen. Auf diese Weise seien "die naturgemäßen Konkurrenten Arbeitnehmer und Arbeitgeber [...] gezwungen, den sozialen Ausgleich bei der Lohnverhandlung und den weiteren Arbeitsbestimmungen zu suchen" (ebd.: 377). Damit würden "Arbeitskampfmaßnahmen, wie wir sie aus kapitalistischen Systemen kennen, ihre[] Grundlage entzogen", zumal im "Falle von Uneinigkeit [...] das Staatsoberhaupt" (ebd.) entscheiden solle.

Hier ist die Vorstellung einer 'harmonischen Volksgemeinschaft' (als Gegenbild zum 'kapitalistischen System' mit seinen Interessengegensätzen), deren imaginäres Interesse durch das Personal eines autoritären Staates exekutiert werden soll, deutlich zu erkennen. Die 'Volksgemeinschaft' ist das zentrale Moment, auf das sowohl die theoretischen Beiträge (vgl. Schwab 2002: 170, Oberlecher in DS 910/1998: 12, JN 1998: 22) rekurrieren, als auch die an die Öffentlichkeit gerichteten Programme (vgl. NPD 2004: 19, NPD 1997: §7), in denen in aller Regel jeglicher Bezug auf einen 'nationalen Sozialismus' oder auf Fragen des Eigentums fehlen. Voigts Rede sind die diskursiven Praxen zu entnehmen, mit denen die Vorstellung der "Volksgemeinschaft" (405, 413, 451) konstituiert wird. So zieht er politischideologische Positionen mit ökonomischem Bezug, die in anderen Diskursen zentrale Differenzen markieren – nämlich das "bürgerlich-nationale[] Lager" (476), "nationalliberale und nationalkonservative Kräfte" (437) und "nationale[] Sozialist[en]" (416, 434) – zu einer "nationalen Volksfront" (114) zusammen. Dass er damit nicht zuletzt Fraktionierungen innerhalb der nationalistischen Rechten bearbeitet (vgl. Kapitel 3.1.3) zeigt, ebenso wie die zielgruppenspezifische Verwendung bestimmter Vokabeln, dass die Interessengegensätze die damit impliziert sind, auch innerhalb des 'nationalen Lagers' zu konkurrierenden Konzepten führen. Entscheidend ist aber, dass die angesprochenen Unterscheidungen (liberal,

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sozialistisch etc.), die hier mit dem Adjektiv 'national' äquivalent gesetzt und positiv gewertet werden, an anderen Stellen der Rede noch einmal mit negativer Wertung, nämlich in Form von "Neoliberalismus" (284), "Internationalisten, Globalisten" (23f.) und zusammengefasst als "linke Volksfront bis hin zur CDU" (636) vorkommen. Lautet der Antagonismus – sofern er überhaupt auf dieser holzschnittartigen Ebene abgehandelt wird – gewöhnlich {bürgerlich, (neo)liberal} / {sozialistisch, internationalistisch}, wird er hier mittels der Unterscheidung national / nicht-national aufgebrochen beziehungsweise reartikuliert und lautet nun {nationale Volksfront: bürgerlich-national, nationalliberal, national-sozialistisch} / {linke Volksfront: neoliberal, internationalistisch}. Das Projekt Ideologie-Theorie (PIT 1980: 120) hat dieses Muster am Beispiel des NS untersucht und als "Konstitution von Volk und Gegenvolk" bezeichnet. Die widersprüchlichen Positionen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung werden semantisch verdoppelt, so dass sie einerseits in die 'harmonische Gemeinschaft des Volkes' integriert und andererseits hinsichtlich ihrer Konflikthaftigkeit dem 'Gegenvolk' zugeordnet werden können. Die Identifikation des Gegenvolkes mit den JUDEN im NS, durch den die sozialen Antagonismen auf die Ebene der 'Rasse' verschoben wurden (vgl. ebd.: 67), ist bei der NPD nach wie vor präsent, und freilich steckt in den Formulierungen 'nationaler Sozialismus' und 'Volksgemeinschaft' auch eine weitere positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus. Die zentrale diskursive Operation besteht allerdings in der beständigen Einführung der Unterscheidung national / nicht-national, die potenziell ohne den Antisemitismus auskommt, mit dem sie aber dennoch – in der Außendarstellung seltener als in den internen Medien – immer wieder artikuliert wird. Auch hier ist die Voigt-Rede exemplarisch. Wenn es darin heißt, dass "die Herrschenden durch Hartz-IV Armut per Gesetz verordnen, um ihren Globalisierungswahn weiterbetreiben zu können" (146f.), beziehungsweise, dass sie "den deutschen Sozialstaat zugrunde gerichtet [und] den deutschen Arbeiter schutzlos den global players ausgeliefert" (638-40) haben, verläuft der Antagonismus einmal mehr zwischen 'dem Globalen' und 'dem Nationalen' {Globalisierung, global players} / {deutscher Sozialstaat, deutsche Arbeiter}. So treten auch die "deutsche Wirtschaft" (560), das "deutsche Geld" (655), "Deutsche[] Unternehmer[]" (291) dem "liberalkapitalistischen System[] der BRD"

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(268), dem "EU-Europa, [...] diesem Modell des amerikanischen Wirtschaftsimperialismus" (618f.) und den "ausländischen Unternehmen" (562) gegenüber, und nicht zuletzt wird der 'deutsche Arbeiter' in Fragen der Arbeitsmarktkonkurrenz oder der Finanzierung der Sozialversicherungssysteme ununterbrochen den AUSLÄNDERN entgegengesetzt (vgl. Kapitel 3.2.7). Der komplette Antagonismus lautet also: {liberalkapitalistische BRD, Globalisierung, EU-Europa, US-Wirtschaftsimperialismus, global player, ausländische Unternehmen, AUSLÄNDER} / {Volksgemeinschaft, deutsche Wirtschaft, deutscher Sozialstaat, deutsches Geld, deutsche Unternehmer, deutsche Arbeiter}. Auch hier ist die semantische Verdopplung der Positionen Arbeiter und Unternehmer und ihre Aufspaltung entlang der Markierung national / nicht-national deutlich zu erkennen. Im Folgenden wird gezeigt, wie diese Positionen von der NPD 'innerhalb der Volksgemeinschaft' gefasst werden. 5.1.4.2 Gesunder Mittelstand Hinsichtlich der 'deutschen Unternehmer' ist zunächst eine symbolische Komponente zu betonen, nämlich ihre Imagination als 'Mittelständler' und damit als Teil einer 'hart arbeitenden Mittelschicht', zu der freilich auch Lohnabhängige zählen. So heißt es beispielsweise in einem DS-Artikel, dass das "Steuer-, Subventionsund Sozialwesen" zu Lasten "der Anständige[n] und der Ehrliche[n]" (DS 11/2004: 5) gehe. Mit dieser Anrufung der 'Anständigen und Ehrlichen', die einerseits im Gegensatz zu ökonomischen Eliten (Subventionen) und andererseits – am anderen Ende des Spektrums der sozialen Klassen – zu Beziehern von Transferleistungen (Sozialwesen) steht, wird an das mediale Bild der BEDROHTEN MITTE angeknüpft. Wie in Kapitel 4.5.2 gezeigt wurde, arbeiten Medien wie STERN, FOCUS oder BILD in diesem Zusammenhang mit Symbolen wie Vampiren und Schmarotzern oder gar mit dem Gegensatz von Schaffen und Raffen, also mit zahlreichen Elementen, deren antisemitisches Potenzial bei der NPD dann entsprechend expliziert wird. Zudem unterscheidet sich die mediale Lösungsperspektive, die dabei oftmals nahegelegt wird, nämlich der Abbau von 'Privilegien' und Maßnehmen gegen 'Faulenzer und Drückeberger', kaum von den Vorstellungen der Partei. Genau in diesem Sinne verteidigt die DS die Mittelschicht gegen die Schmarotzer von oben und von unten (vgl. Kapitel 3.2.8). Diese Mittelschicht besteht dabei aus dem 'anständigen und pflichtbewussten Arbeiter' (vgl. das folgende Kapitel) auf der einen und dem 'mittelständischen Unternehmer' auf der komplementären anderen Seite. In dieser normalistischen Buchstabierung der 'Volksgemeinschaft' wird der unternehmerische Mittelstand vom Großkapital unterschieden (vgl. Kapitel 3.2.10). So fordert die JN in ihrem Thesenpapier die "Gewinnbeteiligung einer breiten Schicht

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von Arbeitnehmern an mittelständischen Unternehmungen", während die "bestehenden internationalen Kapitalverflechtungen der Großkonzerne [...] zerschlagen werden" (JN 1998: 21) müssten. Gänzlich symbolisch formuliert Oberlercher das Ziel, "daß das ganze deutsche Volk und damit jede deutsche Familie in den Stand ihrer produktiven Mittel gesetzt wird und damit als Mittelstand [kursiv i.O.] sozial wiederaufersteht", wobei der Mittelstand im Gegensatz zur "Proletarisierung großer Teile des Deutschen Volkes" und dem "Kapitalismus" als "Proletarisierung des Geldes" steht (DS 9-10/1998: 12). Auch in Voigts Rede findet sich diese symbolische Komponente, wenn die "Mehrbelastung des 'kleinen Mannes' [...] steuerlicher Entlastungspolitik für das Großkapital" (181ff.) gegenübergestellt wird. Erleichtert wird dieses symbolische Spiel – das wiederum an die Muster des mediopolitischen Diskurses anknüpft (vgl. Kapitel 4.5.2) – dadurch, dass der Mittelstand ohnehin eine normalistische Konnotation hat und die verschiedenen statistischen Definitionen höchst heterogene Phänomene – vom Buchhändler bis zum Produktionsunternehmen mit 500 Beschäftigten – umfassen und somit reichlich Projektionsfläche für die Imagination wünschenswerter wirtschaftlicher Einheiten lassen. Genau an dieser Stelle schließt auch die Symbolik der gesunden Wirtschaft an. Im Parteiprogramm gilt die "mittelständische Wirtschaft [...] als lebenswichtiger Bestandteil unserer Volkswirtschaft" (NPD 1997: §4). In der DS wird der französische Premierminister mit den Worten zitiert: "Europas Mitte dürfe seine mittelständischen Wirtschaftsstrukturen nicht aufgeben" und daraus wird gefolgert, dem "freien und sozialverpflichteten Unternehmertum an die Seite gestellt werden muß eine Politik, die den Rahmen für eine gesunde Wirtschaft gibt" (DS 11/2004: 10). Damit wird folgende Stelle aus dem Parteiprogramm wiederholt: "Ziel nationaldemokratischer Wirtschaftspolitik ist die Synthese von unternehmerischer Freiheit und sozialer Verpflichtung. Deshalb bekennt sich die NPD zu einem freien und sozialverpflichteten Unternehmertum. Die Führung der Volkswirtschaft ist jedoch Aufgabe des Staates und unterliegt dessen letzter Verantwortung" (NPD 1997: § 4 und identisch NPD 2004: 20).

Die Betonung von Unternehmertum einerseits und etatistischer 'Führung' der Ökonomie andererseits entspricht dem gesellschaftlichen Ideal (autoritärer Staat + kapitalistische Ökonomie), das im Bild eines idealen Gesellschaftskörpers (starker Staat + gesunde Wirtschaft) zum Ausdruck kommt (vgl. Kapitel 3.2.4.6), welches die DS in diesem Zusammenhang prompt reproduziert. Unter umgekehrten Vorzeichen erscheint die gesunde Wirtschaft in Oberlerchers Kritik an der "krebsartige[n] Akkumulation" im Kapitalismus, die "den Konsumismus wuchern läßt" (DS: 9-10/1998: 12). Das gleiche Motiv steckt auch in Schwabs Entwurf einer gesunden Symbiose von Eigentumsformen bei gleichzeitiger Proklamierung des

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Primats der Politik (vgl. Kapitel 5.1.4.1), das auch im Aktionsprogramm gefordert wird (vgl. NPD 2004: 20). Die Idealisierung von Herrschaft – einerseits des Staates im Bereich der Gesellschaft und andererseits des Unternehmers im Betrieb – als Selbstzweck, der keiner weiteren Begründung bedarf, verdeutlicht ein Artikel der DS, in dem der Unternehmer Wolfgang Grupp (TRIGEMA) porträtiert und als "so etwas wie die Antwort auf die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der NPD" (DS 11/2004: 10) präsentiert wird. Darin heißt es, Grupp "ist mehr als ein Manager. Er organisiert und leitet seinen Textilbetrieb nicht nur, er führt ihn" (DS 11/2004: 10). Der 'staatlichen Führung der Volkswirtschaft' entspricht die 'Führung des Unternehmers im Betrieb'. Als entscheidendes Merkmal gilt die unmittelbare personale Ausübung der Herrschaft, die, wie später noch einmal betont wird, den "verantwortungsbewußten Unternehmer[]" vom "alerte[n], bindungslose[n] Jungmanager" unterscheidet, "der sich in seiner abstrakten Denkweise als Organisator gibt" (ebd.). Ganz ähnlich heißt es im Aktionsprogramm: "Verantwortung von Unternehmern gibt es nicht mehr, nur noch das Bestreben der Vorstände, möglichst hohe Profite für die Spekulanten zu erzielen" (NPD 2004: 18). Doch nicht nur vom 'Manager' wird der 'Unternehmer' unterschieden, sondern auch vom 'Kapitalisten', der im NPD-Aktionsprogramm von 2004 durchweg als negative Figur präsent ist, unter anderem in Form von "asoziale[n] Kapitalisten und [...] insbesondere asoziale[n] Großkapitalisten", von "globalistische[n] Kapitalisten", von "wenigen superreichen asozialen Kapitalisten" und von "asozialen Kapitalisten und Großunternehmen" (ebd.: 15, 21, 41, 64). Anhand der Attribute {wenige Supereiche, Großkapital, asozial, globalistisch} lässt sich zeigen, wie dem 'Kapitalisten' der 'Unternehmer' als positive Figur gegenübergestellt wird. Gegen die wenigen Supereichen und das Großkapital steht wie gesehen der Mittelstand, gegen die "gemeinschaftsfeindlichen Interessen der antisozialen Kapitalisten" steht das 'sozialverpflichtete Unternehmertum' (s.o.) und gegen die 'globalistischen Kapitalisten' stehen die "deutschen Unternehmen" (ebd.: 21). Was mit sozialverpflichtetem Unternehmertum gemeint ist und inwiefern sich dies vom 'Globalismus' unterscheidet, ist ebenfalls dem Artikel über Grupp zu entnehmen. Die Überschrift lautet: "Unternehmen. Der deutsche Antiglobalisierer. 'Trigema' produziert nur in Deutschland". Unterstrichen wird die Botschaft noch dadurch, dass direkt daneben die Überschrift steht: "Globalisierung. Finanznomaden weiden den Globus ab. George Soros und andere Spektulanten erzielen mit Hedgefonds Milliardengewinne". Beide Artikel enthalten zudem ein etwa gleichgroßes Bild der Hauptfiguren, die auf der einen Seite einen freundlich zurückhaltenden "Wolfgang Grupp", und auf der anderen Seite einen aggressiv wirkenden "Finanzmogul George Soros" vor dem Hintergrund einer US-Flagge zeigen (Abbildung 7). Die Sozialverpflichtung des Unternehmers, den Grupp repräsentiert, besteht also darin, auf

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Produktionsverlagerungen zu verzichten. Während die meisten "Textilhersteller [...] inzwischen nur noch in sogenannten Billiglohnländern" produzieren, "steuert[] der Unternehmer Grupp seinen Betrieb erfolgreich durch die schwerste See des Weltmarktes" (DS 11/2004: 10). Auch hier findet sich also ein bekanntes Bild, das Schiff auf dem Ozean des Weltmarktes mit seinen Billiglohnländern, das im Aktionsprogramm fortgeschrieben wird, wo es heißt: "Jedes Unternehmen, das in einem offenen Markt auf die Wahrnehmung von Kostenvorteilen verzichtet [...] ist langfristig zum Untergang verurteilt" (NPD 2004: 17). Die Lösung liegt entsprechend in der Geschlossenheit (vgl. Kapitel 5.1.1) der "raumorientierten Volkswirtschaft", das heißt einer "Abgabe auf" die unter "zweifelhaftesten Umständen hergestellten Produkte" (DS 11/2004: 10) der Weltmarktkonkurrenz von Grupp und anderen deutschen Unternehme(r)n, so dass "soziale Spielregeln, die in Deutschland gelten, nicht länger durch Kapitalisten, die im Ausland produzieren, unterlaufen werden" (NPD 2004: 20). Entsprechend fordert Voigt in der Rede: "Soziale Ächtung der deutschen Betriebe, die Produktionsstätten in Deutschland schließen und selbige im Ausland eröffnen, statt diese steuerlich zu fördern, wie es derzeit der Fall ist" (557-559). Zusammengefasst ergibt der Antagonismus, der zuletzt analysierten Textstellen die Aussage MITTELSTAND {Mittelstand, verantwortungsbewusste Unternehmer, deutsche Unternehmen} / {Großkapital, asoziale Kapitalisten, bindungslose Manager, Globalisierung}. Damit wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen 'Unternehmern' und 'Kapitalisten' – analog zur Gegenüberstellung der ideologischen Positionen (neoliberal / nationalliberal und so weiter) – wiederum hauptsächlich entlang der Unterscheidung national / nicht-national beziehungsweise national / global verläuft. So wird zugleich die Vorstellung der interessenshomogenen 'Volksgemeinschaft' – der anständigen Mittelschicht aus pflichtbewussten Arbeitern und verantwortungsbewussten Unternehmern – durch die Abgrenzung nach Außen gestützt. Konflikte um Löhne, Arbeitszeiten oder gar um innerbetriebliche und gesamtgesellschaftliche Demokratie kommen in dieser Perspektive nicht vor. Auf dem Ozean der Weltmarktkonkurrenz sitzt 'der Unternehmer' scheinbar im gleichen Schiff wie 'der Arbeiter', der den Verlust seines Jobs fürchtet. Im Laufe der programmatischen Entwicklung hat die NPD die zunächst primär symbolische Konzentration auf den Mittelstand allerdings um konkrete Forderungen ergänzt, die explizit auf die Interessen des 'gehobenen Mittelstandes' (s.u.) ausgerichtet sind. So soll der Staat – laut dem Aktionsprogramm (vgl. NPD 2004: 25ff.) – mittelständischen Unternehmen zinsgünstige Kredite zur Verfügung stellen, Abschreibungszeiten verkürzen, die Erbschaftssteuer senken, Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, nicht besteuern, Konkurrenz durch staatlich subventionierte ABM-Stellen vermeiden und die 'Lohnnebenkosten' senken. Wie die

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Senkung der 'Lohnnebenkosten' – bei Beibehaltung der staatlichen Sozialversicherungssysteme (s.u. Kapitel 5.1.4.4) – oder der Steuerausfall durch eine völlige Freistellung von Gewinnen kompensiert werden sollen, verrät das Programm nicht. Vielmehr greifen die fiskalpolitischen Vorschläge (vgl. NPD 2004: 23ff.) einzelne Elemente der tagespolitischen Debatte heraus (etwa die Kritik an der von SPD und GRÜNEN eingeführten Steuerbefreiung von Erlösen aus dem Verkauf von Unternehmensanteilen) und kombinieren sie gemäß der Erzählung von der sozialen Mitte. So sollen Grundnahrungsmittel von der Mehrwertsteuer befreit und im Gegenzug eine erhöhte Luxussteuer144 auf bestimmte Konsumgüter erhoben werden. Mit Blick auf das Großkapital wird gefordert, die Möglichkeit der Verrechnung von Gewinnen und Verlusten zwischen Konzernen und ausländischen Tochtergesellschaften einzuschränken, welche bisher den zu versteuernden Gewinn reduzieren. Dies steht freilich im Widerspruch zu der mit Blick auf den Mittelstand getroffenen Aussage, dass Gewinne, die im Unternehmen verbleiben, gänzlich von der Steuer befreit werden sollen. Während die fiskalpolitischen Vorschläge damit ein widersprüchliches Konglomerat bleiben, dessen Elemente jeweils darauf abzielen, den Eindruck von "Steuergerechtigkeit" (ebd.: 23) zu erwecken, ist die NPD aber zunehmend bemüht, ihre Vorschläge zur Förderung mittelständischer Unternehmen zu fundieren. So ist in einer Broschüre, die entsprechende Initiativen der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag dokumentiert, zu lesen, dass ein Antrag zur Kreditvergabe "von einem Wirtschaftsprofessor gegengelesen worden" (NPD o.J.a: 7) ist, was angesichts der darin verwendeten Fachtermini durchaus glaubwürdig erscheint145. Ein Auszug aus der genannten Broschüre mag die Bemühungen der NPD um Expertise auf diesem Gebiet verdeutlichen: "[D]ie NPD-Fraktion [hatte] in einem in das Plenum des Sächsischen Landtages eingebrachten Antrag die Förderung kapitalmarktnaher, 'Basel-II-fähiger' Mittelstandsfinanzierung gefordert und dafür verschiedene Vorschläge, wie beispielsweise die Auflegung spezieller, auf den gehobenen Mittelstand ausgerichteter Förderrichtlinien für die Inanspruchnahme von hausbankunabhängigen und die Eigenkapitalquote verbessernden alternativen kapitalmarktnahen Finanzierungsinstrumenten wie 'Mezzanine-Kapital' oder 'Factoring' oder die Schaffung staatlicher Fördermaßnahmen für eine Ausweitung und breitere Nutzung von Fortbildungskursen hinsichtlich moderner Mittelstandsfinanzierung gemacht. Leider wurde die Initiative mit der Stimmenmehrheit der etablierten Fraktionen abgelehnt" (NPD o.J.a: 4).

144 Exakt diesen Vorschlag – eine Luxussteuer von 30% – machen Martin/Schumann in ihrem Bestseller für die europäische Ebene (vgl. GF: 324). 145 Hier liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen Experten aus dem Niedersächsischen Mittelstandsinstitut handelt (vgl. Kapitel 6.3). Bemerkenswert ist auch, dass diese Forderungen sich weitgehend mit denen im Programm der REP aus dem Jahr 2002 decken (vgl. Kapitel 5.3.2.2).

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Der Stil des Zitates, der repräsentativ für die gesamte Broschüre ist, steht in deutlichem Kontrast zur 'Sozialismus'-Rhetorik in den primär nach innen – an die nationalistische Szene – gerichteten Dokumenten und verdeutlicht das Bemühen um die Unterstützung der entsprechenden Unternehmerfraktion. Dass es dabei nicht zuletzt um finanzielle Unterstützung geht, hat Voigt in einem Interview mit der BERLINER ZEITUNG (29.04.2004) signalisiert, das am Tag der Parteitagsrede veröffentlicht wurde. Darin verweist er auf das gestiegene Spendenaufkommen nach den Erfolgen bei Landtagswahlen und schließt mit den Worten: "Im modernen Management würde man sagen: Man investiert wieder in die NPD". Auch wenn dies mehr Wunschdenken als Realität in Sachen finanzieller Unterstützung ausdrückt, richtet sich dies an eine Zielgruppe, die etwas vom Investieren versteht, sprich die 'deutschen Unternehmer', die als komplementäres Element der 'deutschen Arbeiter' in der 'Volksgemeinschaft ohne Interessengegensätze' imaginiert werden und denen später in der genannten Broschüre signalisiert wird, dass die NPD zugleich ihre spezifischen Interessen im Blick hat. 5.1.4.3 Arbeit als etwas Höheres begreifen Allerdings findet sich in der gleichen Reihe auch eine Broschüre zum Thema Hartz IV, die ebenfalls recht konkrete, diesmal sozialpolitische Forderungen enthält. So heißt es einleitend zu den dokumentierten Redebeiträgen im sächsischen Landtag: "Als Sozialanwalt ihrer in finanzielle und soziale Bedrängnis geratenen Landsleute [...] • setzte sich die NPD für eine deutliche Verlängerung der Zahlung von Arbeitslosengeld ein, [...] • wehrte sich die NPD gegen die Praxis erzwungener Umzüge durch Hartz IV, • verdeutlichte die NPD die verheerenden Auswirkungen von Hartz IV auf Jugendliche unter 25 Jahren, [...] • wandte sich die NPD gegen die Ausweitung von öffentlich geförderten Armutslöhnen wie etwa den 1-Euro-Jobs, • drängte die NPD auf eine Bestandssicherung des Eigentums von Hartz IV- Empfängern und dergleichen mehr" (NPD o.J.b: : 2f.).

Dabei gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass diese sozialpolitischen Forderungen weniger ernst zu nehmen wären als die unternehmerfreundlichen Forderungen in der Wirtschaftspolitik. Auf der ideologischen Ebene – das heißt, solange sich die Frage nach der gleichzeitigen Senkung von Steuern oder 'Lohnnebenkosten' und der Aufrechterhaltung sozialstaatlicher Sicherungssysteme nicht praktisch stellt – wird beides konsistent verbunden. So heißt es bereits im Programm von 1997: "Wir brauchen eine Sozialpolitik", um "den einzelnen in allen Wechselfällen des menschlichen Lebens vor unverschuldeter Not zu bewahren" (NPD 1997: §7). Das Schlüsselwort ist 'unverschuldet', denn schon im nächsten Satz wird das "Traumbild des totalen Wohlfahrtsstaates" (ebd.) abgelehnt. Im Aktionsprogramm von 2004 fehlt die – ursprünglich von Carl Schmitt als Kampfbegriff gegen den

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Sozialstaat eingeführte (vgl. Kapitel 3.2.4.6) – Formel des 'totalen Wohlfahrtsstaates'. Dies ist ein deutliches Indiz für die programmatische Akzentverschiebung im Zuge der sozialpolitischen Debatten in diesem Zeitraum. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine Abkehr von früheren Positionen, sondern um eine unterschiedliche Betonung der gleichen Grundelemente, wie sich beispielhaft am Symbol des sozialen Netzes, das im Programm von 2004 aufgegriffen wird, verdeutlichen lässt. So werden nun in Übereinstimmung mit der KRITIK-POSITION "die Einschnitte ins soziale Netz" (NPD 2004: 17) beklagt, und es wird gefordert, das "soziale Netz in Deutschland dauerhaft zu erhalten" (ebd.: 21). Kritisiert werden also gerade solche Einschnitte, die Schmitt bei der Einführung der Formel des quantitativ totalen Staates im Sinn hatte. Zugleich ist aber (ausgerechnet in der genannten Broschüre zu Hartz IV) die Transformation dieses Netzes in eine Hängematte146 – und damit ein typisches Element der SACHZWANG-POSITION – zu finden. So heißt es in einem dokumentierten Debattenbeitrag des Landesvorsitzenden Holger Apfel: "Sicher, eines steht außer Frage: Wir benötigen Reformen im Sozialsystem. Wir wollen nicht abstreiten, daß der Sozialstaat von einigen wenigen in der Vergangenheit als soziale Hängematte mißbraucht wurde" (NPD o.J.b: 8). Seine ideologische Kohärenz gewinnt dieses Changieren – zwischen sozialpolitischen Forderungen sowie Betonung des Sozialstaates (soziales Netz) auf der einen und Kritik des WOHLFAHRTSSTAATES (soziale Hängematte) sowie unternehmerfreundlicher Steuerpolitik auf der anderen Seite – durch das im vorigen Kapitel erläuterte Bild der BEDROHTEN MITTE, die gegen 'Schmarotzer von oben und unten' verteidigt wird. Wie Kreft (2001) zeigt, gehören zu dieser im mediopolitischen Diskurs konstituierten Wir-Gruppe auch die 'ehrlichen Arbeitslosen', also jene 'unverschuldet in Not geratenen', von denen die NPD spricht, obgleich die Bezieher von Transferleistungen prinzipiell unter dem Verdacht stehen, 'Drückeberger' zu sein. In der Sprache der NPD ist diese Mitte nichts anderes als die 'Volksgemeinschaft der hart Arbeitenden (Unternehmer und Arbeiter)'. So spricht ein Thesenpapier der JN in diesem Zusammenhang nicht nur vom "kapitalistische[n] Zinssystem", sondern wendet sich allgemein gegen "leistungslose Bezüge" – sprich: auch staatliche Transferleistungen – und fordert dagegen eine "leistungsgerechte Ordnung" (JN 1998: 22). Hier zeigt sich, dass die moralisierende Anrufung 'als hart und ehrlich Arbeitende' im Antagonismus {JUDEN, asoziale Spekulanten, mühelose Spekulation} / {Gemeinschaft, ehrlich arbeitenden Menschen, reale Arbeit}

146

Vgl. Link (1997).

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der im Zusammenhang mit dem Thema Finanzmärkte herausgestellt wurde (Kapitel 5.1.2.3), zugleich gegen diejenigen gerichtet ist, die staatliche Transferleistungen beziehen. Das Versprechen 'sozialer Sicherheit' an die Lohnabhängigen ist an diese Anrufung und die bedingungslose Unterordnung unter die 'Volksgemeinschaft' (genauer gesagt, unter den Staat) geknüpft. So wird die Sorge um den Verlust von Arbeitsplätzen im Parteiprogramm mit der Proklamierung des Rechtes auf Arbeit aufgegriffen (vgl. NPD 1997: §5), das sich genauer besehen als Arbeitspflicht in Privatunternehmen oder in einem staatlichen Arbeitsdienst entpuppt. Im Aktionsprogramm wird der Einzelne – es geht um Männer – aufgefordert, seine "Arbeit als etwas Wichtiges und Höheres begreifen, welches Fortbestand und Weiterentwicklung seiner Familie, seines Volkes und seiner Nation durch seinen persönlichen Einsatz garantiert" (NPD 2004: 19). Der Satz findet sich wörtlich auch bei Jürgen Schwab (vgl. 2002: 174), bei dem diese Forderung nach bedingungsloser Unterordnung der Einzelnen im Entwurf einer Arbeitspflicht in einem 'Staatsarbeitsdienst' konkretisiert wird: "Natürlich ist das Recht auf Arbeit [...] auch an die Pflicht zur Arbeit gebunden, was die Installierung eines Arbeitsdienstes für die Staatsbürger beinhaltet, die auf dem Arbeitsmarkt nicht nachgefragt werden" (ebd.: 167). In diesem Zusammenhang heißt es bei den JN (1998: 22): "Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen", was allerdings kein "altes deutsches Sprichwort", sondern eine Formulierung aus der Bibel (2 Thess. 3,10) ist. Ebenso proklamiert Oberlercher in seinem Papier ein "Recht auf Arbeit durch Staatsarbeitsdienst" (DESGINFORM 9/1998: 6). In der – ansonsten identischen – Version der Deutschen Stimme (vgl. DS 9-10/1998: 12) wird allerdings nur vom 'Recht auf Arbeit' gesprochen und der 'Staatsarbeitsdienst' fehlt. Dies könnte ein einfacher Übertragungsfehler sein, es könnten aber ebenso gut taktische Erwägungen hinter der Auslassung stehen. So heißt es im Parteiprogramm von 1997: "Jeder Deutsche hat das Recht auf Arbeit" (NPD 1997: §5), während von einer entsprechenden 'Pflicht' oder einem Arbeitsdienst keine Rede ist, und im Aktionsprogramm von 2004 findet sich im Zusammenhang mit Wirtschafts- und Sozialpolitik weder das eine noch das andere. Allerdings wird im Abschnitt zum Thema Naturschutz über den "Einsatz von Kräften eines staatlichen Arbeitsdienstes für Kriminelle und Drogenkranke" (NPD 2004: 74) gesprochen. Wenngleich die Vorstellung einer umfassenden, staatlich organisierten Arbeitspflicht in den meisten offiziellen ParteiDokumenten zurückhaltend formuliert ist (was angesichts der anvisierten Zielgruppe nicht weiter verwundert), zeigen die zitierten Schriften doch, dass sie den Parteiideologen vorschwebt147. 147 Gebhardt kommentiert den politisch-ökonomischen Gehalt dieses 'rechten Antikapitalismus' unter Bezug auf Marx' bekannte Formulierung vom doppelt freien Lohnarbeiter, treffend mit den Worten: "Die Homogenisierung 'des Ganzen' vollzieht sich im faschistischen Korporatismus. [...] Das verhüllte

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5.1.4.4 Sozialstaat versus multikulturelle Gesellschaft Bei genauerer Betrachtung der sozialpolitischen Aussagen der NPD zeigt sich also die Vorstellung einer 'Gemeinschaft der hart Arbeitenden (Mitte)', Unternehmer auf der einen und Lohnabhängigen auf der anderen Seite, die sich durch die Abgrenzung von (vermeintlichen) Beziehern 'mühelosen Einkommens (Schmarotzern)' abgrenzt und praktisch zur Einrichtung eines staatlichen organisierten Regimes der Arbeitspflicht tendiert. Verstärkt wird der homogenisierende Effekt dieser Anrufung noch durch seine Überlagerung mit dem zentralen Antagonismus VOLK / AUSLÄNDER. So bestimmt das Aktionsprogramm der NPD von 2004 den "Sozialstaat" durch die "Volksgemeinschaft" und erklärt: "Ein Sozialstaat ist ohne die Solidargemeinschaft eines Volkes nicht machbar. In einer multikulturellen Massengesellschaft gibt es nur Gruppen- und Einzelinteressen" (NPD 2004: 14). Fragen nach der Finanzierung des Sozialstaates, dem Umfang seiner Leistungen oder gar der 'Gruppeninteressen', die damit verbunden sind, werden in diesem Zusammenhang überhaupt nicht erörtert. Zentrale Grundlage der Verteidigung des Sozialstaates – der hier erstmals als positiver Begriff in ein NPD-Programm aufgenommen wird – ist das imaginäre Wechselspiel von Homogenität und HETEROGENITÄT, das die Frage nach den inneren gesellschaftlichen Interessenkonflikten durch die Abgrenzung nach außen ausblendet. Exemplarisch ist die Argumentation zur Rentenpolitik. So wird die "den Sozialstaat aushöhlende, asoziale Rentenreform" kritisiert, bei der "der Gemeinschaftsgedanke, der im solidarischen Generationenvertrag bestand, durch das individualistische und rücksichtslose Prinzip der Eigenvorsorge ersetzt" wird, wobei das "auf eigenverantwortlicher Kapitaldeckung basierende" System als "Bankrotterklärung etablierter Familien-, Bevölkerungs- und Rentenpolitik" (ebd.: 28f.) erscheint. Obgleich dies fast schon zum Grundkonsens der öffentlichen Rentendiskussion gehört, ist hier entscheidend, dass das solidarische Moment des Rentensystems auf den 'Generationenvertrag' reduziert wird, während die paritätische Finanzierung der Renten durch den 'Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil' völlig außer Acht bleibt, denn nur so lässt sich das Problem auf Bevölkerungspolitik fokussieren. Die entsprechenden Forderungen werden in einem Abschnitt des Aktionsprogramms zur Familienpolitik erläutert (dessen roter Faden die Rentenargumentation bildet) und umfassen an erster Stelle wiederum die 'Ausgliederung von Ausländern aus der Sozialversicherung' (vgl. ebd.: 29f.) und ein 'Müttergehalt' (vgl. ebd.: 31ff.). Dabei steht die "klassische Familie" mit ihrer geschlechtlichen Arbeitsteilung "als Fundament völkischen GemeinschaftsIdeal des 'Antikapitalismus von rechts' ist der doppelt unfreie Lohnarbeiter, der an die nationale Kapitalverwertung gebunden und dabei den Anforderungen und Vorschriften der Volksgemeinschaft unterworfen ist" (Gebhardt 2009: 175f.).

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lebens" (ebd.: 31, vgl. Kapitel 3.2.5) zwar weiterhin im Zentrum, wird aber pragmatisch durch die gängigen Forderungen nach einem Ausbau von Kinderbetreuungsmöglichkeiten und ähnlichem ergänzt. Anknüpfend an die öffentliche Diskussion der Renten als 'Generationenproblem' verschiebt sich die Kritik an der 'Aushöhlung des Sozialstaates' also zum Zentrum der Figur des VOLKES, nämlich zur Sorge um "das biologische Überleben des deutschen Volkes" (ebd.: 28), das durch "ein normales Wachstum der deutschen Bevölkerung" (ebd.: 30) gesichert werden müsse einerseits und zur Abgrenzung der entsprechenden Population, mittels der offenkundig widersinnigen Behauptung "Ausländer gefährden Rentenkassen" (ebd.: 29), andererseits. In diesem Kontext dient die Kritik am Kapitaldeckungsverfahren, dessen Verteilungseffekte nicht vorkommen, der Akzentuierung der Volksgemeinschaft im abstrakten Gegensatz zu Individualismus und zur (kollektiven) Vertretung von Interessen. Die Interessengegensätze lösen sich scheinbar auf, denn es erscheint möglich, dass durch eine "entsprechende Bevölkerungspolitik [...] die Renten angehoben werden" (ebd.: 23), während zugleich "die Senkung der Lohnnebenkosten" (ebd.: 27), also unter anderem des Arbeitgeberanteils an der Rentenfinanzierung, in Aussicht gestellt wird. Während die NPD also den WOHLFAHRTSSTAAT nach wie vor – zugunsten einer Gemeinschaft der hart Arbeitenden (vgl. 5.1.4.3) – ablehnt, bezieht sie sich zugleich positiv auf den SOZIALSTAAT {Sozialstaat, Nationalstaat, nationale Solidargemeinschaft} / {Wohlfahrtsstaat, multikulturelle Gesellschaft, Ausländer}, der allerdings primär durch den Gegensatz VOLK / AUSLÄNDER bestimmt ist. Mit anderen Worten gibt es auch hier einen positiv gewerteten Signifikanten ('Sozialstaat') und einen negativ gewerteten Signifikanten ('Wohlfahrtstaat') für das selbe Signifikat (staatliches Transfersystem zum Ausgleich sozialer Risiken). Die WOHLFAHRTSSTAAT-Aussage betont den negativen Aspekt. Die SOZIALSTAATAussage betont den positiven Aspekt, wobei sie diesen noch einmal explizit vom 'Wohlfahrtsstaat' abgrenzt, obgleich ihr Hauptaspekt die Abgrenzung einer '(völkisch-)nationalen Solidargemeinschaft' von 'Ausländern' besteht. Diese um die Jahrtausendwende zu beobachtende Neuerung steht offensichtlich im Zusammenhang mit der Globalisierungsdebatte. Sie stellt den Versuch dar, ein weiteres Element der KRITIK-POSITION so zu integrieren, dass die Grundstrukturen des nationalistischen Diskurses intakt bleiben. 5.1.5 Zwischenresümee: Zentrale Aussagen zum Thema Globalisierung Im Zusammenhang mit dem Thema Globalisierung wurden im Umfeld der NPD sieben zentrale Aussagen rekonstruiert, welche einerseits an Aussagen des mediopolitischen Diskurses (vgl. Kapitel 4.7) anschließen und andererseits funda-

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mentale Aussagen des nationalistischen Diskurses (vgl. Kapitel 3.3) auf spezifische Weise fortschreiben. Das zentrale Schlagwort ist die ONE WORLD {souveräne Völker, nationale Volkswirtschaft} / {One World: (schrankenloser Kapitalismus) / (linker Internationalismus)}, die als Synonym der abgelehnten Globalisierung fungiert. Anknüpfend an die Aussage GLOBAL-NATIONAL des mediopolitischen Diskurses werden die Nation, das Volk oder die Volkswirtschaft als Konterpart zur 'einen Welt' aufgebaut. Letztere trete zugleich in der Gestalt eines 'linken Internationalismus' als auch in der eines 'schrankenlosen Kapitalismus' auf. Eine Gleichsetzung, die deutlich in der Tradition der IRRATIONALISMUS-Aussage steht. Gegen den 'schrankenlosen Kapitalismus', der zugleich ein zentrales Motiv der medialen Globalisierungsdebatte ist, steht der GESCHLOSSENE HANDELSSTAAT {Volkswirtschaft, Protektionismus, Nationalstaat, geschlossen-Schott-Damm} / {Weltwirtschaft, Freihandel, Globalisierung, offen-Ströme-Fluten}. In einer impliziten Umwertung der FREIHANDEL-Aussage wird die Volkswirtschaft mit starken Anklängen an das VOLK, als geschlossene Einheit gegen den Weltmarkt gestellt und für einen prinzipiellen Protektionismus plädiert. Symbolisch stehen dabei Schließung, Dämme und Schotten gegen Offenheit, Ströme und Fluten. Hier zeigt sich die durchgehende Zuspitzung der im mediopolitischen Diskurs präsenten Symbolik bedrohlicher DETERRITORIALISIERUNG hin zur konsequent positiven Wertung der RETERRITORIALISIERUNG. Daran knüpft auch die Aussage GLOBALE MENGE {Hochlohnländer, Deutschland, Insel} / {Niedriglohnländer, globale Habenichtse, Ozean der Konkurrenz} mit dem Bild der Insel im Ozean der Konkurrenz an. Im Kern geht es dabei um die – von der SACHZWANG-POSITION mitunter suggerierte – Vorstellung, sämtliche Arbeitsplätze würden alleine unter dem Gesichtspunkt der nominalen Lohnkosten aus den bisherigen Industriestaaten verlagert. Dabei ist der Blick insbesondere auf die Masse der (vermeintlichen) Konkurrenten gerichtet, die in abwertenden oder bedrohlichen Bildern als Heere oder Menge von Habenichtsen erscheinen. Auch hier zeigt sich die spezifische Zuspitzung eines verbreiteten medialen Musters, nämlich der Angst vor dem ABSTIEG im Ranking der Nationalstaaten. Während dies gegen die aufstrebenden nationalstaatlichen Konkurrenten von unten gerichtet ist, wendet sich die nächste Aussage gegen oben:

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AMERIKANISIERUNG {Welt der tausend Völker, souveräne Nationalstaaten, gewachsene Volkskulturen} / {US-Imperialismus: wirtschaftlich (Globalisierung, US-Ostküste, Spekulationskapital), kulturell (globale amerikanische Einheitskultur, kulturelle Zersetzung), militärisch}. In dieser Aussage besteht die Positiv-Kette einmal mehr aus dem VOLK und dem 'souveränen' Nationalstaat. In der Negativ-Kette mischen sich reale Gegebenheiten wie die Rolle der USA als größte Volkswirtschaft und Militärmacht der Welt, die Weltgeldfunktion des Dollar oder die Verbreitung US-amerikanischer Kulturprodukte, mit antiamerikanischen und antisemitischen Ressentiments. So schließt hier das Moment der Umerziehung aus der GESCHICHTS-Aussage an und die Kette {US-Ostküste, Spekulationskapital, kulturelle Zersetzung} verdeutlicht den fließenden Übergang zur JUDEN-Aussage. Aber auch unabhängig von den USA kommt die tradierte Identifikation von JUDEN und 'Finanzkapital' im Zusammenhang mit der Diskussion um die zunehmende Bedeutung internationaler Finanzmärkte zum Tragen. Dabei kann die antisemitische Aussage an die kollektivsymbolische Präsentation der Finanzmärkte als anonyme MÄCHTE im mediopolitischen Diskurs anschließen. In der EUROPA-Aussage {Europa der Vaterländer, nationale Souveränität, Prinzip der Volksabstammung, Währungshoheit (D-Mark)} / {EU-Europa, supranationale Institution, Völkergefängnis, Euro, Nettozahler Deutschland, Bürokratie} steht wiederum der der 'souveräne Nationalstaat' im Zentrum, der in diesem Zusammenhang regelmäßig in die Rede vom 'Europa der Vaterländer' übersetzt wird. Dies ist verknüpft mit der Forderung nach 'Währungssouveränität', also der Rückkehr zu nationalen Währungen an Stelle des Euro. Letztlich spitzt diese Aussage weit verbreitete Kritiken an der 'Brüsseler Bürokratie' und ähnlichem zu einer Fundamentalkritik der Europäischen Union zu, die hier aufgrund ihres Charakters als supranationaler Instanz ('Völkergefängnis') prinzipiell suspekt ist und zudem auch nicht im ökonomischen Interesse Deutschlands ('Nettozahler') sei. Alle bisherigen Aussagen waren primär gegen das mit der Globalisierung verknüpfte 'feindliche Außen' der Nation gerichtet. Bei der Aussage MITTELSTAND {Mittelstand, verantwortungsbewusste Unternehmer, deutsche Unternehmen} / {Großkapital, asoziale Kapitalisten, bindungslose Manager, Globalisierung}

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stehen dagegen deutsche Unternehmer im Zentrum. Diese werden in Übereinstimmung mit der MITTELSTAND-Aussage des mediopolitischen Diskurses als Ideal ökonomischen Handelns präsentiert. Das Spezifische dabei ist allerdings, dass die gleiche soziale Position semantisch verdoppelt wird und so nach Belieben als 'guter mittelständischer Unternehmer' oder 'böser Kapitalist' erscheint, der wiederum dem feindlichen Außen der Globalisierung zugerechnet wird. Ein ähnlicher Mechanismus ist bei der Aussage SOZIALSTAAT {Sozialstaat, Nationalstaat, nationale Solidargemeinschaft} / {Wohlfahrtsstaat, multikulturelle Gesellschaft, Ausländer} zu beobachten. Die Emergenz dieser Aussage um die Jahrtausendwende, die auf den ersten Blick mit der Kritik des WOHLFAHRTSSTAATES kontrastiert, entspricht dem mediopolitischen Streit um die Frage, inwiefern der Sozialstaat abgebaut (SACHZWANG-POSITION) oder verteidigt (KRITIK-POSITION) werden müsse. Letztlich stellen sich die damit verbundenen (verteilungs-)politischen Fragen innerhalb des nationalistischen Diskurses aber gar nicht. Denn mit der schlichten Gleichsetzung von Sozialstaat und Nationalstaat auf der einen Seite und der multikulturellen Gesellschaft als zentralem Gegenüber auf der anderen, erscheint es einmal mehr möglich, sämtliche Widersprüche zu externalisieren. Die Verteidigung des Sozialstaates ist hier im Wesentlichen gleichbedeutend mit der Parole 'Ausländer raus'. So könne die soziale Sicherheit der angerufenen 'hart arbeitenden Deutschen' gesichert werden, jener BEDROHTEN MITTE, die auch im mediopolitischen Diskurs fürchtet, von 'Ausländern und Sozialschmarotzern' unten ebenso ausgebeutet zu werden wie von einer 'dekadenten Oberschicht'. Und gegen die vermeintliche Bedrohung der hart arbeitenden Mitte von unten richtet sich nach wie vor die Aussage WOHLFAHRTSTAAT mit ihrer Warnung vor Missbrauch und Ausuferung sozialer Wohltaten. Die beschriebenen Aussagen sind in Anhang III.4 tabellarisch zusammengefasst.

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5.2 'Freie Kräfte und jugendliche bekennende Deutsche' – Neonazis und die RechtsRock-Szene In der analysierten Parteitagsrede von Udo Voigt wird unter anderem Thomas Wulff als Vertreter der 'freien Kräfte' vorgestellt (vgl. Kapitel 3.1). Als solcher war Wulff gut dreieinhalb Jahre zuvor an der Organisation einer "Großdemonstration des Nationalen Widerstandes" (Demonstrationsaufruf148) beteiligt, die mit rund 900 Teilnehmenden am 1. Mai 2001 in Frankfurt am Main stattfand. Offizieller Anlass der Demonstration unter dem Motto "Euro stoppen – Globalisierung bekämpfen!" (ebd.) war die Einführung des Euro zu Beginn des folgenden Jahres. Dazu passend wurde eine Zwischenkundgebung an der EZB angekündigt. Inhaltlich findet sich zu diesem Thema im Aufruf allerdings nichts Substanzielles. Der kurze Text besteht vielmehr aus einer extrem verdichteten Aneinanderreihung der zentralen Aussagen des nationalistischen Diskurses in Sachen Globalisierung: "Die herrschenden internationalen Finanzkartelle in den Monopolen der kapitalistischen Welt besitzen keinerlei Bindung zu Volk und Heimat. [...] Die von ihnen betriebene globale Ausbeutung der Völker und die Verschiebung von Arbeitssklaven und Waren wird durch Grenzen und Zollschranken erschwert. [...] Die Welt soll grenzenlos werden: 'One World'-Internationalisten haben deshalb die sogenannte 'Europäische Union' geschaffen. Ihr Ziel: Zerstörung der Völker Europas und ihrer Kulturen, Vergrößerung der Profite durch Wegfall der Grenzen und Vernichtung der deutschen Wirtschaft [...] durch Einführung des Euro" (ebd.).

In diesen wenigen Zeilen werden vier zentrale Aussagen der nationalistischen Globalisierungserzählung miteinander verknüpft: ONE WORLD {One-World-Internationalisten} / {Völker, Kulturen}, DETERRITORIALISIERUNG {Grenzenlosigkeit} / {Bindung}, GESCHLOSSENER HANDELSSTAAT {kapitalistische Welt, Grenzenlosigkeit} / {deutsche Wirtschaft, Grenzen und Zollschranken} und EUROPA {Völker Europas} / {Europäische Union, Euro}. 148 Flugblatt: "Euro stoppen – Globalisierung bekämpfen! Deutschlandweite Großdemonstration des Nationalen Widerstandes am 1. Mai 2001 in Frankfurt/M".

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Darauf folgt das Fazit: "Diese Entwicklung ist die eigentliche Ursache der Arbeitslosigkeit. Kampf der Globalisierung heißt Kampf der deutschen (!) Arbeitslosigkeit" (ebd.). Die Einführung des Euro dient als Aufhänger für eine extrem komprimierte Variante der nationalistischen Globalisierungserzählung, die weitgehend ohne Argumente (inwiefern zerstört der Euro die deutsche Wirtschaft, was genau ist die Ursache von Arbeitslosigkeit etc.) auskommt und ihre Kohärenz alleine auf der narrativen Ebene entfaltet. Gegen das 'Außen der globalen Welt des Kapitalismus' (s.o.) wird das 'harmonische Innen der Volksgemeinschaft' gesetzt, gegen die "Kapitalist[en]", den "Liberalismus" und die "anonyme Gesellschaft seelenloser Individuen" werden "gewachsene Solidargemeinschaften (Familie, Kleinbetrieb, Dorf, Volk)" (ebd.) gestellt. Dementsprechend ist der Aufruf mit einer doppelten symbolischen Bezugnahme auf den historischen Nationalsozialismus angereichert. Zum einen ist er mit einer Arbeiterfigur bebildert, die einem Wahlplakat der NSDAP entnommen ist und später auch auf einem Plakat zum Opel-Konflikt 2004 verwendet wird (vgl. Kapitel 5.2.3.4). Zum anderen ist auch der Aufmarschtermin in diesem Zusammenhang zu sehen, denn seit 1997 finden jährlich Aufmärsche der Szene zum 1. Mai als 'Tag der Nationalen Arbeit' statt, den die Nazis 1933 unter dieser Bezeichnung als offiziellen Feiertag eingeführt hatten (vgl. dazu Kapitel 7.2.3). Auch in der internen Kommunikation zeigt sich, dass es bei der Demonstration um anderes – oder jedenfalls um mehr – geht, als dem offiziellen Motto zu entnehmen ist. So stand ein erster Aufruf, der in der Szene kursierte, ganz im Zeichen des Antisemitismus, darin hieß es unter anderem: "Frankfurt/M. ist das politische und materielle Zentrum der Freunde eines Ignatz Bubis (Friede seiner Asche) und eines Michel Friedman. In Frankfurt trieb nach dem Krieg die sogenannte Frankfurter Schule ihr Unwesen und legte die Grundlagen für den geistigen und moralischen Verfall unseres Volkes" (zitiert nach Weiss 2007: 29).

Auch im Rückblick des Anmelders Steffen Hupka für das Szeneheft ZENTRALORGAN (12/2001: 14) werden Euro und Globalisierung nur am Rande erwähnt: "In Frankfurt/M. ist das Kapital zuhause, sitzt die 'Europäische Zentralbank' und herrscht die ausländische Mafia. In Frankfurt ist seit Ende des Krieges ein antifaschistischer Sumpf entstanden, der praktisch den Großteil der maßgeblichen Kräfte in der Stadt vereint: 'Linke', Stadtverwaltung, etablierte Parteien, Polizei, Kirche, ausländische Banden, Juden usw. Entsprechend stark musste der Widerstand von allen genannten Kräften eingeschätzt werden. Für unsere Mühen winkte aber ein großes Ziel, die Zerstörung des Mythos 'Frankfurt/M.' als uneinnehmbare Hochburg der Feinde unseres Volkes".

JUDEN, AUSLÄNDER, ETABLIERTE und andere 'Feinde des VOLKES' sind das bestimmende Motiv. Dementsprechend haben sich auch die Redebeiträge nicht primär mit ökonomischen Fragen auseinandergesetzt, wie an gleicher Stelle zu erfahren ist. Vielmehr habe der "Zeitzeuge und Wehrmachtsfeldwebel" Otto Riehs

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"über die schönen und harmonischen Maifeiern von 1933 bis zum Kriegsbeginn" berichtet, während Christian Worch "die Linke der siebziger und achtziger Jahre mit der heutigen" verglich, die "nur noch eine unpolitische Bande asozialer Krawallmacher im direkten oder indirekten Dienste des Staates sei" (ebd. 15f.). Das Event ist sowohl inhaltlich als auch organisatorisch ein typisches Beispiel für die 'Demonstrationspolitik' (vgl. Virchow 2006b), die der im Kern neonazistische Bewegungsflügel der nationalistischen Rechten seit den 1990er-Jahren entwickelt hat149. Diese zielt, nach entsprechenden Aussagen von Führungskadern, zum einen darauf ab, "ein Emotionskollektiv zu schaffen, das der Rekrutierung neuer Bewegungsmitglieder ebenso dienlich sein soll, wie der Stabilisierung der kollektiven Identität der Bewegung, der Auswahl von Nachwuchskadern sowie der Formierung spezifischer Weltbilder und innerer Haltungen" (ebd. 88), darunter nicht zuletzt die "Einübung und Stabilisierung 'Soldatischer Männlichkeit'" (ebd. 86).

Zum anderen geht es darum, nach 'außen', in die Gesellschaft hinein, zunächst einmal die Existenz einer neonazistischen Bewegung zu demonstrieren und trotz zivilgesellschaftlicher Gegenproteste und staatlicher Maßnahmen Handlungsfähigkeit zu zeigen sowie schrittweise zu erweitern (vgl. ebd. 88ff.). Aus dieser grundsätzlichen Ausrichtung erklärt sich auch die relative Beliebigkeit der vordergründigen Demonstrationsanlässe. In den Worten von Christian Worch "ist es meistenteils sogar ziemlich egal, wofür oder wogegen gerade demonstriert wird, [… wichtig ist] allein, dass das 'nationale Lager' demonstriert" (Worch, zitiert nach Virchow 2006b: 89). Trotz dieser Zweitrangigkeit der Demonstrationsanlässe ist es bemerkenswert, dass die Themen 'soziale Frage, Kapitalismus und Globalisierung' den Schwerpunkt der Aufmärsche im Zeitraum von 1997-2004 (ebd. 78ff.)150 bildeten. Im Folgenden wird an einigen weiteren Beispielen nachvollzogen, wie die nationalistische Globalisierungserzählung in diesem Bewegungsförmigen Segment des Feldes reproduziert wird (Kapitel 5.2.3). Zunächst wird aber nach der Rolle der RechtsRock-Szene in diesem Segment und ihrer kulturellen Artikulation politischökonomischer Gehalte gefragt (Kapitel 5.2.1). Zugleich werden die dauerhaften Konfliktlinien herausgearbeitet, die das nationalistische Feld in diesem Segment aufweist (Kapitel 5.2.1.2 und Kapitel 5.2.2). 149 Zur Geschichte des Neonazismus von der 'Aktionsfront Nationaler Sozialisten' um Michael Kühnen in den 1970er-Jahren bis hin zur Herausbildung der 'freien Kameradschaften' und der koordinierenden 'Aktionsbüros' sowie schließlich den 'Autonomen Nationalisten' als jüngster Entwicklung vgl. Antifaschistisches Autorenkollektiv (1992), Virchow (2004), Röpke/Speit (2005), Schedler/Häusler (2011). 150 Mehr Demonstrationen wurden lediglich gegen 'staatliche und zivilgesellschaftliche Maßnahmen gegen Rechts' durchgeführt, was zum Teil durch zahlreiche NPD-Demos gegen das seinerzeit drohende Verbot zu erklären ist.

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5.2.1 'Einige wollten noch zum Konzert fahren' – Die RechtsRock-Szene Zur Rekrutierung von Nachwuchs, die Virchow als wesentlichen Teil der Demonstrationspolitik des Neonazismus analysiert, dient auch die gezielte Einbindung der Subkultur, die sich um den sogenannten RechtsRock gebildet hat151. So sollte im Anschluss an die oben genannte Demonstration anlässlich der Einführung des Euros ein Konzert mit den RechtsRock-Bands FAUSTRECHT und HAUPTKAMPFLINIE im Raum Frankfurt stattfinden, und für die Abschlusskundgebung war der Liedermacher Andre Lüders angekündigt. Aus einem Demonstrationsbericht im Fanzine UNSERE WELT (Nr. 7: 23) geht der primäre Erlebnischarakter solcher Events für die entsprechende Szene deutlich hervor: "Nun war es soweit: Dieses Jahr sollte es nach Frankfurt am Main gehen, da es in dieser Stadt noch keine größere Demonstration des nationalen Widerstands gegeben hatte. So waren wir gespannt was uns erwarten würde" (ebd.). In diesem Stil wird dann über die Ablauf des Tages und insbesondere die Konfrontation mit Antifa und Polizei berichtet. Politische Inhalte im engeren Sinne werden dabei überhaupt nicht angesprochen, stattdessen endet der Bericht mit den Worten: "Wir fuhren wieder zum Vorabtreffpunkt, wo umgruppiert wurde, da noch einige zum Konzert fahren wollten. Dieses fand aber leider auf Grund von Polizeimaßnahmen nicht mehr statt. Was wiederum ungefähr 70 Kameraden dazu veranlasste, noch eine Spontandemo in Gießen durchzuführen" (ebd.).

5.2.1.1 'Eine patriotische und sozialistische Band' – Politisch-ökonomische Gehalte An der Band FAUSTRECHT können die Reproduktion der nationalistischen Aussagen und insbesondere die damit verbundenen Anrufungsmomente im subkulturellen Segment des Diskurses exemplarisch gezeigt werden. Die Band ist nicht zuletzt mit Blick auf die ökonomischen Gehalte des Diskurses interessant. Denn sie stellt ihren Skinhead-Stil ganz explizit in den Kontext der Arbeiter*innenklasse, in dem er in den 1970er-Jahren in England tatsächlich entstand (vgl. Clarke 1981) und verbindet dies dann mit den Anrufungen des 'deutschen Arbeiters' im Nationalsozialismus. So war beispielsweise ihre erste CD mit dem Titel "Sozialismus oder Tod" als Zahnrad – dem Symbol der Deutschen Arbeitsfront – ausgestanzt. Darauf angesprochen erklärt die Band im Interview mit dem Fanzine ROCK NORD: "Das Zahnrad ist ein Symbol für die deutsche Arbeiterbewegung und da wir uns als Band aus der Schicht der Arbeiterklasse sehen, passt das Zahnrad sehr gut zu uns". An gleicher Stelle betont die Band, dass sie sich "nicht als Rechtsrockband versteh[t], sondern einfach als Skinheadband" und charakterisiert die entsprechende Szene mit den Worten: "In unseren Augen 151 Zu dieser Subkultur vgl. Langebach/Raabe (2016), Dornbusch/Raabe (2002), Langebach (2016: 394ff., 407ff.), Searchlight Magazine (2001).

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sind Skinheads stolz auf ihre Heimat, ihre Herkunft und ihre Traditionen". Dies sei auch bei den "Ursprüngen der Skinhead-Szene in England" so gewesen. "Der Stolz auf seine Heimat und eine gewisse Ausländerfeindlichkeit waren schon immer ein Teil der Bewegung" (ROCK NORD 3/1998: 12f.).

Die deutliche Bezugnahme auf die Arbeiterklasse ist durchaus ungewöhnlich152. So sah sich die Band auf ihrer Homepage gar genötigt Vorwürfen entgegenzutreten, sie seien "radikale Linksabweichler" (www.faustrecht.de/wir [20.08.2007]) und betont demgegenüber: "Politisch sehen wir uns selbst als patriotische und sozialistische Band, die nicht den einfachen Weg der Verherrlichung des Dritten Reiches geht! Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen und wir müssen in die Zukunft schauen und nicht zurück und dafür eignen sich die Ideen des europäischen Nationalismus und des Sozialismus in unseren Augen am besten!" (ebd.)

Gerade in der Abgrenzung zu denjenigen, die einfach 'der Verherrlichung des Dritten Reiches' frönen, zeigt sich die Gemeinsamkeit des Feldes, in dem die Band eine spezifische Position einnimmt. Nicht zuletzt steht ja die Kombination aus 'Nationalismus und Sozialismus', die hier als zukunftweisendes Konzept dargestellt wird, ganz explizit (Zahnrad etc.) in der Tradition der entsprechenden nationalsozialistischen Arbeiterpropaganda. Zugleich bringt die Band aber ein Element zu Sprache, das ansonsten eher implizit, nämlich auf der Ebene des Habitus und des Stils präsent ist. Denn die Anrufung als 'einfacher Mann aus dem Volk' schwingt im RechtsRock permanent mit, wenngleich sie in aller Regel nicht explizit auf die Arbeiterklasse bezogen ist, sondern ein breites 'rebellisches' Identifikationsangebot für Jugendliche aus unterschiedlichen Milieus bildet. Auch insofern lohnt ein genauerer Blick darauf, wie die Anrufungen in den Texten von FAUSTRECHT zwischen verschiedenen Ebenen gleiten und mit den üblichen Freund-/Feinbildern des RechtsRock (vgl. Flad 2002), beziehungsweise den Aussagen des nationalistischen Diskurses verknüpft werden. Anhand der Texte der CD "Klassenkampf" aus dem Jahr 2002 lassen sich diese Mechanismen beschreiben. Die Personalpronomen liefern hier einmal mehr den Schlüssel (vgl. Kapitel 3.1.2). So gleiten die expliziten Anrufungen in der zweiten Person Singular oder im 'adressaten-inklusiven Wir' zwischen einem kämpferischen und stolzen Arbeiter, (lokal-)patriotischen Skinheads und weißen Patrioten, die für das VOLK kämpfen. Exemplarisch sind die folgenden Stellen: • Eine Anrufung als Arbeiter, die sich bemüht, an entsprechende Alltagserfahrungen anzuknüpfen, findet sich im Song 'Helden der Arbeit': "Du schuftest und rackerst […] Du schmiedest den Stahl, […] malochst in der Grube, […] 152 So schreiben auch akribische Beobachter der Szene: "Auffällig ist die häufige Verknüpfung von extrem rechten Inhalten mit der Arbeitswelt, der Arbeiterklasse zu einem 'Deutschen Sozialismus'" (Arbeitsstelle Neonazismus 2005: 35).

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ackerst bei Wind und Wetter am Bau". Dabei wird das "Leben der Arbeit, voll bitterem Schweiß" pathetisch als Schicksal und als treue Pflichterfüllung präsentiert: "Erfüllst treu die Pflicht seit sehr langer Zeit [...] Dir war stets klar: Das ist der Weg, der Dir bestimmt war" ('Helden der Arbeit'). Analog zur Forderung der NPD an männliche Lohnarbeiter, ihre Arbeit als Einsatz für Volk, Familie und Nation, zu begreifen (vgl. Kapitel 5.1.4.3), werden die Rezipienten im Sinne der MÄNNLICHKEITS-Aussage angerufen: Die 'Helden der Arbeit' sollen als soldatische Männer treu ihre Pflicht erfüllen. • In 'Klassenkampf' wird die Anrufung als Arbeiter dagegen mit einem Kampf gegen Ausbeutung verknüpft: "Fight for your class! Wir gehen nicht in die Knie, denn unser Stolz gilt unserem eigenen Stand. Ausbeuterei wird aus Europa verbannt. Im Klassenkampf". • In 'Gemeinsam stehen wir' wird – anknüpfend an die regionale Szene – eine Gemeinschaft (lokal-)patriotischer Skinheads beschworen: "Kameraden, stolz auf ihr Land, Skinheads Süddeutschland. […] Gemeinsam stehen wir […] Skinheads Süddeutschland. Für unser Vaterland stehen wir, stehen wir, stehen wir". • In 'Time will tell' geht die Identifikation mit dem Vaterland über in den Kampf für das VOLK: "You lead the fight for your folk and nation. […] We keep up the fight, nationalism is on the rise". • Das gleiche Motiv findet sich auch im Song 'Es kommt der Tag': "Es kommt der Tag an dem das Vaterland erwacht. […] Es kommt der Tag, an dem unsere Stunde schlägt. Es kommt der Tag, an dem sich ein Volk erhebt. […] An dem Deutschland wieder aufersteht". • In 'Take back your Land' wird die rassistische Komponente besonders deutlich, weiße Patrioten holen ihr Land zurück: "Brothers unite, take back your land. Keep up the fight against their tyranny. White patriots you have to defend, it's our home and Europe must be free". Die letzte Sequenz ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert, zum einen sollen die 'weißen Patrioten' ihr Land offensichtlich von den nicht-weißen (AUSLÄNDERN) zurückholen. Zum anderen stehen sie in einem abstrakten Gegensatz zu 'Ihnen' im Sinne von Herrschenden ('their tyranny'). Dieser abstrakte Gegensatz zu 'den Herrschenden', die in der dritten Person Plural oder auch konfrontativ in der zweiten Person Plural angesprochen werden, zieht sich ebenfalls durch die Texte. Hier finden die angerufenen Rebellen ihr Gegenüber, das – genau wie in der Parteitagsrede (vgl. Kapitel 3.1.2.3) – mal abstrakt in Gestalt der Herrschenden, mal konkret in Form von Politikern (ETABLIERTE) oder schließlich von JUDEN auftritt.

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Der abstrakte Gegensatz zu den Herrschenden ist im Song 'Es kommt der Tag' präsent: "Ein festes Ziel prägt unser Streben […] es treibt uns vorwärts, weiter gegen den Strom, gegen eure Herrschaft in die Rebellion". • Der Gegensatz zu Politkern beziehungsweise ETABLIERTEN findet sich in 'Klassenkampf': "Die herrschende Schicht, dekadent und korrupt […] Der kleine Mann der Straße ist ihnen egal. Sie machen Unrecht zu Recht, jedes Mittel legal". • Ähnlich heißt es in 'Helden der Arbeit': "Korrupte Politiker verkaufen dein Recht […] Sie besteuern dich hoch, du wirst ausgenützt, während der Bonze durchs Steuerloch schlüpft". • In 'Klassenkampf' ist mit dem 'Spekulanten-Revier der Börse, das ihre Gier befriedigt' zugleich ein Klischee präsent, das auf JUDEN verweist: "Sie preisen stets die freie Wirtschaft, die nur Armut und Arbeitslosigkeit schafft. Was bringt uns die Börse, das Spekulanten-Revier, sie vernichtet alte Werte und befriedigt ihre Gier". • Mit dem Bild der 'fremden Hände der Verschwörer, die unser Land regieren' in 'United for Europe' wird ebenfalls deutlich auf JUDEN als eigentliche Herrschende angespielt: "We see the danger growing of getting ruled by alien hands. We see our leaders obeying, when secret powers command. […] Stand up against them, stand up and fight. […] They will never beat us, their conspiracy will fall". Der 'Klassenkampf', der im Titelsong propagiert wird, schweigt von Klassengegensätzen und findet seine Gegner in AUSLÄNDERN, ETABLIERTEN und letztlich in JUDEN. Hier wird altbekannter Nationalsozialismus auf ein neues Medium gebrannt und – selbst dieses Muster ist altbekannt – als zukunftsweisende 'Verbindung von Nationalismus und Sozialismus' gepriesen. Das Lied die 'Macht des Kapitals' bringt die Verschiebung von der Anrufung als rebellisches Klassensubjekt hin zum Judenhass noch einmal mustergültig zum Ausdruck: "Sie besitzen unsere Wirtschaft und kaufen unsere Seelen […] Es sind nicht mehr Politiker, die unsere Länder führen […] Das Schicksal aller Völker, unterjocht von ihrem Geld. Die Macht des Kapitals, so verschlagen raffiniert […] Die Völker dieser Erde erfüllen für sie nur einen Zweck: Sie schamlos auszubeuten: Unser Blut ist ihr Profit […] Sie züchten einen Menschen, der entwurzelt und naiv […] Die ältesten Kulturen, die die Menschheit hervorgebracht, werden durch Macht- und Geldgier langsam dahingerafft".

Der Antagonismus {'uns': Völker, Kulturen, Blut, Verwurzelung, unsere Länder} / {'ihnen': Macht, Geld(gier), Profit, Kapital, politische Führung} zeichnet einmal mehr das Bild der herrschenden JUDEN. Abgerundet wird es durch die antisemitische Konnotation der Adjektive 'verschlagen' und 'raffiniert' sowie

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durch eine entsprechende Karikatur im Booklet der CD (vgl. Arbeitsstelle Neonazismus 2005: 7). 5.2.1.2 Diskursive Positionen: Skinheadtradition versus Partei Wiederveröffentlicht wurde das letztgenannte Stück, zusammen mit Liedern von zehn weiteren nationalistischen Interpreten, auf einer Wahlwerbe-CD der NPD zur Bundestagswahl 2005, die kostenlos vor Schulen verteilt wurde ('Schulhof-CD'). Diese Aktion weist, ebenso wie ein ähnliches Projekt im Landtagswahlkampf in Sachsen 2004, auf das immer stärkere Zusammenwirken von NPD, Neonazikameradschaften und der entsprechenden Subkultur seit Mitte der 1990er-Jahre hin. Bei der Analyse der Parteitagsrede wurde deutlich, dass dies innerhalb der Partei durchaus nicht unumstritten ist (vgl. Kapitel 3.1). Dass entsprechende Kooperationen auch umgekehrt, aus Sicht der subkulturellen Szene, umstritten sind, zeigt ein Ausschnitt aus dem bereits zitierten Interview in ROCK NORD (3/1998: 13): "RockNord: Bei den Grüßen im Booklet werden unter anderem die JN und die NPD genannt. Was hat Euch dazu bewogen, die alte Skinheadtradition zu brechen, sich von Parteien im Allgemeinen nicht nur fernzuhalten, sondern sich von diesen auch nicht einspannen zu lassen? FR: Die NPD/JN entwickeln sich so langsam zur tragenden Kraft des nationalen Kampfes in Deutschland. Obwohl wir nur teilweise mit den Zielen der NPD/JN übereinstimmen, finden wir, daß es diese Partei wert ist gegrüßt zu werden".

Diese Konfliktlinie, die immer neue Abgrenzungen und Aushandlungsprozesse hervorbringt, ließe sich an zahlreichen weiteren Beispielen belegen (vgl. Langebach/Raabe 2016). Trotz dieser Fraktionierung ist der subkulturelle Bereich jedoch ein wesentlicher Teil des nationalistischen Diskurses 153 . Die Aussagen zirkulieren via Tonträger und die Anrufungen werden durch den Eventcharakter von Partys, Konzerten oder kulturell gerahmten Demonstrationen und Parteiveranstaltungen verstärkt. Hinzu kommen im Untersuchungszeitraum154 Fanzines, in denen neue Platten und Konzerte besprochen und Interviews geführt werden und die zugleich Brücken in weitere Bereiche der nationalistischen Publizistik bilden, wie sich am Beispiel der oben zitierten Blätter zeigen lässt. ROCK NORD erschien seit Ende der 1990erJahre als erstes Hochglanzmagazin im Bereich des RechtsRock und war um dessen Normalisierung bemüht (vgl. Dubowy 2002: 158ff.). Es gab sich als relativ unpolitisches Musikmagazin, das vor allem, aber nicht ausschließlich Bands aus der 153

Dass 'die Jugend' einen spezifischen Teilbereich des nationalistischen Diskurses einnimmt, ist keine Besonderheit, die sich erst seit den 1980er-Jahren herausgebildet hat. Vielmehr könnte die Dynamik, welche die nationalistische RechtsRock-Szene Feld der Jugendkulturen entfaltet und die auch in klassische Verbände und Vereine hineinwirkt, als zeitgemäße Analogie zu den Auseinandersetzungen in der Jugendbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts gesehen werden. 154 Später werden hier Web-Angebote mehr und mehr relevant.

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rechten Szene besprach und war stets bemüht, strafrechtlich relevante Inhalte zu vermeiden. Bemerkenswert ist eine wechselseitige Leseempfehlung mit der JUNGEN FREIHEIT (JF), die im Bereich der klassischen Publizistik ebenfalls um die Normalisierung nationalistischer Positionen bemüht ist (vgl. Kapitel 6). So erschien in der JF 12/1998 der Artikel "Sturmwehr statt Sex Pistols – 'Rechtsrock': Streifzug durch die Musik der neuen Bürgerschrecks", der ROCK NORD ausführlich vorstellte und mit der Bestelladresse endete. Dieser Artikel wurde wiederum in ROCK NORD (4/1998: 17) abgedruckt und gerahmt mit dem eigenen Artikel "Junge Freiheit. Der Werdegang einer nonkonformen Wochenzeitung", der ebenfalls mit der entsprechenden Bestelladresse endete. UNSERE WELT dagegen, das "Magazin des Rock'n'Roll-Widerstands", in dem der zitierte Bericht zur Frankfurter Demonstration erschien, mischt zahlreiche solcher Aktionsberichte mit Konzertberichten, Band-Interviews und CD-Besprechungen. Entsprechend werden neben ähnlichen Fanzines auch Blätter wie ZENTRALORGAN oder DER FAHNENTRÄGER besprochen und zum Kauf empfohlen, die zu den internen Medien der neonazistischen Szene zählen und wenig mit einem Fanzine im engeren Sinne gemein haben. 5.2.2 Diskursive Positionen: Bewegung und / oder Partei Ebenso wie in der subkulturellen RechtsRock-Szene, ist auch unter den primär politisch agierenden Neonazi-Gruppierungen das Verhältnis zu Parteien umstritten. Auch dies lässt sich anhand der Demonstration gegen die EZB in Frankfurt aus dem Jahr 2001 nachvollziehen (vgl. Kapitel 5.2). Das enge, aber spannungsreiche Verhältnis zwischen den 'freien Kräften' und der NPD, das auch in Voigts Parteitagsrede breiten Raum einnimmt (vgl. Kapitel 3.1.2), wird hier an den Rednern deutlich, die im Aufruf wie folgt angekündigt wurden: "Christian Worch (Freier Widerstand), Peter Borchert (NPD-Landesvorsitzender v. Schleswig Holstein), Thomas Wulff (Freier Widerstand) und Steffen Hupka (ehem. NPD-Vorstandsmitglied)" 155 . Allesamt sind langjährige Kader des bewegungsförmigen Neonazismus 156 . Hupka und Borchert standen zunächst für die seit Mitte der 1990er-Jahre erfolgte Öffnung der NPD für dieses Spektrum. Zum Zeitpunkt der Frankfurter Demonstration stehen sie allerdings für die innerparteilichen Differenzen während des zeitgleich laufenden NPD-Verbotsverfahrens. Diese entzündeten sich – wie auch in Voigts Rede angesprochen (vgl. 83-97) – nicht zuletzt an der Frage, ob aus taktischen Gründen zunächst weitgehend auf Demonstrationen verzichtet werden sollte. Hupka war schon vor der Frankfurter Demonstration als 155 Flugblatt: "Euro stoppen – Globalisierung bekämpfen! Deutschlandweite Großdemonstration des Nationalen Widerstandes am 1. Mai 2001 in Frankfurt/M". 156 Vgl. zur Karriere dieser Personen Grumke/Wagner (2002: 267f., 342ff.). Zu Worch vgl. auch Erb (2006).

5.2 'Freie Kräfte und jugendliche bekennende Deutsche' – Neonazis und die RechtsRock-Szene

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Landesvorsitzender abgesetzt worden und wird später wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossen und "Peter Borchert nahm [in Frankfurt] deutlich Stellung zu seiner Amtsenthebung durch den Parteivorstand, weil er seinen Redebeitrag auf der Demo nicht abgesagt hatte" (ZENTRALORGAN 12/2001: 16). Zudem beklagten sich die Organisatoren im Nachhinein, "sie hätten nur von einzelnen örtlichen Kameraden Unterstützung erfahren, und auf die sei 'aus JN-Führungskreisen Druck ausgeübt worden'[], da die NPD und ihre Jugendorganisation [...] beschlossen hatten, dem von Freien Nationalisten durchgeführten Aufzug fern zu bleiben" (Weiss 2007: 30).

Drei Jahre später haben einige Protagonisten der Demonstration die Positionen gewechselt, ohne dass sich an der Struktur – der Spannung zwischen Partei- und Bewegungspolitik – etwas geändert hätte. 2001 vertreten Wulff und Worch gemeinsam den 'freien Widerstand', 2004 nehmen sie in der Frage der 'Volksfront' – also dem Bündnis von Freien Kameradschaften, NPD und DVU – gegensätzliche Positionen ein. Während Wulff in die NPD eingetreten ist, vertritt Worch umso lauter die 'parteifreie' Linie, der auch Hupka folgt157. 5.2.2.1 Position I: Gesamtbewegung Die Konfliktlinie, die den nationalistischen Diskurs an dieser Stelle kennzeichnet, lässt sich von jeder seiner differenten Positionen aus rekonstruieren. In Kapitel 3.1 wurde analysiert, wie die NPD-Führung unter Voigt die Bündnisposition gegen innerparteiliche Widerstände durchgesetzt hat. Analog dazu versuchten die 'Freien Nationalisten', die in die Partei eingetreten waren (Wulff, Heise und Tegethoff), das Bündnis in ihrer Szene der bewegungsorientierten Nationalisten durchzusetzen. Dazu diente unter anderem die Internetseite mit der bezeichnenden Domain "www.eine-bewegung-werden.de" auf der Texte der 'Freien' aber auch der NPD zum Bündnisprojekt dokumentiert wurden. Exemplarisch ist der Text "Wo bitte geht's zur Volksfront"158 aus dem November 2004. Hier unterscheidet Wulff zwischen dem "parlamentarischem Flügel der Gesamtbewegung", in dem es "zum Teil erhebliche Unterschiede zur Sichtweise der außerparlamentarischen Kräfte gibt", das sei "vollkommen klar" (ebd.). Aber nach der erfolgreichen SachsenWahl komme es zunächst darauf an "den parteipolitischen Arm der Gesamtbewegung weiterhin auf Erfolgskurs zu halten" (ebd.). Dazu wirft Wulff sein Prestige als langjähriger Aktivist in die Waagschale und beansprucht die Urheberschaft für das Konzept des 'freien Nationalismus' und dementsprechend die Deutungshoheit darüber: 157 Borchert, der 2003 aus der NPD ausgeschlossen wurde, sitzt zu dieser Zeit wegen krimineller Aktivitäten im Gefängnis und bewegt sich später weiter in einer Grauzone zwischen militantem Neonazismus und krimineller Rockerszene. 158 www.eine-bewegung-werden.de/wobittegehts [16.08.2007].

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"Was ich nicht verstehen konnte, das war die Tatsache, dass es innerhalb der freien Nationalisten Kräfte gab, [...] die dabei waren, das ehemalige Konzept freier Nationalisten auf Kosten einer politisch erfolgreichen Gesamtbewegung vollkommen in das Gegenteil dessen zu verkehren, als das es einmal von mir vorgestellt wurde. Es wurde gerade so getan, als würde das informelle Netzwerk freier Nationalisten eine selbstständige Organisation darstellen, dessen Mitgliedschaft einer Zusammenarbeit mit/in einer Partei wie der NPD geradezu ausschließt. 'Freie Nationalisten wollen der Kitt der Gesamtbewegung sein….!' hatte ich [dagegen] immer wieder betont" (ebd., Fehler i.O.).

Einige Monate später zieht ein anonymer Autor an gleicher Stelle eine positive Bilanz der Bündnisbemühungen. Es sei gelungen, "der NPD den Weg zurück in den nationalen Widerstand zu ermöglichen"159 – nicht etwa umgekehrt. Heute sei möglich "was noch vor einem Jahr gänzlich ausgeschlossen schien": Mit Heise und Wulff "sind inzwischen zwei bekannte freie Nationalisten in den Bundesvorstand der NPD eingerückt", auf der Liste der NPD zur Landtagswahl in NRW stehen "die Namen radikaler nationaler Sozialisten" und "der Vorsitzende der DVU, Dr. Frey, und seine engsten Berater marschieren in einer Demonstration mit so bekannten Kameraden wie Heise, Tegethoff und Steiner Schulter an Schulter" (ebd.).

Das gemeinsame Marschieren auf einer Demonstration, die rituelle Inszenierung soldatischer MÄNNLICHKEIT auf Seiten des Bewegungsflügels, unterstreicht das Funktionieren des Bündnisses nach den Maßstäben der Szene. Der Kritik aus den eigenen Reihen, dass es "nicht unbedingt ein erstrebenswertes Ziel sei, mit diesen reaktionären Kräften gemeinsam aufzutreten" wird entgegengehalten, dass die "gemäßigten Kräfte [...] sicherlich in gleicher Weise die Vorbehalte gegen uns 'Neo-Nazis'" hätten. Die "klare Trennungslinie" (ebd.) laufe an anderer Stelle: Die "Volksfrontbestrebungen" hörten dort auf, "wo die notwendige Distanz zum Liberalkapitalistischen System und [...] der Besatzer-BRD deutlich nicht vorhanden ist", und dies sei vor allem bei "den Resten der Republikaner und deren Führungsclique" (ebd., Fehler i.O.) der Fall. Letztere sprächen "die Sprache einer gekauften Systemmafia, aus anderer Richtung schienen es mehr gekränkte Eitelkeiten zu sein" (ebd.), wenn die 'Volksfront' kritisiert wurde (s.u.). Das nationalistische Feld erscheint damit in folgendem Antagonismus: {liberalkapitalistisches System, Besatzer-BRD, REPUBLIKANER} / {Gesamtbewegung, nationaler Widerstand, Volksfront: (parlamentarisch, Parteien, NPD, DVU, 'reaktionäre Kräfte') / (außerparlamentarisch, freie Nationalisten, radikale nationale Sozialisten, 'Neo-Nazis')}. Es bildet eine 'Gesamtbewegung des nationalen Widerstands', die in einen parlamentarischen und einen außerparlamentarischen Flügel gespalten ist, welche 159

www.eine-bewegung-werden.de/einjahrvolksfront [16.08.2007].

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jedoch im Rahmen der aktuellen Bündnispolitik kooperieren (sollen). Die REPUBLIKANER, die sich dem Bündnis verweigern, werden dagegen dem 'BRDSystem' als zentralem Gegenüber der 'nationalen Bewegung' zugerechnet. Politisch-ökonomisch ist diese Struktur dort konnotiert, wo das System als 'liberalkapitalistisch' erscheint und der außerparlamentarische Flügel im Gegensatz dazu als Terrain 'radikaler nationaler Sozialisten'. 5.2.2.2 Position II: Nationalsozialisten Die 'gekränkte Eitelkeit', die manche von der Volksfront fernhält, spielt in der Struktur des Feldes keine Rolle, aber der anonyme Autor kommt an anderer Stelle darauf zurück und konkretisiert sie: "Solche destruktiven Meldungen oder Aufrufe zum Boykott sind entweder staatlich gesteuert (siehe Schlierer/REP) oder entsprangen den persönlichen Befindlichkeiten eines Worch" (ebd.) oder anderer Aktivisten. Tatsächlich hatte sich Worch zu Wort gemeldet und seinerseits die Urheberschaft für das Konzept des 'freien Nationalismus' reklamiert. Es sei Ende 1992 gewesen, "als ich das Konzept der 'autonomen Rechten' entwickelte, das einige Jahre später unter dem Namen 'Freie Nationalisten' bekannt wurde"160. Aus verschiedenen Gründen hätte aber ein "kleiner Kreis von Leuten in Hamburg – darunter auch Thomas Wulff" bis Mitte der 1990er-Jahre entschieden, "das Konzept noch nicht gleich zu proklamieren" (ebd.). Auch Worch wirft im Jargon der soldatischen MÄNNLICHKEIT sein langjähriges Engagement für die nationalistische Bewegung in die Waagschale: "Wir haben in unseren Reihen teilweise sehr verdiente, altgediente Kameraden, die seit zehn oder fünfzehn oder zwanzig Jahren ihre Pflicht tun; oder, wie in meinem Fall, seit beinahe drei Jahrzehnten". Und er hat eine Haftstrafe als kaum zu überbietendes Signum des persönlichen Einsatzes vorzuweisen, die er im Zusammenhang mit seiner Urheberschaft des Konzeptes auszuspielen weiß: "Während ich dort saß, erschien Thomas Wulff die Zeit reif, das neue Konzept, das er seit Anfang 1993 kannte, zu proklamieren und mit seiner Umsetzung zu beginnen. Allerdings gefiel ihm der damalige Arbeitstitel 'Autonome Rechte' nicht wirklich; er fand 'Freie Nationalisten' eingängiger" (ebd.).

Dieses Konzept sei erfolgreich gewesen, wie sich nicht zuletzt in der Phase der "Verbotsangst" der NPD gezeigt hätte: "Wenn man die Jahre von 2000 bis 2004 als eine Art Konkurrenzsituation zwischen der NPD und parteifreien Freien Nationalisten auffaßt, dann hatten wir beim Kampf um die Straße die ungleich viel größeren Anteile als die Partei" (ebd.). Mit dem Eintritt 'freier Nationalisten' in "dieses 'neue Bündnis', auch 'Volksfront' genannt", müsse nun "zwischen völlig (partei-)freien Nationalisten und parteigebundenen freien Nationalisten" unter160

www.widerstand.info/meldungen/689.html [01.07.2006].

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schieden werden, und letzteres sei "mit dem ursprünglich von mir unter dem Arbeitsnamen 'Autonome Rechte' entwickelten und dann von Thomas Wulff unter 'Freie Nationalisten' proklamiertem Konzept allenfalls noch teil-identisch" (ebd.). Zudem sei der Eintritt in die NPD ein "Minderheitenphänomen in der gesamten Szene der Freien Nationalisten" geblieben (ebd.). Vielmehr habe sich ein "neue[r] autonome[r] Nationalismus"gebildet, dessen sichtbarster Ausdruck das neue Phänomen eines "schwarzen Blocks" (ebd.) auf nationalistischen Demonstrationen sei. "Dabei prallen zwei Fronten aufeinander: Die von Parteiangehörigen und (noch....) parteifreien altgedienten Kadern […] und die von vornehmlich jüngeren, radikaleren Kameradinnen und Kameraden, die […] sehen, daß es mit althergebrachten Werten in der jetzigen Situation nicht wirklich weitergeht" (ebd.).

Mit den Autonomen Nationalisten und dem schwarzen Block spricht Worch die sich anbahnende nächste Runde im Dauerkonflikt zwischen Partei- und Bewegungspolitik an, die in den darauffolgenden Jahren in der nationalistischen Szene ausgetragen wird (vgl. Sager 2011). Auch in Worchs Beitrag zum Konflikt um die 'Volksfront' erscheint das nationalistische Feld auf spezifische Weise. Ansetzend mit der 1952 verbotenen SOZIALISTISCHEN REICHSPARTEI erzählt er seine Geschichte der "nationalistischen Bestrebungen"161 in der Bundesrepublik Deutschland, deren radikaler Kern in der Tradition des Nationalsozialismus steht. In diesem Sinn spricht er nuanciert vom "nationale[n] oder gar nationalsozialistische[n] Lager" (ebd.) und beurteilt die Entwicklung der NPD wie folgt: Zunächst habe die Partei "noch eine gewisse personelle Kontinuität zum Nationalsozialismus gehabt" aber "Nationalsozialisten der jüngeren Generation" seien ausgegrenzt worden und so "wurde die NPD überwiegend das, was ihr Parteiname schon sagt: Eine (national)demokratische Partei; zwar national, aber eben mindestens auch demokratisch" (ebd.). Das soll heißen, sie sei eben nicht nationalsozialistisch, und daher sei auch das 'Volksfront'-Bündnis abzulehnen, sonst "müßte jetzt in Umkehr der früheren kühnenschen Strategie 'Nationalsozialisten gehören in eine nationalsozialistische Organisation' [Michael Kühnen] und der späteren Variante: 'Nationalsozialisten gehören in keine Organisation, solange diese einfach verboten werden kann' [Christian Worch] die neue Strategie lauten: 'Nationalsozialisten' oder radikale Nationalisten 'gehören in die NPD.' [Thomas Wulff] - Dem aber ist erkennbar nicht so!" (ebd.).

Worchs Position ist explizit die des Nationalsozialismus, den er als "eine Mischung (im Marxschen Sinne: Eine Synthese) aus 'rechtem' (nationalistischen und konservativem) U N D 'linkem' (revolutionären und sozialistischen) Gedankengut" (ebd.) präsentiert. In Abgrenzung dazu sei ein "Nationalist [...] ein Mensch, für den unabhängig von der sozialpolitischen Ausrichtung die Sache der Nation 161

www.widerstand.info/meldungen/689.html [01.07.2006].

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im Vordergrund steht" (ebd.). Freilich steht das nationalistische Feld auch bei Worch im Gegensatz zu den "Machthaber[n] der BRD" (ebd.) und so weiter. Allerdings wird das in diesem Text nicht besonders betont oder strategisch zur Einigung des Lagers eingesetzt. Vielmehr dominieren die internen Differenzen, die in folgendem Antagonismus zum Ausdruck kommen: {Machthaber der BRD} / {nationale Bestrebungen: (Nationalsozialisten, radikale Nationalisten, national-sozialistisch, konservativ-revolutionär, (Partei-)Freie Nationalisten, autonome Nationalisten) / (national, unabhängig von der sozialpolitischen Ausrichtung, national-demokratisch, parteigebundene Freie Nationalisten, NPD)}. Hier ist wiederum die Spannung zwischen Partei- und Bewegungspolitik artikuliert, die explizit als Konkurrenzverhältnis angesprochen wird und in die Ablehnung der Bündnispolitik mündet. Das entscheidende Kriterium ist für Worch dabei aber nicht 'Partei oder Bewegung', sondern das ausdrückliche Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Letzterer wird dabei nicht alleine als Rückgriff auf den historischen NS präsentiert, sondern wiederum in politisch-ökonomischen Begrifflichkeiten als national-sozialistisch (radikal und revolutionär) gegenüber anderen Teilen des nationalistischen Feldes abgegrenzt, die eine andere 'sozialpolitische Ausrichtung' haben. 5.2.2.3 Position III: Nationalrevolutionäre Auf der Internetseite DIE KOMMENDEN – benannt nach einer nationalrevolutionären Zeitschrift aus der Weimarer Republik – treten diese politisch-ökonomischen Begrifflichkeiten bei der Beschreibung des nationalistischen Feldes schließlich klar in den Vordergrund. Hier finden sich mehrere Texte, in denen die Situation des Jahres 2004 kommentiert wird. Einer davon stammt von Jürgen Schwab, dem NPD-Ideologen (vgl. Kapitel 3.2.4), der hier seinen Groll zum Ausdruck bringt, dass seine Bemühungen um eine 'Intellektualisierung' der Partei nicht besonders gefragt sind und der wenig später aus der Partei austreten wird (vgl. Pfahl-Traughber 2007). Sein Text "NPD und Neonazismus" 162 beginnt mit dem Satz: "Die sächsische NPD hat den Beweis erbracht, daß eine nationale Partei bei Wahlen erfolgreich sein kann, ohne im Wahlkampf nennenswerte politische Inhalte zu vermitteln und ohne zuvor im Landesverband eine qualifizierte politische Bildungsarbeit geleistet zu haben". Und er endet mit der Feststellung: "Somit bleibt es dem parteiunabhängigen nationalen

162

www.die-kommenden.net/dk/theorie/npd_und_neonazismus [30.10.2006].

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

Bildungsträger Deutsche Akademie (DA) vorbehalten" (ebd.), die Fragen zu diskutieren, die der Autor – ein Gründungsmitglied der DA – für drängend hält.

Auch Schwab entwirft seine spezifische Sicht auf das nationale Feld. Zunächst einmal gibt es die "Personen und Organisationen […], welche noch deutsch sein möchten" und die "von der NPD bis zur rechtskonservativen Wochenzeitung Junge Freiheit reichen" (ebd.). An anderer Stelle werden auch "REP und DVU" (ebd.) in die entsprechende Reihe gestellt. Das Lager ist differenziert, doch bei der Beschreibung dieser Differenzen sollten sich die Nationalisten "keinesfalls einem Definitionsmonopol der Systeminstitutionen unterwerfen. Als 'Neonazis' dürfen wir Nationalisten nur das Spektrum der Hitleristen bezeichnen. [...] Das neonazistische Spektrum dürfte […] unter den NPD-Mitgliedern in etwa ein Drittel betragen, ein weiteres Drittel stellen bürgerliche bzw. konservative Nationale, rund zehn Prozent können von sich behaupten, bewußte Nationalrevolutionäre zu sein, der Rest sind Unentschlossene. Hingegen kennt Udo Voigt in der NPD nur 'Nationalliberale und Nationalkonservative' und eine 'nationalsozialistische Strömung' (Gespräch Udo Voigts mit Junge Freiheit, 23.09.2004). Die Existenz einer eigenständigen nationalrevolutionären Ausrichtung scheint ihm dagegen fremd zu sein. Oder setzt der Parteivorsitzende 'nationalrevolutionär' mit 'nationalsozialistisch' gleich?" (ebd.).

In Kontrast etwa zu Worch wird ein 'revolutionärer Nationalismus' hier deutlich vom 'Nationalsozialismus = Hitlerismus' unterschieden. Allerdings würden "[b]ürgerlich-patriotische Saubermänner, die [...] außerhalb der NPD stehen und auf ihre gesellschaftliche Reputation, vor allem auf ihre bürgerlichen Spender Rücksicht nehmen müssen" (ebd.), die NPD als neonazistisch diffamieren, um sich selbst als "die verfassungstreue Rechte, die geläuterten Patrioten" (ebd.) zu präsentieren. "Ebenso nutzte JF-Chefredakteur Dieter Stein den Wahlerfolg der NPD zur Distanzierung [...]. Der opportunistische deutsche Bürger distanziert sich [aber] nur vordergründig, was den Feinden des deutschen Volkes nicht entgeht" (ebd.). In Schwabs oben zitierten Worten ausgedrückt, entgeht den 'Systeminstitutionen' also nicht, dass der 'auch opportunistische deutsche Bürger immer noch deutsch sein möchte'. Laut Schwab ist die nationale Opposition zum System dreigeteilt: {Systeminstitutionen, Feinde des deutschen Volkes} / {Nationalisten, Personen und Organisationen die noch deutsch sein möchten, NPD, DVU, REP: (Nationalrevolutionäre) / (bürgerliche bzw. konservative Nationale, Nationalliberale und Nationalkonservative, bürgerlich-patriotische Saubermänner, opportunistische deutsche Bürger, 'die verfassungstreue Rechte', JUNGE FREIHEIT)} / (Neonazis, Hitleristen, Nationalsozialisten)}.

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Schwabs Leitdifferenz hinsichtlich der Fraktionierungen des nationalistischen Lagers ist die zwischen 'revolutionär' und 'bürgerlich', wobei er sich selbst auf der 'nationalrevolutionären Seite' positioniert. Dies zeigt sich erstens an Formulierungen wie 'kann von sich behaupten, bewusste Nationalrevolutionäre zu sein'. Es passt zweitens zum Kontext eines Projektes, das sich in der Tradition der Nationalrevolutionäre der Weimarer Republik sieht sowie drittens zur Figur des 'opportunistischen deutschen Bürgers', die ein beliebtes Klischee in eben dieser historischen Strömung war. Was die 'Nationalrevolutionäre' von den 'Nationalsozialisten' und den 'bürgerlich Nationalen' jeweils unterscheiden soll, wird hier jedoch nicht recht deutlich. Auch eine Zuordnung der einzelnen Organisationen zu den genannten Fraktionen ist Schwabs Text, mit Ausnahme der JUNGEN FREIHEIT, nicht zu entnehmen. Hier wird "Die politische Wochenschau vom 18. bis 24. September 2004"163, eine regelmäßige Rubrik auf der Seite DIE KOMMENDEN, deutlicher: "Eine Reihe prominenter Freier Nationalisten trat der NPD bei, ebenso entwickelt die Partei eine gewisse Sogwirkung in Richtung Republikaner und Schillianer 164 . Ob es den neuen 'Märzgefallenen'165 um Postenjägerei oder um den Versuch geht, innerhalb der National-Demokraten radikale Politik zu betreiben, sei einmal dahingestellt. Die NPD ist, bedingt durch ihre Vergangenheit und den nach wie vor in ihr stark vertretenen nationalkonservativen oder deutschnationalen Bodensatz definitiv kein Organ national-revolutionärer Politik oder gar eines nationalen Sozialismus. […] Unsere Ansicht wird auch dadurch untermauert, dass der Bundesvorstand nichts Besseres zu tun hatte, als mit sozialdemagogischen Plattitüden zur sächsischen Landtagswahl anzutreten – und im nächsten Atemzug eine Allianz mit der rechtsreaktionären DVU des Immobilienhais und NS-Devotionalienhändlers Frey einzugehen. Wenn es nach dem Vorstand ginge, würde man sicherlich auch die konservativen Republikaner oder nationalliberale Elemente (DSU, DP, PRO-Trümmer) – allesamt fest auf dem Boden der kapitalistischen Ordnung stehend – mit an Bord holen. Allerdings setzt der REP-Vorsitzende Schlierer auf einen eigenständigen verfassungspatriotischen Kurs – aber der nächste Bundesparteitag kommt bestimmt, und Schlierers Bullen- und Spießerpartei zeigt bereits Erosionserscheinungen. Antikapitalismus von Rechts? Fehlanzeige" (ebd.).

Hier besteht die Leitdifferenz innerhalb des nationalistischen Lagers im Gegensatz 'Antikapitalismus/kapitalistische Ordnung':

163

www.die-kommenden.net/dk/wochen/04/sep_18_24 [30.10.2006]. Eine Anspielung auf die sogenannte Schill-Partei (PARTEI RECHTSSTAATLICHER OFFENSIVE), die in den 2000er-Jahren in Hamburg erfolgreich war, aber ein lokal begrenztes Phänomen blieb. 165 Als Märzgefallene wurden Neumitglieder der NSDAP bezeichnet, die nach der Reichstagswahl vom 1933 eintraten. 164

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{Antikapitalismus von Rechts: national-revolutionärer Politik, radikale Politik, nationaler Sozialismus} / {Boden der kapitalistischen Ordnung: (eine Reihe Freier Nationalisten) / (NPD, National-Demokraten, nationalkonservativer oder deutschnationaler Bodensatz) / (DVU, rechtsreaktionärer Immobilienhai und NS-Devotionalienhändler Frey) / (konservative REPUBLIKANER, verfassungspatriotischer Kurs, Bullen- und Spießerpartei) / (nationalliberale Elemente, DSU, DP, PRO, Schillianer)}. Die zentrale Differenz funktioniert analog zum Gegensatzpaar 'revolutionär / bürgerlich' bei Schwab. Die 'nationalrevolutionäre Politik' ist ein explizites Element der 'antikapitalistischen' Äquivalenzkette, als deren Kern (siehe die Steigerung: 'oder gar') hier ein 'nationaler Sozialismus' erscheint. Dessen Konnotation von 'Nationalsozialismus/Hitlerismus' spielt hier im Gegensatz zu Schwab offenbar keine Rolle. Dafür werden die Fraktionen auf der 'bürgerlichen Seite' des Feldes recht eindeutig zugeordnet. Dabei ergibt sich eine Dreiteilung des Diskurses, nach welcher der 'antikapitalistische Flügel' gegen die Vertreter des 'Volksfrontflügels' (von einigen freien Nationalisten über die NPD bis hin zur DVU) und erst recht gegen die 'konservativen und nationalliberalen' (REP und andere) steht. Passend dazu werden in der gleichen Ausgabe der 'Politischen Wochenschau' Passagen aus einem Artikel der JUNGEN WELT zitiert, der "zu Recht auf den antikapitalistischen Etikettenschwindel" von NPD und rechten Parteien hinweise, und der Artikel zur 'Volksfront' endet mit den Worten: "Die auf dieser Netzseite schon vor Monaten ausgesprochenen Warnungen (siehe Genosse Schapke: Keine Volksfront von Rechts!) wurden nachhaltig bestätigt. Geschichte wiederholt sich: Mit dieser Harzburger Front 2004 ist die Überwindung der kapitalistischen Ordnung in der BRD unmöglich. Wir halten uns an die alte Parole aus den Zwanzigern: Junge Front – draußenbleiben!!!" (ebd.).

Der verlinkte Text verrät, warum der 'Genosse' (nicht der Kamerad, wie sonst in nationalistischen Texten üblich) Schapke der 'Jungen Front' (einer Selbstbezeichnung von Nationalrevolutionären der späten 1920er-Jahre) schon zuvor von diesem Bündnis abgeraten hatte. Der Autor reagierte im Mai 2004 auf den ersten Aufruf von Wulff in der DEUTSCHEN STIMME zur Bildung einer 'Volksfront von rechts' und urteilte:

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"Die Haupttendenz des Aufrufes besteht offensichtlich darin, eine Art Neuauflage der Harzburger Front von 1931 zu riskieren, also das Paktieren mit dem Gedanken eines sozialrevolutionären Nationalismus innerlich fern stehenden Kräften von der Wahlpartei NPD bis hin zu offen rechtsreaktionären Gruppierungen"166.

Das Bündnis von NPD, DVU und Teilen der Freien Nationalisten sei also gleichbedeutend mit dem Bündnis, das die DNVP unter dem Großindustriellen Hugenberg seinerzeit mit NSDAP, Stahlhelm, Reichslandbund und dem Alldeutschen Verband geschlossen habe. Erforderlich seien dagegen keine an "tagespolitischen Anforderungen orientierte Modelle, sondern erforderlich ist die Herausarbeitung eines tragfähigen Konzeptes für einen modernen Linksnationalismus. Grundvoraussetzungen hierfür sind eine entschiedene Frontstellung gegen die rechte Reaktion, ein klares Bekenntnis zum revolutionären Sozialismus und der überfällige Bruch mit dem ideologischen Ballast von Jahrzehnten. Blockbildung statt Einheitsfront! Klassenkampf statt Volksgemeinschaft!" (ebd.).

In diesem Antagonismus {moderner Linksnationalismus, sozialrevolutionärer Nationalismus, revolutionärer Sozialismus, Klassenkampf} / {rechte Reaktion, Volksgemeinschaft} wird die Integration links konnotierter Begriffe auf die Spitze getrieben. Nur am Linksnationalismus beziehungsweise sozialrevolutionären Nationalismus bleibt die Positionierung im nationalistischen Feld erkennbar. Innerhalb des Feldes wird mit der Parole 'Blockbildung statt Einheitsfront' gegen die Bündnispolitik mit der 'Wahlpartei NPD' und 'rechtsreaktionären Gruppen' (DVU) und für eine eigenständige Bewegungspolitik plädiert, die sich zu diesem Zeitpunkt unter anderem in der Bildung eines 'schwarzen Blocks' auf Demonstrationen äußert. Eine identische Position findet sich im Szene-Heft DER FAHNENTRÄGER. Auch hier wird – unter explizitem Verweis auf die Website DIE KOMMENDEN – die Bündnispolitik unter dem Schlagwort "Hartzburger Front 2004" (DER FAHNENTRÄGER 2/2004: 22) abgelehnt. Der Text ist unter dem Pseudonym "Werner Lass" verfasst. Lass war einer der einstigen Herausgeber der historischen Zeitschrift DIE KOMMENDEN und im FAHNENTRÄGER wird die nationalrevolutionäre Sprache dieses Blattes – vermutlich wörtlich, aber ohne genaue Angabe – zitiert, wenn es heißt: "Über Durchkämpfung des Klassenkampfes der Arbeit zur Nationwerdung, zur wahren deutschen Volksgemeinschaft" (ebd.). Gespickt mit solchen historischen Bezügen wendet sich der Artikel gegen "das Beschwören der 'absoluten Volksgemeinschaft' als Demoaufhänger scheinsozialisti166

www.die-kommenden.net/dk/theorie/keine_volksfront [30.10.2006]

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scher Parteien" (ebd.) – also implizit der NPD. Weiter heißt es: "Für uns kann es keine Frontbildung mit den nationalen, hier als regionale Bestimmung gemeint, kleinen und großen Kapitalisten geben" (ebd.). Die 'Nation' habe also noch eine weitere, höhere Bedeutung als die rein 'regionale', es müsse unterschieden werden zwischen "national, also nicht nationalistisch und vor allem nicht sozialistisch" (ebd.). Den Antagonismus mit der Leitdifferenz national-kapitalistisch versus nationalistisch-sozialistisch gilt es festzuhalten: {national, regionale Bestimmung, Kapitalisten, scheinsozialistische Parteien Beschwören der Volksgemeinschaft} / {nationalistisch, sozialistisch, Klassenkampf der Arbeit, Nationwerdung, wahre deutsche Volksgemeinschaft}. An diese Struktur schließt die Analogisierung von 1931 und 2004 an und schreibt sie fort: "Vergleicht man den Begriff 'national' rein geschichtlich mit Parteien wie der Hugenberg DNVP (Direktvergleich Volksfront von rechts – Harzburger Treffen von 1931) muß es dem geneigten nationalen Sozialisten speiübel werden. Dies ist Reaktion pur [...] Das Ziel der Reaktion kann kurz umrissen werden: Wiederherstellung bzw. Erhaltung des Privateigentums an Produktionsmitteln […] und somit Niederhaltung der arbeitenden Massen. Ähnliche Parteiformationen bietet auch die BRD. 'Nationale' Parteien, die dem Sozialismus abgeschworen haben, können und wollen wir nicht unterstützen. Mag eine Zusammenarbeit zwischen 'Parteilosen' und 'Parteiaktivisten' sich auch immer interessant anhören oder auch locken. Wir verweigern uns deren Aufrufe Folge zu leisten. Wer dem Sozialismus abschwört, wer den Kapitalismus in einer 'humanen' Art in seinem Programm erörtert, kann nicht auf Seite der unterdrückten Deutschen stehen. Dieser wendet sich eindeutig gegen die Mehrheit unseres Volkes und gegen ein souveränes antikapitalistisches Deutschland. Wir, die wir selber zur ausgebeuteten und wehrlos gemachten Klasse gehören, stellen uns an die Seite dieser Mehrheit […] Keine Volksfront von rechts! […] Für eine aktive nationalistische und sozialrevolutionäre Jugendbewegung!" (ebd.)

So schreibt sich die Ablehnung der 'Volksfront' zugunsten einer 'nationalrevolutionären Jugendbewegung' in den Gegensatz von 'national-kapitalistisch' und 'nationalistisch-sozialistisch' ein: {Volksfront von rechts, 'nationale' Parteien, Kapitalismus, Privateigentum an Produktionsmitteln, Niederhaltung der arbeitenden Massen, national, Reaktion} / {nationalistische und sozialrevolutionäre Jugendbewegung, ausgebeutete Klasse, Sozialismus, unterdrückte Deutsche, Mehrheit unseres Volkes, Souveränes antikapitalistisches Deutschland}.

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Letztlich ist auch dies nur eine weitere Variante der Positionierung im Bewegungssektor des nationalistischen Feldes mittels einer politisch-ökonomischen Semantik. Durch den Rückgriff auf nationalrevolutionäre Texte der frühen 1930er-Jahre und die dadurch inspirierte Integration links konnotierter Begriffe wie 'Klassenkampf' und 'Antikapitalismus' einschließlich der Infragestellung des Privateigentums an Produktionsmitteln wirken die Texte auf den ersten Blick dennoch ungewöhnlich. Sie sind – wie auch die angesprochene Bildung eines schwarzen Blocks auf Demonstrationen – ein besonders deutlicher Ausdruck der um die Jahrtausendwende zu beobachtenden Übernahme von Begriffen, Symbolen, Stilelementen und Handlungsformen der Linken in den nationalistischen Diskurs (vgl. Kellershohn/Dietzsch/Wamper 2010). Wobei die Grenze auch bei den Nationalrevolutionären deutlich gezogen wird: "Es kann kein Paktieren mehr geben mit den sog. Nationalen, genauso wenig wie mit den verirrten Internationalisten" heißt es in der DER FAHNENTRÄGER (2/2004: 22). Auf die Struktur der Positionierungen innerhalb des nationalistischen Diskurses mittels politisch-ökonomischer Begriffe wird im Resümee dieses Kapitels genauer eingegangen (Kapitel 5.2.4). Zunächst wird untersucht, wie die nationalistische Globalisierungserzählung in Medien wie DIE KOMMENDEN und DER FAHNENTRÄGER (Kapitel 5.2.3.1 bis 5.2.3.3) fortgeschrieben wird und wie sie in Aktionen im nationalistischen Bewegungsspektrum übersetzt wird (Kapitel 5.2.3.4 und 5.2.3.5). 5.2.3 National-Sozialistische Bewegung als 'einziges Gegengift zur Globalisierung' Die wesentlichen Momente des 'nationalrevolutionären' Auftretens der Website DIE KOMMENDEN wurde bereits im vorigen Abschnitt deutlich: Erstens eine Inszenierung als sozialrevolutionäre Linke innerhalb des nationalistischen Diskurses beziehungsweise die Präsentation des Diskurses selbst als sozialrevolutionär. Zweitens das Anknüpfen an entsprechende Texte aus dem historischen Archiv des nationalistischen Diskurses. Drittens schließlich das zustimmende Zitieren einzelner Äußerungen oder Ideologeme aus Diskursen der zeitgenössischen Linken. Diese Momente bestimmen auch die Thematisierung von Globalisierung, die auf der Seite zwar häufig als Schlagwort präsent ist, aber nur selten als zentrales Thema einzelner Artikel. Dabei ist vielfach eine Auseinandersetzung mit der globalisierungskritischen Bewegung oder bekannten, mit ihr assoziierten Intellektuellen zu beobachten. Der vorherrschende Gestus ist dabei die vermeintliche Korrektur der Bewegung im nationalistischen Sinne oder die Inszenierung als bessere Alternative in Sachen Globalisierungskritik. Konzeptionelle Neuerungen in ökonomischen Fragen sind dabei nicht zu beobachten. Die Grundpositionen und

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die herangezogenen Autoren stimmen dabei größtenteils mit der Debatte im Umfeld der NPD (vgl. Kapitel 5.1) überein167. 5.2.3.1 Attac als Vertreter der One World Exemplarisch ist der Text "Attac als Diener des globalen Kapitals"168 von den NATIONALEN SOZIALISTEN WERNIGERRODE. Sein Ausgangspunkt ist offensichtlich einmal mehr die 'Globalisierungsfalle' von Martin/Schumann (GF), deren Einleitung die im Folgenden zitierten Stellen entnommen sind: Globalisierung bedeute, dass "40.000 transnationale Konzerne" und "neoliberale Wirtschaftstheoretiker" eine "Diktatur des Weltmarktes" errichten, die zu einer "Einfünftelgesellschaft" führt, in der vier Fünftel der Bevölkerung ökonomisch überflüssig sind und durch "Tittytainment" (ebd.)169 ruhig gestellt werden sollen. Reartikuliert werden diese Elemente gemäß dem Antagonismus der Aussage IRRATIONALISMUS {Völker und Nationen} / {(Diktatur des Proletariats) / (Diktatur des Weltmarktes)}. Die "Zeiten der 'Diktatur des Proletariats' sind vorbei, heute herrscht die 'Diktatur des Weltmarktes'. 40.000 transnationale Konzerne bestimmen heute über die Geschicke der Welt und spielen Völker und Nationen gegeneinander aus". (ebd.) Kurz drauf folgt der für die Globalisierungsdebatte typische Übergang in die Aussage ONE WORLD: "Nun kommen die Internationalisten von Attac ins Spiel. Sie wollen uns erzählen, daß wir das Problem nur bekämpfen können, in dem wir uns im internationalen Kämpf für globale Gleichmacherei einsetzen und uns internationalisieren. Ungewollt werden sie damit selber zum internationalen Wegbereiter der verhassten Globalisierung. Oder glauben sie wirklich an die marxistische Theorie von Karl Marx, die die 'One World' zum Ziel hat. Die meint alle Menschen in allen Ländern gleich machen zu können. Sie setzten sich für Reisbauern im letzten Winkel der Welt ein und vergessen die Nöte ihrer eigenen Völker in ihren eigenen Ländern. Dabei wollen sie nicht akzeptieren, daß die Völker nun einmal verschieden sind [...]. An die Stelle von ausuferndem Internationalismus muss völkische Solidarität treten und statt auf vom

167 So findet sich etwa in einem Bericht über ein Seminar der Deutschen Akademie zu wirtschaftlichen Ordnungsmodellen das übliche Sammelsurium. Unter anderem legt Oberlercher "seinen eigenen 'Grundriß der deutschen Volkswirtschaft'" dar, während in einer parallelen Arbeitsgruppe "die Grundlagen der Nationalökonomie von Walter Eucken als im Einklang mit dem auch von der nationalen Opposition propagierten 'lebensrichtigen Menschenbild'" dargestellt werden und am Ende präsentiert "Diplom-Ökonom Arne Schimmer […] fünf Maßnahmenempfehlungen gegen die Globalisierung: Einschränkung der Waren- und Kapitalmobilität, Rückkehr zu nationalen Währungen, Verstaatlichung von Schlüsselindustrien, Energiewirtschaft und Kommunikation und Etablierung einer 'nationalen Marktwirtschaft' anstelle des 'anarcholiberalen Multikapitalismus'" (www.die-kommenden.net/dk/wiso/da1) [30.10.2006]. 168 www.die-kommenden.net/dk/wiso/attac [30.10.2006]. 169 Vgl. GF: 9ff.

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Großkapital geschaffene internationale Regime und Organisationen zu setzen müssen die souveränen Nationen wieder mehr Verantwortung übernehmen" (ebd. Fehler i.O.).

Das ist die ONE-WORLD-Aussage im Stil einer Neonazi-Gruppe. Sprachlich ungeschliffen aber im Kern eindeutig zeigt sich der Antagonismus: {Völker, völkische Solidarität, souveräne Nationen} / {One World, globale Gleichmacherei, Globalisierung: (Internationalisten, marxistische Theorie) / (Großkapital, internationale Regime und Organisationen)}. Damit wird die globalisierungskritische Bewegung selbst dem Globalisierungsprozess zugerechnet. Anschließend endet der Text mit dem Appell, sich der nationalistischen Bewegung (als wahrer Globalisierungskritik) anzuschließen: "Nationalismus gegen internationale Unterdrückung muss der Weg sein, den die Völker gemeinsam gehen. […] Also besinnen wir uns zurück auf unsere Wurzeln […]. Attac und andere altlinke Ideologen […] werden auch noch erkennen, daß dies der einzige Weg ist, unsere Welt wieder zu einem lebenswerteren Ort für alle zu machen. […] Nationale Solidarität gegen System und Kapital! Nationale Identität gegen internationale Gleichmacherei!" (ebd.)

Nationalismus und Identität werden gegen Globalisierung gestellt und die RETERRITORIALISIERUNG in Form von Wurzeln gegen die Deterritorialisierung eines ausufernden Internationalismus. Inwiefern das gegen die mit der Ein-FünftelGesellschaft symbolisch angesprochenen sozialen Probleme helfen würde, bleibt freilich offen. 5.2.3.2 Mit Niekisch gegen Amerikanisierung Ähnlich endet Jürgen Schwab in einem weiteren Text auf DIE KOMMENDEN, in dem er seine Antwort auf die Frage "Was ist nationalrevolutionär?"170 gibt: "Der Nationalstaat ist das einzige Gegengift zur Globalisierung. Eine 'gute' und 'gerechte' Globalisierung, wie sie immer wieder von verschiedenen 'Globalisierungsgegner' erdacht wird, kann es nicht geben. Deshalb sollten wir all den verlockenden staatsfreien Scheinalternativen eine klare Absage erteilen: Der 'Basisdemokratie', dem 'Regionalismus' und dem 'Anarchismus'. […] Wir sollten vielmehr im Sinne von Ernst Niekisch unseren Widerstand gegen die globale Amerikanisierung aufnehmen, indem wir unsere Entscheidung für den deutschen Nationalstaat, das Deutsche Reich, treffen" (ebd., Fehler i.O.).

Auch Schwab preist den Nationalismus als Alternative zu den 'Globalisierungsgegnern' und zieht dabei die folgenden, zuvor entwickelten, vier Fäden zusammen: 1) ONE WORLD: Genau wie die NATIONALEN SOZIALISTEN WERNIGERRODE verortet Schwab die globalisierungskritische Bewegung, beziehungsweise 170

www.die-kommenden.net/dk/theorie/nationalrevolutionaer [30.10.2006].

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die Vorstellung einer gerechten Globalisierung, auf der gleichen Ebene wie den Globalisierungsprozess gegen den sie sich wendet. Das Schlagwort One World selbst fällt zwar nicht wörtlich, aber doch fast ('globale Welt') und zwar genau in der Struktur der entsprechenden Aussage, wenn Schwab schreibt, heute müssten "Nationalrevolutionäre die Parole der 'vaterlandslosen Gesellen', die um 1900 vom Großkapital und vom Großgrundbesitz den Sozialdemokraten und Sozialisten vorgehalten wurde, gegen die Urheber umkehren. Denn zumindest das Großkapital braucht heute kein Vaterland und keinen nationalen Staat für seine Profitmaximierung und es kann sich in einer 'globalen Welt' gut einrichten" (ebd.).

Die Struktur der ONE-WORLD-Aussage ist deutlich erkennbar: {Vaterland, nationaler Staat} / {vaterlandslosen Gesellen, 'globale Welt': (Großkapital) / (Sozialdemokraten und Sozialisten)}. 2) Niekisch: Direkt im Anschluss kommt Schwab auf den historischen 'Nationalrevolutionär' Ernst Niekisch zu sprechen, den er in mehrerlei Hinsicht als Referenz seiner Globalisierungskritik heranzieht: "Schon Niekisch sah die Staatsidee von den konservativen Eliten und vom liberalen Bürgertum verraten, weshalb er der Arbeiterschaft die Aufgabe zuwies, den deutschen Staat zu schaffen. [...] Zeitgemäß ist gerade seine Staatsposition im Zeitalter der Globalisierung" (ebd.).

Diese 'Staatsposition' besagt, wie zuvor berichtet wurde, "'daß das Schicksal des Staates das Schicksal des Volkes' sei" (ebd.). 3) GESCHLOSSENER HANDELSSTAAT gegen Deterritorialisierung und AMERIKANISIERUNG: Aktuell scheint Schwab dieses Staatsverständnis, weil "Globalisierung […] nichts anderes als die Ohnmacht und Auflösung der Nationalstaaten ist. Alles andere, was mit der Globalisierung weitläufig verbunden wird, sind eher Folgeerscheinungen: Raubbau an der Natur, die soziale Armut, der Wirtschafts- und Kulturimperialismus der USA […]. Wer den Völkern ideell helfen will im Kampf gegen den US-Imperialismus, muß ihnen Staaten empfehlen, die sich wehren können: außenwirtschaftlich (durch Zölle) und militärisch, wenn wieder einmal Uncle Sam die nationale Türe eintreten will, und dabei 'Demokratie und Menschenrechte' sagt, jedoch 'offene Märkte' für US-Produkte und internationalen Rohstoffraub meint" (ebd.).

Hier wird die AMERIKANISIERUNG {Völker, Nationalstaaten} / {US-Imperialismus (wirtschaftlich, kulturell, militärisch)} mit dem GESCHLOSSENEN HANDELSSTAAT {Nationalstaaten, Zölle} / {Auflösung, offene Märkte}

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artikuliert. Zentral sei dabei laut Schwab das deterritorialisierende Moment der Auflösung des Nationalstaates. 4) Globalisierungskritik: Davon ausgehend glaubt er an die Globalisierungskritik anknüpfen und sie zugleich korrigieren zu können: "In diesem Sinne ist der souveräne Nationalstaat in der Gegenwart als geistiger Gegenpol zur Globalisierung zu begreifen, wo das Gemeinwohl – allen voran der Sozialstaat und der Umweltschutz – seine Verortung hat, worauf immer mehr kritische linke Globalisierungsgegner, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu, kommen. [Verweis auf DER SPIEGEL 30/2001]. Wer nun jedoch den Nationalstaat grundsätzlich negiert, der hat in Wirklichkeit die Selbstbestimmung der Völker als politisches Ziel bereits aufgegeben und befindet sich bereits im Sog der Globalisierung. Bloße Bekenntnisse zu Basisdemokratie, Regionalismus, Selbstbestimmung, Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit – nach der Parole 'global denken, lokal handeln' – ändern daran überhaupt nichts" (ebd.).

Die RETERRITORIALISIERUNG in Gestalt des 'souveränen Nationalstaates' steht gegen die Auflösung in beziehungsweise den Sog der Globalisierung. Kritik unter dem Motto 'global denken, lokal handeln' sei – wie gesehen – selbst Teil des Problems, denn ihr fehle der zentrale Bezug auf den Nationalstaat. Soweit so bekannt, aber dies hätten Teile der Linken nun auch verstanden – namentlich Bourdieu. 5.2.3.3 Der Blick auf die globalisierungskritische Bewegung Was hatte Bourdieu gesagt? Was lässt ihn in einem Kontext erscheinen, der das 'Deutsche Reich' gegen die Globalisierung stellt? Die Stelle im Spiegel lautet: "Die Ideengeber der neuen Bewegung wie etwa der Franzose Bourdieu haben sehr wohl erkannt, dass als letzte Zuflucht mitunter nur ein 'merkwürdiger Konservatismus' bleibt. Auf einmal sehe er sich in der politischen Auseinandersetzung gezwungen, 'Einrichtungen zu verteidigen, die man eigentlich verändern will: den Nationalstaat ebenso wie die Gewerkschaften oder auch das öffentliche Schulwesen, Institutionen, die es allesamt zu retten und gleichzeitig schonungslos zu kritisieren gilt'" (DER SPIEGEL 30/2001: 28f.).

Bourdieu nimmt also im Bericht des SPIEGEL – ebenso wie bei seinen politischen Interventionen im Rahmen der Globalisierungsdebatte171 – eine explizit reflektierte ambivalente Haltung gegenüber dem Nationalstaat ein, die Schwab unterschlagen muss, um ihn als vermeintlichen Etatisten und Nationalisten loben zu können. Dennoch ist sein Rückgriff genau auf diesen Ausschnitt des mediopolitischen Diskurses interessant. Der SPIEGEL-Artikel fährt so fort: "Vor allem der Internationalismus der Großkonzerne, Wesensmerkmal der Globalisierung, bereitet den Kritikern arge Probleme. Nicht nur, dass die in der Wirtschaft voranschreitende Überwindung von Staatsgrenzen und Rassenschranken ein altes Ideal der Aufklärung bedient. Bislang ist auch kaum zu sehen, wie denn das Gegenmodell zum weltumspannenden 171 Exemplarisch ist die in 'Gegenfeuer' (Bourdieu 1998: 39ff.) veröffentlichte Rede vor dem griechischen Gewerkschaftsbund (GSEE) unter dem Titel 'Der Mythos Globalisierung und der europäische Sozialstaat'.

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Freihandel aussehen könnte. Soll man die Zäune erhöhen, um so den Markt für heimische Produkte zu schützen und damit das Lohnniveau in den nationalen Fabriken? Das wäre der Rückfall in den Protektionismus, der gerade die armen Nationen besonders hart treffen würde" (ebd.: 29).

Globalisierungskritik à la Bourdieu wird also bereits im SPIEGEL tendenziell als rückschrittlich präsentiert. Direkt auf seine Einordung im Sinne eines 'merkwürdigen Konservatismus' folgt einmal mehr die FREIHANDEL-Aussage, die in ihrer simplen Dichotomie {Freihandel} / {Protektionismus, heimische Produkte, nationale Fabriken} suggeriert, dass der Nationalismus die einzige Alternative zum Freihandel sei. Wobei letzterer noch dazu in deterritorialisierender Symbolik mit Idealen der Aufklärung parallelisiert wird {weltumspannend, Überwindung von Schranken} / {hohe Zäune}. Wenngleich als Pro-Freihandels-Argument präsentiert, ist das freilich eine Steilvorlage für Schwabs nationalistisch-protektionistische Argumentation. Und wenn DER SPIEGEL im Zuge seiner wirtschaftsliberalen Argumentation Bourdieu stellvertretend für die Globalisierungskritik in eine konservative bis rückschrittliche Position schiebt, liegt es für den Nationalisten nahe, ihn in diesem Sinne zu vereinnahmen, zumal er die eigene Position damit implizit als Teil einer aktuellen und breiten Bewegung darstellt. Anlass der entsprechenden SPIEGEL-Titelstory war nämlich der mediale Durchbruch der globalisierungskritischen Bewegung mit den Protesten gegen den G8-Gipfel von Genua 2001. Schwabs argumentative Einbindung dieser Bewegung zwischen Kritik und punktueller Zustimmung ist mithin der Versuch, eine Deutungshoheit über Proteste zu erlangen, die sich jenseits eigener Handlungsfähigkeit ereignen. So erscheint die nationalistische Bewegung mal als vermeintlicher Teil einer aktuellen sozialen Bewegung, mal als die bessere Alternative dazu. Dieses Bemühen, sich als Teil einer medial präsenten Bewegung zu inszenieren, ist auch am veränderten Erscheinungsbild zu erkennen, das sich DER FAHNENTRÄGER ab 2002 gegeben hat. Dominierten bis dahin noch Soldatenbilder im Stil von Landser-Heftchen, tritt nun das Thema Globalisierung auf magazinartig gestalteten Titelseiten in den Vordergrund. Besonders deutlich wird dies in drei Ausgaben, die allesamt 2004 erschienen. So steht die Ausgabe 10 unter dem Motto "Stoppt die Globalisten" und ist mit Fotos von nationalistischen Demonstrationen und den internationalen Protesten gegen ein WTO-Treffen in Cancun bebildert. Der Titel der Ausgabe 11 zeigt unter anderem ein Bild von sozialen Protesten in

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Deutschland neben dem einer brennenden US-Flagge, und der Text dazu lautet: "Jugend! Tritt gefasst in der aufmarschierenden Front des Neuen Nationalismus! Zerschlagt den Kapitalismus! Zertrümmert mit uns die bestehende 'Ordnung'". Ausgabe 12 schließlich zeigt, ähnlich wie das Titelbild des SPIEGEL 28/2002 (vgl. Abbildung 4), die Augen eines Raubtiers vor dunklem Hintergrund und trägt den Titel "Nationaler Sozialismus statt Raubtierkapitalismus" (vgl. Abbildung 5). Der Vergleich der beiden Titelblätter verdeutlicht noch einmal das Andocken des nationalistischen Diskurses an den mediopolitischen Diskurs und insbesondere seine symbolischen Strukturen (BINDESTRICH-KAPITALISMUS)172. Abbildung 5 veranschaulicht zugleich die typische Aufbereitung der historischen NS-Wirtschaftsideologie im Neonazismus der 2000er-Jahre. Passend zum Bezug auf den 'nationalen Sozialismus' findet sich hier ein Zitat von Gregor Strasser. Ein weiterer, zunächst weniger offensichtlicher, NS-Bezug ist auch die Parole "Für die Unterdrückten! Gegen die Ausbeuter!", die DER FAHNENTRÄGER seit seiner 9. Ausgabe (aus dem Jahr 2003) im Zuge des thematischen Umschwungs auf Globalisierungsgegnerschaft regelmäßig auf die Titelseiten genommen hat. Die Parole wurde von einer Werbekampagne der Zeitung DER ANGRIFF übernommen, die unter der Leitung von Goebbels seit 1927 vor allem an Arbeiter gerichtet war. Dazu passend steht der erste Globalisierungs-Titel (Ausgabe 8 von 2003) ganz im Zeichen des Antisemitismus. Bebildert ist er mit 'Uncle Sam' sowie im Hintergrund mit Außenminister Fischer in Yad Vashem und der Text dazu lautet: "Die Handlanger der amerikanisch-israelischen 'One-World' Ideologie haben wir längst entlarvt. Sie sind mitten unter uns!". Hinter der optischen Erneuerung findet sich also das für das Bewegungsspektrum typische Gemisch einer rudimentären Reproduktion der nationalistischen Kernaussagen, gespickt mit Bezugnahmen auf den historischen NS. Wie die militanten Gruppen versuchen, auf der Basis dieser nationalistischen Globalisierungserzählung mit einzelnen Aktionen (gegebenenfalls im Rahmen einer Kampagne) in soziale Konflikte einzugreifen, lässt sich wiederum am Opelstreik (Kapitel 5.2.3.4) und der Einführung von Hartz IV im Jahr 2004 (Kapitel 5.2.3.5) beobachten. 5.2.3.4 Ein Plakat zum Opel-Streik Anlässlich des Opelstreiks wurde ein Plakat produziert, das auf die Website www.widerstandnord.com hinweist, einem Projekt norddeutscher Kameradschaften um das AKTIONSBÜRO NORDDEUTSCHLAND (vgl. Abbildung 8). Oben steht der Slogan "Arbeiter wehrt euch!" und unten – direkt über dem Hinweis auf 172 Bemerkenswert ist auch die Identifikation des Raubtier-Kapitalismus mit den USA, zu erkennen an den $-Zeichen in den Raubtieraugen, die der FAHNENTRÄGER vom SPIEGEL übernimmt (vgl. dazu Kapitel 5.2.3.4 und Kapitel 7.5.4).

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die Website – steht "Ausbeutung durch Globalisten – Nicht mit uns!". Schon in dieser Gegenüberstellung von 'Arbeitern und Globalisten' zeigt sich die nationalistische Aussage, die durch die Grafik im Hintergrund weiter akzentuiert wird. Darin wird der Konflikt zwischen dem Management von General Motors und den streikenden Arbeiter*innen aufgegriffen, indem ein Fabrikgebäude und eine Arbeiterfigur auf der einen Seite einem Verwaltungsgebäude auf der anderen Seite entgegengesetzt werden. Durch die Markierung des GM-Verwaltungsgebäudes mit US-Flaggen und Dollarzeichen werden die angerufenen Arbeiter gegen internationales, US-amerikanisches Kapital in Stellung gebracht. Dahinter ist deutlich die Aussage der AMERIKANISIERUNG zu erkennen, die an die weitverbreitete Wahrnehmung des Bochumer Konfliktes als 'Gegensatz zwischen amerikanischer und europäischer Kultur' anschließt (vgl. Jaecker 2014: 163ff.). So zeigte beispielsweise das Titelbild des STERN 44/2004 General Motors unter der Überschrift "Methode Wild-West" als symbolischen Cowboystiefel in den Farben der US-Flagge, der die Lohnabhängigen von Opel niedertrampelt (vgl. Jaecker 2014: 164, Abb. 19). Im Plakat der Neonazis konnotiert die symbolische Entgegensetzung von Fabrik und Dollarzeichen darüber hinaus die Dichotomie von schaffendem und raffendem Kapital. Hinzu kommt die Arbeiterfigur, die einem Plakat der NSDAP aus dem Jahr 1932 entnommen ist und "in naturalistischer Idealisierung" einen "dem Typus des nordischen Herrenmenschen nachgebildeten deutschen Arbeiter" (Paul 1992: 154) zeigt. Es lohnt sich das Originalplakat (vgl. Abbildung 9) an dieser Stelle genauer zu beleuchten, da es die Funktionsweise der nationalistischen Anrufung von Arbeitern durch die NSDAP verdeutlicht, an die hier angeknüpft wird. Zunächst handelt es sich – wie auch beim Plakat der Neonazis – um eine "spezifische Variante des agitatorischen Bildplakates" und zwar um ein "antithetische[s] Kampfbild", das eine "positiv konnotierte 'Plus-' und [eine] negativ akzentuierte 'Minuspartei'" (ebd. 218) gegenüberstellt. Den Pluspol bildet die überdimensionale Arbeiterfigur in Verbindung mit einem monumentalen Hakenkreuz, das eine Fabrikkulisse überragt. Dieses Bild konkretisiert die schriftliche Anrufung "(Wir) Arbeiter (sind) erwacht", der nationalsozialistische Arbeiter ist erwacht und die anderen sollen es ihm gleichtun. Den Minuspol bilden (neben Brüning, der mittels Notverordnungen regiert) Karikaturen der Arbeiter*innenbewegung: Ein 'dicker SPD-Bonze, der die Bonzen anklagt' und dabei den Einflüsterungen eines JUDEN gehorcht und ein ausgemergelter Kommunist, der 'mit dem blutigen Dolch des Novemberverbrechers in der Hand zum Klassenkampf aufruft'. Diese in der NS-Propaganda gängigen Figuren (vgl. ebd. 223ff.) werden von der riesenhaften Arbeiterfigur mit geballter Faust überragt, die in ähnlicher Form auch auf anderen NSDAP-Plakaten der 1920er-Jahre vorkommt. Dabei werden bekannte Elemente aus der Bildsprache

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der Arbeiter*innenbewegung aus ihrem Kontext gelöst und zur nationalistischen Anrufung genutzt. "Die Bildpublizistik der Arbeiterbewegung hatte mit der Allegorie des 'Riesen Proletariat' […] eine zentrale Figur vorgezeichnet, an die die NSDAP anknüpfte. […] Stets trat der proletarische Riese – das Schreckgespenst des Bürgertums – in Arbeitskleidung auf, mitunter mit entblößtem Oberkörper und ausgerüstet mit Werkzeugen, die seine kämpferische Haltung unterstrichen. Riesenhaft überragte er in den Bildern der Sozialdemokratie seine Gegner: die Vertreter der herrschenden Klasse und der internationalen Reaktion.[] Vorbild für diese karikaturistische Allegorie war Honoré Daumiers Lithographie eines Druckereiarbeiters vom März 1834, der in aufrechter Haltung, mit geballten Fäusten den Zwerggestalten der Reaktion […] entgegentrat" (ebd. 243f.).

Nach Paul handelt es sich bereits bei den "gepanzerte[n] Titanen" in den Bildern der Arbeiter*innenbewegung um "Männerphantasien" im Sinne Theweleits, die "sich daher von den Nazis mühelos aus [... dem] Entstehungskontext der aufstrebenden Arbeiterklasse lösen und politisch umfunktionalisieren ließen" (ebd. 247). Diese allgemeine Aussage müsste vor dem historischen Hintergrund der jeweiligen vergeschlechtlichten Arbeitsverhältnisse, der damit einhergehenden Selbstbilder sowie der damit verknüpften politischen Diskurse genauer untersucht werden173. Sie klingt dennoch plausibel, zumal im nationalistischen Diskurs bis heute eine enge Verbindung zwischen den Anrufungen einer Arbeiteridentität und der soldatischen MÄNNLICHKEIT zu beobachten ist (vgl. Kapitel 5.2.1.1). Dass diese heute ebenso wie die Nutzung der Arbeiterfigur auf dem Plakat der Neonazis so seltsam aus der Zeit gefallen wirkt, liegt unter anderem daran, dass sich die Arbeitsverhältnisse ebenso wie die damit verbundenen Geschlechterbilder und politischen Diskurse in den letzten Jahrzehnten (unter anderem durch die fortschreitende Technisierung der Arbeit und durch feministische Kämpfe) enorm gewandelt haben. Im Kontrast dazu ist der Arbeiterfigur der Entstehungskontext der ersten Hälfte der 1920er-Jahre deutlich anzusehen. Zudem ist die rassistische Konnotation der Figur beziehungsweise ihr nationalsozialistischer Kontext klar zu erkennen. Insofern zeigt das Plakat an, dass an den Neonazis außer ihrer Vorsilbe tatsächlich wenig neu ist. Dagegen war die von Paul analysierte 'Herauslösung und Umfunktionalisieurng' von Elementen im historischen Kontext durchaus innovativ. Eine solche Desartikulation von Ideologemen (Sozialismus), Ritualen (1. Mai) und graphischen Elementen (Riese Proletariat) aus den Diskursen der Arbeiter*in173

Wenn Paul die Bilder an gleicher Stelle abfällig als Ausdruck vordemokratischer Verhältnisse interpretiert, in denen es "Auseinandersetzung und offene Diskussion nicht gab" (Paul 1992: 244), müsste schließlich auch daran erinnert werden, dass die Bilder unter anderem im Kampf um das allgemeine Wahlrecht entstanden sind – also in vordemokratischen Verhältnissen. Das ändert jedoch nichts an der berechtigten Frage nach möglichen Ambivalenzen der in diesen Kämpfen produzierten Symbole und Anrufungen.

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nenbewegung und ihre Reartikulation im nationalistischen Diskurs waren ein wesentliches Novum in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (vgl. Kapitel 7.2.3). 5.2.3.5 Ein Flugblatt zu Hartz IV Zu beobachten sind Mechanismen der Des-/Reartikulation allerdings auch im Folgenden, zweiten Aktionsbeispiel aus dem Bereich des Neonazismus. Hier zeigt sich ganz deutlich, wie eine Aktion linker Gruppen gegen die Einführung von Hartz IV wortwörtlich kopiert und in einen nationalistischen Kontext gestellt wird. Auch wenn dies letztlich wiederum zu kaum mehr als einer Reproduktion nationalsozialistischer Slogans führte, wurde im Kontext der Hartz-Proteste doch deutlich, dass es den Neonazis damit punktuell noch immer gelingen kann, eine hohe Zustimmung zu mobilisieren. Die Proteste – die an die 'Montagsdemonstrationen' und die Parole 'Wir sind das Volk' aus der Endphase der DDR anknüpften – waren zunächst spontan entstanden, bevor sowohl nationalistische als auch linke Organisationen sich daran beteiligten und versuchten ihre konkrete Ausrichtung – jenseits der reinen Ablehnung des Hartz-IV-Gesetzes – zu beeinflussen (vgl. Kapitel 3.2.8 sowie Jentsch 2004, Maegerle 2006). Von linken Gruppen wurde in dieser Situation unter anderem die bundesweite Kampagne "Agenturschluss" durchgeführt, die mit Protesten und Blockaden vor Arbeitsagenturen versucht hat, die Regierung zur Rücknahme von Hartz IV zu zwingen. Zugleich hat das "Nationale und soziale Aktionsbündnis Mitteldeutschland" ein Zusammenschluss 'freier Kameradschaften' aus Ostdeutschland die Kampagne "Keine Agenda 2010" durchgeführt (vgl. Grumke/Klärner 2006: 88ff.). Ein Blick auf die Kampagnen-Website www.keine-agenda-2010.de zeigt das übliche Bild, das in Kapitel 5.2 am Beispiel der Frankfurter Demonstration beschrieben wurde. In den angebotenen Materialien werden aktuelle Informationen zu Hartz IV mit den zentralen Aussagen des nationalistischen Diskurses verknüpft. In einem Flugblatt werden den mit der Agenda 2010 eingeführten Kürzungen von Sozialleistungen, die Kosten für "Asylbewerber […] für das 'Holocaust-Mahnmal' in Berlin" – kurz für AUSLÄNDER und JUDEN gegenübergestellt174. In einem weiteren Flugblatt wird unter der Überschrift "Nationaler Sozialismus schafft Arbeit und soziale Gerechtigkeit" ein "sozialistisches und volkswirtschaftliches System" gegen die "liberale Marktwirtschaft" gestellt 175 . 'Sozialistisch' hat dabei aber nichts mit der Eigentumsfrage zu tun, sondern bedeutet "mehr staatliche Kontrolle der Betriebe und Konzerne". Und hinter dem geforderten 'volkswirtschaftlichen System' verbirgt sich der GESCHLOSSENE HANDELSSTAAT, denn in diesem Zusammenhang werden "die hohe Besteuerung von Einfuhrware" und ähnliches 174

www.keine-agenda2010.de/bilder/FlugiAGENDA.pdf [22.2.2007]. www.keine-agenda2010.de/bilder/Keine%20Agenda%202010%20zweites%20Flugblatt.pdf [22.2.2007].

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gefordert. Unter der Rubrik 'Alternative' auf der Website wird im Gegensatz zu "Globalisierungsgefängnis" und "Zinskapitalismus" ein "vom Staat geschaffene[r] Arbeitsdienst, welche[r] dem Wohl der Volksgemeinschaft dienen soll"176 in Aussicht gestellt. Die Liste ließe sich verlängern. Dazu kommen wiederum Demonstrationsberichte, die in der Regel auf den Eventcharakter eingehen und kaum auf die Themen der Kampagne177. Passend zu diesem Gesamtbild werden unter anderem die DEUTSCHE STIMME der NPD und www.widerstandnord.com (die Seite mit dem Arbeiterplakat) verlinkt178. In der Rubrik 'Informationen' werden später aber auch Meldungen aus anderen Medien übernommen, unter anderem von der Seite www.gegen-hartz.de, die insbesondere Betroffene über ihrer Rechte gegenüber der Arbeitsagentur aufklärt179. Auch 2004 haben sich die Macher der Kampagne offensichtlich an solchen Betroffeneninitiativen und linken Gruppen orientiert, unter anderem an der bereits genannten Kampagne 'Agenturschluss'. Diese hatte Ende 2004 Anspruchsberechtigte dazu aufgerufen, ihre Anträge auf das neue Arbeitslosengeld II so spät wie möglich abzugeben, weil die Aussicht bestand, dass dadurch die geplante Umsetzung des Hartz-Gesetzes zum 1. Januar 2005 aus organisatorischen Gründen scheitern könnte. Diesen Aufruf hat die Kampagne "Keine Agenda 2010" teils wörtlich übernommen und als eigene Aktion präsentiert, wie der Vergleich der beiden Flugblätter in Tabelle 5.2 zeigt. Beide Flugblätter180 gliedern sich in die Überschrift und drei Textteile, die in die Zeilen der Tabelle übertragen wurden. Der Text befand sich jeweils auf einer Seite eines doppelseitigen Flugblattes. Bei Agenturschluss war es die Vorderseite, während auf der Rückseite rechtliche Hinweise für Anspruchsberechtigte standen. Bei 'Keine Agenda 2010' handelt es sich um die Rückseite. Nur die Überschrift wurde von der Vorderseite übernommen, die ansonsten aus einem Text besteht, der mit dem Satz beginnt: "Mit dem Verelendungsprogramm 'HIV' (Hartz IV) strebt das liberal-kapitalistische System nunmehr die schon lange geplante weitere Verbilligung der Ware Arbeitskraft an". In diesem Stil werden dann Lohndumping, Leiharbeit, die Aushebelung des Kündigungsschutzes und Ähnliches angeprangert. Auf die üblichen Aussagen des nationalistischen Diskurses wird dabei weitgehend verzichtet. Allerdings knüpft ein Bild im Comic-Stil an die zitierte Polemik gegen das 'liberal-kapitalistische System' an. Zu sehen ist eine aggressive Wespe, die mit ihrem (genau betrachtet 176

www.keine-agenda2010.de/Alternative.php [22.2.2007]. www.keine-agenda2010.de/Berichte.php [22.2.2007], vgl. Grumke/Klärner 2006: 89. 178 www.keine-agenda2010.de/Verweise.php [22.2.2007]. 179 www.keine-agenda2010.de/Informationen%2520Dateien/info2006-06-23a.php [22.2.2007]. 180 Beide Flugblätter standen als PDF-Dateien im Internet: www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/nikolaus.pdf [09.07.2012] www.keine-agenda2010.de/bilder/Aufruf_an_alle_Arbeitslosen.pdf [22.02.2007] 177

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

schwarz-weiß-roten) Stachel einen Ballon mit der Aufschrift 'Agenda 2010' zum Platzen bringen will, an dem ein Zettel mit der Aufschrift 'BRD' baumelt. Allerdings ist diese am Beispiel der Parteitagsrede herausgearbeitete Frontstellung gegen das 'liberal-kapitalistische BRD-System' (vgl. Kapital 3.1.3) hier auf den ersten Blick kaum zu erkennen. Im Vordergrund steht eindeutig der Protest gegen Hartz IV. Tabelle 5.2: Vergleich eines Flugblattes der nationalistischen Kampagne 'Keine Agenda 2010' mit dem Original der linken Kampagne 'Agenturschluss' Agenturschluss Hartz IV blockieren: Arbeitslosengeld II-Anträge verzögern!

Es besteht die realistische Chance, dass die Umsetzung von Hartz IV zum 1. Januar kippt und sich um Monate verzögert. Das wäre ein kleiner Sieg für uns und eine erste Schlappe für die Strategen der Armutsverwaltung. Dafür würde es reichen, wenn viele Leistungsberechtigte ihre Formulare erst Anfang Dezember 2004 abgeben. Die Agenturen für Arbeit pfeifen jetzt schon aus dem letzten Loch, die Mitarbeiter sind unmotiviert, schlecht eingearbeitet, die Computerprogramme funktionieren nicht. Ein kleiner Tritt noch und der tönerne Riese fällt auf die Schnauze. Die internen "Leitlinien der Bundesagentur" geben an: "Alle Zahlungen müssen bis zum 10. Dezember 2004 angewiesen werden, ggf. erfolgen Abschlagszahlungen für vollständige, noch nicht bearbeitete Anträge!". Ab dem 1. Januar 2005 müssen für unmittelbar Bedürftige Bargeld und Schecks bereitgehalten werden. Die "Westdeutsche Zeitung" meldete, dass die Bundesregierung im Oktober prüfen wolle, ob das "Hartz IV-Gesetz" pünktlich in Kraft treten könne.

Keine Agenda 2010 Aufruf an alle Arbeitslosen Wir, die Initiative "Keine-Agenda2010.de" fordern alle arbeitslosen Landsleute auf, ihre Anträge auf Arbeitslosengeld II (ALG II) erst Mitte Dezember 2004 abzugeben! Damit Hartz IV kippt, müssen alle Anträge so spät wie möglich, am besten erst Mitte Dezember 2004, abgegeben werden. Dann nämlich besteht eine realistische Chance, daß die Verelendungsmaschinerie endgültig kollabiert. Möglich ist das, wenn viele Leistungsberechtigte ihre Anträge erst Anfang oder Mitte Dezember 2004 abgeben. Die Bundesanstalt für Arbeit (BA) pfeift jetzt schon aus dem letzten Loch, die Mitarbeiter sind schlecht eingearbeitet, überarbeitet, schlecht bezahlt, oftmals noch mit temporär befristeten Arbeitsverträgen ausgestattet und daher auch alles andere als motiviert. Der Einsatz ausrangierter Telekom-Mitarbeiter mit Buschzulage gab den Rest. Die dringend benötigte Software funktioniert immer noch nicht, der gigantische Papierberg wächst. Ein kleiner Tritt noch und der tönerne Riese fällt auf die Schnauze!

5.2 'Freie Kräfte und jugendliche bekennende Deutsche' – Neonazis und die RechtsRock-Szene

Muss ich zu Vorladungen bei der Arbeitsagentur erscheinen? Um die Anträge einzutreiben, schicken uns die Arbeitsagenturen persönliche Termine, bei denen wir unsere Formulare abgeben sollen. Diese Termine sind für die Abgabe der Anträge keineswegs bindend. Wenn die Vorladung sich ausschließlich auf das Ausfüllen oder die Abgabe der ALG II Anträge bezieht, braucht ihr nicht hingehen. Falls das Scheiben für den Termin auch andere Gründe nennt (z.B. Berufsberatung, Vermittlung), es missverständlich klingt, oder ihr unsicher seid, solltet ihr hingehen (Mitwirkungspflicht nach §309 SGB III), könnt aber immer sagen, dass ihr den Antrag noch nicht abgeben wollt, Euch noch ausführlich informieren müsst. Geld her - oder richtig Zoff! Lasst euch nicht ins Bockshorn jagen von der Androhung, wir könnten 2005 ohne Geld dastehen, wenn wir die Anträge später abgeben. Wir müssen offensiver an die Sache heran gehen: Wenn eine(r) von uns im Januar oder Februar 2005 tatsächlich ohne Geld dastehen sollte, dann kracht es richtig. Dann werden wir gemeinsam so lange in den Amtsfluren sitzen, bis die Schecks, Abschlagszahlungen oder sonstiges bar in unsere Hände wandern. Dieses Szenario wird sich Rot-Grün ersparen wollen. Also: Mitmachen, Antrag verzögern und weitersagen! Gemeinsame Abgabe der ALG II-Anträge Montag, 6. Dezember 2004

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Aber Vorsicht: Niemand kann gezwungen werden, seinen Antrag vorher abzugeben. Wenn eine Aufforderung vom Arbeits- oder Sozialamt dazu kommt, bitte unbedingt hingehen (Mitwirkungspflicht!), korrekt und anständig bleiben, aber keinen Antrag abgeben! Als Begründung kann man z.B. angeben, man wolle sich erst noch einmal von unabhängigen Experten und Organisationen beraten lassen! Den Anspruch auf ALG II verliert man deshalb nicht! Das alles ist geltendes BRDRecht!

Deshalb: Sorgen wir also selbst dafür, daß dieses von Peter Hartz, Wolfgang Tiefensee und Konsorten ausgeklüngelte Verelendungsprogramm fällt! Das wäre ein erster kleiner Sieg im Kampf gegen den Liberalkapitalismus und hin zur sozialistischen Volksgemeinschaft der Deutschen!

In diesem Zusammenhang greift das Flugblatt – dessen Text auch auf der Seite von DIE KOMMNDEN übernommen wurde181 – die Aktion der AgenturschlussKampagne auf und stellt sie in den dezent präsentierten nationalistischen Kontext. Die Unterstreichungen in der Tabelle verdeutlichen die teils wörtlichen Übereinstimmungen, die belegen, dass es sich bei dem Flugblatt der Kampagne 'Keine Agenda 2010' in weiten Teilen um ein Plagiat handelt. Die zentralen Unterschiede sind in der Tabelle jeweils fett markiert. Das Flugblatt von Agenturschluss ist aus der Perspektive derjenigen geschrieben, die unmittelbar von den Neuregelungen durch Hartz IV betroffen sind ('uns'), die selbst aktiv werden und ihr Gegenüber in 'Strategen der Armutsverwaltung' sehen. Vor allem am Ende mündet dies in 181

www.die-kommenden.net/dk/wiso/hartz_iv_12 [20.10.2006]

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

einen rebellischen Ton ("Geld her - oder richtig Zoff! […] dann kracht es richtig"), in die Ankündigung solidarischer Praxen ("Wenn eine(r) von uns […] werden wir gemeinsam […] Gemeinsame Abgabe der ALG II-Anträge") und in den Aufruf, sich zu daran zu beteiligen ("Also: Mitmachen, Antrag verzögern und weitersagen!"). Die Kampagne 'Keine Agenda 2010' ruft zwar ebenfalls dazu auf, die ALG-II-Anträge als Widerstand gegen Hartz IV später abzugeben, aber sie tut dies in einem autoritären Ton ("Wir, […] fordern alle arbeitslosen Landsleute auf […]!") und fordern zugleich diszipliniertes Verhalten ("korrekt und anständig bleiben […]!"). Der Widerstand soll sich dabei gegen "die Verelendungsmaschinerie" richten. Dies knüpft an die oben zitierte Vorderseite an, auf der 'Hartz IV als Verelendungsprogramm des liberal-kapitalistischen Systems' präsentiert wird, und der letzte Satz nennt schließlich die "sozialistische Volksgemeinschaft der Deutschen" als Gegenstück des 'Liberalkapitalismus'. In diesem Zusammenhang sind schließlich auch die exklusive Ansprache der 'arbeitslosen Landsleute' (heißt: keine AUSLÄNDER) und die implizite Abgrenzung in der Formulierung 'BRDRecht' zu sehen. Das Flugblatt artikuliert die Aktion im bekannten Antagonismus der nationalistischen Fundamentalopposition {Landsleute, sozialistische Volksgemeinschaft der Deutschen} / {(AUSLÄNDER), liberal-kapitalistisches System, BRD, Hartz IV}. Die ursprüngliche Zielsetzung im Flugblatt von Agenturschluss – "ein kleiner Sieg" gegen "die Strategen der Armutsverwaltung" – wird im nationalistischen Kontext als "ein erster kleiner Sieg im Kampf" für eine "Volksgemeinschaft der Deutschen" reartikuliert. 5.2.4 Zwischenresümee: 'Nationale Sozialisten' Die Analyse der 'Freien Kräfte' und der 'jugendlichen bekennenden Deutschen', die in der Parteitagsrede als eigenständige Teile des nationalistischen Feldes erschienen (vgl. Kapitel 3.1.3), bringt primär bewegungs- und subkulturorientierte Akteure zum Vorschein, die stark am historischen Nationalsozialismus (mitunter auch an weiteren nationalistischen Strömungen der frühen 1930er-Jahre) orientiert sind. Auch die Konflikthaftigkeit, die mit diesen Fraktionierungen einhergeht, wird hierbei noch einmal deutlich. Die Akteure betonen ihre eigene subkulturelle Position (vgl. 5.2.1.2) oder ihre Bewegungsposition innerhalb des Feldes und weisen Dominanzansprüche zurück, was permanent in mehr oder weniger latenten Konflikten zum Ausdruck kommt. Insbesondere im Bereich der Bewegungsakteure gehen diese Positionskämpfe innerhalb des Diskurses mit ideologischen Verortungen einher. So schillernd die Bezeichnungen der ideologischen Positionen und Zuordnungen von Organisationen dazu im einzelnen auch sind (vgl. Kapitel 5.2.2), zeigt die Analyse doch einige Strukturmuster in den Aussagen der Freien Kräfte beziehungsweise ihres engeren Umfeldes:

5.2 'Freie Kräfte und jugendliche bekennende Deutsche' – Neonazis und die RechtsRock-Szene

253

Erstens fallen die für das Feld typischen Polemiken auf, in denen politische Positionierungen mit Führungsgehabe und persönliche Eitelkeiten (Worch vs. Wulff, Schwab vs. Voigt etc.) einhergehen182. Zweitens bestätigen die verschiedenen Beiträge eine gewisse Struktur des nationalistischen Feldes, wenngleich sie jeweils von der eigenen Position aus beschrieben wird. Das Feld besteht demnach aus: • Einem radikalen Bewegungsflügel, der Bündnisse mit Parteien ablehnt, • einem kooperationsbereiten Teil des Bewegungsflügels, • kooperationsbereiten Parteien, insbesondere der NPD (und ferner der DVU) sowie • einem wenig kooperationsbereiten Teil des Feldes, insbesondere REP und JF. Drittens ist die Präsentation des Feldes stets durch soziale beziehungsweise politisch-ökonomische Gegensatzpaare (bürgerlich-liberal / sozialistisch; reaktionär / revolutionär; kapitalistisch / antikapitalistisch etc.) überdeterminiert. Der Bewegungsflügel insgesamt und besonders die eigene Position erscheinen dabei jeweils als der revolutionäre {sozialistische etc.} Pol des nationalistischen Feldes, so dass semantisch eine 'linke' Position innerhalb des nationalistischen Diskurses angeboten wird. Viertens knüpfen diese Positionierungen unmittelbar an den nationalistischen Diskurs der 1920er- und 30er-Jahre an. Zum einen, weil die entsprechenden sozialen Positionierungen als 'national-sozialistisch' oder 'national-revolutionär' offensichtlich aus jener Phase zitiert werden, in der sie innerhalb des Diskurses erstmals formuliert wurden. Zum anderen, weil selbst die aktuellen Konflikte vor der Matrix der damaligen internen Konfliktlinien ausgetragen werden. In Publikationen und Aktionsmaterialien (vgl. Kapitel 5.2.3) greifen die nationalistischen Bewegungsakteure Schlagworte aktueller medialer Debatten und politischer Konflikte (Globalisierung, Einführung des Euro, Hartz IV, Opelstreik) auf und verknüpfen sie mit einer rudimentären Reproduktion der nationalistischen Globalisierungserzählung (vgl. Kapitel 5.1.5), vielfach unter eindeutiger Bezugnahme auf den Nationalsozialismus. Eine politisch-ökonomische Programmatik, die über die antagonistische Entgegensetzung von Schlagworten (Liberalkapitalismus versus 'nationaler Sozialismus' etc.) hinausgeht, ist dabei aber kaum zu erkennen. Dementsprechend sind die 'Nationalen Sozialisten' auch nicht in der Lage, 182

"Weil die rechtsextremen Gruppierungen und die rechtsextreme Szene insgesamt klein und überschaubar sind, lernen die Angehörigen sich schnell gut kennen und können sich auf ihrem anschließenden politischen Weg stets gut im Auge behalten. So entstehen loyale Beziehungsgeflechte [...]. Aber aus zu großer Nähe und Konkurrenz entstehen auch persönliche Animositäten und Feindschaften, was im typischen Führungsstreit der rechtsextremen Eliten sichtbar wird, in ihren gegenseitigen Blockaden und ihrer mangelnden Kooperation" (Erb 2006: 144).

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

soziale Auseinandersetzungen im engeren Sinne zu initiieren, sondern sie greifen Konflikte auf, die wesentlich von linken Initiativen, wie der globalisierungskritischen Bewegung, den Betriebsgruppen bei Opel oder der Agenturschluss-Kampagne ausgehen und re-artikulieren sie im nationalistischen Diskurs. Ihre politische Wirkung besteht darin, konkurrierende Anrufungen in anderweitig entstehenden Konflikten anzubieten. Diese Anrufungen scheinen auf den ersten Blick rebellisch, sind zugleich aber autoritär. Sie greifen Erfahrungen von erzwungener Unterordnung auf und rufen zur Rebellion gegen 'das System' auf. Doch faktisch besteht die angebliche Rebellion im Kampf gegen Minderheiten und mündet in die erneute, nunmehr freiwillige Unterordnung in hierarchischen Strukturen. Dieses Muster erscheint nicht nur in programmatischen Texten, sondern es hat sich vor allem in Songtexten des RechtsRock (vgl. Kapitel 5.2.1.1) und im Rahmen von Aktionen gegen Hartz IV (vgl. Kapitel 5.2.3.5) gezeigt, das heißt in Kontexten, in denen die Anrufungen unmittelbar an habituelle Dispositionen anschließen. 5.3 Die 'nationalen Parteien' 5.3.1 Organisationskonkurrenz: Kurze Anmerkung zur DVU und den Kleinstparteien In der Parteitagsrede zählt Udo Voigt neben der NPD drei weitere Parteien zum 'nationalen Lager', die DEUTSCHE VOLKSUNION (DVU), die DEUTSCHE PARTEI und die REPUBLIKANER (REP). Das auf dem Parteitag beschlossene Bündnis zwischen NPD und DVU ist dabei symptomatisch für die Bedeutung und die weitere Entwicklung der letzteren. 2011 wird sich die Partei schließlich auflösen und größtenteils mit der NPD fusionieren. Auch zuvor war die DVU kaum in der Lage, eigenständige Akzente im nationalistischen Feld zu setzen183. Sie lebte wesentlich vom Geld des Verlegers Gerhard Frey (vgl. Mecklenburg 1999b) und der Verbindung zu seinen bundesweit im Zeitschriftenhandel vertriebenen Blättern, insbesondere der NATIONALZEITUNG (vgl. Virchow 1999). Inhaltlich beschränkte sich die Partei auf die rudimentäre Reproduktion der nationalistischen Kernaussagen im Stil eines altbackenen Deutschnationalismus. Neuere gesellschaftliche Entwicklungen wurden kaum aufgegriffen. So spielte auch das Thema Globalisierung weder in den Texten der Partei eine Rolle, noch war es in der NATIONALZEITUNG über sehr vereinzelte Artikel hinaus präsent. Allerdings war die Partei durchaus in der Lage bei Landtagswahlen das Potenzial an nationalistischen Stimmen einzusammeln. Insofern beschränkt sich ihre Bedeutung auf die Organisations- beziehungsweise Wahlkonkurrenz im 'nationalen Lager', die bereits aus der Analyse der Rede hervorging (vgl. Kapitel 3.1.3). Dies gilt erstrecht 183 Zur Geschichte der DVU vgl. Pfahl-Traughber (2013), Stöss (2007: 128ff., 139ff.), Virchow (1999) Mecklenburg (1999a, 1999b).

5.3 Die 'nationalen Parteien'

255

für die DEUTSCHE PARTEI, die seit ihrer Gründung 1993 eine unbedeutende Splitterpartei neben zahlreichen anderen blieb. Dagegen lohnt sich eine genauere Analyse der REP, die im Untersuchungszeitraum – ungeachtet ihrer relativen Erfolglosigkeit – eine spezifische reformorientierte Position innerhalb des Diskurses besetzen, die ihn dauerhaft strukturiert. Jahre später wird die AFD in ihrer Gründungsphase diese Position besetzen und anschließend wird sich die damit einhergehende Konfliktlinie zwischen Reformorientierung und Fundamentalopposition in die Partei selbst verlagern. 5.3.2 Reform statt Revolution: Die Republikaner (REP) In der analysierten Parteitagsrede und in der Parteizeitung hat Udo Voigt die REP in zweierlei Hinsicht kritisiert: Erstens verweigern sie sich seinem Konzept einer Einheit der Rechten ('Volksfront'), mit dem die Wahlkonkurrenz und entsprechende Erfolglosigkeit 'nationaler Parteien' beendet werden soll (vgl. Kapitel 3.1.3); Zweitens stehen sie für eine andere strategische Ausrichtung, nämlich die 'Anbiederung an die Konservativen' anstelle der Fundamentalopposition gegen 'das System' (vgl. Kapitel 3.2). Der damalige Parteivorsitzende der REP Rolf Schlierer muss in der Parteizeitung 'ZEIT FÜR PROTEST' (ZFP) darauf nicht zuletzt deshalb reagieren, weil die Erfolge von NPD und DVU die Verluste seiner Partei an Mitgliedern und Wählerstimmen seit den 1990er-Jahren weiter verstärken, beziehungsweise den parteiinternen Befürwortern eines fundamentaloppositionellen Kurses und einer Kooperation mit anderen Rechtsparteien Auftrieb geben184. Exemplarisch für diesen Trend steht die ehemalige sächsische Landesvorsitzende Kerstin Lorenz, die öffentlich erklärt hatte, dass die Basis der Partei eine Zusammenarbeit mit der NPD wünsche und die Landesliste der REP in Sachsen zurückgezogen hatte, um nach dem Wahlerfolg zur NPD überzutreten (vgl. ZFP 9-10/2004: 11). 5.3.2.1 Die Positionierung im nationalen Lager Schlierer bleibt bei seiner strategischen Ausrichtung und positioniert sich spiegelbildlich zu Voigts Vorwürfen, wobei er von Dieter Stein, dem Chefredakteur der JF, in einem Interview in der Parteizeitung gestützt wird. In diesem Interview sagt Stein: "Wer die 'Einheit der Rechten' fordert, erweckt erstens den Eindruck, alles was rechts ist gehöre in eine Schublade, und verwischt damit gravierende Gegensätze, zweitens geht es ihm immer konkret um die Ausschaltung von Konkurrenzprojekten" (ebd.: 3). Analog zu den Fraktionierungen des 'nationalen Lagers', die aus Voigts Aussagen hervorgehen, zeigt sich auch hier eine Verschränkung von Gemeinsamkeiten und Differenzen. Es gibt 'gravierende Unterschiede' und ein gemeinsames Konkurrenzverhältnis, beziehungsweise es gibt die Gemeinsamkeit 184

Zur Geschichte der 'Flügelkämpfe' vgl. Kailitz (2013: 375f.), Stöss (2007: 124ff.), Funke (1999).

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

'rechts' zu sein und doch in differente 'Schubladen zu gehören'. Den Konkurrenzkampf thematisiert die ZFP mit einer Reihe von Beispielen, mit welchen Mitteln die NPD gegen die REP arbeitet (vgl. ebd.: 11), darunter der oben genannten Übertritt der Sächsischen Landesvorsitzenden. Dieser wird unter der Überschrift "Judaslohn" und mit dem abschließenden Satz "Für Geld tun eben manche alles" (ebd.) präsentiert, also mit Formulierungen, die beim geneigten Publikum die antisemitische Figur des geldgierigen JUDEN aufrufen. Auf der gleichen Seite erklärt der Parteivorsitzende seine "Absage an die 'braune Volksfront'", wobei er die bekannten Fraktionierungen bestätigt: "NPD und DVU einerseits und REP, DSU und DP andererseits sind" laut Schlierer "nicht kompatibel" und zwar nicht zuletzt, weil sich die NPD mit der "angestrebten Integration militanter Neonazis sog. Kameradschaften [...] endgültig als nationalpolitisch ernstzunehmende Vereinigung verabschiedet" (ebd.) habe. Letzteres begründet er unter anderem mit einem Verweis auf die vermeintlich herrschende POLITICAL CORRECTNESS, denn das militante Agieren werde nur "eine neue Gutmenschen-Hysterie und eine neue Kampagne gegen rechts" (ebd.) befördern. Zudem betont Schlierer eine Reihe inhaltlicher Differenzen, darunter an erster Stelle die folgenden: " * Die NPD will diesen Staat beseitigen ('abwickeln') * Die NPD lehnt die Demokratie und den Parlamentarismus ab * Die NPD will in Anlehnung an die NSDAP eine nationale Erhebung [...] Die Republikaner stehen dagegen [...]: * Für den Erhalt unseres Staates und unserer Verfassung * Für parlamentarische Demokratie [...] * Für Reform unseres Gemeinwesens" (ZFP 9-10/2004: 11).

Kurz: "Die NPD will Revolution, wir wollen Reform" (ebd.). Dieter Stein ergänzt dies im Interview durch die Gegenüberstellung entsprechender ideologischsymbolischer Positionierungen, nämlich eines "anachronistischen, schwarz-weißroten, NS-verherrlichenden Nationalismus" und eines "gemäßigten sozialkonservativen, schwarz-rot-goldenen Patriotismus" (ebd.: 3). Das Verhältnis von Gemeinsamkeiten und Differenzen, das schon in Schlierers Anspielung auf POLITICAL CORRECTNESS (vgl. dazu auch REP 2002: 4, ZFP 9-10/2004: 1) anklingt, klärt sich bei Steins Analyse des Wahlergebnisses in Sachsen, denn das zeige, "in welcher schweren Krise der deutsche Parteienstaat steckt. Aber auch in welchem miserablen Zustand die demokratische 'Rechte' ist. Denn wenn es sogar einer offenkundig extremistischen Partei wie der NPD gelingen kann 9,2 Prozent der Stimmen [...] auf sich zu vereinigen, zeigt wie groß das Repräsentationsdefizit der etablierten Parteien sein muss" (ZFP 9-10/2004: 3).

Die lange Kette von Differenzen der ideologischen und symbolischen Positionierungen

5.3 Die 'nationalen Parteien'

257

{Reform, demokratisch, Patriotismus, schwarz-rot-gold, sozial-konservativ} / {Revolution, extremistisch, Nationalismus, schwarz-weiss-rot, NS-orientiert}, die im Konkurrenzkampf mit der NPD die Extremismus-Karte ausspielt185, tritt zurück hinter den Gegensatz {'rechts', 'nationales Lager': (Reform, ...) / (Revolution, ...)} / {Parteienstaat, etablierte Parteien, Gutmenschen, ...}. Die strategische Ausrichtung – Reform oder Revolution – ist die zentrale Differenz, die Opposition zum Parteienstaat (DEMOKRATIE), zu den etablierten Parteien (ETABLIERTE) und zu den Gutmenschen (POLITICAL CORRECTNESS) sind die Gemeinsamkeiten. Hinzu kommen weitere Übereinstimmungen, wenn Stein auf die Frage antwortet, wie sich "eine 'bürgerliche' Rechtspartei wie die Republikaner positionieren" müsste, um politisch erfolgreich zu sein: "Die Themen liegen auf der Straße: Demokratiedefizit, Geburtenrückgang, Einwanderung, nationale Identität" (ebd.). Auch hier sind die Elemente der Aussagen DEMOKRATIE, VOLK und AUSLÄNDER deutlich zu erkennen und ein Blick in weitere Dokumente der REP bestätigt diesen Eindruck: Was mit dem 'Demokratiedefizit' gemeint ist, zeigt unter anderem das Parteiprogramm. Dabei wird auch klar, wie es zu verstehen ist, dass sich die REP im Gegensatz zur NPD zur Verfassung bekennen, zugleich aber in Opposition zum 'deutschen Parteienstaat' stehen und eine 'Reform des Gemeinwesens' anstreben. So kontrastiert der Abschnitt zum Thema DEMOKRATIE das Prinzip der Volkssouveränität laut "Artikel 20 Grundgesetz" mit der "Monopolisierung politischer Macht bei wenigen Parteien" und fordert eine "Rückkehr [!] zu Volkssouveränität und Gewaltenteilung". Diese 'Rückkehr' soll sich unter anderem in der "Volkswahl des Bundespräsidenten" und der "Unvereinbarkeit von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat" äußern (REP 2002: 5). Kombiniert werden soll dies mit "Volksabstimmungen zu grundlegenden politischen Entscheidungen", darunter zu "Veränderungen des Staatscharakters durch Masseneinwanderungen" (ebd.). Darin lässt sich unschwer das Demokratieverständnis Carl Schmitts erkennen, das auch die Vorstellungen der NPD bestimmt 186 . Der 185 So hatten die REP das Verbotsverfahren gegen die NPD begrüßt. Zudem waren sie gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht vorgegangen, in dem sie dann seit der Ausgabe von 2006 auch nicht mehr in einer eigenen Rubrik behandelt wurden. 186 An dieser Stelle zeigen sich auch einmal mehr die (in theoretischer Hinsicht sekundären) personellen und organisatorischen Schnittmengen, die trotz aller Fraktionierungen mit der Reproduktion des Diskurses einhergehen. In Kapitel 3.2.4 wurde analysiert, wie der damalige NPD-Ideologe Jürgen Schwab die Schriften von Carl Schmitt für die nationalistischen Aktivisten von heute aufbereitet, wobei er ausführlich aus dem Buch "Der totale Parteienstaat" von Klaus Kunze zitiert. Als Essenz all dieser Schriften hat sich die Aussage DEMOKRATIE {wirkliche Demokratie, Gewaltenteilung, Direktwahl d. Staatsoberhauptes, Volksabstimmungen} / {'Demokratie', Parlamentarismus, Parteienstaat,

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

Unterscheid liegt darin, dass die NPD die 'wirkliche Demokratie und Gewaltenteilung' als Gegensatz zur 'gegenwärtigen parlamentarischen Demokratie' artikuliert, während die Reformpartei von der "Rückkehr zu Volkssouveränität und Gewaltenteilung als Grundlage der parlamentarischen Demokratie" (ebd.) spricht. Wobei die Reformperspektive, die nicht zufällig unter dem gleichen Stichwort der 'Gewaltenteilung' präsentiert wird, ebenfalls gegen die Prinzipien der parlamentarischen Regierungsbildung, nämlich auf die Absetzung der Regierung gegenüber dem Parlament und die Stärkung der Stellung des Staatsoberhauptes in Kombination mit plebiszitären Elementen, gerichtet ist. Dieses Verhältnis von unterschiedlicher Formulierung und gemeinsamer Kernvorstellung ist symptomatisch. So findet sich auch bei den REP die am Beispiel von Schmitt und der NPD herausgearbeitete Verbindung von Staatsverständnis und soldatischer MÄNNLICHKEIT (vgl. Kapitel 3.2.5), wenngleich sie in relativierender Form eingeführt wird. Die Partei fordert eine "Weiterentwicklung der Wehrpflicht zu einer allgemeinen Dienstpflicht für Männer und Frauen" (ebd.: 6) und auch ihr symbolisches "Ziel ist [...] der starke Staat" (ebd.: 16). Letzterer wird jedoch ebenfalls indirekt eingeführt, nämlich mit der Formulierung: "Ziel ist aber nicht der starke Staat an sich, sondern der Schutz und die Freiheit der Bürger" (ebd.). Dieser Vergleich lässt sich mit beliebigen Elementen des fundamentaloppositionellen Antagonismus der NPD anstellen. So lässt sich die Figur des bio-genealogischen VOLKES aus einem Abschnitt des Parteiprogramms isolieren, in dem die "Nation als Garant für [...] Demokratie" bestimmt wird und zwar in dem Sinne, dass "das Volk die Grundlage des Staates bildet" und (nur) derjenige, der "diesem Volk angehört, ein natürliches Anrecht auf Mitbestimmung und Gleichberechtigung" (ebd.: 7) hat. Dabei wird die Volkszugehörigkeit über die "Nation" und diese wiederum als "Bewußtsein gemeinsamer Abstammung, Geschichte und Kultur sowie die Verbundenheit in einer Schicksalsgemeinschaft" bestimmt und mündet in die Dichotomie von "Nationalstaat" und "multikulturelle[r] Gesellschaft" (ebd.). Demokratie wird bestimmt durch die VOLK-Aussage {Volk, Staat, Nation, natürliches Anrecht, Abstammung, Geschichte, Kultur Schicksalsgemeinschaft} / {multikulturelle Gesellschaft}.

etablierte Parteien} ergeben. Eine Aussage, die in Dieter Steins JUNGE FREIHEIT sowohl von Klaus Kunze ("Plebiszite als Weg aus dem Parteienstaat", JF (10/1992: 23)) als auch vom späteren REPVorsitzenden Rolf Schlierer ("Staat und Parteien müssen getrennt werden", JF 4/1993: 11) reproduziert wird. Zu Carl Schmitt als zentralem Referenzpunkt der JF vgl. Kriener (1994), Dietzsch u.a. (2003: 95ff.), Gessenharter (2007).

5.3 Die 'nationalen Parteien'

259

Die 'nationale Identität' als weiterer Gegenbegriff zur 'multikulturellen Gesellschaft' findet sich später in der Überschrift "Deutsche Identität statt Multikultur" (ebd.: 14). In diesem Abschnitt – dem ersten Unterkapitel zum Thema "Staat und Gesellschaft" (ebd.) – findet sich auch die "wichtigste Forderung der Partei DIE REPUBLIKANER: [...] kein Vielvölkerstaat!" (ebd., i.O. Fett). Zentrales Thema sind dabei erwartungsgemäß AUSLÄNDER, "vor allem [...] Türken", die symbolisch als Belastung erscheinen, wenn es heißt, dass die "Grenze der Belastbarkeit überschritten" sei und dass "Ausländer das Sozialsystem bisher nicht entlasten sondern belasten" (ebd.: 15). Die Parteizeitung ergänzt die weitere einschlägige Symbolik unter anderem mit den Formulierungen "liegt der Solidargemeinschaft auf der Tasche" (ZFP 9-10/2004: 4), "Ansturm auf den Arbeitsmarkt" (ebd. 5), "gewaltige[] Einwanderungswelle" (ebd.) und "Stützpunkte islamischer Eroberung" (ebd.: 8). Damit sind alle symbolischen Elemente {gewaltige Welle, militärischer Angriff, Belastung, auf der Tasche liegen} beisammen, mit denen Einwanderer zeitgleich in der DS verknüpft werden (vgl. Kapitel 3.2.7). Auch beim Thema Europa (vgl. Kapitel 5.1.1.4) sind weitgehende Übereinstimmungen mit der NPD festzustellen. Im entsprechenden Kapitel des Parteiprogramms fordern die REP schon in der Überschrift ein "Europa der Vaterländer" und sagen im ersten Satz "nein zu dieser EU" (REP 2002: 10, vgl. auch ZFP 910/2004: 5). Darauf folgen dann alle weiteren Schlagworte des Antagonismus der EUROPA-Aussage: Die "Vielfalt […] unabhängiger Nationalstaaten" gegenüber der "Gleichmacherei", die "Souveränität der Mitgliedsstaaten" und "die Begrenzung der Nettozahlungen" gegenüber der "Brüsseler Bürokratie" sowie schließlich die "Abschaffung des Euro und [die] Rückkehr zur Deutschen Mark" (REP 2002: 10f.). Trotz der wechselseitigen polemischen Abgrenzungen teilen die REP also wesentliche Aussagen mit der NPD. Udo Voigt zählt die REP nicht ohne Grund zu den 'nationalen Parteien'. Umgekehrt sieht sich Rolf Schlierer nicht ohne Grund gezwungen, ausführlich auf den Wahlerfolg und die Bündnisbemühungen der NPD einzugehen. Beide sind institutionelle Träger des nationalistischen Diskurses, wenngleich sie darin durchaus differente Positionen besetzen, indem sie die Aussagen anders akzentuieren. 5.3.2.2 Gesunder Mittelstand gegen rote Aristokraten, Nieten in Nadelstreifen und Altparteien Vor diesem Hintergrund ist es interessant, noch einmal auf die Gegensätze zurückzukommen, die Schlierer zwischen NPD und REP aufmacht. Denn darunter finden sich auch die Differenzen mit einem politisch-ökonomischen Bezug, die Voigt mühelos unter dem Etikett 'national' vereinigt: "Die NPD ist gegen soziale Marktwirtschaft ('Liberalkapitalismus') und für nationalen Sozialismus", während die

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Republikaner "[g]egen jeden Sozialismus" und in Anspielung auf die historische Volksfront der Linksparteien in den 1930er-Jahren, "[g]egen Volksfronten jeder Art" stehen. Kurz, sie wollen "weder einen nationalen noch einen demokratischen Sozialismus" (ZFP 9-10/2004: 11). Mit dem Antagonismus {soziale Marktwirtschaft} / {Sozialismus: (national) / (demokratisch)} nimmt Schlierer also die ideologische Positionierung der NPD auf, verortet sie – freilich entgegen ihrer Bekenntnisse zu Marktwirtschaft, Privateigentum und so weiter – als 'sozialistisch' und profiliert damit seine 'bürgerliche Rechtspartei' (s.o.). Entsprechend unterschiedlich fällt auch seine Behandlung der aktuellen sozialen Konflikte um Hartz IV und den Opel-Streik aus. Der Streik dient ihm als Aufhänger zum Vergleich der Lohnkosten in Polen ("Oberschlesien" (ZFP 9-10/2004: 1)) und Deutschland, worauf er konstatiert, dass künftig weitere Arbeitsplätze verlagert würden. Dies verknüpft Schlierer mit Elementen der ETABLIERTENAussage. So erinnert er im entsprechenden Leitartikel in der ZEIT FÜR PROTEST! an die "Demonstrationen gegen Hartz IV", bevor er auf Opel zu sprechen kommt und beklagt anschließend: "Die Politiker der Altparteien haben darauf keine Antwort. Sie schauen zu und lamentieren. Die Entscheidungen treffen Unternehmensführungen und nicht die Politik" (ebd.). Aber das populistische Moment mündet hier – anderes als bei der NPD – nicht in die Klage über die 'Belastungen des kleinen Mannes' zugunsten der 'global player und ihrer politischen Erfüllungsgehilfen'. Die bei den 'Altparteien' vermisste 'Antwort' lautet stattdessen: "Was wir brauchen, sind hohe Produktivität, Flexibilität [...] sowie niedrige Lohnkosten und eine deutliche Senkung der Lohnzusatzkosten. Das geht nicht ohne Rückbesinnung auf alte Tugenden wie Fleiß, Disziplin, Sparsamkeit und Pünktlichkeit" (ebd.). Der moralisierende Bezug auf 'Tugenden' steht auch hier im Gegensatz zu einer 'lasterhaften Oberschicht', dient dabei aber vor allem dem Appell niedrige Löhne und längere Arbeitszeiten zu akzeptieren. Diese ETABLIERTEN-Schelte der REP richtet sich nicht zuletzt gegen die Gewerkschaften. Sie verbindet die Kritik der "ganz große Koalition der Altparteien", deren "Raffkes" bei Diätenerhöhungen "ihre gierigen Hände heben" (ZFP 9-10/2004: 7, Zitate aus BILD), mit der Kritik an "Gewerkschaftsbonzen" beziehungsweise "roten Aristokraten" auf "lukrativen Posten" in Aufsichtsräten, die eine "Kumpanei der Bosse" mit dem Management – den "Nieten in Nadelstreifen" – betrieben. Wobei die letztgenannte Koalition den einen "unanständig hohe Vorstandsgehälter" und den anderen "die kürzesten Arbeitszeiten und die längsten Ferien" (ebd. 9) einbringe. Der Hauptvorwurf an die 'Bonzen aus Politik, Management und Gewerkschaften' – hinter dem sich die Kritik am "paritätische[n] Mitbestimmungs-

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recht" (ebd.) verbirgt – lautet allerdings: Sie "ruinieren gemeinsam die einstmals starke deutsche Wirtschaft", indem sie mit "starren Regelungen" der Arbeitsbedingungen dafür sorgen, dass "andere Industriestaaten reihenweise an uns vorbeiziehen" (ebd.). Entsprechend kritisiert Schlierer auch in seinem Leitartikel, dass "die Gewerkschaftsfunktionäre glauben", weiterhin "die Tarifkämpfe der 70er Jahre führen zu müssen" (ebd.: 1) und stellt den moralisierenden Appell zum Verzicht absolut in den Vordergrund. So wird die floskelhafte Überschrift "Ohne Fleiß kein Preis" am Ende des Artikels wieder aufgegriffen, wo es heißt: "Damit der mühsam erworbene Wohlstand nicht der Globalisierung zum Opfer fällt, muß er künftig wieder hart erarbeitet werden: Ohne Fleiß kein Preis!" (ebd.). Ergänzt wird der Bezug auf die 'Tugend' durch den auf das 'Nationalbewusstsein', der nach dem Verzichtsappell an die Lohnarbeitenden, als Forderung an Unternehmer eingeführt wird: "Wir brauchen aber auch Unternehmer, die ihre Verantwortung für Deutschland nicht vergessen. 'Selbstbewußtsein und Nationalbewußtsein' sind die Voraussetzungen für den Erfolg, sagt der württembergische 'Schraubenkönig' Reinhold Würth, der es aus einfachen Verhältnissen zum Millionär gebracht hat" (ebd.)187.

Worin die 'Verantwortung' der Unternehmer genau besteht, wird allerdings nicht konkretisiert, vielmehr lauten die beiden ersten Forderung im Wirtschaftsteil des Parteiprogramms "Abbau unnötiger bürokratischer Hemmnisse für die Wirtschaft" und "grundlegende Reform des Steuersystems zur Entlastung von Bürgern und Unternehmen" (REP 2002: 26). Bezogen auf die Bürger wird dies später konkretisiert als "einheitliche Besteuerung von Einkommen durch ein Drei-StufenModell (Steuersätze 15%, 25% und 35%)" (ebd. 28), mit anderen Worten, als eine deutliche Reduzierung der Steuern auf hohe Einkommen. Mit dem Bild desjenigen, der es 'aus einfachen Verhältnissen zum Millionär' gebracht hat, wird vor allem unterstrichen, dass die geforderten Tugenden zum Erfolg führen. Die harte Arbeit, verbindet den Unternehmer mit denjenigen, die flexibel, diszipliniert und sparsam sein sollen188 , 'damit der Wohlstand nicht der Globalisierung zum Opfer fällt'. 187 Bei der WÜRTH GMBH handelt es sich nach eigenen Angaben um ein Unternehmen, das mit "über 250 Niederlassungen in Deutschland und über 400 Gesellschaften in 86 Ländern der Welt" und mit "über 65.000 Mitarbeiter[n]" zu den "größten Handelsunternehmen in Deutschland" gehört (http://www.wuerth.de/ [30.05.2008]). 188 Es wohl kein Zufall, dass der 'württembergische Schraubenkönig' (vgl. vorige Anmerkung), der von Schlierer als Prototyp des Mittelständlers vorgestellt wird, aus dem Bundesland kommt, in dem die REP kontinuierlich am erfolgreichsten waren. Kock (2006), die mit der Frage nach den Ursachen für diesen Erfolg zwei regionale Schwerpunkte innerhalb Baden-Württembergs untersucht hat, hebt unter anderem Folgendes hervor: Es handelt sich um Regionen mit einer vergleichsweise hohen industriellen Produktion und einem starken "Arbeitermilieu ohne die Tradition eines Industrieproletariats" (ebd.: 235), wobei "die REP in so gut wie allen sozialen Milieus Erfolge verbuchen konnten, [d.h.] dass also keineswegs hauptsächlich Arbeitslose oder Arbeiter" (ebd.: 212) entsprechend gewählt haben. Zu den

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Wobei die Sparsamkeit und Flexibilität der Lohnarbeitenden (steuer- und arbeitsmarkt-)politisch erzwungen werden soll, während der Wohlstand von Vermögenden nicht zu Debatte steht. Auch für die REP ist der mittelständische Unternehmer das ideale Wirtschaftssubjekt, das – im Gegensatz zu den 'Gewerkschaftsbonzen' – von der populistischen Positionierung gegen das 'Oben' ausgenommen ist. Er dient vielmehr als Vorbild für die individuelle Leistung, dessen Position es anzuerkennen und dem es nachzueifern gilt. Entsprechend gilt der MITTELSTAND als zentrales Organ der "gesunden Volkswirtschaft" (ebd.: 33)189 von der im Programm die Rede ist: "Nur ein gesunder Mittelstand garantiert die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft", er ist – im Übergang vom symbolischen Körper zum Fahrzeug – der "Motor unserer Volkswirtschaft" und diese "mittelständisch geprägte Wirtschaftsstruktur Deutschlands zeichnet sich durch hohe Leistungsbereitschaft und Anpassungsfähigkeit an Marktveränderungen" (ebd.: 28) aus. Demgemäß enthält das Parteiprogramm eine ganze Reihe von Vorschlägen zur "besondere[n] Förderung des Mittelstandes durch den Staat", beziehungsweise zur "Aufhebung mittelstandsfeindliche[r] Regelungen, insbesondere in der Steuergesetzgebung" (ebd.). Zu den Forderungen in diesem Zusammenhang zählen unter anderem, "keine Verlagerung von Gewinnen ins Ausland bei Geltendmachung von Verlusten im Inland", die "Aufhebung der EU-Richtlinien zur Kreditgewährung an mittelständische Unternehmen" und "keine Konkurrenz durch AB-Maßnahmen" des Staates (ebd.: 28f.). Diese Punkte – die auch das Sofortprogramm der NPD im gleichen Zusammenhang nennt (vgl. NPD 2004: 24-26) – sollen dem Mittelstand nicht zuletzt "Schutz vor den Konzentrationsbestrebungen der Großkonzerne" (ebd.) bieten. Der Übergang zwischen der Artikulation konkreter Interessen kleinerer Unternehmen (etwa in der Frage nach der Vergabe von Krediten) und der Symbolik des Mittelstandes, hinter der sich ein global operierendes Unternehmen mit tausenden Lohnabhängigen wie Würth verbergen kann (s.o.), ist fließend. Entsprechend steht der Kern der wirtschaftspolitischen Positionen der REP190 weder im Gegensatz zu den großen Unternehmen noch zu jenen in der symbolischen Mitte. 5.3.2.3 Nationaler Sozialstaat versus multikultureller Wohlfahrtsstaat Diesen wirtschaftspolitischen Kern verdeutlicht Schlierer in einem weiteren Beitrag in der Parteizeitung, in dem er die zentralen Elemente seines Leitartikels (globale Konkurrenz, politische Fehlentwicklungen, Gewerkschaftskritik, Appell zu Leistung und Verzicht mittels Bezug auf Moral und Nation) noch einmal in auffälligen politisch-kulturellen Merkmalen der Regionen gehört dabei, dass sie insgesamt von einer protestantischen Arbeitsethik (vgl. ebd. 220f.) und den "für das konservativ-kleinbürgerliche Milieu typischen Werten wie Sauberkeit, Fleiß und Ehrfurcht" (ebd.: 235) dominiert werden. 189 Hier im Zusammenhang mit einer 'eigenständigen, nationalen Landwirtschaft'. 190 Vgl. Ptak (1999: 125ff.); Schui u.a. (1996: 140ff.).

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verdichteter Form präsentiert und nunmehr mit dem Thema Einwanderung verknüpft. "Deutschland muß im globalen Wettbewerb bestehen, um seinen Sozialstaat, seinen Wohlstand und seine innere Stabilität erhalten zu können. Dafür müssen die Kräfte und Energien, die in unserem Land und unserer Nation vorhanden sind, aktiviert werden. Wir müssen uns wieder auf unsere Tugenden und Stärken besinnen und Fehlentwicklungen beenden. Deutschland kann daher weder eine multikulturelle Zuwanderungsgesellschaft noch eine selbstvergessene Wohlstandsinsel von Gewerkschafts Gnaden sein. Wir werden künftig wieder mehr Leistung fordern und darauf achten müssen, daß nur der Ansprüche erwirbt, der seinen Beitrag zur Solidargemeinschaft geleistet hat" (ZFP 9-10/2004: 4).

Die Wohlstandsinsel, mit ihren 'hohen Löhnen und Lohnzusatzkosten' (s.o.), die im Meer der globalen Konkurrenz nicht mehr zu halten sei – mit anderen Worten die Aussage der GLOBALEN MENGE – wird mit der 'multikulturellen Zuwanderungsgesellschaft' parallelisiert. Dies deutet an, wie die Abgrenzung von Migrant*innen die Anrufung einer nationalen 'Solidargemeinschaft' stützt, die gerade nicht auf dem Solidarprinzip beruhen soll, sondern darauf, dass 'Ansprüche durch Leistung erworben' werden. Konkret zeigt Schlierer dies, wenn er an gleicher Stelle die Position der Partei zu Hartz IV darlegt: "Das Prinzip Leistung und Gegenleistung muß wieder gelten. Hartz IV lehnen wir ab, weil es die Arbeitssuchenden, die lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, ebenso benachteiligt wie Arbeitslose, die in strukturschwachen Regionen keine Chance auf einen Arbeitsplatz haben. Wir müssen Zuwanderung stoppen und ggf. Rückführungsprogramme starten um den Arbeitsmarkt zu entlasten. [...] Wir sind nicht das Sozialamt Mitteleuropas" (ebd.).

Wie bei der NPD wird die Anwesenheit von AUSLÄNDERN als das zentrale Problem im Zusammenhang mit Fragen des Arbeitsmarktes und der Sozialversicherung präsentiert. Sie erscheinen als diejenigen, die 'den Arbeitsmarkt belasten' und 'uns (das Sozialamt Europas)' ausnutzen beziehungsweise 'Leistungen ohne Gegenleistung beziehen'. Dass sie per definitionem von der 'Solidargemeinschaft' ausgeschlossen werden und dass selbst das geforderte Prinzip von 'Leistung und Gegenleistung' für sie nicht gelten soll, zeigt das Parteiprogramm. Hier wird der Ausschluss aus der Solidargemeinschaft im Rahmen der SOZIALSTAATS-Aussage vollzogen. Denn der "Sozialstaat" wird an gleicher Stelle wie die Demokratie (s.o.) durch den Gegensatz "Nationalstaat"/"multikulturelle Gesellschaft" bestimmt. Die Nation sei die Voraussetzung "sich untereinander zu helfen und zu teilen", die es in einem "Sammelsurium von Menschen unterschiedlichster Herkunft" (REP 2002: 7) nicht geben könne. Dass Ausländer demgemäß auch keinen Anspruch auf Gleichbehandlung nach dem geforderten Leistungsprinzip haben sollen, zeigt dann der Abschnitt zu Arbeitslosengeld und Sozialhilfe, in dem die "zwingende

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Ausweisung von Ausländern die länger als ein Jahr" (REP 2002: 33) Leistungen beziehen, gefordert wird – unabhängig von der Zeit der Beitragszahlung. Die weiteren Vorschläge der Partei im Bereich der Sozialversicherung vollziehen dann den Übergang von der 'Solidargemeinschaft', die sich durch die Abgrenzung von AUSLÄNDERN konstituiert, zur inneren Kehrseite der "Leistungsgemeinschaft" (ebd.: 32). Hier wird kritisiert, dass "der Sozialstaat durch einen ausufernden Mißbrauch und eine sich verschlechternde Altersstruktur bedroht" (ebd.: 31) sei. Ausgehend von der Behauptung des Missbrauchs werden dann unter anderem solche Maßnahmen gefordert, die mit Hartz IV de facto eingeführt, beziehungsweise verstärkt wurden, nämlich "die Zumutbarkeitskriterien [...] zu verschärfen", das heißt die stärkere "Verpflichtung zur Arbeit" und die "regelmäßige Überprüfung der Bedürftigkeit" (ebd. 33). Der im Zusammenhang mit Hartz IV beklagten 'Benachteiligung langjähriger Beitragszahler' entspricht dabei der Vorschlag einer "Begrenzung der Ausgaben bei denjenigen, die keine entsprechenden Beiträge geleistet haben" (ebd.: 31), also der Leistungskürzung für andere Gruppen, die sich vermeintlich der 'Leistungsgemeinschaft' entziehen wollen. Hinsichtlich der 'Altersstruktur', also vor allem der Rentenversicherung, wird die "Ergänzung des Umlage- durch ein Kapitaldeckungsverfahren" und die "Beitragsstaffelung nach Kinderzahl" (ebd.: 32) vorgeschlagen. Wobei letzteres nebst anderen bevölkerungspolitisch motivierten Vorschlägen im Programm – vor allem im Teil zur Familie 191 – wiederum auf den Teil zum Thema 'Ausländer' verweist, in dem es heißt: "In einem der am dichtesten besiedelten Staaten der Welt und angesichts der großen Umweltprobleme wäre ein gewisser Rückgang der Bevölkerungsdichte ein Segen. Die Renten müssen auf andere Weise gesichert werden, vor allem durch Förderung der deutschen Familien" (ebd.: 15).

Hinter Schlierers "Antworten auf die sozialpolitischen Herausforderungen vor denen unser Land steht" (ZFP 9-10/2004: 7) verbergen sich in materieller Hinsicht die Verringerung von Löhnen und Sozialleistungen auf der einen Seite bei gleichzeitiger Steuersenkung für höhere Einkommen auf der anderen Seite, sowie eine marktförmige Reorganisation des Rentensystems. Präsentiert wird das ganze 191 So beginnt der Abschnitt zum Thema Familie mit dem Satz: "Kein Volk kann ohne Familien bestehen" und fordert in erster Linie die "Anerkennung der Arbeit in der Familie, insbesondere der Mütter, als vollwertiger Beruf", samt einer "angemessene[n] Entlohnung der Mutter" (REP 2002: 19). Trotz einer Vielzahl weiterer Übereinstimmungen mit der NPD (siehe Kapitel 3.2.5) – etwa in der Ablehnung von Homosexualität, der Erschwerung von Ehescheidungen und einem weitgehenden Abtreibungsverbot (vgl. ebd. 19f.) – zeigt sich die Reformpartei an dieser Stelle aber wiederum als etwas pragmatischer, wenn zugleich "– vor allem für Frauen – die Möglichkeit, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren" (ebd.: 20) gefördert werden soll, was im Wirtschaftsteil (Abschnitt Mittelstand) noch einmal als "bessere Ausschöpfung des Fachkräftepotentials von Frauen durch mehr Kindertagesstätten" (vgl. ebd.: 29) aufgegriffen wird.

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unter dem Motto "Solidarisches Handeln muß wieder eine tragfähige Begründung erhalten, indem wir den nationalen Bezug deutlich machen". Das Schlagwort "nationale Solidarität", unter dem dieses Programm paradoxer Weise als "Verteidigung des Sozialstaates" (ebd.) dargestellt wird, bezeichnet nichts anderes als die Abgrenzung der genealogisch definierten Nation von Migranten, eine imaginäre Homogenisierung nach innen durch Abgrenzung nach außen. Mit anderen Worten wird im Rahmen der SOZIALSTAAT-Aussage der Abbau von Sozialleistungen gefordert. Wie bei der NPD erscheinen AUSLÄNDER dabei per se als das Problem, entweder als Belastung des Arbeitsmarktes oder der Sozialversicherung. Zudem gelten sie in der Rentenfrage (die als Problem der Demographie und nicht der Verteilung des gesellschaftlichen Produktes gestellt wird) als Faktor der Bevölkerungsdichte, auf deren Steigerung zugleich der bevölkerungspolitische Imperativ hinausläuft, der mit der Sicherung der Renten (mit)begründet wird. Wenngleich in der Dominanz des bionationalistischen Paradigmas und dem darin jeweils eingebetteten Changieren zwischen der 'Verteidigung des SOZIALSTAATES' und der 'Ablehnung des WOHLFAHRTSSTAATES' (vgl. Kapitel 5.1.4.4) eine weitere Übereinstimmung zwischen NPD und REP liegt, sind dabei doch zugleich deutlich andere Akzentuierungen zu erkennen. Analog zu den Unterschieden in der ideologischen Positionierung (bürgerlich-rechts / nationalsozialistisch und so weiter) und den jeweils herausgestellten politischen Forderungen (unter anderem: Überprüfung der Bedürftigkeit und Steuersenkung bei den REP gegenüber Recht auf Arbeit und Luxussteuer bei der NPD) liegt der Schwerpunkt bei den REP deutlich auf der Kritik des WOHLFAHRTSSTAATES unter dem Stichwort 'Missbrauch des Sozialstaates'. Entsprechend werden auch die Elemente der, eng mit der Imagination eines gesunden Wirtschaftskörpers verbundenen, Formel 'Interessen – Volk – Staat' (vgl. Kapitel 3.2.4), unterschiedlich gewichtet. Während die NPD den Wirtschaftsteil ihres Programms unter das Motto 'Die Wirtschaft muss dem Volke dienen' stellt und die 'Führung der Volkswirtschaft durch den Staat' (vgl. Kapitel 5.1.4.2) betont, geht der entsprechende Teil des REP-Programms von der "Marktwirtschaft mit ihren Regeln von Angebot und Nachfrage, dem freien Wettbewerb und der unternehmerischen Freiheit" als Grundlage für "allgemeinen Wohlstand" aus und formuliert unter umgekehrten Vorzeichen: "Die Politik muß also die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft so setzen, daß die Unternehmen so frei wie möglich agieren können. Sie muß jedoch auch einschränkend wirken, wenn die Interessen des Staates und des Volkes es erfordern" (REP 2002: 26). Dem Imperativ des freien Agierens der Unternehmen entspricht dabei unter anderem die Forderung nach Privatisierung von Staatsbetrieben, die an gleicher Stelle als "Verhinderung von Monopolen, insbesondere auch staatlichen Monopolen in

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Bereichen, die von der Privatwirtschaft wahrgenommen werden können" (ebd. 27) formuliert wird. Dass zugleich eine "Bestandsgarantie für die öffentliche Daseinsfürsorge in Deutschland (ÖPNV, Abfallentsorgung, Sparkassen u.a.)" (ebd.: 10) gefordert wird, steht insofern nicht im Widerspruch dazu, als dies – wiederum wie bei der NPD – im Zusammenhang mit dem 'Europa der Vaterländer' als Kritik an EU-Richtlinien formuliert ist. 5.3.2.4 Globalisierung I: Nationalistische Kritik Zumindest auf den ersten Blick setzen sich diese unterschiedlichen Akzentuierungen auch in den Positionierungen in der Globalisierungsdebatte fort. Aus den Hinweisen auf die Globalisierung, die Schlierer punktuell in seine Argumentation bezüglich der Konflikte um Opel und Hartz IV einbaut und den diesbezüglichen Aussagen des Parteiprogramms (s.o.) geht deutlich die SACHZWANG-POSITION des mediopolitischen Diskurses hervor. Der globale WETTBEWERB erlaube keine Wohlstandsinsel, sondern erfordere Flexibilität für die Unternehmen, sowie die Senkung von Löhnen und Sozialabgaben beziehungsweise -leistungen. In Analogie zu dem, was als Tugenden mittelständiger Unternehmer vorgestellt wird, nämlich 'Selbstbewusstsein und Anpassungsfähigkeit an Marktbedingungen', zwinge Globalisierung zur 'Selbstbehauptung, als nationalbewusste, anpassungsfähige Leistungsgemeinschaft'. Dies steht allerdings in deutlichem Kontrast zu dem Abschnitt des Parteiprogramms, der sich explizit mit dem Thema Globalisierung befasst: "Die gegenwärtige Globalisierung kennt [...] nur das Recht des Stärkeren. In einer schrankenlosen Konkurrenz setzt sich wirtschaftliche Macht gegen die berechtigten Interessen der Menschen durch. Der durch den Sozialstaat gezähmte Kapitalismus kann wieder sein häßliches Gesicht zeigen. Der weltweite Wettbewerb ohne staatliche Beaufsichtigung des Handels und der Kapitalflüsse wird ausgenutzt, um die Arbeitnehmer gegeneinander auszuspielen, die Löhne zu drücken, Sozialleistungen abzubauen und den Umweltschutz beiseite zu schieben. [...] Wir fordern die Verteidigung des Sozialstaates und die Durchsetzung einer gerechten Weltwirtschaftsordnung" (REP 2002: 9)

Hier sind unter anderem der globale WETTBEWERB durch die schrankenlose Konkurrenz und die Forderung nach Anpassung durch die Kritik am Recht des Stärkeren ersetzt. Entsprechend ist insgesamt deutlich ein Antagonismus mit den typischen Elementen der KRITIK-POSITION aus der Mediendebatte erkennbar: {Globalisierung, hässliches Gesicht des Kapitalismus, wirtschaftliche Macht, schrankenlose Konkurrenz, Recht des Stärkeren} / {Verteidigung des Sozialstaates, Zähmung des Kapitalismus, Interessen der Menschen, Beaufsichtigung der Kapitalflüsse, gerechte Weltwirtschaftsordnung}.

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Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass die Rede vom Recht des Stärkeren und der 'wirtschaftlichen Macht' vor allem auf die USA bezogen ist. So lauten die Stellen, die im Zitat oben ausgelassen sind: "Wir befürworten das friedliche Miteinander der Völker durch Handel und Kultur unter der Voraussetzung von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Die gegenwärtige Globalisierung kennt weder Gleichberechtigung noch Selbstbestimmung, sondern nur das Recht des Stärkeren. [...] Dabei bedeutet Globalisierung weitgehend Amerikanisierung, da die USA über die größte wirtschaftliche Macht verfügen" (ebd.).

Dazu kommt die Forderung nach "Schutz der kulturellen Vielfalt vor globaler Einfalt unter besonderer Berücksichtigung der Förderung deutscher Kultur" (ebd.) im gleichen Abschnitt, so dass der 'Gleichberechtigung in Handel und Kultur' nicht nur die 'wirtschaftliche Macht der USA', sondern auch die 'globale kulturelle Einfalt' gegenübersteht. Damit ist die Aussage der AMERIKANISIERUNG komplett und überlagert den 'globalisierungskritischen' Antagonismus: {Globalisierung: Amerikanisierung, wirtschaftliche Macht der USA, globale kulturelle Einfalt} / {Selbstbestimmung der Völker, kulturelle Vielfalt, deutsche Kultur}. So geht die kritische Positionierung gegenüber 'der Globalisierung' fließend vom Bezug auf die 'Interessen der Menschen, die Verteidigung des Sozialstaates und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung' über in die nationalistische Kritik. Der zentrale Gegensatz lautet dann Völker / Amerikanisierung, die Kritik an der 'wirtschaftlichen Macht und dem Recht des Stärkeren' wird zur Kritik an der Macht eines nationalstaatlichen Konkurrenten, verbunden mit der Forderung nach 'kultureller Vielfalt', die in diesem Kontext das alte kulturpessimistische Motiv der Verteidigung der 'deutschen Kultur' gegenüber der 'amerikanischen Massenkultur' fortschreibt. Dennoch bleibt die Spannung zwischen diesem Abschnitt zum Thema Globalisierung, welcher dem hässlichen Gesicht des Kapitalismus die sozialstaatliche Zähmung entgegenstellt und dabei explizit 'Sozialabbau und den Druck auf die Löhne' beklagt auf der einen Seite und Schlierers Position sowie den entsprechenden Teilen des Programms auf der anderen Seite. Dieses Spannungsfeld prägt die Auseinandersetzung innerhalb der REP seit Beginn der Mediendebatte um Globalisierung. Ein wichtiger Vertreter der KRITIK-POSITION ist Manfred Ritter192, der Anfang 1997 eine Besprechung der 'Globalisierungsfalle' für die Parteizeitung schrieb, die damals noch unter dem Titel DER REPUBLIKANER (D-REP) 192 Im Jahr 2000 hat Manfred Ritter zusammen mit Klaus Zeitler, das Buch "Armut durch Globalisierung – Wohlstand durch Regionalisierung veröffentlicht" (Ritter/Zeitler 2000), das sich mit Ritters Beiträgen in den Publikationen der Partei (und anderen Periodika der nationalistische Rechten) deckt.

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erschien. Passend zum Tenor des Buches zeigt das Bild zum Beitrag einen Bettler vor einer Bankfiliale mit der Unterschrift "Globalisierungsgewinner: die Banken" (D-REP 3/1997: 8) und Ritter bespricht es positiv. Dabei greift er vor allem einzelne Themen und Symboliken heraus, um sie – analog zum Einbau der AMERIKANISIERUNG in das REP-Programm – mit zentralen Aussagen des nationalistischen Diskurses zu verbinden, unter anderem mit den Aussagen ONE WORLD, EUROPA und DETERRITORIALISIERUNG. Das Buch "skizziere[] die Auswirkungen der 'One World'-Ideologie" deren Ergebnis "ein knallharter 'Frühkapitalismus'" (ebd.) sei. Dabei übernimmt Ritter die Präsentation des NEOLIBERALISMUS in Bildern des militärischen Angriffs und des religiösen Dogmatismus: "Die geistige Ursache dieser Fehlentwicklung wird von den Autoren im totalen Sieg des Wirtschaftsliberalismus gesehen. Die Ökonomen der westlichen Industriestaaten predigen – unter Unterstützung von Großbanken und -konzernen – diesen Liberalismus als allgemeingültige Heilslehre, der sich alle Staaten und Völker zu unterwerfen haben. Alle anderen Auffassungen werden als 'reaktionär', 'sozialistisch' oder 'nicht marktkonform' denunziert" (ebd.).

Indem er behauptet, die Kritik der militanten Heilslehre werde an erster Stelle als 'reaktionär' denunziert, zeigt Ritter bereits die nationalistische Position an, die er selbst und im Unterschied zu Martin/Schuhmann dagegen einnimmt. Tatsächlich ist der von Ritter im Zitat aufgemachte Gegensatz zwischen 'Wirtschaftsliberalismus' auf der einen Seite sowie 'Staaten und Völkern' auf der anderen Seite, auch bei Martin/Schuhmann an vielen Stellen vorhanden. Aber er ist erstens nicht der zentrale Punkt und wird zweitens mit einer expliziten Warnung vor "nationalautoritäre[n] Populist[en]" (GF: 21, vgl. 225ff.) verknüpft. Die zentrale Verschiebung, die Ritter bei seiner Rezeption des Buches vornimmt, lässt sich daran verdeutlichen wie er, gleich zu Beginn des Artikels, eine Figur daraus aufgreift, nämlich den 'Seitenwechsel des Internationalismus'. Nach Martin/Schumann "verändert sich das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit von Grund auf. Der Internationalismus – einst eine Propagandawaffe der Arbeiterbewegung gegen kriegslüsterne Regierungen und Kapitalisten, arbeitet nun für die andere Seite. Die beinahe ausschließlich national organisierten Arbeitnehmer stehen einer Internationale der Konzerne gegenüber, die mit dem Trumpf der Auslagerung jenseits der Grenzen jede Forderung aussticht" (GF: 158).

Bei Ritter heißt es dagegen: "Von einem Sieg der Internationale der Arbeiterbewegung haben die Sozialisten in aller Welt geträumt und bekämpften deshalb – nicht zuletzt in Deutschland – alles Nationale. Jetzt hat tatsächlich die Internationale gesiegt, allerdings nicht die der Arbeiter sondern die des Großkapitals. Auf ihrer Siegesfahne steht das Zauberwort 'Globalisierung', und ihr Ziel ist die Gewinnmaximierung ohne Rücksicht auf nationale und soziale Bindungen" (D-REP 3/1997: 8).

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Während der Antagonismus bei Martin/Schumann {Arbeit, Arbeiterbewegung, (national organisierte) Arbeitnehmer} / {Kapital, Kapitalisten, (Internationale der) Konzerne} zwischen Arbeit und Kapital verläuft, wobei der Internationalismus eher als rhetorische Figur gebraucht wird, verschiebt er sich bei Ritter {Internationale: (Großkapital, Globalisierung) / (Arbeiterbewegung, Sozialismus)} / {das Nationale, nationale Bindungen} auf den Gegensatz zwischen 'dem Nationalen' und 'der Internationale', der Arbeit und Kapital untergeordnet sind. Nach dieser entscheidenden Akzentverschiebung fährt Ritter mit Formulierungen fort, die wieder nahtlos an Martin/Schumann anknüpfen, so an das Symbol der Trumpfkarte im Zusammenhang mit Produktionsverlagerung im Zitat oben. Dabei wird die nationale Perspektive zunächst kaum merklich im Bezug auf die 'Hochlohnländer' weitergeführt, der im Zentrum von Ritters Überlegungen steht (s.u.): "Die Trumpfkarte billigster Produktionsstandorte, mit Niedriglöhnen und Verzicht auf soziale Absicherung und Umweltschutz spielen die internationalen Konzerne inzwischen gegen die Hochlohnländer gnadenlos aus. Wenn sich Regierungen und Gewerkschaften ihrem Diktat starker Lohnsenkungen und massiven Abbaus sonstiger, die Gewinne schmälernder Belastungen wie Steuern und Sozialabgaben nicht beugen, ziehen sie die Produktion ab" (ebd.).

Genau das also, was Schlierer in der Debatte um Opel und Hartz IV fordert – die Senkung von Löhnen, Steuern und Sozialabgaben – kritisiert Ritter unter dem Eindruck des Buches und bemängelt damit unter umgekehrten Vorzeichen, dass "der Staat aufgrund der Schwäche unserer etablierten Politiker nicht [...] eingreift" (ebd.). Ritter geht vom Szenario der drastischen VERWERFUNGEN bei Martin/Schumann aus. Er prognostiziert, dass "nicht nur die Einkommen der unteren Schichten immer weiter sinken sondern auch die des Mittelstandes" und dass sich eine Verteilung nach dem Muster "20 Prozent [...] sichere Arbeitsplätze [...] 80 Prozent [...] Gelegenheitsjobs" (ebd.) abzeichne und kommt zu dem Schluss: "Eine solche Lage kann für nationale Parteien in Europa zum 'Weckruf' werden. Ihre Aufgabe sollten darin bestehen, ein großräumiges wirtschaftliches Regionalisierungskonzept vorlegen, bei dem ein 'Europa der Vaterländer' die Interessen der beteiligten Bürger wahrnimmt" (ebd., Fehler i.O.).

Was darunter zu verstehen ist, hat Ritter bereits einige Monate zuvor in einem Beitrag zum damaligen Schwerpunktthema 'Globalisierung' in der Parteizeitung dargelegt. Auch dort heißt es, der "Idee der Globalisierung müssen wir die Idee der Regionalisierung der Wirtschaft entgegensetzen", wohinter konkret "die

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Forderung nach Schutzzöllen (für die EU und andere Hochlohnländer) zur Sicherung der Chancengleichheit unserer Produzenten und unserer Arbeitskräfte" (DREP 11/1996: 7) steht. Ritters Konzept für die 'nationalen Parteien in Europa' besteht in der Erhebung von Zöllen an den europäischen Außengrenzen um Importe soweit zu verteuern, dass die Produktion vor Ort rentabel bleibt und damit "vor allem unsere mittelständischen Zulieferbetriebe der großen Konzerne mit samt ihren Arbeitskräften überleben". Dabei soll den "Produzenten, die billige Zubehörteile importieren, [...] bei Export ihrer Waren auf den Weltmarkt der anteilige Zoll für die eingebauten Zubehörteile zurückerstattet werden", damit sie keine "Konkurrenznachteile" (ebd.) haben. Wie Martin/Schumann sieht auch Ritter die EU als entscheidende Ebene an, auf der auf die Globalisierung reagiert werden müsse. Das ist allerdings die einzige Gemeinsamkeit. Erstere fordern unter anderem die Demokratisierung der EU, eine gemeinsame Steuerpolitik sowie die Einführung weltweiter sozialer Mindeststandards auf WTO bzw. UN-Ebene (vgl. GF: 331ff.) und lehnen Protektionismus aus verschiedenen Gründen explizit ab (vgl. GF: 207ff.). Ritter fordert dagegen ausschließlich einen gemeinsamen Protektionismus im Rahmen des 'Europa der Vaterländer' – also mit anderen Worten einen GESCHLOSSENEN HANDELSSTAAT EUROPA. Sein Ausgangspunkt ist dabei die Angst vor einem "Zusammenbruch unseres Wirtschafts- und Wohlstandssystems", beziehungsweise davor, "daß die europäischen Industriestaaten sich nicht mehr selbst versorgen können, weil die eigene Produktion aufgrund asiatischer Billigkonkurrenz zum Erliegen kommt" (D-REP 11/1996: 7). Dieses Szenario präsentiert Ritter in Form einer Erzählung, in deren Zentrum das mit allerlei weiteren Symbolen verknüpfte Bild der Revolution steht. So wird die Überschrift "Droht eine Weltwirtschaftsrevolution?" wie folgt ausgeführt: "Ein Milliardenheer von Billiglohnarbeitern steht in Asien und Osteuropa bereit [...]. Wir stehen heute am Beginn einer Weltwirtschafts-Revolution, an deren Ende die Europäer als die großen Verlierer dastehen dürften. [...] Sie wird am Ende zu einer totalen Verlagerung wirtschaftlicher und politischer Macht von den westlichen Staaten nach Asien führen" (ebd.).

Hier zeigt sich erneut die Aussage einer Bedrohung der dominierenden Industriestaaten (und ihrer 'weißen' Bevölkerung) durch die GLOBALE MENGE. Diese wird zum einen als wirkliche Masse in Form eines feindlichen Heeres imaginiert. Zum anderen lässt sie einen potenziellen Rückfall im politisch-ökonomischen Ranking der nationalstaatlichen Konkurrenz befürchten, das heißt den ABSTIEG in die unteren Normalitätsklassen193. Zudem sieht Ritter eine soziale Revolution drohen, 193 Dieses Motiv bestimmt auch das Buch von Ritter/Zeitler (siehe vorige Anmerkung), wie die folgende Montage von Zitaten aus dem ersten Kapitel zeigt: Das "kommende 21. Jahrhundert wird das Jahrhundert Asiens werden. […] Die Vormachtstellung der sogenannten weißen Völker geht unaufhaltsam ihrem Ende entgegen […] Wir befinden uns – wie andere hochentwickelte Industriestaaten –

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und zwar aufgrund einer Destabilisierung der Nationalstaaten durch die transnationalen ökonomischen Prozesse, die er im einschlägigen symbolischen Gegensatz der RETERRITORIALISIERUNG codiert: "Die bisherige Sesshaftigkeit der Betriebe und ihre Bindung an bestimmte Nationen geht [...] verloren. Sie wird von einem Nomadendasein der Betriebe abgelöst werden, die ihre Zelte abbrechen, sobald sie in anderen Staaten bessere Standortbedingungen vorfinden. [Dies werde] zur Destabilisierung unserer Gesellschaftsordnungen führen [...] und dem Marxismus weltweit große Gefolgschaft zutreiben" (ebd.).

Hier wird noch einmal die Verschiebung deutlich, die Ritter im Vergleich zur Position Schumann/Martin vornimmt (aber in seiner Rezension nicht erwähnt). In ihrem Kapitel, das explizit die Ablehnung von "Abwehrzöllen" begründet, schreiben sie unter anderem folgendes zu den Arbeiterheeren, die Ritter als Truppen der Weltwirtschafts- und Vorboten einer sozialen Revolution beschreibt: "Wo immer Ökonomen [...] darauf hinweisen, daß die Wohlstandsbürger sich künftig zu beschränken haben, weil überall neue billige Arbeiterheere auf den Markt drängen, verschweigen sie, daß die Gesamtleistung der reichen Länder ja nach wie vor wächst. Ebenso und sogar noch schneller legt die durchschnittliche Rendite auf das eingesetzte Kapital zu. So sind es keineswegs die armen Länder, die den Reichen den Wohlstand wegnehmen. Andersherum ist es richtig: Es sind die Privilegierten in Nord und Süd [...], denen die Globalisierung der Ökonomie auf Kosten der übrigen Bevölkerung einen immer größeren Teil des weltweit erwirtschafteten – und wachsenden – Wohlstands einbringt. [...] So verstanden geht es bei den Konflikten, die mit dem wirtschaftlichen Zusammenwachsen der Welt einhergehen, [...] um den Verteilungskampf, der so alt ist wie der Kapitalismus selbst" (GF: 211f., Hervorhebung HO).

Ritters Beiträge zeigen exemplarisch, wie sich die Debatte, die durch das Buch ausgelöst wurde, in die nationalistische Perspektive (die Destabilisierung des Sesshaften durch das Nomadische, des Nationalen durch das Internationale und so weiter) übersetzt. Dabei ändert sich auch der Bezugspunkt der Symboliken der Bedrohung und der sozialen Denormalisierung. Bei Martin/Schumann sind sie immer wieder auf (transnationale) soziale Konflikte bezogen. Bei Ritter illusderzeit noch auf Wohlstandsinseln dieser Erde […] Die ungeheuren Bevölkerungsmassen Asiens sorgen für unbegrenzte billige Heere von Arbeitern […]. Dabei liegt es auf der Hand, daß es auf Dauer nicht funktionieren kann, Länder mit hohem Lohnniveau durch Zollfreiheit mit Ländern niedrigsten Lohnniveaus zu 'vereinen'. […] Wer das EU-Experiment auf die ganze Welt ausdehnen will vergißt die vorstehend erwähnten Bevölkerungs-Mehrheits-Verhältnisse, die unsere Hochlohnländer zu Inseln in einem Meer von Billiglohnländern (mit unbegrenztem Arbeitskräfteangebot) werden lassen. […] Die […] wesentlichen Probleme der Globalisierung […] zeigen, dass die Globalisierung der Wirtschaft kein isoliertes Phänomen ist, sondern ein zeitlich begrenztes 'Zwischenspiel' des großen eingangs beschriebenen historischen Prozesses der Machtverlagerung nach Asien" (Ritter/Zeitler 2000: 8, 10, 12, 16, 17f.). Eine genauere Analyse könnte zeigen, dass auch weitere zentrale Aussagen des nationalistischen Diskurses im Buch reproduziert werden. Dies würde der Analyse von Ritters Texten in den REPOrganen jedoch nichts Wesentliches hinzufügen.

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

trieren sie ein Projekt der Verteidigung 'unseres Wohlstandssystems', das heißt dem der 'europäischen Hochlohnländer' gegen die 'asiatische Billigkonkurrenz'. Symptomatisch ist auch die Gegenüberstellung Volkswirtschaft / Weltwirtschaft, die in der Überschrift "Globalisierung und deutsche Volkswirtschaft" (D-REP 11/1996: 1) anklingt, mit der das Schwerpunktthema auf der ersten Seite der Parteizeitung angekündigt wird. 5.3.2.5 Globalisierung II: Nationale Selbstbehauptung im Wettbewerb Ebenso symptomatisch ist die Ankündigung der Fortsetzung des Schwerpunkthemas 'Globalisierung' an der gleichen Stelle der nächsten Ausgabe der Parteizeitung: "Deutschland muß sich selbst behaupten" (D-REP 12/1996: 1). Denn sie weist auf die interne Gegenposition zu Ritter hin, die Alexander Griesbach in dem entsprechenden Beitrag einnimmt194. Griesbach beklagt, "dass zunehmend derjenige der Populäre in unserem Land ist, der [...] sich die Formel vom 'Schutz der sozial Schwachen' zu eigen machen kann" und kritisiert insbesondere "den Schulterschluß von linksliberalen und konservativen Stimmen in dieser Frage, die den Weltmarkt zum natürlichen Feind der national und sozialstaatlich verfassten Demokratie erkoren haben" (ebd.: 7).

Gemeint ist offensichtlich Ritter, auf dessen Beitrag der Artikel explizit reagiert. "Letztendlich laufen die Vorstellungen Ritters auf einen harten Protektionismus hinaus" (ebd.), konstatiert Griesbach und nimmt die gängige Gegenposition gemäß der medialen FREIHANDEL-Aussage ein. So werden die Interessen der "Konsumenten" sowie der "deutschen und europäischen Produzenten, die Erzeugnisse aus den sogenannten 'Billiglohnländern' weiterverarbeiten" gegen "Importprotektion" vorgebracht und unter Verweis auf "Ricardo und Mill" wird gefordert, dass "keine neuen Hürden" aufgebaut, sondern "'die Verwertungsmöglichkeiten' des Kapitals (seine Anlage-, Niederlassungsvorschriften und Renditen) 'so weitgehend wie möglich weltweit' vereinheitlicht" (ebd. 195) werden. Demnach heiße "national wieder steuernd tätig zu werden [...] über Zinssenkung und Erhöhung der Renditen eine Umkehrung des Kapitalflusses einzuleiten". (ebd.). Vor diesem Hintergrund geht Griesbach mit dem Symbol der Abschottung zu seiner zentralen Aussage über, die mit der Ankündigung auf der ersten Seite und der 194 Nebenbei sei bemerkt, dass auf der gleichen Seite ein Artikel zum Thema 'Umerziehung' abgedruckt ist, also eine weitere Selbstbehauptungserzählung mit dem Fokus auf die nationale GESCHICHTE. 195 Zitat im Zitat: Wilhelm Hankel in der WELT. Der 2014 verstorbene und einst in verschiedenen hochrangigen Verwaltungspositionen tätige Ökonomieprofessor taucht immer wieder als Referenz, Autor und Interviewpartner im Materialkorpus auf. Er ist vor allem als Kritiker des Euro präsent, ohne die Globalisierungsdebatte darüber hinaus entscheidend zu beeinflussen. Zu Hankels Einbindung in das Feld der nationalistischen Organisationen seit den 1990er-Jahren und seine Rolle in der Frühphase der AFD vgl. Oppenhäuser (2013).

5.3 Die 'nationalen Parteien'

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Überschrift – "Die Globalisierung – eine Herausforderung an den deutschen Selbstbehauptungswillen" (ebd.) – zum Ausdruck gebracht wird: "Wo kein Wettbewerb herrscht und wo Märkte vor unliebsamer Konkurrenz abgeschottet werden, gibt es Sklerose" (ebd.). Mit diesem Symbol des kranken Volkswirtschaftskörpers ist Griesbach bei dem für ihn "zentralen Punkt[] der 'Globalisierungs'-Diskussion angelangt: dem deutschen Sozialsystem". Hier habe die bekannte Therapie der "tiefen Einschnitte" anzusetzen, weil "sich das deutsche Sozialsystem wie auch das Lohnsystem im internationalen Wettbewerb behaupten" (ebd.) müssten. Die zentrale Erzählung Griesbachs ist also die der GELÄHMTEN GESELLSCHAFT und damit ein typisches Element der massenmedialen Debatte, das die SACHZWANGPOSITION kennzeichnet, die hier allerdings eine besondere Wendung nimmt. Denn wie bei Carl Schmitt (vgl. Kapitel 3.2.4.6) wirft die Symbolisierung des WOHLFAHRTSSTAATES als Krankheit des Wirtschaftskörpers (Sklerose), die tiefe Einschnitte erfordert196 , die Frage nach der Staatsform auf: "Letztendlich stellt sich damit auch und gerade die Frage nach der Reformfähigkeit moderner Demokratien" (ebd.). Damit wird die moderne DEMOKRATIE vor dem Hintergrund eines Szenarios globaler nationalstaatlicher Konkurrenz infrage gestellt. Dieses dramatische Gesamtszenario (Appell an einen nationalen Selbstbehauptungswillen in der internationalen Konkurrenz, um das Zurücksinken in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern) fasst Griesbach am Ende seines Artikel noch einmal zusammen und verbindet es mit seiner Version der Falle (Pictura: ausweglose Klemme, Subscriptio: Sozialstaat): "Durch die Globalisierung ist in erster Linie der überkommene deutsche Sozialstaat in eine ausweglose Klemme geraten. [...] In diesem Sinne ist die 'Globalisierung' [...] in erster Linie eine Herausforderung an die Innovationsfähigkeit Deutschlands. Besteht Deutschland diese Herausforderung an seinen Selbstbehauptungswillen nicht, wird es in die Bedeutungslosigkeit zurücksinken. Nicht mehr und nicht weniger steht auf dem Spiel" (ebd.).

Wie Schlierers spätere Argumentation in der Parteizeitung zeigt (s.o.), hat sich Griesbachs Position – tiefe Einschnitte in den Wohlfahrtsstaat zwecks nationaler Selbstbehauptung in der globalen Konkurrenz – durchgesetzt, wobei sie als rhetorische 'Verteidigung des SOZIALSTAATES' präsentiert wird, die synonym mit der 'Verteidigung des homogenen Nationalstaates gegen AUSLÄNDER' ist. Das Anprangern von Sozialabbau und sinkenden Löhnen, das von den Vertretern der KRITIK-POSITION wie Ritter vorgetragen wird, hat keine Entsprechung. Ganz im Gegenteil wird, ausgehend von der SACHZWANG-POSITION, die Senkung von Löhnen und Sozialabgaben gefordert. Dagegen konnte sich die Freihandelsposition in 196 Bei Griesbach ist die Sklerose katachretisch mit Stagnation, Rückstand und Hemmschuh im Wettbewerb verbunden und die tiefen Einschnitte werden symbolisch mit Sanierungsmaßnahmen und dem Abbau sozialer Leistungen verknüpft.

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5 Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten

der Debatte nicht gegen die des GESCHLOSSENEN HANDELSSTAATES durchsetzen. Denn im Globalisierungsabschnitt des Parteiprogramms findet sich Ritters Forderung nach "Schutzzölle[n] gegen unlautere Konkurrenz" (REP 2002: 9). Das 'europäische Regionalisierungsmodell' Ritters ist dabei allerdings nicht zu erkennen, weil unklar bleibt, auf welche Grenze sich diese Forderung bezieht – im Zweifel vermutlich die nationalstaatliche. In jedem Fall lässt aber die Berufung auf die 'unlautere Konkurrenz' deutlich erkennen, dass es um das Projekt der 'Verteidigung der Hochlohnländer gegen die Billiglohnländer' geht. Dieses verbirgt sich auch hinter der direkt zuvor erhobenen Forderung: "[K]eine freie Einfuhr von Waren, die in anderen Ländern durch Ausbeutung der Menschen und der Natur produziert werden" (ebd.). Hier wird deutlich, dass die Positionen KRITIK und SACHZWANG, die sich innerhalb der Debatte der REP reproduzieren, insoweit völlig übereinstimmen, als es ihnen jeweils um die Stellung Deutschlands in der nationalstaatlichen Konkurrenz geht. Das Eintreten für eine 'gerechte Weltwirtschaftsordnung' (s.o.) bedeutet Kritik am 'Recht des Stärkeren', sofern es sich um die USA handelt und Schutz vor 'unlauterer Konkurrenz', sofern es sich um 'Billiglohnländer' handelt. Ebenso wird die Forderung nach "Kontrolle der Kapitalflüsse mit dem Ziel, es hauptsächlich dort einzusetzen, wo es erarbeitet wurde" direkt gefolgt von den Forderungen nach dem "Schutz deutscher Unternehmen vor feindlichen Übernahmen aus dem Ausland", nach der "Sicherung einer eigenen Energie- und Rohstoffversorgung" und der "Unabhängigkeit bei Schlüsseltechnologien" (ebd.). Letztendlich konvergiert also der Abschnitt des Parteiprogramms zum Thema Globalisierung mit dem was im Abschnitt zur Wirtschaftspolitik, genauer gesagt zum Mittelstand, gefordert wird, nämlich die "wirksame Vertretung der deutschen Interessen auf internationaler Ebene (EU, G8, WTO)" (ebd.: 27). 5.4 Zwischenresümee: Der Diskurs und seine Fraktionierungen Die Fraktionierungen, die sich aus der Analyse der Parteitagsrede ergeben haben (vgl. Kapitel 3.1.3) bestätigen sich aus der Sicht der jeweiligen Akteure. Sie alle reproduzieren die wesentlichen Aussagen des nationalistischen Diskurses (vgl. Kapitel 3.3) und zugleich seine internen Konfliktlinien. Eine Fraktion vertritt eine Strategie der nationalistischen Fundamentalopposition. Zum Untersuchungszeitpunkt besteht sie organisatorisch im Wesentlichen aus der NPD, den Freien Kameradschaften und der subkulturellen RechtsRock-Szene. Diese kooperieren einerseits miteinander, tragen dabei zugleich aber Konflikte entlang ihrer unterschiedlichen Organisationsformen (Partei, Bewegung und Subkultur) aus. Die Differenzen werden zum Teil mittels unterschiedlicher ideologischer Positionierungen (nationalrevolutionär, nationalsozialistisch etc.) markiert, meist unter Rückgriff auf entsprechende Fraktionierungen des Diskurses in den 1920er- und 1930er-Jahren. Generell steht die Fundamentalopposition im Bann dieser

5.4 Zwischenresümee: Der Diskurs und seine Fraktionierungen

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historischen Phase. Sie reagiert auf die Globalisierungsdebatte und aktuelle soziale Konflikte mit der Reproduktion von Texten, Schlagworten und Symboliken aus dem Nationalsozialismus oder dem Bereich der damaligen 'Nationalrevolutionäre'. Im Effekt tritt sie damit in Konkurrenz zu linken Organisationen und bietet scheinbar-rebellische aber zugleich disziplinierende Anrufungen, ohne dass tatsächlich ideologische Innovationen erkennbar wären (vgl. Kapitel 5.2). Gegen die fundamentaloppositionelle Fraktion steht eine reformistische Strategie, die im Untersuchungszeitraum hauptsächlich von den REP vertreten wird. Sie präsentiert sich als seriöse, konstitutionelle Alternative, wenngleich auch sie auf einen autoritären Umbau der DEMOKRATIE in der Tradition von Carl Schmitt zielt. Mit dieser zentralen Konfliktlinie sind unterschiedliche politisch-ökonomische Positionen verbunden. So profilieren sich die REP als 'bürgerliche Rechtspartei' gegenüber den fundamentaloppositionellen 'nationalen Sozialisten' (vgl. Kapitel 5.3). Dementsprechend sind auch die Aussagen zum Thema Globalisierung ähnlich wie im mediopolitischen Diskurs in eine SACHZWANG- und eine KRITIKPOSITION gespalten, wobei die zentralen Aussagen der nationalistischen Globalisierungskritik (vgl. Kapitel 5.1.5) die Debatte dominieren. So schwankt der Diskurs zwischen der Kritik des WOHLFAHRTSSTAATES, der zugunsten der nationalen Selbstbehauptung in der globalen Konkurrenz abgebaut werden müsse und einer völkischen Verteidigung des SOZIALSTAATES, die durch den Ausschluss von AUSLÄNDERN erreicht werden soll (vgl. Kapitel 5.3.2.3). Ähnlich ist in der Handelsfrage (in tendenzieller Umwertung zur FREIHANDEL-Aussage des mediopolitischen Diskurses) umstritten, ob die Globalisierung die Senkung von Löhnen und Transferzahlungen oder einen GESCHLOSSENEN HANDELSSTAAT erfordere. Wobei die Schließung mal auf nationaler und mal auf europäischer Ebene projektiert wird (vgl. Kapitel 5.3.2.4). Geteilt wird aber in jedem Fall die Sorge um die Position in der globalen Konkurrenz, die durch die GLOBALE MENGE einerseits und die AMERIKANISIERUNG andererseits bedroht sei, das heißt durch die Arbeitskräfte des globalen Südens und durch die USA als globalem Maßstab der nationalstaatlichen Konkurrenz. In der Eigentumsfrage schließlich reicht das Spektrum (abgesehen von vereinzelten, diffusen Infragestellungen des Privateigentums an Produktionsmitteln) von Forderungen nach der Verstaatlichung von Großkonzernen bis hin zu weiteren Privatisierungen. Wobei jeweils das Bild des MITTELSTANDES als Ideal wirtschaftlicher Tätigkeit aufscheint. Diese Fraktionierungen spiegeln sich auch im publizistischen Bereich, in dem sich der nationalistische Diskurs, jenseits der bisher betrachteten parteipolitischen, bewegungsförmigen oder subkulturellen Organisationen reproduziert. Dies wird im folgenden Kapitel anhand dreier exponierter Vertreter verdeutlicht.

6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller Das bisher untersuchte Spektrum der nationalistischen Parteien und Bewegungsorganisationen ist mit einem institutionellen Geflecht von Verlagen verbunden, in deren Zeitschriften und Büchern Intellektuelle den nationalistischen Diskurs reproduzieren. Ein zentraler Referenzpunkt dieses Feldes ist die Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT (JF)197, die dementsprechend schon an mehreren Stellen der Untersuchung aufgetaucht ist. So bringt die JF nach dem Wahlerfolg der NPD in Sachsen 2004 ein ausführliches Interview mit dem Vorsitzenden Udo Voigt (vgl. 40/2004: 3). In der gleichen Ausgabe äußert sich Chefredakteur Dieter Stein kritisch zum fundamentaloppositionellen Kurs der Partei (vgl. ebd.: 2) und wiederholt dies im Parteiorgan der konkurrierenden REP (vgl. Kapitel 5.3.2.1). Auf der anderen Seite kritisiert Jürgen Schwab auf der Website DIE KOMMENDEN das Fehlen einer nationalrevolutionären Perspektive Voigts in diesem Interview und bezeichnet Steins Abgrenzung als opportunistisch, da die JF doch selbst dem nationalen Lager zuzurechnen sei (vgl. Kapitel 5.2.2.3). Selbst im Segment der RechtsRock-Subkultur tauchte die JF in Form wechselseitiger Leseempfehlungen mit ROCK NORD auf (vgl. Kapitel 5.2.1.2). Passend zu ihrer zentralen Stellung im nationalistischen Feld wurden die JFArtikel mit Globalisierungsbezug von Autoren mit unterschiedlichen Positionen innerhalb des Diskurses geschrieben. In Ausgabe 92/1997 schrieb Arne Schimmer über die sogenannten Tigerstaaten als "erste Opfer der Globalisierung", welche die generellen "Gefahren des Globalisierungsprozesses" beziehungsweise der "nomadisierenden Kapitalströme" veranschaulichten. Mit solchen Formulierungen prägt Schimmer später die ökonomische Debatte der NPD und ihres Umfeldes mit. Er wird erst Mitarbeiter dann Abgeordneter der sächsischen NPD-Fraktion und schreibt für die Parteizeitung198 oder hält Vorträge zum Thema Globalisierung im Rahmen der DEUTSCHEN AKADEMIE von Jürgen Schwab (vgl. Kapitel 5.2.3) 199 . Wesentlich präsenter sind allerdings wiederum die Protagonisten der Debatte innerhalb der REP. Sowohl Manfred Ritter, der Befürworter eines europäischen HANDELSSTAATES (vgl. Kapitel 5.3.2.4), als auch sein Gegenüber Alexander Griesbach, der Vertreter der Freihandelsposition (vgl. Kapitel 5.3.2.5), beteiligen sich in der JF an der Globalisierungsdebatte200. Wobei auch Letzterer angesichts der Sorge um die Übernahme deutscher Unternehmen durch ausländische Investoren im Laufe der Zeit skeptischer wird. 197

Zur JF vgl. Braun/Vogt (2007), Dietzsch u.a. (2003), Kellershohn (1994). Unter anderem kommentiert er den Opel-Streik (vgl. Kapitel 5.1.1.2). 199 Wie die TAZ am 30.1.2017 berichtete, arbeitete Schimmer nach dem Ende seiner Zeit im Sächsischen Landtag unter Pseudonym für die SEZESSION von Götz Kubitschek. 200 Entsprechende Artikel von Ritter finden sich in JF 32-33/1996, 47/1996, 27/1997 und 11/2000. Griesbach legt seine Position in JF 5/2004, 16/2004 und 17/2005 dar. 198

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten, Edition Rechtsextremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3_6

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

Schon in der Frühphase der Globalisierungsdebatte zeichnen sich in der JF die zentralen Aussagen ab, die den nationalistischen Diskurs in diesem Zusammenhang konstituieren. So erinnert beispielsweise ein Artikel aus dem Jahr 1996 ausführlich an Fichtes Überlegungen zur nationalökonomischen Schließung. Bereits in der Überschrift wird der Gegensatz "Globalisierung oder geschlossener Handelsstaat" (JF 31/1996: 13) herausgestellt, und bebildert ist das Ganze mit einer "Karikatur auf die Zollschranken in Deutschland 1848" (Abbildung 10). Schon damals stehen also die Schlagbäume an den nationalen Grenzen und, im engeren ökonomischen Sinne, die Frage der Währungskontrolle und der Zölle beziehungsweise des Protektionismus im Zentrum der Debatte. Dies geht mit einer allgemeinen Entgegensetzung von 'nationaler Volkswirtschaft' (mit Betonung auf Volk) und 'Weltwirtschaft' einher, wie die folgende Stelle des Artikels zeigt: "Die Glieder der Weltwirtschaft sind nicht mehr die unterschiedlichen 'Volkswirtschaften', [...] die Globalisierung löst alle Grenzen auf [...]. Das Volk [...] als eine politisch durch seine Regierung handelnde Einheit tritt völlig zurück. An seine Stelle tritt die 'World Trade Organisation' des Weltmarktes und der Weltwirtschaft" (ebd.).

Der Antagonismus der HANDELSSTAAT-Aussage ist deutlich zu erkennen {Globalisierung, aufgelöste Grenzen, Weltwirtschaft} / {geschlossener Handelsstaat, Volkswirtschaft, Zollschranken}. In der folgenden Ausgabe erscheint dann die erste Kritik des Freihandels von Manfred Ritter (vgl. JF 32-33/1996). Dagegen wendet in der Folge allerdings der Unternehmensberater Hans Hausberger ein, die "Spirale von Protektionismus und Gegenprotektionismus wäre Selbstmord" (JF 36/1996: 13) und zwar nicht zuletzt wegen der deutschen Exportüberschüsse. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Ausgabe 47/1996. In einem Kommentar im Politik-Teil wirbt Manfred Ritter erneut für sein Konzept einer europäischen "Regionalisierung statt Globalisierung" (JF 47/1996: 2). Dagegen beklagt Wirtschaftsredakteur Bernd-Thomas Ramb "Feigheit vor der Globalisierung" und "[s]ozialistisches Auslutschen der Leistungsbereiten und Leistungsfähigen", wo doch die "mutige Bereitschaft" gefragt sei, "sich den wirtschaftlichen Herausforderungen der Jahrtausendwende zu stellen" (ebd.: 11). Insgesamt bewegt sich die Debatte in der JF also zwischen den bereits konstatierten Polen des nationalistischen Diskurses. Passend zu Steins Unterstützung von REP-Chef Schlierer dominiert dabei in den im engeren Sinne wirtschaftlichen Fragen tendenziell die SACHZWANG-POSITION, während in der Debatte insgesamt die KRITIK-POSITION immer lauter wird. Exemplarisch dafür ist die Besprechung der "Globalisierungsfalle" von Martin/Schuman (GF) durch Michael Wiesberg, der zahlreiche Beiträge zur Debatte

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veröffentlicht hat201. Wie in der JF insgesamt überwiegt in Wiesbergs Beiträgen die SACHZWANG-POSITION. Doch unter dem Eindruck des Buches kommen anscheinend auch ihm Zweifel an den üblichen Rezepten zur 'Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit': "Aufgrund der (noch) inflexiblen Lohnstrukturen steigt die Arbeitslosigkeit ständig weiter an. Ein Aufbrechen der Flächentarifverträge würde aber analog zur Entwicklung in den USA [...] auch in Deutschland zu einem raschen Lohnverfall führen. Welche Entscheidung auch gefällt wird, es wird die falsche sein" (JF 13/1997: 21).

Gerahmt wird diese fatalistische Haltung durch die zentrale Aussage der nationalistischen Globalisierungsdebatte. Die Autoren der Globalisierungsfalle machten insgesamt deutlich, "daß sich die ökonomischen Vorgänge immer mehr von nationalen Interessen abkoppeln" und die "nationale Politik mehr und mehr ins Hintertreffen gerät" (ebd.). So kommt Wiesberg zu dem Schluss, "daß es unter heutigen Rahmenbedingungen keine Lösung geben kann. Diese wird erst möglich, wenn die durch die Globalisierung ausgelösten sozialen Krisensymptome neue politische Konstellationen ermöglichen. Eines ist aber heute bereits sicher: die Weltgesellschaft 'neoliberaler Ordnung' wird es nicht geben. Sie wird genauso Scheitern wie die Utopie der 'klassenlosen Gesellschaft'" (ebd.).

Das Schlagwort selbst fehlt, aber die Äquivalenzketten der Aussage ONE WORLD sind eindeutig {(Globalisierung, Weltgesellschaft neoliberale Ordnung) / (klassenlose Gesellschaft)} / {nationale Interessen, nationale Politik, neue politische Konstellationen}. Die Debatte in der JF spiegelt die Strukturen des Diskurses insgesamt. Es wird eine bestimmte Menge von Grundaussagen zum Thema Globalisierung reproduziert (ONE-WORD, HANDELSSTAAT etc.). In diesem Rahmen bildet sich, analog zum mediopolitischen Diskurs, eine Polarisierung zwischen einer KRITIK- und einer SACHZWANG-POSITION aus, die auch auf institutionelle Fraktionierungen (NPD versus REP etc.) verweist. Um dieses Feld der intellektuellen Debatte genauer zu konturieren, werden im Folgenden drei prominente Autoren der JF

201 Wiesberg, ehemals wissenschaftlicher Mitarbeiter der Republikaner im Landtag von Baden-Württemberg, ist einer der zentralen Autoren zum Thema Globalisierung der JF (vgl. u.a. 50/1996, 08/1998, 50/1999, 12/2000), für die er neben der "Globalisierungsfalle" unter anderem die Bücher "Empire" von Negri/Hardt (JF 21/2002) und "Schöne Vernetzte Welt" von Alain de Benoists (JF 42/2001) besprochen hat. Zudem ist er in der Globalisierungs-Nummer von WIR SELBST (3-4/1998) mit einer Kritik des deutschen Sozialstaates ebenso präsent wie in einer frühen Ausgabe der SEZESSION (5) mit einem Beitrag zum Thema "Neomarxismus und Globalisierung". Zu Wiesberg vgl. auch die Analyse in Dietzsch u.a. (2003: 156ff.).

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

untersucht, die zum Thema Globalisierung publiziert haben und dabei bestimmte diskursive Positionen repräsentieren: In Kapitel 6.1 wird die Position Karlheinz Weißmanns untersucht. Der langjährige Stammautor der JF hat einen der ersten und mehrfach nachgedruckten Beiträge zum Thema publiziert. Darin positioniert sich der Autor, der sich selbst in der Tradition der Jungkonservativen sieht, recht deutlich als Vertreter der SACHZWANGPOSITION in der nationalistischen Globalisierungsdebatte. Dagegen dominiert in den in Kapitel 6.2 beleuchteten Texten von Alain de Benoist eine KRITIK-POSITION, die auch in seinen einschlägigen Beiträgen in der JF (3132/1997, 03/1998, 34/2001) deutlich wird. Dabei nimmt der in Deutschland stark rezipierte Vertreter der französischen Nouvelle Droite, wie schon in seinen früheren Schriften, vielfach auf konkurrierende Diskurse Bezug, nicht zuletzt auf marxistische Autor*innen. In Kapitel 6.3 wird schließlich ein von Eberhard Hamer und seinem Sohn Eike herausgegebenes Buch analysiert. Die beiden zentralen Aspekte, die sich auch in den Beiträgen Eberhard Hamers in der JF (21/1999 und 47/1999) andeuten, sind dabei zum einen eine verschwörungsideologische Deutung der Globalisierung als 'Werk US-amerikanisch-jüdischer Spekulanten' und zum anderen die Betonung der Interessen mittelständischer Unternehmer. 6.1 Karlheinz Weißmann: Eliten-Training und effektive Quarantäne Der (damalige) NPD-Parteiideologe Jürgen Schwab paraphrasiert in seinem Kapitel zur 'nationalen Identität' – die er durch das 'völkische Prinzip' definiert sieht und der 'multikulturellen Gesellschaft' gegenüberstellt (vgl. Kapitel 3.2.4.2) – über weite Passagen einen Text von Karlheinz Weißmann (vgl. Schwab 2002: 146ff., WM 2000: 273ff., zuerst in: CRITICÓN Nr. 161/1999). So lautet etwa das Original zu jener Stelle, an der Schwab (2002: 148) die "These Gehlens, der Mensch sei durch seine biologischen Wurzeln festgelegt", gegen den "Umerziehungssoziologen Jürgen Habermas" verteidigt, wie folgt: "Dabei störte ihn [Habermas] vor allem die Behauptung Gehlens, daß die 'biologischen Wurzeln' unbedingt in jede Bestimmung des Menschen einbezogen werden müssten" (WM 2000: 275). Es bleibt unklar, ob es sich bei den biologischen Wurzeln um ein Zitat von Habermas oder Gehlen handelt, entscheidend ist aber auch allein der Kontext, in dem das Bild hier eingesetzt wird. Ausgehend von erbgenetischen Forschungen sieht Weißmann nämlich dem "Versuch den Boden entzogen, das Vorhandensein ethnischer Identität zu leugnen" (ebd.: 278). Von der 'ethnischen Identität', die "auch über Erbinformationen definiert" sei, kommt er dann zu der Behauptung, dass zum "Nationalstaat [...] auch die tendenzielle Deckung von ethnos und demos gehört. Die zahlreichen Anläufe, diesen Tatbestand auszuhöhlen oder zu übergehen, sind durch die Vorstellung motiviert, dass das 'Völkische' grundsätzlich keine Rolle mehr spielen sollte" (ebd.: 279, kursiv i.O.). Auch hier sind die Anführungs-

6.1 Karlheinz Weißmann: Eliten-Training und effektive Quarantäne

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zeichen unklar und könnten als implizites Zitat oder als Distanzierung verstanden werden, obgleich der Satz im Kontext nur so zu lesen ist, dass das Völkische – die über Erbinformationen definierte ethnische Identität als Basis des Staates – ein nicht zu leugnender Tatbestand sei. Gegen Ende des Textes wird dies dann auch auf die zentrale Formel gebracht: "Es gibt einen Zusammenhang zwischen 'Volk', 'Nation' und 'Staat'. Das 'Volk' ist [...] nicht einfach irgendeine Bevölkerung" (ebd.: 283). Damit stellt sich Weißmann 1999, im Vorfeld der Reform des Staatbürgerschaftsrechtes, der "Propaganda für eine 'multikulturelle Gesellschaft' […] und der Bekämpfung des bisher gültigen Staatsbürgerrechts als 'völkisches' Relikt" (ebd.: 274) entgegen und ruft den biologisch begriffenen "peuple réel [i.O. kursiv] zur Verteidigung seiner natürlichen Rechte" (ebd.: 284) auf. In dieser begrifflich geführten Schlacht wird schließlich auch das passende symbolische Gegenstück zur Wurzel als symbolische Waffe eingesetzt, wenn Habermas, als Vertreter der Reformposition, mit einer ganzen Reihe von Bildern des Nomaden belegt wird. So erscheint er zunächst im Bild "des Reisenden, des Globetrotters, der [] nirgends zuhause" ist, das sich dann steigert zu der Aussage, "er will alle anderen in seine Heimatlosigkeit versetzen, Entfremdung erscheint ihm als Befreiung" (ebd.: 283). Damit versammelt Weißmanns Text die zentralen Elemente der VOLK-Aussage: {Volk, Erbinformationen, Wurzel, Staat, Nation, ethnos, demos, peuple réel, Identität} / {Bevölkerung, multikulturelle Gesellschaft, Heimatlosigkeit, Entfremdung}. Insofern beruft sich Schwab, wenn er das völkische Prinzip als Kern nationaler Identität definiert, einmal mehr auf den richtigen Zeugen, von dem ihn wie im Fall von Schmitt die Eloquenz und Belesenheit, nicht aber die inhaltliche Aussage trennt. 6.1.1 Die Positionierung des Autors im Feld Entsprechend lässt Weißmann (WM 2006a: 86) kaum Kritik an der grundsätzlichen inhaltlichen Ausrichtung der NPD erkennen, wenn er bemerkt, dass sie zwar "in Sachsen einen bemerkenswerten Erfolg errungen habe", dass aber nicht abzusehen sei, "wie sie zu Personal kommen will das präsentabel ist und daraus eine konstruktive Programmatik machen könnte". Dabei ist bemerkenswert, dass die Partei ihr Personal unter anderem aus der DEUTSCHEN GILDENSCHAFT (DG)202 rekrutiert, der auch Weißmann angehört. Die DG ist eine kleine, elitäre Korporation, die 1958 – in der Nachfolge der Deutsch-Akademischen Gildenschaft, einer Organisation des rechten Flügels der Bündischen Jugend in der Weimarer Republik – gegründet wurde. Sie versteht "sich als politische Verbindung 202

Zur DG vgl. Kellershohn (1994), Dietzsch u.a. (2003: 75ff.).

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[...] und weiß ihre Akademiker in einer besonderen Verantwortung für Volk, Staat und Nation" (Kellershohn: 1994: 103), in diesem Sinne sollen ihre Mitglieder "sich selbst zum dienenden Führen" (ebd.: 104, Hervorhebung i.O. kursiv)203 heranbilden. Wesentlich beteiligt an der Neugründung war unter anderem Ernst Anrich, der bereits Anfang der 1930er-Jahre als Gildenschafter aktiv war und dann in der NSDAP Karriere machte. Später, in den 1970er-Jahren, war er Vertreter des fundamentaloppositionellen Flügels und stellvertretender Vorsitzender der NPD, woran Voigt in der Parteitagsrede im Rückblick auf die Parteigeschichte ausdrücklich erinnert (vgl. Anhang I.1, Z. 229). Der DG entstammt auch Andreas Molau, der nach der Sachsenwahl von 2004 in der NPD-Karriere machte. So arbeitete er unter anderem als Berater der Fraktion im Sächsischen Landtag, als stellvertretender Chefredakteur der DS sowie im Bundsvorstand (zuständig für Bildung) und als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Voigt. Anfang der 1990er-Jahre war Molau Kulturredakteur der JF, deren Gründer und durchgehender Chefredakteur Dieter Stein – wie einige andere Mitarbeiter – ebenfalls der DG angehört. Ein weiterer Gildenschafter (Hanns Klatz) hat Ende der 1960er-Jahre zusammen mit Caspar von Schrenck-Notzing – dem Begründer der 'Umerziehungserzählung' – die Zeitschrift CRITICÓN204 gegründet, in der Weißmann zahlreiche Aufsätze, darunter den eingangs zitierten, veröffentlicht hat. Den Bogen von CRITICÓN zu Weißmanns Aktivitäten im Untersuchungszeitraum schlägt ein Artikel in der Parteizeitung der Republikaner so treffend, dass es lohnt ihn ausführlich zu zitieren: "'Criticón' ist tot – es lebe die 'Sezession'. Ein Vierteljahrhundert war das in München von Caspar von Schrenck-Notzing herausgegebene 'Criticón' das führende konservative und rechte Theorie- und Diskussionsorgan. Nach dem Rückzug des Gründers fiel es in die Hände von radikalliberalen Jungunionisten [...] Die Lücke, die 'Criticón' hinterlassen hatte, ist erfreulicherweise gefüllt. Mit 'Sezession' gibt das 'Institut für Staatspolitik' ein rechtsintellektuelles Magazin heraus, das [...] an beste Criticón-Traditionen anknüpft. 'Sezession' festigt damit den Ruf des von dem Verleger Götz Kubitschek und dem Historiker Karlheinz Weißmann geführten 'Instituts für Staatspolitik' als der führenden rechtsintellektuellen Denkfabrik" (ZFP 12/2005: 10)205

Zu ergänzen ist hier lediglich, dass der Verleger Götz Kubitschek, ebenfalls der DG angehört und zeitgleich mit dem INSTITUT FÜR STAATSPOLITIK (INSTAPO) den Verlag EDITION ANTAIOS gegründet hat, in dem Schriften aus dem Institut erscheinen206. Allerdings deutet der euphorische Artikel in ZFP nicht auf eine direkte Ausrichtung des INSTAPO auf die REP hin, wie auch die Nähe 203 Kellershohn zitiert hier eine offizielle Erklärung der DG von 1988 und eine Rede auf der Bundesversammlung von 1983. 204 Zu CRITICÓN vgl. Maegerle (1994), Pfahl-Traughber (1998: 202ff.), Elm (2002) und Maier (2019: 110ff.). 205 Vgl. die übereinstimmende Einschätzung in JF (13/2003: 14), sowie Maegerle/Hörsch (2004: 120). 206 Vgl. zu diesen Institutionen Dietzsch u.a. (2003: 75ff.).

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Steins (vgl. Kapitel 5.3.2.1) oder frühere Sympathiebekundungen Weißmanns207 nahelegen könnten. Vielmehr war das Institut im Untersuchungszeitraum zunächst primär auf eine "Reideologisierung des Konservatismus innerhalb der Unionsparteien" (Dietzsch u.a. 2003: 91, vgl. WM 2006a: 85ff., 113f.) gerichtet, wie Weißmann in einem 'Interview' mit Kubitschek deutlich gemacht hat, das im Vorfeld der Gründung in DAS OSTPREUSSENBLATT (5/2000: 3) veröffentlicht wurde. Bereits dort findet sich die Einschätzung, die er 2006 bezüglich der NPD äußert, bezogen auf alle "nationalkonservative[n] oder rechtsliberale[n] Gruppierungen" in der Bundesrepublik. Keine davon habe "die Konzepte oder das Personal", um "eine Spontanzündung zu ermöglichen. [...] Die CDU wird bis auf weiteres die einzige nichtlinke Partei von Bedeutung bleiben" (ebd.). Dabei hebt er besonders den "Landesverband der CDU Hessen" hervor, der im "Vergleich zu anderen konservativ ausgerichtet ist" (ebd.), wie zuletzt der Wahlkampf gegen die 'Doppelte Staatsbürgerschaft' deutlich gemacht hatte. Was er dabei nicht erwähnt, sind die Verbindungen der DG in die Hessische CDU208. Damit die "nationalkonservative Strömung innerhalb der CDU zu Durchschlag kommen" kann, brauche es aber eine "öffentlichkeitswirksame Vorarbeit", die das geplante "ReemtsmaInstitut von rechts" (ebd.)209, also das INSTAPO, leisten wolle. Spätestens seit der Etablierung dieser Institution ist Weißmann einer der einflussreichsten Intellektuellen der nationalistischen Rechten210. Weißmanns inhaltliche Position soll im Folgenden vor allem anhand von fünf Aufsätzen analysiert werden, die er 2000 unter der Überschrift "Perspektiven" in dem Band "Alles was recht(s) ist: Ideen, Köpfe und Perspektiven der politischen Rechten" (WM 2000) veröffentlicht hat. Ergänzend werden einige spätere Schriften herangezogen, insbesondere ein Buch aus der EDITION ANTAIOS, in dem Kubitschek und Weißmann (WM 2006a) ein 'Interview' simulieren. Der Band aus dem Jahr 2000 erschien – wie auch die Druckversion der SEZESSION – im LEOPOLD-STOCKER-VERLAG (Graz). Die darin enthaltenen 'PerspektivenAufsätze' waren zuvor in FAZ (22.04.1994), JF (44/1996), GEGENGIFT (10/1998), BLÄTTER DER DG (2/1998) und CRITICÓN (151/1996 sowie 161/1999) erschienen und bilden damit einen Querschnitt durch die Publikationsorgane, die Weißmann zum damaligen Zeitpunkt offenstehen. Ergänzend ist noch

207

Vgl. Kellershohn (1994: 34). Vgl. Dietzsch u.a. (2003: 86). 209 Die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung war also nicht nur Voigt ein Dorn im Auge (vgl. Anhang I.1, Z. 72ff.). 210 Zu Weißmann vgl. Kellershohn (1994), Gessenharter (1994: 139ff.), Ders. (1998: 49ff.), PfahlTraughber (1998: 173ff.) sowie Dietzsch u.a. (2003: 76 ff.). Zur Phase nach dem Untersuchungszeitraum vgl. Weiß (2017) und Kellershohn (2017). 208

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ein Beitrag in BURSCHENSCHAFTLICHE BLÄTTER (BB)211 (4/1999, ähnlich in BLÄTTER DER DG 3/1998) zu erwähnen, der passagenweise mit den Aufsätzen übereinstimmt. Zugleich belegen die eingangs zitierten Bezugnahmen von Schwab auf einen der Texte und die wohlwollenden Rezensionen des Buches in N&E (2/2001: 74f.) oder der NPD-nahen Zeitschrift OPPOSITION (6/2000: 56f.), die Wirkung, die Weißmanns Schriften auch in diesem Teil des rechten Feldes entfalten, wenngleich seine strategische Option dort negativ beurteilt wird. Schließlich bietet sich diese Auswahl aus der Vielzahlzahl von Weißmanns Schriften auch an, weil sie seine Position insgesamt gut charakterisiert und weil sich darunter ein Aufsatz von 1996 findet, der eine der ersten ausführlichen Reaktionen auf das Thema Globalisierung im gesamten Materialkorpus ist. Als Quelle dieses Aufsatzes ist in der Sammlung (WM 2000) allerdings nicht die ursprüngliche – nämlich CRITICÓN – angegeben, sondern ein Nachdruck von 1997 in dem Sammelband "Globalisierung. Der Schritt in ein neues Zeitalter", herausgegeben vom HEIDELBERGER CLUB FÜR WIRTSCHAFT UND KULTUR212, in dem sich unter anderem Beiträge des Umweltexperten Ernst Ulrich von Weizsäcker, des Friedensforschers Franz Nuscheler und des Politologen Michael Zürn finden. Auch in diesem Band wird die ursprüngliche Veröffentlichung in CRITICÓN nicht offengelegt. Offensichtlich ist Weißmann dran gelegen, sich als Autor auszuweisen, der auch über die Organe der nationalistischen Rechten hinaus Gehör findet. Dies ist Teil der Mimikry-Strategie, die Weißmann der intellektuellen Rechten einst empfohlen hat, wie Kritiker*innen zu Recht immer wieder in Erinnerung rufen213. Gleiches gilt für den Stil von Weißmanns Schriften, die sich als interdiskursiver Mix par excellence erweisen, nämlich als ein ständig fließender Übergang von Anekdoten, religiösen Bildern, Mythen, unbelegten weitreichenden Behauptungen und Bezugnahmen auf wissenschaftliche Texte. Dafür ist der eingangs beschriebene irritierende Umgang mit Anführungszeichen ebenso kennzeichnend wie (teils unausgewiesene wörtliche) Zitate aus dem historischen Fundus der nationalistischen Rechten oder (teils sinnentstellende) Zitate von gegnerischen Positionen. Aus all dem ergibt sich ein pseudowissenschaftlicher Stil, der vordergründig die Einhaltung wissenschaftlicher Regeln und die Berücksichtigung 211 In einer späteren Ausgabe des Verbandsorgans der Deutschen Burschenschaft (4/2000: 158f.) wird über die ersten Aktivitäten des INSTAPO berichtet. Am Ende des Artikels werden "Burschenschafter [...] zur Mitarbeit eingeladen" und in Richtung zahlungskräftiger 'Alter Herren' heißt es: "Finanzielle Förderer sind gesucht". 212 Dabei handelt es sich um einen politisch heterogenen Debattier-Club von Heidelberger Studierenden, die regelmäßig prominent besetzte Tagungen zu aktuellen Themen organisieren und in Buchform dokumentieren. Wer dabei eingeladen wird, hängt vom Engagement der einzelnen Mitglieder ab und wird in der Regel nicht aufeinander abgestimmt (so ein ehemaliges Mitglied gegenüber dem Autor). 213 Vgl. u.a. Gessenharter (2007: 97), Dietzsch u.a. (2003: 17), Pfahl-Traughber (1998: 46, 173f.).

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unterschiedlicher Positionen suggeriert, im Kern aber auf die Reproduktion jener Aussagen gerichtet ist, die den Diskurs der nationalistischen Rechten bilden. Diese werden allerdings nur an wenigen (aber durchaus entscheidenden) Stellen direkt in Form jener simplen Dualismen präsentiert, wie sie etwa für die NPD kennzeichnend sind. Zumeist ergeben sie sich aus der suggestiven Gesamtwirkung der zugrundeliegenden Textstruktur. Der Stil ähnelt Carl "Schmitts interdiskursive[r] Montage aus juristischem, theologischem, philosophischem und soziologischem Diskurs" (Link 2006: 291), die ja ebenfalls nicht offen zum Generalangriff auf die Demokratie bläst, sondern sie als Diktatur auf der Basis eines nationalistischen Volksbegriffes (re-)definiert. Wie bei Carl Schmitt (vgl. Kapitel 3.2.4.4) lassen sich auch bei Weißmann die zentralen Aussagen weniger anhand einzelner – meist ambivalent gehaltener – Stellen belegen, als an der Rekonstruktion der Äquivalenz-/Differenzbeziehungen, die längere Passagen einzelner Texte, beziehungsweise die Gesamtheit von Weißmanns Schriften strukturieren. 6.1.2 Schmitt docet: Volks-Nation, substanzielle Demokratie und Elite Exemplarisch für Weißmanns Stil ist etwa die folgende Stelle zum zentralen Topos seiner Schriften – der Nation: "Die Nation ist nicht 'natürlich' und deshalb keine 'Gemeinschaft', aber auch nicht 'Gesellschaft', die nur einer rationalen Ordnung folgt, eher ein 'Bund' (Hermann Schmalenbach), der durch einen Bundes-Schluß konstituiert wurde. Dieser Akt kann sich nicht auf ein ad hoc geschaffenes Etwas beziehen – zahllos sind die gescheiterten Versuche, Nationen zu 'erfinden' (Benedict Anderson) – und darf nicht mit einem Vertrag verwechselt werden, begriffen als Abgleich von individuellen Interessen" (WM 2000: 264).

Auf den ersten Blick vermeidet Weißmann mit der Einführung des 'Bundes' die Entgegensetzung {natürliche Gemeinschaft} / {rational(istisch)e Ordnung, Gesellschaft}, die angesichts der VOLK-Kette {Erbinformationen, Nation, peuple réel, ...} erwartbar gewesen wäre. Im Folgenden wird der 'Bund' aber vor allem von der Seite der 'rationalen Ordnung' deutlich unterschieden, wenn es in Anspielung auf die Vertragstheorie heißt, die Nation dürfe nicht mit einem Vertrag verwechselt werden. Zugleich schreibt er, der Bundesschluss könne sich nicht auf 'ein ad hoc geschaffenes Etwas' beziehen und an dieser Stelle kommt das mehr oder minder natürliche VOLK – wie gleich gezeigt wird – wieder ins Spiel. Zunächst ist aber bemerkenswert, wie in diesem Zusammenhang völlig sinnentstellend auf Benedict Anderson Bezug genommen wird. Denn während Anderson (2005 [1988]) den wissenschaftlich weitgehend unstrittigen Nachweis führt, dass es sich bei Nationen per se um eine spezifisch moderne 'Erfindung' handelt, nämlich um 'vorgestellte Gemeinschaften' auf der Basis einer mythischen Genealogie, behauptet Weißmann in völligem Gegensatz dazu, dass es gerade nicht möglich sei, Nationen zu 'erfinden'. Der Form nach (Quasizitate ohne genaue

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Quellenangabe) ist sein Verweis auf Andersons Standardwerk der Nationalismusforschung nicht von dem auf den Philosophieprofessor Schmalenbach zu unterscheiden, der heute zwar so gut wie keine Rolle mehr in der sozialwissenschaftlichen Debatte spielt, aber "interessanter Weise [...] Doktorvater Armin Mohlers" (WM 2004: 68, Anm. 58)214 war. An anderer Stelle beschreibt Weißmann dessen Bundesbegriff, auf den er sich in obigem Zitat bezieht, wie folgt: "Schmalenbach konzentrierte sich [...] auf den Aspekt der Freiwilligkeit des Bundes, der so mit Gefolgschaft fast identisch wurde. Deshalb konnte Schmalenbach den Bund auch neben die von Ferdinand Tönnies entwickelten Typen 'Gemeinschaft' und 'Gesellschaft' stellen. Er behauptete, daß nicht die Gemeinschaft, sondern der Bund die auf Gefühlen beruhende Form des menschlichen Zusammenschlusses sei. Die Gemeinschaft kenne hingegen alle möglichen Arten objektiver Bindung des Einzelnen mittels Abstammung oder ritueller Verpflichtung, während Vertrag oder aufgeklärtes Eigeninteresse die Gesellschaft kennzeichne. [... Dabei] betonte [...] Schmalenbach die Bedeutung des Charismas in der Führung des Bundes" (2004: 35).

Wenn Weißmann die Nation mit Bezug auf diesen Bundesbegriff definiert, bezeichnet sie also einen emotionalen Zusammenschluss, der ein Verhältnis von charismatischer Führung und Gefolgschaft konstituiert. Hinzu kommt zweierlei: Erstens hat die obige Rekonstruktion der VOLK-Aussage deutlich gezeigt, dass er 214 Bei der Dissertation handelt es sich um das Buch 'Die konservative Revolution', mit dem Mohler den Terminus eingeführt hat (kritisch dazu Breuer (1995), Weiß (2017: 39ff.)) und das zu seinen Lebzeiten, d.h. bis 2003, in fünf jeweils überarbeiteten Ausgaben erschien, wobei das politische Anliegen "eine Hilfe für die rechte Intelligenz in Deutschland" (Mohler zit. nach ebd.: 6) zu sein, mit der Zeit deutlicher zutage tritt (vgl. Kellershohn (2005)). Mohler "war gewissermaßen die 'graue Eminenz' des Intellektuellen Rechtsextremismus" (ebd.: 66, zum Folgenden vgl. Kratz (1991), Maegerle (1994), Pfahl-Traughber (1998: 164ff.)). Er arbeitete als Privatsekretär Ernst Jüngers (1949-1953) sowie als Geschäftsführer der Siemensstiftung (1964-1985), wirkte aber vor allem als Publizist. Er schrieb unter anderem in der WELT, der FAZ oder der ZEIT, aber auch in Freys NATIONALZEITUNG (unter Pseudonym) und vor allem in CRITICÓN. Nicht zuletzt pflegte er enge Verbindungen zur französischen Nouvelle Droite und ihrem Vordenker Alain de Benoist (vgl. Kapitel 6.2), wobei er die Schriften der Weimarer Rechten jenseits und die der Nouvelle Droite diesseits des Rheins popularisierte. Exemplarisch dafür ist sein Vorwort zu de Benoists (1985) Klassiker 'Kulturrevolution von Rechts', mit dessen Titel die Figur der 'Konservativen Revolution' – jener 'Revolution von Rechts' die in der Folge von 1918 entstanden war (vgl. Faye 1977a) – auf die Konstellation nach der 'Kulturrevolution' von 1968 übertragen wird. Die jüngste "völlig überarbeitete und erweiterte Auflage" von Mohlers ursprünglichem Dissertationstext erschien zwei Jahre nach dessen Tod (2005) mit der Autorenangabe "Armin Mohler und Karlheinz Weißmann" bei dem zu STOCKER gehörenden ARES VERLAG und wurde von Jürgen W. Gansel in der DS wie folgt kommentiert: "Ganz ohne Zweifel hat der Verlag mit Karlheinz Weißmann den einzigen Ideenhistoriker gewinnen können, der die Wissensfülle, die Formulierungssicherheit und Gesinnung Mohlers teilt. Die Ausführungen zum 'Deutschen Sonderbewußtsein' oder zum 'Weltkrieg als Kulturkrieg' sind wie alles von Weißmann überaus lesenswert. [...] Das Original wie die Fortschreibung sind Schlüsselwerke zur Ergründung dessen, was Karlheinz Weißmann zitierend die deutsche 'Weltalternative' nennt – jene Bestrebungen, 'die Deutschen bei sich selbst zu halten, zu sich selbst zurückzuführen oder zu sich selbst zu machen'" (www.deutsche-stimme.de/Ausgaben2006/Sites/03-06-Katechismus.html [31.10.2006]).

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die Nation zugleich an jene Kette angleicht215, die an den zuletzt zitierten Stellen die 'Gemeinschaft' bestimmt, also {Gemeinschaft, objektive Bindung, Abstammung, rituelle Verpflichtung, kein ad hoc geschaffenes Etwas}. Zweitens bleibt die Nation dabei jeweils strikt von der Kette {Gesellschaft, Vertrag(stheorie), aufgeklärtes Interesse, rationale Ordnung} getrennt216. So stellt sich im Endeffekt der auf den ersten Blick negierte Dualismus {Gemeinschaft, Nation} / {Gesellschaft} auf einer höheren Ebene wieder her. Hinter der mehr oder weniger expliziten Definition der Nation als Abstammungskollektiv, das intern durch ein Verhältnis von charismatischer Führung und Gefolgschaft strukturiert ist, lässt sich unschwer die Schmittsche DEMOKRATIEAussage erkennen (vgl. Kapitel 3.2.4.2), die zu den tragenden Prinzipien von Weißmanns Texten gehört. Etwa dort, wo er 1994 in der FAZ schreibt, "daß es die Nationen sind, die [...] dem 'Imperativ der Homogenität' (Ernest Gellner) genügen, ohne den Demokratie nicht existieren kann. Weder die Anhänger des europäischen Superstaates, noch die Vertragstheoretiker der Zivilgesellschaft noch die Romantiker, die den Multikulturalismus, verfechten, können plausibel erklären, auf welcher anderen 'organischen', nicht gemachten oder durch Überredung kurzfristig erreichten Basis der Staat beruhen soll" (WM 2000: 247f.).

Lässt man sich auch hier nicht durch Anführungszeichen oder den Verweis auf Gellner irritieren, erhält man den folgenden Antagonismus {Nation, Homogenität, Demokratie, organische Basis des Staates} / {Vertragstheoretiker, Romantiker, durch Überredung gemacht}, der wortwörtlich mit Schmitt übereinstimmt und auf Seiten der Negativ-Kette zugleich seine zeitgenössische Aktualisierung erfährt: {europäischer Superstaat, Multikulturalismus, Zivilgesellschaft}. Eine nahezu identische Stelle findet sich im Globalisierungsaufsatz. Auch hier geht es gegen 'Zivilgesellschaft und Multikulturalismus' und es wird ganz deutlich auf Schmitts Schrift "Politische Theologie" angespielt, um anschließend den unter Bezug auf Schmalenbach eingeführten Bundesschluss mit einer 'substantiellen Demokratie' kurzzuschließen: "Staaten bedürfen für ihre Existenz eines Überschusses an integrativer Kraft [...] und der Anknüpfungspunkt für diesen Glauben wird immer durch die Politische Theologie bestimmt. 215 Das heißt nicht, dass er beides völlig identisch werden lässt. So kritisiert er an den Völkischen "die undurchdachte Grundannahme eines 'natürlichen' Volkes", die er aber keineswegs verwirft, wenn er meint, diese "Natürlichkeit ist aber nur ein Grenzwert" und ebenso seien "Institutionen [...] unvermeidlich" (WM 2006: 33f.). 216 Vgl. auch den Antagonismus {Tradition, Nation, Herkunftslandschaft, Berufsstand, Familie, Verortung, Abkunft, Identität} / {rationalistisches Staatsverständnis, vertragliche Übereinkunft der Bürger} in WM (2006: 23f.).

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Seit dem Untergang der alten Monarchien [...] existiert kein anderer Souverän mehr als der demos. Dieser lässt sich […] weder auf eine Summe von Einzelnen reduzieren, noch zur Menschheit hin erweitern, seine Existenz bleibt mit dem Bundes-Schluß verknüpft. Alle Bemühungen den Nationalstaat aufzuheben […] postulieren [...], daß der Souverän 'Volk' gar nicht vorhanden ist, sondern nur eine Summe von 'BürgerInnen', die sich universalen – also nicht spezifischen Werten verpflichtet fühlen sollen [...]. Die Verfechter von civil society und multikultureller Gesellschaft stimmen immer darin überein, eine beliebige Menge von SichVertragenden an die Stelle der Nation zu setzten. Das erklärt ihre Nervosität bei jedem Rekurs auf die substantielle Demokratie" (WM 2000: 269).

Hier lauten die Teile des Antagonismus, die mehr oder weniger wörtlich Carl Schmitt zitieren: {substantielle Demokratie, Volk, Nation, spezifische Werte, Politische Theologie} / {Menge von Sich-Vertragenden, Menschheit, Summe von 'BürgerInnen'217, universale Werte}. Die 'Sich-Vertragenden' sind freilich wiederum eine Anspielung auf die Vertragstheorie oder allgemeiner formuliert eine Polemik gegen das deliberative Prinzip als Grundlage des Gemeinwesens. Diese Polemik zeigt sich – um ein letztes Beispiel zu bringen – auch in folgender apodiktischer Gegenüberstellung von rechts und links, die als der zentrale gesellschaftliche Antagonismus präsentiert wird: Entscheidendes Merkmal der Linken sei "die Vorstellung, daß die Polis auf öffentlichem Diskurs beruht", die Rechte ist dagegen die "Staatspartei schlechthin, die die Quelle aller Ordnung kennt, die sich immer aus der Überlieferung legitimiert, eine Elite braucht, die ihre Herrschaft ausüben darf, wenn sie sich in der Pflicht gegenüber Gott oder Sittengesetz weiß" (ebd.: 250). Während die demokratische Staatsform der Linken zugerechnet wird, ist die Rechte Partei 'des Staates' schlechthin, über dessen Form nichts ausgesagt wird 218 . Das ist insofern konsequent, als die Staatsform auch nichts zur Herrschaftslegitimation einer rechten 'Elite' beizutragen hat, die sich schlicht auf 'Quellen der Ordnung' wie Tradition oder Pflicht gegenüber Gott berufen kann, die keiner rationalen Diskussion zugänglich sind. Dieses Demokratie-, oder genauer gesagt, Staatsverständnis findet sich ausgerechnet in einem Text, in dem Weißmann einer "konstitutionellen Rechten" (ebd.: 249) das Wort redet und entgegen der "Neigung zu fritzischen Lösungen" (ebd.: 251) schreibt, die "Rechte wird demokratisch sein, oder sie wird nicht sein". Wie im Falle der nationalistischen Parteien schlägt die Vorstellung einer substanziellen DEMOKRATIE an dieser Stelle auch bei Weißmann in den rechten Populismus um. 217 Bemerkenswert sind die polemischen Anführungszeichen, die Weißmann setzt, wenn er eine Schreibweise zitiert, die gezielt darauf hinweist, dass Männer und Frauen den Demos bilden. 218 Vgl. zu dieser Stelle Dietzsch u.a. (2003: 15f.).

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Diesen schätzt der Theoretiker, der sich "oberhalb" der verschiedenen Fraktionen wähnt und "die eigentlichen Stärken der rechten Position" (WM 2006a: 45) zur Geltung bringen will, als einzig gangbare Strategie ein. Wie bei der Änderung "des alten Asylrechts" (1993) müsse ein erfolgreiches rechtes Projekt auf den "Unmut der kleinen Leute" setzen, das heißt "die 'populistischen' Möglichkeiten nutzen", aber "selbstverständlich [ohne] die Illusion [...], daß das Volk als solches gütig und weise ist" (WM 2000: 251f.). Trotz dieser bezeichnenden Einschränkung hinsichtlich des Volkes im demokratietheoretischen Sinne, genügt allerdings schon Weißmanns Empfehlung der 'konstitutionellen' Strategie um Widerspruch in Teilen des Feldes hervorzurufen. So lobt Karl Richter in NATION & EUROPA (N&E 2/2001: 74f.) zwar das "Konzept" und den "Informationsgehalt des Bandes", kritisiert jedoch abschließend: "Warum er [Weißmann] die zeitgenössische Rechte dann ausgerechnet auf die Verinnerlichung plebiszitärer, letztlich quanitativer Werte einschwören möchte, bleibt sein Geheimnis. Mit dem Gesetz der größeren Zahl [d.h. demokratischen Wahlen] hatten die großen Querdenker von rechts [...] nie etwas am Hut, sehr viel dagegen mit dem [...] natürlichen Unterschied von 'unten' und 'oben'"219.

Dabei überliest Richter freilich, dass diese 'natürlichen Unterschiede von oben und unten' ebenso wie die (quasi)natürliche Bestimmung des 'Volkes' – mit anderen Worten die HETEROGENITÄT-Aussage – durchaus zur Basis von Weißmanns strategischen Überlegungen gehört. Begründet wird "die Annahme fundamentaler Ungleichheit der Individuen" – auch darin folgt ihm übrigens Jürgen Schwab (vgl. 2002: 148ff.) – durch den Rückgriff auf soziobiolog(ist)ische Schriften, "angefangen bei den Thesen zur unterschiedlichen Intelligenz von Individuen und Gruppen der Psychologen Arthur R. Jensen und Hans J. Eysenck über die Frage nach ererbter [...] Aggression, die Konrad Lorenz angestoßen hatte, [... und die] von Robert Ardrey vertretene[] Theorie menschlicher 'Territorialität' bis hin [... zur] umfassende[n] 'Human-Ethologie' Irenäus Eibel-Eibesfelds" (WM 2000: 275f., vgl. 2006: 14ff.).

Der springende Punkt ist, dass "die biologische Lehre vom Menschen" polemisch gegen demokratische Grundrechte gerichtet ist. In den Worten von Weißmann tendiert sie dazu, "die Rechte der einzelnen auf Entfaltung ein[zu]schränken" und "das Schonungsbedürfnis der Massen oder Selbsttäuschungsbedürfnis der Eliten [zu] gefährden" (WM 2000: 277). Neben der Legitimation bestehender Formen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung geht es bei diesem "Antiegalitarismus" zentral um das Verhältnis von 'Masse und Elite', beziehungsweise um die Frage wer zur Gruppe der Gleichen – etwa zu "Spartiaten" oder "Heloten" (WM 2006a: 15) – gehört, die Carl Schmitt angesichts der modernen 'Massendemokratie' gestellt 219 Ähnlich wird "Weißmanns [...] verdienstvoller Beitrag zur Standortbestimmung" in OPPOSITION (6/2000: 57) kritisiert.

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hat. Hier schließt sich also der Kreis zur Bestimmung der Nation als Bund, der Führung und Gefolgschaft impliziert. 6.1.3 Heroische Männlichkeit: Starker Staat und weibliche Dekadenz Sowohl zum Selbstverständnis als 'nationalistische Elite', als auch zu den potenziell massenmobilisierenden Elementen des Nationalismus gehört bekanntlich der "Mythos, das große, begeisternde Bild von dem, was die Vorfahren taten" (WM 2006a: 57). Im Interview-Band gibt Weißmanns eine allgemeine Beschreibung der entsprechenden Auffassung von GESCHICHTE: "Die rechte Position ist [...] eine 'heroische' [...] und ihre Verehrung der Ausnahmepersönlichkeit wurzelt in der Erkenntnis, wie selten 'Helden' sind" (ebd.: 15). Wobei die damit verbundene "Auffassung von einer alternierenden oder im Zyklus verlaufenden Bewegung [...] das Gegenmodell zum Fortschrittsdenken der Linken" (ebd.: 77) ist. Im Telegrammstil lautet seine konkrete Ausgestaltung der nationalistischen Erzählung von den Epochen und ihren Lichtgestalten beziehungsweise Ausnahmepersönlichkeiten wie folgt: "Referenzepochen: Das Ottonische und das Staufische Reich, Preußen im 18. Jahrhundert, die deutschen Erhebungen von 1813, 1944 und 1953. Idole: Heinrich I., Friedrich II., Friedrich der Große, Stein, Gneisenau, Bismarck, Stauffenberg" (ebd. 46)220. Während sich hier etwa im Vergleich zu Voigt (vgl. Kapitel 3.2.2) – trotz einiger Gemeinsamkeiten, v.a. hinsichtlich Preußens – die relative Beliebigkeit der positiven Referenzpunkte zeigt, besteht doch Einigkeit mit Blick auf die Phasen der Dekadenz, die durch die Jahre 1789, 1918 und 1945 beziehungsweise 1968 bis heute gekennzeichnet werden. So wiederholt auch Weißmann mit Blick auf die letzte Phase die Erzählung, in deren Kern die Entgegensetzung {militärische Niederlage, Umerziehung, Verwestlichung} / {nationale Überlieferung, deutsch, nicht-westlich} steht: So sei "das Jahr 1945 eben mehr als eine militärische und politische Niederlage gewesen", nämlich die "Infragestellung der ganzen nationalen Überlieferung". Dies "wurde bei der nachwachsenden Generation dadurch verstärkt, daß die Siegermächte sich vorgenommen hatten, die 'deutsche Gefahr' unter anderem durch Umerziehung zu bannen", das heißt durch "eine Generalabsage an alles, was im betonten Sinn 'deutsch', also 'nicht-westlich' war" und "im Endeffekt war '68' eben genau das: Türöffner für die restlose 'Verwestlichung' Deutschlands". Dagegen stellt Weißmann "eine neue Nationalerziehung, um die fatalen Folgen der Umerziehung zu überwinden" (WM 2006a: 58f.).

Wie der Heroismus im Zusammenhang mit Weißmanns allgemeiner Charakterisierung der rechten Geschichtsauffassung zeigt, kommt hier nicht zuletzt die geschlechtliche Komponente des Diskurses zum Tragen, in deren Zentrum das Konzept der soldatischen Männlichkeit und die Behauptung weiblicher Subalternität stehen. Während der männliche Herorismus jeweils mit der aufsteigenden 220

Vgl. dazu Pechel (2007).

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Phase der zyklischen Mythologie verknüpft ist, kennzeichnet das Weibliche die Phasen der Dekadenz (1789, 1918, 1968, heute)221, wie im Folgenden gezeigt wird: 1789: Im Zusammenhang mit der Sitzordnung bei der Einberufung der Generalstände behauptet Weißmann: "In fast allen Kulturen wird links mit weiblich, gefühlvoll, schwach, äußerstenfalls mit falsch und rechts mit männlich, ordnend, stark, äußerstenfalls mit richtig assoziiert. Das läßt die Bevorzugung der Rechten 'natürlich' erscheinen und die Dominanz der Linken 'unnatürlich'. Man muß den Aufstieg der Linken seit der Revolution auch aus diesem Grund für Bedenklich halten" (WM 2003a: 1).

1918: Den Beginn der Weimarer Republik beschreibt er bezugnehmend auf Schmalenbach als "Epoche des chaotischen Neuanfangs", in dem sich der "Zusammenbruch" der "modernen 'Gesellschaft'" (WM 2004: 35) abzeichnete: Die Wellen der "Barbaren brechen in geschlossenen Massen herein" und Schmalenbachs "Erwartung einer Regeneration durch die Bünde entsprach die Wahrnehmung von Verfall, die nach dem Krieg auch vom dramatischen Wandel im Verhältnis der Geschlechter mitbestimmt wurde. Die gesetzliche Gleichstellung der Frauen, die Einführung des Frauenwahlrechts und mehr noch die Begleiterscheinungen der 'Emanzipation' trugen zur Verunsicherung bei. Die Lockerung der Sexualmoral, offene Libertinage, die Propaganda für Empfängnisverhütung und Abtreibung, Zunahme weiblicher Berufstätigkeit, und Infragestellung des traditionellen Bildes der Hausfrau und Mutter wurden jedenfalls von einem erheblichen Teil der Bevölkerung, wahrscheinlich der Mehrheit, abgelehnt. Die Kulturkritik der Zeit sprach von 'Halbdirnen', 'Scheidungsepidemie', 'Zersetzung' und 'Bolschewisierung der Liebe'. Dahinter zeichnete sich jene große Feminisierung ab, die die Moderne wie ein Schatten begleitete, in Deutschland traditionell als fremdartig und problematisch betrachtet worden war und jedenfalls als Hemmung jedes Wiederaufstiegs der Nation zu gelten hatte. In einem programmatischen Text des nationalistischen Intellektuellen Friedrich Georg Jünger hieß es dementsprechend: 'der Staat ist männlichen Geschlechts.' Nur der 'Männerbund' sei in der Lage eine 'Führerdemokratie' zu schaffen und den Lebens- und Machtkampf der Nation'[] zu führen" (ebd.: 37).

1968: Das Muster der Beschreibung von revolutionären Phasen als 'Feminisierung' wiederholt sich mit Blick auf die "Erfolge der 'neuen Linken' [die] von der 'sexuellen Revolution' begleitet" (WM: 2003b: 5) wurden: Letztlich hätte sich in der Folge die "Freudlosigkeit der Libertinage ebenso enthüllt wie die bedenklichen Folgen weiblicher Emanzipation, der Skandal massenhafter Abtreibungen [...] oder die Konsequenzen, die der Geburtenschwund haben muß. Noch gar nicht abzusehen ist, was die Privilegierung der Homosexualität bedeutet. Dies wird begleitet von der 'Dekonstruktion' der Geschlechtlichkeit, in der die Anthropologie der Linken offenbar an ihr letztes Ziel kommt: der Aufhebung aller Anthropologie" (ebd.).

Wie auch im Zusammenhang mit der erbbiologischen Bestimmung des Volkes (vgl. WM 2000: 274ff.) steht 'Anthropologie' hier als Platzhalter für biologi(sti)sche Determination, in diesem Falle durch die angeblich "biologischen 221

Vgl. zum Folgenden Kämper (2005).

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Grundlagen männlicher Macht" (WM 2004: 117ff.), in deren Namen ihre institutionellen Grundlagen – Wahlrecht, (familiäre) Arbeitsteilung, männerbündische Organisationen etc. – verteidigt werden. Heute: Der Wandel dieser Institutionen zeigt laut Weißmann an, dass wir auch derzeit "in einer Phase der Dekadenz, die sich allmählich vollendet" (WM 2006a: 79), leben. In ihrem Zentrum steht einmal mehr – in Anspielung auf Nietzsches "letzten Menschen" – die "Auffassung [...] wir sind doch gleich", zu deren Folgen "die Hochschätzung von Schlauheit und Feigheit, die Urteilsschwäche, der Geburtenschwund, die Ausbreitung der Homosexualität, der Egalitarismus, der Aufstieg der Mediokren" (ebd.: 79) gehörten. Mit der Vollendung der Dekadenz ist aber zugleich die Phase des Wiederaufstiegs zu erwarten, die Weißmann oben bereits mit F.G. Jünger am Beispiel der Weimarer Republik als Phase des männlichen Führerstaates charakterisiert hat und die er auch mit Blick auf die aktuelle Situation als Stunde des starken Mannes beschreibt: Denn "in der Not spürt jedes Volk, das noch einen hinreichend großen Willen zur Selbsterhaltung verfügt, daß nur [...] Männer es retten können, daß nur 'starken Männern' gelingen kann, was die Schwätzer niemals erreichen werden" (ebd.: 81). Dieser Moment – eine "dramatische Zuspitzung der Krise" (ebd.: 80), kurz: Schmitts "Ernstfall" (ebd.: 81) – ist der Moment der männlichen sexuellen Aktivität, die Stunde des Ausführenden Organs. Zwei Texten von Weißmann, die jeweils mit einem entsprechenden Höhepunkt enden, zeigen dies. Nachdem Wolfgang Schäuble im Zusammenhang mit dem vorzeitigen Ende der rot-grünen Bundesregierung 2005 von einer Staatskrise gesprochen hatte, schreibt Weißmann in einem Artikel mit dem Titel "Lob der Krise", eine wirkliche "Krise wäre der Ernstfall", in dem "die Leidenschaft zu ihrem Recht kommt, die 'großen Individuen' auftreten und 'der Himmel einen anderen Ton' annimmt" (WM 2006b: 12). Bereits zehn Jahre zuvor hatte er aber – in einem ursprünglich in der JUNGEN FREIHEIT erschienen Beitrag – gewarnt, dass die Rechte nicht darauf hoffen dürfe, dass bestimmte historische Situationen sie automatisch zum Erfolg führten, sondern "daß kalte Duschen hilfreich sein mögen, aber Geschichte gemacht wird, und zwar von denen die handlungsbereit und handlungsfähig sind" (WM 2000: 252). Da jedoch die bundesrepublikanische "Verfassung [...] seit je eine 'unheroische'" (WM 2006b: 12) ist, muss derjenige, der die Stunde der starken Männer herbeisehnt, damit rechnen "als 'Verfassungsfeind'" (WM 2006a: 81) zu gelten. Weitere Belege für diesen geschlechtlichen Subtext liefert Götz Kubitschek, Weißmanns damaliger Mitarbeiter beim INSTAPO, der als Stichwortgeber für das in Interviewform gebrachte Selbstgespräch Weißmanns (WM 2006a) fungiert und ein Jahr später in der NPD-Zeitung zu Protokoll gibt, dass "die Haltung des Wahlpreußen von heute" darin bestehe zu "bekämpfen, was den Staat zerstört und die Nation kastriert" (DS 1/2007, zit. nach Kellershohn 2007: 142). Ebenso deutlich

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ist die Artikulation des Komplexes der soldatischen Männlichkeit (mit ihren Ritualen und der komplementären Abwertung einer als flüssig imaginierten Weiblichkeit) mit der nationalistischen Geschichtserzählung von Kaisern und Frontsoldaten im von Kubitschek verfassten Vorwort zum Interviewband zu erkennen. Darin erzählt er eine kleine Geschichte von seinen drei Mentoren, als deren erster der Rektor seines Gymnasiums erscheint. Dieser "unterrichtete Latein und Geschichte und erzählte manchmal vom Krieg, in den er noch als Flakhelfer gezogen war" (ebd.: 7). In seinem Geschichtsunterricht gab es einen "Lehrsatz, [der] lautete: 'Unsere Kaiser haben unsere ganze Aufmerksamkeit verdient'. Unsere Kaiser!" (ebd.). Als zweiter Mentor wird "ein Major, Hörsaalleiter des FahnenjunkerLehrgangs" vorgestellt, mit dem der Ich-Erzähler "lange Gespräche [...] über den Soldatenberuf, über Ethik im Krieg, über Männlichkeit" (ebd.: 8) führt. Nach einem solchen Gespräch während einer Nachtübung verschläft er, wird vom Major geweckt und entschuldigt sich, worauf dieser erwidert: "Tun Sie das nie wieder! [...] Ich meine nicht ihr Nickerchen. Ich meine ihre wortreiche Entschuldigung, Ihren Schwall, Ihr Gewäsch: Die weibische Methode wortgewaltig zu versagen, wird unser Volk in den Ruin treiben" (ebd.: 9). Als dritter Mentor wird schließlich Weißmann vorgestellt mit dem der Erzähler gemeinsam dafür sorgt, dass zum Ende eines Bundestreffens der DEUTSCHEN GILDENSCHAFT – entgegen anders lautender Forderungen innerhalb der Organisation – weiterhin das Deutschlandlied in allen Strophen gesungen wird. Zu diesem Zweck sollte "Weißmann seinen Festvortrag in ein suggestives Bild unserer Nation münden lassen. [...] Er ließ an den Hörern den historischen Zug der Deutschen vorbeiziehen, nannte Kaisergeschlechter, Bauernführer, Siedler, Künstler, Denker, Epochen, [...] die Frontsoldaten, die Männer des 20. Juli, die letzten Verteidiger der Ostgrenzen, die Vertriebenen, [...] die Arbeiter des 17. Juni [...], um mit denen zu enden, die die Mauer eingerissen hatten [...] und es erhoben sich alle und sangen selbstverständlich wieder alle Strophen des Deutschlandliedes"222 (ebd.: 10f.).

Ziel der gelungenen Inszenierung ist es, das militärische Ritual des gemeinsamen Singens der Hymne (in ihrer dezidiert nationalistischen dreistrophigen Version), in dem die nationale Ideologie körperlich erlebt wird (vgl. Kapitel 3.2), weiterhin zu praktizieren. Bei allen Verweisen auf vermeintliche Natürlichkeit einerseits und Mythologiesierungen andererseits, ist sich Weißmann der Bedeutung entsprechender Rituale für den Prozess der ideologischen Subjektbildung durchaus bewusst. So ist ihm klar, dass die historische "Nationalisierung" der Individuen durch die "Erziehungsinstrumente, Schule und Armee, verbindlich gemacht" wurde, die zugleich die "Tugenden – Fleiß, Ordnungsliebe, Tüchtigkeit" – 222 Der Vortrag ist in BLÄTTER DER DG (3/1998) dokumentiert und erschien weitgehend identisch (allerdings ohne beschriebenen Schluss) in BLÄTTER DER DEUTSCHEN BURSCHENSCHAFT (4/1999).

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durchgesetzt hätten, die für einen "bestimmten disziplinierten Typus der Industriearbeit unabdingbar" (WM 2006a: 106) waren. Ebenso ist ihm klar, wie entgegen der empfundenen Vorherrschaft von "bestimmten (das heißt: nicht mütterlichen) weiblichen Werten [...] ein neues Ideal der Männlichkeit begründet" werden könnte, das an "die traditionellen Vorstellungen von Leistungswillen, Tapferkeit und Verantwortungsbereitschaft" (WM 2004: 125) anknüpft. Nämlich durch die Institutionalisierung von entsprechenden "männerbündischen[] Formen", weshalb er nicht zuletzt eine "getrennte Erziehung" (ebd.) von Jungen und Mädchen fordert. Damit versammeln Weißmann und sein Mitarbeiter in geradezu idealtypischer Form alle Elemente der geschlechtlichen Komponente des Diskurses, in deren Zentrum die MÄNNLICHKEIT-Aussage steht. Mit Blick auf den institutionellen Kern zeigt sich die Entgegensetzung {gesetzliche Gleichstellung, Frauenwahlrecht, weibliche Berufstätigkeit, Ehescheidungen} / {Hausfrau und Mutter, männerbündische Formen, geschlechtsspezifische Sozialisation in Schule und Armee}, wobei die implizite Institution der Hausfrauenehe über die Kette {Empfängnisverhütung, Abtreibung, Geburtenschwund} an die Grundthematik der biologischen Reproduktion des VOLKES gekoppelt ist. Damit geht ein streng dualistischer Symbolkomplex gemäß der Leitdifferenz männlich / weiblich einher, der nicht zuletzt zum definitorischen Kern der rechten Position gezählt wird: {weiblich, gefühlvoll, schwach, falsch, politisch links, moderne Feminisierung} / {männlich, ordnend, stark, richtig, politisch rechts, natürliche Dominanz}. Über die Figur der modernen Feminisierung ist dieser Komplex an die zyklische Mythologie der GESCHICHTE angeschlossen, in der die Phasen der Dekadenz und des Wiederaufstiegs als weiblich und männlich konnotiert sind: {Dekadenz, Zusammenbruch, Chaos, hereinbrechende Wellen, Aufstieg der Mediokren} / {Wiederaufstieg, heroische Ausnahmepersönlichkeit}. Der Moment des Umschlages wiederum wird als sexuelle Aktivität eines männlichen nationalstaatlichen Körpers – kurz: des starken Staates – imaginiert, der dem weiblichen oder mindestens impotenten Körper des demokratischen Staates entgegengesetzt wird, dessen Tendenz zu deliberativen Praxen als weiblich-flüssig erscheint:

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{Kastration, Hemmung, kalte Duschen, versagen, Schwätzer-Schwall-weibisches Gewäsch} / {Leidenschaft, Wiederaufstieg, Handlungsfähigkeit, starke Männer, männlicher Staat}. Schließlich liegt – in einem amüsanten Widerspruch zur sexuellen Codierung der staatlichen Aktivität – eine ebenfalls sexuell akzentuierte Moralisierung in der Entgegensetzung: {Lockerung der Sexualmoral, Libertinage, Bolschewisierung der Liebe, Homosexualität} / {Tugend}. Dabei ist zunächst die 'unmoralische Seite' prinzipiell an das Motiv der weiblichen Dekadenz angeschlossen, wobei aber die 'Seite der Tugend' noch einmal geschlechtsspezifisch ausdifferenziert ist. Für Frauen gilt der bezeichnende Gegensatz von {Dirne (Libertinage, ...)} / {Mutter (Hausfrau und Mutter, mütterliche Werte)}. Für Männer wird dagegen ein politisch und ökonomisch akzentuierter Verhaltenskanon gefordert, der zugleich konkurrenzorientiert und um die militärische Disziplin zentriert ist: {Feigheit, Urteilsschwäche, Müßiggang, Disziplinlosigkeit} / {Tapferkeit, Selbstdisziplin, Arbeitsdisziplin, Ordnungsliebe, Verantwortungsbereitschaft, Aufstiegswille, Leistungswille, Fleiß}. 6.1.4 Mittelstand contra Wohlfahrtsstaat Über den Nexus der 'Moral' erstreckt sich die sexuelle Symbolik schließlich auch auf ein spezifisches (normalistisches) Bild der Klassengesellschaft, in dem das proletarische unten per se und das bürgerliche oben potenziell als Hort des moralischen Verfalls gelten, gegen die eine moralische Mitte – die Mittelschicht, der mittelständische Unternehmer, das historisch Kleinbürgertum, kurzum der MITTELSTAND – abgegrenzt wird. Der entsprechende symbolische Antagonismus lautet, wie gleich mit Zitaten belegt wird, {ständige Kopulationsbereitschaft: (proletarische Flut, Demoralisierung, Bolschewisierung der Liebe) / (Feigheit, bürgerliche Freizeitklasse, Herrschaft des Geldes)} / {Damm, Mittelschicht, Mittelstand, Tugend, Tapferkeit, Fleiß, ...}.

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So würdigt Weißmann im historischen Rückblick – wohlwissend um die Implikationen mit Blick auf den Faschismus – das Kleinbürgertum, das nicht nur als "Damm gegen das Proletariat mit seiner dauernden Gefährdung durch Armut und Demoralisierung" gedient habe, sondern gleichzeitig "hinreichend weit entfernt vom eigentlichen Bürgertum" im Sinne einer "leisure class" (WM 2006a: 47) gewesen sei. Die "Tugenden der Kleinbürger – Fleiß, Selbstdisziplin, Aufstiegswille – sind die, die dieses Land groß gemacht haben" (ebd.). Der Gefahr der allgemeinen Demoralisierung durch das Proletariat entspricht die Bolschewisierung der Liebe, von der im Zusammenhang mit der Weimarer Libertinage die Rede war. Zugleich steht aber auch das Bürgertum "im Verdacht" (ebd.), eine lasterhafte Freizeitklasse zu sein, die sich dem Vergnügen ohne Arbeit hingibt und die geforderten Tugenden der Arbeitsmoral sowie nicht zuletzt der militärischen Disziplin zu vernachlässigen. Entsprechend übernimmt Weißmann den antibürgerlichen Gestus der Weimarer Rechten, der dem Bürger den Soldaten entgegensetzt223 – "'der bürgerliche Mensch als solcher ist feige' (Max Hildebert Boehm)" (WM 2000: 251). Entscheidend für die 'Konservative Revolution', in deren Tradition (insbesondere der Jungkonservativen) sich Weißmann explizit stellt (vgl. WM 2006a: 34), sei die Bestimmung des "Materialismus [... als] Hauptfeind" gewesen, das heißt, dass "man die marxistische Theorie selbstverständlich unter die Gegner rechnete, [... aber] auch eine Wendung gegen die Herrschaft des Geldes, die sich im 19. Jahrhundert immer deutlicher abzuzeichnen begann" (ebd.: 28), vollzog: {Konservative Revolution} / {Materialismus: (Marxismus) / (Herrschaft des Geldes)}. Auf diese Entgegensetzung, offensichtlich eine Variante der IRRATIONALISMUSAussage, wird noch zurückzukommen sein. Zunächst aber zum Ende von Weißmanns historischer Erzählung in der Gegenwart: "Das Kleinbürgertum, das den Aufstieg geschafft hat, ist Teil der Mittelschichten geworden, der Rest einer Art komfortabler Proletarisierung anheimgefallen" (ebd.: 48). Die 'komfortable Proletarisierung' führt die moralisierenden Wertungen fort, also die Geringschätzung von Materialismus, Komfort und Genuss und so weiter. Dies korrespondiert mit weiteren Bildern – Weißmann lässt kein Klischee aus – etwa der angeblichen Tendenz zur "'Verhausschweinung'", das heißt zu "Fettleibigkeit, Haarausfall und permanente[r] Kopulationsbereitschaft" (ebd.: 14), welche die Rechte in der 'Massengesellschaft' im Gange sieht. Mit der gleichzeitigen Abgrenzung nach Oben und Unten schließt diese Erzählung deutlich an das mediale Szenario der BEDROHTEN MITTE an, das ebenfalls mit moralisierenden Elementen arbeitet, die hier im Sinne der rechten Erzählung zugespitzt werden. 223

Vgl. etwa Sombart (1997) zum Beispiel Carl Schmitt.

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Trotz ihrer antibürgerlichen Momente ist sich Weißmann aber sehr wohl der Klassenposition seiner Erzählung (und ihres historischen Originals) bewusst, wie seine Klage über die mangelnde finanzielle Unterstützung für die nationalistische Rechte zeigt. Das Bürgertum, das "eigentlich Träger einer konstitutionellen Rechten [in Weißmanns Sinne] sein müsste, zeichnet sich durch Desinteresse aus" (WM 2000: 251). Das Projekt, "ein 'Reemtsma-Institut von rechts' zu schaffen", ist "vor allem mit der Schwierigkeit" konfrontiert, "einen Reemtsma zu finden" (WM 2006a: 76), für die "Jungkonservativen fehlt sozusagen die Klassenlage" (ebd.: 31). Anders als die ANTIBOLSCHEWISTISCHE LIGA und ihre jungkonservativen Nachfolgeorganisationen in der Weimarer Republik erfreuen sich die bürgerlichen Ideologen mit dem antibürgerlichen Gestus keiner Unterstützung aus den entscheidenden Industriesektoren. Enge Verbindungen bestehen allerdings zu mittelständischen Interessensgruppen (vgl. Kapitel 6.3), deren Selbstbild mit dem Ideal des Mittelstandes geschmeichelt wird, das die Erzählung von der moralischen Mitte transportiert. So bekundet Weißmann "jeden Respekt vor Unternehmern, vor allem mittelständischen" (WM 2006a: 104). Mit ihnen teilt er die Ablehnung wohlfahrtsstaatlicher Regulierung auf der einen und der großindustriellen Führungsposition auf der anderen Seite, welche den Interessenskern der moralisierenden Erzählung von 'komfortabler Proletarisierung' einerseits und der 'Herrschaft des Geldes' andererseits bilden. So fährt Weißmann unmittelbar nach der Respektbekundung für den mittelständischen Unternehmer mit dem Tadel fort, "heute hat man es damit zu tun, daß in großer Selbstverständlichkeit Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Da besteht ebenso Handlungsbedarf wie in Bezug auf das Zurückschneiden des Wohlfahrtsstaates" (ebd.). Das Zurückschneiden des WOHLFAHRTSSTAATES – den schmerzhaften chirurgischen Eingriff, den Schmitt Anfang der 1930er-Jahre gefordert hat (vgl. auch zum Folgenden Kapitel 3.2.4.6) – zählt Weißmann zu den Grundbestandteilen der rechten Position. Bereits in einem Text von 1996 spricht er von einem entsprechenden "Konsens", der "vor allem: Identitätspolitik, Ablehnung eines europäischen Bundesstaates, Beschneidung der Sozialgesetzgebung" (WM 2000: 252) und einige weitere Punkte umfasst. Es ist insofern in jeder Hinsicht passend, dass sich Weißmann mit Blick auf den Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts en passant der Diagnose "des 'totalen Staates' (Carl Schmitt)" (WM 2000: 265) anschließt. In diesem Zusammenhang ist es allerdings auch interessant zu sehen, wie er die interne Differenzierung des nationalistischen Feldes beschreibt, die sich unter anderem an den gegensätzlichen Positionen von REP und NPD (vgl. Kapital 5.3.2.2) oder am Lavieren der NPD zwischen der 'Ablehnung des totalen Wohlfahrtsstaates' und der 'Verteidigung des Sozialstaates' gezeigt haben (vgl. Kapitel 5.1.4.4). So unterscheidet Weißmann mit Blick auf die "einzelnen Fraktionen der Rechten

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[...] – die Völkischen [...] – die Liberalen – und [...] die Faschisten" (WM 2006a: 38f.). Die Völkischen zeichne aus, dass sie "den Menschen (nicht jeden, aber den der eigenen Art) wohlwollender beurteilen [...] [und] zu einer Art Rousseauismus von rechts neigen [...]: daß Germanen zu Selbstbestimmung und Volksherrschaft fähig sind unterlag keinem Zweifel. Ähnliches gilt übrigens auch für die Bejahung des Sozialstaates" (WM 2006a: 38). Damit könnten die Völkischen als "die Linken der Rechten" gelten, sie seien "jedenfalls 'linker' als die Liberalen, deren Anthropologie schon wesentlich skeptischer ausfällt. Ursprünglich neigten die Liberalen der Vorstellung notwendiger Herrschaftsbeschränkung zu, weil sie dem Menschen nicht trauten" (WM 2006a: 39f.).

Herrschaftsbeschränkung meint in diesem Kontext nichts anderes, als die Beschränkung der Demokratie im Sinne Carl Schmitts (bzw. des Staates im 19. Jahrhundert), die sich in materieller Hinsicht als Abwehr der 'besitzlosen Massen' gezeigt hat (vgl. Kapitel 3.2.4.6). Damit teilten die Liberalen ein "konservatives Argument" und es passt wiederum sehr gut, dass Weißmann in einem Aufsatz (vgl. WM 2000: 253) gerade Hayek als Vertreter der liberalen Position heranzieht, bevor er als 'Konservativer' die "Strukturen des Wohlfahrtsstaates" als "sozialen Moloch" charakterisiert, der "immer stärkeren (nicht nur finanziellen) Zwang" (ebd.: 256) auf die Bürger ausübe. Der entscheidende Unterschied zu den Konservativen bestehe aber darin, dass die Liberalen "den starken Staat für verzichtbar halten" (WM 2006a: 39f.). Mit anderen Worten: "Im liberalen Denken kommen Ernstfälle nicht vor", während die "Faschisten vom Ernstfall fasziniert" (ebd.: 40) sind, der zugleich auch für die 'weniger voluntaristischen Konservativen' (vgl. ebd.: 40ff.) in der Nachfolge Schmitts den theoretischen Ausgangspunkt schlechthin bildet. Als solcher klagt Weißmann im Jahr 2006 – nach der Hartz-Gesetzgebung –, dass es "eben keine Belohnung dafür [gibt], es früher gewusst zu haben", wenn er betrachtet, "was heute Konsens zu Fragen [...] des Sozialstaates ist" (WM 2006a: 84). So wisse nun "jeder, daß ein guter Teil der Arbeitslosen arbeitsscheu ist und der Sozialstaat nicht die Antwort auf alle gesellschaftlichen Probleme sein kann" (ebd.: 112). 6.1.5 Globalisierung: Die amerikanisierte One World Dementsprechend fielen auch bereits die Schlussfolgerungen in Weißmanns Globalisierungsaufsatz von 1996 aus. Auch hier geht es um das Abschmelzen des Wohnfahrtstaates. Aufgabe des Staates im Prozess Globalisierung sei erstens "die Notwendigkeit Eliten für die internationale Konkurrenz zu trainieren und loyal zu halten [... und zweites] die Auswirkungen des verschärften Wettbewerbs aufzufangen, dem Teile der eigenen Bevölkerung nicht gewachsen sind" (WM 2000: 268). Doch auch "wenn die Nation [...] elementare wirtschaftliche, kulturelle und politische Voraussetzungen des sozialen Gefüges gewährleistet, kann das aber nicht heißen, daß in irgendeiner Nische des globalen Systems das Volksheim der sozialdemokratischen Ära weiter

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bestehen wird. Vielmehr muss das Kollektiv schon aus Eigeninteresse diejenigen fördern, die Wettbewerbsfähigkeit und politische Tüchtigkeit des Ganzen sicherstellen, es muß den Wohlfahrtsstaat soweit abschmelzen, daß er lebensfähig bleibt und den [nationalen] 'Bund' beseelen" (ebd.: 271).

Mit anderen Worten soll der Staat in erster Linie die nationale Anrufung als imaginäre Kompensation von Einbußen an materieller – wohlfahrtsstaatlicher – Sicherheit anbieten. Ähnlich meinte Weißmann auch auf dem 1. Berliner Kolleg, das sein INSTAPO und die JF im Jahr 2000 zum Thema Globalisierung organisiert haben, "daß er 'keine Möglichkeit' sehe, 'dem Vorgang der Globalisierung zu entgehen', er sehe nur die Möglichkeit, 'die Nation fit zu machen für den Konkurrenzkampf, der da auf uns zukommt'" (JF 40/2000: 13). Weißmann vertritt also deutlich die SACHZWANG-POSITION: Die Ära der Globalisierung beende die des sozialdemokratischen Volksheims. Sie sei alternativlos und zwinge zum nationalen Fitnessprogramm, das die Wettbewerbsfähigkeit, beziehungsweise die Überlebensfähigkeit im internationalen Konkurrenzkampf ermögliche und dessen Komponenten in der Auswahl und dem Training von Eliten einerseits sowie dem Beschneiden oder Abschmelzen des Sozialstaates andererseits bestünden. Letztlich sieht Weißmann damit nur Positionen bestätigt, die er bereits seit den achtziger Jahren vertrat. So hält er sich nicht länger mit den im engeren Sinne ökonomischen Aspekten der Debatte auf, sondern rückt – wie kaum anders zu erwarten – vor allem die mit dem Gegensatz GLOBAL-NATIONALverbundene Infragestellung des Nationalstaates ins Zentrum. Zwar seien auch die Industriestaaten "kaum mehr in der Lage, den technischen und ökonomischen Prozess zu kontrollieren" und etwa die "Internationalisierung des Geldmarktes, den faktischen Verlust der Währungs- und Zinskontrolle" (WM 2000: 268) rückgängig zu machen, aber dies erlaube keinesfalls die generelle Infragestellung nationalstaatlicher Souveränität. "Die Souveränität der Nationen wird durch den Prozeß der Globalisierung überlagert und gebrochen, aber nur um sich in geminderter und modifizierter Form wiederherzustellen" (ebd.). Um zu diesem Ergebnis zu kommen, entwirft Weißmann gemäß dem Titel des Aufsatzes "Globalisierung und Nation" drei mögliche Szenarien ihres künftigen Verhältnisses: In Szenario 1 wird die Nation "aufgesogen von supranationalen Verbänden [sowie] unkenntlich durch die Internationalisierung des Lebensstils und die Masseneinwanderung" (ebd.: 262). Er charakterisiert diesen Fall als ein "Regime der Manager", das "weder den Parlamentarismus bekämpfen, noch die Demokratie in Frage stellen, sondern auf schleichende Übergänge setzen" (ebd.: 270) würde. Die "Weiterentwicklung der Europäischen Union [...] könnte das Modell für eine solche Entwicklung" geben, die in totalitären Farben gezeichnet wird.

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In Szenario 2 wird die Nation zum "Orientierungspunkt rein negativer Energien, mobilisiert die Verlierer der Moderne, die einen letztlich aussichtslosen Kampf gegen die schöne neue one world führen" (ebd.: 262, kursiv i.O.). In diesem Fall würde die Nation als "letzte noch identifizierbare Solidargemeinschaft" zum Ausgangspunkt "eines 'National-Sozialismus' [...], der die Verteidigung des Nationalals Wohlfahrtsstaates proklamieren würde". Das ist die Option jener Fraktion, die Weißmann als 'Linke der Rechten' kennzeichnet und deren potenzielle Wirkmächtigkeit er an unterschiedlichen Stellen mit einem Bezug auf die Warnung des marxistischen Historikers Eric Hobsbawm vor neuen bonapartistischen Bewegungen unterstreicht (vgl. ebd., WM 2006a: 41, JF 36/1998: 4). Freilich setzt sich Weißmann von dieser Fraktion der Rechten – die er an mancher Stelle gar als "Häretiker der Linken" (JF 36/1998: 4) und nicht als Teil der Rechten beschreibt – ab. So bleibt zwischen den beiden ersten Optionen, "einem hoffnungslosen Partikularismus [Szenario 2] und einem sinnlosen Globalismus [Szenario 1]" (WM 2000: 270), nur das Szenario 3 als "denkbare konstruktive Lösung, [...] in Gestalt eines 'defensiven' (Ernst Nolte) Nationalismus, der die kulturellen Besonderheiten verteidigen wird und den Nationalstaat als notwendiges Glied größerer föderativer oder imperialer [!] Einheiten erhalten kann" (ebd.: 262). Dieses Szenario führt schließlich in die beschriebene politisch-ökonomische Programmatik des Sozialabbaus auf nationalstaatlicher Ebene. Diese Stellen verdeutlichen noch einmal das stilistische Vorgehen bei Weißmanns vergleichsweise subtiler Reproduktion des nationalistischen Diskurses, etwa durch die beiläufige Zustimmung zu Noltes Charakterisierung des Faschismus als 'defensivem Nationalismus' in einem völlig anderen Kontext. Vor allem aber reproduziert er hier die zentralen Aussagen der nationalistischen Globalisierungserzählung auf eine Art und Weise, welche die einschlägigen Binarismen zwar vordergründig vermeidet, sie aber dennoch zum Strukturprinzip des Textes macht. So verbirgt sich beispielsweise hinter den im Zusammenhang mit den Szenarien 1 und 3 zitierten Gegensätzen {totalitäres Regime, Aufsaugen des Nationalstaates, supranationale Verbände, Europäische Union} / {Nationalstaat als notwendiges Glied föderativer oder imperialer Einheiten} die EUROPA-Aussage, die an weiteren Stellen in einem spezifischen Sinne ausgebaut wird. Gleiches lässt sich für die ONE-WORLD-Aussage zeigen. Diese erscheint zwar im Zusammenhang mit der abgelehnten 'national-sozialistischen' Option, die mit deutlichen Anklängen an die öffentliche 'Rechtsextremismusdebatte' (Modernisierungsverlierer) präsentiert wird. Das bedeutet aber nicht, dass die Aussage als solche abgelehnt würde. Vielmehr bildet die Nation – analog zu dem mit der

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Überschrift gegebenen zentralen Thema 'Globalisierung und Nation' – auch hier das zentrale Gegenstück zur 'One World', die zugleich in Anspielung auf Huxleys Dystopie 'Schöne neue Welt' als totalitär konnotiert ist. So ergibt eine synchrone Lektüre der drei Szenarien anhand des Zentralbegriffes Nation den definitorischen Antagonismus der ONE-WORLD-Aussage: {one word, Globalismus, totalitäres Regime der Manager, Internationalisierung des Lebensstils, Masseneinwanderung} / {Nationalstaat, Partikularismus, identifizierbare Solidargemeinschaft, Verteidigung der kulturellen Besonderheiten}. Diese Struktur wird durch weitere Textstellen bestätigt, etwa im FAZ-Artikel von 1994, der wie der Globalisierungsartikel in der Sammlung perspektivischer Schriften nachgedruckt wird. Bereits hier charakterisiert Weißmann – einmal mehr Carl Schmitt paraphrasierend – die "Welt als Pluriversum" und hält es dementsprechend für "nicht verantwortbar, in Kategorien der 'Einen Welt' zu denken oder das Vorhandensein von nationalen Interessen zu leugnen" (WM 2000: 246). Also gilt auch der Gegensatz {'Eine Welt'} / {Pluriversum, nationale Interessen}, der hier im Zusammenhang mit "geopolitische[n]" (ebd.) Überlegungen ausgesprochen wird. Zudem fügt sich die ONE WORLD in die folgenden assoziativ aufgebauten Gegensatzketten, mit denen der Globalisierungsaufsatz eröffnet wird: {"Sprachensterben [...] Prozess kultureller Uniformierung [...] 'Einförmigkeit' [...] Weltwirtschaft, Weltverkehr, Weltmarkt, Welthandel, Welternte und 'Austauschmenschheit' [...] 'Weltzivilisation' [...] Entbindung [...] Verhaltensmuster sind europäisch-nordamerikanisch [...] moderne Massengesellschaft" (WM 2000: 259f.)} / {"traditionelle Verhaltensweisen [...] Herkunft und Überlieferung" (WM 2000: 260)}. Zusammengeführt wird diese Mischung aus ökonomischen Globalisierungstendenzen und kulturpessimistischem Jargon des frühen zwanzigsten Jahrhunderts – das explizit als Referenzepoche erscheint – in der suggestiven Gegenüberstellung zweier Bilder von Herrschaftsformen. Auf der einen Seite steht ein "kosmopolitische[s] Management, das [...] sich durch 'Plastikwörter' [...] verständigen dürfte, die es aus dem Englischen abwandelt, für eine Kommunikation, die auf das Nützliche beschränkt bleibt" (ebd.). Das Gegenüber bilden die "Eliten der Vergangenheit" beziehungsweise das "europäische[] Bürgertum" (ebd.). All diese Elemente finden im Laufe des Textes ihre typischen Gegenstücke (die teils schon zitiert

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wurden und teils im Folgenden belegt werden) und bilden damit die konstitutiven Aussagen der nationalistischen Globalisierungserzählung. So sind die 'nationalstaatlich trainierten und vor allem loyalen Eliten', die Weißmann 'in der Tradition der Eliten der Vergangenheit' fordert, das positive Gegenstück zum 'kosmopolitischen Management'. Letzteres wird zugleich mittels der Anspielungen auf 'englische Plastikwörter', die utilitaristische Beschränkung auf das Nützliche und so weiter mit der traditionellen abwertenden Figur des 'angloamerikanischen Materialismus' verbunden. Deren aktualisierte Version bildet bekanntlich in Verbindung mit der Klage über 'kulturelle Uniformierung und nordamerikanische Verhaltensmuster' die Aussage der AMERIKANISIERUNG, die gegen Ende des Textes auch explizit ausgesprochen wird. Dort heißt es im Zusammenhang mit der 'konstruktiven nationalen Perspektive': Eine "Nation ist für ihre Existenz angewiesen auf den Entschluß zur Selbstbehauptung, auf Bestimmung des Eigenen und Wahrnehmung des Fremden als Fremdes. Das ist unter dem Aspekt einer Durchdringung der Kulturen einerseits, ihrer Amerikanisierung andererseits eine schwierige aber keine unlösbare Aufgabe" (WM 2000: 271).

Was an dieser Stelle gefordert wird, ist freilich nichts anderes als das Schmittsche Postulat der nationalen "Homogenität, das die Voraussetzung [... der] Demokratie" (ebd.) bilden soll, wie es gleich anschließend – hier von Smend zitiert – heißt. Die Aussage lautet jedenfalls: {Fremdes, Amerikanisierung, Durchdringung der Kulturen} / {Eigenes, Selbstbehauptung, Homogenität (Demokratie)}. Damit schließt sich auch der Kreis zu den Elementen der 'modernen Massengesellschaft und der Austauschmenschheit' in Weißmanns Reihe am Textanfang. Schon dort hat er "die Aufklärung und [...] das universalistische Pathos der Französischen Revolution" in eine Reihe mit der "Globalisierung" (WM 2000: 260f.) 224 gestellt und die Übersetzung der IRRATIONALISMUS-Aussage in jene Form geleistet, die für die nationalistische Globalisierungserzählung typisch ist: {Globalisierung, Universalismus, Aufklärung, "Idee der Menschheit"} / {"Zugehörigkeit zu Stämmen, Nationen, Religionen oder Kulturen" (ebd.)}. Auch an anderer Stelle erscheint die Menschheit in Anführungszeichen, die Distanz zu dieser Kategorie signalisieren. Der Nationalstaat sei nämlich nicht zuletzt deshalb unverzichtbar, weil "nicht erkennbar [sei], dass die 'Menschheit' ein [...] politisches Monopol von unten etablieren will" (WM 2000: 268).

224 Weißmann verbindet dies mit einem Seitenhieb auf die rationalistische Begründung des Staates durch einen "Vertrag" (WM 2000: 260).

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In diesem Zusammenhang fügt sich auch der linke Internationalismus in die Gegenstücke zur Kette {Stämme, Nationen, ...} ein. Im historischen Rückblick war es zunächst das "bolschewistische [...] Gebilde, das auf internationaler Solidarität einer Klasse aufbauen sollte" (WM 2000: 265, kursiv i.O.). Bemerkenswert ist auch, wie Weißmann sich an dieser Stelle beiläufig "Carl Schmitts 1941 formulierte[r] Diagnose vom Ende des 'Zeitalters der Staatlichkeit'" im Sinne des Nationalstaates zugunsten "neue[r] Imperien" (ebd.) anschließt. Dass Schmitt seinerzeit selbst für die imperiale NS-Option der "ideologisch und rassisch 'geschlossenen'" (ebd.) Großraumordnung plädiert hat, übergeht Weißmann und bemerkt lapidar: "Der Sieg der Alliierten zerstörte die Option der Großraumordnung" (ebd.). An anderer Stelle nimmt er den historischen Faden wieder auf und überträgt das Schmittsche Theorem der "neuen Imperien" – die als "Ideologiestaaten" auf einer "Vorstellung von Universaler Sendung" beruhen, hinter denen sich aber doch nur "partikulare[] Interessen" verbergen – auf die Phase der Blockkonfrontation. In dieser lauteten die universalistischen Parolen "wahlweise Menschenrechte und Demokratie oder Menschenrechte und Sozialismus" (WM 2006a: 100f.). Auch wenn er auf der Ebene der internationalen Beziehungen aktuell keine Rolle spielt, bleibt der Internationalismus nach wie vor ein negativer Bezugspunkt. Zielscheibe sind nun die "neuen Internationalisten und Weltbürger", wie Habermas, welche die "Integrierbarkeit und Integrationskraft einzelner Völker" überschätzen und den "innere[n] Zusammenhang von Demokratie und Nationalstaat" (ebd.: 284) in Frage stellen. Es gilt: {'Menschheit', (Menschenrechte und Sozialismus, bolschewistisches Gebilde) / (Menschenrechte und Demokratie, Internationalisten und Weltbürger)} / {Völker, Nationalstaat, partikulare Interessen, Imperien}. In der Tabelle 6.1 sind zentrale Elemente der zuletzt extrahierten Äquivalenzketten abgetragen. Dabei zeigt sich deutlich, dass auch Weißmanns Texte – unter der Oberfläche – durch die Übersetzung der klassischen IRRATIONALISMUS-Aussage in die ONE-WORLD-Aussage strukturiert sind, wenngleich die entsprechenden Äquivalenz- und Differenzbeziehungen selten an einer Stelle verdichtet auftreten.

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Tabelle 6.1: Von der IRRATIONALISMUS-Aussage zur One-World-Aussage im Text von Weißmann {Nationaler Mythos} {Völker} Konservative Revolution Eliten der Vergangenheit, Europäisches Bürgertum

/ {Universalismus: / {One World: Materialismus

Nationalstaat, Partikularismus, identifizierbare Solidargemeinschaft, kulturelle Besonderheiten Völker, Nationalstaat, partikulare Interessen, Imperien Pluriversum, nationale Interessen Eigenes, Selbstbehauptung, Homogenität (Demokratie) Stämme, Nationen, Religionen, Kulturen

One World

'Menschheit'

(Marxismus) (Internationalismus) Marxismus

/ (Liberalismus)} / (globaler Kapitalismus)} Herrschaft des Geldes Kosmopolitisches Management, englische Plastikwörter, auf das Nützliche beschränkt Globalismus, Internationalisierung des Lebensstils, Regime der Manager

Menschenrechte und Sozialismus, bolschewistisches Gebilde, Internationalisten

Menschenrechte und Demokratie, Weltbürger

'Eine Welt' Amerikanisierung

Nationalstaat

Universalismus, Aufklärung, Idee der 'Menschheit', Franz. Revolution 'Menschheit'

traditionelle Verhaltensweisen, Herkunft, Überlieferung

'Austauschmenschheit', 'Weltzivilisation', Entbindung

Globalisierung

politisches Monopol von unten kulturelle Uniformierung, 'Einförmigkeit', europäisch-nordamerikanische Verhaltensmuster

6.1.6 Deterritorialisierung: Juden und Ausländer Im Falle der NPD und der Militanten ist die ONE-WORLD-Aussage mit offenem Antisemitismus verknüpft. Auch Carl Schmitt hat in den 1940er-Jahren entsprechenden argumentiert. Hinzu kommt die (latent) antisemitische Konnotation von Schlagworten wie 'kosmopolitisch' oder 'Herrschaft des Geldes', von der wörtlich auch in den 'Protokollen der Weisen von Zion' die Rede ist (vgl. Wippermann 2007:

6.1 Karlheinz Weißmann: Eliten-Training und effektive Quarantäne

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69). Somit stellt sich die Frage, inwieweit diese Struktur auch bei Weißmann antisemitisch überdeterminiert ist. Obgleich dieser Aspekt bei Weißmann keineswegs im Vordergrund steht, ist es daher auffällig, dass just an solchen Stellen von Juden oder Israel die Rede ist, die sich mit klassisch antisemitischen Topoi, nämlich den Bildern der Gottesmörder, der Verschwörung und der Herrschaft über die öffentliche Meinung befassen. So wendet sich Weißmann im Rahmen einer allgemeinen Polemik gegen interreligiöse Dialoge gegen die "Generalabwicklung der christlich-jüdischen Konfliktgeschichte", die so tue, "als ob die Verfolgung und Tötung Christi [...] auf einem Mißverständnis beruhe" und dieser "auf Wunsch irgendwelcher Dunkelmänner, wahrscheinlich aber der Römer, gekreuzigt" (WM 2006a: 129) wurde225. Gemäß dieser Aktualisierung des Gottesmord-Vorwurfs lehnt Weißmann auch die "Rede von der 'jüdisch-christlichen Tradition'" ab und zwar als "eine bestimmte Form von theologischer Vergangenheitsbewältigung" (ebd.: 129f.). Das Bild der Verschwörung wird in einem kleinen Abschnitt des Männerbund-Buches aufgerufen, in dem er die "Entstehung politischer Geheimorganisationen im Konflikt mit dem modernen Staat [...] bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolg[t]" (WM 2004: 105). Diesen habe in Abgrenzung zum Absolutismus die Idee zugrunde gelegen, dass politische Herrschaft "auf der Übereinkunft vieler, die einen 'Bund' – nach dem Vorbild des alten Israel – bildeten" (ebd.) beruhen sollte, der in der Geheimorganisation vorweggenommen werde. An dieser Stelle verweist Weißmann auf einen Aufsatz, der den Einfluss religiöser 'Bundes'-Vorstellungen auf die Entwicklung der neuzeitlichen Staatstheorie untersucht, sich aber weder mit 'Geheimorganisationen' beschäftigt noch das 'alte Israel' herausstellt (vgl. Oestreich 1967), während Weißmann direkt im Anschluss auf die Freimaurer zu sprechen kommt. Deren "Einfluß auf den Ablauf der amerikanischen und französischen Revolution [sei] unbestreitbar, und auffällig erscheint auch die Wirkung, die ihr Vorbild für die civil religion und ihre kultischen Formen in den neu geschaffenen Staatsformen gewann" (WM 2004: 105). Die Spur der "Zivilreligion" führt wiederum zur 'Vergangenheitsbewältigung', nämlich dem "gesellschaftlichen Grundkonsens" der Bundesrepublik, der "von der These, im 'freiesten Staat der deutschen Geschichte' zu leben bis zur Forderung, die Erinnerung an Auschwitz müsse der Grund deutscher Staatsräson sein" reiche und "Symptom der gesellschaftlichen Durchsetzung der Achtundsechziger" (WM 2006a: 117) sei. Die Anklänge an die bei Weißmann omnipräsente POLITICAL CORRECTNESS-Aussage (vgl. u.a. 2000: 250, 256; 2006: 74, 82) sind unüberhörbar. Damit scheint es auch mehr als Zufall zu sein, dass er 1994 in der FAZ gerade den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden als Beispiel im Zusammenhang mit den 'Gutmenschen' heranzog. Seinerzeit beklagte 225

Vgl. dazu Wamper 2007.

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Weißmann das "allgemeine Einverständnis der guten Menschen", dass die Intellektuellen der so genannten 'Neuen Rechten' "irgendwie zur 'Klimaänderung' (Ignatz Bubis) beigetragen haben, in der die Gewalt gegen Ausländer und der neue Antisemitismus gedeihen" (WM 2000: 245). Nimmt man die Attribute zusammen, mit denen JUDEN an den zitierten Stellen mehr oder weniger beiläufig assoziiert werden, zeigt sich die beachtliche Kette {Verfolgung und Tötung Christi, politische Geheimorganisationen, Freimaurer, amerikanische und französische Revolution, Zivilreligion, Vergangenheitsbewältigung, political correctness (Durchsetzung der Achtundsechziger, Gutmenschen)}. Zu den Elementen mit einer potenziell antisemitischen Konnotation gehört auch der mit dem Komplex des ewigen Wanderers verbundene Bildbereich des Nomadischen, beziehungsweise der Heimat-, Identitäts- oder Ortlosigkeit, der bei Weißmann ebenfalls eine prominente Rolle spielt. So ist dem Bericht über die zweite Winterakademie des INSTAPO zum Thema Globalisierung zu entnehmen, dass die Vorträge des eingespielten Teams Weißmann-Kubitschek die Veranstaltung gerahmt haben, wobei Kubitschek zu Beginn "die Globalisierung als 'Entortungsphänomen'" beschrieb, das "zu Gegenbewegungen zur Suche und Gestaltung von neu-alten, direkt erfahrbaren und gestaltbaren Räumen" führe, während Weißmann am Ende "die Bedeutung der Orientierungsgröße 'Identität'" im Sinne "eine[r] spontane[n] Vitalität der Kulturkreise"226 hervorhob. Am Ende des Globalisierungsaufsatzes bietet Weißmann – entsprechend seiner Verknüpfung der 'verfassungspatriotischen' Position von Habermas mit dem Bild des heimatlosen Globetrotters – dann das gesamte Repertoire des symbolischen Gegensatzes auf. Hier analogisiert er die Globalisierung mit "der Neolithische[n] Revolution, bei der vor Jahrtausenden die Existenzweise der schweifenden Jäger, Sammler und Nomaden abgelöst wurde von der der seßhaften Bauern" und spekuliert über damit verbundene "kriegerische[] Auseinandersetzungen zwischen Wanderern und Seßhaften" (WM 2000: 271f.). Diese unter Verweis auf Gehlen zunächst quasiwissenschaftlich beginnende Erzählung spinnt er dann im unmittelbaren Übergang zur Theologie weiter, nämlich mit einer eigenwilligen Exegese "der Genesis", insbesondere des "Turmbau zu Babel" (ebd.: 272). Diesen müsse man "so lesen, daß die Differenz der Zivilisationen zu den ältesten Beständen unserer über Jahrtausende gewaschenen Lebensweise gehört", sie "unaufhebbare Ordnung des Menschen nach dem Fall" (ebd.) sei. Wenn die Globalisierung "diese Differenzierung heute auflöst", indem sie die "alten Bindungen aufheb[t]", dann bedeute dies "die Abschaffung jener 'zweiten Natur' die sich der Mensch in der Vergangenheit mühsam angeschafft hat, jenes Gesamt von [...] Haltungen und Handlungen, die Herkunft und Heimat bestimmen" und "eigentlich Kultur bedeuten" (ebd.). 226

http://www.staatspolitik.de/rumpf/2winteraka.html [10.04.2008]

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Der symbolische Antagonismus der RETERRITORIALISIERUNG {Entortung, Heimatlosigkeit, Globetrotter, schweifende Nomaden, Wanderer, Auflösung} / {neu-alte Räume, Heimat, Herkunft, alte Bindungen, Identität, Seßhafte, gewachsene Lebensweise, spontane Vitalität der Kulturkreise} bildet hier den Kern einer Erzählung über das vermeintliche 'Wesen des Menschen', die in Form von theologischen und anthropologischen Spekulationen präsentiert wird. Daran schließt Weißmann wenig überraschend auch das Thema aktueller Migrationsbewegungen an. Dabei zeigt sich einmal mehr das hochgradig stereotype Muster (Landnahme, Ströme, Belastung), das in allen Fraktionen der nationalistischen Rechten mit dem Thema AUSLÄNDER verbunden ist. Die "Ströme, die sich seit den siebziger Jahren nach Europa ergießen", haben zur Entstehung von "inhomogenen, weil 'multikulturellen' Gebilden geführt" (WM 2006a: 108). Als "die Schleusen für die Migration geöffnet wurden, kam es zu einem Prozeß, der die Homogenisierungsleistung der vergangenen beiden Jahrhunderte in manchen Bereichen schon völlig zerstört hat" (WM 2006a: 109). Die Ströme sind äquivalent zum militärischen Angriff, denn Weißmann geht davon aus, dass "die historische Entwicklung dauernd von 'Ausbreitung' – einem quasi-natürlichen Eindringen in attraktive Lebensgebiete, die entweder leer oder unverteidigt sind – und 'Landnahme' – der aktiven und planmäßigen Eroberung eines Territoriums – bestimmt" (WM 2000: 281) sei.

Dementsprechend sieht er "Konflikte zwischen Einheimischen und Fremden [...] zwangsläufig" (WM 2000: 281) kommen, und seine Antwort auf die Frage "Eine Festung Europa?" lautet schlicht: "Unbedingt!" (WM 2006a: 105). Als weiteres symbolisches Äquivalent kommt die Übertragung von Krankheiten hinzu. "Jede Aufnahme von Fremden in den Staat ist eine Belastungsprobe" (ebd.: 284) für den homogenen Volkskörper. Die Zukunft der Industriestaaten hänge angesichts der Globalisierung davon ab, ob es gelinge, "daß die großen Migrationsbewegungen und die Epidemien eingrenzbar bleiben – 25 Millionen Flüchtlinge sind ebenso eine Erscheinungsform der Globalisierung wie die 14 Millionen Toten, die 1995 einer Infektionskrankheit zum Opfer fielen, weil die modernen Verkehrsmittel praktisch keine effektive Quarantäne erlauben" (WM 2000: 261). Diese Analogie konnotiert offensichtlich das rassistische Stereotyp der Einschleppung von Krankheiten und das gleiche Motiv steckt in der Äußerung, die EU werde "mit der Erweiterung und der Absicht die Türkei aufzunehmen entweder kollabieren oder in ein langes Siechtum eintreten" (WM 2006a: 103).

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Wie die Rede von den 'inhomogenen multikulturellen Gebilden' schon andeutet, folgt Weißmann hier wiederum in erster Linie Carl Schmitt, der ja ebenfalls für die Ausscheidung der Fremden aus dem Volkskörper plädiert, weil dies zur 'Homogenität' als entscheidender Grundlage des (autoritären) Staates führe. Nicht zuletzt diese Vorstellung des homogenen VOLKES wird durch die symbolische Aussage der RETERRITORIALISIERUNG integriert. So fürchtet Weißmann die Migration als "Infragestellung der [...] notwendigen Homogenität", welche zur "Auflösung" beziehungsweise zum "inneren Zerfall des Staates" (WM 2006a: 105) führe. Weiterhin behauptet er, dass "die Globalisierung und die Öffnung der Grenzen mit einem Anwachsen der Kriminalität und der sozialen Probleme verbunden sind und die Weltstädte durch die Migration an den Rand ihrer polizeilichen Möglichkeiten gebracht wurden", um unmittelbar mit der "Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols [...] in einigen Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas" (WM 2000: 269) fortzufahren. In ähnlichen Sprüngen kommt er zwei Seiten zuvor, von Staaten wie "Brasilien, die am Rande der Regierbarkeit stehen", unmittelbar zur Türkei, die "im Inneren von einer Minderheit – den zehn Millionen Kurden – bedroht [wird], die es ihr unmöglich macht, die notwendige Geschlossenheit zu entwickeln, um ihre geopolitischen [...] Interessen durchzusetzen" (ebd. 267). Schließlich endet das Ganze wiederum bei "Westafrikanischen Staaten, die in Chaos und Bürgerkrieg versinken" (ebd.). Auf keine der angesprochenen Regionen wird näher eingegangen, alles dient nur dazu, immer wieder beim Thema "des Nationalstaates" zu landen, der "das staatliche Gewaltmonopol nach innen zu sichern [...] und ein gewisses Maß an Homogenität in der Bevölkerung zu erreichen" (ebd.: 267f.) weiß. Das zentrale positiv gewertete Symbol ist in diesem Zusammenhang die Geschlossenheit, die sich beispielsweise im "August 1914" gezeigt hat, als die "Nationalstaaten [...] sich tatsächlich als geschlossene Ganze in den Konflikt stürzten" (ebd.: 264) und den ersten Weltkrieg entfachten. Das negative Bild ist das der offenen Grenze, die zur 'Inhomogenität' das heißt symbolisch zur Vermischung führt. Weißmanns Term dafür ist die "Panmixie" (WM 2006a: 109), die laut Wahrigs Wörterbuch (1994) als "allgemeine Kreuzbarkeit aller Tiere oder Pflanzen, die zu einer Population gehören (zu grch. pan 'alles' + mixis 'vermischen')" definiert ist. Dem klassischen Einwanderungsland USA sagt Weißmann für die Zukunft voraus, dass aus den diversen Gruppen "keine neues 'Volk' durch Panmixie hervorgeht" (WM 2000: 280). Was bevorstehe sei vielmehr "die dauernde Separation der Weißen von den Farbigen auf befestigten 'Inseln' im Meer der völlig außer Kontrolle geratenen Städte" (ebd.), wie es in Brasilien der Fall sei. In der Tradition Schmitts entwirft Weißmanns eine Vorstellung von (National-)Staatlichkeit, die wesentlich auf der Homogenität des VOLKES beruht

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{Nationalstaat, Homogenität, Gewaltmonopol, polizeiliche Möglichkeiten, Regierbarkeit, geopolitische Interessen} / {Migration, Minderheiten, multikulturelle Gebilde, Kriminalität, soziale Probleme, Bürgerkrieg} Dies wird durch den symbolischen Antagonismus der RETERRITORIALISIERUNG gestützt: {geschlossenes Ganzes, befestigte Insel, militärische Festung-Verteidigung, gesunder Körper} / {offene Grenzen (Schleusen), Ströme-Meer-Auflösung-Versinken-Vermischung, Bedrohung-Landnahme-Eroberung, Krankheit-Epidemie-Kollaps, Zerfall, Chaos}. 6.1.7 Imperium (Mittel-)Europa: Geschlossener Handelsstaat gegen globale Menge Im rassistischen Bild von den weißen Inseln im Meer der Farbigen ist zugleich auch die Bedrohung durch die GLOBALE MENGE artikuliert, also durch jene 'Mehrheit der Farbigen', die Schmitt ebenfalls schon als 'Ungeheuer' empfand (vgl. Kapitel 3.2.4.3). Ganz deutlich zeigt dies eine Karikatur, welche die Zeitschrift CRITICÓN (161/1999: 40f.) – in der der entsprechende Text Weißmanns227 zuerst erschien – auf der Doppelseite platziert hat, auf der sich das Zitat mit den weißen Inseln findet (vgl. Abbildung 11). Darin wird das globale Nord-Süd-Verhältnis als Straßenraub symbolisiert, allerdings nicht etwa in Sinne der Ausplünderung südlicher Rohstoffe durch den Norden oder im Sinne der Zahlungen in Folge der Schuldenkrise, sondern umgekehrt als Raub von Entwicklungshilfe. Der Süden erscheint als eine Mischung aus Bettler (Hut, 'Hilfe') und räuberischem Erpresser, der den Norden in Gestalt eines wohlhabenden Herren im Anzug überfällt und mit einer Waffe (nämlich mit Bevölkerungsreichtum und potenzieller Migration) bedroht. Entsprechend "prognostiziert" Weißmann schon 1994 in FAZ, unter Berufung auf Paul Kennedy, "das Ende aller freiheitlichen Ordnung, falls die Völker der nördlichen Halbkugel nicht beginnen ihre Überlebensfähigkeit zu organisieren" (WM 2000: 246). Das Mittel zur Überlebensfähigkeit der 'weißen Völker' liegt einmal mehr in der Schließung der Grenze und zwar in doppelter Hinsicht. So fordert Weißmann hinsichtlich Europas "die Schaffung eines geschlossenen Handelsraumes und die Abschließung gegen weitere Einwanderung" (WM 2006a: 103). Das heißt, er plädiert 227 Der Titel des Aufsatzes lautet "Volk, Nation und Staat" (vgl. WM 2000: 273ff, CRITICÒN 161 (1999): 35ff.)

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"in gewissem Sinne" für "eine Art Autarkie", die allerdings "keine vollständige Abschottung" sein solle, sondern "eine Verstärkung und Kontrolle von Tendenzen, wie es sie auch jetzt schon innerhalb des Weltwirtschaftssystems gibt" (ebd.). Schon auf dem Berliner Kolleg von JF und INSTAPO zur Globalisierung im Jahr 2000 hielt er es – vermutlich inspiriert durch die recht breite Debatte in der nationalistischen Rechten um die Position von Ritter/Zeitler (2000) – "für eine 'durchaus sinnvolle Konzeption', Europa 'mehr oder weniger in einen geschlossenen Handelsstaat zu verwandeln'" (JF 40/2000: 13). Damit zeichnet sich eine gewisse – zögerlich formulierte – Verschiebung zum Globalisierungsaufsatz von 1996 ab. Auch dort ließ Weißmann es sich nicht nehmen, den Nationalstaat, den er gegen all die Globalisierungsphänomene – darunter "Weltwirtschaft, Weltverkehr, Weltmarkt, Welthandel [und] Welternte" (WM 2000: 259) – verteidigt, en passant als "gewöhnlich [...] 'relativ geschlossenen Handelsstaat'" zu charakterisieren, "der für den Kriegsfall auch seine ökonomische Potenz zu bündeln wußte" (WM 2000: 262). Im tendenziellen Gegensatz zur HANDELSSTAAT-Aussage konstatierte er damals aber im Rahmen der SACHZWANG-POSITION schlicht eine allgemeine "wachsende Skepsis gegenüber Methoden der ökonomischen Steuerung, die immer auf den Primat der Politik gesetzt haben – sei es im Sinne der Kommandowirtschaft, des Protektionismus oder des Keynesianismus" (ebd.: 268). Zehn Jahre später hält er zwar immer noch an seinen zentralen politisch-ökonomischen Aussagen – insbesondere dem Zurückschneiden des WOHLFAHRTSSTAATES – fest, verbindet dies jedoch mit einer gewissen Kritik an der 'Privatisierung der Gewinne und der Sozialisierung der Verluste'. Und angesichts der Situation, "daß Unternehmen [...] Rechtssicherheit, politische Stabilität etc. [] wie selbstverständlich nehmen, sich aber im Hinblick auf die Erhaltung von Produktionsstätten und Arbeitsplätzen für unzuständig erklären", müsse laut Weißmann "wieder einmal ins Bewußtsein gehoben werden, daß die Ökonomie – um eine Formel Heideggers abzuwandeln – nicht 'denkt', das heißt sie kann aus sich selbst heraus keine Ziele formulieren, die über das Ökonomische hinausgehen" (WM 2006a: 103f.).

Als positives Gegenbeispiel der Verbindung von Denken und Ökonomie wird dann prompt der theoretische Ahnherr des Protektionismus "Friedrich List" (ebd.) angeführt. Als wolle er Marx Spott bestätigen, wonach bei dieser "listigen Theorie" schlicht "die Deutschtümelei [...] aus dem Menschen in die Materie gefahren" (MEW 1: 382) sei, hält sich Weißmann auch in diesem Zusammenhang nicht länger mit ökonomischen Fragen auf. Weder belegt er die fragwürdige These von der 'Gewöhnlichkeit des geschlossenen Handelsstaates', noch führt er genauer aus, was gegen die Sozialisierung der Verluste getan werden könnte, oder mit welchen konkreten Maßnahmen Europa in einen GESCHLOSSENEN HANDELSSTAAT verwandelt werden sollte. Vielmehr fährt der Text fort mit Kubitscheks Frage: "Ihr mitteleuropäischer Bund soll aber doch wohl nicht nur wirtschaftlichen Zielen

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dienen?" und Weißmanns Antwort lautet: "Nein, wünschenswert wäre natürlich auch ein enger militärischer und politischer Zusammenschluss" (WM 2006a: 104). Als historisch gebildeter Experte für das Kreieren einer mythologischen Genealogie weiß er das entsprechende geopolitische Sandkastenspiel mit den passenden Ritterfiguren zu bestücken. So verwirft Weißmann "das karolingische Europa", das heißt "Europa unter einer deutsch-französischen Doppelspitze" (WM 2006a: 101). Im Gegensatz dazu, aber auch zu einer "'Achse' Paris-Berlin-Moskau", solle Mitteleuropa228 vielmehr "die Wiederaufnahme eines Projekts [sein], das seit dem 19. Jahrhundert verschiedentlich in Angriff genommen wurde", nämlich der "Zusammenschluß aller Staaten zwischen Skandinavien im Norden und Italien im Süden, der französischen Grenze im Westen und der russischen im Osten" (ebd.: 102). In diesem Modell würde "Deutschland selbstverständlich" (ebd.: 98) die Rolle der europäischen Führungsmacht spielen, die es am besten – so Weißmann an der zitierten Stelle – schon nach dem ersten Weltkrieg übernommen hätte, wäre er bloß nicht verloren gegangen. Bei aller Geschichtsmythologie haben diese militärisch-politischen Überlegungen aber auch bei Weißmann eine ökonomische Fundierung, denn er geht mit Blick auf Europa davon aus, "daß wir einem neuen imperialen Zeitalter entgegengehen, daß [...] ein Weltstaatensystem entsteht, in dem Großräume miteinander um Ressourcen und Einfluß konkurrieren" (WM 1999: 192). In diesem Zusammenhang kommt er noch einmal auf Schmitts These von den "modernen Imperien" zu sprechen, "die keine Staaten im genauen Sinne mehr" seien, wenngleich sie nach wie vor "faktisch der Durchsetzung partikularer Interessen" (WM 2006a: 100f.) entsprächen. Damit ist klar, was es konkret bedeutet, wenn Weißmann im Globalisierungsaufsatz davon spricht, dass 'der Nationalstaat als notwendiges Glied föderativer oder imperialer Einheiten' erhalten werden müsse. Wenngleich er – im Gegensatz zu den meisten Fraktionen der nationalistischen Rechten – kurzfristig für eine pragmatische Akzeptanz der amerikanischen Dominanz plädiert (vgl. 2006: 89ff.), geht es ihm langfristig um etwas anderes. Weißmanns Vision ist ein 'Europäisches Imperium' – den entsprechenden deutschen Terminus des Reiches scheut er (noch?) – unter 'mitteleuropäischer, respektive deutscher Führung'. So fügt sich die vehemente Verteidigung des Nationalstaates gegen die EU (EUROPA-Aussage) in die These von den neuen Imperien und die Prognose von der künftigen ökonomisch-politisch-militärischen Konkurrenz geschlossener regionaler Machtblöcke, die zugleich die Vorstellung des GESCHLOSSENEN HANDELSSTAATS auf die europäische Ebene hebt.

228 Zur symbolischen Dimension sowie zu historischen und zeitgenössischen Bezügen der Mitteleuropa-Figur vgl. Schobert (1995) sowie Ders./Papke (1994).

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6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum In einer mehrseitigen Passage des Interviewbandes 'Unsere Zeit kommt' geht Weißmann auch auf die Nouvelle Droite um Alain de Benoist ein. Dabei stimmt er einer Aussage Benoists zu, wonach dieser "sich seit fünfundzwanzig Jahren keiner Fraktion der Rechten mehr zugehörig fühle" und stellt in diesem Zusammenhang insbesondere Benoists" relativ wohlwollende Einschätzung der multikulturellen Gesellschaft" (WM 2006a: 35) heraus. Letztlich vertrete Benoist heute so etwas wie "einen 'konsequenten Kommunitarismus'" (ebd.: 36). Dieser zeichne sich im Gegensatz zum geläufigen Kommunitarismus durch zweierlei aus: Erstens dadurch, dass sich die Individuen hier nicht einfach "im Ernstfall zurückziehen" können, "wenn mit der Gemeinschaft" auch ihr "individuelles Interesse bedroht" (ebd.) sei. Zweitens dadurch, dass er einen "politischen Gesellschaftsbegriff" (im Sinne Carl Schmitts) habe, mit dem "die Nation auch als 'Gemeinschaft'" angesehen und geklärt werden könne, "wie im Politischen die Ansprüche der einzelnen Gemeinschaften zu hierarchisieren wären" (ebd.). Abschließend stellt Weißmann einerseits mit Bedauern fest, dass "diese Veränderungen im Gedankengebäude der französischen Neuen Rechten" in Deutschland, "wo auch die bürgerlichen Medien mit Regelmäßigkeit vom 'Faschisten' de Benoist schreiben" (ebd.: 36) wenig bekannt seien. Andererseits grenzt sich Weißmann auch deutlich von Benoist ab, indem er von "einer deutlichen Distanz zwischen diesem französischen und einem etwaigen deutschen Konzept von Rechts-Sein" (ebd. 38) spricht. Diese Äußerungen sind typisch für die Rezeption Benoists im Feld der nationalistischen Rechten in Deutschland. Einerseits ist der Autor offensichtlich relevant und bietet Anregungen, die aufgegriffen werden sollten, andererseits sind aber auch deutliche Vorbehalte erkennbar. Dies zeigt sich nicht zuletzt bei den Schriften Benoists zum Thema Globalisierung, das heißt in erster Linie den beiden Büchern 'Aufstand der Kulturen' (dB 1999, 2003) und 'Schöne vernetzte Welt. Eine Antwort auf die Globalisierung' (dB 2001), die in Form von Nachdrucken, Rezensionen und Interviews in nahezu allen Teilen des nationalistischen Feldes breit rezipiert wurden. In beiden Büchern ist das 'Manifest. Die Novelle Droite des Jahres 2000' (im Folgenden Manifest der ND) abgedruckt. Dieses kann als Zusammenfassung von Benoists Schriften der vorangegangen beiden Jahrzehnte gelten229, in denen die Kritik an der "Verwestlichung bzw. Globalisierung" (dB 2001: 424) der Welt – wie es im Manifest der ND heißt – ein bedeutender Topos ist. Entsprechend wird das Thema Globalisierung auch 1999 im Vorwort zur ersten Auflage von 'Aufstand der Kulturen' zur Rahmung der Textsammlung verwendet, die französische Zeitschriftenbeiträge 229 Die Ko-Autorenschaft von Charles Champetier kann an dieser Stelle – nicht zuletzt mit Blick auf die zahlreichen Kontinuitätslinien zu Benoists älteren Texten – vernachlässigt werden.

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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Benoists aus den 1990er-Jahren in deutscher Übersetzung präsentiert. In die 2., überarbeitete Ausgabe von 2003 wurde schließlich ein Aufsatz aus dem Jahr 2002 mit dem schlichten Titel 'Globalisierung' neu aufgenommen, der sich inhaltlich kaum von den entsprechenden Beiträgen des zwischenzeitlich erschienen Buches 'Schöne Vernetze Welt' unterscheidet. Auch dabei handelt es sich um eine übersetze Sammlung von Zeitschriftenbeiträgen aus dem gleichen Zeitraum, wobei der thematisch zentrale Aufsatz 'Im Angesicht der Globalisierung' bereits in dem 1998 von Hans-Helmut Knütter herausgegebenen Band 'Europa Ja – Aber was wird aus Deutschland' erschienen war, in dem noch ein zweiter Aufsatz von Benoist mit dem Titel 'Aktuelle Folgen der Globalisierung' erschien. 'Aufstand der Kulturen' wurde im Verlag der JF publiziert, in der Benoist schon in der Frühphase der Debatte auch des Öfteren zum Thema Globalisierung geschrieben hat (vgl. JF 31-32/1997: 2, JF 3/1998: 2). Ein weiterer Beitrag zum Thema erschien Mitte 2001 (vgl. JF 34/2001: 2), etwa zeitgleich mit dem zweiten Buch, das kurz darauf von Michael Wiesberg (vgl. Kapitel 6) in der JF besprochen wird (vgl. JF 42/2001: 17). Zu den "aufregendsten Passagen des Buches" zählt Wiesberg ein Kapitel, in welchem der "nur scheinbar anachronistische [...] Reichsgedanke [...] als Modell für die europäische Einigung – an deren Notwendigkeit Benoist als Antwort auf die Globalisierung nicht zweifelt – herangezogen" (ebd.) wird. Insgesamt sei das "Niveau", auf dem das Thema Globalisierung von Benoist bearbeitet werde, "bisher in Deutschland im (rechts-)konservativen Lager noch immer unerreicht", und dessen "Exponenten täten jedenfalls gut daran sich intensiv mit Benoist auseinanderzusetzen" (ebd.). Getan hat dies unter anderem Jürgen Schwab 2002 in seinem Buch 'Volksstaat statt Weltherrschaft' (vgl. Kapitel 3.2.4), an dessen Ende der HOHENRAIN-VERLAG auch eine Werbeseite für 'Schöne vernetzte Welt' platziert hat, das (wie schon einige Schriften Benoist aus den 1980er-Jahren) ebenfalls in diesem Haus erschien. Auch Schwab sieht einerseits Elemente in Benoist Schriften, an die sich anknüpfen lasse, nämlich insbesondere dessen an Carl Schmitt orientierte Behandlung des Themas DEMOKRATIE. So weise "Alain de Benoist bei der parlamentarischen Demokratie zu Recht darauf hin [...], daß es sich dabei um eine eher 'formale' Form von Demokratie handelt und diese vielmehr eine 'bestimmte Entartung des demokratischen Ideals' offenbare" (Schwab 2002: 238, Zitat im Zitat: dB 1986: 7). Andererseits kritisiert Schwab im gleichen Zusammenhang, was subtiler auch schon bei Weißmann anklang. Es stehe nämlich "demjenigen die Verwendung des 'Demokratie'-Begriffs nicht zu, der sich für einen sogenannten 'Ethnopluralismus' innerhalb eines staatlichen Territoriums ausspricht, wer also die Masseneinwanderung von Fremdvölkischen in die westeuropäischen Staaten längst akzeptiert hat. Das tut nun tatsächlich die Neue Rechte. Man lese Alain de Benoists 'Aufstand der Kulturen'.

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Bei der Lektüre wird nämlich deutlich, daß sich der neurechte 'Ethnopluralismus' im Wesentlichen nicht von der neulinken 'multikulturellen Gesellschaft' unterscheidet" (ebd.: 246).

Zudem habe sich der "Vordenker der französischen Nouvelle Droite" mit dem folgenden Buch, bei seiner "Antwort auf die Globalisierung [...] einen Abgesang auf den Staat und im Besonderen auf den Nationalstaat geleistet" (Schwab 2002: 9). Diese Kritiken stehen denn auch im Zentrum eines Interviews, das Schwab für die NPD-Zeitung über 'Aufstand der Kulturen' geführt hat (vgl. DS 5/2000: 3), sowie seiner etwas später an gleicher Stelle erschienenen Rezension von 'Schöne vernetzte Welt' (vgl. DS 9/2001: 18). Der Rezensent des OSTPREUSSENBLATTES Hans B. von Sothen hingegen lobt zwar ebenso wie Schwab Benoists Kritik an der "liberale[n] Spielform der Demokratie" (DAS OSTPREUSSENBLATT 5/2002: 7), schreibt im Zusammenhang mit dem Nationalstaat allerdings: "Konform gehen sicher auch die meisten Konservativen in Deutschland mit Benoists Kritik des gleichmacherischen jakobinischen Nationalstaatsprinzips linker wie rechter Jakobiner, das heißt der Gleichsetzung von Nation, Volk, Staat und der Ausgrenzung aller kultureller und historischer Besonderheiten" (ebd.).

Angesichts dieser Grenzziehung innerhalb des Feldes, nämlich zu 'rechten Jakobinern' wie Schwab, erscheint es kurios, dass ausgerechnet der nationalrevolutionäre FAHNENTRÄGER den entsprechenden Text Benoists später auf seiner Internetseite präsentiert 230 . Das Schillern von Benoists Konzeption von Volk, Staat und Nation ruft jedenfalls Irritationen hervor (vgl. Kapitel 6.2.1.3). Doch auch in anderer Hinsicht sorgt Benoist bei "bei Freund und Feind für Unruhe" (ebd.), wie es in der Überschrift der Rezension von Sothens heißt. Hinsichtlich des 'Feindes' wird er konkreter: Benoists "Sichtweise der sozialen Frage 'erschüttert zugleich die beliebte linke These von der »sozialen Demagogie« der Rechten' und mache ein Überdenken der alten 'Faschismustheorien' notwendig, so die 'Antifaschistischen Nachrichten'" (ebd.). Dass genau dieser Punkt auch bei den 'Freunden' für Unruhe sorgt, umgeht von Sothen in der Rezension allerdings. Deutlich wird es aber am Gegensatz zwischen anderen Rezensionen, etwa jenen in OPPOSITION oder NATION & EUROPA auf der einen und in CRITICÓN auf der anderen Seite. Während erstere die Kritik der (wiederum) "jakobinisch-egalitären Denkwurzeln der Globalisierung" und "des westlichen Turbokapitalismus" (OPPOSITION 1/2002: 57) beziehungsweise der "liberalkapitalistischen Globalisierung" (N&E 10/2001: 74)231 lobend herausstellen, geht letzte gerade hier deutlich auf Distanz: Schon in der Überschrift wird "Alain de Benoist als Kritiker des 230 http://www.fahnentraeger.com/index.php?option=com_content&view=article&id=84:jakobinertum-oder-foederalismus-alain-de-benoist&catid=20&Itemid=83 [14.10.2011]. 231 Bereits anlässlich des ersten Buches präsentierte die Zeitschrift ein Interview mit Benoist, in dem er seine Positionen zum Thema Globalisierung ausführlich darstellen kann, ohne mit kritischen Nachfragen konfrontiert zu werden (vgl. N&E 10/1999: 17ff.).

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Kapitalismus" (CRITICÓN 164/1999: 69f.) vorgestellt, um dann insbesondere diesem Aspekt seiner Texte mit ironischer Distanz zu begegnen. So wird Benoists 'antiamerikanische Liberalismuskritik' wie folgt dargestellt: "Dieses Denken ist individualistisch, utilitaristisch, materialistisch, liberal und kapitalistisch und zu allem Überfluß soll es auch noch im Christentum gründen" (ebd.). Dies seien allerdings "eine Menge Feinderklärungen [...] an die Adresse des europäischen Traditionsbestandes", und statt bei der Christianisierung könne Benoist die Zäsur ja gleich "bei der Entdeckung der Schrift vielleicht, oder der des Feuers oder eben auch schon direkt bei der Menschwerdung ansetzen" (ebd.). Noch deutlicher wird der letzte Absatz, in dem es heißt, "die Eigentumsverhältnisse zu kritisieren, Herrschaftsverhältnisse am 'Markt' aufzudecken und zu diskreditieren" und so weiter, sei zwar in den 1980er-Jahren noch die Regel gewesen, nunmehr aber "in der hitzigen globalen Standortkonkurrenz" sei dies kaum noch opportun, davon jedoch bleibe "ein letztlich dann doch kulturphilosophisch inspirierter und dazu noch französischer Autor wie Alain de Benoist natürlich unbeeindruckt" (ebd.). Wie bei Weißmann dient das Label 'französisch' also auch hier als ein Element der inhaltlichen Distanzierung von Benoist Positionen – in diesem Falle von seinem 'antikapitalistischen' Gestus. Vom FAHNENTRÄGER bis CRITICÓN, von der NPD bis zu den REP (D-REP 3-4/2002: 3 und 3-4/2003: 3) finden Benoist Schriften also Beachtung und bieten Anlass zu allerlei Kontroversen. Seine Bücher werden als "Grundlagenwerk" (N&E 10/2001: 74) angepriesen und zugleich wird in Frage gestellt, ob er denn noch der 'Rechten' zugehöre. Solche Ambivalenzen zeigen sich zudem nicht nur innerhalb des empirischen Materials. Auch auf dem Backcover der ersten deutschen Monographie zu Benoist (Böhm 2008)232, wird werbewirksam auf seine 232 Böhms Dissertation zeichnet die Entwicklung von Benoists Texten seit den 1960er-Jahren nach und stellt dabei zentrale Kontinuitätslinien von den frühen, im Kontext der militanten nationalistischen Rechten entstandenen Texten (mit bezeichnenden Titeln wie 'Qu'est-ce que le nationalisme?' oder 'Qu'est-ce qu' un militant'), bis hin zum 'Manifest der Nouvelle Droite' nach und erschließt damit Quellen, die in der deutschen Diskussion bisher kaum bekannt waren. Fragwürdig ist, abgesehen von methodischen Anmerkungen, allerdings die Tendenz, den (zu Recht betonten) Wandel in Benoists Präsentation zentraler Themen, als einen von zunächst problematischen hin zu respektablen Positionen darzustellen, in dem Sinne, dass "aus dem Rechtsextremisten Alain de Benoist ein rechter Intellektueller geworden" (Böhm 2008: 292) sei. Nur ein Beispiel: Im Zusammenhang mit der Frage, ob Benoist vor der Folie des Extremismus-Ansatzes denn als Extremist zu bezeichnen wäre, führt Böhm als Gegenargument an, dass dieser ja "ein demokratisches Konzept (organische Demokratie)" habe und das, nachdem er einige Seiten zuvor Benoists Buch "Demokratie, das Problem" diskutiert hat, in dessen abschließenden Thesen es heißt: "In der demokratischen Regierungsform ist der Schlüsselbegriff weder die Zahl, noch das Votum, noch die Wahl oder die Vertretung, sondern die Mitwirkung. 'Demokratie ist die Anteilnahme eines Volkes an seinem Schicksal' (Moeller von der Bruck [sic!])" (Benoist 1986: 121). Wenn die explizit antiparlamentarische 'organische Demokratie' im Sinne von Moeller van den Brucks 'Das Dritte Reich' aber als legitime Form der Demokratie im Gegensatz zum Extremismus

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'Umstrittenheit' hingewiesen: "Alain de Benoist ist in seinem Heimatland genauso umstritten wie in der Bundesrepublik: Seinen Anhängern gilt er als brillanter unkonventioneller Kopf, Kritiker halten ihm vor, eine Apologie des Faschismus zu betreiben". Schließlich tun sich auch kritische Kommentator*innen schwer mit einer Einordnung, was an Wendungen wie "Der Nichtnazi" (Schmidt 2005) deutlich wird oder an der Warnung es bestehe a "need for caution when judging the ND [Nouvelle Droite]" because "it is extremely difficult to make categorical statements about ND ideology" which "not only has [...] undergone a protracted process of evolution away from the Nazified Eurofascism which provided its starting point, but it is made up of scores of intellectuals who [...] are capable of shifting their position radically over time to embrace new points of view or focus on new themes" (Griffin 2000a: 232f.).

Die Einschätzungen reichen bis hin zur der von Taguieff – einem frühen Kritiker des von der Nouvelle Droite entwickelten 'differentialistischen Rassismus' (vgl. Taguieff 1998) – der meint, dass Benoist seit Ende der 1980er-Jahre den "extrem right-wing space" (Taguieff, zitiert nach Griffin 2000a: 233) verlassen habe. 6.2.1 Traditionelles Denken und querverbindendes Zitieren Diese Frage nach einer kategorialen Zuordnung von Benoist Texten – insbesondere der 'umstrittenen' späten, die das Thema Globalisierung bearbeiten – stellt sich im Folgenden als Frage nach der Zugehörigkeit zum nationalistischen Diskurs und ist gemäß der methodischen Anlage der Analyse, nach dem Kriterium zu beantworten, ob die konstitutiven Aussagen bzw. Antagonismen dieses Feldes in den Texten reproduziert werden. Dies ist – um es vorweg zu nehmen – der Fall, wenngleich diese Texte in der Tat stilistische Besonderheiten aufweisen, die zu den oben genannten 'ambivalenten' Einschätzungen führen. So sind die Äquivalenzketten der Aussagen selten in der schlagwortartigen Konzentration wie etwa in den Texten der NPD zu finden. Ihre Rekonstruktion erfordert vielmehr – noch stärker als bei manchen deutschen Autoren – eine synchrone Lektüre mehrerer Textstellen. Häufige fehlen etwa bestimmte Reizworte, die in einem bestimmten Kontext üblicherweise fallen. Das mag zum Teil mit der Übersetzung aus dem gelten könnte, dann hätte sich der Extremismus-Ansatz endgültig selbst ad absurdum geführt. Dann müsste auch die 'Nationaldemokratische Partei Deutschlands' als demokratisch gelten, die das Wort nämlich genau in diesem Sinne benutzt. Besonders erstaunlich ist daher, dass die Arbeit von Eckhard Jesse – einem der zentralen Vertreter des Extremismus-Ansatzes – betreut wurde und in der von ihm mitherausgegebenen Reihe 'Chemnitzer Beiträge zur Politik und Geschichte' erschien. Insgesamt wäre Böhms Dissertation vergleichend mit seinem Buch "Alain de Benoist. Denker der Nouvelle Droite" zu diskutieren, das ebenfalls 2008 in der EDITION ANTAIOS des INSTITUT FÜR STAATSPOLITIK um Weißmann/Kubitschek erschien. Interessant wäre unter anderem zu prüfen, ob im Kapitel "Demokratie und Reich" (zwei zentrale Themen Benoists, denen in der Dissertation keine eigenständigen Kapitel gewidmet sind) der mehr als nahe liegende Bezug auf Moeller van den Bruck genauer expliziert wird. Ein solcher Vergleich kann an dieser Stelle allerdings nicht geleistet werden.

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Französischen (Kontext) zu tun haben, in dem manches – beispielsweise 'Umerziehung' – nicht die gleiche Relevanz hat. Vor allem aber meidet Benoist offenkundig solche Schlagworte, die in anderen Teilen des Feldes überproportional gebraucht werden. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wendung 'One World', die auf den mehr als vierhundert Seiten, die als Benoists 'Antwort auf die Globalisierung' präsentiert werden, kein einziges Mal genannt wird. Die Formel findet sich allerdings exakt in Form des Antagonismus der ONE-WORLD-Aussage in seinen Schriften der 1980er-Jahre, als sie in anderen Publikationen noch keine große Rolle gespielt hat. Vor allem aber lässt sich (u.a. anhand eines Vergleiches mit diesen älteren Passagen) zeigen, dass die konstitutiven Äquivalenzketten der ONE-WORLD-Aussage – unter Auslassung des Schlagwortes – sehr wohl auch für die späteren Texte zentral sind (siehe unten Kapitel 6.2.2.1). Typisch ist auch die Art und Weise, in der Benoist die POLITICAL CORRECTNESS-Aussage reproduziert. Auch hier benutzt er meist nicht das Schlagwort selbst, sondern die Äquivalente des 'Einheitsdenkens' und der 'neuen Inquisition' (vgl. u.a. dB 2001: 20, 444). Lediglich punktuell wird die "Political Correctness" (ebd. 175, vgl. 197, 200) selbst in die entsprechende Kette eingereiht. Die Botschaft kommt freilich dennoch an, wie etwa die Rezension des Buches in OPPOSITION zeigt, die mit der Formulierung – "die Neue Inquisition, die Benoist in den Mechanismen der Political Correctness am Werk sieht" (OPPOSITION 1/2002: 57) – die übliche Gewichtung wiederherstellt. Spiegelbildlich zum Fehlen bestimmter Fahnenworte des nationalistischen Diskurses finden sich bei Benoist solche, die konstitutiv für andere Diskurse sind und innerhalb des nationalistischen Feldes sonst allenfalls in distanzierenden Anführungszeichen gebraucht werden – etwa Antirassismus. Doch auch diesbezüglich zeigt ein genauerer Blick auf die Antagonismen, dass hier gerade das als Antirassismus präsentiert wird, was andernorts als Rassismus gilt (nämlich eine strikte Separierung 'ethnischer Gruppen' zwecks Erhalt ihrer 'Identität'). Ähnliches lässt sich hinsichtlich der Autoren sagen, die Benoist als Referenzen heranzieht. Einerseits stellt er sich bewusst in die Tradition des nationalistischen Diskurses, indem er sich punktuell immer wieder auf die gesamte Bandbreite der entsprechenden Intellektuellen – insbesondere diejenigen aus der Weimarer Republik, allen voran Carl Schmitt und Arthur Moeller van den Bruck – bezieht. Andererseits verbindet er dies mit Bezugnahmen auf Texte aus anderen Diskursen, nicht zuletzt dem marxistischen. Am bekanntesten ist in dieser Hinsicht der Bezug auf Gramsci, der in unzähligen Texten als eine tatsächliche Übernahme von dessen theoretischen Konzepten fehlinterpretiert wurde233. Zu nennen wären aber auch 233 Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie ist letztlich nur im Kontext seiner Kritik der (bürgerlichen) Herrschaft zu verstehen, aus dem es Benoist gerade herausreißt, um es als eine Strategie für

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André Gorz, Luc Boltanski, Ève Chiapello, Samir Amin und etliche andere (vgl. Schobert 2009: 86ff.). Griffin spricht mit Blick auf die Nouvelle Droite im Allgemeinen (und Benoist im Besonderen) von "its readiness to draw on forms of thought originating on the Left as well as the Right in a spirit of unbridled eclecticism" (2000a: 230), betont in diesem Zusammenhang aber völlig zu Recht die Existenz eines "core myth which gave unity to the torrent of eclecticism which this strategy unleashed" (2000b: 45). Mit anderen Worten sind die mannigfaltigen Bezüge von Benoist erstens insofern eklektizistisch, als sie einzelne Äußerungen aus dem Kontext reißen. Dabei ist der "Zitatschnitt de Benoists" mitunter "in hohem Maße unredlich" (Schobert 2009: 46), was im Einzelfall allerdings schwer zu prüfen ist, weil genaue Quellenangabe in seinen Schriften durchweg fehlen. Umgekehrt werden Autoren des nationalistischen Feldes häufig nahezu wörtlich ohne jede Quellenangabe zitiert, während sie an anderen Stellen als allgemeine Referenzen genannt werden. Das ist ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass dieser Eklektizismus zweitens keineswegs arbiträr, sondern durch die Formationsregeln des nationalistischen Diskurses strukturiert ist. 6.2.1.1 Geschichte: Von der 'dekadenten Moderne' zur 'Post-Moderne' Typisch für die Schreibweise Benoists ist auch die Reproduktion der Aussage GESCHICHTE als Auftakt des Manifestes der ND. Dabei gibt sich Benoist nicht lange mit spezifischen historischen Phaseneinteilungen ab, sondern bezeichnet 'die Moderne' insgesamt als Phase der Dekadenz, die demnächst durch einen neuen Morgen abgelöst werde: "Wir befinden uns heute in einer Übergangszeit, an einem Wendepunkt in Form eines 'Interregnums', das sich auf dem Hintergrund einer bedeutenden Krise abzeichnet: dem Ende der 'Moderne'" (dB 2001: 401).

Unter der Überschrift "Die Krise der Moderne" wird letztere als "die geist- und inhaltsloseste Zivilisation […], die die Menschheit je gekannt hat" geschildert, die unter anderem durch die Ausbreitung von "Kriminalität, Gewalt und Unsittlichkeit" (dB 2001: 403) beziehungsweise durch "soziale Anomie und [...] Nihilismus" (ebd.: 405) gekennzeichnet sei. Das "Land verödet zugunsten [...] ungeheurer Megastädte; der einsame Mensch geht in einer anonymen, feindlich gesinnten Masse unter" (ebd.: 403). Doch diese Epoche der Dekadenz – auch hier versteht es Benoist die explizite Nennung des Reizwortes zu vermeiden, das er mit dem Aufbau des Kontextes eindeutig impliziert – steht nun vor der "Implosion", die "Spätmoderne" ist im Begriff durch die "Postmoderne" abgelöst zu werden (ebd.: 403). beliebige politische Akteure zu präsentieren. Schobert (2009: 63) sprich von einem "zu Werbezwecken von der ND beschworenen 'Rechts-Gramscianismus'". Zu Benoists Verbiegung Gramscis vgl. Demirović (1990), Müller (1995: 20, 30f.).

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"Die Überwindung der Moderne wird [...] sich durch das Heraufkommen tausender Morgenröten äußern, das heißt durch das Aufbrechen souveräner, von der Herrschaft der Moderne befreiter gemeinschaftlicher Räume. [...] Überwunden wird sie [...] durch einen Rückgriff [i.O. kursiv] auf bestimmte vormoderne Werte in einer bewußt postmodernen Blickrichtung" (ebd.: 404f.).

Ein zentrales vormodernes Konzept, auf das im Rahmen "einer solchen grundlegenden Erneuerung" (ebd.: 405) zurückgegriffen werden soll, ist – wie eine Kapitelüberschrift des Buches lautet – "Der Reichsgedanke". Diesen präsentiert Benoist als "das Modell für die künftige Struktur Europas" (ebd.: 241ff.). Dem Kapitel ist ein Zitat von Heinrich Ritter von Srbik234 vorangestellt, das mit den Worten "Die Idee des Reiches steht über allem geschichtlichen Denken" ansetzt. Die Abschnitte mit Bezug auf das Großthema Geschichte lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zunächst kann die mit 'der Moderne' verknüpfte Kette {geistund inhaltslose Zivilisation, Kriminalität, Gewalt und Unsittlichkeit, soziale Anomie, Nihilismus, …} ohne weiteres im Wort Dekadenz verdichtet werden, was sich nicht zuletzt anhand eines älteren Textes Benoists belegen lässt235. Wird dies ausgehend vom Gegensatzpaar Spätmoderne/Postmoderne in Beziehung zu den Elementen mit einem expliziten Zeitbezug, der damit verknüpften Symbolik und dem in Aussicht gestellten 'Reich' gesetzt, dann ergibt sich der Antagonismus {Spätmoderne, Ende der Moderne, Übergangszeit, Dekadenz, Krise, Wendepunkt, Implosion, Interregnum} / {Postmoderne, Überwindung der Moderne, Heraufkommen tausender Morgenröten, Aufbrechen, grundlegende Erneuerung Europäisches Reich}. Das Grundmodell der GESCHICHTE-Aussage, nämlich die alternierenden Zyklen der Dekadenz und des Aufstiegs sind deutlich zu erkennen. Anders als in den frühen 1980er-Jahren, als die "Kurve der großen Kulturen und Zivilisationszyklen" (dB 1985: 89) noch offen angesprochen und mit Bezügen auf einschlägige Autoren wie Spengler und Evola (vgl. ebd.: 89, 94) versehen wurde, bleibt hier auf den ersten Blick vieles vager. Dennoch spielt Benoist, wie gleich gezeigt wird, hier ganz bewusst auf die Traditionslinie der Weimarer Rechtsintellektuellen an, 234 Österreichischer Historiker, ab 1938 Mitglied der NSDAP, als solcher Angehöriger des Großdeutschen Reichstages und zugleich Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 235 Gemeint ist der (exemplarische) Aufsatz 'Der Hauptfeind', der in 'Kulturrevolution von rechts' nachgedruckt wurde und über den noch zu sprechen sein wird. Auch hier findet sich im Zusammenhang mit der typischen Liberalismus-Schelte die Reihungen von Gewalt, Drogen etc. (vgl. unter anderem dB 1985: 136), die hier immer wieder explizit mit einer gesellschaftlichen Situation der Dekadenz (vgl. ebd.: 137) äquivalent gesetzt werden, was schließlich in den pathetischen Schlusssätzen kulminiert: "Jede Diktatur ist verächtlich, aber verächtlicher noch ist jede Dekadenz. Eine Diktatur kann uns morgen als Individuen vernichten. Dekadenz jedoch vernichtet uns als Volk" (ebd.: 145).

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die Armin Mohler als 'Konservative Revolution' bezeichnet hat und zwar ohne diesen Bezug offen kenntlich zu machen. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Benoist systematisch die Struktur der entsprechenden Aussagen (zyklische GESCHICHTE) reproduziert, dabei aber eine Häufung der gängigen Schlagworte (Dekadenz) und eine direkte Bezugnahme auf entsprechende Referenzautoren (Mohler, Moeller u.a.) vermeidet, obgleich er sie nahezu wörtlich zitiert. Stattdessen werden zeitgenössische Schlagworte, Debatten und Autoren (Postmoderne, Baudrillard) nach den Vorgaben der Aussagestruktur angeordnet und die Referenzautoren werden an anderer Stelle im Gespräch gehalten. So unterscheidet Benoist hinsichtlich (des ohnehin schillernden Begriffs) der 'Postmoderne' zwei Varianten: Einerseits gebe es einen "'Postmodernismus'", der sozusagen als Verlängerung der 'Spätmoderne' mit "Auflösung, Laissez-aller" und so weiter einhergeht. Auf der anderen Seite gebe es aber auch eine 'Postmoderne' im Sinne einer "eigenen Perspektive", die unter anderem "die Rolle der 'Stämme' [...], die neue Bedeutung der Gemeinschaften, [...] de[n] Untergang der eingerichteten [monotheistisch-universalistischen] Religionen, de[n] wachsenden Widerstand der Völker gegen ihre Eliten usw." (dB 2001: 404) umfasse. Letzteres sind offensichtlich Elemente, die dann im Sinne anderer zentraler Aussagen des Diskurses fortgeschrieben werden können, wie der implizite Antagonismus dieser Reihe schon andeutet: {(Post-)Modernismus: Auflösung, Universalismus, Eliten} / {Postmoderne: Stämme, Gemeinschaften, Völker}. Bevor der weiteren Entwicklung der Aussagen nachgegangen wird, die Benoist hier andeutet (DETERRITORIALISIERUNG, VOLK, ETABLIERTE), lohnt es allerdings noch einen genaueren Blick auf sein Geschichtsverständnis zu werfen und dessen historische Anknüpfungspunkte zu explizieren. 6.2.1.2 Von der 'konservativen Revolution' zur 'Kulturrevolution von rechts' In diesem Zusammenhang betont Griffin "Benoist's admiration for the cyclic (or non-linear) theory of history beloved of some of the Conservative Revolution" (Griffin 2000a: 245, Anm. 21, vgl. ausführlich dazu Ders. 2000b). Dementsprechend ordnet Griffin Benoist – ebenso wie die 'Konservative Revolution' im Sinne Mohlers und Mohler selbst – dem palingenetischen Denken und mithin einem zentralen Kriterium seiner Faschismusdefinition zu. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt Böhm (vgl. 2008: 248ff.), der Griffins Arbeiten allerdings ignoriert und im Gegensatz dazu meint, hier einen zentralen Gegensatz zum Faschismus und insbesondere Nationalsozialismus aufmachen zu können. Böhm geht gar so weit,

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"Alain de Benoist als einen ersten wirklichen Vertreter der Konservativen Revolution zu bezeichnen, jener Bewegung also, die seit dem Zerfall des Ancién Regime nach einem 'dritten Weg' zwischen altständischer und kapitalistischer Gesellschaft suchte. Unübersehbar ist [in] seinem intellektuellen Schaffen die konservativ-revolutionäre Traditionslinie [...]. Während die Weimarer Rechtsintellektuellen in ihrem heroischen Realismus allenfalls ansatzweise eine Affinität [...] [zur entsprechenden] zyklischen Konzeption der Zeit erkennen lassen, kommt sie bei Alain de Benoist vollends zum Ausdruck" (Böhm 2008: 270, 272).

Benoist ist ein genauer Kenner der Weimarer Rechten, der seit den 1970er-Jahren einen schwunghaften Import-Export-Handel mit den Primärquellen und den entsprechenden ideologischen Elementen zwischen Deutschland, Frankreich aber auch zahlreichen anderen Ländern betreibt236. Werden die oben zitierten Passagen zur Geschichte vor diesem Hintergrund noch einmal genauer betrachtet, dann wird klar, dass er hier ganz gezielt zentrale Aussagen der entsprechenden Autoren reproduziert. Ein erstes Beispiel ist das 'Interregnum', das Armin Mohler, einer der zentralen 'Handelspartner' Benoists 237 , in seinem begriffsprägenden Buch 'Die Konservative Revolution in Deutschland' zur Bezeichnung der 'zeitgenössischen Situation der Dekadenz' eingeführt hat (vgl. Mohler 1989: 16, 86ff., dazu und zum Folgenden Griffin 2000b, Böhm 2008: 251ff.). Mohler selbst hat zeitlebens den Umschlag im Rahmen der zyklischen Geschichtsauffassung herbeigesehnt, die er zugleich als zentrales Merkmal der 'Konservativen Revolution' herausstellt hat (vgl. Mohler 1989: 97f.). Im Jahr 1950 hat er seinen Text mit den Worten "Die Auseinandersetzung ist noch nicht zu Ende" (vgl. Mohler 1989: 165) beendet und noch in den 1990er-Jahren schrieb er in der JF Kolumnen unter dem Titel "Notizen aus dem Interregnum". Noch bemerkenswerter ist in diesem Zusammenhang allerdings Benoists oben zitierte Rede von einer 'grundlegende Erneuerung', die 'durch den Rückgriff auf 236 So hat Benoist, abgesehen von den zahlreichen Bezugnahmen in eigenen Texten, unter anderem eine internationale Bibliographie zu Carl Schmitt (Carl Schmitt. Bibliographie seiner Schriften und Korrespondenzen. Berlin 2003) in Deutschland und eine zu Ernst Jünger (Ernst Jünger. Une bio-bibliographie. Paris 1997) in Frankreich veröffentlicht. Erstere ist übrigens Günter Maschke gewidmet, der seine Schmitt-Exegese unter anderem im Interview mit der DEUTSCHEN STIMME betreibt (vgl. Kapitel 3.2.4.6) und letztere Dominique Venner, einem einstigen Militanten der ORGANISATION DE L'ARMÉE SECRÉTE (OAS), der zu den zentralen Inspirationsquellen des jungen Benoist gehörte (vgl. Böhm 2008: 89ff.). Zu Benoists Rezeption von Moeller van den Bruck siehe die übernächste Anmerkung. 237 Mohler betont in seinem Vorwort zu Benoist (1985: 9, vgl. auch CRITICÓN 92 (1985): 261): "Der Schreibende kennt die französische Rechte seit dreißig Jahren aus der Nähe, in ihren Ideen wie ihrem Personal". Unter Mohlers Redaktion und in seiner Übersetzung erscheint auch der erste Beitrag Benoists für eine deutsche Zeitschrift (vgl. CRITICÓN 60/61 (1980): 199ff.). An gleicher Stelle hat Mohler die Nouvelle Droite um Benoist zwei Jahre später als "eine gute Schülerin der 'Konservativen Revolution'" (CRITICÓN 72-73 (1982): 168) bezeichnet und auch Böhm (vgl. 2008: 248ff.), der wiederum Mohler in mehrerlei Hinsicht folgt, kommt dementsprechend zu dem Schluss, dass Benoist eindeutig in der Traditionslinie der 'Konservativen Revolution' stehe.

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bestimmte vormoderne Werte in einer bewusst postmodernen Blickrichtung' hervorgebracht werden soll, denn das ist nichts anderes als eine semantisch modernisierte Variante von Moeller van den Brucks Proklamation einer 'Konservativen Revolution', die eine "Wiederanknüpfung [...] nach Vorwärts" anstrebt (Moeller van den Burck 1931: 163 vgl. ebd. 151, 175). Diese und andere Parallelen treten deutlich hervor, wenn Moellers Text aus den 1920er-Jahren mit Benoists Texten aus den 1970er- und 1980er-Jahren und schließlich mit jenen um die Jahrtausendwende verglichen werden238. Moellers "Das dritte Reich" reagierte im Wesentlichen auf die Niederlage der Rechten in der Revolution von 1918 und kann als Versuch der Neubestimmung des Konservatismus in dieser Situation gelesen werden, die vor allem durch zwei miteinander verbundene Momente vollzogen wird: Erstens die Abgrenzung des Konservatismus von einer 'reaktionären Rechten', die nostalgisch an der vorrevolutionären Phase orientiert bleibe, und zweitens die Dynamisierung des Konservatismus in dem Sinne, dass er selbst die (revolutionäre) Initiative ergreifen müsse, um sein zentrales Anliegen der 'Bewahrung' (von traditionellen Herrschaftsformen) zur Geltung zu bringen. "Der reaktionäre Mensch ist eine Entartungsform des konservativen Menschen. [...] Er hat diese Revolution [von 1918] auch jetzt noch nicht verstanden. Er hat sie gar nicht erlebt. Er hat sie nur abgelehnt. [...] Er findet keine Stellung zu der Revolution, weil er neben ihr steht. Der konservative Mensch dagegen kennt ihre Probleme. Er hat ein Zeitempfinden das ihm diese Probleme unmittelbar vertraut macht. Und er hat ein Weltbild, in das sie sich in ihrer Bedeutung oder Nichtbedeutung abermals einfügen. So lebt der konservative Mensch in einer revolutionären Teilhaftigkeit, die ihn im Gegensatz zum reaktionären Menschen erst das Recht gibt, nicht für die Revolution zu sein, sondern wider sie. […] Der Reaktionär stellt sich die Welt so vor, wie sie gewesen ist. Der Konservative sieht sie so, wie sie immer sein wird. Er ist erfahren im Zeitlichen. Und er ist erfahren im Ewigen. Was war, wird niemals mehr 238 Benoist hat unter anderem französische Übersetzungen von Schriften Moellers (La révolution des peuples jeunes. Arthur Moeller van den Bruck, textes choisis et présentés par Alain de Benoist. Pardès, 1993) herausgegeben und in einem Aufsatz in 'Nouvelle Ecole' (Nr. 35, 1980) kommentiert, die auch als italienische Übersetzung in Buchform erschien (Moeller van den Bruck o la Rivoluzione conservatrice. La Spezia 1981). Vor einigen Jahren hat er ein deutsches Vorwort zu dem Buch 'Kämpfer um ein drittes Reich. Arthur Moeller van den Bruck und sein Kreis' von Sebastian Maaß (2010) beigesteuert (dB 2010). Darin lobt er erwartungsgemäß das Buch, das neben einem Reprint von Moellers "Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde", kaum mehr als eine redundante Paraphrase der einzelnen Abschnitte von 'Das Dritte Reich' bietet. Bei einem Blick auf die weiteren Schriften von Maaß schließen sich einmal mehr die Kreise. Neben Aufsätzen in SEZESSION stehen hier vier Bücher, die in schneller Folge allesamt im REGIN-VERLAG erschienen (der seit den 2000er-Jahren auch JUNGES FORUM, eines der ältesten Blätter der nationalistischen Rechten in Deutschland verlegt). Die Titel lauten 'Edgar Julius Jung und die metaphysischen Grundlagen der Konservativen Revolution' (2009), 'Dritter Weg und wahrer Staat. Othmar Spann – Ideengeber der Konservativen Revolution' (2010), 'Starker Staat und Imperium Teutonicum. Wilhelm Stapel, Carl Schmitt und der Hamburger Kreis' (2011) und last but not least 'Schon die Idee der Gleichheit ist etwas Groteskes. Sebastian Maaß im Gespräch mit Günter Maschke' (2011).

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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sein. Aber was immer in der Welt ist, das kann immer wieder aus ihr hervortreten" (Moeller 1931: 167ff.).

Ganz ähnlich ging es Benoist in seinen Texten der 1970er- und 1980er-Jahre darum Konsequenzen aus Niederlagen der Rechten jüngeren Datums zu ziehen. Nicht zufällig nennt er diejenige "der Algérie Française" (dB 1985: 21f.) – die den wesentlichen Ausgangspunkt der Nouvelle Droite um Benoist bildet (vgl. Schobert 2009: 62ff., Böhm 2008: 84ff., 110f.) – neben der Revolution in Portugal (vgl. dB 1985: 22) und freilich ist auch der Schock der Revolte von 1968 spürbar (vgl. ebd.: 27ff.). In dieser Situation greift Benoist auf die Vorarbeit von Moeller zurück, indem er "die alte und die neue Rechte" (dB 1985: 13) – die Nouvelle Droite – unterscheidet und dies explizit mit Moellers Gegensatz von 'reaktionär' und 'konservativ(-revolutionär)' analogiesiert: "Die alte Rechte ist in Frankreich von jeher reaktionär gewesen. [...] Dem Wort 'Reaktion' stelle ich das Wort 'Konservatismus' entgegen. [...] Reaktionär nenne ich die Haltung, die darin besteht, eine frühere Epoche oder einen früheren Zustand wiederherstellen zu wollen. Konservativ nenne ich die Haltung, die darin besteht, sich in der Summe alles dessen, was bisher war, auf das Beste zu stützen, was der gegenwärtigen Situation vorausging, um zu einer neuen Situation zu kommen. Das heißt, dass in meinen Augen jeder wahre Konservatismus revolutionär ist" (dB 1985: 36f.).

Vor diesem Hintergrund ist auch die Figur der Überwindung der Moderne im Manifest der ND zu lesen: "Die Überwindung der Moderne wird auch nicht durch einen Rückschritt erfolgen, wie von den konterrevolutionären oder traditionalistischen Kritikern aufgrund einer idealistischen Anschauung der Vergangenheit gewünscht, denn die gegenwärtige Lage ist nichts anderes als die Folge dieser Vergangenheit. Überwunden wird sie vielmehr durch einen Rückgriff auf bestimmte vormoderne Werte in bewußt postmoderner Blickrichtung. Die soziale Anomie und der heutige Nihilismus werden nur um den Preis einer solchen grundlegenden Neuerung abgewendet werden" (dB 2001: 404f.).

In Tabelle 6.2 sind die entsprechenden Analogien abgetragen. Wenn Benoist also in einer seiner typischen Abgrenzungen zur 'alten Rechten' schreibt, die "Radikale Rechte" sei "nur noch das 'Sammelfahrzeug' der dreißiger Jahre", die sich gleich "einer zerkratzten Schallplatte [...] ständig um den gleichen Diskurs" (dB 2001: 21) drehe, dann ist er – in diesen Bildern gesprochen – der DJ, der die zentralen Aussagen sampelt und als zeitgenössischen Remix verkauft, beziehungsweise der Antiquitätenhändler, der die Sammelstücke aufpoliert und als schicken – postmodernen – Retro-Look anpreist. Denn die Analogien zwischen den Texten Benoists und Moellers (um bei diesem Beispiel zu bleiben) beschränken sich keineswegs auf diese Figur der Neubestimmung des Konservatismus als revolutionär. Auch die Beschreibung der rechtsintellektuellen Tätigkeit als 'Metapolitik' und das

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damit verbundene 'querverbindende Denken', die weithin als Markenzeichen der Nouvelle Droite gilt, finden sich bereits bei Moeller239: "Der reaktionäre Mensch sieht, wie der Revolutionär, in der Revolution nur den politischen Vorgang. Der konservative Mensch dagegen, der den geschichtlichen Vorgang sieht, erkennt hinter der Revolution einen geistigen Vorgang, der sie begleitet, in dem sie sich umsetzt oder von dem sie ursprünglich herkommt – auch wenn ihr Geist zunächst von der zweifelhaftesten Art war. […] Der konservative Deutsche hat nach der Revolution das unreaktionäre Wort gesprochen: 'Wer weiß, wozu es gut ist.' Auf diese Auswirkungen legt der konservative Mensch den metapolitischen Nachdruck" (Moeller 1931: 166f.).

Entscheidend für den (revolutionären) Konservatismus, im Sinne einer zukünftigen Wiederanknüpfung an traditionelle Herrschaftsformen, sei also die geistige Auseinandersetzung mit der nachrevolutionären Situation. Tabelle 6.2: Konservative Revolution – Von Arthur Moeller van den Bruck zu Alain de Benoist Text

'reaktionär'

'konservativ- revolutionär'

Moeller 1931

Der reaktio- stellt sich näre die Welt Mensch vor, wie sie gewesen ist

Der konservative Mensch

Benoist 1985

Alte Rechte, reaktionär

frühere Epoche wiederherstellen wollen

Neue Rechte, konservativ

Benoist 1999

traditionelle, konterrevolutionäre Kritik

Rückschritt, Nouvelle idealistiDroite sche Anschauung der Vergangenheit

Erfahren im Ewigen, wie die Welt immer sein wird sich auf das Beste stützen, was der gegenwärtigen Situation vorausging Rückgriff auf vormoderne Werte

immer wieder aus der Welt hervortreten zu einer neuen Situation kommen

bewusst postmoderne Blickrichtung

der Konservative lebt in revolutionärer Teilhaftigkeit Konservatismus ist revolutionär

Grundlegende Neuerung

Konkret heißt dies (wie gleich gezeigt wird), dass sich durch die Revolution auch eine neue Konstellation auf der ideologischen Ebene ergeben hat, auf die es zu reagieren gilt, indem den politischen Gegnern (Demokraten, insbesondere Sozialisten und Kommunisten) bestimmte ideologische Elemente streitig gemacht und in eine eigene Deutung der gesellschaftlichen Situation integriert werden, die eine neue politische Option eröffnet. In diesem Sinne gälte es, den 'metapolitischen Nachdruck' auf die potenziellen Folgen der Revolution zu legen. Moellers 239 Von Metapolitik sprachen auch andere rechtsintellektuelle Zeitgenossen Moellers (vgl. Müller 1995: 13).

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

325

Vorwurf an die 'reaktionäre Rechte', dass sie nicht in der Lage sei, adäquat die Situation auf der ideellen Ebene zu reagieren, macht Benoist in den 1970er-Jahren der 'alten Rechten': "Alle großen Revolutionen der Geschichte haben nichts anderes getan, als eine Entwicklung in die Tat umzusetzen, die sich zuvor schon unterschwellig in den Geistern vollzogen hatte. [...] Eines der Dramen der Rechten – von der 'putschistischen' Rechten bis zur gemäßigten Rechten – ist ihre Unfähigkeit, die Notwendigkeit zu begreifen, daß auf lange Frist geplant werden muß. Die französische Rechte [...] hat die Bedeutung von Gramsci nicht erkannt. Sie hat nicht gesehen, wodurch die kulturelle Macht den Staatsapparat bedroht; wie diese 'kulturelle Macht' auf die impliziten Werte einwirkt, um die herum sich der für die Dauer der politischen Macht unverzichtbare Konsens kristallisiert. [...] Die Linke hingegen schreitet voran. Sie verdankt diesen Fortschritt [...] vor allem dem allgemeinen Klima, das sie metapolitisch zu schaffen vermochte" (dB 1985: 20).

Auch bei Benoist mündet der Vorwurf, die 'alte Rechte' sei unfähig die ideologischen Zeichen der Zeit zu erkennen, also in die Betonung der Notwendigkeit einer langfristigen metapolitischen Strategie, das heißt der Entwicklung einer kulturellen Macht, die den Konsens vorbereitet, der dann – auf putschistischem oder gemäßigtem Wege – politisch durchgesetzt werden kann. Den Hintergrund bildet hier offensichtlich die ideologische Konstellation in der Folge der 1968erRevolte240. In diesem Zusammenhang ist es bemerkenswert, dass Benoists Buch auf Deutsch unter dem Titel 'Kulturrevolution von Rechts. Gramsci und die Nouvelle Droite' erschien. Denn indem er den weithin als Synonym für die '68er-Bewegung' geltenden – und unter Konservativen entsprechend verpönten – Begriff 'Kulturrevolution'241 für die Rechte reklamiert, praktiziert er genau das, was er von der Rechten insgesamt fordert, nämliche eine ideologische Auseinandersetzung auf der Höhe der Zeit zu führen und selbst die Initiative zu ergreifen, statt trotzignostalgisch in reiner Abwehrhaltung zu verharren. Dazu passend wurde das Cover der deutschen Übersetzung mit der berühmten Abbildung des Kopfes von Che Guevara gestaltet, wobei dieser zur Hälfte vom Gesicht des Poseidon von Artemision (eine der ältesten antiken Plastiken) überdeckt ist und der Stern an der Mütze durch das Logo der GRECE ersetzt wurde (vgl. Probst o.J.)242. So wie die Revolution von 1918 für Moeller und andere zu einem 'revolutionären Konservatismus' führen musste, so erfordert hier die Kulturrevolution von 1968 eine 'kulturrevolutionäre Rechte'. Dieses Motiv schreibt Benoist auch im ersten Satz des Manifests der ND fort, um dann erneut auf die Metapolitik zu sprechen zu kommen: 240

Nach eigener Auskunft zeigte sich auch Weißmann bei seiner ersten Begegnung mit der Nouvelle Droite Ende der 1970er-Jahre "fasziniert [...] von dem Projekt, eine Gegenideologie aufzubauen, um der Linken Paroli zu bieten. Das war etwas anderes als die lendenlahme Traditionspflege oder der Rekurs auf den gesunden Menschenverstand bei den Bürgerlichen" (WM 2006: 37). 241 Vgl. Parr (1993), Schobert (2009: 14ff.). 242 Danke für den Hinweis an Martin G. Maier.

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"Die Nouvelle Droite ist im Jahre 1968 geboren. [...] Die Aktivitäten, die sie seit nunmehr über dreißig Jahren entfaltet [...], befinden sich von vornherein unter einem metapolischen Blickwinkel. Metapolitik ist keine andere Art, sich politisch zu betätigen. Sie ist keineswegs eine 'Strategie', die auf die Durchsetzung einer intellektuellen Hegemonie hinzielen würde […]. Sie beruht lediglich auf der Feststellung, daß die Ideen eine entscheidende Rolle im Kollektivbewußtsein und überhaupt in der gesamten Geschichte der Menschheit spielen. […] Die Geschichte entwickelt sich zwar aus dem Willen und dem Handeln der Menschen, doch dieser Wille und dieses Handeln äußern sich immer im Rahmen einer bestimmten Zahl von Einstellungen, Glaubensüberzeugungen und Vorstellungen, die ihnen einen Sinn geben und sie lenken. Die Nouvelle Droite verfolgt das Ziel, zur Erneuerung dieser sozialhistorischen Vorstellungen beizutragen" (dB 2001: 399)243.

Anders als in den 1970er- und 1980er-Jahren will Benoist Metapolitik nun also nicht mehr 'als Strategie' zur Erlangung einer 'kulturellen Hegemonie' verstanden wissen, obgleich er genau dies in den älteren Schriften mit seinem (wie auch immer verzerrenden) Bezug auf Gramsci vorgebracht hatte. Diese Neubestimmung von Metapolitik reagiert ganz offensichtlich auf die öffentliche Kritik, die gegen Benoist in der Zwischenzeit vorgebracht wurde. Aber auch wenn nun nicht mehr explizit die (putschistische oder gemäßigte) Rechte die hauptsächliche Adressatin ist, kann doch die 'Erneuerung der sozialhistorischen Vorstellungen auf deren Basis Geschichte gemacht wird', schwerlich anderes als in dem Sinne verstanden werden, den der erste Abschnitt des Zitates leugnet, zumal der Text nicht weniger als das 'Ende der Moderne im Rückgriff auf vormoderne Werte' in Aussicht stellt. Was aber zeichnet die 'Metapolitik', diese 'Auseinandersetzung auf der geistigen Ebene' aus, die hier als scheinbar unpolitisch und fast schon im Sinne einer anthropologischen Konstante präsentiert wird? Auch hier lohnt es noch einmal zu sehen, wie Moeller seinerzeit die nachrevolutionäre Situation eingeschätzt hat, deren langfristige Folgen es metapolitisch zu beeinflussen gälte: "Völker leben in einer Revolution einen Augenblick lang [...] unter Stößen: Und in deren Wirbel werden Gänge geöffnet, die bis dahin geschlossen gewesen waren. [...] Die aufklärerische Linke hat Fürsprecher ihres Demokratismus bis in die Reihen des Zentrums vorgeschoben [...]. Wiederum gibt es Katholiken, die zur Sache ihres Vaterlandes rein und unbedingt und überschwänglich wie Nationalisten stehen. Sozialisten gibt es, die keiner Internationale mehr trauen, vielmehr Patrioten geworden sind. Und nur erwähnen wollen wir, daß der Diktaturgedanke der Kommunisten sich sehr nahe mit demjenigen berührt, der sonst das Vorrecht von militaristischen Gewaltmenschen war" (Moeller 1931: 168f.).

243 Zwar wurde die GROUPEMENT DE RECHERCHE ET D'ÉTUDES POUR LA CIVILISATION EUROPÉENNE (GRECE), der institutionelle Anfangspunkt der Nouvelle Droite tatsächlich Anfang 1968, als Sammlungsbecken der organisatorisch zersplitterten Rechten gegründet, doch die Betonung des Jahres im ersten Satz eines Manifestes der ND dient doch eher der Konstruktion eines "Gründungsmythos" (Schobert 2009: 62), die mit dem Image der 'rechten Gegen-68er' spielt.

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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Das entscheidende an der 'geistigen Situation' in der Folge von 1918 ist für Moeller also, dass vermeintlich Konservative dem 'Demokratismus' verfallen seien, während Elemente an die sich anknüpfen ließe (allen voran der Nationalismus und der Diktaturgedanke) auf Seiten vermeintlicher politischer Gegner – wie Katholizismus, Sozialismus und Kommunismus – fänden. Mit anderen Worten verkenne die 'reaktionäre Rechte', dass der übergeordnete Antagonismus {aufklärerische Linke, Demokratie, Internationalismus} / {militaristische Gewaltmenschen, Diktatur, Nationalismus} nicht mehr mit dem traditionellen parteipolitischen Lagerdenken übereinstimme und vergebe so die Entwicklung einer zukünftigen Option. Bei der Metapolitik geht es also in diskurstheoretischer Terminologie formuliert, um nichts anderes als um die Desartikulation und Reartikulation diskursiver Elemente. Ein in materieller Hinsicht entscheidendes Moment ist dabei das neuartige "Problem der Massen" (ebd.: 123), die nun das allgemeine und gleiche Wahlrecht haben, das aus Sicht der Rechten vor allem die Lösung der Arbeiterschaft vom 'proletarischem Internationalismus' erforderte, beziehungsweise ihre 'Eingliederung in die Völker'. Erreicht werden sollte dies unter anderem dadurch, dass der Antagonismus auf die internationale Ebene verschoben wurde, so dass sich plötzlich von 'proletarischen Nationen' sprechen ließ (vgl. ebd. 123ff.). In diesem Sinne kann sich der Konservatismus selbst auf die 'Seite der Massen' stellen und die 'revolutionäre Initiative' ergreifen, während die vorrevolutionären Konzepte der 'reaktionären Rechten' keinerlei Attraktivität mehr besitzen. Wenngleich die historische Situation in den 1970er-Jahren (in Frankreich) in vielerlei Hinsicht von jener der 1920er-Jahre (in Deutschland) unterscheidet, steht zu dieser Zeit auch bei Benoist das Problem der Des-/Reartikulation im Zentrum der Überlegungen zur Metapolitik. Auch hier ist der zentrale Vorwurf an die 'alte Rechte', dass sie nicht (mehr) in der Lage ist, eine zeitgemäße Ideologie zu entwickeln: "Nicht nur, daß sie dem Gegner nicht mehr antwortet, nicht nur, daß sie nicht mehr versucht sich selbst zu definieren, sie schenkt auch den Bewegungen im Bereich der Ideen, den aktuellen Polemiken, den neuen Disziplinen, beinahe keinerlei Beachtung. Mehr noch sie interessiert sich innerhalb dieser Ideenbewegungen nicht einmal für das, was sie in dem bestärken könnte, was sie ist. [...] 'Gewisse Themen, die klassischerweise auf der Rechten angesiedelt waren, erscheinen in der Gegenwart mit Nachdruck wieder. Der Haß gegen die falsche universalistische Abstraktion, von der sich Burke leiten ließ, taucht von allen Seiten auf; [...] der Wert der Verwurzelung in einem kulturellen oder geographischen Partikularismus ist zum Gemeinplatz geworden. Aber diese Tendenzwende scheint stattgefunden zu haben, ohne daß die intellektuelle Rechte etwas dabei gewonnen hätte. [...] Die intellektuellen Inhalte setzen sich nur durch, wenn sie sich der Linken anschließen. Jeder Nationalismus ist es sich schuldig,

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revolutionär zu sein, jeder Regionalismus kann nur sozialistisch gewollt werden […,] Sorel kehrt im Gefolge von Gramsci zur Linken zurück […]'" (dB 1985: 17, 19)244.

Entscheidend sei es also, dass die Rechte die Initiative zurückgewinne, indem sie in den zeitgenössischen intellektuellen Debatten diejenigen Punkte aufgreift, die ihre Position stärken. Genau wie bei Moeller kommt es dabei vor allem darauf an, die über verschiedene politische Lager verstreuten Elemente im Sinne der eigenen Position zu bündeln. Am Beispiel der zitierten Elemente würde das bedeuten, sie als Momente des Antagonismus {Verwurzelung, kultureller oder geographischer Partikularismus, Regionalismus, Nationalismus} / {universalistische Abstraktion, revolutionär, sozialistisch} zu artikulieren. Entscheidend ist dabei, dass die Grundstruktur der Aussagen erhalten bleibt, während die Form ihrer Präsentation so transformiert wird, dass Elemente zeitgenössischer Debatten aufgegriffen werden und insbesondere zentrale Elemente konkurrierender Diskurse in diese Aussagestruktur integriert werden. "Dies erfordert, daß man sich [...] eine Logik vom eingeschlossenen Dritten zu eigen macht. Und selbstverständlich kann das Ergebnis dieses 'rechten' Vorgehens nur darin bestehen, daß die Begriffe 'rechts' und 'links', wie man sie heute begreift, wieder in ein einziges Ganzes hineingenommen werden. Ich verstehe darunter nicht, daß man dann 'weder rechts noch links' sein wird – was gar nichts besagte – sondern, daß man dahin gelangt, sowohl die Rechte als auch die Linke in sich zu vereinigen. Ich glaube daß die Zukunft jenen gehören wird, die fähig sein werden, simultan zu denken, was bisher nur kontradiktorisch gedacht worden ist" (dB 1985: 33).

Die Metapolitik ist hier also ein explizit 'rechtes Vorgehen' – das Benoist an gleicher Stelle mit dem klassischen rechten Topos vom "dritten Weg" analogisiert, der eben kein "Mittelweg" und keine "Art Kompromiss" sondern eine "Synthese" (dB 1985: 32f.) sei – und zwar ein Verfahren die eigene Position so zu formulieren, dass sie die gegnerische, 'linke' Position mit einschließt und damit unterordnet. Die (neue) Rechte muss 'zugleich rechts und links sein' und genau dazu sei die 'alte Rechte' nicht in der Lage245. Die Methodik, mit der sich dieses Manöver auf der ideologischen Ebene vollziehen lässt, veranschaulicht Benoist (im Spiel mit einem klassischen Satz der Logik) als Vorgehen nach dem Prinzip des eingeschlossenen Dritten. All das taucht nahezu wörtlich in der Bestimmung von Metapolitik im Manifest der ND wieder auf: 244 Das Zitat im Zitat stammt aus Artikel von Paul Thibaud in LE MONDE DIPLOMATIQUE vom Januar 1977. 245 "Der Mensch der Zukunft wird Herr der Gegensätze sein" (dB 1985: 37) wiederholt Benoist nach seiner Gegenüberstellung von der 'alten, reaktionären' und der 'neuen, revolutionären' Rechten noch einmal.

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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"Der metapolitische Erkenntnisweg bezieht eine Betrachtung über die Entwicklung der westlichen Gesellschaften am Beginn des 21. Jahrhunderts mit ein. [… Darunter] das beschleunigte Überholtsein aller Trennungslinien, die die Moderne gekennzeichnet hatten, allen voran die traditionelle Trennungslinie zwischen links und rechts. [...] In einer Welt, in der geschlossene Einheiten zusammengeschalteten Netzen gewichen sind, [...] besteht das metapolitische Vorgehen darin, [...] eine bewußt querverbindende Denkweise zu entwickeln [...] um eine zusammenhängende Weltanschauung zu bieten, [...] die die meisten heute anerkannten geistigen Trennungslinien umstößt. Tribalismus und Mondialismus, zentralistischer Nationalismus und Internationalismus, Liberalismus und Marxismus, Individualismus und Kollektivismus, Progressismus und Konservatismus stehen sich nämlich in derselben selbstgefälligen Logik des ausgeschlossenen Dritten gegenüber" (dB 2001: 399f.).

Die Figur der Neuen Rechten, die nach der Logik des eingeschlossenen Dritten den Gegensatz von rechts und links in sich vereinigen soll, wird hier in umgekehrter Perspektive wiederholt. Die Trennungslinien der Moderne, darunter die von rechts und links, funktionierten auf der Logik das ausgeschlossenen Dritten und seien geschichtlich bereits überholt. Die Neue Rechte besetzt damit genau die Position des 'ausgeschlossen Dritten'. Durch ihre 'querverbindende Denkweise' biete sie eine Weltanschauung, welche die Polaritäten der Moderne hinter sich lasse. Ein genauerer Blick auf dieses zunächst irritierende Spiel mit politischen Signifikanten zeigt aber, dass dabei eben doch die altbekannten Aussagen des rechten Diskurses reproduziert werden. 6.2.1.3 Diskurstaktik: Die Logik des ausgeschlossen Dritten Es lohnt sich genau nachzuvollziehen, was es bedeutet, wenn Benoist diese Signifikanten – rechts / links, Tribalismus / Mondialismus, zentralistischer Nationalismus / Internationalismus, Liberalismus / Marxismus, Progressismus / Konservatismus – nach der 'Logik des ausgeschlossen Dritten' reartikuliert, denn mit dieser Figur expliziert er die zentrale Diskurstaktik, der seine Textproduktion seit der Proklamierung einer 'Neuen Rechten' folgt. Am Beispiel des Gegensatzes Marxismus / Liberalismus im obigen Zitat lässt sich diese Taktik veranschaulichen. Der Antagonismus lautet {metapolitischer Erkenntnisweg (Nouvelle Droite), das ausgeschlossene Dritte} / {Moderne: (Liberalismus) / (Marxismus)}. Hier scheint deutlich die IRRATIONALISMUS-Aussage, samt ihren vielfältigen Surrogaten, vom 'Dritten Weg' bis hin zur jüngsten Variante, nämlich der ONE-WORLD-Aussage auf. Wenn die unbestimmte 'dritte Position' mit dem 'nationalen Mythos' gefüllt wird erscheint der Antagonismus der IRRATIONALISMUSAussage {Nationaler Mythos} / {Moderne: (Liberalismus) / (Marxismus)}.

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Tatsächlich reproduziert Benoist diese Struktur in verschiedenen Varianten an etlichen Stellen in seinen Texten. An der zitierten Stelle im Manifest der ND scheinen aber zunächst die Paare Tribalismus / Mondialismus und vor allem zentralistischer Nationalismus / Internationalismus gegen eine solche 'nationale' Füllung der 'dritten Position' zu sprechen. Im Aufsatz "Jakobinertum oder Föderalismus" findet sich des Rätsels Lösung, denn hier heißt es, dass "die Nation und die Staatsnation" nicht verwechselt werden dürften, sondern dass gerade das (im Zuge der Globalisierungsdebatte vielfach beschworene) "Ende der Staatsnation eine besondere Gelegenheit ist, der Nation ihre volklichen Grundlagen zurückzugeben" (dB 2001: 330). Der weitere Kontext ist Benoists Vision von einem Europäischen Reich auf der Basis regionaler 'organischer' Demokratien ('Föderalismus'), die er gegen die Fixierung auf die Staatsnation ('Jakobinertum') und ein darauf basierendes 'Europa der Vaterländer' stellt (vgl. Kapitel 6.2.3.3). Schon in den 1980er-Jahren deutete sich diese Verlagerung des 'Volkstumskampfes' auf die subnationale Ebene der Regionen an, als Benoist schrieb, "daß die Region konkret das darstellt, was die Nation nicht immer ist: den Rahmen, in dem Minderheitenkulturen sich selbst finden und behaupten können. Regionalismus und Volkstumskampf sind moderne Namen für die ewige Wiedergeburt der sinnlich erfahrenen Vaterländer aus Fleisch und Blut" (dB 1985: 76).

Dies ist durchaus eine spezifische Position im nationalistischen Diskurs und bringt ihm entsprechende Kritik ein, wie die Kommentare von Weißmann und Schwab gezeigt haben (vgl. Kapitel 6.2.1). Entscheidend hinsichtlich Benoists Verfahren ist hier aber die Gegenüberstellung {Staatsnation, Zentralismus, Jakobinertum} / {Nation, volkliche Grundlage, Föderalismus, organische Demokratie}. Denn unter dieser Voraussetzung lässt sich der Antagonismus, der es fraglich erscheinen ließ, ob Benoist das nationalistische Aussagefeld verlassen hat, nämlich {das ausgeschlossene Dritte} / {(zentralistischer Nationalismus) / (Internationalismus)}, wie folgt lesen: {Nation, volkliche Grundlage, Föderalismus, organische Demokratie} / {(zentralistischer Nationalismus, Jakobinertum) / (Internationalismus)}. Was passiert hier? Noch einmal der Reihe nach: 1) Ausgangspunkt ist die klassische Entgegensetzung von Nationalismus und Internationalismus, die in dieser groben Form – also abgesehen von allen Problemen, die sich hier im historischen Detail fraglos ergeben – ein wesentliches Konnotat der Rechts-Links-Symbolik bildet:

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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{Rechts: Nationalismus} / {Links: Internationalismus}. 2) Dagegen proklamiert Benoist zunächst, diese Trennungslinien seien überholt und nimmt demgegenüber die Position des 'ausgeschlossenen Dritten' ein: {Das ausgeschlossene Dritte} / {(Rechts: zentralistischer Nationalismus) / (Links: Internationalismus)}. 3) Dann wird der Nationalismus als zentrales Element der rechten Äquivalenzkette in zwei Varianten aufgespalten, einen negativen 'zentralistischen' und einen von Benoist befürworteten 'volklich-regionalistischen': {volklicher Nationalismus} / {zentralistischer Nationalismus}. 4) Nun lassen sich die beiden Antagonismen aus den Schritten 2) und 3) kombinieren. Denn erstens spricht Benoist nicht ohne Grund schon in Schritt 2) von einem 'zentralistischen Nationalismus' und zweites plädiert er eindeutig zugleich für die Optionen des 'ausgeschlossen Dritten' und des 'volklichen Nationalismus'. Diese Kombination sieht dann wie folgt aus: {Das ausgeschlossene Dritte: volklicher Nationalismus} / {(Rechts: zentralistischer Nationalismus) / (Links: Internationalismus)}. 5) Werden hier nun einige Elemente der Äquivalenzketten ausgeblendet, zeigt sich, dass wir wieder am Ausgangspunkt angekommen sind: {volklicher Nationalismus} / {Internationalismus}. Allerdings mit einem entscheidenden Unterschied, denn die ursprüngliche rechte Option des Nationalismus bildet nun eindeutig den positiven Pol des Antagonismus und erscheint zugleich als scheinbar neutrale Position jenseits von 'rechts und links'. Weiterhin wird damit deutlich, dass die 'dritte Position' gegenüber 'Liberalismus / Marxismus' sehr wohl als Variante der IRRATIONALISMUS-Aussage zu lesen ist: {volklicher Nationalismus} / {Moderne: (Liberalismus) / (Marxismus)}. Das alles funktioniert nicht zuletzt deshalb so gut (und sorgt entsprechend bei affirmativen wie kritischen Kommentator*innen für Verwirrung), weil Benoist die Schritte 4) und 5) nicht explizit macht, sondern ganz im Gegenteil die einzelnen Elemente des übergreifenden Antagonismus immer nur punktuell an

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

verschiedenen Textstellen aufruft. So scheint bei einer oberflächlichen Lektüre vieles ambivalent und mehrdeutig zu sein und erst ein systematischer – synchroner – Blick auf die Stellen, an denen bestimmte Elemente (z.B. 'zentralistischer Nationalismus') auftauchen, zeigt, dass die klassischen Antagonismen des nationalistischen Diskurses nach wie vor die Tiefenstruktur des Textes definieren. Für sich betrachtet könnte die Abgrenzung vom 'zentralistischen Nationalismus' durchaus den Eindruck erwecken, Benoist habe sich tatsächlich vom 'Nationalismus', also vom zentralen Artikulationsprinzip des nationalistischen Diskurses, verabschiedet und Benoist beruft sich selbst in diesem Sinne auf die entsprechenden Stellen246. Doch dieser Eindruck wird offensichtlich hinfällig, wenn an anderer Stelle der 'volkliche Nationalismus' als positiver Gegenbegriff zum 'zentralistischen' gesetzt wird. Dieses ließe sich auch an anderen Elementen der von Benoist genannten Gegensatzpaare durchspielen (etwa Tribalismus / Mondialismus oder Konservatismus / Progressismus). Zunächst wird die eigene Position als das 'ausgeschlossene Dritte' gegenüber den Gegensatzpaaren aufgebaut. Dann werden die Elemente der 'rechten' Äquivalenzketten in eine positive und eine negative Variante aufgespalten (Tribalismus (-) / kulturelle Identität (+) oder Konservatismus (-) / Nouvelle Droite (+)) und schließlich wird die negative Variante samt ihres linken Gegenparts verworfen und was bleibt ist die positive Variante der rechten Kette, die zugleich als Position 'jenseits von rechts und links erscheint': {Nouvelle Droite, rechts+links, volklicher Nationalismus, kulturelle Identität} / {(rechts, Tribalismus, zentralistischer Nationalismus, Konservatismus) / (links, Mondialismus, Internationalismus, Progressismus)}. Übrig bleibt also eine semantisch modernisierte Rechte – eine Nouvelle Droite – während die 'linke Äquivalenzkette' {links, Mondialismus, Internationalismus, Marxismus, Progressismus} zusammen mit den veralteten Signifikanten der rechten Kette entsorgt wird. Auch hier muss die Abgrenzung gegen den 'Tribalismus' im Zusammenhang mit anderen Textstellen gelesen werden, an der plötzlich nichts anderes als die klassische VOLK-Aussage als positiver Gegenbegriff erscheint. Schon die Überschrift einer entsprechenden Stelle im Manifest der ND zeigt wiederum die dreigliedrige Struktur: "Gegen die Undifferenziertheit und den Tribalismus für starke Identitäten" (dB 2001: 427). Die mit der 'Undifferenziertheit' verknüpften Elemente sind "die Globalisierung", das "westliche System", die "Entwurzelung" als "soziale Pathologie unserer Zeit", die "universalistische[] Utopie" und last but not least der "'Weltbürger'" (ebd.: 427f.) in Anführungszeichen. Diese "Gefahr der 246

Vgl. Griffin (2000a: 242f., Anmerkung 3).

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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Vereinheitlichung [...] führt im Gegenzug zu identitären Zuckungen: blutige Irredentismen, krampfartig zuckende Nationalismen, wilde Tribalisierungen usw." (ebd.: 427). Letztere werden aber deutlich von "geschichtlich vererbte[n] kollektive[n] Identitäten" (ebd.: 427) ohne negative Attribute (Zuckungen etc.) unterschieden, welche den Fluchtpunkt der 'dritten' Position bilden. So "betont die Nouvelle Droite die Kraft und die Normalität der Unterschiede, die [...] die eigentliche Substanz des gesellschaftlichen Lebens [sind]. Die Völker sind nämlich keine bloßen Additionen individueller Atome, sondern Wesenheiten mit eigener Persönlichkeit, die sich im Laufe der Geschichte geprägt hat. Es sind natürliche (ethnische, sprachliche) Unterschiede, aber auch politische", allen voran die "Staatsbürgerschaft" (ebd.: 428).

In der Formulierung von der geschichtlichen Vererbung schwingt mehr mit als reine Symbolik. Dies zeigt zum einen die unmittelbare Koppelung von 'natürlichen, ethnischen und sprachlichen Unterschieden' und zum anderen Benoists Behauptung: "Der Rassismus kann nicht als Vorliebe für die Endogamie definiert werden" (ebd. 429). In diesem Zusammenhang werden auch die gerade zitierten Figuren der 'Entwurzelung' und der 'Addition der Individuen' wieder aufgenommen. So wird die "Bevölkerungsimmigration" als Form der "Zwangsentwurzelung" dargestellt, welche "die Völker in bloße Additionen austauschbarer Individuen" (ebd.: 430) verwandle. Damit ist der Antagonismus der VOLK-Aussage deutlich zu erkennen: {Völker, Staatsbürgerschaft, Substanz des gesellschaftlichen Lebens, Wesenheiten mit eigener Persönlichkeit, Normalität der Unterschiede, Natur, Ethnie, Sprache, Geschichte} / {Weltbürger, Addition individueller Atome, Vereinheitlichung, Immigration, Entwurzelung, universalistische Utopie, Globalisierung, westliches System}. Wie das letzte Zitat bereits andeutet, wird hier zugleich der Begriff des Rassismus umgedeutet. Dabei kommt einmal mehr die Argumentationsfigur des 'ausgeschlossenen Dritten' zur Anwendung. Nach der Trennung vom Prinzip Endogamie wird der Rassismus zunächst als überkommene Theorie dargestellt und anschließend von zweierlei Arten des Antirassismus unterschieden: "Dem Rassismus stehen ein universalistischer und ein differentialistischer Antirassismus gegenüber. Der erste führt mittelbar zum gleichen Ergebnis wie der Rassismus, den er verurteilt. Er ist nämlich ebenso allergisch auf Unterschiede, erkennt in den Völkern nur ihre gemeinsame Zugehörigkeit zur Art an und neigt, ihre besonderen Identitäten als vorübergehend oder nebensächlich zu betrachten. [...] Der differentialistische Antirassismus, in dem sich die Nouvelle Droite wiedererkennt, ist dagegen der Ansicht, daß die unreduzierbare Vielfalt des Menschengeschlechts dessen Reichtum bildet. [...] Für die Nouvelle Droite geht der Kampf gegen den Rassismus weder über die Negierung der Rassen noch über den Willen sie in ein undifferenziertes Gebilde zusammenzuschmelzen, sondern über die doppelte Ablehnung des

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

Ausschlusses und der Assimilierung. Also weder apartheit noch meltingpot [sic!], sondern Annahme des Anderen als Anderen" (ebd.: 429f.).

Der vermeintlich antirassistische Antagonismus lautet hier also {differentialistischer Antirassismus, besondere Identitäten, unreduzierbare Vielfalt des Menschengeschlechts, Annahme des Anderen als Anderen} / {Allergie gegen Unterschiede: (Rassismus, Ausschluss, Apartheid) / (universalistischer Antirassismus, Negierung der Rassen, Assimilierung, Melting pot)}. Die kategoriale Unterteilung des Menschengeschlechts in besondere Gruppen, die gemeinhin als Rassismus gilt, erscheint hier als Antirassismus. Der universalistische Bezug des Antirassismus auf das Menschengeschlecht wird gemeinsam mit dem Begriff des Rassismus verworfen. Der Kern des Rassismus, die Festschreibung essentialistischer Differenzen ('besondere Identitäten', 'unreduzierbare Vielfalt', 'Andere als Andere'), bleibt dagegen erhalten. Zudem werden diese 'Identitäten' trotz der ständigen Betonung von 'Kultur' letztlich nach wie vor biologisch gedacht, wie die abgelehnte 'Negierung der Rassen' oder die Trennung des Rassismus vom Prinzip der Endogamie zeigen. Auf gleiche Weise wird kurz darauf ein "differentialistische[r] Feminismus [...] gegen den Sexismus und die Unisex-Utopie" (ebd.: 432f.) gestellt. Ausgangspunkt ist zunächst die vermeintliche Ablehnung von Sexismus. Mit der Rede von der 'Unisex-Utopie' wird dabei jedoch gerade die feministische Betonung der sozialen Konstruktion der Geschlechterordnung und die Kritik geschlechtlicher Ungleichheit auf eine Stufe mit dem Sexismus gestellt. Der befürwortete 'differentialistische Feminismus' bringt dagegen die Anerkennung "eines weiblichen und eines männlichen Wesens" (ebd.: 432) zum Ausdruck, hinter der sich die klassischen patriarchalen Binarismen verbergen: "Zusammenarbeit und Wettstreit, Vermittlung und Repression, Verführung und Herrschaft, Empathie und Gleichgültigkeit, Relation und Abstraktion, Emotionalität und Führung, Überzeugung und Aggression, synthetische Intuition und analytische Erkenntnis usw." (ebd.).

Auch das ist freilich eine wesentlich subtilere Form der Verteidigung patriarchaler Herrschaft als Benoists frühere Klage über die "Entmännlichung des Mannes" (Benoist zitiert nach Böhm 2008: 192). Aber das heißt keineswegs, dass sich die Aussage (MÄNNLICHKEIT) im Kern geändert hätte. Die Figur des ausgeschlossenen Dritten weist nicht auf einen grundlegenden Bruch mit den Regeln des Diskurses hin, vielmehr werden mit ihr die altbekannten Aussagen in deformierten Begriffen der politischen Gegner*innen reartikuliert.

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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6.2.2 Die Globalisierungserzählung Beim Thema Globalisierung ist Benoists Bezugnahme auf Positionen der Linken besonders ausgeprägt. Seit Beginn der Debatte diskutiert er ausführlich Beiträge aus LE MONDE DIPLOMATIQUE und bezieht sich unter anderem auf Texte der Regulationstheoretiker François Chesnais, Robert Boyer und Michel Aglietta (vgl. dB 2001: 84). In der deutschen Version seines Aufsatzes 'Im Angesicht der Globalisierung' findet sich auch ein Hinweis auf die Globalisierungsfalle (vgl. dB 2001: 56)247. Für sich betrachtet unterscheiden sich die entsprechenden Passagen kaum von den gängigen Darstellungen der ökonomischen Entwicklung seit den 1970er-Jahren, die das "Verschwinden des Fordschen Kompromisses" (ebd.: 61), die Ablösungen des "rheinische[n] Kapitalismus" durch einen "Finanzkapitalismus" (ebd.: 65) und dergleichen konstatieren. Benoist bezieht dabei eindeutig auf Seiten der KRITIK-POSITION Stellung. Er schildert in deutlichen Worten, dass "die Lohnbeschäftigten erleben, wie infolge der Deregulierung ihre durch jahrzehntelangen gewerkschaftlichen Kampf errungenen Vorteile und Rechte nacheinander abhanden kommen" (ebd.: 72), er kritisiert den "Turbokapitalismus" und andere BINDESTICH-KAPITALISMEN bis hin zur Äußerung, der "Kapitalismus hat die Inhumanität seiner Anfänge beibehalten, er nimmt aber nunmehr neue Formen an" (ebd.: 82). Im Zusammenhang mit dem NEOLIBERALISMUS – insbesondere mit Hayeks Konzept der 'spontanen Ordnung' – spricht er von einer "Neigung jeder Ideologie, ihre Voraussetzungen und Grundlagen zu naturalisieren" (dB 1999: 68)248 und spielt mit kritischem Unterton auf "Darwin" an, der behaupte, "daß die Überlebenden des 'Kampfs ums Leben' die 'Besseren' seien" (ebd.: 72). Zudem übernimmt Benoist nicht nur diese und andere (symbolische) Elemente der KRITIK-POSITION, sondern auch zahlreiche Vorschläge zur politisch-ökonomischen Re-Regulierung, die in der Frühphase von der globalisierungskritischen Bewegung gemacht wurden. In dieser Hinsicht unterscheiden sich seine Texte deutlich von anderen Teilen des nationalistischen Feldes, das er aber insofern nicht verlässt, als er die Passagen zur Globalisierung mit dessen zentralen Aussagen verknüpft. Allerdings setzt er auch dabei durchaus eigene Akzente. So bettet Benoist beispielsweise den von Martin/Schumann (GF) und vielen anderen konstatierten Zusammenhang zwischen 'Globalisierung und der Krise der Demokratie' in seine Erzählung vom 'Ende der Moderne' (Stichwort: GESCHICHTE, vgl. Kapitel 6.2.1.1) ein und verknüpft dies mit einem Seitenhieb auf die repräsentative Demokratie, der sich wiederum mit der DEMOKRATIE-Aussage an anderen Stellen verbindet (vgl. Kapitel 6.2.3.2): 247

Zuvor erschien die englische Version (vgl. dB 1996). Die Naturalisierung von Herrschaftsverhältnissen wäre nicht zuletzt an Benoists eigenen Schriften zu kritisieren (vgl. Kapitel 6.2.3.2). 248

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

"Mit dem Beginn der Globalisierung hatte sich die Moderne erledigt. [...] In der postmodernen Welt sind alle politischen Überbleibsel der Moderne obsolet geworden. [...] Die Krise der repräsentativen Demokratie, die stetig abnehmende Wahlbeteiligung, die Zugkraft populistischer Bewegungen sind weitere kennzeichnende Symptome dieser Entwicklung" (dB 2003: 64f.).

Typisch für die vielfältigen aber stets zielgerichteten Bezugnahmen auf unterschiedliche Diskurse ist nicht zuletzt Benoists Verknüpfung des NEOLIBERALISMUS mit der Liberalismus-Schelte des nationalistischen Diskurses, die im Folgenden dargestellt wird. 6.2.2.1 Der Hauptfeind: Der Liberalismus in Gestalt der USA In Benoists Texten zum Thema Globalisierung fällt die häufige Parallelisierung von Neoliberalismus, Liberalismus im Allgemeinen und den Menschenrechten auf (vgl. dB 2003: 7, dB 2001: 19). Exemplarisch für dieses Muster ist die folgende Stelle aus dem Manifest der ND, in der auf Arnold Gehlens Konzept der Hypermoral angespielt wird: "Im Zeitalter der Globalisierung stellt sich der Liberalismus nicht mehr als Ideologie dar, sondern als ein internationales System zur Produktion und Reproduktion der Menschen und Waren, das vom Hypermoralismus der Menschenrechte überragt ist. Diese doppelte Polarität von Wirtschaft und Moral stellt den zentralen Block der Vorstellungen einer endenden Moderne dar. Es gilt also nicht, den politischen Liberalismus abzulehnen und den wirtschaftlichen Liberalismus zu akzeptieren, wie im rechten Lager der Fall, oder umgekehrt, den wirtschaftlichen Liberalismus abzulehnen und dabei den politischen zu akzeptieren, wie links zu beobachten ist. In allen seinen Erscheinungsformen stellt der Liberalismus den Hauptgegner aller dar, die an seiner Überwindung wirken" (dB 2001: 407).

Dies ist zugleich die zentrale Feindbestimmung im Sinne Carl Schmitts, die Benoist im Zuge der Globalisierungsdebatte vornimmt. Der implizite Bezug auf Schmitt wird bereits an der Überschrift des Abschnittes deutlich: "Der Liberalismus, der Hauptfeind" (ebd.: 405). Zudem wird kurz vor der zitierten Passage frei nach Schmitt konstatiert, dass "'liberale Politik' [...] ein Widerspruch in sich sei" (ebd.: 407). Und schließlich reproduziert Benoist ebenfalls in diesem Abschnitt des Manifestes der ND eine Variante der IRRATIONALISMUS-Aussage, die nahezu wörtlich mit Schmitts Version in der 'Geistesgeschichtlichen Lage' (vgl. Kapitel 3.2.4.5) übereinstimmt: "Bei allen Gegensätzen gehören Liberalismus und Marxismus nämlich im wesentlichen derselben, von der Aufklärung überkommenen Welt an: der gleiche Grundindividualismus, der gleiche einebnende Universalismus, der gleiche Rationalismus [...]. In mancher Hinsicht hat der Liberalismus nur mit größerer Wirkung bestimmte Ziele verwirklicht, die er mit dem Marxismus teilte: Ausrottung der kollektiven Identitäten und der traditionellen Kulturen, Entzauberung der Welt, Vereinheitlichung des Produktionssystems" (dB 2001: 406).

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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Der Antagonismus {Aufklärung, Rationalismus, Universalismus, Individualismus: (Liberalismus) / (Marxismus)} / {Kollektiven Identitäten, traditionelle Kulturen} ist deutlich zu erkennen und wird auch an anderen Stellen reproduziert, unter anderem im Aufsatz "Die Kritik am Liberalismus" (vgl. dB 1999: 68, 73f., 83). Erwartungsgemäß findet sich auch die zeitgenössische Transformation dieses Musters in die ONE-WORLD-Aussage. Die One World als zentrales Schlagwort fehlt dabei aber in der Regel, obwohl Benoist sie in den 1980er-Jahren noch genau in diesem Sinne gebraucht hat. Exemplarisch für die neueren Texte ist die folgende Stelle: "Die Globalisierung [...] läßt eine 'Supra-Weltgesellschaft' (Alexander Sinowjew) entstehen, deren Akteure, Strukturen und Einfluß die Völker und Nationen weit hinter sich lassen. Der Westen, von dem sie ihren Ausgang nahm [...], schreibt Sinowjew, 'strebt die Vereinigung der Menschheit zu einem einzigen Gesamtaggregat [an'] [...]. Der Kapitalismus verwirklicht damit das internationalistische Ideal ungleich effektiver als der Kommunismus" (dB 2001: 8f.).

Offensichtlich handelt es sich hier um eine Variante der ONE-WORLD-Aussage und die von Sinowjew zitierte 'Supra-Weltgesellschaft' lässt sich in diesem Kontext ohne weiteres im Sinne des Schlagwortes übersetzen. {Globalisierung, Supra-Weltgesellschaft (One World), Internationalismus, Menschheit: (Kapitalismus) / (Kommunismus)} / {Völker und Nationen}. Ähnlich hießt es im Aufsatz "Im Angesicht der Globalisierung": "'Die gegenwärtige Erschütterung aufgrund der Globalisierung', schreibt heute Philippe Engelhard, 'ist die Folge eines universalistischen Liberalismus [...]. Sein Programm verfolgt implizit eine Vereinheitlichung der Welt durch den Markt und damit die Zerstörung der Staatsnationen und der Kulturen [...]'. [...] Der Kapitalismus nimmt sich also vor, dort erfolgreich zu sein, wo der Kommunismus gescheitert ist – natürlich ohne die soziale Gerechtigkeit: Er will eine von einem 'neuen Menschen' bewohnte Welt ohne Grenzen schaffen" (dB 2001: 49f.).

Auch hier sind die Äquivalenzketten deutlich zu erkennen: {Globalisierung, Universalismus, Neuer Mensch, Welt ohne Grenzen: (Liberalismus, Kapitalismus) / (Kommunismus)} / {Staatsnationen und Kulturen}. Böhm stellt die an Schmitt und anderen Rechtsintellektuellen der Weimarer Republik orientierte Liberalismus-Schelte in seiner Dissertation als eine zentrale Kontinuitätslinie in den Schriften von Benoist heraus. Er zeigt dies beginnend mit

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

den Frühschriften der 1960er-Jahre, in denen das Wort 'Régime' die Stelle einnahm, an der später systematisch von 'Liberalismus' die Rede sein wird: "Bezeichnenderweise geißelte de Benoist das Régime als 'globalen Ausdruck der Kräfte im Westen', das 'an der Zerstörung desselben mitwirke' […]. Es versuche, die 'biologische Dimension der Geschichte' abzuschaffen, bereite der weißen Rasse ein 'Schuldgefühl' und ermuntere zum 'Verschwinden von Originalitäten' und zur 'Entwurzelung durch physische und mentale Vermischung'" (Böhm 2008: 191249).

In diesem Zusammenhang sah "Benoist die 'Ökonomie' als 'ein Mittel zur Unterjochung'" beziehungsweise als "'Vorwand zur Einebnung und Vermassung'" (ebd.), auf welche die 'Ideen von 1789' hauptsächlich zielten. "Die Klage der Entwurzelung, das Lied des Kulturpessimismus. Tatsächlich hätte die Polemik gegen das Régime auch aus der Feder eines Oswald Spengler […], Ernst Jünger […] oder Arthur Moeller van den Bruck stammen können" (ebd.). Als wolle er dieses Fazit Böhms noch einmal bestätigen, schreibt Benoist 2010 Folgendes in seiner Einleitung zum Buch 'Kämpfer für ein drittes Reich. Arthur Moeller van den Bruck und sein Kreis', in dem auch Moellers Schrift 'Am Liberalismus gehen die Völker zugrunde' nachgedruckt wird: "[D]as Wesentliche bei Moeller liegt wahrscheinlich in seiner argumentativen und oft profunden Kritik an der liberalen Ideologie. [...] Der Kommunismus unterdrücke die Völker, so Moellers Kernaussage, doch der Liberalismus zerstöre sie. Dies ist genau das, was wir heute tagtäglich sehen: Eine Globalisierung, die von einer liberalen Menschenrechtsideologie und vom Paradigma des Marktes getragen wird, das die planetarische Expansion einer weltweiten Kommerzkonzeption betreibt, vernichtet aller Orten jene Gemeinschaftswerte, die nicht zum Objekt des Freihandels gemacht werden können, wodurch die Wurzeln der organisch gewachsenen Kulturen und Lebensarten vernichtet werden. 'Im liberalen Menschen erkennt die deutsche Jugend den Feind', schrieb Moeller. Dies ist ein Satz, den sich all jene Konservativen ins Stammbuch schreiben sollten, die sich gestern um des Antikommunismus willen dem Liberalismus zugewandt haben und die heute in noch größerer Zahl dem Opportunismus huldigen, […] der Herrschaft des Kapitals und der Ideologie des Profits – ohne zu erkennen, daß gerade dieser Liberalismus, den sie befürworten, all das zerstört, was sie eigentlich bewahren wollen" (dB 2010: 15f.).

In dieser Passage stellt Benoist seine zuvor analysierten Argumentationsmuster (Globalisierung, Menschenrechtsideologie etc.) also explizit in die Tradition Moellers, der so als weitere Referenz der 'antiliberalen Feinbestimmung' erkennbar wird. Wer diesem Motiv in den Schriften Benoists folgt, stößt schließlich auf den Aufsatz 'Der Hauptfeind', der auch in den frühen 1980er-Jahren bereits den 'Liberalismus' ins Visier nahm und in diesem Zusammenhang von der One World spricht, die später nicht mehr explizit genannt wird, obgleich sich an den Aussagen 249 Zitat im Zitat: Laroche, Fabrice (Alain de Benoist). Nationalisme. In: Algazy, Joseph: L'extrêmedroite en France (1965 à 1984). Paris, 1989, S. 250-252.

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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im Kern nichts geändert hat. Der entsprechende Aufsatz erschien in Deutschland zunächst 1982 in der Zeitschrift DEUTSCHLAND IN GESCHICHTE UND GEGENWART und wurde 1985 in die Kompilation 'Kulturrevolution von rechts' aufgenommen. In einer für die Konstellation des Ost-West-Konfliktes typischen Pose, stellt sich Benoist hier zunächst gegen "das russisch-amerikanische Kondominat", dem er mit Heidegger eine quasiontologische Qualität zuschreibt – "'Russland und Amerika sind, metaphysisch gesehen, ein und dasselbe' (Heidegger)" – um anschließend den "Aufstieg Europas als 'dritte Kraft'" (dB 1985: 128f.) zu beschwören. Im weiteren Verlauf wird der Hauptfeind dann unter anderem wie folgt charakterisiert: "Als der typischste aller Repräsentanten [...] des jüdisch-christlichen egalitären Universalismus schafft der Liberalismus nichts als Auflösung. Wird der Begriff der Gesellschaft nur als einfaches System 'horizontaler' Wechselwirkungen gedacht, besitzt er keinerlei formgebende Kraft. Er kann wechselseitig nur in Kategorien der Gemeinschaft gedacht werden, d.h. in Begriffen der historischen und kulturellen Zugehörigkeit. (Edgar Morin: 'Es ist der Gemeinschafts-Mythos, der der Gesellschaft ihren Zusammenhalt als Nation gibt'.) Der Liberalismus aber zerstört die Gemeinschaft" (ebd.: 135).

Das Zitat von Morin – dessen Kontext aufgrund der wie immer bei Benoist fehlenden genauen Quellenangabe nicht nachgeprüft werden kann – dürfte ein weiteres Beispiel für Benoists Technik sein, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate so zu präsentieren, dass sie als Stütze der eigenen Positionen fungieren, hier des Antagonismus {jüdisch-christlicher Universalismus, Liberalismus, Auflösung} / {Gemeinschaft, Nation, Mythos}. Letzterer wird dann wie folgt fortgeschrieben: "Die ökonomische Praxis wird im Marxismus wie im Liberalismus nicht nur für den wesentlichen Ausdruck menschlichen Strebens gehalten und als das bewegende Moment des historischen Geschehens dargestellt, sondern sie wird auch für allen [sic!] tragfähig gehalten, den 'ewigen Frieden' und die 'one world' herbeizuführen [...]. Was das liberale Wirtschaftssystem einzig und allein hervorzubringen vermag, ist eine Gesellschaft, die den egalitären Idealen folgt: Ausstieg aus der Geschichte, Verfall der Politik, Einebnung aller Grenzen und Unterschiede. Nun sind diese Ideale, wie wir sahen, nicht nur dem Liberalismus eigen, sondern charakterisieren Liberalismus und Sozialismus gleichermaßen. Wenn aber Marx seine historisch-gesellschaftliche Version umreißt, ist das [...] eine Gesellschaft, die der liberalen zum Verwechseln ähnelt, eine Gesellschaft wo der Staat 'verfällt', wo die Wirtschaft endgültig der Politik den Rang abläuft, wo sich die sozialen und nationalen Unterschiede verwischen" (dB 1985: 138, 141).

Auf Grund des geteilten Universalismus-Egalitarismus führe der Liberalismus direkt zum Kommunismus und müsse eben deshalb als Hauptfeind angesehen werden, lautet Benoists Quintessenz dieser Schrift, die typisch für den

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

nationalistischen Diskurs zu Zeiten des Ost-West-Gegensatzes ist. Letzteres zeigen die Übereinstimmung des Antagonismus {One World, jüdisch-christlicher Universalismus, egalitäre Ideale, Auflösung, Verfall, Einebnung aller Grenzen: (Liberalismus, Amerika) / (Marxismus, Russland)} / {Mythos, Gemeinschaft, Nation, soziale und nationale Unterschiede} mit jenem Thesenpapier der JUNGEN NATIONALDEMOKRATEN vom Ende der 1970er-Jahre, in dem sich auch bereits das Schlagwort der One World findet (vgl. Kapitel 5.1.2). Angesichts der expliziten Verknüpfung dieser Struktur mit JUDEN im Falle der JN und anderer und angesichts von Benoists Rückführung des verhassten Universalismus auf den jüdisch-christlichen Monotheismus (vgl. auch Schobert 2009: 78f.) stellt sich die Frage nach dem Antisemitismus in Benoists Schriften. In diesem Zusammenhang gilt auch für die Schriften zur Globalisierungsdebatte was Holz bereits früher in einer Fußnote seiner Dissertation zur Semantik des 'Nationalen Antisemitismus' geschrieben hat: "Bei Alain de Benoist [...] werden eine Reihe zentraler antisemitischer Stereotype reproduziert. Diese werden aber fast nie oder ausschließlich den Juden zugeschrieben. Man könnte auch sagen: Die Bezeichnung 'jüdischer' Abstrakta (Liberalismus, Universalismus usw.) als 'jüdisch' und ihre Personifikation in 'Juden' unterbleibt bei Benoist. Dies scheint ein untypischer Extremfall zu sein: [...] eine antisemitische Semantik ohne die Konstruktion von Juden" (Holz 2001: 533f.).

Dies gilt, wie zu ergänzen wäre, nicht nur für die Äquivalenz-Differenzbeziehungen der Begriffe, sondern auch für die Symbolik. Einerseits sind die Schriften Benoists durch eine exzessive Nutzung deterritorialisierender Symbolik der Form gekennzeichnet, wie sie auch für antisemitische Diskursfragmente typisch ist, andererseits werden sie nicht explizit mit JUDEN verknüpft. Sehr deutlich wird die als Kern der Globalisierung behauptete Tendenz zu Universalisierung und Homogenisierung hingegen als AMERIKANISIERUNG präsentiert, wenngleich die Tendenz selbst und nicht die Rolle der USA entscheidend sei. "Was wir landläufig unter Globalisierung verstehen, ist vor allem eine Verwestlichung, die von den USA vorangetrieben wird" (dB 2003: 63), schreibt Benoist und fährt mit einer Argumentation fort, die sich auch in der Einleitung des Globalisierungsbuches findet: "Die Globalisierung universalisiert die Herrschaft des Gleichen. Dieser Ausbruch erzeugt natürlich [...] Widerstände, die leider oft ins andere Extrem fallen [...]. Benjamin Barber hat die Lage auf die Formel gebracht: 'Konfrontation zwischen »Djihad« und »McWorld«'. Doch die Globalisierung beschränkt sich nicht auf die Vereinheitlichung der Kulturen und [...] läßt sich ebenso wenig auf die Amerikanisierung reduzieren, auch wenn sie es den USA ermöglicht

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

341

hat, sich in der Welt zu behaupten, wie sich in der Geschichte der Menschheit noch keine Macht behauptet hatte" (dB 2001: 7f.).

Während Globalisierung von vielen Autoren des nationalistischen Feldes als Ergebnis von AMERIKANISIERUNG im Sinne US-amerikanischer Machtpolitik gedeutet wird, kehrt Benoist die Figur um und präsentiert die vermeintliche AMERIKANISIERUNG der Welt (symbolisch: McWorld) als Effekt der vorrangigen Homogenisierungstendenz. In beiden Fällen wird die Grundstruktur der Aussage geteilt, nach der den 'Völkern' beziehungsweise 'Kulturen' ein US-Imperialismus mit einer ökonomischen, einer militärischen und vor allem einer kulturellen Dimension gegenübersteht. So charakterisiert Benoist die USA wie folgt: "Die ganze Welt muss allmählich von der Allgemeingültigkeit des amerikanischen Systems durchdrungen werden. So wie in der Wirtschaft die Freihandelspolitik der 'offenen Tür' den Rückgriff auf den Protektionismus nicht ausschließt, so sind Isolationismus und Kreuzzugsdenken im außenpolitischen Bereich keineswegs unvereinbar. Es handelt sich lediglich um zwei Facetten ein und derselben messianisch-puritanischen Berufung und gleichzeitig um ein bezeichnendes Beispiel dafür, daß der politische Universalismus stets nur die Maske eines besonderen, im Weltmaßstab ausgedehnten Modells ist" (dB 2001: 92).

Meist bleibt Benoist jedoch bei der Argumentation, dass die AMERIKANISIERUNG nur sekundärer Ausdruck allgemeiner Tendenzen sei, um dann systematisch die USA als Beispiel für die jeweilige Tendenz anzuführen. Typisch ist die folgende Stelle aus dem Aufsatz "Den Krieg neu denken", an der die USA als Beispiel für den modernen Imperialismus präsentiert werden. "Das ganze Bestreben der modernen Imperialismen besteht übrigens darin, den kriegerischen Charakter der kulturellen und wirtschaftlichen Expansion zu verschleiern. Der amerikanische Imperialismus zum Beispiel rechtfertigt sich immer wieder mit der Tatsache, daß er Wirtschaftswege benutzt, die von Natur aus apolitisch und friedlich seien. Diese Vorgehensweise ist lediglich eine geschickte Art, die politische Dimension wirtschaftlicher Phänomene zu verdecken, indem man sich die Vorteile einer Eroberung sichert, ohne den politischen Preis dafür zahlen zu müssen, und indem man im Rahmen eines Völkerrechts bleibt, das militärische Eroberung untersagt, jedoch nicht kulturelle Konditionierung und wirtschaftliche Ausbeutung" (dB 2001: 135).

Am Ende des Aufsatzes dienen die USA dann ein weiteres Mal als "Beispiel: Daß die amerikanischen Gesellschaften, die ihre pseudo-kulturellen Produkte auf den europäischen Markt werfen, den Europäern damit nicht unbedingt Feindseligkeit entgegenbringen möchten, ist sehr wahrscheinlich. [...] Sollten aber die Europäer diese Schwemme amerikanischer Erzeugnisse als feindseligen Akt betrachten, dann wäre wohl ein Kriegszustand geschaffen" (dB 2001: 137f.).

Genau auf diese Situation zielen Benoists Texte. Dies zeigen die weiteren Stellen, an denen er auf Produkte der US-amerikanischen Kulturindustrie zu sprechen

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

kommt. So greift er im Zusammenhang mit der "kulturellen Globalisierung" noch einmal auf Benjamin Barber zurück, der schrieb: "Die Träger des McWorldSystems [...] sind nicht mehr die Autos, sondern der Vergnügungspark Eurodisney, der Musiksender MTV, Hollywood-Filme, Computerprogramme" (Barber zit. nach dB 2001: 40). Drastischer bringt Benoist sein Ressentiment am Ende eines Aufsatzes mit dem bezeichnenden Titel 'Amerika vergessen!' zum Ausdruck. Wenn Antiamerikanismus anachronistisch sei, heißt es dort "dann wollen wir anachronistisch sein. [...] Die Amerikaner [...] sollen wieder einpacken. Einpacken sollen sie ihre flippers, ihre bumpers und ihre hamburgers, ihr rap, ihr crack und ihre big macs; ihre golden boys und ihre yuppies; ihre think-tanks und ihre Multinationalen; ihre 'clean girls' und ihre 'fast foods' und und und. [...] Für Europa ist es nun an der Zeit, daß es Amerika vergisst und sich selbst wiederentdeckt" (dB 2001: 105).

Hier wird die Figur des militärischen (bumper250), ökonomischen (Mulitnationale) und kulturellen (rap etc.) US-Imperialismus symbolisch aufgerufen. Und an gleicher Stelle legt Benoist auch seine damit verbundene geopolitische Perspektive offen. Was ihm vorschwebt ist ein "Europa, das eine selbständige Macht, kein Protektorat wäre. [...] Ein Europa, das sich auch eine Monroe-Doktrin zulegt" (ebd.: 105) und ein Europa, das sich ökonomisch als 'autozentrischer Wirtschaftsraum konstituiert' (vgl. Kapitel 6.2.3.1). 6.2.2.2 Die deterritorialisierende Welt der Netze Symbolisch präsentiert Benoist den Komplex {Globalisierung, Amerikanisierung, Verwestlichung, Universalismus} als Phänomen der Deterritorialisierung. So rollt die "gewaltige Woge" (dB 2001: 29) der Globalisierung heran, eine "gewaltige[] Woge, die alle Unterschiede und Werte wegschwemmt" (ebd.: 55), beziehungsweise "die brandende Welle des [sic!] McWorld" (ebd.: 52). Diese zeichne sich durch die "Intensivierung von allen möglichen transnationalen Strömungen, [...] eine Sintflut von universellen Bildern", den beschleunigten "Umlauf der materiellen und immateriellen Ströme" (ebd.: 41f.) und so weiter aus. "Das Verbundnetz Internet" sei dafür ein gutes Beispiel, denn es "führt eine neue Lebensweise ein, die als elektronisches Nomadentum bezeichnet werden könnte", was genau dem "Bewohner des McWorld-Systems" entspräche, der "gleichzeitig überall und nirgendwo" (ebd.: 41) lebe. Auch an anderer Stelle ist vom "Verbundnetz Internet" die Rede und hier wird die symbolische Seite des Netzes explizit hervorgehoben: "Indem das Internet es jeglicher Tätigkeit erlaubt, unabhängig vom eigenen Standort augenblicklich transnational zu werden, kommt dem Netz aber auch Symbolwert zu. Eines der Wesensmerkmale des neuen Kapitalismus ist nämlich die Abschaffung von Raum und Zeit. Das Geld bewegt sich in Echtzeit vom einen Ende des Planeten zum anderen. [...] Der Kapitalismus ist mehr denn je nomadisierend" (ebd.: 70f.). 250

Die Bumper ist ein Ende der 1940er-Jahre entwickelter Raketen-Typ.

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

343

Diese Bilder der Deterritorialisierung {gewaltige Woge, brandende Welle, wegschwemmen, transnationalen Strömungen, Sintflut, Nomaden, Netze, Zerstreuung, Atomisierung, Auflösung, Verfall} und die komplementären reterritorialisierenden Elemente strukturieren die Texte Benoists zum Thema Globalisierung ganz entscheidend. Zudem ist sich Benoist der Bedeutung eines entsprechenden Symbolgebrauchs durchaus bewusst. Dies zeigt nicht nur seine gerade zitierte Anmerkung zum 'Symbolwert des Netzes', sondern auch seine frühe Kritik an der positiven Wertung des Rhizoms bei Deleuze und Guattari. So warf er der christlichen Weltanschauung in seiner Schrift 'Heide sein' von 1981 vor, sie habe eine Tendenz zur "Abschaffung der Grenzen […] [und] stimme 'mit der so modernen Verteidigung des »nichtverwurzelten Menschen« , dem delenzo-guatarischen (sic!) Rhizom (im Gegensatz zur »Wurzel«) und des universalen Nomadentums überein'" (Schobert 2009: 45, Zitat im Zitat: Benoist 1982: Heide sein, S. 132.).

Entsprechend weiß er auch die nicht-symbolischen Begriffe von Deleuze/Guattari einzusetzen. So etwa im Aufsatz 'Zur Globalisierung', in der das Thema gleich im ersten Satz als "die Deterritorialisierung vieler Probleme sowie die Tendenz zur Vereinheitlichung der Erde" (dB 2003: 61) charakterisiert wird. Noch deutlicher ist die folgende Gegenüberstellung von fordistischem und postfordistischem Kapitalismus: "Das beherrschende Merkmal des [fordistischen] Kapitalismus war damals seine Territorialisierung, das heißt seine Verwurzelung innerhalb der Grenzen einer Industrienation. […] Die Globalisierung erzeugt [… dagegen] eine Umgestaltung des Erdraums, die in erster Linie durch eine allgemeine Entterritorialisierung des Kapitals gekennzeichnet ist. Man wechselt von einem 'Raum von Orten' zu einem 'Raum von Bewegungen' über, also vom Territorium zum Netz" (dB 2001: 34f.)251.

Rund um diese Stelle sind weitere zentrale Themen der Globalisierungsdebatte mit einschlägigen Symbolen codiert. So werden die transnationalen Konzerne zu "Netz-Firmen" (ebd.: 35), die "Bestandteile der Produktion zerstreuen sich" (ebd.: 34) im Zuge der Praxis des 'global sourcing' und die mangelnde Profitabilität von Investitionen führt zu einem "Überschuß an fluktuierenden Geldern" (ebd.: 36). Einerseits knüpft dies schlicht an die gängige DETERRITORIALISIERUNGS-Symbolik der Globalisierungsdebatte an: Die "spekulativen Ströme" (ebd.: 9) haben mehr und mehr dazu geführt, "daß Grenzen durchlässig geworden sind" (dB 2003: 63) und so weiter. Andererseits ist daran jedoch eine spezifische Grenzschutz-Erzählung gekoppelt, nämlich eine symbolische Variante der Liberalismus-Schelte, in 251 In der englischen Version des Aufsatzes ist dort, wo die deutsche Übersetzung (vermutlich in Unkenntnis der impliziten theoretischen Bezüge) von 'Entterritorialisierung' spricht, wörtlich von der "generalized deterritorialization of capital" (dB 1996: 121) die Rede.

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der die grenzüberschreitenden Strömungen aller Art zu Zerfall, Zerstreuung und Auflösung von sozialen Bindungen, ethnischen Wurzeln und organischen Herrschaftsformen führen. Im Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel 'Die Auflösung der sozialen Bindungen' etwa, schreibt Benoist hinsichtlich der Theorie von Adam Smith: "Die natürliche Harmonie der Interessen genügt, um das reibungslose Funktionieren der globalen Gesellschaft zu regeln, wobei letztere als ein fließender Markt angesehen wird, der sich auf alle Menschen und alle Länder erstreckt und sowohl die Abschaffung der Grenzen[] als auch den Verfall des Politischen und des Staates erahnen läßt" (dB 2001: 214).

Von hier aus leitet er über zur Abschaffung ständischer Institutionen im Zuge der französischen Revolution und resümiert dazu: "Nunmehr fließt die Tätigkeit des Staates mit dem Aufbau des Marktes zusammen, der ebenfalls zu einer Entterritorialisierung der sozialen Verhältnisse führt, da die organischen Beziehungen durch Geldverhältnisse abgelöst werden" (ebd.: 216). In dieser "atomisierten Gesellschaft", die "infolge des Untergangs der früheren organischen Strukturen" (ebd.: 216) auftauche, sei nicht zuletzt der Wohlfahrtsstaat (vgl. Kapitel 6.2.3.2) entstanden. Schon der Blick auf zwei Überschriften im einschlägigen Liberalismus-Aufsatz von 1985 – "Die Auflösung der Gemeinschaft" (dB 1985: 135) und "Verfall der Politik" (ebd.: 141) – genügt, um zu erkennen, dass auch hier ein altbekanntes Muster zur Anwendung kommt. Mit direktem Bezug auf Globalisierung liest sich das dann wie folgt: "Die Hauptprobleme unserer Zeit (Umweltschutz, Drogen, Kriminalität, Einwanderung usw.) beschränken sich nicht mehr auf einen bestimmten abgegrenzten Raum. Gleich den Finanzströmen gehen die Kraftlinien ebenso durch die Gesellschaften, wie durch die Staaten, sie passieren ständig die nationalen Grenzen, zu deren Abschaffung sie beitragen. Als Kontrapunkt zur Globalisierung zerfällt die Welt in unbeständige Kraftverhältnisse und kulturelle Gegensätze […]. Alle [...] Institutionen, die früher integrierend wirkten und starke Identitäten erzeugten, stecken heute in der Krise. An ihrer Stelle sind nur noch inoffizielle horizontale Strukturen vorhanden: Der Konsum und die Medien. [...] Soziale Bindung entsteht aber nicht aus der bloßen Mischung und Zusammensetzung der individuellen Präferenzen. Sie entsteht aufwärts. [...] Die Desinstitutionalisierung verstärkt also die soziale Entbindung, und gleichzeitig erschwert das Zerbrechen der Bezugspunkte den Zusammenhalt erheblich [...]. Wo ist der Modus vivendi des Pluralismus zu finden, wenn alle schiedsrichterfähigen Formen der Autorität abgeschafft oder aufgelöst wurden?" (dB 2001: 15f.).

Entscheidend ist in dieser Erzählung, dass die grenzüberschreitenden Ströme Kulturen mit ihren 'vertikalen Strukturen', sprich 'Formen der Autorität' beziehungsweise Herrschaft in Frage stellen. Komplementär dazu wird sich zeigen, dass Benoists Kritik (an Universalismus, Liberalismus, Globalisierung etc.) auf eine Reetablierung traditioneller Herrschaftsverhältnisse zielt (vgl. Kapitel 6.2.3.2). Benoist erzählt zahlreiche Versionen dieser im Kern immer gleichen Geschichte. Ein weiteres wesentliches Motiv ist dabei das Nomadische, das Benoist immer

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wieder im Zusammenhang mit dem Kapitalismus heranzieht. Letzteren ordnet er in die Reihe "der westlichen Modernität" mit den Elementen "Globalisierung […,] Öffnung des Handelsverkehrs […,] Klima des Individualismus und des Universalismus […,] Metaphysik der Subjektivität" (dB 2001: 32) und so weiter ein, um dann symbolisch zu schließen: "Der Kapitalismus erscheint also von Anfang an als nomadisch. Insofern [...] gibt die Globalisierung lediglich dem Kapitalismus seine ursprüngliche, mehr transnationale als internationale Berufung zurück; diese besteht darin, sich über Grenzen wie über Staaten, über Traditionen wie über Nationen hinwegzusetzen, um jedes Ding [...] dem alleinigen Gesetz des materiellen Wertes besser unterwerfen zu können" (dB 2001: 33).

An den zitierten Stellen baut Benoist immer wieder Zitate aus der französischen Mainstream-Debatte zum Thema Globalisierung ein, die sich in ähnlicher Form auch in Deutschland finden (Stichwort: DETERRITORIALISIERUNG im Zusammenhang mit dem Muster GLOBAL-NATIONAL, vgl. Kapitel 4.2.2). Entscheidend sind aber freilich die Motive, denen die Auswahl und Einordnung der Zitate folgt, in diesem Falle eben das Motiv des Nomadischen als Signum des Kapitalismus bzw. der 'zu überwindenden Moderne'. Genau dies wird bereits durch eine Montage aufgerufen, die dem Globalisierungsaufsatz vorangestellt wurde (Abbildung 12). Sie zeigt das Bild eines Hauses, das (vermutlich auf einem US-Amerikanischen Highway) auf Autos transportiert wird und dazu den Spruch des Schriftstellers Charles Péguy "Die ganze Welt ist unglücklich in der modernen Welt". In der Einleitung des Buches findet sich das entsprechende Symbol des Nomadentums ebenfalls und hier dient es zur Charakterisierung einer neuen herrschenden Klasse, die im Zuge der Globalisierung entstehe: "Eine 'Hyperklasse' [...] greift Platz, die nicht nur die Informations- und Finanzmärkte beherrscht, sondern auch die transnationale Welt der Netze. Ihre Mitglieder sind keine Arbeitsplätze und Wohlstand schaffenden Unternehmer [...]. Sie leben unterschiedslos hier oder woanders, ohne jemals die Sphäre des Weltnomadentums zu verlassen" (dB 2001: 13).

An diesem Antagonismus {Hyperklasse, Herrschaft über die Informations- und Finanzmärkte, transnationale Welt der Netze, Sphäre des Weltnomadentums} / {Wohlstand schaffende Unternehmer} zeigt sich einmal mehr die punktuelle Affinität der von Benoist Schriften zu zentralen Topoi antisemitischer Texte. Denn exakt diese Elemente finden sich bei der NPD (vgl. Kapitel 5.1.2.3) und in anderen Teilen des nationalistischen Feldes (etwa im Buch von Hamer-Hamer, vgl. Kapitel 6.3.2.4), wo sie explizit mit JUDEN in Verbindung gebracht werden. Von einem solchen Publikum wird das 'Welt-

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nomadentum' mit hoher Wahrscheinlichkeit als 'nomadisches Weltjudentum' gelesen. In diesem Zusammenhang fallen auch die Symbole des Wucherns, der Parasiten und der Viren auf, die Benoist zwar nicht übermäßig, aber doch regelmäßig an die allgemeine Deterritorialisierungs-Symbolik koppelt. So schreibt Benoist, dass die Strukturanpassungsprogramme (schlecht übersetzt als "liberale Programme zur strukturellen Anpassung") die Ländern der südlichen Hemisphäre auferlegt wurden, "die Technik des Verleihens und des Wuchers als Kontrollmittel perfektioniert" hätten, "woran man den grundlegend parasitären Wesenszug der Globalisierung erkennen" (dB 2001: 43) könne. Hier ist bemerkenswert, wie die treffende Einordnung der IWF-Programme als Kontrollmittel im Interesse der nördlichen Industriestaaten in die generalisierende Rede von einer 'Technik des Wuchers' und einer 'grundlegend parasitären Globalisierung' übergeht. An anderer Stelle ist von den "wucherhaften Renditen" (dB 2001: 64) die Rede, welche die institutionellen Investoren verlangen. Im Manifest der ND schließlich heißt es, in einem ganz anderen inhaltlichen Zusammenhang, dass die "Wucherung abstrakter Rechtsvorschriften [...] allmählich jeden Teil unseres Lebens flächendeckend vernetzen" (dB 2001: 413) würde. Den entscheidenden Gegensatz bilden an dieser Stelle das "mechanische, abstrakte" Recht, das sich mehr und mehr ausbreite und die Traditionen beziehungsweise "organischen Rahmen" (ebd.: 412), die dadurch verdrängt würden. Dass durchaus ein Zusammenhang zwischen dem Wuchern im Sinne des Kassierens von hohen Zinsen und dem Wuchern im Sinne eines negativ konnotierten Wachstums (Unkraut, Krebs etc.) von etwas besteht, zeigt die folgende Belegstelle, die Schobert aus einem Artikel Benoist in der JF zitiert und vor allem sein treffender Kommentar dazu: "'In Wirklichkeit sind die Parteien offenkundig genauso ohnmächtig wie die Regierungen, der Globalisierung und dem Wuchern der Finanzmärkte Einhalt zu gebieten'. Argumentativ ist das alles andere als originell [...]. Hervorzuheben ist aber die Rede vom 'Wuchern der Finanzmärkte'. Jürgen Link hat an einem Beispiel aus Treitschkes 'Deutscher Geschichte' auf die Polysemie von Wuchern aufmerksam gemacht, die 'für den deutschen Antisemitismus nicht ganz unwichtig sein dürfte'. 'Rhizome bilden und jüdischen Zins nehmen!', komprimiert Link den antisemitischen Vorwurf. Im Diskursstrang Globalisierungskritik in der völkisch-nationalistischen Publizistik erfreut sich dieses Kollektivsymbol einiger Beliebtheit" (Schobert 2009: 43f. Zitate im Zitat: Benoist in JF 7/2003: 18; Link in kultuRRevolution, 41-42, 2001: 16).

Als Belege dafür zitiert Schobert anschließend Beispiele für das 'krebsartige Wuchern der Finanzmärkte' in der österreichischen Zeitschrift AULA. An anderer Stelle geht er auf das Virus ein, das von Benoist ebenfalls im Zusammenspiel mit den deterritorialisierenden Bildern verwendet wird (vgl. ebd.: 77). Sowohl an der von Schobert zitierten Stelle, als auch an der folgenden, hebt Benoist das Moment der Deterritorialisierung explizit hervor und führt die Viren in Analogie zu

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Netzwerken ein, deren Funktionsweise(n) er als 'paradigmatisch' für die gegenwärtige historische Situation präsentiert: "Vor allem ist die globalisierte Welt eine Welt der Vernetzung. [...] In einem Netz ist jeder Punkt gleichzeitig zentral und marginal. Inzwischen gibt es die unterschiedlichsten Netzwerke: in Industrie und Finanzwesen ebenso wie in den Bereichen der Information, des Verbrechens, des Terrorismus. Ihre Funktionstüchtigkeit liegt darin, daß sie nicht ortsgebunden arbeiten. [...] Die Logik die in der vernetzen Welt gilt, ist das Prinzip des Virus. An dieser Stelle gäbe es einiges über den paradigmatischen Charakter des viralen Modells zu sagen. Nicht zufällig stellen Virusinfektionen (Aids, Rinderwahn usw.) heutzutage die größte gesundheitliche Bedrohung dar. Diese Krankheiten breiten sich nach demselben Muster aus wie Computerviren, die an vielen Orten gleichzeitig zuschlagen können. In einer vernetzten Welt sind Viren die Unruhestifter par excellence" (db 2003: 65, fett i.O. kursiv).

Genau wie bei Karlheinz Weißmann, der in diesem Zusammenhang die Unmöglichkeit effektiver Quarantäne beklagt (vgl. Kapitel 6.1.6), verknüpft das Virus hier all die 'nicht ortsgebundenen' Phänomene mit der Imagination 'größter Bedrohung'. Dazu passt auch die Symbolik, mit der Benoist im DS-Interview mit Jürgen Schwab betont, dass er "die Einwanderung eindeutig verdamme", weil er "sie als ein Phänomen der Entwurzelung" ansehe, das "wie eine gesellschaftliche Krankheit wirkt" (DS 5/2000: 3). Die oben zitierte symbolische Koppelung des Netzes an das Virus verdeutlicht Benoists "negative Einschätzung der dezentrierenden (zerstreuenden) Wirkung der Netze" (Schobert 2009: 77), seinem wohl meist gebrauchten Bild im Zusammenhang mit der Globalisierung, das dementsprechend auch im Titel der diesbezüglich zentralen Aufsatzsammlung "Schöne vernetzte Welt" mit Anklang auf die Orwellsche Dystopie erscheint. Die Relevanz des Symbols wurde auch bereits an etlichen zitierten Stellen deutlich, so bei den Überlegungen zum Symbolwert des Netzes, beim Gegensatz von Territorium und Netz, bei der Charakterisierung von transnationalen Konzernen als Netzfirmen, bei der flächendeckenden Vernetzung durch 'abstraktes Recht' und last but not least bei der Rede von der transnationalen Welt der Netze als Sphäre der 'neuen Klasse des Weltnomadentums'. Den letztgenannten Zusammenhang greift Benoist im Aufsatz 'Der Turbokapitalismus' noch einmal auf, der deutlich zeigt, dass die zentrale Bedeutung des Netzwerkes in seinen neueren Schriften durch die Untersuchung von Boltanski/Chiapello (2006, franz. Original 1999) zum 'Neuen Geist des Kapitalismus' inspiriert ist. Gleich zu Beginn des Aufsatzes referiert er die Abfolge der verschiedenen 'Poleis', die in dieser Analyse entwickelt werden und an deren Ende jene mit der zentralen "Figur [...] des Projektleiters (coach) oder des 'Netzknüpfers' (net-worker)" (dB 2001: 62) und einer neuen netzwerkartigen Arbeitsorganisation steht: "Das Taylorsche oder Fordsche Unternehmen weicht allmählich der netzartigen Firma, wobei diese Erscheinung mit dem Aufkommen einer postmodernen Welt einhergeht, deren wesentliches Kennzeichen in der Vernetzung liegt" (ebd.).

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Einerseits referiert Benoist die Position von Boltanski/Chiapello – ebenso wie die Schriften von Luttwak (Turbokapitalismus), Boyer und anderen – recht treffend und ohne ihrer Kritik die Schärfe zu nehmen. Dies reicht von Frage "wie es dem Kapitalismus gelingen konnte, immer wieder Millionen von Menschen für eine Sache zu mobilisieren", die am Ende doch reiner Selbstzweck ist, nämlich "die Anhäufung von Kapital" (dB 2001: 61), bis hin zum jüngsten Auftreten "des dritten Kapitalismus", der "zum Heißhunger seiner Anfänge zurückgekehrt" (dB 2001: 72) ist und die sozialen Errungenschaften der Lohnabhängigen nach und nach revidiert. Andererseits zeigt sich gerade an der Netzsymbolik die subtile Verschiebung, die Benoist bei der Rezeption von Boltanski/Chiapello vornimmt. Letztere verfolgen in einem Kapitel den interdiskursiven Prozess, in dem sich das Netzwerkparadigma als wesentliches Element des 'Dritten Kapitalismus' bzw. der 'Projektbasierten Polis', seit den 1970er-Jahren herausgebildet hat (vgl. Boltanski/ Chiapello 2006: 188ff.). Hier ziehen sie neben der Management-Literatur aus den 1960er- und 1990er-Jahren, die das hauptsächliche Korpus ihrer gesamten Untersuchung bildet, auch Wörterbücher, journalistische Schriften und die in der jüngeren Vergangenheit entwickelten Netzwerkkonzepte aus den Sozialwissenschaften, der Philosophie und der Wissenschaftstheorie heran. Dabei stellen sie unter anderem die drei folgenden Merkmale der (neuen) Netzsymbolik heraus, die in deutlichem Gegensatz zu Benoists Verwendung bzw. Wertung steht: 1) Relationsontologie gegen Essenzialismus: Am Beispiel der verschiedenen wissenschaftlichen Netzkonzepte betonen Boltanski/Chiapello, dass das zeitgenössische Verständnisses des Netzes, "die relationellen Eigenschaften (und die Relationsontologie)" herausstellt, im Gegensatz zu "substanziellen Eigenschaften, die die jeweiligen Einheiten angeblich wesensmäßig definierten" (Boltanski/Chiapello 2006: 194). Dieses Denken ermöglicht(e) unter anderem eine "Kritik an allem, was als feste 'Bezugsgröße' kritisierbar war. Das galt u.a. für den Staat, die Familie, die Kirchen und ganz allgemein alles Institutionelle. Es galt aber auch für (intellektuelle) Autoritäten, Bürokratien, Traditionen, die auf einen als Fixpunkt ausgegebenen Ursprung ausgerichtet sind, und politische oder religiöse Heilslehren, die die Menschen von einer zukunftsprojizierten Essenz abhängig machten" (ebd.: 197).

Damit steht das neue Netzparadigma dem Denken Benoists in mehrerlei Hinsicht ganz grundsätzlich gegenüber. Denn dieser geht erstens von einer Kosmologie aus, welche ein immerwährendes Sein ins Zentrum stellt, wie der entsprechende – mit impliziten Verweisen auf Heidegger gespickte – Abschnitt des Manifestes der ND zeigt (vgl. dB 2001: 425ff.). Zweites macht er in gesellschaftlicher Hinsicht "starke Identitäten", das heißt "Völker" – verstanden als "Wesenheiten mit eigener Persönlichkeit" (ebd.: 427f.) – zum zentralen Bezugspunkt. Und schließlich fürchtet er drittens die Auflösung all jener Institutionen und Autoritätsbeziehungen,

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welche mittels des relationalen Netzwerk-Denkens in Frage gestellt wurden. Denn dieses eröffnete "im Kern durchaus die Aussicht, sich von den 'überkommenen', in ihren Grenzen gefangenen Institutionen, den 'starren' Organisationen mit ihren ein für allemal festgelegten 'Rollen und Statusregistern', die als veraltete Zwangsformen betrachtet wurden, zu befreien" (Boltanski/Chiapello 2006: 200).

2) Symbolik der Deterritorialisierung: Wie der letzte Satz andeutet, ist das Netz in diesem Kontext des relationalen Denkens (als dessen Vertreter u.a. Deleuze vorgestellt wird), symbolisch Äquivalent zu den einschlägigen Symbolen der Deterritorialisierung. Die gerade genannten Institutionen erscheinen "als geschlossene, unbewegliche, erstarrte Welten" und bilden als solche "den Gegensatz zum Beweglichen, In-Fluss-Befindlichen der 'Nomaden', die sich mittels multipler Metamorphosen in offenen Netzen bewegen" (ebd.: 197). Dass auch dies (dem Symbolgebrauch in) den Texten Benoist diametral entgegengesetzt ist, muss nicht weiter ausgeführt werden. 3) Von der Illegitimität zu Legitimität des Netzes: Interessant ist in diesem Kontext aber, dass Boltanski/Chiapello im Zusammenhang mit der Durchsetzung des entsprechenden Paradigmas einen generellen Wandel in der Wertung der Netzsymbolik beschreiben. Sie stellen fest, dass der gerade beschriebenen positiven Wertung des Netzes, eine überwiegend negative Wertung vorausging, die in den 1960er-Jahren dominierte und auch heute punktuell noch zu finden ist. Hier wurde das Netz, wenn es "zur Bezeichnung menschlicher Organisationen diente, bis in die 80er Jahre hinein fast ausschließlich zur abwertenden Bezeichnung von Formen heimlicher, illegitimer und / oder illegaler Beziehungen benutzt [...]. Anders als sich heute beobachten lässt, wird das Netz, in Abgrenzung zur Transparenz der legalen öffentlichen Beziehungen, stets mit Heimlichtuerei verbunden. [...] Das Netz erinnert in diesem Punkt an die Verschwörung" (Boltanski/Chiapello 2006: 192).

Als Beispiel für die Persistenz dieser Variante der Netzsymbolik zitieren die Autoren ein Buch französischer Journalisten, das behauptet eine "Geschichte der Geheimnetze" zu präsentieren, die dort als "als ein Beziehungsgeflecht [erscheinen], das 'sich jedem Zugriff entzieht', auf 'gegenseitige Hilfe', 'Einflussnahme', 'Geld' und 'Macht' aus ist" (ebd.: 193)252. Benoist widerspricht zwar explizit den Darstellungen der Globalisierung als einer Verschwörung (vgl. dB 2001: 32), aber dennoch ist es gerade angesichts seiner ausführlichen Bezugnahme auf Boltanski/Chiapello auffällig, dass auch er im Zusammenhang mit der o.g. 'neuen 252 Wenngleich ohne die verschwörungsideologischen Implikationen, die in diesem Buch vorzuherrschen scheinen, wird die Netzsymbolik auch in der Globalisierungsfalle von Martin/Schuhmann überwiegend in dieser Variante genutzt (vgl. GF: 56, 74, 95, 111, 129ff., 174ff., 277, 288).

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Klasse' exakt diese negativ gewertete Variante der Netzsymbolik in Verbindung mit den Symbolen der Deterritorialisierung nutzt: "Überall wächst die Kluft zwischen den 'Vernetzen' und den 'Nicht-Vernetzten', zwischen den Finanzeliten und den Massen […] [Es] richtet sich eine abgehobene Elite ein, eine selbstsüchtige, windige 'Hyperklasse' [...], deren Mitglieder weder die Unternehmer noch die Kapitalisten alten Stils sind, sondern Menschen, die sich durch ein nomadisierendes Aktivvermögen bereichert haben, die das Wissen in Besitz haben und die wichtigsten Kommunikationsnetze […]. Nichts ist ihr im Grunde fremder als Grenzen [...]. Abgeschirmt von den Wechselfällen einer Gesellschaft, die der Öffnung und der Anomie unterworfen ist, und geschützt durch ihre eigenen wachsamen Gesellschaften und durch 'Stock Options' überlässt die Neue Klasse das gemeine Volk seinem traurigen Schicksal" (dB 2001: 76f.).

Auch hier kann Benoist sorgsam ausgewählte Stellen aus globalisierungskritischen Texten zitieren, die in Teilen ebenfalls einen entsprechenden Symbolgebrauch aufweisen. Zugleich spitzt er Überlegungen von Boltanski/Chiapello über den Zusammenhang von 'Gemeinwohl und Netzwerkgesellschaft' dahingehend zu, dass in "der Welt der Netze [...] die soziale Gerechtigkeit eigentlich überhaupt keinen Sinn mehr" (dB 2001: 74) habe, während die Autor*innen selbst nach neuen Formen der Netzgerechtigkeit fragen (vgl. Boltanski/Chiapello 2006: 413ff.). Schließlich meint Benoist im Anschluss an die Unterscheidung von 'Künstlerkritik und Sozialkritik' (vgl. dB 2001: 79) der "Fehler der traditionellen Gesellschaftskritik" liege darin, dass sie nicht in der Lage sei, "die für die neue Welt der Netze kennzeichnenden Formen der Entfremdung aufzudecken" (dB 2001: 80). Wo Boltanski/Chiapello (vgl.: 2006: 379ff.) eine 'Erneuerung der Kritik' analysieren und anstreben, wiederholt Benoist die bekannte Polemik gegen den "Liberalismus" (dB 2001: 82), dem er organische, verwurzelte und geschlossene Perspektiven entgegensetzt. 6.2.3 Perspektiven der Reterritorialisierung Die Verwurzelung ist das zentrale Symbol der RETERRITORIALISIERUNG, das sich wie ein roter Faden durch Benoists Texte von den 1980er-Jahren bis hin zu jenen der frühen 2000er-Jahren zieht. In der Sammlung von 1985 ist ein ganzer Aufsatz mit "Die Verwurzelung" (dB 1985: 69ff.) betitelt und im Manifest der ND wird der Mensch als ein "verwurzeltes [...] Wesen" (db 2001: 409) vorgestellt und die "Entwurzelung [...] [als] soziale Pathologie unserer Zeit" (ebd.: 427). Letzteres bezieht sich nicht nur auf Migration, sondern (vgl. ebd.: 430) steht, wie schon mehrfach angeklungen ist, primär im Kontext der Liberalismus- und Globalisierungsschelte. Die Wurzel symbolisiert dabei eine zugeschriebene 'Identität', welche die individuelle Rolle innerhalb einer territorialen sozialen Ordnung bezeichnet: "Die Wurzeln setzen meistens ein Territorium voraus, denn der Mensch ist ein territoriales Tier. Sie verweisen aber auch auf eine umfangreichere Problematik, nämlich die der

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Zugehörigkeit, die ebensowohl auf eine nichtterritoriale Weise erlebt werden kann. Die Identitäts- und Zugehörigkeitsfrage wird in den kommenden Jahrzehnten eine immer größere Bedeutung erlangen. Indem die Moderne die sozialen Systeme umstieß, die den Menschen einen Platz in einer anerkannten Ordnung zuwiesen, hat sie in der Tat das Fragen nach der Identität angeregt, den Wunsch nach Verbindung und Anerkennung auf der öffentlichen Bühne wachgerufen. Sie hat ihm aber weder entsprechen können noch wollen. Der 'Welttourismus' ist nur eine lächerliche Alternative zur Abschottung" (dB 2001: 427f.).

Benoist vermeidet die platten Dualismen, die im nationalistischen Feld zumeist mit dem Thema Identität verknüpft sind (vgl. Kapitel 3.2.6), ohne sie gänzlich zu verwerfen. Während er das Territorialitätsprinzip in der 1980er-Jahren noch deutlich in den Vordergrund gestellt hat (vgl. dB 1985: 69ff.), wird es hier relativiert. Symbolisch wird die Verwurzelung zwischen Abschottung und Welttourismus platziert. An anderer Stelle steht sie zwischen dem sinnlosen Versuch "Mauern zu errichten" und einer "Welt ohne Grenzen" (2001: 50). Besonders auffällig ist allerdings die fehlende Verknüpfung der Identitätsfrage mit dem Nationalstaat. Letzteres hatte sich bereits früher, in Benoists Hinwendung zu den regionalistischen Autonomiebewegungen angedeutet (vgl. dB 1985: 75f.), steht aber auch in einem direkten Zusammenhang mit seiner Sicht auf das Thema Globalisierung. Einerseits finden sich durchaus die üblichen Gegensätze von Globalisierung und 'souveränem Nationalstaat'. So ist dem Kapitel "Der 'Turbokapitalismus'" der Spruch vorangestellt: "Für den Turbokapitalismus sind Völker und Nationen Hindernisse, die es zu beseitigen gilt" (dB 2001: 59f.)253 und im Weiteren wird unter anderem die "Durchdringung der französischen Börsenkapitalisierung durch ausländische Investoren, allen voran gerade durch die führenden angelsächsischen Rentenfonds" (vgl. ebd.: 65) beklagt. Recht konventionell klingt auch die Rede vom "Souveränitätsverlust der Staatsnationen" (ebd.: 48) beziehungsweise vom "universalistischen Liberalismus, der [...] die Zerstörung der Staatsnationen und der Kulturen" (ebd.: 49) bewirke. Andererseits schreibt er aber ohne Bedauern: "Daß die Nationalstaaten immer handlungsunfähiger werden, wurde schon gesagt. Einerseits sind sie zu groß, um Alltagsprobleme zu lösen, und andererseits zu klein, um globale Phänomene in den Griff zu kriegen. [...] Völker und Nationen müssen sich künftig auf der Ebene der Kontinente und großen Zivilisationszusammenhänge organisieren. Nur so können sie hoffen, die Kontrolle zurückzugewinnen, die die Einzelstaaten offensichtlich verloren haben. Dieselbe Entwicklung lässt aber auch die Bedeutung des Lokalen wiedererstarken. Einer globalen Macht eine andere globale Macht entgegenzusetzen ist absolut sinnlos. [...] Viel erfolgversprechender ist es, autonome Gemeinschaften zu schaffen, die auf lokaler Ebene auf der Grundlage gemeinsamer Ziele und Werte arbeiten. Der Untergang der Nationalstaaten befreit die Energien an der Basis. [...] Eine konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auf

253

Dies könnte allerdings auch eine redaktionelle Ergänzung sein.

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allen Ebenen wäre eine der effektivsten Maßnahmen gegen die akuten Übel der Globalisierung" (dB 2003: 68f.).

In der Einleitung des Bandes rechnet er sogar die 'Nationen und Völker' selbst der Vergangenheit zu: "Wir lebten gestern im Zeitalter der Staaten, der Nationen und der Völker. Heute leben wir im Zeitalter der Kontinente, der Gemeinschaften und der Netze" (dB 2003:10). Das heißt aber nicht, dass die entsprechenden Identitätskonzepte komplett verworfen würden. Vielmehr verschiebt Benoist die in der Regel mit dem Nationalstaat verbundenen 'Identitäts'-Elemente teils auf die supranationale (Kontinente, Zivilisationen, Europa) und teils auf die subnationale (Gemeinschaften, Völker, Nationen, Kulturen) Ebene. Der zunächst überraschende positive Bezug auf die Netze meint dabei nichts anderes als eine Koordinierung des Widerstandes auf der Basis entsprechender Identitätskonzepte254. 6.2.3.1 Ein autozentrisches Europa Die gerade konstatierten Verschiebungen auf die supra- und die subnationale Ebene wirken sich auch auf andere Aussagen aus, die den nationalistischen Diskurs im Zusammenhang mit Globalisierung bestimmen. Sie erklären nicht zuletzt die oben konstatierte Aufspaltung der Symbolik der RETERRITORIALISIERUNG. So sind die oben zitierten negativ gewerteten Symbole der Mauern und der Abschottung jeweils auf die Ebene des Nationalstaates bezogen, die ebenso verworfen wird, wie die globale Ebene der Grenzenlosigkeit und des 'Welttourismus'. An anderer Stelle wendet sich Benoist gegen "die Einbildung man könne der Globalisierung entkommen, indem man sich von der Außenwelt abschottet und an rein ethnozentrischen Identitäten festzuhalten versucht" (dB 2003: 69). Stattdessen müsse man "die Globalisierung anders denken, um große Kontinentalräume mit eigenen Zentren bestehen zu lassen und das Nebeneinander vieler Mächte beizubehalten, um lokale Autonomie [...] und das Subsidiaritätsprinzip zu fördern" (ebd.: 70). In diesem Zusammenhang hält Benoist an der Kritik der (ökonomischen) Grenzüberschreitungen unter den Vorzeichen des (Neo-)Liberalismus fest, denen auf der kontinentalen Ebene zu begegnen sei. Dabei wird jedoch die ökonomische Dimension deutlich vom Narrativ des 'identitätszersetzenden Liberalismus' überlagert. Im Liberalismus-Aufsatz heißt es mit Blick auf "den freien Verkehr der Menschen und Waren", dass er "Grenzen für inexistent" erkläre und so die "Auflösung der gesellschaftlichen Strukturen", das heißt der "kollektive[n] Identitäten" (dB 1999: 59f.), vorantreibe. Das spiegelbildliche Argument findet sich im Globalisierungsaufsatz mit Blick auf die sogenannten 'Tiger-Staaten', die "keineswegs die Triftigkeit der liberalen Auffassungen" (dB 2001: 37) bewiesen. Diese haben "sich 254 "Netzwerke sind eine Waffe. Ihre Existenz ermöglicht Dissidenten und Rebellen auf der ganzen Welt miteinander in Kontakt zu treten und ihre Aktionen zu koordinieren" (dB 2003: 68).

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nämlich überhaupt nicht einer Theorie der komparativen Vorteile angeschlossen" und ihr Erfolg "wurzelt [...] vor allen Dingen in einem spezifischen kulturellen Potenzial, in dem auch der Nationalismus eine Rolle spielt" (ebd.). Im Kern bedeute Globalisierung aber den Übergang vom einstigen "Konglomerat von Volkswirtschaften, die sich durch ihren Betrieb und ihre Steuerung voneinander unterscheiden [...] zu einer echten weltweiten Marktwirtschaft. [...] Diejenigen, die sie steuern, sind neue, außerstaatliche und außernationale, Akteure ('global players'), die nur darauf aus sind, ihre Dividende und ihre Gewinne zu maximieren, indem sie [...] alles ausschalten, was ihre Bewegungsfreiheit behindern kann" (ebd.: 41f.).

Ein bedeutendes, negativ gewertetes Symbol ist in diesem Zusammenhang die 'offene Gesellschaft'. Im Zuge des beschriebenen Prozesses komme es zur "Umwandlung der Erde in eine 'offene Gesellschaft'" und ein solches "übertriebenes Öffnen ruft als zwangsläufige Reaktion ein übertriebenes Sich-Sperren hervor" (dB 2001: 51f.), nämlich die bereits beschrieben identitären Zuckungen (vgl. Kapitel 6.2.1.3). Auch im AMERIKANISIERUNGS-Aufsatz (vgl. Kapitel 6.2.2.1) findet sich das Symbol und zwar im bezeichnenden Kurzschluss von Marktöffnung, Kosmopolitismus und Dekadenz. Zunächst wehrt sich Benoist gegen den Vorwurf, wenn "man die USA angreife [...] ziele man auf das Ideal der 'Offenen Gesellschaft' [...], zumal der amerikanische Kosmopolitismus selbst höchst fragwürdig" (dB 2001: 103) sei. Dies begründet er mit dem minimalen Konsum europäischer Filme in den USA bei einem gleichzeitig hohen Marktanteil US-amerikanischer Filme in Frankreich und fragt rhetorisch: "Welches Land ist gegenüber dem anderen offener, Frankreich oder die USA" (ebd.). Die USA seien kein "universales Modell", sondern "ein besonderes Modell [...] und sie versuchen es allen aufzunötigen" (ebd.). Dabei sei es auch noch besonders schlecht: "Von wegen 'offene Gesellschaft'! [...] Die 'offene Gesellschaft' der Vereinigten Staaten, das sind fünfunddreißig Millionen Amerikaner, die im Elend leben, [...] 23 Millionen Analphabeten und völlig Ungebildete" (ebd.: 103f.). Aber, wie bereits gesehen, verwirft Benoist auch den üblichen Antagonismus des nationalistischen Diskurses, in dem der Offenheit die nationale Schließung entgegengesetzt wird: "Glauben zu machen, daß angesichts der Finanzströme der Nationalstaat über die Öffnung oder die Schließung seiner Grenzen noch souverän entscheiden könne, ist nichts als eine utopische Vision oder eine Lüge, ebenso glauben zu machen, es sei noch möglich, eine zusammenhaltende Gesellschaft neu zu errichten im Schutz von dicken Mauern, die deren Mitglieder vor der Außenwelt bewahren würden" (dB 2001: 54).

In ökonomischer Hinsicht gälte es vielmehr auf europäischer Ebene handlungsfähig zu werden beziehungsweise 'Souveränität' wieder zu erlangen:

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"Eine europäische politische Macht, die eine Kontrolle sowie eine Koordinierung der einzelnen Geld- und Handelspolitiken ermöglichte, würde ein Aufgeben der allesamt nach außen gerichteten Wachstumspolitiken zugunsten eines autozentrierten Wachstums erleichtern, ohne auf den Sozialschutz verzichten zu müssen. Gleichzeitig würde eine Einheitswährung, die bewußt zur Einschränkung der Vorrechte des Dollars eingesetzt würde, einen Faktor der Macht und der wiedererlangten Souveränität darstellen" (dB 2003: 55, Hervorhebung H.O.).

Das Schlüsselwort an dieser Stelle lautet autozentriert und taucht im gleichen Kontext im Manifest der ND auf. Auch dort wird es der "Auflösung der Staatsnationen" als positives Zukunftsmodell entgegengesetzt: "In einer globalisierten Welt gehört die Zukunft großen Zivilisationsgebilden, die in der Lage sind, sich als autozentrierte Räume zu gestalten und sich genügend Macht zu verleihen, um sich dem Einfluß anderer zu widersetzen" (dB 2001: 435, Hervorhebung H.O.). Gemeint ist wiederum Europa, das sich darum bemühen müsse, "seine Unabhängigkeit gegenüber den USA und den neu zutage tretenden Zivilisationen zu sichern" (ebd.). Der Terminus 'autozentriert' verweist dabei implizit auf den Begriff der autozentrierten Entwicklung aus der entwicklungstheoretischen Diskussion der 1970er-Jahre. Eingeführt wurde er von Samir Amin, der damit eine Strategie der möglichst weitgehenden Binnenmarktorientierung bei entsprechender Entkopplung vom Weltmarkt bezeichnet hat (vgl. Hein 2001). Dabei handelt es sich um ein weiteres Beispiel für Benoists Diskurstaktik des querverbindenden Zitierens (vgl. Kapitel 6.2.1). Offensichtlich haben periphere Nationalökonomien der frühen 1970erJahre ökonomisch kaum etwas mit dem (wie auch immer definierten) Europa der frühen 2000er-Jahre gemeinsam. Aber der Begriff ermöglicht es Benoist den Antagonismus der HANDELSSTAAT-Aussage in scheinbar 'linker' Terminologie zu präsentieren. Zunächst klingen die entsprechenden Äquivalenzketten {Weltwirtschaft, Freihandel, Globalisierung, offen-Ströme-Fluten} / {Volkswirtschaft, Nationalstaat} unter Auslassung der protektionistischen Elemente in der Globalisierungsdiagnose an. Anschließend wird das zentrale Motiv der tendenziellen Entkoppelung vom Weltmarkt auf die europäische Ebene verschoben und in der dependenztheoretischen Terminologie präsentiert {Weltwirtschaft, Freihandel, Globalisierung, offen-Ströme-Fluten} / {autozentriertes Europa}. Der Kerngedanke ist dabei nicht ökonomischer Natur, sondern die Vorstellung von einem 'souveränen europäischen Reich' (vgl. Kapitel 6.2.3.3). Allerdings verknüpft Benoist dies mit ökonomischen Vorschlägen, wie der angedeuteten Entkoppelung vom Weltmarkt, der Tobin Tax (vgl. dB 2003: 53) oder einer politisch kontrollierten europäischen Zentralbank (vgl. ebd.: 436). Auch bei den letztgenannten Punkten knüpft Benoist primär an Texte der globalisierungskritischen

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Bewegung an. Möglich ist dies, weil die Forderungen an sich sowohl in Konzepten einer demokratischen Einhegung von Märkten, als auch im Rahmen eines klassisch rechten Korporatismus funktionieren könnten. Typisch ist eine Stelle aus dem Manifest der ND, an der es heißt, die Wirtschaft müsse "wieder in den Dienst des Menschen gestellt werden, indem man den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen und ihrer Lebensqualität den Vorrang gibt, indem man weltweit Kapitalbewegungen besteuert, indem man die Auslandsverschuldung der Dritte-Welt-Staaten bereinigt und dabei das System der 'Entwicklung' streng überprüft: Vorrang der Selbstversorgung und der Befriedigung der Nachfrage auf den Innenmärkten [sic!], Abkehr vom System der internationalen Arbeitsteilung, Emanzipierung der einheimischen Wirtschaft von den Diktaten der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, Annahme von sozialen und umweltlichen [sic!] Verordnungen zur Einschränkung des internationalen Handelsverkehrs" (dB 2001: 339f.).

Das sind durchaus sinnvolle Forderungen. Zugleich lassen sich etliche dieser Formulierungen auch im Sinne mehr oder minder autarker Wirtschaftsräume deuten {Selbstversorgung, Emanzipierung der einheimischen Wirtschaft, Abkehr von internationaler Arbeitsteilung, Einschränkung des internationalen Handelsverkehrs}. Das Zitat klingt nach linker Globalisierungskritik und doch ist es insofern selektiv, als die in der entsprechenden Bewegung präsenten Perspektiven von internationaler Kooperation und Demokratisierung internationaler Organisationen konsequent fehlen. 6.2.3.2 Eine organische Gesellschaft Die selektiven Bezugnahmen auf die globalisierungskritische Bewegung passen sich in Benoists Vorstellung von einer 'organischen Wirtschaftsweise' ein. Hier verbleiben die Aussagen allerdings weitgehend auf der symbolischen Ebene und werden kaum mit einer konkreten politisch-ökonomischen Programmatik verknüpft. Das zentrale Element ist das Symbol des Organischen, das sich in den positiven Pol der RETERRITORIALISIERUNG-Aussage einreiht und dem auf der Negativseite die Kernaussagen des ökonomischen Liberalismus gegenüberstehen. Dieser Antagonismus bestimmt beispielsweise ganz wesentlich die Struktur des Aufsatzes "Die Kritik am Liberalismus". Hier führt Benoist aus, dass die Entstehung von "Markt und Staat" die "organische[n] Strukturen (Familiensippen, Dorfgemeinschaften, Gilden, Berufe usw.)" zerstört habe, die zuvor "in der Feudalwelt" (dB 1999: 76) bestanden. So führe die "moderne Form des 'Kampfes aller gegen alle' […], die der allgemeine Wettbewerb nun einmal ist" – Darwin in der Version der KRITIK-POSITION – zur "Auflösung der die holistischen Gesellschaften kennzeichnenden organischen Lebensstrukturen" (ebd.: 66). In der Folge komme es zur "allgemeinen Auflösung der sozialen Bindung" (ebd.). Am Beispiel von Hayek kritisiert Benoist die Verabsolutierung der "auf kaufmännischen Werten gründenden Verhaltensweisen", weil diese gegen "die traditionellen Werte"

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gerichtet sei und "entschieden jede organizistische Gesellschaftsauffassung" (ebd.: 71) ablehne. Dieser Antagonismus zwischen dem (Neo-)Liberalismus und "sämtliche[n] organischen Solidaritätsverhältnisse[n]" (ebd.: 62) durchzieht den gesamten Aufsatz. An anderen Stellen steht die "organische[] Sozialität" gegen "eine Gesellschaft von Kaufleuten" (ebd.: 75). Auch im Manifest der ND findet sich ein entsprechender Abschnitt, dessen Überschrift eine Ökonomie "jenseits des Marktes" (dB 2001: 417) in Aussicht stellt. Darin wird die "vom Liberalismus erfundene Mär" kritisiert, dass "Angebot und Nachfrage und das folgerichtige Auftreten eines abstrakten Gegenwerts (Geld) [...] den Handelsverkehr vom frühen Tauschhandel bis zum modernen Markt schon immer gesteuert" (ebd.: 418) hätten. Eine der "Hauptherausforderungen des 21. Jahrhunderts" werde dagegen sein, "die Entmarktung der Welt einzuleiten" und das wiederum heiße, "zur ursprünglichen Wirtschaftsauffassung zurückzukehren, zum 'oikos-nomos', den allgemeinen Gesetzen unseres natürlichen Lebensraumes", worunter auch die "menschlichen Leidenschaften" und der "Respekt vor der Harmonie und der Schönheit in der Natur" (ebd.: 419) zu zählen seien255. Kurz: "Heute muß die Wirtschaft wieder organisch werden" (ebd.). Die zeitlichen Elemente (21. Jahrhundert, ursprünglich, zurückkehren, wieder) deuten ebenso wie die Bezugnahme auf den Feudalismus (Familiensippen, Dorfgemeinschaften, Gilden, Berufe) darauf hin, dass es an dieser Stelle einmal mehr um den 'Rückgriff auf Vormodernes in postmoderner Perspektive' geht (vgl. Kapitel 6.2.1.1). Im Aufsatz "Die Auflösung der sozialen Bindungen" (dB 2001: 207) schwärmt Benoist in diesem Zusammenhang von traditionellen sozialen Herrschaftsverhältnissen im Rahmen entsprechender Gemeinschaften. In "traditionellen Gesellschaften [...] wird der Mensch als Mitglied eines organischen Ganzen wahrgenommen. Seine Besonderheit wird anerkannt, doch vor dem Hintergrund der Einbettung in ein Gefüge", aus dem heraus er "seine gesellschaftliche Rolle und seine Verhaltensnormen ableitet" (ebd.: 210). Doch mit "der Moderne kommen Gesellschaften auf, die im Namen der Freiheit des Einzelnen die Autorität der Tradition verneinen" (ebd.: 213). Die Aufklärung wollte – so Benoist – aus dem Begriff der individuellen Gleichheit "sowohl eine Waffe gegen die Hierarchien als auch einen Autonomie erzeugenden Begriff machen" (ebd.: 218). Dies sei jedoch paradox, 255 Dieser Naturbezug (Gesetze des natürlichen Lebensraumes, menschliche Leidenschaften, natürliche Schönheit und Harmonie), der sich ausdrücklich nicht alleine auf "die ökologischen Gleichgewichte" (dB 2001: 419) bezieht, ist ebenfalls bemerkenswert. Hier deutet sich – passend zum Bildbereich der Wurzel- und Organismus-Symbolik – eine unmittelbare Verknüpfung sozialer (nicht zuletzt ökonomischer) und biologischer Elemente an. Dies kommt auch dort zum Ausdruck, wo die 'organische Wirtschaft' mit den Worten umschrieben wird, dass sie sich in "das Lebendige, die Gesellschaft, die Politik und die Ethik" (dB 2001: 419) einfügen solle. In dieser Hinsicht wären die beiläufigen Bezugnahmen auf Ethologie, Genetik und Eugenik in Benoists Texten und im Manifest der ND genauer zu beleuchten.

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denn "Gleichheit wirkt antihierarchisch nur unter der Voraussetzung, daß sie angleicht, womit sie allerdings umso mehr die Durchsetzung einer echten Autonomie erschwert" (ebd.). Auch hier versteht es Benoist dekontextualisierte Elemente konkurrierender Diskurse einzubauen, wenn er das Lamento gegen die 'Gleichmacherei der Moderne' mit dem Marxschen Begriff des die konkreten Gebrauchswerte quantifizierenden Tauschwertes und mit Marcuses Rede von der Eindimensionalität analogisiert (vgl. ebd.). Doch wie war es um die Autonomie in jenen Verhältnissen bestellt, die hier als positive Kontrastfolie dienen? "So anfechtbar die früheren Hierarchien auch gewesen sein mögen, sie wirkten zumindest integrierend. Früher wurde selbst der Dorftrottel sozial anerkannt und konnte eine Rolle spielen. In einer egalitären Gesellschaft besteht die Schwierigkeit darin, als besonderes Wesen anerkannt zu werden" (ebd.: 218).

Die 'Autonomie des Individuums' bestand in den gepriesenen Zeiten also darin, die 'anerkannte Rolle' zu spielen, die dem Individuum vom 'gemeinschaftlichen Gefüge' zugewiesen wurde – und sei es die des Dorftrottels. Damit ist der Aspekt der Autonomie im doppelten Sinne erledigt. Auch mit Blick auf den zweiten aufgeworfenen Aspekt, die Infragestellung der Hierarchien, bevorzugt Benoist die traditionellen Herrschaftsverhältnisse. Denn die Moderne habe nur "eine identifizierbare, lokalisierbare und unter Umständen zu stürzende persönliche Macht abgelöst durch eine abstrakte, juristisch-monetäre Macht", die "alte Aristokratie" wurde abgesetzt, "nur um die der bürgerlichen Gesellschaft eigentümliche ökonomische Hierarchie zu errichten – mit der Einführung des Zensuswahlrechtes [...] als Zugabe" (ebd.: 219). Hier wäre der Verweis auf Marx tatsächlich passend und kurz zuvor kommt er implizit auch ins Spiel, wenn Benoist, darauf hinweist "daß die Freiheit desjenigen, der seine Arbeitskraft verkauft, nicht gleich ist der Freiheit desjenigen, der diese Arbeitskraft in Dienst nimmt" (ebd.: 218). Doch hier zeigt sich auch der Gegensatz zur Position von Marx, denn Benoist führt die Malaise darauf zurück, "daß man einen von der Vormundschaft der alten Zünfte befreiten Arbeitsmarkt" (ebd.) geschaffen habe. Marx warf die Frage auf, wie 'die Moderne' in dem Sinne zu vollenden sei, dass auch die bürgerlichen Formen der Herrschaft überwunden wären, zugunsten einer "Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (MEW 4: 482). Bei Benoist erscheinen dagegen allein die traditionellen Formen der Herrschaft, beziehungsweise "die verschiedenen Zwischenkörperschaften in den traditionellen Gesellschaften" (dB 2001: 217, vgl. ebd.: 216) als kleineres Übel im Vergleich zur Moderne. Vor diesem Hintergrund kommt Benoist am Ende des entsprechenden Aufsatzes noch einmal auf die avisierte 'Postmoderne' zu sprechen. Hier bezieht er sich zunächst auf die von dem Kultursoziologen Michel Mafessoli beschriebene neue

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Tribalisierung, die er in bekannten Binarismen präsentiert. Ihre Formen seien "stets mit dem einheimischen Leben eng verbunden" und stünden im Gegensatz zur "Institution als Vertragspartner, der auf Interessenausgleich beruhenden rationalen Wirtschaft" (dB 2001: 235). Die neue Gemeinschaftlichkeit komme im Kommunitarismus ebenso wie in sozialen oder religiösen Bewegungen und diversen Subkulturen zum Ausdruck und sei "eine Wahlentscheidung zugunsten allem Organischen und gegen alles, was mechanisch und starr ist" (ebd. 236). In diese Gegensatzpaare fügt sich die 'postmoderne Verheißung' dann wie folgt ein: "Maffesoli spricht von einer 'Tribalisierung der Welt'. Andere sprachen von einer 'neuen Feudalisierung' der Gesellschaft oder vom Anbruch eines 'neuen Mittelalters'. Auch darum handelt sich wohl auch [sic!], und unter diesem Gesichtspunkt hängt die Wiedergeburt der Gemeinschaften eindeutig mit einer Postmoderne zusammen [...]. Es hat also den Anschein, als würden wir sowohl den Höhepunkt des Individualismus als auch dessen Ende erleben. Wenn man annimmt, dass Solidarität heute nicht mehr auf vertraglichen Grundlagen beruhen kann [...], daß die soziale Bindung nur dann zurückkehren kann, wenn ein kollektiver Lebenssinn wahrgenommen wird, dann ist die Wiedergeburt der Gemeinschaften tatsächlich ein Zeichen, das wir beachten sollten. Sie kann einen Weg zur gegenseitigen Anerkennung sowie zum Verschiedenheitsdenken aufzeigen" (ebd.: 236f.).

Die zeitlichen Elemente (Anbruch, neues Mittelalter, neue Feudalisierung, PostModerne, Wieder-Geburt, Rückkehr, Höhepunkt und Ende, nicht mehr) folgen allesamt dem Leitmotiv des 'bewussten Rückgriffs auf Vormodernes' (vgl. Kapitel 6.2.1.1). Die 'gegenseitige Anerkennung und das Verschiedenheitsdenken', die mit dem neofeudalen256 Zukunftsentwurf verknüpft sind, haben dabei eine doppelte Bedeutung, die den beiden Momenten der HETEROGENITÄT-Aussage entspricht. Zum einen geht es um die 'essenzielle Verschiedenheit von Gemeinschaften', wobei Benoist freilich eher auf 'ethnische Differenz' anspielt, wo andere die 'nationale Homogenität' gegen 'Ausländer und multikulturelle Gesellschaft' stellen. Vor allem geht es aber um die herrschaftliche 'innere Gliederung der organischen Gemeinschaften'. "Die Gemeinschaften bauen und erhalten sich in der von jedem ihrer Mitglieder erfahrenen Gewissheit, daß alles, was von ihnen gefordert wird, auch von den anderen gefordert werden kann und muß. Vertikale Wechselseitigkeit der Rechte und Pflichten, des Beitrags und der Umverteilung, des Gehorsams und des Beistands, horizontale Wechselseitigkeit der Geschenke und Gegengeschenke, der Brüderlichkeit, der Freundschaft und Liebe" (dB 2001: 412).

Letztlich sieht Benoist die herrschaftlichen 'vertikalen' Strukturen noch immer in der "biologischen Determination des Menschen" (ebd.: 409) begründet, denn "das 256 Auch dabei schreibt Benoist seine früheren Positionen fort. So hatte er schon in den 1980er-Jahren in einem Aufsatz zum Thema Eliten "eine neue Aristokratie" (1985: 82) gegen die angeblich vorherrschende "egalitäre Barbarei" (ebd. 93) gestellt.

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Eingreifen genetischer Faktoren bei der Bestimmung der interindividuellen Schwankungen für gewisse Fähigkeiten, Charakterzüge und Verhaltensweisen, kann nicht mehr ernsthaft bezweifelt werden" (ebd.: 408). Zumeist betont er jedoch die 'gemeinschaftliche Ausgestaltung', die "historisch und kulturell" auf solchen "biologischen Beschaffenheit[en]" (ebd.: 409) aufbaue. In der heutigen Gesellschaft herrsche allerdings eine triste Egalität, deren Ausdruck der "verbrauchende Kunde, der passive Zuschauer und der private Anspruchsberechtigte" (ebd.: 437) seien. Dieser Zustand müsse durch eine "Form der Basisdemokratie überwunden werden, die jedem bei der Wahl und der Bewältigung seines Schicksals eine Rolle zuweist" (ebd.). Die 'Rolle' ist Benoist Bezeichnung für die Positionierung in hierarchischen Strukturen, wie an den bereits zitierten nostalgischen Schilderungen traditioneller 'organischer' Herrschaftsverhältnisse deutlich wurde (vgl. dB 2001: 210, 218). Die heutige Gesellschaft sei nicht in der Lage solche Rollen zuzuweisen: "[J]e mehr die Gesellschaft unpersönliche Aufgaben bietet, umso weniger öffnet sie sich besonders fähigen Menschen; je mehr das Private in das Öffentliche eingreift, desto weniger werden individuelle Verdienste von allen anerkannt; je mehr man eine Funktion ausübt, umso weniger kann man eine Rolle spielen. Die Neue Klasse entpersönlich somit die wirkliche Leitung der westlichen Gesellschaften, sie nimmt ihr die Verantwortung" (dB 2001: 433f.).

An der 'neuen Klasse der Vernetzten' (vgl. Kapitel 6.2.2.2) kritisiert Benoist gerade, dass sie gar keine 'richtige Herrschaft' ausübe – etwa im Sinne von Webers berühmter Definition nach dem Kriterium Befehl und Gehorsam. Ihre Vertreter seien, wie bereits zitiert, keine 'Unternehmer alten Schlags' (vgl. dB 2001: 13, 76), sondern eine technokratische Gruppe an der Spitze "der Medien, der nationalen oder multinationalen Großunternehmen, der internationalen Organisationen [und] der obersten Staatsbehörden" (ebd.: 433). Benoist geht so weit, diese Situation implizit mit Engels bekannter Formulierung vom Absterben des Staates im Übergang zur klassenlosen Gesellschaft257 gleichzusetzen: "In einem Klima, in dem die Wirtschaft herrscht, beschränkt sich die Regierung der Menschen auf die Verwaltung der Dinge. Die öffentliche Arbeit ist nur noch ein Durchwursteln, unter der Regie einer sich aus Experten und Technikern zusammensetzenden Neuen Klasse" (dB 2003: 7).

Welche Produktionsweise seiner Vorstellung einer 'organischen Gesellschaft' entspräche, sagt Benoist allerdings nicht. Es bleibt bei den punktuellen Verweisen auf feudale Verhältnisse, klassische Unternehmer oder auch den Mittelstand (vgl. dB 2001: 45, 75). Aber auch letzterer wird nicht im Sinne der MITTELSTANDAussage glorifiziert, sondern einer vergangenen Epoche zugerechnet. Auf der 257 "An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht 'abgeschafft', er stirbt ab" (MEW 19: 224).

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anderen Seite konstatiert Benoist, dass die "Sozialisten [...] schon lange die Idee der kollektiven Aneignung der Produktionsmittel aufgegeben" (77) hätten, ohne selbst größere Sympathien für diese Option zu zeigen. Ob und wie Betriebe beziehungsweise Produktionsprozesse künftig anders organisiert werden sollten, bleibt nebulös. Deutlich wird dagegen Benoists Ablehnung des Wohlfahrtsstaates, wobei seine Argumentation eine andere Stoßrichtung als die übliche WOHLFAHRTSSTAATAussage hat. Zwar polemisiert auch Benoist gegen die "Fürsorgeempfänger", welche "die endlose Erweiterung ihrer Rechte ohne Gegenleistung" (dB 2001: 406f.) forderten, doch in seinen Augen sollten sie stattdessen "den Sturz des liberalen Systems fordern" (ebd.). Wo die Kritik zumeist auf die neoliberale Forderung nach einer Rücknahme sozialer Sicherungssysteme hinausläuft, kritisiert Benoist den Wohlfahrtsstaat als Ausdruck des Liberalismus. Mit Bezug auf Polanyi argumentiert er, dass die ständige Ausweitung des Marktes ohne kompensierende Eingriffe des Staates überhaupt nicht möglich wäre (vgl. dB 1999: 79f.). Der Wohlfahrtsstaat sei notwendiges Pendant des Marktes. Insofern komme die Infragestellung der "vom Keynesschen Wohlfahrtsstaat geschlossenen Sozialkompromisse" im Zuge der Globalisierung einem "gewaltigen Rückschritt gleich, da sie letzten Endes Situationen übermäßiger Ausbeutung wiederherstellt" (dB 2001: 44f., vgl. ebd.: 77f.). Wenn Benoist den "Wohlfahrtsstaat" als eine "abstrakte, anonyme und undurchsichtige Umverteilungsstruktur" (dB 2001: 406) bezeichnet, geht es ihm nicht um die Umverteilung, sondern einmal um den Gegensatz zwischen einer abstrakten, anonymen und undurchsichtigen Moderne und organischen Beziehungen. "Der sich allmählich einrichtende Wohlfahrtsstaat hat also zwei grundlegende Ursachen: zum einen die jakobinische (zentralistische) Tradition, die nur von einer unmittelbaren Beziehung zwischen einer Masse undifferenzierter Menschen und einem Zentralstaat wissen will, der sich immer auf den Trümmern der Zwischenkörperschaften [im Sinne von Zünften und ähnlichem HO] aufgebaut hat; zum anderen aber auch die Notwendigkeit für den Staat, die durch den Aufstieg des liberalen Individualismus verursachten Schäden im sozialen Gewebe zu beheben. Um das Verschwinden der natürlichen Solidaritäten, hervorgerufen durch den Aufschwung des Individualismus und der Ideologie des Erfolgs durch Wettbewerb, auszugleichen, musste der moderne Staat in der Tat Aufgaben im Bereich des Fürsorgewesens übernehmen, die früher in dem Rahmen organischer oder gemeinschaftlicher Strukturen, etwa der Familie, übernommen wurden" (dB 2001: 216).

Entsprechend soll der Wohlfahrtsstaat durch eine Renaissance solcher Strukturen abgelöst werden. "Die Solidarität darf nicht mehr als die Folge einer anonymen, vom Wohlfahrtsstaat (schlecht) gewährleisteten Gleichheit wahrgenommen werden, sondern als das Ergebnis einer Wechselbeziehung, die an der Basis von organischen Verbänden ins Werk gesetzt wird, wobei letztere die Aufgaben des Schutzes, der Verteilung und der Gerechtigkeit übernehmen. Nur verant-

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wortungsbewußte Personen in verantwortungsbewußten Gemeinschaften können eine soziale Gerechtigkeit errichten, die nicht mit Unterstützung gleichbedeutend ist" (dB 2001: 441).

Diese zentralen Momente von Benoists Zukunftsentwurf sind nun schon bekannt: hierarchisch strukturierte (verantwortungsbewusste Personen) 'organische Verbände' im Rahmen homogener Gemeinschaften (verantwortungsbewusste Gemeinschaften). Diesen Kerngedanken verbindet er an der zuletzt zitierten Stelle im Manifest der ND mit der bemerkenswerten Vorstellung vom Ausbau eines gemeinwirtschaftlichen dritten Sektors neben dem staatlichen und dem profitorientierten (ebd. 440). Zugleich soll "die Wiederbelebung der lokalen Gemeinschaften [...] mit einer Wiedergeburt der volkstümlichen Traditionen" (ebd. 441) einhergehen. Hier wird deutlich, dass "bestimmte Anhänger des Kommunitarismus (unter anderem auch A. de Benoist) versuchen das Vorrecht der konstitutiven Gemeinschaft der kooperativen Gemeinschaft unterzuschieben" wie der Sozialphilosoph André Gorz (2000: 172) kommentiert. Dabei bedeutet 'kooperative Gemeinschaften', konkrete Formen kooperativer Sozialbeziehungen im Gegensatz zu 'konstitutiven Gemeinschaften' denen Individuen "qua Geburt" (ebd.) angehören. Die Mitglieder der letzteren sind "homogen [...], so unterschiedlich auch ansonsten ihre gesellschaftliche Position, ihr Rang auf einer Stufenleiter makrosozialer Wertigkeiten, ihre moralischen oder politischen Optionen sein mögen" (ebd. 172f.). In diesem Licht bedeutet "das von de Benoist hervorgehobene allgemeine 'Recht auf Differenz' ganz einfach, daß jede Gemeinschaft legitimerweise ihren Souveränitätsraum abschottet und das Recht und sogar die Pflicht anderer Gemeinschaften anerkennt, es ebenso zu tun. Die Gemeinschaften existieren dann in einem Verhältnis der Getrenntheit und Exterritorialität nebeneinander her [...]. Was letztendlich auf eine Politik 'ethnischer Säuberungen' hinausläuft" (ebd. 177).

Ein Dialog und die Anerkennung einer Vielzahl 'konstitutioneller Gemeinschaften' werden laut Gorz dagegen erst durch "eine gemeinsame politische Kultur" beziehungsweise einen "gemeinsamen öffentlichen Raum" (ebd.) ermöglicht. Dieser geteilte öffentliche Raum bedeutet zugleich, dass sich jede Gemeinschaft "ihre Identität als eine unter anderen reflexiv relativiert" (ebd. 178) und angesichts "einer sich verändernden und komplexen Welt [...] dazu gezwungen [ist], sich über den noch möglichen Umfang und die Grenzen der Gültigkeit ihrer traditionellen Werte zu befragen" (ebd. 179). Zu dieser treffenden Kommentierung von Benoists Konzept einer 'organischen Gesellschaft' sah sich Gorz wohl veranlasst, weil sich Benoist auch auf seine Schriften bezieht. So findet sich im Manifest der ND Gorz Überlegung, dass die Produktivitätssteigerungen der vergangenen Dekaden eine Abkehr vom Konzept der Lohnarbeit und ein bedingungsloses Grundeinkommen erforderten (vgl. dB

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2001: 438, Gorz 2000: 113ff.). Dies ist im Untersuchungszeitraum ein deutliches Alleinstellungsmerkmal von Benoists Position innerhalb des nationalistischen Diskurses und verdeutlicht noch einmal, dass seine Kritik des Wohlfahrtsstaates nicht auf den Umverteilungsaspekt gerichtet ist. Paradoxerweise sind sowohl diese Kritik als auch die Befürwortung eines Grundeinkommens durch die gleiche Kritik der Moderne motiviert. So setzt der entsprechende Abschnitt des Manifestes der ND damit an, dass Arbeit "in traditionellen Gesellschaften nie eine zentrale Bedeutung" (dB 2001: 437) hatte. Erst die "Moderne war es, die in ihrer gewinnorientierten Logik [...] die Arbeit [...] zu einem Wert an sich" (ebd.) gemacht hat. In diesem Zusammenhang wird an die Unterscheidung von Arbeit und Werk erinnert. Diese Unterscheidungen stehen auch am Anfang des Aufsatzes "Die Ideologie der Arbeit" (dB 1999: 167), in dem Benoist sich explizit auf Gorz bezieht. Über lange Passagen zitiert er Gorz Auseinandersetzung mit vorkapitalistischen Arbeitsbegriffen und der Aufsatz endet mit einem solchen Zitat. Genauer gesagt, handelt es sich um eine Entfremdungskritik von Gorz, die mit dem Gegensatz von einem antiken Freiheitsbegriff und der kapitalistischen Rationalisierung der Arbeit operiert (vgl. ebd. 168f., 170f. und 176f.). Worauf es Benoist dabei aber vor allem ankommt, ist einmal mehr die Betonung von Unterschieden im Rahmen hierarchischer sozialer Verhältnisse. Er kritisiert die "Art und Weise wie der Begriff Arbeit heute – in völligem Gegensatz zur idealen Vorstellung der Antike – unterschiedslos auf jegliche Form regelmäßiger Tätigkeit oder Beschäftigung angewendet wird [...]. Ob Arbeiter, Führungskräfte, Künstler, Forscher, Intellektuelle oder Schöpfer, 'arbeitet' inzwischen jeder" (ebd.: 176).

Zugleich zieht sich durch die im Aufsatz präsentierte Ideengeschichte des Arbeitsbegriffs einmal mehr die Entgegensetzung von antiken Verhältnissen einerseits sowie Christentum und Liberalismus andererseits. 6.2.3.3 Eine volkliche Demokratie im europäischen Reich An antiken Idealen ist schließlich auch Benoists dezidiert anti-moderner Demokratiebegriff orientiert, der zugleich direkt an die gerade behandelte Vorstellung organischer Gemeinschaften anschließt. So kommt er im letzten Absatz des Aufsatzes zur Frage der Gemeinschaft recht unvermittelt auf das Thema Demokratie zu sprechen und stellt dabei unter Bezug auf Benjamin Constants Rede 'Über die Freiheit der Alten im Vergleich zu der der Heutigen' einen modernen und einen antiken Freiheitsbegriff gegenüber: "Zum Schluß möchte ich daran erinnern, daß die Frage nach der verfassungsgebenden Gewalt schon immer der Schwachpunkt der liberalen Theorie der Demokratie war. Für die Nouvelle Droite [...] kann es eine echte Demokratie nur in der Mitwirkung geben. Was Benjamin Constant die 'Freiheit der Alten' nannte, war genau eine Freiheit, die auf der Teilnahme und Mitwirkung am kollektiven Schicksal sowie der Aufrechterhaltung des Gemeinwohls gründete" (dB 2001: 237).

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In diesem Sinne könnten die neuen Gemeinschaften "in den kommenden Jahrzehnten zum Ort der größten Freiheit werden" (ebd.). Der Antagonismus lautet {liberale Demokratie, Freiheit der Heutigen} / {echte Demokratie, Freiheit der Alten, Teilnahme und Mitwirkung am kollektiven Schicksal}. Hier scheint bereits die DEMOKRATIE-Aussage auf und es zeigt sich, wie beim Thema Demokratie generell, eine weitere Kontinuitätslinie in Benoists Schriften. Das Zitat reformuliert Gedanken, die er bereits in den 1980er-Jahren niedergeschrieben hat und die deutlich in der Tradition der nationalistischen Demokratiekritik des frühen 20. Jahrhunderts stehen, insbesondere in der von Schmitt und Moeller van den Bruck. Dies zeigt ein Vergleich mit den "Zehn Thesen zur Demokratie" (dB 1986: 118) am Ende von Benoists im Jahr 1986 erschienenen Buches "Demokratie - Das Problem". Dort heißt es gleich in der ersten These: Um zu begreifen, "was Demokratie ist" (ebd.), müsse man zu ihrer ursprünglichen Bedeutung zurückgehen. "Die antike Demokratie ver-sammelt [sic!] eine Gemeinschaft von Bürgern denen sie gleiche Rechte sichert. Die Begriffe von Staatsbürgerschaft, Freiheit, Volkssouveränität und Gleichberechtigung sind eng miteinander verknüpft. Die Freiheit rührt von der Volksangehörigkeit, das heißt von der Abkunft her. Es ist eine Freiheit-als-Anteilnahme. [...] Die antiken und neuzeitlichen Demokratien unterscheiden sich hauptsächlich darin, daß die ersten den egalitären Individualismus nicht kennen, auf dem die zweiten gründen" (ebd.: 118f.).

Offensichtlich stimmt dieser Antagonismus aus dem Buch von 1986 {neuzeitliche Demokratien, egalitärer Individualismus} / {antike Demokratie, Freiheit, Volksangehörigkeit, Abkunft, Freiheit-als-Anteilnahme} mit dem obigen aus dem Jahr 2001 inhaltlich weitgehend überein. Im früheren Text wird allenfalls die Koppelung der Demokratie an ein 'Abstammungskollektiv' (Volksangehörigkeit, Abkunft) deutlicher artikuliert, während sich dieser Gedanke später in der Rede von der Gemeinschaft verbirgt. In diesem Zusammenhang verdienen die Formulierungen 'Freiheit-als-Anteilnahme' (1986) sowie 'Teilnahme und Mitwirkung am kollektiven Schicksal' (2001) besondere Beachtung. Denn der Grundgedanke dahinter lautet: "In der demokratischen Regierungsform ist der Schlüsselbegriff weder die Zahl, noch das Votum, noch die Wahl oder die Vertretung, sondern die Mitwirkung. 'Die Demokratie ist die Anteilnahme eines Volkes an seinem Schicksal' (Moeller von der Bruck [sic!])" (dB 1986: 120f.).

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Gemeint ist Moeller van den Bruck, den Benoist hier folgerichtig im Rahmen der altbekannten Polemik gegen gängige Verfahren der demokratischen Willensbildung zitiert. Dass Benoist an dieser Position auch nach der Jahrtausendwende festhält, zeigt sein Vorwort zum Buch 'Kämpfer um ein drittes Reich. Arthur Moeller van den Bruck und sein Kreis'. Wie er dort ausführt "plädiert Moeller für eine 'deutsche Demokratie', die mit der nationalen Tradition Deutschlands im Einklange stand, und definierte Demokratie als 'Anteilnahme eines Volkes an seinem Schicksal'; es ist dies eine Formel, die ebenfalls noch immer Aktualität in einer Epoche besitzt, in der die partizipatorische Demokratie – direkte Demokratie, Basisdemokratie, echte Volksdemokratie – die natürliche Ergänzung und vor allem das Korrektiv zur repräsentativen und parlamentarischen Demokratie bildet" (dB 2010: 15).

Das Verfahren, das dieser 'Anteilnahme' beziehungsweise 'Mitwirkung' entspricht, ist nach Benoist ebenfalls ganz explizit die Schmittsche Akklamation. So heißt es im Aufsatz 'Repräsentative und mitwirkende Demokratie', der wiederum die bekannten Binarismen aufweist: "Die Eigenschaft des Staatsbürgers erschöpft sich also nicht in der Wahl. Sie besteht vielmehr darin, alle Methoden freizulegen, die Zustimmung zu bekunden oder zu verweigern, eine Ablehnung oder ein Einverständnis (die 'Akklamation' im Sinne Carl Schmitts) auszudrücken helfen" (dB 1999: 218).

Dementsprechend wurde die Demokratie bereits zuvor im Sinne der Schmittschen Reihe von Identitäten (vgl. Kapitel 3.2.4.4) definiert als "die Regierungsform, die dem Grundsatz der Übereinstimmung von Regierten und Regierenden […] entspricht. Diese Übereinstimmung verweist wiederum auf eine wesentliche Gleichheit der Bürger als Mitglieder ein und derselben politischen Einheit" (ebd. 214).

Benoists Demokratieverständnis entspricht also dem von Schmitt und Moeller. Es besteht im Wesentlichen aus der Vorstellung eines Volkes als homogener Gemeinschaft, die sich in denjenigen wiedererkennt, die sie beherrschen. Den Gegensatz dazu bildet die parlamentarische Demokratie, hier liege "die Macht nämlich bei den Volksvertretern und den Parteien, und nicht mehr beim Volk selbst" (ebd.). Genau das gilt als wesentliches Merkmal des 'Liberalismus' wie sich in der Einleitung des entsprechenden Bandes zeigt: "Der Liberalismus ist das Gegenteil der Demokratie, weil er an sich zerstörerisch auf die Identität und die Freiheit der Völker wirkt. Wir brauchen heutzutage mehr konkrete Demokratie. Eine solche Demokratie kann aber nur an der Basis erfolgen, innerhalb von Gemeinschaften, die über besondere nomoi, das heißt über geteilte Werte, verfügen" (ebd.: 9)

Der Antagonismus der DEMOKRATIE-Aussage, der die zuletzt zitierten Stellen strukturiert ist deutlich durch Formulierungen von Carl Schmitt (vgl. Kapitel 3.2.4) geprägt:

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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{Volk selbst, Anteilnahme eines Volkes an seinem Schicksal, direkte Demokratie, echte Volksdemokratie, Akklamation, Übereinstimmung von Regierten und Regierenden, wesentliche Gleichheit der Bürger, Identität und die Freiheit der Völker, konkrete Demokratie, Gemeinschaften, besondere nomoi} / {Wahl, Volksvertreter, Parteien, Liberalismus}. Entsprechend wird Schmitt auch an den thematisch einschlägigen Stellen des Manifestes der ND (vgl. dB 2001: 413ff., 436f.) permanent paraphrasiert258. Auch hier ist die Frontstellung gegen die parlamentarische Demokratie bestimmend, die Benoist ebenfalls schon seit den 1980er-Jahren durch plebiszitäre Elemente einerseits sowie lokale und berufsständische Partizipationsformen andererseits korrigieren will (vgl. dB 2001: 437, dB 1986: 122, dB 1999: 218). In diesem Zusammenhang ist viel von Basisdemokratie die Rede, was Bilder von den offenen Partizipationsformen der neuen sozialen Bewegungen aufruft. Doch Benoist lässt keinen Zweifel, dass es im Kern um die Legitimation autoritärer Herrschaftsverhältnisse geht, nämlich um die "Fähigkeit an der Spitze – ob unter normalen Umständen oder im Ausnahmezustand – zu entscheiden" (dB 2001: 417). Dieser von Schmitt übernommene Demokratiebegriff Benoists "widerstreitet ebensowenig der Vorstellung von einer starken Regierungsform wie den Begriffen der Autorität, der Auslese bzw. der Elite" (dB 1986: 120) – auch wenn das Gesäusel von Basisdemokratie und Plebisziten bei oberflächlicher Lektüre anderes suggeriert. Anders als bei Schmitt und den meisten seiner Nachfolger im nationalistischen Diskurs ist mit der zitierten Spitze bei Benoist allerdings nicht zwangsläufig ein nationales Staatsoberhaupt gemeint. Dies hängt mit den bereits angesprochen Verschiebungen von der nationalen zur subnationalen (regionalen) und zur supranationalen (imperialen) Ebene zusammen, die seine spezifische Diskursposition ausmachen (vgl. Kapitel 6.2.1.3 und 6.2.3). In diesen "imperialen und föderalen Entwürfe[n] […] bleibt das Volk der alleinige oberste Inhaber der Souveränität […]. Das Subsidiaritätsprinzip lässt sich auf allen Ebenen anwenden. Die Freiheit eines Verbandes und eine geteilte Souveränität stehen nicht im Widerspruch zueinander, und die geteilte Souveränität wiederspricht nicht der Fähigkeit, an der Spitze – ob unter normalen Umständen oder im Ausnahmezustand – zu entscheiden. Das Feld des Politischen schließlich beschränkt sich nicht auf den Staat: Die öffentliche Person definiert sich als voller Raum, als ununterbrochenes Gefüge von Gruppen, Familien, Verbänden, lokalen, regionalen, nationalen oder supranationalen Gebietskörperschaften" (dB 2001: 416f.).

258 So wird unter anderem auf die Konzepte der 'konkreten Ordnung', der 'Unterscheidung von Freund und Feind' und der 'Identität von Volk und Regierung' Bezug genommen, ohne dass Schmitt direkt zitiert würde.

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

Auch diese Verknüpfung von Demokratie und Reichsgedanke ist bereits in den Schriften der 1980er-Jahren angelegt. "Demokratie ist die Herrschaft des Volkes, das heißt die Herrschaft einer organischen Gemeinschaft, die innerhalb einer oder mehrerer bestimmter politischer Einheiten (Stadtstaaten, Nationen, Kaiserreiche usw.) geschichtlich in Form gebracht wurde" (dB 1986: 123).

Neu ist der ausdrückliche Vorschlag, ein zukünftiges Europa als Imperium zu denken 259 . Dieser Gedanke ist "gegen das bürokratische und technokratische Europa" und "gegen ein Europa, das lediglich ein vereinigter Freihandelsraum wäre" (dB 2001: 435) gerichtet. Anders als die gängige EUROPA-Aussage wendet er sich aber sowohl "gegen eine 'europäische Nation'" als auch "gegen das 'Europa der Nationen'", das eine "bloße Addition nationaler Egoismen" (ebd.) bliebe. Dieses Konzept, das an gleicher Stelle an die Vorstellung der großen 'autozentrischen Zivilisationen' anschließt (siehe Kapitel 6.2.3.1), präsentiert Benoist ausdrücklich als Antwort auf die Globalisierung und den angeblich damit verbundenen "Untergang der Staatsnation" (dB 2001: 262). Vor diesem Hintergrund liefere die Konzeption des Reiches die passende Verbindung von subnationaler und supranationaler Ebene, die gebraucht werde: "Während die Nation bestrebt ist, daß Volk und Staat übereinstimmen, schließt das Reich mehrere Völker zusammen. […] Das Reich ist ein Ganzes, in dem die Einzelteile um so eigenständiger sind, als das, was sie zusammenhält, festgefügt ist. Diese Bestandteile bleiben stets organische, differenzierte Einheiten. Daher stützt sich das Reich viel eher auf die Völker als auf den Staat, es ist bestrebt, sie zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenzuschließen, ohne sie auf das Gleiche zu reduzieren" (dB 2001: 251f.).

Im Manifest der ND wird in diesem Zusammenhang erneut auf Konzepte Carl Schmitts (Nomos der Erde, Hauptfeind, Pluriversum) zurückgegriffen: "Wir erleben […] das Zutagetreten eines neuen 'Nomos der Erde', einer Neuordung der internationalen Beziehungen. […] Das 21. Jahrhundert wird durch die Heraufkunft einer multipolaren Welt geprägt sein, die sich auf herausragenden Zivilisationen aufbauen wird […]. Diese Zivilisationen werden die alten (lokalen, stammesspezifischen, regionalen oder nationalen) Verwurzelungen nicht abschaffen: Sie werden sich dagegen als die letzte kollektive Form durchsetzen, mit der sich Menschen diesseits ihres gemeinsamen Menschentums lieber identifizieren werden. […] Der Hauptfeind in diesem Pluriversum autozentrierter Großgebilde ist kulturell wie wirtschaftlich jede Zivilisation, die sich als universal behauptet […]. Europa als kontinentale Realität und der Westen als zunehmend ungeographischer Begriff sind in dieser Sicht unausweichlich zur Scheidung verurteilt" (dB 2001: 424f.).

Hier schließen sich die Kreise: Als Hauptfeind wird ein Liberalismus mit universalistischem Anspruch, verkörpert im Westen unter Führung der USA ausgemacht (vgl. Kapitel 6.2.2.1). Als positives Gegenprinzip werden verwurzelte, organische 259 Benoist entwickelt seinen ideologischen Entwurf unter anderem in Auseinandersetzung mit zahlreichen Schriften der deutschen Rechten aus den 1920er- bis 40er-Jahren (vgl. dB2001: 260ff.).

6.2 Alain de Benoist: Verwurzelung gegen Nomadentum

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Gemeinschaften als Basis eines europäischen Reiches "in enger 'kontinentaler' Verbindung mit Russland" (dB 2001: 435) entworfen. An dieser "Spitze", auf der Ebene des Reiches, sollen "die Entscheidungen" getroffen werden, "die alle zusammengeschlossenen Völker und Gemeinschaften betreffen: Diplomatie, Armee, große Wirtschaftsentscheidungen […] und Festsetzung der wesentlichen Rechtsnormen" (ebd.: 436). Ein europäisches Reich, aufbauend auf regionalen Volksgemeinschaften ist Benoist reterritorialisierende Antwort auf die deterritorialisierende Globalisierung. 6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen? Das Globalisierungsbuch von Benoist (dB: 2001) gehört auch zu den explizit genannten Inspirationsquellen des Buches "Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?", herausgegeben von Eberhard Hamer und seinem Sohn Eike Hamer (im Folgenden zitiert als HH). Angesichts von Benoists revolutionärer Attitüde überrascht es auf den ersten Blick, dass er in einer Schrift erscheint (vgl. Kapitel 6.3.2.3), die zunächst eine schlichte Handlungsanleitung für mittelständische Unternehmer zu sein scheint. Schon die institutionelle Einbindung der Herausgeber und Autoren zeigt hingegen, dass gerade diese Mischung ein spezifisches Segment des nationalistischen Diskurses definiert. Eberhard Hamer hat in den 1970er-Jahren das MITTELSTANDSINSTITUT NIEDERSACHSEN E.V. gegründet, das sich als private Forschungseinrichtung im Dienste mittelständischer Interessen präsentiert und in dessen Vorstand sein Sohn seit den 2000erJahren ebenfalls eingebunden ist. In den 1990er-Jahren war Eberhard Hamer aber auch Mittelstandsexperte des BUND FREIER BÜRGER260 und Gründungsmitglied der STIMME DER MEHRHEIT, einem Zusammenschluss nationalkonservativer und nationalliberaler Publizisten unter dem Dach des BUNDES DER SELBSTÄNDIGEN NORDRHEIN-WESTFALEN (BDS NRW). Weitere Gründungsmitglieder waren unter anderem Karlheinz Weißmann (vgl. Kapitel 6.1) und der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann, der nach einer antisemitischen Rede aus der CDU ausgeschlossen wurde und zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Vorsitzender des BDS NRW war261. Wie eng die institutionellen Kontakte im nationalistischen Feld sind, zeigt sich einmal mehr daran, dass Veranstaltungen der STIMME DER MEHRHEIT auch von Kadern der NPD und der Freien Kameradschaften besucht werden262. In dieses Bild passt auch, dass 260

Vgl. Schui u.a. (1997: 190f.). 2017 zog Hohmann als Mitglied AFD erneut in den Bundestag ein, zu seiner Rede, die zum Ausschluss aus der CDU führte, vgl. Schobert (2009: 297ff.), Oppenhäuser (2006). Zum BDS NRW vgl. Kellershohn (2004: 83ff.), Maegerle (2004: 35ff.). 262 Vgl. Weiss (2007: 35f.). 261

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

Gerhoch Reisegger, ein regelmäßiger Autor der Deutschen Stimme und der STAATSBRIEFE einen Beitrag ("Erst die moderne Technik ermöglichte die Globalisierung", vgl. HH: 37ff.) zum Globalisierungsbuch von Eberhard und Eike Hamer geliefert hat und dass der Buchversand der NPD den Band vertrieb. Laut dessen Werbetext für die zweite Auflage "schildern acht hochkarätige Autoren, wie die Hochfinanz mit Papiergeld die Welt aufkauft, Monopole bildet und mit Hilfe dieser Monopole nicht nur die Weltbevölkerung abkassiert, sondern auch Herrschaft ausübt und die Existenzgrundlagen der Völker – Nahrung, Energie, Wasser – an sich reißt"263.

Passend dazu schließt die JF (09/2006: 16) ihre wohlwollende Rezension mit dem Satz: "Bleibt nur zu hoffen, daß die Machtverhältnisse, die sich zugunsten eines unkontrollierten Agierens der Hochfinanz entwickelt haben, noch umkehrbar sind". Allzu kritische Worte waren in der JF freilich auch nicht zu erwarten, schließlich hatte Eberhard Hamer Globalisierung schon mehrfach in der Zeitschrift selbst thematisiert (vgl. JF 21/1999: 20, JF 47/1999: 2). Die institutionelle Einbindung in das nationalistische Feld ist also deutlich zu erkennen, die spezifische diskursive Positionierung, die mit der institutionellen Anbindung an mittelständische Interessengruppen264 einhergeht, wird im Folgenden analysiert. 6.3.1 Mittelstand Während in den bisher betrachteten Diskursfragmenten die nationalistische Erzählung im Zentrum steht, in deren Rahmen die Figur des mittelständischen Unternehmers regelmäßig ihren Auftritt als Idealbild wirtschaftlicher Tätigkeit hat, ist es im Buch von Hamer/Hamer umgekehrt. Wie schon der Titel "Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen" anzeigt und wie angesichts der institutionellen Einbindung auch kaum anders zu erwarten ist, steht hier der kleine Unternehmer als Held im Zentrum, und davon ausgehend werden dann die typischen Elemente der nationalistischen (Globalisierungs-)Erzählung entwickelt. 6.3.1.1 Unternehmer gegen die Machtwirtschaft von Konzernen und Gewerkschaften Die Personalpronomen in der ersten Person Plural sind hier einmal mehr aufschlussreich. In der Einleitung wird zunächst auf "unsere bürgerliche Mittelschicht" Bezug genommen, ohne die "Demokratie und Marktwirtschaft nicht denkbar wären" (HH: 10). Bereits hier handelt es sich implizit um ein nationales Wir mit besonderer Betonung der bürgerlichen Mittelschicht im Sinne des mittelständischen Unternehmers. Später folgt dann die noch immer relativ unspezifische, 263

http://www.ds-versand.de [20.07.2001]. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die gemeinsame Initiative "Rettet den Mittelstand / Unternehmer" von Hamers MITTELSTANDSINSTITUT NIEDERSACHSEN und CRITICÓN (vgl. CRITICÓN 170) wenngleich sie offenbar keine allzu weitreichenden Wirkungen entfaltet hat. 264

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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aber nur 'national' zu lesende Entgegensetzung von "unserem Interesse" und dem "Interesse der globalen Netzwerke" (HH: 36) und im Fazit der Herausgeber werden schließlich die "Masse unseres deutschen Volkes" (HH: 261) im Allgemeinen und "die Personalunternehmen des Mittelstandes" im Besonderen als "Verlierer im Globalisierungsspiel" (HH: 262) präsentiert. Dieser Gebrauch der ersten Person Plural ist symptomatisch für das zentrale ideologische Manöver des Buches, nämlich die Identifikation der 'Masse' der Bevölkerung mit den Interessen des unternehmerischen Mittelstandes und zwar mittels einer gemeinsamen Entgegensetzung zur 'Globalisierung' bzw. zu 'globalen Netzwerken' (und Migranten). Besonders gut ist die Einschreibung der spezifischen Interessen der mittelständischen Kapitalfraktion in die vorgestellte Gemeinschaft der Nation an folgender Stelle zu erkennen: Laut Eberhard Hamer "sind wir in Deutschland trotz der Macht und Publizistik der großen Konzerne keine kapitalistische Wirtschaft, denn [...] 96% aller unserer Unternehmen sind von Inhaber-Unternehmern geführte mittelständische Personalunternehmen, in denen nicht das Kapital sondern die Unternehmerperson und die Unternehmerfamilie die entscheidenden Erfolgsgrößen sind. Ebenso sind wir trotz des Staatsanteils von mehr als 50% und trotz der Macht der Gewerkschaften und Sozialfunktionäre keine sozialistische Wirtschaft, weil immerhin noch volle Konsumentenfreiheit und ein Rest von Produzentenfreiheit besteht und weil nicht die weniger als 20% organisierte Arbeiterschaft, sondern die über 80% in den Personalunternehmen beschäftigten freien Mitarbeiter für unsere Wirtschaft repräsentativ sind" (HH: 82).

Die Rede von der Macht (der Konzerne und der Gewerkschaften) schließt an die vorherigen Seiten an, auf denen in Zwischenüberschriften die "Mittelständische Marktwirtschaft" von der "Machtwirtschaft des Großkapitals" und der "Machtwirtschaft der Gewerkschaften" (HH: 80f.) unterschieden wird. Der Antagonismus lautet also: {unsere nationale Wirtschaft, mittelständische Marktwirtschaft, mittelständische Personalunternehmen: (Unternehmerperson) / (freie Mitarbeiter)} / {Machtwirtschaft: (Kapitalistische Wirtschaft, Macht der großen Konzerne, Kapital) / (Sozialistische Wirtschaft, Macht der Gewerkschaften, organisierte Arbeiterschaft)}. Damit sind bereits die zentralen Elemente versammelt, die unter anderem die NPD zur MITTELSTAND-Aussage verdichtet (Kap. 5.1.4.2): (1) Der Ausgangspunkt ist die nationalistische Identifikation von 'uns Deutschen' mit 'unserer Wirtschaft' im Allgemeinen und 'unseren Unternehmen' im Besonderen.

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

(2) Hinzu kommt ein emphatisches Bild des Unternehmers – der 'seinen Betrieb führt' – als idealem Wirtschaftssubjekt. Die Betonung des Unternehmers (und der Unternehmerfamilie) im obigen Zitat wiederholt sich dort, wo Hamer ihn zum Definitionskriterium des Mittelstandes macht (im Gegensatz etwa zum Rekurs auf die Betriebsgröße): "Ein mittelständisches – also vom Eigentümer selbst geführtes – Unternehmen hängt an der Unternehmerperson. [...] Mehr als 50% des Erfolges eines mittelständischen Personalunternehmens liegt in der Wirkung und Führung des Unternehmers selbst. Starke Unternehmer machen starke Betriebe" (HH: 79).

Dabei steht die Figur des starken Eigentümer-Unternehmers, der seinen Betrieb führt, im Gegensatz zum "Management" der "Kapitalgesellschaften" (HH: 80). (3) Das dritte Element ist die Konstruktion einer 'Interessengemeinschaft von Unternehmer und Arbeiter', die explizit gegen Gewerkschaften und 'Sozialismus' gerichtet ist. Die Stoßrichtung gegen die Arbeiter*innenbewegung ist bereits im oben genannten Antagonismus klar zu erkennen. Die organisierte Arbeiter*innenschaft steht auf Seiten der 'Machtwirtschaft' und der 'Unfreiheit', während der 'freie Arbeiter' unter der Ägide des Unternehmers steht. In Anlehnung an die bekannte Formulierung von Marx, handelt es sich um einen dreifach freien Lohnarbeiter, der nicht nur frei von feudaler Herrschaft und von Eigentum an Produktionsmitteln ist, sondern auch von Möglichkeiten zur kollektiven Interessendurchsetzung. Eine solche Interessenvertretung, die "noch das alte sozialistische Grundraster vom angeblich notwendigen Kampf zwischen Arbeitgebern (Kapitalisten) und Arbeitnehmern (Gewerkschaften)" vor Augen hat, ist laut Hamer "in einer dominierend mittelständischen sozialen Marktwirtschaft" überholt, da hier der "Gegensatz weithin überwunden" (HH: 155) sei: "Ein Arbeitskampf zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern findet heute nur noch in den beiden bürokratischen Betriebstypen, der Kapitalgesellschaften und öffentlichen Unternehmen statt. In der Masse der unbürokratischen mittelständischen Personalunternehmen aber gibt es schon lange keinen Gegensatz von Inhaber und Mitarbeitern mehr, sondern Arbeits-, Interessen- und Lebensgemeinschaft" (HH: 156).

Die 'Gemeinschaft von mittelständischem Unternehmer und Arbeiter' steht also im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften einerseits und öffentlichen Betrieben andererseits. (4) Hier schließt das nächste Element unmittelbar an, nämlich die Unterscheidung 'unserer (Markt-)Wirtschaft' vom 'Kapitalismus'. Dem Kapitalismus wird, wie dem Antagonismus zu entnehmen ist, alleine die Sphäre der Kapitalgesellschaften zugerechnet, nicht aber die mittelständischen Personengesellschaften, so dass sich in dieser Variante des BINDESTRICH-KAPITALISMUS die 'mittelständische Marktwirtschaft' und die 'kapitalistische Wirtschaft' gegenüberstehen. So lässt sich über "die Macht des Kapitals" klagen, mittels derer "die Großwirtschaft" (HH: 276)

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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Steuervorteile durchsetzt und im gleichen Moment die Minimierung der Steuerlast für den freilich ebenso zahlungsunwilligen und profitorientierten Mittelstand fordern. Hier schließen zahlreiche weitere Unterscheidungen an, so die zwischen 'dem Unternehmer' und 'dem Manager der Kapitalgesellschaften' oder die Entgegensetzung von 'Marktwirtschaft' und 'Monopolkapitalismus' beziehungsweise dem 'pervertierten Kapitalismus unter der Kontrolle der US-Hochfinanz'. (5) Schließlich spielt auch hier die Symbolik der Mitte eine tragende Rolle. Wie die symbolische Konnotation des Gegensatzes {Großkapital, große Konzerne} / {Mittelstand, Mittelschicht} ihre Eigenlogik im Laufe des Textes entfaltet, wird etwa an folgender Stelle deutlich: Im Zusammenhang mit der Steuerpolitik heißt es zunächst, dass "die Obergruppe [der transnationalen Konzerne] aus dem Steuerstaat flüchtet, die Untergruppe [der Lohnabhängigen] sich auf Sozialleistungen verlässt […] [und] der Mittelstand zahlen" (HH: 149) muss. Dass Konzerne (Oben) und Arbeiterschaft (Unten) später gar als Randgruppen bezeichnet werden, lässt sich schließlich nur noch durch den rein symbolischen Gegensatz von Mitte und Rand erklären. An der entsprechenden Stelle ist die Rede von der Zumutung "für den Mittelstand die nationalen Subventionen an die Konzernbetriebe und die Sozialleistungen für die Arbeiterschichten zu finanzieren, also sich als Gruppe von Randgruppen ausbeuten zu lassen" (HH: 255). Der Hinweis auf solche symbolischen Elemente 265 , ihre Eigenlogik und ihre Verknüpfung der jeweiligen Diskursfragmente mit anderen Interdiskursen (nicht zuletzt dem mediopolitischen Diskurs) heißt freilich nicht, dass politisch-ökonomische Interessengegensätze dabei keine Rolle spielen. Die Abgrenzung der Mitte von den oberen und unteren Randgruppen ist nur eine (eben primär symbolische) Variante des oben genannten Antagonismus mit seiner doppelten Frontstellung gegen Konzerne und Gewerkschaften und hat mit den spezifischen Interessen der mittelständischen Kapitalfraktion zu tun. Die Gegnerschaft zu den Organisationen der Lohnabhängigen und die geringe Neigung zur Finanzierung von Sozialleistungen beizutragen, verstehen sich von selbst und werden, wie manch anderes, mit den Konzernen geteilt. Auf der anderen Seite wird die Konkurrenz der Konzerne gefürchtet. Denn diese können Skaleneffekte ausspielen, Druck auf die abhängigen Zulieferer ausüben und sie haben privilegierte Möglichkeiten der politischen Einflussnahme. Gefürchtet werden damit Entwicklungen, die sich in den vergangenen Dekaden durch Praktiken wie Global Sourcing und Lobbyismus (auf EU265

Ein weiteres beliebtes Symbol in dem Hamer/Hamer ihre Helden präsentieren, ist der Kampf des Bürgers gegen den Feudalismus. So klagen sie zu Beginn des Buches – nachdem sie an die historische Emanzipation des Bürgertums vom Feudalsystem erinnert haben (vgl. HH: 12) – über die heutigen "Korporationsfeudalismen" (HH: 28). Darauf kommen sie am Ende zurück, wo es heißt, dass "Konzerne und Gewerkschaften" in einem System der "Zentralisierung und […] [des] Kapitalfeudalismus" bestimmten, während der "Mittelstand […] zum Untertanen" (HH: 273) werde.

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

Ebene) sowie die damit verbundenen Trends zu internationaler Konzentration und zur Ausrichtung der nationalstaatlichen (Steuer- und Subventions-)Politik an den Interessen der transnationalen Konzerne verstärkt haben. 6.3.1.2 Zwischen Sachzwang und Kritik Dementsprechend fällt auch die Einschätzung der Globalisierungsdebatte in der Einleitung aus. Darin erheben die Herausgeber den Anspruch, mit ihrem Buch als 'neutrale Experten' in eine Debatte einzugreifen, die sich bisher als 'Kampf zwischen Gewerkschafts- und Konzerninteressen' darstelle. Auch hier steht also der Mittelstand den beiden Seiten des Januskopfes gegenüber: "Während die finanziell und machtpolitisch den Konzernen nahestehenden bürgerlichen Parteien die Globalisierung eifrig verteidigen, wird die Globalisierung bei den von den Gewerkschaften und ihren Organisationen unterstützten sozialistischen Parteien überwiegend kritisiert, – neuerdings unter dem Schlagwort 'Kapitalismuskritik'. In diesem Kampf zwischen Konzern- und Gewerkschaftsinteressen hat der Mittelstand seine Position noch nicht gefunden. [...] Es wurde deshalb Zeit, daß neutrale Experten zwischen beiden Globalisierungslagern die Frage des Nutzens oder Schadens der Globalisierung für unsere bürgerliche Mittelschicht untersuchen" (HH: 10).

Die Nähe der bürgerlichen Parteien zu den Konzernen auf der einen Seite und das Aufkommen einer 'sozialistischen Kapitalismuskritik'266 auf der anderen, bilden also den Ausgangspunkt des Buches und stellen die organischen Intellektuellen der mittelständischen Kapitalfraktion vor die Aufgabe, eine KRITIK-POSITION zu entwickeln, die sich von der 'sozialistischen' unterscheidet. Auch dies deutet sich in der Einleitung bereits an: Während Globalisierung in der Öffentlichkeit lange Zeit als Erfolgsgeschichte gefeiert worden sei, gäbe es "inzwischen aus dem Mittelstand, aus der Ökobewegung und aus den Menschenrechtsvertretern ebenso entschiedenen Widerstand" (HH: 9). Dieser artikuliere sich unter anderem "in Davos, wo sich die Bosse der Weltkonzerne, der Weltmächte und ihrer Anhänger jährlich im angeblichen 'Weltwirtschaftsgipfel' versammeln" (ebd.). Zweierlei ist hier bemerkenswert: Zum einen findet in Davos ein angeblicher, in Anführungszeichen gesetzter, 'Wirtschaftsgipfel' statt, denn die entscheidende Wirtschaftsgruppe sind in dieser Erzählung freilich die mittelständischen Unternehmer, das kleine Kapital, das beim 'World Economic Forum' nicht repräsentiert ist. Zum anderen ist es mehr als ungewöhnlich, den Mittelstand an vorderster Stelle der globalisierungskritischen Bewegung zu sehen, während die Gewerkschaften fehlen. Doch auch an einer bereits derart modifizierten Bewegung habe die Autoren noch etwas auszusetzen, denn während die "Globalisierungsvertreter[] die politische und wirtschaftliche Macht hinter sich" hätten, würden die "Globalisierungsgegner[] vorwiegend ideelle und humanitäre Argumente vorbringen" (ebd.). 266 Gemeint die Debatte um das berühmt gewordene 'Heuschrecken'-Interview des damaligen SPDVorsitzenden Münterfering (vgl. dazu Knobloch 2007b).

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

373

Hier wollen die 'neutralen Experten' Abhilfe schaffen, indem sie die in Frage stehenden ökonomischen Prozesse zunächst ganz materialistisch aus der Sicht ihrer Klientel darstellen. Wie die ökonomische Globalisierung aus Sicht mittelständischer Unternehmer einzuschätzen sei, entwickeln Hamer/Hamer im Unterkapitel "Wirtschaftliche Globalisierung" (HH: 22ff.) ihres einleitenden Aufsatzes. Darin werden einige Standard-Topoi der Debatte, nämlich Freihandel (1), Wettbewerb (2), Deregulierung (3) und Privatisierung (4) der Reihe nach abgehandelt. Zwar sind dies allesamt zentrale Elemente des NEOLIBERALISMUS und mithin der SACHZWANGPOSITION, wozu auch die gelegentlichen lobenden Verweise auf Hayek und die Österreichische Schule passen (vgl. HH: 137ff.), aber ihre Bewertung fällt doch ambivalent aus. Dies war angesichts der einleitenden Positionierung auch nicht anders zu erwarten und wird schon durch die Hauptüberschrift des Aufsatzes – "Globalisierung: Theoretisch richtig – praktisch aber oft gefährlich" (HH: 11) – zum Ausdruck gebracht. Theoretisch sei die Sachzwang-Position richtig. Erstrebenswert seien demnach unter anderem "der möglichst freie Handel von Waren und Dienstleistungen [...], die Liberalisierung der Märkte unter Schaffung einer effektiven Wettbewerbskontrolle" und "Liberalisierungsfortschritte auf den internationalen Finanzmärkten" (HH: 17). Die unterstrichenen Elemente deuten allerdings auch die Vorbehalte, nämlich eine gegebenenfalls notwendige Einschränkung des Freihandels und das Fehlen einer internationalen 'Wettbewerbskontrolle' an. Die 'praktische Gefahr' sehen die Autoren vor allem darin, dass "die USA Vormacht der Welt geworden sind" und die eigentlich richtige Theorie "machtpolitisch" (ebd.) missbrauchten, womit der erzählerische Hauptstrang vorweggenommen ist, der sich im Laufe des Buches zu einer veritablen Verschwörungsideologie entwickelt (vgl. Kapitel 6.3.2.4). Doch zunächst soll der ökonomische Kern der 'praktischen Vorbehalte' anhand der genannten Themen nachvollzogen werden: (1) Beim Thema Freihandel fällt zunächst auf, dass der Begriff als solcher nicht gebraucht wird. Vielmehr wird unter der Überschrift "Marktwirtschaftliche Arbeitsteilung" das Ricardo-Theorem zunächst anerkannt um abschließend zu klagen, dass die "Freiheit des Handels aber auch zur Freiheit der Monopolmacht mißbraucht werden" (HH: 22f.) könne. (2) Ähnlich ist die Argumentation beim Thema Wettbewerb. Auch hier wird zunächst betont, dass unter den Bedingungen der kapitalistischen Konkurrenz "theoretisch Produktion und Nachfrage optimal" seien, dafür müsse aber, so die Einschränkung in diesem Fall, "Chancengleichheit aller Wettbewerber garantiert" (HH: 24f.) sein. Dies sei aber nicht der Fall, weil dem Mittelstand die Möglichkeiten fehlten, sich der Besteuerung zu entziehen, die transnationale Konzerne nutzen können. Dazu komme die Unterschiedlichkeit der nationalen Steuer- und

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

Sozialsysteme, welche die Produzenten der "Hochlohnländer" gegenüber denen der "Billiglohnländer" (HH: 26) benachteilige. (3) Das gleiche gelte auch in Sachen Deregulierung. Zwar müssten prinzipiell "Hemmnisse […] [für] unternehmerische Freiheit" abgebaut werden und insofern sei der "Globalisierungsdruck zur Deregulierung [...] also theoretisch richtig", das Problem sei aber auch hier, dass dies "dem globalen Wettbewerb hätte[] vorausgehen müssen, um für die freien Marktteilnehmer gleiche Startchancen zu gewährleisten" (HH: 27f.). Zudem würde das Argument der Deregulierung "zunehmend von den global players und den von ihnen beherrschten internationalen Organisationen mißbraucht, um Schutzvorschriften für nationale mittelständische Bereiche oder Firmen zu sprengen", was wiederum zur "globalen Monopolisierung" beitrage (HH: 28f.). (4) Das gelte ebenso für die Privatisierung. Auch hier sei es zwar "generell richtig", dass möglichst viele Bereiche von "Profiunternehmern statt von öffentlichen Amateurunternehmern" organisiert würden, aber auch hier bestehe das Problem, dass "die bisher dezentralen öffentlichen Einheiten von einem global player zusammengekauft werden und er damit einen ganzen nationalen Versorgungsmarkt in die Hand bekommt" (HH: 29). Mit anderen Worten ist das Problem, dass die 'dezentralen' mittelständischen Unternehmer bei der Privatisierung nicht zum Zug kommen. Damit ist ein Kernpunkt benannt, der sich durch alle vier Bereiche zieht, nämlich die permanente Furcht des Mittelstandes vor der zunehmenden Kapitalkonzentration beziehungsweise der daraus resultierenden Konkurrenz. Fraglos hat sich dieser Prozess in den vergangenen Dekaden sowohl verstärkt als auch internationalisiert, und in der Tat nutzen Freihandel, Standortkonkurrenzen, Möglichkeiten zur 'Steuerflucht', Aufhebung von Investitionsbeschränkungen und die Privatisierung öffentlicher Güter am ehesten dieser Kapitalfraktion, namentlich den transnationalen Konzernen267. Dagegen setzten die Autoren am Ende des Buches eine Forderung, die ebenso klassisch für den Mittelstand ist, wie das Lamento gegen das 'große Kapital', nämlich die eines Monopolverbotes beziehungsweise einer Monopolgesetzgebung und zwar auf internationaler (vgl. HH: 268), vor allem aber auf nationaler Ebene (vgl. HH: 274). Es müsse "härter gegen nationale und internationale Monopole eingegriffen" werden, damit "auch der Mittelstand als Wohlstandsquelle jedes Volkes überleben" (HH: 275) könne. Zudem müsse auf nationalstaatlicher Ebene die "Steuerbevorzugung von global players" beendet werden, indem gleiche "Steuersätze für Personal- wie Kapitalgesellschaften" (HH: 276f.) und einiges mehr eingeführt werden.

267

Vgl. Altvater/Mahnkopf (1999: 219ff.).

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

375

Der zweite wesentliche Gesichtspunkt, der sich neben den 'Monopolen' durch die vier Themen zieht, ist "die Billigkonkurrenz", die etwa dazu führt, dass "die mittelständischen Zulieferer aus den Hochlohnländern durch Zulieferer aus den Billiglohnländern" verdrängt werden und in eine "ausweglose Konkurrenzsituation" (HH: 86) geraten, so die Zusammenfassung von Hamer/Hamer im Kapitel 'Der Mittelstand in der Globalisierung' (HH: 79ff.). Hier sollen, wie sich am Ende des Buches zeigt, Zölle weiterhelfen. Diese werden ironischerweise unter der Überschrift "Sicherung des globalen Freihandels gegen [...] Dumping und Diskriminierung" (HH: 269) gefordert. "Gerechter internationaler Handel", heißt es im letzten Satz dieses Abschnittes, "erfordert also zuvor vergleichbare Rahmenbedingungen, – entweder durch Angleichung oder durch Zollausgleich der Differenz" (HH: 270). Andererseits wird mit Blick auf "die ärmeren Länder [...] ein internationales Investitionsabkommen" (HH: 17) ausdrücklich begrüßt. Mit anderen Worten soll sich Kapital aus den Industriestaaten dort verwerten können, zugleich sollen aber Zölle erhoben werden, sofern die Produktion dieser Länder in unmittelbarer Konkurrenz (zu den mittelständischen Zulieferern) steht. Wie die 'Angleichung' aussehen könnte, die als Alternative zu Zöllen angedeutet wird, erläutert Hamer im Kapitel zur Steuerpolitik, in dem einerseits die Subventionierung (und Steuerflucht) der transnationalen Konzerne und andererseits die Kosten des Sozialstaates kritisiert werden: "Der Steuerstaat verfängt sich so in seiner eigenen Globalisierungsfalle. [...] Dies [...] zwingt allerdings die Politik dann auch zu dem, was sie bisher krampfhaft vermieden hat, dem Abschlanken des Staates. Abschlanken des Staates wäre nicht nur Reduktion der überbordenden Bürokratie, sondern Reduzierung des Sozialstaates" (HH: 146).

In diesem Fall, wenn er die lohn- und / oder transferabhängige Bevölkerung trifft, ist 'der Globalisierungsdruck richtig', nicht aber, wenn er mittelständische Unternehmer globaler Konkurrenz aussetzt. An den symbolischen Elementen des Zitates lässt sich das typische Schwanken zwischen KRITIK- (Globalisierungsfalle) und SACHZWANG-POSITION (Abschlanken des Sozialstaates) erkennen, das sich aus der spezifischen Situation mittelständischer Unternehmen ergibt und das Buch insgesamt kennzeichnet. Gleiches gilt für den Bereich der Sportsymbole. Einerseits wird die kapitalistische Konkurrenz als Wettbewerb präsentiert, der Effizienz und Wohlstand garantiere, andererseits kippt dies, wenn 'Billigkonkurrenz den Mittelstand in ausweglose Konkurrenzsituationen' führt. Symbolisch konsistent wird dann auf die Fairness rekurriert und gefordert, dass "die Chancengleichheit aller Wettbewerber garantiert" werden müsse, da derzeit "im globalen Wettbewerb eigentlich keine faire, chancengleiche" Ausgangssituation gegeben sei. "Die mittelständischen Unternehmen [...]

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leben in und von diesem Wettbewerb", sie sind, wie gesehen, 'Profis' im Vergleich zu den 'öffentlichen Amateurunternehmen', aber "Personalunternehmen spielen am erfolgreichsten in Kreis- und Bezirksklassen, mittlere Betriebe auch in der Landesliga – Kapitalgesellschaften dagegen können erfolgreich in den höchsten Spielklassen der Bundes- und Weltliga spielen, je stärker sie kapitalisiert sind" (HH: 80).

Wo die SACHZWANG-POSITION den kompromisslosen Kampf um die Spitzenposition im globalen Wettbewerb propagiert, wird hier der Fairness halber der Erhalt einer eigenen Spielklasse für mittelständische Unternehmen gefordert, die es vor allzu kapitalstarker (transnationale Konzerne) und / oder zu billiger (Billiglohnländer) globaler Konkurrenz zu schützen gälte. 6.3.2 Gegen die One World des internationalen Monopolkapitals Gewährleisten soll diesen Schutz freilich der Nationalstaat und an dieser Stelle trifft sich die ökonomisch-korporative Argumentation der kleinen und primär auf den nationalen Markt orientierten Kapitalfraktion mit der nationalistischen Globalisierungserzählung auf der ideologischen Ebene. So heißt es beispielsweise zu Beginn des Kapitels "Der Mittelstand in der Globalisierung", dass "Globalisierung Weltwirtschaft statt nationaler Wirtschaft schafft" (HH: 79). Wenngleich dieser Gegensatz von {Volkswirtschaft} / {Weltwirtschaft} hier primär dem ökonomischen Interesse an nationalstaatlichem Schutz für mittelständische Betriebe entspricht, geht er doch im Einleitungsaufsatz unmittelbar in den ideologischen Gegensatz von {Weltbürger} / {nationale Identität} über. Die entsprechenden Passagen unter der Überschrift "Gesellschaftliche Globalisierung" lauten wie folgt: "Im Sinne des Liberalismus kann man Globalisierung als einen Zuwachs an Freiheit für alle Menschen auffassen, an Freiheit sich in der ganzen Welt zu bewegen […]. Neben der Personenfreiheit für alle Menschen forderte schon die Französische Revolution Gleichheit für alle Menschen. [...] Im gleichen Sinne hat die UNO auch die Gleichheit der Menschen immer wieder programmiert und hat Resolutionen gegen Ungleichheit von Menschen verfasst. Mit dieser Gleichheitsforderung begründen die Globalisierungsliberalisten ihren Kampf gegen jede Form von Nationalismus […]. Der 'Weltbürger' hat keine eigene Nation, sondern die Welt als Rahmen zu haben. [...] 'Multi-Kulti' ist gesellschaftliche Globalisierung. Aus der angeblichen Gleichheit der Menschen fordern die Globalisierer nicht nur die Gleichwertigkeit aller Menschen der Welt, aller Geschlechter, aller Rassen, aller Veranlagungen und aller Ausprägungen, sondern auch die notwendige Verschmelzung zu einem einheitlichen Menschentyp, zu einer einheitlichen 'Welt-Gesellschaft'. Die 'Multi-Kulti-Entwicklung' ist also angebliche Überwindung nationaler Identität, die gewollte Fortentwicklung zum Weltbürger, zur Weltgesellschaft" (HH: 31f.).

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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Der Antagonismus, der diese Passage strukturiert {angebliche Gleichheit der Menschen: französische Revolution, Liberalismus, Globalisierung, Globalisierungsliberalisten, UNO, einheitlicher Menschentyp, Weltbürger, Multi-Kulti, Welt-Gesellschaft} / {Ungleichheit von Menschen: nationale Identität, Nationalismus, eigene Nation, Geschlechter, Rassen, Veranlagungen} amalgamiert mehrere zentrale Aussagen des nationalistischen Diskurses. So bilden die Elemente {angebliche Gleichheit der Menschen: einheitlicher Menschentyp, Weltbürger, Multi-Kulti, Welt-Gesellschaft} / {Ungleichheit von Menschen: nationale Identität, Rassen (Geschlechter, Veranlagungen)} die HETEROGENITÄT-Aussage, also die Abgrenzung einer homogenen Nation im Gegensatz zum nicht dazugehörigen Außen, bei gleichzeitiger Proklamierung einer 'inneren' Heterogenität entlang der Linien der gesellschaftlichen Arbeitsteilung (Geschlechter und 'Anlagen'). Die Elemente {nationale Identität} / {MultiKulti} sind zentrale Bestandteile der VOLK- beziehungsweise der spiegelbildlichen AUSLÄNDER-Aussage und auf den folgenden Seiten wird der Antagonismus dann erweitert, unter anderem durch die folgenden, jeweils komplementären Elemente, in denen die oben genannten Aussagen unterstrichen und um die DETERRITORIALISIERUNG- und AMERIKANISMUS-Aussage ergänzt werden (vgl. HH: 34ff. und 254ff.): {Multi-Kulti-Gesellschaft, nivellierte Weltgesellschaft, Zuwanderer, brutale Großstädte in der Welt, Einheitssprache Amerikanisch, Hollywood und Coca-Cola} / {Goethe und Herder, soziale Bindungen, Volkssolidarität, kulturelles Leben, heimelige mittelalterliche Städte, Sprachen von Dichtern und Denkern}. Die zahlreichen Aussagen, die an dieser Stelle mehr oder weniger deutlich erscheinen, werden an anderen Stellen des Buches expliziert. Dies gilt nicht zuletzt für die ONE-WORLD-Aussage, die hier in den Elementen {Globalisierung, Globalisierungsliberalisten, Weltgesellschaft} / {nationale Identität, Nationalismus, eigene Nation} anklingt. Im Vollbild erscheint sie gleich auf den ersten Seiten des Einleitungsaufsatzes und zwar in einer Geschichtserzählung, die damit beginnt, dass "'das Volk' im Sinne der Summe freier Bürger" (HH: 12) einst gegen die absolutistische Herrschaft aufbegehrte und folgendermaßen weitergeführt wird:

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"Dieses Volk verlangte Selbstbestimmung, nationale Souveränität und den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts. Die Idee der Nationalstaaten wurde dann im 20. Jahrhundert durch übernationale Ideologien zurückgedrängt. - Der Liberalismus forderte die Freiheit von Grenzen, von nationalen Bindungen, Beschränkungen oder nationalen Werten und wollte weltweite Freiheit für das Kapital, für den Handel, für die Wanderung der Menschen [...]. - Die zweite große Idee des 20. Jahrhunderts war der Sozialismus [...]. Die Ausbreitung des Sozialismus sollte über internationale Organisationen wie die [...] kommunistischen Komintern oder in der 'Sozialistischen Internationale' die ganze Welt mit den sozialistischen Systemen beglücken, strebte also übernationale Geltung und Vorherrschaft an. - Der Kampf zwischen den beiden Ideologien Liberalismus und Sozialismus wurde international durch den Untergang der [...] sozialistischen Systeme [...] entschieden und führte zur Vorherrschaft der liberaldemokratischen Idee einer supranationalen gemeinsamen 'einen Welt'. Entsprechend wurden auf Betreiben der Vormacht der 'einen Welt', der USA, eine Fülle von internationalen Organisationen geschaffen, die [...] global für die ganze Welt gelten oder in der ganzen Welt arbeiten sollten. [...] Am Ende des 20. Jahrhunderts standen wir deshalb gesellschaftlich ebenso wie wirtschaftlich und politisch an der 'Schwelle zur Globalisierung'. [...] Aus den vielen Nationen sollte mit Hilfe vieler internationaler supranationaler Organisationen schließlich die 'eine Welt' werden, welche globale Weltfreiheit, Weltdemokratie und Weltregierung unter Führung der US-Hochfinanz und der US-Administration zum Zwecke steigenden Weltwohlstands verheißt" (HH: 12-14)268.

Hier ist einmal mehr deutlich zu erkennen, wie die sich die Elemente der ONE-WORLD-Aussage {'Eine Welt', Globalisierung, Vorherrschaft der liberaldemokratischen Idee, weltweite Freiheit für das Kapital, supra- bzw. internationale Organisationen} in die historisch ältere IRRATIONALISMUS-Aussage {übernationale Ideologien, Weltdemokratie: (Liberalismus) / (Sozialismus)} / {Volk, nationale Souveränität, Nationalstaat} einschreiben. 6.3.2.1 EU-Europa Die 'supranationalen Organisationen' und die Fokussierung auf die 'US-Hochfinanz und die US-Administration' am Ende des zuletzt zitierten Abschnittes deuten bereits den erzählerischen Rahmen an, in dem die ONE-WORLD-Aussage von Hamer/Hamer präsentiert wird. Zusammengefasst lautet er, dass eine internationale Oligarchie (eine Clique beziehungsweise ein Netzwerk), die im Wesentlichen aus Vertretern von US-Finanzkonzernen (und der US-Regierung) bestehe, sämtliche supranationalen Institutionen und Regime – darunter die UNO, die NATO, die WTO, der IWF und die ILO – kontrolliere und dadurch mehr und mehr in der Lage

268 Ausgelassen ist hier die Besonderheit, dass in dieser Erzählung en passant auch der Nationalsozialismus und die 'internationale Organisation der faschistischen Achsenmächte' dem Lager des 'Sozialismus' beziehungsweise 'Internationalismus' zugerechnet werden.

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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sei, die (Nationen der) ganze(n) Welt zu beherrschen und ökonomisch auszubeuten (vgl. HH: 17ff., 34ff., 266ff.). In diese Reihe supranationaler Institutionen wird ausdrücklich auch die EU eingeordnet, die zudem im typischen Antagonismus der EUROPA-Aussage präsentiert wird. Exemplarisch ist die folgende Stelle, die vom fraglos bestehenden Demokratiedefizit der europäischen Institutionen ausgeht (zum Thema Demokratie vgl. Kapitel 6.3.3.1), um dann die 'nationale Identität' und das 'Europa der Vaterländer' dagegen zu setzen: "Dazu haben die supranationalen Organisationen wie z.B. die EU einen zusätzlichen Demokratieverlust gebracht. [...] Die Demokratie ist insofern abgeschafft, als inzwischen 80% aller Regelungen nicht mehr von halbwegs demokratischen Nationalregierungen, sondern von dem undemokratischen EU-Politbüro gefällt werden. [...] Daß dennoch kein Bedauern über den Demokratieverlust der europäischen Länder zu hören ist, hängt damit zusammen, dass es herrschende politische Meinung ist, 'Europabürger' statt Hannoveraner oder Deutscher sein zu müssen. Der Verlust der nationalen Identität, nationaler Gebräuche, nationaler Produkte oder nationalen Volkstums wird von der herrschenden europäischen Politclique als 'vorteilhafte Nivellierung' angesehen. Es gibt nach EU-Auffassung keine Deutschen oder Franzosen oder Engländer mehr, sondern nur noch – wie die EU-Verfassung festschreibt – den 'Europabürger'. Dieses Bürgerrecht wird [...] auch immer mehr Menschen in der Welt zusätzlich verliehen. Europa soll nach dem Willen seiner politischen Elite über das geographische Europa weit hinauswachsen, in die Türkei, nach Israel, in die Ukraine und nach Nordafrika. [...] Unser aller Traum der fünfziger Jahre von einem demokratischen Europa demokratischer Vaterländer hat sich also [...] in ein nicht mehr demokratisch kontrolliertes oligarchisches Rätesystem fehlentwickelt" (HH: 20f.).

Der Antagonismus dieses Abschnittes lautet (geordnet nach den darin verknüpften Ebenen Herrschaft, Identität und Territorium): {EU-Politbüro, oligarchisches Rätesystem, europäische Politclique, 'Europabürger', Nivellierung, Türkei, Israel u.a.} / {Europa der Vaterländer, Nationalregierungen, nationalen Identität, nationale Gebräuche, nationale Produkte, Volkstum geographisches Europa}. Auch die politische Konsequenz aus der EUROPA-Aussage, nämlich "die Beiträge an diese Organisationen zu kürzen" (HH: 267), wenn nicht gleich "Austritt aus internationalen Organisationen" (HH: 273), stimmen mit den Positionen der nationalistischen Parteien überein (vgl. Kapitel 5.1.1.4 und 5.3.2.1). 6.3.2.2 US-Imperialismus Nach Hamer/Hamer dienen die EU und all die oben genannten internationalen Organisationen ebenso wie die ökonomische Globalisierung letztlich nur dem Interesse von US-Eliten:

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"Globalisierung ist [...] immer mehr zur Bildung der 'Einen Welt' unter politischer Führung der globalen Vormacht USA geworden. Ganz selbstverständlich werden deshalb auch die amerikanische Lebensart, die amerikanische Zivilisation, die amerikanische Hollywood-Kultur, das Weltmonopolstreben der amerikanischen Konzerne und die Weltgeltung der amerikanischen Währung von den US-Eliten als selbstverständliche Ausprägungen der theoretisch richtigen Globalisierung verstanden" (HH: 18).

Als Ausdruck dieser "amerikanischen Weltherrschaftsbestrebungen" wird hier der "Irak-Krieg" eingeordnet, bei dem "Kulturländer wie Frankreich und Deutschland" (ebd.) die Gefolgschaft verweigert hätten. Diese Grundelemente der AMERIKANISIERUNG-Aussage werden im Laufe des Buches immer wieder aufgegriffen und variiert. So finde im Zuge der Globalisierung "die größte kulturelle Nivellierung, Uniformierung und Vermassung in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht statt. Die eigenen Kulturen der Völker werden durch Hollywood-Unkultur abgeschliffen" (HH: 35) und mit Blick auf den Militärbereich heißt es: "Die Globalherrschaft der 'einzigen Weltmacht' im Auftrage der angloamerikanischen Hochfinanz sieht die meisten Völker der Welt als 'Vasallen' (Bzesinski [sic]) und als notwendige Hilfstruppen ihrer privaten wirtschaftsimperialistischen und Weltmachtziele" (HH: 266).

Der Antagonismus der AMERIKANISIERUNGS-Aussage, der den 'Völkern der Welt' einen 'politisch-militärischen, kulturellen und wirtschaftlichen US-Imperialismus' entgegensetzt ist diesen Zitaten unschwer zu entnehmen: {USA, Imperialismus: (Weltherrschaftsbestrebungen, Globalherrschaft, Weltmachtziele), (amerikanische Lebensart, amerikanische Zivilisation, kulturelle Nivellierung, amerikanische Hollywood-Unkultur, Uniformierung, Vermassung), (angloamerikanische Hochfinanz, Weltgeltung der amerikanischen Währung, Weltmonopolstreben der amerikanischen Konzerne,)} / {Völker der Welt, Kulturen der Völker, Kulturländer}. Dem militärischen Bereich ist ein Kapitel von Reinhard Uhle-Wettler gewidmet. Darin entwirft dieser eine "Gesamtstrategie" (HH: 181ff.), nach der die Ausrichtung der Bundeswehr auf internationale Kampfeinsätze (im Rahmen von NATO und UNO) richtig sei. Vor allem aber müsse die (militärpolitische) Einigung Europas vorangetrieben werden, denn bis dahin würden "seine Teile den Status tributpflichtiger Vasallen [der USA] behalten" (HH: 183). Die Herausgeber selbst resümieren diesbezüglich am Ende des Buches: "Kurz gesagt: Deutsche Soldaten haben im Ausland für ausländische Interessen nichts zu suchen. Und die NATO darf nicht mißbraucht werden als Hilfsorganisation der 'einzigen Weltmacht' Hilfstruppen zu requirieren" (HH: 279). Stärkeres Gewicht legen Hamer/Hamer aber auf den ökonomischen Strang der AMERIKANISIERUNGS-Aussage {angloamerikanischen Hochfinanz, Weltmono-

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polstreben der amerikanischen Konzerne, Weltgeltung der amerikanischen Währung}, den sie in mehreren Einzelkapiteln entfalten. Dem Währungsthema widmet sich Eberhard Hamer im Kapitel "Der Welt-Geldbetrug" (HH: 61-87). Im Kern handelt es sich um eine verschwörungsideologische Deutung der Entwicklung des Dollar zur Leitwährung und der dadurch begründeten Sonderstellung der USA im internationalen Handels- und Währungssystem seit dem Ende des Bretton-WoodsSystems (Stichwort: Verschuldung in eigener Währung). Letztlich wird die gesamte Entwicklung der internationalen politischen Ökonomie des 20. Jahrhunderts von Hamer als Ergebnis von Machenschaften der "US-Hochfinanz" (HH: 65 u.a.) gedeutet. Angefangen habe alles mit den "Hochfinanz-Gruppen Rothschild und Rockefeller" (HH: 62), denn diese hätten mit der FED, ungeachtet der entsprechenden US-Gesetzgebung, "eine private Zentralbank" (HH: 62 u.a.) geschaffen und entsprechend handle es sich beim US-Dollar um "Privatgeld" (HH: 65 u.a.). Dieses sei mit der Aufgabe des Goldstandards letztlich wertlos geworden, aber "[l]istigerweise hat die US-Hochfinanz die faulen Dollars überwiegend ins Ausland gebracht" (HH: 72), insbesondere in Form von Dollarreserven der Zentralbanken. Für die nähere Zukunft seien "die strategischen Ziele der USHochfinanz" (HH: 75) erstens der globale Aufkauf und die Monopolisierung von Rohstoffen und ganzen Industriebranchen. Hinzu komme zweitens eine Währungsreform, welche angesichts inflatorischer Tendenzen der US-Geldpolitik – in der Erzählung Hamers, eine "ungehemmte Vermehrung des Dollar […] [durch] die ausgebende US-Hochfinanz" (HH: 66) – unvermeidbar werde und die Dollarreserven konkurrierender Währungsräume entwerte. "Das Hauptziel der USHochfinanz ist aber auf diese Weise eine Weltwährung zu erreichen, über die sie wiederum selbst herrschen" (HH: 73). Im Zusammenspiel ergäbe beides einen "Monopolkapitalismus" (HH: 76), in dem die "Inhaber der FED [...] über Monopolpreise die Welt jederzeit steuerähnlich zu jeder gewünschten Sonderabgabe heranziehen" (HH: 77) könnten. Als Konsequenz daraus fordern die Autoren unabhängige Zentralbanken, "wie es die Bundesbank einmal war", die alleine das Ziel der Geldwertstabilität verfolgen, denen es "verboten wird Privatwährungen wie den Dollar als Währungsreserve zu halten" und die "wieder auf Realwerte in der Währungsreserve verpflichtet werden, z.B. Gold" (HH: 275). Auch hier sind die Interessen der Bevölkerungsgruppe berücksichtigt, als deren organische Intellektuelle die Autoren sich betätigen, denn die neoliberale Kernforderung nach einer alleine der Geldwertstabilität verpflichteten Zentralbank, liegt freilich vor allem im Interesse desjenigen, der (durch akkumulierten Unternehmensprofit) "Finanzvermögen hat" und dem Hamer derzeit empfiehlt "in Sachwerte [zu] gehen, wie dies die Hochfinanz selbst vorgemacht hat" (HH: 74f.). Bemerkenswert ist auch, wie das Thema 'Monopole', weit über die entsprechenden ökonomischen Interessen der mittelständischen Kapitalfraktion hinaus, durch das

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ganze Buch hindurch in diese Weltwirtschaftserzählung eingebaut wird. Im Freihandelsabschnitt des Einleitungsaufsatzes heißt es, dass "inzwischen global monopolisierte Teilmärkte bei Rohstoffen, Nahrungsmitteln, Saatgut, Energie u.a." entstanden seien, auf denen eine Monopolrente kassiert werden könne, weil "die Monopolisten die für die Freiheit des Außenhandels zuständige Organisation GATT beherrschen" (HH: 23f.). Entsprechend sind dem Thema mehrere weitere Kapitel gewidmet, welche unter anderem die Auseinandersetzungen um die Privatisierung von Wasser und um Saatgutpatentierung unter diesem Aspekt behandeln (vgl. HH: 233ff.). Allerdings wird an keiner Stelle mit ökonomischen Daten ein Nachweis geführt, inwiefern bestimmte Branchen monopolisiert sind, vielmehr läuft die Argumentation meist auf die punktuelle Unterfütterung der Erzählung von der 'Weltherrschaft der US-Hochfinanz' hinaus. Exemplarisch ist Eike Hamers Beitrag "Monopolisierung in der Globalisierung" (HH: 49ff.), in dem es heißt: "Im Zuge der Globalisierung dominieren statt nationaler Monopole internationale Monopole einzelner Nationen" (HH: 50). Gemeint sind freilich die USA, denn die Monopolisierung werde von einem "One-World-Konglomerat" (HH: 50) betrieben, das neben diversen Rohstoffmärkten und dem Mediensektor vor allem den Finanzbereich, inklusive der US-Notenbank beherrsche: "Fazit: Die Welthochfinanz hat mit ihren bei ihrer FED-Bank beliebig verfügbaren Finanzmitteln in einzelnen Marktsegmenten und für Weltrohstoffe Konzerngebilde geschaffen, welche diese Bereiche monopolisieren […]. Noch nie hat es eine solche Weltmonopolisierung mit solcher strategischen Macht und solcher wirtschaftlichen und politischen Gefahr für die Menschen gegeben. [...] Die Weltmonopolisierung ist eine ökonomische Atomgefahr, zumal eine kleine Clique den Zünder in der Hand hält" (HH: 58f.).

Dass der ökonomische Kern des Monopol-Arguments an vielen Stellen gemäß den Anforderungen der ideologischen Erzählung zurechtgebogen wird, zeigt auch Eberhard Hamer, wenn er als Beispiel für das "Monopolisierungsspiel" ausgerechnet die "Liberalisierung des Zuckermarktes in der EU" anführt. Denn der EUZuckermarkt war im Rahmen der vorherigen Regulierung von wenigen europäischen Konzernen beherrscht, die den zuckerverarbeitenden Unternehmen Preise über dem Weltmarktniveau aufzwangen und zugleich subventionierten europäischen Zucker auf den Weltmarkt exportierten. Laut Hamer bricht aber mit der Änderung der Zuckerordnung lediglich "die europäische Zuckerproduktion endgültig zusammen und wird der Zuckermarkt – anfangs billiger, nachher aber teurer – durch das von der US-Hochfinanz beherrschte Rohrzuckerkartell überschwemmt" (HH: 70, vgl. 28f.). Die Fluten kommen immer von außen (vgl. Kapitel 6.3.3.2), in diesem Fall aus den AKP-Staaten, und die Monopolisten sind immer die anderen – im Zweifelsfall die 'US-Hochfinanz'. Ein weiteres Beispiel dafür, wie die ökonomische Argumentation stellenweise der ideologischen Erzählung untergeordnet wird, findet sich dort, wo der "Kampf der

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Euro-Wettbewerbsfunktionäre gegen die 18%ige Landesbeteiligung des Landes Niedersachsen am Volkswagenwerk" als symptomatisch dafür präsentiert wird, wie die ('theoretisch richtige') Forderung nach Deregulierung "von den global players und den von ihnen beherrschten internationalen Organisationen missbraucht [wird], um Schutzvorschriften für nationale mittelständische Bereiche oder Firmen zu sprengen und diese Bereiche oder Firmen der internationalen Monopolisierung zu öffnen" (HH: 28).

Die Landesbeteiligung sei nämlich ein Hindernis für die "seit langem geplante feindliche Übernahme des Volkswagenwerkes durch General Motors [...] nach bewährter 'Heuschreckenmethode'" (ebd.). Auch hier dominiert die nationalistische Erzählung: Die Heuschrecken bedrohen die deutsche Industrie, ein US-Konzern will (angeblich) ein deutsches Unternehmen schlucken. In diesem Zusammenhang findet sich freilich kein Wort über die internationalen Übernahmen von Volkswagen selbst. Als mittelständisch lässt sich einer der größten Autokonzerne der Welt auch schwerlich charakterisieren. Weshalb die 'theoretisch richtige Deregulierung' gerade in diesem Fall falsch sein soll, lässt sich immanent also auch nicht erklären. Was bleibt, ist das Bild der Bedrohung deutscher Betriebe durch das US-Kapital, dem die Forderung nach einem "nationalen Sicherheitsvorbehalt" entspricht, der "jeden Eingriff in die Wirtschaft des Landes gestattet" (ebd.), um Übernahmen durch die internationale, insbesondere US-amerikanische, Konkurrenz zu verhindern. Hamers Weltwirtschaftserzählung besteht damit aus drei zentralen Elementen: Ausgangspunkt des studierten Volkswirtes sind zunächst reale politisch-ökonomische Entwicklungstendenzen (Weltgeldfunktion des Dollar, Geldpolitik der FED, negative Handelsbilanz der USA, internationale Konzentrationsprozesse und so weiter) 269 . Diese werden dann jedoch zweitens verschwörungsideologisch als Effekte der Aktivitäten einer betrügerischen 'US-Hochfinanz' gedeutet, welche nationale Volkswirtschaften ausbeute. Daraus folgen dann drittens politische Forderungen nach dem Schutz nationaler Betriebe im Allgemeinen und des Mittelstandes im Besonderen. Es wäre müßig, die genaue Anordnung und die Gewichtung dieser Elemente en détail zu analysieren. Zentral ist in jedem Fall die verschwörungsideologische Erzählung, die der Autor selbst bemerkt und der er mit der klassischen Immunisierungsstrategie dieses Genres begegnet: "Man wird dies als 'Verschwörungstheorie' oder als 'Antiamerikanismus' oder sogar als 'Antisemitismus' (Rothschild) abtun oder solche Veröffentlichungen ganz zu verhindern versuchen, denn immerhin gehören der US-Hochfinanz auch wesentliche Teile der Print- und Bildschirmmedien überall in der Welt" (HH: 74).

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Vgl. Bieling (2007: 83ff.).

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Mit anderen Worten: 'Nur ich sage die Wahrheit, denn alle anderen, insbesondere die Medien, sind Teil der Verschwörung'. 6.3.2.3 Political Correctness Diese rhetorische Figur verbindet sich mit der POLITICAL-CORRECTNESSAussage, deren Affinität zu Verschwörungsideologien dabei deutlich zutage tritt. Gemeinsam ist beiden die Selbstinszenierung als mutiger Tabubrecher, der endlich die Wahrheit sage. Mustergültig ist ein Absatz aus dem Schlusskapitel des Buches. Ausgangspunkt ist auch hier "das private Monopol über die führende Zentralbank (FED) und Weltwährung (Dollar). Mit diesem Monopol haben die FED-Eigentümer unbegrenzte Finanzmittel, können sie [...] durch die von ihnen gekauften Medien die jeweils 'politisch korrekte' Weltmeinung bestimmen (Schurkenstaaten, Terroristen, u.a.), Tabus erklären (Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus) oder politische Ziele vorgeben (EU-Vergrößerung durch Rumänien, Türkei, Israel u.a.) oder geistigen Widerstand verbannen (Hohmann, Antiglobalisierer, Mittelstandspolitiker)" (HH: 268).

Es ist bemerkenswert wie die Grundfigur der POLITICAL-CORRECTNESSAussage {Political Correctness, Tabus, Medien} / {geistiger Widerstand} hier gefüllt wird: {Political Correctness, Tabus: FED-Eigentümer, gekaufte Medien, EU mit Rumänien, Türkei, Israel} / {geistiger Widerstand: Antiglobalisierer, Mittelstandspolitiker, Hohmann, Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Schurkenstaaten, Terroristen}. Wie ein Brennglas bündelt die POLITICAL-CORRECTNESS-Aussage hier die zentralen Elemente des Buches. Auf der einen Seite die gegen AMERIKANISIERUNG gerichtete Globalisierungserzählung, das heißt eine militärische, ökonomische und kulturelle Frontstellung gegenüber den USA, beziehungsweise ihrem angeblichen Zentrum der '(jüdischen) Hochfinanz' und gegen ein EU-EUROPA (mit der Türkei und Israel), das ebenfalls im Interesse der USA beziehungsweise Hochfinanz sei. Auf der anderen Seite eine Gleichsetzung der KRITIK-POSITION mit MITTELSTANDspolitik, die sich mit einem (gegen AUSLÄNDER und JUDEN gerichteten) Nationalismus kostümiert und als Verteidigung des VOLKES auftritt. Ein zentrales Motiv ist die POLITICAL-CORRECTNESS-Aussage auch im Kapitel "Big Brother is watching you" (HH: 185ff.), das ebenfalls von Eberhard Hamer geschrieben wurde. Darin wird ein Szenario "weltweiter Kontrolle über die Menschen" gezeichnet, in dem die "von internationalen Netzwerken gesteuerte[] nationale[] Obrigkeit [...] immer mehr Kontrollen, Handlungszwänge, Freiheits-

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begrenzungen und Vermögenszugriffe eingeführt" habe, die durch "Scheingefahren wie 'Terrorismus', 'internationale Geldwäsche', 'Antisemitismus', 'Antiamerikanismus' oder 'Steuerflucht'" legitimiert würden, "um sogar weltweit Durchgriff auf den einzelnen Bürger und Zwang nicht nur auf sein Vermögen, sondern auch auf seine Meinung auszuüben" (HH: 186f.). Hier werden drei argumentative Linien miteinander verschränkt: (1) Die erste Linie, zu der die zitierten Elemente {Vermögenszugriffe, Scheingefahr internationale Geldwäsche, Scheingefahr Steuerflucht, Durchgriff auf Vermögen} gehören, skandalisiert unter der Überschrift "Der gläserne Steuerzahler" (HH: 187) die Verpflichtung der Banken der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) Daten über sämtliche Konten zur Verfügung zu stellen. Ganz offensichtlich geht es hier um die Sorge, dass den der "nationalen Steuerherrschaft unterliegenden Leistungsträger[n] des Mittelstandes" Möglichkeiten genommen werden, Steuern zu hinterziehen. Dazu passend werden am Ende des Buches die Möglichkeiten diskutiert, Vermögen sowie Firmen- und / oder Wohnsitze ins Ausland zu verlagern (vgl. HH: 286ff.). Die Überleitung zur zweiten und dritten Linie bildet dabei die Behauptung, dass die entsprechenden Informationen "indirekt über die Nachrichtendienste auch dem amerikanischen CIA und dem israelischen Mossad zur Verfügung" (HH: 188) stünden. (2) Die CIA gehört gemeinsam mit den oben zitierten Elementen {weltweiter Kontrolle, internationale Netzwerke, Scheingefahr Terrorismus, Scheingefahr Antiamerikanismus} zur zweiten Linie, die den roten Faden der US-Weltherrschaft weiterspinnt, der sich durch das Buch zieht und hier am (primär) US-amerikanischen Abhörsystem Echelon aufgehängt wird. (3) Und der Mossad gehört zur dritten Linie mit den zitierten Elementen {Freiheitsbegrenzungen, Scheingefahr Antisemitismus, Durchgriff auf Meinungen}, in der die POLITICAL-CORRECTNESS-Aussage diesmal mit deutlich antisemitischer Schlagseite wiederholt wird. Für das entsprechende Unterkapitel übernimmt Hamer die Überschrift "Die neue Inquisition" (HH: 192) aus Benoists Globalisierungsbuch (vgl. Kapitel 6.2.1), aus dem er an gleicher Stelle mehrfach zitiert (vgl. HH: 195f.). Des Weiteren tritt hier einmal mehr Martin Hohmann als Streiter gegen die POLITICAL-CORRECTNESS auf, gelten Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus als Insignien der verfemten Widerstandskämpfer und so weiter. Eine symptomatische Stelle lautet: "Zur neuen Inquisition gehört auch die Bestrafung von Menschen, die sich nicht politisch korrekt ausdrücken oder sogar nicht politisch korrekt denken. Dafür gibt es einen eigenen 'Volksverhetzungsparagraphen' (§ 130 StGB), den Kanzler Kohl auf höheren Befehl eingeführt hat und der auch in den meisten anderen westlichen Demokratien inzwischen in irgendeiner Form eingeführt ist. Israel hat sogar ein Gesetz verabschiedet, welches HolocaustLeugnung auch dann unter Strafe stellt, wenn die Tat von Ausländern und irgendwo in der

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Welt begangen wurde. Ebenso hat US-Präsident Bush ein Gesetz unterzeichnet, das eine weltweite Überwachung antisemitischer Tendenzen [...] vorsieht" (HH: 196).

Auf wessen 'Befehl' hin Kohl den Paragraphen eingeführt hat, erschließt sich aus dem direkten Übergang zu 'Israel' und der 'Überwachung antisemitischer Tendenzen'. Endgültig klar wird die Antwort an folgender Stelle aus dem Kapitel von Walter Hirt: "Besonders pikant: 1996 hat [die jüdische Organisation] B'nai B'rith ihren höchsten Orden zur Verblüffung der Öffentlichkeit an Bundeskanzler Helmut Kohl für seinen Einsatz für Israel und humanitäre Verdienste verliehen, obwohl diesen Orden üblicherweise nur herausragende Mitglieder der Loge erhalten" (HH: 112).

6.3.2.4 Jüdische Drahtzieher Hirts Aufsatz expliziert insgesamt die antisemitische Verschwörungsideologie, die in den Beiträgen von Hamer noch vergleichsweise latent bleibt270. Alle typischen Stilmittel des Genres werden (meist typographisch hervorgehoben) genutzt: Im Gestus des Aufklärers wird beansprucht, "eine strategische, kluge, eigenmächtige und für uns alle gefährliche Planung" (HH: 89) aufzudecken. Erzählt wird eine Geschichte von Netzwerken, "die von 'Eliten' im Zeitraum von Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten aufgebaut werden" (ebd.). Heute bestehe das "Machtgeflecht [...] zur Hauptsache aus Netzwerken der Bereiche Rohstoffe / Finanz-Industrie / Medien, die untereinander fein verflochten sind. Nach Jahren intensiver Recherchen offenbart sich eine Dominanz der 'Hochfinanz', die teilweise auch die Politik vereinnahmt" (ebd.). Genauer gesagt, geht es um eine Dominanz der "Hochfinanz der amerikanischen Ostküste" (ebd.), an deren Anfang "Nathan Rothschild" (HH: 96) stehe. In diesen Plot wird die Geschichte der US-amerikanischen Hegemonie in der oben geschilderten Version von Hamer eingebaut271. Als vermeintliche Belege werden unter anderem suggestive Zitate aus einer Spanne 270 Genauer betrachtet fällt freilich nicht nur die dauernde Beteuerung von Hamer auf, das Gesagte habe nichts mit Antisemitismus zu tun. Vielmehr wird das Motiv des 'Finanzjudentums', das schon die dauernde Rede von der US-Hochfinanz konnotiert, auch dort aufgerufen, wo der – unter dem Vornamen Ron bekannte – ehemalige Telekom-Manager Sommer als "der Abgesandte der US-Hochfinanz Aaron Sommer" (HH: 71) vorgestellt wird. 271 Ein Seitenstrang der Verschwörungsideologie des Buches ist die Unterstellung, die Anschläge vom 11. September 2001 seien von den USA, wenn nicht geplant, so doch zumindest geduldet worden. Hirt suggeriert einen Zusammenhang mit einem Strategiepapier zur Nahostpolitik (vgl. HH: 127f.). Reisegger hat dazu das Buch "Wir werden schamlos irregeführt" veröffentlicht, auf das in der Autorenvorstellung (HH: 297) hingewiesen wird. Uhle-Wettler meint hinsichtlich der "Nichverhinderung des Anschlages auf das World Trade Center am 11.9.2001 in Manhattan, [dass] dessen dunkle Begleitumstände zumindest den Schluss zulassen, hier sei das Versagen der Abwehr Teil eines Plans gewesen" (HH: 172). Und auch Herausgeber Eberhard Hamer hat zumindest seine Zweifel wenn er schreibt: "Selbst wenn es stimmen sollte, daß fundamentale [sic!] Araber um den vorher von den USA verhätschelten Scheich Bin Laden die Attentate vom 11. September begangen haben, wäre dies eigentlich ein inneramerikanisches Problem" (HH: 193).

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von 200 Jahren, ohne genaue Quellenangabe, aus dem Zusammenhang gerissen und kommentarlos aneinandergereiht (vgl. HH: 92f.). Vor allem aber wird in einem selektiven Zugriff auf reale Gegebenheiten ein "Macht-Geflecht" (Abbildung 14) präsentiert, das von der FED über formelle supranationale Institutionen wie der IWF, WTO oder OECD über informelle ökonomisch-politische Foren wie das WORD ECONOMIC FORUM oder die BILDERBERG GRUPPE und über Think Tanks wie das AMERICAN ENTERPRISE INSTITUTE sowie das OPEN SOCIETY INSTUTUTE von George Soros bis hin zur oben bereits erwähnten jüdischen Organisation B'NAI B'RITH reiche. Über letztere heißt es dann: "Das Netzwerk innerhalb jüdischer Organisationen und ebenso die ziemlich komplexe Vernetzung mit den hier beschriebenen Vereinigungen machen B'nai B'rith zu einem der weltweit mächtigsten Bünde. Sein Einfluss auf die internationale Politik ist erheblich. Der jüdische Geheimbund zählt heute weltweit an die 350.000 Mitglieder, davon leben etwa 300.000 in den USA. Die immer wieder thematisierte Macht der Juden in Amerika, insbesondere an der Ostküste, ist damit erklärt" (HH: 112).

Dazu werden eine Reihe "Drahtzieher" (HH: 122) präsentiert, über die beispielsweise mitgeteilt wird, dass sie einen "deutsch-ostjüdischen Namen" haben und "sich leidenschaftlich für Israel" (HH: 132) einsetzen. In dieser Reihe taucht auch der "Mega-Spekulant" (HH: 128) Georg Soros auf, der hier – nebst weiteren antisemitischen Klischees – einen ehemaligen Geschäftspartner mit "vergoldeter Nase" (HH: 129) hat und "als Treuhänder der Rothschilds fungiert" (HH: 131). Angesichts dieser hier einmal mehr zu beobachtenden Einschreibung des medialen Vorzeigespekulanten Soros in die Figur des JUDEN, der die Finanzmärkte und letztlich die Welt beherrsche, ist auch ein ikonographischer Vergleich des Titelbildes der Globalisierungsfalle (Abbildung 2) und des Bandes von Hamer/Hamer (Abbildung 3) angebracht. Offensichtlich ist die Figur des gesichtslosen Herren, der die Welt in seinen Händen hält, im ersten Fall zumindest offen für die verschwörungsideologische Lesart, die sie im zweiten Fall unmittelbar zum Ausdruck bringt272. An Hirts Präsentation von Soros lassen sich auch einige andere Besonderheiten seines Textes exemplarisch behandeln, etwa seine verschwörungsideologische Variante der IRRATIONALISMUS- beziehungsweise der ONE-WORLD-Aussage. So ließe sich Soros Engagement gegen die Wiederwahl von George W. Bush – "offenbar war John Kerry der von den Rothschilds favorisierte Kandidat" – dadurch erklären, dass auch "soziale und sozialistische Instrumente im Köcher für die 'Neue Weltordnung' bereitgehalten werden" (HH: 131f.). Ähnlich heißt es an anderer Stelle, dass "die Drahtzieher weit im Hintergrund [...] ihre infamen Pläne" offenbar auch mittels "hinterhältiger Verführung mit sozialen Forderungen" 272

Vgl. dazu mit weiteren Beispielen Oppenhäuser (2019).

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durchsetzen wollten, wobei "die vermeintlich 'sozialen' Ingredienzen fast immer den Charakter von 'sozialistisch' aufweisen" (HH: 118). Dazu dienten NGOs wie etwa ATTAC, das "zum globalisierungskritischen Netzwerk ausgebaut wurde und heute bereits in 33 Ländern aktiv ist sowie in 13 Sprachen kommuniziert" (ebd.). Es sei zwar nicht erkennbar, wer "den fulminanten internationalen Aufbau von Attac finanziert"273 habe, aber "Attac ist bestimmt eines der Instrumente jener, die [...] auf eine 'Neue Weltordnung' zusteuern" (ebd.) meint Hirt, ähnlich wie die 'Nationalen Sozialisten Wernigerode' (vgl. Kap. 5.3.2.1). Noch deutlicher tritt diese Parallele hervor, wenn die folgenden beiden Stellen hinzugenommen werden: So schreibt Hirt erstens, dass die 'Netzwerke', die neben "Spitzenpolitikern und Wissenschaftlern, transnationale Konzerne, also Kapitalgesellschaften mit Verflechtungen in alle wichtigen Wirtschafts- und Finanzbereiche" umfassten, eine "Machtkanalisierung durch Internationalisierung" betrieben und einer "rein materialistischen Philosophie" anhingen, nämlich dem (liberalen) "Glauben an einen globalisierten, grenzenlosen und deshalb effizienten Markt ohne jede Rücksicht auf nationale Gegebenheiten" (HH: 101). Zweitens heißt es, die "Netzwerke kommen ihrem Ziel 'One World' / 'One Currency' immer näher, womit dann die 'Neue Weltordnung' aus ihrer Sicht verwirklicht wäre! Diese im Aufbau befindliche Neue Weltordnung kann per se keine intakten Nationalstaaten dulden" (HH: 94). Anhand der Äquivalenz-Differenzbeziehungen der markierten Elemente lässt sich die IRRATIONALISMUS-Aussage {materialistische Philosophie: (Liberalismus) / (Sozialismus)} / {nationale Gegebenheiten, intakte Nationalstaaten} ebenso rekonstruieren, wie ihre Umschreibung in die ONE-WORLD-Aussage {One World, Internationalisierung: (globalisierter Markt, transnationale Kapitalgesellschaften) / (internationaler Aufbau von Attac)} / {nationale Gegebenheiten, intakte Nationalstaaten} und schließlich deren Transformation in die verschwörungsideologische Version, nach der hinter all dem die JUDEN (Rothschilds) stecken:

273 Hätte Hirt sich im Zuge seiner 'jahrelangen Recherchen' die Mühe gemacht, die Website von Attac Deutschland, die er als Quelle angibt, genauer zu betrachten, hätte er dort ohne weiteres den öffentlichen Haushaltsplan der vergangenen Jahre einsehen und feststellen können, dass es sich im Wesentlichen um eine über Mitgliedsbeiträge finanzierte Organisation handelt. Wenn der Plot der Erzählung, dass es sich bei diesen 'Internationalisten' um ein 'Instrument der (jüdischen) Herrschenden' handeln muss, nicht von Beginn an festgestanden hätte, wäre es sogar möglich gewesen, einen der öffentlichen 'Ratschläge' zu besuchen, auf denen dieser Haushalt jährlich verabschiedet wird.

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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{One World, Neue Weltordnung, Rothschilds, infame Pläne, Netzwerke, Drahtzieher} / {nationale Gegebenheiten, intakte Nationalstaaten}. In diesem Zusammenhang ist auch daran zu erinnern, dass der von Hamer immer wieder ins Spiel gebrachte ehemalige BDS-Vorsitzende Hohmann in seiner berüchtigten Rede einerseits den Sozialismus als 'jüdische Idee' präsentiert und andererseits in exorbitanten Boni-Zahlungen für Manager 'Auswüchse des kapitalistischen Systems' ausgemacht hat, deren Ursprung er in den USA verortet274. Eine genauere Betrachtung verdienen auch die symbolischen Elemente der verschwörungsideologischen Kette {Netzwerke, Drahtzieher}. Das Netzwerk, oder wahlweise das Machtgeflecht, gehört zu den tragenden symbolischen Elementen des gesamten Buches und es liegt nahe, dass auch hier Benoists Globalisierungsbuch, in dem das Netz-Symbol ebenfalls eine zentrale Stellung einnimmt, als Inspirationsquelle gedient hat (vgl. Kap. 6.2.2.2). So könnte etwa die folgende Sequenz ohne weiteres von Benoist stammen, bei dem die netzwerkartige Globalisierung als gleichmacherische Dampfwalze über die Welt kommt: "Die weltweite Vernetzung des Denkens, der Zivilisationen, der Kulturen [...] haben so viele Weltdimensionen geschaffen, daß dadurch regionale, nationale oder eigenkulturelle, aber auch religiöse Dimensionen überrollt werden" (HH: 14). Vor allem im Aufsatz von Hirt wird dann deutlich, wer als Drahtzieher dieser Entwicklung ausgemacht wird, wer also letztendlich die Fäden des Netzwerkes in der Hand hat, wer sie (und sich selbst) "raffiniert vernetzt" (HH: 94), wer zum "innersten Zirkel des Machtgeflechts" (ebd.) gehört und wer zu den "Marionetten von [diesen] reichen Männern im Hintergrund" (HH: 93). In diesem Zusammenhang erscheint Soros als "einer der profiliertesten Exponenten der vernetzten Finanz-Welt, eine der Säulen des globalen Machtgeflechts" (HH: 128). Solche Stellen – an denen das Netzwerk entlang des bildhaft geteilten Fadens zum Drahtzieher und verwandten klassischen Bildelementen verschwörungsideologischer Erzählungen übergeht – zeigen an, wie das zentrale Symbol des Buches zu lesen ist. Erscheint es in der zitierten Einleitungssequenz von Hamer/Hamer noch relativ neutral, deuten sie einige Seiten weiter mit der Rede von den "neuen Herrschaftssysteme[n] der Netzwerke über die Nationen, der 'einzigen Weltmacht' über die Netzwerke und der Hochfinanz über die politische Weltmacht" (HH: 34) bereits klar die Richtung an, die der Beitrag von Hirt dann zu Ende geht, indem er JUDEN als Drahtzieher präsentiert.

274

Vgl. Oppenhäuser (2006: 119ff.).

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

6.3.3 Reterritorialisierung Die Netzwerksymbolik ist auch im Schlusskapitel präsent, in dem die Herausgeber die in der Globalisierungsdebatte obligatorische Frage nach Gewinnern und Verlierern (WETTBEWERB) wie folgt beantworten: "Gewinner sind die Netzwerkmitglieder des Imperialismus, Verlierer die Untertanenvölker […]. Nicht nur die Bedeutung der Staaten hat dadurch abgenommen, sondern auch ihr Verhältnis zu ihren Bürgern sich teilweise aufgelöst. Verlierer der Globalisierung sind also nicht nur die Nationalstaaten, sondern auch deren Bürger, sofern sie nicht in einer 'offenen Weltgesellschaft' sondern in einer Volksidentität leben wollen" (HH: 261).

In dieses Szenario fügt sich einige Seiten weiter die Gegenüberstellung "der globalen Machtgeflechte" und der "Selbstbestimmung der Völker" (HH: 266). Die spezifische Geschichte der 'Gewinner und Verlierer' wurde bereits ausführlich rekonstruiert, bemerkenswert sind darüber hinaus die symbolischen Elemente des Antagonismus {Gewinner: globale Machtgeflechte, Netzwerkmitglieder, offene Weltgesellschaft, Auflösung} / {Verlierer: Volksidentität, Selbstbestimmung der Völker, Nationalstaaten}. Hier zeigt die negative Wertung der deterritorialisierenden Netze, die auch bei Benoist zu beobachten war (vgl. Kapitel 6.2.2.2). Die Deterritorialisierung als Konnotat der Netzwerk-Symbolik zieht sich durch das gesamte Buch. Besonders explizit ist auch in dieser Hinsicht der Beitrag von Hirt, der den bezeichnenden Titel "Netzwerke statt Nationen" hat und schon im ersten Satz betont, dass die "Netzwerke [...] über alle Grenzen hinweg" (HH: 89) reichen. Dementsprechend wird hier eine ganze Reihe von Symbolen der Deterritorialisierung in Äquivalenz zu den Netzwerken eingesetzt. Insbesondere wird die oben bereits geschilderte Deutung der US-Geldpolitik (vgl. Kapitel 6.3.2.2) hier in folgender symbolischer Version wiederholt: Die "Hochfinanz" betreibt eine gezielte "Flutung der Märkte mit Papiergeld" (HH: 138), diese "Flut von Papiergeld" führt zu einem globalen "Meer von Liquidität" bzw. einer "global bubble of liquidity" (HH: 90). Dabei ist die Flutung äquivalent zum Vagabundieren und die 'Hochfinanz' zum Machtgeflecht: "Denn [...] das meiste Geld ist Giralgeld, das [...] durch die Welt vagabundiert oder in einem der Investitionskanäle versickert [...] und weil diese Finanzmaschine im globalen Machtgeflecht eine tragende Rolle spielt, ist die Hochfinanz parallel zur Liquiditätsausweitung immer mächtiger geworden. Für sie läuft [...] das Geld um die Welt" (HH: 90f.).

6.3.3.1 Starke Männerkörper gegen Inflation, Wohlfahrtstaat und Demokratie Im Zusammenhang mit den Geldfluten zeigt sich auch einmal mehr die sexuelle Konnotation der Deterritorialisierungssymbolik. Laut Hirt hat "die Finanzwelt [...] nicht nur die Kreditnachfrage der Unternehmen – eine ihrer Hauptaufgaben –

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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befriedigt, sondern darüber hinaus, quasi zur 'Selbstbefriedigung', ein Meer von Liquidität für mehrere Spielwiesen geschaffen" (HH: 90). So entstand der "kraftvoll missbrauchte, pervertierte Kapitalismus unserer Tage [...]. Nicht der Kapitalismus hat versagt, sondern sein Missbrauch durch die Hochfinanz, deren Flutung der Märkte mit Papiergeld hat das Desaster verursacht" (HH: 138). Denn die "globale Liquidität […] [ist] losgelöst von der Kraft der Volkswirtschaft und vom persönlichen Leistungsvermögen der Bürger", das heißt der starken Unternehmer, die starke Betriebe machen (vgl. HH: 79). In dieses Bild passt auch, dass Hamer ein ums andere Mal die "ungehemmte Vermehrung des Dollar" (HH: 66) bzw. die "hemmungslos vermehrte [...] Privatwährung der US-Hochfinanz" (HH: 73) beklagt, während die von ihm geforderte unabhängige Zentralbank sich am "Urmodell der Deutschen Bundesbank vor ihrer Kastration in die Euro-Bank" (HH: 76) orientieren soll. In Äquivalenz zu den ambivalenten Bildern der Deterritorialisierung {Flutung, Meer} finden sich auf der symbolischen Ebene also zahlreiche, teils negativ konnotierte, sexuelle Bilder {Perversion, Selbstbefriedigung, Spielwiesen, Missbrauch, ungehemmte Vermehrung}. In deren Zentrum steht ein sexuell (in)aktiver Männerkörper {(kraftvoll, Befriedigung) / (versagen, Kastration)}. Auf der Ebene der Subscriptiones wird dabei zunächst die verschwörungsideologische Erzählung von der internationalen Finanzoligarchie als vielgestaltige Perversion des Kapitalismus wiederholt. Dabei wird die Oligarchie unter anderem mit {Selbstbefriedigung, Missbrauch und ungehemmter Vermehrung} verknüpft. Durch diese Entwicklung werde die Kraft und das Leistungsvermögen des männlichen Körpers überfordert. Auf der Ebene der Subscriptiones betrifft dies den Nationalstaat, den Unternehmer und die Zentralbank. Als positives Bild erscheint im Umkehrschluss eine Situation, in welcher der Finanzsektor der Befriedigung der Unternehmen dient und von einem starken Nationalstaat respektive einer potenten Zentralbank275 reguliert wird. An dieser Stelle, bei der Abhandlung der Thematik des Staates im symbolischen Feld der Sexualität, ist zudem ein Übergang zur Kritik des WOHLFAHRTSTAATES zu beobachten. In den Worten von Hirt hat die "Flut aus Papiergeld [...] als verführerischer Köder viele unserer Politiker zu [...] nicht verantwortbarer Umverteilung [...] verleitet" (HH: 90) und "auch die Bürger sind den Verlockungen der rasanten Geldversorgung erlegen" (HH: 91). "In den westlichen Wohlfahrtsstaaten hat die große Mehrheit der Menschen, verführt von Machtpolitikern und Finanz-Industrie, einen großen Teil der Freiheit längst gegen staatliche Umsorgung 275 Diese Zentralbank soll (analog zum alten Goldstandard) zur Deckung der Währung mit einer Geldware verpflichtet werden, während ihr das Halten von Devisenreserven verboten werden soll. Zudem soll sie auf dieser Basis rein der Geldwertstabilität verpflichtet sein (vgl. HH: 275f.). In diesem Zusammenhang fungiert der Anker als reterritorialisierendes Symbol der Geldware, die auf der Bildebene kohärent dem Meer von Liquidität gegenübersteht (vgl. HH: 90f.).

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

eingetauscht" (HH: 92). Die "Flut von Papiergeld hat [...] als verführerischer Köder viele unserer Politiker zu undiszipliniertem Schlendrian, nicht verantwortbarer Umverteilung und fortlaufender Machtausweitung zulasten der Bürger verleitet, sowie die Menschen in ihrem Wunsch nach steigendem Wohlstand beglückt" (HH: 90). Die "Finanz-Industrie einerseits, der Menschen Lechzen nach Wohlstand andererseits" (HH: 140) sind zwei Seiten einer negativen Medaille, denn erstere betreibt "hinterhältige Verführungen mit sozialen Forderungen" (HH: 118).

Die Empfänger*innen von Transferzahlungen erscheinen als begehrende Masse, die vom Wohlfahrtsstaat beglückt wird, wobei letztlich beide den Verführungen der 'Finanz-Industrie' erliegen. Hier kommt die gleiche Symbolik zum Einsatz, die in Kapitel 3.2.5 am Beispiel Carl Schmitts und seiner heutigen Epigonen im Umfeld der NPD herausgestellt wurde – die weibliche, begehrende Masse und der unmännlich-weibliche WOHLFAHRTSTAAT. Für Hirt ist die erzählte Situation Ausdruck "des [staatlichen] Versagens" (HH: 138) und Hamer zeichnet das Bild "des üppigsten Sozialsystems der Welt […], das international so attraktiv ist" (HH: 147) und dabei "immer gieriger und hemmungsloser nach Lohn und Einkommen, nach dem Vermögen und nach Erbschaften der Bürger greift" (HH: 148). Auch in den Lösungsperspektiven folgen die Autoren Carl Schmitt und zwar sowohl auf der symbolisch-erzählerischen als auch auf der (intendierten) praktischpolitischen Ebene. Gegen den üppigen Wohlfahrtsstaat stellt Hamer das "Abschlanken [...] des Sozialstaates" (HH: 146) und Hirt hält für "die Rückkehr in stabile, gesunde Verhältnisse [...] einschneidende Währungsreformen" (HH: 138) für notwendig. Die gesunde Wirtschaft braucht den starken Staat, der zu schmerzhaften Einschnitten fähig ist, einen {männlich-starken-schlanken} Staat im Gegensatz zum {unmännlich-versagenden-weiblich-üppigen} demokratischen WOHLFAHRTSSTAAT. Denn bei den einschneidenden Reformen geht es Hirt keineswegs nur um Währungsfragen (die Dollarerzählung): "Dringend anstehende Reformen können nicht umgesetzt werden, weil pflichtbewußte […] Politiker die ein notwendiges, aber unpopuläres Programm vorlegen, entweder nicht gewählt, oder bei nächster Gelegenheit abgewählt werden" (HH: 137). Hier "drängt sich" Hirt der Verdacht auf, "der Mensch sei im Grunde gar nicht demokratiefähig", denn "[l]eider sind westliche Demokratien heutigen Zuschnitts, zumindest für die Wirtschaft, kein optimales System" (ebd.). In exakt diesem Sinne sprechen die Herausgeber im Einleitungsaufsatz von einer "verharrschten, von Gewerkschaften und 600 Lobbyistenverbänden sowie von sozialverwöhnten Wählern beherrschten Gefälligkeitsdemokratien" (HH: 27). Einige Seiten zuvor bezeichnen sie die Demokratie als "Gutwettersystem" und beklagen, dass "die direkte Demokratie zur indirekten Parteiendemokratie umgemünzt worden sei" und dass "im modernen Parlamentarismus die Demokratie auch dadurch umfunktioniert worden [sei], daß das Parlament nicht mehr dazu da ist, die Regierung zu kontrollieren" (HH: 19f.), sondern die Regierung mehrheitlich

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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stützt. Dieses Motiv nimmt Eberhard Hamer später im Aufsatz "Entdemokratisierung durch Zentralisierung" wieder auf, in dem auch das einschlägige Argument der "Gewaltenteilung" (HH: 206) fällt, die durch die parlamentarische Regierungsbildung verletzt werde. Auch dieser Schmittsche Antagonismus, die DEMOKRATIE-Aussage, wird also reproduziert: {Demokratie, Gewaltenteilung} / {Parteiendemokratie, Parlamentarismus, Herrschaft von Gewerkschaften und Lobbyisten}. Brigadegeneral a.D. Reinhard Uhle-Wettler, der sich in seinem Blick auf die Lage nicht lange mit wirtschaftlichen Fragen aufhält, bleibt es vorbehalten, Schmitt direkt zu zitieren und die militärische Komponente der geschlechtlichen Körper {männlich: Kraft, Vitalität, Führung} / {weiblich-unmännlich: Schwäche, Versagen, Willigkeit} zu ergänzen: "Ob nun aber die hochzivilisierten Völker die Kraft und Vitalität zur Selbstbehauptung [...] aufbringen, ist nicht sicher. [...] Ganz offensichtlich hat hier die politische Klasse vollständig versagt, das im Grunde willige Volk braucht Führung. [...] Um dies zu verstärken fügen wir eine wichtige Feststellung des scharfsichtigen und weitblickenden Staatsrechtlers Professor Carl Schmitt aus seinem Text 'Der Begriff des Politischen' an: 'Dadurch, dass ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, verschwindet das Politische nicht, es verschwindet nur ein schwaches Volk'" (HH: 184).

Die Männerphantasien, die Theweleit (2000) am Beispiel der Freikorps herausgestellt hat, strukturieren offensichtlich auch den Habitus eines bundesrepublikanischen Generals a.D.. Der im Grunde willige weibliche Körper des Volkes ruft nach männlicher Führung durch das Staatspersonal. Diese doppelte Geringschätzung – von Frauen und zugleich der Demokratie – scheint in der Tat konstitutiv für einen militärischen Habitus zu sein, und genau wie in Schmitts Text 'Starker Staat und gesunde Wirtschaft' aus dem Jahr 1932 (vgl. Kapitel 3.2.4.6), trifft sich dieses Ressentiment gegen die Demokratie noch heute mit jenem der Bürger, die ihren privat akkumulierten Reichtum durch die demokratische Durchsetzung eines Wohlfahrtstaates bedroht sehen. In dieses Bild passt auch, dass Eberhard Hamer sich im Zusammenhang mit dem zunehmenden Einfluss supranationaler Institutionen ausgerechnet darüber mokiert, dass die deutsche Regierung die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes akzeptiert hat, nach der "auch Frauen in der Bundeswehr dienen dürfen" (HH: 205). Ebenso passt die Forderung der Herausgeber, dass "die nationalen Streitkräfte wieder im Inland für Sicherheit sorgen", das heißt, "daß sie im Falle von Unruhen im Inland Ordnung schaffen dürfen, was das Grundgesetz bisher noch nicht

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

erlaubt" (HH: 279). Abgesehen davon bleiben die institutionellen Konsequenzen der Staatserzählung allerdings weitgehend unklar. Ein konkretes 'Schlechtwettersystem' als Alternative zum 'Gutwettersystem der Demokratie' wird nicht entworfen. Es bleibt bei der dunklen Andeutung Eberhard Hamers, "eine globale Krise [...] könnte die Wut bei der Bevölkerung auch zur Wut über das Versagen der Restdemokratie führen und wiederum ganz andere politische Strukturen begünstigen" (HH: 208). Im Falle von Krisen und Unruhen steht die Demokratie hier offensichtlich zur Disposition und Carl Schmitt gibt für diesen Fall die Marschrichtung vor. Dass dies nicht weiter ausgeführt wird, liegt unter anderem daran, dass diese Situation nicht unmittelbar auf der Tagesordnung steht. Zentral ist für die Autoren vielmehr die zunehmende Konzentration von Entscheidungskompetenzen in formellen und informellen Institutionen auf supranationaler Ebene, gegen die sie nebst der dominanten verschwörungsideologischen Deutung auch das nicht von der Hand zu weisende Argument der mangelnden demokratischen Legitimation vorbringen. Wobei auch hier ein eigenwilliges Verständnis von Demokratie zum Vorschein kommt, das deutlich auf die materiellen Interessen der primär regional aktiven Kapitalfraktion zugeschnitten ist. Eberhard Hamer geht in diesem Zusammenhang gar so weit, die demokratische Staatsform mit dem bürgerlichen Mittelstand unmittelbar gleichzusetzen: "Der bürgerliche Mittelstand, dessen Staatsform die Demokratie ist, steht [...] in einer ständigen Abwehrstellung gegenüber den beiden kollektiven Machtansprüchen der Kapitaleliten einerseits und der Sozialfunktionäre andererseits, um seine individuelle Freiheit, Mündigkeit und Rechtsgleichheit ihnen gegenüber zu verteidigen" (HH: 200).

Auch beim Thema Demokratie zeigt sich die eingangs herausgestellte Ambivalenz, die sich aus der doppelseitigen 'Abwehrstellung' des Mittelstandes ergibt. Wie so manches Element der bürgerlichen Wirtschaftstheorie sei auch die Demokratie zwar 'theoretisch richtig', praktisch aber nur dann, wenn sie der Durchsetzung der eigenen Interessen nicht zuwiderläuft (vgl. HH 19ff.). Die Linie der Verteidigung dieser spezifischen Form von Demokratie gegen 'die Sozialfunktionäre', also gegen demokratische Forderungen nach einem Wohlfahrtsstaat, war gerade zu sehen: Hier 'bedarf es eines starken Staates, der unpopuläre aber notwendige Einschnitte vornehmen kann'. Mit Blick auf 'die Kapitaleliten' wird dagegen eine "Rückdemokratisierung/Dezentralisierung" (HH: 272, vgl. ebd. 266) gefordert, das heißt eine Rücknahme politischer und administrativer Kompetenzen von der supranationalen auf die nationale und von dort auf die regionale, beziehungsweise kommunale Ebene. Auch hier bleibt es bei dieser allgemein gehaltenen Proklamation, deren materieller Kern aber deutlich zu erkennen ist. Es geht ganz explizit darum, den Einfluss der mittelständischen Kapitalfraktion – nicht zuletzt im Verhältnis zu den transnationalen Fraktionen – auf politische Entscheidungen auszuweiten. Das zentrale Problem der Autoren mit den formellen und informellen supranationalen

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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Institutionen bringt Hirt im Rahmen seiner verschwörungsideologischen Deutung derselben auf den Punkt: "Auf nationaler Ebene operierende Unternehmen und damit der gesamte Mittelstand sind ausgeschlossen; Zugang haben [...] nur transnationale Konzerne" (HH: 101). Genau das bildet auch den Hintergrund der einleitenden Polemik der Herausgeber gegen die 'Bosse der Weltkonzerne, die Weltmächte usw.' die sich in Davos beim WORD ECONOMIC FORUM versammeln (vgl. Kapitel 6.3.1.2). Komplementär dazu wird in einem Betrag von Rainer Gebhardt unter dem Titel "Verwaltungszentralisierung infolge der Globalisierung" die zunehmende Kompetenzverlagerung von den Kommunen über die Länder und den Bund hin zu supranationalen Institutionen beklagt, weil "der Verlust der Kompetenzen auf kommunaler Ebene bedeutet, dass für die meisten Mittelständler und Bürger der direkte Ansprechpartner verloren geht" (HH: 212). Gefordert wird dementsprechend eine dezentrale Verwaltung zu der "gehört, dass alles was für den Bürger und Unternehmer vor Ort erledigt werden kann, woran der Bürger bzw. Unternehmer beteiligt sein sollte und wofür diesen auch ein Kontrollrecht eingeräumt werden könnte, in der örtlichen Verwaltung auszuführen ist. [...] Wichtig erscheint darüber hinaus auch, dass die Gebietskörperschaften wieder in kleinere Einheiten hinsichtlich der parlamentarischen Kompetenz aufgespaltet werden, dass also alle die Bürger und Unternehmer direkt betreffenden Entscheidungen auch von diesen unmittelbar getroffen werden können und nicht von den supranationalen Konzernen und Politikern zudiktiert werden" (HH: 121f.).

Überspitzt formuliert heißt Demokratie hier, dass der 'Unternehmer-Bürger' mit dem Bürgermeister, dem Landrat oder dem Ministerpräsidenten des Landes 'Du auf Du' klärt, 'was für ihn getan werden kann' und unter bestimmten Einschränkungen auch noch, dass das gleiche zwischen Vertretern nationaler Konzerne und der Bundesregierung stattfindet. Nicht demokratisch sind dagegen Forderungen von Gewerkschaften oder auf UN-Ebene verhandelte "Vereinbarungen zum Umwelt- und Artenschutz, wie z.B. das Kyoto-Protokoll" (HH: 201). Theoretisch gerahmt wird dieses – gegen 'Einflüsse von unten und von außen' gerichtete – Demokratieverständnis durch eine zentrale Figur Carl Schmitts, nämlich die Bestimmung von Demokratie über eine in der 'nationalen Homogenität' verdichtete 'Reihe von Identitäten' (vgl. Kapitel 3.2.4.4). Diese Figur taucht in unterschiedlichen Varianten in allen Kapiteln des Buches auf, in denen der Demokratiebegriff angesprochen wird. Bereits in der Einleitung unterscheiden Hamer/Hamer, wie bereits zitiert, zwischen 'Demokratie' und 'modernen Parlamentarismus' und klagen über die Verlagerung nationalstaatlicher Kompetenzen an die EU. In diesem Zusammenhang erklären sie das fehlende "Bedauern über den Demokratieverlust" mit dem "Verlust der nationalen Identität, nationaler Gebräuche, nationaler Produkte oder nationalen Volkstums" (HH: 20). In ihrem Fazit heißt es im Zusammenhang mit der Forderung nach 'Rückdemokratisierung':

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

"Die Menschen sind nicht anonym, einheitlich und gleichartig; sie wollen in einer überschaubaren sozialen Ordnung leben. [...] Demokratie lässt sich nicht weltweit ausdehnen, sondern braucht den abgegrenzten, regionalen Bereich, in dem sich die Menschen gleicher Sprache, gleicher Kultur, gleicher Sitten und gleicher moralischer Grundsätze noch identifizieren können" (HH: 273).

Die schlichte verschwörungsideologische Variante von Hirt lautet: Die "im Aufbau befindliche Neue Weltordnung kann per se keine intakten Nationalstaaten dulden, weshalb die Bürger möglichst subtil (auch auf verschlungenen Wegen) aus der Verankerung in ihrem vertrauten Vaterland und Umfeld gelöst werden! Deshalb sprießt die verordnete 'Harmonisierung' – meistens ohne demokratische Legitimation – durch alle Facetten des Staates" (HH: 94).

Eine elaborierte Version findet sich dagegen in Hamers Aufsatz zum Thema 'Entdemokratisierung', in dem er aus einem FAZ-Beitrag (287/2004) des Politologen Kielmansegg folgende Passage zitiert: "Für die Demokratie sind Grenzen konstitutiv, weil Gemeinwesen nur innerhalb von Grenzen jene Identität ausbilden können, die es ihnen möglich macht, sich demokratisch zu regieren – die Wir-Identität eines sich als politisches Subjekt begreifenden Volkes. Die Staaten aber, die das begrenzende Gehäuse der Demokratie sind, verlieren die Kontrolle über die Politik. Ihre durch das Prinzip der Territorialität begrenzten Handlungsmöglichkeiten greifen immer weniger in einer sich immer stärker vernetzenden, globalisierenden Welt" (HH: 202).

Die Äquivalenz-Differenz-Beziehung der zentralen Elemente ergeben (in der Reihenfolge der Zitate) folgenden Antagonismus: {Demokratie: nationale Identität, nationale Gebräuche, nationale Produkte, nationales Volkstum, gleiche Sprache, gleiche Kultur, gleiche Sitten, gleiche moralische Grundsätze, intakte Nationalstaaten, Vaterland, Identität, Wir-Identität eines Volkes, Staat, Territorialität} / {Anonymität, Einheitlichkeit und Gleichartigkeit der Menschen, Neue Weltordnung, Harmonisierung, globalisierte Welt}. Schmitts 'Reihe der Identitäten', die im Grunde nichts anderes ist als das Äquivalentsetzen von Demokratie und VOLK-Aussage, ist in der positiven Kette deutlich zu erkennen. Dieses Prinzip wird in der negativen Kette einer 'Vereinheitlichung der Menschen im Zuge der Globalisierung' entgegengestellt. Dementsprechend setzt der Antagonismus der symbolischen Elemente {abgegrenzter Bereich, innerhalb von Grenzen, begrenzendes Gehäuse} / {weltweite Ausdehnung, gelöste Verankerung, vernetze Welt, offene Weltgesellschaft, Auflösung}276 276 Die letzten beiden Elemente wurden hier ergänzt, weil sie an anderer Stelle im gleichen Zusammenhang gebraucht werden, nämlich als Teil des Antagonismus {Globalisierung, offene Weltgesellschaft,

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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das zentrale Element der Grenze gegen die als DETERRITORIALISIERUNG präsentierte Globalisierung. Wird diesem Element der Offenheit/Geschlossenheit der nationalstaatlichen Grenze bei Hamer/Hamer nachgegangen, zeigt sich die Bedeutung zweier Punkte, die Schmitt bei der Ausarbeitung dieses spezifischen Demokratiebegriffs offengelegt hatte (vgl. Kapitel 3.2.4.3): Erstens die 'Ausscheidung des Heterogenen', die zeitgenössisch als Abwehr von AUSLÄNDERN erscheint und zweites die Angst vor 'der ungeheuren Mehrheit der Farbigen', das heißt heute die Angst vor der GLOBALEN MENGE. 6.3.3.2 Geschlossen gegen die globale Menge Das zentrale Symbol in diesem Zusammenhang ist die Abschottung, die Hamer/Hamer zugleich gegen die Konkurrenz der Transnationalen Konzerne wenden. Sie zeichnen ein symbolisches Krisenszenario, das mit der Warnung ansetzt, "daß eine global vernetzte Welt auch global im Dominoeffekt zusammenbrechen kann" (HH: 30) und führen dies mit dem Bild eines reißenden Sturzbaches fort: "Der Zusammenbruch eines global players wird dann wie ein Gewitter in der Krise zum Sturzbach, der die ganze Weltwirtschaft mit in die Krise reißen kann. [...] Nur Länder die wenig globalisiert sind […], sich also weitgehend noch abgeschottet haben [...], können ihren nationalen Markt mit der Schließung der Grenzen vor schädlichen Globalisierungsfolgen schützen. Alle anderen globalisierten Märkte und Volkswirtschaften werden [...] mit in die Krise gerissen" (HH: 30f.).

Die Prognose einer globalen Krise und der Hinweis auf die "Vernetzung der global players (Banken, Versicherungen, Großkonzerne) überall in der Welt" (HH: 30) selbst, waren freilich nicht unbegründet, wie die globale Krise ab 2008 gezeigt hat. Zudem deckt sich die symbolische Kodierung dieser Krise in den MainstreamMedien (Gewitter, Vernetzung, Dominoeffekt, Fluten etc.) 277 mit jener von Hamer/Hamer. Die Besonderheit der Letzteren liegt alleine in der auf der Bildebene kohärenten Zuspitzung auf die Abschottung bzw. Schließung der Grenzen. Diese Ausarbeitung der eigenen diskursiven Position auf der Basis gängiger Kollektivsymbolik ist auch wenige Seiten zuvor zu sehen. Dort wird die Deregulierung des europäischen Zuckermarktes als Überschwemmung codiert (vgl. HH: 28f.). Dabei überkreuzen sich die beiden zentralen Negativpole der Abschottungserzählung, nämlich die 'US-Monopole' (vgl. Kapitel 6.3.2.2) und die Produktion in 'Billiglohnländern'. Bezogen auf Letztere lautet die allgemeine Erzählung:

Auflösung} / {Nationalstaat, Volksidentität}. Die entsprechende Stelle (vgl. HH: 261) wurde oben, eingangs von Kapitel 6.3.3 zitiert. 277 Vgl. Link (2009).

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

"Die Globalisierungswirkung [...] spüren alle Hochlohnländer durch Abwanderung ihrer Produktion in Billiglohnländer. [...] Verlierer sind dabei die reichen Länder mit hohen Löhnen, hohem Einkommen und deshalb hohem Wohlstand. Es gibt keine Wassersäulen im Teich, wenn man den Schutzeimer weggezogen hat. Die Globalisierung schleift also die Wohlstandsinseln ab und führt bei den reichen Ländern zur Verarmung" (HH: 26).

Damit ist die Aussage GLOBALE MENGE {Hochlohnländer, Wohlstandsinsel} / {Billiglohnländer, Teich} realisiert. Was sind die Konsequenzen daraus für die Autoren, die selbst immer wieder die Höhe der Lohn(neben)kosten beklagen? Das zentrale Problem liegt für sie im "global sourcing" der Konzerne, welche die "mittelständischen Zulieferer aus den Hochlohnländern durch Zulieferer aus den Billiglohnländern" (HH: 86) ersetzen. "Im Interesse des Mittelstandes läge also, die Globalisierung zu zähmen, sie so lange abzuschotten wie sie Chancenungleichheit schafft" (HH: 87), das heißt, so lange bestimmte Unternehmen/Branchen der Konkurrenz auf dem Weltmarkt unterlegen sind. Die politische Entsprechung des Schotts bzw. Schutzeimers sind freilich auch hier Zölle (vgl. Kapitel 6.3.1.2). Dieser Forderung und ihre symbolische Präsentation im Antagonismus {Öffnung, Schwemme, Teich} / {geschlossen, Schott, Insel} ist ein zentrales Element der HANDELSSTAAT-Aussage. Hinzu kommt an anderen Stellen (vgl. Kapitel 6.3.2) der entsprechende Gegensatz {Volkswirtschaft} / {Weltwirtschaft}. Allerdings fällt weder der Begriff des Handelsstaates selbst, noch wird ein Akzent auf diesen Zusammenhang gelegt. Ganz im Gegenteil lavieren Hamer/Hamer an diesem Punkt so sehr, dass sie noch die Forderung nach Zöllen unter der Überschrift der 'Sicherung des Freihandels' präsentieren, weil sie den Nutzen des globalen Handelsregimes für die 'Wohlstandsinseln' (Rohstoffe, Vorprodukte, Exportmärkte, Anlagemöglichkeiten) durchaus sehen und nicht in Frage stellen wollen. Hier zeigt sich ihre spezifische Verkehrung der KRITIK-POSITION (Zähmung, Chancengleichheit) besonders deutlich. Während die desaströsen Auswirkungen des Freihandels auf zahlreiche Länder der südlichen Hemisphäre implizit akzeptiert werden, sollen die Märkte der Industriestaaten noch zusätzlich durch Zölle geschlossen werden. Eine weitere Variante der Erzählung von der Bedrohung 'unseres Wohlstandes' durch die GLOBALE MENGE präsentieren die Autoren mit dem Bild zweier übereinander liegender Teiche: "Wenn zwei übereinander gelegene Teiche miteinander verbunden werden fließt immer der obere in den unteren, wird der Obere trockengelegt. Und wenn ein Hochlohnland und ein Billiglohnland [...] miteinander verbunden werden, müssen zwangsläufig die Investitionen und Arbeitsplätze aus dem Hochlohnland in die Billiglohnländer abwandern" (HH: 85).

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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Nahezu identisch findet sich dieses Bild auch im Kapitel zum Thema "Globalisierung der Arbeitsmärkte" (vgl. HH: 158), wobei hier ein Strom in die andere Richtung fließt, nämlich die Migration. Dies ist die zweite Form, in der die GLOBALE MENGE das 'nationale Wir' in der Erzählung von Hamer/Hamer bedroht. So ist im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung zu lesen, "daß der Hochlohnarbeitsmarkt der Alt-EU vor dem Zustrom von Billiglöhnern aus dem Osten und gleichzeitig vor der Abwanderung von Arbeitsplätzen aus den Hochlohnländern in die Billiglohnländer nicht mehr zu retten ist" (HH: 158)278. Damit ist der Plot des ganzen Kapitels vorweggenommen: Die "internationale Öffnung" der Arbeitsmärkte bringt "grenzenlose Konkurrenz" (HH: 156) auf den "bisher national geschlossenen" (HH: 157) Märkten. Entsprechend werden mehrere Jahrzehnte deutscher Migrationspolitik (von den Anwerbeverträgen bis zur EU-Osterweiterung) beurteilt. Diese sei allein im Interesse der "Großwirtschaft" gewesen und habe dazu geführt, "dass der Massenansturm ins Hochlohnland [...] den Arbeitsmarkt überschwemmt" (HH: 160) habe. Im Schlusskapitel wird dieser Punkt noch einmal aufgegriffen, wobei der Mittelstand – der auch an anderer Stelle des Öfteren ausdrücklich als "ortsgebunden" (HH: 258, vgl. 80) präsentiert wird – auf der symbolischen Ebene ganz explizit als reterritorialisierendes Moment im Gegensatz zum deterritorialisierenden Komplex Großwirtschaft-Weltmärkte-Migration erscheint: "Der Mittelstand würde Fachkräfte gebrauchen, die in ihren Heimatländern selbst gebraucht, verankert und deshalb seßhaft sind. Hinter der geforderten Freizügigkeit für Arbeitnehmer steht also der Bedarf an mehr und billigeren Arbeitern für die Konzerne", der zu einer "Proletarisierung der Gesellschaft durch unqualifizierte Massenimmigration" (HH: 270) führe.

In diesem Antagonismus {Mittelstand, Facharbeiter: verankert-sesshaft-gebunden-geschlossen} / {Konzerne, Proletarisierung, Massenimmigration: Schwemme-grenzenlos-offen} verdichten sich mehrere Motive des Buches: Die auf den lokalen Markt bezogene Tätigkeit (Ortsgebundenheit) der Klassenfraktion (Mittelstand), ihr doppelter Gegensatz zu anderen Fraktionen (Konzerne) und anderen Klassen (Proletarisierung) und das symbolische Gleiten entlang der RETERRITORIALISIERUNGS-Symbolik zu den verschiedenen Aussagen des nationalistischen Diskurses. Nicht zuletzt wird hier ein spezifisches Identifikationsangebot an gleichermaßen verankerte (Fach-)Arbeiter formuliert.

278 Exakt die gleiche Erzählung findet sich im Spiegel-Spezial (SP), wo im Zuge der EU-Osterweiterung Jobs und Migration in entgegengesetzter Richtung fließen (vgl. Kapitel 4.2.2).

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

6.3.4 Globalisierungskritik: Unternehmer und Arbeiter gegen Monopolkapital und Ausländer Mit Blick auf das gesamte Arbeitsmarkt-Kapitel tritt die Anrufung der ArbeiterArbeitnehmer-Mitarbeiter besonders deutlich hervor. Nachdem zu Beginn eine 'Gemeinschaft von Mitarbeitern und Inhabern' in Abgrenzung zu Gewerkschaften und Kapitalgesellschaften behauptet wurde (vgl. Kapitel 6.3.1.1), heißt es am Ende, nach der Story der 'Immigration im Interesse der Konzerne': "Aufzuklären wird noch sein, weshalb die Gewerkschaften als bezahlte Vertreter der deutschen Arbeitnehmer und Verfechter von Hochlöhnen die Öffnung der Arbeitsmärkte sowie die Globalisierung und das dadurch zwangsläufige Lohndumping zulasten ihrer Mitglieder mitbetrieben haben" (HH: 162).

Die Botschaft an die 'Mitarbeiter' bzw. 'Arbeitnehmer' ist eindeutig: 'Die Gewerkschaften haben eure Interessen (die sich mit denen der mittelständischen Unternehmer decken) verraten', nämlich die Forderung, "daß Inländer Arbeitsplatzvorrang vor Ausländern haben und daß arbeitslose Ausländer das Gastland wieder verlassen müssen" (HH: 163). Das ist das spezifische Angebot, das die Ideologen des Mittelstandes im Rahmen ihrer Globalisierungskritik an die Lohnabhängigen bereithalten. Das gleiche Muster wiederholt sich beim Thema Sozialversicherungen, das im Kapitel mit der bezeichnenden Überschrift "Global offene Sozialsysteme halten nie!" (HH: 165ff.) abgehandelt wird, und dessen zentrale Botschaft sich schon im Einleitungsaufsatz findet: "Wo eben ein sehr üppiges und offenes Sozialsystem herrscht, wird dies so lange eine Sogwirkung auf die Armen der Welt ausüben, bis sich die Sozialbedingungen auf den internationalen Durchschnitt abgesenkt und nivelliert haben. Und wo umgekehrt die Lebensbedingungen ungünstiger sind wird ebenso lange ein Bevölkerungsstrom in die Länder mit günstigeren Bedingungen einsetzen" (HH: 31).

Ein weiteres Mal wird also von Sogwirkungen, eindringenden Strömen und damit verbundener Nivellierung bzw. Absenkung der Lebensbedingungen erzählt. Auch der ideologische Effekt ist der gleiche. Gerade so wie die Interessengegensätze zwischen 'dem Unternehmer und seinen Mitarbeitern' im Antagonismus {Gemeinschaft, nationale Geschlossenheit, …} / {Konzerne, Gewerkschaften, globale Offenheit, Einwanderer} verschwinden, werden auch hier die materiellen Fragen der Finanzierung der Sozialversicherung desartikuliert, beziehungsweise erscheinen als ein Problem, das durch Migration verursacht werde. Wie üblich kommen in dieser Erzählung – in der en passant die Vorzüge privater Krankenund Rentenversicherungen gepriesen werden (vgl. HH: 165) – weder das Umverteilungspotenzial vor, das sich schon alleine aus der stetigen Steigerung der Produktivität ergibt, noch die Beitragszahlungen der Eingewanderten. Stattdessen werden sämtliche Elemente der AUSLÄNDER-Aussage aufgeboten. Im Schluss-

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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kapitel wird die "Belastung der Sozialsysteme" und des "Arbeitsmarktes" (HH: 270), in einer durch Aufzählungszeichen gegliederten Passage mit Ghettobildung, Proletarisierung, Rauschgifthändlern und einigem mehr verknüpft. In einer ähnlichen Liste an anderer Stelle werden noch "'multi-kulti' und Überfremdung" im Gegensatz zur "nationalen Identität" (HH: 259) ergänzt. Die wenigen zitierten Elemente der AUSLÄNDER-Aussage {multi-kulti, Überfremdung, (ökonomische) Belastung, Schwemme} / {nationale Identität} ließen sich mühelos ergänzen und an etlichen weiteren Stellen des Buches belegen. Interessanter ist es allerdings dem Zusammenhang nachzugehen, in dem die Aufzählung an der zuletzt genannten Stelle steht. Diese Aufzählung verknüpft das Thema 'Migration' nämlich mit weiteren Kernthemen des Buches, darunter die 'Bedrohung der Meinungsfreiheit' ('Political Correctness'), die 'Billiglohnländer' und die 'Monopolisierung durch die (US-)Hochfinanz'. Angeblich – nach einer nicht weiter belegten "Umfrage des Mittelstandsinstitutes" – sind dies die Gründe dafür, dass "85% der Menschen aus Mittelstand und Arbeiterschaft vor der Globalisierung Angst" (HH: 259) haben. Diese Verknüpfung von Bedrohungsgefühlen angesichts der politisch-ökonomischen Transformationen, die medial unter dem Schlagwort Globalisierung besprochen werden, mit den Kernthemen des nationalistischen Feldes, dient in erster Linie dazu, eine KRITIK-POSITION jenseits der 'sozialistischen' (vgl. Kapitel 6.3.1.2) zu entwickeln, die unmittelbar darauf explizit angesprochen wird: "Nicht zufällig hat die Kapitalismuskritik der Sozialisten [d.h. Münteferings Heuschrecken-Aussage] die vorstehenden Ängste der Menschen angesprochen und hat vor allem in den unteren Schichten der Arbeitnehmer ungeheure Resonanz erzielt", resümieren die Autoren, um direkt im Anschluss noch einmal auf "die wachsende Migration aus Billiglohnländern" (HH: 260) und so weiter zu sprechen zu kommen. Inhaltlich schließt daran die SOZIALSTAAT-Aussage an, also die Verteidigung des 'Sozialstaates' als 'homogenem Nationalstaat', bei gleichzeitiger Kritik des umverteilenden WOHLFAHRTSSTAATES (vgl. Kapitel 6.3.3.1), die an mehreren Stellen des Buches reproduziert wird. So heißt es im Resümee zum Thema 'Arbeitsmärkte und Sozialsysteme' am Ende des Buches: "Globale Freizügigkeit widerspricht [...] nicht nur der Identität der einzelnen Völker, sondern auch der von den Nationalstaaten verlangten Solidarität zur Umverteilung" (HH: 271). Die gleiche Figur findet sich im Einleitungsaufsatz (vgl. HH: 33) in jener Passage, in der die Aussage ONE WORLD mit all ihren Bezügen zu den anderen zentralen Aussagen des nationalistischen Feldes – inklusive {Multi-Kulti} / {nationale Identität} entfaltet wird (vgl. Kapitel 6.3.2). Am deutlichsten ist die Formulierung im Kapitel

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

'Gewinner und Verlierer der Globalisierung', in dem die Herausgeber folgendes schreiben: Mit der "Entnationalisierung" im Zuge der Globalisierung werde "auch das Solidaritätsband einer Volksgemeinschaft zerstört", auf dem aber "das Recht zur Besteuerung der Bürger" und damit das "umverteilende Sozialsystem" ruhe. Wo "Nation und Staatsvolk unerwünscht und durch den 'Weltbürger' ersetzt sind [...], gibt es streng genommen keine Solidarpflicht mehr für den Mittelstand, die nationalen Subventionen an die Konzernbetriebe und die Sozialleistungen für die Arbeiterschichten zu finanzieren" (HH: 255).

Der Antagonismus der SOZIALSTAAT-Aussage ist in diesen Formulierungen deutlich zu erkennen: {Solidarität, umverteilendes Sozialsystem, Sozialleistungen für die Arbeiterschichten, Volksgemeinschaft, Nation, Staatsvolk, Identität} / {Globale Freizügigkeit, Entnationalisierung, Multi-Kulti, 'Weltbürger'}. Die Fahnenwörter der 'Sozialisten' (Solidarität, Umverteilung, Sozialleistungen), die keinerlei Entsprechung in den zentralen Forderungen der Autoren haben, werden im Antagonismus {Volksgemeinschaft} / {multikulturelle Gesellschaft} reartikuliert, so dass Verteilungskämpfe zum Kampf gegen AUSLÄNDER ('Arbeitsplatzvorrang plus Abschiebung bei Arbeitslosigkeit') mutieren. Zugleich ist an die Negativ-Kette des Antagonismus mit Elementen wie 'Weltbürger' und 'Entnationalisierung' auch der gesamte Themen-Komplex 'Globalisierung' angeschlossen. Zusammengenommen mit der oben zitierte Formulierung wonach '85% der Menschen aus Mittelstand und Arbeiterschaft' Angst vor der Globalisierung haben, ergibt dies die zweite Linie, in der die KRITIK-POSITION der 'Sozialisten' bearbeitet wird, nämlich die Reartikulation von 'Arbeiterschaft und Mittelstand' als 'Volk' im Gegensatz zu 'den Monopolisten' beziehungsweise zur '(US-)Hochfinanz', die dann wiederum punktuell als JUDEN markiert werden (vgl. Kapitel 6.3.2.4). Im Kapitel 'Gewinner und Verlierer der Globalisierung' gehen die Autoren soweit, dies als populistischen Antagonismus mit dem Negativpol 'der Reichen' zu artikulieren: "Ebenso wie unter den Unternehmen Hochfinanz und Konzerne die großen Gewinner der Globalisierung, die mittelständischen Personalunternehmen aber die Verlierer dieser Entwicklung sind, gilt auch für die gesellschaftlichen Gruppen, daß den größten Vorteil von der Globalisierung die kleine Schicht der Reichen hat. Nur sie können nämlich die globalen Freiheiten für sich selbst ausreichend nutzen: - die Freiheit des Kapitalverkehrs, um dort zu investieren, wo die Renditen am höchsten sind, [...] Wenn deshalb sozialistische Politiker immer wieder die Neidformel von angeblich notwendiger Besteuerung der 'Reichen' ableiern, ist dies längst überholt. Gerade diese Bevölkerungsgruppe hat die globalisierten Freiheiten längst genutzt, um sich allen Zugriffsmöglichkeiten nationaler Staaten am schnellsten und sichersten zu entziehen. Denn sie sind personale Gewinner der Globalisierung" (HH: 258).

6.3 Hamer und Hamer: Wie kann der Mittelstand die Globalisierung bestehen?

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Analog zur Unterscheidung von 'Konzernen' und 'Unternehmen' wird zwischen Reichen und in Anführungszeichen gesetzten 'Reichen' unterschieden, die zu Unrecht von den 'Neidformeln' und der Fiskalpolitik 'sozialistischer Politiker' getroffen würden. Darauf folgt die oben zitierte Passage, in der Verständnis dafür geäußert wird, dass die 'Kapitalismuskritik der Sozialisten' Anklang bei den Arbeitnehmern findet und anschließend wird noch einmal wiederholt: "Zusammenfassend gibt es also nur eine gesellschaftliche Gruppe – die Reichen –, für welche die globalisierten Freiheiten eindeutiger Vorteil sind […]. Für die 95% übrigen Bevölkerungsgruppen dagegen sind die Globalisierungswirkungen [...] jedoch regelmäßig negativ. Die Masse unseres deutschen Volkes ist in der Globalisierung Verlierer" (HH: 261).

Während die Reichen beziehungsweise "die Kapitaleigner Gewinner der Globalisierung" sind, finden sich die "mittelständischen Unternehmer" – die fürchten, dass sie "um ihr erspartes Vermögen gebracht" werden (das freilich hier nicht als Kapital gilt)279 – auf Seiten der 'Masse des Volkes' wieder, dessen "Einkommen und Renten gedrückt" (HH: 262f.) werden. Diese Anordnung von gesellschaftlichen Gruppen wird auch graphisch umgesetzt (Abbildung 15). Dabei wird die 'Masse des Volkes' als Arbeitnehmer und Mittelstand bezeichnet, denen die positiv konnotierten Interessen 'soziale Sicherheit' (Arbeitnehmer) und 'persönliche Freiheit' (Unternehmer) zugeschrieben werden, während 'die Reichen' als 'Oligarchie' bezeichnet werden, deren Interesse 'absolute Macht über die anderen' sei. Der Antagonismus der ETABLIERTEN-Aussage lautet hier also: {Oligarchie, die Reichen, 5 Prozent, Gewinner der Globalisierung: Kapitaleigner, Hochfinanz, Konzerne, absolute Macht über die anderen} / {Masse unseres deutschen Volkes, 95 Prozent, Verlierer der Globalisierung: (Mittelstand: Unternehmer, erspartes Vermögen, persönliche Freiheit) / (Arbeitnehmer: Einkommen, Renten, soziale Sicherheit)}. Analog zur positiven oder negativen Konnotation der Gruppenbezeichnungen und der zugeschriebenen Interessen akzentuiert auch die Graphik (Abbildung 15) den Antagonismus von Masse und Oligarchie. Im Gegensatz zur gängigen normalistischen Darstellung 'sozialer Schichtung' (soziale Zwiebel), die umverteilende 279 An dieser Stelle wird die Heuchelei der Argumentation, der es hauptsächlich um die unmittelbaren monetären Interessen der Unternehmer – nicht zuletzt gegenüber den 'sozialistischen Neidformeln' – geht, besonders deutlich. Nicht nur, dass deren Profit anders als der der Konzerne als 'Erspartes' und nicht als 'Kapital' gilt. Auch das in der Tat bestehende Phänomen, dass die Besitzer großer Vermögen diese in sogenannte Steueroasen transferieren und damit der Finanzierung öffentlicher Güter entziehen, ließe sich ja durch eine entsprechende Regulierung des Bankensektors und der transnationalen Zahlungsmechanismen unterbinden. Genau das lehnen Hamer/Hamer aber – unter dem Stichwort Aufhebung des Bankgeheimnisses – explizit ab und raten ihrer Klientel noch dazu, diese Möglichkeiten selbst zu nutzen (vgl. Kapitel 6.3.2.3).

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6 Exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller

politische Maßnahmen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung einer normalen Verteilung von Einkommen, Vermögen und so weiter impliziert, wird hier auf den Bruch mit der 'Oligarchie' fokussiert. Dabei schließt der Gegensatz zwischen 'der Oligarchie', beziehungsweise der 'Hochfinanz' und der betont nationalen 'Masse des deutschen Volkes' an die ganze Reihe von Antagonismen an, die im Buch (wie im gesamten nationalistischen Diskurs) um den Pol der VOLK-Aussage gruppiert sind. Durch den gleitenden Übergang von Elementen, die noch als soziale, ökonomische oder politische Bestimmungen gelten können {Reiche, transnational ausgerichtete Konzerne, Geldpolitik der USA}, hin zu solchen der ideologischen Erzählung {Oligarchie, Machtgeflecht, Drahtzieher, (US-)Hochfinanz, JUDEN} (vgl. Kapitel 6.3.2.4), wird der populistische Antagonismus (oben/unten) in einen Gegensatz (innen/außen) transformiert. Die KRITIK-POSITION von Hamer/Hamer und die darin enthaltene Anrufung der 'Arbeitnehmer' läuft also im Kern auf eine doppelte Externalisierung sozialer Konflikte hinaus. Zum einen wird die Sorge um Arbeitsplätze, Löhne und so weiter im Antagonismus {VOLK}/{AUSLÄNDER, GLOBALE MENGE} reartikuliert, der auch die Angst nationaler (Zuliefer-)Betriebe vor der Weltmarktkonkurrenz beinhaltet. Zum anderen wird der Konflikt um die Aneignung des gesellschaftlichen Produkts in die Form {VOLK} / {AMERIKANISIERUNG, JUDEN} gebracht, die zugleich den Gegensatz zwischen der primär lokal ausgerichteten und der weltmarktbezogenen, transnationalen Kapitalfraktion zum Ausdruck bringt. Die Kehrseite der Externalisierung ist eine doppelte Gemeinschaftskonstruktion, in der das nationale VOLK in Äquivalenz zur 'Arbeits- und Lebensgemeinschaft der mittelständischen Unternehmer und ihrer Mitarbeiter' gebracht wird, die deutlich gegen die Gewerkschaften und die 'sozialistische Neidrhetorik' gerichtet ist. Die Graphik (Abbildung 15) zeigt auch die Zielperspektive, auf die dieser spezifische populistische Antagonismus gerichtet ist, denn wenn 'die Oligarchie' verschwunden wäre, bliebe eine zweigliedrige soziale Schichtung, eine breite Basis an 'Arbeitnehmern', dominiert von der Schicht der 'Unternehmer'. 6.4 Zwischenresümee: Positionierungen im publizistischen Feld In den vorangegangenen Kapiteln wurden an den Beispielen von Karlheinz Weißmann (Kapitel 6.1), Alain de Benoist (Kapitel 6.2) sowie Eberhard und Eike Hamer (Kapitel 6.3) drei exemplarische Positionen nationalistischer Intellektueller untersucht. Dabei konnte der Befund vertieft werden, dass bestimmte Grundaussagen des nationalistischen Diskurses weithin geteilt werden, während sich zugleich verschiedene diskursive Positionen ausdifferenzieren. Weithin geteilt wird eine Kritik der Globalisierung im Sinne der ONE-WORLDund der AMERIKANISIERUNGS-Aussagen. Dieser vermeintlichen 'Gleichmacherei' werden Perspektiven der RETERRITORIALISIERUNG entgegengesetzt. Die antisemitischen Konnotationen der entsprechenden Aussagen bleiben bei Weißmann

6.4 Zwischenresümee: Positionierungen im publizistischen Feld

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und Benoist vergleichsweise latent und werden nicht unmittelbar mit JUDEN verknüpft, während sie bei Hamer/Hamer zu einer Neuauflage der Weltverschwörungserzählung ausgearbeitet werden. Im Hinblick auf die 'geopolitischen' Konsequenzen der AMERIKANISIERUNGSAussage stehen sich verschiedene Konzeptionen von EUROPA samt Bündnisoptionen gegenüber. Bei Hamer/Hamer herrscht eine nationalstaatlich-isolationistische Position vor, während sowohl Weißmann als auch Benoist zu Visionen eines europäischen Imperiums tendieren, das jeweils Züge eines GESCHLOSSENEN HANDELSSTAATES tragen soll. Dabei schwebt dem 'Atlantiker' Weißmann ein Europa unter deutscher Führung, bei vorläufiger Akzeptanz US-amerikanischer Dominanz vor. Benoist strebt hingegen ein zugleich regionalisiertes und zentralisiertes Europa im Bündnis mit Russland an. Bei Hamer/Hamer und bei Weißmann sind diese Überlegungen zugleich mit dem Bedrohungsszenario der GLOBALEN MENGE verknüpft. Bei Benoist fehlt dieses Szenario, wobei sein Konzept der kontinentalen 'autozentrischen Entwicklung' praktisch auf ähnliche Konsequenzen hinausliefe. Letzteres verweist darauf, dass Benoist überwiegend eine KRITIK-POSITION einnimmt, während Weißmann der SACHZWANG-POSITION nähersteht. Hamer/Hamer hingegen schwanken zwischen diesen beiden Polen. Dies entspricht ihrer ökonomisch-korporativen Argumentation im Dienste mittelständischer Unternehmer, die einerseits die Kernforderungen des NEOLIBERALISMUS mit den weltmarktorientierten Kapitalfraktionen teilen und andererseits deren weitere Dominanz fürchten. Dementsprechend teilen Weißmann und Hamer/Hamer sowohl das Lob des MITTELSTANDES als auch die Kritik des WOHLFAHRTSTAATES. Letzterer sei aus Gründen des WETTBEWERBS nicht mehr haltbar. Zugleich vertreten die Autoren aber keine entsprechende Positionierung in der Handelsfrage, sondern schwanken zwischen den Polen der FREIHANDEL-Aussage. Benoist hingegen bezieht NEOLIBERALISMUS, WETTBEWERB und FREIHANDEL konsequent in das polemische Narrativ vom 'Liberalismus als Kern der gleichmacherischen Moderne' mit ein. Der Wohlfahrtstaat sei ein notwendiger kompensatorischer Teil dieser Moderne, dessen Funktionen im Zuge ihrer Überwindung in 'organische Gemeinschaften' zurückgenommen werden sollen. Hinsichtlich gesellschaftlicher Klassengegensätze inszeniert Benoist sich als freischwebender Intellektueller, dem es um die Überwindung der 'modernen' Arbeitsgesellschaft zugunsten einer an 'vormodernen' (Herrschafts-)Verhältnissen orientierten Zukunft geht. Dabei bezieht sich seine Kritik vielfach auf die LiberalismusSchelte der Jungkonservativen, insbesondere auf Arthur Moeller van den Bruck und Carl Schmitt. Dieser Linie rechnet sich wiederum Weißmann ganz explizit zu und verortet sie zu Recht eindeutig im bürgerlichen Lager, aus dem heute aber zu wenig Unterstützung für die nationalistischen Ideologen komme. Hamer/Hamer

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hingegen positionieren sich unmittelbar als Fürsprecher des unternehmerischen MITTELSTANDES, der zwischen der 'Machtwirtschaft' der Konzerne einerseits und der Gewerkschaften andererseits zerrieben werde. Im Zuge dessen formulieren sie ein rassistisch und antisemitisch fundiertes Bündnisangebot an die Lohnabhängigen. Diese sollten mit dem Mittelstand für den Erhalt des SOZIALSTAATES (das heißt gegen AUSLÄNDER) und gegen die ETABLIERTEN Eliten (das heißt gegen JUDEN) kämpfen. Gemeinsam ist schließlich wiederum allen Autoren der Bezug auf Carl Schmitts antiparlamentarisches Verständnis von DEMOKRATIE als Kombination von homogenem Volk und autoritären Exekutiventscheidungen. Wie Schmitt selbst sieht Weißmann darin die Voraussetzung für notwendige Einschnitte in den WOHLFAHRTSSTAAT. Dies teilen Hamer/Hamer, die in diesem Zusammenhang hemdsärmelig vom 'Schönwettersystem Demokratie' sprechen, das für die Wirtschaft nicht immer ideal sei. Dagegen bleibt Benoists Position in politisch-ökonomischer Hinsicht vage. Kennzeichnend für seine Position ist vor allem die tendenzielle Verschiebung der Schmittschen DEMOKRATIE-Konzeption auf die subnationale (regional VOLK-liche) und die supranationale Ebene (europäisches Reich). Zu bieten haben die nationalistischen Ideologen in der Globalisierungsdebatte letztlich vor allem rigide Identitätskonzepte.

7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung Im Zuge der empirischen Analysen in den Kapiteln 3, 5 und 6 wurde eine Reihe von Aussagen rekonstruiert, die den nationalistischen Interdiskurs insbesondere im Zusammenhang mit dem Thema Globalisierung definieren. In Abbildung 17 sind diese zentralen Aussagen in Anlehnung an eine schematische Darstellung Jürgen Links zur kollektivsymbolischen Strukturierung der Interdiskurse (Abbildung 16) dargestellt. In Kapitel 5.1.5 wurde bereits zusammengefasst, wie die Aussagen des nationalistischen Diskurses an die zentralen Aussagen der Globalisierungsdebatte im mediopolitischen Diskurs anknüpfen und auch in den folgenden Kapiteln werden entsprechende Übergänge beschrieben. Zunächst wird aber rekapituliert und mit Abbildung 17 illustriert, wie sich die spezifischen Aussagen des nationalistischen Diskurses in sehr basale interdiskursive Strukturen einschreiben. Ein erstes Spezifikum besteht in der Platzierung des nationalen VOLKES im symbolischen Zentrum des nationalstaatlichen Systems. Damit einher geht die besondere Betonung der Außengrenze, die durch die dicke Kreislinie angedeutet wird. Zugleich werden die deterritorialisierenden Elemente des Außen (chaotische Fluten in Abbildung 16) durch eine lange Kette von Symbolen (Ecken links unten und oben in Abbildung 17) ergänzt und vor allem werden die komplementären Symbole der RETERRITORIALISIERUNG im Inneren stets betont, so insbesondere die Wurzeln. Diese Struktur der De-/Reterritorialisierung ist mit einer ganzen Reihe weiterer Aussagen artikuliert. Dies gilt für die HANDELSSTAAT-Aussage, welche suggeriert, ökonomische Probleme im Inneren durch die Abschottung nach Außen lösen zu können. Es gilt ebenso für den weiblich konnotierten WOHLFAHRTSTAAT und die bedrohlichen AUSLÄNDER-Fluten, die beide im Begriff sind, durch das Loch in der Systemgrenze einzudringen (links unten in den Abbildung 16 und 17). Und es gilt schließlich auch für die symbolischen Elemente der Aussage MÄNNLICHKEIT, die den Nationalstaat als soldatischen Männerkörper erscheinen lassen, was wiederum eng mit der Vorstellung von Souveränität verknüpft ist. Das Gegensystem mit Subjektstatus (rechts oben in den Abbildungen 16 und 17) besteht insbesondere aus USA und EU, die mit den Aussagen AMERIKANISIERUNG und EUROPA verknüpft sind. Gemäß der EUROPA-Aussage ist das Thema Europa insgesamt ambivalent. Während die EU als Gegensystem erscheint, ist ein 'Europa der Vaterländer' durchaus als eine Art vorgelagerte Systemgrenze nach Außen denkbar (der dünne Kreis in Abbildung 17). Die USA dagegen erscheinen gemäß der AMERIKANISIERUNG-Aussage alleine als (ökonomische, militärische und kulturelle) Bedrohung. Dies korrespondiert mit der Vorstellung einer Herrschaft von JUDEN an der oberen Grenze des Systems, wo sich auch die Aussagen der © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten, Edition Rechtsextremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3_7

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

POLITICAL CORRECTNESS und der ETABLIERTEN ansiedeln lassen. All diese Aussagen verbindet die Konnotation illegitimer (Fremd-)Herrschaft, die am oberen Ende der vertikalen Achse und zugleich außerhalb oder zumindest hart an der Grenze des eigenen Systems angesiedelt ist. Am unteren Ende außen befindet sich hingegen die GLOBALE MENGE, die aber nicht als Gegner mit Subjektstatus erscheint, sondern (korrespondierend mit den AUSLÄNDERN-Fluten) als anonyme Masse globaler 'Habenichtse' beziehungsweise als Heer von Arbeitskräften. Wie ein Blick auf die vertikale Achse zeigt, gibt es oben wie unten jeweils legitime Positionen im Inneren und illegitime, die tendenziell außen verortet werden. Dies entspricht der HETEROGENITÄT-Aussage, die innere Hierarchien bei gleichzeitiger Homogenität im Gegensatz zum Außen proklamiert. Hinzu kommt die MITTELSTAND-Aussage, welche die Herrschaft der (kleinen) Unternehmer mit der positiv gewerteten symbolischen Mitte in Beziehung setzt, während Kapitalisten außen stehen. Die Aussagen HETEROGENITÄT und MITTELSTAND (rechts innen in Abbildung 17) sind auf verschiedene Formen sozialer Herrschaft bezogen. Die Form politischer Herrschaft adressiert dagegen die Aussage DEMOKRATIE im Wechselspiel mit der ETABLIERTE-Aussage (links innen und außen in Abbildung 17). Die wirkliche Demokratie, in der das einfache Volk insbesondere durch das Staatsoberhaupt oben zum Ausdruck gebracht werden soll, findet sich innen, während sich der Parteienstaat und die etablierten Parteien außerhalb befinden. So wie die Position der Herrschaft im kapitalistischen Betrieb in eine positive (Unternehmer) und eine negative (Kapitalisten) Bezeichnung aufgespalten wird, so finden sich auch auf der horizontalen Achse positive und negative Bezeichnungen für bestimmte politische Grundhaltungen. Nationalen Sozialisten und NationalLiberalen im Inneren stehen linke Internationalisten und Neoliberale außerhalb gegenüber. An den Unterscheidungen im Inneren schließen entsprechende (in den Kapiteln 3.1.3 und 5.4 resümierte) Fraktionierungen des Diskurses an, die auch mit unterschiedlichen Betonungen einzelner Aussagen einhergehen. Dominant ist aber die Verortung der negativ konnotierten Positionen im Außen mittels der ONEWORLD- beziehungsweise der IRRATIONALISMUS-Aussage. Auf der diagonalen, dynamischen Achse schließlich lässt sich die zyklische Vorstellung von GESCHICHTE abtragen. Im Folgenden werden vor allem die (in Abbildung 17 grau hinterlegten) Aussagen genauer analysiert, die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der nationalistischen Rechten bisher wenig systematische Beachtung fanden und zugleich von besonderer Relevanz in der Globalisierungsdebatte waren. In Kapitel 7.1 steht die VOLK-Aussage im Zentrum und wird mit Blick auf ihr Verhältnis zu den Aussagen AUSLÄNDER, DEMOKRATIE, ETABLIERTE, sowie WOHLFAHRTSSTAAT und SOZIALSTAAT untersucht, die mit der Form des Nationalstaates gegeben sind. In Kapitel 7.2 wird die ONE-WORLD-Aussage im Zusammenhang mit

7.1 Volk und Souveränität

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den politischen Positionierungen auf der horizontalen Achse sowie den damit verbundenen Fraktionierungen des nationalistischen Diskurses untersucht. Kapitel 7.3 nimmt die vertikale Achse der sozialen Ungleichheit in den Blick, insbesondere die Vorstellung einer nationalen Schaffensgemeinschaft bei Externalisierung sozialer Antagonismen, die mit der MITTELSTAND-Aussage verbunden ist. Kapitel 7.4 untersucht das Moment der RETERRITORIALISIERUNG, das so unterschiedliche Ebenen wie die institutionelle Ausgestaltung der Gesellschaft, die Handels- oder die Migrationspolitik und nicht zuletzt das körperliche Erleben miteinander verbindet. Daran anknüpfend beleuchtet Kapitel 7.5 schließlich die Vorstellung vom GESCHLOSSENEN HANDELSSTAAT und die damit verbunden Aussagen GLOBALE MENGE, AMERIKANISIERUNG und EUROPA. Die leitende Fragestellung dieser Kapitel lautet dabei jeweils: Wie sind die beständige Reproduktion dieser Kernaussagen des nationalistischen Diskurses, ihre besondere Relevanz in der Globalisierungsdebatte sowie die damit verbundenen Interferenzen und Verschiebungen im Bereich der Interdiskurse mit Blick auf die (nicht-diskursiven) gesellschaftlichen Verhältnisse zu erklären? Diesen Fragen wird unter Rückgriff auf Analysen nachgegangen, welche die in Kapitel 2.2.4 dargelegten theoretischen und methodologischen Überlegungen im Wesentlichen teilen. 7.1 Volk und Souveränität Étienne Balibar (2005: 220) bemerkte in einem Aufsatz aus dem Jahr 2000, es sei "üblich geworden", die aktuelle "Phase der Globalisierung" und die fortschreitende Europäische Integration "mit der Idee einer 'Krise der Souveränität' in Verbindung zu bringen". Wobei der "Begriff der Souveränität von vornherein mit nationaler Souveränität gleichgesetzt" (ebd.) werde. Diese Konstellation zeigt sich an der GLOBAL-NATIONAL-Aussage im mediopolitischen Diskurs. Sie zeigt sich aber auch und mit besonderer Vehemenz im nationalistischen Interdiskurs. So findet sich die 'nationale Souveränität' beziehungsweise die 'Souveränität der Völker' jeweils in der positiven Äquivalenzkette der ONE-WORLD-, der EUROPA und der AMERIKANISIERUNG-Aussage. Zugleich findet sich in der ETABLIERTE-Aussage der Gegensatz {Volk, Souverän, …} / {Etablierte, System, …}. Letzteres verdeutlicht, dass an dieser Stelle "der Zusammenhang zwischen den Begriffen der Souveränität des Staates und der Souveränität des Volkes verwischt" (ebd.: 221, Hervorhebung i.O. kursiv) wird. Aber auch das Volk selbst, das hier in Gestalt der Volkssouveränität auftritt, taucht in den positiven Äquivalenzketten einer Vielzahl von Aussagen des nationalistischen Diskurses auf. Zumindest implizit verweist das Wort dabei jeweils auf die VOLK-Aussage (beziehungsweise die spiegelbildliche AUSLÄNDER-Aussage), welche es im nationalistischen Sinne definiert. Explizit kommt das Volk in den Aussagen AMERIKANISIERUNG, AUSLÄNDER, ETABLIERTE, HETEROGENITÄT, JUDEN, ONE WORLD und natürlich VOLK vor.

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

Implizit könnten auch alle weiteren Aussagen hinzugezählt werden, da sie mit Formulierungen wie Deutschland, Vaterland, national und so weiter stets auf den Begriff des VOLKES im Sinne der Nation als Abstammungsgemeinschaft bezogen sind. So zieht sich die Nation als roter Faden durch die positiven Äquivalenzketten fast aller Aussagen. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit, in Abgrenzung zu anderen Bezeichnungen des Gegenstandsbereiches, von einem nationalistischen Diskurs gesprochen (vgl. Kapitel 2.1). Doch welche gesellschaftlichen Bedingungen sind in diesen Aussagen artikuliert? 7.1.1 Die Nationform Bei der Frage nach den sozialen Verhältnissen, mit denen die Reproduktion einer Aussage verbunden ist, lohnt es zunächst einmal ihre genaue Form zu rekapitulieren. Die VOLK-Aussage, die im Zentrum des nationalistischen Diskurses steht, wird durch folgenden Antagonismus gebildet: {Volk, biologische Abstammung, Nation, Land, Staat, Identität, Sprache, Geschichte, Kultur, Gemeinschaft, Wurzeln} / {Bevölkerung, Ausländer, multikulturelle Gesellschaft}. Das zentrale Moment dieser Aussage liegt in ihrer besonderen Polemik gegen 'Ausländer und multikulturelle Gesellschaft' in der negativen Äquivalenzkette sowie der besonderen Betonung der biologischen Abstammung in der positiven. Wird davon für einen Moment abgesehen (um später darauf zurückzukommen), dann bleiben die positive Äquivalenzkette {Volk, Sprache, Geschichte etc.} und die allgemeine Unterscheidung von 'Inländern und Ausländern'. Dieser Rest unterscheidet sich also kaum von der konstitutiven Kette des nationalstaatlichen Prinzips, das sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert weltweit sukzessive durchgesetzt hat. In diesem Zusammenhang schreibt Balibar: "Wo es Nationen gibt, herrscht Nationalismus. […]. Nationalismus ist die organische Ideologie der nationalen Institution, und diese beruht auf der Formulierung einer Ausschließungsregel, auf sichtbaren oder unsichtbaren 'Grenzen', die sich aber immer in Gesetzen und Praktiken materialisieren" (Balibar 2005: 50, Hervorhebung i.O. kursiv).

Balibars Überlegungen sind dabei dem Strukturalismus in der Folge von Althusser verpflichtet (vgl. ebd.: 47f.). Ihm geht es nicht um einzelne Nationen, sondern um die Nationform als "eine Art von 'Gesellschaftsformation', das heißt: eine bestimmte Kombination von ökonomischen und ideologischen Strukturen" (ebd.: 42). Die Nationform ist dabei "insbesondere ein Modell der Artikulation von administrativen und symbolischen Staatsfunktionen, durch die der Staat für die in der Gesellschaft agierenden Gruppen und Kräfte als ein Zentrum fungiert" (ebd.). Eine solche 'nationale Gesellschaftsformation' reproduziert sich durch ein institutionelles Ensemble, das die Individuen auf je spezifische Weise als Teil des

7.1 Volk und Souveränität

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nationalen Volkes anruft (vgl. Balibar/Wallerstein 1990: 114ff.). Dazu zählen Familien, Schulen, Kirchen, Armee, "die Berufsberatung, kurz: alles, was Althusser 'ideologische Staatsapparate' und Foucault 'Disziplinen' nannte" (Balibar 2005: 59). Das Beispiel der Berufsberatung sowie Balibars Hinweise auf die Institutionen der "'nationalen' Familienstrukturen" und der "nationalen Märkte (insbesondere der national organisierte Arbeitsmarkt mit seinen geregelten Berufshierarchien)" (vgl. ebd.: 57) sind bemerkenswert. Denn sie verweisen darauf, dass auch die eng mit der VOLK-Aussage verbundene HETEROGENITÄT-Aussage eine wesentliche Stütze in dem institutionellen Ensemble hat, durch das sich der Nationalstaat reproduziert. Ihr Antagonismus {Homogenität, Volk, natürliche Gliederung: (Elite / Masse, Leistungsstarke / -schwache, obere Klassen / untere Klassen, Männer / Frauen)} / {Inhomogenität, Ausländer, multikulturelle Gesellschaft} verweist auf den Doppelcharakter der entsprechenden institutionellen Effekte. Einerseits werden die Individuen als Teil der Nation angerufen und insofern als 'Inländer' homogenisiert, zugleich aber werden sie differenziert, indem ihnen durch die selben Institutionen bestimmte Plätze in der durch Klasse und Geschlecht strukturierten Arbeitsteilung zugewiesen werden (vgl. dazu Balibar/Wallerstein 1990: 123ff., Poulantzas 2002: 90ff. und 123ff., Ludwig/Sauer 2010: 181). Der Effekt der HETEROGENITÄT-Aussage besteht im Kern darin, diese institutionellen Effekte als solche zu leugnen und sie zu naturalisieren. Auch hier sei zunächst noch davon abgesehen, dass die faktische 'Inhomogenität', die mit den hierarchischen Verhältnissen stets gegeben ist und zu offenen Konflikten führen kann, der Präsenz von AUSLÄNDERN angelastet wird. Dieses Wechselspiel von Homogenisierung und Differenzierung ist allerdings nur eines von mehreren ökonomischen und ideologischen Momenten, die zur Herausbildung und Durchsetzung der Nationform führten. In diesem Zusammenhang konstatiert Balibar zunächst im Anschluss an Wallerstein, dass sich der Weltmarkt nicht als homogener Raum konstituieren konnte, sondern dass es politischer Einheiten bedurfte in denen ökonomische Macht konzentriert werden konnte (vgl. Balibar 2005: 42, Balibar/Wallerstein 1990: 110f.). Dass sich diesbezüglich gerade der Nationalstaat gegenüber anderen Formen wie Städten oder Reichen durchgesetzt hat, erklärt er mit dessen Potenzial die Klassenkonflikte zu regulieren. In diesem Sinne wurde der Staat, wie oben zitiert, 'zum Zentrum der gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte'. Die Nationform hat nicht nur die Herausbildung lokaler Bourgeoisien ermöglicht, sondern auch eine politische Form hervorgebracht, in der die "Klassenkämpfe […] mit den Mitteln einer politischen

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Repräsentation kontrolliert und reguliert werden" (Balibar 2005: 43) konnten280. Die sozial- beziehungsweise wohlfahrtsstaatliche Regulierung der Klassenkämpfe war laut Balibar ein wesentliches Element der institutionellen Reproduktion der Nationform insgesamt. Umgekehrt war die soziale Absicherung dadurch per se an die nationalstaatlichen Grenzen gebunden. "Das institutionelle Resultat lässt sich […] 'national-sozialer Staat' nennen", bei dem "es sich um eine eigenständige Phase in der Geschichte des Staates handelt, die 'organisch' mit einer ganzen Periode der Geschichte des Kapitalismus verbunden ist" (Balibar 2010: 25)281 . Durch diese Entwicklung des Sozialstaates hat der Begriff der Staatsbürgerschaft "von nun an nicht nur eine formale 'Volkssouveränität' zum Inhalt, sondern ein Ensemble sozialer Rechte" (ebd.: 26). Je nachdem in welcher Form "die 'immigrierte' Arbeitskraft" in das jeweilige Regime politischer und sozialer Rechte integriert ist, kann dadurch "ein mächtiges Spannungsfeld und gegebenenfalls Gewalt" (ebd.) entstehen. Hinzu kommt, dass soziale Rechte in "Form nationaler 'Sozialpakte' im Rahmen eines national-sozialen Staates'" (ebd.: 27f.) nur in einigen Ländern des Zentrums (auf je spezifische Weise) verwirklicht waren, nicht aber in der Peripherie. In der als 'Globalisierung' bezeichneten Phase wird nun zum einen der (jeweils nationale) Klassenkompromiss aufgekündigt. Zum anderen macht sich das "Wohlstandsgefälle" (ebd.: 28) zunehmend an den Grenzen zwischen ehemals Kolonisierten und Kolonisator*innen bemerkbar und zwar sowohl an den entsprechenden Staatsgrenzen als auch im inneren der zentralen und peripheren Nationalstaaten. Die Aussagen AUSLÄNDER, SOZIALSTAAT und GLOBALE MENGE, die seit Mitte der 1990er-Jahre im nationalistischen Diskurs reproduziert werden, sind offensichtlich ein Moment dieser Konstellation. Das VOLK, das im Zentrum des Diskurses steht, lässt sich mit Balibar als imaginäre Gemeinschaft beziehungsweise als "fiktive Ethnizität" (Balibar/Wallerstein 1990: 118) begreifen, die durch die nationalstaatlichen Institutionen geschaffen wird282. "Jede soziale Gemeinschaft, die durch das Wirken von Institutionen reproduziert wird, ist imaginär; d.h. sie beruht auf der Projektion der individuellen Existenz in das Geflecht einer kollektiven Geschichte […]. Im Falle der nationalen Formation ist das Imaginäre, das auf diese Weise realitätsbildend wirkt, das 'Volk'. Das Imaginäre ist eine Gemeinschaft, die sich von vornherein in der Institution Staat wiedererkennt, die ihn angesichts der Existenz anderer 280

Auch diese Überlegungen kommen der Staatstheorie von Poulanzas (vgl. 2002: 154ff.) sehr nahe. Balibar betont dabei, er verwende den Begriff "'national-sozialer Staat' […] ohne den provokanten Klang des Ausdrucks zu fürchten, das heißt, ohne ihn als eine getarnte Variante des Nationalsozialismus zu verstehen, sondern im Gegenteil als eine Alternative zu der 'Lösung', die der Letztere im Rahmen einer bestimmten Konjunktur darstellte" (Balibar 2010: 25). 282 In der Betonung der institutionellen Reproduktion im Rahmen bestimmter ökonomischer Verhältnisse liegt der Unterschied zu Andersons (2005) ansonsten ähnlichem Konzept der 'vorgestellten Gemeinschaft'. 281

7.1 Volk und Souveränität

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Staaten als 'ihrigen' anerkennt und vor allem ihre politischen Kämpfe in seinen Horizont stellt: indem sie beispielsweise ihr Streben nach Reform und sozialer Revolution als ein Projekt formuliert, das 'ihren' Nationalstaat umgestalten soll" (Balibar/Wallerstein 1990: 115, Hervorhebung i.O. kursiv).

In der Vorstellung des Volkes, die mit der Nationform einhergeht, fließen demnach verschiedene Momente ineinander und zwar die fiktive Ethnizität sowie der institutionelle Rahmen der sozialen und der politischen Kämpfe. "In diesem Begriff stehen sich zwei Volksbegriffe gegenüber, die sich zugleich wechselseitig implizieren: und zwar das, was […] die gesamte Tradition der politischen Philosophie als ethnos und als demos bezeichnet, nämlich das 'Volk' als imaginäre Gemeinschaft der Zugehörigkeit und Abstammung und das 'Volk' als kollektives Repräsentations-, Entscheidungsund Rechtssubjekt" (Balibar 2005: 27, Hervorhebung i.O. kursiv).

Ethnos und Demos ließe sich als dritte Bedeutungsebene noch die Plebs als primär soziale Bedeutung des Wortes Volk hinzufügen. Diese Bedeutung, die einst in Begriffen wie Volkspark, Volksküche oder 'einfaches Volk' aufschien, verweist auf das, was "eine fortschrittliche 'Tradition' […] 'das Volk'" (Balibar 2010: 29) nannte. Dies meinte im Kern die beherrschten Klassen, deren Kämpfe die Festschreibung sozialer Rechte im Rahmen der 'national-sozialen Staaten' erzwungen haben. Die generelle Ambivalenz des Volksbegriffes besteht gerade darin, dass er die demokratischen und sozialen Errungenschaften "unmittelbar mit einer bestimmten Nationalität" verbindet und "deshalb unweigerlich zu Ausgrenzungssystemen" führt, insbesondere "zu der Kluft zwischen solchen Bevölkerungsgruppen, die als 'Einheimische' gelten, und solchen, die als 'Ausländer' gelten, die andersartig sind, die 'rassisch' und kulturell stigmatisiert werden" (Balibar 2005: 28, Hervorhebung i.O. kursiv). 7.1.2 Nationalistischer Populismus Im gerade erläuterten Dreiklang von Ethnos, Demos und Plebs, der in das institutionelle Gerüst der Nationform eingeschrieben ist, liegt ein wesentlicher Grund für das Schillern der sozialwissenschaftlichen Populismus-Debatte283. Einigkeit besteht hier im Wesentlichen nur darüber, dass Populismus immer mit einer ideologischen Struktur einhergeht, die 'das Volk' gegen 'die da oben' im Sinne einer verkommenen Elite mobilisiert. Dieser Kern ist identisch mit der ETABLIERTEAussage:

283 Die verschiedenen Ansätze können hier nicht im Einzelnen diskutiert werden. Zum Überblick vgl. Dubiel (1986), Mudde (2004), Decker (2006), Faber (2008), Priester (2007), Müller (2016) sowie jüngst die Zeitschriften-Ausgaben KULTURREVOLUTION 72 (2017) und 73 (2017) sowie PROKLA 190 (2018) und POLITISCHE VIERTELJAHRESSCHRIFT (2-2018).

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{Volk, Mehrheitswille, Souverän, kleiner Mann, einfaches Volk, Mittelschicht, Normaldeutsche, Anstand, Ehrlichkeit} / {System, etablierte Parteien, FDGO-Elite, Herrschende, die da oben, Oberschicht, Parasiten, Gier, Schamlosigkeit}. Ein genauer Blick auf diese Äquivalenzketten zeigt schnell, dass hier verschiedene Dimensionen des 'Volkes' aufgerufen werden. Die moralisierenden und symbolischen Elemente, das heißt die Entgegensetzung von {Anstand und Ehrlichkeit} auf der einen Seite gegenüber {Parasiten, Gier, Schamlosigkeit} auf der anderen, konstituieren zunächst den genannten grundlegenden Gegensatz zwischen "'the pure people' versus 'the corrupt elite'" (Mudde 2004: 543). Die Elemente {Mehrheitswille, Souverän} / {System, etablierte Parteien, FDGO-Elite} rufen die Dimension des Demos auf. Diese wiederum geht gleitend über in den sozialen Gegensatz {kleiner Mann, einfaches Volk, Mittelschicht, Normaldeutsche} / {Herrschende, die da oben, Oberschicht}. Dazu wird mit Blick auf die normalistische Gegenüberstellung von Mitte und Oben noch einiges zu sagen sein (vgl. Kapitel 7.3.2). Hier genügt zunächst der Hinweis auf den Übergang zwischen Demos und Plebs. Entscheidend für die Spezifik des nationalistischen Populismus ist jedoch die Dominanz des Ethnos über diese Dimensionen des Demos und der Plebs, die den nationalistischen Diskurs kennzeichnet. Um diese Spezifik zu fassen, ist es nötig auf jene Aspekte der VOLK-Aussage zurückzukommen, die in Kapitel (7.1.1) zunächst ausgeklammert wurden, um die allgemeine Verbindung der Aussage mit der Nationform herauszuarbeiten. Die Besonderheit dieses VOLKES besteht in der Zuspitzung der nationalen Abgrenzung gegen 'Ausländer und multikulturelle Gesellschaft' sowie der Betonung der biologischen Abstammung als Kriterium der Zugehörigkeit. Mit anderen Worten besteht sie in einem rassistischen Volksverständnis beziehungsweise in der Proklamierung eines völkischen Nationalismus. Die spiegelbildliche AUSLÄNDER-Aussage {Volk, nationale Identität, Homogenität} / {multikulturelle Gesellschaft, Inhomogenität, Überfremdung, Ausländer, (ökonomische) Belastung, Entwurzelung, Flut, Welle, Schwemme} zeigt, gerade in ihrer ökonomischen Dimension (Ausländer als Belastung), den spezifischen Übergang von oben / unten zu innen / außen den der nationalistische Populismus vollzieht. Die Anrufung der Plebs gegenüber den (ökonomisch und / oder politisch) Herrschenden geht im nationalistischen Diskurs fließend in den Gegensatz von VOLK und AUSLÄNDERN über.

7.1 Volk und Souveränität

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"(Rechts-)Populismus dethematisiert Klassenspaltungen, indem er das Volk anruft. Das Volk aber changiert in rechtspopulistischen Diskursen zwischen zwei Bedeutungsfeldern, es spielt die nationalistische Imagination, das Völkische, ebenso an, wie jene, die ganz unten in der sozialen Hierarchie positioniert sind, das gemeine Volk eben" (Kreisky 2002: 54).

Diese Unterordnung der Momente des Demos und der Plebs unter das Moment des Ethnos ist die zentrale Besonderheit des sogenannten 'Rechtspopulismus'. Vielen Beiträgen der Populismus-Debatte entgeht das schon dadurch, dass sie ihren Gegenstand im (normalistischen) Paradigma einer Rechts-Links-Achse konstruieren (vgl. Oppenhäuser 2011: 54f., Link 2008). Wird die Analyse hingegen auf die Nationform bezogen, in deren Rahmen sich populistische Bewegungen stets bewegen, dann erweist sich die Frage, in welcher Form das 'Volk' konstruiert wird, als zentral. Artikuliert es die Einforderung politischer (Demos) und / oder sozialer (Plebs) Teilhaberechte innerhalb des Staates oder die Abgrenzung der Staatsangehörigen gegen die 'anderen' (Ethnos) und die autoritäre Unterordnung unter die staatlichen Instanzen? In diesem Sinne lässt sich auch Halls Unterscheidung "zwischen 'popularer' und 'populistischer' Mobilisierung" (Hall 2014: 122, vgl. zum Folgenden Demirović 2018) verstehen. Demnach ist entscheidend, wie eine "gegenwärtige Krise im Verhältnis zum Problem der Demokratie verstanden" (Hall 2014: 102) und politisch bearbeitet wird. Gewinnt eine "populare Demokratie" die Oberhand oder die Tendenz zu einer "rechtslastigen populistischen Demokratie" (ebd.: 103)? Wobei sich letztere dadurch auszeichnet, dass sie allerlei Fragen der Lebensweise (Geschlechterverhältnisse, Moralvorstellungen, öffentliche Sicherheit, legitime Kultur etc.) mit "Repräsentationen 'des Volkes', 'der Nation', 'unserer Kultur und Lebensweise', der 'Instinkte des einfachen britischen Volkes' etc." (ebd.: 116) verknüpft. Dadurch verschiebt die populistische Mobilisierung (hier am Beispiel Thatchers) rassistische Positionen, die zuvor auf faschistische Kleingruppen (hier die British National Party) begrenzt waren, in "das 'legitime' Gebiet parlamentarischer Politik" (ebd.: 118). Dies verweist auf eine "Ähnlichkeit in der diskursiven Struktur" (ebd.: 119), die nicht nur in der rassistischen Abgrenzung besteht. Dazu gehört ebenso der umgekehrte Effekt, soziale "Widersprüche nicht zu neutralisieren, sondern zu desartikulieren" sowie die Anrufung als "'einfache, hart bedrängte' Leute gegen die Verschwörungen des liberalen Staates" (ebd.). Deshalb spricht einiges dafür, die Unterscheidung "der 'extremistischen' und der 'radikalen' Rechten" (ebd.), die Hall hier verwendet, aufzugeben und beide als überlappende Teilgebiete eines nationalistischen Diskurses zu analysieren. In dieser Perspektive hat sich gezeigt, dass ab Mitte der 1990er-Jahre die Aussage SOZIALSTAAT als Variante der AUSLÄNDER-Aussage erscheint. Im Gegensatz zur ersten Phase des Neoliberalismus, die Hall am Beispiel Thatchers analysiert hat, sind in dieser zweiten Phase auch die sozialdemokratischen Parteien zu einer

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neoliberalen Politik übergegangen (vgl. Demirović 2018: 30ff.). In dieser Situation beginnt ein stärker werdender Teil der nationalistischen Rechten sich als 'Verteidiger des Sozialstaats' zu positionieren, obgleich dieser Sozialstaat in den Jahrzehnten zuvor innerhalb des Diskurses überwiegend als WOHLFAHRTSSTAAT kritisiert worden war. Letzteres ist auch immer noch der Fall, wenngleich als sekundäres Moment, wie ein Blick auf die Äquivalenzketten der SOZIALSTAATAussage zeigt: {Sozialstaat, Nationalstaat, nationale Solidargemeinschaft} / {Wohlfahrtsstaat, multikulturelle Gesellschaft, Ausländer}. Der SOZIALSTAAT sei kein WOHLFAHRTSSTAAT, wird stets betont. Über der 'nationalen Solidargemeinschaft', die hier proklamiert wird, schwebt stets die Drohung gegen diejenigen, die sich den Leistungsanforderungen (vermeintlich) entziehen oder eine Ausweitung sozialer Rechte fordern 284 . Doch mit dem Aufkommen der KRITIK-POSITION, mit den Auseinander-setzungen um Hartz IV und so weiter, tritt das Moment der Verteidigung des SOZIALSTAATES in den Vordergrund. Das bedeutet hier aber nichts anderes als die Proklamierung einer 'nationalen Solidargemeinschaft' im Gegensatz zur 'multikulturellen Gesellschaft' und zu 'Ausländern'. Das ist wiederum exakt der Übergang von der Plebs (Verteidigung sozialer Rechte) zum Ethnos (Abgrenzung gegen Ausländer), der den nationalistischen Populismus ausmacht. Damit wird suggeriert, dass soziale Auseinandersetzungen externalisiert werden könnten, ohne dass auch nur ein einziger konkreter Vorschlag zur Finanzierung der Sozialversicherung oder ähnlichem gemacht werden müsste. Teilweise wird so sogar eine weitere Deregulierung (etwa die Privatisierung der Rente) demagogisch mit der SOZIALSTAAT-Aussage verknüpft. Mehrheitlich geht es allerdings um ein Festhalten am Status-Quo, ohne die entsprechenden verteilungspolitischen Fragen ernsthaft anzugehen (vgl. Kapitel 7.2.6). Was damit bewirkt wird, ist allein eine Entsolidarisierung unter Lohnabhängigen, die sich eben nicht primär als solche, sondern als 'Angehörige der Nation' begreifen sollen. Der nationalistische Populismus impliziert also ein Klassenbündnis, das sich durch rassistische Ausgrenzung beziehungsweise Unterordnung konstituiert (vgl. Demirović/Bojadžijev 2002b: 10ff., Demirović 2018: 41). Dieses Bündnis wird von Teilen des Bürgertums, beziehungsweise seiner 284

Den Kern der WOHLFAHRTSTAAT-Aussage {Trennung von Staat und Gesellschaft, starker Staat, Einschnitte} / {Identität von Staat und Gesellschaft, schwacher Staat, Missbrauch, Wuchern, Ausufern, Volumen} bilden ja gerade der vermeintliche Missbrauch von Rechtsansprüchen und die Ausweitung, beziehungsweise Wucherung sozialer Rechte, gegen die ein starker Staat mittels Einschnitten vorgehen müsse.

7.1 Volk und Souveränität

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organischen Intellektuellen, mitunter ganz offen als solches vorgeschlagen (vgl. Kapitel 7.3). Die nationalistische Elitenschelte wird von einer sich radikalisierenden Fraktion der Eliten selbst formuliert (vgl. Demirović 2018: 29). Diese 'Gegenelite' betont dabei nicht nur die Abgrenzung des Ethnos, sondern behauptet den Demos 'an sich' zum Ausdruck zu bringen und argumentiert damit ganz im Sinne von Muddes Populismus-Definition "that politics should be an expression of the volonté générale (general will) of the people" (Mudde 2004: 543). Allerdings gehört diese Figur der volonté générale im Sinne der Volkssouveränität konstitutiv zur modernen Demokratie, wie die Formulierung "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" in Artikel 20 des Grundgesetztes exemplarisch zeigt. Die moderne "Begründung politischen Handelns aus sich selbst führt letztlich zur Identität des Volkssouveräns und damit zu einer neuen Metaphysik des Volkes als ganzen" (Demirović 1997a: 104). Insofern implizieren schon die theoretischen Grundlagen der Demokratie die Möglichkeit von "autoritärem Populismus und Nationalismus als undifferenzierter Massenmobilisierung" (ebd.: 118). In diesem Sinne steht in der ETABLIERTE-Aussage der Demos als 'Souverän' den 'Herrschenden' entgegen. Der nationalistische Populismus baut also auf dem Dispositiv der modernen Demokratie auf. Zugleich behauptet er aber den 'Willen des Volkes' – im Gegensatz zu den 'etablierten Parteien' – mehr oder weniger exklusiv zu vertreten und greift die parlamentarischen Formen der Willensbildung an, wie der Antagonismus der DEMOKRATIE-Aussage zeigt: {wirkliche Demokratie, Gewaltenteilung, Direktwahl des Staatsoberhauptes, Volksabstimmungen} / {'Demokratie', Parlamentarismus, Parteienstaat, etablierte Parteien}. Wie in Kapitel 3.2.4 ausführlich gezeigt wurde, wird hier in der Tradition Carl Schmitts eine 'wirkliche' und 'gewaltenteilige' Demokratie proklamiert, die faktisch auf die Stärkung (direktgewählter) Exekutivspitzen gegenüber dem Parlament hinausläuft. Auch dabei zeigt sich die typische Dominanz des Ethnos über Demos und Plebs. Laut Schmitt ist die 'nationale Homogenität' im Gegensatz zum 'Fremden' (Ethnos) das wesentliche Merkmal der modernen Demokratie. Im Rahmen dieser Homogenität bedürfe sie keiner speziellen Verfahren wie Wahlen und Abstimmungen (Demos) und der Wille des Volkes könne auch durch einen Einzelnen repräsentiert werden. Gefährdet werde die nationale Homogenität allerdings nicht nur durch 'Fremde', sondern auch durch ökonomische Antagonismen und die Identifikation des Volkes mit subalternen Klassen (Plebs). In der verbreiteten und von Schmitt selbst genutzten Symbolik formuliert, geht es um einen starken Staat, der zu Einschnitten gegenüber gesellschaftlichen Interessen in der

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Lage ist. Konkret bedeutet dies in der Regel Beschnitt sozialer Rechte, wie der Antagonismus der WOHLFAHRTSTAAT-Aussage zeigt. An diesem Punkt trifft sich der dogmatische Etatismus der nationalistischen Rechten mit der Hoffnung der Neoliberalen auf ein 'Durchregieren', das soziale Rechte schleift, wie die Rezeption Schmitts in beiden ideologischen Lagern zeigt285. Während Schmitt aber an der reinen Akklamation (plus Direktwahl des Präsidenten) als wesentlichem 'Verfahren' der Demokratie festhielt und Volksentscheid und Volksbegehren – die Weimarer Initiative zur Fürstenenteignung vor Augen – zurückhaltend bis skeptisch beurteilt hat (vgl. Schmitt 1927), sehen seine heutigen Adepten in Plebisziten den Ansatzpunkt für eine autoritäre Transformation der parlamentarischen Demokratie. Aus demokratietheoretischer Sicht handelt es sich dabei um ein paradoxes Manöver. Einerseits wäre die direkte Volksgesetzgebung als Ergänzung der parlamentarischen Demokratie konsequentester Ausdruck der Volkssouveränität (vgl. Maus 2012: 73ff.). Andererseits soll sie hier primär dazu genutzt werden, das Parlament – also das repräsentative Moment der Volkssouveränität – zu schwächen. Das Ergebnis wäre "eine Art Wahlmonarchie, die die Verselbständigung plebiszitär legitimierter exekutivischer Instanzen gegen parlamentarische Kontrollorgane zur Konsequenz hat und den demokratischen Einfluss auf Sachentscheidungen blockiert" (ebd.: 83). Die praktischen Erfahrungen mit Volksabstimmungen zeigen allerdings, dass sowohl solche Selbstentmachtungen des Demos als auch die Verankerung neoliberaler Projekte auf diesem Wege nicht unwahrscheinlich sind (vgl. Oppenhäuser 2013, Wagner 2011, Merkel 2011). Insbesondere die Durchsetzung neoliberaler Fiskalpolitik auf diesem Wege ist dadurch zu erklären, dass die höher gebildeten und vor allem finanziell besser gestellten Teile der Bevölkerung bei Plebisziten noch stärker dominieren als in den Verfahren und Institutionen der repräsentativen Demokratie. Der Antagonismus zwischen dem 'Volk' einerseits und 'den Parteien' und 'dem Parlamentarismus' andererseits läuft in politischer Hinsicht auf die Selbstentmachtung des Demos zugunsten plebiszitärer Führung hinaus und vertraut in sozialer Hinsicht auf die Passivität einer Plebs, der soziale Rechte mit dem Argument genommen werden sollen, sie selbst – nämlich das Volk – habe es doch so gewollt. Im Falle der Nationalisten ist dies zudem mit der beständigen Verschiebung des Volksbegriffes hin zum Ethnos verbunden, mit der soziale Konflikte in einen Gegensatz von 'innen und außen' transformiert werden, während zugleich der vermeintliche Kollektivwillen der 'nationalen Schicksalsgemeinschaft' zur Sache einer autoritären Führung erklärt wird. Von dieser Seite wären bei der Einführung von Plebisziten umgehend Initiativen im Stile des Schweizer 285 Zu den persönlichen und ideologischen Verbindungen zwischen Schmitt und zentralen Theoretikern des Neoliberalismus vgl. Schui u.a. (1997: 119ff.), Oberndorfer (2012: 420ff.) und speziell zur Schmitt-Rezeption Hayeks und den wesentlichen Parallelen zwischen beiden Scheuerman (1997).

7.1 Volk und Souveränität

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Volksinitiativen 'gegen den Bau von Minaretten' und 'gegen Masseneinwanderung' zu erwarten (vgl. Häusler 2012). 7.1.3 Der imaginäre Souverän Der Signifikant 'Volk' gleitet also beständig zwischen den Signifikaten Demos, Ethnos und Plebs und ist dabei mit ganz unterschiedlichen Praktiken wie Wahlverfahren, Akklamationen, Grenzziehungen, Grenzschutzmaßnahmen, sozialen Protesten und so weiter artikuliert. Im imaginären Zentrum des nationalstaatlichen Dispositivs kreuzt sich dieser Signifikant 'Volk' mit dem Signifikanten 'Souveränität', der ebenfalls zwischen verschiedenen Signifikaten oszilliert (vgl. zum Folgenden Balibar 2005: 220ff., Bargetz 2018). Die Bedeutung von 'Souveränität' gleitet zwischen • dem personalisierenden Bild der einstigen Fürstensouveränität, • der völkerrechtlichen 'äußeren Souveränität' und • der staatsrechtlichen 'inneren Souveränität', mit Bezügen zur • demokratietheoretischen Figur der 'Volkssouveränität' einerseits und • der faktischen Entscheidungsgewalt in einer gegebenen Situation anderseits. Diese Momente bilden einen konnotativen Zusammenhang, den jede Rede von der Souveränität – ungeachtet ihrer konkreten Positionierung in diesem Feld – zwangsläufig aufruft. Besonders deutlich wird dies am Gummibegriff der 'nationalen Souveränität', bei dem nie recht klar ist, um welches Moment es eigentlich geht. Dieser Unklarheit entspringt die von Balibar festgesellte Vermischung von Volkssouveränität und Staatssouveränität (vgl. Kapitel 7.1). Die Vieldeutigkeit der Souveränitätsfigur liegt, ebenso wie die des Volkes, in ihrer Artikulation mit der Nationform begründet. Denn die 'äußere Souveränität' verweist auf die Problematik der Ziehung nationalstaatlicher Grenzen, die Territorien mit ihren Bevölkerungen durchkreuzen und damit den Demos des jeweiligen Staates abgrenzen. Die letztliche Willkürlichkeit dieser, faktisch meist gewaltsamen, zwischenstaatlichen Grenzziehungen versuchen die genealogischen Mythen des Ethnos zu überbrücken. An diese Mythologien knüpft die nationalistische Rechte mit der Vorstellung des 'homogenen Volkes' an, dessen Wille auch durch einen Einzelnen repräsentiert werden könne. Diese paradigmatisch von Carl Schmitt formulierte Umdeutung von Demokratie in ein System unbeschränkter Exekutivgewalt trifft sich mit seiner berühmten Definition von Souveränität als Entscheidung über den Ausnahmezustand (vgl. Kapitel 3.2.4.4). Hier tritt das Moment der faktischen Entscheidungsgewalt in den Vordergrund, und Souveränität bedeutet nun die Außerkraftsetzung parlamentarischer Verfahren und rechtlicher Garantien zu Gunsten der Exekutivgewalt. In der damit verbunden Vorstellung starker Männer treffen sich wiederum verschiedene, in der MÄNNLICHKEITAussage artikulierte Momente: Reale charismatische Führungsfiguren, die im Bild

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des Souveräns nachschwingende Figur des Fürsten und die Vorstellung des gesamten Staates als starker Männerkörper (vgl. Kapitel 3.2.5). Hier tritt die mit der Souveränität stets verbundene symbolische Personalisierung in den Vordergrund. Dagegen kommt die Volkssouveränität, immerhin ein zentrales Element der Demokratietheorie seit Beginn der Aufklärung, als solche in dieser Theorie des souveränen Regierens über das Volk schlicht nicht vor. In der, insbesondere an Kant und Rousseau anschließenden, demokratietheoretischen Tradition schreibt Ingeborg Maus (2012: 7) dagegen, Schmitts "Neubesetzung des Souveränitätsbegriffes" im Sinne "innerstaatlicher Exekutivgewalt" sei nicht zulässig. Denn schon im Absolutismus sei es alleine die Gesetzgebungsfunktion des Monarchen gewesen, auf die sich der Begriff der Souveränität bezog. Demnach bedeute Volkssouveränität nichts anderes als das Verfahren plebiszitärer oder parlamentarischer (Volks-)Gesetzgebung und stehe somit im strikten Gegensatz zur Exekutivgewalt, die idealerweise von einem starken Parlament als Repräsentanz des Volkes kontrolliert werde. Daher dürfe sie auch gerade nicht "als Spiegelbild der Fürstensouveränität" (ebd.: 8) im Sinne unbeschränkter Exekutivgewalt aufgefasst werden. Weiterhin besteht Maus darauf, dass der demokratische Volksbegriff nicht "ethnisch-kulturell substanzialisiert und [...] rassistisch pervertiert" werden dürfe, weil die darin implizierte Homogenität auf nichts anderem beruhe als auf der Gültigkeit der jeweiligen Verfassungsordnung, die prinzipiell "durchlässig für jeden 'Fremden'" (ebd.: 14) sei. Zugleich sei es aber auch nicht zulässig, den Demos mit der Plebs oder einer anderen "soziologischen Kategorie zu verwechseln" (ebd.: 14). Der Blick auf die sozialen Verhältnisse liegt also seit jeher seltsam quer zu den Modellen der modernen Demokratietheorie. Dies betonen Kritiken des Souveränitätsdenkens, die den Staat als Effekt sozialer Auseinandersetzungen begreifen286. So hat Foucault in den 1970er-Jahren kritisiert, dass das "Bild [...] der Souveränität" (Foucault 1983: 111) noch immer "im Bann der Monarchie" stehe, auch wenn sie "nicht mehr in der Person des Königs, sondern in einem kollektiven Wesen" (ebd.: 110), sprich dem Demos, gesucht werde. Im "politischen Denken" sei "der Kopf des Königs noch immer nicht gerollt" (ebd.). Anstatt sich an einem imaginären Souverän abzuarbeiten gelte es, die gesellschaftlichen "Kräfteverhältnisse" in den Blick zu nehmen, die "unaufhörlichen Kämpfe und Auseinandersetzungen" und schließlich ihre institutionellen "Kristallisierungen [...] in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien" (ebd.: 113f.). Diese Formulierungen spielen deutlich auf die marxistische Diskussion, insbesondere auf Gramsci und Althusser an, an die auch Balibars Analyse der Nationform anschließt (vgl. Kapitel 7.1.1). In diese Analyse bettet Balibar auch die Entwick286

Zur generellen Kritik des Souveränitätsdenkens vgl. Loick (2012).

7.2 Gegen die One World

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lung der modernen Vorstellung von Souveränität ein, das heißt "die Erfindung von politischen Formen […], in denen das 'Volk' den Platz des Souveräns einnehmen und – sei's auch symbolisch – die 'absolute Macht' ausüben konnte" (Balibar 2005: 243). Denn diese politischen Formen sind nichts anderes als die "Nationform mit ihrem staatlichen und ihrem demokratischen Gesicht" (ebd., Hervorhebung i.O. kursiv). In diesem Zusammenhang fasst Balibar das Verhältnis von 'Staatssouveränität' und 'Volkssouveränität', deren ständige Vermischung er moniert hat, in Abhängigkeit von den sozialen Auseinandersetzungen. Er vertritt die These, "daß die Souveränität des Staates von der Volkssouveränität gleichzeitig 'gehütet' und 'begründet' wird, insofern der politische Staat sich fortschreitend in einen […] 'nationalen Sozialstaat' […] verwandelt, und zwar durch die fortschreitende Institutionalisierung einer 'Vertretung der gesellschaftlichen Kräfte' in der Mechanik des allgemeinen Wahlrechts und der Institutionen der sozialen Bürgerrechte" (ebd.: 249).

Genau diese (nationalstaatliche) Einhegung der sozialen Konflikte sei in der Phase die "als die Globalisierung bezeichnet" wird, nicht mehr möglich, weil in ihr nicht zuletzt "die Territorien durch den Kampf von Zinssätzen und Fiskalpolitik der Konkurrenz des globalisierten Marktes" ebd.: 259, vgl. ebd.: 205f.) ausgesetzt werden. Ganz ähnlich hat auch Joachim Hirsch (vgl. 1995: 121ff.) Mitte der 1990er-Jahre die Erosionstendenzen der relativ egalitären nationalstaatlichen Demokratie der vorangegangenen Dekaden im Zuge der Herausbildung eines 'nationalen Wettbewerbsstaates' analysiert. Sowohl Hirsch als auch Balibar haben das Fortbestehen der sozialen Antagonismen unter diesen sich veränderten Bedingungen betont und den Blick auf die Entwicklung neuer demokratischer Formen gerichtet, die den nationalstaatlichen Rahmen überschreiten (vgl. Hirsch 1995: 183ff., Balibar 2005: 253ff.). Die nationalistische Rechte hingegen hat zeitgleich zum Kampf gegen die ONE WORLD aufgerufen, das heißt zu einer 'Verteidigung des souveränen Nationalstaates' gegen 'die Globalisierung', in deren Zuge die sozialen Antagonismen ideologisch ins Jenseits der Nation verschoben werden. 7.2 Gegen die One World Direkt mit Beginn der Globalisierungsdebatte wird die Wendung 'One World' zum zentralen Schlagwort im nationalistischen Diskurs und fungiert geradezu als Synonym für Globalisierung. Hier findet sich kaum ein Text zum Thema, der das Schlagwort nicht wenigstens beiläufig erwähnt. Ein genauerer Blick auf den jeweiligen inhaltlichen Zusammenhang und damit auf den bestimmenden Antagonismus der ONE-WORLD-Aussage zeigt, dass es sich dabei um eine spezifische Artikulation zentraler Elemente der mediopolitischen Debatte handelt, die unter Rückgriff auf eine altbekannte Aussage des nationalistischen Interdiskurses neu angeordnet werden. In erster Linie wird das Gegensatzpaar GLOBAL-NATIONAL und die damit verbundene Vorstellung von Souveränität aufgegriffen und in die

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Form {Volk} / {One World} gebracht. Aber auch viele weitere Elemente der medialen Debatte, so etwa der BINDESTRICH-KAPITALISMUS, die Rolle der USA als verbliebene Supermacht, oder die Elemente der FREIHANDEL-Aussage, werden regelmäßig als Varianten der ONE-WORLD-Aussage reartikuliert. 7.2.1 Weltanschauung gegen Liberalismus und Marxismus Die entscheidende Grundstruktur der ONE-WORLD-Aussage wird dabei von der Irrationalismus-Aussage gebildet, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den konstitutiven Momenten des Diskurses gehörte: {Nationaler Mythos} / {Rationalismus, Menschheit: (Liberalismus) / (Marxismus)}. Die Elemente dieser Aussage liegen allesamt auf einer relativ abstrakten Ebene. Es geht um die menschliche Gattung, um die zentralen politischen Ideologien, die im Zuge der bürgerlichen Revolutionen auftreten {Nationalismus, Liberalismus, Marxismus} und um den für die Aufklärung wesentlichen Gegensatz von Vernunft und Mythos. Kurz, es geht um zentrale Momente der sogenannten Moderne und entsprechend definiert die Aussage eine spezifische Haltung zu dieser gesamten Epoche, eine bestimmte Weltanschauung. Die nationalistischen Ideologen (in aller Regel Männer) bezeichnen ihren Diskurs selbst gerne als Weltanschauung, was angesichts der negativen Wertung des Rationalismus zugunsten des Mythos durchaus konsistent ist (vgl. exemplarisch Mohler 1989: 15ff. und kritisch Fröchling 1996: 85f.). Die weltanschauliche Breite des letztlich recht simplen Schemas rührt unter anderem daher, dass jedes seiner Elemente aufgrund der epochalen Bedeutung eine ganze Reihe von Äquivalenzen auf unterschiedlichen Ebenen impliziert, so dass die Grundstruktur eine entsprechende Anzahl von Permutationen ermöglicht. Vier Ebenen von impliziten Bezügen sind dabei von besonderer Bedeutung: (1) Auf einer philosophisch-theoretischen Ebene bewegt sich unter anderem der bereits angesprochene Antagonismus {Mythos, Weltanschauung, Haltung} / {Rationalismus, Theorie, Kritik}. Weiterhin findet sich hier als zentrales Äquivalent der Elemente 'Menschheit und Rationalismus' der 'Universalismus' mit dem Gegenüber des 'Partikularismus', der sich entsprechend konsistent in die Kette des 'nationalen Mythos' einordnen lässt. Auf dieser Ebene bewegen sich insbesondere die nationalistischen Intellektuellen von Carl Schmitt, aus dessen Text die IRRATIONALISMUSAussage destilliert wurde (vgl. Kapitel 3.2.4.5), bis hin zu seinen Epigonen Weißmann (vgl. Kapitel 6.1.5) und Benoist (vgl. Kapitel 6.2.2.1). (2) Auf einer politisch-ökonomischen Ebene implizieren die Elemente Liberalismus / Marxismus eine ganze Reihe von Äquivalenzen, wie Kapitalismus / Sozialismus, Kapital / Arbeit, Unternehmer(-verbände) /

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Gewerkschaften und so weiter, die letztlich alle auf den mit dem Kapitalverhältnis gegebenen Antagonismus verweisen. In diesem Zusammenhang sind zwei Aspekte bedeutsam, auf die gleich noch genauer eingegangen wird: Erstens werden die antagonistischen Figuren allesamt der negativen Seite der Aussage zugeordnet. Damit stellt sich aber zweitens die Frage nach dem ökonomischen Gehalt der scheinbar harmonischen 'dritten Position', die mit der positiven Seite des 'nationalen Mythos' eingenommen wird. (3) Eine dritte Ebene von Äquivalenzen lässt sich bezüglich der modernen antisemitischen Erzählung feststellen, welche sich im 19 Jahrhundert herausbildet hat. Hier wird die negative Seite 'den Juden' zugeordnet, was dann in den jeweils 'jüdischen' Figuren des 'Intellektuellen', des 'Kapitalisten' und des 'Kommunisten' zum Ausdruck kommt. Aber auch die theoretischen Begriffe wie {Universalismus, Rationalismus, Kosmopolitismus oder Internationalismus} bekommen durch diese Erzählung eine entsprechende antisemitische Konnotation, die durch den Gegensatz zu {Partikularismus, Nationalismus, Mythos etc.} in den Vordergrund tritt. (4) Eine weitere Ebene von Äquivalenzbeziehungen ergibt sich schließlich im Bereich der internationalen Beziehungen, beziehungsweise der 'Geopolitik', von der im nationalistischen Diskurs bevorzugt gesprochen wird. Ein Beispiel dafür, das zugleich die antisemitische Erzählung fortschreibt, ist Hitlers Wahrnehmung er, beziehungsweise das 'Deutsche Volk' befände sich, mit der Frontstellung gegen den 'jüdischen Bolschewismus' im Osten und die 'jüdische Weltfinanz' im Westen letztlich einen Kampf gegen ein und dieselbe 'jüdische Weltherrschaft'. Später, in der Phase der bipolaren Weltordnung, ergeben sich durch die Identifikation der USA und der SU mit Kapitalismus und Kommunismus, ähnliche Äquivalenzen auf dieser Ebene. Das Gleiten zwischen diesen Ebenen ist auch bei der ONE-WORLD-Aussage zu beobachten, die als semantische Anpassung des Schemas an die veränderten historischen Rahmenbedingungen in den 1990er-Jahren angesehen werden kann, das heißt insbesondere an die neue internationale Konstellation nach dem Ende der Systemkonkurrenz und an die politisch-ökonomischen Transformationsprozesse, die unter dem Label Globalisierung besprochen werden (vgl. Tabellen 5.1 und 6.1). Im Zuge dessen gewinnen politisch-ökonomische Fragen ein neues Gewicht innerhalb des nationalistischen Diskurses und führen zu Fraktionierungen, die in mancher Hinsicht an die 1920er-Jahre erinnern. 7.2.2 Ein Rückblick in ideologiekritischer Perspektive In diesem Zusammenhang ist es erhellend, auf eine ideologiekritische Analyse von Marcuse (1967 [1934]) vom Anfang der 1930er-Jahre zurückzublicken, in der er

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die 'Liberalismuskritik' der Weimarer Rechten untersucht. Gegenstand sind nicht zuletzt die entsprechenden Schriften Carl Schmitts, darunter 'Zur Geistesgeschichtlichen Lage des Parlamentarismus', aus der die Grundstruktur der Irrationalismus-Aussage destilliert wurde (vgl. Kapitel 3.2.4). Im Fokus von Marcuses Analyse steht die Verschränkung von philosophischer und politisch-ökonomischer Ebene, die den Antagonismus dieser Aussage kennzeichnet. Zunächst stellt Marcuse klar, dass das Schlagwort 'Liberalismus' hier nur im vagen Sinne bestimmter abstrakter Konzepte wie den 'Ideen von 1789' und so weiter gebraucht wird, die nur wenig mit dem realen bürgerlichen Liberalismus tun hatten. "Die Ideen von 1789 waren nicht immer das Panier des Liberalismus gewesen: sie sind von ihm sogar auf's schärfste bekämpft worden. Der Liberalismus ist eine der stärksten Stützen der Forderung nach einer mächtigen Nation gewesen; Pazifismus und Internationalismus waren nicht immer seine Sache, und er hat sich oft genug schwere Eingriffe des Staates in die Wirtschaft gefallen lassen" (Marcuse 1967: 43f.).

Mehr noch: "Selbst der Marxismus erscheint" der nationalistischen Rechten "stets im Gefolge des Liberalismus, als dessen Erbe oder Partner" (ebd.: 43), während sie doch praktisch-politisch "mit dem Liberalismus in seinem Kampf gegen den marxistischen Sozialismus ganz einig ist" (ebd.: 46). Für letzteres "braucht es heute keine Belege" (ebd.), schrieb Marcuse 1934 und auch rund 80 Jahre später sind die militanten Neonazis, die nun wieder als 'nationale Sozialisten' gegen den 'Liberal-Kapitalismus' wettern, dafür bekannt, dass sie Parteibüros der LINKEN oder Gewerkschaftskundgebungen angreifen, während von Angriffen auf FDPBüros oder Arbeitgeberverbände nichts zu hören ist. "Doch gerade diese Abdrängung des wirklichen Gehalts des Liberalismus auf eine Weltanschauung ist das Entscheidende: [...] sie weicht aus, vor der ökonomischen und sozialen Struktur des Liberalismus", weil die nationalistische Rechte "mit dieser Grundstruktur weitgehend einverstanden" (ebd.: 45) ist. Die entscheidende gesellschaftliche Grundlage, nämlich die private Verfügung über die Produktionsmittel und das grundsätzliche Bekenntnis zum Unternehmertum ist "in einer Fülle von programmatischen Kundgebungen ausdrücklich sanktioniert worden [...]. Die starken Abwandlungen und Einschränkungen, die überall vorgenommen werden, entsprechen den monopolkapitalistischen Anforderungen der wirtschaftlichen Entwicklung selbst; sie lassen das Prinzip der Gestaltung der Produktionsverhältnisse unangetastet" (ebd.: 45f.).

Auch das lässt sich wiederum am Beispiel Carl Schmitt, insbesondere seiner Rede vor dem Langnam-Verein, verdeutlichen (vgl. Kapitel 3.2.4.6). Zwar finden sich in den Texten der nationalistischen Rechten "auch häufig heftige Ausfälle gegen den kapitalistischen Ungeist, gegen den Bürger und seine 'Profitgier' usw.", doch diese "richten sich immer nur gegen eine bestimmte Gestalt des Bürgers [...]. Die neue Weltanschauung schmäht den 'Händler' und feiert den 'genialen Wirtschaftsführer': dadurch wird nur

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verdeckt, daß sie die ökonomische Funktion des Bürgers unangetastet läßt" (Marcuse 1967: 46f.).

In diesem Zusammenhang meint Marcuse, die geschmähten Figuren seien "schon durch die ökonomische Entwicklung selbst gestürzt worden", denn sie seien typisch für die Phase des Konkurrenzkapitalismus gewesen. Dem ließe sich entgegenhalten, dass auch das durchweg anzutreffende positive Bild des Unternehmers vielfach an einem Typus dieser Phase orientiert ist, und dass sich durchaus auch Polemiken gegen die Großindustriellen, später dann gegen die Manager usw. finden. Insofern scheint es nicht sinnvoll, die zu Recht betonte semantische Verdopplung des Signifikats (ökonomische Funktion des Bürgers) mittels positiver und negativer Signifikanten (Händler / Wirtschaftsführer, Kapitalist / Unternehmer etc.) unmittelbar mit einer bestimmten historischen Abfolge realer Typen zu identifizieren. Diese Einschränkung ändert aber nichts an der Feststellung, dass die nationalistische Rechte mit dem ökonomischen und sozialen Gehalt des Liberalismus im Wesentlichen übereinstimmt. Marcuse geht hier noch einen Schritt weiter und sieht in der Entstehung des offenen Irrationalismus der nationalistischen Rechten einen Transformationsprozess der liberalen Theorie, der in dem Moment einsetze in dem der liberale Rationalismus an seine immanenten Grenzen stoße, die sich aus dem Prinzip der privaten Organisation der Ökonomie ergeben. "Die liberalistische Rationalisierung der Wirtschaftsführung (wie überhaupt der gesellschaftlichen Organisation) ist wesentlich eine private: sie ist gebunden an die rationale Praxis des einzelnen Wirtschaftssubjekts beziehungsweise eine Vielzahl privater Wirtschaftssubjekte. [...] Der Einklang von Allgemein- und Privatinteresse soll sich von selbst ergeben; er wird prinzipiell nicht in die Kritik genommen, er gehört prinzipiell nicht mehr zum rationalen Entwurf der Praxis. Durch diese Privatisierung der Ratio wird der vernunftgemäße Aufbau der Gesellschaft um sein zielgebendes Ende gebracht [...]. Die Tragfähigkeit des liberalistischen Rationalismus hört daher sofort auf, wenn mit der Verschärfung der gesellschaftlichen Gegensätze und der ökonomischen Krisen die allgemeine 'Harmonie' immer unwahrscheinlicher wird; an diesem Punkt muß auch die liberalistische Theorie zu irrationalistischen Rechtfertigungen greifen" (Marcuse 1967: 52f., Hervorhebung i.O. kursiv).

Im Falle der nationalistischen Rechten verstärke sich diese Tendenz bis zum völligen Kippen in eine erklärtermaßen "irrationalistische Theorie der Gesellschaft" (ebd.: 50). Dabei sei entscheidend, "daß hier vor die Autonomie der Vernunft als ihre prinzipielle (nicht bloß faktische) Schranke irrationale Gegebenheiten gelagert werden ('Natur', 'Blut und Boden', 'Volkstum', 'existenzielle Sachverhalte', 'Ganzheit' usw.), von denen die Vernunft kausal, funktional oder organisch abhängig ist und bleibt" (ebd.: 50, Hervorhebung i.O. kursiv).

Das aber bedeute, bei allem Pseudorationalismus der Argumentation, nichts anderes als

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"die Ratio unter die Heteronomie des Irrationalen zu stellen. Das Ausspielen naturhaft-organischer Sachverhalte gegen die 'wurzellose' Vernunft hat in der Theorie der gegenwärtigen Gesellschaft den Sinn, eine rational nicht mehr zu rechtfertigende Gesellschaft durch irrationale Mächte zu rechtfertigen" (ebd.: 50f.).

Die 'Ganzheit' von der allenthalben die Rede ist, werde dabei von ihrem möglichen Sinngehalt, nämlich der vernünftigen Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse abgetrennt. "Die Realisation des erstrebten einigenden Ganzen wäre in Wahrheit primär eine ökonomische Aufgabe" (ebd.: 56, Hervorhebung i.O. kursiv), die als solche im Rahmen des Diskurses aber nicht anerkannt werden kann. "Er muß sowohl von dem einzig möglichen Weg zur Realisation des 'Ganzen' wie von der einzig möglichen Gestalt jenes Ganzen selbst ablenken und sie auf anderem, weniger gefährlichem Boden suchen. Er findet sie in der 'Urgegebenheit' des Volkes, des Volkstums" (ebd.: 56, Hervorhebung i.O. kursiv).

Ob der Begriff des 'Ganzen' in dem von Marcuse skizzierten Sinn überhaupt eine angemessene gesellschaftstheoretische Kategorie sein kann, sei dahingestellt. Fest steht allerdings, dass 'das Ganze' im irrationalen Aussagefeld der nationalistischen Rechten zwangsläufig einen ideologischen Charakter hat. Denn sobald die Ökonomie in den Blick kommt, geht die Rede vom Volk über in die Vorstellung "'einer wirklichen Volksgemeinschaft, die sich über die Interessen und Gegensätze der Stände und Klassen erhebt'. Die klassenlose Gesellschaft ist also das Ziel, aber die klassenlose Gesellschaft auf der Basis und im Rahmen – der bestehenden Klassengesellschaft" (ebd.: 55).

Damit scheint über den politisch-ökonomischen Gehalt des nationalistischen Diskurses alles gesagt, denn letztendlich widersetzen sich alle Fraktionen des Feldes (inklusive der 'nationalen Sozialisten') einer öffentlich-demokratischen Gestaltung der Produktionsverhältnisse zugunsten des Privateigentums an Produktionsmitteln. Auf den zweiten Blick zeigen sich aber die Grenzen einer solchen Kritik, so treffend sie auf der Ebene allgemeiner Kategorien auch ist. 7.2.3 Ein Rückblick in ideologietheoretischer Perspektive Was in ideologiekritischer287 Perspektive meist nicht in den Blick kommt, sind die im engeren Sinne politischen und ideologischen Dynamiken, die sich um diesen ökonomischen Kern entfalten und die praktisch von entscheidender Bedeutung sein können. Zum einen wies schon die nationalistische Rechte, die Marcuse vor Augen hatte, beträchtliche interne Differenzen in ökonomischen Fragen auf (vgl. Breuer 1995: 59ff.). So etwa inwieweit der Staat angesichts der damaligen Phase der kapitalistischen Entwicklung regulierend eingreifen solle (bis hin zur kompletten Verstaatlichung bestimmter Bereiche) und nicht zuletzt auch hinsichtlich der Frage, inwieweit die Klassenverhältnisse durch Umverteilungspolitiken kompen287 Zur etwas schematischen Unterscheidung von Ideologiekritik und Ideologietheorie vgl. Demirović (1992a) und Müller (2003).

7.2 Gegen die One World

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siert werden müssten. Letzteres ist freilich ein bedeutender Faktor hinsichtlich der Popularität des Diskurses und diese Frage der 'Massenbasis' wirft auch noch einmal ein neues Licht auf das Spiel mit den politisch-ökonomischen Signifikanten und die damit verbunden Fraktionierungen. Diese Aspekte heben verschiedene Autoren*innen hervor, die ansonsten grundsätzlich mit Marcuse darin übereinstimmen, dass der Faschismus im Allgemeinen und der Nationalsozialismus im Besonderen, unter ökonomischen Gesichtspunkten als eine spezifische politische Form des Übergangs zum Monopolkapitalismus anzusehen ist, also jener Phase, welche die regulationstheoretischen Analysen später als Fordismus bezeichnen. So betont etwa Poulantzas (vgl. 1973: 174ff.) die Bedeutung der 'antikapitalistischen' Ideologeme für die Entwicklung einer faschistischen Massenbasis, in deren Existenz er das zentrale Unterscheidungskriterium von anderen Formen des 'Ausnahmestaates' sieht (vgl. Demirović 2007a: 140ff., Sablowski 2006). Fragwürdig ist allerdings erstens die fehlende Analyse der Verknüpfung mit dem Rassismus und insbesondere dem Antisemitismus in Deutschland sowie zweitens die schematische Zuordnung dieser Elemente zur 'kleinbürgerlichen' Ideologie, die Poulantzas in der gewaltsamen Ausschaltung des sogenannten 'linken Flügels' im Juni 1934 alleine die Durchsetzung der monopolistischen Kapitalfraktion gegenüber der kleinbürgerlichen sehen lässt (vgl. Poulantzas 1973: 115ff.). Dagegen zeigt bereits die Analyse der 'nationalsozialistischen Linken' von Kühnl (1966), auf die Poulantzas verweist, dass die entsprechenden Unterorganisationen gezielt versuchten, Anhänger in der Arbeiterschaft zu rekrutieren. Damit waren sie zum einen bei unorganisierten Arbeitern partiell erfolgreich und zum anderen ging dies mit politisch-ideologischen Verselbständigungstendenzen innerhalb der entsprechenden Apparate einher, die 1934 unter Kontrolle gebracht wurden. Auch Laclau (1981: 73ff.) kritisiert an Poulantzas Konzeption vor allem die strikte Zuordnung bestimmter Elemente zu vorab definierten Klassenideologien. Entscheidend sei vielmehr, wie die ideologischen Elemente in unterschiedlichen Diskursen artikuliert werden. Die Wirksamkeit des nationalsozialistischen Diskurses lag demnach darin, dass er unterschiedliche populare Elemente artikulierte, 'das Volk gegen das System' mobilisierte und zugleich eine Radikalisierung in Richtung Sozialismus verhinderte. Letzteres geschah auf der ideologischen Ebene im Wesentlichen durch die Abdrängung der sozialen und politischen Konnotationen des Wortes Volk (plebs, demos) zugunsten der rassistischen (ethnos) und wurde praktisch mit den entsprechenden 'Säuberungen' der Apparate nach der Machtübernahme besiegelt (vgl. ebd.: 104f.). Im Anschluss an Laclau hat das Projekt Ideologietheorie (PIT 1980) gezeigt, wie die Nazis an kulturelle Traditionen im weiteren Sinne angeknüpft und Elemente aus dem Diskurs der Arbeiter*innenbewegung desartikuliert haben, um sie in neuer Bedeutung in den eigenen Diskurs einzubauen. Ein Beispiel dafür ist die

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Inszenierung des 1. Mai 1933, in welcher der 'Internationale Kampftag der Arbeiterklasse' als 'Tag der nationalen Arbeit' reorganisiert wurde. Letzterer wurde nun als offizieller Feiertag mit einem staatlich organisierten Massenritual begangen, in dem die 'Volksgemeinschaft' und ihre Unterordnung unter den Staat im gemeinsamen Marsch der Belegschaften und der Unternehmer sowie ihrer anschließenden Ausrichtung auf 'den Führer' praktisch inszeniert wurde. In diesem performativen Rahmen rief Hitler die Arbeiter in seiner Rede – anknüpfend an die populäre Tradition der Maifeste und an religiöse Elemente – als "nationale Arbeiter" oder genauer als "Volkskämpfer gegen den Klassenkampf" (PIT 1980: I 124) an. Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Beobachtungen von Bloch (1977: 70), die er Anfang der 1930er-Jahre unter dem Stichwort "Entwendungen aus der Kommune" beschrieb. Er zeigt, wie die Nazis bestimmte diskursive und performative Elemente der Arbeiter*innenbewegung – die dort teils wieder aus älteren, teils religiösen Diskursen entnommen und neu bestimmt worden waren – übernommen haben und damit Anknüpfungspunkte boten, die ein Überlaufen zum NS oder zumindest seine passive Akzeptanz begünstigten. Den entscheidenden diskursiven Mechanismus sieht das PIT in diesem Zusammenhang allerdings in der Konstitution von 'Volk und Gegenvolk', das heißt der "ideologisch gegen das Gegenvolk zementierten Einheit von Lohnarbeit und Kapital" (PIT 1980: 125). Die Bedeutung des Antisemitismus im NS-Diskurs lag demnach zunächst in der Identifikation des Gegenvolkes (das zum Repräsentanten der Antagonismen Marxismus / Liberalismus etc. wird) mit den Juden (vgl. ebd.: 63ff.) und entwickelt dann im Rahmen des NS-Herrschaftssystems eine Eigendynamik bis hin zum systematischen Massenmord, welche durch politisch-ökonomische Faktoren nicht mehr zu erklären ist. Ganz ähnlich beschreibt Faye den Prozess, in dem die "Ausrottungssprache für eine große Anzahl annehmbar gemacht wurde" und schließlich in die "Praxis einer 'Endlösung' der Frage [mündete], von der diese Sprache die furchtbaren Aussagen gebildet hat", (Faye 1977a: 18, vgl. Ders. 1977b: 180f.). Er analysiert, wie vormals absolut differente Signifikanten wie 'sozialistisch' und 'bolschewistisch' gegenüber 'national' oder 'revolutionär' gegenüber 'konservativ' im neuartigen Diskurs der nationalistischen Rechten äquivalent gesetzt werden. Dieses gleichzeitige Besetzen der gegensätzlichen Positionen verhält sich spiegelbildlich zur Verschiebung der sozialen Antagonismen ins Jenseits des nationalen Diskurses (siehe die horizontale Achse in Abbildung 17). Zugleich bezeichnen die Neologismen wie 'konservativ-revolutionär', 'nationalrevolutionär' oder 'nationalbolschewistisch' bestimmte Positionen innerhalb des Diskurses, das heißt praktisch spezifische Fraktionen mit unterschiedlichen ökonomischen Programmen und personellen Verbindungen zu bestimmten sozialen Klassen(fraktionen) und Massenorganisationen. Dieses 'semantisches Schwanken' innerhalb des Diskurses trägt nach Faye

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schließlich entscheidend dazu bei, dass der 'National-Sozialismus' 1933 zum 'Entlader im großen Spannungsfeld' wird, das sich zwischen der 'Rechten' und der 'Linken' in der Entwicklung der Weimarer Republik immer weiter 'aufgeladen' hat (vgl. Faye 1977a: 511ff.). Die 'semantischen Schwankungen' wirken jedoch zunächst noch weiter – unter anderem im Drängen des 'linken Flügels' auf eine 'zweite Revolution' – bis sie mit den Morden Ende Juni 1934 stillgestellt werden (vgl. ebd.: 767ff.). 7.2.4 Die neue Konjunktur am Ende des 20. Jahrhunderts Mitte der 1990er-Jahre ist in gewisser Hinsicht eine ähnliche Dynamik innerhalb des nationalistischen Feldes zu beobachten. Selbstverständlich handelt es sich um eine völlig andere historische Phase, sowohl hinsichtlich der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen als auch hinsichtlich der nationalistischen Rechten selbst. Letztere umfasst zu diesem Zeitpunkt in Deutschland weder ähnliche Massenorganisationen wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch hat sie eine ernsthafte Option auf eine Regierungsbeteiligung oder gar alleinige Regierungsbildung. Dennoch ist eine strukturelle Ähnlichkeit zu beobachten, nämlich das erneute deutliche Hervortreten eines 'sozialistischen Flügels', der sich explizit an entsprechenden Vorbildern aus der Endphase der Weimarer Republik, etwa den StrasserBrüdern orientiert. Institutioneller Ausdruck dieser neuen Entwicklung war zunächst die Neuausrichtung der NPD unter Voigt samt der Aufwertung entsprechender Intellektueller im Umfeld der Partei (vgl. Cremet 1999) und später dann das spannungsreiche Kooperationsverhältnis zwischen der Partei und den bewegungsorientierten Neonazis, die sich zunehmend als 'Nationale Sozialisten' präsentierten (vgl. Schedler/Häusler 2011). Für viele Beobachter*innen kam diese Entwicklung überraschend, denn vor diesem Zeitpunkt galt die nationalistische Rechte weithin als 'ausländerfeindliche' Ein-Punkt-Bewegung. Eine wirkliche Relevanz wurde ihr allenfalls dann zugetraut, wenn es ihr gelingen sollte, sich in Form einer 'modernisierten Rechten' zu reorganisieren (vgl. Kapitel 2.1.4). Gemeint war damit eine Partei, die inhaltlich das autoritäre Potenzial des Neoliberalismus zuspitzt und primär über den Rassismus (AUSLÄNDER) mobilisiert, ohne die Funktionsweise des politischen Systems dabei allzu grundsätzlich in Frage zu stellen (vgl. Schui u.a. 1997). Ein entsprechender Trend war europaweit, unter anderem am FRONT NATIONAL (FN) in Frankreich, der FREIHEITLICHEN PARTEI ÖSTERREICHS (FPÖ) unter Haider oder den italienischen Koalitionsregierungen unter Berlusconi zu erkennen. Allerdings sind seit Mitte der 1990er-Jahre auch international verstärkte Brüche innerhalb der jeweiligen nationalistischen Felder zu beobachten (etwa die Abspaltungen des MOUVEMENT NATIONAL RÉPUBLICAIN in Frankreich, des BÜNDNIS ZUKUNFT ÖSTERREICH oder der AZIONE SOCIALE in

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Italien), die auch durch Differenzen in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen überdeterminiert waren. Schien es sich bei Parteien wie dem FN oder der FPÖ in politisch-ökonomischer Hinsicht zunächst um nationalistisch gefärbte Brechstangen des Neoliberalismus mit einem primär bürgerlichen Elektorat zu handeln, konnten sie im Laufe der Zeit mehr und mehr Stimmen von Arbeiter*innen und Arbeitslosen gewinnen, was mit einer stärkeren Akzentuierung sozialer Fragen einherging. Wenngleich dies überwiegend eine sozialpolitisch gehaltlose Zuspitzung des Rassismus im Stile der SOZIALSTAAT-Aussage bedeutete, ist es dennoch eine bemerkenswerte Veränderung und der hohe Stimmenverlust der FPÖ nach der ersten Regierungsbeteiligung in Österreich hat Grenzen entsprechender Modelle eines nationalistischen Neoliberalismus deutlich gemacht. Ungeachtet aller jeweiligen Besonderheiten der Entwicklung in einzelnen Ländern lässt sich mit Blick auf die nationalistische Rechte in Europa um die Jahrtausendwende wohl zweierlei festhalten (vgl. dazu: Loch/Heitmeyer 2001, Demirović/ Bojadžijev 2002a, Bathke/Spindler 2006, Decker 2006): Zum einen kommt es zu einer Konsolidierung des neuen Aufschwungs, der meist im Laufe der 1980erJahre einsetzte. Zum anderen ist zugleich ein 'Schwanken', hinsichtlich der wirtschafts- und sozialpolitischen Akzente zu beobachten. Dies geht mit entsprechenden Gewichtungen unterschiedlicher Fraktionen innerhalb des Feldes einher sowie nicht zuletzt mit einer sich verändernden sozialen Zusammensetzung der Wählerschaft. Betz (2001) hat diese Konstellation auf die Formel vom "Spannungsfeld zwischen neoliberalistischen Wirtschaftskonzepten und antiliberaler autoritärer Ideologie" gebracht. Die Globalisierungsdebatte verstärkte zum einen diese Spannungen und zum anderen führte sie zu dem auf den ersten Blick paradoxen Ergebnis, dass fast das ganze Feld – einschließlich eines Großteils jener Fraktion, die an einer neoliberalen Agenda festhält – eine spezifische KRITIKPOSITION einnimmt. 7.2.5 Nationale Sozialisten und Nationalliberale An der ONE-WORLD-Aussage {souveräne Völker, nationale VOLKswirtschaft} / {One World: (schrankenloser Kapitalismus) / (linker Internationalismus)} lässt sich die entsprechende diskursive Dynamik nachvollziehen. Die Aussage erscheint im Zuge der Globalisierungsdebatte, die ihrerseits eine wichtige Verschiebung im mediopolitischen Diskurs anzeigt. Denn ungeachtet der vorherigen Nutzung des Wortes Globalisierung im Sinne der SACHZWANG-POSITION, beginnt die eigentliche Debatte in dem Moment, in dem die KRITIK-POSITION als Gegenpol auftritt, in dem der NEOLIBERALISMUS fragwürdig wird, in dem plötzlich wieder vom BINDESTRICH-KAPITALISMUS die Rede ist und so weiter. Mit anderen Worten bringt die Debatte im mediopolitischen Diskurs ein zunehmendes Unbe-

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hagen angesichts der Entwicklungen hin zum finanzdominierten Akkumulationsregime und seiner sozialen Folgen zum Ausdruck, während sich diese Prozesse (wie etwa die zunehmende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse) auf politischökonomischer Ebene weiter beschleunigen. Die nationalistische KRITIK-POSITION entsteht durch eine Reartikulation der Elemente dieser Mediendebatte, die sich auf einer ähnlich allgemeinen, beziehungsweise unbestimmten Ebene bewegen, wie die Momente der IRRATIONALISMUSAussage, in die sie eingebaut werden. So können der NEOLIBERALISMUS und der BINDESTRICH-KAPITALISMUS ohne Weiteres die Position des 'Liberalismus' substituieren. Hinzu kommt eine spezifische Akzentuierung des per se unbestimmten BINDESTRICH-KAPITALISMUS. Anknüpfend an das Muster GLOBALNATIONAL wird der 'Kapitalismus' hier primär als schrankenlos kritisiert, während sein Gegenüber mit der entsprechend begrenzten ('nationalen', 'raumorientierten' und so weiter) 'VOLKswirtschaft' gefüllt wird. Schließlich werden andere KRITIKPOSITIONEN etwa seitens der Gewerkschaften, der globalisierungskritischen Bewegung oder von Autoren wie Martin/Schumann (vgl. GF) unter dem Label 'linker Internationalismus' an die Stelle des 'Marxismus' gesetzt. Damit ist die IRRATIONALISMUS-Aussage in die ONE-WORLD-Aussage transformiert. Der positive Pol der 'Nation' beziehungsweise der 'Volkswirtschaft' steht der bedrohlichen Kette {One World: (schrankenloser Kapitalismus, Liberalismus) / (Internationalismus, Marxismus)} gegenüber. So entsteht eine spezifische Füllung der im mediopolitischen Diskurs gesetzten KRITIK-POSITION, ohne dass auch nur ein Satz über politische Ökonomie gesagt wäre, der über die Nennung von Schlagworten hinausgeht. Soziale Antagonismen verschwinden im übergreifenden Gegensatz zwischen der Nation und ihrem Außen. In Abbildung 17 ist dieser zentrale Gegensatz von Innen und Außen deutlich zu erkennen. Insbesondere der Blick auf die horizontale Achse der politischen Positionen macht deutlich, wie die antagonistischen Positionen des Sozialismus beziehungsweise Internationalismus (links) und des (Neo-)Liberalismus (rechts) als verschiedene Ausdrücke der ONE WORLD jenseits der nationalen Grenze äquivalent gesetzt werden. Zugleich zeigt die Differenzierung dieser Achse im Inneren – also die Unterscheidung von national-sozialistischen (links) und national-liberalen (rechts) Positionen – aber, dass sich die sozialen Antagonismen auch im Inneren des nationalistischen Feldes auswirken. An solchen Unterscheidungen setzen die interne Ausdifferenzierung des nationalistischen Feldes und die damit verbunden Polemiken zwischen den verschiedenen Positionen an. Ein Beispiel dafür ist Voigts durchsichtiger Versuch, die verschiedenen 'nationalen' Positionen unter der Vorherrschaft der NPD zu vereinigen (vgl. Kapitel 3.1.3) und die ablehnende Reaktion seitens der REP (und der JF) darauf. Letztere stellen 'jeden Sozialismus' jenseits einer ernstzunehmenden 'nationalen' Position. Diese wird mit dem klaren

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Bekenntnis zur '(Sozialen) Marktwirtschaft' verknüpft und zugleich wiederum von {'Gewerkschaftsbonzen' und 'gierigen Managern'} abgegrenzt, also von solchen Figuren, die auch die NPD 'im Außen' verortet (vgl. Kapitel 5.3.2.2). Butterwegge fasst die entsprechende Konstellation in Deutschland um die Jahrtausendwende treffend zusammen: "Kernideologien, Organisationsformen, politische Strategien und soziale Wählerpotenziale fächern sich im Zuge der ökonomischen Globalisierung aus" (Butterwegge 2008b: 12f.). Auf der einen Seite steht der derzeit tonangebende "nationalrevolutionäre bzw. -sozialistisch orientierte Flügel, repräsentiert von den Jungen Nationaldemokraten (JN), ihrer Mutterpartei der NPD und den Neonazis der 'freien' Kameradschaftsszene" im Bündnis mit den "deutschnational bzw. völkisch-traditionalistisch orientierten Gruppierungen mit der DVU an ihrer Spitze" (ebd.). Auf der anderen Seite stehen "die REPublikaner als Vertreter jener Richtungsgruppierung im ultrarechten Spektrum, die moderner erscheint, weil sie [...] sich gegenüber dem Wirtschaftsliberalismus geöffnet haben", ebenso wie der "der Bund Freier Bürger (BFB), die Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) von Roland Barnabas Schill und die deutsche Partei (DP)" (ebd.), die weitgehend bedeutungslos blieben. Auch in der intellektuellen Debatte kommen entsprechende Fraktionierungen des Feldes immer wieder zum Vorschein. Ein Beispiel ist Weißmanns Unterscheidung zwischen den 'Liberalen', denen des nötige Verständnis für einen 'starken Staat' fehle, auf der einen Seite und den 'Völkischen' auf der anderen, die zwar einen autoritären Staat befürworten, dabei aber zu sehr zu einem (rassistisch begrenzten) SOZIALSTAAT neigten (vgl. Kapitel 6.1.4). Im Feld der nationalistischen Ideologen, die mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen alle auf den Fundus der Weimarer Rechten zurückgreifen, repräsentiert Weißmann selbst den bürgerlichwirtschaftsliberalen Pol. Im Gegensatz dazu knüpft Benoist stärker an den antibürgerlichen Gestus samt der mitunter auch ökonomisch akzentuierten Liberalismus-Schelte an und ruft mit seinen entsprechenden 'kapitalismuskritischen' Texten zur Globalisierung wiederum ein geteiltes Echo im nationalistischen Feld hervor (vgl. Kapitel 6.2). Die Liste der Beispiele ließe sich verlängern. In diesem Zusammenhang könnte von einer unfreiwilligen Ironie des nationalistischen Diskurses gesprochen werden. Einerseits verwendet er so viele Zeichen darauf, die sozialen Antagonismen aus der 'homogenen Nation' zu verbannen, beziehungsweise sie als wohlgeordnete, unproblematische, sekundäre Differenzierungen im Inneren festzuschreiben (HETEROGENITÄT). Zugleich aber bestimmen diese Antagonismen noch seine innere Dynamik, indem sich verschiedene Fraktionen um die vermeintlich sekundären Unterscheidungen gruppieren und durchaus unterschiedliche (wirtschafts-)politische Projekte mit dieser Erzählung verbinden.

7.2 Gegen die One World

433

7.2.6 Wirtschafts- und sozialpolitische Positionen: Zwischen Sachzwang und nationalistischer Kritik Die generelle Dominanz der ideologischen Figuren in der Wirtschaftserzählung des nationalen Feldes bringt allerlei Kuriositäten mit sich. Darunter die Träume von – an diesem Punkt tatsächlich vormodernen – ständischen und regionalistischen Ordnungen, die Forderung nach Abschaffung des Zinses und ähnliches (vgl. Kapitel 5.1), die sich ihrer Unvereinbarkeit mit den kapitalistischen Produktionsverhältnissen überhaupt nicht bewusst sind, geschweige denn eine tatsächlich nach-kapitalistische Alternative auf der Basis des erreichten Standes der Produktivkräfte andeuten. Zwar darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass unter bestimmten Umständen selbst diese kruden Konzepte einen ideologischen Beitrag zur Durchsetzung bestimmter Politiken leisten können, wie Faye (vgl. 1977a: 817) am Beispiel der Einführung staatlicher Kreditschöpfung unter der Bezeichnung 'Federgeld' gezeigt hat. Aber solche Konstellationen zeichnen sich derzeit nicht ab, zumal die entsprechenden Abstrusitäten letztlich selbst innerhalb des Feldes vielfach als Fehleinschätzungen kritisiert werden. Werden sie ebenso ausgeklammert wie die primär erzählerischen Elemente und die außenwirtschaftlichen Fragen (vgl. Kapitel 7.5), dann bleiben die folgenden programmatischen Aussagen zu einer konkreten Wirtschafts- und Sozialpolitik 288 , die wiederum die beiden gegensätzliche Pole erkennen lassen: Auf der einen Seite wird für die Beibehaltung der beitragsfinanzierten Rentenversicherung plädiert, auf der anderen Seite für den Ausbau der kapitalgedeckten Rentenversicherung. Mit Blick auf die Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen wird einerseits Kritik geübt und zum Teil eine (erneute oder gar weitergehende) Verstaatlichung in bestimmten Bereichen gefordert, während andererseits gegen 'Staatsmonopole' polemisiert und damit für weitere Privatisierung geworben wird. Fiskalpolitisch stehen Forderungen nach der Einführung von Luxussteuern bei Senkung sonstiger Verbrauchersteuern gegen ein generelles Plädoyer für Steuersenkungen. Bezogen auf die Einkommensteuer steht eine Kritik der 'Belastung des kleinen Mannes' gegen das Modell der drei Steuersätze (15%, 25% und 35%), das hohe Einkommen noch stärker bevorzugen würde. Arbeitsmarktpolitisch fordert die eine Seite eine Verlängerung von ALG I, einen staatlich garantierten Mindestlohn und die Schaffung staatlicher (Zwangs-)Arbeitsplätze, während die andere nach einer Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln, dem Ausbau privater Arbeitsvermittlungen und einer generellen Deregulierung des Arbeitsmarktes ruft. Diese Gegenüberstellungen unterscheiden sich kaum von den gegensätzlichen Positionen in zentralen wirtschafts- und sozialpolitischen Debatten der entsprechenden Dekade, die im mediopolitischen Diskurs als Gegensatz von 288

Vgl. die Kapitel 5.1.4ff., 5.3.2ff. und 6.3.1.2.

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

SACHZWANG- und KRITIK-POSITION erscheinen. Die neoliberalen Forderungen nach umfassender Privatisierung öffentlicher Güter und sozialer Sicherungssysteme, nach Steuersenkungen und Deregulierung des Arbeitsmarktes stehen gegen ein defensives Festhalten an Staatsbetrieben und paritätisch-umlagefinanzierten Sozialversicherungen, einem Beitrag der hohen Einkommen zur Finanzierung der Staatsaufgaben und einer rudimentären sozialstaatlichen Sicherung. Dieser banale Rest bleibt übrig, wenn die konkret vorgeschlagene wirtschaftspolitische Programmatik von der ideologischen Erzählung getrennt wird. Der ökonomische Kern des 'nationalen Sozialismus' besteht im Grunde aus den "ordoliberalen Kernaussagen der frühen fünfziger Jahre" (Ptak 1999: 121), auf die sich auch der entgegengesetzte wirtschaftsliberale Pol mit etwas anderer Akzentuierung positiv bezieht (vgl. ebd.: 135f.). Als ideales Wirtschaftssubjekt gilt beiden Fraktionen die Figur des 'Mittelständischen Unternehmers', der durch zahlreiche Maßnahmen gefördert werden soll, nicht zuletzt durch steuerliche Entlastung und die Senkung von 'Lohnnebenkosten'. Passend dazu wird eine konsequente Monopolgesetzgebung gefordert, während anderweitige konkrete Aussagen zur Regulierung von Konzernen weitgehend fehlen. Die Eigentumsfrage stellt sich als solche überhaupt nicht. Umstritten ist letztlich das genaue Verhältnis von Markt und Staat, oder besser gesagt, die Frage, in welcher Form der Staat die Marktverhältnisse genau konstituieren soll. Die 'nationalen Sozialisten' proklamieren aus einem grundsätzlichen, ideologischen Etatismus heraus, der Staat müsse den Markt klar begrenzen, bestimmte Infrastrukturbereiche unmittelbar kontrollieren und für eine gewisse sozialstaatliche Absicherung der Marktrisiken sorgen, während der wirtschaftsliberale Flügel – im Trend der Zeit liegend – die Verwandlung der Sozialversicherungen und der öffentlichen Infrastruktur in neue Kapitalanlagen fordert und jegliche Transferzahlungen primär als Kostenfaktoren thematisiert, welche die nationale Konkurrenzfähigkeit behinderten. Auch letztere plädieren freilich für einen starken Staat, der für die entsprechende Disziplinierung der Lohnabhängigen sorgen und diese Politik gegen opponierende Gruppen, insbesondere die Gewerkschaften, durchsetzen soll. An diesem Punkt besteht wiederum Einigkeit, denn beide "wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Strömungen innerhalb der extremen Rechten – autoritärer Neoliberalismus und [… rechter] Antikapitalismus – sind sich in ihrer Gewerkschaftsfeindlichkeit einig. Gemeinsam zielen sie auf deren Schwächung und weitere Entmachtung" (Virchow 2007d: 179).

Dabei mischen sich Kernaussagen des Feldes – wie die Ablehnung des 'zersetzenden Klassenkampfes', des 'Internationalismus' und so weiter – mit den von Unternehmerseite immer wieder vorgebrachten Forderungen nach einer Deregulierung der Arbeitsbeziehungen, die im Zuge verschärfter globaler Konkurrenz notwendig seien.

7.2 Gegen die One World

435

In diesem Zusammenhang entspricht das Hartz-IV-Gesetz mit seiner Kürzung der Leistungsansprüche, der Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien und der damit einhergehenden Ausweitung staatlicher Kontrolle der Betroffenen genau den Vorstellungen der neoliberalen Fraktion. Ganz ähnlich negiert aber auch "der 'Antikapitalismus von rechts' die Freiheitsrechte der Individuen. Auch wenn die NPD auf Wahlplakaten apodiktisch 'Weg mit Hartz IV' fordert, richtet sich ihre Kritik bestenfalls gegen die damit verknüpften materiellen Probleme der volksdeutschen Betroffenen. Die mit 'Hartz IV' verbundenen Verletzungen von elementaren Grundrechten, von der Einschränkung der Freizügigkeit durch die Residenzpflicht für Arbeitslose bis hin zu Aufhebung des Bankengeheimnisses durch die Kontenkontrolle, findet für sie nicht statt" (Gebhardt 2009: 181f.).

Vielmehr zeichnet sich eine weitere Entrechtung in Form eines staatlichen Arbeitsdienstes ab. Erneut zeigt sich auf der einen Seite des nationalistischen Feldes ein radikalisierter 'Standortnationalismus' (vgl. Butterwegge 1998, 2006, 2008a), der die SACHZWANG-POSITION der Globalisierungsdebatte einnimmt und die autoritären Potenziale des Neoliberalismus mit ihren zahlreichen Übergängen zu den Aussagen des nationalistischen Diskurses (vgl. Schui u.a. 1997: 53ff., Scheurmann 1997, Ptak 2008) in den Vordergrund stellt. Auf der anderen Seite dominiert dagegen die nationalistische Erzählung die ökonomischen Positionen, in dem Sinne, dass etwa aus rein dogmatischen Gründen, nämlich ausgehend von der grundlegenden Ideologie eines autoritären Staates, ein 'Primat der Politik über die Wirtschaft' proklamiert wird. Dies führt zu einer ökonomischen Konzeption, für die Zimmermann (2011: 321) den idealtypischen Begriff "völkisch-nationaler Korporatismus" vorgeschlagen hat. Diese Polarität prägt die gesamten wirtschaftspolitischen Aussagen. So finden sich in Zusammenhang mit der Geldpolitik – abgesehen vom dominanten Ruf nach der Rückkehr zu 'nationaler Währungssouveränität' – sowohl Forderungen nach strikter Unabhängigkeit der (europäischen) Zentralbank (vgl. Kapitel 6.3.2.2) als auch nach einer politischen Kontrolle derselben (vgl. Kapitel 6.2.3.1). Selbst die Befürwortung des Freihandels ist kein Tabu, auch wenn in Übereinstimmung mit einer Grenzschutz-Erzählung überwiegend gegen den Freihandel und für protektionistische Maßnahmen plädiert wird (vgl. Kapitel 7.5.2). Auch Becker (2015: 61) weist daraufhin, dass die "nationalistische Rechte" in Europa diesbezüglich "unterschiedliche Strömungen" umfasst. Die Spezifik ihrer jüngeren Entwicklung, insbesondere nach Ausbruch der Krise von 2008, bestehe vor allem darin, "den Neo-Liberalismus in eine nationalistisch unterlegte Konkurrenzideologie einzubetten und zunehmend mit nationalkonservativen und heterodoxen Konzepten zu kombinieren. Bei einem Teil der Parteien der autoritären Rechten haben bewusste staatliche Eingriffe zugunsten

436

7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

bestimmter 'nationaler' Interessengruppen deutlich an Stellenwert gewonnen und neo-liberale Konzepte in den Hintergrund treten lassen" (ebd.).

Allerdings sind solche Verschiebungen, die im Zuge der Globalisierungsdebatte hervortreten, nicht völlig neu, sondern die historisch-spezifische Ausprägung des Spannungsfeldes, das von Beginn an in der Grundstruktur des Diskurses angelegt ist und immer wieder zu Spaltungen und Brüchen führt. Schon Carl Schmitt hat vor dem Langnam-Verein einer Politik der harten Einschnitte (gegenüber gewerkschaftlichen Forderungen) das Wort geredet, die heute von der neoliberalen Fraktion mit der 'nationalen Selbstbehauptung' angesichts der Globalisierung begründet wird. Auf der anderen Seite war der populare, um die Ideologie der 'Volksgemeinschaft' zentrierte Pol seit jeher Anziehungspunkt gewisser sozialer Forderungen im Rahmen einer nach strikt rassistischen Kriterien bestimmten Nation. Insofern zeigt das Erscheinen der SOZIALSTAAT-Aussage (vgl. Kapitel 7.1.2), die im Kern nicht viel mehr als die rassistische Abgrenzung der Nation bedeutet, lediglich eine Verlagerung von Elementen im Zuge der gesellschaftlich aufkommenden KRITIK-POSITION(EN). Im Gegenzug verliert die WOHLFAHRTSSTAAT-Aussage an Gewicht, ohne völlig zu verschwinden. Nicht nur die neoliberale Fraktion hält strikt an einer Trennung des Staates von der Gesellschaft, beziehungsweise von den 'ausufernden Ansprüchen der Armen' fest. Beide Aussagen stehen vielmehr insgesamt recht unvermittelt nebeneinander. Auch die 'Volksgenossen', denen der Erhalt des SOZIALSTAATES versprochen wird, stehen stets im Verdacht ihn zu missbrauchen. Der SOZIALSTAAT schränkt 'soziale Rechte' nicht nur nach rassistischen Kriterien ein, sondern verlangt auch von denjenigen, die potenziell in ihren Genuss kommen, die strikte Unterordnung als Teil einer nationalen Schaffensgemeinschaft. 7.3 Nationale Schaffensgemeinschaft Einerseits führt die gerade beschriebene Spannung in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen immer wieder zu scharfen internen Auseinandersetzungen, andererseits ist es gerade diese Flexibilität des Diskurses, die es ermöglicht, unterschiedliche soziale Positionen einzubinden. Nur so ist es möglich, dass Arbeiter (vgl. Kapitel 5.2) und Unternehmer (vgl. Kapitel 6.3) ganz explizit als solche angerufen werden können, wenngleich diese Anrufungen dabei letztendlich immer der nationalen Anrufung untergeordnet werden. Das primäre Muster, durch das die nationalistische Anrufung die sozialen Anrufungen dominiert, ist freilich die Abgrenzung nach 'außen' – durch Ethnisierung von Konkurrenzverhältnissen, imaginäre Identifikation von JUDEN mit dem Kapital und so weiter – aber sie wird durch ein zweites Muster ergänzt. Letzteres beschreibt Zimmermann (2011: 321) als Anrufung einer nationalen "Schaffensgemeinschaft". In dieser besonderen Akzentuierung der allgemeinen Vorstellung einer 'Volksgemeinschaft' sieht er ein

7.3 Nationale Schaffensgemeinschaft

437

zentrales Moment der Wirtschaftserzählung des 'nationalen Korporatismus' (vgl. ebd.) 7.3.1 Arbeiter wehrt euch Das Projekt Ideologietheorie (vgl. PIT 1980) hat entsprechende Anrufungen von Arbeitern als Teil einer 'Schaffensgemeinschaft' samt ihrer praktischen Inszenierung im Nationalsozialismus untersucht. Den in Kapitel 7.2.3 bereits angesprochenen Kern der Anrufungsstruktur bezeichnet das PIT als "Konstitution von Volk und Gegenvolk" (ebd.: 120). Das nationale 'Wir' des 'Volkes' wird als harmonische Gemeinschaft beschrieben während das 'Gegenvolk' negativ mit Unfrieden und Klassenkampf konnotiert ist. Diese Struktur liegt der semantischen Verdopplung von sozialen und politischen Positionen zugrunde, die im nationalistischen Diskurs immer wieder auffällt {Volk: Unternehmer und Arbeiter, national-liberale und nationale Sozialisten} / {Gegenvolk, Klassenkampf: Kapitalisten / Proletarier, Liberale / Sozialisten}. Am Beispiel einer Äußerung von Claus Selzner, einem Funktionär der DEUTSCHEN ARBEITSFRONT (DAF), zeigt das PIT den Zusammenhang zwischen der damit intendierten (freiwilligen) Einordnung der Arbeiter*innen in die 'Schaffensgemeinschaft' und den (äußeren) Konkurrenzverhältnissen: "Das Resultat der Selbstpazifizierung sollte nach und durch Überwindung seiner eigenen Widerstände ein starkes, entschlossenes, sieggewohntes Subjekt werden, das sich am Arbeitsfrieden übte. '… Wir halten den Arbeitsfrieden, wir predigen den Arbeitsfrieden und wissen, daß Arbeitsfrieden nicht Wirtschaftsfrieden ist. Denn hier tobt der Kampf, Kampf um den Binnenmarkt, Kampf um den Weltmarkt. Den Kampf um die Märkte gewinnen helfen, das ist die Aufgabe der DAF, darum will sie den Arbeitsfrieden, darum will sie die Befriedigung der Schaffenden ohne Ansehen der Person, des Berufs und des Standes' [Selzner]. Das ist eine andere Formulierung für das Ziel [...] die internationalistisch orientierte Arbeiterklasse zu 'nationalisieren'[]. Eine pazifizierte Arbeiterklasse konnte jetzt auch fremden Widerstand überwinden, wie auch die Überwindung des eigenen Widerstandes seinen Zweck erst vollständig in der Überwindung des fremden fand. Der soziale Eigenprozess im Inneren mußte ins internationale Verhältnis zu anderen Nationen gesetzt werden, die gewonnene Stärke und Kraft mußte angeblich wieder als naturhafter Prozess verlaufen" (ebd.: 253f.).

Genau in diesem Sinne ist die Aufforderung der NPD zu verstehen, 'Arbeit als etwas Höheres', nämlich als 'Dienst an Volk und Nation' zu begreifen (vgl. Kapitel 5.1.4.3). Das sozialdarwinistische Verständnis der (internationalen) Konkurrenzverhältnisse teilt aber auch die neoliberale Fraktion, die in diesem Zusammenhang ebenfalls eine besondere Arbeitsethik ins Feld führt. Von einer spezifischen – auch einer volksgemeinschaftlichen – Anrufung der Arbeiter wird dort aber abgesehen. Stattdessen werden angeblich 'deutsche Tugenden wie Fleiß und Disziplin' beschworen und es wird materieller Verzicht (der Lohnabhängigen) gefordert, 'damit die Nation im Zuge der Globalisierung ihre Spitzenposition halten' könne (vgl.

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

Kapitel 5.3.2.2). In der Propagierung einer 'nationalen Schaffensgemeinschaft' und eines entsprechenden "selbstlosen Arbeitsethos" (Virchow 2007d: 179) treffen sich die unterschiedlichen Fraktionen einmal mehr. "Statt der Forderung nach bedürfnisorientierter Produktion, in der ein Maximum an Zeitreichtum, an freier Zeit für die kulturelle Entwicklung der Individuen, für kreative Muße oder verschwenderische Faulheit freigesetzt wird, bleibt die extreme Rechte dem besinnungslosen Arbeitsfetisch, dem Kult des schaffenden deutschen Arbeitsmannes verhaftet" (Gebhardt 2009: 181f.).

Wie die Untersuchung von Songtexten und Flugblättern in Kapitel 5.2 gezeigt hat, reproduzieren insbesondere die Neonazis, auf die Gebhardts Kommentar zielt, noch um die Jahrtausendwende genau die ideologischen Muster, die das PIT am historischen Original herausgearbeitet hat. Scheinbar rebellische Anrufungen als 'Arbeiter' und 'Kämpfer gegen das System' münden in den Kampf gegen Minderheiten und eine freiwillige Unterordnung in hierarchische Strukturen, die mitunter eine noch weitergehende Entrechtung implizieren als die beklagten Verhältnisse ('Arbeitsdienst' statt 'Hartz IV'). In sozialpsychologischer Hinsicht entspricht dies dem Typus des zunächst von Erich Fromm (vgl. 1999 [1936]: 168ff.) und später von Adorno u.a. (vgl. 1999 [1950]: 328ff.) beschriebenen 'autoritären Rebellen'. Wie in Kapitel 2.1.3 rekapituliert, identifizieren eine ganze Reihe von Studien um die Jahrtausendwende ein entsprechendes Potenzial unter Lohnabhängigen, darunter die Studie von Dörre (vgl. 2008: 248), in der eine 'rebellische Variante' rechter Orientierungen mit Schwerpunkt in den prekären Segmenten der Arbeitswelt beschrieben wird. Allerdings betont Dörre, ebenso wie die Autor*innen der anderen Studien, dass dies nur einen Teil des gesamten rechten Einstellungspotenzials ausmacht. Dennoch dürfte dieser Teil der Lohnabhängigen für Bündnisangebote offen sein wie sie etwa von den Mittelstandsideologen Hamer/Hamer formuliert werden. Auch diese gehen von einer 'Gemeinschaft von mittelständischen Unternehmern und ihren Lohnabhängigen' (Volk) im Gegensatz zu 'Konzernen und Gewerkschaften' (Gegenvolk) aus, deren Verknüpfung mit den Kernaussagen des nationalistischen Diskurses schließlich in die Aufforderung an die Lohnarbeitenden mündet, sich gemeinsam mit Unternehmern gegen JUDEN und AUSLÄNDER zu wenden (vgl. Kapitel 6.3.4). 7.3.2 Die hart arbeitende Mitte Unterstützt werden solche klassenübergreifenden Bündnisse durch die Anrufung unterschiedlicher sozialer Gruppen als Teil einer hart arbeitenden Mitte. Dieses Muster ist in den sozialen und moralisierenden Elementen der ETABLIERTE-Aussage enthalten, die eine 'Mittelschicht des einfachen Volkes' gegen eine 'parasitäre Oberschicht' ins Stellung bringen:

7.3 Nationale Schaffensgemeinschaft

439

{kleiner Mann, einfaches Volk, Mittelschicht, Normaldeutsche, Anstand, Ehrlichkeit} / {Herrschende, die da oben, Oberschicht, Parasiten, Gier, Schamlosigkeit}. Diese Struktur findet sich sowohl im mediopolitischen Diskurs (Stichwort: BEDROHTE-MITTE) als auch im nationalistischen Interdiskurs. In einer Karikatur aus NATION & EUROPA (vgl. Abbildung 13) ist sie geradezu idealtypisch realisiert. Hier ist zunächst die typische Innen-Außen-Symbolik eindrücklich zu sehen. Passend zur Überschrift des Artikels, "Auf dem Höllentrip: Großkapital gegen Nationalstaaten" (N&E 2/2004: 21), schaukelt das Schiff "Deutschland" durch die globalen Fluten. Hinzu kommt die Symbolik der sozialen Mitte im Inneren, also an Bord des Schiffes: Während die wenigen Reichen oben eine Party feiern, stürzt die Mittelschicht ab und fällt hinab nach unten zu den Armen, sodass das ganze Schiff in gefährliche Schieflage gerät und zu kentern droht. In diesem Zusammenhang ist die Begriffsgeschichte des 'Mittelstandes' interessant, die Conze (2004) nachgezeichnet hat. Das wesentliche Moment des seit "der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts" gebräuchlichen Wortes, das implizit an das aristotelische Lob der Mitte anknüpfe, sieht er darin, dass offenbar "das Bedürfnis, ein 'mittleres' soziales Aggregat ('Stand', 'Klasse', 'Schicht') zwischen einer Ober- und einer Unterschicht ab- und hervorzuheben [...] auftauchte, als das Bewußtsein neuer andersartiger Gesellschaftsordnung zum Ausdruck drängte" (Conze 2004: 49).

Dabei bezeichnete das Wort im Laufe der sozialen Auseinandersetzungen unterschiedliche Gruppen zunächst das aufstrebende Bürgertum in Abgrenzung zum Adel einerseits und den Besitzlosen andererseits (vgl. ebd.: 55f.). Bereits hier besteht eine enge Verbindung des Mittelstandes mit 'Volk und Nation'. Später bezeichnete es dann teilweise Industrielle und Kaufleute im Gegensatz zu Bankiers und Großhandel und schließlich Berufsgruppen wie Beamte, Handwerker, Einzelhändler, Anwälte und Bauern, denen vor allem aus Prestigegründen an einer Abgrenzung zum Proletariat gelegen war (vgl. ebd.: 62ff.). Nach ihrem Selbstbild und nach früheren teils konservativen, teils liberalen Zuschreibungen handelt es sich bei diesen Gruppen um die 'besonders tugendhaften, fleißigen und strebsamen eigentlichen Stützen des Staates', als die sie Weißmann noch heute lobt (vgl. Kapitel 6.1.4). Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde das entsprechende 'Bildungsbürgertum' als 'Mittelstand' bezeichnet, in erster Linie jedoch der 'gewerbliche Mittelstand', das heißt die Gruppen der Handwerker, kleinen Gewerbetreibenden und teilweise auch der Kleinbauern. "Auf diese Schichten der mittleren und kleinen, oft proletaroiden, aber vom Proletariat entschieden sich absetzenden Selbständigen bezogen sich alle mit dem Mittelstandsbegriff

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

verbundenen Kampfprogramme [...]. Der 'Mittelstand' wurde als staatserhaltend und für die Stabilität von Reich und Monarchie als unersetzbar, zugleich aber im Zangengriff der Bourgeoisie, vor allem des Bankkapitals einerseits, des Proletariats, d.h. nunmehr der durch die SPD geführten Arbeiterbewegung andererseits, gesehen. Das Finanzkapital wurde durch Übernahme antisemitischer Parolen seit Ende der siebziger Jahre häufig, besonders vom organisierten Einzelhandel, mit dem als raffgierig und destruktiv verschrienen Judentum identifiziert. 'Mittelstandspolitik' verband sich zeit- und branchenweise verschieden ausgeprägt mit Antisemitismus. Seit den neunziger Jahren wurden die Schlagworte der 'goldenen' und der 'roten Internationale' stereotyp verwendet" (ebd.: 84).

Entsprechend zieht sich eine Line der ökonomischen-korporativen Verbindung mindestens aber der ideologischen Huldigung des Mittelstandes durch die antisemitischen Organisationen, die sich in dieser Zeit herausbilden (vgl. ebd.: 84ff.), von Stoeckers Partei über den DEUTSCH-NATIONALEN HANDELSGEHILFENVERBAND bis hin zur NSDAP. Letztere proklamierte im Programm von 1920 "die Schaffung eines gesunden Mittelstandes" (zitiert nach Kühnl 1975: 106) und wandte sich in der Propaganda der frühen 1930er-Jahre gezielt an diesen. Der Mittelstand wurde als Gegenüber der "liberalistischen und marxistischen Systemleute[]" beziehungsweise der "bolschewistische[n] Schutzgarde der Juden" sowie der "Bankjuden und der Finanzkapitalisten" (VÖLKISCHER BEOBACHTER, zitiert nach Kühnl 1975: 101f.) angesprochen. In dem von den kleinen Gewerbetreibenden gefühlten "kapitalistisch-sozialistischen Zangengriff" (Conze 2004: 85), zeigt sich mithin eine ins späte 19. Jahrhundert zurückreichende sozialgeschichtliche Fundierung der IRRATIONALISMUS-Aussage, samt ihrer antisemitischen Varianten, die sich exakt in dieser Form noch heute bei Mittelstandsideologen wie Hamer/Hamer finden (vgl. Kapitel 6.3.2)289. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die erwähnte Ausdehnung des Mittelstandes über die Gruppe der kleinen Unternehmer hinaus. Die symbolische Dreiteilung der Gesellschaft in Oben-Mitte-Unten, lässt sich offensichtlich mit unterschiedlichsten sozialstrukturellen Positionen (Subscriptionens) verknüpfen und eröffnet ein semantisches Spiel, in dem sich die unterschiedlichsten Gruppen der Mitte zuordnen (lassen). "Als schwammige Zuschreibung […] dient 'Mittelstand' in erster Linie als Selbstbestätigung sich Zugehörigfühlender" (Prüwer 2011: 75). Zugleich ist es aber ein "Prestigebegriff und Ausdruck einer Abhebungsmentalität" (Conze 2004: 90), für den die Abgrenzung nach oben und insbesondere nach unten konstitutiv ist. Das Bedürfnis sich einer imaginären (sozialstrukturellen) Mitte der Gesellschaft zuzuordnen scheint gerade den Individuen eigen zu sein, welche sich 289 In diesem Zusammenhang wäre es interessant die faschismustheoretische Diskussion um die Rolle des Mittelstandes (vgl. Geiger 1930, Lipset 1967) und insbesondere die marxistische Debatte um die Bedeutung der 'mittelständischen Ideologie' (vgl. Kühnl 1971, Poulantzas 1973, Laclau 1981: 73ff.) noch einmal genauer zu rekapitulieren. Zu den Positionen von Poulantzas und Laclau vgl. auch Sablowski (2006), Demirović (2007a: 53ff.), Elbe (2017).

7.3 Nationale Schaffensgemeinschaft

441

die kapitalistischen Imperative der Fixierung auf Arbeit und individuelle Leistung mit ihren meritokratischen Versprechen besonders intensiv zu eigen gemacht haben und zwar unabhängig davon, in welcher sozialen Lage sie sich 'objektiv' (anhand bestimmter Indikatoren objektivierbar) befinden. Mittlerweile hat die ganz ähnlich konnotierte Mittelschicht den beschriebenen Mittelstandsbegriff weitgehend abgelöst, wobei sich der Umfang der darunter subsumierten sozialen Positionen noch einmal ausgedehnt hat. Laut dem Datenreport 2016 (vgl. Statistisches Bundesamt 2016: 206ff.) ordnen sich mittlerweile 60 Prozent der deutschen Bevölkerung der Mittelschicht zu, darunter 37 Prozent der westdeutschen Facharbeiter (Ost: 25 Prozent) sowie 25 Prozent der ungelernten Arbeiter in Ost und West. Kadritzke (2017) hat dieses "auf die Mitte fixierte Bild einer Gesellschaft jenseits der Klassen" (ebd.: 19) im Titel eines Aufsatzes als "Mythos" und als "Entsorgung der Klassenfrage" kritisiert. Nun gibt es, wie er darlegt, gute Gründe am Klassenbegriff festzuhalten und die permanente sozialwissenschaftliche Reifizierung der Mitte zu kritisieren. Andererseits ist ihre Präsenz auf der diskursiven Ebene aber in Rechnung zu stellen. Mit anderen Worten ist es relevant, wenn Klassenverhältnisse subjektiv als 'Verortung in der Mitte' und damit als Normalität gelebt werden. Die heutige Wahrnehmung der Klassenverhältnisse ist ganz wesentlich durch das von Link (2006) analysierte interdiskursive Dispositiv des Normalismus geprägt (vgl. Kapitel 4.5). Dies umfasst sowohl die entsprechenden sozialwissenschaftlichen Konzepte (BolteZwiebel, Mittelstandsgesellschaft, Fragebögen zur Oben-Mitte-Unten-Selbstverortung und so weiter) als auch Muster des mediopolitischen Diskurses, wie das der BEDROHTEN MITTE. An dieser Stelle lässt sich auch die Nähe des Mittekonzepts zur "Ideologie einer Volksgemeinschaft der Mitte" (Kadritzke 2017: 49, vgl. ebd.: 84) erläutern. Denn der von Ursula Kreft (2001) analysierten Figur der BEDROHTEN MITTE (vgl. Kapitel 4.5.2.) liegt ebenfalls die semantische Verdopplung sozialer Positionen zugrunde, die das PIT als Konstruktion von Volk und Gegenvolk analysiert hat. In der, an das normalistische Ideal der sozialen Zwiebel anschließenden, Aussage gibt es auf der einen Seite ein legitimes Oben und Unten die aufgrund ihrer hohen Arbeitsmoral und ihrer Normalität gemeinsam der sozialen Mitte zugeordnet werden. Auf der anderen Seite ist diese Mitte aber zugleich durch illegitime Varianten des Oben (dekadente, gierige Eliten) und des Unten (Drückeberger, Asylanten u.a.) bedroht. An diese Struktur, die schon im mediopolitischen Diskurs mit rassistischen und antisemitischen Stereotypen verknüpft ist, schließt unter anderem die NPD ganz ausdrücklich an (vgl. Kapitel 3.2.8). Hier trifft also die Konstruktion der 'nationalen Schaffensgemeinschaft' auf ein medial verbreitetes Pendent, das sich zudem im Elementardiskurs niederschlägt und sich dementsprechend häufig im Alltagsverstand von Lohnabhängigen wiederfindet.

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

Letzteres zeigen einige O-Töne sowie die Zusammenfassungen der Ergebnisse des SIREN-Projektes, das in verschiedenen europäischen Ländern untersucht hat, ob Veränderungen in der Arbeitswelt mit der Herausbildung rechter Ideologien einhergehen (vgl. Butterwegge/Hentges 2008, siehe dazu auch Kapitel 2.1.3). Dazu wurden Interviews mit Beschäftigten aus solchen Bereichen geführt, die von den typischen Umstrukturierungsprozessen der vergangenen Dekaden betroffen waren, etwa von einer zunehmenden Shareholder-Value-Orientierung in der Industrie oder von der Privatisierung ehemals öffentlicher Großunternehmen. In den Aussagen der Interviewten ist dabei die dreigliedrige soziale Ordnung deutlich zu erkennen, die Kreft als wesentliches Muster des mediopolitischen Diskurses nachgewiesen hat. So meint eine Interviewpartnerin aus Österreich: "Es wird immer welche geben, die mehr haben und welche, die weniger haben, aber die Kluft ist in Österreich einfach viel, viel zu groß. Es gibt diesen Mittelstand fast nicht mehr. Und das ist, find' ich schon ein großes Problem, es gibt nicht mehr diese Drei-Klassen-Gesellschaft, sondern eigentlich nur mehr zwei. Entweder du gehörst zu den Oberen oder zu den Unteren. Der Mittelstand ist in Österreich ziemlich verloren gegangen" (zitiert nach Papouscheck u.a. 2008: 202).

Auch ein Schweizer Interviewpartner "identifiziert sich mit dieser Kategorie, die er 'den Mittelstand', 'das Volk' oder die Schweizer nennt" (Poglia Mileti u.a. 2008: 229) und demonstriert dabei die enge Verbindung zwischen dem 'Wir' der sozialen Mitte und dem nationalen 'Wir', die durch die Strukturierung der Kollektivsymbolik nahegelegt wird. Dementsprechend klingt es beinahe wie das oben geschilderte Szenario der bedrohten Mitte, wenn Hentges/Flecker/Balasz (2006) die Muster zusammenfassen, die sie in den Interviews rund um den Topos der Mittelschicht finden: "Häufig nähren die Erfahrungen im Arbeitsalltag und die Umstrukturierungen im Unternehmen das Gefühl, dass 'die da oben', welche die Entscheidungen treffen, nicht über die konkrete Arbeitssituation Bescheid wissen und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Damit korrespondiert die kontrastierende Gegenüberstellung 'des Volkes' mit 'den Eliten', die auch ein konstitutives Element rechtspopulistischer Ideologie ist. Die Einzelgeschichten stimmen u. a. in der Identifikation mit den Mittelschichten überein, mit dem Milieu, 'in dem sich die Menschen ihren Lebensunterhalt korrekt verdienen, ohne sich weiß Gott was leisten zu können.' (Herr Bollinger, pensionierter Abteilungsleiter, Schweiz). Wenn es um die Beherrschung von oben durch Politiker oder jene geht, welche die Entscheidungen treffen, wird häufig das Pronomen 'wir' verwendet ('Die glauben, wir sind Idioten'), das eine moralische Kategorie darstellt: Es sind diejenigen, die hart arbeiten, um ein Auskommen zu finden und die der 'Unverantwortlichkeit' der wirtschaftlichen und politischen Eliten ausgeliefert sind und von der arbeitsscheuen Unterklasse ausgenutzt werden. Das Bewusstsein und die Selbstdefinition als ArbeiterInnen wurden vom Rechtspopulismus also erfolgreich als 'Volk' angesprochen, das sich in einer doppelten Abgrenzung nach oben und unten sowie durch ethnische Grenzziehungen [nach außen] konstituiert" (ebd.: 132).

7.3 Nationale Schaffensgemeinschaft

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Die aggressive Abgrenzung nach unten, gegenüber den vermeintlich 'Arbeitsscheuen', geht dann teilweise mit Bestrafungsfantasien einher, die der NPDForderung nach Zwangsarbeit entsprechen, welche die ohnehin mit dem Bezug von ALG II verbundenen Zwangsmaßnahmen und Sanktionsmechanismen weiter auf die Spitze treibt. "Dies kann bis zum Ruf nach Zwangsarbeit für Arbeitslose führen: 'Die müssten eine Schüppe in die Hand bekommen und jeden Tag einen Kubikmeter schüppen' (Herr Müller, Ressortleiter bei der Telekom, Deutschland)" (ebd.: 131).

Ebenso ist ein Übergang von den Vorstellungen der hart arbeitenden Mitte zu rassistischen Abgrenzungen nach unten und antisemitische Abgrenzungen nach oben zu beobachten. Exemplarisch dafür stehen die Aussagen der folgenden Interviewpartnerin aus Deutschland: "Und wie gesagt, meine Mutter und mein Vater, die waren nie Leute, die irgendwas vom Amt gekriegt haben. Und deswegen, so was find ich so was von ungerecht, und da sag ich mir da läuft was verkehrt. Und dann braucht man sich aber doch auch nicht zu wundern, wenn eben diese Aggressionen gegen die Ausländer eben kommen. Weil logischerweise, auf wen wird man dann sauer, auf die Ausländer. [...] Und machen wir uns doch nichts vor! So dünne haben die Juden das nicht. Die haben es ganz schön dicke. Die sitzen auf ..., die ham immer schon Knete gehabt. Und so warn schon immer die Juden veranlagt und so werden sie immer veranlagt sein. Ich hab nichts gegen die Juden aber ich hab keine Lust mehr zu zahlen. Und ich hab keine Lust mehr den Kopf einzuducken, weil irgendeiner mir sagt ihr mit euren KZs" (zitiert nach Hentges/Wiegel 2008: 169).

Diese unmittelbar antisemitische Variante der Vorstellung eines 'für die normalen Leute bedrohlichen Oben' ist auch in den Interviews eine spezifische Zuspitzung von anderen Bildern für ökonomische Machtverhältnisse. Diese stehen einerseits in Verbindung mit Erfahrungen am Arbeitsplatz und sind andererseits offensichtlich an mediale und politische Narrative gekoppelt. So sieht etwa der oben zitierte Schweizer die Mitte im Gegensatz zu den Mitgliedern "jener 'Gaunerbande', die 'das Volk' betrögen und ins Elend stürzten. Ebenso wie die neuen Führungskräfte für die Verschlechterungen der Beziehungen am Arbeitsplatz verantwortlich seien, führten es jene, die alles entscheiden und 'in den obersten Etagen sitzen', ins Verderben. [...] 'Praktisch' regieren die Banken und die Reichen" (Poglia Mileti u.a. 2008: 228, 230).

Zu fast identischen Ergebnissen kommt auch Marg (2014) in ihrer Auswertung von Gruppendiskussionen, mit denen sie die Selbstverortung in der sozialen Mitte qualitativ erhoben hat: "'Oben' sind 'Finanzjongleure', die sich durch 'Gier und Raffsucht' auszeichnen [...], Konzerne, die sich 'das Geld in die eigene Tasche stecken', 'Manager' die sich nicht gut verhalten" und es gibt eine "Grenze nach 'unten' [...], jenseits der sich Kriminelle, Alkohol- und Drogensüchtige, Überschuldete, 'Arbeitsfaule' und 'nicht integrierbare' und 'integrierwillige Neu-

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

bürger' befinden" (Marg 2014: 199f., kursiv H.O., die Zitate im Zitat sind O-Töne aus Gruppendiskussionen).

In einer Studie von Sauer u.a. (2018) schließlich erscheint Kanzlerin Merkel in der Vorstellung eines Gewerkschafters im Gegensatz zu einer 'richtigen politischen Führung' als Marionette an den Fäden der ökonomischen Mächte: "Ja, aber in erster Linie fehlt uns diese Führung, die dieses Land wieder mal so nach vorne bringt, ohne dass man immer denkt: Oh, Frau Merkel ist ja eine Marionette. Die muss hierhin und dahin und dahin und dahin. Die hat sicherlich in den letzten Jahren mit all diesen Sachen, von Banken angefangen […] und immer wieder nach Brüssel und so, das war sicherlich alles nicht einfach, aber für mich ist sie auch nicht so überzeugend, dass man sagen kann: Boah, das ist so eine, die setzt sich wirklich so für uns ein. Sondern eben mehr so wie eine Marionette" (Sauer u.a. 2018: 155).

In der symbolischen Beschreibung des ökonomischen Oben, gegenüber dem sich viele Lohnabhängige als Mitte abgrenzen, tauchen genau jene MÄCHTE (gesichtslose Herren, Finanzjongleure, Strippenzieher) auf, die in der mediopolitischen Globalisierungs-Debatte, insbesondere im Zusammenhang mit Finanzmarktakteuren, regelmäßig genutzt werden (vgl. Kapitel 4.3.2). Im Alltagsverstand gleiten diese Bilder zwischen den Ebenen selbst erlebter beziehungsweise erlittener Umstrukturierungen im Betrieb und einem diffusen Gespür für ökonomische Machtverhältnisse, das in Verschwörungsideologien kippen kann. Die symbolischen Schnittstellen zwischen dem mediopolitischen und dem nationalistischen Interdiskurs, die in diesem Zusammenhang beschrieben wurden (vgl. Kapitel 5.1.2.3 und 6.3.2.4), haben also ihre Entsprechungen im 'bizarren Gemisch des Alltagsverstandes' (vgl. Gramsci 1967: 130). Nach der SIREN-Studie neigen vor allem solche Gruppen zu einer aggressiven Verteidigung der Mitte, die das Leistungsprinzip stark verinnerlicht haben. Das sind zum einen Individuen, die besonders aufstiegsorientiert sind und die entsprechende Leistungsideologie verallgemeinern und zum anderen solche, die von Abstiegsangst erfasst werden, weil das Versprechen eines Tausches von Unterordnung und harter Arbeit gegen soziale Sicherheit immer weniger eingelöst wird. Ein Teil der Forschungsgruppe fasst die Befunde zu diesen beiden Gruppen wie folgt zusammen: Auf der einen Seite stehen exemplarisch Menschen, die "einen beruflichen Aufstieg durch Beförderung innerhalb des Unternehmens erlebt hatten. In der Folge tendieren einige dazu [...] sich sehr stark mit dem Unternehmen und seinen Zielen zu identifizieren. Hinsichtlich ihrer Arbeitsethik scheint die Leistungsorientierung gestärkt zu sein, was die Ansprüche erhöht, welche solche Aufsteiger an ihre Kolleg(inn)en, Nachgeordneten und Untergebenen stellen. Sie [...] internalisieren die Regeln des neoliberalen kapitalistischen Systems und vertreten oft eine sozialdarwinistische Ideologie des 'survival of the fittest' auf dem (Arbeits-)Markt. Intensiver Wettbewerb, der zu langen Arbeitszeiten, hohen Arbeitspensen und einer Zunahme des oft verdrängten Arbeitsleids führt, scheint solche Ansichten zu stärken" (Hentges/Felcker/Balazs 2008: 136f.).

7.3 Nationale Schaffensgemeinschaft

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Zudem werden diese Personen teils "deutlich von der Ideologie des Standortnationalismus beeinflusst, die sie veranlasst, ihr Arbeitsethos und ihre Identifikation mit dem Unternehmen zu radikalisieren, sodass sie leicht ausschließende und nationalistische Ideologien" (ebd.: 129) entwickeln. Aber auch die zweite, von Prekarisierungstendenzen direkt betroffene oder bedrohte Gruppe teilt die "Arbeitsethik und die Überzeugung, dass jeder am Leistungsprinzip festhalten sollte" (ebd.: 126). Insbesondere "die männlichen Interviewpartner identifizieren sich stark mit ihrem Status als Arbeiter, betrachten sich selbst als Teil der hart arbeitenden Gemeinschaft und distanzieren sich heftig von sog. Sozialschmarotzern" (ebd.: 126f.). Diese Gruppe äußert "Ungerechtigkeitsgefühle, die aus der Enttäuschung legitimer Erwartungen hinsichtlich verschiedener Aspekte der Arbeit, der Beschäftigung, des sozialen Status oder des Lebensstandards erwachsen. [...] Die Menschen beziehen sich auf andere soziale Gruppen, die sich nicht im selben Maße den Härten der Arbeit unterordnen und (angeblich) viel besser versorgt sind [...]. Das sind sowohl Manager und Politiker [...] wie auch Menschen, die von Sozialleistungen statt 'von ihrer Hände Arbeit' leben, oder von staatlichen Stellen unterstütze Flüchtlinge. Kernthema ist, dass die 'anständig und hart arbeitenden' und daher moralisch überlegenen Menschen betrogen werden, sodass sie realisieren müssen, wie dumm es war treu und ehrlich zu sein und sich den harten Forderungen einer zunehmend grausamen Arbeitswelt unterzuordnen" (ebd.: 135f.).

Die Ergebnisse der SIREN-Gruppe belegen damit deutlich, dass die Vorstellung einer '(nationalen) Schaffensgemeinschaft', in Äquivalenz zur Symbolik der sozialen Mitte, zumindest bei einem Teil der Lohnabhängigen, fest im Alltagsverstand verankert ist und bei der Interpretation der Transformation von Arbeitsverhältnissen zum Tragen kommt. 7.3.3 Mittelständische Unternehmer Die MITTELSTAND-Aussage passt sich genau in diese 'mittologischen' Strukturen der 'nationalen Schaffensgemeinschaft' ein. Ihre antagonistischen Äquivalenzketten {Mittelstand, verantwortungsbewusste Unternehmer, deutsche Unternehmen} / {Großkapital, asoziale Kapitalisten, bindungslose Manager, Globalisierung} halten für die Positionen der Produktionsmittelbesitzenden und ihrer (ggf. angestellten) Unternehmensleitung wiederum entgegengesetzte – einerseits positive und andererseits negative – Bezeichnungen bereit. Der Gegensatz von Großkapital und Mittelstand schließt dabei unmittelbar an die Mitte-Symbolik an und die gängigen Symbolisierungen der ökonomischen MÄCHTE fügen sich implizit in die Negativ-Kette ein. Auch hier ist es nur ein kleiner Schritt von der Feier des Mittelstandes im mediopolitischen Diskurs (vgl. Kapitel 4.5.2) hin zur Präsentation des mittelständischen

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Unternehmers als ideales Wirtschaftssubjekt im nationalistischen Interdiskurs (vgl. die Kapitel 5.1.4.2, 5.3.2.2 und 6.3). Die Idealisierung 'des Unternehmers' ist ein klassisches Element bürgerlicher Ideologie, das im zunehmenden Widerspruch zu den realen (internationalen) Konzentrationsprozessen und den damit verbunden Organisationsformen (Aktiengesellschaften) steht. Dennoch bleibt es stets im Umlauf und nimmt auch neue Formen an, etwa die des 'unternehmerischen Selbst' (vgl. Bröckling 2007). Ein besonderes ideologisches Moment des Mittelstandsbegriffes beruht in diesem Zusammenhang auf seiner definitorischen Unklarheit. Im mediopolitischen Diskurs wird er meist als Synonym für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) verwendet und steht dabei nach gängigen Definition von Forschungsinstituten oder der EU für so unterschiedliche Dinge wie Handwerksbetriebe mit wenigen abhängig Beschäftigten und Aktiengesellschaften mit bis zu 500 Lohnabhängigen und einem Umsatz von bis zu 50 Millionen Euro (vgl. Krickhahn 2010: 87ff.). Dabei transportiert er aber stets auch das Bild des kleinen Betriebs von nebenan, der von seinem Besitzer geleitet wird. "Diese archetypische kleinbürgerliche 'Ladenbesitzer-Figur' hat einen gut eingerichteten Raum in traditionellen konservativen Ideologien – wenn nicht als wirkliche soziale Kategorie, so doch gewiss als diskursives Subjekt, als Äußerungssubjekt einer ganzen Serie konservativer 'Philosophen'" (Hall 2014: 114)290.

Was die nationalistische Rechte an dieser Stelle ausmacht ist zum einen, dass sie das Bild eines patriarchalen Unternehmers (der 'seinen Betrieb führt', wie die NPD betont) ausdrücklich gegen die Konzerne, das Management von Aktiengesellschaften und so weiter stellt. Zum anderen ist es ihre strikt nationale Definition der entsprechenden Betriebe im Gegensatz zu 'der Globalisierung'. Auffällig ist an dieser Stelle die organisatorische und ideologische Nähe der nationalistischen Rechten zu einigen primär ökonomisch-korporativ ausgerichteten Organisationen wie dem BUND DER SELBSTÄNDIGEN (BDS) oder Eberhard Hamers MITTELSTANDSINSTITUT (vgl. Kapitel 6.3). Diese stellen ihrerseits die 'Unternehmerpersönlichkeit' in den Mittelpunkt und ihre nationalistische Orientierung ist wohl auch durch die primäre Binnenmarktorientierung sowie die Furcht vor internationaler Konkurrenz und damit einhergehender Konzentration zu erklären. Heine/Sablowski (2013) sind bei einer Untersuchung der Positionen verschiedener Kapitalfraktionen in der Eurokrise am Beispiel des Verbandes DIE FAMILIENUNTERNEHMER291 ebenfalls auf diese "reaktionären Kräfte" (ebd.: 290 Im Weiteren beschreibt Hall die Einbindung von Teilen der Arbeiterklasse in den 'Thatcherismus' mittels dieser 'kleinbürgerlichen Anrufungen' (vgl. Hall 2014: 114), die im Kern der in Kapitel 7.3.2 beschrieben Ideologie der 'hart arbeitenden Mitte' entspricht. 291 Der Verband DIE FAMILIENUNTERNEHMER hieß früher Arbeitsgemeinschaft selbständiger Unternehmer (ASU) und gehört wie der BUND DER SELBSTÄNDIGEN (BDS), mit dem er teilweise kooperiert (vgl. Krickhahn 2010: 98), den "allgemeinen Mittelstandsverbänden" (ebd.: 92) an.

7.3 Nationale Schaffensgemeinschaft

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31) gestoßen. Diese spezielle Fraktion der bürgerlichen Klasse besteht aus "Unternehmer[n], die sich über die Form ihres Eigentums identifizieren" und umfasst dabei "einerseits viele kleine Unternehmen, die der Fraktion des nichtmonopolistischen Kapitals zuzuordnen sind, andererseits [... aber] auch einige Großunternehmen [...], die dem Monopolkapital zuzuordnen sind" (ebd.: 10). Vermutlich handelt es sich um Unternehmer, "die einerseits stark unter Konkurrenzdruck stehen und deren Eigentum gefährdet ist und die andererseits sehr bewusst für eine politische Lösung ihrer Probleme kämpfen" (ebd.), das heißt insbesondere für eine Abwehr zunehmender Konkurrenz durch eine weitere Europäisierung oder eine Internationalisierung im Allgemeinen (vgl. ebd.: 31). Diese Fraktion bildet zugleich den Kern eines national-konservativen Hegemonieprojektes, das Kannankulam/Georgi (2012) bezogen auf den Prozess der Europäischen Integration herausgearbeitet haben. In ideologischer Hinsicht stimmt dieses Projekt weitgehend mit den Kernaussagen des nationalistischen Interdiskurses überein. "Die soziale Basis des Projekts bilden einerseits kleine und mittelständische Unternehmen und Dienstleister (u.a. auch Einzelhandel, Gastwirtschaft, Handwerk, Landwirtschaft), die vor allem national oder lokal ausgerichtet und von der Konkurrenz durch transnationale Konzerne bedroht sind. Anderseits stützt sich das Projekt auf Teile der 'Weißen' bzw. autochthonen ArbeiterInnenklasse, aber auch traditionell konservative Milieus und 'bürgerliche' Schichten, die sich von ökonomischer und kultureller Deklassierung bedroht sehen oder bereits in die 'Unterschichten' abgerutscht sind. Die Ressourcen des Projekts liegen v.a. in der Fähigkeit diese AkteurInnen und Schichten über rechtspopulistische Kampagnen, Wahlkämpfe und Debatten zu mobilisieren (Kannankulam/Georgi 2012: 48).

Das implizite Klassenbündnis, das dem Projekt zugrunde liegt, besteht also aus jenen im vorigen Kapitel (7.3.2) angesprochen Gruppen, die sich traditionell (Kleinbürgertum) oder auch neuerdings (enttäuschte Teile der Arbeiter*innenklasse) als hart arbeitende Mitte konstituieren. Dies entspricht zugleich dem in Kapitel 2.1.3 angesprochenen rechten Mobilisierungspotenzial, das Vester (vgl. 2001) in seinen Milieu-Studien ausmacht. Hier zeigt sich erneut der bereits angesprochene potenzielle Resonanzraum für die Angebote der nationalistischen Mittelstandsideologen an 'die Arbeiterschaft' (vgl. Kapitel 6.3.4). "Anderseits geht" das national-konservative Hegemonieprojekt "in vielen Ländern im Rahmen konservativer Parteien und Stiftungen enge Bündnisse mit AkteurInnen des neoliberalen Hegemonieprojekts ein und profitiert von deren Ressourcen" (Kannankulam/Georgi 2012: 48) 292 . Mit anderen Worten zeigt sich hier, dass auch die Fraktion der kleinen Unternehmer*innen Teil des Machtblocks (Poulantzas) ist 292 In Deutschland ist 2013 im Zuge der Eurokrise genau an dieser Schnittstelle die AFD entstanden (vgl. Oppenhäuser 2013), deren weitere Entwicklung wesentlich durch das Spannungsverhältnis zwischen dem zunächst dominierenden neoliberalen Pol und dem völkisch-sozialen Pol des nationalistischen Feldes bestimmt war und ist.

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

und wesentliche Forderungen mit den dominanten Kapitalfraktionen teilt. Dies gilt unter anderem für "ein überwiegend gemeinsames Interesse an Deregulierungen und geringeren Steuer- und Abgabenlasten" (Krickhahn 2010: 101). Dies erklärt auch das Schwanken der Mittelstandsideologen in der Globalisierungsdebatte zwischen SACHZWANG und nationalistischer KRITIK (vgl. Kapitel 6.3.1.2). 7.4 Reterritorialisierung Ähnlich wie im Falle der hart arbeitenden Mitte schließt der nationalistische Diskurs auch an anderen Stellen an bestimmte Komplexe von Kollektivsymbolen (im Sinne einer stabilen Verbindung von Picturae und Subscriptiones) an. So ist das Muster GLOBAL-NATIONAL im mediopolitischen Diskurs eng an den Symbolkomplex der Ströme und Fluten gekoppelt, die transnationale – also die nationalen Grenzen überschreitende – Prozesse symbolisieren, seien es Migrationsbewegungen oder ökonomische Transaktionen aller Art. Dabei handelt es sich um ein zentrales Element der RETERRITORIALISIERUNGs-Aussage {geschlossen, fest, Dämme-Schotten-Trockenheit, Wurzel, wachsen, sesshaft, gebunden, hart, männlich, stark} / {offen, flüssig, Strom-Flut-Welle-Auflösung, Entwurzelung, Wurzellosigkeit, wuchern, nomadisch, bindungslos, weich, weiblich, schwach}. Auch im nationalistischen Interdiskurs sind die Äußerungen zur Globalisierung wesentlich durch diese Symbolik strukturiert, so dass beispielsweise von 'nomadisierendem Kapital' oder umgekehrt der Notwendigkeit einer 'Wiederverwurzelung des Kapitals' die Rede ist. Sie ist allerdings bei weitem nicht nur in diesem Zusammenhang relevant, vielmehr handelt es sich um ein zentrales, tragendes Moment des Diskurses, das als solches in der Literatur über rechte Ideologien kaum systematische Beachtung findet293. Viele zentrale Aussagen des Diskurses sind damit artikuliert, etwa VOLK (Wurzel), AUSLÄNDER (Entwurzelung), JUDEN (Wurzellosigkeit), oder WOHLFAHRTSSTAAT (Wuchern, Weiblichkeit, Schwäche). Dabei mögen jeweils einige der symbolischen Elemente im Vordergrund stehen. Doch diese konnotieren jeweils die gesamte Systematik der Äquivalenzketten, die damit entscheidend zur Integration der einzelnen Aussagen beziehungsweise der Kohärenz des Diskurses beitragen.

293 Loch (2001) beispielsweise greift bei der Behandlung der Frage "'Geschlossen' gegen die 'offene Gesellschaft'?" eher selbst auf die de-/reterritorialisierende Symbolik zurück, als sie zum Gegenstand der Analyse zu machen.

7.4 Reterritorialisierung

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7.4.1 Deterritorialisierung und Reterritorialisierung Die Bezeichnung Reterritorialisierung ist dem von Deleuze und Guattari eingeführten Gegensatzpaar Deterritorialisierung / Reterritorialisierung entnommen. Diese Terminologie dient den Autoren dazu, gesellschaftliche Prozesse als ein beständiges Wechselspiel der Institutionalisierung (Reterritorialisierung) einerseits und der Auflösung bestimmter Institutionen (Deterritorialisierung) andererseits zu denken. In diesem Zusammenhang nutzen sie exakt den symbolischen Antagonismus, der hier als RETERRITORIALISIERUNG bezeichnet wird, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass sie die Pole genau umgekehrt werten: Die Perspektive von Deleuze/Guattari (1992) ist auf die Deterritorialisierung im Sinne der möglichen Infragestellung jeder gegebenen Ordnung gerichtet. In diesem Sinne suchen sie "Fluchtlinien, Bewegungen, die Territorialisierung und Schichtung auflösen" (ebd.: 12) und damit einen Gegensatz zu "faschistischen Versteinerungen" (ebd.: 20) bilden. Die Rede von faschistischen Versteinerungen deutet sowohl die Relevanz der Terminologie von Deleuze/Guattari für die Untersuchung des nationalistischen Interdiskurses an, als auch die Schwierigkeit sie analytisch zu verwenden, da sie bewusst so angelegt ist, dass sie sich binären Unterscheidungen etwa zwischen Theorie und Literatur, Begriff und Metapher oder Pictura und Subscriptio entzieht. Dementsprechend schillernd sind auch die Bezugnahmen der Autoren auf unterschiedlichste – primär psychoanalytische, linguistische und marxistische – Theorien sowie die in diesem Zusammenhang entwickelten zahlreichen terminologischen Innovationen. An dieser Stelle soll es aber ausdrücklich nicht um diese "allgemeine Theorie der Gesellschaft" (Patton 2010: 203) gehen, die manche in den Büchern von Deleuze/Guattari entdecken können. Es soll lediglich ein Aspekt anhand des kleinen Textes 'Rhizom' (vgl. Deleuze/Guattari 1977, Dies. 1992: 12-42) herausgestellt werden, der für den Untersuchungsgegenstand von großer Bedeutung ist294. Dazu muss die von Deleuze/Guattari teils bis zur Ununterscheidbarkeit getriebene Vermischung begrifflicher und symbolischer Elemente wieder getrennt werden. Im Folgenden wird diese Unterscheidung nach dem Kriterium getroffen, ob jeweils (potenziell) von bestimmten Institutionen die Rede ist oder ob es sich andernfalls um Symbolik handelt. So gelesen zeigen Deleuze/Guattari, dass die hierarchischen Institutionen, die im nationalistischen 294 Dieser Punkt trifft sich mit Foucaults Lesart im Vorwort zur amerikanischen Ausgabe von 'AntiÖdipus', in dem er vorschlägt, das Buch als Ethik und zwar als "Einführung in das nicht-faschistische Leben" zu lesen, die unter anderem den folgenden Imperativ umfasse: "Verweigere den alten Kategorien des Negativen (Gesetz, Grenze, Kastration, Mangel, Lücke), die das westliche Denken so lange als eine Form der Macht und einen Zugang zur Realität geheiligt hat, jede Gefolgschaft! Gib dem den Vorzug, was positiv ist und multipel, der Differenz vor der Uniformität, den Strömen vor den Einheiten, den mobilen Anordnungen vor den Systemen! Glaube daran, daß das Produktive nicht seßhaft ist, sondern nomadisch!" (Foucault 1978: 228).

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

Diskurs als geheiligte Selbstzwecke erscheinen (der Staat, das Militär, das kapitalistische Unternehmen, die patriarchale Familie) auf der interdiskursiven Ebene eng mit einem symbolischen Komplex artikuliert sind, eben dem der {Territorialität, Sesshaftigkeit, Wurzel, etc.} auf der einen und {Strömen, Nomaden, Rhizom etc.} auf der anderen Seite. In diesem Sinne wäre etwa das oben genannte Beispiel der 'faschistischen Versteinerungen' nicht rein symbolisch zu lesen ('faschistische Versteinerungen') sondern als 'faschistische Versteinerung' im Sinne eines bestimmten, wesentlich hierarchischen institutionellen Ensembles, dem eine bestimmte Symbolik entspricht. Diese Symbolik kann (analog zur Institution) unterschiedlich gewertet sein. So werten Deleuze/Guattari die Versteinerung negativ und hoffen auf die Auflösung der hierarchischen Institutionen, während die Wertung bei den 'Felsen in der Brandung', die Theweleit (vgl. 2000: I 250ff.) als regelmäßige Selbstbeschreibung in der Freikorps-Literatur herausgestellt hat, genau umgekehrt ist. Insofern erscheint diese spezifische Verbindung von bestimmten Symbolen mit bestimmen Institutionen (und bestimmten subjektivkörperlichen Zuständen) als allgemeines Kennzeichen des Interdiskurses, während die unterschiedliche Verwendung der Symbolik unterschiedliche diskursive Positionen (und zugleich politische Positionen hinsichtlich der Institutionen) kennzeichnet (vgl. Link 1988a). Exemplarisch für die Position von Deleuze/Guattari (1992) ist die folgende Kollage aus dem Rhizom-Text: Dem "Baum oder d[er] Wurzel als Bild" entspricht die "binäre Logik [...] unter der Voraussetzung einer starken, ursprünglichen Einheit, jener Hauptwurzel, die die Nebenwurzeln trägt" (ebd.: 14). "Das Rhizom" entspricht dagegen dem Prinzip der Mannigfaltigkeit, es "kann die unterschiedlichsten Formen annehmen, von der verästelten Ausbreitung in alle Richtungen an der Oberfläche bis hin zur Verdichtung in Zwiebel und Knollen" (ebd.: 16). So gesehen gibt es unter anderem keine "homogene Sprachgemeinschaft" oder allenfalls als "Machtergreifung einer vorherrschenden Sprache in einer politischen Mannigfaltigkeit. Die Sprache stabilisiert sich im Umkreis einer Pfarrei, eines Bistums, einer Hauptstadt. Sie bildet Knollen. Sie entwickelt sich durch unterirdische Verästelungen und Strömungen, sie folgt Flußtälern oder Eisenbahnlinien, sie breitet sich wie eine Öllache aus" (ebd.: 17). Das Wurzeldenken "hat immer etwas Genealogisches" (ebd.: 17), das "Rhizom ist eine Anti-Genealogie" (ebd.: 21), die ihrerseits konstruiert werden muss: "Man muss deterritorialisierende Strömungen konjugieren, [...] die Fluchtlinie ausdehnen, [...] Wasserrinnen des Regens [...] die Samen weit fortgetragen haben [folgen …], Wucherungen […], [die] dem Unkraut vergleichbar, ein Rhizom" (ebd.: 22f.) hervorbringen. Diese Hervorbringung ist ein konstruktiver Akt, keine Reproduktion im Sinne der Abbildung. Die Abbildung bringt nur "Sackgassen und Blockierungen, die Keime für Pfahlwurzeln" hervor, indem sie "eingrenzt und [...] Ausgänge versperrt, [...] verwurzelt, [...] abblockt" und Subjekte anruft, "nehmt Haltung an" (ebd.: 25). "Diktatur. Darauf läuft [...] das Prinzip der Wurzeln und Bäume hinaus" (ebd.: 30). In diesem Paradigma, "gibt es immer einen General, einen Chef", beziehungsweise Systeme mit "Zentralorganen, dem Phallus, Phallusbaum" (ebd.: 31). Damit verbunden ist die "Geschichte", die "immer nur aus der Sicht der Seßhaften und im Namen eines einheitlichen, zumindest eines möglichen Staatsapparates geschrieben worden" ist und an deren Stelle "eine Nomadologie, das Gegenteil von Geschichtsschreibung" treten sollte, eine "nomadische, rhizomatische Schreibweise […], ein semiotischer Strom, [...] ein Strom des Begehrens und der Sexualität" (ebd.: 39).

7.4 Reterritorialisierung

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Gelesen nach dem oben genannten Kriterium Institution / Symbol ergibt sich aus diesen Passagen folgender symbolischer Antagonismus: {Baum, Wurzel, Hauptwurzel mit Nebenwurzeln, Keime für Pfahlwurzeln, Sackgasse, Blockierung, Eingrenzung, Versperrung der Ausgänge, Sesshaftigkeit, Phallus, Phallusbaum} / {Rhizom, unterirdische Verästelungen, Zwiebeln und Knollen, Wucherungen, Unkraut, oberflächliche Öllachen, Fluchtlinien, Strömungen, Wasserrinnen – die Samen forttragen, Nomadentum, Strom des Begehrens und der Sexualität}. Auf der Ebene abstrakter Konzepte entspricht dies den Ketten {Reterritorialisierung, ursprüngliche Einheit, Genealogie, Reproduktion-Abbildung, binäre Logik} / {Deterritorialisierung, Mannigfaltigkeit, Anti-Genealogie, konstruktiver Akt, Konjugation}. Und auf der institutionellen Ebene ist die Seite der Reterritorialisierung äquivalent zur Kette {Diktatur, General, Chef, Zentralorgan, Staatsapparate, Hauptstadt, Haltung annehmen, Machtergreifung, homogene Sprachgemeinschaft}. Es ist kein Zufall, dass Alain de Benoist diese Gegenüberstellung der Wurzel und des Rhizoms rezipiert, um sich entschieden auf die Seite der Wurzel zu stellen, die in seinen Texten so zentral ist (vgl. Kapitel 6.2.2.2). Gerade mit Blick auf den systematischen Zusammenhang von Symbolik und autoritären Institutionen sind seine Texte eindeutig. Nicht zuletzt das entgeht jenen Kommentatoren, die in seinen Schriften (vermutlich nicht zuletzt aufgrund der ausgeprägten Kollektivsymbolik) einen mehrdeutigen 'Postmodernismus' sehen. Spiegelbildlich dazu – und ebenso abwegig295 – steht der folgende Vorwurf, von dem Deleuze/Guattari (1977: 16f.) in einer früheren Variante des Rhizom-Textes berichten: "Man hat uns des Faschismus bezichtigt". Diese später gestrichene Passage folgt auf die oben zitiert Formulierung der 'faschistischen Versteinerungen' (in dieser Version wörtlich: "Verhärtungen"), und die Autoren begegnen dem Vorwurf mit den Worten, "so faschistisch können wir gar nicht sein, solange wir uns bewusst sind, dass Faschismus nicht nur derjenige der Anderen ist. Gruppen und Individuen enthalten Mikro295 Es ist im Gegenteil ein großes Vergnügen zu lesen, wie Deleuze/Guattari (vgl. 1992: 16, 21) im Rhizom-Text einschlägige Symboliken rechter Propaganda umwerten und der positiven Seite der Deterritorialisierung zurechnen, bis hin zu den aus Nazipropagandafilmen bekannten Ratten oder den Viren, deren Einschleppung in rassistischen Diskursen gefürchtet wird (vgl. zu beiden Aspekten die Studie von Gerhard 1998). Nicht zu vergessen ihre Dekonstruktion des verschwörungsideolgischen Standards der Marionette unter Bezugnahme auf Ernst Jüngers 'Annäherungen. Drogen und Rausch' (vgl. Deleuze/Guattari 1992: 18).

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faschismen, die nur darauf warten auszukristallisieren" (ebd.). Es sind nicht zuletzt solche Symbole, die Mikro-, Meso- und Makroebenen verknüpfen, insofern sie mit spezifischen Subjekteffekten und entsprechenden individuellen Affekten einhergehen. 7.4.2 Verschlossene Körper An dieser Stelle wird deutlich, dass die hier verwendete Unterscheidung nach dem Kriterium Institution / Symbolik nur eine von mehreren Möglichkeiten ist, welche die diskursive Ebene in ihrer Verknüpfung mit der gesellschaftlichen Ebene der Institutionen besonders betont. In Übereinstimmung mit Foucaults methodologischer Forderung, die Aussagen zugleich mit Bezug auf die Bereiche der institutionellen Praxen und des Begehrens zu analysieren, sind ebenso gut andere analytische Systematisierungen möglich, nicht zuletzt solche, die auf die psychische und körperliche Ebene abheben. Tendenziell wäre dann etwa der auf das Individuum bezogene Mikrofaschismus symbolisch zu lesen, während die zitierten (und unter Symbolik subsummierten) sexuellen Komponenten im Text von Deleuze/Gauttari umgekehrt eher nicht-symbolisch zu lesen wären. So macht Theweleits Studie in der hier verfolgten Perspektive vor allem auf den Zusammenhang von militärischer Disziplinierung und symbolischer Deterritorialisierung – einschließlich des Komplexes feste-harte-Männerkörper versus weiche-fließendeFrauenkörper – aufmerksam, der mit einer generellen Präferenz für autoritäre Institutionen einhergeht (vgl. Kapitel 3.2.5). Zugleich verknüpft Theweleit dies – unter Rückgriff auf den Begriff des Begehrens von Deleuze/Guattari – mit den physischen Männerkörpern, von denen etwa berichtet wird, dass sie während des Fronteinsatzes im ersten Weltkrieg häufig an schmerzhaften Dauererektionen litten (vgl. Theweleit 2000 I: 254). Die Relevanz des Diskursiven hinsichtlich der psychisch-körperlichen Ebene (und zugleich der politisch-institutionellen) zeigt sich indirekt auch in den Studien von Decker/Brähler (2006: 105), die mittels des Gießen-Tests – einem psychoanalytisch orientierten Fragebogen zur Erhebung der Persönlichkeitsstruktur – feststellen, dass "Personen mit rechtsextremer Einstellung" zugleich "dominanter" und "verschlossener" sind als andere, während andere Skalen keine signifikanten Unterschiede zeigen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die kollektivsymbolische Bezeichnung der Skala zur Messung der "Durchlässigkeit", die Werte zwischen den Polen "sehr aufgeschlossen, offen" und "eher verschlossen und misstrauisch" ermittelt. In der Reihe der dazugehörigen Items (vgl. Beckmann/Brähler/Richter 1991: 44) entspricht dies vor allem der Frage, ob die Testpersonen eher schwer oder leicht 'aus sich heraus gehen'. Die anderen Fragen heben auf das Erleben der (Liebes-)Beziehungen zu anderen Menschen ab, ohne diesen Bildbereich direkt zu verwenden, der dann in der Interpretation aber wiederum um so deutlicher hervortritt:

7.4 Reterritorialisierung

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"Aus dem basalen Vertrauen entwickelt sich Offenheit, Durchlässigkeit nach außen und innen. Positive Objektkontakte stabilisieren zugleich eine unbeschwerte Aufgeschlossenheit für die eigenen Gefühle. Auf der anderen Seite entwickelt sich aus Angst vor einer feindlichen Umwelt Verschlossenheit. Man fürchtet, ausgebeutet und missbraucht zu werden, wenn man sich öffnet. Man hält deshalb krampfhaft fest, was man in sich hat. Man bleibt damit zwar isoliert, kann aber auch nicht von außen ausgeleert oder gar kaputt gemacht werden" (ebd.: 45).

Es ist zu vermuten, dass eine direkte Untersuchung der emotionalen Reaktionen von Proband*innen auf die entsprechende Symbolik zu ähnlichen Ergebnissen führen würde. Hier ist zunächst die relativ dauerhafte und konsistente Verknüpfung von körperlich-psychischer, institutioneller und semantischer Ebene festzustellen, unabhängig von der Frage, nach welchem Modell diese Kopplungen adäquat zu begreifen wären. Die Relevanz der symbolischen Aussage der RETERRITORIALISIERUNG, die in der vorliegenden Untersuchung als Kennzeichen des Materials herausgestellt wurde, bestätigt sich auf unterschiedlichen Ebenen, vom Körperpanzer der Freikorps-Soldaten gegen die roten Fluten, den Theweleit herausarbeitet, bis hin zur verschlossen Persönlichkeitsstruktur, die Decker-Brähler als psychisches Pendant 'rechtsextremer Einstellungen' festmachen. In diesem Zusammenhang sind sowohl die theoretischen Überlegungen als auch die empirischen Untersuchungen zur Struktur der Kollektivsymbolik von Link relevant (vgl. zum folgenden Link 1982, 1984, 1988a sowie Link/Heer 1983). Gegenüber der Ununterscheidbarkeit bei Deleuze/Guattari und bei Theweleit plädiert Link für eine analytische Trennung der institutionellen, der körperlichpsychischen und der semantisch-diskursiven Ebene, auf die sich seine Analysen konzentrieren. Die Verbindung zur psychisch-körperlichen Ebene besteht in dieser Perspektive in erster Linie in den subjektbildenden Effekten ('Anrufungen' im Sinne Althussers). Mit Blick auf psychoanalytische Theorien räumt er ein, dass körperbezogene Bilder einschließlich emotionaler Affekte (z.B. Ekel vor Ratten, Angst vor Krankheit etc.) eine besondere Relevanz haben mögen, betont jedoch in erster Linie ihr Funktionieren innerhalb der (symbolischen) Äquivalenzketten. Empirisch zeigen seine Arbeiten, dass die Grundstruktur des Interdiskurses in vielerlei Hinsicht analog zur RETERRITORIALISIERUNG aufgebaut ist. So erscheint 'unser' politisches System regelmäßig als {Schiff, Land-Insel, gesunder Körper, ...}, das von einem mehr oder minder feindlichen Außen {Flut, Chaos, Viren, ...} umgeben ist (vgl. Abbildung 16). 7.4.3 Grenzverhärtung und Protonormalismus Als charakteristisch für die diskursive Position, die hier als nationalistischer Interdiskurs bezeichnet wird, sieht Link allerdings ebenfalls eine besondere Akzentuierung des Komplexes Offenheit / Geschlossenheit an, nämlich eine Verhärtung

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der Grenzen im doppelten Sinne. Einerseits durch eine starke Betonung der symbolischen Grenzen {Damm, Schott, Panzer, Front} und zugleich durch das Äquivalentsetzen verschiedener Referenzbereiche (etwa Politik, Migration, Sexualität) mittels dieser binären Struktur, sprich die gleichzeitige symbolische Verortung bestimmter Gruppen {etwa 'Kommunisten', 'Ausländer', 'Perverse'} jenseits der Grenze. Dies trifft sich mit Links (vgl. 2006: 51ff.) späteren Analysen zum Normalismus, wie sich an den gerade angedeuteten Beispielen verdeutlichen lässt. Zentrales Moment des Normalismus ist ein spezifischer Umgang mit den Dynamiken der Industriegesellschaften, nämlich die statistische Erhebung von Daten und die Ermittlung von Durchschnittswerten, die als 'normal' gelten. So lässt sich unter anderem von normalen politischen Einstellungen (gegenüber anormalem Extremismus, etwa 'Kommunismus'), einer normalen Einwanderungsquote (gegenüber einem anormalen 'Anstieg des Ausländeranteils') oder einem normalen Sexualverhalten (gegenüber anormalen 'Perversionen') sprechen. Ausgehend davon unterscheidet Link idealtypisch zwei verschiedene Strategien der Normalisierung dynamischer Referenzbereiche. Der 'flexible Normalismus' zeichnet sich durch relativ breite Normalfelder aus, die einen großen Bereich der (akzeptierten) Normalität und einen geringen Teil (problematischer) Anormalität ergeben, sowie gegebenenfalls durch die Anpassung an gesellschaftliche Dynamiken mittels einer Verschiebung der Skala und damit der Normalwerte. Auf der symbolischen Ebene entspricht dies einer relativ flexiblen Grenze {Ventil, Schranke u.ä.}. Politischinstitutionell tendiert der flexible Normalismus zur Integration, das heißt zu einem relativen Pluralismus an politischen Positionen, kulturellen Traditionen oder sexuellen Präferenzen. Der 'Protonormalismus' hingegen konstruiert relativ enge Bereiche der Normalität, die tendenziell an normative Konzepte (im Gegensatz zur statistischen Erhebung) angelehnt sind, etwa eine grundsätzlich nationale politische Orientierung, ein bio-genealogisches Konzept der Bevölkerung im Gegensatz zu Ausländern oder die heterosexuelle Familie im Gegensatz zu Homosexualität. Symbolisch entspricht dem die Betonung und Härte der Grenze {Front, Damm, etc.} und politisch-institutionell die Ausschließung beziehungsweise die materielle Einschließung der Anormalen in staatlichen Sonderzonen wie Gefängnissen, Sammellagern oder Psychiatrien. Link betont die Koexistenz und partielle Überlagerung der beiden normalistischen Strategien, stellt zugleich aber fest, dass es "eine Art 'Kohärenzzwang'" (ebd.: 59) gibt, der sich sowohl auf die jeweiligen diskursiven Positionen als auch auf die "einzelnen Subjekte" (ebd.:) auswirkt, die im Falle des Protonormalismus entsprechend zur Ausbildung eines autoritären Charakters neigen (vgl. ebd.: 58). Der nationalistische Interdiskurs ist offensichtlich ein Protonormalismus par excellence, der sich nicht zuletzt durch eine Zuspitzung der im mediopolitischen Diskurs angelegten RETERRITORIALISIERUNG mittels rigider Grenzziehungen in

7.4 Reterritorialisierung

455

unterschiedlichen Bereichen auszeichnet. Erfolge der nationalistischen Rechten sind in dieser Hinsicht vor allem dann zu erwarten, wenn der mediopolitische Diskurs in einem oder gar mehreren Feldern zu deutlicher Grenzziehung tendiert (vgl. Link 1984, 1988a). So hat Gerhard (1998) gezeigt, wie sich in den 1920erJahren insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der Migration(spolitik), aber auch mit anderen Formen von Massendynamiken und ihrer staatlichen Regulierung (darunter Sozialhygiene, Sozial- und Geopolitik), ein interdiskursiver Wissenskomplex entstanden ist, in dessen Zentrum das Nomadische steht. Dieser Komplex entspricht exakt den Elementen der RETERRITORIALISIERUNGAussage und Gerhard beschreibt sowohl die generelle Tendenz des Interdiskurses zu dieser spezifischen Anordnung als auch ihre besondere Relevanz im Feld der nationalistischen Rechten. Symptomatisch ist die interdiskursive Verhandlung der Einwanderung von 'Ost-Juden', auf die politisch-institutionell schon zu Beginn der 1920er-Jahre mit Grenzschließung, der Errichtung von – wörtlich – Konzentrationslagern und Abschiebungen reagiert wurde. "Die politische Entwicklung, mit der zu Beginn der Weimarer Republik antisemitische Positionen eine enorme Verbreitungs- und Durchsetzungsmöglichkeit erhalten, geht einher mit neuen Frontbildungen innerhalb der Kollektivsymbolik der Wanderungsbewegungen. Unter dem allgegenwärtigen Stichwort vom 'lästigen Ausländer' stabilisiert sich die Verbindung von 'ostjüdischer Zuwanderung' mit einer Serie symbolischer Äquivalenzen wie Überschwemmung, nomadische Masse, Zerstreuung, Ansteckung, Bazillen, Parasiten und Ungeziefer. Das zeitgenössische medizinisch-hygienische Wissen mit seinen Relationen zur massendynamischen Symbolik auf der einen und zur Problematisierung der Wanderungsbewegungen auf der anderen Seite unterstützt diese Gleichsetzungen und die implizierten festen Grenzziehungen" (Gerhard 1998: 189)

auf der symbolischen wie der materiellen Ebene nationalstaatlicher Grenzregulierung. Anhand einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift zeichnet Gerhard unter anderem die Verbreitung des hygienischen Wissens zur Bekämpfung von Parasiten unter anderem mittels Zyklon-Gas in den 1920er-Jahren nach, welche die Methode des Massenmordes an den europäischen Juden* im Nachhinein geradezu als logische Konsequenz der Symbolisierung von (Ost-)Juden als Parasiten erscheinen lässt. Wenngleich keine direkte kausale Linie von der symbolischen Ebene zu jener der späteren materiellen Praxen unterstellt werden kann, zeigt dieses Beispiel dennoch drastisch, dass erstere ein keineswegs zu vernachlässigender Faktor ist. So ist es – um zur Frage der systematischen Grenzverhärtung zurückzukommen – auch kein Zufall, dass alle Gruppen, die ab 1933 in Konzentrationslagern interniert wurden, seitens der nationalistischen Rechten zuvor mittels jener Symbolik der Deterritorialisierung codiert wurden, die Gerhard als Komplex des Nomadischen bezeichnet, angefangen mit den als rote Fluten imaginierten Kommunisten (Theweleit).

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

Ohne damit eine in vielerlei Hinsicht unangebrachte generelle Analogie dieser historischen Phasen andeuten zu wollen, lässt sich eine Symbolisierung von Migration mittels deterritorialisierender Symbolik auch im mediopolitischen Diskurs der 1980er-Jahre feststellen. Seit Beginn dieses Jahrzehnts wurden Migrant*innen im mediopolitischen Diskurs vielfach stereotyp als Fluten, gegen die es Dämme zu bauen gälte, als Überschreitung der normalen Belastungsgrenze und so weiter symbolisiert (vgl. zusammenfassend Link 1992). Dem entsprach auf der politisch-institutionellen Ebene die Einrichtung von Sammellagern sowie später von Abschiebegefängnissen im Zuge der faktischen Abschaffung des Asylrechtes. Allerdings kam es im Zuge dessen nicht zu einer absoluten gesellschaftlichen Dominanz des Protonormalismus, dem das 'Durchregieren' einer nationalistischen Formation entsprochen hätte. Dagegen standen andere 'flexibel normalistische' Tendenzen, im Falle der drei Beispielfelder etwa, die Normalisierung der Homosexualität ('Homo-Ehe'), die Erweiterung des politischen Normalfeldes um sogenannte rechts- und linkspopulistische Parteien und selbst im Feld der Migrationspolitik eine gewisse Normalisierung von Einwanderung (Änderung des Staatsbürgerschaftsrechtes, Greencard u.a.), meist (inhuman genug) unterfüttert mit ökonomischen Nützlichkeitskalkülen. Dennoch ist es in dieser Hinsicht kein Zufall, dass zu der Zeit (in ganz Europa) eine Konjunktur der nationalistischen Rechten zu beobachten ist, deren zentrales Thema AUSLÄNDER sind. Auch die in der vorliegenden Arbeit analysierte Konstellation des nationalistischen Feldes in Deutschland um die Jahrtausendwende war (ungeachtet anderer inhaltlicher, organisatorischer und personeller Kontinuitätslinien) im Wesentlichen in den 1980er-Jahren entstanden, von der Gründung der REP, über die Umwandlung der DVU in eine Partei bis zur Entstehung der Rechtsrock-Szene und des bewegungsförmigen militanten Neonazismus. Und auf der inhaltlichen Ebene war deutlich zu erkennen, dass das Thema AUSLÄNDER in diesem Feld nach wie vor zentral war und (entlang der symbolischen Linien der RETERRITORIALISIERUNG) mit Grenzziehungen zu anderen Gruppen verknüpft wurde. 7.4.4 Das nationalstaatliche Dispositiv und die inneren Grenzen Auch Balibar beobachtet "die Fusion (oder Konfusion) aller Unterschiede, aller Grenzlinien, [...] der ethnischen oder nationalen und kulturellen Unterschiede, der wirtschaftlichen und sozialen Unterschiede oder Ungleichheiten, vielleicht sogar der 'Abnormitäten' oder der Unterschiede zwischen dem Normalen und dem Pathologischen im System der heutigen rassistischen Diskurse" (Balibar 2005: 72).

Er fasst diese 'Fusion der Grenzen' als einen möglichen aber keineswegs notwendigen Effekt des institutionellen Ensembles, das in seiner Gesamtheit den Nationalstaat bildet, inklusive der Grenze zum Ausland beziehungsweise den Ausländern (vgl. Kapitel 7.1.1). Dieses Dispositiv (also Familie, Arbeitsamt,

7.4 Reterritorialisierung

457

Schule und vieles mehr) produziert die 'Rollen' im Prozess der gesellschaftlichen Arbeitsteilung (Familienvater, ungelernte Arbeiterin usw.) und zwingt die Individuen in seinem Rahmen eine Identität auszubilden. Die Ausbildung einer Identität – unter jeweils gegebenen institutionellen Umständen – begreift Balibar als anthropologische Notwendigkeit, die als solche "eine (fluktuierende, durchlässige) Grenze zwischen dem Normalen und dem Pathologischen bildet" (ebd.: 55). Die beiden Pole der Pathologie, gegen die Balibar eine normale Identität (wie fluktuierend auch immer) abgrenzt, bestehen in der rigiden Verabsolutierung einer bestimmten 'Rolle' auf der einen und der beständigen Vervielfältigung und Unbeständigkeit der 'Identitätsmomente' auf der anderen Seite296. Ergänzt werden könnte an dieser Stelle, dass die Grenze zwischen dem Normalen und dem Pathologischen im Zweifelsfall wiederum durch die Apparate des nationalen Gesundheitssystems, insbesondere die Psychiatrie mit ihren alles andere als fluiden Mauern, organisiert wird. In diesem Zusammenhang bezieht sich Balibar (vgl. 2005: 59) auf Foucaults (vgl. 1977: 173ff.) Beschreibung der Normalisierung der Individuen mittels der verschiedenen institutionellen Formen der Disziplinarmacht, wobei er – ähnlich wie Poulantzas (vgl. 2002: 76ff.) – vor allem deren Verdichtung zum Nationalstaat hervorhebt. Mit Blick auf die Verknüpfung der 'anthropologischen Notwendigkeit' der Identitätsbildung mit dem historischen Dispositiv des Nationalstaates spricht Balibar (2005: 70) vom "homo nationalis", im Sinne einer historischen Existenzweise, in der die Individuen zur Identitätsbildung im Rahmen von staatlichen Institutionen gezwungen sind, die sie zugleich (wenigstens implizit) in Bezug zu 'ihrem Staat' beziehungsweise 'ihrer Nation' setzen. Zentrales Relais dieser Prozesse ist der individuelle Körper, auf den die disziplinierenden Rituale einwirken und dabei ein bestimmtes "Körperbild (der eigene und der Körper der anderen, zwischen denen sich die Identifikations- und Ablehnungsprozesse instituieren)" hervorbringen, dessen Bedeutung im Falle von "emotionsgeladenen 'symbolischen' Vorfällen" (ebd.: 59) deutlich wird. In diesem Sinne lässt sich auch das Kapitel von Theweleit (vgl. 2000 II: 143) lesen, in dem er (ebenfalls mit Bezug auf Foucault) die Rituale in der militärischen Sozialisation mit der Ausbildung des 'soldatischen Körperpanzers' in Beziehung setzt. Diese Schnittpunkte von individuellen Körpern und den Institutionen des nationalstaatlichen Dispositivs erklären,

296 Dieser zweite Pol ist tendenziell gegen die Konzeption von Deleuze/Guattari gerichtet (vgl. Balibar 2005: 56, Anmerkung 26). Umgekehrt ließe sich hier allerdings durchaus die Frage stellen, inwiefern der von Balibar beschriebene Identitätszwang – gerade hinsichtlich so problematischer Kategorien wie Normalität / Pathologie – nicht insgesamt durch das historische Apriori der modernen Institutionen produziert wird.

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

"warum die nationale Grenze in Europa seit zwei oder drei Jahrhunderten eine so bemerkenswerte Einheit von Gegensätzen in sich birgt: warum die Grenze nicht nur die 'äußerste' Institution ist, die sich auf die gewalttätigste, antidemokratischste, willkürlichste Weise behauptet, sondern auch diejenige, die vom Subjekt auf das intimste gelebt und verinnerlicht wird, die sein Gefühl der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft (zum Imaginären der Nationalität) fixiert und damit [...] 'die innere Grenze'" (Balibar 2005: 67f.)

des Subjektes bildet. Nach diesen Überlegungen von Balibar berühren sich also verschiedene Formen von symbolischen und materiellen Grenzen an der Grenze des Nationalstaates, darunter die 'inneren Grenzen' der individuellen Identität(en), die Grenze zwischen Inländern (die Zugang zu bestimmten sozialen und politischen Rechten haben) und den Ausländern, die Grenze zwischen normalem und pathologischem Verhalten oder die Grenzen der kulturellen (religiösen etc.) Institutionen und Praktiken, die als legitimer Teil des nationalen Ensembles gelten. "Die Grenze (und besonders die nationale Grenze, die Staatsgrenze) ist also sowohl der Punkt an dem alle Unterschiede zusammenströmen, wie auch der Punkt, an dem sie sich scheiden und sorgfältig 'sortiert' werden (wo etwa der Migrant und der Delinquent, der Erwachsene und das Kind und so weiter unterschiedlich [i.O. kursiv] behandelt werden – solange sie nicht durch einen gefährlichen 'Kurzschluss' zu Zeichen werden, wie im Falle des Nationalsozialismus und in geringerem Maße bei vielen anderen Ausprägungen von Nationalismus, Rassismus, Eugenik und Maßnahmen 'zum Schutz der Gesellschaft')" (ebd.: 69f.).

Damit betont Balibar das Potenzial des nationalstaatlichen Dispositivs, bestimmte Formen des "Totalitarismus" (ebd.: 67) auszubilden, ohne beides gleichzusetzen. Dies entspricht der symbolischen Struktur des mediopolitischen Diskurses, in dem etwa die Grenze, die 'uns' von den 'anderen' abgrenzt, zugleich die Staatsgrenze und die Grenze der Normalität bildet, sowie nicht zuletzt die Grenze des sozialen Körpers als zentraler symbolischer Verknüpfung der individuellen und der gesellschaftlichen Ebene (vgl. Abbildung 16). Den entscheidenden Punkt beim Kippen dieser Grundstruktur in den 'Totalitarismus' scheint auch Balibar in der symbolischen Grenzverhärtung zu sehen, dem 'Kurzschluss auf der Ebene der Zeichen', durch den verschiedene soziale Kategorien äquivalent gesetzt {Delinquenten, Migranten, Kommunisten, Perverse, …} und ausgegrenzt werden, was potenziell mit ihrer materiellen Einschließung in Sonderinstitutionen einhergeht. Angesichts der nun mehrfach konstatierten engen Verknüpfung dieser symbolischen Strukturen mit den gesellschaftlichen Institutionen aber auch mit den individuellen Körpern und ihrem psychischen Erleben, werden manche auf den ersten Blick völlig absurden Phänomene zumindest teilweise erklärbar, etwa das unmittelbare Zusammenfallen von Globalisierungskritik und rassistischer Gewalt im Falle des Neonazismus, das Kaindl wie folgt beschreibt: "Gesellschaftliche Prozesse werden hier ethnifiziert, gleichzeitig 'erklärt', und es werden politische Handlungsoptionen angeboten, die eine Art 'Selbstermächtigung' versprechen. Der so

7.4 Reterritorialisierung

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genannten entfremdeten Lebensweise wird diejenige der Identität in und mit dem eigenen Volk entgegengestellt. Indem multinationale Konzerne, die Anwesenheit von Flüchtlingen und ausländischen Mitbewohnern etc. in Deutschland als zwei Seiten der gleichen Medaille gedacht werden, kann das eine unmittelbar im anderen bekämpft werden. Rassistische Gewalt ist hier direkte Antiglobalisierungs-Politik. Die Abstraktheit der Vermittlungszusammenhänge muss nicht gedacht werden, die Erfahrung von politischer Hilflosigkeit angesichts globaler Prozesse kann in Handlungen umgesetzt werden" (Kaindl 2006: 67).

Dies ist sicher eine treffende Beschreibung, ergänzend zur rationalisierenden Einordnung ist aber zu betonen, dass hier wahrscheinlich weniger 'gedacht' und 'erklärt' als unmittelbar 'gefühlt' und 'erlebt' wird und zwar gemäß der Struktur der symbolischen Äquivalenzketten. Auf der folgenden Seite zitiert Kaindl selbst aus einer entsprechenden Quelle, in der die "formlose, zerfließende [...] Massengesellschaft" gegen die "wurzelhafte, homogene und bodenständige Volksgemeinschaft" gesetzt wird (ebd.: 68). So ist die Vorstellung von der Identität des VOLKES eng an ein bestimmtes (festes, geschlossenes) Erleben der eigenen Identität gekoppelt und die Äquivalenz von {globalen Prozessen, multinationalen Konzernen und Migrant*innen} läuft wesentlich über die gemeinsame Symbolisierung als grenzüberschreitende Ströme und so weiter, die 'im Inneren' auflösend wirken. Im Folgenden argumentiert Kaindl überzeugend, dass diese Ideologie nicht zuletzt die Erfahrungen von Lohnabhängigen unter den Bedingungen des finanzdominierten Akkumulationsregimes – also zunehmende Konkurrenz, Prekarisierung und Entwertung der Arbeitskraft bei abnehmender sozialstaatlicher Sicherung – auf spezifische Weise artikuliert. Das bedeutet im Anschluss an Balibar, dass die durchaus reale Bedrohung jener Identitäten, die das nationalstaatliche Dispositiv der Arbeitsteilung produziert, gemäß den symbolischen Strukturen, als Bedrohung der individuellen 'inneren' und zugleich der nationalstaatlichen Grenzen erlebt wird. Die rassistische Gewalt – die nach Kaindl als Handlungsoption eine Art Selbstermächtigung ermöglicht – wird demnach als eine SelbstVerteidigung im doppelten Sinne erlebt. Dies entspricht sowohl dem paranoiden Eindruck, den die Täter oftmals machen, als auch ihren Selbstbeschreibungen (als Verteidiger des Vaterlandes etc.)297. Mit anderen Worten hat die typische Verschiebung sozialer Antagonismen auf die rassistische Ebene (vgl. PIT 1980: I 67), die begrifflich meist kaum plausibel zu machen ist (Ausländer plus transnationale Konzerne etc.), eine Entsprechung auf der symbolischen Ebene. Hier erscheint die Überführung von Fragen der Herrschaft und der Ausbeutung in einen Gegensatz von innen und außen im Rahmen einer Erzählung, die auf der Bildebene konsistent ist und dabei unterschiedliche Referenzbereiche – persönliche Erfahrung, ökonomische und soziale Prozesse – 297 Ein drastisches Beispiel dafür ist die Behauptung des norwegischen Nazis Anders Breivik, er habe bei seinem Massaker in Oslo 2011 in Notwehr gehandelt.

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

an der Schnittstelle zwischen sozialen Verhältnissen und individuellem körperlichem Erleben integriert. 7.4.5 Die Ströme von Arbeit und Kapital Damit wäre der Bogen zurück zu der in Kapitel 7.4 erwähnten Symbolisierung transnationaler ökonomischer Prozesse als Ströme, Fluten etc. im mediopolitischen Diskurs geschlagen. Diese legt "eine auf nationale Identität hin orientierte Politik und die damit einhergehende symbolische Position der Reterritorialisierung" (Gerhard 1998: 169) nahe, die der HANDELSSTAAT-Aussage im nationalistischen Interdiskurs entspricht (vgl. Kapitel 7.5). In diesem Zusammenhang stellt sich allerdings auch die Frage nach einem generellen Zusammenhang von Kapitalismus und dem Komplex der De-/Reterritorialisierung. Laut Patton entwickeln Deleuze/Guattari "eine Terminologie, die eine Darstellung des Kapitalismus erlaubt, der als eine nicht-territorial verankerte Axiomatik der Ströme (von Materie, Arbeit und Informationen) einem territorialen System der Übercodierung entgegensteht. Sie umfass[t] einen Begriff des Staates als Vereinnahmungsapparat, der in seinen gegenwärtigen Aktualisierungsformen zunehmend den Erfordernissen der kapitalistischen Axiomatik untergeordnet wird, und einen Begriff von [...] nomadischen Kriegsmaschinen[], welche die Akteure des sozialen und politischen Wandels sind" (Patton 2010: 205).

Ob es sich bei dieser Terminologie um sozialwissenschaftlich brauchbare Begriffe handelt, mit denen sich die Dynamik des Kapitalismus, also seine beständige Reproduktion aber auch Transformation inklusive der jeweiligen Staatsformen, adäquat begreifen lässt, sei dahingestellt. Doch auch wenn nur die um diese Begrifflichkeiten gruppierte Symbolik in den Blick genommen wird, fällt der häufige Gebrauch deterritorialisierender Bilder in diesem Zusammenhang auf, der zum einen historisch relativ weit zurückreicht und zum anderen quer zu politischen Positionen liegt. Interessant sind in diesem Zusammenhang die vereinzelten Hinweise auf die Verknüpfung von transnationaler Migration und Außenhandelsfragen mittels entsprechender Symbolik in der Studie von Gerhard (vgl. 1998: 82) über die Phase der Weimarer Republik. Ein Beispiel liefert das SPIEGEL-SPEZIAL zur Globalisierung, in dem auszugsweise eine Passage aus dem 'Kommunistischen Manifest' zitiert wird (vgl. SP: 13), die des Öfteren in der Globalisierungsdebatte aufgerufen wird (vgl. Sablowski 2001: 870). Im SPIEGEL dient dieses Zitat vor allem zur Illustration des Gegensatzpaares GLOBAL-NATIONAL. Es folgt bezeichnenderweise auf einen Abschnitt, der den "Zustrom" osteuropäischer Arbeitskräfte thematisiert und resümiert: "Legal, illegal, halb legal – die Grenzen verwischen, seit sich die Grenzen geöffnet haben. Die einen drängen rein, die anderen drängen raus. [...] Die Globalisierung schreitet immer schneller voran" (SP: 13). Während der SPIEGEL hier einmal mehr eine Steilvorlage für die nationalistische RETERRITORIALISIERUNG liefert,

7.4 Reterritorialisierung

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haben Marx und Engels an der zitierten Stelle allerdings nur Spott für die 'nationalistische Reaktion' übrig (der im Zitat freilich ausgelassen wurde): "Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. [...] Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen" (MEW 4: 466). Zudem zeigt ein genauerer Blick auf den entsprechenden Abschnitt, in dem Marx und Engels die revolutionäre Rolle der Bourgeoisie gegenüber den feudalen Verhältnissen behandeln, dass hier auch die Symbolik absolut konträr zum SPIEGEL eingesetzt wird: "Die fortwährende Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnet die Bourgeoisepoche vor allen anderen aus. Alle festen eingerosteten Verhältnisse [...] werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft [...]. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander" (MEW 4: 465f.).

Im Gegensatz zum SPIEGEL ist die Seite der Deterritorialisierung, die Auflösung und das Verdampfen der festen Verhältnisse sowie die Überwindung nationaler Abgeschlossenheit hier deutlich positiv gewertet. Diese Perspektive auf die gesellschaftlichen Institutionen findet sich bei Marx nicht nur bezüglich des Gegensatzes von Feudalismus und Bürgerlicher Gesellschaft, sondern auch dort, wo es um die weitere Emanzipationsperspektive geht, also – noch einmal in den Worten des Manifestes – um den Gegensatz zwischen "der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen" und einer künftigen "Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist" (MEW 4: 482). Exemplarisch ist in diesem Zusammenhang die Rede von der "Auflösung der bisherigen Weltordnung" (MEW 1: 391) in der 'Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie', beziehungsweise die mehrfache Nutzung der Auflösung im Gegensatz zu Schranken und Ketten an dieser Stelle (vgl. ebd.: 389ff.). Die "Ketten" sind bekanntlich auch das einzige, was die "Proletarier aller Länder" am Ende des Manifestes zu verlieren haben, um in diesem Zuge "eine Welt zu gewinnen" (MEW 4: 493). Wenngleich es um völlig unterschiedliche historische Phasen geht, findet sich also sowohl im SPIEGEL des Jahres 2004, als auch beim Marx der 1840er-Jahre, den ersterer zitiert, ein Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Kapitalismus und der symbolischen Deterritorialisierung. Allerdings mit zwei entscheidenden Unterschieden: Erstens ist die Symbolik im SPIEGEL negativ gewertet (als bedrohliche Grenzöffnung), während sie bei Marx – der in dieser Hinsicht mit Deleuze/Guattari übereinstimmt – positiv (als Auflösung verknöcherter sozialer Verhältnisse) erscheint. Zweitens steht im SPIEGEL der Nationalstaat im Fokus,

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

während Marx und Engels den allseitigen Verkehr gegenüber der nationalen Abgeschlossenheit positiv hervorheben. Dieser Verkehr ist auch im heutigen mediopolitischen Diskurs, nunmehr geprägt durch den Automobilismus des 20. Jahrhunderts, ein wichtiges symbolisches Äquivalent zu den transnationalen Strömen der verschiedenen Kapitalformen, das eine flexible, technische Regulierung ('freier Kapitalverkehr' vs. Kapitalverkehrskontrollen) konnotiert. Dementsprechend rufen die Ströme, die auch Marx hin und wieder mit der Subscriptio prozessierenden Kapitals verwendet, bei ihm nicht primär die bedrohliche Grenzüberschreitung auf, die sie latent konnotieren. Sondern sie betonen primär die Liquidität als allgemeiner symbolischer Eigenschaft des Kapitals, das heißt die Dynamik der beständigen Tauschakte, die in seinen Formen vollzogen werden. So schreibt Marx beispielsweise im Zusammenhang mit der englischen Bankenkrise von 1847: "[D]er rasch und leicht dahinströmende Fluß der Zahlungen geriet ins Stocken, erst hier und da und dann allgemein" (MEW 25: 422). Das Fließen und Strömen entspricht also dem beständigen Reproduktionsprozess des Kapitals (und seinen impliziten gesellschaftlichen Dynamiken), während die zyklisch auftretenden Krisen auf der Bildebene konsistent als Stockungen erscheinen oder auch als Trockenheit. So wie im Zuge der globalen Krise von 2008ff. im Interdiskurs das Austrocknen des Interbankenmarktes ein entscheidendes Kennzeichen einer bestimmten Krisenphase war. Eine transnationale Kritik, wie die von Marx, hat im Zuge der Globalisierungsdebatte offensichtlich schon auf der symbolischen Ebene einen schweren Stand, wenn der mediopolitische Diskurs nach dem Muster GLOBAL-NATIONAL strukturiert ist und entsprechende Formen der RETERRITORIALISIERUNG nahelegt, was keineswegs nur bei der SACHZWANG-POSITION à la SPIEGEL-SPEZIAL der Fall ist, sondern auch bei der KRITIK-POSITION. Exemplarisch ist die 'Globalisierungsfalle' (GF), die durchaus sinnvolle Vorschläge zur staatlichen (Re-)Regulierung im Gegensatz zu deterritorialisierenden ökonomischen Prozessen präsentiert. Allerdings entspricht dies auch dem Problem, dass der Nationalstaat noch eine gewisse demokratische Einflussnahme zu ermöglichen scheint, während viele weitreichende Entscheidungen zunehmend in supranationalen Institutionen getroffen werden, die kaum an demokratische Verfahren rückgebunden sind, allenfalls indirekt und dann wiederum über die nationalstaatliche Regierungsbildung. Grob gesagt sind es diese Tendenzen zur Herausbildung demokratisch entkoppelter supranationaler Machtzentren, die Negri/Hardt (2002) als 'Empire' fassen. Diesem 'Empire' stellen sie die befreiende Tendenz der globalen 'Multitude' entgegen, bei deren Konstruktion sie sich auf die notwenigen (intellektuellen und kooperativen) Fähigkeiten der Arbeitskräfte zur Produktion der ökonomischen Güter, die Faktizität ihrer massenhaften globalen Migration und auf Ansätze internationaler

7.5 Geschlossener Handelsstaat

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Protestbewegungen stützen. Mit dem Antagonismus von 'Empire' und 'Multitude' nehmen sie eine Position jenseits des Musters GLOBAL-NATIONAL ein und verknüpfen den Pol der 'Multitude', ganz im Sinne von Deleuze/Guattari, auf die sie sich explizit berufen, mit der Symbolik der Deterritorialisierung. Exemplarisch ist das folgende Zitat, das die Bedeutung des Nomadischen in der Konzeption von Negri/Hardt zeigt und zugleich den damit einhergehenden fundamentalen Gegensatz zum nationalistischen Interdiskurs deutlich macht: "Der Widerstand der [migrierenden] Menge gegen die Unterjochung – der Kampf gegen die Sklaverei einer Nation, einer Identität, einem Volk anzugehören, und damit die Desertion aus der Souveränität und den Beschränkungen, die sie der Subjektivität auferlegt – ist vollkommen positiv. Nomadismus und Vermischung erscheinen hier als Tugenden, als die ersten moralischen Praktiken auf dem Terrain des Empire. Aus dieser Sicht bricht der objektive Raum der kapitalistischen Globalisierung zusammen. Nur ein Raum, der von subjektiver Zirkulation beseelt ist und der durch die nicht zu unterdrückenden Bewegungen (legale oder klammheimliche) von Individuen und Gruppen bestimmt ist, kann real sein. Die heutige Betonung des Lokalen kann rückschrittlich und sogar faschistisch sein, wenn sie sich der Zirkulation und Vermischung widersetzt, und somit die Mauern von Nation, Ethnizität, Rasse, Volk und ähnlichem verstärken. Der Begriff des Lokalen muss jedoch nicht zwangsläufig durch Isolation und Reinheit definiert sein. Wenn man nämlich die Mauern um das Lokale herum aufbricht (und dabei den Begriff von Rasse, Religion, Ethnizität, Nation und Volk abtrennt), so kann man ihn unmittelbar mit dem Universellen verbinden. Das konkrete Universelle erlaubt es der Menge von Ort zu Ort zu ziehen und diesen Ort zu ihrem eigenen zu machen. Dies ist der gemeinsame Ort von Nomadismus und Vermischung. [...] In einer Art säkularem Pfingstfest vermischen sich die Körper, und die Nomaden sprechen eine gemeinsame Sprache" (Negri/Hardt 2002: 369f.).

Auch diese Sicht auf den Zusammenhang von kapitalistischer Globalisierung und Migration ist also möglich, wenngleich nur am Rande der Interdiskurse. Tonangebend ist im mediopolitischen Diskurs aber freilich der SPIEGEL und damit nicht die Feier des 'Nomadismus, der legalen oder klammheimlichen Bewegungen der Menge, die nationale Mauern aufbricht', sondern im Gegenteil die Angst vor der 'legalen, illegalen, halb-legalen Öffnung und dem Verwischen der Grenzen im Zuge der Globalisierung' (s.o.). 7.5 Geschlossener Handelsstaat Im Gegensatz zu den Konzepten von Negri/Hardt fügt sich die Aussage GESCHLOSSENER HANDELSSTAAT mit ihrem Antagonismus {VOLKswirtschaft, (Protektionismus), Nationalstaat, geschlossen-Schott-Damm} / {Weltwirtschaft, Freihandel, Globalisierung, offen-Ströme-Fluten} unmittelbar in die gerade beschriebene diskursive Konstellation, in der Globalisierung primär gemäß dem Gegensatz GLOBAL-NATIONAL in Äquivalenz mit dem symbolischen Binarismus der DETERRITORIALISIERUNG gefasst wird. In einer Erzählung, in der transnationale Prozesse – insbesondere Handels- und Finanz-

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

transaktionen sowie Migration von Arbeitskräften – als gefährliche Ströme und Fluten erscheinen, die das nationale Territorium bedrohen, liegt die symbolische Schließung der Staatsgrenze nahe, zumal in einem Diskurs, der per se durch eine (protonormalistische) Position der RETERRITORIALISIERUNG getragen wird. 'Grenzen dicht für Lohndumping (sprich Migration) und Einfuhr billiger Wahren' lautet die entsprechende Parole in Voigts Rede (Anhang I, 557), die stellvertretend für eine generelle Parallelisierung von Fragen der Migration und der Außenwirtschaftspolitik im nationalistischen Interdiskurs steht. 7.5.1 Deutschtümelei fährt in die Materie Insofern scheint die HANDELSSTAAT-Aussage nicht zuletzt dem 'diskursiven Kohärenzzwang' (Link) geschuldet zu sein. Mit anderen Worten zeigt sich hier die relative Autonomie der ideologisch-diskursiven gegenüber der politischökonomischen Ebene, von der vordergründig die Rede zu sein scheint. In diesem Zusammenhang trifft noch immer der Spott von Marx ins Schwarze, der in der 'Deutschen Ideologie' darüber lästerte, dass die Deutschen die politische Ökonomie in Gestalt der 'Nationalökonomie' – gemeint ist Friedrich List – entdeckten, bei der "die Deutschtümelei [...] aus dem Menschen in die Materie gefahren" (MEW 1: 382) sei. Auch die Wendung 'Der Geschlossene Handelsstaat' tauchte in der Frühphase des deutschen Nationalismus auf, nämlich als Titel einer Schrift von Fichte, dem späteren Autor der 'Reden an die deutsche Nation'. Entsprechend sieht Barkai (vgl. 1988: 71ff.) in Fichte den ersten Vertreter eines ökonomischen Nationalismus, der insbesondere in Deutschland entwickelt wurde und über List bis hin zur Konservativen Revolution und den Autarkievorstellungen der Nazis reichte. Tatsächlich finden sich auch in den Texten der nationalistischen Rechten des frühen 20. Jahrhunderts häufig mehr oder weniger explizite Verweise auf Fichte und noch deutlicher ist die zentrale Rolle der gesamten Elemente der HANDELSSTAAT-Aussage zu erkennen (vgl. Breuer 2001: 198ff., Ders. 1995: 59ff., Weiß 2010). So gehörte etwa der Gegensatz {Volkswirtschaft} / {Weltwirtschaft} oder der Vorbehalt gegen den Freihandel – und zwar weniger aus ökonomischen und sozialen Erwägungen, denn aus Furcht vor einer gefährlichen Vermischung mit äußeren Einflüssen – von Beginn an zu den konstitutiven Elementen des Diskurses. "'Volkswirtschaft' wird hier [...] in einem besonderen, vom üblichen Sprachgebrauch unterschiedenen Sinne gebraucht" und bezeichnet "nicht nur den makroökonomischen Rahmen gegenwärtig im nationalen Raum [...], sondern [wird] ganz im Sinne der Romantik als lebendiger Organismus aufgefasst" (Barkai 1988: 78), der vom Außen klar geschieden ist. Balibar (vgl. 2006: 122ff.) geht in einer Lektüre von Fichtes 'Reden', welche die Ambivalenzen des Nationalismus – insbesondere die der nationalen Grenzen – zu erhellen sucht, auch auf dessen frühere Konzeption des 'Geschlossen Handelsstaates' ein. Demnach zeigt sich hier der Widerspruch zwischen dem Anspruch des

7.5 Geschlossener Handelsstaat

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Nationalstaates inneren wie äußeren Frieden zu gewährleisten einerseits und dem inneren Klassenantagonismus sowie der äußeren Konkurrenz der Nationalstaaten andererseits. Allerdings geht Balibar dabei nicht weiter auf die politischökonomischen "Abstrusitäten" (ebd.: 133) ein, die sich aus Fichtes Versuch einer Lösung beider Probleme mittels strikter Grenzschließung ergeben. Schon der Blick auf die Weltmarktabhängigkeit bestimmter Branchen, das heißt die Notwendigkeiten des Imports bestimmter Güter oder Rohstoffe sowie ausreichend große (Export-)Märkte zum Absatz der produzierten Güter, zeigt aber – ganz abgesehen von der damit verbundenen Frage der Devisen und weiteren finanziellen Aspekten – die ökonomische Dysfunktionalität einer grundsätzlichen Unterbindung außenwirtschaftlicher Beziehungen im Rahmen einer nationalstaatlich organisierten kapitalistischen Produktionsweise. Diese 'Abstrusität' erklärt, warum die nationalistische Rechte an dieser Stelle – abgesehen von einer allgemeinen Tendenz zum Protektionismus – meist keine konkreten wirtschaftspolitischen Maßnahmen zu nennen weiß, die dem Ideal der HANDELSSTAAT-Aussage entsprächen. Vielmehr dominiert hier in besonderer Weise eine vage, häufig rein symbolische Rede, die letztlich auf nichts anderes als das bekannte Muster einer imaginären 'Externalisierung' ökonomischer Probleme und der damit verbunden sozialen Konflikte hinausläuft. Mit Beginn der Globalisierungsdebatte zeigt sich diese Dominanz des DiskursivIdeologischen ganz deutlich daran, dass der GESCHLOSSENE HANDELSSTAAT als spontane Reaktion bei recht unterschiedlichen institutionellen Trägern des Diskurses auftaucht. So drehte sich Mitte der 1990er-Jahre eine Debatte der JF um die Frage, ob es eine 'rechte Wirtschaftspolitik' gäbe, wesentlich um diesen Punkt (vgl. Schui u.a. 1997: 310f.). Aber insbesondere an den ersten Texten im Umfeld der NPD zur 'raumorientierten Volkswirtschaft' aus dieser Zeit ist deutlich zu erkennen, dass zunächst die symbolischen Komponenten der Schließung, der Abschottung und so weiter im Vordergrund stehen. Erst nach und nach werden diese durch eine im engeren Sinne ökonomische Argumentation – hauptsächlich 'Zölle gegen Produktionsverlagerung', ferner die nicht näher ausgeführte 'Kontrolle grenzüberschreitender Finanztransaktionen' – ergänzt (vgl. Kapitel 5.1.1.1). Damit nimmt die Mehrheit des Feldes genau jene Position der Abschottung ein, die der nationalistischen Rechten in den Mainstream-Medien (unter Verweis auf die desaströse protektionistische Phase der Weltwirtschaft in den 1930er-Jahren) zugeschrieben wird. Zentrales Element der Mediendebatte ist dabei der Binarismus der Aussage FREIHANDEL, der in einem etwas paradoxen Verhältnis zu dem Paar GLOBALNATIONAL sowie der Symbolisierung transnationaler (Handels-)Prozesse als gefährliche DETERRITORIALISIERUNG steht. Solche Paradoxien sind insofern verständlich, als diese Binarismen selbst überaus fragwürdig sind.

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

7.5.2 Handelspolitische Optionen Denn anders als die FREIHANDEL-Aussage mit ihrem generalisierten Lob Ricardos und ihrer Schelte 'des Protektionismus', suggeriert, lassen sich die Vor- und Nachteile dieser oder jener Form von Handelspolitik eben nicht allgemeingültig – im Sinne eines ökonomischen Gesetzes – fassen. Vielmehr hängen ihre Effekte jeweils von spezifischen raum-zeitlichen Konstellationen ab und selbst darin betreffen sie unterschiedliche Akteure auf unterschiedliche Weise (vgl. Altvater/Mahnkopf 1999: 219ff., 368ff.). Ein Aspekt dabei ist sicher die Stellung des jeweiligen Nationalstaates (oder supranationalen Zusammenschlusses) auf dem Weltmarkt. Doch auch diese 'volkswirtschaftliche' oder 'nationalökonomische' Perspektive ist noch zu allgemein und vernachlässigt die großen Unterschiede, die hier zwischen verschiedenen Branchen oder sogar einzelnen Unternehmen, je nach Art und Grad ihrer Integration in den Weltmarkt, bestehen können298. Die konkrete Handelspolitik ist mithin sowohl von der Durchsetzungsfähigkeit bestimmter Unternehmensfraktionen auf der Ebene des einzelnen Staates als auch von der internationalen Durchsetzungsfähigkeit dieses Staates abhängig und hat dementsprechend ein überaus heterogenes Konglomerat von Regelungen auf unterschiedlichen Ebenen (von bilateralen Abkommen über regionale Verbünde und bis hin zu globalen Regimen wie der WTO) hervorgebracht, das sowohl Freihandelsmomente für bestimmte Bereiche als auch protektionistische Elemente für andere umfasst. So gesehen ist das grundsätzliche Plädoyer pro FREIHANDEL im mediopolitischen Diskurs kaum weniger ideologisch als die spiegelbildliche Bevorzugung des Protektionismus im Diskurs der nationalistischen Rechten (GESCHLOSSENER HANDELSSTAAT). Dementsprechend ist diese Frage auch innerhalb des nationalistischen Diskurses umstritten. Die Figur der (handelspolitischen) Schließung bildet zwar den Kern einer Debatte, um den sich aber verschiedene Positionen gruppieren, bis hin zur eindeutigen Zurückweisung von Protektionismus in Beiträgen in der JF oder in einer Minderheitenposition der REP (vgl. Kapitel 5.3.2.5). Die Vertreter dieser Linie erheben das zum Programm, was Hirsch (1995) etwa zur gleichen Zeit kritisch als Herausbildung eines 'Nationalen Wettbewerbsstaates' analysiert hat: Aufgrund der internationalen Konkurrenz müssten eben die Kosten der Arbeitskraft gesenkt werden, um bestimmte Produktionszweige in Deutschland zu halten beziehungsweise neue Investitionen anzuziehen. Dies ist freilich nichts anderes als die SACHZWANG-POSITION, die hier im Rahmen moralisierender Appelle an 298 Dies wurde etwa an einem Konflikt innerhalb der 'Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft' deutlich, der sich an einer Kampagne gegen Agrarsubventionen entzündete (also einem Kernelement der 'neomerkantilistischen' europäischen Agrarpolitik) und auf Druck des Bauernverbandes zum Rückzug einiger CSU-Politiker als Botschafter der Initiative führte (vgl. Speth 2004: 39).

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ein 'Kollektiv der tugendhaften (fleißigen, bescheidenen, etc.) Deutschen' in bekannter Abgrenzung gegen AUSLÄNDER (als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt) vorgetragen wird. Auch bei diesem Programm sind also die Zusammenhänge von 'innerer' und 'äußerer' Konkurrenz sowie die Frage der nationalen Grenze von Bedeutung, auf die Balibar im Zusammenhang mit Fichtes SchließungsProgramm hinweist. Die Bildung von Weltmarktpreisen – die sich auf deregulierten (Handels-)Märkten frei entfalten kann und sich lokal als verschärfte Konkurrenz bemerkbar macht – erfordert materielle Einschränkungen der Lohnabhängigen (Senkung des Lohnniveaus und der Sozialtransfers), die ideell durch moralische und / oder nationalistische Anrufungen kompensiert werden sollen. Nicht anders als die SACHZWANG-POSITION im mediopolitischen Diskurs, geht freilich auch diese nationalistische Variante weitgehend mit der dominanten Position der transnationalen Konzerne konform, die bekanntlich einen Großteil des internationalen Handels intern abwickeln und die entscheidenden Akteure im Bereich der transnationalen Direktinvestitionen sind (vgl. Altvater/Mahnkopf 1999: 256ff.). Insofern zeichnet sich hier die Möglichkeit der Bildung eines 'Machtblocks' im Sinne von Poulantzas unter der Führung der transnational ausgerichteten industriellen (und finanzwirtschaftlichen) Sektoren ab, der politischideologisch primär über den Nationalismus integriert wäre. Zugleich zeigt sich aber an der Minderheitenposition der entsprechenden Vertreter innerhalb des nationalistischen Feldes die Schwierigkeit, mit der ein solches Projekt konfrontiert wäre, nämlich die Berücksichtigung gegenläufiger materieller Interessen kleinerer und binnenmarktorientierter Unternehmen (vgl. Kapitel 7.3.3) sowie der Lohnabhängigen. Letzteren wollen die Vertreter der nationalistischen KRITIK-POSITION mittels des Projektes einer strikten Schließung Rechnung tragen. Diese insbesondere von (den Ideologen im Umfeld) der NPD vertretene Position knüpft mit Schlagworten wie 'Raumorientierung' und ähnlichem deutlich an die NS-Wirtschafsideologie an, in der das Motiv der Geschlossenheit ebenfalls eine zentrale Stellung einnahm (vgl. Kapitel 5.1.1.3). Wenngleich das allzu deutliche Wort Autarkie heute in aller Regel gemieden wird, bleibt die (Auto-)Suggestion, dass eine weitgehende Beschränkung transnationaler Wirtschaftsbeziehungen alle ökonomischen Probleme und Konflikte von alleine lösen würde. Als eine der ersten Aussagen zum Thema Globalisierung formulierte die NPD, dass sie die 'Internationalisierung der Wirtschaft im Rahmen des Kapitalismus' ablehnt und forderte den 'sozialverpflichteten Unternehmer', der sich dadurch auszeichne, dass er im Inland reinvestiert und keine AUSLÄNDER beschäftigt. Zudem sollen transnationale Konzerne 'entflochten' und 'nationalisiert' werden, wobei völlig unklar bleibt, was das konkret bedeuten würde. Recht konkret wurde dagegen im Laufe der Debatte der Entwurf eines aggressiven Protektionismus ausformuliert, das heißt die

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Erhebung von Importzöllen, die unmittelbar der Exportindustrie zugutekommen sollen. Diese mit dem Verweis auf 'Billiglohnländer' begründeten Maßnahmen würden – so die Behauptung – Produktionsverlagerungen in bestimmten Branchen rückgängig machen, Arbeitsplätze schaffen und damit sowohl das Steueraufkommen erhöhen als auch die Ausgaben der Sozialversicherungen senken. Flankiert werden solle das ganze durch die Rückkehr zur D-Mark und eine entsprechende Währungspolitik. Ob diese "im Detail wirre rechtsextreme Globalisierungskritik insgesamt die einzig fundamentale Alternative in einer von Anpassungs- und Gestaltungsvorschlägen dominierten Globalisierungsdebatte ist" (Greven 2006: 16), das heißt ob es reale "Potenziale einer völkischen Renationalisierung" (ebd.: 26) in diesem Sinne gibt, muss allerdings bezweifelt werden. Allein die Konsequenzen einer plötzlichen völligen Umkehrung der bisherigen deutschen Exportstrategie (gerade im Rahmen der ebenfalls abgelehnten EU) wären kaum vorhersehbar. Dies betrifft nicht zuletzt die internationalen Reaktionen, zumal das Ganze dort, wo die Interessen der deutschen Exportindustrie in den Blick geraten, auf den zynischen Grundsatz hinausläuft: "Freier Handel [...] auf den Gebieten, wo Deutschland den Weltmarkt beherrscht, damit die Welt am deutschen (Produktions-)Wesen genesen kann, Protektionismus dort, wo Deutschland keine Spitzenposition inne hat", und dies ist, wie Ptak zurecht kommentiert, "mit Sicherheit kein Weg zu einer friedlichen [oder gar] gerechten Weltwirtschaftsordnung" (Ptak 1999: 119). Hier zeigen sich einmal mehr die praktischen Widersprüche, auf die Versuche der Umsetzung von Fichtes Schließungs-Konzept zwangsläufig treffen. Zudem wird deutlich, dass sie – auf Grund dieser Widersprüche – eher zum Gegenteil dessen tendieren, was Fichte vorschwebte, denn der Übergang vom Wirtschaftskrieg zum militärischen Krieg, würde dadurch eher forciert als verhindert. All das macht es jedenfalls äußerst unwahrscheinlich, dass dadurch eine Art Neuauflage des Fordismus, also ein relativ stabiles, eher binnenmarktorientiertes Wachstumsmodell samt Vollbeschäftigung entstehen würde, wie die Texte der NPD suggerieren. Welche tatsächlichen wirtschaftspolitischen Entscheidungen im Falle der in Aussicht gestellten 'nationalen Revolution' getroffen würden, ist – offensichtlich auch den Parteikadern selbst – völlig unklar. Aber es zeichnet sich deutlich ab, dass das ideologische Motiv der Schließung (nebst manch anderem) hinter die praktischen Erfordernisse zurücktreten müsste, und dass dementsprechend auch die transnational operierenden Unternehmen des mehrfachen Exportweltmeisters Deutschland bei der Ausgestaltung einer 'raumorientierten Volkswirtschaft' das ein oder andere Wort mitzureden hätten. Dafür spricht auch der Blick auf die heimliche Quelle der meisten wirtschaftspolitischen Aussagen im Umfeld der NPD. So hat Neumann (1977: 383ff.) gezeigt, wie der in der NS-Wirtschaftserzählung zentrale Gedanke der 'Autarkie' in der praktischen Wirtschaftspolitik des Regimes

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hinter pragmatische Erwägungen zurücktreten musste. Entsprechende Daten nennt auch Barkai (vgl. 1988: 162ff.), der allerdings, im Gegensatz zu Neumann, auch die reale Entwicklung der NS-Wirtschaft(spolitik) noch stark durch die ideologischen Konzepte bestimmt sieht. An Barkais Studie zeigt sich das Problem einer einseitigen Fokussierung auf die ideologische Ebene der Wirtschaftserzählung(en), die dazu tendiert, die zahlreichen Abstriche angesichts praktischer Probleme und Interessenlagen zu vernachlässigen. Umgekehrt tendiert die reine Konfrontation der ideologischen Aussagen mit den Rahmenbedingen der entsprechenden Gesellschaftsformation im Stil von Neumann dazu, die diskursiven Prozesse, also die Artikulation der jeweiligen sozioökonomischen Situation in einer spezifischen Diskursformation, zu übergehen. Letztere ist jedoch mit Blick auf die potenziellen sozialen Mobilisierungseffekte der Erzählung und ihren Einfluss auf die entsprechenden politischen Akteure ebenfalls ein wesentlicher Faktor, der im Falle gegebener Handlungsfenster bestimmte Entscheidungen plausibler erscheinen lässt als andere. Mit anderen Worten lässt sich zwar die relativ dauerhafte Reproduktion der nationalistischen Wirtschaftserzählung rekonstruieren, in der das Motiv der Geschlossenheit eine zentrale Stellung einnimmt, sodass die Erzählung praktisch zum Protektionismus beziehungsweise einer generellen 'Beggar-my-NeighbourPolitik' tendiert, aber die konkreten politisch-ökonomischen Konsequenzen daraus lassen sich nur anhand historischer Beispiele, das heißt anhand der jeweiligen Gesellschaftsformation analysieren, inklusive ihrer Stellung innerhalb des Systems der internationalen Arbeitsteilung299 . Bezogen auf letztere sind in der Globalisierungsdebatte des nationalistischen Feldes vor allem die Dynamik der sogenannten Schwellenländer, die dominante Position der USA und die fortschreitende Europäische Integration relevant, die in den Aussagen GLOBALE MENGE (Kapitel 7.5.3), AMERIKANISIERUNG (Kapitel 7.5.4) und EUROPA (Kapitel 7.5.5) artikuliert sind, welche wiederum je spezifische Verknüpfungen mit der Vorstellung einer tendenziell geschlossenen (National-)Ökonomie aufweisen. So erscheinen die Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen und ähnliche Maßnahmen einer nachholenden Industrialisierung als Bedrohung des Wohlstandes der klassischen Industriestaaten, während die dominante Rolle der USA als 'zersetzender Imperialismus' thematisiert wird. Beide Aspekte zusammen werfen schließlich die Frage auf, ob das Konzept des GESCHLOSSENE HANDELSSTAATES künftig auf die europäische Ebene ausgedehnt werden müsse.

299 Bezogen auf die innereuropäische Arbeitsteilung betont dies auch Becker (2015). Aktuell wären die Entwicklungen in so unterschiedlichen Ländern wie den USA, Ungarn und Österreich in dieser Hinsicht genauer zu analysieren.

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7.5.3 Die Grenze nach Unten: Globale Menge Das Verhältnis zu den relativ jungen Konkurrenten im Bereich der industriellen Produktion, den Schwellenländern und dort in erster Linie China, wird primär im Rahmen der GLOBALE-MENGE-Aussage {Hochlohnländer, Insel Deutschland} / {Niedriglohnländer, globale Habenichtse, Ozean der Konkurrenz}, das heißt mit Blick auf den Arbeitsmarkt und das Lohnniveau diskutiert. Im Motiv der Wohlstandsinsel trifft sich dies mit der ABSTIEG-Aussage des mediopolitischen Diskurses {1. Liga, Spitzenposition, Wohlstandsinsel} / {Mittelmaß, Zurückfallen, Untergang}. Beide Aussagen bauen auf der semantischen Struktur der 'Normalitätsklassen' auf, die Link als wesentliches Element des Normalismus im Themenbereich der internationalen Beziehungen herausgestellt hat (vgl. Link 2006: 431ff.). Damit ist eine imaginäre Anordnung der Nationalstaaten in einem Ranking gemeint, das von den westlichen Industriestaaten an der Spitze bis hin zu den 'Least Developed Countries' am unteren Ende der Skala reicht und tendenziell in fünf Klassen unterteilt wird, für die jeweils unterschiedliche Standards in verschiedenen empirischen Referenzbereichen (etwa Pro-Kopf-Einkommen, Lebenserwartung oder Ausgestaltung der Staates) gelten. Diese Klassen werden primär nach dem Modell der Sportligen imaginiert, so dass (je nach empirischer Entwicklung der Indikatoren) ein Auf- bzw. Abstieg möglich ist. Letzterer ist symbolisch äquivalent zum Abrutschen und insbesondere zum Untergang der nationalen Insel oder des nationalen Schiffes im Ozean der Konkurrenz. Nach diesem Modell funktioniert nicht zuletzt die Standortdebatte und zwar sowohl in der Variante der SACHZWANGPOSITION, die auf Lohnkürzungen zielt, als auch in der mitunter von gewerkschaftlicher Seite vorgebrachten Verteidigung des 'Sozialstandortes' mit entgegengesetzter Zielrichtung (vgl. Link 2006: 440). Zugleich spielen auch die beiden Positionen des nationalistischen Feldes zur Freihandelsfrage auf dieser symbolischen Klaviatur. In beiden Fällen droht der Abstieg Deutschlands aus der 1. Klasse, allerdings mit dem (bedeutenden) Unterschied, dass es im einen Falle darum geht, den Titel des Exportweltmeisters zu verteidigen und im anderen darum, das vergleichsweise hohe Lohnniveau zu halten. Bei gleichbleibender Symbolik findet also ein Wechsel des statistischen Referenzbereichs der Erzählung statt und zwar von der Handelsbilanz zu den Lohnkosten. Im einen Fall, unter anderem repräsentiert durch REP-Chef Schlierer, muss 'die Wohlstandsinsel von Gewerkschafts Gnaden geschliffen und der nationale Teamgeist mobilisiert' werden (vgl. Kapitel 5.3.2.3), im anderen Fall müssen

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'Schotten dicht gemacht beziehungsweise Dämme gegen die drohenden Fluten von Billigprodukten gebaut' werden (vgl. Kapitel 5.1.1.2). Dieser am deutlichsten von der NPD vertretenen Position kommt nicht nur die Anschlussfähigkeit an die dominanten protonormalistischen Grenzschutzphantasien des Feldes entgegen, sondern auch die tendenziell höhere Popularität der Forderung nach Verteidigung des Lohnniveaus. Gerade beim Blick auf das Verhältnis zu den (Menschen in den Ländern der) unteren Normalitätsklassen wird die ideologische Erzählung überaus dominant gegenüber den empirisch-statistischen Grundlagen. Letztere werden konsequent so gelesen, dass die Zusammenhänge zwischen inneren und äußeren Konkurrenzverhältnissen als reiner Gegensatz von Innen und Außen erscheinen. Ganz abgesehen von der Frage, inwieweit die nationalstaatsfixierte Perspektive, angesichts des Global-Sourcing aber auch der Absatzstrategien der dominierenden transnationalen Konzerne, überhaupt noch trägt, wären beispielsweise die Lohnstückkosten und nicht der Vergleich der absoluten Lohnunterschiede der adäquate Indikator zur Einschätzung der internationalen Konkurrenzverhältnisse. Diese Berücksichtigung der jeweiligen Produktivität würde gegebenenfalls 'innere' Verteilungsspielräume, trotz der fraglos bedeutsamen internationalen Konkurrenzverhältnisse deutlich machen. So aber scheinen allein 'äußere' Faktoren entscheidend zu sein, nämlich das Lohnniveau der unteren Normalitätsklassen und letztlich die Vielzahl der Menschen, die den entsprechenden Lebensbedingungen ausgesetzt sind. Diese erscheinen regelmäßig als amorphe Masse von Konkurrenten auf einem globalen Arbeitsmarkt, die insbesondere als riesiges feindliches Heer imaginiert wird, das freilich symbolisch äquivalent zu den fluiden Bedrohungsszenarien ist, die mehr oder weniger drastisch das Bild des Untergangs im Ozean der Weltmarktkonkurrenz zeichnen. In diesem Zusammenhang sind im nationalistischen Feld zwei Momente besonders bedeutsam, die Link en passant als Kennzeichen des gesamten mediopolitischen Interdiskures nennt. Zum einen konnotiert 'die Flut der Immigration aus unteren Normalitätsklassen' auch eine Bedrohung der 'reichen Inseln am oberen Ende der Skala' (vgl. Link 2006: 442). Zum anderen schlägt sich die überwiegend helle Hautfarbe der Bevölkerung der oberen Normalitätsklassen häufig in entsprechenden bildlichen Darstellungen globaler Verhältnisse nieder (vgl. ebd.: 438). Anknüpfend daran verbindet sich die ökonomische Abstiegsangst im nationalistischen Diskurs mit der rassistischen Sorge um den Fortbestand der 'weißen Völker', so dass die 'globalen Inseln des Wohlstandes' auch zu 'Inseln der Weißen im Meer der Farbigen' werden, exemplarisch etwa bei Weißmann (vgl. Kapitel 6.1.7). Dies erinnert nicht zufällig an Carl Schmitts Rede vor der 'ungeheuren Mehrheit der Farbigen', die er zu Zeiten der Kolonialreiche als Argument gegen die Möglichkeit einer Ausdehnung demokratischer Gleichheit

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auf die kolonialisierten Bevölkerungen vorbrachte (vgl. Kapitel 3.2.4.3). In der postkolonialen Situation ist es nun das 'ungeheure Potenzial an Arbeitskräften', das als Bedrohung der 'weißen Dominanz' erscheint, sei es in Form der neuen Industrien der südlichen Hemisphäre oder in Form von Immigration in die alten Industriestaaten. Dieses Bild geht freilich in vielfacher Hinsicht an den ökonomischen Realitäten vorbei, die an dieser Stelle als solche (etwa in Form ökonomischer Daten) schlicht nicht vorkommen. Stattdessen taucht in diesem Zusammenhang regelmäßig das Konzept der 'Rasse' auf. So präsentiert beispielsweise der NPD-Ideologe Gansel die pseudo-ökonomische Standardargumentation in Abgrenzung zu einer "abwegigen Menschheitsschwärmerei" in folgenden Worten: "Dabei verbindet einen deutschen Arbeitnehmer mit einem solchen aus Angola oder Burma nichts als der rassische Unterschied und sein Vaterland steht im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf mit den Vaterländern der anderen" (zitiert nach Maegerle 2005: 75). Ganz abgesehen von der Frage in welchen Branchen Lohnabhängige in Deutschland mit solchen aus den genannten Ländern faktisch konkurrieren sollen, spricht die Art und Weise, in der hier völlig unterschiedliche Kontinente und Staaten über einen Kamm geschoren werden, Bände. Tatsächlich ist die einzige 'Verbindung' die rassistische Konstruktion von "Völkern als gewachsene Abstammungs-, Schicksals- und Brotgemeinschaften" (ebd.). Diese Ignoranz gegenüber den konkreten ökonomischen Verhältnissen in Asien, Afrika oder Südamerika ist durchaus typisch. Die Terms of Trade, die sogenannte Schuldenkrise samt ihren Folgen und vieles mehr spielen in der ohnehin äußerst randständigen Betrachtung der entsprechenden Regionen keine Rolle. Die bestimmenden Themen sind vielmehr die durchweg abgelehnte Entwicklungshilfe, das Bevölkerungswachstum, das Migrationspotenzial und die Konkurrenz um Produktionsstandorte, die in Folge der mediopolitischen Standortdebatte zum zentralen Motiv wird, dem selbst 'Extraktionsökonomien' (vgl. Altvater/Mahnkopf 1999: 244ff.) ohne entsprechende Infrastruktur untergeordnet werden. So entsteht aus den vielfältigsten Lebensverhältnissen, das Bild der bedrohlichen GLOBALEN MENGE, das ganz deutlich "Nachwehen des alten Kolonialrassismus" (Maegerle 2005: 94) zum Ausdruck bringt. Der Skandal des milliardenfachen Elends, das diese Verhältnisse trotz aller notwendigen Differenzierung an erster Stelle kennzeichnet, spielt in dieser Erzählung keine Rolle. Eine Ausdehnung der Gleichheit hinsichtlich basaler menschenrechtlicher Standards kommt hier nach wie vor nicht in Frage. Stattdessen nimmt die Behauptung der weißen Dominanz die Form einer Verteidigung der Standards der ersten Normalitätsklasse und ihrer Grenze zu den unteren – im mehrfachen Sinne dunklen – Klassen an300. 300 Mit Blick auf jüngst entwickelte Konzepte ließe sich hier auch von einer Verteidigung der "Imperialen Lebensweise" (Brand/Wissen 2017) beziehungsweise von einem ideologischen Muster der "Externalisierungsgesellschaft" (Lessenich 2016) sprechen (vgl. Eversberg 2018).

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Einmal mehr steht also die Verteidigung von Grenzen im Zentrum der Erzählung, praktisch umstritten ist nur, auf welcher Ebene und in welchen Bereichen sie umgesetzt werden kann. Ist die Schließung des Nationalstaates noch möglich oder ist ein europäisches Konzept notwendig, geht es alleine um die Abwehr von Immigration oder auch um Protektionismus, wie wäre letzterer zu dosieren und gegebenenfalls mit einer verstärkten Disziplinierung der 'heimischen' Lohnabhängigen zu kombinieren? Das sind die wesentlichen Fragen, die sich die nationalistische Rechte in diesem Zusammenhang stellt. Daneben finden sich mitunter auch Texte, welche das Moment der Bedrohung durch die unteren Normalitätsklassen zugunsten einer vermeintlich 'antiimperialistischen', de facto aber rein ethnopluralistischen, Argumentation zurückstellen. So heißt es, auch 'die Länder der Dritten Welt' bräuchten eigenständige Entwicklungsmöglichkeiten und zwar um sich ihrerseits als mehr oder minder abgeschlossene Einheiten zu reproduzieren. Dies gilt insbesondere für Alain de Benoist, dessen diesbezügliche Argumentation aber im Gegensatz zu anderen Elementen seiner Schriften kaum aufgegriffen wird. Ähnlich argumentieren auch einige Texte aus dem Umfeld der NPD (vgl. Maegerle 2005: 79), die dort unvermittelt neben der Haupttendenz des Bedrohungsszenarios und seiner praktischen Implikationen stehen. Hier geht es aber offensichtlich nicht um die Entwicklung konkreter Alternativen bezüglich der globalen Wirtschaftsbeziehungen, sondern primär um das Narrativ der geschlossenen Wirtschaftseinheiten, im Gegensatz zum 'zersetzenden Liberalismus' mit seinem Freihandel und so weiter. Ausgehend von diesen allgemeinen Prinzipien richtet sich dieser 'Antiimperialismus' dann vor allem konkret gegen die USA, das heißt gegen einen zentralen nationalstaatlichen Konkurrenten innerhalb der ersten Normalitätsklasse und damit stimmen dann wiederum weite Teile des nationalistischen Feldes überein. 7.5.4 Die Grenze nach Oben: Amerikanisierung Vollzogen wird die Abgrenzung gegenüber den USA in Form der Aussage AMERIKANISIERUNG {Welt der tausend Völker, souveräne Nationalstaaten, gewachsene Volkskulturen} / {US-Imperialismus: wirtschaftlich (Globalisierung, US-Ostküste, Spekulationskapital), kulturell (globale amerikanische Einheitskultur, Zersetzung), militärisch}. Diese kann, wie im Laufe der Analyse deutlich wurde, immer wieder an Elemente des mediopolitischen Diskurses anknüpfen (vgl. Kapitel 5.1.3 und 5.2.3.4). Dazu passend hat Jaecker (2014) in einer Diskursanalyse die Verbreitung entsprechen-

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der antiamerikanischer Stereotype im mediopolitischen Diskurs und anderen Interdiskursen der 2000er-Jahre nachgewiesen. Nach seinen Ergebnissen ist der Antiamerikanismus "im medialen Mainstream ein Welterklärungsmuster" (ebd.: 371, i.O. kursiv), das insbesondere im wirtschaftlichen Bereich Verwendung findet, gleich "ob es um die Beschreibung der Globalisierung als 'Amerikanisierung', die Schuldzuweisung an US-Finanzinvestoren bezüglich des Niedergangs deutscher Unternehmen, oder die Deutung der Finanzkrise als Krise des 'Amerikanischen Kapitalismus' geht" (ebd.).

Aber auch im politischen (und militärischen) sowie im kulturellen Bereich weist Jaecker die Relevanz jener Elemente nach, die im nationalistischen Diskurs zur AMERIKANISIERUNG-Aussage verdichtet und permanent reproduziert werden. In diesem Zusammenhang arbeitet er vier Strukturprinzipien heraus (vgl. ebd.: 262ff.): Zunächst einen Dualismus, der stereotype Zuschreibungen zu den USA stets mit angeblichen Merkmalen der (nationalen) Eigengruppe kontrastiert. Dieser Dualismus geht zweites mit Projektionen einher, die entweder negative Entwicklungen im eigenen Umfeld als 'amerikanisch (verursacht)' deklarieren oder eigene Wünsche – etwa nach einer größeren politischen und militärischen Macht Deutschlands (vgl. Fried 2014: 178ff.) – in der Kritik an den USA zum Ausdruck bringen. Dies geht drittens mit einer Selbstaufwertung der Eigengruppe einher, die etwa in der Präsentation der eigenen Nation als besonders friedlich oder der Abspaltung der eigenen Kolonialvergangenheit im Vorwurf des 'amerikanischen Kolonialismus' zum Ausdruck kommt. Und viertens schließlich tendiert diese semantische Struktur zu einer verschwörungsideologischen Zuspitzung, die (bestimmten Gruppen in) den USA die Macht zuschreibt, letztlich die ganze Welt steuern zu können. Auch diese Schnittstelle von Antiamerikanismus und Antisemitismus (vgl. Jaecker 2014: 357ff.) kommt im nationalistischen Diskurs, etwa in der Verknüpfung der USA mit Israel in der JUDEN-Aussage besonders deutlich zum Ausdruck. Fried (2014) hat in ihrer Studie gezeigt, wie der Traditionsbestand antiamerikanischer Zuschreibungen als Medium aktueller gesellschaftlicher Konflikte genutzt und dabei stets fortgeschrieben und mitunter transformiert wird. So haben in der Debatte um die Agenda 2010 sowohl die Regierung Schröder als auch ihre Kritiker damit argumentiert, dass es gelte 'amerikanische Verhältnisse' in Deutschland zu verhindern (vgl. ebd.: 188ff.). Ohne der Relevanz der oben genannten Strukturprinzipien zu widersprechen, argumentiert Fried allerdings, dass die antiamerikanischen Topoi angesichts ihrer steten Reproduktion und Transformation in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen auch "als eine Kulturalisierung und Essentialisierung gesellschaftlicher Differenz sowie der Ungleichzeitigkeit historischer Entwicklungen" (ebd.: 244, Hervorhebung i.O. kursiv) begriffen werden müssen. Das meint konkret etwa den argumentativen Bezug auf "tatsächlich

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bestehende gesellschaftsgeschichtliche Differenzen […] – wie die unterschiedliche Umsetzung neoliberaler Deregulierung in Deutschland/Europa und den USA", die dann "im transatlantischen Vergleich auf 'amerikanische Eigenheiten'" (ebd.: 247) reduziert werden. Ganz ähnlich knüpfen auch die in der Globalisierungsdebatte anzutreffenden antiamerikanischen Stereotype (vgl. Jaecker 2014: 130ff.) an durchaus reale Machtpositionen der USA im System der internationalen politischen Ökonomie an. Neben dem unangefochtenen militärischen Potenzial der USA war auch ihre ökonomische Bedeutung in den 1990er-Jahren "nach wie vor beeindruckend: So fungierte der US-Dollar noch immer als wichtigste Weltwährung; die weltweit führenden TNKs waren überproportional US-amerikanischer Provenienz; und der US-Binnenmarkt prägte zweifelsohne ganz maßgeblich die Entwicklung der Weltkonjunktur" (Bieling 2007: 97).

Zudem konstatiert Sablowski (vgl. 2009: 136), dass die zeitgleich einsetzenden Transformationen des deutschen Finanzsektors am amerikanischen Vorbild orientiert waren und einen zunehmenden Einfluss US-amerikanischer Finanzmarktakteure mit sich brachten. In diesem Zusammenhang schließt er: "We can talk about Americanization to the extent that the United States still incarnate the most advanced state of capitalist development: the more developed shows to the less developed the image of its own future, as Marx […] once put it" (ebd.). Demirović geht hingegen davon aus, "dass sich mit der Dominanz von US-Finanzministerium, Notenbank, Wallstreet und einigen Ratingagenturen ein spezifischer staatlicher Machtkomplex herausgebildet hat, der Teil eines umfassenderen Machtnetzwerkes ist, dem auch Europäische Zentralbank, IWF, Weltbank, Bank für internationalen Zahlungsausgleich, Nationalbanken und Finanzministerien anderer Staaten angehören, die zusammen auf spezifische Weise eine transnationale Fraktion der bürgerlichen Klasse organisieren" (Demirović 2010b: 72f.).

Vor diesem Hintergrund sind die als Argument gegen antiamerikanische Verzerrungen vorgebrachten Hinweise auf allgemeine Strukturprinzipien des Kapitalismus oder die zunehmenden Tendenzen zur Transnationalisierung (vgl. Jaecker 2014: 349) sicher richtig, gehen jedoch insofern fehl, als sie mitunter suggerieren, die nationalstaatliche Ebene und die fraglose Sonderstellung der USA seien irrelevant. Das projektive Moment des Antiamerikanismus, das im nationalistischen Diskurs besonders deutlich zum Ausdruck kommt, besteht ja insbesondere darin, dass den USA als überlegenem nationalstaatlichen Konkurrenten, das geneidet wird, was für den eigenen Staat angestrebt wird. Die Tendenzen zur Transnationalisierung werden im nationalistischen Diskurs hingegen mit Bezug auf EUROPA diskutiert. In diesem Zusammenhang ist zu vermuten, dass die Entwicklung "eines europäischen Ersatz-Nationalismus" (Jaecker 2014: 354, vgl. Fried 2014: 137ff.) vor der Folie antiamerikanischer Deutungen künftig weiter an Bedeutung gewinnt.

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7.5.5 Verschiebung der Grenze: Europäischer Handelsstaat? Diesen Zusammenhang zwischen der Herausbildung eines 'Europa-Nationalismus' und der (antiamerikanischen) Abgrenzung zu den USA stellen auch Salzborn/Schiedel bei ihrer Untersuchung von Europakonzepten der nationalistischen Rechten heraus: "Die 'Nation Europa' als zentrales Motiv rechtsextremer Europaideologie formuliert dabei einen Anspruch auf uneingeschränkte Souveränität einer möglichst omnipotenten Macht, die in unmittelbarer politischer und militärischer Konfrontation zur amerikanischen Hegemonie gesehen wird. An dieser Stelle knüpfen die rechtsextremen Vorstellungen durchaus an antiamerikanische Elemente im gegenwärtigen Europadiskurs an und versuchen, diese Diskussionsprozesse zuspitzend zu begleiten. Das Ziel des Antiamerikanismus der extremen Rechten ist dabei die Etablierung Europas als souveräne Militär- und letztlich auch Weltmacht unter völkischen Vorzeichen" (Salzborn/Schiedel 2003: 1216f.).

Spätestens seit den 1990er-Jahren ist die entsprechende Ideologieproduktion vor dem Hintergrund der Regionalisierung der Weltwirtschaft zur sehen. Dabei stellt die fortschreitende europäische Integration, als ein Ausdruck dieser generellen Tendenz, die nationalistische Rechte vor die Schwierigkeit, "gleichzeitig national und europapolitisch" (Hafeneger 1994: 221) zu denken. "Sie sieht Europa in der Triadenkonkurrenz 'Europa – Nordamerika – Japan/ferner Osten', den globalen Entwicklungs- und Neuordnungsperspektiven seit 1989 gezwungen, neben den jeweils favorisierten autozentrischen Konzepten, in seinem eigenen (Über-)Lebensinteresse, politisch, ökonomisch, und militärisch zusammenzuarbeiten und – als bindende Ideologie – einen Euronationalismus zu entwickeln" (ebd.).

Doch die konkreten (wirtschafts-)politischen Konsequenzen, die aus dieser Situation zu ziehen wären – etwa die Haltung zum Maastricht-Vertrag oder zur Währungsfrage (vgl. Osterhoff 1997: 135ff.) – waren Anfang der 1990er-Jahre bereits ebenso divers und umstritten wie in der darauffolgenden Globalisierungsdebatte. Darin reichen die Vorstellungen von 'nationaler Selbstbehauptung im deregulierten globalen Wettbewerb' (vgl. Kapitel 5.3.2.5) über einen klassischen nationalstaatlichen Protektionismus (vgl. Kapitel 5.1.1.3) bis zu einem europäischen Protektionismus (vgl. Kapitel 5.3.2.4). Entsprechende Positionen finden sich auch in den Debatten der nationalistischen Intellektuellen. Die Mittelstandsideologen Hamer/Hamer schwanken zwischen neoliberalen Positionen auf der einen Seite und protektionistischen sowie nationalstaatlich-isolationistischen Positionen auf der anderen Seite (vgl. Kapitel 6.3.3.2). Weißmann tendiert pragmatisch zu einem 'europäischen Handelsstaat' sowie einer weiteren politischen und militärischen Integration bei mittelfristiger Akzeptanz der US-amerikanischen Dominanz (vgl. Kapitel 6.1.7). Benoist hingegen plädiert für die 'auto-zentrische Entwicklung' (eines völkisch-regionalistischen) Europas in klarer Abgrenzung zu den USA und im Bündnis mit Russland (vgl. Kapitel 6.2.3.1).

7.5 Geschlossener Handelsstaat

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In diesem Zusammenhang bringen sowohl Weißmann als auch Benoist den Reichsgedanken beziehungsweise das Imperium ins Spiel. Dies hat allerdings nichts mit der neueren sozialwissenschaftlichen Debatte zu tun, inwiefern die Europäische Union analytisch als 'Imperium' gefasst werden könnte (vgl. Bieling 2013, Ders. 2017). Vielmehr handelt es sich um die Konstruktion genealogischer Gründungsmythen im Rückgriff auf diverse historische Reiche sowie entsprechende Konzepte der nationalistischen Rechten vom Anfang des 20. Jahrhunderts, die seit den 1990er-Jahren in der nationalistischen Publizistik wieder breiter diskutiert werden (vgl. Virchow 2006a: 123ff., zu den historischen Konzepten Breuer 2001: 147ff.). Diese Europa-Konstruktionen fügen sich als umfassendstes Element in die Reihe von Identitäten ein, die nach den Proklamationen im nationalistischen Diskurs von der regionalen über die nationale bis hin zur europäischen Ebene reicht. Dabei werden biologische, kulturelle, geographische oder historische Bestimmungen entweder schlicht gleichgesetzt (vgl. Kapitel 3.2.7) oder sie bilden die Ankerpunkte für die Ausbildung spezifischer Positionen innerhalb des Diskurses. Verstärkt werden diese Fraktionierungen durch unterschiedliche Gewichtungen der regionalen, nationalen und europäischen Ebene. So kollidieren die pro-europäischen Tendenzen regelmäßig mit den primär regionalistischen und insbesondere nationalistischen Positionen (vgl. Hafeneger 1994, Salzborn/ Schiedel 2003, Virchow 2006a: 115ff.). Eine Transformation des Nationalismus auf die europäische Ebene, die von der Grundstruktur des Diskurses her denkbar wäre, ist allenfalls in Ansätzen zu beobachten. Im Wesentlichen dominiert weiterhin die Nationalstaatsfixierung, die in der weithin geteilten EUROPA-Aussage {Europa der Vaterländer, nationale Souveränität, Prinzip der Volksabstammung, Währungshoheit (D-Mark)} / {EU-Europa, supranationale Institution, Bürokratie, Völkergefängnis, Euro, Nettozahler Deutschland} zum Ausdruck kommt. Diese Aussage knüpft an berechtige Kritiken – etwa das eklatante Demokratiedefizit der EU – aber auch an verbreitete Ressentiments 'gegen Brüssel' im mediopolitischen Diskurs an und stellt diesen die Rückkehr zum Nationalstaat als einzig mögliche Lösung gegenüber. Die Rückkehr zu 'nationaler Souveränität' ist die Zauberformel (vgl. Kapitel 7.1.3), mittels derer sowohl das Demokratiedefizit als auch die vermeintlichen ökonomischen Probleme gelöst werden sollen301.

301 Exakt diese Erzählung stand während der Gründungsphase der AfD – unter den Bedingungen der sogenannten Eurokrise – im Zentrum des Diskurses (vgl. Oppenhäuser 2013: 281ff.).

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7 Der nationalistische Diskurs und die Dispositive der Arbeitsteilung

In ökonomischer Hinsicht dominiert dabei erstens eine Klage über die europäische Fiskalpolitik ('Nettozahler'), welche die allgemeine Außenwirtschaftsbilanz und damit die deutschen Exportgewinne ausblendet. Hinzu kommt zweitens die Forderung nach einer Rückkehr zu nationalen Währungen ('Währungshoheit', 'D-Mark'), die ebenfalls die Vorteile der Gemeinschaftswährung für die Exportindustrien auf dem Weltmarkt außer Acht lässt. Selbst wenn die 'inneren' Widersprüche (wer zahlt welche Steuern, wie hoch sind die Lohnstückkosten und so weiter) ausgeblendet werden, wie es im nationalistischen Diskurs üblich ist, erscheint es gerade mit Blick auf die deutschen Außenwirtschaftsbeziehungen – sprich das per se problematische Exportmodell – also äußerst fraglich, ob die anvisierte Politik der Renationalisierung tatsächlich die Effekte hätte, die sich die nationalistische Rechte davon verspricht (vgl. Kapitel 7.5.2). Insgesamt findet die nationalistische Rechte damit keine Antwort auf die ökonomischen Globalisierungs- und Regionalisierungstendenzen und die damit einhergehenden Transformationen von Staatlichkeit, die in kritischer Perspektive als Herausbildung eines 'transnationalen Netzwerkstaates' (vgl. Demirović 2010b: 68ff.) und mit Blick auf Europa als "Entstehung eines multiskalaren europäischen Staatsapparate-Ensembles" (Georgi/Kannankulam/Wolff 2014: 89) beschrieben werden. Genauer gesagt, beschränkt sich ihre Antwort darauf, eine schlichte Ablehnung dieser Tendenzen zum Ausdruck zu bringen und im Einklang mit den Grundstrukturen ihres Diskurses eine Rückkehr ins 'goldene Zeitalter der Nationalstaatlichkeit' zu versprechen, die auch als Phase des fordistischen Klassenkompromisses erinnert wird302. Formelhafte Bekenntnisse zu einem 'Europa der Vaterländer', das 'Staatenbund statt Bundesstaat' sein soll oder Überlegungen zu Europa als mehr oder minder geschlossenem regionalen Wirtschaftsblock werden nicht mit elaborierten Konzepten zur institutionellen Ausgestaltung unterfüttert. Hier deutet sich erneut an, welche gesellschaftlichen Gruppen der Diskurs in dieser Konstellation am ehesten ideologisch zu integrieren vermag: Ein Bündnis aus kleinem, eher binnenmarktorientiertem Kapital und Teilen der Lohnabhängigen, die reale Deklassierungen oder Abstiegsängste mittels nationalistischer Ideologie verarbeiten (vgl. Kapitel 7.3.3).

302 Im Rahmen des nationalistischen Diskurses ist dies insofern konsequent, als dieser Kompromiss in den Industriestaaten insbesondere die männliche autochthone Arbeiterschaft einbezog und auch auf der Unterschichtung durch eingewanderte Arbeitskräfte und weibliche Reproduktionsarbeit beruhte.

8 Ausblick Damit ist der Bogen zur aktuellen Situation geschlagen. An der Struktur des Diskurses, die in der vorliegenden Arbeit anhand von Quellen aus dem Zeitraum von Mitte der 1990er- bis Mitte der 2000er-Jahre rekonstruiert wurde, hat sich seither wenig geändert. Allerdings wird diese Aussagestruktur in der darauffolgenden, durch die globale ökonomische Krise ab 2007 (vgl. Atzmüller u.a. 2013) geprägten, Dekade gesellschaftlich wesentlich relevanter als im Untersuchungszeitraum. Die Ursachen dafür liegen jedoch nicht primär auf der diskursiven Ebene selbst. Ein entscheidender Faktor war die Vergrößerung von Rissen im 'Block an der Macht' (vgl. Redaktion PROKLA 2016: 524ff.), die Dörre jüngst wie folgt beschrieben hat: "Da die Globalisierung repulsiv geworden ist und in Gestalt [… zahlreicher ökonomischer, politischer, ökologischer und sozialer Krisenprozesse] auf ihre verursachenden Zentren zurückwirkt, ist zwischen den herrschenden Klassenfraktionen umstritten, ob und wie die Internationalisierung als ökonomisches Wachstumsprojekt fortgesetzt werden kann. Der Migrationskonflikt steht symbolisch für diesen Streit. Aus der Perspektive von Klassenfraktionen, die das deutsche Exportmodell verteidigen, wäre eine Rückkehr zu nationaler Abschottung innerhalb Europas fatal. Zuwanderung wird zumindest unter dem Gesichtspunkt der Arbeitskräftemobilisierung in einer regulierten Form für sinnvoll erachtet. Die Gegenspieler innerhalb der kapitalistischen Eliten sehen das anders. Für sie haben sich Globalisierung und Europäisierung als hegemoniale Wachstumsprojekte, wenn nicht erledigt, so doch erschöpft. Bei der Regulierung der Migrationsbewegungen spielen konterhegemoniale Eliten die nationale Karte. Implizit zielen sie damit auf ein Bündnis mit jenen lohnabhängigen Klassenfraktionen, deren Lebensqualität wesentlich vom Schutz des nationalen Wohlfahrtsstaates abhängt" (Dörre 2018: 67f.).

In etlichen Ländern waren in den vergangenen Jahren entsprechende Brüche und nationalpopulistische Bündnisse zu beobachten. Bei aller Spezifik der jeweiligen Rahmenbedingungen zeichnet sich international eine Konjunktur der nationalistischen Rechten ab, die unter anderem in Österreich, Ungarn, Italien, Polen und den USA bereits zu Regierungsbeteiligungen geführt hat. In Deutschland sind neue Akteure wie PEGIDA und die AFD Ausdruck dieses Aufschwungs. Damit entstanden in Deutschland erstmals seit 1945 eine rechte außerparlamentarische Bewegung, die über das neonazistische Milieu hinausreicht und eine nationalistische Partei, die in allen Landtagen und dem Bundestag präsent ist. Noch einmal in den Worten von Dörre hat sich damit "auf nationaler Ebene erstmals etwas zu einem mobilisierungsfähigen national-sozialen Block formiert, was lange Zeit vornehmlich als rechtspopulistische Unterströmung in demokratischen Parteien und Gewerkschaften präsent war" (ebd.). Mit Blick auf den nationalistischen Diskurs ist hier allerdings nichts völlig Neues entstanden, sondern der Diskurs ist jetzt insgesamt von größerer gesellschaftlicher Relevanz und seine Strukturen

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reproduzieren sich innerhalb eines partiell erneuerten institutionellen Ensembles 303 . Das gilt auch für die Widersprüche, die im Zentrum der vorliegenden Arbeit standen. Diesbezüglich lässt sich die Entwicklung der vergangenen Dekade nach der großen Krise von 2007ff. wie folgt beschreiben: "Während sich die neoliberal orientierten Kräfte im rechten Lager teilweise noch marktradikaler gebärdeten und weiter Sozialstaatskritik übten, verschrieben sich andere der völkischen Kapitalismuskritik. Die beiden Strömungen gibt es gegenwärtig auch innerhalb der AfD, wo ihre Repräsentant(inn)en manchmal in heftigen Streit geraten, teilweise aber auch kooperieren, was fast zwangsläufig zu politisch-programmatischen Widersprüchen führt" (Butterwegge/Hentges/Wiegel 2018: 22, vgl. Dörre 2018: 71).

Diese veränderte Situation zeigt die Grenzen der diskursanalytischen Perspektive im engeren Sinne. Denn mit Diskursanalysen lässt sich zwar zeigen, dass diese ökonomischen Widersprüche im Rahmen bestimmter erzählerischer Elemente den Diskurs seit seiner Emergenz im frühen 20. Jahrhundert kennzeichnen (vgl. Kapitel 7.2.6), aber seine spezifischen Konjunkturen erklären sich dadurch nicht. Es kann empirisch gezeigt werden, dass die AFD jenes Aussagefeld (VOLK, ONEWORLD und so weiter) samt seinen Fraktionierungen reproduziert, das Mitte der 1990er-Jahre von REP, NPD und anderen getragen wurde. Warum die AFD aber 2018 mit 12,6 Prozent in den Bundestag einziehen konnte, während REP, NPD, DVU und andere meist nur kurzfristige regionale Wahlerfolge erzielen konnten, das kann durch den (synchronen) diskursanalytischen Blick auf die Aussagestrukturen allein nicht erklärt werden. Das Verhältnis zwischen der "Ökonomie der Aussagen" und der "eigentlichen ökonomischen Ebene […], der Ebene der Produktion und der Zirkulation der verkäuflichen Dinge: der 'Warensprache'" (Faye 1977a: 14, vgl. ebd. 898) müsste daher unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen Konjunktur genauer beleuchtet werden, als es in Kapitel 7 mit Blick auf die relativ dauerhaften nicht-diskursiven Bedingungsfaktoren der Aussagen unternommen wurde. Der jeweilige "Zustand in der Warensprache" (in Fayes Studie die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre) wäre systematisch zum Gegenstand zu machen und zwar in seiner Verbindungen mit den "ökonomischen Berichte[n]" (etwa dem seinerzeitigen Aufkommen von Konjunkturtheorien) sowie in der Verknüpfung von beidem mit der "Zirkulation der 'ideologischen Berichte'" (ebd.: 14), die in Form politischer Entscheidungen wiederum auf die ökonomische Ebene zurückwirken. In diesem Zusammenhang wäre es nicht nur unter wissenschaftsgeschichtlichen Aspekten lohnenswert, die Entwicklung der Diskursanalyse in Deutschland zu rekonstruieren, an deren Beginn auch eine intensive Auseinandersetzung mit der Studie von Faye und dem 303 Altgediente nationalistische Bewegungskader, Parlamentarier und Intellektuelle spielen eine große Rolle innerhalb der neuen Organisationen.

8 Ausblick

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Faschismus-Buch von Poulantzas stand und die sich immer wieder am Gegenstand der nationalistischen Ideologie abgearbeitet hat304. Als kohärenter methodologischer Zugang zu den von Faye angesprochenen Analyseebenen eignet sich eine Verbindung von Regulationstheorie und Interdiskursanalyse 305 . Während die Regulationstheorie die 'Warensprache' in den Blick nimmt, lassen sich die 'ökonomischen Berichte' als ökonomischer Spezialdiskurs und die 'ideologischen Berichte', also elaborierte politische Ideologien, als Interdiskurse fassen. Letztere sind dabei heute noch weitaus stärker als in der von Faye untersuchten Phase im Zusammenhang mit dem mediopolitischen Diskurs und anderen Interdiskursen zu analysieren. Mit anderen Worten eignet sich die Interdiskursanalyse als methodologischer Zugang zur zivilgesellschaftlichen Arena, die zur Erlangung kultureller Hegemonie heute, angesichts erodierter und pluralisierter Klassenmilieus eher noch bedeutender als zu Gramscis Zeiten ist (vgl. Dörre 2018: 66f.). Insofern wäre ein weiteres lohnenswertes Projekt, den ökonomischen Spezialdiskurs und seine mediopolitischen Popularisierungen (nicht zuletzt die Kollektivsymbolik) genauer in den Blick zu nehmen und in Beziehung zu Untersuchungen des Alltagsverstandes (Elementardiskurs) zu setzen (vgl. die Ansätze dazu in den Kapiteln 4 und 7.3.2). Dabei ist zu beachten, dass diese diskursiven Zyklen und die ökonomischen Zyklen trotz ihrer Verbindungen jeweils ihrer eigenen Zeitlichkeit folgen. Der nationalistische Diskurs reproduziert sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts als relativ stabiles Aussagefeld. Durch die Neugewichtung und Umbenennung von Elementen werden dabei jeweils aktuelle gesellschaftliche Debatten so integriert, dass die Grundstruktur seiner Aussagen intakt bleibt. Ein Beispiel dafür ist die Ersetzung oder Ergänzung der IRRATIONALISMUS-Aussage durch die ONEWORLD-Aussage im Zuge der Globalisierungsdebatte ab Mitte der 1990er-Jahre. Die breite gesellschaftliche Globalisierungsdebatte selbst ist wiederum eine Reaktion im Bereich der Interdiskurse auf politisch-ökonomischen Transformationen, die bereits in den 1980er-Jahren eingesetzt haben. Während der entsprechend erneuerte nationalistische Diskurs zunächst aber relativ bedeutungslos bleibt, gewinnt er im Zuge der weiteren Entwicklung, insbesondere nach der großen Krise von 2007ff. schlagartig an politischer Bedeutung. Welchen Einfluss diese neue Bedeutung auf die weitere politisch-ökonomische Entwicklung haben wird, ist derzeit nur tendenziell vorhersehbar (s.u.). 304

Zu berücksichtigen wären dabei, neben Poulantzas (1973) und Faye (1977a, 1977b), die Arbeiten von Laclau (1981), Maas (1984), PIT (1980), Laclau/Mouffe (1991) und Jäger (1993) sowie die Anmerkungen von Foucault (2002: 914), Demirović (2007a: 132ff.), Link (1984) und die Beiträge in KultuRRevolution Nr. 17/18 (1988). 305 Die diesbezüglichen Argumente aus der vorliegenden Arbeit sind in Oppenhäuser (2019) zusammengefasst.

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8 Ausblick

Die Bedeutungszunahme selbst liegt jedenfalls darin begründet, dass der Diskurs in dieser Phase zunehmend unterschiedliche Interessen artikuliert, sowohl von bürgerlichen Klassenfraktionen als auch von Teilen der lohnabhängigen Klassen. Die gleichzeitige Anrufung von Individuen in unterschiedlichen sozialstrukturellen Positionen ist das entscheidende Moment zur Erklärung des aktuellen Erfolges der nationalistischen Rechten. Insofern scheint die jüngst unter anderem in der Zeitschrift PROKLA geführte Debatte um den Einfluss der Klassenpositionen auf den Erfolg der Rechten von beiden Seiten am Kern vorbeizugehen306. Das nationalistische Bündnis konstituiert sich aktuell unter anderem über die gemeinsame Verortung als hart arbeitende Mitte (vgl. Kapitel 7.3.2), welche Klassengegensätze innerhalb der 'nationalen Gemeinschaft' desartikuliert. Dies gilt ähnlich für die GLOBALE-MENGE-Aussage, welche als Ausdruck der internationalen Ungleichheitsverhältnisse 307 begriffen werden kann, angesichts derer auch die Lohnabhängigen in den Zentren relativ privilegiert sind. In diskurstheoretischer Hinsicht ist gerade diese über die Anrufungsstrukturen vermittelte Artikulation der (globalen) ökonomischen Verhältnisse das Entscheidende. Es ist sicher richtig, dass Klassenunterschiede auch innerhalb der Zentren und mithin in Deutschland nach wie vor ein entscheidender Faktor sind. Dies gilt sowohl für die Unterschiede zwischen den Fraktionen des Machtblocks als auch für die Lohnabhängigen und ihre Fraktionierungen. Aber deshalb darf nicht übergangen werden, dass relevante Teile der lohnabhängigen Klassen und mithin der Arbeiter*innen 'die' beziehungsweise 'ihre' soziale Realität mittels der genannten Aussagen 'wahr-nehmen'. Insofern erscheint es in diskurstheoretischer Perspektive fraglich, inwiefern "eine sozialistische Klassenpolitik" (Sablowski/Thien 2018: 67) die adäquate Antwort auf den Erfolg der nationalistischen Rechten sein sollte. Laclaus (vgl. 1981: 73ff.) Interpretation der Durchsetzung des Nationalsozialismus, die er vor dem Hintergrund der lateinamerikanischen Erfahrung der 1960er-Jahre entwickelt hat, mag in mancher Hinsicht zu widersprechen sein (vgl. Elbe 2017), aber seine Kritik an einer 'Klassenpolitik' im engeren Sinne ist noch immer bedeutsam. Bezogen auf die aktuelle Situation heißt das, dass 'Klassenpolitik' allenfalls die Desartikulation der genannten Aussagen und die Artikulation der erlebten (globalen) Klassenrealität(en) in einem 'sozialistischen Interdiskurs' bedeuten könnte. Dies wäre aber ein Diskurs, der Klassengrenzen in einem engen Verständnis (individuelle Positionen im Kreislauf des Kapitals) transzendiert. Denn die Klassenposition an sich ist zwar nach wie vor relevant, aber nicht das (allein) Entscheidende. Das "spontane Wissen der Beherrschten besitzt 'keine stabile Bedeutung oder politische Bindung'", wie Dörre (2018: 67) mit Eribon (2016) formuliert. Entscheidend sind 306

Vgl. PROKAL-Redaktion 2016, Lessenich (2017), Sablowski/Thien (2018), Eversberg (2018). Diese Verhältnisse beschreibt Lessenich (2016) als 'Externalisierungsgesellschaft' und Brand/Wissen (2017) fassen sie als 'imperialen Lebensweise'. 307

8 Ausblick

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die "Gesellschaftsbilder, Weltsichten oder Alltagsphilosophien, die zwischen der 'kleinen Welt' des eigenen Erfahrungshorizonts in Betrieb, Familie und Freundeskreis und der 'großen Welt' politischer Konflikte und historischer Ereignisse andererseits vermitteln" (ebd.). Entscheidend sind mit anderen Worten die Interdiskurse, die nur dann eine Chance haben, hegemonial zu werden, wenn sie mehr als die spezifischen Erfahrungen bestimmter Klassenpositionen zum Ausdruck bringen. Zumal diese Erfahrungen intern vielfach differenziert sind, unter anderem durch das Geschlechterverhältnis, wie Sablowski/Thien (vgl. 2018: 68) anmerken, ohne dieser Frage genauer nachzugehen. Diesbezüglich hält Sauer fest, dass durch die von Frauen erkämpfte zunehmende Frauenerwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Dominanz des Neoliberalismus "das männliche Familienernährermodell mit einem vergleichsweise hohen Familienlohn des männlichen Erwerbstätigen mehr und mehr vom Zweiverdiener_innenmodell abgelöst wurde" (Sauer 2018: 318, vgl. Redaktion PROKLA 2016: 511ff.). Dies ging einher mit der Infragestellung der "Idee der heterosexuellen Kleinfamilie" sowie mit neuen Formen "hegemoniale[r] Männlichkeit" und "marginalisierter Männlichkeiten" (Sauer 2018: 318, zum theoretischen Kontext vgl. Connell 1999). "So entstand eine brisante Mischung aus realer oder befürchteter Degradierung, von Verlusten im Erwerbsbereich und einer nach wie vor existierenden Ideologie des Familienernährers, der marginalisierte Männer nicht mehr entsprechen können. Sie sind gleichsam 'failed patriarchs'" (Sauer 2018: 318.),

denen die nationalistische Rechte "ein Angebot der Selbstaffirmation, der Selbstbestärkung marginalisierter Männlichkeit" (ebd.: 319) macht. Bezüglich der spezifischen Attraktivität, die der nationalistische Diskurs auf Männer ausübt308, wäre aber auch dem Motiv des Männerkörpers und weiteren geschlechterbezogenen Symboliken (vgl. Kapitel 3.2.5) genauer nachzugehen. Auch hierzu findet sich ein entsprechender Hinweis bei Sauer, wenn sie feststellt, dass "das über die Geschlechterfigur konstituierte Volk ein schwaches, passives und handlungsunfähiges Gebilde [ist], ein betrogenes Opfer, das vor der Verführung durch korrumpierte Eliten geschützt werden muss. Rechtspopulistische Führungsfiguren imaginieren sich als diese Retter. […] Aus der natürlich-familiären, patriarchalen Vorstellung des Volkes folgt somit ein anti-demokratischer, hierarchisch-autoritärer Gestus gegen die Selbstbestimmung des Volkes" (Sauer 2018: 320f.).

308 Dabei geht es nicht darum, die Rolle von Frauen in der Rechten, welche die feministische Forschung aufgedeckt hat, kleinzureden, sondern darum zu erklären, warum der Gender-Gap im Bereich der nationalistischen Rechten dennoch stärker als in anderen politischen Organisationen ausgeprägt ist (vgl. Birsl 2011, Bitzan 2016, speziell zur Frage der Männlichkeit Claus/Lehnert/Müller 2010).

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Diese geschlechterbezogenen Symboliken sind in Verbindung mit dem gesamten Komplex der DETERRITORIALISIERUNG zu analysieren, der in der Forschung zur nationalistischen Rechten ohnehin mehr systematische Beachtung finden sollte. Zwar werden die entsprechenden Stellen häufig als typisch erkannt und zitiert, allerdings ohne in einen systematischen Zusammenhang gestellt zu werden. Einen solchen Zusammenhang herstellen zu können, ist sicher eine Stärke der interdiskurstheoretischen Perspektive (vgl. Kapitel 7.4). Ausgehend vom empirischen Nachweis der entsprechenden Äquivalenzketten ermöglicht sie die systematische Verknüpfung der sprachlichen beziehungsweise semantischen Ebene mit den Bereichen der gesellschaftlichen Institutionen, der ökonomischen Prozesse und nicht zuletzt der psychischen Verfasstheit der Individuen309. Aktuell wäre in diesem Zusammenhang eine genauere Untersuchung der Reizformel offene Gesellschaft interessant. Auf Seiten der nationalistischen Rechten verknüpft diese schon lange die Aversion gegen alles Deterritorialisierende mit den ökonomischen und migrationsbezogenen Politiken der Abschottung und zumindest punktuell mit verschwörungsideologischen Deutungen von Globalisierung, welche sich an George Soros 'Open Society Foundations' aufhängen (vgl. Kapitel 3.2.7, 5.1.1.3 und 6.3.2.4). Soros selbst benutzt den Begriff in der liberalen Tradition von Karl Poppers Buch 'Die offene Gesellschaft und ihre Feinde', auf das sich derzeit wieder eine ganze Reihe von Liberalen bezieht. Diese richten das Schlagwort der "offenen Gesellschaft" gegen die nationalistische Rechte und setzen sie dabei "mit der Freiheit, mit der Demokratie und mit der Marktwirtschaft" (Carius/Welzer/Wilkens 2017: 8) gleich. Zugleich entzweit sich an diesem Symbol aber auch die Linke, wie exemplarisch an der Auseinandersetzung um die Großdemonstration "#unteilbar" im Oktober 2018 in Berlin deutlich wurde. Im Aufruf hieß es: "Wir treten für eine offene und solidarische Gesellschaft ein", die hier unter anderem mit einem "Europa der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit" 310 verknüpft wurde. Davon hatte sich Sahra Wagenknecht im Vorfeld distanziert, da die Demonstration "in der Tendenz die Position 'Offene Grenzen für alle'" 311 vertrete. Woraufhin Alexander Gauland in einer Pressemitteilung vom 10.10.2018 Wagenknecht zur "Stimme der Vernunft innerhalb der Linken" erklärte und weiterhin schrieb: "Offene Grenzen für alle – das ist die zentrale Position der linken #unteilbar-Demonstration, die in Berlin stattfinden soll. Das spiegelt die eine Politik der Linken wider, die den Menschen

309

310 311

Vgl. Kapitel 7.4.2, dazu jüngst Decker/Schuler/Brähler (2018: 124ff.) www.unteilbar.org/aufruf [14.12.2018] Anna Lehmann, Aufstehen bleibt lieber sitzen, in taz vom 10.10.2018.

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in Deutschland schadet, in dem sie die ganze Welt zu uns zum Bleiben einlädt. Das zerstört unsere Sozialsysteme" (Fehler im Original)312.

Damit versucht Gauland bewusst Konflikte innerhalb der gesellschaftlichen Linken zu vertiefen, die als Aufteilung in ein proeuropäisch-soziales, ein linksliberal-alternatives und ein national-soziales Hegemonieprojekt beschrieben werden können (vgl. Kannankulam/Georgi 2012: 43 ff.). Denn zu den Erfolgsfaktoren der nationalistischen Rechten gehört – wie auch Gauland weiß – nicht zuletzt diese "Spaltung innerhalb der Linken" (Dörre 2018: 68). Auch in der Linken "scheiden sich die Geister an der Migrationsfrage", die dabei "symbolisch für ein echtes Dilemma" steht, das Dörre kollektivsymbolisch wie folgt illustriert: "Beharrt die Linke auf klassenunspezifischem Universalismus und belässt es bei der Forderung nach offenen Grenzen, stellt sie substanzielle wohlfahrtsstaatliche Regulierungen zur Disposition. Verbarrikadiert sie sich hingegen hinter den Mauern des nationalen Wohlfahrtsstaates, blockiert sie systematisch den Weg zur politischen Bearbeitung aller großen sozialen und ökologischen Verwerfungen, die sich, wie die globalen Migrationsbewegungen und deren Folgen, auf nationaler Ebene allein nicht mehr bearbeiten lassen" (ebd.).

Ähnlich wie die nationalistische Rechte hat also auch die Linke noch keine wirkliche Antwort auf die multiskalare Situation gefunden, die sich in den vergangenen Dekaden herausgebildet hat (vgl. Kapitel 7.5.5). Derzeit droht die rückwärtsgewandte Strategie der nationalistischen Rechten in Europa den Teufel einer neoliberalen EU im Dienste des transnationalen Kapitals mit dem Beelzebub eines chaotischen Desintegrationsprozesses auszutreiben. Dies ginge wohl, wie das britische Beispiel (Brexit) aktuell andeutet, mit schwer kalkulierbaren ökonomischen Problemen, politischen Krisen, einer deutlichen Zunahme des Rassismus und längerfristig wohl auch mit der Verschärfung von Konflikten zwischen den europäischen Nationalstaaten einher. Zudem ist es wahrscheinlich, dass sich die Rechte dort, wo sie mit ihren mehr oder weniger 'sozial' akzentuierten nationalpopulistischen Strategien durchschlagenden Erfolg hat – wie in Ungarn – mit den transnational ausgerichteten Fraktionen des Kapitals arrangiert und 'kompensatorisch' wiederum rassistische Politiken forciert (vgl. Kapitel 7.2.6 und 7.5.2). Die Linke steht damit vor der Aufgabe, eine dritte Position gegen die neoliberale Dominanz auf nationalstaatlicher wie europäischer Ebene und gegen die auf ihre Weise dagegen gerichtete 'Alternative' der nationalistischen Rechten zu entwickeln und politisch durchzusetzen. Dies ist umso schwerer, als sich diese Dreierkonstellation in den genannten innerlinken Spaltungstendenzen reproduziert. Die Entwicklung einer dritten Position gelingt vermutlich am besten, wenn sich die Linke nicht weiter in internen Grenz-Debatten um Migration oder ein Primat von 312 www.afdbundestag.de/gauland-sarah-wagenknecht-ist-die-stimme-der-vernunft-innerhalb-der-linken [14.12.2018]

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lokaler, nationaler oder supranationaler Ebene aufreibt, sondern sich darauf konzentriert, soziale Kämpfe (unabhängig von der 'Herkunft' der Beteiligten) voranzutreiben, die heute ohnehin meist zugleich auf den verschiedenen Ebenen zu führen sind. Ein lohnendes Feld wäre dabei vermutlich die Rückgewinnung demokratischer Kontrolle in den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, die in den vergangenen Dekaden privatisiert wurden, sowie ihre schrittweise Ausdehnung auf weitere Felder, die unter sozialen, ökologischen und demokratischen Gesichtspunkten notwendig wäre und grundsätzlich mit einer breiten Zustimmung rechnen kann. Auch eine solche Politik wird interdiskursive Erzählungen generieren müssen. Deren zeitliche Dimension könnte dabei lauten: Vom nationalstaatlichen Gestern und dem multiskalaren Neoliberalismus von heute, hin zum Morgen der transnationalen demokratischen Kontrolle und zur freien Assoziation von Übermorgen.

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Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004 I.1 Das Redemanuskript

 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten, Edition Rechtsextremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3

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Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004

I.1 Das Redemanuskript

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I.1 Das Redemanuskript

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Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004

I.1 Das Redemanuskript

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Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004

I.1 Das Redemanuskript

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Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004

I.1 Das Redemanuskript

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Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004

I.1 Das Redemanuskript

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Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004

I.2 Die Pronominalstruktur der Rede 1. Person 2. Person Singular Singular u. Plural Ich Sie (Du) Abschnitt I 9 ich 11 13 15 16 17 18 19 Zeile

1. Person Plural Wir inklusiv

wir exklusiv

3. Person Singular und Plural sie sie inklusiv exklusiv

"uns" "wir"

NPD NPD NPD NDP NPD NPD NPD NPD

ihre ihr wir wir wir wir wir uns sie sich ihrer sie sich sie sich

22 23 25 28 Abschnitt II 33 ich ich 35 36 mich 37 43 47 ich 53 56 58 60 62 Abschnitt II.1 64 66 68 69 73

Bezug

NPD-Wähler

uns unserem

NPD-Wähler NPD-Wähler NPD

wir

NPD

uns wir unseren

NPD NPD

unseres uns uns uns

Deutsche (Land) NPD NPD NPD DS-Verlag

seinem unser uns ihren unsere sein

76

unsere

ihr

80 81 83 85 88 89 90 93 98 104 105 107

unsere uns unseren?

unseren?

wir?

wir?

ihre

NPD NPD CSU NPD Reemtsma Deutsche (Väter und Großväter), Väter und Großväter Deutsche (Väter und Großväter) NPD, etablierte vaterlandslose Gesellen NPD / Vorstand?

ich

unser? wir? wir?

NPD / Vorstand? NPD NPD / Vorstand? NPD / Vorstand? NPD / Vorstand?

unseren

Vorstand / Freie Kräfte

ihren unser? wir? wir? Sie Sie

529

I.2 Die Pronominalstruktur der Rede

108 110 111 mich 112 Ich Abschnitt II.2 122 132 134

sich uns? Sie

ihrem?

135 136 137 138 139 140 146 147 149 151 170 181 185 187 192 193 194

man (Vorstand und Freie Kräfte) NPD / Vorstand?

uns?

sich ihrem? sie sie ihre sich sie sie

uns wir unsere ihren

die Herrschenden NSDAP/SPD? SPD SPD SPD SPD Deutsche NPD NPD die Herrschenden

mir uns seine

sie? sich wir wir unser wir wir uns wir

195 197 198 199 200 201 202 205

sich wir wir wir wir unseres uns unserer unsere unser uns unser

Deutsche (Volk, Land)

206 208 209 Abschnitt III 211 Abschnitt III.1 217 224 227 228 ich 234 241 242 251 255 257

* sie ihrer sie?, sie

sie ihr wir

sie

uns wir unserem? wir unserem?

sich unserer sich sich ihnen? sich ihnen?

unsere unseres uns

vaterlandslose Gesellen (Regierung) NPD, vaterlandslose Gesellen (Regierung) NPD NPD / Vorstand?

uns

unserer

Deutsche der deutsche Staat * herrschende BRD-Politiker BRD-Regierung die Bürger, BRD-Regierung NPD NPD NPD, Deutsche (Volk), NPD NPD durch das System eingeschüchterte Deutsche NPD (Deutsche), NPD NPD NPD, Deutsche (Volk) Deutsche (Identität) Deutsche (Väter und Vorväter) Deutsche (Kinder)

sich sich

NPD politische Kraft (NPD) NPD NPD, Köpfe (ehemalige NPDler) die Massen Deutsche (Geschichte) der preußische Staat Deutsche (Volk), Lichtgestalten (Zeitgenossen?)

530

Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004

262 meiner 264 267 ich mir 269 271 ich 285 287 288 294 302 303 304 305 308 309 311 318 ich 319 Abschnitt III.2 327 328 331 332 335 336 339 340 344 346 348 349 353 359 362 363 364 366 meiner 369 378 379 Abschnitt IV.1 387 388 395 398 404 405 406 407 408 410

"wir" "wir" "wir"

"(Zeitgenossen?)" "(Zeitgenossen?)"

unsere unsere

NPD NPD Lafontaine Lafontaine Lafontaine NPD "Bürger" "Deutsche (Landsleute)" "Deutsche, Leipziger Landsleute" "Volk" Argentinisches Wirtschaftssytem Deutsche / NPD national gesinnte Deutsche NPD Deutsche (Land)

er? ihn? seiner? uns "wir" "unsere" "sich ihrer" "Wir"

seinen uns / wir uns wir unseres sie? wir? uns?

wir? uns?

uns?

uns?

sie?

ihrem

unseren

* sich sich ihrer

* sie * sie * sich

unsere wir seine wir unsere uns? unsere? wir wir? wir? unsere?

uns? unsere?

wir? wir? unsere?

Personen, denen die NPD bisher egal ist NPD / Vorstand? NPD / Vorstand? Personen die die NPD unterstützen NPD / Vorstand? Medien * Medienmafia NPD, * Medienmafia Jugendliche, NPD NPD NPD der Gegner NPD NPD NPD / Vorstand? NPD / Vorstand? NPD

ihrem

NPD / Vorstand? NPD / Vorstand?, REP NPD / Vorstand?

sich? sie?

NPD NPD Zielgruppen Tabubrecher aus der BRD-Elite NPD, die anderen NPD, die anderen

wir wir unsere

wir (3) uns wir unsere (2) wir uns

sich? sie? ihnen ihnen sie sich

ihre "meines" "mein"

er? ihn? seiner?

NPD, die anderen

wir

Köpfe, die sich nicht einer PC anpassen NPD

wir

NPD

531

I.2 Die Pronominalstruktur der Rede

411 "meines" 412 413 415 Abschnitt IV.2 419 meiner ich 420 ich 421 ich 424 meine 428 ich 429 mich ich 430 434 438 441 447 448 449 450 451 452 453 456 457 466 469 470 471 472 ich 473 ich mir 474 ich Abschnitt V 481 ich 482 483 ich 484 485 487 497 498 499 501

wir unser wir wir wir

NPD NPD NPD NPD

wir

sich ihrer ihrem

NPD, Nationaler Sozialist NPD DVU NPD

sich

NPD NPD NPD deutsche Landsleute NPD NPD Junge Menschen (Skinheads) NPD / Vorstand? NPD / Vorstand? Jugendliche (Skinheads) NPD / Vorstand?

uns * Sie wir wir ihnen uns wir ihr wir? wir?

wir? wir?

wir?

wir?

sie

unser

NPD

wir uns wir uns wir

NPD NPD NPD NPD die Deutschen Berufsjuden Berufsjuden Berufsjuden NPD

ihrer sich sie sie wir

502

uns

503 505 506 507 508 509 512 516

uns

sie *sie sich sich sie

wir wir wir wir sich wir sie

NPD, Spiegel und Friedmann NPD, Spiegel und Friedmann NPD NPD NPD NPD Deutsches Volk NPD gegenwärtige parlamentarische

532

Anhang I: Die Rede von Udo Voigt auf dem NPD-Parteitag 2004

520 522 523 529 531 533 534 537 540 542 546 547 549 562 563 Abschnitt VI 568 569 ich

sich seine *sich "sie" wir sie wir wir wir seine seinem wir sie ihre wir wir seiner seiner uns

NPD sie sich ihr?

572 578 Abschnitt VI.1 586 587 598 602 611 616 618 629 Abschnitt VI.2 633 635 636 637 638

wir?

sie sich ihr? sich

wir?

Menschen in der DDR etablierte Parteien NPD / Vorstand?

Sie Ihren sich ihre unserer sie wir wir sich sich unserem sie sie

643

ihre

645 646 648 649 ich 652 654 657 661 662 663 ich meiner

unsere wir wir wir wir wir wir wir? uns

664

unsere?

671

Demokratie das Parlament deutsches Volk "die da oben" NPD NPD NPD NPD NPD Unternehmer, der Ausländer beschäftigt Ausländer NPD Chinesen und Türken NPD Deutsche Deutsches Volk Deutsches Volk

ihre? wir?

unsere? wir uns unserer

er

ihre?

Bevölkerung(szahl) der Türkei halbe Bevölkerung Istanbuls NPD (und DVU) Türkei NPD (und DVU) Deutsche / europäische Völker / NPD (und DVU)? nationale Parteien in der BRD linke Volksfront bis zur CDU Deutsche (Land) Kräfte (linke Volksfront) Kräfte (linke Volksfront) Kräfte jenseits des herrschenden Lobbyismus NPD NPD NPD NPD NPD NPD, ALG-II-Empfänger? NPD NPD / Vorstand? NPD und DVU NPD, DVU (Vorstände) / NPD (Vorstand)?, Frey Voigt und Frey

533

I.2 Die Pronominalstruktur der Rede

678 681 682 683 684 685 687 688 689 690 691 693 694 695 696 697 698 702 703 704

Sie ich

wir uns uns uns

NPD NPD NPD NPD

unsere uns wir uns uns wir uns wir

NPD NPD NPD NPD NPD

ich ich

ich ich meine

Ihnen Sie unserer wir? unserer wir? unser uns wir sich ihrem

NPD / Vorstand? Deutsche (Vaterland) NPD NPD(-Delegierte) nationale Politiker

Sie Sie unser

NPD

Anhang II: Abbildungen

 Abbildung 1: "Globalisierung: Die Neue Welt" Titelbild SPIEGEL-SPEZIAL (7/2005)

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 H. Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten, Edition Rechtsextremismus, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30666-3

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Anhang II: Abbildungen

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