Gesundheitsziele für Berlin: Wissenschaftliche Grundlagen und epidemiologisch begründete Vorschläge 9783110809763, 9783110153552

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Gesundheitsziele für Berlin: Wissenschaftliche Grundlagen und epidemiologisch begründete Vorschläge
 9783110809763, 9783110153552

Table of contents :
1. Einleitung: Gesundheitsziele diesseits von Utopien
2. Gesundheitsziele für Berlin bis zum Jahre 2005
2.1 Krankheitsprävention
2.1.1 Zahngesundheit
2.1.2 Säuglings- und Müttersterblichkeit
2.1.3 Herz- und Kreislaufkrankheiten
2.1.4 Krebskrankheiten
2.1.5 Chronische Krankheiten
2.1.6 HIV-Infektionen
2.1.7 Geschlechtskrankheiten
2.1.8 Impfungen und Infektionskrankheiten
2.1.9 Vorsorgeuntersuchungen
2.2 Gesundheitsschutz/Unfallverhütung
2.2.1 Unfallverletzungen
2.2.2 Umwelthygiene
2.2.3 Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit
2.3 Gesundheitsförderung
2.3.1 Körperliche Aktivität und Fitneß
2.3.2 Ernährung
2.3.3 Tabakkonsum
2.3.4 Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmißbrauch
2.3.5 Familienplanung
2.3.6 Psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen
2.3.7 Gewaltproblematik
2.4 Zusammenfassung
3. Zehn vorrangige Gesundheitsziele für Nordrhein-Westfalen – ein Situationsbericht
4. Methodik
4.1 Von der Datenerhebung zur Zielsetzung
4.2 Verwendung von Mortalitätsdaten für die Formulierung von Gesundheitszielen
4.3 Modellierung und Prognose
4.3.1 Zeitreihenanalyse und Gesundheitsziele
4.3.2 Models of Total and Cardiovascular Disease Mortality in West Berlin, and Some Somparisons with West Germany
4.3.3 Straßenverkehrsunfälle
4.3.4 Anwendungsbeispiel des Lee-Carter-Modells
4.3.5 Ein Instrument zur regionalisierten Steuerung und Planung von Ressourcen im Gesundheits- und Sozialbereich
4.4 Schritte zur Konkretisierung von Gesundheitszielen
5 Literaturverzeichnis
6 Stichwortverzeichnis

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Gesundheitsziele für Berlin

Gefördert durch Mittel des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie Förderkennzeichen 07PHF01-C4 im Rahmen des Berliner Forschungsverbundes Public Health

Gesundheitsziele für Berlin Wissenschaftliche Grundlagen und epidemiologisch begründete Vorschläge

Herausgegeben von Κ. E. Bergmann, W. Baier, G. Meinlschmidt Mit Beiträgen von W. Baier, Κ. E. Bergmann, M. H. Brenner, A. Brunner, J. Haberland, O. Hamouda, S. Hermann, M. Lack, G. Meinlschmidt, A. Schoppa, J. Schott, B. Weihrauch, R. Welteke-Bethge, M. Wildner Aus dem Robert Koch-Institut Bundesinstitut für Infektionskrankheiten und nichtinfektiöse Krankheiten In Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Gesundheit

w DE

G

Walter de Gruyter Berlin · New York 1996

Herausgeber Prof. Dr. med. Karl E. Bergmann Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 20, 13353 Berlin und Forschungsverbund Public Health, Berlin Steinplatz 1, 10623 Berlin

PD Dr. med. Wolfgang Baier Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 2 0 , 1 3 3 5 3 Berlin und Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen Postfach 2528, 55015 Mainz

PD Dr. rer. oec. Gerhard Meinlschmidt Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales Berliner Straße 157, 10715 Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufhahme Gesundheitsziele für Berlin : wissenschaftliche Grundlagen und epidemiologisch begründete Vorschläge / in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Gesundheit. Hrsg. von K. E. Bergmann ... Mit Beitr. von W. Baier ... Berlin ; New York : de Gruyter, 1996 ISBN 3-11-015355-6 NE: Bergmann, Karl E. [Hrsg.]; Baier, Wolfgang

© Copyright 1996 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag hat für die Wiedergabe aller in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen etc.) mit Autoren und Herausgebern große Mühe darauf verwandt, diese Angaben genau entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abzudrucken. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Druck: Gerike GmbH, Berlin - Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin Umschlagentwurf: Rudolf Hübler, Berlin Printed in Germany

Liste der Autoren PD Dr. med. Wolfgang Baier Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 20, 13353 Berlin und Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen Postfach 2528, 55015 Mainz Prof. Dr. med. Karl E. Bergmann Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 20, 13353 Berlin und Forschungsverbund Public Health, Berlin Steinplatz 1, 10623 Berlin Prof. M. Harvey Brenner, PhD School of Public Health Johns Hopkins University Baltimore, USA Dr. med. Anne Brunner-Wildner, MPH Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 20,13353 Berlin Dr. rer. oec. Jörg Haberland Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 20, 13353 Berlin Dr. med. Osamah Hamouda Robert Koch-Institut, AIDS-Zentrum Reichpietschufer ,74-76, 10785 Berlin Dipl.-oec. Sabine Hermann Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales Berliner Straße 157, 10715 Berlin

Martin Lack, Apotheker, MPH Aufbaustudiengang Public Health der TU Berlin Steinplatz 1, 10623 Berlin PD Dr. rer. oec. Gerhard Meinlschmidt Senats Verwaltung für Gesundheit und Soziales Berliner Straße 157, 10715 Berlin Dipl.-Paed. Andreas Schoppa, MPH Aufbaustudiengang Public Health der TU Berlin Steinplatz 1,10623 Berlin Prof. Dr. sc. med. Jürgen Schott Institut und Poliklinik für Arbeitsund Sozialmedizin TU Dresden Universitätsklinikum Fetscherstraße 74,01307 Dresden Dr. med. Birgit Weihrauch Minsterium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen Horionplatz 1,40213 Düsseldorf Dr. med. Rudolf Welteke-Bethge Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdient Nordrhein-Westfalen Westerfeldstraße 35-37, 33611 Bielefeld Dr. med. Franfred Wildner, MPH Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 20, 13302 Berlin und Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie der LMU Marchionini Straße 15, 81377 München

Berater PD Dr. med. Renate L. Bergmann Medizinische Fakultät der Humboldt-Universität Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin Dr. med. Joachim Bertz Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 20, 13353 Berlin Dr. rer. nat. Henning Thoelke Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales Berliner Straße 157, 10715 Berlin

Lektorat Uwe Schäfer, M.A. Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 20, 13353 Berlin

Dr. Hans Sendler Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Horionplatz 1,40213 Düsseldorf Doz. Dr. sc. med. Gerd Wiesner Robert Koch-Institut, Fachgruppe 6.1 Epidemiologie nichtinfektiöser Krankheiten Nordufer 20, 13353 Berlin

Vorwort des Gesundheitssenats Die aktuelle Diskussion um die Reform im Gesundheitswesen macht deutlich, daß für eine rationale Gesundheitsplanung und Gesundheitspolitik eine umfassende und kontinuierliche Gesundheitsberichterstattung notwendig ist, die alle Bereiche des Gesundheitswesens umfaßt. Die Gesundheitsberichterstattung bildet die Datengrundlage für Schwerpunktsetzungen im Gesundheitswesen. Mit dem Aufbau einer länder- und bundesbezogenen Gesundheitsberichterstattung sind wir in den letzten Jahren ein gutes Stück vorangekommen. Eine Vielzahl vergleichbarer Indikatoren, die das bundesdeutsche Gesundheitswesen in ihrer Struktur beschreiben sowie zeitliche und regionale Vergleiche ermöglichen, sind definiert worden. Das, was wir nun brauchen, ist eine Definition von Gesundheitszielen im gesundheitswissenschaftlichen Bereich sowie die politische Prioritätensetzung in Form von gesundheitspolitischen Zielen auf der Basis von Daten der Gesundheitsberichterstattung. Damit kommt der Berichterstattung eine zusätzliche und entscheidende Bedeutung zu: sie evaluiert im Zeitablauf die gesundheitlichen und die gesundheitspolitischen Ziele. Gesundheitsziele bzw. gesundheitspolitische Ziele sind — nicht nur in Zeiten knapper Ressourcen — wichtige Wegweiser, ohne die Entscheidungsträger Gefahr laufen, falsche Prioritäten zu setzen und sich damit zu verzetteln. Um Gesundheitsziele (bei der Vielfalt der Akteure im Gesundheitswesen) zu erreichen, bedarf es gemeinsamer konsensualer Zieldefinitionen in einer Art konzertierten Aktion mit entsprechender Verbindlichkeit und zeitlicher Perspektive. Betrachtet man die internationale und nationale Forschungslandschaft zum Thema Gesundheitsziele, so wird sehr schnell deutlich, daß in einigen Ländern (bzw. weltweit) entsprechende Ziele bereits existieren, so ζ. B. in den Vereinigten Staaten „Health Goals for the Nation" und bei der WHO mit „Gesundheit 2000", und daß demgegenüber in der Bundesrepublik Deutschland dieses Thema noch eher in den Kinderschuhen steckt. Mit dem Aufbau und der Nutzung der Gesundheitsberichterstattung durch die Gesundheitspolitik wird in den nächsten Jahren hoffentlich auch dieses Defizit verschwinden. Mit der vorliegenden Publikation werden Gesundheitsziele auf einer empirischepidemiologischen Basis definiert. Insbesondere wird auf die bisherigen Methodendefizite zur rationalen Ableitung von Zielen eingegangen. Die Indikatorenbildung, ihre intertemporale und interregionale Analyse und Prognose sowie der Konsensbildungsprozeß zur Zielfindung sind für alle, die sich in Deutschland dieses Themas annehmen, wegweisend und schließen damit eine methodische Lücke. Auch wenn die hier formulierten Ziele aus inhaltlicher Sicht da und dort noch zu unspezifisch erscheinen mögen, stellen sie doch mehr als einen Einstieg in die Diskussion um die Formulierung von gesundheitspolitischen Zielen dar. Der Aufbau von Zielhierarchien und Maßnahmen zur Erreichung von Zielen sowie ihre Ausdifferenzierung im regionalen, zielgruppenspezifischen und zeitlichen Bezug wären weitere Schritte zur Konkretisierung von Berliner Gesundheitszielen.

Vili Die Vielfalt der hier vorgestellten Gesundheitsziele verdeutlicht aber auch, daß ihre Erreichung nur in einem breiten gesellschaftlichen Prozeß — an dem die unterschiedlichen Politikbereiche beteiligt sind — realisiert werden kann. Es ist zu hoffen, daß die vorliegende Arbeit den gesundheitlichen Diskussionsprozeß bei allen Beteiligten in Berlin fördert und eine Basis für die Zielbestimmung ist und damit letztlich der Festlegung gesundheitspolitischer Ziele dienen kann.

Beate Hübner Senatorin für Gesundheit und Soziales

Detlef Orwat Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales

Inhalt 1

Einleitung: Gesundheitsziele diesseits von Utopien Κ. E. Bergmann, W. Baier, G.

2

1

Meinlschmidt

Gesundheitsziele für Berlin bis zum Jahre 2005

9

Κ. E. Bergmann, M. Wildner, A. Brunner, W. Baier, J. Haberland, G. Meinlschmidt, S. Hermann

2.1

Krankheitsprävention

13

M. Wildner, Κ. E. Bergmann, A. Brunner, W. Baier, J. Haberland, G. Meinlschmidt, S. Hermann

2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4 2.1.5 2.1.6

Zahngesundheit Säuglings- und Müttersterblichkeit Herz- und Kreislaufkrankheiten Krebskrankheiten Chronische Krankheiten HIV-Infektionen

13 18 24 33 42 51

M. Wildner, Κ. E. Bergmann, O. Hamouda

2.1.7 2.1.8 2.1.9 2.2

Geschlechtskrankheiten.. : Impfungen und Infektionskrankheiten Vorsorgeuntersuchungen

57 62 68

Gesundheitsschutz/Unfallverhütung

75

M. Wildner, A. Brunner, Κ. E. Bergmann, W. Baier, J. Haberland, G. Meinlschmidt, S. Hermann

2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.3

Unfallverletzungen Umwelthygiene Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit

75 83 92

Gesundheitsförderung

99

A. Brunner, M. Wildner, Κ. E. Bergmann, W. Baier, J. Haberland, G. Meinlschmidt, S. Hermann

2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7

Körperliche Aktivität und Fitneß Ernährung Tabakkonsum Alkohol-, Drogen- und Medikamentenmißbrauch Familienplanung Psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen Gewaltproblematik

99 103 108 114 121 127 133

2.4

Zusammenfassung

138

χ 3

Zehn vorrangige Gesundheitsziele für Nordrhein-Westfalen - ein Situationsbericht

148

R. Welteke-Bethge, B. Weihrauch

4

Methodik

155

W. Baier, J. Haberland, J. Schott, M. H. Brenner, Κ. E. Bergmann, M. Lack, G. Meinlschmidt, S. Hermann

4.1

Von der Datenerhebung zur Zielsetzung

155

W. Baier

4.2

Verwendung von Mortalitätsdaten für die Formulierung von Gesundheitszielen

173

J. Schott

4.3

Modellierung und Prognose

192

J. Haberland, M. H. Brenner, Κ. E. Bergmann, M. Lack, W. Baier, G. Meinlschmidt, S. Hermann

4.3.1

Zeitreihenanalyse

und Gesundheitsziele

192

J. Haberland

4.3.2

Models of Total and Cardiovascular Disease Mortality in West Berlin, and Some Somparisons with West Germany

205

M. H. Brenner, Κ. E. Bergmann

4.3.3

Straßenverkehrsunfälle

216

M. Lack, W. Baier, J. Haberland

4.3.4

Anwendungsbeispiel

des Lee-Carter-Modells

223

/. Haberland

4.3.5

Ein Instrument zur regionalisierten Steuerung und Planung von Ressourcen im Gesundheits- und Sozialbereich

227

G. Meinlschmidt, S. Hermann

4.4

Schritte zur Konkretisierung von Gesundheitszielen

244

M. Wildner, A. Brunner, K. E. Bergmann, W. Baier, J. Haberland, G. Meinlschmidt, S. Hermann

5

Literaturverzeichnis

246

6

Stichwortverzeichnis

255

1 Einleitung: Gesundheitsziele diesseits von Utopien Karl E. Bergmann, W. Baier, G. Meinlschmidt Genaue Todenlisten sind sowie die Verzeichnisse der jährlich gebomen, in einem jeden wohl eingerichteten Staate von großem Nutzen und Wichtigkeit. Um diese Listen auch für die öffentliche Gesundheitspflege brauchbar zu machen, muß, so viel möglich, bei jedem einzelnen Sterbefall die Ursache des Todes der Obrigkeit jedes Ortes angezeigt werden, damit man hiernach am Jahresschluß, den Antheil, welche jede Gattung von Krankheiten an der Sterblichkeit hat, genau übersehen könne, wodurch denn zu gemeinnützigen Untersuchungen über die Ursachen, warum diese oder jene Krankheit besonders gemein ist, und über die Mittel derselben vorzubeugen, Veranlassung gegeben werden kann. E.B.G. Hebenstreit in „Lehrsätze der medicinischen Polizeywissenschaft. " §296, S. 165-166. Leipzig: Dyk 1791

Für den Einzelnen ist Krankheit vor allem Schicksal Wir wünschen uns gern Gesundheit, als sei dies ein Gut, das wir uns nicht erarbeiten können. Und in der Tat, Gesundheitsstörungen und Krankheiten treffen uns meist unerwartet und sind uns, mit seltenen Ausnahmen, auch gänzlich unwillkommen. Das anscheinend Zufallige von Gesundheitsstörungen liegt einmal an genetischen Faktoren, an sozusagen „hardware'-mäßig bis in die feinsten Bausteine des Organismus ausdifferenzierten und festgelegten Programmen, die wir bisher nicht genauer kennen und auf die wir kaum Einfluß nehmen können. Hinzu kommt die Exposition gegenüber einer mächtigen Welt und ihren im Wandel begriffenen Kräften und Gesetzmäßigkeiten. Manche Gesundheitsrisiken und Krankheiten können wir zwar durch Einhaltung bestimmter Spielregeln in Grenzen halten; wir brauchen dafür gesichertes Wissen, Zukunftshoffnung und die Kraft, zugunsten langfristigen Wohlseins auf ein Stück Befindlichkeit des Augenblicks zu verzichten. Aber auch gesundheitsbewußt lebende Menschen werden krank. Denn gesundheitsfördernder Lebensstil vermindert nur die Wahrscheinlichkeit zu erkranken. Diese läßt sich jedoch nur an Bevölkerungen statistisch ermitteln, als „Nichtereignis" aber kaum persönlich erleben. Krankheit und Leiden sind schließlich etwas Privates. Daran lassen wir nur ganz bestimmte Personen teilnehmen und niemanden ungefragt hineinreden. Der Einzelne erfährt damit Krankheiten vor allem als Schicksal. Auf Bevölkerungsebene gibt es Gestaltungsspielräume Addiert man die Vielfalt individueller Krankheitsschicksale und bezieht sie auf die Bevölkerung, abstrahiert man also Gesundheitsprobleme, dann kommt man zu Morbidität und Mortalität oder, spiegelbildlich und damit positiv ausgedrückt, zur „Gesundheitslage in der Bevölkerung", die man an den Risiken, Krankheiten und deren Folgen messen, beschreiben und analysieren kann. Ziele kann es nur dort geben, wo sich etwas bewegen läßt. Die Äußerungen des Leipziger Mediziners Hebenstreit aus der Zeit des aufgeklärten Absolutismus (1791) weisen darauf hin, daß man die Gesundheitslage der Bevölkerung bereits seit mindestens 200

2 Jahren für beeinflußbar hält: und über die Mittel derselben vorzubeugen Veranlassung gegeben werden kann". Die Auffassung von der Beeinflußbarkeit der Gesundheitslage wird durch Ergebnisse moderner medizinischer und epidemiologischer Forschung bestätigt: Viele Krankheiten lassen sich überwinden, ihre Auswirkungen in Grenzen halten oder sogar völlig vermeiden. Die Erfolge der kurativen Medizin füllen ganze Bibliotheken. Als Beispiele für erfolgreiche Prävention mögen die Ausrottung der Pokken, die weitgehende Überwindung der Poliomyelitis in den Industrienationen, die Verminderung der Zahnkaries durch Trinkwasserfluoridierung, der Rückgang des Zigarettenrauchens in den USA oder die Absenkung der Verkehrsunfallsterblichkeit in Deutschland dienen, auch wenn gerade hier noch viele Wünsche offen bleiben.

Mit Erkenntnissen und Berichterstattung fängt es an Als Grundlage fordert Hebenstreit etwas, das unter der Bezeichnung „Gesundheitsberichterstattung" seither an vielen Stellen etabliert werden konnte. Unter Nutzung unterschiedlichster Datenquellen, neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Bündelung von Kräften wird durch Förderung des Bundesministers für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie sowie des Bundesministers für Gesundheit die Gesundheitsberichterstattung des Bundes bis Ende 1997 völlig neu aufgebaut. Auch die Bundesländer haben in den zurückliegenden Jahren ihr Berichtswesen gründlich überarbeitet. Die Beschäftigung mit der Bevölkerungsentwicklung, mit Gesundheitsrisiken, Morbidität und Mortalität, mit ökonomischen Folgen von Krankheiten und Ressourcenverbrauch, mit dem Krankenversicherungssystem, den Einrichtungen des Gesundheitswesens etc., die Beschreibung und Analyse von Zusammenhängen und deren Präsentation ist eigentlich erst sinnvoll, wenn man sie für Verbesserungen nützt, d.h. für die Verminderung des Vorkommens und der negativen Auswirkungen von Krankheiten, für die Verlängerung des Lebens bei guter Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebensqualität. Damit wendet man seinen Blick über die erkennbare und vielleicht erklärbare, mindestens aber beschreibbare Vergangenheit und Gegenwart hinaus in die Zukunft.

Berichterstattung und konkrete Ziele Sieht man einmal von den Maßnahmen zur Kostendämpfung ab, so haben wir uns im Gesundheitswesen daran gewöhnt zu handeln, ohne genauer zu wissen oder gar festzulegen, was wir eigentlich erreichen wollen. Gigantische Summen werden ausgegeben, Gesetzeswerke geschaffen, stationäre und ambulante Versorgung geplant und strukturiert, hunderttausende von Menschen beschäftigt. Was das alles aber genau bringen soll, bleibt offen. Dabei existieren für viele Bereiche Daten und Erkenntnisse oder könnten mit vertretbarem Aufwand geschaffen werden. Die entscheidenden Schritte, nämlich eine intensive Auseinandersetzung mit den Daten und Erkenntnissen und die Einigung auf konkrete Ziele nach Art, Maß und Zeit, bleiben aus. Wir bleiben bei der Berichterstattung stehen. Eine Evaluation der Wirksamkeit und Kosteneffizienz von Maßnahmen ist ohne klare Zieldefinition nicht möglich.

3 Das vorliegende Werk ist das Ergebnis einer Auseinandersetzung mit den Berichterstattungen zur Gesundheitslage in der Berliner Bevölkerung. Veränderungspotentiale werden aufgezeigt, und modellhaft wird an einigen Beispielen der Blick in die Zukunft gerichtet. Dazu dienen Zeitreihenanalysen sowie Vergleiche mit anderen Regionen und der internationalen Literatur. Es werden Wege und Methoden dargestellt, wie man zu einer Einschätzung künftiger Entwicklungen kommen kann, welche Voraussetzungen erforderlich und welche Zielsetzungen möglich sind.

Die Rollenverteilung zwischen Wissenschaft und Politik Gesundheitsziele einer Bevölkerung können nicht von Wissenschaftlern festgelegt werden. Nur Bevölkerungen selbst, Solidargemeinschaften oder die von ihnen beauftragten Vertreter, Politiker, Kostenträger etc. können letztendlich in einem Konsensprozeß ihre Gesundheitsziele bestimmen. Die vorliegenden Ausarbeitungen verstehen sich deshalb nicht als gesundheitspolitische Ziele. Unsere Ziele stellen sozusagen nur die Bilder dar, die man mit einem Fernrohr erkennen kann. Ob man die Stelle aufsuchen soll, die man im Fernrohr sieht, kann der Betrachter nicht für seine Mitmenschen entscheiden. Es bleibt im vorliegenden Zusammenhang also der Gesundheitspolitik überlassen, was sie erreichen möchte, wie sie ihre Prioritäten setzt, welche Hoffnungen sie mit der Verfolgung ihrer Ziele verbindet und wie sie diese Hoffnungen der Bevölkerung vermittelt. Die Wissenschaft kann aber feststellen, wie die Dinge stehen, kann vergleichen, ursächliche Zusammenhänge offenlegen, Vermeidbarkeit ermitteln, prognostizieren und Ziele vorschlagen, die aus ihrer Sicht erreichbar wären.

Ziele-Hierarchie. Grundsätze und Ausnahmen Bei der Formulierung von Zielen schwebt uns eine Hierarchie vor: Die eigentlichen Ziele sind ergebnisoútnúexi, d. h. sie beziehen sich auf die Gesundheitslage selbst bzw. auf deren Indikatoren. Danach wäre es für uns z. B. ein Ziel, die Sterblichkeit an Herzinfarkt bei Männern im Alter zwischen 35 und 64 Jahren bis zum Jahre 2005 um wenigstens 25% zu vermindern. Zur gleichen Thematik könnte man auch Prozeß- und Strukturziele formulieren. So könnte man z. B. das Intervall, das zwischen einem Infarktereignis und der intensivmedizinischen Versorgung verstreicht, verkürzen — ein Prozeßziel. Ein strukturelles Ziel könnte es sein, das Netz verfügbarer Einrichtungen für eine adäquate Versorgung dichter zu spannen. Wir sind also der Überzeugung, daß die Festlegung von Gesundheitszielen grundsätzlich von den gewünschten Ergebnissen geleitet werden sollte. Die Prozesse und Strukturen, die für die Verfolgung der Ziele benötigt werden, sind als Wege den eigentlichen Zielen unterzuordnen. Werden Prozesse oder Strukturen selbst zu Zielen erhoben, so können sie sich verselbständigen und fortbestehen, auch wenn sie keinerlei Nutzen im Sinne der angestrebten Ergebnisse mehr bringen. Wenn es gute Gründe gibt, muß man von den Grundsätzen abweichen: Manches Ergebnis ist erst nach langer Zeit erreichbar. In solchen Fällen macht es Sinn, auch für erfolgversprechende Prozesse und strukturelle Verbesserungen, also eigentlich Wege, Ziele zu

4 formulieren und zu verfolgen. Dies gilt beispielsweise für bekannte Risikofaktoren. Wenn zwischen dem Beginn des Zigarettenrauchens und dem Auftreten von Lungenkrebs oder anderen gesundheitlichen Folgen des Rauchens Zeitspannen von mehr als 20 Jahren verstreichen können, so ist auch die Vern"°,X —í-*—ä-; Ν ^ NX Ν

π (ΝΛ m= > m* —— ' U J

mit

^ >

(NA , —=1 l ΝJ

Jeder Risikowert läßt sich als ein solcher Mittelwert auffassen und schließt damit die durch die Gliederung erhaltene Verteilung der Grundgesamtheit (die Struktur {Nx / N] ) in sich ein, so daß bei Vergleichen gleichartiger Mittelwerte aus verschiedenen Grundgesamtheiten die Verschiedenheit der Struktur und die Verschiedenheit der gruppenspezifischen Risiken die Unterschiede der Mittelwerte bestimmen. Mittels der Standardisierung ist man bemüht, bei einem Vergleich von Risiken in der Grundgesamtheit „Bevölkerung" den Einfluß der Struktur vom Einfluß der gruppenspezifischen Risiken auf die Verschiedenheiten der Gesamtrisiken zu trennen und so die Kenntnisse zur Strukturspezifik der Risikoziffern in dem Vergleich der Gesamtrisiken zu berücksichtigen. Die formalen Aspekte der Standardisierung sind in Anhang 1 zu diesem Abschnitt dargestellt. Zur allgemeinen Wertung der Standardisierung ist folgendes zu sagen: •

Die Standardisierung stellt keinerlei Anforderungen an die Gliederungsmodalitäten. Es können Gliederungen auf der Grundlage von Nominalskalen (z.B. Fachabteilungen), Rangskalen (z.B. der Schweregrad von Erkrankungen) oder auch Verhältnisund metrischen Skalen (z.B. Alter mit unterschiedlichsten Altersklassenbreiten) der Standardisierung zugrunde liegen. Bei Verhältnis- und metrischen Skalen sollte man aber prüfen, ob statt der Standardisierung auf differenziertere Modelle (z.B. Sterbetafelmodelle) zurückgegriffen werden kann, was bei Alterseinteilungen zumeist möglich ist.

175 •

Da die als Standard gewählte Struktur willkürlich vorzugeben ist, sind die Ergebnisse der Standardisierung immer nur gültig in Berücksichtigung des Standards. Das gilt auch für die nachfolgenden Interpretationen der Ergebnisse. Es wird immer wieder diskutiert, welche Struktur im Rahmen der direkten Standardisierung als Standard gewählt werden solle. Als Faustregel mag gelten: -

werden Zeitreihen ermittelt und interessiert ausschließlich die retrospektive Analyse, so ist es zweckmäßig, auf die Struktur zum Beginn oder Ende der Zeitreihe zu standardisieren

-

ist es beabsichtigt, die Zeitreihe zu extrapolieren, so sollte auf die letzte erhobene Struktur standardisiert werden, steht der Vergleich im Vordergrund des interpretativen Interesses, so ist auf eine mittlere Struktur zu standardisieren.82



Die Standardisierung ist ein Modell der Bevölkerungen. Die Bevölkerung wird auf der Grundlage der Kenntnisse zur Gliederung sowie eingebetteter Prozesse (z.B. das Sterben) bearbeitet. Die Ergebnisse sind wieder Aussagen zur Bevölkerung und nicht zu einer statistischen oder gar natürlichen Person



Der Standardisierungsansatz erfolgt auf der Grundlage von gewogenen Mittelwerten. Dabei ist zu beachten, daß es sich um arithmetische (s. obige Beispiele) oder geometrische oder harmonische Mittel handeln kann.83 Vor einer Standardisierung ist somit

82

^"¡,χ* ^ , , χ e ' n Minimum bzw. die Summe der beiden Standards m(1>

Dann erreicht der Ausdruck ^ 2

und m< > annähernd gleich M + m, der Summe der zu vergleichenden Gesamtziffern. (Durch Einsetzen der Binome - s. Anhang 1 - in die Ausdrücke für die standardiserten Raten und geeignetes Zusammenfassen der einzelnen Terme erhält man m (1) + m ( 2 ) = M + m - 2* ^ ám¡x bzw. nach Division mit 2 ist der mittlere Standardwert gleich dem Mittelwert der beiden rohen Raten m und M minus der Summe der Abweichungsprodukte). 83

Ein Beispiel für einen nicht arithmetischen Mittelwert ist die Betrachtungung von Betreuungsdauern Dx in Fachabteilungen in Abhängigkeit von der Bettenstruktur Ίρχ/ (wieviel der belegten Betten entfallen auf die einzelnen Fachabteilungen Λ) des Krankenhauses. Sind die Ax die Abgänge aus den einzelnen Fachabteilungen und Dx die Verweildauern, so besteht zwischen den genannten Größen bei annähernd gleichmäßiger Auslastung über die Zeit der Zusammenhang Px = Ax*Dx

bzw.

Dx = Px/Ax

Entsprechend hat das ganze Haus eine mittlere Verweildauer D repräsentativ für alle Fachabteilungen zusammen. D =

P/A

mit Ρ der Anzahl durchschnittlich belegter Betten und A der Anzahl der Abgänge des Krankenhauses. Werden Verlegungen im Haus als Abgänge geführt, so faßt diese Zahl (der Abgänge des Hauses) sowohl die Verlegungen im Haus wie auch die Abgänge, die das Haus verlassen, zusammen. A ist die Summe der Abgänge aus den Fachabteilungen x.

A=Y

Λ,=Υ

Dx

=

£

A £Sr*Dx> =

176 zu überprüfen, welcher Art der Zusammenhang der in die Rechnung eingehenden Angaben ist Mit einer solchen Standardisierung wurde zwar ein zusätzliches Wissen zu einer Struktur in die Betrachtung einer Risikoziffer einbezogen, doch fehlt nach wie vor eine Bewertung dieser Ziffer im Kontext einer Gesundheitsaussage. Um aus dem Zahlenwert ein Maß für Gesundheit zu entwickeln, kann z.B. versucht werden auszuweisen, welche Bedeutung eine Risikoveränderung für die mittlere Lebensdauer in der Bevölkerung hat. Die Umrechnung von Sterberisikoziffern der bisher diskutierten Art in Aussagen zu einer Lebensdauer erfolgt mittels der Sterbetafel. Dabei wird unterstellt, daß ein Anstieg der Lebensdauer einer Verbesserung der Gesundheitslage entspricht. Die Sterbetafel wird zumeist ausschließlich dazu berechnet, die aktuell zu messende Sterbeintensität in einer Bevölkerung unter Zuhilfenahme der altersspezifischen Sterbewahrscheinlichkeiten qx insgesamt zu interpretieren. Dabei wird die Betrachtungsebene der Bevölkerung verlassen und in die einer gedachten mittleren Person transformiert. Das Ergebnis ist die mittlere Lebenserwartung e0 dieser gedachten mittleren Person im Alter von genau 0 Jahren, der man unterstellt, daß für sie in jedem Alter χ genau die Überlebenschancen gelten würden, wie sie in der Bevölkerung aktuell in den Sterbewahrscheinlichkeiten durchschnittlich zu jedem Alter geschätzt werden können. Weiteres Ergebnis sind die ferneren Lebenserwartungen ex, die eine Schätzung darüber sind, wieviel Lebensjahre die gedachte Person in einem Alter von χ > 0 Jahren auf der Grundlage der (Sterbe-) Überlebenswahrscheinlichkeiten ab dem x. Altersjahr noch zu erwarten haben würde. Diesen Angaben zu einer Lebenserwartung ist somit die Randbedingung zugeordnet, daß ab dem Alter JC zu einem Zeitpunkt t zwar noch Veränderungen im Altersgang der Sterblichkeiten existieren, diese sich aber zeitlich nicht mehr verändern. Mit kleiner werdendem Alter χ wird dieser Modellaspekt immer gravierender. Es wird deutlich, daß die Sterbetafel eine Interpretationshilfe zur Einschätzung der Gesamtheit der gegenwärtigen altersspezifischen Sterbe- bzw. Überlebenswahrscheinlichkeiten ist und nicht etwa eine verläßliche Aussage zur Lebensdauer von lebenden Menschen, die zum kalendarischen Zeitpunkt t das Alter χ erreicht haben. Der Vorteil dieses Modells liegt in folgenden Bereichen: Die Sterbetafel werte sind generell frei von Einflüssen der Altersstruktur der Bevölkerung (Dinkel 1992, Pflanz 1973). Altersstandardisierungen, wie sie oben diskutiert wurden, sind hinfällig. Berechnet man eine allgemeine Mortalität über die Sterbetafel, indem man die zur mittleren Lebenserwartung reziproke Größe erzeugt und mit entsprechender Zehnerpotenz multipliziert (Chiang 1984, Dinkel 1985), so zeigt der Vergleich dieser „bereinigten Sterblichkeit" (bSt.) mit der „rohen Sterblichkeit „ m — auch dann wenn diese standardisiert wird — beträchtliche Verschiedenheiten dieser beiden Ziffern. (Abbildung 4.2.1)

Durch Veränderung der Bettenstruktur {Pxl· ist so die Verweildauer zu gestalten bzw. im Rahmen eines Vergleiches von mittleren Verweildauern verschiedener Krankenhäuser wäre mittels der Standardisierung zu erfragen, welchen Anteil die Verschiedenheiten in den Bettenstrukturen an den Verschiedenheiten der Verweildauern der verglichenen Häuser haben. Standardisieren würde man auf eine Standardstruktur jpj s > l·.

177

Mit dem Tafelmodell wird, wie oben schon angedeutet, die Betrachtungsebene von der Bevölkerung (Makroebene) weg auf eine mittlere (statistische) Person (Mesoebene) hin verlagert. Die üblichen Methoden der Standardisierung belassen die Aussagen auf dem Niveau der Bevölkerungen (Makroebene). Im Rahmen des Tafelmodells durchläuft die Person quasi ein Leben unter der Einwirkung der gegenwärtig abzubildenden altersspezifischen Überlebenschancen und bildet damit prinzipiell auch die Absterbeordnung einer Kohorte ab (fiktive Kohorte). In die so berechnete Entwicklung des Bestandes einer Kohorte sind auch andere in ihrer Altersspezifik erfaßten Prozesse (z.B. Erkranken, Gebären u.s.w.) einzuschreiben.

Mortalität, Eurostand. Mortalität, Tafel 1300,00

1200,00 1100,00 I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I 1963

1968

1973

1978

1983

1988

Abbildung 4.2.1: Entwicklung der allgemeinen Mortalität in der Berlin-Wester Bevölkerung, männlich, von 1963 bis 1990, standardisiert auf die Europa-Bevölkerung und berechnet in den Sterbetafeln der jeweiligen Jahre

Dieses Konzept der Sterbetafel zur Interpretation von Sterbewahrscheinlichkeiten ist selbstverständlich auch auf ausgewählte spezielle Todesursachen(-klassen) anzuwenden. In Anwendung auf einen ausgewählten Bereich des Sterbegeschehens — z.B. einer Klasse von Todesursachen i (z.B. Unfall) — entstehen zunächst vier verschiedene Fragestellungen: 1. Wie würde sich eine Kohorte entwickeln, für die es nur diese Todesursachen gibt? Es wird also modellhaft so getan, als ob es keine weitere als die gerade zu betrachtende Todesursache in der Bevölkerung gibt. Damit wird es möglich zu fragen, welches mittlere Sterbealter (mittlere bzw. fernere Sterbeerwartungen) würde bei Zugrundelegen der gegenwärtig meßbaren Sterberaten eine Person erwarten lassen? Dieses Datum ist dann wieder ein altersstrukturbereinigtes mittleres Sterbealter, und zwar zur betrachteten Todesursache. 2. Wie würde sich eine Kohorte entwickeln, für die es diese Todesursache nicht gibt und auch noch nie gegeben hat? Welches mittlere Sterbealter (mittlere und fernere Sterbeerwartungen) wäre bei Zugrundelegen der gegenwärtig meßbaren Sterberaten

178 zu erwarten? Mit diesem Ausschluß einer Todesursache wird es möglich, die ausgeschlossene Todesursache dem „Rest" an Todesursachen gemessen an einem mittleren Sterbealter direkt und frei von direkten Einflüssen einer Altersstruktur der Bevölkerung gegenüberzustellen. 3. Wie würde sich eine Kohorte entwickeln, die diese Todesursache überwindet, so daß es sie zukünftig — zumindest in ausgewählten Altersbereichen — nicht mehr gibt? Welch ein Gewinn an Lebenserwartung wäre zu erzielen? Mit dieser Fragestellung werden nicht die statischen Gegebenheiten der Existenz bzw. Nichtexistenz einer Todesursache angesprochen, sondern die der Überwindung der Todesursache. Es wird so ein dynamischer Aspekt eingeführt, der es erlaubt, z.B. den tatsächlichen oder erwünschten medizinischen Fortschritt hinsichtlich des Sterbegeschehens zu evaluieren. Es ist evident, daß solche Rechnungen bedeutsam für die quantitative Formulierung von Gesundheitszielen sind. 4. Mit welcher Wahrscheinlichkeit muß ein Mensch mit einem Alter χ (z.B. 0 Jahre) rechnen, einer bestimmten Todesursache zugeordnet zu werden („Ertragserwartung")? Diese „Erwartungen" entstehen durch die Projektion des Sterbegeschehens in ein gedachtes Leben einer statistisch definierten Person und geben Hinweise darauf, in welchen Altersbereichen Todesursachen besonders hervortreten und somit zieleorientierend sind. Die Todesursachen werden in eine Beziehung untereinander gebracht, weil sie alle in direkter Zuordnung zur statistisch geschätzten Lebensdauer stehen. Um todesursachenspezifische Interpretationen der Sterbewahrscheinlichkeiten zu berechnen, werden die altersspezifischen Sterbeangaben zunächst als Summen der Angaben zu den Todesursachen aufgefaßt. Dieser Modellansatz heißt Modell der konkurrierenden Risiken (Chiang 1994, Pflanz 1973). Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Todesursachen werden bei dieser einfachen Summenzerlegung der altersspezifischen Gestorbenenmengen ausgeschlossen. Zu jedem Alter ergibt sich in der Bevölkerung eine Todesursachenstruktur. Diese altersspezifischen Todesursachenstrukturen werden auf die fiktive Kohorte der Sterbetafel übertragen. Die ausführliche formale Darstellung der Rechenwege ist in Anhang 2 zu diesem Abschnitt dargestellt (Schott et al. 1995). Im Zusammenhang mit der Berechnung der todesursachenspezifischen Sterbeerwartung wird die Todesursachenstruktur der Tafelbevölkerung /σ,(errechnet. Diese Struktur (den Gestorbenenanteilen nach den einzelnen Todesursachenklassen, die von dem Ausgangsbestand der Tafelkohorte im Verlauf des Lebens realisiert werden) ergibt mit den jeweiligen Sterbeerwartungen wieder die mittlere Lebenserwartung.

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Jahre Abbildung 4.3.3.4: Jährlich schwerverletzte Pkw-Insassen pro 100.000 Pkw in Berlin (West) von 1958 bis 1993

Die Zeitreihe für die schwerverletzten Insassen pro 100.000 Pkw zeigt einen ähnlichen Verlauf wie die der tödlich Verunglückten. Seit 1958 ist ein unter Schwankungen kontinuierlich abnehmender Trend der Schwerverletztenrate zu verzeichnen, von 535 im Jahre 1958 auf rund 54 im Jahre 1993, jeweils bezogen auf 100.000 Pkw. Die Effekte der Ölkrise Anfang der 70er Jahre und der Maueröffnung 1989 sind nur marginal. Durch die Einführung der Gurttragepflicht ohne Bußgeldbewehrung auf den Vordersitzen zum 01.01.1976 stiegen bundesweiten Erhebungen zufolge (Radscheidt 1989) zwar die Anlegequoten (innerorts: von ca. 25% auf über 40%, Landstraße: von ca. 45% auf über 70%, Autobahn: von ca. 70% auf ca. 75%), bei der Analyse der Zeitreihen konnte aber weder für die Getöteten- noch für die Schwerverletztenrate ein Rückgang, der auf die Intervention zurückzuführen wäre, gefunden werden. Zum 01.08.1984 wurde für das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes auf den Vordersitzen ein Verwarnungsgeld in Höhe von 40,- DM eingeführt. Dadurch wurde sowohl innerals auch außerorts ein Anstieg der Anlegequoten auf durchschnittlich über 90% erreicht. Zur Untersuchung eines Effektes dieser Maßnahme muß einschränkend angemerkt werden, daß die Gurtanlegequoten aufgrund von Verkehrsbeobachtungen ermittelt werden; es ist jedoch nicht bekannt, welcher Anteil der Pkw-Insassen bei einem Unfall tatsächlich angegurtet war. Auch läßt sich die Einführung des Verwarnungsgeldes nicht trennen von der zum gleichen Zeitpunkt eingeführten Gurtanlegepflicht auf den Rücksitzen. So wurden beide Interventionen gemeinsam untersucht. Bei der Modellanpassung für die Zeitreihe der Getötetenrate ergab sich die Notwendigkeit einer logarithmischen Datentransformation. Für die Intervention wurde eine Dum-

220 my-Variable mit 0/1 Codierung eingeführt, d.h. der Variablen wird in der PräInterventionsphase der Wert 0, in der Post-Interventionsphase der Wert 1 zugewiesen. Die beste Anpassung ergab sich für ein ARIMA(0,1,0)-Modell ohne Konstante. Ohne Konstante heißt, in der Zeitreihe gibt es keinen positiven bzw. negativen Trend, was für eine Prognose der Zeitreihe bei diesem Modell eine Vorhersage auf Höhe des zuletzt gefundenen Wertes bedeutet. Für die Interventionskomponente wurden verschiedene lag-Strukturen geprüft. Für den lag 1 (d.h. eine Zeitverzögerung von einem Jahr) ergab sich die beste Modellanpassung, was plausibel erscheint, da das Bußgeld erst Mitte des Jahres eingeführt wurde. Die Parameterschätzung ergab daraufhin einen Wert von -0,55 mit einem Standardfehler von 0,21 und einer Überschreitungswahrscheinlichkeit von 0,015. Sie ist damit bei Verwendung eines Signifikanzniveaus von 0,05 signifikant. Für Berlin (West) heißt das also, daß die Intervention zum 01.08.1984 zu einer Reduktion der Anzahl der getöteten Pkw-Insassen pro 100.000 Pkw um 55% im Jahre 1985 geführt hat. Dabei dürfte der größere Anteil durch die Bußgeldbewehrung auf den Vordersitzen zustande gekommen In wird die logarithmisch transformierte Zeitreihe in der tatsächlichen und in der fiktiven Form, d.h. in der Annahme, es habe keine Intervention stattgefunden, dargestellt. Der durch die Intervention stärkere Rückgang in der Zeitreihe ist deutlich zu erkennen.

Jahre Abbildung 4.3.3.5: Logarithmisch transformierte Zeitreihen der getöteten Pkw-Insassen pro 100.000 Pkw in Berlin (West), real und ohne Intervention (Gurtpflicht mit Bußgeldbewehrung) von 1958 bis 1993

Für die Analyse der Datenreihe der schwerverletzten Pkw-Insassen wurde ebenfalls die logarithmisch transformierte Zeitreihe mit einer Dummy-Variable mit 0/1 Codierung verwendet. Die beste Anpassung ergab sich für ein ARIMA(0,1,0)-Modell mit einer

221 Konstanten von -0,06. Mit einer Konstanten — in diesem Beispiel mit negativem Vorzeichen — bedeutet, daß im Gegensatz zu vorher ein Trend — hier ein negativer — in der Zeitreihe steckt. Dies würde zu einer weiter sinkenden Prognose um durchschnittlich 6% pro Jahr führen. Bei der Parameterschätzung derselben Interventionsstruktur wie im vorigen Modell ergab sich ein Wert von -0,16 mit einem Standardfehler von 0,11. Die Intervention vom 01.08.1984 führte damit in Berlin (West) zu einem Rückgang der Schwerverletztenrate von 16% für 1985. Allerdings betrug die Überschreitungswahrscheinlichkeit 0,16; dieses Ergebnis ist somit bei Verwendung der üblichen Signifikanzniveaus nicht signifikant. Analog zu werden in die logarithmisch transformierten Zeitreihen mit und ohne Intervention dargestellt. Auch hier ist der durch die Maßnahme bedingte stärkere Rückgang in der Zeitreihe zu erkennen.

Abbildung 4.3.3.6: Logarithmisch transformierte Zeitreihen der schwerverletzten Pkw-Insassen pro 100.000 Pkw in Berlin (West), real und ohne Intervention (Gurtpflicht mit Bußgeldbewehrung) von 1958 bis 1993

Die Resultate dieser Zeitreihenanalysen bestätigen weitestgehend die aus der Literaturauswertung erwarteten Ergebnisse. Weder in der Getöteten- noch in der Schwerverletztenrate kann für die nicht sanktionsbewehrte Einführung ein Effekt beschrieben werden. Erst mit Einführung des Bußgeldes und der damit verbundenen höheren Anlegequote läßt sich eine Auswirkung erkennen. Der Rückgang der Getötetenrate um 55% liegt dabei etwas höher als in anderen Untersuchungen, was allerdings plausibel erscheint, da dem Gurt innerorts die größte Schutzfunktion zugesprochen wird und die Straßen in Berlin (West) zum größten Teil dem Innerortsbereich zugeordnet werden können. Der (nicht signifikante) Rückgang der Schwerverletztenrate um nur 16% bleibt dagegen hinter den Erwartungen zurück. Nach Untersuchungen mit ebenfalls zeitreihenanalyti-

222 sehen Verfahren — allerdings mit methodischen Unterschieden — geben Ernst und Brühning (1990) für die Bundesrepublik Deutschland an, daß ohne die Bußgeldbewehrung der Gurtpflicht im Jahre 1985 28% mehr getötete und 20,7% mehr schwerverletzte Pkw-Insassen zu beklagen gewesen wären. Auf internationaler Ebene gab es ähnliche Untersuchungen zur bußgeldbewehrten Einführung der Gurtpflicht in Kanada, Großbritannien und Australien von Bhattacharya und Layton (1979), Harvey und Durbin (1986) und Abraham (1987). Dabei wurden Reduktionen der Getöteten- und Schwerverletztenzahlen zwischen 23% und 46% gefunden. Bei der Analyse der Zeitreihen der ausgewählten Indikatoren für die Einführung der Helmtragepflicht für motorisierte Zweiradfahrer mit und ohne Bußgeldbewehrung und der 0,8-Promille-Grenze ließen sich in den letzten Jahrzehnten zwar positive Entwicklungen erkennen, es konnte aber kein Effekt aufgezeigt werden, der sich explizit auf die erwähnten Interventionen zurückführen ließe.

223

4.3.4 Anwendungsbeispiel des Lee-Carter-Modells J. Haberland Das oben beschriebene, von Lee und Carter (1992) entwickelte Verfahren zur Prognose der Sterblichkeit soll auf entsprechende Mortalitätsdaten der weiblichen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland angewendet werden. Die Grundlage bilden die vom Statistischen Bundesamt jährlich publizierten alters- und geschlechtsspezifischen Daten zur Gesamtsterblichkeit in der Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer) von 1968-1992. Als zu prognostizierender hochaggregierter Indikator soll — wie bei Lee und Carter — die mittlere Lebenserwartung bei Geburt verwendet werden. In Abbildung 4.3.4.1 ist die Entwicklung dieses Indikators graphisch dargestellt. Bevor auf die in dieser Graphik ebenfalls eingezeichneten Prognosen und Prognoseintervalle eingegangen wird, sollen einige Zwischenergebnisse kurz erläutert werden. Nach Schätzung der Modellparameter werden Prognosen für die aus der Singulärwertzerlegung resultierenden k t -Werte benötigt, wobei Lee und Carter in ihrer Anwendung die B o x Jenkins-Methode benutzen. Wendet man dieses Verfahren auf die hier vorliegende k t Reihe mit einem annähernd linear fallenden Verlauf an, so erscheint ein ARIMA(0,1,0)Modell (mit Konstanter) als geeignet. Das ARIMA-Modell führt zu hier nicht weiter dargestellten Voraussagen für k , , aus denen wiederum sofort Prognosen für alle altersspezifischen Mortalitätsraten resultieren (Haberland und Bergmann 1995, 676 ff.).

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Beobachtungszeitraum Prognosezeitraum

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1970

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2000

Jahr Abbildung 4.3.4.1: Entwicklung und Prognosen der mittleren Lebenserwartung eines weiblichen Neugeborenen in der Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer)

224 Abbildung 4.3.4.2 zeigt die Entwicklungen einiger ausgewählter Raten einschließlich deren Prognosen in logarithmischer Darstellung. Aus der Graphik wird deutlich, daß das Verfahren die historischen Trends der einzelnen Mortalitätsraten durchaus plausibel in die Zukunft fortschreibt. Das zusammenfassende Ergebnis der Voraussagen aller altersspezifischer Mortalitätsraten ist in Abbildung 4.3.4.1 in Form der prognostizierten Lebenserwartung (stark gestrichelte Linie) eines weiblichen Neugeborenen zu erkennen. Der grau schattierte Bereich umfaßt dabei die approximativen 95%-Prognoseintervalle. Die hier ermittelten Prognosen wirken auf den ersten Blick relativ hoch. Von 1992 an gerechnet, wird sich demnach bis zum Jahr 2000 die Lebenserwartung eines weiblichen Neugeborenen um 2,0 Jahre erhöhen. Bis auf das Jahr 2002 hochgerechnet, ergeben sich nach diesem Modell Lebenserwartungsgewinne von 2,4 Jahren für Frauen. Diese Ergebnisse liegen deutlich über den von vielen Experten in Modellrechnungen angenommenen Lebenserwartungsveränderungen. Die vom Statistischen Bundesamt durchgeführte letzte Bevölkerungsvorausberechnung basiert beispielsweise auf der Annahme, daß die Lebenserwartung zwischen den Jahren 1992 und 2000 für beide Geschlechter um über 1,5 Jahre zunimmt und dann konstant bleibt (Statistisches Bundesamt 1994, 497). Ebenso wurden bei Analysen zur Entwicklung der Pflegebedürftigkeit verschiedene Varianten hinsichtlich der Veränderung der Lebenserwartung berücksichtigt, die — bezogen auf 10 Jahre — zwischen einer gleichbleibenden Lebenserwartung und einem Anstieg um maximal 1,5 Jahre lagen (Heigl & Rosenkranz 1994, 582). Die Ergebnisse der Projektionsrechnungen von Heigl und Rosenkranz werden dabei ganz entscheidend von der Entwicklung der Lebenserwartung beeinflußt und verdeutlichen die Notwendigkeit gesicherter Erkenntnisse darüber.

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Abbildung 4.3.4.2: Entwicklung und Prognosen ausgewählter altersspezifischer Mortalitätsraten der weiblichen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland.

225 Die hier vorgestellten Projektionsergebnisse zur Lebenserwartung basieren auf der Annahme, daß der seit Ende der 60er Jahre zu beobachtende Trend in der Sterblichkeit sich unverändert fortsetzt. Die Prognosen resultieren jedoch nicht aus einer direkten Trendextrapolation der mittleren Lebenserwartung, sondern sind das Ergebnis der Fortschreibung aller individuellen Trends in den altersspezifischen Raten. In Abbildung 4.3.4.1 sind zusätzlich in Form der dünn gestrichelten Linie Prognosen abzulesen, die aus einer direkten Trendfortschreibung mittels eines ARIMA-Modells resultieren. Das hierzu ausgewählte Modell führt zu Prognosen mit einem linearen Anstieg um jeweils 0,266, die damit sogar noch geringfügig höher liegen. Langfristig unterscheiden sich die Prognosen jedoch stärker, da die Lee-Carter-Modellprognosen abnehmende Zuwächse an Lebenserwartung aufweisen und damit im Einklang mit einer möglicherweise existierenden Altersobergrenze stehen. Auch wenn biologische Faktoren die Lebensspanne begrenzen sollten, so sind sich viele Experten darüber einig, daß diese zumindest noch nicht in den nächsten Jahrzehnten wirksam werden (Stoto und Durch 1993, 15). Die hier vorgestellten relativ hohen Prognosen sind also durchaus realistisch. Eine angenommene Erhöhung der Lebenserwartung von nur 1,5 Jahren (bezogen auf einen Zeitraum von 10 Jahren) liegt jedoch auch im Lee-Carter-Modell noch im Bereich der 9 5 % Prognoseintervalle, wie man der Abbildung 4.3.4.1 entnehmen kann. Diese Annahme über die zukünftige Entwicklung der Lebenserwartung ist ebenfalls in Form einer dünn gestrichelten Linie dort eingezeichnet. Hier zeigt sich aber auch, daß eine ab dem Jahr 1992 angenommene unveränderte Lebenserwartung sehr schnell den schattierten Bereich verläßt und — nach dieser Modellrechnung — mit nur sehr geringer Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Im übrigen berichtete das Statistische Bundesamt auf einer Sitzung des Fachausschusses „Bevölkerungsstatistik" von einer zwischenzeitlich vorgenommenen Alternativrechnung zu Variante 1 der achten koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung, die von einer deutlich höheren Zunahme der Lebenserwartung um 3,7 Lebensjahre für Frauen ausgeht (Statistisches Bundesamt 1995, 15). Aus dem Sitzungsbericht geht allerdings der Zeitraum, auf den sich die Angaben beziehen, nicht eindeutig hervor. Auf der Sitzung wurde weiterhin von Modellrechnungen der Deutschen Gesellschaft für Versicherungsmathematik (DGVM) berichtet, in denen eine noch stärkere Zunahme der Lebenserwartung angenommen wurde (Statistisches Bundesamt 1995, 16). Der Lee-Carter-Ansatz bietet — wie schon erwähnt — den Vorteil, daß nach einer einmal erfolgten Modellschätzung und Prognosebildung für den Mortalitätsindex sofort Voraussagen für zahlreiche weitere altersstandardisierte Mortalitätsindikatoren zur Verfügung stehen. Abbildung 4.3.4.3 zeigt beispielhaft Prognosen für die auf die Europabevölkerung altersstandardisierte Mortalitätsrate der weiblichen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland.

226 1000.0 Beobachtungszeitraum

Prognosezeitraum

900.0

800.0

700.0

600.0 «S»

500.0

1970

1980

Jahr

1990

2000

Abbildung 4.3.4.3: Entwicklung und Prognosen der standardisierten Mortalitätsrate der weiblichen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland

227

4.3.5 Ein Instrument zur regionalisierten Steuerung und Planung von Ressourcen im Gesundheits- und Sozialbereich G. Meinlschmidt,

S. Hermann

Zur Motivation Mit dem Vorliegen des Gesundheitssurveys Berlin, dem darauf aufbauenden Präventionskonzept sowie durch die Erarbeitung der Gesundheitsbarometer 1 (1991) und 2 (1994) wurde die Dominanz der chronisch-degenerativen Krankheiten im Morbiditätsund Mortalitätsspektrum erneut eindrucksvoll unterstrichen. Ferner wurden die entsprechenden Präventionspotentiale, ihre Typologie und ihre Zielgruppen sowie ihre grundsätzliche Prävenierbarkeit und damit ihre Zugänglichkeit im Rahmen der gesundheitspolitischen Zielbestimmung bestimmt und beschrieben. Einige der Hauptprobleme der Berliner Präventionslandschaft bestehen heute darin, daß die Vielzahl der Präventionsangebote der unterschiedlichen Träger ihre Zielgruppen nicht erreichen. Entsprechende Koordinierungsstrukturen fehlen. Objektive Kriterien für die Mittelzuweisung im Raum, die ihre Wurzeln im Bevölkerungsbezug haben, sich also an Evaluationen und damit am Morbiditäts- und Mortalitätsspektrum sowie den sozialen Problemlagen der Bevölkerung orientieren, stehen bislang nur sporadisch zur Verfügung. Gleichzeitig besteht bislang ein großes Defizit an objektiven bzw. objektivierbaren Planungsmethoden zum regional gesteuerten Ressourceneinsatz. Mit der Bereitstellung von Ressourcen (personeller und finanzieller Art) im Raum, die sich an den sozialen Brennpunkten der Stadt orientieren, ist zunächst nur die Dislozierung dieser Finanzmassen vorgenommen. Die Verteilung dieser Ressourcen orientiert sich an den zu beschreibenden methodischen Instrumentarien. Damit durch die Ressourcenverteilungen dann letztlich auch die formulierten Zielwerte z.B. im Bereich der Prävention erreicht werden, müssen entsprechend substanzwissenschaftlich abgesicherte Präventionsstrategien bzw. -programme entwickelt und umgesetzt werden. Nur so kann eine Verzahnung zwischen der Angebotsseite und der Nachfrageseite nach Ressourcen optimal in Einklang gebracht werden. Die nachstehende Abbildung 4.3.5.1 stellt den Gesamtzusammenhang zwischen Sozialstruktur und Mittelverteilung dar:

228

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