Gesundheits- und Umweltökonomik klipp & klar [1. Aufl. 2019] 978-3-658-27676-8, 978-3-658-27677-5

Das vorliegende Lehrbuch verbindet auf verständliche Art die Bereiche der Gesundheits- und Umweltpolitik. Bisher eher ge

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German Pages XV, 301 [308] Year 2019

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Gesundheits- und Umweltökonomik klipp & klar [1. Aufl. 2019]
 978-3-658-27676-8, 978-3-658-27677-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XV
Front Matter ....Pages 1-1
Statische Grundlagen (Wiebke Störmann)....Pages 3-48
Dynamische Grundlagen (Wiebke Störmann)....Pages 49-81
Front Matter ....Pages 83-83
Abgrenzungen und Determinanten (Wiebke Störmann)....Pages 85-105
Gesundheitswesen als Teil des Wohlfahrtsstaates (Wiebke Störmann)....Pages 107-119
Nachfrage nach Gesundheitsleistungen (Wiebke Störmann)....Pages 121-132
Angebot an Gesundheitsleistungen (Wiebke Störmann)....Pages 133-172
Krankenversicherungen (Wiebke Störmann)....Pages 173-186
Sonstige Bereiche des Gesundheitswesens (Wiebke Störmann)....Pages 187-198
Front Matter ....Pages 199-199
Der umweltpolitische Instrumentenmix (Wiebke Störmann)....Pages 201-252
Ressourcenökonomik (Wiebke Störmann)....Pages 253-282
Beispiele für Klausuraufgaben (Wiebke Störmann)....Pages 283-288
Back Matter ....Pages 289-301

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WiWi klipp & klar

Wiebke Störmann

Gesundheits- und Umweltökonomik klipp & klar Inklusive SN Flashcards Lern-App

WiWi klipp & klar Reihe herausgegeben von Peter Schuster Fakultät Wirtschaftswissenschaften Hochschule Schmalkalden Schmalkalden, Deutschland

WiWi klipp & klar steht für verständliche Einführungen und prägnante Darstellungen aller wirtschaftswissenschaftlichen Bereiche. Jeder Band ist didaktisch aufbereitet und behandelt ein Teilgebiet der Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre, indem alle wichtigen Kenntnisse aufgezeigt werden, die in Studium und Berufspraxis benötigt werden. Vertiefungsfragen und Verweise auf weiterführende Literatur helfen insbesondere bei der Prüfungsvorbereitung im Studium und zum Anregen und Auffinden weiterer Informationen. Alle Autoren der Reihe sind fundierte und akademisch geschulte Kenner ihres Gebietes und liefern innovative Darstellungen – WiWi klipp & klar. Weitere Bände in dieser Reihe http://www.springer.com/series/15236

Wiebke Störmann

Gesundheits- und Umweltökonomik klipp & klar

Wiebke Störmann Fakultät Wirtschaftswissenschaften, Hochschule Schmalkalden Schmalkalden, Deutschland

ISSN 2569-2194     ISSN 2569-2216  (electronic) WiWi klipp & klar ISBN 978-3-658-27676-8    ISBN 978-3-658-27677-5  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-27677-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio­ grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Zwischen Umwelt und menschlicher Gesundheit bestehen enge Zusammenhänge, die nicht zuletzt im jüngsten Bericht des Umweltprogramms der ­Vereinten Nationen eindrucksvoll erläutert werden. Dieser auch als „Geo 6“ bekannte Bericht (UN Environment 2019) stellt die vielfältigen Beziehungen zwischen Umwelt und Gesundheit dar und zeigt auf, welche Umweltschäden die Gesundheit der Bevölkerung in den verschiedenen Erdteilen beeinträchtigen. Auch die damit verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten werden thematisiert. Trotz dieser Aktualität werden Umwelt- und Gesundheitsökonomik in den meisten Lehrbüchern nicht integrativ betrachtet und dies, obwohl beide Fachgebiete als Teilbereiche der Finanzwissenschaft auf die gleichen statischen und dynamischen Grundlagen zurückgreifen. Das vorliegende Lehrbuch stellt zunächst die gemeinsamen theoretischen Grundlagen beider Fachgebiete dar. Im Anschluss daran werden die Spezifika der Umwelt- und Gesundheitsökonomik erörtert und jeweils mit Praxisbeispielen illustriert. Den Abschluss bilden Klausuraufgaben zur Umwelt- und Gesundheitsöko­ nomik. Das Buch richtet sich an Studierende der Wirtschafts-, Umwelt und ­Gesundheitswissenschaften sowie an Praktiker, die sich einen Überblick über die Handlungsempfehlungen verschiedener Theorieansätze verschaffen möchten. Die Darstellungsweise ist sowohl formal als auch verbal und grafisch, so dass der Kern der Theorien auch ohne spezielle mathematische Kenntnisse verständlich wird. Zu den formalen Darstellungen werden jeweils einfache Beispiele gegeben. Mein besonderer Dank gilt Selina Appold für ihre technische Unterstützung sowie Christel Schneider und Susanne Schreiber für ihre redaktionellen Anmerkungen. Verbleibende Fehler gehen selbstverständlich zu Lasten der Autorin. Aufbau des Buches Der vorliegende erste Abschnitt des Lehrbuchs ist dem Aufbau des Buches und der Klärung der gewählten Vorgehensweise gewidmet. Das Lehrbuch beinhaltet die Grundlagen der Umwelt- und Gesundheitsökonomik. Zu Beginn eines Kapitels werden Lernziele formuliert, korrespondierend hierzu finden sich am Ende des Kapitels Zusammenfassungen. Den Abschluss eines Kapitels bilden Aufgaben und Lösungen zu den spezifischen Lerninhalten des Kapitels. Die Themen der Kapitel werden dabei sowohl theoretisch als auch praktisch erläutert. Die theoretische Darstellung erfolgt verbal und grafisch, VII

VIII

aber auch formal. Zum besseren Verständnis werden die formalen Ansätze mithilfe einfacher Beispielrechnungen unterstützt. Die Praxisbeispiele nehmen sowohl auf Deutschland als auch auf andere Staaten Bezug. Der zweite Abschnitt des Lehrbuchs befasst sich mit den Grundlagen der Umwelt- und Gesundheitsökonomik. Beide sind Teilgebiete der Finanzwissenschaft und beziehen sich daher auf die gleiche theoretische Basis. Der Abschnitt ist in zwei Kapitel gliedert, wobei das erste die statischen und das zweite die dynamischen Fundamente der Umwelt- und Gesundheitsökonomik behandelt. Statische Betrachtung bedeutet, dass Fragestellungen zu einem bestimmten Zeitpunkt und nicht über einen Zeitraum hinweg analysiert werden. Der Fokus liegt auf den Eigenschaften von Gleichgewichten, vor allem auf der Frage nach ihrer Effizienz. Dabei ist festzustellen, dass das Marktergebnis im Zusammenhang mit Umwelt- und Gesundheitsgütern unerwünschte Eigenschaften aufweist. Ursächlich hierfür ist die Existenz verschiedener Arten von öffentlichen Gütern, externen Effekten und Informationsdefiziten. Zur Überwindung des Marktversagens stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, die sich in wesentlichen Eigenschaften unterscheiden. Eine davon betrifft auch die Durchsetzbarkeit in einem gegebenen politökonomischen Rahmen, der ebenfalls im ersten Kapitel untersucht wird. Im zweiten werden die Betrachtungen um die zeitliche Perspektive erweitert. Es zeigt sich, dass für den Mehrperiodenfall Lösungen zur Beseitigung des Marktversagens zur Verfügung stehen, die bei statischer Betrachtung unerreichbar erscheinen. Bei Erweiterung des Zeithorizontes zeigt sich auch die besondere Bedeutung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt für die wirtschaftliche Entwicklung. In diesem Kontext spielt die Diskussion um die Nachhaltigkeit und geeignete Nachhaltigkeitsmaße eine zentrale Rolle. Der folgende dritte Abschnitt des Lehrbuchs ist speziellen Fragestellungen der Gesundheitsökonomik und Gesundheitspolitik gewidmet. Gesundheitspolitik muss zunächst Informationen über den Gesundheitszustand der Bevölkerung und die zu erwartende Entwicklung der Bestimmungsfaktoren der Gesundheit gewinnen, bevor gesundheitspolitische Prioritäten benannt und umgesetzt werden können. Gegenstände des dritten Kapitels sind daher die Grundlagen einer datenbasierten Gesundheitspolitik und der zugehörige politökonomische Rahmen. Auf der Basis verlässlicher Informationen über den Gesundheitszustand der Bevölkerung und seine zu erwartende Entwicklung können gesundheitspolitische Konzepte entwickelt werden, die jeweils mit Entwürfen des Wohlfahrtsstaats abgestimmt werden müssen. Das vierte Kapitel beschäftigt sich daher mit den wohlfahrtsökonomischen Grundlagen der Gesundheitspolitik. Im Zentrum des fünften Kapitels steht die individuelle Nachfrage nach Gesundheit bzw. medizinischen Leistungen. Gefragt wird, wie die Nachfrage nach Gesundheit entsteht und von welchen Determinanten sie abhängt. Dabei wird zunächst auf Ergebnisse der traditionellen Mikroökonomik zurückgegriffen, um die Einflüsse von Preis- und Einkommenselastizitäten sowie des Moral Hazard im gesundheitsökonomischen Kontext zu analysieren. Im Anschluss daran werden mit den Konzepten von Grossman und Andersen jeweils ein mikroökonomisches und ein sozialwissenschaftliches Basismodell

Vorwort

Vorwort

IX

zur Ermittlung der Nachfrage nach Gesundheitsleistungen erläutert und die diesbezüglichen empirischen Ergebnisse vorgestellt. Die folgenden beiden Kapitel sind den Kerngebieten der Leistungserbringung und Leistungsfinanzierung im Gesundheitswesen gewidmet. Gegenstand des sechsten Kapitels ist das Angebot an Gesundheitsleistungen im ambulanten und stationären Bereich. Hier werden zunächst die denkbaren Vergütungsformen für ambulante Leistungen und die daraus möglicherweise entstehenden Fehlanreize theoretisch erörtert. Im Anschluss werden die Angebots- und Vergütungsstrukturen der ambulanten Versorgung in Deutschland vorgestellt und kritisch beleuchtet. Auch die Frage nach der wünschenswerten Ausgestaltung der stationären Versorgung wird zunächst theoretisch diskutiert und dann mit der tatsächlichen Ausgestaltung in Deutschland verglichen. Vor dem Hintergrund der Kritik am bestehenden System und insbesondere am Nebeneinander von ambulanter und stationärer Versorgung werden schließlich auch Konzepte der integrierten Versorgung vorgestellt. Letztere hat nicht nur die stärkere Verknüpfung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung zum Ziel, sondern verbindet auch Leistungserbringung und Leistungsfinanzierung. Letztere ist mit Theorie und Praxis der Krankenversicherung Gegenstand des siebten Kapitels. Das Kapitel befasst sich zunächst mit den Ergebnissen der Versicherungsökonomik zur optimalen Krankenversicherung. Vor diesem Hintergrund wird das historisch gewachsene System der Krankenversicherungen in Deutschland kritisch erörtert und es werden Reformvorschläge vorgestellt. Im achten Kapitel wird der Betrachtungsradius um die Bereiche Pflegeversicherung und Arzneimittelsektor erweitert. Vergleicht man die soziale Pflegeversicherung mit der gesetzlichen Krankenversicherung, so fallen eine Reihe von Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede auf. Der Arzneimittelsektor bietet aus gesundheitsökonomischer Perspektive einerseits Ansatzpunkte für Effizienzgewinne im Gesundheitswesen, andererseits zeigt sich aber auch ein hoher Regulierungsbedarf. Der letzte Teil des achten Kapitels befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen Gesundheitspolitik und anderen Politikbereichen wie insbesondere auch der Umweltpolitik. Der vierte Abschnitt des vorliegenden Lehrbuchs ist speziellen Fragestellungen der Umweltökonomik gewidmet und folgt dabei der neoklassischen Tradition. Er gliedert sich in eine statische und eine dynamische Betrachtung der Umweltpolitik. Im Zentrum des neunten Kapitels stehen negative externe Effekte als Ursachen für Marktversagen im Umweltbereich sowie Strategien zur Internalisierung dieser Wirkungen. Negative externe Effekte sind die nicht im Rahmen von Marktprozessen ausgeglichenen Schäden ökonomischer Aktivitäten bei unbeteiligten Dritten. Internalisierung bedeutet, dass die Verursacher diese Schäden in ihr Entscheidungskalkül einbeziehen. Damit eine Internalisierung gelingen kann, müssen zunächst die Umweltschäden ökonomisch bewertet werden. Zu Beginn des neunten Kapitels stehen deshalb die Besonderheiten von ökonomischen Bewertungen im Umweltbereich im Mittelpunkt der Betrachtung. Daran anschließend erfolgt die Darstellung des umweltpolitischen Instrumentenmix und seiner unterschiedlichen Elemente. Zum Instrumentenmix zählen ordnungspolitische Ansätze wie ­

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Ge- und Verbote, aber auch Preislösungen wie Steuern, Subventionen oder ­Zertifikate. Hinzu kommen rein private Internalisierungsoptionen wie Verträge oder Selbstverpflichtungen. Die Eigenschaften verschiedener umweltpolitischer Instrumente werden jeweils zunächst theoretisch erörtert. Einfach nachvollziehbare Rechenbeispiele helfen beim Verständnis der Zusammenhänge. Anschließend werden die Ergebnisse der theoretischen Überlegungen zur Analyse der Wirkungen der jeweiligen Instrumente innerhalb des umweltpolitischen Instrumentenmix in Deutschland angewendet. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang beispielsweise das Bundes-Immissionsschutzgesetz, das Umwelthaftungsgesetz, die Ökosteuern, das Marktanreizprogramm zur Förderung erneuerbarer Energien und die Selbstverpflichtung zur Verringerung des Verbrauchs von Kunststofftragetaschen. Das zehnte Kapitel ist der dynamischen Perspektive der neoklassischen Umweltökonomik gewidmet, sie wird als Ressourcenökonomik bezeichnet. In der neoklassischen Sichtweise gilt alles als Ressource, was die gesellschaftliche Wohlfahrt erhöhen und individuellen Nutzen stiften kann. Natürliche Ressourcen stellen also nur einen Teil der gesamten Ressourcen dar. Nach der Zeitdauer ihres Regenerationsprozesses können natürliche Ressourcen in erneuerbare und nicht erneuerbare Ressourcen eingeteilt werden. Erneuerbare Ressourcen können sich innerhalb des menschlichen Zeithorizonts regenerieren, nicht erneuerbare Ressourcen brauchen dazu einen längeren Zeitraum. Die Theorie erneuerbarer Ressourcen beschäftigt sich mit der Frage, ob der Marktprozess im Hinblick auf künftige Generationen wünschenswerte Ergebnisse hervorbringt oder ob dazu umweltökonomische Eingriffe erforderlich sind. Nach Auffassung vieler neoklassisch geprägter Ökonomen sollte der Umgang mit natürlichen Ressourcen so gestaltet werden, dass die heutige Generation ihre Bedürfnisse befriedigen kann, ohne dass dabei die Möglichkeiten der Bedürfnisbefriedigung nachfolgender Generationen beeinträchtigt werden. Dieses Nachhaltigkeitsverständnis entspricht der Nachhaltigkeitsdefinition des Brundtland-Berichts (World Commission on Environment and Development 1987) und wurde bereits im zweiten Kapitel des vorliegenden Lehrbuchs kritisch hinterfragt. Legt man diesen Nachhaltigkeitsbegriff zugrunde, dann lässt sich begründen, dass der optimale Bestand nicht erneuerbarer natürlicher Ressourcen im Zeitablauf abnimmt. Unter bestimmten Bedingungen erzielt der Marktmechanismus genau dieses Ergebnis, vorausgesetzt es gibt weder Spekulation auf den Rohstoffmärkten noch externe Effekte oder öffentliche Güter. Beim Vorliegen externer Effekte oder öffentlicher Güter müssen die aus Kapitel neun bekannten umweltökonomischen Instrumente zum Einsatz gelangen. Der letzte Teil des zehnten Kapitels befasst sich mit Ressourcen, die sich innerhalb des menschlichen Zeithorizontes regenerieren können. Die Theorie erneuerbarer Ressourcen analysiert zunächst die Entwicklung natürlicher Ressourcenbestände ohne menschliche Eingriffe. Anschließend wird der Frage nachgegangen, ob Marktprozesse ohne staatliche Regulierung das gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Ergebnis erzielen und welche Voraussetzungen dafür vorliegen müssen. Sind die idealen Bedingungen nicht erfüllt, dann muss geprüft werden, welche ressourcenpolitischen Instrumente geeignet sind, um das gesamtwirtschaftliche Optimum zu erreichen. Im

Vorwort

Vorwort

XI

Zentrum der Theorie erneuerbarer Ressourcen stehen Allmendegüter wie ­beispielsweise das Klima oder Fischbestände in Meeren. Prinzipiell stehen zahlreiche Instrumente zur Verfügung, um eine Übernutzung der natürlichen Ressource durch die heutige Generation zu verhindern. Eine Analyse der politökonomischen Rahmenbedingungen zeigt jedoch, warum der Einsatz dieser Instrumente in der ressourcenpolitischen Praxis nur zögerlich erfolgt. Die Fallbeispiele Fischereipolitik und Klimapolitik am Ende des zehnten Kapitels verdeutlichen diesen Zusammenhang. Im vierten und letzten Abschnitt finden sich Beispiele für themenübergreifende Klausuraufgaben in den Fächern Umwelt- und Gesundheitsökonomik. Fachhochschule Schmalkalden Schmalkalden, Deutschland [email protected]

Wiebke Störmann

Inhaltsverzeichnis

Part I Grundlagen der Umwelt- und Gesundheitsökonomik 1 Statische Grundlagen����������������������������������������������������������������������   3 1.1 Begriffliche Abgrenzungen ������������������������������������������������������   3 1.2 Marktversagen aufgrund öffentlicher Güter�����������������������������   6 1.3 Kriterien zur Beurteilung von Eingriffsinstrumenten ��������������  12 1.4 Bereitstellung öffentlicher Güter und soziale Dilemmasituationen������������������������������������������������������������������  13 1.5 Marktversagen aufgrund externer Effekte��������������������������������  15 1.6 Meritorisierung und Demeritorisierung������������������������������������  24 1.7 Staatliche Internalisierungsstrategien ��������������������������������������  25 1.8 Private Internalisierung ������������������������������������������������������������  30 1.9 Informationsdefizite������������������������������������������������������������������  32 1.10 Politökonomischer Rahmen������������������������������������������������������  34 1.11 Bewertungsverfahren����������������������������������������������������������������  38 Literatur����������������������������������������������������������������������������������������������  47 2 Dynamische Grundlagen ����������������������������������������������������������������  49 2.1 Soziale Dilemmata in der langen Frist��������������������������������������  49 2.2 Basismodelle des Wachstums ��������������������������������������������������  52 2.3 Wachstum und Humankapital ��������������������������������������������������  58 2.4 Wachstum und Gesundheit�������������������������������������������������������  61 2.5 Wachstum und Umwelt������������������������������������������������������������  66 2.6 Nachhaltigkeitsmaße����������������������������������������������������������������  73 Literatur����������������������������������������������������������������������������������������������  79 Part II Spezielle Fragestellungen der Gesundheitsökonomik 3 Abgrenzungen und Determinanten������������������������������������������������  85 3.1 Definition von Gesundheit��������������������������������������������������������  85 3.2 Determinanten der Gesundheit ������������������������������������������������  90 3.3 Gesundheitsindikatoren������������������������������������������������������������  94 3.4 Bewertung im Gesundheitsbereich ������������������������������������������  95 3.5 Akteure des Gesundheitssektors ���������������������������������������������� 100 Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������� 105 4 Gesundheitswesen als Teil des Wohlfahrtsstaates ������������������������ 107 4.1 Grundlagen des Wohlfahrtsstaates�������������������������������������������� 107 4.2 Gesundheitssystem in Großbritannien�������������������������������������� 110 XIII

Inhaltsverzeichnis

XIV

4.3 Gesundheitssystem in Griechenland ���������������������������������������� 113 4.4 Gesundheitssystem in Schweden���������������������������������������������� 114 4.5 Gesundheitssystem in Deutschland������������������������������������������ 116 Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������� 119 5 Nachfrage nach Gesundheitsleistungen ���������������������������������������� 121 5.1 Determinanten der Nachfrage �������������������������������������������������� 121 5.2 Das Modell von Grossman�������������������������������������������������������� 123 5.3 Das Verhaltensmodell nach Andersen�������������������������������������� 126 5.4 Empirische Ergebnisse�������������������������������������������������������������� 127 Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������� 131 6 Angebot an Gesundheitsleistungen������������������������������������������������ 133 6.1 Anreize für das Angebot an Gesundheitsleistungen ���������������� 133 6.2 Ambulante Versorgung in Deutschland������������������������������������ 138 6.3 Konzept der optimalen Versorgungsinfrastruktur �������������������� 142 6.4 Stationäre Versorgung in Deutschland�������������������������������������� 147 6.5 Grundlagen der integrierten Versorgung ���������������������������������� 164 6.6 Integriertes Versorgungsmanagement in Deutschland�������������� 166 Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������� 171 7 Krankenversicherungen������������������������������������������������������������������ 173 7.1 Optimale Krankenversicherung������������������������������������������������ 173 7.2 Krankenversicherungen in Deutschland ���������������������������������� 175 7.3 Reformvorschläge zur Krankenversicherung���������������������������� 180 Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������� 186 8 Sonstige Bereiche des Gesundheitswesens ������������������������������������ 187 8.1 Pflegeversicherung�������������������������������������������������������������������� 187 8.2 Arzneimittelmarkt �������������������������������������������������������������������� 190 8.3 Settingansatz und räumliche Planung �������������������������������������� 194 Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������� 197 Part III Spezielle Fragestellungen der Umweltökonomik 9 Der umweltpolitische Instrumentenmix���������������������������������������� 201 9.1 Bewertung im Umweltbereich�������������������������������������������������� 201 9.2 Grundlagen des Instrumentenmix �������������������������������������������� 205 9.3 Beispiel zum Ordnungsrecht���������������������������������������������������� 208 9.4 Umweltauflagen in Deutschland ���������������������������������������������� 209 9.5 Beispiel zu Preislösungen �������������������������������������������������������� 214 9.6 Preislösungen in Deutschland �������������������������������������������������� 217 9.7 Beispiel zu Subventionen���������������������������������������������������������� 228 9.8 Subventionen in Deutschland���������������������������������������������������� 230 9.9 Beispiel zum Coase-Theorem �������������������������������������������������� 237 9.10 Haftungsrecht in Deutschland�������������������������������������������������� 240 9.11 Beispiel zu Selbstverpflichtungen�������������������������������������������� 242 9.12 Selbstverpflichtungen in Deutschland�������������������������������������� 244 Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������� 251

Inhaltsverzeichnis

XV

10 Ressourcenökonomik ���������������������������������������������������������������������� 253 10.1 Begriffliche Abgrenzungen ���������������������������������������������������� 253 10.2 Theorie nicht erneuerbarer Ressourcen���������������������������������� 256 10.3 Preise nicht erneuerbarer Ressourcen ������������������������������������ 264 10.4 Theorie erneuerbarer Ressourcen ������������������������������������������ 265 10.5 Ansatzpunkte der Ressourcenpolitik�������������������������������������� 270 10.6 Beispiel Fischereipolitik �������������������������������������������������������� 274 10.7 Beispiel Klimapolitik�������������������������������������������������������������� 276 Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������� 281 11 Beispiele für Klausuraufgaben ������������������������������������������������������ 283 11.1 Aufgaben zur Umweltökonomik�������������������������������������������� 283 11.2 Aufgaben zur Gesundheitsökonomik�������������������������������������� 285 Literatur���������������������������������������������������������������������������������������������������� 289 Stichwortverzeichnis�������������������������������������������������������������������������������� 299

Part I Grundlagen der Umwelt- und Gesundheitsökonomik

1

Statische Grundlagen

Lernziele

Leserinnen und Leser können die Begriffe Umwelt und Gesundheit in geeigneter Weise abgrenzen und Zusammenhänge zwischen diesen Begriffen aufzeigen. Sie verstehen, warum es sowohl im Umweltals auch im Gesundheitsbereich zu Marktversagen kommt und welche Instrumente zur Verfügung stehen, um das Marktversagen zu heilen. Sie können die Zusammenhänge verbal und grafisch erläutern und die Größe der jeweiligen Effekte anhand einfacher Beispielrechnungen quantifizieren. Dabei lernen die Leserinnen und Leser, die normative Sicht – wie es idealerweise sein sollte – von der positiven Perspektive – wie es aufgrund politischer und institutioneller Rahmenbedingungen tatsächlich ist  – zu unterscheiden. Sie können umwelt- und gesundheitspolitische Instrumente unter verschiedenen Aspekten kritisch vergleichen. Leserinnen und Leser können bewerten, welche Eingriffsinstrumente aus wohlfahrtsökonomischer Sicht vorteilhaft sind, und sie können beurteilen, welche Instrumente vor dem Hintergrund gegebener politökonomischer Rahmenbedingungen durchsetzbar sind. Leserinnen und Leser

verstehen Verfahren zur Bewertung umwelt- und gesundheitspolitischer Projekte und können auf dieser Basis zu Vorschlägen aus Wissenschaft und Politik Stellung nehmen.

1.1

Begriffliche Abgrenzungen

Sowohl Umwelt als auch Gesundheit sind in der Literatur je nach Untersuchungszweck unterschiedlich definiert. So werden traditionell drei Umweltbegriffe unterschieden (Wicke 1993): die weite, die eingeschränkte und die engste Fassung des Ausdrucks Umwelt. In der engsten Fassung beinhaltet die Umwelt den Zustand von Luft, Wasser, Tieren und Pflanzen, also die biologische bzw. ökologische Dimension. Bezieht man zusätzlich die räumliche Dimension ein, betrachtet also die geografische Lage der jeweiligen Umweltbedingungen, dann spricht man von der eingeschränkten Fassung des Umweltbegriffs. Dies ist die in der umweltökonomischen Literatur am häufigsten verwendete Begriffsbestimmung und soll auch im Folgenden angewendet werden, sofern nicht ausdrücklich anderes gesagt ist. Neben dem biologischen bzw. ökologischen Zustand der Umwelt kann der Begriff auch auf

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Störmann, Gesundheits- und Umweltökonomik klipp & klar, WiWi klipp & klar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27677-5_1

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die Gesellschaft angewendet werden. In diesem Sinne umfasst der weite Umweltbegriff die soziologische, ökologische und biologische Dimension. Diese Interpretation des Umweltbegriffs wird insbesondere im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeitsdiskussion relevant. Folgt man der eingeschränkten Fassung des Umweltbegriffs, so tritt die Umwelt in unterschiedlichen Funktionen auf, beispielsweise als Rohstofflieferant, Standort, Schadstoffempfänger oder Lieferant von öffentlichen Gütern. Im Zusammenhang mit der Funktion als Rohstofflieferant spricht man von der Umwelt als Quelle, dagegen wird sie im Kontext der Aufnahme von Schadstoffen als Senke bezeichnet. Sowohl zwischen den verschiedenen Umweltfunktionen als auch innerhalb der Funktionen können Nutzungskonkurrenzen auftreten. So kann beispielsweise die Funktion der Umwelt als Rohstofflieferant im Widerspruch zur Funktion der Umwelt als Lieferant von öffentlichen Gütern stehen, wenn beispielsweise eine bestimmte Fläche entweder als Bergbaugebiet oder als Naherholungsgebiet genutzt werden kann. Aber auch innerhalb der Funktion als Rohstofflieferant kann es Nutzungskonkurrenz geben, wenn das Wasser eines Sees entweder zur Bewässerung von Feldern oder als Lebensraum von Fischen dienen kann. Anschauliches Beispiel für diese Nutzungskonkurrenz ist der Aralsee, der infolge dieses Zielkonfliktes fast ausgetrocknet ist. Dient der See zusätzlich als Aufnahmemedium für die Abwässer einer Fabrik, werden weitere Zielkonflikte sichtbar. Hinsichtlich der Funktion der Umwelt als Aufnahmemedium von Schadstoffen ist zwischen Immissionen und Emissionen zu unterscheiden. Als Emission wird der Fluss von Schadstoffen in die Umwelt in einer gegebenen Periode bezeichnet. Der Begriff der Immissionen beschreibt dagegen den Bestand an Schadstoffen in bestimmten Teilen der Umwelt zu einem bestimmten Zeitpunkt. Im Extremfall ergeben sich also die Immissionen als Summe aller Emissionen, oft kommt es aber im Zeitablauf zu Schadstoffabbau, so dass die Immissionen geringer sind als die Summe der Emissionen. Für den Zusammenhang zwischen Umwelt und Gesundheit ist insbesondere die Theorie der

1  Statische Grundlagen

öffentlichen Güter von Bedeutung. Der Begriff des öffentlichen Gutes geht auf Lindahl (1919) zurück. In der finanzwissenschaftlichen Literatur wird ein öffentliches Gut üblicherweise mithilfe der Kriterien Nichtrivalität und Nichtausschließbarkeit vom Konsum definiert (Brümmerhoff 2007). Nichtrivalität im Konsum besteht, wenn das Gut von mehreren Individuen gleichzeitig konsumiert werden kann, ohne dass sich die Individuen gegenseitig im Konsum beeinträchtigen. Realistischer als reine Nichtrivalität sind Fälle, in denen nur eine geringe gegenseitige Beeinträchtigung des Nutzens besteht, wenn mehrere Personen gleichzeitig dieses Gut in Anspruch nehmen. Nichtausschließbarkeit bedeutet, dass niemand, der sich nicht an der Finanzierung beteiligen möchte, von der Nutzung des Gutes ausgeschlossen werden kann. Gründe für die Nichtausschließbarkeit sind entweder technischer oder wirtschaftlicher Natur, d. h. es ist entweder technisch nicht möglich, Akteure von der Nutzung eines Gutes auszuschließen, oder es ist mit zu hohen Kosten verbunden. So lässt sich die Bereitstellung einer sauberen Umwelt (z. B. Luftqualität in Städten) als öffentliches Gut auffassen, von dessen Konsum niemand ausgeschlossen werden kann, an dessen Bereitstellung sich aber niemand finanziell (z.  B. durch Nutzung schadstoffarmer Verkehrsmittel) beteiligen möchte. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom Freifahrerverhalten oder Trittbrettfahrerproblem. Diese Begriffe beschreiben das Phänomen, dass jeder gern eine saubere Umwelt hat, nicht zuletzt um seine eigene Gesundheit zu schützen, aber dennoch so wenig wie möglich zum Umweltschutz beitragen möchte, weil dies zusätzliche Kosten verursacht (z. B. durch Einbau von Filteranlagen). Ein weiteres wichtiges theoretisches Konzept im Kontext von Umwelt und Gesundheit ist das der externen Effekte. Dabei handelt es sich um Auswirkungen des wirtschaftlichen Handelns einzelner Akteure, die nicht durch den Marktpreis ausgeglichen werden. Negative externe Effekte spielen vor allem bezüglich der Funktion der Umwelt als Aufnahmemedium von Schadstoffen eine wesentliche Rolle. Dies wird im Zusammenhang mit umweltpolitischem Instrumentenmix (Kap.  9) eingehend diskutiert. Zu positiven externen Ef-

1.1 Begriffliche Abgrenzungen

fekten kommt es beispielsweise durch Investition in die menschliche Gesundheit (Kap.  5). Hohe positive externe Effekte deuten darauf hin, dass es sich um ein öffentliches Gut handelt (Petersen 1993). Zusammenhänge von Umwelt und Gesundheit werden unter anderem in der Wachstumstheorie deutlich (Kap. 2). Letztere analysiert den Zusammenhang zwischen eingesetzten (Kapital-)Gütern und Ausbringungsmenge in einer Volkswirtschaft. Legt man einen weiten Kapitalbegriff zugrunde, dann umfasst dieser neben Sachkapital auch Naturkapital (Umwelt und Ressourcen) und Humankapital (Arbeit), wobei Letzteres die Gesundheit einschließt. Der Begriff des Humankapitals wurde von Becker (1964) in die Diskussion eingeführt und seither kontinuierlich weiterentwickelt (Schneider 2018). Ebenso wie der Umweltbegriff ist auch der Gesundheitsbegriff nicht eindeutig definiert (Abschn. 3.1). In einer engen, nur auf die individuelle Produktivität gerichteten Fassung versteht man unter Gesundheit die Fähigkeit einer Person, die ihr zugewiesenen Rollen zu erfüllen. Dahinter steht die Vorstellung des Humankapitals, das produktiv eingesetzt zu einer wirtschaftlichen Leistung führt, die die Basis der individuellen Entlohnung bildet. Die Erhaltung der Gesundheit bezieht sich in dieser engen Auslegung also nur auf die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit. Demgegenüber definiert die Weltgesundheitsorganisation in der Präambel ihrer Verfassung Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ (Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1946). Die Implikationen dieser weiten Fassung des Gesundheitsbegriffs für die jeweiligen Verantwortlichen sind weitreichend. Bei strenger Auslegung dieses Begriffs setzt eine ausreichende Gesundheitsversorgung voraus, dass neben dem körperlichen Wohlbefinden des Einzelnen auch der soziale Zusammenhalt gesichert ist. Volkswirtschaftliche Modelle im Allgemeinen und umwelt- und gesundheitsökonomische Theorien im Besonderen lassen sich nach ihrer zeitlichen Perspektive in statische und dynamische Ansätze unterscheiden. In statischen Modellen wird nur eine einzige Periode betrachtet. Das Au-

5

genmerk liegt in statischen Modellen auf dem Gleichgewicht, das sich einstellt, nachdem der Anpassungsprozess abgeschlossen ist. Der Anpassungsprozess selbst wird nicht analysiert. Demgegenüber untersuchen dynamische Modelle die Entwicklung im Zeitablauf. Das Geschehen wird in mehrere Perioden eingeteilt und die Veränderungen in den einzelnen Perioden werden analysiert. Je nach Modelltyp wird der Fokus auf das Gleichgewicht oder den Entwicklungspfad gerichtet, in jedem Fall kommt dem Zeitablauf Bedeutung zu. Ein wesentliches Kriterium zur Beurteilung von Modellergebnissen ist die allokative Effizienz. Sowohl für die gesundheits- als auch für die umweltpolitische Diskussion ist der Effizienzbegriff von hoher Bedeutung (Schlander 2009; Endres 2013). In statischen Modellen ist die Kernfrage, ob die Verwendung der Ressourcen und die Verteilung der Güter bestmöglich erfolgen. Bestmögliche Verwendung bedeutet dabei einerseits technische Effizienz, so dass keine Produktionsfaktoren verschwendet werden. Andererseits bedeutet es aber auch, dass Konsumenten die Güter erhalten, die ihnen den größten Nutzen stiften. Weil grundsätzlich die Ressourcen bzw. Produktionsfaktoren knapp sind, stellt die Zuteilung dieser Ressourcen ein Optimierungsproblem dar. Die Zuteilung wird auch als Allokation bezeichnet. Zur Bewertung der gesamtwirtschaftlichen Effizienz bestimmter Allokationen wird das Konzept des Pareto-Optimums herangezogen. Im Pareto-Optimum ist es ist nicht möglich, mindestens ein Gesellschaftsmitglied besserzustellen, ohne ein anderes Mitglied schlechterzustellen. In dynamischen Modellen wird die Verwendung der Ressourcen bzw. Produktionsfaktoren über die Zeit betrachtet. Im Zentrum steht der Begriff der Nachhaltigkeit (siehe auch Abschn. 2.5 und  2.6). Dieses Konzept wurde erstmals im Brundtland Bericht der Vereinten Nationen (World Commission on Environment and Development 1987) wie folgt definiert: Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. It contains within it two key concepts: the concept of „needs“, in particular the essential

1  Statische Grundlagen

6 needs of the world's poor, to which overriding priority should be given; and the idea of limitations imposed by the state of technology and social organization on the environment's ability to meet present and future needs.

Diese Definition impliziert, dass nachhaltige Entwicklung eine ökologische, ökonomische und soziale Dimension aufweist. Dabei wird unterstellt, dass der Gesamtbestand an Naturkapital, Sachkapital und Humankapital die Grundlage bildet, um die Bedürfnisse künftiger Generationen zu befriedigen. Naturkapital ist nach diesem Verständnis durch andere Kapitalformen substituierbar (schwache Nachhaltigkeit).

1.2

Marktversagen aufgrund öffentlicher Güter

Marktversagen kann aufgrund unterschiedlicher Konstellationen eintreten. Im Zusammenhang mit umwelt- und gesundheitsökonomischen Fragen sind dabei insbesondere Externalitäten und öffentliche Güter von Bedeutung (das Folgende nach Brümmerhoff 2007; Fehl und Oberender 2004; Nowotny und Zagler 2008; Wellisch 2000; Zimmermann und Henke 2005). Von öffentlichen Gütern ist im volkswirtschaftlichen Schrifttum dann die Rede, wenn die Kriterien der Nichtrivalität im Konsum und der Nichtausschließbarkeit vom Konsum erfüllt sind. Dabei ist ein Gut stets definiert durch seine physischen Eigenschaften sowie durch die Zeit und den Ort seiner Verfügbarkeit. Rivalität im Konsum besteht, wenn der Nutzen eines Gutes dadurch beeinträchtigt wird, dass ein anderes Individuum gleichzeitig dieses Gut in Anspruch nimmt. Nichtausschließbarkeit bedeutet, dass niemand von der Nutzung eines Gutes ausgeschlossen werden kann. Gründe für die Nichtausschließbarkeit können entweder darin bestehen, dass der Ausschluss technisch nicht möglich ist oder dass die Ausschlusskosten zu hoch werden. Im Gegensatz zu der hier gewählten volkswirtschaftlichen Abgrenzung öffentlicher Güter werden in der sozialpolitischen Literatur teilweise vollkommen andere Kriterien zur Bestimmung öffentlicher Güter gewählt, beispielsweise die Bedeutung dieser Güter für den

sozialen Zusammenhalt (Böhnke et al. 2015). Im Folgenden soll jedoch die ökonomische Perspektive beibehalten werden. Im Fall reiner öffentlicher Güter ist es möglich, dass mehrere Personen das Gut zur gleichen Zeit und am selben Ort nutzen, ohne dass sie sich gegenseitig bei der Nutzung einschränken. Ein Beispiel für reine öffentliche Güter bietet die Landesverteidigung. Der Nichtausschluss vom Konsum des Gutes Landesverteidigung hat seine Ursache darin, dass es technisch unmöglich wäre, einzelne Konsumenten von der Nutzung auszuschließen. Charakterisiert man die Güter anhand der Kriterien Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität, dann bilden reine öffentliche und reine private Güter die beiden Extreme eines Kontinuums unterschiedlicher Güter. Reine private Güter zeichnen sich durch Ausschluss und Rivalität aus, sie können nur jeweils von einem Individuum konsumiert werden. Besonders deutlich wird der Charakter privater Güter am Beispiel von Nahrungsmitteln. Wenn ein Konsument einen Apfel isst, kann dieser Apfel nicht mehr von einem anderen Konsumenten verzehrt werden. Natürlich können sich auch mehrere Konsumenten einen Apfel teilen, dennoch kann nie ein Konsument dasselbe Stück Apfel essen wie ein anderer. Andere private Güter wie etwa Automobile können nacheinander, aber nicht gleichzeitig von mehreren Personen benutzt werden. Im Sinne der volkswirtschaftlichen Theorie handelt es sich bei dem Auto, das zu verschiedenen Zeitpunkten zur Verfügung steht, um mehrere Güter. Private Güter der Sharing Economy bleiben daher private Güter, auch wenn mehrere Konsumenten nacheinander über Airbnb eine Wohnung mieten oder über Car Sharing ein Auto teilen. Nun gibt es auch lokale öffentliche Güter, für die zwar die Nichtrivalität gilt, die aber nur lokal begrenzt wirken. Ein Beispiel hierfür ist ein lokaler Radiosender, bei dem zwar beliebig viele Zuhörer gleichzeitig eine Sendung hören können, ohne dass die Empfangsqualität darunter leidet, aber dies ist eben nur in einem räumlich begrenzten Gebiet möglich. Weiter entfernt lebende Nutzer sind damit vom Radioempfang ausgeschlossen. Bei anderen Gütern gilt die Nichtausschließbarkeit vom Konsum, weil der Ausschluss zu

1.2 Marktversagen aufgrund öffentlicher Güter

teuer wäre. So könnte man zwar grundsätzlich für jede Straße eine Maut erheben und damit Nichtzahler von der Nutzung ausschließen. Das würde sich aber bei kleinen und wenig befahrenen Straßen nicht lohnen, so dass der Nichtausschluss aus Kostengründen erfolgt. Andere Güter wie beispielsweise Schwimmbäder weisen bis zu einer bestimmten Besucherzahl Nichtrivalität auf, wobei der Ausschluss technisch möglich und im Hinblick auf die Ausschlusskosten auch wirtschaftlich vertretbar ist. Solche Güter werden als Klubgüter bezeichnet. Im Fall des Schwimmbads erfolgt der Ausschluss über Eintrittsgelder. Wenn nur ein Schwimmer im Bad ist, wird es ihm vermutlich egal sein, ob noch ein weiterer hinzukommt. Beide können ihre Bahnen ziehen, ohne sich gegenseitig zu beeinträchtigen. Sind aber bereits alle Bahnen belegt, dann beeinträchtigen weitere Besucher das Schwimmvergnügen, es treten Überfüllungseffekte auf. Güter, bei denen Ausschlussmöglichkeiten bestehen und von einer bestimmten Nutzerzahl an Rivalität im Konsum vorliegt, werden Klubgüter genannt. Eine weitere Kategorie der öffentlichen Güter bilden solche Güter, von deren Nutzung kein Konsument ausgeschlossen wird, bei denen aber Rivalität im Konsum besteht. Diese Güter werden als Allmendegüter bezeichnet. Mit dem Begriff der Allmende wurden in der Vergangenheit Gemeindewiesen bezeichnet, auf die alle Bauern ihr Vieh zum Grasen schicken durften, es wurde also niemand von der Nutzung ausgeschlossen. Zugleich traten aber Überfüllungseffekte auf. Wenn bereits viel Vieh auf der Gemeindewiese stand, machten weitere Tiere den anderen ihre Nahrungsgrundlage streitig. In diesem Fall wurden durch die wirtschaftlichen Aktivitäten später hinzutretender Bauern die Erträge derjenigen Bauern, die zuerst da waren, gemindert, ohne dass dafür Kompensation gezahlt werden musste. Man spricht hier auch vom Auftreten negativer

7

externer Effekte. Tab. 1.1 kategorisiert die unterschiedlichen Arten öffentlicher Güter. Im Umweltbereich finden sich zahlreiche Beispiele für lokale öffentliche Güter, Klubgüter und Allmendegüter. Beispielsweise handelt es sich bei der Verhinderung des Ozonlochs über einem Kontinent um ein lokales öffentliches Gut, bei der Bereitstellung eines Naherholungsgebietes um ein Klubgut und beim Schutz des Meeres vor Überfischung um ein Allmendegut. Auch im Gesundheitsbereich finden sich zahlreiche Klubgüter wie beispielsweise Kliniken, von deren Nutzung nicht versicherte Personen ausgeschlossen werden können und hinsichtlich derer bis zum Eintreten von Überfüllungseffekten Nichtrivalität im Konsum besteht. Aus der Per­ spektive der menschlichen Gesundheit handelt es sich bei zahlreichen Umweltgütern wie beispielsweise sauberer Luft in Städten um Allmendegüter. Bis zu einer bestimmten Einwohnerzahl ist die Luft nicht knapp und die Belastung durch ein zusätzliches Kraftfahrzeug vernachlässigbar. Je mehr Einwohner die Stadt als Autofahrer nutzen, desto stärker werden die externen Effekte sichtbar. Im Fall reiner öffentlicher Güter sinken die Pro-Kopf-Kosten mit steigender Bevölkerungszahl im gesamten Bereich, der Nettonutzen des repräsentativen Haushalts nimmt mit steigender Einwohnerzahl zu. Analog dazu wächst auch der Unternehmensgewinn mit der Bevölkerungszahl. Lokale öffentliche Güter weisen ebenfalls sinkende Durchschnittskosten je Einwohner im gesamten Bereich auf, jedoch sind die positiven externen Effekte im Konsum räumlich begrenzt. Treten ab einer bestimmten Bevölkerungszahl Überfüllungseffekte auf, so verlaufen die Durchschnittskosten der Bereitstellung öffentlicher Güter u-förmig. Bei den öffentlichen Gütern handelt es sich in diesem Fall um Klubgüter, die Nettonutzen steigen bis zur kritischen Einwohnerzahl und nehmen danach mit wachsender Bevölke-

Tab. 1.1  Öffentliche Güter. (Quelle: Eigene Darstellung) Nichtrivalität

Nichtausschließbarkeit Reine öffentliche Güter

Rivalität

Allmendegüter

Ausschließbarkeit Lokale öffentliche Güter Klubgüter Private Güter

1  Statische Grundlagen

8

rungszahl ab. Beispielhaft für die Bereitstellung öffentlicher Güter als Ursache von Agglomerationsvorteilen für Haushalte werden zumeist Klubgüter wie Schulen, Krankenhäuser, Verkehrsnetze und soziale Infrastruktur genannt. Anstelle von Klubgütern ist auch von Mischgütern die Rede. Gemeint ist dann, dass die Eigenschaft der betrachteten Güter zwischen den Extremen reiner öffentlicher Gütern ohne Überfüllungseffekte und reiner privater Güter mit Nutzungskonkurrenz angesiedelt ist. Entscheidend ist jeweils die Anzahl der Nutzer. Tab. 1.2 gibt einen Überblick über typische öffentlich bereitgestellte Güter in Abhängigkeit verschiedener Stadtgrößen. Die Differenzierung der Stadtgrößen erfolgt dabei nach den in der Raumordnung verankerten Kategorien, die sich an Stadtfunktionen orientieren. Hier gibt es Kleinzentren, Kleinzentren mit Teilfunktionen aus kleinen Unterzentren, Unterzentren, Unterzentren mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums, Mittelzentren, Mittelzentren mit Teilfunktionen eines Oberzentrums und Oberzentren. Einen allgemeinen Ausstattungskatalog für Zentren verschiedener Größenordnung und Funktion gibt es bislang allerdings nicht (Störmann 2009). Güter des Gesundheitsbereichs weisen aber auch die Eigenschaften reiner privater Güter auf, also Rivalität im Konsum und Ausschlussmöglichkeiten vom Konsum. So kann ein Arzt im Rahmen

seiner Sprechstunde nur eine begrenzte Zahl an Patienten betreuen. Die Zeit, die er einem Patienten widmet, kann nicht einem anderen Patienten zugutekommen, die Patienten rivalisieren also um die knappe Zeit des Arztes. Der Ausschluss von der Behandlung erfolgt über die Zahlung, meist unter Einbeziehung von Versicherungen. Dennoch weisen die Gesundheitsgüter eine Besonderheit gegenüber anderen privaten Gütern auf, nämlich die, dass der Staat an ihrer Bereitstellung und Inanspruchnahme besonders interessiert ist. Letzteres hat zwei Gründe: Zum einen glaubt der Staat, dass Individuen nicht vorausschauend genug sind, um selbst rechtzeitig für eine ausreichende Gesundheitsversorgung vorzusorgen, und gleichzeitig gilt es als moralisch nicht vertretbar, Kranke ohne Hilfe ihrem Schicksal zu überlassen. Gesundheitsleistungen gelten demzufolge als meritorische Güter, bei denen der Staat für die Bereitstellung sorgen will, selbst wenn dies nicht den aktuellen Wünschen des Individuums entspricht (Abschn.  1.6). Zum anderen hat der Staat aber auch selbst ein Interesse daran, dass die Bevölkerung gesund ist, weil auf dieser Grundlage ein höheres Bruttoinlandsprodukt erwirtschaftet werden kann, das über höhere Steuereinnahmen auch zu einem verbesserten staatlichen Budget beiträgt. In diesem Zusammenhang hat die Gesundheit der Bevölkerung den Charakter eines öffentlichen Gutes (Nichtrivalität, Nichtausschließbarkeit). Hin-

Tab. 1.2  Ausstattungen von Zentren mit öffentlichen und privaten Gütern. (Quelle: Störmann 2009, S. 50) Bildung

Medizinische Versorgung Kultur

Sonstige öffentliche Einrichtungen Dienstleistungen, Banken, Einzelhandel, Versicherungen

Kleinzentrum Grundschule, Kindertagesstätte

Unterzentrum Mittelschule bzw. Regelschule

Mittelzentrum Gymnasien, Volkshochschule, überbetriebliche Ausbildungsstätten Krankenhäuser

Oberzentrum Hochschulen, Universitäten, Forschungseinrichtungen, Berufsbildungszentren Unikliniken

Praktische Ärzte, Zahnärzte, Apotheken Jugendzentren

Fachärzte, Altersheime Familienbildungsstätten

Kinos, Museen

Sporthallen, Ausstellungsräume

Schwimmhallen, Polizei, Amtsgericht Kaufhäuser

Theater, Konzerthallen, Fachbibliotheken Messehallen, Kongresshallen, Gerichte Umfassende Einkaufsmöglichkeiten für spezielle Bedürfnisse

Öffentliche Bibliotheken, Gaststätten Grundbedarf, Bankfilialen

Einzelhandelsgeschäft für qualifizierten Bedarf

1.2 Marktversagen aufgrund öffentlicher Güter

sichtlich der bereitgestellten Menge spielen auch die von der Gesundheit ausgehenden positiven externen Effekte eine Rolle; es wird von den privaten Akteuren zu wenig Gesundheit bereitgestellt, weil die privaten Grenzerträge der Gesundheit geringer sind als die sozialen Grenzerträge der Gesundheit (Abschn. 2.2). Überlegungen zur Bereitstellung öffentlicher Güter beginnen oft mit der Frage, welche Bedingungen im Optimum erfüllt sein müssen, wenn es sich um reine öffentliche Güter handelt. Das Basismodell zur Allokation reiner öffentlicher Güter geht auf ein Modell von Samuelson (1954) zurück. Die Samuelson-Bedingung gibt an, welche Charakteristika die optimale Allokation reiner öffentlicher Güter aufweist. Annahmegemäß gibt es ein privates und ein öffentliches Gut und die Nutzenfunktionen der Individuen erfüllen die üblichen Annahmen der Standardmikroökonomik. Dann muss die Summe der Grenzraten der Substitution zwischen privatem und öffentlichem Gut im Optimum mit der Grenzrate der Transformation von privatem und öffentlichem Gut in der Produktion übereinstimmen. Dies lässt sich wie folgt erklären (Brümmerhoff 2007): Angenommen, es gebe zwei Individuen 1, 2 und zwei Güter, ein privates Gut x und ein reines öffentliches Gut y. Die Nutzenfunktionen seien gegeben durch

U i = U i ( xi ,y ) i = 1, 2.

(Gl. 1.1)

Die Nutzenfunktionen seien zweimal stetig differenzierbar und weisen in beiden Gütern positive und abnehmende Grenznutzen auf. Die Produktionsmöglichkeiten der Volkswirtschaft lassen sich durch eine konvexe und zweimal stetig differenzierbare Transformationsfunktion T beschreiben. Die Transformationsfunktion bildet alle Kombinationen aus privatem und öffentlichem Gut ab, die mit den vorhandenen Produktionsfaktoren bei gegebener Technologie effizient werden können, wenn alle Ressourcen effizient genutzt werden. Dabei bezeichnet x die Gesamtmenge des privaten Gutes, es gilt x = x1 + x2

T = T ( x,y ) .

(Gl. 1.2)

9

Aus dem totalen Differenzial lässt sich die Steigung der Transformationskurve (Grenzrate der Transformation GRT) ermitteln. Sie gibt an, wie viele Einheiten des privaten Gutes mehr produziert werden können, wenn die Gesellschaft auf eine Einheit des öffentlichen Gutes y verzichtet. Die Indizes bezeichnen dabei die ersten Ableitungen.

−GRT = − Ty / Tx 

(Gl. 1.3)

Eine Pareto-effiziente Allokation liegt dann vor, wenn sich der Nutzen eines Individuums bei gegebenen Produktionsmöglichkeiten nicht mehr erhöhen lässt, ohne den Nutzen eines anderen Individuums zu verringern. Anders ausgedrückt muss ein zentraler Planer, der eine Pareto-effiziente Allokation der Ressourcen anstrebt, den Nutzen des Individuums  1 maximieren, wobei er verschiedene Nebenbedingungen berücksichtigen muss. Nebenbedingung 1 lautet, dass der Nutzen des Individuums 2 auf einem festgelegten Niveau U 2 konstant gehalten werden muss. Nebenbedingung  2 besagt, dass die Gesamtmenge des privaten Gutes auf die beiden Individuen 1 und 2 aufgeteilt wird x = x1 + x2, Nebenbedingung  3, dass die Allokation auf der Transformationskurve liegt. Die Lagrange-­ Funktion zur Lösung des Optimierungspro­ blems lautet dann

(

L = U 1 ( x1 ,y ) + λ1 U 2 ( x2 ,y ) − U 2 +λ2 ( x − x1 − x2 ) + λ3 ( T ( x,y ) ) .

)

(Gl. 1.4)

Aus der Maximierung der Lagrange-Funktion über x, x1, x2 und y erhält man als Bedingung für ein Optimum

U 1y / U 1x + U y2 / U x2 = Ty / Tx . (Gl. 1.5)

Das Verhältnis der Grenznutzen zwischen öffentlichem und privatem Gut wird auch als Grenzrate der Substitution (GRS) bezeichnet. Die Samuelson-Bedingung für die optimale Allokation öffentlicher Güter lautet demnach

∑GRS

i

i

= GRT .

(Gl. 1.6)

1  Statische Grundlagen

10

Im Unterschied dazu gilt für die Pareto-effiziente Allokation privater Güter, dass die Grenzraten der Substitution der beiden Individuen jeweils für sich betrachtet der Grenzrate der Transformation entsprechen muss, also

GRS = GRS = GRT . 1 2

(Gl. 1.7)

Abb. 1.1 gibt die grafische Darstellung der Samuelson-Bedingung wieder. Im Folgenden soll die Samuelson-Bedingung anhand eines Rechenbeispiels verdeutlicht werden. Die beiden Nutzenfunktionen seien gegeben als

U = 2 ⋅ x1 + 10 ⋅ y,

(Gl. 1.8)



U 2 = 4 ⋅ x2 ⋅ y.

(Gl. 1.9)

1



Die Transformationskurve lautet (Gl. 1.10) x = 45 − 45 y. Dabei wird die Menge an privaten Gütern auf die beiden Individuen aufgeteilt, also x = x1 + x2. Die

Grenzraten der Substitution lauten GRS1 = 5 und GRS2  =  x2/y. Die Grenzrate der Transformation ergibt sich zu GRT = 45. Aus der Samuelson-Bedingung ∑iGRSi  =  GRT folgt im Beispiel 5 +  x2/y = 45 oder x2 = 40  · y. Einsetzen in die Transformationskurve

x1 + x2 = 45 − 45 ⋅ y

(Gl. 1.11)

ergibt x1  =  45  −  85  ·  y. Das Nutzenniveau des Konsumenten 1 sei auf U 1 = 10 festgelegt, es gelte also

10 = 2 ⋅ x1 + 10 ⋅ y.

(Gl. 1.12)

Dann folgt daraus y = 0,5. Einsetzen in

x1 = 45 − 85 ⋅ y

(Gl. 1.13)

ergibt x1 = 2, 5. Mit x2 = 40 · y folgt x2 = 20. In der Partialbetrachtung wird unterstellt, dass das private Gut auf einem vollkommenen Markt bereitgestellt wird und sein Preis auf Eins normiert ist. Die Grenzraten der Substitution lassen

Abb. 1.1  Samuelson-Bedingung. (Quelle: Brümmerhoff 2007, S. 80)

1.2 Marktversagen aufgrund öffentlicher Güter

sich dann als marginale Zahlungsbereitschaften (MZB) der Wirtschaftssubjekte für das öffentliche Gut interpretieren, die Grenzrate der Transformation als Grenzkosten des öffentlichen Gutes. Die Samuelson-Regel vereinfacht sich dann zur folgenden Regel (siehe ausführlich Varian 2016): Im Optimum muss die Summe der marginalen Zahlungsbereitschaften über alle Konsumenten den Grenzkosten des öffentlichen Gutes entsprechen. Abb.  1.2 veranschaulicht die Samuelson-Regel für die Partialbetrachtung. Dabei bezeichnen MZBA und MZBB die marginalen Zahlungsbereitschaften der Konsumenten A und B.  Die Grenzkosten werden mit GK bezeichnet, die Menge des öffentlichen Gutes mit x. Im Idealfall wird jeder Konsument in Höhe seiner marginalen Zahlungsbereitschaft für das öffentliche Gut zur Finanzierung dieses Gutes herangezogen. Die Höhe des Finanzierungsbeitrags wird dann als Steuerpreis (Lindahl-Preis) bezeichnet. Voraussetzung für die Pareto-Effizienz der Allokation ist dann allerdings, dass sich kein Wirtschaftssubjekt strategisch verhält und alle Individuen ihre Präferenzen wahrheitsgemäß offenbaren. Diese Bedingung ist allerdings in der Realität schwer zu erfüllen, wenn die Zahl der

11

Konsumenten groß ist und sich jeder auf den anderen verlässt (Trittbrettfahrerproblem) (zur Lösung des Problems der Anreizverträglichkeit siehe Mackscheidt und Störmann 1994). Die Problematik strategischen Verhaltens bei der Bereitstellung öffentlicher Güter soll anhand eines einfachen Beispiels veranschaulicht werden. Angenommen, es gehe darum, eine Einheit eines öffentlichen Gutes zu beschaffen, das zu konstanten Grenzkosten von GK = 6 Geldeinheiten bereitgestellt werden kann. In der Gesellschaft gebe es zwei Individuen i  =  1,2 mit den konstanten marginalen Zahlungsbereitschaften pro Einheit des öffentlichen Gutes in Höhe von

MZB1 = 5,

(Gl. 1.14)



MZB2 = 4.

(Gl. 1.15)

Die gesellschaftliche Zahlungsbereitschaft für die diskutierte Einheit des öffentlichen Gutes beträgt also 9 Geldeinheiten. Nun kann jeder Spieler überlegen, ob er bereit wäre, sich an der Finanzierung des öffentlichen Gutes zu beteiligen (zu kooperieren). Wenn sich beide Spieler beteiligen, sollen die Kosten hälftig aufgeteilt werden, jeder hätte dann 3 Geldeinheiten zu tragen. Die Alternative besteht darin, sich nicht zu beteiligen

Abb. 1.2  Samuelson-Bedingung Partialbetrachtung. (Quelle: Brümmerhoff 2007, S. 83)

1  Statische Grundlagen

12

(nicht zu kooperieren) und zu hoffen, dass der andere Spieler allein die Einheit des öffentlichen Gutes finanziert, also 6 Geldeinheiten aufbringt. Die Auszahlungsmatrix des nichtkooperativen Spiels in Normalform (Gefangenendilemma) ist in Tab. 1.3 dargestellt. Für beide Spieler ist es die dominante Strategie, zu hoffen, dass der jeweils andere das öffentliche Gut bereitstellt (Trittbrettfahrerverhalten). Im Ergebnis wird, zumindest beim einmaligen Spiel, das öffentliche Gut gar nicht bereitgestellt, weil sich niemand an der Finanzierung beteiligen will. Damit sind aber beide Individuen schlechter gestellt, als wenn das Gut mit der gegebenen Finanzierungsregel bereitgestellt würde (Gefan­ genendilemma) (nähere Erläuterungen siehe Abschn.  1.4). Die Anwendung der Samuelson-Bedingung verrät überdies, dass insgesamt nicht eine Einheit, sondern 1,5 Einheiten des öffentlichen Gutes bereitgestellt werden sollten. Individuum  1 sollte dann insgesamt 5  Geldeinheiten bezahlen, Individuum 2 sollte 4 Geldeinheiten zur Finanzierung der Gesamtmenge beitragen.

1.3

 riterien zur Beurteilung K von Eingriffsinstrumenten

Im Fall externer Effekte und öffentlicher Güter führt der Marktmechanismus nicht zur effizienten Lösung (Abschn.  1.2). Zur Bewertung der gesamtwirtschaftlichen Effizienz wird das Konzept des Pareto-Optimums herangezogen. Im Pareto-Optimum ist es nicht möglich, mindestens ein Gesellschaftsmitglied besserzustellen, ohne ein anderes Mitglied schlechterzustellen. Beim Vorliegen externer Effekte wird das Pareto-Optimum verfehlt, es wäre also möglich, die Situation für mindestens ein Individuum zu verbessern, ohne sie für ein anderes zu verschlechtern. Ziel

der Umwelt- und Gesundheitspolitik ist es, die ökonomischen Anreize derart zu verändern, dass die Menschen die externen Effekte ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten bei ihren Entscheidungen mitberücksichtigen. Gelingt dies, dann spricht man von der Internalisierung der externen Effekte. Wenn die externen Effekte vollständig internalisiert werden, dann wird das Pareto-Optimum erreicht. Neben der Pareto-Effizienz können zur Beurteilung von Eingriffsinstrumenten eine Reihe weiterer Kriterien herangezogen werden (Endres 2013; Fees und Seeliger 2013; Michaelis 1996). Ein im Vergleich zur Pareto-­Effizienz schwächeres Kriterium ist die Kosteneffizienz. Es wird dann angewendet, wenn mehrere Internalisierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Kosteneffizienz bedeutet, dass dasjenige Internali­ sierungsinstrument gewählt wird, das die Internalisierung der externen Effekte zu den geringstmöglichen Kosten erreicht. Das bisher beschriebene Kriterium der Effizienz bezieht sich nur auf eine Periode, man spricht hier auch von statischer Effizienz. Demgegenüber wird von dynamischer Effizienz gesprochen, wenn Anreize bestehen, das eigene Verhalten im Zeitablauf immer weiter an verbesserte technische Möglichkeiten anzupassen und so zu steigender gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrt beizutragen. Im Kontext der Umweltökonomik kann dies beispielsweise bedeuten, dass nicht nur aktuelle Grenzwerte für Emissionen eingehalten werden, sondern auf Dauer ein Anreiz besteht, die Emissionen weiter zu senken. Weitere Kriterien zur Beurteilung von Internalisierungsstrategien sind neben der statischen und dynamischen Effizienz auch die zur erfolgreichen Internalisierung erforderlichen Informationen. Setzt eine Regulierung mit dem Ziel der Internalisierung externer Effekte voraus, dass die Regulierungsbehörde viele interne Informatio-

Tab. 1.3  Gefangenendilemma. (Quelle: Eigene Darstellung)

Spieler 2

Kooperation Keine Kooperation

Spieler 1 Kooperation 2, 1 −1, 4

Keine Kooperation 5, −2 0,0

1.4 Bereitstellung öffentlicher Güter und soziale Dilemmasituationen

nen von den Marktteilnehmern erhält, dann besteht die Gefahr, dass Letztere sich strategisch verhalten und die Informationen nicht wahrheitsgemäß offenbaren. In diesem Fall kann die Internalisierung der externen Effekte nicht vollständig gelingen, sofern es keine Mechanismen gibt, die die Marktteilnehmer dazu bringen, wahrheitsgemäße Informationen zu liefern. Aber selbst wenn es solche Verfahren zur Informationsoffenbarung gibt, sind diese mit Transaktionskosten verbunden. Hohe Informationsanforderungen sind also ein Nachteil für Internalisierungsstrategien. Ein weiteres wesentliches Kriterium zur Beurteilung von Internalisierungsinstrumenten ist die Treffsicherheit. Eine hohe Treffsicherheit bedeutet, dass das Instrument die Einhaltung von Unter- oder Obergrenzen gewährleistet. Dies soll am Beispiel eines Pflanzenschutzmittels veranschaulicht werden, das in der Landwirtschaft zum Einsatz gelangt. Geht man davon aus, dass der Schadstoffeintrag dieses Umweltgiftes in das Wasser bis zu einer gewissen Konzentration für den Menschen unbedenklich ist, aber bei Überschreiten dieses Grenzwertes die menschliche Gesundheit gefährdet, dann sollte das Internalisierungsinstrument dafür sorgen, dass dieser obere Grenzwert auf keinen Fall überschritten wird. Erfüllt eine Internalisierungsstrategie dieses Kriterium, dann spricht man von ökologischer Treffsicherheit. Die bisherigen Überlegungen waren überwiegend normativ, d.  h. sie beziehen sich auf die Frage, wie ein Zustand sein sollte. In der politischen Praxis ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, ob eine umwelt- oder gesundheitspolitische Maßnahme politisch durchsetzbar ist. Die positive Theorie befasst sich mit der Frage, warum bestimmte Internalisierungsstrategien gewählt werden, obwohl sie aus normativer Sicht

13

anderen unterlegen sind. Die ökonomische Theorie der Politik bettet die jeweilige Fragestellung der externen Effekte oder öffentlichen Güter in den politökonomischen Kontext repräsentativer Demokratien ein und findet in diesem Zusammenhang die Erklärungsansätze. Dabei umfasst der politökonomische Rahmen neben den Verursachern des externen Effektes und den davon betroffenen „unbeteiligten Dritten“ auch die Regulierungsbehörden, Regierung, Ministerien, Parteien, Wähler, Unternehmen, Beschäftigte und nicht zuletzt Verbände. Aus dem Zusammenspiel all dieser Akteure lässt sich erklären, wie es zu bestimmten Regulierungen kommt, obwohl andere aus normativer Sicht vorzuziehen wären. Letztlich hat der Politikstil einen entscheidenden Einfluss auf die Effektivität der Umweltpolitik. Je höher die Strategieorientierung und der Partizipationsgrad der nicht staatlichen Akteure, desto höher die Effektivität der Umweltpolitik (Ricken 1997). Tab.  1.4 fasst die Beurteilungskriterien von Internalisierungsstrategien zusammen.

1.4

Bereitstellung öffentlicher Güter und soziale Dilemmasituationen

Öffentliche Güter haben die Eigenschaft, dass sie wegen des Nichtausschlussprinzips von jedem genutzt werden können. Aufgrund dieser Eigenschaft wird zu wenig von ihnen angeboten, es sei denn, der Staat stellt öffentliche Güter bereit und finanziert diese aus Steuermitteln (Abschn.  1.2 sowie Brümmerhoff 2007; Fehl und Oberender 2004; Nowotny und Zagler 2008; Wellisch 2000; Zimmermann und Henke 2005). Beispiel ist ein Naturpark, der ohne Eintritt von allen Bürgern

Tab. 1.4  Kriterien zur Beurteilung von Internalisierungsstrategien bei externen Effekten. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Endres 2013) Ökonomische Kriterien

Ökologische Kriterien Politische Kriterien

i. Pareto-Effizienz ii. Kosteneffizienz iii. Dynamische Anreizwirkungen iv. Informationsanforderungen Treffsicherheit Politische und gesellschaftliche Durchsetzbarkeit

1  Statische Grundlagen

14

genutzt werden kann und aus öffentlichen Kassen finanziert wird. Keine Privatperson allein würde diesen Naturpark unterhalten, deshalb sollte es der Staat tun. Dies setzt allerdings voraus, dass der Staat über ausreichende Steuereinnahmen verfügt, die Bürger also tatsächlich Steuern zahlen. Aus individueller Sicht wäre es am besten, das öffentliche Gut zu nutzen, sich aber nicht an der Finanzierung zu beteiligen, d. h. keine Steuern zu zahlen. Dieses Phänomen ist als Trittbrettfahrerproblem oder Freifahrerproblem bekannt, es handelt sich um ein soziales Dilemma. Sowohl im Umwelt- als auch im Gesundheitsbereich treten zahlreiche soziale Dilemmata auf. Letztere sind allgemein dadurch gekennzeichnet, dass das gesellschaftlich gewünschte Verhalten den individuellen Verhaltensanreizen widerspricht. Veranschaulichen lässt sich dies mithilfe des Gefangenendilemmas aus der Spieltheorie (Holler und Illing 2009). Dabei wird angenommen, dass zwei mutmaßliche Diebe festgenommen und getrennt voneinander befragt werden. Es gebe eine Kronzeugenregelung, die demjenigen, der die gemeinsame Tat gesteht, eine Belohnung verspricht: Derjenige, der nicht gesteht, während der andere die Kronzeugenregelung in Anspruch nimmt, erhält eine hohe Strafe. Gestehen beide, gehen beide ins Gefängnis. Leugnen beide die Tat, werden beide freigesprochen. Verallgemeinert beschreibt das Gefangenendilemma eine Konstellation, in der es zwei Akteure gibt, die sich jeweils kooperativ oder nicht kooperativ verhalten können. Kooperatives Verhalten bedeutet, nicht zu gestehen, weil damit die Absprache mit dem Mittäter eingehalten wird. Entsprechend wird ein Geständnis als nicht kooperatives Verhalten aufgefasst, die Absprache mit dem Mittäter wird gebrochen. Wenn es sich bei den Akteuren um Unternehmen handelt, können die Auszahlungen des Spiels als Gewinne interpretiert werden. Handelt

es sich bei den Akteuren um Individuen, dann lassen sich die Auszahlungen als Nutzen verstehen. Annahmegemäß sind Gesamtauszahlungen am höchsten, wenn beide Akteure kooperieren. Verhält sich ein Akteur kooperativ, der andere jedoch nicht, dann macht der kooperativ Spielende Verlust, der nicht kooperativ Spielende dagegen einen noch höheren Gewinn als bei Kooperation. Dies gilt im Gefangenendilemma für beide Akteure gleichermaßen, das Spiel ist symmetrisch. Zur Veranschaulichung soll das in Tab.  1.5 dargestellte Beispiel dienen, bei dem die ersten Zahlen innerhalb eines Feldes der Auszahlungsmatrix die Auszahlungen des ersten Spielers für gegebenes Verhalten des zweiten Spielers darstellen. Die zweiten Zahlen innerhalb des Feldes der Auszahlungsmatrix sind analog dazu die Auszahlungen des zweiten Spielers für gegebenes Verhalten des ersten Spielers. Auszahlungen bedeuten jeweils die Nutzen der jeweiligen Spieler, nicht etwa die Gefängnisjahre. Spieler  1 ist der Zeilenspieler, Spieler 2 der Spaltenspieler. Das soziale Dilemma besteht nun darin, dass die Gesellschaft insgesamt am besten gestellt ist, wenn beide kooperieren. Die Gesamtauszahlung beträgt dann 40. Für beide Spieler ist es jedoch individuell vorteilhaft, nicht zu kooperieren. Da das Spiel symmetrisch ist, reicht es aus, die Auszahlungen eines Spielers für gegebenes Verhalten des anderen Spielers zu betrachten. Dies soll im Folgenden für Spieler 1 geschehen. Wenn Spieler 2 kooperiert, dann ist es für Spieler 1 die beste Antwort, nicht zu kooperieren, denn seine Auszahlung beträgt bei Nichtkooperation 30, bei Kooperation dagegen 20. Wenn Spieler 2 nicht kooperiert, dann ist es für Spieler  1 am besten, ebenfalls nicht zu kooperieren, weil er dann eine Auszahlung von Null bekommt, während er bei kooperativem Verhalten einen Verlust von 10 realisieren würde. Wird das Spiel nur einmal durchgeführt, kommt es also zu einer Lösung, in der keiner der beiden Spieler kooperiert. Dies kann

Tab. 1.5  Gefangenendilemma. (Quelle: Eigene Darstellung) Kooperation Spieler 1 Nicht-kooperation Spieler

Kooperation Spieler 2 20;20 30;−10

Nicht-kooperation Spieler 2 −10;30 0;0

1.5 Marktversagen aufgrund externer Effekte

sich unter bestimmten Umständen ändern, wenn das Spiel unendlich oft wiederholt wird (Abschn. 2.1). Soziale Dilemmasituationen sind im Umweltbereich beispielsweise dann gegeben, wenn es um die Begrenzung von Schadstoffausstoß in die Luft geht. Dazu soll angenommen werden, dass alle Unternehmen saubere Luft brauchen, um produzieren zu können. Für jedes Unternehmen ist der Gewinn am höchsten, wenn alle anderen schadstoffarm produzieren, indem sie beispielsweise Luftfilteranlagen einbauen und nur das betrachtete Unternehmen selbst auf Luftfilter verzichtet, weil dadurch die Kosten reduziert werden. Im Ergebnis wird kein Unternehmen einen Luftfilter verwenden, die Situation ist für die Gesamtgesellschaft nicht optimal. Aufgabe der Umweltökonomik ist es, zu ermitteln, mit welchen Instrumenten die Dilemmasituation aufgehoben werden kann. Im Gesundheitsbereich finden sich Soziales-Dilemma-Situationen beispielweise im Zusammenhang mit dem moralischen Risiko in der Krankenversicherung. Moralisches Risiko bedeutet, dass die Versicherten dazu tendieren, mehr Versicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen, als medizinisch sinnvoll ist, weil die Versicherungsbeiträge nicht von der Inanspruchnahme der Leistungen abhängen. Die Fragestellung aus gesundheitsökonomischer Sicht besteht dann darin, mit welchen Instrumenten das Verhalten der Versicherten gesteuert werden kann, so dass sich diese Fehlanreize nicht ergeben.

1.5

Marktversagen aufgrund externer Effekte

Ein externer Effekt liegt vor, wenn in die Nutzen- oder Produktionsfunktion der Wirtschaftssubjekte i Variablen yj eingehen, die von anderen Wirtschaftssubjekten  j gewählt werden, ohne dass diese die Auswirkungen auf i beachten müssen. Anders ausgedrückt bezeichnet der Begriff externer Effekt die unkompensierte Auswirkung ökonomischen Handelns auf die Wohlfahrt eines unbeteiligten Dritten. Ein negativer externer Effekt liegt vor, wenn die Wirkung einer ökonomi-

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schen Aktivität das Nutzenniveau anderer Wirtschaftssubjekte reduziert. Demgegenüber liegt ein negativer interner Effekt dann vor, wenn eine ökonomische Aktivität das eigene Nutzenniveau eines Akteurs reduziert (Sturm und Vogt 2011; Weimann 1995). Der Unterschied zwischen internen und externen Effekten soll an folgendem Beispiel erläutert werden: Nehmen Sie an, eine Papierfabrik liege an einem Fluss. Bei der Papierproduktion entstehen Schadstoffe. Wenn die Papierfabrik diese Schadstoffe ungefiltert in den Fluss einleitet, sterben Fische. Durch das Fischsterben sinkt der Gewinn des Fischers. Ohne weitere Regulierung berücksichtigt die Papierfabrik die Gewinneinbuße des Fischers nicht, sondern produziert die aus ihrer Sicht optimale Papiermenge. Diese für die Papierfabrik gewinnmaximale Menge ist aber gesamtwirtschaftlich betrachtet zu hoch, weil die Gewinneinbuße des Fischers mitberücksichtigt werden müsste. Die zu hohe Produktionsmenge der Papierfabrik zeigt das Marktversagen, die Gewinneinbuße des Fischers ist der negative externe Effekt. Würde durch die bei der Papierherstellung freigesetzten Schadstoffe auch der Gewinn der Papierfabrik sinken, dann lägen negative interne Effekte vor. Aus Sicht des Papierherstellers wäre nun eine geringere hergestellte Menge gewinnmaximal. Die Papierfabrik würde deshalb aus eigenem Antrieb die Produktionsmenge auf den optimalen Wert reduzieren. Dies ist das Ziel der Internalisierung des negativen externen Effekts. Bei der Klassifizierung externer Effekte werden unilaterale, bilaterale und multilaterale Effekte unterschieden. Unilateral bedeutet einseitig, ein Akteur verursacht beim anderen Akteur einen Schaden, ohne dass der Geschädigte mit seiner wirtschaftlichen Aktivität die Schadenshöhe beeinflussen kann. Demgegenüber beeinflussen bei bilateralen externen Effekten Schädiger und Geschädigter beide durch ihr Verhalten die Höhe des externen Effektes. Multilaterale externe Effekte treten dann auf, wenn es mehr als zwei Akteure gibt, die alle durch ihr Verhalten auf die Schadenshöhe Einfluss nehmen. In Beispielen zu externen Effekten werden zur Vereinfachung oft additiv-separable Gewinn-

1  Statische Grundlagen

16

oder Nutzenfunktionen gewählt. Solche Funk­ tionen können zerlegt werden, bestehen aus einzelnen Summanden und die Ableitungen (Grenzschäden) sind unabhängig von anderen Variablen. Bei bilateralen oder multilateralen externen Effekten besteht keine additive Separabilität der Schäden. Externe Effekte können zwischen verschiedenen Typen von Wirtschaftssubjekten auftreten, zu unterscheiden sind hier drei Fälle (das Folgende in Anlehnung an Brümmerhoff 2007): In Fall  1 treten externe Effekte zwischen Produzenten auf, in Fall 2 zwischen Konsumenten, in Fall 3 zwischen Produzenten und Konsumenten. Die Effekte können jeweils positiv oder negativ sein. Zunächst sollen die externen Effekte zwischen zwei Konsumenten i = 1,2 betrachtet werden. In der Ökonomie gebe es zwei Güter A und B mit den Preisen pA und pB. Der Nutzen der Konsumenten sei wie folgt gegeben:

U1 = U1 x1A ,x1B ,x2A ,

(

)

(Gl. 1.16)



U 2 = U 2 x2A ,x2B .

(Gl. 1.17)

(

)

yi = pA ⋅ xiA + pB ⋅ xiB i = 1, 2,

(

) (

GRSi = ∂Ui / ∂xiB / ∂Ui / ∂xiA

= pB / pA i = 1, 2.

)

(Gl. 1.19)

Unberücksichtigt bleibt dabei der Grenznutzen des ersten Individuums aus dem Konsum des Gutes A durch das zweite Individuum. Eine Pareto-effiziente Allokation der Güter A und B ist dann erreicht, wenn man nicht den Nutzen des einen Individuums erhöhen kann, ohne den Nutzen des anderen Individuums zu verringern. Dass dies möglich ist, zeigt das totale Differenzial der Nutzenfunktionen. Das totale Differenzial der Nutzenfunktionen ergibt

(

)

dU1 = ∂U1 / ∂x1A ⋅ dx1A

Dann weist der Konsum des Gutes A durch Individuum 2 externe Effekte auf, weil sich der Nutzen des ersten Konsumenten mit der von Individuum 2 konsumierten Menge des Gutes A ändert. Ein Beispiel für einen positiven externen Effekt ist der Fall, dass Gut A Gartenblumen sind. Wenn Individuum 2 seinen Garten bepflanzt, freut dies nicht nur ihn selbst, sondern auch seinen Nachbarn Individuum 2. Ebenso gut können aber negative externe Effekte auftreten, beispielsweise durch das Rauchverhalten eines Nachbarn. Angenommen sei, dass der Rauch vom Balkon der Person  2 direkt auf den Balkon der Person  1 zieht. Wenn Gut A nun Zigaretten sind, dann ändert sich mit der Zahl der von Individuum 2 gerauchten Zigaretten auch der Nutzen der Person 1, aber diesmal negativ. Jedes Individuum bestimmt seine Konsummengen für eine gegebene Budgetbeschränkung

wobei yi mit i=1,2 das jeweilige Haushaltseinkommen bezeichnet. Wenn jeder Haushalt die Mengen so wählt, dass sein eigener Nutzen unter der gegebenen Budgetbeschränkung maximal wird, dann stimmen die Grenzraten der Substitution (GRS) mit dem Güterpreisverhältnis überein und es gilt (zur allgemeinen Erläuterung der Konsumentscheidung von Haushalten siehe beispielsweise Varian 2016):

(Gl. 1.18)

( + ( ∂U

+ ∂U1 / ∂x 1



B 1

/ ∂x

A 2

) ⋅ dx ) ⋅ dx

(

B 1 A 2

)

(Gl. 1.20)

dU 2 = ∂U 2 / ∂x2A ⋅ dx2A

(

)

(Gl. 1.21) + ∂U 2 / ∂x ⋅ dx . Der letzte Term der ersten Gleichung gibt den externen Effekt wieder, der bei individueller Nutzenmaximierung unberücksichtigt bleibt, der aber beachtet werden muss, um das gesellschaftliche Optimum zu erreichen. Im gesellschaftlichen Optimum des 2-Personen-2-Güter- Falls wird zur Berechnung der effizienten Allokation der Nutzen von Konsument 1 maximiert, unter den Nebenbedingungen, dass der Nutzen von Konsument  2 konstant bleibt (Nebenbedingung  1) und die Budgetbedingungen der beiden Konsumenten beachtet werden (Nebenbedingungen 2 und 3). Die Lagrange-Funktion lautet dann wie folgt: B 2

B 2

17

1.5 Marktversagen aufgrund externer Effekte

(

L = U1 x1A ,x1B ,x2A

(

)

Nach dieser Regel ergibt sich für Individuum 1 das Mengenverhältnis der beiden Güter wie folgt:

)

+λ1 (U 2 − U 2 x2A ,x1A ,x2B )

( +λ ( y

) ⋅ x ).

+λ2 yi − pA ⋅ x + pB ⋅ x1B

3

A 1

2 − p A ⋅ x + pB A 2

B 2

(Gl. 1.22)

Maximierung der Lagrange-Funktion über x2A zeigt, dass der Einfluss der von Individuum  1 konsumierten Menge von Gut A auf den Nutzen von Individuum 2 im sozialen Optimum berücksichtigt werden muss. Die obige Argumentation lässt sich nochmals nachvollziehen, wenn man die Nutzenfunktionen der Individuen weiter spezifiziert. Dies soll für den Fall eines positiven externen Effektes geschehen. Dabei seien Gut A Blumen und Gut B Schokolade. Nehmen wir an, dass es sich bei den Blumen von Individuum 2 um eine positive Externalität handelt, weil auch Individuum  1 von seinem Wohnzimmer aus den Garten betrachten kann und sich an den eingepflanzten Blumen erfreut. Zur Vereinfachung des Beispiels soll angenommen werden, dass dies umgekehrt nicht gilt, weil Individuum  2 die Balkonblumen seines Nachbarn gar nicht sehen kann. Wenn Individuum  2 die positive Wirkung seiner Gartenbepflanzung auf Individuum  1 nicht in sein Optimierungskalkül einbezieht, dann wird er zu wenige Blumen pflanzen. Die Nutzenfunktionen der beiden Individuen seien gegeben mit

(

U1 = x1A ⋅ x1B ⋅ x2A

( )

U2 = 2 ⋅ x

A 2

0 ,5

)

0 ,5

,

( )

+ 10 ⋅ x

B 2

(Gl. 1.23)

0 ,5

.

(Gl. 1.24)



) (

GRSi = ∂Ui / ∂xiB / ∂Ui / ∂xiA

= pB / pA i = 1, 2.

)

(Gl. 1.25)

x1B = 2 ⋅ x1A .

(Gl. 1.26)

Einsetzen in die Budgetrestriktion 10 = ­0,5 ⋅ x1A + 0, 25 ⋅ x1B ergibt x1A = 10 und x1B = 20. Für Individuum 2 ergibt sich das Mengenverhältnis entsprechend als

x2B = 100 ⋅ x2A .

(Gl. 1.27)

Einsetzen in die Budgetrestriktion 10,2=0,5 ⋅ x2A + 0, 25 ⋅ x2B ergibt x2A = 0, 4 und x2B = 40. Aus den von den Individuen unabhängig voneinander gewählten Gütermengen ergeben sich die jeweiligen Nutzenniveaus

U1 = 10 ⋅ 20 ⋅ 0, 4 = 8, 94,

(Gl. 1.28)

U 2 = 2 ⋅ 0, 4 + 10 ⋅ 40 = 64, 5. (Gl. 1.29)

Nun lässt sich leicht zeigen, dass diese Allokation nicht effizient ist, denn es ist möglich, durch Umschichtung des Gutes A zwischen den beiden Haushalten die Nutzenniveaus beider Individuen zu erhöhen. Nimmt man beispielsweise Haushalt 1 eine Blume weg und gibt sie Haushalt 2, dann zeigen sich für beide Individuen höhere Nutzenniveaus. Für x1A = 9, x1B = 20 x2A = 1, 4 und x2B = 40 ergibt sich

Die Preise seien mit pA  =  0, 5 und pB  =  0, 25 gegeben, die Einkommen mit y1 = 10 und y2 = 10, 2. Bei individueller Nutzenmaximierung unter der jeweiligen Budgetrestriktion wählen die Haushalte das Mengenverhältnis der beiden Güter gemäß der Regel

(





U1 = 9 ⋅ 20 ⋅ 1, 4 = 15, 8,

(Gl. 1.30)

U 2 = 2 ⋅ 1, 4 + 10 ⋅ 40 = 65, 6. (Gl. 1.31)

Aus der hier erläuterten Ineffizienz ist aber noch nicht ersichtlich, wie das Marktversagen aufgrund der externen Effekte verhindert werden kann, denn die Allokation x1A = 9, x1B = 20, x2A = 1, 4 und x2B = 40 ist bei den gegebenen Preisen und Einkommen für Haushalt 2 nicht finanzierbar. Es könnte sich allerdings für Haushalt 1 lohnen, seinem Nachbarn einen Zuschuss zu den Gartenblumen zu zahlen, damit er seinen Garten im sozial optimalen Ausmaß bepflanzt.

1  Statische Grundlagen

18

Andererseits könnte auch die Kommune, in der die beiden Haushalte angesiedelt sind, einen Zuschuss zu den Kosten der Blumen geben oder gar eine bestimmte Gartenbepflanzung vorschreiben. Die Strategie zur Internalisierung externer Effekte muss an diesen Überlegungen anknüpfen (siehe hierzu Abschn. 1.8 und 1.9 sowie die Rechenbeispiele in Kap. 9). Positive externe Effekte zwischen Konsumenten finden sich in der Realität vielfach im gesundheitsökonomischen Kontext. So hat gesundheitsbewusstes Handeln eines Individuums positive Auswirkungen auf die übrigen Mitglieder der Gesellschaft. Geht man beispielsweise davon aus, dass ein Individuum gesünder ist, wenn es sich von Bioprodukten ernährt, dann reduziert dies die Kosten der Sozialversicherung und wirkt sich damit bei einer solidarischen Krankenversicherung positiv auf alle übrigen Versicherten aus. Zudem ist das Individuum leistungsfähiger, es arbeitet mehr und zahlt mehr Steuern, so dass die Steuern der übrigen Gesellschaftsmitglieder gesenkt werden können. Werden diese positiven externen Effekte des Konsums von Bioprodukten vernachlässigt, dann fällt der Konsum dieser Produkte aus gesellschaftlicher Sicht zu gering aus. Mögliche Strategien zur Internalisierung der positiven externen Effekte sind dann beispielsweise Subventionen, die die Konsumentenpreise für Bioprodukte senken. Analoge Überlegungen können für Präventionsmaßnahmen im Gesundheitsbereich wie beispielsweise die Teilnahme an Sport- oder Ernährungskursen angestellt werden. Ein häufig zitiertes Beispiel für positive externe Effekte im Konsumbereich sind schließlich auch Impfungen, denn der Impfschutz einer Person bedeutet zugleich ein verringertes Krankheitsrisiko für andere Personen. Analog zu den externen Effekten im Konsumbereich lässt sich das Problem der externen Effekte darstellen, wenn diese zwischen Konsumenten und Produzenten auftreten. Betrachtet werden ein Unternehmen und ein Konsument. Dabei soll angenommen werden, dass bei der Produktion eines Gutes x ein externer Effekt auftritt, der den Nutzen des Konsumenten verändert. Der Nutzen U des Individuums hängt annahme-

gemäß vom Konsumgut y und der Produktionsmenge des Gutes  x ab. Der Gewinn  G des Un­ ternehmens wird dagegen nur von seiner Produktionsmenge  x bestimmt. Ein Anwendungsfall ist eine Raffinerie, die Benzin produziert und dabei proportional zur produzierten Gütermenge Schadstoffe in die Luft emittiert, die die Gesundheit der Anwohner beeinträchtigen. Sowohl das Unternehmen als auch das Individuum nehmen die Faktor- und Güterpreise als gegeben hin. Die Güterpreise seien mit px, py und der Lohnsatz mit w gegeben. Die Produktionsfunktion x  =  f(N)  des Unternehmens hänge von der eingesetzten Menge an Arbeitsstunden N ab. Der Haushalt maximiert seinen Nutzen unter einer gegebenen Budgetbedingung durch die Auswahl der Menge y, das Unternehmen maximiert seinen Gewinn durch die Auswahl der Menge N.

U = U ( y,x )

(Gl. 1.32)



y = py ⋅ y

(Gl. 1.34)

(Gl. 1.33) G = G ( f ( N ) ) Gewinnmaximierung über L ergibt, dass das Wertgrenzprodukt gleich den Faktorkosten sein muss. Dabei vernachlässigt das Unternehmen, dass der Nutzen des Haushalts von der Menge des Gutes x abhängig ist, denn dies ist nicht Bestandteil der Gewinnfunktion, sondern der externe Effekt. Allokative Effizienz bedeutet dagegen, dass der Nutzen des Individuums unter der Bedingung maximiert wird, dass der Gewinn des Unternehmens konstant gehalten wird und die Budgetbedingung eingehalten wird. Für den einfachen Fall, dass das Budget des Haushalts mit

gegeben ist und die Gewinnfunktion des Unternehmens

G ( f ( N ) ) = px ⋅ f ( N ) − w ⋅ N



(Gl. 1.35)

lautet, ergibt sich die Lagrange-Funktion zu L = U ( y,x ) + λ1 ( y − py ⋅ y)



+λ2 (G − ( px ⋅ f ( N ) − w ⋅ N )).

(Gl. 1.36)

19

1.5 Marktversagen aufgrund externer Effekte

Auch hier soll an einem Beispiel verdeutlicht werden, dass bei individueller Nutzen- und Gewinnmaximierung das soziale Optimum verfehlt wird. Gegeben sei die Nutzenfunktion

U ( x,y ) = 10 ⋅ y − 0, 05 ⋅ x

(Gl. 1.37)



und die Produktionsfunktion

x = f ( N ) = 100 ⋅ N

(Gl. 1.38)



Die Güterpreise seien mit px = 10, py =1 und die Lohnkosten je Stunde mit w = 5 gegeben. Das Unternehmen maximiert seinen Gewinn über N:

G = 10 ⋅ 100 ⋅ N − 5 ⋅ N .

(Gl. 1.39)

Mit dem Einsatz von N = 10.000 Arbeitsstunden und einer Produktion

x = f (10.000 ) = 100 ⋅ 10.000



(Gl. 1.40)

erreicht das Unternehmen den höchstmöglichen Gewinn, verursacht damit aber einen externen Effekt beim Haushalt. Der Haushalt habe ein Einkommen von y das er vollständig für 9 Einheiten des Konsumgutes ausgibt, sein Nutzen beträgt dann

U = 10 ⋅ 9 − 0, 05 ⋅ 10.000 .

(Gl. 1.41)

Aufgrund des externen Effekts verringert sich der Nutzen des Haushalts um 0, 05 ⋅ x , hier also um 5 Einheiten. Diesen externen Effekt berücksichtigt das Unternehmen bei seiner Gewinnmaximierung nicht. Dies würde sich allerdings ändern, wenn beispielsweise eine Emissionsabgabe in Höhe des externen Effektes erhoben würde (Abschn.  1.8 und  9.4). Denkbar wäre es auch, dass der Haushalt und das Unternehmen in Verhandlungen eintreten mit dem Ziel, sich mithilfe von Ausgleichszahlungen auf die gesellschaft­ lich erwünschte Produktionsmenge zu einigen (Abschn. 1.9 und 9.8). Negative externe Effekte zwischen Unternehmen und Haushalten sind in der Praxis zahlreich.

Sie treten beispielsweise häufig dann auf, wenn sich in einem Stadtviertel Produktionsstätten und Wohngebäude befinden. Von den Produktionsstätten können Emissionen ausgehen, beispielsweise Lärm und Luftverschmutzung, die den Nutzen der Anwohner verringern, weil sie beispielsweise zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen und vorzeitige Todesfälle verursachen. In der Praxis finden sich dann häufig ordnungsrechtliche Maßnahmen (Abschn.  1.8 und  9.2), um das Problem zu lösen. Neben den kleinräumigen externen Effekten sind auch Klimafolgeschäden Beispiele für externe Effekte zwischen Konsumenten und Produzenten. So beziffert das Umweltbundesamt (Umweltbundesamt (UBA) 2014) die Gesundheitsschäden aus der Luftverschmutzung im Zusammenhang mit der Energieerzeugung in Euro 2010 pro Tonne Emission wie folgt: PM25 verursacht Gesundheitsschäden von 55.400  Euro, PM10 von 39.700  Euro, NH3von 18.200 Euro und NOxvon 12.600 Euro. Auch zwischen Unternehmen kann es zu externen Effekten kommen. Ein traditionelles Beispiel für externe Effekte ist der Schaden, der einem Fischer entsteht, wenn eine Papierfabrik oberhalb seines Fanggebiets Abwasser in einen Fluss einleitet. Das Abwasser verursacht ein Fischsterben, es gibt also im Umkreis des Fischers weniger Fische, so dass die Kosten des Fischfangs steigen. Der Gewinn der Papierfabrik sei abhängig von der produzierten Papiermenge x, dem Marktpreis px je Tonne Papier und den Kosten der Papierproduktion  KP in Abhängigkeit der produzierten Papiermenge:

GP = p x ⋅ x − K P ( x ) .

(Gl. 1.42)



Der Gewinn des Fischers sei abhängig von der Fangmenge  y und von der produzierten Papiermenge x. Dabei bezeichne py den Marktpreis je Tonne Fisch und KF(y, x)  die Kosten des Fischfangs. Dann lautet die Gewinnfunktion  GF des Fischers

GF = py ⋅ y − K F ( y,x ) .



(Gl. 1.43)

Wenn jedes Unternehmen isoliert seinen Gewinn über seine jeweilige Produktionsmenge maxi-

1  Statische Grundlagen

20

miert, treten beim Fischer negative externe Effekte auf und es wird zu viel Papier produziert. Die gesamtgesellschaftlich optimalen Produktionsmengen lassen sich ermitteln, wenn man unterstellt, dass beide Firmen fusionieren und dann den gemeinsamen Gewinn G maximieren:

max G = GP ( x ) + GF ( y,x ) . x,y

(Gl. 1.44)

Zur Veranschaulichung soll auch hier die Vorgehensweise an einem Zahlenbeispiel nachvollzogen werden. Angenommen der Papierpreis betrage px = 200, der Preis für Fisch py = 100, die Kostenfunktionen seien gegeben als

KP = 5 ⋅ x2 ,

(Gl. 1.45)



K F = y 2 + x ⋅ y.

(Gl. 1.46)

Dann lautet die Gewinnfunktion GP des Papierproduzenten

GP = 200 ⋅ x − 5 ⋅ x 2 .

(Gl. 1.47)

Die Gewinnfunktion GF  des Fischers ist

GF = 100 ⋅ y − y 2 − x ⋅ y.

(Gl. 1.48)

Wenn jedes Unternehmen unabhängig vom anderen seinen Gewinn maximiert, dann werden die Mengen x = 20 und y = 40 gewählt. Damit ist allerdings aufgrund des externen Effekts das gesamtwirtschaftliche Optimum verfehlt. Letzteres ergibt sich aus der Maximierung der gemeinsamen Gewinnfunktion G über x und y:



G = 200 ⋅ x − 5 ⋅ x 2 +100 ⋅ y − y 2 − x ⋅ y.

(Gl. 1.49)

Nun zeigt sich, dass der gemeinsame Gewinn maximal wird, wenn die Mengen x = 15, 8 und y = 42, 1 gewählt werden. Verglichen mit der isolierten Gewinnmaximierung der beiden Unternehmen ist die Papiermenge nun geringer und die Fischmenge höher. Auch für externe Effekte zwischen Produktionsunternehmen finden sich in der Praxis zahlreiche Beispiele. So beziffert das Umweltbundesamt

(Umweltbundesamt (UBA) 2014) beispielsweise die Ernteschäden aus der Luftverschmutzung im Zusammenhang mit der Energieerzeugung in Euro 2010 pro Tonne Emission wie folgt: NOx verursacht Ernteschäden von 500  Euro, NMVOC verursacht Ernteschäden von 300 Euro. Tab. 1.6 gibt Beispiele für positive und negative externe Effekte. Der Zusammenhang zwischen individuellen Nutzen- und Gewinnfunktionen und externen Effekten lässt sich auch anhand des Marktdiagramms (Preis-Mengen-Diagramm) interpretieren. Im Folgenden soll von einem unilateralen externen Effekt ausgegangen werden. Als Beispiel soll die Produktion eines Gutes dienen, bei der Schadstoffe in die Luft ausgestoßen werden. Dabei ist die emittierte Schadstoffmenge proportional zur Produktionsmenge. Durch die Emission wird die Produktion eines anderen Unternehmens beeinträchtigt und die Gesundheit der Bevölkerung geschädigt, es entstehen Behandlungskosten für Krankheiten. Relevant sind zwei Arten von Kosten, nämlich Vermeidungskosten und Schadenskosten. Als Vermeidungskosten werden Kosten zur Reduktion von Emissionen bezeichnet. Sie entstehen durch eine Aktivität, z. B. durch den Einbau eines Luftfilters oder durch den Verzicht auf die Produktion. Im letzteren Fall sind die Vermeidungskosten so hoch wie die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten für das Produkt. Als Schadenskosten werden die Kosten der Schäden bezeichnet, die durch Emission entstehen, im Beispiel die Krankheitskosten aufgrund von Luftverschmutzung. Die Gesamtkosten ergeben sich als Summe aus Vermeidungs- und Schadenskosten. Die gesamtwirtschaftlich optimale Produktionsbzw. Emissionsmenge ergibt sich im Minium der Gesamtkosten. Die Gesamtkosten werden minimal, wenn Grenzvermeidungskosten (GVK) den Grenzschadenskosten (GS) entsprechen. Als Grenzvermeidungskosten werden dabei die Kosten der letzten vermiedenen Einheit bezeichnet, als Grenzschadenskosten die Kosten der Schäden aufgrund der letzten produzierten Einheit. Die Angebotskurve entspricht den privaten Grenzkosten der Produktion aus Sicht der produzierenden Unternehmen. Bei externen Effekten entstehen zusätzlich externe Grenzkosten. Aus der Addition der privaten Grenzkosten und der

1.5 Marktversagen aufgrund externer Effekte

21

Tab. 1.6  Beispiele für negative und positive externe Effekte. (Quelle: Eigene Darstellung) Positive externe Effekte -  Die Tätigkeit der Landwirtschaft führt durch Bereitstellung von Kulturlandschaften zu Gewinnsteigerungen der Tourismusbranche. Die Gewinnsteigerungen der Tourismusbranche sind der positive externe Effekt. -  Die Teilnahme von Arbeitnehmern an Sportkursen verbessert die Gesundheit der Bevölkerung. Dadurch sinkt der Krankenstand in den Unternehmen und die Steuereinnahmen des Staates steigen. Die gestiegenen Steuereinnahmen sind der positive fiskalische externe Effekt. -  Der betriebliche Gesundheitsschutz in einem Unternehmen führt langfristig zur Verbesserung der Gesundheit der Mitarbeiter. Dadurch steigt die gesamtwirtschaftliche Produktivität, es profitieren auch andere Unternehmen. Die positiven Effekte für die übrigen Unternehmen sind die externen Effekte. -  Die Forschung und Entwicklung eines Unternehmens führt zur Entstehung von Wissen. Von diesem Wissen profitieren auch andere Firmen. Die Produktivitätsgewinne für die anderen Unternehmen sind der positive externe Effekt. -  Ein Individuum absolviert ein Studium. Dadurch steigt nicht nur sein erwartetes Einkommen, sondern er engagiert sich auch in einer gemeinnützigen Organisation und treibt Sport, der seine Gesundheit verbessert. Die reduzierten Behandlungskosten und die Erhöhung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt aufgrund des bürgerschaftlichen Engagements entsprechen dem externen Effekt.

externen Grenzkosten ergeben sich die sozialen Grenzkosten. Die Kurve der sozialen Grenzkosten kann insofern als gesamtwirtschaftliche Angebotskurve interpretiert werden, als sie die gesamten Grenzkosten der Produktion widerspiegelt. Die gesamtwirtschaftliche Nachfragekurve entspricht der marginalen Zahlungsbereitschaft der Konsumenten, also dem Grenznutzen der Konsumenten aus dem Konsum des jeweiligen Gutes. Im gesellschaftlichen Optimum x∗∗ entsprechen sich soziale Grenzkosten und Grenznutzen der Konsumenten. Es zeigt sich, dass bei Einbeziehung der externen Kosten im Optimum weniger produziert wird als im Marktgleichgewicht ohne Regulierung  x∗. Abb.  1.3 stellt die negativen externen Effekte und das daraus folgende Marktversagen grafisch dar. Auch dieser Zusammenhang lässt sich an einem Zahlenbeispiel nachvollziehen. Betrachtet wird ein Energie erzeugendes Unternehmen, das die Luft verschmutzt und damit Schäden bei pri-

Negative externe Effekte -  Die Gebiete eines Viehzüchters und eines Farmers grenzen direkt aneinander und es gibt keinen Zaun zwischen den Gebieten. Durch streunendes Vieh sinkt die Erntemenge des Farmers. Die Gewinnminderung des Farmers ist der negative externe Effekt. -  Eine Papierfabrik setzt sauberes Wasser als Produktionsfaktor ein. Im Abwasser der Papierfabrik befindet sich Cellulose, die in Gewässer gelangt. Folgen sind Algenwachstum und Fischsterben. Das Fischsterben verringert den Gewinn eines Fischers. Der verminderte Gewinn des Fischers ist der negative externe Effekt. -  Passivrauchen verursacht Lungenkrebs. Die Behandlungskosten sind der negative externe Effekt. -  Autofahren verursacht Emissionen, die zu Lungenkrankheiten führen. Die Behandlungskosten sind der negative externe Effekt. -  Landwirte setzen Stickstoff ein, um zu düngen. Sie maximieren damit ihre Gewinne. Der Stickstoff wird als Nitrat ins Grundwasser ausgewaschen. Nitrat ist giftig und verursacht Gesundheitsschäden. Die Behandlungskosten entsprechen dem externen Effekt.

vaten Haushalten und anderen Unternehmen anrichtet. Die Nachfragefunktion  pD (Kurve der marginalen Zahlungsbereitschaft) des Energieerzeugers seien wie folgt gegeben:

p D = 500 − 50 ⋅ x.

(Gl. 1.50)

Die Angebotskurve pS also die privaten Grenzkosten der Produktion des Energieerzeugers seien

p S = 50 ⋅ x.

(Gl. 1.51)

Die Grenzschäden GS, die den privaten Haushalten und anderen Unternehmen durch die vom Energieerzeuger verursachte Luftverschmutzung entstehen, seien

GS = 25 ⋅ x.

(Gl. 1.52)

Das Gewinnmaximum des Energieerzeugers liegt im Schnittpunkt der Nachfragefunktion pD

1  Statische Grundlagen

22

Abb. 1.3  Negative externe Effekte und Marktversagen. (Quelle: Eigene Darstellung)

und der privaten Grenzkostenfunktion pS, es muss also gelten p D = p S ;



(Gl. 1.53)

auffassen. Für das obige Beispiel soll nun angenommen werden, dass es einen positiven sozialen Grenznutzen je Einheit in Höhe von

damit ergibt sich die aus Unternehmenssicht bestmögliche Menge x∗  =  5. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht lautet die Bedingung für ein Optimum dagegen

p = p + GS. D

S

(Gl. 1.54)

Die gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Aus­ bringungsmenge des Energieerzeugers ist damit x∗∗ = 4. Auch positive externe Effekte der Produktion lassen sich mithilfe des Marktdiagramms veranschaulichen. Beispielsweise ermittelt das Umweltbundesamt (Umweltbundesamt (UBA) 2014) positive externe Effekte aus der Luftverschmutzung im Zusammenhang mit der Energieerzeugung auf die Ernteerträge. In Euro pro Tonne Emission beziffert das Umweltbundesamt für 2010 die positiven Effekte für die Landwirtschaft wie folgt: SO2 verursacht Ernteschäden von −100 Euro und auch NH3 verursacht Ernteschäden von −100 Euro. Diese lassen sich als negative Grenzschadenskosten (GS) oder positive soziale Grenznutzen (SGN) der Produktion

SGN = 25 ⋅ x

(Gl. 1.55)

gebe. Aus individueller Sicht lautet die Bedingung für ein Optimum nach wie vor

p D = pS

(Gl. 1.56)

und die aus Unternehmenssicht bestmögliche Menge bleibt x∗=5. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht lautet die Bedingung für ein Optimum dagegen jetzt

p D + SGN = p S .

(Gl. 1.57)

Die gesamtgesellschaftlich wünschenswerte Men­ge des Gutes, von dem positive externe Effekte ausgehen, lässt sich nun mit x∗∗ = 6,67 beziffern. Ohne Internalisierung wird im Fall positiver externer Effekte aus gesamtgesellschaftlicher Sicht zu wenig produziert. Abb. 1.4 veranschaulicht die positiven externen Effekte. Das prominenteste Beispiel für positive externe Effekte ist die Wissensproduktion. Wissen diffundiert schnell und mit relativ geringen Kosten, so dass die private Bereitstellung von Wissen

1.5 Marktversagen aufgrund externer Effekte

23

Abb. 1.4  Positive externe Effekte. (Quelle: Eigene Darstellung)

zu einem zu geringen Angebot führt, wenn es keine Regulierung gibt. Forschung durch private Unternehmen wird in zu geringem Umfang durchgeführt, wenn die Ergebnisse ein breites Anwendungsfeld haben und sich nicht durch Patente schützen lassen. Umgekehrt entstehen durch Wissensdiffusion Wachstumseffekte, so dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, Forschungsergebnisse möglichst vielen Akteuren zugänglich zu machen. Dies setzt jedoch eine öffentliche Finanzierung der Forschungseinrichtungen voraus. Ein weiteres Beispiel aus der Regional- und Stadtökonomik ist die Sanierung von Stadtvierteln. Werden mehrere Häuserfronten eines Straßenzuges renoviert, dann kommt dies nicht nur den Eigentümern der sanierten Gebäude selbst zugute, sondern auch allen übrigen Hauseigentümern der betreffenden Straße, die ihre Häuser selbst nicht sanieren lassen, aber aufgrund eines verbesserten Stadtbildes höhere Mieten erzielen. Im Gesundheitsbereich gibt es zahlreiche Beispiele für positive externe Effekte wie beispielsweise im Zusammenhang mit der Erforschung von Krankheiten oder der Eindämmung von Infektionen. Die externen Effekte sollen hier am Beispiel von Impfungen erläutert werden. Zunächst sei angenommen, dass eine Impfung aus Sicht des Patienten einen Nutzen stiftet, weil das Erkrankungsrisiko sinkt. Andererseits verursacht

die Impfung für den Patienten auch Kosten, beispielsweise monetäre Kosten für den Impfstoff oder die Busfahrkarte zur Arztpraxis oder auch Zeitkosten, denn der Arztbesuch ist mit Wartezeit und Fahrzeit verbunden. Nimmt man weiter an, dass der Patient durch das geringere Erkrankungsrisiko ein höheres erwartetes Einkommen hat, dann ist der Patient bis zu einer gewissen Summe bereit, für die Impfung zu bezahlen. Die Zahlungsbereitschaft hängt davon ab, wie risikoscheu ein Patient ist. Ein risikoscheuer Patient hat eine höhere Zahlungsbereitschaft als ein risikoneutraler oder gar ein risikofreudiger Patient. Ist der Patient versichert, so kann dies seine Impfneigung steigern. Trotz der Versicherung kann es aber sein, dass die Impfbereitschaft in der Bevölkerung insgesamt zu gering ist, weil jeder Patient nur sein eigenes zukünftiges Einkommen betrachtet und dabei übersieht, dass auch die gesamtwirtschaftliche Produktivität steigt, wenn weniger Menschen erkranken und einander anstecken. Nicht zuletzt der Staat profitiert hiervon durch ansteigende Steuereinnahmen. Die gestiegene gesamtwirtschaftliche Produktivität, die daraus ­resultierenden positiven Wachstumseffekte und die zusätzlichen Steuereinnahmen sind die positiven externen Effekte (Abschn. 2.2). Liegen positive externe Effekte vor, dann ist die von den Patienten ohne staatliche Eingriffe gewählte

1  Statische Grundlagen

24

Impfmenge zu gering. Ziel der Internalisierung der positiven externen Effekte ist es, die Impfungen durch staatliche Maßnahmen so zu verbilligen, dass die Patienten aus eigenem Antrieb die gesamtwirtschaftlich optimale Menge an Impfungen auswählen.

1.6

Meritorisierung und Demeritorisierung

Beginnend mit dem Beitrag von Musgrave (1957) wird in der finanzwissenschaftlichen Literatur von Meritorisierung und Demeritorisierung gesprochen, wenn der Staat den Konsum bestimmter Güter für besonders wünschenswert hält und deshalb fördert (Meritorisierung) oder für besonders unvorteilhaft hält und deshalb bestraft (Demeritorisierung) (kritisch dazu Molitor 1981). Meritorisierung bzw. Demeritorisierung findet statt, ohne dass es sich bei den Staatseingriffen um die Korrektur von Marktversagen infolge externer Effekte oder öffentlicher Güter handelt (das Folgende in Anlehnung an Gawel 2009). Meritorische Güter weisen die Eigenschaften reiner privater Güter auf, also Rivalität im Konsum und Ausschlussmöglichkeiten vom Konsum. So können beispielsweise Tabak oder Rauschmittel als reine private Güter angesehen werden, deren Allokation prinzipiell über den Markt erfolgen sollte. Beim Tabakkonsum treten allerdings Schadstoffemissionen auf, die die Gesundheit anderer Personen beeinträchtigen, also negative externe Effekte aufweisen. Damit ist für den Tabakkonsum wiederum die Internalisierung externer Effekte erforderlich, beispielsweise über eine Besteuerung oder ein Rauchverbot. Wird der Tabakkonsum besteuert, dann handelt es sich deshalb nicht um Demeritorisierung, sondern um Internalisierung (diese Interpretation ist in der Finanzwissenschaft aber nicht unumstritten, siehe hierzu beispielsweise Fehl und Oberender 2004). Anders liegt der Fall beim Rauchmittelkonsum. Nimmt man an, dass vom Rauschmittelgenuss keine externen Effekte ausgehen, dann gibt es aus allokativer Sicht keinen Grund, den Konsum zu verringern. Dennoch ist der Konsum von Rauschmitteln

nach dem Betäubungsmittelgesetz verboten. Zur Begründung eines solchen Staatseingriffs wird auf Informationsdefizite, Irrationalität und verzerrte Zeitpräferenzraten verwiesen. Im Fall der Informationsdefizite kann Marktversagen dadurch entstehen, dass Marktteilnehmer entweder über unzureichende Informationen oder mangelhafte Informationsverarbeitungskapazitäten verfügen (Abschn. 1.10), so dass sie Entscheidungen treffen, die sie nicht treffen würden, wenn sie ausreichend informiert wären oder alle zur Verfügung stehenden Informationen sinnvoll nutzen könnten. Im Fall des Rauschmittelgenusses bedeutet dies, dass sich Personen, die alle medizinischen Studien über die Folgen des Konsums kennen und verstehen, gegen die Rauschmittel entscheiden würden. Der Staat als besser informierter Akteur verhilft den potenziellen Rauschmittelkonsumenten durch die Verbote zur Nutzenmaximierung. Eng mit dieser Argumentation verknüpft ist der Gedanke, dass Personen, die Rauschgift konsumieren, irrational handeln. Die Rationalität der Entscheidungsträger ist aber eine Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit von Märkten. Handeln Personen nicht rational, so kann nicht mehr von der Vorteilhaftigkeit von Marktergebnissen ausgegangen werden, es müssen also andere Allokationsmechanismen greifen. Im Fall des Rauschmittels könnte man argumentieren, dass Rauschmittelkonsumenten nicht rational handeln und daher von einem paternalistischen Staat vor dem Konsum geschützt werden müssen. Eine Verzerrung der Zeitpräferenzraten liegt dann vor, wenn Individuen der Zukunft aus Sicht des Staates eine zu geringe Bedeutung beimessen (myopisches Verhalten). Typischerweise bewerten Individuen gegenwärtigen Konsum höher als zukünftigen. Dies ist auch nachvollziehbar, denn über die Zukunft besteht in der Regel Ungewissheit. Bittet man ein Individuum, den Konsum eines Gutes in die Zukunft zu verschieben, also zu sparen, verlangt es für die Verschiebung eine Kompensation, den Zins. Der Grund dafür liegt in der Ungewissheit da­ rüber, ob der Konsum in Zukunft tatsächlich stattfindet, denn schließlich könnte es auch sein, dass das Individuum die künftige Periode

1.7 Staatliche Internalisierungsstrategien

nicht mehr erlebt. Im Fall des Rauschmittelkonsumenten lässt sich argumentieren, dass der Nutzen des Konsums (Rausch) in der Gegenwart stattfindet, die Kosten (Krankheit) dagegen in der Zukunft liegen. Eine zu hohe Bewertung des gegenwärtigen Nutzens bedeutet in diesem Fall zu hohen Rauschmittelkonsum und kann als Rechtfertigung für Demeritorisierung dienen. Umgekehrt liegt der Fall, wenn die Kosten eines Gutes in der Gegenwart anfallen und die Nutzen in der Zukunft liegen, hier kann ein Ansatzpunkt für Meritorisierung liegen. Dies betrifft beispielsweise die Krankheitsvorsorge. Werden die Kosten der Krankheitsvorsorge (Versicherungsbeiträge) von den Individuen zu hoch bewertet, der zukünftige Nutzen (Auszahlung im Krankheitsfall) dagegen zu gering, dann werden aus staatlicher Sicht zu wenige Risiken versichert. Individuen müssen demzufolge entweder einen Anreiz erhalten, sich höher zu versichern (Subvention), oder es muss ein Versicherungszwang (Gebot) eingeführt werden. Im Fall der Krankenversicherung kommt noch hinzu, dass Individuen ohne den Versicherungszwang zum Trittbrettfahren neigen würden, wenn sie davon ausgehen könnten, dass sie im Krankheitsfall steuerfinanzierte staatliche Hilfe erhalten. Im Gesundheitsbereich finden sich also zahlreiche Beispiele für Meritorisierung und Demeritorisierung. Die Rechtfertigung der Staatseingriffe erfolgt in diesem Fall nicht aufgrund von Marktversagen, sondern aufgrund von Zweifeln an der Gestalt individueller Präferenzen und der Rationalität individueller Entscheidungen. Solche Zweifel sind in einer neoklassischen Modellwelt generell nicht üblich, sondern zeugen vielmehr von einer paternalistischen Staatsauffassung, die in Wohlfahrtsstaaten zuweilen anzutreffen ist (Kap. 4).

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1.7

Staatliche Internalisierungsstrategien

Staatliche Internalisierungsstrategien lassen sich grundsätzlich in zwei große Gruppen unterscheiden, ordnungspolitische Instrumente einerseits und anreizpolitische Instrumente andererseits. Ordnungspolitische Instrumente haben traditionell die größte Bedeutung in der Umwelt- und Gesundheitspolitik, hierunter fallen Gebote, Verbote und Verhaltensstandards. Unter anreizorientierten Instrumenten versteht man Abgabenlösungen wie die Pigou-Steuer (Pigou 1912, siehe dazu Schröter et  al. 2010) oder den Preis-­ Standard-­ Ansatz (Baumol/Oates, siehe dazu Richter 1995), aber auch Subventionen und Zertifikate. Daneben können auch Verhandlungen zur Internalisierung externer Effekte führen. Die Grundidee der Verhandlungslösung geht auf das Coase-Theorem zurück, aber auch das Haftungsrecht folgt diesem Ansatz. Schließlich kommen auch Selbstverpflichtungen der Verursacher externer Effekte als Lösungsversuch in Betracht. Im Folgenden werden die Kernideen der jeweiligen Internalisierungsstrategien skizziert und Für und Wider der verschiedenen Strategien aufgezeigt (siehe hierzu ausführlich Endres 2013). Tab. 1.7 fasst die unterschiedlichen Ansatzpunkte für Internalisierungsstrategien zusammen. Ziel aller Internalisierungsstrategien ist es, im Fall des in Abb.  1.5 dargestellten negativen externen Effektes die Produktionsmenge x∗∗ zu realisieren. Dabei wird unterstellt, dass sich die Produktionsmenge proportional zur Emissionsmenge verhält und unabhängig von der gewählten Produktionsmenge die gleichen Grenzschäden entstehen. Diese Annahme dient nur der vereinfachenden Darstellung und ist nicht notwendig für die weitere Argumentation. Plausibel wäre es

Tab. 1.7  Internalisierungsstrategien bei externen Effekten. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Endres 2013) Staatliche Internalisierungsstrategien Private Internalisierungsstrategien

1. Auflagen: Gebote, Verbote, Verhaltensstandards 2. Abgaben: Internalisierungsabgaben (Pigou-Steuer), Preis-Standard-Ansatz 3. Subventionen, Zertifikate 1. Verhandlungen: Coase-Theorem 2. Haftungsrecht mit oder ohne Versicherungen 3. Moral: Selbstverpflichtungen

1  Statische Grundlagen

26

Abb. 1.5  Internalisierung negativer externer Effekte. (Quelle: Eigene Darstellung)

auch, von steigenden Grenzschadenskosten auszugehen. In dem Fall wären die Grenzschäden beim unbeteiligten Dritten umso höher, je größer die Emissionsmenge ist. Die im unteren Teil der Abb. 1.5 dargestellten Grenzvermeidungskosten sind die zusätzlichen Kosten, die anfallen, wenn eine weitere Emissionseinheit vermieden wird. Sie können auf zweierlei Weise interpretiert werden. Entweder versteht man die Grenzvermeidungskosten als

Kosten; die durch Aktivitäten wie beispielsweise den Einbau eines Luftfilters entstehen. Oder man interpretiert die Grenzvermeidungskosten als Kosten der Unterlassung von Produktion, genauer als Kosten der letzten nicht produzierten Einheit. In diesem Fall entsprechen die Grenzvermeidungskosten dem Überschuss der marginalen Zahlungsbereitschaft der Konsumenten über den entrichteten Preis. Dieser Überschuss geht verloren, wenn nicht produziert wird. Die

1.7 Staatliche Internalisierungsstrategien

27

Grenzschadenskosten sind die negativen exter- bei auf die Kosteneffizienz zu achten. Kosteneffinen Effekte der Produktion. Im gesellschaftli- zienz setzt voraus, dass im Gleichgewicht alle chen Optimum wird die Summe aus Vermei- Unternehmen die gleichen Grenzvermeidungsdungs- und Schadenskosten minimal. Dies ist der kosten aufweisen. Bei einer Pigou-Steuer ist dies Fall, wenn die Grenzvermeidungskosten den der Fall, weil jedes Unternehmen so viel produGrenzschadenskosten entsprechen. ziert, dass seine Grenzvermeidungskosten dem Ohne staatliche Eingriffe in den Marktprozess Steuersatz t∗ entsprechen. Analoges gilt für Subberücksichtigt der Verursacher des negativen ex- ventionen mit Subventionssatz s∗ oder Zertifikate ternen Effekts die Auswirkungen seines wirt- zum Zertifikatepreis  z∗. Identische Standards schaftlichen Handelns auf Dritte nicht und wählt sind dagegen im Allgemeinen ineffizient. Angedie Produktionsmenge  x∗. Internalisierung be- nommen, die Regierung strebt an, die Gesamtdeutet, dass der Verursacher die externen Kosten emissionen zu halbieren. Wenn jedes Unternehin sein Kalkül einbezieht. Dies ist vollständig ge- men seine Emissionsmenge halbiert, wird das währleistet, wenn er eine Mengensteuer  t∗ auf Ziel erreicht, aber die Grenzvermeidungskosten jede produzierte Einheit entrichten muss. In die- sind unterschiedlich hoch (Abb. 1.6). sem Fall wählt der Verursacher genau die Die Grenzvermeidungskosten hängen vom Menge  x∗∗. Diese Mengensteuer wird als Pi- Anlagentyp ab und variieren von Unternehmen gou-Steuer bezeichnet. Analog zur Pigou-­ zu Unternehmen. In dieser Situation können die Steuer t∗ wirkt die Subvention s∗, die der Verur- Gesamtkosten gesenkt werden, wenn die Vermeisacher für jede Einheit unterhalb von  x∗ erhält, dungslasten zwischen den Unternehmen umgedie er nicht produziert. Die dritte Möglichkeit schichtet werden. Die Unternehmen, die billiger durch Preissteuerung x∗∗ zu realisieren, besteht vermeiden, sollten mehr vermeiden. In Abb. 1.6 darin, Emissionszertifikate zum Preis z∗ zu ver- sollte Unternehmen B demzufolge mehr vermeikaufen. In diesem Fall müssten Unternehmen für den als Unternehmen  A.  Unter dem ordnungsjede produzierte Einheit ein Emissionszertifikat rechtlichen Regime vermeiden beide Unternehzum Preis z∗ kaufen. men gleich viel, der Zustand ist also ineffizient. Die Pigou-Steuer festzulegen stellt jedoch Der Vorzug des Ordnungsrechts liegt in der honicht zuletzt aufgrund der hohen Informationser- hen Treffsicherheit der Maßnahmen. Wenn die fordernisse unrealistische Anforderungen an die Vollzugsbehörden gut ausgestattet sind, dann Regierungsbehörden. Demgegenüber wird nach kann der Staat durch entsprechende Kontrollen dem von Baumol und Oates entwickelten dafür sorgen, dass die angestrebte ProduktionsPreis-Standard-Ansatz zunächst von der Regie- menge x∗∗ eingehalten wird. Bei anreizorientierrungsbehörde eine Emissionshöchstmenge fest- ten Instrumenten besteht dagegen immer die Progelegt, die in einem zweiten Schritt durch Ein- blematik, dass die Wirtschaftssubjekte nicht auf führung einer Abgabe zu möglichst geringen die Anreize reagieren und das Ziel deshalb zuvolkswirtschaftlichen Kosten erreicht werden mindest kurzfristig verfehlt wird. soll. Mit dem Preis-Standard-Ansatz wird das geZum Verständnis des Regulierungsansatzes ∗∗ samtgesellschaftliche Optimum x in der Regel bei negativen externen Effekten sei abschließend verfehlt, eine vollständige Internalisierung des darauf hingewiesen, dass ein generelles Emissiexternen Effektes gelingt also nicht. Es wird je- onsverbot auch ineffizient wäre. Der völlige Verdoch die Emission reduziert und eine Produkti- zicht auf Emission und Produktion wäre nicht onsmenge unterhalb von x∗ realisiert. Es handelt hilfreich, weil dann die gesamtwirtschaftliche sich damit um eine zweitbeste Lösung, die aber Wohlfahrt um die Konsumentenrente, die Produder Mengenbegrenzung durch Ordnungsrecht zentenrente und die staatlichen Steuereinnahmen bei der Menge x∗∗ reduziert würde. immer noch überlegen ist. Im Gegensatz zu den dargestellten anreizoriPositive externe Effekte spielen in der Geentierten Internalisierungsstrategien limitiert das sundheitsökonomik eine große Rolle. Neben ordOrdnungsrecht die Emissionsmenge, ohne da- nungsrechtlichen Instrumenten können positive

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1  Statische Grundlagen

Abb. 1.6  Ordnungsrecht. (Quelle: Eigene Darstellung)

externe Effekte mithilfe von Subventionen internalisiert werden. Dazu soll angenommen werden, dass eine Investition in die eigene Gesundheit, also in das Humankapital, für das Individuum mit Kosten verbunden ist. Die Investition in das eigene Humankapital verbessert annahmegemäß den Gesundheitszustand und damit die Produktivität des Individuums, so dass der Arbeitgeber bereit ist, einen höheren Lohn zu zahlen bzw. auf Lohnkürzung wegen Krankheit zu verzichten. Der private Nutzen ergibt sich demzufolge aus der marginalen Zahlungsbereitschaft der Unternehmen für das zusätzliche Humankapital. Analog ergibt sich der private Nettonutzen als marginale Zahlungsbereitschaft der Unternehmen für das zusätzliche Humankapital abzüglich der privaten Grenzkosten des zusätzlichen Humankapitals. Positive externe Effekte sind in Abb. 1.7 dargestellt. Im individuellen Optimum entsprechen die privaten Grenzkosten der Investition in das Humankapital den privaten Grenzerträgen in

Form höherer Löhne oder sonstiger Zuwendungen des Arbeitgebers. Realisiert wird die Menge x∗ an Gesundheitsinvestitionen. Das individuelle Optimum entspricht jedoch nicht dem gesamtwirtschaftlichen Optimum, weil die positiven externen Effekte der Investition in das Gesundheitskapital vernachlässigt wurden. Diese positiven externen Effekte können entweder darin bestehen, dass die höhere Produktivität in einem Unternehmen auch auf andere Unternehmen ausstrahlt, beispielsweise in Form von Wissens-Spillover-Effekten. Eine andere Form der positiven Auswirkungen auf Dritte sind die fiskalischen externen Effekte, also die höheren Steuereinnahmen infolge steigender gesamtwirtschaftlicher Produktivität. Beide Formen der externen Effekte können internalisiert werden, indem der Betrag s∗ je Einheit der Gesundheitsinvestition vom Staat als Subvention gezahlt wird. Denkbar ist beispielsweise ein staatlicher Zuschuss zu Präventionsprogrammen wie Sport-

1.7 Staatliche Internalisierungsstrategien

29

Abb. 1.7  Positive externe Effekte und Internalisierung. (Quelle: Eigene Darstellung)

oder Ernährungskursen. In diesem Fall subtrahiert das Individuum den Subventionsbetrag von seinen privaten Grenzkosten und setzt das Ergebnis gleich den privaten Grenzerträgen der Humankapitalinvestition. Gewählt wird die Men­ge  x∗∗ an Gesundheitsinvestitionen. Alternativ zur Subventionierung könnte der Staat auch hier das Ordnungsrecht wählen und die Teilnahme

an Präventionsprogrammen wie beispielsweise einer Rückenschule gesetzlich vorschreiben. Ebenso wie im Fall der negativen externen Effekte würde dies jedoch zur Ineffizienz führen, weil alle Personen einer bestimmten Altersgruppe unabhängig von ihrem jeweiligen Gesundheitszustand am Präventionsprogramm teilnehmen müssten.

1  Statische Grundlagen

30

1.8

Private Internalisierung

Geprägt vom allgemeinen Misstrauen gegenüber Staatseingriffen vertrat die Chicago-Schule mit Ronald Coase (1960) in Reaktion auf das Konzept der Pigou-Steuer die Auffassung, dass die Pigou-Steuer die optimale Allokation der Ressourcen verhindert. Grundidee war, dass sich Schädiger und Geschädigter unter gewissen Vo­ raussetzungen privatrechtlich einigen und so die effiziente Lösung erreichen. Kommt dann noch die Pigou-Steuer hinzu, wird dem Buchanan-Stubblebine-Turvey-Theorem zufolge die Allokation verzerrt (Buchanan und Stubblebine 1962; Turvey 1963). Dies gilt jedoch nur, wenn die Aneignung der Eigentumsrechte kostenlos ist (MacKenzie und Ohndorf 2014). Die Kernaussage des Coase-­Theorems lautet wie folgt: Wenn es effiziente Verhandlungen gibt und keine Transaktionskosten entstehen, dann führen bi- oder multilaterale Verhandlungen zur Internalisierung externer Effekte. Dies gilt unabhängig davon, wem ex ante die Eigentumsrechte zugeteilt werden (Kuzmin und Semyonovykh 2015). Coase (1960) weist dabei zunächst auf die Reziprozität von Externalitäten hin: Wenn es keinen Geschädigten gibt, dann gibt es keinen negativen externen Effekt. Coase wählt zur Darstellung seiner Überlegung das Beispiel eines Getreidebauern und eines Viehzüchters. Der Getreidebauer erleidet einen Schaden, wenn das Vieh seines Nachbarn auf sein Feld gelangt. Ohne Getreideanbau gäbe es keinen Schaden. Analog gilt im Fall positiver Externalitäten, dass kein positiver externer Effekt entsteht, sofern es keinen unbeteiligten Dritten gibt, der davon profitiert. Vor diesem Hintergrund haben beide Seiten eine Motivation, in Verhandlungen einzutreten. Das Coase-Theorem lässt sich in zwei Thesen untergliedern, die Effizienzthese und die Invarianzthese. Die Effizienzthese beinhaltet die Reduktion des Emissionsniveaus zu minimalen Kosten, die Invarianzthese behauptet die Unabhängigkeit von Verteilung der Eigentumsrechte. Beide Thesen sollen im Folgenden näher erläutert werden. Zunächst sei angenommen, dass die Laissez-faire-Regel gilt, der zufolge die Eigentums-

rechte beim Verursacher des Schadens liegen. Wenn es keine Transaktionskosten gibt, dann zahlt der Geschädigte für die Reduktion des Emissionsniveaus, bis das optimale Produktionsniveau erreicht ist. Umgekehrt ist es, wenn die Verursacherregel gilt, die auch Strict Liability Regime genannt wird und der zufolge die Eigentumsrechte beim Geschädigten liegen. In diesem Fall kauft der Verursacher dem Geschädigten sein Eigentumsrecht ab, um die optimale Menge produzieren zu können. Wenn der Verhandlungsprozess mit Take-­it-or-­leave-it-Offerten erfolgt, ist die Effizienz immer gewährleistet, sofern beide Seiten vollständig informiert sind. Angenommen, im oben genannten Beispiel des Viehzüchters und des Getreidebauern entstehen Vermeidungskosten in Höhe der Kosten für einen Zaun und Schadenskosten aufgrund zertrampelten Getreides. Abb. 1.8 zeigt den Verlauf der jeweiligen Grenzvermeidungs-/Grenzschadenskosten. Die linke Seite der Abb. 1.8 stellt den Fall dar, dass die Laissez-faire-Regel gilt. In diesem Fall wäre das Ergebnis ohne Verhandlungen eine Viehherde der Größe  x∗, die dem individuellen Optimum des Viehzüchters entspricht. In den Verhandlungen würde der geschädigte Getreidebauer dem Viehzüchter einen Vertrag mit einer Kompensationszahlung in Höhe des ausgefüllten Dreiecks anbieten, wenn er seine Herdengröße auf x∗∗ reduziert. Der Viehzüchter würde dieses Angebot annehmen und den Vertrag unterzeichnen. Das Verhandlungsergebnis ist effizient. Die rechte Seite der Abb.  1.8 stellt den Fall dar, dass alle Eigentumsrechte beim Geschädigten liegen. Der Getreidebauer hat also Anspruch auf unversehrtes Getreide. Das individuelle Optimum des Getreidebauern liegt bei einer Herdengröße von Null. In diesem Fall würde der Viehzüchter dem Getreidebauern einen Vertrag anbieten, demzufolge er eine Kompensationszahlung in Höhe des ausgefüllten Dreiecks leistet und damit das Recht erwirbt, eine Herde der Größe  x∗∗ zu halten. Der Getreidebauer würde dieses Angebot annehmen und den Vertrag unterzeichnen. Das Verhandlungsergebnis ist effizient. Damit sind sowohl die Invarianzthese als auch die Effizienzthese veranschaulicht. Die Thesen

1.8 Private Internalisierung

31

Abb. 1.8  Coase-Theorem bei negativen externen Effekten. (Quelle: Eigene Darstellung)

sind allerdings nur dann aufrechtzuerhalten, wenn die von Coase getroffenen Annahmen gelten, also insbesondere keine Transaktionskosten entstehen. Kritik am Coase-Theorem setzt bei den weitreichenden Annahmen an. Die Abwesenheit von Transaktionskosten bedeutet, dass Such- und Informationskosten, Verhandlungs- und Entscheidungskosten sowie Überwachungs- und Durchsetzungskosten vernachlässigt werden. Bezieht man solche Transaktionskosten in die Überlegungen ein, so kommt es entweder gar nicht zu einem Vertrag oder die Lösung ist ineffizient. Hinzu kommt, dass sich das Optimum bei varia­ blen Verhandlungskosten mit der Regel ändert, d. h. es ist nicht mehr unabhängig von Verteilung der Eigentumsrechte. Eine weitere bedeutende Annahme des Coase-Theorems ist die der vollständigen und symmetrischen Information. Dies entspricht in den meisten Fällen nicht der Realität. Bei asymmetrischer Information hängt die Effizienz von Verteilung der Eigentumsrechte ab. Nimmt man an, dass in einem Laissez-faire-Regime das Ausmaß des Schadens nur dem Geschädigten bekannt ist, stellt sich trotz der asymmetrischen Information ein effizientes Ergebnis ein. Anders ist dies, wenn in einem Laissez-faire-Regime das Ausmaß des Schadens nur dem Schädiger bekannt ist. In diesem Fall führen Verhandlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem ineffizienten Ergebnis.

Der Vertrag, den der Geschädigte anbietet, kann nicht bezüglich aller möglichen Typen des Schädigers effizient sein. Wenn der Vertrag so beschaffen ist, dass der Schädiger ihn ablehnt, stellt sich kein effizientes Ergebnis ein. Effizient ist das Ergebnis der Verhandlungen aber auch nicht, wenn alle Typen von Schädigern den Vertrag annehmen würden. Ebenfalls unrealistisch ist die Annahme, dass sich Schädiger und Geschädigter wie Preisnehmer verhalten, obwohl sich nur zwei Akteure im Markt befinden. Die Preisnehmerannahme setzt vollkommene Konkurrenz voraus. Realistischer wäre es, von einem Monopol auszugehen. Falls ein Monopol für Verschmutzungsrechte besteht, wird das Optimum  x∗∗ verfehlt und zu wenig emittiert. Unrealistisch ist darüber hinaus die Annahme des vollkommenen Kapitalmarktes, an dem sich Schädiger und Geschädigter zu gleichen Konditionen in beliebiger Höhe verschulden können. Damit werden die Einflüsse der Einkommensverteilung ausgeklammert. Im Regelfall gilt jedoch für Schädiger und Geschädigten: Je höher das Vermögen desto höher die Zahlungsbereitschaft. Kritik am Coase-Theorem umfasst auch den Einwand der strategischen Manipulation von Eigentumsrechten. So besteht im Rahmen der Take-it-or-leave-it-Verhandlungen die Möglichkeit der Erpressung. Das Coase-Theorem vernachlässigt überdies das Verhandlungsge-

1  Statische Grundlagen

32

schick der Teilnehmer. Zudem besteht bei multilateralen externen Effekten ein Trittbrettfahrerproblem. Bei einer Vielzahl von Geschädigten und einer Laissez-faire-Regel ist es für den einzelnen Geschädigten rational, sich nicht an der Kompensationszahlung zu beteiligen, sondern darauf zu hoffen, dass die übrigen Geschädigten dies tun, so dass ein Vertrag zustande kommt und der Schaden eingedämmt wird. In eingeschränktem Umfang gilt das Coase-Theorem auch bei positiven externen Effekten, diese sind in Abb. 1.9 dargestellt. Im Bild wird angenommen, dass die Eigentumsrechte am Humankapital beim Individuum liegen. Die umgekehrte Situation ist in einer Situation ohne Sklaverei nicht plausibel. Aus indi­ vidueller Sicht wäre x∗ die optimale Menge an Gesundheitsleistungen. Hier ist der private Nettogrenznutzen der Investition in die Gesundheit und damit in das Humankapital gleich Null, d. h. die privaten Grenznutzen entsprechen den privaten Grenzkosten. Der positive externe Effekt der Gesundheitsinvestition bleibt unberücksichtigt, die individuell betrachtet optimale Menge an Gesundheitsleistungen ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu gering. Damit das Individuum das gesellschaftliche Optimum x∗∗ realisiert, muss es von den Nutznießern dieser Gesundheitsinvestition in Höhe des ausgefüllten Dreiecks kompen-

Abb. 1.9  Coase-Theorem bei positiven externen Effekten. (Quelle: Eigene Darstellung)

siert werden. Diese Kompensation kann beispielsweise dadurch erfolgen, dass die Kran­ kenversicherung stellvertretend für alle Nutznießer den Versicherten eine kostengünstige Urlaubswoche mit Sport- und Ernährungsprogramm anbietet.

1.9

Informationsdefizite

In den bisherigen Betrachtungen wurde implizit unterstellt, dass allen Akteuren im gleichen Ausmaß zu jeder Zeit und ohne zusätzliche Kosten alle Informationen zur Verfügung stehen, die sie für ihre Entscheidungen benötigen. Dies ist jedoch in der Realität keineswegs der Fall. Gibt man die Annahme vollkommener Markttransparenz auf, dann lassen sich drei verschiedene Situationen unterscheiden, in denen den Marktteilnehmern wesentliche Informationen für rationale Entscheidungen fehlen (das Folgende nach Gawel 2009). Dies können erstens Situationen sein, in denen alle Marktteilnehmer gleichermaßen Informationsdefizite aufweisen (symmetrische Informationsdefizite). Im Bereich der Umweltökonomik könnten beispielsweise die exakten Vermeidungskostenfunktionen sowohl der Regulierungsbehörde als auch den Emittenten unbekannt sein. Analog dazu könnte es im Bereich der Gesundheitsökonomik sein, dass sowohl der behandelnde Arzt als auch die zuständige Krankenversicherung nicht genau wissen, welche Behandlungsmethode den angestrebten Heilungserfolg mit den geringstmöglichen Kosten erreicht. Von diesen symmetrischen Situationen sind zweitens solche zu unterscheiden, in denen ein Wirtschaftssubjekt besser informiert ist als ein anderes (asymmetrische Informationsdefizite). So könnte ein Schädiger seine Vermeidungskosten besser kennen als der Geschädigte oder ein Arzt könnte besser die Heilungschancen des Patienten aufgrund einer bestimmten Behandlungsmethode abschätzen als die Versicherung. Drittens können auch dadurch Informationsdefizite auftreten, dass die Infor­ mationsverarbeitungskapazitäten beschränkt sind (beschränkte Rationalität). Das Konzept der begrenzten Rationalität basiert auf der Annahme,

1.9 Informationsdefizite

dass die Zukunft nur eingeschränkt vorhersehbar und die Fähigkeit des menschlichen Geistes zur Problemlösung beschränkt sind. Daher können die Konsequenzen alternativer Aktionen im günstigsten Fall als Häufigkeitsverteilungen angegeben werden. Da sich die Häufigkeitsverteilungen überlappen, ist eine objektive Optimierung nicht möglich, die Entscheidung muss also unter subjektiven Gesichtspunkten erfolgen (Störmann 2009). Beispiele hierfür sind im Umweltbereich die Bebauung von Flussauen trotz Überschwemmungsgefahr oder im Gesundheitsbereich das Rauchen. In jedem der drei Fälle können sich aufgrund der Informationsdefizite Ineffizienzen einstellen, wobei die Situationen asymmetrischer Information für umwelt- und gesundheitsökonomische Fragestellungen von besonderer Relevanz sind. Bei asymmetrischen Informationsdefiziten kann wiederum danach unterschieden werden, ob sich die Informationsdefizite auf Eigenschaften der Beteiligten beziehen, die bereits vor Beginn des Spiels (bzw. vor Vertragsabschluss) bestehen und sich auch während des Spiels nicht ändern, oder ob die Informationsdefizite sich darauf beziehen, dass während eines Spiels (bzw. nach Vertragsabschluss) nicht alle Aktivitäten bzw. Spielzüge des Gegenspielers beobachtet werden können (das Folgende nach Gawel 2009; Fees und Seeliger 2013). Zunächst werden Situationen betrachtet, in denen über bestimmte Eigenschaften von Spielern unterschiedliche Informationen vorliegen („hidden information“), man spricht hier auch von unvollständiger Information. Beispiele für Informationsdefizite über die Eigenschaften von Spielern vor Spielbeginn finden sich sowohl im Umwelt- als auch im Gesundheitsbereich. Im Zusammenhang mit umweltökonomischen Fragestellungen ist es denkbar, dass ein Unternehmen seine Vermeidungskosten besser kennt als die Umweltbehörde oder der Geschädigte seine Schäden besser einschätzen kann als der Schädiger. Im Kontext der Gesundheitsökonomik ist es möglich, dass der Patient seine Risiken besser kennt als die Krankenversicherung, die ihn aufnimmt, oder der Arzt die voraussichtlichen Ergebnisse einer Behandlung besser einschätzen kann als die zahlende Versicherung.

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Resultate der unvollständigen Information sind Fehlallokationen durch Negativauslese („adverse selection“) oder falsche Produktionsmengen. Auch dann, wenn vor dem Beginn des Spiels alle Teilnehmer über sämtliche Informationen verfügen, kann es sein, dass nicht alle Spielzüge während des Spiels (nach Vertragsabschluss) beobachtbar sind. In diesem Fall spricht man von unvollkommener Information. Im Umweltbereich könnte es beispielsweise sein, dass unterschiedliche Unternehmen verschiedene Abwassermengen in Flüsse einleiten, ohne dass die Umweltbehörde weiß, welche Menge von welchem Unternehmen stammt. Im Gesundheitsbereich kann es vorkommen, dass Versicherte durch ihr unbeobachtbares Ernährungsverhalten („hidden action“) die Krankheitsrisiken und damit die erwarteten Behandlungskosten erhöhen. Zu Situationen unbeobachtbaren Verhaltens kommt es auch, wenn Ärzte aufgrund ihrer Entlohnungsstrukturen ihre Patienten unzureichend behandeln, wenn sie je Fall oder je Patient entlohnt werden, ohne dass die Behandlungsqualität sichergestellt wird. Ergebnis von unvollkommener Information sind also Fehlverhalten bzw. ein moralisches Risiko (Moral Hazard), die zu Leistungsverschlechterungen und falschen Produktionsmengen führen. Die höchste praktische Bedeutung von asymmetrischen Informationsdefiziten im Umweltbereich dürfte Situationen unvollständiger Information zukommen, in denen die Umweltbehörde die Grenzvermeidungskosten der Unternehmen (Eigenschaften der Spieler vor Spielbeginn) nicht kennt. Dies hat direkt Auswirkungen auf die Politikempfehlungen bezüglich der umweltpolitischen Instrumente. Angenommen, es solle eine Preislösung gewählt werden und es besteht die Auswahl zwischen Steuern und Zertifikaten. Betrachtet man zunächst den Fall, dass die Regulierungsbehörde die Grenzvermeidungskosten der Unternehmen überschätzt. In diesem Fall wird der Abgabensatz durch die Regulierungsbehörde zu hoch festgelegt, woraufhin die Unternehmen zu geringe Produktionsmengen wählen (bzw. zu viel vermeiden). Im Gegensatz dazu wird die Regierung bei Überschätzen der Grenzvermeidungskosten zu viele Zertifikate ausgeben.

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Daraufhin wird der Zertifikatepreis fallen, die Unternehmen entscheiden sich für zu hohe Produktionsmengen (und vermeiden zu wenig). Will man sicherstellen, dass die Umweltqualität auf jeden Fall gesichert und die optimale Produktionsmenge keinesfalls überschritten wird, müsste man der Regierung zur Abgabenlösung raten, wenn zu vermuten ist, dass die Unternehmen ihre Grenzvermeidungskosten übertreiben. Umgekehrt lautet die Empfehlung, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Regulierungsbehörde die Grenzvermeidungskosten der Unternehmen unterschätzt. In diesem Fall wird die ausgegebene Zertifikatemenge zu gering sein, der Zertifikatepreis demzufolge hoch. Die Unternehmen entscheiden sich gemessen am gesamtwirtschaftlichen Optimum für zu geringe Produktionsmengen bzw. vermeiden zu viel. Der Steuersatz wird dagegen bei Unterschätzung der Grenzvermeidungskosten durch die Regierung zu gering festgelegt. Infolgedessen werden die Unternehmen zu viel produzieren bzw. zu wenig vermeiden. Um die gesamtwirtschaftlich optimale Produktionsmenge keinesfalls zu überschreiten, wäre es daher bei zu vermutender Unterschätzung der Grenzvermeidungskosten zu empfehlen, eine Steuer einzuführen. Je nach Richtung der Fehleinschätzung der Regulierungsbehörde über die Grenzvermeidungskosten ergeben sich also unterschiedliche Politikempfehlungen. Und je nachdem, welches Instrument die Regierung einführen will, ergibt sich aus den Informationsdefiziten für die Unternehmen ein Anreiz, bei den Vorgesprächen mit der Regulierungsbehörde ihre Grenzvermeidungskosten zu hoch oder zu gering anzugeben. Im Gesundheitsbereich liegt das Hauptaugenmerk auf Situationen unvollkommener Information, es bestehen also Informationsdefizite bezüglich der Handlungen (während des Spiels). Derartige Situationen lassen sich als Anwendungsfälle des Prinzipal-Agenten-Problems auffassen. Beim Prinzipal-Agenten-­Problem geht es darum, Verträge so auszugestalten, dass der Auftragnehmer (Agent) im Sinne des Auftraggebers (Prinzipal) handelt, auch wenn der Auftraggeber ihn nicht dauernd beobachten kann. Prinzipal-Agenten-Probleme sind also durch eine

1  Statische Grundlagen

Informationsasymmetrie gekennzeichnet, der Agent ist besser informiert als der Prinzipal. Beispielsweise können die Krankenversicherungen und der Staat (jeweils als Prinzipal) die Handlungen von Ärzten, Krankenhäusern und Patienten (jeweils als Agent) nicht beobachten. Die Prinzipale können aber versuchen, durch Gewinnung von Information und durch Setzen der richtigen Anreize das Verhalten der Agenten zu lenken (Prinzipal-Agenten-Problem). Hinsichtlich der Patienten kommt es darauf an, deren Gesundheitsverhalten in die gewünschte Richtung zu lenken und Anreize zur Prävention zu setzen (Abschn. 5.1). Hinsichtlich der Ärzte und Krankenhäuser liegt der Schwerpunkt darauf, Transparenz zu schaffen und ein anreizverträgliches Honorierungssystem einzuführen (Abschn. 6.1)

1.10 Politökonomischer Rahmen Die theoretischen Überlegungen zum Marktversagen haben gezeigt, dass der Markt in vielen Fällen nicht in der Lage ist, die optimale Allokation zu generieren. An seine Stelle tritt der Staat, der öffentliche Güter bereitstellen oder externe Effekte internalisieren soll. Offen ist, wie innerhalb des Staates entschieden wird, welches Niveau öffentlicher Güter oder externer Effekte anzustreben ist. Allgemein kann festgestellt werden, dass das Angebot öffentlicher Güter umso größer ist, je größer die für die Entscheidung erforder­ liche Mehrheit ist (Geruschkat 2010). Die Betrachtung soll im Folgenden auf demokratische Systeme begrenzt werden. Dabei besteht grundsätzlich die Möglichkeit, die Entscheidungen im Rahmen der direkten Demokratie oder der repräsentativen Demokratie herbeizuführen. Überlegungen zur direkten Demokratie zeigen, dass es keinen perfekten Mechanismus gibt, mit dem gesellschaftliche Entscheidungen getroffen werden können. Gesucht ist eine kollektive Entscheidungsregel, die es erlaubt, alternative Zustände x und y so zu ordnen, dass Aussagen möglich sind wie „x wird kollektiv mindestens so hochgeschätzt wie y“ oder umgekehrt. Arrows Unmöglichkeitstheorem zeigt, dass es keine ideale kollektive Entscheidungsregel gibt, die folgenden

1.10 Politökonomischer Rahmen

allgemeinen Anforderungen genügt: Erstens sollen keine einschränkenden Annahmen bezüglich des Gültigkeitsbereichs der Präferenzprofile vorgenommen werden (unbeschränkter Gültigkeitsbereich). Zweitens soll ein Zustand als gesellschaftlich besser angesehen werden, wenn er ein Individuum besserstellt und kein anderes schlechter (Pareto-Effizienz). Drittens soll die Entscheidung zwischen zwei Zuständen nicht davon abhängen, ob eine weitere Alternative in die Betrachtung einbezogen wird (Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen). Schließlich soll es kein Individuum geben, dessen Präferenzprofil dem gesellschaftlichen Präferenzprofil entspricht (Diktatorfreiheit). Lösungen hinsichtlich des gesellschaftlichen Entscheidungsverfahrens ergeben sich erst dann, wenn die Anforderungen abgeschwächt werden (Blankart 2016). Die Mehrheitsregel ist bei direkten Abstimmungen die am weitesten verbreitete Entscheidungsregel. Danach wird bei paarweiser Abstimmung diejenige Alternative gewählt, die die absolute Mehrheit erhält. Für bestimmte Präferenzprofile führt die Mehrheitsregel aber nicht zu einer Lösung, weil sich Zirkelschlüsse ergeben, somit ist die Forderung nach einem unbeschränkten Gültigkeitsbereich verletzt. Lässt man nicht paarweise abstimmen, sondern entscheidet mit relativer Mehrheit bei simultaner Abstimmung über die Alternativen (Single-Vote-Verfahren), dann sind die Pareto-Effizienz und die Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen verletzt. Das gleiche Ergebnis stellt sich ein, wenn jedes Mitglied der Gesellschaft zwei Stimmen auf unterschiedliche Alternativen vergeben muss und dann die relative Mehrheit bei simultaner Abstimmung über die Alternativen entscheidet (Double-Vote-Verfahren). Auch beim Double-­Vote-Verfahren sind die Anforderungen der Pareto-Effizienz und der Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen verletzt. Wenn jedes Mitglied mehr als zwei Stimmen hat, wobei die Stimmen nach Rangordnung vergeben werden und dann die relative Mehrheit bei simultaner Abstimmung entscheidet (Borda-Regel), wird die Anforderung der Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen verletzt. Eine Variante der Borda-Regel ist die Punktwahl. Bei der Punktwahl entscheidet die relative Mehr-

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heit bei simultaner Abstimmung über die Alternativen. Die Gesamtzahl der Stimmen ist festgelegt, sie dürfen aber im Unterschied zur Borda-Regel frei auf die Alternativen verteilt werden. Dieses Konzept trägt der Intensität der Präferenzen Rechnung und ist stark anfällig für strategisches Verhalten (Brümmerhoff 2007). Nach Arrows Unmöglichkeitstheorem existiert keine ideale gesellschaftliche Entscheidungsregel. Welche Entscheidungsregel aus individueller Sicht optimal ist, ergibt sich nach Abwägen von Entscheidungsfindungskosten und externen Kosten (das Folgende nach Weise et al. 1993). Entscheidungsfindungskosten sind die Kosten, die dabei entstehen, einen gesellschaftlichen Kompromiss zu finden. Je höher die erforderliche Mehrheit, desto höher die Entscheidungsfindungskosten. Externe Kosten sind die Kosten, die aus individueller Sicht entstehen, wenn die übrigen Gesellschaftsmitglieder anders entscheiden als man selbst. Je höher die erforderliche Mehrheit, desto geringer die externen Kosten. Aus individueller Sicht müssen für verschiedene Situationen verschiedene Entscheidungsregeln bestehen. Die Aggregation der verschiedenen individuellen Kalküle gestaltet sich schwierig. Die ökonomische Theorie der Verfassung zeigt, dass die Entscheidung darüber, nach welchen Regeln über welche Fragestellungen entschieden werden soll, einstimmig getroffen werden sollte. Einstimmige Entscheidungen kommen jedoch auch auf Verfassungsebene nur unter sehr restriktiven Annahmen zustande (Buchanans perfekter Schleier der Ungewissheit). Die Praxis bevorzugt daher die Mehrheitsregel. Gesellschaftliche Entscheidungen über umwelt- und gesundheitspolitische Themen werden in den meisten westlichen Industrienationen nicht direkt, sondern unter den Bedingungen der repräsentativen Demokratie getroffen. Die ökonomische Theorie der Politik analysiert die Entscheidungen im Kontext repräsentativer Demokratien unter der Annahme, dass die jeweiligen Entscheidungsträger eigennutzorientiert handeln. Die Ergebnisse des Entscheidungsprozesses können daher vom normativ Wünschenswerten abweichen (siehe hierzu ausführlich Blankart 2017; Endres 2013; Kirsch 2004; Fritsch 2011).

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Der Bürokratietheorie zufolge liegt es im Interesse der Bürokraten sowohl in der Ministerialbürokratie als auch in Vollzugsbehörden, Macht, Prestige und Einfluss zu gewinnen und ihren Arbeitsbereich auf Dauer zu sichern. Dies kann einerseits gelingen, indem komplizierte und intransparente ordnungsrechtliche Regelungen geschaffen werden. Bürokraten können dann durch ihr Expertenwissen Macht und Einfluss generieren. Zum anderen können Bürokraten durch Maximierung des von ihnen verwalteten Budgets ihren Eigennutz maximieren. Dies geschieht beispielsweise durch Gewährung von Subventionen an Unternehmen im Rahmen umwelt- und gesundheitspolitischer Programme oder auch durch die staatliche Bereitstellung von Infrastruktur. Ziel der politischen Instanzen wie Regierung und Opposition ist es, die Wahlen zu gewinnen. Erst wenn dies gesichert ist, verfolgen politische Instanzen annahmegemäß ideologische Ziele. Dies können beispielsweise im Umweltbereich Klimaziele sein oder im Gesundheitsbereich Reformprojekte wie die Einführung einer einheitlichen gesetzlichen Krankenversicherung für alle Bürger. Interessengruppen versuchen, Regierungspolitiker zu beeinflussen, um ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen und leistungsloses Einkommen (die sogenannte ökonomische Rente) zu erzielen. In diesem Zusammenhang wird auch von Rent Seeking gesprochen. In Fragen der Umwelt- und Gesundheitspolitik spielen zahlreiche Interessengruppen eine Rolle. Dazu zählen Unternehmensverbände und Gewerkschaften ebenso wie Umweltverbände oder Interessenverbände von Patienten. Grundsätzlich kann man zeigen, dass sich die Interessen kleiner, homogener Gruppen besser organisieren lassen als die Interessen großer, heterogener Gruppen. Beispielsweise lassen sich die Interessen der Pharmaunternehmen besser organisieren als die Interessen der Patienten. Wähler haben dem politökonomischen Ansatz zufolge das Ziel, ihren Lebensstandard zu sichern. Darüber hinaus verfolgen sie ideologische Ziele, wobei sie allgemein als schlecht informiert gelten und sich von Interessengruppen beeinflussen lassen. Die Interaktionen im Rahmen der Umweltoder Gesundheitsgesetzgebung lassen sich ideal-

1  Statische Grundlagen

typisch wie folgt darstellen: Die Verwaltung erhält von der Regierung Vorgaben für ein Gesetz, beispielsweise zur Emissionsbegrenzung im Rahmen der Umweltgesetzgebung oder des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Das Ministerium bereitet den Gesetzestext vor, die Vollzugsbehörde beeinflusst die Umsetzung des Gesetzes in den Unternehmen. Die Gewinnsituation der Unternehmen hat Auswirkungen auf die Einkommen der Bürger. Zudem beeinflussen die Unternehmen die Position der Interessengruppen. Letztere wirken über Parteispenden oder Anhörungen auf die politischen Instanzen ein und beeinflussen die Wähler durch Öffentlichkeitsarbeit. Schließlich beeinflussen Interessengruppen auch die Ministerialbürokratie, indem sie im Rahmen von Gesetzgebungsprozessen Expertenwissen bereitstellen. Wähler treffen Wahlentscheidungen und bestimmen damit über die Regierung, die Vorgaben für ein Gesetz in die Verwaltung gibt. Der Kreis schließt sich. Die Vorgaben der Regierung werden aber nicht nur durch den dargestellten Wirkungszusammenhang bestimmt, sondern auch durch Rahmenbedingungen. Werden die Rahmenbedingungen durch Modellparameter beeinflusst, dann spricht man von endogenen Rahmenbedingungen. Sind sie dagegen nicht von den Modellgrößen abhängig, so ist von exogenen Rahmenbedingungen die Rede. Ein Beispiel für endogene Rahmenbedingungen sind Steuereinnahmen, die von den Gewinnen der Unternehmen und den Einkommen der Haushalte abhängen und so aus dem Modell heraus erklärbar sind. Eine exogene Rahmenbedingung ist beispielsweise die Verfassung. In Deutschland ist seit 1994 der Umweltschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert, so dass die Gesetzgebung zum Umweltschutz verpflichtet ist. Artikel 20a des Grundgesetzes lautet: Art 20a GG Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

1.10 Politökonomischer Rahmen

Abb. 1.10 gibt das politökonomische Modell der Umweltpolitik wieder. In diesem Rahmen lässt sich auch erklären, warum Umweltschutzinteressen weniger durchsetzungsfähig sind als die Interessen anderer Gruppen (das Folgende nach Kollmann/Schneider). Aus Sicht der Wähler liegt es nahe, sich beim Umweltschutz als Trittbrettfahrer zu verhalten. Überdies treten die Effekte umweltschädlichen Verhaltens mit einiger Zeitverzögerung auf. Hinzu kommt, dass andere Themen wie Einkommen und Arbeitslosigkeit direktere Auswirkungen auf das Wohlbefinden haben und daher in der Nutzenfunktion des Durchschnittswählers ein stärkeres Gewicht erhalten. Politiker richten sich mit Ihren Maßnahmen nach Wählern und Interessengruppen. Letztere sind umso durchsetzungsfähiger, je kleiner und homogener die Gruppe ist und je mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung stehen. Hier verfügen die traditionellen Interessengruppen des Unternehmenssektors über bessere Voraussetzungen als grüne Interessenvertreter. Auch dies ist nicht zuletzt auf das Trittbrettfahrerproblem zurückzuführen.

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Die obige Darstellung der politökonomischen Zusammenhänge ist stark vereinfacht. Wie komplex die Beziehungen zwischen den Akteuren in der Realität sind, zeigt Abb. 3.6 für den Gesundheitsbereich (Abschn.  3.5). Auch im Gesundheitsbereich kann eine politökonomische Analyse erklären, warum einerseits bestimmte Ineffizienzen Bestand haben und andererseits spezielle Reformoptionen keine Umsetzungschance besitzen (das Folgende nach Breyer et al. 2013, S.  513  ff). Im mikroökonomischen Standardmodell kauft das Individuum seinen Versicherungsschutz so, dass die Grenzkosten der Versicherung dem Grenznutzen entsprechen. Wenn eine Gesellschaft mit Mehrheitsregel über das Mindestniveau von Gesundheitsleistungen abstimmt, die durch eine einheitliche Kopfpauschale finanziert werden sollen, dann kann es keine Einigung auf ein positives Mindestniveau geben. Dagegen ist die einkommensabhängige Finanzierung mehrheitsfähig, wenn es große Unterschiede im Einkommen und geringe Unterschiede im Krankheitsrisiko gibt. Die Einkom-

Abb. 1.10  Interaktion der umweltpolitischen Akteure. (Quelle: Kollmann und Schneider 2011; Letzgus 1998)

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mensabhängigkeit der Beiträge entspricht den Präferenzen der Niedrigeinkommensbezieher. Je mehr Niedrigeinkommensbezieher es gibt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die einkommensabhängige gesetzliche Krankenversicherung mehrheitsfähig ist. Dies erklärt, warum in der Realität in Deutschland einkommensabhängige Krankenversicherungsbeiträge vorherrschen. Auch die große Bedeutung von Berufsverbänden im Gesundheitsweisen lässt sich mithilfe der Theorie der Interessengruppen erklären. Berufsverbände stellen öffentliche Güter bereit. Kleine homogene Gruppen, die noch dazu über selektive Anreize verfügen, haben größere Durchsetzungskraft als große heterogene Gruppen. Selektive Anreize können positiv oder negativ sein, also in speziellen Dienstleistungen oder in Strafen bestehen. Im Fall der Berufsverbände wird das Trittbrettfahrerproblem durch eine Kombination aus Zwangsmitgliedschaft und exklusiven Dienstleistungen überwunden. Aus diesen Überlegungen wird deutlich, warum beispielsweise Ärzteverbände ihre Interessen wirksamer durchsetzen können als Patientenverbände (siehe dazu auch Abschn. 3.5).

1.11 Bewertungsverfahren Immer wenn es gilt, knappe öffentliche Mittel auf unterschiedliche Projekte aufzuteilen, stellt sich die Frage, wie die jeweiligen Kosten und Nutzen bzw. Erträge zu bewerten sind (Dehnhardt et al. 2008; Dorfwirth et al. 1982; Riebesmeier und Kummer 2007). Im Umwelt- und Gesundheitsbereich kommen dabei grundsätzlich die gleichen Verfahren zur Anwendung, jedoch mit themenfeldspezifischen Ausprägungen. Bewertungsverfahren sind Teil des Planungsprozesses. Dieser beginnt mit einer Formulierung der Problemstellung, d.  h. das Problem muss definiert und die Ziele müssen diskutiert werden. Im Anschluss an Problemdefinition und Zieldiskussion erfolgt der Planungsprozess im engeren Sinne. Letzterer umfasst eine Zustandsanalyse und eine theoretische Analyse. Im Rahmen der theoretischen Analyse werden Einflussgrößen und Ursache-Wirkungs-­Zusammenhänge

1  Statische Grundlagen

untersucht. Auf dieser Basis erfolgen im Rahmen der Maßnahmenanalyse der Entwurf von Maßnahmen und eine Wirkungsanalyse. Anschließend findet im Rahmen der Maßnahmenbewertung eine Reihung und Auswahl der Maßnahmen statt. Erst dann folgt die Planung der Ausführung einschließlich der Kontrolle. Hinsichtlich der Bewertungsverfahren lassen sich fiskalische Analysen, umfassende Analysen und gesamtwirtschaftliche Wirkungsanalysen unterscheiden. Fiskalische Analysen prüfen die Wirkung der Maßnahme auf den öffentlichen Haushalt. Werden beispielsweise öffentliche Gesundheitsausgaben getätigt, die den Gesundheitszustand und damit die Produktivität der Arbeitnehmer erhöhen und deshalb zu höheren Steuereinnahmen führen, dann werden in der fiskalischen Analyse die öffentlichen Gesundheitsausgaben für diese Maßnahmen den zusätzlichen Steuereinnahmen gegenübergestellt. Umfassende Analysen erfassen die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen im Rahmen einfacher Multiplikatormodelle oder komplexer allgemeiner Gleichgewichtsmodelle. Wird beispielsweise ein Naturpark gegründet, der Besucher anlockt, dann kann mittels eines Multipli­katormodells abgeschätzt werden, welche gesamtwirtschaftlichen Effekte zu erwarten sind. Der Multiplikator gibt an, um wie viel das Bruttonationaleinkommen der Region steigt, wenn ein auswärtiger Besucher einen Euro für den Eintritt in den Nationalpark ausgibt. Da der Besucher in der Regel auch isst und trinkt, Andenken kauft und vielleicht sogar übernachtet, kann es sein, dass jeder Euro, der zusätzlich für den Eintritt in den Nationalpark ausgegeben wird, einen weiteren Euro nach sich zieht, so dass das Nationaleinkommen insgesamt um zwei Euro steigt. Der Multiplikator beträgt in diesem Fall Zwei. Am weitesten verbreitet sind im Zusammenhang mit der Bewertung öffentlich finanzierter Maßnahmen gesamtwirtschaftliche Wirkungsanalysen. Hierunter versteht man Kosten-Nutzen-Analysen, Nutzwertanalysen und Kosten-Wirksamkeits-Analysen (das Folgende nach Haffner 2005; Jacoby und Kistenmacher 1998; Mühlenkamp 1994).

1.11 Bewertungsverfahren

Gesamtwirtschaftliche Wirkungsanalysen haben eine Reihe von Schritten gemeinsam. Sie alle beginnen mit einer Vorfeldanalyse, in der die Aufgabenstellung formuliert und das Projekt definiert werden. Im Rahmen der Vorfeldanalyse muss festgelegt werden, welche Systemzustände untersucht werden sollen und wie diese voraussichtlich beschaffen sind. Der nächste Schritt ist die multikriterielle Wirkungsanalyse, in deren Rahmen die Ziele analysiert und die Wirkungsarten beschrieben werden. Daran anschließend müssen die quantifizierbaren Wirkungen identifiziert und die ausgewählten Wirkungen operativ definiert werden. Schließlich wird das Mengengerüst der betrachteten Wirkungen bestimmt. Die an die Bestimmung des Mengengerüsts anschließenden Schritte sind für die Kosten-Nutzen-Analyse, die Nutzwertanalyse und die Kosten-­ Wirksamkeits-­Analyse jeweils verschieden. Die Kosten-Nutzen-Analyse ist das ambitionierteste und aufwendigste der drei genannten Verfahren. Ziel ist es, die mit der Maßnahme verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten und Nutzen möglichst umfassend monetär zu bewerten. Das Ergebnis ist ein Überschuss der Nutzen über die Kosten oder umgekehrt, jeweils ausgedrückt in Währungseinheiten wie beispielsweise Euro. Wenn am Ende der Bewertung ein Nutzenüberschuss verzeichnet wird, ist das Projekt gesamtwirtschaftlich vorteilhaft und sollte durchgeführt werden. Stehen mehrere Projekte zur Auswahl, sollte dasjenige mit dem größten Nutzenüberschuss realisiert werden. Hinsichtlich der zu berücksichtigenden Wirkungen werden direkte und indirekte Kosten und Nutzen unterschieden. Direkte Kosten einer Maßnahme beispielsweise zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur in Form einer Umgehungsstraße sind die Baukosten der Straße. Direkte Nutzen sind beispielsweise die verkürzten Fahrzeiten für die Pendler, die täglich auf dieser Strecke unterwegs sind. Indirekte Wirkungen fallen an anderer Stelle an. So könnte der Ausbau einer Umgehungsstraße zu verringertem Verkehrsaufkommen im Ortskern führen. Die Bewohner des Ortskerns werden entlastet und ihr Nutzen erhöht sich. Analoge Beispiele lassen sich im Gesundheitsbereich finden. Direkte Kosten einer Therapie sind die Kosten für

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den Arztbesuch des Patienten, den Krankenhausaufenthalt, den Einsatz von medizinischen Geräten oder Medikamenten. Indirekte Kosten sind die Belastungen, die beispielsweise in den Familien der Patienten durch die Therapie entstehen. Bei der Nutzenbewertung ist zwischen Gebrauchswerten und Nichtgebrauchswerten zu unterscheiden. Gebrauchswerte sind die Werte aus Sicht des jeweiligen Nutzers. Beispielsweise für ein Naherholungsgebiet ergibt sich der Nutzen für die Konsumenten beim Spazierengehen. Daneben bestehen aber auch Nichtgebrauchswerte, nämlich der nutzungsunabhängige Existenzwert, der daraus resultiert, dass sich Menschen über die Existenz des Naherholungsgebietes freuen, obwohl sie es tatsächlich gar nicht nutzen. Hinzu kommt der Vermächtniswert, der darin besteht, dass die gegenwärtige Generation der künftigen Generation die Möglichkeit erhält, das Naherholungsgebiet zu nutzen. Analog kann es auch einen altruistischen Wert haben, das Gebiet für andere Menschen zu erhalten, auch wenn man es selbst nicht nutzt. Nicht alle Kosten und Nutzen lassen sich ohne Weiteres in monetären Größen ausdrücken. Für einige dieser Kosten und Nutzen existieren Marktpreise, man spricht dann von tangiblen Kosten und Nutzen. Diese liegen in Währungseinheiten vor, sie können also unverändert in die Kosten-Nutzen-Analyse eingehen. Beispiele sind in den oben genannten Fällen die Straßenbaukosten bzw. die Arzt-, Krankenhaus- und Arzneimittelkosten. Für andere Kosten- und Nutzenkategorien existieren keine Marktpreise, hier können aber möglicherweise Schattenpreise abgeleitet werden. Schattenpreise sind Hilfsgrößen, mit denen man sich den Grenznutzen der Konsumenten annähert, wenn es keinen Markt und daher auch keinen Marktpreis gibt. Da Kosten-Nutzen-Analysen in Bezug auf Gesundheitsprojekte seltener vorkommen als in Bezug auf Umweltprojekte, werden im nächsten Abschnitt Beispiele aus dem Umweltbereich genannt. Eine Übertragung auf den Gesundheitssektor kann analog erfolgen. Zur Festlegung der Schattenpreise können fünf verschiedene Wege beschritten werden, die im Folgenden charakterisiert werden sollen (Haffner 2005):

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Erstens kann man Ersatzpreise bestimmen, indem man quantifiziert, wie hoch die Einsparungen sind, die sich durch das Projekt ergeben. Im Beispiel der Umgehungsstraße haben die Pendler auf ihrem Arbeitsweg Zeit gespart. Bewertet man diese Zeit mit dem Lohnsatz, dann kann der Nutzen als monetäre Größe ausgedrückt werden. Zweitens kann die Abschätzung auf der Basis offenbarter Konsumentenpräferenzen erfolgen. Dabei wird das Nachfrageverhalten der Konsumenten aus vorangegangenen Projekten zugrunde gelegt und auf dieser Basis ihr Nutzen abgeschätzt. Soll beispielsweise ein Naherholungsgebiet errichtet werden, dann wird zur Abschätzung der Nutzen aus diesem Gebiet das Nachfrageverhalten nach benachbarten ähnlichen Gebieten analysiert. Vo­raussetzung dieses Verfahrens ist, dass sich aus den Entscheidungen der Vergangenheit der heutige Nutzen ableiten lässt, die Präferenzen dürfen sich also nicht ändern. Hinzu kommt, dass sich annahmegemäß alle Konsumenten rational verhalten. Drittens kann die abgeleitete Nachfrage herangezogen werden. Dabei geht man von der Endnachfrage nach bestimmten Konsumgütern aus und quantifiziert auf dieser Basis, welche Mengen von Produktionsfaktoren oder Zwischenprodukten erforderlich sind, um die gegebene Menge von Konsumgütern herzustellen. So ist beispielsweise die Verkehrsnachfrage eine abgeleitete Nachfrage, denn die Verkehrsmittel werden in der Regel nicht um ihrer selbst willen genutzt, sondern um einen bestimmten Ort zu erreichen, an dem dann ein Bedürfnis befriedigt wird. Der Nutzen eines Konsumenten aus dem Besuch eines Naturschutzgebiets kann dann mithilfe der Verkehrsnachfrage zu diesem Gebiet ermittelt werden. Viertens kann der Nutzen eines Projekts aus Umfragen ermittelt werden. Fünftens schließlich können Schattenpreise auch auf der Basis von Kompensationskosten zur Beseitigung

1  Statische Grundlagen

möglicherweise auftretender Schäden ermittelt werden. Der Nutzen einer unversehrten Umwelt, etwa eines Waldgebiets, kann beispielsweise dadurch abgeschätzt werden, dass man die Kosten für die Wiederaufforstung ermittelt. Zur Bestimmung der Kosten und Nutzen eines Projekts muss auch festgelegt werden, welche primären und sekundären Wirkungen in die Berechnung eingehen sollen. Primäre Wirkungen sind solche Effekte, die unmittelbar nach der Umsetzung des Projekts auftreten, beispielsweise die Senkung der Transportkosten durch die oben genannte Umgehungsstraße. Als sekundäre Wirkungen werden Effekte bezeichnet, die infolge des Projekts später eintreten. Dazu gehören beispielsweise höhere Nachfrage nach Wohnraum im Ortskern oder auch steigende Besucherzahlen infolge der gestiegenen Attraktivität des Ortskerns. Wenn nun durch die zunehmenden Besucherzahlen wirtschaftliche Effekte im Tourismussektor entstehen, dann ist die Frage, über welchen Zeitraum und in welchem Ausmaß diese in die Kosten-Nutzen-Analyse einbezogen werden sollen. Diejenigen Kosten und Nutzen, die mit keinem dieser fünf Verfahren quantifiziert werden, müssen in der Anlage zur Kosten-Nutzen-Rechnung gesondert verbal beschrieben werden. Anschließend an die Kosten-Nutzen-Berechnung ist zu fragen, welche Bedeutung die in der Analyse gesetzten Rahmenbedingungen für das Ergebnis haben. Dies geschieht mittels einer Sensitivitätsanalyse. Im Fall der Umgehungsstraße müssen beispielsweise bestimmte makroökonomische Rahmendaten hinsichtlich der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung festgelegt werden, denn der Güter- und Personenverkehr über diese Straße wird in einer Rezession anders verlaufen als in einem Boom. Fraglich ist, ob ein Überschuss des Nutzens über die Kosten auch dann bestehen bleibt, wenn sich die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen ändern. Für die Kosten-Nutzen-Analyse ist es entscheidend, die Kosten und Nutzen zu periodisieren, also zu ermitteln, in welchem Zeitraum welche Kosten und Nutzen anfallen. Schließlich müssen die für die unterschiedlichen Perioden ermittelten Nutzen und Kosten abgezinst werden,

1.11 Bewertungsverfahren

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man spricht hier von Diskontierung. Dies ist erforderlich, weil Auszahlungen in späteren Perioden einen geringeren Wert haben als in der Gegenwart. Dies ist ein Resultat der Unsicherheit. Weiterhin erfolgt die Berücksichtigung von Unsicherheit auch dadurch, dass Erwartungswerte für Nutzen und Kosten ermittelt werden. Ergebnis der Kosten-Nutzen-Analyse ist der volkswirtschaftliche Barwert des Kosten-Nutzen-Saldos. Bei einem positiven Saldo, also einem Nutzenüberschuss, ist das Projekt lohnend und sollte aus gesamtwirtschaftlicher Sicht durchgeführt werden, sonst nicht. Alternativ zum Barwert des Kosten-Nutzen-Saldos, gemessen in Euro, kann auch der interne Zinssatz in Prozent pro Jahr ermittelt werden. Als internen Zinssatz bezeichnet man denjenigen Zinssatz, der den Barwert des Kosten-­ Nutzen-­Saldos zu Null werden lässt. Je höher der interne Zinssatz, desto lohnender ist das Projekt. Anstelle des Barwerts oder des internen Zinssatzes kann schließlich auch die Amortisationsdauer in Jahren als Entscheidungskriterium herangezogen werden. Je geringer die Amortisationsdauer, desto vorteilhafter das Projekt. Bei der Darstellung der Ergebnisse von Kosten-Nutzen-Analysen ist zwischen Bruttonutzenprinz und Nettonutzenprinzip zu unterscheiden. Beim Bruttonutzenprinzip werden die gesamten Nutzen den gesamten Kosten, also Investitionskosten zuzüglich Betriebskosten, gegenübergestellt. Beim Nettonutzenprinzip wird die Differenz aus Nutzen und Betriebskosten den Investitionskosten gegenübergestellt. Wird das Nettonutzenprinzip angewendet, dann weisen Projekte mit einem Nutzen-Kosten-Verhältnis von größer Eins einen größeren Quotienten auf als beim Bruttonutzenprinzip. Für unwirtschaftliche Projekte ergibt sich beim Nettonutzenprinzip ein kleinerer Quotient als beim Bruttonutzenprinzip. In beiden Verfahren werden Nutzen und Kosten gegeneinander aufgerechnet.



∑ Nutzen ∑ Investitionskosten + ∑ Betriebskosten



∑ Nutzen − ∑ Betriebskosten Nettonutzenprinzip = ∑ Investitionskosten

Bruttonutzenprinzip =

Bezüglich der Kosten-Nutzen-Analyse ist zunächst kritisch anzumerken, dass die Ermittlung der Preise schwierig ist, wenn Marktpreise fehlen. Außermarktliche Bewertungsverfahren beruhen wie erläutert entweder darauf, die jeweiligen Preise aus anderen Marktpreisen abzuleiten, man spricht dann von indirekten Bewertungsverfahren, oder sie direkt zu ermitteln, dann handelt es sich um sogenannte kontingente Bewertungen. Zu den indirekten Bewertungsverfahren zählt der Vermeidungskostenansatz, bei dem die Kosten der Kompensation als Ersatz für den Preis herangezogen werden. Wenn es beispielsweise darum geht, den Nutzen der Spaziergänger aus einer unzerstörten Landschaft in einem Naherholungsgebiet zu bewerten, dann können die Kosten der Wiederherstellung der Landschaft nach dem Abbau von Rohstoffen als Wert der unzerstörten Umwelt interpretiert werden. Damit wird Substituierbarkeit bzw. Kompensierbarkeit unterschiedlicher Wirkungen suggeriert, die nicht in jedem Fall tatsächlich besteht. Im Fall des Rohstoffabbaus im Naherholungsgebiet entstehen die Nutzen aus dem Abbau und Verkauf der Rohstoffe, woraus wiederum Einkommen und Beschäftigung erwachsen. Die Kosten des Rohstoffabbaus entstehen aus der Landschaftszerstörung. Wenn bei der Landschaftszerstörung ein irreversibler Schaden entsteht, etwa durch die Ausrottung einer Tierart, dann ist dieser Schaden für die Natur möglicherweise nicht durch die Einnahmen aus dem Rohstoffabbau kompensierbar, obwohl die Kosten-­Nutzen-­Analyse einen Nutzenüberschuss ergibt. Statt der Wiederherstellungskosten der zerstörten Landschaft könnte im Rahmen der indirekten Verfahren auch ermittelt werden, welche Reisekosten die Besucher in Kauf nehmen, um das Naherholungsgebiet zu besuchen. Die Reisekosten werden aus Haushaltsproduktionsfunktionen ermittelt, wobei die Reisezeit mit entgangenen Nutzen aus alternativer Zeitverwendung angesetzt werden. Besucher mit einer Anreisezeit von einer Stunde bewerten die Umwelt mindestens so hoch wie ihr Stundenlohn ist, hinzu kommen die Kosten des Verkehrsmittels. Bei der Reisekostenmethode unberücksichtigt bleibt der Umstand, dass ein anderes attraktives Ziel in der Nähe sein könnte, so dass die

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Besucher auch aus einem anderen Grund die Reisezeit in Kauf nehmen, der Nutzen der unzerstörten Landschaft würde in diesem Fall überschätzt. Die dritte Möglichkeit zur indirekten Preisermittlung besteht darin, hedonische Preise zu bestimmen. Hedonische Preise messen die veränderte Produktqualität. Im oben genannten Beispiel lässt sich an der Veränderung der Häuserpreise in der Nähe des Naherholungsgebietes ermessen, wie hoch der Nutzen einer unzerstörten Landschaft ist. Wenn nach dem Rohstoffabbau die Häuserpreise sinken, dann entspricht die Differenz der Häuserpreise gegenüber dem Status quo dem Wert der unzerstörten Umwelt. Indirekte Bewertungsverfahren weisen immer die Problematik auf, dass die beobachteten Effekte nicht eindeutig der Maßnahme zugeordnet werden können. So können beispielsweise die Häuserpreise auch aufgrund eines allgemeinen Immobilienbooms oder einer anderweitig begründeten Präferenzänderung zugunsten des betrachteten Ortes gestiegen sein. Alternativ zu den indirekten Bewertungsverfahren können auch direkte Bewertungsverfahren angewendet werden. Dies sind zum einen Befragungen, zum anderen simulierte Märkte im Rahmen von Experimenten. Beide Verfahren sind aber nur bedingt geeignet, Preise zu ermitteln. Bei Befragungen, die nicht mit Zahlungsverpflichtungen verbunden sind, besteht der Anreiz, die Präferenzen für die unzerstörte Umwelt zu übertreiben. Auch simulierte Märkte weisen das Problem auf, dass die Teilnehmer wissen, dass es sich um ein Laborexperiment handelt und sich deshalb anders verhalten als in der Realität. Zielkonflikte wie etwa der zwischen Artenvielfalt und Einkommen bleiben bei der Kosten-Nutzen-Analyse unerkannt, weil unterstellt wird, dass sich Kosten und Nutzen gegeneinander aufrechnen lassen und der Nettonutzen entscheidend ist. Dadurch, dass der Fokus auf dem Nettonutzen liegt und nicht auf den einzelnen Nutzen- und Kostenarten, besteht die Gefahr der Intransparenz. Zudem ist es nicht unproblematisch, wenn automatisch die Alternative mit dem höchsten Kosten-Nutzen-Quotienten gewählt wird. Dadurch entsteht der Anschein objektiver

1  Statische Grundlagen

Entscheidungen und Entscheider geben Verantwortung ab. Abb.  1.11 stellt die Kosten-Nutzen-Analyse grafisch dar. Weniger aufwendig und daher noch weitverbreiteter als die Kosten-Nutzen-Analyse ist die Nutzwertanalyse. Sie ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn wesentliche Nutzenkategorien intangibel, also nicht monetär bewertbar sind. Bei der Nutzwertanalyse werden für die jeweiligen Alternativen Zielerträge ermittelt, also die mengenmäßigen Wirksamkeiten bestimmt. Dazu müssen die Nutzen nicht wie bei der Kosten-Nutzen-Analyse monetär bewertet werden, sondern die Bewertung der Zielerträge für die unterschiedlichen Teilziele erfolgt mithilfe einer Transformationsfunktion, die jedem Zielertrag einen Zielerfüllungsgrad zuordnet. Für jede Alternative werden die Zielerfüllungsgrade ermittelt, die auch als Zielwerte bezeichnet werden. Im nächsten Schritt muss dann bestimmt werden, welche Teilziele eine hohe und welche eine weniger hohe Bedeutung haben. Es müssen also Gewichte für die Teilziele ausgewählt werden. Schließlich wird eine Normierung durchgeführt. Auf dieser Basis können dann die Teilnutzwerte je Alternative ermittelt werden. Der Teilnutzwert entspricht dem Zielwert multipliziert mit dem Gewicht. Im letzten Schritt muss die Amalgamationsregel festgelegt werden, die vorgibt, wie die Teilnutzwerte zum Gesamtnutzen zusammengefügt werden sollen. Mit der Amalgamationsregel lässt sich der Gesamtnutzen je Alternative, gemessen in Nutzenpunkten, bestimmen. Die Alternative mit den meisten Nutzenpunkten ist gesamtwirtschaftlich am vorteilhaftesten und sollte realisiert werden. Wie bei der Kosten-­Nutzen-­ Analyse erfolgt zur Überprüfung der Robustheit des Ergebnisses eine Sensitivitätsanalyse. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Entscheidung einigermaßen unempfindlich ist hinsichtlich möglicher Fehleinschätzungen der Kostenund Nutzenwerte sowie der Randbedingungen. In Abb. 1.12 ist die Kosten-­Nutzwert-­Analyse grafisch dargestellt. Das größte Problem der Nutzwertanalyse besteht darin, die Transformationsfunktionen und Gewichtungsfaktoren festzulegen. In diesem

1.11 Bewertungsverfahren

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Abb. 1.11  Kosten-Nutzen-Analyse. (Quelle: Haffner 2005, S. 55)

Zusammenhang wird oft der Vorwurf der Scheinobjektivierung laut, denn die Entscheidung auf Basis des Nutzwertes wirkt objektiv, obwohl bei der Nutzwertermittlung nicht zuletzt über die Festlegung der Gewichtungsfaktoren subjektive Urteile über die Bedeutung der Teilziele eine entscheidende Rolle spielen. Der scheinbar objektive Mechanismus ist aber nicht nur durch die Gewichtung subjektiv, sondern auch die Skalierung der Zielerreichung ist willkürlich. Weiterhin wird, wie schon bei der Kosten-Nutzen-­Analyse, auch bei der Nutzwertanalyse die Substituierbarkeit unterschiedlicher Wirkungen suggeriert, die nicht in jedem Fall gegeben sein muss. Hinzu kommt, dass die Beschränkung auf einige wenige Ziele andere, negative Wirkungen ausblenden kann. Schließlich bleiben bei der Nutzwertana-

lyse die Kosten unberücksichtigt, es wird also unterstellt, dass alle Alternativen die gleichen Kosten verursachen. Bei der Kosten-Wirksamkeits-Analyse werden Kosten und Outputwirkungen einander gegenübergestellt und daraufhin Entscheidungen getroffen. Im ersten Schritt erfolgt die Kostenanalyse, also die Ermittlung der Kosten je Alternative. Darauf folgt die Wirksamkeitsanalyse, d. h. die Erfassung der mengenmäßigen Outputwirkungen je Alternative. Kosten und Outputwirkungen werden in der Kosten-Wirksamkeits-Matrix einander gegenübergestellt. Darauf folgt die Festlegung einer Entscheidungsregel, im einfachsten Fall die Bestimmung der dominanten Alternative oder, wenn das nicht möglich ist, die Auswahl einer Alternative bei Annahme einer

1  Statische Grundlagen

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Abb. 1.12  Kosten-Nutzewert-Analyse. (Quelle: Haffner 2005, S. 57)

Kostenrestriktion oder Mindestwirksamkeit. In einer erweiterten Kosten-Wirksamkeits-Analyse werden die Wirksamkeiten in Analogie zur Nutzwertanalyse mittels einer Amalgamationsfunktion verbunden. Die Entscheidung für eine Alternative erfolgt dann auf der Basis des Quotientenkriteriums, bei dem die Gesamtwirksamkeit den Kosten gegenübergestellt wird, gemessen in Nutzenpunkten je Euro pro Jahr. Ebenso wie bei der Kosten-­Nutzen-­Analyse und der Nutzwertanalyse muss bei der Kosten-Wirksamkeits-Analyse am Ende noch eine Sensitivitätsanalyse zur Berücksichtigung von Risiko und Unsicherheit erfolgen, um die Robustheit der Entscheidung gegenüber veränderten Rahmenbedingungen sicherzustellen. Die Kritik an dieser erweiterten Kosten-Wirksamkeits-Analyse entspricht der Kritik an der

Nutzwertanalyse. Mit weniger Willkür behaftet ist die Variante der Kosten-Wirksamkeits-Analyse, die sich auf den Vergleich der Kosten beschränkt und dabei unterstellt, dass alle Verfahren das Ziel im gleichen Ausmaß erreichen. In diesem Fall wird auch von einer Kosten-Kosten-Analyse gesprochen. Das größte Problem an diesem Verfahren ist die Annahme, dass alle Alternativen das Ziel gleich gut erfüllen. Üblicherweise erfolgt die Bewertung monetär bewertbarer Wirkungen mit der Kosten-Nutzen-Analyse, die Bewertung nicht monetär bewertbarer Maßnahmenwirkungen dagegen mit der Nutzwertanalyse. Die Kosten-Wirksamkeits-Analyse will die Schwächen von Kosten-­ Nutzen-Analyse und Nutzwertanalyse vermeiden, setzt dabei aber monetäre und nichtmonetäre Größen ins Verhältnis und erzeugt damit ebenfalls methodische Probleme.

1.11 Bewertungsverfahren

Alle drei hier genannten Verfahren haben Mängel, so dass ihre Aussagefähigkeit umstritten ist. Für die Entscheidung sind oft auch solche Kriterien relevant, die mangels Quantifizierbarkeit nicht in die Bewertungsverfahren Eingang gefunden haben. Hinzu kommt, dass Entscheider teilweise andere Bewertungsmaßstäbe anlegen. Dennoch finden alle drei Ver­ fahren häufig Anwendung in den Bereichen der Umwelt- und Gesundheitsökonomik. In Abschn. 3.5 und 9.12 soll das Vorgehen an zwei Beispielen erläutert werden.

Zusammenfassung

• Umw esem Buch als biologische bzw. ökologische und räumliche Umgebung des Menschen verstanden. • Gesundheit umfasst sowohl das körperliche als auch das geistige und seelische Wohlbefinden und geht damit über die Abwesenheit von Krankheit hinaus. • Bei der Bereitstellung von Umwelt- und Gesundheitsgütern kommt es aus drei Gründen zu Marktversagen: 1. Umwelt und Gesundheit weisen Merkmale öffentlicher Güter auf. Bis zum Erreichen einer Überfüllungsgrenze beeinträchtigt die Nutzung durch ein Individuum nicht die Nutzung durch ein anderes Individuum. Die Erhebung von Nutzungsgebühren wäre zu aufwendig. Ohne staatliche Intervention wird eine zu geringe Menge bereitgestellt. 2. Aus den wirtschaftlichen Aktivitäten einzelner Akteure ergeben sich Auswirkungen für unbeteiligte Dritte, die nicht über Marktprozesse abgegolten werden (externe Effekte). Bei Vorliegen negativer externer Effekte wird ohne staatliche Eingriffe zu viel produziert, bei positiven externen Effekten zu wenig. 3. Auch Informationsdefizite führen dazu, dass ohne staatliche Eingriffe elt wird in di

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nicht das erwünschte Ausmaß von Umwelt- und Gesundheitsgütern bereitgestellt wird. Folgen asymmetrischer Information sind adverse Selektion und Moral Hazard. • Um Marktversagen zu verhindern, stehen folgende Instrumente zur Verfügung: 1. Öffentliche Güter können aus öffentlichen Mitteln finanziert und bereitgestellt werden. 2. Externe Effekte lassen sich auf effiziente Weise durch Marktinstrumente (Steuern, Subventionen, Zertifikate) verhindern. Ge- und Verbote sind ineffizienter als Marktinstrumente. Unter bestimmten Bedingungen können externe Effekte durch private Verträge oder Selbstverpflichtungen vermieden werden. 3. Die negativen wirtschaftlichen Folgen von Informationsdefiziten kann der Staat entweder durch Bereitstellung von Informationen oder durch eine geeignete Ausgestaltung von Prinzipal-Agenten-Beziehungen erreichen. • Die ökonomische Theorie der Politik erklärt, warum in der politischen Praxis das Marktversagen oft nicht verhindert wird, weil Bürokraten, Regierungs- und Oppositionspolitiker, Wähler und Interessengruppen aus Eigeninteresse handeln. Um umwelt- und gesundheitspolitische Maßnahmen einordnen zu können, müssen Gewinner und Verlierer bekannt sein. • Um Kosten und Nutzen von umweltund gesundheitspolitischen Maßnahmen transparent zu machen und gegeneinander abzuwägen, stehen unterschiedliche Bewertungsverfahren wie Kosten-Nutzen-Analyse, Nutzwertanalyse und Kosten-Wirksamkeits-Analyse zur Verfügung.

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Wiederholungaufgaben 1. Erläutern Sie, warum die folgenden Phänomene zu Marktversagen führen und finden Sie jeweils ein Beispiel aus dem Umwelt- und/ oder dem Gesundheitsbereich: a. Nichtrivalität im Konsum b. Nichtausschließbarkeit vom Konsum c. Externe Effekte d. Ungenügende Nachfragesouveränität 2. Um welchen Gütertyp im Spektrum zwischen reinen privaten und reinen öffentlichen Gütern handelt es sich bei den folgenden Beispielen: Rinderfilet, Fahrrad, Pullover, Krankenhaus, Landschaftspark, Meer, Atemluft, Klima. 3. Bitte entscheiden Sie, ob die folgenden Aussagen wahr oder falsch sind, und begründen Sie Ihre Antworten: a. Ein externer Effekt ist dann vollständig internalisiert, wenn die Grenzvermeidungskosten den Wert Null annehmen. b. Gegeben sei ein Schädiger und ein durch einen negativen externen Effekt Geschädigter. Das individuelle Optimum des Schädigers ist definiert durch die Nullstelle der Grenzvermeidungskostenkurve. c. Wenn der minimale Grenzschaden, der bei der Produktion eines Gutes entsteht, größer ist als die maximale marginale Zahlungsbereitschaft der Konsumenten, dann kann nur durch eine Subvention Effizienz erreicht werden. d. Selbst wenn Externalitäten vorliegen, dann sind in der Regel keine staatlichen Eingriffe notwendig, um eine Pareto-optimale Allokation zu erreichen. e. Nach dem Coase-Theorem hat die Regierung lediglich die Aufgabe, Eigentumsrechte an den Umweltgütern festzulegen. Weitere umweltpolitische Instrumente sind nicht erforderlich. f. Dem Coase-Theorem zufolge spielen Transaktionskosten keine Rolle. Lösungen 1. Definitionen und Beispiele zu Aufgabe 1: a. Nichtrivalität im Konsum bedeutet, dass ein Konsument das Gut nutzen kann ohne dass dies die gleichzeitige Nutzung dieses

1  Statische Grundlagen

Gutes durch einen anderen Konsumenten eingeschränkt. Beispiele sind für den Umweltbereich die Nutzung eines Naturparks oder für den Gesundheitsbereich die Existenz einer Notfallversorgung. Vorausgesetzt wird jeweils, dass die Anzahl der Nutzer noch nicht so hoch ist, dass Überfüllungseffekte eintreten. b. Nichtausschließbarkeit vom Konsum impliziert, dass es nicht möglich oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist, einen potenziellen Konsumenten von der Nutzung auszuschließen. Ein Beispiel aus dem Umweltbereich ist das Klima, ein Beispiel aus dem Gesundheitsbereich ist der Effekt einer hohen Impfquote. c. Externe Effekte sind die unkompensierten Auswirkungen ökonomischen Handelns auf die Wohlfahrt unbeteiligter Dritter. Ein Beispiel für einen negativen externen Effekt im Umweltbereich ist die Emission von Luftschadstoffen durch einen Produzenten, die zu Atemwegserkrankungen der Anwohner führt. Ein Beispiel für einen positiven externen Effekt im Gesundheitsbereich ist die Teilnahme an Sport- und Ernährungskursen, die zu erhöhter gesamtwirtschaftlicher Produktivität führt. d. Ungenügende Nachfragesouveränität lässt sich durch Informationsdefizite, Irrationalität und verzerrte Zeitpräferenzraten begründen. Die diesbezügliche Argumentation ist allerdings unter Ökonomen umstritten. Ein Beispiel, das sowohl den Umwelt- als auch den Gesundheitsbereich betrifft, ist die Substitution des Auto­ mobils durch ein Lastenfahrrad für Lebensmitteleinkäufe. Informationsdefizite verhindern möglicherweise, dass den Beteiligten die positiven Wirkungen auf Umwelt und Gesundheit in vollem Umfang bekannt sind. Verzerrte Zeitpräferenzraten bedeuten, dass die Akteure die in der Zukunft liegenden positiven Auswirkungen ihres Handelns im Verhältnis zu den heutigen Kosten zu gering bewerten. Im Beispiel werden die künftigen Nutzen eines Einkaufs per Rad für Klima

Literatur

und Gesundheit unterschätzt, die Nutzeneinbußen durch einen Regenschauer auf dem Hinweg zum Einkauf dagegen überbewertet. 2. Zuordnung der Güter zu Gütertypen aus Aufgabe 2: Das Rinderfilet, das Fahrrad und der Pullover sind private Güter. Das Krankenhaus und der Landschaftspark werden als Klubgüter bezeichnet. Die Atemluft ist ein lokales öffentliches Gut. Das Meer und das Klima sind Allmendegüter. 3. Entscheidung, ob die Aussagen wahr oder falsch sind mit Begründung aus Aufgabe 3: a. Lösung: falsch. Ein externer Effekt ist dann vollständig internalisiert, wenn die Grenzvermeidungskosten mit den Grenzschadenskosten übereinstimmen. b. Lösung: wahr. Im Nullpunkt der Grenzvermeidungskostenkurve hat der Schädiger keinen Anreiz, die Produktion und damit die Schäden auszudehnen, weil sein Gewinn dann nicht mehr steigt. c. Lösung: falsch. Wenn der minimale Grenzschaden, der bei der Produktion eines Gutes entsteht, größer ist als die maximale marginale Zahlungsbereitschaft der Konsumenten, dann sollte das Gut gar nicht produziert werden. d. Lösung: falsch. Wenn Externalitäten vorliegen, dann sind in der Regel keine staatlichen Eingriffe notwendig, um ein Marktgleichgewicht zu erreichen. Eine Pareto-­ optimale Allokation ist nur unter sehr speziellen Annahmen ohne staatliche Eingriffe erreichbar, dies ist der Inhalt des Coase-Theorems. e. Lösung: wahr. Wenn die Regierung die Eigentumsrechte an den Umweltgütern festgelegt hat, führen private Verhandlungen zwischen Schädiger und Geschädigtem zur effizienten Lösung. Weitere umweltpolitische Instrumente sind in diesem Fall nicht erforderlich und wären teilweise sogar kontraproduktiv. f. Lösung: falsch. Wenn Transaktionskosten vorliegen, gilt das Coase-Theorem nicht.

47

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2

Dynamische Grundlagen

Lernziele

Leserinnen und Leser verstehen die Besonderheiten, die sich durch Betrachtung umwelt- und gesundheitsökonomischer Fragestellungen in der langen Frist ergeben. Sie sind in der Lage zu beurteilen, in welchen Situationen sich kooperative Lösungen realisieren lassen, mit denen soziale Dilemmata im Zusammenhang mit öffentlichen Gütern oder externen Effekten überwunden werden können. Leserinnen und Leser können so beispielsweise einordnen, unter welchen Bedingungen wirksame Abkommen zum Klimaschutz vereinbart werden. Im Gesundheitsbereich können sie Situationen identifizieren, in denen bestimmte Aufgaben zuverlässig und im erwünschten Ausmaß durch Ehrenämter ausgefüllt werden. Leserinnen und Leser machen sich überdies mit den Grundlagen der Wachstumstheorie vertraut. Sie verstehen, inwiefern das wirtschaftliche Wachstum vom Gesundheitszustand der Bevölkerung abhängt, und können aus veränderten Bedingungen der Umwelt und des Gesundheitssystems Schlussfolgerungen für die wirt­ schaftliche Entwicklung eines Landes ziehen. Sie können auch begründen, weshalb ein Ausbau des Gesundheitssystems in Industrieländern andere Wachstumswirkungen hat als in Entwicklungsländern.

Schließlich kennen Leserinnen und Leser auch das Spannungsverhältnis zwischen Umwelt und Wachstum. Sie können den Begriff der Nachhaltigkeit in seinen verschiedenen Dimensionen bestimmen und unterschiedliche Ansätze zur Wachstumskontroverse erklären. Außerdem kennen Leserinnen und Leser unterschiedliche Indikatoren zur Erfassung der Nachhaltigkeit und können diese Nachhaltigkeitsmaße kritisch vergleichen.

2.1

 oziale Dilemmata in der S langen Frist

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die aus der Spieltheorie bekannte Situation des Gefangenendilemmas (Abschn.  1.4, ausführlich siehe auch Holler und Illing 2009). Dabei wird von folgenden Annahmen ausgegangen: Zwei Diebe, die zusammen einen Einbruch begangen haben, werden gefangen genommen und getrennt voneinander verhört. Sie können nicht miteinander kommunizieren. Gestehen beide nicht, kann man ihnen nur wenig nachweisen und sie erhalten beide nur eine geringe Strafe. Gestehen beide, erhalten beide eine hohe Strafe, aber nicht die Höchststrafe, weil sie immerhin gestanden haben. Gesteht nur einer der beiden Gefangenen, dann geht dieser aufgrund der Kronzeugenregelung straffrei aus, während der

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Störmann, Gesundheits- und Umweltökonomik klipp & klar, WiWi klipp & klar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27677-5_2

49

2  Dynamische Grundlagen

50

andere Gefangene die Höchststrafe erhält. Unter den getroffenen Annahmen ist Gestehen für jeden der Gefangenen die dominante Strategie, im Ergebnis gestehen also beide, obwohl sie durch Kooperation eine Lösung realisieren könnten, die für beide ein besseres Resultat erbringen würde. Situationen, die dem Gefangenendilemma ähnlich sind, sind im Umwelt- und Gesundheitssektor zahlreich. In der statischen Perspektive, also bei Betrachtung nur einer Periode, ist ein Ergebnis zu erwarten, das zwar individuell rational, aber gesamtgesellschaftlich nicht die beste Lösung ist. Dieses Resultat kann sich ändern, wenn mehrere Perioden berücksichtigt werden. Beispiel ist der internationale Klimaschutz, bei dem das Trittbrettfahren zwar aus Sicht einzelner Länder kurzfristig die dominante Strategie ist. Dennoch wird von den Vereinten Nationen der Versuch unternommen, internationale Klimaschutzabkommen zu etablieren, weil Staaten kooperieren, wenn der Zeithorizont langfristig ist. Die folgenden Überlegungen gehen auf Robert Axelrod (1984) zurück und zeigen auf, unter welchen Bedingungen Kooperation entsteht und wie sie gefördert werden kann. Die Ausgangssituation des Gefangenendilemmas sei wie in Tab. 2.1 beschrieben gegeben. Für den Verlauf des Spiels werden eine Reihe von Annahmen getroffen, die im Folgenden dargestellt werden sollen. Für die Auszahlungen soll angenommen werden, dass gilt R>P und R>(S  +  T)/2. Weiter soll angenommen werden, dass es zwar viele Spieler gibt, aber nur jeweils zwei miteinander interagieren (bilaterale Interaktion). Dabei sprechen die Teilnehmer aber nicht miteinander, sondern handeln nur (keine Kommunikation). Beide Spieler können einander bei einer Begegnung erkennen, bei weiteren Begegnungen wiedererkennen und sich an die in der Vergangenheit vollzogenen Handlungen erinnern (Erkennen/Erinnern). Dennoch ist es nicht möglich, dieses Wissen an Dritte weiterzugeben oder

selbst das typische Verhalten anderer Teilnehmer in Erfahrung zu bringen (keine zuverlässige Reputation). Es ist auch nicht möglich, das Einhalten von Absprachen einzufordern und Strafen für abweichendes Verhalten zu verhängen (keine bindenden Verträge). Auch Zahlungen des einen Spielers an den anderen über die in der Tabelle genannten Auszahlungen hinaus sind nicht möglich (Keine Seitenzahlungen). Es ist auch nicht möglich, das Spiel zu beenden (kein Exit). Die Annahmen an das Verhalten der Teilnehmer, ihre Nutzenfunktionen und die Auszahlungen des Spiels sind nicht sehr strikt. Angenommen wird weder die Symmetrie der Auszahlungen aller Teilnehmer (keine Symmetrie) noch eine Vergleichbarkeit der Nutzen verschiedener Individuen (keine Vergleichbarkeit). Entscheidungen müssen nicht unbedingt bewusst getroffen werden (kein Bewusstsein erforderlich) und die Teilnehmer müssen nicht rational sein. Der unterstellte Nutzenbegriff ist ordinal, d.  h. alle Individuen müssen die Zustände auf der Basis ihrer Präferenzen in eine Rangfolge bringen können, aber sie müssen die Nutzen nicht kardinal bewerten können. Nutzendifferenzen spielen also keine Rolle (ordinaler Nutzen). Es ist auch nicht erforderlich, dass die Summe der Auszahlungen bei Kooperation am höchsten ist (Kooperation muss nicht gesellschaftlich erwünscht sein). Hinsichtlich der Spieldauer wird angenommen, dass es eine unbestimmte Anzahl von Runden gibt, d.  h. niemand weiß, wie lange das Spiel dauert und wann es abgebrochen wird (unendliches Superspiel). Dadurch wird vermieden, dass die Teilnehmer das Spiel von hinten nach vorn lösen (rekursive Lösung). Bei einer rekursiven Lösung mit n Runden würde das letzte Spiel in Runde n so behandelt wie ein einfaches Gefangenendilemma mit nur einer Spielrunde. Die Teilnehmer begegnen sich nach dieser Runde nicht wieder, es besteht kein Grund zu kooperieren. In diesem Fall wäre also nicht kooperatives Verhalten die

Tab. 2.1  Gefangenendilemma. (Quelle: Axelrod (1984, eigene Darstellung) Kooperation Spieler 1 Nicht-kooperation Spieler 2

Kooperation Spieler 2 R;R T;S

Nicht-kooperation Spieler 2 S;T P;P

2.1  Soziale Dilemmata in der langen Frist

dominante Strategie in Runde  n. Im nächsten Schritt der rekursiven Lösung wird Runde  n-1 analysiert. In Runde n-1 wissen die Teilnehmer, dass in Runde  n nicht kooperiert wird. Vor diesem Hintergrund gibt es auch keinen Grund, in Runde  n-1 zu kooperieren, die Lösung für Runde n-1 ist die gleiche wie die des einfachen Spiels. Bei einem endlichen Superspiel zeigt sich also ebenso wie beim einfachen Spiel die nicht kooperative Strategie für beide Spieler als individuell beste Antwort (Gleichgewicht in dominanten Strategien, Nash-Gleichgewicht). Für das unendliche Superspiel zeigen sich dagegen andere Resultate. Aus der Analyse verschiedener Turniere leitet Axelrod folgende Theoreme ab: Theorem 1 Wenn der Diskontparameter hinreichend groß ist, existiert keine beste Strategie unabhängig von der Strategie des anderen Spielers. Erläuterung: Der Diskontparameter muss größer sein als (T-R)/(T-P), damit es keine Strategie gibt, die unabhängig von der Strategie des ­anderen Spielers ist. Die Strategie des anderen Spielers ist nur dann wichtig, wenn ein Spieler Wert auf künftige Auszahlungen legt. Ist er sehr gegenwartsorientiert, dann richtet sich der Fokus wie beim einfachen Spiel auf die erste Periode und es lohnt sich unabhängig von der Strategie der anderen Spieler nicht, zu kooperieren. Nicht kooperieren ist die dominante Strategie. Ist die Zukunft aus individueller Sicht wichtig, dann lohnt es sich, mit anderen Teilnehmern, die man später wieder treffen könnte, zu kooperieren. Theorem 2 Tit for Tat ist genau dann kollektiv stabil, wenn der Diskontparameter mindestens so hoch ist wie der größere der beiden Werte (T-R)/(T-P) und (T-­ R)/(R-S). Erläuterung: Tit for Tat ist eine Strategie, die immer mit Kooperation beginnt und in allen weiteren Runden so spielt, wie der andere Spieler in der Vorrunde. Tit for Tat beginnt also in Runde 1 mit Kooperation. In Runde 2 bedeutet Tit for Tat Kooperation, falls der andere Spieler in Runde 1 kooperiert hat, anderenfalls Nichtkooperation. Kollektive Stabilität bedeutet, dass es keine an-

51

dere Strategie gibt, die zu höheren Gewinnen führt als Tit for Tat, vorausgesetzt der andere Spieler spielt Tit for Tat. Theorem 3 Eine beliebige Strategie, die als erste kooperiert (freundliche Strategie), kann nur für hinreichend hohe Diskontparameter kollektiv stabil sein. Erläuterung: Der Diskontparameter muss größer sein als (T-R)/(T-P), d. h. die Zukunft muss eine Bedeutung haben, sonst kann sich keine Strategie durchsetzen, die freundlich beginnt. Theorem 4 Eine freundliche Strategie kann nur dann kollektiv stabil sein, wenn sie auf die erste nicht kooperative Aktion (Defektion) des anderen Spielers mit Defektion reagiert (maximal diskriminierende Strategie). Erläuterung: Wenn eine Strategie auf nicht kooperatives Verhalten eines anderen Spielers nicht sofort mit Bestrafung reagiert, wird sie weiter ausgebeutet und kann das Turnier nicht mehr gewinnen. Theorem 5 Die Strategie Immer-D, die immer defektiert, ist kollektiv stabil. Erläuterung: Eine Gesellschaft aus Individuen, die nie kooperieren, ist kollektiv stabil. Jede einzelne Strategie, die in diese Gesellschaft kommt, kann nur verlieren, wenn sie kooperiert. Anders ist dies nur, wenn eine hinreichend große Gruppe freundlicher Strategien zugleich in die Gesellschaft eindringt. Theorem 6 Die Strategien, die in Immer-D als Gruppe mit dem niedrigsten Wert für p eindringen, sind solche, die maximal diskriminieren. Erläuterung: Der Anteil p einer Strategie an der Gesamtheit aller Strategien lässt sich als Anteil an der Gesamtgesellschaft oder auch als Wahrscheinlichkeit auffassen. Die Wahrscheinlichkeit einer freundlichen, maximal diskriminierenden Strategie wie Tit for Tat, auf Mitglieder der eigenen Gruppe zu treffen, muss hoch genug sein, damit diese Strategie sich kollektiv durchsetzen kann.

52

Trifft Tit for Tat auf Immer-D, dann gewinnt Immer-D. Trifft Tit for Tat auf sich selbst, dann sind die Gewinne höher, als wenn Immer-D auf sich selbst trifft.

2  Dynamische Grundlagen

aus dem Modell heraus erklärt werden kann. Insofern ist in diesen Theorien auch kein Ansatzpunkt gegeben, den Einfluss von Umwelt und Gesundheit auf die Arbeitsproduktivität zu modellieren. Dennoch soll das neoklassische Basismodell des Theorem 7 Wachstums vorgestellt werden, weil es die GrundWenn ein einzelnes Individuum nicht in eine lage zahlreicher Weiterentwicklungen bildet, die freundliche Strategie eindringen kann, dann kann die Rolle des Humankapitals für Wachstum und auch keine Gruppe eindringen. Entwicklung untersuchen (siehe hierzu beispielsErläuterung: Wenn eine freundliche Gruppe, weise Barro und Sala-i-Martin 1998; Acemoglu beispielsweise eine Gruppe von Tit-for-Tat-­ 2009). Rückt Humankapital in den Mittelpunkt Strategien groß genug ist, um sich gegen einzelne der Betrachtung, dann spielen auch Bildung und defektierende Spieler durchzusetzen, dann kann Gesundheit eine zentrale Rolle. In diesem Zusamsie sich auch gegen eine Gruppe defektierender menhang soll das Basismodell der neuen WachsStrategien durchsetzen. Grundlage des Überlebens tumstheorie zur Modellierung des Einflusses von der freundlichen Strategie ist, dass es genügend Humankapital auf das Wirtschaftswachstum vorandere freundliche Strategien im Turnier gibt. gestellt werden. Aufbauend auf dem neoklassischen Modell hat sich überdies die RessourcenTheorem 8 ökonomik herausgebildet (Kap.  10), die die Wenn eine Strategie kollektiv stabil ist, dann ist Entwicklung des Ressourcenbestandes im Zeitabsie auch territorial stabil. lauf untersucht. Dabei werden erneuerbare und Erläuterung: Unterstellt wird ein rechtwinkliges nicht erneuerbare Ressourcen unterschieden, deGitternetz, in dem jeder Spieler acht Nachbarn hat. ren Einsatz als Produktionsfaktoren das WirtUnterstellt wird, dass eine Kooperation jeweils nur schaftswachstum beeinflusst. zwischen Nachbarn möglich ist. Angenommen sei Als Grundstein der neoklassischen Wachsweiter, dass ein Spieler auf eine bestimmte Strategie tumstheorie gelten die Arbeiten von Solow festgelegt ist. Territoriale Stabilität bedeutet dann, (1956) und Swan (1956). Sie legen nahe, dass dass sein Nachbar keine bessere Möglichkeit hat, Länder oder Regionen mit gleichen Ausgangsbeals auch diese Strategie zu wählen. dingungen, also übereinstimmenden regionalen Unter bestimmten Bedingungen kann also im Rahmendaten wie Bevölkerungswachstum, Sparunendlich oft wiederholten Gefangenendi- quote und Abschreibungsbedarf, früher oder spälemma Kooperation entstehen. Im Gesundheits- ter das gleiche Pro-Kopf-Einkommen erreichen. bereich spielt das Entstehen von Kooperation im Dieser Prozess vollzieht sich ohne wirtschaftliRahmen von Ehrenämtern und im Zusammen- che Eingriffe des Staates bzw. internationaler Orhang mit Selbsthilfeorganisationen eine Rolle. ganisationen. Während des Aufholprozesses Anwendungsfälle sind speziell im Umweltbe- wachsen ärmere Länder oder Regionen schneller reich zahlreich. Dazu gehören beispielsweise als reiche. Wenn Staatseingriffe erfolgen, die die Selbstverpflichtungen zu umweltschonendem ärmeren Regionen fördern, kann sich dieser AufVerhalten oder Klimaschutzabkommen, mit de- holprozess zwar noch beschleunigen, das Gleichnen Staaten sich auf eine nachhaltige Entwick- gewicht ändert sich jedoch nicht. Wie sich ein lung verpflichten (Abschn. 10.7). Land langfristig entwickelt, hängt dem neoklassischen Wachstumsmodell zufolge nur von seinen Rahmendaten (Sparquote, Bevölkerungs2.2 Basismodelle des Wachstums wachstum, Abschreibungsrate des Sachkapitals) ab. Die folgende Darstellung des Solow-­Swan-­ Als Basismodelle der Wachstumstheorie gelten Modells entspricht derjenigen in Bretschger neoklassische Ansätze, die davon ausgehen, dass (2004). Ausgangspunkt der Betrachtungen ist die die Produktivität exogen gegeben ist, also nicht neoklassische Produktionsfunktion

2.2  Basismodelle des Wachstums



Y = F ( K ,L ) .

53

(Gl. 2.1)

Sie gibt den Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Produktionsfaktoren Kapital (K) und Arbeit (L) und der maximal möglichen Ausbringungsmenge wieder. Beide Faktoren sind für den Produktionsprozess erforderlich, d. h. es gilt

F ( K ,0 ) = F ( 0,L ) = 0.

(Gl. 2.2)

Überdies werden positive, abnehmende Gren­ zerträge unterstellt, also FL , FK > 0, FLL , FKK < 0, FLK = FKL = 0, (Gl. 2.3) wobei die Indizes die ersten (K, L) und zweiten (LL, KK; LK, KL) Ableitungen der Produktionsfunktion nach den Einsatzfaktoren ­bezeichnen. Der Outputzuwachs wird annahmegemäß immer geringer, je mehr von dem betrachteten Input schon in der Produktion eingesetzt wird. Umgekehrt wird der Zuwachs umso größer, je mehr von dem anderen Produktionsfaktor vorhanden ist. Wenn von einem Faktor bisher nur sehr wenig in der Produktion eingesetzt wird, geht seine Grenzproduktivität gegen unendlich. Wenn dagegen bereits sehr viel von diesem Faktor verwendet wird, geht seine Grenzproduktivität gegen Null. Diese Zusammenhänge werden als Inada-­Bedingungen bezeichnet und gelten sowohl für die Arbeit als auch für das Kapital:

lim K → 0 FK = lim L → 0 FL = ∞,lim K →∞ FK = lim L →∞ FL = 0. (Gl. 2.4)

Die Produktionsfunktion weist konstante Skalenerträge auf. Das bedeutet, dass eine Verdoppelung (bzw. Vervielfachung um den Faktor λ) aller Einsatzfaktoren zu einer Verdoppelung (bzw. Vervielfachung um den Faktor λ) des Outputs führt.

 λ ≥ 0 (Gl. 2.5) λ ⋅ F ( K ,L ) = F ( λ ⋅ K ,λ ⋅ L ) fur

Im Folgenden wird nicht der absolute Output der Volkswirtschaft analysiert, sondern der Pro-­ Kopf-­ Output. Dahinter steht die Vorstellung, dass das Pro-Kopf-Einkommen den individuellen Nutzen eines repräsentativen Indivi-

duums widerspiegelt und deshalb als gesellschaftliches Wohlfahrtsmaß geeignet ist. Da im neoklassischen Grundmodell Vollbeschäftigung unterstellt wird, erhält man den Pro-Kopf-Output durch Division des gesamtwirtschaftlichen Outputs Y durch die Zahl der Arbeitskräfte L. Dabei wird angenommen, dass die Zahl der Arbeitsstunden pro Arbeitskraft feststeht und für alle Beschäftigten gleich ist. Die gesamte Arbeitsmenge L entspricht dann der Anzahl der vollzeitbeschäftigten Arbeitskräfte. In einer anderen Interpretation kann L auch als Anzahl von Arbeitsstunden aufgefasst werden. In diesem Fall kann man jedoch nicht mehr von Pro-Kopf-Größen sprechen. Wenn die Kapitalintensität (k) als Quotient aus Kapital (K) und Beschäftigung (L) definiert wird, dann ergibt sich der Pro-Kopf-Output (y) aus der Pro-Kopf-Produktionsfunktion (f) in Abhängigkeit der Kapitalintensität (k): y = f ( k ) mit f ≡ F ( k,1) und Y = L ⋅ f ( k ) .

(Gl. 2.6)

In der Pro-Kopf-Schreibweise gilt für das Grenzprodukt des Kapitals

YK = f ′ ( k ) .

(Gl. 2.7)

Dies lässt sich wie folgt begründen: FK = dLF ( K / L,1) / dK = dLf ( K / L ) / dk



= Lf ′ ( K / L ) ⋅ 1 / L = f ′ ( k ) .

(Gl. 2.8)

Aus den oben genannten Inada-Bedingungen ergibt sich

lim k →0 f ′ ( k ) = ∞;lim k →∞ f ′ ( k ) = 0 (Gl. 2.9)

und aus der Produktionsnotwendigkeit beider Faktoren folgt

F ( 0,L ) = F ( K ,0 ) = f ( 0 ) = 0.

(Gl. 2.10)

Lässt man technischen Fortschritt zunächst unberücksichtigt, dann ist ein Gleichgewicht definiert als derjenige Zustand, in dem sich die Kapitalintensität und folglich das Pro-Kopf-­ Einkommen nicht mehr ändert. Im Gleichgewicht beträgt die Wachstumsrate der Kapitalintensität also Null. Die Wachstumsrate einer beliebigen Variablen x wird allgemein geschrieben als

2  Dynamische Grundlagen

54



g x = xˆ =

x dx ( t ) / dt = , (Gl. 2.11) x x (t )

wobei t den Zeitpunkt der Betrachtung beschreibt. Wenn im Zeitpunkt t ein Gleichgewicht bestehen soll, muss für die Wachstumsrate der Kapitalintensität k folglich gelten:



k dk ( t ) / dt kˆ = = . k k (t )

I = S.

(Gl. 2.13)

Gespart wird annahmegemäß ein konstanter und exogen gegebener Anteil (s) des Einkommens. Dieser Anteil wird als Sparquote bezeichnet. Hierbei handelt es sich um eine Annahme aus dem traditionellen statischen keynesianischen Makromodell, die insofern in einem neoklassischen Modell überrascht. Es gilt also

S = s ⋅Y.

(Gl. 2.14)

Eine dritte Größe, die zur Berechnung des Gleichgewichtseinkommens relevant ist, ist das Bevölkerungswachstum (n), das ebenfalls als exogen gegeben und konstant angesehen wird:

 ˆ L= n. L= L

K = I − δ ⋅ K = s ⋅ F ( K ,L ) − δ ⋅ K .

(Gl. 2.15)

Unter diesen Voraussetzungen soll nun das gleichgewichtige Pro-Kopf-Einkommen  y* (in Abhängigkeit der gleichgewichtigen Kapitalintensität k*) bestimmt werden. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die zeitliche Änderung des

(Gl. 2.16)

Nach Division beider Seiten dieser Gleichung durch L folgt

(Gl. 2.12)

Der Kapitalstock der betrachteten Volkswirtschaft ändert sich annahmegemäß einerseits durch Investitionen (I), andererseits durch Abschreibungen, die mit einem exogen gegebe­ nen und konstanten Prozentsatz  δ auf den Kapitalbestand vorgenommen werden. Die Fi­ nanzierungsannahme dieses Modells einer geschlossenen Volkswirtschaft lautet, dass Unternehmen die Investitionen (I) mithilfe der Ersparnisse (S) finanzieren, die ihnen von den Haushalten zur Verfügung gestellt werden. Angebot und Nachfrage auf dem Kapitalmarkt werden über den Zins abgeglichen, so dass im Gleichgewicht Investitionen und Ersparnisse übereinstimmen:

aggregierten Kapitalbestandes (K). Die Veränderung des Kapitalstocks über die Zeit ist definiert als Differenz zwischen Investitionen und Abschreibungen:

K = s ⋅ f ( k ) − δ ⋅ k. L



(Gl. 2.17)

Es gilt d ( K / L ) K L K K k = = − ⋅ = − n ⋅ k. (Gl. 2.18) dt L L L L Setzt man dieses Ergebnis in obige Gleichung ein, dann folgt daraus die fundamentale Wachstumsgleichung

k = s ⋅ f ( k ) − ( n + δ ) ⋅ k (Gl. 2.19)

oder nach Division beider Seiten durch k gleichbedeutend

k ˆ s ⋅ f ( k ) =k= − ( n + δ ) . (Gl. 2.20) k k

Der Ausdruck s  ⋅  f(k) gibt die Pro-Kopf-­ Ersparnis an. Der Term (n + δ) ⋅ k lässt sich als „erforderliche“ Investition interpretieren. Erforderlich sind die Investitionen, damit trotz des Bevölkerungswachstums (mit der Rate n) und der Abschreibungen (mit der Rate δ) der Kapitalbestand pro Kopf (k) aufrechterhalten wird. Wenn nun die Pro-Kopf-Ersparnis größer ist als die erforderlichen Investitionen, dann steigt der Pro-Kopf-Kapitalstock. Umgekehrt sinkt der Kapitalbestand je Arbeitskraft, wenn die Pro-Kopf-Ersparnis geringer ist als die erforderlichen Investitionen. Abb. 2.1 stellt diesen Zusammenhang dar. Aufgrund der Struktur der neoklassischen Produktionsfunktion zeigt sich, dass Kapitalintensität und Pro-Kopf-Einkommen wachsen, solange die Kapitalintensität unter ihrem Gleichgewichtswert liegt (solange k < k* gilt). In diesem Fall ist die Pro-Kopf-Ersparnis größer als die zur Aufrechterhaltung des Status quo erforderlichen Investitionen, und die Wachstumsrate des Pro-Kopf-Kapitalstocks kˆ ist positiv. Im Gleichgewicht, also für k*,

2.2  Basismodelle des Wachstums

ist die Wachstumsrate der Kapitalintensität gleich Null, der Pro-Kopf-­ Kapitalstock bleibt unverändert. Für k > k* schrumpfen Kapitalintensität und Pro-Kopf-­Einkommen, kˆ ist negativ. Auf diese Weise strebt die Wirtschaft ohne äußere Eingriffe dem Gleichgewicht zu. Im Gleichgewicht wächst der aggregierte Output mit der gleichen Rate wie die Bevölkerung und der Pro-Kopf-Output bleibt konstant. Das Wachstumsgleichgewicht hängt im Solow-­ Swan-Modell also nicht von den Anfangsbedingungen, sondern von den exogenen Bestimmungsgrößen s, n und δ ab. Sowohl die Kapitalintensität k als auch das Pro-Kopf-­Einkommen  y sind kon­ stant. Der Kapitalstock K und das aggregierte Einkommen  Y wachsen wegen des Bevölkerungswachstums mit der Rate  n. Abb.  2.1 stellt das neoklassisches Wachstumsmodell grafisch dar. Dem Solow-Swan-Modell zufolge strebt jede Volkswirtschaft bzw. jede regionale Wirtschaft also einem Gleichgewicht zu, sie konvergiert. Hinsichtlich des Konvergenzbegriffes ist zwischen absoluter und bedingter Konvergenz zu Abb. 2.1 Solow-Modell. (Quelle: Störmann 2009 nach Bretschger 2004, eigene Darstellung)

55

unterscheiden. Nach dem Konzept der absoluten Konvergenz streben alle Volkswirtschaften bzw. Regionen auf ein gleiches, eindeutig bestimmtes Gleichgewicht hin, also auf ein Pro-Kopf-­ Einkommen, das sich ohne äußere Eingriffe nicht mehr ändert und das bei gleichen Rahmenbedingungen für alle Regionen identisch ist. Bedingte Konvergenz bedeutet hingegen, dass jede Volkswirtschaft bzw. Region auf ihr eigenes, eindeutig bestimmtes Gleichgewicht zustrebt. Neben der absoluten und der bedingten Konvergenz kennt das volkswirtschaftliche Schrifttum auch den Begriff der Klubkonvergenz. Demzufolge gibt es verschiedene Gleichgewichte für verschiedene Gruppen von Ländern. Jedes Land gehört einer bestimmten Gruppe (Klub) an und strebt auf ein Pro-Kopf-Einkommen zu, das wiederum für alle Mitglieder dieses Klubs gleich aber von demjenigen anderer Klubs verschieden ist. Die Frage nach Konvergenz wird im einfachen Solow-­ Swan-­Modell ohne technischen Fortschritt eindeutig beantwortet: Es liegt bedingte Konvergenz (β-Konvergenz) vor, weil ein Land abhängig von

2  Dynamische Grundlagen

56

s, n und δ ein spezielles Gleichgewicht k* bzw. y* erreicht. Regionen, die weiter von ihrem Gleichgewichtswert entfernt sind, haben höhere Wachstumsraten des Pro-Kopf-Einkommens als solche Regionen, die sich schon näher an ihrem Gleichgewicht befinden. Nur bei gleichen Rahmenbedingungen, also gleichen Sparquoten, gleichem Bevölkerungswachstum und gleichen Abschreibungen, erreichen alle Länder bzw. Regionen am Ende des Anpassungsprozesses das gleiche Pro-Kopf-Einkommen. Die einzige Methode, im Solow-Swan-Modell die Höhe des Pro-Kopf-Einkommens einer Region dauerhaft zu beeinflussen, besteht in der Veränderung der Sparquote (bzw. Investitionsquote), des Bevölkerungswachstums oder des Abschreibungsbedarfs. Sowohl eine steigende Investitionsquote als auch reduzierte Bevölkerungswachstums- und Abschreibungsraten führen zu einer Steigerung der gleichgewichtigen Kapitalintensität  k* und damit zu höheren Pro-Kopf-Einkommen. Alle anderen Instrumente, die eine Wirtschaft temporär über k* hi­ nausführen, können dem Modell zufolge keine dauerhaften Effekte haben, weil der Anpassungsprozess stets zum Gleichgewicht zurück tendiert. Betrachtet man beispielsweise ausgehend vom Gleichgewicht  k* einen einmaligen Einwanderungsschub, der zu einer gesteigerten Anzahl von Arbeitskräften  L, nicht jedoch zu einem Anstieg der Bevölkerungswachstumsrate  n führt, dann bleibt der Gleichgewichtswert k* unverändert, aber der aktuelle Wert der Kapitalintensität  k fällt unter k*. Für k < k* ist die Pro-Kopf-­Ersparnis größer als der Investitionsbedarf, und die Kapitalintensität steigt, so dass die Wirtschaft zum ursprünglichen Gleichgewicht zurückfindet. Steigt dagegen die Wachstumsrate n, dann dreht sich im oberen Teil der Abb. 2.1 die Gerade nach oben und schneidet die Pro-Kopf-­Sparfunktion links vom ursprünglichen Gleichgewichtswert. Die gleichgewichtige Kapitalintensität und das gleichgewichtige Pro-­ Kopf-Einkommen sinken also, wenn die Wachstumsrate der Bevölkerung ansteigt. Bei der Beeinflussung der Sparquote ist jedoch zu beachten, dass auch des Guten zu viel getan werden kann. Ziel allen wirtschaftlichen Handelns ist annahmegemäß die Maximierung

der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt. Stellvertretend für die Gesamtgesellschaft soll der Nutzen eines repräsentativen Individuums maximiert werden. Dieser individuelle Nutzen ergibt sich annahmegemäß wiederum aus dem Pro-Kopf-­ Konsum. Je höher der Pro-Kopf-Konsum, desto höher ist der Nutzen des repräsentativen Individuums und damit die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt. Die Beeinflussung der Spar- bzw. Investitionsquote sollte dem Modell zufolge also so ausgerichtet sein, dass der gleichgewichtige Pro-­ Kopf-­Konsum (c*) maximal wird. Für den Pro-­ Kopf-­Konsum (c) gilt c = (1 − s ) ⋅ y = (1 − s ) ⋅ f ( k ) = f ( k ) − s ⋅ f ( k ) . (Gl. 2.21) Im Gleichgewicht ist

( )

s ⋅ f k ∗ = ( n + δ ) ⋅ k ∗ .

(Gl. 2.22)

Der gleichgewichtige Pro-Kopf-Konsum ist damit

( )

c∗ = f k ∗ − ( n + δ ) ⋅ k ∗ . (Gl. 2.23)

Er wird maximal für eine ganz bestimmte Kapitalintensität k*gold, für die gilt

(

)

∗ f ′ kgold = n +δ.

(Gl. 2.24)

Der Ausdruck (f'(k)) auf der rechten Seite der Gleichung ist die Grenzproduktivität des Kapitals. Auf der linken Seite der Gleichung gibt n nicht nur die exogene Wachstumsrate der Bevölkerung, sondern wie oben gezeigt auch die Wachstumsrate der Kapitalintensität und des Pro-Kopf-Einkommens an. Die Bedingung wird als goldene Regel der Kapitalakkumulation bezeichnet. Sie beinhaltet, dass die Grenzproduktivität des Kapitals im gesamtwirtschaftlichen Optimum der Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens zuzüglich des Abschreibungssatzes entsprechen muss. Um die entsprechende Kapitalintensität zu erreichen, ist wiederum eine ganz bestimmte „goldene“ Sparquote erforderlich. Wird in einer Wirtschaft zu viel oder zu wenig gespart, dann wird der maximale Pro-­ Kopf-­Konsum nicht erreicht und die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt ist nicht optimiert. Eine wesentliche Stärke des Solow-Swan-Modells besteht darin, die Zusammenhänge zwischen Investitionsquote und Pro-Kopf-Einkommen

2.2  Basismodelle des Wachstums

57

sowie zwischen Bevölkerungswachstum und ProKopf-­Einkommen auf einfache Weise analytisch herzuleiten. Die Ergebnisse sind plausibel und empirisch für viele Länder nachgewiesen. Eine oft geäußerte Kritik am Grundmodell bezieht sich darauf, dass es ein dauerhaftes Wachstum der Pro-Kopf-Einkommen, das ebenfalls vielfach empirisch beobachtbar ist, nicht erklären kann, weil der Wachstumsprozess dem Modell zufolge im Gleichgewicht zum Stillstand kommt. Diesen Kritikpunkt nimmt Solow selbst auf, indem er technischen Fortschritt in das Modell integriert. Dabei wird angenommen, dass der technische Fortschritt (A) arbeitsvermehrend ist, also die Arbeitsproduktivität erhöht. Der technische Fortschritt  A wächst annahmegemäß im Zeitablauf mit konstanter exogener Rate  g. Der technische Fortschritt ist also im Solow-Modell exogen, er wird nicht aus dem Modell heraus erklärt. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen der Wachstumstheorie neoklassischer Prägung und der neuen Wachstumstheorie. Im Solow-Modell mit technischem Fortschritt kann im Vergleich zum Basismodell bei der gleichen Anzahl von Beschäftigten (L) nun mehr produziert werden, weil jede einzelne Arbeitsstunde produktiver genutzt wird. Die Produktionsfunktion lautet dann wie folgt:

Y = F ( K , A ⋅ L ) ,

(Gl. 2.25)

wobei das Produkt aus technischem Fortschritt A und Beschäftigtenzahl L als effektive Arbeit bezeichnet wird. Für die Produktionsfunktion gelten weiterhin die oben erläuterten Standardannahmen des neoklassischen Modells. Auch die Annahmen eines exogenen Bevölkerungswachstums mit konstanter Wachstumsrate n, des exogen bestimmten Abschreibungsbedarfs mit der Rate δ und der kon­ stanten Spar- bzw. Investitionsquote  s werden beibehalten. Das Pro-Kopf-Einkommen in Arbeitseffizienzeinheiten y ist nun definiert als

y =

Y A⋅L

(Gl. 2.26)

und für die Kapitalintensität in Effizienzeinheiten gilt analog



K k = . A⋅L

(Gl. 2.27)

Die Änderung der Kapitalintensität über die Zeit lautet nach einigen Umformungen

dk / dt = s ⋅ y − (δ + n + g ) ⋅ k.

(Gl. 2.28)

Die fundamentale Wachstumsgleichung mit technischem Fortschritt ähnelt demnach strukturell derjenigen ohne technischen Fortschritt. Unterschiede bestehen jedoch in der Definition der Kapitalintensität und des Pro-Kopf-Einkommens sowie in der Einbeziehung der Wachstumsrate des technischen Fortschritts. Im Wachstumsgleichgewicht ist jetzt nicht mehr die Kapitalintensität  k, sondern die Kapitalintensität in Effizienzeinheiten  k konstant. Der gleichgewichtige Kapitalstock in Effizienzeinheiten (k ∗) ergibt sich analog zur oben erläuterten Vorgehensweise im Fall ohne technischen Fortschritt. Für

dk / dt = 0

(Gl. 2.29)

s ⋅ y = (δ + n + g ) ⋅ k.

(Gl. 2.30)

ist

Ähnlichkeiten zeigen sich auch bezüglich der goldenen Sparquote. Gesucht ist mit technischem Fortschritt diejenige Sparquote, die den Pro-­ Kopf-­Konsum, also

( )

c ∗ = y ∗ − ( n + g + δ ) ⋅ k ∗ = f k ∗ − ( n + g + δ ) ⋅ k ∗

(Gl. 2.31)

maximiert. Die goldene Regel der Kapitalakkumulation lautet nun

( )

f ′ k ∗ = n + δ + g.

(Gl. 2.32)

Aus dieser Bedingung lässt sich ein optimaler Pro-Kopf-Kapitalbestand  kgold ableiten, der bei einer bestimmten Sparquote erreicht wird. Abb. 2.2 zeigt die Analogie zwischen den Modellen mit und ohne technischen Fortschritt. In

2  Dynamische Grundlagen

58

beiden Fällen  – mit und ohne technischen Fortschritt – hängt das Wachstumsgleichgewicht nicht von den Anfangsbedingungen, sondern von den exogenen Bestimmungsgrößen s, n, δ und im Fall des technischen Fortschritts auch von g ab. Sowohl die Kapitalintensität in ­Effizienzeinheiten k als auch das Pro-Kopf-­Einkommen in Effizienzeinheiten  y sind konstant. Die Kapitalintensität k und das Pro-Kopf-Einkommen  y wachsen aufgrund des technischen Fortschritts mit der Rate g. Der Kapitalstock K und das aggregierte Einkommen  Y wachsen wegen des technischen Fortschritts und des Bevölkerungswachstums mit der Rate (g + n). Im Folgenden soll die Modellmechanik eines Solow-Modells mit technischem Fortschritt am Beispiel einer Cobb-Douglas-Produktionsfunktion erläutert werden. Die Produktionsfunktion ist wie folgt gegeben: Y = Kα ⋅ ( A ⋅ L )

1−α



.



y = kα .

(Gl. 2.34)

Im Wachstumsgleichgewicht gilt für die Ersparnis

s ⋅ y = ( n + g + δ ) ⋅ k

(Gl. 2.35)

und damit zugleich

s ⋅ kα = ( n + g + δ ) ⋅ k.

(Gl. 2.36)

Auflösen nach der Kapitalintensität k ergibt 1



  1 −α s k =    n + g +δ 

(Gl. 2.37)

und wegen y = kα gilt α



  1 −α s y =   .  n + g +δ 

(Gl. 2.38)

Angenommen es sei α = 1/3, die Bevölkerung wachse mit der Rate n = 0,02 und der technische Fortschritt wachse mit der Rate g  =  0,03. Die

( )

f ′ k ∗ = n + δ + g,





(Gl. 2.39)

α ⋅ kα −1 = n + δ + g.

(Gl. 2.40)

in diesem Beispiel also

Auflösen nach k ergibt

(Gl. 2.33)

Die Produktionsfunktion in Arbeitseffizienzeinheiten ist dann

Sparquote sei s = 0,2 und der Abschreibungssatz δ  =  0, 05. Dann ergibt sich für die Pro-Kopf-­ Kapitalintensität im Wachstumsgleichgewicht k = 2, 8 und für das Pro-Kopf-Einkommen im Wachstumsgleichgewicht y = 1, 4. Diese Situation ist aber nicht wohlfahrtsoptimal, weil das Pro-Kopf-Einkommen und damit der Pro-Kopf-­ Konsum bei einer anderen Sparquote höher ausfallen könnte. Abb.  2.2 beinhaltet die grafische Darstellung des neoklassischen Wachstumsmodells mit exogenem technischem Fortschritt. Nach der goldenen Regel der Kapitalakkumulation muss gelten

1



  1 −α α k =   .  n + g +δ 

(Gl. 2.41)

Nimmt man dieses Ergebnis zusammen mit der Bedingung im Wachstumsgleichgewicht, dann zeigt sich, dass für die goldene Sparquote gilt: sgold  =  α. Im Beispiel muss die Sparquote also von 1/5 auf 1/3 steigen, damit die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt maximal wird.

2.3

Wachstum und Humankapital

Während das Solow-Modell dauerhaftes Wachstum nicht aus dem Modell heraus erklären kann, ist dies im Rahmen der Modelle der neuen Wachstumstheorie möglich. Im Solow-Modell wird der technische Fortschritt als gegeben angenommen, die exogene Wachstumsrate des technischen Fortschritts g ist zugleich die Wachstumsrate des ProKopf Einkommens. Gerade die Exogenität des technischen Fortschritts ist Gegenstand der Kritik, da das zu erklärende Phänomen, dauerhaft positives Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens, unerklärt von außen in das Modell hineingesteckt

2.3  Wachstum und Humankapital

59

Abb. 2.2  Solow-­Modell mit technischem Fortschritt. (Quelle: Störmann 2009 nach Bretschger 2004, eigene Darstellung)

wird. Auch Anhaltspunkte für eine gezielte Forschungs- und Technologieförderung ergeben sich aus dem Modell heraus nicht. Vor diesem Hintergrund hat sich die neue Wachstumstheorie intensiv mit der Frage beschäftigt, wie dauerhaft positives Wachstum erklärbar ist. Im Unterschied zur Neoklassik geht die neue Wachstumstheorie davon aus, dass es positive Skalenerträge gibt, also eine Verdoppelung der Einsatzfaktoren zu mehr als dem doppelten Output führt und diese Beschleunigung beispielsweise mithilfe des Humankapitals erklärbar ist. Das Basismodell der neuen Wachstumstheorie mit Humankapital geht auf Beiträge von Lucas (1988) und Uzawa (1965) zurück (das Folgende nach Mezger 2004). Kerngröße des Lucas-­ Modells ist ebenso wie im Solow-Modell das Pro-Kopf-Einkommen; wirtschaftliche Entwicklung wird mit einem Wachstum des Pro-Kopf-­ Einkommens gleichgesetzt. Intention des Modells ist es, zu zeigen, dass nicht nur vom technischen Fortschritt, sondern auch vom Humankapital Wachstumsimpulse ausgehen. Dabei

greift Lucas auf das Zwei-Sektoren-Modell von Uzawa (1965) mit einem Sachgütersektor und einem Bildungssektor zurück, das wiederum auf dem Solow-Modell basiert. Ebenso wie das neoklassische Grundmodell des Wachstums geht das Lucas-Modell von einer geschlossenen Volkswirtschaft mit exogen gegebenem Bevölkerungswachstum der Rate  n aus. Alle Konsumenten weisen die gleichen Präferenzen auf. Auch die Rate des technischen Fortschritts A ist exogen gegeben. An die Stelle des Produktionsfaktors Arbeit tritt das Humankapital h(t). Ein Individuum kann seine Zeit (die Gesamtzeit ist auf Eins normiert) darauf verwenden, in der Produktion zu arbeiten oder sein Humankapital durch Bildung aufzustocken. Produktionszeit wird mit u(t) bezeichnet, Bildungszeit mit 1-u(t). Bildung hat dabei zweierlei Effekte. Erstens erhöht sich mit steigendem Humankapital der Grenzertrag des Beschäftigten in der Produktion. Zweitens werden alle Beschäftigten produktiver, dies ist der positive externe Effekt der Bildung he(t)y.

2  Dynamische Grundlagen

60

Unterstellt man eine Cobb-Douglas-Produktionsfunktion, dann lassen sich die Effekte des Humankapitals wie folgt darstellen:   Y = A ⋅ K ( t ) ⋅ u ( t ) ⋅ h ( t ) ⋅ L ( t )  ∝

1 −α

⋅ he ( t ) . (Gl. 2.42) y

Dabei bezeichnet der Ausdruck in eckigen Klammern das in der Sachgüterproduktion eingesetzte Humankapital, wobei L(t) die Anzahl der Beschäftigten ist. Im Modell der geschlossenen Volkswirtschaft muss bei Markträumung gelten: A ⋅ K ( t ) ⋅ u ( t ) ⋅ h ( t ) ⋅ L ( t )  ∝



= L (t ) ⋅ c (t ) + K (t ).

1 −α

⋅ he ( t )

γ

(Gl. 2.43)

Die linke Seite der Gleichung bezeichnet das Angebot an Gütern, die rechte Seite die Güternachfrage. Dabei ist c(t) der Pro-Kopf-Konsum und L(t)  ⋅  c(t) die Konsumgüternachfrage. Die Veränderung des Kapitalstocks über die Zeit (K(t)) gibt die Investitionsgüternachfrage wieder.  Die Zuwachsrate des Humankapitals h ( t ) wird bestimmt durch den Bestand an Humankapital (h(t))ξ und eine Funktion der Bildung investierten Zeit (G(1 − u(t)). h ( t ) = h ( t ) ⋅ G (1 − u ( t ) )  (Gl. 2.44) 



Abb. 2.3 Lucas-Modell mit Humankapital. (Quelle: Mezger 2004, S. 27)

ξ

Andere Bestimmungsfaktoren der Entwicklung des Humankapitals über die Zeit, die in dieser Gleichung nicht zu erkennen sind, sind die Produktivität des Bildungssektors und die Zeitpräferenz der Individuen. So ist das Wachstum des Humankapitalbestandes umso höher, je höher die Produktivität des Bildungssektors und je geringer die Gegenwartsvorliebe der Individuen. Entscheidend für das Modellergebnis ist der Grenzertrag der Humankapitalakkumulation ξ. Würden hier abnehmende Grenzerträge gelten, dann wäre kein dauerhaftes Wachstum aus dem Modell heraus erklärbar. Lucas unterstellt aber ξ = 1, also konstante Grenzerträge, und erklärt so dauerhaftes Wirtschaftswachstum. Dem Humankapital kommt dabei die Rolle des Wachstumsmotors zu. Investieren die Individuen zunächst einen hohen Anteil ihrer Zeit in Bildung, dann sinkt zwar vorübergehend die Sachkapitalproduktion, aber der Humankapitalbestand steigt. Dadurch wächst in den Folgeperioden auch das Sachkapital. Falls es den externen Effekt gibt, dann ist γ≠0 und das Sachkapitalwachstum ist im Vergleich zum Humankapitalwachstum überproportional. Die Modellmechanik ist in Abb.  2.3 dargestellt. Dabei stellen die Dreiecke die Erstrundeneffekte und die Pfeile die Zweitrundeneffekte dar. Das Wachstum hängt also von der Humankapitalausstattung ab und dieses wird nicht zuletzt

2.4  Wachstum und Gesundheit

von den Umweltbedingungen und dem Gesundheitssystem beeinflusst. Van Zon und Muysken (2001) erweitern das Modell von Lucas (1988) explizit um den Gesundheitssektor.

2.4

Wachstum und Gesundheit

Die Rolle der Gesundheit für die wirtschaftliche Entwicklung wird seit den 1960er-Jahren diskutiert (Schultz 1961; Mushkin 1962), wobei die explizite Berücksichtigung der Gesundheit als Produktionsfaktor in Modellen der Wachstumstheorie erst seit Mankiw et al. 1992 erfolgt. Direkte Effekte der Gesundheit auf das Ergebnis wirtschaftlichen Handelns erfolgen über die Arbeitsproduktivität. Beschäftigte, die über gute Gesundheit verfügen, leisten je Arbeitsstunde mehr als Personen, die sich nicht wohl fühlen. Hinzu kommt, dass bei gesunden Beschäftigten weniger Fehlzeiten entstehen. Insgesamt steigt also die durchschnittliche Arbeitsproduktivität mit der Gesundheit. Zusätzlich zu diesen direkten Effekten sind aber noch zahlreiche indirekte Auswirkungen von Gesundheit auf das Wachstum zu berücksichtigen, die im Wesentlichen darauf beruhen, dass durch Gesundheit Anreize gesetzt werden, Sachkapital und Humankapital aufzustocken. Der Anreiz zur Sachkapitalbildung erfolgt, weil Individuen bei höherer Lebenserwartung mehr Anreiz erhalten, für ihr Alter zu sparen, und Unternehmen bei besserer Gesundheit und höherer Arbeitsproduktivität mehr investieren. Zudem hat der Staat mehr Steuermittel für Infrastrukturausgaben übrig. Indirekte Auswirkungen von Gesundheit auf Bildung erfolgen, weil gesunde Kinder besser lernen. Zudem sinkt die durchschnittliche Kinderzahl in den Familien mit abnehmender Kindersterblichkeit, so dass für die Bildung des Einzelnen mehr Ressourcen aufgewendet werden können. Dies gilt zumindest für die sich entwickelnden Länder. In diesen Ländern spielt auch die Gesundheit der Eltern für die Bildung der Kinder eine bedeutende Rolle. Wenn Eltern erkranken, müssen Kinder ohne ausreichende soziale Sicherungssysteme früh erwerbstätig werden und können weniger in Bildung investieren. Hinzu kommt, dass in allen Ländern

61

bei steigender Lebenswartung die Bildungsrendite wächst und infolgedessen mehr Bildungsinvestitionen getätigt werden. Dies gilt sowohl für die vom Individuum als auch die von den Betrieben finanzierten Bildungsinvestitionen (Schneider 2018). Während Lucas (1988) den Einfluss der Bildung auf die Arbeitsproduktivität und damit auf das Wirtschaftswachstum modelliert, beeinflusst in der Modellerweiterung von van Zon und Muysken (2001) die Gesundheit sowohl die verfügbare Anzahl von Arbeitsstunden als auch die Arbeitsproduktivität. Höhere Arbeitsproduktivität bedeutet einerseits, dass dieselbe Anzahl von Beschäftigten schneller und effizienter produzieren kann, andererseits ist aber auch ein höherer Bildungsstand erreichbar, so dass der Aufbau des Humankapitals beschleunigt wird. Letzteres wirkt sich wiederum positiv auf die Innovationstätigkeit und das Wachstum aus (Albers 2003, S. 16 f). Auch die Bedingungen für das künftige Humankapital verbessern sich. Abb. 2.4 gibt den Zusammenhang schematisch wieder. Im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand können positive und negative externe Effekte dazu führen, dass nicht das optimale gesamtwirtschaftliche Wachstum realisiert wird. Positive und negative externe Effekte bringen es mit sich, dass der Markt das wünschenswerte Ergebnis verfehlt. Negative externe Effekte liegen beispielsweise dann vor, wenn ein hoher Krankenstand dazu führt, dass die verbleibenden Arbeitskräfte Überstunden leisten müssen, um die Arbeitsausfälle auszugleichen. Sie können daher ihre optimale Zeitallokation nicht mehr realisieren, arbeiten dauerhaft mehr, als gut für sie ist, und investieren dann möglicherweise zu wenig in ihre eigene Gesundheit, so dass der Gesundheitskapitalstock weiter abnimmt. Das gesamtwirtschaftliche Wachstum wird dadurch beeinträchtigt. Andererseits können beispielsweise Impfungen oder andere Präventionsmaßnahmen positive externe Effekte aufweisen. Der einzelne Arbeitnehmer bezieht die positiven externen Effekte nicht in sein Kosten-Nutzen-Kalkül ein und betreibt deshalb zu geringe Vorsorge, der Gesundheitskapitalstock ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu gering. Die Rolle des Staates

2  Dynamische Grundlagen

62

Abb. 2.4  Gesundheit und Wachstum. (Quelle: Albers 2003, S. 17)

besteht nun darin, sowohl positive als auch ne­ gative externe Effekte zu internalisieren und dafür Sorge zu tragen, dass der optimale ­Gesundheitskapitalbestand und damit das optimale gesamtwirtschaftliche Wachstum realisiert werden (Albers 2003, S. 20). Abb.  2.5 gibt einen Überblick über die in Wachstumsmodellen getroffenen Annahmen über die Gesundheit. Hier sind insbesondere Modelle, die Gesundheitskapital endogen bestimmen, von solchen zu unterscheiden, bei denen es exogen gegeben ist. Dauerhaftes Wachstum ergibt sich nur in Modellen mit endogenem Gesundheitskapital. Im Folgenden soll das Modell von Zon und Muysken (2001) vorgestellt werden, das das Gesundheitskapital endogen bestimmt und als ­Konsumenten der Gesundheitsgüter sowohl Erwerbstätige als auch Rentner berücksichtigt. In diesem Ansatz werden direkte und indirekte Produktivitätsaspekte der Gesundheit unterstellt und überdies positive externe Effekte von Gesundheit modelliert. Ebenso wie im Modell von Grossman (1972) (Abschn.  5.2) werden im Modell von Zon und

Muysken (2001) die positiven Einflüsse der Gesundheit auf die Arbeitsproduktivität dem Ressourcenverzehr durch den Gesundheitssektor gegenübergestellt. Hier sehen Zon und Muysken einen Trade-off zwischen Gesundheit und Humankapitalakkumulation. Letztere erfolgt ebenso wie im Modell von Lucas (1988) durch Bildung. Um Missverständnisse hinsichtlich des Sprachgebrauchs zu vermeiden, sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich der Begriff der Humankapitalakkumulation bei Zon und Muysken (2001) ebenso wie bei Lucas (1988) nicht auf die Aufstockung des Humankapitals durch Investitionen in die Gesundheit bezieht, sondern ausschließlich auf die Aufstockung des Humankapitals durch Zeit, die Menschen im Bildungssektor verbringen. Vor dem Hintergrund des Trade-offs zwischen Gesundheit und Humankapitalakkumulation ist der Gesundheitssektor bei Zon und Muysken (2001) durch abnehmende Erträge gekennzeichnet, während die Humankapitalakkumulation positive Erträge aufweist. Ebenso wie bei Grossman (1972) geht die Gesundheit neben dem Konsum des zusammengesetzten Gutes (Output, Endprodukt) direkt in die Nutzenfunk-

2.4  Wachstum und Gesundheit

63

Abb. 2.5  Gesundheitsbezogene Annahmen in Wachstumsmodellen. (Quelle: Schneider 2018, S. 46)

tion der Individuen ein, so dass es einen direkten Trade-off zwischen dem Output und der Gesundheit gibt. Gesundheit geht damit auf drei verschiedenen Wegen in die intertemporale Entscheidungsfindung der Individuen ein: Erstens ist Gesundheit eine Grundbedingung für die Bereitstellung von Humankapitalleistungen. Zweitens gibt es eine direkte Konkurrenz zwischen der Arbeitszeit, die im Gesundheitssektor verbracht wird, und der Arbeitszeit, die im Endproduktesektor oder zur Humankapitalakkumulation eingesetzt wird. Drittens geht Gesundheit direkt in die intertemporale Nutzenfunktion ein. Darüber hinaus verlängert die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen die Langlebigkeit und erzeugt damit positive Effekte. Das Modell von Zon und Muysken (2001) unterscheidet zwischen dem aktiven Teil der Bevölkerung, der im Endproduktesektor arbeitet oder sich weiterbildet, und dem passiven Teil, der mit zunehmender Lebenserwartung die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen erhöht. Die Produktivität des aktiven Teils der Bevölkerung hängt vom durchschnittlichen Gesundheitsniveau der Arbeitskräfte und vom Humankapital der Beschäftigten (auch im Gesundheitssektor) ab. Wenn die durchschnittliche Gesundheit der Beschäftigten sinkt, dann bedeutet dies eine reduzierte Anzahl von Arbeitstagen, d. h. Gesundheit und Humankapital sind Komplemente. Anderer-

seits ist die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen auch ein Substitut zur Humankapitalaufstockung, denn die im Gesundheitssektor verbrachte Zeit wird nicht in Bildung investiert. Ebenso wie die Modelle von Solow (1956) und Lucas (1988) liegt auch im Modell von Zon und Muysken (2001) der Fokus auf den Gleichgewichten (Steady-State-Situationen). Das erreichbare Gleichgewicht hängt dabei von den Modellparametern ab, das Modell sagt also bedingte Konvergenz voraus. Ausgangspunkt des Optimierungsproblems ist eine intertemporale Nutzenfunktion, die unter bestimmten Nebenbedingungen maximiert werden soll. Genauer handelt es sich um eine CIES-Nutzenfunktion (siehe hierzu ausführlich Göcke 2000), die über den Konsum C des zusammengesetzten Gutes sowie die im Bildungssektor und die im Gesundheitssektor verbrachte Zeit maximiert werden soll. Angenommen wird, dass ein Anteil u der gesamten zur Verfügung stehenden Zeit im Bildungssektor und ein Anteil v im Gesundheitssektor verbracht wird, dann steht noch ein Anteil (1-u-v) als Arbeitszeit im Endproduktesektor zu Verfügung. Die Betrachtung des Konsumgutes wird dadurch vereinfacht, dass CIES-Nutzenfunktionen eine konstante intertemporale Substitutionselastizität aufweisen. Die intertemporale Substitutionselastizität (IES) wird mit 1/θ bezeichnet und ist ein dimensionsloses

2  Dynamische Grundlagen

64

Maß der Substituierbarkeit zwischen dem Konsum in Periode i und dem Konsum in Periode j. Der Gegenwartswert des unendlichen Nutzenstroms ist gegeben durch ∞   c 1−γ U = ∫e − ρτ  g y    L 0 

1− Θ

   

L dτ , 0 < Θ < 1. − 1 ( Θ) (Gl. 2.45)

Dabei bezeichnet ρ ≥ 0 die Diskontrate je Periode der Länge dt. Die intertemporale Substitutionselastizität 1/θ ist wie gesagt konstant. Der Parameter γ ≤ 1 misst den relativen Beitrag der Gesundheit zum intertemporalen Nutzen im Verhältnis zum Beitrag des Pro-Kopf-Konsums C/L.  Dabei ist C der Konsum und L  =  nT die Größe der Bevölkerung, n ist die Anzahl der Personen, die pro Jahr geboren werden, und T ist die Lebenserwartung. Damit ist die Lebenserwartung T implizites Argument der Nutzenfunktion. Der Nutzen  U wird unter folgenden Bedingungen maximiert: Die Produktion des Outputs Y hängt ab vom konstanten Produktivitätsparameter  B, dem Anteil der Arbeitszeit im Produktionssektor (1-u-v), dem Humankapital h, dem Gesundheitsniveau g, der Anzahl von Personen je Altersgruppe n und dem Renteneintritt­ salter  A.  Der Produktivitätsparameter  B ist der Verschiebungsparameter, der den technischen Fortschritt repräsentiert. α



Y = B (1 − u − v ) hgnA  K 1−α



(Gl. 2.46)

Das Humankapital wächst im Zeitablauf in Abhängigkeit des Produktivitätsparameters  δ, des Anteils der im Bildungssektor verbrachten Zeit, des Gesundheitsniveaus und des bereits bestehenden Humankapitalstocks.

dh = δ ugh dt

(Gl. 2.47)

Das Wachstum des Sachkapitals  K pro Zeiteinheit entspricht den in einer Periode getätigten Investitionen, also der Differenz zwischen dem Output und dem Konsum.



dK = Y −C dt

(Gl. 2.48)

Das gleichgewichtige Gesundheitsniveau  g∗ hängt ab vom Produktivitätsparameter Ψ. Daneben spielt auch die Produktivitätseinbuße infolge der Technisierung eine Rolle. Zon und Muysken modellieren diesen Zusammenhang so, dass einerseits die Wahrnehmung von gesundheitlichen Problemen mit dem ansteigenden Niveau der Medizintechnik steigt, anderseits aber auch der Stresslevel und die damit verbundenen Fälle von Burnout zunehmen. Insgesamt sinkt die Arbeitszeit proportional zum Technologieniveau π  ⋅  h. Der Parameter ς repräsentiert dabei den prozentualen Rückgang der Arbeitszeit aufgrund der genannten Technologiefaktoren. Die Bedingung 0 ≤ β ≤ 1 repräsentiert die Annahme abnehmender Erträge in der Gesundheitsproduktion. z0 ist implizit definiert durch die mittlere und die rechte Seite der Gleichung. Dabei gilt, dass ein höherer Anteil der Beschäftigung im Gesundheitssektor zu einem höheren gleichgewichtigen Gesundheitsniveau führt und der Aufbau von Humankapital den Anpassungsprozess hin zum gleichgewichtigen Gesundheitsniveau beschleunigt. β



g∗ =

Ψ A  β β   v = z0 v (Gl. 2.49) ς  πµ 

Im Gleichgewicht wachsen der Output Y, der Konsum C, der Sachkapitalstock K und das Humankapital  h mit der gleichgewichtigen Wachstumsrate  r, während das Gesundheitsniveau  g* und die Lebenserwartung T auf ihrem Gleichgewichtsniveau konstant bleiben. Die langfristige Wachstumsrate steigt im Modell von Zon und Muysken mit der Produktivität der Gesundheitsproduktion und der Humankapitalakkumulation. Sie steigt auch mit der intertemporalen Substitutionselastizität, die besagt, inwiefern die Bevölkerung bereit ist, auf die Erträge ihrer Ersparnisse zu warten und Konsum in die Zukunft zu verlagern. Entsprechend steigt die Wachstumsrate auch, wenn die Diskontrate sinkt, d.  h. die Menschen künftige Konsummöglichkeiten höher bewerten. Im Vergleich zu den Modellergebnissen von Lucas (1988) ist die Wachstumsrate des Systems geringer, weil ein Teil der Arbeitszeit nun in die Gesundheitsproduktion gesteckt wird

65

2.4  Wachstum und Gesundheit

und nicht mehr für die Outputproduktion oder Humankapitalakkumulation zur Verfügung steht. Allerdings bedeutet verringertes Wachstum nicht verringerte Wohlfahrt. Ursächlich hierfür ist die Formulierung der Nutzenfunktion, in die die Gesundheit einmal direkt eingeht und ein weiteres Mal über die Lebenserwartung. Aufgrund dieser Zusammenhänge entscheiden sich die Individuen für Gesundheit statt Output oder Bildung, so dass die gleichgewichtige Wachstumsrate geringer ist als im Lucas-Modell. Tab. 2.2 fasst die Auswirkungen von veränderten Parametern (intertemporale Substitutionselastizität 1/θ, Diskontrate ρ, Produktivität der Humankapitalakkumulation δ, Produktivität der Gesundheitsproduktion z0, relativer Beitrag der Gesundheit zum Nutzen γ) auf Gesundheit und Wachstum (durchschnittliche Konsumneigung c, durchschnittliche Sparneigung  s, Anteil der Gesamtzeit in der Gesundheitsproduktion v, Anteil der Gesamtzeit in der Humanakkumulation  u, Wachstumsrate des Outputs r, gleichgewichtiges Gesundheitsniveau g*) zusammen: Hier sollen nur einige der wesentlichen Resultate herausgegriffen werden. Zunächst ist dies der übliche Zusammenhang zwischen einem Anstieg der Sparquote  s und der Zunahme der Wachstumsrate r. In diesem Zusammenhang ist die intertemporale Substitutionselastizität 1/θ von Bedeutung. Wenn diese sinkt, wollen die Individuen nicht mehr so lange auf ihre Investitionserträge warten und konsumieren u. a. mehr Gesundheitsprodukte. Daraufhin sinkt die Wachstumsrate des Outputs, aber auch die im Bildungssektor verbrachte Zeit. In die gleiche Richtung wirkt ein Anstieg der Diskontrate  ρ. Wenn bei steigender Diskontrate der Wert von Endprodukten, aber auch Gesundheitsleistungen in der Zukunft gerinTab. 2.2  Parameteränderungen sowie Reaktionen auf Gesundheit und Wachstum. (Quelle: Zon und Muysken 2001, S. 180) Parameter θ ρ δ z0 γ

C = 1 − s + + − − +

v + + − − +

u − − + + −

r − − + + −

g* + + − ?(+) +

ger eingeschätzt wird, dann werden Ressourcen von morgigem Konsum zu heutigem Konsum umgeleitet, d. h. c, v und g* steigen, während r und u sinken. Weiter ist zu beachten, dass v und u negativ korrelieren, weil die begrenzt verfügbare Zeit entweder zur Gesundheitsproduktion oder zur Humankapitalproduktion verwendet werden kann. Zudem besteht ein negativer Zusammenhang zwischen dem Gesundheitsniveau g* und dem Wirtschaftswachstum  r. Dies lässt sich über die Zunahme der Lebenserwartung bei verbessertem Gesundheitsniveau erklären, die dazu führt, dass die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen steigt und mehr Beschäftigte im Gesundheitssektor eingesetzt werden, die dann im Endproduktesektor fehlen. Wenn die Produktivität der Humankapitalakkumulation δ zunimmt, wird Zeit aus anderen Verwendungen in die Bildung umgelenkt. Damit steigen die im Bildungssektor verbrachte Zeit  u und die Wachstumsrate r. Infolge der Reallokation sinken die Konsumneigung c und die im Gesundheitssektor verbrachte Zeit  v, so dass auch das gleichgewichtige Gesundheitsniveau abnimmt. Eine zunehmende Produktivität der Gesundheitsproduktion z0 führt zu steigendem gleichgewichtigem Gesundheitsniveau g* für jedes gegebene v und beschleunigt zudem den Prozess der Humanakkumulation, also steigen die im Bildungssektor verbrachte Zeit  u und die gesamtwirtschaftliche Wachstumsrate  r. Wenn der relative Beitrag der Gesundheit zum Nutzen  γ ansteigt, dann lenkt dies die Ressourcen in Richtung auf Gesundheitsproduktion, das gleichgewichtige Gesundheitsniveau g* wächst, die Wachstumsrate des Outputs nimmt ab und damit kann die durchschnittliche Konsumneigung zunehmen. Wichtig ist der Hinweis, dass das Modell je nach Entwicklungsstand einer Gesellschaft unterschiedliche Implikationen hat. In sich entwickelnden Ländern kann durch Technologie- und Einkommenstransfer möglicherweise die Sparquote gesteigert und die Konsumquote gesenkt werden, so dass höhere Wachstumsraten des Outputs entstehen. Aus eigener Kraft ist dies in den betreffenden Ländern vielleicht gar nicht möglich, weil der Output so gering ist, dass sie ihn aus purer Notwendigkeit in der Gegenwart fast vollständig verzehren müssen. Für die Länder

2  Dynamische Grundlagen

66

mit hohem Entwicklungsstand ergibt sich aus dem Modell eine andere Erklärung für geringe gesamtwirtschaftliche Wachstumsraten. Plausibel erscheint, dass der relative Beitrag der Gesundheit zum Nutzen  γ mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen zunimmt. Die abnehmenden Erträge des Gesundheitssektors implizieren, dass das gesamtwirtschaftliche Wachstum dann automatisch reduziert wird. Gesellschaften, die bereits über ein hohes Pro-Kopf-Einkommen verfügen, weisen dann abnehmende Wachstumsraten auf und zwar auf der Basis freiwilliger Entscheidungen ihrer Bevölkerung, weil sich die Individuen gegen noch mehr Konsum des Endproduktes und für bessere Gesundheit entscheiden. Hinzu kommt, dass der technische Fortschritt in der Medizin die Langlebigkeit fördert, woraufhin zwar der individuelle Nutzen und möglicherweise die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt steigen, aber Ressourcen in den Gesundheitssektor umgelenkt werden und die Wachstumsrate des Outputs sinkt.

2.5

Wachstum und Umwelt

Die oben genannten Modelle stellen einen direkten Zusammenhang zwischen Gesundheit, Humankapital und Wachstum dar, wobei allerdings die Beziehung zwischen Umwelt und Gesundheit nicht explizit genannt wird. Dass eine solche Beziehung besteht und erhebliches Konfliktpotenzial birgt, ist jedoch unstrittig. Eine sehr bekannte schematische Darstellung der Umwelt-Gesundheits-Relation geht auf Machtolf (2013) zurück. Sie ist in Abb. 2.6 dargestellt. Die Beziehungen zwischen Aktivitäten, von denen externe Effekte ausgehen, und den daraus resultierenden Schäden für Umwelt, Gesundheit und Ressourcen zeigt beispielsweise das Umweltbundesamt in seiner Studie zu umweltschädigenden Subventionen auf (Umweltbundesamt (UBA) 2016). Dabei wirken die Aktivitäten entweder direkt gesundheitsschädlich oder sie schädigen zunächst das Klima, die Luft, das Wasser, den Boden, die Artenvielfalt und die Landschaft und diese Schäden führen dann zu Beeinträchtigungen der Gesundheit. So führen beispielsweise die Strom-

und Energiesteuerermäßigungen für das produzierende Gewerbe und die Land- und Forstwirtschaft dazu, dass die wirtschaftlichen Aktivitäten dieser Bereiche über das wohlfahrtsoptimale Maß hinaus ausgedehnt werden, also externe Effekte infolge zu hoher Emissionen entstehen. Diese Emissionen schädigen direkt das Klima, die Luft und die menschliche Gesundheit. Im Unterschied dazu wirkt die Begünstigung von Biokraftstoffen indirekt negativ auf die menschliche Gesundheit ein. Die Preisreduzierung bei Biokraftstoffen schädigt direkt das Klima, das Wasser, den Boden, die Artenvielfalt und die Landschaft. Dies wiederum bringt negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit mit sich. Nimmt man das neoklassische Basismodell (Solow 1956) als Ausgangspunkt der Betrachtung (Abschn. 2.2), dann wurde dieses Modell im Rahmen der neuen Wachstumstheorie erheblich präzisiert und differenziert (Abschn. 2.3 und 2.4). Unter den Bedingungen der neuen Wachstumstheorie ist unbegrenztes Wachstum möglich (Pittel 2002). Dabei bleiben jedoch Konfliktpotenziale wie beispielsweise der Konflikt zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltnutzung unberücksichtigt. Hinsichtlich des Verhältnisses von Umwelt und Wachstum finden sich im ökonomischen Schrifttum sehr unterschiedliche Einschätzungen (zur Übersicht siehe Pittel 2004; v. Hauff 2018). An der einen Seite des Spektrums finden sich Beiträge, denen zufolge Wachstum die Chance zur Wohlfahrtssteigerung beinhaltet und Marktwirtschaften stabilisiert. Risiken bezüglich der Umweltnutzung werden dabei vernachlässigt (beispielsweise Acemoglu 2009). Auf der anderen Seite finden sich Gegner fortgesetzten Wirtschaftswachstums, die damit einhergehend eine zu starke Umweltnutzung und eine zunehmende Einkommens- und Vermögensungleichheit vermuten. Diese Autoren plädieren entweder dafür, auf Wachstum zu verzichten (beispielsweise Jackson 2013; Daly 2005) oder sogar negative Wachstumsraten anzustreben (beispielsweise Latouche und Macey 2009, Latouche 2010). Innerhalb dieser beiden Pole finden sich eine Vielzahl von Beiträgen, die zwar Konfliktpotenziale sehen, aber dennoch positive Wohlfahrtswirkun-

2.5  Wachstum und Umwelt

67

Abb. 2.6  Umwelt-Gesundheits-Relation nach Machtolf (2013), zitiert nach Knetschke/Claßen 2014, 41)

gen des Wachstums unterstellen (beispielsweise Weder di Mauro 2008). Abb. 2.7 gibt einen Überblick über unterschiedliche theoretische Konzepte zum Verhältnis zwischen Umwelt und Wachstum (v. Hauff 2018). Nach Einschätzung von Vertretern der neoklassischen Wachstumstheorie ist Wachstum

eine wesentliche Voraussetzung für die Beseitigung von Umweltproblemen, weil erst ein bestimmtes Niveau des wirtschaftlichen Wohlstands es erlaubt, sich um die Befriedigung des Bedürfnisses nach sauberer Umwelt zu bemühen (analog zur verstärkten Nachfrage nach Gesundheit mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen,

68

2  Dynamische Grundlagen

Abb. 2.7  Modelle zur Wachstumskontroverse. (Quelle: v. Hauff 2018, S. 20)

Abschn. 2.4). In diesem Zusammenhang ist auch die Umwelt-Kuznets-Hypothese zu nennen, der zufolge die Emissionen eines Landes bzw. die Ressourcennutzung mit steigendem Sozialprodukt zunächst zunehmen, dann aber wieder sinken. Dieser Hypothese zufolge wird in sich entwickelnden Staaten zunächst der Produktionssektor ausgeweitet. In fortgeschrittenen Entwicklungsstadien nimmt aber der Anteil des Dienstleistungssektors zu, so dass die Emissionen bzw. der Ressourcenverbrauch abnehmen. Hinzu kommt, dass die verwendeten Technologien energieeffizienter und emissionsärmer werden und das Umweltbewusstsein der Gesellschaft steigt. Insgesamt wird daher eine umgekehrt u-förmige Beziehung zwischen den Emissionen bzw. dem Ressourcenverbrauch und dem Sozialprodukt eines Landes vermutet. Empirisch ist dieser Zusammenhang allerdings umstritten (Achten et al. 2018). Dem beschriebenen Substitutionseffekt (geringere Ressourcenintensität bzw. geringere Umweltverschmutzung bei der Güterproduktion) wird ein Skaleneffekt gegenübergestellt. Letzterer besagt, dass wegen der relativen Verbilligung der Güterproduktion nun mehr hergestellt wird, so dass der Ressourcenverbrauch und die Umweltverschmutzung steigen. Nur wenn der Skaleneffekt geringer ausfällt als der Substitutionseffekt, ist ein umgekehrt u-förmiger Verlauf der Umwelt-Kuznets-Kurve zu erwarten. Andernfalls könnte auch ein n-förmiger Verlauf entstehen, wie Abb. 2.8 zeigt. Seit dem Bericht des Club of Rome zu den Grenzen des Wachstums (Meadows et  al. 1972) und dem Ölpreisschock von 1973 hat sich die auf dem neoklassischen Modell basierende Ressourcenökonomik mit der Frage befasst, wie die erschöpflichen und erneuerbaren Ressourcen über die Zeit verteilt werden sollten, damit Wachstum dauerhaft möglich ist (siehe hierzu auch Kap. 10).

In einer Revision des Berichts zu den Grenzen des Wachstums nach mehr als dreißig Jahren gehen Meadows et  al. (2009) nach wie vor davon aus, dass Bevölkerungswachstum, Umweltbelastung und zu starker Rohstoffabbau dazu führen, dass in Zukunft erhebliche Ressourcenengpässe zu erwarten sind. Neben den ressourcenökonomischen Ansätzen existieren auch andere auf dem neoklassischen Modell basierende Ansätze, die Umweltschäden in die Betrachtung einbeziehen und zu dem Ergebnis gelangen, dass das gleichgewichtige Wachstum bei Internalisierung externer Effekte geringer ist als bei Vernachlässigung der Schadensfunktionen (v. Hauff 2018). In allen diesen Ansätzen steht der Mensch und seine Bedürfnisbefriedigung im Mittelpunkt der Betrachtung. Dies gilt nicht für die ökologische Ökonomik. Die ökologische Ökonomik besteht seit den 1980er-Jahren. Sie ist eine Forschungsrichtung innerhalb der Umweltökonomik, die die Wirtschaft als Subsystem des ökologischen Systems begreift und daher die wirtschaftliche Entwicklung der Entwicklung des Ökosystems unterordnet. In der Folge fordern Vertreter der ökolo­ gischen Ökonomik eine Begrenzung des Wachstums. Daly (2005) als Vertreter der ökologischen Ökonomie argumentiert, dass beginnend mit einem bestimmten Punkt der wirtschaftlichen Entwicklung der Nutzen aus einer zusätzlichen Güterproduktion die damit verbundenen (Umwelt)kosten übersteigt und es daher ein Gleichgewicht ohne Wachstum gebe (v. Hauff 2018; v. Hauff und Jörg 2017). Auch Vertreter der Postwachstumsökonomie gehen davon aus, dass in entwickelten Ökonomien ein Zustand erreichbar ist, der Wohlstand ohne Wachstum ermöglicht. So argumentiert Jackson (2013), dass mit einem bestimmten Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung die Produktion zusätzlicher Konsumgüter keinen weiteren Nutzen stiften kann. An deren Stelle sollten

2.5  Wachstum und Umwelt

69

Abb. 2.8 Umwelt-­ Kuznets-­Kurve. (Quelle: Bretschger et al. 2010, S. 40)

­ akroökonomische Programme mit grüner Ausm richtung treten. Ayres (2008) schlägt vor, anstelle der umweltbelastenden Güterproduktion mehr Dienstleistungen zu erbringen, die keine Schadstoffe in die Umwelt abgeben, und bei der Erstellung der Dienstleistungen Energiequellen zu nutzen, mit denen keine Umweltbelastungen verbunden sind (v. Hauff 2018; v. Hauff und Jörg 2017). Das LowGrow-Modell ist eine Weiterentwicklung der Postwachstumsökonomie. Basierend auf Methoden der Mainstreamökonomik argumentieren Vertreter dieses Modells (z. B. Victor und Rosenbluth 2007), dass hoch entwickelte Länder aus drei Gründen ein geringes Wachstum anstreben sollten, das in fernerer Zukunft stagniert: erstens wegen der Ressourcenknappheit, zweitens, weil mehr Wachstum den gesellschaftlichen Wohlstand reduziert, und drittens, weil politische Ziele wie Vollbeschäftigung und Armutsbekämpfung ihrer Auffassung nach auch ohne Wachstum erreichbar sind. Zentraler Bestandteil einer Low Grow-Politik ist eine Beschäftigungspolitik, die einerseits die gesamte Arbeitszeit reduziert und andererseits mehr Personen in Beschäftigung bringt (v. Hauff 2018). Die Umverteilung der Arbeit auf mehr Beschäftigte führt nach Auffassung der Autoren insofern zu einer höheren gesellschaftlichen Wohlfahrt, als sich in einigen empirischen Studien ein negativer Zusammenhang zwischen geleisteten Arbeitsstunden und Lebenszufriedenheit bzw. Gesundheit, Glück und Arbeitsmotivation nachweisen lässt (Kallis et al. 2013).

Im Unterschied zum LowGrow-Ansatz geht das Degrowth-Konzept (beispielsweise Latouche und Macey 2009, Latouche 2010) davon aus, dass Industriegesellschaften ihre Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Wachstum in vielen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen reduzieren sollten. Gründe hierfür liegen in der Ressourcenknappheit, der Umweltbelastung und der Annahme, dass mehr Konsum nicht glücklicher macht. Beginnend mit Easterlin (1974) weisen die Ergebnisse verschiedener empirischer Studien im Bereich der Glücksforschung darauf hin, dass die gesellschaftliche Wohlfahrt nur bis zu einem bestimmten Maß mit dem Einkommen steigt (Dutt und Radcliff 2009). Anstelle vermehrten Konsums sollte der Fokus des Wirtschaftens nach Ansicht von Vertretern des Degrowth-­ Ansatzes darauf gerichtet sein, dass die Grundbedürfnisse aller Menschen erfüllt sind, dass die Lebensqualität anstelle der Quantität des Konsums gesteigert wird und dass die Menschen über mehr Freizeit verfügen (v. Hauff 2018). Latouche (2009) spricht von acht  R, die seiner Auffassung nach erforderlich sind: ein Überdenken des Wertesystems („re-evaluate“), eine Reform des Wirtschaftssystems („reconceptualize“), eine Restrukturierung der Produktion und der sozialen Beziehungen vor dem Hintergrund eines neuen Wertesystems („restructure“), eine Umverteilung des Vermögens und des Zugangs zur Natur („redistribute“), eine Rückführung der Produktion und des Konsums, aber auch der politischen und kulturellen Entscheidungen auf die lokale Ebene („relocalize“), weniger

70

­ mweltnutzung durch geringeren Konsum („reU duce“), eine verstärkte Wiederverwertung und mehr Recycling („re-use“/„recycle“). Es sind Latouche und Macey (2009) zufolge drei Säulen, die den Übergang in eine neue Gesellschaft ermöglichen: die Umverteilung der Arbeit, die Stärkung der Sozialsysteme und alternative Wirtschaftsräume außerhalb der Marktwirtschaft. Das Degrowth-Konzept ist mit weitreichenden Änderungen der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verbunden. Unter den Wachstumskritikern finden sich aber auch weitaus moderatere Beiträge, die sich unter dem Begriff des nachhaltigen oder sozialen Wachstums für ein sozial und ökologisch ausgewogenes positives Wirtschaftswachstum aussprechen (beispielsweise v. Hauff und Jörg 2017). Differenziert zu betrachten ist nach Auffassung dieser Autoren die Frage, welche Branchen wachsen und mit welcher Umweltbelastung dies einhergeht. Sieht man beispielsweise das Wachstumspotenzial der Gesundheitsbranche, dann ist dieses mit relativ geringen Umweltauswirkungen verbunden. Von Hauff und Jörg weisen zudem darauf hin, dass ein sozial ausgewogenes Wachstum die Wirtschaft stabilisiert. Wachstum sollte demnach vor allem im Bildungs-, Gesundheits- und Pflegesektor sowie bei den erneuerbaren Energien stattfinden, damit sinkt zugleich die Krisenanfälligkeit des Wirtschaftssystems (v. Hauff 2018). Bisher wurde die Frage erörtert, ob es sinnvoll ist, weiterhin ein Wachstum des Sozialprodukts anzustreben, oder nicht. Der nächste Problemkreis ist dann zu diskutieren, wenn der Übergang zur Postwachstumsgesellschaft unter normativen Aspekten als wünschenswert erachtet wird. Unter den gegebenen politökonomischen Rahmenbedingungen ist dann zu prüfen, auf welche Weise die Transformation der Gesellschaft erfolgen kann. Ansatzpunkte hierzu sind Parallelgesellschaften (Paech 2012), die schrittweise Umgestaltung der bestehenden Institutionen wie Parteien und Verbände (Lessenich 2014) oder die Kombination beider Wege (Adler 2016). Einen Ansatz, der die genannten Konflikte zwischen Umwelt und Wachstum einschließt, bildet das Konzept der Nachhaltigkeit. Dieser Begriff stammt ursprünglich aus der Forstwirt-

2  Dynamische Grundlagen

schaft, war in diesem Zusammenhang seit dem 18.  Jahrhundert gebräuchlich (Osranek 2017). Im umweltpolitischen Kontext ist der Begriff der Nachhaltigkeit seit Veröffentlichung des Bundtland-­Berichts (1987) weit verbreitet, ohne dass es eine einheitliche Definition gibt (Pufé 2017; Martin 2015). Die Definition der Nachhaltigkeit nach dem Brundtland-Bericht (World Commission on Environment and Development 1987) lautet wie bereits in Abschn.  1.2 zitiert: „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“ Der Ausdruck „sustainable development“ wird inzwischen durchgängig als nachhaltige Entwicklung oder Nachhaltigkeit übersetzt. Seit der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992, die nach der Veröffentlichung des Brundtland-Berichts einberufen wurde, bzw. der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung werden Nachhaltigkeit und nachhaltige Entwicklung meist synonym verwendet. Im deutschsprachigen Schrifttum ist seit dem Umweltgutachten des Sachverständigenrates (SRU 1994) auch von dauerhaft umweltgerechter Entwicklung die Rede (Osranek 2017). Die Definitionen im Anschluss an den Brundtland-­Bericht gehen von einem anthropozentrischen Weltbild aus und beziehen sich in erster Linie auf Konflikte zwischen Wachstum (Ökonomie) und Verzehr natürlicher Ressourcen (Ökologie). Demgegenüber ist bereits im Zusammenhang mit der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 von den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit (Ökonomie, Ökologie, Soziales) die Rede. Nach heute vorherrschender Auffassung ist für den Begriff der Nachhaltigkeit einerseits seine Dreidimensionalität und andererseits die Gerechtigkeit konstitutiv. Die betrachteten Dimensionen der Nachhaltigkeit sind Ökologie, Ökonomie und Soziales, der Gerechtigkeitsbegriff schließt inter- und intragenerationelle Betrachtungen mit ein. Innerhalb einer Generation bedeutet Nachhaltigkeit demnach, dass alle Menschen die Chance erhalten, mindestens ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Zwischen den

2.5  Wachstum und Umwelt

Generationen beinhaltet Nachhaltigkeit die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensbedingungen. Die Dreidimensionalität der Nachhaltigkeit ist so zu verstehen, dass es zwischen diesen Dimensionen starke Interdependenzen gibt (Hauff 2018; Martin 2015). Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit werden auch als Drei-­ Säulen-­ Modell, als Dreiklangmodell und als Nachhaltigkeitsdreieck dargestellt. Abb. 2.9 veranschaulicht diesen Zusammenhang. Im DreiSäulen-Modell wird deutlich, dass keines der Elemente entfernt werden kann, ohne die Nachhaltigkeit zu gefährden. Das Dreiklangmodell deutet darauf hin, dass die ideale Nachhaltigkeitspolitik in der Schnittmenge der drei Bereiche liegt. Im Nachhaltigkeitsdreieck kommt schließlich zum Ausdruck, dass die drei Bereiche gleichberechtigt sein sollten und die ideale Umsetzung alle drei Aspekte der Nachhaltigkeit integriert (Pufé 2014). Die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit umfasst die Stabilität des Ökosystems und den Erhalt erneuerbarer und nicht erneuerbarer Ressourcen (Kap. 10). Die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit bezieht sich auf das Sozialprodukt bzw. das Wirtschaftswachstum. Die soziale Dimension der Nachhaltigkeit beinhaltet sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Aspekte, wie beispielsweise die Deckung eines Grundbedarfs, die Sicherstellung der Bildungschancen und die Bereitstellung von Gesundheitsleistungen für alle Individuen, aber auch Arbeitsbedingungen, Alterssicherung oder

71

Ver­mö­gensverteilung. Die Mehrdimensionalität der Nachhaltigkeit wird am Beispiel der Agenda 2030 (Vereinte Nationen 2015) deutlich, wie in Tab. 2.3 dargestellt. Mit jeder der drei Dimensionen des Nachhaltigkeitsbegriffes ist ein Kapitalbegriff verbunden. Die Wahrung der Stabilität des Ökosystems und der Erhalt erneuerbarer und nicht erneuerbarer Ressourcen entspricht der Aufrechterhaltung des ökologischen Kapitals (Naturkapitals). Analog ist zur Aufrechterhaltung der ökonomischen Nachhaltigkeit die Bewahrung der zur Produktion erforderlichen Einsatzfaktoren nötig. Grundsätzlich lassen sich alle Produktionsfaktoren als Bestandteile eines umfassenden Kapitalbegriffs auffassen, der aus Humankapital, Sachkapital und Naturkapital besteht. Hinzu kommt, dass auch durch die Verbreitung von Wissen positive externe Effekte entstehen, die die Produktivität der Faktoren erhöhen. Insofern zählt auch das Wissenskapital zu den Bestandteilen des ökonomischen Kapitals. Aus soziologischer Sicht ist dieser Kapitalbegriff noch um das Sozialkapital zu ergänzen (Franzen und Pointner 2007). Letzteres befindet sich nicht im Besitz einzelner Wirtschaftsakteure, sondern entsteht erst durch In­ teraktion. Ansatzpunkte zur Stärkung des Sozialkapitals ergeben sich aus seinen Dimensionen. Diese umfassen eine strukturelle (z. B. Netzwerke), eine relationale (z.  B.  Vertrauen) und eine kognitive Dimension (z.  B. gemeinsames Wissen). Eine Maßnahme zur Förderung des Sozialkapitals ist beispielsweise der Aufbau eines

Abb. 2.9  Dimensionen der Nachhaltigkeit. (Quelle: Pufé 2014, S. 18).

2  Dynamische Grundlagen

72 Tab. 2.3  Vereinte Nationen: Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. (Quelle: Vereinte Nationen 2015, S. 15) 1 2

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Armut in allen ihren Formen und überall beenden Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern Dauerhaftes, inklusives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern Eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, inklusive und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen Umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen; in Anerkennung dessen, dass das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen das zentrale internationale zwischenstaatliche Forum für Verhandlungen über die globale Antwort auf den Klimawandel ist Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der biologischen Vielfalt ein Ende setzen Friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen Umsetzungsmittel stärken und die globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen

Netzwerkes zur Gesundheitsförderung (Osranek 2017). Allgemeiner gefasst zählen zum Sozialkapital auch Kultur und Gesetze (Bretschger et al. 2010). Interpretiert man Nachhaltigkeit als Erhaltung des gesamten Kapitals für künftige Generationen, dann unterscheiden sich die Nach­ haltigkeitsdefinitionen in der Einschätzung, inwieweit die verschiedenen Kapitalarten einander ersetzen können. Zu unterscheiden sind insbesondere die schwache und die starke Nachhaltigkeit (Brand 2000): Schwache Nachhaltigkeit bedeutet, dass der Gesamtkapitalbestand erhalten bleiben soll. Die Wohlfahrt zukünftiger Generationen hängt annahmegemäß vom gesamten Kapitalbestand ab, Naturkapital ist durch andere Kapitalformen substituierbar. Bei nachhaltiger Entwicklung nimmt der Kapitalbestand insgesamt nicht ab und steht künftigen Generationen zur Bedürfnisbefriedigung zur Verfügung. Dieser Nachhaltigkeitsbegriff ist mit der Definition des Brundtland-­ Berichts (World Commission on Environment and Development 1987) vereinbar. Nach dieser Definition muss es nicht zu Zielkonflikten zwischen Umwelt und Wachstum kommen, insofern findet sich dieses Nachhaltigkeitsverständnis auch in der neoklassischen Theorie bzw. den da­ rauf aufbauenden Weiterentwicklungen (neue Wachstumstheorie, Wachstumsoptimisten). Starke Nachhaltigkeit geht demgegenüber davon aus, dass die Wohlfahrt zukünftiger Generationen insbesondere vom Naturkapital abhängt. Naturkapital ist nach dieser Auffassung nicht durch andere Kapitalformen substituierbar. Mindestvoraussetzung für nachhaltige Entwicklung ist vielmehr die Konstanz des Naturkapitals. Dieser Nachhaltigkeitsbegriff entspricht dem Ansatz der ökologischen Ökonomik, der die Natur in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt und die Ökonomie als Subsystem des Ökosystems begreift. Aus dieser Perspektive besteht ein Zielkonflikt zwischen Umwelt und Wachstum, der zugunsten der Umwelt entschieden werden muss. Der starke Nachhaltigkeitsbegriff ist generell mit wachstumskritischen Modellen vereinbar. Mittelwege zwischen den genannten Extremen schlagen die Vertreter der kritischen Nachhaltigkeit und der ausgewogenen Nachhaltigkeit

2.6 Nachhaltigkeitsmaße

ein. Kritische Nachhaltigkeit besagt, dass Naturkapital in begrenztem Umfang durch anderes Kapital substituierbar ist, wobei die Umweltfunktionen aufrechterhalten werden sollen. Zur Gewährleistung der kritischen Nachhaltigkeit sollen Grenzen des Naturkapitals festgelegt werden, die nicht verletzt werden dürfen. Bis zu diesen Grenzen soll die Nutzung des Naturkapitals erlaubt sein, wenn es durch andere Kapitalformen ersetzt wird. Auch das Konzept der ausgewogenen Nachhaltigkeit geht von einer begrenzten Substituierbarkeit des Naturkapitals durch andere Kapitalformen aus. Vertreter dieses Ansatzes halten umweltfreundliches Wachstum für möglich, wenn der Konsum umweltfreundlicher und die Technik (energie-)effizienter wird. Vertreter dieser Denkrichtung werden auch als Wachstumsoptimierer bezeichnet (Osranek 2017).

2.6

Nachhaltigkeitsmaße

Auf der Basis der Diskussion um Wachstum und Umwelt hat sich eine wissenschaftliche Diskussion über Messgrößen gesellschaftlicher Wohlfahrt und Nachhaltigkeit entwickelt (siehe hierzu bereits Endres und Radke 1998). Kennzahlen hierzu sind zahlreich, allerdings auch stark umstritten. Sie unterscheiden sich darin, ob sie das

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Sozialprodukt als Wohlfahrtsmaß verbessern, ergänzen oder ersetzen, wie Abb. 2.10 zeigt. Bis etwa in die 1970er-Jahre galt das Sozialprodukt nicht nur als Summe aller Güter und Dienstleistungen, die von den Bewohnern eines Landes innerhalb eines Zeitraumes erstellt wurden, sondern zugleich als Maß für die gesellschaftliche Wohlfahrt. Vorteile des Sozialprodukts liegen darin, dass sein Wert auf der Basis von Kosten und Preisen, also Knappheitsmessern, ermittelt wird und dass die verwendete Methodik der mehrfachen Buchführung konsistent erscheint (siehe ausführlich van Suntum 2012). Dennoch ist die Kritik am Sozialprodukt als Wohlstandsindikator vielfältig. So gibt das Sozialprodukt nur Aufschluss über die Güterproduktion (Output), aber nicht über das damit erzeugte Wohlbefinden (Outcome). Die Verteilung des Outputs bleibt vollkommen unberücksichtigt. Zudem vernachlässigt das Sozialprodukt systematisch die negativen externen Effekte im ­Umweltbereich. Auch der Abbau von Naturkapital hat keine Auswirkungen auf das Sozialprodukt. Hinzu kommt, dass die Beseitigung der durch eine Produktion entstandenen Umweltschäden das Sozialprodukt steigert. Andere Einflussgrößen der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt wie Gesundheit und Bildung werden nur unzureichend berücksichtigt. Beispielsweise können steuerfinanzierte Gesundheitsleistungen,

Abb. 2.10  Strategien über das BIP hinaus und Beispiel. (Quelle: Delhey und Kroll 2012, S. 10)

74

für die kein Marktpreis existiert, nicht erfasst werden. Werden diese Leistungen nach einer Privatisierung von privaten Wirtschaftssubjekten erbracht, steigt das Sozialprodukt an. Generell gehen Güter, die nicht an Märkten angeboten werden, nicht in die Berechnung des Sozialproduktes ein, obwohl sie Bedürfnisse befriedigen und den Wohlstand steigern. Hierzu zählen die im Rahmen der Haushaltsproduktion erbrachten Leistungen (beispielsweise in der Erziehung oder Pflege), ehrenamtliche Tätigkeiten und Nachbarschaftshilfe, aber auch der Konsum von Freizeit (siehe ausführlich Pennekamp 2011). Als Reaktion auf die Kritik an der Ermittlung des Sozialproduktes wurden zahlreiche andere Kennzahlen entwickelt, die das gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsniveau zutreffender erfassen sollen. Einer der ersten Verbesserungsvorschläge ist das Measure of Economic Welfare (MEW) (Nordhaus und Tobin 1972). Das MEW beinhaltet das Sozialprodukt, zählt aber noch den Wert der Freizeit und der unbezahlten Arbeit hinzu und subtrahiert die Umweltschäden. Dieses Maß wurde später weiterentwickelt, unter anderem zum Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW) (Daly und Cobb 1989). Der ISEW addiert private und öffentliche Ausgaben und den Wert der unbezahlten Arbeit und subtrahiert davon die Verteidigungsausgaben und die Umweltschäden. Sowohl beim MEW als auch beim ISEW handelt es sich um Neuberechnungen des Sozialprodukts, die den Wert der in einem Land geschaffenen Güter und Dienstleistungen zutreffender erfassen wollen. Dies ist auch das Ziel der Berechnung des Ökosozialproduktes (Meran und Schwarze 2005; UN et al. 2014). Einen anderen Ansatz verfolgen Indikatoren, die das Sozialprodukt um andere Dimensionen ergänzen, um anschließend alle Dimensionen in einer einzigen Kennzahl zu verdichten. Der bekannteste Index dieser Art ist der Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI). Dabei handelt es sich um einen der bekanntesten gesellschaftlichen Indikatoren, den das United Nations Development Programme (UNDP) seit 1990 veröffentlicht. Zur Begründung des Index und seiner Bestandteile heißt es (UNDP 1990, S. 10):

2  Dynamische Grundlagen Human development is a process of enlarging people's choices. In principle, these choices can be infinite and change over time. But at all levels of development, the three essential ones are for people to lead a long and healthy life, to acquire knowledge and to have access to resources needed for a decent standard of living. If these essential choices are not available, many other opportunities remain inaccessible.

Menschliche Entwicklung wird also in den Dimensionen Langlebigkeit, Bildungsstand und Lebensstandard definiert. Um Langlebigkeit zu erfassen, wird die Lebenserwartung bei der Geburt (LE) herangezogen. Dieser Indikator bildet das Niveau der Gesundheitsversorgung ab. Zur Messung des Bildungsstandes dient die durchschnittliche Schulbesuchsdauer (DSD) und voraussichtliche Schulbesuchsdauer (VSD) in Jahren. DSD wird gemessen als Anzahl der Jahre, während derer eine Person, die 25  Jahre alt oder älter ist, die Schule besucht hat. Es geht also um das gegenwärtige Humankapital. VSD bezeichnet die Anzahl der Jahre, während derer ein fünfjähriges Kind voraussichtlich zur Schule gehen wird. Diese Kennziffer bezieht sich also auf das zukünftige Humankapital. Der Lebensstandard der Bevölkerung wird durch das Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf zu Kaufkraftparitäten auf Basis des US-Dollars erfasst (KKP US$). Mit dem BNE will das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen alle Dimensionen menschlicher Entwicklung abbilden, die nicht durch die Indikatoren Lebensdauer und Bildung erfasst werden. Der Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index HDI) ergibt sich als geometrisches Mittel aus den drei Teilindizes Lebenserwartungsindex (LEI), Bildungsindex (BI) und Einkommensindex (EI). Dadurch kommt die Auffassung der Vereinten Nationen zum Ausdruck, dass menschliche Entwicklung notwendigerweise alle drei Dimensionen umfasst und die Konzentration auf eine einzige Dimension wie etwa das BNE irreführend ist. Der Lebenserwartungs−index berechnet sich als LEI = (LE − 20)/(85−20). Der Bildungsindex BI wird als arithmetisches Mittel aus dem Index der durchschnittlichen

75

2.6 Nachhaltigkeitsmaße

Schulbesuchsdauer (DSDI) und dem Index der voraussichtlichen Schulbesuchsdauer (VSDI) ermittelt, also BI  =  (DSDI  +  VSDI)/2 mit DSDI = (DSD − 0)/(15 − 0) und VSDI = (VSD − 0)/ (18 − 0). Der Einkommensindex (EI) berechnet sich in Abhängigkeit des Bruttonationaleinkommens pro Kopf (BNEpk). Für den Einkommensindex gilt EI = (ln (BNEpk) – ln (100))/(ln(75.000) − ln(100)). Für die Indikatoren sind jeweils Ober- und Untergrenzen festgelegt. Die Festlegung der Grenzen erscheint allerdings willkürlich. Die Vorgehensweise impliziert zudem, dass Werte, die über die Obergrenze hinausgehen, keine menschlichen Entwicklungsfortschritte mehr anzeigen. Anders ausgedrückt bedeutet die Obergrenze von 75.000 US-Dollar für das Bruttonationaleinkommen pro Kopf zu Kaufkraftparitäten, dass Pro-Kopf-Einkommen über 75.000 US-­ Dollar einen Grenznutzen von Null haben. Analoges gilt für die Obergrenzen der Lebenserwartung von 85  Jahren und der Schulbesuchsdauer von mehr als 15 Jahren für die gegenwärtige und mehr als 18  Jahren für die künftige Erwerbsbevölkerung. Zur Veranschaulichung des Verfahrens wird die Berechnung des HDI in Tab. 2.4 am Beispiel Ägyptens dargestellt. Der Einteilung des UNDP (2016) zufolge gilt das Niveau der menschlichen Entwicklung für HDI-Werte von mindestens 0,8 als sehr hoch, für Werte zwischen 0,71 und 0,8 als hoch (0,71 ≤ HDI ≤ 0,8), für Werte unter 0,55 als gering (HDI  ≤  0,55) und für dazwischenliegende Werte als mittelhoch (0,55 ≤ HDI ≤ 0,71).

Am Konzept des HDI wird umfangreiche Kritik laut (siehe beispielsweise Neuenfeldt et  al. 2012). Die Kritik bezieht sich u. a. darauf, dass Entwicklung im Wesentlichen als Wohlstand verstanden wird. Dabei misst das BNE pro Kopf den heutigen Wohlstand, die Langlebigkeit und der Bildungsstand gelten als Basis des künftigen Wohlstands. Die mit dem Wohlstand einhergehenden Umweltbeeinträchtigungen werden auf diese Weise jedoch nicht erfasst. So macht etwa der World Wide Fund For Nature (WWF) darauf aufmerksam, dass die Länder mit den höchsten HDI-Werten den größten ökologischen Fußabdruck aufweisen. Dabei bezeichnet der ökologische Fußabdruck die biologisch produktive Fläche, die beim menschlichen Wirtschaften verbraucht wird, unabhängig davon, wo sie sich befindet. Der ökologische Fußabdruck entspricht der Nachfrage nach biologisch produktiver Fläche einschließlich der Funktion der Umwelt als Senke zur Schadstoffaufnahme. Im ökologischen Fußabdruck ist auch der CO2-Fußabdruck enthalten. Dieser beinhaltet die Waldfläche, die nötig wäre, um all jenes CO2 aufzunehmen, das nicht vom Meer aufgenommen werden kann. Demgegenüber bezeichnet der Begriff Biokapazität das Angebot an biologisch produktiver Fläche. Seit rund fünf Jahrzehnten übersteigt der ökologische Fußabdruck deutlich die Biokapazität, obwohl beide Größen im Zeitablauf angestiegen sind (WWF 2014). Kritik am HDI bezieht sich aber nicht nur auf die fehlende Umweltkomponente, sondern auch auf die Vernachlässigung von Verteilungsaspekten. Zugleich mit dem HDI veröffentlichen die Vereinten Nationen daher einmal jährlich einen

Tab. 2.4  Berechnung des HDI am Beispiel Ägyptens. (Quelle: UNDP 2019) Lebenserwartung bei Geburt (Jahre) Erwartete Schuljahre (Jahre) Mittlere Schuljahre (Jahre) Bruttonationaleinkommen pro Kopf (2011 PPP $) Lebenserwartungsindex LEI Durchschnittliche Schulbesuchsdauer DSDI Voraussichtliche Schulbesuchsdauer VSDI Bildungsindex BI Einkommensindex EI Index der menschlichen Entwicklung HDI

71,1 13,1 7,218 10.355 (71,661 − 20)/(85 − 20) = 0,7948 (7,218 − 0)/(15 − 0) = 0,4812 (13,0898 − 0)/(18 − 0) = 0,7272 (0,4812 + 0,7272)/2 = 0,6042 (ln(10355)−ln(100))/(ln(75000)−ln (100)) = 0,7009 (0,7948⋅0,6042⋅0,7009)1/3 = 0,696

2  Dynamische Grundlagen

76

um die Ungleichheit ergänzten HDI (Inequality-­ adjusted Human Development Index, IHDI). Analog dazu werden auch ein Index der Geschlechtergerechtigkeit (Gender Development Index, GDI) und ein globaler multidimensionaler Armutsindex (Multidimensional Poverty Index, MPI) von den Vereinten Nationen veröffentlicht, um die jeweiligen Aspekte mithilfe einer Kennzahl zu analysieren. Eine fundamentale Kritik am HDI besagt auch, dass aus methodischen Gründen die gesellschaftliche Wohlfahrt nur auf der Basis persönlichen Wohlbefindens von Individuen ermittelt werden kann, dieses jedoch beim HDI unberücksichtigt bleibt. Vor dem Hintergrund dieser Kritik ermittelt die OECD seit 2011 für 395  OECD-­ Regionen den Better Life Index nicht nur auf der Basis der materiellen Lebensbedingungen, sondern auch der Lebensqualität anhand von Befragungen über folgende elf Themenfelder: Einkommen, Arbeitsplätze, Wohnraum, Bildung, Gesundheit, Umwelt, Sicherheit, bürgerschaftliches Engagement und Governance, Zugang zu Dienstleistungen, Gemeinschaft und Lebenszufriedenheit (www.oecd.org). Tab.  2.5 gibt eine Übersicht zu ausgewählten Themen, die das Wohlbefinden betreffen.

Während es bei den bisher beschriebenen Indikatoren darum ging, das Sozialprodukt als Wohlfahrtsindikator zu verbessern oder zu ergänzen, suchen andere Autoren nach nicht ökonomischen Wohlfahrtsmaßen. So ist der von McGillivray (2005) entwickelte Well-Being Index (WBI) insofern nahe beim HDI, als er die gleichen Bestandteile mit Ausnahme des Einkommens aufweist. Er beschränkt sich also auf die Bereiche Bildung und Gesundheit. Während im HDI die Gewichte der drei verschiedenen Bereiche vorab festgelegt sind, ist dies beim WBI nicht der Fall, hier erfolgt die Berechnung mithilfe der Hauptkomponentenanalyse (statistisches Verfahren). Auch der Index der glücklichen Lebenserwartung (Happy Life Expectancy, HLE) (Veenhoven 1996) ist ein nicht ökonomisches ­Wohlfahrtsmaß, das aber im Unterschied zum WBI die subjektive Bewertung der Individuen mitberücksichtigt. Der HLE wird berechnet, indem die Lebenserwartung bei Geburt in einem Land mit dem Glücksindex seiner Bewohner multipliziert wird. Der Glücksindex wird durch Befragung ermittelt. Dabei legen die Befragten ihre Zufriedenheit auf einer Skala zwischen 0 und 10 fest, durch Normierung ergibt sich der Glücksindex als Wert zwischen 0 und 1. Wenn die Lebenserwartung in einem Land

Tab. 2.5  Ausgewählte Themen zur Darstellung des Wohlbefindens. (Quelle: OECD, o.J.) Materielle Bedingungen

Themen Einkommen Arbeitsplätze

Lebensqualität

Wohnen Gesundheit Bildung Umwelt

Subjektives Wohlbefinden

Sicherheit Bürgerschaftliches Engagement Zugang zu Infrastruktur/ Dienstleistungen Gemeinschaft Lebenszufriedenheit

Indikatoren Verfügbares Haushaltseinkommen (real USD PPP) Erwerbstätigenquote (%) Arbeitslosenquote (%) Anzahl von Räumen pro Person (Quote) Lebenserwartung bei Geburt (Jahre) Altersangepasste Sterblichkeitsrate (pro 1000 Personen) Anteil der Arbeitskräfte mit mindestens sekundärer Bildung (%) Geschätzte durchschnittliche Exposition für Luftverschmutzung in PM2,5(μg/m3) basierend auf Satelitenbilddaten Tötungsrate (je 100. 000 Personen) Wahlbeteiligung (%) Anteil der Haushalte mit Breitbandanschluss (%) Anteil von Menschen, die Freunde oder Verwandte haben, auf die sie sich im Bedarfsfall verlassen können Durchschnittliche Selbsteinschätzung der Lebenszufriedenheit auf einer Skala von 0 bis 10

2.6 Nachhaltigkeitsmaße

siebzig Jahre und die durchschnittliche Zufriedenheit sechs beträgt, dann beläuft sich die glückliche Lebenserwartung auf 42  Jahre (70  ×  0,6), die glückliche Lebenserwartung liegt also (fast) immer unter der Lebenserwartung bei Geburt. Empirisch liegt die glückliche Lebenserwartung meist zwischen dreißig und achtzig Jahren, wobei der Glücksindex in den meisten Fällen zwischen 0,4 und 0,8 liegt. Gesellschaftliche Wohlfahrt lässt sich nach Auffassung vieler Ökonomen nur auf Basis individuellen Wohlbefindens ermitteln. Nimmt man das durchschnittliche subjektive Wohlbefinden, das Individuen in repräsentativen Umfragen angegeben haben, als Maßstab, dann zeigt ein Vergleich des HDI, des Better Life Index und des WBI mit dem Sozialprodukt überraschende Ergebnisse. Zunächst wurde mittels einer einfachen Korrelation der Zusammenhang zwischen dem Bruttonationaleinkommen (BNE) pro Kopf in Kaufkraftstandards und dem durchschnittlichen subjektiven Wohlbefinden überprüft. Dabei stellte sich heraus, dass dieser Zusammenhang sehr stark und signifikant ist. Dann wurde das gleiche Verfahren mit den anderen Kennzahlen (HDI, Better Life, WBI) durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass nur der OECD Better Life Index noch bessere Resultate liefert als das Pro-Kopf-­ BNE (Delhey und Kroll 2012). Das statistische Bundesamt veröffentlicht Nachhaltigkeitsindikatoren, die den Stand der Entwicklung Deutschlands im Hinblick auf die von den Vereinten Nationen in der Agenda 2030 festgelegten Nachhaltigkeitsziele widerspiegeln sollen. Die deutsche Bundesregierung hat sich verpflichtet, die siebzehn Ziele der Agenda 2030 (Abschn. 2.5) auf nationaler Ebene umzusetzen. Zu diesem Zweck wurde eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie erarbeitet, die die Ziele in Bezug auf Deutschland präzisiert. Zu jedem der siebzehn internationalen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (Vereinte Nationen 2015) wird vom statistischen Bundesamt mindestens ein Indikator veröffentlicht (Statistisches Bundesamt 2018). Beispielsweise wurden im Bereich des dritten Ziels die in Tab. 2.6 aufgeführten Indikatoren veröffentlicht (siehe dazu auch Abschn. 2.5):

77

Zusammenfassung

• Wenn man die Entwicklung im Zeitablauf betrachtet, dann kann das Trittbrettfahrerproblem im Zusammenhang mit öffentlichen Gütern unter bestimmten Voraussetzungen vermieden werden. Zu diesen Konditionen zählen ein unendlicher Zeithorizont, eine genügend hohe Bewertung der Zukunft und eine hinreichend große Gruppe kooperativer Akteure. Sind die Bedingungen erfüllt, dann können beispielsweise internationale Umweltschutzabkommen geschlossen oder Dienstleistungen im Gesundheitsbereich ehrenamtlich bereitgestellt werden. • Der Zusammenhang zwischen Gesundheit und Wachstum ist vielfältig und hängt entscheidend vom Entwicklungsstand eines Landes ab. Für Industrieländer ist anzunehmen, dass der relative Beitrag der Gesundheit zum Nutzen der Bevölkerung mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen zunimmt. Geht man überdies davon aus, dass im Gesundheitssektor abnehmende Grenzerträge vorliegen und die durchschnittliche Lebenserwartung steigt, dann weisen Gesellschaften, die über ein hohes Pro-Kopf-Einkommen verfügen, abnehmende Wachstumsraten des Sozialprodukts auf. • Für den Begriff der Nachhaltigkeit sind seine Dreidimensionalität und die Gerechtigkeit maßgeblich. Die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit sind Ökologie, Ökonomie und Soziales, der Gerechtigkeitsbegriff beinhaltet interund intragenerationelle Betrachtungen. Zur Messung der Nachhaltigkeit stehen zahlreiche Indizes zur Verfügung, der Index of Sustainable Economic Welfare (ISEW), der Human Development Index (HDI) und der Well-Being Index (WBI).

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Keine Bewertung möglich 4 4

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Zielerreichung* Zielerreichung* Zielerreichung* Zielerreichung* 2012 2013 2014 2015

∗Zielerreichungsgrade: 1: Bei Fortsetzung der Entwicklung würde der Zielwert erreicht oder um weniger als 5 % der Differenz zwischen Zielwert und aktuellem Wert verfehlt. 2: Bei Fortsetzung der Entwicklung würde der Zielwert voraussichtlich um mindestens 5 % aber maximal 20 % der Differenz zwischen Zielwert und aktuellem Wert verfehlt. 3: Der Indikator entwickelt sich zwar in die gewünschte Richtung auf das Ziel zu, bei Fortsetzung der Entwicklung würde das Ziel im Zieljahr aber um mehr als 20 % verfehlt. 4: Der Indikator entwickelt sich nicht in die gewünschte Richtung und somit vergrößert sich der Abstand zum Ziel.

Gesundheit und Ernährung-Länger gesund leben 3.1.a Vorzeitige Sterblichkeit (Frauen) Senkung auf 100 Todesfälle je 100.000 Einwohnerinnen bis 2030 3.1.b Vorzeitige Sterblichkeit Senkung auf 100 Todesfälle je 100.000 Einwohner (Männer) bis 2030 3.1.c Raucherquote von Jugendlichen Senkung auf 7 % bis 2030 3.1.d Raucherquote von Senkung auf 19 % bis 2030 Erwachsenen 3.1.e Adipositasquote von Jugendlichen Anstieg dauerhaft stoppen 3.1.f Adipositasquote von Erwachsenen Anstieg dauerhaft stoppen Luftbelastung – Gesunde Umwelt erhalten 3.2a Emissionen von Luftschadstoffen Reduktion der Emissionen des Jahres 2005 auf 55 % bis 2030 Erreichung des FeinstaubWHO-Richtwerts von 3.2 b Anteil der Bevölkerung mit 20 μg/m3 für PM10 im Jahresmittel möglichst erhöhter PM10-­ Feinstaubexposition flächendeckend bis 2030

Ziel 3 der Entwicklungsziele: Gesundheit und Wohlergehen Unterziel Gegenstand Quantifizierung

Tab. 2.6  Agenda 2030 der Vereinten Nationen, Nachhaltigkeitsindikatoren zu den Entwicklungszielen. (Quelle: Statistisches Bundesamt 2018, S. 127)

78 2  Dynamische Grundlagen

Literatur

Wiederholungsaufgaben 1. Erläutern Sie die Unterschiede zwischen dem neoklassischen Wachstumsmodell von Solow und dem Basismodell der neuen Wachstumstheorie mit Humankapital von Lucas und Uzawa. 2. Grenzen Sie die Herangehensweise der ökologischen Ökonomik gegen die Ansätze der Neoklassik ab. 3. Ordnen Sie die folgenden Definitionen den zugehörigen Nachhaltigkeitsbegriffen zu: a. Definition 1: Die Wohlfahrt zukünftiger Generationen hängt vom gesamten Kapitalbestand ab. Naturkapital ist durch andere Kapitalformen substituierbar. Bei nachhaltiger Entwicklung nimmt der Kapitalbestand insgesamt nicht ab. b. Definition 2: Die Wohlfahrt zukünftiger Generationen hängt davon ab, ob bestimmte Grenzwerte überschritten werden. Teile des Naturkapitals sind nur eingeschränkt mit anderen Kapitalformen sub­ stituierbar. c. Definition 3: Die Wohlfahrt zukünftiger Generationen hängt insbesondere vom Naturkapital ab. Naturkapital ist nicht sub­ stituierbar durch andere Kapitalformen. Mindestvoraussetzung für nachhaltige Entwicklung ist die Konstanz des Naturkapitals. Lösungen 1. Sowohl das Solow-Modell als auch das Lucas-Uzawa-Modell haben ihr Fundament in der Neoklassik. Kerngröße beider Modelle ist das Pro-Kopf-Einkommen, wirtschaftliche Entwicklung wird mit einem Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens gleichgesetzt. Während das Solow-Modell dauerhaftes Wachstum nicht aus dem Modell heraus erklären kann, ist dies im Rahmen des Lucas-Uzawa Modells möglich. Im Modell von Lucas gehen vom Humankapital Wachstumsimpulse aus. Dabei greift Lucas auf ein Zwei-­ Sektoren-­ Modell von Uzawa zurück, das auf dem Solow-­Modell basiert, aber einen Sachgütersektor und einen Bildungssektor umfasst.

79

2. Die ökologische Ökonomik ist eine For schungsrichtung innerhalb der Umweltökonomik, die die Wirtschaft als Subsystem des Ökosystems auffasst und die wirtschaftliche Entwicklung der ökologischen Entwicklung unterordnet. Eine Konsequenz ist die Forderung nach Begrenzung des Wirtschaftswachstums. Im Gegensatz dazu ist die neoklassische Theorie anthropozentrisch und sieht erst im Wirtschaftswachstum die Gelegenheit zur Beseitigung von Umweltproblemen. 3. Zuordnung der Definitionen zu Nachhaltigkeitsbegriffen: a. Definition 1: Schwache Nachhaltigkeit b. Definition 2: Kritische Nachhaltigkeit c. Definition 3: Starke Nachhaltigkeit

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Part II Spezielle Fragestellungen der Gesundheitsökonomik

3

Abgrenzungen und Determinanten

Lernziele

Leserinnen und Leser können den Begriff Gesundheit definieren und kennen Ansätze zur Messung des Gesundheitszustands einer Bevölkerung. Sie kennen die Bedeutung der Lebenserwartung für die Gesundheitspolitik und können erläutern, worin der Unterschied zwischen der mittleren Lebenserwartung bei Geburt und der ferneren Lebenserwartung besteht. Neben der Lebenserwartung können Leserinnen und Leser epidemiologische Maßzahlen wie Prävalenz, Inzidenz und Mortalität erklären und berechnen. Überdies können Leserinnen und Leser die Determinanten der Gesundheit darlegen und zueinander in Beziehung setzen. Sie können begründen, warum zur Bewertung von Projekten wie beispielsweise neuer Therapieformen im Gesundheitswesen Nutzwertanalysen häufig Kosten-Nutzen-Analysen vorgezogen werden. Leserinnen und Leser können das Konzept der QALYs als bekanntestem Nutzenmaß erklären und Ergebnisse von QALY-­ Analysen kritisch vergleichen. Sie sind in der Lage, die in der QALY-Analyse eingesetzten unterschiedlichen Verfahren zur Messung der Präferenzen von Individuen zu erklären und ihre Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen. Leserinnen und

Leser können die Ergebnisse von QALY-Analysen einordnen und Therapieformen miteinander vergleichen, wenn Zusatzkosten und zusätzliche QALYs bekannt sind. Sie kennen auch die politökonomischen Zusammenhänge im Gesundheitsbereich und können erläutern, welche Gremien in der Bundesrepublik Deutschland auf der Basis von QALY-Analysen über gesundheitspolitische Maßnahmen entscheiden.

3.1

Definition von Gesundheit

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) definiert Gesundheit wie folgt: „Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ (Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1946, Präambel der WHO Verfassung). Aus dieser Definition ergibt sich zugleich ein sehr umfassender Ansatz der Gesundheitspolitik, demzufolge Gesundheit als Querschnittsaufgabe in allen Politikbereichen aufzufassen ist (Health in All Policies, HiAP). Alle Bereiche staatlichen Handelns sollen danach die Belange Gesundheitsprävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitsversorgung

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 W. Störmann, Gesundheits- und Umweltökonomik klipp & klar, WiWi klipp & klar, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27677-5_3

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3  Abgrenzungen und Determinanten

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be­rück­sichtigen (Köckler und Fehr 2018). In der WHO-Definition ist der Gesundheitsbegriff sehr umfassend, was seine Messbarkeit deutlich erschwert. Eine relativ einfache Methode, den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu erfassen, besteht in der Berechnung der Lebenserwartung. Letztere ist dabei wie folgt definiert (Robert Koch Institut (RKI) 2015, S. 22): Sie gibt die Anzahl der Jahre an, die ein neugeborenes Kind unter den gegenwärtigen Sterblichkeitsverhältnissen im Durchschnitt leben wird. Dabei wird angenommen, dass die altersspezifischen Sterbewahrscheinlichkeiten des Geburtsjahres für das gesamte weitere Leben gelten.

Die mittlere Lebenserwartung im Alter von null Jahren ist unabhängig vom Altersaufbau einer Bevölkerung, deshalb ist dieses Maß besonders geeignet zum Vergleich der Entwicklung des Gesundheitszustands einer Bevölkerung im Zeitablauf. Sie wird aber auch zum Vergleich des Gesundheitszustands in unterschiedlichen Ländern und Regionen oder zwischen verschiedenen Gruppen einer Bevölkerung angewendet. Von der Lebenserwartung bei Geburt zu unterscheiden ist die fernere Lebenserwartung, die wie folgt definiert ist (Robert Koch Institut (RKI) 2015, S. 22): Als fernere Lebenserwartung werden die Lebensjahre bezeichnet, die unter den gegenwärtigen Sterblichkeitsverhältnissen ab einem bestimmten Alter noch zu erwarten sind.

Dabei gilt, dass die Summe aus fernerer Lebenserwartung und bereits erreichtem Lebensalter steigt, weil die Risiken, in jüngerem Lebensalter zu versterben, bereits überwunden sind. So hat beispielsweise ein heute einjähriges Kind eine höhere Lebenserwartung als ein heute Neugeborenes, weil für das einjährige Kind das Risiko der Säuglingssterblichkeit nicht mehr besteht. Säuglingssterblichkeit ist dabei definiert als „Zahl der im ersten Lebensjahr gestorbenen Kinder je 1000 Lebendgeborene“ (Robert Koch Institut (RKI) 2015, S. 105). Die Daten zur mittleren Lebenserwartung bei Geburt und zur ferneren Lebenserwartung lassen sich aus den Periodensterbetafeln des Statistischen Bundesamts ablesen. In Deutschland ist die Lebenserwartung in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen. Aus der Sterbetafel für den Zeitraum 2009–2011 ergibt sich eine mittlere

Lebenserwartung von Frauen bei Geburt von 82,7  Jahren, von Männern von 77,7  Jahren. Aus derselben Sterbetafel lässt sich ablesen, dass eine gegenwärtig 65-jährige Frau im Durchschnitt 20,7  Jahre lang weiterlebt, ein 65-jähriger Mann kann durchschnittlich 17,5 weitere Jahre erwarten (Robert Koch Institut (RKI) 2015). Das folgende Beispiel soll die Berechnung der ferneren Lebenserwartung noch einmal verdeutlichen. Aus einer Sterbetafel einer kleinen Insel sind für die Altersjahre 105–110 die folgenden Angaben zur Anzahl der noch lebenden Personen zu entnehmen: 1800, 1600, 1200, 800, 400, 200. Kein Bewohner erreicht ein höheres Alter als 110  Jahre. Die fernere Lebenserwartung eines 106-jährigen Bewohners lässt sich dann wie folgt berechnen:  106 ⋅ 400 + 107 ⋅ 400 + 108 ⋅ 400    + 109 ⋅ 200 + 110 ⋅ 200   − 106 = 1, 625. 1600 (Gl. 3.1) Im Beispiel beläuft sich die fernere Lebenserwartung des 106-jährigen Inselbewohners also auf 1,625  Jahre. Neben der Lebenserwartung können epidemiologische Maßzahlen wie Prävalenz, Inzidenz und Mortalität Hinweise auf den Gesundheitszustand einer Bevölkerung geben. Die Begriffe sollen im Folgenden anhand von Beispielen erläutert und ihre gesundheitspolitische Bedeutung veranschaulicht werden (vergleiche hierzu Prenzler et al. 2010; Robert Koch Institut (RKI) 2015). Prävalenz gibt an, wie weit eine bestimmte Krankheit verbreitet ist. Sie wird gemessen als Anzahl der Krankheitsfälle bezogen auf die Gesamtpopulation zu einem bestimmten Zeitpunkt (Punktprävalenz) oder in einem bestimmten Zeitraum (Periodenprävalenz). Aus der Gesundheitsberichterstattung des Bundes lassen sich Daten bezüglich der Punktprävalenz (Krankheitsverbreitung an einem Stichtag), Zwölf-Monats-­ Prävalenz (während eines Jahres) oder Lebenszeitprävalenz (im Verlauf des bisherigen Lebens der Betroffenen) entnehmen. Punktprävalenz und Periodenprävalenz lassen sich wie folgt berechnen (Prenzler et al. 2010):

3.1  Definition von Gesundheit

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faktoren für Herz-Kreislauf-­ Erkrankungen sind Krankheitsf alle in einer Rauchen, Adipositas, Bewegungsarmut, FettstoffPopulation zu einem wechselstörungen, Bluthochdruck und Diabetes. bestimmten Zeitpunkt  , Diese Risikofaktoren können durch individuelles Punktpravalenz = Bev olkerungszahl zu einem Verhalten (z.  B.  Nichtrauchen, Bewegung) und bestimmten Zeitpunkt effektive Therapien (z.  B. bei Bluthochdruck, (Gl. 3.2) Fettstoffwechselstörungen) vermindert werden. In Deutschland sind Herz-Kreislauf-ErkrankunKranksheitsf alle in einer gen zwar in den letzten Jahrzehnten aufgrund Population w ahrend individueller Verhaltensänderungen (bzw. ver­ eines Zeitraums Periodenpr avalenz = . besserter Prävention) und Fortschritten in der olkerungszahl in Bev Therapie zurückgegangen. Dennoch bleiben einem Zeitraum Herz-Kreislauf-Erkrankungen die häufigste To (Gl. 3.3) desursache sowohl von Frauen als auch von MänAus einer hohen Prävalenz einer Krankheit ergibt nern in Deutschland. Überdies leben nach wie vor sich oft auch eine hohe gesundheitspolitische Be- viele Menschen mit einer chronischen koronaren deutung, weil mit jeder Krankheit sowohl direkte Herzkrankheit oder mit einem überlebten SchlagKosten (z. B. Behandlungskosten) als auch indi- anfall. Herz-­Kreislauf-Erkrankungen stehen desrekte Kosten (z. B. psychische Belastungen, Pro- halb weiterhin im Fokus gesundheitspolitischer duktionsausfälle, verringerte Steuereinnahmen) Maßnahmen (Prävention) (Robert Koch Institut verbunden sind. Aus der Gesundheitsberichter- (RKI) 2015). stattung des Bundes lässt sich entnehmen, dass Mit dem Begriff der Inzidenz werden die NeuHerz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland nach erkrankungen hinsichtlich einer bestimmten wie vor weit verbreitet sind. Ende 2010 lebten in Krankheit in einem festgelegten Zeitraum bezoDeutschland 81.751.600 Personen, davon gen auf eine definierte Population bezeichnet. Da40.112.400 Männer und 41.639.200 Frauen. Zu bei unterscheidet man kumulative Inzidenz und diesem Zeitpunkt waren 2.481.000 Frauen und Inzidenzrate. Kumulative Inzidenz ist definiert als 3.349.000 Männer an einer koronaren Herzkrank- Anzahl der Neuerkrankungen bezogen auf die heit erkrankt. Damit lag die Punktprävalenz be- Zahl der Personen unter Risiko, die Inzidenzrate zogen auf die Gruppe der Frauen bei rund 6  %, gibt die Neuerkrankungen bezogen auf die Persobezogen auf die Männer waren es rund 8 % (Ro- nenzeit der Personen unter Risiko an. Die Inzibert Koch Institut (RKI) 2015). Herz-Kreis- denzrate gelangt dann zur Anwendung, wenn die lauf-Erkrankungen sind sowohl bei Frauen als Populationsgröße schwankt. Letzteres ist beiauch bei Männern über einen langen Zeitraum spielsweise dann der Fall, wenn Personen durch hinweg die häufigste Todesursache in Deutsch- Tod oder Aufgabe des Wohnsitzes aus der Populaland. Überdies verursachen Herz-Kreislauf-Er- tion ausscheiden. Sind Erkrankungsrisiko und Bekrankungen im Vergleich zu allen anderen völkerungsfluktuation gering, dann ist auch der Erkrankungen die höchsten direkten Krankheits- Unterschied zwischen kumulativer Inzidenz und kosten, dabei kommen innerhalb dieser Gruppe Inzidenzrate gering (Prenzler et al. 2010). die koronare Herzkrankheit und dem Schlaganfall Anzahl der Neuerkrankungen die größte Bedeutung zu. Nach der Gesundheitsin der Population im berichterstattung des Bundes beliefen sich die Beobachtungszeitraum direkten Krankheitskosten für Herz-Kreislauf-ErKumulative Inzidenz = Anzahl der Personen unter krankungen im Jahr  2008 auf 37  Mrd. Euro. Risiko in der Poppulation zu Hinzu kommen die indirekten Kosten der KrankBeginn des heit. So bringen Herz-­Kreislauf-­Erkrankungen als Beobachtungszeitraums Ursache vorzeitiger Todesfälle vor dem 65.  Le bensjahr einen erheblichen Verlust an potenziel(Gl. 3.4) len Lebensjahren mit sich. Wesentliche Risiko-

3  Abgrenzungen und Determinanten

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Anzahl der Neuerkrankungen in der Population im Beobaachtungszeitraum Inzidenzrate = Personenzeit der Personen unter Risiko im Beobacchtungszeitraum

(Gl. 3.5) In der Gesundheitsberichterstattung des Bundes ist die Inzidenz wie folgt definiert: „Inzidenz: Häufigkeit von Neuerkrankungen in einem bestimmten Zeitraum (z.  B. ein Jahr), angegeben als Anzahl der Neuerkrankungen oder als Anzahl der Neuerkrankungen pro 100.000 Personen.“ (Robert Koch Institut (RKI) 2015, S.  18). Sie wird dabei häufig als alters- und geschlechtsspezifisch definiert, für Frauen und Männer getrennt und jeweils bezogen auf eine bestimmte Altersgruppe (oft als Fünf-Jahres-Gruppen). Wenn sich in einer Population Zu- und Abwanderung ausgleichen (Fließgleichgewicht), dann kann die Prävalenz als Produkt aus Inzidenz und Krankheitsdauer errechnet werden (Prenzler et  al. 2010): Pr  avalenz = Inzidenz ∗ Krankheitsdauer. (Gl. 3.6) Schätzungen zur Neuerkrankungsrate (Inzidenz) von Schlaganfällen in Deutschland lassen sich aus zwei Schlaganfallregistern (Erlangen und Ludwigshafen) entnehmen. Das Schlaganfallregister in Erlangen enthält Daten aus dem Zeitraum von 1994 bis 2010, das in Ludwigshafen aus den Jahren 2006–2007. Aus dem Schlaganfallregister in Erlangen lässt sich entnehmen, dass es im Zeitraum 1994–1996 jährlich 174 Neuerkrankungen je 100.000 Einwohner gab (erstmalige Schlaganfälle). Dabei kam es in der Gruppe der Frauen zu 201Neuerkrankungen je 100.000 Einwohner, in der Gruppe der Männer zu 147 Neuerkrankungen je 100.000 Einwohner. Die höhere Inzidenz in der Gruppe der Frauen ist dadurch zu erklären, dass Frauen im Durchschnitt älter werden als Männer und das Schlaganfallrisiko mit dem Lebensalter steigt. In den höheren Altersgruppen ist also die Anzahl von Frauen größer als die Anzahl von Männern, deshalb ist auch die Zahl der erstmaligen Schlaganfälle bei Frauen größer als bei Männern. Dieser Effekt

lässt sich durch Altersstandardisierung herausrechnen. Bei der Altersstandardisierung wird gefragt, wie viele Neuerkrankungen zu erwarten wären, wenn die Altersstruktur einer Bezugsbevölkerung (hier also in Erlangen) der Altersstruktur einer Referenzpopulation (hier der alten Europastandardbevölkerung) entsprechen würde. Die Inzidenzraten der Bezugsbevölkerung werden entsprechend dem Altersaufbau der Standardbevölkerung gewichtet. Betrachtet man die altersstandardisierten Schlaganfallinzidenzraten in Erlangen (alte Europastandardbevölkerung), dann zeigt sich für Frauen mit 125/100.000 eine geringere Schlaganfallinzidenz als bei Männern mit 148/100.000. Im Zeitraum 2009–2010 lag die Schlaganfallinzidenz in Erlangen bei 117/100.000 bei Frauen und 127/100.000 bei Männern. Die altersstandardisierte Schlaganfallinzidenz in Erlangen ist demnach bei Männern deutlich gefallen, bei Frauen dagegen etwa gleich geblieben. In Ludwigshafen betrug die altersstandardisierte Schlaganfallinzidenz (nach alter Europastandardbevölkerung) in den Jahren 2006–2007 bei Frauen 129/100.000, bei Männern 163/100.000. Die unterschiedlichen Ergebnisse aus den Schlaganfallregistern in Erlangen und Ludwigshafen zeigen, dass die Alterung der Bevölkerung eine Rolle spielt, aber auch regionale Faktoren das Schlaganfallrisiko beeinflussen können. Das in Tab. 3.1 und 3.2 zusammengefasste fiktive Beispiel soll das Vorgehen bei der Altersstandardisierung verdeutlichen. In den ersten Spalten finden sich die tatsächlichen Bevölkerungszahlen, jeweils differenziert nach Altersgruppen. In den zweiten Spalten sind die tatsächlichen Neuerkrankungen nach Altersgruppen erfasst. Aus dem Verhältnis von tatsächlichen Neuerkrankungen zu tatsächlicher Population errechnet sich der Anteil der Neuerkrankungen in Spalte  3. Für die Gesamtbevölkerung lässt sich die Inzidenz in Ort A mit 112 je 100.000 Einwohner beziffern, in Ort B dagegen mit 160 je 100.000 Einwohner.



Inzidenz in A =

1680 150 000

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3.1  Definition von Gesundheit Tab. 3.1  Inzidenz in Ort A

0–19 20–44 45–64 65 und älter Gesamt

Tatsächliche Population 30.000 75.000 30.000 15.000 150.000

Neuerkrankungen 30 150 300 1200 1680

Anteil Neuerkrankungen 0,001 0,002 0,01 0,08 0,0112

Neuerkrankungen 5 30 150 1500 1685

Anteil Neuerkrankungen 0,00025 0,000857 0,005 0,075 0,016048

Standardbe völkerung 400.000 900.000 550.000 360.000 2.210.000

Erwartete Neuerkrankungen 400 1800 5500 28.800 36.500

Tab. 3.2  Inzidenz in Ort B

0–19 20–44 45–64 65 und älter Gesamt



Tatsächliche Population 20.000 35.000 30.000 20.000 105.000

Inzidenz in B =

1685 105.000

Die Altersstandardisierung erfolgt nun dadurch, dass errechnet wird, wie viele Neuerkrankungen zu erwarten wären, wenn die Altersstruktur in den beiden Orten A und B der Standardbevölkerung entsprechen würde. Die Verteilung der Standardbevölkerung auf die verschiedenen Altersgruppen findet sich in den vierten Spalten der beiden Tabellen. Die Anzahl der erwarteten Neuerkrankungen in den fünften Spalten ergibt sich, wenn man die Anteile der Neuerkrankungen aus Spalte  3 mit der Standardbevölkerung in den vierten Spalten multipliziert.



36.500 Altersstandardisierte Inzidenz A = 150.000 (Gl. 3.7) Altersstandardisierte Inzidenz B =

30.621 2.210.000 (Gl. 3.8)

Standardbe völkerung 400.000 900.000 550.000 360.000 2.210.000

Erwartete Neuerkrankungen 100 771 2750 27.000 30.621

Szenario bezeichnet. Werden dagegen heute beobachtete Trends in die Zukunft ­fortgeschrieben, dann wird dies als Trendfortschreibungsszenario bezeichnet (Robert Koch Institut (RKI) 2015). Eine weitere entscheidende epidemiologische Maßzahl neben Lebenserwartung, Prävalenz und Inzidenz ist die Mortalität (Sterblichkeit). Sterblichkeitsmaße (Mortalität) können entweder allgemein als Gesamtmortalität, ursachenspezifisch, altersspezifisch oder als Letalität berechnet werden. Die Gesamtmortalität setzt die Anzahl der Todesfälle innerhalb eines Zeitraums ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl:



Anzahl der Todesf alle in einer Periode Gesamtmortalit at = . olkerung Gesamtbev

(Gl. 3.9)

Die ursachenspezifische Mortalität bezieht sich auf eine bestimmte Krankheit als Ursache für die Todesfälle. Sie setzt dann die Sterbefälle aufgrund dieser Ursache ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl:

Inzidenz und Prävalenz sind wesentliche Bestandteile von Prognosen. Um zu Vorhersagen für den Gesundheitszustand der Bevölkerung in der Zukunft zu gelangen, werden Annahmen über die erAnzahl der todesf alle wartete demografische Alterung getroffen, aber auch aufgrund einer darüber, wie sich heute beobachtbare Trends bezügbestimmten Ursache lich der Neuerkrankungen oder Krankheitsraten in einem Zeitraum fortsetzen werden. Berücksichtigt man in der Prog- Ursachenspezifische Mortalitat = Gesamtbevolkerung . nose ausschließlich die demografische Alterung, (Gl. 3.10) dann wird dies als Basisszenario oder Status-quo-­

3  Abgrenzungen und Determinanten

90

Die altersspezifische Mortalität bezieht sich jeweils nur auf eine Altersgruppe und setzt für diese Altersgruppe die Todesfälle ins Verhältnis zum Umfang der Bevölkerung.

Einwohner im Jahr 2013, sie sind also im Zeitablauf zurückgegangen. Die höhere absolute Zahl der Todesfälle aufgrund von Krebs ist vor allem auf den steigenden Anteil älterer Menschen zurückzuführen (Robert Koch Institut (RKI) Anzahl der Todesf alle 2015). in einer bestimmten Der Gesundheitszustand der Bevölkerung geht Altersklasse als eine von fünf Kategorien in den GesundheitsAltersspezifische Mortalit at = Bev olkerungszahl in indikatorensatz der Europäischen Union ECHI dieser Altersklasse (European Core Health Indicators) ein. Letzterer (Gl. 3.11) enthält die klassischen epidemiologischen Maßzahlen Lebenserwartung, Prävalenz, Inzidenz Die Letalität gibt an, wie tödlich eine Krank- und Mortalität, wobei die Auswahl der Indikatoheit im Durchschnitt verläuft (Prenzler et  al. ren einem übergreifenden umwelt-, gesundheits2010): und sozialpolitischen Interesse folgt. alle aufgrund Anzahl der Todesf einer bestimmten Ursache in einem Zeitraum at = . Letalit Anzahl der Erkrankten an dieser Ursache in diiesem Zeitraum (Gl. 3.12) In der Gesundheitsberichterstattung des Bundes wird die Mortalität in einer bestimmten Periode entweder als absolute Zahl der Sterbefälle oder als Zahl der Sterbefälle je 100.000 Personen (Sterberate) angegeben. Sie wird dabei als Gesamtmortalität oder ursachenspezifisch beziffert, wobei wiederum die Einflussgröße Alter durch Altersstandardisierung herausgerechnet wird. Aus den altersstandardisierten Mortalitätsraten lassen sich wiederum Rückschlüsse auf Fortschritte in der Therapie bestimmter Krankheiten ziehen, die ohne Altersstandardisierung von den demografischen Veränderungen überlagert worden wären. Beispielsweise starben im Jahr 2003  in Deutschland 209.255 Menschen an Krebs, im Jahr 2013 waren es 223.842 Todesfälle durch Krebs. Daraus könnte man auf den ersten Blick schließen, dass Krebserkrankungen in jüngerer Zeit häufiger zum Tod führen. Die Altersstandardisierung zeigt aber, dass das Gegenteil der Fall ist, Menschen erliegen heute weniger oft ihren Krebserkrankungen als früher. Die altersstandardisierten Sterberaten für Krebserkrankungen betrugen 173 Todesfälle je 100.000 Einwohner im Jahr 2003 und 157 Todesfälle je 100.000

3.2

Determinanten der Gesundheit

Empirische Befunde zeigen, dass der Gesundheitszustand einer Bevölkerung von unterschiedlichen Bestimmungsfaktoren abhängt, die sich in (mindestens) sechs Kategorien unterteilen lassen (nach Latzitis 2010): 1. umweltbedingte Faktoren, 2. sozioökonomische Faktoren, 3. das Gesundheitssystem, 4. soziodemografische und kulturelle Faktoren, 5. biologische Faktoren und 6. der Lebensstil. Die erste Kategorie (umweltbedingte Faktoren) zeigt den direkten Zusammenhang von Umwelt und Gesundheit. Sowohl in Deutschland als auch in anderen Staaten traten in der Vergangenheit und treten noch heute infolge schädlicher Umwelteinwirkungen deutliche Verschlechterungen des Gesundheitszustands der Bevölkerung ein. Dies geschieht oft langsam und für die Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar, teilweise aber auch im Zusammenhang mit menschengemachten Umweltkatastrophen, die in die internationale Öffentlichkeit gelangen. Als Beispiele für international bekannte Umweltkatastrophen mit erheblichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit seien hier etwa der Zustand des Aralsees, die Giftgaskatastrophen von Seveso und

3.2  Determinanten der Gesundheit

Bhopal, die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl, die Luftverschmutzung in Norilsk, die Bleiverschmutzung in Bajos de Haina oder der Smog in China genannt. Der Aralsee in Kasachstan und Usbekistan kann mit seiner Austrocknung (die vollständige Austrocknung wird bis 2020 erwartet) und Schadstoffbelastung des Bodens durch Düngung und Schädlingsbekämpfung zugleich als Beispiel für ein Allmendeproblem und als Beispiel für negative externe Effekte durch Schadstoffemissionen herangezogen werden. Infolge der Emissionen ist das menschliche Immunsystem geschwächt und es treten in der Region häufiger Krankheiten wie Krebs oder Typhus auf. Negative externe Effekte durch verschmutzte Luft treten häufig auf, ein Extremfall ist die Luftverschmutzung in Norilsk (Russland). Dort ist die Verschmutzung der Luft durch Schwefeldioxid, Feinstaub, Stickstoffoxide, Kohlenstoffoxide, Phenole sowie radioaktive Stoffe so gravierend, dass die Lebenserwartung der Bürger rund zehn Jahre geringer ausfällt als im russischen Durchschnitt. Nuklearkatastrophen wie diejenige in Tschernobyl 1986 oder Fukushima 2011 haben gravierende gesundheitliche Langzeitfolgen, die bis heute erforscht werden. Gesundheitliche Folgeerscheinungen der Giftgasemission in Seveso (Italien 1976) sind über einen langen Zeitraum hinweg erhöhte Krankheitsrisiken für Kinder. Die Giftgasemission im indischen Bhopal (1984) hatte den Tod Tausender Menschen zur Folge, viele erkrankten schwer und noch Jahrzehnte später wurden Kinder mit Fehlbildungen geboren. Extreme Beispiele für verschmutzte Luft finden sich auch in chinesischen Großstädten, wo der Feinstaub die Lebenserwartung der Bevölkerung erheblich verkürzt (Reviol 2015). Abgesehen von den hier aufgeführten spektakulären Umweltkatastrophen finden überall auf der Welt kontinuierlich erhebliche Umweltbeeinträchtigungen durch Emissionen statt, die gesundheitliche Schäden zur Folge haben. In Deutschland ist die rechtliche Zulässigkeit von Immissionen durch das Bundes-Immis­ sionsschutzgesetz geregelt. Dennoch kam es infolge wirtschaftlicher Tätigkeiten in vielen Regionen zu gesundheitlichen Belastungen der Bevölkerung und insbesondere der Beschäftigten. Beispiele hierfür sind der Uranabbau in Ostthüringen und im Erzgebirge, infolge dessen Krebser-

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krankungen der Lunge auftraten. Weitere Beispiele liefert die Chemieindustrie in Bitterfeld, die Atemwegserkrankungen verursachte, und der Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet, der ursächlich für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Atemwegserkrankungen war. Auch der Verkehrssektor in Deutschland verursacht aufgrund der Luftverschmutzung gesundheitliche Beeinträchtigungen der Bevölkerung, vor allem Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-­ Erkrankungen. Einen deutlichen negativen Einfluss auf die menschliche Gesundheit, insbesondere auf Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-­Erkrankungen und neurologische Störungen, hat auch der Anteil der Industrie- und Verkehrsflächen. Demgegenüber wirkt ein hoher Anteil von Grünflächen in einer Region positiv auf die menschliche Gesundheit (Latzitis 2010). Die zweite Kategorie (sozioökonomische Faktoren) gilt als fundamentale Determinante der Gesundheit, weil sozioökonomische Unterschiede ursächlich für gesundheitliche Ungleichheit sind. Insgesamt zeigt sich, dass Personen mit höherem sozioökonomischem Status im Durchschnitt einen besseren Gesundheitszustand aufweisen als Personen mit niedrigerem Status. Der sozioökonomische Status wird dabei durch Bildung, Einkommen und Beruf gemessen und als vertikale Ungleichheit definiert (Einteilung in eine untere, mittlere und obere Schicht). Von der vertikalen Ungleichheit zu unterscheiden ist die horizontale Ungleichheit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen, die nach soziodemografischen Faktoren (z. B. Alter, Geschlecht) abgegrenzt sind (Latzitis 2010). Innerhalb der sozioökonomischen Faktoren hat die Bildung eine besondere Bedeutung für den Gesundheitszustand, weil mit höherer Bildung der Wissensstand über gesundheitliche Fragestellungen ansteigt. Hinzu kommt, dass mit zunehmendem Bildungsstand neue Informationen besser verarbeitet und umgesetzt werden können. Schließlich wird das Gesundheitssystem mit steigendem Bildungsstand besser genutzt. Generell zeigt sich auch, dass Personen mit höherem Bildungsstand ein weniger ausgeprägtes Risikoverhalten haben. Die Risikofaktoren können dabei materieller, verhaltensbezogener oder psychosozialer Natur sein und beeinflussen jeweils den Ge-

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sundheitszustand. Zwischen den Einflussfaktoren Beruf und Einkommen besteht ein enger Zusammenhang, sie werden dennoch getrennt voneinander untersucht. Hinsichtlich des Berufs sind die Einflüsse der beruflichen Stellung auf körperliche und psychische Belastungen zu unterscheiden. So müssen Personen mit niedrigerer beruflicher Position häufiger körperliche Belastungen hinnehmen (z. B. durch Schichtarbeit, Kontakt mit toxischen Substanzen, hohe Temperaturunterschiede), andererseits führen technologischer Wandel und Arbeitsschutz dazu, dass seltener als früher gesundheitliche Beeinträchtigungen infolge körperlicher Arbeit auftreten. Zugleich haben sich aber die psychischen Belastungen erhöht. Psychische Belastungen können dabei in verschiedener Weise entstehen, beispielsweise durch ein Ungleichgewicht zwischen Leistung und Belohnung oder durch ein Ungleichgewicht zwischen Leistungsdruck und Entscheidungsmacht. In diesem Zusammenhang sind zwei Studien (Marmot et  al. 1991) von Bedeutung, die in den Jahren 1967 und 1985 durchgeführt wurden. In der ersten Studie (Whitehall I, 1967) wurden 17.530 britische Männer im Alter von 40–64 Jahren untersucht, die im öffentlichen Dienst tätig waren. Ergebnis war, dass das Sterberisiko mit zunehmendem beruflichem Status sank. In der zweiten Studie (Whitehall II, 1985) wurden 10.314 Männer und Frauen untersucht. Mit Whitehall  II wurden die Ergebnisse von Whitehall I bestätigt, allerdings konnte der Zusammenhang zwischen Sterberisiko und beruflichem Status nur teilweise durch Unterschiede im Gesundheitsverhalten erklärt werden. Ein wesentlicher Teil des Sterberisikos ist demnach durch psychosoziale Belastungen, insbesondere das Gefühl fehlender Kontrolle über die eigene Arbeit, zu erklären (Latzitis 2010). Neben dem Beruf ist auch der Einfluss des Einkommens auf den Gesundheitszustand vielfach untersucht worden. Dabei zeigte sich, dass sich mit steigendem Einkommen der Gesundheitszustand verbessert. Dies gilt sowohl für die objektiv messbaren Indikatoren wie Morbidität und Mortalität als auch in Bezug auf den subjektiven Gesundheitszustand. Für den Zusammenhang zwischen Einkommen und Gesundheit spielen einerseits die Lebensumstände und an-

3  Abgrenzungen und Determinanten

dererseits das Risikoverhalten eine Rolle. Durch ein höheres Einkommen verbessern sich das Wohnumfeld, die Ernährung, die Bildung sowie die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen (zusammengefasst als Lebensumstände), andererseits verringert sich das Risikoverhalten (z. B. durch Rauchen und sportliche Inaktivität). Bei der Erklärung des Risikoverhaltens in Abhängigkeit des Einkommens spielt die Bildung eine Schlüsselrolle, da Bildung in engem Zusammenhang mit der gesundheitsbezogenen Einstellung, Wahrnehmung und Überzeugung steht (Latzitis 2010). Arbeitslosigkeit wirkt negativ auf den Gesundheitszustand, dies hat eine Vielzahl von Studien aus dem In- und Ausland gezeigt. Ursächlich hierfür ist einerseits das sinkende Einkommen infolge der Arbeitslosigkeit, andererseits die zunehmende psychosoziale Belastung, beispielsweise durch den Verlust von Status und sozialen Kontakten. Empirisch umstritten ist bis heute die Frage, ob Arbeitslosigkeit der Grund für Krankheit ist (Kausationshypothese „Arbeitslosigkeit macht krank“) oder umgekehrt Krankheit der Grund für Arbeitslosigkeit ist (Selektionshypothese „Krankheit macht arbeitslos“) (Latzitis 2010). Das Wohnumfeld stellt das Bindeglied zwischen umweltbedingten Faktoren und sozioökonomischen Faktoren dar. Schlechte Wohnbedingungen (z.  B. geringe Wohnfläche, schlechte Innenraumluftqualität) führen zu direkten Verschlechterungen des Gesundheitszustands, aber auch das Wohnumfeld (z. B. Umweltbelastungen durch Luftschadstoffe, Licht- oder Lärmemissionen, Kriminalität) hat direkte und indirekte Auswirkungen auf die Gesundheit der Einwohner. Generell gilt, dass mit steigendem sozioökonomischem Status sowohl die Wohnkonditionen als auch das Wohnumfeld besser werden (Latzitis 2010). Die dritte Kategorie von Faktoren, die die Gesundheit einer Bevölkerung beeinflussen, betrifft das Gesundheitssystem selbst. Empirische Untersuchungen zeigen allerdings keinen klaren Zusammenhang zwischen Gesundheitsausgaben und Gesundheitszustand (gemessen als Sterblichkeit) (Latzitis 2010).

3.2  Determinanten der Gesundheit

Eindeutiger sind dagegen die Ergebnisse bezüglich der vierten Kategorie (soziodemografische und kulturelle Faktoren). Betrachtet werden die Einflüsse von Alter, Geschlecht, Familienstand und Religionszugehörigkeit auf den Gesundheitszustand. Hinsichtlich der Wirkungen des Alters auf den Gesundheitszustand ist umstritten, ob sich aufgrund der steigenden Lebenserwartung der Bevölkerung der Gesundheitszustand verschlechtert, weil die Zahl chronisch und multimorbider Krankheiten zunimmt (Medikalisierungsthese), oder ob mehr Menschen als bisher auch in höherem Alter einen guten Gesundheitszustand aufweisen (Kompressionsthese). Hinsichtlich des Geschlechts ist bekannt, dass die Lebenserwartung von Frauen höher ist als die von Männern. Dies ist zum Teil auf biologische, zum Teil auf verhaltensbedingte Einflüsse zurückzuführen. Bezüglich des Familienstandes zeigt sich, dass Partnerschaft positiv auf den Ge-

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sundheitszustand wirkt, dies gilt insbesondere für Männer. Ebenfalls positiv auf den Gesundheitszustand einer Bevölkerung wirkt die Religionszugehörigkeit, uneinheitlich sind dagegen die empirischen Ergebnisse bezüglich des Zusammenhangs zwischen Migration und Gesundheitszustand (Latzitis 2010). Eindeutig ist dagegen der Zusammenhang zwischen gutem Gesundheitszustand und gesundem Lebensstil (Verzicht auf Tabak-, Drogenund Alkoholkonsum, gesunde Ernährung, regelmäßiger Sport). Dieser Effekt wurde bereits im Rahmen der sozioökonomischen Faktoren angesprochen, denn je höher die soziale Schicht, desto gesünder ist im Durchschnitt der Lebensstil. Innerhalb der sozioökonomischen Faktoren erweist sich wiederum der Bildungsstand als entscheidender Faktor für den Lebensstil (Latzitis 2010). Abb. 3.1 fasst die bedingenden Faktoren des Gesundheitszustands noch einmal zusammen.

Abb. 3.1  Bedingende Faktoren des Gesundheitszustandes. (Quelle: Latzitis 2010, S. 36)

3  Abgrenzungen und Determinanten

94

3.3

Gesundheitsindikatoren

Der Gesundheitszustand einer Bevölkerung zeigt politischen Handlungsbedarf auf, und dies nicht nur im Hinblick auf die Gesundheitspolitik, sondern auch bezogen auf andere Politikbereiche wie etwa die Umwelt-, Verkehrs-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik. Vor diesem Hintergrund geht der Gesundheitszustand der Bevölkerung als eine von fünf Kategorien in den Gesundheitsindikatorensatz der Europäischen Union ECHI (European Core Health Indicators) ein. Der ECHI wurde entwickelt, um datenbasierte Politik betreiben zu können. Die Daten sind nach Geschlecht, Alter, sozioökonomischem Status und Region differenziert, um festzustellen, welche Regionen oder Personengruppen jeweils besonders von bestimmten Entwicklungen betroffen sind. Der Indikatorensatz umfasst 88 Indikatoren in fünf verschiedenen Kategorien, dies sind 1. demografische und sozioökonomische Faktoren, 2. Gesundheitszustand, 3. Gesundheitsfaktoren 4. Gesundheitsressourcen und 5. Gesundheitsförderung. Während die zweite Kategorie den Gesundheitszustand beschreibt, analysieren die übrigen Kategorien die Bestimmungsfaktoren der Gesundheit. Diese lassen sich differenzieren in soziodemografische und sozioökonomische Faktoren (Kategorie  1), in den Lebensstil der Bevölkerung (Kategorie 3) und in die Gegebenheiten des Gesundheitssystems (Kategorie 4). Die fünfte Kategorie beinhaltet Maßzahlen, die sich auf Prävention beziehen. Jeder der 88 Indikatoren ist einem oder mehreren der folgenden fünf Politikbereiche zugeordnet: Gesundheitsversorgung (z.  B.  Planung von Ressourcen und Kosten, Qualitätssteuerung), Bevölkerungsentwicklung (z.  B. gesundes Altern, Gesundheit von Kindern), Bestimmungsfaktoren der Gesundheit (z. B. Ungleichheit einschließlich des Zugangs zum Gesundheitssystem, Prävention und Lebensstil), Krankheiten und psychische Gesundheit (z. B. chronische Krank-

heiten, nicht übertragbare Krankheiten, psychische Gesundheit), Gesundheit als Querschnittsthema (z. B. in der Arbeitsmarktpolitik und hier insbesondere beim Arbeits- und Gesundheitsschutz, in der Verkehrspolitik und vor allem auch in der Umweltpolitik). Indikatoren, die bezüglich der Gesundheit als Querschnittsthema (Health in All Policies, HiAP) Hinweise auf politischen Handlungsbedarf geben, finden sich in allen fünf Kategorien. In der Rubrik HIAP werden die Zusammenhänge zwischen Umwelt-, Gesundheitsund Bildungspolitik besonders transparent. Zu den demografischen Faktoren, die in die erste Kategorie des europäischen Gesundheitsindikatorensatzes ECHI eingehen, zählen die Bevölkerung nach Geschlecht und Alter, Geburtenraten und die Bevölkerungsvorausberechnung. Sozioökonomische Faktoren in dieser Kategorie sind Bildung, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Alle drei sozioökonomischen Faktoren sind der Gesundheitspolitik als Querschnittsthema zugeordnet, weil sozioökonomische Unterschiede den Gesundheitszustand einer Bevölkerung erheblich beeinflussen. Zur Erfassung des Gesundheitszustands einer Bevölkerung (Kategorie 2) beinhaltet der Indikatorensatz ECHI die folgenden Maßzahlen: Säuglingssterblichkeit, Perinatalsterblichkeit, krankheitsspezifische Sterblichkeit, drogenbedingte Sterbefälle, ausgewählte übertragbare Krankheiten, HIV/AIDS, selbstberichteter Diabetes, selbstberichtete Depression, akuter Myokardinfarkt, Schlaganfall, selbstberichtetes Asthma, selbstberichtete chronisch obstruktive Lungenerkrankung, geringes Geburtsgewicht, Verletzungen im Straßenverkehr (registerbasierte Inzidenz), Verletzungen am Arbeitsplatz, gesundheitliche Selbstwahrnehmung, selbstberichtete chronische Morbidität und Langzeiteinschränkungen. Neben den klassischen epidemiologischen Maßzahlen wie Lebenserwartung oder Säuglingssterblichkeit werden also auch subjektive Bewertungen des Gesundheitszustands erhoben (gesundheitliche Selbstwahrnehmung). Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die Bewertung des Gesundheitszustands am Individuum ansetzen muss. Die Auswahl der Indikatoren folgt einem interdisziplinären politischen Interesse, deshalb

3.4  Bewertung im Gesundheitsbereich

werden nicht nur häufige Krankheiten (z. B. akuter Myokardinfarkt, Schlaganfall) erfasst, sondern auch Kennzahlen mit besonderer sozialpolitischer, beschäftigungspolitischer, umwelt- oder verkehrspolitischer Relevanz ermittelt. So zeigt beispielsweise übermäßige Sterblichkeit durch extreme Temperaturen klimapolitischen Handlungsbedarf an, auch Asthmaerkrankungen sind ein Indikator mit umweltpolitischer Relevanz. Ebenso lassen sich aus Verletzungen im Straßenverkehr oder Verletzungen am Arbeitsplatz Schlussfolgerungen für die Gesundheitspolitik als Querschnittsthema (HIAP) ziehen. Die dritte Kategorie (Gesundheitsfaktoren) des ECHI setzt an Lebensumständen und Gewohnheiten an, die den Gesundheitszustand einer Bevölkerung beeinflussen können. Zu den Indikatoren dieser Kategorie zählen Body Mass Index, Bluthochdruck, regelmäßige Raucher, Alkoholkonsum insgesamt, Obst- und Gemüseverzehr, aber auch Risiken am Arbeitsplatz und die Belastung der Umwelt mit Feinstaub der Partikelgröße PM10. Gerade die beiden letztgenannten Indikatoren erlauben Rückschlüsse für die Gesundheitspolitik als Querschnittsthema (HIAP). In der vierten und fünften Kategorie des ECHI werden Gesundheitsressourcen erfasst. Dabei bezieht sich die vierte Kategorie auf die Behandlung und die fünfte Kategorie auf Prävention. Die Indikatoren der vierten Kategorie betreffen einerseits den Faktor Arbeit, andererseits den Faktor Kapital. Hinsichtlich des Faktors Arbeit werden die Zahl der praktizierenden Ärzte und Ärztinnen, das beschäftigte Krankenpflegepersonal sowie die Mobilität der Beschäftigten quantifiziert. Der Faktor Kapital wird einerseits durch die Zahl der Krankenhausbetten, andererseits durch den Einsatz medizinischer Technologien (CT/MR) repräsentiert. Auch bei der Verwendung der Ressourcen wird besonderes Augenmerk auf die Behandlung häufiger Erkrankungen und besonders verletzlicher Personengruppen gelegt. Erfasst wird die Zahl der Impfungen von Älteren und Kindern, der stationären Krankenhausaufenthalte nach ausgewählten Diagnosen, die durchschnittliche Verweildauer nach ausgewählten Diagnosen und die Fallsterblichkeit innerhalb von dreißig Tagen stationärer Behandlung der Diagnosen

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akuter Myokardinfarkt und Schlaganfall. Darüber hinaus werden in der fünften Kategorie die Versicherungsabdeckung, der Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP und die Verteilungsgerechtigkeit des Zugangs zu Gesundheitsleistungen gemessen. Für die Gesundheitspolitik als Querschnittsthema (HIAP) sind insbesondere die Beschäftigtenzahlen und ihre Mobilität sowie die Verteilungsgerechtigkeit des Zugangs zu Gesundheitsleistungen relevant. Die fünfte und letzte Kategorie des ECHI erfasst Gesundheitsressourcen, die in die Zukunft weisen. Hierzu zählen Maßnahmen zur Verminderung des Passivrauchens, zur Verbreitung gesunder Ernährung und eines gesunden Lebensstils sowie integrierte Konzepte zur Gesundheitsprävention an Arbeitsplätzen sowie in Schulen und Krankenhäusern. Gerade die Begrenzung der Emissionen und Immissionen von Tabakrauch und die integrierten Programme in speziellen Settings sind relevant für die Gesundheitspolitik als Querschnittsthema (HIAP).

3.4

Bewertung im Gesundheitsbereich

Zur Bewertung von Projekten im Gesundheitsbereich finden sich häufiger Nutzwertanalysen als Kosten-Nutzen-Analysen, weil letztere ethische Probleme mit sich bringen (zur Übersicht über Bewertungsverfahren siehe Abschn.  1.11, das Folgende nach Breyer et  al. 2004, S.  39  ff.). In Kosten-Nutzen-Analysen zu öffentlichen Großprojekten werden Menschenleben üblicherweise nicht bewertet, sondern Schäden an der menschlichen Gesundheit als intangibell betrachtet. Geht man davon aus, dem menschlichen Leben keinen endlichen Wert zuordnen zu können, dann ist es schwierig, ein begrenztes öffentliches Budget auf verschiedene Verwendungen aufzuteilen, beispielsweise auf die Erforschung von verschiedenen Behandlungsmethoden für unterschiedliche Krankheiten. Eine Bewertung der menschlichen Gesundheit mithilfe des Humankapitalansatzes ist unter ethischen Gesichtspunkten abzulehnen, weil sich diesem Ansatz zufolge der Wert des menschlichen Lebens danach bemisst, wie

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produktiv ein Mensch ist bzw. was er zum Sozialprodukt beiträgt. In der Konsequenz würde dem Leben eines Hocheinkommensbeziehers ein höherer Wert zugemessen als dem Leben eines Niedrigeinkommensbeziehers. Eine größere ethische Akzeptanz als dem Humankapitalansatz kommt dem Ansatz der Zahlungsbereitschaft zu. Dieser geht davon aus, dass der Nutzen eines Individuums von seinem Einkommen, seiner Lebensdauer und seiner Lebensqualität abhängt. Zugrunde liegt ein subjektives Nutzenkonzept ohne besondere einschränkende Annahmen. Ermittelt man im Rahmen einer Kosten-­ Nutzen-Analyse die direkten und indirekten Nutzen mittels des Zahlungsbereitschaftsansatzes, dann ist die Methode akzeptabel, wenn die Einkommensverteilung optimal ist und man das Pareto-Kriterium akzeptiert. Das Pareto-­Kriterium besagt, dass eine Maßnahme durchgeführt werden sollte, wenn die Gewinner der Maßnahme die Verlierer kompensieren könnten, und zwar unabhängig davon, ob die Kompensation tatsächlich erfolgt oder nicht. Insbesondere vor dem Hintergrund einer in der Realität nicht optimalen Einkommensverteilung bleiben also Vorbehalte gegenüber der Verwendung der Kosten-­ Nutzen-­ Analyse im Gesundheitsbereich bestehen. Hinzu kommt, dass aussagefähige Kosten-­ Nutzen-Analysen mit hohen Informationserfordernissen einhergehen, so dass auch an der Schnittstelle zwischen Umwelt- und Gesundheitsfragestellungen oft keine umfassenden Studien vorliegen. So setzt beispielsweise eine Kosten-­ Nutzen-Analyse zur Wirkung von Fluglärm voraus, dass direkte und indirekte Kosten und Nutzen einschließlich der Gesundheitswirkungen ermittelt werden. Dies stellt erhebliche methodische Anforderungen an die Autoren der Studie (Penzel 2017). Evaluationsverfahren der Kosten-­ Nutzwert-­ Analyse im Gesundheitswesen verzichten auf die monetäre Bewertung und konzentrieren sich auf Nutzenmaße (das Folgende nach Breyer et  al. 2004, S. 19 ff.). Das bekannteste Nutzenmaß ist hier das der QALYs, Quality Adjusted Life Years. Die QALY-Analyse beruht dabei auf folgenden einschränkenden Annahmen: Die Präferenzen eines Individuums über alle möglichen Gesundheitszustände müssen über das ganze Le-

3  Abgrenzungen und Determinanten

ben stabil sein. Bezüglich der Lebensdauer muss eine konstante proportionale Risikoaversion vorliegen. Die Präferenzen müssen die Nullbedingung erfüllen und es muss ein konstanter proportionaler Trade-off bestehen. Berücksichtigt man, dass der Nutzen außer von der Gesundheit auch vom Konsum abhängt, sind weitere restriktive Annahmen erforderlich. Die Nutzengewichte werden aus Befragungen gewonnen. Dabei werden die Individuen nach dem folgenden Muster befragt: Nehmen Sie an, dass es durch die Therapie zu einer Lebensverlängerung um x  Jahre kommt, die Sie in einem schlechteren Gesundheitszustand  G1 verbringen müssen. Gehen Sie weiter davon aus, dass Sie den gleichen Nutzen erreichen, wenn Sie eine Anzahl von Jahren t(x, G1) in vollkommener Gesundheit verbringen. Wie hoch ist die Anzahl von Jahren t(x,G1)? Alternativ kann auch eine Frage nach dem folgenden Schema gestellt werden: Nehmen Sie an, dass es durch die Therapie zu einer Veränderung des Gesundheitszustandes von G2 zu G3 kommt, die für x Jahre andauert. Wie hoch bewerten Sie die Veränderung des Gesundheitszustandes gemessen in der Anzahl gewonnener Lebensjahre bei vollkommener Gesundheit? Oder kurz: Wie hoch ist die Differenz zwischen t(x, G3) und t(x,G2)? Die Wohlfahrt einer Person geht ausschließlich in Form der QALYs in die Analyse ein. Mithilfe von QALYs lassen sich die Maßnahmen bezüglich unterschiedlicher Personen miteinander vergleichen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Behandlung zu einer Steigerung der Lebensdauer oder zu einer Erhöhung der Lebensqualität bei gleichbleibender Lebensdauer führt. Auch eine Steigerung in beiden Dimensionen, also Lebensqualität und Lebensdauer, kann mithilfe der QALYs analysiert werden (alle drei Fälle sind in Abb. 3.2 dargestellt). Bei der Entscheidung über die Therapien für verschiedene Personen gibt es allerdings einen Zielkonflikt zwischen der Gleichverteilung und der Gesamtzahl an QALYs. Bei der QALY-Analyse erfolgt die Messung der Präferenzen der Individuen mittels einer Bewertungsskala (Rating Scale), mithilfe der Methode der zeitlichen Abwägung (Time Trade-off) oder mittels einer Standardlotterie (Standard

3.4  Bewertung im Gesundheitsbereich

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Abb. 3.2 QALY-­ Dimensionen. (Quelle: Charité Universitätsmedizin Berlin 2017)

Gamble). Ergebnisse der Methode der zeitlichen Abwägung und der Standardlotterie sind Nutzengewicht des Gesundheitszustands auf der Skala von 0 bis 1. Werden die Präferenzen der Individuen mithilfe einer Bewertungsskala erfasst, dann erfolgt eine lineare Bewertung zwischen den Werten Null für den Tod und Eins für den besten Gesundheitszustand. Der Vorteil dieser Methode ist ihre einfache Anwendbarkeit, allerdings fehlt die nutzentheoretische Fundierung und es kommt zu Verzerrungen wie dem End-of-Scale-Bias und

dem Spacing-out-Bias. Der End-of-Scale-Bias beschreibt das Phänomen, dass Individuen sich oft davor scheuen, Gesundheitszustände als besonders gut oder extrem schlecht zu bewerten. Der Spacing-out-Bias bedeutet, dass Individuen bei der Bewertung verschiedener Gesundheitszustände dazu tendieren, diese Zustände gleichmäßig über die gesamte Skala zu verteilen. Abb. 3.3 stellt Index und Profilinstrumente einander gegenüber. Die Methode der zeitlichen Abwägung stellt die Patienten vor die Wahl, entweder mit einer

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3  Abgrenzungen und Determinanten

Abb. 3.3  Index- versus Profilinstrumente. (Quelle: Charité Universitätsmedizin Berlin 2017)

Krankheit ohne Behandlung in einem schlechten Gesundheitszustand  Gh die restliche Lebensdauer T zu verbringen oder eine kostenlose Behandlung mit vollständiger Heilung zu bekommen, aber dafür eine Verkürzung der Lebensdauer um t Jahre akzeptieren zu müssen. Die Frage lautet dann, für welche Verkürzung der Lebensdauer die Patienten indifferent sind zwischen der Alternative „Behandlung“ und der Alternative „Keine Behandlung“. Bei der Methode der Standardlotterie wird angenommen, die Patienten hätten eine Krankheit, die ohne Behandlung dauerhaft zum Gesundheitszustand  Gh führt. Die Behandlung sei für den Patienten kostenlos und führt mit Wahrscheinlichkeit  p zur vollständigen Heilung und mit der Restwahrscheinlichkeit (1-p) zum sofortigen Tod. Der Befragte soll angeben, bei welcher Wahrscheinlichkeit p er indifferent zwischen der Alternative „Behandlung“ und der Alternative „Keine Behandlung“ ist. Abb. 3.4 stellt die Standardlotterie grafisch dar. Unter bestimmten Bedingungen lassen sich die QALYs auch in Kosten-Nutzen-Analysen verwenden. In der Regel führt die Kosten-­Nutzen-­ Analyse aber zu anderen Ergebnissen als die Kosten-Nutzwert-Analyse, weil Zahlungsbereitschaft für ein QALY nicht für alle Individuen gleich ist.

Im Unterschied zu Kosten-Nutzen-Analysen sind Nutzwertanalysen allein nicht aussagekräftig. Während eine Kosten-Nutzen-Analyse bei einem Nutzenüberschuss die Durchführung der Maßnahme empfiehlt, muss bei der Nutzwertanalyse meist gesondert festgestellt werden, wie viel ein QALY kosten darf. Vergleicht man verschiedene Behandlungsmethoden, dann ist die Empfehlung nur dann eindeutig, wenn eine Methode der anderen entweder deutlich unterlegen ist, weil sie geringere Wirksamkeit und höhere Kosten aufweist, oder deutlich überlegen ist, weil eine höhere Wirksamkeit mit geringeren Kosten einhergeht. In allen anderen Konstellationen (geringere Kosten bei geringerer Wirksamkeit oder höhere Kosten bei erhöhter Wirksamkeit) lässt sich ohne weitere Annahmen keine Empfehlung ableiten. Bei der Beurteilung neuer Therapien ist zu ermitteln, welche Zusatzkosten die neue Therapie verursacht, um im Vergleich zur bisher üblichen Standardtherapie ein zusätzliches QALY zu realisieren. Ein Vergleichswert (ICER) ist in Deutschland nicht festgelegt, die Entscheidung erfolgt vielmehr durch den Gemeinsamen Bundesausschuss. Für zwei Therapien A und B ergibt sich der Vergleichswert aus der folgenden Rechnung: ICER = Kostendifferenz/QALY-­Differenz = (Kosten A – Kosten B)/(QALY A – QALY B).

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3.4  Bewertung im Gesundheitsbereich Abb. 3.4 Standardlotterie. (Quelle: Charité Universitätsmedizin Berlin 2017)

Tab. 3.3  Therapievergleich. (Quelle: Charité Universitätsmedizin Berlin 2017) Therapieform Kosten Effekte auf Überlebenszeit Effekte auf Lebensqualität (Nutzwert)

Klassische Chemotherapie 7133 Euro 205 Tage = 0,56 Jahre 0,34

BSC-Methode 8204 Euro 136 Tage = 0,37 Jahre 0,61

Das in Tab. 3.3 und Abb. 3.5 zusammengefasste fiktive Anwendungsbeispiel stellt den Therapievergleich zwischen zwei alternativen Behandlungsmethoden, der Chemotherapie und der BSC, für den Fall eines Bronchialkarzinoms dar. Dabei soll angenommen werden, dass die Effekte auf die Lebensqualität mithilfe der Time-Trade-­off-Methode (Nutzwertanalyse) ermittelt werden. Wenn dem Patienten ein Jahr bei vollständiger Gesundheit etwa so viel wert ist wie drei Jahre mit Chemotherapie, dann ergibt sich für die Chemotherapie der Nutzwert 1/3, also 0,33. Der entsprechende Wert für die BSC-Methode ist analog zu interpretieren: In diesem fiktiven Beispiel beläuft sich der Nutzwert der neuen Therapie (BSC) gegenüber der Chemotherapie auf 30.084 Euro pro QALY. Würde der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Entscheidung über die neue Therapie eine Orientierungsgröße von 50.000  Euro je QALY zugrunde legen, dann würde er sich gegen BSC aussprechen. Einen festen Schwellenwert für die Einführung neuer Behandlungsmethoden besteht in Deutschland jedoch bisher nicht.

Kostendifferenz QALY − Differenz 8204 − 7133 = 0, 37 ⋅ 0, 61 − 0, 56 ⋅ 0, 34 1071 Euro = 0, 0356 QALYs

ICER =



(Gl. 3.13)

ICER = 30.084 Euro pro gewonnenem QALY (Gl. 3.14) Nicht nur die Festlegung des ICER ist umstritten, sondern auch die Frage, wie und mit wem die Nutzwerte alternativer Therapien ermittelt werden sollen. Auch die Skalierung zwischen Null und Eins ist durchaus strittig, weil auch negative Nutzwerte plausibel sein können. In der internationalen Diskussion besteht vor diesem H ­ intergrund eine Kontroverse zwischen Kosten-­Nutzen-­Analyse und Kosten-Nutzwert-­ Analyse. Demgegenüber behandelt die Diskussion in Deutschland bisher überwiegend die Frage, ob Kosten-Nutzwert-Analysen oder Kosten-­Wirksamkeits-­Analysen angemessene Verfahren zur Entscheidung über gesundheitspolitische Fragestellungen seien. In dieser Diskussion spielt das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) eine entscheidende Rolle. Kernaufgabe des seit 2004 bestehenden IQWiG ist die Bewertung der Auswirkungen medizinischer Maßnahmen für Patienten. Das IQWiG hat sich nicht nur gegen die Kosten-­Nutzen-­Analyse, sondern auch gegen die Kosten-­Nutzwert-­Analyse ausgesprochen und befürwortet die Beschränkung auf Kosten-Wirksamkeits-Analysen.

3  Abgrenzungen und Determinanten

100 Abb. 3.5 Therapie­ vergleich. (Quelle: Charité Universitätsmedizin Berlin 2017, eigene Darstellung)

3.5

Akteure des Gesundheitssektors

Wesentliche Akteure des Gesundheitssektors sind, wie im politökonomischen Grundmodell bereits allgemein charakterisiert, zunächst die Gesundheitspolitiker auf Bundes- und Landesebene. Hinzu kommen die Bürokraten in den jeweils für Gesundheit zuständigen Ministerien des Bundes und der Länder. Legislative und Exekutive geben den Rahmen vor, in dem die Organe der Selbstverwaltung des Gesundheitssektors tätig sind. Die Legislative bestimmt die gesetzlichen Rahmenbedingungen des Gesundheitssektors, den Ministerien obliegt die Aufsicht über die Ergebnisse der Entscheidungen der Selbstverwaltungen von Krankenkassen und kassenärztlichen Vereinigungen sowie der gemeinsamen Selbstverwaltung. Weitere Akteure des Gesundheitssektors sind die Individuen, die als Patienten die Gesundheitsleistungen nachfragen und diese Leistungen als Versicherte und Steuerzahler finanzieren. Zielsetzung der Individuen ist die Nutzenmaximierung, die je nach Präferenzen und Gesundheitszustand unterschiedliche Gesundheitsleistungen beinhaltet. Dabei sollen allerdings die finanziellen Belastungen in jedem Fall möglichst gering sein. Auch die Leistungserbringer des Gesundheitswesens wie Ärzte und Krankenhäuser sind Akteure des Gesundheitswesens, die den Individuen

die jeweiligen Gesundheitsleistungen anbieten. Die Motivation der Leistungserbringer liegt aus politökonomischer Sicht vereinfacht in der Maximierung des eigenen Nutzens bzw. Gewinns. Die Zielsetzung unterscheidet sich in der Praxis der Krankenhäuser nach unterschiedlichen Trägern, jedoch ist davon auszugehen, dass alle Krankenhäuser mindestens kostendeckend arbeiten müssen. Auch die Motivation der Ärzte ist in der Praxis vielschichtig. Aus politökonomischer Sicht ist allerdings davon auszugehen, dass die Absicht der Einkommenserzielung im Vordergrund steht. Die Bildung von Interessengruppen weist im Gesundheitssektor Besonderheiten auf, die mit der Selbstverwaltung in Zusammenhang stehen. Selbstverwaltung im Gesundheitswesen bedeutet, dass die Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der Sozialwahlen ihre Vertreter in den Verwaltungsrat der jeweiligen Krankenversicherung wählen. Im Verwaltungsrat wird dann der Vorstand gewählt, der die Verhandlungen mit den Vertretern der Leistungserbringer führt. Leistungserbringer sind im ambulanten Bereich die Vertragsärzte. Sie wählen als Mitglieder der kassenärztlichen Vereinigungen eine Vertreterversammlung. Aus dieser Vertreterversamm­ lung wird mittels Wahlen der Vorstand der kassenärztlichen Vereinigungen bestimmt, der die Verhandlungen mit den Vertretern der Verbände der gesetzlichen Krankenversicherungen führt. Auf Landesebene verhandeln die Landes-

3.5  Akteure des Gesundheitssektors

verbände der Krankenkassen mit den kassenärztlichen Vereinigungen der Länder beispielsweis über die Gesamtvergütung, aber auch über die Feststellung von Unter- oder Überversorgung einzelner Regionen mit Haus- oder Fachärzten. Im stationären Bereich verhandeln die Landesverbände der Krankenkassen mit den Krankenhäusern über Leistungen, Mengen und Budget zur Deckung der laufenden Ausgaben. Investitionen werden von den Ländern auf der Basis des jeweiligen Krankenhausplans finanziert. Oberstes Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung ist der Gemeinsame Bundesausschuss. Er legt die medizinischen Leistungen fest, die von den gesetzlichen Krankenversicherungen finanziert werden. Überdies besteht seine Aufgabe darin, die Qualität der medizinischen Versorgung im ambulanten und stationären Bereich zu sichern. Wissenschaftliche Unterstützung erhält der Gemeinsame Bundesausschuss durch das Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen IQWiG, das als unabhängiges wissenschaftliches Institut die Auswirkungen der medizinischen Maßnahmen für Patienten untersucht (Hajen et al. 2017). Abb. 3.6 veranschaulicht noch einmal die Interaktion zwischen den Akteuren des Gesundheitsbereichs. Folgt man der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes (Statistisches Bundesamt 2015), dann umfassen die Leistungsarten des Gesundheitssektors neben den ärztlichen und pflegerischen bzw. therapeutischen Leistungen auch die Prävention bzw. den Gesundheitsschutz. Darüber hinaus zählen auch Waren wie Arzneimittel, Hilfsmittel oder Zahnersatz zu den Gesundheitsleistungen. Hinzu kommen Unterkunft und Verpflegung, Transporte, Verwaltungsleistungen, Investitionen und ein erweiterter Leistungsbereich, der Ausbildung, Forschung, Einkommensleistungen und den Ausgleich krankheitsbedingter Folgen umfasst. Ärztliche Leistungen werden in Grundleistungen und Sonderleistungen unterschieden. Zu den Grundleistungen zählen Leistungen von Allgemeinärzten wie die Beratung von Patienten, Untersuchung an Organsystemen oder das Ausstel-

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len von Rezepten. Sonderleistungen sind fach­ärztliche Tätigkeiten wie beispielsweise der Chirurgie oder Augenheilkunde sowie ärztliche Leistungen, die in Krankenhäusern, Vorsorgeund Rehabilitationseinrichtungen erbracht werden. Pflegerische Leistungen beinhalten Grund-, Behandlungs- und Intensivpflege. Zu den therapeutischen Leistungen zählen Physio- und Psychotherapie ebenso wie die von Heilpraktikern, Logopäden oder Chiropraktikern erbrachten Leistungen. Die Kategorie Prävention und Gesundheitsschutz beinhaltet Leistungen, die im Vorfeld oder Frühstadium von Krankheiten eingesetzt werden. Zur Gesundheitsförderung gehören in diesem Bereich Maßnahmen, die ergriffen werden, um das Auftreten bestimmter Krankheiten zu verhindern (primäre Prävention), beispielsweise Schutzimpfungen. Bei der Früherkennung von Krankheiten geht es um das rechtzeitige Erkennen bereits eingetretener Erkrankungen (sekundäre Prävention), wie etwa im Rahmen der Krebsvorsorge. Zum Bereich Prävention und Gesundheitsschutz gehören aber auch Hygieneüberwachung, Infektionsschutz oder das Umweltmonitoring (allgemeiner Gesund­ heitsschutz). Die Leistungen des Gesundheitssektors werden in Einrichtungen erbracht, wobei die Mehrzahl auf ambulante, stationäre oder teilstationäre Einrichtungen entfällt. Zu den ambulanten Einrichtungen zählen neben den Arzt- und Zahnarztpraxen auch Apotheken, ambulante Pflegeeinrichtungen, Praxen sonstiger medizinischer Berufe und der Gesundheitseinzelhandel. Stationäre und teilstationäre Einrichtungen umfassen Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sowie Pflegeeinrichtungen. Weitere Einrichtungen des Gesundheitssektors sind beispielsweise die Rettungsdienste oder die Einrichtungen des Gesundheitsschutzes wie Gesundheitsämter oder umweltmedizinische Zentren. Finanziert werden Gesundheitsausgaben durch die gesetzliche Kranken-, Renten- und Unfallversicherung, die soziale Pflegeversicherung und die private Krankenversicherung. Hinzu kommen die Ausgaben der öffentlichen Haushalte, der Arbeitgeber sowie der privaten Haushalte und privaten Organisationen ohne

3  Abgrenzungen und Determinanten

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