Gesunde Gene: Die mediale Diskussion um die Gentherapie [1. Aufl.] 9783839412374

Wie geht die Gesellschaft mit wissenschaftlichen Innovationen um, die einerseits Heilung für lebensbedrohliche Krankheit

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Gesunde Gene: Die mediale Diskussion um die Gentherapie [1. Aufl.]
 9783839412374

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung
1.1 Von der Utopie zur Handlungspraxis: Wie das Unvorstellbare ›normal‹ werden kann
1.2 Alternative Vorstellungen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken
1.3 Was lässt sich aus bisherigen Studien folgern?
1.4 Fragestellung
1.5 Aufbau der Arbeit
2. Theoretische Ausgangspunkte
2.1 Kontextualisierung als theoretisches Konzept der gesellschaftlichen Integration neuer Techniken
2.2 Gesellschaftliche Integration neuer Techniken angesichts veränderter Legitimationsbedingungen für die Wissenschaft
2.3 Massenmedien als professionalisierte Öff entlichkeit
2.4 Der Gentransfer in menschliche Zellen als Wertkonfl ikt
2.5 Der Wert Gesundheit
3. Methodische Ausgangspunkte
3.1 Untersuchungsdesign
3.2 Auswahl der Medien
4. Quantitative Inhaltsanalyse
4.1 Überblick
4.2 Struktur der Berichterstattung und Phaseneinteilung
4.2.1 Artikel des Korpus
4.2.2 Zeitlicher Verlauf der Artikelzahlen
4.2.3 Gentherapie als Haupt- und Nebenthema
4.2.4 Fazit: Phaseneinteilung der Berichterstattung
4.3 Kontextualisierung auf allgemeiner Ebene
4.3.1 Rubriken
4.3.2 Artikeltypen
4.3.3 Akteure, die Berichterstattung über Gentherapie initiieren
4.3.4 Rubriken, Artikeltypen und Akteure im Zeitverlauf
4.3.5 Themen der Berichterstattung
4.3.6 Themenkomplexe im Zeitverlauf
4.4. Kontextualisierung – Assoziation mit dem Wert Gesundheit
4.4.1 Medizinischer Nutzen oder Verbesserung von Eigenschaften?
4.4.2 Ausrichtung auf Erb- oder Volkskrankheiten?
4.4.3 Mögliche Eff ekte des Gentransfers in menschliche Zellen
4.4.4 Mögliche Eff ekte des Gentransfers in menschliche Zellen im Zeitverlauf
4.5 Gentherapie und Konfl ikthaftigkeit
4.5.1 Konfl ikthaftigkeit der Berichterstattung über die Gentherapie
4.5.2 Veränderung der Konfl ikthaftigkeit: Erosion oder Inkorporation?
4.5.3 Konfl ikthaftigkeit in Bezug auf die Gentherapiekonzepte
4.6 Resümee
4.6.1 Kontextualisierung
4.6.2 Vergleich zu den Thesen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken
4.6.3 Assoziation mit dem Wert Gesundheit
5. Qualitative Inhaltsanalyse
5.1 Intention
5.2 Methodische Anmerkungen
5.3 Phase I (1970 bis 1984): Zeit der Ambivalenz: Zwischen Hoff nung auf Heilung und Furcht vor dem Mensch nach Maß
5.4 Phase II (1985 bis 1992): Aufl ösen der Ambivalenz: Somatische Gentherapie als promising new technology
5.5 Phase III (1993 bis 1999): Ernüchterung über die somatische Gentherapie und Vorstoß zur Keimbahnintervention
5.6 Phase IV (2000 bis 2001): Die Keimbahn im Visier: Leichte Enttabuisierung, mehrheitliche Ablehnung
5.7 Resümee
5.7.1 Kontextualisierung
5.7.2 Vergleich zu den Thesen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken
5.7.3 Assoziation mit dem Wert Gesundheit
6. Diskussion
6.1 Gentherapie-Debatte und Modelle wissenschaftlicher Öff entlichkeit
6.2 Erosion oder Inkorporation?
6.2.1 Je näher die Verfügbarkeit der Technik, desto mehr werden die Widerstände relativiert
6.2.2 Nach anfänglichem massiven Protest geht die Kontroversität der Technik im Verlauf der Debatte graduell zurück
6.2.3 Im Verlauf der gesellschaftlichen Integration der Technik werden bestehende ethische Werte neu bestimmt
6.2.4 Der Wert Gesundheit besitzt nahezu uneingeschränkte Legitimationskraft – »Wer heilt, hat Recht«
6.3 Konklusion
6.4 Ausblick
7. Anhang
7.1 Zusammenstellen des Materials
7.2 Reliabilität
7.3 Art der Anlässe der Berichterstattung
8. Abkürzungsverzeichnis
9. Literatur

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Miriam Voß Gesunde Gene

2009-12-15 12-39-42 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0346228712509866|(S.

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Für Uta und für Vater

Miriam Voß (Dr. phil. nat.) arbeitet für die Technische Universität München als Referentin für Wissenschaftskommunikation am Deutschen Museum. Sie promovierte am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung und der Fakultät Biologie der Universität Bielefeld.

2009-12-15 12-39-42 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0346228712509866|(S.

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Miriam Voss

Gesunde Gene Die mediale Diskussion um die Gentherapie

2009-12-15 12-39-42 --- Projekt: transcript.titeleien / Dokument: FAX ID 0346228712509866|(S.

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Dissertation, entstanden am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung und der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Miriam Voß Satz: Mark-Sebastian Schneider, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1237-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

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Inhalt

Vorwort ................................................................................................

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1. Einleitung ....................................................................................... 11 1.1 Von der Utopie zur Handlungspraxis: Wie das Unvorstellbare ›normal‹ werden kann ................... 13 1.2 Alternative Vorstellungen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken ................................... 19 1.3 Was lässt sich aus bisherigen Studien folgern? ................... 23 1.4 Fragestellung .......................................................................... 27 1.5 Auf bau der Arbeit .................................................................. 30 2. Theoretische Ausgangspunkte ..................................................... 35 2.1 Kontextualisierung als theoretisches Konzept der gesellschaftlichen Integration neuer Techniken .......... 35 2.2 Gesellschaftliche Integration neuer Techniken angesichts veränderter Legitimationsbedingungen für die Wissenschaft .............. 38 2.3 Massenmedien als professionalisierte Öffentlichkeit ......... 42 2.4 Der Gentransfer in menschliche Zellen als Wertkonflikt ...................................................................... 48 2.5 Der Wert Gesundheit ............................................................. 53 3. Methodische Ausgangspunkte ..................................................... 61 3.1 Untersuchungsdesign ........................................................... 61 3.2 Auswahl der Medien .............................................................. 62 4. Quantitative Inhaltsanalyse .......................................................... 4.1 Überblick ................................................................................ 4.2 Struktur der Berichterstattung und Phaseneinteilung ...... 4.2.1 Artikel des Korpus ...................................................... 4.2.2 Zeitlicher Verlauf der Artikelzahlen ......................... 4.2.3 Gentherapie als Haupt- und Nebenthema ................ 4.2.4 Fazit: Phaseneinteilung der Berichterstattung ........ 4.3 Kontextualisierung auf allgemeiner Ebene ......................... 4.3.1 Rubriken ...................................................................... 4.3.2 Artikeltypen ................................................................. 4.3.3 Akteure, die Berichterstattung über Gentherapie initiieren ........................................

67 67 70 70 71 72 73 77 78 80 81

4.3.4 Rubriken, Artikeltypen und Akteure im Zeitverlauf ....................................... 4.3.5 Themen der Berichterstattung .................................. 4.3.6 Themenkomplexe im Zeitverlauf .............................. 4.4. Kontextualisierung – Assoziation mit dem Wert Gesundheit ................................ 4.4.1 Medizinischer Nutzen oder Verbesserung von Eigenschaften? ..................................................... 4.4.2 Ausrichtung auf Erb- oder Volkskrankheiten? ......... 4.4.3 Mögliche Effekte des Gentransfers in menschliche Zellen ................................................ 4.4.4 Mögliche Effekte des Gentransfers in menschliche Zellen im Zeitverlauf ....................... 4.5 Gentherapie und Konflikthaftigkeit ..................................... 4.5.1 Konflikthaftigkeit der Berichterstattung über die Gentherapie .................................................. 4.5.2 Veränderung der Konflikthaftigkeit: Erosion oder Inkorporation? ...................................... 4.5.3 Konflikthaftigkeit in Bezug auf die Gentherapiekonzepte ..................................... 4.6 Resümee ................................................................................. 4.6.1 Kontextualisierung ..................................................... 4.6.2 Vergleich zu den Thesen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken ........................ 4.6.3 Assoziation mit dem Wert Gesundheit ..................... 5. Qualitative Inhaltsanalyse ............................................................ 5.1 Intention ................................................................................. 5.2 Methodische Anmerkungen ................................................. 5.3 Phase I (1970 bis 1984): Zeit der Ambivalenz: Zwischen Hoffnung auf Heilung und Furcht vor dem Mensch nach Maß ................................................... 5.4 Phase II (1985 bis 1992): Auflösen der Ambivalenz: Somatische Gentherapie als promising new technology ........ 5.5 Phase III (1993 bis 1999): Ernüchterung über die somatische Gentherapie und Vorstoß zur Keimbahnintervention .................................................... 5.6 Phase IV (2000 bis 2001): Die Keimbahn im Visier: Leichte Enttabuisierung, mehrheitliche Ablehnung .......... 5.7 Resümee .................................................................................

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5.7.1 Kontextualisierung ..................................................... 188 5.7.2 Vergleich zu den Thesen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken ........................ 189 5.7.3 Assoziation mit dem Wert Gesundheit ..................... 192 6. Diskussion ...................................................................................... 195 6.1 Gentherapie-Debatte und Modelle wissenschaftlicher Öffentlichkeit ......................................... 195 6.2 Erosion oder Inkorporation? ................................................. 199 6.2.1 Je näher die Verfügbarkeit der Technik, desto mehr werden die Widerstände relativiert ....... 199 6.2.2 Nach anfänglichem massiven Protest geht die Kontroversität der Technik im Verlauf der Debatte graduell zurück ....................................... 201 6.2.3 Im Verlauf der gesellschaftlichen Integration der Technik werden bestehende ethische Werte neu bestimmt ................................................... 204 6.2.4 Der Wert Gesundheit besitzt nahezu uneingeschränkte Legitimationskraft – »Wer heilt, hat Recht« ................................................. 209 6.3 Konklusion .............................................................................. 220 6.4 Ausblick ................................................................................... 224 7. Anhang ........................................................................................... 7.1 Zusammenstellen des Materials ........................................... 7.2 Reliabilität ............................................................................... 7.3 Art der Anlässe der Berichterstattung .................................

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8. Abkürzungsverzeichnis ................................................................ 233 9. Literatur .......................................................................................... 235

Vorwort

Das vorliegende Buch ist auf Basis einer Dissertation am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung entstanden und an der Fakultät für Biologie als interdisziplinäre Arbeit mit einem gesellschaftswissenschaftlichen Schwerpunkt eingereicht worden. An dieser Stelle möchte ich mich bei all jenen bedanken, die durch ihre Unterstützung zu dieser Arbeit beigetragen haben. Den beiden Betreuern, Prof. Dr. Peter Weingart und Prof. Dr. Holk Cruse, danke ich sehr für ihre Bereitschaft, über die Disziplinen hinweg zu kooperieren und für die wertvollen Anregungen und Hinweise, die ich für die Gestaltung der Arbeit erhalten habe. Bei Simone Rödder, Stefan Wörmann und Martina Frantzen bedanke ich mich herzlich für das Korrekturlesen der Arbeit und die hilfreichen Kommentare, die sie mir gegeben haben. Ihnen und den weiteren »visible scientists« Christian Salzmann, Mike Steffen Schäfer, Sebastian Linke und Jutta Milde bin ich dankbar für anregende Diskussionen zu den Promotionsprojekten, von denen ich sehr profitiert habe. Für die kollegiale und konstruktive Arbeitsatmosphäre gilt mein besonderer Dank den Mitgliedern des Graduiertenkollegs, des Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung und der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaft, Medien, Öffentlichkeit, allen voran Petra Pansegrau, Sybilla Nikolow und Tillmann Hornschuh, an die ich mich jederzeit mit Fragen wenden konnte. Bei Prof. Dr. Jürgen Gerhards und Mike Steffen Schäfer bedanke ich mich dafür, dass sie mir die Interviews aus dem Projekt »Mediale Diskurse über Humangenomforschung in Deutschland und den USA im Vergleich« zur Verfügung gestellt haben, die in dieser Studie zwar nur als kleiner, aber doch wichtiger Hinweis verarbeitet worden sind. Die Dissertation ist größtenteils durch ein Stipendium des Landes

10 | Gesunde Gene NRW im Rahmenprogramm »Wissenschaft, Technik und Öffentlichkeit« finanziert worden, wofür ich an dieser Stelle ebenfalls danken möchte. Die Dissertation war zudem eingebunden in das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierte Projekt »Molekulare Medizin und Wertewandel – Analyse der massenmedialen Diskurse«, was mir einen weiteren Teil der Finanzierung und einen erweiterten Zugang zum Archivmaterial der FAZ ermöglicht hat. Mein tiefster Dank gilt meinen Freunden und meiner Familie, besonders meinem Vater, für Unterstützung in jeglicher Hinsicht.

1. Einleitung

»Das klassische Schema, nach dem eine kleine Gruppe eingeweihter Entscheidungsträger definiert, was gut ist und den Fortschrittsmotor am Laufen hält, funktioniert nicht mehr. Die Formel Neu ist Gut, wie sie lange Zeit genügte […], ist ins Wanken geraten. Jede Neuerung ruft sofort Gegner auf den Plan.« Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums, Prof. für Wissenschaftskommunikation an der TU München und Träger des Communicator-Preises 2002

Wie das Zitat von Wolfgang Heckl andeutet, dringt die Wissenschaft in Bereiche vor, in der ihre Entwicklungen nicht mehr unhinterfragt akzeptiert werden. In einer Gesellschaft, die zur Lösung ihrer Probleme entscheidend auf wissenschaftlich-technische Innovationen rekurriert, soll neues Wissen nicht mehr nur wissenschaftlich akkurat, sondern auch nützlich und ethisch vertretbar sein. Zwischen Hoffnungen auf eine neue medizinische Ära und der Furcht vor dem Mensch nach Maß bewegen sich die gesellschaftlichen Ansprüche in Bezug auf den Gentransfer in menschliche Zellen, der heute landläufig als Gentherapie bekannt ist. Der Begriff Gentherapie umfasst dabei als Sammelbegriff sowohl die somatische Gentherapie

12 | Gesunde Gene als auch die Keimbahnintervention bzw. Keimbahntherapie.1 Die somatische Gentherapie richtet sich nur auf Körperzellen, so dass die Veränderungen nicht vererbt werden. Die an den Keimzellen ansetzende Keimbahnintervention betriff t dagegen auch zukünftige Generationen, weil das veränderte Genmaterial an die Nachkommen weitergegeben wird (s. auch 2.4). Wie es für viele biomedizinische Optionen charakteristisch ist, eröffnet die Gentherapie einerseits die Hoffnung auf neue medizinische Handlungsspielräume, triff t andererseits jedoch auf fundamentale wertbasierte Widerstände. Aufgrund des ethischen Konfliktpotentials verbleibt die Entscheidungsgewalt über diese wissenschaftlichen Entwicklungen nicht in der scientific community, sondern wird zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Die wissenschaftlichen Innovationen werden so zum Gegenstand gesellschaftlicher Diskussion. Für die Wissenschaft wird die Implementation neuer Technologien durch die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Auseinandersetzung schwieriger, zumal das Ergebnis eines derartigen gesellschaftlichen Entscheidungsprozesses nicht unmittelbar vorherzusehen ist. Gesellschaftliche Debatten können einen entscheidenden Beitrag sowohl zur Legitimierung als auch zur Delegitimierung neuer, ethisch kontroverser Techniken leisten, wie etwa der in den Medien prominent geführte gesellschaftliche Meinungsaustausch über die Verwendung embryonaler Stammzellen für die Forschung zeigt. Grundsätzlich erscheint es möglich, dass im Verlauf einer Debatte über eine ethisch kontroverse Technologie die Ablehnung der Option aufrechterhalten wird. Die Deutungskontexte können sich jedoch auch so verändern, dass die der Technik entgegenstehenden Werte an Bedeutung verlieren, und die Widerstände gegen die Implementation sinken. Auf diese Weise können sich Perspektivwechsel vollziehen, die in ihrem Ausmaß überraschen, wie etwa bei der künstlichen Befruchtung, deren Anwendung nach anfänglich hohen Bedenken inzwischen so etabliert ist, dass die Finanzierung von den Krankenkassen teilweise übernommen wird. Wie verändern sich die Deutungen und Bewertungen einer Option, die wie die Gentherapie einerseits Heilung verspricht, anderer1 | Im Folgenden wird der Begriff Gentherapie, der sich in der Zwischenzeit für das Feld des Gentransfers in menschliche Zellen etabliert hat, im Sinne einer Vereinfachung des sprachlichen Ausdrucks genutzt. Die Bezeichnung des Gentransfers in menschliche Zellen als Therapie ist noch nicht ausreichend fundiert. Die Bilanz der bisherigen, somatischen Gentherapie-Experimente blieb angesichts der großen damit verbundenen Hoff nungen bisher ernüchternd (z.B. Förstermann 2003).

Einleitung | 13

seits auf wertbasierte Widerstände stößt, im Verlauf der gesellschaftlichen Debatte? Zu dieser Frage gibt es zwei sozialwissenschaftlich begründete Annahmen über den Kurs der gesellschaftlichen Integration einer neuen kontroversen Technik, die sich – in überzeichneter Form – folgendermaßen fassen lassen: • •

Wer heilt, hat Recht und was Heilung verspricht, wird letztendlich trotz aller ethischen Bedenken akzeptiert. Die kontroverse Technik wird an oppositionelle Werte angepasst und Widerstände werden in der Technikgestaltung berücksichtigt.

Wird in der medialen Debatte durch die Hoff nung auf gesunde Gene die Furcht vor dem Mensch nach Maß überwunden? Oder schlägt sich die Furcht vor dem Mensch nach Maß in Gestaltung und Grenzen der neuen Technik nieder? In einer Analyse über drei Jahrzehnte der Berichterstattung zur Gentherapie von 1970 bis 2001 werden Übereinstimmungen und Abweichungen in Bezug auf die Thesen skizziert, um anhand der empirischen Daten die bestehenden Vorstellungen über die gesellschaftliche Integration ethisch kontroverser Techniken zu differenzieren.

1.1 Von der Utopie zur Handlungspraxis: Wie das Unvorstellbare ›normal‹ werden kann Wie kann es sein, dass einige Techniken zunächst auf massiven Widerstand stoßen, im Verlauf der Zeit jedoch zu einer alltäglichen Praxis werden? Über die gesellschaftliche Integration neuer, wertsensibler Technologien kursieren populäre und auch in den Medien häufig zitierte Annahmen. Paradoxerweise werden Wissenschaft und Technik zunehmend legitimationsbedürftig, während zugleich ihr unablässiges und unaufhaltsames Voranschreiten mit Verve herauf beschwört wird.2 Im einfachsten Fall beschränken sich die Vorstellungen auf Prognosen, 2 | Die hierbei häufig verwandten slippery-slope-Argumente sind nach Graumann (2000a) zwar im fachakademischen Disput umstritten, ihre Prominenz in den Medien sei jedoch ein Grund, sich dennoch mit ihnen auseinander zu setzen. Auch Luchsinger (2000: 272) zufolge können Fragestellungen »nur schon deshalb« relevant sein, »weil sie die Öffentlichkeit beschäftigen«.

14 | Gesunde Gene dass die jeweils zur Disposition stehende Technik nicht aufzuhalten sei. So sprechen Jeff Lyon und Peter Gorner (1995), zwei Journalisten aus den USA, in Bezug auf die Geschichte der Gentherapie von einer »[…] halting, but irreversible journey of medicine through a once forbidden door« [Hervorh. MV]. Aussagen dieser Art verweisen auf einen Fortschritt, der quasi aus sich selbst heraus fortzuschreiten scheint.3 Soziologische Analysen richten den Blick dagegen stärker auf die gesellschaftlichen Hintergründe, vor denen sich die Integration neuer Technologien abspielt. Insbesondere mit Blick auf Biomedizin und Humangenetik wird auch hier eine »Zügellosigkeit der Erkenntnisproduktion« (Weingart 2000; 2005b) wahrgenommen. Vor allem wird bezweifelt, dass die Kontrolle durch die geltende Ethik bzw. Moral geleistet werden kann. Der Bioethik wird nurmehr eine moralische Kanalisationsfunktion zugeschrieben (Daele 1997: 87). Als gesellschaftliche Hintergründe, die zu einem Bedeutungsverlust ethischer Kontrollen führen, werden von den Autoren (Daele 1985; 1997; 2000; Weingart 2000; 2005b) u.a. folgende Punkte genannt: • Moderne westliche Gesellschaften sind werteplural, nur wenige Werte gelten gesellschaftsweit verbindlich, allenfalls ist es möglich, sich auf eine »Minimalmoral« (Daele 2000: 25) des Nichtschadens zu einigen. • Heutige Gesellschaften sind nicht primär an Ethik orientiert, sondern werden vielmehr durch wissenschaftlichen Rationalismus und Fortschrittsoptimismus bestimmt. • Es gibt in der Bevölkerung eine Nachfrage nach den neuen reproduktions- und biomedizinischen Techniken, und die Bedeutung von Individualisierung und Selbstverwirklichung nimmt zu. Zudem ermöglichen unterschiedliche Gesetzgebungen verschiedener Staaten nationale Beschränkungen zu umgehen (Patiententourismus). • Abstrakte Werte, wie z.B. die Natürlichkeit des Menschen, verblassen, wenn konkrete Nutzen für gesellschaftlich hochrangige Ziele, wie v.a. Gesundheit und Reproduktion, in Aussicht stehen. • Eine Ausweitung des Anwendungsbereiches der neuen Technologien wird durch die Unschärfe des Krankheitsbegriffes gefördert,

3 | Voraussagen und Beschreibungen der gesellschaftlichen Integration neuer Technologien fallen jedoch auch in den Medien, insbesondere in Qualitätsmedien, zum Teil komplexer aus und berücksichtigen dann verschiedene Faktoren, welche die Implementation beeinflussen – ohne dabei unbedingt von der Grundthese der Unauf haltsamkeit abzurücken.

Einleitung | 15



denn was als Krankheit gilt, bestimmt die Legitimität wissenschaftlicher Interventionen. Die gesellschaftliche Werteordnung ist nicht konstant, sondern dynamisch, und gesellschaftliche Werthorizonte und wissenschaftlicher Fortschritt sind wechselseitig voneinander abhängig. Durch die wissenschaftliche Entwicklung neuer Handlungsspielräume verändern sich gesellschaftliche Erwartungen und Werte, zugleich sind wissenschaftliche Innovationen durch gesellschaftliche Erwartungen geprägt.

Vor diesem Hintergrund postulieren die beiden Autoren (Daele 1985; 1997; 2000; Weingart 2000; 2005b) ein bestimmtes Muster der gesellschaftlichen Integration neuer Techniken. Diesem Muster zufolge lassen sich in der Diskussion neuer, ethisch kontroverser Techniken zwei Stadien unterscheiden: Das erste Stadium, in dem die Umsetzung der in Frage stehenden Technik noch als Utopie bzw. Dystopie erscheint, ist durch massiven Protest und moralischen Widerstand gekennzeichnet. Der Gedanke an die Technik ruft spontane Aversion hervor, wie etwa heutzutage die Vorstellung der Verschmelzung von menschlichen Gehirnen mit Computern (Daele 1985: 203). Dieses Stadium des Widerstandes dauert jedoch nur so lange, wie die entsprechende Technik weit entfernt scheint und nicht realisiert werden kann. Sobald die Technik verfügbar wird, setzt ein zweites Stadium ein, in welchem sich der anfänglich massive Widerstand allmählich aufzulösen beginnt. Entscheidend für diesen Prozess ist, dass die kontroverse Technik, obwohl sie einigen fundamentalen ethischen Werten der Gesellschaft entgegensteht, in anderen Bereichen anschlussfähig an bestehende, hochrangige gesellschaftliche Ziele ist. Angesichts der möglichen konkreten Nutzen, z.B. für medizinische Zwecke, werden die abstrakten ethischen Prinzipien in Frage gestellt. In der Diskussion werden mögliche positive Konsequenzen der Technik herausgestellt, potentielle negative Konsequenzen dagegen marginalisiert. Auf diesem Wege wird die zunächst deutliche Ablehnung der Option immer stärker differenziert. Anders als etwa die Metapher des ›Dammbruchs‹ impliziert, sieht das Muster nicht die »Dramatik einer kulturellen Umkehr« (Daele 1997: 100) voraus, sondern einen graduellen Verlauf, bei welchem die Konflikthaftigkeit der Technik vom Zeitpunkt der Verfügbarkeit an allmählich abnimmt. In Bezug auf die moralischen Vorbehalte gehen Weingart und van den Daele von einer Neubestimmung ethischer Werte aus. Gesprochen wird z.B. davon, dass ethische Widerstände neutralisiert werden, die Legitimität konfligierender Werte erodiert wird (Weingart 2000: 114;

16 | Gesunde Gene 2005b: 43), dass moralische Vorbehalte nachgeben (Daele 2000: 25), kulturelle Gewissheiten sich auflösen (Daele 1985: 206) oder, prägnant zusammengefasst, davon, dass die bestehende Moral unter dem Eindruck neuer Technik veraltet (Daele 1985: 205). Das Auflösen der bestehenden Werte soll dabei nach van den Daele (1997: 100) bereits mit dem Beginn der Diskussion über eine neue und moralisch umstrittene Technik eintreten: »Eindeutige Moral ist in der Regel fraglos. Was überhaupt zur Frage wird, erzwingt auch moralische Differenzierung.« 4 Während Weingart (2000; 2005b) nicht spezifiziert, um welche Werte es sich handelt, bezieht sich van den Daele (1985) explizit auf Vorstellungen von der Unantastbarkeit der menschlichen Natur, d.h. auf die Natürlichkeit des Menschen als Norm. Die antizipierte Neubestimmung der Werte bezieht sich jedoch bei beiden Autoren vor allem auf abstrakte und eher grundsätzliche Widerstände gegen die jeweilige neue Technik. Weingart unterscheidet zwischen abstrakten Gefahren neuer biomedizinischer Techniken und konkreten wertgestützten Ansprüchen, welche die Legitimation der Option gegenüber diesen abstrakten Gefahren befördern können (Weingart 2000: 115; 2005b: 44). Van den Daele bezieht seine Vorstellungen ausdrücklich auf den abstrakten Wert der Unantastbarkeit der menschlichen Natur (Daele 1985: 205f). Mit dem Beginn von Risiko- und Missbrauchsdiskussionen werde das Tabu der Natürlichkeit dagegen bereits aufgegeben (Daele 1985: 205f). Was bedeutet es vor diesem Hintergrund, dass Werte neutralisiert oder delegitimiert werden, erodieren, nachgeben, sich auflösen, abhanden kommen oder veralten? Die Antwort auf diese Frage fällt nicht sehr differenziert aus. Zwar werden die gesellschaftlichen Ausgangslagen und verschiedenen Faktoren, die letztlich zu einer Neubestimmung der Werte führen sollen, klar benannt. Wie sich der Prozess der Veränderung der Werte selbst vollziehen soll und auf welcher Ebene sich diese verändern, bleibt jedoch weitestgehend unklar. Wie bereits erwähnt, wird stattdessen der Beginn der Diskussion über die Technik 4 | Diese Interpretation wird durch das Beispiel des Singer-Konfliktes unterstützt, der sich auf der Meta-Ebene abspielte, ob man eine Frage wie die nach dem Lebensrecht schwerstbehinderter Neugeborener überhaupt debattieren darf (Braun 2000). Schon der Eintritt in die Debatte bedeute, das zuvor fraglos geltende Lebensrecht der Betroffenen zur Disposition zu stellen. Allerdings verweist Kathrin Braun (2000: 409) auch darauf, dass im Allgemeinen ein »›demokratischer Diskurs‹ […] in der modernen Gesellschaft etwas zu sein [scheint], was man schlechterdings nicht ablehnen kann«.

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mit der Neubestimmung der Werte gleichgesetzt. Nach Braun (2000) bedeutet die Forderung nach einer Debatte zwar in manchen Fällen zugleich die Forderung nach der Auf hebung eines Tabus (vgl. Fußnote 4). In anderen Fällen zielt die Forderung nach offener Diskussion jedoch nicht auf den Abbau von Tabus, sondern vielmehr auf die Frage nach dem kulturellen und gesellschaftlichen Umgang mit den neuen Möglichkeiten und den dadurch aufgeworfenen Fragen (Braun 2000). Um größere Klarheit über den antizipierten Prozess der Neubestimmung von Werten zu erlangen, wird an dieser Stelle die Unterscheidung zwischen Gültigkeit und Geltungsbereich eines Wertes eingeführt. Diese Differenz soll an einem Beispiel erläutert werden: Das Erzeugen von Retortenbabys kann als schwerwiegender Eingriff in die Unantastbarkeit der menschlichen Natur betrachtet werden. Angestoßen durch die technische Möglichkeit der künstlichen Befruchtung und ihre zunehmende Normalisierung hat sich der Wert der Unantastbarkeit der menschlichen Natur verändert. Auf diese Weise wurde der Geltungsbereich der auf die menschliche Natur bezogenen Norm neu definiert, dies betrifft jedoch nur den Geltungsbereich und nicht die Gültigkeit des Wertes an sich. Dies ist leicht daran zu erkennen, dass die Einführung und Normalisierung der künstlichen Befruchtung nicht ausschließt, dass die Frage nach der Unantastbarkeit der menschlichen Natur bei einer anderen kontroversen Option, wie etwa der Gentherapie, erneut und möglicherweise sogar in verschärftem Ausmaß gestellt wird. Auch in der Debatte über die Verwendung embryonaler Stammzellen wurde nicht etwa die Gültigkeit des Wertes der Menschenwürde diskutiert. In Frage stand vielmehr, wie die neue Option in Bezug auf dieses ethische Prinzip zu beurteilen ist. Was sich verändert hat, ist nicht die Gültigkeit des Wertes, sondern der Geltungsbereich, dem der Wert unterliegt. Der Prozess der Neudefinition der Werte wird durch die Existenz der neuen technischen Möglichkeit angestoßen. Zwar triff t die neue Option auf bestehende gesellschaftliche Werte, deren Geltungsbereich ist in Bezug auf die neue Technik jedoch noch unbestimmt, die Grenzen sind noch nicht genau festgelegt. Die wissenschaftlich-technische Innovation schaff t den konkreten Fall, anhand dessen der Geltungsbereich abgesteckt wird. Die bestehenden gesellschaftlichen Werte erfahren, indem ihr Geltungsbereich durch die neue Möglichkeit in Frage gestellt wird, eine Konkretion. Die Definitionen des Geltungsbereiches können zu einem späteren Zeitpunkt jedoch erneut in Frage gestellt werden. Nach van den Daele tritt an die Stelle der kategorischen und eindeutigen Moral die politische Entscheidung, die sich dadurch auszeichnet,

18 | Gesunde Gene kontingent zu sein, d.h. prinzipiell auch anders ausfallen zu können. Die bisherigen Maßstäbe reichen zur Beurteilung der neuen Möglichkeiten nicht aus, so dass die Moral erst neu gebildet werden muss (Daele 1985: 201ff, 207). Zugleich gibt es laut van den Daele (1985: 210ff ) für den politischen Prozess der Neubildung von Moral in heutigen westlichen Gemeinschaften nur einen sehr engen Gestaltungsspielraum, bei dem bestimmte gesellschaftliche Randbedingungen akzeptiert werden müssen. Zu diesen Randbedingungen gehört vor allem der hohe gesellschaftliche Stellenwert von Gesundheit, der sowohl von Daele als auch von Weingart als quasi unhintergehbar charakterisiert wird (Daele 1985: 212ff; Daele 1997: 90f; Daele 2000: 25ff; Weingart 2000: 114; 2005b: 43; Weingart et al. 2006: 95f). Dies entspricht anderen, populären Annahmen: Dem Wert Gesundheit wird in Bezug auf Debatten über ethisch kontroverse Techniken häufig nahezu unbeschränkte Legitimationskraft nachgesagt. Was heilt, wird trotz aller ethischen Bedenken akzeptiert, so eine verbreitete Position. Der Satz: »Wer heilt, hat Recht« verdeutlicht dies auf zwei Ebenen: Zum einen wird damit eine eigenständige Position gekennzeichnet, die auf dem Glauben an einen tatsächlichen Vorrang des Heilens über ethische Bedenken beruht (Beck-Gernsheim 1997: 82). Zum anderen wird mit dieser Kurzformel die Vermutung zusammengefasst, dass – auch wenn in der Debatte eine Auseinandersetzung mit ethischen Widerständen erfolgt – die Legitimationskraft eines neu eröffneten Potentials zur Heilung von Krankheiten überwiegen wird.5 Die Kritik »Kein Heilen um jeden Preis« bezieht sich ihrerseits ebenfalls auf die wahrgenommene substantielle Legitimationskraft des Wertes Gesundheit, wenn auch ex negativo. Weingart und van den Daele messen dem Wert Gesundheit gegenüber ethischen Widerständen ebenso eine nahezu unbegrenzte Legitimationskraft bei, wenn es um die Implementation neuer, ethisch kontroverser Techniken geht. Nach Weingart (2000: 114) gilt im Namen der Verbesserung der Gesundheit das Prinzip »anything goes«, der Wert Gesundheit »[…] ebnet allen auf ihn bezogenen Fortschritten der Forschung den Weg und erodiert die Legitimität konfl igierender Werte«.6 Daele (2000: 29) spricht von der unbestreitbaren Legitimität 5 | Diese Aussage gilt vor allem in Bezug auf die mögliche gesellschaftliche Akzeptanz, die mit ethischer Akzeptabilität nicht gleichgesetzt werden kann (Beck-Gernsheim 1997: 83). 6 | Diese Argumentation ist nicht technikdeterministisch, da sie nicht die Durchsetzung einer Technik qua einer ihr innewohnenden Überzeugungskraft unterstellt. Vielmehr werden verschiedene Mechanismen als Bedingungen der Durchsetzung einer konfliktreichen Innovation

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medizinischer Zwecke in liberalen Gesellschaften, gegen die moralische Ansprüche wie der Respekt vor der menschlichen Natur letztlich »chancenlos und sektiererisch« bleiben. Wegen des starken Fokus auf den antizipierten Verfall der einer medizinischen Technik entgegenstehenden Werte, wird das hier vorgestellte Schema im Folgenden als Erosionsthese bezeichnet.

1.2 Alternative Vorstellungen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken Ist der skizzierte Prozess der gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken grundsätzlich auch anders vorstellbar? Wäre es möglich, dass der Geltungsbereich der oppositionellen Werte nicht ausgeweitet wird und Grenzen bestehen bleiben? Die Antwort auf diese Frage befindet sich auf zwei Ebenen: 1. Die Regulation könnte allen gegenteiligen Prognosen zum Trotz gelingen. Insbesondere Ethiker gehen von der Kontrollierbarkeit der Forschung und einer begrenzenden Funktion der Moral aus. So unterliegt die Annahme, Forschung könne eingeschränkt und kontrolliert werden, implizit allen Forderungen nach einer (dauerhaften) Regulierung oder einem Verbot bestimmter Techniken. Um etwa ein moralisches Verbot der Keimbahnintervention zu fordern, wie z.B. Düwell (2000: 102f), muss man an die prinzipielle Möglichkeit der Durchsetzbarkeit eines solchen Verbotes glauben. Andere zeigen sich davon überzeugt, dass die Menschen mit ethischen Grenzziehungen verantwortungsvoll umgehen können, weil sie an eine global existierende, dem Menschen innewohnende Moral glauben (z.B. Beyreuther 2004: 123). Auch der Appell nach einem gesellschaftlichen Konsens verweist darauf, dass bei Ablehnung der Option auf Forschung und Anwendung verzichtet werden soll (z.B. Schroeder-Kurth 2000: 177). Selbst van den Daele und Weingart schließen einen dauerhaften Verzicht auf eine ethisch kontroverse technische Möglichkeit nicht vollkommen aus, sondern halten ein dauerhaftes Verbot unter den gegebenen eingeführt. Dazu gehört die Assoziation des medizinisch-genetischen Wissens mit den beiden Grundwerten Gesundheit und dem Recht auf Reproduktion. Dennoch verengt die zitierte Argumentationsfigur den Blick auf nur einen möglichen Ausgang, nämlich die Einführung der neuen Option. Ich plädiere dafür, im Gegensatz dazu den Implementationsprozess als prinzipiell offen anzusehen: Die Einführung einer neuen Option kann als Ergebnis nicht vorweggenommen werden.

20 | Gesunde Gene gesellschaftlichen Bedingungen und begrenzten politischen Handlungsmöglichkeiten nur nicht für einen wahrscheinlichen Verlauf. Es gibt verschiedene Beispiele, die auf die Möglichkeit einer längerfristigen Regulierung umstrittener Sachverhalte verweisen. Die Abschaff ung der Todesstrafe in vielen Ländern ist etwa ein Beispiel für eine ethisch begründete Gesetzgebung, die standhält, obwohl sie in anderen Ländern wie etwa den USA fortexistiert und es in bestimmten Situationen gesellschaftlichen Druck auf ihre Wiedereinführung geben kann. Auch im Bereich der Biomedizin gibt es trotz aller Globalisierung weiterhin restriktive nationale Regulierungen. Präimplantationsdiagnostik (PID) und Leihmutterschaft sind in Deutschland verboten, in anderen westlichen Ländern dagegen mit gewissen Einschränkungen zulässig.7 In diesen Fällen ist vor allem das »Recht auf die Reproduktion« betroffen, dem nach Weingart (2000: 114) ein ähnlich hoher Legitimationsstatus für ethisch kontroverse Techniken zukommt wie dem Wert Gesundheit. Die Möglichkeit der PID rekurriert ihrerseits auch auf den Wert Gesundheit, als Wunsch nach einem gesunden bzw. nicht schwer kranken Kind. Zugleich gibt es Bemühungen um internationale Festlegungen, wie z.B. die UNESCO-Erklärung zum menschlichen Genom (UNESCO 1997) oder die BioethikKonvention des Europarates (Council of Europe 1997), die aber oft eher Mindeststandards festlegen. Der Bioethik-Konvention wird etwa nachgesagt, sie trage nur »den Charakter des kleinsten gemeinsamen Nenners« (Luchsinger 2000: 285). In Bezug auf die Regulierungsmöglichkeiten ist weiterhin interessant, dass eine Technik im Laufe der Zeit nicht nur positiver, sondern unter Umständen auch deutlich negativer bewertet werden kann. Dies war z.B. bei der Atomkraft der Fall, die zunächst euphorisch begrüßt wurde, während in Deutschland inzwischen der ›Atomausstieg‹ beschlossen wurde.8 Das Beispiel der Atomenergie zeigt sehr gut, dass selbst eine schon etablierte und weithin genutzte Technik gesellschaftlich revidiert werden kann. Leider ist nicht möglich, vorauszusagen, ob Regulierungen Bestand haben wer7 | In anderen Fällen, wie bei der In-vitro-Fertilisation, wird zwar nicht die Technik als solche verhindert, es werden jedoch Restriktionen für die Umsetzung getroffen. So dürfen in Deutschland im Gegensatz zu anderen Staaten maximal drei Embryonen pro IVF-Zyklus eingesetzt werden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 und 3 ESchG), um die Tötung so genannter »überzähliger« Embryonen im Mutterleib zu vermeiden. 8 | Obwohl der Beschluss in jüngster Zeit politisch wieder umstritten ist, wollen laut einer Emnid-Umfrage 70 % von 1000 Befragten am Atomausstieg festhalten (dpa 2005).

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den oder nicht. Festgestellt werden kann nur der Status quo zur jeweiligen Zeit. Die Frage der generellen Kontrollier- und Regulierbarkeit von Forschung ist daher kein Gegenstand der vorliegenden Analyse. 2. Die zweite Alternative unterscheidet sich von dem bisher skizzierten Verlauf primär in Bezug auf Funktion und Stellenwert, die Widerständen gegen die neue Technik zugeschrieben werden. Der Erosionsthese zufolge vollzieht sich die gesellschaftliche Integration kontroverser Techniken vor allem, indem bestehende Werte delegitimiert oder erodiert werden. Trotz der grundsätzlichen Anerkennung der wechselseitigen Bedingtheit wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Erwartungen wird den mehr oder minder abstrakten ethischen und politischen Widerständen gegen eine neue Option hier keine eigene Funktion zugesprochen. Im Gegensatz dazu fordert z.B. Bauer (1995: 1ff ), Widerstände als Kraft zu verstehen, die einen konstruktiven Beitrag auf die Formung und Ausgestaltung von Technik haben kann.9 Die Annahme einer Funktionalität von Widerständen basiert auf der Vorstellung der gesellschaftlichen Integration neuer, kontroverser Techniken als einem wechselseitigen Prozess, in dem bestehende Widerstände aufgegriffen und in der Gestaltung der Technik berücksichtigt werden, wodurch sich die Widerstände ihrerseits wieder verändern können (Martin 1998). Sowohl die Widerstände selbst als auch ihr Beitrag zur Gestaltung einer Technik können dabei auf verschiedenen Ebenen liegen. Widerstände können sich beispielsweise gegen die Technik selbst richten, gegen ihre Konsequenzen oder die Art und Weise, wie die Technik implementiert wird (Bauer 1995: 19). Der Beitrag von Widerständen zur Anpassung von Technik kann den technischen Prozess und die Form der Technik selbst betreffen (wie z.B. bei Autoherstellern, die ein produziertes Auto ökologischer gestalten wollen). Das Wechselspiel zwischen Widerstand und Gestaltung der Technik kann sich aber auch auf Visionen für eine Technik beziehen, die noch gar nicht anwendungsreif ist. Nach Martin (1998: 153) war z.B. für die Etablierung eines stabilen Netzwerkes zur Unterstützung der Gentherapie entscheidend, eine neue Vision der Technik 9 | Der Begriff des Widerstandes ist in der vorliegenden Studie deutlich enger gefasst als bei Bauer (1995), nämlich ausschließlich als gesellschaftlicher Widerstand gegen neue, wertsensible Technologien. Wichtig ist daher, dass der Bezug hier nur der Grundthese gilt, dass Widerstände funktional sein und zur Ausgestaltung von Technik beitragen können. Weitere von Bauer (1995; 2007) getroffene Distinktionen und Analogien zum Widerstand haben für das Erkenntnisinteresse dieser Analyse dagegen keine Bedeutung.

22 | Gesunde Gene zu entwerfen, in welche die Bedenken der Kritiker inkorporiert wurden (s. 2.4). Auch die Regulation einer Technik lässt sich als Antwort auf Bedenken verstehen. Das Aufgreifen von Widerständen kann zudem darin bestehen, eine ethisch unverfängliche Alternative zu wählen. In der Diskussion über die Verwendung adulter statt embryonaler Stammzellen zeichnete sich eine solche Möglichkeit ab, ohne sich letztendlich durchzusetzen.10 Die Inkorporations- bzw. Funktionalitätsthese beschreibt kein Muster und macht keine Voraussagen über den Verlauf der gesellschaftlichen Integration einer kontroversen Technik. Aus der grundsätzlichen These der Veränderung von Widerständen durch ihr Aufgreifen im Prozess der Technikintegration ergeben sich jedoch bestimmte Annahmen über den Verlauf, die sich an definierten Punkten von der Erosionsthese unterscheiden. Z.B. wäre der Inkorporationsthese zufolge ein Rückgang der Konflikthaftigkeit jeweils zu den Zeitpunkten zu erwarten, an denen Widerstände in der Ausgestaltung der Technik berücksichtigt werden. Dies widerspricht der Vorstellung einer eher graduellen Abnahme der Konflikthaftigkeit, wie sie das Ablaufschema von Weingart und van den Daele vorsieht. Die Einschätzung des Stellenwertes von Gesundheit unterscheidet sich ebenfalls zwischen den beiden Alternativen. Zwar wird die Assoziation mit Gesundheit in beiden Fällen als positive Ressource für die Legitimation gesehen. Nur vor dem vorgestellten Hintergrund einer Erosion von Widerständen gilt Gesundheit jedoch als quasi unhintergehbarer Legitimationsfaktor. Der Funktionalitätsthese zufolge kann die Legitimierung dagegen nicht nur durch die Assoziation mit dem Wert Gesundheit, sondern auch durch die Berücksichtigung von Widerständen erfolgen. Gemäß der Funktionalitätsthese müsste sich der Prozess der gesellschaftlichen Integration kontroverser Techniken auch nicht auf eine Neubestimmung von Werten zuspitzen. Vielmehr können Widerstände in der Ausgestaltung der Technik aufgegriffen und dadurch (zumindest teilweise) sublimiert werden. An die Stelle der Erosion und Delegitimation entgegenstehender Werte kann die Anpassung der kontroversen Technik an gesellschaftliche Bedenken treten. In diesem Fall werden Widerstände nicht überwunden, sondern durch ihre Inkorporation gegenstandslos. Werden Proteste nicht einbezogen, kann der Wider10 | Auch der (evt. schon durch Widerstände geformte) wissenschaftliche Fortschritt selbst kann u.U. dazu beitragen, ethische Probleme zu umgehen, was seinerseits jedoch wieder eigene Probleme aufwerfen kann (s. 6.2.3, S. 207f.).

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stand gegen eine Option bestehen bleiben (Martin 1998). Die Technikintegration würde entsprechend nicht nach einem homogenen Muster verlaufen, sondern wäre (u.a.) davon abhängig, in welchem Ausmaß Widerstände berücksichtigt werden. Die Spannweite kann hier von der Einführung einer Option trotz fortgeführter Proteste reichen (wie es sich etwa im Hinblick auf genmanipulierte Nahrungsmittel abzeichnet, Martin 1998: 153) bis zur weitgehenden Adaptation einer Option an bestehende Widerstände, z.B. in Form der Umgestaltung der Technik, eines Verbots oder der Wahl einer Alternative. Die gesellschaftliche Integration der Technik wird so direkt abhängig von den Widerständen, die in der Diskussion vorgebracht werden. Obwohl sich aus der Inkorporationsthese zunächst ein anderer Ablauf der konkreten Technikintegration ableitet, würden die Vorhersagen deswegen in bestimmten Fällen mit dem in der Erosionsthese skizzierten Muster zusammenfallen. Z.B. würden Werte, die gesellschaftlich ›funktionslos‹ geworden sind und keine Ressource mehr für Widerstände bereitstellen, in der Debatte entweder kein ausreichendes Echo mehr finden oder nicht artikuliert werden. In der Ausgestaltung der Technik würden die entsprechenden Werte dann nicht berücksichtigt. Werden Wertpositionen im Verlauf der Technikintegration durch sozialen Wandel »unplausibel« (Daele 1985: 203)11, würde der Widerstand gegen eine neue Option daher zurückgehen, ohne in der Formung der Technik berücksichtigt worden zu sein.

1.3 Was lässt sich aus bisherigen Studien folgern? Die Annahmen der Erosionsthese bzw. der Funktionalitätsthese zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler wissenschaftlicher Techniken sind bisher empirisch nur wenig untersucht, insbesondere im Hinblick auf längerfristige Entwicklungen. Aus Analysen zur Regulation der Gentherapie lassen sich zwar Tendenzen ableiten, die mit der Erosionsthese zu korrespondieren scheinen, wie etwa die Beobachtung einer veränderten Sichtweise auf die Gentherapie (z.B. Gill et 11 | Nach van den Daele (1985: 203) scheint eben dies »das Schicksal aller Positionen zu sein, die die menschliche Natur als letztlich unverfügbar und heilig ansehen und Grenzen fordern, jenseits derer der Versuch, gegebene natürliche Eigenschaften des Menschen durch technisch rekonstruierte, also künstliche zu ersetzen, schlechthin unerlaubt wird – ohne Rücksicht darauf, ob der Zweck solcher Eingriffe akzeptabel ist und eine wirksame Einwilligung der Betroffenen vorliegt.«

24 | Gesunde Gene al. 1998; Martin 1998; 1999; Paslack 1995). Es gibt daneben aber auch Hinweise für ein Aufgreifen von Widerständen in der Konzeption der Gentherapie und damit für die Richtigkeit der Funktionalitätsthese (Martin 1998). Studien zur Gentechnologie kommen in Bezug auf die Funktionalität von Widerständen zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen: Buchmann (1995) geht für die schweizerische Debatte von einem Einfluss der Opposition auf die Regulierung der Gentechnik aus. Jasanoff (1995) sieht dagegen für die USA, Großbritannien und Deutschland trotz eines unterschiedlichen Ausmaßes an Widerstand und öffentlicher Debatte ein letzten Endes gleiches Ergebnis, nämlich eine durch die Globalisierung beförderte Öff nung für die neuen Techniken. Eine Engführung der Debatte zur Gentherapie auf nur wenige diskutierte Aspekte stellt eine Untersuchung von Evans (2002) zur amerikanischen Diskussion unter professionellen Gruppen heraus. Die genannten Studien richten sich jedoch jeweils nicht auf einen Vergleich zwischen den beiden Thesen und lassen entsprechend nur wenige Rückschlüsse in Bezug auf die zugrunde liegenden Annahmen zu (s. hierzu 2.4 und 2.5).12 Neben diesen Arbeiten gibt es eine Reihe von Studien zur Berichterstattung über genetische Forschung. Die Analysen legten den Fokus bisher zum größten Teil auf Gentechnik bzw. Biotechnologie, die häufig sowohl die so genannte ›grüne‹ Gentechnik (Landwirtschaft/ Lebensmittel) als auch die ›rote‹ Biotechnologie (Humangenetik und entsprechende Anwendungen der Biomedizin) umfassen (Brodde 1992; Durant et al. 1998; Gaskell und Bauer 2001; Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998; Kepplinger et al. 1991; Kohring et al. 1999; Kohring und Matthes 2002; Liakopoulos 2002; Leonarz und Schanne 2002; Merten 1999; Nisbet und Lewenstein 2002). Gelegentlich richteten Studien ihren Fokus vorrangig auf die Humangenetik (Petersen 2001; Petersen und Bunton 2002; van Dijck 1998). Daneben wurde die Berichterstattung über einzelne Forschungsrichtungen untersucht, insbesondere über das Humangenomprojekt (Gerhards und Schäfer 2006; Nelkin 1994; Nerlich et al. 2002; O’Mahony und Schäfer 2005; Riechert 1995; Rödder 2005; Smart 2003) und das nicht direkt der Genetik zugehörige, jedoch in den allgemeineren Bereich der Biomedizin und Reproduktionstechnologien einzuordnende Klonen (Hornig Priest 2001; Maio 2001; Neresini 2000; Petersen 2001; Petersen und 12 | Diese Aussage gilt in gleichem Maße für Studien, welche die Entwicklung der Regulation der Gentechnologie in Deutschland verfolgen (Gottweis 1995; Radkau 1988).

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Bunton 2002). Auch zur Gentherapie existieren einzelne kleinere Fallstudien (Appel und Jazbinsek 2000; Nelkin 2001, s. hierzu auch 2.3). Neben den Möglichkeiten der Präimplantationsdiagnostik, der Stammzellforschung und des Klonens wurde in einer Studie zu »In-vitro-Techniken am Beginn des menschlichen Lebens« auch die Darstellung der Keimbahntherapie untersucht (Graumann 2002; 2003). Dieses Projekt ist vor allem auf eine Bewertung der medialen Diskussion aus ethischer Sicht gerichtet, ebenso wie eine ähnliche Medienanalyse zur Keimbahntherapie (Graumann 1999).13 In einem weiteren Projekt zur Analyse medialer Kontroversen über biomedizinische Optionen wurden Stammzellforschung, Klonen und Humangenomprojekt untersucht (Weingart et al. 2006; 2008). Aus diesen Studien lassen sich Erkenntnisse über die Art und Weise ableiten, in der die Debatten geführt werden, z.B. welche Akteure vorwiegend daran beteiligt sind, welche Themen oder welche Rahmungen ( frames)14 jeweils im Vordergrund stehen, welche Metaphern genutzt werden oder ob in der Berichterstattung eher Nutzen oder Risiken der diskutierten Anwendungen betont werden. Fragen dieser Art wurden zum Teil sogar in Langzeitanalysen verfolgt, die belegen, wie sich die jeweils analysierten Elemente im Zeitverlauf verändern (Brodde 1992; Durant et al. 1998; Gaskell und Bauer 2001; Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998; Kepplinger et al. 1991; Kohring et al. 1999; Kohring und Matthes 2002; Liakopoulos 2002; Leonarz und Schanne 2002; Merten 1999; Nisbet und Lewenstein 2002). Die Daten aus diesen Studien können als Vergleichsfolie dienen, um die medienöffentliche Debatte des Gentransfers in menschliche Zellen einzuordnen. Durch die Kontrastierung mit den bisherigen Erkenntnissen lässt sich z.B. erschließen, ob die mediale Diskussion der Gentherapie einen relativ typischen Fall der Berichterstattung über genetische Forschung darstellt oder durch bestimmte Spezifi ka gekennzeichnet ist. Für die Frage nach Übereinstimmungen und Abweichungen in Bezug auf die vorgestellten Thesen sind diese Medienanalysen da13 | In diesen beiden Analysen wird die mediale Diskussion, anders als in der vorliegenden Studie, primär in Bezug auf die akademische Ethik beurteilt. 14 | Als frames werden die verschiedenen Gesichtspunkte bezeichnet, unter welchen über ein Thema diskutiert wird. In Bezug auf die Abtreibung lassen sich z.B. der frame »Kontinuität der Entwicklung des Lebens« oder der frame »Selbstbestimmung der Frau« identifizieren (Gerhards et al. 1998). Wie frames im Einzelnen definiert werden, unterscheidet sich jedoch in verschiedenen Studien (Kohring und Matthes 2002: 144).

26 | Gesunde Gene gegen wenig informativ. Der bisher einzige Versuch, die Erosionsthese auf verschiedene mediale Debatten über Biomedizin anzuwenden (Weingart et al. 2006; 2008), konzentriert sich auf kurzzeitige Kontroversen und bezieht deren längerfristige Entwicklungsdynamik kaum ein. Ein zentraler Befund ist, dass nur eine der drei untersuchten Kontroversen, die Debatte um das Klonen, annähernd den vermuteten Verlauf zeigt. Dieses Ergebnis wird von den Autoren nicht zuletzt auf das kurzfristige Untersuchungsdesign zurückgeführt, mit dem die Kontroversen vermutlich nicht über einen ausreichend langen Zeitraum erfasst worden seien (Weingart et al. 2006: 110). Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, zur Untersuchung der antizipierten Prozesse den Analysezeitraum auszudehnen, zumal sich die erwarteten fundamentalen Veränderungen vermutlich nur über längere Fristen vollziehen. Einen gewissen Hinweis auf Veränderungen, die der Erosionsthese entsprechen, liefern Kohring und Matthes (2002). Ihrer Analyse zufolge verengt sich die Diskussion moderner Biotechnologie im Verlauf der Zeit auf den frame Biomedicine for Health: Während von 1992 bis 1996 Biomedizin vor allem als moralisches Risiko, aber ebenso als wirtschaftliche Chance und viel versprechendes Forschungsfeld begriffen wird, ›verschwindet‹ die moralische Debatte in dem Zeitraum von 1997 bis 1999 und wird durch die Diskussion konkreter gesundheitlicher Nutzen ersetzt. Diese Aussage bezieht sich jedoch auf die Biotechnologie im Allgemeinen, während ein wichtiges Ergebnis der bisherigen Analysen darin besteht, dass zunehmend nicht mehr über die Gentechnologie geschrieben wird. Stattdessen differenziert sich die mediale Bearbeitung in eine Berichterstattung über verschiedene Forschungs- und Anwendungsfelder der Querschnittstechnologie Gentechnik aus (Hampel und Renn 1999; Görke et al. 2000). Auch Risiko- und Nutzennennungen werden entsprechend nicht mehr der Gentechnik allgemein, sondern einzelnen Anwendungen zugeschrieben (Görke et al. 2000: 29). Weder Berichterstattung noch Bewertung der Gentechnik lassen sich als einheitlich auffassen (Merten 1999: 338).15 Dieser Befund legt nahe, nicht die mediale Darstellung der Gentechnologie als Ganzes zu untersuchen, sondern vielmehr die Diskussion einzelner Anwendungen zu verfolgen. 15 | Auch eine parallel zu den Medienanalysen durchgeführte Einstellungsuntersuchung belegt, dass verschiedene Anwendungen der Gentechnik von den Befragten differenziert bewertet werden (Hampel und Pfenning 1999).

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Aus dem bisher Gesagten ergeben sich zwei zentrale Anforderungen an eine Studie, die auf eine Untersuchung der Erosions- bzw. Inkorporationsthese der gesellschaftlichen Integration neuer Techniken gerichtet ist: Zum einen sollte ein langer Zeitraum verfolgt werden, der es ermöglicht, eventuelle Veränderungen im Sinne der antizipierten Prozesse zu beobachten. Zum anderen sollte eine konkrete Anwendung im Zentrum der Untersuchung stehen. Die Thesen über die gesellschaftliche Integration wertsensibler Techniken werden in dieser Studie daher in Bezug auf einen konkreten Fall, die Gentherapie, und über einen langen Zeitraum, nämlich von 1970 bis 2001, also über drei Jahrzehnte der Berichterstattung, analysiert.

1.4 Fragestellung Die Implementation der Gentherapie scheint exemplarisch für den in der Einleitung eingeführten Verlauf zu sein, bei dem eine hoch kontroverse Idee, die moralische Entrüstung (Weingart 2000; 2005b) auslöst, zu einer wenig konflikthaften Handlungspraxis wird. Vor allem die Gentherapie an Körperzellen erzielt hohe Zustimmungswerte (Hampel und Pfenning 1999; Wellcome Trust 2005). Die Debatte über die Gentherapie eignet sich deshalb dazu, die Annahmen über die Neubestimmung ethischer Werte und die zentrale Rolle der Assoziation mit dem Wert Gesundheit zu untersuchen. Die Gentherapie bietet sich als Fall auch deswegen an, weil die Diskussion um den Gentransfer in menschliche Zellen aufgrund des frühen Beginns einen Vorreiter späterer Debatten über Biomedizin darstellt. Führende Biowissenschaftler zitieren die Diskussion über die somatische Gentherapie – trotz der hohen Zustimmung zu der Option – als ein warnendes Beispiel, aus dem Lektionen für folgende Debatten über ethisch kontroverse Techniken abzuleiten sind.16 Nicht zuletzt ermög16 | Der damalige Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft Ernst-Ludwig Winnacker äußert sich folgendermaßen (FAZ, 18.09.2000): »Ein gutes Beispiel hierfür ist die somatische Gentherapie. […] schon vor bald zehn Jahren [haben] einige voreilige, um nicht zu sagen skrupellose Technokraten nicht nur wider besseres Wissen der Öffentlichkeit das Blaue vom Himmel herunter versprochen, sondern auch unüberlegte Experimente durchgeführt, die im Grunde oft nicht zu verantworten waren. Nach einer Intervention der nationalen Gesundheitsinstitute der Vereinigten Staaten Mitte der neunziger Jahre ist längst die Vernunft wieder eingekehrt. […] Mit etwas mehr Zurückhaltung wäre dieses Ziel [erfolgreiche

28 | Gesunde Gene licht die Länge der Auseinandersetzung über die Gentherapie, mögliche Veränderungen der Debatte über einen angemessenen Zeitraum zu beobachten. Durch die Trennung der Gentherapie an Keim- und Körperzellen können darüber hinaus die Thesen an zwei Konzepten beobachtet werden, die trotz der nahezu gleichen wissenschaftlichen Grundlage ethisch sehr unterschiedlich bewertet werden. Im Verlauf der Diskussion wird die technische Option mit verschiedenen Aspekten verbunden, die ihr nicht von vornherein innewohnen, sondern erst zugeordnet werden. So ist in der Debatte nicht ausschließlich von dem naturwissenschaftlichen Sachverhalt des Gentransfers in menschliche Zellen die Rede. Die Elemente, die mit dem Gentransfer in menschliche Zellen assoziiert werden, oszillieren vielmehr zwischen den Polen der befürchteten Manipulation des Menschen und der Hoffnung auf die endgültige Überwindung menschlicher Leiden. Mit Hilfe der Zuordnung solcher und anderer Aspekte wird die Option Gentransfer gesellschaftlich verortet und in einen größeren Bedeutungszusammenhang gestellt. Diese innerhalb des Kommunikationsprozesses über die neue Technologie ständig stattfindende Einordnung wird im Folgenden als Kontextualisierung bezeichnet (s. 2.1). Visionen und Vorstellungen, die in dieser Weise mit der Option verbunden werden (oder eben gerade nicht), können entscheidend für ihre Legitimation sein.17 Die Massenmedien sind ein wichtiger Ort dieses Kontextualisierungsprozesses, mit dem eine bestimmte Art der Wahrnehmung der Technologie geschaffen wird. In modernen westlichen Gesellschaften sind Massenmedien die zentrale Instanz der Öffentlichkeit (Donges und Imhof 2001; Gerhards 1998; Gerhards und Neidhardt 1991; Neidhardt 1993, s. 2.3) und bilden einen gemeinsamen Erfahrungshinterklinische Prüfungen, Anm. MV] wahrscheinlich sehr viel schneller zu erreichen gewesen und von sehr viel weniger Häme und Mißtrauen in der Öffentlichkeit begleitet, als wir es jetzt erleben müssen. Aus diesen Erfahrungen sollten wir für die derzeit so aktuelle Stammzelldiskussion lernen.« 17 | Positive Erwartungen und Versprechen, wie etwa sich neu eröffnende Therapiemöglichkeiten, können, insbesondere für Techniken, die noch nicht anwendungsreif sind, ausschlaggebend für das Momentum eines wissenschaftlichen Unterfangens sein (Brown und Michael 2003). Hierin besteht für die Wissenschaft ein Dilemma, das die von Winnacker geforderte Mäßigung [s. Fußnote 16] schwierig macht – fallen die Versprechen zu klein aus, ist eine Dämpfung eben jenes Optimismus zu befürchten, der die Entwicklung sonst befördern kann.

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grund der Gesellschaft. Konflikte um ethisch kontroverse wissenschaftliche Optionen werden in den Medien ausgetragen und die dort präsentierten Assoziationen sind relevant für die Legitimierung bzw. das Zurückweisen wertsensibler Techniken. Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf drei wesentlichen Aspekten der medialen Debatte: 1. der Kontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen, 2. der Übereinstimmungen und Abweichungen in Bezug auf die Thesen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken, insbesondere im Hinblick auf die Neubestimmung ethischer Werte und 3. der Assoziation des Gentransfers in menschliche Zellen mit dem Wert Gesundheit. 1. Die Kontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen ist gleichbedeutend damit, dass bestimmte Aspekte mit der Option assoziiert werden und andere nicht. Auf diese Weise entsteht ein Kontext, in dem die Bewertung der neuen Technik stattfindet und sie prägt. Dies gilt sowohl für einzelne Aspekte und Themen, die mit dem Gentransfer in Zusammenhang gebracht werden, als auch für die journalistische Einordnung insgesamt. Eine mediale Debatte18, die den Gentransfer vorwiegend als wissenschaftlichen Gegenstand beschreibt, ist anders einzuschätzen als eine mediale Debatte, die vor allem auf die soziale Relevanz der neuen Möglichkeit verweist. Indem die Kontextualisierung verfolgt wird, lässt sich der Prozess der gesellschaftlichen Verortung einer wissenschaftlich neuen, ethisch kontroversen und – in Bezug auf die Konsequenzen – unsicheren Option veranschaulichen. 2. Um die Entwicklungsdynamik und die wesentlichen Faktoren des Integrationsprozesses der Technik kennen zu lernen, werden die eingangs eingeführten Annahmen mit den empirischen Daten zum Verlauf der Kontextualisierung abgeglichen. Der Schwerpunkt liegt dabei nicht auf dem Ergebnis des Kontextualisierungsprozesses. Weil der Kontextualisierungsprozess prinzipiell unabgeschlossen ist, lässt sich zu einem beliebigen Zeitpunkt nicht nachweisen, ob das Ergebnis des Prozesses so ausfällt wie angenommen oder nicht. Ziel ist vielmehr, die vorgestellten Thesen auf einen konkreten Fall anzuwenden und anhand der empirischen Daten zu differenzieren. 18 | Die Ausdrücke mediale Debatte, mediale Diskussion und Berichterstattung werden im Folgenden synonym verwendet.

30 | Gesunde Gene Trotz der prinzipiellen Unabgeschlossenheit der Kontextualisierung wird in der Analyse auch nach der potentiellen Neubestimmung ethischer Werte gefragt. Hierbei wird zu beantworten versucht, inwieweit es im bisherigen Verlauf der medialen Diskussion zu einer solchen Neubestimmung gekommen ist oder nicht, aber auch, ob sich alternative Tendenzen – wie z.B. ein Zurückweisen der neuen Ansprüche oder eine Anpassung der Technik an gesellschaftliche Ansprüche – zeigen lassen. 3. Eine besondere Rolle für eine mögliche Neubestimmung ethischer Werte und für eine Transformation der Sichtweise auf eine kontroverse Option wird in der Erosionsthese dem Wert Gesundheit zugeschrieben. Über die Assoziation mit dem Wert Gesundheit wird eine Technik, deren Potential noch unbekannt ist, gesellschaftlich anschlussfähig. Der Wert Gesundheit ist der Technik des Gentransfers in menschliche Zellen jedoch nicht eigen, sondern diese Beziehung wird erst hergestellt. Entsprechend wird danach gefragt, auf welche Weise die Assoziation mit dem Wert Gesundheit in der medialen Diskussion des Gentransfers in menschliche Zellen erfolgt und welchen Stellenwert die Anbindung an den gesellschaftlichen hochrangigen Wert der Gesundheit einnimmt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei dem Wert Gesundheit als Legitimationsfaktor – ist das Potential der Assoziation mit dem Wert Gesundheit so uneingeschränkt, wie es in der Erosionsthese angenommen wird? Hat (oder bekommt) Recht, wer heilt? Oder lassen sich Grenzen der Legitimationskraft des Versprechens von Therapien und Heilung festmachen?

1.5 Aufbau der Arbeit Nachdem die Konzeption bisher nur so weit eingeführt wurde, wie es für das Verständnis der Fragestellung unbedingt notwendig erscheint, werden in Kapitel 2 die theoretischen Ausgangspunkte der Arbeit vertieft. Als Kommunikationsprozess unterliegen Debatten über kontroverse Techniken bestimmten Voraussetzungen. Für eine neue, bisher nicht bekannte Option muss zunächst ein Bedeutungskontext hergestellt werden. Einführend wird daher das Konzept der Kontextualisierung erläutert (2.1), welches die Abhängigkeit der mit der Technik assoziierten Elemente von der jeweiligen Perspektive betont. Zugleich wird über die verschiedenen Ebenen der Kontextualisierung deutlich, wie sich die in der Erosionsthese antizipierte Transformation der

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Sichtweise auf die Option bzw. die potentielle Neubestimmung der Werte als Rekontextualisierung fassen lassen. Diskussionen über die Legitimität wissenschaftlich-technischer Optionen entstehen vor dem Hintergrund eines sich wandelnden Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Im Unterkapitel 2.2 werden deshalb der Verlust der sozialen Distanz der Wissenschaft und die Bedeutung dieses Verlustes für die Entscheidungsgewalt der Wissenschaft über die von ihr hervorgebrachten Innovationen skizziert. In die allgemeineren Diagnosen zur Relation von Wissenschaft und Gesellschaft wird die Gentherapie als Fall eingeordnet. Die beobachteten Veränderungen des Verhältnisses von Wissenschaft und Gesellschaft lassen darauf schließen, dass Debatten über kontroverse Optionen zunehmend öffentlich werden. Die Diskussion über wissenschaftliche Wertekonflikte findet auf verschiedenen Ebenen von Öffentlichkeit statt. Dabei sind, wie unter Punkt 2.3 argumentiert wird, die Massenmedien als am stärksten professionalisierte Öffentlichkeit von größter Relevanz für die Legitimation wissenschaftspolitischer Entscheidungen. Auf diese Weise wird die Wahl begründet, die mediale Diskussion über den Gentransfer in menschliche Zellen zu verfolgen. Parallel wird verdeutlicht, welchen besonderen Voraussetzungen die massenmediale Öffentlichkeit unterliegt. Auch die Ergebnisse bisheriger Medienanalysen zur Gentherapie lassen sich vor diesem Hintergrund einordnen. Wie im Konzept der Kontextualisierung enthalten, ist eine aktuelle Debatte nicht frei von Bezügen auf vorherige Ereignisse. Um die Debatte über den Gentransfer in menschliche Zellen zu verstehen, ist es notwendig, die Vorstrukturierung der Diskussion, wie sie vor allem im Wechsel von Eugenik zu Humangenetik angelegt ist, zu berücksichtigen. In Unterkapitel 2.4 wird verdeutlicht, wie sehr die Referenz auf die Möglichkeiten der Eugenik die Diskussion weiterhin prägt. Dies lässt sich beispielsweise an den bisherigen Empfehlungen zur Regulierung ablesen. Die getroffenen Entscheidungen geben zudem Aufschluss darüber, inwieweit der Ablauf auf dieser Ebene mit den vorgestellten Thesen korrespondiert. Dem Wert Gesundheit wird ein besonderer Stellenwert für den Verlauf der Debatte zugeschrieben. Aus diesem Grunde werden im Unterkapitel 2.5, das die Ausführungen zu den theoretischen Voraussetzungen abschließt, verschiedene Aspekte des Wertes Gesundheit beleuchtet. Der Erosionsthese zufolge hängt die Legitimität einer Option direkt von den jeweils vorherrschenden Konzepten von Krankheit und Gesundheit ab. Weder Krankheit noch Gesundheit lassen sich jedoch einheitlich und rein tatsachengebunden definieren. Krankheits-

32 | Gesunde Gene und Gesundheitskonzepte sind vielmehr ein Spiegel der Normen und Werte einer Gesellschaft. Verschiedene Formen der Assoziation mit dem Wert Gesundheit können für die Legitimierung einer umstrittenen Option unterschiedlich geeignet sein. Die Aufmerksamkeit wird daher auf die Art und Weise gelenkt, in der die technische Option mit dem Wert Gesundheit assoziiert wird. Hierzu werden anhand vorhandener Literatur die Wechselwirkungen zwischen der jeweiligen Auffassung von Krankheit bzw. Gesundheit, den wissenschaftlichen Konzepten und der gesellschaftlichen Integration neuer Techniken betrachtet. Nach dem Aufzeigen der theoretischen Ausgangspunkte wird im Kapitel zur Methode (Kap. 3) das Untersuchungsdesign, die Kombination einer quantitativen mit einer qualitativen Analyse, vorgestellt und der methodische Wert dieser Herangehensweise erläutert. Des Weiteren werden hier die Gründe für die Auswahl der Medien beschrieben. Im Kapitel zur quantitativen Analyse (Kap. 4) werden zunächst der Verlauf der Berichterstattung und die Daten zur Kontextualisierung auf allgemeiner Ebene, d.h. zur journalistischen Einordnung der Gentherapie, dargestellt. Darauf folgen die Ergebnisse zur Assoziation des Gentransfers in menschliche Zellen mit dem Wert Gesundheit. Untersucht werden hier z.B. die Häufigkeit der Nennung medizinischer Nutzen im Vergleich zur Nennung einer möglichen Optimierung, von Erb- oder Volkskrankheiten als Therapiezielen oder von Vorstellungen über verschiedene Effekte des Gentransfers. Die Thesen werden adressiert, indem verfolgt wird, wie sich die dargestellte Konflikthaftigkeit der Option ändert und welche Faktoren mit Veränderungen der Konflikthaftigkeit in Zusammenhang stehen. Im Kapitel zur qualitativen Analyse (Kap. 5) werden verschiedene Phasen der Berichterstattung beschrieben. Anhand dieser Darstellung wird der Prozess der gesellschaftlichen Verortung der ethisch kontroversen Gentherapie verdeutlicht. Der Fokus liegt dabei auf möglichen Veränderungen in der Kontextualisierung der Technik, um eventuelle Perspektivwechsel bestimmen zu können. Einen weiteren Schwerpunkt bildet, wie schon in der quantitativen Analyse, die Assoziation der Option mit dem Wert Gesundheit. Resümees zu den Ergebnissen der quantitativen und der qualitativen Untersuchung bilden den Abschluss der jeweiligen Kapitel. In der Diskussion (Kap. 6) werden die Daten zur allgemeinen Kontextualisierung herangezogen, um die mediale Debatte über die Gentherapie zwischen zwei Modellen wissenschaftlicher Öffentlichkeit zu verorten. Mit der – von Gerhards & Schäfer 2006 entlehnten – Unterscheidung eines gesellschaftsbezogenen und eines wissen-

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schaftsdominierten Modells lässt sich die Prägung der medialen Diskussion über den Gentransfer erkennen. Zugleich wird deutlich, dass es sinnvoll ist, eher von einem Kontinuum verschiedener Formen wissenschaftlicher Öffentlichkeit auszugehen als von zwei idealtypischen Modellen. Im zweiten Teil der Diskussion werden die Thesen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken mit dem tatsächlich gefundenen Verlauf der Kontextualisierung abgeglichen und entsprechend der empirischen Daten differenziert. Hierbei werden vor allem die Annahmen zur Entwicklung der Widerstände, zur Veränderung der Sichtweise auf die Option und zur antizipierten Neubestimmung der ethischen Werte betrachtet. Darüber hinaus werden verschiedene Mechanismen der Assoziation des Gentransfers in menschliche Zellen mit dem Wert Gesundheit dargestellt und die Rolle von Gesundheit als Legitimationsfaktor in der medialen Debatte über Gentherapie diskutiert. Abschließend werden die wesentlichen Punkte der Diskussion in einer Übersicht zusammengestellt (s. 6.3).

2. Theoretische Ausgangspunkte

2.1 Kontextualisierung als theoretisches Konzept der gesellschaftlichen Integration neuer Techniken Die gesellschaftliche Integration neuer wissenschaftlicher Optionen erfolgt, indem dem zunächst unbekannten Sachverhalt mit Hilfe verschiedener Assoziationen Bedeutung verliehen wird. Dieser Prozess der Inkorporation neuen Wissens geht weit über die Diskussion des naturwissenschaftlich Faktischen hinaus. Die Chancen und Risiken, die mit dem Gentransfer verknüpft werden, sind keine gegebenen Tatsachen. Die mit dem Gentransfer assoziierten Vor- und Nachteile sind abhängig von der jeweiligen Perspektive und werden der Option erst zugeordnet. Wie Gottweis (1995: 211-216) aufzeigt, hatten z.B. die Grünen als Kritiker der Gentechnik in den 80er Jahren eine von den anderen Parteien gänzlich verschiedene Auffassung der Schwierigkeiten und Vorteile der neuen Technologie. Schon seit längerem bekannt sind die unterschiedlichen Risikoeinschätzungen von Experten und Laien (Jungermann und Slovic 1993): Während die Experten dazu tendieren vorwiegend Sach- und Gesundheitsschäden als Risiken zu bewerten, ist der Risikobegriff der Laien umfassender und richtet sich auch auf unerwünschte wirtschaftliche, soziale oder ethische Folgen.1 1 | Francine Simring hat im Zuge der rDNA-Debatte einen ähnlichen Punkt kritisiert: Bereits bei der Atomtechnik hätten die Verfechter der Kernenergie die Lösungswege definiert: Diese hätten die Sicht auf quantifizierbare und technisch zu bewältigende Probleme eingeschränkt – nicht-quantifizierbare Probleme wie das genetische Risiko für künftige Generationen, menschliche Fehlbarkeit und Böswilligkeit, die Gefährdung bürgerlicher Freiheiten durch drastische Sicherheitsvorkehrungen wären

36 | Gesunde Gene Darüber hinaus ist selbst die Konzentration auf eine Abwägung der Chancen und Risiken nicht vorgegeben, wie Radkau (1988: 360) anhand der Verschiebung der Atomtechnik-Debatte von einer Pro- und Contra-Diskussion zur Perspektive einer langfristigen Einordnung der Kernenergie und ihrer Alternativen zeigt.2 Die Aspekte, die mit einer wissenschaftlichen Entwicklung verbunden werden, sind dieser nicht von vornherein eigen, sondern werden ihr erst zugeordnet. Andererseits ist die Auswahl der mit einer wissenschaftlichen Innovation assoziierten Faktoren nicht beliebig, sondern wird durch das bereits vorhandene Repertoire eingegrenzt. Der Gentransfer als wissenschaftliche Neuerung wird in ein komplexes Netzwerk bestehender, tradierter Fragmente eingewoben. Damit wird die neue Option als eigenständiges Element durch die Anbindung an Vorhandenes in einen größeren Bedeutungszusammenhang eingebettet. Zugleich kann der durch die neue Option hervorgerufene Konflikt mit dem Tradierten Umdeutungen des schon Gegebenen oder das Entstehen neuer Perspektiven provozieren. Mittels dieser Prozesse – Anbindung an Vorhandenes, Umdeutung des Gegebenen, Entstehen neuer Perspektiven – wird eine Kontextualisierung der neuen Möglichkeit geschaffen, welche die Einordnung des Gentransfers in das vorgegebene Gefüge erlaubt. Der Kommunikationsprozess über eine neue Technologie kann auf dieser Grundlage als fortlaufender Prozess der Kontextualisierung verstanden werden, durch welchen die neue Option gesellschaftlich verortet wird. Der Begriff Kontextualisierung wird im Rahmen der Analyse der geläufigeren Bezeichnung Implementation vorgezogen, da der Terminus Kontextualisierung 1. den Fokus auf die für jede gesellschaftliche Verortung notwendige sprachliche Verarbeitung lenkt (statt wie bei der Implementation auf Vorgänge politischer, juristischer oder organisatorischer Ebene)3; ausgeklammert worden – das Gleiche geschehe in der Molekularbiologie, bei der auf der Höhe des damaligen Diskussionsstandes die Sicherheit der Laboratorien als Schlüsselproblem definiert wurde (Radkau 1988: 347). 2 | Erika Hickel, Mitglied der Grünen in der Enquete-Kommission ›Gentechnologie‹ beklagte angesichts der damaligen Gentechnik-Debatte hingegen einen Rückfall in das alte Muster von Für und Wider (Radkau 1988: 347). 3 | Womit natürlich nicht negiert werden soll, dass auch bei der Implementation neuer Optionen auf politischer, juristischer oder organisato-

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2. in besonderer Weise medienaffin ist, da Medien durch die Assoziation verschiedener Elemente zu der neuen Option Kontextualisierungen auf sprachlicher Ebene anbieten; 3. der Begriff Kontextualisierung eher als der Begriff Implementation den Prozesscharakter und die Unabgeschlossenheit des Vorganges der Einordnung der neuen Technologien betont. Kontextualisierung – im Sinne von ›in einen Zusammenhang setzen‹ – meint die zur Verortung der Option bereitgestellten Assoziationen, die Zuordnung von Eigenschaften, durch welche das (medien-)öffentliche ›Gesicht‹ der neuen Entwicklung entsteht. 4 Verändert sich eines der assoziierten Elemente, so kann dies aufgrund der zahlreichen Querverbindungen, die innerhalb des ›Assoziationsnetzwerkes‹ bestehen, alle oder doch eine große Zahl der anderen Elemente betreffen und damit zu einem Perspektivwechsel, einer Rekontextualisierung der diskutierten Entwicklung führen – ähnlich wie bei der Verwendung von Ironie ein Wort genügen kann, um allen Worten eines Satzes eine andere Bedeutung zu verleihen. Das ›Gesicht‹ der Option erhält so einen neuen Ausdruck. In der Folge einer solchen Rekontextualisierung kann die Verbindung zu einigen der zuvor wichtigen Faktoren geschwächt werden, die damit an Relevanz verlieren und zugleich die Relation zu anderen Elementen, die vorher möglicherweise nicht sichtbar waren, gestärkt werden. Die Kontextualisierung einer wissenrischer Ebene Prozesse der sprachlichen Kontextualisierung bedeutsam sind. 4 | Damit unterscheidet sich der hier verwandte Kontextualisierungsbegriff deutlich sowohl von dem Kontextualisierungskonzept der Soziolinguistik (Gumperz 1982) und des Innovationsmanagements (Monse und Weyer 1999) als auch der Form, in der er auf die Wissensproduktion angewandt wird (Nowotny et al. 2001). Das soziolinguistische Konzept begreift Kontextualisierung als Voraussetzung der Interpretation jeglicher Kommunikation. Der vorliegende Kontextualisierungsbegriff richtet sich dagegen nicht auf Interaktionsteilnehmer und die ihnen erst durch Kontextualisierungshinweise mögliche Interpretation der Kommunikation, sondern auf die zur Einordnung der neuen Option bereitgestellten Assoziationen. Im Unterschied zum Innovationsmanagement werden nicht Anwendungs- und Nutzungskontexte betrachtet, sondern die sprachliche Inkorporation der neuen Möglichkeit. Im Gegensatz zu dem Kontextualisierungsbegriff von Nowotny bezieht sich der hier verwandte Begriff auch nicht auf eine zunehmend in die Wissensproduktion eingehende Frage nach den späteren Anwendern.

38 | Gesunde Gene schaftlichen Entwicklung ist unter anderem abhängig von den zu einer gegebenen Zeit bestehenden kulturellen, politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen. Heutzutage ist z.B. die Gefährdung des Standortes durch internationale Konkurrenz ein etabliertes Argument in der Diskussion umstrittener wissenschaftlicher Neuerungen. Um so zu argumentieren, muss die wissenschaftlich-technologische Entwicklung zunächst als Voraussetzung für ökonomisches Wachstum angesehen werden. Diese mit einem Umschwung zu politischer Planung von Forschung einhergehende Veränderung hat sich in Deutschland erst nach der Rezession von 1966/67 vollzogen (Gottweis 1995: 201).

2.2 Gesellschaftliche Integration neuer Techniken angesichts veränderter Legitimationsbedingungen für die Wissenschaft Die gesellschaftliche Integration wertsensibler wissenschaftlicher Techniken, d.h. ihre Kontextualisierung, vollzieht sich in der Diskussion über die Legitimität der Option. Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen für die Wissenschaft verlagert sich die Diskussion kontroverser Wissenschaft zunehmend in die Öffentlichkeit (Radkau 1988: 332; Neidhardt 1993: 339; Weingart et al. 2002b: 3; Weingart 2005a: 11f). Die Kontextualisierung erfolgt entsprechend unter der Beobachtung und zu den Bedingungen der Öffentlichkeit. Wie im Folgenden dargestellt wird, lässt sich die gestiegene Relevanz gesellschaftlicher, (medien-)öffentlicher Legitimation aus dem sich wandelnden Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft ableiten. Die veränderten Legitimationsbedingungen führen ihrerseits dazu, dass außerwissenschaftliche Kriterien in der Beurteilung von Wissenschaft mehr Gewicht erhalten. In den letzten Jahrzehnten verändert sich die Beziehung zwischen Wissenschaft und Gesellschaft tief greifend und in wechselseitiger Abhängigkeit. Zum einen dehnt sich die wissenschaftliche Rationalität auf alle Lebensbereiche der Gesellschaft aus, ein Prozess, der als »Verwissenschaftlichung der Gesellschaft« (Weingart 2001: 17; 2003) gekennzeichnet wird. Zum anderen wird die Produktion wissenschaftlichen Wissens abhängiger von Erwartungen und Kriterien anderer Teilsysteme der Gesellschaft, insbesondere Politik, Wirtschaft und Medien, und orientiert sich verstärkt an diesen. Die als »Politisierung, Ökonomisierung und Medialisierung« (Weingart 2001: 18f; 2003) bezeichneten Interrelationen sind das Resultat veränderter Legitima-

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tionsbedingungen der Wissenschaft. Die Wissenschaft gerät unter erhöhten Legitimationsdruck, weil sie von staatlichen Ressourcen abhängig ist und die gesellschaftlichen Aufwendungen für die Forschung massiv gestiegen sind. In der Folge hat die externe, gesellschaftliche Legitimation, die zur Sicherung von Ressourcen für die Wissenschaft beitragen kann, im Vergleich zur innerwissenschaftlichen Legitimierung an Bedeutung gewonnen (Weingart 2005a: bes. 9ff ). Unter der Bedingung des demokratischen generalisierten Mitspracherechts für alle Bürger erfolgt die gesellschaftliche Legitimation von Wissenschaft wesentlich über den Rekurs auf ›die Öffentlichkeit‹ (Weingart 2001; 2005a). Seitens der Wissenschaft lässt sich seit den 1980er Jahren eine zunehmende Orientierung auf die Öffentlichkeit feststellen, die sich zunächst vor allem in Programmen äußerte, die das Verständnis für Wissenschaft, ein Public Understanding of Science, fördern sollten (vgl. z.B. Gregory und Miller 1998).5 Inzwischen 5 | In Großbritannien gründeten die British Association, die Royal Institution und die Royal Society 1985 das Committee on the Public Understanding of Science (Copus). Das Kommunikationsmodell, welches diesem Konzept von Public Understanding of Science zugrunde liegt, d.h. die unilineare Vermittlung richtigen Wissens von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit, wird wechselweise als »simple linear model« (Lewenstein 1995: 404-408), »top down communication« (Wynne 1996), oder »deficit model« (Gregory und Miller 1998: 89) bezeichnet. Die Ursache von Widerstand gegen wissenschaftliche Forschung liegt nach dieser Definition in dem unzureichenden Wissenschaftsverständnis der Öffentlichkeit (Wynne 1995: 362). Das ›Verstehen‹ oder das ›Verständnis‹ von Wissenschaft wird dabei häufig implizit mit einer Akzeptanz des vermittelten Wissens gleichgesetzt. Das Konzept ist vielfach kritisiert worden (Felt et al. 1995; Gregory und Miller 1998; Hilgartner 1990; Irwin und Wynne 1996; Miller 2001; Wynne 1995), sowohl bezüglich seiner Annahmen über eine klare Grenze zwischen wissenschaftlichem und popularisiertem Wissen (Felt et al. 1995: 249-251; Hilgartner 1990) als auch hinsichtlich der Gleichsetzung von Wissen mit Akzeptanz (Felt et al. 1995; Gregory und Miller 1998) als auch bezüglich vereinfachter Annahmen über ›die Öffentlichkeit‹ (Gregory und Miller 1998: 81-103; Irwin und Wynne 1996: 8-10; Wynne 1995: 362-365). Im Jahr 2000 wurde Copus einer Überprüfung unterzogen, in welche die Kritik an dem einseitigen Kommunikationskonzept einfloss (Miller 2001). Auch die Umbenennung der deutschen Initiative von Public Understanding of Science zu ›Wissenschaft im Dialog‹ greift diese Kritik auf. Ein echter Meinungsdialog wird mit den meisten Wissenschaftskommunikationsformaten jedoch nicht erreicht – eine Ausnahme sind auf

40 | Gesunde Gene ist die Wissenschaftskommunikation zu einem Feld mit vielfältigen Zielen geworden, zu denen z.B. auch eine stärkere Partizipation der Bevölkerung gehört (Rödder und Voß 2007). Die verstärkte Öffentlichkeitsorientierung der Wissenschaft zeigt sich darüber hinaus in der in den vergangenen Jahren zunehmend professionalisierten Öffentlichkeitsarbeit wissenschaftlicher Institutionen (Felt et al. 1995: 259f). Nach Weingart (2005a: 11) wird die Öffentlichkeit in modernen massendemokratischen Gesellschaften durch die Massenmedien vertreten (s. hierzu auch 2.3). Über die Massenmedien werden die gesellschaftlichen Ansprüche auf Teilhabe, Kontrolle und Bewertung kommuniziert. Die Wissenschaft adressiert ihrerseits die Öffentlichkeit vorrangig über die Medien und nutzt diese als zentralen Ort der Legitimation. Die Wissenschaft muss sich dabei an der massenmedialen Operationslogik orientieren, d.h. an Kriterien, die mit ihren eigenen nicht übereinstimmen – dieses Dilemma ist Teil der Medialisierung der Wissenschaft (Weingart 2005a: 28).6 Angesichts der veränderten Legitimationsbedingungen der Wissenschaft unterliegt die Beurteilung der neuen Option nicht mehr allein wissenschaftlicher Autorität; politische, soziale, rechtliche und ethische Aspekte treten an die Seite rein wissenschaftlicher Bewertungskriterien. Die durch die Gentechnik neu geschaffenen Handlungsdispositionen werden nicht primär unter technischen Gesichtspunkten wahrgenommen, sondern vielmehr im Kontext der jeweiligen gesellschaftlichen Anwendungsbedingungen (Hagedorn und Allender-Hagedorn 1997; Zwick 1999).7 Prominente Faktoren der Beurteilung sind insbesondere ethische Wertmaßstäbe (Hagedorn und Allender-Hagedorn 1997; Zwick 1999). Bayertz (1995: 2) zufolge ist die Gentherapie für dieses veränderte Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft geradezu paradigmatisch: Keine andere Option sei bisher derartig intensiv diskutiert und geprüft worden.8 Für die Wissenschaft ist der Prozess mit einem partiellen Verlust ihrer Definitionsmacht und ihrer Entscheidungsgewalt Partizipation angelegte Angebote, bei denen sich Hinweise auf die Herausbildung von Meinungs- und Kritikfähigkeit zeigen (Borgmann 2005). 6 | Eine zweite Dimension des Konzeptes der Medialisierung besteht in der Annahme einer quantitativen Zunahme der Berichterstattung über Wissenschaft (Weingart 2005). 7 | Hagedorn rekurriert auf Meinungsumfragen und englischsprachige Publikumspresse, Zwick auf die Befragung von ›Laien‹. 8 | Auch nach Luchsinger (2000: 9) verlief die Diskussion über Gentherapie und Gentechnologie »parallel zur Veränderung der Haltung ge-

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über wissenschaftliche Entwicklungen verbunden (Weingart 2001). Nicht etwa wissenschaftliche Institutionen oder einzelne Wissenschaftler verfügen darüber, ob der Gentransfer in menschliche Zellen experimentell erprobt werden darf. Die Entscheidung ist vielmehr das Resultat komplexer Interaktionsbeziehungen einer Vielzahl beteiligter Akteure. Aufgrund der vielfältigen Einflüsse ist das Ergebnis dieser Interaktionen grundsätzlich ebenso anders vorstellbar und möglich, die getroffene Entscheidung oder die letztendliche Gestalt der neuen Option könnte auch eine andere sein.9 In Folge der veränderten Legitimationsbedingungen wird die Generierung des Wissens stärker mit außerwissenschaftlichen Interessen verbunden und auf Anwendungsmöglichkeiten bezogen. Die vormals bestehende Distanz zwischen der Erzeugung des Wissens und den daran bestehenden gesellschaftlichen Ansprüchen verringert sich, das Vertrauen in eine allgemeine längerfristige Wirkung der Forschung zum Wohl der Gesellschaft wird durch engere Kontrolle ersetzt (Weingart 2001). Auch der in der Erosionsthese antizipierte Rekurs auf den gesellschaftlich hochrangigen Wert Gesundheit zur Legitimation einer ethisch kontroversen Option lässt sich als Orientierung auf außerwissenschaftliche Kriterien und gesellschaftliche Ansprüche verstehen. Obwohl die Diagnosen bisher vorwiegend auf ›die Wissenschaft‹ bezogen wurden, treffen sie für verschiedene Wissensgebiete in unterschiedlichem Ausmaß zu (für den Fall der Medialisierung, s. Schäfer 2007). Der Fall der Gentherapie ist in verschiedener Hinsicht exemplarisch für die skizzierten Veränderungen. So hat das viel zitierte Wort von der ›Wissenschaft im Elfenbeinturm‹, das auf einen nahezu unüberbrückbaren Abstand zwischen Wissenschaft und Gesellschaft verweist, für die gentherapeutische Forschung keine Gültigkeit. Vielgenüber Wissenschaft und technischem Fortschritt. Fortschrittseuphorie machte der Kritik und einer differenzierteren Haltung Platz.« 9 | Damit geht die Erkenntnis einher, dass die Technologien sich nicht durch den Impetus einer notwendigen inneren technologischen oder wissenschaftlichen Dynamik entwickeln, sondern sozialen Einflüssen unterliegen (Bijker und Law 1992). Die Geschichtsschreibung der Naturwissenschaften fördert durch die Konzentration auf Meilensteine und ›Genies‹ allerdings das Bild einer außerhalb der Gesellschaft stehenden und von ihr weitgehend unbeeinflussten Technikentwicklung (Latour 1987). Radkau (1988: 361) sieht gegenüber einer solchen ›linearen‹ Technikgeschichte den Vorteil einer nicht-linearen Technikgeschichte in einem größeren Bewusstwerden der Entscheidungsfreiheit.

42 | Gesunde Gene mehr ist die Gentherapie auf mannigfaltige Weise mit verschiedenen Teilsystemen der Gesellschaft verwoben und damit paradigmatisch für die »Ökonomisierung, Politisierung und Medialisierung« (Weingart 2001: 18f; 2003) der Wissenschaft: Neben wissenschaftlichen fließen wirtschaftliche Aspekte in Forschung und Anwendung ein (Martin 1999). Politische Entscheidungen und rechtliche Regelungen begrenzen die Freiheit in der Ausübung dieser Wissenschaft (Paslack 1995). Nicht zuletzt gehört die Gentherapie zu den Forschungsfeldern, die – aufgrund ihres ethischen Konfliktpotentials und ihrer sozialen Implikationen – immer wieder hohe Aufmerksamkeit durch Öffentlichkeit respektive Massenmedien erfahren. Darüber hinaus entwickelte sich die gentherapeutische Forschung derart anwendungsnah, dass der Leiter der amerikanischen Nationalen Gesundheitsinstitute (NIH) nach ersten klinischen Versuchen eine Rückkehr zur Grundlagenforschung forderte (vgl. S. 159). Die gentherapeutische Forschung ist legitimationsbedürftiger als andere Gebiete, weil im Zentrum ihrer Forschung der Mensch selbst steht und damit tief greifende Veränderungen des Menschenbildes und der Natur des Menschen möglich zu werden scheinen. Hierin liegt eine Expansion der Wissenschaft gegenüber der gesellschaftlichen Umwelt, die eine Debatte über die Grenzen der Forschung und die Legitimität der Option provoziert (vgl. Weingart 2001: 244). Die Gentherapie wird in deutschen Medien entsprechend nicht allein als Forschungsgebiet diskutiert, sondern auch im Hinblick auf ethische Implikationen und wertbasierte Widerstände (Graumann 1999; 2000a; 2000b).

2.3 Massenmedien als professionalisierte Öffentlichkeit Bisher wurde vor allem dargestellt, wodurch die Relevanz der Öffentlichkeit für die Legitimierung wissenschaftlicher Forschung entsteht. Im Folgenden sollen die Massenmedien als am stärksten professionalisierte Ebene von Öffentlichkeit vorgestellt werden. Aus der zentralen Stellung der Massenmedien für die Selbstbeobachtung der Gesellschaft wird die Wichtigkeit der Beobachtung massenmedialer Debatten abgeleitet. Abschließend wird die Operationslogik massenmedialer Kommunikation eingeführt, deren Bedingungen auch die Kontextualisierung neuer wissenschaftlicher Optionen in den Medien unterliegt. Trotz der hohen Bedeutung ›der Öffentlichkeit‹ als legitimatorischer Bezugsgröße für gesellschaftliche und politische Entscheidun-

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gen, bleibt die Definition von Öffentlichkeit meist diff us (Gerhards und Neidhardt 1991: 31, 32). Aus theoretischer Perspektive lässt sich Öffentlichkeit als ein Diskussionssystem beschreiben, welches sich auf den Austausch von Informationen und Meinungen in allgemein-verständlicher, hauptsächlich sprachlicher Kommunikation richtet (Gerhards und Neidhardt 1991: 44, 45).10 Da sich die öffentliche Kommunikation an einem allgemeinen Publikum orientiert und somit allgemein verständlich sein muss, ist öffentliche Kommunikation Laienkommunikation: »Wer die Laienorientierung des Öffentlichkeitssystems nicht beachtet, kommt nicht an« (Gerhards und Neidhardt 1991: 46). In der medienwissenschaftlichen Literatur wird Öffentlichkeit im Gegensatz zu der verbreiteten und vereinfachten Annahme einer einzigen homogenen Öffentlichkeit als mehrdimensionales Konstrukt aufgefasst und in die Dimensionen der Spontan-, Versammlungs- und massenmedialen Öffentlichkeit differenziert (Donges und Imhof 2001; Gerhards 1998; Gerhards und Neidhardt 1991; Neidhardt 1993). Die verschiedenen Dimensionen der Öffentlichkeit gehen mit unterschiedlichen Graden an Ausdifferenzierung und Leistungsfähigkeit einher. Spontane Öffentlichkeit bezeichnet die Kommunikation verschiedener Menschen bei mehr oder minder zufälligen Zusammentreffen, wie z.B. im Bus, beim Friseur oder am Arbeitsplatz (Gerhards und Neidhardt 1991). Diese auch Encounters (Goffman 1961) genannten Begegnungen sind thematisch offen, wenig strukturiert und an eine vergleichsweise geringe Zahl von Teilnehmern gebunden. Versammlungsöffentlichkeiten bilden sich bei öffentlichen Veranstaltungen, die, wie etwa Diskussionsforen, thematisch zentriert sind, und sich im Vergleich zur Spontanöffentlichkeit durch einen höheren Grad an Organisation, Strukturiertheit und Beteiligung auszeichnen (Gerhards und Neidhardt 1991). Die massenmediale Öffentlichkeit unterscheidet sich von Spontanund Versammlungsöffentlichkeiten durch einen weitaus höheren Grad der Spezialisierung in der Verarbeitung und Verbreitung kommunikativer Inhalte. Die Teilnehmer der massenmedialen Kommunikation sind nicht präsent, sondern werden über die Nutzung technischer Infrastruktur erreicht. Luhmann (1996: 10) definiert Massenmedien über dieses Kriterium als »alle Einrichtungen der Gesellschaft […], die sich zur Verbreitung von Kommunikation technischer Mittel der Ver10 | Durch diese Unspezifität unterscheidet sich das Kommunikationssystem Öffentlichkeit von anderen Kommunikationssystemen, in denen spezifische Kommunikationsmittel wie z.B. Geld oder die Sondersprachen der Wissenschaft zirkulieren.

44 | Gesunde Gene vielfältigung bedienen«. Massenmedien ermöglichen so eine »enorme Ausdehnung des Publikums« (Gerhards und Schäfer 2006: 20) und gewährleisten sowohl eine größere Reichweite und Allgemeinheit von Öffentlichkeit als auch deren Kontinuität (Donges und Imhof 2001: 106; Gerhards und Neidhardt 1991: 54, 55). Die Herstellung der massenmedialen Öffentlichkeit ist an bestimmte Professionen gebunden. Aus systemtheoretischer Perspektive spricht man von Leistungsrollen, welche die grundsätzliche Funktion des Systems absichern und durch komplementäre Publikumsrollen ergänzt werden können (Luhmann und Schorr 1979: 29ff ). In Bezug auf die Massenmedien entsprechen Journalisten den Leistungsrollenträgern, während die Bürger einer Gesellschaft die Publikumsrolle einnehmen (Gerhards und Schäfer 2006: 19, 20). Im Vergleich zur Spontan- und Versammlungsöffentlichkeit sind die Handlungsmöglichkeiten des Publikums massenmedialer Öffentlichkeit reduziert (Gerhards und Neidhardt 1991: 54, 55). Die »Ausdifferenzierung von Öffentlichkeit« erreicht mit den Massenmedien »ein gesamtgesellschaftlich dauerhaft wirksames Format« (Gerhards und Neidhardt 1991: 56). Als am stärksten professionalisierte Ebene von Öffentlichkeit sind Massenmedien die Instanz, ohne die in komplexen Gesellschaften Öffentlichkeit nicht herstellbar erscheint (Gerhards und Neidhardt 1991: 55). Nach Luhmann (1996) dienen die Massenmedien dazu, der Gesellschaft zu ermöglichen, sich selbst zu beobachten. Massenmedien beobachten die anderen gesellschaftlichen Teilsysteme, wie z.B. Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft. Die Informationen über diese Beobachtungen werden nach bestimmten, massenmedialen Regeln ausgewählt und allen Bürgern und allen gesellschaftlichen Teilsystemen zugänglich gemacht. Massenmediale Debatten werden aufgrund dieser Stellung der Massenmedien in zweierlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen bilden die Massenmedien einen gemeinsam geteilten Erfahrungshintergrund der Gesellschaft. »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien«, so ein bekanntes Diktum Luhmanns (1996: 9). Insbesondere bei Gebieten, die – wie die Gentherapie – der direkten alltäglichen Wahrnehmung weitgehend entzogen sind, ermöglichen die Massenmedien Beobachtung und werden zu wichtigen Quellen der Information und Orientierung. In Bezug auf diese als unaufdringliche, »nonobtrusive issues« (Zucker 1978: 227) bezeichneten Themen sind die Bürger auf die in den Massenmedien zur Verfügung gestellten Informationen und Deutungen angewiesen. Zum anderen resultiert die Relevanz massenmedialer Diskussionen aus ihrer Bedeutung für die Politik. Die Beobachtung der

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anderen Teilsysteme durch die Massenmedien wird ihrerseits von den politischen Entscheidungsträgern beobachtet und als Indikator »öffentlicher Meinung« bzw. des Bürgerwillens interpretiert (Fuchs und Pfetsch 1996, vgl. hierzu auch 3.2). Nach Neidhardt (1993: 343) ist das Erreichen eines Konsens über die »öffentliche Meinung« dabei nur in Ausnahmefällen möglich. Die Funktion der Massenmedien besteht nach Neidhardt (1993) nicht darin, Übereinstimmung zu erzielen. Ihre Aufgabe sei vielmehr, die Differenzen der verschiedenen Positionen auszuleuchten und den Grad des Dissens zu bestimmen. Die Politik könne zwar nicht auf eine Abbildung der öffentlichen Meinungsverhältnisse verpflichtet werden, aber auf eine argumentative Auseinandersetzung mit den Gründen und Gegengründen, die in der öffentlichen Kommunikation Gewicht erlangen. Die mediale Debatte spielt mithin eine Schlüsselrolle für die Legitimation politischer Entscheidungen. Die Leistung der Medien lässt sich dabei nicht auf die Präsentation verschiedener Argumente reduzieren, sondern liegt ebenso in der Kontextualisierung der jeweiligen Sachverhalte. Trotz des hohen Stellenwertes massenmedialer Öffentlichkeit für Politik und Gesellschaft sind Massenmedien keine neutrale Vermittlungsinstanz verschiedener Positionen. Nicht alles, was beobachtbar ist, findet Eingang in die Medien. Die resultierende Berichterstattung kann – schon allein angesichts der Vielfalt der Vorgänge in der Welt – weder vollständig noch objektiv sein. Vielmehr operieren die Massenmedien nach spezifischen medialen Selektions- und Bewertungskriterien und konstruieren eine eigene Form von Realität (Luhmann 1996; Schulz 1976). Die Ausrichtung an einem breiten, abstrakt bleibenden Publikum stellt die massenmediale Kommunikation unter besondere Voraussetzungen. Gefragt ist, was in der steten Konkurrenz um Aufmerksamkeit allgemeines Interesse erregt. Themenauswahl und -verarbeitung orientieren sich an Auffallendem, Neuem und Besonderem. Die Faktoren, welche als Selektionskriterien dienen, beschreibt die Nachrichtenwerttheorie (vgl. zu Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwerttheorie Galtung und Ruge 1965; Luhmann 1996; Schulz 1976; Staab 1990; für eine Zusammenfassung verschiedener Studien s. Eilders 1997). Zu ihnen zählen beispielsweise Konflikthaftigkeit, Relevanz und Kontinuität (Eilders 1997: 58). Auch Sachverhalte wissenschaftlichen Ursprungs werden primär durch die Assoziation zu außerwissenschaftlichen Aspekten zum Gegenstand eines gesteigerten Medieninteresses.11 Nach Neidhardt (2002: 13) geht z.B. die im 11 | Nach Kohring (1997: 271, Hervorh. im Original): »Journalismus selektiert Ereignisse im Wissenschaftssystem ausschließlich im Hinblick

46 | Gesunde Gene Vergleich zu anderen Wissenschaftsfeldern relativ hohe Prominenz der Gentechnologie in Pressekommentaren darauf zurück, dass die Erkenntnisse dieser Forschung problematisch werden.12 In ihrer Konflikthaftigkeit entsprechen die Kontroversen um Biomedizin und Humangenetik einem der Nachrichtenwerte, anhand derer die Massenmedien ihre Themenauswahl orientieren. Ethische Konflikte zeichnen sich darüber hinaus dadurch aus, dass sie im Prinzip alle Mitglieder einer Gesellschaft betreffen und sich jeder an der Kommunikation über wertsensible Fragen beteiligen kann – eine Eigenschaft, die der generellen Laienorientierung der Medien entgegenkommt. Da die Medien ihrer eigenen Logik folgen und sich primär an Nachrichtenwerten orientieren, erzeugen sie eine Debatte, die zwar auf Anlässe der Wissenschaft rekurriert, sich jedoch deutlich von der wissenschaftlichen Diskussion unterscheidet.13 Der massenmedialen Operationsweise entsprechend können auch Positionen und Standpunkte Gewicht erhalten, die wissenschaftlichen Gesichtspunkten und Interessen konträr gegenüberstehen.14 Ein wichtiges Ergebnis bisheriger Studien zur Gentechnik in der Presse besteht darin, dass sich der Vorwurf einer besonderen Technikfeindlichkeit deutscher Printmedien im internationalen Vergleich auf ihre potentielle Anschlussfähigkeit in der Umwelt des Wissenschaftssystems.« Und »[…] Ereignisse im Wissenschaftssystem [können] allein durch ihren Bezug zur Umwelt des Wissenschaftssystems zu journalistischen Themen werden […]«. 12 | Ein Vergleichsfall liegt darin, dass Disziplinen hohe mediale Aufmerksamkeit erfahren, weil ihre Expertise zur Lösung gesellschaftlicher Probleme gefragt ist (Neidhardt 2002: 13), wie etwa in der aktuellen Diskussion über den Klimawandel. 13 | Aus medientheoretischer Perspektive beleuchtet Kohring (1997; 2005) das nicht unproblematische Verhältnis zwischen Wissenschaft und Medien im Wissenschaftsjournalismus. 14 | In diesem Falle kommt das öffentliche Interesse den Vertretern der Wissenschaft nicht immer entgegen, wie Jürgen Kaube (2001) treffend zusammenfasst. »Jene Öffentlichkeit, von der nicht nur dem DFG-Präsidenten halb so viel genug wäre, ist vielmehr eine, die sich um moralische Folgen von Forschung sorgt«, schreibt Kaube, und zieht im Vergleich zur Popularisierungsinitiative ›Wissenschaft im Dialog‹, bei der sich »die Öffentlichkeit […] kaum mehr vor Einladungen zum Diskurs mit der Forschung retten« konnte, das Fazit: »So aber hatte man [die Wissenschaftler, Anm. MV] sich das mit dem Dialog von Wissenschaft und Öffentlichkeit nicht vorgestellt.«

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nicht halten lässt; die deutsche Berichterstattung ist vielmehr durch eine – unterschiedlich ausgeprägte – Tendenz zu positiven Wertungen gekennzeichnet (Hampel und Renn 1999; Görke et al. 2000). In Bezug auf die Gentherapie konstatiert Nelkin (2001) eine zunächst unkritische, euphorische und überhöhte Erwartungen befördernde Berichterstattung amerikanischer Medien. Erst nachdem 1999 Jesse Gelsinger, ein amerikanischer Teenager, während eines GentherapieExperimentes verstarb, wurde der Blick auf die ökonomischen Interessen der Forscher und die mögliche Vernachlässigung ethischer Aspekte bei der Durchführung gentherapeutischer Versuche gelenkt (Nelkin 2001). Nelkin vergleicht diesen Wendepunkt mit der Wirkung des Challenger-Unglücks für die Raumfahrtberichterstattung. Appel & Jazbinsek (2000) kommen in ihrer Studie der 1994 erschienenen Presseberichte über die ersten in Deutschland durchgeführten Gentherapie-Experimente ebenfalls zu dem Schluss, dass die eventuellen Nutzen der Gentherapie übertrieben dargestellt werden. Für diese Übertreibungen seien nicht allein die Medien verantwortlich, auch die beteiligten Wissenschaftler, die sich aus forschungspolitischen Gründen an den Medien orientierten, hätten zu der übersteigerten medialen Aufmerksamkeit beigetragen. Einen ähnlichen Punkt macht Nelkin (1994), die angesichts medienöffentlicher Äußerungen von Wissenschaftlern zur Humangenomforschung darauf verweist, dass sich Wissenschaftler durch eine überzogene Rhetorik und irreführende Metaphern an der Überhöhung von Erwartungen beteiligen. Van Dijck (1998) spricht in einem vergleichbaren Zusammenhang davon, dass der »Pionier« der Gentherapie, French Anderson, ebenso talentiert für das image doctoring wie für die wissenschaftliche Arbeit gewesen sei, als es darum ging, die offizielle Erlaubnis für die Durchführung der von ihm geplanten Gentherapie zu erhalten. Diese Ergebnisse, ebenso wie die Einsicht, dass die medialen Strukturen und Arbeitsweisen Übertreibung und Sensationalisierung tendenziell begünstigen, lässt den Wert einer so genannten accuracy study, mit welcher die Korrektheit wissenschaftlicher Aussagen in den Medien überprüft werden soll, als zweifelhaft erscheinen. Wie Nelkin und Lindee (1995) darlegen, ist weniger die wissenschaftliche Akkuratheit der öffentlichen Bilder entscheidend als vielmehr der kulturelle Gebrauch der von ihnen gemacht wird.

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2.4 Der Gentransfer in menschliche Zellen als Wertkonflikt Die Erosionsthese bezieht sich auf technische Optionen, die primär unter dem Gesichtspunkt eines Wertkonflikts diskutiert werden. Wie an dieser Stelle anhand des Wandels von Eugenik zu Humangenetik verdeutlicht wird, stellt die in der These antizipierte Neubestimmung der Werte keine Einbahnstraße dar, sondern beruht auf der wechselseitigen Abhängigkeit wissenschaftlich-technischer Visionen und gesellschaftlicher Wertvorstellungen (Weingart 2000; 2005b). Wie entscheidend die Distanzierung von eugenischen Vorstellungen bleibt und auf welche Weise versucht wird, das durch den Hintergrund der Eugenik aufgebaute Spannungsfeld zu überwinden, illustrieren die Bemühungen um die Regulierung der Gentherapie. Aus welcher Ausgangslage heraus wird der Gentransfer in menschliche Zellen vorrangig als ethisch kontrovers (und nicht etwa als Risikotechnologie) begriffen? Wie mit dem Konzept der Kontextualisierung erfasst, muss der Gentransfer in menschliche Zellen als zunächst unbekannter Sachverhalt mit bereits bekannten Elementen in Verbindung gebracht werden, um gesellschaftlich eingeordnet werden zu können. Hierzu gehört die Referenz auf vorherige Erfahrungen, die in Bezug auf die Humangenetik in der Eugenik bestehen. Für potentielle Anwendungen der Humangenetik erweist sich diese Ausgangslage als prekär. Die ursprünglichen Ziele der Eugenik sind gesellschaftlich im äußersten Maße diskreditiert. Zugleich scheinen die eugenischen Absichten durch die Erkenntnisse der Humangenetik erstmals technisch realisierbar zu werden (Weingart 2000: 111; Weingart 2005b: 40). Aus dieser paradoxen Situation entstehen gesellschaftliche Widerstände gegen die neuen humangenetischen Techniken, die auch die Diskussion über den Gentransfer in menschliche Zellen zu einem Konflikt über Werte werden lassen. Nach van Dijck (1988: 33) wurden – obwohl die Neuheit des Feldes betont und der Versuch gemacht wurde, sich von der Eugenik zu distanzieren – auch die ›neue‹ Genetik 15 und ihre Ziele im Licht früherer eugenischer Theorien beurteilt. Ebenso werden einzelne Anwendungen, z.B. die Keimbahnintervention, in den Medien mit eugenischen Folgen assoziiert, die in der Regel auf Ablehnung stoßen (Graumann 1999). Die Wandlung von Eugenik zu Humangenetik resultierte aus der Weiterentwicklung des genetischen Wissens und dem tief greifenden 15 | Zum Begriff der new genetics, seinem Gebrauch und seiner häufig unzureichenden Definition s. Petersen und Bunton 2002: 35-67.

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Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen, der sich in Deutschland im Zuge der Demokratisierung vollzog (Weingart 1998; 2000; 2005b).16 Die Eugenik richtete sich auf Populationen, deren Erbgut vor weiterer Degeneration geschützt werden sollte und bevorzugte, da technische Lösungen nicht in Aussicht standen, staatliche Interventionen, um ihre Absichten zu erreichen. Die Idee, den Menschen anhand seiner Erbanlagen zu verändern, reicht bis zu Platon zurück, der im Staat eine erste eugenische Utopie erdachte, mit der Absicht, ›gute Eigenschaften‹ des Menschen durch eine der Züchtung entsprechende Auslese von Paaren zu befördern (Weingart et al. 1988; 2002). Ähnlich wie bei Platon beruhten auch spätere eugenische Entwürfe auf Eingriffen seitens des Staates bzw. der Gesellschaft, die zum Erreichen der ›Züchtungsziele‹ implementiert werden sollten (Weingart et al. 1988; 2002).17 Nachdem unter dem Regime der Nationalsozialisten Formen der Eugenik praktiziert wurden, haben sich die ›Utopien‹ dieser Zeit in die Dystopien von heute verwandelt. Erst mit den Erfolgen der Molekularbiologie in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts richtete sich der Blick auf technische Lösungen, welche statt eines Umbaus der Gesellschaft Entscheidungen des Individuums erfordern. Als einer der ersten entwickelte Edward Tatum in seiner Nobelpreisrede von 1958 unter dem Begriff biological engineering verschiedene Vorstellungen, auf welchen Wegen die Zusammensetzung der Nukleinsäuren geändert und eine »Verbesserung aller lebenden Organismen« erreicht werden könnte (Tatum 1958: 75). 16 | Hinreichend bekannt ist, dass sich der Vollzug des Übergangs von Eugenik zu Humangenetik aufgrund personeller und ideeller Kontinuitäten angesichts der historischen Erfahrungen und der Gräuel des Zweiten Weltkrieges als schleppend und unzureichend charakterisieren lässt. Im Detail lässt sich der langwierige Prozess des Wechsels von Eugenik zu Humangenetik nachvollziehen bei Weingart et al. 1988. 17 | Eine Ausnahme bildet Alfred Ploetz, der zwar selbst einen Entwurf einer sozialtechnischen Eugenik anfertigte, jedoch auf eine »direkte Bewirkung guter Keimesanlagen« durch die fortschreitende Wissenschaft und die bessere Kenntnis der Vererbung hoff te (Weingart 2002: 21). Ironischerweise wird eine dem späteren Konzept des Gentransfers nicht unähnliche Vorstellung gerade in Ablehnung dieser Vorstellung von Ploetz entworfen: Fritz Lenz hielt eine direkte Einwirkung auf das Erbgut nicht für möglich, denn ›Man müsste schon eine Atompinzette haben, mit der man die einzelnen Atome der Erbmasse fassen und auswechseln könnte, um die Erbänderungen wirklich beherrschen zu können.« (Weingart 2002: 21).

50 | Gesunde Gene Bekannter geworden ist der Vorstoß Joshua Lederbergs, seines Zeichens ebenfalls Nobelpreisträger, auf dem berühmt-berüchtigten Ciba-Symposium Man and his Future von 1962. Lederberg definierte als »Die letzte Anwendungsstufe der Molekularbiologie […] die direkte Kontrolle von Nukleinsäurefolgen in menschlichen Chromosomen« (Lederberg 1988: 294).

Durch die Konzentration auf diesen »technological […] fi x« (Weingart et al. 1988: 649) traten Veränderungen sozialer Strukturen für das Erreichen eugenischer Ziele in den Hintergrund. Betont wurde – im Einklang mit den Werten der sich etablierenden Demokratie – nun stattdessen die Wichtigkeit individueller Entscheidungen (Weingart et al. 1988). Nicht mehr die Population war der Ausgangspunkt der möglichen Eingriffe, sondern das Individuum, statt auf die Qualität des Genpools richtete sich das Interesse auf medizinische Ziele. Und die Orientierung an Eigenschaften, welche die ›Qualität‹ des Genpools widerspiegeln sollten, wich der Ausrichtung auf den Krankheitsbegriff (Weingart 2000; 2005b). Auch in Bezug auf die Gentherapie zeigt sich die Abkehr von den früheren eugenischen Zielen und eine Hinwendung zum Vorrang individueller Entscheidungen und medizinischer Absichten. Nach Martin (1999) entstanden in der Diskussion über mögliche genetische Manipulationen in den 60er Jahren zwei verschiedene Visionen der Gentherapie: Die eine war der Eugenik verhaftet und hatte die soziale und intellektuelle ›Verbesserung‹ zukünftiger Generationen und die Heilung genetischer Krankheiten zum Ziel (Muller 1965). Die andere war rein medizinisch und konzentrierte sich allein auf den zu behandelnden Patienten, nicht auf dessen Nachkommenschaft (Tatum 1966). Indem die zweite Vision orientierend für die Entwicklung der Gentherapie in der heutigen Form wurde, vollzog sich hier der gleiche Prozess wie beim Übergang von der Eugenik zur Humangenetik. Für die verschiedenen Ansätze zur Regulierung der Gentherapie war die Distinktion zwischen Eugenik und Humangenetik ebenfalls entscheidend.18 Vorreiter der politischen Diskussion der Gentherapie waren die USA. Zunächst untersuchte die President’s Commission for the Study of Ethical Problems in Medicine and Biomedical and Behavioral Research ethische Fragen der Gentherapie. Das Resultat war der weltweit beachtete Bericht Splicing Life (1982), der die Unterscheidung zwischen somatischer Gentherapie und Keimbahntherapie in die po18 | Die folgende Darstellung stützt sich auf Paslack 1995.

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litische Diskussion einführte und einen entscheidenden Wendepunkt in der Auseinandersetzung über die Gentherapie markierte (Martin 1998). Mit ihrer Ausrichtung auf Individuen und medizinische Zwecke galt die somatische Gentherapie als ethisch unproblematisch. Die Keimbahnintervention, bei der die genetischen Veränderungen vererbt werden und damit auch zukünftige Generationen betreffen, weckt dagegen weiterhin große Bedenken. In der Nachfolge des Splicing LifeBerichtes legte das Recombinant Advisory Committee (RAC) der amerikanischen National Institutes of Health (NIH) (1985) regulatorische Rahmenbedingungen für Experimente zur somatischen Gentherapie fest, die nur unter der Einhaltung strikter Kriterien möglich sein sollten. Es dauerte jedoch noch bis 1989 bzw. 1990, bis in den USA die ersten offiziellen Gentransfer-Versuche am Menschen durchgeführt wurden (s. hierzu 5.4). In Deutschland wurde parallel zu der amerikanischen eine eigenständige politische Diskussion über die Gentherapie geführt, die 1983 mit dem Fachgespräch über Ethische und rechtliche Probleme bei der Anwendung gentechnischer und zytologischer Methoden am Menschen im Bundesministerium für Forschung und Technologie begann (Der Bundesminister für Forschung und Technologie 1984). Im Jahr 1984 wurde die so genannte Benda-Kommission eingesetzt, die interministerielle Arbeitsgruppe des Bundesministers für Forschung und Technologie und des Bundesministers der Justiz, die sich insbesondere mit den rechtlichen Fragen der In-vitro-Fertilisation, Genomanalyse und Gentherapie befasste (Der Bundesminister für Forschung und Technologie 1985). Für die somatische Gentherapie wurde dabei kein rechtlicher Handlungsbedarf gesehen, während die Kommission votierte, die Keimbahntherapie sei »derzeit nicht zu vertreten« (1985: 46). Als Grund hierfür wurde u.a. angeführt, dass mit einem ungezielten Gentransfer in die Keimbahn »das menschliche Leben zum Objekt für Experimente würde« (1985: 46), aber auch bei einer Verbesserung der technischen Möglichkeiten die Grenze zwischen Therapie und eugenischen Maßnahmen »schwer definierbar« (1985: 46) sei. Für die Zukunft schloss die Benda-Kommission die Anwendung der Keimbahnintervention bei schwersten monogenen Erbkrankheiten jedoch nicht aus. Die Enquete-Kommission zu Chancen und Risiken der Gentechnologie (1987) beurteilte die Situation bezüglich der somatischen Gentherapie etwas anders und befürchtete schon bei der genetischen Veränderung von Körperzellen einen Übergang zum Missbrauch im Sinne einer Züchtung. Dennoch hielt sie die somatische Gentherapie grundsätzlich für vertretbar und schlug ein Verfahren zu ihrer Regulierung vor. Die Möglichkeit der Keimbahnintervention stieß dage-

52 | Gesunde Gene gen auf die Ablehnung der Kommission. Die somatische Gentherapie wurde in Deutschland in offiziellen Dokumenten und in ihrem rechtlichen Status legitimiert, die Keimbahnintervention dagegen in dem deutschen Embryonenschutzgesetz von 1991 verboten.19 Die Separation der somatischen Gentherapie von der Keimbahnintervention kann als eine Ausdifferenzierung des Konzeptes der Gentherapie verstanden werden, mit der die Technik von der Eugenik distanziert und die Assoziation mit der Therapie verstärkt wurde (Martin 1999). Nach Capron (1990) spielte die Unterscheidung eine Schlüsselrolle dabei, die somatische Gentherapie als wenig mehr als eine medizinische Intervention zu legitimieren. Die somatische Gentherapie wurde unterdessen von einer kontroversen wissenschaftlichen Idee zu einer promising new technology transformiert, indem sich die Vision der Technologie und die Art ihrer Problematisierung veränderte (Martin 1998: 153). Im konzeptuellen Rahmen der vorliegenden Studie lässt sich dieser Befund als eine Rekontextualisierung der Gentherapie einordnen. In Deutschland konstatierten die Experten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Somatische Gentherapie schon drei Jahre nach dem ersten offiziellen gentherapeutischen Experiment den Beginn einer Veralltäglichung des Verfahrens.20 Heute wird die somatische Gentherapie trotz gelegentlicher Rückschläge, die sogar zum temporären Stopp klinischer Versuche geführt haben21, nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt. Offensichtlich hat eine rigorose Veränderung der Sichtweise auf die Gentherapie stattgefunden, welche sich – jedenfalls im Hinblick auf ihre somatische Anwendung – als exemplarisch für den in der Erosionsthese angenommenen Verlauf erweist, der von Weingart (2000: 113, 114) mit folgenden Worten beschrieben wird: »Die ihrer Zeit weit vorauseilenden und/oder in krassem Widerspruch zu zentralen gesellschaftlichen Werten stehenden Utopien und Visionen verfallen der moralischen Entrüstung. […] 19 | Nachfolgend haben sich noch weitere Gremien mit der Gentherapie auseinandergesetzt, z.B. die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Somatische Gentherapie (1998). Die im Embryonenschutzgesetz getroffene rechtliche Regulierung wurde im Grundsatz jedoch nicht verändert. 20 | Hinweis aus dem Spiegel vom 09.05.1994. Der Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe selbst lag erst im Jahr 1998 vor, acht Jahre nach dem ersten gentherapeutischen Experiment. 21 | Gemeinsame Mitteilung des Paul-Ehrlich-Instituts und der Bundesärztekammer vom 23.10.2002. http://idw-online.de/pages/de/news 58057.

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Gegenüber diesen jeweils wirkungslosen Utopien unterscheidet sich die tatsächliche Entwicklung durch ein offensichtlich entscheidend wichtiges Merkmal: Sie erfolgt in kleinen Schritten und ist anschlussfähig an fest institutionalisierte gesellschaftliche Werte.«

2.5 Der Wert Gesundheit Innerhalb heutiger westlicher Gesellschaften kann Gesundheit als einer der zentralen fest institutionalisierten Werte, wenn nicht sogar als der zentrale gesellschaftliche Wert bezeichnet werden. Im Folgenden wird, nach einer kurzen Beschreibung der historisch neuen Bedeutung von Gesundheit in heutigen Gesellschaften, anhand verschiedener Definitionen von Krankheit respektive Gesundheit die Uneinheitlichkeit der Auffassungen beleuchtet. Auch wissenschaftliche Konzeptionen können durch bestimmte Auffassungen von Krankheit und Gesundheit bestimmt sein, und dadurch die gesellschaftliche Integration kontroverser Techniken prägen. Schon die Auffassung von Gesundheit als Wert aus eigenem Recht ist aus historischer Perspektive keineswegs selbstverständlich. Das Individuum, das vor allen anderen Werten Gesundheit als oberstes Lebensziel ansieht und sein Leben daher medizinisch-wissenschaftlichen Prinzipien unterwirft, sieht Labisch (1992: 255) erst mit der Bakteriologie entstehen – danach gilt idealtypisch erst für den sich in dieser Zeit entwickelnden homo hygienicus das Bild: »Das soziale Gut Gesundheit versinnbildlicht die jetzt und zukünftig funktionierende Körperlichkeit als einen aus sich selbst gegebenen Wert, der im gesellschaftlichen Auftrag definiert und gestaltet wird […]«

Dieses Verständnis von Gesundheit als Wert aus eigenem Recht setzt sich bis in die heutige Zeit fort. Für van den Daele (1985: 212) steht Gesundheit »an der Spitze der individuellen Werthierarchien« und wird selbst zu einem zentralen Lebenssinn, während andere Sinnorientierungen nicht mehr verbindlich sind: »Man kann geradezu sagen, daß in unserer Kultur, in der inhaltliche Deutungen des Sinnes menschlichen Lebens weitgehend unverbindlich geworden sind und für die Menschen immer weniger entschieden ist, ›wozu‹ sie leben, die Sicherung des Lebens selbst zu einem zentralen Sinnelement wird.«

54 | Gesunde Gene Gesundheit wird charakterisiert als »Der Begriff, unter dem sich auch die heftigsten Widersacher, die gegensätzlichsten Positionen, die widerstrebendsten Bewegungen einen lassen […]« (Labisch 1992: 11).

Entsprechend wird dem Wert Gesundheit eine nahezu unbegrenzte Legitimationskraft gegenüber ethischen und politischen Widerständen zugeschrieben (Daele 1985; 1997; 2000; Weingart 2000; 2005b; Weingart et al. 2006, s. 1.1).22 Die Legitimität der Interventionen ist dieser Argumentation zufolge davon abhängig, was als Krankheit bzw. Gesundheit definiert wird (Daele 2000: 29): »Das Krankheitskonzept ist basal, und was immer im sozialen Wandel als Definition von Krankheit herauskommt, umschreibt, welche Eingriffe moralisch erlaubt sind.«

So lässt sich vielleicht über die Therapie schwerster Erbkrankheiten Einigkeit herstellen, nicht jedoch über Eingriffe zur Steigerung des psychosozialen Wohlbefindens, also über Interventionen, die eher als ›Optimierung‹ menschlicher Individuen verstanden werden. In Bezug auf manche Dispositionen, wie psychische Erkrankungen oder Kleinwüchsigkeit, verschwimmt die Grenze zwischen Krankheit und Anpassung an normative Erwartungen. Gesundheit und Krankheit sind keine neutralen Begriffe, sondern spiegeln gesellschaftliche Normen und Werte. Die Beziehung zwischen Gesundheit und Krankheit, Normalität und Pathologie ist »[…] der Schlüssel zu dem globalen gesellschaftlichen System der Interpretationen, Glaubenssätze und Werte« (Herzlich 1982: 332). Bei Gesundheit handelt es sich – noch offensichtlicher als bei dem eng verwandten Konzept und Terminus Krankheit – nicht um ein objektiv bestimmbares ›vorgegebenes Etwas‹. Labisch (1992: 17) scheut sich nicht, Gesundheit und Krank22 | Luhmann (1990: 188) stützt die Annahme eines selbstverständlichen, nicht zu hinterfragenden Wertes, welcher der Gesundheit beigemessen wird mit Blick auf das medizinische System: »Hier zielt das Handeln auf den Reflexionswert Gesundheit – und deshalb ist nichts weiter zu reflektieren« oder »Das Ziel Gesundheit ist politisch so fest etabliert, dass Geldmittel dafür nicht (oder nur auf indirekte, so gut wie unsichtbare Weise) verweigert werden können.« Angesichts der Auseinandersetzung um die Gesundheitsreform stellt sich allerdings die Frage, ob diese Aussage noch in vollem Maße gültig ist.

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heit als »inhaltsleere Worthülsen« zu bezeichnen, deren »einziges Unterscheidungsmerkmal gegenüber ähnlich kategorialen Begriffen – wie beispielsweise Zeit […]« sei, »daß sie sich in irgendeiner Form auf den Körper beziehen lassen.« [Hervorh. im Original]. Die Auffassung Luhmanns (1990: 187), nach der es »viele Krankheiten und nur eine Gesundheit« gibt, ist inzwischen differenziert worden. Viele unterschiedliche Vorstellungen dessen, was Gesundheit ist, existieren nebeneinander und entsprechend vielfältig sind die Definitionen von Gesundheit. Gesundheit als »Schweigen der Organe« (Leriche 1936) verweist auf die Abwesenheit von Krankheit. Nach der sehr viel umfassenderen Definition der World Health Organization (WHO) (1946) ist Gesundheit »ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens«.23 Informativ für den Variationsreichtum der Interpretation von Gesundheit sind Gesundheitskonzeptionen von Laien, die Gesundheit nicht nur als Abwesenheit von Krankheit, sondern z.B. auch als ein Produkt persönlichen Lebensstils, als Kapital für die tägliche Arbeit oder als kollektives Gut, für das die Gesellschaft verantwortlich ist, fassen (Blaxter 1990; Pierret 1995; Rogers 1991).24 23 | »Health is a state of complete physical, mental and social wellbeing and not merely the absence of disease or infirmity.« (World Health Organization 1946: 2). 24 | Blaxter (1990) unterscheidet negative und positive Definitionen von Gesundheit – die ersteren fassen Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit oder ihrer Symptome auf, die zweiten richten sich auf die Anwesenheit bestimmter Indikatoren für Gesundheit wie z.B. physische Fitness oder psychosoziales Wohlbefinden. Pierret (1995) unterscheidet in ihrer Befragung von Laien verschiedener französischer Gebiete vier unterschiedliche ›Formen von Gesundheit‹: Am häufigsten ist die Wahrnehmung von Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit. Daneben tritt ein Konzept, in dem Gesundheit – welche die tägliche Arbeit und damit den Lebensunterhalt ermöglicht – als Kapital und wichtigster Wert angesehen wird, ohne ein Ziel aus sich selbst heraus zu sein. Nicht zuletzt existiert die Vorstellung von Gesundheit als einem Produkt persönlichen Lebensstils, das mehr oder weniger kontrolliert werden kann und als Wert aus eigenem Recht definiert wird. In entgegengesetzter Polarität steht die Auffassung von Gesundheit als einem kollektiven Gut, für welches die Gesellschaft verantwortlich ist und das in der Hand von Institutionen liegt. Wendy S. Rogers (1991) unterscheidet acht Typen von Gesundheitsvorstellungen medizinischer Laien, die von einem eher medizinischen Blick auf den Körper als Maschine bis zu einem Begriff von Gesundheit als moralische Verantwortung des Individuums reichen.

56 | Gesunde Gene Die verschiedenen Auslegungen und Interpretationen verdeutlichen: Weder Gesundheit noch Krankheit sind einheitliche Konzepte. Auf welche Konzeption von Krankheit und Gesundheit die ethisch kontroversen Techniken bezogen werden, ist für ihre Legitimation unmittelbar relevant. Es ist nicht nur entscheidend, dass die Option mit dem Wert Gesundheit assoziiert wird, sondern auch auf welche Weise. Der Wunsch nach der Lösung bestimmter Gesundheitsprobleme kann zu einem zentralen Fundus für die Legitimation ethisch kontroverser Techniken werden und die Ausgestaltung und Anwendung der Optionen mitformen (Martin 1999). Der medizinischen Konzeption gemäß wurde Krankheit früher meist als selbstverständliches Faktum vorausgesetzt und als gegebene Tatsache hingenommen. Inzwischen hat sich in verschiedenen Forschungsrichtungen (wie der Medizinsoziologie, der Anthropologie, der social history und den social studies of science) die Erkenntnis durchgesetzt, dass Krankheit – und wie zu ergänzen ist, ebenso Gesundheit (Senior und Viveash 1998) – auch ein soziales Phänomen ist (Lachmund und Stollberg 1992).25 Was als krank oder gesund angesehen wird, unterliegt Prozessen sozialer Konstruktion. Die Ansätze der verschiedenen Forschungsrichtungen unterscheiden sich unter anderem darin, inwieweit sie eine der sozialen Konstruktion der Krankheit zugrunde liegende Biologie als gegeben akzeptieren und unhinterfragt lassen (Lachmund und Stollberg 1992). Im Gegensatz zu den anderen Hauptsträngen der Forschung ordnen die social studies of science selbst die Genese wissenschaftlichen Wissens als (auch) sozialen Prozess ein und stellen den ›neutralen‹ technischen Kern dieses Wissens in Frage (Lachmund und Stollberg 1992).26 So ist z.B. die einseitige Konzentration auf genetische bzw. molekulare Krankheitsursachen aus kritischer Perspektive als Genetifizierung (Lippman 1992) bzw. Molekularisierung (Chadarevian und Kamminga 1998) von Krankheitskonzepten bezeichnet worden. Beklagt wird diesbezüglich, dass die Konzentration auf genetische bzw. molekulare Vorgänge »in scheinbar einfachen Erklärungsmustern für komplexe Phänomene« resultiert und zu der 25 | Die Bedeutsamkeit somatischer Prozesse für die Entstehung von Krankheit bzw. Gesundheit soll hiermit jedoch nicht in Zweifel gezogen werden. 26 | Fleck (1993) beispielsweise, der als früher Vertreter dieser Analyserichtung gelten kann, weist in seiner Analyse der Genese der Wassermann-Reaktion (einem Test zum Nachweis der Syphilis-Erreger) darauf hin, dass die Entwicklung dieser wissenschaftlichen Tatsache einem sozial einseitigen Denkstil unterlag.

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Vorstellung führt »durch die Manipulation der Gene alle Lebensäußerungen steuern und beeinflussen zu können.« (Kollek 1986: 13f). Tendenzen einer Genetifizierung bzw. Molekularisierung werden auch in den Medien wahrgenommen. Petersen und Bunton (2002) und Petersen (2001) konstatieren eine Überbewertung genetischer Faktoren und eine Vernachlässigung alternativer Erklärungsmuster wie nicht-genetischer und multifaktorieller Ursachen in der australischen Berichterstattung über Humangenetik. Die Orientierung an einem biomedizinischen Krankheitsmodell, das in den Medien noch über den wissenschaftlichen Entwurf hinaus reduziert wird (s. Petersen und Bunton 2002; Petersen 2001), passt zu dem Befund von Karpf (1988), die Berichterstattung über Gesundheit sei durch eine Hegemonie der wissenschaftlich-medizinischen Gesundheitskonzeption geprägt. Auch andere Studien verweisen auf eine übermächtige Stellung genetischer Erklärungen in medialen Darstellungen (Conrad 2001; Conrad 1997; Nelkin und Lindee 1995; van Dijck 1998).27 Dabei wird die genetische Ebene durch die Betonung der genetischen und molekularen Faktoren der Krankheitsentstehung als potentielles Eingriffsziel eingeführt und legitimiert. In ähnlicher Weise argumentiert Regine Kollek (1995), dass der Einführung der Gentherapie verschiedene Umdeutungsschritte vorausgingen, welche die Etablierung dieser Option als Therapie bzw. medizinisches Heilverfahren überhaupt erst ermöglichten. So wurde dem Gentransfer in menschliche Körperzellen schon vor dem Feststellen eines tatsächlichen medizinischen Nutzens in einem von vielen Wissenschaftlern geteilten Konsens therapeutischer Wert zugeschrieben, wodurch der Gentransfer in ein Verfahren zur »Korrektur genetischer Krankheiten« umgedeutet und als Therapie konstituiert wurde. Komplementär dazu wurden Erfolgskriterien reformuliert: Als Maßstab für den Erfolg wurde nicht mehr primär die statistisch signifi kante Verbesserung des Zustandes der Patienten genommen, sondern die Veränderung biologischer Parameter wie z.B. molekularer oder Zell-Charakteristika. Diese Konzentration auf genetische bzw. molekulare Krankheitsursachen und die Vernachlässigung nicht-genetischer Parameter verdeutlicht, inwiefern die jeweilige Konzeption von Krankheit bzw. Gesundheit darüber mitbestimmen kann, welche Forschung und welche Anwendungen als legitim angesehen werden. 27 | Nicht die Existenz eines genetischen Determinismus innerhalb der Medien generell, jedoch die Annahme einer zunehmenden Dominanz der deterministischen Sichtweise in medialen Porträtierungen der Genetik ist allerdings umstritten (Condit et al. 1998).

58 | Gesunde Gene Konzeptionen gesundheitlicher Ziele und zu behandelnder Krankheiten können während des Prozesses der gesellschaftlichen Integration einer neuen Technik verändert werden und der Option zu stärkerer Legitimation verhelfen. Nach Martin (1999) kam der Ausweitung der Patientengruppen, die von einer Gentherapie profitieren können, für die Zulassung des ersten Gentransfer-Experimentes in den USA entscheidende Bedeutung zu. Die Gentherapie veränderte sich dabei von einer Behandlungsmethode für seltene Erbkrankheiten zu einer Therapie für weit verbreitete, unheilbare Volkskrankheiten. Infolge eines Wechsels des wissenschaftlichen Konzeptes wurde es möglich, auch nicht primär erblichen Krankheiten eine genetische Basis zuzuschreiben, weswegen sich die meisten der inzwischen durchgeführten Gentherapie-Experimente auf die Behandlung von Krebs richten (Deutsche Forschungsgemeinschaft 2006). Nach Nerlich et al. (2002) spielt der rhetorische Bezug auf weit verbreitete Krankheiten auch in Pressekonferenzen und der Medienberichterstattung zur Entzifferung des Humangenoms eine entscheidende Rolle, um Bedenken zu begegnen. Ein weiterer Wandel des Gentherapie-Konzeptes führte zu einer Vorstellung des Gentransfers als ein innerhalb des Körpers (in vivo) verabreichtes »Medikament« (Martin 1999: 27). Dies begünstigt eine Wahrnehmung der Gentherapie als konventionelles Arzneimittel und schränkte damit die Tragweite der ursprünglichen grundsätzlichen Bedenken gegenüber dieser Anwendung weiter ein. Von Thevoz (1995: 34) werden solche Zusammenhänge zwischen Veränderungen der wissenschaftlichen Konzeption und der ethischen Bewertung als »Co-Evolution« wissenschaftlicher und ethischer Diskurse gefasst. Da die Einbettung der Gentherapie vorwiegend aufgrund ethisch-moralischer Bedenken zu einem Konfliktfeld wird, ist dieser Aspekt relevant, zumal es neben den erwähnten Änderungen des Therapiekonzeptes noch weitere Modifi kationen der wissenschaftlichen Konzeption gegeben hat. Sigrid Graumann (2000a) hielt z.B. eine ethische Neubewertung der somatischen Gentherapie für notwendig, nachdem sich die Anwendung der Gentherapie weit von dem einfachen Ursprungskonzept des Ersatzes defekter Gene entfernt hat. Darüber, wie der Gentransfer in menschliche Zellen mit verschiedenen Konzepten von Krankheit und Gesundheit assoziiert wird, gibt die Literatur bisher wenig Aufschluss. Studien zu Darstellungen von Gesundheit in den Medien stammen zum großen Teil aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive, richten sich auf Krankheitsprävention bzw. Gesundheitsförderung und haben daher das Ziel akkurater und ›objektiver‹ Berichterstattung. Entsprechend verweisen die Ergebnis-

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se auf typische Verzerrungen und unrealistische Bilder innerhalb der Medien und die systematische Überbetonung oder Unterrepräsentation von Krankheiten oder Todesarten (s. für eine Zusammenfassung Seale 2002). Weitere Analysen richten sich eher auf generelle Charakteristika medialer Gesundheitsberichterstattung, wie z.B. typische Narrationsmuster (Gwyn 2002; Seale 2002). Studien zu Debatten über Gentechnik in den Medien wollen die Diskussion als solche erfassen und strukturieren, so dass Gesundheitsbezüge meist nur als eine Kategorie von vielen aufgenommen werden, ohne weiter differenziert zu werden. Bezugnahmen auf Gesundheit werden dabei beispielsweise unter den allgemeinen Rubriken ›Nutzen‹ oder ›Risiken‹ erfasst, oder als Fokus auf medizinischgesundheitliche Thematiken (Hampel et al. 1998; Kohring et al. 1999; Leonarz und Schanne 2002; Merten 1999). Andere Studien berücksichtigen Gesundheitsbezüge z.B. als einen der vorgefundenen frames (Kohring und Matthes 2002; Gerhards und Schäfer 2006) oder als Implikation bestimmter Metaphern (Liakopoulos 2002; Nelkin 1994; Nelkin 2001; van Dijck 1998). Nach der Langzeitanalyse von Hampel et al. (1998) variiert zwar die Quantität verschiedener Bezüge auf Gesundheit innerhalb des Untersuchungszeitraumes, Gesundheitsbezüge (insbesondere Nutzen und medizinische Themen) haben jedoch für den gesamten Zeitraum von 1973-1996 einen signifi kanten Anteil an den Presseberichten.

3. Methodische Ausgangspunkte

3.1 Untersuchungsdesign Um die mediale Diskussion über die Gentherapie zu verfolgen, wurden ein quantitativer und ein qualitativer Ansatz kombiniert. Alle Artikel des Korpus wurden mit einer quantitativen Inhaltsanalyse untersucht, um verschiedene Merkmale zu erfassen, die in der medialen Darstellung mit dem Gentransfer in menschliche Zellen assoziiert werden (s. Kap. 4). Der Verlauf der Debatte wurde mit einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewählter Beiträge rekonstruiert (s. Kap. 5). Das medienöffentliche Bild des Gentransfers in menschliche Zellen wird so auf verschiedenen Ebenen erfasst, die jeweils Bestandteile der medialen Kontextualisierung darstellen. Die Verknüpfung verschiedener methodischer Zugänge in Auseinandersetzung mit einem Phänomen wird als methodologische Triangulation (Denzin 1989) bezeichnet. Eine solche Methodenkombination ermöglicht nicht nur eine Validierung der Ergebnisse des einen Untersuchungsteils durch den anderen. Nach Flick (2000: 250) besteht der Nutzen der Triangulation vor allem in der »Anreicherung und Vervollständigung der Erkenntnis und der (immer begrenzten) Erkenntnismöglichkeiten der Einzelmethoden«. Wilson (1982: 501) fokussiert das Verhältnis der Aussagen aus quantitativen und qualitativen Untersuchungen in ähnlicher Weise: »Somit ergänzen sich qualitative und quantitative Ansätze gegenseitig und konkurrieren nicht miteinander. Jede liefert eine Art von Information, die sich nicht nur von der anderen unterscheidet, sondern auch für deren Verständnis wichtig ist.«

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3.2 Auswahl der Medien Über einen Untersuchungszeitraum von dreißig Jahren lässt sich aus forschungspraktischen Gründen nur ein sehr eingeschränktes Mediensample verfolgen. Welche Medien bieten sich angesichts der notwendigen Selektivität zur Analyse an? Für politische Debatten können medienöffentliche Diskussionen nur dann eine Schlüsselstellung einnehmen, wenn sie von politischen und anderen hochrangigen Entscheidungsträgern wahrgenommen werden (Gerhards 1998: 191). Was die Printmedien betriff t 1, lässt sich anhand dieses Kriteriums trotz der Breite und Vielfalt des deutschen Medienangebotes eine fundierte Auswahl treffen. Grundlegend ist die Frage, welche Printmedien in der deutschen Presselandschaft die Position eines Meinungsführers einnehmen. Als Meinungsführer werden diejenigen Medien bezeichnet, die aufgrund ihrer Bedeutung (Auflage, Reichweite) und ihrer Ressourcen (Korrespondentennetz, Fähigkeit zum investigativen Journalismus) in besonderem Maße sowohl von anderen Medien als auch von Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft beobachtet werden (Durant et al. 1998: 8; Görke et al. 2000: 21; Noelle-Neumann und Mathes 1987: 402; Schenk und Sonje 1998: 43). Die entsprechenden Medien werden gelegentlich auch als Prestigemedien (Kepplinger 1994: 223) adressiert. Die Meinungsführer lassen sich als diejenige massenmediale Öffentlichkeit identifizieren, die von der Politik in besonderem Maße wahrgenommen wird. Nur ein kleiner Teil der deutschen Presseorgane gehört zu den in dieser Weise relevanten Prestigemedien (Hampel et al. 1998). Aufgrund ihrer Position innerhalb des Mediensystems wird den Meinungsführern ein Einfluss auf die nationale Medienagenda zugeschrieben (Hampel et al. 1998; Kohring et al. 1999). Die Meinungsführer geben Themen und Gesichtspunkte vor, an denen andere publizistische Organe ihre Berichterstattung orientieren. Im Prozess des intermedialen Agenda-Setting wirken die opinion leader als Multiplikatoren, deren Reichweite über ihre eigene Leserschaft weit hinausgeht (Noelle-Neumann und Mathes 1987; Kepplinger 1994). Die Meinungsführer dienen so als Indikator für Prozesse öffentlicher Meinungsbildung (Fuchs und Pfetsch 1996). 1 | Printmedien stellen besonders geeignete Quellen für Langzeitanalysen dar, weil ihre Archivierung weit zurückreicht und die Beiträge im Gegensatz zu den audiovisuellen Medien relativ leicht zugänglich sind. Für die Berichterstattung über Biowissenschaften ist die Presse zudem besonders relevant, weil Printmedien über diese Thematik intensiver berichten und mehr Hintergrundinformati0nen liefern (Gerhards und Schäfer 2006).

Methodische Ausgangspunkte | 63

Für die Analyse wurden als führende meinungsbildende Printmedien die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und Der SPIEGEL (Spiegel) ausgewählt. In Langzeitanalysen medialer Berichterstattung ist die Konzentration auf FAZ und Spiegel ein gängiges Verfahren (Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998; Hampel et al. 2001; Weingart et al. 2002a2). Die beiden Presseorgane dienen politischen Eliten als bedeutende Informations- und Orientierungsquelle (Noelle-Neumann et al. 2002; Puhe und Würzberg 1989) und zählen zu den wichtigsten Referenzmedien für andere Journalisten (Noelle-Neumann und Mathes 1987: 405; Kepplinger 1994: 224; Schenk und Sonje 1998: 43). Mit der Wahl von FAZ und Spiegel werden zudem zwei unterschiedliche Pole des politischen Meinungsspektrums abgedeckt: Die politisch-konservative Zeitung FAZ wird eher der rechten Seite dieses Spektrums zugerechnet, das Nachrichtenmagazin Spiegel eher der moderat linken (Hampel et al. 1998). Darüber hinaus repräsentieren die beiden Untersuchungsobjekte die unterschiedlichen Perspektiven zweier verschiedener Formate: Während bei der FAZ als Tageszeitung eine der Hauptfunktionen in der Auf bereitung des tagesaktuellen Geschehens besteht, verbleibt dem Spiegel als Wochenmagazin mehr Zeit für eine reflektierende Berichterstattung, welche in höherem Maße Hintergrundinformationen einbezieht. Beide Printmedien verfügen über ein eigenes Wissenschaftsressort, so dass eine kontinuierliche und intensive Berichterstattung über Wissenschaft gewährleistet erscheint. Die beiden Presseorgane verkörpern dabei zwei unterschiedliche Profile der Berichterstattung über wissenschaftliche Inhalte: In der FAZ nehmen Berichte über Wissenschaft traditionell einen großen Anteil ein und sind wissenschaftsnah, d.h. vorwiegend an wissenschaftlichen Sachinformationen orientiert. Den Spiegel zeichnet dagegen eine Tendenz zu kritischer Berichterstattung und stärkerer gesellschaftlicher Kontextualisierung aus, die auch auf wissenschaftliche Inhalte angewendet wird. Auf der Grundlage dieser charakteristischen und gegenläufigen Profi le der Wissenschaftsberichterstattung in FAZ und Spiegel sollten sich mögliche Veränderungen der Kontextualisierung besonders pointiert zeigen lassen. Prozesse wie die medienöffentliche Integration einer neuen Technik lassen sich anhand der Darstellung

2 | Weingart et al. (2002a) haben vor allem die Berichterstattung des Spiegel verfolgt, Beiträge der FAZ wurden nur an besonders markanten Punkten in die Analyse aufgenommen. Nur punktuell, das heißt in einem Jahr mit besonders hoher Berichterstattung, wurde auch eine Artikelserie der Süddeutschen Zeitung einbezogen.

64 | Gesunde Gene in diesen beiden Presseorganen in ihren Strukturen und Entwicklungen detailliert nachvollziehen. Als Wissenschaftsberichterstattung wird analog zu Kärntner (1972: 180f) jede Bezugnahme auf Wissenschaft gefasst, nicht nur Wissenschaftsberichte im engeren Sinne. Diese Definition schließt nicht nur die Meldungen und Berichte des Wissenschaftsteils, sondern auch die Artikel in anderen Rubriken sowie diverse Stilformen wie beispielsweise Kommentare, Reportagen oder Interviews ein. Der Beginn der Untersuchung ist auf das Jahr 1970 festgesetzt, da zu dieser Zeit in Deutschland der weltweit erste – noch nicht offiziell legitimierte – Versuch einer Gentherapie unternommen wurde (s. 5.3). Der Abschluss der Untersuchung im Jahr 2001 beruht auf dem Rückgang der Artikelzahl im Jahr 2002, der sich in den darauffolgenden Jahren klar fortsetzt.3 Der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG 2006: 6) zufolge ist die Gentherapie definiert als »[…] das Einbringen von Genen in Gewebe oder Zellen mit dem Ziel, durch die Expression und Funktion dieser Gene therapeutischen oder präventiven Nutzen zu erlangen.«

Als Kriterium für die Aufnahme eines Artikels in das Untersuchungsmaterial wurde jedoch nicht diese Definition verwandt, sondern die Bezugnahme auf eine intendierte Veränderung des genetischen Materials des Menschen. Ausgeschlossen wurden in Abgrenzung dazu physikalische und chemische Veränderungen des Erbmaterials, z.B. durch Umwelteinflüsse wie Röntgenstrahlen, chemische oder radioaktive Substanzen. Aus dem Korpus ausgesondert wurde auch der Gentransfer menschlicher Gene in andere Organismen wie z.B. Bakterien und das Verändern genetischen Materials durch Methoden des Klonens. Die verhältnismäßig offene Definition des Untersuchungsgegenstandes ist dem Umstand geschuldet, dass Medien sich nicht an einer exakten wissenschaftlichen Definition ausrichten und zudem Differenzierungsprozesse, wie z.B. zwischen einer therapeutischen Anwendung und einer gentechnischen Verbesserung nicht durch eine analytische Definition ausgegrenzt werden sollten. 3 | Dieser Verlauf stimmt mit den Ergebnissen einer Studie von Weingart et al. (2006: 100) überein, in der für verschiedene Stichworte aus dem Bereich Biomedizin ebenfalls ein Absinken der Artikelzahlen seit dem Jahr 2002 beobachtet wird. Auch Graumann (2002: 36) konstatiert ein sinkendes Interesse an bioethischen Themen im Jahr 2002.

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Zur Zusammenstellung des Textmaterials und zur Reliabilität der in der quantitativen Inhaltsanalyse erhobenen Kategorien s. Anhang, 7.1 und 7.2. 4 Auf die Methoden zur Erfassung der einzelnen Kategorien der quantitativen Analyse wird im Text nur an den Stellen eingegangen, an denen dies zum Verständnis der Analyse unbedingt notwendig erscheint.5 Das methodische Vorgehen für die qualitative Untersuchung ist der Darstellung der entsprechenden Ergebnisse vorangestellt (s. 5.2).

4 | Eine Liste der analysierten Beiträge ist unter http://cid0a57e7459ea8a691.skydrive.live.com/self.aspx/.Public/Gesunde%20 Gene/Liste-Artikel-Korpus.pdf herunterzuladen. 5 | Der vollständige Codierbogen für die quantitative Analyse kann heruntergeladen werden unter http://cid-0a57e7459ea8a691.skydrive.live. com/self.aspx/.Public/Gesunde%20Gene/Codierbogen%20f%C3%BCr% 20die%20quantitative%20Inhaltsanalyse.pdf

4. Quantitative Inhaltsanalyse

4.1 Überblick Mit einer quantitativen Inhaltsanalyse lassen sich aufgrund des hohen Abstraktionsgrades große Textmengen bearbeiten und Assoziationsmuster und Trends über die Zeit und über verschiedene Medien hinweg beobachten. Für die Untersuchung der gesellschaftlichen Integration einer wertsensiblen Technik über einen mehr als 30 Jahre umfassenden Zeitraum erscheint die quantitative Inhaltsanalyse daher besonders geeignet. Um zu erkennen, unter welchen Bedingungen die gesellschaftliche Integration der Gentherapie in der durch die beiden Presseorgane hergestellten medialen Öffentlichkeit stattfindet, bietet es sich an, Struktur und Charakteristika der Berichterstattung zu untersuchen. Anhand von Merkmalen wie Rubriken, Stilformen, Akteuren und Themen wird erhoben, wie die Gentherapie journalistisch eingeordnet wird, welche Form die Debatte besitzt und von welchen Akteuren die Berichterstattung hauptsächlich angestoßen wird. Auf diese Weise wird eine erste, allgemeine Ebene der Kontextualisierung erfasst, durch welche die Darstellung der Gentherapie entscheidend geprägt wird. Die weitere Analyse richtet sich vor allem auf die empirische Überprüfung der Erosions- und Funktionalitätsthese. Hierzu werden sowohl der Stellenwert von Gesundheit und die Art und Weise der Assoziation mit diesem Wert untersucht als auch der Ablauf der Debatte im Hinblick auf Bedenken und Kontroversität. In dem positiven oder negativen Potential, das der neuen Technik zugeordnet wird, zeigt sich eine spezifischere Ebene der Kontextualisierung. In Bezug auf den Gentransfer in menschliche Zellen ergibt

68 | Gesunde Gene sich aus der Literatur, dass positive Möglichkeiten hauptsächlich in der zukünftigen Therapie von Krankheiten gesehen werden, negative primär in einer potentiellen gentechnischen Verbesserung des Menschen (s. 2.4). Bisherige Analysen kommen zu dem Ergebnis, die Berichterstattung über Gentherapie sei stark nutzenorientiert (s. S. 47), diese Aussage gilt jedoch für Zeiträume, die wesentlich kürzer sind als in der vorliegenden Untersuchung. Nur mit einer langfristigen Studie lässt sich zeigen, ob die Relation zwischen Nutzen und Bedenken dem in der Erosionsthese antizipierten Verlauf der medienöffentlichen Integration der Technik entspricht. Negative Vorstellungen über die Auswirkungen der Option sollten vor allem zu Beginn der Debatte hervortreten, zu späteren Zeitpunkten jedoch von Verweisen auf mögliche gesundheitliche Nutzen abgelöst werden. Um vergleichen zu können, ob die Berichterstattung in verschiedenen Stadien eher durch Nutzen oder Bedenken geprägt ist, wird die Häufigkeit der Bezüge auf Therapie und Heilung bzw. auf eine potentielle gentechnische Verbesserung des Menschen als quantitativer Indikator verwandt. Die resultierenden Zahlen geben Auskunft über die Prominenz der jeweiligen Vorstellungen in der medialen Diskussion des Gentransfers. Eine tiefergehende Analyse der Deutungen und eventueller Umdeutungen des Potentials der neuen Technik bleibt der qualitativen Untersuchung vorbehalten. Die Assoziation mit dem Wert Gesundheit besteht jedoch nicht allein in der Häufigkeit der Verweise auf medizinische Nutzen. Wie in dem Unterkapitel 2.5 gesehen, ist die Definition von Gesundheit interpretationsoffen. Als abstrakter Wert lässt sich Gesundheit nicht einheitlich erfassen. Die empirische Untersuchung richtet sich daher auf das Wechselspiel zwischen der Entwicklung wissenschaftlicher Konzepte und den entsprechenden Auffassungen von Krankheit und Gesundheit, dem für die Legitimation kontroverser wertsensibler Techniken in der Literatur besondere Bedeutung zugemessen wird (s. 2.5). Änderungen wissenschaftlicher Konzepte können zur Legitimation einer kontroversen Technik beitragen, etwa wenn sich durch eine neue Definition bestehender Krankheiten und therapeutischer Möglichkeiten das Patientenspektrum stark ausweitet und sich auf Krankheiten wie z.B. Krebs richtet, die einen hohen Grad an Bekanntheit und (direkter oder indirekter) Betroffenheit besitzen und deren Erforschung und Therapie als besonders dringlich angesehen wird. Nach Martin (1999) spielte eine entsprechende Umorientierung der Gentherapie von seltenen Erb- auf weit verbreitete Volkskrankheiten eine entscheidende Rolle für die Legitimation der ersten offiziellen Gentransfer-Experimente (s. S. 58). Interessant ist daher, auf welche Art von

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Krankheiten der Gentransfer in menschliche Zellen in der medialen Darstellung bezogen wird – auf Erbkrankheiten, die nur eine kleine, spezielle Klientel von Patienten umfassen oder auf Volkskrankheiten, die im Prinzip jeden treffen können? Ist die Art der Krankheiten, für die eine Gentherapie in Frage kommt, auch in der medialen Diskussion über die Option entscheidend? Um dies zu bestimmen, wird die Häufigkeit der Nennung von Erb- und Volkskrankheiten verfolgt und die Beziehung zur dargestellten Konflikthaftigkeit der Gentherapie untersucht. Abweichungen vom ursprünglichen wissenschaftlichen Konzept können die Legitimation einer wertsensiblen Technik auch in Frage stellen (Graumann 2000a), z.B. wenn die Eingriffe nicht das leisten, was man sich von ihnen versprochen hatte. Daher wird ein weiterer Aspekt unter dem Rubrum des Stellenwertes von Gesundheit untersucht – nämlich die Frage, welche Vorstellungen über die Effekte des Gentransfers in menschliche Zellen in der medialen Debatte besonders hervortreten. Hierbei werden verschiedene Bezugnahmen auf Gesundheit erfasst, die sich darin unterscheiden, inwieweit sie dem ursprünglichen Konzept der Gentherapie entsprechen. Bestand die Vision der Gentherapie zunächst darin, durch den Austausch eines »defekten« Gens gegen ein »normales« die kausale Ursache einer Krankheit zu beseitigen und damit eine dauerhafte Genesung des Patienten zu bewirken, wurden in der Folge Modifizierungen und Spezifizierungen des wissenschaftlichen Konzeptes und damit auch der Erfolgsaussichten der Gentherapie eingeführt. Während im Begriff Heilung die Konnotation der Wiederherstellung von Gesundheit fortgeführt wird, die der ursprünglichen Vorstellung innewohnt, ist die Idee, die Gentherapie zu nutzen, nur um bereits etablierte Verfahren besser anwenden zu können, weniger bestechend. Auf der anderen Seite gehen manche Ideen über die von der Wissenschaft für realistisch gehaltenen Möglichkeiten weit hinaus, etwa jene, mit Hilfe der Gentherapie Unsterblichkeit zu erlangen. Nur Vorstellungen, die ausreichende mediale Präsenz erreichen, können die Debatte um die Legitimation der ethisch kontroversen Technik prägen. Untersucht wird daher, in welchem Ausmaß unterschiedliche Vorstellungen über die Effekte des Gentransfers in den beiden untersuchten Medien abgebildet sind. Zugleich lässt sich so ermessen, ob sich der Grad, in dem Vorstellungen über Effekte alltagsnah oder utopisch sind, über die Zeit hinweg ändert, wie es von Weingart (2000; 2005b) antizipiert wird (s. S. 52f.). Nicht nur die Assoziation mit dem Wert Gesundheit, auch die erwartete Veränderung der Sichtweise, d.h. die Rekontextualisierung

70 | Gesunde Gene des Gentransfers in menschliche Zellen im Verlauf der Debatte, soll empirisch überprüft werden. Zwar ist die Gentherapie in Deutschland inzwischen zum Teil legitimiert (s. 2.4) – nicht in jedem Falle bedeutet eine gesetzliche Festlegung jedoch auch das Ende eines Konfliktes und der gesellschaftlichen Kontroverse. So ist beispielsweise die Frage der Abtreibung trotz bestehender gesetzlicher Regelungen weiterhin umstritten. Ohnehin kann sich die mediale Diskussion von der Debatte in anderen gesellschaftlichen Bereichen deutlich unterscheiden (s. S. 45f.). Da vermutet wird, dass die ursprünglich hoch kontroverse Idee schließlich nur noch als wenig konflikthafte Praxis dargestellt wird, wird die Rekontextualisierung in der quantitativen Studie zunächst als eine Veränderung der dargestellten Kontroversität der Option operationalisiert. Inwieweit ist also die mediale Darstellung des Gentransfers in menschliche Zellen durch einen Rückgang der Konflikthaftigkeit gekennzeichnet? Trifft es zu, dass die Option zunächst als hoch kontrovers, im weiteren Verlauf jedoch zusehends als wenig konflikthaft dargestellt wird? Und wenn ja, mit welchen Faktoren steht dies in Zusammenhang? Ergeben sich z.B. Hinweise auf eine Verbindung einer potentiellen Abnahme der Kontroversität mit dem Wert Gesundheit? Oder erweist sich die Inkorporation von Widerständen als entscheidend? Im abschließenden Resümee werden die Antworten auf die hier vorgestellten Fragen miteinander verknüpft und evaluiert, ob eine mögliche Veränderung in der Kontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen über die Anbindung an den Wert Gesundheit erfolgt.

4.2 Struktur der Berichterstattung und Phaseneinteilung 4.2.1 Artikel des Korpus Die Recherche nach Beiträgen zur Debatte über die Gentherapie resultierte in der Gesamtzahl von 622 Artikeln für den Zeitraum von 1970 bis 2001 (s. Tab. 4.1). Mit 478 Artikeln entfallen etwa drei Viertel aller Beiträge (76,8 % des Korpus) auf die FAZ, etwa ein Viertel auf den Spiegel mit 144 Artikeln (23,2 % des Korpus). Alle Prozentangaben dieses Kapitels beziehen sich, soweit nicht anders gekennzeichnet, auf die Artikel eines der beiden Printmedien, d.h. auf die FAZ-Stichprobe (n = 478) bzw. die Spiegel-Stichprobe (n = 144). Grundlage für die prozentualen Umrechnungen sind also nicht alle Artikel des jeweiligen Printmediums, sondern nur die Stichprobe, die zur Gentherapie-Berichterstattung erhoben wurde. Diese Basis der

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prozentualen Umrechnung wird im weiteren Verlauf als Artikelstichprobe (AS) bezeichnet und auf das jeweilige Presseorgan bezogen. Tab. 4.1 Struktur des Textkorpus

4.2.2 Zeitlicher Verlauf der Artikelzahlen Die Zahl der Artikel nimmt vom Beginn bis zum Ende des Analysezeitraumes (1970 bis 2001) deutlich zu (s. Abb. 4.1). Insbesondere in den Jahren 2000 und 2001 zeigt sich ein starker Anstieg der Artikelzahlen, durch welchen sich das Beitragsvolumen pro Jahr im Vergleich zu den vorangehenden Jahren vervielfacht. Der Anstieg der Artikelzahlen in den Jahren 2000 und 2001 ist vor allem bei der FAZ sehr ausgeprägt. Schon seit dem Jahr 1993 ist bei der FAZ eine kontinuierliche Steigerung des prozentualen Anteils der Artikel zur Gentherapie zu beobachten. In den 90er Jahren erreicht der Artikelanteil 1997 den höchsten Wert (7,5 % der AS). In den Jahren 2000 und 2001 liegt der Artikelanteil um das Dreifache höher (2000: 22,6 % der AS, 2001: 23,0 % der AS). Abb. 4.1 Beachtung der Gentherapie im Zeitverlauf und als Haupt- bzw. Nebenthema in FAZ und Spiegel

72 | Gesunde Gene Beim Spiegel ist die Steigerung der Artikelzahlen über die Zeit weniger klar, aber als Trend ebenfalls erkennbar. Schon im Jahr 1970 liegt der prozentuale Artikelanteil beim Spiegel im Vergleich zur FAZ vergleichsweise hoch (4,9 % der AS). In den Jahren von 1970 bis 1990 schwankt der Anteil der Artikel zur Gentherapie zwischen keinem vorgefundenen Artikel (1973/1981) und dem maximalen Wert dieser Zeit, d.h. 4,9 % der Artikelstichprobe (1970/1987). Der kleine peak, der bei der FAZ in den Jahren von 1985 bis 1987 sichtbar ist, tritt beim Spiegel nicht in der gleichen Deutlichkeit hervor, zum einen, weil schon in den Jahren zuvor ähnlich hohe Anteile erreicht werden, zum anderen, weil im Jahr 1986 der Artikelanteil eher gering ausfällt (1,4 % der AS). Auff ällig ist der starke Anstieg im Jahr 1993, mit nahezu 10 % der Spiegel-Stichprobe. Anders als bei der FAZ steigt der Artikelanteil dann jedoch nicht weiter an, sondern flacht wieder ab, und stabilisiert sich auf einem insgesamt höheren Niveau als in den Jahren vor 1993. In den Jahren 2000 und 2001 kommt es beim Spiegel zu einem neuerlichen Anstieg auf 11,1 % bzw. 9,7 % der Artikelstichprobe. Auch beim Spiegel erscheint damit ein großer Teil der Berichterstattung in den Jahren 2000 und 2001.

4.2.3 Gentherapie als Haupt- und Nebenthema Nicht in allen Beiträgen, in denen das Stichwort Gentherapie oder die intendierte genetische Veränderung des Menschen erwähnt wird, ist dieser Aspekt auch ein Hauptthema. Tab. 4.2 zeigt einen Überblick über die Zahl von Artikeln, in welchen die genetische Veränderung des Menschen ein Hauptthema ist, ein Nebenthema darstellt oder nur erwähnt wird. Bezogen auf die jeweilige Stichprobe zeigt sich, dass mit je etwa einem Drittel ein gleich großer Anteil der Artikel von FAZ und Spiegel die Gentherapie zu einem Hauptthema macht (FAZ: 28,0 % der AS, Spiegel: 29,2 % der AS). In beiden Printmedien behandeln dagegen etwa zwei Drittel der Artikel die Gentherapie als ein Nebenthema (FAZ: 65,9 % der AS, Spiegel: 66,0 % der AS). Der Anteil von Artikeln, in denen die Gentherapie nur erwähnt wird, fällt demgegenüber kaum ins Gewicht (FAZ: 6,1 % der AS, Spiegel: 4,9 % der AS). Die Darstellung der Gentherapie als Haupt- bzw. Nebenthema für die verschiedenen Jahre der Berichterstattung zeigt auch Abbildung 4.1. Bis zur Mitte der 80er Jahre wird die Gentherapie in beiden Presseorganen nur sporadisch als Hauptthema dargestellt. Nach den Jahren 1984/1985 findet sich die Gentherapie bei der FAZ in jedem Jahr als Hauptthema wieder. Der Anteil der Artikel, bei welchen die Genthera-

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Tab. 4.2 Gentherapie als Haupt- und Nebenthema in der Berichterstattung von FAZ und Spiegel

pie ein Hauptthema ist, steigt in der FAZ insbesondere in den Jahren 2000/2001 an. In diesen beiden Jahren nehmen Nebenthemen-Artikel den höchsten Anteil ein, das Verhältnis von Haupt- zu Nebenthemen-Artikeln ändert sich im Vergleich zu den vorangehenden Jahren jedoch kaum. Beim Spiegel ist der Gentransfer in menschliche Zellen in den Jahren 1985 und 1986 ebenfalls ein Hauptthema in einigen der vorgefundenen Artikel. Erst seit 1990 lassen sich im Spiegel jährlich Artikel identifizieren, in denen die Gentherapie ein Hauptthema ist. Der neuerliche Anstieg der Berichterstattung beim Spiegel in den Jahren 2000 und 2001 beruht hauptsächlich auf einer Steigerung der Nebenthemen-Artikel im Vergleich zu den vorangehenden Jahren.

4.2.4 Fazit: Phaseneinteilung der Berichterstattung Anhand einer Kombination der bisherigen quantitativen Befunde mit verschiedenen qualitativen Aspekten lässt sich die Berichterstattung in vier Phasen einteilen. Eine Unterscheidung verschiedener Phasen der Berichterstattung ist aus forschungspragmatischen Gründen nötig, um die Darstellung der Daten handhabbar zu machen. Auch bei Langzeitanalysen anderer medialer Darstellungen werden häufig Phaseneinteilungen verwandt (Brodde 1992; Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998; Kohring und Matthes 2002; Liakopoulos 2002; Nisbet und Lewenstein 2002). Anfangs- und Endpunkte der Phasen orientieren sich an Ereignissen, die in der Literatur als entscheidend für den Verlauf der gesellschaftlichen Integration der Gentherapie herausgearbeitet wurden (Appel und Jazbinsek 2000; Daele 1985; Gill et al. 1998;

74 | Gesunde Gene Martin 1998, 1999; Nelkin 2001; Paslack 1995; Radkau 1988). Wichtige Hinweise auf die Aufeinanderfolge der Phasen ergeben sich zudem aus dem quantitativen Verlauf der Artikelzahlen und der Verteilung von Haupt- und Nebenthemen, die jeweils einen Indikator für die medienöffentliche Aufmerksamkeit für die Gentherapie darstellen. Im Sinne der Triangulation (s. Kap. 3.1) werden Ergebnisse des zweiten analytischen Teils (vgl. Kap. 5), welche Informationen zur Charakterisierung der Phasen liefern, im Folgenden ebenfalls eingebunden. Der Beginn der ersten Phase – von 1970 bis 1984 – wird durch das erste, noch inoffizielle Gentransfer-Experiment am Menschen markiert, das im Jahr 1970 in Deutschland stattfindet. Die erste Phase umfasst auch einen zweiten inoffiziellen Gentherapieversuch eines Amerikaners im Jahr 1980. Beide Ereignisse werden sowohl in der FAZ als auch im Spiegel abgebildet (vgl. 5.3). Insgesamt ist diese Phase weitgehend durch die Grundlagenforschung geprägt. Zwar wird die spätere politische Diskussion in den Jahren 1983 und 1984 schon vorbereitet (Paslack 1995, vgl. auch 2.4). Studien zur Gentechnologie (Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998) verweisen jedoch darauf, dass Fragen der Regulation erst beginnend mit dem Jahr 1985 in den Medien prominenter werden. Auch im Korpus der vorliegenden Studie lässt sich nur eine geringe mediale Resonanz auf die ersten politischen Bemühungen feststellen. Die in diese Zeit fallende Einsetzung der Benda- und Enquete-Kommission (s. 2.4) wird in einem FAZ-Artikel lediglich kurz erwähnt. Die politische Auseinandersetzung intensiviert sich erst in den Jahren nach 1984, in denen die Resultate der Arbeit der Kommissionen vorliegen und wird dann in beiden Printmedien aufgegriffen (vgl. 5.4). Den Endpunkt der ersten Phase in das Jahr 1984 zu legen, stimmt mit den Resultaten zur quantitativen Verteilung der Artikelzahlen überein. So ist die Berichterstattung bis zum Jahr 1984 insbesondere bei der FAZ und – trotz gelegentlicher kleiner peaks – auch beim Spiegel gering.1 In beiden Printmedien werden in 1 | Allerdings ist in diesen Jahren auch die Wahrscheinlichkeit von Rechercheartefakten größer, da die verschiedenen Beiträge noch zu keinem eigenständigen Themenkomplex Gentherapie gebündelt sind. Während dieser Nachteil beim Spiegel durch das Nachschlagen einer Vielzahl von Stichworten ausgeglichen werden konnte, könnten bei der FAZ aufgrund eingeschränkterer Suchmöglichkeiten gewisse Rechercheartefakte aufgetreten sein. Die Recherche wurde in diesem Zeitraum nur über das Stichwort Gentherapie geführt. Fünf der Artikel wurden in eigener Recherche gefunden, diese eigene Recherche wurde als gezielte, ereignisbasierte Suche vor der Vergabe des Rechercheauftrages an die FAZ (vgl.

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dieser Phase nur wenige Artikel veröffentlicht, die sich mit der Gentherapie als Hauptthema befassen. Dies korrespondiert mit verschiedenen Langzeitanalysen zur medialen Darstellung der Gentechnik, die darauf verweisen, dass das Themengebiet Gentechnologie bis zum Jahr 1984 generell nur wenig präsent war (Brodde 1992; Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998). Als Beobachter der allgemeinen, nicht nur der medialen Diskussion attestiert Radkau (1988: 340) der bundesdeutschen Öffentlichkeit »ein aus heutiger Sicht geradezu auff älliges Desinteresse an den Problemen der Gentechnik« bis 1984. Die Schwierigkeiten menschlicher Genmanipulation seien in dieser Zeit in den Hintergrund getreten, so Radkau (1988: 335), durch die Konferenz von Asilomar hätte sich die Aufmerksamkeit vielmehr auf die Gefahren genmanipulierter Bakterien konzentriert. Allenfalls der Spiegel hätte in dieser Zeit gelegentlich einen Vorstoß zur Thematisierung der Gentechnik am Menschen unternommen (Radkau 1988: 340). Auch nach Paslack (1995: 137), der die politisch-rechtliche Entwicklung der Gentherapie verfolgt, ist die Zeit der siebziger und Anfang der achtziger Jahre weitgehend dadurch gekennzeichnet, dass »mögliche gentherapeutische Anwendungen am Menschen […] nur am Rande behandelt« werden. Bei Brodde (1992) wird deutlich, dass der Anteil von Artikeln in Tageszeitungen, die sich in den Jahren bis 1984 mit einem Eingriff ins menschliche Erbgut auseinandersetzen, als ausgesprochen gering zu veranschlagen ist: Die Recherche über vier unterschiedliche Zeitungen (FAZ, SZ, Welt und Kölner Stadtanzeiger) resultiert bis zum Jahr 1984 in lediglich 40 Artikeln, die auf den Eingriff ins menschliche Erbgut Bezug nehmen. Der Anfang der zweiten Phase – von 1985 bis 1992 – ist gekennzeichnet durch den Beginn einer sehr intensiven politischen Auseinandersetzung um die Gentechnologie in Deutschland. Die Fragen der Gentechnik werden nacheinander von zwei Kommissionen behandelt, die sich über mehrere Jahre hinweg gründlich mit den Problemen verschiedener Bereiche, wie etwa der Gentherapie, befassen (vgl. 2.4). 7.1) durchgeführt. In den Jahren 1982 und 1983, in denen die Anzahl der Stichworte für die Recherche in der FAZ erweitert wurde, wurde jedoch ebenfalls nur ein geringer Anteil an Artikeln zur Gentherapie gefunden. Darüber hinaus verweist die Literatur darauf, dass das Thema in diesen Jahren in den Medien wenig präsent ist (s. Text). Die quantitativen Befunde zum Verlauf der Berichterstattung deuten ebenfalls nicht auf eine systematische Verzerrung der Daten hin (s. S. 86). Dennoch wird versucht, die Ergebnisse zur Phase I der Berichterstattung in der FAZ in der Studie möglichst wenig zu belasten.

76 | Gesunde Gene Der Bericht der Benda-Kommission, der 1985 veröffentlicht wird, ist das erste politische Ereignis, das in beiden untersuchten Printmedien aufgegriffen wird. Auch der Abschlussbericht der Enquete-Kommission findet 1987 sowohl in der FAZ als auch im Spiegel seinen Niederschlag. Die politisch-rechtliche Regulierung der Gentherapie beschäftigt in dieser Zeit in Form der Frage nach der Zulassung erster Gentransfer-Experimente am Menschen auch die Amerikaner. Dieser Prozess resultiert in den Jahren 1989 bzw. 1990 in den ersten offiziellen Gentransfer-Versuchen am Menschen (Martin 1998; 1999, vgl. auch 5.4), denen in den nächsten Jahren weitere amerikanische Gentherapie-Experimente folgen. Die zweite Phase endet im Jahr 1992. Die Einteilung der zweiten Phase lässt sich durch die quantitativen Daten unterstützen: Die Berichterstattung über den Gentransfer in menschliche Zellen gewinnt in den Jahren von 1985 bis 1992 größere Kontinuität, in beiden Printmedien werden nun jährlich Beiträge veröffentlicht. In der FAZ erscheinen zudem seit 1985 jedes Jahr Beiträge, in denen die Gentherapie ein Hauptthema ist. Das Ende der zweiten Phase wird in beiden Printmedien durch einen auff älligen Anstieg der Artikelzahlen im Jahr 19932 markiert, der zugleich den Anfang der dritten Phase von 1993 bis 1999 einläutet. Charakteristisches Ereignis zu Beginn dieser Phase sind die ersten offiziellen Gentherapieversuche in Deutschland im Jahr 1994 (Appel und Jazbinsek 2000, vgl. auch 5.5). Im Spiegel werden die Experimente in einer Titelgeschichte verarbeitet, in der FAZ in einem Artikel in der Rubrik Deutschland und die Welt. In den Beiträgen zu diesen Versuchen werden – insbesondere im Spiegel – erste Ansätze einer Bilanzierung der Gentherapie deutlich, die auch ansonsten charakteristisch für diese Phase sind (vgl. 5.5). Einen vorläufigen Abschluss findet der Bilanzierungsprozess im Jahr 1999 durch den Tod eines Patienten bei einem Gentherapie-Experiment, ein Ereignis, das von beiden Printmedien aufgegriffen wird und den Endpunkt der dritten Phase kennzeichnet. Qualitativ erscheint es sinnvoll, die Zäsur, die durch den Todesfall entsteht, in der Phaseneinteilung nachzuvollziehen. Bisherige Kenntnisse zum Verlauf der amerikanischen Berichterstattung verweisen auf eine dramatische Wende in der medienöffentlichen Darstellung der Gentherapie nach dem Todesfall (Nelkin 2001, s. S. 47). 2 | Der Anstieg der Artikelzahlen in diesem Jahr geht nicht auf die Verfügbarkeit elektronischer Recherchemöglichkeiten zurück – zwar ist für die FAZ 1993 schon eine Archiv-CD-ROM verfügbar, nicht jedoch für den Spiegel, bei welchem sich die Artikelzahlen in diesem Jahr ebenfalls deutlich erhöhen.

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Die quantitativen Daten unterstützen die vorgenommene Strukturierung: Das Volumen der Berichterstattung liegt in der dritten Phase insgesamt höher als in der zweiten; diese Veränderung ist in der FAZ besonders augenfällig, die Beobachtung triff t aber auch für den Spiegel zu. Darüber hinaus ist auch der Wechsel zur vierten Phase von 2000 bis 2001 durch einen sehr deutlichen Anstieg der Artikelzahlen markiert, der sich insbesondere in der FAZ, in abgeschwächter Form jedoch auch im Spiegel bemerkbar macht. Das Anschwellen der medialen Aufmerksamkeit steht nicht nur mit der Entwicklung der Gentherapie in Zusammenhang, sondern auch mit zwei anderen großen Ereignissen: Der Verkündung der Entzifferung des Humangenoms3 und dem Beginn der Debatte über die embryonalen Stammzellen 4 (Weingart et al. 2006). Graumann (2003) konstatiert eine zunehmende Intensität der Berichterstattung in Zusammenhang mit der von ihr als »Lebensschutz-Debatte« bezeichneten Diskussion über embryonale Stammzellen und Präimplantationsdiagnostik. In der Folge hat sich die mediale Aufmerksamkeit für biomedizinische Optionen insgesamt vergrößert (Weingart et al. 2006: 99), so dass anzunehmen ist, dass auch die Gentherapie entsprechend häufiger aufgegriffen wird. Die vorgenommene Phaseneinteilung wird der Auswertung von Variablen über den Verlauf der Berichterstattung zugrunde gelegt, d.h. die erhobenen Daten werden im prozentualen Verhältnis zur Artikelzahl der jeweiligen Phase berechnet (im Folgenden abgekürzt als AdP = Artikel der Phase).

4.3 Kontextualisierung auf allgemeiner Ebene Wie wird die Gentherapie in der medialen Diskussion kontextualisiert? Um diese Frage zu beantworten, werden im Folgenden zunächst verschiedene Charakteristika der Berichterstattung beleuchtet. Auf diese Weise wird der allgemeine Rahmen deutlich, in dem die Berichterstattung über Gentherapie stattfi ndet. Diese Ebene der Kontextualisierung gibt z.B. erste Hinweise, ob der Gentransfer in menschliche Zellen vor allem wissenschaftlich oder stärker in Bezug auf gesell-

3 | Die Entzifferung einer Arbeitsversion des Humangenoms wird am 26.06.2000 auf einer Pressekonferenz im Weißen Haus verkündet. 4 | Die Hochphase der medialen Diskussion über die Verwendung embryonaler Stammzellen beginnt mit der DFG-Stellungnahme zum Import embryonaler Stammzellen am 04.05.2001 (Weingart et al. 2006).

78 | Gesunde Gene schaftliche Aspekte verortet wird und ob die Debatte eher meinungsorientiert-kontrovers oder eher sachorientiert geführt wird.

4.3.1 Rubriken Intention Die Platzierung der Artikel in Rubriken lässt als ein Element der Kontextualisierung darauf schließen, inwieweit die Gentherapie den Status eines innerwissenschaftlichen Sachverhalts behält (Wissenschaftsrubriken) bzw. als übergreifendes gesellschaftliches issue betrachtet wird (z.B. Politikseiten, Feuilleton). Ergebnisse Als Gebiet, das weit mehr als nur wissenschaftliche Sachverhalte betriff t, ist der Gentransfer in menschliche Zellen keineswegs dem Wissenschaftsressort vorbehalten. Zwar entfallen die meisten Texte der FAZ auf die Rubrik Natur und Wissenschaft, mit 193 Artikeln und 40,4 % der Artikelstichprobe (s. Tab. 4.3). Etwa ein Fünftel der Berichterstattung erscheint jedoch im Feuilleton, das mit 103 Texten (21,5 % der AS) ebenfalls einen bedeutenden Anteil der Berichterstattung einnimmt. In den weiteren Rubriken der FAZ werden weit weniger Artikel zur Gentherapie veröffentlicht, nennenswerte Anteile finden sich noch in den Rubriken Politik (49 Artikel/10,3 % der AS), Wirtschaft (35 Artikel/7,3 % der AS) und Deutschland und die Welt (28 Artikel/5,9 % der AS). Die Reaktionen der Leser, welche 21-mal in der Rubrik Briefe an die Herausgeber veröffentlicht werden, sind mit 4,4 % der FAZStichprobe ebenfalls erwähnenswert. Insgesamt 49 Artikel (10,3 % der AS) verteilen sich auf kleinere Rubriken, in denen von 1970 bis 2001 zum Teil nicht mehr als ein Artikel erscheint. Im Spiegel wird – ähnlich wie in der FAZ – am häufigsten in der Rubrik Wissenschaft über die Gentherapie berichtet (s. Tab. 4.4). In dem Wochenmagazin entfallen mit 82 Beiträgen mehr als die Hälfte der Artikel (56,9 % der AS) auf diese Rubrik. Bemerkenswert ist die große Anzahl von Titelgeschichten – mit 25 Beiträgen in dieser Rubrik ist fast jeder sechste Artikel im Spiegel, in dem die Gentherapie erwähnt wird, eine Titelstory (17,4 % der AS). In sieben dieser Titel-Beiträge ist die Gentherapie ein Hauptthema. In allen anderen Rubriken ist die Artikelzahl deutlich kleiner, wie beispielsweise in den Magazinteilen Deutschland (7 Artikel/4,9 % der AS), Medizin (6 Artikel/4,2 % der AS) oder Gesellschaft (5 Artikel/3,5 % der AS). Die weiteren Rubriken stellen mit insgesamt 19 Beiträgen nur etwas mehr als ein Zehntel der Spiegel-Berichterstattung (13,2 % der AS), in den

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einzelnen Rubriken erscheinen nur je ein bis drei Artikel mit Verweis auf die Gentherapie. Tab. 4.3 Platzierung der Artikel zur Gentherapie in den verschiedenen Rubriken der FAZ

Tab. 4.4 Platzierung der Artikel zur Gentherapie in den verschiedenen Rubriken des Spiegel

Fazit Die Platzierung in den Rubriken ordnet die Gentherapie als vorwiegend wissenschaftlichen Gegenstand ein, der jedoch auch ein soziales Konfliktfeld darstellt. In beiden Printmedien wird die Gentherapie-Berichterstattung vor allem in die Wissenschaftsrubriken platziert, was eine vorwiegend wissenschaftliche Perspektive auf die Option nahe legt. Die soziale Relevanz wird bei der FAZ durch einen bemerkenswerten Anteil von Berichterstattung im Feuilleton- und Politikteil, beim Spiegel durch einen größeren Anteil an Titelgeschichten angedeutet. Darauf, dass zum Teil andere als wissenschaftliche Aspekte im Vordergrund stehen, verweist auch die Einordnung in verschiedene

80 | Gesunde Gene weitere Rubriken, auf die in beiden Printmedien insgesamt ein nennenswerter Anteil der Gentherapie-Berichterstattung entfällt.

4.3.2 Artikeltypen Intention Mit welchen journalistischen Stilformen wird die Gentherapie dargestellt? Lassen diese Artikeltypen auf die Entwicklung einer Kontroverse schließen? Für eine mediale Kontroverse sind Stilformen charakteristisch, die Meinungsäußerungen beinhalten, z.B. Kommentare oder Leitartikel. Geht die Berichterstattung dagegen nicht über tatsachenbetonte Stilformen wie Nachrichten und Berichte hinaus, können Kontroversität und öffentlicher Aufmerksamkeitswert als geringer eingeschätzt werden. Ergebnisse Bei der FAZ ist der häufigste Artikeltyp der Bericht mit 189 Beiträgen (39,5 % der AS, s. Tab. 4.5). Zusammen mit dem hohen Anteil an Nachrichten und Meldungen (108 Artikel/22,6 % der AS) zeugt dies von einer vorwiegend tatsachenorientierten Berichterstattung, auf die mehr als die Hälfte der Artikel, nämlich insgesamt 62,1 % der FAZStichprobe entfallen. Etwa ein Fünftel der Berichterstattung wird in meinungsbetonten Artikelformen dargestellt. So sind sowohl Essays (54 Artikel/11,3 % der AS) als auch Kommentare, Leitartikel, Glossen (46 Artikel/9,6 % der AS) wesentliche Elemente der Berichterstattung über die Gentherapie in der FAZ. Die Artikelanteile der Leserbriefe (21 Artikel/4,4 % der AS) und der Rezensionen (17 Artikel/3,6 % der AS) fallen niedriger aus. Nur in geringem Ausmaß vertreten sind Interviews (9 Artikel/1,9 % der AS) und Reportagen/features (12 Artikel/2,5 % der AS). Auch beim Spiegel überwiegt die Berichterstattung durch Berichte (42 Artikel/29,2 % der AS) und Nachrichten (21 Artikel/14,6 % der AS). Daneben tritt ein großer Anteil von Reportagen und features (49 Artikel/34,0 % der AS), in denen neben tatsachenbetonten auch kommentierende Versatzstücke enthalten sind. Zur explizit meinungsorientierten Stilform des Essay gehören 12 Artikel, d.h. 8,3 % der Spiegel-Stichprobe. Interviews werden im Rahmen der Gentherapie-Berichterstattung im Spiegel etwas häufiger abgedruckt als in der FAZ, insbesondere in Relation zur Gesamtartikelzahl der Spiegel-Stichprobe (10 Artikel/6,9 % der AS).

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Tab. 4.5 Artikeltypen in FAZ und Spiegel

Fazit Den Artikeltypen zufolge ist die Gentherapie-Berichterstattung vorwiegend tatsachenbetont. Die Betonung von Fakten zeigt sich in beiden Printmedien an dem hohen Stellenwert von Nachrichten und Berichten. Eine stärker meinungsorientierte Berichterstattung lässt sich in der FAZ an den einschlägigen Stilformen wie Kommentaren und Essays erkennen, im Spiegel am hohen Anteil von Reportagen und features, in denen sich in dem Wochenmagazin kommentierende und tatsachenbetonte Versatzstücke mischen. Dieser Anteil kommentierender Berichterstattung weist auch auf die Konflikthaftigkeit und soziale Relevanz der Gentherapie hin.

4.3.3 Akteure, die Berichterstattung über Gentherapie initiieren Intention Ein großer Teil der Berichterstattung über Gentherapie geht auf Anlässe zurück, die von anderer Seite geschaffen werden (s. Anhang, S. 7.3).

82 | Gesunde Gene Durch die Initiierung entsprechender Anlässe kann zwar nicht die Art der Darstellung vorweggenommen, die mediale Agenda aber entscheidend geprägt werden. Welche Akteure bestimmen die mediale Darstellung durch die Schaff ung entsprechender Anlässe wesentlich mit? Ergebnisse Sowohl bei der FAZ als auch beim Spiegel wird die Berichterstattung zum größten Teil von Akteuren aus dem Bereich Naturwissenschaft veranlasst (s. Abb. 4.2 und Abb. 4.3). Beim Spiegel geht etwas mehr als die Hälfte der Berichterstattung, bei der FAZ etwas weniger als die Hälfte auf Akteure aus dem Feld Naturwissenschaft zurück (FAZ: 221 Artikel/46,2 % der AS, Spiegel: 75 Artikel/52,1 % der AS). Bei beiden Printmedien folgt der Dominanz der naturwissenschaftlichen Akteure die Politik mit deutlichem Abstand auf Rang zwei (FAZ: 81 Artikel/16,9 % der AS, Spiegel: 19 Artikel/13,2 % der AS). Daneben initiieren Akteure aus Medien und Wirtschaft einen kleinen Anteil der Berichterstattung. Bei der FAZ gehen 40 Artikel (8,4 % der AS) auf Akteure aus den Medien zurück, beim Spiegel sind es 10 Artikel (6,9 % der AS). Was die Wirtschaft betriff t, so sind bei der FAZ 28 Artikel bzw. 5,9 % der Stichprobe auf einen Anstoß durch Akteure aus diesem Gebiet zurückzuführen, beim Spiegel 8 Artikel bzw. 5,6 % der Stichprobe. Akteure aus allen anderen Feldern spielen nur eine untergeordnete Rolle. Bei der FAZ sind zwar Anlässe repräsentiert, die auf die Initiative von Akteuren aus Geistes- bzw. Sozialwissenschaft, Recht oder Kirche zurückgehen, diese umfassen jedoch jeweils höchstens 2 % der FAZ-Stichprobe. Soziale Organisationen, Protestgruppen oder Betroffene geben zu nicht mehr als 1 % der FAZ-Berichterstattung Anlass. Beim Spiegel fehlen die sozialen Organisationen und die Protestgruppen als Initiatoren von Berichterstattung ganz, ebenso die Kirche. Auch auf Betroffene oder Akteure aus Geistes- bzw. Sozialwissenschaft geht beim Spiegel keine nennenswerte Berichterstattung zurück. Der Initiative von Akteuren aus dem Recht sind nicht mehr als fünf Artikel (3,5 % der AS) zuzuordnen. In beiden Printmedien wird dagegen in einem größeren Teil der Artikel kein Akteur erkennbar, der Berichterstattung initiiert haben könnte (FAZ: 59 Artikel/12,3 % der AS, Spiegel: 22 Artikel/15,3 % der AS).

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Abb. 4.2 Akteure, die bei der FAZ Berichterstattung über Gentherapie initiieren

Abb. 4.3 Akteure, die beim Spiegel Berichterstattung über Gentherapie initiieren

Erläuterungen: Naturwiss. = Naturwissenschaft, Geisteswiss. = Geisteswissenschaft, hierunter sind auch Akteure aus der Sozialwissenschaft gefasst, Soziale Org. = Soziale Organisationen

84 | Gesunde Gene Fazit Die mediale Debatte um die Gentherapie wird nicht nur durch Einordnungen in Rubriken oder Artikeltypen geformt, sondern ebenso durch die Selektion von Anlässen, über die berichtet wird. In der Initiierung von Anlässen sind in beiden Printmedien eindeutig Akteure aus der Naturwissenschaft dominant. Politische Akteure haben demgegenüber einen sehr viel geringeren Anteil an der Anregung von Anlässen. Andere potentielle Anlass-Initiatoren wie soziale Organisationen, Protestgruppen, Betroffene oder die Kirche besitzen kaum Relevanz für die Auslösung einer medialen Antwort. Der Anteil der Anlässe, die auf diese Gruppierungen zurückgehen, liegt in der FAZ bei maximal 2 % der Berichterstattung, beim Spiegel fehlen soziale Organisationen, Protestgruppen und die Kirche als Anlassgeber ganz. Die Berichterstattung ist mithin deutlich von Ereignissen aus der Naturwissenschaft geprägt.

4.3.4 Rubriken, Artikeltypen und Akteure im Zeitverlauf Ergebnisse Tab. 4.6 und Tab. 4.7 zeigen, wie sich Rubriken, Artikeltypen und Akteure über die verschiedenen Phasen der Berichterstattung hinweg verhalten. Prozentangaben sind im Folgenden auf die Artikel der jeweiligen Phase bezogen und werden AdP abgekürzt. Bei der FAZ bleiben die dominanten Ausprägungen bei Artikeltypen und Akteuren im Zeitverlauf gleich – in allen Phasen ist der Bericht die häufigste Stilform der Artikel (29,8 %-53,3 % der AdP) und naturwissenschaftliche Akteure sind die maßgeblichen Anlass-Initiatoren (36,7 %-66,7 % der AdP). Bei den Rubriken lässt sich dagegen ein markanter Wechsel feststellen: Hat in den ersten drei Phasen konstant die Rubrik Natur und Wissenschaft den größten Anteil an den Artikeln der jeweiligen Phase (40,0 %-60,0 % der AdP), so ist es in der vierten Phase das Feuilleton, in dem die meisten Artikel der Gentherapie-Berichterstattung erscheinen (38,5 % der AdP). In der Rubrik Natur und Wissenschaft wird in der vierten Phase dagegen weniger als ein Viertel der Beiträge veröffentlicht (23,4 % der AdP). Der Anteil der meinungsorientierten Berichterstattung erreicht in dieser Phase die höchsten Werte, mit insgesamt etwa einem Drittel (28,5 %) der Artikel der Phase (Kommentar: 13,8 % der AdP, Essay: 14,7 % der AdP). Der Stellenwert von Politik scheint vor allem in der zweiten Phase hoch zu sein, in der etwa ein Drittel der Artikel von politischen Akteuren angestoßen wird (28,3 % der AdP) und etwa ein Fünftel der Artikel in der Rubrik Politik erscheint (21,7 % der AdP). Das Spektrum der

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Artikeltypen, Rubriken und Akteure erweitert sich in der FAZ über die Phasen hinweg, parallel zur Zunahme der Berichterstattung. Tab. 4.6 Artikeltypen, Rubriken und Akteure in den verschiedenen Phasen der Gentherapieberichterstattung

Wie in der FAZ ist beim Spiegel eine relativ große Kontinuität der dominanten Ausprägungen zu verzeichnen; nur in einzelnen Phasen gibt es Abweichungen. Bei den Artikeltypen ist nur in der ersten Phase der Bericht die vorrangige journalistische Stilform (42,9 % der AdP), in allen weiteren Phasen ist es dagegen die Artikelform Reportage/feature (30,0-46,2 % der AdP). Als Rubrik dominiert im Spiegel deutlich der Magazinteil Wissenschaft. Anders als in der FAZ bleibt die Rubrik Wissenschaft auch in der vierten Phase Hauptort der Berichterstattung. Titelgeschichten, in denen der Gentransfer in menschliche Zellen aufgegriffen wird, treten seit der ersten Phase auf und erreichen einen Anteil von 11,4 %-22,6 % der Artikel der Phase. In der ersten, dritten und vierten Phase initiieren vor allem naturwissenschaftliche Akteure Anlässe der Berichterstattung (33,3 %-68,6 % der AdP). In der zweiten Phase geben dagegen vor allem politische Akteure Anlass, über Gentherapie zu berichten (34,6 % der AdP). Von naturwissenschaftlichen Akteuren geht in dieser Phase von 1985 bis 1992 aber immer noch in etwas mehr als einem Viertel der Artikel der Phase (26,9 % der AdP) ein Anstoß für Berichterstattung aus. Anders als in

86 | Gesunde Gene der Tageszeitung erweitert sich im Spiegel das Spektrum der Artikeltypen, Rubriken oder Akteure im Zeitverlauf kaum. Tab. 4.7 Artikeltypen, Rubriken und Akteure in den verschiedenen Phasen der Gentherapieberichterstattung

Fazit Im Zeitverlauf sind insbesondere in der FAZ die dominanten Ausprägungen bei Artikeltyp, Rubrik und Akteuren bemerkenswert konstant. Diese Kontinuität spricht dafür, dass auch mit der geringen Artikelzahl in Phase I ein charakteristisches oder typisches Bild der FAZ-Berichterstattung dieser Zeit erstellt werden kann. Die Auswahl von Artikeln der Phase I scheint durch mögliche Rechercheartefakte nicht in bestimmter Weise verzerrt zu sein. Artikel in Rubriken wie Feuilleton oder Politik, mit denen die soziale Relevanz der Gentherapie angedeutet wird, treten vereinzelt schon in der ersten Phase auf.5 Sowohl die Rubrik Politik als auch politische Akteure erscheinen in der FAZ allerdings erst im Jahr 1984, also im Übergang zur zweiten Phase. Mit Beginn der politischen Diskussion über die Gentherapie in Deutschland kommt der Politik auch in der Gentherapie-Berichterstattung der FAZ Bedeutung zu, wie sich in der zweiten Phase an dem Anteil von Artikeln zeigt, die durch Akteure aus der Politik ver5 | In Tab. 4.6 sind diese Fälle nicht aufgeführt, da Kategorien mit weniger als fünf Artikeln pro Phase nicht in die Darstellung aufgenommen wurden.

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anlasst und in der Rubrik Politik veröffentlicht werden. In der dritten Phase spielt die Wissenschaft wieder eine stärkere Rolle, was darin sichtbar wird, dass der Anteil von Artikeln in der Rubrik Wissenschaft wieder steigt und ein größerer Teil der Berichterstattung auf die Initiative naturwissenschaftlicher Akteure zurückgeht. Die vierte Phase in der FAZ ist bezüglich einer Veränderung in der Einordnung des Gentransfers in menschliche Zellen sehr aufschlussreich. In dieser Phase verlagert sich parallel zu dem Anstieg der Artikelzahlen die mediale Diskussion über die Gentherapie in das Feuilleton, womit die gesellschaftliche Bedeutung besonders hervorgehoben wird. Zugleich erhöht sich der Anteil meinungsorientierter Berichterstattung durch Kommentare bzw. Essays. Der Anteil der in der Rubrik Natur und Wissenschaft veröffentlichten Artikel sinkt dagegen im Vergleich zu den vorigen Phasen deutlich ab. Dies ist eine bemerkenswerte Veränderung in der Kontextualisierung der Gentherapie: Zuvor primär als wissenschaftlicher Sachverhalt eingeordnet, wird die Gentherapie in den Jahren 2000 und 2001 formal eher als gesellschaftsbezogener Gegenstand verortet. Im Spiegel findet in allen Phasen der Großteil der Gentherapie-Berichterstattung in der Rubrik Wissenschaft statt. In der zweiten Phase – und nur in dieser – sind politische Akteure als Anlass-Initiatoren maßgeblicher als die sonst vorherrschenden naturwissenschaftlichen Akteure. In dieser Phase zeigt sich beim Spiegel demnach ähnlich wie bei der FAZ eine erhöhte Bedeutung der Politik für die GentherapieBerichterstattung, parallel zu dem verstärkten politischen Interesse an der Gentherapie in dieser Zeit. Der Artikeltyp des Berichts dominiert nur in der ersten Phase, schon in diesem Zeitraum treten daneben höhere Anteile von Artikeln wie Reportagen und features. In der zweiten Phase wird der Bericht als vorherrschender Artikeltyp von Reportagen und features abgelöst. Da im Spiegel Reportagen und features längere kommentierende Passagen enthalten, verweist dies auf eine Hinwendung zu mehr kommentierenden Formen, die in den weiteren Phasen bestehen bleibt. In der dritten und vierten Phase werden die Reportagen und features durch Essays um eine explizit meinungsorientierte Stilform ergänzt. Ähnlich wie die Titelgeschichten, die seit der ersten Phase einen erwähnenswerten Anteil an der Gentherapie-Berichterstattung des Spiegel besitzen, lässt sich die Ausrichtung auf Kommentierung als ein Hinweis auf die soziale Relevanz des Gentransfers in menschliche Zellen verstehen. Die gesellschaftliche Bedeutung der Gentherapie scheint im Spiegel folglich schon recht früh etabliert. Eine starke Veränderung der Ein-

88 | Gesunde Gene ordnung der Gentherapie in der vierten Phase ist beim Spiegel, anders als bei der FAZ, nicht zu beobachten.

4.3.5 Themen der Berichterstattung Intention Die Gentherapie wird als Sachverhalt auch über die Themenkomplexe kontextualisiert, in denen sie aufgegriffen wird. Unter welchen thematischen Schwerpunkten wird die Gentherapie im zeitlichen Verlauf gesellschaftlich verortet, wie wird die Gentherapie thematisch kontextualisiert? Welche Themen sind dominant und zu welchem Zeitpunkt? Methodische Anmerkungen Das Thema wurde zunächst offen erhoben und nach Brinker (1988) als »Kern des Textinhaltes« bzw. »größtmögliche Zusammenfassung des Textinhaltes« aufgefasst. Pro Artikel wurde ein Thema erhoben. Die sich ergebende Liste der Themenparaphrasen wurde nach Abschluss der Erhebung in einem Prozess mehrschrittiger Abstraktion zu den in Tab. 4.8 (S.89) definierten Kategorien zusammengefasst. Bei den Themenkategorien handelt es sich um die Zusammenfassung einer Reihe von Einzelthemen, z.B. Bioethik-Konvention oder Patentschutz für den Themenkomplex Recht oder Stammzellen und Genomforschung in der Themenkategorie andere biomedizinische Optionen. Ergebnisse In der Berichterstattung über Gentherapie in der FAZ ist die Grundlagenforschung der häufigste Themenkomplex (s. Tab. 4.9, S. 91), auf den in einem Viertel der Artikel Bezug genommen wird (118 Artikel/24,7 % der AS). Auch Artikel, in denen die Reflexion im Vordergrund steht, spielen eine relevante Rolle (73 Artikel/15,4 % der AS). Artikel, die vorwiegend andere biomedizinische Optionen als die Gentherapie thematisieren, nehmen ebenfalls einen verhältnismäßig hohen Anteil ein (61 Artikel/12,8 % der AS). Dagegen werden Fragen aus dem Themenkomplex Recht in nur wenig mehr als 10 % der Artikel der FAZ erörtert (53 Artikel/11,1 % der AS). Gentherapieversuche am Menschen nehmen mit 38 Artikeln einen Anteil von 7,9 % der FAZ-Berichterstattung ein, ebenso wie Artikel zur Wissenschaft als Institution und zu ihren Repräsentanten (38 Artikel/7,9 % der AS).

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Tab. 4.8 Definitionen der Themenkategorien Themenkategorie

Definition

Andere biomedizinische Optionen

In diesen Artikeln stehen verschiedene Aspekte anderer biomedizinischer Optionen wie beispielsweise Klonen, Stammzellen, PID oder Genomentzifferung im Mittelpunkt.

Grundlagenforschung

Hauptsächlich werden Erkenntnisse und Ergebnisse gentherapeutischer und allgemeiner, grundlegender Forschung aus Tierexperimenten, Zellkulturen etc. abgebildet. Auch Fortschritte bei der Grundlagenforschung in Bezug auf die Behandlung bestimmter Krankheiten wie Rheuma oder Krebs werden dieser Kategorie zugeordnet. Artikel zur Grundlagenforschung für die Techniken Klonen, Stammzellen, PID oder Genomentzifferung werden dem Punkt andere biomedizinische Optionen zugeordnet (s.o.). Gentherapie-Experimente am Menschen werden in einer eigenen Kategorie erfasst (s.u.).

Medizin

In diesen Artikeln ist die Auseinandersetzung mit allgemeinen medizinischen Fragen zentral, d.h. medizinische Entwicklungen oder Organisation und Ausrichtung (z.B.: Wohin steuert die Hightech-Medizin?) des medizinischen Systems.

Politik

Der Schwerpunkt der Artikel liegt in der Politik, beispielsweise bei politischen Entscheidungen, Parteipositionen oder der Arbeit von Kommissionen.

Recht

Fragen des Rechts, wie z.B. Patente oder die Entwicklung internationaler Konventionen, stehen im Zentrum des Artikels.

Reflexion

Erfasst Artikel, in denen kulturelle und ethische Aspekte zentral sind, entweder in Bezug auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen (z.B. Verantwortung der Wissenschaft) oder in Bezug auf die Bewertung konkreter Techniken, etwa der Keimbahnintervention.

90 | Gesunde Gene Therapieversuch am Menschen

In diesen Artikeln stehen Gentransfer-Experimente am Menschen im Vordergrund.

Unerwünschte Folgen

Artikel dieser Kategorie beschäftigen sich vorwiegend mit unerwünschten Folgen einer Gentherapie, wie Nebenwirkungen oder Todesfällen.

Wissenschaft

In diesen Artikeln geht es hauptsächlich um Aspekte der Wissenschaft jenseits der Forschung, z.B. die Vorstellung wissenschaftlicher Organisationen, Porträts von Wissenschaftlern oder Ehrungen.

Wissenschaftskommunikation

In diesen Artikeln steht die Kommunikation mit außerwissenschaftlichen Publika im Vordergrund, z.B. Aktivitäten mit verschiedenen Teilnehmern.

Wirtschaft

Artikel dieser Kategorie befassen sich vorwiegend mit wirtschaftlichen Einrichtungen oder Ereignissen, wie beispielsweise der Entwicklung von Unternehmen.

Auch beim Spiegel wird vor allem auf die Grundlagenforschung Bezug genommen, insgesamt in etwas weniger als einem Fünftel der Artikel (27 Artikel/18,8 % der AS). Der Abstand zur nächstgrößeren Themenkategorie ist sehr viel geringer als bei der FAZ; Artikel zu anderen biomedizinischen Optionen sind beim Spiegel kaum weniger häufig als diejenigen zur Grundlagenforschung (25 Artikel/17,4 % der AS). Die Zahl der Artikel, in denen die Reflexion im Vordergrund steht, ist nur etwas niedriger (20 Artikel/13,9 % der AS) und bildet den dritthäufigsten Themenkomplex. Artikel zu Gentherapieversuchen am Menschen sind beim Spiegel mit 17 Artikeln und 11,8 % der Artikelstichprobe vertreten. Der Themenkomplex Medizin ist beim Spiegel in Relation zur Zahl der Gesamtartikel insgesamt etwas stärker präsent als bei der FAZ (12 Artikel/8,3 % der AS). Wissenschaftliche Ehrungen, wissenschaftliche Repräsentanten oder die Wissenschaft als Institution stehen im Mittelpunkt von 11 Artikeln (7,6 % der AS). Nur schwach vertreten sind Artikel zum Recht (9 Artikel/6,3 % der AS) und zur Politik (7 Artikel/4,9 % der AS). Weniger als 5 % der Artikel der Spiegel-Stichprobe thematisieren Wirtschaft (6 Artikel/4,2 % der AS), unerwünschte Folgen (5 Artikel/3,5 % der AS) und Wissenschaftskommunikation (5 Artikel, 3,5 % der AS).

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Tab. 4.9 Themenkomplexe der Berichterstattung zur Gentherapie in FAZ und Spiegel

Fazit Die Einordnung der Gentherapie als Wissenschaftsgebiet mit bedeutenden sozialen Implikationen spiegelt sich auch in den thematischen Schwerpunkten der beiden Printmedien. Ein Großteil der zur Gentherapie veröffentlichten Artikel lässt sich dem Themenkomplex Grundlagenforschung zuordnen, diese Tendenz ist bei der FAZ deutlich ausgeprägt, im Spiegel besteht der Unterschied zum nächstgrößeren Themenkomplex nur in wenigen Artikeln. Neben der Grundlagenforschung haben Artikel, in denen die Reflexion im Vordergrund steht, einen recht hohen Anteil an der Berichterstattung über die Gentherapie, in der FAZ bilden sie den zweithäufigsten Teil des Themenspektrums, im Spiegel den dritthäufigsten. Mit der Konzentration auf den Themenkomplex Reflexion wird der Gentransfer in menschliche Zellen als gesellschaftlich relevanter Gegenstand hervorgehoben, da die Gentherapie hier sowohl ethisch bewertet als auch in Bezug auf größere gesellschaftliche Entwicklungen eingeordnet wird. Bei einem anderen Themenkomplex zeigt sich der Charakter der Gentechnik

92 | Gesunde Gene als Querschnittstechnologie – in beiden Printmedien wird die Gentherapie ausgesprochen häufig in Verbindung mit anderen biomedizinischen Optionen diskutiert oder erwähnt, im Spiegel ist dieser Themenkomplex der zweitgrößte, in der FAZ der drittgrößte. Politik und Recht besitzen in der FAZ als tagesaktuellem Medium zwar erwähnenswerte Anteile, treten aber sowohl in der FAZ als auch im Spiegel gegenüber den vorgenannten Themenkategorien in ihrer Bedeutung zurück. Die Diskussion über die Gentherapie wird weniger als regulatives, sondern eher als ethisch-reflexives Konfliktfeld behandelt. Der Themenkomplex Wirtschaft ist in beiden Printmedien nur vergleichsweise gering vertreten. Mehr mediale Aufmerksamkeit als Politik, Recht oder Wirtschaft erhalten im Spiegel Therapieversuche am Menschen. Die Konzentration auf diesen Themenkomplex, der auch in der FAZ präsent ist, entspricht dem Primat der wissenschaftlichen Forschung und erklärt sich zudem aus der generellen Anwendungsorientierung der Medien. Auch Artikel, in denen die Wissenschaft in institutionalisierter Form vorgestellt wird, etwa anhand bestimmter Forschungseinrichtungen oder über Berichte zu wissenschaftlichen Ehrungen, besitzen in beiden Presseorganen größere Anteile als etwa die Politik und verweisen nochmals auf eine vorwiegend wissenschaftliche Perspektive der Berichterstattung. Werden, wie im Themenkomplex Medizin, einzelne Krankheiten oder Entwicklungen des medizinischen Systems in den Vordergrund gerückt, bleiben Verweise auf die Methode des Gentransfers in menschliche Zellen dagegen relativ selten. Artikel, welche Wissenschaftskommunikation in den Mittelpunkt stellen, sind ebenfalls nur sehr geringfügig vertreten. Auch der Anteil von Artikeln, in denen unerwünschte Folgen der Gentherapie den zentralen Themenkomplex bilden, bleibt peripher.

4.3.6 Themenkomplexe im Zeitverlauf Ergebnisse Im Zeitverlauf betrachtet, ist die Grundlagenforschung bei der FAZ nur in der ersten und dritten Phase der häufigste Themenkomplex (s. Tab. 4.10, S. 93; Phase I: 40 % der AdP, Phase III: 33,5 % der AdP). In der zweiten Phase werden dagegen vor allem Gentherapieversuche am Menschen aufgegriffen, insgesamt in einem Viertel der Artikel der Phase (25,0 % der AdP). In der vierten Phase wird die Gentherapie hauptsächlich im Zusammenhang mit anderen biomedizinischen Optionen thematisiert, die Grundlage für etwa ein Fünftel der Artikel dieser Phase sind (21,6 % der AdP).

Tab. 4.10 Themenkomplexe in den verschiedenen Phasen der Gentherapieberichterstattung in der FAZ

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Tab. 4.11 Themenkomplexe in den verschiedenen Phasen der Gentherapieberichterstattung im Spiegel

94 | Gesunde Gene

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Neben der Grundlagenforschung werden in der FAZ in der ersten Phase andere Themenkomplexe wie Medizin, Politik, Therapieversuch und Reflexion nur in vereinzelten Artikeln (für jede der genannten Kategorien je 2 Artikel/13,3 % der AdP) aufgegriffen. In der zweiten Phase steht neben den Therapieversuchen vor allem die Reflexion im Vordergrund, die ein Fünftel der Artikel dieser Phase bestimmt (20 % der AdP). Nahezu ebenso viele Artikel gelten dem Themenkomplex Politik, dessen prozentualer Anteil in dieser Zeit höher ist als in allen anderen Phasen (18,3 % der AdP). Der Anteil der Beiträge zur Grundlagenforschung hat sich dagegen im Vergleich zur vorangehenden Phase verringert (16,7 % der AdP). Nur 10 % der Artikel der zweiten Phase beschäftigen sich hauptsächlich mit rechtlichen Fragen. In der dritten Phase wird in den Artikeln wiederum die Grundlagenforschung am häufigsten angesprochen, mit etwas mehr als einem Drittel der Beiträge dieses Zeitraums (33,5 % der AdP). Artikel zum Recht bilden – mit einigem Abstand – den zweithäufigsten Themenkomplex (14,1 % der AdP). Der Anteil von Artikeln der Kategorie Reflexion liegt knapp darunter (11,4 % der AdP). Gentherapieversuche am Menschen sind dagegen im Vergleich zur zweiten Phase sehr viel seltener Gegenstand der Artikel (8,1 % der AdP). Artikel zur Politik spielen im Gegensatz zur vorherigen Phase kaum noch eine Rolle (1,6 % der AdP). In der vierten Phase sind erstmals Artikel zu anderen biomedizinischen Optionen am häufigsten(21,6 % der AdP). Sowohl die Grundlagenforschung (18,3 % der AdP) als auch der Themenkomplex Reflexion (17,4 % der AdP) sind jedoch kaum weniger häufig vertreten. Zu einem deutlich geringeren Anteil werden in den Beiträgen Recht (9,6 % der AdP) und Politik (8,3 % der AdP) thematisiert. Stark verringert hat sich gegenüber den vorigen Phasen der Anteil der Artikel zu Therapieversuchen (2,8 % der AdP). Der Anteil der weiteren Themenkomplexe wie etwa Wissenschaft oder Wirtschaft, schwankt über die Phasen hinweg, erreicht aber zu keinem Zeitpunkt mehr als 10 % der Artikel der Phase. Sowohl unerwünschte Folgen als auch Bezüge auf Wissenschaftskommunikation spielen in allen Phasen nur eine untergeordnete Rolle und werden fast ausnahmslos in weniger als 5 % der Artikel der Phase aufgegriffen. Beim Spiegel hat die Grundlagenforschung nur in der ersten Phase den höchsten Anteil an der Berichterstattung (37,1 % der AdP, s. Tab. 4.11, S. 94). In der zweiten Phase sind es die Gentherapieversuche am Menschen, auf die der größte Anteil der Artikel entfällt (23,1 % der AdP). Früher als in der FAZ sind im Spiegel die anderen biomedizini-

96 | Gesunde Gene schen Optionen der hauptsächliche thematische Bezugspunkt, nämlich schon in der dritten Phase (20,7 % der AdP), dies setzt sich in der vierten Phase fort (20,0 % der AdP). Ähnlich wie in der FAZ wird in der ersten Phase die Grundlagenforschung in den Vordergrund gerückt. Weitere Themenkategorien wie andere biomedizinische Optionen, Reflexion, Wissenschaft oder Medizin und Therapieversuch erreichen dagegen nur geringe Anteile zwischen 8,6 % und 11,4 % der Artikel der Phase. In der zweiten Phase kristallisieren sich nicht nur Gentherapieversuche am Menschen als wichtiger Themenkomplex heraus, sondern auch rechtliche Fragen (19,2 % der AdP). Allein in dieser Phase erreicht der Anteil der Politik im Spiegel mehr als 5 %, mit 15,4 % der Artikel der Phase. Der Themenkomplex der anderen biomedizinischen Optionen hat den gleichen Anteil (15,4 % der AdP). Die Grundlagenforschung wird dagegen in einem deutlich kleineren Anteil von Artikeln dargestellt als zuvor (11,5 % der AdP). In der dritten Phase überwiegt zwar erstmals der Anteil der Artikel, in denen andere biomedizinische Optionen den hauptsächlichen Themenkomplex darstellen (20,7 % der AdP). Der Anteil der Artikel zur Grundlagenforschung ist jedoch wieder gestiegen und kaum geringer (18,9 % der AdP). Daneben ist der Anteil der Reflexion (17,2 % der AdP) bemerkenswert. Therapieversuche werden dagegen weniger häufig aufgegriffen als zuvor (13,2 % der AdP). In der vierten Phase sind andere biomedizinische Optionen und Reflexion die häufigsten thematischen Bezugspunkte (je 20 % der AdP). Als zweithäufigster Themenkomplex folgt die Medizin (16,7 % der AdP). Artikel zur Wissenschaft als Institution sind in diesem Zeitraum häufiger als in allen Phasen zuvor und erreichen einen Anteil von 13,3 % der Artikel der Phase. Der Anteil von Artikeln zum Themenkomplex Recht hat sich dagegen deutlich verringert und ist auf 10 % der Artikel der Phase gesunken. Die Grundlagenforschung spielt in den Jahren 2000 und 2001 im Spiegel kaum noch eine Rolle (3,3 % der AdP). Auch im Spiegel erreichen viele Themenkomplexe nur in einzelnen Phasen Anteile über 10 % der Artikel der Phase, einige wie etwa Wirtschaft übersteigen diesen Wert in keinem der untersuchten Zeiträume. Wie in der FAZ bleiben thematische Bezüge auf unerwünschte Folgen wie auch auf Wissenschaftskommunikation unbedeutend, mit weniger als 5 % der Artikel in fast allen Phasen.

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Fazit Obwohl die Grundlagenforschung insgesamt die häufigste Kategorie ist, stehen in einzelnen Phasen andere Themenkomplexe im Vordergrund. Mit Beginn der ersten offiziellen Gentherapieversuche in der zweiten Phase werden die Therapieversuche am Menschen in der FAZ wie auch im Spiegel zum Themenkomplex, der am häufigsten aufgegriffen wird. In der letzten Phase liegt dagegen in beiden Printmedien der Schwerpunkt auf den anderen biomedizinischen Optionen. In der FAZ ist der Anteil der Artikel mit diesem Fokus in den ersten drei Phasen kaum erwähnenswert, nimmt in der vierten Phase jedoch deutlich zu. Dieser Befund scheint für eine veränderte Charakteristik der medialen Debatte der FAZ in den Jahren 2000 und 2001 zu sprechen, wie schon der massive Anstieg der Artikelzahlen, die Einordnung eines Großteils der Berichterstattung ins Feuilleton und die verstärkte Meinungsorientierung (s. S. 67). Offenbar entsteht die erhöhte mediale Aufmerksamkeit der Tageszeitung in diesen Jahren nicht zuletzt aufgrund der stärkeren thematischen Verknüpfung der Gentherapie mit anderen Anwendungsfeldern der Biomedizin. Auch im Spiegel nehmen die anderen biomedizinischen Optionen in der vierten Phase als Themenkomplex den größten Anteil ein, zugleich mit dem Themenkomplex Reflexion. Bereits in der dritten Phase sind die anderen biomedizinischen Optionen im Spiegel die am häufigsten aufgegriffene Themenkategorie und schon in den ersten beiden Phasen erreichen Artikel mit diesem Fokus einen Anteil über 10 % der Artikel der Phase. Die relative Konstanz dieser Themensetzung entspricht den bisherigen Ergebnissen, nach denen eine Veränderung der medialen Charakteristik in den Jahren 2000/2001 für den Spiegel nicht ausgemacht werden kann. Zwar tritt die Grundlagenforschung in einzelnen Phasen in ihrer Bedeutung zurück. Themenkomplexe, welche die gesellschaftlichen Aspekte im Zusammenhang mit der Gentherapie betonen, besitzen jedoch zu keinem Zeitpunkt eine alleinige Vorrangstellung. Gleichwohl klingt die gesellschaftliche Relevanz – in vereinzelten Artikeln mit einem Fokus auf Reflexion oder Politik – in beiden Presseorganen schon in der ersten Phase an, eine Tendenz, die in den folgenden Phasen verstärkt wird. In der FAZ besitzt der Themenkomplex Reflexion von der zweiten bis zur vierten Phase den zweit- oder dritthöchsten Anteil, im Spiegel triff t dies für die dritte und vierte Phase zu. In der zweiten Phase findet die politische Auseinandersetzung um die Gentechnologie Widerhall, in dieser Phase ist die Politik stärker repräsentiert als in allen anderen Phasen. In der dritten Phase ist darüber hinaus der Themenkomplex Recht in der FAZ besonders prominent. Die

98 | Gesunde Gene starke Thematisierung rechtlicher Fragen in der Tageszeitung in dieser Phase hängt vor allem mit den Fragen der Biopatentrichtlinie und der Bioethik-Konvention zusammen, die in diesem Zeitraum erörtert werden. Der höhere Anteil des Rechts beim Spiegel in der zweiten Phase geht auf nur wenige Artikel zurück, die beispielsweise das Problem der Leihmutterschaft oder der Patentierung biotechnisch veränderter Tiere abhandeln. Themenkomplexe wie unerwünschte Folgen oder Wissenschaftskommunikation sind in allen Phasen nur gering vertreten, auch in der ersten Phase kann keine Häufung von Artikeln dieser Thematik festgestellt werden. Viele der übergeordneten Aspekte, innerhalb derer die Gentherapie verortet wird, treten schon in der ersten Phase in Erscheinung. Während in diesem Zeitraum Themenkomplexe wie Reflexion, Politik oder Recht, welche auf die gesellschaftliche Relevanz hinweisen, vereinzelt bleiben, wird die Grundlagenforschung, das heißt der wissenschaftliche Aspekt, in der ersten Phase klar betont. Die Perspektive auf den Gentransfer in menschliche Zellen als Gegenstand mit sozialen und ethischen Implikationen scheint sich thematisch erst in den folgenden Phasen stärker zu entfalten.

4.4. Kontextualisierung – Assoziation mit dem Wert Gesundheit 4.4.1 Medizinischer Nutzen oder Verbesserung von Eigenschaften? Intention Bisher konzentrierte sich die Analyse auf die grobe Struktur und verschiedene Charakteristika der Berichterstattung über Gentherapie. Im Folgenden soll die Kontextualisierung in Bezug auf die Assoziation mit dem Wert Gesundheit untersucht werden, insofern diese im Hinblick auf die gesellschaftliche Integration wertsensibler Techniken wesentlich erscheint (s. 2.5). Als erstes soll untersucht werden, inwieweit die Relation von Nutzen und Bedenken in der medialen Debatte dem in der Erosionsthese antizipierten Muster entspricht. Wird stärker die therapeutische Ausrichtung der Veränderung menschlichen Genmaterials berücksichtigt oder eher das Potential zur Verbesserung von Eigenschaften? Und wie verändert sich dies im Zeitverlauf? Nehmen Hinweise auf Bedenken ab, während medizinische Nutzen stärker in den Vordergrund treten? Zu den Vorhersagen der Erosionsthese gehört ein Wechsel von uto-

Quantitative Inhaltsanalyse | 99

pischen zu alltagsnahen Vorstellungen über die Technik. Bezüge auf eine potentielle Optimierung des Menschen enthalten ein utopisches Element. Indem die Bezugnahmen auf eine mögliche gentechnische Verbesserung über die Zeit hinweg verfolgt werden, lässt sich ein Indiz dafür gewinnen, ob Verweise auf utopische bzw. dystopische Ideen im Verlauf der Debatte tatsächlich geringer werden. Ergebnisse Insgesamt überwiegt die Erwähnung medizinischer Nutzen sowohl in der FAZ als auch im Spiegel deutlich die Nennung einer möglichen Verbesserung des Menschen als potentielles Ziel des Gentransfers in menschliche Zellen (s. Abb. 4.4). Abb. 4.4 Vergleich der Häufigkeit der Nennung medizinischer Nutzen und einer möglichen Optimierung

In der FAZ werden in 210 Artikeln und damit 43,9 % der Stichprobe medizinische Nutzen erwähnt, im Spiegel sind es 76 Artikel und etwas mehr als die Hälfte, d.h. 52,8 % der Stichprobe. Eine Optimierung des Menschen wird in der FAZ in deutlich weniger, nämlich nur 83 Artikeln (17,4 % der AS) mit dem Gentransfer in menschliche Zellen in Verbindung gebracht. Auch im Spiegel wird eine potentielle Verbesserung des Menschen seltener genannt als mögliche medizinische Nutzen. Beim Spiegel treten Vorstellungen über eine eventuelle Optimierung in 51 Artikeln auf, das entspricht etwa einem Drittel der Artikel (35,4 % der AS). Optimierungsvorstellungen sind im Spiegel somit prominenter vertreten als in der FAZ. Im Zeitverlauf macht sich die Differenz zwischen der Nennung medizinischer Nutzen und einer möglichen gentechnischen Verbes-

100 | Gesunde Gene serung in der FAZ in allen Phasen bemerkbar (s. Tab. 4.12). Im Spiegel zeigen sich diese Unterschiede vor allem in der ersten und dritten Phase, während in der zweiten und vierten Phase die Erwähnung medizinischer Nutzen und einer potentiellen Optimierung gleich häufig ist (s. Tab. 4.13). Tab. 4.12 FAZ: Nennung von Optimierung und medizinischen Nutzen

Tab. 4.13 Spiegel: Nennung von Optimierung und medizinischen Nutzen

Medizinische Nutzen werden in der vierten Phase deutlich weniger häufig erwähnt als in der ersten, dies gilt für beide Printmedien. Auf die Möglichkeit einer gentechnischen Optimierung wird in beiden Presseorganen in der dritten Phase deutlich weniger häufig verwiesen als in den beiden Phasen zuvor oder in der vierten Phase. Fazit An dem hohen Anteil der Erwähnung medizinischer Nutzen zeigt sich, dass die Gentherapie in beiden Printmedien insgesamt vorwiegend als medizinische Option kontextualisiert wird. Die Möglichkeit einer Verbesserung des Menschen durch den Gentransfer in menschliche Zellen tritt demgegenüber in den Hintergrund. Im Nachrichtenmagazin Spiegel spielen Verweise auf eine potentielle Optimierung jedoch eine größere Rolle als in der Tageszeitung FAZ. Eine Kulmination von Bedenken über eine mögliche Optimierung lässt sich in der Anfangsphase weder in der FAZ noch im Spiegel feststellen. Die Frage einer eventuellen Verbesserung des Menschen ist in der FAZ zu keinem Zeitpunkt besonders hervorgehoben. Im Spiegel ist die Balance zwischen der Nennung von Optimierung und medizinischen Nutzen in der zweiten und vierten Phase, in denen die Gentherapie in dem Nachrichtenmagazin vorwiegend hoch konflikthaft dargestellt wird (s. 4.5), genau ausgeglichen. Die deutlich geringere Erwähnung poten-

Quantitative Inhaltsanalyse | 101

tieller Verbesserungsmöglichkeiten in der dritten Phase fällt in beiden Printmedien in den Zeitraum, in welchem ein deutlicher Rückgang der Konflikthaftigkeit zu verzeichnen ist (s. 4.5). In der vierten Phase werden Verweise auf eine mögliche Optimierung wieder häufiger, eine Abnahme über die Zeit lässt sich somit nicht bestätigen.

4.4.2 Ausrichtung auf Erb- oder Volkskrankheiten? Intention Als zweite Dimension des Wertes Gesundheit wird untersucht, welche Krankheiten als mögliches Ziel der Gentherapie im Vordergrund der medialen Diskussion stehen – seltene Erbkrankheiten oder die viele betreffenden Volkskrankheiten? Wird die Gentherapie als eine Option für eine kleine Klientel Schwerkranker oder als Aussicht für die Mehrheit der Bevölkerung kontextualisiert? Zeigt sich der konzeptuelle Wechsel des Therapiezieles von Erb- zu Volkskrankheiten, der sich in anderen Zusammenhängen als entscheidender Legitimationsfaktor erwiesen hat, auch in der medialen Debatte? Dies kann einen Hinweis darauf geben, dass der Rekurs auf weit verbreitete Krankheiten auch in der medialen Diskussion als Legitimationsressource eingesetzt wird. Ergebnisse In beiden Printmedien werden Erbkrankheiten und Volkskrankheiten insgesamt etwa gleich häufig genannt (s. Abb. 4.5). In der FAZ sind dabei die jeweiligen prozentualen Artikelanteile etwas geringer als im Spiegel (FAZ: Erbkrankheiten: 22,4 % der AS, Volkskrankheiten: 23,6 % der AS, Spiegel: Erbkrankheiten: 34,0 % der AS, Volkskrankheiten: 31,9 % der AS). Erb- und Volkskrankheiten werden zwar insgesamt zu in etwa gleichen Teilen als Therapieziele genannt, über die Phasen hinweg ergeben sich jedoch in beiden Presseorganen Schwankungen (s. Tab. 4.14 und Tab. 4.15). Die Assoziation mit Erbkrankheiten überwiegt in der ersten und zweiten Phase die Erwähnung von Volkskrankheiten; Volkskrankheiten werden dagegen in beiden Printmedien in der dritten Phase am häufigsten genannt (FAZ: 30,8 % der AdP, Spiegel: 47,2 % der AdP). Allerdings sind auch Verweise auf Erbkrankheiten in der dritten Phase noch deutlich vertreten (FAZ: 21,1 % der AdP, Spiegel: 41,5 % der AdP). In der vierten Phase geht sowohl die Nennung von Erb- als auch von Volkskrankheiten zurück (FAZ: je 18,3 % der AdP, Spiegel: Erbkr.: 16,7 %, Volkskr.: 23,3 % der AdP). Ein Wechsel der Assoziation von Erbzu Volkskrankheiten lässt sich anhand der Daten nicht nachvollziehen.

102 | Gesunde Gene Abb. 4.5 Gentherapie als Option für Erb- und Volkskrankheiten bei FAZ und Spiegel

Tab. 4.14 Gentherapie als Option für Erb- und Volkskrankheiten in der FAZ in verschiedenen Phasen der Berichterstattung

Tab. 4.15 Gentherapie als Option für Erb- und Volkskrankheiten im Spiegel in verschiedenen Phasen der Berichterstattung

Tab. 4.16 Nennung von Krankheiten in Bezug auf die Gentherapiekonzepte in FAZ und Spiegel

Quantitative Inhaltsanalyse | 103

Ein Unterschied ist jedoch an anderer Stelle zu sehen: Mit Bezug auf die Keimbahnintervention werden Krankheiten in beiden Printmedien sehr viel seltener genannt als in dem Fall, dass zwischen den Gentherapiekonzepten nicht unterschieden wird (s. Tab. 4.16). Fazit Mit welchen Krankheiten wird die vorwiegend medizinisch kontextualisierte Option des Gentransfers in menschliche Zellen verknüpft? Gilt der Gentransfer in menschliche Zellen als Verfahren für eine spezifische Klientel erbkranker Patienten oder als Behandlungsweise für eine breite Masse, die an so genannten Volkskrankheiten leidet? In beiden Medien hält sich die Nennung von Erb- und Volkskrankheiten etwa in der Waage. Offenbar wird die Gentherapie insgesamt sowohl als Option für eine kleine Klientel als auch für eine größere Menge von Patienten kontextualisiert. Ein konzeptueller Wechsel zum Therapieziel Volkskrankheiten wird nicht erkennbar. Zwar wird in beiden Presseorganen der maximale Anteil der Nennung von Volkskrankheiten in der dritten Phase erreicht. Die quantitativen Unterschiede zur Nennung von Erbkrankheiten sind jedoch nicht so groß, dass man eine Verlagerung des Fokus auf die Volkskrankheiten annehmen kann. Insgesamt verringern sich die Referenzen auf Volks- wie auf Erbkrankheiten in der folgenden Phase wieder. Die Daten weisen mithin nicht auf eine Legitimation über den Rekurs auf weit verbreitete Krankheiten in der medialen Debatte hin. Auff ällig ist, dass die Keimbahnintervention, trotz des sehr medizinisch kontextualisierten Feldes, insgesamt deutlich weniger mit der Behandlung von Krankheiten assoziiert wird als das unspezifische Gentherapiekonzept.

4.4.3 Mögliche Effekte des Gentransfers in menschliche Zellen Intention Als eine weitere Dimension der Assoziation mit dem Wert Gesundheit werden Vorstellungen über gegebene und zukünftige Möglichkeiten des Gentransfers in menschliche Zellen erhoben. Die genannten Effekte der Option zeigen an, welche Interpretationen über die Möglichkeiten der Gentherapie in der medialen Kontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen Vormachtstellung erlangen und damit in besonderer Weise das Abwägen für und wider diese Option prägen können.

104 | Gesunde Gene Die Erhebung orientiert sich dabei an drei Fragen: 1. Inwieweit werden Abweichungen vom ursprünglichen Konzept, die im Verlauf der Entwicklung auftreten und die Legitimationsbedingungen verändern können (s. 2.5), in der medialen Debatte sichtbar? 2. Zeigt sich ein Wechsel von utopischen zu alltagsnahen Elementen im Verlauf der gesellschaftlichen Integration eventuell in einer Abnahme der Häufigkeit von Verweisen auf medizinische Utopien, wie z.B. das Abschaffen von Krankheit? 3. Als eine wichtige Voraussetzung für die Legitimation ethisch kontroverser humangenetischer Interventionen gilt ein Trend zur Individualisierung der Effekte und die Abkehr von eugenischen, populationsbezogenen Vorstellungen (s. 2.4). Die dritte Frage lautet daher: Lässt sich im Verlauf der medialen Debatte ein Rückgang der Nennung populationsbezogener oder anderer über-individueller Effekte feststellen? Methodische Anmerkungen Die Kategorien zu diesem Punkt wurden induktiv, das heißt aus dem Material heraus, erhoben. Es werden nur Effekte der Gentherapie codiert, welche semantisch in eine Beziehung zur intendierten Veränderung des genetischen Materials des Menschen gesetzt werden. Effekte, die sich auf andere biomedizinische Anwendungen beziehen oder keinen speziellen Bezugspunkt nennen, werden nicht codiert. Pro Artikel wird eine bestimmte Vorstellung nur einmal codiert, auch wenn diese Vorstellung innerhalb eines Artikels in mehreren Textstellen genannt wird. Da innerhalb eines Artikels nicht nur ein Effekt, sondern mehrere oder sogar alle der verschiedenen Effekte genannt sein können, sind Mehrfachnennungen ausdrücklich erlaubt. Codiert wird das Auftreten der Effekte unabhängig von ihrer Bewertung oder der Einschätzung ihrer Wahrscheinlichkeit. Das Auftreten der Vorstellungen über bestimmte Effekte an sich kennzeichnet unabhängig von der Bewertung die Orientierung an einer bestimmten Erwartung an die Möglichkeiten der Gentherapie. Kurze Erläuterungen zu den codierten Effekten sind in Tab. 4.17 angegeben. Die größte Nähe zum ursprünglichen Konzept der Gentherapie, an der kausalen Ursache anzusetzen, besitzt die Vorstellung, mit Hilfe des Gentransfers Krankheiten zu heilen. Die Begriffe Heilung und Therapie werden in den beiden untersuchten Printmedien quasi synonym verwandt. Obwohl die beiden Vorstellungen zunächst getrennt codiert wurden, werden sie daher in der Auswertung der Ergebnisse zusammengefasst.

Quantitative Inhaltsanalyse | 105

Tab. 4.17 Erläuterungen zu den Vorstellungen über Effekte der Gentherapie Heilung

Beseitigung der kausalen Ursachen der Krankheit (Heilung, Korrektur, Ersatz defekter durch gesunde Gene)

Therapie

Nur vage Vorstellung des möglichen Therapieerfolges, Heilung kann mitgemeint sein, wird aber nicht explizit genannt (Therapie, Behandlung, Bekämpfung von Krankheiten)

Modifizierungen und Spezifizierungen: Symptombesserung

Ziel oder Erfolg der Gentherapie liegt in der Verbesserung der Beschwerden und Symptome, nicht im Verschwinden und nicht in der Auf hebung der Ursache

Therapie-Erweiterung

Gentherapie als Ergänzung einer anderen Methode

Prävention

Anvisierte medizinische Intervention liegt vor einem möglichen Auftreten der Krankheit

Resistenz/Immunität

Widerstandskraft gegenüber Krankheiten soll steigen oder Immunität gegen Krankheiten erzeugt werden, Angriffspunkt für die Gentherapie ist das Immunsystem

Gentechnische Markierung

Potential der Gentherapie wird in der Diagnostik gesehen, nicht in der therapeutischen Wirkung

Mehrmalige Intervention

Notwendigkeit mehrmaliger gentherapeutischer Intervention wird beschrieben, z.B. mehrere Spritzen, lebenslange Behandlung etc.

Utopische Elemente: Lebenserwartung

Heraufsetzen der (statistischen) Lebenserwartung oder Verlängerung der individuellen Lebensspanne

Leidvermeidung

Richtet sich nicht auf spezifische Krankheiten, sondern auf die Verminderung oder Vermeidung eines nicht näher definierten Leids

106 | Gesunde Gene Abschaffen Krankheit

Nicht nur Therapie oder Heilung vieler Krankheiten, sondern Abschaffen von Krankheit insgesamt

Unsterblichkeit

Nicht nur Verlängerung des Lebens, sondern Unsterblichkeit wird in Aussicht gestellt

Vergleichselemente: Experiment

Experimenteller Charakter der Gentherapie wird benannt

Nebenwirkungen

Auftreten potentieller oder realer Nebenwirkungen

Über-individuelle Effekte: Zukünftige Generationen

Effekte bleiben nicht auf ein Individuum beschränkt, sondern betreffen auch die Nachkommen

Population

Veränderungen des Genbestandes der menschlichen Art oder einer menschlichen Population, damit auch eugenische Vorstellungen

Gesellschaft

Veränderungen realer oder fi ktionaler Gesellschaften durch die Gentherapie, z.B. in Bezug auf eine Aufspaltung der Gesellschaft, den Umgang mit Behinderten oder ein fi ktives Herabsetzen der Aggressivität der Gesellschaftsmitglieder

In anderen Fällen erscheint das therapeutische Potential deutlich abgeschwächt, z.B. wenn Krankheitssymptome nur abgemildert, nicht aber kausal behandelt werden. Auch die Notwendigkeit einer mehrmaligen Intervention anstelle eines einmaligen Eingriffs verweist auf eine Komplexität, die größer ist als zunächst vorgesehen. Neben solchen Modifizierungen kommt es zu Spezifizierungen des ursprünglichen Konzeptes, mit denen konkrete Anwendungsbereiche ausgewiesen werden, z.B. eine Konzentration auf Diagnostik oder Prävention von Krankheiten. In Bezug auf die Legitimation erscheinen jedoch nicht nur Ideen über mehr oder minder ausgeprägte positive medizinische Effekte wesentlich, sondern auch deren Verhältnis zu Vorstellungen über mögliche Nebenwirkungen, die ebenfalls codiert werden. Utopische Elemente richten sich auf die Verlängerung des Lebens bis hin zur Unsterblichkeit oder die Verminderung menschlichen Leidens. Demgegenüber stehen Verweise auf den tatsächlichen, noch

Quantitative Inhaltsanalyse | 107

experimentellen Stand der Technik, welche die Vorläufigkeit der Vorstellungen über mögliche Effekte deutlich machen. Im Hinblick auf die dritte Frage ist entscheidend, ob mögliche Effekte auf einer Ebene gesehen werden, die über die Behandlung einzelner Individuen hinausgeht, wie z.B. bei Bezügen auf zukünftige Generationen, die Gesellschaft oder die Population. Ergebnisse Heilung bzw. Therapie sind in beiden Medien die meistgenannten Wirkungen eines Gentransfers in menschliche Zellen (s. Abb. 4.6 und Abb. 4.7). In der FAZ nimmt mit 210 Artikeln ein beträchtlicher Anteil der Artikel (43,9 % der AS) die Vorstellung Heilung/Therapie auf. Im Spiegel sind es mit 76 Artikeln sogar mehr als die Hälfte der Artikel der Stichprobe (52,8 % der AS). Auch insgesamt machen Artikel, in denen Heilung bzw. Therapie genannt werden, mit 286 Artikeln knapp die Hälfte des gesamten Korpus aus (46,0 % aller Artikel). Deutlich weniger häufig wird ein experimenteller Status mit der Gentherapie assoziiert (FAZ: 20,1 % der AS, Spiegel: 27,8 % der AS), gleiches gilt für mögliche Nebenwirkungen (FAZ: 18,8 % der AS, Spiegel: 20,1 % der AS). Mögliche Folgen für zukünftige Generationen werden in einem noch kleineren Teil von Artikeln erwähnt (FAZ: 11,9 % der AS, Spiegel: 11,1 % der AS). Populationsbezogene Effekte der Gentherapie und mögliche gesellschaftliche Auswirkungen werden beim Spiegel in etwa gleich häufi g genannt (Population: 10,4 % der AS, Gesellschaft: 12,5 % der AS). Auch bei der FAZ werden diese beiden Vorstellungen beinahe gleich häufi g aufgegriffen, insgesamt aber deutlich seltener (Population: 4,0 % der AS, Gesellschaft: 4,2 % der AS). Utopien wie Unsterblichkeit oder die Abschaff ung von Krankheit werden in Bezug auf die Gentherapie sehr selten oder gar nicht geäußert (Unsterblichkeit: FAZ: 0,8 % der AS, Spiegel: 0,0 % der AS, Abschaff ung von Krankheit: FAZ: 0,2 % der AS, Spiegel: 2,1 % der AS). Eine mögliche Verlängerung der Lebensspanne durch eine Gentherapie wird ebenfalls eher selten thematisiert (Lebenserwartung: FAZ: 1,5 % der AS; Spiegel: 7,6 % der AS) und die Auseinandersetzung mit der Gentherapie als Option zur Verminderung menschlichen Leidens ist marginal (FAZ: Leidminderung: 1,3 % der AS, Spiegel: 5,6 % der AS). Auch Therapiekonzepte, die sich statt auf eine Heilung auf eine Verbesserung der Symptome, eine Erweiterung bestehender Therapien oder eine Prävention von Krankheiten richten, sind nur in geringem Ausmaß repräsentiert (Symptombesserung: FAZ: 3,4 % der AS, Spiegel: 5,6 % der AS; Therapie-Erweiterung: FAZ: 2,7 % der

108 | Gesunde Gene Abb. 4.6 In den Artikeln genannte mögliche Effekte der Gentherapie bei der FAZ

Abb. 4.7 In den Artikeln genannte mögliche Effekte der Gentherapie beim Spiegel

Quantitative Inhaltsanalyse | 109

AS, Spiegel: 2,8 % der AS, Prävention: FAZ: 3,4 % der AS, Spiegel: 5,6 % der AS). Nur wenig höher liegen beim Spiegel die Werte für die Vorstellung, mit der Gentherapie am Immunsystem anzugreifen und gegebenenfalls eine Resistenz gegen Krankheiten zu erzeugen (Resistenz/Immunität: 10,4 % der AS), bei der FAZ ist der Wert für diese Vision noch niedriger (5,0 % der AS). Methodische Aspekte wie z.B. die Notwendigkeit mehrmaliger Interventionen fi nden in den Artikeln ebenfalls wenig Beachtung (FAZ: 2,3 % der AS, Spiegel: 4,9 % der AS) und auch das bisherige Haupteinsatzgebiet des Gentransfers, die gentechnische Markierung, wird nur selten erwähnt (FAZ: 0,8 % der AS, Spiegel: 0,7 % der AS). Fazit Was die möglichen Effekte betriff t, die mit der Option Gentherapie assoziiert werden, betont die Berichterstattung in FAZ und Spiegel deutlich den medizinischen Nutzen. Nahezu in der Hälfte aller Artikel werden Heilung bzw. Therapie als mögliche Effekte des Gentransfers in menschliche Zellen genannt. Im Vergleich zu anderen Studien ist das ein hoher Wert: In der deutschen Berichterstattung über die Gentechnologie werden medizinische Nutzen nur in etwa einem Viertel der Artikel (26 % der Stichprobe) aufgegriffen (Kohring et al. 1999, dieser internationalen Studie liegen insgesamt 1180 Artikel der Jahre 1991 bis 1996 zugrunde, die Artikelanteile der einzelnen Länder sind nicht ausgewiesen). In einer Untersuchung der Berichterstattung über Life Science6 werden medizinische Nutzen nur in einem Drittel der Artikel (33,1 % der Stichprobe) erwähnt (Blöbaum et al. 2004, Grundlage sind 344 Artikel des September 2003). Die Betonung der medizinischen Nutzen ist in der medialen Darstellung der Gentherapie demnach stärker als in der Berichterstattung über Life Science bzw. über die Gentechnologie insgesamt. Dies entspricht der Beobachtung von Merten (1999), dass spezifische Anwendungsfelder der Gentechnologie im Humanbereich in einem größeren Ausmaß mit medizinischgesundheitlichen Nutzen verbunden werden als die Gentechnologie im Allgemeinen.7 Dieser Tendenz entsprechend ist die Berichterstat6 | Unter den Terminus Life Science werden in der Studie einleitend »die öffentliche Diskussion über medizinischen Fortschritt, Bio- und Gentechnologie sowie über die damit verbundenen Risiken und Nutzenerwägungen« gefasst (Blöbaum et al. 2004: 4). 7 | Auf der Basis von 1579 Aussagen zu Chancen der Gentechnologie ermittelt Merten (1999) einen Anteil von 37,7 % der Nennung medizinischgesundheitlicher Nutzen; für spezifische gentechnologische Verfahren

110 | Gesunde Gene tung über den Gentransfer in menschliche Zellen zu einem hohen Grade von Bezugnahmen auf Gesundheit durchdrungen, wobei die Wortzusammensetzungen Gen-Therapie und Keimbahn-Therapie in dieser Einschätzung des Stellenwertes von Gesundheit noch nicht einmal berücksichtigt sind. Zwar überwiegt mit den Bezügen auf Heilung bzw. Therapie klar die Nennung des medizinischen Nutzens als möglicher Effekt des Gentransfers. Hinweise auf den experimentellen Status oder auf eventuelle Nebenwirkungen werden jedoch ebenfalls in einem Anteil von Artikeln gegeben. Dies entspricht der journalistischen Norm, ein Themenfeld ausgewogen darzustellen, indem gleichermaßen positive wie negative Aspekte ins Blickfeld gerückt werden.8 Die klare Betonung des medizinischen Nutzens in der Berichterstattung ist angesichts der journalistischen Norm der Balancierung umso bemerkenswerter: Das Gleichgewicht der Nennung möglicher Effekte ist eindeutig in Richtung der gesundheitlichen Nutzen verschoben. Dass auch negative Wirkungen auftreten können und das Eintreten der erwünschten Effekte von Heilung bzw. Therapie noch unsicher und vorläufig ist (experimenteller Status), wird dagegen weniger deutlich. Die anderen erhobenen Effekte spielen gegenüber den vorgenannten quantitativ kaum eine Rolle. Kleinere Fortschritte, die mit Hilfe der Gentherapie erreicht werden können, wie z.B. die Verbesserung von Symptomen, und Spezifizierungen des Anwendungsbereiches, wie z.B. Prävention, kommen in den Artikeln kaum vor. Auch die gentechnische Markierung als das Gebiet des Gentransfers in menschliche Zellen, auf dem bisher die größten Erfolge zu verzeichnen sind, tritt nur spärlich in Erscheinung. Das ist nicht überraschend: Details und Hintergründe, vor denen liegt der Anteil der genannten Chancen für die Gesundheit dagegen bei 67,2 %, bezogen auf 923 Aussagen. Da die Analyse von Merten sowohl Print- als auch TV-Berichterstattung umfasst, sind die Ergebnisse nicht unmittelbar mit einer reinen Print-Analyse vergleichbar. Durchgeführt wurde die Studie von Merten für den Berichterstattungszeitraum von März bis August 1994 auf der Basis von 630 Print- und TV-Analyseeinheiten. 8 | Innerhalb der quantitativen Analyse wurde die Bewertung der jeweiligen Effekte nicht erhoben. Dennoch erscheint es legitim, davon auszugehen, dass Heilung und Therapie allgemein als positive Effekte, als Nutzen wahrgenommen werden und Nebenwirkungen als negativ. Hinweisen auf den experimentellen Status lässt sich die Tendenz neutral bis negativ zuweisen.

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das neue Wissen gilt, bleiben in den Medien in der Regel ausgespart. Dies gilt auch für das Feld der Genetik, z.B. werden Beziehungen zwischen Genen und Eigenschaften häufig sehr vereinfacht dargestellt (Conrad 1997; Conrad 2001; Nelkin und Lindee 1995; Nelkin 1999; Petersen 2001; Petersen und Bunton 2002). In ähnlicher Weise wird die mediale Debatte über den Gentransfer in menschliche Zellen durch relativ globale und einfache Therapievorstellungen geprägt. Was in den Medien auf diese Weise entsteht, ist eine »neue« Art von Wissen mit anderen Eigenschaften und Charakteristika als denjenigen des zugrunde liegenden wissenschaftlichen Wissens. Die medienöffentliche Integration und Legitimation der neuen Technik erfolgt unter den Bedingungen dieses kulturellen Gebrauchs (Nelkin und Lindee 1995) wissenschaftlichen Wissens. Auf der anderen Seite bleiben auch Hinweise auf Effekte rar, die einen gewissen utopischen Gehalt aufweisen, wie etwa Unsterblichkeit, Abschaffen von Krankheit, Lebensverlängerung oder Vermeiden von Leid. Die Beobachtung, dass Visionen utopischer Natur kaum erwähnt werden, triff t allerdings nur auf Aussagen zu, die direkt mit der Verwendung gentherapeutischer Maßnahmen verbunden sind. Auch Befürchtungen einer Wiederkehr der Eugenik oder mögliche Implikationen der neuen Technologie für die Gesellschaft spielen insgesamt weit weniger eine Rolle als das medizinisch-therapeutische Potential der neuen Option. Keiner der über-individuellen Effekte wird im Zusammenhang mit der Gentherapie in mehr als 15 % der Artikel aufgegriffen. Obwohl die Folgen für zukünftige Generationen einen wichtigen Aspekt der Trennung von somatischer Gentherapie und Keimbahnintervention darstellen, wird auch dieser Punkt nur in einem relativ kleinen Anteil von Artikeln genannt.

4.4.4 Mögliche Effekte des Gentransfers in menschliche Zellen im Zeitverlauf Ergebnisse Auch im Zeitverlauf erreichen in beiden Printmedien Heilung und Therapie als Assoziation zum Gentransfer in menschliche Zellen in allen vier Phasen der Berichterstattung den größten Anteil (s. Tab. 4.18 und Tab. 4.19). Die Nennung einer potentiellen Heilung oder Therapie ist dabei in der FAZ insbesondere in der ersten und zweiten Phase anteilsmäßig hoch (Phase I: 66,7 % der AdP, Phase II: 63,3 % der AdP), eine Tendenz, die in der dritten und vierten Phase nachlässt (Phase III: 45,9 % der AdP, Phase IV: 35,3 % der AdP). Insgesamt sinkt die Wahr-

112 | Gesunde Gene scheinlichkeit der Nennung von Heilung und Therapie in der vierten Phase im Vergleich zur ersten sehr deutlich ab. Neben den Hinweisen auf mögliche therapeutische Wirkungen stehen von der ersten Phase an Einordnungen der Gentherapie als ein Experiment. In den ersten drei Phasen ist dies die zweithäufigste Assoziation zur Gentherapie. Der Anteil der Artikel, in denen diese Einschätzung vorgenommen wird, schwankt in diesen Phasen nur relativ wenig (maximal 24,3 % der AdP III, minimal 15,6 % der AdP IV). In der vierten Phase sind es dann potentielle Nebenwirkungen, die, neben möglichen therapeutischen Effekten, am häufigsten genannt werden (20,6 % der AdP IV). Schon in der vorhergehenden Phase hatten die eventuellen Nebenwirkungen einen Anteil von etwa einem Fünftel der Tab. 4.18 Mögliche Effekte des Gentransfers in menschliche Zellen in verschiedenen Phasen der Berichterstattung in der FAZ

Tab. 4.19 Mögliche Effekte des Gentransfers in menschliche Zellen in verschiedenen Phasen der Berichterstattung im Spiegel

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Artikel (20,5 % der AdP), in der ersten Phase wurden Nebenwirkungen nur in zwei Artikeln erwähnt (13,3 % der AdP) und in der zweiten Phase sind Hinweise auf Nebenwirkungen nur selten zu fi nden (8,3 % der AdP). Von Beginn an werden mögliche Auswirkungen auf zukünftige Generationen aufgegriffen. Liegt der Artikelanteil, in dem entsprechende Bezüge hergestellt werden, in der ersten Phase noch bei 20 % der Artikel der Phase, so verringert sich der Anteil mit jeder weiteren Phase (auf zunächst 16,7 % der AdP II, dann auf 12,4 % der AdP III), bis in der vierten Phase nur noch 9,6 % der Artikel der Phase auf zukünftige Generationen eingehen. Bezüge auf gesellschaftliche Auswirkungen oder populationsbezogene Effekte spielen erst in der vierten und letzten Phase in einem Anteil von über 5 % der Artikel der Phase eine Rolle, die Werte bleiben jedoch relativ niedrig (mit 7,3 % der AdP für gesellschaftliche und 5,5 % der AdP für populationsbezogene Effekte). Modifizierungen und Spezifizierungen, z.B. Symptombesserung oder Prävention, werden dagegen nur selten in mehr als 5 % der Artikel einer Phase erwähnt. Utopische Elemente, wie etwa Unsterblichkeit oder Abschaff ung von Krankheit, werden sogar in keiner Phase in mehr als 5 % der Artikel aufgegriffen. Beim Spiegel ist der Anteil der Nennung einer möglichen Heilung bzw. Therapie als Effekt des Gentransfers in menschliche Zellen in der ersten Phase am höchsten (s. Tab. 4.19, Phase I: 62,9 % der AdP), sinkt dann in der zweiten Phase zunächst ab (Phase II: 38,5 % der AdP), steigt in der dritten Phase an (Phase III: 58,5 % der AdP) und geht in der vierten Phase wieder zurück (Phase IV: 43,3 % der AdP). Insgesamt ist – wie in der FAZ – der Anteil der Bezugnahmen auf medizinische Nutzen in Phase IV deutlich geringer als in Phase I. Sowohl der experimentelle Status der Gentherapie als auch die Möglichkeit von Nebenwirkungen werden beim Spiegel in jeder der Phasen in den Artikeln angeführt, in der ersten Phase sind die entsprechenden Artikelanteile jedoch noch verhältnismäßig gering (Experiment: 14,3 % der AdP, Nebenwirkungen: 5,7 % der AdP), während sich die Werte in den folgenden Phasen auf einem höheren Niveau stabilisieren (Experiment: Schwankungsbreite: 30,0%-34,0 % der AdP, Nebenwirkungen: Schwankungsbreite: 23,3 %-26,9 % der AdP). Auswirkungen auf die Gesellschaft werden dagegen nur in der ersten und letzten Phase in einem größeren Ausmaß angesprochen (Phase I: 17,1 % der AdP, Phase IV: 26,7 % der AdP), in der dritten Phase liegt der Anteil entsprechender Artikel nur knapp über 5 % der Artikel der Phase (5,7 %). Bezüge auf die Population treten seit der ersten (2,9 %

114 | Gesunde Gene der AdP) und zweiten Phase (7,7 % der AdP) auf, mehren sich in der dritten Phase (11,3 % der AdP) und werden in den Jahren 2000 und 2001 in jedem fünften Artikel der Phase (20 % der AdP) aufgegriffen. Potentielle Effekte auf Gesellschaft und Population sind beim Spiegel – in Relation zur Gesamtzahl der Artikel – damit sowohl früher als auch insgesamt häufiger Gegenstand der Berichterstattung als bei der FAZ. Denkbare Auswirkungen für zukünftige Generationen sind dagegen beim Spiegel vor allem in den ersten drei Phasen sehr viel weniger präsent als in der FAZ, der Artikelanteil bewegt sich in diesen Phasen zwischen 5,7 %-7,7 % der Artikel der Phase. In der letzten Phase werden dagegen Konsequenzen für künftige Generationen in etwas mehr als einem Viertel der Artikel der Phase (26,7 % der AdP) erwähnt und rangieren damit auf Platz vier der am häufigsten genannten möglichen Effekte. Wie in der FAZ sind alle weiteren erhobenen Effekte auch beim Spiegel nur relativ gering vertreten, hinter den zum Teil etwas höheren prozentualen Anteilen stehen nur sehr geringe absolute Artikelzahlen. Einige Modifizierungen und Spezifizierungen, wie z.B. Symptombesserung oder Prävention, werden nur selten in mehr als 5 % der Artikel der jeweiligen Phase angesprochen. Das Gleiche gilt für utopische Elemente, wie z.B. die Abschaff ung von Krankheit. Die Vision der Unsterblichkeit tritt beim Spiegel als Assoziation zum Gentransfer in menschliche Zellen nicht auf und wird entsprechend in keiner der Phasen erwähnt. Fazit Was bedeuten diese Befunde für die eingangs gestellten drei Fragen (s. S. 104)? 1. Inwieweit werden Abweichungen vom ursprünglichen Konzept, die im Verlauf der Entwicklung auftreten und die Legitimationsbedingungen verändern können (s. 2.5), in der medialen Debatte sichtbar? Modifizierungen und Spezifizierungen treten zu keinem Zeitpunkt der Berichterstattung besonders hervor. Abweichungen vom ursprünglichen Konzept der Gentherapie werden kaum sichtbar und spielen für die Legitimation keine große Rolle. Unter den medialen Voraussetzungen erfolgt stattdessen in allen Phasen eine Orientierung an den einfachen und globalen Konzepten der Heilung und Therapie. Diese medizinischen Nutzen werden in beiden Printmedien über alle Phasen hinweg am häufigsten genannt. Allerdings verringert sich der Anteil der Nennung von Heilung und Therapie in der vierten Phase deutlich. Für beide Printmedien bieten sich hier zwei Erklärungen an: In den Jahren 2000 und 2001

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ist der Hauptbezugspunkt die Keimbahnintervention, die seltener mit medizinischen Nutzen in Verbindung gebracht wird als das unspezifische Konzept der Gentherapie (s. S. 125). Möglicherweise geht die Nennung von Heilung und Therapie jedoch auch aufgrund des ersten bekannten Todesfalles bei einer Gentherapie im Jahr 1999 zurück. Auf den unsicheren, experimentellen Status der Gentherapie wird in beiden Printmedien von Beginn an hingewiesen. Negative Effekte wie potentielle Nebenwirkungen treten dagegen zumindest in der FAZ erst in der dritten Phase deutlich in Erscheinung. In beiden Printmedien werden Nebenwirkungen vor allem auf gesundheitliche Risiken fokussiert, die bei der Übertragung der Methode auf den Menschen entstehen können. 2. Zeigt sich ein Wechsel von utopischen zu alltagsnahen Elementen im Verlauf der gesellschaftlichen Integration eventuell in einer Abnahme der Häufigkeit von Verweisen auf medizinische Utopien, wie z.B. das Abschaffen von Krankheit? Utopische Elemente treten bei den Vorstellungen über mögliche Effekte des Gentransfers so selten auf, dass eine Abnahme dieser Elemente nicht festgestellt werden kann. Ein Wechsel von der Utopie zur Alltagsnähe lässt sich für diese Vorstellungen weder widerlegen noch bestätigen. 3. Lässt sich im Verlauf der medialen Debatte ein Rückgang der Nennung populationsbezogener oder anderer über-individueller Effekte feststellen? Über-individuelle Effekte werden insgesamt eher selten genannt. Eine Abnahme der Nennung über-individueller Effekte lässt sich über die Zeit hinweg nicht feststellen. Vielmehr treten Bezüge auf Population und Gesellschaft in beiden Printmedien in der vierten Phase am häufigsten auf. Beim Spiegel wird zudem in der vierten Phase auch mehr als zuvor auf die Folgen für zukünftige Generationen verwiesen (bei der FAZ ergibt sich hier dagegen ein leichter Abwärtstrend). Dass Verweise auf über-individuelle Effekte anders als erwartet nicht geringer werden, hängt vermutlich damit zusammen, dass in der vierten Phase vor allem die Keimbahnintervention den Bezugspunkt der Artikel bildet (s. S. 123). Eine Individualisierung der Effekte, die mit der Keimbahnintervention in Zusammenhang gebracht werden, scheint nicht einzutreten.

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4.5 Gentherapie und Konflikthaftigkeit 4.5.1 Konflikthaftigkeit der Berichterstattung über die Gentherapie Intention Ändert sich die Kontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen von der Darstellung einer hoch kontroversen Option zu einer nur noch wenig konflikthaften Handlungspraxis? Lässt sich also die Erosionsthese zur Kontextualisierung ethisch umstrittener Innovationen (s. 1.1) für das Beispiel der Gentherapie belegen? Oder verringert sich die Konflikthaftigkeit der Gentherapie zu definierten Zeitpunkten, zu denen Widerstände in der Konzeption berücksichtigt werden, wie es die Inkorporationsthese vorhersagt? Um dies zu bestimmen, wurde die Konflikthaftigkeit der Darstellung des Gentransfers erhoben. Ziel ist es, nachzuvollziehen, ob der Gentransfer in menschliche Zellen in der Berichterstattung als kontrovers in Erscheinung tritt und ob im Laufe der Zeit Veränderungen erkennbar werden. Die Frage ist dabei insbesondere, ob in der Berichterstattung über die Gentherapie ein Wechsel der dargestellten Konflikthaftigkeit eintritt, der als Rekontextualisierung der Option aufgefasst werden kann. Ergebnisse Die Gentherapie wird sowohl in der FAZ als auch im Spiegel in mehr als der Hälfte der Fälle als konflikthaft dargestellt (s. Tab. 4.20). Tab. 4.20 Konflikthaftigkeit der Berichterstattung in FAZ und Spiegel

Die Tendenz zur Darstellung der Gentherapie als konfliktreiche Option ist beim Spiegel mit 60,4 % der Stichprobe etwas ausgeprägter als bei der FAZ mit 54,4 % der Stichprobe. Wie Tab. 4.21 zeigt, ist bei der FAZ in den meisten Phasen der Berichterstattung der Anteil kontroverser Darstellungen der Gentherapie größer als der Anteil von Beiträgen geringer Konflikthaftigkeit. Nur in

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der dritten Phase von 1993 bis 1999 überwiegen in der FAZ die Beiträge, in denen die Gentherapie wenig konflikthaft erscheint. Beim Spiegel beschränkt sich das Übergewicht von Artikeln hoher Kontroversität auf die Phasen II und IV. Der Anteil von Beiträgen großer Konflikthaftigkeit liegt in der zweiten Phase um mehr als das Dreifache, in der vierten Phase um mehr als das Sechsfache höher als die jeweiligen Anteile von Artikeln geringer Konflikthaftigkeit. In diesen beiden Phasen, insbesondere in der vierten Phase, wird der Gentransfer in menschliche Zellen im Spiegel auch häufiger konflikthaft dargestellt als in der FAZ. In beiden Printmedien ist in der dritten Phase ein deutlicher Rückgang der dargestellten Konflikthaftigkeit zu verzeichnen, d.h. ein Rückgang der Artikel, in welchen die Gentherapie als konflikthaft sichtbar wird.9 Tab. 4.21 Konflikthaftigkeit in den verschiedenen Phasen der Berichterstattung

Fazit In beiden Printmedien tritt in mehr als der Hälfte der Artikel ein Konfl ikt über die Gentherapie in Erscheinung. In der zweiten und vierten Phase wird die Option in beiden Presseorganen überwiegend als hoch konflikthaft dargestellt. Nur in der dritten Phase lässt sich sowohl in der FAZ als auch im Spiegel ein deutlicher Rückgang der medial dargestellten Konfl ikthaftigkeit der Gentherapie feststellen. In der Kontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen ergibt sich in der dritten Phase demnach eine deutliche Veränderung. Der Rückgang der Konfl ikthaftigkeit bleibt jedoch nicht kons9 | Ein Rückgang der Konflikthaftigkeit zeigt sich auch, wenn statt der Phasen die Jahre der Berichterstattung zugrunde gelegt werden.

118 | Gesunde Gene tant, in der vierten Phase dominieren wieder jene Artikel, welche den Gentransfer als kontrovers kennzeichnen. Eine Rekontextualisierung im Sinne einer verringerten Konfl ikthaftigkeit der Darstellung der Gentherapie äußert sich in beiden Printmedien also nur in der dritten Phase.

4.5.2 Veränderung der Konflikthaftigkeit: Erosion oder Inkorporation? Intention Wie lässt sich der Rückgang der Konflikthaftigkeit der Gentherapie in der dritten Phase am besten erklären? Triff t die Erosionsthese zu, nach der die Assoziation mit dem Wert Gesundheit zu einer verminderten Kontroversität der Gentherapie führt? Oder zeigt sich der Rückgang nach der Inkorporation von Widerständen in die Gestaltung der Option und spricht somit für die Funktionalitätsthese? Um dies zu untersuchen, wird insgesamt sowie über die Phasen hinweg verfolgt, wie die Nennung medizinischer Nutzen sowie die Nennung einer möglichen gentechnischen Verbesserung in Beziehung zur Konfl ikthaftigkeit der Gentherapie verläuft. Werden parallel zum Rückgang der Kontroversität in der dritten Phase medizinische Nutzen stärker hervorgehoben? Oder wird die Optimierung als wichtiges Gegenargument gegen die Technik weniger häufi g erwähnt? Ergebnisse Es gibt in beiden Printmedien eine leichte Tendenz, medizinische Nutzen in wenig konflikthaften Artikeln häufiger zu nennen (s. Tab. 4.22). Tab. 4.22: Konflikthaftigkeit und Nennung medizinischer Nutzen

Eine mögliche Optimierung wird in beiden Presseorganen in Beiträgen, welche die Gentherapie als hoch konflikthaft darstellen, deutlich häufiger erwähnt. In Artikeln geringer Konflikthaftigkeit sind Verwei-

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se auf eine gentechnische Verbesserung dagegen sehr selten (s. Tab. 4.23). Tab. 4.23: Konflikthaftigkeit und Nennung einer möglichen Optimierung

Wie in Tab. 4.24 zu sehen ist, vermindert sich in der dritten Phase sowohl in der FAZ als auch im Spiegel die Nennung medizinischer Nutzen. Nur bei den hoch kontroversen Beiträgen im Spiegel erhöht sich in dieser Zeit der Anteil der Verweise auf Therapie und Heilung. In der vierten Phase geht die Nennung der medizinischen Nutzen zurück, lediglich in den wenig kontroversen Artikeln des Spiegel bleibt der Anteil konstant. Tab. 4.24: Konflikthaftigkeit und medizinische Nutzen in den Phasen der Berichterstattung

Eine potentielle gentechnische Verbesserung wird sowohl in der FAZ als auch im Spiegel in gering konflikthaften Artikeln kaum erwähnt, dies gilt auch für die dritte Phase (s. Tab. 4.25). Während in der FAZ die Optimierung in kontroversen Beiträgen in Phase III anteilig etwas seltener erwähnt wird, gilt für den Spiegel das Gegenteil, die Verbes-

120 | Gesunde Gene serungsmöglichkeit wird in dieser Zeit in den konflikthaften Artikeln etwas häufiger genannt. Tab. 4.25: Konflikthaftigkeit und Optimierung in den Phasen der Berichterstattung

Fazit Während auf medizinische Nutzen sowohl in gering wie hoch konflikthaften Beiträgen verwiesen wird, ist die Erwähnung einer gentechnischen Verbesserung stark mit kontroversen Darstellungen assoziiert. Weder die Nennung medizinischer Nutzen noch die Erwähnung einer möglichen gentechnischen Optimierung lassen sich jedoch plausibel mit dem Rückgang der Konflikthaftigkeit in der dritten Phase in Verbindung bringen. Die Tendenzen einer verminderten oder vermehrten Nennung dieser Parameter sind in den beiden Printmedien zum Teil gegenläufig. Bisher wurde allerdings nicht berücksichtigt, dass sich im Verlauf der Zeit unterschiedliche Konzepte der Gentherapie entwickeln (s. Kap. 5). Im nächsten Abschnitt soll untersucht werden, ob sich der Rückgang der Kontroversität in Phase III eventuell auf die Einführung der verschiedenen Gentherapiekonzepte zurückführen lässt.

4.5.3 Konflikthaftigkeit in Bezug auf die Gentherapiekonzepte Intention Ob der somatische Gentransfer oder die Keimbahnintervention in den Artikeln den Bezugspunkt bildet, wurde zunächst getrennt von der Frage der Konflikthaftigkeit erhoben. Der Fokus liegt darauf, ob die

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Berichterstattung über die Gentherapie im Verlauf der Jahre mehr der einen oder der anderen Interventionsform gilt. In einem zweiten Schritt wird untersucht, ob die verschiedenen Gentherapiekonzepte unterschiedlich kontrovers dargestellt werden und wie sich die dargestellte Konfl ikthaftigkeit der verschiedenen Konzepte über die Zeit hinweg ändert. Ergebnisse Im Großteil der Artikel wird nicht explizit zwischen somatischer und Keimbahn-Gentherapie unterschieden (s. Abb. 4.8). Abb. 4.8. Anteil der Nennung der Gentherapiekonzepte (Somat. Gentherap. = Somatische Gentherapie)

Bei der FAZ wird in drei Fünfteln der Stichprobe (59,6 % der AS) keine Unterscheidung getroffen, beim Spiegel in knapp drei Viertel der Stichprobe (72,2 % der AS). Wird in den Artikeln ein Konzept des Gentransfers ausdrücklich genannt, ist es meist die Keimbahnintervention (FAZ: 28,5 % der AS, Spiegel: 22,2 % der AS). Artikel zur somatischen Gentherapie fallen demgegenüber kaum ins Gewicht (FAZ: 4,6 % der AS, Spiegel: 2,1 % der AS). Nur in einem kleinen Teil der Artikel treten beide Möglichkeiten der Gentherapie gleichwertig in Erscheinung (FAZ: 7,3 % der AS, Spiegel: 3,5 % der AS). Anhand der Artikel, die sich explizit auf Keimbahnintervention bzw. somatische Gentherapie beziehen, lässt sich einschätzen, inwiefern diese beiden Optionen in unterschiedlicher Weise als konflikthaft eingeschätzt werden (s. Tab. 4.26). Dabei behandeln mit 133 Artikeln bzw. 27,8 % der Stichprobe bei der FAZ und 31 Artikeln bzw. 21,5 % der

122 | Gesunde Gene Stichprobe beim Spiegel nahezu alle Beiträge zur Keimbahnintervention diese als Gegenstand hoher Konfl ikthaftigkeit. Im Vergleich dazu wird die somatische Gentherapie – wenn diese überhaupt explizit benannt wird – nur sehr selten als konfliktreiche Angelegenheit behandelt (FAZ: 8 Artikel, 1,7 % der AS, Spiegel: 1 Artikel, 0,7 % der AS). In den wenigen Fällen, in denen beide Konzepte in einem Artikel gleichen Stellenwert besitzen, überwiegen Beiträge hoher Konflikthaftigkeit. Bei der FAZ sind es in diesem Fall 31 Artikel und 6,5 % der Stichprobe, die sich durch eine hohe Konflikthaftigkeit auszeichnen, gering konflikthaft sind dagegen nur 4 Artikel (0,8 % der AS). Beim Spiegel findet sich, wenn beide Konzepte genannt werden, kein einziger Artikel geringer Konflikthaftigkeit, dafür jedoch fünf Artikel bzw. 3,5 % der Stichprobe, in denen die Gentherapie als konfliktreiche Option beschrieben wird. In den meisten Beiträgen wird innerhalb der Artikel zwischen den beiden Gentherapiekonzepten nicht unterschieden. In diesen Fällen überwiegt der Anteil von Artikeln, in denen die Gentherapie als nur wenig konflikthaft dargestellt wird. Bei der FAZ ist dieser Unterschied mit 197 Artikeln und 41,2 % der Stichprobe gegenüber 88 Artikeln und 18,4 % der Stichprobe sehr deutlich. Anders beim Spiegel, in dem die wenig konflikthaften Beiträge nur vier Artikel mehr umfassen als die konfliktreichen (54 gegenüber 50 Artikeln, 37,5 % versus 34,7 % der Stichprobe). Tab. 4.26 Gentherapiekonzepte und Unterschiede in der Konflikthaftigkeit der Berichterstattung

Der Zusammenhang zwischen der Konflikthaftigkeit und den Gentherapiekonzepten in den verschiedenen Phasen lässt sich anhand der Tab. 4.27 und Tab. 4.28 analysieren. Nur bei den Beiträgen, die nicht zwischen den Gentherapiekonzepten differenzieren, zeigt sich in der dritten Phase in der FAZ und

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Tab. 4.27 Gentherapiekonzepte und Unterschiede in der Konflikthaftigkeit der Berichterstattung über die verschiedenen Phasen bei der FAZ

Tab. 4.28 Gentherapiekonzepte und Unterschiede in der Konflikthaftigkeit der Berichterstattung über die verschiedenen Phasen beim Spiegel

im Spiegel eine deutliche Veränderung. Bei diesen Artikeln überwiegt in der dritten Phase erstmals der Anteil nur wenig konfl ikthafter Beiträge. In der FAZ geht der Anteil kontroverser Beiträge ohne Differenzierung der Gentherapiekonzepte zwischen der zweiten und drit-

124 | Gesunde Gene ten Phase von 36,7 % auf 10,3 % zurück, beim Spiegel von 57,7 % auf 26,4 % (Prozentangaben bezogen auf die jeweiligen Artikel der Phase). Auch in der ersten Phase lag der Anteil kontroverser Darstellungen der Gentherapie bei Artikeln ohne Differenzierung noch deutlich höher als in Phase III (FAZ: 53,3 % der AdP, Spiegel: 45,7 % der AdP). Für keines der spezifizierten Gentherapiekonzepte wie Keimbahnintervention, Somatische Gentherapie oder Beide ergibt sich über die Zeit hinweg eine ähnlich deutliche Veränderung. Der Rückgang der Konflikthaftigkeit geht demnach offenbar vor allem auf die Beiträge zurück, in denen nicht zwischen verschiedenen Konzepten des Gentransfers unterschieden wird. Das Ausmaß, in dem Abgrenzungen zwischen den Gentherapiekonzepten eingeführt werden, variiert zwischen den beiden Printmedien und über die Phasen hinweg. In der FAZ differenzieren schon in der zweiten Phase insgesamt 40 % der Artikel der Phase zwischen verschiedenen Gentherapiekonzepten (Keimbahnintervention: 15,0 % der AdP, Somatische Gentherapie: 13,3 % der AdP, Beide: 11,7 % der AdP). Im Spiegel sind es in der zweiten Phase nur fünf Artikel, d.h. weniger als 20 % der Artikel der Phase, die eine Abgrenzung zur Keimbahnintervention deutlich machen (19,2 % der AdP). In der dritten Phase differenzieren 34,6 % der Artikel in der FAZ zwischen den Gentherapiekonzepten und 22,6 % im Spiegel. In der vierten Phase beziehen sich die Beiträge im Spiegel dagegen vor allem auf die Keimbahnintervention (66,7 % der AdP), infolgedessen überwiegt in dem Nachrichtenmagazin zu dieser Zeit erstmals der Anteil der Artikel, in denen eine Unterscheidung zwischen den Gentherapiekonzepten getroffen wird (Insgesamt: 76,7 % der AdP). Auch in der FAZ wird die Keimbahnintervention in der vierten Phase zu einem wichtigen Bezugspunkt (39,4 % der AdP), in der Folge wird in nahezu der Hälfte der Artikel dieser Phase zwischen den verschiedenen Gentherapiekonzepten differenziert (Insgesamt: 47,2 % der AdP). Für die Keimbahnintervention bestätigt sich dabei in jeder Phase die starke Assoziation mit einer hohen Konflikthaftigkeit. In beiden Printmedien stellen beinahe alle Artikel zu dieser Technik die Option als hoch kontrovers dar (FAZ: 15,0 %-38,5 % der AdP, Spiegel: 19,2 %-66,7 % der AdP). Die Keimbahnintervention ist von der Einführung des Konzepts an bis zur vierten Phase, in der sich der Anteil der Artikel zur Keimbahnintervention erhöht, mit hoher Konflikthaftigkeit verknüpft. Der Zusammenhang zwischen der Konflikthaftigkeit und den Beiträgen zur somatischen Gentherapie bzw. beiden Konzepten besitzt aufgrund der insgesamt niedrigen Artikelzahlen nur geringe Aussagekraft. In der Tendenz erweisen sich jedoch Artikel zur somatischen

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Gentherapie in beiden Printmedien häufiger als gering konflikthaft (FAZ: 1,4 %-10,0 % der AdP, Spiegel: 6,7 % der AdP). In beiden Presseorganen stellen Beiträge, in denen beide Gentherapiekonzepte gleichwertig erwähnt werden, die Gentherapie dagegen meist als kontrovers dar (FAZ: 5,4 %-13,3 % der AdP, Spiegel: 9,4 % der AdP). Die unterschiedlichen Gentherapiekonzepte sind ihrerseits mit verschiedenen Assoziationen verknüpft: So ist die Nennung einer potentiellen Verbesserung häufiger, wenn die Keimbahnintervention den Bezugspunkt bildet als in dem Fall, dass nicht zwischen den Gentherapiekonzepten unterschieden wird (s. Tab. 4.29). Tab. 4.29 Assoziation der Nennung einer potentiellen Optimierung mit den Gentherapiekonzepten

Medizinische Nutzen werden dagegen seltener genannt, wenn die Keimbahnintervention den Bezugspunkt bildet, als in dem Vergleichsfall, dass die Konzepte nicht unterschieden werden (s. Tab. 4.30). Tab. 4.30 Assoziation der Nennung medizinischer Nutzen mit den Gentherapiekonzepten

126 | Gesunde Gene In beiden Printmedien lässt sich der Rückgang konflikthafter Darstellungen in der dritten Phase (vgl. 4.5.2) auf Artikel zurückführen, in denen die Gentherapiekonzepte nicht explizit unterschieden werden (vgl. Tab. 4.27 und Tab. 4.28). Es erscheint daher sinnvoll, an dieser Auswahl von Artikeln näher zu untersuchen, wie sich das Auftreten von hoch konflikthaften und wenig konflikthaften Beiträgen über die Phasen hinweg verändert. Wie sich zeigt, ändert sich das Verhältnis von Artikeln, in denen die Gentherapie hoch bzw. nur wenig konflikthaft erscheint, über die Phasen hinweg erheblich (s. Tab. 4.31). Tab. 4.31 Konflikthaftigkeit der Gentherapie in Artikeln ohne Unterscheidung der Gentransferkonzepte über verschiedene Phasen der Berichterstattung

In den ersten beiden Phasen liegt die Zahl der wenig und hoch konflikthaften Artikel noch nahe beieinander, in der dritten Phase verändert sich die Relation jedoch: Deutlich überwiegt nun die Zahl der Artikel, welche die Gentherapie als nur wenig konflikthaft darstellen. Die Zahl der Beiträge, welche die Gentherapie als kontrovers skizzieren, unterscheidet sich dagegen kaum von der vorherigen Phase. Der festgestellte Rückgang der Konflikthaftigkeit in Phase III beruht also offenbar auf der deutlichen Zunahme der Beiträge, in welchen die Gentherapie als Gegenstand geringer Konflikthaftigkeit behandelt wird, nicht auf einer Verminderung der Anzahl von Artikeln, in denen die Gentherapie hoch kontrovers erscheint. Wie sich zeigt, wenn die in diesen Beiträgen behandelten Themenkomplexe analysiert werden, hat sich vor allem die Zahl der Artikel zur Grundlagenforschung erhöht und in der dritten Phase im Vergleich zur vorangehenden Phase mehr als versechsfacht (s. Tab. 4.32). Die Frage nach dem Rückgang der Konflikthaftigkeit lässt sich an dieser Stelle umformulieren: Wie kommt es zu der Zunahme von Artikeln, welche die Gentherapie als wenig konflikthaft darstellen und nicht zwischen verschiedenen Gentherapiekonzepten unterscheiden? Betrachtet man nur die Artikel, in denen die Gentherapiekonzepte nicht unterschieden werden, gibt es ein Element, das sich parallel zum

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Rückgang der Konflikthaftigkeit verändert: In Artikeln mit einem Bezug auf das unspezifische Konzept der Gentherapie wird in der dritten Tab. 4.32 Themen der gering konflikthaften Artikel ohne Unterscheidung der Gentherapiekonzepte

Phase deutlich seltener auf eine Optimierung verwiesen. Dabei ändert sich zwar nicht die Konflikthaftigkeit der Optimierung – Artikel, welche die Möglichkeit der gentechnischen Verbesserung aufgreifen, stellen die Gentherapie in der Regel als hoch konflikthaft dar. Der prozentuale Anteil der Beiträge, die sich auf das unspezifische Gentherapiekonzept beziehen, ohne die Möglichkeit der Optimierung zu nennen, erhöht sich jedoch in der dritten Phase (s. Tab. 4.33). Tab. 4.33: Verweise auf eine potentielle Optimierung in Artikeln ohne Unterscheidung der Gentherapiekonzepte in den verschiedenen Phasen

Der Rückgang der Konflikthaftigkeit könnte mit diesem verringerten Anteil von Beiträgen, die eine potentielle Optimierung erwähnen, zusammenhängen. Die Vermutung liegt nahe, dass in Artikeln ohne Bezug auf ein spezifisches Konzept weniger auf die mögliche gentech-

128 | Gesunde Gene nische Verbesserung hingewiesen wird, weil diese potentielle Konsequenz nun stark mit dem inzwischen eingeführten Konzept der Keimbahnintervention assoziiert ist. Fazit Konflikte zeigen sich am deutlichsten im Zusammenhang mit der Keimbahnintervention. Auch wenn in den Beiträgen beide Konzepte dargestellt werden, sind Konflikte hauptsächlich mit der Keimbahnintervention verknüpft, wie bei einer Durchsicht der entsprechenden Artikel erkennbar wird. Wird keine Unterscheidung zwischen den Gentherapiekonzepten getroffen, wird der Gentransfer in menschliche Zellen, insbesondere in der FAZ, größtenteils als wenig kontrovers abgebildet. Die Darstellung der somatischen Gentherapie ist in der Tendenz ebenfalls nur gering konflikthaft, aufgrund der geringen Artikelzahlen lässt sich diese Aussage jedoch kaum generalisieren. In beiden Printmedien wird in den Artikeln offenbar nur selten explizit darauf hingewiesen, wenn es sich bei einem Gentransfer um eine somatische Gentherapie handelt. Besonders auff ällig ist dieser Umstand in den Artikeln zu den ersten Gentherapieversuchen in Amerika, in welchen weder im Spiegel noch in der FAZ der Versuch einer Abgrenzung zur Keimbahnintervention unternommen wird, sondern sich nur aus dem Kontext und der Methodenbeschreibung ergibt, dass es sich um somatische Gentherapien handelt (s. 5.4). Der Rückgang der Konflikthaftigkeit in Phase III beruht vorwiegend auf Artikeln, in denen nicht zwischen den verschiedenen Interventionsformen differenziert wird. Eine Rekontextualisierung im Sinne einer Verringerung der dargestellten Kontroversität findet mithin vor allem in Bezug auf das unspezifische Konzept der Gentherapie statt. Die somatische Gentherapie erscheint dagegen in keiner der Phasen als besonders kontrovers. Die starke Assoziation der Keimbahnintervention mit einer hohen Konflikthaftigkeit zeigt sich dagegen in allen Phasen der Berichterstattung, nahezu alle Artikel mit dem Bezugspunkt Keimbahnintervention sind hoch konfl ikthaft. Insbesondere in der vierten Phase steigt der Anteil der Artikel, welche die Keimbahnintervention als Bezugspunkt wählen, stark an. Aufgrund der starken Assoziation dieser Interventionsform mit hoher Konflikthaftigkeit erhöht sich parallel der Anteil der Artikel, welche die Option als kontrovers herausstellen. Die starke Assoziation der Keimbahnintervention mit einer hohen Kontroversität spricht sehr dafür, dass die Abgrenzung der Keimbahnintervention ein wichtiger Faktor für die Veränderung der Konflikthaftigkeit ist. Mit der Differenzierung der Keimbahnintervention wird

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zugleich eine Grenze zu unerwünschten Folgen der Technik des Gentransfers abgesteckt: Eine potentielle gentechnische Verbesserung wird in Artikeln zur Keimbahnintervention deutlich häufiger erwähnt, zugleich ist die Möglichkeit der Optimierung mit hoher Konfl ikthaftigkeit verbunden. Eine Assoziierung des unspezifischen Konzepts mit einer möglichen Optimierung ist seltener als bei der Keimbahnintervention. Medizinische Nutzen werden dagegen seltener genannt, wenn die Keimbahnintervention den Bezugspunkt bildet. Diese Ergebnisse verweisen darauf, dass für die Rekontextualisierung der Gentherapie vor allem die starke Abgrenzung zur Keimbahnintervention und der Ausschluss unerwünschter Faktoren wie einer potentiellen Verbesserung zentral sind. Darüber hinaus fällt der Rückgang der Konflikthaftigkeit auf die Phase nach der Einführung der Trennung zwischen den Gentherapiekonzepten. Nach dieser Lesart ist der Rückgang der Konflikthaftigkeit ein Resultat der Verlagerung der Kontroversität auf die Keimbahnintervention, während die unspezifische Gentherapie infolge der Abgrenzung als weniger konfl ikthaft erscheint. In der dritten Phase steigt – parallel zur Verringerung der Konflikthaftigkeit – der Anteil der Artikel, die wenig konflikthaft sind und sich auf das unspezifische Konzept der Gentherapie und den Themenkomplex Grundlagenforschung beziehen. Die Zahl der hoch konflikthaften Artikel mit Bezug auf das unspezifische Konzept ändert sich zwischen der zweiten und dritten Phase dagegen nur geringfügig, womit de facto der Anteil der kontroversen Beiträge sinkt. Die deutliche Zunahme von Artikeln zur Grundlagenforschung fällt in die Phase, in welcher sich die Gentherapie als Forschungsfeld etabliert und auch in Deutschland die ersten offiziellen Gentherapieversuche stattfinden (s. 5.5). Mit dem Beginn von Gentherapien in Deutschland wird der Nachrichtenwert der lokalen Nähe erfüllt, der seinerseits zu einer vermehrten Berichterstattung beitragen kann. Hinweise darauf, dass die nationale Involviertheit in ein Forschungsgebiet Art und Menge der Berichterstattung beeinflussen kann, geben O’Mahony & Schäfer (2005) und Rödder (2005), welche die Presseberichterstattung zum Humangenomprojekt international vergleichen. Ist die Veränderung der Konflikthaftigkeit also auf den faktischen Beginn der Forschung zurückzuführen? Die Zuwendung zur Grundlagenforschung im Zuge der Etablierung des Forschungsgebietes ist zwar offenbar ein wichtiges Element für die Rekontextualisierung, aber wohl nicht der einzige Faktor. Wenn der Weg zur Keimbahnintervention bzw. einer möglichen gentechnischen Verbesserung des Menschen gebahnt werden könnte, bleibt die Grundlagenforschung weiterhin höchst umstritten.

130 | Gesunde Gene In der dritten Phase ist es ein Plädoyer für die Öffnung der Forschung in diese Richtung, das als deutlich kontrovers betrachtet wird (s. 5.5). In der vierten Phase ist es der erste gentechnisch veränderte Affe, der Empörung hervorruft (s. 5.6). Insgesamt wird die Methode der Keimbahnintervention auch in der vierten Phase weiterhin als höchst konflikthaft dargestellt. Offenbar ist der Grad der Konflikthaftigkeit nicht davon abhängig, ob es sich um Grundlagenforschung handelt oder nicht, sondern davon, um welche Art von Grundlagenforschung es sich handelt.10 Die Voraussetzung dafür, dass die Forschung als wenig konfl ikthaft porträtiert werden kann, bleibt offenbar, dass die unerwünschte Folge der gentechnischen Verbesserung ausgeschlossen werden kann – wie sich daran zeigt, dass eine mögliche Optimierung in der dritten Phase in Beiträgen ohne Differenzierung der Gentherapiekonzepte deutlich seltener erwähnt wird. Die Zunahme der wenig konfl ikthaften Artikel zur Grundlagenforschung bietet jedoch eine Erklärung für den time-lag zwischen der Einführung der Grenze zur Keimbahnintervention und der Veränderung der Konfl ikthaftigkeit. Zwar wird die Abgrenzung zur Keimbahnintervention schon in der zweiten Phase vorgenommen. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass erst in der dritten Phase, mit der Etablierung des Forschungsgebietes, Anlässe zur Berichterstattung über wenig konflikthafte Ereignisse in ausreichender Zahl von den Medien wahrgenommen werden, um eine Veränderung der Konflikthaftigkeit sichtbar werden zu lassen. Anscheinend ist es eine Kombination von zwei Faktoren, die letztendlich zur Veränderung der Konflikthaftigkeit in der dritten Phase führt – zum einen wird durch die Einführung der Grenze zur Keimbahnintervention und zu der assoziierten gentechnischen Verbesserung die Voraussetzung dafür geschaffen, dass ein bestimmter Teil gentherapeutischer Forschung als wenig konflikthaft wahrgenommen werden kann. Zum anderen steigt in der dritten Phase parallel zur Etablierung des Forschungsfeldes und der nationalen Involviertheit in die Forschung die mediale Aufmerksamkeit gegenüber dem Teil der Grundlagenforschung, der nun als wenig kontrovers aufgefasst werden kann. In der vierten Phase nimmt die Konflikthaftigkeit der Gentherapie dagegen wieder zu – vor allem, weil nun die weiterhin hoch konflikthafte Keimbahnintervention den hauptsächlichen Bezugspunkt bildet.

10 | Dies zeigte sich auch in der medialen Stammzelldiskussion, in welcher die Kontroverse über die Frage der ethischen Vertretbarkeit der Grundlagenforschung geführt wurde.

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4.6 Resümee 4.6.1 Kontextualisierung Welche Schlussfolgerungen lassen sich anhand der dargestellten Ergebnisse ziehen? Diese Frage lässt sich für die beiden Printmedien zunächst im Hinblick auf die Kontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen auf allgemeiner Ebene beantworten. Der zeitliche Verlauf der Berichterstattung über die Gentherapie spiegelt den Verlauf der medialen Debatte über die Gentechnologie insgesamt, wie er in verschiedenen Studien nachgezeichnet wird. Wie bei der Gentechnologie steigt die Intensität der Berichterstattung Mitte der 80er Jahre zunächst nur leicht an, erst mit Beginn der 90er Jahre lässt sich eine klare und kontinuierliche Erhöhung der Artikelzahlen feststellen (Hampel et al. 1998; Kohring et al. 1999).11 Wie für die ›rote‹ Biotechnologie insgesamt ist für die Gentherapie in den Jahren 2000 und 2001 ein weiterer massiver Anstieg der Artikelzahlen zu verzeichnen (Graumann 2002; 2003; Weingart et al. 2006; 2008). Als eigenständiges Themenfeld hat sich die Gentherapie seit Anfang der 90er Jahre etabliert, wie sich daran zeigt, dass der Gentransfer in menschliche Zellen seit dieser Zeit in beiden Printmedien in jedem Jahr als ein Hauptthema aufgegriffen wird (s. 4.2.3). Als weiterer Indikator deuten Veränderungen in den Archivierungsstrategien der Medien auf ein eigenständiges Themenfeld Gentherapie hin, zu Beginn der 90er Jahre etabliert sich der Begriff Gentherapie als eigenes Stichwort (s. Anhang, 7.1). Die Schaff ung des medialen Themengebietes Gentherapie steht vermutlich im Zusammenhang mit dem im Jahr 1990 stattfindenden ersten offiziellen Gentherapie-Experiment und der damit verbundenen Öffnung des Forschungsfeldes für weitere Therapieversuche. Wie bei Gentherapie und Gentechnologie zu sehen, schwankt die Intensität der Berichterstattung zu einem bestimmten Themengebiet über die Zeit. Typischerweise steht ein Themenfeld nach langen Zeiten relativ geringer medialer Aufmerksamkeit und einer darauffolgenden Steigerung der Berichterstattung nur für kurze Zeit weit vorn auf 11 | In amerikanischen Medien verläuft die Berichterstattung anders, dort wird schon zu Beginn der 70er Jahre in einem erwähnenswerten Anteil von Artikeln über Gentherapie berichtet. Die mediale Aufmerksamkeit sinkt jedoch in der Mitte der 70er Jahre wieder ab und erreicht erst seit Mitte der 90er Jahre wieder einen deutlichen Anteil an der Berichterstattung über Gentechnologie (Nisbet und Lewenstein 2002).

132 | Gesunde Gene der medialen Agenda (Downs 1972: 38). Ein Themengebiet ist daher über einen langen Zeitraum hinweg nur selten prominent in der Berichterstattung vertreten. Aus diesem Grunde ist, wie nicht anders zu erwarten, die Gentherapie in den vorgefundenen Artikeln insgesamt sehr viel häufiger Neben- als Hauptthema. Der hohe Anteil von Nebenthemen-Artikeln spricht zugleich für eine starke Verknüpfung mit anderen Themengebieten, wie es für eine Technologie aus einem Querschnittsfeld verwandter Optionen nahe liegt. Die medienspezifische Einordnung anhand von Rubriken, Artikeltypen und Themen verweist auf eine Berichterstattung, die stark von der Wissenschaft geprägt ist, bei der jedoch zugleich die soziale Relevanz deutlich wird. Wie eingangs angenommen (s. 2.2) ist in Bezug auf die Gentherapie ein Verlust der alleinigen Definitionsmacht der Wissenschaft über ihre Entwicklungen zu beobachten. Andere als wissenschaftliche Aspekte treten zur Beurteilung der neuen Option hinzu, dokumentiert beispielsweise durch die mediale Bearbeitung im Themenkomplex Reflexion. Dennoch bleibt der Wissenschaft über weite Zeiträume eine zentrale Stellung in der Kontextualisierung der Option vorbehalten. Dies zeigt sich nicht nur in der vorwiegend tatsachenorientierten Berichterstattung und in dem hohen Stellenwert von Themen und Rubriken, die sich der Wissenschaft zuordnen lassen. Noch weitaus offensichtlicher wird der Stellenwert der Wissenschaft bei den Akteuren, welche Berichterstattung initiieren. Der größte Teil der anlassgebundenen Artikel geht in beiden Printmedien auf Akteure aus der Naturwissenschaft zurück. Kritische Gruppen oder Betroffene erzeugen dagegen kaum Anlässe mit medialem Widerhall. Im Vergleich zu anderen Studien über Gentechnik oder Biomedizin lässt sich die Kontextualisierung der Gentherapie als ein typisches Beispiel einer medialen Debatte über wertsensible Fragen einordnen. Analysen zu Gentechnologie bzw. Life Science12 in der Berichterstattung stellen ebenfalls eine Betonung der Wissenschaft fest (Blöbaum et al. 2004; Brodde 1992; Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998; Kohring et al. 1999; Nisbet und Lewenstein 2002). Insbesondere, was die Akteure betriff t, dokumentieren die Untersuchungen eine klare Dominanz der Wissenschaft.13 Ein aktuelles Beispiel für eine Hegemo12 | Zur Definition des Begriffs vgl. S. 109. 13 | Weingart et al. (2006: 109) stellen für die Kontroversen Stammzellforschung, Klonen und Humangenomforschung Unterschiede in der Akteursstruktur fest, z.B. war in deutschen Printmedien die Stammzelldebatte sowohl von Wissenschaftlern als auch von Politikern geprägt, in der Diskussion über das Klonen traten dagegen primär Politiker auf. Als

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nie von Wissenschaftlern als Akteuren in der medialen Darstellung liefern Gerhards und Schäfer (2006) anhand des Falles der Humangenomforschung. Die Autoren stellen dabei einen Zusammenhang der Akteursstruktur mit einer affirmativen Darstellung auf der Basis medizinisch-therapeutischer Nutzenerwartungen und wissenschaftlicher Deutungen her. Faktoren, die stärker auf die soziale Relevanz verweisen, wie z.B. die Frage nach öffentlicher Verantwortung oder Ethik, bleiben verschiedenen Studien zufolge gegenüber der Betonung der Wissenschaft insgesamt deutlich nachrangig (Durant et al. 1996; Gerhards und Schäfer 2006; Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998; Smart 2003). Gesellschaftsrelevante Aspekte können jedoch in einzelnen Zeiträumen mehr beachtet werden als in anderen, wie es sich in der vorliegenden Studie an der höheren Bedeutung der Politik bzw. politischer Akteure in der zweiten Phase der Berichterstattung zeigt. In diesem Zeitraum erweisen sich politische Bezüge in der medialen Darstellung der Gentechnologie ebenfalls als besonders relevant (Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998). Die vorwiegende Einordnung der Gentherapie in die Domäne Wissenschaft bleibt in beiden Printmedien über lange Zeiträume relativ konstant. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet die vierte Phase in der FAZ: Hauptort der Berichterstattung ist nicht länger die Rubrik Wissenschaft, sondern das Feuilleton.14 Die Verortung der Gentherapie ändert sich gleichzeitig mit dem Wechsel des dominanten Themenkomplexes – offenbar hängt der Umbruch mit der Brisanz der Diskussion über andere biomedizinische Themen wie etwa der Stammzellforschung zusammen und resultiert im Wesentlichen aus einer stärkeren Verknüpfung verschiedener Anwendungs- und Forschungsbereiche der Biomedizin. Auch in der vierten Phase wird bei der FAZ die Berichterstattung jedoch weiterhin primär durch Akteure aus der Naturwissenschaft veranlasst. Während in den Jahren 2000 und 2001 demnach die soziale Relevanz mehr betont wird, rekurriert die Berichterstattung weiterhin größtenteils auf wissenschaftliche Ereignisse. Grundsätzlich zeigt die Verlagerung der Berichterstattung Vergleich für die Gentherapie-Berichterstattung erscheinen die Daten aufgrund der abweichenden Themenauswahl und der Konzentration auf kurzzeitige Kontroversen jedoch nur bedingt geeignet. 14 | Dieser Befund korrespondiert mit Daten zur Berichterstattung über Humangenomforschung: Die Darstellung der Entzifferung des Humangenoms findet sich im Zeitraum von März 2000 bis Februar 2001 in deutschen Medien vorrangig im Politik- und Feuilletonteil (Rödder 2005).

134 | Gesunde Gene in das Feuilleton, dass wissenschaftliche Inhalte nicht primär unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten eingeordnet werden müssen. Auch gesellschaftsrelevante Aspekte können die Darstellung einer wissenschaftlichen Option bestimmen. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich folgendes Fazit zur medialen Einordnung der Gentherapie auf der allgemeinen Ebene ziehen: 1. Für das Feld der Darstellung der Gentechnologie in den Medien repräsentiert die mediale Debatte um die Gentherapie einen charakteristischen Fall, soweit dies die Kontextualisierung auf allgemeiner Ebene betriff t. 2. Die Diskussion um die Gentherapie in den beiden Printmedien ist wissenschaftsbetont mit klaren Hinweisen auf die bestehende soziale Relevanz der Option. Durch die Verortung als gesellschaftliches Konfliktfeld wird die Annahme, die Wissenschaft besitze keine alleinige Definitionsmacht über die von ihr hervorgebrachten Optionen mehr, gestützt. 3. Die Kontextualisierung der Gentherapie auf allgemeiner Ebene bleibt über lange Zeiträume weitgehend konstant. Eine bemerkenswerte Ausnahme bilden die Jahre 2000 und 2001 in der FAZ, in welcher die zuvor primär als wissenschaftlicher Gegenstand gefasste Gentherapie stärker als gesellschaftsrelevant verortet wird.

4.6.2 Vergleich zu den Thesen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken Während bisher ein Bild der generellen Verortung der Gentherapie gewonnen wurde, soll nun die Frage nach Abweichungen und Übereinstimmungen mit der Erosions- bzw. Inkorporationsthese adressiert werden. Entspricht der Verlauf der Konflikthaftigkeit den Vorhersagen von Weingart und van den Daele, denen zufolge die hoch kontroverse Option im Verlauf der Debatte zu einer nur noch wenig konflikthaften Handlungspraxis wird? Zwar wird die Gentherapie in den 90er Jahren, also zu einem relativ späten Zeitpunkt der medialen Debatte, deutlich weniger kontrovers dargestellt. In den darauffolgenden Jahren 2000 und 2001 erhöht sich die Konflikthaftigkeit jedoch wieder. Anders als von Weingart und van den Daele erwartet, zeigt sich kein kontinuierlicher Rückgang der Kontroversität über die Zeit. Eine Abnahme der Konflikthaftigkeit lässt sich nur in Bezug auf das unspezifische Konzept der Gentherapie und nur für die dritte Phase bestätigen. Darüber hinaus lässt die Kontroversität zu Beginn nicht auf besonders große und massive Proteste in dieser Phase schließen, auch dies ist eine Abweichung zu den Vorstellungen der Erosionsthe-

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se. Inwiefern die somatische Gentherapie als konflikthaft behandelt wird, lässt sich wegen der geringen Menge von Artikeln mit diesem Fokus allein aufgrund der quantitativen Daten kaum interpretieren, die Tendenz weist jedoch in die Richtung niedriger Konflikthaftigkeit. Im Zusammenhang mit den qualitativen Befunden (s. Kap. 5) erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass die somatische Gentherapie zu jedem Zeitpunkt der Berichterstattung in weit geringerem Ausmaß als konflikthaft betrachtet wird als die Keimbahnintervention. Der empirisch gefundene Verlauf stimmt eher mit den Annahmen der Inkorporationsthese überein, der zufolge die Kontroversität zu jenen Zeiten zurückgehen sollte, in denen Widerstände in der Gestaltung der Technik berücksichtigt werden (s. 1.2). Die Abgrenzung zur Keimbahnintervention und der damit assoziierten Folge der gentechnischen Veränderung des Menschen stellt eine solche Anpassung an gesellschaftliche Widerstände dar und scheint mit dem Rückgang der Konflikthaftigkeit in der dritten Phase in Verbindung zu stehen. Für die Inkorporationsthese spricht daneben auch, dass die Kontroversität der Keimbahnintervention über alle Phasen hinweg bestehen bleibt und keine Anzeichen eines Absinkens zeigt. Dies entspricht der Erwartung, dass der Widerstand gegen eine Technik fortdauert, wenn Proteste nicht einbezogen werden. In beiden untersuchten Printmedien lässt sich ein dreistufiger Prozess identifizieren, in dem 1. die Keimbahnintervention als eine Spezifikation des allgemeinen Gentherapiekonzeptes benannt und damit differenziert wird, 2. die Keimbahnintervention mit einer hohen Konflikthaftigkeit und einer möglichen gentechnischen Verbesserung des Menschen assoziiert wird und 3. die Konflikthaftigkeit des unspezifischen Konzeptes der Gentherapie deutlich vermindert wird. Die umstrittene Optimierung ist mit der Option der Keimbahnintervention verknüpft, die medizinischen Nutzen sind dagegen stärker mit der unspezifischen Gentherapie assoziiert. Offensichtlich wird in beiden Presseorganen durch die Unterscheidung der Therapie von Keimzellen zu anderen, nicht spezifizierten Formen der Gentherapie zwischen erwünschten und unerwünschten Implikationen des Gentransfers in menschliche Zellen getrennt. Durch den Bezug auf die wissenschaftliche Definition wird eine Grenze markiert, die nicht nur zwei wissenschaftlich unterschiedene Interventionsformen wiedergibt, sondern auch mit verschiedenen ethischen Implikationen dies-

136 | Gesunde Gene seits und jenseits der Grenze einhergeht.15 Der deutliche Anstieg von wenig kontroversen Artikeln zur Grundlagenforschung in der dritten Phase lässt sich nur vor dem Hintergrund verstehen, dass durch die Abgrenzung unerwünschte Folgen ausgeschlossen werden.16 Die Verknüpfung der Keimbahnintervention mit einer möglichen gentechnischen Optimierung ist dabei nicht zwangsläufig – zwar hätte die gentechnische Optimierung nur in diesem Falle Auswirkungen auf nachfolgende Generationen, eine gentechnische Verbesserung einzelner Merkmale erscheint jedoch auch jenseits der Keimbahnintervention möglich. Gendoping, d.h. der Versuch, die Leistungsfähigkeit von Sportlern gentechnisch zu steigern, lässt sich beispielsweise auch ohne eine Intervention in die Keimzellen der Athleten realisieren.17

15 | Die Übernahme der wissenschaftlichen Defi nitionsweise in den Medien ist dabei nicht so selbstverständlich, wie es zunächst anmuten mag. Zum einen ist das wissenschaftliche Konzept zwar schlüssig und plausibel, aber durchaus nicht unangreif bar (Rehmann-Sutter 1995). Auch Keimzellen sind Bestandteile des menschlichen Körpers und repräsentieren eine spezielle Form von Zellen, nicht separate Einheiten. Um einen Gentransfer in die Keimbahn auszuschließen, wurden zum Teil umfangreiche Vorkehrungen getroffen. Die ersten Gentransfer-Versuche zur Behandlung der Erbkrankheit Mukoviszidose in England beispielsweise beschränkten sich auf Männer. Männliche Mukoviszidose-Patienten sind unfruchtbar, so dass auf diese Weise ausgeschlossen werden konnte, dass versehentlich in die Keimbahn gelangende Erbanlagen an Nachkommen weitergegeben werden (FAZ, 04.10.1995). Auch die Empfehlungen der Enquete-Kommission »Chancen und Risiken der Gentechnologie« weisen darauf hin, dass eine unbeabsichtigte genetische Transformation der Keimbahn ausgeschlossen werden muss (Enquete-Kommission 1987, FAZ, 18.03.1987). Zumindest hypothetisch hätten daher in den Medien auch Zweifel an der vorgebrachten Grenzmarkierung deutlich werden können. So gilt beispielsweise in der Frage der Freisetzung gentechnisch veränderter Pflanzen einem Teil der Akteure das Risiko einer Übertragung der gentechnischen Veränderung auf andere Pflanzen als unterschätzt (O’Mahony und Skillington 1999). 16 | Der Beginn der Grundlagenforschung in Deutschland wird nicht zuletzt durch die regulatorische Grundlage des Embryonenschutzgesetzes von 1991 ermöglicht, das ein Verbot der Keimbahnintervention enthält. 17 | FAZ, 12.4.2001: Defekt gesucht: »[…] Gen-Doping steht im Titel der Konferenz im September in New York, auf der sich die Sportwissen-

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4.6.3 Assoziation mit dem Wert Gesundheit Ein weiterer Fokus der Studie liegt auf der Frage, wie die neue und ethisch kontroverse Technik mit dem Wert Gesundheit verknüpft wird. Wie in anderen Studien zur Gentherapie in den Medien erweist sich der Grad von Bezugnahmen auf medizinische Nutzen als hoch (Appel und Jazbinsek 2000; Nelkin 2001). In welchem Ausmaß medizinische Nutzen genannt werden, verändert sich jedoch über die Zeit hinweg und ist abhängig davon, welches Gentherapiekonzept den Bezugspunkt bildet. Die Annahme, dass negative Vorstellungen insbesondere zu Beginn auftreten, positive dagegen erst in späteren Zeiträumen, bestätigt sich nicht. Vielmehr sind Hinweise auf medizinische Nutzen schon in der ersten Phase prominent vertreten und erst in der vierten Phase weniger ausgeprägt. Auch ein Absinken der Hinweise auf das Optimierungspotential lässt sich nicht verzeichnen: Bezüge auf eine mögliche gentechnische Verbesserung sind in der dritten Phase zwar zunächst schwächer, werden in der vierten Phase jedoch wieder häufiger. Hierin zeigt sich eine weitere Abweichung zur Erosionsthese. Die Trennung der Gentherapiekonzepte ist auch hier relevant: Sowohl der Rückgang der Nennung medizinischer Nutzen als auch der Anstieg der Erwähnung des Optimierungspotentials in der vierten Phase gehen vermutlich darauf zurück, dass in dieser Zeit hauptsächlich die Keimbahnintervention den Bezugspunkt bildet. In der Literatur wird der Auswahl der zu behandelnden Krankheiten für die Legitimierung humangenetischer und gentherapeutischer Anwendungen große Bedeutung zugeschrieben (Martin 1999; Nerlich et al. 2002), insbesondere, wenn die sich neu eröffnenden Möglichkeiten als »good news for everyone« (Nerlich et al. 2002: 451) dargestellt werden können. In der quantitativen Analyse lässt sich dieser Legitimationsaspekt der Assoziation mit dem Wert Gesundheit nicht belegen. Erb- und Volkskrankheiten werden insgesamt etwa gleich häufig aufgegriffen. Der konzeptuelle Wechsel zur Therapie von Volkskrankheiten, dem von Martin (1998; 1999) zentrale Bedeutung für die Zulassung der ersten Gentherapieversuche innerhalb des zuständigen amerikanischen Gremiums (RAC) zugeschrieben wird, deutet sich in der FAZ stärker an als im Spiegel. Um die Assoziation zu den Krankheitstypen als entscheidenden Faktor für die Legitimierung der Option anzusehen, ist die Tendenz zu den Volkskrankheiten jedoch in beiden Printmedien zu schwach ausgeprägt. schaft rüsten will. […] Sie stellen schon den nächsten Schritt, die Manipulation an den Körperzellen der Athleten, in Aussicht.« (Hervorh. MV)

138 | Gesunde Gene Mit Blick auf mögliche Wechselwirkungen zwischen Abweichungen vom ursprünglichen Konzept der Gentherapie und der Legitimation der Option wurde erhoben, welche mediale Präsenz verschiedene Vorstellungen über Effekte des Gentransfers in menschliche Zellen erlangen. In der medialen Darstellung wird den globalen Konzepten Heilung bzw. Therapie von Krankheiten gegenüber kleinteiligeren und spezialisierteren Entwicklungen der Vorzug gegeben. Insbesondere in der Vorstellung einer möglichen Heilung besteht die Annahme der kausalen Behandlung und des einfachen Austauschs von Genen, wie sie ursprünglich auch dem wissenschaftlichen Konzept des Gentransfers in menschliche Zellen zugrunde liegt, weiter fort. Modifizierungen und Konkretisierungsschritte, die zum normalen wissenschaftlichen Prozess gehören, werden sehr viel weniger häufi g aufgegriffen. Unter der Bedingung der medialen Ausrichtung an Nachrichtenwerten ist dies zwar erwartbar, jedoch nicht bedeutungslos. Eine Antizipation entsprechender Abwandlungen und Reduktionen könnte die Zugkraft, die von einem Versprechen auf umfassende Heilung oder Therapie ausgeht, deutlich mindern. Gesundheit als abstrakter Wert ist in den Konzepten der Heilung und Therapie stärker präsent als in kleinen, auf einzelne Maßnahmen beschränkten Fortschritten. Bezugnahmen auf Heilung und Therapie besitzen einen relativ hohen Abstraktionsgrad und erlauben aufgrund ihres globalen Charakters einen breiten Interpretationsspielraum. Die kleinteiligeren und spezielleren Effekte beziehen sich dagegen eher auf konkrete Fälle der Wiederherstellung von Gesundheit und repräsentieren diese weniger als Wert an sich. Erst durch das Umfassende, wie es den Konzepten von Heilung und Therapie zugrunde liegt, kann ein starkes Gegengewicht gegenüber den ethischen Bedenken entstehen, welche einer Innovation wie dem Gentransfer in menschliche Zellen entgegenstehen. Darin ähneln die umfassenden Gesundheitskonzepte Heilung und Therapie den betroffenen Wertfragen, die ebenfalls global gelten und sich durch einen hohen Grad an Abstraktion auszeichnen. Insgesamt zeigt sich: In der medialen Debatte von FAZ und Spiegel hat Gesundheit einen sehr hohen Stellenwert und ist ein wesentliches Element der Kontextualisierung. Dieser Befund erscheint nur so lange profan, wie die Alternative – ein Fokus auf die zum Teil ebenfalls fundamentalen Befürchtungen und konfligierenden Werte – vernachlässigt wird. Durch die Option selbst ist eine starke Anknüpfung an einen therapeutischen Nutzen zunächst nicht vorgegeben. Sowohl gesundheitliche Effekte als auch potentiell negative Auswirkungen wie etwa möglicher Missbrauch sind Faktoren, die dem Konzept des Gentransfers in menschliche Zellen nicht innewohnen, sondern erst

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zugeordnet werden. Bestimmte Eigenschaften der für die Anbindung an Gesundheit gewählten Formen Heilung und Therapie lassen eine besondere Eignung für die mediale Debatte vermuten: Es handelt sich um einfache Konzepte, mit denen die Erwartung einer tief greifenden Wirkung vermittelt werden kann. Zugleich zeichnen sich Bezüge auf Therapie und Heilung dadurch aus, zwar abstrakter zu sein als kleinere Fortschritte und Modifizierungen, zugleich aber konkreter als der abstrakte Wert Gesundheit. Modifizierungen, Relativierungen und Spezifizierungen gehören zum normalen wissenschaftlichen Prozess. Insofern erscheint es vorhersehbar, dass die einfachen Anfangskonzepte später eine andere Form annehmen werden. Dies kann jedoch nur generell antizipiert, aber eben nicht konkret vorhergesagt werden. Als Anknüpfungspunkt für die Medien ist die Aussicht späterer Modifizierungen damit wenig handhabbar. Mit Hilfe der Vorstellungen von Therapie und Heilung wird es dagegen möglich, über Effekte zu sprechen, die noch gar nicht eingetreten sind, sondern nur in Aussicht gestellt werden. Vorstellungen utopischen Gehalts, wie etwa die Unsterblichkeit oder das Abschaffen von Krankheiten, spielen in der Kontextualisierung der konkreten Technologie kaum eine Rolle. Ähnlich wie von Weingart (2000; 2005b) vorausgesagt, erfolgt die Kontextualisierung der konkreten Option nicht über utopische, sondern alltagsnahe Elemente, die mit fest in der Gesellschaft verankerten Werten wie Gesundheit verbunden sind. Ob ein Wechsel der Bezüge von Utopie zu Alltagsnähe stattfindet, kann aufgrund der seltenen Nennung utopischer Elemente nicht beantwortet werden. Auch in den Medien spiegelt sich die Hinwendung der Humangenetik zum Individuum. Effekte, die über das Individuum hinausreichen, wie etwa Auswirkungen eugenischer Eingriffe oder Veränderungen der Gesellschaft, finden in der Berichterstattung über die Gentherapie nur wenig Widerhall. Selbst ein potentieller Einfluss auf zukünftige Generationen, der einen zentralen Problempunkt der Keimbahnintervention darstellt, wird nur in einem verhältnismäßig kleinen Anteil von Artikeln genannt. Dass Verweise auf über-individuelle Effekte über die Zeit hinweg nicht geringer, sondern in der vierten Phase sogar etwas häufiger werden, ist vermutlich wiederum auf den Anstieg der Artikel zur Keimbahnintervention zurückzuführen. Eine Individualisierung möglicher Konsequenzen scheint im Hinblick auf die Keimbahnintervention nicht einzutreten. Was lässt sich aus diesen Ergebnissen schließen? Erfolgt die Veränderung der Sichtweise über die Anbindung an den Wert Gesundheit? Zwar spielt die Assoziation mit dem Wert Gesundheit eine zentrale

140 | Gesunde Gene Rolle in der Berichterstattung und der Gentransfer in menschliche Zellen wird vorwiegend medizinisch kontextualisiert. Die Vermutung, dass die neue Option alltagsnah und in Assoziation zu einem fest institutionalisierten Wert kontextualisiert wird, bestätigt sich. Eine verstärkte Betonung medizinischer Nutzen zum Zeitpunkt der Rekontextualisierung kann jedoch nicht festgestellt werden. Den Ergebnissen der quantitativen Analyse zufolge sind andere Faktoren wichtiger für die Veränderung der Sichtweise: Die deutliche Abgrenzung gegenüber unerwünschten Implikationen auf der Grundlage eines scheinbar eindeutigen wissenschaftlichen Konzeptes und die Zuwendung zur Grundlagenforschung im Zuge der Etablierung des Forschungsgebietes und der nationalen Involviertheit in die Forschung. Dieses Ergebnis ist eher mit der Inkorporationsthese in Einklang zu bringen, nicht zuletzt, weil diese nicht von einer nahezu unbegrenzten Legitimationskraft der Assoziation mit dem Wert Gesundheit ausgeht. Die vorgefundene Art der Grenzziehung repräsentiert jedoch selbst eine Form der Anbindung an den Wert Gesundheit (vgl. Capron 1990): Die Grenze trennt nicht nur wissenschaftliche Konzeptionen, sondern auch die therapeutische von der optimierenden Nutzung. Erst der Ausschluss der unerwünschten Implikationen ermöglicht die Darstellung der Option als wenig konflikthaft.

5. Qualitative Inhaltsanalyse

5.1 Intention Die qualitative Rekonstruktion des Verlaufes der medialen Debatte ist als Ergänzung und Erweiterung der quantitativen Untersuchung konzipiert (s. 3.1). Der große Vorteil der quantitativen Inhaltsanalyse besteht darin, große Textmengen bearbeiten und Aussagen über den gesamten Textkorpus treffen zu können. Zugleich wird jedoch stark von den jeweils zugrunde liegenden Beiträgen abstrahiert. Die Stärke der qualitativen Inhaltsanalyse liegt demgegenüber darin, Prozesse detailliert nachvollziehen, nach Relevanzkriterien gewichten und stärker auf die Bedeutung der Texte fokussieren zu können. In der qualitativen Inhaltsanalyse wird nicht mit vorgegebenen Kategorien gearbeitet. Die Kategorien werden vielmehr aus dem Material heraus entwickelt, diese Offenheit gewährleistet die Angemessenheit der gebildeten Kategorien für die untersuchten Texte. Die gesellschaftliche Verortung der wertsensiblen Technik des Gentransfers in menschliche Zellen wird anhand der Frage verfolgt, welche Ereignisse im Verlauf der Berichterstattung dargestellt und welche Aspekte in der Einschätzung der Gentherapie aufgegriffen werden. Einzelereignisse und Aspekte, die nicht aufgegriffen werden, bilden eine Hintergrundfolie für das Verständnis der Kontextualisierung und können ebenso bedeutsam sein wie die Schwerpunkte der Diskussion (Ritsert 1972). Vor dem Hintergrund des in der Erosionsthese antizipierten Perspektivwechsels ist die qualitative Analyse auf mögliche Veränderungen in der Kontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen gerichtet. Als Rekontextualisierung wird dabei eine Veränderung der Kontextualisierung bezeichnet, die sich auf breiter Basis durchgesetzt

142 | Gesunde Gene hat. In der Berichterstattung wird eine solche Rekontextualisierung aufgrund der Vielzahl und Verschiedenheit der abgebildeten Inhalte – anders als z.B. bei einem einstimmig entscheidenden politischen Gremium – in der Regel nicht vollständig sein. Der Begriff Neukontextualisierung steht dagegen für den Versuch, neue Elemente mit den jeweils zur Diskussion stehenden Optionen zu verbinden, ohne dass dies notwendigerweise in einem großen Teil von Artikeln erfolgt.

5.2 Methodische Anmerkungen Die Untersuchung wurde als zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse durchgeführt. Nach Mayring (1993: 54) ist das Ziel der Zusammenfassung eine Reduktion des Materials, wobei dadurch, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, ein überschaubares, verkleinertes Abbild des Grundmaterials entsteht. Zusammengefasst wurden Textstellen, in denen die intendierte Veränderung des genetischen Materials des Menschen in • zeitlicher (z.B. Prognosen über den Einsatz der Gentherapie); • sachlicher (z.B. Einschätzungen wissenschaftlicher Hindernisse); • oder gesellschaftlicher Hinsicht (d.h. in Bezug auf ethische, rechtliche, soziale oder ökonomische Implikationen) bewertet wird. In die qualitative Inhaltsanalyse wurde wegen des größeren Zeitaufwandes für die Bearbeitung anders als in der quantitativen Analyse nur eine Auswahl von Texten einbezogen.1 Die Auswahl der Texte orientierte sich daran, konkrete Schritte der Implementation zu verfolgen, die Kristallisationspunkte für die Einschätzung der Technik sein können. Es wurden Beiträge aufgenommen, die wichtige wissenschaftliche, rechtliche oder politische Eckpunkte der Debatte über den Gentransfer in menschliche Zellen widerspiegeln. Anders als die zahlreichen Artikel zur Grundlagenforschung stehen die ausgewählten Beiträge für eine Zuspitzung und Konkretisierung der Debatte um die Gentherapie, anhand derer der gesellschaftliche Umgang mit der neuen Technologie deutlich wird. Der Beschreibung einzelner Schritte der Integration der Technik folgt jeweils ein Fazit, welches stärker die übergreifenden Kategorien zur Charakterisierung der Gentherapie in der jeweiligen Phase herausarbeitet. 1 | Die vollständige Liste der ausgewählten Artikel ist herunterzuladen unter http://cid-0a57e7459ea8a691.skydrive.live.com/self.aspx/ .Public/Gesunde%20Gene/Liste-Artikel-Korpus.pdf

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5.3 Phase I (1970 bis 1984): Zeit der Ambivalenz: Zwischen Hoffnung auf Heilung und Furcht vor dem Mensch nach Maß 2 In die erste Phase fallen die beiden ersten jemals durchgeführten, offiziell allerdings nicht legitimierten Gentherapie-Experimente. Der erste Versuch wurde 1970 an einer Kölner Kinder-Klinik begonnen und zielte darauf, bei zwei Mädchen einen Arginase-Mangel zu behandeln.3 Genau zehn Jahre später, im Jahr 1980, fand das zweite Experiment statt. Der amerikanische Molekularbiologie Martin Cline versuchte, trotz fehlender Zustimmung der Ethik-Kommission seiner Universität, in Jerusalem und Neapel Thalassämie-Patienten mit einer Gentherapie zu behandeln. Zu diesen beiden Ereignissen erscheint in der FAZ jeweils nur ein einziger Artikel. Den Bericht zum Versuch von 1970 dominieren Erläuterungen zur Methode und zur behandelten Krankheit. Die Frage, ob das Experiment ethisch vertretbar ist, wird dagegen nicht gestellt. Vielmehr wird die vermutete Harmlosigkeit des verwendeten Virus betont, der auch bei Wissenschaftlern, die »jahre- und jahrzehntelang mit dem Virus umgingen« (FAZ, 23.09.1970) nicht zu Tumoren geführt hätte. Die Aussicht auf eine gezielte Veränderung von Erbanlagen wird im abschließenden Absatz des Beitrages zugleich als ambivalent und weit entfernt klassifiziert: »Selbst wenn dieses Experiment gelingen sollte, sind wir von der gezielten Veränderung der Erbanlagen, der vielfach gefürchteten und gepriesenen Gen-Chirurgie noch weit entfernt.« (FAZ, 23.09.1970, Hervorh. MV).

In Beiträgen zum allgemeinen wissenschaftlichen Fortschritt, die in dieser Phase häufig sind, wird die Möglichkeit der Gentechnik am Menschen ebenfalls oft nur kurz als Ausblick erwähnt und mit dem Hinweis auf die Praxisferne dieser Anwendung verbunden. Auch die 2 | Der besseren Lesbarkeit wegen wird im folgenden Text auf eine Einzelausweisung der Quelle verzichtet, wenn mehrere Zitate erkennbar dem gleichen Artikel entnommen sind. 3 | Dieser Versuch wurde von dem Amerikaner Stanley Rogers angeregt und vom deutschen Kinderarzt Heinz Terheggen durchgeführt. Statt der erst später verfügbaren Restriktionsenzyme wurden Shopesche Papillomaviren verwandt, die das Enzym Arginase bilden. Bei unfreiwilligen Infektionen mit dem Virus zeigt sich bei den Betroffenen ein erhöhter Arginasespiegel im Blut.

144 | Gesunde Gene Ambivalenz gegenüber dem Gentransfer in menschliche Zellen, der einerseits die »Therapie von Erbkrankheiten« ermöglichen, andererseits der »gezielten Manipulation« dienen kann (FAZ, 27.05.1970), wird in mehreren Artikeln sichtbar. Der Artikel zum Cline-Experiment von 1980 verweist darauf, dass die Genehmigung der zuständigen Ethik-Kommission fehlte und die Versuche in den USA als verfrüht kritisiert worden sind (FAZ, 12.11.1980). Auch die von Cline betonte Zustimmung der Patienten ändere nichts an der ethischen Fragwürdigkeit der Gentherapieversuche. Statt eine grundsätzliche Auseinandersetzung um die Legitimität von Gentransfer-Experimenten aufzuwerfen, konzentriert sich der Bericht jedoch auf das Fehlverhalten Clines. Zudem wird etwa die Hälfte des Artikels von der Beschreibung der Krankheit und der erprobten Methode eingenommen. Eine eigenständige Thematisierung der ethischen Fragen ist nicht erkennbar, auch eine Übertragung auf deutsche Verhältnisse findet nicht statt. In Amerika löste der Cline-Fall dagegen eine profunde Debatte über die genetische Veränderung des Menschen aus, die unter anderem zu den ersten umfassenden gesetzlichen Richtlinien für die Gentherapie führte (Martin 1999: 20). Beim Spiegel werden die inoffiziellen Gentherapie-Experimente ebenfalls sehr neutral dargestellt – in dem einseitigen Beitrag »Etwas Angst« (28.09.1970) zu dem Experiment von 1970 werden Bedenken gegenüber der Anwendung am Menschen nur in einem Absatz erwähnt, die größere Aufmerksamkeit gilt der Methode, der Krankheit und dem Ablauf des Experimentes. Wie in der FAZ wird auf die Erfahrungen der Wissenschaftler mit dem Virus hingewiesen und darauf, dass bisher keine Nebenwirkungen aufgetreten seien. Als Kritikpunkte werden die verfrühte Anwendung und das Risiko einer VirusInfektion genannt und dass sich bei den beiden Patientinnen bereits aufgetretene Schäden des Gehirns kaum noch kompensieren ließen. 1975 ist aus einer Nachricht zu erfahren, dass der Versuch erfolglos geblieben ist (Spiegel, 17.03.1975). Dem Cline-Experiment widmet der Spiegel lediglich eine Meldung (20.10.1980). Zwar wird erwähnt, dass die Intervention den Patienten weder nutzte noch schadete. Ansonsten konzentriert sich die Darstellung jedoch wie in der FAZ auf das Fehlverhalten Clines und die Kritik, das Experiment sei verfrüht. Die Diskussion um den Versuch wird als eine genuin amerikanische Kontroverse behandelt, ohne weitergehende Bezüge zu schaffen. In anderen Artikeln dieser Zeit nutzt der Spiegel das erschreckende Potential der Visionen vom genmanipulierten Menschen. »Senkrecht in die Hölle – Der Mensch wird umgebaut« (Spiegel, 21.12.1970) lautet beispielsweise eine Schlagzeile des Jahres 1970. Als 1978 das ers-

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te Retortenbaby gezeugt wird, werden gezielte Eingriffe in das Erbgut mit den Reproduktionstechnologien verknüpft, eine Assoziation, die in den achtziger Jahren aufrechterhalten wird. Dargestellt werden die unterschiedlichen Herangehensweisen als Entwicklungslinien, die auf einen imaginären Fluchtpunkt zulaufen, die Vision vom künstlichen Menschen: »In der Tat ist das von den britischen Fortpflanzungsexperten Steptoe und Edwards entwickelte Verfahren ein ganz entscheidender Schritt in Richtung Homunkulus: Zeugung und Anfang der Schwangerschaft finden außerhalb des Körpers statt, können also direkt beobachtet und überwacht, aber ebensosicher eines Tages gesteuert und manipuliert werden. Zwar mögen gezielte Eingriffe in das Erbgut des Menschen derzeit noch utopisch anmuten. […] Aber angesichts superschneller Computer, Datenspeicher und verfeinerter Mikrochirurgie scheint auch diese Aufgabe prinzipiell lösbar.« (Spiegel, 31.07.1978)

Der Bezug auf eine potentielle ›Genmanipulation‹ des Menschen beschränkt sich jedoch häufig auf Titel und/oder lead4 und das potentielle positive Resultat, die Heilung von Krankheiten, wird fast immer erwähnt. Ähnlich wie in der FAZ wird in vielen Artikeln die Möglichkeit einer Gentherapie nur kurz in Aussicht gestellt, während sich der Hauptteil der Beschreibung einzelner wissenschaftlicher Erkenntnisse und Experimente widmet. Selbst in den Beiträgen, welche in Titel oder Aufhänger auf die Horrorvision des genmanipulierten Menschen rekurrieren, werden wissenschaftliche Erkenntnisse zur Gentechnologie zum Teil umfassend geschildert. Auch im Spiegel kommt so eine Ambivalenz gegenüber der neuen Technik zum Ausdruck, die ähnlich wie in der FAZ zwischen Therapie und Furcht vor genetischer Veränderung des Menschen schwankt. Wie im obigen Zitat zu sehen, wird – statt wie die FAZ die mangelnde Praxisreife der Gentherapie zu betonen – der Gentransfer in menschliche Zellen beim Spiegel in einigen Beiträgen in eine Reihe mit einem rasanten wissenschaftlichen Fortschritt gestellt. Fazit Phase I Die Kontextualisierung der Gentherapie lässt sich in dieser ersten Phase als wissenschaftszentriert charakterisieren. Vorwiegend tritt die Gentherapie als eine entfernte Aussicht der Grundlagenforschung 4 | Als lead wird der einführende, graphisch häufig besonders abgesetzte Teil eines Artikels bezeichnet.

146 | Gesunde Gene in Erscheinung, die in den Beiträgen lediglich kurz eingeführt wird. In beiden Printmedien ist zugleich die Ambivalenz erkennbar, mit der die Option betrachtet wird – während der Spiegel sich zwischen den Bezugspunkten Heilung und Horrorvision hin- und herbewegt, spricht die FAZ dezenter von »der vielfach gefürchteten und gepriesenen Gen-Chirurgie« (FAZ, 23.09.1970). In dieser ambivalenten Bewertung werden Gentransfer in Soma- und Keimzellen in der Regel vermischt, in der Mehrzahl der Texte wird zwischen den beiden Gentherapievarianten keine Unterscheidung getroffen. Die sich in späteren Jahren durchsetzende Trennung der beiden Varianten (s. 5.4-5.6) scheint in der Ambivalenz, mit welcher die Presseorgane erwünschte und unerwünschte Folgen der Gentherapie betrachten, schon vorgeformt zu sein. Das seitens der Medien hervorgehobene Konfliktpotential beschränkt sich weitestgehend auf die Referenz an eine befürchtete genetische Manipulation des Menschen, die häufig nicht weiter erläutert wird. Referenzen dieser Art sind im Spiegel, der eher einem reportageartigen Stil verpflichtet ist, häufiger und eindringlicher als in der stärker berichtsorientierten FAZ. Eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Legitimität der neuen Technik findet nur selten statt. Besonders auff ällig ist das Fehlen dieser Auseinandersetzung in den Beschreibungen der beiden ersten und inoffiziellen Gentherapie-Experimente. Die in Bezug auf die Experimente genannten Konfliktpunkte bezeichnen keine grundsätzlichen ethischen Widerstände. Die ohnehin nur in geringem Ausmaß geäußerte Kritik ist eher pragmatischer Natur. Die Gentherapieversuche erscheinen als innerwissenschaftliche Angelegenheit bzw. als Problem des Fehlverhaltens Einzelner.

5.4 Phase II (1985 bis 1992): Auflösen der Ambivalenz: Somatische Gentherapie als promising new technology Die Vorbereitungen für die ersten offiziell zugelassenen GentherapieExperimente in den USA und die Versuche selbst fallen in die Jahre der zweiten Phase. In Deutschland wird in politischen Gremien wie der Benda-Kommission und der Enquete-Kommission »Chancen und Risiken der Gentechnologie« über die Gentherapie beraten (s. 2.4). Die Veränderungen spiegeln sich in den Themenkomplexen, die aufgegriffen werden – sind in der FAZ in der ersten Phase noch Artikel zum wissenschaftlichen Fortschritt am häufigsten, so sind es nun Beiträge zu Therapieversuchen am Menschen und zur Politik (4.3.6).

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Der Anteil der Artikel zur Grundlagenforschung, die in der vorangegangenen Phase noch einen Großteil der Berichterstattung ausgemacht haben, ist stark abgesunken. Die Beiträge zu den Gentherapie-Experimenten sind in der FAZ größtenteils Nachrichten und Berichte, eine Kommentierung der Ereignisse erfolgt nur in zwei Fällen. Die Urteile über den Gentransfer in menschliche Zellen sind in dieser Zeit oft differenzierter als in Phase I, da häufiger als in der ersten Phase die Unterscheidung zwischen somatischer Gentherapie und Keimbahnintervention eingeführt wird und beide Varianten deutlich unterschiedlich bewertet werden. In der FAZ werden die einzelnen Schritte der für die Bewertung und Zulassung der Gentherapie zuständigen amerikanischen Behörden sehr genau verfolgt. In einer Meldung wird 1985 beispielsweise ein Bericht aufgegriffen, den das amerikanische Office of Technology Assessment (OTA) für den Kongress verfasst hat. In Bezug auf die Einschätzung des Gentransfers in menschliche Zellen ist diese Nachricht in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen wird die somatische Gentherapie lediglich als »[…] eine Erweiterung der konventionellen Medizin, die keine neuen ethischen Fragen aufwerfe.« (FAZ, 03.01.1985a) eingestuft. Zum anderen wird eine zeitliche Vorhersage getroffen und eine Anwendung der Gentherapie noch im gleichen Jahr vorausgesagt – eine Prognose, die sich im Nachhinein als unzutreffend erweist, da bis zum ersten offiziell zugelassenen Gentransfer-Experiment beim Menschen noch weitere vier Jahre vergingen, bis zur ersten ›echten‹ Gentherapie sogar fünf. Anders als in der ersten Phase wird die Gentherapie in dieser Nachricht nicht mehr als eine entfernte Möglichkeit aufgefasst, sondern scheint unmittelbar vor der Realisierung zu stehen. Im Jahr 1988 greift die FAZ den Antrag für ein Gentransfer-Experiment auf, welches im folgenden Jahr zugelassen und – als erster offizieller Transferversuch – von drei Wissenschaftlern der National Institutes of Health (NIH), Steven Rosenberg, French Anderson und Michael Blaese, durchgeführt wird. Bei dem Experiment handelte es sich nicht um eine ›echte‹ Gentherapie, sondern um eine Genmarkerstudie, mit der bestimmte Zelltypen in Krebstumoren identifiziert werden sollten.5 Auf diesen Umstand wird in der FAZ in allen Beiträgen zu dem Versuch hingewiesen (FAZ 03.08.1988, 08.02.1989a, 5 | Mit dem Experiment sollten Erkenntnisse über den Verbleib der so genannten Tumor infi ltrierenden Lymphozyten gewonnen werden, einem Zelltypus, von dem Fortschritte für die Krebsbehandlung erhoff t wurden.

148 | Gesunde Gene 29.05.1989, 28.11.1990), nichtsdestotrotz wird der Versuch auch als »historisches medizinisches Experiment« eingeführt (FAZ 29.05.1989). Eine Auseinandersetzung über die Legitimität dieses Gentransfer-Versuches findet in den entsprechenden Beiträgen nicht statt. Ein Großteil des Berichtes über die tatsächliche Durchführung des Versuches ist der wissenschaftlichen Verfahrensweise gewidmet (FAZ, 29.05.1989). Proteste des Gentechnik-Kritikers Jeremy Rifkin werden zwar erwähnt, jedoch ohne konkrete Argumente gegen die Versuche zu nennen. In dem begleitenden Kommentar »Prioritätensucht« werden ebenfalls keine grundsätzlichen ethischen Bedenken aufgeworfen (FAZ, 08.02.1989a). Stattdessen wird die unzureichende wissenschaftliche Fundierung kritisiert und die Forscher werden verdächtigt, aus Prestigegründen zu handeln und »nur die ersten sein« zu wollen. Im Juni 1990 erscheint bei der FAZ eine Meldung über einen Antrag für eine Gentherapie an zwei Kindern in Amerika. Im August 1990 wird, ebenfalls in einer Nachricht, die Entscheidung des »für Erbinformationsdefekte« (FAZ, 02.08.1990) zuständigen Beirats der NIH verkündet: »In den Vereinigten Staaten ist jetzt der Einsatz von Gentherapien zur Behandlung bestimmter lebensbedrohender Krankheiten zulässig.« (FAZ, 02.08.1990)

Der Vorsitzende des Ausschusses, McGarrity, wird mit seiner Meinung zitiert: »Dies war eine historische Abstimmung. Wir haben heute die Gentherapie in das medizinische Arsenal eingeführt, neben Impfung, Antibiotika und Strahlentherapie.« (FAZ, 02.08.1990)

Auch die Ansicht von einem der künftigen Gentherapeuten, Anderson, wird in die Meldung aufgenommen: Ein Missbrauch von Genmanipulationen sei angesichts des akribischen Genehmigungsverfahrens – die Entscheidung des Ausschusses brauchte drei Jahre Vorlaufzeit – nicht zu befürchten. Eine weitere Auseinandersetzung mit der Zulassung des Verfahrens erfolgt nicht, stattdessen werden kurz die Behandlungsmethoden für die beiden unterschiedlichen Krankheiten, eine angeborene Immunschwäche, die Adenosin-DesaminaseDefizienz (ADA), und Hautkrebs vorgestellt. Im September 1990 vermeldet die FAZ dann in zwei Artikeln die Durchführung des ersten Gentherapieversuches am Menschen

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unter der Leitung von Michael Blaese und French Anderson (FAZ, 16./17.09.1990). Mit dem Experiment sollte die Adenosin-Desaminase-Defizienz behandelt werden. Beide Artikel berichten von der entspannten Atmosphäre des Eingriffs, bei dem das Mädchen gespielt habe. Das Experiment wird als Eintritt in »ein neues Zeitalter der Medizin« bezeichnet und konstatiert, dass »Der Beginn der Ära der Gentherapie hätte undramatischer kaum verlaufen können: Es bedurfte keines Operationssaales, weder einer HerzLungen-Maschine noch einer Vollnarkose. Bei vollem Bewusstsein alberte das in einem Sessel sitzende Mädchen mit den Ärzten und klebte ihnen Auf kleber auf die weißen Kittel.« (FAZ, 17.09.1990).

In den Beiträgen wird kein grundlegender Wertkonflikt dargestellt, vielmehr werden wissenschaftliche und medizinische Informationen gegeben und Einschätzungen und Einschränkungen knapp beschrieben, z.B. dass für das therapierte Mädchen die »Lebenschancen […] ohne den Eingriff äußerst gering« wären (FAZ, 16.09.1990), sich der Erfolg des Experimentes jedoch erst in sechs bis zwölf Monaten herausstelle. Auch das Motiv der Priorität tritt in einem der Beiträge erneut auf, als ein »Wettrennen« zwischen zwei Forschergruppen, bei dem der Gewinner die Möglichkeit habe, »als ›Pionier der Gentherapie‹ in die Geschichte« einzugehen (FAZ, 17.09.1990). Als Konkurrenzgruppe gilt das Team von Steven Rosenberg, das Gentherapie-Experimente gegen Hautkrebs beantragt hatte. Die von Rosenberg vorgeschlagenen Gentransfer-Versuche werden nur wenig später von der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) zugelassen, was bei der FAZ im November 1990 erneut eine Nachricht auslöst. Die Experimente selbst finden erst im Januar 1991 statt, die FAZ widmet auch diesem Geschehen nur eine etwas längere Meldung. Während sich mit dem ADA-Experiment eine neue medizinische Ära zu eröffnen schien, wird nun die »umstrittene Gentherapie« zugelassen bzw. angewandt (FAZ, 15.11.1990, 31.01.1991). Es wird darauf hingewiesen, dass sich der Hautkrebs der Patienten in einem fortgeschrittenen Stadium befindet und die erhoff te Wirkweise der Gentherapie geschildert. Beide Beiträge schneiden die Unsicherheit darüber an, ob das Experiment funktionieren wird und eine der Nachrichten zitiert den amerikanischen Wissenschaftler Rosenberg, der von einem »sehr frühen Entwicklungsstadium« spricht (FAZ, 31.01.1991). Ein Wertkonflikt wird in den Meldungen dagegen nicht erkennbar. In den nächsten Beiträgen weisen die Nachrichten zu den Gentherapieversuchen am Menschen erstmals über den amerikanischen

150 | Gesunde Gene Kontext hinaus. Zunächst wird im April 1992 über die erste Gentherapie in Europa informiert, die italienische Ärzte – wie bei dem ersten Gentherapieversuch von Anderson – an einer ADA-Patientin vorgenommen haben. Der Leiter des Versuches, Claudio Bordignon, bewertet den Eingriff »medizinisch und ethisch als einen wichtigen Schritt nach vorn« (FAZ, 22.04.1992). Die zuständige Ethikkommission beurteile den Versuch als unbedenklich. Anlässlich einer Konferenz bilanziert ein Bericht die Ergebnisse der inzwischen weltweit an etwa fünfundzwanzig Patienten erprobten somatischen Gentherapie (FAZ, 19.11.1992a). Die ersten Resultate seien »ermutigend«, den beiden Mädchen, an denen die erste Gentherapie der ADA-Defizienz durchgeführt wurde, gehe es »erstaunlich gut«. Nach Meinung der anwesenden Wissenschaftler könnte die Gentherapie »[…] in Zukunft neben klassischen Therapieformen wie Medikamenten, Bestrahlung und Operation einen festen Platz einnehmen« (FAZ, 19.11.1992a).

Würde sich an dem nötigen Aufwand für die Technik nichts ändern, bliebe die Anwendung jedoch auf wenige Zentren begrenzt. Wurde zuvor häufig betont, dass die Erfolgsaussichten des ADA-Experimentes höher eingeschätzt wurden als die Gentherapieversuche von Rosenberg an Hautkrebs, so präsentiert dieser Beitrag nun die Meinung vieler Wissenschaftler, welche die Bedeutung der Gentherapie eher in der Behandlung von Krebsleiden als von Erbkrankheiten sehen. Vorgestellt werden auch die Pläne von Forschern in Deutschland, hierzulande Gentherapieversuche durchzuführen. Ein weiterer Aspekt, der in dem Artikel genannt wird, liegt in der Sicherheit der Gentherapie, die »wie bei jeder neuen Behandlungsform« zu prüfen sei. Besondere Nebenwirkungen, so vermeldet der Beitrag, seien bisher nicht aufgetreten, um im Folgenden sowohl auf das mögliche Risiko der Krebsauslösung einzugehen wie auch auf das Bestreben der Forscher, möglichst sichere »Genfähren« zu entwickeln. Vor einer routinemäßigen Anwendung der somatischen Gentherapie seien noch viele Schwierigkeiten zu überwinden. In dem begleitenden Kommentar heißt es eingangs: »Die somatische Gentherapie hat ihre Feuerprobe bestanden« (FAZ, 19.11.1992b). Abgeleitet wird dies daraus, dass die beiden ersten Patientinnen der Gentherapie, die an der Krankheit ADA litten, nicht nur wohlauf sind, sondern dass es ihnen erheblich besser geht als zuvor – dass sie sich nicht mehr vor einem vielleicht tödlichen Schnupfen fürchten müssen,

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da sie nun über eine ausreichende Immunabwehr verfügen, dass sie mit ihren Freunden spielen und zur Schule gehen können statt »abgeschottet leben zu müssen«. Anlass zur Freude sieht der Kommentar für die Gentechniker, denn »ihr Konzept hat sich offenbar bewährt«. Dann schwenkt der Kommentar zu den angehenden Gentherapeuten Deutschlands mit den Worten: »Auch hierzulande gibt es Pioniere. Ungeachtet aller düsteren Gentechnik-Prognosen sind sie unbeirrt ihren Weg gegangen. In kleinen Schritten wollen sie nun bald an Patienten erkunden, ob man in anderen bislang hoffnungslosen Fällen mit gentechnischen Mitteln helfen kann.« (FAZ, 19.11.1992b)

Als überraschend wird die breite Zustimmung der Ethik-Kommissionen bezeichnet und Daten zur Akzeptanz der somatischen Gentherapie in der Bevölkerung geliefert: 98 % der Kranken seien für die Gentherapie sowie drei Viertel der Gesunden, so eine Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung der Bundesregierung. Laut Kommentar wird diese Zustimmung von vielen Forschern als »willkommene Ermutigung in einem sonst eher feindlichen Umfeld« empfunden. Die Keimbahnintervention wird dagegen in der FAZ mit Hinweisen auf die Ablehnung der Option assoziiert – als ethisch nicht vertretbar, als weltweites Tabu oder als Forderung nach einem Verbot: »Gentransfer in menschliche Keimbahnzellen ist absolut verboten.« (FAZ, 31.05.1986) »Der genetische Eingriff in die Keimzellen des Menschen gilt weltweit als ein Tabu.« (FAZ, 16.07.1986) »Der Transfer und Eingriffe in die Keimbahnzellen werden für ethisch nicht vertretbar erklärt.« (FAZ, 03.11.1987) »Die Enquete-Kommission hält eine somatische Gentherapie grundsätzlich für vertretbar. […] Die Enquete-Kommission lehnt Versuche ab, eine Gentherapie an Keimbahnzellen vorzunehmen. […] Der Mensch dürfe seine körperlichen und geistigen Anlagen nicht dem Plan und der Willkür anderer Menschen verdanken. […] Wäre die Gentherapie an Keimbahnzellen erst einmal etabliert, könnte der Übergang von der Behandlung zur Züchtung des Menschen fließend sein. Die Kommission fordert daher ein strafrechtliches Verbot für die Genübertragung auf menschliche Keimbahnzellen […].« (FAZ, 18.03.1987).

152 | Gesunde Gene Wie in dem letzten Zitat zu sehen, wird die Abgrenzung von Keimbahnintervention und Gentherapie an Körperzellen auch in Artikeln zum politischen Prozess betont. Ein wichtiger Grund für die Ablehnung der Keimbahnintervention ist eine potentiell mögliche Menschenzüchtung und damit die Unterwerfung zukünftiger Generationen unter den Planungswillen der gegenwärtigen – gelegentlich als »Herrschaft der Toten über die Lebendigen« (FAZ, 03.01.1985b) bezeichnet. Einzig in einem von der FAZ abgedruckten Leserbrief kommt eine positive Haltung gegenüber der Keimbahnintervention zum Ausdruck – so hält der schreibende Leser es nicht nur für moralisch erlaubt, sondern sogar für eine ethische Pflicht, Krankheiten künftiger Generationen mit Hilfe der Keimbahnintervention vorzubeugen (FAZ, 02.11.1985). Beim Spiegel gewinnt, ähnlich wie in der FAZ, parallel zu den ersten offiziellen Gentherapie-Experimenten am Menschen der Themenkomplex Therapieversuche an Bedeutung, während der Anteil der Artikel zur Grundlagenforschung zurückgeht (s. 4.3.6). Anders als in der FAZ wird der Vorlauf der ersten amerikanischen Gentherapieversuche im Spiegel kaum beachtet, auch zum ersten offiziellen Gentransfer-Versuch von 1989 ist scheinbar kein Artikel vorhanden. Jedoch findet sich auch in dem Wochenmagazin eine Meldung, die im Jahr 1985 eine Gentherapie binnen eines Zeitraumes von ein bis drei Jahren verheißt. Der Beitrag zu dem üblicherweise als erste Gentherapie verstandenen Experiment an der vierjährigen ADA-Patientin trägt den Titel »Heilsame Fracht«, im lead des Artikels wird die Frage nach dem »Beginn einer medizinischen Ära?« gestellt (Spiegel, 24.09.1990). Beschrieben wird, wie die Vierjährige die Infusionslösung zugeführt bekommt, das Verfahren wird als »Gänzlich undramatisch« bezeichnet. Zugleich wird die Euphorie dargestellt, die der Versuch unter den Experten auslöst: »Bei nicht wenigen Fachleuten in den USA löste die ärztliche Pioniertat ekstatischen Jubel aus. Die Gen-Behandlung, so begeisterte sich etwa der Kinderarzt Charles J. Epstein aus San Francisco, sei ›ein dramatisches Ereignis in der Medizingeschichte – seit Jahren warten wir darauf, ich bin entzückt, daß es endlich passiert ist.‹« (Spiegel, 24.09.1990).

Erwähnt wird auch, dass die Gen-Therapeuten nun hoffen dürfen, dass »ein Bann gebrochen ist«, der sie bislang an weitergehenden Behandlungsexperimenten gehindert hat.

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»Vom Diabetes bis zum Pankreaskrebs, Multipler Sklerose oder Aids reicht das Panorama der Krankheiten, die sie künftig kurieren wollen.« (Spiegel, 24.09.1990),

so der Spiegel zu den Absichten der Gentherapeuten. Ein Mediziner wird zitiert, der die gentechnische Eindämmung der großen Volkskrankheiten einstuft als »[…] der größte medizinische Fortschritt des Jahrhunderts, wenn nicht gar aller Zeiten« (Spiegel, 24.09.1990).

Gleich anschließend wird jedoch darauf verwiesen, dass dies Wunschträume sind, die so bald nicht in Erfüllung gehen dürften. Ähnlich wie in der FAZ werden auch im Spiegel wissenschaftlich-medizinische Einzelheiten dargestellt und verschiedene Begrenzungen des Versuches genannt, z.B. dass die Patientin mit dem Experiment nicht geheilt ist, sondern mehrmaliger Behandlung bedarf. In den letzten Absätzen wird der Protest des amerikanischen Gentechnik-Kritikers Rifkin erwähnt, der ein Moratorium für Gentherapieversuche forderte. Indem Rif kin als »notorischer Bremser« bezeichnet wird, der Amerikas Gentechniker »fortan kaum erschrecken kann«, wird jedoch auch die Ignoranz gegenüber den kritischen Argumenten verdeutlicht. Der unbedingte Wille zur Therapie kommt im Schlusssatz, einem Zitat des Gentherapeuten Anderson, zum Ausdruck »Das Wichtigste an neuen Therapien […] ist, daß man damit anfängt; wir haben jetzt angefangen.« (Spiegel, 24.09.1990). Den von Rosenberg durchgeführten Gentherapieversuchen an Patienten mit Hautkrebs widmet der Spiegel einen längeren Bericht. In dem Bericht wird der Gentherapieversuch als »heikles Experiment« tituliert (Spiegel, 04.02.1991). Zwar beschreibt der Artikel die Patienten als sterbenskrank und deutet mit dem Hinweis auf die weite Verbreitung der Krankheit an, wie wichtig eine mögliche Therapie sein könnte. Betont wird daneben aber auch das »unsichere Terrain«, auf das die Gentherapeuten sich wagen und angesichts dessen Versuchsleiter Rosenberg seine Patienten als »Pioniere« bezeichnet. Die Patienten »gingen das Risiko ein – mangels Alternative«, so der Spiegel. Sehr deutlich führt der Spiegel das lange Zögern der staatlichen Behörden vor ihrer Zustimmung auf die Unausgereiftheit des Verfahrens zurück, von dem sogar Rosenberg selbst sage, dass es sich in einem »sehr frühen Entwicklungsstadium« befinde. Der Artikel schließt:

154 | Gesunde Gene »Der quirlige Rosenberg glaubt sich jedenfalls auf dem richtigen Weg. Schon liegen Pläne vor, die gentechnische Waffe bei 50 weiteren Melanomkranken zu erproben und auch auf andere Krebsarten auszudehnen. Wir versuchen, eine neue Tür aufzustoßen, sagt der Gentherapeut, und wir werden besser und besser.« (Spiegel, 04.02.1991).

In einer weiteren Nachricht zu den Versuchen von Rosenberg, die erst mehr als ein halbes Jahr später erscheint, wird nochmals auf die Kritik führender »US-Krebsexperten« verwiesen, nach deren Meinung der Einsatz der Methode am Menschen verfrüht ist (Spiegel, 21.10.1991). Rosenberg vergleicht die Behandlung dagegen mit den ersten Flugversuchen der Gebrüder Wright. Ein weiterer Beitrag des Spiegel aus dem Jahr 1992 widmet sich dem Versuch einer Gentherapie gegen Mukoviszidose. Die mit der bisher unheilbaren Krankheit verbundenen Leiden werden geschildert und die Mukoviszidose als häufigste Erbkrankheit in Europa vorgestellt. In die Gentherapie werden große Erwartungen gesetzt, angesichts der Krankheit »träumen […] Forscher vom Genspray aus der Dose« und »[…] schon für die nächsten Jahre versprechen sich die Mediziner von einer neuartigen Therapie einen Durchbruch bei der Behandlung des Erbleidens. »Das tödliche Gen«, das die Krankheit hervorruft, sei »umzingelt«, formulierte Time, und Robert Beall, Präsident der amerikanischen Mukoviszidose-Stiftung, erklärte es zum ehrgeizigen Ziel seiner Vereinigung, sich »bis zum Ende dieses Jahrhunderts« aufzulösen. »Gentherapie heißt die Zauberformel, auf die sich all diese Hoffnungen gründen.« (Spiegel, 24.02.1992). Weitere bereits durchgeführte und geplante Gentherapie-Experimente, die sich z.B. auf die Behandlung von Krebs und Aids richten, werden geschildert u.a. auch, dass erstmals einem kommerziellen Unternehmen ein gentechnisches Experiment am Menschen erlaubt wurde. Im Artikel wird auch an das Gentherapie-Experiment von Anderson an der vierjährigen ADA-Patientin erinnert, die inzwischen eine Grippe und einen Wundstarrkrampf überstanden hat und das Fazit gezogen: »Die neue Art molekularer Chirurgie entwickelt sich schneller als noch vor anderthalb Jahren erwartet« (Spiegel, 24.02.1992). Zum Abschluss des Artikels werden jedoch auch Risiken und Ungewissheiten, denen sich die Gentherapeuten noch gegenüber sehen, geschildert – z.B. die mit den Versuchen verbundene Krebsgefahr, die Frage nach der Unschädlichkeit der verwendeten Viren oder nach der Ausbeute der erwünschten Genprodukte. Ähnlich wie in der FAZ wird auch im Spiegel in den Artikeln zu den somatischen Gentransfer-Versuchen kein ethischer Grundsatzkonflikt über die Experimente aufgeworfen,

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vielmehr bleiben Bedenken in der Regel auf wissenschaftliche Aspekte beschränkt. Eine explizite Differenzierung des Urteils zwischen somatischer Gentherapie und Keimbahnintervention und der entsprechenden ethischen Bewertung ist im Spiegel, anders als bei der FAZ, nur selten zu beobachten. Auch als Begriff wird Keimbahntherapie im Spiegel nur vereinzelt verwandt. Verweise auf ein Verbot der Keimbahnintervention oder auf diese Grenze als Tabu sind im Spiegel entsprechend viel weniger ausgeprägt als in der FAZ. Stattdessen werden Zweifel an einer möglichen Regulierung geäußert oder die Unauf haltsamkeit des ›Eingriffs ins Erbgut‹ betont: »Ob die Aussicht bestehe, den Übergang von bakterieller und tierischer zu menschlicher Genchirurgie zu vermeiden, fragen besorgte Kritiker wie der amerikanische Technik-Philosoph Hans Jonas. Seine resignierte Antwort: ›Ich glaube nicht.‹« (Spiegel, 26.05.1986). »Nichts lässt hoffen, daß die »genetische Bastelsucht« (Chargaff ) […] dereinst vor dem Griff nach dem menschlichen Erbgut haltmacht.« (Spiegel, 06.04.1987a). »Leihmütter und Retortenkinder, Samenbanken und Embryos im Tiefkühlschrank sind nur der Anfang einer fragwürdigen Entwicklung: Am Ende stehen der Eingriff ins menschliche Erbgut und die totale Maschinengeburt.« (Spiegel, 06.04.1987a).

Der politische Prozess wird im Spiegel sehr viel weniger verfolgt als in der FAZ. Die Arbeit der politischen Kommissionen zu den neuen reproduktionsmedizinischen und gentechnischen Möglichkeiten resultiert beim Spiegel nur in zwei Artikeln, die Frage nach der Gentherapie wird dabei nur am Rande erwähnt. Anders als die FAZ verleiht der Spiegel der Präsentation der Resultate der Kommissionen einen kritischen Ton – so ist z.B. der Titel des Artikels über den Benda-Report »Gentechnik – der Weg zur Menschenzüchtung« (Spiegel, 02.12.1985) kaum schmeichelhafter als der ebenfalls im Titel aufgeworfene Vorwurf, in der Enquete-Kommission seien »Die Götter unter sich« (Spiegel, 26.01.1987) geblieben. »Die Debatte über den Homunculus, den Menschen aus der Retorte, soll vom Tisch« (Spiegel, 26.01.1987), so die Interpretation des Spiegel zu dem von der Enquete-Kommission geforderten Verbot der Keimbahnintervention. Ein weiterer Artikel widmet sich einer Entscheidung des damaligen Forschungsministers Riesenhuber, dem vorgeworfen wird, der Keimbahnintervention beim

156 | Gesunde Gene Menschen, die er selbst ablehne, mit seiner Erlaubnis für Experimente zur Genmanipulation an Schweinen den Weg zu bereiten. Rückgriffe auf Schreckensvisionen wie die Menschenzüchtung oder den Mensch nach Maß kommen beim Spiegel zwar auch in der zweiten Phase vor, werden jedoch wie in der ersten Phase oft nur im Titel oder lead angerissen. Fazit Phase II In den Artikeln zu den ersten Gentransfer-Versuchen erscheint die somatische Gentherapie6 in beiden Printmedien als ein unspektakuläres, normales medizinisches Behandlungsverfahren. Zugleich werden die Experimente als ein dramatisches Ereignis der Medizingeschichte bzw. als Beginn einer neuen medizinischen Ära eingestuft. In den Kontext der normalen medizinischen Therapie wird die Gentherapie an Körperzellen beispielsweise durch den Vergleich mit anderen Therapieverfahren gesetzt. Darüber hinaus trägt die Schilderung des gänzlich undramatischen Verlaufs der ersten ›echten‹ Gentherapie zum Eindruck eines normalen Verfahrens bei. Der Anklang an die neue medizinische Ära wird im reportageorientierten Spiegel mit einer Reihe von Wissenschaftlerzitaten noch eindringlicher zu Gehör gebracht als bei der FAZ. Insgesamt ist die somatische Gentherapie in der zweiten Phase tatsächlich zu einer »promising new technology« (Martin 1998: 153) aufgestiegen. Dazu passend lässt eine in der FAZ zitierte Studie eine hohe Akzeptanz der Bevölkerung für die Gentherapie erkennen. Das Bild einer viel versprechenden Technik unterliegt auch der ersten Bilanz der Gentherapie bei der FAZ, welche die bisherigen Ergebnisse als ermutigend bezeichnet. Dem Spiegel zufolge entwickelt sich die Gentherapie schneller als erwartet. Keines der beiden Presseorgane vergleicht die ersten Resultate der Gentherapieversuche mit den langwierigen Verfahren üblicher klinischer Studien, nach deren Maßstäben die erreichten Erfolge erheblich zu relativieren wären. Die Unwägbarkeiten des Forschungsprozesses bleiben hier ebenso unsichtbar wie in der Prognose einer Gentherapie für die Mukoviszidose in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren. In beiden Printmedien bleiben wissenschaftsinterne Probleme, 6 | In den Beiträgen wird nicht differenziert, dass es sich um somatische Gentherapien handelt. Der Bezug auf somatischen Gentransfer erschließt sich in diesem Fall jedoch aus dem Vorwissen, denn offi zielle Transferversuche in die Keimbahn werden in den USA und im europäischen Raum nicht durchgeführt.

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z.B. eine ungenügende Fundierung bzw. verfrühte Anwendung, eine Hauptressource für Kritik an den Gentherapie-Experimenten. Argumente wissenschaftsexterner Kritiker werden dagegen nur sehr knapp dargestellt. Ein Wertkonflikt ist in Bezug auf den somatischen Gentransfer in menschliche Zellen in keinem der beiden Presseorgane zu erkennen. Die explizite Trennung zwischen den beiden Gentherapieformen setzt sich insbesondere in der FAZ weiter durch. Ethisch werden Keimbahnintervention und somatische Gentherapie in den Artikeln der FAZ deutlich unterschiedlich beurteilt – der Gentransfer in Körperzellen als ethisch weitgehend unbedenkliches medizinisches Behandlungsverfahren, der Gentransfer in Keimzellen dagegen als Tabu oder nicht zu überschreitende Grenze. Die Keimbahnintervention wird in der FAZ auf diese Weise als abgelehnte Option konstituiert. Im Spiegel wird der Begriff Keimbahntherapie nur selten verwandt, eine Differenzierung gegenüber der somatischen Gentherapie erfolgt kaum. In verschiedenen Fällen werden dagegen der Eingriff ins Erbgut oder eine potentielle Menschenzüchtung als unaufhaltsam charakterisiert.

5.5 Phase III (1993 bis 1999): Ernüchterung über die somatische Gentherapie und Vorstoß zur Keimbahninter vention In der dritten Phase der Berichterstattung gehen bei der FAZ wieder mehr Artikel auf die Grundlagenforschung ein. Weitere Gentherapieversuche am Menschen werden geschildert, quantitativ sinkt in Phase III jedoch der Anteil der Artikel, welche Therapieversuche am Menschen thematisieren (s. 4.3.6). Zu den ersten Gentherapieversuchen in Deutschland erscheint in der FAZ am 07. Mai 1994 ein Bericht, der gleich eingangs deutlich macht, dass keiner der Gentherapeuten in Deutschland zu den Pionieren dieser Forschung gehört. Seit Beginn der ersten offiziellen Gentransfer-Experimente in den USA hätten sich vielmehr bereits mehr als 100 Menschen einer Gentherapie unterzogen. Als Grund für die späte Anwendung der Gentherapie in Deutschland wird u.a. die befürchtete Kritik der Öffentlichkeit genannt. Zumindest in diesem Punkt werden dem Artikel zufolge die Befürchtungen der Wissenschaftler jedoch entkräftet – die Forscher stießen kaum auf Widerstand, auch bei den zuständigen Ethik-Kommissionen nicht, und für die medizinische Anwendung der Gentechnik sei die Zustimmung in der Bevölkerung hoch. Die Chancen, die in der Gentherapie

158 | Gesunde Gene liegen, werden in demselben Beitrag als »beträchtlich« bezeichnet. Zugleich wird jedoch verdeutlicht, dass sich die Gentherapie noch in den Anfängen befindet. Ein Großteil des Artikels schildert daraufhin die technischen Schwierigkeiten, die bei der Gentherapie bestehen und die Methoden, die angewandt werden sollen. Bemerkenswert erscheint, dass die Forscher, »um Kritik gar nicht erst aufkommen zu lassen«, für den Gentransfer andere Verfahren wählten als die in den USA üblichen viralen Vektoren, bei denen »ungewollte Veränderungen der Erbanlagen […] nicht ganz auszuschließen sind«. Insgesamt wird die somatische Gentherapie zunehmend kritischer betrachtet. Fünf Jahre nach dem ersten Gentherapieversuch beim Menschen konstatiert ein Bericht »Ernüchterung bei der Gentherapie« (FAZ, 11.10.1995), bei der unsicher sei, ob sie ihre Versprechen halten kann: »Aus keinem der vielen hundert Therapieversuche läßt sich mit Sicherheit schließen, daß die Gentherapie in Zukunft halten kann, was sie derzeit verspricht. Noch kein Kranker wurde durch das Verpflanzen gesunder Erbanlagen in seinen Körper, durch die sogenannte somatische Gentherapie, geheilt.« (FAZ, 11.10.1995)

Viele Wissenschaftler hätten insgeheim »dramatische Behandlungserfolge« erwartet, obwohl bisher nur Pilotprojekte zum Test der Verträglichkeit durchgeführt worden seien. Ob sich die in die Gentherapie gesetzten Erwartungen erfüllten, hinge nun davon ab, ob die Wissenschaftler ihre »theoretisch eleganten Konzepte« in die Praxis übertragen könnten. Die Forscher werden aufgefordert, von ihren »euphorischen Visionen« zu lassen und sich in den »harten Laboralltag« zurückzubegeben. Zugleich wird betont, dass die Entwicklung neuer medizinischer Verfahren viel Zeit benötige und es noch »Jahrzehnte« dauern könne, bis sich der Erfolg beurteilen ließe. Erwähnt wird zudem, dass einige Forscher Gefahr laufen könnten, »völlig unberechtigte Hoffnungen« in die Gentherapie zu schüren, weil finanzielle Interessen mit im Spiel seien. Eine Publikation von French Anderson wird in diesen Zusammenhang gestellt; Anderson behaupte in diesem Artikel, mit seiner Gentherapie ADA-Patienten geheilt zu haben und verschweige die gleichzeitige Gabe von Medikamenten gegen die Krankheit. In einem Kommentar des Jahres 1997 wird die »trügerische Euphorie« (FAZ, 15.10.1997) von Ärzten und Patienten bemängelt, die entstanden sei, weil dem ersten Gentherapieversuch ein gewisser Erfolg beschieden war. Ohne ausreichende wissenschaftliche Fundierung

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seien schnell »mehrere hundert Patienten« behandelt worden. Doch: »Die Gentherapie hielt nicht, was sie versprach.« (FAZ, 15.10.1997) Viele Forscher seien jedoch dem Aufruf des NIH-Direktors Harold Varmus gefolgt und ins Labor zurückgekehrt, wo sie nun »mit viel Geduld und Phantasie« daran arbeiteten, ein solides Fundament der Gentherapie zu erschaffen. 1999 stirbt der 18-jährige Jesse Gelsinger bei einem Gentherapieversuch. Der Teenager konnte selbst keinen Nutzen von der Behandlung erwarten und hätte seine Stoff wechselkrankheit (OTC-Mangel) mit strenger Diät und Medikamenten bewältigen können. In der FAZ wird der Todesfall in einem Bericht über eine Tagung der Europäischen Gesellschaft für Gentherapie aufgegriffen und in den Kontext einer Bilanz zehn Jahre nach dem ersten Gentransfer-Versuch gestellt. Der Todesfall nimmt jedoch gegenüber der Schilderung verschiedener Experimente, bei denen erste Erfolge zu verzeichnen sind, nur relativ wenig Platz ein. Die Referenz auf den Tod des Teenagers dient vor allem zur Erklärung der Zurückhaltung und Vorsicht der Forscher, die einen ersten »tatsächlich bemerkenswerten Erfolg« (FAZ, 01.12.1999a) der Gentherapie nicht als den lang ersehnten Durchbruch feierten, weil der Vorwurf, in den USA sei ein junger Mann an einer Gentherapie gestorben, schwer auf ihnen laste. Der »tatsächlich bemerkenswerte Erfolg« besteht in der von Alain Fischer vom Hôpital Necker-Enfants Malades in Paris durchgeführten Gentherapie an zwei Kindern mit der Immunkrankheit SCID-X1. Die Kinder konnten nach der Therapie den geschützten Lebensraum verlassen und – anders als die ADAPatienten Andersons – ohne weitere medikamentöse Behandlung ein normales Leben führen. Der begleitende Kommentar bezeichnet den Tod Jesse Gelsingers als »psychologischen Rückschlag« (FAZ, 01.12.1999b) und kommt zu dem Schluss, »Nachlässigkeiten im Labor könnten das Vertrauen nachhaltiger erschüttern« als der »tragische Tod eines Patienten«. Zehn Tage nach Erscheinen des Konferenzberichtes werden in einer Meldung die Ergebnisse der Untersuchung des Todes von Jesse Gelsinger veröffentlicht, den behandelnden Ärzten wird schweres Fehlverhalten nachgewiesen (FAZ, 11.12.1999). Der Patient wurde nicht über Todesfälle im Tierversuch aufgeklärt und hätte aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes aus der Studie ausgeschlossen werden müssen. Darüber hinaus wurden den zuständigen Behörden Informationen über Komplikationen vorenthalten, die zum Abbruch der Studie geführt hätten. In einem nochmals zehn Tage später erscheinenden ausführlicheren Bericht werden nicht nur die Fehler der Ärzte detailliert erklärt. Hingewiesen wird auch auf andere Studien,

160 | Gesunde Gene bei denen es zu Komplikationen und acht Todesfällen gekommen war, ohne dass dies den zuständigen Behörden ordnungsgemäß gemeldet worden wäre. Der Kommentar »Hasardeure« merkt an, bei der Gentherapie ginge es » […] nicht nur um den Wunsch zu heilen, sondern auch um Ruhm und sehr viel Geld« (FAZ, 22.12.1999b). Die Wissenschaftler hätten mit ihrem Verhalten das Vertrauen in die Gentherapie leichtfertig verspielt. Nicht nur auf die somatische Gentherapie, auch auf die Keimbahnintervention gehen in der dritten Phase viele Artikel ein. Die genetische Veränderung von Keimzellen spielt in dieser Phase z.B. in Bezug auf Fragen der Patentierung eine große Rolle. 1994 muss das Europäische Patentamt in München über einen Antrag auf eine Genmanipulation an Samenzellen bei Tieren entscheiden, der von zwei Forschern der Universität Pennsylvania des Staates Philadelphia, Ralph Brinster und James Zimmermann, eingebracht wurde. Das Verfahren soll die Herstellung transgener Tiere vereinfachen, ist jedoch grundsätzlich auch auf menschliche Samenzellen übertragbar. In der FAZ wird daher die Gefahr gesehen, mit der Methode könne der Weg zur Keimbahnintervention geebnet werden (FAZ, 27.04.1994a, 29.04.1994). Die Keimbahnintervention wird als von den Wissenschaftlern erstrebte »verbotene Frucht« charakterisiert und es wird in Frage gestellt, wie lange dieses »einzige wirkliche, auch gesetzlich verankerte Tabu« noch hält (FAZ, 29.04.1994). Zugleich wird das Ansinnen der Forscher zurückgewiesen: »Die Forscher sollten diese verbotene Frucht nicht berühren – wenn schon nicht aus Einsicht, dann wenigstens aus Anstand.« (FAZ, 29.04.1994) Im nächsten Jahr, 1995, erscheinen in der FAZ die ersten Artikel zur langjährigen Auseinandersetzung zum »Richtlinienentwurf über die Patentierung biotechnologischer Erfindungen« (FAZ, 10.03.1995), der so genannten Biopatentrichtlinie der EU. Der zentrale Kritikpunkt in Bezug auf den ersten Entwurf für die Biopatentrichtlinie besteht darin, dass kein eindeutiges Verbot der Keimbahntherapie vorgesehen ist (FAZ, 02.03.1995, 10.03.1995). Dieser erste Entwurf der Europäischen Kommission wird vom Europäischen Parlament abgelehnt (FAZ, 02.03.1995). In einem zweiten Vorschlag greift die Europäische Kommission die Kritik auf und schließt die Keimbahntherapie von der Patentierbarkeit aus (FAZ, 14.12.1995). Die Auseinandersetzungen um die Biopatentrichtlinie sind damit noch lange nicht beendet, sie setzen sich nicht nur bis zur Billigung der Richtlinie durch das Europa-Parlament im Mai 1998, sondern wegen deutscher Unstimmigkeiten über die Umsetzung in nationales Recht sogar bis in die vierte Phase fort. In der dritten Phase beschränken sich die Aussagen zur Gentherapie jedoch auf die in jedem Artikel

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erneut vorgebrachte Feststellung, dass die Patentierbarkeit von Keimbahneingriffen in der Biopatentrichtlinie ausgeschlossen werde. Eine ähnlich langwierige Debatte begleitet das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates, bekannter als Bioethik-Konvention. Mit der Konvention sollen europaweit verbindliche Mindeststandards in Bezug auf bioethische Fragen festgelegt werden. Der erste Entwurf der Konvention wird im Sommer 1994 der Öffentlichkeit vorgelegt und in Deutschland heftig kritisiert. Hierzu erscheinen einige FAZ-Artikel, die jedoch nicht Bestandteil des Korpus sind, weil sich der Konflikt hauptsächlich daran entzündet, dass Experimente an Embryonen und die Forschung an Kranken ohne deren Einwilligung erlaubt sein sollen. Der erste Artikel im Korpus, der sich mit der Bioethik-Konvention befasst, erscheint am 26. September 1995. Der Artikel ist ein Plädoyer für den Nutzen der Bioethik-Konvention, die zwar ein »Patchwork« sei, jedoch wichtige Punkte wie u.a. das Verbot der Keimbahnintervention enthalte. In einem Artikel vom 5. September 1996 wird die Keimbahnintervention dagegen als eines der Hauptkonfliktfelder der Bioethik-Konvention genannt, da »Eingriffe in das menschliche Genom zu präventiven, therapeutischen oder diagnostischen Zwecken für zulässig erklärt« werden, während nur »Eingriffe mit dem Ziel, das Erbgut der Nachkommenschaft zu verändern« abgelehnt würden. Die Grenzen zwischen diesen Unterscheidungen werden als »fließend« bezeichnet. In der Hoff nung, schwere Erbkrankheiten heilen zu können, würde die »Gefahr einer neuen Eugenik« leicht übersehen. Zudem wird darauf verwiesen, dass die Frage der Keimbahntherapie in einigen Jahren erneut diskutiert werden soll. In der Folge herrscht Uneinigkeit darüber, ob Eingriffe in die Keimbahn durch die Bioethik-Konvention ausgeschlossen werden – während beispielsweise das Zentralkomitee der deutschen Katholiken von einem Verbot ausgeht (FAZ, 12.09.1997), nimmt die Arbeitsgemeinschaft Lebensrecht an, die Intervention in die Keimbahn werde nicht ausgeschlossen (FAZ, 13.09.1997). Die Unsicherheit darüber klingt auch in anderen Artikeln zur Bioethik-Konvention an. Wie die Auseinandersetzung um die Biopatentrichtlinie setzt sich die Diskussion um die Bioethik-Konvention in Deutschland bis in die vierte Phase fort. Nicht allein die Auseinandersetzungen um europäische Regelungen zur Bioethik und den Patentschutz biotechnologischer Erfindungen werfen die Frage nach der Zulässigkeit der Keimbahnintervention auf. In einem Symposium der Universität von Kalifornien in Los Angeles geht es – laut FAZ – nicht mehr um die Frage, ob die Keimbahnintervention eingeführt werden soll, »sondern nur um das Wann und

162 | Gesunde Gene das Wie« (FAZ, 29.07.1998a).7 Renommierte Wissenschaftler, unter ihnen James Watson und French Anderson, plädieren offen für die Option des »germ line engineering«, durch die sie schließlich auch eine Optimierung des Menschen erreichen wollen. Keimbahnintervention und gentechnische Optimierung werden nicht als verwerflich, sondern als eine Pflicht angesehen: »Wenn es nach einer kleinen, aber erlesenen Gruppe amerikanischer Wissenschaftler ginge, sollte es bald gelingen, den Menschen durch Eingriffe in das Erbgut zu verbessern, ja, sie betrachten dies sogar als eine Pfl icht.« (FAZ, 29.07.1998a).

Mit einem rhetorisch-argumentativen Kunstgriff werden zugleich die unerfüllten Erwartungen an die somatische Gentherapie als Pro-Argument für die Keimbahnintervention genutzt. Die Keimbahnintervention wird als bloße Fortführung des somatischen Gentransfers bagatellisiert und die ethische Akzeptabilität von der Sicherheit in Tierversuchen abhängig gemacht: »Auf die somatische Therapieform könne man warten, bis die Sonne erlischt, empörte sich Watson. Deshalb sei es nur konsequent, das Erbmaterial der Keimbahnzellen zu verändern, denn das sei schließlich sehr viel einfacher. Wenn man Gene in eine Eizelle übertrage, sei dies lediglich eine Erweiterung der somatischen Gentherapie, gab der Molekularbiologe John Campbell den Zuhörern zu verstehen. Wenn sich die Verfahren an Affen als sicher erwiesen hätten, seien sie auch ethisch akzeptabel, meinte der Arzt und Forscher French Anderson.« (FAZ, 29.07.1998a).

Ähnlich wie zuvor bei der somatischen Gentherapie wird nun der Gentransfer in die Keimzellen mit Versprechen assoziiert. »Wie vor nunmehr zehn Jahren die Verfechter der somatischen Gentherapie machen jetzt die Anhänger der Keimbahntherapie große Versprechungen, wie vorteilhaft diese Form der Behandlung sei. Sie werde die Bedrohung durch Brustkrebs, Prostatakrebs, Schizophrenie, Alkoholismus, Herzinfarkt und viele andere Übel von den entsprechend veranlagten Familien nehmen.« (FAZ, 29.07.1998a) 7 | Für diesen Beitrag werden die Originalzitate etwas ausführlicher dargestellt als für andere Artikel, da sich in dem Text verschiedene Ansätze einer Neukontextualisierung der Gentherapie zeigen, die für die Argumentation in der Diskussion eine Rolle spielen.

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Bedeutungsvoller als die sich neu eröffnenden therapeutischen Möglichkeiten erscheint jedoch das Ziel der gentechnischen Optimierung des Menschen: »Das Anpreisen der Keimbahntherapie wirkte in Los Angeles letztlich nur wie das Vorspiel zu dem eigentlichen Ziel der Tagung, nämlich die Chancen für eine genetische Verbesserung des Menschen aufzuzeigen. Eingriffe in die Keimbahn zu therapeutischen Zwecken dürften letztlich eine Quantité négligeable bleiben, gemessen am eigentlichen Ziel, das Erbgut des Menschen zu perfektionieren. Mit missionarischem Eifer setzten sich die Vortragenden dafür ein, durch Veränderungen des Genoms, das »germ line engineering«, den Menschen zu optimieren. Sie wollen den Menschen auf genetischem Wege glücklicher, erfolgreicher und schöner machen.« (FAZ, 29.07.1998a)

Ein gewichtiges Argument gegen die Keimbahnintervention besteht darin, dass ein anderer über die genetische Veranlagung des ungeborenen Menschen verfügt. In Bezug auf diese Frage der autonomen Bestimmung über das eigene Genom propagieren die Wissenschaftler auf dem Symposium ein technologisches Fixum, mit dem sich das Problem lösen lassen soll: Die von der Entscheidung des Empfängers abhängige Aktivierung der jeweils veränderten Gensequenzen. Auch die Befürchtungen zur Sicherheit des Verfahrens sollen durch eine solche »genetische Notbremse«, d.h. den Einbau von Steuerungsmechanismen, unterlaufen werden: »Bei allem Optimismus erörterte man in Los Angeles auch die Hindernisse. Aber für fast jede Schwierigkeit hatten die Wissenschaftler eine Lösung parat. […] Das Argument, daß die Eltern willkürlich über ihre Nachkommen, die ungefragt blieben, verfügten, wiesen die Forscher zurück. Man könne die eingefügten Gene so steuern, daß die Kinder die freie Wahl hätten, davon Gebrauch zu machen oder nicht. Die Gene würden erst aktiviert, wenn man ein hormonartiges Medikament einnähme. Ein solches Steuerungssystem (Cre-lox) hat man bei der Maus bereits erprobt.« (FAZ, 29.07.1998a)

Angesichts der noch notwendigen Grundlagenforschung opponieren die Forscher gegen ein (internationales) Verbot der Keimbahnintervention: »Da noch offen sei, wie man die angestrebten Ziele am besten erreiche, komme es jetzt vor allem darauf an, die Forschung nicht durch Gesetze und Vorschriften zu behindern. Die Wissenschaftler wandten sich aus-

164 | Gesunde Gene drücklich gegen die Bestrebungen verschiedener Staaten und der Unesco, Eingriffe in die Keimbahn des Menschen gesetzlich zu reglementieren oder zu verbieten.« (FAZ, 29.07.1998a)

Der am gleichen Tag veröffentlichte Kommentar bezeichnet das Ansinnen der Forscher als »Schamlos« (FAZ, 29.07.1998b) und verweist auf die früheren Zusicherungen, Eingriffe in die Keimbahn seien tabu. Prophezeit wird, dass sich die »Mehrheit« der »Diktatur eines solch schamlosen Utilitarismus« der gentechnischen Verbesserung des Menschen nicht beugen wird. Den verschiedenen Argumenten der Wissenschaftler wird entgegengesetzt, dass sich die Genetiker schon einmal geirrt hätten, als sie auf dem Ciba-Symposium den genetischen Verfall der Menschheit voraussahen. Im Jahr 1999 trägt der Philosoph Sloterdijk in seiner so genannten Elmauer Rede ›Regeln für den Menschenpark‹ vor, deren auf das Tabu der Menschenzüchtung ausgerichtete Provokationen nachfolgend eine größere mediale Kontroverse auslösen (Graumann 2000b). Auch im Zusammenhang mit der Sloterdijk-Debatte werden Erschütterungen des Konsens über die Ablehnung der Keimbahnintervention festgestellt. Der Korpus enthält zwei Artikel zu Sloterdijks Thesen, die direkt auf die Möglichkeit der Keimbahnintervention Bezug nehmen. Im ersten wird der Vorwurf relativiert, Sloterdijk setze sich über die bestehenden wissenschaftlichen Grenzen hinweg, indem auf ähnlich weit reichende Prognosen des Molekularbiologen Lee Silver und auf das Plädoyer führender Humangenetiker für die Option verwiesen wird (FAZ, 18.09.1999). Vermerkt wird eine Brüchigkeit des Konsens über das Tabu der Keimbahnintervention, da sich nun auch der deutsche Molekularbiologe Detlev Ganten für die Methode ausgesprochen hätte. Aufgrund der Legitimation über den Leidensdruck der »(aktualen oder potentiellen) Patienten« wird eine spätere Anwendung der Option vorausgesehen. Festgestellt wird zudem, dass bislang kein Philosoph und kein Feuilleton so heftig auf die »eindeutigen Ankündigungen« der Naturwissenschaftler, Keimbahninterventionen durchzuführen, reagiert hätte wie auf den Vortrag Sloterdijks. Der zweite Artikel kritisiert die Unschärfe des Vortrages, bei dem es – weiteren Äußerungen Sloterdijks zufolge – womöglich nur um die »medizinethische Spezialfrage« (FAZ, 07.10.1999) der Keimbahntherapie gegangen sei, ohne dass die Position des Philosophen zu der Option, für deren Verbot es ernsthafte Gründe gebe, deutlich werde. Darüber hinaus werden verschiedene Gründe gegen eine bewusste Steuerung der Evolution durch den Menschen, wie Sloterdijk sie vorzuschlagen scheint, vorgebracht. So ginge z.B. die fundamentale

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Gleichheit der Menschen verloren, wenn »die einen die Planer der anderen« wären und es sei nicht zu sehen, warum die Ausrichtung an zeitgebundenen Ideen erwünschter Eigenschaften besser sein sollte als die natürliche Evolution. Im Spiegel wird der Gentransfer in menschliche Zellen in der dritten Phase vor allem in den Themenkomplexen andere biomedizinische Optionen und Grundlagenforschung aufgegriffen (s. 4.3.6). Anlässlich der ersten Gentherapieversuche in Deutschland bringt der Spiegel am 9. Mai 1994 die Titelgeschichte »Den Tumor fressen« über die deutschen Gentherapie-Experimente heraus. Trotz der Ankündigung der Versuche als neue medizinische Ära werden im lead auch Zweifel an den Versprechen der Gentherapeuten erkennbar: »Eine neue Ära der Medizin beginnt – nun auch in Deutschland: Genspritzen sollen Krebskranke heilen, Erbkrankheiten werden repariert. Bringt, was jetzt Wissenschaftler in Berlin und Freiburg erproben, eine Revolution in der Krebsbehandlung? Oder versprechen die Genforscher zu viel?« (Spiegel, 09.05.1994a)

In ähnlicher Weise werden auch in dem Beitrag selbst die Verheißungen der Wissenschaftler aufgegriffen, aber sofort wieder relativiert. In Bezug auf die Versprechen der Gentherapeuten heißt es: »Die Fanfaren, mit denen die Forscher, nicht nur in Freiburg und Berlin, die Ära der Genspritze eröff nen, sind einmalig in der Geschichte der Medizin.« (Spiegel, 09.05.1994a)

Das Spektrum der Krankheiten, auf das die Gentherapeuten zielten, wird mit dem »Stichwörterkatalog eines klinischen Lexikons« verglichen. Detlef Ganten, Leiter des Max-Delbrück-Zentrums in Berlin-Buch, wird mit der Aussage zitiert, die Hälfte aller Krankheiten würden eines Tages mit der neuen Methode behandelbar sein und die gebräuchlichen »chemischen Keulen« der Pharmaindustrie würden sich schon bald wie eine »Therapie des Mittelalters« ausnehmen. Der Optimismus setze in Erstaunen, so der Spiegel, seien doch andere Verfahren erst nach dem Beweis ihrer medizinischen Wirksamkeit als medizinische Revolutionen gefeiert worden – »Die Gentherapeuten dagegen wähnen ihre Ära schon angebrochen, ehe es auch nur einen einzigen geheilten Patienten gibt.« (Spiegel, 09.05.1994a) Anders als bei dem ersten amerikanischen Gentherapie-Experiment wird nun auch auf die langwierigen klinischen Studien verwiesen, die der Etablierung neuer »Wundermittel« normalerweise vorausgehen.

166 | Gesunde Gene Demgegenüber werden die Erfolge der bisher durchgeführten Gentherapie-Experimente als »geringfügig und zweifelhaft« qualifiziert, abgesehen davon, dass sie bei Krankheiten aufgetreten seien, »die im medizinischen Alltag gar nicht vorkommen.« Ebenso wie die FAZ registriert auch der Spiegel einen Umschwung in der Wahrnehmung der Genetiker – hätten sie sich bisher »als Frankensteins verunglimpft, von Kritikern blockiert, vom Gesetzgeber gegängelt« gefühlt, so würden sie nun von »Patienten, Politikern und Journalisten« gedrängelt, die Frage sei: »Wann endlich fangt ihr an?«. Die Experten der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur somatischen Gentherapie würden drei Jahre nach dem ersten Gentherapieversuch schon den »Beginn einer Veralltäglichung« feststellen, während die Gentherapie vier Jahre zuvor noch von vielen Molekularbiologen in das Reich der science fiction verwiesen worden sei. In dem Beitrag werden verschiedene Konzepte der Gentherapeuten zur Behandlung von Krebs umfassend erläutert. Der Pionier der Gentherapie, French Anderson, sei jedoch schon einen Schritt weiter und peile die Keimbahntherapie an, welche die Gentherapeuten bisher noch zurückschrecken ließe. Anderson argumentiere: »Wir haben die moralische Verpflichtung, Krankheiten zu kurieren und Leiden zu mindern.« (Spiegel, 09.05.1994a). Die meisten Kollegen sähen die Keimbahntherapie dagegen als Weg zum »Menschen-Design« und als unkalkulierbares Risiko. Die Keimbahnintervention sei in Deutschland zwar im Embryonenschutzgesetz verboten, so der Spiegel-Artikel, es sei jedoch zweifelhaft, ob sich dieses Verbot angesichts der »Eigendynamik der expandierenden Genmedizin« bremsen lasse: »Die Tabubrecher an der Forschungsfront sorgen dafür, dass der Mensch nach Maß mit schwindelerregendem Tempo näherrückt.« (Spiegel, 09.05.1994a)

Auch der Patentantrag auf die »Designer-Spermien«, d.h. gentechnisch veränderte Samenzellen, beim Europäischen Patentamt in München wird in diesen Zusammenhang gestellt. Erst auf den Schlussseiten der Titelgeschichte wird die Herangehensweise der deutschen Gentherapeuten ausführlich erläutert. Da die Ethik gebiete, für Patienten mit Heilungschancen herkömmliche Therapieformen zu nutzen, statt sie ausschließlich einer »Experimentaltherapie« zu unterwerfen, werden Gentherapieversuche als »Experimente mit Sterbenden« eingeordnet, als Erfolg werde schon verbucht, wenn sich beweisen ließe, dass die Gene »ans Ziel gelangt sind und dort aktiv werden«.

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Auf das Konto der somatischen Gentherapie gehe jedoch ein Erfolg ganz anderer Art – sie könne der deutschen Gentechnik-Industrie als Zugpferd ihrer Kampagne für die Akzeptanz der Gentechnik dienen. Entsprechend lautet der Schlusssatz des Artikels: »Denn gegen die somatische Gentherapie können auch hartleibige Kritiker der Gentechnik nur wenig einwenden: Wer sich mit der Transplantation ganzer Organe einverstanden erklärt, kann die Transplantation von Genen kaum verurteilen« (Spiegel, 09.05.1994a)

Neben der Darstellung einzelner Versuche werden auch im Spiegel immer wieder Bilanzen der Gentherapie aufgegriffen. 1993 beispielsweise wird in einer Meldung verkündet, dass dem umstrittenen amerikanischen Wegbereiter der Gentherapie, Steven Rosenberg, die Forschungsförderung gestrichen worden sei, da die Gutachter nicht überzeugt seien, dass die Experimente Erfolge oder auch nur die Aussicht auf Erfolge gezeitigt hätten (Spiegel, 29.03.1993). Auf einem internationalen Kongress in Berlin kommen die Gentherapeuten überein, noch keine »gentechnische Wunderwaffe gegen Krebs, Aids und andere Übel« zur Verfügung zu haben und trotz erster Erfolge wird eine »ziemliche Durststrecke« erwartet (Spiegel, 18.04.1994). Von ernüchternden Erfahrungen zeugt auch ein Kongressbericht aus dem Jahr 1995. Die Gentherapeuten, so der Spiegel, übten Selbstkritik, nachdem die Resultate von weltweit über 100 Gentherapieversuchen weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben seien. Experten werden mit Äußerungen zitiert wie: Kaum eine neue Technologie habe so »unrealistische Erwartungen« geweckt wie die Gentherapie oder auch die Gebrüder Wright seien »schon nach 260 Metern wieder ins Gras geplumpst« (Spiegel, 01.05.1995). Als Motto der Gentherapeuten wird jedoch »Bangemachen gilt nicht« deklariert und der weiter bestehende Optimismus der Wissenschaftler wird mit der Hoff nung auf Fortschritte bei den Gentransfermethoden und mit Erfolgen in Tierversuchen erklärt. Detlev Ganten wird mit der Prognose zitiert, bis zum Jahr 2040 würde ein großer Anteil gentherapeutischer Medikamente eingesetzt. Ähnlich gemischt fällt die Bewertung in einer Nachricht aus, die sich auf eine Bilanzierung der Wissenschaftszeitschrift Science bezieht: Zwar sei noch kein Patient durch eine Gentherapie geheilt worden, zugleich ließen sich jedoch Teilerfolge bei der Behandlung zweier ADA-Kinder vermelden (Spiegel, 23.10.1995). Erst im Jahr 1995 fällt die Bilanz der Gentherapieforschung deutlich negativ aus:

168 | Gesunde Gene »Es gebe bisher »so gut wie keinen Beweis, dass die Gentherapie Patienten oder auch nur Versuchstieren nützt«, verkündete kürzlich Harold Varmus, Direktor der US-Gesundheitsbehörde NIH.« (Spiegel, 20.11.1995)

Beim Bemühen um Heilerfolge gäbe es kaum Fortschritte, allein in der Diagnostik seien die genmanipulierten Zellen hilfreich. Anhand einzelner Therapieversuche wird die Zweifelhaftigkeit bisheriger Erfolge hervorgehoben. Die Kritik kulminiert in dem Vorwurf an die Gentherapeuten, »unreife Technologien in die Kliniken zu jagen«, so das Fachblatt Nature Medicine, in welchem die bisherigen Therapieversuche als »Fehlschläge« bezeichnet werden. Eine Überprüfung der Finanzierung der Gentherapie lasse ein Votum für einen partiellen Rückzug aus den staatlich geförderten klinischen Experimenten zugunsten von mehr Grundlagenforschung erwarten. Laut Spiegel wird jedoch über die Hälfte aller klinischen Gentherapie-Studien von der Industrie finanziert, zitiert wird die Vermutung, dass die Geschäftsleute Druck auf die Forscher ausüben, weil sich ihre Investitionen möglichst schnell auszahlen sollen. Nach außen herrsche daher ungebrochen »Goldgräberstimmung« – obwohl sich die Gentherapieforschung »wie in einer gerade fünf Jahre alten Disziplin nicht anders zu erwarten« noch mit zahlreichen Schwierigkeiten herumschlage. Auf den ersten Todesfall bei einer Gentherapie geht der Spiegel im November 1999 ein, zwei Monate, nachdem Jesse Gelsinger starb. Der Beitrag stellt insbesondere heraus, dass die Methode an einem »relativ gesunden Probanden« angewandt wurde, der von der Therapie selbst keinen Nutzen erwarten konnte (Spiegel, 15.11.1999). Der Versuchsleiter des Experimentes, James Wilson, wird als »Gentherapie-Papst« bezeichnet, an seinem Renommee damit kein Zweifel gelassen. Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hätte, schockiert durch den Fall, »alle vergleichbaren klinischen Studien« gestoppt. Ebenso wie die FAZ verweist auch der Spiegel auf den Bericht der Washington Post, nach dem zu urteilen es noch zu weit mehr Todesfällen und Komplikationen gekommen sei. Ein deutsches Expertengremium sei jedoch zu dem Schluss gekommen, die deutschen Gentherapie-Experimente müssten nicht unterbrochen werden und auch in den USA nähme kaum ein Wissenschaftler den Todesfall zum Anlass, »die Gentherapie grundsätzlich in Frage zu stellen«. Der Tod des 18-Jährigen werde als »dummer Zufall« bewertet, der sich »mit einem Schulterzucken abhaken lässt«. Anders der Spiegel-Autor: »Dabei gäbe es über diesen Todesfall hinaus genügend Gründe, die Gentherapie kritischer zu sehen. Schon eine oberflächliche Betrachtung ent-

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hüllt Wahrheiten, in deren Licht der Tod des Jungen aus Arizona nicht mehr als Einzelereignis, als Unfall am Wegesrand erscheint, sondern eher wie der Crash am Ende einer Irrfahrt mit Patienten als Dummies.« (Spiegel, 15.11.1999)

Im Spiegel wird darauffolgend die wechselvolle Geschichte der Therapieversuche mit ihren großen Versprechen und ihrem bisher weitgehend ausbleibenden Erfolg wiederholt. Dass die Wissenschaftler die notwendige Grundlagenforschung vernachlässigten und möglichst schnell Experimente am Menschen anstrebten, wird nicht mit dem Leidensdruck der Patienten, sondern mit persönlichem Ehrgeiz und dem »Vermarktungsdruck von Pharmafirmen« erklärt. Auch das für die Zulassung der Gentherapieversuche in den USA zuständige Gremium, das Recombinant Advisory Committee (RAC), wird kritisiert. Im RAC, so die Studie, diskutierten vor allem Gentherapeuten über Gentherapien, vom Spiegel als »wissenschaftlicher Inzest« tituliert. Eine Studie wird aufgeführt, welche die Zulassung des Versuches an Jesse Gelsinger als Folge massiver Fehlkommunikation innerhalb des RAC bewertet und zu dem Schluss kommt, das Experiment hätte von diesem Gremium niemals zugelassen werden dürfen. In Bezug auf die Keimbahnintervention wird im Spiegel in der dritten Phase dem oft beschworenen Konsens über die Ablehnung dieser Technik die Offenheit vor allem amerikanischer Forscher für den Gentransfer in menschliche Keimzellen gegenübergestellt. Während French Anderson eindeutig für die Keimbahntherapie plädiert (s. S. 166), schließen andere wie der Chefredakteur von Nature, John Maddox, lediglich eine spätere Anwendung nicht aus. Maddox wird beispielsweise mit den Worten eines Nature-Kommentars zitiert: »Genetiker lieben es zu sagen, sie würden ›nie die Keimbahn antasten‹. Das ist unweise.« (Spiegel, 20.12.1993). Wie in diesem Falle dienen solche Anmerkungen nicht selten der Andeutung, der Konsens über das Tabu könne brüchig werden oder die Keimbahnintervention könne unaufhaltsam sein: »Noch vor wenigen Jahren galt der Eingriff in die Keimbahn, die Manipulation der befruchteten menschlichen Eizelle, als absolutes Tabu, das die Genforscher nie antasten würden. Inzwischen basteln in Amerika Experten daran, Vorgaben genau dafür zu erarbeiten.« (Spiegel 20.12.1999)

Wie Befürworter der Keimbahnintervention auf die Unauf haltsamkeitsidee rekurrieren, erweist sich in der Titelgeschichte zu Sloterdijks umstrittener Elmauer Rede. Ähnlich wie in der FAZ wird im

170 | Gesunde Gene Spiegel Verwunderung darüber erkennbar, warum statt brisanter wissenschaftlicher Entwicklungen – z.B. der ersten gentechnisch ›intelligenzoptimierten‹ Maus – gerade die Rede Sloterdijks eine solche Aufregung entfachte. Der Spiegel sieht den Anlass hierfür in den von dem »Metaphernakrobat« eingesetzten tabubrechenden Reizvokabeln wie »Menschenzucht« und »Anthropotechniken« (Spiegel, 27.09.1999). In Bezug auf die Keimbahnintervention heißt es: »Und doch ist all dies in den Augen vieler Visionäre nur das Präludium. Das »Jahrhundert der Biologie«, so prophezeien sie, sei noch gar nicht angebrochen. Jetzt erst hätten die Biotechniker das letzte Tabu, den Eingriff in die menschliche Keimbahn, ins Visier genommen. Damit stehe der wahrlich genetisch verbesserte Mensch auf dem Programm. »Wir übernehmen gerade die Kontrolle über unsere eigene Evolution«, verkündet der Biophysiker Gregory Stock von der University of California in Los Angeles. Und um Widerspruch gar nicht erst auf kommen zu lassen, fügt er sogleich hinzu: »Es gibt keinen Weg, diese Technik aufzuhalten.« (Spiegel, 27.09.1999)

Zwar sei die Genmedizin bisher eine »Ankündigungs-Wissenschaft« geblieben, was den Spiegel zu der Spekulation veranlasst, die Biologie könnte sich den »Visionären« auch weiterhin verweigern. Die Wissenschaftler folgerten jedoch nur, dass man noch nicht weit genug gegangen sei: »Den Durchbruch versprechen sie sich nun von der sogenannten Keimbahntherapie […]. Auf dem Programm steht damit erstmals in der Geschichte der wahrhaft genmanipulierte Mensch. »Wenn wir bessere Menschen herstellen könnten durch das Hinzufügen von Genen«, so Watsons erklärtes Ziel, »warum sollten wir das nicht tun?« (Spiegel, 27.09.1999)

Wie in dem Zitat, wird die Keimbahnintervention in dem SpiegelArtikel zu Sloterdijks Vortrag vor allem mit Blick auf die Möglichkeit einer gentechnischen Verbesserung des Menschen eingeführt. Mögliche Beschränkungen der Keimbahnintervention, z.B. auf die Behandlung schwerer Erbkrankheiten, werden als Akzeptanzstrategie angesehen, mit der lediglich die Einzelschritte des Weges zum genetisch optimierten Menschen bagatellisiert werden sollen. In Bezug auf Widerstände gegen die Technik wird im Spiegel darauf verwiesen, in Amerika sei, anders als in Deutschland, das einzige moralische Gebot, dass jeder über die Anwendung der neuen Techniken selbst entschei-

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den könne. Anders als in der FAZ wird jedoch nicht auf ein von den Wissenschaftlern vorgeschlagenes technologisches Fixum für dieses Problem rekurriert, sondern festgestellt, dass gerade dieser Wert mit der Keimbahnintervention ernsthaft in Gefahr sei. Fazit Phase III In der dritten Phase tritt Ernüchterung über die somatische Gentherapie ein. Der Blick auf die viel versprechende neue Technologie wird in FAZ und Spiegel durch eine desillusionierte Bestandsaufnahme ergänzt. In Bezug auf den Gentransfer in menschliche Körperzellen wird über Hürden, Ernüchterung und trügerische Euphorie geschrieben. Der Gentransfer in menschliche Körperzellen wird an den Erwartungen, die geweckt und den Versprechen, die gegeben wurden, gemessen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die bisherigen Ergebnisse geringfügig, vor allem, weil noch kein Patient durch die Gentherapie geheilt worden sei. Insbesondere die Anwendung der Gentherapie-Verfahren am Menschen wird als verfrüht und wissenschaftlich zu wenig fundiert dargestellt. Im Zusammenhang mit dem ersten Todesfall werden die Gentherapie-Experimente im Spiegel sogar mit einem »Crash-Test« verglichen und erscheinen entsprechend riskant. Zwar bleibt der Gentransfer in Körperzellen in der dritten Phase weiterhin eine viel versprechende Option. Die Einordnung erfolgt jedoch nicht mehr nur als promising, sondern auch als over-promising; die zur somatischen Gentherapie gemachten Versprechen werden als zu großzügig klassifiziert. Dies zeigt sich, wenn im Spiegel zu Beginn der deutschen Gentherapieversuche gefragt wird, ob die Wissenschaftler nicht zu viel versprechen, aber auch, wenn in der FAZ angesichts des Todes von Jesse Gelsinger die neu erworbene Bescheidenheit der Forscher gelobt wird. Die somatische Gentherapie wird in der dritten Phase als eine wissenschaftlich wenig ausgereifte, nicht ausreichend fundierte Technik kontextualisiert, die noch vielen Schwierigkeiten gegenübersteht. Die Kritik an den Gentherapieversuchen bleibt, wie in den vorigen Phasen, vorrangig auf wissenschaftliche Kriterien bezogen. Als eine Triebkraft für die zu optimistische Darstellung von Ergebnissen und das Fehlverhalten bei Gentransfer-Versuchen werden das Streben nach Ruhm und Geld und ökonomische Interessen der Industrie genannt. Gegenüber der Hoffnung auf eine Therapie oder den wissenschaftlichen Kriterien der Bewertung sind diese Elemente in der medialen Darstellung jedoch deutlich nachrangig. Auch soziale, ethische und rechtliche Widerstände spielen in Bezug auf die somatische Gentherapie weiterhin kaum eine Rolle. Lediglich das Funktionieren der zuständigen Ethik-

172 | Gesunde Gene Kommission wird im Spiegel angesichts des Fehlschlages bei dem Gelsinger-Versuch hinterfragt. Gegen die somatische Gentherapie werden in den beiden Printmedien kaum grundsätzliche Einwände vorgebracht. In der FAZ werden jedoch Anpassungen erwähnt, die dazu dienen sollen, eine befürchtete Kritik der Öffentlichkeit zu vermeiden. Schon der späte Beginn der Gentherapie-Experimente in Deutschland wird auf die Wahrnehmung vermeintlicher Widerstände zurückgeführt. Darüber hinaus wird bei den ersten deutschen Gentherapie-Experimenten die Wahl nicht-viraler Gentransfermethoden als eine Adaptation verstanden, mit der mögliche Kritik am Verfahren umgangen werden soll. In beiden Printmedien wird demgegenüber die hohe Zustimmung für die Versuche hervorgehoben. Im Spiegel wird mit Blick auf die somatische Gentherapie der »Beginn einer Veralltäglichung« konstatiert und der Gentransfer in menschliche Körperzellen sogar als Mittel zur Akzeptanzbeschaff ung für andere Bereiche der Gentechnologie gesehen. Fragen der Patentierbarkeit der Keimbahnintervention und Entwürfe zu internationalen Konventionen, in denen die Keimbahnintervention eine Rolle spielt, werden als tagesaktuelles Geschehen von der FAZ eher abgebildet als vom Spiegel. In einer Reihe von Artikeln zur Auseinandersetzung über die Biopatentrichtlinie wird die Keimbahnintervention in der FAZ konstant als Tabu formuliert. In anderen Beiträgen der FAZ wird der Gentransfer in die Keimzellen jedoch neu kontextualisiert. So wird in der Debatte um die Bioethik-Konvention eine neue Art der Grenzziehung für die Gentherapie vorgeschlagen. Während die Trennung zuvor in der relativ klaren Abgrenzung des Gentransfers in Körper- und Keimzellen bestand, wird die Markierungslinie nun am Ziel des Eingriffs festgemacht: Unterschieden wird zwischen präventiven, therapeutischen und diagnostischen Keimbahninterventionen und solchen, welche den Zweck der Veränderung der nächsten Generation haben. Die Unschärfe der solcherart markierten Grenze wird schon in der Diskussion über die Unsicherheit deutlich, ob die Bioethik-Konvention die Keimbahnintervention untersagt oder nicht. Anders als bei der Differenzierung zwischen Keim- und Somazellen erscheint der Übergang zwischen beiden Ausrichtungen fl ießend. Die Keimbahnintervention wird hier zu einer anhand der Ziele unterschiedenen Technik. Versuche seitens der Wissenschaftler, die Keimbahnintervention neu zu kontextualisieren, werden in beiden Printmedien aufgegriffen. Von den Befürwortern wird die Keimbahnintervention in verschiedener Hinsicht umformuliert. Die gentechnische Veränderung der Keimbahn des Menschen erscheint den Forschern nicht mehr als

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ethisch verwerflich, sondern als eine Pflicht. Der Misserfolg der somatischen Gentherapie wird zu einem Argument für die Einführung der Keimbahnintervention umgemünzt, da der Gentransfer in die Keimzellen viel einfacher sei. Der Vorstoß der Wissenschaftler gilt nicht allein der Therapie, sondern auch der gentechnischen Verbesserung des Menschen, wie in beiden Presseorganen hervorgehoben wird. Auf ethische Bedenken gehen die Forscher laut FAZ mit einer technischen Lösung ein, welche den Kritikpunkt der individuellen Entscheidung über die gentechnischen Veränderungen der Keimbahn adressiert. Wie die gefürchtete Menschenzüchtung als »Kontrolle über unsere eigene Evolution« reformuliert wird, zeigt sich im Spiegel. Zugleich wird deutlich, wie die Prämisse der Unaufhaltsamkeit der Technik, die als slippery-slope-Argument in der Regel gegen die Einführung der Technik gewendet wird, von den Befürwortern nun als Pro-Argument für die Keimbahnintervention und die gentechnische Optimierung abgewandelt wird. Insgesamt wird die Keimbahnintervention in der dritten Phase hauptsächlich in Bezug auf das bestehende Tabu bzw. den möglichen Tabubruch dargestellt. Im Spiegel wird stärker als in der FAZ auf die Brüchigkeit der Grenze zur Keimbahn verwiesen und Vorstöße amerikanischer Wissenschaftler werden entsprechend eingeordnet. In der FAZ werden Versuche des Tabubruchs zurückgewiesen und die Keimbahnintervention wird weiterhin als abgelehnte Option kontextualisiert.

5.6 Phase IV (2000 bis 2001): Die Keimbahn im Visier: Leichte Enttabuisierung, mehrheitliche Ablehnung In den Jahren 2000 und 2001 haben in der FAZ vor allem die Themenkomplexe andere biomedizinische Optionen und Grundlagenforschung großen Anteil an der Berichterstattung (s. 4.3.6). Die mediale Spiegelung der Diskussion um Bioethik-Konvention und Biopatentrichtlinie setzt sich fort. Die Debatte um die BioethikKonvention schwächt allerdings ab, sie ist nur noch einmal Hauptthema eines Artikels und wird ansonsten lediglich in anderen Kontexten erwähnt.8 Die Biopatentrichtlinie erzeugt dagegen angesichts der Aus8 | Die Bundesrepublik Deutschland hat das Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarates bisher noch nicht ratifiziert (Unterrichtung 16/12272 der Bundesregierung zu Vereinbarungen für Juni 2007 – März 2009, http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/122/1612272. pdf).

174 | Gesunde Gene einandersetzung über die Umsetzung in nationales Recht weiterhin mediale Aufmerksamkeit. Wie schon in der dritten Phase erschöpft sich der Zusammenhang mit der Gentherapie jedoch in dem Hinweis, dass die Keimbahnintervention vom Patentschutz ausgenommen ist. Erheblich größer ist der Bezug zum Gentransfer in die Keimzellen in einer anderen Patentierungsfrage: Im Februar 2000 macht Greenpeace darauf aufmerksam, dass das Europäische Patentamt (EPA) ein Verfahren geschützt hat, welches dem Urteil der Umweltschutzorganisation nach auch Eingriffe in die Keimbahn des Menschen umfasst. Demgegenüber wird auf die juristische Sachlage, d.h. den Ausschluss der Patentierung der Keimbahnintervention bzw. das generelle Verbot der Technik verwiesen (FAZ, 23.02.2000a, 23.02.2000b, 06.03.2000, 21.03.2000, 04.04.2000). Das beantragte Patent richtet sich auf die »Isolierung, Selektion und Vermehrung von tierischen TransgenStammzellen« (FAZ, 23.02.2000b). Die Kritik entzündet sich daran, dass im Patent die Formulierung ›transgenic animal‹ verwandt worden sei, die auch den Menschen einschließe. Das Patentamt spricht von einem Fehler, die Vokabel ›animal‹ sei im Deutschen mit ›Tier‹ übersetzt worden. In mehr als einem FAZ-Artikel wird jedoch bezweifelt, dass es sich nur um eine Fehlentscheidung handelt, stattdessen wird ein bewusster Tabubruch vermutet: »Wenn sich das EPA nun auf einen »Übersetzungsfehler« zurückzieht, schürt dies das Misstrauen, dass klammheimlich Fakten geschaffen werden sollen, um die letzten ethischen Grenzen zu überwinden.« (FAZ, 04.04.2000)9

Die Kontroverse endet im Mai 2000, als die Universität Edinburgh, welche das Patent eingereicht hat, eine geänderte Version vorlegt, in welcher der Mensch explizit ausgenommen wird. Wie es sich schon in der dritten Phase ankündigt, steigt der Pegel der medialen Auseinandersetzung um den Gentransfer in die Keimzellen weiter an. In einigen Artikeln macht sich eine gewisse Enttabuisierung der Keimbahnintervention bemerkbar. Ein Medizinsoziologe fordert beispielsweise die Freigabe der Keimbahntherapie und des Klonens (FAZ, 09.03.2001a). Auch ein Theologe hält die Keimbahntherapie für ethisch vertretbar (FAZ, 20.04.2000). Selbst Autoren, 9 | In ähnlicher Weise: FAZ, 23.02.2000a: Fortschritte bei den Niederlagen, FAZ, 21.03.2000: Menschen machen! Grenzen ziehen: Die Gene, das Patentamt und der Profit, FAZ, 04.05.2000a: Der Mensch ist kein Tier. Edinburgh verwirft seinen umstrittenen Patentanspruch.

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die ihre Ablehnung gegenüber der Keimbahntherapie betonen, halten eine künftige therapeutische Anwendung unter bestimmten Umständen für gerechtfertigt (FAZ, 11.02.2000, 18.02.2000, 14.03.2001). Zu dem Schluss, dass zwar die Pfl icht bestehe, das genetische Schicksal mitzugestalten, dies aber eher über die Verbesserung der Umweltbedingungen als über eine Keimbahnintervention zu erreichen sei, kommen der Philosoph Carl F. Gethmann und der Genetiker Georg Fey (FAZ, 30.01.2001). Nichtsdestotrotz wird die Keimbahnintervention als individualmedizinische Präventivmaßnahme von diesen beiden Autoren als ethisch akzeptabel eingeschätzt. Darüber hinaus beziehen zwei Leserbriefe Position für eine Keimbahnintervention mit therapeutischer Absicht (FAZ, 07.03.2000, 29.12.2000). In diesen Stellungnahmen ist die Befürwortung an eine mögliche therapeutische Anwendung geknüpft. Gelegentlich wird jedoch auch die Argumentation derer zitiert, welche die Keimbahnintervention zu Zwecken gentechnischer Verbesserung für zulässig halten. Dies geschieht mal plakativ, wie bei Gregory Stock von der University of California auf der Tagung »Visionen vom optimierten Menschen« (FAZ, 14.12.2001)10, mal ethisch-reflexiv wie in einem Bericht zum zweiten Weltkongress für Philosophie der Medizin (FAZ, 14.09.2000a). Nicht zuletzt fi nden in der FAZ Zukunfts- und Schreckensszenarien Gehör, welche eine Vermischung verschiedener Technologien – Gen-, Nano- und Computertechnologie – voraussagen, die das menschliche Selbstverständnis erschüttern werde (FAZ, 04.09.2000, 08.09.2001a 11). Eine mögliche Verbesserung des Menschen durch Keimbahntherapie wird in diesen Zukunftsentwürfen vorausgesetzt, allenfalls wird beklagt, dass die gentechnische Veränderung im Geburtenzyklus geradezu »lächerlich langsam« ist, möchte man beispielsweise mit der künstlichen Intelligenz Schritt halten (FAZ, 08.09.2001a). Auf diese Weise werden bei der FAZ in verschiedenen Artikeln der vierten Phase Argumente der Befürworter einer Keimbahnintervention sichtbar. Dazu gehören neben Verweisen auf die medizinischen Möglichkeiten weitere Argumente, die jedoch nur vereinzelt vorkommen. Die Keimbahnintervention wird z.B. mit bestehenden Verfahren bzw. natürlichen Abläufen analogisiert, etwa der Einnahme von Cortison10 | Die Position von Gregory Stock wird allerdings in dem entsprechenden Beitrag durch den berichterstattenden Journalisten der FAZ, Achim Bahnen, kritisch kommentiert. 11 | Der Artikel vom 08.09.2001 ist eine Reaktion auf ein Interview mit Hawking, das am 03.09.2001 im Magazin Focus erscheint, die FAZ bringt am 04.09.2001 den Kommentar »Hawkings Nussschale«.

176 | Gesunde Gene Tabletten oder der Partnerwahl, bei denen ebenfalls Keimbahnmodifi kationen die Folge seien (FAZ, 12.04.2000, 20.04.2000, 30.01.2001, 14.03.2001). Wie in der dritten Phase berufen sich die Befürworter auch auf die Unaufhaltsamkeit der Technik (FAZ, 14.12.2001) und darauf, dass der Gentransfer in die Keimbahn einfacher sein könnte als die somatische Gentherapie (FAZ, 09.03.2001a). In anderen Fällen wird versucht, Gegenargumente zu entkräften. Dem Einwand, die Nachkommen hätten keine individuelle Autonomie über den Eingriff, wird entgegengesetzt, dass, wie in anderen medizinischen Fragen, die Eltern stellvertretend für ihre Kinder entscheiden könnten (FAZ, 14.09.2000a). Das Argument, nicht Gott spielen zu sollen, wird konterkariert mit dem Verweis auf Eingriffe, wie z.B. Schönheitsoperationen, die schon jetzt stattfinden, und der Ausführung, es könne sinnvoller sein, einzugreifen, statt den Dingen ihren natürlichen, zufälligen Lauf zu lassen (FAZ, 20.04.2000, 30.01.2001). Vereinzelt wird jedoch auch auf die Präimplantationsdiagnostik bzw. den Verzicht auf Nachkommen als Alternative zur Keimbahnintervention hingewiesen (FAZ, 18.02.2000). Zum Teil wird eine Begrenzung der Anwendung auf schwere Erbkrankheiten bzw. der Ausschluss einer gentechnischen Optimierung für möglich gehalten (FAZ, 20.04.2000, 14.03.2001). Befürchtungen einer Menschenzüchtung würden sich als haltlos erweisen, sei die Technik erst einmal implementiert (FAZ, 09.03.2001a). Andere halten eine Grenzziehung zwischen Therapie und Optimierung nicht für möglich (FAZ, 14.09.2000a, 14.12.2001). Eine solche Einschätzung ist häufig mit der Forderung nach einem vollständigen Verbot des Gentransfers in Keimzellen verknüpft, einigen entschiedenen Befürwortern der Technik erscheint hingegen auch die Optimierung als vertretbar. Insgesamt sind die Stimmen, deren Haltung gegenüber der Keimbahnintervention ablehnend ist, jedoch deutlich in der Mehrheit. In mehreren Artikeln wird weiterhin nur kurz auf die Abwehr des Gentransfers in menschliche Keimzellen verwiesen, indem Ausschluss von Patentierung, Verbot oder Unzulässigkeit betont werden. Andere Beiträge argumentieren etwas differenzierter gegen die Keimbahnintervention. Die American Association for the Advancement of Science (AAAS) erklärt im Jahr 2000, gentechnische Eingriffe in die Keimbahn seien vorerst strikt abzulehnen. Von der FAZ wird dies als eine späte Reaktion auf das Plädoyer renommierter Wissenschaftler für die Verbesserung des Menschen mittels Gentechnik im Jahr 1997 (s. S. 161f.) bewertet (FAZ, 27.09.2000a). In anderen Beiträgen werden ablehnende Stellungnahmen einiger Prominenter deutlich, z.B.

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von Joschka Fischer, Habermas oder DFG-Präsident Markl (FAZ, 30.06.2001, 17.02.2001, 19.05.2000). Im Sport führt die Besorgnis über Gendoping zu dem Bestreben um ein frühes Verbot dieser Option in den Regularien des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und der Welt-Antidoping-Agentur WADA (FAZ, 08.06.2001).12 Am weit reichendsten wirken die – im September 2001 bekannt werdenden – Pläne einer Koalition verschiedener Gegner der Keimbahntherapie, die sich zum Ziel gesetzt haben »die Menschheit vor speziesverändernden Techniken« (FAZ, 25.09.2001) zu schützen. Wie der entsprechende FAZ-Beitrag aufgreift, fordert das Bündnis zum Erreichen dieser Absicht einen Völkerrechtsvertrag, eine »Konvention zur Erhaltung der menschlichen Spezies« (FAZ, 25.09.2001). In den Artikeln werden verschiedene Argumente gegen die Keimbahnintervention aufgeführt, wie bei den Befürwortern bleiben diese vereinzelt. Als Grund gegen den Gentransfer in die Keimbahn werden z.B. die bestehenden Risiken genannt, die zu unabsehbaren und möglicherweise irreparablen Konsequenzen führen könnten (FAZ, 19.05.2000, 27.09.2000a, 17.02.2001). Selbst Befürworter der Technik sehen den Ausschluss von Risiken als Vorbedingung für die Anwendung (FAZ, 18.02.2000, 20.04.2000, 14.09.2000a). Der notwendige ›Verbrauch‹ menschlicher Embryonen wird ebenfalls sowohl von Gegnern als auch von einigen, die der Anwendung der Technik unter Vorbehalten zustimmen, kritisiert (FAZ, 18.02.2000, 19.05.2000, 14.03.2001). Auch Akzeptanz oder Nicht-Akzeptanz der Bevölkerung wird als Argumentationsressource eingesetzt: Während sich Gregory Stock als Befürworter auf eine Zustimmung der Bevölkerung zur Nutzung der neuen Technik beruft (FAZ, 14.12.2001), nimmt Hubert Markl einen massiven Widerwillen bei der überwältigenden Mehrheit der Menschen wahr (FAZ, 19.05.2000). Widerstand gegenüber der Keimbahnintervention besteht auch, weil mit der Anwendung der Technik die Zufälligkeit der menschlichen Existenz aufgehoben und so die grundlegende, biologische Gleichheit der Menschen in Frage gestellt werde. Die Gegner der Technik verweisen auf verschiedene, mit diesem Argument zusammenhängende Aspekte, z.B. den moralischen Respekt vor Behinderten, die 12 | IOC und WADA nehmen Gendoping im Jahr 2003 in die Liste der verbotenen Substanzen und Methoden auf. In der Definition des IOC des Gendoping als »non-therapeutic use of genes, genetic elements and/ or cells that have the capacity to enhance athletic performance« (www. dshs-koeln.de/biochemie/rubriken/07_info/ioc_list_03.pdf) ist sowohl der Gentransfer in Keimbahn- als auch in Körperzellen enthalten.

178 | Gesunde Gene Frage nach der Verantwortlichkeit für eventuelle Fehlschläge oder die veränderte Beziehung von Eltern und Kind als Designer und Produkt (FAZ, 27.09.2000a, 19.05.2000, 17.02.2001, 30.06.2001). Darüber hinaus werden die Willkür möglicher Veränderungen, die Umgestaltung nach dem »Gusto der Forscher« (FAZ, 25.09.2001), und die Versachlichung und Verdinglichung des Lebens beklagt (FAZ, 17.02.2001). Als weit reichendste Konsequenzen werden eine Veränderung oder der Abschied von der menschlichen Spezies (FAZ, 17.02.2001, 25.09.2001) und eine Herausbildung von zukünftigen »genetischen Unterklassen« befürchtet (FAZ, 25.09.2001). Die Keimbahnintervention wird auch im Zusammenhang mit der neu geschaffenen Enquete-Kommission »Recht und Ethik der modernen Medizin« diskutiert. Ein Kommentar spricht davon, dass es »Wie der Kampf eines David gegen einen Goliath« anmute, wenn der Bundestag nun gegen das Bestreben, Eingriffe in die Keimbahn von »unwissenschaftlichen Schranken« zu befreien, eine Enquete-Kommission einsetze (FAZ, 25.03.2000). In einem weiteren Artikel wird »das Sammeln von Argumenten, das Wägen des Pro und Kontra von Präimplantationsdiagnostik, Gentherapie und Stammzellforschung« in der Enquete-Kommission als nur noch bedingt sinnvoll dargestellt, nachdem zwischenzeitlich der Nationale Ethikrat berufen wurde und »der Kanzler dabei ist, Fakten zu schaffen« (FAZ, 15.05.2001a). Auch die Kontinuität der Ablehnung der Keimbahnintervention durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) wird angesichts des Positionswechsels in der Stammzellforschung 13 in Frage gestellt: »Es liegt nahe, nach den Hintergründen des plötzlichen Sinneswandels zu fragen. Man ist geneigt, das zu unterstellen, was man im Volksmund als Salamitaktik bezeichnet. Angesichts der fehlenden Konsequenz in ethischen Fragen darf man getrost bezweifeln, daß die DFG ihre apodiktische Ablehnung der genetischen Keimbahntherapie und des therapeutischen Klonens noch länger als zwei weitere Jahre, bis zur nächsten Empfehlung, wird durchhalten können. (FAZ, 15.05.2001b)14

13 | Die DFG votiert in einer Stellungnahme vom 04.05.2001 für den Import embryonaler Stammzellen, zuvor hatte die Forschungsgemeinschaft die Forschung an menschlichen Embryonen abgelehnt. 14 | Diese, wenn auch polemisch formulierte Vermutung, hat sich als haltlos erwiesen. In ihrer Stellungnahme zur Gentherapie betont die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG 2006): »Der Keimbahngentransfer ist in Deutschland […] aus guten Gründen verboten.«

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In dem gleichen Artikel werden die Gremien zur ethischen Beratung kritisch hinterfragt. Finanzielle Interessen und mögliche Reputationsgewinne der in den Ethikrat Berufenen seien offen zu legen (FAZ, 15.05.2001b). Verborgene Abhängigkeiten könnten nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch bei Ethikräten fatale Folgen für die Betroffenen haben. Am Beispiel des ersten Todesfalls bei der somatischen Gentherapie wird auf die Machtlosigkeit der Ethikkommissionen gegenüber dem vermutlich durch ökonomische Interessen angetriebenen Fehlverhalten von Wissenschaftlern verwiesen. Neben diesen Auseinandersetzungen sorgen auch wissenschaftliche Neuerungen kurzzeitig für mediale Aufmerksamkeit. Im Jahr 2001 wird der erste transgene Affe, »ANDi«15, erzeugt. Dem Primaten wurde ein Gen transferiert, das für ein fluoreszierendes Protein codiert. Der Versuch selbst wird als irrelevant dargestellt, es gebe keinen direkten Nutzen für den Affen, der geglückte Gentransfer habe »in der wissenschaftlichen Welt niemanden wirklich erstaunt« (FAZ, 13.01.2001a). Das Interesse entzündet sich statt dessen daran, dass mit ANDi – mehr als bei allen zuvor geschaffenen transgenen Tieren – eine Keimbahnintervention beim Menschen in greif bare Nähe rückt: »Gesellschaftlich mag die Keimbahntherapie mit dem Stigma der Menschenzucht behaftet sein, doch die Wissenschaft schreckt das nicht. Mit Andi demonstriert sie ihren unbedingten Willen, die medizinische Zukunft mit allen verfügbaren und denkbaren Mitteln der Gentechnik gestalten zu wollen.« (FAZ, 13.01.2001b)

Was die Keimbahnintervention betrifft, bleibt ANDi nicht das einzige aufsehenerregende wissenschaftliche Ereignis. Im Mai 2001 gilt die mediale Aufmerksamkeit dreißig Kindern, deren Zellen mit Erbgut ausgestattet sind, das nicht von zwei, sondern von drei Menschen stammt. Das transferierte genetische Material kommt nicht aus dem Zellkern, sondern den Mitochondrien, welche die Energieversorgung der Zelle leisten. Bei einer neuen Methode zur Behandlung einer speziellen Form der Unfruchtbarkeit wurde den Eizellen der Patientinnen gesundes Zytoplasma anderer Frauen injiziert. In dem Zytoplasma befinden sich Mitochondrien, welche selbst einen kleinen Anteil genetischen Materials enthalten. Mit dem Zytoplasma bzw. den Mitochondrien wird entsprechend fremde DNA in die Eizellen übertragen. Die

15 | ANDi ist die abgekürzte, umgedrehte Variante von inserted

DNA.

180 | Gesunde Gene Kinder sind zu dem Zeitpunkt, an dem die besonderen Umstände ihrer Zeugung bekannt werden, zum Teil schon vier bis fünf Jahre alt. Die FAZ reagiert auf diese Neuigkeit mit drei Beiträgen. Während die verantwortlichen Forscher versichern, es handele sich nur um einen sehr geringen Anteil fremden Erbgutes und die fremden Gene hätten keinen Einfluss auf die Persönlichkeit der Kinder, kritisieren andere Wissenschaftler den Vorgang als Eingriff in die Keimbahn. Hingewiesen wird auch darauf, dass die Modifi kation an die nächste Generation vererbt wird. Der Leiter der Versuche, Jacques Cohen, verteidigt sich damit, dass »[…] die von ihm behandelten Paare sonst keine Chance auf Nachwuchs gehabt hätten.« (FAZ, 07.05.2001a). Von Cohen werden die Experimente als erfolgreich dargestellt, da sie die Fruchtbarkeit verbessert hätten und die Säuglinge gesund seien. Gegen den Vorwurf, »Säuglinge nach Maß« zu schaffen, verwahrt sich Cohen mit dem Argument, Ziel sei nur die Verbesserung der Fruchtbarkeit. Diese Grenze wird jedoch mit dem Hinweis auf andere Wissenschaftler in Frage gestellt: »Zudem konzentrieren sich manche Wissenschaftler darauf, nicht nur unfruchtbaren Eltern zu einem Kind zu verhelfen, sondern die Kinder genetisch zu »verbessern«. […] Nachdem man in diesem Zusammenhang zunächst vor allem an Erbkrankheiten wie Chorea Huntington gedacht hatte, konzentrieren sich die Vorstellungen mancher Forscher heute auch schon auf leichte Beschwerden wie Schnupfen. Auch mangelnde Intelligenz ist eine Eigenschaft, der man auf Dauer vermutlich wird vorbeugen können, da schon der entsprechende Erbfaktor gefunden ist, der bei Intelligenten zum Einsatz kommt.« (FAZ, 07.05.2001a)

Zweifel an dem Tabu der Keimbahnintervention werden auch in dem einen Tag später erscheinenden Kommentar zu den ›Drei-ElternKindern‹16 deutlich. Gefragt wird, ob die Ablehnung der Keimbahnintervention beim Anblick der Kinder, die »quietschfidel im Kindergarten herumspringen« wohl aufrechterhalten bleibt (FAZ, 08.05.2001). Weil die Versuche erst nach vier Jahren an die Öffentlichkeit gelangten, wird im Abschluss des Artikels die Frage gestellt, welche anderen Experimente wohl längst Praxis sind, ohne dass irgend jemand davon weiß.

16 | Der Begriff wird so in der Presse nicht verwandt, erscheint jedoch korrekter als die Bezeichnung »Gen-Kinder«, auf den in der FAZ Bezug genommen wird (FAZ, 08.05.2001).

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»Sind die ersten Klone schon unter uns? Gibt es die gefürchteten GenPlus-Menschen schon? Existieren Geheimbünde von genverbesserten Menschen, in denen Erbgut gehandelt wird wie andere wertvolle Güter? Die vorläufige Antwort auf viele Fragen: Sie sind unter uns, und sie sehen ganz normal aus.« (FAZ, 08.05.2001)

Zwei Wochen nach dem ersten Beitrag wird in der FAZ die Darstellung Cohens korrigiert, dass die Experimente erfolgreich gewesen wären – der Versuchsleiter hatte in seiner Veröffentlichung nicht erwähnt, dass zwei der behandelten Embryonen am Turner-Syndrom erkrankten. Neben der intensiven Berichterstattung zur Keimbahnintervention verblasst die mediale Auseinandersetzung mit der somatischen Gentherapie in der vierten Phase. Fortgeführt werden die Berichte zum Tod Jesse Gelsingers bei einer Gentherapie. Die Food and Drug Administration (FDA) habe nach dem Tod Jesse Gelsingers und der Feststellung zahlreicher ernstlicher Mängel Gentherapieversuche der Universität von Pennsylvania in Philadelphia gestoppt, auch laufende klinische Studien, was in den USA ungewöhnlich sei (FAZ, 24.01.2000). Einige Monate später wird bekannt, dass ein medizinisches Zentrum in Boston seiner Informationspflicht bei einem Todesfall im Rahmen einer Gentherapie nicht nachgekommen ist (FAZ, 05.05.2000). Im Juni 2000 berichtet die FAZ von disziplinarischen Maßnahmen gegen James Wilson, den Versuchsleiter der Studie, bei der Jesse Gelsinger ums Leben kam (FAZ, 07.06.2000a). Auf Experimente von James Wilson geht auch ein weiterer Beitrag ein. Geschildert wird sein Bestreben, »[…] zwei der gefährlichsten Krankheitserreger, das Ebolavirus und das Aidsvirus […] als Vehikel für die Gentherapie […]« (FAZ, 07.03.2001a) zu nutzen. Wilson rechtfertige die Verwendung der gefährlichen Viren damit, dass die Viren keine krankheitserregenden Gene mehr enthalten und die bisherigen »Gentransporter« nicht effektiv genug seien. Eine ganze Reihe von Wissenschaftlern habe sich jedoch gegen den Einsatz solcher Viren ausgesprochen, da Risiken nicht auszuschließen seien. Im Dezember 2001 kommt der Vater des ersten Gentherapie-Todesopfers, Paul Gelsinger, zu Wort. Als »Menschenrechtsaktivist in Sachen Patientenschutz« spricht Gelsinger auf einer Tagung über seine Erfahrungen mit Ethik-Kommissionen (FAZ, 12.12.2001b). Gelsinger kritisiert dabei nicht nur die Unzulässigkeit des Experimentes, sondern auch das persönliche Verhalten einzelner Verantwortlicher. Finanzielle Motive und übertriebener Ehrgeiz brächten Forscher dazu, die vorgeschriebenen Regeln zu umgehen. Hintergrund ist, dass Versuchsleiter Wilson Anteile an einer Firma besaß, welche von den

182 | Gesunde Gene Gentherapien profitieren sollte. Übereinstimmend kommen Gelsinger und die anderen Teilnehmer der Tagung zu dem Schluss, dass EthikKommissionen in den USA wie in Deutschland keine Versicherung gegen den Missbrauch der Forschung seien. Eine Erfolgsmeldung unterbricht im Mai 2000 die Kette der Nachrichten zu den Todesfällen. Der Artikel berichtet von drei Kindern mit der Immunkrankheit SCID-X1, bei denen das Immunsystem nach der Gentherapie die volle Abwehrkraft wieder erlangte, woraufhin die zuvor »streng von der Umwelt abgeschirmten Kinder« wieder nach Hause entlassen werden konnten (FAZ, 10.5.2000). Der Versuchsleiter, Alain Fischer vom Hôpital Necker-Enfants Malades in Paris, stellt seine Erfolge im November 2001 auf einem Kongress in Heidelberg vor: Von den inzwischen neun behandelten Kindern kämen bis auf eines alle ohne Medikamente aus. Obwohl laut Aussage eines Gentherapeuten nur 7 % der weltweit mehr als 3000 Gentherapieversuche in die Phase III der klinischen Studien eintraten, überwiegt auf der Tagung eine optimistische Grundhaltung: »Über kurz oder lang, so kündigten die Genforscher unisono an, wird man auch in der Gentherapie größere Fortschritte beobachten können.« (FAZ, 21.11.2001)

Ein Aspekt, der in den Artikeln 2001 erstmals erwähnt wird, ist die Möglichkeit, Verfahren, die bei der Gentherapie entwickelt werden, insbesondere die zur Übertragung der Gene verwendeten Viren, für Biowaffen einzusetzen. So konstatiert Malcolm Dando von der Universität Bradford, bezeichnet als »B-Waffen-Fachmann«, in einem Artikel zu Biowaffen und Gentechnik: »Die Viren, mit denen geforscht wird, werden virulenter und pathogener, wodurch die Grenzen zwischen therapeutischer Gentherapie und offensiver Biowaffenforschung zu verschwimmen beginnen.« (FAZ, 19.06.2001a)

Dando warnt vor Naivität und weist darauf hin, dass Errungenschaften der zivilen Forschung häufig militärisch nutzbar gemacht worden seien. Der Artikel schließt mit der Prognose: »Dem Jubel um die Entzifferung des menschlichen Genoms könnte deshalb die Rüstungsoffensive im Reagenzglas folgen.« (FAZ, 19.06.2001a). Im Spiegel wird die Gentherapie in der vierten Phase wie in der FAZ vorwiegend im Kontext anderer biomedizinischer Optionen diskutiert (s. 4.3.6). Auch das Nachrichtenmagazin greift das vom Euro-

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päischen Patentamt fälschlicherweise erteilte Patent auf (s. S. 174), das eine »Horrorvision von bisher ungekanntem Ausmaß: die Erschaffung eines gentechnisch veränderten Menschen […].« (Spiegel, 28.02.2000) ermöglichen würde. Zweifel werden deutlich, ob es sich bei der Entscheidung tatsächlich um einen Fehler gehandelt hat. Auch im Spiegel wird vielmehr der Verdacht genährt, es handele sich um »einen mutwilligen Tabubruch« (28.02.2000). Wie in der FAZ gibt es im Spiegel Anzeichen für eine gewisse Enttabuisierung der Keimbahnintervention. Im Januar 2000 stellt der amerikanische Molekularbiologe Lee Silver seine Vision einer Gesellschaft vor, in welcher der Gentransfer in die Keimbahn zulässig ist (Spiegel, 03.01.2000a). Gregory Stock, einer der amerikanischen Verfechter der Keimbahnintervention, erhält im April 2000 ebenfalls die Gelegenheit, seine Ansichten in einem Essay zu äußern (Spiegel, 10.04.2000a). Beide Beiträge setzen nicht nur die Einführung der Keimbahntherapie als quasi unvermeidbar voraus, sondern auch ihre Nutzung zu optimierenden Eingriffen: »Falls sich der Eingriff in die Keimbahn als zu gefährlich erweisen sollte, wird sich die Frage nach Menschenverbesserungen langsam in Wohlgefallen auflösen. Aber einer Gentechnik, die zuverlässig und sicher Verbesserungen ermöglicht, können wir nicht widerstehen. Sie erlaubt uns, die genetische Blaupause unserer Kinder zu korrigieren und ihnen einen schärferen Intellekt, einen robusteren Körper, erhöhte Widerstandskraft gegen Krankheiten oder ein längeres Leben mit auf den Weg zu geben.« (Spiegel, 10.04.2000a)

Als Motor dieser Entwicklung gilt die Motivation von Eltern, ihre Kinder mit Vorteilen auszustatten. Eine Beschränkung würde lediglich dazu führen, dass die Technik nur Wohlhabenden zur Verfügung stünde. Kinder könnten zukünftig womöglich sogar ein »Recht auf verbesserte Gene« einfordern und ihre Eltern aufgrund von Unterlassung verklagen (Spiegel, 10.04.2000a). So könnte es unmöglich werden, nicht über die genetische Ausstattung eines Kindes zu entscheiden, weil die Ablehnung einer Keimbahnintervention eine Entscheidung zugunsten der Zufälligkeit sein würde (Spiegel, 03.01.2000a). Die gentechnische Veränderung des Menschen und damit die bewusste Gestaltung des Menschen nach eigenen Vorstellungen wird als ethisches Problem und als »Reise ins Ungewisse« charakterisiert (Spiegel, 10.04.2000a). Dies wird jedoch nicht zu einem Gegenargument gegen die Intervention aufgebaut. Stattdessen wird die durch die

184 | Gesunde Gene Nutzung der gentechnischen Möglichkeiten zunehmende Verantwortung der Menschen mit einem Erwachsenwerden der Menschheit verglichen: »In demselben Maße, in dem wir Kontrolle über das erlangen, was einst außerhalb unserer Einflussmöglichkeiten lag, lässt die Menschheit ihre Kindheit hinter sich. Wir müssen die Verantwortung übernehmen für unsere wachsende Macht über die Umwelt, über unsere Mitmenschen und über uns selbst.« (Spiegel, 10.04.2000a)

Das Argument, nicht Gott spielen zu sollen, wird mit dem Verweis entkräftet, dass dies schon längst geschieht; als Beispiele werden Organtransplantation und Verhütungsmittel genannt (Spiegel, 10.04.2000a). Argumentiert wird zudem, dass die Technik ausprobiert werden sollte, solange sie sich nicht für einen breiten Einsatz eigne, mögliche negative Folgen könnten so – wie bei der somatischen Gentherapie – auf wenige Menschen beschränkt bleiben (Spiegel, 10.04.2000a). In beiden Artikeln klingt die Bedeutung des Eingriffs in die Keimbahn über die Individuen hinaus an – Stock spricht von der »Macht über unsere eigene Evolution« (Spiegel, 10.04.2000a), Silver entwirft das Bild einer möglichen Gesellschafts- oder sogar Menschheitsspaltung aufgrund genetischer Unterschiede und spricht davon, dass die genetische Manipulation eines Tages zu Kindern führen könnte, »[…] die sich von den derzeit lebenden Menschen in einem Ausmaß unterscheiden wie wir uns heute von den Schimpansen.« (Spiegel, 03.01.2000a)

Neben diesen Stellungnahmen gibt es, wie in der dritten Phase, weitere Verweise auf die offenere Position amerikanischer Forscher gegenüber der Keimbahnintervention. So wird z.B. im Zusammenhang mit der Entzifferung des Humangenoms eine veränderte Stimmung unter den Experten angeführt: »Dass es am Willen inzwischen nicht mehr mangelt, das wird auf USKongressen deutlich, auf denen immer ungenierter über die anbrechende Ära des Menschendesigns diskutiert wird.« (Spiegel, 10.04.2000b)

In dem Artikel wird das Tabu der Keimbahnintervention stark damit verknüpft, dass die Technik noch nicht möglich ist. Zugleich wird darauf verwiesen, dass die technische Machbarkeit der Keimbahnintervention näher rückt. Der Maus Lucy, dem ersten Säugetier, dem ein

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künstliches Chromosom transferiert wurde, wird hierbei noch größere Bedeutung zugeschrieben als dem Klonschaf Dolly. Dem Spiegel zufolge schafft der Chromosomentransfer bessere Voraussetzungen für die gentechnische Optimierung von Menschen, weil sich auf diese Weise nicht nur einzelne Gene, sondern »Genpakete« transferieren lassen. Wie in der FAZ überwiegen im Spiegel deutlich die Artikel, in denen eine Ablehnung der Keimbahnintervention artikuliert wird. Zumeist wird die Absage an den Keimbahngentransfer in den Beiträgen nur mehr oder minder kurz bekräftigt. Differenzierter setzt sich Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle, in einem Essay mit den Gründen für die Abwehr auseinander. Er bezeichnet Keimbahnintervention und Klonen als »[…] weit gefährlicher […] als alles andere, was der Mensch bisher erfunden hat […].« (Spiegel, 12.11.2001) und nennt zahlreiche Argumente gegen die Technik. Zu den Gegengründen gehören beispielsweise die Verletzung der Menschenwürde, weil ein Einverständnis der zukünftigen Generationen nicht vorausgesetzt werden kann, die Zerstörung der »Gleichheit aller Menschen« als Fundament von Demokratie und Menschenrechten, und die Tiefe und Unumkehrbarkeit des Eingriffs: »Das Risiko eines Super-GAUs in der Keimbahn kann sich die Spezies Mensch jedoch nicht leisten: Radioaktivität klingt in Halbwertszeiten ab, Genmanipulationen vererben sich bis zum Jüngsten Tag.« (Spiegel, 12.11.2001)

In einigen wesentlichen Punkten – etwa einer Spaltung der Gesellschaft in natürliche und genverbesserte Individuen und die mögliche Entstehung einer neuen Menschenspezies – ähneln die Voraussagen Kekulés denen der Amerikaner. Anders als Stock und Silver hält Kekulé ein Verbot der Keimbahnintervention jedoch für möglich und fordert, das Recht auf unverändertes Erbgut in die Menschenrechte aufzunehmen. Als ein Beispiel dafür, dass das menschliche Genom nicht allein durch Konventionen, Deklarationen und Verbote zu schützen ist, führt Kekulé die Drei-Eltern-Kinder an, deren Schöpfer straffrei ausgegangen sei, weil die Methode in den USA nicht ausdrücklich verboten ist. Kekulé schlägt dagegen vor, z.B. die Menschenrechte der UNO um folgenden Text zu erweitern: »Jeder Mensch hat das Recht auf natürliches Erbgut. Niemand darf nachfolgende Generationen durch Eingriffe in die Keimbahn um dieses Recht bringen. Niemand darf auf Grund seiner Erbanlagen benachteiligt werden.« (Spiegel, 12.11.2001)

186 | Gesunde Gene Wie in der FAZ bietet der erste gentechnisch veränderte Affe ANDi auch im Spiegel einen Anlass zur Berichterstattung. Schon im Untertitel wird der Bezug auf eine Keimbahnintervention beim Menschen deutlich, das Experiment wird eingeordnet als »Probelauf für den Menschen nach Maß« (Spiegel, 15.01.2001). Auch hier wird die Unaufhaltsamkeit der neuen Technik betont: »Man wird nicht beim Primaten Halt machen«, prophezeit Paul Serhal, Reproduktionsmediziner am University College Hospital in London. »Das ist nur der Startschuss für die genetische Manipulation des Menschen in der Zukunft.« (Spiegel, 15.01.2001) Der Versuchsleiter Gerald Schatten von der Universität für Gesundheitswissenschaften in Oregon betont dagegen die Grenze zur Anwendung am Menschen mit Hinweis auf ein religiöses Verbot: ›»Gott verbietet, dass wir die Technik beim Menschen einsetzen«‹ (Spiegel, 15.01.2001). An den Primaten wolle er vielmehr menschliche Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson studieren. Dass der Erfolg des Eingriffs – der Affe ANDi entwickelte sich allem Anschein nach völlig normal – andere Forscher anregen könnte, die Technik auch beim Menschen auszuprobieren, mochte indes »selbst Schatten nicht ausschließen«. Ein anderer Reproduktionsmediziner wird mit der Aussage zitiert: »[…] Ich hätte überhaupt keine Probleme, ein gentechnisch verändertes Menschenbaby herzustellen« (Spiegel, 15.01.2001). Ähnlich unaufhaltsam erscheint die Keimbahnintervention angesichts der nur in einer kurzen Passage erwähnten Drei-Eltern-Kinder: »Die Keimbahn sei heilig, hatten uns die Mediziner immer lauthals versprochen«. Nun sei auch dieses Tabu gebrochen. Protestieren zwecklos. Denn was sind schon mahnende Worte »gegen das Lächeln eines Babys?« (Spiegel, 14.05.2001a) Die somatische Gentherapie rückt im Spiegel in der vierten Phase der Berichterstattung gegenüber der Debatte über den Gentransfer in die Keimzellen weit in den Hintergrund. Die unerfüllten Erwartungen in die somatische Gentherapie werden weiterhin gelegentlich erwähnt (20.03.2000, 10.04.2000a, 26.06.2000). Auch ein neues Experiment, der Beginn einer Gentherapie an Alzheimerkranken, wird in einer Meldung kurz dargestellt (Spiegel, 10.01.2000). Wie die FAZ greift der Spiegel den Tod Jesse Gelsingers auf, allerdings erst im Jahr 2001, in einer sehr emotionalen Reportage, in der die letzten Stunden des 18-Jährigen vor Beginn des Experimentes rekonstruiert werden. Verschiedene, auch bei der FAZ eingebrachte Elemente des Fehlverhaltens der Wissenschaftler fi nden sich in der Reportage wieder: Jesse Gelsinger hätte mit Medikamenten gute Überlebenschancen gehabt, er habe sich als Versuchsperson »für

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die Babys« (Spiegel, 14.05.2001b) zur Verfügung gestellt, ohne selbst einen Nutzen zu haben. Der Teenager wird als Opfer von Geld und Ruhmsucht beschrieben, nicht als Opfer der Gentherapie. Der Versuchsleiter James Wilson habe ein kommerzielles Interesse an dem Versuch gehabt und das Experiment durchgeführt, obwohl er Jesse beim Startpunkt des Experimentes aufgrund erhöhter Leberwerte nicht hätte teilnehmen lassen dürfen. Auch dass die behandelnden Ärzte Todesfälle bei einem Tierversuch verschwiegen, wird in dem Beitrag erwähnt. Nicht zuletzt geht der Artikel auf die fragwürdige Entscheidungsfi ndung der Ethik-Kommission ein und bringt die Zulassung in Zusammenhang mit der Reputation des berühmten Forschers. Als Konsequenz aus den Untersuchungen der Food and Drug Administration (FDA) wird das Verbot weiterer Versuche am Menschen an Wilsons Institut genannt, aber auch der Entschluss der um ihren Ruf fürchtenden American Society of Gene Therapy in Zukunft mehr Versuche an Affen zu verlangen. Die potentielle Gefährlichkeit der bei der Gentherapieforschung verwendeten Viren wird nur im Schlusssatz dieses Artikels angerissen, mit einer Bemerkung über Wilson, der nach dem Verbot der Gentherapieversuche an Menschen mit den Viren von Aids und Ebola übe. Fazit Phase IV In der vierten Phase erreicht die Auseinandersetzung um die Keimbahnintervention ihren vorläufigen Höhepunkt. Wie in der dritten Phase wird der Gentransfer in die Keimzellen vor allem auf das bestehende Tabu bzw. Zweifel an der Aufrechterhaltung des Tabus bezogen. Diverse Ereignisse – der Fehler des Europäischen Patentamtes, die Drei-Eltern-Kinder oder der erste gentechnisch veränderte Affe – werden in beiden Printmedien als Tabubruch markiert und zum Teil mit Hinweisen auf ein absichtsvolles Handeln verbunden, mit dem ethische Grenzen überschritten werden sollen. Auch die Vorhersage eines möglichen Positionswechsels der DFG oder die Darstellung der Arbeit der Enquete-Kommission »Recht und Ethik der modernen Medizin« in der FAZ sind in diesem Rahmen zu betrachten. Zu einem gewissen Grade zeigen sich Tendenzen einer Enttabuisierung. Sowohl Befürworter einer therapeutischen als auch einer optimierenden Nutzung der Keimbahnintervention kommen zu Wort. In beiden Presseorganen überwiegt jedoch nach wie vor deutlich die Ablehnung des Gentransfers in die Keimzellen. Anders als in den Texten zu den Gentransfer-Experimenten wird die Keimbahnintervention nicht allein unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten kritisiert, vielmehr beziehen sich die Argumente auf zum Teil weit reichende ethi-

188 | Gesunde Gene sche, soziale oder rechtliche Implikationen. Graumann (2002; 2003), die nur die Darstellung der Keimbahnintervention in verschiedenen Printmedien untersucht hat, kommt ebenfalls zu dem Schluss, einer leichten Enttabuisierung der Keimbahnintervention stehe weiterhin eine mehrheitliche Ablehnung der Option gegenüber. Die somatische Gentherapie rückt in der vierten Phase in den Hintergrund. In Artikeln zu dem Todesfall bei einem Gentransfer-Experiment werden die Ereignisse auf das Fehlverhalten der Wissenschaftler und deren ökonomische Interessen zurückgeführt. Zugleich werden Zweifel an der Regulationsfunktion der Ethik-Kommissionen laut. Die ursprünglich vorwiegend medizinisch kontextualisierte somatische Gentherapie wird in der vierten Phase erstmals mit einer möglichen militärischen Nutzung in Verbindung gebracht, weil die Viren, an denen die Gentherapeuten forschten, pathogener würden; die Assoziation wird allerdings nur in einem Artikel hergestellt. Die Verwendung gefährlicher Viren wird ansonsten lediglich im Zusammenhang mit den Plänen von Dr. Wilson, dem Versuchsleiter der Gelsinger-Studie, kurz erwähnt. Weiterhin wird die somatische Gentherapie jedoch auch unter positiven Vorzeichen betrachtet – so berichtet beispielsweise die FAZ von Erfolgen der Gentherapie, insbesondere bei der SCID-X1-Krankheit, und von der Hoffnung der Gentherapeuten auf weitere Fortschritte.

5.7 Resümee 5.7.1 Kontextualisierung In vielen der analysierten Beiträge, insbesondere zur somatischen Gentherapie, spielen wissenschaftsexterne Kriterien zur Beurteilung des Gentransfers in menschliche Zellen nur eine geringe Rolle. In Artikeln, welche eine Neukontextualisierung der Keimbahnintervention zeigen, wird dagegen ein Spektrum von Argumenten sichtbar, das nicht allein auf wissenschaftliche Kriterien bezogen ist. Stattdessen werden hier Aspekte aufgegriffen wie Autonomie und Menschenwürde, Verteilungsgerechtigkeit, Pflicht zum Handeln oder mögliche Grenzüberschreitung durch den Menschen. Versuche zur Umformulierung der Keimbahnintervention sind jedoch auf einen sehr kleinen Anteil von Beiträgen beschränkt, ebenso wie die entsprechenden Argumente. In den meisten der analysierten Artikel wird der Gentransfer in menschliche Keimzellen als Grenze dargestellt, indem entweder das Tabu der Technik bekräftigt oder Zweifel an der Aufrechterhaltung des Tabus

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geäußert werden. Die Keimbahnintervention wird so vor allem mit Blick auf die Möglichkeit der gesellschaftlichen Regulierung diskutiert, der Befürchtungen eines slippery slope entgegengestellt werden. In Artikeln zum somatischen Gentransfer sind solche Gesichtspunkte nahezu vollständig abwesend. Die somatische Gentherapie wird vor allem medizinisch kontextualisiert. Auch die Ernüchterung, die in den vorrangig von Akteuren aus der Wissenschaft angestoßenen Bilanzen zur somatischen Gentherapie zum Ausdruck kommt, bleibt auf ein mögliches medizinisches Potential der Technik bezogen. Etwaige Probleme des somatischen Gentransfers, wie z.B. Gendoping, Fehlverhalten von Ärzten oder mögliche militärische Nutzung, werden erst spät aufgegriffen. Die Skepsis gegenüber dem Gentransfer in menschliche Körperzellen ist nicht fundamentaler Natur, wie bei der Furcht vor Menschenzüchtung, sondern bezieht sich auf das Vorgehen einzelner Wissenschaftler und die Erfolgsaussichten der Experimente. Lediglich in der ersten Phase, in der erwünschte und unerwünschte Implikationen noch nicht durch eine wissenschaftliche Grenze getrennt sind, erscheint die Möglichkeit des Gentransfers in menschliche Zellen als ambivalent.

5.7.2 Vergleich zu den Thesen zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken Welche Übereinstimmungen und Abweichungen zeigt die qualitative Analyse in Bezug auf die beiden Thesen? Anders als in der Erosionsthese erwartet bleibt ein massiver Protest gegen die Option zu Beginn aus. Die mit den ersten, noch inoffiziellen Gentransfer-Experimenten eintretende prinzipielle Durchführbarkeit der Anwendung am Menschen führt in Deutschland nicht zur Initialzündung einer Kontroverse über die Technik. Ähnliches wiederholt sich in der vierten Phase in Bezug auf die Keimbahnintervention: Zwar werden Ereignisse wie die Drei-Eltern-Kinder oder der gentechnisch veränderte Affe ANDi sehr viel deutlicher als Tabubrüche markiert als die ersten, inoffiziellen Gentransfer-Experimente, dennoch sind sie kein Anlass für weit reichende Diskussionen über die Option.17 In Artikeln zur SloterdijkDebatte wird Verwunderung darüber deutlich, dass die technischen Fortschritte und Ankündigungen der Naturwissenschaftler im Ver17 | Das Echo ist zum Teil auch international verschieden. Während die Drei-Eltern-Kinder in den USA zunächst nur wenig mediale Aufmerksamkeit erregen, entzündet das Ereignis in der britischen Presse eine mediale Debatte (Harris 2001).

190 | Gesunde Gene gleich zu den umstrittenen Thesen des Philosophen viel geringere mediale Resonanz erfahren. Anders als angenommen, ist die Verfügbarkeit der Technik offenbar nicht immer der entscheidende Auslöser für eine Diskussion über ethische Werte. Auch in anderen Fällen, z.B. der embryonalen Stammzellforschung oder der Humangenomforschung, war die Ankündigung neuen Wissens oder neuer Techniken nicht der Grund für den Beginn der medialen Kontroverse (Weingart et al. 2008). Inwiefern zeigt sich in der medienöffentlichen Darstellung des Gentransfers in menschliche Zellen der in der Erosionsthese erwartete graduelle Rückgang des Widerstandes gegen die Option? In der Debatte um die Gentherapie werden verschiedene Grenzmarkierungen sichtbar, die unterschiedliche Bedeutung erlangen. Manche Grenzziehung, wie etwa die zwischen Mensch und Tier, wird nur bei vereinzelten Anlässen in Frage gestellt, beispielsweise bei Plänen für eine Genmanipulation an Schweinen in den achtziger Jahren oder bei dem ersten gentechnisch veränderten Affen im Jahr 2001. Das ist keineswegs selbstverständlich, entzündete sich doch an dem Klonschaf Dolly eine Medienkontroverse, welche u.a. die Übertragung der Technik auf den Menschen in den Mittelpunkt stellte (Weingart et al. 2008). Zentral ist in der medialen Darstellung der Gentherapie dagegen die Grenze zwischen Therapie und Optimierung, die unterschiedlich gesetzt wird. Zu Beginn, in der ersten Phase der Berichterstattung, bleibt sowohl die Aussicht auf eine mögliche Heilung von Krankheiten als auch die Manipulation von Eigenschaften des Menschen mit einem unspezifischen Konzept des Gentransfers in menschliche Zellen verbunden. Eine Grenze wird in dieser Zeit nur sehr selten markiert. Später bilden sich zwei deutlich unterschiedlich kontextualisierte Varianten heraus: Der somatische Gentransfer triff t nur auf wenig Widerstand 18, der Gentransfer in menschliche Keimzellen wird dagegen als Tabu belegt. Andere Studien bestätigen diese Zweiteilung der Wahrnehmung in der medialen Debatte (Bünger 1997: 126; Kipka und 18 | Auch in Dänemark erweist sich die somatische Gentherapie als sehr etabliert. Einer kleinen Gruppe schwer kranker Patienten, denen eine Gentherapie versprochen worden war, wird das Recht auf deren Durchführung zugesprochen – obwohl die ursprünglich geplanten Gentransfer-Versuche aufgrund wissenschaftlichen Fehlverhaltens des Versuchsleiters Lindkaer Jensen abgebrochen worden waren. Zwar wird erkannt, dass der Erfolg der Behandlung unsicher ist, dennoch wird gefordert, dass die Kranken die versprochene Therapie erhalten (Horst 2007).

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Putzker 1997: 182; Wichert 1997: 218ff ). Die Trennung zwischen Therapie und generationenübergreifender Intervention wird durch ein wissenschaftliches Konzept definiert. Die Annahme, dass der Widerstand gegen die Option graduell abnimmt, bestätigt sich nicht. Vielmehr ist die Veränderung der Sichtweise davon abhängig, dass eine wissenschaftliche Grenze berücksichtigt wird, mit der erwünschte und unerwünschte Implikationen der Technik voneinander getrennt werden. Über die Einführung der Grenze wird die ursprüngliche Ambivalenz gegenüber dem Gentransfer in menschliche Zellen aufgelöst. Hinterfragt wird dabei nicht das scheinbar trennscharfe Konzept der Differenzierung von Körperzellen- und Keimbahnintervention, sondern ob sich die Grenze angesichts der Fortschrittsdynamik wird halten lassen. Dieser Verlauf entspricht der Inkorporationsthese, nach welcher Widerstände zurückgehen, wenn sie in der Konzeption der Technik berücksichtigt werden. Gelegentlich wird sogar nur vermuteten Widerständen ein Einfluss auf die Technik zugesprochen. Beispielsweise wird die Verzögerung des Beginns von Gentherapie-Experimenten in Deutschland und die Wahl unverfänglicher Gentransfer-Methoden in einen engen Zusammenhang mit befürchteter öffentlicher Kritik gesetzt (s. S. 157). Insbesondere gegen Ende der dritten und in der vierten Phase zeigen sich Anzeichen des in der Erosionsthese vermuteten Verlaufs, wie eine Enttabuisierung der Keimbahnintervention und eine Differenzierung der auf die kontroverse Technik bezogenen Argumentation. Den wenigen Ansätzen zur Neukontextualisierung der Keimbahnintervention steht jedoch weiterhin breite Ablehnung gegenüber. In der Mehrzahl der Artikel wird die Stabilität der Grenze betont, indem die Option zurückgewiesen wird. Gelegentlich werden sogar Forderungen nach einem internationalen Bann laut. Ein Rückgang des Widerstandes kann nicht festgestellt werden. In den Argumentationen der Befürworter werden Bedenken gegenüber der Technik in unterschiedlichem Ausmaß berücksichtigt. In einigen Artikeln wird der Akzent auf die Trennung von therapeutischem und optimierendem Eingriff in die Keimbahn gesetzt, am deutlichsten wohl in der Diskussion der Bioethik-Konvention, welche zwischen Interventionen mit therapeutischen, diagnostischen und präventiven Zwecken und solchen zur Veränderung der Nachkommenschaft differenziert. Mehr oder weniger explizit wird auf der Grundlage der Absicht eine Unterscheidung vorgenommen, die nicht durch ein wissenschaftliches Konzept gestützt wird. Über die vorgeschlagene Grenze wird das Bemühen deutlich, unerwünschte Implikationen der Technik, etwa eine gentechnische Optimierung, auszuschließen.

192 | Gesunde Gene In anderen Fällen wird dagegen versucht, die Grenze zwischen Therapie und Verbesserung aufzulösen. Insbesondere amerikanische Wissenschaftler befürworten auch eine optimierende Anwendung der Keimbahnintervention. Widerstand wird nicht berücksichtigt, sondern ›wegargumentiert‹. Dazu dienen Verweise auf die Pflicht zur Behandlung, die Durchsetzungskraft von Elternwünschen oder die Bagatellisierung von Bedenken. Der Misserfolg der somatischen Gentherapie wird ebenfalls als ein Argument für die Keimbahnintervention umgedeutet. Mögliche negative Folgen, wie etwa eine Spaltung der Gesellschaft, werden zwar genannt, erscheinen jedoch ebenso unausweichlich wie die Nutzung der Technik selbst. Lediglich ein ethischer Einwand erscheint so gravierend, dass er in die technische Konzeption integriert werden soll: Die individuelle Autonomie der Nachkommen soll gewahrt werden, indem sie mittels eines Steuerungssystems über die Aktivierung der Veränderungen entscheiden können. Dieses Vorhaben wird nur in einem Artikel erwähnt, deutet aber, da es im Tierversuch schon angewandt wird, auf eine bedeutsame Anpassung an gesellschaftlichen Widerstand. Statt eine Grenze zu unerwünschten Implikationen aufzustellen, wird eine technische Lösung des Problems angeboten.

5.7.3 Assoziation mit dem Wert Gesundheit Nach der Einführung der Grenze zwischen Gentransfer in Körperund in Keimzellen wird die somatische Interventionsform rein medizinisch kontextualisiert. Mit der somatischen Gentherapie werden weit reichende Versprechen verknüpft, wie der Beginn einer neuen medizinischen Ära. Als Maßstab für den zukünftigen Erfolg der Option dienen, in den wenigen Artikeln, in denen solche Vergleiche angestellt werden, nicht die Prozesse langwieriger klinischer Studien, sondern Durchbrüche der Medizin, wie Impfung oder Organtransplantation. Das Spektrum der Krankheiten, die mit der neuen Methode geheilt werden sollen, ist nicht besonders spezifisch, sondern erstreckt sich über verschiedene Erb- und Volkskrankheiten. Andere als medizinische Risiken werden in Bezug auf die somatische Gentherapie kaum diskutiert. Auch die Ernüchterung richtet sich nicht gegen den somatischen Gentransfer, sondern bezieht sich auf das Ausbleiben der medizinischen Erfolge. Die Keimbahnintervention wird in der medialen Debatte dagegen zu keiner Zeit rein medizinisch kontextualisiert, obwohl auch hier zum Teil weit reichende therapeutische Versprechen gemacht werden und der Gentransfer in die Keimzellen in seltenen Fällen ebenfalls mit

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relativ unumstrittenen Verfahren, etwa Impfungen, analogisiert wird. Die Ausgangslage der erneuten Diskussion über die Keimbahnintervention in der dritten und vierten Phase unterscheidet sich jedoch in wesentlichen Punkten von der Debatte über die Gentherapie in den siebziger und achtziger Jahren. Ein wissenschaftliches Konzept, auf dessen Grundlage sich erwünschte und unerwünschte Konsequenzen trennen lassen, existiert nicht. Das Zurückbleiben der somatischen Gentherapie hinter den medial aufgebauten Erwartungen macht die Glaubwürdigkeit neuerlicher Versprechen der Wissenschaftler in puncto Keimbahntherapie fragwürdig. Nicht zuletzt handelt es sich bei der Keimbahnintervention – anders als bei der somatischen Gentherapie – um eine Option, die bereits als eine Grenze markiert worden ist, welche nicht überschritten werden sollte. Unter diesen Bedingungen werden zwei verschiedene Ansätze einer möglichen Neudefinition der Grenze sichtbar. Der eine ähnelt der Unterscheidung von somatischer und Keimbahntherapie insofern, als hier durch die Beschränkung auf medizinische Ziele eine Trennung erwünschter und unerwünschter Folgen anvisiert wird, ohne dass in gleicher Weise zwischen zwei markanten Konzepten differenziert werden kann. Der zweite setzt sich über die Unschärfe einer solchen Unterscheidung hinweg, indem bestimmte Konsequenzen, wie beispielsweise die Verbesserung menschlicher Eigenschaften, als Folge der Implementation vorausgesetzt werden.

6. Diskussion

6.1 Gentherapie-Debatte und Modelle wissenschaftlicher Öffentlichkeit In diesem Teil der Diskussion wird die mediale Debatte der Gentherapie zwischen zwei Modellen wissenschaftlicher Öffentlichkeit verortet, die Gerhards und Schäfer (2006: 239-246) unterscheiden. Das erste Modell basiert auf Vorstellungen, die im Rahmen des Programms Public Understanding of Science entwickelt wurden. Es wird von den Autoren als das wissenschaftsdominierte Konzept eingeführt, dessen grundlegendes Kennzeichen es ist, dass Ereignisse aus der Wissenschaft allein nach wissenschaftlichen Relevanzkriterien vermittelt werden sollen. Über die Erhöhung des Wissensstandes der Bevölkerung soll dabei indirekt auch eine größere Akzeptanz wissenschaftlicher Entwicklungen erreicht werden.1 Eine gesellschaftliche Kontroverse über wissenschaftliches Wissen ist dagegen nicht erwünscht. Auf der anderen Seite steht das Konzept einer gesellschaftlich kontextualisierten2 wissenschaftlichen Öffentlichkeit, das sich nicht zuletzt durch die 1 | Zu diesem so genannten Defizit-Modell s. S. 39. 2 | In der vorliegenden Studie umfasst der Begriff der Kontextualisierung den gesamten Prozess der gesellschaftlichen Verortung wissenschaftlichen Wissens, unabhängig davon, ob die Gesellschaft in der Debatte stark oder schwach repräsentiert ist. Auch eine primär wissenschaftliche Einordnung ist demnach eine Kontextualisierung und – in einer (medien-)öffentlichen Debatte – das Ergebnis einer gesellschaftlichen Verortung des Wissens. Gerhards und Schäfer beziehen sich mit ihrem Kontextualisierungsbegriff dagegen nur auf den Teilbereich eines normativen Modells partizipativer Öffentlichkeit. Gesellschaftlich kontextualisiert

196 | Gesunde Gene Kritik am Modell des Public Understanding of Science entwickelt hat. Das Modell gesellschaftlich kontextualisierter Öffentlichkeit beruht auf der Vorstellung, dass Wissenschaft eine breite gesellschaftliche Legitimation benötigt und es zu begrüßen ist, wenn eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure an der öffentlichen Auseinandersetzung über wissenschaftliche Optionen teilnimmt.3 Welchem der beiden Modelle entspricht die mediale Debatte über die Gentherapie?4 Zwar sind die Parameter, die in dieser Studie erhoben wurden, indirekter als jene, die von Gerhards und Schäfer (2006) verwendet werden.5 Sie ermöglichen jedoch eine erste Einschätzung, bei der sich folgendes Bild ergibt: Einerseits ist der Stellenwert der Wissenschaft in der medialen Debatte hoch – die Wissenschaft hat als einzelner Bereich die größte Definitionsmacht über die Entwicklung. Andererseits zeigt sich, dass insgesamt ein großer Anteil gesellschaftlicher Anlässe und Themen in der Debatte aufgegriffen wird.6 Die journalistischen Stilformen verweisen dagegen eher auf eine primär tatsachenorientierte Berichterstattung. Die Aussage, dass insbesondere potentiell kribedeutet hier, dass die Gesellschaft in einem relevanten Ausmaß an der öffentlichen Diskussion beteiligt ist (Gerhards und Schäfer 2006: 243ff ). 3 | Die Ansätze dieses Modells gehen nach Gerhards und Schäfer (2006: 244) auf das Modell Public Engagement with Science and Technology und ähnliche Modelle partizipativer Wissenschafts- und Technikbewertung zurück. 4 | Um Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass es im Folgenden nur um die Annäherung an Idealtypen wissenschaftlicher Öffentlichkeit geht. Eine vollständige Übereinstimmung mit den vorgeschlagenen Modellen ist tatsächlich kaum möglich. So hat sich z.B. auch in dieser Studie gezeigt, dass die Voraussetzungen wissenschaftlichen Wissens häufig nicht kommuniziert werden. Das konterkariert die Vorstellung des klassischen Popularisierungsmodells, wissenschaftliches Wissen könne unverändert »transportiert« werden (eine Vorstellung, die sich auch für die innerwissenschaftliche Kommunikation als ungeeignete Beschreibung erweist, s. Hilgartner 1990). 5 | Ein genauer Vergleich der gemessenen Parameter erfolgt in Voß (2007). 6 | In der FAZ entfallen 221 Anlässe auf naturwissenschaftliche Akteure. Auf die verschiedenen Akteure der Gesellschaft (Politik, Medien, Recht, Wirtschaft, Kirche, Theologie, Philosophie, Soziologie, soziale Organisationen, Protestgruppen, Betroffene, Andere) gehen 198 Beiträge zurück. Im Spiegel gibt der Akteur Naturwissenschaft Anlass zu 75 Beiträgen, die Akteure der Gesellschaft zu 45 Artikeln.

Diskussion | 197

tische Gruppen die Berichterstattung nur zum geringen Teil prägen7, ist jedoch eine wichtige Einschränkung. Trotz des hohen Anteils von Akteuren der Gesellschaft zeigt sich hier eine deutliche Abweichung zum Idealtypus des Modells gesellschaftlich kontextualisierter Öffentlichkeit, die verdeutlicht, dass es nicht nur um die rein quantitative Anzahl der Akteure geht, sondern auch wesentlich ist, welche Akteure repräsentiert sind und welche nicht.8 Z.B. bewerten in der Berichterstattung zur Humangenomforschung zivilgesellschaftliche Gruppen die Forschungsrichtung deutlich negativer als Akteure aus der Wissenschaft, Politik oder Wirtschaft (Gerhards und Schäfer 2006).9 In der medialen Debatte über die Gentherapie sind Kennzeichen beider Konzepte vorhanden, eine Zuordnung zu einem der beiden Idealtypen gestaltet sich schwierig. Es erscheint daher sinnvoll, die möglichen Typen wissenschaftlicher Öffentlichkeit weiter zu differenzieren. So ist zwischen den Idealtypen ein Kontinuum denkbar, in dem sowohl die Dominanz der Wissenschaft als auch die gesellschaftliche Kontextualisierung von sehr ausgeprägt bis nur gering ausgeprägt changieren können. In der medialen Debatte über die Humangenomforschung ist beispielsweise die Dominanz der Wissenschaft sehr stark, der Anteil der Wissenschaft überwiegt in allen Punkten die gesellschaftliche Kontextualisierung bei weitem (Gerhards und Schäfer 2006: 246-251). Die medienöffentliche Diskussion der Stammzellforschung ist dagegen ein Beispiel für das andere Ende des Spektrums, in welchem die gesellschaftliche Kontextualisierung eine größere

7 | Einer Umfrage des Magazins chrismon (2006: 9) zufolge wünschen sich 66 % von 1006 Befragten, die Kirche möge sich einmischen, wenn gentechnische Versuche am Menschen erlaubt werden. Nur beim Thema Sterbehilfe ist dieser Wert noch höher (68 %). 8 | Welche Rolle Akteure mit kritischen Positionen einnehmen können, illustriert eine Fallstudie zur Darstellung transgener Kühe in finnischen Medien: Erst nach Gründung der ersten Nicht-Regierungsorganisation Finnlands zu Risiken der Gentechnik im Jahr 2000 wurden Aspekte wie das Leiden der Tiere, Unsicherheiten der Methode oder das Risiko missgebildeter Tiere in die mediale Diskussion aufgenommen, die zuvor als rein wissenschaftlich-ökonomische Fortschrittsdebatte gestaltet war (Väliverronen 2004). 9 | Wissenschaftlich-medizinische Deutungen sind auch in den Aussagen von Akteuren der Zivilgesellschaft dominant, erst in zweiter Linie beziehen sie sich auf ethisch-soziale Deutungen, dies allerdings stärker als die meisten anderen Akteure (Gerhards und Schäfer 2006: 146ff ).

198 | Gesunde Gene Rolle spielt als die wissenschaftliche Dominanz (Schäfer 2007).10 Die mediale Debatte der Gentherapie wäre dann, den vorliegenden Daten zufolge, zwischen diesen beiden Polen zu verorten, also intermediär zwischen den beiden Modellen angesiedelt. Es ist zu vermuten, dass die Berichterstattung zerfällt in einen Teil, der eher dem Modell wissenschaftsdominierter Öffentlichkeit entspricht, und einen anderen Teil, der eher mit dem Modell gesellschaftlich kontextualisierter Öffentlichkeit übereinstimmt, so dass die Debatte auf dem Kontinuum insgesamt eine mittlere Position einnimmt.11 In Bezug auf die Konzepte wissenschaftlicher Öffentlichkeit lässt sich anhand dieser ersten Einschätzung der Gentherapie-Debatte Folgendes schlussfolgern: Wie von Gerhards und Schäfer bereits vermutet (2006: 251), entsprechen nicht alle medialen Debatten über Wissenschaft dem Modell wissenschaftsdominierter Öffentlichkeit.12 Es erscheint sinnvoll, mediale Debatten nicht nur anhand der Idealtypen zu unterscheiden, sondern auch nach dem Grad der Dominanz der Wissenschaft respektive der gesellschaftlichen Kontextualisierung. Im Falle der Gentherapie ist die mediale Darstellung, soweit dies auf Grundlage der vorhandenen Daten zu erkennen ist, zwar auch gesellschaftlich kontextualisiert, der Stellenwert der Wissenschaft ist jedoch weiterhin hoch. Andere Kontroversen, wie etwa die Diskussion über die Stammzellforschung, in denen die gesellschaftliche Kontextualisierung den Stellenwert der Wissenschaft überwiegt, entsprechen dem Idealtypus gesellschaftlich kontextualisierter Öffentlichkeit sehr viel stärker. Die verschiedenen Fälle wissenschaftlicher Kommunikation in der Öffentlichkeit werden daher vermutlich besser mit einem

10 | Möglicherweise liegt die Debatte über das Klonen, an der sich nur wenige Wissenschaftler, aber viele Politiker beteiligten (Weingart et al. 2006) sogar noch weiter in Richtung des gesellschaftlich kontextualisierten Konzepts. 11 | In Bezug auf Themenkomplexe und Akteure zeigt sich in der ersten und dritten Phase eine Tendenz zu einer eher wissenschaftsorientierten Berichterstattung. In der zweiten und insbesondere in der vierten Phase scheint dagegen die gesellschaftliche Kontextualisierung stärker zu sein. 12 | Unterschiede zwischen verschiedenen Debatten, so nehmen Gerhards und Schäfer (2006: 251) an, hängen davon ab, ob die Gegner einer Option Deutungen finden, die kulturell anschlussfähig sind. Bei der Gentherapie besteht diese kulturelle Anschlussfähigkeit z.B. im Hinblick auf Schreckensvisionen des genmanipulierten Menschen.

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Kontinuum zwischen den genannten Idealtypen erfasst, welches das Ausmaß der gesellschaftlichen Kontextualisierung berücksichtigt.

6.2 Erosion oder Inkorporation? Im Folgenden werden verschiedene Aussagen der Erosionsthese zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken anhand der empirischen Ergebnisse diskutiert. Die Aufmerksamkeit richtet sich darauf, welche Übereinstimmungen und Abweichungen sich im Hinblick auf das antizipierte Ablaufschema feststellen lassen. Zugleich wird überprüft, inwiefern sich die Ergebnisse mit der alternativen These der Funktionalität gesellschaftlicher Widerstände in Einklang bringen lassen.

6.2.1 Je näher die Verfügbarkeit der Technik, desto mehr werden die Widerstände relativiert Im Hinblick auf die gesellschaftliche Integration einer neuen Technik wird dem Übergang von der Utopie oder Zukunftsvision zur Machbarkeit eine weit reichende Bedeutung zugeschrieben. Grundgedanke ist, dass Widerstände, vor allem gegen eine medizinische Technik, nur so lange aufrechterhalten werden, wie eine Verwirklichung in weiter Ferne scheint. Sobald die Technik verfügbar sei, erfolge ihre Implementation in kleinen Schritten, an die man sich gewöhnen könne. Diese Idee prägt sowohl die Vorstellungen von Weingart und van den Daele (s. 1.1) als auch mediale Bezüge auf eine vermeintliche Unaufhaltsamkeit einer Einführung der Technik. Wie die Abfolge von Euphorie und Ernüchterung bei der Gentherapie zeigt, ist häufig jedoch schwer zu entscheiden, wann eine Technik noch in den Bereich der Zukunftsvision gehört und ab wann begründet von der Realisierbarkeit einer Option gesprochen werden kann. Dies gilt umso mehr, weil sich Utopien in der Regel nicht auf die tatsächliche technische Verfügbarkeit der Option richten, sondern auf erwartete Effekte, z.B. erweiterte therapeutische Möglichkeiten oder grundsätzliche Veränderungen des menschlichen Charakters. Utopie und technische Machbarkeit sind nicht exakt voneinander zu trennen.13 Der Übergang von der Utopie zur Machbarkeit ist eher ein gradueller Prozess. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Untersuchung der 13 | Nach Lemke (2002: 406) sind in Bezug auf biomedizinische Optionen »Fiktionen […] Voraussetzung und Element der Faktenproduk-

200 | Gesunde Gene medialen Debatte des Gentransfers in menschliche Zellen einsetzt, ist der Scheitelpunkt rein utopischer Vorstellungen schon überschritten. Die Realisierbarkeit scheint jedoch noch in so weiter Ferne, dass visionäre und faktische Elemente nebeneinander existieren, ein Merkmal, das in der medialen Debatte im Prinzip bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes besteht.14 Die mediale Darstellung der Gentherapie zeigt daher nicht den in der Erosionsthese vermuteten Übergang der Diskussion von Utopien bzw. Dystopien zur Debatte über konkrete Schritte der Technikimplementation. Vielmehr können visionäre Anteile über lange Zeiträume fortbestehen, wie etwa Bezüge auf eine gentechnische Optimierung des Menschen. Auf diese in der Regel negativ besetzte Option wird in allen drei untersuchten Jahrzehnten der Berichterstattung hingewiesen, was nicht auf eine Gewöhnung an die unerwünschten Implikationen der Technik schließen lässt. Lediglich die wenigen Vorstöße derer, die auch eine gentechnische Optimierung des Menschen befürworten, geben einen Eindruck davon, dass sich diese Voraussetzung in Zukunft ändern könnte. Für die Funktionalitätsthese ist der Wechsel von der Utopie zur tatsächlichen Implementation nicht entscheidend, weil eine Anpassung der Option an gesellschaftliche Widerstände zu verschiedenen Zeitpunkten erfolgen kann, auch im Stadium der Vision. Die Differenzierung zwischen somatischer Gentherapie und Keimbahnintervention in den 80er Jahren, noch vor den ersten offiziell legitimierten Gentransfer-Versuchen, lässt sich als eine solche Anpassung der Vision verstehen. Dieser Beitrag des gesellschaftlichen Widerstandes zur Ausgestaltung der Visionen erscheint in der medialen Debatte deutlich wichtiger als eine allmähliche Gewöhnung an die neue Technik.

tion. […] Es ist daher fraglich, ob sich Hypothese und Realität, Hybris und Forschungsalltag tatsächlich […] sauber voneinander trennen lassen.« 14 | Mehrere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass in Debatten über Biomedizin ein Nebeneinander von fact und fiction besteht, die Vermischung beider Ebenen zeigt sich beispielhaft auch in den verwendeten Metaphern (Liakopoulos 2002; Nelkin 1994; Petersen et al. 2005; van Dijck 1998).

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6.2.2 Nach anfänglichem massiven Protest geht die Kontroversität der Technik im Verlauf der Debatte graduell zurück Obwohl viele Elemente noch visionär oder utopisch anmuten, ist der Widerstand zu Beginn der Diskussion keinesfalls so groß, wie der Erosionsthese zufolge zu erwarten wäre. Die erwartete moralische Entrüstung (Weingart 2000; 2005b) findet nicht statt.15 Das Ausbleiben massiver Widerstände zu Beginn wird auch in Bezug auf Debatten über andere biomedizinische Techniken konstatiert, z.B. im Hinblick auf die mediale Diskussion über Stammzellen oder Humangenomforschung (Weingart et al. 2008). Langzeitanalysen zur medialen Darstellung der Gentechnologie deuten ebenfalls nicht auf einen besonders großen Protest zu Beginn der Debatte, d.h. in den siebziger Jahren, sondern vielmehr auf eine stark wissenschaftsorientierte und vom Fortschrittsgedanken geprägte Berichterstattung (Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998). Einzig in der Debatte über die Möglichkeit des Klonens ist zu Beginn einer intensiveren Berichterstattung im Jahr 1997 ein massiver und einhelliger Widerstand festzustellen (Weingart et al. 2008). In der qualitativen Analyse der Gentherapie-Debatte stellte sich heraus, dass die erste Phase der Berichterstattung durch eine ambivalente Perspektive auf die wissenschaftliche Innovation gekennzeichnet ist, nicht durch besonders starken Protest gegen die Option.16 Auch 15 | Selbst zu einem Zeitpunkt, zu welchem die Technik aus heutiger Sicht nahezu vollständig utopisch erscheint, nämlich zur Zeit des Ciba-Symposiums 1962, unterscheidet sich das Ausmaß des Protestes in verschiedenen Ländern. In Deutschland überwiegt die Ablehnung, in den USA steht man der Veranstaltung dagegen deutlich positiver gegenüber. Auch in Deutschland ist dabei kein gradueller Rückgang der Konflikthaftigkeit zu verzeichnen, vielmehr zeigen sich bis in die Gegenwart heftige Reaktionen gegen das Symposium (Heumann 2006, 2008). Dass technische Innovationen in den USA leichter assimiliert werden als in Deutschland, ist gemäß einer Studie zu Einstellungen gegenüber der Lebensmittelbiotechnologie auf kulturelle Unterschiede bezüglich der Wertschätzung der Natur und der Wichtigkeit von Vertrauen zurückzuführen (Peters et al. 2007). 16 | Ambivalenzen dieser Art werden auch in anderen medialen Debatten über Humangenetik beobachtet, bei denen die Diskussionen in ähnlicher Weise in einen »discourse of great promise« und »discourse of concern« geteilt sind (zitiert aus Durant et al. 1996: 241; s. auch Nerlich

202 | Gesunde Gene die quantitativen Befunde zur dargestellten Konflikthaftigkeit der Option deuten nicht auf besonders großen Protest in der ersten Phase.17 Diese verhaltene Darstellung ist vor dem Hintergrund besonders bemerkenswert, dass das Cline-Experiment von 1980 (s. 5.3) in den USA eine breite gesellschaftliche Debatte ausgelöst hat, die von den Medien angestoßen wurde und zu regulativen Prozessen führte (Martin 1998; Martin 1999). Das Ausbleiben größerer Widerstände erstaunt auch in Bezug darauf, dass das erste nicht offiziell legitimierte Experiment 1970 in Deutschland stattfand und Gegenstand innerwissenschaftlicher Kritik war (Friedmann 1990: 177; Paslack 1995: 69f). Die Voraussagen der Erosionsthese beziehen sich nur auf grundsätzliche ethische Widerstände gegen die neue Option. Die Möglichkeit, dass im Verlauf der Debatte weitere Widerstände auftreten können, wird nicht betrachtet. Tatsächlich treten Widerstände jedoch nicht nur zu Beginn der medialen Debatte in Erscheinung, sondern auch zu späteren Zeitpunkten, etwa, wenn konkrete Probleme sichtbar werden, die zuvor nicht bedacht wurden. Ein Beispiel ist das in beiden untersuchten Medien erst relativ spät aufgegriffene Problem des Gendoping, d.h. der gentechnisch gesteigerten Leistungsfähigkeit von Athleten. Diese neu auftretenden Konfliktpunkte bedeuten nicht unbedingt fundamentalen Widerstand gegen die Option, sondern können z.B. regulative Fragen der Anwendung betreffen. Die differenzierte Argumentation zur Keimbahnintervention in der vierten Phase ist jedoch ein Beispiel dafür, dass selbst fundamentale Bedenken, etwa über eine Spaltung der Menschheit, erst zu einem späten Zeitpunkt in die Debatte eingeführt werden können. Durch den technischen Fortschritt selbst können zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls neue, auch fundamentale Fragen aufgeworfen werden. Die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse zur Reprogrammierung adulter et al. 2002; Smart 2003). Nach Lemke (2002: 406, Hervorh. im Original): »Die neue Genetik lebt von Hoff nungen und Erwartungen und der gleichzeitigen Produktion von Ängsten und Unsicherheiten. Sie etabliert einen produktiven Zirkel, der Angst und Hoffnung miteinander verklammert […]«. Der »discourse of great promise« überwiegt jedoch meist den »discourse of concern« (s. z.B. Durant et al. 1996). 17 | Zwar überwiegt in der FAZ in der ersten Phase der Anteil von Artikeln, in denen die Option konflikthaft dargestellt wird. Das Verhältnis konflikthafter zu wenig konflikthaften Artikeln ist jedoch nicht größer als in der zweiten oder vierten Phase. Darüber hinaus beruht dieses Verhältnis in der ersten Phase nur auf sehr geringen Unterschieden der absoluten Beitragszahlen.

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Zellen, d.h. zum Zurückversetzen ausdifferenzierter Körperzellen in den Embryonalzustand, stellen den bisherigen Begriff der Keimbahn in Frage und bringen neue ungelöste und gravierende Problemfelder und ethische Implikationen mit sich, die noch nicht in vollem Ausmaß abzusehen sind (s. 6.2.3). Nach Schmidt (1995) treten im ethischen Diskurs in verschiedenen Phasen verschiedene Argumente in den Vordergrund, so dass die Debatte nicht linear, sondern eher in Form einer Spirale verläuft. Dabei können auch schon beantwortete Fragen erneut beantwortungsbedürftig werden, wenn sich die Situation neu gestaltet. Eine Option kann so im Verlauf der Debatte nicht nur weniger konflikthaft, sondern auch kontroverser werden. Obwohl die erwarteten massiven Widerstände zu Beginn ausbleiben, lässt sich im Zeitverlauf eine Veränderung der Kontextualisierung in Richtung geringerer Kontroversität feststellen (s. 4.5). Anders als die Erosionsthese vorhersagt, verläuft der Rückgang der Konflikthaftigkeit nicht graduell, vielmehr bleibt die geringe Konflikthaftigkeit nur auf eine Phase beschränkt. Wie die Analyse zeigt, wird die ursprüngliche Ambivalenz des Gentransfers in menschliche Zellen mit der Trennung der beiden Gentherapie-Varianten neu gefasst und klarer abgegrenzt.18 Von der somatischen Gentherapie und der Keimbahnintervention werden deutlich unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche Kontextualisierungen entworfen.19 Wie es mit der These der Funktionalität von Widerständen übereinstimmt, geht die Kontroversität der Option zurück, nachdem durch die Trennung von somatischer Gentherapie und 18 | In anderen Studien zu medialen Debatten über Humangenetik (s. S. 201, Fußnote 16) wird dagegen keine Auf hebung der Ambivalenz über die Zeit festgestellt, allerdings werden in der Regel auch wesentlich kürzere Zeiträume untersucht als in der vorliegenden Analyse. 19 | Ein ähnlicher Prozess zeigt sich in Bezug auf die Möglichkeit des Klonens, bei welchem therapeutisches und reproduktives Klonen unterschieden werden, eine Differenzierung, die auch in medialen Debatten präsent ist (Petersen 2001; Weingart et al. 2007). Vergleichbar der Gentherapie geht die Bezeichnung des so genannten therapeutischen Klonens einem tatsächlichen Therapieerfolg voraus. Anders als beim Gentransfer in menschliche Zellen ist die Ablehnung des Klonens jedoch auch nach der erfolgten Grenzziehung noch nahezu einhellig. Einzelne Befürworter setzen sich allerdings mit Hinweis auf das therapeutische Klonen gegen einen internationalen Bann des Klonens ein (Weingart et al. 2007). Darüber hinaus wird seitens der Wissenschaftler offenbar versucht, das therapeutische Klonen umzubenennen, der neue Begriff ist »nuclear transplantation therapy« (Schwägerl 2002).

204 | Gesunde Gene Keimbahnintervention gesellschaftliche Widerstände in der Konzeption berücksichtigt worden sind. Die Keimbahnintervention, in deren Konzeption gesellschaftliche Widerstände bisher nicht berücksichtigt werden, bleibt durchgängig hoch konflikthaft.

6.2.3 Im Verlauf der gesellschaftlichen Integration der Technik werden bestehende ethische Werte neu bestimmt Inwieweit bedeutet die festgestellte Veränderung der Sichtweise auf den Gentransfer in menschliche Zellen eine Veränderung fundamentaler Werte? Um diese Frage zu beantworten, ist es hilfreich, auf die eingangs eingeführte Unterscheidung zwischen der Gültigkeit der Werte und ihrem Geltungsbereich zurückzukommen (s. S. 17). Zwar lässt sich auch die somatische Gentherapie in Bezug auf Werte hinterfragen, die Gültigkeit besitzen, beispielsweise in Bezug darauf, ob solch ein Eingriff in die Natur des Menschen legitim ist oder eine Grenzüberschreitung darstellt (vgl. Schmidt 1995). Die somatische Gentherapie wird jedoch relativ wenig diskutiert, sondern nur in Abgrenzung zur Keimbahnintervention als ethisch vertretbar entworfen. Ein eigenes Feld, in dem verschiedene Aspekte des somatischen Gentransfers in größerer Tiefe beleuchtet werden, etabliert sich nicht. Gesichtspunkte, die nicht allein auf medizinisch-wissenschaftliche Risiken verweisen, bleiben auf Befürchtungen einer möglichen Unaufhaltsamkeit der unerwünschten genetischen Verbesserung, also auf Befürchtungen eines slippery slope, begrenzt. Erst spät kristallisieren sich medienöffentlich einzelne Probleme heraus, die auch die somatische Gentherapie betreffen, etwa Gendoping oder mögliches Fehlverhalten der behandelnden Ärzte. Über den Geltungsbereich der Werte werden in Bezug auf den somatischen Gentransfer kaum Aussagen getroffen. Da sich die mediale Debatte mit Werten wie etwa der Legitimität des Eingriffs in die Natur nicht explizit auseinandersetzt, bleibt unklar, ob in Bezug auf diesen Wert überhaupt eine Veränderung der Sichtweise stattgefunden hat oder ob die Option in dieser Hinsicht von vornherein unumstritten war. Bayertz (1995: 287) zitiert die Auseinandersetzung mit der somatischen Gentherapie als ein Beispiel, welches zeigt, dass die ethische Reflexion dem technischen Fortschritt vorauseilen kann. Im Hinblick auf die mediale Diskussion, die ethische Gesichtspunkte in Bezug auf diese Option nur in geringem Maße widerspiegelt, kann diese Behauptung nicht unterstützt werden.20 Nichtsdestotrotz benötigten die 20 | In verschiedenen politischen Gremien wird die somatische Gen-

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ersten Gentherapieversuche einen langen Vorlauf, von 1970 an gerechnet sind 19 Jahre bis zum ersten offiziellen Gentransfer-Experiment vergangen. Im Verhältnis zur Stammzelldebatte, bei der schon etwa ein Jahr nach dem Einsetzen einer intensiven medialen Diskussion der Import embryonaler Stammzellen unter bestimmten Auflagen erlaubt wurde, ist dies ein ausgesprochen langer Zeitraum. Im Zusammenhang mit der Keimbahnintervention wird, insbesondere in den Jahren 2000 und 2001, auch der Geltungsbereich verschiedener Werte diskutiert. In den Vorstößen zur Neuformulierung der Keimbahnintervention ist der Versuch erkennbar, die betroffenen fundamentalen Werte neu zu kontextualisieren. Die Ansätze zur Neudefinition finden jedoch keine breite Basis, so dass in Bezug auf die Keimbahnintervention ebenfalls nicht von einer Neubestimmung der betroffenen Werte gesprochen werden kann.21 Die festgestellte Veränderung der Sichtweise beruht weniger auf einer Neubestimmung der fundamentalen Werte als vielmehr auf der Auflösung der ursprünglichen Ambivalenz, die sich in der Trennung und deutlich unterschiedlichen Kontextualisierung der beiden Gentherapie-Varianten niederschlägt. Der in der Erostionthese vorgeschlagene Verlauf – von einer kontroversen Idee zur alltagsnahen Handlungspraxis – ist daher bisher nur partiell realisiert. Durch die Trennung in somatische Gentherapie und Keimbahnintervention wird der Gentransfer in menschliche Zellen zwar insgesamt rekontextualisiert, dies resultiert in Bezug auf die Keimbahnintervention jedoch gerade nicht in einer geringeren Kontroversität. In Postulaten der Unaufhaltsamkeit einer neuen, ethischen Widerständen begegnenden Technik wird oft eine Entwicklung der Akzeptanz vorausgesetzt, bei der die Einführung einer begrenzten, ethisch unbedenklichen Variante den Boden für den nächsten, zunächst noch kontroversen Schritt bereitet. Anders als erwartet, hat aber die Einführung der somatischen Gentherapie – aufgrund der bisher nur geringfügigen Erfolge – eine Veränderung der Sichtweise auf die Keimbahnintervention nicht begünstigt. Vielmehr muss die Erfolglosigkeit der somatischen Gentherapie von den Befürwortern erst zu einem Argument für die Keimbahnintervention umgedeutet therapie dagegen schon früh auch unter ethischen Gesichtspunkten betrachtet (s. 2.4). 21 | Mit einer Ausnahme – dass die Keimbahnintervention als ethisch nicht vertretbar gilt und gesetzlich verboten wird, lässt sich als Neuschaffung einer Norm betrachten, die sich darin bestätigt, dass Verstöße gegen dieses Tabu deutlich markiert werden (s. 5.6).

206 | Gesunde Gene werden (s. 5.5). Statt einer oft implizit vorausgesetzten linearen Technikentwicklung zeigt sich hier eine Dynamik früher Versprechen und nachfolgender Enttäuschung. Diese ist auch für andere mediale Diskussionen über biomedizinische Optionen einzukalkulieren, nicht zuletzt, weil der Druck auf die Forscher hoch ist, praktisch anwendbare Ergebnisse zu versprechen, um Legitimation zu gewinnen und Finanzierungsquellen zu erschließen. Die Aussagen der Erosionsthese zur Neubestimmung der Werte sind zeitlich nicht prognostisch, ob die Veränderungen in zehn oder in hundert Jahren auftreten, wird nicht spezifiziert. Daher kann nicht abschließend beantwortet werden, ob die Keimbahnintervention in Zukunft als weniger konflikthafte Option oder gar alltägliche Handlungspraxis betrachtet werden wird. Für die Annahme, dass die Konflikthaftigkeit der Keimbahnintervention sinken wird, sprechen Versuche, diese stark tabuisierte Option schon relativ bald nach der Einführung der Grenze neu zu kontextualisieren und die bestehenden Widerstände umzudeuten (s. 5.5 und 5.6). Dies hat bis zum Jahr 2001 jedoch nicht zu einer Änderung des Status quo geführt. In beiden Printmedien kommen zwar auch in späteren Jahren Befürworter der Keimbahnintervention zu Wort. Der Personenkreis der in der medialen Diskussion sichtbaren Befürworter hat sich bis zum Jahr 2009 aber nicht ausgeweitet. Es handelt sich im Wesentlichen um diejenigen, welche sich auch in den Jahren zuvor für die Technik ausgesprochen haben. Damit setzt sich die in den Jahren 2000 und 2001 festgestellte Tendenz zur Enttabuisierung der Keimbahnintervention fort, erlangt jedoch nicht mehr den Impetus wie zuvor. Auch vor dem Hintergrund, dass der Anteil von Artikeln zur Keimbahnintervention nach 2001 deutlich gesunken ist, erscheint es nicht gerechtfertigt, von einer verstärkten Enttabuisierung des traditionellen Konzepts der Keimbahntherapie auszugehen. Für die Annahme, dass das Tabu bestehen bleibt, spricht, dass die Keimbahnintervention weiterhin auf breiter Basis abgelehnt wird (s. 5.6). Gentechnische Veränderungen der Keimbahn werden bei entsprechenden Gelegenheiten, wie in Bezug auf das EU-Patent, den gentechnisch veränderten Affen oder die Drei-Eltern-Kindern, deutlich als Normverstoß markiert (s. 5.6).22 In den Jahren nach 2001 wird 22 | Auch die in den Medien häufig verwandten slippery-slope-Argumente verweisen nicht automatisch auf die zukünftige Veränderung der Sichtweise gegenüber der Option, wie gelegentlich angenommen wird (Weingart 2000; 2005b; 2006; Weingart et al. 2007). Warnungen vor einer schiefen Ebene machen vielmehr nur Sinn, wenn eine Regulierung

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die Keimbahnintervention weiterhin in mehr Artikeln abgelehnt als befürwortet. Eine Neubestimmung der Werte in Bezug auf die Keimbahnintervention lässt sich in der deutschen medialen Debatte der vergangenen Jahre diesbezüglich nicht erkennen. Eine Rekontextualisierung, d.h. eine Veränderung der Sichtweise, wie sie der Erosionsthese entsprechen würde, ist demnach auch nach mehr als dreißig Jahren medialer Debatte nicht abgeschlossen. In jüngster Zeit hat sich durch die wissenschaftlichen Fortschritte bei der Reprogrammierung von Zellen allerdings eine neue Dimension ergeben, die so umfassend sein könnte, dass in Zukunft womöglich auch die Gentherapie unter ethischen Gesichtspunkten noch einmal gänzlich neu bewertet und eingeordnet werden muss. Einer solchen potentiellen Neu- oder Rekontextualisierung würden fundamental andere wissenschaftliche Konzepte zugrunde liegen als diejenigen, welche die Debatte bisher größtenteils geprägt haben. Lange Zeit wurde es für unmöglich gehalten, aber in den letzten Jahren haben Wissenschaftler aus differenzierten Zellen, z.B. Hautzellen, Stammzellen gewonnen, die sich ihrerseits in verschiedene Zelltypen differenzieren lassen (Yu et al. 2009, Takahashi et al. 2007).23 Von der Umwandlung von Körperzellen in diese so genannten induzierten im Prinzip für möglich gehalten wird (Graumann 2000a; Daele 1985). Wird an die Möglichkeit einer Regulation nicht geglaubt, verlieren die Argumente den Status einer Warnung und können in dem Versuch zur Neuformulierung einer Option eingesetzt werden, exemplarisch zu sehen bei den Befürwortern der Keimbahnintervention (s. 5.5). Bei den slippery-slope-Argumenten der medialen Debatte handelt es sich wohl eher um verkürzte Darstellungen, in denen diff use Ängste vor der weiteren Technisierung des Menschen kulminieren und die zum Teil an die Stelle einer differenzierteren Betrachtung ethisch-sozialer Implikationen treten. Laut van den Daele (1985: 189) wird ohnehin nicht die einzelne Technik als besonders problematisch empfunden, vielmehr bestehe »nur überhaupt das Bedürfnis, die Dynamik der Objektivierung und Instrumentalisierung des Menschen irgendwo anzuhalten.« 23 | Zu Beginn wurden zur Herstellung dieser Stammzellen Gentransferverfahren genutzt (Takahashi et al. 2007). Wegen der Gefahr der Tumorauslösung, wie sie schon von der Gentherapie bekannt ist, wurden jedoch Wege gesucht und gefunden, Zellen mit Plasmiden ohne Integration der übertragenen Gene ins Genom (Yu et al. 2009) oder sogar gänzlich ohne Gentransfer (Zhou et al. 2009) in Stammzellen zu verwandeln. Bei Verfahren, die versuchen, den p-53-Pfad zu blockieren, um die Effizienz der Reprogrammierung zu steigern, werden dagegen nach wie

208 | Gesunde Gene pluripotenten Stammzellen erhoff t man sich eine ethisch unbedenkliche Alternative zur Verwendung embryonaler Stammzellen. In zahlreichen Medienberichten zu den neuen wissenschaftlichen Verfahren wird diskutiert, inwiefern durch Reprogrammierung auf die umstrittenen embryonalen Stammzellen verzichtet werden könnte. Scheinbar kündigt sich so ein ›technological fi x‹ an, durch den bisherige ethische Bedenken gegenüber embryonalen Stammzellen aufgehoben werden können. Doch wirft die Möglichkeit der Reprogrammierung und der damit verbundenen Gewebe- und Organzucht auch neue Bedenken auf, die in ihrem Ausmaß ähnlich gravierend oder noch einschneidender sein könnten als bei der embryonalen Stammzellforschung. Befürchtet wird z.B. eine Züchtung von Chimären, die zu einem Großteil Eigenschaften des Spendergewebes besitzen könnten (Müller-Jung 2008). Noch schwer wiegender ist die Frage nach den Folgen, wenn aus den hergestellten Stammzellen Keimzellen und damit neue Individuen entstehen können. Hinweise, dass dies möglich ist, liefern Versuche, Mäuse aus den induzierten Stammzellen zu züchten. Zwei chinesischen Teams gelang es, lebensfähige Mäuse aus reprogrammierten Zellen zu zeugen (Kang et al. 2009, Zhao et al. 2009). Was die Gentherapie betriff t, wird die für diese Option so wichtige Unterscheidung von somatischen Zellen und Keimzellen durch künstlich geschaffene Stammzellen infrage gestellt, wenn sich aus den induzierten Stammzellen auch Keimzellen und lebensfähige Individuen bilden lassen. Auf der Grundlage der gleichen somatischen Ausgangszellen könnte in diesem Fall sowohl eine somatische Gentherapie als auch eine Keimzell-Gentherapie durchgeführt werden, wenn z.B. im ersten Fall die Stammzellen zu Blutzellen, im zweiten Fall jedoch zu Keimzellen entwickelt würden.24 Damit wird nicht nur die Frage nach dem Mensch nach Maß neu gestellt, sondern auch Konzepte von Elternschaft nehmen völlig neue Formen an.

vor Gentransferverfahren gebraucht, was die therapeutische Nutzung beschränkt (Dolgin 2009). 24 | Ein Versuch einer somatischen Gentherapie an induzierten pluripotenten Stammzellen ist bereits erfolgt: Aus Hautzellen von Patienten mit Fanconi-Anämie wurden Stammzellen gebildet, bei denen der genetische Defekt, welcher der Krankheit zugrunde liegt, korrigiert wurde. Im nächsten Schritt wurden die Stammzellen in Blutzellen verwandelt – wegen der unabsehbaren Gefahren wurden die korrigierten Zellen den Patienten allerdings nicht infundiert (Reya et al. 2009).

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6.2.4 Der Wert Gesundheit besitzt nahezu uneingeschränkte Legitimationskraft – »Wer heilt, hat Recht« a) Assoziation mit dem Wert Gesundheit Die Assoziation mit dem Wert Gesundheit kann verschiedene Formen annehmen, die ihrerseits Implikationen für die Legitimation einer ethisch kontroversen Technik besitzen können, wie in Kap. 2.5 geschildert wurde. Daher sollen zunächst die empirisch bestimmten Assoziationsmechanismen zum Wert Gesundheit vorgestellt werden. Vor diesem Hintergrund wird in der Folge gefragt: Bestätigen die empirischen Ergebnisse die in der Erosionsthese angenommene, nahezu uneingeschränkte Legitimationskraft des Wertes Gesundheit? Wie sich zeigt, werden neue wissenschaftliche Optionen auf vielfältige Weise mit dem Wert Gesundheit verknüpft. Folgende Arten der Assoziation mit dem Wert Gesundheit lassen sich empirisch feststellen: Direkte Mechanismen der Assoziation: •





Wortschöpfung für die wissenschaftlich-technische Option, die einen Verweis auf den medizinisch-therapeutischen Anteil enthält (Gen-Chirurgie, Gen-Therapie, Keimbahn-Therapie) Versprechen, Hoffen oder Voraussetzen späterer Therapie(n), auch als Bewertung und Einschätzung des Verfahrens, z.B. als »medizinische Revolution« oder ›normales‹ Behandlungsverfahren oder als Vergleich mit anderen medizinischen Verfahren (z.B. Organtransplantation) Darstellung der Krankheiten und Krankheitstypen, für die eine Therapie möglich werden könnte

Indirekte Mechanismen der Assoziation: •



Ausblenden anderer, nicht auf therapeutische Effekte bezogener Faktoren (z.B. finanzielle Eigeninteressen beteiligter Ärzte oder Beschränken potentieller Gefahren auf medizinische Risiken) Hinweise auf mögliche oder tatsächlich auftretende medizinische Risiken25

25 | Die Nennung medizinischer Risiken stellt in sich ebenfalls eine Form der Assoziation an den Wert Gesundheit dar, die jedoch auf den Aspekt der Gefährdung der Gesundheit verweist und damit nur indirekt auf Gesundheit als erhaltenswerten oder wiederherzustellenden Zustand. Würden verstärkt Bedenken über medizinische Risiken geäußert, wäre

210 | Gesunde Gene •

Einführung einer Grenze und • Kontextualisierung einer Variante als rein therapeutisch, Assoziation der anderen mit unerwünschten Konsequenzen • Versuch, die Nutzung der Option auf therapeutische Absichten zu beschränken

Mit diesen verschiedenen Mechanismen wird der Gentransfer in menschliche Zellen medizinisch kontextualisiert. Insgesamt ist die Assoziation mit dem Wert Gesundheit vielschichtiger und komplexer als die gängige Vorstellung, bei der Gentherapie seien lediglich therapeutische Versprechen übertrieben worden, obwohl auch dies gelegentlich zutriff t. Die medizinische Kontextualisierung wird vielmehr durch eine Reihe von Mechanismen hergestellt, durch welche eine starke Anbindung an den Wert Gesundheit erzeugt werden kann, wie sich insbesondere beim Gentransfer in menschliche Körperzellen zeigt. Wie unterscheidet sich die Assoziation der somatischen Gentherapie mit dem Wert Gesundheit im Vergleich zur Keimbahnintervention? Ergeben sich Unterschiede in Bezug auf die verschiedenen Mechanismen der Assoziation? a. Auf der Ebene der Wortschöpfung verweist der Begriff Gentherapie deutlich auf die medizinische Kontextualisierung. Der Begriff wurde ursprünglich eingeführt, um die therapeutische Bedeutung hervorzuheben und von anderen Optionen der Gentechnik zu distanzieren: »The term »gene therapy« was used […] to differentiate direct medical therapeutic applications of the emerging genetic technology from the more general term »genetic engineering« that seemed at the time to imply either more industrial or less defensible applications.« (Friedmann 1990: 177, Hervorh. MV).

Auch mit der Wortkombination Keimbahntherapie existiert jedoch eine Namensgebung, die auf den potentiellen medizinischen Wert der Option verweist. In beiden Fällen ging die Wortschöpfung einem tatsächlichen therapeutischen Erfolg der jeweiligen Technik voraus. Der Terminus Keimbahntherapie wird jedoch nur in etwa einem Drittel aller Fälle oder seltener verwandt, wenn die Möglicheine Rekontextualisierung nicht in Richtung geringerer, sondern größerer Kontroversität zu erwarten.

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keit der Keimbahnintervention dargestellt wird, und ist damit weit weniger gebräuchlich als andere Kombinationen, wie etwa Eingriff in die Keimbahn oder Keimbahnmanipulation.26 Auf der Ebene der Namensgebung bleibt die Assoziation mit einer möglichen therapeutischen Nutzung bei der Keimbahnintervention folglich relativ schwach. Gentherapie ist in den 90er Jahren hingegen ein eingeführter Begriff, die zuvor auch verwandte Wortschöpfung Genmanipulation wird nun fast ausschließlich auf die grüne Gentechnik bezogen, nur in sehr seltenen Fällen ist mit dem Begriff Genmanipulation ein Eingriff in die menschliche Keimbahn gemeint (s. Anhang, 7.1). b. In Bezug auf eine Assoziation mit therapeutischen Versprechen ist die Keimbahnintervention quantitativ schwächer mit einer möglichen Therapie und stärker mit einer potentiellen gentechnischen Optimierung verknüpft als die unspezifische Gentherapie ohne Unterscheidung der beiden Varianten (s. S. 125). Dies spiegelt sich auch in den unterschiedlichen qualitativen Bewertungen und Einschätzungen des somatischen Gentransfers und der Keimbahnintervention wieder: Wird erstere sowohl in den Kontext einer medizinischen Revolution als auch eines ›normalen‹ Behandlungsverfahrens gesetzt (s. 5.4), fehlen solche Beurteilungen bei zweiterer zunächst. Während die somatische Gentherapie schon in den 80er Jahren mit erfolgreichen medizinischen Eingriffen wie Impfung oder Organtransplantation gleichgesetzt wird, erfolgen Einordnungen der Keimbahnintervention als Fortführung bestehender Praktiken erst spät, gegen Ende der 90er Jahre. Zu den Verfahren, mit denen die Implikationen der Keimbahnintervention verglichen werden, gehören die somatische Gentherapie selbst, medizinische Maßnahmen wie Impfungen oder die Verabreichung von Insulin und Cortison, aber auch das Verhalten bei der Partnerwahl (s. S. 175f.). In beiden Fällen bleiben Vergleiche dieser Art zwar sporadisch, können aber dennoch große Überzeugungskraft entwickeln. c. Wie bei den therapeutischen Versprechen ist auch die Assoziation 26 | Für den Zeitraum von 1993 bis 2001, für welchen die Daten elektronisch vorliegen und in welchem die Option der Keimbahnintervention in beiden Printmedien eingeführt ist, wird das Wort Keimbahntherapie in der FAZ nur 92-mal in 49 Texten verwandt, während sich für andere Kombinationen mit dem Begriff Keimbahn 286 Treffer in 158 Texten ergeben. Im Spiegel resultiert der Begriff Keimbahntherapie in nur 17 Treffern in 9 Texten, während andere Kombinationen mit dem Terminus Keimbahn 72-mal in 32 Texten zu finden sind.

212 | Gesunde Gene mit Krankheiten, für die eine Therapie möglich werden könnte, bei der Keimbahnintervention deutlich schwächer als in dem Fall, dass die Konzepte nicht unterschieden werden (s. S. 102). Auch hier zeigt sich, dass die Keimbahnintervention stärker mit einer möglichen gentechnischen Optimierung assoziiert wird. Wie sich aus der qualitativen Analyse schließen lässt, wird die Möglichkeit gentechnischer Verbesserung in Bezug auf die somatische Gentherapie dagegen nur selten erwähnt. d. Die starke Konzentration der Diskussion des somatischen Gentransfers auf mögliche therapeutische Anwendungen, ohne auf eventuelle gentechnische Optimierungen einzugehen, repräsentiert ein erstes Beispiel für einen der genannten indirekten Mechanismen, nämlich das Ausblenden nicht gesundheitsrelevanter Aspekte. In Bezug auf diesen Punkt unterscheiden sich somatische Gentherapie und Keimbahnintervention deutlich. Beispiele für weitere Fragen, die in Bezug auf die somatische Gentherapie nicht diskutiert werden, sind etwa Probleme einer vorgeburtlichen Gentherapie, die Keimbahnintervention als mögliche Nebenfolge oder die Behandlung besonders heikler Erkrankungen, etwa des Gehirns. Dabei werden verschiedene Szenarien des Gentransfers durchaus unterschiedlich bewertet. In einer Studie des Wellcome Trust (2005) wird z.B. die vorgeburtliche Gentherapie sogar stärker abgelehnt als die Keimbahnintervention. Zwischen somatischer Gentherapie und Keimbahnintervention ergeben sich Unterschiede nicht nur im Punkt der Optimierung. Beispielsweise werden Forscher, Politiker und Ämter in Bezug auf die Keimbahnintervention stärker als interessengeleitet dargestellt als bei der somatischen Gentherapie. In der Darstellung der somatischen Gentherapie werden potentielle Gefahren auf medizinische Risiken beschränkt, in Bezug auf die Keimbahnintervention spielen auch Konsequenzen anderer Art eine Rolle. e. Hinweise auf mögliche medizinische Risiken fi nden sich in Bezug auf beide Verfahren. Da diese bei der Keimbahnintervention jedoch nicht auf das Individuum beschränkt bleiben, gelten sie bei dieser Variante als folgenreicher und werden als Argument gegen die Option verwandt. Bei der somatischen Gentherapie werden Risiken zwar ebenfalls erwähnt, jedoch nicht als grundsätzliches Argument gegen die Technik gewertet. f. Auch was die Einführung einer Grenze zur Assoziation mit der therapeutischen Nutzung betriff t, lassen sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gentherapievarianten feststellen. Mit der Differenzierung zwischen somatischem Gentransfer und

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Keimbahnintervention etabliert sich eine Grenze zwischen erwünschter therapeutischer und nicht erwünschter optimierender Nutzung der Technik. Eine Trennung des Keimbahn-Gentransfers nach beabsichtigtem Verwendungszweck entlang der Linien von Therapie und Optimierung wird zwar versucht. Aus diesen Ansätzen ergibt sich jedoch keine strikte Trennung zwischen zwei Interventionsformen, und zwei unterschiedliche Kontextualisierungen entwickeln sich in Bezug auf die Keimbahnintervention ebenfalls nicht. Eine Aufhebung der bestehenden Ambivalenz der Keimbahnintervention ist nicht festzustellen. Zu vermuten ist, dass dies nicht zuletzt mit der wahrgenommenen Instabilität einer möglichen Grenzziehung zusammenhängt, die sich in Bezug auf die Keimbahnintervention bisher nur an intentionalen, nicht aber an wissenschaftlichen Kriterien festmachen lässt. Die (wenigen) Ansätze zur Neukontextualisierung der Keimbahnintervention, welche den umgekehrten Weg beschreiten und die Option gerade nicht auf die therapeutische Nutzung beschränken, vermindern die Assoziation zu dem Wert Gesundheit sogar, indem sie die unerwünschte Folge der Optimierung als unausweichlich darstellen. Ein Teil der unterschiedlichen Kontextualisierung des Gentransfers in Körper- und des Gentransfers in Keimzellen besteht also darin, dass die Mechanismen der Assoziation mit dem Wert Gesundheit für die beiden Optionen unterschiedlich stark genutzt werden. Daneben wird die Ablehnung der Keimbahnintervention durch verschiedene Mechanismen perpetuiert, zu denen wiederholte klare Absagen an die Option und die Markierung von Grenzüberschreitungen als Normverstoß gehören. Auch die betroffenen ethischen Werte werden, trotz einiger Versuche der Umformulierung, weiterhin als Widerstände kontextualisiert.27 b) Gesundheit als Legitimationsfaktor Während bisher die Form der Assoziation mit dem Wert Gesundheit dargestellt wurde, sollen im Folgenden zwei zentrale Fragen beant27 | Diese Argumentation bezieht sich lediglich auf die kommunikativen Mechanismen, mit denen in den beiden Printmedien Ambivalenz und Ablehnung der Keimbahnintervention aufrechterhalten werden. Weitere, tieferliegende Gründe dafür, dass die Ablehnung der Keimbahnintervention fortgeführt wird, können z.B. in dem Vorhandensein der – wenn auch selbst ethisch umstrittenen – Alternative der Präimplantationsdiagnostik bestehen oder darin, dass die Machbarkeit der Keimbahnintervention von den meisten Wissenschaftlern als relativ gering eingeschätzt wird.

214 | Gesunde Gene wortet werden: Erfolgt die angenommene Rekontextualisierung über die Assoziation mit dem Wert Gesundheit? Und: Ist es gerechtfertigt, dem Wert Gesundheit nahezu unbeschränkte Legitimationskraft zuzuschreiben, d.h. mit Blick auf die Kontextualisierung einer ethisch kontroversen Option von einem Primat des Gesundheitsargumentes auszugehen? Die starke Assoziation mit dem Wert Gesundheit erweist sich in Bezug auf die Rekontextualisierung vor allem für den Aufstieg der somatischen Gentherapie zur promising new technology als wesentlich, wie die qualitative Analyse zeigt (s. 5.4). Nicht allein der Gentransfer in Körperzellen, auch der Gentransfer in die Keimbahn wird jedoch an den Wert Gesundheit und eine mögliche therapeutische Nutzung angebunden. Grundsätzlich findet eine Assoziation mit dem Wert Gesundheit in Bezug auf beide Optionen statt, wenn auch für die Keimbahnintervention in geringerem Ausmaß. Eine Rekontextualisierung in der erwarteten Form ist bisher jedoch allein für den Gentransfer in Körperzellen festzustellen, nicht aber für den Gentransfer in Keimzellen. Die Rekontextualisierung einer kontroversen Option in Richtung geringerer Konflikthaftigkeit hängt demnach nicht nur von dem Vorhandensein einer Assoziation mit dem Wert Gesundheit ab. Auch dass einige Vorstöße zur Keimbahnintervention darauf fokussieren, Widerstände zu reformulieren statt die Assoziation mit dem Wert Gesundheit zu stärken, deutet darauf hin, dass für die Veränderung der Sichtweise nicht allein das mögliche Therapie-Potential entscheidend ist. Die Existenz eines therapeutischen Versprechens mag eine wichtige Voraussetzung sein, reicht als Erklärung für das Eintreten einer Rekontextualisierung jedoch nicht aus. Der zentrale Unterschied in der Kontextualisierung der beiden Optionen besteht darin, dass sich die Darstellung der somatischen Gentherapie auf die medizinischen Möglichkeiten konzentriert, während die Keimbahnintervention weiterhin als ambivalent gefasst wird. Zwar wird der Gentransfer in die menschliche Keimbahn auch weniger stark an das therapeutische Versprechen gebunden. Diese Differenz zur Kontextualisierung der somatischen Gentherapie ist jedoch nur graduell. Fundamental anders gestaltet sich die Kontextualisierung der Keimbahnintervention hingegen in Bezug auf die indirekten Mechanismen der Anbindung. Diese stärken die Assoziation mit dem Wert Gesundheit nicht durch Versprechen, sondern indem andere Faktoren ungenannt bleiben oder per Grenzziehung ausgeschlossen werden. In der Kontextualisierung der somatischen Gentherapie wird eine direkte »Konkurrenz« des Therapie-Argumentes mit gesellschaftlichen Werten, die einer Anwendung widersprechen könnten, weitgehend

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vermieden. In der Kontextualisierung der Keimbahnintervention spielen die gesellschaftlichen Werte hingegen weiterhin eine Rolle, weil die unerwünschten Folgen erst spät und dann nur ansatzweise abgegrenzt werden, so dass keine Konzentration auf das therapeutische Potential erfolgt. Was bedeuten die bisherigen Aussagen für die eingangs vorgestellte Prognose, dass der Wert Gesundheit den kontroversen Technologien den Weg ebnet und Recht hat, wer heilt? Die Annahme, dass Gesundheit eine nahezu unbeschränkte Legitimationskraft besitzt, lässt sich nicht direkt widerlegen. Möglich ist jedoch, den Wert Gesundheit als einen Baustein des gesamten Prozesses der medialen Kontextualisierung zu betrachten und aus dieser Sicht die zugeschriebene Legitimationskraft erneut zu beleuchten. Würde etwa eine ethisch kontroverse Option gänzlich unverändert von gesellschaftlichen Widerständen implementiert, indem nur auf zukünftige Möglichkeiten der Therapie und Heilung verwiesen wird, ließe sich hieran ein Primat des Wertes Gesundheit deutlich zeigen. Eine solch geradlinige Entwicklung wird sich aber nur in den seltensten Fällen zeigen lassen und wird auch in der Erosionsthese nicht in dieser Absolutheit vorgeschlagen. Der Grundgedanke lässt sich jedoch nutzen, um über den Abstand zu diesem eindeutigen Fall auf den Grad der Legitimationskraft des Wertes Gesundheit zu schließen. Anzunehmen ist: Je mehr bestehende Werte angepasst und neu bestimmt werden und je kürzer der Prozess bis zur Einführung einer neuen Option dauert, desto eher ist von einer nahezu uneingeschränkten Legitimationskraft des Wertes Gesundheit zu sprechen. Je mehr dagegen die Option angepasst wird und je länger es dauert, bis eine Technik kaum noch kontrovers ist, desto weniger ist von einem unhintergehbaren Primat des Wertes Gesundheit auszugehen. Die empirischen Ergebnisse sprechen nicht für eine uneingeschränkte Legitimationskraft des Wertes Gesundheit. Bisher verläuft die Implementation und Kontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen eher auf dem zweiten skizzierten Wege, d.h. über die Anpassung der Technik und die Ausblendung und Abgrenzung unerwünschter Faktoren. Ethische Bedenken werden in die Konzeption der wissenschaftlichen Technik eingeschrieben. Schon die für die Rekontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen zentrale Trennung von somatischem und Keimbahn-Gentransfer ist hierfür ein Beispiel. Diese wissenschaftliche Grenze wird dabei – im Gegensatz zu Debatten über andere Technologien – in den Medien relativ konfliktfrei übernommen. Die Grenzziehung selbst kann als Adaptation der wissenschaftlichen Vorgehensweise an vorhandene

216 | Gesunde Gene Widerstände verstanden werden (Martin 1998, 1999). Wie das Beispiel der somatischen Gentherapie zeigt, ist die Relevanz des Wertes Gesundheit am deutlichsten, wenn gesellschaftliche Widerstände nicht besonders ausgeprägt sind. Selbst in Bezug auf die relativ unumstrittene somatische Gentherapie werden jedoch Anpassungen der Technik vorgenommen, z.B. in Bezug auf die Wahl des Gentransfer-Verfahrens für die ersten Versuche in Deutschland (s. S. 158). So verzichtete der deutsche Gentherapie-»Pionier« Roland Mertelsmann aus Angst vor öffentlichem Protest auf einen viralen Vektor zur Durchführung seiner Experimente und nutzte stattdessen das Verfahren der Elektroporation (Unterhuber 1993). Auch in den Vorstößen zur Keimbahnintervention werden Vorschläge gemacht, wie durch technologische Vorkehrungen ethischen Bedenken entgegnet werden kann. So soll etwa die Autonomie und informierte Zustimmung eines zukünftigen Kindes dadurch gewährleistet werden, dass es erst einen genetischen »Schalter« aktivieren muss, bevor das transferierte Gen wirksam wird (s. S. 163). Um eine Übertragung auf alle zukünftigen Generationen zu verhindern, sollen sich Gene in Ei- und Samenzellen mit Hilfe molekularer Scheren selbst zerstören, eine Methode, die im Tierversuch bereits ausprobiert wurde (Evans 2002). Mögen diese Vorschläge zum Teil noch spekulativ sein, sie zeigen, dass die Berücksichtigung bioethischer Kriterien schon in die Konzeption der wissenschaftlichen Option eingeschrieben wird.28 Insbesondere mit Blick auf die weiterhin kontroverse Keimbahnintervention deutet auch die Länge der Diskussion nicht auf ein absolutes Primat des Wertes Gesundheit hin. Die tatsächliche Entwicklung lässt sich besser als trade-off zwischen dem Wert Gesundheit und den jeweiligen ethischen Bedenken beschreiben, wobei dieser trade-off nicht zuletzt davon abhängt, wie fundamental die entgegenstehenden Werte sind und ob und wie sicher unerwünschte Folgen ausgeschlossen werden können. Entscheidend ist daher nicht nur, wie eine neue technische Option mit den Möglichkeiten der Therapie und Heilung verknüpft wird, sondern auch welche gesellschaftlichen Widerstände aufgegriffen werden. Dabei wird der Stellenwert von Gesundheit umso höher erscheinen, je weniger entgegenstehende Werte und Widerstände überhaupt zu Gehör gebracht werden. Neben einem Ausschluss unerwünschter Faktoren durch Abgrenzung und Adaptation der Technik kann ein hoher Stellenwert von Gesundheit so auch durch das Ausblenden kriti28 | Evans (2002) verweist darauf, dass dies vor allem für die von den Bioethikern definierten Ziele gilt, die den Kriterien der beneficence, nonmaleficence, Autonomie und Gerechtigkeit genügen müssen.

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scher Aspekte begünstigt werden. So zeigt sich z.B. dass bestimmte, eher kritische Akteure, an der medialen Debatte kaum beteiligt sind (s. 4.3.3)29 und unerwünschte Folgen nur selten thematisiert werden (s. 4.3.5 und Kap. 5).30 Die verschiedenen, in Bezug auf die Option genannten Effekte bleiben vorwiegend auf (positive) individuelle Auswirkungen beschränkt (s. 4.4.3). Auf Ebene der allgemeinen Kontextualisierung wird mehr auf die Wissenschaft als auf einen einzelnen anderen Gesellschaftsbereich fokussiert. Eine Betonung wissenschaftlicher Aspekte ist insbesondere in der ersten Phase und in Bezug auf die somatische Gentherapie festzustellen (s. Kap. 5).31 Das Ausblenden zahlreicher Aspekte und das Aufgreifen anderer ist Bestandteil normaler medialer Routinen.32 In der Kontrastierung lässt sich dennoch die entstandene Kontextualisierung der Option des 29 | Nach Interviews aus dem Projekt von Gerhards und Schäfer (2006) zu urteilen, werden von entsprechenden Akteuren auch Argumente in Bezug auf Gesundheit kritisch bewertet, z.B. werden die medizinischen Versprechen als »Mythos« bezeichnet (Erika Feyerabend, BioSkop e.V.) oder bedauert, dass Aspekte wie die Vorverlagerung von Krankheit, der zugrunde liegende Reduktionismus oder die Einbettung in das Gesundheitssystem zu wenig diskutiert werden (Uta Wagenmann, Gen-ethisches Netzwerk). 30 | Wie van den Daele (2000: 26) es formuliert: »Auch die sonst bei aller Gentechnik unvermeidliche Dauerdebatte über die Möglichkeit unbekannter Risiken und die prinzipielle Unvorhersagbarkeit von Langzeitwirkungen ist hier verstummt.« Zwar bezieht sich van den Daele an dieser Stelle auf gentechnisch hergestellte Medikamente. Für die somatische Gentherapie sieht er jedoch einen ähnlichen Verlauf voraus, eine Annahme, die durch die vorliegende Studie untermauert wird. 31 | Wie bereits erwähnt, werden kritische Punkte in Bezug auf die somatische Gentherapie in der Debatte erst sehr spät aufgegriffen (s. 5.7.1). 32 | Die Verteilung der aufgegriffenen und ausgeblendeten Aspekte ist – wie hier nur vermutet werden kann – wahrscheinlich nicht unabhängig von den zur Berichterstattung geschaffenen Anlässen und den Berichterstattung initiierenden Akteuren. Die Ungleichverteilung der Akteure geht nicht notwendigerweise nur auf die Selektion der Medien zurück, sondern kann auch von der Prioritätensetzung und Ressourcenverfügbarkeit der gesellschaftlichen Gruppen, etwa Protestorganisationen, abhängig sein, wie Gerhards und Schäfer (2006) nachweisen. Ausbleibendes Engagement ist jedoch nicht mit einer positiven Haltung gegenüber einer Option gleichzusetzen.

218 | Gesunde Gene Gentransfers in menschliche Zellen und damit die Form der Debatte über diese wissenschaftliche Technik verdeutlichen. Wie die Beispiele zeigen, wird die Vorrangstellung des Wertes Gesundheit für die Legitimation der ethisch kontroversen Option durch die indirekten Mechanismen der Assoziation sehr begünstigt, wenn nicht überhaupt erst ermöglicht. Offenbar tragen die Strukturen medialer Debatten über Wissenschaft dazu bei, dem Wert Gesundheit eine herausgehobene Stellung zu verleihen. Auch in anderen Studien zur medialen Darstellung humangenetischer oder medizinischer Forschung wird eine starke Betonung der Wissenschaft und die Vernachlässigung weiterer Faktoren oder Akteure festgestellt. Gerhards und Schäfer (2006) stellen beispielsweise einen Zusammenhang zwischen den vorwiegend wissenschaftlichen Akteuren der Berichterstattung und einer affi rmativen Darstellung der Humangenomforschung, die sich vorwiegend auf medizinische Nutzenerwartungen und wissenschaftliche Deutungen stützt, her. Smart (2003) kritisiert, dass ethische, soziale und rechtliche Probleme, mit denen sich die Begleitforschung zum Humangenomprojekt ELSI auseinandersetzt, formelhaft und unvollständig bleiben (und spiegelt damit einen Befund von Durant et al. 1996). Nerlich et al. (2002) betonen, dass Fragen danach, wer in welcher Weise vom Humangenomprojekt profitiert, nur aufgeschoben sind.33 Petersen (2001) konstatiert die Vernachlässigung nicht-genetischer und multifaktorieller Faktoren in der medialen Darstellung der Humangenetik. Karpf (1988) spricht von einer Hegemonie wissenschaftlicher Deutungen in der allgemeinen Medizin-Berichterstattung. Nicht nur in Bezug auf die mediale Debatte, sondern auch im Hinblick auf die allgemeine Diskussion über kontroverse wissenschaftlich-technische biomedizinische Optionen wird häufig die Berücksichtigung weiterer Faktoren gefordert. Graumann (2000a) wünscht beispielsweise, Unsicherheiten, die durch Veränderungen des grundlegenden wissenschaftlichen Konzeptes entstehen, stärker in die ethische Beurteilung der Experimente zum somatischen Gentransfer einfließen zu lassen. Weingart (2000: 116; 2005b: 46) hält es für geboten, die Beurteilung der konfliktreichen Optionen nicht alleine Bioethik-Kommissionen zu überlassen, sondern die etablier33 | Nerlich (2002) führt das Beispiel genetisch manipulierter Lebensmittel an, um zu verdeutlichen, welche Wichtigkeit den Fragen des Profits zukommen kann. In dieser Debatte erschienen die global player unter den Produzenten landwirtschaftlicher Produkte als große Gewinner, während der Nutzen für Konsumenten oder traditionelle Produzenten, z.B. in Entwicklungsländern, nicht deutlich wurde.

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ten Verfahren der Technikfolgenabschätzung hinzuzuziehen. Evans (2002) beklagt, dass die ethische Debatte der Gentherapie auf die bioethischen Prinzipien der beneficence, nonmalificence, Autonomie und Gerechtigkeit reduziert worden ist, während fundamentale Werte, wie etwa die Idee eines Überhandnehmens menschlicher Kontrolle, als Argumente delegitimiert worden sind. Treibende Kraft der Legitimierung und Delegitimierung der verschiedenen Argumente ist nach Evans (2002) die Professionalisierung der Bioethik, welche die Beurteilung der kontroversen Optionen für sich beansprucht, nicht etwa allein der hohe gesellschaftliche Stellenwert von Gesundheit. Parallel zu diesem Prozess sei die Debatte auf wenige vordefinierte und kalkulierbare Ziele konzentriert worden, statt die Diskussion über die Ziele selbst zu führen. Evans (2002: 198) kritisiert an diesem Prozess nicht zuletzt, dass Eliten die Ziele festlegen, ohne demokratisch legitimiert zu sein.34 Der Wunsch nach Gesundheit kann wohl für große Bevölkerungsgruppen als unbestritten gelten, die Frage ist jedoch, in welcher Relation der Wunsch nach Gesundheit zu anderen Werten und Zielen – und zu möglichen Konsequenzen neuer technischer Optionen – steht. Wie beim Risiko-Begriff könnte die Meinung von Experten und Laien in dieser Frage durchaus auseinanderfallen (s. S. 35). So stimmte einer Studie des Wellcome Trust (2005: 6-7) zufolge zwar eine Mehrheit der Teilnehmer der Aussage zu, die Gentherapie könne menschliches Leiden verringern, etwa gleich viele waren jedoch der Meinung, dass es besser wäre, Krankheiten auf eine andere Art und Weise zu behandeln. Mehr als ein Viertel der Studienteilnehmer war sogar absolut gegen die Veränderung menschlicher Gene und meinte, es wäre besser, nicht herauszufinden, wie ein solcher Eingriff funktioniert. Wie gezeigt, wird der Gentransfer in menschliche Zellen nicht in der ursprünglichen undifferenzierten Form implementiert, sondern – nicht zuletzt durch die indirekten Mechanismen der Assoziation zum Wert Gesundheit – auf die therapeutische Funktion begrenzt. Trotz der vorwiegend medizinischen Kontextualisierung lässt sich aus dem Verlauf der medialen Debatte kein absolutes Primat des Wertes Gesundheit ableiten. Bis zum jetzigen Zeitpunkt ist die mehr als dreißig Jahre währen34 | Evans (2002) zitiert eine Anzeige der New York Times, in welcher in Bezug auf die zukünftigen Möglichkeiten der Humangenetik gefragt wird: »So where do you stand on this? Has anyone ever asked?« New York Times, 28. August 2000, A 11: »Techno-Utopianism« (Anzeige des Turning-Point-Projektes). Die Idee ist verwandt mit der Aktion 1000Fragen.de der Aktion Mensch.

220 | Gesunde Gene de mediale Debatte um den Gentransfer in menschliche Zellen weniger ein Beispiel für die Veränderung gesellschaftlicher Werthorizonte durch die Wissenschaft als vielmehr für die gesellschaftsadäquate Anpassung wissenschaftlicher Optionen.35 Dass Bezüge auf den Wert Gesundheit, d.h. auf das Potential zur Therapie oder Heilung von Krankheiten, generell ein Legitimationsfaktor für eine neue wissenschaftliche Option sind, ist unbestreitbar. An der vielfach behaupteten uneingeschränkten Legitimationskraft des Wertes Gesundheit lassen sich jedoch Zweifel anbringen.36 Auch die Abhängigkeit des Kontextualisierungsprozesses davon, welche Akteure sich an der Debatte beteiligen und wessen Äußerungen als legitim gelten, wird ignoriert, wenn allein dem Bezug auf das Gesundheitsargument eine nahezu uneingeschränkte Legitimationskraft nachgesagt wird. Mit Formeln wie »Wer heilt, hat Recht« wird verschleiert, dass es sich bei der Kontextualisierung und eventuellen Veränderung der Sichtweise auf eine umstrittene Option um einen vielschichtigen Prozess handelt, in dem nicht nur das therapeutische Versprechen, sondern auch das Umdeuten und Aufgreifen von Widerständen eine zentrale Bedeutung erlangen kann, bis hin zur Einschreibung von Widerständen in die technische Konzeption.

6.3 Konklusion Im Folgenden werden zunächst die wesentlichen Punkte der Diskussion zusammengefasst, um daraufhin ein abschließendes Fazit zu ziehen.

35 | In anderen Fällen entsteht der Eindruck, dass wertbasierte Widerstände schneller überwunden werden, z.B. in der Diskussion über die Forschung an embryonalen Stammzellen. 36 | Behauptungen einer nahezu uneingeschränkten Legitimationskraft des Wertes Gesundheit werden meist auf rechtliche Grundlagen und hypothetische Einzelfallentscheidungen bezogen (Weingart 2000; Weingart 2005b; Daele 1985; Daele 2000). Im Gegensatz dazu behandelt die vorliegende Studie eine gesellschaftsweite Debatte, mit der Annahme, dass Argumente und Positionen in den Medien vorgeformt werden. Im Hinblick auf Einzelfallentscheidungen oder rechtliche Fragen lässt sich entsprechend keine Aussage über die Legitimationskraft von Gesundheit treffen.

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1. Die mediale Debatte über den Gentransfer in menschliche Zellen ist intermediär zwischen dem Modell wissenschaftsdominierter und gesellschaftsbezogener Öffentlichkeit angesiedelt. 2. Die tatsächlichen Abläufe der Kontextualisierung sind in verschiedener Hinsicht komplexer, als die eingangs vorgestellten Thesen nahe legen: • Anders als in der Erosionsthese vorgeschlagen, ist kein eindeutiger Umschlagpunkt von Utopie zu Machbarkeit festzustellen. Vielmehr existieren Fakt und Fiktion in der medialen Debatte über lange Zeit nebeneinander. • Die Erwartung massiver Widerstände zu Beginn der Debatte lässt sich nicht aufrechterhalten. Stattdessen ist die mediale Diskussion in der Anfangsphase von einer Ambivalenz geprägt, die auf dem Zwiespalt zwischen Hoff nung auf Heilung und Furcht vor dem Mensch nach Maß beruht. • In der Erosionsthese wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass Widerstände auch zu späteren Zeitpunkten der Debatte auftreten können. Dies gilt selbst dann, wenn eine Rekontextualisierung der Option bereits erfolgt ist und die Technik nur als wenig konflikthaft wahrgenommen wird. Beispiel hierfür ist die somatische Gentherapie, die zunächst als promising new technology etabliert wurde, bevor Kritikpunkte wie z.B. mögliches Fehlverhalten der Forscher bei Experimenten am Menschen diskutiert wurden. An solchen Punkten kann die Kontextualisierung der Option entgegen der vorgeschlagenen zeitlichen Entwicklung nicht nur weniger konflikthaft, sondern auch (wieder) kontroverser werden. Dies gilt nicht nur für regulative Fragen, sondern auch für fundamentale Bedenken gegenüber der Anwendung, wie z.B. eine Aufspaltung der Menschheit bei der Keimbahnintervention. • Häufig wird, z.B. in slippery slope-Argumenten, eine quasi lineare Entwicklung der Technik vorausgesetzt, nach welcher die (Therapie-)Erfolge früherer Optionen zur Veränderung der Sichtweise auf nachfolgende Techniken führen. Im Falle des Gentransfers in menschliche Zellen triff t diese Annahme nicht zu, vielmehr müssen Befürworter der Keimbahnintervention die Erfolglosigkeit des somatischen Gentransfers erst umdeuten, um überzeugend argumentieren zu können. Verzögerungen zwischen Versprechen und Eintreten des Versprochenen können auch in Bezug auf andere Optionen entstehen, wobei die resultierende Enttäuschung die Glaubwürdigkeit der

222 | Gesunde Gene Versprechen und die Wahrnehmung einer linearen Technikentwicklung in Frage stellen kann. 3. Obwohl in der medialen Debatte eine Rekontextualisierung des Gentransfers in menschliche Zellen zu beobachten ist, sind verschiedene, grundlegende Erwartungen der Erosionsthese bisher nicht eingetroffen: • Die vermutete Neubestimmung von Werten im Verlauf des Kontextualisierungsprozesses ist in der medialen Debatte des Gentransfers in menschliche Zellen bisher nicht festzustellen. Eine »Konkurrenz« des Therapie-Argumentes mit gesellschaftlichen Werten wurde durch die Abgrenzung unerwünschter Implikationen bislang vermieden. Die festgestellte Veränderung der Sichtweise beruht weniger auf einer Neubestimmung fundamentaler Werte als vielmehr auf der Auflösung der ursprünglichen Ambivalenz durch die Trennung und deutlich unterschiedliche Kontextualisierung der beiden GentransferVarianten. Als neu bestimmter Wert lässt sich lediglich die gesetzlich geschaffene Norm auffassen, in die Keimbahn des Menschen dürfe nicht eingegriffen werden. Die Funktionalität von Widerständen erscheint in der Erosionsthese bisher unterschätzt. In der medialen Diskussion der Gentherapie erweist sich die wissenschaftliche Grenze zur Keimbahnintervention, und damit zu unerwünschten Implikationen, als wichtiges und lange Zeit bestehendes Element der Inkorporation von Widerständen in die Technikgestaltung. Der Versuch, die vom Gentransfer in die Keimbahn betroffenen Werte umzuformulieren, hat sich dagegen bislang nicht durchgesetzt. Dieses Ergebnis steht allerdings unter dem Vorbehalt, dass bisher weder Keimbahntherapie noch somatische Gentherapie »machbar« sind und für die Keimbahnintervention eine Alternative – die Präimplantationsdiagnostik – bereitsteht. • Der vorgeschlagene Verlauf – von einer kontroversen Idee zur alltäglichen Handlungspraxis – ist bisher nur partiell realisiert. Ob eine entsprechende Rekontextualisierung der Keimbahnintervention in Zukunft stattfindet, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen. Angesichts der vorhandenen Signale erscheint sowohl das weitere Aufrechterhalten des Tabus als auch eine spätere Veränderung der Kontextualisierung der Option möglich. Wie die mediale Debatte zeigt, kann die Ablehnung einer Technik und der damit verbundenen Implikationen jedoch über mehr als dreißig Jahre bestehen bleiben. • Dem Wert Gesundheit wird in dem vorgeschlagenen Muster

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häufig eine nahezu unbeschränkte Legitimationskraft nachgesagt. Der Gentransfer in menschliche Zellen wird in der medialen Diskussion auf vielfältige Weise mit dem Wert Gesundheit assoziiert. Wie sich dabei zeigt, verdankt sich der hohe Stellenwert von Gesundheit in der medialen Debatte nicht allein dem hohen gesellschaftlichen Status dieses Wertes. Wesentlich sind auch die Marginalisierung und Ausgrenzung anderer Werte und kritischer Punkte. Ein Primat des Wertes Gesundheit gegenüber allen anderen Werten lässt sich auf diese Weise nicht bestätigen, an der häufig behaupteten uneingeschränkten Legitimationskraft des Wertes Gesundheit lassen sich Zweifel anbringen. Potentiell kritische Akteure, die den unhintergehbar scheinenden Rang von Gesundheit hinterfragen könnten, sind an der Initiierung von Berichterstattung nur selten beteiligt. Spätere Vorstöße zur Rekontextualisierung der Keimbahnintervention widersprechen der Erwartung, die Rekontextualisierung der Option würde primär über den Wert Gesundheit versucht. Die Befürworter der Keimbahnintervention beziehen sich keineswegs nur auf den Wert Gesundheit, sondern versuchen auch, die vorhandenen Widerstände zu reformulieren. Was ergibt sich aus den dargestellten Abweichungen zur Erosionsthese für die Vorstellungen über die gesellschaftliche Integration neuer Techniken? Nach Weingart et al. (2006; 2008) erweist sich die Annahme, es ließe sich ein generelles Muster der gesellschaftlichen Integration verschiedener Techniken finden, als zu einfach. Neben den von Weingart et al. (2006; 2008) untersuchten Diskussionen repräsentiert auch die Debatte um den Gentransfer in menschliche Zellen ein Beispiel dafür, dass kein einheitliches Ablaufschema der gesellschaftlichen Integration ethisch kontroverser Technologien existiert. Weingart et al. (2006; 2008) zufolge befinden sich die von ihnen untersuchten Debatten in verschiedenen Stadien und sind noch unabgeschlossen. Die Autoren fordern daher eine Ausweitung des Untersuchungszeitraums. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie deuten, vor dem Hintergrund der dreißig untersuchten Jahre der Berichterstattung, jedoch auf einen anderen Grund für die Uneinheitlichkeit der Prozesse der gesellschaftlichen Integration: Der Verlauf der Kontextualisierung ist offenbar abhängig von der in Frage stehenden Technik, der Art und Fundamentalität der betroffenen Werte und weiteren Randbedingungen. Für den Fall der Gentherapie spielt offenbar eine große Rolle, in welchem Ausmaß gesellschaftliche Widerstände in der Technikgestaltung berücksichtigt werden. In der von Weingart und van den

224 | Gesunde Gene Daele skizzierten Erosionsthese werden Grenzsetzungen primär als Mechanismus der Marginalisierung von Dystopien verstanden. Wie das Beispiel der Keimbahnintervention zeigt, können Widerstände gegen eine Technik jedoch sehr funktional sein, z.B. in dem Sinne, dass sie die Einführung einer neuen kontroversen Technik stark verzögern und eine Neubestimmung der Werte über lange Zeit verhindern. Vor diesem Hintergrund ist die Möglichkeit der Grenzsetzung zu unerwünschten Implikationen einer Technik höher zu gewichten. Eine ethisch kontroverse wissenschaftliche Option wird nicht unbedingt über eine technikinduzierte Neubestimmung gesellschaftlicher Werte integriert. Stattdessen kann die Integration auch über eine Anpassung der Technik an gesellschaftliche Bedenken erfolgen.

6.4 Ausblick Es ist das Kennzeichen einer wissenschaftlichen Arbeit, dass nur wenige Fragen beantwortet, viele andere dagegen offen bleiben. Wegen der zu erwartenden nationalen Unterschiede besteht eine wichtige Frage für weitere Studien darin, zu verfolgen, wie die Debatte um die Keimbahnintervention in den USA geführt wird. Im Hinblick auf die Erosionsthese zur gesellschaftlichen Integration wertsensibler Techniken ist insbesondere die Frage, welche Fortführung die Diskussion in den nächsten Jahren findet und ob zukünftig womöglich eine weitere Rekontextualisierung der Option stattfindet und wenn ja, in welcher Form. Als besonders spannend könnte sich hier in Bezug auf die neue Möglichkeit der Reprogrammierung die Frage nach der Co-Evolution der wissenschaftlichen Konzepte und der ethischen Werte erweisen. Des Weiteren lässt sich fragen, welchen Stellenwert die Anbindung an den Wert Gesundheit in anderen Debatten über biomedizinische Techniken besitzt. Wird in diesen Debatten die Deutung bestätigt, der Wert Gesundheit sei von nahezu unbegrenzter Legitimationskraft oder lassen sich Adaptationen an gesellschaftliche Widerstände feststellen? Diese Frage ist insbesondere im Hinblick auf mediale Diskussionen interessant, an welchen eine große Bandbreite an Akteuren teilgenommen hat, wie etwa in der Stammzelldebatte, weil dies mutmaßlich mit einem größeren Set von Deutungen und Argumenten einhergeht. Versteht man die Debatte um den Gentransfer in menschliche Zellen als einen Vorläufer der späteren biomedizinischen Debatten, so ist gerade mit Blick auf die Stammzellen natürlich auch zu verfolgen, ob sich der Zyklus von Hoffnung und früher Ernüchterung in Bezug auf diese Option wiederholt.

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Nicht zuletzt lässt sich die Entwicklung der gesellschaftlichen Integration einer neuen, ethisch kontroversen Technik statt mit einem generalisierten Ablaufschema auch als ein dynamisches Set von Faktoren beschreiben, die eine Einführung der Option bzw. die Neubestimmung von Werten begünstigen oder einer solchen Veränderung entgegenstehen. Ein Vergleich vieler solcher Faktoren in verschiedenen Debatten über ethisch kontroverse Techniken könnte ermöglichen, parallele Stränge herauszuarbeiten, aber auch dazu beitragen, Unterschiede zwischen der gesellschaftlichen Integration verschiedener Optionen zu erklären.

7. Anhang

7.1 Zusammenstellen des Materials Für die Jahre von 1970 bis 1992 wurde der FAZ-Recherchedienst mit der Sammlung relevanter Artikel zum Stichwort Gentherapie beauftragt 1, für den Zeitraum von 1982 bis 1992 erweiterte sich der Zugang zu Artikeln über Gentherapie auf die Stichworte »Gentechnologie Grundsätzliches«, »Anthropologie Humangenetik«, »Humangenetik« und »Gentechnologie in Deutschland«, da für diesen Zeitraum umfassendere Recherchen für das Projekt Molekulare Medizin und Wertewandel durchgeführt wurden.2 Das Textmaterial aus dem Spiegel wurde für die Zeit von 1970 bis 1993 anhand des Jahresregisters zusammen1 | Das in einigen Langzeitanalysen zur Gentechnologie-Berichterstattung verwendete Verfahren der künstlichen Woche (Görke et al. 2000; Hampel et al. 1998) bietet sich für die Zwecke der Studie nicht an. Bei einer Recherche mit künstlichen Wochen wird in der ersten Woche beispielsweise die Ausgabe vom Montag, in der zweiten die vom Dienstag, in der dritten die vom Mittwoch auf relevante Beiträge hin untersucht; dieses Schema wird über den gesamten Analysezeitraum fortgeführt. Anders als die genannten Studien, die Material zum gesamten Feld der Gentechnologie gesammelt haben, betriff t die vorliegende Untersuchung nur ein eingeschränktes Themengebiet. In diesem Fall ist bei der Recherche mit künstlichen Wochen die Gefahr zu groß, Artikel zu wesentlichen Ereignissen zu übergehen. 2 | Die Dissertation war eingebunden in das vom BMBF geförderte Projekt: »Molekulare Medizin und Wertewandel: Analyse der massenmedialen Diskurse über die Optionen und Anwendungen der modernen Biomedizin von 1982-2005« unter der Leitung von Prof. Dr. Peter Weingart.

228 | Gesunde Gene gestellt.3 Die FAZ liegt ab 1993 elektronisch vor, der Spiegel ab 1994. In diesen Jahren erfolgte die Suche über die Stichworte Gentherap* und Keimbahn*. Für die Jahre 1994, 1996, 1998 und 2000 wurde zudem für beide Printmedien das Stichwort Genmanipulation (Genmanip*) überprüft. Dieses Stichwort erwies sich jedoch als ungeeignet, da Artikel zum Stichwort Genmanipulation sich zum weit überwiegenden Teil auf genmanipulierte Pflanzen und Lebensmittel beziehen und nur selten eine Referenz zur Gentechnik am Menschen enthalten. Das Stichwort Gentherapie kann seit Anfang der 90er Jahre als etabliert gelten: In der FAZ existiert eine eigene Materialsammlung zum Stichwort Gentherapie seit dem Jahr 19924, im Spiegel-Register wird das Stichwort Gentherapie seit dem Jahr 1990 jährlich genannt, während die Spiegel-Artikel zuvor unter allgemeineren Stichwörtern wie Genetik oder Gentechnik verzeichnet waren. Die Ergebnisse zur Frage nach der Assoziation mit dem Wert Gesundheit dürfen durch die Suchstrategie nicht vorgeformt werden. Durch die Wahl des Stichwortes Gentherapie ist eine vorwiegend medizinische Kontextualisierung jedoch nicht vorgegeben: Zwar ist die sprachliche Verknüpfung Gen-Therapie ein erstes Beispiel für eine Assoziation mit dem Wert Gesundheit. Eine überwiegend medizinische Kontextualisierung gibt eine solche Sprachkreation jedoch nicht vor. Zu Beginn der Debatte in den 70er Jahren wurde z.B. die gesamte Gentechnik unter den Begriff der »Genchirurgie« gefasst, nicht nur Verfahren mit medizinischen Zielen (Brodde 1992). Auch von den Ergebnissen her lässt sich ein möglicher Einfluss der Stichwortwahl widerlegen: Die Referenz auf mögliche medizinische Nutzen ist zu jeder Zeit dominant, unabhängig von den verschiedenen jeweils zugrunde liegenden Suchstrategien (s. 4.4.4).

3 | Für diesen Zeitraum konnte parallel eine Stichwort-Suche in den inzwischen digitalisierten Spiegel-Beiträgen im Online-Archiv durchgeführt werden. Wie sich zeigt, wurden alle relevanten Artikel zu den Stichworten Gentherap* und Keimbahn* gefunden. Der Artikelkorpus geht sogar über den Bestand des Online-Archivs zu diesen beiden Stichworten hinaus, weil gerade zu dieser Zeit noch andere Formulierungen für die Gentherapie gebraucht wurden. 4 | Wird das Material im FAZ-Archiv unter einem neuen Stichwort gefasst, so werden diesem Stichwort auch die Artikel der vorangegangenen Jahre zugeordnet. Aus diesem Grunde lässt sich der Begriff Gentherapie auch für die Jahre vor 1992 als Stichwort für die Recherche verwenden, wie es in der vorliegenden Studie gehandhabt wurde.

Anhang | 229

7.2 Reliabilität Zur Messung der Reliabilität der in der Analyse gemessenen Variablen wurden nach einem Mindestabstand von 50 Tagen 210 Artikel nochmals codiert. Für die Methode der quantitativen Inhaltsanalyse gibt Neuendorf (2002: 143) im Rahmen einer Übersicht über verschiedene in der Literatur vertretene Positionen an, dass Werte für Reliabilitätskoeffizienten über 0,90 als allgemein akzeptabel gelten und Werte über 0,80 als in den meisten Fällen akzeptabel. Bei der Messung einfacher Übereinstimmungen werden die Kriterien strenger gehandhabt als bei Messungen der Reliabilität, welche eine zufällige Übereinstimmung einbeziehen, wie beispielsweise Scott’s Pi oder Cohen’s Kappa (Neuendorf 2002: 143). Tab. 7.1 Reliabilität der erhobenen Kategorien Erhobene Kategorien

Einfache Übereinstimmung

Scott’s Pi

PÜb = Ü/n (n = 210) Haupt-/Nebenthema

0,90

0,78

Artikeltyp Art des Anlasses Akteur Themen Erbkrankheiten Volkskrankheiten Verbesserung Effekte Konflikthaftigkeit Gentherapiekonzepte

0,88 0,89 0,94 0,87 0,99 0,95 0,97 0,98 0,94 0,96

0,84 0,83 0,91 0,85 0,97 0,87 0,89 0,88 0,88 0,92

In der vorliegenden Studie wurde die Reliabilität zunächst als einfache Übereinstimmung berechnet, nach der Formel: PÜb = Ü/n (PÜb = Anteil der beobachteten Übereinstimmungen, Ü = Übereinstimmung zwischen erster und zweiter Codierung und n = Artikelzahl insgesamt). Diese Berechnung der einfachen Übereinstimmung ist einer der meistverwandten Reliabilitätskoeffizienten (Neuendorf 2002: 149). Die Zahl der Übereinstimmungen in Relation zur gesamten Artikelzahl resultiert dabei für die meisten Variablen in einem Wert von über 0,90 für die Reliabilität (s. Tab. 7.1). Lediglich die Werte für die Variablen Artikeltyp (0,88), Art des Anlasses (0,89) und Themen

230 | Gesunde Gene (0,87) liegen knapp darunter. In einem zweiten Schritt wurde Scott’s Pi berechnet (Neuendorf 2002: 155), ein Reliabilitätskoeffizient, der die zufällige Wahrscheinlichkeit von Übereinstimmungen einbezieht. Für die gemessenen Variablen liegt Scott’s Pi in der Regel über dem Wert von 0,80, eine Ausnahme bildet lediglich die Kategorie Haupt-/ Nebenthema (0,78). Für die dargestellten Effekte des Gentransfers wurden die verschiedenen Variablen zusammengefasst und nur ein Reliabilitätskoeffizient berechnet, da für einige der Ausprägungen (etwa Unsterblichkeit) aufgrund des geringen Vorkommens keine aussagekräftigen Reliabilitätswerte generiert werden konnten. Nach den Kriterien, die Neuendorf (2002: 143, s.o.) angibt, kann die Messung als reliabel gelten.

7.3 Art der Anlässe der Berichterstattung Intention Ein Teil der Berichterstattung geht auf Anlässe zurück, die von anderer Seite geschaffen werden, um mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ein Beispiel sind Pressekonferenzen, die in den Medien aufgegriffen werden. Durch die Initiierung entsprechender Anlässe kann zwar nicht die Art der Darstellung vorweggenommen, die mediale Agenda aber entscheidend geprägt werden. Um zu erfassen, welche Rolle der Rückgriff auf solche externen Anlässe in der GentherapieBerichterstattung spielt, wird die Art des Anlasses erhoben. Methodische Anmerkungen Die Daten zur Art des Anlasses werden danach unterschieden, an wen die Anlässe gerichtet sind5: 0: kein Anlass erkennbar 1: Anlass ist gezielt an die Medien gerichtet, Akteur wollte vor allem massenmediale Öffentlichkeit erzeugen, z.B. durch eine Pressemitteilung oder Pressekonferenz 2: Anlass ist nicht primär an die Medien gerichtet, sondern an eine breitere Öffentlichkeit, z.B. bei einer öffentlichen Veranstaltung oder einer Veröffentlichung in einer wissenschaftlichen Zeitschrift; den Anlass-Initiatoren kann massenmediale Berichterstattung als Nebenprodukt jedoch willkommen sein 5 | Die Definitionen für die verschiedenen Typen von Anlässen sind in leicht modifizierter Form von Gerhards und Schäfer (2006: 103) übernommen worden.

Anhang | 231

3: Anlass ist weder für die Massenmedien noch für die Öffentlichkeit initiiert, sondern aus der Eigendynamik eines anderen Bereiches entstanden, z.B. ein politischer Beschluss 4: Anlass existiert, aber Typus ist unklar

Ergebnisse Abb. 7.1 Art der Anlässe bei FAZ und Spiegel

Sowohl bei der FAZ als auch beim Spiegel wird nur sehr selten erwähnt, dass Anlässe gezielt an die Medien adressiert sind (FAZ: 6 Artikel/10,0 % der AS, Spiegel: 7 Artikel/4,9 % der AS). Die meisten der genannten Anlässe haben eine breitere Öffentlichkeit als Adressatenkreis (FAZ: 262 Artikel/54,8 % der AS, Spiegel: 58 Artikel/40,3 % der AS). Auch Fälle, in denen sich weder eine Ausrichtung an der Öffentlichkeit noch an den Massenmedien feststellen lässt, sind vergleichsweise häufig (FAZ: 110 Artikel/23,0 % der AS, Spiegel: 42 Artikel/29,2 % der AS). In einem Teil der Artikel wird kein Anlass genannt (FAZ: 48 Artikel/10,0 % der AS, Spiegel: 19 Artikel/13,2 % der AS) oder der Typus des Anlasses bleibt unklar (FAZ: 52 Artikel/10,9 % der AS, Spiegel: 18 Artikel/12,5 % der AS). Fazit Wie die Erhebung zu den verschiedenen Typen von Anlässen zeigt, geht in beiden Printmedien ein großer Teil der Gentherapie-Berichterstattung auf Anlässe zurück, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richten. Damit rekurriert ein beträchtlicher Teil von Artikeln auf An-

232 | Gesunde Gene lässe, die von Akteuren initiiert wurden, für die massenmediale Aufmerksamkeit ein willkommenes Nebenprodukt sein kann. Gezielt an die Massenmedien gerichtete Anlässe werden dagegen selten erwähnt. Das geringe Vorkommen gezielt an die Massenmedien adressierter Anlässe spiegelt die tatsächlichen Verhältnisse jedoch möglicherweise nicht akkurat. Blöbaum et al. (2004) wiesen nach, dass Journalisten den Anteil der Artikel, die auf PR-Material und ähnliche Informationsquellen zurückgehen, unterschätzen. Der gleichen Studie zufolge erachten Wissenschaftsjournalisten Quellen, die Eigeninteressen dienen, als wenig relevant, während Quellen umso glaubwürdiger erscheinen, je mehr sie im Wissenschaftssystem verankert sind. Zu vermuten ist, dass Quellen wie Pressemitteilungen und Pressekonferenzen aus diesen Gründen in den Artikeln häufig nicht ausdrücklich als Anlässe genannt werden. Artikel, die aus der Eigendynamik eines anderen Bereiches entstehen und bei denen eine Ausrichtung an den Medien höchstens eine indirekte Rolle spielt, sind im Spiegel häufiger vertreten als in der FAZ. In beiden Printmedien ist diese Art von Anlässen jedoch deutlich seltener als Anlässe, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richten.

8. Abkürzungsverzeichnis

AAAS ADA

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