Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013 9783504383961

Die Gesellschaftsrechtliche Vereinigung – wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (VGR) –

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Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013
 9783504383961

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Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.) Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung

Schriftenreihe der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (Hrsg.) Band 19

Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2013 Jahrestagung der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung (VGR) herausgegeben von der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung mit Beiträgen von

Prof. Dr. Alfred Bergmann Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe

Dr. Martin Peltzer Rechtsanwalt, Frankfurt am Main

Dr. Oliver Rieckers LL.M. (Chicago) Rechtsanwalt, Düsseldorf

Prof. Dr. Tobias Tröger LL.M. (Harvard) Universitätsprofessor, Frankfurt am Main

Dr. Joachim Frhr. von Falkenhausen LL.M. (Berkeley) Rechtsanwalt, Hamburg

2014

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-62719-5 ©2014 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Betz, Darmstadt Printed in Germany

Vorwort Die Jahrestagung 2013 der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung hat am 15. November 2013 mit 400 Teilnehmern in Frankfurt am Main stattgefunden. Im Rechtsprechungsbericht des Vorsitzenden des II. Zivilsenats des BGH, Prof. Dr. Alfred Bergmann, stand neben wichtigen Entscheidungen zum Personengesellschaftsrecht (Änderung gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklauseln und Rückforderung von Ausschüttungen im geschlossenen Fonds) und zur Organhaftung in GmbH und GmbH & Co. KG auch in diesem Jahr das Aktien- und Kapitalmarktrecht mit einer Reihe bedeutender Entscheidungen von erheblicher Praxisrelevanz, insbesondere zur Ad-hoc-Publizitätspflicht bei zeitlich gestreckten Vorgängen im Fokus. In der zweiten Abteilung befasste sich Prof. Dr. Tobias Tröger mit den durch die neue BGH-Rechtsprechung zur Einziehung von GmbH-Anteilen ausgelösten Rechtsfragen. Der BGH hat die frühere sog. „Bedingungslösung“ aufgegeben, nach welcher die Anteilseinziehung erst mit Zahlung der Abfindung wirksam werden sollte. Nach der neuen Rechtsprechung wird die Einziehung sofort wirksam, und die Abfindungszahlung soll durch eine anteilige Ausfallhaftung der Mitgesellschafter gesichert werden, was sowohl hinsichtlich der dogmatischen Grundlegung als auch vieler Details Fragen aufwirft. Die dritte Abteilung hatte das Thema Reform der Organhaftung zum Gegenstand. Dr. Martin Peltzer analysierte auf der Basis seiner jahrzehntelangen praktischen Erfahrung Fehler des bisherigen Systems und entwickelte Überlegungen zu deren Beseitigung. Die Diskussion dieser Fragen ist von kaum zu überschätzender praktischer Bedeutung, nimmt zur Zeit erheblich an Fahrt auf und wird Gegenstand der Beratungen der wirtschaftsrechtlichen Abteilung des diesjährigen Deutschen Juristentags in Hannover sein. Der Nachmittag begann mit einer sehr informativen Einführung in die aktuelle rechtspolitische Diskussion über die Frage der Einführung einer möglichen Strafbarkeit von Unternehmen. Der Referent hat zum Bedauern von Vorstand und Beirat ein Manuskript seines Referats zum Abdruck im Tagungsband nicht zeitgerecht zur Verfügung gestellt, so dass dieser Tagungsband leider ohne das Referat erscheinen muss.

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Vorwort

In der fünften Abteilung untersuchte Dr. Joachim von Falkenhausen die wichtige Frage, ob das Führen von Privat- und Darlehenskonten in Personengesellschaften und die Gewährung von Gesellschafterdarlehen in Kapitalgesellschaften ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft darstellen kann. Das ist nach den Bestimmungen des KWG und der bisherigen Verwaltungspraxis der BaFin nicht auszuschließen. Die BaFin hat zwar mittlerweile versucht, die Problematik in einem Merkblatt vom 11. März 2014 mit Hinweisen zum Tatbestand des Einlagengeschäfts zu entschärfen. Dass die Problematik damit tatsächlich gelöst ist, ist allerdings zu bezweifeln; die Überlegungen des Referenten zum Handlungsbedarf de lege ferenda und der von ihm unterbreitete Gesetzesvorschlag bleiben weiterhin aktuell. Das Schlussreferat von Dr. Oliver Rieckers rückte anhand der IKB-Entscheidung des BGH die vielschichtige Problematik der Nichtigkeit von Aufsichtsratswahlen in den Blick, wobei er neben der rechtlichen Aufarbeitung auch die spezifischen unternehmenstatsächlichen Fallgruppen auffächerte und Abhilfemöglichkeiten aufzeigte. Vorstand und Beirat der VGR danken allen, die zum Gelingen der 16. Jahrestagung beigetragen haben, insbesondere den Referenten, den Diskussionsleitern und -teilnehmern und den Verfassern der Diskussionsberichte. Unser Dank gilt auch Herrn Wiss. Mitarb. Christian Weiß, dessen Diskussionsbericht zum Referat der vierten Abteilung pünktlich erstellt wurde, aber ohne das zugrunde liegende Referat nicht sinnvoll in den Tagungsband aufgenommen werden konnte. Interessenten können den Bericht bei der VGR anfordern. Vorbereitung und Organisation der Tagung lagen im VGR-Sekretariat wie immer in den bewährten Händen von Frau Heike Wieland. Düsseldorf, im Mai 2014 Für Vorstand und Beirat der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung Gerd Krieger

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Inhalt* Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Alfred Bergmann, Karlsruhe Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dr. Birgit Schneider, Heidelberg/Karlsruhe Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann . . . . . . . . . . . . . .

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I. Personengesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prof. Dr. Tobias Tröger, Frankfurt am Main Anteilseinziehung und Abfindungszahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Die Kernaussagen der BGH-Rechtsprechung und ihre Rezeption in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Hinweise für die Gestaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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V. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Lisa Pfaffinger, Frankfurt am Main Bericht über die Diskussion des Referats Tröger . . . . . . . . . . . . . . . . .

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* Ausführliche Inhaltsverzeichnisse jeweils zu Beginn der Beiträge.

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Inhalt

Dr. Martin Peltzer, Frankfurt am Main Reform der Organhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rechtsassessor Nikolas Klein, Berlin Bericht über die Diskussion des Referats Peltzer . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Dr. Joachim Frhr. von Falkenhausen, Hamburg Die Führung von Gesellschafterkonten – Ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 B. Darlehens- und Privatkonten in der Personengesellschaft . . . . . 106 C. Gesellschafterdarlehen in Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . 114 D. Abhilfe de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 E. Handlungsbedarf de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 F. Summa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Dr. Jan Philipp Feigen, Hamburg Bericht über die Diskussion des Referats von Falkenhausen . . . . . . 121 Dr. Oliver Rieckers, Düsseldorf Die nichtige Aufsichtsratswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 II. IKB-Entscheidung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 III. Einzelne Fallgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 IV. Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 V. Abhilfemöglichkeiten für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Dr. Matthias Cloppenburg, Düsseldorf Bericht über die Diskussion des Referats Rieckers . . . . . . . . . . . . . . . 151 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

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Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Alfred Bergmann Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe I. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Personengesellschaftsrecht . . 1. Urteile vom 16.10.2012 – II ZR 251/10 und II ZR 239/11 (Änderung gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklauseln) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Urteil vom 12.3.2013 – II ZR 73/11 (Rückforderung von Ausschüttungen an Kommanditisten) . . . . . . . . . .

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III. GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil vom 9.10.2012 – II ZR 298/11 (Haftung für Zahlungen an Gesellschafter nach § 64 Satz 3 GmbHG). . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Urteil vom 18.6.2013 – II ZR 86/11 (Organhaftung bei der GmbHG & Co. KG). . . . . . . . .

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IV. Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1. Urteil vom 12.3.2013 – II ZR 179/12 (Rechtsfolgen des Verstoßes gegen § 57 AktG) . . . . . 2. Beschluss vom 23.4.2013 – II ZB 7/09 (Ad-hoc-Publizität bei zeitlich gestreckten Vorgängen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Urteil vom 28.5.2013 – II ZR 67/12 (Anpassung von Genussscheinbedingungen nach Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags) . . . . . . . . . . . . . . 4. Urteil vom 11.6.2013 – II ZR 80/12 – BKN (Ansprüche bei Nichtveröffentlichung eines Pflichtangebots entgegen § 35 Abs. 2 WpÜG). . . . . . . . . . . . . . 5. Beschluss vom 8.10.2013 – II ZB 26/12 (Kein Pflichtangebot beim Delisting) . . . . . . . . .

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I. Einleitung Es ist nun schon das dritte Mal, dass ich hier in einem Jahresrückblick über die aktuelle Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs referiere. Ich belasse es bei der traditionellen, aber von mir nicht immer systemgerecht durchgehaltenen Aufteilung nach Personengesellschafts-, GmbH- und Aktienrecht und einer kleinen Auswahl von Entscheidungen, die ich etwas näher anspreche und die Ihnen vorab schon angekündigt worden sind. Das soll nicht bedeuten, dass es im letzten Jahr nicht weitere Entscheidungen gegeben hätte, über die zu sprechen es sich gleichfalls lohnen würde. Für die Jahrestagung der Gesellschafts-

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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

rechtlichen Vereinigung als einem eingetragenen Verein könnte es sich etwa als äußerst reizvoll erweisen, den in dem Urteil vom 23. April 2013 – II ZR 74/121 aufgeworfenen interessanten Fragen zur Überprüfung von Entscheidungen der internen Vereinsgerichtsbarkeit durch die ordentlichen Gerichte etwas näher nachzugehen. Von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung dürften ferner, um nur noch zwei Beispiele anzuführen, das Urteil vom 15. Januar 2013 – II ZR 83/112 zu den Anforderungen an die Wahlordnung einer Genossenschaft sowie der Beschluss vom 16. Mai 2013 – II ZB 7/113 sein, mit dem der Senat in einer Partnerschaftsregistersache im Wege der Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 59a Abs. 1 BRAO eingeholt hat, nach der eine interprofessionelle Partnerschaft zwischen einem Rechtsanwalt und einer Ärztin und Apothekerin nicht zulässig ist. Weil die Zeit beschränkt ist und diese Entscheidungen eher nur für einen kleinen Kreis der Teilnehmer von Interesse sind, bleibt es bei ihrer Benennung. Bei dem Urteil vom 19. Februar 2013 – II ZR 56/124 zu den Folgen einer nichtigen oder anfechtbaren Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern bin ich mir dagegen sicher, dass Sie dazu von mir heute etwas hören wollen. Gleichwohl habe ich auch diese Entscheidung nicht in meine Übersicht aufgenommen, weil die Tagesordnung zu diesem Thema einen eigenen Vortrag von Herrn Dr. Rieckers vorsieht. Ich denke, es ist daher sinnvoller, wenn wir diese Entscheidung hier zunächst ausklammern. Im Rahmen der zum Vortrag von Herrn Rieckers sicherlich stattfindenden Diskussion wird dann Gelegenheit bestehen, den Standpunkt des Senats zu erläutern, soweit dies erforderlich werden sollte. Auf der anderen Seite biete ich eine Erweiterung meines angekündigten Programms an: Am Dienstag dieser Woche ist der Beschluss vom 8. Oktober 2013 – II ZB 26/125 veröffentlicht worden, mit dem der Senat im Anschluss an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 2012 entschieden hat, dass den Aktionären beim Delisting, also beim Rückzug von der Börse, kein Barabfindungsangebot für ihre Aktien gemacht werden muss. Auf diesen Beschluss werde zum Ende meines Referats näher eingehen.

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BGHZ 197, 162 = ZIP 2013, 1217 = MDR 2013, 799. BGHZ 196, 76 = ZIP 2013, 666. NJW 2013, 2674. BGHZ 196, 195 = ZIP 2013, 720 = AG 2013, 387. ZIP 2013, 2254 = AG 2013, 877.

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II. Personengesellschaftsrecht Im Personengesellschaftsrecht stehen nach wie vor Streitigkeiten in Bezug auf die Beteiligung an Fondsgesellschaften jedweder Gestaltung im Vordergrund. Der Senat ist dadurch besonders stark belastet, dass häufig eine Vielzahl von Anlegern desselben Fonds gleich oder ähnlich gelagerte Klagen erheben, ohne dass von den Segnungen des Kapitalmusterverfahrensgesetzes alter wie neuer Fassung Gebrauch gemacht wird. Die Klagen betreffen den gesamten Zeitraum von der Wiege bis zur Bahre, d.h. von Schadensersatzansprüchen wegen Aufklärungsverschuldens im Zusammenhang mit dem Fondsbeitritt bis zu Rettungsversuchen zur Vermeidung der Insolvenz oder der Auflösung notleidender Fondsgesellschaften. Aus der Fülle der insoweit ergangenen Entscheidungen habe ich zwei inhaltlich übereinstimmende Entscheidungen vom 16. Oktober 2012 und eine vom 12. März 2013 herausgegriffen, die gleichfalls zu einem größeren Komplex ähnlich gelagerter Fälle gehört.

1. Urteile vom 16.10.2012 – II ZR 251/10 und II ZR 239/11 (Änderung gesellschaftsvertraglicher Mehrheitsklauseln) In den beiden Entscheidungen vom 16. Oktober 20126 ging es um die Frage, mit welcher Mehrheit in einer Publikumspersonengesellschaft, und zwar in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft, die Änderung oder Aufhebung eines im Gesellschaftsvertrag vereinbarten qualifizierten Mehrheitserfordernisses beschlossen werden kann. Es handelte sich bei den betreffenden Kommanditgesellschaften um geschlossene Immobilienfonds, in dem einen Fall mit mehr als 6000 als Kommanditisten oder Treugebern beteiligten Anlegern. Nach den Gesellschaftsverträgen dieser beiden Kommanditgesellschaften genügte für die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung grundsätzlich die einfache Mehrheit, für bestimmte, im Einzelnen benannte Beschlussgegenstände, u.a. für eine Änderung des Gesellschaftsvertrags, war eine 3/4-Mehrheit der anwesenden Stimmen erforderlich. Sofern sich 75 % aller Stimmen auf fünf oder weniger Personen vereinten, sollte an die Stelle der 3/4- die 9/10-Mehrheit treten und bei der Vereinigung von mindestens 90 % der Stimmen auf fünf oder weniger Personen waren Beschlüsse über diese besonders genannten Beschlussgegenstände einstimmig zu fassen. In den beiden Verfahren waren Beschlüsse beanstandet worden, mit denen 6 BGH, ZIP 2013, 66 = GmbHR 2013, 197 und ZIP 2013, 68 = GmbHR 2013, 194.

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die Gesellschafterversammlungen mit einer 3/4-Mehrheit beschlossen hatten, die gesellschaftsvertragliche Bestimmung über das Erfordernis der einstimmigen Beschlussfassung, in dem einen Fall auch die Bestimmung über das Erfordernis der 9/10-Mehrheit aufzuheben. Es stand zur Überprüfung, ob dazu die 3/4-Mehrheit der Stimmen genügte oder ob es der in den aufgehobenen Bestimmungen angesprochenen Mehrheit von 9/10 bzw. der Einstimmigkeit bedurfte, obwohl die Voraussetzungen dieser Bestimmungen, nämlich die Vereinigung von 75 % bzw. 90 % der Stimmen auf fünf oder weniger Personen, zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht vorlagen. Der Senat hat dies verneint. Er hat unter Anwendung der OTTO-Rechtsprechung7 zunächst geprüft, ob die beanstandeten Beschlüsse formell wirksam zustande gekommen waren. Auf dieser ersten Stufe ist durch Auslegung des Gesellschaftsvertrags zu ermitteln, welche Mehrheit für einen Beschluss über den betreffenden Beschlussgegenstand vereinbart worden ist. Das war, da es sich jeweils um eine Änderung des Gesellschaftsvertrags handelte, die dafür im Gesellschaftsvertrag vorgesehene 3/4-Mehrheit. Die Voraussetzungen für die darüber hinausgehenden Erfordernisse einer 9/10-Mehrheit bzw. der einstimmigen Beschlussfassung bei einer Vereinigung einer bestimmten Stimmenzahl auf fünf oder weniger Personen lagen, wie gesagt, nicht vor. Dass dieser konkrete Fall einer Vertragsänderung im Gesellschaftsvertrag nicht ausdrücklich als solcher angesprochen war, stand der Auslegung, dass für ihn das für Vertragsänderungen allgemein geltende Erfordernis einer 3/4-Mehrheit gelten soll, nicht entgegen. Unabhängig von der Auslegung des Gesellschaftsvertrags ergibt sich ein solches Erfordernis der ausdrücklichen Benennung eines Beschlussgegenstands auch nicht aus dem früher so genannten Bestimmtheitsgrundsatz, weil diesem als solchem nach der neueren Senatsrechtsprechung keine Bedeutung mehr zukommt, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um ein früher so genanntes Grundlagengeschäft oder um einen Beschlussgegenstand handeln sollte, der den so genannten Kernbereich der Mitgliedschaft betrifft. Ist die mit der Mehrheit der Gesellschafter getroffene Entscheidung danach von einer Regelung im Gesellschaftsvertrag gedeckt, so ist auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob sie sich als treuwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit darstellt oder aus sonstigen Gründen inhaltlich unwirksam ist. Eine solche materielle Unwirksamkeit hat 7 BGHZ 170, 283 – OTTO; BGHZ 179, 13 – Schutzgemeinschaftsvertrag II; BGHZ 191, 293 Rz. 16.

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der Senat in den konkreten Fällen gleichfalls verneint. Insbesondere gehören gesellschaftsvertragliche Einstimmigkeitserfordernisse oder Sperrminoritäten nicht zu dem Mehrheitsentscheidungen entzogenen Bereich der individuellen Mitgliedschaft des einzelnen Gesellschafters, sondern schützen die Minderheit insgesamt. Die Mehrheit verletzt auch nicht schon dadurch ihre Treuepflicht gegenüber der Minderheit, dass sie die gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen über qualifizierte Mehrheitserfordernisse aufhebt. Sie verfolgt vielmehr den legitimen Zweck, die Handlungsfähigkeit der Publikumsgesellschaft zu erhalten. Einer bloß abstrakten Gefahr, dass die Mehrheit aufgrund der geänderten Beschlussregelungen in Zukunft treuwidrige Entscheidungen zu Lasten der Minderheit treffen könnte, muss nicht bereits im „Vorfeld“ begegnet werden. Die Minderheit ist hinreichend dadurch geschützt, dass sie bei etwaigen treuwidrigen Beschlussfassungen im Wege der Klage gegen die betreffenden Beschlüsse deren materielle Unwirksamkeit geltend machen kann.

2. Urteil vom 12.3.2013 – II ZR 73/11 (Rückforderung von Ausschüttungen an Kommanditisten) Mit dem einen Schiffsfonds gleichfalls in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft betreffenden Urteil vom 12. März 20138 hat der Senat entschieden, dass gewinnunabhängige Ausschüttungen, die an Kommanditisten auf der Grundlage einer Ermächtigung im Gesellschaftsvertrag geleistet wurden, nur zurückgefordert werden können, wenn der Gesellschaftsvertrag die Rückzahlung vorsieht. Bei der Kommanditgesellschaft gibt es keinen im Innenverhältnis wirkenden Kapitalerhaltungsgrundsatz. Die Gesellschafter können daher grundsätzlich frei vereinbaren, ob und unter welchen Bedingungen erbrachte Einlagen zurückgewährt werden. Die Regelungen in § 172 Abs. 4, § 171 Abs. 1 HGB betreffen nur die Außenhaftung des Kommanditisten. Selbst wenn durch eine Ausschüttung nach diesen Vorschriften die unmittelbare Außenhaftung des Kommanditisten wieder auflebt, führt dies nicht ohne weiteres dazu, dass er auch im Innenverhältnis der Gesellschaft gegenüber zur Rückzahlung der Ausschüttung verpflichtet ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob sich aus den Vereinbarungen der Gesellschafter eine solche Rückzahlungspflicht ergibt, wobei sich bei einer Publikumspersonengesellschaft diese Pflicht klar aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben muss. Eine solche klare Regelung hat der Senat, der als Revisionsgericht Verträge von Publikums-

8 ZIP 2013, 1222 = MDR 2013, 800.

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personengesellschaften selbst auslegen kann, den betreffenden Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags der beklagten Kommanditgesellschaft anders als das Berufungsgericht nicht entnehmen können. Für die Annahme einer etwaigen Rückzahlungspflicht aufgrund der gesellschafterlichen Treuepflicht, die nur ganz ausnahmsweise in Betracht kommen kann, waren im Verfahren keine Anhaltspunkte vorgetragen.

III. GmbH-Recht Bei der GmbH haben wir wie auch bei anderen Gesellschaftsformen eine spürbare Zunahme von Streitigkeiten zwischen Gesellschaften und ihren ausgeschiedenen Organen zu verzeichnen, bei der GmbH geht es überwiegend um Haftungsansprüche nach § 43 Abs. 2 und § 64 GmbHG. Ich habe zu diesen beiden Vorschriften zwei Entscheidungen ausgesucht, wobei das Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/119 allerdings, insofern ist die Einordnung in diese Abteilung nicht ganz systemgerecht, eine GmbH & Co. KG betrifft.

1. Urteil vom 9.10.2012 – II ZR 298/11 (Haftung für Zahlungen an Gesellschafter nach § 64 Satz 3 GmbHG) Anlass für das zunächst zu besprechende Urteil vom 9. Oktober 2012 – II ZR 298/1110 war ein Streit zwischen zwei später geschiedenen Ehegatten, die vor der Scheidung der beklagten GmbH zur Finanzierung der Einrichtung und des Warenbestands gemeinsam ein Darlehen gewährt hatten, das nun zur Rückzahlung fällig war. Der Kläger begehrte mit seiner Klage Hinterlegung des Darlehensbetrags zu seinen und zu Gunsten seiner früheren Ehefrau. Die beklagte GmbH, deren alleinige Gesellschafterin und alleinige Geschäftsführerin die geschiedene Ehefrau war, verweigerte die Rückzahlung des Darlehens u.a. mit der Begründung, die Rückzahlung führe zu ihrer Zahlungsunfähigkeit, so dass sie gem. § 64 Satz 3 GmbHG die Zahlung verweigern könne. Die revisionsrechtliche Prüfung, ob die Voraussetzungen eines Leistungsverweigerungsrechts nach § 64 Satz 3 GmbHG gegeben waren, wie das Berufungsgericht angenommen hatte, führte zu folgenden Leitsätzen: a) Die Zahlungsunfähigkeit wird durch eine Zahlung an den Gesellschafter nicht im Sinn des § 64 Satz 3 GmbHG verursacht, wenn die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig ist. b) Bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach § 64 Satz 3 GmbHG 9 ZIP 2013, 1712 = GmbHR 2013, 1044. 10 BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 = GmbHR 2013, 31.

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ist eine fällige Forderung des Gesellschafters in der Liquiditätsbilanz zu berücksichtigen. c) Im Fall des § 64 Satz 3 GmbHG kann die Gesellschaft die Zahlung an den Gesellschafter verweigern. Die beiden ersten Leitsätze betreffen die im Schrifttum streitige Frage, ob bei der Prüfung der Verursachung der Zahlungsunfähigkeit nach § 64 Satz 3 GmbHG im insolvenzrechtlichen Sinn fällige und durchsetzbare Ansprüche des Gesellschafters in die Liquiditätsbilanz zur Ermittlung der Liquiditätslücke einzustellen sind oder nicht. Der Senat hat sich mit der Begründung, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Begriff der Zahlungsfähigkeit hier anders zu verstehen sei als in § 64 Satz 1 GmbHG und in § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO und es bestünden auch keine Schutzlücken, die geschlossen werden müssten, der Auffassung angeschlossen, die diese Frage bejaht, also fällige Forderungen des Gesellschafters bei der Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit nach § 64 Satz 3 GmbHG berücksichtigt. Dieser Gesetzesauslegung kann nach Ansicht des Senats nicht entgegengehalten werden, dass dadurch § 64 Satz 3 GmbHG einen zu geringen Anwendungsbereich erhalte, weil auch der Gesetzgeber von einem eng begrenzten Anwendungsbereich dieser Vorschrift ausgegangen ist. Da das Berufungsgericht von seinem insoweit abweichenden Rechtsstandpunkt die Liquiditätslage der GmbH zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hatte, hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. In den Segelanweisungen hat er darauf hingewiesen, dass sich für den Fall, dass nach den noch zu treffenden Feststellungen durch eine Rückzahlung des Darlehens die Zahlungsunfähigkeit im Sinne von § 64 Satz 3 GmbHG verursacht würde, daraus ein Leistungsverweigerungsrecht der Gesellschaft ergäbe. Mit dem „Zahlungsverbot“ des § 64 Satz 3 GmbHG soll der Gefahr vorgebeugt werden, dass bei sich abzeichnender Zahlungsunfähigkeit von den Gesellschaftern Mitteln entnommen werden. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die Gesellschaft den Mittelabfluss verhindern kann und der Geschäftsführer ihn nicht unter Inkaufnahme einer eigenen Haftung bewirken muss.

2. Urteil vom 18.6.2013 – II ZR 86/11 (Organhaftung bei der GmbHG & Co. KG) Die Entscheidung vom 18. Juni 201311 betrifft die Haftung des Geschäftsführers der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG für 11 ZIP 2013, 1712 = GmbHR 2013, 1044.

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Schäden, die der Kommanditgesellschaft durch eine sorgfaltswidrige Geschäftsführung entstanden sind. In unserem Fall war über das Vermögen der Kommanditgesellschaft, einer Publikumsgesellschaft, mit der Anlegern die Beteiligung an einem Musikfonds angeboten worden war, das Insolvenzverfahren eröffnet worden und der Insolvenzverwalter hatte den früheren Geschäftsführer der Komplementär-GmbH auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Der Senat hat die Auffassung des Berufungsgerichts bestätigt, dass die Kommanditgesellschaft in den Schutzbereich des zunächst ja nur im unmittelbaren Verhältnis zwischen der GmbH und ihrem Geschäftsführer geltenden § 43 Abs. 2 GmbHG einbezogen war. Eine solche Einbeziehung ist nach der Senatsrechtsprechung regelmäßig geboten, wenn wie hier die alleinige oder wesentliche Aufgabe einer GmbH in der Führung der Geschäfte einer Kommanditgesellschaft als Komplementärin besteht. Im Streitfall hatte sich das Berufungsgericht bei der Begründung dieser Schutzwirkung mit der Feststellung eines Anstellungsverhältnisses des beklagten Geschäftsführers schwer getan, weil dieser für seine Tätigkeit keine Vergütung erhalten hatte. Der Begründung und genauen Ausgestaltung eines etwaigen Anstellungsverhältnisses musste jedoch aus unserer Sicht nicht weiter nachgegangen werden, da jedenfalls durch die Bestellung ein Organverhältnis zustande gekommen war. Bereits aus dem Organverhältnis zwischen Komplementär-GmbH und ihrem Geschäftsführer können ohne weiteres Schutzpflichten zugunsten der Kommanditgesellschaft hergeleitet werden, für deren Verletzung der Beklagte ihr nach § 43 Abs. 2 GmbHG ggf. zum Schadensersatz verpflichtet sein konnte. Davon abgesehen enthält die Entscheidung Ausführungen zu allgemeinen, von der konkreten Fallgestaltung und der hier gegebenen Gesellschaftsform unabhängigen Grundsätzen der Organhaftung, auf die ich Ihr Interesse lenken möchte. Zunächst wird zur Darlegungs- und Beweislast im Prozess gegen den Geschäftsführer der Grundsatz wiederholt, dass die einen Anspruch nach § 43 Abs. 2 GmbHG verfolgende klagende Gesellschaft (nur) darlegen und beweisen muss, dass und inwieweit ihr durch ein möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers in seinem Pflichtenkreis ein Schaden erwachsen ist, wobei ihr gegebenenfalls die Erleichterungen des § 287 ZPO zugutekommen. Der Geschäftsführer hat darzulegen und erforderlichenfalls zu beweisen, dass er seinen Sorgfaltspflichten nachgekommen ist oder ihn kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten eingetreten wäre. Dies gilt in gleicher Weise für die

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Aktiengesellschaft, wie etwa im Senatsurteil vom 15. Januar 2013 – II ZR 90/1112 in einem Fall der Haftung von ausgeschiedenen Vorständen einer Hypothekenbank wegen riskanter Derivategeschäften im Zusammenhang mit der Absicherung von Zinsrisiken ausgeführt ist. Das in Anspruch genommene Organ trägt auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass seine Entscheidung vom unternehmerischen Ermessen gedeckt war, wie für das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft aus § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG folgt, aber auch für den Geschäftsführer einer GmbH und auch einer GmbH & Co. KG gilt. In der Entscheidung vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11 ging es in diesem Zusammenhang u.a. darum, ob der Abschluss einer nachträglichen schriftlichen Vereinbarung eines weit über den gesetzlichen Gebühren liegenden Rechtsanwaltshonorars pflichtwidrig ist, wenn die Tätigkeit bereits erbracht wurde und die Gesellschaft aufgrund der bis dahin getroffenen mündlichen Abreden nur zur Zahlung der gesetzlichen Gebühren verpflichtet war. Der Senat hat ausgeführt, dass die Vereinbarung eines höheren Honorars gleichwohl durch das unternehmerische Ermessen gedeckt sein kann. Dasselbe gilt für den Abschluss einer Vereinbarung, die der Fortsetzung der Zusammenarbeit mit einem Geschäftspartner diente, der sich zuvor möglicherweise vertragswidrig verhalten hatte. Das Berufungsgericht hatte den Abschluss dieser Vereinbarung als pflichtwidrig angesehen, weil der Geschäftsführer damit für die Gesellschaft auf die Geltendmachung vertraglicher Rechte verzichtete, die dieser aus der möglichen Vertragswidrigkeit des Geschäftspartners zustanden. Das greift nach Ansicht des Senats zu kurz, weil die weitere Zusammenarbeit mit Vorteilen verbunden sein kann, die den Verzicht auf die vertraglichen Rechte im Rahmen des unternehmerischen Ermessens rechtfertigen kann.

IV. Aktienrecht Das Schwergewicht der zu besprechenden Entscheidungen liegt aber auch in diesem Jahr im Aktienrecht.

12 ZIP 2013, 455 = AG 2013, 259.

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1. Urteil vom 12.3.2013 – II ZR 179/12 (Rechtsfolgen des Verstoßes gegen § 57 AktG) Zum Verbot der Einlagenrückgewähr hat der Senat mit Urteil vom 12. März 2013 – II ZR 179/1213 festgestellt, dass bei einem Verstoß gegen § 57 AktG durch ein Austauschgeschäft zwischen der Gesellschaft und einem Aktionär weder das Verpflichtungs- noch das Erfüllungsgeschäft nichtig sind. § 57 AktG ist zwar ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB. Nach § 134 BGB ist ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, aber nur dann nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt. Bei einem Verstoß gegen § 57 AktG ergibt sich aus dem Gesetz ein anderes, weil die Regelungen der §§ 57, 62 AktG nach Ansicht des Senats so auszulegen sind, dass die Rechtsfolge eines Verstoßes nicht die Nichtigkeit der betreffenden Rechtsgeschäfte ist, sondern sich aus § 62 AktG ergibt. Dadurch werden sowohl Konkurrenzprobleme mit dem Bereicherungsrecht als auch Unsicherheiten über die dingliche Zuordnung von der Gesellschaft weggegebener Vermögensgegenstände vermieden.

2. Beschluss vom 23.4.2013 – II ZB 7/09 (Ad-hoc-Publizität bei zeitlich gestreckten Vorgängen) Nach der zu Beginn meiner Amtszeit erfolgten Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union14 und dessen Urteil im Juni 201215 hat der Senat in der Sache II ZB 7/09 (Geltl/Daimler) mit Beschluss vom 23. April 201316 die Vorgaben des Gerichtshofs umgesetzt, den Musterentscheid des Oberlandesgerichts Stuttgart im Wesentlichen aufgehoben und die Sache insoweit zurückverwiesen. Die Rechtsfragen zur Ad-hoc-Mitteilungspflicht bei zeitlich gestreckten Vorgängen sind in den letzten Jahren – auch an dieser Stelle17 – ausführlich diskutiert worden. Ich möchte daher aus dem Beschluss des Senats vom 23. April 2013 nur folgendes kurz hervorheben: Bei Zwischenschritten – solche sind im Falle Geltl/Daimler etwa die Überlegungen des Vorstandsvorsitzenden über sein vorzeitiges Ausscheiden, Gespräche darüber mit seiner Ehefrau und Dritten, die

13 14 15 16 17

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BGHZ 196, 312 = ZIP 2013, 819 = AG 2013, 531. Beschluss vom 22.11.2010 – II ZB 7/09, ZIP 2011, 72 = AG 2011, 84. ZIP 2012, 1282 = AG 2012, 555. ZIP 2013, 1165 = AG 2013, 518. Vgl. das Referat von Ihrig auf der Jahrestagung 2012, VGR-Schriftenreihe Bd. 18, S. 113 ff.

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Befassung des Aufsichtsrats usw. – ist zwischen Informationen über diese selbst als bereits eingetretene Umstände und Informationen über künftige Umstände und Ereignisse zu unterscheiden. Die Bedeutung der Information über den Zwischenschritt muss sich für den Anleger nicht auf das künftige Ereignis beschränken; der bereits eingetretene Umstand kann z.B. schon wegen seiner gegenwärtigen Auswirkungen für die Anlageentscheidung Verwendung finden. Eine Informationspflicht über einen Zwischenschritt kann allerdings schon deshalb zu verneinen sein, weil eine auf den betreffenden Umstand bezogene Information nicht spezifisch genug und daher keine konkrete Information i.S.v. § 11 Abs. 1 Satz 1 WpHG ist. Das hat der Senat für bloße Überlegungen über einen vorzeitigen Rückzug vom Amt und für die Einweihung der Ehefrau in diese Überlegungen angenommen. Nur soweit die Information über einen Zwischenschritt nicht als Information über einen bereits eingetretenen Umstand, sondern im Hinblick auf einen weiteren künftigen Zwischenschritt oder über das „Endergebnis“ in Betracht gezogen wird, muss dieses Ereignis im Sinne von § 13 Abs. 1 Satz 3 WpHG hinreichend wahrscheinlich sein. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn eher mit dem Eintreten des künftigen Ereignisses als mit seinem Ausbleiben zu rechnen ist. Der Senat hat weiter darauf hingewiesen, dass eine Feststellung, ob die Befreiung von der Pflicht zur unverzüglichen Veröffentlichung einer Insiderinformation nach § 15 Abs. 3 WpHG eine bewusste Entscheidung über den Aufschub der Veröffentlichung und eine nachträgliche Mitteilung an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) voraussetzt, im Kapitalanlegermusterverfahren nicht getroffen werden muss, wenn die Emittentin sich darauf berufen kann, sie hätte sich für einen Aufschub entschieden, und die weiteren Voraussetzungen nach § 15 Abs. 3 Satz 1 WpHG tatsächlich vorliegen. Der Schädiger kann sich darauf berufen, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. Nach dem Schutzzweck der § 15 Abs. 1 und 3, § 37b Abs. 1 WpHG kann der Schädiger sich aber nur darauf berufen, dass er die Befreiungsentscheidung getroffen hätte, wenn er das Vorliegen einer Insiderinformation erkannt hätte. Die übrigen Voraussetzungen der Befreiung, also insbesondere die formalen Voraussetzungen der Gewährleistung der Vertraulichkeit, müssen dagegen tatsächlich vorliegen; insoweit kann sich der Schädiger nicht darauf berufen, dass er sie jederzeit hätte herbeiführen können.

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3. Urteil vom 28.5.2013 – II ZR 67/12 (Anpassung von Genussscheinbedingungen nach Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags) Mit Urteil vom 28. Mai 2013 – II ZR 67/1218 hat der Senat entschieden, wie Genussscheinbedingungen anzupassen sind, wenn die Gesellschaft, die Genussscheine begeben hat, später zur abhängigen Gesellschaft eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags wird. Wir hatten es in diesem Verfahren mit den Genussscheinbedingungen zweier verschiedener Aktiengesellschaften zu tun, die eine dem Gewinnanteil der Aktionäre vorgehende Ausschüttung aus dem Bilanzgewinn sowie eine Teilnahme am Jahresfehlbetrag vorsahen. Die AG 1 wurde auf die Beklagte unseres Verfahrens verschmolzen, die dann einen Beherrschungsund Gewinnabführungsvertrag mit einer dritten Gesellschaft schloss. Die AG 2 wurde auf die Beklagte verschmolzen, nachdem diese den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen hatte. Die Auswirkung der Konzernierung war in den Genussscheinbedingungen nicht geregelt. Der klagende Genussscheininhaber und die Beklagte waren sich einig, dass eine Anpassung zu erfolgen habe. Die Beklagte wollte die Zahlungen auf die Genussrechte nach dem fiktiven Bilanzgewinn oder -verlust vor der Gewinnabführung oder dem Verlustausgleich berechnen. Der Kläger vertrat demgegenüber die Ansicht, die Bedienung habe analog § 304 AktG unabhängig von der Ertragslage der Beklagten zu erfolgen, wenn die Prognose wie in seinem Fall hinsichtlich der Ertragsentwicklung der Beklagten bei Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags positiv gewesen sei. Der Senat hat eine Anpassung des Vertragsinhalts nach den Regeln des Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorgenommen. Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt nicht in Betracht, weil durch die Konzernierung eine so starke Umgestaltung des Rechtsverhältnisses erfolgt, dass eine Herleitung aus dem Vertragswillen ausscheidet. Die „Konzernfreiheit“ ist aber Geschäftsgrundlage des Begebungsvertrags der Genussrechte. Die notwendige Anpassung führt in Fällen, in denen bei Abschluss des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags davon auszugehen ist, dass die abhängige Gesellschaft ohne den Vertrag genügend Gewinn ausgewiesen hätte, um die Genussrechte bedienen zu können, dazu, dass sie dazu verpflichtet bleibt. Die Genussscheininhaber werden somit wirt-

18 ZIP 2013, 1570 = AG 2013, 680.

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schaftlich weitgehend so gestellt, als wäre der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag nicht abgeschlossen worden.

4. Urteil vom 11.6.2013 – II ZR 80/12 – BKN (Ansprüche bei Nichtveröffentlichung eines Pflichtangebots entgegen § 35 Abs. 2 WpÜG) In dem im Tatsächlichen etwas undurchsichtigen Verfahren II ZR 80/1219 war nach dem revisionsrechtlich maßgeblichen Sach- und Streitstand darüber zu entscheiden, ob die übrigen Aktionäre einer Zielgesellschaft einen Anspruch auf eine Gegenleistung haben, wenn ein Kontrollerwerber entgegen § 35 Abs. 2 WpÜG kein Pflichtangebot veröffentlicht. Wir haben einen solchen Anspruch verneint. Ein solcher Zahlungsanspruch lässt sich weder aus § 35 WpÜG noch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 35 Abs. 2 WpÜG herleiten, weil diese Vorschrift kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist. Sie dient zwar auch dem Schutz der Aktionäre vor den Folgen eines Kontrollerwerbs. Angesichts ihrer vorrangig kapitalmarktrechtlichen Ausrichtung ist mit ihr jedoch die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs zu Gunsten von Einzelpersonen oder für einen bestimmten Personenkreis ersichtlich nicht gewollt. In diesem Zusammenhang hat der Senat ferner ausgesprochen, dass Zinsen nach § 38 Nr. 2 WpÜG nur geschuldet werden, wenn und soweit ein Pflichtangebot – verspätet – veröffentlicht wird. Er ist insoweit der im Schrifttum vertretenen Ansicht gefolgt, dass es sich bei dem Zinsanspruch nach § 38 Nr. 2 WpÜG nach allgemeinen Grundsätzen um einen notwendig akzessorischen Anspruch handelt, der nur bestehen kann, wenn auch ein Hauptanspruch, nämlich aus dem Pflichtangebot, besteht.

5. Beschluss vom 8.10.2013 – II ZB 26/12 (Kein Pflichtangebot beim Delisting) Mit der Gewährung oder Nichtgewährung gesellschaftsrechtlicher Ansprüche neben den kapitalmarktrechtlichen Schutzbestimmungen befasst sich auch der am vergangenen Dienstag veröffentlichte Beschluss des II. Zivilsenats vom 8. Oktober 2013 – II ZB 26/12.20 Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 11. Juli 201221 der tragenden

19 ZIP 2013, 1565 = AG 2013, 634. 20 ZIP 2013, 2254 = AG 2013, 877. 21 ZIP 2012, 1402 = AG 2012, 557.

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Begründung der sog. Macroton-Entscheidung des II. Zivilsenats vom 25. November 2002 – II ZR 133/0122 die Grundlage entzogen hat, indem es festgestellt hat, dass das sog. Delisting den Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts des Aktionärs nicht berührt, war eine erneute Prüfung der einfach-rechtlichen Rechtslage geboten. Der Senat hat nunmehr entschieden, dass beim Widerruf der Zulassung der Aktie zum Handel im regulierten Markt (Delisting) auf Veranlassung der Gesellschaft die Aktionäre keinen Anspruch auf eine Barabfindung haben, es weder eines Hauptversammlungsbeschlusses noch eines Pflichtangebots bedarf und folglich auch kein Spruchverfahren durchzuführen ist. Es sind ja im Anschluss an die Macroton-Entscheidung des Senats und sodann in Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Schrifttum eine Reihe von Vorschlägen diskutiert worden, mit welcher einfach-rechtlichen Begründung man ohne Rückgriff auf das Verfassungsrecht zu demselben Ergebnis gelangen könnte. Den Senat hat keiner dieser Vorschläge überzeugt. Gegen eine entsprechende Anwendung der eine Barabfindung beim Formwechsel gewährenden Vorschrift des § 207 UmwG spricht, dass der Wechsel von der börsennotierten zur nicht börsennotierten Aktiengesellschaft nach der gegenwärtigen Konzeption des Gesetzes einem Formwechsel nicht gleichkommt. Im Übrigen führt auch ein Formwechsel nicht immer zu einer Barabfindung; § 207 UmwG ist nach § 250 UmwG nämlich auf den Formwechsel einer Aktiengesellschaft in eine Kommanditgesellschaft auf Aktien und umgekehrt nicht anwendbar. Soweit in § 29 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Fall 2 UmwG nunmehr für den Fall der Verschmelzung einer börsennotierten Aktiengesellschaft auf eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft die Pflicht zum Angebot einer angemessenen Barabfindung ausdrücklich geregelt ist, hat der Senat dieser Vorschrift nicht zu entnehmen vermocht, dass der Gesetzgeber damit einen allgemeinen Grundsatz anerkennen wollte, dass der Wechsel aus dem regulierten Markt in jedem Fall zu einer Abfindung führt. Die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift spricht eher dagegen, wie sich aus der Gegenäußerung der Bundesregierung auf die Stellungnahme des Bundesrats ergibt, der angeregt hatte, die Aufzählung der dem Spruchverfahrensgesetz unterliegenden Verfahren um das Delisting zu erweitern. Dies wurde mit der Begründung abgelehnt, die Diskussion in Wis-

22 BGHZ 153, 47 = AG 2003, 273.

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Bergmann – Die aktuelle gesellschaftsrechtliche Rechtsprechung des BGH

senschaft und Praxis über die Voraussetzungen und die Rechtsfolgen des Delistings dauere an und der Gesetzgeber solle keine vorschnelle Antwort geben. Nach der gegenwärtigen Rechtslage steht dem Anerkenntnis eines allgemeinen Grundsatzes ferner entgegen, dass für andere Fälle des „kalten“ Delistings, in denen Maßnahmen auf indirektem Weg zur Beendigung der Zulassung führen können, wie bei der Eingliederung in eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, keine Barabfindung vorgesehen ist, siehe § 320b Abs. 1 Satz 2 AktG. Soweit die Beteiligung der Hauptversammlung und die Abgabe eines Pflichtangebots in Anlehnung an § 243 Abs. 2 Satz 2 AktG (Ausschluss der Anfechtung eines einen Sondervorteil gewährenden Hauptversammlungsbeschlusses, wenn den anderen Aktionären gleichzeitig ein angemessener Ausgleich gewährt wird) gefordert oder aus einer Gesamtanalogie zu gesetzlichen Regelungen anderer gesellschaftsrechtlicher Strukturmaßnahmen hergeleitet werden, ist der Senat diesen Auffassungen gleichfalls nicht gefolgt. Nach Ansicht des Senats lässt sich auch nicht feststellen, dass der in § 39 Abs. 2 Satz 2 BörsG geregelte Schutz der Anleger unzureichend und zudem darüber hinaus gesellschaftsrechtlich ein Barabfindungsangebot geboten ist. Soweit dies im Macroton-Urteil anders gesehen wurde, hatte der Senat damals den grundrechtlichen Schutz des Aktieneigentums im Blick, von dessen Beeinträchtigung durch ein Delisting nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr ausgegangen werden kann.

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Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann Dr. Birgit Schneider Richterin am Landgericht, Heidelberg/Karlsruhe Einleitend dankte Diskussionsleiter Altmeppen Bergmann für sein Referat und begrüßte die anwesenden Mitglieder des II. Zivilsenats des BGH sowie die ebenfalls erschienenen ehemaligen Senatsvorsitzenden Goette und Röhricht. Die angeregte Diskussion erstreckte sich sodann auf alle Bereiche des Gesellschaftsrechts, zu denen Bergmann aktuelle Entscheidungen referiert hatte.

I. Personengesellschaftsrecht Maier-Reimer begrüßte den in dem Urteil vom 12. März 2013 (II ZR 73/11, NZG 2013, 738) aufgestellten Grundsatz, wonach die Kommanditgesellschaft Ausschüttungen an die Kommanditisten nur dann zurückverlangen könne, wenn dies im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich geregelt sei. Er sei gleichwohl der Ansicht, dass der Gesellschaftsvertrag in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall gerade eine solche Regelung beinhaltet habe, weil die Ausschüttungen „auf Darlehenskonto“ zu buchen gewesen seien und dies die Rückzahlungsverpflichtung ausdrücke. Bergmann erläuterte, dass der Senat den fraglichen Gesellschaftsvertrag nicht dahingehend ausgelegt habe, dass keine Rückzahlungsverpflichtung vereinbart worden sei, sondern lediglich angenommen habe, dass die Bedeutung der fraglichen Regelung „Buchung auf Darlehenskonto“ nicht eindeutig sei. Der Senat habe verschiedene Auslegungen der Gesellschaftsvertragsklausel für möglich gehalten. Denkbar sei beispielsweise, dass von den Gesellschaftern stehengelassene Ausschüttungen wie Darlehen an die Gesellschaft anzusehen gewesen seien und deshalb auf „Darlehenskonto“ zu buchen gewesen seien. Da Gesellschaftsverträge von Publikumsgesellschaften einer ähnlichen Auslegung und Inhaltskontrolle wie Allgemeine Geschäftsbedingungen unterlägen, gingen Unklarheiten zulasten der verwendenden Gesellschaft. Der Gesellschaftsvertrag habe den Anlegern jedenfalls nicht ausreichend klar verdeutlicht, dass die Ausschüttungen nur unter Vorbehalt erfolgen würden. Der Senat sei der Ansicht, dass mit dieser Rechtsprechung für die Gesellschaft, die ein Interesse an der Rückforderungsmöglichkeit habe, kein übermäßiges Erschwernis geschaffen werde.

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Schneider – Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann

II. GmbH-Recht Bachmann berichtete, dass die Ausführungen in der Entscheidung zur Haftungsprivilegierung bei unternehmerischem Ermessen des Geschäftsführers einer GmbH & Co. KG (Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = NZG 2013, 1021) in der Literatur allgemeinen Zuspruch gefunden hätten, dem er sich grundsätzlich anschließe. Allerdings halte er es für problematisch, dass der Senat in dieser wie nach ständiger Rechtsprechung von dem Geschäftsführer verlange, dass er vor einer unternehmerischen Entscheidung alle verfügbaren Informationsquellen ausschöpfe. Welche Informationen noch als verfügbar zu gelten hätten und welcher Aufwand gerade bei eiligen Entscheidungen für ein pflichtgemäßes Verhalten betrieben werden müsse, sei schwer zu fassen. Es drohe eine ausufernde Pflicht. Bergmann erläuterte, dass diese Anforderung in dem Revisionsverfahren, das mit einer Zurückverweisung an das Berufungsgericht geendet habe, weil weitere Feststellungen zu treffen seien, kein entscheidender Punkt gewesen sei, er aber der Ansicht sei, dass der Senat in ständiger Rechtsprechung nichts Unmögliches vom Geschäftsführer einer GmbH verlange. Goette verwies ergänzend darauf, dass diese vom Senat in der Zeit unter seinem Vorsitz begründete Rechtsprechung lediglich verlange, dass der Geschäftsführer in der konkreten Entscheidungssituation alle verfügbaren Informationsquellen ausschöpfe. Zur konkreten Situation gehöre neben dem Gegenstand, über den zu entscheiden sei, auch die verfügbare Zeit. K. Schmidt teilte die Ansicht des II. Zivilsenats, wonach § 64 Satz 3 GmbHG ein Leistungsverweigerungsrecht der Gesellschaft gegenüber dem fordernden Gesellschafter begründe (Urteil vom 9. Oktober 2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = NZG 2012, 1379), zeigte sich im Übrigen jedoch verwundert über die durch das MoMiG geschaffene Rechtslage. Es sei jedenfalls rechtspolitisch fragwürdig, wenn der Geschäftsführer seiner Haftung nach § 64 Satz 3 GmbHG wegen Zahlungen an die Gesellschafter dadurch entgehen könne, dass er einwende, die Gesellschaft sei im Moment der Zahlung bereits zahlungsunfähig gewesen. Bergmann sah dagegen in der neuen Rechtslage keine Gefahr für die Gläubigergemeinschaft, da eine Zahlung an die Gesellschafter zu einem Zeitpunkt, in dem die Gesellschaft bereits zahlungsunfähig gewesen sei, schon unter das allgemeine Zahlungsverbot gem. § 64 Satz 1 GmbHG falle. Ein Leistungsverweigerungsrecht der Gesellschaft begründe § 64 Satz 1 GmbHG nach seiner Ansicht gleichwohl nicht. Vielmehr sei bei

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Schneider – Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann

Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag zu stellen. § 64 Satz 3 GmbHG habe trotzdem einen, wenn auch geringen Anwendungsbereich, z.B. für eine Zahlung auf eine nicht fällige Forderung, die deshalb nicht in die Liquiditätsbilanz einzustellen sei. Auch H.-F. Müller kritisierte, dass die restriktive Interpretation des § 64 Satz 3 GmbHG durch den BGH es den Gesellschaftern erlaube, noch kurz vor der Insolvenz ihre Darlehen fällig zu stellen und abzuziehen. § 64 Satz 1 GmbHG helfe nicht, wenn Forderungen der Gesellschafter z.B. vier Wochen vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit erfüllt würden, weil der IX. Zivilsenat in ständiger Rechtsprechung für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit eine DreiWochen-Prognose verlange. Bergmann blieb dabei, dass dieses Ergebnis der vom Gesetzgeber geschaffenen Rechtslage entspreche und deshalb zu akzeptieren sei. C. Schäfer pflichtete Bergmann bei. Die vom II. Zivilsenat in der diskutierten Entscheidung vorgenommene Auslegung zu § 64 Satz 3 GmbHG sei sehr sachgerecht. Die von den Vorrednern geforderte weitergehende Haftung würde den Geschäftsführer über Gebühr belasten. Allerdings sei er der Ansicht, dass sich auch aus § 64 Satz 1 GmbHG ein Leistungsverweigerungsrecht der Gesellschaft ergebe.

III. Aktienrecht Krieger begrüßte im Ergebnis, dass mit der Aufgabe der Macroton-Rechtsprechung (Beschluss vom 8. November 2013 – II ZB 26/12, NZG 2013, 1342) künftig ein Delisting ohne Abfindungsangebot zulässig ist, auch wenn ihn die Begründung des BGH, insbesondere seine Auseinandersetzung mit § 29 UmwG, kaum überzeuge. Er äußerte zugleich die Einschätzung, dass die der neuen Rechtsprechung zugrundeliegende Rechtsauffassung, die Börsennotierung und der mit ihr verbundene Kurswert der Aktie seien weder durch Art. 14 GG noch einfachrechtlich geschützt, letztlich die Basis für die gesamte DAT/Altana-Rechtsprechung in Zweifel ziehe, nach welcher bei der Berechnung von Kompensationsansprüchen von Aktionären (z.B. beim squeeze out) der Börsenkurs die Untergrenze des angemessenen Wertes darstelle. Wenn bei Entzug der Börsennotierung der Schutz des Kurswertes nur darin bestehe, dass der Aktionär seine Aktie vorher noch an der Börse verkaufen könne, dann genüge es auch in Abfindungssituationen, den Aktionär, der den Börsenkurs realisieren wolle, auf einen Verkauf über die Börse zu verweisen. Demgegenüber kritisierte Krieger die neue Rechtsprechung insoweit, als sie ein Delisting ohne Zustimmung der Hauptversammlung zulässt. Die

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Schneider – Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann

Frage, wo und wie die Aktien gehandelt werden könnten, sei qualitativ keine Geschäftsführungsmaßnahme, sondern betreffe in erster Linie die Rechte der Aktionäre und müsse deshalb entgegen der Ansicht des II. Zivilsenats in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fallen. Bergmann verwies darauf, dass de lege lata der Aufgabenbereich der Hauptversammlung solche Fragen nicht umfasse. Auf Frage von Goette, wie mit Spruchverfahren zu verfahren sei, die vor der Rechtsprechungsänderung anhängig gemacht worden seien, verwies Bergmann darauf, dass der Senat diese Frage noch nicht erörtert habe, es aber zu überlegen sei, ob diese Verfahren nicht von Anfang an unzulässig gewesen seien, da sich die Rechtslage nicht geändert habe. Krieger beschäftigte sich ferner kritisch mit der für die Feststellung der Kursrelevanz einer Information nach der Rechtsprechung auch in der aktuellen Entscheidung zur Ad-hoc-Publizität bei gestreckten Vorgängen (Beschluss vom 23. April 2013 – II ZB 7/09, NZG 2013, 708) maßgeblichen objektiv-nachträglichen Ex-ante-Prognose. Was diese konkret bedeute, bleibe unklar. Ferner plädierte er dafür, dass bei der Wahrscheinlichkeitsprüfung, die im Hinblick auf die Veröffentlichungspflicht von zukünftigen Ereignissen anzustellen sei, im Sinne eines Probability-MagnitudeTests auch die Bedeutung der Information für das Unternehmen zu berücksichtigen sei. Er bildete das Beispiel eines Schmiergeldsystems, das, wenn es bekannt würde, existenzvernichtend für ein Unternehmen sein könne, die Wahrscheinlichkeit einer Entdeckung aber gering sei. Das Schmiergeldsystem an sich sei seiner Ansicht nach nicht kursrelevant, sondern nur das allerdings sehr unwahrscheinliche Bekanntwerden. Bergmann meinte dagegen, das Schmiergeldsystem an sich sei als gegenwärtiger Umstand auf seine Kursrelevanz zu überprüfen, weshalb es auf die Entdeckungsgefahr von vornherein nicht ankomme. K. Schmidt zeigte sich sehr angetan von der Entscheidung des II. Zivilsenats zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr (Urteil vom 12. März 2013 – II ZR 179/12, BGHZ 196, 312 = NZG 2013, 496) und berichtete, dass die Sichtweise in Österreich bei vergleichbarer Gesetzeslage zu seinem Erstaunen eine ganz andere sei. Dort würden überwiegend scharfe Sanktionen gegen unzulässige Ausschüttungen gefordert und deshalb die Nichtigkeit der Übertragungsakte vertreten. Dies sei jedoch nicht sachgerecht. Es genüge, die Bilanz zu bereinigen, was über den Rückgewähranspruch nach § 62 Abs. 1 GmbHG gesichert sei.

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Schneider – Bericht über die Diskussion des Referats Bergmann

Hommelhoff meldete sich mit einer allgemeinen Beobachtung zur Rechtsprechung des II. Zivilsenats zu Wort. Dieser sei seiner Wahrnehmung nach nicht bereit, begrenzte Leistungen des Gesetzgebers zu kompensieren und Lücken, die der Gesetzgeber wie z.B. bei der Behandlung des Delisting sogar bewusst im Hinblick auf eine anhaltende Diskussion in Literatur und Rechtsprechung bestehen gelassen habe, zu schließen. Bergmann bestätigte, dass der Senat in seinen Entscheidungen die Zuständigkeit des Gesetzgebers respektiere und sich nicht dazu legitimiert sehe, Legislativaufgaben zu übernehmen. Die Diskussion endete mit einer Frage von Puszkajler zum rechtmäßigen Alternativverhalten, welches in den von der Rechtsprechung zu entscheidenden Organhaftungsfällen häufig eine Rolle spiele. Er interessierte sich dafür, ob der II. Zivilsenat den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens auch bei Kompetenzverstößen zulassen wolle, z.B. wenn ein Vorstand den Genehmigungsvorbehalt des Aufsichtsrats verkannt habe. Bergmann verwies darauf, dass diese Frage in den von ihm referierten Entscheidungen nicht von Bedeutung gewesen sei. In der Entscheidung zur Organhaftung bei der GmbH & Co. KG (Urteil vom 18. Juni 2013 – II ZR 86/11, BGHZ 197, 304 = NZG 2013, 1021) sei der Senat zwar davon ausgegangen, dass der Geschäftsführer sich darauf berufen könne, die Gesellschafter hätten seiner Maßnahme, die nunmehr zu einem Schadensersatzanspruch gegen ihn führen solle, im Falle ihrer vorherigen Information zugestimmt. In einem solchen Fall der Billigung durch die Gesellschafter würde aber die Pflichtwidrigkeit der Handlung des Geschäftsführers entfallen. Inwieweit die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten bei Kompetenzverstößen denkbar sei, müsse der Senat erst beraten.

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Anteilseinziehung und Abfindungszahlung Teleologie und Dogmatik der Folgen sofort wirksamer Einziehungsbeschlüsse Prof. Dr. Tobias Tröger, LL.M. (Harvard)* Goethe Universität Frankfurt am Main I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Kernaussagen der BGH-Rechtsprechung und ihre Rezeption in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sofortige Wirksamkeit der Einziehung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand, Position des BGH und Echo in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Vermeidung von hold-up-Positionen als erstes, dogmatisch bruchlos umsetzbares Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausfallhaftung . . . . . . . . . . . . . a) Anteilige Ausfallhaftung als Mittel des Interessenausgleichs . . . . . . . . . . . . . . b) Dogmatische Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Haftung für Gesellschaftsschuld . . . . . . . . (2) Verletzung mitgliedschaftlicher Treubindungen. . . . . . . . . . . . . . (3) Ausgleich als Folge der Vermögensvorteile der verbleibenden Gesellschafter . . . . . . . . . . . . .

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(4) Treupflichtbasierte Leistungspflicht als transaktionskostengünstige Absicherung gegen Opportunismusgefahren . . . . . . . . . . . . . (5) Zwischenergebnis. . . . . c) Passivlegitimation . . . . . . . d) Umfang und Reichweite der Haftung . . . . . . . . . . . . . (1) Keine gesamtschuldnerische, sondern pro rata-Haftung . . . . . . . . . (2) Keine anteilige Erhöhung bei Zahlungsunfähigkeit haftender Gesellschafter . . . . . . . . (3) Entfallen der persönlichen Haftung durch Auflösungsbeschluss . . e) Subsidiarität. . . . . . . . . . . . .

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III. Offene Fragen . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Gleichbehandlung von Einziehung und Ausschluss aus wichtigem Grund. . . . . . . . . . . 65 2. Keine Nichtigkeit bei anfänglicher Unterdeckung . . . . . . . . 69 IV. Hinweise für die Gestaltungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72

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V. Zusammenfassung in Thesen

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* Professor für Zivil-, Handels- und Wirtschaftsrecht und Rechtstheorie, Goethe Universität Frankfurt am Main. Fellow am Center for Financial Studies (CFS) und Principal Investigator am Center of Excellence Sustainable Architecture for Finance in Europe (SAFE), Frankfurt am Main.

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Tröger – Anteilseinziehung und Abfindungszahlung

I. Einführung Die jüngste Grundsatzentscheidung des BGH zur Einziehung von GmbH-Anteilen1 und die darin entwickelte Konzeption des Interessenausgleichs zwischen verbleibenden und ausscheidenden Gesellschaftern bewegt die Praxis ebenso wie die Wissenschaft. Dies kommt in einem anhaltenden, zuletzt auch scharfe Dissonanzen aufweisenden, literarischen Nachhall zum Ausdruck, den das Urteil ausgelöst hat. Die rege Anteilnahme der Berater an der Debatte erklärt sich daraus, dass die Gestaltungspraxis die Systematik des GmbHG akzeptiert, weshalb beispielsweise die GmbH-Mustersatzungen in den gängigen Formularhandbüchern die Einziehung als Weg der Wahl vorzeichnen, um Vorsorge für eine Bewältigung innerverbandlicher Konflikte durch ein erzwungenes Ausscheiden einzelner Gesellschafter zu treffen.2 Vor diesem Hintergrund betrifft die Positionierung des II. Senats,3 der sich gegen die bis dahin vor allem in der obergerichtlichen Spruchpraxis vorherrschende Bedingungslösung4 wendet, zentrale Fragen der Beratungspraxis, die über 1 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236. 2 Z.B. Stephan in Hoffmann-Becking/Rawert, Formularbuch Bürgerliches, Handels- und Wirtschaftsrecht, 11. Aufl. 2013, IX.9., § 7; Haasen in Lorz/Pfister/ Gerber, Beck’sches Formularbuch GmbH-Recht, 2010, C.I.3., § 15; Walz, Beck’sches Formularbuch Zivil-, Wirtschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2010, J.II.2., § 11; Kollmorgen, FormularBibliothek Vertragsgestaltung – Gesellschaftsrecht I, 2. Aufl. 2012, § 2 Rz. 10, § 10; Streck/Schwedhelm in Formularbuch Recht und Steuern, 7. Aufl. 2011, A.6.00, § 16. Vgl. aber auch Weiland/ Hoger in Hopt, Vertrags- und Formularbuch Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. 2013, II.D.1.3, § 6 (Einziehung und Zwangsabtretung) und umfassend aus notarieller Sicht mit eigenem Systematisierungsvorschlag auch Blath, GmbHR 2012, 657 (659). 3 Die Frage war bis dato offen gelassen worden, vgl. BGH v. 20.2.1995 – II ZR 46/94, NJW-RR 1995, 667 (669); BGH v. 30.6.2003 – II ZR 326/01, NZG 2003, 871 (872), dort aber schon deutliche Skepsis. 4 Nach dieser waren die Einziehungswirkungen insoweit aufschiebend bedingt, als die vollständige Leistung der dem Ausscheidenden nach Statut oder Gesetz geschuldeten Abfindung im Fälligkeitszeitpunkt aus ungebundenem Gesellschaftsvermögen möglich sein musste, vgl. schon Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung nebst Begründung und Anlagen: amtliche Ausgabe, 1891, S. 86 f.; dem folgend RG v. 24.11.1933 – II 113/33, RGZ 142, 286 (290 f.); OLG Köln v. 21.5.1996 – 3 U 130/95, NJW-RR 1997, 356 f.; OLG Frankfurt v. 26.11.1996 – 5 U 111/95, NJW-RR 1997, 612 f.; OLG Hamm v. 11.1.1999 – 8 U 42/98, NZG 1999, 597 (598); OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222; OLG Schleswig v. 27.1.2000 – 5 U 154/98, NZG 2000, 703 (704 f.); OLG Dresden v. 21.8.2001 – 2 U 673/01,

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den entschiedenen Fall weit hinausgreifen und insoweit eine umfassendere Neuorientierung innerhalb des angepassten Koordinatensystems erfordern. Aus wissenschaftlicher Sicht berührt das Judikat Grundsatzfragen der teleologisch fundierten Deutung vor allem der weiteren Einziehungsfolgen, die mit den die Praxis beschäftigenden Einzelproblemen eng verknüpft sind. Die normativ zutreffende Einordnung und dogmatisch stringente Entfaltung der Rechtsinstitute, die nach der zeitlich vorverlegten Vernichtung5 des eingezogenen Geschäftsanteils des ausgeschiedenen Gesellschafters auf die veränderte Beteiligung am Gesellschaftsvermögen reagieren, stellen den Schlüssel zur sachlich angemessenen und rechtssicher prognostizierbaren Bewältigung gerade der praktischen Detailfragen dar. Mit dieser Perspektive wird im Folgenden ein mehrfaches Erkenntnisinteresse verfolgt. Zum einen soll die vom BGH nicht hinreichend klar entwickelte Dogmatik der in Rede stehenden Einziehungsfolgen normativ abgesichert und – soweit angemessen – in den Vorgaben des positiGmbHR 2001, 1047 (1048); OLG Düsseldorf v. 23.11.2006 – 6 U 283/05, ZIP 2007, 1064; Scholz/Westermann, GmbHG, 10. Aufl. 2006, § 34 Rz. 60; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 43; Scholz/Winter/ Seibt, GmbHG, 10. Aufl. 2006, Anh. § 34 Rz. 17; Michalski/Sosnitza, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 34 Rz. 75; Wicke, GmbHG, 2. Aufl. 2011, § 34 Rz. 10; Raiser/ Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 5. Aufl. 2010, § 30 Rz. 59; MünchHdbGesR.GmbH/Kort, 4. Aufl. 2012, § 28 Rz. 40; Käppler, ZGR 1978, 542 (571); Gehrlein, ZIP 1996, 1157 (1159); Gehrlein, DB 1998, 2355 (2356); Bacher/von Blumenthal, NZG 2008, 406 (407 f.); ebenso für die Ausschlussklage BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (173). 5 So die ganz h.M z.B. BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (168); BGH v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, BGHZ 139, 299 (302); BayObLG v. 25.10.1991 – BReg. 3 Z 125/91, GmbHR 1992, 42; Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 62; Großkomm.GmbHG/Ulmer, § 34 Rz. 57; MünchKomm.GmbHG/Strohn, 2010, § 34 Rz. 59; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, GmbHG, 5. Aufl. 2013, § 34 Rz. 69; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 34 Rz. 19; Lutter/Hommelhoff/Lutter, 18. Aufl. 2012, § 34 Rz. 2; Saenger/Inhester/Greitemann/Klingsch, 2. Aufl. 2012, § 34 Rz. 57; Wolff, GmbHR 1999, 958, 959; Grunewald, GmbHR 2012, 769; 770; Priester, ZIP 2012, 658. Für die in diesem Beitrag angestellte, funktionale Betrachtung ist unerheblich, ob man der jüngst von Stehmann, NZG 2013, 574 vorgetragenen Fundamentalkritik an dieser h.M. folgt. Aus der hier eingenommenen Perspektive ist nämlich allein entscheidend, dass die Mitgliedschaft des von der Einziehung betroffenen Gesellschafters mit Wirksamkeit des Beschlusses endet, was unabhängig von der weiteren dogmatischen Bewältigung der Folgen dieses Ausscheidens der Fall ist. Vgl. auch unten III.1. bei Fn. 182.

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ven Rechts verankert werden.6 Auf dieser Grundlage kann ein gesetzeskonformes Gesamtkonzept für die Klärung der offenen Streitfragen konsistent fortentwickelt werden.7 Abschließend lassen sich unter Rückgriff auf diese Vorarbeiten zentrale Konsequenzen für die Gestaltungspraxis erörtern.8

II. Die Kernaussagen der BGH-Rechtsprechung und ihre Rezeption in der Literatur In der vom BGH zu entscheidenden Beschlussmängelstreitigkeit ging es als Vorfrage um den Fortbestand von Mitgliedschaftsrechten, die über einen der Zwangseinziehung unterworfenen Geschäftsanteil vermittelt wurden.9 Diesen Sachverhalt nutzt der II. Senat, um der mit unterschiedlicher Stoßrichtung in der Literatur10 und von einzelnen Obergerichten11 an der Bedingungslösung geübten Kritik Rechnung zu tragen. Im Ergebnis unterstreicht das vom BGH entwickelte Konzept des Interessenausgleichs zwischen den betroffenen Gesellschaftern zunächst das Interesse der verbleibenden Mitglieder, möglichst schnell zu reibungslosen Abläufen im Verband zurückzukehren, weil der Ausscheidende seine Mitgliedschaftsrechte zum frühestmöglichen Zeitpunkt verliert.12 Auf zweiter Ebene wird die ihm zustehende, vermögensmäßige Kompensation des Rechtsverlusts durch Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen (auch) im Fall eines von § 271 Abs. 1 BGB abweichenden,13 hinausgeschobenen 6 7 8 9 10

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Unten II. Unten III. Unten IV. Zur Vermittlung der Mitgliedschaftsrechte über den Geschäftsanteil nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 35 I, S. 1304. Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1983, S. 242; Niemeier, ZGR 1990, 314 (353); Ulmer, FS Rittner, 1991, S. 735, 748 ff.; Ulmer, FS Priester, 2007, S. 775, 793 ff.; Lutter/Hommelhoff/Lutter, GmbHG, 17. Aufl. § 34 Rz. 48; Lutz, DStR 1999, 1858 (1861 f.); Goette, FS Lutter, 2000, S. 399, 409; Pentz, FS Ulmer, 2003, S. 451, 467 ff.; Fietz/Fingerhut, DB 2007, 1179 (1181 ff.). KG v. 6.2.2006 – 23 U 206/04, NZG 2006, 437; OLG Hamm v. 7.10.1992 – 8 U 75/92, GmbHR 1993, 743 (746 f.). Unten 1. Bei Fehlen statutarischer Vorgaben ist umstritten, ob von „sofortiger“ Fälligkeit der Abfindung mit Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses auszugehen ist, Scholz/Westermann, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 25; Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, § 34 Rz. 24; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, GmbHG,

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Fälligkeitszeitpunkts durch eine Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter abgesichert.14 Vor dem Hintergrund der typischen Gestaltungen, die zur Vermeidung abrupter Liquiditätsabflüsse zu nicht selten mehrjähriger Hinauszögerung der endgültigen, u.U. ratenweisen Erfüllung des Abfindungsanspruchs führen,15 erlaubt ein wertungskonsistentes und operables Gesamtsystem, erhebliche Effizienzgewinne durch Senkung der Transaktionskosten im Unternehmen zu erzielen.

1. Sofortige Wirksamkeit der Einziehung a) Meinungsstand, Position des BGH und Echo in der Literatur Die bisher h.M.,16 nach der die Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses davon abhängig ist, dass ein fälliges Einziehungsentgelt aus von §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG nicht erfasstem Vermögen gezahlt werden kann, zielt darauf ab, die Belange des zwangsausgeschlossenen Gesellschafters durch Erhaltung seiner Mitgliedschaftsrechte zu gewährleisten. Das bei einem – abgesehen von der Abfindungsproblematik rechtmäßigen17 – Einziehungsbeschluss allein in Rede stehende Abfindungsinteresse soll also durch die Einräumung von Mitwirkungsrechten im Verband gewährleistet werden, die Einblick und Kontrolle in Geschäftsführungs-

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5. Aufl. 2013, § 34 Rz. 37, oder aber, ob „aus den Umständen zu entnehmen“ ist, dass diese erst eintritt, wenn der Zeitraum verstrichen ist, der für die unverzügliche Ermittlung der Höhe und die Verschaffung der erforderlichen Liquidität nötige Zeitraum verstrichen ist, Großkomm.GmbHG/Ulmer, 2006, § 34 Rz. 80. Unten 2. Vgl. MünchKomm.GmbHG/Strohn, § 34 Rz. 77; Schneider/Hoger, NJW 2013, 502, 507. Oben Fn. 4. Der BGH bestätigt – weil letztlich selbstverständlich – nur am Rande, dass ein weitergehendes, mitgliedschaftliches Bestandsinteresse im Rahmen von kassatorischen, gegen den fehlerhaften Einziehungsbeschluss gerichteten Klagen (§ 241 Nr. 5 AktG analog) gewahrt werde, BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 8, 23, 24. Zu den Voraussetzungen der Zwangseinziehung (Satzungsregelung, Volleinzahlung, Gesellschafterbeschluss, Mitteilung) zusammenfassend Grunewald, GmbHR 2012, 769 (769 f.); Scholz/ Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 57 weist darauf hin, dass wegen der Anfechtungsmöglichkeit die Unsicherheit über den Fortbestand der Gesellschafterstellung auch bei Aufgabe der Bedingungslösung nicht vollkommen beseitigt ist.

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fragen eröffnen.18 Mit anderen Worten, die Bedingungslösung setzt auf eigenverantwortliche Sicherung durch voice,19 wozu freilich nicht gut passt, dass teilweise ein Ausschluss20 oder eine Beschränkung21 der Gesellschafterrechte in der Schwebephase befürwortet wurde. Wichtiger als das Fehlen eines positivrechtlichen Anknüpfungspunkts für die aufschiebende gesetzliche Bedingung,22 war für die Befürworter einer sofortigen Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses das Aufzeigen alternativer Wege, um das allein schutzwürdige Abfindungsinteresse des ausscheidenden Gesellschafters effektiv zu wahren.23 In der Literatur wurde vorgeschlagen, für den Fall der Unterdeckung bei Fälligkeit der Abfindung eine auflösende Bedingung des Einziehungsbeschlusses anzunehmen,24 ein Recht des ausscheidenden Gesellschafters anzuerkennen, die Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft bzw. seine Wiederaufnahme in der Gesellschaft zu erzwingen,25 oder eine pro ratarische Verantwortlichkeit der verbleibenden Gesellschafter für die Befriedigung des Ausscheidenden anzuerkennen.26 18 Vgl. z.B. OLG Schleswig v. 27.1.2000 – 5 U 154/98, NZG 2000, 703 (704); OLG Düsseldorf v. 23.11.2006 – 6 U 283/05, NZG 2007, 278 (279); Wicke, GmbHG, 2. Aufl. 2011, § 34 Rz. 10; Michalski/Sosnitza, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 34 Rz. 79. 19 Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty, 1970. 20 Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 19. Aufl. 2010, § 34 Rz. 43: Rechtsverlust; Harst, GmbHR 1987, 183 (185 f.); Peetz, GmbHR 2000, 749 (753): Ruhen der Gesellschafterrechte. 21 Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 60; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2010, § 30 Rz. 64; Michalski/Schulenberg, NZG 1999, 408 f.; für den Ausschluss auch BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320 (328). 22 Insbesondere lässt sich dieser nicht im Kapitalerhaltungsgebot (§§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG) finden, das eben nur mit Auszahlungsverboten sanktioniert ist, vgl. Lutz, DStR 1999, 1858 (1861); Fietz/Fingerhuth, DB 2007, 1179 (1183); Münnich, GmbHR 2012, 390; Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (503). 23 Auch der BGH sieht dies als maßgebliche Zielsetzung, BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 14. 24 Ulmer, FS Rittner, 1991, S. 735; Ulmer, FS Priester, 2007, S. 775, 793 ff.; Lutter/Hommelhoff/Lutter, GmbHG, 17. Aufl. 2009, § 34 Rz. 48. 25 Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1983, S. 243; Grunewald, ZGR 1991, 185 (187); Niemeier, ZGR 1990, 314 (353); Goette, FS Lutter, 2000, S. 399, 409. 26 Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 34 Rz. 20 ff.; dem folgend MünchKomm.GmbHG/Strohn, § 34 Rz. 76; Goette, FS Lutter, 2000, S. 399, 410; Heckschen, GmbHR 2006, 1254 (1256); Kolb, NZG 2007, 815

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Letzterer Lösungsansatz wird vom Bundesgerichtshof übernommen, d.h. die anteilige, persönliche Haftung wird als hinreichender Schutzmechanismus angesehen, der die legitimen Interessen des ausscheidenden Gesellschafters bedient und die wesentlichen Nachteile alternativer Schutzregime vermeidet.27 Die Bedingungslösung führe in der Schwebelage zu erheblichem Störpotential des ausscheidenden Gesellschafters, was dem Motiv für die Zwangseinziehung zuwiderlaufe und auch deshalb unbefriedigend sei, weil die Effektivität des durch die Aufrechterhaltung der Mitverwaltungsrechte erreichbaren Schutzes des Abfindungsanspruchs zweifelhaft sei.28 Die Annahme eines auflösend bedingten Einziehungsbeschlusses löse zwar die Störenfried-Problematik, führe aber dazu, dass nach Eintritt der Bedingung (§ 158 Abs. 2, 2. Hs. BGB) kaum zu bewältigende Anpassungsprobleme (Gewinn- und Verlustpartizipation; Willensbildung) für die Zwischenzeit entstünden.29 Ein Auflösungsrecht für den Fall der Unterdeckung des Abfindungsanspruchs könne dem ausscheidenden Gesellschafter schon deshalb nicht zustehen, weil er mit Wirksamwerden des Einziehungsbeschlusses seine Mitgliedschaftsrechte verloren habe (vgl. § 61 Abs. 2 Satz 2 GmbHG).30 Außerdem führten sowohl das Auflösungs- als auch ein eventuelles Wiedereintrittsrecht zu u.U. langfristigen Schwebezuständen.31 Die vom BGH befürworteten Ergebnisse werden in der Literatur ganz überwiegend, zum Teil auch euphorisch begrüßt.32 Gleichzeitig wird

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(817); Heidinger/Blath, GmbHR 2007, 1184 (1187); de lege ferenda bereits Fischer, FS W. Schmidt, 1959, S. 117, 130 f.; Gonella, GmbHR 1967, 89 (93 f.). BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 13 f., 21 ff. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 15 ff. Eingehend noch unten bei Fn. 45. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 19. Dazu auch eingehend Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 59 f. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 20. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 20. Z.B. Priester, ZIP 2012, 658 („großartige Lösung“); Heckschen, NotBZ 2012, 216 f. („ein Segen für die Praxis“); Grunewald, GmbHR 2012, 769 (770); Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (146); Schockenhoff, NZG 2012, 449 (451); Staake, LMK 2012, 330924; Blath, GmbHR 2012, 657 (662); Münnich, GmbHR 2012, 390; Winkler, BB 2012, 666 (667); Klöckner, GmbHR 2012, 1325 (1330); Trölitzsch, KSzW 2013, 55 (58); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (503); J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (954); aus der Kommentarliteratur z.B. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 34 Rz. 44; Saenger/Inhester/Greitemann/Klingsch, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 34 Rz. 22; auch der schärfste Kritiker des BGH ist „[vom] Ergebnis her betrachtet … auf den

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aber verbreitet auf eine unzureichend gebliebene dogmatische Fundierung hingewiesen.33 Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang Aufrufe, der BGH möge sich auch im Angesicht grundsätzlicher Kritik34 nicht „entmutigen oder verunsichern“ lassen, sondern den vollzogenen Kurswechsel fortsetzen.35

b) Die Vermeidung von hold-up-Positionen als erstes, dogmatisch bruchlos umsetzbares Anliegen Die erwähnte Kritik an der Entscheidung betrifft im Kern weniger die Frage der sofortigen Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses, sondern vielmehr die Begründung der persönlichen Gesellschafterhaftung für den Abfindungsanspruch, deren Schwächen von gewichtigen Stimmen als so gravierend empfunden werden, dass sie die Legitimität der Rechtsfortbildung insgesamt in Frage stellen.36 Isoliert betrachtet entspricht die sofortige Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses der allgemeinen Dogmatik des Beschlussrechts. In dieser wird der Beschluss ganz überwiegend als mehrseitiges Rechtsgeschäft betrachtet,37 das zu seiner Wirksamkeit grundsätzlich zwar keines Zugangs im Sinne von § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB,38 wohl aber zur Herbeiführung konkreter Rechtsfolgen gegenüber individuellen Adressaten eines Voll-

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ersten Blick gerne bereit, der Entscheidung des Senats zuzustimmen“, Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1262 f. Unten Fn. 63. Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261. Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1030). So Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1262 f. Dazu eingehend unten 2. Ablehnend auch Bork/Schäfer/Thiessen, GmbHG, 2. Aufl. 2012, § 34 Rz. 38: weder Grund noch rechtliche Handhabe, verbleibende Gesellschafter haften zu lassen; in der Tendenz ebenso, aber in der Formulierung zurückhaltender Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, 5. Aufl. 2013, § 34 Rz. 64. Grundlegend v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. I, 1910, § 36 IV, S. 514; Bd. II/1, 1914, § 53 IV, S. 234 ff.; für die ganz h.M. zu § 47 GmbHG z.B. BGH v. 18.9.1975 – II ZB 6/74, BGHZ 65, 93 (97); MünchKomm.GmbHG/Drescher, 2012, § 47 Rz. 9; Großkomm.GmbHG/Hüffer, 2006, § 47 Rz. 3; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 47 Rz. 9; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 47 Rz. 4; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 47 Rz. 2; Bork/Schäfer/Casper, GmbHG, 2. Aufl. 2012, § 47 Rz. 3. Vgl. nur MünchKomm.GmbHG/Drescher, 2012, § 47 Rz. 9; Baumbach/ Hueck/Zöllner, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 47 Rz. 5.

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zugs in Form einer Bekanntgabe o.Ä. bedarf39 – mehr aber eben auch nicht. Der danach notwendige Vollzug erfolgt beim Einziehungsbeschluss durch empfangsbedürftige Willenserklärung40 der Gesellschafterversammlung41 bzw. der Geschäftsführer.42 Auch die materielle Absicherung dieses Ergebnisses bereitet keine nennenswerten Schwierigkeiten, weil das verfolgte Anliegen, eine Behinderung der innerverbandlichen Handlungsmöglichkeiten durch einen anders nicht zu bändigenden „Störenfried“ möglichst rasch und effektiv beenden zu können, sich nahtlos in die aus heutiger Sicht zentrale Stoßrichtung des Instituts der Einziehung einfügt.43 Deshalb entspricht es der teleologisch folgerichtigen Interpretation und Fortbildung des Gesetzes, im Vollzug hold-up-Positionen44 nach Möglichkeit zu vermeiden. Der durch die Bedingungslösung verursachte Schwebezustand bietet demgegenüber Anreize zur Steigerung des Lästigkeitswerts des ausscheidenden Gesellschafters, weil dieser zunächst Mitglied der GmbH bleibt und seine Mitverwaltungsrechte als juristisches Störfeuer einsetzen kann, sodass die verbleibenden Gesellschafter Gefahr laufen, den Wert ihrer unternehmensspezifischen Investitionen partiell einzubüßen, weil durch permanente Behinderung der Geschäftsführung eine optimale Verfolgung des Unternehmensziels vereitelt wird.45 Ein wichti39 BGH v. 5.5.2003 – II ZR 50/01, NZG 2003, 771; MünchKomm.GmbHG/Drescher, 2012, § 47 Rz. 9; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 47 Rz. 5; Roth/Altmeppen/Roth, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 47 Rz. 2a. 40 MünchKomm.GmbHG/Strohn, 2010, § 34 Rz. 72; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 34 Rz. 72; Lutter/Hommelhoff/Lutter, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 34 Rz. 18. 41 Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 46; MünchKomm.GmbHG/Strohn, 2010, § 34 Rz. 34. 42 Lutter/Hommelhoff/Lutter, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 34 Rz. 18. 43 Eingehend Niemeier, Rechtstatsachen und Rechtsfragen der Einziehung von GmbH-Anteilen, 1982, S. 14 ff., 26 ff., 31 ff. Exemplarisch i.Ü. Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 1, 3 f.; MünchKomm.GmbHG/ Strohn, 2010, § 34 Rz. 2; Großkomm.GmbHG/Ulmer, § 34 Rz. 12. 44 Mit dem Begriff des Raubüberfalls (hold up) sind Konstellationen gemeint, in denen die spezifischen Investitionen eines Beteiligten (hier der verbleibenden Gesellschafter) ihn erpressbar machen, wenn die Gegenseite glaubhaft Maßnahmen androht, die zur Entwertung derselben führen, um auf diesem Weg Quasi-Renten zu erzielen, vgl. z.B. Alchian/Woodward, 26 J. Econ. Lit 65, 67 f. (1988). 45 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 15 f. Ebenso unter Verwendung der „Störenfried“-Terminologie Ulmer, FS Hoffmann-Becking,

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ger Gesichtspunkt liegt dabei darin, dass der zwangsweise ausscheidende Gesellschafter am unternehmerischen Erfolg nicht mehr beteiligt ist,46 was seine Anreize zur Obstruktion verschärft, weil er als Gläubiger bis zur Grenze der Leistungsunfähigkeit der Gesellschaft die wirtschaftlichen Folgen seines Handelns nicht internalisiert.47 Die naheliegende Lösung muss daher in der Tat darin liegen, die opportunistische Missbrauchspotentiale eröffnende Mitgliedschaftsstellung im Konfliktfall48 möglichst unmittelbar beenden zu können. Dieser Befund kam auch in der vom BGH akzeptierten49 Gestaltungspraxis zum Ausdruck, die Opportunismusgefahren durch den statutarisch angeordneten, sofortigen Verlust der Mitgliedschaft,50 oder wenigstens der besonders virulenten Stimm- und Gewinnbezugsrechte51 zu minimieren trachtete. Diese, als transaktionskostenökonomische Effizienzerwägungen charakterisierbaren Wertungsaspekte, bilden allerdings nur dann eine akzeptable normative Grundlage für die Annahme einer sofortigen Wirksamkeit

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2013, S. 1261; zu den Praxisproblemen aus Beratersicht Stumpff/Müller, GWR 2012, 143, 144; Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (503); zum Missbrauchspotential unter der Bedingungslösung deutlich auch schon KG v. 6.2.2006 – 23 U 206/04, NZG 2006, 437 (438). In der Sache auch schon BGH v. 26.10.1983 – II ZR 87/83, BGHZ 88, 320 (328) mit Problemlösung über materielle Pflichtenbindung im Fall der Kündigung eines Gesellschafters: Treubindung verbiete Abstimmung gegen Maßnahmen, die Vermögensinteressen des betroffenen Gesellschafters weder mittelbar, noch unmittelbar berühren; dazu auch Goette, FS Lutter, 399, 400. Dazu noch eingehend unten 2. b) (4). Ähnlich Grunewald, GmbHR 2012, 769, 770, die aber primär auf die fehlende Teilhabe am „unternehmerischen Risiko“ abstellt. Der BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 15 weist zutreffend darauf hin, dass ein solcher auch bei der Pfändung des Geschäftsanteils durch einen Privatgläubiger droht: auch insoweit kommt es auf ein sofortiges Ausscheiden an, um reibungslose innerverbandliche Abläufe beibehalten zu können. Schließlich gilt dies auch für den u.U. einen Einziehungsgrund bildenden Erbfall. BGH v. 8.12.2008 – II ZR 263/07, NZG 2009, 221; für Kündigung BGH v. 30.6.2003 – II ZR 326/01, NZG 2003, 871. Opgenhoff in Bormann/Kauka/Ockelmann, Handbuch GmbH-Recht, 2. Aufl. 2011, Kap. 2 Rz. 160, § 14 Abs. 4. Stephan in Hoffmann-Becking/Rawert, Beck’sches Formularbuch Bürgerliches-, Handels- und Wirtschaftsrecht, 10. Aufl. 2010, IX 9 § 7 Abs. 6. Bemerkenswert ist, dass diese Lösung von erfahrenen Kautelarjuristen auch rechtspolitisch für ausreichend gehalten wird, vgl. Rowedder/Schmidt-Leithoff/ Görner, GmbHG, 5. Aufl. 2013, § 34 Rz. 64.

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der Einziehung, wenn im zweiten Schritt die legitimen Vermögensinteressen des Ausscheidenden52 angemessen abgesichert werden können. Bei diesem Dreh- und Angelpunkt bleibt es auch, wenn man der Überlegung des BGH folgt, der ausscheidende Gesellschafter sei wegen seiner „antizipierten Zustimmung“ zur Zwangseinziehung (vgl. § 34 Abs. 2 GmbHG) weniger schutzwürdig.53 Der Gedanke eines volenti non fit iniuria greift nämlich nur, soweit das Interesse am Bestand der Mitgliedschaft betroffen ist – hier hat der Gesellschafter in der Tat seine Position willentlich eingeschränkt. Sie überzeugt aber nicht ohne Weiteres in Bezug auf den Schutz des vermögensrechtlichen Substrats der eingebüßten Mitgliedschaft. Insoweit kann jedenfalls keine Zustimmung zu Interessengefährdungen durch opportunistisches Verhalten der verbleibenden Gesellschafter nach der (sofort) wirksamen Einziehung vor Leistung des Einziehungsentgelts unterstellt werden.54 Bereits an dieser Stelle ist daher anzumerken, dass im Hinblick auf die im Zentrum des Interesses stehende Sicherung des Abfindungsinteresses kein tragfähiger Unterschied zu den Fällen des konsensunabhängigen Ausschlusses durch Gestaltungsklage existiert.55

2. Ausfallhaftung a) Anteilige Ausfallhaftung als Mittel des Interessenausgleichs Nach dem Vorgesagten kommt es für die Tragfähigkeit der vom BGH angenommenen, sofortigen Wirksamkeit der Einziehung darauf an, dass die legitimen Vermögensinteressen des Ausscheidenden trotz des un-

52 Für den Fall der Einziehung wegen Pfändung durch einen Privatgläubiger beansprucht der Gedanke mutatis mutandis Geltung: die Sicherung des Abfindungsinteresses wahrt mittelbar die Vermögensinteressen des Pfändungspfandgläubigers, was ausreicht, weil nur diese über die Ziele des Vollstreckungsrechts legitimiert werden. 53 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 16. Zu diesem Gedanken auch schon Pentz, FS Ulmer, 2003, S. 451, 467; Fietz/Fingerhuth, DB 2007, 1179 (1183). 54 Dazu eingehend 2. b) (4). Vgl. auch Bork/Schäfer/Thiessen, GmbHG, 2. Aufl. 2012, § 34 Rz. 37 und 38, der im Ausgangspunkt ganz zutreffend auf eine freiwillige Risikoübernahme des ausscheidenden Gesellschafters auch im Hinblick auf die Abfindungsleistung hinweist, aber deren Grenzen nicht ventiliert, weil er den Aspekt des opportunistischen Verhaltens ex post ausblendet. 55 Unten III. 1.

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mittelbaren Verlusts seiner Mitgliedschaft anderweitig adäquat abgesichert werden können. Der Bundesgerichtshof sieht in der persönlichen Haftung für eine im hinausgeschobenen Fälligkeitszeitpunkt eventuell bestehende Differenz zwischen Abfindungsanspruch und freiem Vermögen den notwendigen Interessenausgleich. Den Gesellschaftern wachse anteilig der Wert des eingezogenen Gesellschaftsanteils zu, sodass es treuwidrig wäre, dem ausscheidenden Gesellschafter bei Fortführung des Geschäftsbetriebs die volle Kompensation dafür unter Berufung auf Gläubigerschutzbelange zu verweigern.56 Sofern die verbleibenden Gesellschafter nicht bereit seien, die Unterdeckung durch Freisetzung gebundenen Vermögens, d.h. die Auflösung stiller Reserven oder eine Kapitalherabsetzung,57 zu beheben, müsse diese im Rahmen der Liquidation der Gesellschaft realisiert werden.58 Unterbleibe dies, sei die auf den genannten Wegen vermeidbare, persönliche Ausfallhaftung der fortsetzenden Gesellschafter nicht „unbillig“.59 Diese Beschreibung des Zusammenspiels der persönlichen Ausfallhaftung mit dem Anspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters auf Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen lässt erkennen, dass der BGH keinen uneingeschränkten, versicherungsgleichen Schutz des Abfindungsinteresses anstrebt, weil dieses nach der Konzeption des Senats zumindest dann teilweise endgültig unbefriedigt bleibt, wenn in der Liquidation die Forderungen der übrigen Gesellschaftsgläubiger gemäß § 73 Abs. 1 GmbHG zwingend vorrangig bedient werden60 und gleichwohl keine persönliche Ausfallhaftung eingreift.61 Es geht also um eine differenzierende, wertende Risikoverteilung, die allein im Verhältnis des ausscheidenden zu den verbleibenden Gesellschaftern erfolgt und aus 56 57 58 59

BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 21. Dazu noch unten e). BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 21. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 22. Dazu noch eingehend unten II. 2. d) (3). 60 Zum zwingenden Charakter des liquidationsrechtlichen Ausschüttungsverbots, das auch den mitgliedschaftlich begründeten Abfindungsanspruch betrifft, BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07, ZIP 2009, 1111 (1114); OLG Rostock v. 11.4.1996 – 1 U 265/94, GmbHR 1996, 621 (622); Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl. 2010, § 70 Rz. 4; Großkomm.GmbHG/Paura, 2008, § 73 Rz. 4; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 70 Rz. 2; Saenger/ Inhester/Kolmann, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 70 Rz. 2. 61 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 22.

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dieser Beziehung hinsichtlich Grund und Reichweite zu legitimieren ist. Gläubigerinteressen sind per se nicht betroffen, weil die zum Schutz der Belange der Fremdkapitalgeber vorgesehenen Rechtsinstitute in ihrer Funktion überhaupt nicht berührt werden. Insbesondere erfährt die Kapitalbindung bei der Einziehung keine Relativierung. Vielmehr entstehen die bewältigungsbedürftigen Probleme erst durch ihre strikte Aufrechterhaltung auch gegenüber den Ausscheidenden in §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG.62

b) Dogmatische Grundlage Auch soweit die Literatur der BGH-Lösung wegen der praktisch befriedigenden Ergebnisse zustimmt, wird typischerweise kritisiert, dass es an einer hinreichend klaren, dogmatischen Grundlage fehle bzw. diese zumindest nicht benannt sei.63 Damit ist die Frage aufgeworfen, ob und inwieweit sich die wertungsgetragenen Ergebnisse der Judikatur in der Dogmatik passgenau abbilden lassen, um die Rechtsprechung sicher in der lex lata zu verankern und die vielfältigen offenen Fragen möglichst vorhersehbar zu klären. Will man nicht faktisch kapitulieren und auf die wenig trennscharfe und v.a. keine Segelanweisung für unbekannte Gewässer bietende Figur einer „offenen Rechtsfortbildung“ zurückgreifen,64 ist zunächst eine Deutung denkbar, die in Durchbrechung des § 13 Abs. 2 GmbHG von einer anteiligen, persönlichen Haftung für die Gesellschaftsschuld ausgeht.65 In der Literatur konkurrieren demgegenüber allerdings vornehmlich zwei Ansätze, die sich gleichermaßen auf Andeutungen in den Urteilsgründen stützen können66 und jeweils eine originäre Verpflichtung der verbleibenden Gesellschafter zu begründen suchen. Zum einen wird – zumeist undifferenziert – die Treubindung der Gesell62 Vgl. auch BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 13; Scholz/ Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 57; auch noch unten (3) bei Fn. 111. 63 Keil, DZWiR 2012, 348 (349); Altmeppen, ZIP 2012, 1685; Altmeppen, NJW 2013, 1025; Lutter, EWiR 2012, 177 (178); Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (144); Staake, LMK 2012, 330924; Hoger/Schneider, NJW 2013, 502; Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1264. 64 So J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (957). 65 Unten (1). 66 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 21 erwähnt sowohl die Anwachsung als tragenden Grund der persönlichen Gesellschafterhaftung, weist aber zugleich auf die Treuwidrigkeit hin, die darin läge, die Gesellschaft ohne volle Kompensation des Ausscheidenden fortzusetzen.

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schafter genannt, wobei wohl auf eine Verletzung der horizontalen Bindung der Mitglieder untereinander rekurriert wird.67 Zum anderen wird, partiell unter Hinweis auf das Bereicherungsrecht, auf eine Verantwortlichkeit verwiesen, mit der die Vermögensvorteile ausgeglichen werden sollen, die den verbleibenden Gesellschaftern aus der erhöhten Beteiligung am (unveränderten) Gesellschaftsvermögen erwachsen, weil ihnen die durch den eingezogenen, d.h. vernichteten Geschäftsanteil vermittelte Beteiligung zufällt („Anwachsung“).68 Die kritische Auseinandersetzung mit den in der Literatur vertretenen Deutungen der BGHRechtsprechung führt zur eigenen Konzeption, die in der Ausfallhaftung eine begrenzte, treupflichtbasierte Leistungspflicht zur Sicherung gegen Opportunismusgefahren sieht.69

(1) Haftung für Gesellschaftsschuld Der bisher schärfste Kritiker des BGH hat geltend gemacht, dass eine persönliche Haftung der verbleibenden Gesellschafter für die Abfindungsverbindlichkeit der Gesellschaft70 dem Grundsatz der beschränkten persönlichen Haftung, § 13 Abs. 2 GmbHG, zuwiderlaufe.71 Daran ist zunächst zutreffend, dass die im GmbHG normierten Fälle einer Ausfallhaftung der Gesellschafter, §§ 24 Satz 1, 31 Abs. 3 GmbHG,72 nicht verallgemeinerbare – zudem rechtspolitisch umstrittene73 und

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Unten (2). Unten (3). Unten (4). Bei Fehlen einer statutarischen Grundlage in Höhe des Verkehrswerts des eingezogenen Anteils, BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (364 f.), gestützt auf einen Analogie zu § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB, Niemeier, Rechtstatschen und Rechtsfragen der Einziehung von GmbH-Anteilen, 1982, S. 97 ff.; Großkomm.GmbHG/Ulmer, 2006, § 34 Rz. 72; MünchKomm.GmbHG/ Strohn, GmbHG, 2010, § 34 Rz. 205; Casper/Altgen, DStR 2008, 2319, oder einen allgemeinen Rechtsgedanken, Michalski/Sosnitza, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 34 Rz. 46; Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 25; Henssler/Strohn/T. Fleischer, § 34 GmbHG Rz. 17. 71 Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1265 f. In der Sache schon Ulmer, FS Priester, 2007, S. 775, 781. Ebenso J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (956). 72 Darauf verweisend aber z.B. Roth/Altmeppen/Altmeppen, § 34 Rz. 32; Priester, ZIP 2012, 658 (659). 73 Vgl. z.B. BR-Drucks. 354/07, S. 15; für verschuldensabhängige Haftung de lege ferenda Saenger/Inhester/Greitemann, § 31 Rz. 57.

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rechtsvergleichend singuläre74 – Ausnahmetatbestände darstellen, die zu einem Einstehen für die Schuld nicht leistungsfähiger Mitgesellschafter (nicht: der Gesellschaft75) führen und deren Stoßrichtung zum anderen im Schutz der Gesellschaftsgläubiger liegt.76 Dieser Gesichtspunkt trägt auch die weiteren, in der Rechtsprechung anerkannten Fälle einer persönlichen Gesellschafterhaftung, die entweder die kodifizierten Institute der Kapitalaufbringung (Unterbilanzhaftung,77 wirtschaftliche Neugründung78) oder der Kapitalerhaltung (Existenzvernichtung79) flankieren. Aus der jeweiligen, auf den Schutz der Gesellschaftsgläubiger abzielenden Teleologie lässt sich daher für die vom BGH postulierte Ausfallhaftung zur Wahrung der Vermögensinteressen des ausscheidenden Gesellschafters nichts gewinnen. An diesem Befund ändert sich auch dann nichts, wenn man über den Kanon hinaus weitere Fälle persönlicher Gesellschafterhaftung im Gläubigerinteresse anerkennen möchte, z.B. in den Fällen materieller Unterkapitalisierung.80

74 Meyer, Haftungsbeschränkung im Recht der Handelsgesellschaften, 2000, S. 546. 75 Hierin liegt freilich kein Einwand, wenn man stets die Gesellschafter selbst als Abfindungsschuldner betrachtet, vgl. unten (3). 76 Vgl. nur Scholz/Emmerich, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 24 Rz. 1; Scholz/Verse, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 31 Rz. 47; Lutter/Hommelhoff/Bayer, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 24 Rz. 14; MünchKomm.GmbHG/Ekkenga, 2010, § 31 Rz. 52. 77 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 (140); BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300; K. Schmidt, NJW 1981, 1345; Ulmer, ZGR 1981, 593. 78 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 (324 f.); BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, NZG 2011, 1066; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, NJW 2012, 1875 mit Anm. Tröger, WuB II C. § 7 GmbHG 1.12; eingehend und m.w.Nachw. Adolff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 49 ff., 75 ff. 79 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 (Trihotel); BGH v. 16.11.2007 – IX ZR 194/04, WM 2008, 173 Rz. 15; BGH v. 13.12.2007 – IX ZR 62/06, DB 2008, 520 Rz. 10 f.; BGH v. 7.1.2008 – II ZR 314/05, ZIP 2008, 308 Rz. 11 f.; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 Rz. 9 (Gamma); BGH v. 2.6.2008 – II ZR 104/00, WM 2008, 1402 Rz. 5; BGH v. 9.2.2009 – II ZR 292/07, DStR 2009, 915 Rz. 16 (Sanitary); Altmeppen, NJW 2007, 2657; Habersack ZGR 2008, 533. 80 Für Durchgriffshaftung in diesen Fällen Scholz/Bitter, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 13 Rz. 147; ablehnend die h.M., z.B. Großkomm.GmbHG/Raiser, 2. Aufl. 2013, § 13 Rz. 136 ff., und Rechtsprechung, BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 Rz. 16 ff. (Gamma).

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Konzeptionell steht die Begrenzung der Haftung auf das Verbandsvermögen in § 13 Abs. 2 GmbHG der persönlichen Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter dann nicht entgegen, wenn man diese von Anfang an sowohl normativ als auch dogmatisch originär in der Beziehung der Gesellschafter untereinander verortet. Dabei muss man nicht so weit gehen, dem Abfindungsanspruch selbst die Eigenschaft einer Verbindlichkeit der GmbH im Sinne des § 13 Abs. 2 GmbHG abzusprechen, weil er eine Sozialverbindlichkeit darstelle, die als Folge einer „vorgezogenen“ Auseinandersetzung des Gesellschaftsvermögens entstehe und lediglich auf die unmittelbar die verbleibenden Gesellschafter begünstigende Anwachsung des Vermögensanteils des eingezogenen Mitgliedschaftsrechts reagiere.81 Auch wenn man dieser tiefschürfend begründeten Sicht auf die Dogmatik des Abfindungsanspruchs nicht in allen Einzelheiten folgt,82 liegt ihr zutreffender Ausgangspunkt darin, dass die Ausfallhaftung mit Blick auf die weiteren Einziehungsfolgen – und nicht etwa als Konsequenz der Ausübung des statutarisch begründeten Einziehungsrechts selbst83 – sowohl teleologisch als auch dogmatisch unmittelbar aus dem Innenverhältnis der Gesellschafter zueinander begründet wird.

(2) Verletzung mitgliedschaftlicher Treubindungen Vor diesem Hintergrund führen Begründungsversuche nicht weiter, die die Ausfallhaftung als Sanktion der Verletzung horizontaler Treubindungen verstehen, d.h. diese als verschuldensabhängigen Schadensersatz wegen Pflichtverletzung einzuordnen trachten.84 In der Literatur ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass eine aus einer Verletzung der mitgliedschaftlichen Treubindungen untereinander abgeleitete Haftung85 jedenfalls nicht an den Einziehungsbeschluss selbst anknüpfen könne, weil die Beschlussfassung als solche zweifellos nicht das Pflicht-

81 So Altmeppen, ZIP 2012, 1685 (1690); Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1028 f.). 82 Unten (2). 83 Zutreffend insoweit Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1266 in Reaktion auf eine missverständliche Formulierung von Altmeppen, ZIP 2012, 1685 (1690): persönliche Haftung als „selbstverständliche Konsequenz“ der Einziehungsentscheidung. 84 So im Ausgangspunkt die ablehnende Deutung des Treupflichtansatzes z.B. bei Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (505). 85 Dafür, allerdings ohne nähere dogmatische Begründung, z.B. Priester, ZIP 2012, 658 (659); Schockenhoff, NZG 2012, 449 (450 f.); Stumpff/Müller,

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widrigkeitsverdikt verdiene und auch nicht von einer generellen Vorhersehbarkeit der Unterdeckung im u.U. mehrere Jahre in der Zukunft liegenden Fälligkeitszeitpunkt ausgegangen werden könne.86 Im Gegenteil ist zu bedenken, dass die „Sanktion“ der Ausfallhaftung von der legitimen Rechtsausübung abzuhalten geeignet ist.87 Auch die Überlegung, die verbleibenden Gesellschafter seien verpflichtet, in Höhe des Abfindungsguthabens andere Gewinnrücklagen im Sinne des § 266 Abs. 3 HGB zu bilden (Passivseite A. III. 4.), widerspricht dem auch vom ausscheidenden Gesellschafter konsentierten Sinn der hinausgeschobenen Abfindungsfälligkeit, die ja Abzug operativ benötigten Vermögens gerade vermeiden will. Berechtigterweise ist auch die beim BGH anklingende88 Vorstellung zurückgewiesen worden, die Fortsetzung der Geschäfte/das Unterlassen der Auflösung könne – jedenfalls wenn die Unterdeckung antizipiert wurde – treuwidrig sein: dies v.a. deshalb, weil auf diesem Weg eine allgemeine Ausfallhaftung, die von einem bei Inaktivität schwer feststellbaren „Tatbeitrag“ unabhängig sein müsste, nicht zu begründen sei.89 Zumindest die mangelnde Vorhersehbarkeit der Unterdeckung steht der Annahme einer Pflichtwidrigkeit konzeptionell nicht entgegen, wenn an die Fortsetzung/Nichtauflösung trotz im Fälligkeitszeitpunkt festgestellter Unterdeckung angeknüpft wird. Dies darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach wie vor begründungsbedürftig bleibt, weshalb der ausgeschiedene Gesellschafter bedingungslos gegen Verlustrisiken mit dem Privatvermögen der verbleibenden Gesellschafter versichert werden soll.90 Hinzu kommt, dass gerade die der beschriebenen Lösung immanente Möglichkeit, die persönliche Verantwortlichkeit

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GWR 2012, 143 (144); Rieder, GWR 2012, 146; Gubitz/Nikoleyczik, NZG 2013, 727 (731). Altmeppen, ZIP 2012, 1685 (1691); Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1266; ebenso J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (955). Siehe auch Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (506) mit dem Hinweis, dass bei in Annuitäten zu leistenden Abfindungen eine Voraussicht über mehrere Jahre unterstellt werden müsste. Angedeutet bei TC, DStZ 2012, 305, der aber von einem prinzipiell begrüßenswerten Anlass zum sorgfältigeren Abwägen vor der Einziehungsentscheidung ausgeht, damit aber nicht berücksichtigt, dass die eigentlichen Einziehungsgründe tendenziell überlagert werden. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 21. Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1266 f.; ebenso J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (955). Auch noch unten (3).

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trotz opportunistischen Verhaltens der Gesellschafter zwischen Fassung des Einziehungsbeschlusses und Fälligkeit der Abfindung abzuwenden, zu nachhaltigen Fehlanreizen führt.91 Schließlich entspricht die Rechtsfolge einer Differenzhaftung pro rata nicht dem Kompensationsregime der §§ 249 ff. BGB, wenn tatsächlich eine wie auch immer begründete Pflichtwidrigkeit sanktioniert werden sollte.92

(3) Ausgleich als Folge der Vermögensvorteile der verbleibenden Gesellschafter Rückt man demgegenüber die Vermögensvorteile ins Zentrum, die bei den verbleibenden Gesellschaftern anfallen, weil sich infolge der Vernichtung des eingezogenen Geschäftsanteils ihr Anteil am Gesellschaftsvermögen erhöht, lässt sich der Hinweis auf eine Bereicherungshaftung der Begünstigten93 jedenfalls nicht im Sinne einer sauberen Einpassung der persönlichen Haftung in die Bereicherungsdogmatik der §§ 812 ff. BGB konkretisieren. Erkennbar liegt keine Leistung vor und die Behauptung, „§§ 30, 34 GmbHG“ bildeten den Rechtsgrund für die Bereicherung qua Eingriff94 lässt sich dahin präzisieren, dass nicht die Abfindungsrestriktion im Gläubigerinteresse den Zuweisungsgehalt95 im Verhältnis der (ehemaligen) Gesellschafter untereinander begründet, sondern dieser vielmehr in dem abschließenden Regime der ausgleichenden Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen zu suchen ist.96

91 Näher unten d) (3). 92 Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1267; ebenso J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (955). 93 Priester, ZIP 2012, 658 (659). Vgl. auch Koppensteiner, GesRZ 2013, 4 (7); Trölitzsch, KSzW 2013, 53 (58). 94 Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1267; ebenso Gubitz/Nikoleyczik, NZG 2013, 727 (730). 95 Zu diesem Rechtsgrundverständnis der h.M. bei der Eingriffskondiktion grundlegend Wilburg, Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung, 1934, S. 27 ff.; darauf aufbauend BGH v. 30.11.1976 – X ZR 81/72, BGHZ 68, 90 (98); BGH v. 26.6.1981 – I ZR 73/79, BGHZ 81, 75 (80 f.); BGH v. 18.12.1986 – I ZR 111/84, BGHZ 99, 244 (247); Erman/Westermann/BuckHeeb, § 812 Rz. 65 f.; BeckOK.BGB/Wendehorst, § 812 Rz. 122; PWW/Leupertz, § 812 Rz. 61 f.; RGRK/Heimann-Trosien, § 812 Rz. 42; NK.BGB/ v. Sachsen Gessaphe, § 812 Rz. 80. 96 Ähnlich, aber letztlich axiomatisch auf den gesellschaftsrechtlichen Charakter gerade der Ausfallhaftung rekurrierend, J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (955 f.).

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Wichtiger erscheint aber der Gedanke, dass innerhalb der bereicherungsrechtlichen Dogmatik kaum plausibel gemacht werden kann, weshalb der Entreicherungseinwand generell ausgeschlossen sein soll. Den Wertungen der §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB entspricht dies jedenfalls nicht ohne Weiteres, denn, sofern die Unterdeckung im Fälligkeitszeitpunkt nicht absehbar war, durften die Gesellschafter davon ausgehen, es komme nicht zu einer rechtsgrundlosen Vermögensmehrung. Letztlich reicht der Hinweis auf die Bereicherung somit nicht über die Benennung eines Topos hinaus. Entscheidend ist insoweit aber vor allem, dass dieser den flankierenden Charakter der persönlichen Haftung verdeckt: diese sichert lediglich den primär zum Vermögensausgleich berufenen, gegen die Gesellschaft gerichteten Abfindungsanspruch ab.97 Diesen Sicherungscharakter verneint auch die Sicht kategorisch, die zentral auf eine „Anwachsung“ der Vermögensposition des Ausscheidenden bei den verbleibenden Gesellschaftern abstellt.98 Im Gefolge der BGH-Entscheidung hat vor allem Altmeppen diese Konzeption dogmatisch detailliert ausgearbeitet und auch in der GmbH auf einen unmittelbar gegen die Gesellschafter gerichteten, im Gesellschaftsverhältnis wurzelnden Sozialanspruch gestützt.99 Dagegen kann zwar nicht eingewendet werden, dass eine Übertragung der personengesellschaftsrechtlichen Anwachsungsgrundsätze in das Kapitalgesellschaftsrecht schon wegen der grundverschiedenen Regime der Gesellschafterhaftung (§§ 128 ff. HGB einerseits, § 13 Abs. 2 GmbHG,

97 Noch eingehend unten II.2.b)(4). 98 Vgl. schon oben Fn. 26; in Auseinandersetzung mit der den Anwachsungsgedanken aufgreifenden BGH-Entscheidung auch Winkler, BB 2012, 664 (667); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (505); Keil, DZWIR 2012, 348 (349); Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (144); letztlich auch Ulmer, FS HoffmannBecking, 2013, S. 1261, 1269, der die Judikatur aber dezidiert als „auf Interessenabwägung zurückzuführende Rechtsfortbildung“ aus „Billigkeitsgründen“ kennzeichnet; ähnlich Lutter, EWiR 2012, 177 (178). Vgl. auch Grunewald, GmbHR 2012, 769 (771), die für einen Ausgleichsanspruch derjenigen Gesellschafter plädiert, die tatsächlich die Abfindung aufbringen. Dieser müsse sich gegen die Gesellschafter richten, die sich insoweit nicht beteiligen (können bzw. müssen), die aber von der vernichtungsbedingten Vermögensmehrung zunächst pro rata profitieren. 99 Altmeppen, ZIP 2012, 1685 (1687 ff.); Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1027 ff.). Zuvor schon Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, 3. Aufl. 1997, § 34 Rz. 20 ff.

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§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG andererseits) nicht in Betracht komme.100 Diese Kritik basiert nämlich auf der Prämisse, dass es bei der Ausfallhaftung um ein (akzessorisches) Einstehenmüssen für die (fremde) Abfindungsschuld der Gesellschaft gehe, was aber von der genannten Konzeption mit der Behauptung eines originär im Innenverhältnis der Gesellschafter wurzelnden Abfindungsanspruchs gerade bestritten wird.101 Ein materiell akzessorischer Charakter der Ausfallhaftung ist auch dann keinesfalls denknotwendig, wenn man mit der ganz h.M. im Personengesellschafts-102 und GmbH-Recht103 davon ausgeht, dass primär die Gesellschaft die Abfindung schuldet (Sozialverbindlichkeit).104 Wertungsmäßig ist nur entscheidend, dass es hier wie dort zu einer durch das Ausscheiden bedingten, über die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen vermittelten Vermögensmehrung bei den verbleibenden Gesellschaftern kommt,105 die jedenfalls prinzipiell (auch) eine persönliche Ausgleichspflicht auslösen könnte. Gleichwohl überzeugt die Anwachsungsargumentation nicht restlos,106 weil sie die materielle Bedeutung des primär gegen die Gesellschaft gerichteten Abfindungsanspruchs und die darin zum Ausdruck kommen-

100 So die Kritik von Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1274; ebenso J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (956). 101 Vgl. Altmeppen, ZIP 2012, 1685 (1690); eingehend Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1026 ff.), insbes. 1028. Gerade die zugrundeliegende Deutung des § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB ablehnend J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (956). 102 Grundlegend für die zeitgenössische Gesamthandslehre, Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. I/1, 1977, § 12 I, S. 172 ff. Für die h.M. i.Ü. z.B. MünchKomm.HGB/K. Schmidt, § 131 Rz. 128; Großkomm.HGB/ Habersack, § 128 Rz. 12; Großkomm.HGB/Schäfer, § 131 Rz. 141 f.; Baumbach/Hopt, § 131 Rz. 48. 103 Scholz/Westermann, § 34 Rz. 65; Großkomm.GmbHG/Ulmer, § 34 Rz. 74; MünchKomm.GmbHG/Strohn, § 34 Rz. 63, 206; Grunewald, GmbHR 2012, 769 (770); a.A. aber Fischer, FS W. Schmidt, 1959, S. 117, 130 ff. 104 Auch insoweit a.A. Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1273 f., der seinerseits allerdings auch den Gesichtspunkt des Vermögensausgleichs in den Vordergrund stellt, diesen aber als auf „Billigkeitsgründen“ beruhend qualifiziert, ibid. S. 1269. Vgl. auch Staake, LMK 2012, 330924. 105 Zutreffend, Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1028). 106 Kritisch auch Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 58 mit der Überlegung, dass die Ursachen der Anwachsung vom ausscheidenden Gesellschafter gesetzt würden und daher den verbleibenden Gesellschaftern nicht zuzurechnen seien.

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de Risikoverteilung nicht hinreichend berücksichtigt. Aus dieser Perspektive kann nicht bei der zutreffenden Beobachtung stehen geblieben werden,107 die Vernichtung des eingezogenen Geschäftsanteils führe zu einer über die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen vermittelte Vermögensmehrung bei den verbleibenden Gesellschaftern.108 Zum Ausgleich dieser zunächst gegenleistungslosen Vermögensverschiebung ist nach der Konzeption des Gesetzes eben der gegen die Gesellschaft gerichtete Abfindungsanspruch aufgerufen – nicht umsonst wird die danach geschuldete Leistung plastisch als Einziehungsentgelt bezeichnet. Eine normativ stringente Begründung gerade der persönlichen Ausfallhaftung muss nachweisen, dass der durch diese bewirkte, zusätzliche Schutz der Vermögensinteressen des Ausscheidenden sowohl wertungs-

107 So aber z.B. Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (505 f.). 108 Die h.M. geht von der dinglichen Vernichtung des eingezogenen GmbH-Anteils und der durch ihn vermittelten Mitgliedschaftsrechte aus, ohne dass dies unmittelbaren Einfluss auf das Stammkapital hätte, oben Fn. 5. BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (168); BayObLG v. 25.10.1991 – BReg. 3 Z 125/91, GmbHR 1992, 42; Scholz/Westermann, § 34 Rz. 62; Großkomm.GmbHG/Ulmer, § 34 Rz. 65; MünchKomm.GmbHG/Strohn, § 34 Rz. 64; Baumbach/Hueck/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, § 34 Rz. 20; Lutter/Hommelhoff/Lutter, § 34 Rz. 2; Roth/Altmeppen/Altmeppen, § 34 Rz. 72; Michalski/Sosnitza, § 34 Rz. 119; Grunewald, GmbHR 2012, 769 (772). Umstritten ist nur, ob das in § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG enthaltene Korrespondenzgebot dazu zwingt, die infolge der Vernichtung eintretende Divergenz zwischen den Nennbeträgen der verbleibenden Anteile und dem Stammkapital durch dem Einziehungsbeschluss nachfolgende bzw. mit diesem zwingend zu verbindende Maßnahmen (i.e. nominelle Aufstockung der verbliebenen oder Schaffung eines neuen Geschäftsanteils, vgl. MünchKomm.GmbHG/Strohn, § 34 Rz. 64) zu beseitigen (so OLG München v. 21.9.2011 und v. 15.11.2011 – 7 U 2413/11, DNotI-Report 2012, 30; LG Essen v. 9.6.2010 – 42 O 100/09, NZG 2010, 867; LG Neubrandenburg v. 31.3.2011 – 10 O 62/09, ZIP 2011, 1214; BeckOK.GmbHG/Ziemons, § 5 Rz. 96a; Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, 2009, Rz. 407; Wachter, GmbHR-Sonderheft 2008, 5 (11); Römermann, DB 2010, 209 (212); wohl auch Blath, GmbHR 2011, 1177 (1180 ff.); dagegen OLG Saarbrücken v. 1.12.2011 – 8 U 315/10, GmbHR 2012, 209; Großkomm.GmbHG/Casper, Ergbd. MoMiG, § 5 Rz. 14; MünchKomm.GmbHG/Märtens, § 5 Rz. 44; Roth/Altmeppen/Altmeppen, § 34 Rz. 83; Wicke, § 34 Rz. 3; Ulmer, DB 2010, 321; Braun, GmbHR 2010, 81 (83); Grunewald, GmbHR 2012, 769 (772)), oder ob insoweit eine automatische Anpassung der Nennbeträge erfolge (Roth/Altmeppen/Altmeppen, § 34 Rz. 84 f.; Grunewald, GmbHR 2012, 769 (772)).

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mäßig gerechtfertigt und erforderlich ist, als auch dogmatisch konsistent in das positiv-rechtliche Abfindungsregime des GmbHG eingepasst werden kann.109 Dieses Petitum gilt mutatis mutandis auch dann, wenn man entgegen der Konzeption der h.M. davon ausgeht, der Ausgleich sei originär im Verhältnis der Gesellschafter zueinander angesiedelt.110 Auch dann ist nämlich begründungsbedürftig, warum die über eine Beteiligung am Gesellschaftsvermögen vermittelte Vermögensmehrung durch eine Haftung mit dem Privatvermögen ausgeglichen werden soll, obwohl das positive Verbandsrecht unstreitig die Redistribution primär über einen aus dem Gesellschaftsvermögen zu erfüllenden Anspruch bewerkstelligen will, d.h. konsequent dort ansetzt, wo unmittelbar ein Zuviel zu beobachten ist, das ja erst mittelbar über die mitgliedschaftliche Teilhabe zu einer reflexartigen Vermögensmehrung bei den Gesellschaftern führt. Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass die persönliche Ausfallhaftung notwendig weiter geht, als diejenige des Gesellschaftsvermögens, weil zusätzliche Vermögensgegenstände haften. Zudem liefert § 34 Abs. 3 GmbHG keinen Beleg dafür, dass das Gesetz von einem primär gegen die verbleibenden Gesellschafter gerichteten Anspruch ausgeht. Der originäre Regelungsgehalt der Bestimmung liegt schlicht darin, die Kapitalbindung zeitlich auszudehnen und auf Leistungen an den ehemaligen Gesellschafter nach seinem Ausscheiden zu erstrecken. Sie reagiert nicht etwa auf eine die verbleibenden Gesellschafter von einer persönlichen Schuld befreiende Leistung aus dem Gesellschaftsvermögen.111 In dieser Deutung wäre die Bestimmung 109 Ebenso im Ausgangspunkt und im Ergebnis die persönliche Ausfallhaftung radikal ablehnend, Bork/Schäfer/Thiessen, GmbHG, 2. Aufl. 2012, § 34 Rz. 38. Ganz anders, aber ohne Begründung Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 56: Ausscheidender gehe „unzumutbares Risiko“ ein, wenn er sich auf Einziehung ohne sofortige Abfindung einlasse. 110 Oben Fn. 101. 111 A.A. Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1028), der den Ausgeschiedenen ganz formal nur noch als Gläubiger der Gesellschaft ansieht und deshalb eine die fällige Abfindungsschuld tilgende Leistung aus dem Gesellschaftsvermögen nicht unter § 30 Abs. 1 GmbHG subsumiert, sondern vielmehr die von §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG verbotene Auszahlung in der Befreiung der verbleibenden Gesellschafter von ihrer stets bestehenden Abfindungsverpflichtung sieht. Es lässt sich aber bestreiten, dass die Abfindungsleistung keine causa societatis habe und der Ausgeschiedene daher insoweit als Drittgläubiger zu behandeln sei, was auch Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1026, 1029, 1030) und passim in anderem Zusammenhang ausdrücklich anerkennt,

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nämlich redundant, weil § 30 Abs. 1 GmbHG unmittelbar anwendbar wäre.112 Der normativ entscheidende Gesichtspunkt folgt letztlich daraus, dass im Fall der Unterdeckung im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung eine Knappheitssituation vorliegt, d.h. die zunächst durch die Vernichtung des eingezogenen Geschäftsanteils ausgelöste Vermögensmehrung ist nicht mehr in der ursprünglichen Höhe vorhanden. Positiv-rechtlich stellen §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG nur eindeutig fest, dass die Knappheit nicht zu Lasten der Gesellschaftsgläubiger gehen kann. Wem allerdings im Verhältnis des ausscheidenden Mitglieds zu den verbleibenden Gesellschaftern die Einbußen im Gesellschaftsvermögen zugewiesen werden, ist im Ausgangspunkt nicht eindeutig. Die Aussage, es sei „zu erkennen, dass der ausgeschiedene Gesellschafter jedenfalls nicht mehr an den Verlusten der Gesellschaft zu beteiligen ist, weil sein Abfindungsguthaben auf den Stichtag seines Ausscheidens bezogen ist (§ 738 BGB)“,113 bleibt letztlich axiomatisch. Die behauptete Privilegierung des Abfindungsgläubigers im Verhältnis zu seinen ehemaligen Mitgesellschaftern ist schon deshalb nicht selbstverständlich, weil seine Gläubigerstellung auf der freiwilligen Zustimmung zur dilatorischen Abfindungsregelung in der Satzung beruht.114 Der Stichtag für die Berechnung des Nominalwerts der Leistung sagt nichts darüber aus, wer das durch die Kapitalerhaltungsgrundsätze geprägte, und sich somit vor wenn er den Abfindungsanspruch als einen nicht §§ 128 Satz 1, 171 Abs. 1 HGB, § 13 Abs. 2 GmbHG unterfallenden Sozialanspruch bezeichnet. 112 Vgl. nur BGH v. 3.4.1968 – VIII ZR 38/66, LM Nr. 3 zu § 30 GmbHG; BGH v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324 (330 f.); BGH v. 29.5.2000 – II ZR 118/98, NZG 2000, 883 (886); BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, NJW 2009, 68 Rz. 8; MünchKomm.GmbHG/Ekkenga, 2010, § 30 Rz. 154; Großkomm.GmbHG/Habersack, 2006, § 30 Rz. 60; Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, § 30 Rz. 25; Lutter/Hommelhoff/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl. 2012, § 30 Rz. 20; Michalski/Heidinger, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 30 Rz. 109; Roth/Altmeppen/Altmeppen, GmbHG, 7. Aufl. 2012, § 30 Rz. 29; Geßler, FS Fischer, 1979, S. 131, 145. 113 Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1026). 114 Sehr klar in diesem Sinne auch Bork/Schäfer/Thiessen, GmbHG, 2. Aufl. 2012, § 34 Rz. 37 und 38. Vgl. auch die Literaturstimmen, die behaupten, der ausscheidende Gesellschafter habe nur das übliche Risiko der Vermögensverschlechterung der GmbH zu tragen, Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (504), und deshalb in der Ausfallhaftung nur eine – redundante – zusätzliche Sicherung des Gesellschafters sehen; vgl. auch schon Lutz, DStR 1999, 1858 (1859).

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der eigentlichen Insolvenz aktualisierende Bonitätsrisiko des Schuldners zu tragen hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Verschlechterung der Vermögenslage der Gesellschaft auf allgemeinen, durch Geschäftsführungsentscheidungen nicht zu beeinflussenden Umständen beruht. Dies wird in der Judikatur auch prinzipiell anerkannt, wenn der Abfindungsgläubiger im Fall der Liquidation auf die Teilhabe an den Verlusten der Gesellschaft verwiesen wird.115 Es bleibt daher erklärungsbedürftig, wieso der Abfindungsgläubiger über die persönliche Ausfallhaftung eine Kreditversicherung erhält, obwohl er dem Hinauszögern der Abfindungsleistung zugestimmt hat.

(4) Treupflichtbasierte Leistungspflicht als transaktionskostengünstige Absicherung gegen Opportunismusgefahren Den Schlüssel zu einer normativ tragfähigen Begründung der persönlichen Ausfallhaftung findet man, wenn man sich von der Momentaufnahme der einziehungsbedingten Werterhöhung der Geschäftsanteile der verbleibenden Gesellschafter löst und akzeptiert, dass diese grundsätzlich, auch nach dem in der Zustimmung zur Abfindungsregelung manifestierten Willen des Ausscheidenden, durch Leistung aus dem Gesellschaftsvermögen ausgeglichen werden soll. Hierdurch öffnet sich der Blick für die im weiteren Verlauf auftretenden Möglichkeiten opportunistischen Verhaltens, die sich mit dem Abfindungsregime verbinden. Auf diese Weise rücken die Anreize der verbleibenden Gesellschafter in den Mittelpunkt, nach Einziehung den über die Abfindung aus dem Gesellschaftsvermögen bewerkstelligten Interessenausgleich im eigenen Interesse zu verändern,116 wie sie ohne Ausfallhaftung bei hinausgeschobener Fälligkeit des Einziehungsentgelts entstünden. Aus dieser Perspektive stellt die persönliche Haftung eine transaktionskostensenkende Entschärfung des Missbrauchspotentials dar, das sich andernfalls mit der Fortsetzungsmöglichkeit unter Verwendung des Kapitalbeitrags des Ausscheidenden verbindet. Ohne Weiteres einleuchtend ist dies zunächst für den Fall der mehr oder weniger offenen Vermögensverschiebung, d.h. einer mutwilligen Herbeiführung der Unterdeckung des Abfindungsanspruchs, um den ausgeschie-

115 Oben a). 116 Zum hier verwendeten Opportunismusbegriff der neuen Institutionenökonomik, Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, 1985, S. 54.

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denen „Störenfried“ nachträglich wirtschaftlich durch Verhindern seiner vermögensmäßigen Kompensation zu bestrafen. Die persönliche Haftung derjenigen, die potentiell derartige Vermögenstransfers veranlassen können,117 nimmt den Verantwortlichen von Anfang an die entsprechenden Anreize zu opportunistischem Verhalten.118 Der zentrale Gesichtspunkt liegt im Übrigen darin, dass der ausscheidende Gesellschafter (Abfindungsgläubiger) bis zur Fälligkeit des Einziehungsentgelts – mit seiner Zustimmung – zum Fremdkapitalgeber wird, weil er nur noch einen fixen Zahlungsanspruch besitzt, über den er nicht mehr an den zukünftigen Gewinnen der Gesellschaft teil hat. Die Institutionenökonomik beschreibt allgemein die Anreize, die für beschränkt haftende Eigenkapitalgeber bestehen, nach Erhalt der Valuta höhere Risiken zu Lasten der Fremdkapitalgeber einzugehen, d.h. die Unternehmen nach Aufnahme von Fremdkapital tendenziell krisenanfälliger zu gestalten.119 Die Anreize für eine solche nachträgliche Risikoverschiebung (risk shifting) basieren darauf, dass die Residualgläubiger unbegrenzt über ihre Ansprüche auf den zukünftigen Cash Flow von höheren Gewinnen aus riskanteren Geschäften profitieren, während die typischen Fremdkapitalgeber mit festen Zins- und Rückzahlungsansprüchen nicht an größeren Ertragschancen risikoreicher Geschäfte partizipieren (vgl. Abbildung 1). Sie sehen sich in den beschriebenen Szenarien lediglich mit einem wachsenden Ausfallrisiko und einer steigenden Verlustquote konfrontiert. Mit anderen Worten, sie finanzieren die nachträglich erhöhten Risiken „zu billig“ (mit).120

117 Vgl. noch unten c). 118 Tröger, FS Westermann, 2008, S. 1533, 1548 ff.; zum Problem auch Armour/ Hertig/Kanda in: Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/ Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl. 2009, S. 115, 116. 119 Grundlegend für die agenturtheoretische Analyse der Vertretungskosten, die im Verhältnis von Fremdkapitalgebern (Prinzipale) zu Eigenkapitalgebern (Agenten) als Folge moralischen Risikos entstehen Jensen/Meckling, 3 J. Fin. Econ. 305, 334 ff. (1976); Smith/Warner, 7 J. Fin. Econ. 117, 118 f. (1979); Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 52 ff. 120 Vgl. nur Brealey/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, 10. Aufl. 2011, S. 481 f.; unter dem Begriff asset substitution erörtet bei Armour/Hertig/Kanda in: Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/Hopt/ Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl. 2009, S. 115, 116 f.

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4 3,5

Anspruch

3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 0

2

4

6

8

10

12

Cash-Flow Fremdkapital

Eigenkapital

Abbildung 1 – Ansprüche von Fremd- und Eigenkapitalgebern auf zukünftige Zahlungsströme (Cash Flows)

Exakt diese Anreizstruktur zeigt sich auch im Verhältnis des ausgeschiedenen Gesellschafters zu den verbleibenden Mitgliedern. Die Teilhabe des Abfindungsgläubigers an der Solvenzverschlechterung der GmbH setzt sogar früher ein, weil sie durch die Auszahlungssperre der §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG bestimmt wird, die vor Insolvenzreife eingreift. Wiederum ist die persönliche Ausfallhaftung der bestimmungsmächtigen, verbleibenden Gesellschafter geeignet, ihnen die Anreize zu nehmen, Kapital, das für die Gesellschaft mittelfristig verloren ist, weil es ohnehin für die Abfindung des ausgeschiedenen Mitglieds verwendet werden muss, vor Fälligkeit noch besonders riskant einzusetzen. Die Zusammenhänge werden durch die folgenden numerischen Beispiele illustriert, die das beschriebene Szenario als simple Entscheidungen auf der Grundlage von Erwartungswerten modellieren.

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Tröger – Anteilseinziehung und Abfindungszahlung Nach Einziehung hat GmbH (Stammkapital 50, Abfindungsanspruch ausgeschiedener Gesellschafter 25) aus gesamtgesellschaftlicher Sicht gleichwertige Investitionsalternativen Bei Wahl der risikoärmeren Strategie kann Abfindung aus Gesellschaftsvermögen sicher gezahlt werden Erwartungswert Gesellschaftsvermögen 0,8 * 150 0,2 * 75

0,8 * (150–25) 135

0,5 * 270 0,5 * 0

Erwartungswert für verbleibende Gesellschafter ohne Ausfallhaftung

0,2 * (75–25)

0,8 * (150–25) 110

0,5 * (270–25) 135

0,5 * 0

Erwartungswert für verbleibende Gesellschafter mit Ausfallhaftung

0,2 * (75–25)

110

0,5 * (270–25) 122,5

0,5 * –25

110

Auch bei Wahl der risikoärmeren Strategie kann Abfindung aus Gesellschaftsvermögen nicht sicher gezahlt werden Erwartungswert Gesellschaftsvermögen 0,8 * 150 0,2 * 50

130

0,5 * 260 0,5 * 0

Erwartungswert für verbleibende Gesellschafter ohne Ausfallhaftung

Erwartungswert für verbleibende Gesellschafter mit Ausfallhaftung

0,8 * (150–25)

0,8 * (150–25)

0,2 * 50

110

0,5 * (260–25) 130

0,5 * 0

0,2 * (50–25)

105

0,5 * (260–25) 117,5

0,5 * –25

105

Tabelle 1 – Anreize rationaler Akteure zur opportunistischen Risikoerhöhung

Der mit Tabelle 1 zu erhellende Gesichtspunkt liegt darin, dass als Folge der persönlichen Ausfallhaftung die Erwartungswerte der unterschiedlichen Investitionen ceteris paribus aus Sicht der verbliebenen Gesellschafter (Residualgläubiger) identisch sind (vgl. 3. Spalte) und die so erzeugten Anreize im Einklang mit den gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrtseffekten (1. Spalte) stehen. Daraus folgt, dass erst als Folge der Haftung der sonst bestehende Anreiz zu opportunistischen Risikoerhöhungen (vgl. 2. Spalte) genommen wird. Dabei zeigen die Beispiele auch, dass dieser Effekt unabhängig von den anfänglichen Geschäftsaussichten der Gesellschaft ist. Die persönliche Ausfallhaftung lässt sich demnach als eine effektive Entschärfung des Missbrauchspotentials verstehen, das sich mit der Fortsetzungsmöglichkeit unter Verwendung des Abfindungsguthabens des Ausscheidenden verbindet.

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Tröger – Anteilseinziehung und Abfindungszahlung

Die so begründete persönliche Ausfallhaftung erzeugt grundsätzlich auch keine Kollateralschäden, weil sie tatsächlich nur die Anreize zu opportunistischer Risikoerhöhung beseitigt, d.h. sie verhindert eine Veränderung der Geschäftsstrategie nicht per se, sondern erhält die Anreize für diese, wenn mit den riskanteren Investitionen ein echter Mehrwert gehoben wird.121 Auch diese Zusammenhänge lassen sich anhand einer Abwandlung des gewählten numerischen Beispiels in Tabelle 2 verdeutlichen. Nach Einziehung hat GmbH (Stammkapital 50, Abfindungsanspruch ausgeschiedener Gesellschafter 25) aus gesamtgesellschaftlicher Sicht nicht gleichwertige Investitionsalternativen Bei Wahl der risikoärmeren Strategie kann Abfindung aus Gesellschaftsvermögen sicher gezahlt werden Erwartungswert Gesellschaftsvermögen 0,8 * 150 0,2 * 75

0,8 * (150–25) 135

0,5 * 290 0,5 * 0

Erwartungswert für verbleibende Gesellschafter ohne Ausfallhaftung

0,2 * (75–25)

0,8 * (150–25) 110

0,5 * (290–25) 145

0,5 * 0

Erwartungswert für verbleibende Gesellschafter mit Ausfallhaftung

0,2 * (75–25)

110

0,5 * (290–25) 132,5

0,5 * -25

120

121 Dies gilt freilich uneingeschränkt nur unter der Prämisse risikoneutraler Akteure, vgl. hierzu allgemein Frank, Microeconomics and Behavior, 8. Aufl. 2010, S. 179 ff.; B.C. Eaton/D.F. Eaton/Allen, Microeconomics, 6. Aufl. 2005, S. 584 f. Unterstellt man Risikoaversion verstärkt die drohende persönliche Haftung die Präferenz der Akteure, auch Investitionsmöglichkeiten mit höherem Erwartungswert nicht wahrzunehmen, wenn dieser auf höherer Volatilität beruht, weil die Einstandspflicht mit dem Privatvermögen ein zusätzliches, unerwünschtes Risiko im nachteiligen Szenario darstellt. Vor diesem Hintergrund ist es prinzipiell effizient, wenn sich die Gesellschafter ihren Präferenzen gemäß für eine konservative Geschäftsstrategie entscheiden, d.h. risikoreiche (volatile) Investitionsmöglichkeiten trotz höheren Erwartungswerts nicht wahrnehmen wollen und dies über ihre Allzuständigkeit (unten Fn. 124) auch gegenüber der Geschäftsführung durchsetzen. Eine verstärkende, zu Verzerrungen führende Tendenz der persönlichen Ausfallhaftung ist insoweit zwar denkbar, aber selbst diese muss in dem vorliegenden Zielkonflikt nicht notwendig zu Effizienzverlusten führen, solange die mit der Haftung unterbundenen, opportunistischen Risikoerhöhungen die möglichen Wohlfahrtsverluste als Folge drohender Unterinvestitionen (über)kompensieren.

50

Tröger – Anteilseinziehung und Abfindungszahlung Auch bei Wahl der risikoärmeren Strategie kann Abfindung aus Gesellschaftsvermögen nicht sicher gezahlt werden Erwartungswert Gesellschaftsvermögen 0,8 * 150 0,2 * 50

130

0,5 * 280 0,5 * 0

Erwartungswert für verbleibende Gesellschafter ohne Ausfallhaftung

Erwartungswert für verbleibende Gesellschafter mit Ausfallhaftung

0,8 * (150–25)

0,8 * (150–25)

0,2 * 50

110

0,5 * (280–25) 140

0,5 * 0

0,2 * (50–25)

105

0,5 * (280–25) 127,5

0,5 * -25

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Tabelle 2 – Anreize rationaler Akteure zur sozial wünschenswerten Risikoerhöhung

Die hier zugrunde gelegte Argumentation verkennt nicht, dass sie ein missbilligenswertes Verhalten der verbleibenden Gesellschafter in den Mittelpunkt rückt und somit prima facie die Wertungsgrundlage für eine an einen konkreten Pflichtwidrigkeitsvorwurf anknüpfende Haftung legt. In der Tat wäre gerade unter Anreizgesichtspunkten ausreichend, lediglich Fälle beobachtbaren, ex post opportunistischen Gesellschafterverhaltens zu sanktionieren. In den anderen Konstellationen einer Unterdeckung, d.h. wenn der Abfindungsanspruch aus freien Mitteln wegen einer allgemein nachteiligen Unternehmensentwicklung, der Realisierung von Konjunkturrisiken u.Ä. nicht bedient werden kann, wirkt die persönliche Einstandspflicht der verbleibenden Gesellschafter wie eine Kreditversicherung,122 die den ausscheidenden Gesellschaftern praktisch über Nacht von sämtlichen, von ihm ursprünglich voll übernommenen, unternehmerischen Risiken entlastet, obwohl er mit der hinausgeschobenen Fälligkeit der Abfindung einverstanden war. Die Schwierigkeit liegt allerdings darin, jenseits der plumpen Fälle offener Vermögensverschiebungen, das opportunistische Verhalten in der Realität zu erkennen, insbesondere missbräuchliche Risikoexternalisierungen zu Lasten des ausgeschiedenen Gesellschafters von den Fällen wünschenswerter, unternehmerischer Wagnisse zu unterscheiden. Die Probleme sind offensichtlich, insbesondere da die Feststellung aus einer ex-post-Perspektive zu treffen ist, in der die richterliche Beurteilung 122 In diesem Sinne ohne Begründung BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 17, wonach jede Verschlechterung der Vermögenslage der Gesellschaft die persönliche Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter trage.

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stets von den eingetretenen Verlusten beeinflusst sein wird (hindsight bias).123 Um die Gerichte nicht mit dem Nachvollziehen schwieriger unternehmerischer Strategieentscheidungen zu überfordern und stattdessen mit einer unter realen Informationsbedingungen operablen Regelung zu versehen, erscheint es gerechtfertigt, von einer unbedingten Haftung der Akteure auszugehen, die das potentiell opportunistische Verhalten innerhalb der Gesellschaft steuern (i.e. unterlassen) können. Somit unterliegen die verbleibenden Gesellschafter einer pflichtwidrigkeitsunabhängigen (strikten) Ausfallhaftung, weil sie als Folge der Allzuständigkeit der Gesellschafterversammlung insbesondere auch Maßnahmen der Geschäftsführung an sich ziehen können.124 Es geht also auch insoweit um eine generalisierende Betrachtung, d.h. will man die Operabilität der Regelung nicht doch wieder in Frage stellen, kann es auf beteiligungsmäßig abgesicherte (Mehrheits-)Macht nicht ankommen, die es im Einzelfall erlaubte, die Strategie der Gesellschaft (Risikonahme) tatsächlich zu beeinflussen.125 123 Grundlegend zum Phänomen Tversky/Kahneman, 5 Cognitive Psychology 207 (1973); Fischhoff/Beyth, 13 Organizational Behaviour and Human Performance 1 (1975); empirische Belege speziell für die Wirkmächtigkeit in Haftungsprozessen z.B. LaBine/LaBine, 20 L. & Human Behavior 1 (1996). 124 Großkomm.GmbHG/Hüffer, 2006, § 45 Rz. 15; Scholz/K. Schmidt, § 45 Rz. 5; MünchKomm.GmbHG/Liebscher, 2010, § 45 Rz. 81; Baumbach/ Hueck/Zöllner, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 46 Rz. 89; Lutter/Hommelhoff/ Bayer, § 45 Rz. 2; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 45 Rz. 36. 125 Der Blick auf das Personengesellschaftsrecht bestätigt die grundsätzlichen Wertungen. Nach § 128 Satz 1 HGB (zu dessen opportunismusbeschränkender Bedeutung, Tröger, FS Westermann, 2008, S. 1533, 1547 ff.) müssen alle persönlich haftenden Gesellschafter für die Abfindung einstehen, nach § 171 Abs. 1 Satz 2 HGB aber nicht die Kommanditisten nach Erbringung ihrer Hafteinlage, Großkomm.HGB/Schäfer, § 131 Rz. 142; MünchKomm.HGB/K. Schmidt, § 131 Rz. 128; Baumbach/Hopt, § 131 Rz. 48; Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn/Lorz, § 131 Rz. 65; Röhricht/v. Westphalen/v. Gerkan/Haas, § 131 Rz. 41, vgl. auch bereits Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 1977, Bd. I/1, § 12 I, S. 174 sowie BGH v. 11.10.1971 – II ZR 68/68, BB 1971, 1530. Dies erscheint deshalb gerechtfertigt, weil diese bei generalisierender Betrachtung (vgl. § 164 HGB) keinen Einfluss auf die Risikostrategie der Gesellschaft nehmen können (andere Deutung bei Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1274). Tendenziell anders Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1027), der es auf der Grundlage seiner Konzeption (oben (3)) immerhin für möglich hält, dass auch der Kommanditist für die Abfindung unabhängig von den in §§ 167 Abs. 3, 171 f. HGB normierten Grenzen, persönlich einstehen müsse.

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Es lässt sich trotzdem nicht bestreiten, dass die verbleibenden Gesellschafter mit einer tendenziell überschießenden Verantwortlichkeit belastet werden, da sie den ausscheidenden Gesellschafter auch gegen Verlustrisiken versichern, die außerhalb ihrer Einflusssphäre liegen. Die für die einfache Lösung einer unbedingten Ausfallhaftung angeführten, eher schwächeren Praktikabilitätserwägungen lassen sich allerdings normativ verstärken und damit weiter absichern: die Belastung korreliert mit der Begünstigung, dass den verbleibenden Gesellschaftern als Residualgläubigern auch die nicht unmittelbar durch eigene unternehmerische Entscheidungen erzielten Gewinne zukommen (vgl. Abbildung 1), die auf positiven Entwicklungen basieren, die letztlich das Spiegelbild einer nicht zu vertretenden Ausfallhaftung darstellen. Dogmatisch können die hier ausführlich entwickelten Wertungsgesichtspunkte umgesetzt werden, indem die persönliche Ausfallhaftung als Ausprägung der pflichtenbegründenden Dimension der gesellschafterlichen Treubindung der Mitglieder untereinander (horizontale Treubindung) verstanden wird.126 Eine solche wird zwar primär im Zusammenhang mit Stimmpflichten diskutiert und dort nur ausnahmsweise angenommen.127 Die prinzipiellen Überlegungen lassen sich aber durchaus verallgemeinern, sodass die Treubindung nach allgemeiner Meinung als geeignete Grundlage angesehen wird, um über Schranken für die Ausübung anderweitig begründeter Gesellschafterrechte hinaus auch originäre Handlungs- und Unterlassungspflichten im Interesse des adäquaten Zusammenwirkens im Verband hervorzubringen.128 Die dargestellten Wertungsgesichtspunkte legitimieren die persönliche Ausfallhaftung als eine verhältnismäßige Konkretisierung der verbandspezifischen Rücksichtnahmepflichten der Gesellschafter untereinander; sie stellen einen einfachen, kostensenkenden Weg dar, die legitimen Vermögensinteressen des ausscheidenden Gesellschafters auch bei im Interesse der verbleiben126 Siehe weiterführend zum Charakter der zweckbezogenen (vertikalen) Treubindung als Leistungspflicht Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 300 ff. 127 Vgl. speziell hierzu MünchKomm.GmbHG/Merkt, 2010, § 13 Rz. 113; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 13 Rz. 29; Michalski/ Michalski/Funke, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 13 Rz. 167. 128 Großkomm.GmbHG/Raiser, 2. Aufl. 2013, § 13 Rz. 11, § 14 Rz. 78 ff.; Scholz/Emmerich, 11. Aufl. 2012, § 13 Rz. 36 ff.; Scholz/Seibt, 11. Aufl. 2012, § 14 Rz. 54 ff.; MünchKomm.GmbHG/Merkt, 2010, § 13 Rz. 141; Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 13 Rz. 23; Michalski/ Michalski/Funke, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 13 Rz. 166, 178.

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den Gesellschafter liegender, sofortiger Wirksamkeit der Einziehung effektiv zu sichern. Die hier vorgeschlagene Entwicklung treupflichtbasierter, verschuldensunabhängiger Einstandspflichten ist keinesfalls singulär. Vielmehr wird in anderem Zusammenhang folgerichtig vertreten, dass eine von konkretem Verschulden unabhängige Verlustdeckungspflicht auf die pflichtenbegründende Dimension der Treubindung gestützt werden könne,129 ohne dass es für die entsprechende Argumentation auf rechtsformspezifische (personengesellschaftsrechtliche) Besonderheiten ankäme. Das Verständnis der Ausfallhaftung als Leistungspflicht kraft Treubindung erfordert i.Ü. nicht die Annahme einer weitreichenden, nachwirkenden Bindung aus dem ehemaligen Gesellschafterverhältnis,130 weil die Ausfallhaftung dem Grunde nach gleichzeitig mit dem Wirksamwerden des Einziehungsbeschlusses entsteht131 und die legitimen Interessen des hierdurch notwendig gewordenen, im bestehenden Gesellschaftsverhältnis wurzelnden Vermögensausgleichs absichert, also sowohl formal als auch materiell an die aktuelle Gesellschafterstellung auch des ausscheidenden Mitglieds anknüpft. Der Gedanke der Leistungspflicht kraft Treubindung bestätigt, dass es sich bei der persönlichen Ausfallhaftung nicht um eine akzessorische Verantwortlichkeit für eine Gesellschaftsschuld handelt.132 Umgekehrt bedarf es zur Begründung dieses Ergebnisses auch nicht der dogmatisch überschießenden Konstruktion, nach der „in Wahrheit“ die Gesellschafter primär verpflichtete Abfindungsschuldner wären. Vielmehr bringt die dogmatische Einordnung der Ausfallhaftung als Ausprägung der Treubindung der Gesellschafter untereinander den bloßen Sicherungscharakter der Verantwortlichkeit adäquat zur Geltung. 129 So für die pauschale Verlustausgleichspflicht in Personenhandelsgesellschaften mit Minderheitsgesellschaftern, Stimpel in Ulmer (Hrsg.), Probleme des Konzernrechts, ZHR Beiheft 62 (1989), 11 (22 f.); Löffler, Die abhängige Personengesellschaft, 1988, S. 97 f.; MünchKomm.HGB/Mülbert, Bd. 3, 3. Aufl. 2012, KonzernR Rz. 182; Tröger in Westermann, Handbuch der Personengesellschaften, Rz. I-4069 (Loseblatt Stand: Oktober 2012); Schall/ Knott in Heidel/Schall, HGB, 2011, Anh KonzernR Rz. 122; ablehnend Haar, Die Personengesellschaft im Konzern, 2006, S. 427 ff. 130 Zu deren grundsätzlicher Existenz z.B. BGH v. 13.2.2006 – II ZR 62/04, NZG 2006, 341 (344); Scholz/Emmerich, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 13 Rz. 38 f.; BeckOK.GmbHG/Wilhelmi, § 13 Rz. 180 (Stand 1.9.2013). 131 Vgl. auch noch unten d) (3). 132 Insoweit zutreffend Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1026 ff.).

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(5) Zwischenergebnis Die dogmatische Verankerung der vom Bundesgerichtshof postulierten persönlichen Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter gelingt erst, wenn man den Blick auf die Opportunismusanreize der verbleibenden Gesellschafter richtet. Aus dieser Perspektive ergibt sich eine normativ stringente Legitimation eines im Verhältnis der Gesellschafter zueinander wurzelnden Anspruchs mit Absicherungscharakter, die von Anfang an nicht Gefahr läuft, in Konflikt mit der GmbH-rechtlichen Vorgabe einer in erster Linie aus dem Gesellschaftsvermögen zu leistenden Abfindung zu geraten. Mit Hilfe der vorgeschlagenen, generalisierenden Anreizbetrachtung lässt sich eine – partiell überschießende – Regelung rechtfertigen, die den ausgeschiedenen Gesellschafter von sämtlichen Risiken eines nach Einziehung eintretenden Vermögensverfalls bei der Gesellschaft entlastet. Gerade diese Rechtsfolge kann bei einem engen, den weiteren Verlauf ausblendenden Fokus nur auf die unmittelbaren Anwachsungsfolgen im Zeitpunkt des Ausscheidens nicht begründet werden. Dogmatisch lassen sich die hier entwickelten Wertungsgrundlagen in einer Entfaltung der Treubindung der Gesellschafter zueinander umsetzen, indem die Ausfallhaftung als pflichtenbegründende Ausprägung derselben mit garantieähnlichem Charakter verstanden wird. In konsequenter Fortentwicklung der normativen Grundgedanken und der darauf basierenden Dogmatik der persönlichen Ausfallhaftung lassen sich Antworten auf die in der Grundsatzentscheidung des II. Senats nicht abschließend geklärten Streitfragen finden.

c) Passivlegitimation Die Formulierung des zweiten Leitsatzes der Entscheidung des BGH, die Ausfallhaftung treffe „die Gesellschafter, die den Einziehungsbeschluss gefasst haben“,133 hat Anlass gegeben, nur diejenigen verbleibenden Gesellschafter, die im Rahmen der verbandsinternen Willensbildung mit „Ja“ gestimmt haben, für passivlegitimiert zu halten.134 Dies

133 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, 2. Leitsatz und Rz. 21. 134 Klar in diesem Sinne Schockenhoff, NZG 2012, 449 (451 f.); ambivalent Grunewald, GmbHR 2012, 769 (770 f.); Lutter/Hommelhoff/Lutter, § 34 Rz. 49; erwägend Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 58; Priester, ZIP 2012, 659; tendenziell auch Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, 5. Aufl. 2013, § 34 Rz. 64.

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liegt jedenfalls dann nahe, wenn man eine in der Einziehungsentscheidung liegende Treupflichtverletzung – trotz der durchgreifenden Einwände135 – für haftungsbegründend ansieht.136 Auch das Unterbleiben der Auflösung – so man hierin eine haftungsauslösende Treupflichtverletzung sehen möchte – könnte kaum auflösungswilligen Minderheitsgesellschaftern als Pflichtwidrigkeit zur Last gelegt werden.137 Vereinzelt wird auch auf den vergleichbar personal beschränkten Anwendungsbereich der Gründerverantwortlichkeit nach §§ 197, 245 Abs. 1 UmwG im Fall des Formwechsels einer GmbH in eine AG oder KGaA rekurriert.138 Letztere Regelung zeigt allerdings nur, dass die heteronome Inpflichtnahme von Gesellschaftern an ihre positive Mitwirkung bei der Entstehung des Sicherungsbedürfnisses der Begünstigten gekoppelt werden kann.139 Eben diese Koppelung muss aber in nicht positivierten Konstellationen teleologisch gerechtfertigt werden, sie ist keinesfalls selbstverständlich. Demnach wäre konkret zu belegen, dass die mit der Ausfallhaftung verfolgten Ziele – ebenso wie bei der im Gläubigerinteresse postulierten Gründerverantwortlichkeit vom Gesetzgeber angenommen – auch ohne Zugriff auf sämtliche verbleibenden Gesellschafter erreicht werden können. Eben dies wird von denjenigen bestritten, die den Gedanken der „Anwachsung“ in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken140 bzw. zumin135 136 137 138

Oben b) (2). Vgl. Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1268. Vgl. auch insoweit Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1269. Schockenhoff, NZG 2012, 449 (451); ausdrücklich ablehnend, wegen mangelnder Analogiegrundlage J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (957). 139 Zu der von der h.M. befürworteten Weiterung, wonach auch außerhalb des Beschlusses „zustimmende“ Gesellschafter als Gründer verantwortlich sind, Lutter/Happ/Göthel, UmwG, 5. Aufl. 2014, § 245 Rz. 19; Schmitt/ Hörtnagl/Stratz/Stratz, UmwG, 6. Aufl. 2013, § 245 Rz. 3; Widmann/Mayer/ Rieger, Umwandlungsrecht, § 245 UmwG Rz. 28 f. 140 So v.a. Altmeppen, ZIP 2012, 1685 (1691); Altmeppen, NJW 2013, 1025 (1029 f.); Winkler, BB 2012, 664 (667); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (506); Keil, DZWIR 2012, 348 (349); letztlich auch Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (144); zuvor schon MünchKomm.GmbHG/Strohn, § 34 Rz. 77; vgl. auch Trölitzsch, KSzW 2013, 55 (58) mit Gedanken eines Freistellungsanspruchs der dissentierenden/sich enthaltenden Gesellschafter im Verhältnis zu den Zustimmenden; dagegen zutreffend Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1269: sofern auf die Vermögensmehrung als tragender Grund der Haftung abgestellt wird, kann es auf Unterschiede im Abstimmungsverhalten für die Folgen nicht ankommen.

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dest im notwendigen Vermögensausgleich den tragenden Gesichtspunkt der Ausfallhaftung sehen,141 weil von den in Rede stehenden Einziehungsfolgen alle verbleibenden Gesellschafter profitieren. Auch aus Sicht des hier vertretenen Ansatzes ist allein eine Haftung aller verbleibenden Gesellschafter folgerichtig. Die durch die persönliche Verantwortlichkeit gesetzten Verhaltensanreize reagieren allein auf das nach Einziehung entstehende Potential zu opportunistischem Verhalten.142 Sie hat also keinen Bezug zu einem wie auch immer gearteten, vermeintlich pflichtwidrigen Vorverhalten, sondern knüpft an die Stellung des Ausscheidenden als quasi-Fremdkapitalgeber an.143 Mit dieser Maßgabe ist auch zu beurteilen, ob auch nach Wirksamwerden des Einziehungsbeschlusses neu eintretende Gesellschafter mithaften sollen. Dies wird in der Literatur mit dem Argument verneint, sie partizipierten mit ihrem neu geschaffenen Geschäftsanteil nicht an der einziehungsbedingten Vermögensmehrung.144 Dies greift aber zu kurz, wenn man den inneren Grund in der Steuerung von Opportunismuspotentialen sieht: um die Anreize zu redistributiven Vermögensverschiebungen oder Risikoerhöhungen zu beseitigen, muss, solange die Gesellschaft mit dem „Fremdkapital“ des Ausgeschiedenen arbeitet, die pro rata-Haftung alle vorhandenen, in Geschäftsführungsangelegenheiten stimmberechtigten145 Gesellschafter treffen. Andernfalls besteht jedenfalls bei einzelnen Mitgliedern die unerwünschte Motivationslage, die im Rahmen der generalisierenden Verantwortlichkeit verhindert werden soll. 141 Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1269 im Rahmen einer Rechtsfortbildung aus Billigkeitsgründen; ebenso J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (957 f.) im Rahmen einer offenen Rechtsfortbildung. 142 Oben b) (4). 143 In der Literatur wird die Möglichkeit befürwortet, diejenigen Gesellschafter statutarisch von der Ausfallhaftung freizustellen, die gegen die Einziehung gestimmt hätten, Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (145); Grunewald, GmbHR 2013, 769 (772). Sofern auch nur den mit Ja stimmenden Gesellschaftern der Vermögenswert des eingezogenen Gesellschaftsanteils zugutekommt, bleibt die hier in den Mittelpunkt gerückte Anreizparallelität gewahrt: soweit der Prinzipal-Agenten-Konflikt zwischen verbleibenden und ausscheidenden Gesellschaftern besteht, wird er durch die auf „mit Fremdkapital arbeitenden“ Gesellschafter beschränkte Ausfallhaftung gesteuert. 144 MünchKomm.GmbHG/Strohn, § 34 Rz. 77; zustimmend Schneider/Hoger, NJW 2012, 502 (506). 145 Oben bei Fn. 124 und 125.

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d) Umfang und Reichweite der Haftung (1) Keine gesamtschuldnerische, sondern pro rata-Haftung In einer frühen Stellungnahmen zur Leitentscheidung des BGH wurde darauf hingewiesen, dass der Ausgeschiedene als Folge der anteiligen Verantwortlichkeit der verbleibenden Gesellschafter u.U. eine große Zahl von Haftenden klageweise in Anspruch nehmen müsse, was bei zersplittertem Gesellschafterkreis zu einer großen Zahl von Klagen mit teilweise geringen Streitwerten führen könne; überdies werde er mit dem Bonitätsrisiko der ihm verpflichteten verbleibenden Gesellschafter belastet.146 Diese Beobachtung ist zwar richtig, benennt aber noch keinen sachlichen Grund, dem Gesellschafter die beschriebenen Lasten abzunehmen. Im Gegenteil ist gerade im Rahmen der hier zugrundegelegten Betrachtung die pro rata-Haftung adäquat, weil und solange sie – wie im gesetzlichen Regelfall des § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbHG – der Gewinnbeteiligung folgt: v.a. im Hinblick auf die Anreize zur Risikoerhöhung, die über die Gewinnpartizipation vermittelt werden,147 ist notwendig und hinreichend ein parallel motivierendes Gegengewicht in Form der anteiligen Ausfallhaftung der einzelnen Gesellschafter zu etablieren. Immerhin ist zu bedenken,148 dass die postulierte Ausfallhaftung gerade unter Anreizgesichtspunkten wirkungslos sein kann, wenn sie faktisch wegen hoher Hürden der prozessualen Geltendmachung nicht oder nur unvollständig durchgesetzt würde – die angestrebte Anreizparallelität ginge zumindest partiell verloren, wenn die drohende Ausfallhaftung die im Raum stehenden Opportunismusgewinne aus der ex-ante-Perspektive (Erwartungswert) nicht vollständig kompensierte.149 Im Gros der Fälle von GmbH mit überschaubarem Gesellschafterkreis droht dies indessen nicht. Aus diesem Grund ist es legitim, mit Blick auf die eher 146 Schockenhoff, NZG 2012, 449 (451). 147 Oben b) (4), insbesondere bei Abbildung 1. 148 Grundsätzlich zur – häufig vernachlässigten – Bedeutung der tatsächlichen Rechtsdurchsetzung für die institutionenökonomische Analyse Spier, 10 J.L. Econ. & Org. 84, 84 f. (1994); Krasa/Villamil, 68 Econometrica 119, 119 f. (2000). 149 Orientiert man sich einmal mehr an dem zur Illustration eingeführten, ersten numerischen Beispiel aus Tabelle 1, zeigt sich, dass Durchsetzungsdefizite, die zu einer drohenden Ausfallhaftung l 25 führen, bei den Residualgläubigern Anreize zu opportunistischen Risikoerhöhungen erhalten, weil der Wert des ihnen zustehenden Gesellschaftsvermögens L 110 sein wird, der motivierende Erwartungswert liegt im Intervall ]110, 122,5].

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seltenen Problemfälle nicht generell eine wirkungsvolle Remedur für eventuelle, kosteninduzierte Durchsetzungsdefizite zu verordnen: die insoweit zu erwägende gesamtschuldnerische Haftung führt nämlich umgekehrt zu krassen Fehlanreizen in Form übervorsichtigen Gesellschafterverhaltens selbst bei Risikoneutralität, weil jedes verbleibende Mitglied mit einer vollen Internalisierung der Unterdeckung rechnen müsste, obwohl es an den – wie auch immer erzielten – Gewinnen nur pro ratarisch beteiligt ist.

(2) Keine anteilige Erhöhung bei Zahlungsunfähigkeit haftender Gesellschafter In der Literatur wird die anteilige Erhöhung der Haftung der zahlungsfähigen, verbleibenden Gesellschafter analog §§ 31 Abs. 3 Satz 2, 24 Satz 2 GmbHG befürwortet, wenn einzelne der pro ratarisch haftenden Mitglieder nicht leistungsfähig sind.150 Dies soll nach partiell vertretener Auffassung auch dann für dissentierende Gesellschafter gelten, wenn man diese grundsätzlich nicht als Adressaten der persönlichen Haftung für die Abfindung ansieht.151 Die normative Unzulänglichkeit dieser prima facie naheliegenden Lösung liegt darin, dass die gesetzlichen Fälle der Erhöhung der an sich pro rata begründeten, mitgliedschaftlichen Leistungspflichten auf einer nicht unmittelbar übertragbaren Wertung des Gesetzgebers beruhen. Dieser betrachtet im Rahmen der Kapitalaufbringung und -erhaltung die Interessen der Gesellschaftsgläubiger als uneingeschränkt vorrangig und will deshalb möglichst sicherstellen, dass eine volle Leistung in das Gesellschaftsvermögen aus dem Kreis der Anteilseigner erfolgt.152 Eine vergleichbare Privilegierung im Sinne eines unbedingt, gegebenenfalls auch aus dem Privatvermögen der verbleibenden Gesellschafter zu be150 Schockenhoff, NZG 2012, 449 (451); Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1269 f.; J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (958). 151 Grunewald, GmbHR 2012, 769 (770); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (506). Eine materielle Begründung oder eine dogmatische Herleitung dafür, warum an sich nicht haftende Gesellschafter dem Ausscheidenden das Risiko der Zahlungsunfähigkeit seiner ursprünglichen Schuldner abnehmen sollen, bleiben die Autoren schuldig. 152 Zur rechtspolitischen Kritik an der auch rechtsvergleichend eher außergewöhnlichen Positionierung des deutschen Gesetzgebers und den Vorschlägen einer Korrektur de lege ferenda (verschuldensabhängige Haftung, Begrenzung) nur Scholz/Verse, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 31 Rz. 49; Saenger/Inhester/ Greitemann, 2. Aufl. 2013, § 31 Rz. 57.

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friedigenden Erfüllungsinteresses des Abfindungsgläubigers lässt sich dem GmbHG aber nicht entnehmen.153 Die befürwortete Analogie führte in der genannten Konstellation wie gezeigt dazu, dass der ausscheidende Gesellschafter gegen das Risiko der Leistungsunfähigkeit auch einzelner Gesellschafter geschützt wird, d.h. ihm also auch noch das Bonitätsrisiko seiner Schuldner teilweise abgenommen wird.154 Mit dem Gedanken der Vermögensmehrung/Anwachsung lässt sich dies erkennbar nicht rechtfertigen, denn diese erfolgen ex lege nur pro ratarisch. Unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Fehlanreizen lässt sich die in Rede stehende Erhöhung der Ausfallhaftung eventuell dadurch legitimieren, dass gerade in der Person nicht leistungsfähiger Gesellschafter ein erheblicher Anreiz besteht, hohe Risiken einzugehen. Ihre wirtschaftliche Bedrängnis lädt einerseits zu gewinnversprechenden Hasardeurstücken ein (vgl. Abbildung 1), andererseits sind sie wegen der bindenden Vermögensrestriktion für die gegenläufigen Anreize der pro rata-Haftung unempfänglich (judgement proof).155 Die ökonomische Analyse der Leutehaftung (vicarious liability) zeigt, dass sich dem beschriebenen Auseinanderfallen von privatem und sozial wünschenswertem Nutzenkalkül prinzipiell durch eine entsprechende Internalisierung der Opportunismusfolgen bei Dritten begegnen lässt.156 Allerdings ist die zusätzliche Haftung in der vorliegenden Konstellation deshalb auch aus dieser Perspektive nicht erforderlich, weil die ex ante-Anreize für alle verbleibenden Gesellschafter durch die pro ratarische Haftung bereits zutreffend justiert sind; eine Erhöhung der potentiellen Ausfallhaftung korrelierte wiederum mit ineffizienten Strategien der Haftungsvermeidung in Form übermäßig konservativer Geschäftsstrategien etc.157 153 Oben b) (3). 154 Dies halten Schockenhoff, NZG 2012, 449 (451); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (506) ohne Nennung sachlicher Gründe für per se erstrebenswert. 155 Dazu allgemein Summers, 132 U. Pa. L. Rev. 145 (1983); Shavell, 6 Int’l. Rev. L. & Econ. 45 (1986). 156 Kornhauser, 70 Cal. L. Rev. 1345, 1351 f. (1982); Sykes, 93 Yale L.J. 1231, 1241 (1984); Shavell, Economic Analysis of Accident Law, 1987, S. 172 f.; zusammenfassend Tröger, Arbeitsteilung und Vertrag, 2012, S. 208 ff. 157 Die Problematik bleibt, wenn auch in abgeschwächter Form, bestehen, wenn man einen internen Regress unter den verbleibenden Gesellschaftern für den Fall befürwortet, dass sie analog §§ 24 Satz 2, 31 Abs. 3 Satz 2 GmbHG über-anteilig in Anspruch genommen wurden (so Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (506 f.)). Solange das Risiko einer endgültigen, über-antei-

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(3) Entfallen der persönlichen Haftung durch Auflösungsbeschluss Der BGH weist mit wenigen Worten darauf hin, dass die verbleibenden Gesellschafter im Fall der Unterdeckung des Abfindungsanspruchs ihre persönliche Verantwortlichkeit durch Auflösung der Gesellschaft vermeiden könnten.158 In der Literatur ist herausgearbeitet worden, dass letztlich kein dogmatisch gangbarer Weg zu diesem Ergebnis führt, wenn man den BGH dahin deutet, der Inhalt des statutarisch näher geregelten bzw. am Verkehrswert des Geschäftsanteils orientierten159 Abfindungsanspruchs gegen die Gesellschaft ändere sich als Folge des Auflösungsbeschlusses und sei nur noch auf einen – wohl der ehemaligen Gesellschafterstellung entsprechenden – Anteil am Liquidationserlös gerichtet.160

ligen Haftung nicht sicher ausgeschlossen ist, kommt es zu den beschriebenen Fehlanreizen in Form mehr oder weniger exzessiver Risikovermeidungsstrategien. 158 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 21, 22. Grunewald, GmbHR 2012, 769 (771) hat auf die – wegen der unterschiedlichen Mehrheitserfordernisse für Einziehungs- (§§ 46 Nr. 4, 47 Abs. 1 GmbHG) und Auflösungsbeschluss (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) nicht auszuschließenden – praktischen Schwierigkeiten bei der Verfolgung einer solchen Strategie hingewiesen und deshalb mit H.F. Müller, WuB II C. § 34 GmbHG 1.12 vorgeschlagen, allen Gesellschaftern, die gegen die Einziehung gestimmt haben, ein Auflösungsrecht unabhängig von den an sich geltenden Mehrheitserfordernissen zu gewähren. 159 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (364 f., 370); Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 25; Großkomm.GmbHG/Ulmer, 2006, § 34 Rz. 77; MünchKomm.GmbHG/Strohn, 2010, § 34 Rz. 63, 208 ff.; Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, § 34 Rz. 22; Lutter/Hommelhoff/ Lutter, 18. Aufl. 2012, § 34 Rz. 49 ff. 160 Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1272; ähnlich schon Grunewald, GmbHR 2012, 769 (771). Demgegenüber hält Lutter, EWiR 2012, 177 (178) die Konstruktionsprobleme unter Berufung auf BGH v. 22.3.2011 – II ZR 229/09, BGHZ 189, 32 Rz. 7 f. für bewältigbar, verkennt aber, dass die einschlägige, vom BGH ausdrücklich bestätigte (BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 24) Judikatur, lediglich für die Befugnis, einen Rechtsstreit über die Wirksamkeit eines Zwangsausschlusses (konkret: squeeze out) zu führen, den Fortbestand der Gesellschafterstellung unterstellt, also keinesfalls eine rückwirkende Inhaltsänderung der Rechtsstellung des ausgeschiedenen Gesellschafters annimmt.

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Die Kritik beruht allerdings wiederum auf der Vorstellung, die persönliche Gesellschafterhaftung beruhe auf einer akzessorischen Verantwortlichkeit,161 bei der die persönliche Ausfallhaftung der Gesellschafter nur dadurch eine Anpassung erfahren könne, dass der gegen die Gesellschaft gerichtete Abfindungsanspruch inhaltlich adaptiert wird. Löst man sich davon – die Ausführungen des BGH lassen sich durchaus im Sinne einer Beschreibung eines wirtschaftlichen Ergebnisses statt einer dogmatischen Wegweisung lesen – bedarf es keiner gewagten rechtskonstruktiven Verrenkungen: Der gegen die Gesellschaft gerichtete Abfindungsanspruch bleibt entsprechend der Wertung der §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG auch in der Liquidation gesperrt.162 Dieser bleibt also auf Leistung in Höhe freien Vermögens beschränkt, sodass der ausgeschiedene Gesellschafter insoweit an der Vermögensentwicklung der GmbH gesellschaftergleich partizipiert.163 Weiterhin könnte eine auf selbständiger Grundlage beruhende Ausfallhaftung dogmatisch-konstruktiv bruchlos als von Anfang an nie entstanden betrachtet werden, indem als Tatbestandsvoraussetzung neben der Unterdeckung im Fälligkeitszeitpunkt164 auch die Fortsetzung trotz dieses (bekannten) Sachverhalts gefordert würde.165 Alternativ könnte im Auflösungsbeschluss ein Befreiungstatbestand von der zunächst begründeten Verantwortlichkeit gesehen werden. Entscheidend ist jedoch, dass das konstruktiv Denkbare teleologisch nicht wünschenswert ist. Die von BGH und Teilen der Literatur befürwortete Dispositivität der Ausfallhaftung nach Feststellung der Unterdeckung ist unter Anreizgesichtspunkten nicht sinnvoll. Vielmehr entwertet sie das gesamte Institut. Letztlich blieben nämlich die Anreize erhalten, auf Kosten des Ausgeschiedenen mit dem angewachsenen Kapital höhere Risiken einzugehen: verwirklicht sich das positive Szenario, kann die Abfindung aus dem gesteigerten Gesellschaftsvermögen gezahlt werden; wenn nicht, verhindert die alsbaldige Auflösung zumindest die persönliche Inanspruchnahme. Diese spielt folglich im privaten

161 Dazu schon oben b) (1). 162 Oben Fn. 60 und ausdrücklich im hier interessierenden Kontext Grunewald, GmbHR 2012, 769 (770 f.). 163 Vgl. auch Strohn, DB 2012, 1193 (1197): Liquidation „unter Einschluss des von der Einziehung betroffenen Gesellschafters“. 164 Dazu noch näher unten e). 165 Zur damit verbundenen Vorstellung, in der Fortsetzung trotz Unterdeckung liege eine Pflichtwidrigkeit oben b) (2).

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Nutzenkalkül der verbleibenden Gesellschafter eine ineffiziente, weil eingeschränkte Rolle.166

e) Subsidiarität Der BGH lässt keinen Zweifel daran, dass die persönliche Haftung materiell voraussetzt, dass im Zeitpunkt der Fälligkeit des Abfindungsanspruchs tatsächlich eine Unterdeckung vorhanden ist. Die vom Gericht genannten Möglichkeiten, die Haftung zu vermeiden (Aufdeckung stiller Reserven167 und Kapitalherabsetzung),168 sind daher zwingende Konsequenz des flankierenden Charakters der Ausfallhaftung, weil beim Gelingen der Maßnahmen die Schranke des § 30 Abs. 1 GmbHG für den gegen die Gesellschaft gerichteten Abfindungsanspruch gar nicht eingreift.169 Die lediglich bei feststehendem Sachverhalt wie geschrieben handhabbare, materielle Voraussetzung der Unterdeckung wirft die praktisch bedeutsame Frage auf, welche Schritte der ausgeschiedene Gesellschafter gegen die Gesellschaft tatsächlich unternommen haben muss, um im Rahmen der Ausfallhaftung auf das Vermögen der Gesellschafter zugreifen zu können, d.h. welche Nachweise für das Vorliegen der unstreitigen materiellen Haftungsvoraussetzung (Unterdeckung) gefordert werden. In der Literatur wird befürwortet, es ausreichen zu lassen, wenn sich die Gesellschaft gegenüber dem Abfindungsverlangen auf die Schranke des 166 Dieses entspricht im Wesentlichen der in Tabelle 1 für das Fehlen der Ausfallhaftung beschriebenen Situation. Es ist aber immerhin dadurch modifiziert, dass die verbleibenden Gesellschafter im negativen Szenario die Gesellschaft nicht als werbende erhalten können, also immerhin mit zusätzlichen Kosten der Liquidation belastet werden. Hierdurch entstehen freilich keine wünschenswerten Verhaltensanreize, weil anders als bei Eingreifen der Ausfallhaftung keine Korrelation von potentiellen Vorteilen und Kosten besteht. 167 Zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit der Buchwerte für die Bestimmung des freien Vermögens vgl. BGH v. 11.12.1989 – II ZR 78/89, BGHZ 109, 334 (337 ff.); BGH v. 29.9.2008 – II ZR 234/07, ZIP 2008, 2217 Rz. 11. 168 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236, Rz. 21. 169 Trotz der konzeptionellen Klarheit kann es praktisch schwierig sein, auf den genannten Wegen eine Unterdeckung zu vermeiden, v.a. weil bei der Kapitalherabsetzung wegen § 58 Abs. 1 Ziff. 3 GmbHG ein Wettlauf gegen die Fälligkeit beginnt, Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1270 f.; vgl. auch J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (958) mit dem Hinweis auf die unterschiedlichen Mehrheitserfordernisse (§ 53 Abs. 2 GmbHG einerseits, § 47 Abs. 1 GmbHG andererseits).

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§ 30 Abs. 1 GmbHG beruft.170 Darüber hinaus wird es aber auch für ausreichend erachtet, dass der ausgeschiedene Gesellschafter der GmbH nach Fälligkeit erfolglos eine angemessene Frist gesetzt und die verbliebenen Gesellschafter unter Hinweis auf ihre Ausfallhaftung hierüber informiert hatte.171 Nach dieser Lösung stellt sich die Frage einer angemessenen Frist, die nicht notwendig mit dem Wirksamwerden von Maßnahmen zur Haftungsvermeidung (Kapitalherabsetzung mit Sperrjahr) korreliert.172 Andere plädieren in diesem Zusammenhang dafür, auf die zur Ausfallhaftung nach § 24 Satz 2 und nach § 31 Abs. 3 Satz 2 GmbHG entwickelten Leitlinien zurückzugreifen und halten deshalb die Aussichtslosigkeit der Beitreibung für ausreichend,173 was aber letztlich auf die Erkennbarkeit der Unterdeckung hinausläuft. Aus Sicht der hier vertretenen Teleologie der Ausfallhaftung ist entscheidend, dass die Modalitäten der Geltendmachung nicht zu einer faktischen Entwertung der Haftungsdrohung als Steuerungsinstrument führen dürfen. Folglich ist sicherzustellen, dass die verbleibenden Gesellschafter in ihrem Nutzenkalkül ex ante davon ausgehen, bei Ausbleiben einer Leistung aus dem Verbandsvermögen für die Differenz einstehen zu müssen, ohne durch Hinweise auf von außen schwer nachprüfbare, innerverbandliche Zusammenhänge die Verantwortlichkeit vermeiden oder nennenswert verzögern zu können. Deshalb sind neben der Erfüllungsverweigerung durch die Gesellschaft unter Berufung auf Kapitalerhaltungspflichten auch erfolglose Fristsetzungen als ausreichend anzusehen. Nach der hier vertretenen Konzeption sollen die Verhaltensmotive der verbleibenden Gesellschafter durch die Ausfallhaftung dahin beeinflusst werden, dass sie keine opportunistischen Vorteile aus ihrer Teilhabe am Gesellschaftsvermögen anstreben.174 Entsprechendes Potential besteht aber auch dann nicht, wenn den Residualgläubigern die Möglichkeit gegeben wird, Maßnahmen zu ergreifen, um das zunächst nicht ausreichende, freie Gesellschaftsvermögen „an170 Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1271. 171 Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1271; ähnlich J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (959) unter Hinweis auf § 281 BGB und § 21 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (506) halten eine „erfolglose Zahlungsaufforderung gegenüber der Gesellschaft“ für ausreichend. 172 Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1271; vgl. auch J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (959); ohne Festlegung Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (506). 173 Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (506). 174 Oben b) (4).

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zureichern“. Die maßgeblichen Fristen sind daher durchaus an dem für darauf abzielende, erfolgversprechende Maßnahmen (insbesondere: Kapitalherabsetzungen) notwendigen Zeitaufwand zu orientieren. Dies ist die Konsequenz daraus, dass es bei der Ausfallhaftung eben nicht um die (schnelle) Befriedigung des Abfindungsinteresses des Ausgeschiedenen per se geht.

III. Offene Fragen Durch die Leitentscheidung auch für die Praxis nicht geklärte Fragen resultieren daraus, dass der zur Entscheidung gestellte Sachverhalt keinen Anlass dafür gab, die Position der höchstrichterlichen Rechtsprechung umfassend auch im Hinblick auf verwandte Fragestellungen endgültig festzulegen. Dies betrifft zum einen die Behandlung der Fälle des Ausschlusses von Gesellschaftern aus wichtigem Grund.175 Zum anderen geht es um die Folgen einer von Anfang an bestehenden Unterdeckung des Abfindungsanspruchs, zu der der BGH zwar Stellung bezieht, allerdings ohne dass die entsprechende Passage entscheidungserheblich wäre.176 Beide Konstellationen sollen auf der Grundlage des hier entwickelten Konzepts der Ausfallhaftung beleuchtet werden.

1. Gleichbehandlung von Einziehung und Ausschluss aus wichtigem Grund Sofern für den Ausschluss eines Gesellschafters ausnahmsweise keine Satzungsgrundlage vorhanden ist, bleibt lediglich die Möglichkeit, wegen eines in der Person des Gesellschafters liegenden wichtigen Grundes ein Ausschlussurteil gegen ihn zu erwirken.177 Neben dem ohnehin 175 Unten 1. 176 Unten 2. 177 Anerkannt seit BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (158 ff.); st. Rspr. z.B. BGH v. 17.2.1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317 (322); BGH v. 25.1.1960 – II ZR 22/59, BGHZ 32, 17 (22 f.); BGH v. 3.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346 (349); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (369); BGH v. 13.1.2003 – II ZR 227/00, BGHZ 153, 285; allg. M. aufgrund der Vorarbeiten von Scholz, Ausschließung und Austritt aus der GmbH, 3. Aufl. 1950; z.B. Scholz/Seibt, Anh. § 34 Rz. 25; Großkomm.GmbHG/Ulmer, Anh. § 34 Rz. 9; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, § 34 Rz. 79; Baumbach/ Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, § 34 Anh. Rz. 2; Lutter/Hommelhoff/Lutter, § 34 Rz. 52; Roth/Altmeppen/Altmeppen, § 60 Rz. 77; Michalski/Sosnitza, Anh. § 34 Rz. 6.

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misslichen Umstand, das aufwendige Verfahren zur Erlangung des Gestaltungsurteils betreiben zu müssen,178 könnte ein weiterer bedeutender Nachteil dieses Wegs zur Beendigung der Mitgliedschaft darin liegen, dass die Wirkung des Ausschlusses noch nicht mit Rechtskraft des Urteils, sondern – wegen einer entsprechenden, aufschiebenden Bedingung – erst mit nachfolgender Zahlung der geschuldeten Abfindung eintritt. Diese, von der Rechtsprechung179 und einem Teil des Schrifttums180 bisher befürwortete Lösung erzeugt erkennbar zum Schutz der Interessen des ausgeschlossenen Gesellschafters die missliche Schwebelage,181 die der BGH im Fall der Einziehung nicht mehr zu akzeptieren gewillt war. Ein die Differenzierung tragender Unterschied kann zunächst nicht darin gesehen werden, dass nach Ausschluss der Geschäftsanteil des Ausscheidenden zunächst fortexistiert und verwertet werden muss,182 wäh-

178 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (165 f.); BGH v. 17.2.1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317 (322); BGH v. 3.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346 (349); BGH v. 20.9.1999 – II ZR 345/97, NJW 1999, 3778; BGH v. 13.1.2003 – II ZR 227/00, BGHZ 153, 285 (289 ff.); Scholz/Seibt, Anh. § 34 Rz. 33; Großkomm.GmbHG/Ulmer, Anh. § 34 Rz. 34; Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, Anh. § 34 Rz. 8; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, § 34 Rz. 91; Bork/Schäfer/Thiessen, § 34 Rz. 61; Roth/Altmeppen/Altmeppen, § 60 Rz. 85. Anders jetzt aber Altmeppen, ZIP 2012, 1685 (1692 f.), der auch ohne statutarische Grundlage einen Einziehungsbeschluss für möglich hält und daher keinen Bedarf mehr für eine Ausschlussklage sieht. 179 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (174 ff.); BGH v. 17.2.1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317 (325); BayObLG v. 18.3.2003 – 3Z BR 246/02, DB 2003, 1379; OLG Hamm v. 6.5.1992 – 8 U 171/91, DB 1992, 2181 (2181); OLG Jena v. 5.10.2005 – 6 U 162/05, NZG 2006, 36 (38); OLG Düsseldorf v. 23.11.2006 – 6 U 283/05, NZG 2007, 278. 180 Z.B. Scholz/Seibt, Anh. § 34 Rz. 39; Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, § 34 Rz. 79; Michalski/Sosnitza, Anh. § 34 Rz. 31 f.; Lutter/Hommelhoff/ Lutter, § 34 Rz. 58 (anders aber Rz. 64); Bork/Schäfer/Thiessen, § 34 Rz. 69; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 30 Rz. 78; MünchHdb.GmbH/Kort, § 29 Rz. 45; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 308 ff.; Balz, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der GmbH, 1984, S. 57 ff.; Heidinger/Blath GmbHR 2007, 1184 (1186 f.). 181 II. 1. b). 182 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (169 f.); BGH v. 25.1.1960 – II ZR 22/59, BGHZ 32, 17 (23); BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, NJW 1983, 2880 (2881); BGH v. 20.9.1999 – II ZR 345/97, NJW 1999, 3778; Rowedder/ Schmidt-Leithoff/Görner, § 34 Rz. 119; Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl.

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rend er bei der Einziehung nach h.M. mit dem Ausscheiden vernichtet wird.183 Entscheidend ist an dieser Stelle allein, ob unter Berücksichtigung der legitimen Schutzinteressen des Ausscheidenden der – wie auch immer geartete184 – Verlust seiner mitgliedschaftlichen Rechte sofort eintreten kann. Die Frage ist aber ersichtlich unabhängig davon zu beantworten, wie dieser Verlust im weiteren Schicksal des Geschäftsanteils abgebildet wird. Mit dieser Maßgabe sieht der BGH einen Unterschied, der für ein Festhalten an der Bedingungslösung beim Ausschluss aus wichtigem Grund sprechen könnte, darin, dass bei diesem keine antizipierte Zustimmung des Ausscheidenden zum Verlust seiner Mitgliedschaft vorliege.185 Es lässt sich allerdings bestreiten, dass hierin ein durchschlagender Differenzierungsgrund liegt.186 Zum einen, weil die satzungsunabhängige Ausschlussmöglichkeit aus wichtigem Grund – jedenfalls in Beraterkreisen – hinlänglich bekannt sein wird und daher in der Übernahme des Geschäftsanteils ebenfalls eine stillschweigende Konsentierung die-

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2013, § 34 Rz. 15, 17; Bork/Schäfer/Thiessen, § 34 Rz. 68; Blath, GmbHR 2012, 657 (658). Oben Fn. 5. Während bei der Einziehung mit der Vernichtung des Geschäftsanteils automatisch auch die vermittelten Rechte untergehen (BGH v. 14.9.1998 – II ZR 172/97, GmbHR 1998, 1177 (1178(; BayObLG v. 25.10.1991 – BReg. 3 Z 125/91, GmbHR 1992, 42; Scholz/Westermann, § 34 Rz. 62; MünchKomm.GmbHG/ Strohn, § 34 Rz. 59; Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, § 34 Rz. 19; Lutter/Hommelhoff/Lutter, § 34 Rz. 2; Grunewald, GmbHR 2012, 769 (770); Priester, ZIP 2012, 658), ist für den Ausschluss aus wichtigem Grund umstritten, ob mit dessen Wirksamkeit der Ausscheidende seine mitgliedschaftliche Position verliert, weil der Geschäftsanteil zum vorübergehend trägerlosen Recht wird (Scholz/Seibt, Anh. § 34 Rz. 47; Großkomm.GmbHG/Ulmer, Anh. 34 Rz. 39; Roth/Altmeppen/Altmeppen, § 60 Rz. 98), oder ob ihm diese zwar weiter als Träger zugeordnet bleibt, allerdings ohne Befugnis zur Ausübung der damit verbundenen Rechte (Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, Anh. § 34 Rz. 10, 15; MünchHdbGesR.GmbH/Kort, § 29 Rz. 49; Blath, GmbHR 2012, 657 (658)). BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 16 unter Hinweis auf BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (173); zustimmend Scholz/ Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 56; Münnich, GmbHR 2012, 390; Trölitzsch, KSzW 2013, 55 (57). Zweifelnd auch Grunewald, GmbHR 2012, 769 (771).

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ser im Kern zwingenden,187 gesetzlichen „Ausstattung“ der Mitgliedschaft gesehen werden kann.188 Zum anderen, weil der für die sofortige Beendigung der mitgliedschaftlichen Stellung zentral streitende Gesichtspunkt, einen „Störenfried“189 möglichst rasch aus der innerverbandlichen Einflusssphäre zu entfernen – solange seine legitimen Vermögensinteressen gewahrt werden190 – insoweit a fortiori trägt: der statutarisch nicht näher geregelte Ausschluss erfordert ja notwendig, dass der betroffene Gesellschafter einen gerichtlich bestätigten, wichtigen Grund für die Beendigung seiner Mitgliedschaftsstellung liefert, mit anderen Worten ein quasi zertifizierter „Störenfried“ ist.191 Der entscheidende Gesichtspunkt für eine Gleichbehandlung der Fälle liegt dann auch darin, dass die – bei im Übrigen rechtmäßigem Ausschluss192 – allein zu sichernden Vermögensinteressen des Ausscheidenden über die persönliche Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter hier wie dort adäquat bedient werden. Hier wie dort resultiert das Regelungsbedürfnis aus der Zustimmung des ausscheidenden Gesellschafters zu einer hinausgeschobenen Fälligkeit der ihm zustehenden Abfindung. Er ist – wie bei der rechtmäßigen Einziehung – allein gegen ex post-Opportunismus der verbleibenden Gesellschafter zu schützen.193 Diese können durch Vermögensverschiebungen oder Risikoerhöhungen die freiwillige Gläubigerstellung des Ausscheidenden gefährden 187 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (369); MünchKomm.GmbH/Strohn, § 34 Rz. 105; Roth/Altmeppen, § 60 Rz. 68 ff.; Baumbach/Hueck/Fastrich, 20. Aufl. 2013, Anh. § 34 Rz. 1. 188 In diesem Sinne bereits Goette, DStR 2001, 533 (539); ähnlich jetzt Blath, GmbHR 2012, 657 (662); Altmeppen, ZIP 2012, 1685 (1692); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (505). 189 Es ist bezeichnend, dass bereits die Leitentscheidung von 1953 von einem „Störenfried“ spricht (vgl. BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157 (159)), sodass die Vergleichbarkeit der Konstellationen jedenfalls sprachlich indiziert ist, vgl. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 23. 190 Vgl. oben II. 1. b). 191 Darauf zentral rekurrierend Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (505), die einen Anspruch des Ausgeschlossenen „auf besonderen Schutz“ als verwirkt ansehen, was aber zu weit geht, weil dieser im Hinblick auf seine Vermögensinteressen uneingeschränkt schutzwürdig bleibt; Stumpff/D. Müller, GWR 2012, 143 (145). 192 Vgl. schon oben Fn. 17. 193 Sowohl der wichtige Grund als auch der statutarische Einziehungsgrund betreffen lediglich das mitgliedschaftliche Bestandsinteresse, relativieren aber nicht das Vermögensinteresse des Ausscheidenden. Andernfalls käme ihnen

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und werden hiervon durch die persönliche Ausfallhaftung abgehalten.194 Entscheidend für die Ausgestaltung des angemessenen Regimes ist also nicht die Unterwerfung unter den konkreten Grund für das Ausscheiden, sondern allein die Konsentierung der sich daran knüpfenden Abfindungsregel: der Ausscheidende wird allein hierdurch faktisch zu einem freiwilligen Fremdkapitalgeber, der davor geschützt werden muss, dass die verbleibenden Gesellschafter durch nachträgliche Maßnahmen seine Risikokalkulation torpedieren. Die mangels ausdrücklicher Regelungen in der Satzung erforderliche Ergänzung des Gesellschaftsvertrags erfolgt wiederum durch die Entfaltung der pflichtenbegründenden Dimension der Treubindung.

2. Keine Nichtigkeit bei anfänglicher Unterdeckung Obiter195 bestätigt das Gericht seine ständige Rechtsprechung, wonach Einziehungsbeschlüsse analog § 241 Nr. 3 AktG nichtig seien, wenn zur Zeit der Beschlussfassung nicht ausreichend freies Vermögen vorhanden ist, um das Einziehungsentgelt im Fälligkeitszeitpunkt zu bezahlen.196

überschießender (pönaler) Charakter zu, der selbst bei Vorliegen eines wichtigen Grundes für den Ausschluss – mit dem der Konflikt ja bewältigt werden soll – nicht ohne Weiteres gerechtfertigt werden kann. 194 Hierzu und zum Folgenden eingehend oben II. 2. b) (4). 195 Die entsprechende Passage des Urteils war deshalb nicht entscheidungserheblich, weil der von der Tatsacheninstanz – revisionsrechtlich unangreifbar – festgestellte Sachverhalt keinen Anhaltspunkt für eine anfängliche Unterdeckung bietet, was auch der BGH ausdrücklich bemerkt. Im Rahmen der anhängigen Beschlussmängelstreitigkeit war die rechtliche Behandlung der Konstellation somit irrelevant, die Mitgliedschaft des Klägers konnte keinesfalls wegen anfänglicher Unterdeckung fortbestehen, die Rechtsfrage hätte im Urteil offen gelassen werden können. 196 BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 7 unter Berufung auf die st. Rspr. seit BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365 (369 f.), z.B. BGH v. 5.4.2011 – II ZR 263/08, GmbHR 2011, 761 Rz. 13; BGH v. 8.12.2008 – II ZR 263/07, ZIP 2009, 314 Rz. 7. So jetzt auch noch BeckOK.GmbHG/ Schindler, § 34 Rz. 57; Bork/Schäfer/Thiessen, GmbHG, 2. Aufl. 2012, § 34 Rz. 36 f.; Münnich, GmbHR 2012, 387 (389); Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1263; Strohn, DB 2012, 1193 (1197); J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (961 f.); referierend Scholz/Westermann, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 55; Grunewald, GmbHR 2012, 769 (770); vor Aufgabe der Bedingungslösung ganz h.M., z.B. MünchKomm.GmbHG/Strohn, 2010, § 34 Rz. 31; Großkomm.GmbHG/Ulmer, 2006, § 34 Rz. 20, 62; MünchHdbGesR.GmbH/Kort, § 28 Rz. 39; Goette, Die GmbH, 2. Aufl. 2002, § 5 Rz. 87; Ulmer, FS Rittner,

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Unabhängig von der Frage, ob die Konstellation häufig praktisch werden wird,197 ist dagegen in der Literatur eingewendet worden, das Haftungskonzept des BGH müsse zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen auch in dieser Konstellation eingreifen:198 das Bedürfnis, den Störenfried möglichst zügig aus dem Gesellschafterkreis zu entfernen, sei auch dann anzuerkennen, wenn die Gesellschafter bereit seien, den Preis einer persönlichen Haftung für das Einziehungsentgelt zu entrichten.199 Die zuletzt nochmals von Ulmer eingehend vertretene Gegenposition200 würdigt nicht hinreichend, dass die Lösung des BGH alle relevanten Institutionen des Gläubigerschutzes, insbesondere die §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG unberührt lässt, da die Zahlung aus gebundenem Vermögen in jedem Fall ausgeschlossen bleibt.201 Zwar ist nicht zu verkennen, dass ei-

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1991, S. 735, 742 f.; Kesselmeier, Ausschließungs- und Nachfolgeregelung in der GmbH-Satzung, 1989, S. 202 ff.; Grunewald, GmbHR 1991, 185 f. Gerade bei einer lange hinausgezögerten Fälligkeit wird selten feststehen, dass die Zahlung in der Zukunft sicher nicht aus freiem Vermögen geleistet werden kann, Schockenhoff, NZG 2012, 449 (452); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (504) – zumal auch häufig über die Abfindungshöhe Streit bestehen wird. Bei unmittelbarer Fälligkeit wird das Wissen um die Finanzsituation der eigenen Gesellschaft (hoffentlich) so klar sein, dass der (vermeintlich) gegen Gläubigerschutzvorschriften verstoßende Beschluss – seine Nichtigkeit unterstellt – gar nicht erst gefasst wird. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 34 Rz. 47; Saenger/Inhester/Greitemann/Klingsch, GmbHG, 2. Aufl. 2013, § 34 Rz. 21 Fn. 53, Rz. 23 Fn. 59; Altmeppen, ZIP 2012, 1685 (1691, 1694); Priester, ZIP 2012, 658 (660); Blath, GmbHR 2012, 657 (662); Schockenhoff, NZG 2012, 449 (452); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (504); tendenziell auch Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (144); ähnlich Grunewald, GmbHR 2012, 769 (771) mit der Überlegung, dass die Bereitschaft einzelner oder aller Gesellschafter eine Ausfallhaftung zu übernehmen, die Nichtigkeitsfolge abwenden könne, mit anderen Worten, dass nicht eine Haftung kraft Gesetzes, sondern kraft rechtsgeschäftlicher Übernahme zur Vermeidung der Nichtigkeit führe. Priester, ZIP 2012, 658 (660) will im Fall der statutarisch für den Todesfall eines Gesellschafters vorgesehenen oder einvernehmlich erfolgenden Einziehung anders entscheiden. Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1263 wirft den Befürwortern der Gleichstellung eine „Rechtsfortbildung contra legem“ vor. Ebenso Priester, ZIP 2012, 658 (660); Blath, GmbHR 2012, 657 (662); Schockenhoff, NZG 2012, 449 (452). Anders aber J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (962), die die relevante Auszahlung im Sinne des § 30 Abs. 1 Satz 1 GmbHG in der Begründung der Verbindlichkeit sieht, was aber im Licht der von Anfang an bestehenden Einwendung des § 275 Abs. 1 BGB (dazu sogleich) nicht zwingend erscheint.

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ne Erfüllung der Abfindungsverpflichtung durch die Gesellschaft in den in Rede stehenden Konstellationen anfänglich rechtlich unmöglich ist.202 Dieser Umstand hindert aber die Annahme einer wirksamen Begründung von Verbindlichkeiten weder allgemein (vgl. den Rechtsgedanken des § 311 Abs. 1 BGB),203 noch im speziellen Fall, in dem durch die Erfüllungssperre ausschließlich die Interessen des ausscheidenden Gesellschafters betroffen sind.204 Dieser hat – bei Vorliegen der Einziehungsvoraussetzungen im Übrigen – auch bei anfänglicher Unterdeckung nur einen Anspruch auf Wahrung seiner Vermögensinteressen.205 Folglich kommt es nicht entscheidend darauf an, ob eine Verbesserung der Vermögenslage der Gesellschaft denkbar oder gar wahrscheinlich ist,206 weil der entscheidende Gesichtspunkt nicht im Möglichwerden einer Leistung durch die Gesellschaft liegt, sofern eine adäquate Sicherung der legitimen Interessen des Ausscheidenden auch ohne Nichtigkeitssanktion gelingt. Dabei ist zunächst festzuhalten, dass eine vollständige Entlastung des ausscheidenden Gesellschafters von den relevanten Verlusten im Hinblick auf eine anfängliche Unterdeckung weit weniger plausibel ist, als im Fall nachträglich eintretender Minderungen des Verbandsvermögens, weil die relevanten Einbußen begriffsnotwendig bereits während der Gesellschafterstellung des Begünstigten eingetreten sind. Auch die hier für die Fälle nachträglicher Unterdeckung für normativ zentral erachteten Potentiale für opportunistische Maßnahmen der verbleibenden Gesellschafter ex post207 sind letztlich nicht von tragender Bedeutung, obwohl die beschriebenen Missbrauchspotentiale bei hinausgeschobener Fälligkeit auf niedrigem Niveau identisch bestehen. So können Risikoerhöhungen beispielsweise zu einer nicht wünschenswerten Verschärfung der Unterdeckung führen, weil bei negativem Ausgang das Gesellschaftsvermögen weiter geschmälert und daher der „Weg“ zur Schaffung

202 Darauf zentral rekurrierend z.B. Baumbach/Hueck/Fastrich, GmbHG, 20. Aufl. 2013, § 34 Rz. 40a. 203 Vgl. auch Priester, ZIP 2012, 658 (659). 204 Auch der BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 13 erkennt ausdrücklich an, dass § 34 Abs. 3 GmbHG nur Gläubigerinteressen schützt. 205 Schon oben II. 1. b) und III. 1. 206 In diesem Sinn aber Trölitzsch, KSzW 2013, 55 (62). 207 Oben II. 2. b) (4).

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freien, die Zahlung der Abfindung ermöglichenden Gesellschaftsvermögens länger wird. Wichtiger erscheint die Verhinderung von bereits bei Beschlussfassung missbräuchlichen Einziehungsentscheidungen, die auf ein „zu billiges“ Loswerden hinter dem Feigenblatt der Vermögensbindung setzen. Die persönliche Ausfallhaftung begegnet entsprechenden Motivationslagen wiederum von Anfang an, weil die verbleibenden Gesellschafter die zunächst den Ausscheidenden belastenden Folgen der Kapitalbindung letztlich voll internalisieren. Sanktionsbedürftig wäre an sich wiederum nur die bewusste oder doch zumindest für möglich gehaltene Benachteiligung des Ausscheidenden, doch begegnen auch insoweit vergleichbare Schwierigkeiten bei der Feststellung der Voraussetzungen einer pflichtwidrigkeitsbasierten Regelung. Die generelle Einstandspflicht in Form der Ausfallhaftung weist den verbleibenden Gesellschaftern auch die verhaltensunabhängigen Risiken zu, was wiederum mit Blick auf die ihnen zustehenden, vergleichbaren Chancen legitimiert werden kann.208 Ein an dieser Stelle vor dem Hintergrund der anderslautenden BGHRechtsprechung nochmals zu betonender Gesichtspunkt liegt darin, dass die persönliche Ausfallhaftung der Gesellschafter die allein legitimen Vermögensinteressen des ausscheidenden Gesellschafters adäquat sichert. Für die Nichtigkeitssanktion besteht daher kein Bedürfnis, sie lässt sich normativ nicht stringent begründen, weil sie materiell nicht Gläubigerinteressen, sondern das Bestandsinteresse des von der Einziehung betroffenen Gesellschafters schützt.

IV. Hinweise für die Gestaltungspraxis Sieht man von Radikallösungen ab, die ein Umschwenken auf die persönliche Ausfallhaftung vermeidende Alternativen ventilieren,209 wird ein Gestaltungsbedürfnis im Rahmen statutarischer Einziehungsklauseln zunächst insoweit bejaht, als bestehende Unklarheiten über die exakten Konturen des Konzepts der Ausfallhaftung beseitigt und damit 208 Oben II. 2. b) (4). 209 Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (507): Zwangsübertragung statt -einziehung (dazu auch Blath, GmbHR 2012, 657 (660); Klöckner, GmbHR 2012, 1325 (1327)) bzw. statutarische Abbedingung der Vernichtung des Geschäftsanteils und entsprechende Anwendung der Kaduzierungsregeln mit Übertragung des Geschäftsanteils auf Dritte. Vgl. auch schon K. Müller, DB 1999, 2045 (2047 f.).

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das Potential für Streitigkeiten vermindert werden kann.210 Dabei geht es partiell um bloße Klarstellungen,211 aber auch um eine transparente Fixierung der praktischen Haftungsmodalitäten, in der freilich keine praktische Entwertung der anreizsetzenden Sanktion liegen darf.212 Es ist daher bedenklich, wenn die Haftung durch statutarische Festlegung eines Freischaltzeitpunkts hinausgezögert wird, der von der Feststellung der materiellen Haftungsvoraussetzungen und dem konkreten Ergreifen von Maßnahmen zur Beseitigung einer eventuell festgestellten Unterdeckung213 entkoppelt ist.214 Der eigentlich Knackpunkt liegt freilich darin, ob und inwieweit echte Abweichungen vom Konzept der subsidiären Ausfallhaftung möglich sind. Dabei soll an dieser Stelle nur exemplarisch die weitestgehende Lösung eines vollständigen Ausschlusses derselben erörtert werden, weil hiermit der maximale Gestaltungsspielraum vermessen wird. Der vollständige Ausschluss der Ausfallhaftung in der Satzung wird zum Teil als mit § 138 BGB unvereinbar angesehen,215 von anderen aber zumindest dann für möglich gehalten, wenn anderweitige Sicherungen der

210 Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (145); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (507): Festlegung des Kreises der Haftenden, Klarstellung der pro rata Anwachsung und Haftung, Statuierung von – nach der hier vertretenen Konzeption unnötigen – Regressansprüchen bei Einstandspflicht für nicht zahlungsfähige Mitgesellschafter. 211 Nach der klaren Positionierung des BGH und im Lichte der unübersehbaren Aufbereitung des Urteils in der Literatur ist eine von Beratern empfohlene Klarstellung zum Zeitpunkt der Wirksamkeit des Einziehungsbeschlusses (Rieder, GWR 2012, 106; Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (145); Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (504)) wohl überflüssig. Ein Absetzen von der „Bedingungslösung“ muss gerade für den Regelfall kaum mehr verdeutlicht werden. 212 Vgl. schon oben II. 2. d) (1) bei Fn. 148. 213 Zu deren Fristenrelevanz oben II. 2. e). 214 Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (145 f.) (ein Jahr nach Fälligkeit der Abfindung); eher an den praktischen Feststellungsschwierigkeiten orientiert demgegenüber Weyland/Hoger in Hopt, Vertrags- und Formularhandbuch Handels-, Gesellschafts- und Bankrecht, 4. Aufl. 2013, II.D.1.3 § 6 III-V (drei Monate); vgl. auch Schneider/Hoger, NJW 2013, 502 (504); sowie Ulmer, FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1261, 1271. 215 Grunewald, GmbHR 2013, 769 (771); wegen Grundlage in der Treubindung auch Rieder, GWR 2012, 106; Stumpf/D. Müller, GWR 2012, 143 (145), die aber immerhin den Gedanken des freiwilligen Verzichts anführen; ablehnend auch J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (959).

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Vermögensinteressen des Ausscheidenden bestehen.216 In eine ähnliche Richtung geht der Vorschlag, dem Ausscheidenden zwar die Ausfallhaftung zu verweigern, ihn aber mit einem Auflösungsrecht auszustatten, wenn die Abfindung nicht aus freiem Vermögen geleistet werden kann.217 Vor dem Hintergrund, dass Gläubigerinteressen von Anfang an nicht betroffen sind, geht es prima vista um eine Adaption der allgemeinen Grenzen der Gestaltbarkeit des Abfindungsanspruchs.218 Bei näherer Betrachtung unter Berücksichtigung der Funktion der Ausfallhaftung ist aber zu überlegen, ob dem ausscheidenden Gesellschafter, soweit der Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft nicht abbedungen werden kann, auch eine Vollversicherung durch die verbleibenden Gesellschafter zukommen muss, oder ob es stattdessen gerechtfertigt ist, diese zusätzliche Absicherung weitergehend einzuschränken oder gar ganz abzubedingen.219 In der Tat entspricht dies sowohl der Dogmatik als auch der Teleologie der Ausfallhaftung, wie sie im Vorstehenden entwickelt 216 Trölitzsch, KSzW 2013, 55 (63), der für den Fall der Unterdeckung des gegen die Gesellschaft gerichteten Abfindungsanspruchs eine Pflicht annimmt, entweder die GmbH leistungsfähig zu machen (Kapitalherabsetzung, Einzahlung in freie Rücklagen) bzw. diese zu liquidieren oder die Abfindung „freiwillig“ zu zahlen, was freilich die Frage nach dem Unterschied zur Lösung des BGH aufwirft. 217 Grunewald, GmbHR 2012, 769 (771 f.) im Anschluss an die ältere, gegen die Bedingungslösung gerichtete Literaturmeinung von Niemeier, Rechtstatsachen und Rechtsfragen der Einziehung von GmbH-Anteilen, 1982, S. 329; Grunewald, Der Ausschluss aus Gesellschaft und Verein, 1987, S. 241 f., 243, aber ohne Auseinandersetzung mit dem auch vom BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 Rz. 20 vorgebrachten Einwand, dass hierdurch ein wenig befriedigender Schwebezustand eintritt. Für Recht des Ausgeschiedenen, bei Nichtzahlung die Liquidation analog § 61 GmbHG zu erzwingen bzw. Liquidationspflicht der verbleibenden Gesellschafter auch Trölitzsch, KSzW 2013, 55 (63). Zu dem mit entsprechenden Auflösungsrechten verbundenen Erpressungspotential zutreffend Scholz/Westermann, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 58. 218 Dazu nur BGH v. 12.6.1975 – II ZB 12/73, BGHZ 65, 22 (24 ff.); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 (368); BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101; BGH v. 17.12.2001 – II ZR 348/99, NZG 2002, 176; BGH v. 9.5.2005 – II ZR 29/03, ZIP 2005, 1318 (1323); MünchKomm.GmbHG/Strohn, 2010, § 34 Rz. 221 ff.; Scholz/Westermann, 11. Aufl. 2012, § 34 Rz. 29 ff. 219 Letzteres befürwortend Rowedder/Schmidt-Leithoff/Görner, 5. Aufl. 2013, § 34 Rz. 68; H.F. Müller, WuB II. C. § 34 GmbHG 1.12.

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wurde: Die Entfaltung der Treubindung bedient ein Sicherungsbedürfnis, das durch eine Lücke in der Einziehungs- und Abfindungsregelung entsteht. Entspricht es dem fehlerfrei gebildeten Willen der allein betroffenen Gesellschafter, auf diesen zusätzlichen Schutz des Abfindungsinteresses zu verzichten, fehlt es sowohl an der Unvollständigkeit des Gesellschaftsvertrags, als auch an einem paternalistisch durchzusetzenden, materiellen Sicherungsbedürfnis.220 Vielmehr ist davon auszugehen, dass anderweitige Kompensationsgeschäfte bzw. eine bewusste Vertrauensentscheidung getroffen wurden. Letztere mag zwar naiv sein, ist aber gleichwohl grundsätzlich anzuerkennen. Schließlich entspricht es einer in der Literatur zutreffend entwickelten Sicht, dass zwar nicht die Treubindung als solche,221 allerdings ihre konkreten Ausprägungen prinzipiell in der Satzung abbedungen werden können.222

V. Zusammenfassung in Thesen 1. Mit der Aufgabe der Bedingungslösung trägt der Bundesgerichtshof einem bei der Zwangseinziehung unabweisbaren Bedürfnis Rechnung, möglichst rasch zu reibungslosen Abläufen in der Gesellschaft zurückzukehren, indem der „Störenfried“ seine mitgliedschaftliche Stellung frühestmöglich verliert. Dieser Weg zur Vermeidung von hold-up-Positionen entspricht verbreiteter, höchstrichterlich anerkannter Kautelarpraxis. 2. Im Fall der rechtmäßigen Einziehung beschränken sich die legitimen Interessen des ausgeschiedenen Gesellschafters auf die Sicherung seiner Vermögensposition, die durch die statutarischen oder gesetzlichen Abfindungsregeln definiert wird. 2.1. Gläubigerinteressen werden von diesem Regime nicht berührt; diese werden durch die Grundsätze der Kapitalerhaltung (vgl. §§ 30 Abs. 1, 34 Abs. 3 GmbHG) vollumfänglich und abschlie-

220 Diesen Aspekt verkennt J. Schmidt, GmbHR 2013, 953 (960), wenn sie den von der Ausfallhaftung gewährleisteten Ausgleich der Interessen generell für zwingend erachtet. Dieser Charakter als ius cogens könnte jenseits dirigistischer Regulierungsmodelle aber nur gerechtfertigt werden, wenn der in entsprechenden Satzungsgestaltungen zum Ausdruck kommende Wille der Gesellschafter systematisch fehlerhaft wäre. 221 Vgl. nur Lutter, AcP 180 (1980) 84 (117): „Element jeder Mitgliedschaft“. 222 Eingehend M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbHRecht, 1988, S. 190 ff., insbes. S. 215 ff.

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ßend bedient, weil sichergestellt ist, dass niemals eine Abfindung aus gebundenem Vermögen gezahlt werden darf. 2.2. Zusätzliche Rechtsinstitute, die der Sicherung des Abfindungsinteresses des ausgeschiedenen Gesellschafters dienen, müssen daher aus dem Rechtsverhältnis der Gesellschafter untereinander begründet werden. 3. Die vom Bundesgerichtshof postulierte pro-ratarische Ausfallhaftung der verbleibenden Gesellschafter dient der Entschärfung von Anreizen zu opportunistischen Risikoerhöhungen nach Einziehung. 3.1. Sie stellt keine Durchbrechung von § 13 Abs. 2 GmbHG dar. Die verbleibenden Gesellschafter haften nicht für eine Gesellschaftsschuld. Ihnen wird vielmehr originär eine Verbindlichkeit im Verhältnis zu ihrem ehemaligen Mitgesellschafter auferlegt. 3.2. Die Ausfallhaftung beruht nicht auf der Verletzung von Treubindungen. Weder ist ein pflichtwidriges Gesellschafterverhalten erkennbar, das die pauschale Ausfallhaftung tragen könnte, noch lässt sich die entsprechende Rechtsfolge aus den §§ 249 ff. BGB ableiten. 3.3. Der Gedanke der Vermögensmehrung („Anwachsung“) kann für sich die Ausfallhaftung ebenfalls nicht hinreichend erklären. Die Vermögensvorteile, die als Folge der Vernichtung des eingezogenen Geschäftsanteils bei den verbleibenden Gesellschaftern anfallen, sind durch die Beteiligung am Gesellschaftsvermögen vermittelt und werden deshalb rechtstechnisch folgerichtig durch die aus dem Gesellschaftsvermögen zu leistende Abfindung ausgeglichen. Eine stringente Begründung der Ausfallhaftung muss darlegen, weshalb die den Beteiligten bekannten, gesetzlichen Grenzen des Abfindungsanspruchs nicht hingenommen werden können und eine weitergehende Sicherung des Abfindungsinteresses des Ausscheidenden durch ein zusätzliches, auf Privatvermögen der verbleibenden Gesellschafter zugreifendes Rechtsinstitut erforderlich ist. 3.4. Bis zur Leistung des Einziehungsentgelts entsteht zwischen ausgeschiedenem und verbleibenden Gesellschaftern eine Beziehung, die dem klassischen Prinzipal Agenten Konflikt zwischen Fremd- und Eigenkapitalgebern vergleichbar ist. Die entstehenden Anreize der verbliebenen Residualgläubiger, Risiken einsei-

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tig (opportunistisch) zu Lasten des ausgeschiedenen Gesellschafters zu erhöhen, sind durch eine unbedingte, persönliche Einstandspflicht zu entschärfen. Diese entspricht daher dem hypothetischen ex-ante-Willen der Gesellschafter. 3.5. Die Ausfallhaftung folgt als Leistungspflicht aus der horizontalen Treubindung der Gesellschafter untereinander (pflichtenbegründende Dimension der Treupflicht). 4. Passivlegitimiert sind alle verbleibenden Gesellschafter sowie vor Zahlung des Abfindungsentgelts hinzutretende Neugesellschafter. 5. Die Gesellschafter haften anteilig. Eine Erhöhung ihres Haftungsanteils analog §§ 24 Satz 2, 31 Abs. 3 Satz 2 GmbHG kommt nicht in Betracht. 6. Die Ausfallhaftung entfällt nicht als Folge der späteren Auflösung der Gesellschaft. Ein solches Erlöschen lässt sich dogmatisch zwar begründen, ist aber unter Anreizgesichtspunkten verfehlt, da es die beschriebenen Opportunismuspotentiale zu Lasten des Ausgeschiedenen partiell aufrecht erhält. 7. Das Modell des sofortigen Verlusts der mitgliedschaftlichen Rechte bei Sicherung des Ausgeschiedenen über eine Ausfallhaftung ist auf den gesetzlichen Ausschluss aus wichtigem Grund zu übertragen. Es kommt insoweit nicht auf die antizipierte Zustimmung zum Verlust der Mitgliedschaft an. 8. Das Modell sorgt auch bei anfänglicher Unterdeckung für einen angemessenen Interessenausgleich; die Nichtigkeitssanktion analog § 241 Ziff. 3 AktG ist normativ nicht stringent zu begründen. 9. Die persönliche Ausfallhaftung unterliegt nicht den Gestaltungsgrenzen für den gegen die Gesellschaft gerichteten Abfindungsanspruch, sondern ist voll satzungsdispositiv.

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Bericht über die Diskussion des Referats Tröger Lisa Pfaffinger Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Goethe Universität Frankfurt am Main Die von Goette geleitete Aussprache im Anschluss an das Referat von Tröger zeigte deutlich, dass die Aufgabe der Bedingungslösung und die vom BGH daran anknüpfend entwickelte persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafter für den Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters im Ergebnis einstimmig begrüßt werden. Lediglich über die dogmatische Verankerung der persönlichen Haftung besteht auch weiterhin kein Einvernehmen. Der Vorsitzende Goette eröffnete die Diskussion und begrüßte den von Tröger dargestellten Ansatz zur Begründung der persönlichen Haftung. Da es grundsätzlich um die Vermeidung opportunistischen Gesellschafterverhaltens ginge, sehe er jedoch insofern ein Problem, wenn die Unterdeckung nicht auf einem derartigen opportunistischen Verhalten basiere, sondern ihre Grundlage beispielsweise in der schlechten konjunkturellen Lage habe. Tröger gab zu, dass es sich um eine überschießende Haftung handele. Dies könne jedoch über ein Symmetrie-Argument gerechtfertigt werden. Die Gesellschafter, denen die „Upside“ nicht von Ihnen beeinflussbarer Geschäftserfolge zukomme, würden über die persönliche Haftung auch an der spiegelbildlichen „Downside“ teilhaben. Niemeier befürwortete die Aufgabe der Bedingungslösung durch den BGH – für diesen Weg habe er sich schon vor 30 Jahren ausgesprochen. Die Bedingungslösung sei ein alter Irrtum, der auf einem Reichsgerichtsurteil aus dem Jahr 1933 basiert habe. Niemeier sprach sich für die von ihm favorisierte Lösung einer Auflösungsklage aus, deren Vorteil darin bestünde, einerseits die gewünschten Steuerungseffekte mit sich zu bringen und anderseits auch Missbrauch nicht zuzulassen. Bezüglich der persönlichen Haftung der Gesellschafter äußerte Niemeier Bedenken in Bezug auf die dogmatische Fundierung der Haftung, auch wenn die Entscheidung wertungsmäßig nachvollziehbar sei. Eine Begründung der Haftung über eine Anwendung des § 128 HGB sei jedenfalls nicht tragfähig. Es sei insbesondere die Grundwertung des § 53 Abs. 3 GmbHG in den Blick zu nehmen, der feststelle, dass die Gesellschafter nach Leistung der Einlage nicht verpflichtet seien, in die Gesellschaft nachzuinvestie-

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ren. Diese Grundwertung basiere auf der in der GmbH geltenden Fremdgeschäftsführung und Mehrheitsmacht. In der OHG sei dies anders – dort bestünden für die Gesellschafter allgemein Mitwirkungsmöglichkeiten, die die Haftung nach § 128 HGB rechtfertigen könnten. Außerdem stellte Niemeier noch den Gedanken einer Analogie zu den §§ 24, 31 Abs. 3 GmbHG in den Raum. Dort fände sich eine Solidarhaftung bei Ausfall. Diese gehe über die Mehrheitsmacht hinaus und sei Ausdruck einer Haftung des gesamten Kapitalverbundes, auch wenn nur die Mehrheit Unsinn mache. Tröger erwiderte daraufhin, dass eine Auflösungsklage seines Erachtens ein ziemlich grobes Instrument sei, das zur Auflösung der GmbH zwinge und zur Folge habe, dass die GmbH vom Markt müsse, obwohl sie möglicherweise an sich noch funktionsfähig wäre. Außerdem wären die Transaktionskosten einer derartigen Lösung im Vergleich zur persönlichen Haftung relativ hoch. Er stimmte Niemeier insofern zu, als § 128 HGB keine Lösung für die dogmatische Verortung der persönlichen Haftung sei, daher spreche er sich für einen originären Anspruch der Gesellschafter untereinander aus Treuepflicht aus. Hommelhoff zeigte sich skeptisch gegenüber der Übertragung rechtsökonomischer Wertungen, die sich zur AG finden, auf die GmbH. Dies könne dazu führen, dass die Wertungen verwässert und beliebig würden. Dem widersprach Schäfer. Einer funktionalen Betrachtung der persönlichen Haftung unter Berücksichtigung von Anreizgesichtspunkten stehe nichts entgegen. Diese Wertungen fänden nicht nur bei der AG, sondern auch ohne weiteres bei der GmbH Anwendung. Er begrüßte vielmehr die Ausführungen von Tröger als einen interessanten, dogmatisch fundierten und anderen überlegenen Ansatz. Hommelhoff brachte weiterhin vor, dass in Bezug auf die Lösung des BGH zu erkennen sei, dass es im Grunde um das Recht der Gesellschafter gehe, die Einziehung des Gesellschaftsanteils in jeden Fall durchsetzen zu können. Die pro rata Haftung der Gesellschafter stelle das Opfer dar, das die Gesellschafter für die unbedingte Durchsetzung der Einziehung bringen müssten. Eine persönliche Haftung der Gesellschafter für die Abfindung auch bei Ausschluss eines Gesellschafters aus wichtigem Grund lehnte Hommelhoff hingegen ab. Die Interessen lägen in diesem Fall anders, da der ausgeschlossene Gesellschafter den wichtigen Grund für seinen Ausschluss gesetzt habe und daher den potentiellen Ausfall seiner Abfindung hinnehmen müsse.

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Bezüglich einer Ausweitung der persönlichen Haftung auch bei Ausschluss des Gesellschafters aus wichtigem Grund, brachte Tröger erneut vor, dass der wichtige Grund, aus welchem der Gesellschafter ausgeschlossen werden kann, sich gegen dessen mitgliedschaftliches Bestandsinteresse wende. Warum dies aber auch eine Relativierung des Vermögensinteresses des Gesellschafters mit sich bringen müsse, sei so nicht ohne weiteres klar. Grundlage des dargestellten Modells sei die Fremdkapitalgeber-Position des ausgeschiedenen Gesellschafters aufgrund der aufgeschobenen Fälligkeit des Abfindungsanspruchs, nicht jedoch die Einziehung des Gesellschaftsanteils oder der Ausschluss des Gesellschafters an sich. Altmeppen führte aus, dass Ausgangspunkt der Haftung der Gesellschafter die Tatsache sei, dass das Gesellschaftsvermögen unter Umständen nicht zur Zahlung des Abfindungsanspruchs ausreiche und die Gesellschafter die Einziehung trotzdem durchführten. Diejenigen, die davon profitierten, müssten auch bezahlen. Die petitio principii, dass nur die Gesellschaft die Abfindung schulde, sei so nicht richtig. Es handle sich vielmehr, wie bei den Personengesellschaften, um eine Sozialverbindlichkeit der Gesellschafter, für die jedoch primär im Innenverhältnis das Gesellschaftsvermögen herangezogen werden solle. Der § 13 Abs. 2 GmbHG schließe die Haftung der Gesellschafter für den Abfindungsanspruch nicht aus. Dem Gesetzgeber könne es egal sein, wer die Abfindung zahle, die Zahlung der Abfindung dürfe nur nicht zu Lasten der Gesellschaftsgläubiger gehen. Schäfer widersprach den Ausführungen von Altmeppen. Bei dem Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Personengesellschafters handele es sich nach ganz h.M. um eine gegen die Gesellschaft gerichtete Drittverbindlichkeit. Bergmann zeigte sich erfreut, dass Einigkeit bezüglich der Notwendigkeit einer persönlichen Haftung der Gesellschafter für den Abfindungsanspruch bestehe. Das Problem sei nur noch die genaue dogmatische Begründung, über die auch weiterhin Uneinigkeit bestünde. Bergmann bestätigte noch einmal, dass der Senat daran festhalten werde, dass der Einziehungsbeschluss nichtig sei, wenn die Abfindung zu diesem Zeitpunkt nicht aus ungebundenem Vermögen gezahlt werden könne. Gegenüber der dogmatischen Verortung der persönlichen Haftung als Leistungspflicht qua Treuebindung zeigte sich Bergmann sehr offen. Diese Leistungspflicht könne unterschiedlich erfüllt werden, also nicht nur durch eine persönliche Haftung sondern beispielsweise auch durch eine

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Auffüllung des Kapitals. Bergmann erklärte, dass auch seiner Ansicht nach neu eintretende Gesellschafter von der persönlichen Haftung umfasst wären; es würden alle haften, die handeln müssten. Abschließend führte Tröger aus, die grundlegende normative Entscheidung bestünde darin, dass der Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft zum Interessenausgleich zwischen dem ausgeschiedenen und den übrigen Gesellschaftern führe. Ein Mehr, also eine Haftung der Gesellschafter, wäre daher begründungsbedürftig. Eine Begründung sei es, dass die persönliche Haftung der Vermeidung opportunistischen Verhaltens der übrigen Gesellschafter zu Lasten des ausgeschiedenen Gesellschafters diene. Als praktisch interessantes Beispiel für die Wirkweise von Einziehungsklauseln könnten Joint Ventures angeführt werden. Im Rahmen einer Einziehung würden dort von den Entscheidungsträgern genau die im Referat dargestellten Rechnungen aufgestellt. Im Rahmen kleinerer (Familien-)GmbHs sei das risk shifting wohl aufgrund der anzunehmenden Risikoaversion natürlicher Personen tatsächlich weniger relevant, jedoch könnten durch die persönliche Haftung auch die dort primär relevanten Vermögensverschiebungen zu Lasten des ausgeschiedenen Gesellschafters kontrolliert werden.

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Reform der Organhaftung Versuch einer Analyse möglicher Fehler des bisherigen Systems und Überlegungen zu deren Beseitigung Dr. Martin Peltzer Rechtsanwalt, Frankfurt am Main 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsverfolgung von Verstößen darf sich nicht – gewissermaßen aus Interesse an juristischen Themen – „verselbständigen“. Es droht dabei eine Vielfalt von Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ein Markstein des Haftungssystems: Die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung . . . . . . . . . 4. Der Wendepunkt . . . . . . . . . . . 5. Die spätere Interpretation der Garmenbeck-Entscheidung und die Schwachstellen der business judgement rule . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die Ersatzvertretung der Gesellschaft als Klägerin im Falle eines schuldhaft durch ein Vorstandsmitglied verursachten Schadens . . . . . . . . . . . . . . 7. Die verschiedenen Lösungsversuche und Gründe ihres Scheiterns. . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Das Zulassungsverfahren seit 2005 und seine Schwächen – ein totgeborenes Kind . . . . . . . 9. Eine mögliche Lösungsmöglichkeit: Prüfung der Zulassung durch die Prüfstelle für Rechnungslegung (§ 342b HGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Die besondere Eignung der Prüfstelle für die Zulassung . . 11. Das Ergebnis der Prüfung . . . . 12. Die Eliminierung wesentlicher Schwachpunkte der bisherigen Lösung . . . . . . . . . . . . . 13. Änderungsbedarf und Probleme bei der D&O-Versicherung und das Ungleichgewicht zwischen leichtem Verschulden und existenzbedrohenden Rechtsfolgen . . . 14. Mögliche Lösungen . . . . . . . . . 15. Sondersituation des im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen ein bereits ausgeschiedenes Vorstandsmitglied . . . . .

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1. Einführung Das deutsche System der Inanspruchnahme von schuldhaft Schaden verursachenden Vorstandsmitgliedern (und durch die Verweisung von § 116 AktG auf § 93 AktG auch von Aufsichtsratsmitgliedern) ist als solches ausdifferenziert und im internationalen Vergleich eher „gut“1 als „schlecht“; es weist aber p u n k t u e l l Schwächen auf, über deren 1 Vgl. Hanno Merkt in FS Hommelhoff, 2012, S. 711 ff., 729.

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Peltzer – Reform der Organhaftung

Ursachen und Folgen nachzudenken lohnt, mit dem Ziel, Überlegungen für eine eventuell Remedur beizusteuern. Hierbei sind die Schwächen ganz unterschiedlich und teilweise geradezu gegenläufig: Eine zu laxe Verfolgung gedeiht neben einem Rechtsstreit, der weit über das Ziel hinausschießt und die bürgerliche Existenz des Vorstandsmitgliedes zu zerstören droht. Es versteht sich dabei von selbst, dass sich die Betrachtung auf Rechtsfolgen von Verstößen konzentriert und dabei die unübersehbare Vielfalt möglicher Verstöße nur ausnahmsweise in den Blick nimmt. Dass eine Verbesserung dabei keine leichte Aufgabe ist, zeigen die zahlreichen Bemühungen des Gesetzgebers, aber auch der Rechtsprechung – insbesondere des II. Senates des BGH, der Corporate-Governance-Kommission und der Literatur.

2. Die Rechtsverfolgung von Verstößen darf sich nicht – gewissermaßen aus Interesse an juristischen Themen – „verselbständigen“. Es droht dabei eine Vielfalt von Gefahren Gewiss, es gibt Verstöße des Managements insbesondere im Bankensektor, die im Nachhinein unbegreiflich erscheinen – aber eben im Nachhinein, wobei wir schon beim ersten möglichen Beurteilungsfehler angelangt sind, eben dem weit verbreiteten Unvermögen, sich in die Situation und die Erkenntnismöglichkeit zur Zeit der unternehmerischen Entscheidung zu versetzen. Die business judgement rule, sicherlich gut gemeint, soll dem entgegenwirken, aber dies ist schwierig und gelingt nicht immer, vor allem da der Richter – wie sollte es anders sein – sich die oft angespannte Situation eines Vorstandsmitgliedes, etwa vor einer „unternehmerischen Entscheidung“ mit erhöhtem Fehlerpotential nicht vorstellen kann. Wir brauchen deswegen mehr unternehmerische Erfahrung auf der Richterbank!2 Aber damit nicht genug: Das Thema Haftung des Managers hat einen Stellenwert erreicht, der gelegentlich glauben lässt, die Dinge seien auf den Kopf gestellt und es gehe gar nicht mehr um die vernünftige unternehmerische Entscheidung, den wirtschaftlichen Nutzen für die stakeholder der Gesellschaft, Aktionäre, Mitarbeiter, Kunden und Lieferanten und darüber hinaus alle, die von den Steuerzahlungen der Gesellschaft

2 Siehe dazu weiter unten Ziffer 5.

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profitieren; vielmehr stehe Schuld und Sühne im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Geschehens3. Mit anderen Worten, die Haftung der Organe hat im öffentlichen Bewusstsein und in der Berichterstattung der Medien eine ihr nicht zukommende Bedeutung erlangt. Die Öffentlichkeit delektierte sich vor einigen Jahren an dem Verfahren gegen Siemens-Manager, obwohl diese im Wesentlichen nur „nützliche“ Zahlungen an Personen im Ausland geleistet hatten, um Aufträge für Investitionsgüter zu erlangen; derartige Zahlungen waren einige Jahre zuvor sogar steuerlich noch anerkannt, und man wird kaum annehmen dürfen, dass mit dem Exempel, das an Siemens statuiert wurde, diese Übung weltweit nennenswert eingeschränkt worden wäre. Im Augenblick ist die Deutsche Bank – noch vor wenigen Jahren unangreifbar – ein beliebter Gegenstand der Presse für Horrormeldungen. Haftungsprozesse gegen Manager gehören in die Pathologie des Wirtschaftens und man sollte einige Dinge hierbei nicht aus dem Auge verlieren: Es mag sein, dass ein Prozess gegen ein Vorstandsmitglied eine generalpräventive Wirkung hat, die aber – anders als die Generalprävention der Kriminalstrafe – durchaus nicht nur positiv zu sein braucht. So mancher Vorstandskollege mag ins Grübeln geraten und sich künftig bei unternehmerischen Entscheidungen zurückhalten – durchaus nicht notwendigerweise zum Nutzen des Unternehmens. Man sollte auch nicht übersehen, dass die ganze Lehre von der Corporate Governance – und dazu mag auch die mit einem Prozess verbundene „Disziplinierung“4 gehören – die in den letzten 15 Jahren zu einem überaus lebhaften juristischem Betätigungsfeld geworden ist, wobei mancher sich gefragt haben mag, ob das juristische Korsette nicht zu eng geschnürt wird; und darüber hinaus: Ob überhaupt die Regelsetzung und Regeldurchsetzung im Rahmen der Corporate-Governance-Bemühungen nicht zu sehr ins Kraut geschossen ist, zumal sie meist von Personen stammt, die die Eigenarten und Schwierigkeiten unternehmerischer Entscheidungen – das damit verbundene Bangen einerseits und das Hoffen auf einen Erfolg andererseits – überhaupt nicht kennen. In diesen Tagen wird in Fußballkreisen über die Frage diskutiert, ob ein Ball, der durch ein schadhaftes Netz ins Tor schlüpfte, nun ein Tor sei 3 Siehe Weber-Rey, NZG 2013, 766, 769 li. Sp. 4 Ein Ausdruck, den ein Klägervertreter in einem Haftungsprozess gegen ein Vorstandsmitglied gegenüber dem Verfasser gebrauchte.

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oder nicht, eine Frage, die von den Sportgerichten des deutschen Fußballbundes (DFB) bejaht wurde, was wiederum ein Berichtererstatter in einer führenden Zeitung unter Hinweis auf andere Spezialgerichtsbarkeiten (Kirche, internationale Instanzen) wie folgt verteidigte: „Es gibt keinen rechtsfreien Raum, darf ihn jedenfalls in zivilisierten Staaten nicht geben. Das heißt nicht, dass das Recht jeden Raum durchdringt, das alles geregelt werden müsste oder dass Ansprüche stets durchgesetzt werden, Unrecht immer bestraft wird …“5

Es wäre interessant (aber praktisch natürlich undurchführbar), den gesamten Aufwand, den die betroffenen Unternehmen für die Durchsetzung eines ihr durch ein Vorstandsmitglied verursachten Schadens betreiben müssen, mit dem finanziellen Gutmachungserfolg zu vergleichen. Sollte ein derartiger Vergleich positiv ausfallen, dann ausschließlich aufgrund der D&O-Versicherung, wobei dann in die Betrachtung auch deren Kosten (Prämien, Verwaltungsaufwand, etc.) gegengerechnet werden müssten. Im Übrigen lohnt es sich auch, darüber nachzudenken, ob denn ein überaus scharfes Haftungsschwert, das geeignet ist, den Betroffenen wegen einer leichten Fahrlässigkeit in die Insolvenz zu treiben, nicht Gefahr läuft, gerade besonders verantwortungsbewusste (und damit vielleicht besonders geeignete) Personen davon abzuhalten, in einen Vorstand einzutreten6. Schließlich ist auch in den Blick zu nehmen, welch eine Belastung es für einen gut und loyal zusammenarbeitenden Vorstand bedeuten mag, ansehen zu müssen, wie einer der ihren in Bedrängnis oder gar ins Unglück gerät, wenn z.B. eine D&O-Versicherung nicht eintritt oder die Deckungssumme nicht ausreicht.

3. Ein Markstein des Haftungssystems: Die ARAG/ Garmenbeck-Entscheidung Zweckmäßigerweise fixiert man einen zeitlichen Anfangspunkt für die folgende Betrachtung: Anfang der 50er Jahre des vorigen Jahrhunderts kam die Wirtschaft nach Ende des Krieges wieder in Schwung; die Börsenkurse stiegen einige Jahre stetig, sodass wir eine Beobachtungsperiode von ca. 60 Jahren haben. In den ersten Jahrzehnten dieser Periode 5 Reinhard Müller in FAZ vom 14.11.2013, S. 1. 6 Vgl. Cahn, WM 2013, 1293, 1305 re. Sp. unten.

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wurde zwar die Haftung des Vorstandes von der Wissenschaft mit Aufmerksamkeit verfolgt, wobei ihre praktische Bedeutung indessen in Wirklichkeit zunächst gering war7. Die Zahl der veröffentlichten Gerichtsentscheidungen gibt aber insoweit ein falsches Bild, als viele Fälle eben nicht streitig wurden, sondern etwa ab Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts mit Hilfe der D&O-Versicherungen, die damals eine große Verbreitung zu finden begann, beigelegt worden sind, d.h. die Angelegenheit endete durch einen Vergleich.

4. Der Wendepunkt8 Das eigentliche Ereignis, das Vorständen und Aufsichtsräten und der gesamten Fachwelt den Ernst der Situation vor Augen führte, war die ARAG/Garmenbeck-Entscheidung des BGH vom 21.4.19979. Der zugrunde liegende Fall war atypisch, als die Gesellschaft zwei Familien gehörte, die jeweils die Anteilseignersitze im Aufsichtsrat innehatten und die sich nicht darüber einigen konnten, ob der Vorstandsvorsitzende auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden sollte; dieser war auf einen Schwindler hereingefallen und hatte dabei einen hohen zweistelligen Millionenbetrag für die Gesellschaft verloren. Der BGH entschied, dass der Vorstandsvorsitzende belangt werden müsse und schrieb ein zweistufiges Prüfverfahren vor. In der ersten Stufe seien die Prozessaussichten zu prüfen und zwar sowohl für das Erkenntnisverfahren als auch im Hinblick auf die Vollstreckungsmöglichkeit. Wenn diese Prüfung zu dem Ergebnis führe, dass der Prozess im Erkenntnisverfahren wahrscheinlich gewonnen würde, und ein obsiegendes Urteil auch vollstreckbar sei, müsse „die Verfolgung des Schadensersatzanspruches gegenüber einem Vorstandsmitglied die Regel sein“.10 Eine dem Aufsichtsrat immerhin eingeräumte zweite Stufe sah nur eine tatbestandsmäßig eng umgrenzte Möglichkeit vor, von einer Verfolgung abzusehen. Die Entscheidung konnte so verstanden werden – und wurde teilweise so verstanden – dass die Gefahr eigener Inanspruchnahme des

7 Hopt, ZIP 2013, 1793 re. Sp. 8 Goette, ZHR 2012, 588 ff., 591 unten; instruktiv auch Casper, ZHR 2012, 617 ff., 618 „Es gab (September 1971) praktisch kein aktuelles Fallmaterial.“ 9 BGHZ 135, 244 ff.; vgl. zu der eher zunehmenden als abnehmenden Relevanz dieser Entscheidung J. Reichert in FS Hommelhoff, 2012, S. 907; siehe auch Hopt, ZIP 2013, 1793, 1794 li. Sp. 10 BGHZ 135, 244, 256.

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Aufsichtsrates bestehe, wenn das verantwortliche Vorstandsmitglied nicht in Anspruch genommen werde11. Die Entscheidung schien zunächst keine großen Auswirkungen im Sinne einer starken Zunahme von Haftungsprozessen zu haben, allerdings hörte man, dass bekannte Gesellschaftsrechtler Gutachtenaufträge erhielten, die zum Gegenstand hatten darzulegen, dass aufgrund der Einschätzung der Prozessaussichten keine Pflicht des Aufsichtsrates zur gerichtlichen Verfolgung bestehe. Eine der viel beachteten ersten Entscheidungen nach ARAG/Garmenbeck war das Balsam/Procedo-Urteil des LG Bielefeld12, das die Aufsichtsräte nachdrücklich daran erinnerte, dass bei drohender Gefahr unverzüglich gehandelt werden müsse. Ein Anteilseignervertreter in einem dreiköpfigen Aufsichtsrat eines Herstellers von Sportstätten wurde dabei in Anspruch genommen13. Der Beklagte hatte sich besonders intensiv und umtriebig um das Mandat gekümmert und in Erfahrung gebracht, dass Rechnungen für angeblich erbrachte Leistungen, die einem Finanzierungsinstitut zur Vorfinanzierung vorgelegt worden waren, auf Schwindel beruhten. Eine Aufsichtsratsitzung war zwar schon zeitnah anberaumt, aber dem Beklagten wurde zum Verhängnis, dass er nicht auf einer unverzüglichen Sondersitzung des Aufsichtsrates bestanden hatte und der Schaden sich so vergrößern konnte. Er wurde verurteilt für den Teil des Schadens aufzukommen, der bei pflichtmäßiger, d.h. unverzüglicher Einberufung des Aufsichtsrates, hätte vermieden werden können. Das Urteil wurde inhaltlich im Wesentlichen durch Vergleich der Parteien in der 2. Instanz bestätigt.

11 In einem wissenschaftlichen Symposium nach Bekanntwerden der Entscheidung formulierte ein BGH-Richter, dass man dem Aufsichtsrat mit der Entscheidung habe „Beine machen wollen“. Es ist das Verdienst von Goette, die Entscheidung in mehreren Darstellungen im Nachhinein so zu interpretieren, dass entscheidend das Interesse und Wohl der Gesellschaft sei, das schließlich vom Aufsichtsrat selbst zu entscheiden ist – auch eine Art „safe haven“. 12 LG Bielefeld v. 16.11.1999 in ZIP 2005, 20 ff. 13 Der Aufsichtsrat bestand aus dem Vorsitzenden, einem weiteren Anteilseignervertreter, der einer großen Bank nahe stand – eben dem Beklagten – und einer Arbeitnehmervertreterin; siehe dazu auch die Anmerkung von Hopt, ZIP 2013, 1793, 1794 li. Sp.

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Die Zahl der Haftungsprozesse nahm weiter zu14, als in den folgenden Jahren erhebliche unternehmerische Fehler – nicht zuletzt in der Finanzindustrie – bekannt wurden15 und zudem zu Beginn des neuen Jahrtausends sich in den großen börsennotierten Aktiengesellschaften die Bezüge der Vorstandsmitglieder zu einem einsamen Höhenflug ansetzten und von der allgemeinen Gehaltsentwicklung im jeweiligen Unternehmen entfernten, ohne dass zu erkennen gewesen wäre, dass der Anteil des Vorstandes am Unternehmenserfolg im Verhältnis zu dem Anteil anderer Führungskräfte irgendwie gestiegen wäre16.

5. Die spätere Interpretation der Garmenbeck-Entscheidung und die Schwachstellen der business judgement rule Goette hat die Garmenbeck-Entscheidung später an mehreren Stellen17 interpretiert, wobei diese Texte zweifellos zur Praxistauglichkeit der Anwendung der Entscheidung beitragen; allerdings fragt sich der Außenstehende, ob dies nicht mehr auf später gewonnen Erkenntnissen als auf schon damals nur nicht klar zum Ausdruck gekommenen Einsichten des Senates beruht: Goette führt aus, dass die Garmenbeck-Entscheidung vielfach missverstanden worden sei. Die „harschen Formulierungen“ hinsichtlich der Pflicht des Aufsichtsrates, einen schadenverursachendes Vorstandsmitglied in Anspruch zu nehmen, seinen nicht zuletzt als Reaktion auf die „pauschalisierende Vorgehensweise des Berufungsgerichtes“ (OLG Düsseldorf) zu verstehen gewesen. Besonders hervorgehoben wird, dass die Entscheidung den unternehmerischen Handlungsspielraum betone, also das was man als business judgement rule bezeichnet und inzwischen in

14 Ihlas, „D&O, Directors and Officers Liability“, 2. Aufl. 2009, S. 190 ff. 15 Vgl. Hopt, ZIP 2013, 1793 ff., 1794. Dabei ist insbesondere der Hinweis von Hopt beachtlich, dass sich bei den Finanzinstituten ein eigenes Haftungssystem entwickelt hat mit sehr weitgehenden Haftungstatbeständen, etwa in § 17 i.V.m. § 15 Kreditwesengesetz oder die außerordentlich detaillierten Vorschriften in den §§ 25a–25g KWG, wobei Verhaltensvorschriften und Verbote gesetzlich ungleich weiter aufgefächert und detailliert sind als im Aktiengesetz. 16 Vgl. dazu Verf. in FS Hellwig, 2010, S. 269 ff., 270. 17 Goette in Liber amicorum für Martin Winter, 2011, S. 153 ff.; Goette in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 377 ff.; Goette, ZHR 2012, 588 ff.

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§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG Gesetz geworden ist18. Oberstes Kriterium für die Entscheidung, ob ein Vorstandsmitglied in Anspruch genommen werde, sei das Unternehmensinteresse. Die business judgement rule, die sich bereits in der Garmenbeck-Entscheidung vorschattiert findet, stützt sich auf US-amerikanische Vorbilder, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass in den USA das ordnungsgemäße Verhalten der Board-Mitglieder vermutet wird und von den Klägern widerlegt werden muss19. Ihre Hauptstoßrichtung ist das zu verhindern, was in der amerikanischen Umgangssprache als „20/20 hindsight“ bezeichnet wird, also der häufige Fehler bei der nachträglichen Beurteilung eines schadensstiftenden Ereignisses, das post festum erlangte Wissen mit zu verwenden. Dieses Ziel hat die Gesetz gewordene business judgement rule allerdings nicht ganz erreicht, da sie nur auf die „unternehmerische Entscheidung“ als solche, nicht aber auf deren Vorbereitung Anwendung finden soll, und sie leer läuft, wenn in der höchstrichterlichen Rechtsprechung allen Ernstes zudem verlangt wird, dass „alle“ verfügbaren Informationsquellen tatsächlicher und rechtlicher Art auszuschöpfen und auf dieser Grundlage die Vor- und Nachteile der bestehenden Handlungsoptionen sorgfältig abzuwägen seien.20 Dabei handelt es sich mitnichten um ein etwas unbedacht formuliertes obiter dictum, sondern eine ernsthaft gemeinte Forderung, die völlig ignoriert, dass in der begrenzten Zeit21 für eine Entscheidung nicht jedes Judikat eines Landgerichtes in einer Provinzstadt und jede Meinungsäußerung eines Gurus berücksichtigt werden kann und zeigt, wie notwendig hier Praxiswissen wäre. Dabei ist freilich einzuräumen, dass es ein gefährlicher Freibrief für unsorgfältiges Behandeln werden könnte, die Vorbereitung einer unternehmerischen Entscheidung völlig der richterlichen Beurteilung zu entziehen.

18 Goette a.a.O. (Fn. 17); vgl. auch Cahn, WM 2013, 1293 ff., 1297 li. Sp. Mitte. 19 Cahn, WM 2013, 1293, 1295 li. Sp. 20 BGH, NJW 2008, 3361 ff. Rz. 11. Die Entscheidung betraf allerdings keinen Vorstand einer AG, sondern den Geschäftsführer einer GmbH. Vgl. dazu auch Cahn, WM 2013, 1293, 1297 re. Sp. unten und 1298 li. Sp. unten. 21 Vgl. dazu Freitag/Korch, ZIP 2012, 2281, 2284 ff.

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6. Die Ersatzvertretung der Gesellschaft als Klägerin im Falle eines schuldhaft durch ein Vorstandsmitglied verursachten Schadens Die Gesellschaft wird Vorstandsmitglieder gegenüber durch den Aufsichtsrat vertreten, der also bei Nichteinigung über den Schadensersatz ein fehlsam handelndes Vorstandsmitglied gerichtlich in Anspruch nehmen müsste. Diese Vertretung einer geschädigten Gesellschaft durch den Aufsichtsrat gegenüber dem einen Schaden verursachenden Vorstandsmitglied hat sich – ebenso wie der umgekehrte Fall einer Inanspruchnahme eines Aufsichtsratsmitgliedes, das seinerseits Schaden verursacht hat durch den Vorstand – bekanntlich als ineffizient erwiesen; und zwar aus Gründen, die auf der Hand liegen und keineswegs unverständlich sind: Aufsichtsrat und Vorstand einer Gesellschaft – zusammen auch als deren „Verwaltung“ bezeichnet – eint ein gewisser esprit de corps, ein durch oft schon Jahre oder gar Jahrzehnte bestehendes Band, das es schwierig macht, ein einzelnes Mitglied in Anspruch zu nehmen. Das gilt insbesondere dann, wenn es an einer D&O-Versicherung fehlt, die den Schaden übernimmt oder schlimmer noch, wenn eine D&O-Versicherung zugesagt war, diese aber dann doch nicht besteht oder eintritt. Besonders schlimm ist es, wenn der Schaden ein Mehrfaches dessen beträgt, was das Vorstandsmitglied zu ersetzen in der Lage wäre und somit dessen eigene bürgerliche Existenz und die seiner Familie auf dem Spiel steht. Im umgekehrten selteneren Fall, dass ein Aufsichtsratmitglied Schaden verursacht hat, kommt hinzu, dass der diesenfalls vertretungsverpflichtete Vorstand sich scheuen wird, ein Mitglied des Organs in Anspruch zu nehmen, von dem die Gestaltung und die Höhe seiner Bezüge sowie die spätestens alle 5 Jahre anstehende Wiederbestellung abhängt.

7. Die verschiedenen Lösungsversuche und Gründe ihres Scheiterns Naheliegenderweise fiel der Blick bei dieser Konstellation auf das dritte Organ der Aktiengesellschaft, die Hauptversammlung. Dass ein Vorstandsmitglied in Anspruch genommen werden muss, wenn die Hauptversammlung dies mit Mehrheit beschließt22, liegt auf der Hand und 22 § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG.

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wurde nie bezweifelt. Das war schon im Aktiengesetz von 1937 festgelegt23. Nun ist bei Publikumsgesellschaften die Hauptversammlung, wenn sie nicht von einem der beiden anderen Organen gesteuert wird24, zu einer Willensbildung nur unter Schwierigkeiten fähig, so dass die Einschaltung der Hauptversammlung, die mit Mehrheit oder einer qualifizierten Minderheit über die Frage entscheiden soll, problematisch ist. Die entsprechenden Bemühungen des Gesetzgebers – unterstützt von der Wissenschaft – waren bislang nicht erfolgreich. a) Die Frage war im Aktiengesetz 1937 in den §§ 122–124 geregelt25. Die Aktienrechtsreform des Jahres 1965 fasste die Bestimmungen in dem neuen § 147 zusammen und vereinfachte sie gleichzeitig26. Die entscheidenden weiteren Anpassungen wurden 2005 durch die als „UMAG“27 bezeichnete Gesetzesänderung vorgenommen. Fortan konnte eine kleine Minderheit von Aktionären (oder ein Einzelaktionär) die über Aktien im Nominalwert von 100 000 EUR verfügten, bei Gericht beantragen, als Prozessstandschafter zugelassen zu werden, d.h. eine Schadensersatzklage gegen ein Organmitglied führen zu dürfen, das schuldhaft Schaden verursacht hatte. Gleichzeitig wurde dieser Minderheit das Recht eingeräumt, die Bestellung von Sonderprüfern zu verlangen28.

8. Das Zulassungsverfahren seit 2005 und seine Schwächen – ein totgeborenes Kind Auch die letzte Änderung, die Zulassungslösung, hat den erhofften Erfolg nicht erbracht29. Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen: 23 §§ 122–124 AktG 1937; vgl. Kropff, „Begründung des Regierungsentwurfes“, S. 214. 24 Wie dies insbesondere bei Beschlüssen nach § 83 AktG der Fall ist. 25 Vgl. Baumbach/Hueck, AktG Kommentar, 10. Aufl. 1959, §§ 122 ff. 26 Vgl. Kropff, Aktiengesetz mit Regierungsbegründung 1965, S. 213. 27 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechtes (UMAG) in BGBl. I vom 22.9.2005, S. 2082 ff. 28 Vgl. § 142 Abs. 2 AktG. Vgl. auch dazu Uwe H. Schneider, ZIP 2013, 1985. Die unklaren Befugnisse des besonderen Vertreters und die unklare Finanzierung machen es unwahrscheinlich, dass dieses Verfahren sich durchsetzt. 29 Der Verf. stützt diese Annahme, die seines Erachtens sehr plausibel ist, auf eine kursorische Befragung von verschiedenen Kammern für Handelssachen bei großen Landgerichten, die er bei der Vorbereitung eines Aufsatzes zu § 148 AktG in der FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 953 Fn. 7 vorgenommen hat. Eine

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Die Zulassungshürde des § 148 Abs. 1 Ziffer 3 AktG ist zu hoch. Wie soll man als außenstehender Aktionär ohne Insiderkenntnisse plausibel einen Verdacht darlegen, dass ein Schaden durch „Unredlichkeit oder grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung entstanden ist“? Dies wird häufig nur durch eine Sonderprüfung darlegbar sein. Für den Erfolg eines hierauf gerichteten Antrages reicht das Quorum an Aktien, das auch für den Antrag auf Zulassung mindestens notwendig ist (Aktien im Nominalwert von 100 000 Euro) aus30.



Die antragstellenden Minderheitsaktionäre sind Prozessstandschafter. Ein nach Zulassung und Prozesserfolg ausgeurteilter Betrag geht also voll an die Gesellschaft und die antragstellenden Aktionäre sind materiell nur pari passu zu ihrer (im Zweifel winzigen) Beteiligungsquote des bestenfalls am Ende des dornigen Weges vom Gericht ausgeurteilten Betrages zugunsten der Gesellschaft beteiligt und das auch nicht direkt, sondern mittelbar durch die Vermögensvermehrung „ihrer“ Gesellschaft.



Wenn somit schon viel Idealismus von Seiten der antragstellenden Minderheit erforderlich ist, und man Schwierigkeiten hat, sich eine andere Motivation vorzustellen als diejenige eines jungen Anwaltes, der sich im Gesellschaftsrecht einen Namen machen will oder eben von Aktionären, die sich mit der Gesellschaft überworfen haben oder vielleicht Erpressungspotential suchen, so können antragstellende Aktionäre mit einer derartigen Motivation zudem dadurch um den mit einer Zulassung erreichten Zwischenerfolg gebracht werden, als die Gesellschaft das Verfahren in dem Zustand übernehmen kann, in dem es sich gerade befindet31 und so die im Zulassungsverfahren erfolgreichen Aktionäre die – zum Greifen nahe – „Siegespalme“ entrissen wird.



Die Antragsteller können u.U. mit Kosten belastet werden. Mehrere Antragsteller bilden eine GbR mit der Rechtsfolge gesamtschuldnerischer Haftung32, so dass für jeden Einzelnen das Risiko besteht, für die gesamten geltend gemachten Kosten aufkommen zu müssen. Zwar stehen ihnen diesenfalls proratarische Erstattungsansprüche

Verifizierung oder ggf. Falsifizierung durch eine systematische, den neuesten Stand widerspiegelnde rechtstatsächliche Untersuchung wäre sehr wünschenswert. 30 Vgl. § 142 Abs. 2 AktG. 31 § 148 Abs. 3 AktG. 32 Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 714 Rz. 11.

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gegen die Mitgesellschafter zu, die aber durchzusetzen schwierig und zu vollstrecken gar unmöglich sein kann.

9. Eine mögliche Lösungsmöglichkeit: Prüfung der Zulassung durch die Prüfstelle für Rechnungslegung (§ 342b HGB) Denkt man über eine mögliche Lösungsmöglichkeit nach, sollte eine Alternative von vornherein nicht weiter verfolgt werden, nämlich die antragstellenden Aktionärsminderheiten über den ihnen als Kläger (Kostenerstattung) bzw. Minderheitsaktionäre (entsprechend ihrem Anteil an der Gesellschaft) zufließenden materiellen Erfolg etwa mit einer Beteiligung an der ausgeurteilten Schadenssumme zu beteiligen33. Die Erfolge der jüngsten Zeit, das lästige und oft strafbare Treiben der „räuberischen Kleinaktionäre“ einzudämmen34, sollte keinesfalls durch Eröffnung eines neuen Betätigungsfeldes konterkariert werden. Vielmehr sollte die Zulassung einer Minderheit als Kläger und Prozessstandschafter radikal verkürzt und vereinfacht werden. Hierzu ist nach den bisherigen Verfahren das Landgericht wenig geeignet, zudem auch die Handelsrichter der Kammer für Handelssachen, die bei Zulassung zuständig sind, häufig keine Erfahrung als Organmitglieder von Aktiengesellschaften haben. Als besser geeignet für die Entscheidung über einen derartigen Antrag kommt die Prüfstelle für Rechnungslegung35 in Frage, die ihrerseits den Fall untersucht und dem Antrag stattgibt oder ihn ablehnt36; deren originäre Aufgabe ist es ja, gerade bei der Überprüfung der Bilanzen von Aktiengesellschaften ggf. auch pathologischen Vorgängen nachzugehen und die über das fachlich geeignete Personal verfügt, um eine sachgerechte und zügige Vorprüfung einer Klage (der Gesellschaft, vertreten durch die Aktionärsminderheit als Prozessstandschafter) vorzunehmen.

10. Die besondere Eignung der Prüfstelle für die Zulassung Die spezifische besondere Eignung der Prüfstelle ergibt sich insbesondere aus Folgendem:

33 Vgl. hierzu Verf. in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 953 ff., 965 ff. 34 Vgl. Baums u.a., ZIP 2011, 2329 ff. 35 Vgl. § 242b HGB. Diesen Vorschlag haben Lutter und der Verf. unabgestimmt erstmals in der FS Uwe H. Schneider, 2011, gemacht. Lutter auf S. 770. 36 Vgl. Verf. in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 953, 965 ff.

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Das Personal der Prüfstelle rekrutiert sich aus dem Kreis der Rechnungsleger (§ 4 Abs. 2 und § 9 Abs. 2 der Satzung der DPR).



Die spezifische Eignung des jeweiligen Bearbeiters des Antrages kann zusätzlich dadurch sichergestellt werden, dass die Prüfstelle sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben auch anderer Personen bedienen kann (§ 342b Abs. 1 Satz 4 HGB) und so nicht nur rasch die jeweils notwendigen personellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen vermag, sondern durch die Breite des dadurch bestehenden Angebots, eine passgenaue Bearbeitung durch einen Experten möglich ist.



Die Prüfungstätigkeit der DPR – u.a. Kontrolle von Abschlüssen auf etwaige Fehler – ist ähnlich strukturiert wie die Überprüfung eines Zulassungsantrages auf seine Schlüssigkeit, nämlich ob er in Verbindung mit einem Rechtssatz zu der begehrten Rechtsfolge führen kann. Freilich wird die Auswahl des Prüfungspersonals dadurch wiederum etwas eingeengt, als in den meisten Fällen hierfür eine juristische Ausbildung erforderlich sein wird.



In aller Regel wird man auch mit einer sehr viel schnelleren Bearbeitung als bei einer Entscheidung durch ein Gericht rechnen können, denn Wirtschaftsprüfer müssen in der Lage sein, Abschlüsse vor eng getakteten Folgeterminen (Bilanzaufsichtsratsitzungen, HVs, etc.) zu prüfen; monatelange Pausen, während derer wenig oder nicht geschieht, sind nicht zu befürchten.

11. Das Ergebnis der Prüfung Kommt die Prüfstelle zu dem Ergebnis, dass der Antrag bzw. die beabsichtigte Klage Aussicht auf Erfolg hat, lässt sie die Antragsteller als Kläger zu. Ein Eintrittsrecht der Gesellschaft darf es dann nicht mehr geben, da ja die Kläger bereits vorher nachweisen müssen, dass sie die Gesellschaft „vergeblich aufgefordert haben, selbst Klage zu erheben“37. Im umgekehrten Fall wird der Antrag abgewiesen. Die Entscheidung sollte von Seiten der Antragsteller und der Gesellschaft wie nach geltendem Recht nur mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sein38.

37 D.h. § 148 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 AktG würden inhaltlich bestehen bleiben. 38 Die Kostenregelung des § 148 Abs. 6 AktG würde bestehen bleiben.

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12. Die Eliminierung wesentlicher Schwachpunkte der bisherigen Lösung Mit einer derartigen Änderung würde das Ziel verfolgt, die aufgezeigten Schwachpunkte des geltenden Verfahrens soweit wie möglich zu eliminieren. –

Die Zulassung könnte vereinfacht und verkürzt werden. Die Prüfstelle würde sich vor Ort ein Bild über den Wahrheitsgehalt des Zulassungsantrages machen und danach über die Zulassung entscheiden. Eine Sonderprüfung, um über den Antrag zu entscheiden, wäre in keinem Falle mehr notwendig.



Das Eintrittsrecht der Gesellschaft könnte nur so lange ausgeübt werden, als volle Ungewissheit über die Frage der Zulassung oder deren Ablehnung besteht. Dementsprechend können die Kläger gewiss sein, im Falle der Zulassung das Verfahren auch zu Ende führen zu können, d.h. als Prozessstandschafter der Gesellschaft das Vorstandsmitglied zu verklagen. Ein Prozessvergleich in diesem Stadium mit irgendwelchen Sondervorteilen für die klagenden Aktionäre müsste ausgeschlossen sein und wäre ggf. als Straftatbestand auszugestalten. Das Gleiche würde gelten für das „Abkaufen“ des Klagerechts durch die Gesellschaft.

13. Änderungsbedarf und Probleme bei der D&O-Versicherung und das Ungleichgewicht zwischen leichtem Verschulden und existenzbedrohenden Rechtsfolgen Die D&O-Versicherung ist inzwischen Standard und dürfte mindestens insoweit ein Wettbewerbsfaktor um die fähigsten Köpfe sein, als jeder Kandidat von außen sich überlegen wird, in eine Gesellschaft einzutreten, bei der er selbst bei einer nur leicht fahrlässigen Fehlleistung Gefahr läuft, mindestens erhebliche Vermögenseinbußen hinnehmen zu müssen. Eine derartige Zurückhaltung ist nur zu verständlich, denn bei der Beweislastregelung im Prozess39 in Bezug auf Pflichtwidrigkeit und Verschulden ist jeder Haftungsprozess gefährlich und dies umsomehr, wenn das Vorstandsmitglied vor Prozessbeginn ausgeschieden ist und somit keinen Zugriff mehr auf die entsprechenden Akten zu seiner Entlastung hat.

39 § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG; vgl. dazu Krieger in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 717, 718.

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Diese Situation eines Vorstandsmitgliedes, dem der Entlastungsbeweis, nicht pflichtwidrig und nicht fahrlässig gehandelt zu haben, obliegt, und der sich einer Schadensersatzforderung von vielen Millionen ausgesetzt sieht, die ihn im Falle einer Verurteilung in die Privatinsolvenz treiben und seine und seiner Familie bürgerliche Existenz vernichten würde, ist aus mehreren Gründen zutiefst unbefriedigend und änderungsbedürftig. Es gibt ein allgemeines Gerechtigkeitspostulat und damit im weiteren Sinne Rechtsprinzip, dass die Folge fahrlässigen Unrechts nicht außer Proportion zur Schuld stehen darf. Im Strafrecht liegt dies offen zutage. Im Zivilrecht wird dies durch Vorschriften angestrebt, die unbillige Rechtsfolgen verhindern sollen40. Im Berufsrecht gibt es Haftungsgrenzen41. Im Straßenverkehrsrecht wird der fahrlässige handelnde Fahrer durch eine obligatorische Haftpflichtversicherung geschützt. Das Organmitglied einer Aktiengesellschaft ist indessen auch bei sehr geringer Schuld Haftungsgefahren ausgesetzt, die völlig außer Proportion zu einem eventuellen Verschulden stehen können. Diese Situation kann zumindestens dann eintreten, wenn keine D&O-Versicherung besteht oder diese nicht eintritt, wofür es eine Vielzahl von Gründen geben mag, z.B. dass die Versicherungssumme durch andere Haftungsfälle erschöpft ist. Diese Situation ist auch deswegen besonders unbefriedigend, da ja zwischen Gesellschaft und Organmitglied eine besondere Treuebindung besteht, die das Ausscheiden des Organmitgliedes aus der Gesellschaft überdauert42. 40 Z.B. §§ 157, 242 BGB; BGHZ 19, 72, 75; BGHZ 30, 145; vgl. auch Roth/Schubert in MünchKomm. BGB, 6. Aufl., § 242 Rz. 2, 11, 21. 41 Z.B. bei Wirtschaftsprüfern gemäß § 323 Abs. 2 HGB. 42 Hinzu kommt: Die Haftungsgefahren für leitende Angestellte, die „Arbeitnehmer“ sind, und Vorstandsmitglieder klaffen vollständig auseinander: Der leitende Angestellte braucht sich – geschützt durch das Arbeitsrecht – kaum Sorgen zu machen, während faktisch in Verantwortung sozialer Stellung und Bezahlung, z.B. bei Banken, kaum signifikante Unterschiede bestehen, ja Vorstandsmitglieder gelegentlich geringere Bezüge erhalten als Spezialisten, die besonders hohe Erträge erwirtschaften, aber eben nicht Organe sind. Allerdings ist dies als dogmatische Grundlage sehr angreifbar. Insofern bietet sich an, auf die gesellschaftliche Treuepflicht zu rekurrieren, die die Gesellschaft auch dem (im Allgemeinen schon ausgeschiedenen) Vorstandsmitglied schuldet, und ihn nur insoweit an dem Schaden zu beteiligen, als ob der Schaden durch eine D&O-Versicherung abgedeckt wäre und das Vorstandsmitglied für den Selbstbehalt aufkommen müsste. Vgl. hierzu vor allem J. Reichert, ZHR 2013, 757 ff., 776; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl., § 93 Rz. 38.

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Diese Konstellation mag nicht häufig sein, aber sie ist so gravierend, dass ein befähigter Manager es sich sehr genau überlegen wird, ob er sich und seine Familie einem derartigen – wiewohl statistisch gesehen seltenen – Risiko aussetzt. Immerhin ist dies eine Entwicklung, die über den Einzelfall hinaus dazu führen kann, dass einzelne besonders verantwortungsbewusste Führungskräfte, die von außen gewonnen werden sollen, für den Vorstand nicht mehr zur Verfügung stehen43.

14. Mögliche Lösungen Eine Haftungsbegrenzung bei leicht fahrlässigem Verhalten: Hier ist durch den Selbstbehalt44 bei Bestehen einer D&O-Versicherung schon ein Fingerzeig gegeben. –

Im Falle einer Zusage hinsichtlich des Bestehens einer D&O-Versicherung, die – aus welchen Gründen immer – im Schadensfalle nicht eintritt, sollte plakativ – mindestens aber deutlicher als bisher – in das Bewusstsein eingehen, dass diesenfalls das Vorstandsmitglied in der Regel seinerseits einen Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft hat, mit dem es gegen die geltend gemachte Forderung aufrechnen kann45.



Mehr Information über die D&O-Versicherung – in den meisten Konzernen wird für die D&O-Versicherung eine Konzernpolice abgeschlossen, bei der die Konzernmutter Versicherungsnehmer und die Organpersonen der Konzernmutter und Konzerngesellschaften die versicherten Personen sind. Den versicherten Personen – insbesondere den Organmitgliedern der Tochtergesellschaft – sind Einzelheiten der Versicherung regelmäßig unbekannt, ja häufig besteht bei ihnen nicht einmal Gewissheit, ob überhaupt eine D&O-Versicherung konzernweit besteht46. Falls aufgrund dieser Meldung bei den ver-

43 Vgl. Cahn, WM 2013, 1293 ff., 1305 re. Sp. 44 Vgl. § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG. Der Verf. hat in seinem Beitrag zur Max-Hachenburg-Gedächtnisvorlesung 1998 vorgeschlagen, die Haftung summenmäßig in bestimmten Fällen zu begrenzen. Vgl. Hommelhoff/Rowedder/Ulmer, Max Hachenburg: 3. Gedächtnisvorlesung 1998, S. 49 ff., hier S. 80 und 81, schon um einen derartigen Betrag auf jeden Fall versichern zu können. 45 Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl., § 93 Rz. 243. 46 So im Falle eines auch in Deutschland tätigen ausländischen Versicherungskonzerns. Den Vorstandsmitgliedern der deutschen Töchter war das Bestehen einer ausreichenden D&O-Versicherung mündlich zugesagt. Ein Vorstandsmitglied wurde in Anspruch genommen, als ein Hypothekenschuldner der

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sicherten Personen ernsthafte Zweifel daran bestehen können, dass sie im Fall eines Schadens versichert sind, sollte ihnen ein ao Kündigungsrecht eingeräumt werden. –

Dementsprechend sollte allen börsennotierten Gesellschaften mindestens als Empfehlung des DCGK aufgegeben werden, sämtlichen versicherten Organpersonen innerhalb des Konzerns in regelmäßigen Abständen über die (konzernweite) D&O-Versicherung zu berichten und insbesondere über die Höhe (im Falle der Teilinanspruchnahme Resthöhe der Versicherungssumme) sowie die wesentlichen Sachverhalte, die einem Eintritt der Versicherung im Schadensfall ggf. entgegenstehen würden.



Natürlich könnte man den Gedanken einer Verpflichtung jeder börsennotierten Aktiengesellschaft erwägen, für ihre eigenen Organmitglieder und diejenigen ihrer Tochtergesellschaft eine D&O-Versicherung mit bestimmten Merkmalen abzuschließen. Indessen dürfte dies über das Ziel hinausschießen. Die oben vorgeschlagenen Ergänzungen dürften ausreichen und besser zu einer Wirtschaftsordnung passen, bezüglich derer schon allenthalben Sorge über die zahlreichen staatlichen Eingriffe besteht.

15. Sondersituation des im Zusammenhang mit Vorwürfen gegen ein bereits ausgeschiedenes Vorstandsmitglied In einer ganz besonderen schwierigen Situation befindet sich ein Vorstandsmitglied, das wegen eines Schadens in Anspruch genommen wird und – häufig im Zusammenhang damit aus dem Vorstand ausgeschieden ist. Zwar sind sich Rechtsprechung47 und Literatur48 einig, dass diesenfalls die klagende Gesellschaft dem Beklagten diejenigen Urkunden zur Einsicht zur Verfügung zu stellen hat, die unmittelbar mit dem Fall zu tun haben, nicht aber ex post entstandene Beurteilungen der Rechtslage, also sicherlich weniger als in einer US discovery. Daran hält sich aber

Gesellschaft insolvent wurde und die dingliche Absicherung nicht ausreichte, um das hypothekarisch abgesicherte Darlehen abzudecken. Die klagende Gesellschaft wechselte aber dann später ihre Einlassung in Bezug auf das Bestehen oder Nichtbestehen einer D&O-Versicherung. Gegen das Urteil wurde von beiden Seiten Berufung eingelegt, die beim OLG Frankfurt anhängig ist. 47 BGHZ 152, 280, 285. 48 Krieger in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 717 ff.

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die klagende Gesellschaft nicht immer49. In einer solchen Situation, bei der von „Waffengleichheit“ der Parteien keine Rede mehr sein kann, sollte die besondere Beweislastregel des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG durch die Beweislastregeln der ZPO ersetzt werden.

49 So z.B. in dem in Fn. 46 erwähnten Rechtsstreit beantragte der Beklagte bei Gericht, die klagende Gesellschaft anzuweisen, eine Reihe genau bezeichneter Dokumente zur Einsicht vorzulegen (gemäß § 142 ZPO). Das Gericht verwies den Beklagten darauf, die Klägerin ihrerseits in einem gesonderten Verfahren zu verklagen, was wiederum jeder Prozessökonomie Hohn sprach.

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Bericht über die Diskussion des Referats Peltzer Rechtsassessor Nikolas Klein Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Freie Universität Berlin In der von Hopt geleiteten Diskussion meldete sich zunächst Puszkajler zu Wort. Er stellte Peltzers Petitum infrage, für die gerichtliche Überprüfung unternehmerischer Entscheidungen spezielle Kammern einzurichten. Eine solche Bereichsausnahme für Unternehmer sei wenig überzeugend, da der Richter auch sonst Expertenentscheidungen überprüfen könne und müsse, ohne über einschlägige fachliche Vorbildung zu verfügen. Als Beispiel führte er die Überprüfung von ärztlichem Handeln an. Auch die Kritik des Vortragenden an der Beweislastumkehr der deutschen Business Judgement Rule im Gegensatz zu ihrem US-amerikanischen Vorbild hielt Puszkajler nicht für gerechtfertigt. Er erkannte zwar das Problem des sogenannten Hindsight Bias als beachtenswert an, sah aber den Richter auch hierdurch nicht überfordert. Erneut begründete er seine Ansicht mit einem Vergleich zur richterlichen Beurteilung der Entscheidung eines Arztes bei einer Operation: Anders als bei unternehmerischen Entscheidungen von Managern gebe es hier echte Split-Second-Entscheidungen nicht nur in der Theorie, und trotzdem gelte nach allgemeinen Grundsätzen zu Lasten des Arztes eine der Beweislastumkehr vergleichbare sekundäre Darlegungslast, die schlicht der ungleichen Verteilung der Erkenntnismöglichkeiten geschuldet sei. Zustimmend äußerte sich Puszkajler hingegen zu Peltzers Kritik am scharfen Haftungsmaßstab für unternehmerische Entscheidungen und der fehlenden Möglichkeit für den Richter, hier Abstufungen vornehmen zu können. Eine zwingende Haftung zu hundert Prozent bereits bei leichter Fahrlässigkeit sei nicht sachgerecht. Auch Peltzers Kritik am aus Sicht des versicherten Managers häufig unbefriedigenden System der D&O-Versicherung hielt Puszkajler für gerechtfertigt. Hier brachte er den Gedanken eines Direktanspruchs gegen den Versicherer ins Spiel. Tröger gab zu bedenken, dass der Vorschlag, Kammern mit Handelsrichtern mit einschlägiger Erfahrung als Organmitglieder einzusetzen, in einem krassen Spannungsfeld zum eigentlichen Zweck der Business Judgement Rule stehe: dieser bestehe gerade darin, zu verhindern, dass der Richter sich in die konkrete Situation des Managers hinein versetze und versuche, dessen Entscheidung nachzuvollziehen. Vielmehr solle die

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Klein – Bericht über die Diskussion des Referats Peltzer

unternehmerische Entscheidung selbst ja von der gerichtlichen Kontrolle ausgenommen sein. Gerade die Gefahr, dass der Richter inhaltlich in die konkrete unternehmerische Entscheidung „einsteige“, werde durch den Einsatz vermeintlicher Experten aber vergrößert. Drygala schloss sich den Bedenken seiner beiden Vorredner an einem „Sonderrecht für Vorstände“ an und hielt diese These des Vortragenden gar „rechtspolitisch für vergiftet“. Die Kritik Peltzers an den bestehenden existenzbedrohenden Risiken für Organmitglieder erachtete er hingegen dem Grunde nach als gerechtfertigt, sah hier jedoch die eigentliche Gefahr nicht im Bereich der unternehmerischen Entscheidungen im Sinne der Business Judgement Rule, sondern vielmehr bei der Haftung bei Rechtsverstoß, bei der nach der herrschenden Meinung die Privilegien der Business Judgement Rule gerade nicht greifen. Durch stetig wachsende Compliance-Anforderungen werde dieser Bereich der Haftung immer weiter ausgedehnt. Dieser Ansicht schloss sich auch der Diskussionsleiter an und nannte hier als besonders gravierendes Beispiel die Bankbranche, in der die Compliance Vorschriften und damit diese Bereichsausnahme von der Business Judgement Rule immer stärker ausgeprägt würden. Frank Schäfer bemerkte hieran anknüpfend, dass es im Bankenbereich durch Einführung der §§ 25a ff. KWG im Rahmen des CRD IV-Umsetzungsgesetzes (BR-Drs. 374/13) bereits eine Art Reform der Organhaftung gebe: für Organmitglieder in der Bankenbranche habe hierdurch eine enorme Haftungsverschärfung stattgefunden. Zum Thema D&O-Versicherungen regte er an, die klassische D&O-Versicherung durch eine Rechtschutzversicherung zu Gunsten des Vorstands zu ersetzen. Eberhard Vetter war mit dem Petitum des Vortragenden, den Haftungsmaßstab auf mindestens grobe Fahrlässigkeit zu reduzieren, nicht einverstanden und wies darauf hin, dass dies auch mit dem erst 2009 ins Gesetz eingefügten § 31a BGB wertungsmäßig nicht zu vereinbaren sei. Die Vorschrift begrenzt die Haftung der Vorstandsmitglieder eines Vereins auf Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit, sofern sie unentgeltlich oder für eine jährliche Vergütung von nicht mehr als 500 Euro tätig werden. Zustimmend äußerte er sich hingegen bezüglich Peltzers Forderung, die Situation ausgeschiedener Organmitglieder hinsichtlich der Beweislastverteilung und der Informationslage zu überdenken. Der von der Recht-

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sprechung eingeschlagene Weg, wonach Organmitglieder nach Beendigung ihrer Amtszeit gemäß §§ 675, 666, 667 BGB zur Herausgabe sämtlicher in Ihrem Besitz befindlicher Geschäftsunterlagen an die Gesellschaft verpflichtet sind (BGH, Beschl. v. 7.7.2008 – II ZR 71/07, NZG 2008, 834) und im Falle einer Inanspruchnahme durch die Gesellschaft einen Informationsanspruch gegen die Gesellschaft auf Einsichtnahme in die Unterlagen haben, soweit dies zu Ihrer Verteidigung erforderlich ist, sei schon deshalb nicht praxisgerecht, da sich das Organmitglied gegen die Gefahr des „Verschwindens“ von ihn entlastenden Unterlagen nicht effektiv schützen könne. Bereits der von der Rechtsprechung aus dem Arbeitsrecht abgeleitete Herausgabeanspruch der Gesellschaft, der z.B. regelmäßig und undifferenziert in den Vorstandsvertrag aufgenommen werde, sei auf die Situation des Organmitglieds nicht ohne Weiteres übertragbar. Böttcher schloss sich der Forderung Peltzers nach einer Einschränkung der sehr weit formulierten Informationspflicht der Organmitglieder im Vorfeld der unternehmerischen Entscheidung an. Insbesondere im Hinblick auf die im Rahmen von M&A-Transaktionen sonst ausufernden Informationspflichten, die wegen ihres Beschaffungsaufwandes oft nicht mehr im Unternehmensinteresse liegen können, würde er diesbezüglich eine Klarstellung seitens des BGH begrüßen. In einem „kurzen Zwischenruf“ kommentierte Röhricht hierzu, dass ausschlaggebend für den Umfang der Informationspflicht letztlich nicht die weite Formulierung des BGH in seiner ARAG/Garmenbeck-Entscheidung sei, sondern vielmehr die gesetzliche Formulierung in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG („auf der Grundlage angemessener Information“). Peltzer bemerkte in seiner abschließenden Stellungnahme zunächst, dass einige der kritischen Beiträge auf einem falschen Verständnis seiner Thesen beruhten, die er wegen Zeitmangels nicht vollständig ausführen konnte. Er stellte insbesondere klar, dass sein Vorschlag hinsichtlich der Einsetzung von Handelsrichtern mit einschlägiger Berufserfahrung keineswegs dahingehend verstanden werden dürfe, dass nur noch Vorstände über Vorstände richten sollen. Er fordere lediglich eine gewisse Fachgerichtsbarkeit in der ersten Instanz, wie diese durch die bestehenden Handelskammern ja bereits existiere. Dies solle in erster Linie durch die Bündelung sämtlicher erstinstanzlicher Organhaftungsprozesse vor einem Landgericht je Bundesland erreicht werden. Unterstreichen wollte Peltzer schließlich, dass er das Risiko der Vollhaftung eines Organmitglieds und dessen existenzbedrohende Wirkung für

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einen Nichtgesellschafter schlichtweg für nicht gerechtfertigt halte und dies erst Recht nicht, soweit es um den Bereich der leichten Fahrlässigkeit gehe. Dies zeige auch der Vergleich mit einem leitenden Angestellten ohne Organstellung, dessen Haftung durch die arbeitsrechtlichen Grundsätze für leichte Fahrlässigkeit ausgeschlossen sei. Auch sei eine Haftungsbeschränkung de lege ferenda ohne Weiteres möglich, wie das Beispiel der Wirtschaftsprüfer zeige. Mit dem derzeitigen Haftungsregime tue man sich auch schon deshalb keinen Gefallen, weil durch die Haftungsgefahr viele fähige Kräfte davon abgehalten würden, eine Tätigkeit als Organmitglied zu übernehmen.

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Die Führung von Gesellschafterkonten – Ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft? Dr. Joachim Frhr. von Falkenhausen, LL.M. (Berkeley)* Rechtsanwalt, Hamburg A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 105 B. Darlehens- und Privatkonten in der Personengesellschaft . . I. Die gesellschaftsrechtliche Handhabung. . . . . . . . . . . . . . . II. Bankaufsichtsrecht . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . IV. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . .

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D. Abhilfe de lege lata . . . . . . . . . 115 I. Erlaubnis und Freistellung . . . 115 II. Strukturierungsmaßnahmen . 115 E. Handlungsbedarf de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Gesetzesvorschlag . . . . . . . . . . 119 F. Summa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

C. Gesellschafterdarlehen in Kapitalgesellschaften . . . . . . . 114

A. Einführung Die weit überwiegende Zahl der deutschen Gesellschaften agiert in der Form der Personenhandelsgesellschaft oder der GmbH. Diese Gesellschaften sind das „Rückgrat“ der Wirtschaft; gerade Familiengesellschaften – auch große, global agierende – haben häufig die Rechtsform einer Personenhandelsgesellschaft. Üblich ist es in Personengesellschaften, die Gewinne nicht vollständig auszuschütten. Vielmehr werden sie zur Eigenfinanzierung genutzt. Zu den stehengelassenen Gewinnen kommen weitere Einlagen; daneben läuft häufig der Zahlungsverkehr der Gesellschafter über die Konten der Gesellschaft. Die entsprechenden Salden werden auf Privat- oder Darlehenskonten gebucht, die die Gesellschaft für ihre Gesellschafter führt. Auch Kapitalgesellschaften – insbesondere GmbHs – sind häufig durch Gesellschafterdarlehen finanziert. Gesellschafterkonten und Gesellschafterdarlehen werden von den Gesellschaftsrechtlern traditionell als unproblematisch angesehen; die * Rechtsanwalt in der Sozietät Latham & Watkins LLP, Hamburg. Ich danke Frau Referendarin Solveig Glatz für ihre umfangreiche Hilfe bei der Recherche.

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Bankaufsichtsrechtler sehen das schon lange kritischer. Nun hat eine jüngere Veröffentlichung1 die Praktiker darauf hingewiesen, dass Gesellschafterkonten aufsichtsrechtlich problematisch sind. Im Folgenden soll dargestellt werden, worin diese Problematik besteht und wie sie de lege lata und de lege ferenda gelöst werden kann.

B. Darlehens- und Privatkonten in der Personengesellschaft I. Die gesellschaftsrechtliche Handhabung 1. Wie erwähnt, ist es üblich, in der Personenhandelsgesellschaft Privatund Darlehenskonten zur Innenfinanzierung zu verwenden. Statistische Erhebungen zum Umfang dieser Art der Finanzierung liegen, soweit bekannt, nicht vor. Bekannt ist jedoch, dass die Guthaben auf diesen Konten erheblich sein können.2 2. In der Personenhandelsgesellschaft hat sich über die Jahre ein differenziertes System der Führung von Gesellschafterkonten entwickelt. In der Regel gibt es Kapitalkonten (Kapitalkonto I mit dem festen Kapitalanteil, möglicherweise ein variables Kapitalkonto II, ein Verlustvortragskonto und häufig auch Rücklagekonten), die den Anteil des Gesellschafters am Eigenkapital ausweisen, und daneben Privat- und Darlehenskonten, die in der Regel Fremdkapital sind. Üblicherweise werden für die Darlehenskonten Entnahmebeschränkungen (Festlaufzeit oder lange Kündigungsfristen) vereinbart, die zu einer langfristigen Bindung führen. Die Beschränkungen können sich aus dem Gesellschaftsvertrag, aus Gesellschafterbeschlüssen (wenn der Gesellschaftsvertrag das vorsieht) oder aus individuellen Vereinbarungen der Gesellschaft mit dem Gesellschafter ergeben. Guthaben auf den Privatkonten können in der Regel jederzeit abgezogen werden. Ob Guthaben auf den Darlehens- und Privatkonten schuldrechtliche Forderungen sind oder als Eigenkapital angesehen werden, hängt von

1 Wiesner in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 1397 ff.; siehe aber schon wesentlich früher Uwe H. Schneider, DB 1991, 1865 ff., allerdings noch zu einer nicht mehr aktuellen Rechtslage. 2 Ein Anwalt berichtete mündlich von einer Gesellschaft mit Guthaben auf derartigen Konten von mehr als 1 Milliarde Euro.

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ihrer Ausgestaltung ab.3 In den meisten Fällen sollen sie – wie sich schon aus der Terminologie ergibt – Fremdkapital sein.4 Dann haften sie nicht für Verluste der Gesellschaft. Allerdings ist bei der GmbH & Co. KG die Rückzahlung in einer Krise im Rahmen des § 135 Abs. 1 InsO anfechtbar, wenn der jeweilige Gesellschafter die Geschäfte führt oder mit mehr als 10 % am Haftkapital beteiligt ist. Für geschlossene Fonds in der Form der GmbH & Co. KG und für andere Publikumsgesellschaften ist die Problematik meist nicht relevant, da sie in der Regel Gewinne und Liquiditätsüberschüsse vollständig an die Gesellschafter auszahlen und deswegen die Gesellschafter keine Guthaben auf Privat- oder Darlehenskonten haben. Die bankaufsichtsrechtlichen Fragestellungen, die sich ergeben, wenn sich Publikumsgesellschaften durch stille Beteiligungen finanzieren, können hier nicht abgehandelt werden.5

II. Bankaufsichtsrecht Betreiben Personengesellschaften, die derartige Gesellschafterkonten führen, ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft?6 1. Zum Katalog der „klassischen“ erlaubnispflichtigen Bankgeschäfte gehört das Einlagengeschäft (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG). Dort ist das Einlagengeschäft definiert als „die Annahme fremder Gelder als Einlagen oder anderer unbedingt rückzahlbarer Gelder des Publikums, …“. Der zweite Satzteil ist 1998 eingefügt und 2004 in seine heutige Fassung gebracht worden; mit diesen Änderungen haben sich die Auslegungsschwierigkeiten des Begriffes „Einlage“ erledigt.7 Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat in 3 Vgl. v. Falkenhausen/Schneider in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 2, 3. Aufl. 2009, § 22 Rz. 34 ff. 4 v. Falkenhausen/Schneider (Fn. 3), § 22 Rz. 66, § 22 Rz. 72. 5 Vgl. z.B. Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl. 2012, § 1 Rz. 33. 6 Denkbar ist auch, dass der Gesellschafter ein erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 2 KWG betreibt. Das ist nur ein Problem, wenn er bei einer Mehrzahl von Gesellschaften Konten unterhält, kommt also nur in Sonderfällen in Betracht. 7 Diskutiert wurden die Tatbestandsmerkmale „Vielzahl von Geldgebern“, „typisierende Verträge“, „Verwendung für bankmäßiges Aktivgeschäft“ und andere, siehe nur Schäfer (Fn. 5), § 1 Rz. 36 f.; zur Entwicklung des Gesetzes vgl. Wiesner (Fn. 1), S. 1397, 1402.

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einem Merkblatt ihre Sicht des Tatbestandes des Einlagengeschäfts erläutert.8 2. Zu untersuchen ist also, ob die Führung von Darlehens- und Privatkonten „eine Annahme unbedingt rückzahlbarer Gelder des Publikums“ ist. a) Sind die Gesellschafter „Publikum“? Der Begriff „Publikum“ wurde gewählt, um Gelder von verbundenen Unternehmen vom Einlagengeschäft auszunehmen (siehe auch § 2 Abs. 1 Ziff. 7 KWG).9 Neben den verbundenen Unternehmen gehören auch institutionelle Anleger – um die es hier nicht geht – nicht zum Publikum.10 Ob persönlich haftende Gesellschafter zum Publikum gehören, wird diskutiert;11 die Frage hat wenig Bedeutung, da Guthaben persönlich haftender Gesellschafter jedenfalls nicht „unbedingt rückzahlbar“ sind.12 Nicht durchgesetzt zu haben scheint sich der Vorschlag, auch diejenigen Gesellschafter nicht zum „Publikum“ zu zählen, die hinreichenden Zugriff auf Informationen der Gesellschaft haben.13 Damit gehören jedenfalls alle Kommanditisten zum „Publikum“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG. b) Fraglich kann weiter sein, ob die Gesellschaft Gelder von den Gesellschaftern „angenommen“ hat. Mit Sicherheit ist das der Fall, wenn die Gesellschafter eigene Mittel auf die Privat- oder Darlehenskonten, z.B. Steuererstattungen, eingezahlt haben.14 Nicht ganz so klar ist es, wenn – und das dürfte der Regelfall sein – die Guthaben auf den Konten aus stehengelassenen Gewinnen

8 „Hinweise zum Tatbestand des Einlagengeschäfts“, Stand August 2011, verfügbar auf der Website der BaFin, www.bafin.de. 9 Schäfer (Fn. 5), § 1 Rz. 42; Schürmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 69 Rz. 6c; Servatius in Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, 2013, 35. Kapitel Rz. 14. 10 Servatius (Fn. 9), 35. Kapitel Rz. 14. 11 Wiesner (Fn. 1), S. 1397, 1407 m.w.N. 12 Siehe unten B.II.2.c). 13 Vgl. Demgensky/Erm, WM 2001, 1445 (1453). 14 Oft werden vom Privatkonto die persönlichen Einkommensteuern des Gesellschafters bezahlt. Dann sieht der Gesellschaftsvertrag häufig vor, dass Steuererstattungen an die Gesellschaft gezahlt und auf dem Privatkonto gutgeschrieben werden.

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bestehen. Dann haben die Gesellschafter nicht an die Gesellschaft gezahlt, und nach dem Wortsinn erscheint zweifelhaft, ob die Gesellschaft Gelder von ihren Gesellschaftern „angenommen“ hat. Dementsprechend wird vertreten, dass stehengelassene Gewinne keine angenommenen Gelder sind, da sie bei wirtschaftlicher Betrachtung die Sphäre der Gesellschaft noch nicht verlassen haben.15 Andererseits ist anerkannt, dass die Umwandlung vertraglicher Forderungen (z.B. aus Kaufvertrag oder Dienstvertrag) in ein Darlehen eine „Annahme“ von Geldern ist;16 daraus wird geschlossen, dass auch das Stehenlassen von Gewinnen den Einlagenbegriff erfüllen kann.17 Die BaFin18 sieht Gelder als „angenommen“ an, wenn Guthaben durch Umbuchung entstehen; damit sind stehengelassene Gewinne erfasst, die auf ein Darlehenskonto umgebucht werden. Daher muss für die Praxis davon ausgegangen werden, dass auch stehengelassene Gewinne aufsichtsrechtlich als „angenommene“ Gelder gewertet werden.19 c) Die Guthaben müssen „unbedingt rückzahlbar“ sein. Nicht unbedingt rückzahlbar sind jedenfalls alle Guthaben auf Konten, die voll am Verlust der Gesellschaft teilnehmen und bei der Prüfung der Insolvenzantragspflicht nicht in der Überschuldungsbilanz passiviert werden.20 Damit können wir alle Kapitalkonten in der Personenhandelsgesellschaft aus der Betrachtung ausblenden; gleiches gilt für Darlehenskonten persönlich haften-

15 Schäfer (Fn. 5), § 1 Rz. 35; Schwennicke in Schwennicke/Auerbach, KWG mit ZAG, 2. Aufl. 2013, § 1 KWG Rz. 22; Wenzel, NZG 2013, 161 (166). 16 Wiesner (Fn. 1), S. 1397, 1404; Demgensky/Erm, WM 2001, 1445 (1447). 17 Vgl. Wiesner (Fn. 1), S. 1397, 1404; so im Ergebnis auch VG Berlin v. 14.6.1982 – VG 14 A 122/81 – abgedruckt bei Beckmann/Bauer, Bankaufsichtsrecht, 3. EL 1989, Nr. 15 zu § 1 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 KWG (zum alten Einlagenbegriff). 18 Merkblatt (Fn. 8), Ziff. 1. a) bb). 19 Allerdings hat der BGH in einem neuen Urteil (NZG 2013, 1060 Rz. 14) die Auszahlung des Abfindungsguthabens eines Gesellschafters in vier Raten über zwei Jahre nicht für eine „Einlage“ gehalten. Der Fall kann aber wahrscheinlich nicht mit der Gutschrift stehengelassener Gewinne auf Darlehenskonten gleichgesetzt werden, weil das Abfindungsguthaben nicht formell in ein Darlehen umgewandelt wurde. Der BGH (a.a.O.) stellt darauf ab, dass es sich nur um eine „Verzögerung“ der Auszahlung handelt. 20 Merkblatt (Fn. 8), Ziff. 1. b) bb).

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der Gesellschafter, da diese zwar rechtlich Fremdkapital sind, aber faktisch am Verlust teilnehmen.21 Guthaben der Kommanditisten auf Privat- und Darlehenskonten nehmen im Grundsatz nicht am Verlust teil. In der GmbH & Co. KG sind jedoch die Guthaben der Gesellschafter, die entweder die Geschäfte führen oder 10 % oder mehr am Haftkapital halten, gemäß § 39 Abs. 1 Ziff. 5 i.V.m. Abs. 4 und 5 InsO nachrangig. Das reicht nach Ansicht der BaFin22 allerdings nicht aus, um sie als nicht „unbedingt rückzahlbar“ anzusehen. Anders bewertet die BaFin Guthaben auf Gesellschafterkonten, für die ein Nachrang vereinbart ist, der „insolvenzverhindernde Funktion“ hat. Dazu bedarf es nach der Neufassung des § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO23 nur noch einer Nachrangvereinbarung nach § 39 Abs. 2 InsO, da die Verbindlichkeit dann nicht mehr in der Überschuldungsbilanz zu berücksichtigen ist; ein „qualifizierter“ Rangrücktritt24 ist nicht erforderlich. Ob die BaFin zu Recht eine Nachrangsvereinbarung fordert, ist zweifelhaft. Das Kriterium der Insolvenzauslösung hat mit der Frage der unbedingten Rückzahlbarkeit nichts zu tun.25 Entscheidend sollte nur sein, ob die Darlehen in einer Insolvenz zur Tragung von Verlusten herangezogen werden. In der Insolvenz aber wird sowohl auf Forderungen nach § 39 Abs. 1 Ziff. 5 wie auch nach § 39 Abs. 2 InsO erst nach Befriedigung aller anderen Gläubiger gezahlt. Es sind nur ganz wenige Fälle denkbar, in denen der vereinbarte Nachrang die Gesellschafter schlechter stellt. Deswegen sollten auch Gesellschafterdarlehen im Rang des § 39 Abs. 1 Ziff. 5 InsO nicht als „unbedingt rückzahlbar“ gelten. Abgesehen von diesen praktischen Erwägungen liegt in der Ansicht der BaFin auch ein Wertungswiderspruch zur gesetzlichen Regelung: Es geht nicht an, einerseits die Gesellschafter, die Gut21 Wiesner (Fn. 1), S. 1397, 1407. 22 Merkblatt (Fn. 8), Ziff. 1. b) bb). 23 Ab 1.1.2014 wird § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO zu Satz 3, ohne dass sich sein Inhalt ändert. 24 So Merkblatt (Fn. 8), Ziff. 1. b) bb). 25 Die BaFin beruft sich für ihre Ansicht auf die Regierungsbegründung zum Finanzkonglomeraterichtlinie-Umsetzungsgesetz (BT-Drucks. 15/3641 S. 36). Auch dort wird jedoch die Notwendigkeit der Insolvenzverhinderung nur postuliert, aber nicht begründet.

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haben auf Gesellschafterkonten unterhalten, durch Anwendung des Bankaufsichtsrechts zu schützen, und andererseits dieselben Guthaben von Gesetzes wegen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO (vorbehaltlich des Kleinbeteiligungsprivilegs) zu subordinieren.26 Dennoch werden wir bis auf weiteres davon ausgehen müssen, dass die BaFin sämtliche Guthaben der Kommanditisten unter den bankaufsichtsrechtlichen Einlagenbegriff subsumiert, solange kein Nachrang gemäß § 39 Abs. 2 InsO vereinbart ist. 3. Von der Klassifizierung der Guthaben als Einlagen gibt es zwei Ausnahmen: a) Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 KWG sind Guthaben keine Einlagen, wenn der Rückzahlungsanspruch als Inhaber- oder Orderschuldverschreibung verbrieft ist. Diese Ausnahme ist für Gesellschafterkonten irrelevant. b) Eine weitere (ungeschriebene) Ausnahme wird gemacht, wenn für den Rückzahlungsanspruch eine bankübliche Sicherheit bestellt worden ist.27 Das geschieht in der Praxis selten oder nie. 4. Damit betreiben Kommanditgesellschaften, die Privat- oder Darlehenskonten führen, in der Regel – jedenfalls nach Ansicht der BaFin – ein Bankgeschäft, nämlich das Einlagengeschäft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 KWG. Wenn sie dieses Bankgeschäft entweder gewerbsmäßig betreiben oder in einem Umfang, der einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, werden sie zum Kreditinstitut gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 KWG; die Führung der Gesellschafterkonten bedarf der Erlaubnis der BaFin gemäß § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG. a) Gewerbsmäßig wird gehandelt, wenn die Tätigkeit auf Dauer angelegt ist und mit der Absicht betrieben wird, Gewinn zu erzielen.28 26 Ähnlich Henke, WM 2010, 2157 (2162). 27 Merkblatt (Fn. 8), Ziff. 1. e). 28 BGH, WM 2006, 1898 (1900 f.); VGH Kassel, NJW-RR 2008, 1011 (1013); Merkblatt (Fn. 8), Ziff. 2; Weber/Seifert in Luz/Neus/Schaber/Schneider/Weber, KWG, 2. Aufl. 2011, § 1 Rz. 6; Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 193. EL 2013, § 1 KWG Rz. 4; Schröder, Handbuch Kapitalmarktstrafrecht, 2. Aufl. 2010, Rz. 891; Demgensky/Erm, WM 2001, 1445 (1447); ähnlich in anderen Rechtsgebieten, vgl. Kahl in Landmann/Rohmer, GewO, 64. EL 2013, § 1 Rz. 3 und für den Handelsmakler von HoyningenHuene in Münchener Kommentar HGB, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 42.

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Personenhandelsgesellschaften sind in der Regel auf Dauer angelegt und wollen Gewinn erzielen. Die Gesellschafterkonten werden in der Regel für die Dauer der Gesellschaft geführt. Die Gesellschaft benutzt die Guthaben aber nicht, um sie gewinnbringend weiter zu verleihen, sondern setzt sie in der Regel zur Innenfinanzierung ein. Eine Tätigkeit wird nicht schon deswegen gewerbsmäßig betrieben, weil die Gesellschaft im Übrigen ein Gewerbe ausübt.29 Das Handelsgewerbe, das die Personenhandelsgesellschaften regelmäßig betreiben, reicht also nicht aus, um die Führung von Gesellschafterkonten als gewerbsmäßig zu qualifizieren. Allerdings ließe sich argumentieren, dass die Gesellschafterkonten der gewinnorientierten Gesellschaft die nötige Finanzierung verschaffen und damit indirekt der Gewinnerzielung dienen. Mit einer derartigen Situation haben sich, soweit ersichtlich, die Gerichte noch nicht beschäftigt.30 Das Verbot, Bankgeschäfte ohne Erlaubnis gewerbsmäßig zu betreiben, schützt die Funktion des Finanzsektors und den Anleger. Beide bedürfen des Schutzes nicht, wenn eine Gesellschaft von ihren Gesellschaftern über Kontoguthaben finanziert wird.31 Daher sollte der Begriff „gewerbsmäßig“ nicht ohne Not im Wege der Auslegung auf diese Form der Innenfinanzierung erstreckt werden. Das Tatbestandsmerkmal der Gewerbsmäßigkeit dürfte damit im Regelfall nicht erfüllt sein. b) Daher ist zu prüfen, ob zur Führung der Gesellschafterkonten ein kaufmännischer Geschäftsbetrieb erforderlich ist. Üblicherweise wird an Kriterien wie Anzahl der Geschäfte, eingesetztes Kapital, Zahl der beschäftigten Mitarbeiter, sachliche Ausstattung etc. angeknüpft.32 Diese Kriterien passen nicht gut, wenn ein mittleres oder größeres Unternehmen im Rahmen der Buchhaltung und Rechnungslegung Gesellschafterkonten führt. Auch hier gilt, dass für die Führung der Gesellschafterkonten nicht schon des29 So auch Wenzel, NZG 2013, 161 (163); Wiesner (Fn. 1), S. 1397, 1408 merkt allerdings an, dass sich die BaFin zu dieser Frage noch nicht geäußert hat. 30 In den einschlägigen Fällen wurden die angenommenen Gelder wieder ausgeliehen oder anderweitig angelegt, vgl. z.B. BGH, WM 2006, 1898. 31 Außer natürlich in Missbrauchsfällen, siehe unten E.I.1. 32 Häberle (Fn. 28), § 1 KWG Rz. 5; Schröder (Fn. 28), Rz. 893; Demgensky/Erm, WM 2001, 1445 (1446).

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wegen ein kaufmännischer Geschäftsbetrieb erforderlich ist, weil die übrigen Aktivitäten der Gesellschaft einen solchen erfordern.33 Dass nur für die Gesellschafterkonten ein kaufmännischer Geschäftsbetrieb unterhalten wird, scheint eher fernzuliegen. Für die Praxis entscheidend ist aber die BaFin, die eine recht strenge Sicht vertritt.34 Sie geht in ständiger Verwaltungspraxis davon aus, dass ein kaufmännischer Geschäftsbetrieb erforderlich ist, wenn es mehr als 25 „Einzelanlagen“ oder mehr als fünf „Einzelanlagen“ mit einem Gesamtguthaben von mehr als 12 500 Euro gibt. Ob die BaFin die Führung eines Darlehenskontos und eines Privatkontos für einen Gesellschafter als eine oder als zwei Einzelanlagen wertet, bleibt abzuwarten. Jedenfalls aber gibt es eine große Zahl von Personenhandelsgesellschaften, die Gesellschafterkonten für mehr als fünf Gesellschafter mit Gesamtsaldo von mehr als 12 500 Euro führen.

III. Zwischenergebnis Die übliche Praxis der Führung von Privat- und Darlehenskonten durch Personenhandelsgesellschaften ist nach Ansicht der BaFin ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft, wenn die Konten für mehr als fünf Gesellschafter geführt werden und das Gesamtguthaben 12 500 Euro übersteigt.

IV. Konsequenzen Wer erlaubnispflichtige Bankgeschäfte ohne die erforderliche Erlaubnis betreibt, setzt sich empfindlichen Konsequenzen aus. 1. Die BaFin kann die Führung der Konten gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 KWG untersagen. Die BaFin hat auf Nachfrage wissen lassen, dass sie in der Regel nur eingreifen wird, wenn sie einen Missbrauch vermutet.35 Daher ist im Regelfall nicht mit einer Unterlassungsverfügung zu rechnen. 2. Das Führen von Bankgeschäften ohne die nötige Erlaubnis ist gemäß § 54 Abs. 1 Ziff. 2 KWG strafbar. Der Strafrahmen geht bei Vorsatz 33 Wenzel, NZG 2013, 814 (817) m.w.N. in Fn. 26. 34 Merkblatt (Fn. 8), Ziff. 2. 35 Telefonische unverbindliche Auskunft.

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bis zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Auch insoweit dürfte angesichts der Haltung der BaFin nur in Missbrauchsfällen Gefahr bestehen.36 3. Der Verstoß gegen § 32 Abs. 1 KWG macht den Gesellschaftsvertrag nicht nichtig.37 4. Entscheidend ist aber Folgendes: § 32 Abs. 1 KWG ist ein Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB; geschützt werden die Interessen der Anleger.38 Wie der BGH erst jüngst39 wieder festgestellt hat, haften damit die Beteiligten persönlich für den Schaden, den der Anleger z.B. in der Insolvenz erleidet. Übertragen auf die Personenhandelsgesellschaft bedeutet das, dass die Geschäftsführer der Komplementärin einer GmbH & Co. KG für Guthaben auf den Gesellschafterkonten persönlich und unbeschränkt haften. Diese Konsequenz dürfte für die Betroffenen in aller Regel nicht tragbar sein.

C. Gesellschafterdarlehen in Kapitalgesellschaften Auch Kapitalgesellschaften finanzieren sich häufig durch Gesellschafterdarlehen. In der Regel nehmen GmbHs derartige Darlehen auf; es gibt sie aber auch in Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien. Alles vorstehend Gesagte gilt auch für diese Gesellschafterdarlehen; allerdings scheint die BaFin derartige Vorgänge bisher nicht aufgegriffen zu haben.40 Wir müssen aber davon ausgehen, dass die BaFin es als erlaubnispflichtiges Bankgeschäft ansieht, wenn eine Kapitalgesellschaft mehr als fünf Gesellschafterdarlehen mit einem Gesamtsaldo von mehr als 12 500 Euro annimmt. Für die Geschäftsführer und Vorstände dieser Gesellschaften droht dann die persönliche Haftung, wie vorstehend beschrieben. 36 Oder wenn im Rahmen einer Gesellschafterstreitigkeit oder einer Insolvenz der Vorgang der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis kommt. 37 Wiesner (Fn. 1), S. 1397, 1408; OLG Schleswig, ZIP 2010, 1066 (1068); HessVGH Kassel, WM 2009, 1889 (1893). 38 BGH, NZG 2013, 582 – Winzergeld, m.w.N. aus der Rechtsprechung. 39 BGH, NZG 2013, 582 – Winzergeld. 40 Bemerkenswert ist, dass sowohl in der Rechtsprechung wie auch in der Reformdiskussion zum Thema der Gesellschafterdarlehen in der GmbH und der GmbH & Co. KG und der sich ihr anschließenden Gesetzesänderung durch das MoMiG die KWG-Problematik keine Rolle gespielt hat und nicht einmal angesprochen worden ist. Darauf weist schon Uwe. H. Schneider, DB 1991, 1865, rechte Spalte, hin.

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D. Abhilfe de lege lata Es besteht Handlungsbedarf. Insbesondere werden Geschäftsführer und ihre persönliche Haftung vermeiden wollen. De lege lata und nach der Verwaltungspraxis der BaFin gibt es jedoch nicht allzu viele Handlungsoptionen.

I. Erlaubnis und Freistellung 1. Theoretisch ist es möglich, eine Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 KWG zu beantragen. Angesichts der Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis und der nachfolgenden intensiven Regulierung des Bankgeschäfts ist dieser Weg nicht gangbar. 2. Es scheint nahezuliegen, bei der BaFin eine Freistellung nach § 2 Abs. 4 KWG mit der Begründung zu beantragen, dass das Unternehmen wegen der Art der betriebenen Geschäfte nicht der Aufsicht bedarf. Die BaFin sieht aber in ständiger Verwaltungspraxis Einlagengeschäft als von vornherein nicht freistellungsfähig an;41 damit scheidet die Freistellung aus.

II. Strukturierungsmaßnahmen 1. Eine Verbriefung als Inhaber- oder Orderschuldverschreibung würde die Salden auf den Gesellschafterkonten aus der Definition des Einlagengeschäftes herausnehmen und die Erlaubnispflicht vermeiden. Machbar dürfte die Verbriefung nicht sein, zumal die BaFin verlangt, dass die Schuldverschreibung Teil einer Emission am Kapitalmarkt ist.42 2. Kein Einlagengeschäft wird betrieben, wenn die Gesellschaft dem Gesellschafter bankübliche Sicherheiten stellt.43 Gesellschafterdarlehen sollen jedoch in der Regel der Finanzierung der Gesellschaft dienen, ohne ihren Kreditrahmen zu schmälern. Sicherheiten, die Gesellschaftern gestellt werden, stehen der Gesellschaft für andere Finanzierungen nicht mehr zur Verfügung.

41 Merkblatt zum Verfahren der Freistellung nach § 2 Abs. 4 und Abs. 5 KWG für im Inland ansässige Unternehmen vom 10.1.2012, Ziff. A. 1., verfügbar auf der Website der BaFin, www.bafin.de. 42 Merkblatt (Fn. 8), Ziff. 1. d); vgl. Wenzel, NZG 2013, 161 (165). 43 Ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, siehe oben B.II.3.b).

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Bei Gesellschaftern mit einem Anteil von mehr als 10 % am Haftkapital einer GmbH & Co. KG oder einer Kapitalgesellschaft ergibt sich eine weitere Schwierigkeit. Sicherheiten, die ihnen in den letzten zehn Jahren vor Insolvenzantrag gestellt werden, unterliegen der Anfechtung nach § 135 Abs. 1 Ziff. 1 InsO.44 Das macht die Sicherheiten praktisch wertlos, und es ist sehr zweifelhaft, ob eine Sicherheit „banküblich“ sein kann, wenn sie im Fall der Fälle keinen Bestand hat. Es wird also Fälle geben, in denen die Stellung von Sicherheiten möglich ist; die Regel wird das nicht sein. 3. Die bankaufsichtsrechtlichen Probleme entfallen, wenn die Gesellschaft eine Bank zwischenschaltet. Dann führt die Gesellschaft selbst keine Konten für die Gesellschafter; vielmehr werden sämtliche Gewinne an die Gesellschafter ausgeschüttet. Der Gesellschafter zahlt die Beträge, die der Gesellschaft zur Verfügung gestellt werden sollen, auf ein Bankkonto ein. Die Bank gewährt der Gesellschaft in demselben Umfang Kredit; die Guthaben des Gesellschafters auf dem Bankkonto werden der Bank als Sicherheit für den Kredit an die Gesellschaft verpfändet. Die Handhabung ist nicht ganz einfach; unter anderem muss die Gesellschaft, z.B. durch Zahlung direkt auf das verpfändete Konto, sicherstellen, dass ihr die Beträge wieder zur Verfügung gestellt werden. Auch muss die Gesellschaft jedes Mal einen Teil des ihr gewährten Kredites zurückzahlen, bevor die Bank dem Gesellschafter Gelder zur Verfügung stellen kann. Schließlich muss darauf geachtet werden, dass die Bank stets im eigenen Namen handelt. Sollte nämlich die Bank im Namen der Gesellschaft handeln, wäre die Konstruktion als „Auslagerung“ anzusehen. Dann gilt das Aufsichtsrecht für die Gesellschaft gemäß § 25a Abs. 2 Satz 5 KWG weiter,45 und es wäre nichts gewonnen. Natürlich ist die Zwischenschaltung einer Bank mit Kosten verbunden. Die Bank wird eine Zinsmarge und Gebühren verlangen; aller44 Das scheint unstreitig zu sein, wenn die Sicherheit bei Insolvenzeröffnung noch bestand. Streitig ist, ob die Anfechtung möglich ist, wenn die Sicherheit mehr als ein Jahr vor Antrag verwertet wurde, bejahend BGH, ZIP 2013, 1579, ablehnend die Anmerkung von Bitter, ZIP 2013, 1583. Siehe auch die lebhafte Diskussion zwischen Bitter (ZIP 2013, 1497 ff. und 1998 ff.), Altmeppen (ZIP 2013, 1745 ff.) und Hölzle (ZIP 2013, 1992 ff.). 45 Vgl. Wieland, BB 2012, 917 (919).

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dings braucht sie angesichts der vollständigen Bardeckung den Kredit, den sie der Gesellschaft gewährt, nicht mit Eigenkapital zu unterlegen. Ob derartige Modelle praktikabel sind, bleibt abzuwarten. 4. Es spricht viel dafür, dass Guthaben auf Darlehenskonten nicht „unbedingt rückzahlbar“ sind, wenn sie nur aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses ausgezahlt werden dürfen. Allerdings müssten die Mehrheitserfordernisse so gefasst werden, dass die übrigen Gesellschafter stets ein Veto haben, denn nur dann kann der Gesellschafter nicht selbst über das Guthaben verfügen.46 Ob die BaFin dieser Interpretation folgen würde, wäre zu klären. Sehr fraglich ist allerdings, ob die Gesellschafter bereit sein werden, sich in dieser Weise Mehrheitsbeschlüssen „auszuliefern“. 5. Schließlich verbleibt die Möglichkeit, einen Nachrang gemäß § 39 Abs. 2 InsO zu vereinbaren. Wie dargestellt, sind auch nach Ansicht der BaFin Guthaben, die einer solchen Vereinbarung unterliegen, keine Einlagen im Sinne des Bankaufsichtsrechts.47 Der Nachrang kann vertraglich zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern vereinbart werden oder generell im Gesellschaftsvertrag vorgesehen sein. Fraglich ist natürlich, ob die Gesellschafter den Nachrang akzeptieren werden. Gesellschafter einer GmbH & Co. KG, die die Geschäfte führen oder mehr als 10 % des Haftkapitals halten, stehen sich durch eine Nachrangvereinbarung praktisch nicht schlechter, denn sie werden gemäß § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 und 5 InsO in der Insolvenz ohnehin erst nach allen anderen Gläubigern bedient. Wenn ihnen Sicherheiten gestellt werden oder wenn sie vor der Insolvenz Rückzahlungen erhalten, droht ihnen die Anfechtung gemäß § 135 Abs. 1 InsO. Die Position anderer Gesellschafter jedoch wird durch die Nachrangvereinbarung verschlechtert. Sie werden sich schwertun, ihr zuzustimmen.

E. Handlungsbedarf de lege ferenda Wie dargestellt, gefährdet eine Erlaubnispflicht für die Führung von Gesellschafterkonten und Gesellschafterdarlehen die Innenfinanzierung

46 Wenzel, NZG 2013, 161 (166). 47 Siehe oben B.II.2.c).

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vieler Gesellschaften. Die Abhilfemöglichkeiten de lege lata sind unhandlich; in vielen Fällen werden sie nicht akzeptabel sein. Deswegen ist zu überlegen, ob eine Gesetzesänderung Abhilfe schaffen kann, ohne unerwünschte Lücken in die Aufsicht über Bankgeschäfte zu reißen.

I. Hintergrund 1. Die Regulierung von Finanzdienstleistungen und insbesondere des Einlagengeschäftes dient einerseits dem Anlegerschutz48 und andererseits dem Schutz des Funktionierens der Finanzbranche.49 Gesellschafterkonten und Gesellschafterdarlehen bedürfen dieses Schutzes nicht. Eine Regulierung unter dem Gesichtspunkt des Anlegerschutzes ist nicht erforderlich. Gesellschafter von Handelsgesellschaften – sowohl in Personengesellschaften wie auch in Kapitalgesellschaften – sind mit den Gefahren einer unternehmerischen Beteiligung vertraut, auch wenn sie nicht die Geschäfte führen. Wenn sie „ihrem“ Unternehmen über den Kapitaleinsatz hinaus weitere Gelder als Darlehen anvertrauen, wissen sie, welches Risiko sie eingehen. Des Anlegerschutzes bedürfen sie nicht.50 Auch unter dem Gesichtspunkt des Funktionsschutzes ist eine Regulierung von Gesellschafterkonten und Gesellschafterdarlehen so lange nicht erforderlich,51 wie sichergestellt ist, dass diese Finanzierungsformen nicht missbraucht werden. Ein Missbrauch liegt z.B. nahe, wenn die Gesellschafter sich an der Gesellschaft mit sehr geringen Anteilen beteiligen, aber erheblich größere Beträge bei ihr anlegen. Dann droht die Gefahr, dass unter dem Deckmantel einer Handelsgesellschaft in Wirklichkeit Bankgeschäfte betrieben werden. Interessanterweise hat auch die BaFin in anderen Fällen durchaus Flexibilität gezeigt, wenn sich Finanzierungsformen traditionell entwickelt haben und im Handelsverkehr allseits akzeptiert und ge-

48 Schäfer (Fn. 5), § 1 Rz. 33; Henke, WM 2010, 2157 (2158); Ruhl, Das Einlagengeschäft nach dem Kreditwesengesetz, 2005, S. 85 f. 49 Weber/Seifert (Fn. 28), § 1 Rz. 8; Henke, WM 2010, 2157 (2158); Ruhl (Fn. 48), S. 85 f. 50 So auch Demgensky/Erm, WM 2001, 1445 (1453). 51 Vgl. Götze, WM 2005, 727 (733).

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schätzt werden. So sieht sie die „Brauereidarlehen“ (Finanzierung von Gaststätten durch Brauereien, gekoppelt mit einer Abnahmepflicht für Bier) nicht als erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft an.52 Auch die Tradition, dass der Bauer Warenverkaufserlöse bei seiner Warengenossenschaft „stehenlässt“, bis er sie für Einkäufe braucht, beanstandet die BaFin nicht, obwohl die Genossenschaft sich damit finanziert.53 Ähnlich flexibel sollte das Aufsichtsrecht auch auf die traditionelle Finanzierung des Mittelstands durch Gesellschafterkonten reagieren. Es scheint daher angebracht und gerechtfertigt, Gesellschafterkonten und Gesellschafterdarlehen vom Begriff des Einlagengeschäftes des § 1 Abs. 1 Satz 2 Ziff. 1 KWG auszunehmen, gleichzeitig aber Missbräuche auszuschließen. Technisch lässt sich das am besten durch einen Ausnahmetatbestand in § 2 KWG umsetzen. 2. Das Europarecht steht dem nicht entgegen. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/36/EU vom 26. Juni 2013 verlangt von den Mitgliedsstaaten nur, dass Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind, die Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums untersagt wird, soweit sie dieses Geschäft gewerbsmäßig betreiben. Wie oben dargelegt,54 handelt ein Unternehmen nicht gewerbsmäßig, wenn es Gesellschafterkonten führt und Gesellschafterdarlehen entgegennimmt. Im Übrigen erscheint auch sehr fraglich, ob die enge Interpretation des Terminus „Gelder des Publikums“55 europarechtlich zwingend ist. Der Wortlaut lässt sich jedenfalls ohne weiteres dahin interpretieren, dass im Rahmen von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie auch Gesellschafter nicht als Publikum angesehen werden.

II. Gesetzesvorschlag 1. Die genannten Ziele, nämlich einerseits Freistellung der Gesellschafterkonten und Gesellschafterdarlehen vom Begriff des Einlagen-

52 Vgl. das Merkblatt der Bafin „Hinweise zum Tatbestand des Kreditgeschäfts“ vom 8.1.2009, Ziff. 1 a) cc) (2), verfügbar auf der Website der BaFin, www.ba fin.de. 53 Merkblatt (Fn. 8), Ziff. 1. b) bb), Stichwort „Warengenossenschaften“. 54 Siehe oben B.II.4.a). 55 Siehe oben B.II.2.a).

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geschäftes und andererseits die Unterbindung von Missbräuchen, lassen sich erreichen, wenn § 2 Abs. 1 KWG wie folgt ergänzt wird: „Als Kreditinstitut gelten vorbehaltlich der Absätze 2 und 3 nicht. …. 7a Unternehmen, soweit sie als Bankgeschäft das Einlagengeschäft ausschließlich mit ihren Gesellschaftern betreiben, es sei denn, dieses Einlagengeschäft hat im Verhältnis zum Handelsgewerbe des Unternehmens nicht nur eine Hilfsfunktion.“ 2. Eine derartige Ausnahme würde Gesellschafterkonten und Gesellschafterdarlehen von der Erlaubnispflicht des § 32 KWG ausnehmen. Es ist – trotz des nicht ganz stimmigen Wortlauts von § 2 KWG einerseits und § 32 Abs. 1 Satz 1 KWG andererseits – anerkannt, dass Unternehmen, die nach § 2 Abs. 1 KWG nicht als Kreditinstitute gelten, auch dann keine Erlaubnis nach § 32 Abs. 1 KWG brauchen, wenn sie Bankgeschäfte im Sinne des § 1 Abs. 1 KWG betreiben.56 3. Weiterer Regeln bedarf es nicht. Die Gesellschaft bürgerlichen Rechtes ist vom vorstehend beschriebenen Problemkreis nicht betroffen. Ihre Gesellschafter haften persönlich; dann gelten Darlehen an die Gesellschaft nicht als „unbedingt rückzahlbar“.57 Gelegentlich werden Gesellschaften anstelle von Darlehen über stille Gesellschaftsbeteiligungen finanziert. Soweit diese unter den Einlagenbegriff des KWG fallen, werden sie von der vorgeschlagenen Regelung erfasst. Eine Regelung ist auch insoweit nicht erforderlich.

F. Summa Angesichts der Verwaltungspraxis der BaFin birgt die Führung von Gesellschafterkonten und die Entgegennahme von Gesellschafterdarlehen erhebliche Risiken für die Beteiligten. Dem sollte so bald wie möglich mit der vorgeschlagenen Gesetzesänderung abgeholfen werden.

56 Fischer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, 4. Aufl. 2012, § 32 Rz. 22. 57 Siehe oben B.II.2.c).

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Bericht über die Diskussion des Referats von Falkenhausen Dr. Jan Philipp Feigen Rechtsanwalt, Hamburg

I. Die Diskussion wurde von Bachmann geleitet. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie in der Praxis mit dem Problem umgegangen werden kann, dass die Führung von Privat- oder Darlehenskonten von Kommanditisten durch Personengesellschaften nach der Verwaltungspraxis der BaFin ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft ist.

II. Den ersten Diskussionsbeitrag lieferte Bode, der fragte, ob es nicht möglich sei, die Problematik dadurch zu lösen, dass die Gesellschafter ihre Ansprüche aus den bestehenden Darlehensverträgen an einen Treuhänder abtreten. Dadurch könnten die Ansprüche bei einem einzelnen „Einlegenden“ gebündelt werden, so dass formal gesehen – wie bei einer fremdnützigen Verwaltungstreuhand – am Ende nur noch eine einzige Einlage bestünde und aufgrund der de minimis Ausnahme die Erlaubnispflicht entfiele. Mit einem solchen Formalismus schlüge man die BaFin mit ihren eigenen Waffen. Von Falkenhausen entgegnete darauf, dass dann wahrscheinlich der Treuhänder dasselbe Problem habe, da dieser ja gegebenenfalls ein erlaubnispflichtiges Bankgeschäft betreibt. Er ergänzte jedoch, dass eine solche Lösung möglich sein kann, wenn der Treuhänder eine Bank ist.

III. Anschließend fragte Glade, ob er und seine Sozien nun umgehend eine Banklizenz beantragen müssten. Von Falkenhausen beantwortete diese Frage kurz und knapp mit einem „Ja“. Nachdem sich die Erheiterung beim Publikum gelegt hatte, ergänzte von Falkenhausen, dass es natürlich darauf ankäme, ob alle Sozien persönlich haften, denn dann wären sie nicht unter den Begriff des „Publikums“ zu subsumieren. Daraufhin entgegnete Glade scherzhaft „noch Ja“, ergänzte aber, dass der Kern des Problems doch wohl im Publikumsbegriff liege. Beim gewöhnlichen Ein-

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Feigen – Bericht über die Diskussion des Referats von Falkenhausen

lagengeschäft stünden die Personen, also das vermeintliche Publikum, dem Einlagenempfänger nicht nahe. Dies sei jedoch bei einer Personengesellschaft aufgrund des besonderen Näheverhältnisses der Gesellschafter anders, weshalb es abwegig sei, von „Publikum“ zu sprechen. Glade bezweifelte die Notwendigkeit einer Gesetzesänderung und erachtete es vielmehr für ausreichend, auf die BaFin dahingehend einzuwirken, dass sie beim Publikumsbegriff einen angemessenen und realistischen Weg verfolgt. Von Falkenhausen entgegnete, dass Glade – was die richtige Auslegung des Publikumsbegriffs angehe – Recht habe, dass er jedoch in Bezug auf eine so wohlwollende Auslegung durch die BaFin nicht sehr optimistisch sei.

IV. Im weiteren Verlauf der Diskussion mahnte Tröger an, man müsse sich den Hintergrund des Bankaufsichtsrechts vor Augen führen. Dieses existiere im Wesentlichen, um Defizite in der „Debt Governance“ auszugleichen und in diesem Zusammenhang staatliche Aufsichtsfunktionen wahrzunehmen. Diese unzulängliche „Debt Governance“ sei im vorliegenden Beispiel jedoch nicht betroffen, zumal eine Insolvenz der Personengesellschaft in der Regel wahrscheinlich nur geringe bis gar keine Auswirkungen auf das Finanzsystem hätte. Die Ziele des Bankaufsichtsrechts rechtfertigten eine Subsumtion von Privat- und Darlehenskonten bei Personengesellschaften unter das Bankaufsichtsrecht nicht. Daher seien die Tatbestandsmerkmale des Einlagengeschäfts teleologisch zu reduzieren. Von Falkenhausen habe während seines Vortrags bereits einige Punkte gezeigt, an denen ein „Herausfallen“ aus dem Tatbestand des Einlagengeschäfts möglich wäre, diese jedoch wieder verworfen. Nach Ansicht von Tröger könne man jedoch einige dieser Punkte im Rahmen der teleologischen Reduktion fruchtbar machen. Von Falkenhausen erwiderte, dass Tröger wahrscheinlich mit seiner Einschätzung Recht habe, dies jedoch im Ergebnis nichts daran ändere, dass die – in diesen Fragen maßgebliche – BaFin dies in ihrer ständigen Praxis anders sehe. Zwar könne man die Subsumtion in einem Haftungsprozess testen und so gegebenenfalls Rechtssicherheit schaffen. Jedoch müsse man nach Ansicht von Falkenhausens als Anwalt hier vorsichtig sein. Dieser Ansatz wurde umgehend von F. Schäfer aufgegriffen, welcher betonte, es sei zwingend notwendig, dass eine gesetzliche Regelung geschaffen würde. Es sei ausgeschlossen, dass man sich hier nur auf eine

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Feigen – Bericht über die Diskussion des Referats von Falkenhausen

mögliche Änderung der bisherigen Verwaltungspraxis der BaFin verlasse. Diese sei im Übrigen auch für die Gerichte nicht bindend. Mit Blick auf die jüngste „Winzergeld-Entscheidung“1 könne man nie sicher wissen, ob eine aktuelle Auslegung der BaFin dauerhaft gelte. Obwohl die BaFin in der Regel mit Augenmaß agiere, müsse aus Gründen der Rechtssicherheit eine umgehungssichere gesetzliche Regelung geschaffen werden. Eine solche umgehungssichere Regelung würde nach Ansicht von F. Schäfer wohl auch von der BaFin unterstützt, da diese ihre bankenaufsichtsrechtliche Kontrolle über Personengesellschaften eher als notwendiges Übel zur Bekämpfung und Vermeidung von Umgehungstatbeständen betrachte. Drygala entgegnete, dass es seiner Ansicht nach ausreichend sei, wenn die BaFin mündlich bestätige, dass sie den fraglichen Vorgang nicht als missbräuchlich ansehe und nicht verfolgen werde. Denn die Aussage der BaFin sei in diesem Zusammenhang entscheidend. In einem Haftungsprozess müssten die Zivilrichter den Umstand berücksichtigen, dass die zuständige Behörde die Verhaltensweise zumindest faktisch gebilligt habe. Hommelhoff widersprach umgehend und konstatierte, man müsse viel grundsätzlicher an dieses Problem herantreten. Es handele sich nicht bloß um eine Frage von Praktikabilität. Wenn § 54 Abs. 1 Nr. 2 KWG hier wirklich einschlägig wäre, was nach dem Vortrag von Falkenhausens nun naheliegend sei, dann könne man die Schwiegermutter im Zorne erschlagen und käme immer noch billiger davon, als wenn man bei einem Familienunternehmen für die Kommanditisten das Geld einsammelte. Mit der Anwendbarkeit von § 54 KWG sei ein gewaltiges Unwerturteil verbunden, weshalb der Gesetzgeber mit Blick auf die Strafsanktion unbedingt Klarheit schaffen müsse. Von Falkenhausen entgegnete zu den Vorrednern, die BaFin würde seiner Ansicht nach wohl kaum einer Gesetzesänderung zustimmen, da sie Missbrauchsgefahren sieht. Drygala entgegnete er, die BaFin würde allein aus Opportunitätsgründen bislang nicht einschreiten, sei aber leider gerade nicht der Ansicht, dass das Verhalten als solches rechtmäßig sei. Der Beitrag von Hommelhoff fand uneingeschränkte Zustimmung durch von Falkenhausen, welcher bei dieser Gelegenheit nochmal be-

1 BGH, Urt. v. 19.3.2013 – VI ZR 56/12, NZG 2013, 582 ff. mit Anmerkung Wenzel, NZG 2013, 814 ff.

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tonte, er habe dies alles nicht selbst entwickelt, sondern lediglich an die Erkenntnisse von Wiesner2 angeknüpft.

V. Von Falkenhausen stellte auf einen Diskussionsbeitrag von Maier-Reimer klar, dass das Tatbestandsmerkmal „auf Grund typisierter Verträge“, aufgrund der zweiten Alternative von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG, welche 1998 eingefügt wurde, nicht mehr relevant ist. Der Einlagenbegriff sei vielmehr von der zweiten Alternative, namentlich „die Annahme anderer unbedingt rückzahlbarer Gelder des Publikums“, mit umfasst. Zum Abschluss schlug Bachmann vor, man solle einen Musterprozess führen, dann hätte man Rechtssicherheit. Dem begegnete von Falkenhausen skeptisch und sagte, er führe nur ungern Prozesse, wenn das zu erwartende Ergebnis so unklar ist.

2 Wiesner, Festschrift Hoffmann-Becking, 2013, 1397 ff.

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Die nichtige Aufsichtsratswahl Dr. Oliver Rieckers, LL.M. (Chicago) Rechtsanwalt, Düsseldorf I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Empirische Grundlagen . . . . . 2. Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen der Anfechtung 4. Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis . . . . . . . . . 5. „Teufelskreis“ der Wahlanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Anknüpfung an aktuelle Funktion als Aufsichtsratsmitglied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5. Feststellung des Jahresabschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . 140

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IV. Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141

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II. IKB-Entscheidung des BGH . . 132 III. Einzelne Fallgruppen . . . . . . . 1. Vollzug gegenüber Dritten . . . 2. Erklärungen gegenüber Organmitgliedern . . . . . . . . . . . . 3. Anknüpfungspunkt für Entscheidungen der Hauptversammlung . . . . . . . . . . . . . . . .

133 133 135

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V. Abhilfemöglichkeiten für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbeugende Maßnahmen . . . 2. Risikoanalyse und Dokumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Risikominimierung . . . . . . . . . 4. Behebung des potentiellen Mangels . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

143 144 144 145 146

VI. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

I. Einführung Die Konsequenzen nichtiger oder anfechtbarer Aufsichtsratswahlen sind für die Praxis von großem Interesse. Für die betroffenen Unternehmen ist die Nichtigkeit äußerst misslich, da sich sogleich die Folgefrage anschließt, ob auch die seit der Wahl gefassten Aufsichtsratsbeschlüsse und das sonstige Organhandeln mit einem Nichtigkeitsrisiko behaftet sind. Die am 19. Februar 2013 hierzu ergangene Entscheidung des BGH in Sachen IKB Deutsche Industriebank AG1 war daher allseits mit Spannung erwartet worden.

1 BGHZ 196, 195 – IKB.

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Rieckers – Die nichtige Aufsichtsratswahl

1. Empirische Grundlagen Die Praxisrelevanz des Themas verdeutlicht ein Blick auf die empirischen Grundlagen: Nach der ersten Baums-Studie wurden im Zeitraum vom 1. Januar 2003 bis zum 30. Juni 2007 in rund 13 % der untersuchten Beschlussmängelverfahren (auch) die Aufsichtsratswahlen angegriffen (13 von 97 Verfahren).2 Nach der zweiten Baums-Studie war dies im Zeitraum vom 1. Juli 2007 bis zum 31. Juli 2011 bereits in rund 22 % der untersuchten Beschlussmängelverfahren der Fall (40 von 186 Verfahren).3 Für den Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 31. Oktober 2013 lag der Anteil nach einer eigenen Auswertung des Bundesanzeigers bei immerhin rund 17 % (19 von 115 Verfahren). Betroffen sind anscheinend eher kleinere Gesellschaften: Aus dem DAX oder MDAX war zuletzt nur die Deutsche Bank AG von einer Anfechtung der Aufsichtsratswahlen betroffen,4 obwohl allein im „Superwahljahr 2013“ bei immerhin 18 DAX- und 28 MDAX-Gesellschaften Aufsichtsratswahlen auf der Tagesordnung standen.

2. Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe Die Palette möglicher Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründe ist breit. Zur Nichtigkeit können sowohl inhaltliche Mängel als auch Verfahrensfehler führen. Zu den nichtigkeitsbegründenden Inhaltsmängeln zählt insbesondere die fehlerhafte Zusammensetzung unter Verstoß gegen § 96 Abs. 2, § 97 Abs. 2 Satz 2 oder § 98 Abs. 4 AktG (§ 250 Abs. 1 Nr. 1 AktG), wie sie in der Praxis insbesondere bei fehlerhafter oder fehlender Durchführung eines Statusverfahrens immer wieder anzutreffen ist. Weitere zur Nichtigkeit führende Inhaltsmängel sind die Missachtung bindender Wahlvorschläge (§ 250 Abs. 1 Nr. 2 AktG), die Überschreitung der gesetzlichen Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder (§ 250 Abs. 1 Nr. 3 AktG), das Fehlen persönlicher Voraussetzungen gemäß § 100 2 Baums/Gajek/Keinath, ZIP 2007, 1629 (1639). 3 Baums/Drinhausen/Keinath, ZIP 2011, 2329 (2337). 4 Zunächst wurde die in der ordentlichen Hauptversammlung am 31.5.2012 durchgeführte Wahl von Dr. Paul Achleitner, Peter Löscher und Prof. Dr. Klaus Rüdiger Trützschler angefochten (vgl. BAnz v. 28.8.2012); nachdem die Anfechtungsklage erstinstanzlich Erfolg hatte (vgl. LG Frankfurt a.M., AG 2013, 178), wurde in der außerordentlichen Hauptversammlung am 11.4.2013 ein Bestätigungsbeschluss zur Wahl von Dr. Paul Achleitner gefasst, der ebenfalls angefochten wurde (vgl. BAnz v. 6.6.2013); die Anfechtungsklage wurde erstinstanzlich abgewiesen (LG Frankfurt a.M., ZIP 2013, 2405).

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Abs. 1 und 2 AktG (§ 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG) oder auch Verstöße gegen § 105 Abs. 1 AktG.5 Im Bereich der Verfahrensfehler kann neben bestimmten Formverstößen bei der Einberufung (§ 241 Nr. 1 AktG) auch eine fehlerhafte Beurkundung zur Nichtigkeit führen, wie sie jüngst vom LG München I bei fehlenden Angaben zur Ermittlung des Abstimmungsergebnisses (Additions- oder Subtraktionsverfahren) angenommen wurde.6 Bei den Anfechtungsgründen kommen ebenfalls Inhaltsmängel und Verfahrensfehler in Betracht. Zur Anfechtbarkeit führende Inhaltsmängel sind etwa der Verstoß gegen satzungsmäßige persönliche Voraussetzungen (§ 100 Abs. 4 AktG),7 eine unzulässige Amtsdauer (§ 102 Abs. 1 AktG)8 und – nach herrschender Ansicht – auch das Fehlen eines unabhängigen Finanzexperten (§ 100 Abs. 5 AktG).9 Spezifisch auf die Wahl von Aufsichtsratsmitgliedern bezogene Verfahrensfehler sind fehlerhafte

5 Dass die Wahl eines Vorstandsmitglieds in den Aufsichtsrat nichtig ist, ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Gesetz, entspricht aber der wohl einhelligen Ansicht, s. etwa Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 105 Rz. 19; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 105 Rz. 6; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 105 Rz. 8; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 105 Rz. 18. 6 LG München I, AG 2013, 138 (139 f.); zustimmend Reger in Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. 2014, § 130 Rz. 14; Wolf, EWiR 2013, 33 f.; ebenso bereits OLG Düsseldorf, ZIP 2003, 1147 (1149) – Goldzack AG; a.A. Wicke in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 130 Rz. 45 f.; differenzierend Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 130 Rz. 158 ff. 7 Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 100 Rz. 44; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 100 Rz. 117; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 100 Rz. 14; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 100 Rz. 49; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 100 Rz. 54. 8 Vgl. für Verstöße gegen entsprechende Satzungsregelungen Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 102 Rz. 19; Simons in Hölters, AktG, 2011, § 102 Rz. 15. 9 Bahreini, Der unabhängige Finanzexperte i.S.v. § 100 Abs. 5 AktG, 2012, S. 198 ff.; Habersack, AG 2008, 98 (106); Jaspers, AG 2009, 607 (612 f.); Meyer, Der unabhängige Finanzexperte im Aufsichtsrat, 2012, S. 395 ff.; Staake, ZIP 2010, 1013 (1020); E. Vetter in FS Maier-Reimer, 2010, S. 795, 811; E. Vetter in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 701, 710; differenzierend Gesell, ZGR 2011, 361 (393 f.); Wardenbach, GWR 2010, 207 (208 f.); Wind/Klie, DStR 2010, 1339 (1340 f.); tendenziell auch LG München I, AG 2010, 922 (923); a.A. Gruber, NZG 2008, 12 (14); Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 100 Rz. 15; Simons in Hölters, AktG, 2011, § 100 Rz. 56.

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Wahlvorschläge (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG),10 fehlerhafte Angaben bei der Einberufung (§§ 124 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 4, 125 Abs. 1 Satz 5 AktG),11 ein fehlerhafter Umgang mit Aktionärsvorschlägen (§§ 127, 137 AktG)12 oder ein fehlerhafter Aufsichtsratsbericht (§ 171 Abs. 2 AktG).13 Daneben können natürlich auch die allgemeinen Anfechtungsgründe vorliegen, wie etwa eine Verletzung des Auskunftsrechts gemäß § 131 AktG (vgl. § 243 Abs. 4 AktG). Insgesamt ist zu konstatieren, dass sich im Bereich der Anfechtbarkeit die Lage für die Unternehmen in den letzten Jahren zunehmend verschärft hat: Zum einen hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die Zusammensetzung des Aufsichtsrats erhöht, indem er etwa das Erfordernis eines unabhängigen Finanzexperten eingeführt hat. Zum anderen waren die Gerichte bei der Annahme von Anfechtungsgründen teilweise recht großzügig. Zu denken ist hier etwa an die MAN-Entscheidung des OLG München, in der die Anfechtbarkeit des Wahlbeschlusses mit der fehlenden Offenlegung von Kodex-Abweichungen bzw. der Abweichung von einer zuvor abgegebenen Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG begründet wurde.14

10 Kubis in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 124 Rz. 54; Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 124 Rz. 47; s. auch Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 124 Rz. 18; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 124 Rz. 83; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 124 Rz. 71. 11 Bei kleineren Ungenauigkeiten, Auslassungen oder Fehlern fehlt es allerdings regelmäßig an der Relevanz für die Beschlussfassung, vgl. BGH, DStR 2007, 1493; OLG Frankfurt a.M., ZIP 2007, 232 (233); Goette, DStR 2007, 1493; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 124 Rz. 18; Reger in Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. 2014, § 124 Rz. 30; Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 124 Rz. 48; a.A. LG München I, Der Konzern 2007, 448 (452 f.). 12 Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 137 Rz. 4; Kubis in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 127 Rz. 11; Noack/Zetzsche in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 127 Rz. 36 i.V.m. § 126 Rz. 113 ff.; Rieckers in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 127 Rz. 10, § 137 Rz. 9; Schröer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 137 Rz. 16; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 137 Rz. 8. 13 BGH, AG 2010, 632 (633 ff.); zustimmend Einsele, LMK 2010, 307914; Lutter, EWiR 2010, 661 (662). 14 OLG München, AG 2009, 294 (295) – MAN; ebenso LG Hannover, AG 2010, 459 (460 ff.) – Continental/Schaeffler.

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3. Rechtsfolgen der Anfechtung Betrachtet man die Rechtsfolgen der Anfechtung, so lässt zunächst die bloße Anfechtbarkeit die Wirksamkeit des Wahlbeschlusses noch unberührt. Hieran ändert auch die Erhebung einer Anfechtungsklage zunächst noch nichts. Die Gewählten verlieren ihr Amt erst mit Rechtskraft des stattgebenden Anfechtungsurteils, wobei aus Sicht der betroffenen Gesellschaft problematisch ist, dass die Nichtigerklärung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung zurückwirkt. Dies steht zwar nicht ausdrücklich im Gesetz, entspricht aber der heute ganz herrschenden Ansicht.15 Macht man mit der Rückwirkung Ernst, haben die von der Anfechtung Betroffenen an zwischenzeitlichen Beschlussfassungen des Aufsichtsrats als Nichtmitglieder teilgenommen. Dies wirft die Frage nach den Auswirkungen auf die Beschlussfähigkeit und das Beschlussergebnis auf. Entsprechende Fragen stellen sich auch im Hinblick auf sonstiges Handeln, das an die Eigenschaft als Aufsichtsratsmitglied anknüpft – etwa die satzungsgemäße Leitung der Hauptversammlung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden. Letztlich droht hier während des gesamten Zeitraums zwischen der Aufsichtsratswahl und der rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtungsklage ein Nichtigkeitsrisiko, das nicht durch ein Freigabeverfahren überwunden werden kann.

15 So speziell zur Aufsichtsratswahl BGHZ 196, 195 (202 f.) – IKB; OLG Köln, AG 2011, 465 – IVG; Ehmann in Grigoleit, AktG, 2013, § 252 Rz. 3; Göz in Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. 2014, § 252 Rz. 5; Heidel in Heidel, AktienR, 3. Aufl. 2011, § 252 Rz. 7; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 252 Rz. 8; Hüffer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 252 Rz. 10; K. Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1995, § 252 Rz. 12; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 252 Rz. 3; Simons in Hölters, AktG, 2011, § 101 Rz. 50; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 101 Rz. 112; Stilz in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 252 Rz. 6; E. Vetter, ZIP 2012, 701 (702); E. Vetter/van Laak, ZIP 2008, 1806 (1807); kritisch Kiefner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2014, § 252 Rz. 7; a.A. noch die früher h.M., s. etwa Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1973, § 101 Rz. 124; v. Godin/Wilhelmi, AktG, 4. Aufl. 1971, § 248 Anm. 3 (soweit Anfechtungsklage nicht offensichtlich begründet); Schilling in Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1973, § 252 Anm. 5; wohl auch Meyer-Landrut in Großkomm. AktG, 3. Aufl. 1973, § 101 Anm. 23.

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4. Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis Da dieses Ergebnis zu Recht als unbillig empfunden wird, ließ sich in der jüngeren Literatur16 und in Teilen der Rechtsprechung17 vielfach eine Tendenz zur Einschränkung der ex-tunc-Wirkung des Anfechtungsurteils beobachten. Ansatzpunkt hierfür war die aus dem Bereich des Vorstands bekannte, auf den Grundsätzen des fehlerhaften Verbands aufbauende Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis. Nach dieser wird – vereinfacht gesprochen – ein fehlerhaft bestelltes Organmitglied bis zu seiner tatsächlichen Amtsbeendigung wie ein wirksam bestelltes Mitglied behandelt.18 Insoweit wirkt die Anfechtung im Ergebnis also nur ex nunc. Begründen lässt sich dies mit einem allgemeinen verbandsrechtlichen Prinzip:19 Die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis ist nicht nur für den Vorstand anerkannt,20 sondern wurde vom BGH 16 S. etwa Bayer/Lieder, NZG 2012, 1 (6 f.); T. Bezzenberger in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 256 Rz. 189; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 101 Rz. 36 ff.; Goette in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 161 Rz. 93; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, AktG, 2013, § 101 Rz. 33; Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 101 Rz. 70 ff.; Habersack in FS Goette, 2011, S. 121, 132 f.; Happ in FS Hüffer, 2010, S. 293, 305 ff.; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 101 Rz. 18; Kiefner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2014, § 252 Rz. 25 ff.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 286 ff.; Schürnbrand, NZG 2008, 609 (610 f.); Spindler in Spindler/ Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 101 Rz. 112; Spindler, NZG 2011, 1007 (1012); Staake, ZIP 2010, 1013 (1020); Zöllner, AG 2004, 397 (403); wohl auch C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 482 f.; bei anfechtbarer Wahl auch Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 101 Rz. 217, 228; nach Fallgruppen differenzierend Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1124 ff. 17 OLG Frankfurt a.M., ZIP 2011, 24 (27) – Deutsche Bank; LG Frankfurt a.M., NZG 2009, 148 (151 f.) – Deutsche Bank; s. auch OLG Köln, AG 2011, 465 (467) – IVG. 18 S. statt aller Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 101 Rz. 71; zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Lehre vom faktischen Organ, vgl. Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 100 ff. 19 Ausführlich Bayer/Lieder, NZG 2012, 1 (6 f.); Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 286 ff.; Schürnbrand, NZG 2008, 609 (610 ff.); Schürnbrand, NZG 2013, 481 (482 ff.). 20 Vgl. BGHZ 196, 195 (204) – IKB; Bayer/Lieder, NZG 2012, 1 (2 ff.); Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. 2014, § 84 Rz. 12; Fleischer in Spindler/ Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 84 Rz. 20; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 84 Rz. 10; Kort in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2006, § 84 Rz. 83; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 84 Rz. 30 f.; C. Schäfer, Die Lehre

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auch schon auf die Pflichten, Haftung und Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder erstreckt.21 Auch im Hinblick auf die Rechtshandlungen eines durch die Hauptversammlung bestellten besonderen Vertreters will der BGH die Grundsätze vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis anwenden.22 Mit einer Erstreckung auf die Beschlussfassung im Aufsichtsrat würde man zudem eine Gleichbehandlung der Anteilseignervertreter mit den Arbeitnehmervertretern erreichen, da bei letzteren eine Wahlanfechtung nach ganz herrschender Ansicht ebenfalls nur ex nunc wirkt.23 Die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis hat den weiteren Vorteil, dass sie nicht nur für anfechtbare, sondern auch für nichtige Wahlbeschlüsse eine Lösung bietet, wobei ganz überwiegend aber Ausnahmen für bestimmte Nichtigkeitsgründe gemacht werden – etwa für die fehlende Geschäftsfähigkeit oder für Verstöße gegen die Inkompatibilitätsvorschriften.24 Trotz der beschriebenen Vorteile ist die Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis auf die Beschlussfassung im Aufsichtsrat aber stark umstritten geblieben.25

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vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 473 ff.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 267 ff.; einschränkend für das Innenverhältnis Seibt in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 84 Rz. 22; Spindler in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 84 Rz. 232. BGHZ 168, 188 (196 f.) Rz. 14 (zu §§ 113, 114 AktG). BGH, AG 2011, 875 (876) – HVB/UniCredit. Gach in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 22 MitbestG Rz. 16; Henssler in Ulmer/Habersack/Henssler, 3. Aufl. 2013, § 22 MitbestG Rz. 18, § 11 DrittelbG Rz. 7; Kleinsorge in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, MitbestR, 4. Aufl. 2011, § 11 DrittelbG Rz. 16; Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 22 MitbestG Rz. 12; Raiser/Veil, MitbestG und DrittelbG, 5. Aufl. 2009, § 22 MitbestG Rz. 19, § 11 DrittelbG Rz. 5; Wißmann in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, MitbestR, 4. Aufl. 2011, § 22 MitbestG Rz. 56; a.A. Säcker, ZfA 2008, 51 (73 ff.). OLG Frankfurt a.M., ZIP 2011, 24 (27) – Deutsche Bank; Grigoleit/Tomasic in Grigoleit, AktG, 2013, § 101 Rz. 33; Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 101 Rz. 72; Habersack. in FS Goette, 2011, S. 121, 134; Happ in FS Hüffer, 2010, S. 293, 307 f.; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 290 f.; Schürnbrand, NZG 2008, 609 (611); Schürnbrand, NZG 2013, 481 (483); für eine Ausnahme allein bei fehlender Geschäftsfähigkeit Bayer/Lieder, NZG 2012, 1 (7). Ablehnend etwa Breuer/Fraune in Heidel, AktienR, 3. Aufl. 2011, § 101 AktG Rz. 24; Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, 3. Aufl. 2014, § 101 Rz. 3; Hüffer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 250 Rz. 21; Lowe, Fehlerhaft gewählte Aufsichtsratsmitglieder, 1989, S. 67 ff.; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG,

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5. „Teufelskreis“ der Wahlanfechtung Fasst man die Ausgangslage zusammen, befindet sich die Gesellschaft bei einer Wahlanfechtung somit in einer Art „Teufelskreis“: Zum einen stellt der Gesetzgeber verschärfte Anforderungen an die Zusammensetzung des Aufsichtsrats auf, zum anderen bejahen die Gerichte zum Teil großzügig das Vorliegen von Anfechtungsgründen. Für die betroffene Gesellschaft wird dies gerade deshalb zu einem Problem, weil angesichts der Rückwirkung der Anfechtung eine längere Phase der Ungewissheit droht, die auch nicht durch ein Freigabeverfahren überwunden werden kann. Abhilfe könnte eine gerichtliche Bestellung bringen, die angesichts divergierender oberlandesgerichtlicher Entscheidungen derzeit aber ohne vorherigen Rücktritt der betroffenen Aufsichtsratsmitglieder nicht rechtssicher möglich ist (s. dazu unter Ziff. V.4.). Es bliebe ein Rückgriff auf die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis. In Anknüpfung an zwei ältere Entscheidungen, die jeweils nichtige Aufsichtsratswahlen betrafen,26 hat der BGH dieser Lösung in seiner IKB-Entscheidung aber nunmehr eine ausdrückliche Absage erteilt.

II. IKB-Entscheidung des BGH Prozessuale Einkleidung der IKB-Entscheidung war die Frage, ob dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage fehlt, wenn die von der Anfechtung betroffenen Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt bereits vor der gerichtlichen Entscheidung niedergelegt haben. Dies ist nach Ansicht des BGH nur dann der Fall, wenn die Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, Aktionäre und Organmitglieder keinen Einfluss mehr haben kann. In diesem Zusammenhang stellt der BGH dann klar, dass ein Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird, für die Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied zu behandeln ist.27 Sofern die Stimmen der als Nichtmitglieder zu behandelnden Aufsichtsräte für die Beschlussfassung oder die Ablehnung eines Beschlussantrags ursäch3. Aufl. 2013, § 101 Rz. 111; Stilz in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 252 Rz. 6; Simons in Hölters, AktG, 2011, § 101 Rz. 51; E. Vetter, ZIP 2011, 701 (707 f.); s. auch OLG Köln, AG 2008, 458 f.; Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1124 ff. 26 Vgl. BGHZ 11, 231 (246): Nichtigkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen eines nichtig gewählten Aufsichtsrats (zur GmbH); BGH, ZIP 1994, 1171 (1173): keine Vertretung nach § 112 AktG durch nichtig gewählten Aufsichtsrat. 27 BGHZ 196, 195 (202) Rz. 20 – IKB.

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lich geworden sind, sei ein entsprechender Beschluss nicht gefasst oder komme sogar eine Umkehrung des Beschlussergebnisses in Frage.28 Eine Erstreckung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis29 auf die Stimmabgabe und Beschlussfassung im Aufsichtsrat lehnt der BGH ausdrücklich ab. Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die gesetzgeberische Wertung in § 250 Abs. 1 und § 241 Nr. 5 AktG, wonach Wahlbeschlüsse von Anfang an nichtig sein können bzw. ex tunc nichtig sind, wenn sie auf eine Anfechtung hin für nichtig erklärt werden.30 Zudem sieht der BGH für die Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis auch grundsätzlich keinen Bedarf. Um die Gesellschaft nicht ganz im Regen stehen zu lassen, plädiert er dann aber für eine Einzelfalllösung, wonach im jeweiligen Einzelfall zu prüfen sein soll, ob eine Rückabwicklung den berechtigten Interessen der Beteiligten widersprechen würde.31 Hierzu befasst er sich in einem ausführlichen obiter dictum mit diversen Fallgruppen, auf die nachfolgend kurz einzugehen ist.

III. Einzelne Fallgruppen 1. Vollzug gegenüber Dritten Die erste Fallgruppe betrifft den Vollzug von Aufsichtsratsbeschlüssen gegenüber außenstehenden Dritten. Hierzu stellt der BGH fest, dass Dritte, die die Nichtigkeit eines Beschlusses nicht kennen oder kennen müssen, bereits dadurch geschützt seien, dass sie auf die Handlungsbefugnis des Vollziehenden vertrauen dürfen.32 Zu dieser Fallgruppe zählen insbesondere die Beauftragung von Sachverständigen (§§ 109 Abs. 1 Satz 2, 111 Abs. 2 Satz 2 AktG) und die Erteilung des Prüfungsauftrags an den Abschlussprüfer (§ 111 Abs. 2 Satz 3 AktG).33 Auch die

28 BGHZ 196, 195 (203) Rz. 21 – IKB. 29 Der BGH spricht allein vom „faktischen Organ“, ohne dies näher abzugrenzen, s. BGHZ 196, 195 (201 f.) Rz. 18 – IKB. 30 BGHZ 196, 195 (202 f.) Rz. 20 – IKB. 31 BGHZ 196, 195 (203) Rz. 21 – IKB; ähnlich bereits Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1124 ff.; E. Vetter, ZIP 2012, 701 (707 ff.). 32 BGHZ 196, 195 (203) Rz. 22 – IKB, unter Berufung auf E. Vetter, ZIP 2012, 701 (710); ähnlich bereits Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1125. 33 Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1832); Kiefner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2014, § 252 Rz. 19; Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310 (312).

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Erteilung von Prozessvollmachten für Anfechtungsverfahren dürfte hier einzuordnen sein. Den dogmatischen Ansatzpunkt für den Vertrauensschutz wird man in einer Bindung der Gesellschaft kraft eines zurechenbar gesetzten Rechtsscheins sehen müssen. Stellt man auf diese Begründung ab, lässt sich der Ansatz nicht nur für anfechtbare, sondern auch für nichtige Wahlbeschlüsse fruchtbar machen. Offen lässt der BGH, welche Anforderungen an die Gutgläubigkeit des Dritten zu stellen sind, also unter welchen Voraussetzungen Kenntnis oder Kennenmüssen der Nichtigkeit vorliegen. Allein die Kenntnis der Klageerhebung oder gar die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme infolge der Bekanntmachung im Bundesanzeiger kann hierfür noch nicht ausreichen.34 Zumindest wäre zu verlangen, dass der Dritte den Sachverhalt kennt, aus dem sich der mögliche Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgrund ergeben soll. Weitergehend sollte aber auch verlangt werden, dass aus ex-ante-Sicht ein Erfolg der Klage überwiegend wahrscheinlich war, wobei dem Dritten ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt werden sollte. Daneben wird man auch berücksichtigen müssen, ob dem Dritten die Mitwirkung der von der Anfechtung betroffenen Mitglieder an der Beschlussfassung bekannt war. Die Gutgläubigkeit sollte nur dann verneint werden, wenn der Dritte mit einem Einfluss auf das Beschlussergebnis oder mit einer Beschlussunfähigkeit rechnen musste (etwa wenn die Wahl sämtlicher Aufsichtsratsmitglieder angefochten wurde). Ist der Dritte nach diesen Kriterien gutgläubig, stellt sich noch die Anschlussfrage, ob ein mit ihm geschlossener Vertrag wirksam zustande kommt oder ob sich der Dritte ggf. – wie etwa im Rahmen des § 15 Abs. 3 HGB35 – auf die wahre Rechtslage berufen kann. Um auch die Interessen der Gesellschaft angemessen zu berücksichtigen, erscheint es vorzugswürdig, diesen Einwand abzuschneiden und den Vertrag als wirksam zu behandeln.36 34 Ebenso Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1832). 35 BGH, WM 1990, 638 (639). 36 Vgl. E. Vetter, ZIP 2012, 701 (710); a.A. Cziupka/Pitz, NJW 2013, 1539; unklar Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1832); eine Parallele lässt sich im Bereich der Anscheinsvollmacht finden, wo der Vertrauensschutz nach h.M. nicht zur Disposition des Geschäftsgegners steht, so dass dieser nicht wahlweise den Handelnden nach § 179 BGB in Anspruch nehmen kann, s. BGHZ 86, 273 (274 ff.); Leptien in Soergel, BGB, 13. Aufl. 1999, § 167 Rz. 24, § 179 Rz. 3; K.

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2. Erklärungen gegenüber Organmitgliedern Die zweite Fallgruppe betrifft Erklärungen gegenüber Organmitgliedern. Hierzu führt der BGH aus, dass Organmitglieder, die die Nichtigkeit kennen oder kennen müssen, nicht schutzwürdig seien, jedenfalls nicht über die Aufdeckung der Nichtigkeit der Wahl hinaus.37 Betroffen hiervon sind im Verhältnis zu den Vorstandsmitgliedern insbesondere die Bestellung und Abberufung (§ 84 AktG), der Abschluss des Anstellungsvertrags und von sonstigen Verträgen (§ 112 AktG), Kreditgewährungen (§ 89 AktG), die Geltendmachung von Informationsrechten (§ 90 Abs. 3 AktG) und der Erlass einer Geschäftsordnung (§ 77 Abs. 2 Satz 1 AktG). Ebenfalls hier einzuordnen sein dürfte die Zustimmung des Aufsichtsrats zu Geschäftsführungsmaßnahmen (§ 111 Abs. 4 Satz 2 AktG), einschließlich der Zustimmung zu Kapitalmaßnahmen (§§ 202 Abs. 3 S. 2, 204 Abs. 1 Satz 2 AktG), zu Abwehrmaßnahmen in Übernahmesituationen (§ 33 Abs. 1 Satz 2 Var. 3 WpÜG) und zur Ausübung von Beteiligungsrechten (§ 32 MitbestG).38 Gleiches sollte gelten für von der Hauptversammlung beschlossene Zustimmungsvorbehalte, wie sie in der Praxis etwa im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien häufig vorkommen.39 Im Verhältnis zu den Aufsichtsratsmitgliedern dürften insbesondere die Zustimmung zu Dienstverträgen (§ 114 AktG), Kreditgewährungen (§ 115 AktG) und die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden (§ 107 Abs. 1 Satz 1 AktG) erfasst sein. Daneben könnten auch

Schmidt in FS Gernhuber, 1993, S. 435, 443 ff.; Schramm in MünchKommBGB, 6. Aufl. 2012, § 167 Rz. 76, § 179 Rz. 29; Maier-Reimer in Erman, BGB, 13. Aufl. 2011, § 167 Rz. 28, § 179 Rz. 4; Valenthin in Bamberger/Roth, BGB, 3. Aufl. 2012, § 167 Rz. 7, § 179 Rz. 6; a.A. Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, S. 518 ff.; Schilken in Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 167 Rz. 44, § 177 Rz. 26; Wolf/Neuner, BGB AT, 10. Aufl. 2012, § 50 Rz. 112. 37 BGHZ 196, 195 (203) Rz. 23 – IKB. 38 Vgl. Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1835 f.). 39 Zur Zulässigkeit s. Bednarz, Der Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung zum Erwerb eigener Aktien, 2006, S. 200 ff.; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 23; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 71 Rz. 19 f.; Lutter/Drygala in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 71 Rz. 139; Möller, Rückerwerb eigener Aktien, 2005, Rz. 89 ff.; Oechsler in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 71 Rz. 207; Rieckers, ZIP 2009, 700 f.; Wieneke in Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. 2014, § 71 Rz. 34; a.A. v. Aerssen, WM 2000, 391 (394); Bergau, AG 2006, 769 (770 ff.); Cahn in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 71 Rz. 98; Kiem, ZIP 2000, 210 (211 f.).

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Beschlüsse über einen Antrag auf Abberufung von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 103 Abs. 3 Satz 2 AktG) erfasst sein.40 Der BGH will Organmitgliedern insgesamt nur einen eingeschränkten Vertrauensschutz gewähren und sieht dies als hinnehmbar an, da insbesondere die Vorstandsmitglieder über die Grundsätze des fehlerhaften Bestellungs- bzw. Anstellungsverhältnisses geschützt seien.41 Auch hier passt die Argumentation des BGH sowohl für anfechtbare als auch für nichtige Wahlbeschlüsse. Auffällig ist, dass der BGH auch Organmitgliedern einen Vertrauensschutz offenbar nicht komplett verwehren will.42 Einerseits stellt er auch hier auf die Kenntnis oder das Kennenmüssen der Nichtigkeit ab, andererseits nimmt er auf die Aufdeckung der Nichtigkeit Bezug, wobei das Verhältnis dieser beiden Voraussetzungen unklar bleibt. Die Nichtigkeit könnte schon dann aufgedeckt sein, wenn das Organmitglied Kenntnis von dem zugrundeliegenden Sachverhalt erhält, also spätestens mit Klageerhebung. Die Aufdeckung der Nichtigkeit wäre dann ein Weniger im Vergleich zur Gutgläubigkeit. Es ließe sich aber auch argumentieren, dass die Nichtigkeit erst dann aufgedeckt ist, wenn sie mit Rechtskraft des Anfechtungsurteils endgültig feststeht. Letztlich spricht einiges dafür, die Lösung in der Mitte zu suchen. Einerseits wäre kaum einsichtig, warum ein Organmitglied nicht schutzwürdig sein sollte, wenn es zwar den Sachverhalt kennt, aber nicht mit einem Erfolg der Klage rechnen muss. Andererseits spricht gegen eine Anknüpfung erst an die rechtskräftige Entscheidung, dass Organmitglieder dann einen stärkeren Vertrauensschutz genießen würden als außenstehende Dritte, was ebenfalls ungereimt erschiene. Im Ergebnis spricht daher einiges dafür, „Aufdeckung der Nichtigkeit“ und „Kennenmüssen“ gleichzusetzen und jeweils neben der Kenntnis der Klageerhebung und des Sachverhalts zu verlangen, dass aus ex-ante-Sicht ein Erfolg der Klage überwiegend wahrscheinlich war und auch Auswirkungen auf die Beschlussfähigkeit oder das Beschlussergebnis gehabt hätte.43

40 41 42 43

Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310 (312). BGHZ 196, 195 (204) Rz. 24 – IKB. Vgl. Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1834). Ebenso Buckel/Vogel, ZIP 2014, 58 (64); wohl auch Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1834); s. auch Kiefner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2014, § 252 Rz. 19: bloße Kenntnis der Wahlanfechtung stellt Gutgläubigkeit noch nicht in Frage.

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Geht man davon aus, dass auch für Organmitglieder ein Vertrauensschutz grundsätzlich in Betracht kommt, schließt sich die weitere Frage an, welche Rechtsfolgen vor Aufdeckung der Nichtigkeit gelten sollen. So ist etwa fraglich, ob die Bestellung und Anstellung von Vorstandsmitgliedern vor Aufdeckung der Nichtigkeit wirksam sein soll. Auch wenn dies aus Sicht der Vorstandsmitglieder sicher zu begrüßen wäre, dürfte angesichts der restriktiven Tendenz der BGH-Entscheidung aber wohl eher davon auszugehen sein, dass der BGH zugunsten der Vorstandsmitglieder auch in diesem Fall nur die Grundsätze des fehlerhaften Bestellungs- bzw. Anstellungsverhältnisses anwenden will.44 Anders wird man ggf. sonstige Verträge mit Vorstandsmitgliedern behandeln können, aber auch dies ist letztlich unklar. Offen ist schließlich auch die Frage, wie mit Zustimmungsvorbehalten umzugehen ist. Abgesehen vom Fall des § 32 MitbestG, wo ohne die erforderliche Zustimmung auch die Vertretungsmacht im Außenverhältnis beschränkt ist, haben Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Aufsichtsrats grundsätzlich nur eine interne Wirkung.45 Besteht ein Risiko, dass eine vom Aufsichtsrat erteilte Zustimmung nachträglich wieder entfällt, könnte der Vorstand aber einem Schadensersatzrisiko ausgesetzt sein, wenn er eine zustimmungsbedürftige Geschäftsführungsmaßnahme vornimmt.46 Die Literatur behilft sich hier teilweise mit dem Argument, dass der Vorstand nicht pflichtwidrig handele, solange die Nichtigkeit noch nicht aufgedeckt ist.47 Passender wäre wohl eher die Annahme eines fehlenden Verschuldens.48 Unabhängig von der Einordnung bei der Pflichtverletzung oder beim Verschulden würde aber nach allgemeinen Grundsätzen das Vorstandsmitglied die Darlegungs- und Beweislast für

44 Vgl. Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1834 f.); a.A. Buckel/Vogel, ZIP 2014, 58 (62), die von der Wirksamkeit des Ausstellungsvertrags ausgehen. 45 Ausnahmen gelten in Fällen der Kollusion und bei evidentem Missbrauch der Vertretungsmacht, s. etwa Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 111 Rz. 703 ff.; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 111 Rz. 112. 46 Vgl. Rieckers, AG 2013, 383 (386); s. auch Happ in FS Hüffer, 2010, S. 293, 300. 47 Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1834). 48 Vgl. Buckel/Vogel, ZIP 2014, 58 (62); wohl auch Happ in FS Hüffer, 2010, S. 293, 300.

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die Gutgläubigkeit tragen.49 Dies dürfte in der Praxis zu risikoaversem Verhalten führen, was nicht im Interesse der Gesellschaft wäre. Es wäre daher vorzugswürdig, für diese Fälle die ex-nunc-Wirkung der Anfechtung generell einzuschränken oder jedenfalls eine vor Aufdeckung der Nichtigkeit erteilte Zustimmung als wirksam zu behandeln und der Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast für die mangelnde Gutgläubigkeit aufzuerlegen.50

3. Anknüpfungspunkt für Entscheidungen der Hauptversammlung Die dritte Fallgruppe betrifft Aufsichtsratsbeschlüsse, die Anknüpfungspunkt für Entscheidungen der Hauptversammlung sind. Dies betrifft insbesondere die Beschlussvorschläge des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung. Hierzu führt der BGH aus, dass der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluss bei der ursächlichen Mitwirkung eines Mitglieds, dessen Wahl zum Aufsichtsrat angefochten, aber noch nicht für nichtig erklärt ist, trotz einer späteren Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses für die Entscheidung der Hauptversammlung nicht relevant sei. Relevant sei nur der Beschlussvorschlag eines nicht ordnungsgemäß besetzten Organs. Ein Aufsichtsrat mit einem anfechtbar gewählten Mitglied sei im Zeitpunkt der Beschlussfassung aber ordnungsgemäß besetzt, weil der Wahlbeschluss bis zur Nichtigerklärung wirksam sei und erst rückwirkend unwirksam werde. Eine Rückabwicklung nach der Nichtigerklärung sei nicht nur unmöglich, sondern stehe auch im Gegensatz zu dem Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre, eine Hauptversammlung einberufen und dort wirksam Beschlüsse fassen zu können.51 Ob neben den Beschlussvorschlägen an die Hauptversammlung weitere Fälle von dieser Fallgruppe erfasst sind, ist unklar. Zu denken ist neben

49 BGH, AG 2011, 378 (379); BGH, AG 2009, 404 (405); Hopt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 93 Rz. 285 f.; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 93 Rz. 16; Krieger/Sailer-Coceani in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 93 Rz. 31; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 Rz. 140; Spindler in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 93 Rz. 162 ff. 50 Anders wohl Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1834). 51 BGHZ 196, 195 (204 f.) Rz. 25 – IKB; i.E. ebenso E. Vetter, ZIP 2012, 701 (709 f.), der hierzu aber nicht das Relevanzkriterium bemüht, sondern für diesen Teilbereich die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis ausdrücklich anerkennt.

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der Einberufung der Hauptversammlung gemäß § 111 Abs. 3 AktG52 etwa an den Bericht des Aufsichtsrats (§ 171 Abs. 2 AktG), der zu den Grundlagen der Entlastungsentscheidung zählt. Die Begründung für diese Fallgruppe ist etwas überraschend, da der BGH hier zumindest im Ergebnis dann doch für einen Teilbereich die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis übernimmt, auch wenn er dies formal an der Relevanz für die Beschlussfassung festmacht.53 Da der BGH im Rahmen seiner Relevanzbetrachtung auf die ordnungsgemäße Besetzung des Aufsichtsrats bis zur Nichtigerklärung abstellt, soll dies aber wohl nur für anfechtbare Wahlbeschlüsse gelten.54 Für den Fall einer nichtigen Aufsichtsratswahl muss der BGH wohl so verstanden werden, dass er es bei den allgemeinen Nichtigkeitsfolgen belassen will. Eine Differenzierung danach, ob die Beschlussvorschläge für die erste Hauptversammlung nach Anhängigkeit der Anfechtungsklage oder für eine Folgehauptversammlung gemacht werden,55 lässt sich über das Relevanzkriterium nicht begründen und scheidet daher aus.

4. Anknüpfung an aktuelle Funktion als Aufsichtsratsmitglied Die nächste Fallgruppe betrifft die Anknüpfung an die jeweils aktuelle Funktion als Aufsichtsratsmitglied, wozu der BGH insbesondere die satzungsmäßige Bestimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Versammlungsleiter zählt. Der BGH will diese Fallgruppe mit der vorherigen Fallgruppe gleich behandeln.56 Im Ergebnis übernimmt er damit auch hier die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis, was aber wiederum wohl nur für anfechtbare Wahlbeschlüsse gelten soll.57 Ne52 Kiefner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2014, § 252 Rz. 18; Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310 (312). 53 Allgemein zum Merkmal der Relevanz im Rahmen von § 243 Abs. 1 AktG Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 243 Rz. 13; Hüffer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 243 Rz. 30 f.; K. Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1995, § 243 Rz. 24 f.; Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 243 Rz. 83 ff.; Zöllner in KölnKomm. AktG, 1985, § 243 Rz. 94 ff. 54 So auch die Einschätzung von Kocher, BB 2013, 1170; Tielmann, AG 2013, 704 (707); Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1551); wohl auch Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1832 f.). 55 So die Befürchtung von Tielmann, AG 2013, 704 (707); Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1551); wie hier dagegen Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1832 f.). 56 BGHZ 196, 195 (205) Rz. 25 – IKB; i.E. ebenso E. Vetter, ZIP 2012, 701 (709). 57 So auch die Einschätzung von Kocher, BB 2013, 1170; Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1551); wohl auch Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1833).

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ben der Leitung der Hauptversammlung und – bei nicht börsennotierten Gesellschaften – der Unterzeichnung der Niederschrift gemäß § 130 Abs. 1 Satz 3 AktG dürften von dieser Fallgruppe auch die Mitwirkung bei Handelsregisteranmeldungen (§§ 36 Abs. 1, 184 Abs. 1 Satz 1, 188 Abs. 1, 237 Abs. 4 Satz 5 AktG), die Zustellung von Anfechtungsklagen und die Entgegennahme von Erklärungen (z.B. Amtsniederlegung durch Vorstandsmitglieder) erfasst sein.58 Gleiches dürfte für die Antragsbefugnis im Statusverfahren (§ 98 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG) und für Anträge auf gerichtliche Bestellung (§ 104 Abs. 1 Satz 1 AktG) gelten. Im Hinblick auf die Leitung der Hauptversammlung schließt sich für die Praxis noch die Frage an, wie mit Fällen umzugehen ist, in denen die Satzung hierfür nicht unmittelbar an die Funktion als Aufsichtsratsmitglied anknüpft, sondern den Aufsichtsrat zur Bestimmung des Versammlungsleiters ermächtigt. Da auch insoweit das vom BGH angeführte Interesse an einer wirksamen Beschlussfassung in der Hauptversammlung betroffen ist, wäre es ungereimt, diesen Fall anders zu behandeln als die satzungsmäßige Bestimmung des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Versammlungsleiter. Auch hier sollte daher von einer wirksamen Übernahme der Versammlungsleitung ausgegangen werden, selbst wenn an der entsprechenden Beschlussfassung Aufsichtsratsmitglieder mitgewirkt haben, die von einer Anfechtung betroffen sind.59

5. Feststellung des Jahresabschlusses Die letzte Fallgruppe betrifft die Feststellung des Jahresabschlusses. Hierzu verweist der BGH darauf, dass § 256 Abs. 6 Satz 1 AktG für die Nichtigkeit des Jahresabschlusses eigene Regeln zum Schutz der Gesellschaft enthalte, die nicht einfach übergangen werden dürften.60 Allerdings deutet er vorsichtig an, dass auch hier die Mitwirkung eines anfechtbar gewählten Aufsichtsratsmitglieds selbst bei späterer Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses nicht als fehlerhafte Mitwirkung anzusehen sein könnte.61 Aus Sicht der betroffenen Unternehmen besteht also Hoffnung, dass der BGH auch diese Fallgruppe mit den beiden zuvor genannten Fallgrup-

58 Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1833). 59 Ebenso Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1833). 60 BGHZ 196, 195 (205) Rz. 26 – IKB, unter Berufung auf E. Vetter, ZIP 2012, 701 (710). 61 BGHZ 196, 195 (205) Rz. 26 – IKB.

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pen gleichbehandeln will,62 was aber auch hier wohl nur für anfechtbare Wahlbeschlüsse gelten dürfte. Dass der BGH die Behandlung dieser Fallgruppe offen gelassen hat, ist aus Sicht der Praxis zu bedauern.63 Die Nichtigkeit des Jahresabschlusses kann erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen und insbesondere die Nichtigkeit auch des Gewinnverwendungsbeschlusses zur Folge haben (§ 253 Abs. 1 Satz 1 AktG).64 Die gesetzliche Heilungsmöglichkeit des § 256 Abs. 6 Satz 1 AktG hilft nur bedingt, da die sechsmonatige Heilungsfrist im Zeitpunkt der ordentlichen Hauptversammlung zumeist noch nicht abgelaufen sein dürfte. Angesichts dieser Konsequenzen stellt sich aus Sicht des Vorstands die Frage, ob er sich gemäß § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG schadensersatzpflichtig machen kann, wenn er die Ausschüttung einer Dividende vorschlägt, obwohl ihm die Erhebung einer Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage bekannt ist. Ein solches Ergebnis erschiene unangemessen, so dass auch hier die bloße Kenntnis der Klageerhebung noch nicht ausreichen sollte. Zusätzlich wäre wiederum zu verlangen, dass der Vorstand den zugrundeliegenden Sachverhalt kannte und hieraus aus ex-ante-Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf einen Erfolg der Klage und einer Auswirkung auf die Beschlussfähigkeit oder das Beschlussergebnis schließen musste. Nach denselben Kriterien wird man auch die Frage beurteilen müssen, ob mangels Gutgläubigkeit Rückforderungsansprüche gegen Aktionäre gemäß § 62 Abs. 1 AktG bestehen können.65

IV. Zusammenfassende Bewertung Fasst man die bisherige Betrachtung zusammen, ist zunächst zu bedauern, dass der BGH in die Kasuistik ausweicht und die Tür zu einer einheitlichen Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhält-

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Anders wohl die Einschätzung von Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1833). Zu Recht kritisch Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310 (314). Vgl. Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 256 Rz. 33. Anders wohl Kocher, BB 2013, 1170, der die Gutgläubigkeit offenbar bereits bei Kenntnis der Klageerhebung verneinen will; vgl. allgemein auch Henze in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2000, § 62 Rz. 79: mangelnde Gutgläubigkeit bei Kenntnis einer Anfechtungsklage gegen den Gewinnverwendungsbeschluss.

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nis verschließt.66 Die Stellungnahme zu einzelnen Fallgruppen ist zwar durchaus zu begrüßen, im Ergebnis aber unbefriedigend, da zahlreiche Zweifelsfälle verbleiben. Diese Rechtsunsicherheit hätte durch eine Erstreckung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis auf die Beschlussfassung im Aufsichtsrat vermieden werden können, womit dann auch für bestimmte Nichtigkeitsgründe eine angemessene Lösung zur Verfügung gestanden hätte. Die Konsequenz der IKB-Entscheidung, dass etwa ein nichtig gewählter Aufsichtsrat keine wirksamen Beschlussvorschläge unterbreiten oder ein nichtig gewähltes Aufsichtsratsmitglied nicht wirksam die Leitung der Hauptversammlung übernehmen kann, erscheint insbesondere dann unangemessen, wenn die Nichtigkeit nur auf einem Verfahrensfehler beruht.67 Die gegen die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis angeführten Argumente des BGH sind nicht überzeugend. Dies gilt insbesondere für den in den Vordergrund gerückten formalen Hinweis auf § 256 Abs. 6 AktG und auf die Rückwirkung der Anfechtung.68 Dass letztere kein unumstößliches Prinzip ist, zeigt sich bereits daran, dass der BGH für einzelne Fallgruppen selbst die Rückwirkung einschränkt und auch für andere Bereiche die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis durchaus anerkennt.69 Zum einen erscheint es nicht angebracht, die Aufsichtsratsmitglieder anders als die Vorstandsmitglieder zu behandeln.70 Zum anderen ist es wenig einleuchtend, warum die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis zwar für die Pflichten, Haftung und Vergütung der Aufsichtsratsmitglieder gelten soll, nicht aber für die Beschlussfassung im Aufsichtsrat.71 Auch die Unterschiede zu einem von der Hauptver-

66 Ebenso Cziupka/Pitz, NJW 2013, 1539; Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310 (313 ff.); Priester, GWR 2013, 175 (176 f.); Schürnbrand, NZG 2013, 481 (482 f.); wohl auch Döser, LMK 2013, 346570; dem Ansatz des BGH zustimmend aber Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1549). 67 Vgl. Schürnbrand, NZG 2013, 481 (483). 68 Ebenso Cziupka/Pitz, NJW 2013, 1539; Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310 (314); Schürnbrand, NZG 2013, 481 (482). 69 Vgl. Rieckers, AG 2013, 383 (385). 70 Kiefner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2014, § 252 Rz. 27; Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310 (314); Schürnbrand, NZG 2013, 481 (483); s. auch bereits Bayer/Lieder, NZG 2012, 1 (6 f.); Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 101 Rz. 70; Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 288 f.; Schürnbrand, NZG 2008, 608 (610 f.). 71 S. bereits Rieckers, AG 2013, 383 (385); ebenso Priester, GWR 2013, 175 (177).

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sammlung bestellten besonderen Vertreter erscheinen nicht so groß, dass sie eine abweichende Behandlung rechtfertigen würden.72 Dort bleibt von der Rückwirkung der Anfechtung ebenfalls nichts übrig, wenn man mit dem BGH die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis auch auf die Rechtshandlungen des besonderen Vertreters anwendet (s. unter Ziff. I.4.). Der eigentliche Grund für die Entscheidung scheint auch eher in den vom BGH behandelten Fallgruppen zu liegen. Bauchschmerzen hat dem BGH hier offensichtlich die Vorstellung bereitet, dass ein fehlerhaft bestellter Aufsichtsrat eine wirksame Vorstandsbestellung und -abberufung vornehmen könnte.73 Auch dies ist aber kein zwingender Grund gegen die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis,74 zumal die Gesellschaft Schwierigkeiten haben dürfte, qualifizierte Kandidaten für eine Vorstandstätigkeit zu gewinnen, wenn diese jederzeit mit einer vorzeitigen Beendigung ihrer Bestellung rechnen müssen.75 Auch im Hinblick auf die Abberufung erscheinen die Bedenken des BGH übertrieben, da hierfür stets ein wichtiger Grund erforderlich ist. Der BGH scheint hier vor allem Missbrauchskonstellationen vor Augen zu haben, die in der Praxis eher selten vorkommen dürften. Macht man mit der Auffassung des BGH Ernst, müsste selbst bei tatsächlichem Vorliegen eines wichtigen Grunds die Abberufung durch einen anfechtbar gewählten Aufsichtsrat ausscheiden, sofern die Wahl später für nichtig erklärt wird. Ein solches Ergebnis wäre kaum nachvollziehbar, so dass der BGH für diesen Fall wohl eine weitere Ausnahme von der strikten Beachtung des Rückwirkungsprinzips zulassen müsste.

V. Abhilfemöglichkeiten für die Praxis Auch wenn die Einzelfalllösung des BGH weder in der Begründung noch im Ergebnis überzeugt, muss sich die Praxis jedenfalls für die nähere Zukunft hierauf einstellen. Insofern lohnt eine kurze Betrachtung der zur Verfügung stehenden Abhilfemöglichkeiten. 72 Vgl. Bayer/Lieder, NZG 2012, 1 (7); Kiefner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2014, § 252 Rz. 25; Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310 (314); Schatz/Schödel, EWiR 2013, 333 (334); Schürnbrand, NZG 2013, 481 (482); unklar Priester, GWR 2013, 175 (177); a.A. E. Vetter, ZIP 2012, 701 (707 f.). 73 BGHZ 196, 195 (203 f.) Rz. 23 f. – IKB. 74 Rieckers, AG 2013, 383 (385). 75 Vgl. Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1835); s. auch Than, WuB II A. § 250 AktG 1.13.

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1. Vorbeugende Maßnahmen Stets erforderlich ist eine sorgfältige Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung, um Anfechtungs- oder Nichtigkeitsrisiken möglichst von vornherein zu vermeiden. Dies geht von der sorgfältigen Erstellung der Einberufung bis hin zur ordnungsgemäßen Beantwortung von Aktionärsfragen in der Hauptversammlung. Um zumindest das Risiko zu verringern, dass die Wahl sämtlicher Kandidaten angegriffen wird, bietet sich die Durchführung von Einzelwahlen an,76 was angesichts der Empfehlung in Ziff. 5.4.3 DCGK zumindest bei börsennotierten Gesellschaften aber ohnehin schon Standard ist. Zu denken ist auch an eine Staffelung der Amtszeiten („Staggered Board“),77 so dass jeweils nur ein Teil der Anteilseignervertreter zur Wahl steht.

2. Risikoanalyse und Dokumentation Wird trotz vorbeugender Maßnahmen eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage erhoben, empfiehlt sich zunächst eine Risikoanalyse. Im ersten Schritt ist zu prüfen, ob bei Erfolg der Klage eine Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats droht. Dies wäre der Fall, wenn der Aufsichtsrat nur unter Berücksichtigung der von der Anfechtung betroffenen Mitglieder beschlussfähig wäre. Die Wahrscheinlichkeit für eine Beschlussunfähigkeit steigt somit, je kleiner der Aufsichtsrat ist und je mehr Mitglieder von der Anfechtung betroffen sind. So reicht etwa bei einem aus drei Mitgliedern bestehenden Aufsichtsrat schon der Wegfall nur eines Mitglieds, um die Beschlussunfähigkeit herbeizuführen (vgl. § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG). Dasselbe gilt für Ausschüsse mit nur drei Mitgliedern. Anders als beim Aufsichtsrat selbst kann sich hier die Auswechslung oder Bestellung zusätzlicher Mitglieder anbieten, um eine Beschlussunfähigkeit des Ausschusses zu vermeiden.78 Droht nicht die Beschlussunfähigkeit, ist weiter zu prüfen, ob sich Auswirkungen auf die Beschlussfassung ergeben können. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die Stimmen der von der Anfechtung betroffenen Mitglie-

76 Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1831); Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1550). 77 Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1831); Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1550). 78 Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1831); Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1123; Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1549).

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der für die Annahme oder Ablehnung eines Beschlussantrags ursächlich wären. Die bloße Mitwirkung von Nichtmitgliedern führt dagegen für sich allein noch nicht zu einer Beschlussnichtigkeit.79 Da der BGH die Darlegungs- und Beweislast für den fehlenden Kausalzusammenhang zwischen Mitwirkung und Beschlussergebnis jedenfalls in der von ihm betrachteten Konstellation bei der Gesellschaft sieht,80 sollte die Beschlussfassung umfassend dokumentiert werden. Jedenfalls bei nicht einstimmig gefassten Beschlüssen sollte neben den konkreten Beschlussmehrheiten auch das individuelle Stimmverhalten der betroffenen Mitglieder erfasst werden.81 Dies sollte auch möglich sein, da jedenfalls in diesen Fällen ein Anspruch auf geheime Abstimmung abzulehnen ist.82

3. Risikominimierung Im Hinblick auf die Beschlussvorschläge an die Hauptversammlung hat der BGH zumindest für anfechtbare Aufsichtsratswahlen für Rechtssicherheit gesorgt (s. unter Ziff. III.3.). Droht nicht nur eine Anfechtbarkeit, sondern sogar eine Nichtigkeit oder lässt sich diese nicht sicher ausschließen, ist daran zu denken, Beschlussvorschläge für eine Folgehauptversammlung über ein Ergänzungsverlagen gemäß § 122 Abs. 2 AktG von einem Aktionär unterbreiten zu lassen.83 In einem solchen Fall ist der Aufsichtsrat nicht verpflichtet, eigene Beschlussvorschläge zu machen (§ 124 Abs. 3 Satz 3 Alt. 2 AktG). Diese Lösung kommt aber regelmäßig nur in Betracht, wenn ein Großaktionär vorhanden ist, der

79 BGHZ 47, 341 (346); implizit auch BGHZ 196, 195 (201) Rz. 17 – IKB; anders noch BGHZ 12, 327 (330 ff.). 80 BGHZ 196, 195 (206 f.) Rz. 28 ff. – IKB. 81 Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1831); Priester, GWR 2013, 175 (177); Than, WuB II A. § 250 AktG 1.13; s. auch Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1549). 82 Ebenso Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1831 f.); generell gegen einen Anspruch des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds auf geheime Abstimmung Bürgers/Israel in Bürgers/Körber, AktG, 3. Aufl. 2014, § 108 Rz. 9; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 108 Rz. 43; a.A. Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 108 Rz. 5a; Peus, DStR 1996, 1656 f.; für Recht einer qualifizierten Minderheit (zwei Mitglieder), geheime Abstimmung zu verlangen Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 108 Rz. 19; Ulmer, AG 1982, 300, 305 f.; insgesamt gegen die Zulässigkeit geheimer Abstimmung Mertens/ Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 108 Rz. 52. 83 Tielmann, AG 2013, 704 (706 f.); Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1550 f.).

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über das hierfür erforderliche Quorum verfügt (5 % des Grundkapitals oder anteiliger Betrag von 500 000 Euro, § 122 Abs. 2 Satz 1 AktG). Droht eine Nichtigkeit des Jahresabschlusses wegen fehlerhafter Mitwirkung von Aufsichtsratsmitgliedern, kann es sich anbieten, die Feststellung des Jahresabschlusses ausnahmsweise gemäß § 173 AktG der Hauptversammlung zu überlassen.84 Dies ermöglicht allerdings Angriffe von Aktionären gegen den Feststellungsbeschluss, so dass eine solche Lösung aus Sicht der Gesellschaft nicht ideal ist.

4. Behebung des potentiellen Mangels Abschließend ist noch auf die Frage einzugehen, wie sich eine möglicherweise fehlerhafte Bestellung ggf. „reparieren“ lässt. Zu denken ist zunächst an die Fassung eines Bestätigungsbeschlusses gemäß § 251 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 244 AktG.85 Auf diese Weise lassen sich aber nur formelle, nicht aber inhaltliche Mängel heilen.86 Eine Bestätigung nichtiger Beschlüsse scheidet ebenfalls aus.87 Die Fassung eines Bestätigungsbeschlusses hat auch den Nachteil, dass eine neue Hauptversammlung erforderlich ist und der Bestätigungsbeschluss ebenfalls angefochten wer-

84 Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1550). 85 Arnold/Gayk, DB 2013, 1830 (1836); Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1119 f.; Priester, GWR 2013, 175 (177); Schürnbrand, NZG 2013, 481 (483); Than, WuB II A. § 250 AktG 1.13; Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1551); E. Vetter, ZIP 2012, 701 (705); E. Vetter/van Laak, ZIP 2008, 1806 (1808). 86 BGH, AG 2006, 931 (933) – Massa; BGH, AG 2006, 158 f. – Webac Holding; OLG Dresden, AG 2001, 489 (490 f.); Bozenhardt in FS Mailänder, 2006, S. 301, 305 f.; Englisch in Hölters, AktG, 2011, § 244 Rz. 6; Göz in Bürgers/ Körber, AktG, 3. Aufl. 2014, § 244 Rz. 2; Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391, 394 f.; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 244 Rz. 2a; Hüffer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 244 Rz. 5; Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1120; Schwab in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 244 Rz. 3; E. Vetter, ZIP 2012, 701 (705); Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 244 Rz. 16 f.; vgl. auch BGHZ 160, 253 (256); BGHZ 157, 206 (210) – Sachsenmilch V; a.A. Grobecker/Kuhlmann, NZG 2007, 1 (2 ff.). 87 BGHZ 160, 253 (256); Habersack/Schürnbrand in FS Hadding, 2004, S. 391, 393 f.; Hüffer in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 244 Rz. 6; K. Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1995, § 244 Rz. 5, 28; Schwab in K. Schmidt/ Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 244 Rz. 2; E. Vetter, ZIP 2012, 701 (705); Würthwein in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl. 2010, § 244 Rz. 3.

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den kann, so dass die Rechtsunsicherheit letztlich fortgeschrieben wird.88 Schneller und sicherer ist eine gerichtliche Bestellung gemäß § 104 AktG, wofür aber grundsätzlich zunächst eine Amtsniederlegung durch die betroffenen Aufsichtsratsmitglieder erforderlich ist.89 Die gerichtliche Bestellung hat zwar den Vorteil, dass sie zu einer sicheren Behebung des Mangels führt. Sie bietet aber keine Garantie, dass bestimmte Personen bestellt werden, da die Gerichte nicht an die Vorschläge der Gesellschaft gebunden sind.90 Will man einen vorsorglichen Rücktritt vermeiden, stellt sich die Frage, ob auch eine parallele gerichtliche Bestellung in Betracht kommt. Zu denken ist dabei an zwei Varianten: (1) eine bis zur Entscheidung über die Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage befristete Bestellung91 oder (2) eine Bestellung, die auf die rechtskräftige Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses aufschiebend bedingt ist.92 Voraussetzung für eine parallele gerichtliche Bestellung wäre in beiden Varianten, dass die persönlichen Voraussetzungen für Aufsichtsratsmitglieder gemäß § 100 Abs. 1, 2 und 4 AktG vorliegen und ggf. auch das Kriterium des § 100 Abs. 5 AktG erfüllt ist.93 Auch wenn Einiges für die Zulassung einer parallelen gerichtlichen Bestellung spricht, kann man ein solches Vorgehen gegen-

88 Vgl. Buckel/Vogel, ZIP 2014, 58 (60); Kiefner/Seibel, Der Konzern 2013, 310; Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1120; E. Vetter, ZIP 2012, 701 (705). 89 Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1550). 90 BayObLG, NJW-RR 1998, 330; OLG Hamm, NZG 2013, 1099; OLG Köln, AG 2011, 465 (466) – IVG; OLG Schleswig, ZIP 2004, 1143 – MobilCom AG; BayObLG, NZG 1998, 69 (70); Habersack in MünchKomm. AktG, 3. Aufl. 2008, § 104 Rz. 31; Hüffer, AktG, 10. Aufl. 2012, § 104 Rz. 5; Kocher, NZG 2007, 372 (374); Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 104 Rz. 19; Paudtke/Glauer, GWR 2013, 719. 91 Dafür Kocher, NZG 2007, 372 (373 f.); beschränkt auf die Zeit bis zur nächsten Hauptversammlung auch Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1121 f.; Schroeder/Pussar, BB 2011, 1930 (1933 f.). 92 Dafür Fett/Theusinger, AG 2010, 425 (429 ff.); Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2013, § 104 Rz. 13; Schürnbrand, NZG 2013, 481 (484); Seidel, Die gerichtliche Ergänzung des Aufsichtsrats, 2010, S. 50 ff.; Than, WuB II A. § 250 AktG 1.13; E. Vetter/van Laak, ZIP 2008, 1806 (1810 ff.); E. Vetter, ZIP 2012, 701 (706 f.). 93 Vgl. für die aufschiebend bedingte gerichtliche Bestellung E. Vetter, ZIP 2012, 701 (707).

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wärtig nur als unsicher bezeichnen. Das OLG München hat zwar in einer Entscheidung aus dem Jahr 2006 eine (unbedingte) parallele gerichtliche Bestellung analog § 104 Abs. 2 und 3 AktG anerkannt,94 das OLG Köln95 und die wohl herrschende Literaturansicht96 lehnen eine solche Lösung aber ab. Das OLG Köln hat dies zwar auch damit begründet, dass mit der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis eine Abhilfemöglichkeit zur Verfügung stehe.97 Es ist aber äußerst unsicher, ob das Gericht seine Position im Hinblick auf die IKB-Entscheidung des BGH überdenken würde. Als letzte Abhilfemöglichkeit wäre noch daran zu denken, die Aufsichtsratsbeschlüsse im Anschluss an eine Neubesetzung genehmigen zu lassen. Hier lässt sich gut argumentieren, dass eine solche Genehmigung Rückwirkung entfaltet.98 Gesichert ist dies allerdings nicht.

VI. Fazit Zieht man ein Fazit, ist zunächst erneut festzuhalten, dass eine Erstreckung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis auf die Beschlussfassung im Aufsichtsrat vorzugswürdig gewesen wäre. Nichtsdestotrotz muss sich die Praxis auf die Einzelfalllösung des BGH einstellen und die zur Verfügung stehenden Abhilfemöglichkeiten nutzen. Als „zweitbeste Lösung“ bietet sich die parallele gerichtliche Bestellung an, die nach vorzugswürdiger Ansicht bereits de lege lata mög94 OLG München, OLGR 2007, 945 (946 f.) – HypoVereinsbank: gerichtliche Bestellung geht entsprechendem Wahlmandat vor; ebenso die Vorinstanz LG München I, DB 2005, 1617 (1618); in dem konkreten Fall bestand die Besonderheit, dass die Kammer bereits einen richterlichen Hinweis erteilt hatte, dass sie der Anfechtungsklage gegen die Aufsichtsratswahl stattzugeben gedenke, und noch vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die nächste Hauptversammlung durchgeführt werden sollte; s. zu der betreffenden gerichtlichen Bestellung bei der HypoVereinsbank auch BayObLG, AG 2005, 352; VerfGH München, AG 2006, 209 (210); LG München I, AG 2006, 762 (765 f.). 95 OLG Köln, AG 2011, 465 ff. – IVG; OLG Köln, AG 2007, 822 (823 f.) – IVG. 96 Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl. 2010, § 104 Rz. 16; Happ in FS Hüffer, 2010, S. 293, 301 f.; Priester, GWR 2013, 175 (177); Tielmann/Struck, BB 2013, 1548 (1550); wohl auch Kiefner in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2014, § 252 Rz. 21 f. 97 OLG Köln, AG 2011, 465 (467) – IVG. 98 Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2005, § 108 Rz. 167; E. Vetter, ZIP 2012, 701 (707): § 244 AktG analog; s. auch Marsch-Barner in FS K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1122.

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lich ist. Die hiergegen vorgebrachten Argumente sind zwar durchaus beachtlich, im Hinblick auf die Ablehnung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis durch den BGH aber zu überdenken. Anderenfalls wären die Interessen der Gesellschaft und des Vorstands nicht ausreichend gewahrt, da jedenfalls die Einzelfalllösung des BGH keinen hinreichenden Schutz bietet. Insgesamt betrachtet, ist die nach wie vor bestehende Rechtsunsicherheit äußerst unbefriedigend, so dass ernsthaft über eine Abhilfe durch den Gesetzgeber nachgedacht werden sollte. Selbst wenn sich der Gesetzgeber nicht zu der vielfach geforderten grundlegenden Reform des Beschlussmängelrechts99 durchringen sollte, wäre zumindest eine punktuelle Abhilfe für die Aufsichtsratswahl zu begrüßen. Denkbar wären vor allem drei Ansätze: (1) die generelle Einschränkung der ex-tunc-Wirkung der Wahlanfechtung, (2) die ausdrückliche Zulassung einer parallelen gerichtliche Bestellung in § 104 AktG oder (3) eine am Freigabeverfahren (§§ 246a, 319 Abs. 6, 327e Abs. 2 AktG, § 16 Abs. 3 UmwG) orientierte Lösung. Die Lösungen Nr. 2 und 3 hätten den Vorteil, dass sie auch für nichtige Aufsichtsratswahlen eine Abhilfemöglichkeit bieten würden (jedenfalls für Fälle, in denen die Nichtigkeit auf einem bloßen Verfahrensfehler beruht). Lösung Nr. 1 hat hingegen den Charme der Einfachheit für sich und vermeidet eine zusätzliche Inanspruchnahme der Gerichte. Zudem sorgt sie – anders als Lösung Nr. 2, die erst ab der gerichtlichen Bestellung wirken würde – bereits ab der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung für Rechtssicherheit, so dass sie insgesamt vorzugswürdig erscheint.

99 Vgl. insbesondere Arbeitskreis Beschlussmängelrecht, AG 2008, 617 ff.; s. auch Fleischer, AG 2012, 765 (775 ff.); Habersack/Stilz, ZGR 2010, 710 (723 ff.); Poelzig/Meixner, AG 2008, 196 (199 ff.); J. Vetter, AG 2008, 177 (182 ff.).

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Bericht über die Diskussion des Referats Rieckers Dr. Matthias Cloppenburg, LL.M. (Fordham) Rechtsanwalt, Düsseldorf Die von Hommelhoff geleitete Diskussion im Anschluss an das Referat von Rieckers machte deutlich, dass die Rechtsprechung des BGH zur rückwirkenden Nichtigkeit von Aufsichtsratswahlen überwiegend kritisch aufgenommen wurde. Während insbesondere der Vorsitzende des II. Zivilsenats Bergmann der Kritik von Rieckers an der Rechtsprechung des BGH entgegen trat, erfuhren die Thesen von Rieckers insbesondere von C. Schäfer, Drygala und Grunewald einhellige Unterstützung. Zum Teil wurde sogar die Gefahr gesehen, dass nun auch bereits als gesichert erachtete Positionen, wie zum Beispiel die Anwendung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis auf Vorstandsmitglieder, wieder in Frage gestellt seien.

I. Eröffnet wurde die Diskussion durch Bergmann, der den Vorwurf zurückwies, der Ansatz des BGH, die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis auf die Beschlussfassung im Aufsichtsrat nicht anzuwenden, sei inkonsistent. Der Senat habe, so Bergmann, schlicht das Gesetz angewendet. Es sei vielmehr so, dass die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis einer ausreichenden Begründung bedürfe. Eine solche Begründung sei allerdings nicht ersichtlich. Der Einschätzung von Rieckers, der BGH bringe im Ergebnis die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis entgegen der an sich dargelegten Ablehnung in einzelnen Teilbereichen, wie etwa bei der Unterbreitung von Beschlussvorschlägen an die Hauptversammlung, doch zur Anwendung, trat Bergmann entgegen. Diese These, die er bereits mehrfach gehört habe, sei unzutreffend. Entscheidend für die Anfechtbarkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses sei die Frage, ob ein Verfahrensfehler relevant ist. Bei der Unterbreitung von Beschlussvorschlägen an die Hauptversammlung durch einen Aufsichtsrat, dessen Wahl später rückwirkend für nichtig erklärt wird, sei das nicht der Fall, weil im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Aufsichtsrats dieser trotz späterer Nichtigerklärung ordnungsgemäß besetzt sei. Es bleibe daher auch in diesem Fall dabei, dass die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis keine Anwendung finde.

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II. Schadbach betonte, dass auf Seiten des BGH mehr Problembewusstsein erforderlich sei. Er solle mehr die Folgen der durch das jeweilige Urteil generell Betroffenen bedenken. Er zog einen Vergleich zwischen Aufsichtsratswahl und Richterwahlverfahren. Man möge sich nur vorstellen, dass eine Richterernennung für nichtig erklärt würde und damit auch sämtliche von diesem Richter gefällten Urteile unwirksam wären. Zur Lösung des Problems schlug Schadbach vor, mit der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern sogleich Ersatzmitglieder zu wählen. Auf diese Weise könnten die Rückwirkungsprobleme gelöst werden. E. Vetter und Rieckers hielten dem später entgegen, dass sie dies nicht für einen gangbaren Weg hielten, weil die Ersatzmitglieder an den Sitzungen des Aufsichtsrats bis zur Nichtigerklärung der Wahl nicht teilnehmen.

III. Schäfer erinnerte zunächst an die Diskussion an gleicher Stelle im Jahr 2010. Damals sei es um die Anfechtbarkeit von Aufsichtsratswahlbeschlüssen wegen einer unrichtigen Entsprechungserklärung (§ 161 AktG) gegangen.1 Seinerzeit hätten Senatsmitglieder ausgeführt, die Folgen der Zulassung einer solchen Anfechtung seien nicht allzu gravierend, weil die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis Anwendung finde, wie der Senat bereits im Hinblick auf den besonderen Vertreter nach § 147 Abs. 2 AktG entschieden habe. Davon sei in der aktuellen Entscheidung nun nichts mehr zu lesen. Die Entscheidung sei daher nicht begrüßenswert. Dort wo es besonders „weh tut“, gehe man nun einen Schritt zurück. Das sei inkonsistent. Weiter pflichtet Schäfer Rieckers in der Einschätzung bei, dass der BGH die Rückwirkung der erfolgreichen Wahlanfechtung nicht konsequent zur Anwendung bringe, sondern für bestimmte Fälle doch wieder ignoriere, auch wenn er dies formal am Merkmal der Relevanz festmache. Es stelle sich nun, so Schäfer weiter, auch die Frage, wie künftig mit der fehlerhaften Bestellung von Vorstandsmitgliedern umzugehen sei und ob hierauf noch die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis angewendet werden könne. Auch müsse gefragt werden, ob die HVB-Ent1 Vgl. Hüffer, Anfechtbarkeit von HV-Beschlüssen wegen Abweichung von der Entsprechenserklärung, in: Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2010, 2011, S. 63 ff. mit Diskussionsbericht von Ott, S. 85 ff.

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scheidung2 zum besonderen Vertreter weiter anwendbar sei. Insgesamt herrsche nun große Rechtsunsicherheit. Auch sei im Hinblick auf vom Aufsichtsrat geschlossene Verträge zweifelhaft, ob der Dritte nicht doch ein Wahlrecht habe, sich auf die wahre Rechtslage, also die Unwirksamkeit, zu berufen. Nach allgemeinen Regeln sei dies der Fall. Dann aber wären solche Verträge gerade nicht wirksam. Insgesamt stimmte Schäfer Rieckers in seiner Kritik an der Entscheidung des BGH in jeder Hinsicht zu. Dieses Urteil sei ein Unglück.

IV. E. Vetter führte zunächst aus, Rieckers habe belegt, dass die Ablehnung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis zwar die Praktikabilität einschränke. Das Gesetz sei aber, was die rechtliche Beurteilung der Folgen der erfolgreich angefochtenen Aufsichtsratswahl anbetreffe, wie auch der BGH in seinem Urteil ausgeführt habe, eindeutig. Das Argument der mangelnden Praktikabilität sei insoweit nicht ausreichend, um vom Gesetz abzuweichen. Anschließend wandte sich E. Vetter noch der von Rieckers so genannten „zweitbesten Lösung“, also der parallelen gerichtlichen Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder, deren Wahl angefochten worden ist, zu. Es sei offen, wie die Gerichte bei Anträgen nach § 104 AktG mit der nunmehr vorliegenden Entscheidung des BGH umgehen werden. Er sei allerdings optimistisch, dass die Gerichte in Zukunft die parallele gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern nach § 104 AktG, nachdem der BGH die Übertragung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis auf die fehlerhafte Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern abgelehnt habe, zulassen werden.

V. Auch Drygala stimmte den Thesen von Rieckers zu. Das von Bergmann vorgebrachte Argument der Gesetzesnähe sei wenig überzeugend. Schon das BGB ordne die rückwirkende Nichtigkeit an. Nähme man das ernst, wären lange akzeptierte Figuren wie das fehlerhafte Arbeitsverhältnis und die fehlerhafte Gesellschaft allesamt nicht anzuerkennen. Im Übrigen sei auf die „Mutter der fehlerhaften Organe“, Ursula Stein, zu verweisen: Selbst wenn eine fehlerhafte Bestellung von Organmit2 BGH AG 2011, 875 – HVB/UniCredit.

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gliedern abzulehnen sei, blieben immerhin Restkompetenzen. Diese Rest- bzw. Notkompetenzen bestünden völlig unabhängig von der Lehre der fehlerhaften Gesellschaft. Dazu gehöre die Einberufung der Hauptversammlung. Die Restkompetenzen umfassten aber auch diejenigen Fälle, in denen Schaden von der Gesellschaft abzuwenden sei. Der Aufsichtsrat müsse daher in jedem Fall handeln können, wenn es darum ginge ein Mitglied des Vorstands aus wichtigem Grund abzuberufen oder eine dringend benötigte Kapitalerhöhung durchzuführen.

VI. Schließlich stimmte auch Grunewald Rieckers ausdrücklich zu. Bei dem IKB-Urteil handele es sich um keine gute Entscheidung. Zu dem Hinweis von Bergmann auf die bloße Anwendung des Gesetzes durch den BGH entgegnete sie, dass im Gesetz zu der aufgeworfenen Frage ohnehin nichts stehe. Auch die fehlerhafte Gesellschaft stehe nicht im Gesetz. Nehme man die Entscheidung ernst, so müsste der Gesetzgeber nun auch das fehlerhafte Organ und die fehlerhafte Gesellschaft regeln. Bei einer mehr als 100-jährigen Judikatur könne das nicht ernsthaft angenommen werden.

VII. Nachdem die Wortmeldungen abgearbeitet waren, nahm Rieckers zu den einzelnen Beiträgen Stellung. Zunächst ging er auf den Einwand von Bergmann ein, der Senat habe bei der Fallgruppe der Beschlussvorschläge an die Hauptversammlung auf die Relevanz des Verfahrensmangels abgestellt. Rieckers führte aus, er habe die Anknüpfung an das Merkmal der Relevanz durchaus zur Kenntnis genommen. Es finde sich in der betreffenden Passage des Urteils aber auch die Aussage, dass der Aufsichtsrat bis zur Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses ordnungsgemäß besetzt sei. Dies stehe im Widerspruch zu der vom BGH betonten ex-tunc-Wirkung der Anfechtung. Zudem stelle sich die Frage, warum gerade hier auf die ordnungsgemäße Besetzung des Aufsichtsrats bis zur Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses abgestellt werde und nicht etwa auch bei der Beschlussfassung über die Bestellung von Vorstandsmitgliedern. Insgesamt wäre bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats durchaus Raum für eine Rechtsfortbildung gewesen. In anderen Bereichen, insbesondere auch für die Rechtshandlungen eines von der Hauptversammlung bestellten besonderen Vertreters, sei die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsver-

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hältnis schließlich auch angewandt worden. Es sei zwar richtig, dass der BGH nicht leichtfertig vom Gesetz abweichen dürfe. Hier sei die Situation angesichts der Vorarbeiten in Rechtsprechung und Literatur allerdings anders, so dass eine Erstreckung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis auf die Beschlussfassung im Aufsichtsrat ein konsequenter Schritt gewesen wäre. Im Anschluss ging Rieckers auf die von Schäfer geäußerten Zweifel an der Fortgeltung der Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis in anderen Bereichen ein. Er stimmte Schäfer zu, dass man an einer Fortgeltung durchaus zweifeln könne, wenn man mit der Argumentation des BGH Ernst mache. Jedenfalls für die Bestellung von Vorstandsmitgliedern gehe aber offenbar auch der BGH von einem Fortbestand aus, da er die mangelnde Schutzwürdigkeit von Vorstandsmitgliedern in der IKBEntscheidung gerade mit einem Hinweis auf die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung und Anstellung begründet habe. Auf die Bemerkung von Schäfer, es sei zu befürchten, dass die vom Aufsichtsrat geschlossenen Verträge nicht in jedem Fall wirksam seien, erwiderte Rieckers, dass eine solche Auslegung durchaus nicht fernliegend sei, da etwa auch im Rahmen von § 15 Abs. 3 HGB der Rechtsschein nur zugunsten des Vertrauenden wirke. Da eine solche Lösung die Interessen der Gesellschaft aber nicht hinreichend berücksichtige, sei zu hoffen, dass die Rechtsprechung für diesen Bereich eine eigenständige Wertung vornehmen werde. Zwingend sei der Vergleich zu anderen Vertrauensschutztatbeständen jedenfalls nicht unbedingt. Im Hinblick auf E. Vetters Beitrag, es bestehe Hoffnung, dass die Gerichte in Zukunft eine parallele gerichtliche Bestellung zulassen, führte Rieckers aus, dass dies sicher zu begrüßen wäre. In der Tat habe das OLG Köln zur Begründung eines fehlenden Bedarfs für eine parallele gerichtliche Bestellung darauf verwiesen, dass die Lehre vom fehlerhaften Bestellungsverhältnis als Abhilfemöglichkeit zur Verfügung stehe. Insoweit bestünde nun eine neue Ausgangslage. Allerdings habe das OLG Köln auch deutlich gemacht, dass die parallele gerichtliche Bestellung aus seiner Sicht nur vom Gesetzgeber zugelassen werden könne. Er sei sich daher nicht sicher, ob das OLG Köln seine Rechtsprechung tatsächlich überdenken würde. Im Hinblick auf die Ausführungen von Drygala teilte Rieckers die Einschätzung, dass der Aufsichtsrat auch bei fehlerhafter Bestellung nicht daran gehindert sein dürfe, ein Mitglied des Vorstands aus wichtigem Grund abzuberufen. Es sei zweifelhaft, ob der BGH in diesem Punkt mit

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seiner streng am Gesetz orientierten Auffassung tatsächlich Ernst machen würde, da es nicht sachgerecht wäre, wenn der Vorstand selbst bei eindeutigem Vorliegen eines wichtigen Grunds noch die Nichtigkeit der Aufsichtsratswahl einwenden könnte.

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Stichwortverzeichnis Abfindungsangebot – Delisting 13 ff., 19 f. Abfindungszahlung – Geschäftsanteil, Einziehung 23 ff. Ad-hoc-Publizität – zeitlich gestreckter Vorgang 10 f., 20 Aktienrecht – Einlagenrückgewähr s. dort Aktionär – Eigentumsgarantie 13 ff. Anfechtung – Rechtsfolgen 129 ff. Aufsichtsrat – Aufsichtsratswahl s. dort – Bestellungsverhältnis, fehlerhaftes 130 ff. – Vertretung der AG 90 – Wahl 125 ff., 151 ff. Aufsichtsratswahl – Nichtigkeit 125 ff., 133 ff., 143 ff., 151 ff. Ausfallhaftung 33 ff. – Anteiligkeit 33 f. – Dogmatik 35 ff. – Passivlegitimation 55 ff. – Subsidiarität 63 ff. – Umfang und Reichweite 55 ff. Ausgleichszahlung – Geschäftsanteil, Einziehung 40 ff. Bankaufsichtsrecht – Gesellschafterkonto, Führung 107 ff., 121 ff. Bankgeschäft – Gesellschafterkonto, Führung 105 ff., 121 ff. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag – Genussscheinbedingungen 12 f. BGH – Aktienrecht 9 ff., 19 ff. – ARAG/Garmenbeck 86 ff., 103

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Delisting 13 ff., 19 f. Frosta 13 ff., 19 f. Geltl/Daimler 10 f. Genossenschaft 2 GmbH-Recht 6 ff., 18 f. IKB 125 ff., 132 f., 151 ff. Macrotron 13 ff., 19 f. Personengesellschaftsrecht 3 ff., 17 Verein 3 OTTO 4

Compliance 102 Corporate Governance – Organhaftung 83 ff. D&O-Versicherung 86 f., 96 ff., 101 ff. Darlehenskonto – Gesellschafter 106 f. Delisting – Abfindungsangebot 13 ff. Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) – Entsprechenserklärung 128 Einlagenrückgewähr 10, 20 Einziehung, Geschäftsanteil 23 ff., 79 ff. – Ausfallhaftung s. dort – Gestaltungspraxis 72 ff. – Nichtigkeit 69 ff. – Verhältnis zum Ausschluss 65 ff. – Wirksamkeit 27 ff. Genossenschaft 2 Genussschein – Bedingungen 12 f. Geschäftsanteil – Einziehung 23 ff., 79 ff. Gesellschafter – Gesellschafterdarlehen 114 – Gesellschafterkonto, Führung 105 ff., 121 ff.

157

Stichwortverzeichnis GmbH & Co. KG – Organhaftung 7 ff., 18 GmbH-Anteil – s. Geschäftsanteil GmbH-Geschäftsführer – Haftung 7 ff. GmbH-Recht – Geschäftsanteil, Einziehung 23 ff. – Geschäftsführer, Haftung 7 ff. – Gesellschafter, Zahlungen an 6 f. Hauptversammlung – Hauptversammlungsbeschluss s. dort – Organhaftung 91 ff. Hauptversammlungsbeschluss – Anfechtungs-/Nichtigkeitsgründe 126 ff. Kapitalgesellschaft – Gesellschafterdarlehen 114 Kommanditgesellschaft – Ausschüttung 5 f. – Mehrheitsklauseln 3 ff. Konzern – Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag s. dort Organhaftung – ARAG/Garmenbeck-Entscheidung 86 ff., 103 – Reform 83 ff., 101 ff.

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Personengesellschaftsrecht – Ausschüttung 5 f., 17 – Gesellschafterkonto 105 ff., 121 ff. – Mehrheitsklauseln 3 ff. Pflichtangebot – Nichtveröffentlichung 13 Privatkonto – Gesellschafter 106 f. Prüfstelle für Rechnungslegung – Organhaftung 94 ff. Rechnungslegung – Prüfstelle für Rechnungslegung s. dort Strukturierungsmaßnahmen – Gesellschafterkonto 115 ff. Treubindung/-pflicht – Leistungspflicht 46 ff. – Mitgliedschaft 38 ff. Übernahmerecht – Pflichtangebot s. dort Verein 2 Vorstand – Akteneinsicht 99 f. – Business Judgment Rule 84, 89 ff., 101 ff. – D&O-Versicherung 86 f., 96 ff., 101 ff. – Haftung 83 ff., 101 ff.