Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert: Teil 1 9783110233513, 9783598248061

This volume deals with the most problematic period of the book trade – the period of the Nazi dictatorship. The first pa

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Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert: Teil 1
 9783110233513, 9783598248061

Table of contents :
Inhalt
1 Einleitung
2 Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Schriftsteller
2.1 Die »Gleichschaltung« des literarischen Lebens
2.2 Von der schriftstellerischen Autonomie zur politischen Kontrolle
2.3 Die verbotene, geduldete und geförderte Literatur
2.4 Widersprüchliche Lebenswirklichkeiten: die wirtschaftliche, soziale und existentielle Lage der Schriftsteller unter der NS-Diktatur
3 Die organisatorische, personelle und rechtliche Neuordnung des deutschen Buchhandels
3.1 Die Neuorganisation des deutschen Buchhandels in den Jahren 1933/1934
3.2 Die Polykratie der Ämter und das Chaos der Zuständigkeiten
3.3 Die »Arisierung« des deutschen Buchhandels
3.4 Die politische Kontrolle des Buchmarkts
4 Der Buchmarkt: Marktordnung und statistische Marktdaten (Jan-Pieter Barbian)
5 Leser und Leserlenkung
6 Buchherstellung und Buchgestaltung
7 Der Zwischenbuchhandel
7.1 Der Kommissionsbuchhandel
7.2 Barsortiment
8 Verlagsbuchhandel
8.1 Literarische/belletristische Verlage (Reinhard Wittmann)
8.1.1 Umrissskizze: Der Belletristikmarkt und seine Teilnehmer, Inhalte und Instanzen
8.1.2 Fallstudien
8.1.3 Die Sonderkonjunktur für Belletristik im Krieg
8.2 Wissenschaftliche Verlage
8.3 Der Lexikonverlag
Die Autoren des Bandes

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Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert

Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert Im Auftrag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels herausgegeben von der Historischen Kommission

Band 3: Drittes Reich

De Gruyter

Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert Drittes Reich Teil 1

Im Auftrag der Historischen Kommission herausgegeben von Ernst Fischer und Reinhard Wittmann in Zusammenarbeit mit Jan-Pieter Barbian

De Gruyter

Herausgeber: Historische Kommission Ordentliche Mitglieder: Prof. Dr. h. c. mult. Klaus G. Saur (München), Vorsitzender; Prof. Dr. Reinhard Wittmann (Fischbachau), stellvertretender Vorsitzender; Prof. Dr. Ernst Fischer (Mainz); Prof. Dr. Stephan Füssel (Mainz); Prof. Dr. Christine Haug (München); Dr. Roland Jaeger (Hamburg); Prof. Dr. Siegfried Lokatis (Leipzig); Prof. Dr. Wulf D. v. Lucius (Stuttgart); Prof. Thedel v. Wallmoden (Göttingen) Korrespondierende Mitglieder: Prof. Dr. Hans Altenhein (Bickenbach); Dr. Werner Arnold (Wolfenbüttel); Dr. Jan-Pieter Barbian (Duisburg); Prof. Dr. Frédéric Barbier (Paris); Dr. Anke Beck (Berlin); Thomas Bez (Bietigheim-Bissingen); Dr. Monika Estermann (Berlin); Prof. Dr. Dr. h. c. Bernhard Fabian (Münster); Dr. h.c. Raimund Fellinger (Berlin); Dr. Bernhard Fischer (Weimar); Prof. Dr. John L. Flood (Amersham); PD Dr. Wilhelm Haefs (München); Prof. Dr. Murray G. Hall (Wien); Dr. Stephanie Jacobs (Leipzig); Prof. Dr. Georg Jäger (München); Graham Jefcoate (Nimwegen); PD Dr. habil. Thomas Keiderling (Leipzig); Dr. Thekla Kluttig (Leipzig); Dr. Michael Knoche (Weimar); Prof. Dr. Hans-Joachim Koppitz (Mainz); Dr. Mark Lehmstedt (Leipzig); Dr. Christoph Links (Berlin); Prof. Dr. York-Gothart Mix (Marburg); Dr. Helen Müller (Gütersloh); Juniorprofessor Dr. David Oels (Mainz); Bernd Rolle (Jena); Prof. Dr. Patrick Rössler (Erfurt); Prof. Dr. Helmut Rötzsch (Leipzig); Prof. Dr. Wolfgang Schmitz (Köln); Prof. Dr. Ulrich Johannes Schneider (Leipzig); Dr. Volker Titel (Erlangen); Prof. Dr. Peter Vodosek (Stuttgart); Dr. Tobias Winstel (Freiburg i. Br.) Redaktion und Satz: Dr. Anke Vogel

ISBN 978-3-598-24806-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-023351-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-038492-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Einbandillustration: Woche des Deutschen Buches in Weimar, 1936. Foto Scherl/ Süddeutsche Zeitung Photo © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen © Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Geleitwort Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Zweieinhalb Monate später legte der Gesamtvorstand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig ein auf den 12. April 1933 datiertes »Sofortprogramm« vor, in dem der Börsenverein sich unmissverständlich den neuen Machthabern andiente und zugleich versuchte, die Gunst der Stunde für die Durchsetzung eigener politischer und wirtschaftlicher Interessen zu nutzen. Neben dem Wunsch, den Börsenverein zu einer »Zwangsorganisation« des Buchhandels umzuformen, stand das Bestreben, unliebsame Konkurrenten wie Buchgemeinschaften, Warenhäuser und Leihbibliotheken auszuschalten. Die Rücksichtslosigkeit, mit der dies verfolgt wurde, bringt der zehnte und letzte Programmpunkt zum Ausdruck: »In der Judenfrage vertraut sich der Vorstand der Führung der Reichsregierung an. Ihre Anordnungen wird er für seinen Einflußbereich ohne Vorbehalt durchführen.« Die seit 1953 bestehende Historische Kommission des nach Ende des Zweiten Weltkriegs neugegründeten westdeutschen Börsenvereins begann in den 1970er Jahren, sich mit dem düsteren Kapitel der Buchhandels- und Verlagsgeschichte zwischen 1933 und 1945 selbstkritisch auseinanderzusetzen. Um nur zwei Beispiele herauszugreifen: 1979 und 1981 erschien im Archiv für Geschichte des Buchwesens die zweiteilige Untersuchung Volker Dahms über Das jüdische Buch im Dritten Reich. Es folgte 1993 am selben Ort Jan-Pieter Barbians Studie Literaturpolitik im ›Dritten Reich‹. Auch in der 2000 erschienenen Festschrift des Börsenvereins anlässlich seines 175-jährigen Bestehens wies Barbian auf die Verstrickung des Börsenvereins in die NS-Diktatur in wünschenswerter Deutlichkeit hin. Mit dem Langzeitvorhaben einer Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert leistet die Historische Kommission des Börsenvereins Grundlagenarbeit für einen Verband, der in seinem Selbstverständnis und in vielen seiner Initiativen weit mehr ist als eine bloße Interessenvertretung. Die Bände zum Kaiserreich und zur Weimarer Republik liegen abgeschlossen vor. Dem jetzt nach aufwendigen Vorarbeiten erscheinenden Band 3,1 zum »Dritten Reich« werden zwei weitere Teile folgen, von denen einer die Verleger- und Buchhändleremigration nach 1933 behandelt. Diese Darstellung wird auf absehbare Zeit die umfassendste wissenschaftliche Befassung mit der Buchhandels- und Verlagsgeschichte dieses Zeitraums bleiben, die auf intensiven Forschungen und der Mitwirkung ausgewiesener Fachleute beruht. Allen Mitarbeitern, besonders aber den drei Bandherausgebern Ernst Fischer, Reinhard Wittmann und Jan-Pieter Barbian, möchte ich für ihr unermüdliches ehrenamtliches Engagement für dieses Projekt meinen Dank aussprechen! Der Börsenverein hat sich dem totalitären NS-System von Anfang an willig unterworfen. Mit der Herausgabe dieses Bandes will der Börsenverein dazu beitragen, dass der deutsche Buchhandel sich seiner Rolle im Dritten Reich gründlich bewusst wird – seiner Schuld und seiner Bewährung. Heinrich Riethmüller Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels

2

1 Einleitung

Inhalt 1

Einleitung (Ernst Fischer/Reinhard Wittmann/Jan-Pieter Barbian) ......... 1

2

Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Schriftsteller (Jan-Pieter Barbian) ........................................................................................ 7

2.1

Die »Gleichschaltung« des literarischen Lebens ........................................... 7 Die Bücherverbrennungen 7 – Die »Gleichschaltung« der Sektion für Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste 16 – Die »Gleichschaltung« der deutschen Sektion des PEN-Club 18 – Die »Gleichschaltung« des Schutzverbands deutscher Schriftsteller 21

2.2

Von der schriftstellerischen Autonomie zur politischen Kontrolle ........... 23 Die Entrechtung der jüdischen und »jüdisch versippten« Schriftsteller 23 – Die Behandlung der politisch abgelehnten Schriftsteller 31 – Die Behandlung der konfessionellen Autoren 38 – Die Behandlung der aus ideologischen und ästhetischen Gründen abgelehnten Schriftsteller 40 – Die Behandlung renitenter Schriftsteller aus dem nationalkonservativen Lager 41 – Die Radikalisierung der Berufszulassung während des Zweiten Weltkriegs 43

2.3

Die verbotene, geduldete und geförderte Literatur .................................... 45 Die »Säuberung« des Buchmarktes – 45 – Interventionen und Arrangements von Schriftstellern 48 – »Innere Emigration«, Resistenz und Widerstand 50 – Die literarische Produktion unter der NS-Diktatur 53 – Die Inflation der Literaturpreise 57

2.4

Widersprüchliche Lebenswirklichkeiten: die wirtschaftliche, soziale und existentielle Lage der Schriftsteller unter der NS-Diktatur ............... 58

3

Die organisatorische, personelle und rechtliche Neuordnung des deutschen Buchhandels (Jan-Pieter Barbian) ............................................. 73

3.1

Die Neuorganisation des deutschen Buchhandels in den Jahren 1933/1934 ................................................................................ 73 Die »Gleichschaltung« des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 73 – Die Organisation des deutschen Buchhandels in der Reichsschrifttumskammer 81

3.2

Die Polykratie der Ämter und das Chaos der Zuständigkeiten ................. 87 Die Abteilungen und Sachgebiete für Buchhandel innerhalb der Reichsschrifttumskammer 87 – Die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels 90 – Die Reichsschrifttumsstelle und die Schrifttumsabteilung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda 91 – Das »Sonderreferat Hinkel« in der Reichskulturkammer und im Propagandaministerium 95 – Die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums im Amt Rosenberg 96 –

VI

Inh a lt Die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutz des nationalsozialistischen Schrifttums 98 – Geheime Staatspolizei und Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS 104 – Die »Zentrale der Frontbuchhandlungen« und die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg 109

3.3

Die »Arisierung« des deutschen Buchhandels ........................................... 110

3.4

Die politische Kontrolle des Buchmarkts ................................................... 122 Die Berufszulassung der Verleger und Buchhändler 122 – Formale und informelle Steuerungsmechanismen 130 – Instrumente und Methoden der Buchzensur: Die Einführung einer reichseinheitlichen Nachzensur für Bücher 135 – Die »Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« 137 – Die »Liste der für Jugendliche und Büchereien ungeeigneten Druckschriften« 143 – Die Zensur der internationalen Literatur 143 – Die Einführung einer Vorzensur und die Auswirkungen der Papierkontingentierung 147

4

Der Buchmarkt: Marktordnung und statistische Marktdaten (Jan-Pieter Barbian) .................................................................................... 161 Die Krise der Buchwirtschaft und die Forderungen nach staatlicher Unterstützung 161 – Die staatliche Subventionierung der Buchwirtschaft 169 – Die staatliche Subventionierung des Buchexports 169 – Die staatlich subventionierte Buchwerbung 173 – Der Aufschwung der Buchwirtschaft in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre 176 – Die Sonderkonjunktur seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges 179 – Von der Reduzierung zur Schließung: Der deutsche Buchmarkt in den Jahren 1941 bis 1945 181 – Der Aufbau nationalsozialistischer Monopole auf dem deutschen Buchmarkt: Der Zentralverlag der NSDAP 186 – Die Verlage und buchhändlerischen Vertriebsunternehmen der DAF 188

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Leser und Leserlenkung (Jan-Pieter Barbian) .......................................... 197 Die Förderung der »volkhaften Dichtung« 197 – Abweichungen in der literarischen Produktion und im Leseverhalten 205 – Die Bestseller und das »Schundlesen« 213 – Die lesende Front 219

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Buchherstellung und Buchgestaltung (Wilhelm Haefs) ............................ 229 Moderne und Antimoderne 230 – Zwischen Autonomie, Ideologisierung und »Gleichschaltung« 231 – Beschreibungs- und Reflexionsmedien der Buchkultur 232 – Felder der Herstellung und Gestaltung: Anpassungsdruck und Gleichschaltungszwang 237 – Typografie zwischen Tradition und klassischer Moderne 238 – Herbert Bayer und die Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus 242 – Felder der Buchgestaltung: Einband- und Umschlaggestaltung, Buchdesign 244 – Zwischen Gebrauchsbuch und Repräsentationsstil 246 – Bibliophilie im Dritten Reich 249 – Kontinuitäten nach 1945 252

Inh a lt

VII

7

Der Zwischenbuchhandel (Thomas Keiderling) ....................................... 259

7.1

Der Kommissionsbuchhandel ..................................................................... 259 Grundlegende Entwicklungen 259 – Entwicklungen an einzelnen Standorten 261 – Vernetzung der Kommissionsplätze: Sammelbezug und Bücherwagendienste über Leipzig 265 – Zur Entwicklung des Marktführers Koehler & Volckmar AG & Co. 266 – Zerstörung und teilweise Rekonstruktion des Leipziger und Stuttgarter Platzes im Zweiten Weltkrieg 269

7.2

Barsortiment ................................................................................................ 273 Zensur des Zwischenbuchhandels. Die Beanstandung des Barsortimentskatalogs von Koehler & Volckmar durch die Reichsschrifttumskammer 1935/1936 276 – Buchverbote im Spiegel der Barsortimentskataloge von Koehler & Volckmar 1933 – 1944 282 – Der Grossobuchhandel 284

8

Verlagsbuchhandel ...................................................................................... 295

8.1

Literarische/belletristische Verlage (Reinhard Wittmann) ..................... 295

8.1.1

Umrissskizze: Der Belletristikmarkt und seine Teilnehmer, Inhalte und Instanzen ............................................................................................... 295 Die literarische Produktion in Zahlen 296 – Veränderungen in der Verlagslandschaft 297 – Programmschwerpunkte, alte und neue 301 – Lektüremoden und Geschmackskonstanz 305 – Zugang zu ausländischer Literatur 309 – »Feindstaatenliteratur« 313 – Das Überwachungssystem 314

8.1.2

Fallstudien .................................................................................................... 316 Partei- und Organisationsverlage mit belletristischem Programm: Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf., Langen-Müller, Hanseatische Verlagsanstalt (HAVA), Ullstein/Deutscher Verlag 316 – Nationalsozialisten, Parteigänger und Sympathisanten: Andermann, Schützen Verlag, Stalling, Westermann, Steegemann 329 – Mitläufer: Diederichs, Bertelsmann 333 – Konservativ-bürgerliche Verlage: S. Fischer/Suhrkamp, Exkurs: Corona, Piper, Reclam, Insel, Deutsche Verlagsanstalt (DVA), Claassen-Goverts, Rabenpresse, Ellermann 339 – »System«-Verlage: Kiepenheuer, Rowohlt, Zsolnay 357

8.1.3

Die Sonderkonjunktur für Belletristik im Krieg ...................................... 365 Die »kulturpolitische Bedeutung der Unterhaltung unseres Volkes« 367 – Das Buch zwischen Nachfrageüberhang und Rohstoffmangel 368 – Bücher nur im Zuteilungsverfahren 372

VIII 8.2

Inh a lt Wissenschaftliche Verlage (Ute Schneider) ............................................... 381 Wissenschaftliche Verlage im Überblick 381 – Politische Rahmenbedingungen für das wissenschaftliche Verlagswesen 383 – Antisemitismus in der Wissenschaft 386 – Die besondere Lage der juristischen Verlage 388 – »Arisierungsprozesse« in den drei großen Wissenschaftsverlagen 392 – Programmkontinuitäten – der Verlag Junker und Dünnhaupt sowie J. F. Lehmanns Verlag 395 – Profilveränderungen als Anpassungsprozess – die Verlage Friedr. Vieweg & Sohn und S. Hirzel 399 – Ambivalente Programmpolitik bei C. Winter 403 – Emigration des medizinischen Verlags von Samuel Karger 404 – Neuordnung von wissenschaftlichen Zeitschriften 406 – Lehrbuchaktionen im Zweiten Weltkrieg 411 – Der Export von wissenschaftlicher Literatur und das BuchexportAusgleichsverfahren 414 – Unberechtigte Nachdrucke wissenschaftlicher Titel in den USA und Japan während und nach dem Zweiten Weltkrieg 416

8.3

Der Lexikonverlag (Thomas Keiderling) ................................................... 425 Die Großlexika 426 – Mittlere und kleinere Lexikonausgaben 429 – Die Überwachung der Lexikonproduktion 436 – Denunziationen und ein Arisierungsverfahren gegen die Familie Brockhaus 446 – Die beiden Marktführer der Lexikonproduktion in den Kriegsjahren 450

Die Autoren des Bandes ............................................................................................ 457

1

Einleitung

Ernst Fischer / Reinhard Wittmann / Jan-Pieter Barbian Seit mehr als drei Jahrzehnten ist eine Geschichte des Deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert das wichtigste Projekt der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels; inzwischen sind die Darstellungen zum Kaiserreich und zur Weimarer Republik in insgesamt fünf Teilbänden erschienen. Der vorliegende Band ist der erste von dreien, der die Zeit von 1933 bis 1945 behandelt. Er befasst sich also mit der dunkelsten Periode auch der Buchhandelsgeschichte, gekennzeichnet von einem beispiellosen Zugriff des politischen Regimes auf alle Bereiche des geistigen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens. Die Maßnahmen, die der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler folgten, zielten von Anfang an auf eine totalitäre Kontrolle der literarisch-publizistischen Öffentlichkeit und damit in direkter wie indirekter Weise auch auf eine Kontrolle der gesamten Welt des Buches. Die in der Weimarer Verfassung erstmals in der deutschen Geschichte garantierten »Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen« wurden bereits 1933 durch die Notverordnungen des Reichspräsidenten vom 4. und 28. Februar und mit dem am 24. März 1933 vom Reichstag beschlossenen »Ermächtigungsgesetz« faktisch aufgehoben und Einzelpersonen ebenso wie politische oder soziale Gemeinschaften dem staatlichen Terror ausgeliefert. Politische Gegner wurden nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 willkürlich verhaftet, in Gefängnissen und Konzentrationslagern interniert, gefoltert und in vielen Fällen ermordet; unter denen, die noch in der gleichen Nacht oder in den folgenden Tagen und Wochen ins Ausland flüchteten und im weiteren dann vom NS-Staat systematisch ausgebürgert wurden, befanden sich auffällig viele Schriftsteller und Publizisten. Die rund 500.000 in Deutschland lebenden Juden wurden – beginnend mit dem reichsweit von der SA organisierten Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte am 1. April 1933 und dem so genannten Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April – durch eine Vielzahl von Sondergesetzen und durch den Zwang zur »Arisierung« ihres Vermögens und ihrer Unternehmen systematisch entrechtet, darunter auch zahlreiche Verleger, Buchhändler und Antiquare. Die »Aktion wider den undeutschen Geist« und die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 trafen neben den jüdischen Autoren auch die Literatur politischer Gegner des Nationalsozialismus, der freien Gewerkschaften, die nationale und internationale Avantgarde, Schriften zum Sozialismus und Marxismus, zur Sexualaufklärung und modernen Psychologie und wirkten auch auf den Buchhandel als unmissverständliches Signal, diese Bücher aus dem Sortiment zu nehmen. Schließlich wurden mit der systematischen Entrechtung und nachfolgend mit der Ermordung von Millionen Juden, Sinti und Roma und anderen Minderheiten in Europa die Regeln eines zivilisierten Umgangs von Menschen mit Menschen, die seit dem Zeitalter der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und der Französischen Revolution in verfassungsmäßig garantierten Grund- und Menschenrechten definiert worden waren, gewaltsam außer Kraft gesetzt. Die meisten dieser Zwangsmaßnahmen, die auf diesen Weg der schrankenlosen Inhumanität hinführten, waren öffentlich sichtbar, wurden in der Tagespresse, in Fachzeitschriften und in Buchpublikationen

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ausführlich thematisiert. Im Kontext des »Historikerstreites«, bei dem Ende der 1980er Jahre in der Öffentlichkeit eine heftige fachwissenschaftliche Kontroverse über den methodisch fundierten und ethisch angemessenen Umgang mit der Erforschung und Bewertung der NS-Diktatur ausgetragen wurde, haben Dan Diner und Jürgen Habermas den Begriff des »Zivilisationsbruchs« eingeführt und damit die ungeheuerliche Dimension des Geschehens auf den Begriff gebracht. Dass es sich in der Tat um einen solchen tiefgehenden »Zivilisationsbruch« gehandelt hat, dürfte den meisten Zeitgenossen in Deutschland und weltweit allerdings erst 1945 bewusst geworden sein. Eine solche Bewertung bestätigt sich auch in den Bereichen der Literatur und des deutschen Buchhandels, zunächst schon im Blick auf den rasanten Verlauf der »Gleichschaltung« des öffentlichen Lebens nach dem Machtantritt Hitlers am 30. Januar 1933. Binnen weniger Wochen wurden die wichtigsten, bislang eigenständigen Vertretungen der Schriftsteller – die Sektion der Dichtung in der Preußischen Akademie der Künste, der Schutzverband deutscher Schriftsteller und die deutsche Sektion des PEN-Club – mit erheblicher Unterstützung aus den eigenen Reihen personell und institutionell neu formiert. Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler strebte nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 und dem Ausbau der Herrschaft der NSDAP ein enges Bündnis mit den neuen Machthabern an und beschloss noch im April ein entsprechendes »Sofortprogramm«. Auch der Verband Deutscher Volksbibliothekare und der Verein Deutscher Bibliothekare gliederten sich reibungslos in die neuen politischen Verhältnisse ein. Ein Parteigänger der neuen Machthaber, Wilfrid Bade, der ab 1933 im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Karriere machte und sich nebenher erfolgreich als Autor populärer Sachbücher betätigte, sah sich in seiner im gleichen Jahr im Druck erschienenen Rede »Kulturpolitische Aufgaben der deutschen Presse« veranlasst, zu Ende des ersten Jahres der NS-Herrschaft das bemerkenswerte Fazit zu ziehen: »Wir haben vor einigen Monaten eine wahre Orgie der ›Gleichschaltung‹ erlebt. Schon dieses Wort beweist, dass es sich hier größtenteils um einen rein mechanischen Vorgang gehandelt hat, dem jedes innere Erlebnis fehlte.« »Der Sinn und die letzte Forderung des Dritten Reiches« sei jedoch keine »Gleichschaltung«, sondern eine aktive »Einschaltung«. Diese hatte Joseph Goebbels zuvor bereits den deutschen Verlegern und Buchhändlern beim Kantate-Treffen in Leipzig in einer Grundsatzrede verordnet, die demonstrativ auch im Lehrbuch des Deutschen Buchhandels (Paschke/Rath, 7. Aufl. 1935; gekürzt) abgedruckt wurde: »Das deutsche Buch«, so der Propagandaminister am 14. Mai 1933 im Festsaal des Buchhändlerhauses, sei »nicht nur eine materielle Angelegenheit. Es ist nicht nur eine Sache des Geschäfts. […] [E]s wäre verhängnisvoll, wenn Sie auch nur einen Augenblick dabei vergessen wollten, dass Sie zugleich die Verwalter eines unabmeßbaren Kulturgutes des deutschen Volkes sind.« Die »hohe kulturelle Sendung« könne das »deutsche Buch« allerdings nur dann »erfüllen, wenn Volk und Geist eins geworden sind. […] Ihre Aufgabe, Ihre Pflicht ist es, der neuen Kultur den Weg freizulegen«. Damit war deutlich, dass es eine Autonomie des deutschen Buchhandels im NS-Staat nicht mehr geben konnte – weder institutionell noch in der bislang freien Entfaltung des Buchmarktes. Es war daher nur konsequent, dass Goebbels neben dem im Juni 1933 unter seiner Regie gebildeten Reichsverband Deutscher Schriftsteller auch den Börsenverein Deutscher Buchhändler und eine Reihe weiterer Berufsverbände in die Reichsschrifttumskammer integrierte, die als eine von

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sieben Einzelkammern der Reichskulturkammer in den kommenden zwölf Jahren die kontrollierende und regulierende Institution für den deutschen Buchhandel wurde. Dass die Reichsschrifttumskammer ihre Macht nicht nur mit der Schrifttumsabteilung im Propagandaministerium teilen musste, sondern mit zahlreichen anderen staatlichen und vor allem parteiamtlichen Schrifttumsstellen, ändert nichts an der Tatsache, dass sich der deutsche Buchmarkt unter der NS-Diktatur so grundlegend veränderte wie in keiner vorherigen Epoche seiner Geschichte. Auch hier hat der 8. Mai 1945 nur die Dimension der physischen und moralischen Zerstörungen offenbart, die sich nach dem 30. Januar 1933 sukzessive vollzogen haben. * Vieles, was in der Forschung als Merkmale des Nationalsozialismus diskutiert wurde, spiegelt sich exemplarisch in der Welt von Buch und Buchhandel. Genannt seien etwa Aspekte der »Scheinlegalität« in der »Gleichschaltung« des Kultur- und Wirtschaftslebens, Strukturen der Polykratie, ebenso Methoden des totalitären Zugriffs auf alle Kulturbereiche, vor allem das Zusammenspiel von Zensur (und Beförderung der Selbstzensur) mit positiver Leserlenkung, das sich als Modell für die spezifische Herrschaftstechnik des Regimes verstehen lässt. Es gilt dies nicht weniger für die zynischen Mechanismen der Ausgrenzung der jüdischen oder »jüdisch versippten« Schriftsteller, Verleger, Buchhändler, Antiquare und Lektoren und die als geplanter Raubzug interpretierten bzw. interpretierbaren »Arisierungen« – denn mit dem nationalsozialistischen »Kunstraub« ist auch der »Bücherraub« (dank der Provenienzforschung in Bibliotheken) ein vieldiskutiertes Thema geworden. Ebenso deutlich wird auf diesem Feld aber auch das »Skandalon der ›Normalität des Dritten Reiches‹« in seinem »Amalgam aus Monopolisierung und Polyzentrismus, Kumpanei und Konkurrenz«, wie Erhard Schütz es in seinem Aufsatz »Zur Modernität des ›Dritten Reiches‹« 1995 treffend formuliert hat. Überhaupt ist Modernisierung ein Stichwort, zu dem z. B. organisatorische Neuregelungen im Verhältnis Schriftsteller/Verleger Anschauungsmaterial liefern können, und manche Beobachtung zur Organisation des Buchmarktes und dessen unglaubliche Prosperität gerade in den ersten Kriegsjahren passt zur These vom technokratischen Charakter des Nationalsozialismus. Dass der Massenbuchmarkt auch unter Mangelbedingungen aufrechterhalten wurde, verweist auf gleichgelagerte Erkenntnisse zur gezielten Konsumpolitik und gleichzeitigen Verbrauchslenkung durch das Regime. Eine Geschichte des Buchhandels 1933 – 1945 vermag daher auch Beiträge zu virulenten Debatten wie jene um den Charakter des NS-Staates als »Gefälligkeitsdiktatur« oder »Wohlfahrtsstaat« zu liefern. Der vorliegende Teilband 3/1 der Geschichte des Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert versteht sich allerdings nicht in erster Linie als ein Ort, an dem Thesen diskutiert werden sollen. Er bringt zuerst in einem in sich relativ geschlossenen, vom Autor zum Leser führenden Darstellungsbogen Grundlegendes zur NS-Literaturpolitik, den institutionellen und personellen Zusammenhängen der Schrifttumsbürokratie, zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Autoren ebenso wie zu allen Aspekten der organisatorischen Neuordnung des deutschen Buchhandels, insbesondere zum Institutionengeflecht und zur Kontrolle des Publikationswesens; der Bogen umschließt aber auch Basisdaten zur Buchmarktentwicklung (mit z. T. überraschenden Befunden) und

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eine Skizze zur Leserlenkung im Dritten Reich. Auf diese Zusammenschau der zentralen literaturpolitischen Aktivitätsfelder und Entwicklungslinien folgen Beiträge zu zwei in der Sache unterschiedlichen Themenfeldern, die aber gemeinsam haben, dass sich an ihnen charakteristische Konstellationen der NS-Herrschaft exemplarisch studieren lassen, auch deren Begrenzungen. Beim Thema Buchherstellung und Buchgestaltung zeigen sich die Widersprüchlichkeiten des Systems auf ästhetischer Ebene (Moderne/Antimoderne) sehr deutlich. Nur Teilerfolge errang das Regime auch im Bereich des Zwischenbuchhandels, der sich in allen seinen Formen gegen den Einfluss der Politik durch Betonung des rein logistischen Charakters seiner Tätigkeit und Funktion abzuschotten suchte. Schließlich werden in diesem Teilband bereits Programmbereiche des Verlagswesens aufgegriffen: mit dem belletristischen und wissenschaftlichen Verlag die beiden (auch ökonomisch) wichtigsten Sparten, mit dem Lexikonverlag ein Verlagszweig, bei welchem sich die Frage der Anpassung der Wissensvermittlung an die neue Zeit mit besonderer Dringlichkeit stellte. Der zweite Teilband wird die Vorstellung der verlegerischen Programmbereiche fortsetzen und im weiteren alle Erscheinungsformen des verbreitenden Buchhandels beleuchten, neben dem Sortiments- und Antiquariatsbuchhandel auch das Schicksal der Buchgemeinschaften und anderer Nebenformen der Bücherdistribution. Er wird auch das gemeinsame Register zu den Teilbänden 1 und 2 enthalten. Ein dritter Teilband wird Verlag und Buchhandel im Exil 1933 – 1945 behandeln. * Wie gewöhnlich bei solchen Projekten hat sich auch das Erscheinen dieses Bandes mehrfach verzögert. Die Gewinnung qualifizierter Bearbeiter der einzelnen Kapitel erwies sich als teilweise sehr langwierig. Die lange Entstehungszeit hat freilich auch erhebliche Vorteile: gerade in den letzten fünfzehn Jahren ist eine Anzahl wichtiger, teils grundlegender Arbeiten erschienen. Zuvor war diese Periode lange terra incognita der Buchhandelsgeschichte, obgleich (oder weil) noch zahlreiche Zeitzeugen und einstige Akteure am Leben waren – deren Erinnerungen allerdings auch nicht systematisch dokumentiert wurden. Erst Anfang der Achtzigerjahre hat die wissenschaftliche Aufarbeitung vor allem durch einzelne Dissertationen zögernd begonnen und seitdem an Intensität stetig zugenommen. Die Forschungslandschaft ist dennoch sehr uneinheitlich: manche Bereiche wie etwa die Schrifttumspolitik sind genauer erforscht, andere nach wie vor noch Desiderata. Das findet seinen Niederschlag auch in diesem Band. Zudem stellt sich die Quellenlage für diesen Zeitraum als besonders problematisch dar. Die Überlieferung von Akten staatlicher und parteiamtlicher Schrifttumsstellen ist lückenhaft, auch sind wichtige ins Ausland verbrachte Archivbestände (z. B. der Reichsschrifttumskammer) nach wie vor nicht zugänglich. Durch Kriegseinwirkung dezimiert wurde der Aktenbestand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, ebenso sind weitere große Verluste durch den Bombenkrieg gerade am Zentralort des deutschen Buchhandels Leipzig zu beklagen. Vielfach wurden Verlags- und andere Unternehmensarchive, sofern nicht im Krieg vernichtet, jahrzehntelang sekretiert und selektiert, auch nicht selten zur Gänze entsorgt, blieben jedenfalls oft ungeordnet und nur eingeschränkt nutzbar. Dennoch ist, nicht zuletzt im Archiv für Geschichte des Buchwesens, in den vergangenen Jahren eine nicht geringe Zahl einschlägiger Studien erschienen,

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darunter auch akademische Abschlussarbeiten, die als Standardwerke gelten können. Auch einige Unternehmen haben in den letzten Jahren ihre Rolle im Dritten Reich eingehend erforschen lassen, insbesondere die Verlagskonzerne Bertelsmann und Holtzbrinck. Dazu kommen Nachlässe, Briefe und Tagebücher von Schriftstellern, Verlegern und Buchhändlern sowie Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftenveröffentlichungen der Jahre 1933 bis 1945. Auch wenn sich eine Mehrzahl der neueren Studien um fortschreitende Differenzierung bemüht, ist die überaus komplexe Realität des Buchmarktes in der NS-Mediendiktatur noch längst nicht ausreichend erkannt und berücksichtigt. Noch immer überleben alte Pauschalisierungen und kommen sogar neue hinzu. Gerade bei manchen akademischen Abschlussarbeiten weist die so verständliche Tendenz zu rigorosen moralischen Qualifizierungen schriftstellerischen oder verlegerischen Verhaltens auf erhebliche Defizite beim Wissen um die komplizierten Interdependenzen und Zwänge des totalitären Lenkungs- und Überwachungssystems hin. Weder der systematische Blick auf die Instanzen und Funktion der Literaturpolitik noch die kasuistisch-exemplarische Perspektive auf den isolierten Einzelfall allein vermögen ein stimmiges Gesamtbild zu vermitteln, es bedarf der Synthese aus beidem. Dieser Band ist um ein solches vielschichtiges Gesamtbild bemüht, kann jedoch in keiner Weise den Anspruch erheben, ein vollständiges Panorama des Buchmarktes im NS-Staat zu geben. Als ein erster Anlauf dazu muss er sich darauf beschränken, den aktuellen Forschungsstand überblicksartig vorzustellen, an einigen Stellen auch zu erweitern und zu vertiefen; insofern markiert er eher einen Beginn als einen Abschluss. Auf jeden Fall aber sucht er deutlich zu machen, welch kardinale Rolle das Buch als Propagandamedium, seine Produktion, Distribution und Rezeption in der Kulturpolitik des NS-Staates gespielt haben. Ablesbar ist dies nicht allein an Maßnahmen der Zensur und Repression, sondern ebenso sehr an einer gezielten, sich gerade im Krieg stetig intensivierenden Förderung der Populärkultur, die Propaganda und Unterhaltung gleichrangig wertete. Damit wird auch ein Vorurteil zu korrigieren sein, das bisher die Massenmedien Film und Radio als hauptsächlichste Ideologisierungsobjekte und Propagandamittel des Regimes in den Vordergrund stellte.

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1 Einleitung

Jan-Pieter Barbian

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Die Arbeits- und Lebensbedingungen der Schriftsteller

2.1

Die »Gleichschaltung« des literarischen Lebens

Die Bücherverbrennungen Kaum ein anderes Ereignis markiert die radikale kulturpolitische Wende, die mit der nationalsozialistischen Machtübernahme verbunden war, so einprägsam wie die »Aktion wider den undeutschen Geist«, als deren Höhepunkt am 10. Mai 1933 die Bücherverbrennungen im gesamten Deutschen Reich inszeniert wurden. In einer 1934 unter dem Titel Dichter auf dem Scheiterhaufen veröffentlichten Nachbetrachtung schrieb der damalige Referent der Reichsschrifttumskammer Werner Schlegel: Die Bücherverbrennung war das Symbol der Revolution, das Symbol für die endgültige Überwindung des geistigen Verfalls, das Zeichen des Sieges der neuen Wertlehre. […] Wo andere Völker ihrem Temperamente entsprechend enthaupten [England im 17. Jahrhundert], erschießen (Rußland) oder stürmen [Frankreich 1789], verbrennt das deutsche Volk. Das Feuer als reinigende Kraft ist ein uraltes, mit der germanisch-deutschen Geschichte untrennbar verbundenes Symbol. […] Das vorrevolutionäre Deutschland hatte keine sichtbare, greifbare und daher angreifbare Machtinstitution. […] Die einzige und bekannte Macht in Deutschland war der Literaturerzeugungskonzern, der die öffentliche Meinung beherrschte.1 Diese Deutung fasst spitzfindig den Prozess der »Säuberung« des deutschen Buchmarktes zusammen, der Anfang April 1933 von der Deutschen Studentenschaft, dem Dachverband sämtlicher Studentenschaften an deutschen Universitäten mit Sitz in Würzburg, eingeleitet wurde und rasch eine breite Unterstützung sowohl durch öffentliche Verwaltungen des Reichs, der Länder, der Kommunen und der Gliederungen der NSDAP als auch durch Bibliothekare, Universitätsprofessoren, Schullehrer und Publizisten fand. Am 23. April 1933 teilte ein Mitarbeiter der Deutschen Studentenschaft dem damals 29-jährigen Erlanger Germanisten Benno von Wiese mit: Im Rahmen der Boykottbewegung in Deutschland soll von der Deutschen Studentenschaft ein Kampf wider den undeutschen Geist durchgeführt werden. Um zu vermeiden, dass fast die ganze Antijudenbewegung im Wirtschaftlichen sich erstreckt, wird von der Studentenschaft ein Kampf gegen alles Undeutsche im Geistigen 1 Schlegel: Dichter auf dem Scheiterhaufen, S. 50 –52. Julius Friedrich Werner Schlegel (1900 – ?): ab 1. September 1933 Vorlektor der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums; 1. Dezember 1933 bis 31. Dezember 1934 Referent in der RSK für die »Beobachtung des deutschen Buches im Ausland«. BArch BDC/RSK/Schlegel, W.

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2 D ie Arb e its- und Lebensb ed ingung en d er Schr if tste ller durchgeführt werden. Das soll sich erstrecken auf Literatur, Musik, Film, Theater, Kunst aller Art usw.2

Die Deutsche Studentenschaft begriff sich also als eine Art »geistige SA«, die sich vom Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte am 1. April 1933 inspirieren ließ und an die Spitze der kulturellen Erneuerungsbewegung treten wollte.

Abb. 1: Plakat der Reichsstudentenführung 1933. Bundesarchiv Berlin (RSF) NS 38/2415 –2418.

2 Das Schreiben findet sich in BArch NS 38/2416. Zur Karriere Benno von Wieses (1903 – 1987), der am 1. Mai 1933 der NSDAP beitrat und von 1936 bis 1945 für das Schrifttumsamt Rosenbergs als Lektor bzw. Hauptlektor für Deutsche Literaturgeschichte arbeitete, siehe im Einzelnen Rossade: »Dem Zeitgeist erlegen«.

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Die ursprüngliche Zielrichtung der »Aktion wider den undeutschen Geist«, nämlich die »Öffentliche Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums durch die Studentenschaften der Hochschulen aus Anlass der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland«,3 wurde im Laufe der vierwöchigen Vorbereitung beträchtlich erweitert. Auf den »Schwarzen Listen«, die der »Ausschuss zur Neuordnung der Berliner Stadt- und Volksbüchereien« den Studentenschaften als Grundlage für die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 zur Verfügung stellte, wurden nicht mehr nur jüdische Autoren genannt, sondern nahezu alle Repräsentanten der literarischen Moderne, die sich während der Weimarer Republik national und international durchgesetzt hatten. So indizierte die »Schwarze Liste ›Schöne Literatur‹«, die der Berliner Abb. 2: Ein Stoßtrupp des Berliner Bibliothekar Wolfgang Herrmann der Deut- »Kampfausschusses wider den schen Studentenschaft in einer ersten Fas- undeutschen Geist« bei der sung Ende April und in einer erweiterten Büchersammelaktion. Bildarchiv Fassung am 1. Mai übersandte,4 u. a. die Preußischer Kulturbesitz (bpk), Berlin Schriften von Bertolt Brecht, Alfred Döb- 30005318. lin, Erich Ebermayer, Kasimir Edschmid, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank, Ernst Glaeser, Oskar Maria Graf, Walter Hasenclever, Arthur Holitscher, Erich Kästner, Hermann Kesten, Egon Erwin Kisch, Irmgard Keun, Alexander Lernet-Holenia, Emil Ludwig, Heinrich und Klaus Mann, Kurt Pinthus, Theodor Plivier, Gustav Regler, Erich Maria Remarque, Ludwig Renn, Joachim Ringelnatz, Joseph Roth, Arthur Schnitzler, Anna Seghers, Ernst Toller, B. Traven, Kurt Tucholsky, Fritz von Unruh, Jakob Wassermann, Franz Carl Weiskopf, Armin T. Wegner, Franz Werfel, Arnold Zweig und Stefan Zweig. Anhand der »Schwarzen Liste«, die über die Belletristik hinaus auf die Sachbuchliteratur ausgeweitet wurde,5 durchsuchten die unter der Führung der Studentenschaft in den einzelnen Hochschulstädten gebildeten »Kampfausschüsse« Ende April/Anfang Mai die privaten Buchhandlungen und Leihbüchereien. In Berlin räumten Mitglieder des Nationalsozialistischen Deutschen Stundentenbundes an der Hochschule für Leibesübungen rund 15 Zentner Bücher und Broschüren aus dem Keller des Instituts für Sexual-

3 So das Rundschreiben P Nr. 2 des Hauptamtes für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft an die Einzelstudentenschaften vom 8. April 1933, hier S. 1. BArch NS 38/2416. 4 Das Anschreiben und die Liste finden sich ebd. 5 Die verschiedenen Listen sind – leider ohne genaue Datierung – überliefert in BArch R 56 V/ 70a Bl. 5 –31.

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forschung, das Magnus Hirschfeld 1919 gegründet hatte.6 Auch die Studentenschaft der Universität Bonn erweiterte ihren »Säuberungsauftrag« und beschlagnahmte »besonders sexual- und sexualbolschewistische Literatur, soweit sie lediglich auf niedere Instinkte des Publikums abzielte. (Diese war in überreichem Maasse vorhanden!)«.7 Aus Breslau wurde berichtet, dass in den Leihbüchereien rund 1.000 Titel »verpackt und versiegelt« wurden, »deren Inhalt nicht mit Abb. 3: Studenten bei der Bücherverdeutschem Wesen zu vereinbaren« war.8 brennung am 10. Mai 1933 in Berlin. Die Inhaber hätten fast ausnahmslos keine Bpk 30005292. Schwierigkeiten bei der Durchsuchung bereitet. Zum Teil hatten sie schon von sich aus besonders übel berüchtigte Bücher aus dem Leihverkehr gezogen und zurückgestellt. […] Es zeigte sich hierbei wieder, dass schon das bloße Erscheinen der Uniformierten genügte, um jeden Widerstand von vorneherein im Keime zu ersticken. In Greifswald wurden die Buchhandlungen und Leihbüchereien von der Studentenschaft nicht nur dazu aufgefordert, die in der »Schwarzen Liste« erfassten Bücher »aus ihren Beständen auszusondern und uns zur Vernichtung zu übergeben«.9 Darüber hinaus sollten sie sich in ihren Schaufenstern mit einem Plakat ausdrücklich zur »Aktion wider den undeutschen Geist« bekennen: »Bei Weigerung war Boykott angedroht worden«. Aus Königsberg meldete die Studentenschaft der Albertus-Universität nach Würzburg: Das Einsammeln der Bücher wurde ohne irgendwelchen Zwang ausgeübt. Das Ergebnis war zufriedenstellend. Aus feuertechnischen Gründen konnte nur ein Teil der eingesammelten Bücher auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden; die übrigen Bücher werden zum Heizen verwandt.10 Nach der gewaltsamen Auflösung der Freien Gewerkschaften am 2. Mai wurden auch deren Bibliotheken reichsweit geplündert. Neben der Gewerkschaftsliteratur gerieten auch die politischen Schriften kommunistischer, sozialdemokratischer und linksliberaler Autoren in die »Sammelaktion«. 6 Siehe dazu Dose: Magnus Hirschfeld; Ders./Herrn: Verloren 1933: Bibliothek und Archiv des Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin, S. 37 –51; Peiffer: Studierende der »Deutschen Hochschule für Leibesübungen« als Akteure der »Aktion wider den undeutschen Geist« im Frühjahr 1933, S. 99 –111; Herrn: Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft und die Bücherverbrennung, S. 113 –168. 7 Schreiben vom 17. Mai 1933 an das Amt für Aufklärung und Werbung in Berlin, BArch NS 38/2417. 8 Schreiben vom 28. April 1933 an das Hauptamt für Presse und Aufklärung der Deutschen Studentenschaft Berlin, ebd. 9 Schreiben vom 17. Mai 1933 an das Hauptamt für Aufklärung und Werbung, ebd. 10 Schreiben vom 14. Mai 1933 an das Hauptamt, zitiert nach Die Bücherverbrennung, S. 206 f.

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Am Abend des 10. Mai fanden die Bücherverbrennungen in 20 deutschen Hochschulstädten statt. Noch am 9. Mai hatte die Deutsche Studentenschaft den Einzelstudentenschaften zur »symbolische[n] Handlung im Verbrennungsakt« die passenden »Feuersprüche« zugesandt. Sie trafen Karl Marx und Karl Kautsky, den Erfinder der Psychoanalyse Sigmund Freud, den Bestsellerautor Emil Ludwig, die Publizisten Theodor Wolff, Georg Bernhard und Kurt Tucholsky sowie den Theaterkritiker Alfred Kerr. Neben diesen jüdischen Autoren, auf die die »Aktion« zu Beginn ausschließlich zielen sollte, wurden mit dem Pazifisten Friedrich Wilhelm Foerster, dem Schriftsteller Ernst Glaeser, dem Architekturkritiker Werner Hegemann sowie mit Erich Kästner, Heinrich Mann, Carl von Ossietzky und Erich Maria Remarque nun auch nichtjüdische Repräsentanten der Kultur der Weima- Abb. 4: Schandpfahl zur Bücherverbrennung in Münster. rer Republik gebrandmarkt. Die in den neun Stadtarchiv Münster Fotoslg. 5162. »Feuersprüchen« genannten Namen machten allerdings nur einen kleinen Teil der vom NSRegime als »schädlich« und »unerwünscht« eingestuften Autoren aus, deren Bücher seit April 1933 in den »Schwarzen Listen« von unterschiedlichen staatlichen Behörden und Parteidienststellen zusammengestellt wurden.11 Der polnische Journalist Antoni Graf Sobański, der zu jener Zeit als Korrespondent der in Warschau erscheinenden Wochenzeitschrift Literarische Nachrichten das Ereignis in Berlin miterlebte, hielt dazu in seinem Tagebuch die kluge Erkenntnis fest: »Die Bücherverbrennung lehrt uns, dass von seinen Folgen her gesehen nicht das wichtig ist, was wirklich geschieht, sondern das, was die menschliche Fantasie beflügelt.«12 Die nachhaltige Wirkung der Bücherverbrennungen auf die Zeitgenossen ebenso wie auf die Nachwelt lässt sich durch die medienwirksame Inszenierung erklären. Radfahrerkolonnen mit Plakaten »Wir kämpfen gegen Schund und Schmutz« (Hannover), Schandpfähle für indizierte Bücher (in Münster), Viehwagen als Buchtransportmittel (in Frankfurt am Main), flammende Reden und Feuersprüche, die lodernden Feuer als öffentliches Spektakel auf exponierten Plätzen in den jeweiligen Städten – all dies setzte den »Aufstand der Bilder« fort, den die NS-Propaganda seit 1928 gegen die Weimarer Republik geführt hatte.13

11 Vgl. Verbrannte Bücher 1933; Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher. 12 Sobański: Nachrichten aus Berlin 1933 –1936, S. 41. 13 Vgl. dazu im einzelnen Paul: Aufstand der Bilder. Vgl. auch Gimmel: Die politische Organisation kulturellen Ressentiments.

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Besondere Aufmerksamkeit erregte die Verbrennungsaktion auf dem Opernplatz in Berlin, wo am späten Abend des 10. Mai rund 20.000 Bücher unter professioneller Anleitung einer eigens beauftragten pyrotechnischen Firma verbrannt wurden. Der promovierte Germanist, Schriftsteller und Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels ließ seine Ansprache über den Deutschlandsender live und in den kommenden Wochen Abb. 5: Bücherverbrennung auf dem auch noch einmal über die WochenOpernplatz in Berlin. Bpk 30003892. schau in den Kinos im gesamten Reichsgebiet verbreiten.14 Diese medienwirksame Inszenierung trug entscheidend zu dem Mythos bei, dass die Bücherverbrennungen auf die Initiative von Goebbels zurückzuführen waren. Die Rede lässt allerdings das Bemühen des neuen Reichsministers erkennen, einerseits die Vernichtung der demokratisch und international ausgerichteten Literatur der Moderne gutzuheißen, andererseits aber die Studenten in ihrem revolutionären Eifer zu bremsen, um unerwünschte innen- und außenpolitische Verwicklungen zu vermeiden.15 Allerdings waren die Bücherverbrennungen mit dem 10. Mai keineswegs beendet. Für das Jahr 1933 lassen sich deutschlandweit an insgesamt 93 Orten Bücherverbrennungen nachweisen, deren Tourneeaufführungen jeweils ein großes Publikum und Medienecho fanden.16 Dabei feierte eine Allianz aus jungen und älteren Akademikern, unter ihnen mehrere angesehene Germanisten, gemeinsam mit Lehrern, Publizisten, Schriftstellern, heranwachsenden und altgedienten Parteisoldaten in ihren Reden die Abkehr vom Liberalismus, Pazifismus und Internationalismus der Weimarer Demokratie und die Beseitigung der als Kanon der Republik geltenden »zersetzenden«, »artund volksfremden« Literatur.17 Der Börsenverein der Deutschen Buchhändler, der im Sinne einer wirtschaftlichen Interessenvertretung an der gesamten »Aktion wider den undeutschen Geist« eigentlich ein geschäftsschädigendes Verhalten der Deutschen Studentenschaft hätte kritisieren müssen, übernahm demonstrativ deren Wertmaßstäbe. Auf der Titelseite des Börsenblatts für den Deutschen Buchhandel vom 13. Mai 1933 veröffentlichte der Gesamtvorstand eine Erklärung, die zuvor mit dem nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur und der Zentralstelle für das deutsche Biblio14 Zum Ablauf der Bücherverbrennungen in Berlin siehe im Einzelnen Treß: Orte der Bücherverbrennung in Deutschland 1933, S. 47 –142. 15 Die Rede ist vollständig wiedergegeben in Goebbels-Reden, Bd. 1, S. 108 –112. Vgl. auch Sauder: Der Germanist Goebbels als Redner bei der Berliner Bücherverbrennung., S. 81 –88. 16 Vgl. Treß: Phasen und Akteure der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, S. 9 –28, hier S. 13. In dem Sammelband werden die Ereignisse für jeden der 93 Orte beschrieben. 17 Siehe im Einzelnen Sauder: Akademischer »Frühlingssturm«, S. 140 –159, und Bollenbeck: Tradition, Avantgarde, Reaktion, S. 290 –297.

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thekswesen in Berlin abgestimmt worden war. Darin wurde mitgeteilt, dass die Schriftsteller Lion Feuchtwanger, Ernst Glaeser, Arthur Holitscher, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Ernst Ottwalt, Theodor Plivier, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky und Arnold Zweig »für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten sind. Der Vorstand erwartet, dass der Buchhandel die Werke dieser Schriftsteller nicht weiter verbreitet.«18 Auch Paul Fechter, Feuilletonredakteur der Deutschen Allgemeinen Zeitung, begrüßte »Die Auswechslung der Literaturen« in der Mai-Ausgabe der Monatszeitschrift Deutsche Rundschau.19 Die »Literatur der bürgerlichen Linken in all ihren Schattierungen« und die Literatur »mehr oder weniger kommunistische[r] Spielart« konnten nun ersetzt werden durch die »Dichtung im alten deutschen Sinne«, die während der Zeit der Weimarer Republik »eine Literatur unter der Oberfläche« gewesen sei, eine Dichtung der Tiefe, die vorhanden und auch nicht vorhanden war, weil ›man‹ nicht von ihr wusste, sondern immer nur einzelne sie kannten, weil sie immer erst, wenn nach ihr gefragt wurde, von irgendeinem Wissenden zusammengesucht und der andern, in Akademien und literarischen Blättern sorgsam vereinten Literatur entgegengestellt werden musste. Fechter bekräftigte mit solchen Behauptungen die von den politischen Gegnern der Weimarer Republik erfundene Legende, wonach die wahrhaft nationaldeutsche Literatur in den Jahren 1918 bis 1933 unterdrückt worden war. Für den antisemitischen Publizisten Wilhelm Stapel, der in enger Verbindung zur Hanseatischen Verlagsanstalt in Hamburg stand, lag der Grund in der Macht des angeblich jüdisch dominierten Feuilletons, »durch Totschweigen alle die Dichtungen, die ihm unwillkommen waren, um die Wirkung zu bringen.«20 Tatsächlich eröffnete der politische Systemwechsel jedoch einer Reihe nationalkonservativer und völkisch-nationalsozialistischer Verlage die Möglichkeit, ihre keineswegs geringen Anteile am deutschen Buchmarkt nach der Verdrängung der jüdischen Schriftsteller, Journalisten und Verleger mit Unterstützung des NS-Staates deutlich auszuweiten.21 Der Verdrängungsprozess wurde flankiert durch die institutionelle und personelle Neuformierung der drei wichtigsten schriftstellerischen Interessenvertretungen, die in der Weimarer Republik politisch autonom die deutsche Literatur auf nationaler ebenso wie auf internationaler Ebene repräsentiert hatten.

18 Börsenblatt 100 (1933) 110, S. 1. 19 Fechter: Die Auswechslung der Literaturen, S. 120 –122. Die nachfolgenden Zitate finden sich auf S. 120. 20 Stapel: Die literarische Vorherrschaft der Juden, S. 27. Zur Rolle von Stapel in der Publizistik der Weimarer Republik und der NS-Zeit vgl. Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 9 –21, 28 –39 et passim. 21 Zu den völkisch-nationalen und nationalkonservativen Verlagen in der Weimarer Republik siehe die Studien von Ulbricht sowie Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller.

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Überblick über die Bücherverbrennungen in Deutschland 1933 Phasen der Bücherverbrennungen 1933 Vor dem 10. Mai 1933: unabhängig von der »Aktion wider den undeutschen Geist«

Akteure

Datum

Ort

Bücher- und Fahnenverbrennungen im Kontext des politischen Terrors der SA und SS gegen Sozialdemokratische Partei- und Verlagshäuser sowie Gewerkschaftshäuser

7., 8. März 8. März 8. März 9. März 9. März, 2. Mai 10. März 11. März 11., 12. März 15. März 20. März 31. März 22. April 6. Mai 25. März 1. April 7. April 11. April um den 5. Mai 6. Mai 6. Mai 7. Mai 7. Mai

Dresden Pirna Zwickau Braunschweig Leipzig Würzburg Heidelberg Bochum Berlin Flensburg Münster Bremen Bremerhafen Kaiserslautern Wuppertal Luckenwalde Düsseldorf Berlin München Speyer Coburg Landsberg am Lech Rosenheim Landau Regensburg Neustadt a. d. Weinstraße Gießen Berlin Bonn Braunschweig Bremen Breslau Dresden Frankfurt am Main Göttingen Greifswald

Bücherverbrennungen durch die Hitler-Jugend hauptsächlich auf Schulhöfen Von Mai bis Juni 1933: Bücherverbrennungen im Rahmen der »Aktion wider den undeutschen Geist« Ab Mai 1933: nichtstudentische Bücherverbrennungen nach der »Aktion wider den undeutschen Geist«

Nichtstudentische Bücherverbrennungen in Folge des Aufrufes der Hitler-Jugend zum »Tag der Jugend« in Bayern (einschl. Pfalz)

Studentische Bücherverbrennungen

7. Mai 10. Mai 12. Mai 14. Mai 8. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai

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Ab Mai 1933: nichtstudentische Bücherverbrennungen nach der »Aktion wider den undeutschen Geist«

Schulbehördlich angeordnete Bücherverbrennungen auf Schulhöfen in der Preußischen Rheinprovinz Bücherverbrennungen im Rahmen der von der Hitler-Jugend durchgeführten »Kampfwoche gegen Schund und Schmutz« in Baden Weitere Orte der Bücherverbrennungen 1933 mit unterschiedlichen, regionalspezifischen Kontexten (häufigste Akteure: HitlerJugend, Kampfbund für deutsche Kultur, Deutschnationaler HandlungsgehilfenVerband)

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10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 10. Mai 12. Mai 12. Mai 13. Mai 15. Mai 17. Mai 17. Mai 19. Mai 19. Mai 21. Juni 23. Juni 19. Mai 19. Mai 19. Mai

Hannover Hann. Münden Kielönigsberg Königsberg Marburg München Münster Nürnberg Rostock Würzburg Erlangen Halle a. d. Saale Neustrelitz Hamburg Heidelberg Köln Kassel Mannheim Darmstadt Mainz Bad Kreuznach Essen Kleve

17. Juni 17. Juni 17. Juni 17. Juni 16. Juli

Karlsruhe Kehl Offenburg Pforzheim Heidelberg

Mai 10. Mai 22. Mai

Kellinghusen Worms Offenbach am Main Lübeck Dortmund Flensburg Hamburg Neubrandenburg Schwerin Bochum

26. Mai 30. Mai 30. Mai 30. Mai 31. Mai 4. Juni 9. Juni

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2 D ie Arb e its- und Lebensb ed ingung en d er Schr if tste ller 21. Juni

Essen

21. Juni

Niedergrunstedt bei Weimar

23. Juni 24. Juni

Schleswig HamburgBergedorf HamburgLohbrügge Mainz Eutin Bamberg Ulm Laupheim Brandenburg a. d. Havel Jena Rendsburg

24. Juni 24. Juni 25. Juni 1. Juli 15. Juli 22. Juli 27. Juli 26. August 9. Oktober

Quelle: Schoeps/Tress (Hrsg.): Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933.

Die »Gleichschaltung« der Sektion für Dichtkunst an der Preußischen Akademie der Künste Die Sektion für Dichtung an der Preußischen Akademie der Künste war seit ihrer Gründung im Jahr 1926 keineswegs unumstritten.22 Dies hing mit ihrer exponierten Stellung zusammen, denn obwohl es sich bei der Sektion um eine Einrichtung des Reichslandes Preußen handelte, galten ihre Vertreter als auserwählte und führende Repräsentanten für die gesamte deutsche Literatur der Gegenwart. Bereits 1930 brachen jedoch Meinungsverschiedenheiten über grundsätzliche Fragen des Selbstverständnisses von Literatur und der Rolle des Schriftstellers in der Gesellschaft auf, die zum Rücktritt des Vorsitzenden Walter von Molo und im Januar 1931 zum demonstrativen Austritt der nationalkonservativen Mitglieder Erwin Guido Kolbenheyer, Wilhelm Schäfer und Emil Strauß führten. Die Spaltung der deutschen Literatur verlief also parallel zur politischen Krise und Erosion der Weimarer Republik. Daher ist es nicht verwunderlich, dass nach der nationalsozialistischen Machtübernahme die Sektion für Dichtung als erste Schriftstellervereinigung einer personellen Neuformierung unterzogen wurde. Am 15. Februar 1933 trat Heinrich Mann, der zwei Jahre zuvor zum Vorsitzenden gewählt worden war, von seinem Amt zurück, nachdem der neue preußische Kultusminister Bernhard Rust (NSDAP) andernfalls die Auflösung der Sektion angedroht hatte. Dieser politischen Erpressung noch vor den letzten, scheindemokratischen Reichstagswahlen vom 5. März folgte am 13. März eine von Gottfried Benn initiierte 22 Vgl. zum Folgenden Brenner: Ende einer bürgerlichen Kunst-Institution; Jens: Dichter zwischen rechts und links; Huder: Die sogenannte Reinigung; Mittenzwei: Der Untergang einer Akademie oder Die Mentalität des ewigen Deutschen; Dyck: Der Zeitzeuge, S. 54 –103.

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und von Akademiepräsident Max von Schillings forcierte Loyalitätserklärung zugunsten der nationalsozialistischen Reichsregierung, mit der persönliche Rechnungen unter den Schriftstellern beglichen und die endgültige Trennung der literarischen Lager vollzogen wurden. Alfred Döblin, Ricarda Huch (bis dahin 2. Vorsitzende), Thomas Mann, Rudolf Pannwitz, Alfons Paquet, René Schickele und Jakob Wassermann wurden nun von dem am 1. April der NSDAP beigetretenen von Schillings aus der Akademie ausgeschlossen, weil sie sich weigerten, die bedingungslose Kapitulation vor den politischen Machthabern zu unterschreiben. Leonhard Frank, Ludwig Fulda, Georg Kaiser, Bernhard Kellermann, Alfred Mombert, Fritz von Unruh und Franz Werfel, die mit der Loyalitätserklärung offenbar keine Schwierigkeiten hatten, wurden dennoch ausgeschlossen, da sie, wie ihnen der Akademiepräsident nach »an maßgebender amtlicher Stelle eingeholten Informationen« per Einschreiben mitteilte, »nach den für die Neuordnung der kulturellen staatlichen Institute Preußens geltenden Grundsätze(n)« nicht mehr tragbar waren.23 Gemeint waren damit bei von Unruh seine pazifistische Einstellung, bei Kaiser seine literarische Ästhetik und bei den anderen prominenten Kollegen die »nichtarische« Abstammung, die in sinngemäßer Anwendung des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 als Ausschlussgrund für eine Mitgliedschaft in der Akademie der Künste gewertet wurden. Von den bisherigen Mitgliedern verblieben damit lediglich noch Benn, Rudolf G. Binding, Theodor Däubler, Max Halbe, Oskar Loerke, Max Mell, Walter von Molo, Josef Ponten, Wilhelm Schmidtbonn, Ina Seidel und Eduard Stucken in der Sektion. Die frei gewordenen Plätze wurden Anfang Mai 1933 wieder besetzt: mit den »Rückkehrern« Kolbenheyer, Schäfer und Strauß sowie mit den von Rust neu Ernannten Werner Beumelburg, Hans Friedrich Blunck, Peter Dörfler, Friedrich Griese, Hanns Johst, Agnes Miegel, Börries von Münchhausen und Will Vesper. Im Oktober 1933 folgten Hermann Claudius, Gustav Frenssen, Enrica von Handel-Mazzetti, Rudolf Huch, Isolde Kurz, Heinrich Lersch, Jakob Schaffner, Johannes Schlaf und Josef Magnus Wehner. Damit waren – im NS-Jargon formuliert – die »Literaten«, die den öffentlich wahrgenommenen literarischen Kanon der Weimarer Republik überwiegend bestimmt hatten, verdrängt und die »Dichter«, die nach den Vorstellungen der NS-Machthaber und der nationalsozialistischen Literaturkritik den Kanon des Dritten Reiches bestimmen sollten, an repräsentativer Stelle positioniert. Hinter den genannten nationalkonservativen und völkischen Autoren standen Verlage wie Langen-Müller, Hanseatische Verlagsanstalt und Eugen Diederichs, die bereits während der Weimarer Republik mit ihrer Buchproduktion beachtliche Erfolge erzielt hatten, die nun aber mit der Unterstützung des NS-Staates den deutschen Buchmarkt ganz für sich erobern wollten. Hans Carossa, der ebenso wie Ernst Jünger die Berufung in die Akademie abgelehnt hatte, lag in seiner Einschätzung allerdings völlig richtig: »Eine Körperschaft, die unter so strenger Bevormundung des Staates steht wie diese umgestaltete Akademie, hat keine wahre Souveränität und somit auch keine wirkliche Würde.«24 Abgesehen von Huldigungsadressen an die neuen Machthaber und öffentlichen Aufrufen zur Unterstützung der nationalsozialistischen Außenpolitik beschäftigten sich die Dichter in der Folge vor allem mit sich selbst und mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust ihrer Akademie. 23 Zitiert nach Jens: Dichter zwischen rechts und links, S. 212. 24 Brief an Katharina Kippenberg vom 17. Mai 1933. In: Hans Carossa. Briefe II, S. 284.

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Die »Gleichschaltung« der deutschen Sektion des PEN-Club Der Vorstand des deutschen PEN-Club war seit der Emigration seines Vorsitzenden Alfred Kerr in die Tschechoslowakei am 15. Februar 1933 und nach dem Rücktritt der Vorstandsmitglieder Theodor Däubler, Herwarth Walden und Hanns Martin Elster am 7. März verwaist.25 Kerr hatte den Vorsitz im Dezember 1931 übernommen, nachdem der amtierende Präsident Walter Bloem aus Protest gegen die Solidarisierung des Verbands mit dem politisch verfolgten Carl von Ossietzky sein Amt niedergelegt hatte. In einem Artikel für die Deutsche Allgemeine Zeitung vom 17. März 1933 griff Carl Haensel, PEN-Mitglied und langjähriger Syndikus des Schutzverbands deutscher Schriftsteller, den »Internationalismus« des deutschen PEN-Club öffentlich an. Für den schriftstellernden Rechtsanwalt stand fest, »[…] dass nur der ein Volk nach außen vertreten kann, der bis in die Tiefen, mit dem eigenen Volkstum verwurzelt, und von seinen Säften bis in die letzte Pore durchzogen ist«.26 Die Neubesetzung des Vorstands sollte im Hinblick auf den bevorstehenden internationalen PEN-Kongress in Ragusa (Dubrovnik) rasch erfolgen. Dabei stimmten die nationalkonservativen Vertreter des deutschen PEN-Club, zu denen Walter Bloem, Hanns Heinz Ewers, Hans Richter, Edgar von Schmidt-Pauli und Fedor von Zobeltitz gehörten, ihr Vorgehen eng mit dem nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur ab. Bloem regte an, »[…] dass die Mitglieder des Kampfbundes in den PEN-Club hineingehen, um dort die Säuberungsaktion schleunigst durchführen zu können«.27 Die Kampfbund-Strategen in Berlin verfolgten ihrerseits das Ziel, »[…] den PEN-Club vollständig zu erobern und Ragusa mit ausgesprochenen Nationalsozialisten zu beschicken«. Der kommissarische Vorstand, dem Werner Bergengruen, Hans Richter, Edgar von Schmidt-Pauli und Fedor von Zobeltitz angehörten, bereitete für den 9. April 1933 eine ordentliche Hauptversammlung vor. Bei dieser Gelegenheit wurde eine Mischung aus nationalkonservativen und nationalsozialistischen Schriftstellern und Publizisten neu aufgenommen – u. a. Max Barthel, Werner Beumelburg, Paul Fechter, Hans Grimm, Hanns Johst, Erwin Guido Kolbenheyer, Hans Heinz Mantau Sadila, Börries Freiherr von Münchhausen, Rudolf Pechel, Ernst Wiechert, Will Vesper sowie Alfred Rosenberg und Hans Hinkel als Vertreter des Kampfbundes.28 Allerdings kam es bei der Aussprache über die Neuwahl des Vorstands und der Ausschüsse »zu teilweise scharfen Zusammenstößen«, wie das von Haensel angefertigte Protokoll vermerkt. Der Alterspräsident Fedor von Zobeltitz erhielt den Auftrag, eine »Kommission aus 10 Herren zu ernennen«, die eine neue Liste zusammenstellen sollte – »und zwar nach Fühlungnahme mit den Regierungsstellen«. Die Kommission legte dann zwar die erbetenen Vorschlags25 Vgl. Der deutsche PEN-Club im Exil 1933 –1948. Vgl. ferner: Handbuch P.E.N. 26 Haensel wies in diesem Artikel auch auf seinen am 20. Mai 1932 in der DAZ veröffentlichten Bericht über den internationalen PEN-Kongress in Budapest hin, der bereits die bezeichnende Überschrift »Der Weg in die Zukunft führt über die Nation« trug. 27 Besuch des Walter Bloem bei Pg. Kochanowski am 27. März 1933, BArch R 56 I/102 Bl. 232. Kochanowski machte zur notwendigen »Säuberungsaktion« noch die Anmerkung: »Es sind etwa 1/3 der deutschen Mitglieder eingeschriebene Kommunisten, sehr viele Juden«. Das folgende Zitat ebd. 28 Siehe zum Folgenden das Protokoll der ordentlichen Hauptversammlung am 9. April 1933, Berlin, BArch R 56 I/102 Bl. 20.

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listen vor. Doch im Rahmen der am 23. April fortgesetzten Hauptversammlung wurden zunächst weitere neue Mitglieder, unter ihnen Rainer Schlösser als kulturpolitischer Schriftleiter des Völkischen Beobachter,29 zugewählt und im Widerspruch zur Satzung sogleich für stimmberechtigt erklärt.30 Die gestärkte Position der Nationalsozialisten machte sich bei der anschließenden Diskussion über die Neuwahl des Vorstands bemerkbar. Die angeblich beabsichtigte Kontrolle der nationalsozialistischen Vorstandsmitglieder durch die »nationale Gruppe« stieß bei den Kampfbund-Vertretern auf entschiedene Ablehnung. Erich Kochanowski, Mitarbeiter in der Kampfbund-Landesleitung Preußen, teilte »im Auftrag von Hinkel und Johst« mit, dass sich die beiden abwesenden Herren »keinen Rat zumuten lassen«. Der PEN-Club sei »ein wichtiges Instrument im ganzen Staatsgefüge. Und wenn hier ein neuer Vorstand gewählt wird, so ist es selbstverständlich, dass dieser es sich zur Pflicht macht, den P.E.N.-Club ganz besonders im Interesse des Staates zu verwalten«. Schmidt-Pauli fiel dann seinen nationalkonservativen Kollegen mit dem Gegenvorschlag in den Rücken, Hinkel, Johst und Schlösser zu Vorsitzenden, Johannes von Leers und sich selbst zu Schriftführern, Elster und Kochanowski zu Schatzmeistern zu wählen. »Falls diesem Vorschlag nicht zugestimmt wird, haben die zu wählenden Vorsitzenden und alle Kampfbundmitglieder bis zu einer weiteren Mitgliederversammlung kein Interesse an den Vorgängen im P.E.N.-Club«. Im gleichen Ton der Erpressung erklärte Kochanowski, »dass wir nur einem Vorstand in dieser Zusammensetzung zustimmen werden«. Und Wulf Bley ergänzte noch, dass die deutsche PEN-Gruppe im Falle der Nichtannahme der neuen Liste »die Staatsführung nicht mehr hinter sich« hätte. Nachdem Kochanowski jede weitere Diskussion mit der Begründung abgelehnt hatte, dass alle Bedenken bereits »von den Herren Hinkel, Johst und Rosenberg in Betracht gezogen worden« waren und er das »Vertrauen zu den neuen Vorsitzenden [habe], dass der neue Vorstand unter ihrer Führung vollständig im Sinne unserer neuen Reichsführung arbeite«, verließen Bloem und andere Vertreter der »nationalen Gruppe« die Sitzung. Damit konnten Vorstand und Ausschuss des deutschen PEN-Club »einstimmig« im nationalsozialistischen Sinne besetzt werden.31 Um den noch zögernden Vesper für eine Mitarbeit zu gewinnen, teilte ihm von Leers am 27. April 1933 süffisant mit, dass im deutschen PEN-Club nun alles »entsprechend der Umgestaltung ein- und aus/gleichgeschaltet« war.32 Da jedoch dem im Sinne des Nationalsozialismus fundamentalistischen Herausgeber der Neuen Literatur einige Mitglieder immer noch suspekt waren, war er lediglich dazu bereit, dem »deutschen Vorstand […] zur dringend nötigen gründlichen Säuberung des Klubs die notwendige Entschlossenheit und die richtige Erfahrung [zu] wünschen.«33 Zudem riet Vesper von einer Teilnahme am PEN-Kongress ab, da man sich »von dem Auftreten vor einem internationalen und zum größten Teil feindlichen Schriftstellertum« nicht das »geringste Gute für Deutschland versprechen kann«. 29 Vgl. dazu Hüpping: Rainer Schösser, S. 98 –128. 30 Vgl. Protokoll der Fortsetzung der ordentlichen Generalversammlung am 23. April 1933, BArch R 56 I/102 Bl. 17 –19. 31 Die neue Liste der Vorstands- und Ausschussmitglieder ebd. Bl. 267. 32 Ebd. Bl. 207. 33 Die Neue Literatur 34 (1933), S. 365. Das folgende Zitat ebd., S. 366.

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Auf dem Kongress, der vom 25. bis 28. Mai in Ragusa tagte, geschah dann genau das, was Vesper vorausgesagt hatte: »nur peinliche Zusammenstöße, denen die deutschen Vertreter nicht gewachsen waren.«34 Die den internationalen Vereinsgrundsätzen zuwiderlaufenden Ausschlüsse von politisch andersdenkenden und jüdischen Schriftstellern aus dem deutschen PEN-Club wurden verurteilt.35 Neben der englischen und der französischen Delegation machten vor allem die aus Deutschland vertriebenen Autoren Schalom Asch, Emil Ludwig und Ernst Toller Front gegen die nationalsozialistische Kulturpolitik. Den Auftritt Tollers nahm die reichsdeutsche Delegation zum Anlass, unter Protest die Versammlung zu verlassen, so dass die vorgesehene Rede des ehemaligen Korvettenkapitäns und Kriegsbuchautors Fritz Otto Busch zum Thema »Der freie Schriftsteller und die Presse« ausfiel.36 Busch, Elster und Schmidt-Pauli gelang es jedoch, eine von PEN-Präsident Herbert George Wells gewünschte antideutsche Resolution zu verhindern. Stattdessen wurde ein von den amerikanischen Delegierten als Kompromiss formuliertes Schluss-Kommuniqué von der Mehrheit des Kongresses angenommen.37 Darüber hinaus behielt der deutsche PEN seinen Sitz im Exekutivkomitee; auch solidarisierten sich große Teile des österreichischen PEN-Club mit ihren reichsdeutschen Kollegen.38 Es waren diese propagandistischen Erfolge, die auf einer Ausschusssitzung des deutschen PEN-Club am 7. Juli 1933 für ein Verbleiben in der internationalen Schriftstellervereinigung sprachen.39 Dass eine Instrumentalisierung der deutschen PEN-Sektion für die außenpolitischen Ziele des NS-Staates dennoch letztlich scheiterte, lag an der spezifischen Organisationsstruktur des internationalen PEN-Club und an der politischen Konsequenz der britischen Verbandsspitze. Anfang November 1933 verabschiedete das Exekutivkomitee in London erneut eine scharfe Resolution gegen die Verfolgung von Schriftstellern aus politischen oder rassischen Gründen in Deutschland. Der bei der Sitzung anwesende deutsche Delegierte von Schmidt-Pauli erklärte daraufhin den Austritt der deutschen Sektion aus dem internationalen PEN-Club.40 Nachdem der Austritt vom deutschen PEN-Ausschuss bestätigt worden war, kam es am 8. Januar 1934 zur Gründung einer Union Nationaler 34 So die selbstzufriedene Feststellung Vespers ebd., S. 422. 35 Siehe hierzu im Einzelnen die bei Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich, S. 67 –69, wiedergegebenen Berichte der französischen und der britischen Presse über den Tagungsverlauf. 36 Vgl. Telegramm Buschs an Kochanowski vom 26. Mai 1933, BArch R 56 I/102 Bl. 104. Die Rede Buschs wurde gekürzt in der von Hinkel für den Kampfbund herausgegebenen Zeitschrift »Deutsche Kultur-Wacht« (1933) Heft 11, S. 13, veröffentlicht. Der Vorspann weist darauf hin, dass sich dem deutschen Protest die österreichische Delegierte Grete von Urbanitzky, die holländische Delegierte Jo van Ammers-Küller sowie die Schweizer Emanuel Stickelberger und Hermann Burte angeschlossen hatten. 37 Vgl. dazu die beiden von Busch und Schmidt-Pauli am 27. und 28. Mai 1933 verfassten Berichte über den Verlauf des PEN-Kongresses, BArch R 56 I/102 Bl. 88 –96 und 97 –102. 38 Vgl. Renner: Österreichische Schriftsteller und der Nationalsozialismus, S. 205 –217. 39 Vgl. Protokoll der Ausschusssitzung am 7. Juli 1933, BArch R 56 I/102 Bl. 266. 40 Siehe den im Protokoll der Ausschusssitzung vom 18. November 1933 enthaltenen Bericht Schmidt-Paulis über den Verlauf der Sitzung des Exekutivkomitees sowie den Anfang Januar 1934 verfassten Bericht Schmidt-Paulis zur Umgründung der deutschen PEN-Gruppe in die Union Nationaler Schriftsteller, S. 2, BArch BDC/RSK/Schmidt-Pauli, E. von.

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Schriftsteller.41 In ihr gingen das Vereinsvermögen und die meisten der bisherigen Mitglieder der deutschen Gruppe des PEN-Club auf.42 Zum Präsidenten wurde Hanns Johst gewählt, als Vizepräsident kam Gottfried Benn neu hinzu, während Schmidt-Pauli als Schriftführer, Elster und Kochanowski als Schatzmeister übernommen wurden. In einem Aufruf »An die Schriftsteller aller Länder!«, der am 1. März 1934 im Völkischen Beobachter veröffentlicht wurde, warnte die neue Schriftstellervereinigung vor der internationalen Gefahr des Kommunismus und spielte die nationale deutsche Literatur gegen die Emigrantenliteratur aus.43 An die Stelle der völkerversöhnenden Zielsetzung des PEN-Club trat die »kulturelle Persönlichkeit des Vaterlandes«, die in nationalen und rassischen Kategorien definiert wurde. Angesichts der aufgeblasenen Formulierungen, die aus der Feder Johsts und Benns stammten, verwundert es allerdings nicht, dass die Union Nationaler Schriftsteller im In- und Ausland auf wenig Resonanz stieß und rasch wieder in der Versenkung verschwand.

Die »Gleichschaltung« des Schutzverbands deutscher Schriftsteller Auch der Schutzverband deutscher Schriftsteller (SDS), die mit mehr als 2.400 Mitgliedern (1932) größte und als Interessenvertretung bedeutendste Schriftstellervereinigung, war am Ende der Weimarer Republik tief gespalten.44 Seit 1931 bekämpften sich in der Reichshauptstadt eine kommunistisch beherrschte »Ortsgruppe Berlin« und eine im Dezember neu gegründete »Ortsgruppe Berlin-Brandenburg«, der anfangs 287 Mitglieder angehörten. Diese Gruppierung nationalkonservativer Schriftsteller unter dem Vorsitz von Max Barthel wuchs bis 1933 auf 483 Mitglieder an und wirkte entscheidend an der »Umschaltung« des SDS mit.45 Zudem wurde Ende 1931 Walter Bloem, der Leiter der im Oktober gebildeten »Arbeitsgemeinschaft nationaler Schriftsteller«, vom Hauptvorstand des SDS zum neuen Vorsitzenden gewählt. Mit Hans Richter, dem Vorsitzenden des Verbandes deutscher Erzähler, und dem Syndikus Carl Haensel gehörten zwei weitere Vertreter der nationalen Gruppe dem Hauptvorstand an. Bloem trat allerdings im April 1932 von seinem Amt zurück, weil sich neben dem PEN-Club auch der von sozialdemokratischen und liberalen Schriftstellern und Journalisten dominierte Hauptvorstand des SDS an der Kampagne für den inhaftierten Carl von Ossietzky beteiligte. Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde die »Ortsgruppe Berlin« aufgelöst. Am 10. März 1933 verdrängten die Mitglieder der »Arbeitsgemeinschaft nationaler Schriftsteller« achtzehn Kollegen aus dem Hauptvorstand, die als Repräsentanten der 41 Siehe ebd. das Protokoll der Ausschusssitzung vom 18. November 1933, die Niederschrift der Generalversammlung des P.E.N.-Clubs am 8. Januar 1934 sowie die Niederschrift der Gründungs-Versammlung der Union Nationaler Schriftsteller vom gleichen Tag. Da zur Generalversammlung nicht die erforderliche Hälfte aller Mitglieder erschienen war, konnte der PENClub am 8. Januar 1934 allerdings noch nicht einmal offiziell aufgelöst werden. Vgl. auch Düsterberg: »Der Barde der SS«, S. 179 –188. 42 Vgl. die Niederschrift der Generalversammlung des PEN-Club vom 8. Januar 1934 und das Rundschreiben der Union Nationaler Schriftsteller vom 25. Januar 1934, mit dem die bisherigen Mitglieder der deutschen PEN-Gruppe zum Beitritt aufgefordert wurden, BArch BDC/ RSK/Schmidt-Pauli, E. von. 43 Der Text ist wiedergegeben in Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich, S. 86 f. 44 Siehe dazu im Einzelnen Fischer: Der »Schutzverband deutscher Schriftsteller«, Sp. 1 –666. 45 Vgl. Barthel: Sechzehn Monate Arbeit und Kampf, S. 55 f.

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republikanischen Politik und Kultur eingestuft wurden.46 Den Ablauf dieses handstreichartigen Überfalls auf die letzte Sitzung des demokratisch gewählten Vorstands schilderte Hanns Heinz Ewers, der zu den Gründungsmitgliedern des SDS gehörte, sich aber bereits 1931 der NSDAP angeschlossen hatte, 1940 gegenüber der Reichsschrifttumskammer: Der Parole des Führers folgend, der auf seinem Wege zur Machtergreifung strengste Legalität verlangte, ging auch ich in diesem (gewiss bescheidenen Falle) streng legal vor, d.h. ich handelte genau nach den Satzungen des Verbandes. Ich verlangte [!] also, dass sofort die größere Anzahl des Vorstandes ihren Rücktritt erklären solle; die Übrigen sollten bleiben, aber nur, um nun ihrerseits neue, von mir genannte Vorstandsmitglieder hinzuzuwählen. Ich ging dann mit meinen Leuten hinaus, ließ dem Vorstand eine Viertelstunde Zeit, sich zu entscheiden. Was ich erwartet hatte, geschah: so groß war die Angst und die Feigheit der Herren, dass sie sofort alles taten, was man von ihnen verlangte.47 Die verbliebenen Vorstandsmitglieder wählten zehn nationalkonservative und nationalsozialistische Schriftsteller hinzu.48 Mit dem kommissarischen Vorsitz wurden Hans Richter als 1. und Carl Haensel als 2. Vorsitzender beauftragt. Der neue Vorstand beschloss am 15. März, dass die SDS-Mitgliedschaft mit einer Mitgliedschaft in der KPD oder ihr nahestehender Verbände unvereinbar war. Eine Kommission überprüfte in den folgenden zwei Wochen im Auftrag des Vorstands die Mitgliederkartei und schloss sämtliche politisch »unerwünschten« Schriftsteller aus dem SDS aus. Auf der Hauptversammlung vom 4. Mai rückte mit Götz Otto Stoffregen ein Nationalsozialist an die Spitze des Verbands.49 Hans Richter wurde 2. Vorsitzender, die nationalsozialistischen Autoren Hans Heinz Mantau-Sadila und Hans Henning Freiherr von Grote übernahmen die Schriftführung. Haensel blieb Syndikus. Als Beisitzer wirkten u. a. Werner Bergengruen und Eberhard Meckel mit. Dem SDS Österreich wurde mitgeteilt, dass die seit längerem beabsichtigte Fusion nicht weiterverfolgt werden sollte, weil dessen Vorstand »die Entwicklung, wie sie sich im Deutschen Reiche vollzogen hat, nicht versteht, jedenfalls nicht mitzumachen beabsichtigt.« Die einstimmig angenommene neue Satzung verlangte »als Vorbedingung des Eintritts« von jedem Mitglied »in Form einer schriftlichen Erklärung das klare Bekenntnis zur deutschen Kulturgemeinschaft in Wort und Tat.«50 46 Vgl. Die Umstellung des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller, S. 33 f.; Mantau-Sadila: Warum wir den SDS gleichgeschaltet haben, S. 76 –79. 47 Anlage 1 »Betrifft: Mein Verhältnis zur Schrifttumskammer« zum Schreiben von Ewers an die RSK vom 10. Juni 1940, hier S. 2. BArch BDC/RSK/Ewers, H.H. Zum Engagement von Ewers für die NSDAP vor 1933 siehe im Einzelnen Kugel: Der Unverantwortliche, S. 282 –340. 48 Zahlenangabe bei Rühle: Das Dritte Reich. Das erste Jahr 1933, S. 84. Im Hauptvorstand verblieben W. Bloem, W. Goetz (als 2. Schatzmeister), C. Haensel (als 2. Vorsitzender), H. Richter, W. Schendell (der bisherige Geschäftsführer) und H. Spiero. Die neuen Vorstandsmitglieder waren die Autoren Barthel, Bergengruen, von Conring, Frhr. von Grote, Jahnn, Mantau-Sadila, Meckel, Seitz, Wienand und Werner. 49 Vgl. hierzu und zum Folgenden »Hauptversammlung des SDS«, S. 34. 50 Satzung des SDS. 1933. Angenommen in der Generalversammlung vom 4. Mai 1933, S. 35 – 40, hier S. 35 (§ 3).

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Im Rahmen eines vom SDS organisierten Vortrags vor Schriftstellern und Verlegern kündigte Goebbels am 19. Mai im Hotel »Kaiserhof« an, dass »der Nationalsozialismus als Träger der Revolution […] planmäßig und organisch alle Kreise des Geistes, der Wissenschaft und der Kunst an sich heranzuziehen bestrebt sei, um sie in ein unmittelbares, nicht mehr zu lösendes Verhältnis zum Staat zu bringen«.51 Kurze Zeit später, am 9. Juni, wurde »auf Veranlassung« des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda ein Reichsverband deutscher Schriftsteller e. V. (RDS) gegründet.52 In dieser neuen Berufs- und Standesorganisation ging Ende Juli der SDS zusammen mit dem Verband deutscher Erzähler, dem Deutschen Schriftstellerverein und dem Kartell lyrischer Autoren auf. Stoffregen avancierte zum »Reichsführer«, sein Stellvertreter blieb Hans Richter. Die Kontinuität zum SDS war zwar in personeller, organisatorischer und vermögensrechtlicher Hinsicht, teilweise sogar in den inhaltlichen Zielen offenkundig. Die Einführung des »Führerprinzips« ebenso wie die Notwendigkeit einer »deutschblütigen Abstammung« und eines »politisch einwandfreien« Verhaltens »im Sinne des neuen Staates« als Bedingungen für die Aufnahme bedeuteten jedoch einen entscheidenden Bruch mit der demokratischen Verbandspraxis. Es war beabsichtigt, den RDS zu einer »Zwangsorganisation auszubauen, deren Mitgliedschaft in Zukunft entscheidend dafür sein wird, ob ein Schriftwerk in Deutschland verlegt werden kann oder nicht«. Damit war ein Grundprinzip der späteren Reichskulturkammer-Gesetzgebung formuliert. Und es war der im Vorstand bereits vertretene Referent des Propagandaministeriums, Heinz Wismann, der dann die Überleitung des RDS in die durch das Gesetz vom 22. September 1933 gegründete Reichskulturkammer betreiben sollte.

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Von der schriftstellerischen Autonomie zur politischen Kontrolle

Die Entrechtung der jüdischen und »jüdisch versippten« Schriftsteller Aufgrund der Ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammer-Gesetzes vom 1. November 1933 musste jeder Schriftsteller die Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer über den RDS beantragen.53 Wer dieser Pflicht nicht nachkam, so ein 1934 veröffentlichter Rechtskommentar, »stellt sich außerhalb seiner berufsständischen Vertretung und verliert damit die Voraussetzung zur weiteren Berufsausübung«.54 Das »Recht zur Berufsausübung« ging auch dann verloren, wenn die beantragte Mitgliedschaft abgelehnt oder eine »Kündigung der Mitgliedschaft« ausgesprochen wurde. Allerdings durften die Entscheidungen der Kammer-Präsidenten über die Ab51 So die Wiedergabe der Rede bei Mantau-Sadila: Warum wir den SDS gleichgeschaltet haben, S. 79. 52 Vgl. Reichsverband Deutscher Schriftsteller e.V. Reichsleitung, S. 93 –97. Zum Folgenden siehe ebd. 53 Vgl. Bekanntmachung über die Gliederung der Reichsschrifttumskammer vom 21. Dezember 1933. In: Börsenblatt 100 (1933) 298, S. 995 –997. 54 Schrieber: Die Reichskulturkammer, S. 24. Die folgenden Zitate ebd.

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lehnung der Aufnahme oder den Ausschluss wegen mangelnder »Zuverlässigkeit und Eignung« nur »von Fall zu Fall« und »unter Berücksichtigung der besonderen Umstände« getroffen werden.55 Da aus außenpolitischen und wirtschaftlichen Erwägungen in das Kulturkammerrecht kein expliziter »Arierparagraph« aufgenommen worden war,56 herrschte in der Reichsschrifttumskammer zunächst Unklarheit darüber, wie das sensible Thema der jüdischen Schriftsteller behandelt werden sollte.57 Wismann in seiner Funktion als Vizepräsident war offenbar gewillt, einen harten Kurs zu steuern. Hans Grimm vertrat, wie er dem neu ernannten Kammer-Präsidenten Blunck am 18. November 1933 schrieb, zwar auch die Meinung, dass »der Jude in Zukunft und jedenfalls eine Weile ganz ausgeschaltet sein soll, der neu herandrängt«. Allerdings plädierte er dafür, dass »die Juden, die geschrieben haben und ordentlich waren«, in die Kammer aufgenommen werden oder in ihr verbleiben sollten. Blunck seinerseits wollte unter allen Umständen vermeiden, die jüdischen Mitbürger, die sich im Krieg ausgezeichnet haben, die fest zu unserem Staat gestanden haben und sich nicht an der Propaganda der Dekadenz beteiligt haben, unbillig zu behandeln, sondern lieber versuchen, […] den über das Verhältnis andrängenden Nachwuchs auszuschalten.58 Die Frage der Berufszulassung stellte sich aber nicht nur im Hinblick auf die »nichtarischen« Schriftsteller. Anfang Dezember 1933 legte der RDS der Kammer eine erste umfangreiche Liste mit Schriftstellern vor, deren Anträge auf Aufnahme abgelehnt werden sollten.59 Durch einen Umlauf setzte Blunck die Mitglieder des Präsidialrates von dieser »schwierigen Angelegenheit« in Kenntnis und bat um Stellungnahme zu »jedem einzelnen Fall«. Die Antragsteller waren Autoren, die vom RDS wegen früherer nihilistischer oder aber rein destruktiver Tätigkeit abgelehnt werden, die aber im März dieses Jahres nicht dem Zug der Emigranten gefolgt sind[,] sondern im Reich blieben und heute bereit sind, ein Bekenntnis zum neuen Staat abzulegen, wie es die Aufnahmeerklärung verlangt. Diesen »Gründen zu milder Beurteilung« stellte Blunck jedoch die »Verantwortlichkeit für Reinerhaltung unseres Ansehens und Erziehung zu den höchsten Pflichten gegen das Allgemeinwohl« gegenüber. Über die Konsequenzen einer Nichtaufnahme war sich der Kammer-Präsident völlig im Klaren: »Die Ablehnung bedeutet Zwang zur Auswanderung oder aber wirtschaftliche und moralische Verfemung, in den meisten Fällen die Vernichtung der bürgerlichen Existenz«. Über die 57 »Fälle« wurde auf der Sitzung des Präsidialrats am 16. Januar 1934 entschieden. Dabei machte Grimm den Vorschlag, die Autoren, die 55 Ebd., S. 28. 56 Zu den Hintergründen vgl. Dahm: Kulturelles und geistiges Leben, S. 79 –82. 57 Vgl. Schreiben von Grimm an Blunck vom 18. November 1933, DLA NL Hans Grimm/Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe I 1933/1934. Zum Folgenden siehe ebd. 58 Schreiben Bluncks vom 20. Neblung (November) 1933, DLA NL Hans Grimm/Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe I 1933/1934. 59 Siehe zum Folgenden das Schreiben Bluncks an Grimm vom 6. Dezember 1933, DLA NL Hans Grimm/Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe I 1933/1934.

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in der Vergangenheit eine nicht nationale und für das Ansehen des deutschen Schrifttums wenig erfreuliche Haltung eingenommen haben, nur vorläufig in eine Liste aufzunehmen und die endgültige Aufnahme in den RDS von dem weiteren Verhalten im Verlaufe eines Jahres abhängig zu machen.60 Diese Regelung wurde dann gleich auf 32 Schriftsteller angewandt.61 Selbst Erich Kästner wurde die Möglichkeit zur »Bewährung« gegeben. Unter seinem Pseudonym Berthold Bürger sollte er »probeweise« für ein Jahr schreiben dürfen. Gleiches galt für die Rowohlt-Autorin Mascha Kaléko und eine Reihe anderer »nichtarischer« Schriftsteller. Demgegenüber sprach sich der Präsidialrat einstimmig gegen die Aufnahme von Alfred Döblin aus, da er die in der Aufnahmeerklärung enthaltene Verpflichtung, sich »jederzeit für das deutsche Schrifttum im Sinne der nationalen Bewegung einzusetzen«, nicht unterschreiben wollte. Elf Anträge wurden ohne nähere Begründung abgelehnt und vierzehn Schriftsteller aufgenommen. Für die Zukunft wurde vereinbart, dass die von der Kammer zu entscheidenden Antragsablehnungen den Präsidialratsmitgliedern jeweils mit der Bitte um Stellungnahme mitgeteilt werden sollten. Die Entscheidung über die »endgültige Maßnahme« wollte Blunck selbst treffen. Drei Wochen nach dieser Sitzung erhielten die Präsidenten und Präsidialräte der Einzelkammern auf einer Tagung der Reichskulturkammer im Propagandaministerium von ihrem obersten Dienstherrn grundlegende Weisungen zur Behandlung der »Nichtarierfrage«.62 Goebbels hatte »mit Befremden« feststellen müssen, »dass die aus anderen Berufen nach und nach hinausgedrängten Juden mangels eines Arierparagraphen im Kulturleben eine neue Betätigungsmöglichkeit suchen«. Zwar sah auch er »keine unmittelbare gesetzliche Möglichkeit, einen Arierparagraphen in der Reichskulturkammer und den angeschlossenen Verbänden einzuführen«. Doch empfahl er den Kammern die restriktive Anwendung des § 10 der ersten Durchführungsverordnung zum Kulturkammer-Gesetz: Wenn jemand aus bestimmten Gründen als unzuverlässig oder ungeeignet angesehen werden muss, kann man ihm die Mitgliedschaft in den Verbänden verweigern, und nach meiner Ansicht und Erfahrung ist ein jüdischer Zeitgenosse im allgemeinen ungeeignet, Deutschlands Kulturgut zu verwalten!63 60 Protokoll der Präsidialratssitzung am 16. Januar 1934, hier S. 15, DLA NL Hans Grimm/ Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe III. Zum Folgenden siehe ebd. 61 Die zu den einzelnen Autoren getroffenen Entscheidungen sind ebd., S. 15 –17, vermerkt. 62 Die Rede von Goebbels über den »ständischen Aufbau der Kulturberufe« ist wiedergegeben in der Ersten Früh-Ausgabe des Deutschen Nachrichtenbüros 1 (1934) 288, BArch R 43 II/ 1241 Bl. 18 f. 63 Dieser Interpretation folgte bereits der Kommentar Schriebers: Die Reichskulturkammer, S. 29: »Nichtarier sind also ebenso wie Ausländer von der Zugehörigkeit zur Reichskulturkammer nicht ausgeschlossen. Bei Fremdstämmigen liegt es aber im Sinne des Gesetzes, wenn an Zuverlässigkeit und Eignung besonders strenge Anforderungen gestellt werden, denn sie sind allgemein nicht als geeignete Träger und Verwalter deutschen Kulturgutes zu betrachten. Der Nichtarier wird deshalb Zuverlässigkeit und Eignung besonders nachweisen müssen. Die Ausnahmevorschriften der Beamtengesetzgebung (Frontkämpfereigenschaft) können sinngemäß auch hier herangezogen werden«.

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Diese Neuinterpretation, die der bisherigen Auslegung widersprach64 und sich auch nicht mit der noch Ende 1933 von der Geschäftsführung der Reichskulturkammer erlassenen Anweisung vereinbaren ließ, die Frage nach der »rassischen Zugehörigkeit« aus den Antragsformularen der Fachverbände ganz zu streichen,65 leitete einen verschärften Prozess der Selektion ein. Auf der Sitzung des Verwaltungsbeirats der Reichsschrifttumskammer vom 7. März 1934 stellte sich Blunck opportunistisch auf den Standpunkt, dass er von vorneherein eine »jüdische Überfremdung des RDS befürchtet« und deshalb beabsichtigt habe, »Juden höchstens bis zu einem Satz von höchstens 5 % der gesamten Mitgliedschaft in den RDS aufzunehmen«.66 Nach der Rede des Präsidenten der Reichskulturkammer sei »streng darauf zu achten, zumindesten [!] in Bezug auf die Schaffenden selbst einen größeren Zuzug [!] von Nichtariern von den Kammern fern zu halten und gegebenenfalls nur aktive Kriegsteilnehmer oder besonders verdiente Männer aufzunehmen«. Die neuen Richtlinien der Kammer sahen daher vor, dass nur noch solche Juden in den RDS aufgenommen werden durften, die ihre »Eigenschaft als Frontkämpfer oder bei weiblichen Personen als Kriegswitwen nachweisen« konnten.67 Ausnahmen sollten auch für ältere Personen gelten, die keinen neuen Beruf mehr erlernen konnten. Die Voraussetzung war allerdings, dass sie sich »in der Vergangenheit keine antinationale Betätigung haben zu Schulden kommen lassen«. 1934 waren noch 428 jüdische Schriftsteller Mitglieder der Reichsschrifttumskammer.68 Ihr Ausschluss wurde in der zweiten Jahreshälfte forciert. Die Teilnahme als »Frontkämpfer« im Ersten Weltkrieg musste nun durch »amtlich beglaubigte Bescheinigungen« nachgewiesen werden.69 1935 nutzte aber auch dies nichts mehr. Die Ausschlüsse wurden ohne jede Rücksicht auf nationale Verdienste, literarische Qualität oder soziale Härten exekutiert. Dem Schriftsteller Paul Landau etwa, für den sich Grimm aufgrund »seiner guten deutschen Vergangenheit« eingesetzt hatte,70 wurde am 7. März 1935 von der Kammer mitgeteilt:

64 Noch zu Beginn des Jahres 1934 hatte Schmidt-Leonhardt in seiner Funktion als Geschäftsführer der RKK dem RSK-Vizepräsidenten Wismann erklärt, dass der in den RDS-Satzungen enthaltene »Arierparagraph« mit dem Wortlaut des RKK-Gesetzes nicht in Einklang stand und dass auch einschränkende Bestimmungen für die Aufnahme von »Nichtariern«, wie sie in der Satzung des Reichsverbands der Deutschen Presse festgeschrieben waren, nicht aus dem RKK-Gesetz abgeleitet werden konnten. Mitteilung Wismanns an Hinkel vom 22. Juni 1935, BArch R 56 V/194 Bl. 9. 65 Hinweis in einem Bericht Wismanns für Goebbels vom 27. Mai 1935, BArch R 56 V/194 Bl. 1. 66 Protokoll der Sitzung des Verwaltungsbeirates vom 7. März 1934, DLA NL Hans Grimm/ Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe III. 67 Zwischenbericht der Reichschrifttumskammer über die Arbeiten vom 1. April bis 30. Juni 1934, ebd. 68 Mitteilung Wismanns an Goebbels vom 27. Mai 1935, BArch R 56 V/194 Bl. 2. 69 Der Schriftsteller Alfred Mombert erhielt eine solche Aufforderung am 16. Oktober 1934, BArch BDC/RSK/Mombert, A. 70 Schreiben Grimms an Vesper vom 9. Januar 1935, DLA NL Hans Grimm/Korrespondenz mit Will Vesper, sowie an Blunck vom 24. Januar 1935, DLA NL Hans Grimm/Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe II 1935/1936.

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Bei der hohen Bedeutung geistiger und kulturschöpferischer Arbeit für Leben und Zukunftsentwicklung des deutschen Volkes sind zweifellos nur die Persönlichkeiten geeignet, eine solche Tätigkeit in Deutschland auszuüben, die dem deutschen Volke nicht nur als Staatsbürger, sondern auch durch die tiefe Verbundenheit der Art und des Blutes angehören. Nur wer sich aus der rassischen Gemeinschaft heraus seinem Volke verbunden und verpflichtet fühlt, darf es unternehmen, mit einer so tiefgreifenden und folgenschweren Arbeit, wie sie das geistige und kulturelle Schaffen darstellt, einen Einfluss auf das innere Leben der Nation auszuüben. Durch Ihre Eigenschaft [!] als Nichtarier sind Sie außerstande, eine solche Verpflichtung zu empfinden und anzuerkennen.71 Noch im gleichen Monat folgten die Ausschlüsse von Julius Bab, Ludwig Fulda, Heinrich Galeen, Martin Gumpert, Willy Haas, Franz Hessel, Georg Hirschfeld, Mascha Kaléko, Rudolf Kayser, Hans Keilson, Max Mohr, Hans Natonek, Max Osborn, Jakob Picard, Kurt Pinthus, Eugen Rosenstock-Huessy, Alice Salomon, Heinrich Spiero, Max Tau und einer Vielzahl anderer jüdischer Schriftsteller.72 Alfred Mombert, der bei seiner Aufnahme in den RDS noch Kammer-Präsident Blunck als einen seiner »Bürgen« angegeben hatte,73 wurde als einer der letzten am 18. Oktober 1935 ausgeschlossen. Bei Hans Baron, Oscar Bie, Ernst Blass, Martin Buber, Erich Eyck, Ludwig Feuchtwanger, Arthur Goldschmidt, Kurt Hiller, Ferdinand Lion, Rudolph Lothar, Felix Salten, Hans Joachim Schoeps, Edgar Stern-Rubarth, Theodor Wiesengrund (Adorno), Karl Wolfskehl u. a. Antragstellern war die Aufnahme abgelehnt worden. Ende Mai 1935 konnte Wismann seinem Minister berichten, dass die Zahl der jüdischen Schriftsteller in der Schrifttumskammer auf fünf reduziert worden war.74 Aufgrund des »Reichsbürgergesetzes« vom 15. September 1935 musste die Frage der Mitgliedschaft von »Nichtariern« allerdings noch einmal neu aufgerollt werden. In einem Rundschreiben vom 29. April 1936 teilte Reichskulturwalter Hinkel den Kammerverwaltungen mit, dass bis zum 15. Mai »alle Volljuden, Dreivierteljuden, Halbjuden, Vierteljuden, mit Voll- und Dreivierteljuden Verheirateten, mit Halb- und Vierteljuden Verheirateten« aus allen Kammern ausgeschlossen werden sollten.75 Doch dieser ehrgeizige Zeitplan war schon allein deshalb nicht zu halten, weil die personell unterbesetzte Kammer mit der Überprüfung der von allen Mitgliedern einzureichenden »Ariernachweise« völlig überfordert war.76 Durch die Notwendigkeit zur Eingliederung 71 Das Schreiben des Präsidenten der RSK (gez. Suchenwirth) ist abschriftlich überliefert in DLA NL Hans Grimm/Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe II 1935/1936. 72 Siehe hierzu und zum Folgenden die »Liste der nichtarischen Mitglieder, die gemäß § 10 aus der RSK ausgeschlossen sind bezw. deren Aufnahme in die RSK gemäß § 10 abgelehnt worden ist« (mit Stand vom 15. März 1937), BArch R 55/21300. Die genaue Datierung der Ausschlüsse und Ablehnungen geht aus einer weiteren, 45 Seiten umfassenden Liste hervor, ebd. 73 Vgl. RDS-Fragebogen vom 29. Dezember 1933, BArch BDC/RSK/Mombert, A. 74 Vgl. Wismann an Goebbels vom 27. Mai 1935, BArch R 56 V/194 Bl. 3. 75 Das Rundschreiben findet sich in BArch R 56 V/102 Bl. 154 –156. 76 Siehe das Schreiben des Präsidenten der RSK an den Präsidenten der RKK vom 22. März 1937, in dem auf die langwierige Bearbeitung der Ariernachweise hingewiesen wird, sowie das Schreiben von RSK-Geschäftsführer Ihde an das Propagandaministerium vom 7. September 1938, BArch R 55/21300.

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von insgesamt 1.958 Schriftstellern aus Österreich, die nach dem »Anschluss« einen Antrag auf Aufnahme in die Kammer stellten,77 wurden diese Probleme noch einmal verschärft. Schließlich modifizierte Goebbels selbst zu Beginn des Jahres 1939 die Rigidität der Vorgabe in seinen »Arbeitsrichtlinien für die Reichskulturkammer«.78 Während »Juden im Sinne der Nürnberger Gesetze« weiterhin generell ausgeschlossen blieben, konnten »Halbjuden« oder mit »Volljuden« Verheiratete in Einzelfällen aufgrund einer »Sondergenehmigung« des Reichsministers Mitglied der Kammer bleiben. »Vierteljuden« oder mit »Halbjuden« Verheiratete mussten nur dann ausgeschlossen werden, wenn sie sich »gegen den Staat oder gegen den Nationalsozialismus vergangen haben oder sonst [!] beweisen, dass sie dem Judentum zuneigen«. Im März 1937 waren insgesamt 1.232 »nichtarische« Schriftsteller aus der Kammer ausgeschlossen oder Antragstellern die Aufnahme verweigert worden.79 Sie mussten sich nun entscheiden, ob sie emigrieren oder in einem »literarischen Ghetto«, wie es der Kulturbund Deutscher Juden anbot, in Deutschland verbleiben wollten.80 Das gleiche Schicksal traf 17 »Jüdisch-deutsche Mischlinge«, unter ihnen Elisabeth Langgässer, und 21 »jüdisch versippte« Schriftsteller, die ebenfalls bis 1937 aus der Kammer ausgeschlossen worden waren. Zu jener Zeit waren noch sechs »volljüdische« Schriftsteller Mitglied der Kammer, weil sie als Oberschlesier bis Ende Juli 1937 durch das vom Völkerbund garantierte »deutsch-polnische Minderheitenschutzabkommen« vom 15. Mai 1922 privilegiert waren. Weitere 17 Schriftsteller, die als »Mischlinge I. und II. Grades« eingestuft wurden oder mit Juden verheiratet waren, konnten in der Kammer verbleiben, weil sie eine »Sondergenehmigung« erhalten hatten, die allerdings »jederzeit widerruflich« war. Bis zum September 1938 war die Anzahl solcher »Sondergenehmigungen« auf 34 gestiegen.81 Auf der Liste der Kammer befanden sich so prominente Namen wie Stefan Andres, der mit einer »Halbjüdin« verheiratet war, Werner Bergengruen, der mit einer »Dreivierteljüdin« verheiratet war, Elisabeth Dauthendey als »Vierteljüdin« und Karl Rosner als »Halbjude« sowie Josef Winckler, der mit einer »Volljüdin« verheiratet war. Den ebenfalls mit einer »Volljüdin« verheirateten Jochen Klepper bewahrte nur der große Erfolg seines Romans Der Vater vor dem Berufsverbot.82 Der am 25. März 1937 verhängte Kammerausschluss wurde nach einem Einspruch des Autors am 16. August durch die Erteilung einer »Sondergenehmigung« aufgehoben.83 Allerdings musste Klep77 Die Zahl der Aufnahmeanträge bis zum 20. Juli 1938 gibt Amann: Zahltag, S. 295, mit 887 an. Die Gesamtzahl bei Renner: Österreichische Schriftsteller und der Nationalsozialismus, S. 269 –273. 78 Arbeitsrichtlinien für die Reichskulturkammer vom 3. Januar 1939, hier Pkt. II »Entjudung der Kammern«, BArch R 56 V/54 Bl. 344. 79 Siehe hierzu und zum Folgenden die Listen der RSK mit Stand vom 15. März 1937 in BArch R 55/21300. 80 Vgl. dazu im Einzelnen Schoor: Vom literarischen Zentrum zum literarischen Ghetto, S. 105 – 178. 81 Siehe ebd. die »Sondergenehmigungs-Liste«, die die RSK am 20. September 1938 dem Propagandaministerium zur Verfügung stellte. 82 Vgl. im Einzelnen BArch BDC/RSK/Klepper, J. 83 Das Ausschlussschreiben vom 25. März 1937, die Beschwerde Kleppers vom 24. April sowie die Erteilung der »Sondergenehmigung«, ebd.

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per seit dieser Zeit seine Manuskripte in der Kammer und ab April 1938 in der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums zur Genehmigung vorlegen. Wilhelm Hausenstein war zwar am 24. November 1936 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen worden, durfte jedoch aufgrund einer Ministerentscheidung trotz seiner »volljüdischen« Ehefrau Mitglied in der Reichspressekammer bleiben.84 So konnte Hausenstein nicht nur weiterhin als Redakteur die Frauen- und Literaturbeilage der Frankfurter Zeitung verantwortlich leiten, sondern auch seine Bücher im Societäts Verlag veröffentlichen. Die »Sondergenehmigung« von Otto Suhr, die bis zum 31. Dezember 1939 befristet war, wurde Anfang 1940 »bis auf weiteres« verlängert, da seine »volljüdische« Ehefrau im Sommer jenes Jahres emigrieren wollte.85 Hätte man Suhr ausgeschlossen, so die Befürchtung der Kammer, wäre ihm nach der Emigration seiner Ehefrau die Möglichkeit zur Klage beim Propagandaminister eröffnet worden. Die populären Bücher von Clara Viebig, die mit dem Verleger Friedrich Theodor Cohn verheiratet war, konnten mit Duldung der Kammer und des Propagandaministeriums weiterhin in der Deutschen Verlags-Anstalt und im Paul Franke Verlag erscheinen. Reguläres Mitglied der Kammer durfte sie jedoch erst nach dem Tod ihres Mannes im Juni 1936 werden.86 Der von Hellmuth Langenbucher hochgeschätzte Rudolf Huch blieb von den Zwangsmaßnahmen verschont, weil er »nur« mit einer »Vierteljüdin« verheiratet war.87 Die Gewährung der »Sondergenehmigungen«, die ohnehin nur aus einem kulturpolitischen Kalkül oder mit Rücksicht auf noch geltende rechtliche Vorbehalte erfolgte, darf nicht über die prinzipiell antisemitische Instrumentalisierung der Berufszulassung durch die Kammer hinwegtäuschen. Von August 1940 bis April 1941 wurden insgesamt 24 Schriftsteller ausgeschlossen, die als »Dreiviertel-, Halb- und Vierteljuden« eingestuft oder mit »Voll- und Halbjuden« verheiratet waren.88 Rudolf Brunngraber ereilte dieses Schicksal im Mai 1941, weil er sich nicht von seiner »halbjüdischen« Ehefrau und den gemeinsamen Kindern trennen wollte. »Grotesker Weise« wurde aber, wie Heinrich Maria Ledig dem irritiert nach dem Ausschlussgrund fragenden Hans Fallada mitteilte, zur gleichen Zeit Brunngrabers Bestsellerroman Opiumkrieg, der 1939 im Rowohlt Verlag erschienen war, »auf Veranlassung des Propagandaministeriums« in die für das Ausland bestimmte Reihe »Der Deutsche Tauchnitz« (Verlag Bernhard Tauchnitz) aufgenommen.89 Auch der Freitod Kleppers und seiner Familie im Dezember 1942 belegt die deprimierenden Lebens- und Arbeitsbedingungen des von der nationalsozialistischen Judenpolitik betroffenen Personenkreises. Völlig unbeeindruckt 84 Siehe im Einzelnen die Mitgliedsakte von Hausenstein in BArch BDC/RK/Filmnr. B 0066 Bl. 2138 –2312. 85 Karteikarte der Abteilung »Besondere Kulturangelegenheiten« [o. D.], BArch BDC/RSK/ Suhr, O. 86 Vgl. BArch BDC/RK/RSK I Film-Nr. B 222 Bl. 1240 –1302. Dort findet sich auch der von Hanns Johst unterzeichnete und noch auf den Namen Clara Cohn ausgestellte Kammerausweis vom 15. Juni 1936. 87 Siehe die Karteikarte der Abteilung »Besondere Kulturangelegenheiten« zu Rudolf Huch aus dem Jahre 1940 in BArch BDC/RK/Filmnr. A 0037. 88 Siehe die Liste in BArch R 55/21300. 89 Brief Ledigs an Fallada vom 28. Mai 1941. In: Fallada: Ewig auf der Rutschbahn, S. 332.

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von solchen menschlichen Schicksalen sinnierte Goebbels im Oktober 1942 in seinem Tagebuch über die Behandlung von Mitgliedern der Kammern, die mit »Halb- oder Vierteljüdinnen« verheiratet waren. Um zu vermeiden, dass bei konsequenter Anwendung der Rassengesetze »ein großer Teil des Kulturlebens in Unordnung geraten« könnte, sah er sich gezwungen, »hier vorläufig mit einem Kompromiß auszukommen, wenngleich ich der Meinung bin, dass natürlich auf die Dauer die Reichskulturkammer nicht eine Zufluchtsstätte für Halbjuden und jüdisch Versippte sein kann.«90 Bei »Volljuden« waren die Grenzen der taktischen Zugeständnisse schon viel früher erreicht. Egon Friedell hatte sich deshalb nach dem »Anschluss« Österreichs am 16. März 1938 das Leben genommen.91 Seine Kulturgeschichte der Neuzeit in drei Bänden, die in den Jahren 1927 bis 1931 in der C.H. Beck’schen Verlagsbuchhandlung erschienen waren, wurde 1937 verboten und 2.000 Exemplare im Frühjahr 1938 auf Antrag der Gestapo »endgültig vernichtet«.92 Ludwig Fulda, der 1933 aus der Sektion für Dichtung und 1935 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen worden war, wurde im September 1938 der Reisepass entzogen, nach dem Novemberpogrom die »Judenbuße« und am 1. Januar 1939 der Zusatzname »Israel« aufgezwungen.93 Nachdem die Emigration zu seinem in den USA lebenden Sohn gescheitert war, beging der einst national ebenso wie international geschätzte Autor in völliger Verzweiflung am 30. März 1939 Suizid. Im Oktober 1941 wies Peter Suhrkamp in einem Brief an Johst auf die »unmögliche Situation« hin, dass »einerseits es ein Dehmel-Archiv gibt, das der Stadt Hamburg gehört, eine Richard-Dehmel-Straße in Blankenese und das Dehmelhaus«, während andererseits seine 72-jährige Witwe aufgrund der Rassengesetze »jetzt den gelben Judenstern tragen muss«.94 Die Bitte des Verlegers, der Kammer-Präsident möge sich aufgrund seiner persönlichen Wertschätzung der Werke Dehmels bei seinem Freund Himmler für eine »Ausnahmegenehmigung« einsetzen, scheint unerhört geblieben zu sein. Ida Dehmel, die selbst schriftstellerisch tätig war, sich seit 1935 jedoch auf die Betreuung des literarischen Nachlasses ihres 1920 verstorbenen Mannes beschränken musste, wobei ihr diese Aufgabe im März 1941 auch noch entzogen wurde, starb am 29. September 1942 an einer Überdosis Schlaftabletten. Als sich Rudolf Pannwitz im Februar 1941 bei Johst und Blunck für den seit Oktober 1940 im französischen Internierungslager Gurs festgehaltenen 69-jährigen Alfred Mombert einsetzte, schrieb Geschäftsführer Ihde an den Rand eines Aktenvermerks: »Für Juden tun wir grundsätzlich nichts. Die zweite Phase dieses Krieges (s. England + USA) ist ein Judenkrieg!«.95 Wenigstens Carossa hielt dem von ihm geschätzten Schriftstellerkollegen die 90 Goebbels-Tagebücher vom 20. Oktober 1942, Teil II, Bd. 6, S. 155. 91 Vgl. dazu im Einzelnen Viel: Egon Friedell, S. 283 –303. 92 Siehe die Schreiben der RSK, der Gestapo und des Verlags aus den Jahren 1937/38 in BArch BDC/RK 2110 0007/13. 93 Vgl. hierzu Fulda: Briefwechsel 1882 –1939, Teil I, Einführung, hier S. XXXVII –XXXVIII; Exposé für Reichsfreiin A. von der Recke vom 3. Februar 1939, ebd., Teil II, S. 1037 –1041; Abschiedsbrief an seine Frau Helene vom 29. März 1939, ebd., Teil II, S. 1042 –1045. 94 Das Schreiben Suhrkamps vom 4. Oktober 1941 und weitere Korrespondenz zum »Fall« Ida Dehmel finden sich in BArch BDC/RK/Filmnr. 0029 Bl. 266 –368. 95 Das Schreiben von Pannwitz an Johst und Blunck vom 15. Februar 1941 und der »Aktenvermerk« mit den handschriftlichen Anmerkungen Ihdes in BArch BDC/RSK/Mombert, A.

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Treue. Er bat zunächst Ernst Schulte-Strathaus, im Stab Stellvertreter des Führers, danach in einem Brief auch noch einmal Goebbels persönlich »so eindringlich als das heute möglich ist«96 um die Möglichkeit, Mombert und seine Schwester in die Schweiz ausreisen zu lassen. Dies geschah letztlich aber nur aufgrund der Zahlung von 30.000 Franken durch den Dichter und Mäzen Hans Reinhart aus Winterthur, der mit Mombert befreundet war.

Die Behandlung der politisch abgelehnten Schriftsteller Im Gegensatz zu den jüdischen Schriftstellern wurde bei den Berufskollegen, die aus politischen Gründen abgelehnt wurden, in jedem Fall einzeln entschieden.97 Auf Anweisung der Geschäftsführung der Reichskulturkammer musste der RDS sogar zu Beginn des Jahres 1934 auf den Anmeldeformularen die Frage nach der früheren politischen Zugehörigkeit des Antragstellers streichen. Damit sollte der »Eindruck im Ausland vermieden werden, dass die politische Gesinnung Andersdenkender im Dritten Reich durch die Verweigerung der Aufnahme in die Kammer gleichsam unter Strafe gestellt werde«.98 Das änderte allerdings nichts daran, dass am Anfang jeder Aufnahme in die Kammer eine »Gesinnungsprüfung« stand. Seit April 1938 gehörte die Anfrage bei der zuständigen NSDAP-Gauleitung nach dem »politischen Führungszeugnis« eines Schriftstellers zum festen Bestandteil der Aufnahmeformalitäten.99 Vor diesem Zeitpunkt waren die Gauleitungen nur dann einbezogen worden, wenn sich aus dem von jedem Schriftsteller vor der Aufnahme auszufüllenden Fragebogen »Zweifel an der politischen Zuverlässigkeit« ergeben hatten. Gutachten der Gestapo wurden grundsätzlich dann eingeholt, wenn ein Partei-Gutachten zu einem negativen Urteil gekommen war, eine »Sondergenehmigung« erteilt werden sollte oder ein Ausschluss beabsichtigt war. Die eingeschalteten Stellen wurden von der Kammer angehalten, bei Verneinung der politischen Zuverlässigkeit die »Gründe (Tatsachen mit Zeit und Beweismittel)« genau anzugeben. Damit sollte die Kammer in die Lage versetzt werden, »dem Beschuldigten die Gründe vorzuhalten und im Falle des Bestreitens nachzuweisen, sowie die Gründe in die etwa ergehende Ausschlussentscheidung aufzunehmen«. Diese Vorschrift sollte eine leichtfertige Beurteilung verhindern und die Entscheidung der Kammer gegen Einsprüche beim Präsidenten der Reichskulturkammer absichern. In der Praxis ermöglichte und förderte sie zwar einerseits, dass die Gestapo und der SD den gesamten schriftstellerisch tätigen Personenkreis in ihren Überwachungsauftrag einbezogen und dass auch Gauleitungen, Kreisleitungen und Ortsgruppen der NSDAP Erkundigungen über das Verhalten der in ihrem Zuständigkeitsbereich lebenden Schriftsteller einzogen. Doch das Kulturkammerrecht, das die Verweigerung der Aufnahme oder den Aus96 So Carossa an Lo Schoenberner vom 3. Dezember 1940. In: Carossa. Briefe III, S. 135 f. 97 Die Kammer folgte damit in der Praxis der Auslegung des § 10 der Ersten Durchführungsverordnung zum RKK-Gesetz durch Schrieber: Die Reichskulturkammer, S. 28. 98 Angabe Wismanns im Bericht an Hinkel vom 22. Juni 1935 betr. die Mitgliederzusammensetzung des RDS, BArch R 56 V/194 Bl. 11. 99 Vgl. Mitteilung der RSK an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda betr. Beteiligung der Partei bei der Prüfung der Zuverlässigkeit von Mitgliedern vom 4. Juni 1938, BArch R 56 V/51 Bl. 110.

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schluss vom belastbaren Nachweis mangelnder »Zuverlässigkeit und Eignung« abhängig machte und den Betroffenen die Möglichkeit zur Beschwerde offen ließ, erwies sich in der Praxis durchaus als wirksame Schutzvorrichtung. Selbst ablehnende politische Gutachten der Polizeibehörden und Parteidienststellen wurden von der staatlichen Schrifttumsbürokratie nicht unbedingt als ausschlaggebendes Kriterium für die Ablehnung der Aufnahme in die Kammer oder den Ausschluss angesehen. Berücksichtigt wurden auch literarische Qualität, propagandistische Verwendbarkeit, Einsatz bei der Wehrmacht, politische Protektion oder die aus einem Berufsverbot für den Autor resultierenden sozialen Folgen. Im Oktober 1940 wurden die Präsidenten der Einzelkammern vom Propagandaministerium »mit Rücksicht auf die Kriegsverhältnisse« sogar ausdrücklich Abb. 6: Aufnahme-Fragebogen der RSK, hier Friedrich Sieburg. BArch Berlin RSK aufgefordert, Zurückhaltung bei der Erteilung von Berufsverboten zu üben. Bei R9361-V/33598 allen Entscheidungen sei zu prüfen, »ob Härten im Interesse der Hochhaltung der allgemeinen Stimmung im Einzelfalle vermieden werden können«.100 Rücksichtnahmen galten jedoch nur unter der Voraussetzung, dass ein umstrittener Autor sich im Sinne des NS-Staates engagierte oder zumindest ein politisch unauffälliges Dasein führte. Und auch dann galt es nicht für jeden. Ein Mann wie Erich Kästner wurde nach Ablauf der ihm gewährten einjährigen Bewährungsfrist wegen seiner politischen Ablehnung der NS-Bewegung und seiner ästhetischen Grundhaltung in der Weimarer Republik nicht in die Kammer aufgenommen. 1935 wurden sämtliche Schriften von ihm verboten und 1936 auch der Vertrieb seiner im Ausland erschienenen Bücher in Deutschland unterdrückt. Als er im Januar 1939 bei der Kammer erneut einen Aufnahmeantrag stellte, wurde dieser wegen mangelnder politischer »Zuverlässigkeit« abgelehnt. Das hinderte den Propagandaminister allerdings nicht daran, dem verfemten Autor im Juli 1942 eine »Sondergenehmigung« zu erteilen, um das Drehbuch zu Münchhausen, dem Jubiläumsfilm der Ufa, und zu weiteren Filmdrehbüchern verfassen zu können. Nach einer Denunziation Rosenbergs wurde Kästner dann aber im Dezember 1942 auf persönliche Anweisung von Hitler durch die Kammer jede weitere Betätigung im Kulturbereich untersagt.101 100 Anweisung des RMVP an die Präsidenten der Einzelkammern vom 4. Oktober 1940, BArch R 56 V/12 Bl. 30. 101 Die Entscheidung Hitlers wurde der RSK am 21. Dezember 1942 von der Schrifttumsabteilung mitgeteilt, BArch BDC/RSK/Glaeser, E.

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Von dem durch Hitler angeordneten Berufsverbot waren auch die »ehemaligen defaitistischen Literaten« Ernst Glaeser und Arnolt Bronnen betroffen.102 Glaeser hatte sich in der Weimarer Republik bei der politischen Rechten durch seine pazifistische Autobiographie Jahrgang 1902 und durch sein Engagement für die KPD verhasst gemacht.103 Nach 1933 waren sämtlichen Schriften von ihm verboten worden. Dennoch erhielt er nach der Rückkehr aus dem Schweizer Exil im Mai 1939 von der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums die Genehmigung, literarische Arbeiten in der Presse zu veröffentlichen.104 Allerdings war diese Genehmigung an zwei Bedingungen geknüpft: Die Arbeiten mussten unter dem Pseudonym Ernst Töpfer publiziert und vor der Veröffentlichung der Schrifttumsabteilung zur Genehmigung vorgelegt werden. Hintergrund dieser von Goebbels getroffenen Entscheidung war die Erwartung, dass Glaeser eine Romantrilogie mit dem Titel Heimkehr schreiben würde, die »ein Bekenntnis zum deutschen Volk und ein Angriff gegen die Emigration werden könnte«.105 Dagegen war »vorläufig« nicht daran gedacht, Glaeser wieder förmlich in die Kammer aufzunehmen. Obwohl der Heidelberger Verleger Glaesers die Kammer im Februar 1941 darüber informierte, dass der Autor von dem Exil-Roman »überhaupt noch nichts geschrieben« hatte,106 wurde zu Beginn des Jahres 1942 die »endgültige Klärung des Falles« bis Kriegsende »zurückgestellt«.107 Nach der »Führerentscheidung« setzte die Kammer den Schriftsteller am 27. Januar 1943 davon in Kenntnis, dass sie aus »besonderen Gründen« den erteilten »Zwischenbescheid« zurückziehen musste. Glaeser durfte danach weder im In- noch im Ausland veröffentlichten.108 Bronnen, ehemaliger Weggefährte Brechts, hatte sich seit dem Beginn der 1930er Jahre aktiv für den Nationalsozialismus engagiert. Dennoch wurde sein gesamtes literarisches Werk 1934 von der Bayerischen Politischen Polizei verboten.109 Auch bei der staatlichen Schrifttumsbürokratie stieß Bronnen auf Ablehnung. 1939 wurde er aufgrund seiner Einstufung als »Halbjude« aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen.110 Bronnen konnte jedoch über einen Rechtsstreit vor dem Landgericht Berlin seine »arische Abstammung« nachweisen, so dass der Kammer-Ausschluss im Juni 1941 wieder aufgehoben wurde. Mit Zustimmung von Goebbels erhielt der Schriftsteller von der Auslandsabteilung des Propagandaministeriums nun sogar den Auftrag, »in einer nur für die Auslandswerbung 102 So Goebbels-Tagebücher vom 9. Dezember 1942, Teil II, Bd. 6, S. 416. 103 Vgl. dazu das politische Gutachten des Chefs der Sipo und des SD (III A 5) für die RSK (über SS-Oberführer Hinkel) vom 17. Mai 1940, BArch BDC/RSK/Glaeser, E. 104 Vgl. Schreiben des RMVP/Abteilung S an Glaeser vom 16. Mai 1939, ebd. 105 Mitteilung der Schrifttumsabteilung an den Präsidenten der RSK vom 23. August 1939, ebd. 106 Aktenvermerk über den Besuch des Verlegers bei der »Gruppe Buchhandel« am 11. Februar 1941 in Leipzig, hier S. 2, ebd. 107 Mitteilung der Schrifttumsabteilung an den Präsidenten der RSK vom 2. Januar 1941, ebd. 108 Diese Anweisung der Schrifttumsabteilung vom 21. Dezember 1942 wurde Glaeser am 27. Januar 1943 von der RSK mitgeteilt. Tags zuvor hatte die Kammer das Ministerium davon in Kenntnis gesetzt, dass sie den Chef der Sipo und des SD gebeten habe, »Maßnahmen zur Überwachung der Auslandsverbindungen zu veranlassen«. Siehe ebd. 109 Vgl. Verzeichnis der polizeilich beschlagnahmten und eingezogenen, sowie der für Leihbüchereien verbotenen Druckschriften, S. 33. 110 Vgl. Karteikarte der Abteilung Besondere Kulturangelegenheiten, BArch BDC/RSK/Bronnen, A.

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bestimmten Schrift prägnante Porträts deutscher Dichter im Sinne ihrer Bedeutung für das werdende Europa zu zeichnen«.111 Nach der Entscheidung Hitlers wurde Bronnen zwar in der Kammer belassen, jedoch ein »stillschweigendes Arbeitsverbot« über ihn verhängt.112 Im Fall von Albert Daudistel kam im Januar 1934 für den ehemaligen Freikorpskämpfer Stoffregen die Aufnahme in den von ihm geführten RDS nicht in Frage, weil sich der Schriftsteller 1918/19 für die bayerische Räterepublik unter Kurt Eisner engagiert hatte.113 Blunck hingegen wollte dem Berufskollegen noch eine Chance geben, da er »an sich auf dem Standpunkt« stand, »dass wir in der ständischen Front die politische Überzeugung vor der [nationalsozialistischen] Revolution nicht in den Vordergrund rücken wollen, wenn ein ehrliches Bekenntnis zum neuen Staat erfolgt«. Da in diesem Fall »die Sache allerdings schwieriger« lag, plädierte er für eine einjährige Bewährungsfrist. Blunck war jedoch wieder einmal nicht bereit, diese Entscheidung eigenverantwortlich zu treffen, zumal ihm »von den Vertretern des Schrifttums« vorgehalten wurde, dass Daudistel »bis vor kurzem in äußerster Schärfe die Gruppen des Rechtsschrifttums bekämpft habe«.114 Aus diesem Grund suchte der KammerPräsident die Rückendeckung von Staatskommissar Hinkel. Der empfing Daudistel am 9. April 1934 zu einer persönlichen Audienz im Preußischen Kultusministerium.115 Ob nun die Klagen über seine Arbeitslosigkeit und Verarmung oder seine mit dem Eintritt in die neu gegründete Union Nationaler Schriftsteller signalisierte Bereitschaft zur Mitwirkung im NS-Staat den Ausschlag gaben – Hinkel ermöglichte dem Schriftsteller jedenfalls die Weiterarbeit. Am 19. Juni 1935 konnte ihm Daudistel als Dank seinen gerade veröffentlichten Roman Der Bananenkreuzer schicken, auf die Freigabe des Manuskripts seines neuen Romans Der Kanonenkönig durch das Reichswehrministerium ebenso wie durch die Kammer verweisen und eine Herbstfahrt ins Nahetal auf Einladung der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude« ankündigen, über die er einen Bericht in der Arbeitsfront-Presse schreiben sollte.116 Dazu ist es dann aber nicht mehr gekommen, denn noch im gleichen Jahr emigrierte der Schriftsteller in die Tschechoslowakei. Andere Autoren der politischen Linken arbeiteten dagegen im NS-Staat weiter. Karl Bröger, seit 1921 Mitglied der SPD, war von Ende Juni bis Anfang September 1933 im KZ Dachau interniert.117 Dennoch konnte der Schriftsteller ohne Schwierigkeiten Mitglied der Kammer werden. Bis zu seinem Tod im Jahr 1944 wurde er von den staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsstellen immer wieder bei offiziellen Veran-

111 So Bronnen in einem Schreiben an RSK-Präsident Johst vom 14. April 1942, ebd. 112 Karteikarte der Abteilung Besondere Kulturangelegenheiten, ebd. 113 Das ablehnende Schreiben des RDS wird zitiert in einem persönlichen Brief von Blunck an Hinkel vom 3. Februar 1934, BArch BDC/RSK/Daudistel, A. Zum Folgenden siehe ebd. 114 Schreiben Bluncks an Hinkel vom 23. Lenzmond (März) 1934, ebd. 115 Siehe den Aktenvermerk Hinkels ebd. Dem Besuch war ein Bittschreiben Daudistels vom 29. März 1934 vorausgegangen, in dem der Schriftsteller auf seine materiell schwierigen Lebensbedingungen hinwies. 116 Vgl. das Schreiben Daudistels an Hinkel und die Antwort des Büros Hinkel vom 19. Juni 1935, ebd. 117 Vgl. Schreiben der Chefs des SHA (II A2, Ohlendorf) an das Gestapa vom 25. Oktober 1937, BArch R 58/896 Bl. 66.

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staltungen herausgestellt,118 um sich den Ruf des »Arbeiterdichters« zunutze zu machen und die »großzügige« Behandlung ehemaliger politischer Gegner durch den NS-Staat unter Beweis zu stellen.119 Auch Erich Knauf, der von 1919 bis 1928 der SPD angehört, für sozialdemokratische Zeitungen und die Büchergilde Gutenberg gearbeitet hatte, wurde in den RDS aufgenommen.120 Er blieb Mitglied der Kammer, selbst nachdem er 1935 aus dem Reichsverband der Deutschen Presse ausgeschlossen worden war, und betätigte sich neben seinem Hauptberuf in der Werbeabteilung der Tobis Rota-Film als Schriftsteller bis zu seinem Freitod am 2. Mai 1944. Die Aufnahme von Günther Weisenborn in die Kammer war im Dezember 1933 bei der »Zentralstelle für geistigen Aktivismus« im Propagandaministerium auf völliges Unverständnis gestoßen. Denn der Schriftsteller sei in den Jahren 1931/32 »als einer der übelsten kommunistischen Hetzer an den deutschen Hochschulen bekannt geworden«.121 Dennoch konnte Weisenborn bis zu seiner 1942 im Kontext der Ermittlungen gegen die Widerstandsgruppe »Rote Kapelle« erfolgten Verhaftung völlig unbehindert für Theater, Film und Rundfunk arbeiten.122 Selbst während seiner Haft durfte er zunächst noch mit ausdrücklicher Duldung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD die Exposés zu einem antienglischen Drama mit dem Titel Marlborough und zu dem Berliner Volksstück Die Tiedemanns verfassen.123 Weisenborns Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer erfolgte erst am 28. März 1944.124 Axel Eggebrecht, der als ehemaliges KPD-Mitglied und Mitarbeiter der Weltbühne 1933 noch im Konzentrationslager Hainewalde interniert worden war, schrieb bis 1945 Drehbücher für den

118 Siehe dazu das Schreiben des Leiters der Auslands-Organisation der NSDAP an den RF-SS und Chef der Deutschen Polizei vom 21. Dezember 1937, BArch R 58/896 Bl. 71, in dem auf die Herausstellung Brögers durch das RMVP und den Einsatz des Schriftstellers im Rahmen von Kulturveranstaltungen der AO im Ausland hingewiesen wurde. In den seit 1937 von der Reichsschrifttumsstelle beim RMVP herausgegebenen »Vorschlagslisten« für Dichterlesungen ist Bröger regelmäßig aufgeführt. Zu seinen Lesungen im Rahmen von Parteiveranstaltungen siehe die Übersicht der NSKG-Amtsleitung über die Dichterlesungen im Winter 1936/37, hier S. 2, wo Bröger mit fünf Lesungen vertreten ist, BArch NS 15/85. 119 Diese Hintergründe lassen sich dem Schreiben des RSK-Justitiars Gentz an das Gestapa vom 15. September 1937, BArch R 58/896 Bl. 55, entnehmen. 120 Vgl. Fragebogen für Mitglieder vom 25. Oktober 1933, BArch BDC/RSK/Knauf, E. Zum Folgenden siehe ebd. das Schreiben Knaufs an Hinkel vom 13. und 14. August 1935, den Fragebogen für schriftstellerisch Tätige vom 3. Juni 1937 mit dem »Bericht über mein Leben« vom 2. Juni, die politische Beurteilung der Stapoleitstelle Berlin für die RSK vom 1. Mai 1938. 121 Schreiben vom 5. Dezember 1933, BArch BDC/RSK/Weisenborn, G. 122 Siehe dazu den von Weisenborn ausgefüllten RSK-Fragebogen für Mitglieder vom 15. August 1936, ebd. 123 Vgl. Mitteilung des Chefs der Sipo und des SD (IV A) an den Herrn Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, z.Hd. des persönlichen Referenten Staatssekretär Gutterer vom 25. Januar 1943, BArch 50.01/210 Bl. 578. Die Exposés finden sich ebd., Bl. 579 –583. Die Stücke wurden zu Beginn des Jahres 1943 vom Reichsdramaturgen in der Theaterabteilung des Propagandaministeriums begutachtet. Siehe die Mitteilung der Theaterabteilung an den Chef der Sipo und des SD vom 2. Februar 1943, BArch 50.01/210 Bl. 584. 124 Vgl. BArch BDC/RSK/Weisenborn, G.

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Film.125 Alfred Andersch, der als Organisationsleiter des Kommunistischen Jugendverbands Südbayern von der Bayerischen Politischen Polizei verhaftet und von März bis April 1933 im KZ Dachau interniert worden war, gehörte der Kammer bereits als Buchhändler bis zu seinem Ausscheiden aus dem Münchner J.F. Lehmanns Verlag im Jahre 1937 an. Da er neben seinem Hauptberuf als Werbeleiter der Firma J.G. Mouson & Co. in Frankfurt am Main seit 1941 auch »ernsthaft und in ausgebreitetem Umfang« schriftstellerisch tätig war, stellte er am 16. Februar 1943 einen Antrag auf Aufnahme in die »Gruppe Schriftsteller« und erhielt von der Kammer ohne Probleme einen »Befreiungsschein« für seine literarischen Arbeiten.126 Im Fall von Gerhart Pohl bemühte sich die Kammer zwar bereits 1936 um einen Ausschluss, weil sämtliche Schriften von ihm verboten worden waren127 und die Kammer ihm eine »tiefe Verwurzelung […] im politischen Marxismus und in der marxistisch-philosophischen Ideenwelt« attestierte.128 Doch obwohl der Leiter der Schrifttumsabteilung am 15. Februar 1937 den Ausschluss Pohls angeordnet und die Kammer den Ausschluss-Entscheid bereits ausgefertigt hatte, führte der präventive Einspruch von Pohls Rechtsanwalt zur Aussetzung des Verfahrens.129 Daran änderte auch der Hinweis des Kammer-Referenten Metzner nichts, dass »die ganze Schrifttumspolitik keinen Sinn« hatte, »wenn Personen, die ihre Unzuverlässigkeit auf ihrem Gebiete nachdrücklich unter Beweis gestellt haben, der deutschen Volksgemeinschaft heute genau so vorgesetzt werden dürfen, wie die im Kampf erprobten«.130 Dieser Auffassung zum Trotz hielt der Geschäftsführer der Kammer nach einer nochmaligen eingehenden Erörterung des Falls im Februar 1938 den Ausschluss Pohls für »bedenklich«.131 Der Schriftsteller habe sich fünf Jahre lang »im Sinne unserer Kulturkammergesetze nicht gegen den Staat vergangen«. Zudem habe er mit seinem Buch Die Brüder Wagemann einen Erfolg erzielt, der sogar von der NS-Presse anerkannt wurde. Die Pohl 1936 von der Kammer gewährte »Bewährungsfrist« sei damit positiv verlaufen. Da jedoch die Schrifttumsabteilung auf ihrer Entscheidung beharrte,132 wurde Pohl 125 Vgl. BArch BDC/RSK/Eggebrecht, A. Eggebrecht schrieb u. a. die Drehbücher zu Maria, die Magd (1936, Regie Veit Harlan), Alles für Veronika (1936, Regie Veit Harlan), Belami (1939, Regie Willi Forst), Operette (1942, Regie Willi Forst), Wiener Blut (1942, Regie Willi Forst), Anuschka (1942, Regie Helmut Käutner). 126 BArch BDC/RSK/Andersch, A. Vgl. Reinhardt: Alfred Andersch, S. 43 –69 und Tuchel: Alfred Andersch im Nationalsozialismus, S. 31 –41. 127 Vgl. Vermerk des Referenten Pogge für seinen Kollegen Linhard vom 23. Juni 1936, BArch BDC/RSK/Pohl, G. 128 So der Aktenvermerk des RSK-Geschäftsführers Ihde vom 5. Februar 1938, S. 3, ebd. 129 Wolfgang Reichstein erhob am 8. Juni 1937 bei der Schrifttumsabteilung des RMVP Einspruch gegen die Entscheidung, Pohl aus der Kammer auszuschließen. Zu jenem Zeitpunkt war der Ausschluss aber noch gar nicht von der Kammer vollzogen worden. Siehe den Aktenvermerk Ihdes vom 5. Februar 1938, hier S. 2. Reichstein, Rechtsanwalt am Berliner Landgericht, arbeitete in seiner Anwaltspraxis mit dem Kulturkammer-Referenten KarlFriedrich Schrieber zusammen. 130 Aktenvermerk Metzners vom 17. September 1937, BArch BDC/RSK/Pohl, G. 131 Aktenvermerk Ihdes vom 5. Februar 1938, S. 4, ebd. 132 Der »Fall Pohl« war von Ihde am 7. Februar 1938 über den Präsidenten der RKK an das Propagandaministerium zur Entscheidung weitergeleitet worden, ebd.

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am 23. März 1938 vom Präsidenten der Kammer mit der Begründung ausgeschlossen, dass er ihm aufgrund seiner »politischen und weltanschaulichen Haltung vor dem Jahre 1933« die für ein Mitglied der Kammer erforderliche Zuverlässigkeit nicht zusprechen könne. Die Akte Pohl war damit aber immer noch nicht geschlossen. Denn der Schriftsteller machte im Frühjahr 1939 von seinem Recht Gebrauch, einen neuen Antrag auf Aufnahme in die Kammer zu stellen.133 Nachdem sich der zuständige Landesleiter »in sehr fürsprechender Weise« für Pohl eingesetzt hatte, stimmte nun auch die Schrifttumsabteilung seiner Wiederaufnahme in die Kammer zu.134 Gegen Herbert Eulenberg wurde im Februar 1936 von der Landesstelle des Propagandaministeriums in Düsseldorf der Antrag auf Ausschluss aus der Kammer gestellt.135 Anlass waren Berichte in der Presse, in denen an die republikfreundliche und militärfeindliche Einstellung des in Kaiserswerth lebenden Schriftstellers während der Weimarer Republik erinnert wurde. Auch das Geheime Staatspolizeiamt wertete den ehemaligen freien Mitarbeiter der Weltbühne als »Gegner jeglichen nationalen Gedankens«.136 Im Gegensatz dazu plädierte Johst »für restlose Milde diesem alten Dichter gegenüber, zumal er loyal sein Irren bekennt!«137 Der Kammer-Präsident hielt damit Eulenberg die politische Abstinenz zugute, die sich der Autor schon seit 1930 und auch nach der nationalsozialistischen Machtübernahme selbst verordnet hatte.138 Wesentlich nüchterner im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung des Falls war die Argumentation der ministeriellen Schrifttumsabteilung: Wollte man die Tätigkeit der deutschen Autorenschaft insbesondere in den Jahren 1918 bis 25 genau unter die Lupe nehmen, und jede taktlose und politisch instinktlose Äußerung auf ihr Konto setzen, so müsste man für eine große Reihe von Fällen gleiche Konsequenzen ziehen, wie sie die Landesstelle für den vorliegenden Fall vorschlägt.139 Zynisch wurde noch festgestellt, dass »für Autoren, die heute als erledigt anzusehen sind, und über deren Werk wir im ganzen zur Tagesordnung übergehen können, […] die Bemühungen um Feststellung einzelner Entgleisungen in zurückliegender Zeit« wenig lohnend erschienen. Daher wurde empfohlen, »Eulenberg laufend in seiner Haltung, die

133 Siehe ebd. das Schreiben Pohls an die RSK vom 19. Mai 1939, mit dem er sich für die Zusendung der Aufnahmeformulare durch den Landesleiter der RSK in Schlesien bedankte. 134 Mitteilung der RSK-Geschäftsführung an Wilhelm Baur vom 23. Februar 1943, BArch BDC/ RSK/Bonsels, W. 135 Vgl. das Schreiben vom 3. Februar 1936, BArch BDC/RSK/Eulenberg, H. Vgl. ebd. auch die entsprechende Denunziation des Völkischen Verlags, Düsseldorf, bei Johst vom 31. Januar 1936. 136 Stellungnahme des Gestapa (II 2D) gegenüber dem Präsidenten der RSK vom 13. Juni 1936, ebd. 137 Vermerk auf der Abschrift eines undatierten Schreibens von Eulenberg an Johst vom April 1936, ebd. 138 Darauf weist Eulenberg in seinem Schreiben vom April 1936 an Johst hin, ebd. 139 Abschrift einer Stellungnahme der Abt. VIII (Erckmann) vom 6. März 1936 gegenüber Hinkel, ebd. Die beiden folgenden Zitate ebd.

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sich wahrscheinlich nicht ändern wird, zu beobachten und im übrigen nichts zu veranlassen«. Otto Bernhard Wendler, seit 1927 Rektor einer Volksschule und Stadtverordneter der SPD in Brandenburg, wurde 1933 aus dem Schuldienst entlassen und seine Schriften wurden bis auf drei Titel verboten.140 Danach versuchte er, sich mit der Unterstützung des RDS eine neue Existenz als Autor von Jugendliteratur aufzubauen.141 Nachdem Wendler auch mit Drehbüchern für den Film hervorgetreten war, forderte die zuständige NSDAP-Kreisleitung im Oktober 1939 bei der Gauleitung Mark Brandenburg, den Schriftsteller »von weiterer öffentlicher Mitarbeit auszuschalten«.142 Von der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums wurde er jedoch als eine »Begabung« gelobt, der man die Gelegenheit geben sollte, »sich durch positive Arbeitsleistung zu rehabilitieren«.143 Als Wendler 1942 an Jungens, einem Propagandafilm der Ufa, beteiligt werden sollte, brachte die Partei-Kanzlei erneut die ablehnende Stellungnahme der Gauleitung ins Spiel.144 Rosenbergs Hauptamt Schrifttumspflege stellte sogar den Antrag, »nachzuprüfen, ob die weitere Mitgliedschaft Wendlers bei der Reichsschrifttumskammer gerechtfertigt erscheint«.145 Dieses Ansinnen wurde von Kammer-Referent Meyer mit dem bemerkenswerten Kommentar versehen, die Parteidienststelle wolle offenbar »Zensur ausüben«.146 Da die Jugendbücher Wendlers und seine politische Einstellung nach 1933 keinerlei Anlass zu Beanstandungen gegeben hatten, empfahl er, »die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen«. Die Produktionschefs sämtlicher Filmfirmen erhielten allerdings von der Filmabteilung des Propagandaministeriums die Anweisung, dass Wendler »bei politischen Filmen in Zukunft nicht mehr zugezogen werden soll«.147 Dagegen sollte er weiterhin Drehbücher für Unterhaltungsfilme schreiben dürfen.

Die Behandlung der konfessionellen Autoren Als Problemfälle galten neben den Schriftstellern der politischen Linken auch die konfessionell geprägten Autoren. Zu Peter Dörfler, der 1934 immerhin noch von Rust zum Mitglied der Sektion für Dichtung ernannt worden war, lag 1936 beim SD-Hauptamt 140 Vgl. zum Folgenden den Lebenslauf Wendlers vom 4. Februar 1935, BArch BDC/RSK/ Wendler, O.B. 141 Vgl. Mitteilung des Präsidenten der RSK an das RMVP vom 29. Juli 1939, BArch NS 18/ 307. Dort wird eine Übersicht über die seit 1934 veröffentlichten Arbeiten Wendlers gegeben. 142 So die Abschrift aus dem Schreiben der Kreisleitung Brandenburg-Zauch-Belzig der NSDAP an die Gauleitung Mark Brandenburg vom 6. Oktober 1939, ebd. Wendler hatte die Drehbücher zu den Filmen Daphne und der Diplomat (Ufa, 1936) und Petermann ist dagegen (Terra, 1937) verfasst. 143 Mitteilung der Abt. S an den Leiter der Filmabteilung vom 3. August 1939, BArch NS 18/ 307. In gleichem Sinne hatte sich die RSK in ihrem Schreiben an das RMVP vom 29. Juli 1939, ebd., geäußert. 144 Vgl. Notiz für Pg. Tießler vom 9. Januar 1942 (Witt, II G), ebd. 145 Schreiben vom 18. August 1942, BArch BDC/RSK/Wendler, O.B. 146 Aktenvermerk für Herrn Loth vom 24. August 1942, ebd. 147 Mitteilung von Reichmeisters (RMVP/Abt. F) an Tießler vom 18. Februar 1942, BArch NS 18/307.

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bereits umfangreiches »belastendes« Material über seine kirchlichen Aktivitäten vor.148 Im Juni 1940 wurde der katholische Geistliche von der NSDAP-Ortsgruppe Gern als ausgesprochener »Gegner der Bewegung« beurteilt.149 Bei den Volksabstimmungen und Reichstagswahlen habe er immer mit »nein« gestimmt. Die Gauleitung MünchenOberbayern sprach ihm daher die »politische Zuverlässigkeit« ab.150 Werner Bergengruen hielt die NSDAP-Ortsgruppe München-Solln im Juni 1940 zwar zugute, dass er aus gegebenem Anlass »an seinem Fenster die Hakenkreuzfahne zeigt, oder bei Sammlungen immer und gerne gibt«.151 Weder er noch seine Familie waren jedoch Mitglied einer Gliederung der NSDAP, wendeten den »deutschen Gruß« nicht an, bezogen keine NS-Zeitung und verkehrten in jüdischen Kreisen. Damit galt Bergengruen als »politisch unzuverlässig«, obwohl seine Bücher in der zum DAFKonzern gehörenden Hanseatischen Verlagsanstalt veröffentlicht wurden. Rudolf Thiel, der schon seit 1930 mit konfessionellen Schriften hervorgetreten und 1936 auf Antrag von Reichskirchenminister Kerrl zur Abfassung kirchenhistorischer Arbeiten von seinem Lehramt freigestellt worden war,152 wurde im Januar 1941 wegen seiner »jüdischen Versippung« vom Obersten Parteigericht aus der NSDAP ausgeschlossen.153 Die NSDAP-Gauleitung Berlin setzte sich daraufhin im Februar bei der Kammer für ein Berufsverbot ein.154 Auch der SD-Leitabschnitt Berlin machte Bedenken gegen Thiel geltend, da er »in seiner schriftstellerischen Tätigkeit Auffassungen vertreten [hatte], die mit nationalsozialistischer Haltung unvereinbar sind«.155 Noch 1944 teilte der Landesleiter im Gau Westmark der Kammer-Zentrale in Berlin mit, dass die zuständige NSDAP-Kreisleitung Thiel »für politisch vollständig unzuverlässig und deshalb die Ausstellung eines Befreiungsscheines für seine schriftstellerischen Arbeiten für untunlich und untragbar« hielt. Dietrich Bonhoeffer stellte im Herbst 1940 bei der Kammer den Antrag auf Erteilung eines »Befreiungsscheins«. Die daraufhin von der Kammer eingeleiteten Überprüfungen ergaben, dass der Pfarrer ein »offener Anhänger der Bekenntnis-Front« war.156 »Wegen seiner volkszersetzenden Tätigkeit« hatte ihm das Reichskirchenministerium 148 Der Bericht wurde der RSK am 6. Oktober 1936 vom RF-SS und Chef des SHA/Zentralabteilung I3 (gez. Six) zugesandt, BArch BDC/RSK/Dörfler, P. 149 Mitteilung der Ortsgruppe Gern der NSDAP an die NSDAP-Gauleitung München-Oberbayern vom 13. Juni 1940, ebd. 150 Antwortschreiben der NSDAP Gauleitung München-Oberbayern vom 25. Juni 1940 auf eine Anfrage der Schrifttumsabteilung vom 2. Juni 1940, ebd. 151 Ausführliches Gesamturteil der NSDAP-Ortsgruppe für die Gauleitung München-Oberbayern vom 14. Juni 1940, BArch BDC/RSK/Bergengruen, W. 152 Vgl. Angaben Thiels in seinem Antrag zur Bearbeitung der Aufnahme als Mitglied der Reichsschrifttumskammer, Gruppe Schriftsteller vom 1. September 1940, BArch BDC/RSK/ Thiel, R. 153 Mitteilung der NSDAP-Gauleitung Berlin an den Präsidenten der RSK vom 14. Februar 1941, ebd. Thiels Frau hatte zwei jüdische Kinder in die Ehe mitgebracht. 154 Vgl. Schreiben der NSDAP-Gauleitung Berlin an den Präsidenten der RSK vom 2. Mai 1941, ebd. 155 Schreiben des SD-Leitabschnitts Berlin an die RSK vom 11. September 1940, hier S. 1, ebd. 156 So der Vermerk der Abteilung »Besondere Kulturangelegenheiten« (o. D., ca. 1941), BArch BDC/RSK/Bonhoeffer, D.

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am 22. August 1940 bereits ein Redeverbot erteilt. Daher bat das Ministerium die Kammer in einem Schreiben vom 25. Februar 1941, den Antrag Bonhoeffers abzulehnen, »weil ihm als führendem Mitglied einer vom Staat nicht anerkannten, illegalen Organisation die erforderliche Zuverlässigkeit abgesprochen werden muss«. Die Kammer entsprach dieser Bitte am 19. März,157 sodass über Bonhoeffer nun auch ein Publikationsverbot verhängt war.

Die Behandlung der aus ideologischen und ästhetischen Gründen abgelehnten Schriftsteller Besonderes Misstrauen erregten auch die Schriftsteller, deren Werke aus ideologischen und formal-ästhetischen Gründen abgelehnt wurden. Das Buch vom persönlichen Leben, das Hermann Graf Keyserling 1936 in der Deutschen Verlags-Anstalt veröffentlicht hatte, war für Goebbels ein »Edelquatsch, gemischt aus Frechheit, Arroganz und Feindschaft gegen uns.«158 Da Generalfeldmarschall Werner von Blomberg beim Propagandaminister »ein gutes Wort für Keyserling« eingelegt hatte,159 wurde das Buch allerdings nicht verboten. Doch nachdem der zuständige Gauleiter von Hessen-Nassau, Jakob Sprenger, »vernichtendes Material« gegen Keyserling vorgelegt hatte, beschloss Goebbels im November 1937, diesem »Philosophie-Schwätzer […] das Maul [zu] stopfen.«160 Am 10. Dezember 1937 erklärte der Propagandaminister »das öffentliche Auftreten des Grafen Hermann Keyserling im In- und Auslande für staatspolitisch unerwünscht« und ordnete sowohl »eine Überprüfung des vorliegenden Gesamtwerkes« als auch »die Vorlagepflicht für seine geplanten Neuveröffentlichungen« an.161 Auf die Proteste des Autors reagierte Goebbels mit der Anweisung, »diesen philosophierenden Blödling aufs Korn zu nehmen. Er braucht sich nur noch einmal mausig zu machen, dann haben wir ihn.«162 Kasimir Edschmid wurde von der Stapostelle Darmstadt zum »Kreis jener Schriftsteller« gezählt, »deren Werk im expressionistisch-mondänen Stil geschrieben waren und deren jüdisch zersetzende Art vergiftend auf die deutsche Literatur der Nachkriegszeit wirkte«.163 Für den Chef der Sicherheitspolizei und des SD war Erich Ebermayer

157 Vgl. BArch R 56 V/80 Bl. 146. 158 Goebbels-Tagebücher vom 28. Februar 1937, Teil I, Bd. 3, S. 397. Vgl. auch Gahlings: »An mir haben die Nazis beinahe ganze Arbeit geleistet«, S. 47 –74. 159 Goebbels-Tagebücher vom 27. Februar 1937, Teil I, Bd. 3, S. 395, und 3. März 1937, Teil I, Bd. 4, S. 32. 160 Goebbels-Tagebücher vom 12. November 1937, Teil I, Bd. 4, S. 401. 161 So die als »Vertraulich!« gekennzeichnete Information an die Mitglieder des Reichskabinetts, an Heß, Rosenberg, Bouhler, Gauleiter Bohle von der AO der NSDAP und Reichsstatthalter Sprenger, BArch R 4901/12877 Bl. 9 f. Als Anlage, ebd. Bl. 10 –16, war ein ausführliches Gutachten zu »Persönlichkeit und Werk« Keyserlings beigefügt. Vgl. auch Goebbels-Tagebücher vom 1. Dezember 1937, Teil I, Bd. 5, S. 29, und 9. Dezember 1937, S. 42. 162 Goebbels-Tagebücher vom 19. Dezember 1937, S. 60. 163 Mitteilung der Stapostelle Darmstadt (II P) an den Präsidenten der RSK vom 4. August 1938, hier S. 1, BArch BDC/RSK/Schmid, Eduard (= Edschmid, Kasimir).

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noch im November 1942 »eine der dekadenten Erscheinungen der Systemzeit«.164 Dem Schriftsteller wurde insbesondere sein Engagement für eine Liberalisierung des § 175 StGB übel genommen. Aufgrund des Verdachts der Homosexualität stand Ebermayer unter ständiger Überwachung durch die Gestapo und den SD. Dennoch konnte er mit großem Erfolg Drehbücher für den Film schreiben und seine auf die veränderten Zeitverhältnisse abgestimmten Bücher weiterhin im Paul Zsolnay Verlag veröffentlichen.165 Hans Fallada wurde vom Amt Schrifttumspflege 1938 als »eine typische Erscheinung der Zersetzung der vergangenen Jahre« eingestuft, dessen Gesamtschaffen die verheerende Wirkung der Bücher einzelner Emigranten sogar noch übertraf.166 Aus diesem Grund war es für das Schrifttumsamt Rosenbergs völlig unverständlich, warum man dem Autor »noch heute die Erlaubnis erteilt, Bücher zu schreiben«. Obwohl die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums diese Einschätzung durchaus teilte, ließ Goebbels die Romane des Bestsellerautors weiterhin im Rowohlt Verlag erscheinen und begutachtete sogar persönlich sein Drehbuch für den Jannings-Film Der weite Weg.167 Als Fallada während des Krieges im Rahmen der »Truppenbetreuung« vom Propagandaministerium eingesetzt werden sollte, stieß dies beim SD auf Ablehnung. Man war zwar prinzipiell der Auffassung, dass dem Schriftsteller »Gelegenheit geboten« werden sollte, »seinen Einsatzwillen für den Nationalsozialismus unter Beweis zu stellen«, hielt jedoch die vorgesehene Verwendung wegen Falladas »Vergangenheit und seiner zweifelhaften Einstellung zum Nationalsozialismus« für »nicht tunlich«.168

Die Behandlung renitenter Schriftsteller aus dem nationalkonservativen Lager Auch nationalkonservative und zeitweise mit dem Nationalsozialismus sympathisierende Schriftsteller konnten in Konflikt mit der staatlichen Schrifttumsbürokratie geraten, wenn sie die ihnen gesetzten politischen Grenzen überschritten. Als sich Ernst Wiechert mit dem politisch verfolgten Martin Niemöller solidarisierte und die Teilnahme an der Volksabstimmung über den »Anschluss« Österreichs verweigerte, wurde der Bestsellerautor im Mai 1938 von Goebbels ins Zuchthaus und danach für drei Monate in das Konzentrationslager Buchenwald verbannt. In seinem Tagebuch kommentierte der Propagandaminister am 4. August 1938: »So ein Stück Dreck will sich gegen den Staat erheben.«169 Und am 30. August nach einem Gespräch mit Wiechert hielt Goebbels fest: 164 Mitteilung an den Personalbeauftragten des Reichsfilmintendanten vom 6. November 1942, BArch BDC/RSK/Ebermayer, E. 165 Vgl. Hall: Der Paul Zsolnay Verlag, S. 597 –614. 166 Mitteilung des Amtes Schrifttumspflege an die Kanzlei des Reichsleiters Alfred Rosenberg vom 25. August 1938, BArch NS 8/246 Bl. 243. Das Schreiben war eine Reaktion auf Pläne des Propagandaministeriums, Fallada als Drehbuchautor einzusetzen. Siehe auch Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 94 f. 167 Siehe dazu in den Goebbels-Tagebüchern, Teil I, Bd. 5, die Einträge über die Lektüre des Romans Wolf unter Wölfen vom 19. Januar 1938, S. 106, und 31. Januar, S. 126; über die negative Beurteilung Falladas durch die Schrifttumsabteilung vom 3. Februar, S. 132; über das Drehbuch Der weite Weg von Fallada und Jannings vom 13. Juli, S. 378, und 15. Juli, S. 381. 168 Siehe die Auskunft des SD vom 21. Juli 1943 auf der Karteikarte der RKK-Hauptgeschäftsführung zu Rudolf Ditzen (= Hans Fallada), BArch BDC/RSK/Ditzen, R. 169 Goebbels-Tagebücher, Teil I, Bd. 6, S. 32.

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2 D ie Arb e its- und Lebensb ed ingung en d er Schr if tste ller Ich lasse mir den Schriftsteller Wiechert aus dem K.Z. vorführen und halte ihm eine Philippica die sich gewaschen hat. Ich dulde auf dem von mir betreuten Gebiet keine Bekenntnisfront. Ich bin in bester Form und steche ihn geistig ab. Eine letzte Warnung! Darüber lasse ich auch keinen Zweifel. Der Delinquent ist am Schluss ganz klein und erklärt, seine Haft habe ihn zum Nachdenken und zur Erkenntnis gebracht. Das ist sehr gut so. Hinter einem neuen Vergehen steht nur die physische Vernichtung. Das wissen wir nun beide.170

Nachdem Wiechert erklärt hatte, auf weitere Kritik am Nationalsozialismus zu verzichten, wurde sein Kammer-Ausschluss »auf dem Gnadenwege gestundet«.171 Allerdings wurde ihm zur Auflage gemacht, der Schrifttumsabteilung zukünftig »jedes neue Werk vor Erscheinen zur Durchsicht vorzulegen«. Ähnlich zynisch ging Goebbels mit Hans Grimm um. Dem einst von ihm geschätzten Schriftsteller machte der Propagandaminister die 1935 geäußerte Kritik an der Bürokratie der Kammer, die Intervention bei Reichsinnenminister Frick für einen von Parteifunktionären misshandelten »Neinsager« im Zusammenhang mit der Volksabstimmung über den Einmarsch deutscher Truppen in das entmilitarisierte Rheinland und die seit 1934 von Grimm organisierten »Lippoldsberger Dichtertage« zum Vorwurf.172 Dazu hatte Goebbels in seinem Tagebuch am 5. August 1938 angemerkt: »Der Dichter Hans Grimm macht Dichtertreffen mit etwas negativer Tendenz. Ich werde jetzt dieses Treiben etwas näher unter die Lupe nehmen. Ich dulde unter den Dichtern keine Bekenntnisfront. Ich werde diesen ewigen Stänkern Beine machen«.173 Nachdem Grimm zunächst versucht hatte, sich der persönlichen Auseinandersetzung zu entziehen und aus »Gesundheits- und Arbeitsgründen« um eine schriftliche Erledigung der strittigen Fragen bat,174 wurde er am 22. November 1938 ultimativ für den 2. Dezember, 12.30 Uhr, ins Ministerium einbestellt.175 Unter Anspielung auf das Schicksal Wiecherts warnte der Propagandaminister unmissverständlich: »Herr Dr. Grimm, ich schicke Leute vier Monate ins Konzentrationslager. Wenn ich sie ein zweites Mal hineinschicke, kommen sie nicht mehr hinaus«.176 Er werde auch ihn »zerbrechen« – »einerlei welches Geschrei es im Inland und Ausland gibt«. Grimm, der sich dagegen verwahrte, »in einem Atem mit Wiechert« genannt zu werden, da er dessen Handeln nicht billigen konnte und ihm inhaltlich »völlig fern« stand, beharrte stur auf seiner eigenwilligen Position, auch wenn er immer wieder Niederlagen hinnehmen musste.

170 Goebbels-Tagebücher vom 30. August 1938, Teil I, Bd. 6, S. 64. 171 Mitteilung des Leiters der Schrifttumsabteilung Haegert an Staatssekretär Pfundtner im RMI vom 13. Januar 1940, BArch R 18/5645 Bl. 99. 172 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Franke: Grimm ohne Glocken, S. 52 –114. 173 Goebbels-Tagebücher, Teil I, Bd. 6, S. 34. 174 Antwortschreiben Grimms an Goebbels vom 20.11.1938, DLA NL Hans Grimm/Korrespondenz mit NS-Partei- und Regierungsstellen, Mappe III. 175 Siehe das Aufforderungsschreiben des Ministerbüros, ebd. 176 So das Gedächtnisprotokoll über die Besprechung am 2. Dezember, das Grimm noch in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1938 seinem Berliner Rechtsanwalt diktierte, hier S. 1, DLA NL Hans Grimm/Korrespondenz mit NS-Partei- und Regierungsstellen, Mappe III. Das folgende Zitat ebd., S. 7.

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Wie eng die Grenzen der schriftstellerischen Autonomie vom NS-Regime gesetzt wurden, lässt sich auch an einem so prominenten Beispiel wie Ernst Jünger belegen. Die neuen Machthaber hatten Jünger im Mai 1933 in die Sektion für Dichtung der Preußischen Akademie der Künste berufen – eine Anerkennung seines vom Erlebnis des Ersten Weltkriegs geprägten literarischen Schaffens, die der Schriftsteller allerdings ablehnte.177 Jüngers Roman Auf den Marmorklippen, der im Herbst 1939 von der Hanseatischen Verlagsanstalt veröffentlicht wurde, sorgte bereits für politische Irritationen. Denn das Buch ließ sich als eine Parabel auf die unterschwellige Angst und die latente Gewaltbereitschaft der vom NS-Regime beherrschten Gesellschaft lesen. Nachdem das Manuskript seines »neuesten Kriegsbuchs« (gemeint ist wohl das Kriegstagebuch Gärten und Straßen, das 1942 erscheinen sollte) von Goebbels geprüft worden war, hielt der Propagandaminister am 19. November 1941 in seinem Tagebuch fest: Ernst Jünger hat sich vollkommen in eine unfruchtbare Philosophasterei eingesponnen. Bei Beginn dieses Krieges stellte er sich wieder freiwillig; er hat auch die verschiedensten Feldzüge mitgemacht und sich tapfer eingesetzt und bewährt; aber sein Literatentum wird auf die Dauer unerträglich. Es wäre vielleicht gut, wenn man sich ihn bei Gelegenheit einmal vorknöpfte und ihn neu bestandpunktete. So isoliert er sich immer mehr von den treibenden Kräften der Zeit und läuft Gefahr, zum literarischen Einsiedler zu werden. Er hat doch einmal gute und wirkungsvolle Bücher geschrieben. Man hat ihn vielleicht zu lange sich selbst überlassen. Ich werde versuchen, ihn bei nächster Gelegenheit einmal zu fassen und ihm meinen Standpunkt klarzumachen.178 Beim Spiel zwischen Katz und Maus, das Horst Denkler als Kennzeichen oppositioneller Schreibstrategien im Dritten Reich ausgemacht hat, musste schließlich immer noch klar sein, wer wen beherrschte.179

Die Verschärfung der Berufszulassung während des Zweiten Weltkriegs In den überlieferten Personalakten der Reichsschrifttumskammer sind die politischen Bewertungen der Gestapo, des SD und einzelner Parteidienststellen dokumentiert, die – mit Ausnahme des konsequenten Ausschlusses von »Nichtariern« – zu divergierenden Entscheidungen in einer Vielzahl von Einzelfällen führten. Die zunehmende Unzufriedenheit des SD mit der Praxis der Berufszulassung von Schriftstellern entlud sich in einem ausführlichen Bericht »zur Frage der Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer« vom April 1942.180 Dort hieß es, dass bei rund 800 Personen, die 1941 Mitglied der Kammer hatten werden wollen, »nach gesundem Empfinden« rund die Hälfte der Anträge »nur als Zumutung« hätte empfunden werden können, und dies nicht nur aus Gründen mangelnder fachlicher Eignung. Denn 16 Personen seien »Judenstämmlinge bzw. jüdisch versippt« gewesen. Bei 48 habe es sich um »ehemalige Marxisten und andere Staats177 Vgl. zum Folgenden Jünger: Leben und Werk, S. 133 –211. 178 Goebbels-Tagebücher vom 19. November 1941, Teil II, Bd. 2, S. 315 f. 179 Dies als kritische Anmerkung zu der klugen, aber rein werkimmanenten Untersuchung von Denkler: Katz und Maus, S. 27 –38. 180 Meldungen aus dem Reich (1942) 273, Bd. 10, S. 3570 –3574.

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feinde« gehandelt, »bei denen das bisherige Verhalten in der Volksgemeinschaft nicht die Gewähr für einen positiven Einsatz im Sinne der nationalsozialistischen Kulturführung gab«. Bei rund 150 Personen gäbe die »konfessionelle Bindung« Anlass zur Sorge, dass »auch eine kulturelle Tätigkeit von dieser Bindung bestimmt« werde. 18 Personen seien Mitglieder »christlicher Sekten und okkulter Gruppen«. Neben 47 »vorbestraften und zum Teil kriminell erheblich belasteten Personen« hätten auch noch 29 Personen Aufnahmeanträge gestellt, die »in geistiger Hinsicht nicht als normal angesehen« oder als »Trinker, arbeitsscheue Elemente u. ä.« bezeichnet werden müssten. In seiner Entgegnung wies der Geschäftsführer der Kammer darauf hin, dass die Erfassung der Schriftsteller ohne Rücksicht auf deren geistige oder literarische Eignung »nicht nur richtig [sei], sondern in hohem Grade erwünscht, damit die Staatsführung jederzeit einen Überblick über die schriftstellerisch tätigen Personen hat«.181 Ihde machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass »auch dem SD« diese Kontrollmöglichkeit »angenehm« sein dürfte. Während die Aufnahme von »Halbjuden« grundsätzlich abgelehnt werde, konnten »Vierteljuden« auf Anweisung der Hauptgeschäftsführung der Reichskulturkammer und des Propagandaministeriums Mitglieder der Kammer werden, insofern nicht »besondere Umstände gegen sie sprechen«. Im Gegensatz dazu würden »Marxisten und Staatsfeinde« prinzipiell nicht aufgenommen werden, so dass Ihde um Benennung der in dem SD-Bericht erwähnten 48 Fälle bat. Unverständlich war für ihn auch, wie der SD auf 150 Schriftsteller mit politisch unerwünschten »konfessionellen Bindungen« kam. Denn die Kammer habe »– mit besonderer Schärfe seit Kriegsbeginn – Geistliche aller Konfessionen von der schriftstellerischen Betätigung ferngehalten, sofern sie auch nur die geringste Handhabe dazu hatte«. Die Voraussetzung für Ablehnungen und Ausschlüsse sei jedoch stets, dass »Tatsachen« vorlagen, mit denen die mangelnde »Zuverlässigkeit und Eignung« begründet werden konnte. Die bloße »Zugehörigkeit zur Bekenntnisfront« etwa war kein hinreichender Grund. Damit machte Ihde, der zu jenem Zeitpunkt selbst immerhin SS-Sturmbannführer war, noch einmal deutlich, dass die Entscheidungen der Kammer nicht allein nach politisch-weltanschaulichen Gesichtspunkten gefällt werden konnten. Die vom SD ebenso wie von der Partei-Kanzlei angemahnte schärfere Selektion der Kammer-Mitglieder blieb auf die Dauer jedoch keineswegs wirkungslos. Seit 1942 ging die Hauptgeschäftsführung der Reichskulturkammer dazu über, in politischen Zweifelsfällen grundsätzlich die Stellungnahme der Partei-Kanzlei einzuholen.182 Und der SD erhielt nach einem persönlichen Gespräch zwischen Johst und Himmler im August 1942 von der Kammer das Zugeständnis, sich in allen strittigen Fragen regelmäßig mit dem Amt III des Reichssicherheitshauptamtes abzusprechen.183 181 »Stellungnahme [Ihdes] zum Auszug eines SD-Berichtes[,] dessen vorliegende Seiten 9 –14 sich mit der Reichsschrifttumskammer befassen« vom 27. April 1942, BArch R 56 V/154 Bl. 21 –25. 182 Siehe die Fälle Thomas Karl Ring, Marie Wilhelmine Oelfken, Heinrich Pudor, Otto Wendler. In: BArch NS 18/307; Sigfried Knapitsch. In: BArch NS 18/3007; Josef August Lux. In: BArch NS 18/3009; Johann Zangerle und Alfred Zacharias. In: BArch NS 18/3017. 183 Vgl. Mitteilung Ihdes an den Präsidenten der RKK vom 11. September 1942, BArch R 56 V/154 Bl. 31. Über das Gespräch zwischen Johst und Himmler hatte Ihde den Präsidenten der RKK am 31. August 1942 informiert, ebd. Bl. 29.

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Die Radikalisierung im Umgang mit politischen Dissidenten blieb nicht ohne Folgen. Ausschlüsse und Aufnahmeverweigerungen nahmen zu, so dass die Mitgliederzahl der »Gruppe Schriftsteller« in der Reichsschrifttumskammer von rund 12.000 im Jahre 1935 über 5.795 in 1940 auf 3.980 im Jahre 1944 sank.184 Das Gros der Autoren, das durch die seit 1941 kontinuierlich abnehmende Verlagsproduktion ohnehin arbeitslos geworden war, wurde von der Kammer seit Beginn des Jahres 1943 zwangsweise an die Rüstungsindustrie und in die Wehrmacht vermittelt, um auf diese Weise dem »deutschen Endsieg« zu dienen.185 Im August 1944 wurden die zehn noch bestehenden ukStellungen von Schriftstellern aufgehoben und nur noch 25 der bislang 234 Schriftsteller vom Arbeitseinsatz befreit.186 Alle Schriftsteller, die nach dem 1. August 1884 geboren waren, wurden jetzt zur Wehrmacht eingezogen, während sich alle nach dem 1. August 1894 geborenen Schriftstellerinnen zum Arbeitseinsatz zu melden hatten.187 Nachdem sich die deutschen Schriftsteller in der Anfangsphase des Weltkriegs durch ihren Beitrag zur »geistigen Aufrüstung« der Bevölkerung legitimieren durften, mussten rund 3.000 Männer und Frauen von ihnen noch in den letzten Monaten einen kriegswichtigen Einsatz an der Front oder in der Rüstungsindustrie leisten.

2.3

Die verbotene, geduldete und geförderte Literatur

Die »Säuberung« des Buchmarktes Die NS-Diktatur begann mit einem Kahlschlag. Von wenigen Ausnahmen abgesehen wurde ab 1933 all das, was wir heute zum Kanon der Literatur der Weimarer Republik rechnen, verboten und vom deutschen Buchmarkt sukzessive eliminiert. Dabei fanden die öffentlichen Bücherverbrennungen im Frühjahr und Frühsommer 1933, in deren Kontext erstmals »Schwarze Listen« mit »unerwünschter« Literatur zusammengestellt wurden, nicht nur bei den Massen, sondern gerade auch in bildungsbürgerlichen Kreisen Zustimmung. So empörte sich der Germanist Hans Naumann in seiner Brandrede am 10. Mai in Bonn über den Lesestoff der Leihbüchereien, den meist erst die beiden letzten Jahrzehnte über uns ausgegossen haben und der in Weltanschauung und Sitte so schamlos auflösend und zersetzend war, dass wir uns bei der Durchsicht der Kataloge erschüttert fragten, wo blieben die Behörden, wo 184 Siehe die Haushaltsvoranschläge der RSK, hier jeweils Kapitel I, Titel 10 (Beitragsaufkommen), BArch R 2/4879 und 4884. Die Mitgliederzahl des RDS, der zum 1. Oktober 1935 aufgelöst wurde, findet sich in einem Schreiben des RSK-Geschäftsführers Heinl an Hinkel vom 15. August 1935, BArch R 56 V/73 Bl. 137. 185 Siehe die zusammenfassende Übersicht über die vom Reichswirtschafts- und vom Reichspropagandaministerium erlassenen Bestimmungen über die »Arbeitseinsatz- und Stillegungsaktion«. In: Die Reichskulturkammer 1 (1943) 3, S. 58 –61. 186 Vgl. RSK an RMVP vom 7. August 1944, BArch R 56 V/152 Bl. 171. 187 Vgl. Aktenvermerk der RSK vom 10. August 1944, BArch R 56 V/152 Bl. 158; Erläuterungen zu den Goebbels-Anordnungen betr. den »totale[n] Kriegseinsatz der Kulturschaffenden« vom August 1944. In: Die Reichskulturkammer 2 (1944) 8/9, S. 121 –127; »Dichter gehen in die Rüstung«. In: Börsenblatt 111 (1944) 70, S. 169.

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2 D ie Arb e its- und Lebensb ed ingung en d er Schr if tste ller blieben die beiden Kirchen, wo blieb die innere Mission? Zu allermeist ist dies Schrifttum, das wir heute symbolisch vernichten wollen, fremdrassigen und fremdländischen Ursprungs gewesen, aber vielleicht hat es bei uns mehr als im Ausland gewuchert, und es bildete – so gesehen – geradezu eine Fortsetzung des Krieges gegen Deutschland, nur jetzt mit anderen, feineren und verruchteren Mitteln und an noch verwundbareren Stellen.188

Gottfried Benn verhöhnte in einer am 24. Mai 1933 über den Rundfunk verbreiteten Antwort auf einen persönlichen Brief Klaus Manns die »literarischen Emigranten«. Der Warnung vor der Gefahr eines Rückfalls in die Barbarei hielt Benn den »Amateure[n] der Zivilisation und Troubadoure[n] des westlichen Fortschritts« entgegen, es handele sich überhaupt nicht um so etwas Banales wie »Regierungsformen, sondern um eine neue Vision von der Geburt des Menschen, [..] vielleicht um die letzte großartige Konzeption der weißen Rasse, wahrscheinlich um eine der großartigsten Realisationen des Weltgeistes überhaupt«.189 Den Behauptungen der Emigranten im Ausland zum Trotz stünde hinter der nationalsozialistischen Bewegung »friedliebend und arbeitswilllig, aber, wenn es sein muss, auch untergangsbereit, das ganze Volk«. Angesichts einer Vielzahl ähnlich erschreckender Äußerungen fragte sich Thomas Mann am 27. Mai völlig irritiert in seinem Tagebuch: »Wie sieht es aus in diesen Menschen? Man wäre, kehrte man zurück, ein Fremder, der sich nicht zu benehmen wüsste. Wunderliches Erlebnis, dass einem, während man gerade draußen ist, sein Land irgendwohin davonläuft, sodass man es nicht wiedergewinnen kann«.190 Die Zensurentscheidungen der staatlichen Behörden trugen zu einem Klima der Verunsicherung bei, das durch Zensuranträge der parteiamtlichen Dienststellen und diverser Interessenverbände noch verstärkt wurde. So geriet 1941 die Novelle Der Vergessene von Kurt Ziesel ins Kreuzfeuer der Kritik. Ziesel, dem alles andere als eine weltanschauliche Gegnerschaft zum Nationalsozialismus vorgeworfen werden konnte, hatte das Schicksal eines Krüppels im Nachkriegsösterreich geschildert, der sich als Leierkastenmann durchbringen musste. Die schonungslose Realitätsnähe löste bei der NS-Kriegsopferversorgung helle Empörung aus.191 Goebbels ordnete daraufhin die Einziehung des Buches an. Da jedoch die erste Auflage bereits ausverkauft war, konnte vom Reichsring für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung »im Einvernehmen mit der Partei-Kanzlei« nur noch die Abänderung der beanstandeten Passagen für die Neuauflage angeregt werden.192 Im Juni 1937 wandte sich der Reichsbauernführer an den Präsidenten der RSK mit der Bitte, die weitere Verbreitung der Broschüre Warum magenkrank? von Dr. med.

188 Die Bücherverbrennung, S. 250 –254, hier S. 251. Vgl. dazu Bodsch: Bonn. 10. Mai 1933 auf dem Marktplatz, S. 149 –163. 189 Antwort an die literarischen Emigranten, S. 24 – 32, hier S. 27. Das folgende Zitat ebd., S. 31. Vgl. dazu auch Dyck: Der Zeitzeuge, S. 111 –117. 190 Mann: Tagebücher 1933 –1934, S. 93. 191 Vgl. Schreiben der NS-Kriegsopferversorgung/Reichsdienststelle/Abteilung Propaganda an die Reichspropagandaleitung vom 17. November 1941, BArch NS 18/107. 192 Notiz Tießlers für Haegert vom 19. Januar 1942, BArch NS 18/107.

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Erwin Silber im Buchhandel zu unterbinden.193 Zur Begründung hieß es, dass der Abschnitt »Vom Gift in der Nahrung« angesichts der gegenwärtigen Ernährungslage »untragbar« sei. Durch die darin enthaltenen »Irrtümer und Übertreibungen« werde die Arbeit des Reichsbauernführers »insbesondere im Rahmen der Erzeugungsschlacht, der Aktion ›Kampf dem Verderb‹ und zur Erfüllung wichtiger Aufgaben im Vierjahresplan […] auf das Empfindlichste gestört«. Der Reichsverband der Automobilindustrie stellte im Juli 1937 bei der Reichsschrifttumsstelle einen Verbotsantrag gegen die Schrift von Walter Allerhand Der schwarze Schatten. Ein Auto fährt nach Afrika.194 Was dem infolge des Autobahnbaus mächtig gewordenen Interessenverband besonders missfiel, war, dass der Autor »nur die Gepflegtheit der schweizerischen Strassen gelten lässt, auf denen er übrigens keinen deutschen Wagen gesehen haben will, obwohl die deutsche Automobil-Industrie den größten Anteil am schweizerischen Kraftwagenbestand stellt«. Geradezu als »Unverschämtheit« sah es der Reichsverband an, dass Allerhand im Vergleich zu den schweizerischen sämtliche anderen europäischen Strassen als »Augiasstall« abwertete – und dies »obwohl auf Seite 41 zu lesen ist, dass der Verfasser ein kurzes Stück über die deutschen Reichsautobahnen gefahren ist und sie dort als gut und breit bezeichnet«. Im November 1937 bat der Schriftsteller Eberhard Frowein den Präsidenten der RSK um persönlichen Beistand.195 Die Bestände seines Romans Zuerst die Ponys war von der Gestapo im Berliner Drei Masken Verlag beschlagnahmt worden. Die Kammer, die durch die Anfrage des Autors auf den Verbotsvorgang aufmerksam geworden war, musste sich vom Propagandaministerium erst einmal über die Hintergründe informieren lassen.196 Froweins Bruder, der Direktor eines Großunternehmens der deutschen Kunstseidenindustrie war, hatte sich an den Beauftragten für den Vierjahresplan gewandt, da er durch das Erscheinen des Romans eine Beeinträchtigung seiner Geschäftsinteressen befürchtete.197 Die Presseabteilung der Vierjahresplanbehörde hatte sich den Bedenken angeschlossen und beim Propagandaministerium einen Verbotsantrag gestellt. Die Kammer schloss sich jedoch der Argumentation ihres Mitglieds an, dass es sich bei dem Buch keineswegs um einen »Schlüsselroman« handelte, über den familiäre Zwistigkeiten ausgetragen und dabei die Interessen der Textilwirtschaft geschädigt würden. Aber selbst dann, wenn dies der Fall wäre, kam nach Auffassung der Kammer eine Einreihung in die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« nicht in Frage. Vielmehr bliebe dem Beschwerde führenden Unternehmen nur der Weg über ein ordentliches Gericht offen. Nach Verhandlungen des Autors und seines Verlegers mit der Vierjahresplanbehörde einigte man sich dann dahingehend, dass der Roman unter Weg193 Vgl. das Schreiben vom 8. Juni 1937 in BArch BDC/Aktenordner »Schädliches und unerwünschtes Schrifttum«, VI. Zu einer Indizierung in der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« ist es bis 1945 jedoch nicht gekommen. Zum Folgenden siehe ebd. 194 Vgl. das Schreiben vom 23. Juli 1937 in BArch BDC/Aktenordner »Schädliches und unerwünschtes Schrifttum«, I. Ein Eintrag in der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« ist bis 1945 nicht nachweisbar. Zum Folgenden siehe ebd. 195 Vgl. das Schreiben Froweins an Johst vom 26. November 1937 in BArch BDC/RSK/Frowein, E. 196 Auf den Umstand, dass die Kammer über den Beschlagnahmevorgang erst durch einen Telefonanruf Froweins informiert wurde, wies der Autor ebd., S. 2, hin. 197 So die Darstellung Ihdes in seinem Schreiben an die Schrifttumsabteilung des RMVP vom 24. November 1937, S. 1, ebd.

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lassung der in der Werbung und auf dem Buchumschlag abgedruckten Besprechung des Inhalts ausgeliefert werden konnte.198 Nachdem 1937 die umfangreiche Biographie über Friedrich Naumann von Theodor Heuss erschienen war, wandte sich Wilhelm Baur in seiner Funktion als Vizepräsident der Kammer empört an Max Winkler, dessen Vera GmbH das Aktienkapital der DVA verwaltete.199 Baur hielt allein schon die Herausgabe des Buches »aus politischen Gründen für höchst unnotwendig«. Dass aber die Biographie von einem »der bekanntesten Mitglieder der jüdisch-demokratischen Partei«, der zudem noch 1932 durch sein Buch Hitlers Weg negativ aufgefallen war, ausgerechnet bei der nun im Besitz des Zentralverlags der NSDAP befindlichen DVA erschienen war, fand Baur »wieder ein starkes Stück des Herrn Kilpper«. Als Erklärung gab es für Baur nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Generaldirektor der DVA sei »politisch so naiv« oder er halte »uns, die wir heute für die politische Ausrichtung des Buchhandels verantwortlich sind, für so dumm, dass er glaubt, sich eine derartige Sache leisten zu können«. »Wenn Herr Heuss nun glaubt«, so Baur in seinem Eifer weiter, »dass heute die Zeit gekommen sei, alten Demokraten auf 740 Seiten im Dritten Reich ein Denkmal setzen zu können, so wird er sich allerdings täuschen«. Für seine Biographie über Hans Poelzig und seine weiteren Publikationen bis 1945 musste sich Heuss einen neuen Verleger suchen. Als die NSDAP-Gauleitung Franken den Roman einer schriftstellerisch tätigen Ärztin zu unterdrücken versuchte, weil in ihm die Rolle der Frau in der deutschen Gesellschaft angeblich zu positiv dargestellt war, wurde es selbst dem RSK-Geschäftsführer zu bunt. In einem Schreiben an Kammer-Präsident Johst vom 14. April 1943 beklagte sich Ihde in bemerkenswerter Einsichtigkeit: Dass es überhaupt zu einer Beanstandung kommen konnte, gehört zu den betrüblichen Kapiteln der heutigen Literatur: was nicht Schablone ist, muss fallen. Die Fähigkeit des Nur-Lesen-Könnens scheint in der Auffassung mancher Leute der Fähigkeit zur Kritik gleichgesetzt zu werden. Diese Art von Kritik tut so, als ob die nationalsozialistische Idee ein so schwankes Rohr im Winde der Öffentlichkeit wäre, das durch den geringfügigsten literarischen Irrtum tödlich geknickt werden kann. Man predigt in der Lautstärke germanischer Luren: lebt gefährlich! Tut’s einer, so schlägt man ihn aufs Haupt. Da muss jede Muse, die noch einigermaßen etwas auf sich hält, ihr Haupt verhüllen.200

Interventionen und Arrangements von Schriftstellern Die mit dem Machtantritt Hitlers und der NSDAP einsetzenden Buchverbote wurden von den in Deutschland verbliebenen Schriftstellern und Verlegern nicht immer widerspruchslos hingenommen. So wandte sich Friedo Lampe an Wolfgang Herrmann, den 198 Vgl. Schnellbrief des RMVP/Abt. VIII an Gestapa. In: Abschrift an den Präsidenten der RSK vom 15. Dezember 1937, ebd. 199 Vgl. das Schreiben vom 21. Dezember 1937 in BArch BDC/RSK/Heuss, Th. Die folgenden Zitate ebd. 200 BArch R 56 V/26 Bl. 94. Siehe auch das Schreiben Ihdes an den stellvertretenden Gauleiter des NSDAP-Gaus Franken vom 31. Januar 1943, ebd. Bl. 95 –97.

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für die Zusammenstellung der »Schwarzen Listen« verantwortlichen Berliner Volksbibliothekar, um die Indizierung seines ersten, im Herbst 1933 im Rowohlt Verlag erschienenen Romans Am Rande der Nacht zu verhindern.201 Irmgard Keun protestierte Ende Oktober 1935 beim Landgericht Berlin gegen die bereits im Juli 1933 erfolgte polizeiliche Beschlagnahme ihrer Romane Gilgi, eine von uns und Das kunstseidene Mädchen.202 Zur Begründung führte sie an, dass ein »Gerichtsurteil, das diese Beschlagnahme rechtfertigte, […] bis jetzt nicht erfolgt und nicht angestrebt worden« war. Gegen das Verbot des 1930 veröffentlichten Romans Bohème ohne Mimi von Joachim Maass legte sein Verleger Peter Suhrkamp am 21. November 1935 beim Geheimen Staatspolizeiamt in Berlin Beschwerde ein, da der Autor durch »diese Beschlagnahme seines Erstlingswerks in seiner Entwicklung gehemmt werden« konnte.203 Hanns Heinz Ewers bemühte sich 1940 – unter Hinweis auf seine Existenznot und seine politischen »Verdienste« um den Nationalsozialismus – bei der Kammer um die Aufhebung der Indizierung seiner sämtlichen Schriften.204 Einsprüche gegen Buchverbote hatten nur allerdings dann eine Aussicht auf Erfolg, wenn ein Autor mit den Strukturen der Schrifttumsbürokratie vertraut war und dort Protektion fand. So ging Frank Thiess mit Erfolg gegen das vom Amt Rosenberg geforderte Totalverbot seiner Werke vor.205 Dabei machte er sich seine Kontakte zu den Berliner Ministerien zunutze. Im Preußischen Kultusministerium fand er nicht nur bei dem damals für Theaterfragen zuständigen Reichskommissar Hinkel, sondern auch bei Reichsminister Rust Unterstützung für sein Anliegen.206 Als 1936 die Aufführung des von Thiess verfassten Lustspiels Der ewige Taugenichts am Württembergischen Staatstheater in Stuttgart in Frage gestellt wurde, setzte sich Hinkel im Propagandaministerium erneut für den Schriftsteller ein.207 Obwohl die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums auf dem Verbot der Romane Frauenraub und Die Verdammten beharrte und Thiess auch nicht zum Kreis der förderungswürdigen Autoren

201 Die Korrespondenz zwischen Lampe und Herrmann aus den Monaten September bis Dezember 1933 ist überliefert in BArch BDC/RSK/Lampe, Friedrich. 202 Das Schreiben der Autorin an das Landgericht Berlin vom 29. Oktober 1935 ist überliefert in BArch R 58/914 Bl. 49. Die Akten zur Beschlagnahmung ihrer Bücher durch die Gestapo finden sich ebd. Bl. 36 –45. 203 BArch R 58/918 Bl. 159. 204 Der umfangreiche Vorgang findet sich in BArch BDC/RSK/Ewers, Hanns Heinz. 205 Siehe dazu die Besprechungen der Romane Die Verdammten. In: Bücherkunde 1 (1934), S. 7, und Johanna und Esther, ebd. 2 (1935), S. 167 f. (»Romanliteratur wie wir sie nicht wünschen«). 206 Auf den Einsatz Rusts für Thiess wies der Leiter der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums Wismann in seiner Antwort vom 13. September 1935 auf eine Anfrage des Leiters der Theaterabteilung Schlösser hin. BArch 50.01/182 Bl. 52. 207 Siehe das Schreiben von Thiess an Hinkel vom 30. Januar 1936 und das Schreiben von Hinkel an Reichsdramaturg Schlösser vom 3. Februar 1936, BArch BDC/RSK/Thiess, F.; ferner den Einspruch von Thiess’ Rechtsanwalt Wolfgang Reichstein bei Schlösser vom 2. März 1936 gegen die Absetzung des Theaterstücks durch den Intendanten des Württembergischen Staatstheaters sowie der daraus sich ergebende Schriftwechsel, BArch 50.01/182 Bl. 59 –69.

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rechnete,208 ließ sie ihn unbehindert weiterarbeiten. Wie eine Reihe von Kollegen wich Thiess auf das Schreiben von Drehbüchern für Unterhaltungsfilme aus.209 Mit seinem 1937 veröffentlichten Roman Tsushima, der die Seeschlacht zwischen der japanischen und der russischen Kriegsflotte vom 27./28. Mai 1905 aus der Perspektive des nationalsozialistischen Bündnispartners Japan darstellt, kehrte der Autor nicht nur mit einem Bestseller auf den Buchmarkt zurück, sondern sicherte sich mit dem politischen Kotau auch das Wohlwollen der Machthaber. Walter von Molo, von dem – im Widerspruch zu seinen Erinnerungen aus dem Jahre 1957210 – kein einziges Buch indiziert wurde, ging noch einen Schritt weiter. Er wechselte, wie er Gunter d’Alquen, dem Chefredakteur der SS-Zeitung Das Schwarze Korps im August 1935 mitteilte, »von einem nichtarischen ausländischen Verlag zu einem arischen Verlag im Inlande«, nämlich von Paul Zsolnay in Wien zu Holle & Co. in Berlin.211 Darüber hinaus suchte er nicht nur bei Philipp Bouhler, sondern auch bei Goebbels persönlichen Schutz gegen die Angriffe »von ein paar wilden Dogmatikern […], weil er ›kein volkhafter Dichter‹ sei«.212 Um dies zu widerlegen, betonte Molo seine deutsch-nationale Gesinnung, die er bereits in seiner Roman-Trilogie Ein Volk wacht auf (1918 – 1921) zum Ausdruck gebracht und an die er 1936 mit seinem Roman Eugenio von Savoy angeknüpft hatte. Allerdings fand Goebbels das von seiner Schrifttumsabteilung zusammengestellte »Material gegen Molo« dann »doch ziemlich haarig«, insbesondere weil er »für Remarque eingetreten« war; und auch Rosenbergs Schrifttumsamt hielt an seiner Ablehnung fest.213

»Innere Emigration«, Resistenz und Widerstand Wer sich 1933 von Hitler und seiner nationalsozialistischen Regierung nicht angesprochen fühlte, zog sich rasch in seine ganz private und berufliche Lebenswelt zurück oder wurde in diese verbannt. Wenn man fragt, wo Oskar Loerke bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1941 gelebt hat, so müsste man antworten: in der Literatur.214 Ähnliche Rückzüge in eine machtgeschützte ästhetische Nischenwelt lassen sich bei vielen anderen Autoren feststellen. Am 29. April 1934 schrieb Hans Carossa an Hedwig Kerber, dass er jetzt »erst recht mein Denken auf die zeitfernen und doch, wie ich hoffe, der Gegenwart dienenden Geister der Arbeit richten« wollte.215 Und Gertrud Full gestand er am 28. Mai 1942 sein »Doppel-Leben« – »das eine in der äußeren Welt, die ihre Ansprüche nicht aufgibt, das andere in Abgeschiedenheit und Stille, und da formt sich manches, was der Seele allein angehört«.216 Selbst ein so streitbarer Zeitgenosse wie Hans Fallada 208 Vgl. Mitteilung von Erckmann (RMVP/Abt. VIII) an Hinkel vom 5. September 1935, BArch BDC/RSK/Thiess, F. 209 Vgl. hierzu und zum Folgenden Renner: Frank Thiess und Hall: Zsolnay Verlag, S. 617 –627. 210 Vgl. Molo: So wunderbar ist das Leben, S. 359 –395. 211 Das Schreiben vom 7. August 1935 in BArch BDC/RSK/von Molo, W. 212 Goebbels-Tagebücher vom 19. Januar 1938, Teil I, Bd. 5, S. 106. 213 Goebbels-Tagebücher vom 2. Februar 1938, ebd., S. 130; Walter von Molo schrieb ein neues Buch … In: Lektoren-Brief 2 (1939), Heft 1, S. 1 –3. 214 Siehe dazu im Einzelnen Loerke: Tagebücher 1903 –1939, hier S. 261 –342. 215 Carossa: Briefe II, S. 313. 216 Ebd., S. 178.

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ließ seinen Verleger Ernst Rowohlt am 9. Januar 1937 aus der mecklenburgischen Provinz wissen, dass er sich »jetzt ganz schneckenhaft von allem, was in der Welt vorgeht, abschließen« wollte.217 Auch Emil Barth, Wilhelm Lehmann, Rudolf Alexander Schröder, Heinrich Wolfgang Seidel und junge Schriftsteller wie Peter Huchel, Friedo Lampe, Reinhold Schneider oder Eugen Gottlob Winkler pflegten ihre eigenen Vorstellungen von literarischer Ästhetik, die mit den realen politischen Verhältnissen nichts gemeinsam hatten. Schriftsteller, die von der Rassengesetzgebung betroffen, politisch »belastet« oder wegen ihrer Werke aus der Weimarer Republik angreifbar waren, verhielten sich und schrieben möglichst unauffällig, um ihre Position nicht noch mehr zu gefährden. Dies gilt für Stefan Andres, Werner Bergengruen, Wilhelm Hausenstein, Jochen Klepper, Friedrich Alfred Schmid-Nörr, Otto Suhr, Josef Winckler, die aufgrund ihrer »nichtarischen« Ehepartner nur mit »Sondergenehmigungen« des Propagandaministers weiterarbeiten konnten; für Alfred Andersch, Friedrich Bischoff, Karl Bröger, Axel Eggebrecht, Ehm Welk, Ernst Wiechert, die kurzzeitig in Konzentrationslagern oder in Gefängnissen interniert worden waren; für Walter Bauer, Ernst Glaeser, Theodor Heuss, Erich Kästner, Hermann Graf Keyserling, Gerhart Pohl, Erik Reger, die während der Weimarer Republik zu den publizistisch exponierten Gegnern des Nationalsozialismus gezählt hatten; für Ernst Barlach, Gottfried Benn, Kasimir Edschmid, Herbert Eulenberg, Georg Kaiser, deren Werke aus formal-ästhetischen und moralischen Gründen abgelehnt wurden; für konfessionell schreibende Autoren wie Karl Barth, Peter Dörfler, Theodor Haecker, Kurt Ihlenfeld oder Reinhold Schneider, die seit 1940 mit verschärften Repressionen und der Verweigerung von Papiergenehmigungen für ihre Bücher zu rechnen hatten. Auch Gottfried Benn entschied für sich, nachdem er im Mai 1936 im SS-Organ Das Schwarze Korps für seine in der Deutschen Verlags-Anstalt veröffentlichte Gedichtauswahl angegriffen worden war: »mit niemandem u. nichts mehr sprechen, schreiben, verkehren.«218 Trotz der Notwendigkeit zu Kompromissen in Inhalt und Form ihrer nach 1933 veröffentlichten Bücher waren die genannten Autoren allerdings resistent gegen die von nationalsozialistischen Kulturfunktionären wie Goebbels, Rosenberg oder Johst, von Literaturkritikern wie Hellmuth Langenbucher, Paul Fechter oder Will Vesper und von Germanisten wie Heinz Kindermann, Franz Koch, Walter Linden, Arno Mulot oder Hans Naumann immer wieder erhobene Forderung nach einer neuen »nationalsozialistischen Dichtung«. Hermann Stresau stellte nach der Veröffentlichung seiner ersten literarischen Arbeiten im September 1934 fest: »[..] es scheint ja, man kann schreiben, ohne der NS-Ideologie Zugeständnisse zu machen.«219 Ähnlich wie Stresau nutzten auch Martin Beheim-Schwarzbach, Walter Dirks, Otto Flake, Albrecht Goes, Joachim Günther, Sebastian Haffner, Ernst Heimeran, Hermann Hesse, Theodor Heuss, Gustav René Hocke, Hermann Kasack, Martin Kessel, Karl Korn, Kurt Kusenberg, Horst Lange, Oskar Loerke, Ernst Penzoldt, Sigismund von Radecki, Oda Schaefer, Dolf 217 Fallada: Ewig auf der Rutschbahn, S. 219. 218 An Tilly Wedekind vom 21. Mai 1936. In: Benn: Briefe an Tilly Wedekind, S. 189. Siehe zum Rückzug aus der Öffentlichkeit und zur politischen Ausgrenzung Benns im Einzelnen Cuomo: Purging an »Art Bolshevist« und Dyck: Der Zeitzeuge, S. 170 –253. 219 Stresau: Von Jahr zu Jahr (14. September 1934), S. 92.

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Sternberger, Wilhelm Emanuel Süskind und Wolfgang Weyrauch die Möglichkeit, feuilletonistische Beiträge für Tageszeitungen und Zeitschriften zu schreiben, die frei von Ideologie waren oder im Sinne der »Swiftschen Methode« als Kritik an der Zeit gelesen werden konnten.220 Das Schrifttumsamt Rosenbergs entdeckte in einem »Lektoren-Brief« vom Dezember 1940 sogar ein ganzes »Zwischenreich« von Autoren, deren »in ihren Werken zum Ausdruck kommende innere Haltung und Gesinnung von uns mit besonderer Vorsicht genossen werden müssen«.221 Diese Autoren würden »meistens, ohne im einzelnen eine klar ausgeprägte Physiognomie zu zeigen, mehr Verwandtschaft mit dem Literatentum aus der Zeit vor 1933 als mit der volkhaften Dichtung unserer eigenen Zeit aufweisen«. Besonders bedenklich daran sei, dass eine »literarische Clique« entstehe, »die bereits mit geistigen Herrschaftsansprüchen auftritt und die, wie es scheint, auch innerhalb der Leserschaft mehr und mehr Zulauf erhält«. Die Buchkritik, selbst in nationalsozialistischen Zeitungen, versage gegenüber dieser Herausforderung. Zu den »Zwischenreichautoren« gerechnet wurden u. a. Stefan Andres, Werner Bergengruen, Waldemar Bonsels, Otto Ernst Hesse, Horst Lange, Edzard Schaper, August Scholtis, Wolfgang Weyrauch und die von ihm herausgegebene Anthologie 1940. Junge deutsche Prosa. Die kritische Wahrnehmung einer nicht-systemkonformen Gegenwartsliteratur wird durch Horst Lange bestätigt: »Die Gewalt, die Barbarei, die sinkenden Welten. Und ich schreibe mein Stück weiter, als säße ich in Griechenland und ginge mit Philosophen um und hätte Göttinnen auf meinem Lager. Manchmal kommt’s mir wie eine Flucht vor. Dann wieder wie ein Gegenkrieg.«222 Während bei Lange vor allem die Romane Schwarze Weide (1937) und Ulanenpatrouille (1940) aus formalen und ideologischen Gründen Anstoß erregten, war es bei Scholtis der in Oberschlesien angesiedelte Roman Das Eisenwerk (1938).223 Andres hatte in seiner Novelle El Greco malt den Großinquisitor (1936) und Bergengruen in seinem Roman Am Himmel wie auf Erden (1940) eingekleidet in die historische Darstellung Kritik an der NS-Diktatur geübt.224 Eine ähnliche Strategie verfolgten auch andere Schriftsteller: Albrecht Haushofer mit seiner Dramentrilogie Scipio (1934), Sulla (1938) und Augustus (1939); Adam Kuckhoff, der in seinem Roman Der Deutsche von Bayencourt (1937) in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg auswich, und in seinem Kriminalroman Strogany und die Vermissten zusammen mit Peter Tarin (1941) eine Serie von Raubmorden im St. Petersburg des Jahres 1909/10 zum Thema machte; oder Friedrich Reck-Malleczewen in seinen 1937 veröffentlichten 220 Vgl. im Einzelnen Haffner: Das Leben der Fußgänger; Orlowski: »Krakauer Zeitung« 1939 – 1945 …, S. 136 –162; Oelze: Das Feuilleton der Kölnischen Zeitung im Dritten Reich, S. 94 – 162; Schwarz: Literarisches Zeitgespräch im Dritten Reich, Sp. 1312 –1328; Gillessen: Auf verlorenem Posten, S. 329 –369. 221 Jahresbericht 1940 des Hauptlektorates »Schöngeistiges Schrifttum«. In: Lektoren-Brief 3/12 (1940), S. 4. BArch NSD 16/59. 222 Lange: Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 24 (4. Juni 1940). 223 Siehe dazu auch die Kritik von Ter-Nedden: Zerrbilder aus Schlesien. In: Die Weltliteratur 3 (1941), S. 80 –82 sowie den Leserbrief des Autors mit einer ergänzenden Kritik der Schriftleitung »Scholtis: Schelt- und andere Briefe«, ebd., S. 118. 224 Vgl. dazu im Einzelnen Schäfer: Horst Langes Tagebücher 1939 – 1945, S. 293 –322; Denk: Die Zensur der Nachgeborenen, S. 303 – 309 und 373 –381; Ehrke-Rotermund/Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten, S. 276 –314 und 464 –484.

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Romanen Bockelson. Geschichte eines Massenwahns, der die Diktatur der Wiedertäufer in Münster (1534/35) zum Thema hat, und Charlotte Corday. Geschichte eines Attentats, in dem die Ermordung des Revolutionsdespoten Jean Paul Marat dargestellt wird.225

Die literarische Produktion unter der NS-Diktatur Bereits im Juni 1933 hatte sich Carossa über die naive Erwartung mokiert, dem politischen Umschwung müssten auf dem Fuße die großen Dichtungen folgen.226 Wenn Friedo Lampe, dessen eigene innovative Ansätze eines »magischen Realismus« unterdrückt wurden, nach der Lektüre des im Oktober 1933 veröffentlichten Romans Vorsommer von Karl Benno von Mechow kritisierte, er sei »sehr fromm«, »furchtbar langweilig. Nicht ursprünglich in der Anschauung und sprachlich flau«,227 so traf diese Bewertung auf einen Großteil der literarischen Produktion jener Zeit zu. Benn war in seinem Urteil – wie stets – noch wesentlich schärfer. Die Einladung von Harald Braun, ihm einen Beitrag zu einem Weihnachtsbuch mit dem Titel Dichter schreiben an ihre Kinder zur Verfügung zu stellen, und das Erinnerungsbuch von Ina Seidel an Kindheit und Jugend, das ihm die Kollegin hatte zukommen lassen, erhielten im September 1935 den Kommentar: So ein bürgerlicher Gemütsdreck, ewig wieder neugestarteter Turfschwindel mit diesen Kindlein! […] Was für Existenzen! Wie wichtig dieser Tinneff, was für Aufgeblasenheiten. Wirklich in dieser Zeit stehn die tollsten Gegensätze unbemerkt nebeneinander u. tun sich nichts.228 »Das Gebiet des Literarischen gleichzuschalten«, merkte Hermann Stresau im Dezember des gleichen Jahres an, sei deshalb so schwierig, weil der Nationalsozialismus ideell so unergiebig ist. Zudem hat er von sich aus auf diesem Gebiet nichts mitgebracht, als Rosenbergs ›Mythos‹ [!], Dietrich Eckardts [!] Gesammelte Werke und Horst Wessels SA-Lied, und alle drei sind nicht gerade geeignet, eine Revolution der Literatur zu stiften.229 Neben der idealisierenden Naturbetrachtung hatten vor allem die heroisierenden Darstellungen der Fronterlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg weiterhin Konjunktur. Doch auch in diesem Genre sah es nicht viel besser aus. Bissig und klar urteilte ReckMalleczewen im April 1939 über die Vertreter dieser Literaturgattung: 225 Vgl. Reck[-Malleczewen]: Tagebuch eines Verzweifelten, S. 19 –22; Denk: Zensur der Nachgeborenen, S. 275 –291 und 310 –319; Denkler: Katz und Maus, S. 27 –38; Schoeps: Literatur im Dritten Reich, S. 239 –257; Ehrke-Rotermund/Rotermund: Zwischenreiche und Gegenwelten, S. 59 –102 und 527 –546. 226 Vgl. Carossa: Tagebücher 1925 –1935, S. 252 (30. Juni 1933). 227 An Johannes Pfeiffer vom 22. Oktober 1933, Lampe: Briefe [1932 –1945]. In: Neue deutsche Hefte 3 (1956), S. 108 –122, hier S. 109. 228 An Elinor Büller vom 17. September 1935. In: Benn: Briefe an Elinor Büller, S. 100. 229 Stresau: Von Jahr zu Jahr (12. Dezember 1935), S. 106 f.

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2 D ie Arb e its- und Lebensb ed ingung en d er Schr if tste ller […] haben sie nicht alle aus dem einmaligen starken Erlebnis heraus ein starkes Buch geschrieben, um dann in dem Augenblick, wo ein zweites Werk an ihre Phantasie und an ihre Fabuliergabe appellierte, mangels aller erzählerischen Substanz jämmerlich zu versagen?230

Ein Jahr später konstatierte Horst Lange die »Zeit eines vollkommen hoffnungslosen Literatur-Interregnums«.231 Es sei »ein Zeichen tiefsten Kulturverfalls, dass die Dichtung (deren meiste Urheber heutzutage Epigonen sind) ohne Maßstäbe und ›Lehre‹ ist.« Auch wenn keine für die Nachwelt bedeutenden nationalsozialistischen Werke entstanden, so gab es im Dritten Reich doch einen eigenen Literaturbetrieb. In ihm agierten an vorderster Front die obersten Repräsentanten des Staates. Hitlers Mein Kampf, 1925/1927 in zwei Bänden erschienen und ab 1930 in einer Volksausgabe vertrieben, erreichte bis 1945 eine Gesamtauflage von 12,45 Millionen Exemplaren.232 Das Buch kam nicht nur im freien Verkauf oder als Pflichtexemplar für die Öffentlichen, Wissenschaftlichen und Schul-Bibliotheken unters Volk, sondern auch als repräsentatives Geschenk des Staates und der Partei, seit 1937 sogar als Geschenk zahlreicher kommunaler Standesämter an Neuvermählte.233 40 Prozent der Auflagenzuwächse erfolgten in den letzten drei Jahren des Zweiten Weltkriegs – also zu einer Zeit, als die Zivilbevölkerung kaum noch Bücher kaufen konnte und die meisten Bücher als subventionierte Wehrmachtsausgaben nur noch über den Frontbuchhandel vertrieben wurden. So standen beim Untergang des NS-Staats nicht weniger als 15 Millionen RM auf Hitlers Konto. Nicht in dieser Dimension, aber dennoch beachtlich profitierten auch andere Spitzenfunktionäre der NSDAP von den 1933 errungenen Propagandamöglichkeiten für ihre eigenen Bücher. Waren vom Mythus des 20. Jahrhunderts bis 1933 gerade einmal 73.000 Exemplare verkauft, erreichte das Grundlagenwerk zur NS-Ideologie 1942 die Millionengrenze.234 Rosenbergs Jahreseinkommen stieg dadurch von 19.000 RM im Jahre 1932 auf 100.000 RM in 1935. Die 1934 etablierte Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums war nicht allein für die Kontrolle und Herausgabe sämtlicher Veröffentlichungen zum Nationalsozialismus zuständig, sondern seit 1938 auch für das Schul- und Unterrichtsschrifttum. So war es nur praktisch, dass der Vorsitzende der Kommission, Philipp Bouhler, 1938 unter dem Titel Kampf um Deutschland ein »Lesebuch für die deutsche Jugend« herausgab. Die kurzgefasste Geschichte der NSDAP wurde bis 1945 in mehr als 1,75 Millionen Exemplaren verkauft.235 Die rege publizistische Tätigkeit von Goebbels diente keineswegs nur der Propaganda für den NS-Staat, sondern auch der Finanzierung des aufwändigen privaten Lebensstils und des Kaufs seines repräsentativen Anwesens auf Schwanenwerder in Berlin. Auch der einflussreiche Goebbels-Mitarbeiter Hans Hinkel erkundigte sich bei Fritz Hasinger vom Verlag Knorr 230 231 232 233 234 235

Reck[-Malleczewen]: Tagebuch eines Verzweifelten, S. 90. Lange: Tagebücher, S. 18 (17. April 1940). Das folgende Zitat S. 19. Vgl. Plöckinger: Geschichte eines Buches, S. 167 –202, hier S. 187. Siehe im Einzelnen ebd., S. 405 –444. Vgl. ebd., S. 187. Vgl. auch Adam: Lesen unter Hitler, S. 118 –120. Vgl. dazu im Einzelnen Adam: Lesen unter Hitler, S. 120 –123. Zum Folgenden ebd., S. 126 –129.

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& Hirth regelmäßig nach den Verkaufszahlen seines Buches Einer unter Hunderttausend und forderte eine Intensivierung der Werbemaßnahmen.236 Nachdem Hanns Johst »als Gast des Führers« am »österreichischen Siegeszug« teilnehmen durfte und darüber ein Buch veröffentlichen sollte, erkundigte sich der Kammer-Präsident am 20. April 1938 bei Walter Fischer, dem neuen Geschäftsführer des Langen-Müller Verlags, »was finanziell für mich dabei herausspringt. Der Poet bedarf einer Garage und eines neuen Autos.«237 In ähnlicher Weise wollte auch Blunck von seinem Präsidentenamt profitieren und avancierte wie Johst zu den Spitzenverdienern unter den Schriftstellern des NS-Staates.238 Die enge Verbindung zwischen einem politischen Amt und der opportunistischen Platzierung eigener Werke auf dem Buchmarkt lässt sich auch an Wilfrid Bade belegen.239 Bade, der sich 1930 der NSDAP angeschlossen hatte und von 1933 als 1945 in der Presseabteilung des Propagandaministeriums tätig war, orientierte sich »stromlinienförmig« an den jeweiligen Konjunkturthemen. Er startete 1933 mit einer Biografie über Joseph Goebbels (Coleman Verlag), Der Weg des Dritten Reiches (bis 1938 4 Bände, Coleman Verlag) und Die SA erobert Berlin. Ein Tatsachenbericht (Knorr & Hirth), von dem bis 1938 immerhin 60.000 Exemplare gedruckt wurden. Deutschland erwacht. Werden, Kampf und Sieg der NSDAP erschien in einer Auflage von 600.000 Exemplaren in dem vom Reemtsma-Konzern finanzierten Cigaretten-Bilderdienst. Der Text war mit zahlreichen Leerstellen für Fotos angereichert, die als Zugabe zum Kauf einer Zigarettenpackung gesammelt und wie in ein privates Fotoalbum eingeklebt werden konnten. 1934 folgten Trommlerbub unterm Hakenkreuz (Loewe Verlag) und Das Hohelied vom Dritten Reich. Band 1 Arbeit und Brot (Die deutsche Illustrierte Verlagsgesellschaft), das wie ein »Film in Buchform« betrachtet werden konnte. 1935 gab er zusammen mit Kurt Zentner, damals Bildredakteur und Chef vom Dienst der Berliner Illustrirten, im Ullstein Verlag eine erste Bildchronik heraus, um das abgelaufene Jahr in der Erinnerung zu verankern. Auf die mit dem Bau der Reichsautobahnen in der Bevölkerung ebenso wie in der Belletristik und den Massenmedien ausgelöste Euphorie reagierte Bade 1938 mit dem Buch Das Auto erobert die Welt. Biographie des Kraftwagens (Zeitgeschichte Verlag), das bis 1942 in 53.000 Exemplaren aufgelegt wurde. Den Bildband Auf den Straßen des Sieges. Erlebnisse mit dem Führer in Polen gab er 1939 mit Otto Dietrich, Helmut Sündermann, Gunter d’Alquen und Heinz Lorenz im Eher Verlag heraus. In seinem 1939 in der Urfassung veröffentlichten Roman Gloria benutzte Bade das Science-Fiction-Genre, um die Synthese von moderner Technik und Natur zu propagieren. Im Erstdruck von 1937 hatte der Ullstein Verlag die Technikbegeisterung Bades noch zugunsten einer rückwärtsgewandten völkischagrarischen Utopie zurückgenommen. Während des Zweiten Weltkriegs war aber eine 236 Siehe dazu etwa die Korrespondenz Hinkels mit Hasinger aus den Jahren 1937 bis 1940 in BArch BDC/RK/Filmnr. B 0066 Bl. 218 –364. Zu seiner umfangreichen publizistischen Tätigkeit in der »Kampfzeit der Bewegung« siehe den Lebenslauf für die Jahre 1901 –1935 in BArch R 56 I/107. 237 DLA NL Langen-Müller-Verlag/Korrespondenz mit Hanns Johst. 238 Gegenüber der Kammer gab Blunck für 1940 als Einkommen 70.067,85 RM an, für 1942 149.898 RM, BArch BDC/RSK/Blunck, H.F.; zu den Einnahmen von Johst siehe Düsterberg: »Der Barde der SS«, S. 253 –255. 239 Vgl. zum Folgenden Härtel: Stromlinien.

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Darstellung notwendig, die den Konflikt zwischen der NS-Ideologie und den Anforderungen einer kriegführenden Industriegesellschaft entschärfen sollte. 1941 und 1943 gab Bade im Zeitgeschichte Verlag eine Auswahl von Kriegsfeuilletons unter dem Titel Das heldische Jahr. Front und Heimat berichten den Krieg heraus. Schließlich verlieh er 1943 mit seinem Gedichtband Tod und Leben (Volk und Reich Verlag) dem grassierenden Heldentod im Krieg höhere Weihen. Während sich die Politprominenz mit Amt, Geltungsdrang und Profitgier in den Literaturbetrieb einbrachte, engagierten sich zahlreiche Schriftsteller wenn auch nicht ausschließlich, so doch überwiegend aus Überzeugung für den NS-Staat. In erster Linie die »Barden« vom Schlage eines Rudolf Ahlers, Heinrich Anacker, Werner Beumelburg, Friedrich Bodenreuth, Herbert Böhme, Bruno Brehm, Hermann Burte, Edwin Erich Dwinger, Kurt Eggers, Richard Euringer, Gustav Frenssen, Robert Hohlbaum, Mirko Jelusich, Paul Anton Keller, Erwin Guido Kolbenheyer, Herybert Menzel, Agnes Miegel, Ernst Moritz Mungenast, Rainer Schlösser, Georg Schmückle, Gerhard Schumann, Karl Schworm, Josef Weinheber, Tüdel Weller, Will Vesper und Hans Zöberlein, um nur einige zu nennen.240 Für ihre Panegyrik wurden die meisten von ihnen mit Literaturpreisen überhäuft. Doch auch viele nationalkonservative Schriftsteller, unter ihnen Paul Alverdes, Richard Billinger, Hermann Claudius, Friedrich Griese, Enrica von Handel-Mazzetti, Kurt Kluge, Wolf von Niebelschütz, Josef Friedrich Perkonig, Josef Ponten, Carl Rothe, Wilhelm Schäfer, Friedrich Schreyvogl, Ina Seidel, Hermann Stehr, Georg von der Vring, Karl Heinrich Waggerl und Josef Magnus Wehner, stellten sich in den Dienst der staatlichen Propaganda. Die »Weimarer Dichtertreffen«, die 1938 und von 1940 bis 1942 im Herbst eines jeden Jahres von der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums organisiert wurden, sind dafür ein beredtes Beispiel. Oder die im In- und Ausland staatlich organisierten und subventionierten Dichterlesungen, für die zwischen 1937 und 1942 vom Propagandaministerium mit in hohen Auflagen gedruckten »Vorschlagslisten« geworben wurde. Auch die NS-Kulturgemeinde, das Deutsche Volksbildungswerk und die NSGemeinschaft »Kraft durch Freude« waren eifrig um Dichterlesungen bemüht, wobei diese Dienststellen der vermögenden DAF – zum Leidwesen anderer Parteidienststellen – bis weit in den Krieg hinein mit hohen Honoraren locken konnten.241 Allerdings war die Anzahl der parteipolitisch akzeptierten Dichter offenbar so gering, dass man sich um die wenigen attraktiven Schriftsteller streiten musste. Bruno Brehm etwa beklagte sich in einem Brief vom Juli 1939 darüber, dass er auf Vortragstermine festgelegt werde, die »leider die Fatalität haben, an dem gleichen Tage an verschiedenen Orten stattzufinden«.242 Er empfahl daher den staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsstellen, sich »einmal miteinander auseinander[zusetzen]«. Andernfalls wollte er sich lieber krank melden und zuhause bleiben. Ganz »mürb und müd« fühlte 240 Vgl. dazu im Einzelnen Loewy: Literatur unterm Hakenkreuz; Hillesheim/Michael: Lexikon nationalsozialistischer Dichter; Ketelsen: Literatur und Drittes Reich; Sarkowicz/Mentzer: Schriftsteller im Nationalsozialismus; Dichter für das »Dritte Reich« und Dichter für das »Dritte Reich«, Bd. 2. 241 Siehe die Beschwerde des Reichspropagandaamtes Tirol an das RMVP vom 19. Mai 1944, BArch BDC/RK/Filmnr. Y 0027 Bl. 2246. 242 Das Schreiben Brehms an den Organisator der Dichterlesungen beim DVW, Teichmann, vom 26. Juli 1939 in BArch NS 8/197 Bl. 101.

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sich im November 1940 auch Hans Carossa angesichts der immer zahlreicheren Einladungen: »Bald sollte ich in die Slowakei fahren, bald nach Prag, bald nach Bukarest u. Budapest, bald (auf Wunsch einer Schriftleitung) ein öffentliches Bekenntnis zum Glauben an unseren Sieg ablegen, lauter Dinge, die vom Wesentlichen weglenken.«243 Selbst das Hauptkulturamt der Reichspropagandaleitung musste 1942 feststellen, dass die Zahl der von staatlicher und parteiamtlicher Seite organisierten Lesungen dermaßen zugenommen hatte, dass die Autoren kaum noch zu ihrer eigentlichen Arbeit kamen.244

Die Inflation der Literaturpreise Auch mit Literaturpreisen sollten die Schriftsteller finanziell gefördert und propagandistisch herausgestellt werden, die sich in ideologischer Nähe zum NS-Regime befanden. Dabei wurde der politische Systemwechsel zunächst daran deutlich, dass traditionsreiche Auszeichnungen wie der Kleist-Preis (seit 1911) und der Fontane-Preis (seit 1913) mit dem Beginn der NS-Herrschaft eingestellt wurden.245 Das gleiche Schicksal widerfuhr dem Schiller-Preis, mit dem das Preußische Kultusministerium seit 1859 alle sechs Jahre das Werk herausragender Dramatiker ausgezeichnet hatte. Nachdem sich 1935 die von Rust eingesetzte Preisverteilungskommission auf keinen Kandidaten hatte einigen können, was von Alfred Rosenberg zutreffend als staatlich beglaubigtes »Armutszeugnis« für die deutsche Gegenwartsdramatik kritisiert wurde, gelangte der Preis bis 1945 überhaupt nicht mehr zur Verteilung.246 Der seit 1929 verliehene Lessing-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg wurde zwar beibehalten, seit 1933 aber nur noch alle drei Jahre verliehen.247 Zudem kürzte der zuständige Gauleiter Karl Kaufmann die bisherige Preissumme von 15.000 RM auf 5.000 RM, um einen »Dietrich Eckart-Preis« zu Ehren von Schriftstellern oder Wissenschaftlern einführen zu können, »in deren Werken die Ideen des nationalsozialistischen Deutschlands Gestaltung gefunden haben«.248 Im Juli 1933 stiftete Goebbels einen »Nationalpreis«, mit dem jährlich am 1. Mai das Buch und Filmwerk ausgezeichnet werden sollten, »in dem nach dem Urteil Berufener das aufrüttelnde Erlebnis unserer Tage den packendsten und künstlerisch reifsten Ausdruck gefunden hat«.249 Die Träger des mit 12.000 RM verbundenen Nationalen Buchpreises (mit dem zusätzlichen Titel »Stefan George-Preis«) waren 1934 Richard 243 An Maximilian Brantl am 17. November 1940, Carossa, Briefe II, S. 108. 244 Vgl. Leiter des Hauptkulturamts der RPL an das DVW vom 1. Juni 1942, BArch NS 18/419. 245 Vgl. hierzu und zum Folgenden Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich, S. 253 –269; Klassiker in finsteren Zeiten, Bd. 2, S. 135 –157; Dambacher: Literatur- und Kulturpreise 1859 –1949, S. 91 –97 (Kleist-Preis) und S. 50 –53 (Fontane-Preis). 246 Vgl. Klassiker in finsteren Zeiten, Bd. 2, S. 136 –138; Dambacher: Literatur- und Kulturpreise 1859 –1949, S. 212 –216. 247 Siehe das Ergebnis einer am 15. Januar 1935 gestarteten Umfrage des Deutschen Städte- und Gemeindetages bei Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern betr. »Stiftungen für Schriftsteller«, hier S. 2, BArch R 36/2406. Die Befragung ging auf eine Initiative der RSK zurück. Vgl. auch Dambacher: Literatur- und Kulturpreise 1859 –1949, S. 109 f. 248 Stiftungen für Schriftsteller, S. 3, BArch R 36/2406. 249 Amtliche Bekanntmachung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda zur Stiftung des Preises, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Der Autor (1933), H. 7, S. 4. Zitiert nach Wulf: Literatur und Dichtung im Dritten Reich, S. 253.

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Euringer (für seine Deutsche Passion), 1935 Eberhard Wolfgang Möller (für seinen Lyrikband Berufung der Zeit), 1936 Gerhard Schumann (für seine Kantate Heldische Feier), 1937 Friedrich Bethge (für sein Drama Marsch der Veteranen), 1938 der von Baldur von Schirach herausgegebene Band Das Lied der Getreuen. Verse ungenannter österreichischer Hitler-Jugend aus den Jahren der Verfolgung 1933 –1937, 1939 Bruno Brehm für seine Österreich-Trilogie »Apis und Este«, »Das war das Ende« und »Weder Kaiser noch König«.250 Während des Krieges wurde der Preis nicht mehr verliehen. 1935 und 1936 wurden auf der Kulturtagung des Nürnberger Reichsparteitags erstmals die »Preise der NSDAP für Kunst und Wissenschaft« verliehen. Träger des Kunstpreises waren Hanns Johst (1935), der für seine vom »Geist des Nationalsozialismus« inspirierten Dramen ausgezeichnet wurde,251 und Heinrich Anacker für seine Kampflyrik (1936).252 Bis Ende 1937 stieg die Anzahl der Literaturpreise auf der Ebene des Reichs, der Länder, der Kommunen, der NS-Gaue und der NS-Gliederungen auf mehr als 70 an.253 Da diese Quantität in keinerlei Relation mehr zur Qualität der literarischen Produktion stand, wurden zahlreiche Schriftsteller mehrfach und Nachwuchsautoren bereits für ihre ersten Buchveröffentlichungen ausgezeichnet. Die Folge war eine von der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums konstatierte »Entwertung der Literaturpreise in der öffentlichen Meinung, die sich bis in die Spitzenpreise hinauf bemerkbar macht«. Trotz wiederholter Bemühungen der staatlichen Schrifttumsbürokratie, die Entwicklung zu steuern, änderte sich an der Inflation der Literaturpreise bis zu deren generellem Verbot durch Goebbels am 16. August 1944 nichts.

2.4

Widersprüchliche Lebenswirklichkeiten: die wirtschaftliche, soziale und existentielle Lage der Schriftsteller unter der NS-Diktatur

Trotz der politischen Kontrolle und der Belastung durch Mitgliedsbeiträge, die wie Steuern jährlich fällig wurden, bedeutete die Zugehörigkeit zur Reichsschrifttumskammer für einzelne Schriftsteller keine Zwangsmaßnahme, sondern geradezu eine notwendige Voraussetzung und Aufwertung ihrer Existenz. So protestierte Hans Henny Jahnn am 5. April 1938 energisch gegen seinen Ausschluss, den er als »unfreundliche Handlung gegen mich, geeignet, meine schwierige Lage weiter zu verschärfen«, wertete.254 250 Angaben in einer Zusammenstellung über »Deutsche Literaturpreise«. In: Börsenblatt 105 (1938) 40, S. 137 –139, hier S. 138 sowie im Bericht über die Preisverleihung des Jahres 1939 »Kunst aus einem neuen Lebens- und Kulturgefühl«. In: Börsenblatt 106 (1939) 102, S. 357 f. 251 Das Archiv 2 (1935/36), S. 810. 252 Vgl. [Langenbuch]er: Verteilung des Preises der NSDAP für Kunst und Wissenschaft. In: Börsenblatt 103 (1936) 213, S. 789 –791. 253 Siehe hierzu und zum Folgenden die Denkschrift der Schrifttumsabteilung des RMVP vom 13. Dezember 1937, BArch R 55/122 Bl. 137 –141, sowie Barbian: Quantität statt Qualität, S. 23 –38. 254 BArch BDC/RSK/Jahnn, H.H.

2.4 Widersprüchliche Lebenswirklichkeiten

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Was Jahnn nicht wusste: Sein Ausschluss war nur deshalb erfolgt, weil er seinen Wohnsitz nach Dänemark verlegt hatte und er damit aus dem Zuständigkeitsbereich der Reichskulturkammer fiel. Im Mai 1939 bat der 26-jährige Curt Hohoff die Kammer darum, den bislang von ihr wegen geringfügiger Tätigkeit ausgestellten »Befreiungsschein« durch die »volle Mitgliedschaft der Reichskulturkammer« zu ersetzen.255 Die Anzahl seiner Publikationen war seit 1937 deutlich gestiegen und er beabsichtigte nun, »hauptberuflicher freier Schriftsteller« zu werden. Marie-Luise Kaschnitz beantragte im Mai 1940, ihr trotz der geringfügigen schriftstellerischen Betätigung die Mitgliedschaft zu belassen, »da ich der Reichsschrifttumskammer seit vielen Jahren angehöre, meinen arischen Nachweis erbracht und meine Beiträge pünktlich bezahlt habe und da ich selbst keinen Grund habe auszutreten«.256 Heinz Günther (d. i. Heinz Konsalik) bemühte sich 1940 als gerade 17-Jähriger um die Aufnahme, weil er Gedichte und Bühnenwerke veröffentlichen wollte.257 Auch der 20jährige Wolfgang Borchert, der im April 1939 zunächst eine Buchhändlerlehre in Hamburg begonnen hatte, stellte zu Beginn des Jahres 1941 einen Aufnahmeantrag, um Gedichte und sein in Arbeit befindliches Schauspiel Hyperion veröffentlichen zu können.258 Den »Drang zu schreiben« hatten neben seiner Mutter Herta, die bereits Kammermitglied war, auch die Berufsschriftsteller Walter Gättke, Paul Alverdes und Hermann Claudius in ihm bestärkt. Gerhard Gaiser, der seit 1940 neben seinem Lehrerberuf Beiträge für die Zeitschrift Das Innere Reich und die Wochenzeitung Das Reich schrieb, wollte im Mai 1941 wegen der Veröffentlichung seines Gedichtbands Reiter am Himmel im LangenMüller Verlag Mitglied der Kammer werden.259 Karl Krolow ließ die Kammer am 8. März 1942 aus einer Dienststelle des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums in Kattowitz wissen: »Mit dem Ausbau meiner Mitarbeit an deutschen Großzeitungen ist zu rechnen. Zudem bin ich mit einem Verlag in Verhandlungen über eine Buchveröffentlichung getreten. Ich halte daher meine Anmeldung mit der Bitte um Aufnahme für unumgänglich«.260 Hans-Erich Nossack, im Hauptberuf Kaufmann, wandte sich Anfang Oktober 1942 an die Kammer, weil er »durch zufällige Bekanntschaft mit dem Suhrkamp Verlag« der Veröffentlichung eines ersten Gedichtbandes »näher getreten« war.261 Alfred Andersch hatte der Kammer bereits als Buchhändler bis zu seinem Ausscheiden aus dem Münchner J.F. Lehmanns Verlag im Jahre 1937 angehört.262 Da er neben seinem Hauptberuf als Werbeleiter der Firma J. G. Mouson & Co. in Frankfurt am Main seit 1941 auch »ernsthaft und in ausgebreitetem Umfang« schrift255 256 257 258 259 260 261 262

Die Schreiben Hohoffs vom 21. Mai und 6. Juni 1939 in BArch BDC/RSK/Hohoff, C. Schreiben an die RSK vom 22. Mai 1940, BArch BDC/RSK/Kaschnitz, M.-L. Vgl. BArch BDC/RSK/Günther, H. Der Aufnahmeantrag vom 18. Januar 1941 und ein handschriftlicher Lebenslauf vom 20. Januar finden sich in BArch BDC/RSK/Borchert, W. Vgl. auch Warketin: Unpublishable works. Siehe den Aufnahmeantrag vom 15. Mai 1941, den ausgefüllten Fragebogen vom 31. Mai und den Befreiungsschein der Kammer vom 21. Juni in BArch BDC/RSK/Gaiser, G. BArch BDC/RSK/Krolow, K. Der Antrag vom 5. Oktober 1942 und der beigefügte »Lebenslauf« vom 15. Oktober in BArch BDC/RSK/Nossack, H.-E. Siehe hierzu und zum Folgenden den »Lebenslauf«, den Andersch seinem Antrag vom 16. Februar 1943 beifügte, BArch BDC/RSK/Andersch, A. Er erhielt am 24. Februar 1943 einen »Befreiungsschein« wegen geringfügiger Betätigung.

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stellerisch tätig war, stellte er am 16. Februar 1943 einen Antrag auf Aufnahme in die »Gruppe Schriftsteller«. Zahlreiche Schriftsteller sahen die neue »berufsständische« Vertretung auch als Bündnispartner bei den Bemühungen um eine Verbesserung ihrer rechtlichen Stellung. Otto Flake forderte im Dezember 1934 bei der Reichskulturkammer ein Einschreiten des Staates gegen die »Einheitsfront der Verleger und Sortimenter«, an der bislang alle Bemühungen um eine Verbesserung der Beteiligung der Schriftsteller am Umsatz ihrer Bücher gescheitert waren.263 Der RDS als Fachverband für die Vertretung der Schriftstellerinteressen innerhalb der Kammer hatte sich diese bereits vom SDS in den 1920er Jahren erhobene Forderung zu eigen gemacht. Seit November 1934 wurde mit der Fachschaft Verlag im Bund Reichsdeutscher Buchhändler über einen »Normal-Verlagsvertrag für schöngeistiges Schrifttum« verhandelt. Gustav Pezold, der damals noch omnipotente Direktor des Langen-Müller Verlags, sah darin nichts anderes als »allerreinste[n] Klassenegoismus, also Marxismus, nebenbei aber auch eine Mechanisierung und Entpersönlichung innerer menschlicher Beziehungen, also Bolschewismus.«264 Dennoch konnte nach zähem Ringen der Mantelvertrag am 3. Juni 1935 als verbindliches Kammerrecht erlassen und damit die Position der Autoren schöngeistiger Literatur bei allen zukünftigen Verlagsabschlüssen erheblich verbessert werden.265 1937 wurde der »Normal-Verlagsvertrag« auf die Jugendliteratur ausgedehnt.266 Im Dezember 1943 folgte schließlich noch ein »Verfilmungs-Normalvertrag«, der erstmals die Rechte der Urheber von Filmdrehbüchern regelte, auch wenn sich die Kammer nur teilweise gegen die von der Filmabteilung des Propagandaministeriums unterstützte staatliche Filmindustrie durchsetzen konnte.267 Auch bei den seit 1933 in der Akademie für Deutsches Recht in München geführten Verhandlungen über eine grundlegende Novellierung des Urheber- und Verlagsrechts machte sich die Kammer immer wieder zum Fürsprecher der Autoreninteressen, ohne allerdings bis Kriegsende ein positives Ergebnis erzielen zu können.268 Darüber hinaus avancierte die Reichsschrifttumskammer zu einer Art Clearingstelle für die unterschiedlichsten Streitigkeiten zwischen Autoren und Verlegern. Schriftsteller wandten sich an die Kammer, wenn sie sich – wie Walter von Molo – durch Kritik in der NS-Presse an ihrem Werk oder an ihrer Person in ihren Rechten verletzt fühlten,269 263 Vgl. das Schreiben vom 6. Dezember 1934 in BArch R 56 V/178 Bl. 121. 264 Schreiben an Niels Diederich, den Leiter der Fachgruppe »Schöngeistige und populärwissenschaftliche Verlage« im BRB vom 14. März 1935, S. 1, DLA NL H. Grimm/Korrespondenz mit dem Langen-Müller Verlag, Mappe II 1935 –1937. 265 Vgl. Das Recht der Reichskulturkammer, Bd. II, S. 93 –97. 266 Vgl. Anwendung des Normal-Verlagsvertrags auf Jugendschrifttum. In: Börsenblatt 104 (1937) 188, S. 657. 267 Vgl. Börsenblatt 110 (1943) 181, S. 213 –215. Zur Durchsetzung der Interessen der Filmindustrie beim Propagandaministerium siehe den Aktenvermerk Ihdes vom 22. Januar 1943, BArch R 56 V/26 Bl. 127 und das Schreiben des RSK-Geschäftsführers an Johst vom 16. September 1943, ebd. Bl. 32 f. 268 Vgl. dazu das Schreiben Ihdes an den Leiter der Schrifttumsabteilung im Propagandaministerium vom 3. Februar 1939, BArch R 56 V/83 Bl. 51 f. 269 Siehe die Schreiben Molos an RSK-Präsident Blunck vom 12. August 1935 wegen eines Angriffs im Schwarzen Korps und an den Referenten Metzner vom 3. September 1937 wegen einer negativen Besprechung seines Romans Eugenio von Savoy in der Reichszeitung der deutschen Erzieher, BArch BDC/RSK/Molo, W.

2.4 Widersprüchliche Lebenswirklichkeiten

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Anordnung über einen Normal-Verlagsvertrag zwischen Schriftstellern und Verlegern vom 3. Juni 1935. Quelle: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, hrsg. von Wilhelm Ihde. Leipzig: Börsenverein der Deutschen Buchhändler 1942; S. 64 f.

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wenn sie ihren bisherigen Verlag, an den sie durch einen Optionsvertrag gebunden waren, wechseln wollten, wenn sie – wie etwa Hermann Hesse 1939 – mit der Präsentation und dem Vertrieb ihrer Werke durch einen Verlag unzufrieden waren,270 wenn sie sich bei der Umsatzbeteiligung durch ihren Verlag benachteiligt fühlten, wenn ihre Werke aufgrund abgelehnter Papierzuteilungen nicht erscheinen konnten, wenn es um die Zahlung von Ausfallhonoraren für ihre bei Luftangriffen vernichteten Manuskripte oder Drucksätze ging u. a. m.271 Da sich die materielle Lage der Schriftsteller in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre zunehmend verschlechterte, wurde die Kammer auch um verstärkten sozialen Beistand gebeten. Die sinkenden Einkommen der meisten Schriftsteller waren zunächst die Folge von Einsparungen im kulturellen Bereich, die nach der Verkündung des zweiten Vierjahresplans durch Hitler im September 1936 einsetzten. Bereits Anfang November erhielt die Reichsschrifttumskammer über die NSDAP-Gauleitung in München Beschwerden einer Reihe ortsansässiger Schriftsteller. Deren einhelliger Tenor war die Feststellung, dass die Einkommensverhältnisse »seit der nationalsozialistischen Revolution eine Wendung zum Schlechteren erfahren hätte[n]«.272 Beim Rundfunk und bei der Presse waren die Honorare für literarische Beiträge erheblich gesunken. Die Buchverlage hatten ihr Programm weitgehend auf politische und schöngeistige Literatur umgestellt, zahlten schlecht oder erst mit langen Verzögerungen. Zudem sahen sich die Berufsschriftsteller der Konkurrenz durch »Doppelverdiener« (Beamte u. a. Berufsgruppen) ausgesetzt, die ihre Arbeiten zum Teil kostenlos zur Verfügung stellten. Der Auslandsmarkt blieb den Schriftstellern so gut wie ganz verschlossen, da sich die ausländischen Verlage der Veröffentlichung von literarischen Werken aus dem nationalsozialistischen Deutschland verweigerten. Gegenüber Kammer-Präsident Johst monierte der Parteidichter Heinrich Anacker im Frühjahr 1937, dass aufgrund der Anweisungen der Vierjahresplanbehörde, den Verbrauch von Druckpapier pauschal um zehn Prozent zu senken, Zeitungsredaktionen zu einer drastischen Kürzung der ohnehin schmalen Kulturseiten übergegangen waren, wobei insbesondere literarische Beiträge den Einsparungen zum Opfer fielen.273 Nachdem Goebbels die Anweisung gegeben hatte, dass der Rundfunk die von der Arbeit heimkehrenden Volksgenossen mit unterhaltsamen und spannenden Sendungen versorgen sollte, wurden die Vorträge, Lesungen und Streitgespräche von Schriftstellern gestrichen. Ende April 1937 berichtete Günter Eich an die Fachschaft Rundfunk in der Reichsschrifttumskammer, dass auch Hörspiele von der Umstellung der Rundfunkprogramme betroffen waren.274 Als besonders lukrative Einnahmequelle blieb die expandierende Filmbranche. Sie zog sowohl gestandene Autoren wie Alfred Braun, Eberhard Frowein, Thea von Harbou, Georg C. Klaren, Gerhard Menzel, Ernst von Salomon, Heinrich Spoerl und Walter Wassermann als auch junge Schriftsteller wie Hans Bertram, Kurt Heuser, Felix Lützkendorf, Peter Huchel, Jochen Klepper, Horst Lange und 270 Vgl. dazu das Schreiben Hermann Hesses an die RSK vom 2. April 1939, BArch BDC/RSK/ Bermann-Fischer, G. 271 Die genannten Beispiele beruhen auf der Auswertung von zahlreichen Personalakten aus dem Bestand des ehemaligen BDC im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde. 272 BArch R 56 V/81 Bl. 53 –56, hier Bl. 53. 273 Das Schreiben vom 11. März 1937 findet sich in BArch R 56 V/81 Bl. 12. 274 Vgl. Schreiben vom 25. April 1937, BArch R 56 V/81 Bl. 9.

2.4 Widersprüchliche Lebenswirklichkeiten

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Wolfgang Koeppen an. Selbst politisch umstrittene Schriftsteller wie Arnolt Bronnen, Erich Ebermayer, Axel Eggebrecht, Hans Fallada, Ernst Glaeser, Erich Kästner, Alexander Lernet-Holenia, Walter von Molo, Hans Reimann, Robert A. Stemmle, Arnold Ulitz, Günther Weisenborn und Otto Bernhard Wendler erhielten Aufträge für Drehbücher. Von den insgesamt 10.118 Schriftstellern, die 1942 in der Kammer als Vollmitglieder oder mit einem »Befreiungsschein« registriert waren, arbeiteten immerhin 874 regelmäßig oder gelegentlich für den Film.275 Eine wachsende Anzahl von Schriftstellern war allerdings auf Unterstützungsmaßnahmen durch die Kammer angewiesen, um sich wenigstens im Bereich der Existenzsicherung halten zu können. Daher musste seit 1936 der Etat der Deutschen Schillerstiftung in Weimar vom Propagandaministerium erheblich aufgestockt werden. Die Mehrzahl der Schriftsteller verfügte nur über ein bescheidenes Einkommen. Dies belegen die jährlichen Beitragsaufstellungen der Reichsschrifttumskammer, die nach dem jeweiligen Bruttoverdienst errechnet wurden. Tab. 1: Schriftstellerisches Einkommen 1937 und 1938 Bruttoeinkommen (jährlich)

Mitglieder

Jahr

Gruppe 1: Gruppe 2: Gruppe 3: Gruppe 4: Gruppe 5:

bis 2.400 RM ab 2.400 RM bis 4.800 RM bis 7.200 RM über 7.200 RM

2000 2635 1100 200 65

1937

Gruppe 1: Gruppe 2: Gruppe 3: Gruppe 4:

bis 1.200 RM bis 3.600 RM bis 6.000 RM über 6.000 RM

6328 1424 467 102

1938*

* Mit dem »angeschlossenen« Österreich

Quelle: Nach den Zusammenstellungen der RSK über das »Beitragsaufkommen der Schriftsteller«, Kap. 1, Titel 10, Punkt 2 der Haushalts-Voranschläge (BArch R 2/4876 (1937) und R 2/4877 (1938)). Während des Zweiten Weltkriegs verschlechterten sich die Rahmenbedingungen weiter. Am 22. Dezember 1941 wies Carossa seinen französischen Schriftstellerkollegen Roger de Campagnolle auf die Tatsache hin, dass gegenwärtig »Stuckas und Panzer das Wort« führen, »und was die Schriftsteller dazu sagen, ist ganz und gar gleichgiltig.«276 Wer keinen unmittelbaren Beitrag zum Krieg leisten konnte oder wollte – sei es nun im propagandistisch bejahenden, im geistig erbaulichen oder im unterhaltsam zerstreuenden Sinne –, der verschwand allmählich vom Buchmarkt. Denn durch die immer restriktivere Bewirtschaftung von Papier ebenso wie durch die Personalreduzierung, Schließung und Zerstörung von Verlagen, Druckereien und Buchhandlungen wurden die Produktion und 275 Vgl. Schriftsteller-Verzeichnis. Hg. von der Reichsschrifttumskammer (1942), S. 254. 276 Carossa: Briefe II, S. 168.

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der Vertrieb von Büchern seit 1941 erheblich eingeschränkt. Gewinner der Entwicklung waren die wenigen Bestseller-, Theater- und Drehbuchautoren, deren Verlage entweder Aufträge der Filmindustrie vermitteln oder aufgrund ihrer engen Kontakte zur Wehrmacht und zum sogenannten Frontbuchhandel, zur NSDAP und DAF die Bewilligung von riesigen Papiermengen für Großauflagen erreichen konnten.277 Autoren wie Blunck, Gerhart Hauptmann, Jelusich, Kolbenheyer oder Heinrich Spoerl erzielten in den Jahren 1940 bis 1943 noch Einnahmen von jeweils mehr als 100.000 RM und selbst der politisch umstrittene Fallada steigerte seine Einkünfte von 48.466 RM im Jahre 1939 auf 74.891 RM in 1942.278 Diese erlesene Autorenschar zählte damit zu den Spitzenverdienern im Deutschen Reich. Die auf der Grundlage der Erklärungen der Autoren für die Kammer errechneten Einkommensverhältnisse weisen während des Krieges folgende Zahlen auf: Tab. 2: Schriftstellerisches Einkommen 1941, 1942 und 1943 Bruttoeinkommen (jährlich)

Mitglieder

Jahr

Gruppe 1: Gruppe 2: Gruppe 3: Gruppe 4:

bis 1.200 RM bis 3.600 RM bis 6.000 RM über 6.000 RM

3229 1092 335 406

1941

Gruppe 1: Gruppe 2: Gruppe 3: Gruppe 4:

bis 1.200 RM bis 3.600 RM bis 6.000 RM über 6.000 RM

2100 1100 340 400

1942*

Gruppe 1: Gruppe 2: Gruppe 3: Gruppe 4:

bis 1.200 RM bis 3.600 RM bis 6.000 RM über 6.000 RM

1860 1050 390 680

1943

Quelle: Nach den Zusammenstellungen der RSK über das »Beitragsaufkommen der Schriftsteller«, Kap. 1, Titel 10, Punkt 2 der Haushalts-Voranschläge (BArch R 2/4880 (1941), Bl. 533, BArch R 2/4881 (1942), B. 264 und R 2/4883 (1943), S. 5). Obwohl die Mehrzahl der Schriftsteller also weder in politischer noch in finanzieller Hinsicht vom Literaturbetrieb des NS-Staates profitierte, sind die Belege für offenen Protest oder Widerstand gegen das Regime selten. Seit August 1934 wurde von der KPD der Bund Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller im Untergrund reaktiviert.279 Die ein Dutzend Personen umfassende Widerstandsgruppe gab eine eigene Zeitschrift heraus und ließ politische Aufklärungsschriften zirkulieren. Hans Schwalm, der die 277 Vgl. im Einzelnen Bühler/Kirbach: Wehrmachtsausgaben deutscher Verlage, S. 265 –289. 278 Vgl. Scholz: Chamäleon oder Die vielen Gesichter des Hans Friedrich Blunck, S. 131 –167; Amann: Zahltag, S. 298; Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 95; BArch BDC/RK/Filmnr. B 0066 Bl. 1388 –1396: Erklärungen für die RSK zum Einkommen von G. Hauptmann und Filmnr. Z 005 Bl. 436 –440: Erklärungen für die RSK zum Einkommen von H. Spoerl. 279 Zur Überwachung und Zerschlagung der Gruppe siehe die Akten in BArch R 58/736.

2.4 Widersprüchliche Lebenswirklichkeiten

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Gruppe bis zu seiner Emigration nach Paris im Sommer 1935 leitete, veröffentlichte unter dem Pseudonym Jan Petersen in der Exilpresse literarische Texte über das Leben in Deutschland.280 Doch bereits im Oktober 1935 konnte die Gestapo den Bund enttarnen und seine Mitglieder inhaftieren. Die kulturpolitischen Beiträge zu den von 1934 bis 1940 von der Exil-SPD herausgegebenen Deutschland-Berichten lassen darauf schließen, dass sich oppositionell eingestellte Informanten auch unter den im NS-Staat verbliebenen Autoren befanden.281 Die brutale Einschüchterung von Schriftstellern, die Goebbels in den Jahren 1937 und 1938 an Hermann Graf Keyserling, Ernst Wiechert und Hans Grimm demonstrierte, die im März 1937 erfolgte Verhaftung und achtjährige Internierung von Ernst Niekisch oder die willkürlichen Festnahmen von Schriftstellern wie Theodor Haecker, Erich Kästner und Eugen Gottlob Winkler durch die Gestapo machten die engen Grenzen für abweichendes Verhalten deutlich.282 Rudolf Pechel nutzte die seit 1919 von ihm als Chefredakteur betreute Deutsche Rundschau wiederholt für die Publikation von Beiträgen, deren Kritik am NS-Regime hinter historischen oder geografischen Fassaden versteckt war.283 Nach einer offenen Kritik an der Nachrichtenpolitik von Propagandaminister Goebbels wurde Pechel im April 1942 verhaftet und seine Zeitschrift eingestellt. Er blieb ohne rechtskräftiges Urteil bis April 1945 in unterschiedlichen Gefängnissen und Konzentrationslagern interniert. Der im August 1943 hingerichtete Adam Kuckhoff sowie Günther Weisenborn, die der Widerstandsgruppe »Die Rote Kapelle« nahestanden, Dietrich Bonhoeffer und Albrecht Haushofer, die beide aufgrund ihrer Mitwirkung an der Vorbereitung des Staatsstreichs vom 20. Juli 1944 noch im April 1945 hingerichtet wurden, zählen zu den wenigen Autoren, die sich aktiv für einen Sturz der NS-Diktatur einsetzten.284 Auch Erich Knauf, Erich Ohser und Friedrich Reck-Malleczewen mussten ihren geistigen Widerstand gegen das Regime mit dem Leben bezahlen.285 Das System der Kontrollund Steuerungsinstitutionen war zwar keineswegs perfekt und lückenlos. Es war in seinen Entscheidungsstrukturen noch nicht einmal einheitlich, da in den Bürokratien von 280 Vgl. Lämmert: Beherrschte Prosa, S. 418 –421. 281 Vgl. Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade), hier 2 (1935): »Die Stimmung unter den Künstlern«, S. 226 –229, »Kunst und Volksbildung im Dritten Reich«, S. 710 –722; 4 (1937): »Dichtung und Theater im Dritten Reich«, S. 1632 – 1652. 282 Siehe dazu Niekisch: Gewagtes Leben, S. 280 –383; Theodor Haecker 1879 –1945, S. 46 – 69; Kästner: Mein liebes, gutes Muttchen, Du!, S. 195 und Bemmann: Erich Kästner, S. 280 f.; Winkler: Briefe 1932 –1936, S. 5 –28, Grünbein: Bis ans Ende der Linie, S. 259 – 281; Giovanelli: Eugen Gottlob Winklers »Insel«. 283 Siehe im Einzelnen Zwischen den Zeilen sowie Mirbt: Theorie und Technik der Camouflage. 284 Vgl. hierzu im Einzelnen Adam Kuckhoff zum Gedenken; Der lautlose Aufstand; Weisenborn/Weisenborn: Einmal laß mich traurig sein; Schlingensiepen: Dietrich Bonhoeffer, S. 249 – 390; Brautbriefe. Zelle 92; Laack-Michel: Albrecht Haushofer und der Nationalsozialismus. 285 Siehe dazu Eckert: Heimat, deine Sterne …; Ohser: e.o. plauen, hier S. 28 –33; Müller: Erich Ohser – e.o.plauen (1903 –1944) – Der politische Zeichner; Ders.: Erich Ohser – e.o.plauen (1903 –1944); Schulze: Erich Ohser alias e.o.plauen, S. 113 –134; Zeile: Friedrich Reck, S. 251 –298; Fest: Vorwort, S. 7 –20; Reck-Malleczewen: In Memoriam Friedrich ReckMalleczewen, S. 21 –27.

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Staat und Partei Mitarbeiter mit unterschiedlichen Vorbildungen, Lebensläufen, Motivationen und politischen Zielen tätig waren. Doch es war effektiv und brutal genug, offenen Widerstand unter den Schriftstellern zu verhindern oder sofort einzudämmen.

Literatur Archivalien Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch) R 2 (Reichsfinanzministerium) R 18 (Reichsministerium des Innern) R 21 alt/R 4901 neu (Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung) R 43 II (Reichskanzlei) R 55 (Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda) R 56 I (Reichskulturkammer-Zentrale) R 56 V (Reichsschrifttumskammer) R 58 (Reichssicherheitshauptamt) NS 8 (Kanzlei Rosenberg) NS 15 (Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP) NS 18 (Reichspropagandaleitung der NSDAP) NS 38/2415 –2418 NSD 16 (Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP) Bestand des ehemaligen Zentralen Staatsarchivs der DDR im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde 50.01 Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Bestände des ehemaligen Berlin Document Center (BDC) im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde: Personal- und Sachakten der Provenienzen Reichskulturkammer (RK)/Reichsschrifttumskammer (RSK), Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung; »Masterfile« (NSDAP-Mitgliederkartei); Aktenordner »Schädliches und unerwünschtes Schrifttum« I –VI).

Deutsches Literaturarchiv Marbach a.N. (DLA) DLA NL Hans Grimm/Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe I –III; Korrespondenz mit NSPartei- und Regierungsstellen, Mappe III; Korrespondenz mit dem Langen-Müller Verlag, Mappe II 1935 –1937. DLA NL Langen-Müller-Verlag/Korrespondenz mit Hanns Johst.

Periodika Das Archiv. Nachschlagewerk für Politik, Wirtschaft, Kultur. Hrsg. von Alfred-Ingemar Berndt. Berlin, 1 (1934/35) –11 (1944/45); Nachtragsband I Januar –Mai 1933, Nachtragsband II Juni –Oktober 1933, Nachtragsband III November 1933 –März 1934. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Leipzig, 100 (1933) –112 (1945). Bücherkunde der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums. Bayreuth, 1 (1934) –11 (September/Oktober 1944).

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Deutsche Kultur-Wacht. Blätter des Kampfbundes für Deutsche Kultur 1 (1932) –2 (1933). Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1 (1934) –7 (1940). Nach dem Exemplar im »Archiv der sozialen Demokratie« der Friedrich-Ebert Stiftung neu herausgegeben und mit einem Register versehen von Klaus Behnken. Frankfurt a. M. 1980. Lektoren-Brief. Vertrauliche Information des Amtes Schrifttumspflege bei dem Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP 1 (1938) – 7 (1944). Die Neue Literatur. Hrsg. von Will Vesper. Leipzig, 34 (1933) –44 (1943). Die Reichskulturkammer. Amtliches Mitteilungsblatt der Reichskulturkammer. Hrsg. von Hans Hinkel. Berlin, 1 (1943) –3 (1945/Februar). Der Schriftsteller. Zeitschrift des Schutzverbandes Deutscher Schriftsteller (ab H. 8/1933 des Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller), Berlin, (1933) –(1935). Die Weltliteratur Jg. 1 –19, 1915 –1924; 1935 –1939 (u. d. T. Weltliteratur. Die besten Romane und Novellen aller Zeiten und Völker); 1940 –1944 (u. d. T. Die Weltliteratur. Berichte, Leseproben und Bewertung).

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Jan-Pieter Barbian

3

Die organisatorische, personelle und rechtliche Neuordnung des deutschen Buchhandels

3.1

Die Neuorganisation des deutschen Buchhandels in den Jahren 1933/1934

Die »Gleichschaltung« des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler Von der am 30. Januar 1933 erfolgten Ernennung Hitlers zum Reichskanzler dürfte der Börsenverein der Deutschen Buchhändler unter seinem seit 1930 amtierenden Vorsteher Friedrich Oldenbourg ebenso überrascht worden sein wie eine Vielzahl anderer Einrichtungen der gewerblichen Wirtschaft. Die traditionsreiche Standesvertretung war »stockkonservativ, deutschnational«,1 sie war aber gewiss nicht nationalsozialistisch und damit auf die veränderten Machtverhältnisse mental nicht vorbereitet. Nach den zahlreichen Wechseln der Reichsregierungen seit 1930 wollte sich die Börsenvereinsspitze offenbar zunächst abwartend verhalten. Denn erst nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933, aus denen die NSDAP als stärkste Partei hervorgegangen war, begann man sich im Vorstand und in der Geschäftsstelle des Börsenvereins mit der nun in ihrer Macht bestätigten Reichsregierung eingehender zu beschäftigen. Erstes Indiz hierfür war der monatliche Kommentar von Gerhard Menz, dem Chefredakteur des Börsenblatts für den Deutschen Buchhandel, »Zur Wirtschaftslage« im Monat März.2 Für sie sah er aufgrund des Wahlausgangs nun endlich eine positive Perspektive. Der von der Weltwirtschaftskrise und der rigiden Sparpolitik auf der Ebene des Reichs, der Länder und der Kommunen erheblich in Mitleidenschaft gezogene Buchhandel sollte – so die rasch erkennbare Erwartungshaltung – mit Unterstützung der nationalsozialistischen Reichsregierung stabilisiert und wieder in die Gewinnzone geführt werden. Allerdings war die Skepsis in nationalsozialistischen und völkisch-nationalen Kreisen gegenüber der politischen Wandlungsfähigkeit des Börsenvereins groß. So schrieb Gustav Pezold, der 1931 als Geschäftsführer des dezidiert gegen die Weimarer Republik politisierenden Langen-Müller Verlags eine harte Kontroverse mit Friedrich Oldenbourg und der Börsenvereinsspitze geführt hatte, noch Ende März an seinen im Kampfbund für deutsche Kultur engagierten Autor Hanns Johst mit Blick auf die Aktivitäten zur »Gleichschaltung« auch des kulturellen Lebens: Es ist schon beinahe komisch, wie unser edler Börsenverein in Leipzig außerhalb der Zeit steht, und es würde vielleicht nichts schaden, wenn Herr Hinckel [!] diese Vorfälle einmal zum Anlass nehmen würde, den Herren in Leipzig wenigstens einmal einen Wink zugehen zu lassen, dass Schlimmeres ihrer wartet, wenn sie bei ihrer bisherigen Art und Weise bleiben«.3 1 2 3

Krämer-Prein: Der Buchhandel war immer deutsch, S. 285 –302, hier S. 286. Vgl. auch Meiner: Der Deutsche Verlegerverein 1886 –1935, S. 215. Vgl. Börsenblatt 100 (1933) 62, S. 183 –186. Das Schreiben vom 31. März 1933 findet sich in DLA NL Langen-Müller Verlag/Korrespondenz mit Hanns Johst, Mappe 1 1920 –1933.

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3 N euordnung d es deu tsch en Bu chh andels

Der Börsenverein hatte den politischen Ernst der aktuellen politischen Lage jedoch durchaus erkannt. Das am 12. April 1933 verabschiedete »Sofortprogramm des deutschen Buchhandels«, das als Grundlage für die Verhandlungen mit dem Reichswirtschafts- und dem Reichsinnenministerium dienen sollte, machte deutlich, worauf es der Standes- und Interessenvertretung für ihre damals 5.066 Mitgliedsfirmen ankam.4 Durch Erhebung des Börsenvereins zur »Zwangsorganisation für alle Buchhändler«, durch »staatliche Konzessionierung der buchhändlerischen Gewerbebetriebe«, durch Zurückdrängung der buchhändlerischen Betätigung staatlicher Einrichtungen, von Gewerkschaften, Vereinen und Parteien, durch »Abbau« der Buchgemeinschaften, durch »sofortige und restlose Beseitigung des Buchverlags und -vertriebs von Warenhäusern« sowie durch gesetzliche »Maßnahmen gegen die ungesunde und volksschädigende Ausbreitung der sogenannten modernen Leihbibliotheken« sollten der Markt bereinigt und die Position der traditionellen Unternehmen des deutschen Buchhandels gestärkt werden. Als Gegenleistung für die Erfüllung dieser wirtschaftlichen Wünsche war der Börsenverein zu einem weitgehenden Zugeständnis an die nationalsozialistischen Machthaber bereit: »In der Judenfrage vertraut sich der Vorstand der Führung der Reichsregierung an. Ihre Anordnungen wird er für seinen Einflußbereich ohne Vorbehalt [!] durchführen«. Den hohen Grad der Selbstanpassung des Börsenvereins belegt auch die traditionsreiche Kantate-Versammlung im Leipziger Buchhändlerhaus, zu der am 14. Mai der neue Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda erschien. In seiner Rede betonte Goebbels geschickt die staatserhaltende und -erneuernde Funktion der »Regierung der nationalen Erhebung«: Diese Regierung weiß, wie nötig sie den Geist hat, diese Regierung weiß, wessen die Seele des Volkes bedarf und diese Regierung ist auch überzeugt, dass das Buch, das dem Geist der Zeit gerecht wird, auch in Zukunft seinen Weg machen wird. Und so glauben wir, nicht nur dem deutschen Volk wirtschaftlich und politisch einen Weg nach oben zu zeigen, sondern auch kulturell und geistig, allerdings unter einer Voraussetzung: so weitherzig wir in den Methoden sind, und so human wir mit unseren Gegnern verfahren, so eng, so hart und so unerbittlich sind wir in den Prinzipien, müssen wir in den Prinzipien sein. Denn sollen Prinzipien einen Staat tragen, dann müssen sie von einer mitleidlosen Härte erscheinen. Nur auf hartem Grunde kann ein Staatswesen aufgebaut werden. Diese Ideen, die mit dem 30. Januar 1933 zum Durchbruch kamen, sind ihrem Wesen nach antiinternational, antipazifistisch und antidemokratisch. Sie sind ihrem Wesen nach in den Gedanken des Kampfes erhärtet, in der Absicht, das deutsche Volk und sein Denken wieder zurückzuführen auf Rasse, Religion und Volkstum, ihrem Wesen nach auch den Gedanken der autoritativen Persönlichkeit auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens durchzusetzen.5 Dass diese autoritäre Botschaft vom Plenum laut Protokoll mit »stürmischem Beifall« aufgenommen wurde, darf keineswegs nur als ein Akt der Höflichkeit oder des reinen Opportunismus missverstanden werden. Dafür spricht nicht allein das »Tafellied«, das die Versammlung zur Melodie des patriotischen Volks- und Studentenliedes »Gelübde« 4 5

Vgl. Börsenblatt 100 (1933) 101, S. 321 f. Zum Folgenden siehe ebd. Die Mitgliederzahl des Jahres 1933 findet sich bei Umlauff: Beiträge zur Statistik des Deutschen Buchhandels, S. 48. Börsenblatt 100 (1933) 112, S. 355.

3.1 Neuorg an isation d e s d eu tsch en Buchh and els 1933 /1934

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(1820) mit dem passenden Anfang »Ich hab’ mich ergeben …« dem Reichsminister als Lobgesang darbrachte: Heut hat uns Kantate/nach altem Brauch vereint,/auf das dem deutschen Buche/die Zukunft heller scheint.//Wenn auch vergangne Jahre/viel Elend uns bedrückt'./Nun hat uns die Erlösung/das Schicksal selbst geschickt.//Gewichen ist das Schlechte,/ das Deutschland lang entzweit,/gekommen ist ein Wille/zur großen Tat bereit.//Was Hass und Zwietracht säte,/es bannt’s mit starker Hand./Er eint die deutschen Land/ zu einem Vaterland.//Des deutschen Buches Seele/kämpft mit bei dieser Tat./Es hilft sein deutscher Wille,/dass rascher reift die Saat.//Du deutsches Herz, du großes,/wie friedvoll ward dein Schlag,/seit deine Ketten sprengte/der Freiheit goldner Tag.6 Vielmehr kamen bei Goebbels all jene Vorbehalte zum Ausdruck, die während der Weimarer Republik von unterschiedlichen Machteliten in Politik, öffentlicher Verwaltung, Wirtschaft, Geistes- und Kulturleben gegen die pluralistische Demokratie und gegen die internationale Kultur der Moderne vorgebracht worden waren. Der Börsenvereins-Vorstand konnte in seinen Reihen allerdings noch keine Nationalsozialisten nachweisen. Daher wurde im Rahmen der Kantate-Versammlung am 14. Mai ein »Aktionsausschuss« gegründet mit dem Auftrag, die »Anpassung des Börsenvereins und der ihm angeschlossenen Vereine an die berufsständische Wirtschaftsverfassung« zu vollziehen.7 In den Ausschuss wurden mit Karl Baur, dem Leiter des Münchner Callwey Verlags, dem Hamburger Buchhändler Martin Riegel und dem Leipziger Verleger Theodor Fritsch junior Persönlichkeiten gewählt, die, wie der Vorsteher auf der Hauptversammlung des Börsenvereins offen zugeben musste, »in der buchhändlerischen Öffentlichkeit bisher noch nicht oder noch nicht in prominentester Form« in Erscheinung getreten waren. Entscheidender als dieses Manko war für Oldenbourg jedoch der Vorzug, dass die Mitglieder des neuen »Aktionsausschusses« alle der NSDAP angehörten, Karl Baur sogar als Träger des sogenannten »Blutordens« für seine Teilnahme am gescheiterten Putsch gegen die Weimarer Republik im November 1923.8 Die auf ausdrücklichen Wunsch von Goebbels erfolgte Berufung von Heinz Wismann aus dem Propagandaministerium bot nach der Einschätzung des Vorstehers »die Gewähr, dass nun Arbeit geleistet wird, die – ich möchte das hier einmal offen aussprechen – nicht gar so fern von der Reichsregierung vor sich gehen wird, wie das in den letzten Jahren bei uns vielfach notwendig war«.9 Oldenbourg selbst, der der deutschnationalen Front und dem Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten angehörte, übernahm den Vorsitz. 6 7 8 9

Ein Exemplar des von der Offizin Haag-Drugulin AG in Leipzig gestifteten und in der Schrifttype Maximilian Gotisch gesetzten Tafelliedes hat sich in der Deutschen Bücherei Leipzig erhalten (Sign. 1933 B 1733). Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der Hauptversammlung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig am 14. Mai 1933. In: Börsenblatt 100 (1933) 136, S. 434 –440, hier S. 439. Zum Folgenden siehe ebd. Auf diesen Umstand wurde in einer Bekanntmachung zur Zusammensetzung und Aufgabenstellung des Aktionsausschusses im Börsenblatt 100 (1933) 114, S. 361, ausdrücklich hingewiesen. So die im Stenographischen Bericht über die Verhandlungen der Hauptversammlung am 14. Mai 1933, S. 439, wiedergegebenen Ausführungen Oldenbourgs.

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3 N euordnung d es deu tsch en Bu chh andels

Mit einer weiteren personalpolitischen Entscheidung intensivierte der Börsenverein seine Kontakte zu Rosenbergs Kampfbund für deutsche Kultur. Zum 15. Juni 1933 übernahm Hellmuth Langenbucher die Chefredaktion des Börsenblatts. Langenbucher, der bereits seit 1929 der NSDAP angehörte, war zunächst Leiter der Presseabteilung der Hanseatischen Verlagsanstalt, ab März 1932 des Langen-Müller Verlags in München gewesen und verfügte über enge Kontakte zur NS-Presse.10 Als Kampfbund-Mitglied wirkte er im Juni 1933 maßgeblich an der Gründung der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums mit, die sich die Ausschaltung der Literatur der sogenannten Weimarer »Systemzeit« und die Propagierung des linientreuen Schrifttums im »neuen« Deutschland zum Ziel gesetzt hatte. An der Finanzierung dieser ersten nationalsozialistischen Schrifttumsstelle waren der Langen-Müller Verlag und der Börsenverein beteiligt. Neben Hellmuth Langenbucher wurde auch dessen jüngerer Bruder Erich als Redakteur für das Börsenblatt übernommen. Er brachte ebenfalls Erfahrungen aus dem Langen-Müller Verlag mit, in dem er 1932 als Sekretär gearbeitet hatte. Diese neue Cliquenwirtschaft ging vor allem zu Lasten von Verlegern, die unter den politischen Veränderungen massiv zu leiden hatten. So regte sich Ernst Rowohlt in einem Brief an Hans Fallada vom 21. Juni 1934 verständlicherweise darüber auf, dass er den Chefredakteur des Börsenblatts, der im Stuttgarter N.S Kurier einen Verriss über den gerade erschienenen Roman »Wer einmal aus dem Blechnapf frißt« veröffentlicht hatte, auch noch durch seine Mitgliedsbeiträge zum Börsenverein mitfinanzieren musste.11 Im Nachgang zu den Bücherverbrennungen wurde noch im Mai 1933 ein »Arbeitsausschuss« eingesetzt, an dem unter Führung des Kampfbundes für deutsche Kultur Vertreter des Börsenvereins, des Propagandaministeriums, des Reichsverbands Deutscher Schriftsteller, des Verlags-, Sortiments- und Leihbuchhandels mitwirkten.12 Mitte Juli legte dieser Ausschuss eine Zusammenstellung von Werken der »Schönen Literatur« vor, die aus dem Buchhandel entfernt werden sollten. Weitere Verbote betrafen die Sachgebiete »Recht, Politik, Staatswissenschaften«, »Geschichte«, »Pädagogik und Jugendbewegung«, »Weltanschauung« und »Sexualliteratur«.13 Bei der Erstellung waren vier Grundsätze befolgt worden: Indiziert wurden erstens alle Schriften, die »Nation und Staat und ihre Einrichtungen verhöhnen, verächtlich machen oder ihre sittlichen Grundlagen angreifen oder in Zweifel stellen«; zweitens alle Schriften, die »die Volksordnung und Volksgemeinschaft und ihre sittlichen Grundlagen angreifen und aufzulösen geeignet sind, die sich also im Besonderen auch gegen die rassisch-biologischen Voraussetzungen eines gesunden Volkstums richten«; drittens alle Schriften, die »die christliche Religion und ihre Einrichtungen, den Gottesglauben und andere einem gesunden Volksempfinden heiligen Dinge verhöhnen, verunglimpfen oder verächtlich machen«; und viertens das 10 11 12 13

Vgl. dazu Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller, S. 141 f. und BArch/BDC/RSK/Langenbucher, H. Vgl. ferner Bähre: Hellmuth Langenbucher (1905 –1980). Vgl. Fallada: Ewig auf der Rutschbahn, S. 149 f. Vgl. hierzu und zum Folgenden Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller, insbesondere S. 63 –75 und 141 –144. Vgl. Schreiben Urbans, Kampfbund-Reichsleitung, an das Propagandaministerium vom 13. Juli 1933, BArch R 56 V/70 Bl. 2. Siehe dazu auch das Protokoll der Sitzung des Ausschusses in der Deutschen Bücherei vom 16. Juni 1933, BArch R 56 I/45. Die Einzellisten finden sich, zusammengefasst zu einer gemeinsamen »Liste der unerwünschten Literatur«, in BArch R 56 V/70 Bl. 31 – 73. Eine zusätzliche »Schwarze Liste für öffentliche Büchereien und gewerbliche Leihbüchereien. Erzählende Literatur« ebd., Bl. 10 – 30.

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Schrifttum der sogenannten Asphaltliteratur, deren Kennzeichen eine geistreichelnde, bewegliche Intellektualität ist, die mit virtuoser Technik vorgetragen sein kann, aber in ihrer Standpunktlosigkeit ohne Bindungen an die Werte ist, auf denen das völkische, sittliche und religiöse Gemeinschaftsleben beruht, die auch um solche Werte nicht ringt, sich vielmehr in ihrer freischwebenden Intellektualität gefällt und so zur Verneinung aller Bindungen und Werte führt (Literatur des intellektuellen Nihilismus).14 Aufgrund der Mitwirkung der Deutschen Bücherei in Leipzig war die nach Autoren, Verlagen, Serien und Sammelwerken gegliederte »Liste der unerwünschten Literatur« nicht nur weitaus umfangreicher, sondern auch weitaus präziser in der bibliographischen Erfassung der einzelnen Titel als die im April/Mai für die Aktion der Deutschen Studentenschaft hastig zusammengestellten »Schwarzen Listen« des Ausschusses zur Neuordnung der Berliner Stadt- und Volksbüchereien. Im Zusammenhang mit der Übersendung der Liste »Schöne Literatur« an das Propagandaministerium am 13. Juli 1933 hatte der Kampfbund angeregt, die indizierten Werke für das gesamte Reich verbieten zu lassen. Der Geschäftsführer des Kampfbundes hatte sogar schon den Text einer »Bekanntmachung« entworfen, mit dem der »Aktionsausschuss« des Börsenvereins das Verbot und die Einziehung der »für den Vertrieb und Verleih untersagten Werke« anordnen sollte. Da allerdings weder die besitz- und vermögensrechtlichen noch die staatsrechtlichen Fragen abschließend geklärt worden waren, zögerte sich die Durchführung der Buchverbote noch bis in den Herbst hinaus. Von Anfang November 1933 bis zum Januar 1934 wurden Rundschreiben über die Leipziger Geschäftsstelle verschickt, in denen der Börsenverein »in Übereinstimmung mit dem Kampfbund für deutsche Kultur« den betroffenen Verlegern mitteilte, dass das »Angebot und der Vertrieb der unten genannten Werke aus nationalen und kulturellen Gründen nicht erwünscht ist und deshalb unterbleiben muss«.15 Falls diese Werke dennoch weiterhin in den buchhändlerischen Verkehr gebracht würden, hatten die Verlage mit ihrem Ausschluss zu rechnen. Der Börsenverein habe es nämlich »übernommen, mit den ihm zur Verfügung stehenden Machtmitteln den Wünschen der maßgebenden Stellen Geltung zu verschaffen«. Abschließend machte der Börsenverein noch »besonders« darauf aufmerksam, »dass diese Benachrichtigung streng vertraulich zu behandeln« war. Die »zuständigen Behörden« würden »gegen jede Indiskretion mit strengsten Mitteln vorgehen«. Der Verbotsvorgang sollte also geheim gehalten werden – insbesondere zur Vermeidung unerwünschter politischer Reaktionen im Ausland, das nach den Bücherverbrennungen vom Mai 1933 die nationalsozialistische Kulturpolitik ohnehin mit kritischer Aufmerksamkeit begleitete. Von den Vertriebsverboten besonders hart getroffen wurden die Deutsche VerlagsAnstalt, der S. Fischer Verlag, die Gustav Kiepenheuer Verlags-AG, der Rowohlt Verlag, die Ullstein Verlags-AG und die Kurt Wolff Verlags-AG, also diejenigen Verlage, in denen die schöngeistige Literatur des Naturalismus, des Expressionismus, des Dadaismus, der Neuen Sachlichkeit, die moderne internationale Literatur und die zeitkritischen 14 15

Vorbemerkung zur »Schwarze[n] Liste für öffentliche Büchereien und gewerbliche Leihbüchereien. Erzählende Literatur«, BArch R 56 V/70 Bl. 7 –9, hier Bl. 9. Durchschriften dieser Schreiben sind überliefert in BArch R 55/684.

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Sachbücher erschienen waren. Die Propyläen Verlags GmbH musste neben Werken von Brecht, Hasenclever und Heinrich Mann vor allem auf Remarques Bestseller Im Westen nichts Neues verzichten. Der Sieben-Stäbe-Verlags- und Druckereigesellschaft wurde die weitere Verbreitung von nicht weniger als 21 Titeln von Hanns Heinz Ewers untersagt,16 obwohl der Autor schon seit 1931 die Interessen der Nationalsozialisten vertreten hatte. Für alle diese Verlage bedeuteten die Verbote einen enormen wirtschaftlichen Schaden, für einige waren sie sogar existenzbedrohend. Doch die Verleger waren offenbar politisch schon dermaßen eingeschüchtert, dass Proteste weitgehend ausblieben. Lediglich die politische Redaktion des Ullstein Verlags beschwerte sich am 18. Dezember 1933 bei der Geschäftsstelle des Börsenvereins.17 Im Rahmen eines Gesprächs, das der Syndikus des Verlags mit Staatskommissar Hans Hinkel im preußischen Kultusministerium geführt hatte, hatte dieser erklärt, dass »die von Ihnen erwähnte Übereinstimmung mit dem Kampfbund für deutsche Kultur nicht besteht.« Darüber hinaus bestätigte Hinkel, der zu jener Zeit noch der Reichsleitung des Kampfbundes angehörte, »dass die Zuständigkeit für derartige Eingriffe in einen Verlagsvertrieb noch in keiner Weise geklärt sei.« Eine gesetzliche Grundlage für das Vorgehen war »jedenfalls nicht vorhanden«. Da der Vertrieb der indizierten Bücher bislang vom Börsenverein ohne Beanstandung zugelassen worden und eine Änderung der gesetzlichen Bestimmungen nicht eingetreten war, könne der Börsenverein »die Fortführung des Vertriebs jetzt nicht als Verletzung der Mitgliedspflichten bezeichnen.« Der Verlag hoffte auf die Unterstützung der gerade gegründeten Reichsschrifttumskammer – ein Trugschluss, wie sich alsbald zeigen sollte. Für den Börsenverein schien die Welt am Ende des ersten Jahres der nationalsozialistischen Herrschaft in bester Ordnung. Neben der institutionellen blieb auch die personelle Kontinuität an der Verbandsspitze gewahrt. Das sollte sich im Verlauf des Jahres 1934 jedoch grundlegend ändern. Zunächst sorgte die am 16. April vom Stellvertreter des Führers verfügte Einrichtung einer Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums in Verlegerkreisen für erhebliche Unruhe. Ursache war die Anweisung, dass »Manuskripte, die nationalsozialistische Probleme und Stoffe zum Gegenstand haben, in erster Linie dem Zentralparteiverlag, der Eigentum der NSDAP. ist, zum Verlage angeboten werden« sollten. In einem Schreiben an »Reichsminister« Heß vom 17. April gab Oldenbourg zu bedenken: Eine wörtliche Durchführung der Bekanntmachung würde bei Zugrundelegung des Totalitätsanspruches bedeuten, dass in der Hauptsache der Verlag Franz Eher Nachf. als eine Art zentraler Staatsverlag für das politische Schrifttum überhaupt nur noch in Betracht käme. Aufgrund der sich daraus »für das Gesamtgewerbe ergebenden Schädigungen« bat Oldenbourg um eine »Abänderung der Verfügung in dem Sinne, dass die Wahl des Verlags den Autoren freigestellt wird«. Diese Eingabe war sachlich durchaus begründet, doch lag ihr eine verhängnisvolle Fehleinschätzung der neuen politischen Machtverhältnisse zugrunde. So hatte Oldenbourg das Schreiben an Heß im Namen des »Aktionsausschusses« unterzeichnet, ohne diesen 16 17

Siehe dazu im Einzelnen Kugel: Der Unverantwortliche, S. 363 –375. Das Schreiben ist in der Allgemeinen Korrespondenz Hinkels, Bd. 8, überliefert, BArch R 56 I/89.

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überhaupt konsultiert zu haben – eine Vorgehensweise, die ihm sofort die Kritik Wismanns eintrug. Aufgrund der übereilten Veröffentlichung des Schreibens im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel vom 21. April 1934, in dem auch die Verfügung über die Gründung der Prüfungskommission und die ersten Ausführungsbestimmungen des neuen Amtsleiters Philipp Bouhler abgedruckt worden waren, lehnte Heß jede weitere Diskussion über Oldenbourgs Änderungswünsche ab. Zudem erhielt der Börsenvereins-Vorsteher ein geharnischtes »Einschreiben!« von Wilhelm Baur, dem Zögling Max Amanns und Leiter des Eher Buch-Verlags in Berlin. Er bewertete das Verhalten Oldenbourgs »als bewusst gegnerisch gegen unseren nationalsozialistischen Zentralparteiverlag«. Daher drohte er an, auf der kommenden Hauptversammlung [des Börsenvereins in Leipzig] den Antrag [zu] stellen, die neue Satzung, die Sie als Führer bezw. Vorsteher des Börsenvereins für weitere drei Jahre vorsieht, abzulehnen. Wir verwahren uns dagegen, dass an der Spitze des Börsenvereins ein Mann steht, der bewusst gegen uns Front macht. Im nationalsozialistischen Staat gehört an die Spitze des Börsenvereins ein wirklicher Nationalsozialist und kein Dr. Friedrich Oldenbourg.18 Die Abberufung des umstrittenen Vorstehers konnte aufgrund der Interventionen von Hans Friedrich Blunck, dem neuen Präsidenten der Reichsschrifttumskammer, deren Vizepräsidenten Wismann und Karl Baur beim Stellvertreter des Führers noch einmal verhindert werden. Als sich Oldenbourg aber auch noch gegen die von Wismann und Blunck initiierten Pläne zur staatlichen Förderung des deutschen Buchexports stellte, verlor er Ende Mai 1934 schließlich doch noch sein Amt.19 Seine Absetzung durch das Kammerpräsidium, die im Börsenblatt vom 31. Mai 1934 als selbstständiger Entschluss des Vorstehers kaschiert wurde, kommentierte Oldenbourg in einem Dankschreiben vom Juni 1934 an seine bisherigen Mitarbeiter im Börsenvereins-Vorstand und an einzelne Mitglieder mit einem sarkastischen Seitenhieb: Man gestatte mir […], dass ich mit einer Drucksache – es handelt sich ja schließlich auch bei meinem ›Rücktritt‹ um eine Drucksache! – allen Freunden mit herzlichem Dank versichere, dass ich die überwältigende Stellungnahme der Hauptversammlung und die jetzt eingegangenen Abschiedsgrüße als einen Wert betrachte, der weit über mein Verdienst geht.20 Mit dem aus der Sicht der staatlichen Schrifttumsbürokratie politisch besser steuerbaren Kurt Vowinckel, der allerdings noch kein Mitglied der NSDAP war und dem deshalb ein »Beratergremium« mit überzeugten Nationalsozialisten (Wilhelm Baur, Horst Stob18 19

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StAL BV/F 6884. Zu den Hintergründen siehe die Briefe Bluncks und Wismanns an Oldenbourg vom 29. Mai 1934, die Schreiben Oldenbourgs an Blunck und an die Mitglieder des Aktionsausschusses vom 1. Juni 1934 sowie das abschließende Schreiben Bluncks an Oldenbourg vom 9. Juni 1934 in StAL BV/F 6884. Ein Exemplar dieser »Drucksache« findet sich in DLA NL Anton Kippenberg. Vgl. demgegenüber die offizielle »Bekanntmachung« des RSK-Präsidenten Blunck vom 30. Mai 1934 im Börsenblatt 101 (1934) 124, S. 485.

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be, Martin Wülfing, Theodor Fritsch junior, Martin Riegel, Carl Schöpping) zur Seite gestellt wurde,21 sollten nun der Widerstand der deutschen Buchhändler gegen die Exportpläne der Kammer gebrochen, der Börsenverein auf eine straffere nationalsozialistische Linie eingeschworen und der Weg für eine grundlegende Umstrukturierung der buchhändlerischen Standesvertretung frei gemacht werden. Der letztlich unbedeutende Berliner Verleger geopolitischer Schriften blieb allerdings nur ein Interimskandidat. Am 21. September 1934 wurde auf einer Sitzung des Gesamtvorstands des Börsenvereins in der Berliner Geschäftsstelle mit Willhelm Baur ein fanatischer Nationalsozialist an die Spitze des Börsenvereins gewählt. Die Inthronisierung des erst 29-jährigen Verlegers, der bereits 1920 in die NSDAP und den Eher Verlag eingetreten war,22 durch den Gesamtvorstand hatten im Vorfeld die VorstandsmitAbb. 1: Wilhelm Baur (1905 –1945). glieder Herbert Hoffmann und Ernst Reinhardt DNB (Bibliothek des Börsenvereins). mit Wismann und Blunck abgestimmt. Im Grunde handelte es sich dabei aber nur noch um einen rein formalen Akt, denn Baur erklärte dem Gesamtvorstand auf der Sitzung vom 21. September unmissverständlich, »dass ich nicht um Ihre Stimme bitte, sondern dass der Posten [des Vorstehers] an sich von unserer Seite [gemeint ist der Eher Verlag] aus bereits wiederholt verlangt wurde.«23 Die außerordentliche Hauptversammlung des Börsenvereins am 11. November 1934 in Leipzig markiert den Schlusspunkt des Übergangs von der anfänglich betriebenen Selbstanpassung zur nationalsozialistischen »Gleichschaltung«. Immerhin fühlte sich der neue Vorsteher in seiner Antrittsrede aber noch einmal dazu verpflichtet, die Sorge der deutschen Buchhändler zu zerstreuen, dass er »als Vertreter des nationalsozialistischen Parteiverlages nicht die Interessen des Gesamtbuchhandels verfolgen« könnte.24 Es bestünde nicht die Absicht, »einen Staatsverlag nach russischem Muster zu errichten«. Vielmehr wolle der Eher Verlag es sich »auch weiterhin angelegen sein lassen […], als deutscher Verlag neben den übrigen Verlegern im Wett21

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BArch BDC/Masterfile/Vowinckel, K.: Eintritt in die NSDAP am 1. Mai 1937. Zum »Beratergremium«, das den bisherigen Aktionsausschuss ablöste, siehe die »Bekanntmachung« Vowinckels vom 16. Juni 1934 in Börsenblatt 101 (1934) 139. Vgl. dazu die im Januar 1971 veröffentlichte Stellungnahme Vowinckels zu der Artikel-Serie von Unbescheid: Der Börsenverein und seine Vorsteher, Teil VIII. In: Buchhändler heute, Dezember 1970, S. 1382 – 1385. BArch BDC/Masterfile/Baur, W.: Eintritt in die NSDAP am 22. November 1920, Wiedereintritt nach dem Verbot am 21. März 1925. Seit 1933 leitete Baur den Buch-Verlag des Eher-Konzerns in Berlin. Börsenblatt 101 (1934) 224, S. 835. Börsenblatt 101 (1934) 265, S. 990.

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streit mit der besten deutschen Literatur zu liegen.« Allerdings müsse er sich das Recht vorbehalten, »Parteiwerke allein herauszugeben. Dieses Recht wird ihm auch niemand streitig machen können.«

Die Organisation des deutschen Buchhandels in der Reichsschrifttumskammer Der personellen Neubesetzung war eine organisatorische Neuformierung des Börsenvereins vorausgegangen. Am 22. September 1933 war im Reichskabinett die Gründung einer Reichskulturkammer beschlossen worden, an deren Spitze in Personalunion der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda trat.25 Mit der »Ersten Verordnung zur Durchführung des Reichskulturkammer-Gesetzes« vom 1. November 1933 wurden die in »vorläufig privatrechtlicher Form« gegründeten Berufsverbände, also das Reichskartell der deutschen Musikerschaft (25. April 1933), der Reichsverband Deutscher Schriftsteller (9. Juni 1933), die Nationalsozialistische Rundfunkkammer (3. Juli 1933), die Reichstheaterkammer (9. August 1933), das Reichskartell der bildenden Künstler und die »Reichsarbeitsgemeinschaft der Deutschen Presse« (4. Oktober 1933), zu »Körperschaften des öffentlichen Rechts« erklärt.26 Ein Verfahren, das »mit den Augen eines Formaljuristen des liberalen Systems angesehen, ungewöhnlich und gewagt« war, wie der mit den Gesetzesvorbereitungen betraute Schmidt-Leonhardt in einem Kommentar selbst zugeben musste.27 Die Pflicht zur Mitgliedschaft in den sieben Einzelkammern wurde nun über die bisherigen Mitglieder der umgewidmeten Berufsverbände hinaus auf sämtliche Personen ausgedehnt, die »bei der Erzeugung, der Wiedergabe, der geistigen oder technischen Verarbeitung, der Verbreitung, der Erhaltung, dem Absatz oder der Vermittlung des Absatzes von Kulturgut« mitwirkten. Ausschlaggebendes Kriterium für die sogenannte »Kulturkammerpflichtigkeit« war also der enge Zusammenhang von kultureller Betätigung und »Öffentlichkeit«. Dabei sollte unerheblich sein, ob dies in einem kommerziellen oder gemeinnützigen Rahmen, durch Einzelpersonen oder Personenzusammenschlüsse (Gesellschaften, Vereine, private Stiftungen, Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts), durch Reichsangehörige oder in Deutschland arbeitende Ausländer, durch Selbständige oder Angestellte geschah. Die Mitgliedschaft in den Einzelkammern wurde entweder »mittelbar« über die Fachverbände und Fachschaften oder »unmittelbar« erworben, falls solche Berufszusammenschlüsse fehlten. Über die »Befreiung« von der Mitgliedschaftspflicht, die im Falle geringer oder sporadischer Betätigung erfolgte, sowie über die »Aufnahme« oder »Ablehnung« eines Antragstellers und den »Ausschluss« eines Mitglieds hatten die Präsidenten der Einzelkammern unter dem Gesichtspunkt der »Zuverlässigkeit und Eignung« (§ 10) zu entscheiden. Darüber hinaus standen den Präsidenten als Sanktionsmittel die Verhängung von »Ordnungsstrafen« und die Einschaltung der Polizeibehörden zur Verfügung. Letzte Entscheidungsinstanz war allerdings der Präsident der Reichskulturkammer. 25

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Vgl. das von Hitler und Goebbels unterzeichnete Reichskulturkammer-Gesetz. In: RGBL/ Teil I (1933) 105, S. 661 f. Zum Kontext der Entstehung siehe im Einzelnen Dahm: Anfänge und Ideologie der Reichskulturkammer; Faustmann: Die Reichskulturkammer; Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«, S. 189 –196. RGBL/Teil I (1933) 123, S. 797 –800. Schmidt-Leonhardt: Die Reichskulturkammer, S. 11.

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Um ihre Funktion einer kultur-, wirtschafts- und sozialpolitischen Kontroll- und Steuerungsinstanz erfüllen zu können, hatten die Präsidenten der Einzelkammern das Recht, mit Hilfe von »Amtlichen Bekanntmachungen« und »Anordnungen« Bedingungen für die Betriebszulassung und -führung sowie für den Abschluss arbeits- und sozialrechtlicher Vereinbarungen festzusetzen. Für den Fall der Enteignung durften sogar »keine Entschädigungsansprüche« geltend gemacht werden. Es sollte sich erst im Laufe der nachfolgenden Jahre erweisen, wie folgenreich gerade diese Vollmachten der Kammern waren, die nur noch durch das Mitbestimmungsrecht des Reichswirtschaftsschaftsministers auf dem Gebiet des Buch-, Musikalien-, Kunst- und Rundfunkhandels Abb. 2: Aufbau der Reichskulturkammer. begrenzt wurden. Da bei den Verhandlungen über das Kulturkammergesetz eine finanzielAus: Handbuch der Reichskulturkamle Belastung von Reich, Ländern und Gemer. Hrsg. von Hans Hinkel, Berlin meinden ausgeschlossen worden war, sollten 1937, S. 15. die Verwaltungskosten der Einzelkammern über die Mitgliedschaftsbeiträge finanziert werden. Deren Zahlung wurde zur Pflicht gemacht, ihre Einziehung wie »öffentliche Abgaben« gehandhabt. Im »Beiträge-Gesetz« vom 24. März 1934 wurde der steuerähnliche Charakter der Mitgliedschaftsbeiträge bei Körperschaften des öffentlichen Rechts vom Reichsfinanzminister noch einmal ausdrücklich anerkannt.28 Allerdings bedurften ab diesem Zeitpunkt die Festsetzung der Beiträge und Umlagen ebenso wie die Haushaltsvoranschläge der Einzelkammern auch der Genehmigung durch das Reichsfinanzministerium. Das grundlegende Problem beim Aufbau der Reichsschrifttumskammer bestand darin, einerseits das Gebot zur Erfassung sämtlicher auf dem Gebiet der Literatur tätigen Berufsangehörigen erfüllen zu müssen, andererseits aber nur über den Reichsverband Deutscher Schriftsteller als Keimzelle verfügen zu können. Mit der »Bekanntmachung über die Gliederung der Reichsschrifttumskammer« vom 21. Dezember 1933 wurde jedoch ein weit über den Reichsverband hinausgehender Personenkreis zur Mitgliedschaft verpflichtet.29 Die Integration in die Kammer erfolgte dabei nach unterschiedlichen Verfahrensgrundsätzen. Entweder wurden bestehende Berufsverbände zunächst vollständig übernommen: Dies galt für den Börsenverein der Deutschen Buchhändler, die Reichsfachgruppe Buchhandel im Deutschen Handlungsgehilfenverband, den Verband Deutscher Volksbibliothekare und den Verein Deutscher Bibliothekare; deren Mitglieder waren damit mittelbar zu Kammerangehörigen geworden, was in der Praxis bedeutete, dass 28 29

Vgl. Gesetz zur Erhaltung und Hebung der Kaufkraft vom 24. März 1934. In: RGBL/Teil I (1934) 33, S. 235 f. Veröffentlicht in Börsenblatt 100 (1933) 298, S. 995 –997.

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Abb. 3: Aufbau der Reichsschrifttumskammer. Aus: Handbuch der Reichskulturkammer. Hrsg. von Hans Hinkel, Berlin 1937, S. 141. sie zwar vorerst in ihrem bisherigen Berufsverband organisiert blieben, nun aber auch der Disziplinargewalt der Kammer unterstellt waren und an diese zusätzliche Beiträge zahlen mussten. Oder es wurden Dachverbände und neu gebildete Arbeitsgemeinschaften mit der Zusammenfassung und Eingliederung einzelner Gesellschaften oder Berufsgruppen betraut: so geschehen mit der Gesellschaft der Bibliophilen, den Deutschen Buchgemeinschaften, den Literarischen Gesellschaften, den Stiftungen und Verteilern literarischer Preise, den Verlags- und Buchhandelsvertretern. Während die Volksbüchereien über den Deutschen Gemeindetag zusammengefasst und in die Kammer eingegliedert werden sollten, war für die Werksbüchereien und volksbildnerischen Bibliotheken in anderen Verbänden, Gemeinschaften und Gewerben usw. nichtgewerbsmäßiger Art die unmittelbare Anmeldung bei der Kammer vorgesehen. Gleiches sollte für die »amtlichen, parteiamtlichen, städtischen, studentischen und sonstigen Buchbeschaffungsämter bzw. Bucheinkaufsstellen« gelten. In einer »Bekanntmachung über die Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer« vom 20. Februar 1934 wurde der Firmenkreis, der sich mit dem Vertrieb von Lite-

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ratur befasste, noch einmal näher zu fassen versucht.30 Mit Hilfe einer »Arbeitsgemeinschaft der buchhändlerischen Neben- und Kleinbetriebe« sollte die Kontrolle über diesen vielgliedrigen Wirtschaftssektor sichergestellt werden. Indem sich die Kammer zum Fürsprecher des »althergebrachten und verdienstvollen Buchhandels« machte und Friedrich Oldenbourg die Leitung der Arbeitsgemeinschaft übertrug, wurden die organisationspolitischen Ziele der öffentlichen Verwaltung mit den ökonomischen Interessen des Börsenvereins verknüpft. Am 4. April 1934 grenzten die Präsidenten Blunck und Amann in einer »Gemeinsamen Bekanntmachung« die Zuständigkeitsbereiche der Reichsschrifttums- und der Reichspressekammer voneinander ab.31 Zum ausschlaggebenden Kriterium für die Mitgliedschaft von Unternehmen, die Bücher, Zeitungen und Zeitschriften verlegten oder vertrieben, wurde die Umsatzrelation aus den drei Produktionssparten gemacht. Der Pressekammer hatten demnach neben den »Schriftleitern« auch Verleger, Verlagsangestellte, Einzelhandelsgeschäfte, Grossisten und die Bahnhofsbuchhandlungen anzugehören. Die Grenzen zwischen beiden Kammern blieben allerdings weiterhin fließend. Durch eine »Anordnung« vom 30. Juli 1934 wurde den Verlags- und Buchhandelsunternehmen die Überprüfung der Kammer-Zugehörigkeit ihrer Geschäftspartner, Autoren, Angestellten und Lehrlinge zur Pflicht gemacht: »Um die gegenseitige Unterrichtung zu erleichtern«, hatten zukünftig »alle Mitglieder der Reichsschrifttumskammer auf ihren geschäftlichen Briefsachen die Mitgliedsnummer ihres zuständigen Fachverbands anzugeben«.32 Dem Reichsverband Deutscher Schriftsteller wurde das Recht eingeräumt, Erkundigungen bei Verlagen über alle Autoren und Übersetzer einholen zu dürfen, von denen nach dem Gründungsdatum der Kammer Bücher auf den Markt gekommen waren. Organisationsrechtlich bestand allerdings noch ein weiteres Problem. Im Börsenverein waren traditionell auch die Auslandsvereine und die im Ausland tätigen Verleger organisiert, deren Mitgliedschaft in der Reichskulturkammer aber durch das Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Daher fasste der Gesamtvorstand des Börsenvereins unter seinem neuen Vorsteher Vowinckel im Juli 1934 den Beschluss, einen Bund Reichsdeutscher Buchhändler e.V. (BRB) mit Sitz in Leipzig zu gründen.33 In der Satzung vom 5. September 1934 wurde als Zweck des Vereins die »Selbstverwaltung des reichsdeutschen Buchhandels in nationalsozialistischem Geist« bestimmt.34 Am 19. Oktober 1934 wurde der Börsenverein wieder aus der Reichsschrifttumskammer ausgegliedert und innerhalb der Kammer durch den offiziell am 15. Oktober gegründeten BRB ersetzt. Die außerordentliche Hauptversammlung des Börsenvereins am 11. November 1934 in Leipzig hatte weder über diese Umstrukturierungsmaßnahme noch über die Satzung des Bundes zu beraten, sondern nur noch der Anpassung der Börsenvereins-Satzung an die verän-

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Vgl. Das Recht der Reichskulturkammer I, S. 201. Vgl. ebd., S. 209 –211. Anordnung über den Nachweis der Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer, ebd., S. 222 f. Vgl. Börsenblatt 101 (1934) 161, S. 625 f. Satzung des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler e.V., Leipzig 1935, S. 5, StAL BV/807.

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derte Sachlage zuzustimmen.35 Das war eine Entmündigung, die insbesondere deshalb schwer ins Gewicht fiel, weil die Etablierung der neuen berufsständischen Vertretung erhebliche Auswirkungen auf die Struktur des Börsenvereins hatte. So wurde die demokratische Mitsprache, die auf den jährlichen Hauptversammlungen möglich war, beseitigt und das »Führerprinzip« eingeführt. Neben dem Amt des Vorstehers (Wilhelm Baur) waren nun auch das seines Stellvertreters (Martin Wülfing) und des Schatzmeisters (Hellmuth von Hase, ab 1935 Anton Hiersemann) mit den gleichen Personen besetzt.36 Die Fachvereine und Kreisvereine des Börsenvereins wurden hingegen von der Fach- und Regionalgliederung des Bundes abgetrennt, die bis dahin bestehenden 17 Ausschüsse des Börsenvereins alle aufgelöst. In der Folge waren die Fachschaften Verlag (Leiter: Karl Baur), Sortiment (Leiter: Theodor Fritsch jun.), Zwischenhandel (Leiter: Felix Gartmann), Leihbücherei (Leiter: Johannes Mau) und Angestellte (Leiter: Karl Thulke) sowie die Arbeitsgemeinschaft (später Fachschaft) Deutscher Buchvertreter (Leiter: Hans Joachim Siber), die teilweise noch einmal in spezielle Fachgruppen unterteilt waren, für die organisatorische und inhaltliche Alltagsarbeit des Bundes zuständig.37 In den der NSDAP nachgebildeten Gauen des Bundes nahmen ab 1935 Gauobleute die Interessen des Berufsstandes wahr.38 Sowohl die Fach- als auch die Gau-Gliederungen waren in personeller und rechtlicher Hinsicht dem Bundes-Vorsitzenden untergeordnet. Die genauen Modalitäten der Umschichtung der einzelnen Mitglieder regelte eine Bekanntmachung Wilhelm Baurs vom 12. November 1934.39 Danach wurden alle innerhalb des deutschen Reichsgebiets selbständig tätigen Verleger und Buchhändler »ohne besonderen Antrag« zu Zwangsmitgliedern des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler, während ihre Mitgliedschaft im Börsenverein auf freiwilliger Basis weiter bestehen konnte. Die leitenden Angestellten des Buchhandels und Verlagswesens mussten ebenfalls Mitglieder im Bund werden, konnten im Börsenverein allerdings nur auf ihren ausdrücklichen und begründeten Antrag verbleiben. Die Verteilung der insgesamt rund 25.500 Mitglieder auf die sechs Fachschaften wurde von der Geschäftsstelle des BRB koordiniert: Den Fachschaften Verlag, Sortiment und Zwischenhandel gehörten insge-

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Vgl. Protokoll über die Verhandlungen der außerordentlichen Hauptversammlung des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig am 11. November 1934. In: Börsenblatt 101 (1934) 265, S. 989 –993. Vgl. hierzu und zum Folgenden die Satzung des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler e.V., S. 7 –10. Martin Wülfing (1899 –1986): seit dem 23. September 1926 Mitglied der NSDAP (BArch BDC/Masterfile); zunächst nur kommissarisch, auf der Hauptversammlung des Börsenvereins am 19. Mai 1935 offiziell zum Stellvertreter Wilhelm Baurs ernannt (StAL BV/ 812). Vgl. auch Vaternahm: Der Deutsche Buchhandel und seine Organisation, S. 56 –58. Vgl. Bekanntmachung vom 5. Dezember 1934 über die neue Zusammensetzung der Börsenvereins-Gremien sowie der Fachschafts- und Gaugliederung des BRB. In: Börsenblatt 101 (1934) 288, S. 1077 –1079; Bekanntmachung über die Gliederung der Fachschaft Verlag. In: Börsenblatt 101 (1934) 294, S. 1102 f. Siehe das Verzeichnis der Obmänner der Ortsgruppen und örtlichen Arbeitsgemeinschaften im Bund Reichsdeutscher Buchhändler e.V. In: Börsenblatt 102 (1935) 66, S. 226 –228; Börsenblatt 102 (1935) 76, S. 257 –259; Börsenblatt 102 (1935) 92, S. 313 f. Vgl. Börsenblatt 101 (1934) 269, S. 1005 f.

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samt 8.353 Personen an,40 zu denen noch 8.600 in einer »Stammrolle« erfasste Buchverkaufsstellen kamen; die Fachschaft Leihbüchereien umfasste 3.170 Mitglieder, 800 Sortimentsbuchhandlungen und 1.735 Papier- und Schreibwarenhandlungen mit einer jeweils angeschlossenen Leihbücherei; die Fachschaft Angestellte zählte rund 9.200 Mitglieder und die Fachschaft Buchvertreter 3.985 Mitglieder.41 Der Börsenverein, dessen Mitgliederzahl von 1934 bis 1936 zwischen 6.668, 7.498 und 6.689 schwankte,42 wurde auf ein »Konditionskartell« begrenzt, in dem deutsche und ausländische Fachvertreter juristische und ökonomische Fragen der Produktion, des Vertriebs und des Verkaufs regelten.43 Für die Verzahnung beider Bereiche sorgten die langjährigen Mitarbeiter des Börsenvereins Max Albert Heß als Geschäftsführer (seit 1920), der Leiter der Auslandsabteilung Willy Max Schulz (seit 1925) und Gerhard Menz als Sachverständiger für Ausbildungs- und allgemeine Wirtschaftsfragen (seit 1920).44 Innerhalb der Reichsschrifttumskammer wurde das Arbeitsgebiet »Buchhandel/ Büchereien/Überwachung des Buchmarktes« zunächst als Abteilung III von Geschäftsführer Karl Heinl geleitet.45 Die Abteilung bestand aus nur zwei Referenten: Karl Heinrich Bischoff war für die Mitgliedschaftsfragen des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler, für die Führung der »Stammrolle« der nebengewerblich betriebenen Buchhandlungen, für Fach- und Wirtschaftsfragen des Gesamtbuchhandels, für die buchhändlerische Nachwuchsschulung sowie für Buchwerbung, Devisenanträge und Kalendergenehmi-

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Umlauff: Beiträge zur Statistik des Deutschen Buchhandels, S. 50, gibt für das Jahr 1933 insgesamt 3.024 Verlage und 5.656 Sortimentsbuchhandlungen an. Die Hauptorte waren Berlin, Leipzig, München und Stuttgart, ebd. S. 53. Vaternahm: Der Deutsche Buchhandel und seine Organisation, S. 43, gibt 3.770 Verlagsfirmen an, von denen 1.070 dem Deutschen Verlegerverein angehörten, davon 904 persönliche Mitglieder, von denen wiederum 838 auch noch Mitglieder des Börsenvereins waren. Für den Sortimentsbuchhandel gibt er ebd., S. 68, 5.868 Firmen an. Diese Angaben zu den Mitgliederzahlen aus dem Bericht über die Sitzung des Rates des BRB in der Zweigstelle Berlin am 20. September 1935, BArch BDC/RK/Filmnr. Z 0025 Bl. 1412 –1468, hier Bl. 1414 (S. 2), Bl. 1418 (S. 4) und Bl. 1420 (S. 5). Bei den Leihbüchereien waren zu diesem Zeitpunkt 2.700 Fälle noch nicht geklärt. Vgl. Vaternahm: Der Deutsche Buchhandel und seine Organisation, S. 56. Vgl. Vaternahm, S. 115 –121. Albert Heß (1885 –1948): ab 1920 Syndikus, seit 1924 erster Geschäftsführer (ab 1925 Generaldirektor) des Börsenvereins, siehe StAL BV II/3503. Heß war von 1922 bis 1932 Mitglied der Johannis-Loge »Minerva zu den 3 Psalmen« in Leipzig gewesen und wurde deshalb trotz wiederholter Versuche nicht in die NSDAP aufgenommen. Siehe dazu das Schreiben des Schatzmeisters der NSDAP/Amt für Mitgliedschaftswesen an die Kanzlei des Führers der NSDAP vom 16. Dezember 1940, BArch BDC/Oberstes Parteigericht/Heß, M.A. Willy Max Schulz (1893 –?): ab 1. Juli 1925 Leiter der Deutschen Gesellschaft für Auslandsbuchhandel im BV, ab 1926 Leiter der Werbestelle, ab 1930 Leiter der Auslandsabteilung; NSDAP-Mitglied, siehe StAL BV II/3503. Gerhard Menz (1885 –1954): seit 1920 Hauptschriftleiter des Börsenblattes, volkswirtschaftlicher und journalistischer Beirat des BV; seit 1925 Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre des Buchhandels an der Leipziger Handelshochschule, siehe StAL BV II/3509. Vgl. Geschäftsverteilungsplan der RSK vom Dezember 1935, BArch R 56 V/35 Bl. 70 f.

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gungen zuständig;46 Eberhard Hasper, seit 1934 Vorsitzender der »Beobachtungsstelle für den Reisebuchhandel«, betreute im Auftrag von Wilhelm Baur die Arbeit der sechs Fachschaften.

3.2

Die Polykratie der Ämter und das Chaos der Zuständigkeiten

Die Abteilungen und Sachgebiete für Buchhandel innerhalb der Reichsschrifttumskammer Für das Gebiet des Buchhandels bestanden also seit 1934 zwei Verwaltungen, die zudem noch räumlich voneinander getrennt waren. Erst nachdem der BRB auf einer Hauptversammlung in Weimar am 24. Oktober 1936 seine Auflösung beschlossen hatte,47 kam es zu einer Vereinheitlichung. Die Abteilung III wurde nun als »Gruppe Buchhandel« fortgeführt und von Berlin nach Leipzig verlegt.48 An ihrer Spitze stand Willhelm Baur, der seit dem 2. April 1935 auch Mitglied des Präsidialrates der Reichsschrifttumskammer war und im August 1937 auch noch deren Vizepräsident wurde.49 Die Geschäftsführung übernahm im Juli 1936 Karl Thulke, der vor der nationalsozialistischen Machtübernahme als Vertriebs- und Werbeleiter im Langen-Müller Verlag in München (seit 1931) und als Leiter der buchhändlerischen Berufsausbildung im Deutschen Handlungsgehilfenverband in Hamburg gearbeitet hatte, 1933 Verlagsleiter im Brunnen Verlag/Willi Bischoff in Berlin wurde und sich als Leiter der Fachschaft der Buchhandelsangestellten bereits ehrenamtlich in der Reichsschrifttumskammer engagiert hatte.50 Zu seinem persönlichen Aufgabengebiet gehörten neben der Verwaltung die Aufsicht über die kulturkammerpflichtigen Personen und Unternehmen des Buchhandels und Verlagswesens, die Koordination der Fachschaftsarbeit, die Herausgabe der »Vertraulichen Mitteilungen« an die Fachschaften Verlag und Sortiment sowie an die Gauobleute des Buchhandels in den Landesleitungen der Kammer.51 Darüber hinaus war Thulke auch für die »Soziale Betreuung« der Mitglieder zuständig, worunter die Arbeitsvermittlung von Buchhandelsangestellten und Buch46

47 48 49 50

51

Karl Heinrich Bischoff (1900 –1978): seit 1919 Tätigkeit als Sortimenter für fremdsprachliche Literatur in Wien, 1923 –1924; 1928 –1935 Leiter der Vertriebs- und Werbeabteilung in der Export- und Verlagsbuchhandlung G.A. v. Halem; NSDAP: 1. Mai 1933; seit Anfang 1934 Kreiskulturwart der NSDAP im Kreis Bremen, ab August 1934 Kreisobmann sowie Ortsobmann der NS-Kulturgemeinde im Gau Weser-Ems, Kreis Bremen; SchriftstellerPseudonym Veit Bürkle. Siehe BArch BDC/RSK/Masterfile/Bischoff, K.H. Siehe den Bericht über die Hauptversammlung in Börsenblatt 103 (1936) 253, S. 943 f. Vgl. Geschäftsverteilungsplan der RSK vom 1. Juli 1937, BArch R 56 V/35 Bl. 76/Rs. –77/ Rs. Vgl. Das Archiv 2 (1935/36), S. 140 und Das Archiv 4 (1937/38), S. 593. Karl Thulke (1904 –?): Buchhandelslehrling in Königsberg, ab 1925 Buchhandelsgehilfe in Lübeck; 1929 in der Freiburger Universitätsbuchhandlung tätig, 1931 im Langen-Müller Verlag, Ende 1932 im DHV; seit 15. Juli 1936 Nachfolger von Max Albert Heß als hauptamtlicher Geschäftsführer des BRB; NSDAP: 1. Mai 1933, SS: seit September 1933. BArch BDC/Masterfile/SS/RSK/Thulke, K. Vgl. Geschäftsverteilungsplan der RSK vom 1. Juli 1937, BArch R 56 V/35 Bl. 76/Rs. Zu den folgenden Ausführungen siehe ebd.

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vertretern, die Prüfung von Anträgen auf finanzielle Unterstützung, die Verwaltung und Neueinrichtung von Fürsorgestellen für arbeitsunfähige, notleidende oder alte Buchhändler fielen. Das Referat »Fachliche Betreuung der Mitglieder« setzte sich aus den sechs Fachschaften des aufgelösten BRB zusammen. Die »Rechtliche Betreuung« übernahm der stellvertretende Geschäftsführer Johannes Grewe. 1938 wurden die sechs Fachschaften in das Referat III A integriert: Verlag, Handel/Zwischenhandel, Leihbücherei, Buchvertreter/Angestellte.52 Die vier Referatsleiter waren jetzt Anlaufstelle für die Mitgliedschaftsangelegenheiten und übten die Kontrolle über die Aktivitäten der Fachschaften aus. Zum Referat für die Rechtsberatung der Fachschaften kam 1941 noch ein Referat für soziale Fragen und für Fragen der Leistungssteigerung des Buchhandels hinzu, in dem die »Schulungswochen« und »Freizeiten«, die Förderung des Nachwuchses und der Einsatz deutscher Buchhändler im Ausland betreut wurden.53 Obwohl Leipzig das logistische und standespolitische Zentrum des deutschen Buchhandels war und sogar als eigener Gau (33) innerhalb der Regionalgliederung des BRB geführt wurde, verblieben wichtige Kompetenzen in der Berliner Kammer-Zentrale. Noch bis 1941 bearbeitete Bischoff in seinem Kammer-Referat III Z »Nichtarierfragen«, die Führung der »Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«, Sperranordnungen und Ausnahmeanträge betreffend Neugründung oder Erweiterung von Buchhandelsbetrieben, die fachliche Ausbildung und politische Schulung von Jungbuchhändlern, Buchvertretern und Leihbuchhändlern sowie die Verwaltung der 1934 eingerichteten Reichsschule des deutschen Buchhandels.54 Nach dem »Anschluss« Österreichs war Bischoff auch an der Eingliederung des österreichischen Buchhandels in die Kammerarbeit beteiligt.55 Dabei ging es um nicht weniger als 100 Verleger, 800 Buchhändler, 150 Leihbüchereiinhaber, 1.000 Inhaber buchhändlerischer Nebenbetriebe, 1.200 buchhändlerische Angestellte, 500 Verlags- und Buchhandelsvertreter.56 Zudem leitete Bischoff seit 1939 auch noch die »Gruppe Lektoren«, die im Oktober 1938 aus der »Gruppe Buchhandel« herausgelöst worden war.57 Als er im Herbst 1941 aus der Kammer ausschied, um den »arisierten« Paul Zsolnay Verlag in Wien zu übernehmen, wurden die Kompetenzen seines Referats auf die Geschäftsführung der Kammer, die Abteilung II in Berlin und auf die Abteilung III in Leipzig verteilt. Bis 1938 wurde auch das Aufgabengebiet »Buchwerbung« von Berlin aus gesteuert. Die Abteilung IV war aus der im März 1935 gegründeten Reichsarbeitsgemeinschaft für Deutsche Buchwerbung e.V. hervorgegangen, deren Hauptaufgabe in der Vorbereitung, Durchführung und Auswertung der »Woche des Deutschen Buches« bestand.58 Mit der Umwandlung der Reichsarbeitsgemeinschaft in eine Abteilung der Reichsschrifttums52 53 54 55 56 57 58

Vgl. Geschäftsverteilungsplan der RSK vom 1. April 1938, BArch R 56 V/35 Bl. 83. Vgl. Geschäftsverteilungsplan der RSK von 1941, BArch R 2/4880 Bl. 583. Vgl. die Geschäftsverteilungspläne der RSK für die Jahre 1935, BArch R 56 V/35 Bl. 66 – 71; 1937, Bl. 72 –78; 1938, Bl. 79 –84; 1939, Bl. 88 –96; 1940, BArch R 2/4879. Siehe die diesbezüglichen Aktennotizen und Schreiben in BArch BDC/RSK/Bischoff, K.H. Vgl. Renner: Österreichische Schriftsteller und der Nationalsozialismus, S. 268. Vgl. Amtliche Bekanntmachung der RSK vom 23. Oktober 1938 über die Eingliederungspflicht der Lektoren und Schriftwalter. Wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 263; Geschäftsverteilungsplan der RSK von 1940, BArch R 2/4879 Bl. 455. Langenbucher: Gemeinschaftliche Buchwerbung. In: Börsenblatt 102 (1935) 78, S. 265.

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Abb. 4: Aufbau der NS-Schrifttumspolitik. Aus: Die Welt des Buches. Hrsg. von Hellmuth Langenbucher, Ebenhausen 1942, S. 193 f. kammer zum 1. April 1937 wurden drei Referate gebildet: Das Referat A »Werbung für das deutsche Buch im Inland« (Leiter: Alfons Brugger) war neben der Buchwoche auch für die Fachbuchwerbung und die Organisation von Buchausstellungen auf Reichs- und Gauebene zuständig; das Referat C »Werbung für das deutsche Buch im Ausland« (Leiter: Rudolf Krieger) sollte die Aktivitäten des Propagandaministeriums, des Auswärtigen Amtes, der Auslandsorganisation der NSDAP und der Auslandsabteilung des Börsenvereins fachlich ergänzen; im Referat B (Leiter: Gerhard Heidelberger) wurden Auswahlbibliographien zusammengestellt, Vorträge von Schriftstellern koordiniert, Literaturzeitschriften und Literaturwettbewerbe überwacht.59 Am 1. April 1938 ging dieses umfangreiche Aufgabengebiet an die Reichsschrifttumsstelle des Propagandaministeriums über.60 Der Kammer verblieb nur noch die Aufsicht über die literarischen Gesellschaften, bibliophilen Vereine und Vortragsveranstalter. Sie waren seit 1933 in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengefasst, firmierten ab 1938 als »Gruppe Literarische Vereine und Vortragsveranstalter«,61 ab August 1939 als »Reichswerk ›Buch und Volk‹«.62 59 60 61 62

Geschäftsverteilungsplan der RSK vom 1. Juli 1937, BArch R 56 V/35 Bl. 77/Rs. Zweite Bekanntmachung über die Gliederung der Reichsschrifttumskammer vom 21. Mai 1938. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 44 f., hier S. 44. Amtliche Bekanntmachung der RSK vom 5. Januar 1938. ebd., S. 265 f. Geschäftsverteilungsplan der RSK von 1940, R 2/4879 Bl. 503.

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Die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels Der Leipziger Geschäftsstelle der »Gruppe Buchhandel« innerhalb der Reichsschrifttumskammer war eine weitere wichtige Verwaltungseinheit mit Sitz in Berlin entzogen: die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels. Ihrer Gründung waren äußerst kontroverse Diskussionen und langwierige Verhandlungen um die Einrichtung einer staatlichen Buchexportförderung vorausgegangen, mit der die Verkaufspreise deutscher Bücher und Zeitschriften im Ausland um rund ein Viertel gesenkt werden sollten.63 Nachdem der Widerstand des Börsenvereins gegen die damit verbundene staatliche Kontrolle der Buchexporte durch den Sturz des Vorstehers Oldenbourg gebrochen worden war, wurden die Verhandlungen über die weitere Ausgestaltung des Verfahrens zunächst über die Kammer fortgeführt. Am 21. Juni 1935 informierten Wismann und Vowinckel den Börsenvereins-Vorsteher Wilhelm Baur, dass »die Exportangelegenheit nunmehr fix und fertig abgeschlossen sei, die diesbezüglichen gesetzlichen Bestimmungen in den nächsten Tagen erlassen werden und der Buchhandel müsse demgemäss um 25 % senken«.64 Baur, der bei diesem Entscheidungsprozess völlig übergangen worden war, wollte sich aber nicht ohne weiteres mit der Durchführung des Buchexport-Ausgleichsverfahrens außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abfinden. Er reaktivierte kurzfristig die bereits überwunden geglaubte Opposition des Börsenvereins, indem er sich die Einwände der Verleger Arthur Georgi junior und Hermann Degener gegen die staatlich oktroyierte Preissenkung zu eigen machte.65 Denn dieser Eingriff in die Autonomie der Preisbildung war für die Verleger immer noch der entscheidende Punkt, an dem sie ihre Zustimmung zum mühsam ausgehandelten Exportförderplan verweigerten. Zudem war Wilhelm Baur ein Dorn im Auge, dass auch die damals noch vorhandenen jüdischen Buchhandelsfirmen der Kammer in den Genuss der Exportsubventionen kommen sollten.66 Den Bedenken und Widerständen zum Trotz wurde zur Abwicklung des Ausgleichsverfahrens die Wirtschaftsstelle am 1. August 1935 gegründet.67 Die Geschäftsführung übernahm Paul Hövel, der seit Herbst 1934 als Referent in der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums arbeitete. Die Finanzierung seiner neuen Dienststelle erfolgte durch einen 0,5-prozentigen Abzug von den an die Exporteure gezahlten Subventionen. Am 1. April 1938 ging die Zuständigkeit für die Wirt-

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Zu dieser Exportstützung vgl. ausführlicher das Unterkapitel Die staatliche Subventionierung des Buchexports in Kap. 4 dieses Bandes. So die Wiedergabe des Gesprächs in einem Schreiben Wilhelm Baurs an Wismann vom 17. September 1935, hier S. 2, BArch BDC/RSK/Baur, W. Siehe dazu das Schreiben Vowinckels an Wilhelm Baur vom 7. August 1935, in dem es hieß: »Sie hatten den von mir seit 1 1/2 Jahren verfochtenen Plan der Preissenkung zur Ausfuhrförderung übernommen, hatten mich beauftragt und gedeckt. Sie haben dann das von mir erzielte Ergebnis angenommen und begrüßt. Als aber der letzte Ansturm der von Ihnen Geführten kam, sind Sie ohne stichhaltige Begründung umgeschwenkt und haben mich fallen lassen«. BArch BDC/RSK/Baur, W. Siehe ebd. das Schreiben Wismanns an Wilhelm Baur vom 2. September 1935 sowie das Antwortschreiben Baurs vom 17. September 1935. Vgl. Hövel: Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels, hier B10. Zum Aufbau der Dienststelle siehe ebd., B10 –B12.

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schaftsstelle von der Kammer auf das Propagandaministerium über.68 Im März 1939 wurde der Wirtschaftsstelle vom Propagandaministerium auch die Überwachung der Einfuhr von Büchern übertragen.69 Zudem erhielt die Wirtschaftsstelle mit Beginn des Zweiten Weltkriegs die Zuständigkeit für das neu eingeführte Verfahren zur »Papierkontingentierung«.70 Die Verfügungsgewalt über die Zuteilung von Papier- und Einbandstoffen war ursprünglich von Wilhelm Baur in Anlehnung an die Praxis in der Reichspressekammer für die Reichsschrifttumskammer reklamiert worden.71 Damit hätte der Zentralverlag der NSDAP bestimmenden Einfluss auf die gesamte Verlagsproduktion des Buch-, Zeitungs- und Zeitschriftensektors erlangt. Doch sein Namensvetter Karl Baur, der Leiter der Fachschaft Verlag in der »Gruppe Buchhandel«, sorgte bei den Verhandlungen mit der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums und der Wirtschaftsgruppe Druck- und Papierverarbeitung im Reichswirtschaftsministerium dafür, dass die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels mit der Durchführung der Papierkontingentierung betraut wurde.72 Wohl nicht ganz uneigennützig, denn Karl Baur hatte als Inhaber des Münchner Callwey Verlags auch ein persönliches Interesse, den Zentralparteiverlag nicht noch mächtiger werden zu lassen. Dessen Statthalter in der Reichsschrifttumskammer, Wilhelm Baur, musste sich erneut damit abfinden, dass eine wichtige Kompetenz außerhalb seines Machtbereichs lag.

Die Reichsschrifttumsstelle und die Schrifttumsabteilung des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda Im Gegensatz zu den anderen Einzelkammern der Reichskulturkammer fehlte der Reichsschrifttumskammer zunächst noch eine zuständige Fachabteilung im Propagandaministerium. Heinz Wismann konnte sich zwar mit dem Titel des Vizepräsidenten der Kammer schmücken, übte innerhalb der Abteilung »Propaganda« des Ministeriums jedoch nur die Tätigkeit eines Referenten aus. Nachdem er im Frühjahr 1934 mit dem Versuch 68

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70 71 72

Vgl. Zweite Bekanntmachung über die Gliederung der Reichsschrifttumskammer vom 21. Mai 1938. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 44 f., hier S. 45. Nachdem der Rechnungshof des Deutschen Reiches im Zusammenhang mit einer Wirtschaftsprüfung am 6. März 1939 die »ungeklärte Rechtsform« der Wirtschaftsstelle moniert hatte, wurde sie ab 1940 in eine nachgeordnete Dienststelle des Propagandaministeriums umgewandelt. Siehe das Schreiben des Rechnungshofes des Deutschen Reiches an die Wirtschaftsstelle vom 6. März 1939, BArch R 55/310 Bl. 67 sowie die Niederschrift über das Ergebnis der am 16. April 1943 bei der Wirtschaftsstelle durchgeführten Prüfung (Abteilung H/Ref. Lucerna, Wiegand) vom 21. April 1943, BArch R 55/213 Bl. 32. Vgl. Vertrauliches Rundschreiben der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels vom 23. Mai 1939 betr. Regelung der Einfuhr von Büchern, BArch R 55/828 Bl. 6 –8. Darin wird auf einen Erlass des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda vom 6. März 1939 Bezug genommen (Bl. 6). Vgl. Niederschrift über die von der Haushaltsabteilung des Propagandaministeriums vorgenommene Prüfung der Wirtschaftsstelle, BArch R 55/213 hier Bl. 32. Vgl. Schreiben Wilhelm Baurs an Karl Baur vom 9. Juni 1941, hier S. 4 f., BArch BDC/ RSK/Wülfing, M. Vgl. dazu Baur: »Wenn ich so zurückdenke …«, S. 356 –360 sowie das Schreiben Wilhelm Baurs an Karl Baur vom 9. Juni 1941, BArch BDC/RSK/Wülfing, M.

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scheiterte, die parteinahe Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums zu vereinnahmen, wurde von ihm eine Reichsschrifttumsstelle als nachgeordnete Behörde des Propagandaministeriums gegründet.73 Als Betätigungsfeld wurden von Wismann im Börsenblatt vom 9. Juni 1934 »Propagandamaßnahmen zur Pflege und Förderung des deutschen Schrifttums« angegeben,74 was nahezu wörtlich dem Titel und der Aufgabenstellung von Rosenbergs Reichsstelle entsprach. Neben den Werken »junger bisher noch unbekannter Dichter und Schriftsteller« sollte »wertvolles Schrifttum aus früherer Zeit, das während der jüdisch-marxistischen Ära unterdrückt und totgeschwiegen wurde«, besonders herausgestellt werden. Dazu diente die über die Presse und den Rundfunk verbreitete Kampagne »Die sechs Bücher des Monats«. Sie wollte nicht das »StarSystem, wie wir es in Deutschland glücklich überwunden haben«, fortsetzen, sondern einen »Werbefeldzug« für »eine Reihe wirklich wertvoller Werke – von der billigen Broschüre bis zum bestausgestatteten Buche –« führen. In der Reichsschrifttumsstelle arbeiteten unter der Leitung Wismanns Curt Reinhard Dietz als Geschäftsführer und Edgar Diehl als Referent. Beide konnten Kenntnisse der Literaturszene und des Buchhandels einbringen.75 Auch der im September 1935 als Pressereferent eingestellte Erich Langenbucher verfügte über gute Beziehungen zu nationalkonservativen Verlagen. Bei der Lektoratstätigkeit wurde dieser kleine Angestelltenstab durch einen Kreis freier Mitarbeiter unterstützt, der sich aus den Universitäten, der Publizistik und dem Bibliothekswesen rekrutierte. Nachdem Dietz und Wismann die Reichsschrifttumsstelle im Verlauf des Jahres 1937 verlassen hatten, wurde die Dienststelle 1938 umstrukturiert. Als Folge der von Goebbels angeordneten Neuverteilung der Kompetenzen zwischen der Reichskulturkammer und dem Propagandaministerium wechselten am 1. April 1938 die Referenten Alfons Brugger (Buchwerbung), Otto Henning (Vortragswesen) und Ludwig Warmuth (Fachschrifttum) von der Reichsschrifttumskammer in die Reichsschrifttumsstelle. Mit Karl Thielke wurde ein Referent für das Sachgebiet »wissenschaftliches Schrifttum« neu eingestellt. Die Bemühungen um einen systematischeren Auf- und Ausbau der Dienststelle wurden jedoch dadurch beeinträchtigt, dass sich die personell unterbesetzte Schrifttumsabteilung des Ministeriums bei der Erledigung ihrer Arbeiten immer wieder der Referenten aus der Reichsschrifttumsstelle bediente. Daher erfolgte 1939 eine klare inhaltliche und personelle Trennung beider Amtsbereiche. Die Reichsschrifttumsstelle hatte nun alle »kulturpolitischen Führungsaufgaben« an die »Reichsschrifttumsabteilung« abzugeben und übernahm dafür alle 73 74 75

Vgl. Das Archiv 1 (1934/35), S. 384. Hierzu und zum Folgenden Börsenblatt 101 (1934) 132, S. 513 f. Curt Reinhard Dietz (1896 –1946): Studium von Philosophie, Germanistik, Literaturgeschichte und Volkswirtschaft in Gießen; nach dessen Abbruch im Jahre 1922 freier Schriftsteller, Verlagsmitarbeiter (Lektorat, Werbung, Ausbau eines schöngeistigen Verlages), Schriftleiter einer Zeitschrift, Kritiker für Schrifttum und Film. NSDAP: 1. April 1932. Nach einem Gespräch mit Goebbels im Januar 1934 wurde Dietz Ende März mit dem Aufbau und der geschäftsführenden Leitung der Reichsschrifttumsstelle betraut. Siehe den Lebenslauf (o. D., 1939) in BArch BDC/RSK/Dietz, C.R.; Edgar Diehl (1906 –?): nach Abschluss einer Buchhandelslehre von 1924 bis 1934 im Buchhandel tätig. NSDAP: 1. Dezember 1931. Siehe den Personalfragebogen des Propagandaministeriums vom 20. Januar 1943, BArch BDC/RMVP/Diehl, E.

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»werbenden und fördernden Aufgaben«.76 Ab dem 1. April erhielt sie den neuen Titel »Werbe- und Beratungsamt für das deutsche Schrifttum«. An der Spitze des Amtes stand wie bisher in Personalunion der Leiter der Schrifttumsabteilung im Propagandaministerium. Geschäftsführer wurde der Werbefachmann Alfons Brugger, der seit dem 1. Juli 1938 bereits die Reichsschrifttumsstelle geleitet hatte. Zur Gründung einer Schrifttumsabteilung innerhalb des Propagandaministeriums war es erst am 1. Oktober 1934 gekommen. Dabei wurde lediglich das bereits vorhandene Referat für Literatur und Verlagswesen aus der Abteilung »Propaganda« ausgegliedert und in den Status einer eigenständigen Abteilung VIII unter der Leitung Wismanns erhoben. Dieser betreute auch das Referat »Deutsches Schrifttum: Allgemeines« mit den Zuständigkeiten »Grundsätzliche Fragen der Pflege und der Förderung des deutschen Schrifttums, Reichsschrifttumskammer, Reichsschrifttumsstelle, Reichsarbeitsgemeinschaft für Deutsche Buchwerbung, Deutsche Bücherei in Leipzig, Notgemeinschaft des deutschen Schrifttums«. Daneben bestand die Abteilung aus nur noch zwei Hauptreferenten, denen jeweils ein Hilfsreferent assistierte. Der stellvertretende Abteilungsleiter Rudolf Erckmann war zuständig für das »Deutsche Schrifttum: Inland« mit dem Aufgabengebiet »Schriftsteller, Verlagswesen, Buchhandel, Buchausstellungen, Buchwochen, Buchpreise, Stiftungen, Unterstützungen, Buchverbote, unerwünschte Literatur«. Paul Hövel wurde mit dem »Deutschen Schrifttum: Ausland« betraut, worunter Schriftsteller, Verlagswesen, Buchhandel, Buchexport, Werbung für das deutsche Buch im Ausland und Buchverbote fielen. Ein drittes Referat, »Büchereiwesen«, musste von Erckmann (»Leihbüchereien, Werkbüchereien, Büchereien sonstiger privater Betriebe wie Schifffahrtsgesellschaften usw., Vereinsbüchereien«) und Hövel (»Büchereien im Auslande, Zusammenarbeit mit internationalen Büchereiorganisationen«) gemeinsam betreut werden. Dass sich der Anspruch auf die zentrale Steuerung der Literaturpolitik im NS-Staat, den Goebbels für sein Ministerium erhob, nur partiell verwirklichen ließ, hing allerdings nicht allein mit der unzureichenden Personalausstattung zusammen. Obwohl die Schrifttumsabteilung und die Reichsschrifttumskammer beide zum Machtbereich des Propagandaministers gehörten, verlief ihre Kooperation nie reibungslos. Seit 1933 hatte Wismann seine Zuständigkeiten innerhalb der Kammer beträchtlich erweitert: Zusammen mit dem Präsidenten konnte er Entscheidungen über die »kulturpolitische Haltung und Gestaltung der Kammer« treffen, Sitzungen des Präsidialrates leiten, als Personalchef Ernennungen und Berufungen von Mitarbeitern der Kammer vornehmen, rechtsverbindliche Anordnungen gemäß § 25 der Ersten Durchführungsverordnung zum Reichkulturkammer-Gesetz erlassen, abschließende Verhandlungen mit der Zentrale der Reichskulturkammer über Grundsatzfragen leiten, Ausschlüsse auf der Grundlage von Kammermitgliedern verfügen, Ordnungsstrafen ab einer Höhe von 250 RM verhängen und Schriftverkehr mit Verwaltungsbehörden auf Reichs-, Länder-, Kommunal- und Parteiebene sowie mit den Präsidenten der Einzelkammern führen.77 Angesichts solch umfassender Kompetenzen sah sich Richard Suchenwirth, seit 1934 Geschäftsführer der RSK, von den literaturpolitischen Entscheidungsprozessen weitgehend ausgeschlossen. Mit Recht wies der wissenschaftlich gebildete Historiker, der sich bereits 1926 der NSDAP angeschlossen hatte, auf die »Poly76 77

Nachrichtenblatt des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (1939) 6, Bd. 7, S. 37, BArch R 55/436. Siehe den Geschäftsverteilungsplan der RSK vom Dezember 1935, BArch R 56 V/35 Bl. 66 – 71, hier Bl. 66.

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Abb. 5: Kantate-Treffen in Leipzig 1937. Vorne Mitte W. Baur. Aus: Börsenblatt 104 (1937) 5, S. 307. archie« in Form einer dreifach besetzten Verwaltungsspitze hin und sah dadurch die Effizienz der ohnehin eng begrenzten Kammerarbeit beeinträchtigt.78 Doch auch nach der im Februar 1936 erfolgten Demission Suchenwirths änderte sich am Antagonismus zwischen Kammer und Schrifttumsabteilung nichts. Der Propagandaminister selbst offenbarte allerdings auch erhebliche Defizite in seiner Personalpolitik. Der von ihm protegierte Wismann, der seit der nationalsozialistischen Machtübernahme die Fäden der staatlichen Literaturpolitik gezogen und in einer Verflechtung unterschiedlicher Ämter zusammengehalten hatte, musste im August 1937 aus dem Ministerium ausscheiden, weil er noch bis 1934 mit einer Jüdin verheiratet gewesen war und wegen seiner Unterhaltsverpflichtungen auch noch falsche Dienstreisekostenabrechnungen vorgelegt hatte. Von seinem Nachfolger Karl Heinz Hederich, der in Personalunion stellvertretender Leiter der Parteiamtlichen Prüfungskommission blieb, versprach sich Goebbels eine Vereinheitlichung der Tätigkeit der staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsbürokratien. Doch im Oktober 1938 musste Goebbels auch Hederich entlassen, weil er sich durch seinen Omnipotenzanspruch sowohl mit Amann und Rosenberg als auch mit mehreren Fachabteilungen innerhalb des Propagandaministeriums angelegt hatte. Der von Hederich begonnene personelle und inhaltliche Ausbau der ministeriellen Schrifttumsabteilung konnte zwar von seinem Nachfolger AlfredIngemar Berndt fortgesetzt werden. Doch wechselte dieser geltungssüchtige und fanatische Nationalsozialist,79 der rasch die wenig aussichtsreiche Situation der Schrifttums78 79

So die Wiedergabe von Äußerungen Suchenwirths im Schreiben Wismanns an Staatssekretär Funk vom 3. März 1936, hier S. 2 und 4, BArch R 56 I/137. Vgl. Bramsted: Goebbels und die nationalsozialistische Propaganda, S. 151 f. und Kriegspropaganda 1939 –1941, S. 75 –80.

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abteilung erkannt hatte, bereits im Herbst 1939 wieder in die Rundfunkabteilung. Erst unter Wilhelm Haegert, dem früheren Stabsleiter der Reichspropagandaleitung der NSDAP und bis 1937 Leiter der Abteilung »Propaganda« im Ministerium, trat ab der Jahreswende 1939/40 eine personelle Konsolidierung ein. Das »Sonderreferat Hinkel« in der Reichskulturkammer und im Propagandaministerium Neben der Schrifttumsabteilung gab es innerhalb des Propagandaministeriums noch eine weitere Abteilung, die zentrale Aufgaben auf dem Gebiet der Literaturpolitik wahrnahm. Nach seinem Wechsel aus dem Preußischen Kultusministerium wurde Hans Hinkel im Frühjahr 1935 durch Goebbels zu einem von drei Geschäftsführern der Reichskulturkammer ernannt.80 In diesem Zusammenhang erhielt er den ministeriellen »Sonderauftrag« zur »Überwachung und Beaufsichtigung der Betätigung aller im deutschen Reichsgebiet lebenden nichtarischen Staatsangehörigen auf künstlerischem und geistigem Gebiet«. Die konkrete Aufgabenstellung ist einem Geschäftsverteilungsplan zu entnehmen, der offiziell mit der Umwandlung des bisherigen »Sonderreferats« zu einer regulären Abteilung II A innerhalb des Propagandaministeriums am 1. April 1938 in Kraft trat.81 Die Leitung der neuen Abteilung wurde Hinkel übertragen, der zwar als Geschäftsführer der Reichskulturkammer ausschied, jedoch zusammen mit seinen bisherigen Mitarbeitern im Gebäude der Reichskulturkammer-Zentrale Am Karlsbad 10 untergebracht blieb.82 Bei Erich Kochanowski, Helmuth von Loebell, Gerhard Noatzke und Walter Owens, die seit dem 1. April 1936 im »Sonderreferat« der Reichskulturkammer arbeiteten und zu Beginn des Jahres 1939 in das Propagandaministerium übernommen wurden,83 handelte es sich um langjährige politische Weggefährten und persönliche Vertraute Hinkels. Sie alle waren schon vor 1933 Mitglieder der NSDAP und traten nach 1933 der SS bei. Das »Sonderreferat« ebenso wie die ihm folgende Abteilung des Propagandaministeriums kontrollierten den Ausschluss aller »nichtarischen« und »nichtarisch versippten« Mitglieder der Reichskulturkammer oder in Einzelfällen die Erteilung von »Sondergenehmigungen« – in enger Abstimmung mit dem SD-Hauptamt (ab 1939 Reichssicherheitshauptamt).84 Vor allem nahmen sie entscheidenden Einfluss auf die »Arisierung« der jüdischen Kulturunternehmen. In Absprache mit dem Sonderreferat III Z und der »Gruppe Buchhandel« der Reichsschrifttumskammer wurden jüdische Verlage, Buchhandlungen, Antiquariate und Leihbüchereien zum Verkauf oder zur Liquidation ihrer Geschäfte gezwungen. Eine begrenzte Anzahl von Verlagen und Buchvertrieben durfte in den Jahren 1937/38 unter der Bedingung weiterexistieren, dass sie sich auf Judaica und Hebraica für eine ausschließlich jüdische Kundschaft beschränkten. Nach dem Reichspogrom vom 9./10. November 1938 wurde auch dieser überschaubare und damit leicht kontrollierbare

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Vgl. zum Folgenden Dahm: Das jüdische Buch im Dritten Reich, Teil I (1979), Sp. 71 –99. Nachrichtenblatt des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (1938) 5, Bd. 6, S. 23, BArch R 55/435. Vgl. ebd. (1938) 9, S. 45. Vgl. ebd. (1939) 4, Bd. 7, S. 21, BArch R 55/436. Siehe dazu den Bericht betr. Besuch des SS-Oberführers Hinkel mit seinen Mitarbeitern im SD-Hauptamt am 28. September 1938, BArch R 58/984 Bl. 86 f.

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»Ghettobuchhandel«, der nach dem Vorbild des 1935 von Hinkel aufgebauten »Reichsverbands jüdischer Kulturbünde« funktionierte, liquidiert.85 Die politischen Einflussnahmen auf den deutschen Buchhandel blieben allerdings nicht auf das Propagandaministerium und die Reichsschrifttumskammer begrenzt. Mit der von Hitler geförderten Gründung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung verlor Goebbels im Mai 1934 die Zuständigkeit für das gesamte wissenschaftliche Büchereiwesen, für die fachliche Aufsicht über das Volksbüchereiwesen, für die Schülerbüchereien und das Schulbuchwesen. Max Amann, der Direktor des Eher Verlags, Reichsleiter für die Presse der NSDAP und Präsident der Reichspressekammer, bestimmte über seinen in Leipzig residierenden Zögling Wilhelm Abb. 6: Hans Hinkel Baur in ganz entscheidendem Maße die Buchhandelspolitik (1901 – 1960) in der Uniform eines SS-Brigadefüh- mit. Der Reichsführer-SS Heinrich Himmler schleuste Mitarbeiter des SD in die Kammerverwaltung ein. Dabei wurrers. BArch 183-570002. de er tatkräftig von Hanns Johst unterstützt, der im Oktober 1935 als Nachfolger des auf Druck der Gestapo hin zum Rücktritt gezwungenen Blunck an die Spitze der Reichsschrifttumskammer getreten war. Martin Bormann schaltete sich zunächst als Stabsleiter im Stab Stellvertreter des Führers, ab Mai 1941 dann als machtbewusster Leiter der Partei-Kanzlei der NSDAP immer wieder in die Literaturpolitik ein.86 Robert Ley, der Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Leiter der DAF, sabotierte zum einen die sozialpolitischen Maßnahmen der Kammer zur Besserstellung der Autoren, Buchhändler und Verleger; zum anderen betrieb er über die DAF-eigenen Verlagsunternehmen und über den während des Krieges in den besetzten Gebieten aufgebauten Frontbuchhandel eine von der staatlichen Schrifttumsbürokratie weitgehend unkontrollierte Politik.87 Die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums im Amt Rosenberg Der staatlichen Literaturpolitik zuwiderlaufende Sonderinteressen verfolgten auch die beiden wichtigsten parteiamtlichen Schrifttumsstellen. Die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums war aus der 1932 bestehenden »Buchberatungsstelle« der KfdKLandesleitung Franken in Nürnberg hervorgegangen. Da die Gründung und der Aufbau der Reichsstelle nur mit der finanziellen Unterstützung des Propaganda- und des Reichsinnenministeriums, des Börsenvereins sowie des Langen-Müller Verlags möglich gewesen waren, saß neben den langjährigen Kampfbund-Mitarbeitern Hans Hagemeyer, Rainer Schlösser und Hellmuth Langenbucher auch Wismann als Vertreter des Propagandamini85 86 87

Vgl. dazu im Einzelnen Fritsch-Vivié: Gegen alle Widerstände, S. 182 –188; Schoor: Vom literarischen Zentrum zum literarischen Ghetto, S. 367 –480. Siehe im Einzelnen Barbian: Literaturpolitik im NS-Staat, S. 179 –186. Vgl. Lokatis: Die Hanseatische Verlagsanstalt, S. 75 –146 und Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront, S. 266 –368.

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steriums in der Reichsführung.88 Erklärte Ziele der Reichsstelle waren die »Säuberung« des Buchmarktes von »entarteter« Literatur der »Systemzeit« und die Propagierung des »arteigenen deutschen Schrifttums«. An dieser Aufgabenstellung änderte sich prinzipiell nichts, als die Reichsstelle nach dem gescheiterten Vereinnahmungsversuch durch Wismann und der Streichung der Subventionen durch das Propagandaministerium verselbständigt werden musste. Im Juni 1934 wurde sie in die neu geschaffene Dienststelle Alfred Rosenbergs als »Beauftragter des Führers für die gesamte weltanschauliche Schulung und Erziehung der NSDAP« integriert und in Personalunion mit der Abteilung Schrifttumspflege (ab 1936 Amt/ab 1941 Hauptamt Schrifttum) bis zum Februar 1943 von Hagemeyer, danach von Bernhard Payr geleitet.89 Die Dienststelle verfügte 1940 über insgesamt 27 Mitarbeiter.90 Zu den hauptamtlich Angestellten gesellte sich noch ein ganzes Heer ehrenamtlich tätiger Mitarbeiter. Im Herbst 1934 wurden Gauschrifttumsbeauftragte und Kreisschrifttumsbeauftragte eingesetzt. Die Zahl der Hauptlektoren stieg zwischen 1934 und 1941 von 20 auf 50, die der Lektoren von rund 400 auf 1.400! Sie nahmen bis 1945 die wohl umfassendste Prüfung der gesamten deutschsprachigen Literatur vor.91 Die Ergebnisse lassen sich in der seit 1934 herausgegebenen Bücherkunde nachlesen, die bis 1944 in einer monatlichen Auflage von 8.000 Exemplaren erscheinen konnte.92 In diesem zentralen Organ der Schrifttumsstelle Rosenbergs wurden die grundlegenden literaturpolitischen Aufsätze zu Autoren, Verlagen und Trends des Buchmarktes veröffentlicht, das Institut für Leser- und Schrifttumskunde informierte über die Entwicklung des Volksbüchereiwesens, die Gutachten der Lektoren wurden in Auszügen vorgestellt, über interne Veranstaltungen und Schulungslehrgänge sowie über die großen öffentlichen Ausstellungen des Amtes Schrifttumspflege wurde berichtet. Ab November 1935 enthielt die Zeitschrift im Anhang den wöchentlich vom Zentrallektorat herausgegebenen Gutachtenanzeiger. Auf weißem Papier wurden darin positiv bewertete Bücher und Manuskripte »angezeigt«, auf rotem Papier solche, die negativ bewertet wurden, wobei noch einmal zwischen »empfohlen«, »bedingt empfohlen«, »nicht zu empfehlen« und »mit Einschränkung nicht zu empfehlen« unterschieden wurde.93

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Eine detaillierte Beschreibung der Entwicklung, der Aufgaben und personellen Zusammensetzung der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums e.V. aus dem Jahre 1933 findet sich in der Deutschen Bibliothek/Abteilung Leipzig (Sign. 1933 B 3809). Vgl. Payr: Das Amt Schrifttumspflege. Zu den genauen Umständen der Gründung des sogenannten Reichsüberwachungsamtes siehe Bollmus: Das Amt Rosenberg, S. 54 –85. Zahlenangabe im Organisationsplan der Dienststelle Rosenberg aus dem Jahre 1940, BArch NS 8/228 Bl. 77. Die Gutachten von Rosenbergs Schrifttumsstelle(n) wurden teilweise publiziert in der Zeitschrift Bücherkunde 1 (1934) –11 (1944). Die monatlich und jährlich herausgegebenen Gutachtenanzeiger, die positive oder negative Bewertungen zu Autoren, Büchern und Zeitschriften enthielten, waren hingegen »streng vertraulich« und nur für den internen Dienstgebrauch bestimmt. BArch NSD 16/27: Jahres-Gutachtenanzeiger 1936 –1940. Vgl. Veröffentlichungen der Dienststelle Rosenberg (Stand: ca. 1944), BArch NS 8/191 Bl. 205 f. Siehe dazu auch die Loseblattsammlung der positiven und negativen Gutachtenanzeiger für die Jahre 1935 –1938 in BArch NSD 16/32 –35.

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Allerdings gelang es dieser Parteidienststelle nicht, ihrer aufwändigen Tätigkeit eine ähnlich verbindliche Wirkung zu verleihen wie den Entscheidungen der staatlichen Behörden. Weder auf die Zulassung der auf dem Gebiet der Literatur tätigen Berufsgruppen noch auf die Buchzensur erlangte Rosenbergs Schrifttumsstelle jemals bestimmenden Einfluss. Trotz dieser Machtbegrenzung darf nicht übersehen werden, dass die weltanschaulich weitaus radikalere Literaturpolitik des Amtes Rosenberg die staatlichen Stellen durchaus in Legitimationsschwierigkeiten bringen konnte, was in zahlreichen Fällen zu Konzessionen führte. Auch hatten die Gutachten der Dienststelle Rosenberg nicht selten zur Folge, dass Lesungen politisch abgelehnter Autoren in den von der DAF unterhaltenen Freizeit- und Bildungseinrichtungen unterbunden oder bei der Gestapo Maßnahmen gegen politisch »unerwünschte« Schriftsteller, Verleger und Buchhändler eingeleitet wurden.94

Die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutz des nationalsozialistischen Schrifttums Die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums (PPK) sollte das seit 1933 auf den Markt drängende »Konjunkturschrifttum« über den Nationalsozialismus sichten und bewerten.95 Um den in der Parteizentrale in München weitgehend funktionslos gewordenen Reichsgeschäftsführer der NSDAP zu reaktivieren, schlug der geschäftstüchtige Max Amann vor, Philipp Bouhler zum Vorsitzenden der Kommission zu ernennen – mit dem Hintergedanken, dass die Publikationsflut zur NS-Bewegung eingedämmt und sämtliche Neuerscheinungen zu diesem Themengebiet in den Parteiverlag lanciert werden sollten.96 In der Anfangsphase kam die Prüfungskommission diesen Erwartungen auch durchaus nach. Am 16. April 1934 wurden die Verleger von Bouhler zur Vorlage von Manuskripten und Publikationen verpflichtet, die in irgendeiner Weise Bezug zum Nationalsozialismus hatten.97 Nach Fertigstellung des Gutachtens erteilte die PPK entweder einen »Unbedenklichkeitsvermerk«: »Gegen die Herausgabe dieser Schrift werden seitens der NSDAP keine Bedenken erhoben«; der Titel wurde dann in die von 1936 bis 1944 herausgegebene NS-Bibliographie aufgenommen, zur Anschaffung für die Parteibüchereien und zum Einsatz bei Schulungen empfoh-

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Eine umfangreiche Sammlung solcher kulturpolitischen Gutachten, die insbesondere für das Deutsche Volksbildungswerk auf Anfrage bestimmt waren, befindet sich in BArch NS 15/ 27 –33, 253 f., 256. 95 Die »Verfügung« wurde am 15. März 1934 von Heß unterzeichnet, nachträglich auf den 16. April 1934 datiert und erst am 21. April 1934 im Börsenblatt 101 (1934) 92, S. 367, veröffentlicht. Zu Datierung und Text siehe die Verleger-Mitteilungen der Parteiamtlichen Prüfungskommission. Rundschreiben 3, Berlin (7.12.)1938. Als Manuskript gedruckt. Verwendung nur für den internen Verkehr der Verlage mit der parteiamtlichen Prüfungskommission, hier A 1, S. 3 f. BArch NSD 2/14. Zu den folgenden Ausführungen siehe ebd. 96 Siehe das 6-seitige Schreiben Amanns an Bouhler vom 10. Dezember 1938, BArch NS 11/9. 97 Vgl. zum Folgenden die »Ausführungsbestimmungen des Vorsitzenden der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS.-Schrifttums […]«. In: Verleger-Mitteilungen, S. 5 f.

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len.98 Oder der »Unbedenklichkeitsvermerk« wurde verweigert, dann waren verschiedene Konsequenzen möglich: Eine Schrift konnte weiterhin erscheinen, erhielt jedoch keine parteiamtliche Förderung; die Veröffentlichung eines Manuskripts, das Erscheinen oder die Neuauflage eines Buches konnten von der Abänderung kritisierter Passagen abhängig gemacht werden; die Publikation konnte aber auch verboten werden.99 Von der Reichsschrifttumskammer wurde diese Zensurvollmacht durch eine Anordnung vom 16. April 1935 bestätigt, in der dem Buchhandel die weitere Verbreitung der von der PPK beanstandeten Schriften untersagt wurde.100 Am 12. Oktober 1934 ordnete die Bouhler-Kommission an, dass für die »Veröffentlichung von Darstellungen und Berichten über Veranstaltungen der NSDAP« der Abb. 7: Max Amann (1891 – Parteiverlag »allein zuständig« sei.101 Ausnahmen erfolg- 1957) in der Uniform eines ten nur »nach vorheriger Genehmigung« durch den Vor- SS-Gruppenführers. BArch sitzenden der PPK.102 Die Regelung wurde im Juli 1935 119-2186. dahingehend verschärft, dass die gesamte »Parteitag-Literatur« nur noch »im Einvernehmen« mit der PPK erscheinen durfte.103 Aufgrund einer Bekanntmachung Bouhlers vom 20. Oktober 1934 wurden die Parteidienststellen und ihre Gliederungen dazu verpflichtet, »sämtliche Verordnungen und Veröffentlichungen, soweit sie für den Vertrieb durch den deutschen Buchhandel bestimmt sind, im Parteiverlag erscheinen zu lassen«.104 Am 24. September 1935 gab Bouhler bekannt, dass außer dem Zentralverlag der NSDAP keinem anderen deutschen Verlag mehr das Recht zustand, die Reden und Schriften Hitlers »ganz oder auszugsweise zu veröffentlichen«.105 Die Überwachung dieser außerordentlich gewinnträchtigen Rechte oblag der PPK. Seit Juli 1936 mussten sogar Schriften, in denen Zitate aus Hitler-Reden

98 Siehe die für den Chef der Reichskanzlei angefertigte Zusammenstellung über die Aufgaben und Arbeitsweise der PPK, der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums und der Reichsschrifttumsstelle, BArch R 43 F 4222/Fiche 3, Bl. 58 – 64, hier Bl. 63. Siehe auch die Bekanntmachung Bouhlers vom 11. April 1935 über Art und Umfang der Arbeit der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS.-Schrifttums. In: Verleger-Mitteilungen, S. 15. 99 Vgl. Vermerk für den Chef der Reichskanzlei, BArch R 43 F 4222/Fiche 3, Bl. 63. 100 Vgl. Anordnung betr. Verbreitungsverbot der von der Parteiamtlichen Prüfungskommission beanstandeten Schriften vom 16. April 1935. In: Das Recht der Reichskulturkammer, II, S. 90 f. In seiner Bekanntmachung vom 11. April 1935, in Verleger-Mitteilungen, S. 15, wies Bouhler darauf hin, dass Verbote »nur in Ausnahmefällen erlassen [werden würden], wenn Art und Umstände ein solches Eingreifen unbedingt notwendig machen«. 101 Bekanntmachung Bouhlers vom 12. Oktober 1934. In: Verleger-Mitteilungen, S. 11. 102 Ebd., S. 12. 103 Bekanntmachung vom 11. Juli 1935. In: Verleger-Mitteilungen, S. 17. 104 Bekanntmachung vom 20. Oktober 1935. In: Verleger-Mitteilungen, S. 13. 105 Bekanntmachung vom 24. September 1935. In: Verleger-Mitteilungen, S. 19.

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enthalten waren, zur Prüfung vorgelegt werden.106 Mit dem Erscheinen der Nationalsozialistischen Bibliographie wurde im April 1936 auch noch die Herausgabe sämtlicher Verzeichnisse mit NSLiteratur auf den Eher Verlag begrenzt. Dass die Rechnung Amanns dennoch nicht aufging, die PPK vielmehr einen eigenständigen Kurs in der Literaturpolitik zu steuern begann, hängt mit einer für Bürokratien im Allgemeinen, für das nationalsozialistische Herrschaftssystem allerdings besonders typischen Reaktionsweise ihrer Entscheidungsträger zusammen: Einmal erworbene Kompetenzen und Verwaltungsapparate wurden gegen alle Widerstände nicht nur bewahrt, sondern sukzessive auszubauen versucht. Entscheidend für den stetig wachsenden Einfluss der PPK auf die nationalsozialistische Literaturpolitik war die Zensurvollmacht. Als »Nachzensur« ermöglichte sie Abb. 8: Philipp Bouhler (1899 – das Verbot bereits erschienener Schriften, dem die 1945) in der Uniform eines Gestapo mit Beschlagnahmung und Einziehung SS-Gruppenführers. BArch 146der Buchbestände zu entsprechen hatte. Im März 1983-094-01. 1941 bestätigte Hitler nach einem persönlichen Vortrag Bouhlers noch einmal ausdrücklich, dass die PPK genauso wie das Propagandaministerium unmittelbar bei der Gestapo Anträge auf die Beschlagnahmung bereits erschienener Bücher stellen durfte.107 Bei Büchern, die noch im Druck befindlich oder gerade erst neu erschienen waren, sollten die Anträge der Prüfungskommission auf Einziehung dann als genehmigt gelten, wenn das Propagandaministerium nicht innerhalb von drei Wochen Einspruch gegen den Antrag erhoben hatte. Die »Präventivzensur« konnte auf mehreren Wegen durchgesetzt werden. Zunächst waren die Verleger dazu verpflichtet, die Manuskripte von Büchern und Aufsätzen, die sich mit Fragen des Nationalsozialismus beschäftigten, bei der PPK zur Prüfung einzureichen. Zudem erhielt die Bouhler-Kommission ein Stimmrecht in dem 1941 vom Propagandaministerium eingesetzten Ausschuss zur Vergabe der Papierkontingente.108 Damit konnte sie über sämtliche Publikationsvorhaben von Verlagen mitentscheiden, was angesichts der zunehmenden Verknappung von Papier- und Einbandstoffen immer bedeutsamer wurde. 106 Vgl. Bekanntmachung vom 20. Juli 1936. In: Verleger-Mitteilungen, S. 25. Siehe dazu auch den Aufsatz des PPK-Mitarbeiters Köpke: Die Verwendung von Führerworten im Schrifttum. In: NSB 2 (1937), H. 3, S. I –VIII. 107 Vgl. Schreiben Bormanns an Lammers vom 10. März 1941, BArch NS 11/17, sowie die Wieterleitung dieser Information von Lammers an Goebbels vom 2. April 1941, ebd. 108 Vgl. Zusammenfassung über die Zuständigkeit der Parteiamtlichen Prüfungskommission vom 9. Mai 1942, BArch R 43 II/585 hier Bl. 59: 6.) »Arbeitsvereinbarung mit dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda«. Zur Mitwirkung der Bouhler-Kommission in dem Ausschuss siehe Hövel: Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels, B14.

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Darüber hinaus verstand es Bouhler, durch »Arbeitsabkommen« mit anderen Herrschaftsträgern auf staatlicher und parteiamtlicher Ebene seinen Einfluss auf die Literaturpolitik abzusichern und auszuweiten. Im Mai 1934 hatte Hans Frank, der Leiter des Reichsrechtsamtes der NSDAP, die PPK autorisiert, das Rechtsschrifttum, das »im Titel, in der Aufmachung, in Verlagsanzeigen oder auch in der Darstellung selbst als nationalsozialistisch ausgegeben« wurde, zu zensieren. 1939 erschien dazu eine von der PPK und dem Amt für Rechtsschrifttum gemeinsam erarbeitete Auswahlbibliographie, in der die seit 1933 erschienene Literatur zur »deutschen Rechtserneuerung« verzeichnet und »gewürdigt« wurde.109 Mit Himmler traf Bouhler eine gesonderte Absprache im Hinblick auf die Kommentare und Abhandlungen zum Polizeirecht sowie zum Schrifttum der SS. Aufgrund von Abkommen mit der Wehrmachtsführung konnte das Wehrschrifttum von 1935 bis zum Kriegsbeginn von der Bouhler-Kommission begutachtet werden. »Aus Gründen der Vollständigkeit«, aber auch wegen ihrer großen Verbreitung und kulturpolitischen Wirkung wurde auch die schöngeistige Literatur in die Prüfungstätigkeit einbezogen – und dies, obwohl sich, wie Hederich 1937 selbst zugeben musste, »bereits eine Reihe von Stellen mit diesem Schrifttum beschäftigt«.110 Nach einer Vereinbarung mit Göring vom Februar 1937 hatten die Verleger sämtliche Manuskripte und Publikationen, die »Probleme des Vierjahresplanes betreffen bzw. zur Darstellung bringen (Vierjahresplan-Schrifttum)«, der PPK zur Prüfung einzureichen.111 Auf der Grundlage eines Arbeitsabkommens mit dem Reichserziehungsministerium vom 14. Juli 1937 konnte sich die PPK mit dem gesamten wissenschaftlichen, erzieherischen und volksbildnerischen Schrifttum befassen.112 Dieses Aufgabengebiet wurde 1939 noch dahingehend erweitert, dass Dissertationen und auch Habilitationen zu Fragestellungen des Nationalsozialismus vor der Drucklegung vom Lektorat der PPK begutachtet wurden.113 1942 erschien dazu ein kommentiertes »[Auswahl-] Verzeichnis von Dissertationen und Habilitationsschriften«.114 Um die angeblich zunehmende »Gewinnsucht und Verflachung« sowie den Missbrauch durch »konfessionell-politische Gruppen« zu verhindern, zog die PPK ab 1935

109 Deutsche Rechtserneuerung (= NSB, Beiheft 3), BArch NSD 2/12. 110 Hederich: Zwei Jahre NS-Bibliographie. In: NSB 3 (1938), H. 1, S. I –XII, hier S. V f. 111 Zusammenfassung über die Zuständigkeit der Parteiamtlichen Prüfungskommission vom 9. Mai 1942, BArch R 43 II/585 Bl. 58. Siehe dazu auch die Bekanntmachung Bouhlers vom 25. März 1937, mitgeteilt durch den Leiter der Fachschaft Verlag in der RSK, betr. Prüfung des Schrifttums aus dem Arbeitsbereich des Generalfeldmarschalls Göring, insbesondre aus dem Bereich des Arbeitsgebietes des Vierjahresplanes. In: Verleger-Mitteilungen, S. 49. 112 Vgl. Bekanntmachung des zwischen Reichsminister Rust und Reichsleiter Bouhler getroffenen Arbeitsabkommens vom 14.10.[7.!]1937. In: Verleger-Mitteilungen, S. 31. 113 Vgl. Abschrift des Erlasses vom 20. Oktober 1939 betr. die Beteiligung der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums bei Dissertationen, BArch NS 11/10 Bl. 23 f. 114 Hochschulschrifttum (= NSB, Beiheft 4), BArch NSD 2/13. Dazu auch Patutschnik: Über den Wert der in den letzten Jahren erschienenen Doktordissertationen. In: NSB 1 (1936), H. 1, S. XVII –XXXII.

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die Überwachung der weit verbreiteten Kalenderliteratur an sich.115 1936 wurde dieses Arbeitsgebiet noch um Almanache und Jahrbücher aller Art sowie um Adress- und Anzeigenbücher erweitert.116 Die Prüfung dieser Publikationen sicherte der PPK beträchtliche Gebühreneinnahmen. Zudem boten die besonders auflagenstarken Volksund Heimatkalender die Möglichkeit zur propagandistischen Einflussnahme. So wurden die Kalenderverleger ab 1936 zur »Hereinnahme eines weltanschaulichen, kulturpolitischen oder allgemein-politischen Beitrags« gezwungen, der die »Leistungen des Nationalsozialismus« auf dem Spezialgebiet des jeweiligen Kalenders beschreiben sollte.117 Obwohl ihre Zahl mit Einführung der Papierkontingentierung drastisch reduziert wurde, durchliefen während des Krieges jährlich noch bis zu 700 Kalender das Lektorat der Prüfungskommission.118 Die PPK nahm auch entscheidenden Einfluss auf die wichtigsten deutschen Lexika.119 Seit 1938 kümmerte sich die PPK verstärkt um das Schul- und Unterrichtsschrifttum. Sie veröffentlichte gemeinsam mit dem NS-Lehrerbund und dem Rassenpolitischen Amt der NSDAP eine Auswahlbibliographie zum »Schrifttum über Familie, Volk und Rasse für die Hand des Lehrers und Schülers«.120 Im gleichen Jahr gab Bouhler unter dem Titel Kampf um Deutschland ein »Lesebuch« heraus, dessen Anschaffung durch einen »Erlass« des Reichserziehungsministers den Schülern der Volksschule ab dem achten Schuljahr, denjenigen der Mittel- und höheren Schulen ab der fünften Klasse zur Pflicht gemacht wurde.121 Im Oktober 1940 erhielt Bouhler von Hitler den Auftrag, die Lehr- und Lernbücher der Schulen im nationalsozialistischen Sinne umzugestalten.122 Auf dieser Grund-

115 Siehe die Bemerkungen zur Bekanntmachung Bouhlers vom 11. Juli 1935. In: VerlegerMitteilungen, S. 41/Fn. 1. Vgl. auch Finke: Die Kalenderliteratur im Rahmen des deutschen Schrifttums. In: NSB 2 (1937), H. 4, S. I –IV. 116 Vgl. Bekanntmachung der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS.-Schrifttums für die Prüfung der Adressbuch- und Kalenderliteratur und die Zusammenarbeit mit der beim Reichsverband des Adress- und Anzeigenbuchverlags-Gewerbes eingerichteten Beratungsstelle für das Anzeigenbuchwesen vom 12. März 1936. In: Verleger-Mitteilungen, S. 43 f. 117 Die zusammenfassenden Angaben zur Kalenderprüfung in den Verleger-Mitteilungen, S. 47 f., hier S. 48. 118 Zahlenangabe in: Kurzer Arbeitsbericht (1. September 1939 –April 1942), BArch R 43 II/ 585 hier Bl. 48. 119 Vgl. hierzu das Kap. 8.3 »Der Lexikonverlag« von Thomas Keiderling in diesem Band. 120 Schrifttum über Familie, Volk und Rasse für die Hand des Lehrers und Schülers, zusammengestellt und begutachtet vom NS.-Lehrerbund, Reichsfachgebiet Rassenfrage, und vom Rassenpolitischen Amt der NSDAP. Reichsleitung (= NSB, Beiheft 1), BArch NSD 2/10. 121 Vgl. Erlass vom 20. Juni 1938. In: Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 4 (1938), S. 309. Das Lesebuch für die Deutsche Jugend war »auf Veranlassung des Führers« zusammengestellt worden und im Zentralverlag der NSDAP, Berlin 1938, erschienen. Vgl. dazu auch Krüger: Das Schulbuch ein politisches Erziehungsmittel. In: NSB 3 (1938), H. 6, S. I –VIII. 122 Vgl. Abschrift eines Schreibens des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei an den Chef der Kanzlei des Führers der NSDAP vom 2. Oktober 1940, BArch NS 15/107.

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lage konnte er eine Reichsstelle für das Schul- und Unterrichtsschrifttum einrichten,123 die sich im Wesentlichen auf den Apparat der PPK und auf die Zusammenarbeit mit der Schrifttumsstelle des NS-Lehrerbundes und deren Gaustellen stützte. Die neue Reichsstelle begann, die Lehrerhandbücher, die Lern- und Lesebücher der Schüler sowie die allgemeinpädagogische Literatur zu sichten und in einem »Generalkatalog« zu erfassen.124 Den Schulbuchverlagen wurde die Abänderung beanstandeter Passagen zur Auflage gemacht. Gleichzeitig bemühte sich die Reichsstelle selbst um die Erarbeitung eines neuen Atlas, eines neuen Geschichts-, Lebenskunde- und Erdkundebuchs für die Volksschulen, neuer Lernbücher für die Hauptschule, einer neuen Reichskunde für Berufs- und Fachschulen sowie neuer Schulbücher für das »Protektorat Böhmen und Mähren«. 1941 führte die Reichsstelle in Zusammenarbeit mit dem NS-Lehrerbund eine »Säuberungsaktion« bei sämtlichen Schüler- und Lehrerbüchereien durch. Im Nachgang wurde 1942 von der Reichsstelle eine »Liste jüdischer und emigrierter Autoren« herausgegeben, die einen Überblick über die Literatur gab, die »vornehmlich in den Schüler- und Lehrerbüchereien vor der Machtübernahme eingestellt« worden war. Zwangsläufige Folge dieser Kompetenzerweiterungen war ein bis zum Kriegsbeginn ungestörtes Wachstum der haupt- wie nebenamtlich tätigen Mitarbeiter der PPK, so dass eine vierte umfangreiche Schrifttumsbürokratie entstand. In der Dienststelle, die im November 1934 von München nach Berlin verlegt worden war, arbeiteten im September 1939 unter dem Geschäftsführer Hederich insgesamt 127 Angestellte.125 Daneben bestand seit Februar 1935 eine »Bibliographische Auskunftsstelle« der PPK in der Deutschen Bücherei in Leipzig.126 Von ihr wurde mit Unterstützung des bibliothekarischen Fachpersonals das Material zur Nationalsozialistischen Bibliographie gesammelt.127 Darüber hinaus diente diese erste Außenstelle der PPK der Kontrolle der deutschen Verlagsproduktion im Hinblick auf ihren Zensurauftrag.128 An Außenstellen der PPK kamen 1938 Wien und 1940 Prag (mit Zuständigkeit für das »Protektorat Böhmen und

123 Vgl. Rundschreiben Nr. 1 des Reichsbeauftragten für das Schul- und Unterrichtsschrifttum an die Mitglieder des Reichsausschusses für das Schul- und Unterrichtsschrifttum vom April 1941, BArch NS 8/209 Bl. 61. 124 Vgl. Kurzer Arbeitsbericht (1. September 1939 –April 1942), B. Reichsstelle für das Schulund Unterrichtsschrifttum, BArch R 43 II/585 Bl. 53. Siehe auch die Stichworte zur Abgrenzung des Zuständigkeits- und Interessenbereiches der Reichsstelle für das Schul- und Unterrichtsschrifttum (o. D., ca. 1941/42), BArch NS 11/12. 125 Vgl. Die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums, BArch R 43 II/585 hier Bl. 44. 126 Vgl. Verfügung Bouhlers vom 26. Februar 1935 über die Errichtung einer Auskunftsstelle der PPK in der Deutschen Bücherei. In: Börsenblatt 102 (1935) 50, S. 158 f. Leiter dieser Stelle war von September 1935 bis zum 1. Juli 1936 Karl Helmut Patutschnik. Siehe BArch BDC/Partei Kanzlei Correspondence. 127 So die von Werner Rust, dem stellvertretenden Direktor der Deutschen Bücherei, am 7. April 1936 angefertigte Niederschrift über eine Besprechung mit Generaldirektor Heinrich Uhlendahl und Patutschnik vom 1. April 1936, S. 1. DB-Archiv Nr. 611 –613. 128 Entsprechend lautete auch die Geheime Arbeitsanweisung für die Leipziger Dienststelle im »A-Fall« zu »Organisation und Aufgabenbereich der PPK« (o. D., ca. 1937), hier Pkt. 2a., BArch NS 11/5.

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Mähren« und für das »Generalgouvernement«)129 hinzu. Während des Krieges wurde der Apparat der PPK auf 60 Mitarbeiter verkleinert.130 Sie verfügte jedoch auch dann noch über mehr als 500 Außenlektoren für die Erstellung von Gutachten.131

Geheime Staatspolizei und Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS Die Liste der Parteidienststellen, mit denen sich die staatliche Schrifttumsbürokratie auseinandersetzen musste, ist damit noch längst nicht abgeschlossen. NS-Lehrerbund, Reichsjugendführung, Reichsfrauenführung, Reichsrechtsamt, Reichsnährstand und Rassenpolitisches Amt leisteten sich jeweils eigene Abteilungen oder Lektorate für Literatur.132 Von zentraler Bedeutung für die Literaturpolitik des NS-Staates waren die zum Machtbereich Himmlers gehörende Geheime Staatspolizei und der SD. Die Rolle der Gestapo als literaturpolitische Kontrollinstanz kam zunächst beim Verbot und der Beschlagnahmung von Büchern zum Tragen, die bis 1945 auf der Grundlage der Notverordnungen des Reichspräsidenten vom 4. und 28. Februar 1933 erfolgten. Anfänglich agierte die Gestapo noch im Auftrag der fortbestehenden Reichsländer, ab 1936 dann auf unmittelbare Anweisung des Reichsführers-SS und Chefs der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern. Mit dem § 29 der Ersten Durchführungsverordnung zum Reichskulturkammer-Gesetz vom 1. November 1933 wurden die Polizeibehörden auch zu Vollzugsorganen der Einzelkammern. Das Gestapa und die Stapo(leit)stellen gaben auf Antrag der Einzelkammern allgemeine politische Auskünfte zu Kammermitgliedern oder politisch-polizeiliche Gutachten für die Bearbeitung von Aufnahmeanträgen und Ausschlussverfügungen. Auch vor Auslandsreisen von Kammer-Mitgliedern wurde die Gestapo grundsätzlich um eine Stellungnahme gebeten. Seit der »Anordnung des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer über schädliches und unerwünschtes Schrifttum« vom 25. April 1935 hatten das Geheime Staatspolizeiamt und in dessen Auftrag die Staats-Polizei(leit)stellen die Beschlagnahmung und Einziehung der indizierten Bücher sicherzustellen. Zu diesem Zweck wurden Zwischen- und Sortimentsbuchhandlungen, Antiquariate, Leihbüchereien, Geschäfte von Buchgemeinschaften und in Einzelfällen auch Privatbibliotheken von Zeit zu Zeit auf Verbotsliteratur hin durchsucht. Darüber hinaus wurden die Polizeibehörden mit der Ausführung der »formlosen« Buchverbote des Propagandaministeriums, der Verbotsanordnungen der Parteiamtlichen Prüfungskommission und mit der Überwachung der Einfuhr verbotener Literatur be-

129 Vgl. Schreiben Bouhlers an Rosenberg vom 7. Mai 1940, BArch NS 8/209 Bl. 89 f. Darin begründete Bouhler die Errichtung einer Außenstelle in Prag mit der Notwendigkeit zur »besondere[n] Beachtung« des tschechischen Erziehungs- und Unterhaltungsschrifttums sowie zur »Ausschaltung der durch das Benesch-System großgezüchteten politischen Vorstellungswelt« (Bl. 90). 130 Vgl. Die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums, BArch R 43 II/585 hier Bl. 44: 25 männliche und 35 weibliche Angestellte (Stand: Mai 1942). 131 Vgl. Kurzer Arbeitsbericht, BArch R 43 II/585 Bl. 47: 692 Außenlektoren, von denen sich im Mai 1942 165 im Wehrdienst befanden. 132 Vgl. dazu im Überblick Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«, S. 345 –364. Ergänzend Josting: Der Jugendschrifttums-Kampf des Nationalsozialistischen Lehrerbundes.

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traut.133 Die Gestapo setzte vor Ort auch die Schließung der von der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossenen jüdischen Verlage, Buchhandlungen und Leihbüchereien durch. Im Gegensatz zur Gestapo verfügte der Sicherheitsdienst der SS zunächst über keine gesetzlichen Exekutivbefugnisse. Auch innerhalb der NSDAP war der 1931 zum Schutz der Partei-Führer gegründete SD keineswegs unumstritten. Erst am 9. Juni 1934 wurde er vom Stellvertreter des Führers zum alleinigen Nachrichtendienst der NSDAP erklärt.134 Im November 1938 wurde diese Monopolstellung innerhalb der Partei von Reichsinnenminister Frick auch für die staatlichen Behörden übernommen. Im Januar 1935 avancierte das SD-Amt zu einem Hauptamt der SS und siedelte von München nach Berlin in die Wilhelmstraße 102 über. Hauptaufgabe des SD war in erster Linie die Erforschung der »Ideen«, die in Opposition zur Weltanschauung der NSDAP standen. In diesem Zusammenhang erhielt die Auswertung von Presse- und Buchpublikationen eine wichtige Funktion. Seit Juni 1934 wurde daher in der Deutschen Bücherei in Leipzig eine eigene Schrifttumsstelle des SD unter der Leitung von Wilhelm Spengler aufgebaut.135 Dadurch erhielt der SD direkten Zugriff auf die Verfasser-, Verlags-, Sach- und Zeitschriftenkartei, die von den Bibliothekaren mit großer Sorgfalt aufgebaut worden waren und anhand der Neuzugänge laufend aktualisiert wurden. Die Reichskulturkammer kam dieser Arbeit entgegen, indem sie mit einer Anordnung vom 20. September 1935 die Verleger zur Ablieferung jeweils eines Exemplars der von ihnen herausgegebenen Druckschriften an die Deutsche Bücherei »spätestens innerhalb einer Woche« nach Erscheinen verpflichtete. Zu einer systematischen Schrifttumsarbeit des SD kam es nach dem Ausbau der Hauptabteilung Presse und Schrifttum im SD-Hauptamt, in die Spengler und seine Mitarbeiter am 1. April 1936 wechselten. In der neuen, von Franz Alfred Six geleiteten Hauptabteilung wurde eine »wissenschaftliche Zentralbibliothek für das gesamte politisch unerwünschte Schrifttum« aufgebaut.136 In diesem Zusammenhang erhielten die SD-Oberabschnitte den Auftrag, die von den Stapostellen und den Politischen Polizeien der Länder beschlagnahmten »Bestände an Büchern, Broschüren und sonstigen Druckschriften« zu sichten und die ausgesonderten Materialien nach Berlin zu schicken. Ab 1937 wurden auf Anordnung von Six die Publikationen der als Gegner der NS-Ideologie erfassten Personen in die Berichterstattung der Referenten des SD-Hauptamtes einbezogen.137 Für »Literaturzusammenstellungen, Buchbeschaffung und besonders dringende Buchberichte« konnten die »Verbindungsstelle« des SD in Leipzig und die Preußische Staatsbibliothek in Berlin herangezogen werden. Als Orientierungshilfen 133 Siehe dazu den Runderlass der Stapoleitstelle Düsseldorf vom 11. März 1941 betr. Einfuhr französischen Schrifttums, HStA Düsseldorf RW 18/31 Bl. 23. 134 Vgl. die Anordnung des Stellvertreters des Führers bei Buchheim: Die SS, S. 63 f. 135 Vgl. dazu im Einzelnen Schroeder: »… eine Fundgrube der Schrifttumsinformation«, S. 116 – 151. Wilhelm Spengler (1907 –1961): Promotion 1931 an der Universität Leipzig mit einer Studie über »Das Drama Schillers und seine Genesis«. Siehe hierzu und zum Folgenden den Lebenslauf vom 13. Juli 1936, BArch BDC/SS/Spengler, W. sowie ebd. den Vermerk des RSHA/Abt. I A 5 vom 14. Oktober 1943. 136 Rundschreiben des Gestapa (II 2 J) an alle Staatspolizeistellen vom 22. Januar 1936 betr. Erfassung des beschlagnahmten und unerwünschten Schrifttums in einer wissenschaftlichen Zentralbibliothek des SD, HStA Düsseldorf RW 36/30 Bl. 17. Vgl. auch Hachmeister: Der Gegnerforscher. 137 Vgl. Interne Anweisung von Six betr. Einbau des Schrifttums in die Berichterstattung (o. D., 1937), BArch R 58/544 Bl. 63 f.

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wurden im März 1937 im Auftrag des Reichsführers-SS und Chefs des SicherheitsHauptamtes für den internen Dienstgebrauch drei »Leithefte« herausgegeben. Das »Leitheft Schrifttumswesen und Schrifttumspolitik« gab einen Überblick über die politische, ästhetische, rechtliche und ökonomische Entwicklung der deutschen Literatur vor 1933.138 Damit sollten die »Krankheitsherde und gegnerischen Strömungen« aufgezeigt werden, »die heute noch nicht ganz überwunden sind«. Im zweiten Teil wurden die Kompetenzen, das Personal und die Tätigkeit der nach der nationalsozialistischen Machtübernahme aufgebauten staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsstellen detailliert vorgestellt. Das »Verbotswesen« wurde in einem Anhang noch einmal besonders erläutert. Als »Aufgaben und Möglichkeiten des Sicherheitsdienstes in der Schrifttumsüberwachung« wurden zunächst die »unmittelbare Schriftenbearbeitung« genannt, die mit Hilfe der Deutschen Bücherei als »Materialquelle« unmittelbar vom SD-Hauptamt geleistet werden konnte. Die Auswertung des Schrifttums sollte dabei »politisch in Bezug auf den Autor«, »verlagspolitisch« und »sachpolitisch in Bezug auf die großen politischen Zusammenhänge« erfolgen. Bei der zweiten Aufgabe, der »Erörterung über die persönlichen Lebensumstände der Autoren und [!] Schriftsteller«, über die »inneren politischen Verhältnisse in Verlagen« und über »sämtliche Organisationen, Firmen des deutschen Buchwesens überhaupt«, war das SD-Hauptamt auf die Zuarbeit aus den Oberabschnitten und Außenstellen angewiesen. Der SD sollte allerdings nicht nur als Lieferant von Informationen für die Schrifttumsstellen von Staat und Partei dienen. Da die bisherige nationalsozialistische Schrifttumsorganisation »verzweigt und letztlich uneinheitlich« strukturiert sei, sah der SD seine Chance darin, »sich konsequent und geschlossen mit dem gesamten negativ zu wertenden Schrifttum« zu beschäftigen. Als zukünftige Betätigungsfelder wurden die »Reinigung der Großantiquariate von staats- und volksschädlicher Literatur«, der »Abschluss der Entjudung des Buchhandels und Verlagswesens« sowie die »Umgestaltung des deutschen Kommissionsbuchhandels« benannt. Das »Leitheft Verlagswesen« informierte über die Entwicklung des Verlagsrechts vor und nach 1933, die inhaltliche Ausrichtung von Verlagen und die Entwicklung des deutschen Verlagswesens vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart.139 Von den rund 5.000 Verlagen sollten drei- bis vierhundert durch den SD systematisch überwacht werden. Gegenstand der Beobachtung sollte zum einen die »Schrifttumsproduktion« sein, die über das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, das »Tägliche Verzeichnis der Neuerscheinungen«, die »Verlagskartei der Deutschen Bücherei« und die dort geführten Bibliographien ermittelt wurde. Zum anderen sollten Verbindungsmänner aus den Verlagen selbst, aus der NSDAP, der Gestapo, der DAF und der Reichsschrifttumskammer die Beobachtung der »inneren Verlagsvorgänge« übernehmen. Auf diese Weise sollte »ein einheitliches, der tatsächlichen Lage entsprechendes Urteil über einen Verlag« gewonnen werden, das der Exekutive »als brauchbare Grundlage« für ihre Schrifttumsarbeit dienen konnte. Ziel der Ermittlungen war, »Pläne, soweit sie SD-mäßig wichtig sind, bereits vor ihrer Durchführung aufzudecken und zu vereiteln«. Denn das »staatliche Einschreiten gegen bereits von den Verlagen vollzogene Veröffentlichungen oder sonstige volks- und staatsschädlich[e] Aktionen« habe sich »eher propagandistisch als nachteilig für diese Verlage ausgewirkt«. 138 Vgl. BArch R 58/1106. 139 Vgl. BArch R 58/1107.

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Das »Leitheft Buchhandel« ging auf die berufsständische Organisation des Buchhandels, die Buchwirtschaft, den Aufbau der Buchlager, das Bestellwesen, die bibliographischen Hilfsmittel, den Antiquariatsbuchhandel, die Organisation des Buchhandels im Ausland und die politische Bedeutung des Buchhandels ein.140 Auf diesem Gebiet sollte der SD »unerwünschte Elemente« ermitteln und deren Entfernung aus dem Berufsstand bei der Kammer und beim Propagandaministerium anregen. Daneben hielt der SD die laufende Überwachung der Buchhandlungen und Antiquariate im Hinblick auf »schädliches und unerwünschtes Schrifttum« für unbedingt erforderlich, nachdem bei einer »Durchsuchungsaktion« im Herbst 1936 noch große Mengen an verbotener Literatur beschlagnahmt werden mussten. Da die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« für die Verleger und Buchhändler nicht zugänglich war, der Antiquariatsbuchhandel »immer wieder mit großen Mengen verbotenen Schrifttums aus Privatbibliotheken überschwemmt« wurde und der Kommissionsbuchhandel aufgrund unzureichender Zollkontrollen von ausländischen Verlagen mit »volks- und staatsfeindlichem Schrifttum« beliefert werden konnte, erschien dem SD die regelmäßige Wiederholung solcher Durchsuchungsaktionen angebracht. Bereits im Juni 1936 hatte der SD einen ersten, 79 Seiten umfassenden »Sonderbericht« über die »Zersetzung der nationalsozialistischen Grundwerte im deutschsprachigen Schrifttum seit 1933« vorgelegt.141 Er stellte eine Zusammenfassung der Erkenntnisse dar, die Spengler seit 1934 bei der Durchsicht der in- und ausländischen Neuerscheinungen in der Deutschen Bücherei gesammelt hatte. Nach dem sogenannten »Funktionserlass«, durch den die bislang sich überschneidenden Aufgaben der Gestapo und des SD am 1. Juli 1937 voneinander getrennt wurden, verlagerte der SD den Schwerpunkt seiner Arbeit von der Überwachung einzelner politischer Gegner und Gegnergruppen auf die Ermittlung von Informationen aus allen relevanten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und die Analyse der Stimmungslage in der Bevölkerung.142 Die Nachrichten über aktuelle Entwicklungen im Schrifttumswesen wurden zu einem festen Bestandteil der »Berichte zur innenpolitischen Lage« (ab 8. Dezember 1939 fortgeführt als »Meldungen aus dem Reich«, von Juni 1943 bis Juni 1944 als »SD-Berichte zu Inlandsfragen«). Sie wurden vom SD-Inland regelmäßig für den Reichsführer-SS, die Führung des Staates und der NSDAP herausgegeben. Bei der Durchsicht dieser Berichte fällt auf, wie detailliert der SD sowohl über das kulturelle Leben im Allgemeinen als auch über das literarische Leben und den deutschen Buchhandel im Besonderen informiert war.143 Das über das gesamte Reich verteilte und gut organisierte Netz aus Oberabschnitten, Abschnitten und rund 30.000 V-Leuten versorgte die SD-Zentrale mit solchen Informationen. Darüber hinaus war es dem SD aber auch gelungen, eine Reihe von Mitarbeitern der Reichsschrifttumskammer für eine informelle Zusammenarbeit zu gewinnen. So unterhielt Hanns Johst enge persönliche Kontakte zu Heinrich Himmler.144 Bis 1942 stieg der Partei-Schriftsteller und Kammer-Präsident zum SS-Gruppenführer, der 140 141 142 143

Vgl. BArch R 58/1108. BArch R 58/234. Siehe im Einzelnen Buchheim: Die SS, S. 59 –66. Siehe dazu Meldungen aus dem Reich 1938 – 1945 sowie im Einzelnen Triebel: Die »Meldungen aus dem Reich« als buchhandelsgeschichtliche Quelle. 144 Vgl. BArch BDC/SS/Johst, H. Vgl. auch Düsterberg: »Der Barde der SS«, S. 287 –321.

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dritthöchsten Position in der Ordens-Hierarchie, auf. Die Durchsetzung der Kammer-Verwaltung mit SS-Angehörigen war auf diese Verbindung zurückzuführen. Im April 1936 wurde Herbert Menz, seit September 1934 für den SD-Oberabschnitt Südost tätig und von Heydrich ursprünglich als Geschäftsführer für die Reichsschrifttumsstelle im Propagandaministerium vorgesehen,145 nach einem Eignungsgespräch beim Reichsführer-SS als »rechte Hand« von Johst in die Kammer übernommen.146 In dieser Funktion hielt er seinen Vorgesetzten über alle wesentlichen Personalien und Sachentscheidungen auf dem Laufenden. Als Referent für die »Überwachung des Buchmarktes und der Büchereien auf unerwünschte Literatur« konnte Menz den SD bis zu seinem Ausscheiden aus der Kammer im Herbst 1938 mit Informationen über die »Bearbeitung von Buchverbotsanträgen«, die »Unterdrückung unerwünschter Literatur im Bereich der Kammer« sowie die »Führung und Ergänzung der Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« versorgen.147 Wilhelm Ihde, Geschäftsführer der Kammer in den Jahren 1937 bis 1944, und Günther Gentz, von 1934 bis 1945 Justiziar der Kammer und stellvertretender Geschäftsführer, gehörten ebenfalls der SS an.148 In der »Gruppe Schriftsteller« fungierte Hugo Linhard, der seit Januar 1933 für den SD arbeitete, als Verbindungsmann zum SD-Hauptamt.149 Linhard verfügte aufgrund seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Reichsverbands Deutscher Schriftsteller über genaue Kenntnisse der deutschen Literaturszene. Im Oktober 1935 zählte er zu den wenigen Mitarbeitern aus der Verwaltung des aufgelösten Reichsverbands, die in die Kammer übernommen wurden. Hier bearbeitete er bis 1937 die Aufnahmeanträge, die Ausschlussverfahren, die »Nichtarierfrage« und die Schriftstellerkartei. Informant des SD-Hauptamtes war auch Karl Thulke. Zu ihm merkte ein interner Personalbericht des SD-Hauptamtes aus dem Jahre 1938 an, dass er »durch seine Stellung entscheidend zur Säuberung und nationalsozialistischen Ausrichtung des deutschen Buchhandels beigetragen« habe.150 Über den Geschäftsführer der »Gruppe Buchhandel« in Leipzig sei »eine laufende Unterrichtung über die Planungen und Verordnungen auf dem Gebiet des Buchhandels« erfolgt. »Bei seinen Aufenthalten in Berlin war es auch möglich, jeweils Einzelfälle zu besprechen und zu klären«. Ebenso zufriedenstellend hieß es im Personalbericht des Jahres 1940, dass sich »im Laufe des letzten Jahres eine ganze Reihe von wichtigen Anordnungen [hatten] durchsetzen lassen, die der weiteren Bekämpfung des Gegners im Gebiet des Schrifttums dienen«. Thulke fasse seine Tätigkeit so auf, dass er »nationalsozialistische und SS-mäßige Grundsätze und Gesichtspunkte in seinem Tätigkeitsbereich kompromisslos durchsetzt. Seine Arbeit ist für die Schrifttums145 Vgl. Schreiben Heydrichs (als Chef des SD-HA) an die Chefadjutantur des RF-SS vom 11. Januar 1936, BArch BDC/SS/Menz, H. 146 Vgl. Aktenvermerk über den Empfang von Menz bei Himmler am 5. Februar 1936, BArch BDC/SS/Menz, H. 147 Am 1. Februar 1936 war Menz »zur besonderen Verwendung« zum SD-Hauptamt versetzt worden. Mitteilung des SHA-Chefs I 112 an die Zentralabteilung I 4 vom 13. Februar 1936, BArch BDC/SS/Menz, H. 148 Siehe die beiden Personalakten in BArch BDC/SS. 149 Vgl. BArch BDC/SS/Linhard, H. 150 BArch BDC/SS/Thulke, K.: gehörte seit September 1933 der SS an und war am 21. Februar 1936 zum SD versetzt worden; 1938 SS-Untersturmführer, 1940 SS-Obersturmführer, 1941 Hauptsturmführer.

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bearbeitung im Reichssicherheitshauptamt von besonderem Wert«. Thulkes Tätigkeit für den SD erfolgte mit Kenntnis und Unterstützung seines unmittelbaren Vorgesetzten Wilhelm Baur, der 1938 ebenfalls in die SS aufgenommen wurde.151

Die »Zentrale der Frontbuchhandlungen« und die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges avancierte schließlich auch noch die Wehrmacht zu einem einflussreichen Akteur auf dem deutschen Buchmarkt. Am 4. September 1939 wurde die Zentrale der Frontbuchhandlungen gegründet.152 Es war Eberhard Heffe, der umtriebige Direktor der DAF-Verlagsunternehmen, der das enorme Potential eines neu entstehenden Buchmarktes erkannte, und es war das Oberste Kommando der Wehrmacht (OKW), das sich als mächtiger Kooperationspartner einbrachte. Die Wehrmacht stellte zum einen das – in der Regel aus Buchhändlerkreisen rekrutierte – Personal für die rund 300 ortsfesten Frontbuchhandlungen und die zu »Frontbuchwagen« ausgebauten Omnibusse, die seit 1940 in Polen, Frankreich, Belgien, Norwegen und an der Ostfront zum Einsatz kamen. Zum anderen stimulierte dieses neue Absatzgebiet die Buchproduktion der Verlage für die Wehrmacht. Während in der Anfangsphase noch normale Buchausgaben über die Frontbuchhandlungen vertrieben wurden, stieg ab 1940 die Anzahl von besonderen Feldpostausgaben, Frontbuchhandelsausgaben und von Büchern, die ausschließlich für die Versorgung der Wehrmacht mit Lesestoff hergestellt wurden, kontinuierlich an. Damit war eine grundlegende Verschiebung der Verlagsproduktion eingeleitet, die sowohl zu Lasten derjenigen Verlage ging, die in diesen neuen Markt nicht einbezogen wurden, als auch zu Lasten des Sortimentsbuchhandels, der vom Vertrieb dieser in sehr hohen Auflagen vertriebenen Bücher weitgehend ausgeschlossen blieb. Die zum 1. Juni 1942 vom Reichsminister für Bewaffnung und Produktion angeordnete Aufteilung der Papierbewirtschaftung führte zu einer weiteren Trennung der Märkte. Die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels durfte nun nur noch »Bedarfsdeckungsscheine« ausstellen, während das Oberkommando der Wehrmacht, das Oberkommando des Heeres, die Kriegsmarine und die Luftwaffe ihre Vorräte eigenständig über »Papierschecks« verteilen konnten.153 Da Aufträge der Wehrmacht als kriegswichtige Maßnahme bevorzugt behandelt wurden und das OKW ebenso wie die einzelnen Heeresteile durch die Ausbeutung der besetzten Gebiete noch bis zur Jahreswende 1944/45 über riesige Papiervorräte verfügen konnten, drängten immer mehr Verlage auf diesen Markt. So waren allein an der Herstellung der Feldpostausgaben nicht weniger als 71 Verlage beteiligt.154 Die Wehrmacht trat zunehmend auch als direkter Auftraggeber von Verlagen oder selbst als Verleger auf.155 Darüber hinaus veröffentlichten die Luftwaffe, die Kriegsma151 Vgl. BArch BDC/SS/Baur, W.: 1922 – 1923 und 1928 –1930 SA-Mitglied; SS-Standartenführer ab 1. Juni 1938, 30. Januar 1945 SS-Oberführer. 152 Vgl. Mitteilung von Wilhelm Baur an den deutschen Buchhandel betr. die Gründung von Frontbuchhandlungen. In: Börsenblatt 106 (1939) 242, S. 689. 153 Siehe Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel, S. 14 f.; Bertelsmann im Dritten Reich, S. 466 – 472. 154 Vgl. im Einzelnen Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel, S. 119 –124. 155 Vgl. zum Folgenden vor allem Bühler/Kirbach: Wehrmachtsausgaben; Bühler/Bühler: Wehrmacht als Verleger; Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel, S. 184 –231.

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rine und sogar einzelne Divisionen sowohl Heftreihen als auch Einzelausgaben. Mit der Einführung der »Wehrmachtspapierschecks« war allerdings ein weiteres, aufwändiges Genehmigungsverfahren für Papier verbunden. Zunächst entschieden die »kontingentverwaltenden« Abteilungen im OKW, beim Oberkommando des Heeres, bei der Kriegsmarine und bei der Luftwaffe, ob und im Falle der Befürwortung in welcher Menge aus grundsätzlichen Erwägungen für einen Auftrag Papier bereitgestellt werden durfte.156 Danach mussten sowohl das OKW als auch das Propagandaministerium ein inhaltsbezogenes Gutachten abgeben und die Genehmigung für jeden Einzelfall erteilen. In diesem Kontext rückte Jürgen Eggebrecht in eine Schlüsselstellung für Verleger und Schriftsteller.157 Seit Februar 1940 und bis zum Ende des Krieges war Eggebrecht als Kriegsverwaltungsrat im Rang eines Majors zuständig für die Vorzensur aller Buchpublikationen des OKW. In dieser Funktion konnte er in Einzelfällen gegen das Votum des Propagandaministeriums oder der Reichsschrifttumskammer die Veröffentlichung von Büchern regimekritischer Autoren als Wehrmachtsausgaben ermöglichen.158 1944 gründete Eggebrecht mit Unterstützung des OKW einen eigenen Verlag, der die bislang von der Zentrale der Frontbuchhandlungen hergestellte Buchproduktion übernehmen sollte.159 Bereits für das erste Jahr war die Produktion von rund 10 Millionen Bänden geplant. Noch im April 1945 wurden der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels sämtliche Papiervorräte entzogen, so dass »in Zukunft der Verlag in der Hauptsache nur noch mit Wehrmachtlieferungen rechnen« konnte.160

3.3

Die »Arisierung« des deutschen Buchhandels

Die Entscheidung des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler, die antisemitischen Vorschriften der Reichspressekammer zu übernehmen und von jedem Antragsteller ebenso wie von den bereits registrierten Kammer-Mitgliedern die Vorlage von »Abstammungsnachweisen« bis zum Jahr 1800 zu verlangen, traf seit dem Frühjahr 1935 eine große

156 Zur praktischen Handhabung siehe Bühler/Simons: Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas, S. 44 –51. 157 Siehe hierzu und zum Folgenden BArch BDC/RSK/Eggebrecht, Jürgen (1898 –1982): 1928 – 1933 Lektor für die Deutsche Verlags-Anstalt; erste Gedichtveröffentlichungen in der Anthologie Junge deutsche Lyrik (Reclam, 1928) und im Rundfunk, Übersetzung von Gefahr voraus! Aufzeichnungen eines Malers von Maurice de Vlaminck aus dem Französischen (DVA, 1930); 1933 gab er Werner Beumelburgs Weltkriegsroman Sperrfeuer um Deutschland (1929) als Jugendbuch im Verlag Gerhard Stalling heraus, dessen Hauptlektor er 1935 wurde; im Stalling Verlag erschien 1937 auch eine Biografie Eggebrechts über den Bestsellerautor. 158 Vgl. Lange: Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg, S. 22; Schaefer: Auch wenn Du träumst, S. 286 f.; Wallrath-Janssen: Der Verlag H. Goverts, S. 343 –347 und S. 377 f.; Denk: Zensur der Nachgeborenen, S. 382 –388. 159 Vgl. Bericht von Goverts vom 4. März 1944 über eine Besprechung mit Eggebrecht in Weimar. Zitiert nach Wallrath-Janssen: Der Verlag H. Goverts, S. 346. 160 Besprechung mit Herrn Wülfing am 4. April 1945 betr. Bücherbezüge der Wehrmacht, StAL BV/792 Bl. 105.

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Anzahl von Verlegern und Buchhändlern.161 Das Ziel der Verschärfung der Berufszulassung war die Ausschaltung sämtlicher im deutschen Buchhandel tätigen Juden. Am 18. Mai 1935 kündigte Wilhelm Baur auf der konstituierenden Sitzung des Gauausschusses des BRB an, dass nun die »Aufforderung zum Geschäftsverkauf oder zur Liquidation in Kürze an die Nichtarier versandt« werden sollte.162 Während die Vertreter des Börsenvereins und des Bundes damit keine Schwierigkeiten hatten, regte der damalige KammerGeschäftsführer Gunther Haupt immerhin noch an, vor Absendung eines Ausschlussschreibens die im Buchhandel tätigen »Nichtarier« durch informelle Gespräche der Gauund Ortsgruppen-Obleute des BRB dazu zu bewegen, ihre Geschäfte von sich aus aufzugeben. In jedem Fall sollten mit Unterstützung der Parteidienststellen und Polizeibehörden »Übergriffe unzuverlässiger Leute« vermieden werden. Baur wollte zwar »nicht in erpresserischer Weise« vorgehen, allerdings musste den »Nichtariern« unmissverständlich deutlich gemacht werden, dass sie »im Buchhandel nichts mehr zu suchen haben«. Zu diesem Zeitpunkt zählte der BRB immerhin noch 619 jüdische Mitglieder, darunter allein 200 Verleger.163 Deren Ausschluss sollte so abgewickelt werden, dass »keine Vernichtung wirtschaftlicher Werte und keine Störungen der Auslandsbeziehungen entstehen« durften.164 Diese Doppelstrategie war aber, wie Wismann seinem Minister am 27. Mai 1935 darlegte, »nur Schritt für Schritt« und in der Form realisierbar, dass »das nichtarische Kapital durch den Einsatz von arischem abgelöst wird«. Dieses Verfahren war bereits bei der »Arisierung« des Ullstein-Konzerns angewendet worden.165 Ein weiterer prominenter Fall war der S. Fischer Verlag. Bereits im März 1935 hatte sich Gottfried Bermann Fischer, der wohl durch die ungestümen Kaufabsichten des Münchner Verlegers Hugo Bruckmann aufgeschreckt worden war, persönlich »in die Höhle des Löwen« begeben, um über eine »Arisierung« seines Verlags zu verhandeln.166 Bei seinem Gesprächstermin im Propagandaministerium war der Leiter der Schrifttumsabteilung zum Erstaunen Bermann Fischers völlig damit einverstanden, dass Peter Suhrkamp, der die Detailverhandlungen im Wesentlichen führte, mit der Leitung des S. Fischer Verlags betraut werden sollte.167 Auch die Verträge, mit denen der Besitzwechsel vollzogen wurde, fanden Wismanns Zustimmung und wurden vor Vertragsabschluss von ihm sogar im Hinblick auf ihre Verträglichkeit mit dem Kulturkammerrecht überprüft. Nachdem am 15. April 1936 Bermann Fischer aus dem Verlag ausgeschieden war, übernahm Suhrkamp die Geschäftsführung. Zuvor hatte Hedwig Fischer, die alleinige Aktionärin der S. Fischer Verlags AG, das Stimmrecht ihrer Aktien auf den Vorsitzenden des Aufsichtsrats, den Berliner Rechtsanwalt Friedrich Carl Sarre und auf Suhr161 Vgl. Bericht über die Sitzung des Gauausschusses [des BRB] am 18. Mai 1935 in Leipzig, S. 13, LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/27. 162 Bericht über die Sitzung des Gauausschusses, hier S. 11 f., LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/27. 163 Zahlenangaben in der Stellungnahme Wismanns für Goebbels vom 27. Mai 1935, BArch R 56 V/194 Bl. 1 –8, hier Punkt 2. 164 So Wismann am 27. Mai 1935, BArch R 56 V/194 Bl. 5. Das folgende Zitat ebd. 165 Siehe dazu im Einzelnen Kapitel 4 in diesem Band. 166 So Bermann Fischer: Bedroht – Bewahrt, S. 112. 167 Siehe hierzu und zum Folgenden BArch BDC/RSK/Bermann Fischer, G. sowie Barbian: Glücksstunde oder nationalsozialistisches Kalkül? »« In: Ders.: Die vollendete Ohnmacht?, S. 287 –311.

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kamp in seiner Funktion als Mitglied des Vorstands übertragen. Und zwar »mit der ausdrücklichen Anweisung, das Verlagsunternehmen unter evtl. Auflösung der Aktiengesellschaft und Umwandlung in eine Einzelfirma bestmöglich zu veräußern«. Zur Vorbereitung dieser Transaktion wurde am 15. Dezember 1936 eine »Kommanditgesellschaft in Firma S. Fischer Verlag« gegründet, an der neben Suhrkamp als persönlich haftendem Gesellschafter der Bonner Rechtsanwalt Clemens Abs, Christof Ratjen sowie der Hamburger Fabrikant Philipp F. Reemtsma als Kommanditisten beteiligt waren. Als Zweck der mit einem Stammkapital von 325.000 RM ausgestatteten Kommanditgesellschaft wurde der Erwerb der Fischer-Verlags AG angegeben. Hierüber konnte am 18. Dezember 1936 zwischen Sarre, Suhrkamp und Hedwig Fischer ein Vertrag abgeschlossen werden. Der wohl wichtigste Punkt in diesem Vertrag war, dass die Fischer KG die »Rechte aus den Verlags- und Bühnenvertriebsverträgen der Verlag A.-G. einschließlich der zugehörigen urheberrechtlichen Befugnisse und die Materialien« übernehmen konnte. In der zweiten Jahreshälfte 1935 erhielten die ersten jüdischen Mitglieder des BRB ihre Ausschlussbriefe.168 Während die Fachschaft der Angestellten überhaupt keine »Nichtarier« aufgenommen und etwa 180 Anträge mit einer einzigen Ausnahme (Klaus Cohen-Bouvier) abgelehnt hatte, wurden alle 68 im Verlagswesen tätigen jüdischen Buchvertreter ausgeschlossen.169 Als Jacob Picard, der langjährige Buchvertreter des Goldmann Verlags, im Sommer 1935 gegen seinen Ausschluss aus der Kammer Beschwerde einlegte, wurde er von Wilhelm Goldmann zum 30. September entlassen.170 Da einige andere Verleger offenbar ihre jüdischen Buchvertreter weiterbeschäftigten, wiesen die »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« vom 10. Oktober 1936 »nochmals« darauf hin, »dass den Verlegern die Beschäftigung nur solcher Vertreter gestattet ist, die Mitglied im Bund sind«. Bei den Inhabern, Geschäftsführern und Prokuristen der Verlage ging die Kammer differenzierter vor. Wilhelm Oswalt, der seit 1901 in dritter Generation den Verlag Rütten & Loening in Frankfurt am Main leitete, und Adolf Neumann, der seit 1913 als Geschäftsführer und später auch als Teilhaber des Verlags fungierte, waren 1935 zum Verkauf an den Potsdamer Verleger Albert Hachfeld gezwungen.171 Reinhard Piper wurde am 14. November 1935 von der Kammer aufgefordert, genaue Auskunft darüber zu geben, ob »in Ihrem Unternehmen nichtarisches Kapital« arbeitet.172 1926 war Robert Freund als Teilhaber und Geschäftsführer in den Münchner Verlag eingetreten. Sein sofortiges Ausscheiden hätte für Piper den »Verlust des Betriebskapitals« bedeutet. Daher handelte Wismann mit dem Verlag eine einvernehmliche Lösung aus. Bei seinem Ausscheiden im 168 Vgl. Hinweis in einem Schreiben Wilhelm Baurs an die Geschäftsstelle der »Gruppe Buchhandel« vom 5. Dezember 1936, S. 1, LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/32 –34. 169 Vgl. Angaben im Bericht über die Sitzung des Rates des BRB in der Zweigstelle Berlin am 20. September 1935, BArch BDC/RK/Filmnr. Z 0025 Bl. 1420 (S. 5) und 1422 (S. 6). 170 Siehe dazu das Schreiben Picards an die Fachschaft Buchvertreter im BRB vom 11. Juli 1935 sowie das Schreiben Goldmanns an den Leiter der Fachschaft Buchvertreter im BRB vom 20. Juli, BArch BDC/RSK/Goldmann, W. 171 Vgl. Verlagsveränderungen im deutschen Buchhandel 1933 –1937, S. 21. 172 Siehe hierzu Ziegler: 100 Jahre Piper, S. 133 –140, sowie ergänzend die »Aufstellung« der Kammer vom 15. März 1937 über alle »im Bereich des Buchhandels noch tätigen Voll-, Dreiviertel- und Halbjuden und mit Voll- und Dreivierteljuden Verheirateten«, hier S. 8, BArch R 55/21300.

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September 1937 wurden Freund für das von ihm eingebrachte Kapital Gewinnanteile ausbezahlt und er erhielt die Verlagsrechte und Bestände einiger der von ihm vermittelten Autoren. Der Versuch, auf dieser Grundlage einen eigenen Verlag in Wien aufzubauen, scheiterte wenige Monate später am »Anschluss« Österreichs. Auch die »Arisierung« des Julius Springer Verlags, der in der Weimarer Republik zum größten Wissenschafts- und Technik-Verlag der Welt aufgestiegen war, erfolgte in Etappen.173 Seit 1906 waren zwei Enkel des Verlagsgründers Teilhaber des Unternehmens. Julius Springer musste bereits 1935 auf Anweisung Wismanns, der auf eine verdeckte, aber zügige »Arisierung« drängte, aus dem Verlag ausscheiden. Sein Vetter Ferdinand Springer junior konnte sich dagegen noch mit einer »Sondergenehmigung« des Propagandaministeriums halten. Erst im November 1942 verkaufte auch er seine Anteile an Tönjes Lange, um einer drohenden Aufteilung des Verlags auf NS-Unternehmen zuvorzukommen. Lange arbeitete bereits seit 1934 als Generalbevollmächtigter und Vertrauter der Familie im Verlag und hatte 1935 die Geschäftsanteile von Julius Springer treuhänderisch übernommen. Zu Beginn des Jahres 1936 umfasste die Kartei der »nichtarischen« oder »nichtarisch versippten« Mitglieder allein im Gau Groß-Berlin noch 162 Personen.174 Auch das Rundschreiben Hinkels vom 29. April 1936, mit dem die Einzelkammern angewiesen wurden, auf der Grundlage der Nürnberger Gesetze alle »Voll-, Dreiviertel-, Halb- und Vierteljuden« sowie die mit »Voll-, Dreiviertel-, Halb- und Vierteljuden« verheirateten Personen bis zum 15. Mai auszuschließen,175 blieb für den Buchhandel zunächst noch weitgehend folgenlos. Die Hintergründe für den zeitlichen Aufschub gehen aus einem Schreiben von Hjalmar Schacht an Hitler vom 13. Februar 1936 hervor.176 Darin führte der »mit der Führung der Geschäfte« des Reichs- und Preußischen Wirtschaftsministers betraute Reichsbankpräsident Beschwerde gegen den von den Einzelkammern der Reichskulturkammer »in steigendem Maße« vollzogenen Ausschluss jüdischer Gewerbetreibender, die sich mit Eingaben Hilfe suchend an ihn gewendet hatten. Schacht hielt zwar auch »eine Beseitigung des jüdischen Einflusses auf die Gestaltung deutscher Kultur für nötig«.177 Aber »vom Standpunkt der mir anvertrauten Belange« wies er auf die negativen Auswirkungen durch den Verlust von Arbeitsplätzen und Devisen hin, die mit der Schließung oder »Arisierung« jüdischer Kulturunterneh173 Vgl. zum Folgenden Sarkowski: Der Springer Verlag, Teil I, S. 325 –383; Dahm: Das jüdische Buch, S. 91 f. 174 Siehe das 12-seitige »Verzeichnis« mit Stand vom 16. Januar 1936 in LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/32 –34. 175 BArch R 56 V/102 Bl. 154 –156. 176 Siehe zum Folgenden das Schreiben mit einer Aufstellung über die Eingaben betroffener jüdischer Verlage und Buchhandlungen in BArch R 43 II/1238 C Bl. 11 –19. Vgl. auch das als »Streng vertraulich!« gekennzeichnete Schreiben der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums an den Gauamtsleiter des NSLB in Breslau vom 7. Mai 1936, BArch NS 12/252. Darin wird im Zusammenhang mit der Auskunft über einen jüdischen Wissenschaftsverlag in Breslau auf die »Spannung zwischen Reichskulturkammer und Reichswirtschaftsministerium« bei der »Arisierung« des Buchhandels hingewiesen. Die von der RSK gesetzte Frist zur Schließung der jüdischen Unternehmen sei »von seiten des Wirtschaftsministeriums nicht erlaubt und in Verbindung mit allen Stellen verschoben« worden. 177 Vgl. dazu im Einzelnen Fischer: Hjalmar Schacht und Deutschlands »Judenfrage«, S. 104 – 222.

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men verbunden waren. Gerade bei Verlagen, »die in besonderem Maße auf individuellen Leistungen und Beziehungen aufgebaut sind«, war für Schacht »eine Auswechslung ohne umsatzschädigende Wirkung kaum möglich«. Darüber hinaus bestand für ihn die Gefahr, dass die am Export beteiligten jüdischen Verlage nach ihrer Abwanderung ins Ausland an der »Einfuhr nicht-staatsfeindlicher, im Auslande gedruckter deutschsprachlicher Literatur« nicht gehindert werden durften, »da die deutsche Buchausfuhr immer noch ein Vielfaches der Bucheinfuhr beträgt«. Da sich Schacht in der gesamten Angelegenheit vom Propagandaministerium übergangen fühlte, versuchte er, über den »Führer und Reichskanzler« die »aus zwingenden wirtschaftlichen Gründen erforderliche Beteiligung« seines Ressorts zu erreichen. Die von Hans Heinrich Lammers als Chef der Reichskanzlei übermittelte Antwort vom 9. März ließ keinen Zweifel daran, dass für Hitler die Ausschaltung von Juden aus dem deutschen Buchhandel in der Entscheidungsvollmacht des Präsidenten der Reichskulturkammer lag.178 Allerdings durften die Ausschlüsse aus den Einzelkammern nur aufgrund fehlender »Zuverlässigkeit und Eignung« gemäß § 10 der Ersten Durchführungsverordnung zum Reichskulturkammer-Gesetz ausgesprochen werden und nicht, »weil es sich um jüdische oder jüdisch versippte Gewerbetreibende« handelte. Daher wurde das Propagandaministerium gleichzeitig beauftragt, »die Begründung der Bescheide richtigzustellen«. Nach dem Ende der Olympischen Sommerspiele in Berlin, die mit Rücksicht auf das Ausland eine Schonfrist bewirkt hatten, wurde der Druck auf die jüdischen Unternehmen der Buchwirtschaft wieder verstärkt. Als Ergebnis einer Besprechung im Propagandaministerium teilte Wilhelm Baur der Geschäftsstelle der »Gruppe Buchhandel« am 5. Dezember 1936 mit, dass denjenigen Firmen, die in einer »Liste A« erfasst waren und Ende 1935 schon einmal einen Ausschlussentscheid erhalten hatten, zur Auflösung ihrer Geschäfte und zum Verkauf ihrer Bestände »eine letzte Frist bis zum 31. März 1937« eingeräumt wurde.179 Die Anschreiben sollten »persönlich gehalten«, d. h. »nicht im Abzugsverfahren vervielfältigt werden«. Für den Fall von Beschwerden gegen den Ausschluss hatte Baur mit Hinkel vereinbart, dass diese vom Präsidenten der Reichskulturkammer grundsätzlich abgelehnt werden sollten. Betrieben, die bis zum 1. April 1937 nicht »arisiert« oder aufgelöst worden waren, drohte die polizeiliche Schließung. Auch die reinen Judaica-Buchhandlungen wurden aus der Kammer ausgeschlossen, sollten jedoch ihre Geschäfte unter Aufsicht weiterführen können.180 Die in den Listen B bis D geführten »nichtarischen« Firmen durften dagegen »vorläufig noch« in der Kammer bleiben.181 Um die Einhaltung der gesetzten Fristen überwachen zu können, erhielten die Gauobmänner der »Gruppe Buchhandel« im Februar 1937 von der Leipziger Geschäftsstelle Mitteilungen über die nun endgültig auszuschließenden »nichtarischen« Firmen.182 Ei178 Vgl. BArch R 43 II/1238 C Bl. 22 + RS. 179 LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/32 –34. 180 Siehe dazu das 1. Rundschreiben des Sonderreferats Hinkel an die zum jüdischen Buchhandel gehörenden Personen und Unternehmen vom 30. Juli 1937 betr. Bestimmungen über die Herstellung und den Vertrieb jüdischer Literatur im deutschen Reichsgebiet, DB-Archiv Nr. 507/5 –509/1. 181 Schreiben Baurs an die Geschäftsstelle der »Gruppe Buchhandel« vom 5. Dezember 1936, S. 2, LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/32 –34. 182 Siehe das »vertrauliche« Schreiben der »Gruppe Buchhandel« an den Gau Berlin der »Gruppe Buchhandel« vom 15. Februar 1937, LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/32 –34.

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ner Mitte März 1937 von der Kammer erarbeiteten »Aufstellung aller derzeit im Bereich des Buchhandels noch tätigen Voll-, Dreiviertel- und Halbjuden und mit Voll- und Dreivierteljuden Verheirateten« lag eine Unterscheidung der Ausschaltungsstufen zugrunde: 146 Firmen, deren Ausschluss mit »festen Terminen« erfolgt war; 30 Firmen, die noch »ohne feste Termine« ausgeschlossen waren; 28 Firmen, deren Einsprüche gegen den Ausschluss noch nicht entschieden waren; 20 »Sondergenehmigungen« (davon 12 für Verlage); zwei Firmen des Adress- und Anzeigenbuch-Verlagsgewerbes in Köln und Berlin, die zum 1. April 1937 geschlossen werden sollten.183 Die Kammer prüfte bei den 77 betroffenen Verlagsunternehmen jeden Einzelfall und traf ihre Entscheidungen jeweils in Absprache mit dem »Sonderreferat« Hinkels im Propagandaministerium. Dabei ging es nach wie vor ausschließlich darum, die »Arisierungen« ohne größeren Schaden für die deutsche Volkswirtschaft und das außenpolitische Image des NS-Staates abzuwickeln. Der Verleger Rolf Bielefeld aus Ettlingen erhielt eine »Sondergenehmigung«, weil sich für ihn das Amt für Technik in der Reichsleitung der NSDAP, das Reichskriegs-, das Reichsluftfahrtministerium und die Reichskulturkammer »wegen verschiedener militärischer wichtiger Erfindungen sowie wegen besonderer Verdienste in sprachlicher Hinsicht« eingesetzt hatten.184 Der Petropolis Verlag in Berlin war spezialisiert auf die Produktion von Literatur in russischer Sprache, die über eine Grossobuchhandlung an russische Emigranten im In- und Ausland verkauft wurde. Sein Inhaber Jacob Bloch erhielt eine »Sondergenehmigung« mit der Auflage, sich auf den Buchexport zu beschränken, in Deutschland nur an exportierende Firmen zu liefern und Neuerscheinungen der Reichsschrifttumskammer zur Prüfung vorzulegen. Ernst Denys Hofmann machte für seinen Verlag in Darmstadt geltend, dass »er bereits vor dem Umbruch […] antisemitisches Schrifttum verlegt habe« und »mehrere seiner Verlagswerke […] im maßgeblichen NS-Schrifttum […] anerkennend besprochen worden seien«. Obwohl die Kammer diese Behauptungen als »grotesk!« bewertete, genehmigte sie dem 65-jährigen Hofmann eine Fristverlängerung bis zum 30. September 1937 »zur Abwicklung seiner Kommissionslieferungen und zum Einzug der Außenstände«. Für den Philo Verlag reichten Ernst G. Löwenthal, Hans Reichmann und die Prokuristin Lucia Jacoby im Februar 1937 bei der Kammer »umfangreich begründete Eingaben und Einsprüche« gegen den Ausschluss ein. Zudem hatte der Verlag »zur Hebung des Exportes« eine Filiale in Amsterdam eröffnet. Um Mitglied der Kammer bleiben zu können, sollte Annemarie Loeb-Cetto, Prokuristin des Prestel Verlags in Frankfurt am Main, den Nachweis erbringen, dass »die Scheidung von ihrem im Ausland lebenden jüdischen Ehemann nunmehr durchgeführt ist.« Dem Inhaber des Verlags Gustav Lyon, Louis Joseph, wurde ein Aufschub gewährt, weil er auf den glänzenden Absatz seiner Modezeitschriften verweisen konnte. Durch deren Verkauf im Ausland hatte er allein im Jahr 1935 Devisen in Höhe von mehr als 1 Million RM an die Reichsbank abgeführt. In Deutschland beschäftigte der Verlag rund 650 Arbeitnehmer. Darüber hinaus waren die Leipziger Kommissionsbuchhandlung Wilhelm Opitz mit 40 Angestellten und die Inhaber von 75 Verkaufsstellen von seiner Produktion abhängig. Bei Heinz Karger, Inhaber des auf Naturwissenschaften und medizinische Fachzeitschriften spezialisierten 183 Die »Aufstellung« vom 15. März 1937 und die differenzierenden Übersichten finden sich in BArch R 55/21300. 184 »Aufstellung« vom 15. März 1937, S. 2. Siehe zum Folgenden ebd., S. 3 –28.

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Verlags S. Karger, wurde von Zwangsmaßnahmen »mit Rücksicht auf die Größe und Bedeutung des Betriebes« abgesehen. Er konnte sein international angesehenes Unternehmen mit Zustimmung der Kammer zum 1. April 1937 von Berlin nach Basel transferieren.185 Demgegenüber verpasste Viktor Goldschmidt, Inhaber des durch seine Reiseführer weltbekannten Grieben Verlags, den günstigsten Zeitpunkt für einen Verkauf. Genötigt durch die staatlichen Behörden ging das profitable Unternehmen im Februar 1939 zu einem Spottpreis in den Besitz von Erich Kupfer über, den Geschäftsführer des bereits »arisierten« Albatross Verlags. Die Radikalisierung der Politik der »Entjudung« bekam auch Gottfried Bermann Fischer noch einmal zu spüren. Nach dem »Anschluss« Österreichs schloss die Gestapo seinen 1937 neu gegründeten Verlag in Wien186 und das Propagandaministerium sorgte dafür, dass weder die Sachwerte noch die Autorenrechte des Bermann Fischer-Verlags nach Stockholm transferiert werden konnten.187 Bis Ende 1939 wurde im Zuge der »Arisierung« der österreichischen Wirtschaft, die einen Anteil von 18.914 jüdischen Unternehmen bei einer Gesamtzahl von 26.263 Unternehmen aufwies, auch der jüdische Buchhandel in Österreich liquidiert.188 Die aus rein wirtschaftlichen Erwägungen erhaltenen Unternehmen gingen an »arische« Besitzer über.189 Im Falle des Phaidon Verlags erwarb der britische Verlag George Allen & Unwin im Frühjahr 1938 von dem nach London emigrierten Béla Horovitz die Bestände und Verlagsrechte seines vor allem mit Kunstbänden erfolgreichen Unternehmens.190 Dabei mussten die NS-Behörden die Konzession machen, die von Allen & Unwin fortgesetzte, politisch »unerwünschte« Verlagsproduktion im Deutschen Reich verbreiten zu lassen, damit den österreichischen Druckereien und Buchbindereien nicht die lukrativen Aufträge verloren gingen. Die Verlage von Ralph A. Höger und Herbert Reichner wurden im Oktober 1938 vom Carl Schünemann Verlag übernommen.191 Das Beispiel des Zsolnay Verlags belegt, wie unterschiedlich die Vorstellungen von »Arisierung« im NS-Staat sein konnten und wie schamlos dabei persönliche Interessen durchgesetzt wurden.192 Nachdem sich Paul von Zsolnay, der im Herbst 1938 nach London emigrierte, zunächst durch eine »Scheinarisierung« ein Mitspracherecht in der Führung seines Verlags zu sichern versucht hatte, wurde der von ihm eingesetzte Geschäftsführer Felix Costa im März 1939 entlassen und der als Strohmann fungierende neue Eigentümer Albert von Jantsch-Streerbach ausgebootet. Danach setzte ein Macht185 Vgl. hierzu und zum Fall Viktor Goldschmidt im Einzelnen Dahm: Das jüdische Buch, S. 90 – 99. Siehe ergänzend die »Aufstellung« vom 15. März 1937, S. 9 und S. 15 f. 186 Vgl. Aktenvermerk des RSK-Sonderreferats III Z betr. Bermann-Fischer-Verlag, Wien o.D. (1938), BArch BDC/RSK/Bermann Fischer, G. 187 Vgl. Anweisung der Schrifttumsabteilung des RMVP an den Präsidenten der RSK vom 5. Dezember 1938, ebd. Ministerium und Kammer waren insbesondere daran interessiert, dass Bermann Fischer nicht die lukrativen Autorenrechte der Werke Hugo von Hofmannsthals in das neue Verlagsunternehmen in Stockholm einbringen konnte. Siehe ebd. die Schreiben des RSK-Sonderreferats III Z an das RMVP vom 29. Juni und 18. Oktober 1938. 188 Vgl. Renner: Österreichische Schriftsteller und der Nationalsozialismus, S. 274. 189 Siehe im Einzelnen Hall: Jüdische Buchhändler und Verleger. 190 Siehe hierzu und zum Folgenden StAL BV/F 7163. 191 Vgl. StAL BV/F 4126. 192 Vgl. zum Folgenden Hall: Der Paul Zsolnay Verlag, S. 644 –769.

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kampf um den Verlag ein, an dem auf der einen Seite Josef Bürckel als von Hitler eingesetzter »Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich« und als »Reichsstatthalter in der Ostmark« mit seiner Bürokratie stand, auf der anderen Seite Reichspropagandaminister Goebbels mit der für die »Arisierung« von Kulturunternehmen zuständigen Abteilung II A unter der Leitung Hinkels, der Schrifttumsabteilung und der Reichsschrifttumskammer. Im April 1939 wurde der Rechtsanwalt Wilhelm Hofmann, der als Referent im Reichspropagandaamt Wien tätig war, als »Treuhänder« in den Verlag eingesetzt. Zwei Jahre später wurde Hofmann, unter dessen Leitung bis zum Juni 1941 ein Reingewinn von 650.000 RM erwirtschaftet worden war, mit dem Verkauf des Verlags beauftragt. Den Zuschlag erhielt auf Vorschlag des Propagandaministeriums und mit ausdrücklicher Genehmigung der Reichsschrifttumskammer Karl Heinrich Bischoff,193 der das Unternehmen für nur 45.120 RM in seinen Besitz bringen konnte. Bischoff hatte seit 1935 als Referent der Reichsschrifttumskammer bereits die »Arisierung« des reichsdeutschen Buchhandels und seit 1938 auch die des österreichischen Buchhandels vorangetrieben. Nun machte er sich selbst zu einem der führenden Verleger der »Ostmark«. Doch nicht allein Bischoff profitierte von diesem »Coup«. Hinter den Kulissen wurde das Bilanzkapital des Wiener Verlags auf das Konto der Berliner Zweigniederlassung transferiert und im Dezember 1941 auf das Deutsche Reich überschrieben. Die insgesamt 900.000 RM dienten als Grundstock für einen Fonds des Propagandaministeriums zum Ankauf von Verlagen und zur Subventionierung von Verlagsunternehmen, die im Sinne des NS-Staates im Ausland aktiv werden sollten. Im Juni 1942 erfolgte die Umbenennung von Paul Zsolnay in Karl H. Bischoff Verlag, Wien/Berlin. Aufgrund seiner hervorragenden Beziehungen zur staatlichen Schrifttumsbürokratie gelang es Bischoff, trotz der zunehmenden Papierknappheit die gesamte Konkurrenz auf dem Gebiet der schöngeistigen Literatur zu überholen. Sowohl bei den Neuerscheinungen und den Neuauflagen als auch bei der Anzahl der Gesamttitel nahm der Bischoff Verlag 1944 eine Spitzenposition ein. Im Verlauf des Jahres 1938 wurden die wenigen noch verbliebenen »nichtarischen« oder »nichtarisch versippten« Verleger endgültig aus der Kammer ausgeschlossen.194 Damit stand ihnen nur noch die Betätigung im Rahmen eines »Ghettobuchhandels« offen, den das »Sonderreferat« Hinkels im Juli 1937 als Auffangnetz für eine begrenzte Anzahl von Unternehmen errichtet hatte und überwachte.195 In ihm endeten 30 Buchverlage, darunter so traditionsreiche und angesehene Unternehmen wie der Verlag J. Kauffmann in Frankfurt am Main (seit 1832), der Verlag Siegfried Scholem (seit 1861), der Jüdische Verlag (seit 1902), der Verlag der Jüdischen Rundschau (seit 1902), der Verlag Leo Alterthum, die Brandussche Verlagshandlung, der Philo Verlag (seit 1919), der Joachim Goldstein Verlag, der Salman Schocken Verlag (seit 1931), aber auch der nach 1933 neu gegründete Verlag von Erwin Löwe und der Vortrupp Verlag von Hans Joachim

193 Siehe dazu den 4-seitigen Aktenvermerk des Leiters der Schrifttumsabteilung für den Leiter der Personalabteilung im RMVP vom 10. April 1942, BArch R 55/170 Bl. 49 f. 194 Vgl. Dahm: Das jüdische Buch, S. 146 –151. 195 Vgl. 1. Rundschreiben des Sonderreferats an die zum jüdischen Buchhandel gehörenden Personen und Unternehmen vom 30. Juli 1937, DB-Archiv Nr. 507/5 –509/1. Siehe dazu auch Schoor: Vom literarischen Zentrum zum literarischen Ghetto, S. 110 –116.

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Schoeps.196 »Jüdische Buchverlage« durften bis zu ihrer endgültigen Schließung am Ende des Jahres 1938 »ausschließlich« für einen »jüdischen Abnehmerkreis« »jüdische Literatur« veröffentlichen, insofern diese nicht bereits verboten war.197 Als »jüdische« Literatur definiert wurden »Bücher und Schriften – gleichgültig, ob in deutscher Sprache, in Hebräisch, Jiddisch oder einer anderen Fremdsprache –, deren Verfasser, Herausgeber oder Mitarbeiter Juden sind«. Insbesondere Judaica und Hebraica zählten zu dieser Literatur, aber auch Übersetzungen, »wenn die Verfasser der Originalwerke Juden sind«. Die Verleger mussten vor der Herausgabe »jedes einzelnen Werkes« die Zustimmung des »Sonderbeauftragten« einholen und das Manuskript vor der Drucklegung »mit einem Durchschlag oder zwei Korrekturabzügen des Werkes zur Prüfung und Genehmigung« vorlegen. In den Anträgen war auch noch der »Nachweis« zu erbringen, »dass der Verfasser Jude ist«. Nach Erscheinen eines Buches musste ein Belegexemplar an die Deutsche Bücherei geschickt werden. Diese durfte aber auf Anweisung Hinkels die »eingehenden Werke der jüdischen Literatur« weder im »Täglichen Verzeichnis der Neuerscheinungen« noch in der Reihe A der »Deutschen Nationalbibliographie« anzeigen.198 Ab Januar 1939 und noch bis 1942 war die jüdische Buchproduktion im Deutschen Reich auf den neu gegründeten Verlag des Jüdischen Kulturbundes begrenzt. Die am 31. März 1939 von der Kammer erlassene »Anordnung zum Schutz der verantwortlichen Persönlichkeit im Buchhandel« hielt noch einmal ausdrücklich fest, dass Personen, die für sich und den Ehegatten, mit dem sie zur Zeit des Inkrafttretens dieser Anordnung verheiratet sind oder mit dem sie später die Ehe eingehen, nicht den Nachweis der Abstammung von Vorfahren deutschen oder artverwandten Blutes bis zum Jahre 1800 zurück erbringen können, von der Kammer keine Berufszulassung mehr erhielten.199 Ausnahmen wurden nur noch bei den »Vierteljuden« und den mit »Halbjuden« verheirateten Buchhändlern gemacht.200 Allerdings gab es auch jetzt noch kulturpolitisch begründete Ausnahmen, so etwa bei Walter List, der seit 1929 die Verlagsanstalt Paul List & von Bressensdorf in Leipzig leitete und als »Vierteljude« eingestuft worden war. Bereits am 7. Dezember 1936 hatte er Hinkel in einem persönlichen Brief um Unterstützung gebeten – mit der Versicherung, »entsprechend meiner Lebensführung und den kulturellen Leistungen der beiden Ver196 Vgl. »Regelung der Frage jüdischer Buchverkäufer und Buchverleger im Reichsgebiet« mit der nach Orten gegliederten Liste der im deutschen Reichsgebiet zugelassenen jüdischen Buchverleger und Buchvertriebe (außer Österreich), Beilage zur Nr. 37 der »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« vom 13. Oktober 1938. Die Liste war »nur für den internen Gebrauch bestimmt und vertraulich zu behandeln«. Zu den Aktivitäten der jüdischen Verlage nach 1933 siehe Dahm: Kulturelles und geistiges Leben, S. 199 – 212; Ders.: Salman Schocken und sein Verlag; Der Schocken Verlag/Berlin; Schenker: Der Jüdische Verlag, S. 429 – 509. 197 Vgl. hierzu und zum Folgenden das 1. Rundschreiben vom 30. Juli 1937, S. 1 –3. 198 Schreiben an den Direktor der Deutschen Bücherei vom 18. September 1937, DB-Archiv Nr. 507/5 –509/1. 199 Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 97 –99, hier S. 97 (§ 1 d). 200 Siehe das von der RSK auf Anfrage der RKK-Hauptgeschäftsführung vom 11. Dezember 1942 angefertigte »Namentliche Verzeichnis der Vierteljuden und Deutschblütigen, deren Ehepartner Halbjuden bezw. Halbjüdinnen sind«, BArch R 56 V/51 Bl. 149 –159.

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lagsbetriebe, denen ich als Betriebsführer vorstehe, für das Reich Adolf Hitlers in derselben Weise wie bisher mitzukämpfen.«201 List wurde im Dezember 1938 regulär in die Kammer aufgenommen und die Mitgliedschaft am 10. Juni 1939, also nach dem Erlass der »Anordnung zum Schutz der verantwortlichen Persönlichkeit im Buchhandel«, noch einmal ausdrücklich bestätigt.202 Mit einer »Sondergenehmigung« des Propagandaministers konnte der Verleger bis zum Kriegsende weiterarbeiten und seine Produktion vor allem durch die Verlagerung von Druckaufträgen ins besetzte Ausland absichern.203 1935 wurden auch die Bestrebungen zur Ausschaltung der jüdischen Sortimentsbuchhändler und Antiquare intensiviert. Während die einfachen Angestellten wie bei den Verlagen ohne die Gewährung von Aufschubfristen ausgeschlossen wurden, behandelte die Kammer auch hier die Inhaber, Geschäftsführer und Prokuristen der 133 betroffenen Firmen in jedem Fall einzeln.204 So durfte die Leipziger Buchhandlung Josef Saul Ardel bis 1938 weiterarbeiten, weil sie aufgrund ihrer Auslandsgeschäfte »Devisen« erwirtschaftete und noch »beträchtliche Forderungen« aus dem Export von Büchern nach Griechenland und Bulgarien einzulösen hatte.205 Allerdings legte die Kammer Wert darauf, dass die Ausfuhr von »Kulturgut« einem Juden nur dann gestattet werden konnte, »wenn erwiesen« war, »dass er sich nicht staatsfeindlich betätigt.« Wilhelm Salomon hob ebenfalls das »Übergewicht seiner Ausland-Versandbuchhandlung« Francken & Lang in Nürnberg hervor, mit der er jährlich ein Devisenaufkommen von knapp 100.000 RM erreichte. Richard Hellmann durfte seine Exportbuchhandlung mit einem wissenschaftlichen Antiquariat 1937 mit Genehmigung der Kammer von Freiburg i. Br. nach Luxemburg transferieren.206 Artur Arndtheim, dem Geschäftsführer des Kaufhauses Römischer Kaiser in Erfurt, war bereits im März 1936 der Ausverkauf und ein »sofortiges Neueinkaufsverbot von Schrifttum aller Art« aufgezwungen worden. Doch obwohl ihm der zuständige Gauobmann der »Gruppe Buchhandel« noch im Dezember 1936 einen »unzulässigen Buchverkauf« nachweisen konnte, wurde ihm von der Kammer im März 1937 ein letzter Terminaufschub gewährt. Der 65-jährige Albert Carlebach aus Heidelberg stellte unter Hinweis auf die »Spezialisierung seines Antiquariats für Badenia und Palatina« den Antrag, »sein Geschäft bis zum Lebensende weiterführen zu können«. Auch der 63-jährige Albert Cohn machte schriftlich und im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 5. März 1937 zusammen mit dem Syndikus des Landesverbands Mitteldeutschland des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens bei der Kammer geltend, dass er bei einem Verkauf seiner Leipziger Janus-Buchhandlung mit einem Spezialantiquariat für Naturwissenschaften »keine Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes haben würde.« Ein ähnliches Schicksal drohte mehreren anderen betagten Berufskollegen. Der 71-jährige Richard 201 Das Schreiben findet sich in BArch BDC/RK/Filmnr. B0119 Bl. 1022 –1024. 202 Siehe die Karteikarte der RKK-Geschäftsführung aus dem Jahre 1941, ebd. Bl. 1030. 203 Vgl. Liste der »Mischlinge« in der RSK (Stand 6. Februar 1943), BArch R 55/21300. Anträge von Verlagen bei der RSK auf Verlagerung von Druckaufträgen für Bücher mit Auflagen zwischen 3.000 und 10.000 Exemplaren ins Ausland aus den Jahren 1941 und 1942 finden sich in BArch BDC/RK/Filmnr. B0119. 204 Siehe zum Folgenden die »Aufstellung« der Kammer vom 15. März 1937, S. 1 –28, BArch R 55/21300. 205 Ergänzend zur »Aufstellung« vom 15. März 1937, S. 1, auch StAL BV/F 12405. 206 Vgl. hierzu auch StAL BV/F 13174.

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Frank stellte den Antrag, »um in den Genuss der Rente zu kommen, ihn noch einige Jahre im Bereich der RSK. tätig sein zu lassen«. Max Harrwitz, 77 Jahre alt, bat die Kammer am 25. Februar 1937 »um menschliche Behandlung«. Er wollte »sein altes Antiquariat (Literatur vergangener Jahrhunderte, die an Bibliotheken und Museen geliefert wurde, z. B. British Museum in London) allmählich auflösen. Umsattlung bzw. Auswanderung komme für ihn nicht in Frage.« Der 68-jährige Albert Jolowicz wies die Kammer darauf hin, dass er seit 50 Jahren im Buchhandel tätig und »sehr leidend« war. Seine Buchhandlung in Berlin hatte sich auf die Lieferung von Polonica an deutsche Staatsbibliotheken und Staatsbehörden spezialisiert. Er bat um eine Fristverlängerung, da die Liquidation der Firma, die im Oktober 1937 ihr 75-jähriges Bestehen hätte feiern können, »mit soviel alten Verpflichtungen […] unmöglich in 3 Monaten durchgeführt werden [könne], sie dauere mehrere Jahre.« »In Rücksicht auf sein Alter (74 Jahre)« und die Schwierigkeiten mit dem Verkauf seiner Berliner Buchhandlung mit Antiquariat beantragte Franz Seeliger »eine Nachfrist von 3 – 6 Monaten«. Otto Rothschild, Geschäftsführer des Antiquariats Altmann in Berlin, betonte in seiner Eingabe vom 20. Februar 1937, dass er »Abkömmling einer seit über 4 Generationen in Deutschland ansässigen Familie« war und sich daher »deutscher Kultur und deutschen Kulturschaffens [!] eng verbunden fühle.« Daher bat er die Kammer »um Rückgängigmachung« der Ausschlussentscheidung. Otto Landsberg, der zusammen mit seinem Vater Moritz und seinem Bruder Walter eine Buch- und Kunsthandlung mit einem Antiquariat in Oldenburg leitete, erhielt am 30. Oktober 1935 vom BRB die Mitteilung, dass im »Zuge der Ausschaltung nichtarischer Persönlichkeiten aus buchhändlerischen Betrieben […] auch Ihr Austritt aus dem Bund […] in nächster Zeit notwendig sein« wird.207 Man wollte ihm jedoch »die Möglichkeit einer selbständigen Disposition« geben und bat bis zum 15. November um Mitteilung, »bis zu welchem kürzesten Termin Sie den Verkauf Ihrer Firma an eine geeignete arische Persönlichkeit oder die Liquidation Ihres Unternehmens vornehmen können.« Um den Druck zu erhöhen, sah sich Vizepräsident Wismann am 31. Dezember »zu meinem Bedauern genötigt«, Moritz Landsberg aus der Kammer auszuschließen, da »Sie jüdischer Abstammung sind« und damit »nicht […] geeignet, in einem kulturvermittelnden Beruf tätig zu sein«. Gegen diesen Ausschluss legten die drei Inhaber am 16. Januar 1936 Beschwerde ein. Sie wiesen zunächst auf ihre langjährige Berufserfahrung hin: Moritz Landsberg arbeitete seit 1877 in der von seinem Vater 1836 gegründeten Buchhandlung, die Söhne Otto und Walter seit 1920. Auch die »Zuverlässigkeit« könne »nicht in Zweifel gezogen werden, zumal noch am 15. Juli 1934 die Aufnahme […] als Mitglied der Reichskulturkammer erfolgt ist.« Der Vollzug des Ausschlusses würde für die drei beteiligten Familien »schwere wirtschaftliche Folgen haben, da ja jede andere Erwerbsmöglichkeit mit Rücksicht auf das Alter, die fachliche Vorbildung und die allgemeinen Schwierigkeiten der Eröffnung eines anderen Betriebs außerordentlich beschränkt ist.« Der Einspruch blieb zwar unbeantwortet, bewirkte jedoch immerhin einen Aufschub, der durch die außenpolitischen Rücksichtnahmen im deutschen Olympiajahr zwölf Monate anhielt. Ausgerechnet am 24. Dezember 1936 setzte Wilhelm Baur Moritz Landsberg eine letzte Frist bis zum 31. März 1937, um sein Unternehmen zu verkaufen oder zu liquidieren. Mit ihrem erneuten Einspruch vom 1. Februar 1937 versuchten die Inhaber, Zeit zu 207 Hierzu und zum Folgenden BArch BDC/RK/Filmnr. C 0003 Bl. 2138 –2252.

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gewinnen. Allerdings verschlechterte sich ihre Verhandlungsposition zunehmend, weil ein Käufer nicht zu finden war und der für die »Arisierung« des Buchhandels zuständige Kammer-Referent Bischoff auf eine rasche Lösung des »Falls« drängte. Unter Hinweis auf den Umsatz des Jahres 1936 in Höhe von 21.000 RM und einen Lagerwert von 19.500 RM forderte die Familie Landsberg einen Kaufpreis von 25.000 RM. Da Bischoff davon ausging, dass »Landsberg durch eine ungerechtfertigte Überforderung einen Verkauf von vornherein vereiteln will«, ließ er die Inhaber Ende Mai 1937 vom Polizeipräsidenten in Oldenburg vorladen, um sie zur Begründung der Stichhaltigkeit ihrer Angaben zu zwingen. Angesichts der Aussichtslosigkeit ihrer Lage schlossen Moritz, Otto und Walter Landsberg am 11. Juli mit dem Bremer Kunsthändler Heinrich F. Jördens einen Kaufvertrag, der weit unter ihren ursprünglichen Erwartungen lag. Von dem Kaufpreis in Höhe von 7.100 RM zahlte der neue »arische« Eigentümer lediglich 500 RM in bar. Darüber hinaus übernahm er 5.661,03 RM an Verbindlichkeiten der Buchhandlung. Der Restbetrag sollte ab dem 1. Januar 1938 in monatlichen Raten von 100 RM abbezahlt werden. Letztlich verhinderten weder Deviseneinkünfte oder die Lieferung von Spezialliteratur noch Firmentradition, deutschnationale Gesinnung oder soziale Härten den Ausschluss aus der Kammer, die »Arisierung« oder Liquidation der Geschäfte. Nach dem Auslaufen des »deutsch-polnischen Minderheitenschutzabkommens« im Juli 1937 mussten auch Ludwig Freund in Beuthen, Carola Graetzer in Gleiwitz und Fritz Ring in Berlin ihre Sortimentsbuchhandlungen verkaufen.208 Im gleichen Jahr erlosch mit der »Arisierung« des Wertheim-Konzerns die »Sondergenehmigung« für Ursula Wertheim.209 Sie war seit der Vermögensübertragung durch ihren Ehemann Georg Wertheim im Jahre 1934 offiziell Eigentümerin des größten Kaufhauses in Berlin mit einer Buchhandelsabteilung in der Leipziger Straße. Die vom »Sonderreferat« Hinkels noch zugelassenen »Jüdischen Buchvertriebe« durften seit Juli 1937 »ausschließlich« einen »jüdischen Abnehmerkreis« bedienen.210 Zu ihm zählten alle Juden des deutschen Reichsgebiets im Sinne der Nürnberger Gesetze und ihrer Durchführungsverordnungen, alle vom Sonderbeauftragten zugelassenen Unternehmen des jüdischen Pressewesens und des jüdischen Buchhandels, die im Reichsverband jüdischer Kulturbünde zusammengefassten Vereine und Organisationen, die jüdischen Synagogengemeinden, die jüdischen Schulen, die jüdischen Lehrhäuser, die vom Reichsministerium des Innern zugelassenen jüdischen Vereine und Organisationen im deutschen Reichsgebiet, Juden nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Dieser Personenkreis durfte nur noch »jüdische Literatur« erwerben. Für andere »Literatur von allgemein jüdischem Interesse, aber nichtjüdischer Verfasser«, für »Werke 208 Vgl. »Aufstellung« der Kammer vom 15. März 1937, hier S. 8, 10 und 24, BArch R 55/ 21300. Zum Verkauf von Rings profitabler Buchhandlung am Zoo siehe Dahm: Das jüdische Buch, S. 99 f. 209 Siehe die Liste der »Sondergenehmigungen« der »Gruppe Buchhandel/Fachschaft 1 –3« mit Stand vom 15. März 1937, hier S. 2 (Nr. 16) BArch R 55/21300. Zur »Arisierung« des Unternehmens siehe Fischer/Ladwig-Winters: Die Wertheims, S. 263 –335. 210 Vgl. 1. Rundschreiben an die zum jüdischen Buchhandel gehörenden Personen und Unternehmen vom 30. Juli 1937. Zum Folgenden siehe ebd., S. 2 –4.

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jüdischer Verfasser, die in arischen Verlagen erschienen sind«, und für die »Einfuhr jüdischer Literatur aus dem Ausland« musste jeweils eine »Genehmigung des Sonderbeauftragten« eingeholt werden. Die 48 »Jüdischen Buchvertriebe«, die im August 1938 noch existierten, wurden als Folge des Reichspogroms vom 9./10. November bis zum Ende des Jahres geschlossen. In der Kammer verblieben mit einer »Sondergenehmigung« nur noch die Buchhändler, die als »Vierteljuden« oder als »jüdisch versippt« eingestuft wurden. Hans Benecke, der in Berlin in der Amelangschen Buch- und Kunsthandlung mit einer angeschlossenen Leihbücherei arbeitete, war zwar bereits am 28. August 1935 aus der Kammer ausgeschlossen worden.211 Doch aufgrund seines Einspruchs wurde dem »Vierteljuden« am 24. September 1936 eine »Sondergenehmigung« erteilt, die am 13. Juni 1939 mit der Auflage verlängert wurde, »dass Sie sich gerade auf Ihrem Posten nachdrücklich den Ihnen bekannten Aufgaben eines deutschen Buchhändlers zur Verfügung stellen«. Nach dem Tod seines Vaters im Januar 1937 konnte er sogar die Geschäftsführung übernehmen und bis zum Ende des Krieges weiterarbeiten. 1943 gab es in der »Gruppe Buchhandel« außer Benecke noch weitere 23 »Mischlinge II. Grades« und »Deutschblütige, deren Ehepartner nichtarisch sind«.212

3.4

Die politische Kontrolle des Buchmarkts

Die Berufszulassung der Verleger und Buchhändler Nach der Einsetzung von Gauobmännern und Gaufachschaftsberatern des Bundes Reichsdeutscher Buchhändler im Frühjahr 1935 wurden die Entscheidungen der Leipziger Geschäftsstelle über Aufnahmeanträge und Ausschlüsse auf regionaler und örtlicher Ebene vorbereitet.213 Im Gau Groß-Berlin, dem mitgliederstärksten Landesverband der Kammer, hatten mit Martin Wülfing (als Landesleiter) und Gustav Langenscheidt (als Gaubzw. Landesobmann) zwei linientreue Nationalsozialisten ein entscheidendes Mitspracherecht bei der Berufszulassung. Sie erhielten genaue Informationen zu den Verlegern über die Bezirksobleute und Fachschaftsberater. Anträge auf Aufnahme in die Kammer wurden aus politischen Gründen abgelehnt: etwa beim Prokuristen einer Buchdruckerei und Verlagsanstalt in Aschaffenburg, weil er in der Weimarer Republik als Mitglied der Bayerischen Volkspartei gegen die NSDAP und ihre Führer eingetreten war.214 Ablehnungen konnten aber auch aus wirtschaftlichen Gründen erfolgen: mit dem Argument, 211 Vgl. hierzu und zum Folgenden Benecke: Eine Buchhandlung in Berlin, S. 112 –140. 212 Siehe die Übersicht vom 6. Februar 1943 in BArch R 55/21300. 213 Siehe die Geschäftsordnung für die Ortsgruppen und für die örtlichen Arbeitsgemeinschaften im Bund Reichsdeutscher Buchhändler e. V. In: Börsenblatt 102 (1935) 66, S. 225 und 226 sowie das Schreiben des Gauobmanns im Gau Groß-Berlin des BRB, Gustav Langenscheidt, an den Geschäftsführer des BRB, Dr. Heß, vom 1. April 1935, LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/28. 214 Siehe das Schreiben Thulkes vom 31. März 1938 mit der Begründung der Ablehnung des Aufnahmeantrags von Leo Lehnen, den ausführlichen Einspruch Lehnens vom 12. April 1938 und den Aktenvermerk der Außendienststelle Aschaffenburg der Stapostelle Würzburg über Zeugenvernehmungen vom 2. Dezember 1938 in StA Würzburg Gestapostelle Würzburg/5839 Bl. 2 ff.

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dass die Eröffnung neuer oder die Erweiterung bereits bestehender Verlagsunternehmen die Konkurrenz verstärken und damit die Existenzsorgen des durch die Weltwirtschaftskrise angeschlagenen Berliner Buchhandels noch verstärken könnten.215 Beim Luftangriff auf Leipzig am 4. Dezember 1943 wurden nicht allein der gesamte Kommissionsbuchhandel und das Graphische Gewerbe schwer getroffen, sondern es gingen auch rund 70.000 Mitgliederakten der »Gruppe Buchhandel« und der gesamte Aktenapparat des Börsenvereins verloren.216 Daher ist die Nutzung des Instruments der Berufszulassung gegenüber den aus politischen Gründen abgelehnten Verlegern und Buchhändlern nur noch in Bruchstücken zu rekonstruieren. Seit November 1936 wurden bei Aufnahmeanträgen Gutachten der zuständigen NSDAP-Gauleitungen eingeholt.217 Zu jenem Zeitpunkt war das Gros der politisch linken Verlage und Buchvertriebsstellen der Weimarer Republik aber schon längst enteignet worden, ihre Leiter und Mitarbeiter emigriert.218 Immerhin wurden aber Verleger wie Ernst Rowohlt und Gustav Kiepenheuer, deren Produktion aus der Zeit der Weimarer Republik 1933 nahezu vollständig verboten worden war, in die Kammer aufgenommen. Allerdings war der Aktionsradius beider Verleger stark eingeschränkt. Denn als Folge der politischen Repressionen hatten Rowohlt und Kiepenheuer mit enormen Problemen beim Verkauf ihrer Bücher und der Finanzierung ihrer Unternehmen zu kämpfen, die ohnehin schon durch die Weltwirtschaftskrise in existentielle Schwierigkeiten geraten waren. Zudem verloren beide Verlage alle ihre jüdischen Mitarbeiter, die die Erfolge in der Weimarer Republik ermöglicht hatten. Gustav Kiepenheuer konnte nur dank der finanziellen Unterstützung durch Ernst Rowohlt, aufgrund der Ausgliederung der politisch »unerwünschten« Autoren, deren Bücher in der Folge durch die Vermittlung von Fritz Landshoff im Amsterdamer Querido Verlag erschienen,219 und durch eine deutliche Verkleinerung der Produktion seinen Ende April 1933 in Konkurs gegangenen Verlag ab August des gleichen Jahres wiederbeleben.220 Als der Kiepenheuer Verlag nach dem Rückzug Rowohlts im Juni 1934 und infolge der Beschlagnahmung von Otto Pankoks Die Passion in 60 Bildern 1937 erneut in Schwierigkeiten geriet, konnte ein neuerlicher Konkurs nur durch die finanzielle Beteiligung des Verlagsbuchhändlers Hans Korte verhindert werden. 1938 stellte die Kammer den aus politischen Gründen erwogenen Ausschluss Kiepenheuers zurück, um ihm »Gelegenheit« zu geben, »nun zu zeigen, wie er wirklich denkt«.221 Der Verleger wollte »sich 215 Vgl. LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/28: Berichte zu den Aufnahme-Anträgen des H. Heinecke Verlags vom 2. Juni 1936, des Verlegers Hellmut Reichel vom 22. Mai 1936, des Pflugschar Verlags vom 19. Mai 1936. 216 Siehe dazu den von Max Albert Heß erstellten »Vorbericht für die Sitzung des Kleinen Rates am 12./13. Mai 1944 in Rathen« (14 Seiten), StAL BV/737, sowie das Schreiben von Heß an Kurt Kretzschmar vom 21. Dezember 1943, ebd. 217 Vgl. Mitteilung der RSK, Gruppe Buchhandel, Leipzig, an die RSK, Berlin vom 3. Juni 1938, BArch R 56 V/51 Bl. 116. 218 Vgl. dazu das vom SD erstellte »Leitheft Verlagswesen« (1937), BArch R 58/1107 Bl. 27. 219 Siehe im Einzelnen Landshoff: Amsterdam, Keizersgracht 333. 220 Vgl. Mitteilung des Börsenvereins, Zweigstelle Berlin, an den Leiter der Fachschaft Verlag, Karl Baur, vom 10. März 1938, BArch BDC/RSK/Kiepenheuer, G. Vgl. zum Folgenden Funke: »Im Verleger verkörpert sich das Gesicht seiner Zeit«, S. 187 –230; Röttig: Kiepenheuer Verlag 1933 –1949, S. 12 und 23 –85. 221 Aktenvermerk Bischoffs (Abt. III Z) vom 14. Juni 1938 über einen Besuch Kiepenheuers in der Kammer, BArch BDC/RSK/Kiepenheuer, G. Die folgenden Zitate ebd.

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bemühen, seine Eignung und Zuverlässigkeit zu beweisen«, und stellte seine Produktion in Absprache mit der Kammer um. Ab 1942 erhielt er sogar Aufträge der Wehrmacht und der Zentrale der Frontbuchhandlungen, die nahezu die Hälfte seines Gesamtumsatzes ausmachten und nach dem Ausscheiden Kortes als Teilhaber den Fortbestand des Unternehmens bis zu seiner Schließung im September 1944 sicherten.222 Auch Ernst Rowohlt lavierte. Einerseits gab er Sachbücher zum Nationalsozialismus heraus und rückte eine weitgehend unpolitische Belletristik und Reiseliteratur in den Vordergrund seines Verlagsprogramms.223 Andererseits beschäftigte er unter Missachtung der gesetzlichen Bestimmungen seine jüdische Sekretärin Clara Ploschitzki, seine jüdischen Lektoren Franz Hessel und Paul Mayer weiter, hielt an politisch umstrittenen Autoren wie Hans Fallada und Erik Reger fest und veröffentlichte Übersetzungen aus der amerikanischen und französischen Gegenwartsliteratur (Sinclair Lewis, Thomas Wolfe, William Faulkner, Louis-Ferdinand Céline, Jules Romains). Um sich politisch abzusichern, trat Rowohlt 1937 sogar der NSDAP bei.224 Dennoch wurde er im Mai 1938 von Goebbels aus der Kammer ausgeschlossen, weil er »gänzlich untragbar geworden« war,225 und flüchtete nach Brasilien, dem Heimatland seiner zweiten Ehefrau.226 Der Ausschluss erfolgte aufgrund eines »Ehrenverfahrens« der »Gruppe Buchhandel« wegen der Verbreitung von Büchern jüdischer Autoren: Nach Neuauflagen von Mascha Kalékos erstem Buch Das Lyrische Stenogrammheft aus dem Jahre 1933 und ihrem 1934 veröffentlichten Lyrik-/Kurzprosa-Band Kleines Lesebuch für Große war 1936 auch die Biografie über Adalbert Stifter von Urban Roedl (d. i. Bruno Adler) bei Rowohlt erschienen. Im Oktober 1938 erwarb die Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart, die bereits über die Vera-Verlagsanstalt GmbH dem Eher-Konzern einverleibt worden war,227 vom Deutschen Verlag die Geschäftsanteile der Rowohlt Verlags GmbH.228

222 Vgl. »Vertrauliche Meldung I für den Landesobmann des Buchhandels [Berlin] bestimmt« vom 29. Mai 1943, ebd. Die Jahresumsätze des Verlags stiegen zwischen 1938 und 1942 von 101.551,13 RM auf 273.525,51 RM. 223 Eine allzu durchsichtige Taktik, die bei der NSDAP auf wenig Gegenliebe stieß. Siehe das SDLeitheft Verlagswesen, BArch R 58/1107 Bl. 28, sowie das Schreiben Amanns an Bouhler vom 10. Dezember 1938, S. 2, BArch NS 11/9. Vgl. auch Oels: Rowohlts Rotationsroutine. 224 Vgl. BArch BDC/Masterfile/Rowohlt, E. Rowohlt stellte den Antrag am 2. Dezember 1937 und wurde nachträglich ab 1. Mai aufgenommen. Die 1940 erfolgte Streichung der Mitgliedschaft wurde am 17. Dezember 1943 rückgängig gemacht, nachdem Rowohlt die Gründe für seine unterlassenen Beitragszahlungen angegeben und die Beträge nachgezahlt hatte. Siehe sein Schreiben an die NSDAP-Ortsgruppe Grünheide vom 25. August 1943, BArch BDC/ Partei-Kanzlei Correspondence/Rowohlt E. 225 Goebbels-Tagebücher 31. Mai 1938, Teil I, Bd. 5, S. 326. 226 Zum Ausschluss Rowohlts aus der »Gruppe Buchhandel« siehe den »Jahreslagebericht 1938 des Sicherheitshauptamtes«. In: Meldungen aus dem Reich, Bd. 2, S. 156. 227 Vgl. dazu das »Leitheft Verlagswesen« (1937), BArch R 58/1107 Bl. 32. 228 Vgl. Mitteilung der Rowohlt Verlags GmbH (H.M. Ledig) an die Autoren, Mitarbeiter und Freunde des Rowohlt Verlages vom 20. Dezember 1938, StAL BV/F 7815 (Ernst Rowohlt Verlag). Laut Mitteilung der BV-Adressbücher-Redaktion vom 12. August 1937, ebd., war die Rowohlt Verlags KG auf Aktien bereits am 31. Juli 1937 erloschen und ihre Bestände waren von der Rowohlt GmbH übernommen worden.

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Geschäftsführer wurde Heinrich Maria Ledig.229 Am 1. November 1943 wurde die Rowohlt GmbH mit der DVA »verschmolzen und damit aufgelöst«.230 Erheblichen politischen Repressionen waren auch die Verleger konfessioneller Literatur ausgesetzt. Bereits im Laufe der 1930er Jahre wurden wiederholt im Auftrag der Kammer konfessionelle Verlage, Druckereien und Büchereien von den Polizeibehörden auf »schädliches und unerwünschtes Schrifttum« hin durchsucht.231 Im Zusammenhang mit der Verbreitung der Enzyklika Mit brennender Sorge von Papst Pius XI. wurden im Verlauf des Jahres 1937 insgesamt zwölf Druckereien von der Gestapo geschlossen und ihre Besitzer enteignet.232 Ergänzend zu solchen Einzelmaßnahmen begann der SD, die Tätigkeit dieser wirtschaftlich starken und politisch einflussreichen Gruppe von Verlagen einer systematischen Überwachung zu unterziehen. Im »Leitheft Verlagswesen« erhielten die SD-Mitarbeiter 1937 einen detaillierten Überblick über die katholisch und evangelisch orientierten Verlage.233 Seit 1938 gingen die von den einzelnen SD-Abschnitten recherchierten »Meldungen aus dem Reich« regelmäßig auf die Produktion der konfessionellen Verlage ein. Im Dezember 1939 registrierte der SD beim Vergleich mit der Vorjahresproduktion einen Anstieg des Anteils der konfessionellen Literatur am Gesamtschrifttum von 9,5 auf 10,5 Prozent.234 Die Papierkontingentierung, die vom Propagandaministerium auch mit dem Ziel einer Eindämmung der konfessionellen Literatur eingeführt worden war, wirkte sich in der Praxis offenkundig kaum aus. Die Produktion der konfessionellen Verlage sank zwar im ersten Viertel des Jahres 1940 um rund 17 Prozent.235 Das war jedoch weniger als der Rückgang der Gesamtproduktion im deutschen Buchhandel, der sich auf durchschnittlich 21 Prozent belief.236 Einige katholi-

229 Vgl. Mitteilung des Börsenvereins (Dr. Heß) an den Pudor Verlag vom 8. Februar 1940, StAL BV/F 7815. 230 Siehe den Ausschnitt aus dem Börsenblatt 110 (1943) 176, ebd. 231 Siehe u. a. den Vorgang vom Dezember 1935/Januar 1936 zu Richard Wirtz: Das Moselland. Ein Heimatbuch, Paulinusdruckerei Trier, BArch R 58/974 Bl. 156 –189; die hausinterne Meldung des Gestapa-Referats II 2 C 102 an II 2 B vom 29. Februar 1936 betr. Schriften des Borromäus-Vereins, BArch R 58/769 Bl. 75; das von der PPK erlassene Verbot für die ersten sechs Bände des Lexikons Der große Herder vom 5. August 1937, BArch R 58/909 Bl. 112; den von der PPK am 9. August 1937 verfügten Auslieferungsstopp für das im Verlag Kösel & Pustet erschienene Handbuch der Erziehungswissenschaften, BArch R 58/907 Bl. 50. Diese auf dem »ordentlichen« Instanzenweg zustande gekommenen Buchverbote geben allerdings das Ausmaß der Unterdrückungsmaßnahmen nur unvollständig wieder. Die Fülle der verbotenen konfessionellen Kleinschriften wurde nämlich überhaupt nicht in die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« aufgenommen. Vgl. ferner Wittmann: Der gerade Weg. 232 Vgl. dazu Graf: Der Trierer Buchdrucker Josef Herzig und das Schicksal seiner Druckerei im Dritten Reich, insbes. S. 276 –288. 233 Vgl. BArch R 58/1107 Bl. 25 und Bl. 30 f. 234 Vgl. Meldungen aus dem Reich (1939) 30, Bd. 3, S. 582. 235 Vgl. Meldungen aus dem Reich (1940) 84, S. 1092. 236 Zahlenangabe ebd.

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sche Verlage konnten sogar, wie der SD Anfang Juli 1941 nachwies, während des Krieges ihre Produktion noch einmal kräftig steigern.237 Die staatliche Schrifttumsbürokratie bemühte sich, durch eine Reihe von Maßnahmen das resistente Verhalten der konfessionellen Verlage und ihren ungebrochenen Einfluss auf die Bevölkerung einzudämmen. In der »Anordnung zum Schutz der verantwortlichen Persönlichkeit im Buchhandel« wurde festgelegt, dass Unternehmen, die sich in der Hauptsache in den Dienst einer bestimmten, nicht Gedankengut der Gesamtheit des deutschen Volkes bildenden Weltanschauung, eines religiösen Bekenntnisses oder einer ihren Zwecken dienenden Einrichtung stellen, […] diese Zielsetzung in ihrer Firma eindeutig und für jeden klar erkennbar zum Ausdruck bringen mussten.238 In einer am 3. Mai 1939 dazu erlassenen »zweiten Durchführungsverordnung« wurde noch einmal geklärt, dass sich ein Verleger bereits dann »in den Dienst eines religiösen Bekenntnisses stellt«, wenn er auch nur ein einziges Werk im Bereich des religiösen Schrifttums veröffentlicht; »sei es schöngeistiges, populär-wissenschaftliches oder wissenschaftlich-theologisches Religions-Schrifttum«.239 Damit wurde eine Entwicklung eingeleitet, die man zugespitzt als »Ghettoisierung« des konfessionellen Verlagsbuchhandels bezeichnen könnte. Denn Verlagsunternehmen wie C. Bertelsmann, Herder, Kösel & Pustet, Ferdinand Schöningh oder Vandenhoeck & Ruprecht, die bislang noch mit einer gemischten Produktion gearbeitet hatten, mussten sich nun binnen eines Jahres entscheiden, ob sie auf ihre konfessionellen Publikationen ganz verzichten oder ob sie sich als ausschließlich konfessionelle Verlage zu erkennen geben wollten.240 Allerdings machte man im Propagandaministerium und in der Kammer die Erfahrung, dass die Verleger und Verfasser konfessioneller Schriften häufig genug tätig wurden, ohne überhaupt die Kammer-Mitgliedschaft erworben zu haben.241 Um diese Lücke im Kontrollsystem auszuschalten, ließ Goebbels am 17. Juli 1940 vom Ministerrat für die Reichsverteidigung eine »Verordnung über den Nachweis der Zugehörigkeit zur Reichsschrifttumskammer« erlassen.242 Darin wurde festgelegt, dass sich jeder Drucker einer für die Öffentlichkeit bestimmten Schrift vor Annahme eines Druckauftrags »vergewis237 Siehe die Angaben zur Umsatzsteigerung des Ferdinand Schöningh-Verlags, der Bonifatiusdruckerei (Paderborn) und des Verlags Buzon & Bercker (Kevelaer) in den Jahren 1938 bis 1940 in den Meldungen aus dem Reich (1941) 200, Bd. 7, S. 2492. 238 Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 98 f. 239 Wiedergegeben als Anm. 6, ebd., S. 100 –105, hier S. 104. 240 In diesem Sinne der Kommentar von Gentz: Neue Bekanntmachungen der Reichsschrifttumskammer. In: Börsenblatt 106 (1939) 87, S. 293 –295, hier S. 293: »Für den Verlag ist diese Bestimmung eindeutig, ebenso für den Reise- und Versandsbuchhandel: man spezialisiert sich entweder in der Hauptsache auf das konfessionelle Schrifttum oder gibt diese Sparte ganz auf«. Siehe dazu auch den »1. Vierteljahreslagebericht 1939 des Sicherheitshauptamtes«. In: Meldungen aus dem Reich, Bd. 2, S. 290. 241 So Ihde in einem Aktenvermerk vom 15. November 1940 betr. Bearbeitung der Papierverbrauchsstatistik-Fragebogen, BArch R 56 V/43 Bl. 225, sowie Goebbels in einem Schreiben an Bormann vom 27. Juli 1941, BArch NS 8/186 Bl. 106. 242 Vgl. Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 60 f.

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sern« musste, dass »ihr Verleger oder, wenn ein solcher nicht vorhanden ist, ihr Verfasser der Reichsschrifttumskammer gegenüber seine Ordnungspflicht erfüllt hat«. Die Überprüfung sollte anhand des Mitgliedsausweises oder eines Befreiungsscheins des Auftraggebers erfolgen. Ergänzend dazu ordnete Goebbels an, dass allen Geistlichen, die von der zuständigen NSDAP-Gauleitung oder von der Gestapo und dem SD abgelehnt wurden, die Aufnahme in die Kammer verweigert werden sollte.243 Schließlich wurde im August 1940 die bisherige Vertriebsfreiheit von Schrifttum unter der Preisgrenze von 0.50 RM aufgehoben, sodass die massenhaft verbreiteten konfessionellen Broschüren ebenso wie die Kriminal- und Abenteuerliteratur kontrolliert werden konnten.244 1941 sollte durch eine »verschärfte Auskämmung bzw. Schließung konfessioneller Druckereien« die Produktion der Verlage verlangsamt oder völlig zum Erliegen gebracht werden.245 Dennoch musste Goebbels gegenüber Bormann Ende Juli 1941 einräumen, dass die Kirchen durch eine »planmäßige Sabotage unter Ausnutzung aller Möglichkeiten […] eine abschließende Lösung des Problems« unterlaufen hatten. Im Propagandaministerium setzte man daher auf die schleichende Ausschaltung der konfessionellen Verlage durch die Verweigerung der Papierzuteilungen, durch Teilindizierungen und das Gesamtverbot der Publikationen einzelner Verlage oder durch den Abzug von Arbeitskräften aus den Verlags- und Druckbetrieben.246 Doch selbst die 1943 und 1944 vom Propagandaministerium forcierten »Auskämmaktionen« führten zu keinem entscheidenden Substanzverlust. Weder große Verlage wie Herder, Ferdinand Schöningh, Kösel & Pustet oder Josef Bercker in Kevelaer noch mittlere Unternehmen wie Vandenhoeck & Ruprecht oder der Bachem Verlag in Köln wurden ganz geschlossen.247 Von den Zwangsmaßnahmen der staatlichen Schrifttumsbürokratie betroffen waren neben dem Rufer Verlag und dem Verlag C. Bertelsmann, der im Herbst 1944 als Konkurrent des Zentralverlags der NSDAP ausgeschaltet wurde,248 vor allem kleinere Familienunter243 Vgl. Schreiben von Goebbels an Bormann vom 27. Juli 1941, BArch NS 8/186 Bl. 105. 244 Vgl. ebd. (Pkt. 3). Siehe dazu die von der RSK am 26. Oktober 1940 erlassene Anordnung über den Vertrieb von Schrifttum. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 208. 245 Goebbels an Bormann vom 27. Juli 1941, BArch NS 8/186 Bl. 105 (Pkt. 6). Zum Folgenden siehe ebd. Bl. 105 f. 246 So Goebbels ebd. Bl. 105 (Pkt. 5). Von einem Gesamtverbot betroffen waren u. a. der Jugendhaus Düsseldorf e.V. und der Zwingli Verlag, Zürich (Jahresliste 1939 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, S. 12), die Verbandsverlag weiblicher Vereine GmbH, Düsseldorf (Jahresliste 1940 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, S. 21), der Franz Borgmeyer Verlag und die Watch Tower Bible and Tract Society, Schweiz (Jahresliste 1941 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, S. 22), die Bibelschule Beatenburg, sämtliche Verlage der Christian Science und der Verlag der Christengemeinschaft Stuttgart (Jahresliste 1942 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, S. 9). 247 Vgl. Liste der zu sichernden Verlage (Stand: Mitte 1943), BArch R 56 V/182 Bl. 358 –367. Der Bertelsmann Verlag, der ursprünglich auf der »Liste der stillzulegenden Verlage«, ebd. Bl. 378 –414, hier Bl. 388, stand, wurde nachträglich in die Sicherungsliste (Bl. 370/Rs.) eingefügt. Vandenhoeck & Ruprecht wurde auf Anweisung der Schrifttumsabteilung des RMVP am 12. Juni 1943 in die Sicherungsliste übernommen, ebd. Bl. 215. Das Gleiche gilt für Kösel & Pustet. Mitteilung der RSK an das Landeswirtschaftsamt München 23 vom 28. Juni 1943, BArch R 56 V/109 Bl. 44. 248 Vgl. hierzu Bertelsmann im Dritten Reich, Kap. 10, S. 445 ff.

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nehmen, an denen stellvertretend ein Exempel statuiert wurde im Vorgriff auf das, was nach dem »Endsieg« der gesamte konfessionelle Buchhandel zu erwarten hatte.249 Auch bei den vertreibenden Buchhändlern erfolgte die Aufnahme in die Kammer über die Gauobmänner und Gaufachschaftsberater, die wiederum auf der Grundlage von Beurteilungen der Bezirksobleute und Fachschaftsberater entschieden. Die aus dem Gau Groß-Berlin überlieferten Berichte aus dem Jahr 1936 nennen neben volkswirtschaftlichen Erwägungen auch mangelnde buchhändlerische Professionalität oder den Vertrieb minderwertiger Literatur als Gründe für die Ablehnung von Aufnahmeanträgen.250 Im engeren Sinne politisch motiviert war nur eine ablehnende Stellungnahme: Der Inhaber einer Buchhandlung in Schöneberg war in einem Konzentrationslager interniert, »weil er auf der einen Seite wissenschaftliche Literatur, nationalsozialistisches Schrifttum und auf der anderen Seite verbotenes und unerwünschtes Schrifttum vertrieben« hatte.251 Als genauso verwerflich galt eine zu starke Profitorientierung. Einen Buchhändler des Berliner Westens charakterisierte der zuständige Bezirksobmann als »Prototyp eines kaufmännischen Managers, der für den deutschen Buchhandel deshalb solche Gefahr bildet, weil er das Buch nur als Ware und nicht als geistiges Produkt betrachtet«.252 Dagegen wurde der Antrag einer Buchhändlerin in Charlottenburg trotz gewisser Bedenken gegen ihre fachliche Eignung befürwortet, weil sie »dank ihrer ganzen Einstellung und vertrauenerweckenden Haltung in ihrem kleinen Bereich eher im Sinne der Buchpolitik des Dritten Reiches arbeitet«.253 Und ein weiterer Antragsteller aus dem Berliner Westen wurde als ein »strebsamer junger Buchhändler« gelobt, weil er ein ehemals jüdisches Geschäft »arisiert« hatte.254 Mit der staatlich kontrollierten Berufszulassung war allerdings noch keineswegs sichergestellt, dass sich der vertreibende Buchhandel tatsächlich an die von der Kammer erlassenen Anordnungen zum Betrieb ihrer Geschäfte hielt. Im April 1936 kritisierte Das Schwarze Korps unter der Überschrift »Reaktionärer Buchhandel«, dass eine »Böswilligkeit heute noch in weiten Kreisen des deutschen Gesamtbuchhandels zu finden ist, beim Sortimenter und Leihbuchhändler dabei noch weit mehr als beim Verleger«.255 Aus »Gewohnheit und Bequemlichkeit« stünden weiterhin die »rein kaufmännischen Interessen« im Vordergrund. Die in den Schaufenstern von Buchhandlungen aufgestellten Standardwerke Hitlers und Rosenbergs seien »oft nur die politischen Feigenblätter, mit denen die Herren Buchhändler ihre splitternackte reaktionäre Einstellung zu bedecken versuchen«. Denn hinter diesen wenigen Schriften führender Repräsentanten des 249 Siehe dazu vor allem die Fallstudien von Graf zur Verlags- und Sortimentsbuchhandlung Franz Borgmeyer und zum Trierer Buchdrucker Josef Herzig. 250 Vgl. Berichte zu den Aufnahme-Anträgen der Schöneberger Leihbücherei und Buchhandlung Wolf. G. Liebrecht vom 22. Mai 1936, der Leihbücherei W. Schlawitz vom 28. Mai 1936, des Papier- und Schreibwarenhändlers Richard Schubert vom 22. Mai 1936, des Antiquariats Artur Bonß vom 20. Mai 1936, LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/28. 251 Mitteilung des Gauobmanns an die Geschäftsstelle des BRB in Leipzig vom 27. Mai 1936, ebd. 252 Bericht in Sachen Hermann Sack vom 25. Mai 1936, ebd. 253 Bericht des Gaus Groß-Berlin im BRB über die durchgeführte Eignungsprüfung von Frau Clara von Flemming vom 27. Mai 1936, ebd. 254 Bericht zum Aufnahme-Antrag Max Perl vom 25. Mai 1936, ebd. 255 Das Schwarze Korps 2 (1936), Folge 17 vom 23. April 1936, S. 2. Die folgenden Zitate ebd.

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NS-Staates türmten sich angeblich »leider nur allzu häufig die Erzeugnisse eines liberalistischen oder einseitig konfessionellen Denkens, zu deren Veröffentlichung sich immer noch deutsche Verleger hergeben«. Der Artikel regte an, die Buchhandlungen des Berliner Westens und des Buchhandelszentrums Leipzig, insbesondere deren Antiquariate, einmal daraufhin zu überprüfen, wie viele der von der Kammer indizierten »schädlichen und unerwünschten« Schriften dort tatsächlich noch gekauft werden konnten. Damit stand der Buchhandel vor der Alternative, entweder »den Weg der ernsthaften geistigen Erneuerung oder den der bewussten Sabotage« zu gehen. Bislang hätte man seinem Zögern noch »abwartend« zugesehen, nun aber sei »die Zeit, die zu seiner Selbstbesinnung nötig war, […] endgültig verstrichen […], und darum reden wir jetzt und hoffen, dass man uns verstanden hat!« Als unmittelbare Folge dieser Denunziation wurden im Frühjahr 1936 Leipziger Buchhandlungen und Antiquariate durchsucht.256 Dabei förderte die Gestapo größere »Mengen verbotenen Schrifttums zutage«. Auch im Regierungsbezirk Königsberg beschlagnahmte die Gestapo im Mai 1936 rund 3.000 Schriften in 63 Buchhandlungen. Aufgrund der Ergebnisse dieser beiden stichprobenartigen Aktionen entschloss man sich zu einer »gründliche[n] Überholung aller buchhändlerischen Betriebe«. Sie erfolgte ab Oktober 1936 und bis zum Juni 1937 »schlagartig« im gesamten Reichsgebiet. Insgesamt wurden rund 5.000 Buchhandlungen, Antiquariate und Leihbüchereien durchsucht und »etwa 300.000 Schriften beschlagnahmt und eingezogen«. Diese Zahl war selbst für die nationalsozialistischen Schrifttumsfunktionäre angesichts der Tatsache, dass bereits mehr als drei Jahre seit der »inneren und äußeren Neuordnung des deutschen Schrifttums« vergangen waren, »überraschend hoch«. Als Gründe für die enttäuschende Bilanz nannte der Abschlussbericht vor allem das politische Versagen einzelner Buchhändler und deren primär wirtschaftliche Orientierung, die Geheimhaltung der »Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«, die Anzeigen für »unerwünschte Schriften, Autoren und Verlage« in Fachzeitschriften wie dem Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel oder in Katalogen und Bücherverzeichnissen, aber auch die bei früheren Aktionen eingesetzten, »schrifttumsmäßig nicht genügend geschulten« Gestapobeamten, die »eine dem Labyrinth eines buchhändlerischen Betriebs zu wenig angepasste Durchsuchungstechnik« angewendet hatten. Mit völligem Unverständnis wurde festgestellt, dass selbst bei den vom BRB eingesetzten Obmännern »besonders umfangreiche Beschlagnahmungen vorgenommen werden mussten, da sie sich offenbar aufgrund ihres Amts vor Durchsuchungen sicher fühlten.« Unter den beschlagnahmten Büchern befanden sich Schriften emigrierter und jüdischer Autoren, marxistische Veröffentlichungen, konfessionelle Literatur, gegen den Nationalsozialismus gerichtete Literatur, »Schund und Schmutz« sowie pornographische Darstellungen. Im Regierungsbezirk Düsseldorf führte die Stapostelle Düsseldorf in Zusammenarbeit mit dem SD-Oberabschnitt West vom 8. September bis zum 14. November 1936

256 Siehe hierzu und zum Folgenden den Gesamtbericht über die vom Oktober 1936 bis Juni 1937 erfolgte Durchsuchung buchhändlerischer Betriebe nach schädlichem und unerwünschtem Schrifttum, BArch R 56 V/67 Bl. 310 –315.

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insgesamt 38 Aktionen durch.257 Bei den 898 betroffenen Geschäften wurden nicht weniger als 37.040 Bände beschlagnahmt, die zum Teil an das SD-Hauptamt weitergeleitet, größtenteils jedoch eingestampft werden sollten. In seinem Abschlussbericht an das Gestapa vom 15. Februar 1937 konnte der Leiter der Stapostelle Düsseldorf melden, dass die Buchhändler im Großen und Ganzen »befriedigt« darüber gewesen waren, dass »aus ihren Lagern und Läden diese Art Literatur entfernt wurde«.258 Allerdings hatten viele Buchhändler »bedauert«, dass sie »nicht in den Besitz der Liste [des schädlichen und unerwünschten Schrifttums] gelangen können, um so gleich bei Bestellungen aus dem Publikum darüber Bescheid zu wissen, ob die betreffenden Bücher überhaupt beschafft werden können«. Die fehlenden Informationen über die Liste seien auch immer wieder als Entschuldigungsgrund für die verhältnismäßig große Anzahl der in den Buchhandlungen vorgefundenen Verbotsliteratur angeführt worden. Im Regierungsbezirk Koblenz wurden vom 27. bis 30. Oktober 1936 insgesamt 61 Buchhandlungen und Leihbüchereien von Beauftragten des SD-Unterabschnitts Koblenz und Angehörigen der Stapostelle »planmäßig und schlagartig« durchsucht.259 Auch hier musste in beträchtlichem Umfang verbotene Literatur sichergestellt werden. Übersichten über die in den Buchhandelsfirmen der beiden Regierungsbezirke beschlagnahmte Verbotsliteratur wurden jeweils vom Gestapa an die Kammer weitergeleitet »mit der Bitte, das nach dortiger Ansicht Erforderliche veranlassen zu wollen«.260 Die Kammer erteilte daraufhin zahlreichen Buchhändlern »Verwarnungen« und »Ordnungsstrafen«.261

Formale und informelle Steuerungsmechanismen Neben der Kontrolle der Berufszulassung und der regelmäßigen Durchsuchung von Ladengeschäften des vertreibenden Buchhandels setzte die Kammer ein differenziertes Instrumentarium formalrechtlicher und informeller politischer Kontrollen ein, um den Buchmarkt in nationalsozialistische Bahnen zu lenken. In den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag«, die von 1935 bis 1945 herausgegeben wurden, erhielten die Verleger neben rein fachlichen Informationen eine Vielzahl politischer Anweisungen. 262 Das gleiche Verfahren wurde in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Handel« praktiziert, die von 1936 bis 1945 erschienen. Um sich einen Überblick über die Produktion bestimmter Verlagsgruppen verschaffen und sie in die erwünschten Bahnen len257 Siehe dazu das Schreiben der Stapostelle Düsseldorf an das Gestapa vom 15. Februar 1937, hier S. 3. In BArch BDC/RSK/158 B: »Unerwünschtes Schrifttum« – Gestapo/Regierungsbezirke Düsseldorf, Koblenz. 258 Ebd., S. 1. 259 Vgl. Bericht der Stapostelle für den Regierungsbezirk Koblenz (II 2) an Gestapa vom 1. Dezember 1936, BArch Berlin Lichterfelde BDC/RSK/158 B: »Unerwünschtes Schrifttum« – Gestapo/Regierungsbezirke Düsseldorf, Koblenz. 260 Schreiben des Gestapa (II 2 B) an den Präsidenten der RSK vom 12. Dezember 1936 und vom 13. März bzw. 28. Juli 1937, ebd. Die Aufstellungen zu den Firmen und beschlagnahmten Büchern finden sich ebd. 261 Siehe ebd. die im März/April 1937 verschickten Schreiben der RSK. 262 Siehe dazu im Einzelnen Jörg Thunecke: NS-Schrifttumspolitik am Beispiel der Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag (1935 –1945), in: Leid der Worte, S. 133 –152.

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ken zu können, wurden von 1934 bis 1937 eine Reihe von »Beobachtungs-« oder »Beratungsstellen« aufgebaut. Der im April 1934 gegründeten »Beobachtungsstelle (ab 1936 Beratungsstelle) für den Reisebuchhandel« mit Sitz in Leipzig war jedes Werk, das über den Reisebuchhandel vertrieben wurde, »ohne besondere Aufforderung« zu melden und zur Prüfung vorzulegen.263 Dies galt auch für Neuauflagen und Neuausgaben von bereits veröffentlichten Werken. Geleitet wurde diese »Beobachtungsstelle« von einem »Ausschuss«, in dem die Reichsschrifttumskammer, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Buchvertreter, der Verband der Reise- und Versandbuchhandlungen und die Vereinigung am Reisebuchhandel interessierter Vertreter zusammenkamen. Im Juli 1935 folgte die Einrichtung einer »Beratungsstelle für Unterhaltungsliteratur« mit Sitz in Berlin.264 Die Verleger dieser Literatur, insbesondere die Mitglieder der »Vereinigung der am Leihbüchereiwesen interessierten Verleger« und der »Arbeitsgemeinschaft der Verleger für Volksliteratur«, sollten ihre Neuerscheinungen bereits vor der Drucklegung vorlegen.265 Im Februar 1936 wurde die »Beratungsstelle für astrologisches und verwandtes Schrifttum« errichtet.266 Verleger von »Schriften astrologischen, graphologischen, chirologischen sowie okkulten Inhalts« waren von nun an verpflichtet, auf Anforderung ihre gesamte Verlagsproduktion ebenso wie Neuausgaben oder Neuauflagen »vor dem Erscheinen« der »Beratungsstelle« zur Prüfung vorzulegen. Ende April 1936 folgte eine »Beratungsstelle für Fachverleger in der Reichsschrifttumskammer«.267 Ihre Aufgaben sollten vor allem darin bestehen, die seit 1935 staatlich geförderte Fachbuchwerbung zu intensivieren, »unerwünschte« Fachliteratur vom Buchmarkt zu eliminieren und die Verlagsplanungen im Sinne der Bedürfnisse der Wirtschaft zu beeinflussen. Im Oktober 1936 kam es schließlich noch zur Gründung einer »Beratungsstelle für das Adress- und Anzeigenbuchverlags-Gewerbe«.268 Sie war vor allem für die »Überwachung der Preisgestaltung und Vertriebsart« zuständig, sollte aber auch »Richtlinien über das Brauchtum« im Adress- und Anzeigenbuchverlags-Gewerbe erlassen können. Die Mitglieder der Kammer wurden verpflichtet, der »Beratungsstelle« auf Anfrage hin Auskünfte zu erteilen und die durch die anfallenden Prüfungsarbeiten entstehenden Kosten zu erstatten. Die fünf »Beratungsstellen«, die alle in einer engen organisatorischen und personellen Verbindung mit der Kammer standen, wurden im Frühjahr 1937 zusammen mit einer weiteren Abteilung für »Volksheilkunde« in der »Beratungsstelle Verlag« zusam-

263 Vgl. Anordnung über die Einrichtung einer Beobachtungsstelle für den Reisebuchhandel vom 15. April 1934. In: Das Recht der Reichskulturkammer, Bd. I, S. 213 sowie die dazu am 12. Juni 1934 erlassenen Durchführungsbestimmungen, ebd., S. 220 f. Zur Änderung des Namens siehe die »Anordnung betr. Beratungsstelle für den Reisebuchhandel« vom 16. Oktober 1936, ebd., Bd. V, S. 81 f. 264 Vgl. Anordnung zur Förderung guter Unterhaltungsliteratur vom 24. Juli 1935. In: Das Recht der Reichskulturkammer, III, S. 125 f. 265 So die noch zurückhaltenden Formulierungen ebd., S. 126. 266 Vgl. Das Recht der Reichskulturkammer, IV, S. 92. 267 Vgl. Mitteilung der Reichsschrifttumskammer. In: Börsenblatt 103 (1936) 98, S. 383. 268 Vgl. Anordnung über die »Beratungsstelle für das Adress- und Anzeigenbuchverlags-Gewerbe« vom 21. Oktober 1936. In: Das Recht der Reichskulturkammer, V, S. 82 f.

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mengefasst.269 Im April 1938 ging die Zuständigkeit für diese »Beratungsstelle« von der Kammer auf die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums über.270 Sie reglementierte nun gemeinsam mit der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels die Produktion der deutschen Verlage, vor allem während des Zweiten Weltkriegs, als die Papier- und Einbandstoffe immer rigider bewirtschaftet werden mussten. Neben der Produktion kontrollierte und reglementierte die Kammer auch die Anzahl der auf dem Buchmarkt agierenden Unternehmen. Zu Beginn des Jahres 1934 verhängte sie eine Sperre der Neugründung und Wiedereröffnung von Leihbüchereien, die zunächst bis zum 30. Juni befristet war, jedoch bis 1945 immer wieder verlängert wurde.271 Die Maßnahme verhinderte eine Ausweitung dieses buchhändlerischen Geschäftszweigs und erleichterte die Erfassung der einzelnen Mitglieder des Berufsstands. Im Februar 1934 erließ die Kammer »Rahmenbestimmungen für die Ausübung des Leihbüchereigewerbes«.272 Danach durften Leihbüchereien »in der Regel« nur noch als Einzelgewerbe betrieben werden. Der zum damaligen Zeitpunkt weit verbreitete Betrieb von Leihbüchereien im Nebengewerbe war zukünftig nur noch solchen Firmen gestattet, deren Inhaber bereits durch ihr Hauptgewerbe von einem Fachverband innerhalb der Kammer erfasst worden waren. Alle Inhaber von Leihbüchereien mussten ebenso wie ihre Angestellten Mitglieder der Kammer sein. Die Leihbüchereibesitzer wurden zusätzlich verpflichtet, »sich über die für das Leihbüchereigewerbe geltenden Bestimmungen und über weitere Anordnungen aus einer Fachzeitschrift zu unterrichten«. Die Ausübung des Leihbüchereigewerbes sollte nur noch »in Läden oder geschlossenen, dazu geeigneten Räumen« erfolgen, »nicht aber in Hausfluren, Gängen, Strassen, Wegen usw. oder an offenen Ständen«. Die für die Ausleihe bestimmten Bücher hatten in »hygienisch einwandfreiem Zustand« zu sein und einen deutlich sichtbaren Eigentumsvermerk zu tragen. Selbst die Bezugsmodalitäten wurden dahingehend reglementiert, dass Neuanschaffungen ausschließlich über die Verlage oder über den Zwischenbuchhandel bezogen werden durften. Alle anderen Lieferverträge waren zu kündigen. Die Rahmenbestimmungen ebenso wie alle weiteren Anordnungen zum Leihbüchereigewerbe wurden für jeden Geschäftseigentümer verbindlich und für Verstöße wurden »Ordnungsstrafen« angedroht. Im Mai 1934 kündigte die Fachschaft Leihbüchereien in der Reichsschrifttumskammer eine Mitgliederliste an, die die Namen und Anschriften der Firmen enthalten sollte, die für die weitere Ausübung des Leihbüchereigewerbes zugelassen waren.273 Firmen, die nicht in dieses Verzeichnis oder in das Adressbuch des Deutschen Buchhandels aufgenommen worden waren, durften von Verlagen, Großbuchhandlungen, Barsortimenten oder Kommissionären nicht mehr mit neuen Büchern beliefert werden. Um die Einhaltung dieser Vorschrift überprüfen zu können, hatten die zur Belieferung des Leihbuch269 Vgl. »Amtliche Bekanntmachung« des Präsidenten der RSK Nr. 118 vom 25. März 1937. In: Das Recht der Reichskulturkammer, hier RSK I, 52, S. 74. 270 Vgl. Zweite Bekanntmachung über die Gliederung der Reichsschrifttumskammer. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 44. 271 Vgl. Amtliche Bekanntmachung der RSK vom 4. Januar 1934. In: Börsenblatt 101 (1934) 5, S. 13; Das Recht der Reichskulturkammer, I, S. 215, II, S. 89, III, S. 124 und IV, S. 95; Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 224 f.; Die Reichskulturkammer 2 (1944), S. 148. 272 Vgl. Das Recht der Reichskulturkammer, I, S. 207 f. 273 Vgl. Börsenblatt 101 (1934) 109, S. 425.

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handels berechtigten Firmen eine Liste ihrer Kunden an die Fachschaft Leihbüchereien zu übersenden. Diese Regelungen begünstigten auch die Ermittlung der von Juden geführten Leihbüchereien, von denen 14 bis 1937 auf Anweisung der Kammer polizeilich geschlossen wurden.274 Eine weitere »Anordnung« vom Mai 1934 machte die von den Vertretern der Leihbüchereien und den Obmännern der Fachschaft ausgehandelten Mindestleihgebühren für jeden Leihbüchereibesitzer rechtlich verbindlich.275 Erklärtes Ziel der Kammer war es, eine einheitliche Preisgestaltung herbeizuführen, die zur wirtschaftlichen Konsolidierung des Gewerbes beitragen sollte.276 Über die im April 1934 gegründete »Beratungsstelle für den Reisebuchhandel« verschaffte sich die Kammer einen genauen Einblick in die Geschäftspraktiken der Reiseund Versandbuchhandlungen, deren Verkauf nicht in Ladengeschäften, sondern über Vertreter oder über Prospekt- und Anzeigenwerbung erfolgte. Ergänzend dazu wurde am 22. Oktober 1936 eine »Gründungssperre für Reise- und Versandbuchhandlungen« erlassen,277 die zunächst bis 1939 befristet, dann aber bis 1946 verlängert wurde.278 So konnte die Zahl der zugelassenen Firmen und Personen auch in diesem Geschäftszweig eingegrenzt werden. Nach der Ausgliederung des Börsenvereins aus der Kammer führte der Bund Reichsdeutscher Buchhändler eine »Stammrolle der buchhändlerischen Neben- und Kleinbetriebe« ein.279 Die Pflicht, einen entsprechenden Antrag auf Eintragung in diese »Stammrolle« zu stellen, galt für sämtliche »Buchverkaufsstellen«, die als unselbständiger Teil eines Einzelhandelsunternehmens mit einem Umsatz aus dem Buchverkauf von mindestens zehn Prozent des Gesamtumsatzes geführt wurden.280 Die Zulassung wurde an die Bedingung geknüpft, dass der Inhaber »die für die verantwortungsbewusste Führung einer solchen Verkaufsstelle kulturpolitisch und beruflich notwendige Gewähr bietet und der Charakter des Gesamtunternehmens dem Buchvertrieb innerlich entspricht«. Der Handel mit Büchern in den von der NSDAP bekämpften Warenhäusern, von denen viele in jüdischem Besitz waren, wurde durch eine Reihe von Einzelanordnungen erheblich eingeschränkt. So gab die Kammer im Juni 1934 bekannt, dass der als »unstatthaft« bezeichnete Vertrieb von »Symbolen der nationalsozialistischen Bewegung« durch Warenhäuser, warenhausähnliche Betriebe und »ganz allgemein jüdische« Firmen auch für sämtliche Bücher und Druckschriften galt, die »Fragen der nationalsozialistischen Weltanschauung oder Stoffe aus der Geschichte der Bewegung behandeln, sowie [für] solche, die durch Titel oder Ausstattung als nationalsozialistisch ausgegeben wer-

274 Siehe die Übersicht der Kammer vom 15. März 1937 in BArch R 55/21300. 275 Vgl. Anordnung zum Schutz der Mindestleihgebühren im Leihbüchereigewerbe. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 225. Die Leihgebührenordnung findet sich ebd., S. 226. 276 Vgl. Erläuterungen betreffend »Anordnung zum Schutz von Mindestleihgebühren im Leihbüchereigewerbe« in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Leihbücherei« Nr. 1 – 14 vom 16. Juni 1941. Wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 227. 277 Vgl. Das Recht der Reichskulturkammer, V, S. 83. 278 Vgl. Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 106 (bis 30. September 1941) sowie Die Reichskulturkammer 2 (1944), S. 148 (bis 30. September 1946). 279 Siehe dazu die »Anordnung zum Schutze der Bezeichnung ›Buchhandlung‹ und ›Buchhändler‹« vom 6. Februar 1935. In: Das Recht der Reichskulturkammer, II, S. 88. 280 Vgl. Das Recht der Reichskulturkammer, V, S. 77 –79.

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den.«281 Den Verlegern und Zwischenbuchhändlern wurde von der Kammer nahegelegt, die weitere Belieferung dieser Unternehmen zu unterlassen. Im März 1935 wurde den Warenhäusern, Kaufhäusern und Einheitspreisgeschäften die Führung von Leihbüchereien untersagt.282 Rund 200 Buchhandlungsgehilfen, die als Angestellte in Warenhäusern tätig waren, wurden nicht in den BRB übernommen und hatten damit keine berufsständische Interessenvertretung.283 Ziel war letztlich die Liquidation oder »Arisierung« dieses Zweigs des vertreibenden Buchhandels. Während des Kriegs griff die Kammer zunehmend in die Struktur des Betriebs von Buchgemeinschaften ein. In einer Ende September 1940 erlassenen »Anordnung« wurde die Gründung neuer Buchgemeinschaften oder deren Angliederung an ein bereits bestehendes Buchhandelsunternehmen von der Zustimmung des Kammer-Präsidenten abhängig gemacht.284 Buchgemeinschaften mussten ihre Schriften zu festen Reihenpreisen an ihre Mitglieder verkaufen. Lizenzausgaben durften über die Buchgemeinschaften erst ein Jahr nach dem Erscheinen der Originalausgabe vertrieben werden. Das »gleichzeitige Erscheinen eines Werkes« in einem Verlag und in einer Buchgemeinschaft war nur dann zulässig, wenn sich die von den Buchgemeinschaften angebotenen Bücher in der Einbandgestaltung von den Originalausgaben unterschieden. Am 1. August 1941 wurde für alle Buchgemeinschaften eine Mitgliedersperre verhängt.285 Während die Inlandswerbung völlig untersagt wurde, legte die »Gruppe Buchhandel« den Betreibern der Buchgemeinschaften aus propagandistischen Gründen eine Intensivierung der Werbung gegenüber dem Ausland nahe. Ab 1942 durften Buchgemeinschaften ihren Mitgliedern nur noch 50 Prozent der Bücher liefern, die vertraglich als »Regelleistung« vereinbart worden waren.286 Die Auslieferung von Zusatzbänden war ganz einzustellen. Eine Umstellung von billigen auf teure Buchreihen wurde untersagt. Von diesen Einschränkungen ausgenommen waren lediglich die Auslandsmitglieder.287 Von außen betrachtet reagierte die Kammer mit diesen Reglementierungen auf die kriegsbedingten Engpässe in der Verlagsproduktion. Faktisch sicherten sie jedoch vor allem die Anteile der Deutschen Hausbücherei und der Büchergilde Gutenberg am hart umkämpften Buchmarkt, also von Buchgemeinschaften, die sich im Besitz der DAF befanden.

281 Bekanntmachung über den Vertrieb nationalsozialistischen Schrifttums durch Warenhäuser und jüdische Firmen vom 18. Juni 1934. In: Das Recht der Reichskulturkammer, I, S. 222. 282 Vgl. Anordnung über den Betrieb von Leihbüchereien in Warenhäusern vom 25. März 1935. In: Das Recht der Reichskulturkammer, II, S. 90. 283 Zahlenangabe im Bericht über die Sitzung des Rates des BRB in der Zweigstelle Berlin am 20. September 1935, BArch BDC/RK/Filmnr. Z 0025 Bl. 1422 (S. 6). 284 Vgl. Anordnung über den Betrieb von Buchgemeinschaften vom 30. September 1940, in der Fassung vom 27. Februar 1941. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 166 f. 285 Vgl. Direkte Anweisung des Leiters des Deutschen Buchhandels an die Buchgemeinschaften vom 1. August 1941, ebd., S. 167 f. 286 Vgl. Zur Anordnung über den Betrieb von Buchgemeinschaften vom 1. Oktober 1941, ebd., S. 168. 287 Vgl. Zweite Mitteilung des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer zur Anordnung über den Betrieb von Buchgemeinschaften vom 27. Februar 1941, ebd.

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Instrumente und Methoden der Buchzensur: Die Einführung einer reichseinheitlichen Nachzensur für Bücher Mit der Vorlage einer parteiamtlich und ministeriell anerkannten »Liste der unerwünschten Literatur« im Juli 1933 hatte der Börsenverein die Zielsetzung verbunden, die Flut der Buchverbote eingrenzen und kontrollieren zu können. Doch im März 1934 musste die Geschäftsleitung des Börsenvereins gegenüber dem Propagandaministerium beklagen, dass die erhoffte Konsolidierung ausblieb.288 Da immer wieder Parteidienststellen gegen einzelne, bislang noch nicht indizierte Schriften vorgingen, regte der Börsenverein eine Zentralisierung des Verfahrens an. Sämtliche Verbotswünsche sollten bei »zentralen Regierungsstellen vorgetragen werden, die dann von Amts wegen die Beschlagnahme verfügen«. Im Dezember 1934 gestand der Leiter der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums seinem Minister allerdings, dass das Buchverbotswesen immer noch »völlig im Argen« lag.289 Fast zwei Jahre nach der nationalsozialistischen Machtübernahme mangelte es nach wie vor an einer »einheitlichen Zusammenfassung und folglich auch an einheitlichen Maßstäben und Richtlinien […], nach denen im konkreten Fall ein Verbot ausgesprochen wird«. Wismann schlug daher vor, die Buchverbote nicht durch das Ministerium, sondern durch den Präsidenten der Reichsschrifttumskammer auf der Grundlage der §§ 10 und 25 der Ersten Durchführungsverordnung zum Reichskulturkammer-Gesetz aussprechen zu lassen. Dies sollte »unter weitgehender, wenn möglich sogar vollständiger Ausschaltung der Polizei« erfolgen. Darüber hinaus empfahl Wismann im Januar 1935 die Zusammenstellung einer »Reichsliste der verbotenen und beschlagnahmten Literatur«, die bis dahin noch nicht existierte und die die unterschiedlichen Verbotslisten der Reichsländer zusammenfassen sollte.290 Der von Wismann vorgezeichneten Linie folgte die »Anordnung über schädliches und unerwünschtes Schrifttum« vom 25. April 1935.291 Darin wurde die Kammer mit der Führung von zwei Verbotslisten betraut. Die erste sollte »Bücher und Schriften« enthalten, die das »nationalsozialistische Kulturwollen gefährden« und deshalb weder durch Öffentliche Büchereien verliehen noch über den »Buchhandel in jeder Form (Verlag, Ladenbuchhandel, Versandbuchhandel, Reisebuchhandel, Leihbüchereien usw.)« vertrieben werden durften. In einer zweiten Liste sollten jugendgefährdende Schriften, die bislang über das am 10. April 1935 aufgehobene »Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften« unterdrückt worden waren, erfasst werden. Für die indizierten Werke waren die Präsentation in Schaufenstern und Bücherständen, der Vertrieb 288 Siehe das Schreiben von Börsenvereins-Geschäftsführer Heß an Wismann vom 3. März 1934, BArch R 55/684 Bl. 3 f. Konkreter Anlass war ein Antrag des Gebietsführers der HitlerJugend/Gebiet Baden in Karlsruhe auf das Verbot einer von Kardinal Faulhaber verfassten Schrift. Der Badisch-Pfälzische Buchhändler-Verband in Heidelberg hatte den HJ-Gebietsführer dahingehend beschieden, »[…] dass er keine Möglichkeit habe, den Verkauf des Buches durch den Buchhandel zu unterbinden, weil die Verbreitung des Buches amtlich nicht verboten« war. 289 Bericht Wismanns an Goebbels über Ministerbüro vom 17. Dezember 1934 betr. Buchverbotswesen, BArch R 56 V/158 Bl. 23 f., hier Bl. 23. Zum Folgenden siehe ebd. 290 Vgl. Wismann an Goebbels über Staatssekretär Hanke vom 23. Januar 1935, BArch R 56 V/158 Bl. 26 –29. 291 Veröffentlicht in: Börsenblatt 102 (1935) 99, S. 338.

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über Buchhändler ohne festen Verkaufsraum sowie die Aushändigung an Jugendliche unter 18 Jahren untersagt. Für Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmungen wurden der Ausschluss aus der Kammer wegen fehlender »Zuverlässigkeit und Eignung« und »in leichteren Fällen« die Verhängung einer Ordnungsstrafe angedroht. Anträge auf die Einreihung von Schriften in eine der beiden Listen konnten beim Präsidenten der Kammer gestellt werden, der seine Entscheidung »im Einvernehmen« mit dem Reichspropagandaminister fällte. Bei rein wissenschaftlicher Literatur war eine Aufnahme in die »Liste 1« nur dann möglich, wenn der Reichserziehungsminister einen Verbotsantrag eingebracht oder seine Zustimmung zum Verbot gegeben hatte. Sämtliche Verbote, die »nach den bisherigen Bestimmungen« ausgesprochen worden waren, sollten weiterhin gelten. Offenbar war das Reichs- und Preußische Ministerium des Innern jedoch nicht bereit, diesen Einbruch des Propagandaministeriums in seinen Kompetenzbereich hinzunehmen. Denn ein Runderlass vom 16. Mai 1935 setzte sämtliche Polizeibehörden davon in Kenntnis, dass die ihnen gemäß § 7 der »Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes« übertragenen Aufgaben durch die neue Anordnung der Kammer »nicht berührt« wurden.292 Für die Beschlagnahmung und Einziehung von Druckschriften gemäß der Notverordnung vom 4. Februar 1933 gelte weiterhin die Zuständigkeit des Gestapa für ganz Preußen, der Stapostellen und der Außendienststellen sowie des »Polizei-Präsident[en] in Berlin als Landespolizeibehörde (mit Wirkung für das ganze Staatsgebiet), soweit durch Verletzung von Sitte und Anstand die öffentl[iche]. Sicherheit oder Ordnung gefährdet wird«.293 Damit war die angestrebte Vereinheitlichung des Buchverbotswesens, kaum dass sie in Kraft gesetzt worden war, schon wieder durchlöchert. Nachdem erneute Verhandlungen zwischen dem Propaganda- und dem Reichsinnenministerium über die Handhabung des Buch- und Presseverbotswesens ergebnislos verlaufen waren,294 führte Staatssekretär Lammers schließlich die Entscheidung Hitlers herbei. Am 15. April 1936 erhielt Goebbels die gewünschte Bestätigung seiner Zuständigkeit in allen dem Propagandaministerium unterstehenden Sachgebieten »mit Einschluss der polizeilichen Aufgaben«.295 Mit einem »Runderlass« des Propagandaministers vom 7. Mai wurde sämtlichen Landesregierungen, den Ober- und Regierungspräsidenten sowie dem Polizeipräsidenten in Berlin die zukünftige Handhabung des Buchverbotsverfahrens vorgeschrieben.296 Danach durften Bücher nur noch dann beschlagnahmt und eingezogen werden, wenn sie in der von der Reichsschrifttumskammer geführten »Liste der unerwünschten Schriften« erfasst waren. Die Neuaufnahme von beanstandeten Schriften musste beim Präsidenten der Kammer beantragt werden. Bis zur Entscheidung 292 Ein Abdruck des Runderlasses, überliefert aus den Akten des Polizeipräsidiums DuisburgHamborn, findet sich in HStA Düsseldorf RW 36/30 Bl. 11. 293 Ebd. Das Verbot »periodischer Druckschriften« gemäß § 9 ff. der Notverordnung vom 4. Februar 1933 hatte »wie bisher« über die Oberpräsidenten, das Gestapa, den Polizeipräsidenten in Berlin und die Landespolizeibehörden zu erfolgen. 294 Vgl. Niederschrift über die Besprechung von Vertretern des Reichspropaganda- und des Reichsinnenministeriums am 31. Januar 1936 in der Reichskanzlei, BArch R 43 II/1150 Bl. 19 f., sowie Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministeriums des Innern an die Reichskanzlei vom 26. März 1936, ebd. Bl. 22, in dem über die ergebnislos verlaufenen Gespräche zwischen den Staatssekretären Grauert und Funk berichtet wurde. 295 Amtliche Mitteilung des Führers vom 15. April 1936, BArch R 43 II/1150 Bl. 22/Rs. 296 Vgl. BArch R 2/4750. Zur Handhabung der Buchverbote siehe S. 2 f.

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durch den Propagandaminister oder den Präsidenten der Kammer war »von weiteren Maßnahmen abzusehen«. Bei Beanstandungen gegenüber Büchern, die im Ausland erschienen waren, behielt sich Goebbels generell die letzte Entscheidung vor. In dringenden Fällen durfte von den Polizeibehörden eine »vorläufige Beschlagnahme« vorgenommen werden, wobei der Propagandaminister unverzüglich über die Gründe zu informieren war.

Die »Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« Die staatliche Schrifttumsbürokratie war nun zwar im Besitz der formalen Machtmittel zur Durchsetzung der von ihr verfügten Buchverbote. Doch von der inhaltlichen Lösung des Problems war sie noch weit entfernt. Denn die in der Anordnung vom 25. April 1935 angekündigte »Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« lag erst Ende 1935 mit Stand vom Oktober vor. Die nach Einzelschriften, Sammelwerken und Zeitschriften gegliederte Liste war im Wesentlichen eine Zusammenstellung aus den bereits vorliegenden Verbotsindices, vor allem aus dem im Herbst 1934 von der Bayerischen Politischen Polizei herausgegebenen »Verzeichnis der polizeilich beschlagnahmten und eingezogenen, sowie der für Leihbüchereien verbotenen Druckschriften«, das 6.834 Titel von insgesamt 2.293 Autoren enthielt.297 In der Liste der Kammer waren 3.601 Einzeltitel und 524 Gesamtverbote erfasst. Betroffen war eine große Anzahl jüdischer Autoren, doch erfolgte die Indizierung der Sachbuch- und der schöngeistigen Literatur nicht ausschließlich nach rassistischen Gesichtspunkten. An politischer Literatur verboten wurden die Schriften der Arbeiterbewegung in Deutschland und die Schriften führender Vertreter der SPD, das Schrifttum aus dem Umfeld der sowjetischen Revolution und das der KPD, Schriften einzelner nationalkonservativer Autoren, das Schrifttum der »Schwarzen Front« Otto Strassers, sämtliche Schriften von und über Ernst Röhm, »Konjunkturschrifttum« zum Nationalsozialismus und zur Rassenforschung, Bücher zum politischen System der Weimarer Republik und sämtliche Schriften einer Reihe von Pazifisten. Die Indizierung der juristischen Literatur traf insbesondere jüdische Rechtsgelehrte.298 »Unerwünscht und schädlich« waren auch das Schrifttum der Bekennenden Kirche, Schriften zur Anthroposophie, zur Frauenemanzipation, zum Schwangerschaftsabbruch, zur Nacktkörperkultur sowie Aufklärungsliteratur zum Thema Sexualität, Erotika und Trivialliteratur. Bei der Belletristik war nahezu die gesamte Literatur der Moderne vertreten – nicht nur deutscher, sondern auch internationaler Autoren.

297 Vgl. Aigner: Die Indizierung »schädlichen und unerwünschten Schrifttums«, Sp. 955. Siehe auch den ausgewählten Vergleich beider Indizierungslisten ebd., Sp. 1021 f. Der Verbotsindex der Bayerischen Politischen Polizei war der Schrifttumsabteilung des RMVP am 27. November 1934 vom Gestapa zur Verfügung gestellt worden. Siehe das Anschreiben in BArch R 56 V/72 Bl. 219. In einem Schreiben an Hederich vom 2. Juli 1936, ebd. Bl. 217, weist RSK-Geschäftsführer Heinl darauf hin, dass er das bayerische Verzeichnis »bei der Redaktion unserer Liste 1 sorgfältig durchgesehen und nur einen bestimmten Teil der hier verzeichneten Bücher mit übernommen [hatte], vor allem diejenigen, die sich durch Vergleich auch in anderen Ländern bezw. im Reiche als verboten herausstellten«. 298 Vgl. dazu im Einzelnen Jung: Der literarische Judenstern.

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Abb. 9: Die erste Verbotsliste.

3 N euordnung d es deu tsch en Bu chh andels Die »Liste 1« trug ebenso wie alle weiteren Verbotslisten den Vermerk »Streng vertraulich! Nur für den Dienstgebrauch!«299 Ursprünglich war geplant gewesen, die Aufnahme neuer Titel in die Liste fortlaufend im Deutschen Kriminalpolizeiblatt und im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel zu veröffentlichen.300 Die dann praktizierte Geheimhaltung verfolgte zwei Ziele: Zum einen sollten weitere Angriffe des Auslands auf die nationalsozialistische Kulturpolitik vermieden werden, wie es etwa bei der bekannt gewordenen Indizierung der Werke René Schickeles geschehen war;301 zum anderen sollte der deutsche Buchhandel zur Kooperation mit seiner »berufsständischen Vertretung« und der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums gezwungen werden.302 Dort konnten nämlich »in Zweifelsfällen« Auskünfte über die indizierten Schriften eingeholt werden. Auch erwartete man von den Buchhändlern, dass sie von sich aus das erforderliche »Gespür« für »unerwünschte und schädliche« Schriften entwickeln würden.

299 Bei Aushändigung der Liste hatten die Mitarbeiter in Ministerium, Kammer und Landesleitungen folgende »eidesstattliche Erklärung« zu unterschreiben: »Das Buch ist ständig unter Verschluss zu halten und darf, wenn der Inhaber sich außerhalb seines Zimmers befindet, nicht offen herumliegen. Es darf ausschließlich zu Auskunftszwecken benützt und niemandem außer dem persönlichen Inhaber durch Einsichtnahme zugänglich gemacht werden. Es darf nicht aus den Diensträumen in andere Dienststellen oder in die Privatwohnung des Inhabers mitgenommen werden. Gemäß Anordnung des Reichsinnenministers Dr. Frick führt jede Verwendung des Buches über den Dienstgebrauch hinaus oder das Abhandenkommen des Buches zur fristlosen Entlassung des Betreffenden«. Eine solche Erklärung findet sich in BArch BDC/RSK/Langenbucher, E. 300 Siehe »Das Recht der Reichsschrifttumskammer«, S. 68/Anm. 1. 301 Diese Begründung gab Wismann als Leiter der Schrifttumsabteilung am 19. März 1937 in Leipzig auf einer Versammlung der »Fachschaft Zwischenhandel in der Gruppe Buchhandel«. Siehe den Bericht über die Versammlung, hier S. 2, in StAL Koehler & Volckmar/119. Vgl. auch »René Schickele auf dem deutschen Index«. In: Neue Züricher Zeitung (1936) 32, BArch R 58/964 Bl. 222. Die Beschlagnahmung und Einziehung der Werke Schickeles waren von der RSK am 28. Oktober 1935 beim Gestapa beantragt worden, ebd., Bl. 211. 302 Darauf wies Gentz (Hrsg.): Das Recht der Reichsschrifttumskammer, S. 68/Anm. 1, hin. Die gleiche Empfehlung gab auch der Mitarbeiter der Schrifttumsabteilung im Propagandaministerium Hugo Koch. Vgl. Koch: Die Bekämpfung des schädlichen und unerwünschten Schrifttums, S. 138 –150, hier S. 146 f.

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Abb. 10: Verbotsliste 1935, Beispielseite. Die Verbotsentscheidungen wurden seit Juli 1936 auf regelmäßig stattfindenden Konferenzen getroffen, an denen unter Vorsitz des Leiters der Schrifttumsabteilung Vertreter der Kammer, der Bouhler-Kommission, des Gestapa, des SD-Hauptamts und des Reichserziehungsministeriums teilnahmen.303 Vertreter des Auswärtigen Amts, des Reichskriegsministeriums und der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums wurden dagegen nur bei der Besprechung von Anträgen hinzugezogen, »für deren Erledigung die einzelnen Stellen bestimmtes Interesse« hatten. Die neuen Buchverbote wurden in un-

303 Vgl. »Leitheft Schrifttumswesen und Schrifttumspolitik« vom März 1937, BArch R 58/1106 Bl. 80. Leider liegen über die Sitzungen dieses Gremiums keine Protokolle vor. Insofern ist auch unklar, bis wann diese »Verbotskonferenzen« stattfanden.

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regelmäßigen Abständen noch einmal in gedruckten Verzeichnissen zusammengefasst.304 Es zeigte sich aber rasch, dass diese »Nachträge« ebenso wie die Grundliste für die Arbeitspraxis untauglich waren. So enthielt der staatliche Verbotsindex keinerlei Angaben zu Verlag, Verlagsort und Erscheinungsjahr der verbotenen Einzel- oder Sammelschriften. Darüber hinaus waren die Verbotslisten voller Fehler in der Schreibweise und Zuordnung von Autoren sowie in der Auflistung von Buchtiteln und -reihen, wofür nicht nur die Eile bei der Zusammenstellung, sondern wohl auch die sachliche Inkompetenz der beteiligten Dienststellen verantwortlich waren.305 Daher ging im Zusammenhang mit dem großen Kompetenzrevirement zwischen den Einzelkammern der Reichskulturkammer und dem Propagandaministerium am 1. April 1938 die Zuständigkeit für die Bearbeitung der Verbotsanträge auf die Schrifttumsabteilung über. Die Kammer durfte zukünftig nur noch die Eintragung der von der Ministerialbürokratie angeordneten Buchverbote in die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« nachvollziehen.306 Seit Dezember 1938 behielt sich Goebbels jede Verbotsentscheidung für den gesamten Geschäftsbereich seines Ministeriums ausnahmslos persönlich vor.307 Ende 1939 konnte eine grundlegend überarbeitete und ergänzte Neuausgabe der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« vorgelegt werden.308 Sie war im Auftrag des Propagandaministeriums von Mitarbeitern der Bibliographischen Abteilung in der Deutschen Bücherei erstellt worden. Die Bibliothekare hatten die Verbotslisten aus den Jahren 1935/36 berichtigt und vervollständigt und sämtliche bis zum 31. Dezember 1938 verbotenen Titel eingearbeitet.309 Im Vorwort wurde noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in der Liste erfassten Werke »in sämtlichen Auflagen« verboten waren, bei Werken, die in verschiedenen Verlagen erschienen waren, auch mit »sämtlichen Ausgaben«.310 Das Verbot galt zudem für »sämtliche Übersetzungen, gleichgültig ob diese aufgeführt sind oder nicht«. Insgesamt waren zu diesem Zeit304 Die in einem gedruckten Band des Gestapa Berlin zusammengefassten »Nachträge I –III zur Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«, BArch R 56 V/71 Bl. 100 –115, enthielten die Titel der zwischen Oktober 1935 und dem 10. Juni 1936 von der RSK verfügten Buchverbote. Hektographierte Zusammenstellungen des Gestapa liegen noch für folgende Zeiträume vor: 10. Juni bis 14. Oktober 1936, BArch R 56 V/71 Bl. 77 –99; 15. Oktober 1936 bis 15. Februar 1937, BArch R 56 V/71 Bl. 128 –153; 1. Mai bis 31. Oktober 1937, BArch R 56 V/71 Bl. 154 –161. 305 Vgl. Aigner: Die Indizierung »schädlichen und unerwünschten Schrifttums«, Sp. 975 –977. 306 Vgl. Zweite Bekanntmachung über die Gliederung der Reichsschrifttumskammer. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 44. 307 Vgl. Mitteilung im Nachrichtenblatt des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda (1939) 18, Bd. 6, S. 112. 308 Vgl. Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums. Stand vom 31. Dezember 1938, Leipzig o. J. (1939). Zur Datierung der Neuausgabe siehe die Übersicht der DB über die »Versendung der Hauptliste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«, DB-Archiv Nr. 580/0 –3. 309 Das in der Deutschen Bücherei überlieferte Exemplar der »Nachträge I –III« (Oktober 1935 bis 10. Juni 1936) enthält noch die Bleistiftmarkierungen an den zahlreichen Fehlern, die von einem Bibliothekar bei der Durchsicht für die überarbeitete Fassung der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« gefunden worden waren. 310 Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums. Stand vom 31. Dezember 1938, »Vorbemerkung«.

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punkt 4.175 Einzeltitel und 565 Verbote mit dem Vermerk »Sämtliche Schriften« in der Liste enthalten.311 Hinzu kamen noch die Verbote für Serien und Zeitschriften sowie erstmals auch die Indizierung einzelner Verlage mit ihrer Gesamtproduktion. Die Neuausgabe der »Liste 1« enthielt den offiziellen Hinweis auf die besondere Verbotskompetenz des Reichsführers-SS und Chefs der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern. Diese Sonderkompetenz war erforderlich, weil die »Anordnung« der Kammer über »schädliches und unerwünschtes Schrifttum« hinter den rechtlichen Möglichkeiten der Notverordnung des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 zurückblieb. Die darin verfügte Außerkraftsetzung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung verschaffte der Politischen Polizei einen faktisch unbegrenzten Handlungsspielraum zur Bekämpfung politischer und weltanschaulicher Gegner.312 Ein weiteres Defizit der »Anordnung« der Kammer war, dass sie nur deren Mitglieder dazu verpflichtete, das Verbreitungsverbot einzuhalten. Diese Begrenzung konnte nun im Bedarfsfall dadurch aufgehoben werden, dass Himmler aufgrund eigener Initiative oder im Auftrag anderer Dienststellen von Staat und Partei »gegen bestimmte Schriften zusätzlich ein allgemeines Verbot« aussprach.313 Da die Notverordnung vom 28. Februar 1933 »Anordnungen von Haussuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen« für zulässig erklärt hatte, war auch der Zugriff auf die Bibliotheken privater Haushalte oder von der Kammer nicht kontrollierter Privateinrichtungen möglich.314 Um die Überwachung des Buchmarkts durch die Dienststellen Himmlers sicherzustellen, wurden die Verleger in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« im Juli 1940 »aus gegebenem Anlass« darauf aufmerksam gemacht, dass »dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD. […] ein Dienstexemplar von Verlags-

311 Zahlenangabe bei Aigner: Die Indizierung »schädlichen und unerwünschten Schrifttums«, Sp. 984. 312 Auf diese Tatsache wies der Kölner Verwaltungsgerichtsrat Dr. Klüber explizit hin: »Die Organisation der Schrifttumsüberwachung«. In: Börsenblatt 101 (1934) 204, S. 769 –771, Börsenblatt 101 (1934) 206, S. 778 f. und Börsenblatt 101 (1934) 210, S. 789 f., hier S. 789. 313 So beantragte Goebbels bei Himmler im Zusammenhang mit der Einreihung sämtlicher Schriften des Stockholmer Bermann-Fischer-Verlags in die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« zusätzlich, »auf Grund der Anordnung des Herrn Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 die Schriften für das Reichsgebiet zu verbieten«. Siehe dazu das von Goebbels unterzeichnete Schreiben der Schrifttumsabteilung an den Präsidenten der RSK vom 1. Februar 1939 in BArch BDC/RSK/Bermann Fischer, G. 314 Siehe dazu in BArch R 58/769 das Schreiben der Stapostelle für den Regierungsbezirk Westpreußen an das Gestapa vom 14. Mai 1937, in dem die Beschlagnahmung der Privatbücherei eines früheren sozialdemokratischen Redakteurs gemeldet wird (Bl. 139); den Vorgang zur Beschlagnahmung von Büchern eines Münchner Bürgers, die für den Versand an seinen in den USA lebenden Sohn gedacht waren, durch das Grenzkommissariat Glatz (Bl. 150 –170); das Schreiben der Stapostelle Oppeln an das Gestapa vom 19. August 1937, in dem über die Überwachung der Versteigerung von Büchern aus der Wohnung eines emigrierten Juden berichtet wird (Bl. 177, 184). Siehe auch im Gestapo-Bestand des StA Würzburg Nr. 1330 die Unterlagen zur Durchsuchung der Privatwohnung einer Lehrerin aus Schweinfurt im Juli 1941 und zu den dabei beschlagnahmten anthroposophischen Schriften.

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werken auf Anforderung unentgeltlich postwendend zuzustellen« war.315 Wegen der zunehmenden Lieferschwierigkeiten erhielten die Verleger 1943 die Anweisung, von jeder Neuerscheinung ein Exemplar »für eine evtl. eingehende Anforderung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD« bis zu zehn Wochen nach der Titelanzeige in der »Deutschen Nationalbibliographie« zurückzuhalten.316 Für die Zeit nach dem 1. Januar 1939 wurde von der Deutschen Bücherei im Auftrag des Propagandaministeriums monatlich eine »Liste der in der Deutschen Bücherei unter Verschluss gestellten Druckschriften« herausgegeben.317 Darin waren zwei Gruppen enthalten: Den Zusatz »verboten« erhielten erstens sämtliche Schriften, die seit 1939 vom Propagandaministerium in die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« eingereiht wurden, zweitens die im »Deutschen Kriminalpolizeiblatt« als beschlagnahmt aufgeführten Schriften, insofern diese nicht bereits in der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« enthalten waren, und drittens sämtliche Neuerscheinungen von Verlagen oder Verfassern, deren Gesamtproduktion indiziert worden war. Mit dem Zusatz »geheim« versehen wurden erstens sämtliche Schriften, die von vorneherein nicht für eine breitere Öffentlichkeit bestimmt waren (z. B. vertrauliche Mitteilungen parteiamtlicher oder staatlicher Behörden), zweitens Schriften, die »aus bestimmten Gründen vertraulich zu behandeln« waren (wie Richtlinien für den Luftschutz, militärwissenschaftliches Schrifttum, anthroposophische Schriften), und drittens Schriften, die der Deutschen Bücherei von der SS-Verbindungsstelle entweder als »inhaltlich harmlos, aber wegen der Persönlichkeit ihrer Verfasser als geheim zu behandeln« genannt wurden oder als »zwar inhaltlich nicht völlig einwandfrei, aber eines Verbotsantrags nicht wert« bezeichnet wurden. Mit der Bearbeitung der Verbotslisten waren vier Mitarbeiter beschäftigt, deren Dienstleistung die Deutsche Bücherei dem Börsenverein in Rechnung stellte.318 Die letzte Monatsliste legte die Deutsche Bücherei noch im Februar 1945 der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums vor.319 Von 1939 bis einschließlich 1943 wurden die Monatslisten jeweils noch einmal zu einer »Jahresliste« zusammengefasst.320 Durch die Neufassung der »Anordnung betreffend Listen des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« vom 15. April 1940 wurden bei Schriften, »die den kulturellen und politischen Zielen des nationalsozialistischen Staates widersprechen«, nicht mehr nur Verlag, Verkauf, Verteilung, Verleih, Vermietung, Ausstellung, Anpreisung und An315 »Vertrauliche Mitteilungen der Fachschaft Verlag« (1940) 54. Wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 159. 316 »Vertrauliche Mitteilungen der Fachschaft Verlag« (1943) 419, S. 2. 317 Siehe zum Folgenden das Schreiben der DB an Dr. Koch im RMVP vom 12. Juni 1939, hier S. 1, DB-Archiv Nr. 580/0 –3. Die Monatslisten wurden von der Bibliographischen Abteilung der Deutschen Bücherei aufgrund der von den staatlichen Schrifttumsstellen mitgeteilten Zensurentscheidungen zusammengestellt. Die Druckfahnen gingen dann jeweils der Schrifttumsabteilung zur Korrektur und Genehmigung zu. 318 Siehe das Schreiben Uhlendahls an Dr. Heß vom 4. November 1940, mit dem 260 Arbeitsstunden abgerechnet wurden, DB-Archiv Nr. 580/0 –3. 319 Am 20. Februar 1945 schickte Uhlendahl die Druckfahnen der Monatsliste Januar/Februar 1945 an Hövel, ebd. 320 Siehe für die Jahreslisten 1939 bis 1941 den unveränderten Nachdruck der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«. Die Jahreslisten 1942 und 1943 sind in der Deutschen Bücherei überliefert.

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gebot, sondern auch die Lagerhaltung untersagt.321 Die Schriften aller »voll- und halbjüdischen« Autoren, der lebenden ebenso wie der bereits verstorbenen, waren nun erstmals grundsätzlich und unabhängig von einer Einzelindizierung verboten. Allerdings mussten für die fachwissenschaftliche Literatur eine Reihe von Übergangsbestimmungen zugelassen werden.

Die »Liste der für Jugendliche und Büchereien ungeeigneten Druckschriften« Die »Anordnung« enthielt auch den Hinweis auf eine von der Kammer geführte »Liste solcher Bücher und Schriften, die ungeeignet sind, in die Hände Jugendlicher zu gelangen oder in Büchereien geführt zu werden«. Dieser Verbotsindex für Jugendliche war zwar bereits 1935 als »Liste 2 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« angekündigt, bislang aber noch überhaupt nicht geführt worden.322 Erst im Oktober 1940 gab die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums eine solche »Liste der für Jugendliche und Büchereien ungeeigneten Druckschriften« heraus, die wiederum von der Deutschen Bücherei erarbeitet worden war.323 Diese Liste wurde im Gegensatz zur »Liste 1« über den Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler öffentlich verbreitet. Die erste Ausgabe enthielt insgesamt 20 umfangreiche Serien und mehrere hundert Einzeltitel. Vertreten waren Kriminal- und Detektivromane (darunter allein 151 Titel von Edgar Wallace), Abenteuer- und Wildwestromane, Science-Fiction- und Liebesromane. Nachträge wurden in den Neuausgaben der Jahre 1942 und 1943 erfasst.

Die Zensur der internationalen Literatur Die Buchzensur blieb nicht auf die deutsche Literatur begrenzt. In den seit 1933 erstellten Indizierungslisten finden sich neben vielen sowjetischen Autoren auch amerikanische, britische und französische. Seit Juli 1935 mussten Verleger vor dem Abschluss von Verträgen über »die Drucklegung und das Erscheinen ausländischer Werke in Deutschland« beim Präsidenten der Kammer eine Genehmigung einholen.324 In der Fachpresse setzten sich Mitarbeiter staatlicher und parteiamtlicher Schrifttumsstellen kritisch mit der großen

321 Die Neufassung der RSK-Anordnung erschien – entgegen der sonst üblichen Verfahrensweise – nicht im Redaktionellen Teil des Börsenblatts, sondern nur in der Börsenblatt-Ausgabe A 107 (1940) 117, S. 2453. Sie ist wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 75 f. Zum Folgenden siehe ebd., S. 78 f. 322 Vgl. Mitteilung der Schrifttumsabteilung des RMVP an den Leiter der Bibliographischen Abteilung der DB, Wilhelm Frels, vom 1. August 1940, DB-Archiv Nr. 580/0 –3. 323 Vgl. Schreiben Uhlendahls an den Geschäftsführer des Börsenvereins vom 4. November 1940, DB-Archiv Nr. 580/0 –3. Die DB wurde von der Schrifttumsabteilung laufend über neue Indizierungen informiert. Ein Exemplar der ersten, 77 Seiten umfassenden »Liste der für Jugendliche und Büchereien ungeeigneten Druckschriften« ebenso wie der beiden nachfolgenden Ausgaben findet sich ebd. 324 Siehe die von der RSK erlassene »Bekanntmachung betr. Anzeigepflicht bei dem Erwerb ausländischer Verlagsrechte« vom 25. Juli 1935. In: Das Recht der Reichskulturkammer, III, S. 126.

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Anzahl von Übersetzungen auf dem deutschen Buchmarkt auseinander.325 Doch erst der Zweite Weltkrieg eröffnete die Möglichkeit, die Literatur ganzer Länder systematisch zu unterdrücken. Im September 1939 wurden die Buchhandlungen und Leihbüchereien von einigen Landesleitungen der Kammer dazu angehalten, deutsche Übersetzungen zeitgenössischer Autoren aus Großbritannien und Frankreich »aus den Schaufenstern und von Ladentischen zu entfernen«.326 Nach dem Ausverkauf noch vorhandener Exemplare sollten keine Neubestellungen mehr vorgenommen werden. Die Einhaltung dieser Vorschrift wurde von der Gestapo überwacht.327 Am 15. Dezember 1939 wurden die deutschen Verleger und Sortimenter in den »Vertraulichen Mitteilungen« ihrer Fachschaften darüber informiert, dass für die Dauer des Krieges mit England und Frankreich die weitere Auslieferung und der Vertrieb von Übersetzungen schöngeistiger, populärwissenschaftlicher und biografischer Werke aus dem Englischen und Französischen, insofern sie noch urheberrechtlich geschützt waren, »unerwünscht« blieben.328 Damit sollte verhindert werden, dass »aus dem weiteren Vertrieb dieser Übersetzungen Devisenforderungen zugunsten von Ländern anwachsen, die mit allen Methoden des Wirtschaftskrieges versuchen, das deutsche Volk auszuhungern«. Von der Regelung ausgenommen waren allerdings »einwandfrei wissenschaftliche Werke, die der wissenschaftlichen Forschung oder Lehre dienen«, sowie Übersetzungen irischer und amerikanischer Autoren. Die Verbreitung durfte auch dann weiterhin erfolgen, wenn dies vom Propagandaministerium »besonders gewünscht« wurde. Prinzipiell möglich war der Verkauf von Übersetzungen ins Ausland, da auf diesem Wege Deutschland dringend benötigte Devisen erhielt. Die gleichen Richtlinien galten ab Oktober 1940 für die »Behandlung des polnischen Übersetzungsschrifttums«.329 Deutsche Übersetzungen von Büchern polnischer Autoren durften »bis zum Ende des Krieges« weder verkauft oder ausgeliehen noch in Werbeanzeigen vorgestellt werden. Die Einfuhr und Verbreitung polnischer Literatur 325 Vgl. dazu u. a. Payr: Überflüssige oder begrüßenswerte Übersetzungen? In: Bücherkunde 4 (1937), S. 87 –89; »Schrifttumsschau Dezember 1938 –Januar 1939«. In: Lektoren-Brief 2 (1939), H. 2, S. 1, wo eine »wahre Sturmflut von höchst ungleichwertigen Übersetzungen aus dem Bereich der modernen anglo-amerikanischen Romanliteratur« in Deutschland beklagt wird; »Jahreslagebericht 1938 des Sicherheitshauptamtes«, Bd. 2 Kulturelles Leben: Schrifttum, S. 153 –156, hier S. 155 (»[…] erschreckend hohe Zahl von Übersetzungen aus anderen Sprachen […]«); Hövel: Das Übersetzungsschrifttum – politisch gesehen. In: Der Buchhändler im neuen Reich 4 (1939), S. 286 –293. 326 Meldung der Gestapo-Außendienststelle Duisburg an die Stapoleitstelle Düsseldorf vom 25. November 1939, in der auf eine entsprechende Anweisung des Landesleiters der RSK für den Gau Essen hingewiesen wird. HStA Düsseldorf RW 36/30 Bl. 59/Rs. 327 Vgl. Anweisung der Stapoleitstelle Düsseldorf an die Außendienststellen, die Landräte des Bezirks sowie die Polizeiverwaltungen in Neuss und Viersen vom 16. November 1939, HStA Düsseldorf RW 36/30 Bl. 59. 328 Der »vertrauliche« Hinweis auf die »Behandlung von englischem und französischem Schrifttum« ist wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 199 f., hier S. 199. Vom Urheberrechtsschutz befreit waren laut Berner Übereinkunft nur die Werke von Autoren, die vor 1904 verstorben waren. Zum Folgenden siehe ebd. 329 Anweisung in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« (1940) 56. Wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 202.

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war bereits seit November 1939 auf Anweisung von Goebbels überwacht worden.330 Anträge auf Einfuhr französischsprachiger Literatur wurden noch im März 1941 »grundsätzlich abschlägig« beschieden, »da mit Frankreich noch kein Friedenszustand besteht und andererseits ein Bedürfnis, derartiges Schrifttum im Inlande zu verbreiten, nicht anerkannt werden kann«.331 Die Grenzpolizeikommissariate erhielten sogar den Auftrag, französische Druckschriften, die von Reisenden bei der Einreise nach Deutschland mitgeführt wurden, »zu beschlagnahmen und einzuziehen«. Nur amtliche Dienststellen durften Bücher und Zeitschriften aus Frankreich über die Auslands-Zeitungshandel GmbH in Köln einführen lassen.332 Im Juli 1941 wurde der weitere Vertrieb sämtlicher Werke »russischer Autoren« untersagt.333 Das Verbot, das zunächst »sowohl für die gegenwärtige wie auch für die russische Literatur früherer Zeiten« galt, wurde Anfang Oktober 1941 dahingehend gelockert, dass das »klassische russische Schrifttum bis zum Erscheinungsjahr 1914« verkauft werden durfte, insofern die Schrifttumsabteilung ihre Zustimmung gegeben hatte.334 Ausnahmen galten auch für Schriften, bei denen der weitere Vertrieb aus »propagandistische[n] Notwendigkeiten« erwünscht war.335 Seit Oktober 1941 mussten alle Übersetzungen deutscher Werke ins Russische mit dem Übersetzungsreferat der Schrifttumsabteilung abgestimmt werden.336 Dagegen wurde die Sperre »antibolschewistischen Schrifttums«, die nach dem Hitler-Stalin-Pakt vom 23. August 1939 verhängt worden war, wieder aufgehoben.337 Nach dem Kriegseintritt der USA erließ der Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei am 22. Dezember 1941 »im Einvernehmen« mit dem Propagandaministerium ein Verbreitungsverbot für sämtliche amerikanischen Zeitungen, Zeitschriften und Bücher.338 330 Vgl. Protokoll der geheimen Ministerkonferenz vom 7. November 1939 (hier Pkt. 2). In: Kriegspropaganda 1939 –1941, S. 220. 331 Rundverfügung der Stapoleitstelle Düsseldorf vom 11. März 1941, HStA Düsseldorf RW 18/31 Bl. 23. 332 Vgl. ebd. Zu Gründung und Aufgabe der Auslandszeitungshandel GmbH siehe Kriegspropaganda 1939 –1941, S. 220. 333 Die am 11. Juli 1941 von der Schrifttumsabteilung »im Einvernehmen mit dem Leiter des Deutschen Buchhandels« erlassene Anweisung wurde in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« (1941) 93 –97 veröffentlicht. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 202 f. 334 Hinweis in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« (1941) 116 – 162. Wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 203. 335 Anweisung der Schrifttumsabteilung vom 11. Juli 1941. Wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 202 f. 336 Vgl. Anweisung in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« (1942) 116 – 162. Wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 203. 337 Vgl. Protokolle der geheimen Ministerkonferenzen im Propagandaministerium vom 28. Dezember 1939 (hier Pkt. 3) und vom 9. Januar 1940 (hier Pkt. 5). In: Kriegspropaganda 1939 – 1941, S. 252 und 260; Anweisung der Schrifttumsabteilung vom 11. Juli 1941. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 202 f. 338 Vgl. Abschrift der von Heydrich i. A. unterzeichneten »Bekanntmachung« in BArch BDC/ Aktenordner »Schädliches und unerwünschtes Schrifttum« VI. Vgl. dazu auch die Anweisung zur »Behandlung des nordamerikanischen und britischen Übersetzungsschrifttums« in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« (1942) 187 –195. Wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 204.

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Die Stapo(leit)stellen, Ortspolizeibehörden und Landräte wurden im Februar 1942 beauftragt, den Buch- und Zeitungshandel sowie die Leihbüchereien auf noch vorhandene Bestände hin zu durchsuchen.339 Um die »Säuberung« des Buchmarkts und der Bibliotheken von anglo-amerikanischer Literatur zu unterstützen, gab die Schrifttumsabteilung noch im gleichen Jahr ein »Verzeichnis englischer und nordamerikanischer Schriftsteller« heraus. Der Index war mit Hilfe der Deutschen Bücherei auf der Grundlage der »in den letzten 40 Jahren nachweisbaren Übersetzungen« zusammengestellt worden.340 Nicht erfasst wurden rein wissenschaftliche Werke, da sie »generell weiter zugelassen« blieben. Englische Verfasser, die bereits vor 1904 verstorben waren, wurden zwar mit verzeichnet, ihre urheberrechtlich freien Werke blieben jedoch vom Verbreitungsverbot ausgenommen. Für einige der englischen Autoren galt eine »Sondergenehmigung« für den weiteren Verkauf oder Verleih von Einzeltiteln. Unklarheiten bestanden noch darüber, ob es sich bei einem verbotenen Autor definitiv um einen Juden oder »Halbjuden« handelte oder ob nur ein »starker Verdacht jüdischer Abstammung« vorlag.341 Da die Schrifttumsabteilung angesichts des großen Umfangs deutscher Übersetzungen aus dem Englischen und Amerikanischen keine Vollständigkeit garantieren konnte, wurden die Benutzer um Hinweise auf Lücken gebeten.342 Die Nachträge erschienen in den Fachzeitschriften des Buchhandels sowie der Leih-, Volks- und Werksbüchereien.343 Die Überwachung der Einfuhr ausländischer Druckschriften wurde erst mit dem »Erlass der Devisenstelle betr. Devisenanträge der der Reichspressekammer, Reichsschrifttumskammer, Reichsfilmkammer unterstehenden Gewerbezweige und Einzelpersonen« vom 2. Juli 1936 eingeleitet.344 Danach waren von den Mitgliedern des Buchgewerbes Anträge auf Devisenzuteilung bei der Kammer »zur Stellungnahme« zu übersenden. Im März 1939 erhielt die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels vom Propagandaministerium die Vollmacht, den Import von Büchern zu überwachen.345 Ab Mai 1939 waren die Buchhandelsfirmen verpflichtet, für jeden ausländischen Buchtitel einen gesonderten Antrag auf Einfuhrgenehmigung zu stellen. Der Antrag war als »Anlage zum Antrag auf Erteilung einer Devisenbescheinigung über die Einfuhr von Büchern« bei der Wirtschaftsstelle einzureichen. Die Auslieferung einer importierten Schrift durfte erst nach Erteilung der Genehmigung durch die Wirtschaftsstelle und der Erteilung einer »Devisenverwendungsgenehmigung« durch die Reichsstelle für Papier erfolgen. Selbst Anzeigen ausländischer Bücher im Börsenblatt durften erst dann in Auftrag gegeben oder 339 Siehe als Beispiel die Rundverfügung der Stapostelle Köln an die Außendienststelle Bonn, die Landräte, an den Polizeipräsidenten in Köln und den Oberbürgermeister von Bonn vom 5. Februar 1942, HStA Düsseldorf RW 18/9 Bl. 111. 340 Verzeichnis, Einleitung. Die beiden folgenden Zitate ebd. 341 Siehe die »Erklärung der Abkürzungen« ebd. 342 Vgl. ebd., »Einleitung«. 343 Siehe dazu die Berichtigungen und Nachträge zum Verzeichnis in: Börsenblatt 109 (1942) 289, S. 259 sowie den Hinweis auf die Freigabe von Ausleihe und Verkauf einer Reihe von Werken Joseph Conrads aus dem Suhrkamp Verlag. In: Börsenblatt 110 (1943) 94, S. 91. 344 Vgl. Das Recht der Reichskulturkammer, V, S. 3 f. Zum Folgenden siehe ebd. 345 Vgl. Vertrauliches Rundschreiben der Wirtschaftsstelle betr. Regelung der Einfuhr von Büchern vom 23. Mai 1939, BArch R 55/828 Bl. 6. Von der Neuregelung ausgenommen waren Zeitungen, Zeitschriften, Musikalien, graphische Lehrmittel und sonstige Gegenstände des Buchhandels.

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gedruckt werden, wenn die Wirtschaftsstelle die Einfuhrgenehmigung erteilt hatte. Anfang Oktober 1939 erhielten die Importfirmen des deutschen Buchhandels ein vertrauliches Rundschreiben, das den Bezug von Büchern aus England, Frankreich und den USA regelte.346 Bücher aus den genannten Ländern durften nur noch dann eingeführt werden, wenn der Besteller seinem Importantrag eine rechtsverbindlich unterschriebene Erklärung vorgelegt hatte. Darin war der Wirtschaftsstelle mitzuteilen, dass die Einfuhr »aus staatspolitischen, militärischen oder wehrwirtschaftlichen Gründen« notwendig war und dass das zu importierende Schrifttum »im Inland weder im Handel noch durch Entleihung bei einer Bibliothek zu beschaffen« war.

Die Einführung einer Vorzensur und die Auswirkungen der Papierkontingentierung Im Oktober 1939 wurde der Wirtschaftsstelle mit der Bewirtschaftung der Papier- und Einbandstoffe für die Buchverlage ein weiteres Zensurinstrument übertragen.347 Die Einführung einer Papierkontingentierung war noch im Mai 1939 auf einer Arbeitstagung der »Fachschaft Verlag« abgelehnt worden, weil der Papierverbrauch des Buchhandels nur zwei Prozent des Gesamtpapierverbrauchs ausmachte und weil eine Kontingentierung vor allem die Verleger von Unterhaltungsliteratur und damit die Arbeitgeber kleinerer Schriftsteller treffen würde.348 Nach dem Beginn des Krieges wurden jedoch die Buch- und Kunstverleger am 25. November 1939 mit einer »Anordnung über die Papierverbrauchsstatistik« dazu verpflichtet, ab 1940 für jede Neuerscheinung, Neuauflage oder Neuausgabe die »genaue und vollständige Auflagenhöhe« sowie die »Menge und Art des dafür verwandten Papiers« anzugeben.349 Die Angaben waren auf einem Vordruck zu machen, der zusammen mit dem Pflichtexemplar bei der Deutschen Bücherei einzusenden war. Bei Fortsetzungswerken, schrifttumskammerpflichtigen Zeitschriften und Werken, die unter einem Gesamttitel erschienen, waren die Meldungen jeweils nur in halbjährlichen Abständen vorzulegen. Die Auswertung des Materials durch den Börsenverein und die Kammer sollte zwar bereits unter politischen Gesichtspunkten, insbesondere im Hinblick auf die Überwachung der konfessionellen Verlage erfolgen.350 Doch abgesehen von der Tatsache, dass der Kammer für die Wahrnehmung dieser Aufgabe nicht genügend Personal zur Verfügung stand, war die Nutzung der Papierkontingentierung im Sinne einer »Vorzensur« nicht gegeben, weil die Papierverbrauchsmeldungen immer erst nach Erscheinen eines Buches eingingen. 346 Vgl. Rundschreiben vom 5. Oktober 1939, BArch R 55/828 Bl. 9. 347 Vgl. Rundschreiben der Wirtschaftsstelle an die Mitglieder der Fachschaft Verlag vom 26. Oktober 1939, BArch R 55/828 Bl. 23. Darin wurden die Verlage über die neue Aufgabe der Wirtschaftsstelle informiert, die durch den Goebbels-Erlass vom 10. Oktober 1939 geregelt worden war. Von der Papierkontingentierung erfasst werden sollten alle Veröffentlichungen, die in die Zuständigkeit der Fachschaft Verlag fielen und in der »Deutschen Nationalbibliographie«/Reihe A veröffentlicht wurden. 348 Vgl. Aktenvermerk für den Leiter der RSK-Abteilung II vom 17. Mai 1939 betr. Arbeitstagung der Fachschaft Verlag am 6. Mai 1939, BArch R 56 V/43 Bl. 126 f. 349 Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 146 f. 350 Siehe hierzu und zum Folgenden den Aktenvermerk von RSK-Geschäftsführer Ihde vom 15. November 1940, BArch R 56 V/43 Bl. 225.

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Dies änderte sich zunächst dadurch, dass Goebbels im Februar 1940 die Verlage anwies, »Bücher und Broschüren, die sich mit politischen, insbesondere außenpolitischen, wirtschaftlichen und militärischen Fragen befassen, zweckmäßigerweise den jeweils zuständigen Dienststellen rechtzeitig zur Prüfung vorzulegen«.351 Von der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums wurde diese Anordnung am 1. April noch einmal dahingehend präzisiert, dass Verlagsplanungen auf dem Gebiet des Wehrschrifttums, des politischen und schöngeistigen Schrifttums, »soweit es die Interessen der Wehrmacht berührt oder im Titel auf diese Bezug nimmt«, sowie auf dem Gebiet des außenpolitischen und historischen Schrifttums, »soweit es in Beziehung zum jetzigen Krieg steht«, anmeldepflichtig wurden.352 Dabei mussten »möglichst genaue« Informationen über den Verfasser, vorläufigen Titel, Inhalt, Aufbau, Umfang, die Auflage und den voraussichtlichen Ladenpreis gegeben werden. Erwünscht war auch die »Angabe der Gründe, die den Verlag zur Herausgabe gerade dieses Werkes während des Krieges veranlassen«. Die Prüfungspflicht bezog sich nicht nur auf Buchvorhaben, für die noch keine druckfertigen Manuskripte vorlagen, sondern auch auf Neuauflagen, Neu- und Nachdrucke.353 Angenommene oder bereits in Druckfahnen vorliegende Manuskripte mussten in zwei Exemplaren zur Prüfung vorgelegt werden. Über die »planungsanmeldepflichtigen« Werke hinaus mussten die Verlage bei der Wirtschaftsstelle für jeden Buchtitel Anträge auf Zuteilung von Papier- und Einbandstoffen stellen. Die Begutachtung erfolgte durch die Mitarbeiter der Wirtschaftsstelle in enger Kooperation mit der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums. Auf der Buchhändler-Kantate im Frühjahr 1941 wurden die Verleger der schöngeistigen Literatur, die mit 72 Millionen Exemplaren den Hauptanteil an der gesamten Buchproduktion des Jahres 1940 von knapp 250 Millionen Exemplaren ausmachte, von Schrifttumsreferent Erckmann darauf eingestimmt, dass zukünftig eine »planmäßige Wertauslese unter schrifttumspolitischen Gesichtspunkten« erfolgen sollte.354 Dabei hatten die Verleger vor allem »jenes Gesetz vom Vorrang der Politik vor der Ästhetik« zu beachten, »das als Grundsatz nationalsozialistischer Kulturpolitik von uns seit Jahren ausgesprochen und angewandt« wurde, von dem aber »über die letzten beiden Jahre […] klar sichtbar zurückweichende Tendenzen bei einer Reihe von Veröffentlichungen« festzustellen waren. Voll zum Tragen kam die Papierzuteilung als Instrument der »Vorzensur«, als nach dem Überfall auf die Sowjetunion eine allgemeine Rohstoffrationierung einsetzte.355 Noch in der zweiten Hälfte des Jahres 1941 wurde auf Anweisung von Goebbels bei der Wirtschaftsstelle eine »Kommission« eingerichtet, die unter dem Vorsitz von Hövel

351 Die »streng vertrauliche« Anweisung von Goebbels wurde veröffentlicht in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« (1940) 46 und ist wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 137. 352 Bekanntgabe in den »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« (1940) 49. In: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 137. 353 Vgl. Rundschreiben der Schrifttumsabteilung des RMVP an die deutschen Verlage vom 26. April 1940. Wiedergegeben in: Handbuch der Reichsschrifttumskammer, S. 138. 354 Erckmann: Probleme und Aufgaben unseres Schrifttums. In: Die Bücherei (1941), S. 308 – 316, hier S. 310. Das folgende Zitat ebd., S. 311. 355 Siehe dazu das vertrauliche Rundschreiben Hövels an die Mitglieder der Fachschaft Verlag vom 2. August 1941, BArch R 56 V/43 Bl. 53 –56.

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über jeden Produktionsantrag der Verlage einzeln entschied.356 Von den Sitzungen dieser »Kommission«, in der Referenten des Reichspropaganda-, des Reichserziehungsund des Reichswirtschaftsministeriums, der Kammer, des OKW, der Schrifttumsstellen Bouhlers und Rosenbergs, der Partei-Kanzlei der NSDAP und des Reichssicherheitshauptamtes vertreten waren, sind leider keine Protokolle überliefert.357 Doch weist Hövel in einem »Augenzeugenbericht« aus dem Jahre 1984 darauf hin, dass die zunehmende Verknappung der Papierzuweisungen an die Wirtschaftsstelle für Entscheidungen gegen politisch abgelehnte Autoren und Verlage genutzt wurde.358 Um die sich zuspitzenden Verteilungskämpfe bis zu einem gewissen Grad rational steuern und nach außen vertreten zu können, erarbeitete die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums im Herbst 1941 ein Raster für die »planmäßige Verteilung des Papiers nach volksverantwortlichen Grundsätzen«.359 Als kriegswichtige Schrifttumsgebiete wurden das politische und das Wehrschrifttum der Zeit, das Schrifttum der Forschung aller wesentlichen wissenschaftlichen Gebiete, die Dichtung der Vergangenheit und der Gegenwart, unterhaltende und entspannende Literatur aller Sparten, das deutsche Schulbuch der entscheidenden Gruppen, das Fachschrifttum der kriegswichtigen Berufsgruppen, das Kinder- und Jugendschrifttum eingestuft. Die Papierbewilligung war letztlich jedoch davon abhängig, dass die in diesen Sparten zur Veröffentlichung vorgesehenen Bücher »auf den Lebenskampf unseres Volkes von förderlichem Einfluss« waren. Allerdings erfolgte die Bewertung der Qualität einer Schrift nicht mehr nur nach rein sachlichen Gesichtspunkten, sondern auch »nach der Gesamtmenge des verfügbaren Papiers«. Da im Krieg die ungeminderte Produktionsfähigkeit des deutschen Buchhandels unter Beweis gestellt werden sollte, erhielten kriegswichtige Neuerscheinungen den Vorzug gegenüber Neuauflagen. Um den »in der Welt einzigartigen Reichtum und die Vielgestaltigkeit der deutschen Buchproduktion« erhalten zu können, wurden einheitlich begrenzte Auflagen als Normauflagen festgelegt, die öfters zu wiederholen waren.360 So schön sich diese Grundsätze auf dem Papier ausnahmen, die literaturpolitische Praxis sah anders aus. Im Februar 1942 klagte Hövel offen und im Widerspruch zu seinem Kollegen Erckmann über den Missstand, dass

356 Vgl. Hövel: Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels, B13. 357 Die Zusammensetzung der Kommission lässt sich teilweise aus einem »Bericht« erschließen, den der Leiter von Rosenbergs Schrifttumsamt über eine am 5. Juli 1944 in der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums abgehaltene Sitzung zum Thema »Meyers Lexikon« angefertigt hat und in dem die Vertreter der beteiligten Dienststellen namentlich erwähnt sind. BArch NS 8/249 Bl. 58. 358 Vgl. Hövel: Die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels, B14. 359 Erckmann: Grundsätzliches zur Papierfrage. In: Der Buchhändler im neuen Reich 7 (1942), S. 171 –175. Die folgenden Zitate ebd. 360 Als Beispiele führte Erckmann zum einen Romane an, bei denen die Normauflage 5.000 Exemplare betrug, und Schriften von weniger als sechs Bogen, die in 10.000 Exemplaren gedruckt werden sollten.

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3 N euordnung d es deu tsch en Bu chh andels unglaubliche Papiermengen beansprucht werden für politisches Propagandamaterial und dass die Männer, die das Papier bewilligen, sich im vorhinein darüber klar sind, dass – abgesehen vom Ausland – kein Mensch in Deutschland diese Druckschriften überhaupt in die Hand nimmt, geschweige denn lesen werde.361

Demgegenüber kam die Belletristik bei der Papiervergabe zu kurz, hatte aber auch aus anderen Gründen das Nachsehen. »Die ewigen Einreden in die geistige Werkstatt des Dichters«, so Hövel, nahmen »seinem Werk die innere Polarität, jedes Spannungsmoment ist schon von Anfang an ausgeschaltet«. Ein weiteres Problem waren die aus dem aufwändigen Genehmigungsverfahren zwangsläufig entstehenden erheblichen Verzögerungen im Produktionsablauf der Verlage. Zwischen der Annahme eines Manuskripts, der Beantragung des Papiers, dessen Bewilligung und Zuteilung und dem Druck bzw. Erscheinen eines Buches vergingen durchschnittlich 1 1/2 Jahre.362 Hinzu kam, dass sich die Rohstoffsituation rasch verschlechterte. Seit dem Beginn des Jahres 1943 war die Wirtschaftsstelle wiederholt dazu gezwungen, »Papierantrags-Sperren« zu verhängen.363 Nachdem der Verbrauch von holzfreiem und holzhaltigem Papier schon seit 1940 von der Wirtschaftsstelle kontrolliert worden war, musste nun auch die Einbandgestaltung von ihr immer stärker reglementiert werden.364 Um eine beschleunigte Herstellung und damit auch Auslieferung der genehmigten Buchproduktion sicherstellen zu können, wurden vom Leiter des Produktionsausschusses Druck ab dem 1. April 1944 drei Dringlichkeitsstufen für Druckaufträge eingeführt.365 Parallel dazu ging die Schrifttumsabteilung vom bisherigen »Bewilligungsverfahren« zur Genehmigung einer »Kernproduktion« über.366 Die Verlage mussten ihre Anträge nun nicht mehr für jeden Buchtitel einzeln stellen, sondern erhielten die Papierzuteilungen für ein vom Propagandaministerium geprüftes Jahresprogramm. Wie die zugeteilten Papier- und Einbandkontingente dann eingesetzt wurden, blieb der Entscheidung der Verleger überlassen. Allerdings hielt die Schrifttumsabteilung an einer Prioritätenliste fest, 361 Die Äußerung Hövels ist wiedergegeben in einem Schreiben des an der Sitzung beteiligten RSK-Geschäftsführers Ihde an Johst vom 20. Februar 1942, BArch R 56 V/26 Bl. 189/Rs. Zum Folgenden siehe ebd. 362 Vgl. »Skizze« zur Lage des deutschen Buchhandels 1933 –1945, S. 2, StAL BV/829. Siehe auch den Bericht »Zur Lage im Schrifttum« in den Meldungen aus dem Reich (1943) 349, Bd. 12, S. 4652 –4663. 363 Vgl. Mitteilungen der Wirtschaftsstelle vom 15. Februar 1943. In: Börsenblatt 110 (1943) 43, S. 33; Börsenblatt 110 (1943) 77, S. 58; Börsenblatt 110 (1943) 139, S. 156; Börsenblatt 110 (1943) 165, S. 88; Börsenblatt 111 (1944) 3, S. 3. 364 Vgl. Rundschreiben der Wirtschaftsstelle an die Mitglieder der Fachschaft Verlag vom 6. Juni 1940, BArch R 55/828 Bl. 30 –32; Ergänzung 1 zur Anweisung Nr. 1 der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels vom 15. Juni 1942. In: Börsenblatt 109 (1942) 163, S. 148; die Ergänzung 4. In: Börsenblatt 110 (1943) 98, S. 99 f.; die Anweisung der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels vom 13. Dezember 1943, dass Schrifttum ab sofort nicht mehr gebunden hergestellt werden durfte. In: Börsenblatt 110 (1943) 180, S. 212. 365 Vgl. Mitteilung in Börsenblatt 111 (1944) 22, S. 43. 366 Siehe zum Folgenden die Erläuterungen Erckmanns und Haegerts im Rahmen einer Besprechung von Mitarbeitern der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums mit Vertretern der Fachschaft Verlag am 9. März 1944 im Verlag der DAF in Berlin, wiedergegeben in der Aktennotiz eines Börsenverein-Mitarbeiters vom 10. März 1944, hier S. 2 f. StAL BV/733.

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bei der »Standardwerke (vom Typ Eher-Verlag)« bevorzugt wurden, während die »Flut des sog. ›politischen‹ Werkes gedrosselt werden« sollte. Wissenschaftliche und Fachliteratur wurden ebenso in der Dringlichkeitsliste belassen wie die gehobene Unterhaltungsliteratur, der Hitler auf die Nachfrage von Goebbels im Herbst 1943 eine besondere Kriegswichtigkeit zuerkannt hatte.367 Ein letzter Versuch zur Effizienzsteigerung wurde zu Beginn des Jahres 1944 unternommen, als Albert Speer in seiner Funktion als Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion den Leiter der Schrifttumsabteilung zum »Sonderbeauftragten« für den »Lenkungsbereich Buch, Propaganda und Druck« ernannte.368 Die neue Planungsbehörde, vom Propagandaministerium mit einer halben Million RM finanziert,369 verfügte sowohl über eine Sach- als auch über eine Gebietsgliederung. Es gab Produktionsausschüsse für die Sparten »Technik und Rohstoffe«, »Vordrucke«, »Wissenschaftliches Buch, Fachbuch und Landkarte«, »Bücher und Broschüren«, »Bedarfsnachweise« sowie »Verlags- und Druckerei-Buchbindereien«. Auf regionaler Ebene standen Haegert sieben Länderbeauftragte, acht Gebietsbeauftragte und 22 Produktionsbeauftragte in den Bezirken zur Verfügung.370 Der »Produktionsausschuss Verlags- und Druckerei-Buchbinderei«, dem auch Vertreter des Buchhandels angehörten, sollte die Produktion regulieren, den Betrieben Herstellungsanweisungen geben, Maßnahmen auf dem Gebiet des Arbeitseinsatzes treffen und Betriebsprüfungen durchführen können.371 Diese Ermächtigung galt für sämtliche Betriebe und Betriebsabteilungen der industriellen und handwerklichen Verlags- und Druckerei-Buchbinderei unter Einschluss öffentlicher und privater »Regiebetriebe«. Trotz solch umfassender Reglementierungsvollmachten war allerdings den Versorgungsengpässen immer weniger beizukommen. Seit Herbst 1943 spitzte sich die Lage auf dem deutschen Buchmarkt auch aufgrund der Ausweitung des Luftkriegs weiter zu. So wurden in der Nacht vom 3. auf den 4. Dezember 1943 beim Angriff auf das völlig unvorbereitete Leipzig insgesamt 516 Verlage, Grosso-, Kommissions- und Sortimentsbuchhandlungen, Leihbüchereien und Reisebuchhandlungen mit schätzungsweise 50

367 Vgl. Mitteilung von Wilhelm Baur auf einer gemeinsamen Sitzung des Rates der Gruppe Buchhandel und des Kleinen Rates des Börsenvereins am 5. Oktober 1943 in Leipzig, Bericht, S. 1, StAL BV/737. 368 Vgl. Mitteilung der Haushaltsabteilung des RMVP für die Personalabteilung vom 15. Februar 1944, BArch R 55/10 Bl. 2. 369 Vgl. Angabe im Haushaltsplan der Abt. H vom 15. Februar 1944, ebd. Bl. 8. Zum Folgenden siehe ebd. Bl. 9 f. 370 Länderbeauftragte wurden für das Protektorat Böhmen und Mähren (1), für Frankreich (2), Italien (3), Norwegen (4), Holland, Belgien, Nordfrankreich (5), für die Ostgebiete (6) und das Generalgouvernement (7) bestellt. Gebietsbeauftragte gab es für Berlin-Brandenburg, Pommern, Nieder- und Oberschlesien (1), die Nordmark, Niedersachsen, Bremen (2), Danzig, Westpreußen, Ostpreußen, Wartheland (3), Sachsen, Thüringen, Mittelelbe, Sudetenland (5), Köln, Westfalen, Hessen (6), Bayern, Württemberg-Hohenzollern (7), Oberrhein, Westmark, Donau-Alpenland (8). 371 Vgl. Mitteilung über die Errichtung des gemeinsamen Produktionsausschusses. In: Börsenblatt 111 (1944) 76, S. 190.

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Millionen eingelagerten Büchern vernichtet.372 Hinzu kam noch die Zerstörung der Grafischen Betriebe, der Druckereien, Schriftgießereien und Buchbindereien. Als Folge dieses verheerenden Schlags gegen das Zentrum des deutschen Buchhandels und in Erwartung weiterer Angriffe entwickelte die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums Pläne zu einer Dezentralisierung des bislang über Leipzig abgewickelten Buchverkehrs. Mit einem vertraulichen Rundschreiben wurden die Mitglieder des Börsenvereins am 8. Februar 1944 vom stellvertretenden Vorsteher über die Veränderungen informiert.373 Für Verlage und den Zwischenbuchhandel war eine »Lagerhaltung von Gegenständen des Buchhandels« in Leipzig grundsätzlich verboten. Die in Leipzig ansässigen Kommissionäre mussten ihre Auslieferungen über Ausweichlager abwickeln, von denen im Umkreis von 300 km insgesamt 50 eingerichtet wurden. Verlage hatten ihre Produktion unmittelbar an diese Ausweichlager auszuliefern und auch ihre Druckbetriebe zur sofortigen Auslieferung von Neuerscheinungen zu verpflichten. Die Kommissionäre mussten »nach Möglichkeit« unmittelbar von den Ausweichlagern an das Sortiment liefern. Einzelsendungen als Teillieferungen für größere Sammelsendungen durften nur noch bis zu einem Gesamtwert von 150.000 RM für alle Kommissionäre über Leipzig ausgeliefert werden. Die durch die Luftangriffe entstandenen Verluste an Büchern waren deshalb so groß, weil die Verlage und der vertreibende Buchhandel aufgrund der Mangelwirtschaft dazu übergegangen waren, größere Mengen aus ihrer alten und neuen Produktion in Lagern zu horten. Daher hatte der Leiter der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums den Buchhandel bereits Ende November 1943 aufgefordert, »in Zukunft […] das heute noch lagernde Buchmaterial der Allgemeinheit restlos und auf dem schnellsten Wege zur Verfügung zu stellen«.374 Diese Anweisung sorgte allerdings für erhebliche Irritationen. So wies die Buchhandlung Rieping aus Rheine/Westfalen den Börsenverein auf die Tatsache hin, dass der Sortimentsbuchhandel »seine Vorräte bei der sich täglich mehr steigernden Nachfrage doch innerhalb einer Woche restlos ausverkaufen« könnte.375 Damit wäre dann zwar die Anweisung der Schrifttumsbürokratie erfüllt, doch die Buchhandlung könnte dann »nur noch 1 Std. täglich« offengehalten werden, um die am Morgen eingetroffenen Bücher wieder an den Mann zu bringen. Ist das wirklich der beabsichtigte Ausweg aus der Not der Zeit? Soll der Buchhändler nicht mehr in der bisherigen Weise bemüht bleiben, dass das Buch, und nicht nur das Fachbuch, seinen Zweck und seinen richtigen Käufer findet? An dem Grundproblem, dass bei den Luftangriffen immer wieder auch Produktionsund Vertriebsstätten der deutschen Buchwirtschaft getroffen wurden und sich dadurch die Versorgung der Bevölkerung mit Lesestoff immer schwieriger gestaltete, änderte sich bis Kriegsende allerdings nichts mehr. 372 Vgl. Mitteilung des Börsenvereins an die Partei-Kanzlei der NSDAP vom 12. April 1944, StAL BV/881. In einer Anlage sind 209 bombengeschädigte Verlage und Buchhandlungen namentlich aufgeführt. 373 Vgl. StAL BV/881. 374 »Vertrauliche Mitteilungen für die Fachschaft Verlag« (1943) 476. 375 StAL BV/881. Die folgenden Zitate aus dem Schreiben ebd.

3.4 Die po litisch e Kon tro lle d es Buch ma rk ts

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Am 8. März 1945 gab Schrifttumsreferent Erckmann auf einer Buchhändler-Sitzung in Leipzig die Devise aus, dass »es heute mehr denn je für jeden einzelnen gelte zu improvisieren«.376 Mit »Zentralisation, d. h. mit unbedingtem Festhalten an den von oben gegebenen Bestimmungen [sei] jetzt nicht durchzukommen«. Dieses kurz vor dem Ende des NS-Regimes eingeforderte Improvisationsvermögen war allerdings längst gängige Praxis und hatte zu einem unkontrollierten Schwarzhandel mit Papier geführt. Das belegt schlaglichtartig die »Affäre Lackas«.377 Gegen den mit Papiergeschäften groß gewordenen Buchhändler Matthias Lackas und seine Mitstreiter aus dem Verlagswesen und der Wehrmacht wurde 1944 Anklage wegen fortgesetzter Bestechung, fortgesetzten Kriegswirtschaftsvergehens, Untreue, Unterschlagung, Zersetzung der Wehrkraft, Betruges sowie Verbrechens gegen die Preisstrafverordnung, wegen versuchter Erpressung, fortgesetzten Devisenvergehens und fortgesetzter Steuerhehlerei erhoben. Der Prozess fand von März bis April 1944 in Berlin unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und wurde auch in der Presse totgeschwiegen, weil die Verbreitung der Details den Widerspruch zwischen der Propaganda und der Lebenswirklichkeit in »Hitlers Volksstaat« offengelegt hätte. Die Vielzahl der rechtlichen Regelungen und der Aufbau eines umfangreichen bürokratischen Verfahrens zur Bewirtschaftung der Papier- und Einbandstoffe während des Zweiten Weltkriegs führten nämlich in der Praxis zu einer absurden Zweckrationalität. Um an die gewünschten Papierkontingente zu kommen, produzierten die Verleger immer mehr Wehrmachtsausgaben in immer höheren Auflagen für den geschlossenen Buchmarkt der »Zentrale der Frontbuchhandlungen« und der einzelnen Truppenteile. Die aus den erworbenen Papierkontingenten hergestellten Millionenauflagen sorgten für Millionengeschäfte, denen nicht selten mit Korruption nachgeholfen wurde. Das war eine kapitalistische Planwirtschaft zugunsten von wenigen Großunternehmen, die in dieser Form von den staatlichen Behörden nicht intendiert worden war, faktisch aber aus öffentlichen Steuermitteln finanziert und stillschweigend geduldet wurde, weil sie mitten im Krieg den Schein von Normalität und Leistungsfähigkeit aufrecht erhielt. Die Klein- und Mittelbetriebe, die das Gros des deutschen Verlags- und Sortimentsbuchhandels ausmachten, gingen bei diesen Geschäften weitgehend leer aus, wurden mit ihren Problemen alleingelassen und mussten 1943/44 ihre Schließung hinnehmen.

376 Die Äußerung Erckmanns auf einer von der »Gruppe Buchhandel« einberufenen Besprechung über die Versorgung der aus den Ostgebieten geflüchteten Buchhändler am 8. März 1945 ist wiedergegeben in einer Aktennotiz über eine Besprechung von Vertretern des Börsenvereins mit den Leipziger Kommissionären am 9. März 1945, S. 3, StAL BV/733. Die nachfolgend zitierte Wiedergabe der Ausführungen Erckmanns gegenüber BV-Geschäftsführer Heß findet sich ebd. 377 Siehe dazu im Einzelnen Bühler/Simons: Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas.

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Literatur Archivalien Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch) R 2 (Reichsfinanzministerium) R 43 II (Reichskanzlei) R 55 (Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda) R 56 I (Reichskulturkammer-Zentrale) R 56 V (Reichsschrifttumskammer) R 58 (Reichssicherheitshauptamt) NSD 2 (Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutz des NS-Schrifttums) NSD 16 (Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP) NS 8 (Kanzlei Rosenberg) NS 11 (Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums) NS 12 (Hauptamt für Erzieher/Reichswaltung des nationalsozialistischen Lehrerbundes) NS 15 (Der Beauftragte des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP) BDC (Bestände des ehemaligen Berlin Document Center (BDC): Personal- und Sachakten der Provenienzen Reichskulturkammer (RK)/Reichsschrifttumskammer (RSK), Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung; »Masterfile« (NSDAP-Mitgliederkartei); BDC/RSK; BDC/SS; BDC/Partei-Kanzlei Correspondence; BDC/Oberstes Parteigericht; Aktenordner »Schädliches und unerwünschtes Schrifttum« VI), RSK/158 B: »Unerwünschtes Schrifttum« – Gestapo/Regierungsbezirke Düsseldorf, Koblenz.

Archiv der Deutschen Bücherei, Leipzig (Archiv DB) DB-Archiv Nr. 507/5 – 509/1; Nr. 580/0 – 3; Nr. 611 – 613. Deutsche Bibliothek/Abteilung Leipzig (Sign. 1933 B 3809)

Deutsches Literaturarchiv Marbach a.N. (DLA) DLA NL Anton Kippenberg DLA NL Langen-Müller Verlag/Korrespondenz mit Hanns Johst, Mappe 1 1920 – 1933.

Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (StAL) Firmenakten des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler: StAL BV/F 4126; F 6884; F 7163; F 7815; F 12405; F 13174. Akten des Börsenvereins: StAL BV/733, 737, 792, 807, 812, 829, 881, BV II/3503, 3509. StAL Koehler & Volckmar

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Staatsarchiv Würzburg (StA) StA Würzburg Nr. 1330 StA Würzburg Gestapostelle Würzburg/5839

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (HStA) HStA Düsseldorf RW 18/9 HStA Düsseldorf RW 18/31 HStA Düsseldorf RW 36/30

Landesarchiv Berlin (LA) LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814.

Periodika Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Leipzig, 100 (1933) – 112 (1945). Bücherkunde der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums. Bayreuth, 1 (1934) – 11 (September/Oktober 1944). Das Archiv. Nachschlagewerk für Politik, Wirtschaft, Kultur. Hrsg. von Alfred-Ingemar Berndt. Berlin, 1 (1934/35) – 11 (1944/45); Nachtragsband I Januar – Mai 1933, Nachtragsband II Juni – Oktober 1933, Nachtragsband III November 1933 – März 1934. Das Schwarze Korps. Zeitung der Schutzstaffeln der NSDAP. Organ der Reichsführung SS, Berlin 1/1935-11/1945. Deutsche Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Amtsblatt des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung und der Unterrichtsverwaltungen der Länder, Berlin 4 (1938). Die Reichskulturkammer. Amtliches Mitteilungsblatt der Reichskulturkammer. Hrsg. von Hans Hinkel. Berlin, 1 (1943) – 3 (1945/Februar). Lektoren-Brief. Vertrauliche Information des Amtes Schrifttumspflege bei dem Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP 1 (1938) – 7 (1944). Nachrichtenblatt des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, Berlin 19331945. Nationalsozialistische Bibliographie (NSB). Monatshefte der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums 1 (1936) – 9 (1944).

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2

1 Einleitung

Jan-Pieter Barbian

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Der Buchmarkt: Marktordnung und statistische Marktdaten

Die Krise der Buchwirtschaft und die Forderungen nach staatlicher Unterstützung Nach dem Wechsel aus der »Fundamentalopposition« gegen die Weimarer Republik in die Regierungsverantwortung am 30. Januar 1933 sah sich die neue Reichsregierung unter nationalsozialistischer Führung mit einem großen Erwartungsdruck aus allen Kreisen der Bevölkerung im Hinblick auf die grundlegende Lösung der akuten Wirtschafts- und Arbeitsmarktprobleme konfrontiert. Die Weltwirtschaftskrise hatte auch den deutschen Buchhandel massiv getroffen. Von 1927 bis 1932 waren insgesamt 8.666 Konkurs- und 4.260 Vergleichsverfahren eingeleitet worden, zu denen noch 3.134 mangels Masse abgewiesene Konkursanträge kamen.1 1932 war die Produktion von Erst- und Neuauflagen in Buchform gegenüber dem Vorjahr um 10,9 Prozent von 24.074 auf 21.452 gesunken.2 Die Gesamtladenpreise fielen von 141.256.05 RM auf 103.451.25 RM, die Durchschnittsladenpreise von 6.16 RM auf 5.08 RM. Die infolge der Massenarbeitslosigkeit gesunkene Kaufkraft der Bevölkerung, insbesondere des bürgerlichen Mittelstands, hatte zu einem rasanten Aufleben der Leihbüchereien geführt, während die von Staat, Ländern und Gemeinden unterhaltenen Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken aufgrund von Etatkürzungen Neuanschaffungen entweder zurückstellen mussten oder über Einkaufsstellen der öffentlichen Hand direkt bei den Verlagen und damit unter Umgehung des ortsansässigen Buchhandels tätigten. Auch der Auslandsabsatz war seit 1929 drastisch zurückgegangen: von 89.270 dz im Wert von 55,81 Mio. RM, die 1929 exportiert wurden, auf 71.551 dz im Wert von 36,51 Mio. RM im Jahre 1932. Für die Jahre 1929 bis 1935 war beim Buchexport ein mengenmäßiger Rückgang von insgesamt 38,9 Prozent und ein wertmäßiger von 59,3 Prozent zu verzeichnen.3 Die Krise machte sich insbesondere bei einem traditionellen Aktivposten der deutschen Buchwirtschaft bemerkbar, der wissenschaftlichen Literatur, die aufgrund ihrer hohen Preise aus den ausländischen Bibliotheken verdrängt zu werden drohte.4 Daher forderte der Börsenverein der Deutschen 1 2

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Vgl. Umlauff: Beiträge zur Statistik des Deutschen Buchhandels, S. 126. Vgl. Geschäftsbericht des Vorstandes des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig über das Vereinsjahr 1932. In: Börsenblatt 100 (1933) 99, S. 297 –313, hier S. 302. Siehe auch das umfangreiche Zahlenmaterial zur Buchproduktion bei Umlauff: Beiträge zur Statistik des Deutschen Buchhandels, S. 59 –109. Zahlenangaben bei Vaternahm: Der Deutsche Buchhandel und seine Organisation, S. 121. Vgl. auch die Denkschrift Die Gefährdung des deutschen Buchexports, die die Hamburg-Bremer Buch-Export-Genossenschaft mbH am 11. Juli 1934 vorlegte, PA AA Kult Pol VI W, Bd. 10. Vgl. dazu die in der Kulturabteilung ausgewerteten Berichte der deutschen Auslandsmissionen an das AA aus den Jahren 1933 bis 1935, PA Kult Pol VI W, Bd. 10 –13. Ergänzend die im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Verleger verfasste Denkschrift des Tübinger Verlegers Oskar Siebeck, »Die Aussichten des wissenschaftlichen Verlages in

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Buchhändler als Standes- und Interessenvertretung der Verleger und Buchhändler in seinem »Sofortprogramm des deutschen Buchhandels« vom 12. April 1933 und mit einer Vielzahl weiterer Initiativen bei den Reichsbehörden staatliche Maßnahmen zur Unterstützung der Buchwirtschaft.5 Die politischen Umwälzungen, die nach dem 30. Januar 1933 in alle gesellschaftlichen Bereiche einwirkten, verdeckten allerdings die Tatsache, dass sich im ersten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft wenig an der schlechten wirtschaftlichen Lage – nicht allein des deutschen Buchhandels – änderte. Die 1933 einsetzenden massiven politischen Reglementierungen durch den NS-Staat wirkten sich negativ auf die gesamte Buchwirtschaft aus. Deren Struktur war vor allem durch Klein- und Mittelbetriebe bestimmt. Im Sortimentsbuchhandel beschäftigten 86,9 Prozent der rund 10.000 Betriebe nur bis zu fünf Personen und 84,5 Prozent von ihnen erreichten lediglich einen Umsatz von bis zu 50.000 RM, während sich die übrigen 7,6 Prozent der Betriebe mit sechs bis zehn Beschäftigten und 5,5 Prozent mit mehr als zehn Beschäftigten einen Umsatz von bis zu 100.000 RM bzw. über 100.000 RM teilten.6 Von den rund 3.500 Verlagsbuchhandlungen erzielten 43,1 Prozent einen Jahresumsatz von weniger als 20.000 RM, 13,8 Prozent bis zu 50.000 RM und 13,7 Prozent bis zu 100.000 RM, während nur 9,6 Prozent auf bis zu 200.000 RM und 19,8 Prozent auf mehr als 200.000 RM kamen. Mehr als 80 Prozent waren Kleinverleger mit durchschnittlich bis zu 30 Neuerscheinungen im Jahr, was einem Anteil von 40 Prozent der Gesamtproduktion entsprach. 17,8 Prozent zählten zu den mittleren Verlagsbetrieben mit einem Anteil von 44,4 Prozent an der Jahresproduktion, während die Großverlage mit mehr als 200 Neuerscheinungen im Jahr nur 1,3 Prozent ausmachten und einen Anteil von 15,6 Prozent an der Jahresproduktion hielten. Aufgrund des Verbots einer großen Anzahl von Titeln der Belletristik, des Sachbuchs und auch der wissenschaftlichen Literatur, aufgrund der Zerschlagung politisch verfolgter Verlage und des sich fortsetzenden Einbruchs auf dem Gebiet des Buchexports hatte sich die ökonomische und mentale Ausgangslage zu Beginn des Jahres 1934 sogar noch einmal verschlechtert. Im Laufe der Zeit mussten wohl an die tausend Verleger, Buchhändler und Antiquare aus Deutschland und aus Österreich emigrieren, unter ihnen Gottfried Bermann Fischer, Bruno Cassirer, Babett Gross, Jakob Hegner, Wieland Herzfelde, Edith Jacobsohn, Willi Münzenberg, Herbert Reichner, Salman Schocken, Rudolf und Hermann Ullstein, Kurt Wolff, Paul von Zsolnay, um nur einige der bekanntesten Persönlichkeiten zu nennen.7 Die negative Grundstimmung im reichsdeutschen Buchhandel kommt deutlich in den Konjunkturberichten zum Ausdruck, die seit 1928 von Gerhard

5 6 7

Deutschland« (30. Juni 1933), die auch auf die Krise der Wissenschaftsliteratur auf dem deutschen Buchmarkt eingeht. HStA Weimar Thüringisches Ministerium f. Volksbildung/C 626 Bl. 107 –110. Vgl. Börsenblatt 100 (1933) 101, S. 321 f. Vgl. hierzu und zum Folgenden Der deutsche Buchhandel in Zahlen (1937), S. 18 –20. Vgl. auch Umlauff: Beiträge zur Statistik des Deutschen Buchhandels, S. 109 –114. Siehe im Einzelnen Fischer: Verleger, Buchhändler & Antiquare, S. 361 –392. Das biografische Handbuch enthält Angaben zu 823 Emigranten. Vgl. auch Möller: Exodus der Kultur, S. 59 –61 und die Übersicht über die kommunistischen Verlage in StAL BV/F 13321.

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Menz im Auftrag des Börsenvereins vierteljährlich erstellt wurden.8 Menz befragte dabei jeweils eine Auswahl von Verlagsunternehmen mit unterschiedlichen Betriebsgrößen und Programmschwerpunkten: wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Verlage, belletristische Verlage, Schulbuchverlage, Jugend- und Kinderbuchverlage, Zeitschriftenverlage, Kunstblatt- und Musikalienverlage. Quartalsweise erfasst wurden die Umsatzzahlen, die Anzahl der Neuerscheinungen, das Ladenpreisniveau, die Entwicklung der Arbeitsplätze, die Auftragslage und die Erwartungen an die Entwicklung der Buchkonjunktur in den kommenden Monaten. Der Vergleich zwischen dem IV. Quartal des Jahres 1933 und dem I. und II. Quartal des Jahres 1934 weist folgendes Bild der absoluten Zahlen auf:9 Inland-Umsatz

Ausland-Umsatz

Gesamtumsatz

Neuproduktion

IV/1933 (59 Firmen/110 Meldungen) 14 höher 6 höher 19 gleich 14 gleich 63 geringer 74 geringer 3 eingestellt

11 besser 18 gleich 73 schlechter

12 gesteigert 28 gleich 67 gedrosselt

I/1934 (55 Firmen/115 Meldungen) 22 höher 13 höher 23 gleich 24 gleich 58 geringer 64 geringer 5 eingestellt

21 besser 23 gleich 69 schlechter

8 gesteigert 52 gleich 49 gedrosselt

II/1934 (53 Firmen/103 Meldungen) 12 höher 5 höher 32 gleich 27 gleich 51 geringer 62 geringer 5 eingestellt

11 besser 30 gleich 59 schlechter

7 gesteigert 32 gleich 56 gedrosselt

Die Ladenpreise stagnierten bei der Mehrzahl der befragten Firmen. Einige Firmen mussten sogar Preissenkungen vornehmen, keine einzige Firma konnte Preise erhöhen. Die stagnierenden oder sogar rückläufigen Umsatzzahlen führten zu Entlassungen, Kurzarbeit, Lohn- und Gehaltsabbau. Auch wenn die Entwicklung in den Unternehmen unterschiedlich verlief – die wissenschaftlichen und die Schulbuchverlage hatten am stärksten unter der anhaltenden Krise zu leiden –, war das Stimmungsbild insgesamt »nach wie vor wenig

8

9

Siehe zum Folgenden die Überlieferungen in StAL BV/643 und 644 (unpaginierter Bestand). Zur Entstehung, Durchführung und Zielsetzung der Befragungen siehe das Schreiben des BVGeschäftsführers Max Albert Heß an den Präsidenten des Statistischen Reichsamtes in Berlin vom 16. März 1939 in BV/643. Eine Liste der Verlage findet sich in der Anlage zum Rundschreiben von Menz betreffend den Fragebogen zur Konjunktur-Statistik vom 12. März 1937, ebd. Es handelt sich um die Konjunkturberichte Nr. 24 vom Februar 1934, Nr. 25 vom Mai 1934 und Nr. 26 vom August 1934, StA Leipzig BV/6.

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optimistisch«,10 die Einschätzung der Lage »weiterhin außerordentlich ernst«11 und die Bilanz selbst des Weihnachtsgeschäfts »nicht befriedigend«.12 Die Buchwirtschaft partizipierte offenkundig nicht von der in anderen Zweigen der Wirtschaft feststellbaren leichten Konjunkturbelebung im Inland. Und auch das Auslandsgeschäft war bei allen Firmen eingebrochen – infolge der im Ausland kritisch aufgenommenen politischen Veränderungen in Deutschland, der schwierigen Devisenlage und der im Weltmarktvergleich zu hohen Preise deutscher Publikationen. Die Krise war jedoch nicht allein wirtschaftlich bedingt. Hinzu kamen die zahlreichen politischen Eingriffe staatlicher Behörden und parteiamtlicher Dienststellen, die durch die Verbote und Beschlagnahmungen Tausender von Publikationen, durch die Änderung von Zuständigkeiten, Rechtsgrundlagen und Lehrplänen an Schulen und Universitäten einen erheblichen Verlust wirtschaftlicher Werte im deutschen Buchhandel verursachten.13 Exemplarisch für die Auswirkungen der politischen Veränderungen auf die Wissenschafts- und Schulbuchliteratur sind die Schreiben der N. G. Elwert’schen Universitäts- und Verlagsbuchhandlung an den Börsenverein vom 14. und 21. Februar 1934. Darin beklagte der Verlagsinhaber Gottlieb Braun bei Menz die Aussetzung bereits finanzierter Publikationen zum Bürgerlichen Recht, zur Landgemeinde- und zur Städteordnung aufgrund der unklaren Rechtsentwicklung sowie die »Unsicherheit bezüglich der Lehrmittel« aufgrund der noch nicht erlassenen neuen Lehrpläne. Braun bezifferte seine Verluste auf rund 200.000 RM. Dieses düstere Bild der wirtschaftlichen Lage im deutschen Buchhandel gelangte allerdings nicht in die Öffentlichkeit. Die Konjunkturberichte trugen den Vermerk »Vertraulich! Nicht für die Presse bestimmt!«. Die monatlichen Kommentare »Zur Wirtschaftslage«, die Menz im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel veröffentlichte, gaben ebenso wie die von Ludwig Schönrock für das Börsenblatt zusammengetragene und kommentierte ausführliche Jahresstatistik zur Entwicklung des deutschen Büchermarkts nur einen Ausschnitt aus der Realität frei. Dennoch war die Dramatik für jeden offensichtlich, der das Börsenblatt aufmerksam las. Die Anzahl der Neuerscheinungen ging 1934 nach einer leichten Erholung im Jahre 1933 (21.601 gegenüber 21.452 in 1932) auf 20.852, also um 749 Titel oder 3,5 Prozent zurück.14 Das war ein schlechteres Ergebnis als während der gesamten Weimarer Republik. Auch die Durchschnittsladenpreise fielen weiter:15 von 5,08 RM in 1932 über 4,23 RM in 1933 auf 3,97 RM in 1934, wobei der 10 11 12 13 14 15

Angabe eines wissenschaftlichen Verlags im Konjunkturbericht zum IV. Quartal 1933, S. 3. Ähnliche Angaben werden von einem Schulbuch- und einem Musikalien-Verlag zitiert, ebd. S. 7. Angabe eines populärwissenschaftlichen Verlags, ebd., S. 6. Angabe eines Belletristischen Verlags, ebd. S. 6. Auch ein Jugendliteratur- und BilderbuchVerlag meldete erhebliche Verkaufsrückgänge in den Monaten November und Dezember 1933. Vgl. StA Leipzig BV/643. Vgl. zum Folgenden Schönrock: Der deutsche Büchermarkt im Jahre 1933 [Teil I]. In: Börsenblatt 101 (1934) 86, S. 325 –329; Ders.: Der deutsche Büchermarkt 1934 [Teil I]. In: Börsenblatt 102 (1935) 162, S. 579 –581. Vgl. Schönrock: Der deutsche Büchermarkt im Jahre 1933 [Teil II]. In: Börsenblatt 101 (1934) 88, S. 334 –337; Ders.: Der deutsche Büchermarkt 1934 [Teil II]: In: Börsenblatt 102 (1935) 164, S. 587 –589.

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Rückgang der Gesamtladenpreise den negativen Trend noch stärker verdeutlicht: 103.451,25 RM (1932) – 86.625,45 RM (1933) – 79.003,75 RM (1934). Die Einbrüche beim Buchexport, der in seinem Wert von 36.517.000 RM in 1932 über 30.022.000 RM in 1933 auf 25.113.000 RM in 1934 gefallen war, korrespondieren mit einer sinkenden Anzahl von Neuerscheinungen deutschsprachiger Publikationen im Ausland: 3.404 (1933) – 3090 (1934).16 Schließlich ging auch die Einfuhr fremdsprachiger Bücher aus dem Ausland in das Deutsche Reich in ihrem Wert zurück: von 10.525.000 RM (1932) über 7.731.000 RM (1933) auf 6.790.000 RM (1934). Die wirtschaftliche Notlage, in der sich der deutsche Buchhandel im Frühjahr 1934 befand, wurde sowohl im Vorstand und in der Geschäftsstelle des Börsenvereins als auch in der zum Ende des Jahres 1933 ge- Abb. 1: Gesamterzeugung seit 1932. gründeten Reichsschrifttumskammer kritisch Quelle: Der deutsche Buchhandel in analysiert und es wurde intensiv über die Zahlen 1937, S. 7. Möglichkeiten zur Lösung der Krise gestritten. In diesem Kontext entstand eine Denkschrift, die Theodor Fritsch junior als Mitglied des Präsidialrates der Reichsschrifttumskammer im Auftrag von Kammer-Präsident Hans Friedrich Blunck erstellt hatte.17 Angesichts der engen Verbindung von Fritsch junior zum politischen Establishment der NS-Diktatur überraschen an seiner Denkschrift die Offenheit und Schärfe der Kritik ebenso wie seine Schlussfolgerungen. Für die seit dem Weihnachtsgeschäft des Jahres 1933 ständig sinkenden Absatzzahlen machte Fritsch nicht allein die Beschneidung der Kulturetats des Reichs, der Länder und Gemeinden, insbesondere mit ihren Folgen für die Schul- und Öffentlichen Bibliotheken, verantwortlich. Vielmehr sah er den »Hauptgrund […] in einem Rückgang des Buchkaufs im Publikum« (S. 1). Geschickt interpretierte Fritsch die Notwendigkeit zur Beseitigung der »Notlage des Buchhandels« politisch. Denn eine erfolgreiche »Buch- und Kulturpropaganda« im nationalsozialistischen Sinne sei nur dann möglich, wenn es gelingt, Verleger, Buchhändler, Schriftsteller und Wissenschaftler auf eine »gesicherte wirtschaftliche Grundlage zu stellen« (ebd.).

16 17

Vgl. hierzu und zur Bucheinfuhr Schönrock: Der deutsche Büchermarkt im Jahre 1933 [Teil III]. In: Börsenblatt 101 (1934) 94, S. 377 –382; Ders.: Der deutsche Büchermarkt 1934 [Teil III]. In: Börsenblatt 102 (1935) 166, S. 596 –600. Die achtseitige Denkschrift und das Anschreiben von Theodor Fritsch junior sind überliefert im DLA Nachlass Hans Grimm/Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe I: 1933/1934.

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Um dieses Ziel zu erreichen, forderte Fritsch zunächst für die Buchwirtschaft die gleiche »Rückenstärkung von offiziellen Stellen« (S. 2), wie sie anderen Zweigen der Industrie und des Handels bereits zuteilgeworden war. Fritsch führte in diesem Zusammenhang erfolgreiche Beispiele der staatlichen oder parteiamtlichen Förderung an: den Verkauf von rund 750.000 Rundfunkgeräten; die Unterstützung der Weinund Fischwirtschaft oder der »Spitzenindustrie«; die Bemühungen des bayerischen Wirtschaftsministers Hermann Esser, »das deutsche Volk für die Reise zu mobilisieren«; »sogar für Stiefelknechte und Haarsiebe« sei »von Partei- und Regierungsseite aus Reklame gemacht worden« (ebd.). Dagegen beklagte Fritsch, dass »[n]ur für Kulturgüter [..] bis jetzt noch nichts unternommen worden« sei und dass die geAbb. 2: Durchschnitts- und Gesamtladen- nannten Maßnahmen zwar aus Gründen preise. Quelle: Der deutsche Buchhandel der Arbeitsbeschaffung zu begrüßen seien, in Zahlen 1937, S. 16. allerdings mit der negativen Auswirkung einer Senkung der Kaufkraft, die sich an erster Stelle negativ auf den Konsumartikel Buch auswirke (S. 2 f.). Hinzu kamen die Ausgaben »infolge der Neuorganisation des Staates und der für die erweiterte Organisation der mit dem Staat heute eine Einheit bildenden Partei« (S. 3). Fritsch dachte dabei an die Einrichtung von Geschäftsstellen, Schulungs-, Umschulungs- und Arbeitsdienstlagern oder die umfangreiche staatliche und parteiamtliche Propaganda, einschließlich der zugehörigen öffentlichen Veranstaltungen. Abschließend wies Fritsch auf die Vielzahl von Mitgliedsbeiträgen und Sonderabgaben hin, die den »Volksgenossen« im NS-Staat auferlegt wurden: seien es die Beiträge zur NSDAP und ihren Gliederungen und Verbänden, die Beiträge für alte und neue Berufsverbände oder die »Sammlungen und Lotterien für Arbeitsbeschaffung, Jugendherbergen, für die Saarpropaganda, den VDA, die innere Mission usw.« (S. 4). Das alles habe sich »derartig gehäuft, dass dem Volke auf Schritt und Tritt Geld aus der Tasche genommen wird und an den Haustüren ein Sammler dem anderen die Klinke aus der Hand nimmt« (ebd.). Nicht weniger brisant ist der zweite Problemkomplex, den Fritsch für den sinkenden Buchkauf verantwortlich macht: »Unser Volk hat keine Zeit mehr! Die Unruhe, die Jagd von einer Veranstaltung zur anderen, die Beanspruchung der freien Zeit hat ein unerträgliches Maß angenommen.« (S. 5) Wie der NS-Funktionär aus eigener Anschauung wusste, wurden die zum damaligen Zeitpunkt rund 750.000 Mitglieder der NSDAP, ihrer Gliederungen und angeschlossenen Verbände sowie die Hunderttausende von Mitgliedern der SA, der SS und des Stahlhelms »durch Versammlungen und Dienst aller Art dauernd in Bewegung gehalten« (ebd.). Es fehle die »nötige Zeit für Ruhe, innere Sammlung und Besinnung«, zumal – so die hellsichtige Erkenntnis von Fritsch –

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»auch der Zuschnitt des öffentlichen Lebens durch Rundfunk, Gesellschaftsreisen und Wochenendfahrten, Sportveranstaltungen usw. dazu beiträgt, die allgemeine Unruhe und Nervosität zu steigern.« (ebd.) Diese Zeitdiagnose faszinierte den Verfasser so stark, dass er sich ihr noch in einer Variante näherte: »Rundfunk, NSHago, NSVolkswohlfahrt, Presse, Luftschutz, Theaterkartenverkauf, Verkauf von Programmen für Wohltätigkeitskonzerte und von Schriften usw. halten den Amtsleiter dauernd in Atem und jagen ihn Trepp auf[,] Trepp ab. Und bleibt diesem bewundernswerten Zeitgenossen wirklich noch eine Stunde Zeit, so haut er sich zur Freude seiner politischen Witwe zu Haus hin und pennt!« (S. 6). Fritsch beschreibt hier nicht nur einen Wesenszug der NS-Diktatur, nämlich die permanente Aktivierung jedes Einzelnen zwecks politischer Vereinnahmung für das Abb. 3: Umsatzvergleich 1933 –1935. Regime und Ausschaltung der Quelle: Der deutsche Buchhandel in individuellen Reflexionspotentiale, sondern Zahlen 1937, S. 1. auch den Zeitgeist der modernen Massengesellschaft, den die Jahre 1933 bis 1945 allen gegenteiligen ideologischen Bekundungen zum Trotz weitertransportiert haben.18 Doch Fritsch ist naiv genug, die politisch gewollten Implikationen zu übersehen. Denn er bedauerte lediglich, dass unter dem Druck dieser Zeit- und Atemlosigkeit das »Lesebedürfnis« in der Bevölkerung abnehme. Mehr noch: Er kritisierte sogar die »Millionen von Schriften«, die zu Schulungs- und Propagandazwecken »unentgeltlich« und »unter Ausschaltung des Buchhandels« von den Organisationen der NSDAP in der Bevölkerung verteilt worden waren, »ohne dass man sagen könnte, sie seien immer gelesen worden.« (S. 6) Im Übrigen, so ein weiterer Seitenhieb, würden durch diesen »ehrenamtliche[n] Vertrieb von Schriften […] viele in Arbeit und Brot befindliche Kräfte in ihrer Existenz bedroht« – genauso wie die Buchgemeinschaften mit ihren auf dem Einsatz der ehrenamtlichen Werber beruhenden Dumpingpreisen das nur mit haupt- oder nebenberuflichen Kräften arbeitende Sortiment geschädigt hätten (S. 7).

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Vgl. hierzu Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein; Frei: Der Führerstaat, S. 100 –109; Maase: Grenzenloses Vergnügen, S. 196 –234.

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Die neue Zeit raubte nach Einschätzung von Fritsch allerdings nicht allein den »Amtswaltern« der NSDAP die Zeit zur Muße und Muse, sondern auch den Frauen. Sie, die »bisher immer noch den ruhenden Pol in der Familie bildeten, leiden unter den Anforderungen, die von den Organisationen und von den Arbeiten für Mann und Kinder gestellt werden.« (S. 7) Fritsch nennt »das Instandhalten der Uniformen, der häufige Wechsel derselben, die Versorgung für Ausmärsche, Aufmärsche usw.« (ebd.) Der gesamten Familie gingen also aufgrund der politischen Betätigung eine Vielzahl von Arbeits- und Mußestunden sowie nicht unwesentliche Geldbeträge verloren. Über die staatlichen Subventionen für die Buchwirtschaft hinaus forderte Fritsch daher, dass »das deutsche Volk in seiner Gesamtheit einmal für vier Wochen in Ruhe gelassen wird und dass der Apparat der PO und SA Abb. 4: Durchschnittlicher Verkaufswert. sowie die angegliederten Organisationen Quelle: Der deutsche Buchhandel in mit ihren Arbeiten sich auf das allernotZahlen 1937, S. 17. wendigste beschränken« (S. 8). Was die zuletzt genannten Empfehlungen betrifft, scheint Fritsch innerhalb der NSDAP kein Gehör gefunden zu haben. Dennoch blieb seine »Denkschrift« – wie so viele andere Absonderlichkeiten der NS-Diktatur19 – nicht folgenlos, sogar in mehrfacher Hinsicht. Zunächst trug die das gesamte Jahr 1934 über anhaltende schlechte Wirtschafts- und Stimmungslage im deutschen Buchhandel wesentlich dazu bei, dass die Spitze des Börsenvereins im nationalsozialistischen Sinne mit Wilhelm Baur besetzt wurde. Im Rahmen dieses Revirements wurde auch Theodor Fritsch junior vom Präsidenten der Reichsschrifttumskammer zum Zweiten Vorsteher des Börsenvereins berufen.20 Und es war Fritsch, der nach den Vorabsprachen in dem nun bereits von nationalsozialistischen Verlegern und Sortimentern beherrschten Gesamtvorstand mit der Reichsschrifttumskammer den »Wahlakt« vom 21. September 1934 in der Berliner Zweigstelle des Börsenvereins leitete. Fritsch äußerte in diesem Zusammenhang die »Hoffnung«, »dass, da nunmehr Klarheit geschaffen sei, die Zusammenarbeit im Vorstand reibungslos und erfolgreich sein werde«.21 Was damit gemeint war, ist dem Bericht über eine gemeinsame Krisensitzung des Gesamtvorstands mit den Vorsitzenden der buchhändlerischen Kreis- und Fachver19 20 21

Vgl. Der ganz normale Wahnsinn unterm Hakenkreuz. Vgl. Bekanntmachung des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer vom 11. Juni 1934. In: Börsenblatt 101 (1934) 134, S. 521. Bericht zur Sitzung des Gesamtvorstands vom 21. September 1934. In: Börsenblatt 101 (1934) 224, S. 834.

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Abb. 5: Die reichsdeutsche Produktion. Quelle: Der deutsche Buchhandel in Zahlen 1937, S. 10 f. eine am 16. September in Goslar zu entnehmen, bei der die wirtschaftliche Lage des Buchhandels als »äußerst bedenklich« bewertet wurde. Dem neuen Vorsteher traute man aufgrund seiner engen Kontakte zu den »höchsten Regierungsstellen« zu, bei ihnen »Gehör für die Not des Buchhandels und die Erfüllung seiner Forderungen zu finden, damit der Buchhandel seine wichtigen kulturellen Aufgaben – nicht zuletzt zum Nutzen des Staates – erfüllen kann.«22

Die staatliche Subventionierung der Buchwirtschaft Die immer wieder und in immer neuen Variationen vorgetragenen Erwartungen an eine stärkere Intervention des NS-Staates zugunsten der Buchwirtschaft wurden in den kommenden Jahren von der staatlichen Schrifttumsbürokratie sukzessive erfüllt. Allerdings wird man dabei stets den engen Zusammenhang von Buchwirtschaft und politischer Buchpropaganda beachten müssen. Dies belegen sowohl die Gründung der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels als auch die Einführung der Woche des Deutschen Buches und der Fachbuchwerbung.

Die staatliche Subventionierung des Buchexports Für die Wirtschaftsstelle, die als nachgeordnete Behörde der Reichsschrifttumskammer gegründet wurde, jedoch faktisch dem Propagandaministerium unterstand, war die wirtschaftliche Zielsetzung, mit staatlichen Subventionen den festgefahrenen deutschen 22

Buchhändler-Sitzung in Goslar. In: Börsenblatt 101 (1934) 230, S. 857 f.

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Exportbuchhandel wieder flott zu machen und damit einen Beitrag zur Konsolidierung der deutschen Volkswirtschaft zu leisten, nur die Voraussetzung für die politische Absicht, mit Hilfe des Buches im Ausland Kulturpropaganda für das nationalsozialistische Deutschland betreiben zu können.23 Das Ausland erhielt von den Hintergründen des Buchexport-Ausgleichsverfahrens keine Kenntnis. Die zum 9. September 1935 vorgenommene Senkung der Preise deutscher Bücher, graphischer Lehrmittel, Zeitschriften und Musikalien um 25 Prozent sollte als rein privatwirtschaftliche Maßnahme der deutschen Verleger erscheinen, mit der eine seit langem im Ausland erhobene Forderung eingelöst wurde.24 Außer der Preissenkung selbst durfte daher von den am Export beteiligten Buchhandelsfirmen »von dem Vorhandensein des Verfahrens an Dritte weder im Inland noch im Ausland etwas berichtet werden«.25 Für Verstöße gegen diese Schweigepflicht wurden Ordnungsstrafen der Reichsschrifttums-, der Reichspresse- oder der Reichsmusikkammer und von ordentlichen Gerichten auf der Grundlage der Devisengesetzgebung angedroht.26 Das Verfahren selbst bestand darin, dass die Wirtschaftsstelle auf Antrag der Exportfirmen sowohl die Lagerverluste, die durch die angeordnete Preissenkung zum 9. September 1935 entstanden waren, als auch den 25 prozentigen Preisnachlass für jeden nach diesem Zeitpunkt exportierten Gegenstand erstattete.27 Voraussetzung für die Ausgleichsberechtigung war, dass die exportierten Gegenstände einen vom Börsenverein geschützten Ladenpreis hatten und vollständig im Deutschen Reich hergestellt worden waren.28 Ausdrücklich ausgenommen wurden u. a. liturgische Bücher; zollpflichtige Gegenstände des Buch-, Zeitschriften- und Lehrmittelhandels bei Lieferung in die USA; Bücher, Zeitschriften, Musikalien und graphische Lehrmittel, die antiquarisch oder verramscht waren, deren Ladenpreise aufgehoben oder bei Lieferung nicht eingehalten wurden; Tageszeitungen, illustrierte Zeitungen und Wochenzeitungen; Kunstkalender aus dem Zuständigkeitsbereich der Reichskammer der bildenden Künste; sämtliche Veröffentlichungen von Firmen, die nicht der Reichsschrifttums-, der Reichspresse- oder der Reichsmusikkammer angehörten; die in einer Liste des Börsenvereins erfassten »Gegenstände des Buch- und Musikalienhandels, die von der Ausfuhrregelung ausgenommen sind«. Um die Einhaltung der Bestimmungen zu gewährleisten, wurde der Wirtschaftsstelle das Recht eingeräumt, »Einsicht in die Geschäftsunterlagen des Exporteurs« nehmen zu dürfen. Die Anerkennung der von den Exportfirmen eingereichten Fakturen er23 24 25

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Siehe dazu das Schreiben der Schrifttumsabteilung des RMVP an das RFM vom 12. Juni 1935, BArch R 2/4926 Bl. 143 –146, hier Bl. 143/Rs; das Schreiben des RMVP an den RFM vom 23. August 1940, BArch R 2/4927 Bl. 523 –535, hier Bl. 530. Über diese Hintergründe informierte der Leiter der Schrifttumsabteilung des RMVP Wismann das AA in einem Schreiben vom 26. August 1935, hier S. 2. PA Kult Pol VI W, Bd. 12. So das »Merkblatt (3. Ausgabe) zur Durchführung des Buchexport-Ausgleichsverfahrens«. Hrsg. von der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels, Berlin 27. August 1935/1. September 1939, BArch R 2/4927 Bl. 537 –563, hier Bl. 539 (Pkt. 13). Das Merkblatt trug die Zusätze: »Streng vertraulich! Nur für den Empfänger bestimmt! Sorgfältig aufbewahren!«. Vgl. ebd., Bl. 539 f. (Pkt. 16). Vgl. Vertrauliches Rundschreiben der Geschäftsstelle des Börsenvereins vom 4. September 1935 betr. Vergütung des Lagerverlustes, BArch NS 12/86; Abschnitt 5 »Ausgleichgewährung« im »Merkblatt« der Wirtschaftsstelle, BArch R 2/4927 Bl. 543. Vgl. »Merkblatt«, Abschnitt 4 »Erfasste und nichterfasste Gegenstände«, BArch R 2/4927 Bl. 542.

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folgte nur »unter ausdrücklichem Vorbehalt einer nochmaligen späteren Prüfung«. Beim Nachweis fehlerhafter oder falscher Angaben konnten Ordnungsstrafen oder der Kammerausschluss verfügt werden. Während Palästina im Oktober 1935 von der Liste der exportbegünstigten Länder gestrichen wurde,29 wurden die Schweiz und Liechtenstein seit Oktober 1936 in das Buchexport-Ausgleichsverfahren einbezogen.30 Mit der Expansion des nationalsozialistischen Deutschland schieden nach Übergangsfristen Österreich, die sudetendeutschen Gebiete, das »Protektorat Böhmen und Mähren«, Polen, Danzig und das Memelgebiet als Förderregionen aus dem Verfahren aus. Dagegen musste zu Beginn des Zweiten Weltkriegs die »Ausfuhr von Gegenständen des Buchhandels« in das neutrale Ausland »unbedingt gehalten« werden.31 Falls sich Gelegenheiten zur Abwicklung der Geschäfte über dritte Staaten ergeben sollten, bestanden sogar gegen Lieferungen ins feindliche Ausland »keine Bedenken«. Auch wenn das Buchexport-Ausgleichsverfahren zunehmend an Bedeutung verlor und zum 1. April 1943 eingestellt wurde,32 zählt es zu den erfolgreichsten Instrumenten der nationalsozialistischen Literaturpolitik. Aus einer um die Jahreswende 1935/36 vom Börsenverein durchgeführten »vertraulichen« Umfrage bei den 34 größten deutschen Verlagen geht hervor, dass sich deren Exportumsätze bereits nach drei Monaten – zum Teil beträchtlich – gesteigert hatten.33 Auch die deutschen Auslandsmissionen berichteten nahezu einstimmig von den positiven Auswirkungen des Preisnachlasses auf die Verbreitung des deutschen Buches.34 Nach Angaben des Propagandaministeriums konn29 30 31

32

33 34

Vgl. Rundschreiben Nr. 1 zum Merkblatt zur Durchführung des Buchexport-AusgleichVerfahrens. Hrsg. von der RSK, Abt. Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels vom 21. Oktober 1935, hier S. 3, PA Kult Pol VI W, Bd. 13. Siehe die von der Wirtschaftsstelle am 15. Oktober 1936 erlassene »Bekanntmachung betr. Änderung der Ausfuhrregelung«. In: Das Recht der Reichskulturkammer, Bd. V, S. 81. Rundschreiben Nr. 1/39 der Wirtschaftsstelle vom 21. September 1939, BArch R 2/4927 Bl. 565. An Ländern, in die der deutsche Export »unbedingt gehalten« werden sollte, wurden dort angegeben: die Niederlande, Ungarn, die UdSSR, Norwegen, Litauen, Luxemburg, Schweden, die Schweiz, die Slowakei, Estland, Jugoslawien, Finnland, Belgien, Rumänien, Italien, Lettland, Dänemark und Bulgarien. Vgl. Gemeinsame Anordnung über die Aufhebung der Ausfuhrregelung der Präsidenten der RSK, der RPK und der RMK vom 30. März 1943. In: Börsenblatt 110 (1943) 77, S. 57. Mit einer Anordnung vom 15. Februar 1944 ermächtigte Goebbels erneut die Präsidenten der Reichsmusik-, der Reichsschrifttums- und der Reichspressekammer, »ein Exportausgleichsverfahren für die Ausfuhr bestimmter Gattungen von Verlagswerken oder nach bestimmten Ländern anzuordnen«. In: Die Reichskulturkammer 2 (1943/44), S. 46. Allerdings dürfte diese Neuauflage in der Praxis kaum noch von Relevanz gewesen sein, da die Engpässe in der deutschen Buchproduktion immer drastischer wurden und die militärische Entwicklung den Exportraum für deutsche Waren immer weiter einengte. Vgl. Abschrift eines Schreibens von Hövel an den Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister vom 31. Januar 1936, PA Kult Pol VI W, Bd. 15. Vgl. Berichte der deutschen Auslandsmissionen an das AA aus den Jahren 1935 bis 1937, PA Kult Pol VI W, Bd. 13 –19. Die Berichte gingen auch dem Leiter der Wirtschaftsstelle zu und wurden von ihm als Unterlage für die jährlichen Verhandlungen mit dem Reichsfinanz- und dem Reichwirtschaftsministerium zusammengestellt: »Die Auswirkungen des Buchexport-Ausgleichverfahrens«, BArch R 2/4926 Bl. 319 –357 [Berichte von Oktober 1935 bis Mai 1936]; BArch R 2/4927 Bl. 83 –107 (Berichte von Januar/Februar 1938).

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ten im ersten Jahr insgesamt rund 4.000 Firmen in das Verfahren einbezogen und der Auslandsabsatz deutscher Bücher um 40 Prozent angehoben werden.35 Hauptnutznießer der staatlichen Subventionen waren die Verleger wissenschaftlicher Literatur. Deren Anteil an der geförderten Ausfuhr stieg in den Jahren 1938 und 1939 bei Büchern von 21 auf 27,4 Prozent und bei Zeitschriften von 16,6 auf 19,7 Prozent.36 Demgegenüber war im gleichen Zeitraum ein Absinken des Anteils der schöngeistigen und der politischen Literatur von 24,6 auf 18,4 Prozent, der Fachbücher von 2,9 auf 2,7 Prozent, der Jugend- und Bilderbücher von 0,9 auf 0,7 Prozent zu verzeichnen. Die Reduzierung des Anteils katholischer Schriften von 3,2 auf 2,4 Prozent war durch den im Mai 1937 verfügten Ausschluss liturgischer Bücher politisch kalkuliert worden.37 Die bis August 1940 bereitgestellten Subventionen von insgesamt 52.216.386,41 RM,38 die vor allem vom Reichswirtschaftsministerium über die Ausfuhrumlage der gewerblichen Wirtschaft finanziert worden waren, machten sich in mehrfacher Hinsicht bezahlt. Sie leisteten zunächst einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung der deutschen Buchwirtschaft. Deren Exportumsätze stiegen bis 1940 im Jahresdurchschnitt auf rund 60 Millionen RM an.39 Das war ein nicht zu vernachlässigender volks- und devisenwirtschaftlicher Faktor, insbesondere wenn man den bis zum Kriegsbeginn gestiegenen Export wissenschaftlicher Bücher und Zeitschriften in die USA und nach Japan berücksichtigt.40 Dass die Wissenschaftsliteratur aus Deutschland im Laufe der 1930er Jahre ihre Weltgeltung zurückgewinnen konnte, war aber auch ein wichtiger kulturpolitischer Erfolg. Denn auf diese Weise konnte der in einigen Ländern praktizierte Boykott gegen deutsche Waren unterlaufen und der kritischen Distanz der geistigen Eliten des Auslands zum NSStaat entgegengewirkt werden.41 Dafür war die nationalsozialistische Schrifttumsbürokratie sogar bereit, die leichten Exporteinbußen bei der im Ausland wenig gefragten politischen Weltanschauungs- und schöngeistigen Literatur in Kauf zu nehmen. Während die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels ihre Arbeit im verborgenen Hintergrund leistete, wurde die »Woche des deutschen Buches« reichsweit als öffentliche Propaganda inszeniert.42 Sie fand erstmals vom 4. bis zum 11. November 1934 statt. Mit der Parole »Haltet zum deutschen Buch!« forderte sie zur Schenkung von Büchern an »Verwandte, Freunde und Bekannte im Reich« und zur Versendung von Büchern ins 35 36

37 38 39 40 41 42

Vgl. Schreiben von Staatssekretär Funk (RMVP) an Reichsfinanzminister Graf Schwerin von Krosigk vom 14. November 1936, BArch R 2/4926 Bl. 379 –381. Diese Zahlenangaben finden sich in einer Übersicht über den »Anteil der Fachgruppen des Schrifttums an der geförderten Ausfuhr im Jahre 1938 und 1939«, die das RMVP dem Reichsfinanzminister in einem Schreiben vom 23. August 1940 mitteilte, BArch R 2/4927 Bl. 523 –535. Die folgenden Angaben ebd. Vgl. Schreiben der Schrifttumsabteilung des RMVP an den Reichs- und Preußischen Wirtschaftsminister vom 31. März 1938, BArch R 2/4927 Bl. 109 –114, hier Bl. 113. Zahlenangabe im Schreiben des RMVP an den RFM vom 23. August 1940, BArch R 2/4927 Bl. 526. Zahlenangabe ebd., Bl. 527. Hinweis bei Hövel: Die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels, B12. Vgl. Schreiben des RMVP an den Reichwirtschaftsminister vom 28. Juli 1938, BArch R 2/4927 Bl. 129 –131, hier Bl. 131 und Schreiben an den Reichsfinanzminister vom 23. August 1940, BArch R 2/4927, hier Bl. 530 –532. Vgl. zum Folgenden Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«, S. 626 –640, und Van Linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 171 –182.

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Ausland auf.43 Den Weg aus der Krise wies der Propagandaminister mit einer Rede vor rund 15.000 Zuhörern im Berliner Sportpalast anlässlich der Eröffnung der Buchwoche. Das Buch müsse »sich der Probleme der Zeit bemächtigen, damit das Volk sein eigenes Sein und Dasein, sein Leben, seine Sorge, seine Not, seine Freude, seine Begeisterung im Buche auch wiederfindet«.44 Sobald die »volksnahe« Literatur etabliert worden sei, so der optimistische Blick des Propagandaministers in die Zukunft, würden Buchwochen zur Gewinnung neuer Käufer- und Leserschichten überflüssig werden, »weil das Volk dann seinerseits das Verhältnis zum Buch wiederherstellen wird«.

Die staatlich subventionierte Buchwerbung Für die Organisation der Buchwoche wurde im März 1935 die Reichsarbeitsgemeinschaft für deutsche Buchwerbung gegründet. Ihr gehörten neben den staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsstellen auch der Werberat der deutschen Wirtschaft, der Reichsausschuss für volkswirtschaftliche Aufklärung und die Reichsfachschaft deutscher Werbefachleute an.45 Im Rahmen der konstituierenden Sitzung am 27. März machte Wismann in seiner Funktion als Geschäftsführer der Reichsarbeitsgemeinschaft den politischen Kern der staatlich organisierten Buchwerbung deutlich: Soweit das Buch eine rein geistige und mithin das Volk in seinem Meinen und Fühlen beeinflussende Leistung ist, hat die Öffentlichkeit und haben die der Öffentlichkeit verantwortlichen Dienststellen und Organisationen ein Interesse nicht nur an dem Buche selbst, sondern zugleich auch an der Werbung.46 Mit einem enormen publizistischen Aufwand wurde seit August 1935 die zweite Buchwoche vorbereitet, die vom 27. Oktober bis zum 3. November unter dem Motto »Das Buch – ein Schwert des Geistes« stattfinden sollte. Anfang September erschien im Börsenblatt ein »Arbeitsplan«, mit dem die Reichsarbeitsgemeinschaft die örtlichen Werbegemeinschaften über die von ihnen durchzuführenden Veranstaltungen informierte.47 Neben einer Großveranstaltung zur Eröffnung waren im ganzen Reich Vorträge, Lesungen und Bücherstunden vorgesehen. Für den Einzelhandel, den Sortimentsbuchhandel und die Leihbüchereien wurde ein Schaufensterwettbewerb ausgeschrieben. Dabei sollte der »Gedanke der Gemeinschaft an der Buchherstellung zwischen den geistigen Trägern des Schrifttums, den technischen Herstellern und den Betriebsorganisationen klar zum Ausdruck kommen«.48 In Kinos, im Begleitprogramm zu Buchausstellungen und in

43 44 45 46 47 48

Auftakt zur Woche des Deutschen Buches 4. bis 11. November 1934. In: Börsenblatt 101 (1934) 248, S. 927 –930. Goebbels Reden, Bd. 1, S. 168 –173, hier S. 171. Das folgende Zitat ebd., S. 172. Vgl. Mitteilung im Börsenblatt 102 (1935) 70, S. 237. Langenbucher: Gemeinschaftliche Buchwerbung. In: Börsenblatt 102 (1935) 78, S. 265. Vgl. Börsenblatt 102 (1935) 208, S. 726 f. So die »Richtlinien für die Zusammenarbeit der Dienststellen der Reichsbetriebsgemeinschaft Druck und der örtlichen Beauftragten der Verbände und Organisationen mit den örtlichen Werbegemeinschaften der Reichsarbeitsgemeinschaft für Deutsche Buchwerbung«. In: Börsenblatt 102 (1935) 216, S. 761 f., hier S. 762.

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Schulen wurden erstmals Kulturfilme zum deutschen Buch eingesetzt.49 Presse und Rundfunk waren zu ausführlicher Berichterstattung angehalten.50 Nach dem »Anschluss« Österreichs und der Annexion der sudetendeutschen Gebiete wurde im Herbst 1938 die erste »Großdeutsche Buchwoche« inszeniert. Auf der Eröffnungskundgebung erklärte Goebbels die Steigerung der Produktions- und Absatzzahlen bei den wissenschaftlichen und schöngeistigen Verlagen zu Erfolgen »unsere[r] warmherzige[n] Fürsorge für das deutsche Buch«.51 Mit der Parole »In jedes Haus eine Heimbücherei« warb er für einen noch intensiveren Buchkauf. Während des Zweiten Weltkriegs fanden keine Buchwochen mehr statt, sondern von 1940 bis 1942 nur noch von der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums organisierte »Herbstveranstaltungen für das deutsche Schrifttum«. Dabei wurde die Symbiose von »Buch und Schwert« jährlich als Motto wiederholt. Neben der »Jahresschau des deutschen Schrifttums«, die die Vielfalt der deutschen Buchproduktion trotz des Kriegs demonstrieren sollte,52 wurden zahlreiche weitere Buchausstellungen im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten für die Propaganda des Regimes genutzt. Zusätzlich zur »Woche des deutschen Buches« übernahm die Reichsarbeitsgemeinschaft für deutsche Buchwerbung seit 1936 auch die Organisation der im Frühjahr stattfindenden dreimonatigen Fachbuchwerbung.53 Die örtlichen Werbegemeinschaften bestanden aus Vertretern staatlicher und parteiamtlicher Dienststellen sowie den Ortswaltern und Beauftragten der 18 Reichsbetriebsgemeinschaften der DAF. Sie sollten die Lokalpresse mit Nachrichtenmaterial versorgen, die Betriebe durch Plakate, Rundschreiben und Appelle in die Fachbuchwerbung einbeziehen und die von der Reichsarbeitsgemeinschaft erarbeiteten Fachbuchlisten verteilen.54 Über den Buchhandel, die Berufsschulen und die Reichsbetriebsgemeinschaften erhielten sämtliche ausscheidenden Lehrlinge und Jungarbeiter einen Buchgutschein. Die Veranstaltungen sollten die Bedeutung des Fachbuchs für die Wirtschaft im öffentlichen Bewusstsein verankern.55 Dieser Grundgedanke erhielt nach der Verkündung des zweiten Vierjahresplans im September 1936 einen noch

49

50 51 52 53 54 55

Vgl. Hinweis auf die Aufführung des Films Die Entwicklung des Buches im Ufa-Palast am Berliner Zoo. In: Börsenblatt 102 (1935) 232, S. 828 sowie auf die im Auftrag der Reichsarbeitsgemeinschaft hergestellten Kulturfilme Das Buch – ein Freund für’s Leben und Das Buch – wie es wurde. In: Börsenblatt 102 (1935) 278, S. 1022. Vgl. Programmübersicht über »Die Sendungen des Rundfunks in der Woche des Buches«. In: Börsenblatt 102 (1935) 248, S. 890 –892. Die Rede von Goebbels ist wiedergegeben in Börsenblatt 105 (1938) 255, S. 851 –854, hier S. 852. Siehe den Bericht Erich Langenbuchers zur »Jahresschau des deutschen Schrifttums 1940«. In: Börsenblatt 107 (1940) 237, S. 362 f.; Felchner: Buch und Schwert. Die Jahresschau des deutschen Schrifttums 1941. In: Börsenblatt 108 (1941) 251/252, S. 371 f. Vgl. Langenbucher: Die Werbung für das deutsche Fachbuch. Arbeitstagung der Reichsarbeitsgemeinschaft für Deutsche Buchwerbung. In: Börsenblatt 102 (1935) 299, S. 1115 f. Vgl. auch Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«, S. 640 –646. Siehe dazu im Einzelnen den Arbeitsplan für die örtlichen Werbegemeinschaften zur Werbung für das Fachbuch im Frühjahr 1936. In: Börsenblatt 103 (1936) 25, S. 94 f. Zum Folgenden siehe ebd., S. 93. Vgl. Langenbucher: Der zweite Schritt. In: Börsenblatt 103 (1936) 25, S. 98.

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größeren Stellenwert.56 »Fachbuch und Leistungssteigerung«, so war in dem von der Reichsarbeitsgemeinschaft herausgegebenen »Arbeitsplan« für die Werbewochen im Frühjahr 1937 zu lesen, »sind so untrennbare Begriffe, dass es zur Erreichung des großen im Vierjahresplan gesteckten Zieles gelingen muss, jedem Schaffenden das Fachbuch seines Berufes in die Hand zu geben«.57 An den Beginn der Fachbuchwerbung unter dem Motto »Wir schaffen es mit dem Fachbuch!« trat nun ebenfalls eine Eröffnungskundgebung, die über den Reichsrundfunk verbreitet wurde. In Betrieben, Arbeitsschulen der DAF, Fach- und Berufsschulen, Lehrwerkstätten und Schulungskursen waren Buchausstellungen zu sehen. Große Fachbuchausstellungen fanden in Saarbrücken und Köln statt.58 Die Fachbuchlisten, die von einem im Januar 1937 gegründeten »Kuratorium für das deutsche Fachbuch« in der Reichsschrifttumskammer erarbeitet worden waren, wurden erneut in hoher Auflage über den Buchhandel verteilt.59 Die Fachbuchwerbungen der Jahre 1938 und 1939 erhielten als Motto »Das Fachbuch – ein Weg zu Leistung und Erfolg«.60 Ende Mai 1940 war im Börsenblatt allerdings eine ungewöhnlich selbstkritische Bilanz der seit vier Jahren durchgeführten Fachbuchwerbung zu lesen. Die Kampagne hätte »– im Grossen gesehen – noch nicht den entscheidenden Erfolg gehabt, den wir von ihr erwarten, weder bei den für das Fachbuch zu gewinnenden Werktätigen, noch beim Sortiment«.61 Dennoch wollte man an dem Werbefeldzug festhalten, da der Fachliteratur eine herausragende Funktion in der »Waffenschmiede für die Front« zukam. Als Motto blieb »Das Fachbuch – ein Weg zu Leistung und Erfolg«. Im Rahmen der Buchausstellungen und in den Fachbuchlisten rückten nun aber die Anforderungen der Kriegswirtschaft in den Vordergrund: Werke für Rüstungsbetriebe und für den Rüstungsarbeiter, für Fragen der Rohstoffbewirtschaftung und die Verwaltungsarbeit im Kriege, Bücher zum Thema der kurzfristigen Einarbeitung, der Umschulung, der Erzeugungsschlacht, die Haushaltsführung im Kriege und die Gesundheitsführung des deutschen Volkes.62 Bis 1938 wurden für die Förderung der Buchwirtschaft vom Propagandaministerium insgesamt 2.602.537,81 RM (einschließlich 1.237.150 RM an Zuschüssen für die Deut56 57 58 59 60 61 62

Vgl. dazu die Aufrufe von Johst und Baur: Die Fachbuchwerbung im Zeichen des Vierjahresplanes. In: Börsenblatt 104 (1937) 2, S. 1 sowie die Aufrufe zur Fachbuchwerbung 1937 von Göring, Goebbels, Ley und von Schirach. In: Börsenblatt 104 (1937) 36, S. 129 f. Der Arbeitsplan ist veröffentlicht in: Börsenblatt 104 (1937) 2. Dazu die Erläuterungen von Langenbucher: Die Pflicht jedes Einzelnen, ebd., S. 2 f. Vgl. Die Fachbuchwerbung 1937 auf dem Höhepunkt. In: Börsenblatt 104 (1937) 105, S. 413 f. Vgl. Langenbucher: Das Fachbuch als Grundlage deutscher Wertarbeit. In: Börsenblatt 104 (1937) 20, S. 74 f.; Warmuth: Die Bedeutung des Fachbuches im Rahmen nationalsozialistischer Schrifttumspolitik. In: Kantate-Ausgabe des Börsenblatts 104 (1937) 93, S. 34 f. Von Kommerstädt: Das Fachbuch – ein Weg zu Leistung und Erfolg. In: Börsenblatt 105 (1938) 56, S. 189 –191; Das Fachbuch – ein Weg zu Leistung und Erfolg. In: Börsenblatt 106 (1939) 56, S. 185 –188. Kreuser: Fachbuch und Krieg. In: Börsenblatt 107 (1940) 121, S. 201 f. Rede von Johannes Schlecht auf der Abschlusskundgebung zur Fachbuchwerbung 1941 in Litzmannstadt: »Zehn Millionen Fachbücher im Dienste der Kriegswirtschaft«. In: Börsenblatt 108 (1941) 103, S. 178 f.

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sche Bücherei in Leipzig) aufgewendet.63 Während des Zweiten Weltkriegs stiegen die Etats noch einmal deutlich, sodass von 1939 bis 1942 weitere 7.973.201,68 RM investiert wurden. Hinzu kamen noch die Finanzmittel, über die das Werbe- und Beratungsamt für das deutsche Schrifttum verfügen konnte. Sie beliefen sich allein im Haushaltsjahr 1942/43, in dem der Etat dieser nachgeordneten Dienststelle erstmals auf einem eigenen Titel ausgewiesen wurde, auf 629.000 RM.64 Auch wenn der Anteil an den Gesamtausgaben des Propagandaministeriums, die im ordentlichen Etat für die Jahre 1933 bis 1943 mit mehr als 880 Millionen RM zu veranschlagen sind,65 relativ gering blieb, so waren doch für Zwecke der Literatur bislang noch nie so hohe öffentliche Finanzmittel bereitgestellt worden.

Der Aufschwung der Buchwirtschaft in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre In seinem Kommentar »Zur Wirtschaftslage« konnte Gerhard Menz im Januar 1935 feststellen, dass nun auch der Buchhandel allmählich aus dem »Konjunkturschatten«66 heraustrat und damit an der durch das »NS-Wirtschaftswunder« bewirkten Vollbeschäftigung und der gestiegenen Kaufkraft der Privathaushalte partizipierte.67 Allerdings waren auch 1936 immer noch 2,5 Millionen Menschen ohne Arbeit und die Löhne/ Gehälter ebenso wie die Renten/Pensionen geringer als im Jahre 1928,68 sodass sich die deutsche Buchwirtschaft nicht so nachhaltig von der Weltwirtschaftskrise erholen konnte wie andere Wirtschaftszweige. 1937 lag die Gesamtbuchproduktion mit 25.361 Titeln immer noch unter der des Jahres 1930 und war von dem 1913 mit 28.182 Titeln erreichten Höchststand nach wie vor weit entfernt.69 Um die Ergebnisse aufzubessern, wurden auf Anregung Wilhelm Baurs 50 größere und umsatzstarke Verlagsunternehmen, darunter erstmals der Eher Verlag, vom Börsenverein um eine Mitwirkung an ihrer Befragung gebeten.70 Allerdings zeigten die Konjunkturberichte selbst für das Jahr 1938 noch keine durchgreifenden Verbesserungen an. Zwar waren die Umsätze der Verlage seit 1933/34 gestiegen, aber aufgrund der höheren Herstellungskosten bei gleichzeitiger staatlicher Festschreibung der Verkaufspreise und der Erhebung von Zwangsbeiträgen für die 63

64 65 66 67 68 69 70

Siehe die aus Anlass des zehnjährigen Bestehens des Propagandaministeriums zusammengestellten Angaben über die Verwendung der Finanzmittel, hier »Ausgabenentwicklung im Bereich Schrifttum (1933 –1942)« vom 6. Januar 1943, BArch R 55/862 Bl. 16. Die folgenden Zahlenangaben ebd. Siehe die Zusammenstellung von Dr. Lucerna (Abt. H) vom 6. Januar 1943, BArch R 55/862 Bl. 16. Der erste Etat der Reichsschrifttumsstelle (1. Juni 1934 bis 31. März 1935) hatte dagegen noch bescheidene 53.485,15 RM betragen, BArch R 55/322 Bl. 61. Zahlenangabe bei Krings: Das Propagandaministerium, S. 29 –48, hier S. 35. Die Gesamtausgaben lagen sogar noch über diesem Betrag, weil die Ausgaben des außerordentlichen Haushalts nicht in den Akten des Reichsfinanzministeriums nachgewiesen sind. Börsenblatt 102 (1935) 10, S. 34 –36, hier S. 35. Vgl. auch Schulz: Der Buchhändler an der Jahreswende 1934/35. In: Börsenblatt 101 (1934) 301, S. 1114 f. Vgl. dazu Frei: Der Führerstaat, S. 86 –93. Vgl. Aly: Hitlers Volksstaat, S. 49. Zahlenangaben in Die Welt des Buches, S. 146. Siehe die Schreiben von Baur an die Geschäftsstelle des Börsenvereins vom 7. Januar 1937 und an Menz vom 5. März mit der Liste der 50 Verlage, StAL BV/643.

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Reichsschrifttumskammer fielen die Gewinne insgesamt bescheiden aus. Da die ernüchternden Zustandsbeschreibungen in den vertraulich behandelten Konjunkturberichten im Widerspruch zu den öffentlich propagierten Erfolgsmeldungen standen, übte Wilhelm Baur in einem Schreiben an den Geschäftsführer des Börsenvereins vom 13. Dezember 1938 Kritik an Menz: »Ich bin Optimist genug«, so der Vorsteher, »um zu glauben [!], dass diese ganzen Meldungen praktisch keinen Schuss Pulver wert taugen.«71 Um zu besseren Ergebnissen zu gelangen, sollten mehr umsatzstarke Firmen zur Teilnahme an der Umfrage gezwungen werden. Falls dies nicht gelinge, wollte Baur »die Sache für die Zukunft ganz sein« lassen. Dann blieben ihm immer noch die »Umsatzziffern der Reichsschrifttumskammer […], die ja wahrscheinlich ein beredteres Zeugnis des Wirtschaftsaufstiegs geben.« Diese Umsätze, die als Grundlage für die Berechnung der Kammerbeiträge für die einzelnen Unternehmen erfasst wurden, nahmen in den Jahren 1937 bis 1939 folgende Entwicklung:72 Umsatz (jährlich) 20.000 –50.000 RM 50.000 –100.000 RM 100.000 –200.000 RM über 200.000 RM

Firmen (Verlage, Sortiment, Zwischenbuchhandel) 1.514 502 224 259

Jahr 1937

bis 12.000 RM 12.000 –20.000 RM 20.000 –50.000 RM 50.000 –100.000 RM 100.000 –200.000 RM 200.000 –500.000 RM 500.000 –1 Million RM über 1 Million RM

448 3.806 1.393 587 285 231 51 45

1938*

bis 12.000 RM 12.000 –20.000 RM 20.000 –50.000 RM 50.000 –100.000 RM 100.000 –200.000 RM 200.000 –500.000 RM 500.000 –1 Million RM über 1 Million RM

2.684 1.815 991 628 318 252 64 54

1939

* mit dem »angeschlossenen« Österreich 71 72

StAL BV/644. BArch R 2/4876 (1937) RSK, Bl. 13; 4877 (1938) RSK, Bl. 116; 4878 (1939) RSK, Bl. 100; 4879 (1940) RSK, Bl. 457; 4880 (1941) RSK, Bl. 537; 4881 (1942) RSK, Bl. 265; 4883 (1943) RSK, S. 7. Die in R 2/4884 RSK, S. 7 enthaltenen Ansätze für 1944 sind nur noch eine Fortschreibung der Zahlen aus dem Haushalt 1943 und dürften aufgrund der militärischen Entwicklung ohnehin weitgehend Papier geblieben sein.

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Die 1938 einsetzenden Steigerungen waren die Folge einer durch die rege Bautätigkeit und die immensen Rüstungsausgaben des NS-Staates begünstigten Hochkonjunktur. Sie hatte zu einer weitgehenden Vollbeschäftigung und damit zu einer deutlichen Steigerung der Kaufkraft der Bevölkerung bei gleichzeitig stagnierenden Preisen geführt. Auch die staatlichen Subventionen für die deutsche Buchwirtschaft in Millionenhöhe wirkten sich positiv aus. In den Jahren 1940 bis 1943 stiegen die Umsätze im deutschen Buchhandel sehr stark – und dies trotz der seit 1941 sinkenden Anzahl von Neuerscheinungen: 20.615 (1941) gegenüber 22.289 (1940).73 Die Gesamtauflagenhöhe konnte allerdings 1941 auf knapp 342 Millionen Exemplare gesteigert werden gegenüber mehr als 242 Millionen Exemplaren in 1940. Umsatz (jährlich) bis 12.000 RM 12.000 –20.000 RM 20.000 –50.000 RM 50.000 –100.000 RM 100.000 –200.000 RM 200.000 –500.000 RM 500.000 –1 Million RM über 1 Million RM

73

Firmen (Verlage, Sortiment, Zwischenbuchhandel) 3.160 1.860 800 600 300 250 50 45

Jahr 1940

bis 12.000 RM 12.000 –20.000 RM 20.000 –50.000 RM 50.000 –200.000 RM 200.000 –500.000 RM 500.000 –1 Million RM über 1 Million RM

2.205 1.053 1.645 1.465 366 120 80

1941

bis 12.000 RM 12.000 –20.000 RM 20.000 –50.000 RM 50.000 –200.000 RM 200.000 –500.000 RM 500.000 –1 Million RM über 1 Million RM

1.175 1.595 2.095 1.510 374 124 82

1942

bis 12.000 RM 12.000 –20.000 RM 20.000 –50.000 RM 50.000 –200.000 RM 200.000 –500.000 RM 500.000 –1 Million RM über 1 Million RM

1.708 693 1.692 2.022 594 173 115

1943

Vgl. Bücherproduktions-Statistik 1941. In: Börsenblatt 109 (1942) 196/197, S. 178 f.

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Die Sonderkonjunktur seit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges Der nach dem Überfall auf Polen im September 1939 kurzzeitig feststellbare Einbruch der Buchkonjunktur wurde schnell überwunden. Bereits mit dem Weihnachtsgeschäft setzte im deutschen Buchhandel ein Boom ein, der bis 1943 ungebrochen anhielt. Er wurde zunächst begünstigt durch die mit dem Krieg einhergehende Mangelwirtschaft und die Sorge der Bevölkerung um die Entwertung ihres Geldes. Die »überschüssige Kaufkraft« konnte nun »in keiner Weise auf dem Markt befriedigt werden« und führte zu einer »Flucht in die Sachwerte«, wie Reichswirtschaftsminister Funk in einem Brief an Goebbels vom September 1941 darlegte.74 Von dieser Entwicklung profitierte der gesamte reichsdeutsche Buchhandel, denn im Gegensatz zu allen anderen Waren des täglichen Bedarfs konnten Bücher ohne Bezugsscheine erworben werden. Die Folge war, dass der Sortimentsbuchhandel seit 1940 regelrecht leer gekauft wurde. Gefragt waren vor allem leicht konsumierbare Werke der schöngeistigen und der Unterhaltungsliteratur, aktuelle politische und militärische Sachbücher, Biographien sowie Kinder- und Jugendbücher. Die Reichsschrifttumskammer und der Börsenverein sicherten im Herbst 1940 die beträchtlichen Umsatzsteigerungen der von ihr vertretenen Firmen erfolgreich gegen den Reichskommissar für die Preisbildung ab, der nach der Überprüfung von 300 Verlagskalkulationen zu hohe Gewinne unterstellt hatte.75 Die nachgeordnete Behörde des Beauftragten für den Vierjahresplan scheiterte jedoch wie bereits 1937 mit dem Versuch, die Aufhebung des festen Ladenpreises für Bücher und eine Senkung der Buchpreise zu erzwingen. Allerdings zeigten sich rasch auch die Schattenseiten der überhitzten Konjunkturentwicklung. Denn die Verlage kamen aufgrund der Engpässe durch den Abzug von Mitarbeitern zur Wehrmacht, die Auftragsüberlastung des grafischen Gewerbes und der Druckereien, das langwierige Papierbewirtschaftungsverfahren und später auch durch die Auswirkungen des Luftkriegs in der Produktion neuer Bücher kaum noch nach. Im August 1941 musste Kammer-Referent Bischoff gegenüber dem um seine Verlagsproduktion besorgten »Parteigenossen« Gustav Langenscheidt eingestehen, dass die Papierfrage inzwischen »doch etwas brenzlich [!] geworden« war und es den Schrifttumsbehörden erging »wie einer Frau mit einem zu kurzen Hemd: es reicht oben und unten nicht.«76 Die zunehmende Diskrepanz zwischen der stetig steigenden Nachfrage und dem dramatisch abnehmenden Angebot führte zu erheblichen Verstimmungen und Konflikten: zwischen den Verlagen und den Sortimentsbuchhandlungen, die ihre Bestellungen aufgaben, ohne die benötigten Mengen zu erhalten, oder glaubten, mit Ladenhütern abgespeist zu werden; mit dem Zwischenbuchhandel, der sich durch die Zunahme der Direktbestellungen der Sortimenter bei den Verlagen ausgebootet sah; zwischen den Buchhändlern und ihren Kunden, die nach ihren Hamsterkäufen immer häufiger vor leereren Regalen standen und diesen Mangel auf die Unfähigkeit oder gar auf die subjektive Böswilligkeit des Buchhändlers zurückführten. Nachdem die großen Verlagsorte 74 75 76

Goebbels-Tagebücher vom 23. September 1941, Teil II, Bd. 1, S. 475. Vgl. dazu auch die Meldungen aus dem Reich (1942) 260, Bd. 9, S. 3317. Vgl. dazu im Einzelnen Triebel: Kultur und Kalkül. Vgl. auch Schlemminger: Die Preisbindung im deutschen Buchhandel. Das Schreiben vom 12. August 1941 an den in Brüssel stationierten Langenscheidt in BArch BDC/RK 2110/G. Langenscheidt Verlag.

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Abb. 6: Buchhändlerhaus in Leipzig – vor und nach der Zerstörung. Berlin, Hamburg, München und Stuttgart durch die Bombardements der alliierten Luftwaffe erhebliche Verluste hinnehmen mussten und mit Leipzig im Dezember 1943 das Zentrum des deutschen Buchhandels weitgehend zerstört wurde,77 war spätestens 1944 auch das Buch für die Menschen zur Mangelware geworden. Die in den Jahren 1939 bis 1943 erheblich ansteigenden Umsatzzahlen hatten allerdings noch einen zweiten Grund: eine Schattenwirtschaft, die sich mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs etablierte und rasch expandierte. Zahlreiche Verlage, die großen Firmen des Zwischenbuchhandels und ein Teil des Sortiments kamen nämlich in den Genuss von Aufträgen, die seit Kriegsbeginn von der Zentrale der Frontbuchhandlungen, vom Oberkommando der Wehrmacht, von den einzelnen Heeresteilen, der Luftwaffe und der Kriegsmarine, der SS, der Organisation Todt und vom Rüstungsministerium vergeben wurden. Von diesem neuen Buchmarkt profitierten vor allem große und wenige mittelständische Unternehmen: der C. Bertelsmann Verlag mit insgesamt 19 Millionen an die Wehrmacht gelieferten Exemplaren, der Zentralverlag der NSDAP (mit 14 Millionen Exemplaren), der W. Kohlhammer Verlag und das Bibliographische Institut (mit jeweils 10 Millionen Exemplaren), der Verlag Deutsche Volksbücher, der seit 1900 die Reihe »Wiesbadener Volksbücher« veröffentlichte und 1940 von Georg von Holtzbrinck und Wilhelm Schlösser übernommen worden war (mit 5 Millionen Exemplaren), C. Gerber/ Münchner Buchverlag (mit 4 Millionen Exemplaren), der Insel Verlag und der Reclam Verlag (mit jeweils 1,9 Millionen Exemplaren), der Eugen Diederichs Verlag (mit 1,72 Millionen Exemplaren), der Gauverlag Bayerische Ostmark (mit 1,2 Millionen Exemplaren) und der Langen-Müller Verlag (mit 1,1 Millionen Exemplaren).78 Allein an der Produktion der Feldpostausgaben, die von 1940 bis 1944 in einer Auflagenhöhe von mehr als 35 Millionen Exemplaren gedruckt wurden, waren insgesamt 71 Verlage beteiligt. Auch so traditionsreiche Verlage wie Hermann Böhlau, F. A. Brockhaus, Droste, Engelhorns Nachfolger, Gräfe und Unzer, Ferdinand Hirt, Theodor Knaur, Paul List, E. S. Mittler & Sohn, Paul Neff, Rütten & Loening und Ludwig Voggenreiter oder junge Verlage wie H. Goverts, Wilhelm Heyne und Reinhard Piper lebten vom Massengeschäft mit der Wehrmacht.79 Dieser geschlossene Markt funktionierte 77 78 79

Vgl. dazu im Einzelnen Keiderling: Aufstieg und Niedergang der Buchstadt Leipzig, S. 136 – 144. Zahlenangaben in Bertelsmann im Dritten Reich, Bd. 1, S. 423. Ergänzend Garke-Rothbarth: Georg von Holtzbrinck, S. 156. Vgl. Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel, S. 119 –124. Ergänzend F. A. Brockhaus 1905 – 2005, S. 186 f.; Wallrath-Janssen: Der Verlag H. Goverts im Dritten Reich, S. 339 –350; Ziegler: 100 Jahre Piper, S. 126 f.

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letztlich wie eine Art riesige Buchgemeinschaft, für deren Mitglieder – in diesem Fall die Frontsoldaten – die Verlage eine begrenzte Anzahl von Buchtiteln aus ihrem Programm in hohen Auflagen zu besonderen Preisen produzierten und über das von der Zentrale der Frontbuchhandlungen aufgebaute Filialnetz vertrieben.80 Für die natur- und geisteswissenschaftlichen Verlage ebenso wie für eine Vielzahl mittlerer und kleiner Verlage, die nicht mit Aufträgen für den Frontbuchhandel rechnen konnten, wirkte sich die zunehmend verschärfte Kontingentierung der Papier- und Einbandstoffe jedoch existenzbedrohend aus. Im Vergleich zur Tages- und Zeitschriftenpresse fühlten sich die Verlags- und Sortimentsbuchhandlungen »in der gesamten Papierbewirtschaftung ›stiefmütterlich‹ behandelt«, wie die Meldungen aus dem Reich im Januar 1943 zu berichten wussten.81 Die Elwertsche Universitäts- und Verlagsbuchhandlung hielt nun dem Börsenverein in einem Schreiben vom 4. März 1943 vor, es könne keine Rede von einer »allgemeinen Papierknappheit« sein, »wenn man sieht, was von anderen Stellen auch jetzt noch an Papier verpulvert wird.«82 Offenbar sollte aber auf diese Weise »der Weg zu Monopolverlagen gefördert« werden – eine Entwicklung, die Widerspruch herausforderte, da »doch gerade der Nationalsozialismus von vornherein sich gegen Auswüchse des früher jüdischen Großkapitals gewandt [hatte], sodass man doch annehmen darf, dass heute das Großkapital von anderer Seite nicht wiederum kleinere Existenzen vernichten darf.«

Von der Reduzierung zur Schließung: Der deutsche Buchmarkt in den Jahren 1941 bis 1945 Bereits im Oktober 1941 hatte die Kammer an die Buchverlage appelliert, nur noch diejenigen Mitarbeiter zu beanspruchen, die »zur ordnungsgemäßen Herstellung der kriegsnotwendigen Produktion unter Anlegung härtester Maßstäbe erforderlich sind«.83 Die mit bloßer »Füllarbeit« beschäftigten »Gefolgschaftsmitglieder« sollten den zuständigen Landesarbeitsämtern überstellt und in andere Produktionszweige der deutschen Wirtschaft vermittelt werden. Während die Freimachung von Arbeitskräften zum damaligen Zeitpunkt noch der persönlichen Verantwortung der Verleger überlassen wurde, ging die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums im August 1942 dazu über, den Verlagen, »für deren Buchproduktion im Kriege keine weiteren Papiermengen zur Verfügung gestellt werden können«, Arbeitskräfte systematisch zu entziehen.84 Ende 1942 hatten sich die Engpässe im Rohstoffbereich und der Arbeitskräftebedarf der Kriegswirtschaft dann so zugespitzt, dass erste Pläne zu einer umfangreichen Stilllegung von Verlagen diskutiert wurden. In einer Stellungnahme vom 5. Januar 1943 machte der Geschäftsführer der Kammer allerdings wesentliche Bedenken gegen das 80 81 82 83 84

Vgl. Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 147. Meldungen aus dem Reich (1943) 349, Bd. 12, S. 4659 f. StAL BV/644. Bekanntmachung über die Freimachung von Arbeitskräften aus dem Buchverlag vom 10. Oktober 1941. In: Börsenblatt 108 (1941) 258, S. 381. Dazu das streng vertrauliche Schreiben an das Reichspropagandaamt Berlin vom 26. August 1942, LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/3. Dem Schreiben war eine fünf Seiten umfassende Liste mit Verlagen beigefügt, die von der Maßnahme betroffen sein sollten.

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Vorhaben geltend.85 Da die beabsichtigte Reduzierung der Verlage von bislang 2000 auf rund 500 vor allem die Klein- und Mittelbetriebe in Familienbesitz treffen würde, die personalstarken Großunternehmen hingegen aufgrund ihrer kriegswichtigen Aufträge weitgehend verschont blieben, rechnete er mit nicht mehr als 100 bis 200 freigestellten Arbeitskräften. Darüber hinaus sei zu erwarten, dass die weiterhin zugelassenen Verleger schon bald mit der Bitte um Zuweisung von Arbeitskräften zur Sicherstellung ihrer Produktion an die Kammer herantreten würden. Ihde störten aber auch die einschneidenden Strukturveränderungen, die ihm als Folge der in seinen Augen ineffizienten Stilllegungsaktion unvermeidlich erschienen: die Bindung der Autoren an die wenigen noch erhaltenen Großverlage; die Konzentration des Verlagsgeschehens in Großstädten wie Berlin, Leipzig, München, Stuttgart oder Hamburg und damit eine »geistige Verödung des breiteren Deutschland«; die »selbstmörderische Dezimierung des Personalbestandes« durch die Abgabe buchhändlerischer Fach- und Nachwuchskräfte an lukrativere Wirtschaftsbranchen; der langfristige Verlust erheblicher ökonomischer Kapazitäten sowie der Verzicht auf die »kulturschöpferische« Initiativkraft zahlreicher Verleger. Aus diesen Gründen empfahl Ihde, der auch als Buchautor über die Entwicklungen im deutschen Buchhandel bestens informiert war, statt der geplanten Schließung von rund 1500 Verlagen erst einmal die Reichspropagandaämter vor Ort Erkundigungen über die konkreten Möglichkeiten und Auswirkungen der Freistellung von Arbeitskräften einziehen zu lassen. Bei Verlagen, »an deren Herstellungsprogramm kein kulturpolitisches Interesse besteht oder deren Programm sogar von der Staatsführung abgelehnt werden muss«, sah auch der KammerFunktionär nun die Gelegenheit und Pflicht, »rücksichtslos zu schließen«. Trotz dieser gravierenden Bedenken hielt das Propagandaministerium, dem mit der »Verordnung zur Freimachung von Arbeitskräften für kriegswichtigen Einsatz« am 29. Januar 1943 das Recht zugestanden worden war, in Abstimmung mit dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz die Stilllegung oder Zusammenlegung von Betrieben und die Unterlassung von bestimmten Tätigkeiten anzuordnen,86 an der Schließung von mindestens 1.200 Verlagen fest.87 Allerdings durften »Maßnahmen gegenüber Buchhandlungen […] nur im Einvernehmen mit den zuständigen Landesleitungen für Schrifttum, […] gegenüber Verlagen nur im Einvernehmen mit der Reichsschrifttumskammer (über die zuständigen Landesleiter)« erfolgen, während von Maßnahmen gegenüber Leihbüchereien völlig abgesehen wurde, um wenigstens über diese Einrichtungen die Buchversorgung der Bevölkerung aufrechterhalten zu können.88 Die betroffenen Verlage wurden im April 1943 von der Kammer verpflichtet, eine Übersicht über die Bestände ihrer Buchlager sowie über die noch in Bearbeitung befindliche Produktion zu erstellen und die Verwertung nach Anweisung der Kammer vorzunehmen.89 Die laufende Produktion, für die das Papier bereits bewilligt worden war, durfte noch fertig gestellt werden, jedoch konnten keine neuen Anträge auf Papierzuteilung mehr gestellt werden. 85 86 87 88 89

Vgl. BArch R 56 V/26 Bl. 135 –138. Zum Folgenden siehe ebd. Vgl. Die Arbeitseinsatz- und Stillegungsaktion. In: Die Reichskulturkammer 1 (1943), S. 58 – 61. Vgl. Mitteilung Ihdes an Johst vom 25. Februar 1943, BArch R 56 V/26 Bl. 111. Vgl. Die Arbeitseinsatz- und Stillegungsaktion. In: Die Reichskulturkammer 1 (1943), S. 60. Vgl. Anordnung zur Regelung von Fragen, die sich aus der Schließung von Buchverlagen ergeben. In: Börsenblatt 110 (1943) 84, S. 73.

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Die Verlage hatten die Möglichkeit, bei der Kammer die Fusion mit einem weiter bestehenden Unternehmen zu beantragen. Über dieses konnten »Fortsetzungswerke und höchstens dreimal im Jahr erscheinende periodische Druckschriften bis zur Wiedereröffnung des geschlossenen Verlages« weiter erscheinen oder die Pflicht zur Vervielfältigung und Verbreitung von Werken, für die eine Papiergenehmigung vorlag, erfüllt werden. Die Vereinbarungen durften jedoch weder die Rechte der Autoren beeinträchtigen noch die bereits vereinbarten Buchpreise, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen. Den Autoren der geschlossenen Verlage wurden Options- oder Generalverträge mit den verbleibenden Verlagen untersagt. Wer dies dennoch tat, hatte mit der Sperrung der Papiergenehmigung für seine Werke zu rechnen.90 Es war lediglich gestattet, einem bestehen bleibenden Verlag ein »begrenztes Verlagsrecht ohne Nebenrechte« zu übertragen. Auf einer Sitzung des Börsenvereins und der »Gruppe Buchhandel« am 5. Oktober 1943 in Leipzig wurde allerdings festgestellt, dass diese erste Stilllegungsaktion für die Buchverlage noch ohne »wesentliche Bedeutung« geblieben war.91 Die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums hatte zwar zur Mitte des Jahres 1943 eine umfangreiche »Liste der stillzulegenden Verlage« vorgelegt.92 Doch an eine rasche und effiziente Umsetzung war aufgrund der komplizierten administrativen Entscheidungsprozesse nicht zu denken. So wurden, wie von Ihde vorhergesagt, aufgrund von Einsprüchen der Firmen und von Interventionen der Reichsverteidigungskommissare, der Gauwirtschaftsberater oder der Landeskulturwalter93 zahlreiche Verlage aus der Schließungsliste gestrichen und in die »Liste der zu sichernden Verlage« übernommen.94 Es gelang offenbar noch nicht einmal, die Stilllegungen zur Ausschaltung politisch missliebiger Firmen zu benutzen. So war der Verlag Peter Suhrkamp, dem das Reichssicherheitshauptamt und das Schrifttumsamt Rosenbergs »noch außerordentlich stark liberale Anflüge« attestierten,95 Anfang März 1943 auf die »Liste der zu schließenden Verlage« gesetzt worden.96 Nach den Interventionen namhafter Vertreter des deutschen Kulturlebens bei Goebbels wurde diese Absicht jedoch wieder aufgegeben. Das Oberkommando der Wehrmacht, das der Schließung ursprünglich zugestimmt hatte, gab ihr Votum plötzlich als »Irrtum der beteiligten Vertreter« aus. Selbst die Partei-Kanzlei war bereit, ihre »Bedenken gegen Suhrkampf [!]« zurückzustellen, nachdem das Propagan90 91 92 93 94 95

96

Vgl. Erste Mitteilung der Reichsschrifttumskammer zur Anordnung Nr. 157, ebd., S. 55 f. Siehe auch die Rechtsauslegung durch Gentz: Schließung von Buchverlagen. In: Börsenblatt 110 (1943) 84, S. 74 –76. Bericht über die Sitzung, hier S. 2, in StAL BV/737. Zur Durchführung der Verlagsschließungen siehe im Einzelnen BArch R 56 V/182, 108 und 109. BArch R 56 V/182 Bl. 378 –414. Siehe die Änderungsanträge und die Änderungsbescheide der Schrifttumsabteilung ebd. Die Liste findet sich ebd., Bl. 358 –367. So die Angabe in einem Aktenvermerk des Mitarbeiters im RSHA von Kielpinski betr. Verlag Peter Suhrkamp, BArch NS 8/249 Bl. 48. Diesen Aktenvermerk sandte von Kielpinski am 8. Juni 1944, also nach der Verhaftung Suhrkamps durch die Gestapo, an Payr vom Hauptamt Schrifttumspflege, BArch NS 8/249 Bl. 47. Darin hieß es abschließend, dass der »Fall Suhrkamp« ebenso wie der »damals so stark diskutierte Fall Bertelsmann« die »Notwendigkeit eines gerade im Kriege sehr scharfen politischen, weltanschaulichen und charakterlichen Maßstabes unterstreicht«. Aktenvermerk Kielpinskis vom 8. Juni 1944, BArch NS 8/249 Bl. 48. Zum Folgenden siehe ebd.

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daministerium versichert hatte, dass der Verlag »zukünftig in weltanschaulicher Hinsicht ordentlich arbeiten« werde. Ende März 1943 informierte der Leiter der Schrifttumsabteilung den mit der Ausarbeitung der Schließungsliste beauftragten Ausschuss, dass Goebbels entschieden hatte, die Verlagsschließungen »lediglich nach kriegswirtschaftlichen Gesichtspunkten, nicht aber nach kulturpolitischen zu entscheiden, wobei insbesondere der Fall Suhrkamp als Beispiel einer nicht vertretbaren Ausnutzung totaler Kriegsmaßnahmen angeführt wurde«. Zu umfassenden Stilllegungen kam es erst, nachdem Goebbels am 20. Juli 1944 von Hitler zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz ernannt worden war. Zum 1. August wurde die Neuproduktion schöngeistiger Literatur vollständig eingestellt. Von den noch rund 30.000 im gesamten deutschen Buchhandel tätigen Personen sollte »mindestens die Hälfte für Wehrmacht und Rüstung freigegeben werden«.97 Mit Schreiben vom 22. August ermächtigte Goebbels die Präsidenten der Einzelkammern, ihre Mitglieder zur Verwendung in der Wehrmacht oder Rüstungsindustrie freizusetzen.98 Das »Merkblatt zur totalen Mobilmachung des Buchhandels«, das der Börsenblatt-Ausgabe vom 9. September 1944 beigefügt war, verpflichtete die Verlage, ihre in Ganz- oder Halbleinen gebundenen Bücher, die ohne eine Sondergenehmigung der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels hergestellt worden waren, an die Firma Lühe & Co. abzuliefern. Eine Übersicht über die noch vorrätigen Einbandstoffe war bei der Wirtschaftsstelle einzureichen. Die Inhaber und Angestellten aller kammerpflichtigen Unternehmen mussten sich bis zum 15. September »selbständig beim zuständigen Arbeitsamt zum Arbeitseinsatz für die Rüstungsindustrie« melden.99 Ausgenommen waren nur noch Personen, die eine Bescheinigung der Reichskulturkammer zur Freistellung besaßen, und die Mitarbeiter kriegswichtiger Betriebe. Bis Ende September 1944 wurden in 29 Gauen 1.902 Verlage geschlossen.100 In den 11 übrigen Gauen sollten weitere Schließungen bis Ende Oktober abgeschlossen sein, obwohl kaum Möglichkeiten bestanden, die frei werdenden Arbeitskräfte in anderen Wirtschaftszweigen unterzubringen. Das Ende der verlegerischen Betätigung im NS-Staat bedeutete dies jedoch immer noch nicht. Bei Verlagen, deren Produktion auch in die Zuständigkeit anderer Einzelkammern fiel, konnte die Reichsschrifttumskammer nur eine begrenzte Schließungsverfügung erlassen.101 Eine Reihe von Verlagen wies kriegswich97 Mitteilung der RSK an das RMVP vom 7. August 1944, BArch R 56 V/152 Bl. 171. 98 Vgl. Der totale Kriegseinsatz der Kulturschaffenden. In: Die Reichskulturkammer 2 (1944), S. 121 –127. 99 Im Merkblatt wurde allerdings fälschlicherweise darauf hingewiesen, dass Personen wegen ihres Alters von der Meldepflicht befreit seien. Siehe den korrigierenden Hinweis, dass sich Personen unabhängig von ihrem Alter bei den Arbeitsämtern zu melden hatten, im Bericht über die gemeinsame Sitzung des Kleinen Rates des Börsenvereins und des Rates der Gruppe Buchhandel am 27. September 1944 in Rathen, S. 4, StAL BV/583. 100 Die Zahlenangaben finden sich ebd. Die Angaben weichen allerdings von denen ab, die in einem Aktenvermerk der RSK vom 13. November 1944 gemacht wurden, BArch R 56 V/152 Bl. 20: 1.269 Verlage, 1.410 Sortimentsbuchhandlungen, 555 Versandbuchhandlungen, 139 Zwischenbuchhandlungen, 4.178 Buchverkaufsstellen, 1.015 Leihbüchereien und 101 nebengewerbliche Leihbüchereien. 3.477 Mitarbeiter des Buchhandels waren vom Einsatz in der Rüstungsindustrie noch freigestellt. 101 Auf diesen Umstand machte die RSK-Landesleitung Berlin das örtliche Arbeitsamt mit Schreiben vom 9. Januar 1945 aufmerksam, LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/66 Bl. 6.

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tige Aufträge für die Verwaltung, Wirtschaft, Wehrmacht oder SS nach.102 Auch erreichten einige Verleger aufgrund persönlicher Kontakte zur Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums eine Rücknahme der angeordneten Schließung, sodass »in der Fachöffentlichkeit […] der Eindruck entstehen [konnte], als ob die Hartherzigkeit der Kammer immer erst durch das großzügige Verständnis des Ministeriums korrigiert werden müsste«, wie der Geschäftsführer der Reichsschrifttumskammer Anfang Januar 1945 beklagte.103 Dies wiederum hatte zur Folge, dass der Kommissions- und der Sortimentsbuchhandel in beschränktem Umfang aufrechterhalten werden mussten, um zum einen die Auslieferung der fortlaufenden Verlagsproduktionen sicherstellen zu können, zum anderen die Bestände der stillgelegten Verlage aufzufangen und zu verteilen.104 Darüber hinaus waren die Kammer ebenso wie der Börsenverein daran interessiert, dem Buchhandel eine Zukunft für die Zeit nach dem Krieg zu erhalten. So wurde der Abzug von buchhändlerischen Fach- und Nachwuchskräften in andere Wirtschaftszweige mit großer Sorge betrachtet.105 Auch wenn man sich bis zuletzt um eine möglichst verträgliche Durchführung der »Auskämmaktionen« bemühte,106 stand am Ende ein nicht mehr nur durch politische Reglementierungen, sondern auch durch massive Eingriffe in die wirtschaftlichen Strukturen und Eigentumsverhältnisse erheblich entstellter Rumpfbuchhandel. So sah die gedruckte Verlegerliste vom 4. November 1944 nur noch 273 Verlage vor. Sie verteilten sich im Wesentlichen auf die Gaue Berlin (74), Sachsen (53), WürttembergHohenzollern (29), München-Oberbayern (19), Wien (16) und Mark Brandenburg (11), sodass in sechs Gauen mit ihren Groß- und Mittelstädten nahezu 74 Prozent der deutschen Verlage konzentriert waren, während in den 35 anderen Gauen nur noch vereinzelt Verlage fortbestehen sollten.107 Für einen politischen Insider wie Karl Heinrich Bischoff stand im September 1944 fest, dass sich als Folge der von der Kammer angeordneten Schließung von Verlagen »eine Art Verstaatlichung des Buchhandels immer stärker entwickelt.«108 Obwohl diese Entwicklung, in deren Kontext auch Bischoffs eigener Verlag in Wien geschlossen wurde, seiner Einschätzung nach nicht mehr aufzuhalten war, sah er sie doch »im Gegensatz zum ursprünglichen Nationalsozialismus«. 102 Siehe dazu in LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/66 die Vorgänge Adler Verlag (Bl. 9), A. W. Hayn’s Erben (Bl. 253), F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung (Bl. 265 –272). 103 Aktenvermerk von Gentz über ein Gespräch mit Erich Langenbucher vom 8. Januar 1945, BArch R 56 V/152 Bl. 4. 104 Siehe das Schreiben der RSK an das RMVP vom 7. August 1944, BArch R 56 V/152 Bl. 172, sowie den Bericht über die Sitzung des Börsenvereins am 27. September 1944 in Rathen, S. 4, StAL BV/583. 105 Siehe dazu bereits den Vorbericht von Martin Wülfing zur Sitzung des Kleinen Rates des Börsenvereins am 12. und 13. Mai 1944 in Rathen, S. 4, StAL BV/737, sowie den Bericht über die Sitzung in Rathen am 27. September 1944, S. 8, StAL BV/583. 106 In Berlin berieten Sachverständige der RSK-Landesleitung, des Gau-Arbeitsamts und der Gauwirtschaftskammer noch zu Beginn des Jahres 1945 auf wöchentlichen Sitzungen über die Auskämm- und Stilllegungsmaßnahmen. Siehe den Aktenvermerk der RSK-Landesleitung Berlin vom 12. Januar 1945, LA Berlin Rep. 243, Acc. 1814/66 Bl. 278. 107 Auswertung durch Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel, S. 83 f. Die nach Gauen aufgeteilte »Liste der zu sichernden Verlage« mit drei Nachträgen findet sich in StAL BV/881. 108 Brief Bischoffs an RSK-Geschäftsführer Gentz vom 8. September 1944, BArch R 56 V/152 Bl. 63.

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Der Aufbau nationalsozialistischer Monopole auf dem deutschen Buchmarkt: Der Zentralverlag der NSDAP Bischoff, dem langjährigen Referenten der Reichsschrifttumskammer, der 1941 persönlich von der »Arisierung« des Paul Zsolnay Verlags profitierte,109 dürfte allerdings bekannt gewesen sein, dass die NSDAP selbst an der »Verstaatlichung« des deutschen Buchhandels besonders interessiert war. Denn seit 1933 baute Max Amann in seinen Funktionen als mächtiger Chef des Eher-Konzerns und damit als Verleger Hitlers und anderer Nazigrößen, als Reichsleiter für die Presse der NSDAP und als Präsident der Reichspressekammer ein in der deutschen Verlagsgeschichte bislang einzigartiges Monopol auf. Bereits 1934 ging der Ullstein Verlag zu einem Spottpreis in den Besitz des Eher Verlags über. Das bedeutendste und wirtschaftlich erfolgreichste Verlagsunternehmen der Weimarer Republik verfügte über ein Netz von Tageszeitungen und Zeitschriften, über den Ullstein-Buchverlag, den Propyläen Verlag und den BZ-Karten-Verlag, über eine der größten Verlagsdruckereien in Deutschland und eine Verlagsbuchbinderei.110 Der Wert des Konzerns lag 1933/34 bei rund 50 bis 60 Millionen RM.111 Angeboten wurden den jüdischen Eigentümern jedoch nur 12 Millionen RM, von denen noch einmal 25 Prozent Kapitalausfuhrsteuer abgezogen wurden. Nachdem man zunächst versucht hatte, den Verlag durch politische Pressionen auszuschalten, waren Goebbels und Amann im März 1934 übereingekommen, das lukrative Medienobjekt für den NSStaat nutzbar zu machen. Den Auftrag zum Ankauf hatte Max Winkler erhalten. Der wendige Geschäftsführer und alleinige Gesellschafter der Cautio Treuhand GmbH war bislang als Treuhänder im Auftrag des Reichsfinanzministeriums und des Oberrechnungshofes sowie als Finanzberater für Alfred Hugenberg tätig gewesen. Den Kontakt zu nationalsozialistischen Partei- und Regierungskreisen hatte Walther Funk vermittelt. Der von Winkler am 30. Juni 1934 abgeschlossene Kaufvertrag sah vor, dass die Ullstein-Aktien bei der Deutschen Bank auf den Namen der Cautio Treuhand GmbH hinterlegt wurden. Mit einem Kredit der Bank der Deutschen Arbeit kaufte dann der Eher Verlag dieses Aktienpaket von der Cautio auf. Zuvor hatte Amann Hitler davon überzeugen können, dass der Ullstein-Konzern nicht vom Propagandaministerium übernommen werden sollte, sondern als privatwirtschaftliches Unternehmen in den Händen der Partei weiter bestehen müsse. Nach außen trat die Änderung der Besitzverhältnisse nicht in Erscheinung. Nicht nur der Name Ullstein blieb zunächst erhalten, sondern auch Ferdinand Bausback als Leiter des Aufsichtsrates und Max Wießner als Verlagsleiter. Erst im Laufe des Jahres 1937 wurde das Unternehmen in Deutscher Verlag umbenannt.112 Aus der Aktiengesellschaft wurde 1938 eine Kommanditgesellschaft mit

109 Vgl. dazu im Einzelnen Hall: Der Paul Zsolnay Verlag, S. 644 –769. 110 Siehe die Übersicht der zum Deutschen Verlag (vormals Ullstein Verlag) gehörenden Publikationen und Unternehmen (Stand: 1938), StAL BV/F 9426 Ullstein AG. 111 Vgl. Hale: Presse in der Zwangsjacke 1933 –1945, S. 138. Siehe zum Folgenden ebd., S. 136 –142. Der Ullstein-Familie blieben die genauen Hintergründe der Transaktion ihres Eigentums offenbar verborgen. Vgl. Ullstein: Das Haus Ullstein, S. 251 –257. 112 Vgl. Verlagsveränderungen im deutschen Buchhandel 1937 –1943, S. 26.

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den persönlich haftenden Gesellschaftern Max Winkler und Ferdinand Bausback.113 In das siebenköpfige Direktorium stieg 1940 auch Wilhelm Baur auf.114 Der Ullstein Verlag, der mit seinen rund 8.000 Beschäftigten und einem Geschäftsumsatz von rund 50 Millionen RM den Eher Verlag um ein Vielfaches übertraf,115 war nur der Beginn einer spektakulären Serie von Erwerbungen. Dabei wurden die Fäden zum einen von Rolf Rienhardt gezogen, der als Stabsleiter im Amt des Reichsleiters für die Presse der NSDAP und in der Reichspressekammer als stellvertretender Leiter des Verbands der deutschen Zeitungsverleger eine Schlüsselrolle im Konzern spielte. Zum anderen konnte Wilhelm Baur, der als Vorsteher des Börsenvereins, Leiter der »Gruppe Buchhandel« und Vizepräsident der Reichsschrifttumskammer Einsicht in alle wesentlichen Interna erhielt, die Entwicklung des deutschen Buchhandels im Sinne des EherKonzerns beeinflussen. Neben dem Stammsitz in München mit Verlag (Leitung: Joseph Pickl) und Sortimentsbuchhandlung (Leitung: Josef Berg), dem im Januar 1933 errichteten Buch-Verlag in Berlin (Leitung: Wilhelm Baur) und der 1938 eröffneten Filiale in Wien (Leiter: Heinrich Korth) gründete der Eher Verlag während des Zweiten Weltkriegs Zweigniederlassungen u. a. in Brünn, Graz, Klagenfurt, Linz und Znaim.116 Darüber hinaus sind auf einer parteioffiziellen Liste vom April 1943 37 Verlage angegeben, die inzwischen »zum Bereich des Reichsleiters für die Presse der NSDAP.« gehörten.117 Darunter finden sich neben einer Reihe von NS-Gauverlagen so angesehene Namen wie die Deutsche Verlags-Anstalt GmbH (Stuttgart), Frankfurter Societätsdruckerei GmbH, Knorr & Hirth KG (München), Albert Langen-Georg Müller Verlag GmbH, Rowohlt Verlag GmbH. Anfang September 1944 folgte schließlich noch der Kauf von Hugenbergs August Scherl GmbH.118 Anders als im Fall des Ullstein-Konzerns ließ sich der gerissene Geschäftsmann allerdings mit 64.106.500 RM von Amann den realen Wert für seinen Zeitungs-, Zeitschriften- und Buchverlag auszahlen. 1944 dürften rund 150 Unternehmen im Altreich, in Österreich und in den besetzten Gebieten mit rund 35.000 Beschäftigten im Besitz des Amann-Trusts gewesen sein.119 Er bestand im Wesentlichen aus vier großen Konglomeraten: die beiden Tochtergesellschaften Standarte Verlags- und Druckerei GmbH, über die die Gaupresse produziert und vertrieben wurde, und Herold Verlagsanstalt GmbH als Dachgesellschaft für unterschiedliche Verlage, Druckereien, Zwischen- und Sortimentsbuchhandlungen; die Europa Verlags GmbH, mit deren Unternehmen sich der Verlag über die besetzten Länder in 113 Siehe die von Winkler und Bausback unterzeichnete Mitteilung des Deutschen Verlags an den Börsenverein vom Januar 1938 über die Umwandlung, StAL BV/F 9426. 114 Vgl. Mitteilung des Zentralverlags der NSDAP/Abt. Buchverlag an den Verlag des Börsenvereins/Abt. Adressbücher-Redaktion vom 7. Oktober 1940, StAL BV/F 9426. 115 Zur Mitarbeiterzahl siehe den Auskunftsbogen für die RSK vom 15. März 1937, StAL BV/F 9426. Die Ullstein AG verfügte zu jenem Zeitpunkt über 65 Filialen in Berlin, achtFilialen außerhalb Berlins sowie eine Auslieferungsstelle in Leipzig. Zum Geschäftsumsatz siehe Hale: Presse in der Zwangsjacke, S. 142. 116 Vgl. Dr. Heß an Wilhelm Baur vom 5. Oktober 1942, StAL BV/2309. 117 Die Liste findet sich als Anlage zu einem von Wilhelm Baur unterzeichneten Schreiben des Zentralverlags der NSDAP an Rosenberg vom 9. April 1943, BArch NS 8/213 Bl. 255 – 255/Rs. 118 Vgl. dazu im Einzelnen Hale: Presse in der Zwangsjacke, S. 306 –310. 119 Vgl. ebd., S. 25 f. Vgl. zum Folgenden auch Presse in Fesseln, S. 40 –128, 256 –269 und den Anhang S. 277 ff. sowie Tavernaro: Der Verlag Hitlers und der NSDAP, S. 63 –92.

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Europa ausbreitete; und acht Unternehmen, die dem Mutterkonzern direkt unterstellt waren. Bereits 1939 war der Zentralverlag der NSDAP zum größten Wirtschaftsunternehmen des Deutschen Reiches avanciert.120 Die Jahresumsätze lagen sogar noch über denen der I.G. Farben. Sie stiegen von rund 98,9 Millionen RM im Jahre 1940 auf geschätzte 110 Millionen RM in 1944. Die Gewinne waren immens: Amann selbst bezifferte sie nach 1945 auf rund 500 Millionen RM, die bei der Deutschen Reichsbank deponiert wurden. Es passt in das System der korrupten NS-Herrschaft, dass der Parteiverlag in den Jahren 1940 bis 1945 weder Körperschafts-, Umsatz-, Vermögens- und Gewerbesteuer zahlte noch die zur Kriegsfinanzierung eingeführte Gewinnabführung der deutschen Wirtschaft leistete. In der Verwaltung des Zentralparteiverlags, die im Wesentlichen identisch mit der des Reichsleiters für die Presse der NSDAP war, arbeiteten knapp 200 Personen. Demgegenüber gab es im Lektorat seit 1933 mit Karl Schworm nur einen einzigen Mitarbeiter. Erst im April 1943 wurde ein Zentrallektorat eingerichtet, mit dessen Leitung Bernhard Payr vom Hauptamt Schrifttum der Parteidienststelle Rosenbergs betraut wurde.

Die Verlage und buchhändlerischen Vertriebsunternehmen der DAF Ein zweites Monopol lag in den Händen der am 10. Mai gegründeten Deutschen Arbeitsfront (DAF).121 Sie entwickelte sich noch vor der NSDAP zur größten Massenorganisation des NS-Staates. 1942 gehörten ihr annähernd 25 Millionen Mitglieder an und weitere 10,7 Millionen Arbeitnehmer (beispielsweise aus dem Bereich der Reichskulturkammer) waren ihr korporativ angeschlossen.122 Nach der am 2. Mai 1933 erfolgten Beschlagnahmung des gesamten Vermögens der freien Gewerkschaften fiel eine beachtliche Anzahl an Verlagen, Buchvertriebsstellen und Druckereien in den Besitz der DAF. Von Juli 1933 bis August 1935 fungierte Horst Stobbe »im Auftrag der Partei als Leiter des Verlages der DAF«.123 Stobbe, dem die angesehene »Bücherstube am Siegestor« in München gehörte, war zwar erst am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten. Als Schwager Leys und als Arbeitgeber der späteren Ehefrau von Rudolf Heß verfügte er jedoch über ausgezeichnete politische Kontakte.124 Der Verlag der DAF vereinnahmte die Verlagsgesellschaft des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und den Sieben-Stäbe-Verlag des Gewerkschaftsbundes der Angestellten und war auch für die Printprodukte der Ende November 1933 gebildeten 16 Reichsbetriebsgemeinschaften zuständig.125 »Arbeitertum«, die Kampfzeitschrift 120 Vgl. Hale: Presse in der Zwangsjacke, S. 266. 121 Vgl. zum Folgenden Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront, S. 266 –368. 122 Vgl. dazu im Einzelnen Neumann: Behemoth, S. 478 –484. 123 Lebenslauf Stobbes vom 14. Oktober 1942, BArch BDC/RSK/Stobbe H. 124 Hinweis auf diese personellen Verflechtungen in den Deutschland-Berichten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade), 1 (1934), hier: »Aus der Arbeitsfront« vom August/September 1934, S. 451. 125 Siehe hierzu und zum Folgenden den Bericht der Zweigstelle Berlin des BRB für die Geschäftsstelle in Leipzig vom 21. Mai 1935, BArch BDC/RK/Filmnr. Z 0026 Bl. 2172 –2174 mit dem internen Vorbericht vom 23.3., ebd. Bl. 2170; Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront, S. 99 –137; Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 143 f.

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der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation, wurde 1933 zum amtlichen Organ für alle Mitglieder der DAF gemacht und steigerte ihre jährliche Gesamtauflage von 44.614.891 Exemplaren im Jahre 1935 auf 88.099.867 Exemplare in 1938.126 Hinzu kamen monatlich mehr als 1,2 Millionen Exemplare des amtlichen Organs Der Aufbau für die DAF-Fachämter Der deutsche Handel und Das Handwerk, die aufwändig gestalteten, zum Teil sogar mehrsprachigen Monatszeitschriften Schönheit der Arbeit (1936 – 1939) und Freude und Arbeit (1936 – 1943), 15 weitere Fachzeitschriften, 20 Mitteilungsblätter der einzelnen Fachämter, die tägliche Deutsche Arbeits-Korrespondenz und der Kulturdienst der NS-Organisation »Kraft durch Freude«. Insgesamt erschienen im Verlag der DAF ca. 110 Zeitungen und Zeitschriften, deren jährliche Gesamtauflage mehr als eine Viertel Milliarde Exemplare betragen haben soll. Dieser überaus lukrative Markt wurde im Hinblick auf den Vertrieb und die Akquise von Abonnenten über professionelle Firmen wie die Deutsche Verlags-Expedition (Stuttgart/Berlin) bearbeitet, zu deren Eigentümern ab 1937 Georg von Holtzbrinck gehörte.127 Darüber hinaus wurden 83 fachliche Schulungsblätter der DAF herausgegeben, die 1938 von mehr als 11 Millionen Arbeitern und Angestellten unterschiedlicher Berufe bezogen wurden. Im Angebot waren aber auch noch Fachbücher und Fachkalender, der Kalender der Deutschen Arbeit, der Deutsche Werkkalender und der KdF.-Kalender sowie ein umfangreiches Programm an Kulturbüchern. Analog zum gigantischen Wachstum der Verlagsproduktion stieg die Mitarbeiterzahl des Verlags der DAF von 16 (1933) auf 876 (1938). Die DAF führte die 1924 vom Bildungsverband deutscher Buchdrucker gegründete Büchergilde Gutenberg als Abteilung des Buchmeister Verlags in Berlin fort. Nach der Verhaftung Bruno Dreßlers im Mai 1933 übernahmen Ernst Heinsdorf und der SASturmführer Otto Jambrowski bis zum Januar 1936 die Geschäftsführung.128 Die Mitgliederzahl der Büchergilde wuchs von 25.000 im Jahre 1933 auf rund 330.000 im März 1939.129 Auch in Österreich konnte die Büchergilde seit 1933 über eine Tarnfirma der DAF in Wien, die Bücherstube Stadttheater GmbH, bis 1938 rund 30.000 neue Mitglieder gewinnen. Die Zahl der verkauften Bücher stieg von 200.000 (1934) auf mehr als eine Million (1938). Aufgrund der guten Umsätze konnte das Gesellschaftskapital von 5.000 RM (1933) bis 1938 auf 100.000 RM erhöht werden. Mit der Auflösung des Deutschen Handlungsgehilfen-Verbands (DHV) gingen drei belletristische Verlage in den Besitz der DAF über. Der Albert Langen Buchverlag in München, 1893 gegründet und 1932 mit dem Georg Müller Verlag fusioniert, und der Theaterverlag Albert Langen/Georg Müller in Berlin hatten bereits in der Weimarer Republik jene Autoren im Programm, die nun zu »Staatsdichtern« erhoben wurden.130 Ab 1933 gab der Verlag nach dem Vorbild der erfolgreichen »Insel-Bücherei« unter dem Titel »Die Kleine Bücherei« eine preiswerte Buchreihe heraus, von deren 122 Bänden bis 126 Vgl. hierzu und zum Folgenden Die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF, S. 101 f. 127 Siehe im Einzelnen Garke-Rothbart: Georg von Holtzbrinck, S. 52 –74. 128 Vgl. Bericht des Leiters der Fachgruppe Buchgemeinschaften der Gruppe Buchhandel in der RSK betr. Büchergilde Gutenberg vom 24. Juni 1938, BArch BDC/RSK/Heffe, E. 129 Vgl. hierzu und zum Folgenden Die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF, S. 104 f. und 115 –137. 130 Siehe die Liste der Auszeichnungen für die »Dichter« des Langen-Müller Verlags ebd., S. 131 –134.

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1939 mehr als 2,5 Millionen Exemplare verkauft waren. Im Eduard Avenarius Verlag in Leipzig, 1855 gegründet und 1928 vom Albert Langen Verlag übernommen, erschienen seit 1923 die von Will Vesper herausgegebene Zeitschrift Die Neue Literatur und seit 1925 der jährliche Katalog Der Buchberater. Die Hanseatische Verlagsanstalt in Hamburg war 1917 durch die Verschmelzung von zwei Verlags- und Druckunternehmen entstanden. Ihr Gesellschaftskapital betrug 1933 4 Millionen RM. Die Umsätze konnten von 3,7 Millionen RM (1933) auf 8,6 Millionen RM (1937) gesteigert werden. Das Unternehmen beschäftigte 1938 insgesamt 751 Mitarbeiter. Der HAVA angeschlossen war die »Bücherborn« Deutsches Bücherhaus GmbH in Hamburg, die weitere 166 Mitarbeiter in einer Reisebuchhandlung und in der Buchgemeinschaft »Deutsche Hausbücherei« beschäftigte. Die 1916 gegründete »Deutsche Hausbücherei«, die Verkaufsstellen in Hamburg (Buchhandlung Heinrich Bandholdt) und im Reichsgebiet betrieb, zählte 1938 mit nahezu 150.000 Mitgliedern zu den drei größten Buchgemeinschaften in Deutschland. Zu den Druckereien im Besitz der DAF gehörten die traditionsreiche August Pries GmbH in Leipzig, die sich auf Buch-, Kunst- und Weltsprachendrucke spezialisiert hatte, die Buchdruckwerkstätte GmbH in Berlin, die Druckaufträge von Parteidienststellen und Behörden erhielt, die Bochumer Druckerei GmbH und die Geesthachter Druckerei-GmbH für die Produktion der Hanseatischen Verlagsanstalt.131 Bei den von der DAF vereinnahmten, gekauften oder – wie im Fall der »Aufbau«-Verlagsgesellschaft in Köln 1936 – neu gegründeten Unternehmen handelte es sich allerdings um ein politisch ebenso wie betriebswirtschaftlich kaum steuerbares Sammelsurium. Daher entstanden Pläne zu einer umfassenden Neustrukturierung. Die treibende Kraft war Eberhard Heffe, der im August 1935 nach eigenen Angaben von Ley als »Beauftragter für das gesamte Verlagswesen der DAF« eingesetzt worden war, tatsächlich jedoch zunächst nur den Verlag der DAF und den Buchmeister Verlag mit der Büchergilde Gutenberg in Berlin leitete.132 Innerhalb des Verlagsimperiums der DAF musste sich Heffe allerdings erst einmal gegen Gustav Pezold und Benno Ziegler, die etablierten Leiter des Langen-Müller Verlags bzw. der Hanseatischen Verlagsanstalt, durchsetzen. Zu diesem Zweck legte er am 23. November 1936 eine Denkschrift vor, mit der die Notwendigkeit einer »Ordnung der Verhältnisse bei den Verlags-Gesellschaften und Druckereien der DAF« begründet wurde.133 Die bislang selbstständige Tätigkeit der Verlagsleiter und -lektorate sollte zugunsten einer einheitlichen politischen Ausrichtung beseitigt werden. Aufgrund der zentral gesteuerten Verteilung der Arbeiten im Herstellungs- und Vertriebsbereich wurden höhere ökonomische Gewinne erwartet. Die verwaltungstechnische Vereinfachung zielte vor allem auf Einsparungen bei der Umsatzsteuer. Heffe empfahl die Gründung einer »Muttergesellschaft« (Holding) für sämtliche Verlagsgesellschaften und Druckereien der DAF, die Errichtung eines »Zentral-Lektorats« und einer »ZentralAuftragsverteilungsstelle«. Dem Zentrallektorat sollte dabei die Funktion einer Zensur131 Vgl. Die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF, S. 109 –111 und 124. 132 Lebenslauf vom 8. August 1938 in BArch BDC/RSK/Heffe, E. (1899 –1973): nach dem Ersten Weltkrieg in Freikorps aktiv; seit 1924 in den Verlagen August Scherl und Julius Springer tätig; ab 1930 als Geschäftsführer eines »bedeutenden Landwirtschaftlichen Verlages in Berlin«; NSDAP-Mitglied 1921 –1923, Wiedereintritt 1930. 133 Eine Abschrift der Denkschrift findet sich in DLA NL Hans Grimm/Korrespondenz mit dem Langen-Müller Verlag 1. Juni 1937 bis 15. August 1938, Mappe II 1938.

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stelle zukommen – und zwar in der Weise, wie Heffe ausführte, »dass nur mit nationalsozialistischer Anschauung zu vereinbarende Werke und Schriften verlegt werden dürfen und nicht also liberalistische Fußstapfen weiter ausgetreten werden«. Den »besonderen Maßnahmen der Regierung« sei »jeweils besondere Beachtung beizumessen und die Produktion entsprechend auszurichten«. Während sich Ziegler erfolgreich gegen diese Strategie der Zentralisierung zu wehren wusste und die Unabhängigkeit der Hanseatischen Verlagsanstalt erhalten konnte, fiel Pezold 1937 einer Intrige zum Opfer und musste zu Beginn des Jahres 1938 als Verlagsleiter bei Langen-Müller ausscheiden. Die Verlagsunternehmen der DAF erreichten riesige Käufer- und Leserschichten. Schon die Mitgliederzeitschriften, Mitteilungs- und Schulungsblätter wurden in Millionenauflagen verbreitet. Mit dem seit 1935 von Fritz Irwahn geleiteten »Lektorat für Freizeitliteratur« gelang es der Hanseatischen Verlagsanstalt, einen »nationalsozialistischen Massenbuchmarkt« aufzubauen, der sowohl die vielfältigen Freizeitaktivitäten der NSDAP und ihrer Gliederungen als auch den von der NS-Gemeinschaft »Kraft durch Freude« organisierten Kollektivtourismus bediente.134 Die Deutsche Hausbücherei und die Büchergilde Gutenberg stellten als Buchgemeinschaften einen weiteren festen Abnehmerkreis zur Verfügung. Während in den Betrieben »Vertrauensmänner« für den Beitritt zur Büchergilde und deren preisgünstige Bücher warben, spannte Heffe die Gauleitungen der NSDAP für die Propagierung des Programms der Büchergilde innerhalb der Partei ein.135 In den Werkbüchereien, um deren Auf- und Ausbau sich das Deutsche Volksbildungswerk seit 1936 verstärkt bemühte, fanden die Bücher der DAF-Verlage besondere Berücksichtigung.136 Auch auf dem Gebiet der beruflichen Fachzeitschriften und Fachbücher aller Art, die mit der Einführung des Vierjahresplans in den Blickpunkt der literaturpolitischen Fördermaßnahmen gerieten, war die DAF dominant. So konnte die nationalsozialistische Massenorganisation auf dem deutschen Buchmarkt Millionen-Umsätze und -Gewinne generieren. Das Stammkapital des DAF-Verlags wurde 1939 von 800.000 auf 2 Millionen RM, 1940 auf 5 Millionen RM und 1941 auf 10 Millionen RM erhöht.137 Während des Krieges plante der DAF-Verlag den Aufbau von Filialen in Amsterdam, Brüssel, Budapest, Bukarest, Kopenhagen, Oslo, Paris, Prag, Pressburg, Rom und Riga, um auch den Auslandsmarkt für die Buchproduktion und den Buchabsatz nutzen zu können.138

134 Vgl. dazu im Einzelnen Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 75 –89. Vgl. auch Die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF, S. 116 –122. 135 Vgl. Schreiben Heffes an Gauleiter Robert Wagner in Karlsruhe vom 16. Juni 1937 und an den Gauschulungsleiter der NSDAP im Gau Baden, Wilhelm Hartlieb, vom 8. Juli 1937, GLA Karlsruhe 465 d/143. 136 Vgl. Kindt: Die Bucharbeit der »NS.-Gemeinschaft Kraft durch Freude«. In: Börsenblatt 105 (1938) 275, S. 924 f. In den Werksbüchereien sollten neben der Fach- und Parteiliteratur auch Unterhaltungsbücher eingestellt werden. Von der Abteilung »Buch- und Büchereiwesen« im DVW wurden daher regelmäßig Buchbesprechungen über die wichtigsten Neuerscheinungen herausgegeben. Vgl. auch Kalbhenn: Werkbibliotheken im Dritten Reich, S. 27 –51. 137 Vgl. StAL BV/F 9598. 138 Vgl. Schreiben Heffes an Wilhelm Baur vom 8. Dezember 1941, BArch BDC/RSK/Heffe, E. Ergänzend die Übersicht über die Zweiggeschäfte der DAF GmbH vom 23. März 1943, StAL BV/9598.

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Der »Frontbuchhandel«, der von staatlichen Behörden und der Wehrmacht subventioniert wurde, war ein neues lukratives Massengeschäft, an dem sich die DAF als Verlag und über die von ihr dominierte Zentrale der Frontbuchhandlungen als Vertrieb beteiligte. Es ist allerdings fraglich, ob der für seinen Mangel an Organisationstalent bekannte Ley selbst jemals den Überblick über sein weit verzweigtes Verlagsimperium besaß. Bereits 1938 beklagte sich Goebbels darüber, dass Ley »für die D.A.F. alles Kaufbare ankaufen« ließ.139 1942 gehörten der DAF insgesamt mehr als zwanzig Verlage, sieben Druckereien, zwei Buchgemeinschaften und eine Papierfabrik.140 Die Millionengewinne in dem nach wie vor wenig transparenten Konzerngeflecht zogen fast zwangsläufig finanzielles Missmanagement nach sich.141 Zum 1. Juni 1943 schied der Mann aus, der bislang in den Aufsichtsräten aller DAFVerlage die Fäden gezogen hatte: Eberhard Heffe wurde aufgrund von Korruptionsvorwürfen seiner Ämter enthoben.142 Seine Nachfolge traten mit dem gelernten Buchhändler Ernst Tretow (für den Verlag der DAF) und dem Diplom-Kaufmann Heinz Brüggen (für den Buchmeister Verlag) zwei langjährige, aber letztlich farblose Prokuristen der DAF-Verlage an. Unter ihnen fand der Rückzug aus den belletristischen Verlagen statt. Die 1938 gegründete Wiener Verlagsgesellschaft, der im gleichen Jahr eingegliederte, auf die Literatur sudetendeutscher Dichter spezialisierte Adam Kraft Verlag in Karlsbad und der Langen-Müller Verlag wurden verkauft. Alfred Salat vom Verlag Knorr & Hirth übernahm die Geschäftsführung im Langen-Müller Verlag, der nun zum Zentralverlag der NSDAP gehörte.143 Die Hanseatische Verlagsanstalt wurde aufgeteilt: Die DAF behielt die Hanseatische Druckanstalt, der Buchverlag wurde an den bisherigen Geschäftsführer Benno Ziegler und die Deutsche Hausbücherei an den Zentralverlag der NSDAP verkauft.144 Die Büchergilde Gutenberg wurde 1944 im Einvernehmen mit dem Propagandaministerium stillgelegt. Damit blieb am Ende als letztes großes Monopol auf dem deutschen Buchmarkt nur noch der Amann-Trust übrig.

139 Goebbels-Tagebücher vom 2. Februar 1938, Teil I, Bd. 5, S. 131. 140 Vgl. Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 143. 141 So vermutete Pezold, dass mit den Gewinnen des Langen-Müller Verlags, die aus den Bestsellern Grimms, Kolbenheyers und Wiecherts resultierten, die beträchtlichen Defizite etwa der Büchergilde Gutenberg gedeckt werden sollten. Siehe seinen Bericht über die Unterredung mit Ley am 23. Februar 1938, S. 15. Wie Pezold von Reichsoberrevisor Ried vom Reichsschatzamt der NSDAP erfuhr, musste der Leiter des DAF-Schatzamtes Paul A. Brinckmann, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender des Langen-Müller-Verlags war, wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten im April 1938 seine Ämter niederlegen. Siehe die Aufzeichnung Pezolds zu einer Reihe von Besprechungen in Berlin vom 27. bis 29. April 1938, hier S. 3, DLA NL Hans Grimm/Korrespondenz mit dem Langen-Müller Verlag 1. Juni 1937 bis 15. August 1938, Mappe III. 142 Vgl. StAL BV/F 9598. Zu den Aufsichtsratspositionen Heffes siehe Die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF, S. 101 –130. 143 Vgl. Mitteilung Salats an Grimm vom 23. Februar 1943, DLA NL Hans Grimm/Korrespondenz mit dem Langen-Müller Verlag 1941 –1943, Mappe III. 144 Vgl. Hanseatische Verlagsanstalt in drei Teilen. In: DAZ vom 2. Juli 1943, StAL BV/F 3591.

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Literatur Archivalien Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch) R 2 (Reichsfinanzministerium) R 55 (Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda) R 56 V (Reichsschrifttumskammer) NS 8 (Kanzlei Rosenberg) NS 12 (Hauptamt für Erzieher/Reichswaltung des nationalsozialistischen Lehrerbundes) BDC (Bestände des ehemaligen Berlin Document Center (BDC): Personal- und Sachakten der Provenienzen Reichskulturkammer (RK)/Reichsschrifttumskammer (RSK)

Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N. (DLA) DLA NL Hans Grimm/Konv. Reichsschrifttumskammer, Mappe I –III; Korrespondenz mit NSPartei- und Regierungsstellen, Mappe III; Korrespondenz mit dem Langen-Müller Verlag, Mappe II 1935 –1937. DLA NL Langen-Müller-Verlag/Korrespondenz mit Hanns Johst.

Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA) Korrespondenz Eberhard Heffe, Sign. 465d

Landesarchiv Berlin (LA) Rep. 243, Acc. 1814

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PA AA) Die Gefährdung des deutschen Buchexports [Denkschrift], Kult Pol VI W

Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (StAL) BV (Akten des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig) BV/F (Firmenakten des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig)

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (HStA) Thüringisches Ministerium für Volksbildung/C 626

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Periodika Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Leipzig, 100 (1933) –112 (1945). Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1 (1934) –7 (1940). Nach dem Exemplar im »Archiv der sozialen Demokratie« der Friedrich-Ebert Stiftung neu herausgegeben und mit einem Register versehen von Klaus Behnken. Frankfurt a. M. 1980. Die Reichskulturkammer. Amtliches Mitteilungsblatt der Reichskulturkammer. Hrsg. von Hans Hinkel. Berlin, 1 (1943) –3 (1945/Februar).

Quellen Das Recht der Reichskulturkammer. Sammlung der für den Kulturstand geltenden Gesetze und Verordnungen, der amtlichen Anordnungen und Bekanntmachungen der Reichskulturkammer und ihrer Einzelkammern. Unter Mitarbeit der Kammern. Hrsg. von Karl-Friedrich Schrieber. 5 Bde. Berlin: de Gruyter 1935 –1937. Der deutsche Buchhandel in Zahlen 1937. Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Dt. Buchhändler zu Leipzig 1937. Die Welt des Buches. Eine Kunde vom Buch. Hrsg. von Hellmuth Langenbucher. Ebenhausen bei München: Langewiesche-Brandt 1938. Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront. Berlin: DAF 1939. FELCHNER, Kuno: Buch und Schwert. Die Jahresschau des deutschen Schrifttums 1941. In: Börsenblatt 108 (1941) 251/252, S. 371 f. GENTZ, Günther: Schließung von Buchverlagen. In: Börsenblatt 110 (1943) 84, S. 74 –76. Goebbels-Reden. Hrsg. von Helmut Heiber. Bd. 1: 1932 –1939, Bd. 2: 1939 –1945. Düsseldorf: Droste 1971/1972. KALBHENN, Rita: Werkbibliotheken im Dritten Reich. In: Bibliotheken während des Nationalsozialismus. Teil II. Hrsg. von Peter Vodosek und Manfred Komorowski. Wiesbaden: Harrassowitz 1992, S. 27 –51. KINDT, Werner: Die Bucharbeit der »NS.-Gemeinschaft Kraft durch Freude«. In: Börsenblatt 105 (1938) 275, S. 924 f. KREUSER, A. M.: Fachbuch und Krieg. In: Börsenblatt 107 (1940) 121, S. 201 f. LANGENBUCHER, Erich: Das Fachbuch als Grundlage deutscher Wertarbeit. Das »Kuratorium für das deutsche Fachbuch« gegründet. In: Börsenblatt 104 (1937) 20, S. 74 f. LANGENBUCHER, Erich: Der zweite Schritt: Die Grosse Fachbuchwerbung. In: Börsenblatt 103 (1936) 25, S. 98. LANGENBUCHER, Erich: Die Pflicht jedes Einzelnen: Leistungssteigerung. In: Börsenblatt 104 (1937) 2, S. 2 f. LANGENBUCHER, Erich: Die Werbung für das deutsche Fachbuch. Arbeitstagung der Reichsarbeitsgemeinschaft für Deutsche Buchwerbung. In: Börsenblatt 102 (1935) 299, S. 1115 f. LANGENBUCHER, Erich: Gemeinschaftliche Buchwerbung. In: Börsenblatt 102 (1935) 78, S. 265. Meldungen aus dem Reich 1938 –1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS. Hrsg. und eingeleitet von Heinz Boberach. 17 Bde. Herrsching: Pawlak 1984. SCHLEMMINGER, Johann: Die Preisbindung im deutschen Buchhandel. Stuttgart: Poeschel 1935. SCHÖNROCK, Ludwig: Der deutsche Büchermarkt im Jahre 1933 [Teil I]. In: Börsenblatt 101 (1934) 86, S. 325 –329. SCHÖNROCK, Ludwig: Der deutsche Büchermarkt im Jahre 1933 [Teil II]. In: Börsenblatt 101 (1934) 88, S. 334 –337. SCHÖNROCK, Ludwig: Der deutsche Büchermarkt im Jahre 1933 [Teil III]. In: Börsenblatt 101 (1934) 94, S. 377 –382.

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Jan-Pieter Barbian

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Die Förderung der »volkhaften Dichtung« Bereits in den Reden zu den Bücherverbrennungen kam deutlich der Wille zum Ausdruck, die Beseitigung der als »undeutsch« und »artfremd« bewerteten Literatur der Weimarer Republik mit einem neuen, in Einklang mit den Zielen des NS-Staates stehenden literarischen Kanon zu verbinden. Im Folgenden soll an drei Beispielen aufgezeigt werden, wie diese Kanonbildung im NS-Staat von der Literaturkritik und Literaturwissenschaft publizistisch gefördert wurde. Für Hellmuth Langenbucher (1905 – 1980), der 1929 sein Germanistik-Studium in Heidelberg mit einer Dissertation über Das Gesicht des deutschen Minnesangs abgeschlossen hatte und am 1. Oktober des gleichen Jahres der NSDAP beigetreten war,1 bot sich mit der nationalsozialistischen Machtübernahme die Gelegenheit, seine Auffassungen von Literatur nun mit offizieller Anerkennung der neuen Staatsführung publizistisch zu verbreiten. Langenbucher begnügte sich jedoch nicht allein mit seinen eigenen Literaturkritiken, die in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften erschienen. Vielmehr war er, wie Sebastian Graeb-Könneker nachgewiesen hat, Chefredakteur von fünf Fachzeitschriften, die einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Buchmarktes und damit auch auf die literarische Kanonbildung hatten: Neben dem Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (von 1933 bis 1945) waren dies Buch und Volk (von 1933 bis 1943), Der deutsche Buchhandlungsgehilfe (von 1933 bis 1937), Der Buchhändler im neuen Reich (von 1936 bis 1942) und Die Weltliteratur (von 1935 bis 1945).2 Zudem wirkte Langenbucher in der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums, an deren Gründung er im Juni 1933 beteiligt war, als Leiter des Lektorats (1933 bis 1935) und als Hauptlektor für schöngeistiges Schrifttum (1938 bis 1945) an der Verbreitung der völkisch-nationalen und nationalsozialistischen Literatur aktiv mit. Gleich im ersten Jahr der NS-Herrschaft setzte Langenbucher mit seiner im Berliner Verlag Junker & Dünnhaupt veröffentlichten Schrift Volkhafte Dichtung der Zeit ein Signal. Der »Überblick« strebe an, so die »Einführung«, […] vor allem jenen Kreisen, die nach der Vertreibung der bisher das geistige Leben der Nation fast ausschließlich beherrschenden volksfremden und volksfernen Literatenclique einen Leerlauf unseres literarischen Lebens befürchteten, all diesen Ahnungslosen, Falschunterrichteten, Irregeführten, die Augen zu öffnen über das tatsächliche Vorhandensein solchen Reichtums deutscher Dichtung. (S. 9)

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Siehe zum Folgenden BArch/BDC/RSK/Langenbucher, H. Vgl. ferner Bähre: Hellmuth Langenbucher (1905 –1980). Vgl. Graeb-Könneker: Autochthone Modernität, S. 85 f. (mit Anmerkung 137).

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Die Bücherverbrennungen wertete er als Abschluß einer Zeit, die einer geistigen Tyrannis untertan war, deren Wirksamkeit mit Erfolg auf eine gründliche Entfremdung zwischen dem Volk und seinen ihm arteigenen, seine Kunst und seine Kultur schaffenden Kräfte zielte. (S. 12) Langenbuchers Hass und Hohn richtete sich gegen eine »Sorte deutscher Staatsbürger«, die »in allen Ständen, Schichten und Berufen zu finden« (ebd.) gewesen sei. Sie stand in den Buchhandlungen und ›handelte‹ mit Büchern, während sie suchende Menschen geistig beraten oder führen sollte. Sie saß in den Redaktionsstuben, gab sentimentalen Schund zum Satz und schickte das gute Gedicht oder die gute Erzählung mit vorgedrucktem Begleitschreiben bedauernd zurück, oder sie pries vier Spalten lang den ›neuen Feuchtwanger‹, im Staube knieend vor dieser Offenbarung einer ›herrlichen‹ Künstlerschaft; und sie zeigte ein neues Werk von Kolbenheyer oder Stehr mit drei aus dem Waschzettel geschnittenen, kümmerlichen, zusammenhanglosen Sätzen an und fühlte sich erhaben über so viel künstlerische Unzulänglichkeit. Diese Sorte stand in den Schulen, schloß die deutsche Literaturgeschichte mit Goethe ab und verekelte ihren Schülern den Geschmack an dem Schrifttum der Gegenwart durch ein paar sinnlose Fetzen expressionistischer Literaturauswüchse; sie lehrte auf den Hochschulen Germanistik und deutsche Literaturgeschichte und vermied es ängstlich, dem Studenten zum Führer zu werden durch eine in Entwicklungskrämpfen sich windende, deutsche Gestaltungskräfte lähmende Gegenwart, weil solches Führertum Bekennermut gefordert und solcher Bekennermut in Gegensatz zum ›System‹ gebracht hätte. (S. 12 f.) Der neue Kanon der deutschen Literatur sollte nach den Vorstellungen Langenbuchers auf einer deutlich markierten nationalen und rassischen Eingrenzung beruhen: »[…] deutsch sei nur der Dichter, der unseres Blutes und Mitträger unseres Schicksals sei, und deutsch sei nur die Dichtung, aus der wir die Stimme unseres Blutes und die Sprache unseres Schicksals hören […]« (S. 20 f.). Aufgabe dieses »deutschen Dichters, als des Angehörigen eines Volkes, dessen Geschichte in Glanz und Dunkel so sehr aus dem heldischen Lebensgrunde herauswächst«, sei es, »den heldischen Grundzug im Wesen des deutschen Volkes zu erspüren, künstlerisch zu veranschaulichen und dem Volk zu lebendigem Bewusstsein zu bringen.« (S. 21) Die »Volkhaftigkeit« der Dichtung erweise sich an ihrer »Schicksalserfülltheit« (S. 22). Das »Schicksal« eines Volkes werde bestimmt durch »sein Blut und seine Art, sein Wesen, so wie es jetzt ist, wie es geworden ist und wie es in Zukunft sein wird (da Volk immer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zugleich ist)« (ebd.). Hinzu kämen die »Kräfte«, »die dieses Wesen zu dieser Gestalt geformt [haben], in der es jetzt unter den Völkern lebt, mit seiner Geschichte also, mit seinem Boden und mit seiner Landschaft.« (ebd.) Damit hatte Langenbucher die grundlegenden Elemente benannt, die die »volkhafte Dichtung« ausgestalten sollte und auf deren Grundlage ihre Bewertung durch die nationalsozialistische Literaturkritik zu erfolgen hatte. Gleichzeitig machte er deutlich, dass es ihm nicht um eine »Tendenzkunst« (S. 21) ging, die auf eine kurzfristige Konjunktur reagiert, sondern dass die enge Verzahnung von Dichtung, Volk und nationalsozialistischer Staats-

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führung dauerhaft anzustreben war. Wichtig ist, dass in diesem Zusammenhang der Literatur eine politisch dienende Funktion für den NS-Staat zugewiesen wurde, deren Grad der Erfüllung als Wertmaßstab für die Qualität eines literarischen Textes diente. Die weiteren Ausführungen Langenbuchers definierten einen Kanon sowohl an »volkhaften Dichtern« als auch an »volkhaften« Texten und Themen. So wird unter der Überschrift »Deutsche Gestalt – Deutsches Wesen« die kritische Darstellung des Bürgertums im Werk von Rudolf Huch den Romanen Heinrich Manns positiv gegenübergestellt (S. 24 – 30). Rudolf G. Binding, Hans Carossa und Emil Strauß werden für ihre »Formung von echten Sinnbildern unseres Seins« und die »Verantwortung für die ewigen Lebenswerte« des deutschen Volkes gelobt (S. 30 – 37). Natürlich findet sich der Hinweis auf Julius Langbehns Longseller aus dem Kaiserreich Rembrandt als Erzieher (S. 37) ebenso wie auf Hans Grimms Volk ohne Raum (S. 50 – 52) und Erwin Guido Kolbenheyers Paracelsus-Trilogie (S. 46 f.). Als bereits klassische Vertreter volksverbundener Literatur werden Wilhelm Schäfer, Hermann Stehr und Paul Ernst gefeiert (S. 38 – 42). Die Arbeiterdichtung im nationalsozialistischen Deutschland repräsentierten Hermann Claudius und Heinrich Lersch (S. 42 f.). Hans Friedrich Blunck und Will Vesper sind für die Gestaltung der germanischen Vergangenheit zuständig (S. 43 f.). An Hermann Burte wird »die große Bedeutung der Rasse für das Leben des Volkes« festgemacht, vor allem die notwendige »Reinigung des völkischen Lebens« vom »Gift der fremden Rasse« und des »fremden Geistes« (S. 45). Für die Zukunftsorientierung der deutschen Literatur steht die »biologisch bedingte, art- und volksmäßig ausgerichtete Betrachtungsweise« in Kolbenheyers theoretischen Schriften, die das »Prinzip des Kampfes« nach innen und außen propagieren (S. 47 – 49). Als »Deutsches Schicksal« (S. 50 – 76) betrachtete Langenbucher die »Raumnot« (verstanden als Mangel an »Lebensraum«), die »Volkstumsnot« (verstanden als Deutschtum im angrenzenden Ausland), die durch den Ersten Weltkrieg und dessen Folgen ausgelöste »Lebensnot« sowie den Gegensatz von städtischer und bäuerlicher Lebenswelt. Herausragende Gestalter dieser Themen sind für ihn neben Grimm (»Not der deutschen Rasse«), Josef Ponten (»Mangel an Kolonien«), Adolf Meschendörffer, Emil Witting, Erwin Wittstock, Heinrich Zillich (Siebenbürger Sachsentum), Wilhelm Pleyer (Sudetendeutschtum) die gegen den »Remarque-Taumel« (S. 87) der Weimarer Republik anschreibenden Paul Alverdes, Werner Beumelburg, Hans Carossa, Edwin Erich Dwinger, Richard Euringer, Georg Grabenhorst, Friedrich Griese, Ernst Jünger, Karl Benno von Mechow, Franz Schauwecker, Ulrich Sander, Josef Magnus Wehner, Ernst Wiechert (Krieg und Nachkrieg), Josef Martin Bauer, Hans Friedrich Blunck, Hans Franck, Paula Grogger, Agnes Miegel, Friedrich Schnack (»Kampf landschaftsgebundener, bäuerlicher Menschen gegen den Einbruch zivilisatorischer Lebensmächte«, S. 63). Eine Sonderrolle wird zum einen Hanns Johst zugewiesen, den Langenbucher trotz seiner expressionistischen Vergangenheit zum führenden nationalsozialistischen Dichter stilisiert (S. 71 f.), zum anderen Stefan George, auf dessen Werk Langenbucher aufgrund »seiner einzigartigen Einmaligkeit« (S. 75) nicht näher einzugehen wagte. Mit seinem Kapitel »Die deutschen Volksschriftsteller und Erzähler« (S. 77 – 86) unterstützte Langenbucher den »Ruf nach einer neuen Heimatkunst« (S. 81), die mit dem künstlerischen Anspruch die Verankerung alles Deutschen in der Vielfalt regionaler Landschaften und Traditionen bewusst machen sollte. Zum Abschluss wies der Literaturkritiker noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass es ihm bei der aktuellen »Zeit-

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wende« der deutschen Dichtung »nicht nur um eine Wende der Schaffenden« ging, sondern »in gleichem Maße auch um eine Sinneswende der aufnehmenden Empfangenden und in noch stärkerem Maße um eine radikale Umkehr und Neuausrichtung des gesamten geistigen Mittlertums!« (S. 87). Mit der Forderung nach einer Rückbesinnung des deutschen Volkes auf »das Werk der lange Zurückgedrängten, Totgeschwiegenen und in ihren deutschen Leistungen Verdächtigten« (S. 88) gab Langenbucher implizit eine Empfehlung für die Publikationen jener Verlage, für die er selbst seit 1930 gearbeitet hatte und denen er sich nach wie vor verpflichtet fühlte. Gleichzeitig grenzte er die alte und neue »volkhafte Dichtung« gegen das bereits veröffentlichte und noch zu erwartende »Konjunkturschrifttum« ab, das sich dem verordneten Kanon des NS-Staates anzupassen drohte (S. 91). In seinem 1935, wiederum bei Junker & Dünnhaupt erschienenen Traktat Nationalsozialistische Dichtung. Einführung und Übersicht ging Langenbucher davon aus, dass der neue Kanon der nationalsozialistisch geprägten deutschen Gegenwartsliteratur noch im Entstehen begriffen war (S. 8). So lobte er zwar die Kriegsbücher von Hans Zöberlein, die Tatsachen- und Erlebnisberichte sowie die epischen Darstellungen zur Kampfzeit der NSDAP und zu den ersten Jahren ihrer Regierung von Wilfried Bade, Otto Dietrich, Goebbels, Thor Goote, Erwin Reitmann, Karl Aloys Schenzinger und anderen, die Romane und Erzählungen zum Thema Blut- und Rassenfrage von Max Barthels, Werner Beumelburg, Walter Julius Bloem, Hans Heyck, Gräfin Edith Salburg, Werner von der Schulenburg und Kuni Tremel-Eggert (S. 24 – 40). Doch das Fazit fiel sehr zurückhaltend aus: Die große epische Dichtung der Bewegung haben wir noch vor uns. Sie wird kommen, wenn die Klärung der unsere Zeit erfüllenden Kräfte so weit fortgeschritten ist, dass ihre Läuterung ins Sinnbild dem noch unbekannten Dichter des Dritten Reiches zum inneren unausweichlichen Zwang geworden sein wird. (S. 40) Positiver sah Langenbucher dagegen die Perspektive auf den Gebieten des Dramas und der Lyrik. Mit Richard Euringer, Peter Hagen, Kurt Heynicke, Johst, Eberhard Wolfgang Möller und Hans Jürgen Nierentz konnte er spezifisch nationalsozialistische Dramatiker benennen und mit dem Sprechchor, dem chorischen Spiel sowie dem Hörspiel neu genutzte Formen anführen (S. 41 – 47). »Die Lyrik des Aufbruchs« (S. 48 – 64) begann für Langenbucher mit Dietrich Eckart und Horst Wessel. Sie wurde fortgeschrieben von Anacker, Friedrich Barthel, Herbert Böhme, Karl Bröger, Hermann Claudius, Heinrich Lersch, Hans Jürgen Nierentz, Baldur von Schirach, Rainer Schlösser, Gerhard Schumann und anderen. Der in Wien geborene Heinz Kindermann (1894 – 1985) zählte in den Jahren 1933 bis 1945 zu den am eifrigsten publizierenden Germanisten.3 Nach seiner Habilitation im Jahre 1924 war er 1926 an die Technische Hochschule Danzig berufen worden, wo er bis 1936 sein Lehrfach »Deutsche Literaturgeschichte« als propagandistisches Kampffeld gegen Polen missbrauchte. Im Mai 1933 der NSDAP beigetreten, setzte er sich bis 1945 in seinen Büchern und Vorträgen für die Neubewertung der deutschen Literaturge3

Vgl. zum Folgenden Kirsch: Heinz Kindermann, S. 47 –59; Pilger: Nationalsozialistische Steuerung und »Irritationen« der Literaturwissenschaft, S. 107 –126.

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schichte ebenso wie der Gegenwartsliteratur aus nationalsozialistischer Perspektive ein. Von 1936 bis 1942 lehrte Kindermann an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. In dieser Zeit protegierte er mit Robert Hohlbaum einen der von ihm favorisierten volksdeutschen Dichter, dessen Position an der Universitätsbibliothek Wien aufgrund seiner Nähe zum Nationalsozialismus unhaltbar geworden war, in das Amt des Direktors der Stadtbibliothek Duisburg.4 Danach leitete Kindermann bis zum Kriegsende das Zentralinstitut für Theaterwissenschaft an der Universität Wien und bereitete auf Wunsch von Reichsstatthalter von Schirach die Gründung des geplanten Reichsinstituts für Theaterforschung vor, dessen Präsident er werden sollte. Die literaturgeschichtlichen und -wissenschaftlichen Abhandlungen Kindermanns fanden zwar in germanistischen Fachkreisen nur eine geringe Resonanz, erreichten jedoch durch Rezensionen im Völkischen Beobachter, in der Bücherkunde, in der Zeitschrift für Deutschkunde und in der Bibliographie des Deutschtums im Ausland einen hohen Grad an öffentlicher Aufmerksamkeit.5 Die Vorgeschichte von Kindermanns erster Buchveröffentlichung im NS-Staat, die 1933 unter dem Titel Des deutschen Dichters Sendung in der Gegenwart im Verlag von Philipp Reclam jun. erschien, reicht in den Sommer 1932 zurück. Zum damaligen Zeitpunkt, als das Ende der Weimarer Republik bereits greifbar war, lud der Germanist 28 namhafte »Dichter« aus »verschiedensten Generationen«, aus »allen deutschen Landschaften« (auch die »jenseits der deutschen Staatsgrenzen sind nicht vergessen«) und aus »beiden christlichen Konfessionen« zur Mitarbeit an dem geplanten Sammelband ein (S. 9). Die Liste der Namen liest sich wie ein repräsentatives Kompendium der Literatur des Dritten Reichs. Doch interessieren hier nicht die Beiträge selbst, sondern ihre kommentierende Begleitung durch den Herausgeber. Im Vorwort, das auf den »Tag von Potsdam«, also den 21. März 1933 datiert wurde, machte Kindermann deutlich, dass er von nun an »seine Literaturwissenschaft als volkhafte Lebenswissenschaft und die Dichtung als wirkende Kraft im seelisch-geistigen Leben der Nation« (S. 10) verstanden wissen wollte. Beide – Literaturwissenschaft und Dichtung – sollten nach seinen Vorstellungen eine wesentliche Rolle bei der Gestaltung »des auf dem neuen (politischen) Fundament zu errichtenden kulturellen Oberbaus« (S. 266) spielen. Denn die Dichtung »allein unter allen Künsten spiegelt ja die volle Lebensganzheit unseres Volkes« (ebd.) wider. Der Literaturwissenschaft kam damit die vermittelnde Deutungsmacht zu, auch die Macht der Ausscheidung der »Literatendichtung von gestern« (S. 270) und der Durchsetzung einer »neuen, gesunden deutschen Nationalliteratur« (S. 283). Die extreme Politisierung der Dichtung trieb Kindermann mit seiner 1936 im JungeGeneration-Verlag (Berlin) veröffentlichten Schrift Die deutsche Gegenwartsdichtung im Aufbau der Nation voran. Darin übernahm er von Ernst Krieck den Begriff des »völkischen Realismus«, den er noch um Ernst Jüngers Begriff vom »heroischen Realismus« ergänzte (S. 13), wobei er dann beides zum Maßstab für die Bewertung der Gegenwartsliteratur erhob. Ähnlich wie Langenbucher, auf den sich der Germanist in seinem Nachwort als »unermüdlichen Vorkämpfer« ausdrücklich bezog (S. 44), ließ 4 5

Siehe die Schreiben Kindermanns an den Duisburger Oberbürgermeister vom 6. Dezember 1936 und an den Kultur-Stadtrat vom 14. Januar 1937. Beide Schreiben in StA Duisburg, Personalakte Robert Hohlbaums. Vgl. Kirsch: Heinz Kindermann, S. 50 f.

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auch Kindermann den Dichter nur noch als »Glied der Gemeinschaft« gelten, das »sich an der ihm gemäßen Stelle« in den »Lebensorganismus: Nation« einzufügen hatte (S. 10). Und die »volkhafte Gegenwartsdichtung« erhielt ihre Legitimation nur noch »als eine seelische Ordnungs- und Lebensfunktion des Volkes im Kampfe um den Lebensbestand und die Lebensentfaltung« (S. 11). Auch die weiteren Ausführungen zur »Bekenntnisdichtung«, »Gemeinschaftsdichtung«, »Weltkriegsdichtung«, »historischen Dichtung«, zum »neuen dichterischen Gegenwartsbild« und zur »bäuerlichen Dichtung« gingen nicht nennenswert über den Horizont Langenbuchers hinaus. Allerdings brachte Kindermann erneut die Perspektive der »Dichtung des Grenz- und Auslandsdeutschtums« (S. 40 – 43) mit ein, deren implizite Funktionalisierung für die NS-Außenpolitik erst ab 1938 deutlich werden sollte. Wie konsequent Kindermann seine im Grunde politisch-ideologische Programmatik entwickelte, lässt sich in Dichtung und Volkheit. Grundzüge einer neuen Literaturwissenschaft nachlesen, die 1937 bei Junker & Dünnhaupt erschien. Darin bemühte er sich um eine ideologische Neuausrichtung der Germanistik als »volkhafte Lebenswissenschaft«, die sich nicht mehr als »zweckfreie Geisteswissenschaft« auf philologische und ästhetische Analysen beschränken sollte, sondern politische, soziologische, kulturgeschichtliche, biologische und rassenkundliche Zusammenhänge einbeziehen musste – mit dem »Ewig-Deutschen« als Erkenntniszweck (S. 31 ff.). Die notwendige Voraussetzung für diesen Paradigmenwechsel sah Kindermann in einem neuen Forschertyp, der »von seiner seelischen und charakterlichen Haltung, seinem rassischen, seinem völkischen Standort und Einfühlungsvermögen her überindividuelles Artbewußtsein« (S. 42) mitbringen müsse. Die Neuausrichtung der Germanistik war in den Augen Kindermanns jedoch nur eine notwendige Konsequenz aus der seit der NS-Machtübernahme grundlegend veränderten Positionierung der deutschen Literatur. Erstmals wurde eine eindeutige Definition des literarischen Kanons im nationalsozialistischen Deutschland formuliert: Wahrhafte Dichtung ist völkischen Ursprungs und wird deshalb vom Volk oder zumindest von wichtigen Vertretern des Volkes wieder ›adoptiert‹ oder besser: rückübernommen in seinen Blutkreislauf. Schrifttum, das sich national indifferent oder bewusst international erweist, ist für den Blutkreislauf der Nation bedeutungslos oder schädlich. (S. 1) Auf eine geradezu aberwitzige Weise übertrug Kindermann die Grundsätze der Rassenlehre eines Hans F. K. Günther auf die deutsche Literatur: »Nicht individuelle Willkür bestimmt im tiefsten das Wesen eines dichterischen Lebenswerkes, sondern die Erbeigenheiten der völkischen Gemeinschaft, aus der der Begnadete im höchsten Ausleseprozess hervorging, bestimmen es von Grund auf.« (S. 4) Und es waren diese begnadeten »Dichter der Nation«, denen aufgrund ihrer »künstlerische[n] Führerstellung« die »Machtbefugnis« zugestanden wurde, im Sinne des Nationalsozialismus auf das Volk einzuwirken, es zu erziehen, seine »seelische Wandlung« voranzutreiben (S. 11). Nicht das einzelne Kunstwerk, sondern die »Bedeutung dieses Beitrages für das Leben eines Volkes bestimmt erst den Wert einer Dichtung« (S. 27). Es versteht sich fast von selbst, dass die international orientierten »Literaten« der Weimarer Republik einen solchen Wert niemals erreichen konnten, wie auch die »Weltliteratur« von Kindermann nur noch insofern anerkannt wurde, als ihre Vertreter »den Durchschnitt der eigenen National-

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literatur mit Höchstleistungen des volkseigenen Schrifttums weit überragen« (S. 91 f.). Das Maß der Verblendung, aber auch die Notwendigkeit, sich vier Jahre nach der Machtübernahme der NSDAP immer noch mit der international angesehenen Literatur der Weimarer Republik zu messen, brachte ein Seitenhieb zum Ausdruck: »Schriftsteller mit einer ideellen und sprachlichen Physiognomie vom babylonischen und esperantischen Schlage Thomas Manns haben in dieser Ruhmeshalle der national ausgeprägten dichterischen Höchstleistungen keinerlei Anrecht.« (S. 92) Nach der im Dezember 1936 erfolgten Ausbürgerung des Nobelpreisträgers von 1929 konnte Kindermann seiner Abneigung gegen den im Ausland erfolgreichen und in Deutschland immer noch gelesenen Autor freien Lauf lassen.6 Im Gegensatz zu Langenbucher, der von wenigen Ausnahmen abgesehen in seinen Publikationen der Gegenwartsliteratur verhaftet blieb, bemühte sich Kindermann stets auch um das literarische Erbe. In dem 1941 veröffentlichten Sammelband Kampf um die deutsche Lebensform (Wien & Leipzig), der »Reden und Aufsätze über die Dichtung im Aufbau der Nation« aus den Jahren 1936 bis 1940 vereinigte, deutete Kindermann unterschiedliche Epochen der deutschen Literaturgeschichte um. »Das Werden des Hermann-Mythus von Hutten zu Grabbe« (S. 23 – 56), »Die volkhaften Züge des barocken Schrifttums« (S. 57 – 86), »Persönlichkeit und Gemeinschaft in Goethes dichterischem Werk« (S. 87 – 128), »Eichendorffs deutsche Sendung« (S. 128 – 142) und »Klopstock und Weinheber« (S. 220 – 246) sind äußerst zweifelhafte Versuche, die Ideologie der nationalsozialistischen Staatsführung aus einer kulturhistorischen Tradition herzuleiten. Nicht minder rücksichtslos vereinnahmte Kindermann die grenz- und auslandsdeutsche Dichtung als Sprachrohr und Wegbereiter der nationalsozialistischen Expansionspolitik: »Das gesamtdeutsche Schrifttumserbe der Ostmark« (S. 297 – 313) rechtfertigte die Einverleibung Österreichs; »Die sudetendeutsche Dichtung im Kampf um die Freiheit« (S. 314 – 325) nahm die Eingliederung des Sudetenlandes vorweg; »Danzig und das Weichselland als dichterischer Grenzraum« (S. 326 – 361) feierte die Niederwerfung Polens; »Schicksal und Leistung der Deutschbalten im Spiegel ihrer Dichtung« (S. 362 – 372) stellte die Verbindung zu den von der Sowjetunion annektierten baltischen Staaten her und »Der großdeutsche Reichsgedanke in der Dichtung« (S. 373 – 447) fasste noch einmal die nützlichen Beiträge der »volkhaften Dichter« zur Großmachtpolitik Hitlers zusammen. Schließlich formulierte Kindermann in seinem Vortrag »Weltbild und Lebensfunktion der deutschen Gegenwartsdichtung« (S. 247 – 294) in geradezu idealtypischer Weise den »Profilwandel« (S. 251) zwischen dem Werte-Kanon in der Literatur der »versunkenen Epoche« und derjenigen der NS-Ära: Verharren in der Wert- und Sinnkrise versus »Glauben an eine große deutsche Sendung«; Egoismus und eigensüchtiger Lebensgenuss versus Treue, Verantwortung und Opferbereitschaft gegenüber der Gemeinschaft; Vereinsamung des Individuums versus Aufgehen in einem übergeordneten Volksganzen (S. 253 f.). Als originärer Beitrag von Hans Hagen (1907 – 1969) zur literarischen Kanonbildung im NS-Staat kann seine 1938 im Volkschafts-Verlag (Dortmund) veröffentlichte Schrift Die deutsche Dichtung in der Entscheidung der Gegenwart betrachtet werden. Hagen wurde 1931 mit einer Studie über Rilkes Umarbeitungen. Ein Beitrag zur Psy6

Vgl. dazu im Einzelnen Hübinger: Thomas Mann, die Universität Bonn und die Zeitgeschichte.

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chologie seines dichterischen Schaffens promoviert.7 Nach einer Assistententätigkeit am Germanistischen Seminar der Universität Greifswald ging er 1935 zur Reichspropagandaleitung der NSDAP nach Berlin. Bereits seit 1934 war Hagen als »ehrenamtlicher Lektor« für die Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums im Amt Rosenberg tätig. Zum 1. Oktober 1937 wurde er als hauptamtlicher Mitarbeiter für das kulturpolitische Referat in die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutz des NS-Schrifttums übernommen. In dieser Funktion wirkte Hagen – wie auch andere Referenten der Bouhler-Kommission – an der achten Auflage von Meyers Konversations-Lexikon mit. So verfasste er unter anderem die Artikel »Deutsche Literatur« (in Bd. 2) und »Goethe« (in Bd. 5). Daneben erschienen regelmäßig Beiträge Hagens zur deutschen Gegenwartsliteratur in Tageszeitungen und Fachzeitschriften. Durch Vermittlung von Rolf Rienhardt, dem Stabsleiter in Amanns Amt als Reichsleiter für die Presse der NSDAP, erhielt Hagen zum 1. November 1941 einen nebenberuflichen Vertrag als »kulturpolitischer Berater« des Chefredakteurs der neu gegründeten Wochenzeitung Das Reich. Unter Beibehaltung dieser Kontrolltätigkeit wechselte er schließlich am 1. März 1942 als Referent für das Buchverbotswesen in die Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums. Für den Schrifttumsfunktionär waren weder formale oder stilistische Vorzüge noch die innovative Gestaltung eines Themas der entscheidende Wertmaßstab, sondern ausschließlich die völkische Orientierung. Hagen rechnete nicht nur mit der am 10. Mai 1933 beseitigten Literatur der Weimarer Republik ab, die er in den Kontext der »geistesgeschichtlichen Epoche der Aufklärung« (S. 12) einordnete, sondern griff auch Autoren an, die bislang noch im nationalsozialistischen Deutschland zugelassen waren. Dies galt für Gottfried Benn, Hermann Hesse und Gerhart Hauptmann ebenso wie für Erich Kästner und Hans Fallada (S. 27). Peter Suhrkamp wurde wegen der Veröffentlichung von Gustav Penzolds Idolino und Joachim Maassens Die unwiederbringliche Zeit im S. Fischer Verlag politische »Instinktlosigkeit« (ebd.) vorgeworfen. Zu fördern sei ausschließlich die »gute Dichtung, die uns stärkt, die Aufgaben unserer Schicksalsentscheidung zu meistern. Und das heißt mit anderen Worten: wir verlangen gute politische Dichtung.« (S. 29). Der von Bouhlers Parteiamtlicher Prüfungskommission, Rosenbergs Amt Schrifttumspflege und der Reichsschrifttumsstelle beim Propagandaministerium verordnete Kanon wurde den Lesern als »Orientierungshilfe« schmackhaft gemacht (S. 50 – 61). Als Ordnungsgrundsatz für die Festlegung des nationalsozialistischen Autoren-Kanons wählte Hagen den Ersten Weltkrieg (S. 68 ff.). Den Werken der »Vorkriegsgeneration« (Burte, Carossa, Claudius, Eckart, Ernst, Frenssen, Grimm, Kloepfer, Kolbenheyer, Lersch, Miegel, Schäfer, von Scholz, Stehr, Strauß, Vesper) folgte die »Kriegsgeneration« (Alverdes, Beumelburg, Billinger, Bethge, Blunck, Dwinger, Euringer, Flex, Graff, Griese, Hohlbaum, Johst, Sander, Schauwecker, Steguweit, Ernst Jünger, Tügel, Wehner, Wiechert). Von der »Nachkriegsgeneration« wurden Anacker, Böhme, Brockmeier, Eggers, Langenbeck, Kölsch, Linke, Menzel, Möller, von Schirach und Schumann erwähnt. Die Themen, die Hagen für den Kanon reserviert, sind dagegen wenig originell und orientieren sich im Wesentlichen an den Vorlagen Langenbuchers und Kindermanns. Die von Hagen genannten Autorennamen, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – ebenfalls deckungsgleich mit denjenigen Langenbuchers und Kindermanns sind, 7

Siehe zum Folgenden BArch/BDC/RKK/Hagen, H.

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konnten sich ab 1933 einer besonderen Förderung durch die staatliche und parteiamtliche Schrifttumsbürokratie erfreuen. Die »volkhafte Dichtung« fand sich in zahlreichen Auswahlverzeichnissen wieder, die vor allem aus Anlass der »Woche des Deutschen Buches« seit 1934 in riesigen Auflagen verbreitet wurden. Aus Mitteln der staatlichen »Schrifttumspropaganda« vom Propagandaministerium organisierte und finanzierte Ausstellungen und Lesereisen führten die »nationalen Dichter« ins In- und Ausland. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung baute zusammen mit seinen ihm unterstellten Behörden die Anzahl und Größe der Volksbüchereien, der Wissenschaftlichen Bibliotheken und der Schülerbüchereien aus, um in ihnen die Literatur des Dritten Reiches zu verbreiten.8 Mit einem bis dahin nicht gekannten publizistischen Aufwand, der Zeitungen und Zeitschriften ebenso wie den Rundfunk und das Kino einbezog, und mit immensen Subventionen versuchte der NS-Staat, seinen literarischen Kanon in der Bevölkerung durchzusetzen. Die Frage war nur, ob sich dieser Kanon tatsächlich der Leserschaft verordnen ließ?

Abweichungen in der literarischen Produktion und im Leseverhalten Die zwischen 1933 und 1945 in Deutschland erschienene Literatur ist von Eberhard Lämmert treffend als »beherrschte Prosa« charakterisiert worden. Sie war beherrscht in einem doppelten Sinne: von den literaturpolitischen Behörden des Staates und der Partei, die wiederum die Autoren ebenso wie ihre Verleger zu einer Selbstzensur bei Manuskripten und Neuauflagen von Büchern zwangen. Darüber hinaus war die Literatur auch beherrscht von den nationalsozialistisch und völkisch-national besetzten Themen und Werten der Zeit. Werner Bergengruen hat diesen »monomanischen« Zustand nach dem Krieg bestätigt: »Wie es damals kaum ein Gespräch gab, das sich nicht mit der aktuellen Situation befasst hätte, so konnte fast niemand etwas schreiben, das nicht von dieser Zeit geprägt worden wäre.«9 Doch daneben und dazwischen gab es eine Literatur von Autoren, die in ihren Texten von den Normen des NS-Staates abweichende Werte des Humanismus, der Aufklärung und einer reinen Ästhetik vertraten. Und diese Autoren wurden von ihren Lesern genau verstanden. So notierte Hans Carossa 1935 in seinem Tagebuch: »Man merkt bei jedem neuen Buche bald, an welche Art Leser der Verfasser sich wendet.«10 Diese Erkenntnis aus dem »Herz der Finsternis« hat Joachim Maass, der im Frühjahr 1939 einen Lehrauftrag in den USA übernahm, Thomas Mann in der Emigration nahezubringen versucht. Am 20. Juni 1940 antwortete er dem ungläubigen und nur widerstrebend zuhörenden Autor auf dessen herbe Kritik an der unter der NS-Diktatur erscheinenden Literatur:

8 9 10

Vgl. dazu im Einzelnen Barbian: Die Bibliotheks-Bürokratie, und ders.: Faktoren der großen Durchdringungsarbeit des Volkes mit nationalsozialistischem Geist. Bergengruen: Schreibtischerinnerungen, S. 176. Carossa: Tagebücher (21. Juli 1935), S. 335.

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5 Leser und Leser lenkung Hätten Sie die Kenntnis von der inneren Situation Deutschlands, die mir die persönliche Erfahrung im Lande noch vor etwa einem Jahre vermittelt hat, so würden Sie in Betracht ziehen, dass zumindest bestimmte Schichten eines Volkes unter solchem Gewissensdruck durchaus fein- und hellhörig werden; man ist daran gewöhnt, in Symbolen zu reden und sie als solche aufzufassen. Und dass dieses umweghafte Reden und Schreiben gegen die Macht nicht feige und schmählich, sondern überhaupt die einzige wahre Möglichkeit des Geistes gegen die Macht ist, dafür stehen nicht nur die gerechte Vernunft, dafür stehen auch große und für immer ehrenvolle Namen der Geistesgeschichte wie etwa der des Tacitus.11

Auch Bergengruen hat in seinen Schreibtischerinnerungen die in den Jahren der Diktatur von Autoren verwendete und von ihren Lesern verstandene »Geheimsprache« als Trost für Gleichgesinnte verteidigt: Die Wahrheit ist, dass jeder, dem es wirklich ums Lesen zu tun war, mit sympathetischer Tintenschrift ebenso leicht fertig wurde wie der Normalbürger mit gewöhnlichen Druckbuchstaben. Die leiseste Andeutung wurde verstanden. […] Man mag fragen, was mit solchen Späßen gewonnen werde. […] Verzweifelte merken auf. Es wird ihnen zugerufen: Du bist nicht allein, nicht verlassen, es sind viele, die deine Gesinnung teilen und dir zur Seite stehen, lasse den Mut nicht sterben, auch dieser Winter wird einmal Vergangenheit sein ….12 Es ist erstaunlich, welche Autoren noch bis zum Zweiten Weltkrieg in Deutschland gelesen werden konnten. Obwohl 1933 insgesamt 14 Buchtitel von Erich Kästner verboten worden waren, wurde der Verkauf seines neuen Romans Das fliegende Klassenzimmer in keiner Weise behindert. Der Autor berichtete seiner Mutter im Verlauf des Dezember 1933 wiederholt von den großen Verkaufserfolgen und davon, dass er im Schaufenster einer Berliner Buchhandlung nicht weniger als 17 Exemplare des Romans entdeckt hatte.13 Aufgrund einer Absprache mit der Schrifttumsabteilung des Propagandaministeriums vom Herbst 1934 sollten Kästners Bücher nur noch im Ausland veröffentlicht und vertrieben werden dürfen, da der Autor nicht in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen worden war. Es spricht für das von Kästner selbst wiederholt wahrgenommene »heillose Durcheinander« unter den für Literatur zuständigen Behörden,14 dass die seit 1933 erschienenen Romane weiterhin in den deutschen Buchhandel gelangen konnten. Das Propagandaministerium beschwerte sich zwar zu Beginn des Jahres 1935 bei Kästners Schweizer Verleger über die Auslage des Romans Drei Männer im Schnee in

11 12 13 14

DLA NL, Joachim Maass. Bergengruen: Schreibtischerinnerungen, S. 200 f. Siehe seinen Brief vom 11. Dezember 1934. In: Mein liebes, gutes Muttchen, Du!, S. 195. Vgl. auch seinen Brief vom 8. Dezember, ebd., S. 194. So in einem Brief an seine Mutter vom 22. Oktober 1934. In: Mein liebes, gutes Muttchen, Du!, S. 200. Am 4. Oktober 1934 hatte er die Politik des Propagandaministeriums und der Kammer ihm gegenüber als »süßes Durcheinander« charakterisiert, ebd., S. 197.

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den Schaufenstern von Berliner Buchhandlungen.15 Doch noch im November 1935 konnte Kästner seiner Mutter berichten, dass der Buchvertreter Jacob Picard in norddeutschen Buchhandlungen über 1.000 Vorbestellungen des neuen Romans Emil und die drei Zwillinge akquiriert hatte.16 Mitte Dezember erfuhr Kästner vom Inhaber eines kleinen Berliner Buchladens, dass er an einem Tag fünf Exemplare des Romans verkauft und daraufhin sogleich zwanzig weitere nachbestellt hatte.17 Bis Weihnachten waren dann schon mehr als 7.000 Exemplare verkauft.18 Erst mit der Indizierung »sämtlicher Schriften« in der »Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« vom Herbst 1935 wurde Kästner seinen Lesern in Deutschland entzogen. Das Gesamtwerk Thomas Manns wurde auch nach seiner Emigration über den S. Fischer Verlag in Deutschland vertrieben und erst nach der Ausbürgerung des Schriftstellers im Dezember 1936 auf den staatlichen Verbotsindex gesetzt.19 Die Bücher von Ernst Wiechert, die im Langen-Müller Verlag erschienen, waren selbst dann noch im Buchhandel erhältlich, als sich der Autor 1938 im KZ befand und obwohl der Schriftsteller auch nach seinem 1939 veröffentlichten Roman Das einfache Leben vom Schrifttumsamt Rosenbergs entschieden abgelehnt wurde.20 Marianne d’Hooghe für die Buch- und Kunsthandlung Karl Buchholz ebenso wie Hans Benecke für die Amelangsche Buch- und Kunsthandlung in Berlin erinnerten sich übereinstimmend an zahlreiche verbotene und unerwünschte Autoren, deren Bücher bis 1936/37 noch am Lager gehalten und an ausgewählte Kunden verkauft oder verliehen wurden.21 Auch die Schriftsteller selbst bestätigen in ihren Briefwechseln und Tagebüchern die nach wie vor gegebene Vielfalt von Lektüreerfahrungen. Hans Carossa nahm weiterhin Anteil an den Büchern der von ihm geschätzten Kollegen Thomas Mann, Alfred Mombert, Franz Werfel und Stefan Zweig. Er entdeckte Marcel Proust und Thomas Wolfe und stellte in der Antigone von Sophokles Bezüge zur Gegenwart der NS-Diktatur her.22 Hermann Stresau griff zu Fritz Reuters Ut mine Stromtid von 1862 als »Flucht vor dem Gegenwärtigen zu einem Manne, dem das Maul gerade aus ging und nicht schief«.23 An Oskar Maria Grafs Roman Einer gegen Alle begeisterte ihn der Mut des Autors, »das Leben anzusehen, ohne sich eine grüne Brille aufzusetzen.« Der Autor sei »ein ehrlicher Mensch« und könne nicht »in die Niederungen der Steguweits und ander15 16 17 18 19 20

21 22 23

Vgl. Brief an seine Mutter vom 11. Februar 1935. In: Mein liebes, gutes Muttchen, Du!, S. 205. Vgl. ebd., S. 220. Vgl. Brief an seine Mutter vom 14. Dezember 1935, ebd., S. 222. Vgl. Brief an seine Mutter vom 15. Januar 1936, ebd., S. 224. Vgl. Mitteilung der RSK an das Gestapa vom 4. Dezember 1936, BArch BDC/RSK/Mann, Thomas. Vgl. Wichtige Hinweise. In: Lektoren-Brief 1 (1938) H. 1, S. 5; »Über Ernst Wiechert«, ebd. 2 (1939), H. 3, S. 7 f.; »Mustergutachten« zu Das einfache Leben, ebd. 2 (1939), H. 6, S. 8 –10. Vgl. ergänzend Chatellier: Ernst Wiechert im Urteil der deutschen Zeitschriftenpresse 1933 – 1945, S. 153 –195 und Reiner: Ernst Wiechert im Dritten Reich. Vgl. D’Hooghe: Mitbetroffen, S. 74 –102; Buchholz: Karl Buchholz, S. 48 –61; Benecke: Eine Buchhandlung in Berlin, S. 85 –176. Siehe dazu im Einzelnen Carossa: Briefe II und Briefe III. Stresau: Von Jahr zu Jahr, 2. November 1933, S. 68. Siehe zum Folgenden ebd. die Eintragungen vom 16. November 1933, S. 73; 20. November 1933, S. 73 f.; 5. April 1934, S. 86.

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er Wartburg-Rösler« herabsinken. Nach der Lektüre von Shakespeares Königsdramen stellte Stresau verwundert fest, dass »man früher solche Zustände für tempi passati hielt, nur weil die politischen Mittel anders aussehen.« Die »menschliche Art«, die sich dieser Mittel bedient, sei in der Gegenwart jedoch keine andere als zur Zeit des englischen Dramatikers. »Die Kindlichkeit der Vorstellung, als gäbe es sowas nicht mehr, nur weil man ›zivilisierter‹ ist, enthüllt sich erst jetzt.« An Aldous Huxleys Brave New World entdeckte Stresau, wie »schauerlich nahe wir dieser ironisierten Utopie kommen.« Vermittelt durch Ernst Rowohlt und Heinrich Maria Ledig las Fallada die Verlagsautoren Faulkner, Hemingway, Wolfe, Céline und Jules Romains.24 Daneben faszinierten ihn Kenneth Roberts Epos Arundel, Dostojewski, Stevenson, Jack London, Voltaire und die Kriminalromane von Edgar Wallace. Was das Leseverhalten seiner Zeitgenossen und insbesondere der jüngeren Generation betraf, so war Fallada aufgrund der unerwarteten Misserfolge eigener Veröffentlichungen allerdings »der Ansicht, dass die Fähigkeit, etwas kompliziertere Bücher zu lesen, völlig ausstirbt.«25 Auch der Verleger Eugen Claassen musste Dolf Sternberger die Diskrepanz zwischen den hervorragenden Besprechungen und den schlechten Verkaufszahlen seines 1938 veröffentlichten Buches Panorama oder Ansichten vom 19. Jahrhundert mit dem Argument erklären, dass »eben Bücher Diener Art eine Sache einer schwindenden Elite geworden« waren.26 Andererseits berichtete Annemarie Suhrkamp ihrer Schwester Ina Seidel am 19. September 1937 mit großer Begeisterung von einem Schriftsteller, »der mich unbeschreiblich, sozusagen Tag und Nacht beschäftigt hat; es gibt ja so glückliche Ereignisse[,] dass die Dinge auf die richtige Konstellation in einem treffen.«27 Angesprochen war damit Ernst Jünger mit seinem Buch Das abenteuerliche Herz. Aufzeichnungen bei Tag und Nacht, dessen erste Fassung 1929 im Berliner Frundsberg Verlag erschienen war. Am 4. Januar 1940 wies Annemarie Suhrkamp erneut auf Jünger hin. Diesmal war sie von seiner Erzählung Auf den Marmorklippen, 1939 von der Hanseatischen Verlagsanstalt veröffentlicht, »recht besessen«. Für den Autor muss das Buch, so ihre Interpretation, »ein außerordentlicher Prozess der Entgiftung gewesen sein, aus einer Vergiftung, die viele Leute zu vernichten droht.« Angesichts der beginnenden Zerstörung der Reichshauptstadt durch die britische Luftwaffe kam sie am 31. August 1940 noch einmal auf das Buch zu sprechen: Es ist ein sonderbares Gefühl von ›Traumstarre‹, wenn man das leiblich sieht, was man seit Jahren immer in Visionen geschaut hat, und Du kannst darüber in den ›Marmorklippen‹ nachlesen, wo es mit Meisterschaft geschildert ist, ›wie die Tiefe des Verderbens in Flammen offenbar wird‹. Das ist eine besonders mutige Formulierung, die zeigt, wie Jüngers Werk vor dem Hintergrund der Zeitereignisse gelesen werden konnte. Dass Annemarie Suhrkamp eine 24 25 26 27

Vgl. hierzu und zum Folgenden Fallada: Ewig auf der Rutschbahn. Brief an Ernst Rowohlt vom 23. Januar 1937, ebd., S. 223 f. Brief vom 9. Juli 1938. In: Claassen: In Büchern denken, S. 479 f. Vgl. auch WallrathJanssen: Der Verlag H. Goverts, S. 199 –201. Siehe hierzu und zum Folgenden DLA NL Ina Seidel/Briefe an sie von Annemarie Suhrkamp, Mappe 2 und Mappe 3.

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aufmerksame und kluge Leserin war, wird auch an ihrer Deutung von Marcel Prousts Romanepos Auf der Suche nach der verlorenen Zeit erkennbar. Mit ihm beschäftigte sie sich erstmals intensiver im März 1938 unter dem Gesichtspunkt des »Rück-erinnern[s]« an »durchlebtes Leben«: »In Proust finde ich den Schlüssel zur Zeit, zur Jahrhundertwende und zu uns, in einer raffinierten, abstrackt [!] geistreichen und sinnlichsten Form. Man riecht, fühlt, schmeckt seine Menschen von ihrer Größe bis in ihre Absurditäten.« Trotz der Buchverbote und der 1935 von der Kammer eingeführten »Anzeigepflicht« beim Erwerb ausländischer Verlagsrechte konnten zwischen 1933 und 1944 insgesamt 4.315 Buchtitel ausländischer Autoren in deutschen Übersetzungen erscheinen.28 Ihr Anteil an der deutschen Buchproduktion lag zwischen vier und zwölf Prozent, wobei der Höhepunkt in den Jahren 1937/38 mit jeweils rund 500 Neuerscheinungen erreicht wurde. Die am häufigsten vertretenen Fremdsprachen waren Englisch (mit 1.378 übersetzten Buchtiteln), Französisch (438), Norwegisch (418), Dänisch (244), Schwedisch (234), Russisch (220), Italienisch (200), Amerikanisch (173), Flämisch (152), Niederländisch (142) und Ungarisch (88). Besonders überraschend ist die große Anzahl von Titeln der amerikanischen Belletristik, von denen in den Jahren 1933 bis 1944 mehr Erstausgaben, Neuausgaben und Neuauflagen veröffentlicht wurden als zur Zeit der Weimarer Republik: 526 Buchtitel erschienen erstmals in einer deutschen Übersetzung und 169 Buchtitel in neuen Ausgaben, die zusammen 203 Auflagen erreichten.29 In der Leipziger Tauchnitz-Edition, die von 1841 bis 1935 insgesamt 5.180 Bücher in der englischen oder amerikanischen Originalsprache ausschließlich für den deutschen Buchmarkt herausgab, waren Autoren aus den USA mit 1/5 vertreten.30 Auch die 1934 erfolgte Zusammenlegung mit dem seit 1932 in Hamburg bestehenden Konkurrenzunternehmen »The Albatross, Modern Continental Library«, das nach der nationalsozialistischen Machtübernahme »arisiert« worden war,31 änderte nichts an dem Profil der Sammlung. Sie vermittelte noch bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs einen repräsentativen Querschnitt durch die amerikanische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts und machte zum Teil selbst solche Autoren weiterhin zugänglich, deren ins Deutsche übersetzte Bücher seit 1933 verboten worden waren. Horst Lange las während des Kriegs John Steinbecks Roman Früchte des Zorns, den Ulysses von James Joyce, Tolstois Erzählungen und eine Biografie über ihn von Romain Rolland, das Theaterstück Undine von Jean Giraudoux, den Roman Der goldene Pfeil

28 29 30

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Vgl. dazu im Einzelnen Sturge: »The Alien Within«, insbesondere S. 46 –81. Vgl. auch Van Linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 138 –157. Vgl. Leitel: Die Aufnahme der amerikanischen Literatur in Deutschland, S. 14. Vgl. zum Folgenden ebd., S. 18 –34 und Barbian: Zwischen Faszination und Verbot. Vgl. hierzu und zum Folgenden im Einzelnen Thoma: Die englische und amerikanische Literatur im Spiegel der Tauchnitz-Edition. In: Das deutsche Wort. Der Literarischen Welt Neue Folge 11 (1935) 15, S. 6 –8; Nagel: Neue Tauchnitz-Bände. In: Die Literatur 36 (Oktober 1933 –1934), S. 419 f.; Dies.: Neue Tauchnitz-Bände, ebd., S. 603; Dies.: Tauchnitzund Albatroß-Bände. In: Die Literatur 37 (Oktober 1934 –September 1935), S. 364 –366; Dies.: Neue Tauchnitz- und Albatroß-Bände, ebd., S. 613 f.; Dies: Tauchnitz- und AlbatroßBände. In: Die Literatur 39 (Oktober 1936 –September 1937), S. 307 f. Siehe dazu Dahm: Das jüdische Buch im Dritten Reich, S. 95 f.; Troy: Books, swords, and readers, S. 55 –72.

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von Joseph Conrad und Julien Greens Leviathan.32 Heinrich Böll wurde neben der Lektüre von Werner Bergengruen, Gertrud von le Fort, Ernst Jünger und Reinhold Schneider vor allem durch die Autoren der »renouveau catholique« (Léon Bloy, Charles Péguy, François Mauriac, Georges Bernanos), die er in den Buchhandlungen im besetzten Frankreich entdeckte, zum eigenen Schreiben angeregt.33 Im S. Fischer Verlag erschienen die Franzosen Jean Giono und Paul Valéry, der Ire William Butler Yeats, die Briten Joseph Conrad, David Herbert Lawrence und George Bernard Shaw sowie zwanzig junge Erzähler aus den USA, die 1937 in einer Anthologie vorgestellt wurden.34 Der Rowohlt Verlag veröffentlichte Falkenflug (1933), Ann Vickers (1933) und Das Kunstwerk (1934) von Sinclair Lewis, den Roman Der Steinbaum von Joseph Hergesheimer, von William Faulkner Licht im August (1935), Wendemarke (1936) und Absalom, Absalom! (1938), von Thomas Wolfe das zweibändige Romanepos Von Zeit und Strom (1936) und den Erzählband Vom Tod zum Morgen (1937) sowie sieben Bände von Jules Romains’ Romanzyklus Die guten Willens sind (1935 – 1938) in der Übersetzung von Franz Hessel, der trotz seines Ausschlusses aus der Reichsschrifttumskammer im Impressum genannt werden durfte. Neben englischen Autoren, darunter Howard Springs Bestseller Geliebte Söhne (1938), verlegten Goverts und Claassen 1937 Margaret Mitchells Roman Vom Winde verweht, von dem bis 1941 insgesamt 16 Auflagen mit 276.900 Exemplaren verkauft wurden, und 1938 das Romanfragment Billy Budd von Hermann Melville, von dem der Verlag seit 1940 sogar eine erste deutsche Gesamtausgabe plante.35 Während der Insel Verlag für die Bücher von Paul Valéry und D. H. Lawrence nur wenige Abnehmer fand, wurde die 1935 veröffentlichte Biographie Talleyrand von Duff Cooper zu einem unerwarteten Bestseller: Bis 1938 konnten 48.000 Exemplare verkauft werden.36 Literatur aus den USA brachten neben den bereits genannten Verlagen auch C.H. Beck (George Santayana, Der letzte Puritaner, 1936), der Verlag Holle & Co. (Kenneth Roberts, Arundel. Der Freiheitsroman Amerikas, 1936), der Paul List Verlag (Kenneth Roberts, Nordwest-Passage, 1938), der Esche Verlag (William McFee, Fisch auf dem Trocknen, 1938; Romantik am Äquator, 1939) und die F. A. Herbigs Verlagsbuchhandlung (Hermann Melville, Benito Cereno, 1938; Stephen Crane, Das blaue Hotel und andere Erzählungen, 1938) auf den Markt. Noch 1943 konnte im Vorwerk Verlag (Darmstadt) der sozialkritische Roman Früchte des Zorns von John Steinbeck erscheinen, weil das Propagandaministerium sich von der Veröffentlichung eine antiamerikanische Stimmung beim lesenden Publikum versprach. Die bislang genannten Autoren und Bücher machten allerdings nur einen Teil der Literatur aus, die im NS-Staat vor allem von bürgerlichen Schichten gekauft und gelesen werden konnte. Daneben gab es einen neuen, »nationalsozialistischen Massenbuchmarkt«, der insbesondere von den Verlags- und Vertriebsunternehmen der DAF aufgebaut und bedient wurde.37 Auf die zahlreichen Organisationen der NSDAP war 32 33 34 35 36 37

Siehe im Einzelnen Lange: Tagebücher aus dem Zweiten Weltkrieg. Vgl. »Ich habe nichts über den Krieg aufgeschrieben«, S. 32. Vgl. Neu Amerika. Vgl. Wallrath-Janssen: Der Verlag H. Goverts, S. 192 –195, 336 –339 und 447. Vgl. Der Insel Verlag, S. 368 f. Vgl. Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 75 –89.

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eine »Freizeitliteratur« zugeschnitten, die von Ratgebern zur Durchführung von Betriebsappellen, Festtagen wie dem 1. Mai oder dem Erntedank, Arbeitsdienstlagern und Kameradschaftsabenden, über »Dichterstunden« mit Auszügen aus den Werken bekannter Schriftsteller für Vortragsveranstaltungen bis hin zu Laienspielen, Sing- und Liederbüchern reichte. Als Reaktion auf den von der DAF organisierten Massentourismus wurden unter dem Serientitel »Das ›Kraft durch Freude‹-Buch« Reise- und Abenteuerromane in Millionenauflagen gedruckt und verkauft.38 An der Veränderung des Freizeitverhaltens und am Reiseboom partizipierten jedoch keineswegs nur die Verlage der DAF. Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs erschien eine große Anzahl von Reiseliteratur, die ihren Lesern nicht mehr nur Österreich, die Schweiz oder den Mittelmeerraum mit dem klassischen Ziel Italien erschloss, sondern auch Spanien, Madeira, Malta und Griechenland, Skandinavien, Nord-, Mittel- und Südamerika, Afrika und Ostasien.39 Veröffentlicht wurden sowohl Sachbücher und schöngeistige Literatur, auf die sich insbesondere Vertreter der jüngeren Schriftstellergeneration spezialisierten, als auch Reisefeuilletons in Tageszeitungen und Zeitschriften. Der »arisierte« Grieben-Verlag und der Verlag Karl Baedeker, der 1934 nur dank eines zinslosen staatlichen Darlehens in Höhe von 120.000 RM vor dem Konkurs bewahrt worden war,40 gaben weiterhin ihre beliebten Reiseführer für Städte-, Deutschland- und Auslandsreisen heraus. Sie enthielten nun auch praktische Tipps für »Automobilisten« zur Orientierung in der fremden Umgebung. Wer während des Krieges die besetzten Gebiete erkunden wollte, konnte beispielsweise eine Reihe von Reiseführern für Paris, Frankreich, Belgien und Norwegen erwerben, die von 1940 bis 1943 im Verlag der DAF, im Verlag Odé und in anderen von der Wehrmacht beauftragten Verlagen erschienen.41 Oder man griff zu dem 1943 veröffentlichten Reisehandbuch Baedekers Generalgouvernement (mit einer Einführung des Generalgouverneurs Hans Frank, 3 Karten und 6 Stadtplänen). Es informierte ausführlich über die Geschichte und politische Gegenwart, über die Vorzüge der Städte und Landschaften, gab praktische Tipps zu Kultur, Hotelunterkünften und Gastronomie des neuen deutschen »Nebenlandes«, während der dort stattfindende Terror und Massenmord selbstverständlich verschwiegen wurden.42 Eine entscheidende Rolle für die Entwicklung des Leseverhaltens spielten auch im NS-Staat die Buchgemeinschaften. Die Deutsche Hausbücherei, 1916 vom Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband gegründet, konnte im Besitz der DAF nach einem Rückgang zu Beginn der NS-Zeit ihre Mitgliederzahlen von 140.353 (1939) auf 173.912 (1941) steigern.43 Jedes Mitglied musste pro Jahr mindestens acht Bücher kaufen. 1938 wurden 75 Prozent und 1940 immerhin noch 50 Prozent der Buchproduktion 38 39 40 41 42 43

Vgl. Heudtlaß: Das Buch bei »Kraft durch Freude«. In: Buch und Volk 15 (1938), S. 5; Ders.: Das gute Buch auf dem KdF-Schiff. In: Börsenblatt 105 (1938) 80 , S. 282 f. Vgl. zum Kontext Maase: Grenzenloses Vergnügen, S. 196 –234. Vgl. im Einzelnen hierzu und zum Folgenden Graf: »Die notwendige Reise«. Vgl. Baedeker, S. 53 –55. An der Finanzierung des Darlehens, das über den Reichsausschuss für Fremdenverkehr ausbezahlt wurde, beteiligten sich das Propagandaministerium, die Deutsche Reichsbahn, die Deutsche Lufthansa und die NS-Organisation »Kraft durch Freude«. Vgl. im Einzelnen Bühler/Bühler: Die Wehrmacht als Verleger. Vgl. Schreeb: Baedekers Reisehandbuch »Das Generalgouvernement«. Vgl. hierzu und zum Folgenden Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 125 –130.

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der Hanseatischen Verlagsanstalt über diese Buchgemeinschaft vertrieben, insgesamt in jedem Jahr mehr als eine Million Exemplare. Dabei verbreitete das DAF-Unternehmen seit 1935 keineswegs nur nationalsozialistische Belletristik von Blunck, Euringer, Herybert Menzel, Ferdinand Oppenberg, Jakob Schaffner und Heinz Steguweit, sondern vor allem Bücher nationalkonservativer Autoren wie Hermann Claudius, Eugen Diesel, Friedrich Griese, Friedrich Georg Jünger, Gustav Steinbömer (Hillard), Ludwig Tügel, Josef Magnus Wehner, August Winnig sowie Romane von Werner Bergengruen (Der Großtyrann und das Gericht; Am Himmel wie auf Erden) und Ernst Jünger, die als Regimekritik gelesen werden konnten. Während die Deutsche Hausbücherei bürgerliche Leserschichten zu binden vermochte, bemühte sich die Büchergilde Gutenberg um die Arbeiterschaft. Auch diese Buchgemeinschaft musste nach der Ausschaltung der freien Gewerkschaften einen erheblichen Mitgliederrückgang verkraften.44 Aufgrund der starken Werbung der DAF in den Betrieben, des Angebots von lukrativen Prämien für die Werbung neuer Mitglieder, eines jeweils besonderen Weihnachtsbuchs und der im Vergleich mit dem Sortimentsbuchhandel deutlich günstigeren Buchpreise wuchs die Zahl der Mitglieder bis 1939 auf rund 330.000, an die vor dem Zweiten Weltkrieg jährlich mehr als eine Million Bücher verkauft werden konnten. Im Programm der Büchergilde angeboten wurden Klassikerausgaben von Goethe, Grabbe, Keller und Meyer, die Werke der Arbeiterdichter Max Barthel, Karl Bröger und Heinrich Lersch, vom NS-Staat geförderte Autoren wie Hermann Eris Busse, Paul Ernst, Euringer, Kurt Faber, Trygve Gulbranssen, Hamsun, Grimm, Hohlbaum, Jelusich, Johst, Knittel, Mungenast, Wilhelm Pleyer, Rosegger, Colin Roß, Schmückle, Tügel, Watzlik oder Wittstock, aber auch Bücher von Stefan Andres, Edgar Maaß, Scholtis, B. Traven sowie die »[e]inzige vom deutschen Originalverlag genehmigte Volksausgabe der Werke von Jack London« in zwölf Bänden. Nachdem die bürgerlichen Repräsentanten der Literatur der Weimarer Republik, darunter eine Reihe prominenter jüdischer Autoren wie Bruno Frank, Leo Perutz, Jakob Wassermann und Stefan Zweig, aus den Katalogen der Deutschen Buch-Gemeinschaft verbannt worden waren, unterschied sich deren Profil kaum noch von dem der beiden anderen Buchgemeinschaften. Neben den Werken der Klassiker, Ludwig Ganghofers und der unvermeidlichen Nordischen Literatur konnten sich die etwa 200.000, überwiegend bürgerlich-konservativen Mitglieder für eine reichhaltige Auswahl an Büchern systemkonformer Autoren entscheiden. Ähnlich wie die Büchergilde Gutenberg und die Deutsche Hausbücherei, die mit ihren Monatszeitschriften Die Büchergilde und Herdfeuer über ihr Programm informierten, verschickte auch die Deutsche Buch-Gemeinschaft ihre Zeitschrift Die Lesestunde in mehr als drei Millionen Exemplaren pro Jahr an ihre Mitglieder. Die Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens, die seit 1937 von Georg von Holtzbrinck herausgegeben wurde, bot in ihren monatlichen Zeitschriftenausgaben in Buchform nicht mehr nur reine Unterhaltung an, sondern griff zunehmend auch die Konjunkturthemen der Zeit auf. Ob Unsere Ostmark 1938, Befreites Sudetenland und Der Feldzug in Polen 1939, Kraft und Schönheit in Leben und Kunst, Frauen am Werk, 44

Vgl. Bericht des Leiters der Fachgruppe Buchgemeinschaften der Gruppe Buchhandel in der RSK über die Büchergilde Gutenberg vom 24. Juni 1938, BArch BDC/RSK/Heffe, E. Zum Folgenden siehe ebd. und Die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF, S. 104 f.

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Jenseits der Wälder (über die Siebenbürger Sachsen), Bunkergeschichten, Elsaß-Lothringen. Altes deutsches Land 1940 oder Im Reich der Berge, Spanien. Tradition und Gegenwart, Südwestafrikanische Geschichten von Hans Grimm und Bücher von Beumelburg, Bonsels, Faber, Hamsun, Hedin, Johst, Lagerlöf, Löns, Schmückle, Ina Seidel in den Jahren 1941 bis 1944 – das Programm vermittelte den Lesern auch dieser Buchgemeinschaft die Welt aus der Perspektive des NS-Staates.45

Die Bestseller und das »Schundlesen« In seiner Untersuchung zum Lesen unter Hitler hat Christian Adam für die Jahre 1933 bis 1945 insgesamt 350 Bestseller mit einer Auflage von mehr als 100.000 Exemplaren ermittelt.46 An der Spitze standen »Populäre Sachbücher«. Bestseller wie Anilin von Karl Aloys Schenzinger, Vistra. Das weiße Gold Deutschlands von Hans Dominik, Erfinder brechen die Blockade von Anton Zischka und Robert Koch oder Germanin. Geschichte einer deutschen Großtat von Hellmuth Unger belegen zum einen das Interesse der Öffentlichkeit an verständlichen Darstellungen zum aktuellen Stand der Wissenschaft. Zum anderen wurden die enormen Fortschritte der Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert als Erfolge für das nationalsozialistische Deutschland verbucht. Auch die Biografie von Eugen Diesel über seinen Vater Rudolf und die Autobiografie der Fliegerin Elly Beinhorn über ihr Leben mit dem 1935 tödlich verunglückten Rennfahrer Bernd Rosemeyer wirkten als Propaganda für das NS-Regime. Die anfängliche Popularität Hermann Görings und seiner 1931 verstorbenen ersten Ehefrau Carin dokumentieren die enormen Verkaufserfolge biografischer Auftragsarbeiten: Carin Göring, 1933 veröffentlicht, erreichte insgesamt 720.000 verkaufte Exemplare, Hermann Göring. Werk und Mensch, 1937 im Eher Verlag erschienen, 810.000 Exemplare. Unter der Überschrift Von Kneipp-Kur bis FKK macht Adam auf die großen Erfolge der Lebensratgeber im Dritten Reich aufmerksam, durch die Essenzen der NS-Ideologie ungefiltert verbreitet werden konnten. Am Beispiel Wunschkonzert für die Wehrmacht wird deutlich, wie geschickt der NS-Staat die ausgesprochen populären und über den Rundfunk ins gesamte Reichsgebiet verbreiteten Musik- und Kabarett-Aufführungen prominenter deutscher Künstler 1940 mit einem Buch und noch im gleichen Jahr mit einem unterhaltsamen Spielfilm verband. Das Ziel dieses »Medienverbunds« war Ablenkung vom Kriegsalltag. Die Konjunktur der »Wehrbelletristik« setzte 1929 ein und blieb bis 1945 konstant erfolgreich. Ob Paul Coelestin Ettighoffer mit Verdun, das große Gericht (400.000 verkaufte Exemplare), Werner Beumelburg mit Sperrfeuer um Deutschland (363.000 verkaufte Exemplare) und Gruppe Bosemüller (164.000 verkaufte Exemplare) oder Hans Zöberlein mit Glaube an Deutschland (740.000 verkaufte Exemplare) und Befehl des Gewissens (500.000 verkaufte Exemplare) – die Verklärung des deutschen Kampfes im Ersten Weltkrieg lag im ideologischen Interesse des NS-Staates, stimmte offenbar aber auch mit der Einschätzung eines Großteils der deutschen Bevölkerung überein. An diese Heldengeschichten konnten die Darstellungen zum Zweiten Weltkrieg nahtlos 45 46

Siehe im Einzelnen Garke-Rothbart: Georg von Holtzbrinck, S. 81 –136 und 215 –225. Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 45 –64 und 323 –325. Zum Folgenden siehe ebd., S. 87 –113.

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anknüpfen: Mein Weg nach Scapa Flow des U-Boot-Kommandanten Günther Prien mit 900.000 verkauften Exemplaren und Fritz Otto Buschs Narvik. Vom Heldenkampf deutscher Zerstörer mit mehr als 600.000 verkauften Exemplaren. Von den enormen Gewinnen dieser Bestseller profitierten der Zentralverlag der NSDAP, der Bertelsmann Verlag und der Gerhard Stalling Verlag in Oldenburg. Der erfolgreichste Autor im Dritten Reich schrieb allerdings weder Propagandanoch kriegsverherrlichende Bücher, sondern widmete sich dem Genre »Humor und Komik«.47 Heinrich Spoerl erreichte mit Die Feuerzangenbowle (1933), Der Maulkorb (1936), Wenn wir alle Engel wären (1936), Man kann ruhig darüber sprechen. Heitere Geschichten und Plaudereien (1937) und Der Gasmann (1940) ein Millionenpublikum, befördert durch die Verfilmungen von immerhin drei der genannten Titel. Der Bertelsmann Verlag erzielte auch mit diesem Genre Gewinne – dank Produktionen aus dem eigenen Hause. Denn Johannes Banzhaf, Herausgeber der Anthologien Lustiges Volk (1937, mehr als 800.000 verkaufte Exemplare) und Lachendes Leben (1940, mehr als 900.000 verkaufte Exemplare), war Lektor und Herstellungsleiter des Verlags. »Vom KZ-Insassen zum Erfolgsautor« betitelt Adam die bemerkenswerte Karriere von Ehm Welk. Der Autor war 1933 aufgrund eines Offenen Briefs in der Sonntagszeitung Die Grüne Post (Ullstein), in dem er Kritik an der Pressezensur und am Propagandaminister geäußert hatte, im KZ Oranienburg interniert worden.48 Mit seinem heiteren Roman Die Heiden von Kummerow, 1937 im inzwischen »arisierten« Ullstein Verlag veröffentlicht, erzielte er einen Bestseller (730.000 verkaufte Exemplare). 1943 folgte der Roman Die Gerechten von Kummerow, für den Welk 1944 den 1. Preis des vom Propagandaministerium initiierten Wettbewerbs für gutes Unterhaltungsschrifttum gewann. Letztlich zählte für Goebbels weniger die politische Vergangenheit eines Schriftstellers als die Möglichkeit, seine Talente für den NS-Staat nutzen zu können. Und für den Propagandaminister war Unterhaltung »staatspolitisch wichtig, wenn nicht sogar kriegsentscheidend«.49 Unter den Bestsellern aus dem Genre der Unterhaltungsliteratur mit immerhin 200.000 bis 460.000 verkauften Exemplaren finden sich auch der heute völlig unbekannte Arztroman Angela Koldewey von Betina Ewerbeck, die 1936 veröffentlichte Novelle Die Unbekannte von Reinhold Conrad Muschler, Dinah Nelkens Liebesroman Ich an Dich von 1936, die Familienromane William von Simpsons Die Barrings und Der Enkel mit jeweils mehr als 300.000 verkauften Exemplaren sowie Fritz MüllerPartenkirchen mit seinen Kaufmanns- und Lehrlingsromanen Kramer & Friedemann (mehr als 400.000 verkaufte Exemplare) und Die Firma (mehr als 130.000 verkaufte Exemplare).50 Die Krimis blieben mit mehr als 3.000 Titeln im nationalsozialistischen Deutschland eines der beliebtesten Genres. Allein für die Jahre 1937 und 1938 können 385 bzw. 447 Neuerscheinungen nachgewiesen werden. Da mit Edgar Wallace und Agatha Christie zwei britische Autoren zu den Bestsellern zählten, versuchte das Propagandaministerium Autoren besonders zu fördern, die den »seriösen deutschen« Krimi47 48 49 50

Siehe zum Folgenden ebd., S. 159 –174. Vgl. hierzu und zum Folgenden im Einzelnen Reich: Ehm Welk, S. 193 –227. So am 8. Februar 1942, Goebbels-Tagebücher, Teil II, Bd. 3, S. 274. Vgl. auch die Eintragungen vom 26. Februar 1942, ebd., S. 376 und vom 27. Februar 1942, ebd., S. 382 f. Vgl. hierzu und zum Folgenden Adam: Lesen unter Hitler, S. 175 –196.

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nalroman etablieren sollten.51 Bei Georg von der Vring mit Erfolg, denn sein Roman Die Spur im Hafen wurde in 350.000 Exemplaren verkauft. Unter den Zukunftsromanen, von denen im NS-Staat einige hundert Titel erschienen, waren die Bücher von Hans Dominik am erfolgreichsten.52 Die Wa(h)re Volksliteratur von Karl May, Hedwig Courths-Mahler und Ludwig Ganghofer blieb im Dritten Reich Bestseller.53 Die Bücher Karl Mays, die seit 1913 im gleichnamigen Verlag in Radebeul veröffentlicht wurden, waren nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen und den Soldaten der Wehrmacht begehrt. Darüber hinaus fanden vor allem inhaltlich dürftige und preiswerte Heftromane massenhaften Absatz. Ab 1938 registrierten parteiamtliche Schrifttumsstellen mit großem Argwohn bei Jugendlichen die »Zunahme des Schundlesens«.54 Zu einem Bericht des Volksbildungsministeriums über den »Verkehr Jugendlicher in den Leihbüchereien« hatte Joseph Caspar Witsch als Leiter der Staatlichen Volksbüchereistelle Thüringen bereits im November 1940 angemerkt, dass die Kontrolle »nicht zu dem notwendigen Erfolg« geführt hatte.55 Es bestand »offenbar keine Möglichkeit, das Übel bei der Wurzel zu packen und die Produktion minderwertiger Jugendbücher, das heißt die Produktion der Verlage, die die privaten Leihbüchereien serienweise versorgen, zu verbieten«. Die gesetzlichen Grundlagen ließen nur die Entfernung und Vernichtung verbotener Bücher zu. Von dieser Maßnahme wurde jedoch nur ein kleiner Teil der »ungeeigneten Bestände« getroffen. Hinzu kam, dass »Besitzer oder Personal der Leihbüchereien ohne jede Kenntnisse guten Schrifttums sind und ihre Leihbüchereien so betreiben wie sie ihre Eisbuden oder ihre Tabakverkaufsstellen führen«. Aber selbst wenn eine vollständige Entfernung der schädlichen und unerwünschten Schriften gelingen würde, ermangele es immer noch an der Grundvoraussetzung einer positiven Arbeit, »an Menschen nämlich[,] die wirklich wissen, was ein gutes und was ein schlechtes Buch ist«. Der überzeugte Volksbibliothekar Witsch kam daher zu dem resignativen Schluss, dass »eine Reform der Leihbücherei […] weder von ihren Beständen noch von der Seite des Personals her möglich« sei. Das »Existenzprinzip« der Leihbüchereien sei eben der Vertrieb von »Kitsch und Schund«. Mit der Neuordnung des Bestandsaufbaus in den Volksbüchereien war eben nur ein Teil des Ziels erreicht. Die Veränderung des Leseverhaltens war die entscheidende zweite Aufgabe, deren Lösung jedoch sowohl am Mangel an

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Siehe dazu Würmann: Deutsche Kommissare ermitteln›‹, S. 217 –240. Vgl. dazu auch Härtel: »Grenzen über uns«›‹, S. 241 –257. Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 197 –222. Vgl. auch Geyer-Ryan: Trivialliteratur und Literaturpolitik; Dies.: Trivialliteratur im Dritten Reich; Dies.: Wunschkontrolle – Kontrollwünsche, S. 177 –206; Würmann: Entspannung für die Massen, S. 9 –35; Van Linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 345 –381. Siehe dazu in BArch NS 12/48 die Anweisung der Jugendschriftenabteilung des NSLB an die Gauabteilungen für Jugendschrifttum vom 7. Juni 1938, die »Zunahme des Schundlesens innerhalb der deutschen Jugend« verstärkt zu beobachten. Die daraufhin von der Gauabteilung Thüringen eingesandte Zusammenstellung von Berichten aus thüringischen Städten und Gemeinden ist überliefert in BArch NS 12/1292. Schreiben der Staatlichen Volksbüchereistelle Thüringen an den Thüringischen Minister für Volksbildung vom 11. November 1940, HStA Weimar Thüringisches Ministerium für Volksbildung/C 629 Bl. 277 f., hier Bl. 278.

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fähigen NS-Autoren als auch an den traditionellen Lesebedürfnissen weiter Bevölkerungskreise scheiterte. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs nahm die Beliebtheit der »Trivialliteratur« sogar noch weiter zu.56 Da selbst in den Großstädten mit der Ausweitung des Luftkriegs das öffentliche kulturelle Leben immer stärker eingeschränkt werden musste, kam dem Buch wieder eine besondere Bedeutung zu. Diese Erfahrung vermittelte der Verleger Karl Heinrich Bischoff dem Geschäftsführer der Reichsschrifttumskammer in einem Brief vom 8. September 1944: »Wenn es nun wieder bald Nacht wird, die meisten Menschen das Kino doch nicht besuchen können, brauchen sie einfach etwas, was wirklich ablenkt und bestärkt, immer zur Hand ist.«57 Wer aus der Realität des deprimierenden Kriegsalltags fliehen wollte oder im Luftschutzkeller die Angriffe überstehen musste, griff allerdings bestimmt nicht zu schwerfälligen Blut-und-Boden- oder zu Kriegsromanen und schon gar nicht zu Propagandaschriften, sondern suchte in der Literatur »Unterhaltung, Ablenkung und Distanz«.58 Das Reichssicherheitshauptamt wollte sogar einen Zusammenhang zwischen der Lektüre von Abenteuer- oder Kriminalromanen und der Neigung von Jugendlichen zu Straftaten erkennen. 1941 wurden die SD- und Gestapobeamten im gesamten Reich angewiesen, »bei bekannt gewordenen Missständen, Straftaten usw., die auf Jugendliche zurückzuführen sind, Feststellungen dahingehend zu treffen, inwieweit die Ursache in der Lektüre bestimmter Schrifttumsgruppen zu sehen ist.«59 Im Auftrag von Goebbels sollte die staatliche Schrifttumsbürokratie die Verbreitung der zumeist anglo-amerikanischen Unterhaltungsliteratur eindämmen.60 Der Anteil trivialer Kriminal-, Detektiv-, Abenteuer- und Wildwest-Romane aus den USA an den Erstausgaben machte zwischen 1931 und 1938 durchschnittlich 61 Prozent aus, während er in den Jahren 1914 bis 1930 bei lediglich 29,1 Prozent gelegen hatte.61 Gleichzeitig versuchte das Propagandaministerium, sich die Konjunktur der »Schmöker« zunutze zu machen, indem sie eigene Reihen in Auftrag gab, in denen dann das Leben im NS-Staat verherrlicht wurde. Das Dilemma bestand allerdings darin, dass der Buchhandel das gestiegene Zerstreuungsbedürfnis der Bevölkerung, insbesondere aber auch der Jugendlichen immer weniger mit gehobener Unterhaltungsliteratur befriedigen konnte, so dass ein Ausweichen auf die in Massenauflagen gedruckten und leicht zugänglichen Trivialromane kaum zu verhindern war. Doch nicht allein die Lektürebedürfnisse der Jugendlichen, sondern auch die der Erwachsenen entwickelten sich anders als es die staatlichen und parteiamtlichen Schrifttumsstellen mit ihren aufwändigen Propaganda56 57 58 59 60 61

Vgl. Schreiben des Leiters der Staatlichen Volksbüchereistelle Thüringen an den Thüringischen Minister für Volksbildung vom 11. November 1940, HStA Weimar Thüringisches Ministerium für Volksbildung/C 629 Bl. 277. BArch R 56 V/152 Bl. 64. So d’Hooghe: Mitbetroffen, S. 150. Die Darmstädter Buchhändlerin las ihren Nachbarn im Luftschutzkeller Geschichten von Andersen, Conrad, Kipling und Wolfheinrich von der Mülbe vor. Rundschreiben des RSHA/Abt. III C 4 an alle SD-(Leit)Abschnitte, Kriminalpolizei(leit)stellen, Stapo(leit)stellen und Inspekteure der Sipo und des SD vom 21. Oktober 1941 betr. Auswirkung des minderwertigen Schrifttums, HStA NRW RW 36/30 Bl. 70. Hinweis ebd. Siehe dazu auch die Meldungen aus dem Reich (1939) 30, Bd. 3, S. 583 f. Vgl. dazu im Einzelnen Leitel: Die Aufnahme der amerikanischen Literatur in Deutschland, S. 18 –34.

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kampagnen und mit der gebetsmühlenartig wiederholten Rhetorik ihrer Publizistik intendiert hatten. Bereits seit dem Wilhelminischen Kaiserreich populäre Unterhaltungsschriftsteller wie Felix Dahn, Warwick Deeping, Ludwig Ganghofer, Gustav Renker, Felicitas Rose oder Ernst Zahn wurden auch im NS-Staat gerne gekauft und gelesen. Unter der Überschrift »Blut ohne Boden« weist Adam nach, dass das eigentliche Herzstück der nationalsozialistischen Literatur die geringsten Erfolge beim Lesepublikum verzeichnen konnte.62 Von den rund 2.000 Autoren, die in den Literaturgeschichten der NS-Zeit genannt werden, finden sich nur 46 Namen in allen gemeinsam, von denen wiederum nur 20 Bestseller schrieben. Zu ihnen zählt Kuni Tremel-Eggert mit Barb. Roman der deutschen Frau, der es auf insgesamt 750.000 verkaufte Exemplare brachte. Annähernd erfolgreich war nur noch Gustav Schröer, von dessen bei Bertelsmann verlegtem Roman Heimat wider Heimat rund 600.000 Exemplare verkauft wurden. Von Hans Grimms Longseller Volk ohne Raum, 1926 veröffentlicht und mit einer Gesamtauflage von 1 Million Exemplaren, wurden in den Jahren 1933 bis 1945 340.000 Exemplare verkauft. Neben Johst, der als Präsident der Reichsschrifttumskammer die Verbreitung seiner Bücher sozusagen auf dem Amtsweg fördern konnte, profitierten auch sein Vorgänger Blunck, Will Vesper als fanatischer Herausgeber der Neuen Literatur und Josefa Berens-Totenohl von der staatlichen Schrifttumspropaganda. Die erfolgreichsten Autoren der ins Deutsche übersetzten Literatur des Auslands waren der Schweizer John Knittel, insbesondere mit seinem bis heute bekannten Roman Via Mala von 1934, der Engländer Warwick Deeping mit Hauptmann Sorell und sein Sohn, die Amerikaner Hervey Allen und Margaret Mitchell, der Flame Felix Timmermans, der schwedische Arzt und Schriftsteller Axel Munthe mit seinem Buch von San Michele, der Schotte A. J. Cronin mit seinem Arztroman Die Zitadelle, die norwegischen Autoren Trygve Gulbranssen und Knut Hamsun.63 Der Franzose Antoine de SaintExupéry war der einzige Schriftsteller, dessen Bücher ungehindert und mit Erfolg im nationalsozialistischen Deutschland erscheinen konnten, obwohl er in der Résistance aktiv war. Die Deutschlandberichte der Sopade wollten im November 1937 in der Beliebtheit der »ausländische[n] Übersetzungen oder der Bücher von ehedem, in denen der Autor noch sagen durfte, wie er die Welt sieht«, eine »Sehnsucht« von Teilen des deutschen Volkes nach der »Freiheit, der Wahrheit« und der »freiere[n] Luft eines liberalen Zeitalters« erkennen.64 Der Sicherheitsdienst der SS wertete 1938 in seinen »Lageberichten« für die NS-Führung die Flut der Übersetzungen auf dem deutschen Buchmarkt »in den wenigsten Fällen« als »Wunsch, die Kenntnis fremden Schrifttums zu vermitteln und besonders wertvolle Bücher anderer Völker dem deutschen Volksgenossen zugänglich zu machen«.65 Der »Erfolg der Übersetzungen« beruhte vielmehr »in der Flucht bürgerlicher Leserschichten« aus der politischen Realität und der Verleger vor der politischen Verantwortung im NS-Staat. Doch erst der Zweite Weltkrieg bot den Machthabern die Gelegenheit, die Literatur der »Feindstaaten« sukzessive vollständig zu verbieten. 62 63 64 65

Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 271 –292. Vgl. ebd., S. 223 –248. »Dichtung und Theater im Dritten Reich«. In: Deutschlandberichte der Sopade 4 (1937), S. 1632 –1652, hier S. 1640. Jahreslagebericht 1938 des Sicherheitshauptamtes, Bd. 2 Kulturelles Leben: Presse und Schrifttum. In: Meldungen aus dem Reich, Bd. 2, S. 150 –156, hier S. 155 f.

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Adam hat auf die relativ kleine Anzahl von Autoren hingewiesen, die sich von den 1930er Jahren bis heute im literarischen Bewusstsein gehalten haben.66 Dazu gehören Fallada, Ernst Jünger (dessen Marmorklippen trotz oder wegen der immanenten Herrschaftskritik mit 80.000 Exemplaren verkauft wurden) und Eugen Roth, ferner Klassiker wie Goethe, Schiller, Rilke, Hamsun, Hesse, aber auch Saint-Exupéry, Knittel und Margaret Mitchell. Autoren wie Dwinger, Ettighoffer, Schenzinger, Unger oder Zischka, die dem NS-Regime näherstanden, oder Carossa, Bergengruen und Ina Seidel, die eine »innere« Distanz wahrten, wurden zwar auch noch in den 1950er und 1960er gelesen, sind inzwischen jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten. Was bleibt also von den »Bestsellern« jener längst vergangenen Zeit? Es ist vor allem die Erkenntnis, dass das Dritte Reich auch ein Experimentierfeld für neue Produktions-, Vertriebs- und Marketingstrukturen war. Die bis heute ungebrochene Konjunktur der Taschenbücher wurde während des Zweiten Weltkriegs mit den handlichen und leichten Wehrmachtsund Feldpostausgaben vorbereitet. Das populäre Sachbuch, am Ende der Weimarer Republik entdeckt, blieb unter der NS-Diktatur ein dominantes Genre und hat bis heute nichts von seiner Anziehungskraft eingebüßt. Die Verbindung von Buch und Kinofilm, große Werbekampagnen für Bücher in Presse, Rundfunk und Fernsehen oder die Inszenierung der Buchmessen wurden in der nationalsozialistischen Mediendiktatur entwickelt und wirken bis in die Gegenwart verkaufsfördernd. Die Erfolge solcher modernen Marketingstrategien dürfen jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der enorme Aufwand, der politisch und finanziell im NS-Staat betrieben wurde, letztlich nicht die vom Regime gesetzten Ziele erreichte. Die linientreue NS-Literatur konnte sich trotz der Beseitigung der »unerwünschten« politischen und jüdischen Konkurrenz nach 1933 nicht durchsetzen – weder im In- noch im Ausland. Und der »Jahresbericht 1940 des Hauptlektorates ›Schöngeistiges Schrifttum‹« im Amt Schrifttumspflege, für den Hellmuth Langenbucher verantwortlich zeichnete, machte sogar eine ganze »Schicht von Autoren« namhaft, die »in einer Art von geistigem und literarischem Zwischenreich lebten«.67 Graeb-Könneker wertet dies zu Recht als »ein Dokument des Scheiterns«, denn im Grunde war die gesamte Schrifttumsbürokratie »einzig zu dem Zweck geschaffen [worden], Zwielichtigkeiten im Bereich der Literatur auszuräumen und Leser wie Produzenten auf einen einheitlichen und verbindlichen Kanon festzulegen.«68 Darüber hinaus konnte Graeb-Könneker anhand einer Analyse der Sammelrezensionen von Hellmuth Langenbucher aus den Jahren 1933 bis 1942 belegen, dass sich selbst der »Literaturpapst« des Dritten Reichs der technisch-industriellen Moderne gegenüber öffnete.69 Mit der als Folge des Vierjahresplanes zunehmenden Bedeutung der Rüstungswirtschaft förderte und forderte Langenbucher literarische Darstellungen zur Welt der Industriearbeit. Zudem war er darum bemüht, den während der »Kampfzeit« und noch in den ersten Jahren der NS-Herrschaft forcierten Gegensatz zwischen Stadt und Land auszugleichen, ja sogar die Vorzüge städtischen Lebens hervorzuheben. Damit vollzog Langenbucher eine Anpassung nicht nur an die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, sondern auch an die sozialen Gegebenhei66 67 68 69

Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 309 –322. Lektoren-Brief 4 (1941), H. 5/6, S. 7. Das nachfolgende Zitat findet sich ebd., S. 8. Literatur im Dritten Reich, S. 390. Vgl. Graeb-Könneker: Autochthone Modernität, S. 88 –115.

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ten, die David Schoenbaum als »braune Revolution«70 und Graeb-Könneker als »autochthone Modernität« charakterisiert haben. An diesem Punkt wird aber auch die Kluft deutlich, die zwischen den offiziell kanonisierten literarischen Texten und der Realität des NS-Staates lag.71 Die durch die politischen Eingriffe verursachte latente Verunsicherung der Autoren begünstigte zum einen ein Mittelmaß an Literatur, die mit der »Schere im Kopf« geschrieben wurde; zum anderen wichen zahlreiche Schriftsteller in die Unterhaltung aus, weil sie damit politisch unangreifbar wurden und den Bedarf breiter Bevölkerungsschichten zu befriedigen vermochten: Nicht nur Feldgrau, sondern auch Humor verschaffte Dividende – für Autoren ebenso wie für Verlage. Intelligente Propaganda- und Machtstrategen wie Goebbels gaben sich damit zufrieden. Denn auch das vermeintlich unpolitische Unterhaltungsschrifttum und die »Fluchtlektüre« weiter Kreise der Bevölkerung wirkten letztlich systemstabilisierend – insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, als das Versagen der nationalsozialistischen Machthaber immer offenkundiger und die zerstreuende Ablenkung immer wichtiger wurde.

Die lesende Front Der »Aufruf« Alfred Rosenbergs zur »Bücherspende der NSDAP für die Deutsche Wehrmacht« setzte Mitte Oktober 1939 die Buchversorgung der Soldaten auf die Tagesordnung.72 Die im Rahmen des Kriegs-Winterhilfswerks 1939/40 durchgeführte erste Sammlung wandte sich noch vorwiegend an die Verlage und den vertreibenden Buchhandel. Die Buchspenden sollten der kämpfenden Truppe ebenso wie den Soldaten in Kriegslazaretten, Krankenhäusern und Sammellagern zugutekommen. Erwünscht war weniger eine große Anzahl von Büchern als vielmehr »besonders gutes Schrifttum«, das vom Amt Schrifttumspflege auf einer Titelvorschlagsliste zusammengestellt worden war.73 Während die Sammlungen von den Block- und Zellenleitern sowie von den Mitarbeitern des Winterhilfswerks vorgenommen wurden, übernahmen die Gauschulungsleiter und Gauschrifttumsbeauftragten die Sichtung der eingegangenen Bücher und deren Zusammenstellung zu Truppenbüchereien mit jeweils 60 bis 100 Bänden.74 Allerdings ging es nicht allein um die Versorgung der Wehrmacht mit Lesestoff. Darüber hinaus, so teilte Rosenberg seinem »Führer« am Ende der ersten Sammlung des Jahres 1939 stolz mit, »wurden die Privathaushalte durch die Sammelaktion von unerwünschtem Schrifttum gesäubert, an das bisher keine Polizei oder sonstige Staatsstellen herankommen konnten«. Und es war der NSDAP möglich, »aus den gesammelten Buchspenden Rückschlüsse auf den Geist und die weltanschauliche Einstellung der Spender [zu] ziehen«. Die ließ jedoch offenbar zu wünschen übrig. Denn der Eher Verlag musste nationalsozialistische Literatur 70 71 72 73 74

Schoenbaum: Die braune Revolution. Vgl. dazu Ketelsen: Literatur und Drittes Reich, insbesondere S. 241 –257; Van Linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 295 –332. Vgl. Ein Aufruf Alfred Rosenbergs In: Börsenblatt 106 (1939) 240, S. 685. Vgl. Mitteilung Hagemeyers »An die Verleger und Buchhändler Deutschlands«. In: Börsenblatt 106 (1939) 255, S. 705. Vgl. Meldung an den Führer über die Bücherspende der NSDAP für die Deutsche Wehrmacht (o. D., 1939), BArch NS 8/176 hier Bl. 95 f. Die folgenden Zitate ebd., Bl. 98.

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im Wert von 100.000 RM »spenden«, da sich unter »den von der Bevölkerung gestifteten Büchern wenig unmittelbar nationalsozialistisches Schrifttum« befand. Ein Umstand, den der für die Durchführung der Büchersammlung zuständige Sachbearbeiter im Amt Schrifttumspflege mit dem Argument zu erklären versuchte, dass sich das deutsche Volk »naturgemäß« von dem »ausgesprochen nationalsozialistischen Schrifttum nur schwer zu trennen pflegt«.75 Bis zum Winter 1943/44 konnten über die »Bücherspende Rosenberg« insgesamt mehr als 43 Millionen Bücher gesammelt werden, die zu 200.078 Büchereien zusammengestellt wurden.76 Bereits nach der vierten Sammlung, die knapp 10,5 Millionen Bücher erbracht hatte, informierte Rosenberg am 3. Juni 1943 Hitler mit Stolz über die geschichtswürdige Tatsache, dass das deutsche Volk »seinen Soldaten die größte Bücherei der Welt« geschenkt hatte.77 Da sich die Büchersammlung jedoch an eine Bevölkerung richtete, die selbst angesichts der schwierigen Versorgungslage auf der Suche nach Lesestoff war, verwundert es nicht, dass sich das Oberkommando der Wehrmacht bereits 1942 bei der Partei-Kanzlei der NSDAP über den »oft beschämend dürftig[en]« Inhalt der gespendeten Bücher beklagen musste.78 Die Schrifttumstruppen Rosenbergs hatten wie immer viel organisiert, blieben im Ergebnis aber ohne Effizienz. Wesentlich erfolgreicher in der Versorgung der Soldaten mit Lesestoff war die Zentrale der Frontbuchhandlungen (ZdF), die am 4. September 1939 gegründet worden war. Sie entwickelte sich aufgrund der Besonderheiten der Kriegswirtschaft im Laufe der kommenden Jahre zu einer marktbeherrschenden Macht im deutschen Buchhandel.79 Die Leitung des neuen Unternehmens wurde dem Direktor der DAF-Verlage, Eberhard Heffe, übertragen. Als Geschäftsführer fungierte Theodor Leidel. Die DAF stellte der ZdF auch das Kapital für die Gehälter der hauptamtlich beschäftigten Frontbuchhändler und für die Wahrnehmung der zugewiesenen Aufgaben zur Verfügung. Diese bestanden zum einen in der Koordination der Bestellungen und Zuteilungen der Buchkontingente zwischen den Buchhandlungen im Frontgebiet bzw. in den unter deutscher Besatzung stehenden Ländern und dem Buchhandel im Deutschen Reich. Zum anderen sollte die Zentrale in Zusammenarbeit mit dem Oberkommando der Wehrmacht den Ausbau eines Netzes von Frontbuchhandlungen betreiben.80 Die ZdF richtete insgesamt zehn Auslieferungslager in Paris, Brüssel, Oslo, Rovaniemi, Riga, Warschau, Lemberg, Dnjepropetrowsk (ab Spätherbst 1943 Odessa), Wien und Rom (ab Spätherbst 1943 Meran) ein. 81 75 76 77 78 79 80 81

Utikal: Die Buchspende für die Deutsche Wehrmacht. In: Bücherkunde 7 (1940), S. 29 –31, hier S. 30. Vgl. Rosenberg an Bormann vom 14. August 1944, BArch NS 8/191 Bl. 211: 43.471.018 Bände. BArch NS 8/176 Bl. 23. Mitteilung der Partei-Kanzlei an Rosenberg vom 2. Oktober 1942 betr. Rosenberg-Bücherspende, BArch NS 8/187 Bl. 39. Vgl. zum Folgenden vor allem Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel; Bühler/Kirbach: Wehrmachtsausgaben. Siehe den von Willy Max Schulz angefertigten Bericht über Verhandlungen in Paris vom 28. Juli bis 3. August 1940, StAL BV/F 9426 (Ullstein AG). Vgl. Vorläufiger Bericht über das Geschäftsjahr 1943 der Zentrale der Frontbuchhandlungen vom 10. Januar 1944, StAL BV/792 Bl. 185 –188, hier Bl. 185. Die nachfolgende Zahlenangabe ebd. Bl. 186.

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Sie wurden von den Verlagen unter Umgehung des Sortimentsbuchhandels direkt beliefert und versorgten ihrerseits die Frontbuchhandlungen in den besetzten Gebieten mit beträchtlichen Stückzahlen an Büchern. Von diesen »Buch-Verkaufsstellen« an der Front, in Lazaretten und Soldatenheimen existierten 1943 in allen besetzten Gebieten mehr als 300. Allein in Frankreich stieg ihre Anzahl zwischen 1942 und Ende 1943 von 60 auf 98.82 Zusätzlich waren auch noch zwölf mobile »Frontbuchwagen« im Einsatz, in Norwegen sogar mehrere Motorkutter.83 Auf dem Papier kooperierte die ZdF mit dem Oberkommando der Wehrmacht, dem Propagandaministerium, der Reichsschrifttumskammer und dem Börsenverein. Faktisch baute Heffe jedoch mit Unterstützung des OKW und mit Duldung des Propagandaministeriums sukzessive ein eigenes Vertriebsnetz und Verlagswesen auf, das zunehmend in Konkurrenz zum traditionellen Buchhandelssystem im Deutschen Reich trat. Dabei hatte alles ganz bescheiden angefangen. 1940 rief das Werbe- und Beratungsamt für das deutsche Schrifttum die Propaganda-Aktion »Buch-Feldpostsendungen« auf. Die »Volksgenossen in der Heimat« sollten ihren Angehörigen und Freunden an der Front für ihren Kampf gegen die Langeweile Literatur zukommen lassen. Die Listen mit den zum Versand geeigneten Büchern konnten kostenlos über den Buchhandel bezogen werden. Die ersten beiden Listen des Jahres 1940 enthielten rund 1.500 Titel vor allem nationalsozialistischer Verlage. Die dritte, im Frühjahr 1941 erschienene »Buch-Feldpostliste« bot mit ihren rund 350 Titeln eine Mischung aus politisch-weltanschaulichen Buchgruppen (»Im Kraftfeld von Politik und Wirtschaft«, »Deutsches Blut auf fremder Erde«), Kriegsliteratur (»Unvergängliches Soldatentum«) und kurzweiliger und besinnlicher Belletristik (»Zur Unterhaltung und Besinnung«, »Weisheit für den Tornister«).84 Das Propagandaministerium und die Reichspropagandaleitung der NSDAP waren bei der Auswahl der Buchtitel darum bemüht, möglichst gezielt auf die Literaturwünsche der Soldaten einzugehen. Einer um die Jahreswende 1941/42 vom Reichsring für nationalsozialistische Propaganda und Volksaufklärung durchgeführten Befragung unter Wehrmachtssoldaten war zu entnehmen, dass vor allem Kriminalromane, die Romane Karl Mays oder sonstige Abenteuer-Geschichten und Liebesromane bevorzugt wurden.85 Daher empfahl Walter Tießler als Leiter des Reichsrings innerhalb der Reichspropagandaleitung der NSDAP Goebbels im Februar 1942, die Frontsendungen zu 95 Prozent mit Unterhaltungsbüchern auszustatten.86 Lediglich fünf Prozent der Bücher sollten weltanschaulicher Natur sein, wobei darauf geachtet werden sollte, dass »nicht schwere Kost verabreicht wird, sondern leicht fassliche«. Die Erarbeitung solcher Weltanschau82 83 84 85 86

Vgl. Hinze: Frontbuchhandlung Paris, S. 8. Vgl. auch Martin: Nachschub für die Bücher»Front«. In: Börsenblatt 109 (1942) 180/181, S. 163. Vgl. Vorläufiger Bericht für das Geschäftsjahr 1943, StAL BV/792 Bl. 186. Vgl. Felchner: Sendet Bücher an die Front. In: Börsenblatt 108 (1941) 59, S. 88 –90. Vgl. das vertrauliche Rundschreiben Tießlers an die Parteigenossen in der Wehrmacht vom 8. Januar 1942 sowie eine Sammlung der Antwortschreiben in BArch NS 18/483. Vgl. Vorlage für den Herrn Minister über Staatssekretär Gutterer betr. Literatur für die Front vom 17. Februar 1942, BArch NS 18/483. Vgl. auch Stoffregen: Was lesen unsere Soldaten im fünften Kriegsjahr? In: Börsenblatt 110 (1943) 177, S. 207 f.; Ter-Nedden: Was wünscht der Soldat zu lesen? In: Unseren Kameraden bei der Wehrmacht diese Mitteilungen der Reichsschrifttumskammer, Oktober 1944, S. 6 f. Zu Tießler (*1903) siehe im Einzelnen Kriegspropaganda 1939 –1941, S. 98 f.

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ungsliteratur »in interessanter Form, in spannender Schilderung oder Romanstil« hatte Tießler bereits 1940 angeregt.87 Dem Vorbild der kirchlichen Heiligendarstellungen folgend, sollten die Schriftsteller dafür gewonnen werden, »das Leben von Parteigenossen, die sich z. B. im Krieg, aber auch im Alltagsleben besonders auszeichnen«, literarisch zu behandeln und herauszustellen. 1941 veröffentlichte auch die ZdF eine Empfehlungsliste mit 2.600 Titeln. Sie legte den Schwerpunkt auf schöngeistige und unterhaltende Literatur, berücksichtigte ein wesentlich breiteres Spektrum an Verlagen und bezog auch Bücher von Schriftstellern ein, die nicht zum staatlich oder parteiamtlich geförderten Kanon der Literatur gehörten. Mit diesen Buchlisten und der Einrichtung von immer mehr Frontbuchhandlungen wurde bei den Millionen Soldaten in den besetzten Gebieten ein Bedarf geweckt, dem nach einer Anweisung von Wilhelm Baur aus dem November 1940 bevorzugt nachzukommen war.88 Das war so lange kein Problem, bis die Verschärfung der Papierkontingentierung die Buchproduktion immer stärker einschränkte. Daher etablierte sich ab 1941/42 ein völlig neuer Buchmarkt, der einer eigenen Zweckrationalität folgte und die in einer Mangelwirtschaft stets aufblühende Korruption auch auf diesem Gebiet förderte.89 Darüber hinaus verfügte das OKW selbst über riesige Papierkontingente. Sie wurden sowohl in spezielle Produktionen von Verlagen wie der »Sonderaktion Feldpost« oder in Auftragsproduktionen für die DAF-Verlagsfilialen in den besetzten Gebieten investiert als auch für eine eigene Produktion von äußerst hochwertigen Büchern verwendet.90 Um an die gewünschten Papierkontingente zu kommen, produzierten die Verleger immer mehr Wehrmachtsausgaben in immer höheren Auflagen für den geschlossenen Buchmarkt der Zentrale der Frontbuchhandlungen und der einzelnen Truppenteile. Dabei war es durchaus abwegig, dass deutsche Soldaten während des militärischen Zusammenbruchs in der Wüste Afrikas Liebesgeschichten lasen, die ein protestantisches Unternehmen in der ostwestfälischen Provinz verlegte, gedruckt in Italien oder den Niederlanden auf Papier, das zuvor mitten im Zusammenbruch der Infrastruktur in Güterzügen aus Finnland geliefert werden musste.91 Insgesamt sind auf diesem Buchmarkt in den Jahren 1939 bis Ende 1943 rund 75 Millionen Exemplare von Buch- und Feldpostausgaben hergestellt und vertrieben worden.92 Von 1942 bis 1943 stieg der Anteil an Büchern, die auf der Grundlage einer Wehrmachtspapier-Zuteilung für die Zentrale der Frontbuchhandlungen produziert worden 87 88 89 90 91 92

Tießler an Haegert vom 17. April 1940, hier S. 1, BArch NS 18/89. Vgl. Baur: An alle Berufskameraden vom Verlag! In: Börsenblatt 107 (1940) 281, S. 445. Vgl. dazu Bühler/Simons: Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas. Vgl. im Einzelnen Bühler/Bühler: Die Wehrmacht als Verleger; Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel, S. 184 –231. Ergänzend Vorläufiger Bericht über das Geschäftsjahr 1943, StAL BV/792. So Bühler/Simons: Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas, S. 172. Zahlenangabe bei Schönfelder: Buchhandel in der Entscheidung. In: Unseren Kameraden bei der Wehrmacht diese Mitteilungen der Reichsschrifttumskammer, November 1944, S. 1 –4, hier S. 3.

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waren, von sieben Prozent auf durchschnittlich 55 Prozent.93 Daher konnte die ZdF 1943, also zu einem Zeitpunkt, als im Deutschen Reich die Engpässe in der Buchversorgung immer dramatischer wurden, noch insgesamt 3,5 Millionen Exemplare verkaufen und ihren Umsatz mehr als verdoppeln: von 16.740.843 RM auf 35 Millionen RM. Selbst Ende 1944 verfügte sie noch über einen Lagervorrat von 8,7 Millionen Exemplaren im Wert von 20,4 Millionen RM.

Literatur Archivalien Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde (BArch) R 56 V (Reichsschrifttumskammer) NS 8 (Kanzlei Rosenberg) NS 12 (Hauptamt für Erzieher/Reichswaltung des nationalsozialistischen Lehrerbundes) NS 18 (Reichspropagandaleitung der NSDAP) BDC/RKK u. BDC/RSK (Bestände des ehemaligen Berlin Document Center (BDC): Personal- und Sachakten der Provenienzen Reichskulturkammer (RKK)/Reichsschrifttumskammer (RSK),

Deutsches Literaturarchiv Marbach a. N. (DLA) DLA NL Joachim Maass

Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv Duisburg (HStA NRW) Rundschreiben des RSHA/Abt. III C 4, RW 36

Stadtarchiv Duisburg (StA) Personalakte Robert Hohlbaum

Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (StAL) BV (Akten des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig) BV/F (Firmenakten des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig)

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (HStA) Thüringisches Ministerium für Volksbildung/C 629 93

Vorläufiger Bericht über das Geschäftsjahr 1943 der Zentrale der Frontbuchhandlungen vom 10. Januar 1944, StAL BV/792 Bl. 185. Die folgenden Zahlenangaben ebd.

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5 Leser und Leser lenkung

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2

1 Einleitung

Wilhelm Haefs

6

Buchherstellung und Buchgestaltung

Im Bereich der Buchherstellung und -gestaltung markiert das Jahr 1933 keineswegs jene tiefgreifende kulturelle Zäsur, von der nach 1945 immer wieder gesprochen worden ist. Ähnlich der Literaturwissenschaft, die im Blick auf die Jahre der NS-Herrschaft neue Epochenkonstruktionen entwickelt und diskutiert hat1 – am überzeugendsten bislang mit der Konstruktion einer »Moderne«-Epoche, die von der Mitte der 1920er Jahre bis in die 1950er Jahre reicht –, wird man wohl auch für das Feld der Buchästhetik verfahren müssen. Denn zum einen fallen ästhetische Kontinuitäten ins Auge trotz der kulturellen »Gleichschaltung« und des Versuchs der Nationalsozialisten, eine spezifische symbolpolitische und propagandistische Mediensprache durchzusetzen, zum anderen gibt es bemerkenswerte personelle Kontinuitäten in diesem Feld. Zwar ist die Wirkung der Vertreibung eines Hugo Steiner-Prag, Georg Salter, Fritz Eichenberg, Jan Tschichold, Henri Friedländer, auch eines John Heartfield und Paul Urban – um nur einige wenige zu nennen – vor allem im Bereich der Umschlag- und Einbandgestaltung nicht als gering zu veranschlagen.2 Schon rein zahlenmäßig war die Gruppe der in Deutschland gebliebenen und die Traditionen vielfältig fortführenden Buchgestalter, Typographen und Hersteller jedoch deutlich größer. Sogar die Linien der »Neuen Typographie« und der BauhausTypographie wurden noch einige Jahre weitergezogen; die Entwicklung ab 1933 führte freilich weg von jener Radikalität, wie sie etwa noch am Ende der Weimarer Republik die paradigmatische Bestandsaufnahme der avantgardistischen Ästhetik der Werbegestaltung in Gefesselter Blick (1930) demonstriert hatte. Von den dort vertretenen Grafikern und Gestaltern konnten nur die wenigsten in Deutschland bleiben.3 Es fällt auf, in welchem Maße vor allem die renommierten älteren Drucker, Typographen, Gestalter und Buchbinder in Deutschland geblieben sind. Insofern sind aktuell diskutierte Thesen wie die vom »Terror der Typographie«4 oder von der »Typographie der Unmenschen«5 nicht angemessen formuliert. Denn sie verabsolutieren einen – fraglos gewichtigen – gestalterischen Aspekt, die Funktionalisierung und Instrumentalisierung vor allem des Mediums Plakat für die Zwecke der NS-Propaganda nach 1933, und lassen Differenzierungen im Blick auf eine weiterhin existierende Schriftenvielfalt und auf gestalterische Freiräume, wie sie im buchkulturellen Feld allenthalben zu finden sind, vermissen. Das bedeutet, dass es jenseits der über die NS-Propaganda vermittelten 1 2 3

4 5

Vgl. insbesondere Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein; Modern Times. Vgl. auch die Einleitung zu: »Nationalsozialismus und Exil 1933 – 1945«, S. 7 – 52, bes. S. 16 ff. Vgl. Fischer: Buchgestaltung im Exil 1933 – 1950. Vgl. Gefesselter Blick. Von den 26 mit Werkproben vorgestellten Gestaltern sind nur fünf über 1933 hinaus in Deutschland aktiv geblieben: Max Burchartz und Georg Trump dauerhaft, Vordemberge-Gildewart bis 1937 (danach gelangte er über die Schweiz ins Amsterdamer Exil), Werner Graeff bis 1936 (danach in Spanien), während der Niederländer César Domela schon sehr bald von Berlin nach Paris ging, allerdings 1934 für deutsche Verlage noch einige Buchumschläge im Bereich der Unterhaltungsliteratur gestaltete. Vgl. Weidner/Rader: Typographie des Terrors. Lechner: Geschichte der modernen Typographie, S. 153 – 158.

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6 Bu chherste llung und Buchg e staltung

ästhetischen Dominanz und dem zielstrebig aufgebauten schönen »Schein des Dritten Reiches«6 Beharrungskräfte und stark nachwirkende Traditionen aus der Zeit der Weimarer Republik gab, nicht weniger aber auch Elemente einer ideologisch willfährigen oder zumindest opportunistischen Buchgestaltung, deren Gewicht erst noch genauer beschrieben werden muss.

Moderne und Antimoderne Jeder genauere Blick auf die Verhältnisse im Nationalsozialismus zeigt, dass sich die Gesamtentwicklung in einzelne Phasen untergliedern lässt. Der Moderne-Diskurs bleibt zunächst einige Jahre präsent, was bedeutet: Moderne Typographie, Buch- und Zeitschriftengestaltung sowie Plakatdesign werden zwar zurückhaltender, aber doch weiter diskursiv verhandelt und prägen auch einen Teil der Gestaltungsprodukte bis zumindest 1937. Hier kann die berüchtigte Ausstellung »Entartete Kunst« in München als eine symbolisch wirksame kulturpolitische Zäsur angesehen werden: mit ihr entschied sich der Kampf zwischen Moderne und Antimoderne ultimativ für die nationalsozialistische Antimoderne, indem jeder Avantgardismus, mit Schwerpunkt Expressionismus und Bauhaus-Kunst, diffamiert und ausgegrenzt wurde.7 Dass im Fortgang differenzierende Töne und Ansichten dennoch nicht fehlten, belegt ein Blick in Paul Renners grundlegendes Lehrbuch Die Kunst der Typographie von 19398, eine betont sachliche und zugleich übersichtlich-prägnante Bestandsaufnahme fern jeder ideologischen Indoktrination (es blieb bezeichnenderweise das einzige Lehrwerk dieser Art im Nationalsozialismus). Und auch der Jahrgang 1940 des Bibliophilen-Jahrbuchs Imprimatur, um ein weiteres Beispiel anzuführen, zeigt in dieser Hinsicht Erstaunliches: Zwar kein Blick auf die Avantgarde, handelt es sich aber um eine breit angelegte Bestandsaufnahme und Apologie der Leistungen der Buchkunstbewegung seit der Jahrhundertwende, in der fast kein Wort über die politisch bedingten Veränderungen nach 1933 zu finden ist. Der Dualismus zwischen Moderne und Antimoderne prägt sich auch in der Reflexion auf die Aufgaben zeitgenössischer Buchgestaltung aus: Signifikant für die frühe Positionierung traditionsorientierter Typographen und Gestalter ist die kleine Schrift, die Carl Ernst Poeschel unter dem plakativen Titel Gegen Mechanisierung – für die Persönlichkeit9 just im April 1933 im Archiv für Buchgewerbe und Gebrauchsgraphik (und parallel als Einzelveröffentlichung) herausbrachte. Es handelt sich um eine Auseinandersetzung mit Tendenzen und unmittelbaren Wirkungen von Bauhaus-Moderne und der »Neuen Typographie« Jan Tschicholds. Implizit dürfte auch Paul Renner angesprochen gewesen sein, der in mechanisierte grafik (1930)10 eine systematische Zusammenschau moderner, intermedial wirksamer gestalterischer Elemente (Schrift, Typo, Foto, Film, Farbe) vorgelegt hatte, deren Einfluss weit über das Jahr 1933 hinausreichte. Poe-

6 7 8 9 10

Vgl. Reichel: Der schöne Schein des Dritten Reiches. Vgl. bes. Entartete Kunst. Das Schicksal der Avantgarde im Nazi-Deutschland (enthält auch ein Faksimile des Ausstellungsführers). Renner: Die Kunst der Typographie. Poeschel: Gegen Mechanisierung. Renner: mechanisierte grafik.

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schel wandte sich gegen den »Mechanisierungsfimmel und Normungsirrsinn«11, polemisierte gegen die angebliche Verabsolutierung der Grotesk und propagierte – anstelle »ausgeleierter« Antiqua-Schriften – die Frakturschriften und den »deutschen« Stil von Rudolf Koch, der tatsächlich ab 1933 quer durch die ideologischen Lager stärkeren Zuspruch erfahren sollte als zuvor.

Zwischen Autonomie, Ideologisierung und »Gleichschaltung« Unabwendbar unterlagen unter dem NS-Regime auch die Bereiche Buchherstellung und Buchgestaltung den Zwängen totalitärer Steuerung und ideologisch-politischer Umprogrammierung. In dieser Hinsicht erwies sich die »Machtergreifung« selbstverständlich als Zäsur: Die institutionellen Rahmenbedingungen des Buch- und Druckgewerbes änderten sich durch die Errichtung berufsständischer Zwangsorganisationen Schritt für Schritt, bis 1939 die »Gleichschaltung« unter dem Dach der »Wirtschaftsgruppe Druck der Reichsgruppe Industrie« endgültig vollzogen war. Der »Bund deutscher Gebrauchsgraphiker« war schon zu Beginn der Diktatur im Rahmen der Zwangsmitgliedschaft in der »Reichskammer der Bildenden Künste« aufgegangen. Besonders große Anstrengungen unternahmen die Nationalsozialisten vor allem im Ausbildungs- und Lehrsektor. Hier spielte die »Deutsche Arbeitsfront« des Reichsorganisationsleiters Robert Ley eine herausragende Rolle,12 mit einer Vielzahl von Übungsblättern und »Lehrunterlagen«13 sowie, herausgegeben vom Reichsorganisationsleiter der NSDAP, mit »Berufsbildern« (für Schriftgießer, Buchhändler etc., siehe Abb. 1), die über die Lehrmittelzentrale der »Deutschen Arbeitsfront« zu beziehen waren. Bearbeitet und verantwortet wurden diese schwerpunktmäßig vom »Amt für Berufserziehung und Betriebsführung« in Zusammenarbeit mit dem »Fachamt Druck und Papier der Deutschen Arbeitsfront«. Der politische Druck auf die Nachwuchsausbildung stieg enorm: angestrebt und zum Teil verwirklicht wurde eine zentralistische Neuorganisation, die eine Ent-Autonomisierung der bis zum Ende der Weimarer Republik weitgehend ohne politische Einflussnahme arbeitenden Schulen bedeuten sollte. Die Nationalsozialisten strebten eine Vereinheitlichung der älteren Kunstgewerbeschulen, Buchdruckerschulen, Buchdruckerlehranstalten und »Werkstätten« an in Gestalt von »Meisterschulen des Deutschen Handwerks«, die auf Graphik, Buchdruck und Kunstgewerbe hin ausgerichtet waren. So wurden die Werkstätten der Stadt Halle (Burg Giebichenstein) im Anschluss an die Entlassung wichtiger Lehrkräfte schon 1933/34 vollständig »gleichgeschaltet«.14 Ähnliches vollzog sich in Leipzig, an der 1927 gegründeten »Meisterschule für das graphische Gewerbe«, an den wichtigen Kunstgewerbeschulen von Offenbach und Weimar und auch noch andernorts, wie etwa in Stuttgart, Wuppertal, Bielefeld sowie München, wo Paul Renner, Verfasser einer Apologie des 11 12 13 14

Poeschel: Gegen Mechanisierung, S. 3, ähnlich formuliert S. 22. Vgl. zur Deutschen Arbeitsfront unter Robert Ley, ihren ideologischen Prinzipien und der daran geknüpften Volksbeglückungsstrategie Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront 1933 – 1945. Z. B. Metzner: Die Kunstschrift als Buchschmuck; Sigel: Unser Werkstoff, das Papier. Vgl. 75 Jahre Burg Giebichenstein 1915 – 1990 (mit aufschlussreichen Beiträgen zur Phase des Nationalsozialismus).

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›Kulturbolschewismus‹ (Kulturbolschewismus? München, Zürich: Rentsch 1932) als Leiter der »Berufsschule für das Graphische Gewerbe« sowie der »Meisterschule für Deutschlands Buchdrucker« im April 1933 suspendiert und Anfang 1934 endgültig entlassen wurde. Dennoch war der personelle Aderlass in diesen Lehrinstituten, die durchweg einen guten Ausbildungsstandard hatten, durch den politischen Druck nicht derart einschneidend, dass es nicht noch einige Persönlichkeiten gegeben hätte, die relativ ideologiefreie Nischen und Räume aufrecht erhalten haben. Die zahlreichen, im Umfeld der Meisterschulen und Akademien herausgebrachten Publikationen – von kleinen Jahresschriften und bibliophilen Drucken über Kalender bis zu den künstlerischen Abschlussarbeiten – legen Zeugnis davon ab. Gerade in diesem Bereich findet sich Abb. 1: Das Berufsbild des Buchhändlers jene monumentale, »faschistische« Reprä[von Karl Heinrich Bischoff]. sentationskunst, wie sie die NationalsoziaHerausgeber: Der Reichsorganisationslisten in der Öffentlichkeit mit einer spezifileiter der NSDAP. Berlin-Zehlendorf: schen Symbolästhetik durchsetzen wollten, Lehrmittelzentrale der Verlagsgeselleher selten. Insbesondere durch die massive schaft mbH o. J. [1939?] VorderEinflussnahme über die »Deutsche Arbeitsumschlag (kein Hinweis auf Gestalter) front« erfolgte aber doch eine starke ideologische Aufladung der entsprechenden Berufsbilder – Drucker, Schriftsetzer, Werbegraphiker, Buch- und Schriftgestalter. Die Auswirkungen zeigten sich insbesondere im Bereich der Akzidenz- und Werbedrucke, der politischen Propaganda mit Plakaten und natürlich auch im Bereich kulturpropagandistischer Bücher.

Beschreibungs- und Reflexionsmedien der Buchkultur Auf den ersten Blick scheint es, als habe die theoretische und praxisorientierte Reflexion über die Grundlagen der Buchgestaltung in der Zeit des Nationalsozialismus erheblich abgenommen. Doch der Schein trügt: Zwar hat zum Beispiel die renommierte und am opulentesten ausgestattete Fachzeitschrift der Weimarer Republik – das Archiv für Buchgewerbe und Gebrauchsgraphik – ab 1933 an Umfang und Material sukzessive eingebüßt, in der Breite allerdings behaupten sich die Diskussionsmedien der Buchherstellung und der Buchgestaltung. Es kommt sogar eine Reihe neuer Medien hinzu, von denen nur einige unmittelbar mit nationalsozialistischen Institutionen verbunden und ihnen über inhaltlich-ideologische Vorgaben und Normierungen verpflichtet waren. Im

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Blick auf das breite Spektrum an einschlägigen Fachpublikationen, Lehr- und Handbüchern sowie Fachzeitschriften könnte man fast von einer wachsenden Diskursivierung der Themen Buchdruck und Buchgestaltung sprechen. Dabei halten sich die NS-konformen und die politikfernen Beiträge die Waage; zwar ist das Meinungsspektrum nicht als pluralistisch anzusehen, doch schloss es, vergleichbar der Literatur und Kunst, auch politikfreie Räume ein. Jedenfalls aber differenziert sich das thematische Spektrum weiter aus: Eine Reihe von Zeitschriften wird aus der Weimarer Republik weitergeführt, meist in veränderter Ausrichtung, andere werden neu begründet. Genannt seien: − − − − − − − − − − −

Archiv für Buchbinderei. Zeitschrift für Einbandkunst und Einbandforschung, die Graphischen Nachrichten, die Gebrauchsgraphik (mit einer Fülle von Beiträgen zu Buchgestaltern und Buchillustratoren), die Zeitschrift für Deutschlands Druckgewerbe, Jungarbeiter in Druck und Papier, die Buch- und Werbekunst (später: Druck- und Werbekunst), Drucken und Berechnen. Zeitschrift für Deutschlands Buchdrucker und verwandte Gewerbe, das Graphische Jahrbuch, das Jahrbuch der Deutschen Papierwerker, der Buchbinder Kalender, die Periodika der Meisterschulen (z. B. Die Meisterschule. Bildungsheft der Meisterschule für das graphische Gewerbe zu Leipzig).

Und selbst von den kleineren Berufsschulen sind teils bemerkenswerte Veröffentlichungen zu nennen: Erwähnt sei hier exemplarisch die Reihe »Schüler sprechen« der »Städtischen Berufsschule für Buchdrucker in München«, die fortlaufend Verbesserungs- und Mustervorlagen als praktische Arbeitshefte in umfangreichen Folgen herausgab (z. B. die Abteilung: »Verbessern von Drucksachen der Praxis [Gesamtklasse]« oder die Abteilung »Buchtitel in Mittel- und Seitenachsen-Anordnung«). In diesen Kontext gehört aber auch ein schon Mitte der 1920er Jahre begründetes bibliophiles Medium wie Das Zelt. Zeitschrift für gestaltendes Schaffen. Blätter des Ehmcke-Kreises, das buchkünstlerische, typographische, werbegraphische und didaktische Ambitionen in einer sehr anspruchsvollen Ausstattung auch über das Jahr 1933 hinaus bis Ende der 1930er Jahre weiterführte. Nach 1933 besonders bedeutsam wurden die Studienhefte des Rudolf Blanckertz Verlags Die zeitgemäße Schrift. Studienhefte für Schrift und Formgestaltung.15 Diese Reihe hatte, insbesondere für den Bereich der Buchgestaltung, mit auflagenstarken Einzelmonographien zu Rudolf Koch und Johannes Boehland, einen erheblichen Einfluss auf die typographischen und buchgestalterischen Debatten. Das Jubiläumsheft 50 von Juli 1939 bringt nach persönlichen Glückwünschen renommierter Buchgestalter an die 15

Später: Verlag für Schriftkunde Heintze & Blanckertz. – R. Blanckertz, gestorben 1935, begründete zudem ein Schriftmuseum, in dem u. a. 1939 zum 80. Geburtstag von Otto Hupp eine Ausstellung stattfand.

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Zeitschrift – darunter Walter Tiemann, Emil Preetorius, Peter Behrens, aber auch Hans Schweitzer-Mjölnir – eine Vielzahl buchgestalterischer Beispiele nationalsozialistischer Repräsentationskunst (z. B. »Das große Gefallenenwerk der Bewegung. Geschenk der SA an den Führer 1938, mit einer Deckelprägung: Standarte Horst Wessel«), wie sie auch in den Monographien zu Rudolf Koch und Johannes Boehland zu finden sind.16 Hinzu kommt eine Reihe von Buchveröffentlichungen mit Standardwerk-Charakter, darunter auch Neubearbeitungen schon eingeführter älterer Grundlagenwerke: − − − − − − − − − − − − − − − −

das technikorientierte, weltanschaulich weitgehend neutrale Buchdruckerbuch von Jakob Baß (3. Auflage 1938), die stark ideologisierte, mehrfach mit »Führer«-Zitaten operierende Darstellung von Julius Rodenberg Die Druckkunst als Spiegel der Kultur in fünf Jahrhunderten (1942), Rodenbergs Monographie über Karl Klingspor In der Schmiede der Schrift (1940, Nachdruck 2000), Hermann Barges Geschichte der Buchdruckerkunst (1941), Das Buchgewerbe – eine Gesamtdarstellung des Graphischen Gewerbes in seinen wissenschaftlichen, technischen und künstlerischen Grundzügen (im Gutenbergjahr 1940 als Sonderdruck hrsg. vom Oberbürgermeister der Reichsmessestadt Leipzig), die erste Auflage von Paul Renners Kunst der Typographie von 1939 (die nach dem Krieg 1948 eine neubearbeitete Auflage erfuhr), Heinrich Lüers’ und Max Hettlers Die Buchbinder Fibel von 1942, Heinrich Lüers’ Das Fachwissen des Buchbinders. Vorbereitungsbuch auf die Fachprüfungen im Buchbindereigewerbe (1944), das Handbuch des Buchbinderhandwerks (Hrsg. vom Reichsinnungsverband des Buchbinderhandwerks), das Handbuch des Tiefdruckes von Martin Mittenberger (1. Auflage 1932, Neuauflage unter Mitarbeit von Otto Kerst 1935, davon 2. Auflage 1937), Fritz Genzmers Das Buch des Setzers (1936), das Handbuch für Papier, Schrift und Druck von Fritz Ebenböck (2. Auflage, Berlin 1943), G. A. E. Bogengs Der Bucheinband (die 2., veränderte Auflage von 1940), Fritz Wieses Werkzeichnen für Buchbinder (Bd. 1: Der Bucheinband, 1937), Armin Renkers Das Buch vom Papier (2., neu bearb. Auflage 1936), Paul Kerstens kleine, aber höchst bedeutsame Monographie über Buntpapiere Die Herstellung aller Arten von Buntpapieren für Bucheinbände, Mappen und Kästen nach bewährten Verfahren (1939).

Spezialpublikationen zum Buchdruckergewerbe und zur Buchkunst ergänzen das fachliterarische Spektrum. Dazu zählen auch die Veröffentlichungen der bibliophilen Gesellschaften, an der Spitze das Jahrbuch Imprimatur, das ein beachtliches Niveau und eine 16

Vgl. z. B. das Schriftblatt von 1933 mit einer Kernformel nationalsozialistischer Kulturpropaganda, einem Ausspruch Hitlers: »Die Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus verpflichtende Mission« (Rudolf Koch hatte den Entwurf auf Stein gezeichnet). Reproduziert in: Lange: Rudolf Koch, S. 43. Vgl. ferner Hellwag: Johannes Boehland.

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gute Ausstattungsqualität bis zum letzten vor Kriegsende erschienenen Jahrgang behaupten konnte. Außerdem wird man einige populäre Veröffentlichungen über Schrift, Schreiben und Typographie von Rudolf Koch und Fritz Kredel hinzurechnen müssen: insbesondere Rudolf Kochs Das Schreibbüchlein. Eine Anleitung zum Schreiben (mit Holzschnitten von Fritz Kredel, 2. Auflage 1935) und Christian Heinrich Kleukens’ Die Kunst der Letter, ein Bändchen, das auflagenstark in der beliebten Insel-Bücherei erschien (Nr. 557, 1940).17 Bedingt auch durch die solcherart forcierte Ausbreitung von Fachwissen nahm die Arbeitsproduktivität im Buchgewerbe seit Ende der 1930er Jahre wohl noch zu, umgekehrt proportional zu den kriegsbedingten Einschränkungen durch Rohstoffknappheit. In den genannten Werken überwiegt denn auch die streng sachbezogene Darstellung, nur in relativ wenigen Werken finden sich deutlich opportunistische Bekundungen oder überzeugt nationalsozialistische Positionen. Eine Ausnahme bildet Max Hettler (der in seinem Verlag in den 1950er und 1960er Jahren wieder Standardwerke zur Buchkultur und zur Buchgestaltung herausbringen sollte), der sich mehrfach dezidiert propagandistisch äußerte; so etwa behauptete er mit Nachdruck: »[…] keine andere Staatsführung hat sich je vorher so intensiv für das gute Buch eingesetzt wie die des Nationalsozialismus«.18 Zwischen Begeisterung für den Nationalsozialismus, schlichter Anpassung sowie sprachlicher und inhaltlicher Distanz zur Ideologisierung des Buch- und Druckgewerbes gibt es viele Zwischenstufen – Facetten, die in einer Gesamtbewertung zu berücksichtigen sind. Auffallend ist gerade bei den programmatischen Beiträgen herausragender Buchgestalter, Typographen und Buchbinder, dass die politische Ideologie, die den kulturellen Raum erobern sollte, in eher moderaten Formen auftrat. Das lässt sich sogar bei Carl Ernst Poeschel oder Otto Dorfner beobachten (die beide immer wieder auch für NSpropagandistische Publikationen tätig wurden), bei Walter Tiemann und F. H. Ehmcke, bei Emil Rudolf Weiss und Paul Renner. Ihre Veröffentlichungen und Äußerungen lassen kaum Zugeständnisse an die »neue Zeit« erkennen – wo sie doch, wie die Mehrzahl der im Reich gebliebenen Kulturschaffenden, von dem »revolutionären« Habitus und dem Dezisionismus des Nationalsozialismus hätten beeindruckt sein können (zum Teil auch waren). Unter den im Reich verbliebenen Typographen und Buchgestaltern verbreitet war allerdings eine »Politik der Unpolitischen«: Die Mehrzahl von ihnen scheint sich, im Blick auch auf ihre Auftragslage und die Wahrung ihrer Arbeitsmöglichkeiten, weltanschaulich »neutral« und damit im Zweifelsfall auch opportunistisch verhalten zu haben. Dies wird man insbesondere für Poeschel, Ehmcke, Dorfner, Klingspor und Tiemann sagen können. Dafür spricht auch, dass einige Hauptvertreter dieses Metiers neben der kontinuierlichen Arbeit für ihre »Hausverlage« – Ehmcke etwa für Diederichs und Kohlhammer, E. R. Weiss für S. Fischer, später auch für Goverts – vor allem in den Anfangsjahren der NS-Diktatur Auftragsarbeiten für konservativ-nationale und völkische Verlage annahmen, in denen auch nationalsozialistische Schriften erschienen. Bei diesen Auftragsarbeiten 17 18

Vgl. auch Kleukens’ nationalistische Rede von 1934: Die deutsche Kunst der Letter. Der Vortrag wurde am 20. Juni 1934 im kurfürstlichen Schloss zu Mainz gehalten und von der nationalsozialistischen Kulturgemeinde, Ortsverband Mainz, publiziert. Lüers/Hettler: Die Buchbinder Fibel, S. 26.

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Abb. 2: Fredrik Böök: Hitlers Deutschland von außen. München: Georg D.W. Callwey 1934. Reihe: Das Neue Reich, herausgegeben von der Deutschen Akademie. Umschlag von E. R. Weiss (im Buch nicht genannt).

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Abb. 3: Friedrich Didier: Europa arbeitet in Deutschland. Sauckel mobilisiert die Leistungsreserven. Berlin: Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. 1943. 51. – 100. Tausend. Umschlagentwurf: Max Thalmann

handelte es sich zumeist um Reihentitel und Signets: So entwarf E. R. Weiss die Umschläge für die von der Münchner »Deutschen Akademie« im Callwey Verlag herausgegebene Schriftenreihe »Das Neue Reich«, in der u. a. Karl Haushofers Der nationalsozialistische Gedanke in der Welt (1933) und Fredrik Böök-Lunds Hitlers Deutschland von außen (1934) (Abb. 2) erschienen. Ehmcke wiederum zeichnete für die »Gesamtausstattung« (dies markiert seinen spezifischen Anspruch, den andere Gestalter nicht erhoben) zahlreicher Bücher und Broschüren des Kohlhammer Verlags verantwortlich, für den er auch ein neues Signet entworfen hatte. Unter diesen Publikationen findet sich der berüchtigte programmatische Versuch der Ausrichtung der Geisteswissenschaften auf den nationalsozialistischen Expansionskrieg von Paul Ritterbusch, Wissenschaft im Kampf um Reich und Lebensraum, von 1942. Walter Tiemann entwarf Einbände für verschiedene Verlage, u. a. für Das Buch von der deutschen Ostmark von Richard Suchenwirth, erschienen in erster Auflage 1938 im Leipziger Verlag Dollheimer. Mit Tiemanns Tradition und ästhetische Innovation verbindende gestalterischer Handschrift warb bereits vor 1933 der Stalling Verlag: Von ihm stammten das Reihensignet und die Einbände der »Stalling Bücherei. Schriften an die Nation«, von der, »sorgfältig ausgestattet«, bis Herbst 1932 bereits 44 Bände erschienen waren. Die darin vertretene nationalistische

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Position im Sinne Arthur Moeller van den Brucks wird man wohl als repräsentativ für die Mehrzahl der Buchgestalter anführen können – unabhängig von spezifischen Dispositionen und expliziten Bekenntnissen zum Nationalsozialismus.19 Max Thalmann wiederum gehört zu jenen Gestaltern, die von der Illustration (genauer: vom Holzschnitt) herkamen, wie dies eine Reihe von Einbänden und Umschlägen der Weimarer Republik, insbesondere für den Diederichs Verlag, zeigt. Und er gehörte zu den wenigen renommierten Illustratoren und Buchgestaltern, die einen Entwurf für den Eher Verlag, den Zentralverlag der NSDAP, fertigten. 1943, ein Jahr vor seinem Tod, erschien der Bildbericht von Friedrich Didier Europa arbeitet in Deutschland. Sauckel mobilisiert die Leistungsreserven (1943, Druck: Oscar Brandstetter [Abb. 3]) im Quartformat als Broschur: mit einem fotografischen Umschlag, der an die Bildbände Heinrich Hoffmanns angelehnt scheint, mit großen Schriftleisten für den umfänglichen Titel oben und unten.

Felder der Herstellung und Gestaltung: Anpassungsdruck und Gleichschaltungszwang Die »Gleichschaltung« und politische Ideologisierung machte vor den Setzereien, Schriftgießereien und graphischen Betrieben nicht halt. Das zeigte sich gerade in den Anfangsjahren der Diktatur 1933/34, in Verbindung mit einer Offensive für jene Frakturschriften, genauer: gebrochenen Schriften, die angeblich dem ideologischen Selbstverständnis der Nationalsozialisten am nächsten kamen. Die renommierten, großen Schriftgießereien und Druckereien wie D. Stempel, W. Limpert, Spamer, Oscar Brandstetter, Mergenthaler, Rudolf Gerstung, H. Berthold und Offizin Haag-Drugulin konnten sich, mustert man die zeitgenössischen Fest- und Formenschriften sowie die großen Schriftenkataloge, der Ideologisierung zunächst kaum entziehen. Und doch blieb die Bandbreite der Schriften erheblich größer, breiter und differenzierter, als es vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Anschaulich nachvollziehen lässt sich der versuchte vollständige Zugriff des Nationalsozialismus am Beispiel der »Werkzeitschrift für die Gefolgschaft der Firma Oscar Brandstetter«, die unter dem Titel Brandstetter Werkpost seit 1935 herausgegeben wurde »im Einverständnis mit dem Presseamt der Deutschen Arbeitsfront vom Betriebsführer«: Eine Mischung von »Kraft durch Freude«-Stil, klassischer Werkszeitschrift und NS-Propaganda. So zeigt ein Umschlagbild von April 1938 (Gestaltung: Herbert Greulich) ein großes fotografisches Porträt Hitlers vor der Grundfläche des »Großdeutschen Reiches« unmittelbar nach dem »Anschluss« Österreichs.20

19

20

Vgl. den Prospekt »Stalling Bücherei. Schriften an die Nation« von Oktober 1932, in dem es einleitend heißt: »Der nationale Lebenswille eines Volkes muß unbändig sein, soll er nicht untergehen. Jeder Wille verlangt eine Zielsetzung. Die in den Grund der Existenz vordringende Not der Nation ist die Gegebenheit, die Überwindung dieser Not die Gesamtaufgabe der Nation, an der Politik, Wirtschaftsgestaltung, Kultur und Erziehung gemeinsamen Anteil haben müssen« (unpag. S. 1). Vgl. Brandstetter Werkpost (1937/38), H. 4, Umschlag (Vorder- und Hinterseite). Hitler war am 26. März 1938 in der Reichsmessestadt Leipzig und in der Halle der »Technischen Messe« aufgetreten. Im Heft findet sich ein Artikel mit dem Titel »Unsere erste Betriebsversammlung im Großdeutschen Reich« (S. 4 f.).

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Zugleich lässt sich für dieses Feld der Prozess der Technisierung – etwa durch Innovationen im Maschinensatz oder in den Reproduktionsverfahren und namentlich im Zeitungs- und Zeitschriftendruck – als unaufhaltsam bezeichnen und war ja auch ganz im Sinne jener technikgetriebenen Modernität, wie sie das NS-Regime auf vielen Ebenen forcierte. So etwa wurden neue Bogen- und Rollen-Tiefdruckmaschinen entwickelt und eingesetzt, die neben höherem Produktionstempo auch eine drucktechnische Qualitätssteigerung und medienspezifische Differenzierung ermöglichten; neu war etwa das Rakel-Tiefdruckverfahren für Zeitungsdruck. Auch die Fortschritte des Farbdrucks (im Zwei- und Vierfarbendruck), die insbesondere Zeitschriften sowie Werbe- und Akzidenzdrucken zugutekamen, sind in der zeitgenössischen Literatur vielfach dokumentiert. Der Anteil der im Handsatz hergestellten Drucke soll im Übrigen Mitte der 1930er Jahre noch bei 60 Prozent gelegen haben.21 Die Tendenz ging aber eindeutig zum Maschinensatz, wobei die klassische Linotype-Setzmaschine verstärkt Konkurrenz erhielt durch deren Weiterentwicklung, die Intertype.

Typografie zwischen Tradition und klassischer Moderne Der in den Jahren 1933/34 kurzzeitig angefachte Kampf für die Fraktur, den der nationalkonservative »Bund für Deutsche Schrift« schon in der Weimarer Republik geradezu missionarisch betrieben hatte, spielte für die praktische Arbeit der Buchgestalter und Typographen kaum eine Rolle. Abgesehen von einigen Beiträgen in Fachzeitschriften zugunsten der Frakturschriften, vor allem aber gegen den sachlichen werkbündischen und den avantgardistischen Bauhaus-Stil, abgesehen auch von der Tatsache, dass einige Jahre lang »nationale« Schriften in der Werbung bevorzugte Verwendung fanden: Nach 1933 blieb es zunächst bei der gewohnten Zweischriftigkeit, bei einem insgesamt produktiven Nebeneinander von Fraktur und Antiqua. Jedoch nur bis Anfang 1941, als nämlich die Antiqua, für die meisten Typographen, Schriftkünstler, Buchgestalter doch ziemlich überraschend, durch einen Erlass zur Norm erhoben wurde und die gotischen Schriften kurzerhand – unter Zuhilfenahme einer antisemitischen Projektion – als »Schwabacher Judenlettern« denunziert und für unerwünscht erklärt wurden. Der Vorgang (die tatsächlichen Motive der NS-Führung sind nie kommuniziert worden) war wohl Ausdruck eines kulturellen Weltmachtstrebens der Nationalsozialisten; schon seit 1940 sollten ja die fürs Ausland bestimmten Schriften in Antiqua gesetzt werden. In dem vom Martin Bormann im Auftrag Hitlers »nicht zur Veröffentlichung« versendeten »Rundschreiben« mit Datum vom 3. Januar 1941 (Abb. 4) heißt es: »Am heutigen Tage hat der Führer […] entschieden, dass die Antiqua-Schrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden.«22

21 22

Vgl. Das Buchdruckerbuch, S. 22. Vgl. hierzu auch Willberg: Schrift und Typografie im Dritten Reich, S. 102. Aufschlussreich auch die zeitgenössische Darstellung von F. L. Habbel und C. E. Poeschel: Antiqua als deutsche Normalschrift. Ihre Anwendung im Buchsatz. Berlin 1942. Bereits zuvor war erschienen Wolf: Fraktur oder Antiqua. Aus der Fülle der neueren Forschungsliteratur sei nur genannt Hartmann: Fraktur oder Antiqua.

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Abb. 4: Rundbrief Martin Bormanns vom 3. Januar 1941 über die vom »Führer« verfügte Einführung der Antiqua-Schrift als »Normal-Schrift« (Bundesarchiv Koblenz, Bestand NS 6/334)

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Abb. 5: Beispiel für die Verwendung der »Tannenberg«-Schrift: Werbeanzeige der Schriftgießerei D. Stempel. In: Gebrauchsgraphik, Heft 3/1934. In den Anfangsjahren der NS-Diktatur wirkten auch noch Grundsätze der »Neuen Typographie« nach, mit einer Priorisierung serifenloser Schriften, Groteskschriften wie vor allem der Futura von Paul Renner, die ohnehin im Angebot der Schriftsetzereien und Druckereien blieb.23 Allerdings kamen diese Schriften weniger in Büchern zum Einsatz, vielmehr in Zeitschriften, in der Werbung und im Akzidenzdruck. Die BauhausModerne mit ihrem spezifischen funktionalistischen Design trug aber doch gleichsam die »fortschrittlichen« Grundsätze ins Dritte Reich.24 Die Frage nach dem Schriftenkanon für die Jahre des Nationalsozialismus ist noch nicht schlüssig beantwortet worden – überhaupt ist die Bewertung des Erscheinungsbilds der Typographie ab 1933 höchst umstritten. Pauschale negative Urteile finden sich mittlerweile kaum noch, zuletzt wurde mehrfach auf die damals vorhandene typographische Vielfalt – die sogar die eine oder andere Innovation einschließt – aufmerksam gemacht und der ästhetische Standard keineswegs so kritisch bewertet, wie dies lange Zeit der Fall war. Nicht zuletzt erfolgte eine solche Revision aufgrund einer differenzierteren Betrachtung des vermeintlichen Kulturtotalitarismus, der auch die Medien23 24

Eine besonders prägnante Anwendung erfolgte in der Autobiographie des Malers Emil Nolde: Jahre der Kämpfe. Berlin: Rembrandt 1934. Vgl. Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus.

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gestaltung entscheidend beeinflusst haben soll; den hat es aber in dieser strikten Form nicht gegeben.25 Jedenfalls: Der Schriftenkanon der Jahre nach 1933 zeigt sich insgesamt nicht dominant national ideologisiert, auch wenn in den ersten Jahren der Diktatur eine Reihe von in der Werbung als »deutsch«, »germanisch« und »national« semantisierten Schriften hervortrat – in vorderster Linie die »Tannenberg« (1934), die »National« (1934), die »Deutschland« (1934) und die »Gotenburg« (1935 – 1937), die auch den entsprechenden Raum in den Schriftenkatalogen der großen Setzereien und Gießereien einnahmen. Dabei handelte es sich allerdings um teils ältere, gebrochene, pseudogotische Groteskschriften, die nicht wirklich in der Tradition der klassischen alten Frakturschriften standen.26 Für die »Tannenberg« warb die Gießerei D. Stempel folgendermaßen: »Mitten im Leben der Zeit als starkes Zeichen neuen deutschen Wollens steht die Tannenberg.«27 Spätere Schriftenkataloge zeigen aber eine Abkehr von dieser anfänglichen Anbiederung an den vermeintlichen »Zeitgeist« und alles in allem eine unverändert breite Schriften-Palette. Es gab auch eine Vielzahl neuer Schriftschöpfungen, die durchaus um eine Wiederbelebung klassisch-ästhetischer Ausdrucksformen einerseits und eine Weiterentwicklung von Werbeschriften andererseits bemüht waren: − − − − − − − − − − − − − − −

die »Deutsche Werkschrift« von Rudolf Koch (1934), die »Neu-Fraktur« von Rudolf Koch (1934), die »Marathon« von Rudolf Koch (1938), die Lessing-Fraktur (1939, Typograph-GmbH Berlin), die Renner Antiqua (1939), die Post-Fraktur (1940, H. Berthold), die Rundgotisch von E. R. Weiß (1938, Bauersche Gießerei), Walter Tiemanns »Orpheus kursiv« (1935, Gebr. Klingspor), die »Corvinus mager« (1935, Bauersche Gießerei), die »Ornata« von O. H. W. Hadank (1943, Gebr. Klingspor), die »Legende« von F. H. Schneidler (1931 – 1937), die »Gavotte« von Rudo Spemann (um 1940), die »Elan« von Hans Möhring (1937, Werbeschrift, ein Neuschnitt der Bodoni), die »Mondial« von Hans Bohn (1936/37), die »flott« der Bauerschen Gießerei in Frankfurt, eine Schreibschrift, die ausschließlich für Werbung, Zeitungsdruck und den Akzidenzdruck gedacht war.

Besondere Wertschätzung erfuhren − − 25

26 27

die »Fichte-Fraktur« von Walter Tiemann (1934, Fichte-Fraktur fett 1939) sowie F. H. Schneidlers »Zentenar-Fraktur« (1937 – 1939).

Vgl. insbes. die Arbeiten von Hans Peter Willberg, der die grundlegenden Fragen für nicht beantwortet hält und auf Pauschalurteile verzichtet, so auch in Willberg: Schrift und Typographie im Dritten Reich. – Vgl. auch Kiss: Zwischen Ideologie und Pragmatismus. Kiss wird allerdings der besagten Vielfalt nicht gerecht, auch wenn sie mit ihren Hinweisen auf den ausgeprägten »Pragmatismus« der NS-Schriftpolitik einen wichtigen Aspekt zur Sprache bringt. So u. a. das Urteil von Hans Peter Willberg (siehe Anm. 25). Die Schriftprobe ist nachgewiesen im Katalog der DNB (Museum: 1940 B 961).

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Abb. 6: Schriftmusterblatt der Bauerschen Gießerei für den von W. S. Gillies stammenden modernistischen Schriftentwurf »flott« aus den Jahren 1934 (Normalschnitt) und 1935 (halbfett). Bemerkenswerte schriftkünstlerische Neuansätze, gleichsam alternativ zu den Aktivitäten von Rudolf Koch, legte Schneidler in den Anfangsjahren der NS-Zeit vor in seinem großen, unabgeschlossen gebliebenen Projekt: Der Wassermann. Studienblätter für Schriftschreiben, Schriftentwurf und Schriftzeichnen (Stuttgart 1934, 4 Bände).

Herbert Bayer und die Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus Die ungebrochen starke Wirkung und Relevanz der typographischen Moderne aus der Tradition von Bauhaus und »Neuer Typographie« von Jan Tschichold lässt sich besonders anschaulich am Werk des Designers und Buchgestalters Herbert Bayer studieren, der bis zu seiner späten Emigration 1938 in die USA eine ganze Reihe von Publikationen, vor allem Broschüren, Zeitschriften und Ausstellungskataloge ausstattete und u. a. auch Umschläge für einige Bücher des Rowohlt Verlags entwarf.28 So gestaltete er 28

Vgl. dazu den Katalog: Nowak-Thaller/Widder: ahoi herbert! sowie Herbert Bayer, die Berliner Jahre.

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eine mehrfach, zuletzt wohl noch 1939 gedruckte Propagandabroschüre Der Arbeiter und die Bildende Kunst, in der inhaltlich wie ästhetisch (Umschlag und Typografie) Moderne und Tradition verknüpft wurden. Bayer versah sie mit einem fotomontierten Umschlag im Stil eines ästhetisch überhöhten Industrierealismus, der die technizistische Komponente des Nationalsozialismus anschaulich repräsentiert. Im Inneren der Broschüre ist freilich ein kunsthistorisch weit ausgreifender Werbefeldzug für (Kunst)Ausstellungen in Betrieben zu finden. Große Ausstellungen wurden ja im Dritten Reich als Austragungsorte symbolpolitischer und semantischer Kämpfe funktionalisiert, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Gestaltung der Ausstellungskataloge und -führer sowie besonders auch der Plakate. Exemplarisch hierfür sind die Arbeiten des Graphikers und Plakatkünstlers Ludwig Hohlwein, der u. a. für das Winterhilfswerk, die Olympischen Spiele in Berlin 1936 und zahlreiche Ausstellungen tätig war (u. a. Das Pferd in der Kunst, München 1936). Hervorhebung verdienen auch die Werbeplakate für die große, aufgrund des Kriegsausbruchs in Leipzig nur ansatzweise realisierte Gutenberg-Reichsausstellung von 1940.29 Von Herbert Bayer ist neben dem – vergleichsweise konventionellen, einen Eichenkranz vor blauem Hintergrund mit einer an den Umschlagrändern herumlaufenden großen Schrift in der Bildmitte platzierenden – Entwurf des Katalogs und Plakats zur Ausstellung Deutsches Volk – Deutsche Arbeit von 1934 als weiteres herausragendes Beispiel die große Deutschland-Ausstellung zu nennen, die im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 im Berliner Funkturm stattfand. Bayer gestaltete einen Werbeprospekt, der ästhetisch völlig im Gegensatz zur NS-affinen Ausstattung des offiziellen Ausstellungskatalogs und des Umschlags von Kurt Schmid-Ehmen (Reichsadler) stand, zugleich lieferte er aber ein treffendes Beispiel dafür, wie sich mindestens ein Teil der vormalig internationalistisch orientierten Avantgarde selbst »nationalisierte«, dies im Kontext des Fortlebens der Bauhaus-Moderne: Auf der Vorderseite des Umschlags in den dominanten Farben grün und rot rückt Bayer einen Globus ins Blickzentrum, dessen Längengrade nicht am Nordpol, sondern in dem an die Stelle des Nordpols gerückten Berlin, der Reichshauptstadt, zusammenlaufen. Hier wird der Nationalsozialismus (noch) nicht als expansive Großmacht inszeniert (mit Blickrichtung von Deutschland aus in die ganze Welt). Vielmehr signalisiert die Bildlogik, dass die ganze Welt nach Deutschland und Berlin schaut im Jahr der Olympischen Spiele, die in der Propaganda des NS-Regimes ja als Friedensspiele beworben wurden. Die Innenseiten der Broschüre kombinieren fotobildlich sowohl die agrarisch reaktionäre und kulturell traditionsreiche Seite Deutschlands als auch die rationalistische, industrieorientierte Modernität des Nationalsozialismus in einem Ausstattungsstil, der jeweils die gesamten Seiten umfasst. Es werden – fast collagenartig – verschiedene Bilder zusammenmontiert und die Bildlegenden marginalisiert, indem sie auf ein miniaturisiertes Buchformat verkleinert werden; wie ein aufgeklapptes Buch sind sie den großen Fotomontagen gleichsam aufgeklebt. Als verblüffend modern (sowohl äußerlich mit teils avantgardistischen Umschlägen als auch in der Innenausstattung) erscheint die Gestaltung der Zeitschrift die neue linie (1929 – 1943) betrachten, für die Herbert Bayer nach 1933 einige plakathafte, ästhetisch heterogene Umschläge entwarf.30 29 30

Vgl. dazu Michalske: Die Gutenberg-Reichsausstellung 1940. Vgl. dazu Rössler: die neue linie 1929 – 1943.

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Vergleichbar moderne und neusachliche Züge weisen Bayers Buchumschläge zu Peter Flemings Brasilianisches Abenteuer (1935) und zu Heinrich Hausers Reportage Süd-Ost-Europa ist erwacht. Im Auto durch acht Balkanländer (1938) auf, beide im Rowohlt Verlag erschienen. Die Umschläge kombinieren Fotografie und Montage auf eindringliche, fast provozierende Weise mit einer spezifischen farblichen Fokussierung: bei Fleming gelb und grün, die Nationalfarben Brasiliens einbeziehend, bei Hauser ein aus den zentralen Farbwerten grau, hellgrau und weiß hervorstechendes Violett.31

Felder der Buchgestaltung: Einband- und Umschlaggestaltung, Buchdesign Neben Bayer sind weitere progressiv eingestellte Buchgestalter und Designer zu nennen, die wenigstens eine Zeitlang über die »NS-Machtergreifung« hinaus aktiv blieben, vor allem Georg Salter, der allerdings nur bis 1934 in Deutschland wirkte und hier u. a. für S. Fischer tätig war. Noch 1940/41 wurden vom S. Fischer Verlag Nachauflagen – etwa Bernhard Kellermanns Der Tunnel – mit Umschlägen von Salter ausgeliefert, meist noch unter Nennung von dessen Name in den Impressen! Erwähnung verdient auch Werner Graeff, der 1936 ins Exil nach Spanien ging, ein wichtiger Buchgestalter am Ende der Weimarer Republik. Er zeichnete z. B. für die Herausgabe eines modern-sachlichen Fotobandes von Walter Peterhans verantwortlich: Der Drucker. Handsatz, Maschinensatz, Reproduktionsverfahren, erschienen in der Reihe »Menschen an der Arbeit« des Sanssouci Verlags (1935). Der Grafiker und Industriedesigner Jupp Ernst polemisierte in einer Schrift von 1937 aus einer werkbündischen Orientierung heraus gegen den »Kitsch«, in welchem er eine Tendenz der Zeit erkannte; er selbst entwarf sachlich modern gestaltete Werbeschriften und Kataloge, z. B. für die »Deutschen Werkstätten« in Hellerau.32 Schließlich sei noch Ferdinand Barlog erwähnt: eigenwillig der rosafarbene, den handbeschriebenen Umschlag eines Stenogrammheftes imitierende Einband zu Mascha Kalékos Das lyrische Stenogrammheft (1933, 2. Auflage 1935, 3. Auflage 1936). Der Ausstattungsstil einiger »bürgerlicher«, in Distanz zum Nationalsozialismus stehender Verlage wie Rowohlt und S. Fischer lässt sich jener »Modernen Klassik« zuordnen, die auf ästhetisch-gestalterische Weise Abstand zum lauten nationalsozialistischen Propagandastil und ästhetischen Monumentalismus halten wollte: Paradigmatisch sind dafür die Einbandgestaltungen und Buchumschläge von Emil Rudolf Weiss33, etwa zu Büchern von Ilse Molzahn (Nymphen und Hirten tanzen nicht mehr, Rowohlt 1938 [Abb. 7]), Herman Melville (Billy Budd, Goverts o. J.), Oskar Loerke (Der Wald der Welt, S. Fischer 1936 – den »ersten Gedichtkreis« hat Loerke seinem Freund Weiss gewidmet) oder Hans Fallada (Wolf unter Wölfen, Rowohlt 1937: Rote Schrift des Haupttitels auf dem Umschlag mit Wolfskopf, der auf dem Einband wiederholt wird). Insgesamt konservativer angelegt, häufig unter Benutzung historisierender Elemente (Antikenschalen etc.) sind Entwürfe von F. H. Ehmcke, Alfred Finsterer (v. a. für Reclam), Gerhard Gossmann, Erika Hansen (für die Deutsche Verlagsanstalt), Karl Stratil (mit zahllosen Einbandentwürfen und Holzschnittillustrationen für konservative und völkische Verlage) oder Johannes Boehland, während Hans Meid (v. a. für 31 32 33

Buch und Umschlag beschreibt Rainer Stamm in: Halten, Aussteigen, Fotografieren, S. 360. Vgl. Ernst: Kampf dem Kitsch! Vgl. zu dem Künstler auch Breuer: Jupp Ernst 1905 – 1987. Vgl. zu E. R. Weiss Stark: Emil Rudolf Weiß 1875 – 1942; Cinamon: E. R. Weiss.

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S. Fischer und Schünemann) vornehmlich illustrative Umschläge lieferte und Bücher illustrierte. Bertelsmanns »Hausgraphiker« Siegfried Kortemeier bewegte sich zwischen idyllisierenden und völkisch semantisierten Umschlag- und Einbandgestaltungen; er entwarf auch den erst später hinzugekommenen Schutzumschlag für die Reihe Das kleine Buch. Karl Mühlmeister modernisierte, ebenfalls für Bertelsmann, die Umschläge der in Millionen Exemplaren verbreiteten Heftreihe Spannende Geschichten mit expressiven Gestaltungsmitteln: mit eindringlichen Farben und Kernmotiven des Kriegserlebens.34 Der Illustrator Rudolf Schlichter wiederum entwickelte, nach seinem expressivrealistischen Individual-Stil der 1920er Jah- Abb. 7: Ilse Molzahn: Nymphen und re (herausragend der Umschlag zu Krieg Hirten tanzen nicht mehr. Roman. Berlin: und Krieger, hrsg. von Ernst Jünger, Jun- Rowohlt 1938. 1. – 3. Tausend. ker und Dünnhaupt 1930) in Schritten eine Umschlag von E. R. Weiss (im Buch nicht immer stärker harmlos-idyllisierende ge- genannt). stalterische Ausdrucksform – in Einbänden Anfang der 1940er Jahre für den Händle Verlag in Mühlacker (z. B. Peter Scher, Am Alltag vorbei). Eine Zwischenstation markiert der noch sachlich gezeichnete Umschlag zu dem Filmroman von Peter Hagen (d. i. Willi Krause) Aufblenden (Rowohlt 1936). Einen Sonderfall stellen auch Holzschnittbücher von Hans Alexander Müller (z. B. Das Segler ABC, Staackmann 1934), der 1938 ins Exil ging, sowie die Einbände und Umschläge von Heinz Kiwitz für den Rowohlt Verlag dar. Kiwitz, ein Schüler von Karl Rössing, pflegte den im Nationalsozialismus seltener werdenden expressiven, gelegentlich auch satirisch karikierenden Holzschnitt und gestaltete Einbände und Umschläge zu mehreren im Rowohlt Verlag erschienenen Werken von Hans Fallada (Märchen vom Stadtschreiber, der aufs Land zog, 1935; Enaks Geschichten – eine Erzählung durchgängig in Holzschnitten) sowie zu William Faulkners Wendemarke (1936). 1937 flüchtete Kiwitz zunächst nach Paris, von dort 1938 nach Spanien, wo er auf Seiten der Internationalen Brigaden kämpfte, bis sich seine Spuren verloren. Als eine Art faschistischer Avantgarde (die Technik der Fotomontage wird allerdings sukzessive zurückgedrängt) werden verschiedentlich die Fotobücher von Heinrich Hoffmann – in Verbindung mit dem enormen Einfluss seiner politisch- propagandistischen Fotografie – bewertet; im Sinne Walter Benjamins repräsentieren sie die »Ästhetisierung des Politischen«35 par excellence – allerdings auch ihre alltagstaugliche Bana-

34 35

Vgl. Bertelsmann im Dritten Reich, S. 144 und 253. Nach Walter Benjamins berühmtem Aufsatz »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit«, dessen erste Fassung 1936 in Paris erschienen war.

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lisierung, wenn man an die Bildbände über das Privatleben des »Führers« denkt.36 Aufschlussreiche ästhetische Inszenierungen von Moderne und Antimoderne im Zeichen des Nationalsozialismus bieten die Zeitschrift Berlin – Rom – Tokio (ein propagandistisches Blatt der »faschistischen« Mächte im Zweiten Weltkrieg), die Wochenzeitung Das Reich, die gediegenen Zeitungsjournalismus mit Fotografie und Kriegsberichterstattung verknüpfte und, im Tiefdruckverfahren hergestellt, bereits auf journalistische Nachkriegsprojekte vorausweist, sowie die Zeitschrift Signal, die bereits modernen Magazincharakter aufweist, mit einem Design, wie es sich dann in den 1950er Jahren durchsetzen sollte. Eine enorme Verbreitung fanden in der Zeit des Nationalsozialismus die Sammelbilder-Alben, für die es thematisch fast keine Beschränkung gab und die vielfach, gerade in den Jahren 1933 bis 1936, zu propagandistischen Zwecken produziert wurden. Ausstattungstechnisch bemühte man sich um ein ansprechendes Niveau und arbeitete daher gelegentlich mit renommierten Buchgestaltern zusammen: So entwarf Carl Ernst Poeschel das Album Adolf Hitler: Bilder aus dem Leben des Führers (Altona/Bahrenfeld: Cigaretten Bilderdienst 1936), der Entwurf für Einband und Titel stammte von O. H. W. Hadank, Heinrich Hoffmann war für die Bildauswahl zuständig. Eine bemerkenswerte Innovation der 1930er Jahre repräsentieren schließlich die Raumbild-Publikationen, die ganz wesentlich in den Kontext NS-propagandistischer Massenmedialisierung gehören.37 Zwischen 1935 und 1943 erschienen im Raumbild-Verlag Otto Schönstein (Dießen am Ammersee), flankiert von der Zeitschrift Das Raumbild, insgesamt 26 Raumbildbände, jeweils mit beiliegender stereoskopischer Brille, dem »Raumbildbetrachter«. Herausragend ist der von Heinrich Hoffmann mit 100 Raumbild-Aufnahmen, darunter 78 beiliegenden Stereofotografien versehene Band Tage der Deutschen Kunst, der anlässlich der im neu eröffneten Haus der Kunst in München gezeigten »Großen Deutschen Kunstausstellung 1937« herauskam.38

Zwischen Gebrauchsbuch und Repräsentationsstil Während ein großer Teil der bürgerlich-konservativen Verlage wie S. Fischer, Rowohlt oder DVA ihren eigenen Ausstattungsstil über 1933 hinaus fortzusetzen suchte und – wie bereits erwähnt – eine Art klassisch-modernen Antimonumentalismus pflegte, wird man bei vielen dezidiert nationalsozialistischen Verlagen ein eher geringes buchgestalterisches Anspruchsdenken wahrnehmen. Bezeichnend dafür ist auch, dass viele völkische und NSVerlage in ihren Veröffentlichungen die Einband- und Umschlaggestalter überhaupt nicht nennen. Tatsächlich scheint die NSDAP lange Zeit an Ausstattungsfragen vor allem des literarischen Gebrauchsbuchs nicht sonderlich interessiert gewesen zu sein; das lässt sich an einer Vielzahl von gestalterisch belanglosen Büchern und Broschüren des Zentralverlags der NSDAP, des Eher Verlags exemplarisch ablesen – konkret sichtbar an den schlichten grauen Umschlägen der Bände der schon vor 1933 erschienenen, von Gottfried 36 37 38

Zu Hoffmanns Wirken und Einfluss und zur Ästhetik seiner Bild- und Fotobände vgl. Herz: Hoffmann & Hitler. Vgl. ferner Friedrich: Chronist der Bewegung. Vgl. Fitzner: Das neue Deutschland plastisch monumental. Textgestaltung Albert Burckhard Müller, Vorwort: Adolf Ziegler, seit 1936 Präsident der Reichskammer der Bildenden Künste.

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Feder herausgegebenen Nationalsozialistischen Bibliothek. In diesem Zusammenhang ist allerdings eine Art Doppelstrategie zu registrieren: Während der literarischen Durchschnittspublikation in der Tat wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde, intensivierte man das Bemühen um – meist propagandistische – Bildbände und Dokumentationen. Beispiele liefern wieder die Hitler als Politiker, Feldherrn und Privatmenschen inszenierenden biographischen Bildbände Heinrich Hoffmanns oder die Bilddokumentationen zu den Reichsparteitagen in Nürnberg. Fast scheint es, dass man auf die Montage- und Bildumschlagskunst John Heartfields aus der Weimarer Zeit und dem Exil reagiert hat, indem ab Mitte der 1930er Jahre neben fotografischen vereinzelt auch fotomontierte Umschläge verwendet wurden. Die Ästhetik unterwirft sich dabei, nicht anders, als dies für den gesamten Bereich der Funktionalisierung von Fotografie im europäischen Faschismus gilt,39 den Prinzipien der Uniformierung der Massen, Abb. 8: Erwin Reitmann: Horst Wessel. der harmonistischen Konstruktion der Leben und Sterben. Berlin: TraditionsVolksgemeinschaft, der scheinhaften In- Verlag Kolk & Co. o. J. (ca. 1936). 87. – szenierung der Einheit von Führer und 106. Tausend, neue erweiterte Ausgabe. Volk und der Militarisierung des Sozialen. Schutzumschlag: R. H. Roederer. Ab Ende der 1930er Jahre wurde offenbar im Umfeld der NSDAP mehr Wert gelegt auf einen Repräsentationsstil, der die dominanten NS-Symbole immer häufiger und markanter herausstellte und ästhetisch ins Bild setzte. In diesem Kontext erhielten auch einige Buchbinderwerkstätten lukrative Aufträge, insbesondere für Jubiläums-, Ehren- und Urkundenmappen (u. a. zur Verleihung von Ritterkreuzen) und für Ehrengaben für die »Führergestalten« der NSDAP, die nun häufiger mit luxuriösen Leder- und Pergamenteinbänden oder -kassetten und mit den einschlägigen Deckelprägungen versehen wurden: Reichsadler mit Hakenkreuz und Schwert – gelegentlich auch Schwert und Buch. Vor allem die Werkstätten von Otto Dorfner in Weimar und Frieda Thiersch in München profitierten davon. Einfluss hatte dieser Repräsentationsstil aber auch auf das Gebrauchsbuch der nationalsozialistischen Verlage. So hat etwa Friedrich Kremer eine Vielzahl von formal und ästhetisch unterschiedlichen Einband- und Umschlaggestaltungen für den Zentralverlag der NSDAP, Franz Ehers Nf., entworfen: Zu Kriegsberichten (Triumph der Kriegskunst, hrsg. von Wilhelm Weiss), zu Kriegs- und »Kampfromanen«, zu Mütterromanen (z. B. Rudolf Haas: Mutter 39

Vgl. Sachsse: Die Erziehung zum Wegsehen.

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Berta. Ein deutsches Frauenleben; der Umschlag zeigt das nationalsozialistische Ehrenkreuz für Mütter mit den blauen Bändern und dem Hoheitszeichen auf das Kreuz gesetzt mit dem Zusatz in Kreisform »Der deutschen Mutter«, mit rotbrauner Farbe expressiv unterlegt); schließlich auch zu radikal antisemitischen Büchern wie Das jüdische Gaunertum von Herwig Hartner-Hnizdo (mit dem fotografischen, fast kahl geschorenen Kopf eines »jüdischen Verbrechers« im Profil auf dem Umschlag).40 In diesem Zusammenhang sind die Gestaltungen der »Graphischen Arbeitsgemeinschaft Jupp Daehler« zu nennen – sie entwarf zum Beispiel Künstlermappen mit Reproduktionen von Kriegsdarstellungen von Soldaten, ferner Bildbände zu einzelnen Feldzügen, auch den typographisch anspruchsvollen »Sonderdruck« einer der auflagenstärksten propagandistischen Lyrik-Anthologien des Nationalsozialismus, Vom wehrhaften Geiste, den das »Kulturamt der Reichsjugendführung« zusammengestellt hatte. Maßgeblich beteiligt war sie auch an der den eliminatorischen Antisemitismus des Stürmer gleichsam broschürenhaft populär ins Bild setzenden Veröffentlichung des SS-Hauptamtes des Reichsführers SS (Schulungsamt) Der Untermensch (Berlin: Nordland-Verlag 1942). Insgesamt lässt sich kein einheitlicher Stil nationalsozialistischer Buchgestaltung erkennen. Der Versuch, eine dominante bildkünstlerische Symbolik mit der Engführung auf Reichsadler, Hakenkreuz und Schwert plus »Führer« zu etablieren, konnte nicht prinzipiell durchgesetzt werden; allerdings erfolgte dies sukzessive für sehr viele Publikationen, an denen die NSDAP federführend beteiligt war oder mit denen sie ein spezifisches symbolpolitisches Interesse artikulieren wollte. Das Bild der Buch- und Mediengestaltung im Nationalsozialismus ist also durchaus uneinheitlich. Es rücken aber im Laufe der Zeit ideologisch aufgeladene, abstrakte Zeichenmuster und -inszenierungen in den Vordergrund, vielfach mit Sakralisierungstendenz, beobachtbar etwa im Zusammenhang mit den konstruierten »Märtyrern« des Nationalsozialismus Albert Leo Schlageter und Horst Wessel. Signifikant ist hier der Umschlag von R. H. Roederer zu Erwin Reitmanns Horst Wessel. Leben und Sterben (neue, erweiterte Ausgabe, Berlin 1937, Kolk-Verlag [Abb. 8]); er zeigt eine graufarbige Kult- und Opferschale, aus der rote Flammen hochlodern bis an den oberen Rand des Umschlags; die Schrift des Haupttitels, eine fette Gotisch, ist weiß. Daneben gibt es den äußerst plakatförmigen NS-Dekorationsstil, z. B. von Herbert Agricola. Etwas einheitlicher sah das Ausstattungsbild der Kinder- und Jugendbücher der Jahre von 1933 bis etwa 1936 aus. Vor allem die Verlage Franz Schneider, Loewe und Union deutsche Verlagsanstalt brachten zahlreiche Titel mit Illustrationen u. a. von Werner Chomton und Willy Planck heraus, auf denen das farbige Deckelbild (im Innenteil finden sich dann meist nur Schwarz-Weiß-Illustrationen) typische Bildelemente der NS-Propaganda inszeniert: Marschierende Hitler-Jungen, lachende BDM-Mädel, jeweils mit den entsprechenden Insignien, insbesondere Hakenkreuzen (bzw. Hakenkreuzfahnen). So etwa zeigt der Einband zu Ein Mädel kämpft fürs neue Reich von Minnie Grosch (1934), gestaltet von Kurt Lange (Abb. 9), ein solches Hitlermädel auf einem erhöhten Standpunkt mit schwarzer Krawatte und schwarzem Rock, freudig erregt mit geröteten Wangen nach unten schauend, den Hitlergruß zelebrierend mit einem Schäfer40

Vgl. dazu den wohl ersten zeitgenössischen, aus NS-Perspektive verfassten Überblick von Scheewe: Das künstlerische Gesicht des politischen Buches (mit zahlreichen Abbildungsbeispielen).

6 Bu chherste llung und Buchg e staltung hund zu ihrer Linken, im Hintergrund romantisch kulissenhafte Versatzstücke von Kirche und Burgruine. Der einflussreichste propagandistische Gestalter des Nationalsozialismus war Hans Herbert Schweitzer, der seit 1935 als »Reichsbeauftragter für künstlerische Formgebung«, seit 1936 als Mitglied des Präsidialrats der Reichskammer der Bildende Künste fungierte und in dieser Eigenschaft auch mitverantwortlich war für die Ausstellung »Entartete Kunst« von 1937. Unter dem Pseudonym »Mjölnir« gestaltete er schon vor 1933 und dann auch nach der »Machtergreifung« Bucheinbände und Umschläge vorzugsweise für NSDAP-Medien. Er arbeitete auch als Illustrator und Titelgestalter für Zeitschriften wie Die Brennessel, den Völkischen Beobachter und Der Angriff und entwarf auch die Einbände der bei Eher erschienenen Bücher von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, ebenso einige der Kataloge und Führer zu antisemitischen Ausstellungen.

Bibliophilie im Dritten Reich

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Abb. 9: Minni Grosch: Ein Mädel kämpft fürs neue Reich. Erzählung aus deutscher Sturmzeit. Stuttgart, Berlin, Leipzig: Union Deutsche Verlagsgesellschaft o. J. [1934] 2. Aufl. Farbiger Deckenüberzug von Kurt Lange.

Durch die Verfolgung und Vertreibung der Büchersammler jüdischer Herkunft erlitt die Bibliophilen-Bewegung schon 1933 einen schweren Einbruch. Die Mitgliederzahlen der bibliophilen Gesellschaften nahmen sofort stark ab, einige dieser Zusammenschlüsse stellten ihre Arbeit ein.41 Bedeutungsverlust und Marginalisierung dieser Freiräume bürgerlicher Kultur waren wohl auch politisch gewollt; die Bibliophilenbewegung führte im Dritten Reich insgesamt zwar kein Schattendasein, geriet aber wie alle kulturellen Einrichtungen unter Anpassungsdruck. So konnte sich z. B. auch die »Gesellschaft der Bibliophilen« (GdB) der direkten Einflussnahme der Nationalsozialisten nicht entziehen:42 Eine neue, nach den Vorstellungen der Reichsschriftumskammer (RSK) erstellte Satzung legte fest, dass die GdB als Dachverband aller lokalen bibliophilen Vereinigungen fungieren sollte; diese erwarben damit automatisch die unmittelbare Mitgliedschaft 41

42

Vgl. hierzu Neumann: Organisatorische Gleichschaltung bibliophiler Vereine im Dritten Reich, S. 64 – 70; Sommer: Berliner bibliophile Vereine in der Zeit von der Jahrhundertwende bis 1945, S. 1 – 53; Krause: Der Berliner Bibliophilen Abend, S. 60 – 71; Dies.: Jüdische Bibliophilen in ihrer Verbindung mit der Staatsbibliothek Berlin 1905 bis 1933, S. 28 – 48; Freude an Büchern; Fischer: Zerstörung einer Buchkultur, S. 176 – 195. Zur Gesellschaft der Bibliophilen im Nationalsozialismus vgl. Neumann: Hundert Jahre Gesellschaft der Bibliophilen 1899 bis 1999, S. 73 – 99, bes. S. 91 ff.

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zur RSK bzw. Reichskulturkammer. Dies blieb allerdings ein Intermezzo; 1939 verlor die GdB ihre Funktion als Dachverband wieder, 1940 wurde in der RSK eine eigene Fachschaft »Bibliophile Vereine« eingerichtet. Als Nachfolger von Börries von Münchhausen wurde 1941 der frühere Reichsjugendführer der NSDAP Baldur von Schirach zum Präsidenten der GdB gewählt. Im Ganzen hatten die bibliophilen Gesellschaften aber eine bemerkenswerte Beharrungskraft – wenn auch die Zahl der Publikationen, Mitgliedergaben und kleinen Drucke zwangsläufig abnahm. Einige zentrale, für das Selbstverständnis der Bibliophilen wichtige Publikationen, insbesondere Periodika, erschienen aber weiterhin: so die Zeitschrift für Bücherfreunde. Organ der Gesellschaft der Bibliophilen (herausgegeben von v. K. F. Bauer und Albert Soergel) sowie das Jahrbuch Imprimatur. Abb. 10: Das ABC der Woensampresse Auch die Maximilian-Gesellschaft konnzu Köln. Köln (Privatdruck, ohne Impres- te sich dem Druck des Regimes nicht entsum) ohne Jahr (ca. 1937). Gestalter ziehen. Bereits 1940 erschien eine bibliophile bzw. Illustrator des Umschlags nicht Ausgabe von Hanns Johsts »Schlageter«genannt (am Heft haben sechs IllustratoDrama, welche die Gesellschaft dem Autor, ren mitgearbeitet, u. a. Wilhelm Geißler). »Staatsrat« und Präsident der Reichsschrifttumskammer zu dessen 50. Geburtstag widmete. Sie enthält auch die gedruckte Widmung Johsts der Erstausgabe von 1933: »Für Adolf Hitler In liebender Verehrung und unwandelbarer Treue«, geschnitten und gegossen in der Wallau-Schrift von Rudolf Koch bei Gebr. Klingspor in Offenbach. Dass es im Laufe der Zeit verstärkt Versuche gab, die Luxusbibliophilie für die Sache des Nationalsozialismus zu vereinnahmen, belegt u. a. eine 1938 veranstaltete bibliophile Edition von Goethes Faust, die zu Ehren von Joseph Goebbels neu gedruckt und mit einem entsprechenden Widmungsblatt versehen wurde.43 Auf dem Gebiet der Pressen- und Luxusdrucke bedeutete das Jahr 1933 eine scharfe Zäsur, auch wenn einige wenige Pressen ihre Arbeit weiterführen konnten. Denn während etwa die von F. H. Ehmcke gegründet Rupprecht-Presse 1934 ihren letzten Druck herausbrachte (Graf Helmuth von Moltkes Geschichte des Deutsch-Französischen Krieges von 1870 – 71), zeigte sich die Ernst Engel Presse weiterhin sehr produktiv; Engel druckte 43

Goethe: Faust. Mit einer Einleitung »Faust und die Kunst« von Max von Boehn. Berlin: Askanischer Verlag, Carl Albert Kindle 1938. Im Impressum ist vermerkt: »Dieser Druck der Hundertjahrs-Ausgabe von Goethe’s Faust wurde veranstaltet zu Ehren des Schirmherren des Deutschen Schrifttums Dr. Joseph Goebbels Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda.« Neben der Normalausgabe erschien eine ›Prachtausgabe‹: GanzpergamentEinband, zweifarbiger Druck auf Bütten.

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Abb. 11: Hermann Burte: Deutsche Sendung des Wortes und der Letter. Mainz: Druck der Mainzer Presse, Presse des Gutenberg Museums durch C. H. Kleukens. 200 Expl. Juli 1942. noch 1942/43 von Clausewitz Das Wesen des Krieges. In Betrieb blieben ferner die Kleukens Presse, die Officina Serpentis und die Ernst Ludwig Presse: Sie alle brachten noch zahlreiche bibliophile Bücher und einige Luxusdrucke heraus, ebenso der Darmstädter Verlag mit der Presse von Joseph Würth, die Mainzer Albert Eggebrecht-Presse (mit einer Vielzahl von bibliophilen Kleindrucken sowie von Drucken für den Mainzer Verlag von Hanns Marxen). Genannt seien darüber hinaus einige weniger bekannte Pressen wie die Dudelsack-Presse und die Kölner Woensam-Presse, die viele Holzschnittkünstler um sich scharte, u. a. Wilhelm Geißler, der auch in dem eindrucksvollen Band Das ABC der Woensam Presse in Holzschnitten (ohne Jahr [Abb. 10]) vertreten ist. Jenseits der politischen Positionierung der einzelnen Pressendrucker sahen sich die Pressenbetriebe selbst zumindest gelegentlich zur Anpassung gezwungen, wenn sie sich ein gewisses Maß an Freiräumen bewahren wollten. Die 1927 gegründete »Mainzer Presse« des Gutenberg-Museums nahm unter der Leitung von Christian Heinrich Kleukens (der, seit 1929 Professor an der Mainzer Staatsschule für Kunst und Handwerk, daneben auch noch die Ernst Ludwig Presse betreute) in der NS-Zeit unter allen Pressen eine führende Stellung ein. Sie brachte eine Reihe von nationalsozialistisch geprägten Veröffentlichungen heraus: 1935 erschien ein Band mit »Balladen« der Ehefrau des Journalisten Adolf Dresler, Reichshauptsamtleiters in der Pressestelle der Reichsleitung der NSDAP, Ziska Luise Dresler-Schember (1939 erschien die öffentliche Ausgabe bei

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Hugendubel, 1936 die Rede des Führers und Reichskanzlers Adolf Hitler vor dem Deutschen Reichstag am 7. März 1936). 1942 wurde von C. H. Kleukens ebenfalls auf der Presse des Gutenberg-Museums Hermann Burtes Deutsche Sendung des Wortes und der Letter gedruckt (in der Burte-Fraktur! [Abb. 11]), ein Loblied auf die »deutsche« Letternkunst. Darin heißt es, zeittypisch martialisch: »Durch den Sieg des Schwertes nach außen wird uns eine Blüte des Geistes nach innen werden wie noch nie.«44 Noch 1944 erschien ein Text von Walter Gross, dem rassenpolitischen Leiter der NSDAP: Seine Rede »Um die Kunst der Deutschen«, die er bei der Eröffnung der GutenbergFestwoche Mainz am 25. Juni 1944 gehalten hatte, war »nach dem Stenogramm« gesetzt und gedruckt worden; gebunden und ausgeliefert wurde der in Rohbogen fertig vorliegende Band allerdings nicht mehr.

Kontinuitäten nach 1945 Wer die historischen Entwicklungslinien weiterzieht, wird schnell erkennen: erneut hat es eine »Stunde Null« hier nicht gegeben. Über die Zäsur des Jahres 1945 hinaus bestimmten Druckereien, Schriftgießereien, Buchgestalter, Typographen und Werbegraphiker, die schon in der Zeit des Nationalsozialismus aktiv waren, das Bild der Nachkriegszeit. Die institutionellen und personellen Kontinuitäten sind freilich erst noch systematisch zu untersuchen: über die Fach- und Meisterschulen und die dort vermittelten Inhalte, die unterrichtenden Lehrer, die Buch- und Umschlaggestalter und Werbegraphiker, die Ästhetik der Zeitschriften und Wochenzeitungen der 1950er Jahre, die Gestaltung des Gebrauchsbuchs zunächst in den »Zonen«, später dann in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland. Unter den Buchgestaltern jedenfalls gibt es eine auffallende Kontinuität; diese dokumentiert sich zum einen in den Mitglieder- und Ausstellungsverzeichnissen des »Bundes deutscher Gebrauchsgraphiker«, zum anderen in der Buchproduktion der wichtigsten Publikumsverlage der 1950er und 1960er Jahre. Nicht also die institutionellen, sondern die personellen und ästhetischen Kontinuitäten sind frappierend: Sie reichen von Paul Renner, Walter Tiemann, Karl Hermann Klingspor, F. H. Ehmcke, F. H. Schneidler, Johannes Boehland, Herbert Post, Georg Trump, Hermann Zapf, Josef Käufer, Emil Preetorius, Gottlieb Ruth, Alfred Finsterer, Siegfried Kortemeier, A. Paul Weber, Karl Stratil, Karl Staudinger, Hans Hermann Hagedorn und Horst Erich Wolter bis zu Werner Rebhuhn (der das Gesicht der Rowohlt-Bücher nach dem Krieg prägte) und Martin Kausche (ein Schüler Schneidlers), von den Buchbindern Otto Dorfner und Johannes Gerbers bis zu Wilhelm Nauhaus, um nur einige zu nennen. Unabhängig davon, dass einige von ihnen vom spezifischen »Gratifikationssystem« der Nationalsozialisten profitiert und Beiträge zur monumentalistischen Selbstinszenierung des NS-Regimes und der NSDAP geliefert hatten: In dieser Dichte waren die Kontinuitätslinien wohl auch deshalb möglich, weil Buchherstellung und Buchgestaltung im Dritten Reich von den meisten auf eine sachbezogene, überwiegend ideologieferne, subjektiv Ästhetik und Politik trennende und deshalb nicht oder kaum kompromittierende Weise betrieben worden ist. 44

Burte: Deutsche Sendung des Wortes und der Letter, S. 39. Es handelt sich um den Druck eines Vortrags, den Burte bei der Eröffnung der Gutenberg-Festwoche im kurfürstlichen Schloss in Mainz am 24. Juni 1942 gehalten hatte.

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6 Bu chherste llung und Buchg e staltung

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2

1 Einleitung

Thomas Keiderling

7

Der Zwischenbuchhandel

7.1

Der Kommissionsbuchhandel

Grundlegende Entwicklungen Nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten war es nur eine Frage der Zeit, bis es zu Eingriffen in den Zwischenbuchhandel und somit in die buchhändlerische Logistik kommen würde. Einen neuralgischen Punkt stellte der Kommissionsplatz Leipzig dar, der nicht nur Drehscheibe des nationalen, sondern auch des internationalen Buchhandels war. Zahlreiche ausländische Buchfirmen gaben infolge der »Gleichschaltungs«- und Zensurmaßnahmen ihre Kommissionsverbindung nach Leipzig auf und zogen sich vom deutschen Buchmarkt zurück. Das Adressbuch des Deutschen Buchhandels dokumentiert diese Entwicklung wie folgt: Ließen sich 1933 noch insgesamt 2.737 ausländische Kommittenten über Leipzig vertreten, waren es 1940 mit 1.073 nur noch 39 Prozent.1 Zugleich reduzierten sich die vermittelten Warensendungen der weiterhin mit Leipzig verbundenen ausländischen Handelshäuser.2 Neben der Zensur sorgten aber auch die zunehmend verschärften und immer wieder neu geregelten devisenrechtlichen und sonstigen Formalitäten für starke Belastungen der Bücherein- und -ausfuhr. Um einen Ausgleich für die Mehrarbeiten zu erhalten, beschlossen die Leipziger Kommissionäre ab dem 1. Januar 1934 besondere Auslandsinkassogebühren von einem Prozent für das Einlösen von Barpaketen und Barfakturen sowie bei Zahlungen ausländischer Kommittenten, die der Verleger zu entrichten hatte.3 Seit 1938 war es nur noch bestimmten Firmen des Leipziger Zwischenbuchhandels erlaubt, Sendungen in das Ausland umsatzsteuerfrei vorzunehmen.4 Der zunehmenden internationalen Isolierung des deutschen Buchhandels und dem Rückgang von Import und Export stand eine konjunkturelle Aufschwungphase des Inlandes gegenüber. Anhaltspunkte bieten mehrere Statistiken. So stiegen die Umsätze der 1922 gegründeten Buchhändler-Abrechnungsgenossenschaft (BAG) – sie zog für den Verlag die Forderungen an das Sortiment zu festgelegten Terminen ein – im Zeitraum von 1934 bis 1939 um ca. 20 Prozent.5 Der Bar-Umsatz der Berliner Bestellanstalt (zugleich Paketaustauschstelle) erhöhte sich von 1933 bis 1939 um 35 Prozent und die Paketauslieferung zwischen 1933 und 1940 um mehr als das Doppelte.6 Schließlich verdoppelten sich auch die Umsätze des genossenschaftlichen Kommissionshauses deutscher Buch- und Zeitschriftenhändler in Leipzig im letztgenannten Zeitraum. Emil Niewöhner, der Direktor des Kommissionshauses, schätzte die Lage des Buchhandels wie folgt ein: 1 2 3 4 5 6

Zahlen nach den Adressbüchern des Deutschen Buchhandels 1933 und 1940, jeweils in »Statistische Übersicht«. – Bei dieser Statistik ist zu beachten, dass durch Gebietsangliederungen an das Deutsche Reich Verzerrungen entstehen. Vgl. SStAL, Börsenverein I, 819, Bl. 31. Vgl. Börsenblatt 101 (1934) 90, S. 347. Vgl. Börsenblatt 106 (1939) 95, S. 330 f.; Börsenblatt 106 (1939) 100, S. 349. Vgl. Niewöhner: Kommissionsbuchhändlerische Arbeit, S. 26. Vgl. nachfolgende Tabelle im Abschnitt »Entwicklungen an einzelnen Standorten, c) Berlin«.

260

7 D er Zw is ch enbuchh and e l Von dem konjunkturellen Höhepunkt des Jahres 1929 steigt das Buch jäh ab und erreicht im Jahre 1933 seinen Tiefstand. Von diesem Zeitpunkte an steigt der Absatz stetig und geht erstmalig im Jahre 1939 über die Zahlen des Jahres 1929 hinaus. Bei der Zeitschrift findet erst zwei Jahre später als beim Buch die Abschwächung der Absatzkurve statt. Sie bewegt sich zunächst horizontal, sinkt dann ein wenig ab, um im Jahre 1933 ein erneutes Ansteigetempo zu nehmen, das sie mit jedem Jahre weiter über die bisherige Höchstziffer von 1931 hinausträgt.7

Im Zeitraum von 1933 bis 1936 formierten sich die NS-Verwaltungs- und Überwachungsorgane für den Buchhandel, sowohl auf staatlicher wie auf Parteiebene. Zwei wesentliche Änderungen betrafen den Zwischenbuchhandel. Zunächst wurde am 19. Oktober 1934 der zuvor gleichgeschaltete Börsenverein wieder aus der Reichsschrifttumskammer ausgegliedert. An seine Stelle trat der neu gegründete Bund Reichsdeutscher Buchhändler e. V., der jedoch am 1. Oktober 1936 aufgelöst und in die Gruppe Buchhandel der RSK umgewandelt wurde. Direkt zuständig für die Fragen des Zwischenbuchhandels war ab 1934 die Fachschaft Zwischenbuchhandel, die neben weiteren fünf Fachschaften für Verlag, Handel, Leihbücherei, Buchvertreter und Angestellte innerhalb der RSK eingerichtet wurde. 1939 wurde schließlich der Zwischenbuchhandel in die Fachschaft Handel als »Fachgruppe« eingeordnet. Aufgabe der Fachschaft Zwischenbuchhandel war es, organisatorische Fragen zu klären und die relevanten Firmen politisch-ideologisch anzuleiten. Innerhalb dieser gab es zwei Lager: Einerseits eine Firmengruppe des traditionellen Zwischenbuchhandels, bestehend aus Kommissionsgeschäften, Barsortimenten und Grossogeschäften, die hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft dominierend waren. Andererseits hatte sich eine jüngere Firmengruppe des Grossobuchhandels und Großantiquariats etabliert, die vor allem aus dem Verband der Großbuchhändler8 Deutschlands hervorgegangen war. Letztere stand unter dem Konkurrenzdruck zahlreicher Seiteneinsteiger, sogenannter Auchbuchhändler; sie wurde in ihrer Arbeit vom alteingesessenen Zwischenbuchhandel kritisch beobachtet und wiederholt in der Fachöffentlichkeit angegriffen.9 Am 10. Januar 1938 erließ die Reichsschrifttumskammer eine Gründungssperre für Buchgroßhandlungen und Kommissionsbuchhandlungen,10 die der »Überbesetzung« des Branchenzweiges entgegenarbeiten sollte und bis zum Ende des NS-Regimes in Kraft bleiben sollte. Danach durften weder neue Unternehmen errichtet werden noch bestehende Buchbetriebe eine zwischenbuchhändlerische Tätigkeit aufnehmen. Der Präsident der RSK behielt sich vor, Ausnahmen von diesen Bestimmungen zuzulassen. Die Gründungssperre sorgte realiter für eine allmähliche Verringerung der in diesem Branchenzweig tätigen Firmen.

7 8 9 10

Niewöhner: Kommissionsbuchhändlerische Arbeit, S. 28 f. Bei der älteren Bezeichnung »Großbuchhändler«, die in Vereins- und Firmenbezeichnungen übernommen wurde, handelt es sich um »Grossobuchhändler« im heutigen Sprachgebrauch. Vgl. mehrere Aufrufe und Erklärungen im Börsenblatt und in der Zeitschrift Der Großbuchhandel, u. a. Börsenblatt 102 (1935) 122, S. 427. Vgl. Börsenblatt 105 (1938) 18, S. 65.

7.1 Der Kommissionsbu chhand el

261

Entwicklungen an einzelnen Standorten Im Vergleich zu den vorherigen Jahrzehnten änderten sich Funktion und Rangordnung einzelner Kommissionsplätze im Dritten Reich nicht. Leipzig blieb nach wie vor das unangefochtene Zentrum, weit abgeschlagen folgten Stuttgart und Berlin auf den Rängen zwei und drei. Insgesamt waren jedoch zahlenmäßige Verluste zu verzeichnen. Wie der folgenden Tabelle zu entnehmen ist, sank die Zahl der am deutschen Buchhandel partizipierenden Betriebe von 1933 bis 1940 um rund 11 Prozent, was sich in einem entsprechenden Kommittentenrückgang in Leipzig widerspiegelte. Überproportional dazu nahm die Zahl der über Stuttgart vertretenen Kommittentenfirmen um 27 Prozent ab. Der Berliner Kommissionsplatz erlebte – legt man allein die Summe der Kommissionsverbindungen zugrunde, die sich von 1933 bis 1938 um knapp 80 Prozent reduzierte, – einen noch deutlicheren Einbruch. Letztes konnte aber auch seine Ursache in der stärkeren Nutzung der 1937 modernisierten Berliner Bestellanstalt haben. Tab. 1: Kommittentenvertretungen über große Kommissionsplätze 1933 –1942 Jahr

Leipzig Stuttgart Berlin nur Direkt(Kommissionäre) (Kommissionäre) (Kommissionäre) verkehr Kommittenten Kommittenten Kommittenten (ohne Kommissionär)

1933 1934 1937 1938 1939 1940

(48) 8.305 (48) 8.046 (49) 7.252 (49) 7.984 (48) 7.302 (48) 7.347

(3) 721 713 516 424 591 527

(3) 101 93 33 21 30 60

k. A. k. A. 2.398 2.351 k. A. k. A.

Firmen des Deutschen Buchhandels insgesamt (davon im Ausland)* 11.417 (2.737) 11.043 (2.660) 10.765 (2.494) 10.335 (2.319) 10.223 (1.570) 10.143 (1.073)

Hinweis: In den Jahren 1935, 1936, 1941 und 1942 wurden keine Statistiken veröffentlicht. Das Adressbuch erschien in den Jahren 1943 –1945 nicht mehr. * Durch Gebietsangliederungen an das Deutsche Reich entstehen Verzerrungen.

Quellen: Adressbuch des Deutschen Buchhandels 1933 – 1942; zu den Kommissionäre für Stuttgart und Berlin 1933 vgl. Niewöhner: Konzentrationsprozeß, S. 30. a) Leipzig Seit Dezember 1934 beaufsichtigte die Buchhandels-Verkehr und -Verrechnung GmbH (zuvor Verein Leipziger Kommissionäre) die wichtigsten Platzregelungen. In diesem Jahr wurde eine Beschleunigung und Verbilligung der Leipziger Auslieferung über den sogenannten »Gelben Verkehr« erreicht. Neben den bereits existierenden Linien des SchienenDirektverkehrs zu größeren Buchhandelsorten wurden nun auch Aachen, Crimmitschau, Glauchau, Gleiwitz, Görlitz, Greiz, Hof, Kiel, Lübeck, Meerane, Rostock, Stettin und Würzburg mit Leipzig verbunden. Die Buchhandels-Verkehr und -Verrechnung GmbH erklärte, dass dies ohne Verzögerungen gegenüber dem Postpaket und Eilgut geschehe.11 11

Vgl. Börsenblatt 101 (1934) 90, S. 348.

262

7 D er Zw is ch enbuchh and e l

Im Jahre 1938 lieferten die Leipziger Kommissionäre Verlagswerke im Wert von etwa 38 Mio. RM aus. Hinzu kamen noch Beischlüsse im Wert von 2 Mio. RM. Dabei handelte es sich um weitergeleitete Sendungen auswärtiger Verleger, die nicht in Leipzig ausliefern ließen. Der Umsatz der Grossobuchhandlungen wurde zeitgleich auf 35 Mio. RM geschätzt, sodass insgesamt etwa für 75 Mio. RM Waren des Buchhandels in Leipzig umgeschlagen wurden.12 Für die bereits bestehenden Einrichtungen des Bestell- und Paketauslieferungsdienstes gab es keine gravierenden Veränderungen im Untersuchungszeitraum. Punktuell überlieferte Zahlen vermitteln Einblicke in das Bestellvolumen. So wurden 1940 über die Leipziger Zettelbestellanstalt täglich etwa 80.000 bis 100.000 Zettel bearbeitet.13 Zum Vergleich lässt sich eine Angabe von 1883 heranziehen. Schon damals war von etwa 83.000 täglich ein- und ausgehenden Zetteln die Rede. Die Zahlen sind deshalb so hoch, weil auch jedes Exemplar eines gedruckten Geschäftsrundschreibens mitgerechnet wurde, deren Auflage bis zu 1.000 Stück betragen konnte.14 Der empfohlene Verkehr über Leipzig garantierte, dass eine früh bis 8 Uhr beim Kommissionär eingehende Bestellung noch am selben Tag abgeschickt wurde. Die Ware musste freilich in Leipzig vorrätig sein. Die Leipziger Kommissionäre hatten darauf zu achten, die häufig nachgefragte Literatur in ausreichendem Maße am Lager zu halten.15 Zwischen 1933 und 1941 blieb die verlegerische Lagerhaltung am Leipziger Kommissionsplatz auf hohem Niveau bestehen. Das dokumentieren die alle zwei Jahre publizierten Broschüren Wer liefert in Leipzig aus?. Die Zusammenstellungen enthielten alle Nichtleipziger Firmen, die teilweise, vollständig oder nur in Leipzig ausliefern ließen. Auch Musik- und Zeitschriftenauslieferer wurden berücksichtigt, die zum Teil nicht im Buchhändleradressbuch gelistet wurden. Nach der Ausgabe von 1935 unterhielten insgesamt 2.693 Verlage Auslieferungslager bei insgesamt 57 Leipziger Kommissionären. Die erhöhte Zahl der Auslieferer im Vergleich zur Angabe des Adressbuches (48 Kommissionäre; siehe obenstehende Tabelle) lässt sich dadurch erklären, dass in der Liste auch Kleinst- und Gelegenheitskommissionäre sowie Traditionsfirmen aufgeführt wurden, die wie bei Koehler & Volckmar längst fusioniert waren (K. F. Koehler, Volckmar, Staackmann). Zu den führenden Kommissionären gehörten Koehler & Volckmar, C. Fr. Fleischer, H. G. Wallmann, Gustav Brauns, Hug & Co. und Fr. Hofmeister.16 Die folgende Tabelle weist hinsichtlich der Kommittentenlager die unterschiedlichen Angaben aus dem Adressbuch des Deutschen Buchhandels und der Broschüre Wer liefert in Leipzig aus? separat aus.

12 13 14 15 16

Vgl. SStAL, Börsenverein I, 819, Bl. 32. Vgl. Sickel: Umschlagplatz, S. 100. Vgl. Der buchhändlerische Verkehr 1901, S. 17. Vgl. auch Hohlfeld: Hundert Jahre, S. 44. Vgl. Adressbuch 1933, S. XXXIX. Vgl. Wer liefert in Leipzig aus? 1935.

7.1 Der Kommissionsbu chhand el

263

Tab. 2: Nichtleipziger Verlage mit einem Leipziger Lager Jahr Anzahl Leipziger Kommissionäre Anzahl der Kommittentenlager

1933 56

1935 57

1937 57

1939 54

1941 52

a) 2.179* b) 2.728

a) k. A. b) 2.693

a) 1.782 b) 2.304

a) 1.946 b) 2.437

a) k. A. b) 2.480

* Zuzüglich 707 in Leipzig ansässigen Firmen. Auch bei den Angaben a) von 1937 und 1939 ist zu vermuten, dass die Leipziger Kommittenten fehlen.

Quellen: a) Adressbuch des Deutschen Buchhandels. b) Wer liefert in Leipzig aus? b) Stuttgart Stuttgart gelang es, seinen Rang als zweiter Kommissionsplatz nach Leipzig zu behaupten. Im Kommissionsbuchhandel dominierte weiterhin der Sortimenterkommissionär. Der Verlegerkommissionär bildete die Ausnahme, etwa im Zeitschriftenhandel. 1936 gingen Bücherwagen in 16, 1941 sogar in 40 deutsche Städte.17 Die Kunden der Stuttgarter Zwischenbuchhändler wurden je nach Umsatz und Entfernung beliefert. Während die Bahn den Fernverkehr organisierte, wurden im lokalen und regionalen Bereich Pferdekutschen, Straßenbahnen und LKWs eingesetzt.18 Die Stuttgarter Barsortimente Koch, Neff & Oetinger (KNO) und Umbreit führten ständige Buchausstellungen in ihren Räumen im Eberhard-Bau und in der Calwer Straße durch. Hier konnten sich die regionalen Kunden des Sortimentsbuchhandels Anregungen für den Bücherbezug durch den Zwischenbuchhändler holen. Beide Barsortimenter bezogen beim selben Kommissionär in Leipzig, und zwar Koehler & Volckmar. Wochentäglich trafen große Bücherballen mit dem Bücherwagen der Deutschen Reichsbahn von dort ein. c) Berlin Der Wirtschaftsverband der Berliner Buchhändler (vormals: Korporation der Berliner Buchhändler) ging 1937 eine bedeutende Investition an. Das bisherige, zu klein gewordene Buchhändlerhaus zwischen Wilhelmstraße und Mauerstraße, in dem sich auch die Bestellanstalt befand, wurde aufgegeben. Der Verband erwarb ein neues Grundstück in der Winterfeldtstraße 36. Im Hof war nach Umbauten ausreichend Platz, um Pferdeställe und Autogaragen unterzubringen. Im Erdgeschoss befand sich die »Zettel-Expedition« der Bestellanstalt und in der ersten Etage der Versammlungssaal des Buchhändlervereins. Die neue Einrichtung nahm im November 1937 offiziell ihren Betrieb auf.19 17 18 19

Vgl. Tabelle der Stuttgarter Bücherwagen nach den Buchhandels-Adressbüchern. In: Bez: Zwischenbuchhandel, S. 96 f. Vgl. ebd., S. 95 f. Zur Beschreibung der Stuttgarter Geschäftsabläufe in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren, die auch voll gültig für den vorliegenden Untersuchungszeitraum sind, siehe Keiderling: Der Zwischenbuchhandel, S. 292 –294. Vgl. Börsenblatt 104 (1937) 269, S. 928.

264

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Abb. 1: Das neue Buchhändlerhaus in Berlin mit Bestellanstalt: Vorderansicht und Fuhrhof. In: Börsenblatt 104 (1937) 269, S. 928 Die Bar- und Gewichtsumfänge der »Bestellanstalt für den Berliner Buchhandel« vermitteln ein zuverlässiges Bild der lokalen wirtschaftlichen Lage (siehe nachfolgende Tabelle). 1934 lag die Mitgliederzahl der Bestellanstalt bei 379 Firmen. Sie nahm bis 1941 auf 586 zu.20 Das Inkasso für Barpakete steigerte sich zwischen 1933 und 1940 um das 2,4-Fache. Im Zeitraum von 1933 bis 1940 erhöhte sich zudem der Bargeldumsatz um das 1,4-Fache. Im jeweils letzten Berichtsjahr wurde das Maximum erreicht. Nach einer Mitteilung des Wirtschaftsverbandes der Berliner Buchhändler lagen die Umsätze der Barpaketkasse im Mai 1938 um 23 Prozent höher als im gleichen Monat des Vorjahres. Erstmalig wurde der Umsatz des gleichen Monats des Vorkriegsjahres 1914 um etwa 4 Prozent überschritten.21 Die Paketauslieferung (4. Spalte) konnte zwischen 1933 und 1940 mehr als verdoppelt werden. Das wirtschaftliche Verhältnis zwischen den Kommissionsplätzen Berlin und Leipzig ist den Spalten »Versendung nach Leipzig« und »Vom Leipziger Kommissionär trafen ein« (jeweils Angaben in kg) zu entnehmen. Seit Etablierung der Berliner Bestellanstalt für Zettel und Pakete im Jahre 1879 wurde ihre Aufgabe in erster Linie in der Unterstützung der Leipziger Bestell- und Auslieferungseinrichtungen gesehen. Über den Direktverkehr wurden die Berliner Paketsendungen nach Leipzig geschickt, um sie von dort aus an alle Bestimmungsorte weiterzuleiten. Auch im Untersuchungszeitraum wurde ein Großteil der Sendungen über Leipzig bezogen oder versandt. Ohne die Funktionen des zentralen Leipziger Platzes wäre die Berliner Bestellanstalt nicht so leistungsfähig gewesen. 20 21

Vgl. Börsenblatt 102 (1935) 78, S. 266; Börsenblatt 154 (1987) 73, S. 282. Vgl. Börsenblatt 105 (1938) 153, S. 544.

7.1 Der Kommissionsbu chhand el

265

Die letzte Spalte gibt Auskunft über den direkten Warenumschlag unter Umgehung von Leipzig. Es ist anzunehmen, dass vor allem Kommittentenfirmen im regionalen Umkreis direkt lieferten. Für die hohe Zahl von 1913 gibt es keine eindeutige Erklärung. Vielleicht belegt dies ein größeres regionales Einzugsgebiet des Berliner Kommissionsplatzes vor dem Ersten Weltkrieg. Die Werte schwankten danach um 20.000 kg. Der Höchstwert lag 1935 bei 22.000 kg. Im Vergleich zu den Sendungen vom Leipziger Kommissionär wurden nur 5 bis 7 Prozent direkt geliefert. Tab. 3: Der Verkehr über die Berliner Bestellanstalt 1933 –1940 (Vergleichszahl 1913) Jahr

1913 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940

Barpakete Barumsatz (Inkasso) in in RM RM 1.643.339 1.751.440 1.020.616 1.177.000 1.009.380 1.162.300 1.090.164 1.235.000 1.124.729 1.272.810 1.292.680 1.455.264 1.478.545 1.596.436 1.816.054 k. A. 2.500.234 k. A.

Paketaus- Versendung Vom Lpz. Im direkten Verlieferung nach Leipzig Kommissionär kehr* gingen von in kg in kg trafen ein (kg) auswärts ein (kg) 1.591.948 242.897 158.065 235.045 625.676 245.783 267.014 18.237 608.222 254.249 305.346 17.802 614.859 233.149 322.225 22.216 643.759 217.150 334.472 18.915 737.240 244.889 396.220 20.949 907.346 301.584 452.165 20.170 1.053.184 296.335 560.962 k. A. 1.455.653 288.132 667.463 k. A.

Hinweis: Höchstzahlen im Untersuchungszeitraum fett hervorgehoben. * Paketzulieferungen von Firmen außerhalb Berlins.

Quellen: Börsenblatt 102 (1935) 78, S. 265 f.; Börsenblatt 104 (1937) 73, S. 282; Börsenblatt 106 (1939) 85, S. 290 – 291; Börsenblatt 108 (1941) 39, S. 53.

Vernetzung der Kommissionsplätze: Sammelbezug und Bücherwagendienste über Leipzig Während Bestell-Einzelversendungen jeweils mit Porto belastet wurden, brachte der Sammelbestellbrief nach Leipzig erhebliche Porto- und Arbeitsersparnisse. Es brauchten keine Straßenangaben gesucht und geschrieben werden, die Herstellung der Verlangzettel war billiger als die der Bestellkarten. Die von Leipzig kommenden Sendungen konnten an einem bestimmten Tag und sogar zu einer bestimmten Stunde erwartet werden, was bei den direkt von den Verlagen kommenden Sendungen aufgrund der unbekannten Laufzeit der verschiedenen Verlagsfirmensitze bis zum Ort des Empfängers nicht immer möglich war. Die Massenversendungen von Büchern und Zeitschriften ab Leipzig wiederum erfolgten per Bücherwagen der Reichsbahn mit ermäßigten Frachttarifen. Ergänzt wurde dieses System durch beschleunigt abgefertigte Kurswagen der Post für Paketsendungen. Die auf diesen Wegen in Sammel-Post- oder Bahnsendungen bezogenen Bücher waren preiswerter als der Kreuzbandbezug oder der Bezug über nicht vollgewichtige Postpakete. Nach Schätzungen von Gerhard Menz erzielte der »Verkehr über Leipzig« vor dem Zweiten Weltkrieg eine Kostensenkung bis zu einem Drittel des Direktbezuges:

266

7 D er Zw is ch enbuchh and e l Wobei die Leistungssteigerung durch volle Ausnützung der Kapazität der spezialisierten, durchtrainierten Leipziger Arbeitskräfte [der Markthelfer, Th. K.], die ausserhalb nicht zur Verfügung stehen, noch nicht berücksichtigt ist, die aber als volkswirtschaftliche Produktivität besonders ins Gewicht fällt.22

In der werbenden Darstellung Warum verkehrt man über Leipzig? aus dem Jahre 1934 wurde für das Kilogramm-Paket sogar eine Kostenersparnis von bis zu 60 Prozent errechnet. Beim Zeitschriftenbezug konnten prinzipiell vergleichbare Einsparungen erzielt werden. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass nur ein Teil des Zeitschriftenverkehrs über den Leipziger Zwischenbuchhandel lief. Während die Tageszeitungen sowie die Fachund Vereinszeitschriften durch die Post spediert wurden, lag der Vertrieb der zumeist wissenschaftlichen Zeitschriften wie auch der schöngeistigen, unterhaltenden und politischen Wochen- und Monatsschriften nach wie vor in den Händen des Buchhandels. Ein Exempel des Vereins Leipziger Kommissionäre von 1934 lautete wie folgt: Angenommen ein Münchner Sortimenter bezog von einem Berliner Verlag drei Exemplare einer Wochenzeitschrift im Gewicht von je 80 Gramm, dann hatte er zwei Optionen: Er konnte pro Monat vier wöchentliche Sendungen unter Kreuzband für insgesamt 1,20 RM veranlassen. Oder aber er ließ sich alle Sendungen in nur einer Lieferung über den Leipziger Kommissionär im 5-kg-Paket zukommen, wofür ihm dieser 29 RPf. berechnete. Beim Einpacken in einen 100-kg-Ballen verringerte sich diese Gebühr auf 21 RPf. Dieses Beispiel zeigt, dass der Nutzen umso größer war, je kleiner die Einzelsendung und je größer die in Leipzig zusammengestellte Sammelsendung war. Die Kommissionäre nutzten den Kostenvorteil der Reichsbahn-Sammelsendungen gegenüber dem Postpaket aus. Voraussetzung war allerdings auch, dass der Besteller mit der Zusammenfassung seiner Zeitungsbestellung und der damit verbundenen deutlichen Zeitverzögerung einverstanden war.23

Zur Entwicklung des Marktführers Koehler & Volckmar AG & Co. Der Konzern Koehler & Volckmar AG & Co. konnte von 1933 bis zur weitgehenden Zerstörung seiner Betriebsanlagen im Zweiten Weltkrieg die Marktführerschaft im Zwischenbuchhandel behaupten. Geschätzte 80 Prozent der Warensendungen vermittelte er im Bereich des Barsortiments und Kommissionsgeschäfts. Bei dieser groben Schätzung ist zu beachten, dass es sich hierbei nur um die zwischenbuchhändlerische Warenvermittlung handelte, die neben dem Direktverkehr zwischen Verlag und Publikum, dem Verkehr zwischen Verlag und Sortiment (unter Ausschluss des Zwischenbuchhandels über Vertreter) sowie weiteren Absatzwegen wie Bibliotheken, Warenhäuser, Buchclubs etc. geschätzte 20 Prozent bis 25 Prozent des gesamten buchhändlerischen Umschlags ausmachte.24

22 23 24

Menz: Zur Lage des Leipziger Platzes, Dezember 1943. In: SStAL, Börsenverein I, 819, Bl. 18. Zu den Markthelfern siehe Keiderling: Der buchhändlerische Markthelfer. Vgl. Der Zeitschriftenverkehr 1934, S. 13 f. Aus einem Interview mit Jürgen Voerster vom 21. September 1998 in Stuttgart.

7.1 Der Kommissionsbu chhand el

267

Der Konzern hatte Dank des umsichtigen Agierens seiner Leitung, vor allem durch Alfred Voerster (1859 – 1944) und Hans Volckmar (1873 – 1942), die Krisenzeiten der Weimarer Republik relativ gut überstanden. In jenen Jahren war es gelungen, die Fusion aller Betriebe von Koehler & Volckmar durchzuführen. Zudem war der Konzentrationsprozess im deutschen Zwischenbuchhandel, der zwischen 1880 und 1930 weit vorangeschritten war, zugunsten des Konzerns zu einem vorläufigen Abschluss gekommen. 1935 kaufte Koehler & Volckmar nach zwölf Jahren Verhandlung noch die Grossobuchhandlung R. Streller auf, was den Kundenkreis des Konzerns wesentlich erweiterte. Um 1935 betreute Koehler & Volckmar mit seinen acht traditionsreichen Kommissionsgeschäften ca. 6.000 Kommittenten, von denen rund 4.000 aus Deutschland und 2.000 aus dem Ausland stammten.25 Das DevisenaufkomAbb. 2: Neubau Hospitalstr. 16 –22, men im Auslandsgeschäft betrug 1936 ca. Neues Buchhändlerhaus im Hintergrund 6 Mio. RM.26 Mehr als 1.600 Personen wa(letzteres 1943 zerstört) ren zu diesem Zeitpunkt hier beschäftigt. Während starken Geschäftsgangs, also zu Weihnachten und zu Ostern, erhöhte sich diese Zahl auf über 2.300. Der steigende Umfang der Geschäfte machte einen Neubau in Leipzig notwendig. 1936 schloss der Koehler & Volckmar-Konzern mit den Architekten Erling Dybwad und Hermann Tausch einen Architektenvertrag über ein neues Geschäftshaus, einen Stahlbetonbau, in der Hospitalstraße 16 – 22 ab. Die hier skizzierte positive Geschäftsentwicklung wurde durch Auseinandersetzungen überschattet, deren Ursprung in der Fusion von K. F. Koehler und Fr. Volckmar (1918 – 1925) lag. Nach Verschmelzung aller Betriebe befanden sich 75 Prozent des Stammkapitals in den Händen der Unternehmerfamilien Volckmar und Voerster (sogenannte Volckmar-Gruppe), während die Familien Koehler und v. Hase (sogenannte Koehler-Gruppe) nur mehr über 25 Prozent verfügten.27 Im Konzern besaß demnach die Volckmar-Gruppe eine deutliche Anteilsmehrheit. Um ein Zusammengehen zu ermöglichen, gestand sie dem kleinen Partner ein paritätisches Stimmrecht bei wesentlichen betrieblichen Entscheidungen zu.

25 26 27

Vgl. Koehler & Volckmar 1935, S. 17. Vgl. Schreiben Volckmar-Frentzel an Joseph Goebbels vom 17. Februar 1937. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 120. Detailliert hierzu Keiderling: Unternehmer im Nationalsozialismus, S. 14 –27.

268

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Hermann von Hase (1880 – 1945), ein Angehöriger der Koehler-Gruppe und Leiter der konzerneigenen Verlage K. F. Koehler und Koehler & Amelang, versuchte bereits in den 1920er Jahren das Ergebnis der Fusion über mehrere Intrigen zugunsten seiner Gruppe zu revidieren.28 Doch blieb er darin erfolglos. Erst die NS-Diktatur bot ihm neue Möglichkeiten. 1933 wurde v. Hase Mitglied der NSDAP und wollte die verlagseigene Produktion, die deutschnational geprägt war, in eine nationalsozialistische Richtung lenken. Er wusste, dass die Volckmar-Gruppe versuchen würde, dies zu verhindern. In der Tat lehnte Theodor Volckmar-Frentzel (1892 – 1973) eine politische Betätigung der Konzernverlage mit der Begründung ab, ein zwischenbuchhändlerischer Dienstleister müsse mit Blick auf seine Auftraggeber neutral bleiben. Unverzüglich nutzte v. Hase die Chance zu einem offenen Bruch mit den Mitgesellschaftern und einer im Buchhandel bislang beispiellosen politischen Verleumdungskampagne. Mit Hilfe einflussreicher nationalsozialistischer Stellen versuchte er, die wichtigsten Vertreter der Volckmar-Gruppe aus dem Konzern zu drängen. Im Oktober 1936 übergab er der Dienststelle des Reichsführers SS Heinrich Himmler und der Reichsschrifttumskammer eine Denunziations- und Anklageschrift von 187 Seiten mit dem Titel »Niederschrift über Vorkommnisse im Koehler-Volckmar-Konzern«.29 Im Zentrum seiner Beschuldigungen stand der Vorwurf, zwei Gesellschaftern der Konzernzentrale würde es an »weltanschaulicher Gesinnung« mangeln. Ebenso warf er ihnen »Machthunger« vor, der sich darin zeige, dass sie Mitgesellschafter mit unerlaubten Mitteln aus dem Konzern hinausdrängten. Die Besonderheit seines Vorgehens bestand darin, die konzerninternen Interessengegensätze und Streitigkeiten aufzubauschen und politisch aufzuladen. Bald zeigte sich, dass die Auseinandersetzung angesichts der Größe des Konzerns weite Kreise zog, zumal Koehler & Volckmar bereits 1935/36 mit einer Auseinandersetzung um den Barsortimentskatalog in das Visier der Reichsschrifttumskammer geraten war.30 Die RSK schloß daraufhin Volckmar-Frentzel aus der Kammer aus, was einem Berufsverbot gleichkam. Zugleich verwarnte sie den Seniorchef des Konzerns, Hans Volckmar, der seit 1935 aufgrund seiner Ehe mit einer »Halbjüdin«31 Berufsverbot besaß, er solle künftig die gesamte Geschäftstätigkeit, also auch diejenige im Aufsichtsrat und in der Konzernzentrale, niederlegen, anderenfalls drohe ihm Bestrafung. Während sich Hans Volckmar der Anordnung der Kammer fügte, legte VolckmarFrentzel Einspruch ein. Mit Hilfe seiner Rechtsanwälte und der Anrufung übergeordneter Stellen im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda gelang es ihm unter Ausschöpfung sämtlicher zur Verfügung stehender juristischer Mittel, die Entscheidung der RSK rückgängig zu machen. Nachdem seine Anfechtungsklage erfolgreich durchgebracht war, ging er in Gemeinschaft mit dem Vorstand und Aufsichtsrat gegen seinen Widersacher Hermann v. Hase vor. Dieser konnte trotz seiner Kontakte zu parteiamtlichen Stellen sein strategisches Hauptziel nicht erreichen, mehr Einfluss im 28 29 30 31

Vgl. ebd., S. 37 f. Der vollständige Wortlaut des Dokuments, siehe ebd., S. 90 –170. Siehe hierzu den Abschnitt in diesem Kapitel: 7.2 Barsortiment »Zensur des Zwischenbuchhandels«. Ausführlich hierzu Keiderling: Unternehmer im Nationalsozialismus, S. 51 –62. Nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 galt jemand als Volljude, wenn mindestens drei Großeltern jüdischer Abstammung waren. Bei Halb- und Vierteljuden waren zwei bzw. ein Großelternteil jüdisch.

7.1 Der Kommissionsbu chhand el

269

Konzern zu erlangen, und schied in Gemeinschaft mit der Gesellschaftergruppe Wolfgang Koehlers Erben aus dem Unternehmen aus. Die Beschuldigungen v. Hases gaben der RSK eigentlich eine gute Möglichkeit, den Konzern Koehler & Volckmar – dessen Geschäftsgebaren ihr schon seit längerem ein Dorn im Auge war32 – zu enteignen. Dazu kam es aber nicht, wofür zwei erkennbare Ursachen anzuführen sind. Einerseits wurde der Vizepräsident der RSK Heinz Wismann, der seit 1935 Pläne zur Enteignung des Zwischenbuchhandels entwickelt hatte, im Juli 1937 aufgrund von innerbehördlichen Auseinandersetzungen vom Dienst suspendiert. Andererseits sorgte ein Kompetenzgerangel zwischen den durch die streitenden Unternehmerparteien des Konzerns angerufenen Machtinstanzen – die SS (Reichsführer Heinrich Himmler) und die Reichsschrifttumskammer (Präsident Hanns Johst) durch Hermann v. Hase sowie auf der Volckmar-Seite das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, Justiziar Hans Schmidt-Leonhardt u. a.) – für eine Entscheidung im Sinne der letzteren. Dass der Konzern Koehler & Volckmar im Jahre 1937/38 nicht enteignet wurde, war das Ergebnis dieses komplizierten Kräftemessens innerhalb der Organe der NS-Literaturpolitik. Damit verschwanden existierende Pläne zur Enteignung des Zwischenbuchhandels in der Schublade und die Behörden waren mit der erzielten Zwischenlösung – mit Johannes Starkloff und Felix Gartmann gab es nun zwei Parteigenossen der NSDAP in der Konzernzentrale – vorerst zufrieden. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs änderte sich die Lage im deutschen Buchhandel dramatisch. Seit 1940 wurden kriegsbedingte Stilllegungen und auch Enteignungen einzelner kriegswichtiger Betriebe durchgeführt. Für die Jahre danach weisen Indizien darauf hin, dass Wilhelm Baur unter Einsatz seiner Machtfülle als Vizepräsident der Reichsschrifttumskammer, Vorsteher des Börsenvereins und Verwaltungsdirektor im Zentralverlag der NSDAP Franz Ehers Nf. noch einmal den Versuch unternehmen wollte, eine Beteiligung an den Koehler & Volckmar-Firmen zu erlangen.33 Die Verhältnisse in den letzten Kriegsjahren haben jedoch die Realisierung dieses Plans verhindert.

Zerstörung und teilweise Rekonstruktion des Leipziger und Stuttgarter Platzes im Zweiten Weltkrieg Bei dem schwersten Bombenangriff auf das Leipziger Buchhändlerviertel wurden am Morgen des 4. Dezember 1943 ca. 80 Prozent der zwischenbuchhändlerischen Firmen zerstört, viele Betriebe verloren ihre Arbeitsräume, Geräte und Maschinen. Dass die Angriffe auf Leipzig bewusst der Buchstadt und dem Buchhandel galten, stand für viele Zeitgenossen außer Zweifel.34 Vier Tage nach dem Luftangriff waren folgende Betriebe 32 33

34

Siehe die Beanstandung des Barsortimentskatalogs von Koehler & Volckmar durch die RSK 1935/36 in diesem Kapitel, 7.2 Barsortiment. In diesem Zusammenhang wird auch das Zwischenbuchhandelsunternehmen Lühe & Co. genannt, das sich im Besitz des Eher-Verlags befand. Vgl. Baur: Wenn ich so zurückdenke, S. 203 f. Vgl. ferner Interview des Verf. mit Jürgen Voerster vom 21. September 1998 in Stuttgart. In Ermangelung relevanter Archivunterlagen konnten diese Geschehnisse nicht weiter recherchiert werden. Vgl. Menz: Zur Lage des Leipziger Platzes, Dezember 1943. In: SStAL, Börsenverein I, 819, Bl. 18.

270

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des Leipziger Zwischenbuchhandels wieder voll arbeitsfähig: Wilhelm Opetz, Gustav Brauns, F. E. Fischer, Otto Maier, Louis Naumann. Teilweise arbeitsfähig waren Herbig, Lühe & Co., Fr. Fleischer. Alle anderen, deren Bücherlager schwere Schäden erlitten, fielen aus bzw. brauchten wie im Falle von Koehler & Volckmar mehrere Wochen, um die Tätigkeiten wieder aufzunehmen.35 Seit dem 7. Dezember fanden fast täglich Besprechungen der Leipziger Zwischenbuchhändler mit städtischen Vertretern statt. Es galt, die geretteten Buchbestände aus der Stadt auszulagern und den Auslieferungsverkehr so bald wie möglich wieder aufzunehmen. Leipzig sollte »als Zentrale des graphischen Gewerbes und des Buchhandels unter allen Umständen erhalten bleiben.«36 Die Löscharbeiten nahmen indes längere Zeit in Anspruch. Allein das Koehlerhaus am Täubchenweg brannte fast ein Vierteljahr. Die im Kellergeschoss befindlichen Stapel-Ballenlager glühten wie bei einem Kohlenmeiler immer wieder auf. Wiederholt kam es zu Verpuffungen und kleinen Bränden. Selbst wenn die Flammen bekämpft wurden, schwelte es darunter weiter.37 Nach den Aufräumarbeiten fanden die übrig gebliebenen Unternehmen Ausweichquartiere. Die Stadt Leipzig hatte dem örtlichen Zwischenbuchhandel Teile des Grassimuseums zur Verfügung gestellt. Hier erhielten die Paketaustauschstelle sowie Betriebsabteilungen verschiedener Kommissionsgeschäfte eine vorläufige Bleibe. Vom VolckmarHaus, Ecke Hospitalstraße und Platostraße, blieben der 1936 erbaute Gebäudeteil und angrenzende Bauten erhalten.38 Ein Problem der neuen kriegsbedingten Geschäftsgeographie Leipziger Zwischenbuchhändler ergab sich aus der Entfernung zwischen den einzelnen Firmen und Betriebsteilen. Es fehlte an LKWs und Kraftstoff. Transportsperren und Ausnahmebeschränkungen bei Bahn und Post behinderten die buchhändlerische Logistik. Einige Behelfslager außerhalb Leipzigs waren entweder schwierig oder gar nicht durch Verkehrsmittel zu erreichen; lange Fußmärsche des Hilfsarbeiterpersonals waren unvermeidlich. In einem Bericht über den Wiederaufbau des Leipziger Platzes wurde gefordert, den Markthelfern für ihre erschwerten Arbeitsbedingungen eine zusätzliche Lebensmittel- bzw. Fettration zu bewilligen. Ferner sollte das knappe Personal des Zwischenbuchhandels nicht durch Einberufung und Dienstverpflichtung weiter dezimiert werden.39 Fünf Monate nach dem verheerenden Luftangriff vom 4. Dezember 1943 war es gelungen, den »Verkehr über Leipzig« weitgehend zu rekonstruieren. Zentrale Organisationen des Zwischenbuchhandels, wie die Vereinsanstalten zur Bestellung und Auslieferung (Bestellanstalt und Paketaustauschstelle) sowie die Zahl- und Abrechnungseinrichtungen (BAG und Girokasse der Leipziger Kommissionäre) arbeiteten wieder. Die Leipziger Kommissionäre und Grossobuchhändler erzielten, trotz weiterer Kriegseinwirkungen im Jahre 1944 wieder 25 Prozent des Warenumschlags von 1942.40 35 36 37 38 39 40

Vgl. SStAL, Börsenverein I, 819, Bl. 41. Eintrag vom 16. Dezember 1943. In: SStAL, Börsenverein I, 819, Bl. 34. Aus einem Interview des Verf. mit Jürgen Voerster vom 21. September 1998 in Stuttgart. Das Koehler-Haus am Täubchenweg, einst Aushängeschild moderner Architektur des Leipziger Zwischenbuchhandels, wurde nach der Zerstörung vom 4. Dezember 1943 abgerissen. Vgl. Staub: Wiederaufbau, S. B41. Vgl. ebd., S. B41 f. Vgl. SStAL, Börsenverein I, 819, Bl. 32.

7.1 Der Kommissionsbu chhand el

271

Hingegen erlangte Leipzig in den letzten Kriegsmonaten keine Bedeutung mehr als buchhändlerischer Stapelplatz. In Reaktion auf die Auswirkungen des Luftkrieges verlegten die Kommissionäre ihre Auslieferungslager in die Vororte. Alle größeren Sendungen wurden unmittelbar, alle kleineren zur Weiterleitung im Sammelverkehr über Leipzig an die Abnehmer (Sortimenter) abgefertigt. Besonderes Augenmerk galt der Belieferung des Frontbuchhandels. Pläne des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion und der RSK, eine »Kriegsgemeinschaft« der Leipziger Kommissionäre zu verlangen (ein Aufruf zur Bildung von Kriegsgemeinschaften war am 25. Februar 1943 an alle Einzelhandelsfirmen im Reich ergangen), was den Verlust ihrer Eigenständigkeit nach sich gezogen hätte, wurden u. a. durch geschickte Gegenargumente und Verhandlungen der Leipziger Unternehmer zu Fall gebracht.41 1944 hatte die Auslieferung über Leipzig und die umliegenden Ausweichstellen derart zugenommen, dass der Vorkriegsumfang nahezu erreicht wurde. Das Barpaketinkasso überschritt im Mai 1944 sogar die Vorkriegsmarke.42 Der Krieg hinterließ auch in Stuttgart deutliche Spuren. Zwar konnten die Stuttgarter Barsortimente rechtzeitig einen großen Teil ihrer Bücher auslagern, doch wurden die Firmengebäude schwer beschädigt oder erlitten Totalschaden.43 Nach einem Luftangriff vom Juli 1944 brannte der Eberhard-Bau bis auf die Unter- und Kellergeschosse vollständig aus. Im Keller und in den bis dahin vermieteten Räumen im Erdgeschoss wurde der Geschäftsbetrieb fortgesetzt. Die Süddeutsche Grosso-Buchhandlung G. Umbreit & Co. hatte 1944 schwere Kriegsschäden zu verzeichnen. Die Auslieferung erfolgte danach nicht mehr in Stuttgart, sondern in Spaichingen. Weitere Auslieferungslager befanden sich in Lorch, in Roth (bei Laupheim) und in Geislingen an der Steige. Koch, Neff & Oetinger legte ebenso Ausweichlager außerhalb Stuttgarts im Schwarzwald (Calw, Hirsau und Schildach) an. In Hirsau lagerten unter anderem Ausgaben aus der Zeit vor 1933, die teilweise im Dritten Reich auf dem Index standen und somit dem Zugriff durch die RSK entzogen werden konnten. Im Juli 1944 brannte ein Lagergebäude von KNO in Stuttgart aus, in dem auch die Kundenkartei sowie die Schreib-, Rechen- und Adressiermaschinen untergebracht waren. Der Verlust belief sich auf 436.000 RM (Anmeldung beim Kriegsschädenamt). Die Auslieferung der Zeitschriften konnte Anfang August wieder in Stuttgart aufgenommen werden. Nicht nur diese direkten Kriegseinwirkungen, sondern auch kriegsbedingte Stilllegungen durch die RSK – allein im Oktober und November 1944 wurden 60 Vollbuchhandlungen und 400 Buchverkaufsstellen in Württemberg geschlossen – legten den Geschäftsbetrieb der Zwischenbuchhändler bis zum Kriegsende mehr und mehr lahm.44

41 42 43 44

Vgl. Karl Jäger (Prokurist F. A. Brockhaus) Mitschrift über Verhandlungen zum Leipziger Kommissionsplatz vom 4. Dezember 1944. In: Brockhaus-Archiv Wiesbaden. Vgl. Staub: Wiederaufbau, S. B38 –B40. Vgl. Bez: Zwischenbuchhandel, S. 97. Vgl. Reinhard: Erinnerungen. In: Archiv KNO/KNV, S. 8.

272

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Abb. 3 (oben): Verbrannte Bücherhaufen am Volckmar-Haus nach dem Großangriff vom 4. Dezember 1943. In: Voerster: Geschichte der Firmen Koehler & Volckmar, Bd. 1, S. 108. Abb. 4 (unten): Wiederaufnahme der Arbeiten im zerstörten Volckmar-Haus. Aufeinander gestülpte Kisten schaffen provisorische Regale. In: Voerster: Geschichte der Firmen Koehler & Volckmar, Bd. 1, S. 115.

7.2 Bar sor time n t

7.2

273

Barsortiment

Ähnlich wie das Kommissionsgeschäft geriet auch das Barsortiment in den Strudel der politischen Umwälzungen von 1933. Als Hintergrundlager des Buchhandels erfüllte es in erster Linie die Bestellerwünsche aus dem Sortimentsbuchhandel. Bald schlug sich das veränderte Leserinteresse, besonders der gesteigerte Wunsch nach NS-Literatur, in der Zusammensetzung der Barsortimentslager und -kataloge nieder. Die zwei bedeutendsten Barsortimente in der NS-Zeit gehörten dem Konzern Koehler & Volckmar: Die gleichnamige Barsortimentsabteilung in Leipzig und das Tochterunternehmen Koch, Neff & Oetinger in Stuttgart. Beide beschränkten sich darauf, ihrer Kundschaft nur die auf ihren Lagern vorrätigen und in den Lagerkatalogen enthaltenen Werke zu liefern. Sie waren nicht auf Lieferungen von Zeitschriften eingestellt, weder populären noch wissenschaftlichen, und hielten auch nur in beschränktem Maße Schulbücher, Kalender und Groschenhefte für Leihbüchereien vorrätig, da diese Gattungen vorrangig durch die Grossobuchhandlungen vertrieben wurden. In den Barsortimentslagern von Koehler & Volckmar wurden um 1935 ca. 44.000 Titel geführt. Thematisch umfasste dieses Lager sowohl Belletristik als auch wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Literatur, Musikalien und Musikliteratur sowie eine besondere Abteilung für französische und englische Bücher.45 Vieles in der damaligen Geschäftspraxis von Koehler & Volckmar wird auch heute noch so gehandhabt. Von den einzelnen Titeln wurde entsprechend der Nachfrage eine ausreichende Anzahl stets vorrätig gehalten; bei besonders gangbaren Büchern konnten sich diese Mengen auf viele tausend Exemplare belaufen. Kunst und Aufgabe des Barsortiments war es, die einzelnen Artikel durch rechtzeitige Ergänzung lieferbar zu halten und die eingehenden Bestellungen möglichst rasch zu bearbeiten. Innerhalb des Lagers waren die Bücher nach pragmatischen Gesichtspunkten geordnet, wie sie die notwendige Schnelligkeit der Expeditionsarbeiten erforderte. Aber auch das Autorenalphabet oder die Anlage des von der Firma ausgegebenen Lagerkatalogs konnten ausschlaggebend sein. Die Lieferungsbedingungen zwischen Verlag und Barsortiment unterschieden sich für wissenschaftliche Werke insofern von anderen Literaturgattungen, als dort nicht der Barverkehr, sondern Monats- und Vierteljahreskredite und sogar Bedingtlieferungen (à condition) üblich waren. Bei Neuerscheinungen und Neuauflagen war der Verleger meist bemüht, den Barsortimenter rechtzeitig zu benachrichtigen, damit dieser den nötigen Lagerraum einplanen konnte. Bei den zuvor im Sortimentsbuchhandel angekündigten Neuerscheinungen trafen zahlreiche Vorbestellungen beim Barsortiment ein.46 Zu den kleineren Barsortimenten gehörten Lingenbrink in Hamburg (gegr. 1928), Lühe & Co. in Leipzig und Wien (gegr. 1924) sowie Umbreit in Stuttgart (gegr. 1912), deren Entwicklung im Untersuchungszeitraum nachfolgend kurz beschrieben wird.47 Darüber hinaus gab es die Barsortimente Heinrich Döll in Bremen (gegr. 1920), Erich 45 46 47

Vgl. Koehler & Volckmar 1935, S. 25; Dohle: Barsortiment, S. 90. Vgl. Dohle: Barsortiment, S. 90 f., fußend auf Koehler & Volckmar, 1935, S. 25 und 29 sowie Gartmann: Barsortiment. Bd. 2, S. 559 f. Die Grossobuchhandlung Umbreit gliederte 1919 ein kleines Barsortiment an. Zur Entwicklung dieses Unternehmens im Untersuchungszeitraum siehe die Abschnitte 7.1 b) Stuttgart in diesem Kapitel sowie im Kapitel 7.2 Barsortiment. Der Grossobuchhandel.

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Wengenroth in Köln (Barsortiment für »Lebensreformliteratur«, gegr. 1925) und A. Victor Wehling in Bielefeld (gegr. 1927) sowie Vereins(bar)sortimente in Olten, München, Hamburg und Breslau mit territorial eingeschränktem Wirkungskreis.48 Lingenbrink gab 1935 einen Allgemeinen Buch-Katalog für 1936 heraus. Es handelte sich um den zweiten Hauptkatalog des Barsortiments und den einzigen, der in der Zeit des Dritten Reichs erschien. Auf 416 Seiten und zwei Nachtragseiten wurden ca. 25.000 Titel aufgelistet. Lingenbrink wurde 1936 kurzzeitig aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, weil er trotz Verwarnung verbotene Schriften geliefert hatte. Dem Unternehmer gelang es, diesen Beschluss kurze Zeit später wieder rückgängig zu machen. Lingenbrink geriet im Sommer 1943 erneut in die Schusslinie der RSK. Wie genau die Vorwürfe lauteten, konnte nicht ermittelt werden. Die RSK wollte bis Ende des Jahres 1943 entweder eine Stilllegung oder einen Verkauf der Firma herbeiführen. Diesem Schritt kam allerdings ein Schicksalsschlag zuvor: Ende Juli wurde das Geschäftshaus nach einem Luftangriff vollständig zerstört, so dass die Firma ihre Geschäftstätigkeit einstellen musste.49 Die 1924 als Spezial-Barsortiment für Lebensreform-Literatur gegründete Lühe & Co. GmbH in Leipzig und Wien machte in der NS-Zeit steile Karriere. Im gedruckten Barsortimentskatalog fand sich in der Zeit vor 1933 vor allem Literatur zur Schönheitspflege, gesunden Ernährung, medizinische Ratgeber und dgl. mehr. Nachdem sich der Eher-Verlag am Unternehmen beteiligt hatte, trat nationale und nationalsozialistische Literatur hinzu, ohne die ursprünglichen Genres zu verdrängen. Lühe & Co. wurde bald um ein Kommissionsgeschäft und eine Verlagsabteilung erweitert. 1940 gliederte man den Verlag »infolge der starken Entwicklung« aus und führte ihn als Lühe Verlag (Dr. Seeliger & Co.) in Leipzig und Berlin fort. Der Buchhandel beobachtete mit Misstrauen die Entwicklung des Unternehmens. Dessen stetiges Wachstum nährte die nicht unbegründete Befürchtung, eines Tages könnte es die anderen Kommissionsgeschäfte und Barsortimente »beerben«. 1943 forderte die RSK alle Verlage dazu auf, zehn Prozent ihrer jeweiligen Produktion dem Kommissionär Lühe & Co. abzutreten. Mit den Beständen sollte den bombengeschädigten Sortimentern und Leihbüchereien ein rascher Aufbau ermöglicht werden. Die Kommissionsbuchhandlung übernahm im Auftrag der Kammer die Zusammenstellung sogenannter Grundstöcke mit je 1.800 Bänden, die den Buchhandlungen sofort nach dem Schadensfall kostenlos zugestellt wurden. Weitere Bücherkontingente wurden als »Sonderrationen« in die zerstörten Buchhandelszentren und industriellen Ballungsgebiete geliefert. Zudem war die Firma Lühe & Co. mit der Belieferung der Zentrale der Frontbuchhandlungen und der Schaffung von Divisionsbüchereien für NS-Führungsoffiziere betraut.50 Aus einem Besprechungsprotokoll der Leipziger Kommissionäre vom 5. Dezember 1944 ging allerdings hervor, dass die Gefahr, die den Leipziger Kommissionsgeschäften von Lühe & Co. zu diesem Zeitpunkt drohte, geringer geworden war. Volckmar-Frentzel führte hierzu aus: »Die Firma habe ziemlich grosse interne Schwierigkeiten. Im übrigen habe sie in vieler Hinsicht versagt,

48 49 50

Vgl. Gartmann: Barsortiment. Bd. 2, S. 558; 75 Jahre Bücher bewegen; Das Schweizerische Vereinssortiment Olten 1882 –1957; 100 Jahre Schweizer Buchzentrum 1882 –1982. Vgl. Dohle: Barsortiment, S. 100 f. Vgl. Barbian: Literaturpolitik, 1993, S. 713 f., 721.

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so hätte z. B. Koehler & Volckmar die durch Fernau51 laufenden Sendungen der Zentrale der Frontbuchhandlungen viel schneller umgeschlagen, als dies bei Lühe gelungen sei.«52 Lühe & Co. spielte nach wie vor im Frontbuchhandel eine bedeutende Rolle, allerdings sollte die Firma das Kriegsende nicht mehr erleben. Tab. 4: Langzeitliche Entwicklung der Barsortimentslagerhaltung bei Koehler & Volckmar 1905 –1944 (Anzahl der katalogisierten und somit gelagerten Buchtitel pro Jahr)

Quelle: Barsortimentskataloge Koehler & Volckmar.

Eine Langzeitstatistik von Koehler & Volckmar belegt für den Zeitraum von 1905 bis 1944 eine wichtige Zäsur: Das Barsortiment erhöhte von 1905 bis 1924 die Zahl der Katalogtitel von 45.000 auf 79.000 (Höhepunkt 1916/17 mit 85.000). Dann kam der große Einbruch und – mit einer einjährigen Verzögerung – eine Neubesinnung durch die Erfahrungen mit der Hyperinflation. 1925 wurden nur noch 36.000 der bestverkäuflichen Titel in den Katalog wieder aufgenommen. Nach einem weiteren Einbruch (Tiefstand: 1926 mit 35.000 Titeln) wurde von 1932 bis 1935 wieder die Marke von 44.000 erreicht. Den Höchststand des Katalogangebots im Untersuchungszeitraum markierten die Jahre 1941/42 mit 47.000 Titeln. Selbst die Berliner und Leipziger Buchtitelproduktion stieg von Kriegsbeginn bis 1942 leicht an.53 Koehler & Volckmar plante im Herbst 1943 einen neuen Barsortimentskatalog vorzulegen. Dreimal waren die Bogen fast fertig ausgedruckt und dreimal wurden sie durch Luftangriffe in Leipzig und 51 52

53

Grossobuchhandlung, eine 1931 erworbene Tochterfirma von Koehler & Volckmar. Karl Jäger (Prokurist F. A. Brockhaus) Mitschrift über Verhandlungen zum Leipziger Kommissionsplatz vom 4. Dezember 1944. In: Brockhaus-Archiv Wiesbaden. In dieser Quelle wird übrigens erwähnt, dass neben dem Eher-Verlag auch der Börsenverein Kommanditist von Lühe & Co. gewesen sei. Die Kennzahlen für Berlin lauten 5.820 (1940) und 6.022 (1942) und für Leipzig 2.525 (1940) und 3.141 (1942). Vgl. Leipzig. Mittelpunkt des Buchhandels. In: SStAL, Börsenverein I, 819, Bl. 16.

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Stuttgart vernichtet. Ein weiterer Katalog von 1944 ist nicht mehr publiziert worden. Zwei Einzelexemplare haben sich jedoch im Archiv von KNV in Stuttgart erhalten und konnten für die vorliegende Untersuchung herangezogen werden. Das Barsortiment bemühte sich bis zum Kriegsende, seinen Sortimenterkunden fortlaufende Listen über lieferbare Titel zukommen zu lassen.54 Aus einer erhaltenen Statistik geht hervor, dass von 100 Verlagen, mit denen das Barsortiment Koehler & Volckmar 1942 die stärksten Umsätze erzielte, im Mai 1944 32 Verlage durch Luftangriffe total geschädigt wurden und 21 Teilschäden erlitten hatten.55 Der nächste Barsortimentskatalog von Koehler & Volckmar erschien erst nach dem Krieg, im Juli 1945.56

Zensur des Zwischenbuchhandels. Die Beanstandung des Barsortimentskatalogs von Koehler & Volckmar durch die Reichsschrifttumskammer 1935/1936 Der Streit zwischen Koehler & Volckmar und der Reichsschrifttumskammer in Sachen des Barsortimentskatalogs von 1935/3657 war dadurch entstanden, dass die staatliche Schrifttumsbehörde die im Oktober 1935 abgeschlossene »Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« aus außenpolitischen Gründen vor der Öffentlichkeit geheim gehalten hatte.58 Auch Koehler & Volckmar war die Einsichtnahme in den ersten reichseinheitlichen Buchverbotsindex verweigert worden. So gelangten einige der indizierten Buchtitel in dessen Barsortimentskatalog für das Jahr 1935/36. Für den Sortimentsbuchhandel war der Katalog Orientierungs- und Bestellgrundlage zugleich, sodass im Prinzip die Möglichkeit bestand, auf diesem Wege »schädliche und unerwünschte« Literatur zu bestellen.59 Die RSK machte nun Koehler & Volckmar dafür verantwortlich, verbotene Literatur nicht rechtzeitig aus dem Verkehr gezogen zu haben. Auf Anweisung des Präsidenten der RSK Hanns Johst durchsuchte die Gestapo am 14., 15. und 16. März 1936 die Barsortimente von Koehler & Volckmar in Leipzig und Koch, Neff & Oetinger in Stuttgart. Im Ergebnis dieser Untersuchung wurden 62 Exemplare des aktuellen Barsortimentskatalogs und mehrere Buchtitel beschlagnahmt, die zum Teil in verschlossenen Räumen aufbewahrt wurden.60 Die Untersuchung erbrachte allerdings auch, dass etwa 54 55 56 57 58

59 60

Vgl. Rundschreiben von Koehler & Volckmar Juni 1945. In: Staub: Aus dem Historischen Archiv (15). Buchhandelsgeschichte 3/1988, S. B119 f. Vgl. Staub: Wiederaufbau, S. B40. Vgl. Rundschreiben Koehler & Volckmar, Juli 1945. Vgl. Barbian: Literaturpolitik, 1993, S. 254 –261. Heinz Wismann, der stellvertretende Präsident der RSK, legte den Grund der Geheimhaltung später wie folgt dar: »Es sind dies in erster Linie aussenpolitische Gesichtspunkte, weil vermieden werden musste, daß die Veröffentlichung einer solchen Liste dazu führe, daß im Ausland eine Hetzpropaganda gegen das dritte Reich entsteht.« Man habe aber die Absicht, die Liste später zu veröffentlichen, um Unsicherheiten im Buchhandel zu vermeiden. Vgl. Bericht Starkloffs über die Versammlung der Fachschaft Zwischenbuchhandel vom 20. März 1937, S. 2. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 119. Vgl. Barbian: Literaturpolitik,1993, S. 254. Vgl. Bericht Volckmar-Frentzel auf der Associebesprechung vom 16. März 1936. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 58.

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ein Drittel der beanstandeten Titel schon nicht mehr am Lager vorrätig war, weil diese entweder als offiziell beschlagnahmt galten oder bereits an die Verleger zurückgesandt worden waren.61 Um den wirtschaftlichen Schaden gering zu halten, traten die Unternehmer in Verhandlungen mit der Behörde ein. Sie wollten wenigstens die Freigabe derjenigen Katalogexemplare erreichen, für die Bestellungen des Sortiments vorlagen.62 Nach altem Usus der Zensurgesetzgebung konnten konfiszierte Bücher je nach ihrer Provenienz unterschiedlich behandelt werden. Während die von der Gestapo beschlagnahmte verbotene Literatur deutscher Verlage eingezogen und vernichtet wurde, gestattete die Kammer aus außenpolitischen und volkswirtschaftlichen Gründen den Export ausländischer Verlagsproduktionen bzw. deren Rückgabe an die Verleger.63 Um künftig einer Wiederholung solcher Durchsuchungsaktionen vorzubeugen, unterbreitete die Geschäftsleitung von Koehler & Volckmar der RSK am 24. April 1936 detaillierte »Vorschläge zur Verhinderung der Verbreitung unerwünschten Schrifttums und zur Überwachung der Importe aus der UdSSR«.64 Der Grundgedanke des Papiers lautete, die Verleger stärker in die Verantwortung zu nehmen. Zensur und Beschlagnahmung sollten bei ihnen und nicht beim Zwischenbuchhändler ansetzen. Man verwies hierbei auf den umfangreichen über Leipzig gehenden Warenaustausch, der eigentlich nicht kontrollierbar sei: Da es sich täglich um Tausende solcher Pakete, die das Leipziger BuchhandelsClearing durchlaufen, handelt und da dieses Clearing sich in wenigen Stunden abwickeln muß, ist eine Kontrolle durch die Kommissionäre vollkommen ausgeschlossen. Bei der ungeheuren Zahl der täglich bei den Kommissionären einlaufenden für die Verleger und ihre Auslieferungsstellen bestimmten Bestellungen und bei der Schnelligkeit, mit der dieses im Leipziger Clearing weitergegeben und ausgetauscht werden müssen, ist ebenso jede Kontrolle der bei den Kommissionären durchlaufenden Bestellzettel auf Titel hin vollkommen unmöglich.65

61 62 63

64 65

Vgl. Schreiben der Koehler & Volckmar AG & Co. an Wismann vom 24. April 1936, S. 5. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 120. Zu diesem Zweck schickte das Unternehmen Anfragen von Kommittenten an die RSK, aus denen hervorging, dass die buchhändlerische Arbeit ohne den Barsortimentskatalog undenkbar war. Vgl. Schreiben vom 6./ 7. Mai 1936. In: BArch, RKK, Koehler & Volckmar, 13. In einem Brief der RSK an die Geheime Staatspolizei vom 27. Januar 1938 heißt es: »Die Angaben der Firma Koehler & Volckmar treffen zu. Es wurde dort seinerzeit im Einvernehmen mit der Reichsschrifttumskammer ein Lager für den Transit-Verkehr eingerichtet, über das solche Werke gehen sollten, die zwar im Inland unerwünscht sind, sich jedoch nicht gegen Deutschland richten – etwa Stefan Zweig – und gegen deren Verbreitung im Ausland Bedenken nicht bestehen. Die Errichtung dieses Transit-Lagers war durch das Interesse an der Erhaltung der internationalen Bedeutung der Stadt Leipzig bestimmt.« BArch, RKK, Koehler & Volckmar, 13. Vgl. Schreiben der Koehler & Volckmar AG & Co. an Wismann vom 24. April 1936 In: SStAL, Koehler & Volckmar, 120. Ebd., S. 3.

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Diese Feststellung, die in der Sache einer langen Tradition des Branchenzweiges entsprach,66 war völlig zutreffend. Die Unternehmensleitung ging noch einen Schritt weiter und unterbreitete Vorschläge, wie der Verlagsbuchhandel stärker einbezogen werden könnte. Er sollte eine Informationspflicht gegenüber dem Zwischenbuchhandel besitzen, welche Literatur von Verboten betroffen sei. Eigens dazu verfasste die Unternehmensleitung mit Datum vom 14. Juli 1936 ein Rundschreiben, worin die Verleger zu entsprechenden Auskünften aufgefordert wurden.67 Würde danach ein Verleger seiner Pflicht nicht nachkommen, oder gar versuchen, über den Zwischenbuchhandel durch Nachlieferungen noch weitere Vorräte zu verkaufen, so bedarf es nur einer vertrauensvollen Fühlungnahme zwischen Reichsschrifttumskammer und Fachschaft Zwischenbuchhandel, um solche Fälle bald aufzudecken und dem Verleger gegenüber zu ahnden. Die Initiative hierfür muß aber naturgemäß bei der Reichsschrifttumskammer liegen, da der Zwischenbuchhandel deren Anordnung an den einzelnen Verleger nicht kennt.68 Für ein solches Kontrollsystem sei es unabdingbar, dass die wichtigsten »universell« arbeitenden Betriebe des Zwischenbuchhandels, insbesondere die Barsortimente, je ein Exemplar der geheimen Listen der Reichsschrifttumskammer in fortlaufenden Aktualisierungen in die Hand bekämen. Wenn die geheimen Listen zusätzlich Verlag und Verlagsort aufführten, wären sie noch besser als buchhändlerische Nachschlagemittel geeignet. Die Geschäftsleitung bot sich sogar an, der Kammer erstmalig ab dem Spätsommer 1936 die Fahnenabzüge ihres Barsortimentskatalogs zur Verfügung zu stellen, »sofern es der Reichsschrifttumskammer möglich ist, die Fahnen jeweils innerhalb von zwei Tagen zu prüfen und mit einem Unbedenklichkeitsvermerk versehen wieder zurückzusenden.«69 Die Herstellung eines Katalogs – so führten die Betriebsführer weiter aus – betrage drei bis vier Monate, sofern redaktionelle und herstellungsbedingte Vorgänge bestens aufeinander abgestimmt seien. Seine Aufgabe für den Gesamtbuchhandel könne der Lagerkatalog aber nur erfüllen, wenn er rechtzeitig vor dem Weihnachtsgeschäft erscheine. Um Verzögerungen bei der Erstellung des Katalogs zu vermeiden, war der Leipziger Konzern sogar bereit, die Unkosten zu übernehmen, »die erforderlich wären, um die Anwesenheit eines mit den erforderlichen Vollmachten ausgestatteten Beamten der Reichsschrifttumskammer in Leipzig während der wichtigsten Herstellungsperioden des Katalogs zu ermöglichen.«70 Je enger RSK und Unternehmen in diesen Dingen zusammenarbeiteten, desto geringer sei der wirtschaftliche Schaden, der bei Beschlagnahmungen selbst von Lagerkatalogen entstünde. Auch zur Verfahrensweise mit auslän66 67 68 69 70

Vgl. Keiderling: Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels, S. 277 –290. Vgl. Geschäftsrundschreiben der Koehler & Volckmar AG & Co. vom 14. Juli 1936. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 114. Schreiben der Koehler & Volckmar AG & Co. an Wismann vom 24. April 1936, S. 4. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 120. Ebd., S. 5. Ebd., S. 6. Die Praxis, die Leipziger Buchhändler für ihre eigene Zensur bezahlen zu lassen, besaß eine lange Tradition. Vgl. Keiderling: Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels, S. 279.

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dischen Verlegern oder Transitpaketen unterbreitete die Geschäftsleitung Anregungen. Abschließend kam die »Überwachung buchhändlerischer Importe aus der UdSSR« zur Sprache. Dazu hieß es: Wie wir in unserer an die Geheime Staatspolizei (Presse Abt.) Berlin gerichteten Eingabe vom 27. März 1936 ausgeführt haben, glaubten wir, daß es den deutschen Behörden durchaus erwünscht sein müsse, den Import sowjetrussischer Bücher, Zeitschriften und Zeitungen bei einer Firma zusammengefaßt zu wissen, weil dadurch eine einfache Überwachung der eingeführten russischen Literatur, sowie insbesondere ihrer Besteller ermöglicht ist. Es ist buchhändlerisch einfach, fortlaufend eine Liste oder besser noch eine Kartothek zu führen, die die Nachprüfung ermöglicht, wer russische Bücher, Zeitschriften oder Zeitungen bestellt, zu welchem Zeitpunkt dies geschehen ist, wann und auf welchem Wege (warenmäßig an uns, oder direkt an den Besteller) von Moskau geliefert wurde und wann und auf welchen Wege die Ware, falls über uns gegangen, an den Besteller weitergeleitet worden ist. An Hand eines solchen Hilfsmittels ist es einfach, behördlicherseits diejenigen Personenkreise zu bestimmen, die aus politischen oder wissenschaftlichen Gründen ohne weiteres bezugsberechtigt für russische Bücher, Zeitschriften und Zeitungen sind, und diejenigen Besteller von der Belieferung auszuschließen, die entweder überhaupt keine derartigen Artikel oder aber nur nach einer zuvor behördlicherseits zu bewirkenden inhaltlichen Prüfung erhalten sollten.71 Das Schreiben endete mit Worten der Hoffnung, die Behörde und insbesondere deren stellvertretender Präsident, Ministerialrat Heinz Wismann72, mögen erkennen, wie sehr es den Zwischenbuchhändlern darum ginge, mit der RSK zur Wahrnehmung der Interessen des eigenen Branchenzweigs »vertrauensvoll« zusammenzuarbeiten. Im Blick auf dieses bereitwillige und in seinen Einzelheiten weit entgegenkommende Angebot der Konzernleitung scheint sich jeder Gedanke an eine kritisch-distanzierte Haltung zum NS-System zu verbieten. Doch muss man es in den Kontext der Auseinandersetzung zwischen der Reichsschrifttumskammer und dem Leipziger Konzern einordnen. Nachdem Kontrollen und Beschlagnahmungen seitens der RSK schon zu wirtschaftlichen Verlusten geführt hatten, lag der Geschäftsleitung viel daran, durch die Bekundung ihres »guten Willens« die Kammer zu besänftigen, um so weitere Einbußen zu vermeiden. Gleichzeitig sollten die von den Behörden offen oder indirekt gegen den Konzern formulierten Vorwürfe weltanschaulicher Art ausgeräumt werden. Insofern handelte es sich um einen geschickten Schachzug, mit dem auch personelle Konsequenzen für den Konzern vermieden werden konnten. Dass es sich um einen Verstoß gegen die Tradition des eigenen Hauses und das Berufsethos des Zwischenbuchhändlers handelte, war den Unternehmern durchaus bewusst. Woher nahmen sie die Idee, die Zensur gerade auf diese Art und Weise im eigenen Haus anzusiedeln? Der von den Leipziger Unternehmern wiederholt als Eigenleistung bezeichnete »Vorschlag zur Überwachung der sowjetischen Export und Importe« vom April 1936 gewinnt eine neue Lesart, wenn man ihn mit einem vertraulichen Bericht Wismanns 71 72

Schreiben der Koehler & Volckmar AG & Co. an Wismann vom 24. April 1936, S. 11. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 120. Vgl. hierzu auch Barbian: Literaturpolitik, 1993, S. 394.

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»über die für die Überwachung des Buchimports geleistete Vorarbeit« aus dem April 1935 vergleicht. In diesem Papier hatte Wismann über einige der später von den Unternehmern »in Vorschlag gebrachten« Punkte bereits referiert. Seiner Meinung nach sollte man eine »unsichtbare« Kontrolle des Buchimports und -exports am Leipziger Kommissionsbuchhandel ansetzen. Sollte dies nicht zufriedenstellend gelingen, wäre über eine Enteignung des Branchenzweigs nachzudenken.73 Es ließen sich nun Vermutungen darüber anstellen, ob den Unternehmern in mündlichen Verhandlungen später nahegelegt worden ist, die Kontrolle der russischen Ein- und Ausfuhren im eigenen Betrieb vorzunehmen. Belege hierfür gibt es nicht. Erstaunlich ist allerdings die grundsätzliche Übereinstimmung beider Zensurideen. Zu welchem Resultat führte der Schritt der Unternehmensleitung? Bei der reichsinternen Regelung von Zensurfragen war die Schrifttumskammer gegenüber den Vorschlägen von Koehler & Volckmar reserviert. Sie war weder bereit, die Verantwortlichkeit für die Entfernung »unerwünschter« Literatur allein den Verlegern zu überlassen, noch den Barsortimentern die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« zugänglich zu machen.74 Anders die Reaktion der Kammer zur Überwachung des Handels mit der UdSSR. Am 28. April 1936 kamen Verhandlungen zwischen dem Leipziger Konzern und der Gestapo zustande, in denen man sich über die Kontrolle von sowjetrussischen Importen und Exporten verständigte. Auf Vorschlag der Gestapo verfügte die RSK, dass diese Lieferungen ab sofort nur noch über Koehler & Volckmar zu tätigen wären. Im Leipziger Konzern, genauer in dessen Ausland-Abteilung, wurde ab dem 15. Mai ein sogenanntes Russland-Lektorat, eine Sonderdienststelle des Sicherheitsdienstes der SS, eingerichtet.75 Der Leipziger Konzern musste nur die Räume zur Verfügung stellen, das Personal suchte der Sicherheitsdienst selbst aus. Drei Personen nahm er in die engere Auswahl: den Buchhändler Erich Carlsohn76, der ein kleines Geschäft unter eigenem Namen in Leipzig betrieb, sowie zwei Spezialisten und Sprachkundler, die die Lieferungen inhaltlich zu begutachten hatten. Zu ihrer Aufgabe gehörte es nicht nur zu verhindern, »dass sowjet-russisches Schrifttum in unrechte Hände« geriet, sondern sie sollten auch »die Ausfuhr nach der Sowjet-Union daraufhin prüfen, dass technische, insbesondere militärwissenschaftliche Abhandlungen, die in der Sowjet-Union nicht bekannt werden sollen, nicht nach dort ausgeführt werden.«77 Um die sichere Kontrolle des Schrifttums zu gewährleisten, sollte jedes Buch Seite um Seite geprüft werden. So wollte man auch verhindern, dass hinter das Deckblatt eines ganz harmlosen Titels eine Propagandaschrift gebunden wurde. Unliebsame Artikel (bei Zeitschriften) konnten ausgeschnitten und geschwärzt, Bücher konfisziert werden. Ferner wurden bei Importen

73 74 75 76 77

Das Dokument wird ausführlich zitiert in: Keiderling: Unternehmer im Nationalsozialismus, S. 55 f. Aktennotiz Schott vom 29. April 1936, S. 2. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 114. Vgl. Barbian: Literaturpolitik, 1993, S. 155. Siehe hierzu ausführlich Schroeder: Zensor. Biografische Hinweise zu SS-Unterscharführer (später: Obersturmführer) Carlsohn, 1901 – 1987, bei ebd., S. B94 f. Aktennotiz über eine Verhandlung zwischen Koehler & Volckmar, der Gestapo und der RSK in Berlin vom 28. April 1936, S. 2. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 114.

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sowjetrussischer Bücher die Endabnehmer ermittelt und geheimdienstlich überprüft.78 Die anfallenden Kosten hatten die Händler aufzubringen.79 Auf das Angebot von Koehler & Volckmar, die Fahnenabzüge des Barsortimentskatalogs auf verbotene Literatur hin zu überprüfen, kam die Kammer erst unter dem 21. August 1936 zurück.80 Natürlich dachte sie nicht im Entferntesten daran, ein so wichtiges Kontrollinstrument aus der Hand zu geben. Heinz Wismann teilte mit, man werde die Überprüfung des Katalogs in Berlin vornehmen, weil sich dort das Karteimaterial zu den Verlagen, Autoren und ihrer Werke befinde. Täglich sollten ab dem 7. September durch Eilboten vier Korrekturbogen à 64 Seiten von Leipzig aus an den Referenten SSOberscharführer Herbert Pfeiffer im SD-Hauptamt, Berlin Wilhelmstr. 102, geschickt werden. Nach umgehender Prüfung würde man die Unterlagen am selben Abend nach Leipzig zurücksenden, so dass sie am darauffolgenden Morgen wieder in den Händen der Absender wären. Für diesen Arbeitsvorgang kalkulierte Wismann drei Mitarbeiter, die vom Leipziger Konzern für jede bearbeitete Seite eine Entschädigung von 50 Pf. erhalten sollten. Die Bearbeitung des Gesamtkatalogs würde sich demnach auf ca. 900 RM belaufen.81 Obwohl die Geschäftsleitung eine Übernahme der Kosten eigentlich nur für den Fall angenommen hatte, dass die Überprüfung des Katalogs in Leipzig stattfindet, blieb ihr nun nichts anderes übrig, als sich »versuchsweise und ohne uns damit für kommende Jahre zu präjudizieren«, mit dem Vorschlag Wismanns einverstanden zu erklären.82 Die Geschäftsleitung unternahm am 25. August 1936 noch einmal einen Vorstoß, um die Überprüfung des Katalogs nach Leipzig zu holen. Schließlich verlangte die Firmenleitung, ein Leipziger Mitarbeiter sollte auf jeden Fall der Streichung oder Beanstandung in Berlin beiwohnen, damit der Konzern die Gründe sofort erführe und ggf. Gegenargumente geltend machen könne. Das war der Reichsschrifttumskammer denn doch zu viel. Wismann richtete einen in scharfen Worten gehaltenen Brief an die Geschäftsleitung von Koehler & Volckmar. Sie hätte bei der Zusammenstellung des vorjährigen Katalogs bewiesen, dass sie nicht in der Lage sei, die Bearbeitung nach den geltenden Maßstäben vorzunehmen. Deshalb verbitte er sich jedwede Belehrung und Beratung. Somit blieb alles beim Alten, die Kontrollen fanden in Berlin nach dem von der Kammer festgelegten Modus statt. Wie stark die Berliner Überprüfungen in den Barsortimentskatalog eingriffen, legte der Schriftwechsel zwischen der RSK und dem Konzern in den folgenden Wochen

78 79 80 81 82

Zur Arbeitsweise und Wirkung dieser Abteilung, die bereits nach fünf Monaten Überwachungsarbeit mehr als 40.000 Vorgänge bearbeitet hatte, siehe: Schroeder: Zensor, S. B95 – B99. Verleger und Besteller (bei Importen) hatten insgesamt eine »Sonderabgabe« von drei Prozent des Umsatzes zu entrichten. Vgl. Aktennotiz betr. der Russen-Angelegenheit vom 28. April 1936. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 114. Vgl. Schreiben Wismann an Koehler & Volckmar. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 114. Vgl. Brief Wismanns an Koehler & Volckmar vom 21. August 1936, S. 1 –2. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 114. Vgl. Antwortschreiben an Wismann vom 25. August 1936. In: SStAL, Koehler & Volckmar, 114.

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offen. Danach wurden im September 1936 von insgesamt ca. 50.000 Buchtiteln83 des Katalogs 354 von der Reichsschrifttumskammer gestrichen. Gründe für die Streichungen wurden nicht angegeben. Aus der Aktenlage lassen sich solche im Nachtrag nur in wenigen Einzelfällen ausmachen. Einige Titel waren zuvor durch die »Liste 1« indiziert worden.84 Bei den Titelschwärzungen im Barsortimentskatalog handelte es sich vor allem um philosophische, geschichtliche und rechtswissenschaftliche Abhandlungen, aber auch um astrologische Schriften, Ratgeberbücher sowie Belletristik. Neben Ausgaben, die schon aufgrund ihres Titels oder Autors Misstrauen erregten, wie eine Geschichte des jüdischen Volkes seit der Zerstörung Jerusalems von F. Heman, Die Kabbalah. Einführung in die jüdische Mystik und Geheimwissenschaft von E. Bischoff, Die Grundgedanken der Freimaurerei im Lichte der Philosophie von O. Heinichen, Russlands soziale Zustände von A. Herzen oder Heinrich Heines Buch der Lieder und Neue Gedichte, gab es zahlreiche von der Thematik her unauffällige Publikationen, die aus dem Verkehr gezogen wurden, wie ein Fachbuch zur Wärme- und Kälteschutztechnik von H. Balcke, Das Autotestbuch von E. Friedländer oder Fröhliche Gymnastik von J. Jäckle.85 Sogar politische und rassenkundliche Publikationen standen auf den Verbotslisten: Mit Hitler zur Volksgemeinschaft und zum Dritten Reich. Mit Christus zur Glaubensgemeinschaft und zur Dritten Kirche von J. Kuptsch, Mussolini aus der Nähe von K. Kornicker, Nationalsozialistische Feier-Stunden von F. H. Woweries, Arier und Jude von B. Peters, Rassenforschung und Familienkunde von A. Gercke und Grundriß der Rassenkunde von H. Muckermann.

Buchverbote im Spiegel der Barsortimentskataloge von Koehler & Volckmar 1933 – 1944 Nach den zuvor beschriebenen planmäßigen Durchsuchungen und Zensierungen der Barsortimentskataloge von Koehler & Volckmar ließe sich vermuten, dass die Kataloge bis zum Ende der Diktatur frei von verbotener Literatur waren. Eine gründliche Untersuchung von Herbert Lindenberger kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass es trotzdem eine Anzahl von Werken missliebiger Autoren und sogenannter Grauzonenliteratur in die Kataloglisten schaffte und somit im Deutschen Reich bzw. im Ausland lieferbar war.86 83

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85

86

Die Angabe bezieht sich auf eine Auszählung von Herbert Lindenberger, der die Barsortimentskataloge von Koehler & Volckmar sowie KNO untersucht hat. Vgl. Lindenberger: Der Barsortiments-Katalog in den Jahren 1932 –1944. Teilweise abgedruckt in Voerster: Geschichte der Firmen Koehler & Volckmar, S. 93 –96. Nur in wenigen Fällen hieß es »auf Grund der Liste 1 des schädl. und unerwünschten Schrifttums« aus dem Katalog entfernt. Häufiger fielen die Verbote in die Rubrik: »nach Rücksprache mit den Herren Dr. Pogge, Dr. Bischoff und Menz von der Reichsschrifttumskammer gestrichen«. Vgl. BArch, RKK, Koehler & Volckmar, 13. Zu den Indizierungskriterien der »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums« siehe Aigner: Indizierung, Sp. 972 –1006. Die letztgenannten Bücher befinden sich heute sämtlich in der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig. Lediglich bei Johannes Jäckle Fröhliche Gymnastik nebst Reigen und Volkstänzen für Kinder und Erwachsene, Stuttgart: Paul Mähler 1935, findet sich hinter dem Titelblatt folgender Vermerk: »Beschlagn. Sächs. Fahndungsbl. 166, 55, S. 2936«. Bei Friedländer könnte es sich um einen jüdischen Autor handeln. Vgl. Lindenberger: Der Barsortiments-Katalog in den Jahren 1932 –1944, S. 1.

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Abb. 5: Ständige Bücherausstellung des Barsortiments von Koehler & Volckmar im Leipziger Volckmar-Haus. In: SStAL, Koehler & Volckmar. Es handelt sich dabei keineswegs um einen Akt des Widerstands im Unternehmen Koehler & Volckmar; vielmehr erfolgte die Indizierung der Literatur sukzessive und in verschiedenen Wellen. Die Zensur war zudem nicht immer gründlich und ermöglichte in dem einen oder anderen Fall Ausnahmeregelungen. Mit Rücksicht auf den internationalen Ruf einiger verfemter Autoren wurden oft nur einzelne Werke und nicht global das ganze literarische Schaffen eines Künstlers verboten. Lindenberger teilte die »Säuberungsmaßnahmen« der Barsortimentskataloge durch die RSK in drei »Wellen« ein: 1) Direkt nach den Bücherverbrennungen vom Mai 1933 wurden dort namentlich genannte und »verbrannte« Autoren unverzüglich aus dem Barsortimentskatalog entfernt. Es handelte sich u. a. um: Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Ernst Gläser, Karl Kautsky, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Ernst Ludwig, Heinrich Mann, Walter Mehring, Carl v. Ossietzky, Erich Maria Remarque und Kurt Tucholsky. 2) Im Zeitraum von 1934 bis 1937 folgte eine zweite Welle von Säuberungen. Es wurden 1934 ausgelistet: Vicki Baum, Albert Einstein, Joseph Roth und die letzten Titel von Karl Marx; 1935: Alfred Döblin, Klaus Mann, Carl Sternheim, Leonhard Frank, Else Lasker-Schüler und Heinrich Heine; 1936: Sigmund Freud, Franz Kafka, Jakob Wassermann, Franz Werfel, Carl Zuckmayer, Stefan Zweig, Karl Kraus, Max Brod, Martin Buber, Klabund, Robert Musil, Arthur Schnitzler, Rudolf Steiner und die letzten drei Titel von Erich Kästner. 1937 wurde schließlich auch Thomas Mann im Katalog gelöscht, nach seiner 1936 erfolgten Ausbürgerung. 3) Schließlich gab es eine Grauzone der unbequemen, nicht ausdrücklich verbotenen, aber auch nicht geförderten, nur geduldeten oder zeitweise in Ungnade gefallenen Autoren. Auch waren einige bereits früher verstorbene, aus Gründen ihrer

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»rassischen Herkunft« von der NS-Literaturpolitik abgelehnte Schriftsteller (wie H. v. Hofmannsthal) oder Titel des Schocken Verlags im Katalog vertreten.87 Einige Fallbeispiele zeigt die folgende Aufstellung: Tab. 5: Anzahl der Buchtitel verfemter Autoren in den Barsortimentskatalogen von Koehler & Volckmar Autor Barlach, Ernst Bonhoeffer, Dietrich Heuss, Theodor Hofmannsthal, Hugo v. Huch, Ricarda Kästner, Erich Mann, Thomas Bücher des SchockenVerlags88

1932 3 0

1933 3 1

1934 3 2

1935 4 1

1936 3 1

1937 3 1

1938 3 2

1940 4 3

1941 4 3

1944 0 1

3 29

1 31

1 30

0 28

0 22

0 18

0 19

2 10

3 10

1 7

36 14 38 0

38 5 33 0

40 6 30 5

42 3 29 10

42 0 17 0

40 0 0 0

40 0 0 0

37 0 0 0

37 0 0 0

31 0 0 0

Hinweis: Herbert Lindenberger hat in seiner umfassenden Analyse 117 literarische Autoren, 18 gestalterische Künstler und 16 Komponisten ausgewertet, die hier aus Platzgründen nicht genannt werden können.

Quelle: Lindenberger: Der Barsortiments-Katalog in den Jahren 1932 – 1944.

Der Grossobuchhandel Die wirtschaftliche Situation des Grossobuchhandels war zu Beginn der NS-Diktatur überaus angespannt. Im Geschäftsbericht der Berliner Vereinigung der Großbuchhändler Deutschlands vom April 1933 war zu lesen: Ein Jahr schwerster wirtschaftlicher Not liegt hinter uns. Die außen- und innenpolitische Unruhe wirkte sich sehr scharf im Geschäftsleben aus. Ein Zehntel der deutschen Bürger ist öffentlich als erwerbslos gemeldet […] Auf allen Gebieten des Großbuchhandels ging das Geschäft zurück, die Kaufkraft ließ immer mehr nach, und es erfolgte Abwanderung auf kleine und kleinste Objekte.89

87 88

89

Vgl. Lindenberger: Der Barsortiments-Katalog in den Jahren 1932 –1944. Dies erklärt sich aus der Sonderstellung des Schocken-Verlags, der bis zu seiner 1938 erfolgten Liquidierung offiziell in Deutschland verlegen durfte. Unter den Barsortimentstiteln befanden sich Arbeiten von Martin Buber, Franz Kafka oder solche Titel wie Zionsleder, Garten Eden bzw. weitere Judaica. Vgl. Dahm: Das jüdische Buch. Der Großbuchhandel (1933) 4, Bl. 1 f.

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Vor allem die Konkurrenz der zahlreichen auf diesem Gebiet tätigen Firmen machte ein geschäftliches Überleben schwierig. Der Umsatz mit Jugendschriften und Bilderbüchern ging zurück. Im Schulbuchgroßgeschäft90 waren Einbußen von 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festzustellen. Die Kundschaft und Abnehmer der Grossobuchhändler klagten wiederum darüber, die Lehrer würden den Handel mit gebrauchten Schulbüchern zwischen den Schülern fördern. Im Geschäftszweig Großantiquariat war es trotz der Möglichkeit des billigen Einkaufs ungewöhnlich still. Und auch das Zeitschriftengroßgeschäft ging um etwa 25 Prozent zurück, vornehmlich durch die verminderte Kaufkraft der Kleinabnehmer.91 In Fachblättern wie Der Großbuchhandel dominierte daher die Klage über schlechte Zahler, Betrüger, Schleuderer oder die Verbreiter von sogenannter Schmutz- und Schundliteratur.92 Besonders wandten sich die Grossisten gegen Leihbibliothekare, die »unsittliche« und »zweideutige« Literatur anboten, und verlangten eine stärkere gewerbliche und staatliche Beaufsichtigung derselben. Immer wieder wurden einzelne Betrugsfälle publik gemacht, um Schuldige in der Branche zu stigmatisieren. Diese Rahmenbedingungen sorgten einerseits dafür, dass der Berufsstand der Grossobuchhändler in der Öffentlichkeit kein großes Ansehen genoss. Andererseits gab es zunehmend Probleme, jüngere Buchhändler für diesen Tätigkeitsbereich zu interessieren. Die NS-Diktatur eröffnete dem organisierten Kern des Grossobuchhandels neue Chancen und Wege, innerhalb des Branchenzweigs durchzugreifen. In der Jahresversammlung der Vereinigung der Großbuchhändler Deutschlands wurde bei der Neuwahl des Vorstandes am 22. April 1933 denn auch problemlos die »Gleichschaltung« vollzogen: Vor Beginn der Vorstandswahl verliest der Vorsitzende ein Telegramm und ein nachfolgendes Schreiben des Vorstandes des Börsenvereins zu Leipzig, in dem wir durch die veränderte politische Lage auf eine Gleichschaltung und die Besetzung unseres Vorstandes hingewiesen, aber gebeten werden, bei anderen Maßnahmen von einschneidender Bedeutung vorläufig nichts Selbstständiges zu unternehmen, bis wir weitere Weisung aus Leipzig erhalten. Der 1. Vorsitzende [NSDAP-Mitglied Walther Frey vom gleichnamigen Grossounternehmen in Berlin-Lichterfelde, Th. K.] erklärt hierzu, daß von unseren Vorstandsmitgliedern niemand den linksstehenden Kreisen angehöre, auch keiner jüdischen Abstammung sei, so daß auch der bisherige Vorstand schon als gleichgeschaltet zu bezeichnen ist.93 90 91 92

93

Es handelte sich entweder um den Grossohandel mit Schulbüchern, die an den Einzelhandel geliefert wurden, oder um das Grossieren an Schulen, d. h. die Direktbelieferung von Schulen unter Ausschaltung des Bucheinzelhandels. Vgl. ebd., Bl. 2. Vgl. ebd. In der »25. Liste der Schund- und Schmutzschriften« des Grossobuchhandels von 1933 war u. a. die Produktion des Verlags für Kulturforschung in Wien und Leipzig zu finden. Die Titel lauteten: Das üppige Weib von Dr. Wangen und Dr. Scheuer, Das Weib als Sklavin von Dr. Joachim Welzl, Das lasterhafte Weib hrsg. von Gräfin Agnes Eszterhazy oder Das grausame Weib von Dr. Johannes R. Birlinger. Die von Leo Schidrowitz betreute Reihe war recht teuer und insofern kein typisches Grosso-Objekt, doch wurden erotische und pornographische Werke nicht selten über diesen Distributionskanal vertrieben. Der Großbuchhandel (1933) 5, Bl. 1. Frey führte die Fachschaft bis 1941.

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Im Folgenden wurden die bisherigen Verbände des Grossobuchhandels und Leihbibliothekswesens aufgelöst und in der Form der oben bereits erwähnten Fachschaft Zwischenbuchhandel neu formiert. Die Landkarte des Grossobuchhandels kannte vor allem drei größere Standorte: Berlin, Leipzig und Stuttgart. In Berlin sind zu nennen die Grossobuchhandlungen Walther Frey (kein Gründungsdatum; 1942 erloschen), Abel & Co. (gegr. 1877), Ernst Globig (gegr. 1879), R. Eisenschmidt (gegr. 1880), Augustin & Müller (gegr. 1919), Albert Lübke (gegr. 1927), Die Büchermarkt GmbH (gegr. 1930), Otto Eichler (gegr. 1933) und viele andere. In Leipzig waren ansässig: Otto Maier (gegr. 1857), R. Gieglers Buchhandlung (gegr. 1857), Friedrich Foerster (gegr. 1863), R. Streller (gegr. 1874; seit 1935 in Besitz von Koehler & Volckmar), Louis Naumann (gegr. 1879), die Grosso-Abteilung von H. G. Wallmann (gegr. 1885), das Kommissionshaus deutscher Buch- und Zeitschriftenhändler e. GmbH (gegr. 1905), Franz Winter (gegr. 1908), Rudolf Koch [vormals J. Max Koch Nachfolger] (gegr. 1916), Alfred Lindig (gegr. 1926), die Abteilung Groß-Sortiment von Koehler & Volckmar (gegr. ca. 1929) sowie die Deutsche Großbuchhandlung H. Schaufuß (gegr. 1932). Schließlich gab es die Stuttgarter Firmen August Brettinger (Tochterunternehmen von Koehler & Volckmar) und die Süddeutsche Grosso-Buchhandlung G. Umbreit.

Abb. 6: Speditionszimmer der Großbuchhandlung August Brettinger, Stuttgart und Hauptkontor der Großbuchhandlung R. Streller in Leipzig, in: Koehler & Volckmar 1935, S. 29.

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Interessant ist, dass sich der Konzern Koehler & Volckmar nach langen Abwägungen erst am Ende der 1920er Jahre dazu entschloss, auch auf dem Gebiet des Grossobuchhandels tätig zu werden. 1929 wurde die Abteilung Groß-Sortiment in Leipzig etabliert und ihr 1935 noch die Grossobuchhandlung R. Streller zur Seite gestellt. Beide Großsortimentsabteilungen zählten besonders diejenigen Kunden der Barsortimente von Koehler & Volckmar zu ihren Geschäftsfreunden, »die, veranlaßt durch die sorgfältige und pünktliche Belieferung durch diese Abteilungen auf eine immer weitere Ausdehnung ihrer geschäftlichen Interessen«94 und insbesondere auf die besonderen Lieferungs- und Besorgungsmöglichkeiten des Unternehmens großen Wert legten. Bei der Bestimmung neuer attraktiver Liefer- und Geschäftsbedingungen holte die Abteilung Groß-Sortiment die Vergleichsdaten anderer führender Grossobuchhändler in Deutschland ein. Sie sollen an dieser Stelle für das Jahr 1934 vergleichend genannt werden: Tab. 5: Liefer- und Geschäftsbedingungen bedeutender Leipziger und Stuttgarter Grossogeschäfte, November 1934 Firma Koehler & Volckmar AG & Co, Abteilung GroßSortiment

August Brettinger, Stuttgart (Tochter von Koehler & Volckmar)

94

Grundlegende Liefer- und Geschäftsbedingungen Nettopreise der Verleger ohne Abzug, Provision für alle Lieferungen 5 Prozent, Porti gehen zu Lasten der Bestellfirmen, Verpackung: Kreuzbänder bis zu 2 kg 0,15 RM, Postpakete bis zu 10 kg 0,50 RM Zahlungen: »Uns unbekannten Firmen liefern wir nur gegen Nachnahme oder Voreinsendung des Betrages. Firmen, die regelmäßig und längere Zeit von uns kaufen, kommen wir in der Zahlungsfrage entgegen.« Nettopreise der Verleger ohne Abzug, »Preisänderungen seitens des Verlages vorbehalten. Für schönwissenschaftliche Lagerartikel Durchschnittsrabatt von 30 Prozent; Ausnahmen für günstigere Rabatte bei Sonderangeboten zurückgesetzter Lagerartikel. Für Kalender, Zeitschriften, Modenalben, Schulbücher und Lehrmittel gesonderte Preislisten mit Rabattangaben.« Provisionen werden nicht berechnet, Verpackung je kg. 0,03 RM; für Kreuzbänder bis 500 gr. 0,03 RM, für Kreuzbänder bis 1.000 gr. 0,05 RM und für Kreuzbänder bis 2.000 gr. 0,10 RM. Bei größeren Bezügen kommen die Verpackungsgebühren nach gesonderter Vereinbarung in Wegfall. Remittenden, falls berechtigt, zum vollen Preise statthaft. Spätestens innerhalb 4 Wochen, Spesen der Anlieferung trägt der Kunde.

Koehler & Volckmar 1935, S. 26.

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Otto Maier, Leipzig

Friedrich Foerster, Leipzig

Louis Naumann, Leipzig

Franz Winter, Leipzig

»meist« Nettopreise der Verleger »mit einem den jetzigen Verhältnissen entsprechenden Aufschlag«, der eventuell bei Erteilung größerer Aufträge teilweise oder ganz in Wegfall kommt. Porti, Frachten, Rollgelder und sonstige Nebenspesen werden in Rechnung gestellt. Verpackung und Kisten zum Selbstkostenpreis. Kredit wird gern nach Angabe von Referenzen gegeben. Remittenden vom eigenen Lager werden innerhalb von 4 Wochen im Umtausch zurückgenommen. Zeitschriften zum Nettopreis der Verleger, verpackungsfrei mit vollem Remissionsrecht, insofern volles Remissionsrecht von den Verlegern gewährt wird. In Konkurrenz zu den Kommissionsgeschäften bietet er bessere Bedingungen gegenüber dem Verein Leipziger Kommissionäre vor allem bei der Verpackung pro kg nur 0,06 RM (VLK: 0,10 RM bis 0.12 RM), bei der Führung von Porto- und Frachtkassen (5 Prozent anstatt 10 Prozent) sowie bei der Kreditgewährung. Zeitschriften mit Originalverlegerrabatt gegen 5 Prozent vom Verlegernettorabattpreis. Barpakete und Rechnungspakete werden kostenlos weiterbefördert. Auch für das Einlösen der Pakete wird nicht berechnet. Zeitschriften mit Originalverlegerrabatt sind provisionsfrei. Kein Kommissionshonorar, für Verpackung pro kg 0,08 RM. Bei Inanspruchnahme von Kredit 1 Prozent Zinsen pro Monat. Möglichst alles zum Nettopreis der Verleger ohne Abzug, nur auf buchhändlerische Erzeugnisse, die zu diesen Konditionen nicht geliefert werden können, wird eine 5-prozentige Besorgungsgebühr bezogen. Provision für Gesamtlieferungen 2 Prozent. Gebühren für Kommissionsgut, das bei Verlegern direkt bestellt wird, betragen 5 Prozent. Inkasso von Barpaketen 3 Prozent, Rechnungspakete für jedes angefangene Kg 0.05 RM. Porti und Frachten werden in Rechnung gestellt.

Quelle: SStAL, Koehler & Volckmar, Akte 87, Bl. 13 – 17. Weitere Einblicke in die Tätigkeit des Grossobuchhandels bieten die erhaltenen Bilanzen des Leipziger Kommissionshauses deutscher Buch- und Zeitschriftenhändler für den Zeitraum von 1933 bis 1940. Sie wiesen kontinuierliche Steigerungen aus. Einerseits ist dies auf einen wachsenden Zuspruch zum Unternehmen zurückzuführen, andererseits auf die Stabilisierung und Stärkung des Binnenmarktes. Die Genossenschaft des Kommissionshauses, die in der Egelstraße 9 in Leipzig residierte, erwarb 1937 ein angrenzendes Grundstück, um die Zeitschriften-Lagerhaltung zusammenzufassen sowie die Expeditionsräume und Barsortiments-Abteilung zu erweitern.95 Der Mitgliederbestand, der im ersten Geschäftsjahr 1905/06 noch 79 betragen hatte, war 1939/40 bei 663 angelangt. 1938 wurden Barpakete im Wert von 1,67 Mio. RM eingelöst und der Ab95

Vgl. Börsenblatt 104 (1937) 220, S. 756.

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rechnungsverkehr über die BAG erreichte eine Höhe von 1,77 Mio. RM.96 Die weiteren Bilanzen sind der folgenden Zusammenstellung zu entnehmen. Tab. 7: Die wirtschaftliche Entwicklung des Kommissionshauses deutscher Buch- und Zeitschriftenhändler e. G. m. b. H. in Leipzig 1932 – 1940 Geschäfts- Mitjahr glieder 1932/1933 1933/1934 1934/1935 1935/1936 1936/1937 1937/1938 1938/1939 1939/1940

572 601 605 600 627 640 668 663

WarenKommissions- Barsortimentskonto in konto in RM konto in RM RM 5.617.768 1.728.593 225.498 6.093.395 1.957.880 321.847 6.620.892 1.974.693 359.240 6.966.502 2.268.622 467.568 7.455.290 2.478.156 568.252 7.954.138 2.832.211 700.494 8.587.670 3.145.604 837.830 9.156.716 3.638.506 1.105.253

Umsatz Reingewinn gesamt in RM in RM 7.572.000 159.569 8.373.123 192.862 8.954.826 189.096 9.702.693 201.431 10.501.698 223.945 11.487.000 244.127 12.571.000 265.846 13.900.476 k. A.

Hinweis: Höchstzahlen fett

Quelle: Niewöhner: Kommissionsbuchhändlerische Arbeit, S. 15, 23, 25. Trotz der Größe der Genossenschaft und ihrer Bedeutung am Zentralplatz Leipzig kann man ihren Bilanzen nur bedingt Aussagen zur gesamtbuchhändlerischen Konjunkturentwicklung entnehmen. So geben die Umsätze auf dem Warenkonto lediglich die Zeitschriftenumsätze mit den Mitgliedern aus dem Verlags- und Sortimentsbuchhandel wieder. Auf dem Kommissionskonto finden sich die Barpaketumsätze und auf dem Barsortimentskonto jene Bezüge, die über das Barsortiment getätigt wurden. Der ständige Ausbau des Barsortiments hatte vermutlich dazu geführt, dass die Genossen bei ihren Bestellungen vermehrt auf diese Einrichtung zurückgriffen. Ingesamt lässt sich einschätzen, dass die Warenumsätze bis 1939/1940 stärker anstiegen als die Mitglieder zunahmen. Somit konnte das Ergebnis bis zum zweiten Kriegsjahr stetig verbessert werden.97 Für die Jahre danach haben sich keine Bilanzen erhalten, 1941 führte das Kommissionshaus noch ca. 2.150 Zeitschriftentitel.98 Bemerkenswert war der Ausbau des Grossobuchhandels am Standort Stuttgart. Zu den führenden Häusern gehörten August Brettinger (Tochterunternehmen von Koehler & Volckmar) und Umbreit & Co. Die Süddeutsche Grosso-Buchhandlung G. Umbreit & Co. kaufte in den 1930er Jahren die Firma AZD-Zeitungsdienst (Betreuung ambulanter Zeitungsbuchhändler). In Stuttgart und im Umland lieferte Umbreit mit einem Eildienst per Kombi Sendungen aus. Vertreter nutzten auf ihren Verkaufsreisen zu den Sortimenterkunden bereits PKWs. Sie führten Musterkollektionen mit, die eine Auswahl an Bilder-

96 97 98

Vgl. Börsenblatt 105 (1938) 205, S. 687. Vgl. Niewöhner: Kommissionsbuchhändlerische Arbeit, S. 24 f. Vgl. Niewöhner: Entwicklungsprobleme, S. 29.

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büchern, Kalendern, Jugendschriften und Belletristik enthielten.99 1936 erschien ein Katalog für Zeitungen und Zeitschriften, der mehr als 300 Titel aus den Gebieten der illustrierten und politischen Zeitungen, Mode und Familie, Wissen und Bildung, Funk und Film, Foto, Rätsel, Sport und Körperkultur, Religion und Erbauung, Versicherungsschriften und Tageszeitungen umfasste. Um 1939 belieferte Umbreit rund 2.000 Kunden im Presse-Grosso. Der 1927 in Freiburg im Breisgau gegründete Reise- und Verkehrsverlag, der sich auch im Gross-Buchhandel betätigte, zog 1932 nach Stuttgart um. 1934 übernahm Wilhelm Voigt die Süddeutsche Zeitungszentrale (Presse-Grosso) vom Handelshaus für Reise und Verkehr, das sich fortan auf das Geschäft mit den Bahnhofsbuchhandlungen in Süddeutschland konzentrierte. Alle Grossisten hatten sich längst im Stuttgarter Zwischenbuchhandelsviertel niedergelassen.100

Abb. 7: Versandabteilung Umbreit in den 1940er Jahren. Aus: Unternehmensarchiv Umbreit, Bietigheim-Bissingen. Analog zur Entwicklung im Gesamtbuchhandel erfuhr auch das Geschäft des Grossobuchhandels nach 1934 eine Belebung.101 Brennende geschäftliche Fragen wurden zuweilen auch mit politischen Mitteln angegangen. So hatte der Vorstand der Deutschen Buchhändlergilde 1933 im Börsenblatt eine Bekanntmachung erlassen, in der von gewissenlosen Grossisten die Rede war.102 Es ging im engeren Sinne um den Vertrieb von sogenannten anstößigen Schriften durch einzelne Leihbibliothekare. Die Vereinigung der Großbuchhändler verwahrte sich dagegen, dass am Beispiel weniger Firmen der gesamte Stand der Grossisten verächtlich und verantwortlich gemacht wurde. Der 99 100 101 102

Vgl. Chronik der Firma G. Umbreit, S. 15 f. Vgl. Bez: Zwischenbuchhandel, S. 94 f. Vgl. Börsenblatt 101 (1934) 90, S. 348. Vgl. Börsenblatt 100 (1933) 125, S. 393.

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»ordentliche Großbuchhandel« würde nur solche Bücher vertreiben, die auch jedes »ordentliche Sortiment und Antiquariat« führe.103

Abb. 8: Versandabteilung Umbreit in den 1940er Jahren. Aus: Unternehmensarchiv Umbreit, Bietigheim-Bissingen. Im November 1936 beriet die Fachschaft Zwischenbuchhandel über Bestrebungen des Verbandes der Zeitungs- und Zeitschriften-Grossisten sowie der Reichsfachschaft des deutschen Zeitungs- und Zeitschriften-Einzelhandels, den Verkehr mit Zeitschriften den Ortsgrossisten vorzubehalten und den Verkehr über Leipzig von der Belieferung derjenigen Standorte auszuschalten, wo sich Ortsgrossisten befanden. Gegen solche Erwägungen sprach sich die Fachschaft Zwischenbuchhandel energisch aus. Ebenso wandte sie sich gegen Einzelhändler, die sich fälschlicherweise als Grossisten bezeichneten, um den entsprechenden Rabatt zu erhalten.104 Die Gründungssperre für Buchgroßhandlungen und Kommissionsgeschäfte vom 10. Januar 1938 fand im Branchenzweig breite Zustimmung. Wiederholt setzte sich die Fachgruppe Großbuchhandel und Großantiquariat für deren Verlängerung ein. Schließlich sprachen sich die Großbuchhändler für monatliche Empfehlungslisten aus, denn es sei bei 2.000 Neuerscheinungen pro Monat unmöglich, sämtliche Werke selbst auf ihren Inhalt zu prüfen. Auf diese Weise sollte das »unerwünschte Schrifttum« im Grossobuchhandel noch weiter zurückgedrängt werden.105 103 Börsenblatt 100 (1933) 174, S. 559. 104 Vgl. Börsenblatt 103 (1936) 262, S. 983 f. 105 Vgl. Der Großbuchhandel (1939) 6, Bl. 2.

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Literatur Ungedruckte Quellen Archivalien Berliner Bundesarchiv (BArch) Personen- und Firmenakten

Brockhaus-Archiv in Wiesbaden, im Privatbesitz von Hubertus Brockhaus Firmenkorrespondenzen Hans Brockhaus 1944/45

Deutsches Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig Börsenvereinsbibliothek

Firmenarchiv Koch, Neff & Oetinger/Koch, Neff & Volckmar in Stuttgart Vaihingen (Firmenarchiv KNO/KNV)

DOHLE, Vera: Die Barsortimente zwischen 1852 und 1945 – unentbehrlicher Zwischenbuchhändler und Politikum des deutschen Buchhandels. Magisterarbeit, Manuskript. München 1991. Geschäftsrundschreiben, Personennachlässe LINDENBERGER, Herbert: Der Barsortiments-Katalog in den Jahren 1932 –1944. Manuskript. Stuttgart ca. 2000. REINHARD, Alfred: Erinnerungen an 1898 –1948 bei Koch, Neff & Oetinger & Co. Manuskript. Stuttgart ca. 1950.

Sächsisches Staatsarchiv (SStAL)

21765 Bestand Börsenverein der Deutschen Buchhändler zu Leipzig (I), 1825 –1945 21065 Bestand Koehler & Volckmar 1877 –1953

Unternehmensarchiv Umbreit, Bietigheim-Bissingen Interview Thomas Keiderling mit Jürgen VOERSTER (1926 –2010), dem Seniorchef von Koch, Neff & Oetinger/Koch, Neff & Volckmar (Nachfolgeunternehmen von Koehler & Volckmar) vom 21. September 1998 in Stuttgart.

Gedruckte Quellen 75 Jahre Bücher bewegen. Das Buch über LIBRI, erschienen zum 75jährigen Firmenjubiläum von LIBRI. Hamburg: Libri 2003. 100 Jahre Schweizer Buchzentrum 1882 –1982. Festschrift zum 100jährigen Jubiläum. Hägendorf: Schweizer Buchzentrum 1982. Adressbuch des Deutschen Buchhandels. Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig 1933 –1942. BAUR, Karl: Wenn ich so zurückdenke … Ein Leben als Verleger in bewegter Zeit. München: dtv 1985. Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig 1933 –1945.

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Chronik der Firma G. Umbreit GmbH & Co. Buch- und Pressehaus. Zusammengestellt zum 60. Geburtstag des Seniorchefs Dr. Max Umbreit am 16. Juni 1980, Maschinenschrift. Stuttgart: Umbreit 1980. Das Schweizerische Vereinssortiment Olten 1882 –1957. Festschrift. Hrsg. zum 75jährigen Bestehen des Unternehmens. Olten: Schweizerische Vereinssortiment 1957. Der buchhändlerische Verkehr über Leipzig und der Betrieb des Leipziger Kommissionsgeschäftes. Den Teilnehmern am IV. Internationalen Verleger-Kongress zu Leipzig 1901 dargeboten vom Verein Leipziger Kommissionäre. o.O. u. J. [Druck: Leipzig: Brockhaus 1901]. Der Großbuchhandel. Mitteilungen der Vereinigung der Großbuchhändler Deutschlands e. V. (später neuer Untertitel: Rundbrief des Leiters der Fachgruppe Großbuchhandel und Großantiquariat), 1933 –1945. GARTMANN, Felix: Das Barsortiment. In Lehrbuch des deutschen Buchhandels. 7. Auflage. Hrsg. von Max Paschke und Philipp Rath. Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 1935. LIEBSTER, Dr.: Der Zeitschriftenverkehr durch die Post und über Leipzig. In: Börsenblatt 101 (1934) 19, S. 12 –14. FERNAU, Curt: Der Leipziger Platz und seine Buchhändlerischen Einrichtungen. Gedrucktes Referat, 1935. HOHLFELD, Johannes: Hundert Jahre Verein der Buchhändler zu Leipzig. Festschrift. Leipzig: Verlag des Vereins der Buchhändler zu Leipzig 1933. Koehler & Volckmar Leipzig – Stuttgart – Berlin. 2., veränderte Auflage. Leipzig: Koehler & Volckmar o. J. [ca. 1935]. VOERSTER, Jürgen: Geschichte der Firmen Koehler & Volckmar; Koch, Neff & Volckmar; Koch, Neff & Oetinger Verlagsauslieferung und der Gründungsfirma F. Volckmar von 1829 bis 2009. 2 Bde. Stuttgart: KNV 2010. VOLCKMAR-FRENTZEL, Theodor: In den Stürmen der Zeit. Zur Geschichte des Hauses Volckmar 1829 –1954. Stuttgart: K. F. Koehler 1954. Warum verkehrt man über Leipzig? Vom Verein Leipziger Kommissionäre. In: Börsenblatt 101 (1934) 19, Beilage, S. 8 –12. Wer liefert in Leipzig aus? Zusammenstellung der in Leipzig ausliefernden Verleger, abgesehen von den in Leipzig ansässigen Verlagsfirmen. Leipzig: Buchhandels-Verkehr und -Verrechnung GmbH (früher Verein Leipziger Kommissionäre) 1933, 1935, 1937, 1939, 1941.

Forschungsliteratur AIGNER, Dietrich: Die Indizierung »schädlichen und unerwünschten Schrifttums« im Dritten Reich. Sonderdruck aus: Archiv für Geschichte des Buchwesens. Frankfurt a. M.: Buchhändler-Vereinigung 1971, Sp. 934 –1034. BARBIAN, Jan-Pieter: Literaturpolitik im »Dritten Reich«. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder. Sonderdruck aus: Archiv für Geschichte des Buchwesens. Frankfurt a. M.: Buchhändler-Vereinigung 1993. BARBIAN, Jan-Pieter: Der Börsenverein in den Jahren 1933 bis 1945. In: Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Ein geschichtlicher Aufriss. Hrsg. von Stephan Füssel u. a. Frankfurt a. M.: Buchhändler-Vereinigung 2000, S. 91 –117. BARBIAN, Jan-Pieter: Literaturpolitik im NS-Staat. Von der »Gleichschaltung« bis zum Ruin. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch 2010. BEZ, Thomas: Zwischenbuchhandel. In: Der Stuttgarter Buchhandel im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1997, S. 91 –114. BEZ, Thomas/KEIDERLING, Thomas: Der Zwischenbuchhandel. Begriffe, Strukturen, Entwicklungslinien in Geschichte und Gegenwart. Stuttgart: Dr. Ernst Hauswedell & Co. 2010.

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DAHM, Volker: Das jüdische Buch im Dritten Reich. 2. Auflage. München: C. H. Beck 1993. KEIDERLING, Thomas: Modernisierung des Leipziger Kommissionsbuchhandels 1830 bis 1888 (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Bd. 58). Berlin: Duncker & Humblot 2000. KEIDERLING, Thomas: Der buchhändlerische Markthelfer. Auf den Spuren einer verschwundenen Leipziger Berufsgruppe. In: Aus dem Antiquariat (2001) 3. Frankfurt a. M., A137 –A144. KEIDERLING, Thomas: Unternehmer im Nationalsozialismus. Machtkampf um den Konzern Koehler & Volckmar AG & Co. 2., verb. Auflage. Beucha: Sax-Verlag 2008. KEIDERLING, Thomas: Der Zwischenbuchhandel. In: Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert. Bd. 2: Die Weimarer Republik 1918 –1933. Teil 2. Hrsg. von Ernst Fischer und Stephan Füssel. Berlin/Boston: de Gruyter 2012, S. 283 –334. NIEWÖHNER, Emil: Der Konzentrationsprozeß im deutschen Kommissionsbuchhandel unter besonderer Berücksichtigung des Leipziger Platzes. Stuttgart: C. E. Poeschel 1935. NIEWÖHNER, Emil: Kommissionsbuchhändlerische Arbeit an Buch und Zeitschrift. Stuttgart: C. E. Poeschel 1940. NIEWÖHNER, Emil: Entwicklungsprobleme des Leipziger Zwischenbuchhandels. Jena: Gustav Fischer Verlag 1941. SICKEL, Karl-Ernst: Leipzigs Entwicklung zum Umschlagplatz des deutschen Buchhandels. In: Leipziger Jahrbuch. Hrsg. von Georg Merseburger. Leipzig 1940, S. 98 –108. STAUB, Hermann: Bericht über den Wiederaufbau des Leipziger Platzes (Stand Mitte Mai 1944). Aus dem Historischen Archiv des Börsenvereins (25). In: Buchhandelsgeschichte 1/1991. Frankfurt a. M., B38 –B42. SCHROEDER, Werner: Der Buchhändler als Zensor. Erich Carlsohn und das Rußland-Lektorat des Sicherheitsdienstes der SS (SD). In: Buchhandelsgeschichte 2/1998. Frankfurt a. M., B92 – B104.

8

Verlagsbuchhandel Reinhard Wittmann

8.1

Literarische/belletristische Verlage

8.1.1

Umrissskizze: Der Belletristikmarkt und seine Teilnehmer, Inhalte und Instanzen

Was die literarischen und belletristischen Verlage, die sich überwiegend als unpolitisch verstanden, von der Machtübernahme der Nationalsozialisten zu erwarten hatten, hat niemand deutlicher formuliert als der völkische Nationalist Wilhelm Stapel. Die Tiraden dieser mit der Szenerie wohlvertrauten grauen Eminenz der Hanseatischen Verlagsanstalt lassen erkennen, wie sich in den Hirnen überzeugter Parteigänger das literarische Leben und der Buchmarkt der Weimarer Republik als jüdische Verschwörung darstellten und welcher Hass, ja Vernichtungswille sich hier aufgestaut hatte: Die Macht der Kritik erwuchs zu ihrer vollen Gewalt erst durch die Verbindung von Verlagswesen und Literatentum, die beide einander in die Hände arbeiteten. Was aus einem jüdischen Verlag kam, wurde von den Kritikern zunächst beachtet; was aus einem zur Assimilationssphäre gehörenden Verlag kam, ebenfalls; was aus einem rein deutschen Verlag kam, blieb von vornherein wenig beachtet oder unbeachtet; was aus einem Verlag kam, der für das Deutschtum kämpfte, wurde von vornherein entweder (erster Grad) totgeschwiegen oder (zweiter Grad) mit Spott übergossen. […] Das Totschweigen des Gezeichneten […] wurde nicht nur von den Kritikern, sondern auch von den Verlegern befolgt. Wenn ein Dichter, den man verlegt hatte, sich später als national erwies, so wurden seine Werke zwar nicht offiziell dem Verkehr entzogen, aber sie wurden hintangestellt und verschwanden langsam. […] So haben wir denn seit dem Weltkriege die Erscheinung des jüdischen Allerweltsromans, der, leicht übersetzbar, überall gekauft und überall gelesen wird, wo Juden, unter dem Schutz des Tabu, ihre literarische Propaganda treiben. So entstehen gewisse moderne ›Welterfolge‹ der Literatur. […] Die literarische Öffentlichkeit wurde vom Judentum beherrscht. […] Die jüdische Literatur prangte breit in allen unseren Auslagen. Ich trat in eine Buchhandlung, neben mir wünschte eine Dame ein Buch zu kaufen. Die Verkäuferin legte ihr einen Stoß Bücher des jüdischen Verlages S. Fischer vor und sagte: ›Die Bücher dieses Verlages sind alle gut, die kann ich alle empfehlen.‹ Die geistige Hörigkeit ging, in der furchtbaren Bitterkeit jener Jahre nach dem Zusammenbruch, bis zur geistigen Selbstaufgabe […]. Hätte der deutsche Geist im Jahr 1933 nicht die politische Macht errungen, so wäre die deutsche Kultur der Überfremdung erlegen.1

1

Stapel: Die literarische Vorherrschaft der Juden in Deutschland 1918 –1933, S. 18 ff. Schon 1925 hatte der Verleger Theodor Fritsch unter dem Pseudonym Lynkeus die Broschüre Der deutsche Buchhandel und das Judentum. Ein Menetekel in seinem Leipziger Hammer-

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Die NS-Schrifttumspolitik sah deshalb in der Überwachung der schöngeistigen Verlage und der Neuordnung des literarischen Marktes eine kulturelle und politische Aufgabe höchster Priorität. Welche obrigkeitlichen Strategien der Kontrolle, Zensur und Repression sie dabei anwandte, wird an anderer Stelle eingehend behandelt. Das folgende Kapitel kann nur exemplarisch und in Umrissen schildern, wie unter diesen Bedingungen verlegerisches Handeln möglich war, in einem breiten Spektrum von jeweils unterschiedlichen Strategien. Für einen Teil der wichtigeren Verlage liegen inzwischen nützliche Forschungsbeiträge vor, auf die hier zurückgegriffen werden kann. Forschungslücken sind desto spürbarer, insbesondere hinsichtlich der Vielzahl kleinerer Firmen. Sie können in einem solchen Überblick nicht geschlossen werden. Pauschale Kategorisierungen und Bewertungen bezeugen nur ungenügende Quellenkenntnis. Die Wirklichkeit verlegerischen Überlebens in der Diktatur ist sicher nicht mit einer bloßen Dichotomie von Fanatikern, Anpassern und Mitläufern auf der einen und vorsichtiger Distanz, »Innerer Emigration« oder gar provokanter Opposition auf der anderen Seite zu erfassen. Auf einen generellen Marktüberblick folgen eine Anzahl von Einzeldarstellungen sowie ein Ausblick auf die Situation im Krieg.

Die literarische Produktion in Zahlen Die statistischen Daten zum Buchmarkt der NS-Zeit hat im Börsenblatt, wie schon vor 1933, Ludwig Schönrock bereitgestellt. Seine Angaben bieten für den Literaturbereich folgendes Bild:2 Insgesamt verringerte sich der Umfang der gesamten deutschen Buchproduktion zwischen 1928 und 1934 stetig (mit Ausnahme von 1933). Der Abwärtstrend auf Grund der Wirtschaftskrise führte zu einer Reduzierung um rund ein Drittel: von 31.026 Titeln im Jahr 1927 bis zum Tiefststand von 20.852 Titeln 1934. Dann jedoch setzte eine deutliche Aufwärtsentwicklung ein: 1936 waren 23.654 Titel, 1937 25.361 zu verzeichnen. Die 1938 fast ebenso hohe Zahl sank 1939 deutlich um rund 20 Prozent auf 20.378, blieb 1940 und 1941 auf diesem Niveau, stieg 1942 auf 21.562 Titel, reduzierte sich 1943 auf 15.567, 1944 schließlich auf 11.714.3 Bereits seit 1927 war der Anteil der Schönen Literatur an der jährlichen Produktion stetig im Rückgang begriffen. 1932 hatte sie gegenüber 1931 nochmals um 266 Titel auf 15,07 Prozent der Gesamtproduktion abgenommen (nämlich von 3.422 auf 3.156). 1933 war mit 15,2 Prozent sogar ein kleiner Anstieg zu registrieren: Von den 3.282 Titeln hatte sich jedoch nur die Zahl der Erstauflagen vermehrt (von 2.510 auf 2.666), jene der Neuauflagen dagegen von 646 auf 616 reduziert. Im Jahr 1934 stieg die Titelzahl wiederum, freilich nur minimal um 7 auf 3.289 (davon Erstauflagen 2.731,

2 3

Verlag vorgelegt. Darin sind auf S. 9 –17 nicht weniger als 119 vorgeblich jüdische oder mit jüdischem Kapital ausgestattete »schönwissenschaftliche Verlagsfirmen« aufgeführt, von Avalun über Bondi, Cassirer, DVA, S. Fischer, Hegner, Hoffmann & Campe, Axel Juncker, Th. Knaur, Malik, Georg Müller, Erich Reiß, Kurt Wolff bis zu Zsolnay. Vgl. Börsenblatt 101 (1934) 86, S. 326; Börsenblatt 102 (1935) 162, S. 579 ff.; Börsenblatt 103 (1936) 59, S. 221 ff., das Schönrock-Zitat S. 222; Börsenblatt 105 (1938) 26, S. 90 f. Vgl. für die 40er Jahre die Zahlen bei Strothmann: Nationalsozialistische Literaturpolitik, S. 356 ff. Vgl. dazu Frey-Wegele: Die Entwicklung der deutschen Buchproduktion 1933 bis 1945 unter besonderer Berücksichtigung der Belletristik.

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Neuauflagen nur mehr 558 – möglicherweise betraf dieser Schwund die nun verbotenen Autoren). Das bedeutete angesichts der seit 1928 stetig sinkenden Gesamtproduktion einen Anteil von 15,8 Prozent. 1935 jedoch verbesserte sich die Schöne Literatur deutlich auf 3.989 Titel (Erstausgaben 3.224, Neuauflagen 765). Diese Zunahme um 21,3 Prozent führte zu einem Anteil am Gesamtmarkt von 17,2 Prozent. Schönrock bemerkte zu diesem Trend: Das konjunkturmäßige Schreiben und Verlegen von Bauernromanen und von Dichtungen, die mehr oder weniger die innige Verbundenheit mit ›Boden und Scholle‹ zum Ausdruck bringen wollen, hat nachgelassen. Eine ähnliche Wandlung setzt sich gegenwärtig beim geschichtlichen Roman durch. Es beginnt anscheinend wieder eine ansteigende Kurve in der Herstellung von Unterhaltungsliteratur, denn in vorhergehenden Jahren bewegte sich die Verlagstätigkeit sogenannter schöngeistiger Literatur in ruhigeren Bahnen. Offensichtlich war die Umorientierung der Programme weitgehend abgeschlossen. 1936 war die Zunahme gegenüber dem Vorjahr nur gering – um 35 (0,7 Prozent) auf insgesamt 4.017 Titel, das Verhältnis von Erst- und Neuausgaben blieb dabei praktisch unverändert. Dagegen war 1937 ein Quantitätssprung um 10,8 Prozent zu verzeichnen; mit 318 zusätzlichen Novitäten erreichte die Schöne Literatur nun 4.335 Titel, davon 3.552 Erstausgaben und 783 Neuauflagen, 1938 war der Höchststand mit 4.673 Titeln zu verzeichnen. Der Markt hatte sich offenkundig stabilisiert, der Aderlass an Qualität hatte eher zu einer Stimulierung der Quantität geführt. 1939 schrumpfte mit der Gesamtproduktion auch die Belletristik auf 3.407 Titel, stieg jedoch 1940 wieder auf 3.520 an. In den Kriegsjahren erreichte der Anteil der Schönen Literatur an der Gesamtproduktion, nach den Auflagenhöhen berechnet, einen singulären Höhepunkt und lag von 1941 bis 1944 bei einem Viertel (25,5 Prozent).4 So etwa wurden 1940 insgesamt 250 Millionen Exemplare an Büchern hergestellt, davon erreichte die Belletristik einen Anteil von 72 Millionen, wovon 39 Millionen auf Novitäten entfielen und 33 auf Neuauflagen, weit überwiegend Feldpost- und Wehrmachtsausgaben. Das Propagandaministerium wies den Lektürebedürfnissen der Front schon im ersten Kriegsjahr höchste Priorität zu.

Veränderungen in der Verlagslandschaft Statistisch betrachtet hatte die konforme Schöne Literatur im Dritten Reich also zweifellos Konjunktur, ihre Verleger konnten nach der Wirtschaftskrise wieder auf ökonomische Prosperität hoffen. Das galt freilich nicht für die Exponenten der »nichtarischen« und »linken« Verlagsszene. Für die letztere mag das Schicksal von Wieland Herzfeldes Malik-Verlag als exemplarisch stehen. Schon 1933 wurden Verleger und Lektoren sowie viele seiner Autoren ins Exil getrieben. Herzfelde entging nur knapp dem Zugriff der Gestapo und floh nach dem Reichstagsbrand ohne Hab und Gut nach Prag. 40.000 seiner in Deutschland gelagerten Titel wurden beschlagnahmt und vernichtet, ein weite-

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Die Zahlen nach Strothmann: Nationalsozialistische Literaturpolitik, S. 358.

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rer Teil wurde vom Regime gegen harte Devisen ins Ausland verkauft.5 Ein Teil der jüdischen Verleger suchte unter sich stetig erschwerenden Bedingungen noch zwei, drei Jahre auszuhalten (so Cassirer, Erich Reiß, S. Fischer, Ullstein), bis sie zur Aufgabe, teils mit folgender »Arisierung«, und zur Emigration gezwungen wurden. Über letztere wird in einem eigenen Teilband ausführlicher berichtet. Exemplarisch war das Schicksal von Bruno Cassirer.6 Er und sein Lektor Max Tau hofften 1933 mit einem schmalen »Programm der Innerlichkeit« zu überdauern. Autoren wie August Scholtis und der junge Wolfgang Koeppen standen dem Regime sehr distanziert gegenüber; auch die Bauernromane des Innsbrucker Lehrers Josef Leitgeb, der zum »Brenner«-Kreis gehörte, hatten mit der üblichen Blut-und-Boden-Pathetik nichts zu tun. Immerhin schien Leitgebs Christian und Brigitte (1936) harmlos genug, um unter dem Titel Heimkehr von der »Deutschen Buch-Gemeinschaft« übernommen zu werden. Bermann Fischers Vorschlag einer gemeinsamen Emigration unter Mitnahme des Verlagslagers nach Wien lehnte Cassirer ab. Doch Anfang 1937 wurde er aus der Schrifttumskammer ausgeschlossen und emigrierte im Dezember 1938 unter Verlust aller Buchbestände nach England.7 Die Liste der »im deutschen Reichsgebiet zugelassenen jüdischen Buchverlage und Buchvertriebe« vom Oktober 1938 nennt außer Schocken keinen belletristischen Verlag mehr.8 Für die »arischen« Unternehmen lässt sich dagegen Andreas Meyers These insgesamt zustimmen: Es hat den Anschein, als ob schöngeistige Verlage nach 1933 durch die starken marktregulierenden, angesichts der Propagandamaßnahmen auch belebenden Einflußnahmen des nationalsozialistischen Staates und der verschiedenen Parteigliederungen generell überdurchschnittlich profitabel arbeiten konnten.9 Um welche Firmen handelte es sich? 1935 nannte der versierte Kenner des Marktes Horst Kliemann folgende Unternehmen als wesentliche Verleger Schöner Literatur: Cotta, DVA, Engelhorn, S. Fischer, Goldmann, Grethlein, Grote, Holle, Insel, Knaur, K. F. Koehler, Langen-Müller, List, Rowohlt, Rütten & Loening, Schünemann, SocietätsVerlag, Staackmann, Tauchnitz, Wunderlich.10 Man vermisst die Namen Bertelsmann, Ullstein, Westermann, die an anderem Ort genannt werden (der Österreicher Zsolnay allerdings fehlt gänzlich). Unter den »politischen und weltanschaulichen« Verlagen mit eindeutig nationalsozialistischem Programm, die Kliemann aufführt, sind ebenfalls einige, die auch regimetreue Belletristik herausbrachten, allen voran Eher, Diederichs, die Hanseatische Verlagsanstalt, Stalling, auch Willi Bischoffs Brunnen Verlag, der Verlag Volk und Reich und Andermanns Verlag für Zeitgeschichte. 5 6 7 8 9 10

Vgl. dazu zuletzt Stucki-Volz: Der Malik-Verlag und der Buchmarkt der Weimarer Republik. Vgl. Abele: Der Verlag Bruno Cassirer im Nationalsozialismus 1933 –1938. Die Verlagsreste wurden im Krieg versteigert, wie sich Hans Benecke erinnert (Benecke: Eine Buchhandlung in Berlin, S. 156). Vgl. Vertrauliche Mitteilungen der Fachschaft Verlag (VMV) Nr. 37 vom 13. Oktober 1938, unpag. Beilage. Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller, S. 193. Vgl. Kliemann: Deutschland, S. 48 f.

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Von den genannten Firmen hat Tauchnitz bis zum Kriege ausschließlich angloamerikanische Textausgaben verlegt,11 das regimenahe Unternehmen K. F. Koehler hat sehr wenig Belletristik herausgebracht.12 Eine nennenswerte Anzahl literarischer Titel im eigentlichen Sinn ist nur bei DVA, Fischer, Insel, Langen-Müller und Rowohlt erschienen – nur sie sind bisher auch Gegenstand buchhandelshistorischen Interesses geworden. Die anderen Verlage beschränkten sich auf leichte Unterhaltungsware oder auch ideologisch genehme Titel ohne literarische Relevanz. Eine Rangliste der Bestsellerverlage 1933 – 1944 zeigt an erster Stelle mit je vier Titeln Bertelsmann und Langen/ Müller, es folgen Andermann, HAVA und Neff mit jeweils drei, Eher, Ullstein, DVA, Grethlein und Rütten mit zwei Titeln. Ein kursorischer Blick auf die Produktion (von Programmen lässt sich kaum sprechen) der von Kliemann aufgeführten Firmen bietet ein ökonomisch erfreuliches, doch literarisch wenig attraktives Bild:13 Cotta schwamm im nationalen Fahrwasser mit meist älteren Heimat- und Bergromanen seiner Erfolgsautoren J. C. Heer, Rudolf Stratz, Rudolf Herzog, August Winnig, Felicitas Rose, Alfons von Czibulka, Isolde Kurz und Agnes Miegel. Auch Paul Heyse und Hermann Sudermann wurden noch aufgelegt. An jüngeren Autoren sind Waldemar Bonsels und Hans Leip zu nennen. Leip erinnerte sich 1947, er sei nach der Emigration von Kurt Enoch in die USA an Cotta geraten, der durch die geschickte Haltung seiner äußerst klugen Prokuristin Dr. Kläre Buchmann, neben dem Insel Verlag als fast einziger deutscher Verlag vor den Nachstellungen der Nazisten sich sichern konnte. Dort konnten Sachen erscheinen, die mich glatt ins KZ gebracht hätten, wäre die Gestapo fähig gewesen, Lyrik zu lesen.14 1937 enthielt der Band Die kleine Hafenorgel auch Leips berühmtestes Gedicht Lili Marleen. Zugleich reüssierte dort Hanns Heinz Ewers mit seinem Freikorpsroman Reiter in deutscher Nacht und der bereits 1932 erschienenen Verherrlichung des NSIdols Horst Wessel. Ein deutsches Schicksal, die ein Jahr später bereits im 140. Tausend stand, jedoch bei der Partei auf wenig Begeisterung stieß. Im Krieg brachten es auch Leips Bücher auf teils sechsstellige Auflagen, Cottas dünne Feldausgaben waren insbesondere lyrischen Klassikern wie Nietzsche, Storm, Uhland gewidmet; 1943 kam eine »Feldauswahl« aus Friedrich Beißners gleichzeitig beginnender Hölderlin-Edition 11

12 13 14

Ab 1941 erschien eine »Deutsche Tauchnitz-Reihe«, die Bandzählung begann mit 101 und endete wohl um 170. Es handelte sich um broschierte Lizenzausgaben, teils Klassiker (Fontane, Hauff, Storm), Literarisches u. a. von Ludwig Thoma, Friedrich Huch, Manfred Hausmann, Hans Leip, Martin Raschke, Werner Hellwig, Richard Billinger, Friedrich Michael, Agnes Miegel und Ernst Jünger sowie Unterhaltungsromane, auch Bestseller (Dominik, Löns, Schenzinger, Zischka). Die bei Brandstetter in Leipzig gedruckte Reihe war laut Impressum »nur zum Verkauf außerhalb des Grossdeutschen Reiches« bestimmt. Vgl. Keiderling: Unternehmer im Nationalsozialismus, S. 32 –34 und Dokumentation, S. 99 ff., 102 ff., 112 ff., 135 ff., 194 ff. Der folgende Überblick stützt sich neben den Angaben bei Adam und Schneider auf Durchsicht von Verlagsprospekten und Anzeigen sowie Internetrecherchen und Autopsien. Hans Leip (in apologetischer Absicht?) an Thomas Theodor Heine, Brief vom 11. Juli 1947, zitiert nach Autographenangebot Juni 2014 des Antiquariats Eberhard Köstler (Tutzing), Nr. 60, S. 21.

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in 100.000 Exemplaren heraus (aber auch im selben Jahr des Emigranten Bernard von Brentano Biographie über August Wilhelm Schlegel). Bei Adolf Spemanns Engelhorn-Verlag, wo 1932 noch Romain Rolland und Hermynia zur Mühlen (Das Riesenrad) erschienen waren, konzentrierte man sich neben der »Romanbibliothek« auf Reise- und Bergliteratur, wie Carl Haensels Kampf ums Matterhorn, das 1940 die Hunderttausendermarke erreichte. Erfolgsautoren waren Kurt Kluge und Stijn Streuvels. Aber gute Geschäfte waren auch noch mit älteren Titeln zu machen wie dem schwülstigen Liebesroman von 1911 Zwei Menschen von Richard Voß, der bis 1938 auf 860.000 Exemplare kam (vielleicht auch, weil er am Obersalzberg spielte). Grote widmete sich nicht nur seinem Klassiker Wilhelm Raabe, sondern war auch der Stammverlag des auflagenstarken Gustav Frenssen, der sich nach 1933 mit vehement antisemitischen Schriften hervortat – auch seine Geschichtsklitterung Der Weg unseres Volkes (1938) erreichte schnell eine Auflage von achtzigtausend. Neben Titeln der Parteipoeten Richard Euringer und Bischoff/Bürkle wurden auch zwei geduldete katholische Autoren verlegt: Peter Dörfler mit seiner Apollonia-Trilogie und Ruth Schaumann. Am Frontgeschäft war man beteiligt mit »Grotes Soldaten-Ausgaben«. Staackmann in Leipzig pflegte insbesondere völkische Autoren und Themen aus Österreich und dem Sudetenland – neben dem Heimatklassiker Peter Rosegger, einem wahren Goldesel, brachten es auch Otto Ernst, Rudolf H. Bartsch und Rudolf Greinz schon vor 1933 auf Millionenauflagen, dazu kamen etwa Hans Watzlik, K. H. Strobl, Adam Müller-Guttenbrunn, auch Oskar Gluth und der Humorist Fritz Müller-Partenkirchen. Des Verlegers Staackmann Verdienste um das Deutschtum der Ostmark hat Adolf Hitler mit der Goethe-Medaille gewürdigt. Aus dem Rahmen fällt nur eine bibliophile Folge von Zeichnungen des beim Regime verpönten Alfred Kubin: Die Planeten. Entstanden bereits 1935, wurde sie 1943 zwar gedruckt, aber erst 1946 ausgeliefert.15 Der Verlag Th. Knaur Nachf. war seit 1902 im Besitz der Familie Hendelsohn, die 1934 in die USA emigrierte; anschließend gehörte er dem langjährigen Angestellten Adalbert Droemer, ab 1939 dessen Sohn Willy Droemer. Er konzentrierte sich im belletristischen Bereich auf Lizenzen von (oder rechtsfreie) Weltliteratur und Erfolgstitel, so von Theodor Storm, Ludwig Ganghofer, Rudolf Herzog, Clara Viebig, Rudyard Kipling, Gustav Freytag, Axel Munthe, Selma Lagerlöf, Victor Hugo, Zola, Meyer, Keller und so fort. Bestens verkäuflich waren auch die Wildwestromane von Zane Grey und die Hochgebirgsprosa von Luis Trenker. Beim Societätsverlag, dem Buchverlag der »Frankfurter Zeitung«, kamen aus naheliegenden Gründen vor allem Titel der Zeitungsmitarbeiter heraus, bevorzugt Reisewerke, Biographien und Historisches, etwa von Kasimir Edschmid und Friedrich Sieburg sowie in den 1930er Jahren kaum mehr als ein halbes Dutzend Romane. Schünemann in Bremen war sehr erfolgreich mit Unterhaltungsromanen in hohen Auflagen: Favoritin war die Niederländerin Jo van Ammers-Küller, deren Frauen der Coornvelts um 1937 bereits im 221. Tausend vorlagen. Auch die Romane von Warwick Deeping übersprangen mehrfach die Hunderttausend, allen voran Hauptmann Sorrell und sein Sohn. Dieser Kriegsheimkehrerroman brachte es bis 1940 auf 380.000 Exemplare. An deutschen Autoren waren neben dem völkischen Hermann Eris Busse etwa Manfred Hausmann, Siegfried von Vegesack, Ricarda Huch, Joachim Maass und Ale15

Zu Staackmann siehe auch sehr ergiebig Hall: Österreichische Verlagsgeschichte 1918 – 1938, Bd. II, S. 532 –547.

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xander Lernet-Holenia vertreten. Der Abenteurer und Fremdenlegionär (sowie NSDAPMitglied) Ernst F. Löhndorff war mit mehr als einem Dutzend exotischen Romanen wohl Schünemanns meistgelesener deutscher Autor. 1940 brachte es sein Chinaroman Yangtsekiang im Erscheinungsjahr auf 60.000, Khaiber-Paß im Folgejahr auf 44.000 Exemplare. Noch 1943 wurde seinem amerikafeindlichen Opus Gloria und der Teddyboy eine Startauflage von 50.000 zugeteilt. Grethlein war als Schweizer Verlag auf dem deutschen Belletristikmarkt nicht allzu stark vertreten, brachte aber immerhin Werke der parteitreuen Schriftsteller Richard Euringer und Hans G. Kaergel heraus und fertigte Sonderausgaben »für den Dienstgebrauch der HJ« an. Das Programm des Rainer Wunderlich Verlags von Hermann Leins in Tübingen deutet auf vorsichtige Distanz zum Regime. Hier kamen die Werke der Frauenrechtlerin Gertrud Bäumer und mehrere von Isolde Kurz heraus. Der Roman Das Herz ist wach von M. B. Kennicott (d. i. Gertrud I. Hamer), erschienen 1934, wurde sehr erfolgreich, noch mehr das Buch Perdita ihrer Tochter Isabel Hamer, die den Verleger Leins geheiratet hatte – 1938 herausgekommen, brachte es die Liebesgeschichte bis 1945 auf 130.000 Exemplare. Die Biographie Friedrich Naumanns von Theodor Heuss, die zum Ärger der Partei 1937 bei der DVA erschienen war, legte Leins wenig später in zweiter Auflage vor. Mit kleineren Werken waren auch Romano Guardini, Werner Bergengruen und Ernst Wiechert vertreten. 1944 kam das im selben Jahr erschienene Buch The steep ascent der deutschfreundlichen US-Flugpionierin Anne Morrow Lindbergh in Übersetzung unter dem Titel Die Gefährtin bei Wunderlich heraus.

Programmschwerpunkte, alte und neue Mit Unterhaltungsliteratur konnten auch kleinere Verlage bemerkenswerte Auflagen erzielen. Dafür einige Beispiele: Beim erst 1933 gegründeten Verlag Holle, der neben Walter von Molo und Paul Gurk auch die regimegenehmen Autoren Will Vesper und Hans Franck betreute (nebst Führer und Duce, wie ich sie kenne), erreichte Klaus Erich Boerners Roman Das unwandelbare Herz zwischen 1938 bis 1940 eine Auflage von 175.000 (noch 1956 brachte der Bertelsmann Lesering ein 55. Nachkriegstausend heraus). Keyser in Erfurt konnte von Ursula desselben Autors 250.000 Exemplare absetzen. Im Vier Falken Verlag, gegründet 1936 von Rolfbaldur Herzog, brachte es Rudolf Herzogs Die Wiskottens zum 691. Tausend. Der Berliner Frundsberg-Verlag erzielte 1937 einen Überraschungserfolg mit Polly Maria Höflers Liebesroman zwi– schen einer Deutschen und einem Franzosen André und Ursula – bis Kriegsende wurden etwa 400.000 Exemplare abgesetzt. Paul Neff in Berlin konnte die heiteren Bücher von Heinrich Spoerl in vielen Hunderttausenden verkaufen – allein Man kann ruhig darüber sprechen erreichte fast eine Million. Mit Spoerls erstem Roman freilich, Die Feuerzangenbowle, hatte der Düsseldorfer Zeitungsverleger Heinrich Droste 1933 seinen Buchverlag eröffnet; schon im ersten Jahr wurden weit mehr als hunderttausend Exemplare gedruckt, sein Erfolg überdauerte mühelos das Dritte Reich. Bei Heyne kam 1934 des PG Reinhold Conrad Muschler kitschige Novelle Die Unbekannte heraus und brachte es auf 460.000 Exemplare nebst zahlreichen Übersetzungen.16 Der kleine 16

Muschlers Novelle wurde von der unerbittlichen Bücherkunde des Amtes Rosenberg als schmieriges Werk eines »Judenliteraten« verdammt. Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 178 f.

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Theologica-Verlag von Martin Warneck, dem Sohn eines evangelischen Missionars, bei dem auch des Pastors Niemöller Schriften erschienen, erzielte 1934 einen Sensationserfolg mit der Biographie von Görings 1931 verstorbener Frau Carin, verfasst von deren Schwester Fanny von Wilamowitz-Moellendorff; mit 720.000 Exemplaren gehörte sie zu den 30 bestverkauften Büchern der NS-Zeit.17 Der Verlag C. H. Beck war an der Konjunktur beteiligt mit dem schmalen Bändchen von Walter Flex Der Wanderer zwischen beiden Welten von 1917, einer pathetisch-homoerotischen Hymne auf den Heldentod fürs deutsche Vaterland.18 Es wurde zu einem der erfolgreichsten deutschen Bücher im 20. Jahrhundert überhaupt. Bis 1945 war die Million deutlich überschritten. Paul List reüssierte mit einer Mischung aus nationalistischen Autoren wie Hermann Eris Busse und Hermann Stehr einerseits und einer kräftigen Prise Exotik (Rudyard Kipling und T. E. Lawrence) andererseits. Wilhelm Langewiesches »Ein-Mann-Verlag« Langewiesche-Brandt hatte mit der Reihe »Bücher der Rose« schon vor 1914 große Erfolge erzielt. Dank billiger Preise bei guter Ausstattung konnten diese Anthologien deutscher Literatur sowie Textsammlungen zur deutschen Geschichte und Kulturgeschichte auch noch in den Zwanzigerjahren hohe Auflagen verzeichnen.19 Aufschlussreich ist, wie nach dem Tod des Verlegers 1934 das schmale Verlagsprogramm seine bisherige nationalkonservative Tendenz immer mehr ins markig Patriotische steigerte.20 Werkauswahlen galten nun Friedrich II. von Preußen, Richard Wagner, Friedrich Hölderlin – und Paul von Hindenburg. Als Herausgeber fungierte weiterhin auch Will Vesper, der seiner erfolgreichen Anthologie deutscher Lyrik Die Ernte (1937 im 317. Tausend) 1940 einen Band mit NS-Gesinnungslyrik folgen ließ: Die Ernte der Gegenwart. Deutsche Lyrik von heute. Auch die beiden Schrifttumsfunktionäre Langenbucher fanden hier einen Publikationsort: Hellmuth (Die Welt des Buches 1938, mehrere Auflagen) und Erich (Dokumentarische Zeit-Chronik 1938 ff.). Wilhelm Goldmann, der in einer ganzseitigen Börsenblattanzeige 1933 sein »Ariertum« betonte, war seit 1927 dank seines unerschöpflich produktiven Starautors Edgar Wallace überaus erfolgreich. 1940 gab das Propagandaministerium ein umfangreiches Verzeichnis von Schriften heraus, die nicht in die Hände Jugendlicher gelangen, nicht in Leihbüchereien aufgenommen, nicht öffentlich angeboten werden durften. Es enthielt neben Heftromanreihen auch alle Übersetzungen angloamerikanischer Kriminalliteratur, von Agatha Christie über Ellery Queen bis zu Edgar Wallace. Von diesem waren nicht weniger als 148 Titel aufgeführt, allerdings dürften die meisten vor 1933 erschienen sein (Wallace war 1932 gestorben). Strategisch geschickt hatte sich Goldmann nach 1933 bemüht, die »Produktion seines Hauses innerhalb weniger Jahre von Kriminalund Unterhaltungsromanen auf geopolitische Themen umzupolen«21 und sich dafür mit dem in Fragen geistigen Eigentums recht laxen Sachbuch-Erfolgsautor Anton Zischka zusammengetan; von ihm brachte er 13 Titel in hohen Auflagen heraus. Zischkas Best17 18 19 20

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Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 104. Vgl. dazu Rebenich: C. H. Beck 1763 –2013, S. 273 ff. Vgl. Füssel: Belletristische Verlage, S. 71 –73. Die Anthologien hießen nun etwa Das Buch vom Kriege 1914 –1918 (1933), Der Morgen. Jugenderinnerungen deutscher Männer (1935), Die Stunde der Bewährung. Deutsche Lebenszeugnisse von der Tapferkeit des Herzens und der Freiheit des Geistes (1937) oder Kampf um das Luftmeer (1937). Adam: Lesen unter Hitler, S. 93.

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seller Erfinder brechen die Blockade erschien freilich in 440.000 Exemplaren bei Eher. Der mitläuferische Autor hat nach 1945 als unpolitischer Technokrat bis zu seinem Tod 1997 weiter publiziert. Der Traditionsverlag Rütten & Loening wurde 1936 »arisiert« und von Dr. Albert Hachfeld zum Preis von 75.000 RM übernommen. Der linientreue Verleger musste sich noch 1937 beim RSK-Präsidenten Johst beschweren, dass das Amt Rosenberg der Firma nach wie vor »kein sehr erfreuliches Bild« attestierte.22 Sein Renommierautor war der konservative Rudolf G. Binding, auch Paul Alverdes und die junge Gertrud Fussenegger veröffentlichten dort, außerdem pflegte man Kinder- und Jugendbücher sowie Geschichte und »Wehrpolitik«. Im Krieg war man mit Feldpostausgaben erfolgreich und blieb von Schließung verschont. Besonders erfolgreich waren die Romane von William von Simpson. Vom Völkischen Beobachter gerühmt als »im altpreußischen Sinne schaffende[r] Landedelmann« nahm er sich im Mai 1945 beim Einmarsch der Briten in Scharbeutz das Leben. Seine Titel wie Die Barrings und Der Enkel hatten bereits 1940 eine Gesamtauflage von 450.000 erreicht.23 Blättert man in zwei, drei Dutzend von dergleichen Produkten, deren Auflagen sich vor allem in den Kriegsjahren vervielfachten, so entpuppt sich das scheinbar harmlose Lesefutter zurecht verschollener Autoren doch auf bemerkenswerte – und deprimierende – Weise als »gleichgeschaltet«, wie einem verbindlichen Strickmuster unterworfen. Besonders beliebt ist ein kerndeutscher Protagonist, der sich in widriger, heimischer oder exotischer Umgebung glänzend bewährt: ob als Pflanzerpionier in Paraguay »mit dem Treuefimmel«, ob an der mongolisch-chinesischen Grenze 1917 als entflohener Kriegsgefangener, ob als uriger Tiroler Bergbauernsohn beim Marsch durchs besetzte Norwegen24, ob als westfälischer Landmann, der um 1919 sein Erweckungserlebnis durch einen völkisch-antisemitischen Hassprediger hat, ob als norddeutsch-nationaler Siedler, der die Weimarer Schmachjahre auf oberbayerischer Scholle durchsteht. Den Leserinnen wird das germanisch gebärfreudige Mädel vorgeführt, das allen Judenjünglingen trotzt und mit bravem Volksgenossen soldatischen Nachwuchs produziert. In all dem manifestiert sich ein »nationalsozialistischer Realismus«; in diesem verband sich »die propagandistische Wirkung von Literatur mit dem Prinzip der Identifikation, dessen Ziel die Erziehung des Lesers zu dem von den Machthabern angestrebten Zukunftsideal war.« Dabei fungierten »literarische Hauptpersonen für den Leser als positive Identifikationsfiguren« im nationalsozialistischen Sinn.25 Verlage, deren nationale Gesinnung außer Zweifel stand, konnten für dergleichen belletristische Ware mit gutem Absatz rechnen, nachdem die jüdisch-urban-demokratische Literatur vom Markt restlos verschwunden war.

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Staude: Der Verlag Rütten & Loening 1936 bis 1950, S. 202. Vgl. das Gesamtverzeichnis 1940 – 1941 des Verlags, S. 39. Vgl. auch Wurm: … mehr als eine Verlagsgeschichte. Vgl. etwa Karl Springenschmids Kriegsroman Tirol am Atlantischen Ozean (Verlag Das Bergland Buch 1941), worin Tiroler Gebirgsjäger, »Die Fahne hoch« schmetternd, durch Norwegen ziehen. Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 149.

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Abb. 1: Börsenblatt 100 (1933) 77, S. 1657. Man beachte die Empfehlung, diese Erklärung »ausgeschnitten und aufgeklebt an das Regal mit den Goldmann-Büchern zu hängen«.

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Einige kleine Firmen bemühten sich um ein schärferes literarisches Profil: Karl Rauch, geprägt von der Jugendbewegung, hatte 1923 eine Dessauer Buchhandlung übernommen und 1928 einen Verlag für Buchwerbung gegründet, in dem bis 1943 die Zeitschrift Der Bücherwurm herauskam. 1933 übernahm er kurz die Herausgeberschaft der Literarischen Welt. Bei ihm erschienen Werke distanzierter Autoren wie Gustav R. Hocke, Henry von Heiseler und Eugen Gottlob Winkler, daneben Franzosen wie Henry de Montherlant und Antoine de Saint-Exupéry. Auch F. A. Herbig hielt auf Distanz, wie der 1940 von Wolfgang Weyrauch edierte Band Junge deutsche Prosa mit unabhängigen Autoren belegt. Ernst Heimeran zog sich erfolgreich in eine Nische zurück mit liebenswürdigen Ausgrabungen, Humoranthologien und Werken von Wilhelm Dieß und Ernst Penzoldt; sein eigenes Büchlein Der Vater und sein erstes Kind erreichte eine hohe Auflage. Bemerkenswert erscheint, dass der junge Carl Hanser, in dessen kleinem Literaturverlag vor 1933 neben anderem zwei Gedichtbände des NS-Barden Herbert Böhme erschienen waren, nach der Machtübernahme diesen Verlagsteil gänzlich aufgab und sich ausschließlich dem Aufbau eines bald florierenden Fachverlags widmete – aber schon ab 1942 diskret mit der Planung für eine literarische Nachkriegsproduktion begann.26

Lektüremoden und Geschmackskonstanz Sowohl die Programme der einzelnen Verlage wie auch der gesamte belletristische Markt standen unter ständiger Beobachtung und Kontrolle der Literaturfunktionäre. Das betraf nicht nur einzelne Titel – auch bei einem regimenahen Unternehmen wie Diederichs wurde manches als »unerwünscht« diskriminiert27 –, sondern auch allgemeine Tendenzen und Entwicklungen. Man durchschaute sehr genau taktische Ausweichmanöver »bürgerlicher« Verlage. So wurde die Hochblüte des historischen Romans als Eskapismus angeprangert.28 Allerdings war der unbestrittene Matador dieses Genres, Mirko Jelusich, dessen Romane wie Der Traum vom Reich (Eher) oder Der Soldat mühelos die Hunderttausenderschwelle übersprangen, überzeugter Nationalsozialist. Trotz vielfach wiederholter Appelle wollte sich dagegen im Dritten Reich kein überzeugender Gegenwartsroman einstellen – noch 1942 beklagte Goebbels, dass Themen wie Großstadt und Arbeiter »außerordentlich stiefmütterlich behandelt« würden.29 Zur hohen Zahl von Übersetzungen merkte RSK-Präsident Hanns Johst maliziös an: »Hier liegt nur zu oft und zu leicht eine Flucht vor dem Programm des Nationalsozia-

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Vgl. Wittmann: Der Carl Hanser Verlag 1928 –2003, S. 21. Vgl. Diederichs: Verleger im Schatten, S. B103. Die Zahlen schwanken zwischen neun und elf Titeln auf einer sowie 154 (!) auf einer weiteren Liste – beide entstammen der Nachkriegszeit. Bei Suhrkamp waren es 123 (ebd., S. B 106). Vgl. Will Vespers Glosse in Die neue Literatur (DNL) 40 (1939), S. 502. Goebbels, Joseph: Der Kriegseinsatz des geistigen Arbeiters. Rede auf dem Weimarer Dichtertreffen am 10. Oktober 1942. In: Völkischer Beobachter Nr. 285 vom 12. Oktober 1942, S. 3.

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lismus vor. Eine Drückebergerei im Mantel verbrämter Weltoffenheit.«30 Am wenigsten Risiko schien der Ausweg einer deutschtümelnden Provinzliteratur zu bieten, »die sich stilklassizistisch gebärdete und zugleich Ansprüche und Erwartungen nationalsozialistischer Literaturpolitik bediente«.31 Die Konjunktur der Bauernromane hatte freilich bereits in der Weimarer Republik eingesetzt.32 Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise mit dem steilen Anstieg der NSDAP-Wähler erschienen 1929 – 1933 88 Bauernromane, zu denen sich 1934 – 1938 nochmals 100 weitere hinzugesellten. Dass diese Lektüremode der konservativ-völkischen Mittelschicht zum kommerziell wie ideologisch risikolosen Konjunkturgeschäft für zahlreiche Verlage wurde, missfiel freilich argwöhnischen Parteiintellektuellen: Die widerlichen Erzeugnisse des dekadenten Literatentums der Großstädte sind um keinen Deut gefahrvoller für die biologische Kraft und die sittliche Reinheit des Volkes als jene romantisch-verlogenen Versuche, nun alles von Saft, Kraft, Blut und kernigem Stolz strotzen zu lassen, um Acker und Bauer zu preisen. Da dampfen die fetten Furchen, prallen die gelben Roßäpfel, prangen die saftigen Früchte; schwer wiegen sich die Mädchen in ihren geschwungenen Hüften, die Männer schreiten mit unglaublich schweren Schritten über ihren von Ahnen ererbten Boden, das heiße Blut ist wohlfeil.33 Tatsächlich stand eine ostentativ unpolitische, eskapistische Unterhaltungsliteratur im Vordergrund, wie sie aus eigener Anschauung der Emigrant Sebastian Haffner 1939 etwas überpointiert charakterisiert hat: Was neben der abgeschriebenen nazistischen Propagandaliteratur in Deutschland noch veröffentlicht worden ist, liegt fast ausschließlich auf diesem Gebiet […]. Eine ganze Literatur voller Herdenglöckchen und Gänseblümchen, voller Große-FerienKinderglück und erster Liebe und Märchenduft und Bratäpfeln und Weihnachtsbäumen, eine Literatur von geradezu penetranter Innerlichkeit und Zeitlosigkeit, wie auf Verabredung massenhaft hergestellt, inmitten von Aufmärschen, Konzentrationslagern, Munitionsfabriken und Stürmerkästen. Wer, wie der Verfasser dieses, zufällig diese Bücher in einer gewissen Massierung zu lesen hatte, fühlte sich allmählich in aller Feinfühligkeit, Leisheit und Zärtlichkeit geradezu angeschrieen von ihnen. ›Merkst Du nicht‹, schrie es zwischen ihren Zeilen. ›Merkst du nicht, wie zeitlos und innerlich wir sind? Merkst Du nicht, wie nichts uns etwas anhaben kann? Merkst Du nicht, wie wir nichts merken? Merk es doch, merk es doch, wir bitten dich!‹34

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In seiner Kantaterede 1939. Zitiert nach DNL 40 (1939), S. 418. Vgl. zur Übersetzungshausse den SD-Jahresbericht 1938 (Meldungen aus dem Reich 1938 –1945, hrsg. von Heinz Boberach. Herrsching: Pawlak 1984, Bd. 1, S. 155 f.). Haefs: »Die götterlose Zeit will enden…«. Martin Raschke als Erzähler im ›Dritten Reich‹, S. 100. Vgl. zur deutlichen Korrelation des Stimmenanteils der Rechtsparteien mit der Produktion von Bauernromanen Zimmermann: Der Bauernroman, S. 128. Haupt: Was erwarten wir von der kommenden Dichtung, S. 21. Haffner: Geschichte eines Deutschen, S. 102 ff.

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Der NS-Staat tolerierte solche Belletristik nicht nur, sondern förderte sie gezielt, da sie keinerlei wirkliche seelische Prinzipien, Werte und Überzeugungen vermittelte. Mehr oder weniger gehobene Unterhaltungspoesie, auf jeden Fall tendenzfrei, unter anderen historischen Voraussetzungen der Harmlosigkeit zugerechnet, wurde für die nationalsozialistische Kulturpolitik zur beherrschenden Zweckform.35 Zugleich allerdings versuchte die Schrifttumspolitik über die Jahre hinweg ebenso verbissen wie erfolglos, die Produktion sentimental-trivialer »Kitschliteratur« einzudämmen. Noch 1944 hieß es in der Bücherkunde, es schieße anscheinend üppiger als je eine erstaunliche Kitschproduktion ins Kraut. Billige Verbrecher- und Liebesromane gehen am laufenden Band aus den Rotationspressen hervor, die leerer werdenden Fenster und Verkaufstische der Buchhandlungen füllen sich mit Romanen, die weniger bunt und gediegen als im Frieden dargeboten werden, aber doch den Käufer ansprechen und locken – und was kauft er nicht gern in seinem dumpfen Drange! In billigen Heftchen werden unter Berufung auf die Bedürfnisse des Soldaten nicht nur Novellen unserer guten Literatur, sondern die seltsamsten Auswüchse unbeschäftigter Phantasie und geschäftstüchtiger Gelegenheitsarbeit geboten.36 Van linthout sieht diese beharrliche Allgegenwart der Kitschliteratur im Dritten Reich […] als Indiz für das Unvermögen der Diktatur […], ihre ideologischen Ansprüche mit dem Mechanismus des freien Marktes von Angebot und Nachfrage zu versöhnen.37 Beim männlichen Lesepublikum waren, wie schon in den 1920er Jahren, Kriminalromane beliebt. Im Dritten Reich sollen fast 3.000 Titel dieses Genres erschienen sein, mit einem Höhepunkt 1937 (385) und 1938 (447 Novitäten).38 Die Genreklassiker Agatha Christie, Edgar Wallace und Georges Simenon waren zunächst noch geduldet, wenn auch als typisch westlich-kapitalistische Produkte von den Funktionären missfällig betrachtet. Alle Versuche reichsdeutscher Kriminalromane waren aus naheliegenden Gründen ziemlich heikel (man konnte ja kaum die Gestapo auftreten lassen). Der Verlag Hermann Hillger brachte 1943/44 eine kleine Taschenbuchreihe »Neuzeitliche Kriminalromane« auf den Markt. Darin legte der RSK-Geschäftsführer Wilhelm Ihde unter dem Pseudonym Axel Alt einen Musterkrimi mit dem Titel Der Tod fuhr im Zug vor. Er schildert den Fall des S-Bahn-Mörders Ogorzow nach Akten des Reichskriminalpolizeiamtes natürlich als Erfolgsgeschichte der Ermittler. Das trocken-spannungslose Opus, ein ideologisch durchtränkter Polizeibericht, endet mit dem Satz: »Jedes asoziale Sub35 36 37 38

Schäfer: Das gespaltene Bewußtsein, S. 111. Bücherkunde 1944, S. 37, zitiert nach Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 277. Ebd., S. 283 f. Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 189.

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jekt muß unseres augenblicklichen gemeinsamen Angriffs gewärtig sein«. Georg von der Vring flüchtete sich denn auch mit seinem Roman Die Spur im Hafen (1936 bei Bertelsmann) in eine Begebenheit des 19. Jahrhunderts und wurde dafür mit einer Auflage von gut 350.000 belohnt. Auch Science Fiction reüssierte: Ihr Protagonist war der Siemens-Ingenieur Hans Dominik; mehrere seiner Zukunftsromane überschritten bei Scherl sowie Koehler& Amelang die Hunderttausendermarke, Land aus Feuer und Wasser (1939) kam gar auf mehr als eine Viertelmillion.39 Es verwundert nicht, dass sie einem sehr ähnlichen Strickmuster folgten wie die »Rohstoffromane« eines Schenzinger. Dass jene Longseller des deutschen Bürgertums, die seit (und teils schon vor) dem Jahrhundertbeginn erschienen waren, auch im Dritten Reich unvermindert Hunderttausende von Lesern fanden, zeigt eindrucksvoll die Geschmackskonstanz in Kaiserreich, Weimarer Republik und Drittem Reich.40 Allerdings ist nicht alles von gleicher Harmlosigkeit. Die sentimentale und wehrhaft-nationale »Heimatkunst« der Jahrhundertwende war durchwegs gegen die Moderne und ihre Folgen wie Industrialisierung, Liberalismus, Verstädterung und »Amerikanisierung« eingestellt, und verharrte dabei keineswegs nur im Gestus der Tröstung und Harmonisierung. Sie erlebte nun offenbar eine Renaissance, weil ein nicht geringer Teil des früheren literarischen Spektrums fehlte. Das lässt sich aus der Feststellung von Niels Diederichs, dem Leiter der Arbeitsgemeinschaft der schöngeistigen Verlage, von 1936 herauslesen: Im letzten Jahre wurde verschiedentlich die Beobachtung gemacht, daß der Markt nicht mehr so ausschließlich wie früher von der Flut der Neuerscheinungen beherrscht war. Auch gediegene ältere Werke kamen wieder stärker zur Geltung. Der übertriebenen Sucht nach Neuerscheinungen und der sich daraus ergebenden raschen Entwertung der Lagerbestände scheint damit wenigstens teilweise Einhalt geboten zu sein.41 Trotz aller Lenkungs- und Überwachungsmaßnahmen blieb die Umformung des Lesergeschmacks ein deutliches Defizit der NS-Kulturpolitik. Das wird bestätigt bei einem Blick auf die Auflagenhöhen von Büchern, die von bestenfalls tolerierten, nicht aber geförderten christlich-klassizistischen Autoren stammten. Der widerspenstige Ernst Wiechert brachte es mit seinen Lobpreisungen einer naturverbundenen, politikfernen ländlichen Existenz, Hirtennovelle und Das einfache Leben, auf jeweils über 250.000 Exemplare. Auch die katholischen Tröstungen von Hans Carossa, Gertrud von Le Fort und Werner Bergengruen fanden stetigen Absatz, meist mit mehr als 100.000 Exemplaren. Der Favorit des unpolitischen Bürgertums, das weiterhin dem Wahn von »machtgeschützter Innerlichkeit« (Thomas Mann) huldigte, aber blieb Hermann Hesse. Da er bereits vor dem Ersten Weltkrieg aus Deutschland in die Schweiz übersiedelt war, haftete ihm nicht der Ruch des Emigranten an. Von seinen Büchern konnte der S. Fischer 39 40

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Vgl. ebd., S. 193. In der Spitzengruppe der 40 Bestseller 1933 –1944 sind neun Titel vor 1914 erschienen: Felix Dahn: Ein Kampf um Rom, Felicitas Rose: Heideschulmeister Uwe Karsten, Karl May: Der Schatz im Silbersee, E. G. Kolbenheyer: Meister Joachim Pausewang, Ernst Zahn: Lukas Hochstraßers Haus und nicht weniger als vier Romane von Ludwig Ganghofer. Vgl. Schneider: Bestseller im Dritten Reich, S. 80 –86. Diederichs: Jahresbericht. In: VMV Nr. 11 vom 4. Mai 1936, S. 7.

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Verlag Peter Suhrkamps nach 1933 noch rund eine halbe Million absetzen, obwohl er aus seinem Pazifismus kein Hehl machte und sich strikt neutral verhielt. Als er wegen dieser distanzierten Haltung in der NS-Presse wütend angegriffen wurde, betonten die »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« in Absprache mit Goebbels und der PPK »aus bestimmten Gründen« (wohl »außenpropagandistischer Art«), dass der Dichter »künftig keinerlei Angriffen mehr ausgesetzt und daß demnach die Verbreitung seiner Werke im Reich nicht behindert werden soll«.42

Zugang zu ausländischer Literatur Wie aber stand es überhaupt mit der Rezeption außerdeutscher, nicht vom Gift des Nazismus infizierter Literatur? Der traditionell hohe Anteil von Übersetzungen auf dem deutschen Buchmarkt, der auch nach 1933 nicht sank, wurde vom Regime mit Missfallen gesehen. Angeblich aus Devisengründen mussten geplante Übersetzungen beziehungsweise der Erwerb ausländischer Lizenzen von der Reichsschrifttumskammer ab Sommer 1935 genehmigt werden,43 was der Einführung einer partiellen Vorzensur gleichkam. Trotz dieser Kontrollmaßnahmen aber war der Buchmarkt nicht völlig abgeschottet. Noch 1939 tadelte der Leiter der Fachschaft Verlag in seinem Kantate-Jahresbericht: Die Übererzeugung im schöngeistigen Verlag ist wieder in bedenklichem Maße im Wachsen; wohl der unerfreulichste Teil dieser Übererzeugung ist das bisher nicht in diesem Ausmaß zu beobachtende Überhandnehmen von deutschen Übersetzungen fremdsprachlicher Werke, das sowohl bei den Erzeugern als den Verbrauchern und deren Zwischengliedern – also bei Verlag, Buchhandel und Lesevolk – Geldmittel und geistige Anteilnahme fehlleitet und dem guten deutschen Schrifttum den Weg verbaut.44 Insgesamt kann, wie Hans Dieter Schäfer betont hat, »von einer totalen geistigen Einkerkerung durch das NS-Regime zumindest für die dreißiger Jahre keine Rede sein«,45 eine »Absperrung von der ausländischen Moderne« fand nicht statt. Manche Autoren standen bereits seit 1933 auf den Listen unerwünschter Literatur, so John Dos Passos, Ernest Hemingway, Jack London und Upton Sinclair,46 weitere kamen in den Folgejahren hinzu, teils mit Einzeltiteln, teils mit dem Gesamtwerk. Dennoch wurden von

42 43

44 45 46

Ebd., Nr. 23 vom 27. Mai 1937, S. 4. Die »Anordnung über Anzeigepflicht bei Verträgen mit ausländischen Verlegern« ist vom 29. Juni 1935 datiert, wird jedoch bei Gentz: Das Recht der Reichsschrifttumskammer, Ergänzungsblatt 78,1 vom 16. Januar 1939 als »gegenstandslos« bezeichnet, weil die »Steuerung des Übersetzungswesens […] das Propagandaministerium am 1.4.1938 selbst übernommen hat«. Zu einer weiteren Direktive über den Erwerb ausländischer Verlagsrechte vom 2. Juli 1936 siehe Barbian: Die vollendete Ohnmacht, S. 261 f. VMV Nr. 41 vom 5. Mai 1939, S. 5 f. Schäfer: Die nichtfaschistische Literatur der ›jungen Generation‹, S. 463. Vgl. dazu Barbian: Die doppelte Indizierung, S. 263. Eine ausführlichere Titelübersicht siehe ders.: Zwischen Faszination und Verbot, S. 150 ff.

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1933 bis 1944 526 Titel amerikanischer Literatur in Erst- und 169 in Neuausgaben mit zusammen 203 Auflagen veröffentlicht, zum weit überwiegenden Teil Romane.47 Bisher unbeachtet blieb von der Forschung die Produktion englischsprachiger Literatur im NS-Deutschland. Welche Freiräume genoss etwa die berühmte Tauchnitz-Edition, von deren Ausgaben einige Titel schnell verboten wurden (natürlich Lady Chatterleys Lover), in deren »Centenary Catalogue« sich aber 1937 neben Titeln von Hemingway und Huxley sogar Israel Zangwills Dreamers of the Ghetto fanden? Dass hier im August 1943 die Erstausgabe von P. G. Wodehouses Money in the Bank herauskam, lag freilich am unfreiwilligen Aufenthalt des Autors im Reichsgebiet. Auch die 1932 gegründete Hamburger Albatross-Edition (1934 mit Tauchnitz vereinigt) legte bis 1939 mehrere hundert Titel moderner angloamerikanischer Abb. 2: Börsenblatt 104 (1937) 277, Literatur in der Originalsprache vor, darunS. 6141. ter Joyces Dubliners, Graham Greenes Brighton Rock und Hemingways The Sun Also Rises. Der Albatross-Verleger Christian Wegner hatte Ende 1932 noch eigens für den Ulysses eine Odyssey Press in Hamburg gegründet. Dieses den Schrifttumswarten sicherlich höchst verabscheuungswürdige Jahrhundertwerk stand jedoch nicht auf der Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums und noch im April 1939 konnte eine »Fourth Impression« mit der Firmierung »Hamburg-Paris-Bologna« dort erscheinen. In Übersetzungen publiziert wurden während der Diktatur unter anderem Werke von George Bernanos, Paul Claudel, Francois Mauriac, Julien Green, William Faulkner, D. H. Lawrence, Somerset Maugham, Evelyn Waugh, Thornton Wilder und Thomas Wolfe. Antoine de Saint-Exupérys Wind, Sand und Sterne, 1940 veröffentlicht, erreichte bereits 1943 das 120. Tausend. Als Gegengewicht zur angloamerikanischen Dominanz wurden besonders nachdrücklich Übersetzungen aus den wenigen befreundeten Staaten gefördert: vor allem jene der skandinavischen »Blutsverwandten«, in geringerem Maße auch italienische und spanische Belletristik. Nicht mehr als zehn Prozent der Titel auf der Liste der vierzig meistverkauften Romane 1933 – 194448 waren Übersetzungen, also ganze vier Bücher: zwei skandinavi47 48

Vgl. ebd., S. 272. Vgl. Schneider: Bestseller im Dritten Reich, S. 80 –86. Vgl. auch die Zahlen bei Strothmann: Nationalsozialistische Literaturpolitik, S. 376 ff. Wünschenswert wäre eine Meta-Studie, worin die teils stark abweichenden Auflagenzahlen bei Adam, Schneider und Strothmann verifiziert und methodisch zusammengeführt werden.

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Abb. 3: Börsenblatt 105 (1938) 242, S. 5678 sche, zwei angloamerikanische. Knut Hamsun war (neben Ezra Pound) sicher der bedeutendste Schriftsteller, der aus seiner Sympathie für das Dritte Reich kein Hehl machte; er blieb neben Margaret Mitchell der erfolgreichste ausländische Autor auf dem deutschen Buchmarkt. Seine Romane Segen der Erde und Victoria erreichten bei Langen-Müller jeweils mehr als 300.000 Exemplare Auflage; er verkörperte die von den

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Ideologen so ersehnte autochthone Modernität, die Synthese bäuerlicher Lebenswelt und modernen Gefühls. Auffallend ist, dass unter den deutschen Erfolgsromanen im Dritten Reich ein Genre fehlt, dem die besondere Förderung der Nazis galt: der Bauernroman. Dabei hatte, wie bereits angedeutet, nach der Machtübernahme eine regelrechte Konjunktur solcher »Blut-und-Boden«-Titel eingesetzt, über die der Reichsjugendführer Baldur von Schirach spöttelte: »Vor 1933 duftete die Mehrzahl der deutschen Romane nach dem perversen Parfüm des Kurfürstendamms, seit 1933 stinken sie alle bloß nach Mist.« Aber keines dieser Bücher konnte sich auf Bestsellerlisten behaupten. Es war schon etwas demütigend für die Literaturfunktionäre, dass der weitaus größte Bucherfolg dieser Sparte »Schollenromane« eine Übersetzung war. Mit zusammen 1,2 Millionen Exemplaren standen auf den Rängen 5 und 6 der meistverkauften Romane zwei Bücher des Norwegers Trygve Gulbranssen: Und ewig singen die Wälder sowie Das Erbe von Björndal. Diese Trilogie (der zweite Band enthielt die Teile 2 und 3) war 1935 und 1936 in Deutschland erschienen, ist aber auch in 29 andere Sprachen übersetzt und verfilmt worden (1950 war es das meistverkaufte Buch überhaupt in Deutschland, aktuelle Ausgaben gibt es auch im 21. Jahrhundert). Man kann diese klischeereiche Geschichte eines Bauerngeschlechts im norwegischen Bergwald als gänzlich unpolitisch lesen, die Nazis freilich waren nicht ohne Grund begeistert von diesen »naturnahen Herrenmenschen« (so eine Rezension 1936). In der Tradition der gewaltdominierten isländischen Sagas geht es um Blut und Sippe im Kampf eines ungleichen Brüderpaars um die Herrschaft auf dem Hof. Der eine ist von fremdländisch-dunklem Aussehen (»in den gefährlichen Augen glomm ein fremder Schimmer, den der Vater nicht unterzubringen wußte, und auch in seinem Wesen war etwas Unbekanntes«), der andere, eine überlegene Führernatur, ist blond und blauäugig. Über allem waltet der übliche Dualismus von Stadt und Land, von naturnahen Berglern und zivilisationsinfizierten Talbewohnern, von animalischen Trieben und pathetischen Gefühlen. Nicht ganz so beliebt wie das nordische Heldenepos waren ausländische Pflanzersagas und Arztromane, die freilich ebenso dickleibige Schmöker sein mussten. Für Exotik stand der beim Regime wohlgelittene Schweizer Erfolgsautor John Knittel mit Büchern wie El Hakim und Via Mala (1934), die beide deutlich mehr als 200.000 Exemplare absetzten.49 Während Gulbranssens Bücher im regimekonformen LangenMüller-Verlag mit größtem Einsatz beworben wurden, konnte sich der kleine, distanzierte Goverts-Verlag keine großen Kampagnen leisten. Als Margaret Mitchells großes Epos aus dem Sklavenhaltersüden Vom Winde verweht (zuvor vom Insel Verlag abgelehnt) dort Mitte September 1937 erschien, waren dennoch schon nach zwei Tagen 12.000 Exemplare verkauft, im Juli 1941 waren es 277.000 – trotz wütender Invektiven etwa von Will Vesper gegen diese »verlogene, ja widerliche Literaturmache und geistige Tarzan-Welt.«50 Die Auflage wäre sicherlich in den folgenden Jahren weit höher geworden, wenn nicht nach dem Kriegseintritt der USA der Bann gegen angloamerikanische Schriftsteller die Erfolgsgeschichte beendet hätte. Ähnliches galt für Warwick Deepings Kriegsheimkehrerroman Hauptmann Sorrell und sein Sohn, der es bis 1940 auf 380.000 Exemplare gebracht hatte. Mit etwas geringeren Zahlen sind auch Gwen 49 50

Vgl. zu John Knittel Adam: Lesen unter Hitler, S. 223 ff. Vesper: Übersetzungen. In: DNL 39 (1938), S. 403 f.

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Bristow, Louis Bromfield oder Pearl S. Buck vertreten – ihre Unterhaltungsromane blieben auch noch lange nach 1945 in Deutschland unvermindert erfolgreich.

»Feindstaatenliteratur« Bald nach Kriegsbeginn mussten literarische Übersetzungen englischer Autoren aus den Schaufenstern entfernt werden und ihr Vertrieb wurde eingeschränkt. Die »Vertraulichen Mitteilungen« druckten im Dezember 1939 die Anordnung der RSK ab: Die weitere Auslieferung und der Vertrieb von Übersetzungen schöngeistiger und populärwissenschaftlicher Werke, sowie Biographien aus dem Englischen und Französischen, die urheberrechtlich nicht frei sind, ist bis auf weiteres unerwünscht.51 Das wurde mit Devisengründen erklärt – die Titel waren jedoch nicht verboten. Im Juli 1941 durften alle Werke russischer Autoren (auch früherer Zeit) nicht mehr ausgeliefert werden; ab Oktober waren vor 1914 erschienene Titel wieder zugelassen, durften jedoch nicht in die Schaufenster gestellt werden, ab März 1942 wurde dies revidiert. Ab Januar 1942 erhielten auch Übersetzungen urheberrechtlich geschützter amerikanischer Titel ein Auslieferungs- und Vertriebsverbot.52 Die wenig später betriebene »Säuberung des leichten Unterhaltungsschrifttums von feindlichen Einflüssen« stand unter denselben Vorzeichen. Ein vom Propagandaministerium zusammengestelltes »Verzeichnis englischer und nordamerikanischer Schriftsteller« sollte »den Volks-, Werk- und Leihbüchereien als Hilfsmittel für die Herausnahme von Autoren der Feindländer dienen […]. Die Vernichtung der ausgesonderten Bücher ist nicht erforderlich. Es genügt die Entfernung aus den Beständen«.53 Wissenschaftliche Werke waren nicht betroffen, auch vor 1904 verstorbene Autoren waren freigegeben. Eine Handvoll angloamerikanischer Bücher allerdings schien für die psychologische Kriegsführung geeignet und wurde deshalb eigens gefördert. Um den »häßlichen Amerikaner« zu zeigen, ordnete das Propagandaministerium 1942 eine Neuausgabe des Babbit von Sinclair Lewis und 1943 der (zuvor verbotenen)54 Früchte des Zorns von John Steinbeck an. Ähnlich wurden auch des Schotten Archibald J. Cronins Die Sterne blicken herab55 wegen seiner Schilderung der Ausbeutung englischer Bergarbeiter sowie Taylor Caldwells Einst wird kommen der Tag mit einer Sondergenehmigung neu aufgelegt. Empfohlen und verbreitet wurden noch im Krieg The seven pillars of wisdom von T. E. Lawrence und vor allem Henry Fords Machwerk Der internationale Jude. Besonders erfolgreich wurde der satirische Roman des Schotten Eric Linklater Juan in 51 52 53

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VMV Nr. 45 vom 15. Dezember 1939, S. 3. Mit demselben Text wie zuvor die englischen Bücher, siehe VMV Nr. 187 vom 5. Januar 1942. Verzeichnis englischer und nordamerikanischer Schriftsteller. Herausgegeben vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda. Abteilung Schrifttum. 2. ergänzte Auflage. (Schriftenreihe des Großdeutschen Leihbüchereiblattes Heft 4) Leipzig: Verlag des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler 1943. Blatt (2) recto. Möglicherweise wegen seines Erscheinens im Zürcher Humanitas-Verlag, dessen Gesamtproduktion indiziert war. Zu Cronin vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 233 ff.

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Amerika, für Goebbels die »geistreichste, witzigste Persiflage der Kultur und des öffentlichen Lebens in den USA, die [er] je zu Gesicht bekommen« habe; sie wirke »gegen Amerika mehr als hundert Broschüren und Denkschriften.« Der Band erschien 1942 bei Franckh in Stuttgart und brachte es schnell bis zum 146. Tausend. Wie Goebbels notierte, wurden mit Einvernehmen Hitlers »mehrere tausend Exemplare dieses ausgezeichneten Buches an Leute der Partei, Offiziere der Wehrmacht und Intellektuelle« verteilt, damit sie »auch den Hinterhof Amerikas« kennenlernen und »sich mit Abscheu von diesem ekelerregenden Anblick abwenden« würden.56

Das Überwachungssystem Gerade für Belletristik- und Literaturverlage war die personelle Zusammensetzung der Kontrollinstanzen von großer Bedeutung. Ebenso wichtig wie die Befolgung der rigiden Schrifttumsdirektiven war es, im bürokratischen Labyrinth der konkurrierenden Instanzen die richtigen Kontakte zu pflegen, sie gar vorsichtig gegeneinander auszuspielen. Dabei bestand immer die Gefahr, aufs falsche Pferd zu setzen. Nach der plötzlichen Entlassung Heinz Wismanns als Leiter der Schrifttumsabteilung des RMVP war es peinlich, als dessen Protegé zu gelten; man musste ahnen, wieweit die Kooperationsbereitschaft von Rudolf Erckmann, Paul Hövel und Heinz Gruber im Goebbels-Ministerium reichte, wie gefährlich Intriganten aus Rosenbergs Umfeld wie Bernhard Payr oder Hans Hinkel werden konnten, musste abschätzen, wieweit der Einfluss der braunen Funktionäre Karl Heinz Bischoff oder Wilhelm Ihde in der RSK ging, ob es ratsam war, auf Alfred Richard Meyers alias »Munkepunkes« expressionistische Vergangenheit anzuspielen, oder auch Ernst Schulte-Strathaus an seine Freundschaft mit Karl Wolfskehl zu erinnern. In manchen Fällen konnte es für die Firma überlebenswichtig werden, im polykratischen Geflecht einflussreiche Fürsprecher in Partei, SS oder auch Wehrmacht zu besitzen, die teils über mehrere Stationen ihre Kontakte einzusetzen bereit waren, ob aus Freundschaft oder nach Bestechung. Die Verleger merkten schnell, dass die Schrifttumspolitik von zwei gegensätzlichen Vorstellungen aus getrieben wurde: durch die Kammer und durch die zuständige Abteilung des Ministeriums. Nur auf dem Weg über das ›Promi‹ konnten etwa Ernst Jüngers ›Marmorklippen‹ oder Bergengruens ›Großtyrann‹ erscheinen, an deren hintergründigem Sinngehalt niemand zweifeln konnte. […] Nicht selten gelang es, die Bedrohung einer Verlagsexistenz durch die Schrifttumskammer mit der Einschaltung des Ministeriums abzuwenden.57 Von Nutzen konnte es auch sein, dass sich das Ministerium bei Problemen mit Rosenbergs aggressivem Amt vielfach deeskalierend auf die Seite der bedrohten Firmen stellte. Nichtsdestoweniger erschwerte auch das RMVP mit seinen Vorschriften immer stärker eine vorausblickende Programmplanung. Trotz allem war die Zensur und Kontrolle des Buchmarktes im NS-Staat schon aus personellen und logistischen Gründen »keineswegs eine totale«, wie Rosenbergs Mitarbeiter Payr noch 1943 zugeben muss56 57

Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 153. Baur, Karl: Wenn ich so zurückdenke, S. 285 f. Siehe auch S. 311 f.

8.1 .1 U mr isssk izze: D er Belletristikma r k t und seine Teilneh mer

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te.58 Die Verleger wussten (wie die Autoren), dass negative Gutachten, auch Indizierungen, sofern sie nicht rassistische oder politische Gründe hatten, fast durchwegs Einzelfallentscheidungen waren und meist keine weiterführenden Konsequenzen hatten. Sie mussten sich im System einrichten. Hans Altenhein hat darauf hingewiesen, wieviel Alltagsleben im ›neuen Staat‹ zunächst seinen gewohnten Gang ging und wie Routine die Einsicht in die elementaren Veränderungen überlagerte. So befanden sich die Verleger ständig im Arbeitskontakt mit den Akteuren und Kontrollbeamten des Regimes, verhandelten über Manuskript-Änderungen, Papierkontingente und Auslandskontakte, sie schrieben, wie beispielsweise Eugen Claassen, ausführliche Lektorenbriefe an Autoren, während ganze Literaturgebiete zu verbotenem Gelände erklärt, und noch die parteifernsten Verlagsprogramme nachrichtendienstlicher Überwachung ausgesetzt und von behördlicher Duldung abhängig waren. Tatsächlich nutzten diese Verleger einen variablen Spielraum, der in den unübersichtlichen Bereichen von Kunst, Literatur und Publizistik für die Bedürfnisse einer Teilöffentlichkeit noch lange bestehen blieb.59 Auch wenn die Gleichschaltung und Arisierung des deutschen Verlagswesens 1937 weitgehend abgeschlossen schien, wies Will Vesper eindringlich auf ein noch ungelöstes Problem hin: Die jüdische Literaturherrschaft in Deutschland ist beseitigt. Die jüdischen Verlage sind verschwunden oder in deutsche Hände übergegangen. Auch die noch hier und da im Hintergrund an verborgenen Fäden ziehenden jüdischen Finger werden mit der Zeit das Spiel aufgeben müssen – wenigstens im Inland. Um so schärfer gilt es nun, die jüdischen Verlage des Auslandes, namentlich die emigrierten, zu beobachten. […] Und da die jüdischen Verlage sich vielfach geschickt zu tarnen wissen, auch im Inland sich offenbar noch manche nach der alten jüdischen Kost sehnen, so erleben wir zur Zeit eine Überschwemmung des deutschen Büchermarktes mit Literatur aus außerdeutschen jüdischen Verlagen. […] Wenn ein deutsches Mädchen ein Verhältnis mit einem Juden hat, so werden beide wegen Rassenschande mit Recht verurteilt. Wenn ein deutscher Schriftsteller und ein deutscher Buchhändler ein Verhältnis mit jüdischen Verlegern eingeht – ist das nicht eine weit schlimmere und gefährlichere Rassenschande? Man schaue einmal gewisse deutsche Buchhandlungen und vor allem Bahnhofsbuchhandlungen daraufhin an! Vesper denunziert in diesem Zusammenhang Wiener Verlage – neben seinem Lieblingsfeind Zsolnay auch Phaidon, Bermann-Fischer, Jakob Hegner (»der in römischer Soutane hereinschleicht«) und Herbert Reichner – als »Ratten«. Sein Lösungsvorschlag für den Buchhandel lautete, vier Jahre vor der offiziellen Einführung des »gelben Flecks«: »Die Bücher dieser Verlage müssen dann ein deutliches Kennzeichen tragen, etwa den Stern Judas.«60 Ein Jahr später hatte sich auch dieses Problem erledigt – der deutsche Buchmarkt war »judenrein«. 58 59 60

Siehe Barbian: Die vollendete Ohnmacht, S. 23. Altenhein: Im Jahr 1934, S. 39. W. Vesper in DNL 38 (1937), S. 103 f.

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Der folgende Überblick skizziert in einer entsprechend der Forschungslage unterschiedlichen Gewichtung die Geschicke von rund anderthalb Dutzend literarischen Verlagen im Dritten Reich.61 Natürlich kann er weder Vollständigkeit beanspruchen noch detaillierte Analysen betreiben, aber er versucht doch die Spannweite und Vielfalt verlegerischer Positionen und Entscheidungen nach 1933 exemplarisch zu beleuchten. Für jeden dieser Verlage gilt auf spezifische Weise der Befund einer »coincidentia oppositorum«, wie ihn David Oels am Beispiel Ernst Rowohlts gestellt hat: Verlag und Programm bildeten »die politischen ebenso wie die literarischen, kulturellen und medialen Brüche und Kontinuitäten, Uneindeutigkeiten und Gemengelagen der eigenen Gegenwart geradezu idealtypisch ab«.62

8.1.2

Fallstudien

Partei- und Organisationsverlage mit belletristischem Programm Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. Seinem Namen entsprechend war der Parteiverlag Franz Eher Nachf.63 tatsächlich der »Zentralverlag« keineswegs nur der NSDAP, sondern das weitaus umsatzstärkste buchwirtschaftliche Unternehmen des Dritten Reiches. Max Amann prahlte in einem Verhör am 22. August 1945 laut Protokoll: Profits were not transferred to the Party, but were used in new operations or deposited in the Reichsbank. The Eher Verlag had 500 million RM in deposits and government securities at the Reichsbank. […] The Eher Verlag was one of the most important business enterprises in Germany – equal to I. G. Farben.64 Das war freilich nicht unternehmerischem Genie zu verdanken, vielmehr schamloser Nötigung und Erpressung. Eher verfügte bei der Machtübernahme über knapp 2,5 Prozent der Gesamtauflage aller deutschen Zeitungen, zehn Jahre später waren es 82,5 Prozent. Im unersättlichen Pressekonzern war der Verlag für die Beeinflussung der Massen und die Veröffentlichungen der Partei zuständig – Literatur spielte dabei eine marginale Rolle. 61 62 63

64

Für die Vorgeschichte der Verlage in der Weimarer Republik siehe Füssel: Belletristische Verlage, S. 1 –90. Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 384. Der Verlag ist bis heute ein Forschungsdesiderat; die Quellenlage ist sehr unbefriedigend, da Max Amann gegen Kriegsende eine großangelegte Aktenvernichtungsaktion angeordnet hatte. Unzureichend ist die Dissertation von Thomas Tavernaro: Der Verlag Hitlers und der NSDAP, die sich auf den Pressekonzern konzentriert. Darin bleibt das gesamte Verlagsprogramm unberücksichtigt, es fehlen auch Personalangaben, etwa zu den Lektoren. Bei Oron J. Hale: Presse in der Zwangsjacke 1933 –1945 finden sich auf S. 311 –316 einige ökonomische Daten. Offenbar verschollen ist das Honorarbuch des Verlags, das von der Library of Congress an das Bundesarchiv Koblenz übergeben wurde; von dort soll es dem Bundesarchiv Berlin weitergereicht worden sein, ist dort jedoch nicht vorhanden, siehe Plöckinger: Geschichte eines Buches, S. 177, Anm. 27. Zitiert nach Tavernaro: Der Verlag Hitlers und der NSDAP.

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Der Anspruch, das gesamte »Schrifttum der Bewegung« unter seinem Dach zu vereinen, wurde von Eher sehr konsequent, unter massiver Ausnutzung seiner privilegierten Stellung durchgesetzt. Das betraf vor allem die Werke der obersten Parteiprominenz, beginnend mit Hitlers Mein Kampf,65 aber erweiterte sich bald über den Buchbedarf der braunen Bataillone und Parteigenossen hinaus im Sinne einer umfassenden Indoktrination vor allem der Jugend. Das Rückgrat der Jugendbuchproduktion des Eher Verlages bildeten die beiden Reihen »Junges Volk« (34 Bde. 1935 – 1938) und »Soldaten – Kameraden!« (70 Bde. 1940 – 1944). Erstere versammelte parteikonformes Liedgut und Lyrik und suchte Heldenverehrung zu befördern, letztere be- Abb. 4: Hetzroman und Eher-Bestseller, trieb konkrete Kriegserziehung. Dazu ka- 1942 im 420. Tausend. Im Hintergrund men für die HJ und den BdM bestimmte die Münchner Feldherrnhalle, wo 1923 Anthologien mit Texten von Hitler, Goeb- der Hitlerputsch scheiterte. bels, Ley, Bouhler und Schirach. Natürlich nahmen Eher-Titel in den offiziellen Empfehlungslisten (»Das Buch der Jugend«) stets herausragende Plätze ein. Der wichtigste belletristische Erfolgsautor des Eher-Verlages war der fanatische Nazi Hans Zöberlein. Sein 890 Seiten umfassender propagandistischer Roman Glaube an Deutschland. Ein Kriegserleben von Verdun bis zum Umsturz, gleichsam das offiziöse NS-Kriegserlebniswerk, erschien dort mit einem Geleitwort Hitlers 1931. Zwei weitere Auflagen folgten 1932, drei 1933, fünf 1934, 1935 war mit der 12. Auflage das 96. bis 105. Tausend erreicht, 1936 das 156. bis 165. Tausend, 1938 das 340. Tausend, 1941 das 550. Tausend, 1942 das 650. Tausend. Schließlich waren 740.000 Exemplare gedruckt. Der mit 990 Seiten noch umfangreichere Folgeband Der Befehl des Gewissens. Ein Roman von den Wirren der Nachkriegszeit und der ersten Erhebung schildert in demagogischer Kolportage die Hinwendung des ehemaligen Frontsoldaten zur NS-Bewegung. Er kam 1937 mit einer Erstauflage von dreißigtausend heraus; im Folgejahr war das 170. Tausend erreicht, 1942 das 420. Tausend. Wie in keinem anderen NS-Elaborat liegen hier die psychischen Defekte, die Männerphantasien66 der braunen Kämpfer offen zutage. In seiner Mischung aus Minderwertigkeitskomplexen und Größenwahn, aus Rassenhass und sexueller Verklemmung, aus kleinbürgerlicher Aggressivität und Impotenzängsten, Inhumanität und Selbstmitleid ist Zöberleins Buch die unmittelbare pseudoliterarische Umsetzung von Hitlers Mein Kampf. 65 66

Vgl. dazu eingehend Plöckinger: Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers ›Mein Kampf‹ 1922 –1945. So der Titel der erhellenden Untersuchung von Klaus Theweleit über das faschistische Genre der Freikorpsromane (Frankfurt a. M.: Roter Stern 1971).

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Die Fränkin Kuni Tremel-Eggert war mit Unterhaltungsromanen bis 1930 Langen-Autorin gewesen. Sie wechselte zu Eher, wo 1934 Barb herauskam. Dieser Roman einer deutschen Frau hatte bis 1938 eine Auflage von 200.000 erzielt, die sich bis 1943 auf 750.000 fast vervierfachte. Der während des Krieges rapide gestiegene Bücherhunger und die gesteuerte Verknappung des Buchangebotes haben auch diesem Produkt den Weg zum Massenpublikum geebnet. Das Opus einer ebenso unbedeutenden wie fanatischen Autorin eröffnete paradigmatisch das Genre des regimekonformen Frauenromans. 1937 und 1939 publizierte sie im Parteiverlag zwei weitere antisemitische Romane in enormen Auflagen sowie die Erzählsammlung Sonnige Heimat. Zum belletristischen Programm Ehers zählten jedoch nicht ausschließlich Schriften brauner Literaturfunktionäre wie selbstverständlich Josef Goebbels’ Roman Michael oder Titel von Tüdel Weller, Bardenlyrik Abb. 5: Börsenblatt 104 (1937) 246, von Herybert Menzel und völkische ThingS. 4979 spiele; ein Auswahlprospekt zu Weihnachten 1939 (»Deutsche Bücher«) bietet auch 18 Romane an, davon 12 Herbst-Neuerscheinungen von Sympathisanten wie Hermann Gerstner, Arnold Krieger und Florian Seidl. Ein Autor, der bei Eher veröffentlichte, legte damit gegenüber der lesenden Öffentlichkeit ein klares Bekenntnis zur braunen Ideologie ab, auch wenn er nur Mitläufer gewesen sein mag, – auf jeden Fall wurde er dafür entschädigt durch die Gewissheit massiver Werbung, hoher Auflagen und eines entsprechenden Einkommens. Des hauptberuflichen Bibliothekars Hermann Gerstner Novellen etwa erreichten Kriegsauflagen um 250.000 Exemplare, um 1940/41 bescherte ihm die Eher-Produktion das Vierfache seines Jahresgehalts an Honoraren.67 Auch Luis Trenker publizierte mehrere Werke bei Eher: Sein völkischer Heimatroman Leuchtendes Land, mitverfasst vom fanatischen Tiroler Nazi Karl Springenschmid, mit Geleitwort des NS-Funktionärs Ritter von Epp, erschien 1937 und kam bis 1943 zum 137. Tausend. Dass eine von Erich Gritzbach verfasste Biographie Hermann Göring. Werk und Mensch, die 1937 erschien, es schnell auf insgesamt 810.000 Exemplare brachte, ist sicher nicht einem Publikumsansturm auf dem freien Buchmarkt zuzuschreiben, sondern der Massenabnahme für Geschenkzwecke durch NS-Organisationen.68 Entspre-

67 68

Vgl. Kellner: »Schreiben werde ich, schreiben, schreiben …«. Der Autor und Bibliothekar Hermann Gerstner, S. 343. Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 102 ff.

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chendes gilt auch für die Bücher von Joseph Goebbels wie Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei (660.000 Exemplare). Im Krieg strebte Eher die Vorherrschaft bei der Wehrmachtsproduktion an, ohne doch Bertelsmann übertrumpfen zu können. In hohen Auflagen erschienen Unterhaltungsreihen wie »Soldaten – Kameraden« oder »Landser lachen«.69 1942 sollte ein »Deutscher Almanach« (»Eine Lese zeitgenössischen Schrifttums und auserwählte Kostbarkeiten«) zum »neuen deutschen Volksbuch« werden und jährlich erscheinen. Der großformatige Leinen- (in 2. Auflage Halbleinen-)Band auf schnell bräunendem Kriegspapier mischte Gedichte von Eichendorff, Hebbel, Geibel, Storm, Hölderlin und Goethe mit Texten gesinnungstüchtiger NS-Autoren. Neben Eher wagten sich auch kleinere Partei- und Organisationsverlage gelegentlich auf literarisches Terrain, teils mit regionaler Heimatliteratur und Unterhaltungsromanen, gern auch mit humoristischen und kriegerischen Anthologien. Dazu gehörte etwa im »Deutschen Volksverlag« des Altnazis und Parteifunktionärs Ernst Boepple die Witzsammlung Deutschland lacht (1940), deren Vorwort die »völkischen Hochwerte« und »den Lebenskampf als höchste Form nordischen Daseins« verherrlicht. Ähnliches produzierte der Gauverlag Bayerische Ostmark in Bayreuth während des Krieges für Front und Heimat. Zu erforschen ist noch die eigene Belletristikproduktion des zum Eher-Konzern gehörigen Kommissionshauses Lühe gegen Kriegsende wohl für den Frontbedarf.70 Hinzuweisen ist auch auf völkische auslandsdeutsche Verlag wie Adam Kraft in Karlsbad, der nach der Besetzung des Sudetenlandes von der DAF übernommen wurde, oder den besonders aktiven Volk und Reich Verlag in Prag, eine Filiale des Berliner Unternehmens, die sich auch sudetendeutscher Literatur annahm und eine eigene »Prager Feldpostbücherei« herausgab.71

Langen-Müller Seit 1930 war Gustav Pezold, nationalkonservativer Antisemit, Verlagsleiter von Langen-Müller72. Das Verlagsprogramm war entsprechend der Weltanschauung seiner Besitzer, des Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verbandes, eindeutig und auf vielfach kämpferische Art von nationalistisch-völkischer Ideologie geprägt und machte Front gegen das demokratisch-liberale, gar linke Lager des literarischen Betriebs. Für seine literaturpolitischen Ziele nahm der Verleger etwa 1932 auch hohe Verluste in 69

70

71 72

Die aus Einsendungen an den Völkischen Beobachter zusammengestellten Bändchen Darüber lache ich noch heute und Soldaten Alltag erreichten mehr als 2,6 bzw. 2,2 Millionen Exemplare, Im Angriff und im Biwak und Darüber lacht der Soldat 1,2 und 1 Million. Vgl. Adam: Lesen unter Hitler, S. 294. Der Lühe-Verlag Leipzig-Berlin produzierte 1943 –1944 mehrere Übersetzungen aus dem Finnischen (Mika Waltari: Karin Magnustochter; Harald Hornborg: Patron Illbergs Jugendtorheiten; Agapetus: Die Sommerreise des Propstes, Zweimal Adam einmal Eva; Johannes Linnankoski: Kampf um den Hof Heikkilä), Norwegischen (Kristian Elster: Die Arche) und Litauischen (Antas Mikonis: Balà). Zum Verlagswesen im okkupierten Sudetenland und späteren Protektorat vgl. Hall: Prag und die Regionen?, S. 275 –334 sowie ders.: Zur Geschichte der Buchgemeinschaften in den böhmischen Ländern, S. 7 –38 und ders.: Der Volk und Reich Verlag, S. 55 –67. Vgl. zum Folgenden Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller, S. 1 –272.

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Kauf. Mittel zum Zweck waren »konkurrenzlose Honorarbedingungen für Autoren, unter Selbstkostenniveau festgesetzte Ladenpreise und überdurchschnittliche Rabattsätze für das Sortiment«.73 Pezold setzte 1933 große Hoffnungen auf das neue Regime, wie seine Denkschrift Schrifttum und Buchhandel und ihre Bedeutung im Leben der Nation deutlich machte.74 Langen-Müller hatte es anders als viele bürgerliche Verlage »nicht nötig, sich mit einem rasch an die neuen Verhältnisse angepaßten Programm bei den neuen Machthabern anzubiedern«.75 1933 war keine Zäsur in der Verlagsgeschichte; der Handlungsgehilfenverband wurde reibungslos von der DAF übernommen und mit ihm auch der Verlag. Auf Unabhängigkeit von der Hamburger Konzernzentrale bedacht, erhoffte sich Pezold vom neuen Staat Unterstützung beim Ausbau des Unternehmens zum »größten deutschen Dichter-Verlag«, der über das Merkantile hinaus eine Art kämpferischer nationaler Gesinnungsgemeinschaft der Autoren bilden sollte. Tatsächlich schien Pezolds Plan zu gelingen. Symbolträchtig mutet der Personalwechsel in der Sektion für Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste im Frühjahr 1933 an: Während Heinrich Mann, Döblin und andere hinausgedrängt wurden, waren neun von 14 der neu berufenen Akademiedichter (allesamt »Wegbereiter des neuen Deutschland«) Autoren von Langen-Müller, wie der Verlag stolz in einer Börsenblatt-Anzeige kundtat. Rückblickend konstatierte der Verleger Adolf Spemann, Langen-Müller habe nach 1933 »mit unerhörtem Sog die noch verbliebenen starken dichterischen Kräfte Deutschlands und des Nordens an sich [gezogen] und beherrschte alsbald weithin das Feld, namentlich auch in der Presse«.76 Schon 1932 hatte die »Kleine Bücherei« den Konkurrenzkampf mit den InselBändchen aufgenommen; bei gleichem Preis, etwas kleinerem Format, jedoch größerem Sortimentsrabatt brachte sie es bis Ende 1936 auf mehr als anderthalb Millionen Exemplare und umfasste bis 1942 240 Titel. Aus dem Jahr 1932 stammte auch der Plan eines konservativen Gegenblattes zu S. Fischers Neuer Rundschau. Er wurde 1934 realisiert unter Herausgeberschaft von Paul Alverdes und Karl Benno von Mechow.77 Das Innere Reich wollte nachweisen, »daß mit den ins Ausland Geflüchteten keineswegs die guten deutschen Geister ihr Volk verlassen« hätten78. Natürlich kamen hier vor allem Hausautoren zu Wort, doch neben den völkischen und nationalistischen Repräsentanten der »Kriegsgeneration« fanden sich auch einige katholische Regimegegner wie Reinhold Schneider und Konrad Weiß, daneben jüngere distanzierte Talente wie Peter Huchel und Horst Lange, später Günter Eich, Karl Krolow und Johannes Bobrowski. Mehrfach dem (sicher zutreffenden) Verdacht mangelnder Linientreue ausgesetzt, mit eindeutig regimefernen Stammautoren wie Georg Britting und Walter Bauer, bemühte sich der nationalkonservative Herausgeber Alverdes um einen Schlingerkurs, in dem NS-Ideologie neben »ästhetisierter Zeitenferne, formalistischer Gediegenheit, anspruchsvoller Langeweile«79 stand. 73 74 75 76 77 78 79

Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller, S. 192. Siehe die Zitate in Das Innere Reich 1934 –1944, S. 1 f. Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller, S. 207. Spemann: Menschen und Werke, S. 252. Vgl. dazu Denkler: Janusköpfig, S. 382 –405. Zitiert nach Das Innere Reich 1934 –1944, S. 3. So Denkler: Janusköpfig, S. 386.

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Nach Kriegsbeginn freilich schien der Januskopf der Zeitschrift »hinter einer undurchsichtigen Kriegermaske verschwinden zu wollen«.80 Eine ähnliche Bandbreite kennzeichnete auch das Gesamtprogramm. Neben gesinnungsfesten und parteifrommen Exponenten des Regimes wie Herbert Böhme, Robert Hohlbaum, Eberhard Wolfgang Möller, Gerhard Schumann und vor allem Hanns Johst fanden sich völkische Trotzköpfe wie Hans Grimm, dessen bereits 1926 erschienener Roman Volk ohne Raum bis 1945 etwa 350.000 Exemplare erreichte, aber auch distanzierte Konservative wie Georg Britting und Ernst Wiechert. Wiechert, der aus seiner regimekritischen Einstellung kein Hehl machte und von Goebbels persönlich 1938 als Disziplinierungsmaßnahme mit einem kurzen KZ-Aufenthalt in Buchenwald bestraft wurde, war zugleich einer der meistaufgelegten und bestverdienenden Autoren der NSZeit – und dies in einem parteieigenen Verlag. An der Übersetzungsflut skandinavischer Autoren beteiligte sich Langen-Müller intensiv und erzielte manche Bestseller wie Trygve Gulbranssons Familiensaga Und ewig singen die Wälder, die binnen kurzem über eine halbe Million Exemplare erreichte (siehe dazu auch S. 312), betreute aber auch die Werke von Knut Hamsun. Der Verlag befand sich dabei keineswegs in einem Konkurrenzkampf mit Eher um Autoren; dort richtete sich der literarische Ehrgeiz ausschließlich auf systemstützende Massenware. Langen-Müller sollte das internationale kulturpropagandistische Aushängeschild werden, was gewisse Freiräume eröffnete. Sogar Börsenvereinsvorsteher und Eher-Direktor Wilhelm Baur wollte einen »Weltverlag, der über Deutschland hinaus Ansehen besitzt«.81 Immerhin stand ja auch LangenMüller als Unternehmen der DAF letztlich unter voller Parteikontrolle und segelte somit laut SD-Leitheft in »einwandfrei nationalsozialistische[m] Fahrwasser«.82 Angesichts solcher Förderung vermochte Pezold Umsätze und Gewinne bzw. Ausschüttungen in den Folgejahren erheblich zu steigern; 1937 soll der Reingewinn 350.000 RM betragen haben.83 Will Vespers einflussreiche Zeitschrift Die Neue Literatur, die ebenfalls in einem DAF-Verlag erschien, betätigte sich massiv als Propagandainstrument für Langen-Müller, Pezold machte sich ungeniert Rezensenten und Journalisten mit Gefälligkeiten dienstbar. All dies wurde freilich nicht nur von der ungeliebten Schwester HAVA missfällig beobachtet; deren Leiter Benno Ziegler eröffnete ohne Rücksprache 1935 wieder ein eigenes konkurrierendes Literaturprogramm. Pezolds Gegenwehr war taktisch ungeschickt, weil er mit der Einschaltung von Rudolf Heß drohte, was wiederum den DAF-Chef Robert Ley brüskierte. Auch Literaturfunktionäre stießen sich an Pezolds Selbstherrlichkeit, der sogar gegenüber Parteipoeten auf Qualitätskriterien beharrte. Einer von diesen, Heinz Steguweit, machte 1934 seiner Empörung über eine Manuskriptrücksendung Luft und warf Pezold vor, »die kämpferischen Autoren des jungen Deutschland bewußt vor den Kopf zu stoßen«, bekrittelte die »Volksferne« des Verlags und empörte sich im Westdeutschen Beobachter, der Verlag betreibe »jüdische Warenhauspolitik«, unterdrücke »systematisch die Kampfgeneration« und verübe »geistigen Hochverrat«.84 Der gezielt geschürte Verdacht eines 80 81 82 83 84

Ebd., S. 393. Zitiert nach Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller, S. 217. So das Leitheft Verlagswesen des Sicherheitshauptamtes, S. 31. Vgl. Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller, S. 193, Anm. 102. Die Zitate in Das Innere Reich 1934 –1944, S. 23 f.

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vermeintlichen Liberalismus sah sich bestätigt, als 1936 ein Artikel im Inneren Reich König Friedrich II. von Preußen herabzuwürdigen schien, woraufhin das betreffende Heft von Goebbels verboten und die Zeitschrift vom Völkischen Beobachter als »Sudelblatt« geschmäht wurde. Die schöngeistige Münchner Laschheit Langen-Müllers sollte nun durch die Berliner Leitung der DAF mit Zentrallektorat und zentraler Herstellung schärfer kontrolliert werden. Statt hehrer Dichtung wurde ideologischer Massenlesestoff gefordert. Darüber führte der Verlagsleiter Pezold gegenüber Münchens städtischem Kulturamtsleiter, PG Reinhard, bittere Klage. Es dürfe der Stadt nicht gleichgültig sein, ob der Verlag, »in seiner bisherigen Art und Größe, und in seiner nunmehr erreichten Bedeutung für das deutsche Volk und für das Ansehen des nationalsozialistischen deutschen Reiches ausserhalb seiner Grenzen, weiterexistieren wird oder nicht«. Pezold drohte nicht nur mit Rücktritt, sondern verwies auch auf die zu befürchtende Abwanderung deutscher und ausländischer Autoren: Nicht nur die Stadt München hätte dann nicht mehr die Genugtuung, den Verlag in ihren Mauern zu haben, der die Mehrzahl der namhaften lebenden deutschen Dichter in sich vereinigt, sondern dem deutschen Volk insgesamt entstünde unabsehbarer Schaden. Der Verlag Langen/Müller, so wie er jetzt ist, ist aus zielbewußter Arbeit organisch entstanden. Er ist in der Lebensgemeinschaft, die wir deutsches Volk nennen, ein notwendiges, ja lebenswichtiges Organ, und nach aussen ist er, wie wir durch viele Zuschriften erfahren, eine sehr wesentliche Stütze des internationalen deutschen Kulturansehens. […] Wenn die Stadt München Wert darauf legt, sich auch Stadt der deutschen Dichtung nennen zu können, und wenn ihr deshalb die Zukunft des Langen-Müller-Verlages vielleicht nicht ganz gleichgültig ist, dann muss der zuständige Ratsherr wenigstens über alles zu Erwartende genau im Bilde sein. Der so Bedrängte verzichtete jedoch auf jegliche Aktivitäten.85 Im Januar 1938 wurde Pezold schließlich von Ley entlassen, da es ihm an Parteidisziplin mangele und er laut Wilhelm Baur nicht die Fähigkeit besitze, »einen großen Verlag in nationalsozialistischem Sinne einwandfrei zu leiten«. Vorgeschoben waren Gedichte Josef Weinhebers (»Wer so etwas schreibt oder druckt, gehört nach Dachau«, so Baur)86 und ein »religiöser« Text von Paul Ernst, den Lektor Herbert G. Göpfert zu verantworten hatte. Auch RSK-Präsident Hanns Johst hatte gegen seinen Verleger intrigiert. Mit Wilhelm Baur als Aufsichtsrat sicherte sich nun Eher entscheidenden Einfluss auf Langen-Müller. Als Pezolds Nachfolger, ein PG Beck, sich gegenüber Eher Eigenmächtigkeiten erlaubte, wurde er Ende 1942 entlassen, nach einem kurzen Interregnum Zieglers gliederte der Eher-Konzern im Februar 1943 das Unternehmen auch offiziell ein. Langen-Müller wurde de facto zu einem Anhängsel des Eher-Imprints Knorr & Hirth, dessen Geschäftsführer Alfred Salat auch die Leitung der Neuerwerbung übernahm.

85 86

Stadtarchiv München: Kulturamt 877 (Brief vom 16. Februar 1937). Vgl. den Bericht von Pezold an Hans Grimm, zitiert in Das Innere Reich 1934 –1944, S. 43.

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Hanseatische Verlagsanstalt (HAVA) Dass die Hanseatische Verlagsanstalt (HAVA)87 als »führender Verlag der ›Inneren Emigration‹« gelten müsse, hat Siegfried Lokatis zugespitzt postuliert. Zweifellos gab es (den Parteiverlag Eher wohl ausgenommen) keinen Verlag im Dritten Reich, »der auf so vielen herrschaftstechnisch bedeutsamen Feldern gleichzeitig aktiv war« (S. 6) wie die vielfach privilegierte HAVA, die sich vor 1933 im Besitz des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes befand. Verlagsleiter war seit 1931 der aus der bündischen Jugend kommende Benno Ziegler. Persönlich ein »erbitterter Feind des Nationalsozialismus« (S. 22) gelang es Ziegler, das Unternehmen durch die ersten turbulenten Interregnumszeiten nach der Machtübernahme zu steuern. Er konnte den Verlag finanziell vom hochverschuldeten DHV abkoppeln und sicherte ihm nach der Besitzergreifung des gewerkschaftlichen Unternehmens durch die Deutsche Arbeitsfront (DAF) das gewinnträchtige Anzeigenmonopol für die auflagenstarke DAF-Presse. Die Ausdifferenzierung des Programms betraf vor allem die »Politisierung der Wissenschaft« (S. 44 ff.). Der konservativ-nationalistische Verlag wurde so zu einem Sprachrohr des SD und der antisemitischen Zeitgeschichte, gewann auch den »Kronjuristen des Dritten Reichs« Carl Schmitt als Autor. Im Schutz des Reichskriegsministeriums wurde »Wehrwissenschaft« zu einem Schwerpunkt. Daneben belieferte man den NS-Massenmarkt mit Broschüren, versorgte etwa die HJ mit Noten und Texten. 1933 erschienen beispielsweise Das Hitlerbuch der deutschen Jugend und SA räumt auf!. Von 1935 bis 1938 erreichte die HAVA »ein Höchstmaß an Einfluß und Geltung bei alten und neuen Funktionseliten des ›Dritten Reiches‹«(S. 111). Enge Kontakte bestanden zu Literatur- und Buchmarktfunktionären wie Hellmuth Langenbucher, Karl Thulke und Gunther Haupt. Das Belletristikprogramm der HAVA war im Herbst 1931 im Sinne konzerninterner Aufgabenteilung an Langen-Müller abgegeben worden. Dennoch begann Ziegler 1935, wie erwähnt, wieder um literarische Autoren zu werben (auch solche von LangenMüller).88 Regimenahe Namen wie Herybert Menzel, Josef M. Wehner, Richard Euringer, Hermann Griese, Hermann Claudius, Heinz Steguweit und RSK-Präsident Hans F. Blunck deckten den literarischen Bedarf der NS-Formationen, sie wurden auch über die eigene Buchgemeinschaft der »Deutschen Hausbücherei« vertrieben. In der regimefrommen Geschichte deutscher Dichtung des Parteigermanisten Franz Koch (6. Auflage 1937) verweist ein Werbeanhang stolz darauf, dass von den genannten »Dichtern und Erzählern« zahlreiche Titel bei der HAVA erschienen seien: Bartels, Bergengruen (10 Titel), Beste (3), Blunck (16), Euringer (11) Fischer, Hartmann, Hillard (2), Rudolf Huch, Ernst Jünger (6), Lersch (3), Menzel (6), Nierentz, Oppenberg (2), Stahl (3), Steguweit (10), Tügel (10), Wehner (6), Winnig (8).

87 88

Vgl. dazu Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 1 –189. Das Zitat auf S. 91, die folgenden Zitate mit Seitenzahlen im Text. Im Folgenden wird ausschließlich das literarische Programm der HAVA skizziert. Vgl. dazu ausführlich Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 102 ff.

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Zwei Autoren allerdings fallen aus diesem Raster: Werner Bergengruen und Ernst Jünger. Der erstere schrieb für ein konservativ-bürgerliches, der zweite für ein deutschnationales Publikum. Nach Erinnerungen von Gotthold Müller, dem ehemaligen Werbeleiter der HAVA,89 hatte Langen-Müller Bergengruens Roman Der Großtyrann und das Gericht als politisch riskant abgelehnt. Der Autor, mit einer »Dreiviertel-Jüdin« verheiratet, wurde 1937 aus der RSK ausgeschlossen und durfte nur mit Sondergenehmigungen publizieren. Ziegler, der dem Regime als reaktionär, Bergengruen dagegen als konservativ galt, brachte das Buch 1935 als eines der ersten seines neuen Literaturprogramms heraus. Es wurde bereits im ersten Herbst mit 30.000 Exemplaren zu einem Abb. 6: Das Gebäude der HAVA in der Überraschungserfolg; vielfach wurde die Zollstraße, Wandsbek 1935. Privatbesitz Geschichte des selbstherrlichen RenaisG. Müller. sancefürsten als politisch oppositionell verstanden, doch positive Besprechungen fanden sich auch in einem Teil der NSPresse. Sogar der misstrauische Rosenberg lobte im Völkischen Beobachter die Titelgestalt als »eine der Herrengestalten der Renaissance«. 1943 war das 155. Tausend erreicht. Es folgten die Romane Der Starost (1938), Im Himmel wie auf Erden (1940)90 und Herzog Karl der Kühne (1943) sowie die Novellenbände Die Leidenschaftlichen, Der Tod von Reval, Die Heiraten von Parma und Das Brauthemd (1943). Auch sie erreichten teils hohe Auflagen und wohlwollende Presseresonanz.91 Im Rückblick erklärte Bergengruen, wie die HAVA sich seiner, des unverhohlen distanzierten Autors annahm:

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Vgl. das Zeitzeugengespräch von Herbert G. Göpfert mit Gotthold Müller (Typoskript im Archiv des Börsenvereins), S. 9. Nach Müllers Erinnerung habe der im Kriege zum Völkischen Beobachter dienstverpflichtete Richard Biedrzinsky den »Großtyrann« dort in Fortsetzungen abgedruckt. Bergengruen selbst erinnerte sich dagegen an einen Vorabdruck in der Berliner Deutschen Allgemeinen Zeitung. Der Text machte »entschieden Front gegen die nationalsozialistische Rassenpolitik« (H. Kurzke, zit. nach Sarkowicz/Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland, S. 90) und wurde nach einem Jahr, in dem 60.000 Exemplare verkauft wurden, auf die Liste der unerwünschten Titel gesetzt. Vgl. etwa die positive Rezension zu Herzog Karl der Kühne (1943) in der Bücherei, der Empfehlungszeitschrift der Reichsstelle für das Büchereiwesen, Jg. 10, S. 293 f.

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In kritischen Fällen wie diesem zog der Lektor der schöngeistigen Abteilung Niels Hansen seine SS-Uniform an und begab sich zum zuständigen Referenten des Propagandaministeriums Erckmann, der der HAVA als Herausgeber der Reden des Weimarer Dichtertages verpflichtet war.92 Ernst Jünger hielt aristokratische Distanz zum Regime. Während seine kriegerischen Schriften weiterhin bei seinem ersten Verlag Mittler herauskamen, konnte sich die HAVA das essayistisch-literarische Werk sichern. Schon 1932 war dort Der Arbeiter erschienen, 1934 folgten Blätter und Steine, 1936 Afrikanische Spiele und 1938 eine Neufassung von Das abenteuerliche Herz. Von Letzterem zeigte sich Martin Walser überzeugt, dass es »alles, was bei uns zwischen 1933 und 1945 geschrieben und gedruckt wurde, aufwiegt«.93 1939 fand die Erzählung Auf den Marmorklippen breite Resonanz und wurde als camouflierte Opposition gedeutet; bewusst verschwommen-prätentiös von einem despotischen »Oberförster« handelnd, war Regimekritik jedoch nach Jüngers eigener Aussage nicht beabsichtigt. Der Verlagslektor Paul Weinreich erklärte später: »Wir rechneten damit, daß die Partei das Bild, das Jünger zeichnete, nicht auf sich beziehen konnte, wenn sie sich nicht selbst bezichtigen wollte.«94 Vielleicht hat auch die Tatsache, dass dies im Verlag einer Parteigliederung erschien, jeden Gedanken an eine bewusste Kritik am Regime abwegig erscheinen lassen. Zweifellos wussten Verleger und Lektoren gerade wegen ihrer besten Kontakte zu den Literaturfunktionären, dass Jünger wegen seiner Verdienste um den völkischen Nationalismus als Protegé des Führers und damit als unantastbar galt. Bis Oktober 1943 betrug die Gesamtauflage 67.000. Ob die HAVA mit den Werken der beiden Autoren wirklich »bewußt einen oppositionell gestimmten Leserkreis als Zielgruppe anpeilte«95 oder sich vor allem mit herausragenden Autoren gegen Langen-Müller profilieren wollte, bleibe dahingestellt. Als die DAF sich 1943 von ihren Verlagsunternehmen trennte, zeigte sich Eher nur an der Deutschen Hausbücherei als Ergänzung zu Langen-Müller interessiert. Die HAVA wurde durch gesinnungsfeste Hamburger Reeder (Sloman u. a.) und Kaufleute (Reemtsma) unter Beteiligung von Ziegler als KG reprivatisiert.96 Die Produktion musste freilich wegen erheblicher Bombenschäden in Hamburg und Berlin, insbesondere in den Leipziger Lagern, stark reduziert werden. Die Versuche, nach Kriegsende sofort den britischen Besatzern dienstbar zu sein, waren vergeblich – im Januar 1947 wurde die politisch belastete HAVA endgültig liquidiert.

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Zitiert nach Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 91. In seiner Festrede zur Eröffnung einer Jünger-Ausstellung »Einer wie kein anderer« (in: Jahrbuch der Deutschen Schiller-Gesellschaft LV (2011), S. 479 –482, hier S. 480). Zit. nach Sarkowic/Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland, S. 238. Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 94. Vgl. Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 149 ff.

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Ullstein/Deutscher Verlag Die Zerschlagung des neben Hugenberg mächtigsten Pressekonzerns der späten Weimarer Republik gehörte zu den dringlichsten Zielen der NS-Medienpolitik. Schließlich erschienen bei dem »jüdischen Meinungsvergifter« (so Hitler) mehr Druckerzeugnisse als bei allen Konkurrenten, die Auflagen der Zeitungen und Zeitschriften gingen ebenso in die Millionen wie die Gewinne. Der 1904 gegründete Buchverlag, durch die Synergie mit den Presseprodukten des Konzerns begünstigt, galt nicht zuletzt dank seiner Billigbuchreihe als »Bierabteilung« und wurde 1919 durch den Propyläen-Verlag als »Weinabteilung« ergänzt. Im Jahr 1933 war Ullstein die größte Druckerei Europas und beschäftigte rund 19.000 Menschen. Hitler persönlich hatte im Juli 1933 die Enteignung des Konzerns befohlen. Das »Schriftleitergesetz« zwang zur Entlassung der jüdischen Mitarbeiter, im Herbst begann die Verlegerfamilie, Geschäftsanteile an befreundete Honoratioren abzugeben – quasi eine »planmäßige Selbstarisierung«97. Dennoch musste im Frühjahr 1934 die Vossische Zeitung eingestellt werden, wenig später wurde die Grüne Post für drei Monate verboten. Franz, Hermann und Rudolf Ullstein, die Söhne des Gründers resignierten daraufhin und betrieben nun den schleunigen Verkauf. Goebbels betraute Dr. Max Winkler98 mit den Unterhandlungen, der bereits vor 1933 Treuhänder des Reichs für die Verwaltung der reichseigenen Zeitungsverlage gewesen war und sich völlig in den Dienst auch des neuen Regimes als Beauftragter für die Gleichschaltung der Presse stellte. Er war sehr erfolgreich: Über seine Cautio-Treuhandgesellschaft liquidierte er den Pressekonzern Mosse, vom reaktionären Zeitungszar Hugenberg übernahm er dessen Vera-Treuhandgesellschaft samt zahlreichen Provinzzeitungen. Am 30. Juni 1934 kaufte Winklers Cautio – über Unternehmensanleihen finanziert – auch den Ullstein-Konzern zu einem Bruchteil des tatsächlichen Wertes, nämlich für zwölf Millionen Reichsmark.99 Davon wurden den emigrierenden Besitzern 25 Prozent Kapitalausfuhrsteuer abgezogen. Auf Weisung Hitlers wurde das CautioAktienpaket nicht dem Propagandaministerium anvertraut, vielmehr von Winkler für Reichsleiter Max Amann und damit de facto für den Zentralverlag der NSDAP gehalten. Diese Hintergründe der »Arisierung« wurden der Öffentlichkeit jedoch vorenthalten, der bisherige zugkräftige Name Ullstein blieb, ebenso der Verlagsleiter Max Wießner. Aus der Aktiengesellschaft wurde zum 1. Januar 1938 eine Kommanditgesellschaft; neben den persönlich haftenden Gesellschaftern Max Winkler und Ferdinand Bausback mit jeweils 97 98

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Bannehr: Die Eule lässt Federn, S. 52. Vgl. zu Max Winkler und zur Enteignung Mendelssohn: Als die Presse gefesselt war, S. 197 ff. Eine ausführliche dokumentengestützte Darstellung gibt Kempner: Hitler und die Zerstörung des Hauses Ullstein, S. 267 –292. Leider spielt der Buchverlag in dem umfangreichen Werk so gut wie keine Rolle, sehr kursorisch in Schwab-Felisch: Bücher bei Ullstein, S. 179 –216, darin zum Dritten Reich nur S. 215 f. Siehe auch Schneider: Die ›Romanabteilung‹ im Ullstein-Konzern der 20er und 30er Jahre, S. 93 –114. Vgl. auch UllsteinChronik 1903 –2011. Darin die Beiträge von Wippermann: Eule und Hakenkreuz, S. 198 – 219 und Gruber: Zwischen »Heimat« und »Verboten und Verbrannt«, S. 220 –233. Detailliertere, abweichende Zahlen bei Wippermann: Eule und Hakenkreuz, S. 206 ff.: Die Familie habe sechs Millionen erhalten, etwa ein Zehntel des tatsächlichen Wertes. Der Kauf wurde über Anleihen finanziert, die aus den Verlagsgewinnen getilgt wurden; bis 1945 habe Ullstein weitere Gewinne von 162 Millionen Reichsmark erzielt.

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10.000 Mark war einzige Kommanditistin die Cautio mit knapp 12 Millionen. Sie gab bald einen Anteil an das Eher-Imprint Knorr & Hirth ab, bis endlich 1941 Eher auch offiziell an die Stelle der Cautio trat und Wilhelm Baur ins Direktorium aufrückte. Bereits im Oktober 1933 versicherte der neue »politische Direktor« des Konzerns gegenüber Hitler: Die Produktionen des Buchverlages (Ullstein Verlag und Propyläen Verlag) liegen durchaus in der Richtung des neuen Staates, wenn auch der unpolitische Charakter eines mehr belletristischen bzw. eines mehr wissenschaftlichen Verlages nicht diese Tatsache, der greifbaren Tendenz nach, in jedem Einzelfalle in Erscheinung treten läßt.100 Der Buchverlag wurde im November 1937 zum »Deutschen Verlag« umbenannt, ebenso die Ullstein-Bücher zu »Uhlen-Büchern«. Die neuen »arischen« Verlagsleiter kamen aus dem kaufmännischen Bereich des Unternehmens und waren keine dezidierten Nationalsozialisten. Die Erfolgsreihe der gelben Ullstein-Bücher musste zwar auf jüdische Erfolgsautoren verzichten (so Vicki Baum, Gina Kaus), aber veränderte insgesamt ihr Profil leichter Unterhaltung so gut wie nicht, schlug also keine völkisch-nationale oder gar NS-Richtung ein. Ein Mitarbeiter erinnerte sich: »Der Supernazi [Wilhelm Baur?] war der Fremdkörper unter den Menschen in dem Unternehmen, das den Titel ›Deutscher Verlag‹ führte – nicht umgekehrt.«101 Natürlich wurde der Verlag zielstrebig »entjudet«, zahlreiche Mitarbeiter fristlos entlassen. Bei Propyläen waren bis 1933 Autoren wie Brecht, Feuchtwanger, Ernst Weiß und Carl Zuckmayer, Walter Hasenclever, Leonhard Frank, Ödön von Horvath, Alfred Neumann, Adrienne Thomas und Gina Kaus, schon gar Erich Maria Remarque erschienen, die nun sofort auf den schwarzen Listen standen. 1933 kamen im Verlag nur zwei Romane von Kurt Kluge und Franz Körmendi heraus. Ab 1934 rückten NS-affine Autoren nach: Kurt Eggers, Hans Friedrich Blunck, Theodor Kröger (sein Roman Das vergessene Dorf wurde mit 700.000 Auflage ein Spitzenbestseller des Verlags), Götz Otto Stoffregen, dazu konservativ-nationale Mitläufer wie Gottfried Kölwel, Josef Martin Bauer, Friedrich Bischoff, aber auch Erik Reger und Ehm Welk, dessen Lausbubengeschichten Die Heiden von Kummerow (1937) mit mehr als 730.000 Exemplaren bis 1943 mit an der Spitze der meistverkauften Romane im Dritten Reich standen; mit mehr als 1,2 Millionen verkaufter Bücher wurde Welk »zum meistgelesenen Autor des Verlags während der NS-Diktatur«102. Dabei war Welk wegen eines aufmüpfigen Artikels 1934 kurzzeitig ins KZ Oranienburg gekommen und hatte jahrelanges Berufsverbot erhalten. 1954 erhielt Welk, dessen Romane – ideologisch überarbeitet – weiterhin hochbeliebt waren, den Nationalpreis der DDR.

100 Zitiert nach Kempner: Hitler und die Zerstörung des Hauses Ullstein, S. 276. 101 Satter: Vom Geist und Ungeist des Hauses, S. 302. 102 Gruber: Zwischen »Heimat« und »Verboten und Verbrannt«, S. 225. Vgl. auch Adam: Lesen unter Hitler, S. 168 ff. Dem Folgeband Die Gerechten von Kummerow (1943) wurde 1944 der erste Preis des RMVP im 1942 begonnenen Wettbewerb für Unterhaltungsschrifttum in Höhe von 15.000 RM verliehen.

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Abb. 7 (li.): Börsenblatt 100 (1933) 75, S. 1605. Abb. 8 (re.): Die Umbenennung des Ullstein-Verlags, Börsenblatt 104 (1937) 269, S. 5857. Ullstein war nach wie vor dezidiert aufs Bestsellergeschäft ausgerichtet, möglichst im Zusammenspiel von Vorabdruck und Buchpublikation – wesentlich war die Abdruckeignung in den Zeitungen und Zeitschriften des Konzerns: »Literarische Wertungen erfolgten im Lektorat der ›Romanabteilung‹ primär nicht nach literarischästhetischen Gesichtspunkten, sondern es lag ihnen ein vermarktungsstrategischer Aspekt zugrunde«.103 Auch die Werbeabteilung hatte ein entscheidendes Wort mitzureden. An dieser Strategie änderte sich offensichtlich auch nach »Arisierung« und Umbenennung nichts. Der verdienstvolle und regimedistanzierte Leiter der Romanabteilung Max Krell, der bis zu seiner eigenen Entlassung 1936 zahlreiche nonkonforme Autoren förderte, konnte die Marktgesetze nicht ignorieren. Er lehnte in Abstimmung mit Chefredakteuren und Werbeabteilung einen Vorabdruck von Jochen Kleppers Der Vater ab, weil Ende Dezember 1934 ein Film über den Soldatenkönig Premiere habe, über den die Presse sofort exzessiv berichten werde. Wenn ein Vorabdruck erst im März/April 1935 beginnen könne, gerate man mit demselben Thema Monate später »ins Hintertreffen«.104 Der Verlag behielt sich stets weitgehende Überarbeitungsrechte vor.105 103 Schneider: Die ›Romanabteilung‹ im Ullstein-Konzern der 20er und 30er Jahre, S. 103. 104 Ebd., S. 105. 105 So erhielt Wolfgang Weyrauch 1939 als freier Mitarbeiter im Lektorat des »Deutschen Verlags« den Auftrag, einen Roman Gregor von Rezzoris umzuarbeiten, 1941 wurde Rezzori selbst freier Lektor. Siehe Schneider: Die ›Romanabteilung‹ im Ullstein-Konzern der 20er und 30er Jahre, S. 109.

8.1.2 Fallstudien: Nationalsozialisten, Parteigänger, Sympathisanten 329 Das belletristische Programm wurde von einem populärwissenschaftlichen ergänzt, das in hohen Auflagen erschien,106 auch Abenteuer- und Reiseliteratur blieb ein Schwerpunkt. Selbstverständlich kamen dazu im Krieg die einschlägigen propagandistischen Erlebnisberichte. Als erfolgreichster Titel erwies sich – noch vor Ernst Udets 1935 erschienenem Fliegerleben – 1940 Mein Weg nach Scapa Flow des U-Boot-Kommandanten Günther Prien. Die Startauflage von 120.000 war sofort vergriffen und mit fast 900.000 Exemplaren zählte es zu den zwanzig bestverkauften Titeln des Dritten Reiches.107

Nationalsozialisten, Parteigänger und Sympathisanten Andermann Überaus erfolgreich war der Zeitgeschichte-Verlag mit angegliederter Vertriebsgesellschaft des Nationalsozialisten Wilhelm Andermann.108 Er produzierte gesinnungsstarke Belletristik in hohen Auflagen, etwa Anton Bossi-Fedrigottis Roman aus dem Ersten Weltkrieg Standschütze Bruggler, der es nach 1940 auf deutlich mehr als 100.000 Exemplare brachte. Insbesondere aber verlegte er die Schriften von Karl Aloys Schenzinger, beginnend 1932 mit dem Hitlerjungen Quex. Das Heldenlied vom Märtyrer Herbert Norkus, den die Kommunisten angeblich ebenso ermordet hatten wie den berüchtigten Horst Wessel, erreichte dank Massenabnahmen der Partei mehr als 300.000 Exemplare. Als Andermann sofort nach der Machtübernahme 1933 eine NSBuchgemeinschaft gründete, den »Braunen-Buch-Ring«, erkor er Schenzinger zum Herausgeber und Schriftleiter der Zeitschrift des Buch-Rings Der Braune Reiter. Im Eröffnungseditorial versicherte dieser: »Die Überlieferung des Verlages sowie die Namen der Autoren, die im Rahmen des Braunen Buch-Rings zu Worte kommen, gewährleisten die klare nationalsozialistische Gesinnung des Braunen Buch-Rings«.109 Als Goldgrube für Andermann erwiesen sich Schenzingers weitere Werke. Die höchste Auflage aller Romane während des Dritten Reiches hat mit rund 920.000 Exemplaren der »Rohstoff-Bestseller« Anilin erreicht, der 1937 erschienene »Roman der deutschen Farben-Industrie«. An achter Stelle der Rangliste steht mit gut 540.000 Exemplaren ein 106 Zum Ullstein-Sachbuch zwischen 1933 und 1945 vgl. Oels: Von Eulen und Enten. Populäre Sachbücher bei Ullstein, S. 249 –268. Zu Ullstein im Krieg siehe jetzt auch Oels: Die Monatsberichte Max Wießners an den Zentralparteiverlag der NSDAP Franz Eher Nachf. über wichtige Geschäftsvorfälle im Deutschen Verlag 1940 –1945. Teil I; 1940 –1941. In: AGB 69 (2014), S. 153 –234. 107 Siehe Adam: Lesen unter Hitler, S. 150 ff. und Wippermann: Eule und Hakenkreuz, S. 214 f. 108 Der Berliner Verlagsbuchhändler Andermann hatte 1921 in Königstein/Taunus seine Firma gegründet und diese 1925 nach Berlin verlegt, 1938 wurde sie in »Zeitgeschichte«-Verlag umbenannt. 1941 eröffnete er in Wien einen Filialbetrieb, den Hermann Leber leitete (vgl. dessen Rolle bei der Zsolnay-Arisierung). Dort wohnte Andermann nach 1945 auch und wurde 1950 österreichischer Staatsbürger. Der nach 1945 »austrifizierte« und enteignete Wiener Verlag machte bis zur Währungsreform hohe Gewinne. Siehe dazu Schwarz: Das Wiener Verlagswesen der Nachkriegszeit, S. 131 –139. 109 Zu Schenzinger und Andermann siehe Treder: Schenzinger, Karl Aloys, in http://www. polunbi.de/pers/schenzinger-01.html (zuletzt aufgerufen 11.2.2014), hier auch das Zitat.

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1939 erschienenes Buch desselben Autors: Metall. Roman einer neuen Zeit. Beides sind auf den ersten Blick keine NS-Propagandawerke, sondern scheinbar unpolitische »Wissenschaftsromane«. Doch ihre »an die Wissenschaftsgeschichte angelehnte Romanhandlung mit Populärwissenschaft«110 besteht in journalistisch geschickter, faktengesättigter, dokumentarisch anmutender, doch ideologisch unterfütterter, vielfach ins Pathetische gesteigerter Kolportage. Beide »Rohstoff-Romane« sind Dokumente jener spezifischen »autochthonen Modernität«111, die gegen die westlich-demokratische, als jüdisch disqualifizierte Moderne eine völkisch-traditionsgebundene Indienstnahme von Technik und Naturwissenschaften proklamierte – im Dienst einer Ideologie von Führerglauben, Rassenhass und Militarismus. Im gleichen Sinne hatten die Nationalsozialisten eine »Deutsche Physik« des Nobelpreisträgers Philipp Lenard und gar eine »Deutsche Mathematik« zu konstituieren versucht.112 Abb. 9: Umschlag des WiderstandsSchenzingers Romanen gemeinsam ist romans von F. P. Reck-Malleczewen. die Hauptthese, dass fast alle wesentlichen chemischen und technischen Erfindungen von genialen, doch entsagungsvoll-bescheidenen Deutschen gemacht wurden. Diese deutschen Wissenschaftler verstanden sich als uneigennützige Soldaten der Forschung im Dienste der Volksgemeinschaft. Durch finstere Mächte und Manipulationen aber wurden sie stets um die Früchte ihrer Ideen betrogen; insbesondere skrupellose und habgierige Männer des perfiden Albion plagiierten sie schamlos um der kolonialen Welteroberungsgelüste der Briten willen. Schenzingers Bestseller zeichnen also das Bild des gutmütig-naiven, doch unablässig gedemütigten Deutschland auf dem Feld der Wissenschaft mit kriegerischer Metaphorik und erwecken im Leser den Drang, diese Demütigung durch die westlichen Plutokratien endlich zu rächen. Er »schreibt seine Wissenschaftsreportagen wie ein Kriegsberichterstatter«113. Dies machte seine Bücher zu perfekten Indoktrinationsinstrumenten für technikbegeisterte junge Soldaten. Von Anilin, dem Heldenlied der deutschen Farbenindustrie, erschien noch 1951 (leicht purgiert und entnazifiziert) das 1616. – 1630. Tausend bei Andermann, bis 1973 gab es mindestens weitere sieben Auflagen in unbekannter Höhe. Die gewinnträchtige 110 111 112 113

So die These von Schneider: Bestseller im Dritten Reich, S. 91. So die Formulierung von Graeb-Könneker: Autochthone Modernität. Siehe hierzu auch den Beitrag von Ute Schneider zum Wissenschaftsverlag in diesem Band. Weil: Anilin von Karl Aloys Schenzinger, S. 239.

8.1.2 Fallstudien: Nationalsozialisten, Parteigänger, Sympathisanten 331 Zusammenarbeit zwischen Andermann und seinem Erfolgsautor wurde bis in die Sechzigerjahre mit weiteren Titeln fortgeführt.

Schützen Verlag Allerdings kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass Verlage im Besitz von Parteifunktionären nur ideologisch einwandfreie Titel publizierten. Genannt sei als Beispiel der Schützen Verlag. Er wurde 1935 gegründet und bestand aus dem arisierten Buchverlag des zum Mosse-Konzern gehörenden Berliner Tageblatts. Die Inhaber waren Georg Jacobi und Dr. Kurt Jahncke, letzterer bis 1936 Leiter der Presseabteilung des RMVP und stellvertretender Reichspressechef.114 Dort kamen neben einigen Militaria auch die Werke zweier erbitterter Gegner des Regimes heraus, insbesondere die historischen Romane von Friedrich Reck-Malleczewen. Sein Bockelson. Geschichte eines Massenwahns (1937) schildert das Regime der Münsteraner Wiedertäufer und hält dabei der NS-Diktatur unübersehbar und in singulärer Kühnheit den Spiegel vor.115 1937 folgte Charlotte Corday. Geschichte eines Attentats, worin ein diktatorischer Volkstribun ermordet wird. Hier erschienen auch die utopischen Romane des Widerständlers Rudolf H. Daumann, der 1933 von den Nationalsozialisten aus dem Schuldienst entlassen worden war; 1943 wurden sie von der NS-Zensur verboten. Auch des missliebigen Werner Bergengruen Novellensammlung Die Schnur um den Hals war 1935 eine Neuerscheinung des Schützen Verlags.116 Was bewog den kleinen Verlag eines Goebbels-Mitarbeiters zu einer solchen kühnen Programmpolitik?

Stalling Unmissverständlich bekannten sich zwei traditionsreiche norddeutsche Unternehmen zum braunen Regime. Der Oldenburger Stalling Verlag verstand sich ausweislich seiner Festschrift von 1939117 mit seinen Schulbüchern, seinen politischen, militärischen und auch schöngeistigen Publikationen als unermüdlich tätig »im Geiste und Sinne nationalsozialistischer Weltanschauung«. Für Goebbels war das Wirken des Unternehmens »ein wesentlicher Beitrag zur Wiedererstarkung der deutschen Seele und damit zur Wiedergeburt unsres Volkes und Staates«. Tatsächlich hatte man schon seit 1931 mit der »Stalling-Bücherei Schriften an die Nation« für das völkische Erwachen gewirkt. Die Belletristik bestand aus nationalistischen Weltkriegsromanen, allen voran den Bestsellern von Werner Beumelburg (Sperrfeuer um Deutschland mit ca. 360.000 und Gruppe 114 Zu Jahncke (1898 –1962) siehe Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes, 1871 –1945, Bd. 2, hrsg. v. Auswärtiges Amt, Maria Keipert u. Peter Grupp. Paderborn: F. Schöningh 2000, S. 418 f. Jahncke war 1934 der NSDAP beigetreten, leitete ab 1935 die Abteilung IV des RMVP, ab 1939 war er im Pressedienst des Auswärtigen Amts tätig. 115 Siehe Haefs: Massenwahn und Barbarei, S. 325 –336. 116 Vgl. Bergengruen: Schriftstellerexistenz in der Diktatur, S. 50: Der literarische Leiter sei »ein sehr junger, den Kreisen der Hitlerjugend entstammender Mensch« gewesen; dieser »hatte offenbar die Zeit noch nicht gehabt, Erfahrungen zu sammeln, und hieraus ergab sich manche Kuriosität«. 117 Roth: Einhundertfünfzig Jahre Verlag Gerhard Stalling 1789 –1939. Die folgenden Zitate S. 188 und 202.

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Bosemüller mit gut 160.000 Exemplaren) und ähnlichen historischen Klitterungen im selben Geiste. Der leitende Mitarbeiter, dann Vorstandsvorsitzende Hans Zehrer (später Mentor Axel Springers) hatte beste Verbindungen zur Schrifttumsbürokratie – der im Krieg für Papierzuteilungen und Zensur des Frontbuchhandels zuständige Jürgen Eggebrecht war bis 1939 Hauptlektor bei Stalling gewesen.

Westermann Ähnlich heftig warf sich der Braunschweiger Georg Westermann Verlag in die Arme des Regimes. Die Grenze vom bloßen Mitläufertum zur echten Überzeugung scheint überschritten, blickt man in die Festschrift des Jahres 1938.118 Darin wird nicht nur die Arbeit des Schulbuchverlages gewürdigt, sondern auch jene des schöngeistigen, von Georg Mackensen geleiteten Verlagsteils. Auf die Weimarer Republik rückblickend rühmt die Einleitung: Wenn auch seiner ganzen Anlage und Gestalt nach der Verlag dem einseitig und ausschließlich politischen Schrifttum ferngeblieben ist, so hat ihm doch die stets deutschbewußte Tätigkeit seiner verantwortlichen Männer jenen völkischen Stempel aufgedrückt, der nach der Novemberrevolte von 1918 und in den Jahren der Systemregierungen zeitweise eine starke Hemmung für seine Entwicklung war. Erst die Erhebung von 1933 hat der Firma wieder die Wege frei gemacht zur Fahrt mit gleichem Winde zu neuen Ufern. Das habe insbesondere für die belletristische Produktion gegolten: Klar seiner Aufgaben bewußt, hat es der Verlag Westermann vermieden, sich in den Dienst eines dekadenten Schrifttums zu stellen, das seine geschäftlichen Erfolge lediglich einem Appell an die niedrigsten Instinkte und einem Verrat an dem eigenen Volkstum verdankte. Man habe vielmehr stets den »langsam erwachenden germanischen Rassegedanken« unterstützt und sehe als Maxime auch der künftigen Verlagsarbeit das »Bekenntnis zum werdenden Reich des ewigen Deutschland«. Neben wohlfeilen Bändchen mit Texten aus Westermanns Monatsheften erschienen Romane von völkischen Autoren wie Hjalmar Kutzleb, Thor Goote oder Heinrich Eckmann, worin sich Blut-und-Boden-Ideologie mit Schmähungen der »Systemzeit« vereinen, die Schriften von Georg Stammler, den die Festschrift rühmt als »Vorkämpfer für die Verwirklichung nationalsozialistischen Ideengutes«, insbesondere auch die antisemitisch geifernde Literaturgeschichte von Adolf Bartels, die nach Verlagsmeinung »erzieherische Aufgaben« erfüllte. Ab 1938 brachte der Verlag in Großauflage Ewiges Deutschland. Ein deutsches Hausbuch heraus. Die von Goebbels bevorwortete Weihnachtsgabe des Winterhilfswerkes des Deutschen Volkes wurde in einer Auflage von 2 Millionen an Bedürftige verteilt, war aber auch im Buchhandel erhältlich. Die Anthologie in typischer Mischung von Hölderlin bis Hitler, 118 Hundert Jahre Georg Westermann Braunschweig. Die folgenden Zitate siehe S. 9, 41, 114, 110.

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von Rilke bis zu Gerhard Schumanns Führervergötzung war völlig identisch mit den einschlägigen Produkten des Eher-Verlages (samt im Innendeckel voreingedrucktem Hakenkreuz-Exlibris).119 Tiefer hat sich wohl kein »bürgerlicher« Verlag ins braune Revier begeben.120 Der Herausgeber hat das Konzept übrigens nach 1945 für Bertelsmann weitergeführt – aus Ewiges Deutschland wurde freilich Unvergängliches Abendland.

Steegemann Während bei Verlagen wie Stalling und Westermann die nationale Gesinnung schon zur »Systemzeit« unbezweifelbar war, blieb abrupter Gesinnungswechsel ein hohes Risiko. Das manifestierte sich deutlich am Schicksal des Verlages von Paul Steegemann.121 Er hatte in den Zwanzigerjahren Dada-Programmschriften, Bücher von Kurt Schwitters und anderen Avantgardisten verlegt – nach Will Vespers Die Neue Literatur »übelstes Literatenzeug und schlimmste Bordelliteratur«122. Erfolgreich war eine Reihe mit Parodien auf die Bestseller von Erich Maria Remarque, Hanns Heinz Ewers, Edgar Wallace und des Sexualratgebers van der Velde. 1931 beauftragte Steegemann den wendigen Humoristen Hans Reimann mit einer Hitler-Parodie namens Mein Krampf. Nach Drohungen, unter anderem von Hanns Johst, trat dieser vom Projekt zurück und wurde daraufhin vom Verleger verklagt. Dies hinderte jedoch Steegemann keineswegs daran, sofort nach der Machtübernahme 1933 eine Buchreihe »Die Erhebung. Dokumente zur Zeitgeschichte« zu beginnen, worin Parteigrößen wie Göring zu Wort kamen, außerdem antisemitische Titel. Die Empörung aufrechter Parteigenossen über den Wendehals führte schließlich zum schnellen Ende des Verlags.

Mitläufer Diederichs Der Eugen Diederichs Verlag123 hatte seit dem Ende der Zwanzigerjahre bevorzugt völkisch-nationale Autoren gepflegt. Der Verleger hatte 1929 zum Tag des Deutschen 119 Der letzte Jahrgang 1943 kam denn auch im Eher-Verlag heraus. Zum Herausgeber August Friedrich Velmede, vielfachem NS-Kulturfunktionär der mittleren Ebene und späterem Geschäftspartner G. v. Holtzbrincks siehe auch Garke-Rothbart: »… für unseren Betrieb lebensnotwendig…«, S. 109 f. Vgl. auch Van linthout: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik, S. 187 f. 120 Vgl. jedoch auch die 1934 aufgenommene regimekonforme belletristische Produktion des wissenschaftlichen Vieweg-Verlags, siehe hierzu auch den Beitrag von Ute Schneider zum Wissenschaftsverlag in diesem Band. 121 Siehe dazu Zuckmayer: Geheimreport, S. 242 sowie v. a. Meyer: Der Paul Steegemann Verlag (1919 –1935 und 1949 –1960) und ders.: Paul-Steegemann-Verlag 1919 –1935, 1949 – 1955. 122 Jörn Oven in: DNL 35 (1934), S. 40. 123 Vgl. Achthaler: 1930 –1996. Die Verlagsentwicklung nach dem Tod von Eugen Diederichs, S. 90 –119; Diederichs: Verleger im Schatten. Der Eugen Diederichs Verlag 1929 bis 1949; Triebel: Der Eugen Diederichs Verlag 1930 –1949.

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Buches einen schöpferischen Realismus »aus der Verwurzelung des Menschen in Landschaft und im Blutserbe«124 proklamiert. Im selben Jahr publizierte er Edwin Erich Dwingers Armee hinter Stacheldraht, das Hans Grimm zunächst an Langen empfohlen hatte, wo es wegen einer »Häufung von Greuelszenen« und »widerwärtigen sexuellen Partien« abgelehnt worden war. Das Buch wurde bei Diederichs zum Sensationserfolg und Dwinger avancierte mit den beiden weiteren Bänden seiner Trilogie Die deutsche Passion, die 1930 und 1932 herauskamen, zum fortan umsatzstärksten Verlagsautor. Die beiden Verlegersöhne Niels und Peter, die 1930 die Leitung übernahmen, setzten diese Programmatik fort; Justus H. Ulbricht betont, dass der Volksbegriff für beide »nicht nur ein nützliches verlegerisches Etikett war, sondern damals eine fast nicht mehr hinterfragbare mythische Qualität besaß«.125 So vollzog der Verlag nach 1933, ohne sich verbiegen zu müssen, umgehend den Schwenk von der Konservativen Revolution des »Tat«-Kreises zur »völkisch-mythischen Linie«. Neben der billigen »Deutschen Reihe«, die ab 1933 als »nationale Kulturbücherei« den Reihen von Insel und LangenMüller erfolgreich Konkurrenz machte, widmete man sich verstärkt der konformen Belletristik – was der Almanach 1935 rechtfertigte: »Es scheint, nachdem die Welle der dem Tag verpflichteten Literatur abgeebbt ist, sich ein tieferes Besinnen auf die im Volk ruhenden seelischen Kräfte anzudeuten, das zunächst im Roman Gestalt sucht.«126 Zum germanomanen Sachbuchprogramm traten regimeaffine Autoren wie Hans F. Blunck und die Parteigenossin Josefa Berens-Totenohl (1891 – 1969) mit ihrem völkischen Erfolgstitel Der Femhof (1934), dessen Auflage die 250.000 überstieg. Volksund Kompaktausgaben des reaktivierten Hermann Löns fanden Anklang, desgleichen die übersetzten Unterhaltungsromane von Svend Fleuron und Mazo de la Roche. In bescheidenem Umfang wurde auch Lyrik verlegt.127 Dass der Verlag zwischen 1933 und 1940 seinen Umsatz fast vervierfachen konnte, lag allerdings erheblich an Edwin Erich Dwinger, Reichskultursenator und SS-Sonderführer. Allein mit ihm setzte Diederichs bis 1940 mehr als drei Millionen RM um.128 Er wurde intensiv beworben und absolvierte viele erfolgreiche Lesereisen, Übersetzungen wurden vergeben, bis 1945 wurden mehr als zwei Millionen seiner antisemitischen und antikommunistischen (wenngleich slawophilen) Bücher abgesetzt. Dwinger erhielt ab Januar 1937 vom Verlag ein Monatsfixum von 8000 RM und stand damit sehr weit oben in der Einkommensskala der deutschen Autoren. Man schwamm mit dem Strom, wie es Ulf Diederichs charakterisiert:

124 Achthaler: 1930 – 1996. Die Verlagsentwicklung nach dem Tod von Eugen Diederichs, S. 92. 125 Zitiert nach Diederichs: Verleger im Schatten, S. B96. 126 Zitiert nach Achthaler: 1930 –1996. Die Verlagsentwicklung nach dem Tod von Eugen Diederichs, S. 99. 127 So 1942 Hermann Stahls Gedichtband Gras und Mohn. Bezeichnend ist die verquaste Verlagswerbung: »Gleichnisse des Lebens, vom Atem unsrer Tage berührt, klingen an und verdichten sich zu Bildern und Entscheidungen, die jedes Erlebnis der großen Ordnung verpflichten, der alle dienen müssen.« (Zit. n. Diederichs: Verleger im Schatten, S. B155). 128 Vgl. Achthaler: 1930 –1996. Die Verlagsentwicklung nach dem Tod von Eugen Diederichs, S. 102 ff., und Diederichs: Verleger im Schatten, S. B104 f. Dwingers Bücher hatten 1936 40 Prozent des gesamten Verlagsumsatzes ausgemacht.

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Ihre Programmkonzeption entsprach, zumindest in bestimmten Bereichen, der NS-Literaturpolitik, folgte ihr oder nahm sie gar vorweg. […] Weniger literarisch ambitioniert als der Insel-Verlag, angepaßter als Peter Suhrkamp und der S. Fischer Verlag, aber nicht mit der NS-Ausrichtung einer Hanseatischen Verlagsanstalt, erreichte er ein ähnlich breites, konservatives Publikum wie der Langen-Müller-Verlag.129 Der Verlag konnte auf das Wohlwollen der Literaturfunktionäre rechnen: Beide Verleger traten 1937 der NSDAP bei, Niels Diederichs war von 1934 bis 1939 Leiter der Arbeitsgemeinschaft der schöngeistigen Verleger in der Fachschaft Verlag, im Krieg wurde man bei Papierkontingentierungen für Bücher wie Giselher Wirsings antiamerikanisches Pamphlet Der maßlose Kontinent (rund 150.000 Auflage) oder auch die lavierende Zeitschrift Das XX. Jahrhundert bevorzugt. Ende 1943 wurde ein beträchtlicher Teil der Diederichs-Produktion bei den Bombardierungen von Leipzigs Buchhändlerviertel vernichtet, doch machte man gute Geschäfte mit den Frontbuchhandels-Ausgaben, insbesondere mit Hermann Löns’ germanischer Gewaltphantasie aus dem Jahr 1910 – sein Wehrwolf brachte es auf 135.000 Exemplare für die Truppe. Ende 1944 wurden weitere 100.000 Exemplare, bestimmt für die Frontbücher-Reihe der Organisation Todt, kurz nach Fertigstellung durch einen Bombenangriff komplett vernichtet.130

Bertelsmann Der theologische Verlag C. Bertelsmann131 hatte sich Ende der Zwanzigerjahre auf den belletristischen Buchmarkt gewagt und 1929 mit Heimat wider Heimat von Gustav Schröer einen ersten Bestseller erzielt. Dank ebenso innovativer wie intensiver Werbeund Vertriebsanstrengungen des Marketinggenies Fritz Wixforth gelang es, C. Bertelsmann als Romanverlag durchzusetzen. Insbesondere mit den preiswerten Volksausgaben ab 1933 wurden Massenauflagen erreicht. Der kommerzielle Erfolg verband sich nach der »Machtergreifung« wie bei vielen anderen deutschen Verlagen mit der Bereitschaft, sich in Werbung und Programm als »der Scholle verwurzeltes« Unternehmen darzustellen.132 Hilfreich war dabei nicht zuletzt, dass der einflussreiche Will Vesper als Verlagsautor gewonnen werden konnte. Das Jahr 1933 bedeutete somit für die Programmpolitik des Verlages keinen Einschnitt. Die belletristischen Titel blieben inhaltlich und weltanschaulich denselben Mustern treu, denen sie bereits vor der »Machtergreifung« verpflichtet gewesen waren. 129 Diederichs: Verleger im Schatten, S. B108. 130 Vgl. Diederichs: Verleger im Schatten, S. B152. 131 Die Darlegungen zu Bertelsmann folgen im Wesentlichen den umfangreichen Beiträgen des Verfassers und seiner Mitarbeiter Hans-E. Bühler, Christoph Haas und Olaf Simons in: Bertelsmann im Dritten Reich, S. 119 –172, 241 –296, 377 –444. Dort auch die Quellennachweise. 132 Vgl. ebd, S. 159, den Text der Börsenblattanzeige über den »literarischen und gesinnungsmäßigen Leitgedanken des Verlages: Es ist das Bekenntnis zum deutschen Menschen, verwurzelt in der Scholle seiner Heimat, der in Glück und Leid zu ewigen Werten sich streckt. […] Denn wir alle kämpfen ja für deutsche Art und deutsches Wesen, für Glaube und Volkstum. Hier steht unsere Front.«

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Die Unterhaltungsromane aus Gütersloh gehörten zum Dunstkreis jener konservativen bis völkisch-nationalistischen Weltanschauungsprosa, die zumeist schon vor 1933 erschienen war und im Dritten Reich endlich ihre lang entbehrte offizielle Anerkennung fand. Dennoch signalisierten die trivialen Erzählungen und Romane aus den Tiefen der deutschen Provinz und der deutschen Geschichte in vielfacher Hinsicht Einverständnis mit dem neuen Regime. Das galt freilich für die allermeisten konservativen Verlage und Schriftsteller. Wichtigster Erfolgsautor des Verlages im Dritten Reich war Gustav Schröer. Seine 20 Romane bei Bertelsmann boten teils konservative Unterhaltung, teils zeigten sie die völkisch-nationalistische Umwertung des Heimat- und Bauernromans. Gerade die sentimentale Heimatidylle aus dem Biedermeier Heimat wider Heimat erreichte bis 1945 eine Auflage von etwa 620.000 und stand damit weit vorn in der Bestsellerliste. Starke Verkaufserfolge erzielte auch Fritz Müller-Partenkirchen: Sein Kaufmannsroman Kramer & Friemann kam auf mehr als 400.000 Exemplare. Mit der Publikation von Kriegserlebnisbüchern ab Spätsommer 1934 schärfte sich das Profil von C. Bertelsmann deutlich. Die Aufarbeitung der fundamentalen Demütigung durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg, der autobiographische Kriegs-, Freikorps- und Sibirienroman, das tendenziöse, journalistisch aufbereitete Geschichtswerk waren die Genres, die dem historischen Augenblick entsprachen. Sie fanden zahlreiche Leser im ganzen Reich und sprengten damit die bisherige Zielgruppe des Verlages, das protestantische Familienpublikum der Provinz. Auffällig sind die Schnelligkeit und die Konsequenz, mit denen der Verlag das belletristische Programm völlig neu orientierte. Dies unterscheidet C. Bertelsmann markant von bürgerlichen Konkurrenten mit ähnlichem Profil. Als die Konjunktur der Kriegsliteratur aufgrund der nationalsozialistischen Militarisierung der Gesellschaft die Chance bot, mit einer begrenzten Anzahl von Titeln Massenauflagen zu erzielen, nutzte der nationalkonservative Verleger Heinrich Mohn sie ohne zu zögern. Mit Autoren wie Paul C. Ettighoffer, Thor Goote und Clemens Laar konnte er an einer nationalen Aufgabe mitwirken, ohne dass sein Engagement eine vorbehaltlose Parteinahme für den NS-Staat bedeuten musste. Die »Kriegserlebnisbücher« Ettighoffers erlebten enorme Auflagen – beginnend 1936 mit Verdun. Das große Gericht, das im ersten Jahr hunderttausendmal verkauft wurde und insgesamt knapp 400.000 erreichte. Bei der Vermarktung des Krieges durch »Wehrbelletristik« nutzte der Verlag neue Werbestrategien des herkömmlichen Buchhandels (Sonderfenster), aber auch die Möglichkeiten des Reise- und Versandbuchhandels. Insbesondere mit der Heftreihe »Spannende Geschichten«, die sich in Millionenauflagen vor allem an die männliche Jugend und später auch an Frontsoldaten richtete, hat sich C. Bertelsmann in den Dienst der politischen Propaganda des NS-Regimes gestellt. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs intensivierte sich die nationalistische Ausrichtung des belletristischen Programms von C. Bertelsmann nochmals. Bücher von Kriegsberichterstattern widmeten sich dem »Blitzkrieg«. Der Angriffskrieg wurde gerechtfertigt und erschien, ganz wie Partei und Militär es wünschten, als großes Abenteuer, in dem der sichere Sieg der mental und technisch überlegenen deutschen Truppen nie gefährdet war. Ebenfalls schon im Herbst 1939 begann der Verlag mit seinen Wehrmachtsausgaben, die ab 1942 in drei Reihen erschienen (»Feldausgaben«, »Kleine Feldpost-Reihe«, »Feldposthefte«). Der politisch-weltanschauliche Akzent ist

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in ihnen weniger stark, allerdings verbinden nicht wenige der Titel vordergründig harmlose Inhalte mit einer völkisch-nationalistischen Grundierung. Die ungewöhnlich hohe Zahl von rund 20 Millionen Wehrmachtsexemplaren, die C. Bertelsmann weit vor dem NSDAP-Zentralverlag Eher einen ersten Platz in den Produktionsstatistiken sicherte, hatte mehrere Gründe. Die Leistungsfähigkeit der eigenen Druckerei war hoch und durch geschickte Papierbevorratung gesichert, die Auftragsverlagerungen in Druckereien in besetzten Gebieten vervielfachten diese Kapazität noch, hinzu kam eine Reihe von Faktoren, die die Gewinne unter den Bedingungen der Kriegswirtschaft explodieren ließen. Die Zusammenarbeit mit Wehrmachtsstellen und dem Propagandaministerium verlief weitgehend komplikationslos. Mit mehrjähriger Verspätung ließ sich dabei auch das triviale eskapistische Unterhaltungsprogramm, das der Verlag in den späten Zwanzigern und frühen Dreißigern aufgebaut hatte, erfolgreich vermarkten. Besonders gewinnträchtig waren gerade bei den Frontsoldaten zwei humoristische Anthologien des Verlagsmitarbeiters Johannes Banzhaf: Lachendes Leben wurde mit fast einer Million Exemplare zum meistverkauften Bertelsmann-Titel des Dritten Reichs überhaupt, Lustiges Volk erreichte noch mehr als 800.000 Exemplare. Banzhaf, der als Herstellungsleiter 475 RM monatlich verdiente, bezog 1943 über 73.000 Mark Einnahmen aus den beiden Titeln. Einzelne Zensurkonflikte, in die das belletristische Programm geriet, waren keine widerständigen Akte, sondern entsprangen der Unberechenbarkeit des Überwachungssystems, bei der Fehleinschätzungen der Handlungsspielräume gerade in den Anfangsjahren und während des Krieges unvermeidlich waren. Bestes Beispiel dafür ist die Affäre um Fritz Otto Buschs Narvik-Buch, die belletristisch-romanhafte Nacherzählung des Kommando-Unternehmens zur Besetzung Norwegens. Der Verlag brachte 1940 eine Erstauflage von 150.000 Exemplaren heraus. Die Schilderung eines gemeinsamen Gebetes vor der Schlacht wurde von Parteifanatikern als Angriff auf die Führervergötzung denunziert, was wiederum die Marineführung empörte, worauf Hitler ein Machtwort sprach und weitere Auflagen verbot – bis dahin waren immerhin gut 600.000 Exemplare abgesetzt worden und hatten für den höchsten Reingewinn des Verlags während des Krieges gesorgt. Auch die juristischen Auseinandersetzungen, in die der Verlag von 1943 bis 1945 geriet, waren nicht durch eine oppositionelle Stellung zum NS-Regime bedingt. Sie ergaben sich vielmehr aus dem Versuch, die weltanschaulich konforme Produktion im bisher gewohnten Umfang gegen bürokratische Widerstände durchzusetzen, die sich aus den Maßnahmen des »totalen Krieges« ergaben. Missbräuchliche Verwendung von Wehrmachtspapierschecks und überhöhte Papierhortung, aber auch persönliche Bereicherungsversuche einzelner Mitarbeiter im Gestrüpp der Schattenwirtschaft führten zu Ermittlungen gegen das Unternehmen; insbesondere ging es um eine Anklage wegen »Kriegswirtschaftsverbrechen« im Zusammenhang mit dem Papierzwischenhändler Matthias Lackas133, in deren Verlauf auch Mitarbeiter inhaftiert wurden. Inwieweit diese Geschäftspraktiken von C. Bertelsmann ein Einzelfall waren oder (wahrscheinlich) dem Verhalten anderer deutscher Verlage im Kriege entsprachen, muss vorläufig offenbleiben. Zu den Verlagen, die für Papierzuteilungen ihrer Wehrmachtsausgaben mit Lackas eng kooperierten, gehörten neben anderen auch S. Fischer/ Suhrkamp, Wolfgang Krüger, Karl Rauch, Claassen/Goverts und Piper. 133 Vgl. zu Matthias Lackas Bühler/Simons: Die blendenden Geschäfte des Matthias Lackas.

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Im Zuge der totalen Mobilmachung wurde 1943 der für die theologischen Publikationen genutzte Rufer-Verlag Mohns geschlossen, 1944 konnten auch einflussreiche Fürsprecher die kriegsbedingte Schließung des durch den Lackas-Prozess kompromittierten Verlages C. Bertelsmann nicht mehr verhindern. Doch die Gründe, die zu diesen Stilllegungen führten, lassen sich nicht mit der firmeneigenen Legende vom tapferen Widerstandsverlag vereinbaren. Allerdings lag die Schließung auch im Interesse von Parteistellen und Konkurrenten, die den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg des agilen protestantischen Familienunternehmens beenden wollten, vor allem des parteieigenen Eher-Konzerns. Die ursprüngliche weltanschauliche Prägung des Hauses mag bei seiner Ausschaltung mitgespielt haben. Insofern steckt in der Legende, die C. Bertelsmann jahrzehntelang verbreitete, ein Korn Wahrheit. Das Ermittlungsverfahren wurde jedoch kurz vor Kriegsende mit einer Ordnungsstrafe glimpflich abgeschlossen. Betrachtet man die Geschichte von Bertelsmann unter der Leitung Heinrich Mohns, so ist es nicht leicht zu entscheiden, ob die protestantische Grundprägung für den Verlagschef am Ende wichtiger war als die konsequente Förderung der wirtschaftlichen Interessen des Hauses jenseits jeder Weltanschauung. Das erste Zeichen einer zielbewussten Interessenpolitik war der unerwartete Schritt, die rein religiöse Dimension des Verlags aufzugeben und sich primär der Belletristik zuzuwenden. Was vor 1933 als eine rein geschäftliche Antwort auf die Krise des Buchmarkts interpretiert werden kann, ist nach 1933 sowohl als eine marktstrategische Instrumentalisierung der neuen politischen Konjunktur wie auch als eine politische Anpassung zu betrachten. Jeder Verleger im Dritten Reich hatte sorgfältig abzuwägen, in welchem Umfang er, um das Unternehmen nicht in seiner Existenz zu gefährden, Zugeständnisse machte, und wann er sich verweigerte. Dies galt für Einzelentscheidungen, aber bedurfte auch einer grundsätzlichen Zielvorgabe. Sie hat offensichtlich bei Mohn gefehlt. Keines seiner Verlagswerke lässt sich einer inneren Emigration zuordnen, was sogar in (miteinander konkurrierenden) Parteiverlagen möglich war (HAVA, Langen-Müller). Mohn selbst entbehrte jeglicher literarisch-ästhetischen Urteilskraft und damit auch Kompetenz, seine starke ideologische Affinität zu deutschnationalem Denken hat ihm bezeichnenderweise auch weitestgehend das Verlegen fremdsprachiger Literatur verwehrt. Er wich auch nicht aus auf Klassikerausgaben, wie es Suhrkamp tat (freilich mit für Mohn lächerlich geringen Auflagen etwa für das Lesebuch Deutscher Geist); er hat generell niemals systematisch Handlungsspielräume ausgetestet, wie es der katholische Herder Verlag tat (der keine RSK-Kontakte hatte und suchte). Bertelsmann war in RMVP und RSK jedoch wegen seiner effizienten Vertriebsmethoden und Erfahrungen mit Massenauflagen ein durchaus geschätzter Partner – was ihm einige Zeit auch gegen die Versuche der Parteiverlage half, diesen Konkurrenten abzudrängen. Was dem Theologieverlag in der westfälischen Provinz solche Erfolge bescherte und zugleich zum moralischen Verhängnis wurde, ist offenkundig: Dort hat man eine spezifische Marktlücke erkannt und genutzt, die massenhaften Vertrieb auch außerhalb des etablierten Buchhandelssystems ermöglichte, nämlich über den Reise- und Versandbuchhandel, der auch das »flache Land« erreichte. Damit konnte sich das dezidiert konservativ-protestantische Unternehmen nach 1933 positionieren zwischen den etablierten, doch nun gefährdeten liberalen Literaturverlagen und den ideologisch überfrachteten Parteiverlagen. Die Erfolge eines konsequenten Marketings insbesondere nach 1936 durch die Kriegsbücher führten unvermeidlich zu einer fortschreitenden Anpassung auch an die ideologischen

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Zielvorgaben des Regimes, der sich Heinrich Mohn nicht entgegenstemmte, wohl fasziniert von der singulären eigenen Erfolgsdynamik. Generell scheint der wirtschaftliche Erfolg, den das Haus Bertelsmann nach 1933 gehabt hat, auf eine überdurchschnittliche Adaptationsfähigkeit des Unternehmens an die jeweiligen politischen Vorgaben hinzudeuten. Betrachtet man die Produktion des Hauses Bertelsmann zwischen 1920 und 1950 im Längsschnitt, so sticht die kontinuierliche Orientierung an einem potentiellen »Massenmarkt« mit protestantisch-deutschnationalen Geschmacksnormen ins Auge: vom erbaulichen Missionsheft über die konservative belletristische Gebrauchsliteratur, die kriegerische Propaganda und die Wehrmachtsunterhaltung bis zum Lesering (auch dessen Konzept der Distribution eines konsensuellen Kanons hatte deutschnationale Wurzeln).

Konservativ-bürgerliche Verlage S. Fischer/Suhrkamp Neben der Übernahme des liberalen Ullstein-Konzerns stand der Zugriff auf den hoch angesehenen S. Fischer Verlag als Exponent der klassisch-humanistischen Moderne mit an der Spitze der literaturpolitischen Agenda des neuen Regimes. Bei den Bücherverbrennungen waren zwar von den Fischer-Autoren »nur« Schalom Asch, Alfred Döblin, Richard Beer-Hofmann und Arthur Schnitzler vertreten, doch der vorauseilende Gehorsam des Sortiments funktionierte. Lektor Oskar Loerke notierte bereits am 27. April 1933: »Der Bücherabsatz des Verlages war letzte Woche wie abgeschnitten. Die Bücher der neuen Autoren kamen ballenweise zurück.«134 Die Schwarzen Listen der ersten Monate enthielten schon einen deutlich größeren Anteil unerwünschter Fischer-Autoren: Im Börsenblatt vom 16. Mai 1933 war es mit 13 Namen ein Zehntel der Gesamtliste, im Juli wuchs die Zahl auf 24 Autoren mit 64 Titeln, schrumpfte dann auf der Novemberliste wieder auf zehn Autoren mit 50 Titeln.135 Doch im Verlag nahm man »die Schwarze Liste nur sehr in Grenzen zur Kenntnis und richtete sich offenbar nur in gewissen Einzelfällen, wenn eine ausdrückliche Beschlagnahme vorlag, nach ihr«.136 Gottfried Bermann Fischer notierte freilich eine »unheimliche Ruhe, hinter der Bedrohung lauerte«. Ihm stand Peter Suhrkamp zur Seite, der seit Beginn des Jahres 1933 als Herausgeber der Neuen Rundschau im Verlag tätig war und schnell unentbehrlich wurde. Bereits im Herbst desselben Jahres war er neben Samuel Fischer und dessen Schwiegersohn in den Vorstand des Unternehmens aufgestiegen. In der Emigration achtete man von Anbeginn sehr genau auf das Verhalten des Verlags. Man registrierte befremdet, dass Heinrich Hausers Neuerscheinung Ein Mann lernt fliegen im Frühjahr 1933 eine gedruckte Widmung an Göring (»Sieg Heil!«) ent134 Nawrocka: Verlagssitz: Wien, Stockholm, New York, Amsterdam, S. 13. Vgl. zum folgenden auch Barbian: Glücksstunde oder nationalsozialistisches Kalkül?, S. 287 –312. 135 So die Angaben bei Nawrocka: Verlagssitz: Wien, Stockholm, New York, Amsterdam, S. 14, Anm. 40 und S. 22. 136 Peter de Mendelssohn, zitiert nach Nawrocka: Verlagssitz: Wien, Stockholm, New York, Amsterdam, S. 23, das Zitat von GBF nach ebd., S. 22.

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hielt, man fand es empörend, dass eine tapfere Fußnote in Annette Kolbs im Herbst 1934 veröffentlichtem Roman Die Schaukel (»Wir sind heute in Deutschland eine kleine Schar von Christen, die sich ihrer Dankesschuld dem Judentum gegenüber bewußt bleibt«) vom sechsten Tausend an nach einer Verbotsdrohung der Gestapo wegfiel.137 Während Döblins Babylonische Wanderung nicht mehr erscheinen konnte, kamen 1934 noch Bücher von Broch und Zuckmayer heraus – dieser war nach der Ullstein-Arisierung 1934 zu Fischer gewechselt. Doch im Dezember 1935 wurde die Veröffentlichung seiner Salwàre verboten. Im Oktober 1933 war trotz erheblicher Skepsis des Autors der erste Band von Thomas Manns Josephsroman ausgeAbb. 10: Peter Suhrkamp nach der liefert worden; die Erstauflage von 10.000 Entlassung aus dem Konzentrationslager. Exemplaren war binnen einer Woche abSuhrkamp Verlag, Bildarchiv. gesetzt, zu Weihnachten war das 25. Tausend erreicht. Im April 1934 konnte auch der zweite Band folgen. Im Herbst desselben Jahres standen neun Werke Manns schon auf der Verbotsliste der Bayerischen Politischen Polizei, doch ein förmliches Verbot von Thomas Manns Schriften erfolgte erst bei seiner Ausbürgerung im Dezember 1936. Nichtsdestoweniger wurde der Spagat für die Verleger immer problematischer. Als Klaus Mann seiner Exilzeitschrift Die Sammlung ein provokantes politisches Editorial voranstellte, drängte Bermann Fischer seine Autoren Thomas Mann, René Schickele und Alfred Döblin zu einer öffentlichen Distanzierung,138 was in der Emigration als Kriecherei vor dem Regime gewertet wurde, jedoch die »Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums« nicht von ihrer Forderung abbrachte, endlich den Exilautoren ihr deutsches Publikum zu entziehen. Unverändert hetzte Will Vesper in seiner Neuen Literatur (deren Avenarius Verlag dem DHV gehörte und damit de facto in Diensten des Fischer-Rivalen Langen-Müller stand) gegen den »Vermittler all der krankhaften und widerlichen Exzesse des jüdischen Zivilisationsliteratentums«139. Als Samuel Fischer, der eine Emigration abgelehnt hatte, im Oktober 1934 starb, willigte seine Witwe Hedwig bald in den Verkauf ein. Bermann Fischer nahm im März 1935 Verhandlungen mit Heinz Wismann im RMVP auf. Dieser achtete darauf, dass ihm anders als bei Ullstein Max Amann nicht in die Quere kam, und gab sich in diesem vom Ausland argwöhnisch beachteten Fall vergleichsweise konstruktiv: Buchlager und unerwünschte Autorenrechte durften ins Ausland transferiert, der in Deutschland 137 Ausschlaggebend war wohl die Denunziation dieser Passage durch Walter Bloem in der Zeitschrift des RDS »Der Schriftsteller« 3 (1935) 4, S. 130. 138 Vgl. dazu Nawrocka: Verlagssitz: Wien, Stockholm, New York, Amsterdam, S. 30. 139 So im Märzheft 1934, S. 188.

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verbleibende Teil musste jedoch möglichst rasch »arisiert« werden. Sofort war Altparteigenosse Hugo Bruckmann zur Stelle, der einen Spottpreis bot.140 Stattdessen gelang es Suhrkamp, eine »arische« Kommanditgesellschaft »S. Fischer KG« ins Leben zu rufen, der durch Vermittlung des Bankiers Hermann J. Abs neben ihm selbst als Geldgeber die Industriellen Philipp Reemtsma, Christof Ratjen und Clemens Abs angehörten.141 Er wurde mit Datum des 15. April 1936 alleiniger Geschäftsführer. Bei diesem unspektakulären Übergang erhielt freilich Hedwig Fischer nur eine laut Bermann Fischer »erschütternd niedrige« Summe für den Verlag; dennoch schrieb dieser an Hermann Hesse: S.[uhrkamp] hat sich in meiner Angelegenheit und der der Familie sowie des Verlages über alle Maßen bewährt. Es gibt gar keine Worte dafür, mit welchem persönlichen Mut er sich für uns eingesetzt hat. Ich habe ihm zu verdanken, daß die Abwicklung dieser Loslösung von Deutschland in einer einigermaßen erträglichen Weise erfolgte.142

Abb. 11: Vorderumschlag des ersten Bandes von Thomas Manns Josephsroman (1933) (S. Fischer Verlagsarchiv).

Die relativ günstigen Konditionen der Übernahme erregten wiederum das Misstrauen der emigrierten Autoren, Bermann Fischer wurde als »Schutzjude des nationalsozialistischen Verlagsbuchhandels« geschmäht.143 Er erhielt die Genehmigung zur Auswanderung unter Mitnahme von Beständen und Rechten von 26 Autoren und zugleich die Zusicherung, dass sein Wiener Verlag seine Produktion – acht unerwünschte Autoren ausgenommen – auch in Deutschland vertreiben durfte, darunter Peter Altenberg, Hugo von Hofmannsthal, Annette Kolb, Thomas Mann und Carl Zuckmayer. Zwei Drittel des Verlagslagers blieben in Berlin, ein Drittel nahm Bermann Fischer mit. Ähnlich war das Verhältnis bei den Autoren: Vom reichsdeutschen Verlag weiterhin betreut wurden

140 Vgl. dazu Barbian: Glücksstunde oder nationalsozialistisches Kalkül?, S. 297 f. 141 Vgl. ebd., S. 305 f. Das SD-Leitheft Verlagswesen, S. 30, resümierte kurz, Bermann Fischer »wurde vom Reemtsma-Konzern ausgezahlt und der Verlag unter die Aufsicht der Reichsschrifttumskammer genommen«. 142 Zitiert nach Unseld: Peter Suhrkamp, S. 86. 143 Zitiert nach Nawrocka: Verlagssitz: Wien, Stockholm, New York, Amsterdam, S. 41.

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unter anderen an ausländischen Autoren Joseph Conrad144, Jean Giono, Henrik Ibsen, Maurice Maeterlinck, J. B. Priestley145, Walt Whitman und Virginia Woolf. An deutschen Autoren waren es u. a. Richard Dehmel, Otto Flake, Theodor Fontane, Gerhart Hauptmann, Manfred Hausmann, Hermann Hesse, Wilhelm Lehmann, Alexander Lernet-Holenia, Ernst Penzoldt und Lektor Oskar Loerke.146 Hinzu kamen einige honorige Autoren, die zwar der Partei angehörten, wie Hans Rehberg147, Carl Haensel, Gottfried Kölwel und Max Kommerell; einzelne freilich wie das SS-Mitglied Felix Lützkendorf stachen durch Regimetreue hervor. Ernst Barlachs Schriften, die Suhrkamp 1936 von Cassirer übernommen hatte, wurden wenig später verboten, 1937 auch Walter Rathenaus Titel. Sogar des opportunistischen Gerhart Hauptmann Schriften, die 1942 eine Gesamtausgabe erfuhren, wurden »von parteiamtlichen Schrifttumsstellen angegriffen und vom Propagandaministerium weitgehend unterdrückt«.148 Suhrkamp steuerte keinen unvorsichtigen Konfrontationskurs – Otto Flake zeigte sich sogar verärgert über den »immer dämpfenden« und »die Vorschriften beachtenden« Verleger.149 Einem unpolitischen Autor wie Ernst Penzoldt musste Suhrkamp für die Neuausgabe seiner kecken Powenzbande (deren Erstausgabe bei Ullstein erschienen war) klarmachen: Die Situation nötigt begreiflicherweise dazu, den Text der ›Powenzbande‹ so streng wie irgend möglich zu überprüfen. Bei der letzten Ueberprüfung haben sich doch noch einige Kleinigkeiten herausgestellt, die zu einer Gefahr für das Buch werden könnten. […] Sie wissen, dass ich diesen Eingriffen nicht leicht zustimme; sie sind aber doch unumgänglich notwendig. Es hätte keinen Sinn, das Buch herauszubringen, wenn es übermorgen schon wieder verschwinden müßte.150 Von größter Wichtigkeit blieb für Suhrkamp die Fortführung der Neuen Rundschau; deren Distanz gegenüber dem Regime kein Geheimnis war. Freilich war dem Primat des 144 Die VMV Nr. 23 vom 27. Mai 1937, S. 4, betonen, dass Conrad nachgewiesenermaßen »von einer arischen polnischen Landadelsfamilie aus Podolien« abstamme. 145 In den VMV Nr. 20 vom 3. März 1937, S. 4, macht die RSK bekannt, P. habe sich für die Verleihung des Nobelpreises an Ossietzky eingesetzt; noch sehe man von einem förmlichen Verbot ab, doch sollten Verlag und Sortiment »jegliche Propaganda für die Werke dieses Autors« einstellen. 146 Eine Gesamtliste bei Nawrocka: Verlagssitz: Wien, Stockholm, New York, Amsterdam, S. 36. 147 Vgl. zu Hans Rehberg die Anekdote um die Würdigung von Hitlers 50. Geburtstag in der Neuen Rundschau bei Zuckmayer: Geheimreport, S. 252 f.: Da die NR die Aufforderung des Zeitschriftendienstes übersehen hatte, den Führergeburtstag im Aprilheft 1939 groß zu würdigen, wollte das RMVP (Bade) die NR verbieten, Suhrkamp versprach jedoch ein Nachholen im Maiheft. Nach Erinnerung Karl Korns beorderte der Verleger Rehberg in den Verlag: »Suhrkamp, der sich auf den rauhen Frontschweinton verstand, wenn es nötig war, sperrte Rehberg in das Wartezimmer des Verlags regelrecht ein, nicht ohne dem Dichter eine Flasche Asbach Uralt auf den Tisch gestellt zu haben. Nach Stunden klopfte der Eingesperrte energisch und wies zwei Blatt Huldigungspoem und die mehr als halbleere Flasche vor.« Das Gedicht »Dem Führer« erschien in der Mainummer. Vgl. dazu Pfäfflin/Kussmaul: S. Fischer, S. 581 ff. 148 Barbian: Glücksstunde oder nationalsozialistisches Kalkül?, S. 78. 149 Vgl. Zuckmayer: Geheimreport, S. 385. 150 Peter Suhrkamp an Ernst Penzoldt, zitiert nach Pfäfflin/Kussmaul: S. Fischer, S. 577.

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Weiterbestehens »auch eine sukzessive Modifikation ihres Programms« geschuldet.151 Des Verlegers eigene Beiträge als Der Zuschauer legen Zeugnis ab von seiner unerschütterlichen moralischen Integrität. Die Auflage sank freilich von 4.200 Exemplaren im Jahr 1935 auf weniger denn die Hälfte, nämlich 1.700 im Jahr 1939. Mit dem Septemberheft 1944 musste die NR, die zuletzt nur mehr vierteljährlich erschienen war, ihr Erscheinen einstellen, so die Mitteilung des oktroyierten Redakteurs, »im Zuge der durch den totalen Krieg bedingten Konzentrationsmaßnahmen […] Mit unserem zuversichtlichen Glauben an den Sieg verbinden wir die Hoffnung, unsere Zeitschrift nach dem Siege allen Beziehern wieder in gewohnter Weise liefern zu können.« Der Textteil endete mit dem beziehungsreichen Schluss von Hermann und Dorothea.152 Schon im Sommer 1944 hatte Gottfried Bermann Fischer im Exil mit der Planung der Nachkriegsfortsetzung begonnen. Als Manifest humanistischen Erbes gedacht und auch als solches von den Lesern verstanden, war die von Suhrkamp und Loerke 1940 edierte Anthologie Deutscher Geist besonders erfolgreich. Die Erstauflage von 30.000 Exemplaren erzielte allein fast 100.000 Mark Umsatz, weitere Auflagen erschienen 1942 und 1943, davon ein Teil für den Wehrmachtsbedarf. Es war geglückt, die Vorbereitungen des Lesebuches vor den Aufsichtsbehörden geheim zu halten; als es einmal da war und sogleich sein heimliches Leben zu entfalten begonnen hatte, wurde dem Buchhandel vom Ministerium bedeutet, es sei nicht herauszustellen; aber es konnte nicht mehr unterdrückt werden.153 Neben der Pflege der Klassik in einer »Pantheon«-Reihe publizierte der Verlag Lyrikbände von Rudolf Alexander Schröder, Wolf von Niebelschütz, Albrecht Goes und Oskar Loerke, aber auch einen Bauernroman des von Hauptmann protegierten, regimegenehmen Walther Stanietz Das tägliche Brot (1940), der umgehend von der Deutschen Buch-Gemeinschaft übernommen wurde, im selben Jahr eine Komödie Das Paradiesgärtlein des österreichischen Autors Hermann Heinz Ortner und Werner Pichts »Der soldatische Mensch als Schicksal und Aufgabe des Deutschen«. Unter den jungen Autoren ragten Lothar-Günter Buchheim und Luise Rinser heraus. Einige Schrifttumsbürokraten zollten dem Verleger für seine unbeirrbare Haltung verhohlenen Respekt, andere billigten ihm wenigstens die Funktion eines Aushängeschildes für das kritische Ausland zu. Der Aderlass an Autoren und Backlist-Titeln ließ den Umsatz massiv schrumpfen, der Verlag wechselte innerhalb Berlins in ein bescheideneres Domizil, die Zahl der Mitarbeiter sank auf weniger als die Hälfte, auch die Produktion verringerte sich stetig von 32 Titeln 1936 auf jährlich 27, 21, 19 Titel. 1941 waren es 12, 1942 17, 1943 15, 1944 noch 9.154 Gewinne wurden erst nach Kriegsbeginn wieder erwirtschaftet, auch für

151 Vgl. im Einzelnen Schwarz: Literarisches Zeitgespräch im Dritten Reich, Sp. 1300. 152 Zitiert bei Pfäfflin/Kussmaul: S. Fischer, S. 627 f. 153 So Peter Suhrkamp im Vorwort zur Neuausgabe von 1953, zitiert nach Unseld: Peter Suhrkamp, S. 94. 154 Vgl. Nawrocka: Verlagssitz: Wien, Stockholm, New York, Amsterdam, S. 37.

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Suhrkamp bildeten Wehrmachtsaufträge eine unverzichtbare Geschäftsgrundlage.155 Nach dem Tod Oskar Loerkes im Februar 1941 wurde Hermann Kasack sein Nachfolger. Am 1. Juli 1942 musste der Verlag umbenannt werden in »Suhrkamp Verlag vormals S. Fischer Verlag«, der Zusatz musste ein halbes Jahr später entfallen. 1943 durften Titel von Flake, Hausmann, Loerke und des trotz der Angriffe Vespers bis dahin geduldeten Hermann Hesse nicht mehr ausgeliefert werden, des letzteren Honorare waren bereits zuvor eingefroren und die Veröffentlichung des Glasperlenspiels im Herbst 1942 verboten worden. Im Frühjahr 1943 plante das Propagandaministerium den Verlag in die Stilllegungsaktion einzubeziehen, doch kein Geringerer als Goebbels selbst untersagte dies mit den Worten: »[W]enn man es in zehn Jahren nicht fertig gebracht habe, diesen Verlag auf die gewünschte Linie zu bringen, so sei jetzt nicht der Zeitpunkt, einen Verlag aus rein weltanschaulichen Gründen stillzulegen«.156 Ende 1943 wurden im Leipziger Lager und Ausweichlager fast drei Viertel der Bestände durch Bombeneinwirkung zerstört. Im April 1944 wurde Suhrkamp von einem Gestapo-Spitzel denunziert und verhaftet. Im Juni wegen Hoch- und Landesverrats angeklagt, blieb er ohne Verurteilung inhaftiert, wurde im Januar 1945 ins KZ Sachsenhausen gebracht und von dort wenig später schwerkrank entlassen. Der Rumpfverlag war in den Monaten zuvor von Lektor Kasack, schließlich vom Goebbels-Ministerialen Heinrich Gruber verwaltet worden – auf Weisung der RSK »besonders scharf ausgekämmt«157, war seine Tätigkeit auf ein Minimum reduziert.

Exkurs: Corona Es ist aufschlussreich, mit der Neuen Rundschau Peter Suhrkamps die Sonderrolle der zweiten elitären Literaturzeitschrift im Dritten Reich, der Corona, zu vergleichen.158 Mit den nationalsozialistischen Vorstellungen von Literatur war sie kaum kompatibel, richtete sich freilich nur an eine Minderheit hochgebildeter Leser. Außerdem war sie ein Stück weit durch den ungewöhnlichen Umstand geschützt, dass Martin Bodmer, der Herausgeber und Financier, in der Schweiz lebte; dort saß auch die Redaktion in Person von Herbert Steiner. Dem Münchner Oldenbourg Verlag, der ansonsten nicht im schöngeistigen Bereich tätig war, oblagen Herstellung und Vertrieb. 1930 war diese dezidiert elitäre und damit stets defizitäre Zeitschrift gegründet worden, ihre Hausgötter waren Hofmannsthal und Rilke, zu den Beiträgern zählten Rudolf Borchardt und Rudolf Alexander Schröder, Thomas Mann und Hermann Hesse. Die Corona bot ihren bil155 Die Quellen über die Gewinne sind etwas widersprüchlich. Vgl. etwa Pfäfflin/Kussmaul: S. Fischer, S. 573; laut Meyer: Die Verlagsfusion Langen-Müller, S. 193, erhielten die Kommanditisten dank hoher Dividenden bis 1945 das Doppelte ihres Kapitaleinsatzes. 156 So Wilhelm Haegert in seinem Bericht über eine RMVP-Sitzung am 30. März 1943, zitiert bei Garke Rothbart: »… für unseren Betrieb lebensnotwendig …«, S. 102, Anm. 87. Der Aktenfund widerspricht der bisherigen Meinung der Forschung, Suhrkamp selbst habe die Schließung abwenden können. 157 RSK an Gruppe Buchhandel vom 7. September 1944, zitiert nach Garke-Rothbart: »… für unseren Betrieb lebensnotwendig …«, S. 171. 158 Vgl. zum Folgenden Wittmann: Wissen für die Zukunft, S. 203 –259; dort auch die Nachweise der Zitate.

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dungsbürgerlichen Lesern eine humanistisch-ästhetizistische Spielart der »Konservativen Revolution«. Der luxuriöse erste Jahrgang, im Verlag der Bremer Presse erschienen, hatte sogar des Multimillionärs Bodmer Börse zu sehr strapaziert, deshalb erschien sie ab dem zweiten Jahrgang 1931 erheblich preisgünstiger bei Oldenbourg. Nach 1933 änderte die Corona so gut wie nichts an ihrem Inhalt. Einige betont rechte Autoren, so Hans Grimm, Emil Strauß, Ernst Bertram und Josef Nadler, die bereits Hofmannsthal geschätzt hatte, standen neben jüdischen und »jüdisch Versippten« wie Beer-Hofmann und Walther Brecht, Hofmannsthals Schwiegersohn Heinrich Zimmer und Rudolf Borchardt. Bodmer sprach von »geistiger Rechtsopposition gegen einen (vielleicht) ungeistigen Rechtsradikalismus«. Das dürfte auch der Haltung des Verlages nahegekommen sein. Die unpolitische Corona wurde als exklusives Schweizer Unternehmen und Devisenbringer von der Schrifttumskammer jahrelang toleriert, allerdings ärgerte es die Kulturfunktionäre zunehmend, dass sie vielfach als niveauvollste literarische Zeitschrift des Dritten Reiches galt. Der Verlag verteidigte sich gegenüber dem RMVP, die Corona diene gerade im Ausland »stets als ein beachtenswerter Beweis dafür, dass entgegen anderslautenden Pressemeldungen auch in der Gegenwart eine kulturelle Zeitschrift sich in völliger Freiheit entwickeln kann«. Mit Kriegsbeginn wurde die Lage freilich prekärer, 1941 warnte der hellsichtige Prokurist Horst Kliemann die Inhaber: Noch geniesst die Zeitschrift das Wohlwollen des Propagandaministeriums, obwohl wir diesen Langmut auf eine harte Probe gestellt haben. Beweis dafür ist, dass das Papierkontingent nur um 20 % gekürzt wurde. Tritt aber die geringste Änderung ein, oder erfährt man an amtlicher Stelle, dass der eigentliche Schriftleiter in Amerika sitzt, dann tritt die ernste Gefahr eines Verbots ein. Diese Gefahr wurde akut, als Bodmer 1941 die Corona einzustellen beschloss und noch ein letztes Heft zusammenstellte, gänzlich arg- und ahnungslos über das Ausmaß der geistigen Repression in Deutschland. Der Verlagslektor warnte im März 1942 eindringlich: »Dieses Heft ist seinem Inhalt nach heute von einem deutschen Verlag nicht mehr tragbar.« Der Oldenbourg Verlag übernahm die Fortsetzung auf eigene Verantwortung und machte Bodmer deutlich: Als Herausgeber der Zeitschrift aber wird à la longue wohl nur ein Mann in Betracht kommen, der mit den Grundsätzen und Richtlinien der Reichsschrifttumskammer vertraut ist. Anderenfalls wird die Zeitschrift nach meiner Überzeugung über kurz oder lang in Schwierigkeiten geraten, was ich im Interesse der schönen Sache vermeiden möchte. Die Redaktion übernahm nun Bernt von Heiseler, der mit erstaunlichem Freimut gegenüber Kliemann erklärte: Ich muß notwendig wissen, welche Autoren geradezu verboten sind, und welche nur unerwünscht. Um das Unerwünschte denk ich mich nur so weit zu kümmern, als ichs nicht grade in den ersten drei Heften bringen will. Die Verbotenen aber kann ich ja natürlich überhaupt nicht bringen, und möchte mir und den Betreffen-

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8 V er lagsbuchhand el den und vor allem der ›Corona‹ als solcher die Peinlichkeit ersparen, sie aufgefordert zu haben und sie dann nicht bringen zu können. Also muß ich fragen: sind Ernst Jünger, Reinhold Schneider, Romano Guardini, Ernst Wiechert verboten? Am Letzteren liegt mir künstlerisch nicht so viel, er ist sehr berühmt, aber macht nur selten ganz Gutes. Aber ich würde dem tapferen, reingesinnten Mann die Genugtuung gönnen, daß er nicht ganz vergessen ist […].

Es folgte eine 1942 mehr als erstaunliche Liste von missliebigen Autoren, ja geradezu die Absichtserklärung eines literarischen Oppositionsblattes. Tatsächlich lassen die Hefte der Neuen Folge unter alleiniger Oldenbourg-Verantwortung einen überraschend geringen Anpassungsgrad erkennen. Die Zeitschrift wurde noch geduldet, als die meisten Kulturzeitschriften ihr Erscheinen bereits eingestellt hatten; das letzte Heft kam wohl im Frühjahr 1944 heraus. Während der Neuen Rundschau zuweilen die Daumenschrauben angelegt wurden, etwa beim 50. Geburtstag des Führers, konnte diesen die Oldenbourg-Zeitschrift glatt ignorieren, wie sonst nur das aufsässige katholische Hochland. Keine brutalen Aktionen, sondern nur Schikanen, kleine und mittlere Nadelstiche, vielleicht abgemildert von Sympathisanten in den Schrifttumsbehörden, führten immerhin zu einer Verunsicherung beim Verlag. Wer die Corona aufmerksam las – und anders konnte man sie kaum lesen –, der wusste, was dem herrschenden, alles erstickenden Ungeist entgegenzusetzen war. Sie war sicherlich kein Hort des politischen Widerstandes, aber ihr bleibt der bittere Ehrentitel, den Hermann Hesse ihr zuerkannte: »Ihre ›Corona‹ war ein hübsches Abendrot über dem untergehenden geistigen Deutschland.«

Piper Der konservative Verleger Reinhard Piper159 setzte auch nach 1933 auf Kontinuität des Verlagsprogramms: Schwerpunkte blieben Kunstbücher und -drucke sowie gehobene Belletristik. Dass er freilich 1912 den Blauen Reiter veröffentlicht hatte, ein Hauptmanifest der modernen Malerei, haftete offenbar zwanzig Jahre später noch als Makel an ihm. Jedenfalls behauptete ein Denunziant unmittelbar nach der Machtübernahme im März 1933, durch den Verlag solle »eine Verbreitung bolschewistischer Schriften erfolgen« und es »sollen die Angestellten des Verlages Kommunisten sein und in den Räumen des Verlages Kommunisten verkehren.« Eine Durchsuchung verlief natürlich ergebnislos, das Polizeiprotokoll vermerkte: Piper gehört der Kommission zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur an; in diese Kommission werden nur ganz zuverlässige und einwandfreie Leute gewählt. Er ist nicht wie in der Mitteilung des Sturmbannführers Ostberg behauptet, tschechischer Staatsangehöriger. […] Bei der eingegangenen Mitteilung handelt es sich zweifellos um eine haltlose Denunziation.160

159 Vgl. Ziegler: 100 Jahre Piper. 160 Staatsarchiv München, Pol.dir. München 7240 (zitiert nach Wittmann: Hundert Jahre Buchkultur in München, S. 162 f.).

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Wie bei den meisten anderen Verlagen ist auch bei Piper eine starke Zunahme »nordischer« Autoren zu registrieren, wogegen nach der im Juli 1935 eingeführten Genehmigungspflicht für Übersetzungen auf englische und französische Titel weitgehend verzichtet wurde. Bezeichnend für das unauffällige Programm ist es, dass von 1933 bis 1936 nur 4 Titel als »unerwünscht« moniert wurden gegenüber 31 bei Rowohlt und 74 bei S. Fischer. Als glücklicher Umstand erwies sich, dass von 1931 bis 1933 die Trilogie über den Ersten Weltkrieg und den Untergang des Habsburgerreiches (Apis und Este; Das war das Ende; Weder Kaiser noch König) von Bruno Brehm erschienen war, die hohe Wertschätzung beim Regime genoss. Joseph Goebbels pries den Autor als »eine der soldatischsten Erscheinungen des deutschen Schrifttums« und verlieh ihm 1939 für »eine der beachtlichsten Leistungen der modernen deutschen Literatur« den Nationalen Buchpreis der Reichsschrifttumskammer.161 Die drei Bände erreichten eine Gesamtauflage von mehr als einer halben Million Exemplaren und wurden damit zu einem Hauptumsatzträger des Verlags (ähnlich wie Dwinger für Diederichs); sie konnten vor allem auch als nützlicher Beleg für des Verlegers nationale Gesinnung dienen. Das Programm wurde unauffällig bereinigt (etwa um den Riviera-Reiseband von Klaus und Erika Mann), Franz Hessels und Walter Benjamins Proust-Übersetzung aber war noch 1935 lieferbar. Wegen des Teilhabers Robert Freund galt der Verlag als »halbjüdisch«, was insbesondere der Starautor Brehm (den Freund einst zum Verlag gebracht hatte) mehrfach scharf monierte. 1937 wurde der emigrierte Freund einvernehmlich abgefunden. Während das Belletristikprogramm mit Autoren wie Josef Martin Bauer und Georg von der Vring unauffällig blieb, wurde der im November 1935 erscheinende Band mit Ernst Barlachs Zeichnungen wenig später als »kunstbolschewistisch« beschlagnahmt. Daraufhin verzichtete Piper, von der RSK vorgewarnt, darauf, Alfred Kubins Abenteuer einer Zeichenfeder zu veröffentlichen (es konnte 1942 doch noch erscheinen).162 Immerhin wurden die Mappenwerke mit teils verfemten Künstlern weiterhin lieferbar gehalten, bis 1941 die Kunstkammer diese »Verfallskunst« verbot. Auch Piper machte während des Krieges trotz schrumpfender Novitätenproduktion gute Geschäfte mit Neuausgaben, insbesondere florierte die Wehrmachtsproduktion.163 Von 1940 bis 1944 wurden 62 Lizenzverträge über 806.000 Bände abgeschlossen, davon entfielen 52 auf die Wehrmacht mit 570.000 Exemplaren. Da weder Vater Reinhard noch Sohn Klaus Piper Mitglied der Partei waren, erhielt der Verlag bereits im Januar 1946 eine Lizenz für den Neubeginn. In seinen Erinnerungen hat Klaus Piper lakonisch und exemplarisch resümiert: »Ich war kein Held. Wir haben uns angepaßt. Wir haben einfach weitergelebt. Wir haben schlicht vermieden, etwas zu tun oder zu sagen, was uns in KZ gebracht hätte.«164

Reclam Wie viele andere Verlage hat sich auch Reclam im Sommer 1933 den neuen Herren angedient. Dem Rosenberg-Adlatus und »Entjudungs«-Spezialisten Hans Hinkel erklärte 161 162 163 164

Zitiert nach einem Werbeprospekt des Verlags. Vgl. Ziegler: 100 Jahre Piper, S. 70 ff. und 78 ff. Vgl. Ziegler: 100 Jahre Piper, S. 126 f. Piper, Klaus: Lesen heißt doppelt leben. Erinnerungen. München: Piper 2000, S. 81.

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die Geschäftsleitung, die in der RUB »in größtem Ausmaß vorhandene nationale Literatur« sei zu Weimarer Zeiten »unterdrückt« worden, dennoch habe man »alle pazifistische und undeutsche Literatur« abgelehnt und hungere nun nach Teilnahme am »nationalen Wiederaufbau«.165 Wegen seiner Massenauflagen und seiner umfangreichen Backlist war eine »Bereinigung« und Anpassung des Programms für Reclam166 nicht zu vermeiden. Unter dem Einfluss der Weltwirtschaftskrise hatte der Umsatz erheblich gelitten. Waren 1929 noch 100 Nummern der Universalbibliothek (UB) erschienen, so sank die Zahl über 70 und 63 auf 22 Nummern im Jahr 1932, 33 1933, 57 1934 und 25 1935. In den folgenden Jahren waren es meist zwischen 30 und 40, 1941 nur mehr 11, dank der Kriegskonjunktur 1942 wieder 47 und 1943 noch 25 Nummern (mit deutlich erhöhten Auflagen). Die »Säuberung« des Programms im Frühjahr 1933 betraf sowohl jüdische Klassiker (Auerbach, Börne, Heine, Lassalle und Saphir) wie auch moderne Autoren, darunter Klabund, Heinrich Mann, Schnitzler, Wassermann, Werfel, Arnold und Stefan Zweig. All diese Titel (insgesamt 558 Nummern) mussten unter erheblichen finanziellen Verlusten makuliert werden, jedoch hat Adolf Bartels noch 1938 denunziatorisch festgestellt, dass zahlreiche Schriften zweit- und drittrangiger jüdischer und halbjüdischer Autoren nach wie vor im Gesamtkatalog zu finden seien. Auch erfuhr Lessings Nathan der Weise zwischen 1933 und 1942 noch fünf Neuauflagen mit zusammen 44.000 Exemplaren.167 Meistverkauftes aller Reclam-Bändchen blieb Wilhelm Tell, das bis 1941 eine Auflage von 5,34 Millionen erzielte; zunächst wie schon seit Generationen Pflichtlektüre im Unterricht, ist das Attentatsdrama in diesem Jahr unauffällig von den Bühnen und aus den Schulen verbannt worden. Dennoch hat es Reclam 1943 mit erneut 100.000 Exemplaren aufgelegt – sollte man dies als leisen Akt der Opposition werten? Die Anpassung manifestierte sich in Titeln wie des Konjunkturritters Erich Czech-Jochberg Wie Adolf Hitler der Führer wurde (1933), der es auf 104.000 Exemplare brachte, bis er 1936 von der Parteiamtlichen Prüfungskommission aus dem Verkehr gezogen wurde.168 Dazu kam rund ein halbes Dutzend pseudowissenschaftlicher Elaborate wie Geschichte auf rassischer Grundlage, Rassenpsychologie, Viertausend Jahre jüdische Geschichte oder Wie der Führer Österreich heimbrachte. Die Gleichschaltung der Klassiker wurde durch Vor- und Nachworte sichergestellt, so in Heinz Kindermanns Goethe-Gedichtauswahl oder Gerhard Frickes Anthologie Der heldische Schiller (1934, insgesamt 30.000 Exemplare mit Neuauflagen). Die JubiläumsSerie von 20 Nummern zum 75-jährigen Bestehen des Verlags vereinte 1938 in bezeichnender Mischung Hölderlin, Herder/Goethes Von deutscher Art und Kunst, Grabbe und Grimm sowie einen Titel Wilhelm Furtwänglers mit Frank Thieß und Peter Dörfler sowie den Regimefreunden Erwin G. Kolbenheyer, Mirko Jelusich, Herbert Cysarz und Ludwig Klages. Aber dabei war auch ein Werk von Detlef Friedrichsen Ein Leutnant von der Infanterie – hinter dem Pseudonym verbarg sich Fritz-Dietloff von der Schulen165 Reclam an Hinkel, 12. Juli 1933, zitiert nach Garke-Rotbahrt: »… für unseren Betrieb lebensnotwendig …«, S. 103, Anm. 88. 166 Vgl. Ruppelt: Die Universal-Bibliothek im ›Dritten Reich‹, S. 331 –357. Vgl. auch Schmahl: »für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten«, S. 17 –38. 167 Vgl. Ruppelt: Die Universal-Bibliothek im ›Dritten Reich‹, S. 336. 168 Czech-Jochberg war auch als Zeitschriftenredakteur für Reclam tätig. Vgl. Schmahl: »für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten«, S. 37.

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burg, der nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde.169 Dass die populären Bändchen der RUB auch als eine bevorzugte Form von Tarnschriften des Exils gegen das Regime dienten, ist bekannt. Nach mageren Friedensjahren hat auch Reclam im Krieg mit seiner Wehrmachtsproduktion glänzend verdient: Seit 1940 wurden wieder Gewinne erwirtschaftet, die von 417.000 Mark 1940 über 925.000 Mark 1941 auf 935.000 Mark 1942 anstiegen.170 Neben der RUB gab es »Reclams Reihenbändchen«, auch tragbare »Feldbüchereien« mit jeweils 100 verschiedenen Nummern. Unter den rund 320 Titeln, die zwischen 1933 und 1943 erschienen, erreichten nicht die politischen Titel die höchsten Auflagen, sondern der leichte Lesestoff. Spitzenreiter war mit 360.000 Exemplaren ein Band mit Bildergeschichten von Wilhelm Busch (Die Kirmes), gefolgt von Titeln von Frank Thieß, Paul Ernst, Werner Bergengruen und Peter Dörfler, aber auch regimenahen Autoren wie Zillich, Gmelin und Beumelburg. Die Bombenangriffe auf das Leipziger Buchhändlerviertel 1943 trafen Reclam mit aller Härte: Zerstört wurde unter anderem das Hauptlager mit 15 Millionen Bändchen.

Insel Am 1. August 1939 schrieb Anton Kippenberg an Ludwig Klages, er habe in 35 Jahren Verlagsleitung aus dem Insel Verlag »alles politische im weitesten Sinn und alles Zeitkritische, da nicht zu seinem Aufgabenbereich gehörend, ferngehalten«.171 Das Urteil des Verlagshistorikers Heinz Sarkowski kommt zum selben Ergebnis: »Nur in privaten Gesprächen ließ er seine Abneigung gegen das dritte Reich erkennen. In politischen Fragen hielt sich der Verlag stets bedeckt, und Kippenberg sprach seinen Verzicht auf jegliches politische Engagement auch häufiger aus.« Der konservative Bildungsbürger verhielt sich stets loyal, seine Gattin Katharina stand dem Regime einige Zeit gar sehr aufgeschlossen gegenüber. Dank Kippenbergs politischer Abstinenz waren auch nur wenige Titel des Verlags von den »Säuberungen« betroffen. Zwei Romane und drei Dramen von Leonhard Frank (insgesamt 16.000 Bände) mussten eingestampft werden, ebenso eine Handvoll älterer Titel von Johannes R. Becher, einer von Heinrich Mann. Als besonders problematisch erwies sich der Fall von Stefan Zweig, machten doch seine Bücher noch 1932 ein Drittel des Verlagsumsatzes aus. Hier taktierte Kippenberg wenig geschickt. Er entwarf eine Erklärung, mit der sich Stefan Zweig von der politischen Ausrichtung von Klaus Manns Exilzeitschrift Die Sammlung distanzieren sollte. Zweig gab telefonisch sein Einverständnis, woraufhin der Verleger die Erklärung ans Goebbels-Ministerium weiterleitete, das den Brief prompt im Börsenblatt abdruckte. Das empfand Zweig verständlicherweise als Indiskretion Kippenbergs und wusste:

169 Vgl. Ruppelt: Die Universal-Bibliothek im ›Dritten Reich‹, S. 349. 170 Vgl. Ruppelt, S. 345. 171 Sarkowski: Der Insel Verlag 1899 –1999, S. 297 –415. Das Zitat S. 297.

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8 V er lagsbuchhand el Nun stehe ich also da, als hätte ich eine Kehrtwendung nach Deutschland hin gemacht (denn man weiß ja nicht, daß ich die Veröffentlichung meines Briefes niemals gestattet hätte), und selbstverständlich muß ich mit dem Insel Verlag brechen.172

Er wechselte zum Wiener Verleger Herbert Reichner. Erfolgreich blieben weiterhin die Neuauflagen von Rainer Maria Rilke – eine mehrbändige Briefausgabe wurde allerdings um die Briefe an jüdische Freunde gekürzt. Allein vom ersten Band der Insel-Bücherei, dem Cornet, wurde von 1933 bis 1945 mehr als eine Viertelmillion Exemplare verkauft, etwas weniger von den weiteren Titeln. Des »Mischling zweiten Grades« Hofmannsthal nur geduldete Schriften erschienen in deutlich geringeren Auflagen; der einstige Mitbegründer Rudolf Alexander Schröder wechselte 1938 zu Suhrkamp. Ricarda Huch, dem Regime in gegenseitiger Abneigung verbunden, konnte immerhin ungehindert erscheinen. Der weitaus erfolgreichste Verlagsautor dieser Zeit war jedoch Hans Carossa. Gerhart Hauptmann, Ernst Jünger und Gottfried Benn eigneten sich aus unterschiedlichen Gründen nicht als Aushängeschilder und Repräsentanten artgemäßer deutscher Dichtung – sehr dagegen der stille Bildungsbürger und Landarzt, in humanistischer Tradition verwurzelt, politikfern und distanziert, aber nie ostentativ illoyal wie Wiechert, als Ehrenmann anerkannt auch außerhalb des Reichs. Den symbolischen Repräsentanten zum offiziösen zu erheben war ein gelungener Propagandacoup des Regimes: Mit sanftem Druck wurde ihm die Präsidentschaft einer »Europäischen Dichtervereinigung« aufgenötigt. Seine Schriften erreichten Erstauflagen von 25.000 Exemplaren, das Inselbändchen Nr. 500 der Jubiläumsserie 1937 mit seinen Gedichten brachte es nach Rilke und Hesse (Gedichtauswahl 1934) zu der höchsten Auflage der Reihe. 1941 erschien sein Jahr der schönen Täuschungen in 50.000 Exemplaren. Neben dem regimeaffineren Idylliker Karl Heinrich Waggerl hatten geduldete Autoren ihren Platz und wurden von Kippenberg teils über längere Zeit durch Monatsvorschüsse unterstützt, darunter die katholisch-konfessionell orientierten Reinhold Schneider, Edzard Schaper, Gertrud von Le Fort und Konrad Weiß, aber auch der Sozialdemokrat Josef Mühlberger173. Abgelehnt wurden Stefan Andres und Gottfried Kölwel, auch junge Talente wie Marieluise Kaschnitz und Wolf von Niebelschütz. Auch bei der Insel standen nun Übersetzungen aus den germanischen Bruderliteraturen im Vordergrund, deren das Publikum im Laufe der Jahre allerdings etwas müde wurde. Ordentlich verkauften sich vor allem die Flamen Timmermans, Streuvels und Ernst Claes. Übersetzungen aus dem Französischen wurden mit einer Ausnahme nach 1933 nicht mehr verlegt; auch bei angloamerikanischen hielt sich Kippenberg zurück; immerhin erreichte Duff Coopers 1935 erschienene Talleyrand-Biographie bis 1938 172 Zitiert nach Röttig: »…bleiben Sie wie bisher getrost in Dichters Landen und nähren Sie sich redlich«, S. 26. Vgl. auch den Brief Zweigs vom 8. Mai 1933 an K. H. Waggerl, worin er schreibt: »Von Kippenberg höre ich wenig. Er wird auch seine Mühe haben, denn ich bin über Nacht aus einem Pfeiler seines Verlages jener Eckstein geworden, an dem mit Vorliebe das Bein gehoben wird…«. (Zitiert nach Auktionskatalog 700 J. A. Stargardt, S. 199). 173 Die RSK ordnete in den VMV 36 vom 26. Juli 1938, S. 1, an, dass mit diesem sudetendeutschen Autor »keinerlei Verbindung möglich« sei, da er »dem Dritten Reich ablehnend« gegenüberstehe.

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40.000 Exemplare, dann wurde der Autor als unerwünscht erklärt. 1936 wurde Kippenberg Margaret Mitchells Gone with the Wind zur Übersetzung angeboten, doch sein »Scout« Karl Ulrich von Hutten erstellte ein negatives Gutachten. Das Buch sei zu umfangreich, deshalb kostspielig, auch künstlerisch unzulänglich und werde in Deutschland sicher kein Erfolg. Insbesondere verurteilte er »die pazifistische, Krieg und soldatisches Heldentum verdammende Tendenz … und zwar in einem so zynischen Gewand, daß dies in Deutschland höchstwahrscheinlich unliebsam auffallen würde«.174 Die Kippenbergs schlossen sich dem Urteil an, das Buch erschien bei Claassen-Goverts und wurde dort zum Bestseller. Die Insel-Bücherei stand weiterhin im Mittelpunkt des Programms. Als sehr erfolgreich erwiesen sich ab 1933 die farbigen Bildbände, meist zu naturkundlichen Themen, 1936 folgten auch Schwarzweißfotografien.175 Gerade in den ersten Jahren des Regimes wurden einzelne Blut-und-Boden-Titel aufgenommen:176 Werner Kortwichs Bändchen Friesennot erschien im Herbst 1933 und brachte es bis 1944 dank Wehrmachtsnachfrage auf 180.000 Exemplare, auch des ersten RSK-Präsidenten Blunck Trost der Wittenfru (IB 110) oder Gerard Walschaps Heirat (1934) gehören in diese Kategorie – letzterer im Inselschiff mit dem Zitat beworben: »Wäre ich Hitler, ich ließe das Buch auf Staatskosten in hunderttausenden Exemplaren verbreiten …«.177 Andererseits mussten 29 Titel von 19 Autoren ausgesondert werden, etwa von Borchardt, Claudel, Ehrenstein, Gide, Gorki, Heine, Huxley, Heinrich und Thomas Mann, Oscar Wilde und Zola, insbesondere auch die Titel Stefan Zweigs, die meistverkauften aller lebenden Autoren. Im Krieg florierte die Inselbücherei mit 40 neuen Titeln und 80 Feldausgaben. Unübersehbar konzentrierte sich Kippenberg ab Mitte der Dreißigerjahre immer mehr auf risikolose Klassikerpflege: Ausgaben von Hölderlin, Novalis, Kleist, Mörike, Droste, Stifter, Schiller, Büchner, Eichendorff und natürlich seines Herzensautors Goethe. Selbstverständlich verzichtete er auf den verfemten Heinrich Heine.178 Dieses Bild zeichnet auch der Insel-Weihnachtsprospekt von 1939: Neben der InselBücherei finden sich die Klassiker und die größtenteils rechtsfreie »Bibliothek der Romane«; als »Dichter unserer Zeit« figurieren Morgenstern, der Tiroler Hubert Mumelter (mit dem Roman Oswalt und Sabina über den Minnesänger Oswalt von Wolkenstein), Karl Heinrich Waggerl mit zwei und Ricarda Huch mit drei Werken, Felix Timmermans mit vier, Stijn Streuvels und Ernst Claes mit jeweils einer Novität. Trotz solch demonstrativer Unauffälligkeit blieben die Literaturfunktionäre misstrauisch. Die Bücherkunde der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums (also des Kampfbundes von Hagemeyer und Rosenberg) attestierte im Herbst 1936 dem Insel-Verlag: »Da sind keine tieferen Bindungen im völkisch-politischen Sinn zu spüren.«179 Der Verlag stehe zwar für »literarisches Weltbürgertum von ausgezeichneter 174 175 176 177 178

Zitiert nach Sarkowski: Der Insel Verlag 1899 –1999, S. 371. Vgl. dazu ausführlich Sarkowski: Der Insel Verlag 1899 –1999, S. 372 ff. Vgl. Kirbach/Bühler: »Friesennot«. Das Inselschiff, Jg. 15/2, S. 127. Die VMV Nr. 23 vom 27. Mai 1937 tadeln, dass »neuerdings« Verlage und Sortimente wieder in Prospekten und Anzeigen von Klassikersammlungen Heines Namen erwähnen. Dieser sei unbedingt »herauszulassen«. 179 Zitiert nach Sarkowski: Der Insel Verlag 1899 –1999, S. 401 f.

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Qualität«, allerdings seien »die Bindungen des Inselverlages zum Judentum […] leider von Anfang an enger gewesen, als es gut tun konnte«. Mit den völkischen Verdiensten von J. F. Lehmann, Eugen Diederichs und Karl R. Langewiesche könne die Insel sich nicht messen. Kippenberg reagierte empört mit der Mitteilung, er habe »die Juden ferngehalten, so sehr sie auch immer wieder an uns herandrängten«.180 Beim großen Angriff aufs Leipziger Buchhändlerviertel am 4. Dezember 1943 wurde auch das Insel-Haus vernichtet, mit ihm eine Million Bände der Insel-Bücherei und die laufende Produktion. Am 30. Juni 1946 schrieb Anton Kippenberg dem emigrierten Antiquar Emil Hirsch: »Wir haben zwölf Jahre lang unter vielen Schwierigkeiten und Anfeindungen dem Nazitum standgehalten, und es ist wohl ein einziger Fall, daß die gesamte Mitarbeiterschaft einer Firma vom Chef bis zum Laufburschen herunter der Partei nicht angehört hat«.181 Man nimmt Kippenberg nichts von seiner Standhaftigkeit, wenn man darauf verweist, dass die Insel sicherlich weit weniger gefährdet war (und sich auch weniger exponiert hat) als etwa S. Fischer/Suhrkamp. Und es gibt eine Anzahl von Beispielen, dass ebenso ehrenwerte Verleger (Inhaber oder Teilhaber) mit der Drohung der Firmenschließung gezwungen wurden, der Partei beizutreten (und dafür nach 1945 mit Lizenzverweigerung bestraft wurden). Es gab ebenso anständige Parteimitglieder (etwa den Callwey-Verleger Karl Baur) wie liebedienerische Opportunisten außerhalb der Partei – das Parteibuch allein ist untauglich als Beurteilungskriterium.

Deutsche Verlagsanstalt (DVA) Seit 1910 leitete Gustav Kilpper die Deutsche Verlagsanstalt (DVA). Ihm war das Unternehmen während seiner schwierigsten Periode anvertraut. Zeit- und Weggenossen rühmten an dem unnahbar wirkenden, doch vitalen Tübinger nüchternen Geschäftssinn und sarkastische Klugheit. 1920 hatte der Magnat Robert Bosch die Aktienmehrheit übernommen und ermöglichte Kilpper damit, dem schwerfälligen Konzern Profil zu verschaffen im Wettbewerb mit den großen Kulturverlegern der Zeit. 1927 führte man im Ranking der schöngeistigen Verlage mit 155 Novitäten vor S. Fischer mit 112 und Insel mit 91 Titeln. Die graphischen Betriebe, Druckerei und Papierfabriken wurden modernisiert. Auch die Bilanz blühte auf und noch 1931, auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise, schüttete die DVA eine Dividende von sechs Prozent (nach zehn Prozent im Vorjahr) aus. Freilich war die Disparatheit des Programms problematisch. Seit jeher pflegte man konservative, nationalbewusste Autoren wie Isolde Kurz, Ina Seidel, Josef Winckler, Börries von Münchhausen, Ludwig Finckh, Josef Ponten oder auch Waldemar Bonsels, den man mit Schuster & Löffler eingekauft hatte. Doch zu den Repräsentanten des platten Landes kamen in Weimars letzten Jahren auch linke Literaten, vor allem Erich Kästner mit seinen kecken Erwachsenenbüchern Ein Mann gibt Auskunft (1930) und Gesang zwischen den Stühlen (1932), insbesondere mit dem Skandalroman Fabian. Die Geschichte eines Moralisten (1931). Der weltläufige Liberale Kilpper übernahm nicht nur US-Bestseller wie Henry Allens Antonio Adverso (mit 200.000 Exemplaren), sondern hat Tania Blixen für seinen Verlag entdeckt, ihm die 180 Ebd., S. 402. 181 Zitiert nach Sarkowski: Der Insel Verlag 1899 –1999, S. 415.

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Rechte an Andrè Gides Gesamtwerk gesichert und Ortega y Gasset in Deutschland bekannt gemacht. Kilppers beharrliche Neupositionierung der DVA hatte Folgen. Schon 1925 hatte die Hetzschrift Der deutsche Buchhandel und das Judentum das urschwäbische Unternehmen denunziert, es habe mit dem Egon-Fleischel-Verlag so viele jüdische Autoren übernommen, dass man die DVA mit Fug und Recht »in die Reihe der jüdischen Verlage« aufnehme. Im Sommer 1931 griff Rudolf Borchardt Kilpper vehement an, weil dieser die Übernahme der fusionierten Verlage Langen und Müller durch den völkischen »Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband« kritisiert hatte. »Dieser Mann« stehe »an der Spitze des einzigen deutschen Verlages, den man klipp und klar eine Bücherfabrik nennen muß, ein ›seelenloses Verlagswarenhaus‹« und entpuppe sich als »bedenkenloser Beschädiger eines aufopfernden Arbeiters am deutschen Geiste«.182 Folgerichtig spielte in der NS-Strategie zur absoluten Kontrolle des Buchmarktes neben den »Arisierungen« von Ullstein und S. Fischer auch die Disziplinierung der DVA eine wichtige Rolle. Aber man dachte dort 1933 nicht an vorauseilenden Gehorsam, sondern gab nach der Bücherverbrennung Erich Kästners Fliegendes Klassenzimmer unter der Tarnadresse »Friedrich Andreas Perthes Stuttgart« heraus und kündigte noch im Oktober 1934 in Prospekten seine Drei Männer im Schnee an, die aber im Reich nicht mehr erschienen, da Kästner ab Ende 1934 nur mehr im Ausland veröffentlicht und vertrieben werden durfte. Dies wurde noch einige Monate von zahlreichen Buchhandlungen unterlaufen, bis er Anfang 1936 endgültig mit dem Gesamtwerk auf die schwarze Liste kam.183 In der DVA erschienen auch Gottfried Benns fatalistisches Bekenntnis Der neue Staat und die Intellektuellen und seine Essaysammlung Kunst und Macht. Die Edition der Ausgewählten Gedichte zum 50. Geburtstag des Dichters im Jahr 1936 veranlasste das Schwarze Korps der SS zu der gehässigen Frage, wie es die DVA wagen könne, »eine derartige Geistesverblödung ins Volk zu tragen«.184 Am Rande sei erwähnt, dass auch die beiden ersten Bücher von Max Frisch 1934 und 1937 in der DVA herauskamen. Das geheime Leitheft Verlagswesen des SS-Sicherheitshauptamtes blickte im März 1937 zufrieden zurück auf die diskrete Lösung des Problems der »riesigen schöngeistigen Verlage«: Hier war aus rein wirtschaftlichen Gründen ein unmittelbares Eingreifen in den Betrieb selbst nur schwer möglich. Man versuchte, zu einer Verlagerung des finanziellen Schwergewichts zu kommen, d. h. die bisherigen Unternehmer auszubooten und die Produktion nach und nach in ein anderes Fahrwasser zu lenken, ohne die Veränderung nach außen sofort sichtbar werden zu lassen.185 Das hieß konkret im Falle der DVA: Die »Deutsche Verlagsanstalt in Stuttgart […] wurde durch die Zeitungsauffanggesellschaft ›Vera‹ übernommen«. Die Vera, zuvor in Hugenbergs Besitz, hatte bereits 1920 ein Auge auf die DVA geworfen, sie gehörte seit 1935 zum Amann-Konzern des Zentralverlags der NSDAP. Ein Jahr darauf musste ihr Robert Bosch den Stuttgarter Zeitungsverlag abtreten, die DVA war die Dreingabe. 182 183 184 185

Borchardt: Deutsche Literatur im Kampf um ihr Recht, S. 36. Vgl. Barbian: »…nur passiv geblieben«? Zur Rolle von Erich Kästner im »Dritten Reich«. Das Schwarze Korps. Berlin 1936, Nr. 19 vom 7. Mai 1936. Leitheft Verlagswesen. März 1937. Typoskript, S. 30

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Schon im Besitz des Parteikonzerns wagte es Kilpper 1937 noch, die FriedrichNaumann-Biographie des missliebigen Demokraten Theodor Heuss herauszubringen. Prompt ereiferte sich RSK-Vizepräsident und Börsenvereinsvorsteher Baur, dies sei »ein starkes Stück des Herrn Kilpper«. Halte er wirklich »uns, die wir heute für die politische Ausrichtung des Buchhandels verantwortlich sind, für so dumm, daß er glaubt, sich eine derartige Sache leisten zu können«?186 Doch Kilpper lotete weiterhin die verbliebenen Freiräume aus. Die Tagebücher von Jochen Klepper belegen eindrucksvoll, wie der Verleger seinem Autor trotz des »grausamen Katz- und Mausspiels« (Klepper) der Schrifttumskammer bis zum tragischen Ende die Treue hielt.187 Im April 1937 kämpfte der Verlag intensiv um eine Ausnahmegenehmigung für den mit einer »Volljüdin« verheirateten Verfasser des soeben erschienenen Buches über den Soldatenkönig Der Vater. Vor allem die sehr positive Resonanz dieses Buches nicht nur beim Lesepublikum, sondern ebenso in der gesamten (auch nationalsozialistischen) Presse trug neben der Einflussnahme wichtiger Kulturschaffender dazu bei, dass Klepper weiterhin veröffentlichen durfte. Allerdings blieb er von der Gnade der RSK abhängig – deren Funktionäre charakterisierte er als »fette, bleiche, abgründige Männer Ende Dreißig«. Sein wohlwollender Zensor verfügte jedoch nur über begrenzte Kompetenzen und wurde in diesem »System völliger Willkür« als kirchenloyal diskreditiert. Bereits ab Sommer 1941 bekam der Verlag keine Papierzuteilungen für Neuauflagen der stark nachgefragten Klepper-Titel mehr. Als 1938 der Rowohlt Verlag der DVA zwangsangegliedert wurde, erhielt Kilpper im jungen Heinrich Maria Ledig-Rowohlt einen Verbündeten im alltäglichen Kampf mit der Schrifttumsbürokratie. Damit war auch Hans Fallada unter dem Dach der DVA und Kilpper nahm sich seiner an. Wegen der Angriffe in der NS-Presse beruhigte er den Autor, er »habe diese Situation schon mit einer ganzen Anzahl angesehener Autoren unseres Verlags durchzukämpfen« und resümierte gelassen: »In irgendeine Geschoßgarbe ist in den letzten Jahren fast jeder angesehene Dichter einmal gekommen. Wenn ich mir nur vorstelle, wie Josef Ponten vor etwa einem Jahr auf einer ganzen Seite in der Zeitschrift ›Der SA-Mann‹ angegriffen wurde, und heute wird er wieder von den höchsten Stellen in Ehren aufgenommen und gefördert. Dasselbe werden auch Sie erleben, wenn Sie nur unbeirrt weiterarbeiten und den Leuten zeigen, was Sie können.«188 Männern wie Joachim Moras, W. E. Süskind und Jürgen Eggebrecht gelang es, die Kulturzeitschriften des Hauses durch die schwierigen Zeiten zu lavieren. Manche Titel wurden zu Bestsellern wie Ina Seidels Wunschkind. 1944 setzte ein großer Bombenangriff der Geschichte der alten DVA ein Ende. Der liberale Schwabe Kilpper, immerhin de facto Angestellter der Partei, hat es bis zu seiner Absetzung Anfang der Vierzigerjahre mit Zivilcourage verstanden, sein »bürgerliches« Verlagshaus durch die braune Zeiten zu lavieren, ohne sich dem Regime anzudienen.

186 Baur am 21. Dezember 1937 an Max Winkler, zitiert nach Barbian: Literaturpolitik (2010), S. 269. 187 Vgl. dazu Barbian: Literatur als Verwaltungsakt, S. A407 –A420, die folgenden Zitate S. A414 und A415. Vgl. auch ders.: Die vollendete Ohnmacht, S. 205 –226. 188 Kilpper an Fallada, Brief vom 19. April 1939. Zitiert nach Fallada: Ewig auf der Rutschbahn, S. 293 ff.

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Claassen-Goverts Aufschlussreich ist es, dem Großunternehmen in Parteibesitz einen Kleinverlag gegenüberzustellen, der als ein Sprachrohr der Inneren Emigration gilt. Die exemplarische Rolle von Claassen-Goverts ist von Anne-M. Wallrath-Janssen eingehend untersucht worden.189 Gegründet im Dezember 1934 durch Henry Goverts und Eugen Claassen, beide jeder nationalsozialistischen Tendenz unverdächtig, hat das kleine Unternehmen sogar die Stilllegungsaktionen gegen Kriegsende unbehelligt überstanden. Claassen konstatierte rückblickend 1955, man habe »jeden Kontakt mit dem politischen Alltag« vermieden und sei »erstaunlicherweise weder durch die Diktatur, noch durch den Krieg und die Nachkriegsjahre zu peinlichen Kompromissen genötigt« gewesen.190 Träfe dies zu, würde es das übliche Bild der existentiellen Bedrohung durch die »Gleichschaltung«, ja totalitäre Unterwerfung des Buchmarktes desavouieren. Der dezidiert kleine Verlag hat von Oktober 1935 bis Kriegsende 1945 nicht mehr als 73 Bücher herausgebracht – deutsche und ausländische Romane, einige Biographien und kulturhistorische Titel. Die Gründer Eugen Claassen (eigentlich Jewgenji Schmuljow, 1895 – 1955) und der vermögende Henry Goverts (1892 – 1988) mögen trotz der fortschreitenden »Gleichschaltung« auf nur kurze Dauer der NS-Herrschaft gehofft haben, konnten aber über die Absichten der NS-Kulturpolitik kaum mehr Illusionen hegen. Immerhin bot die ökonomische Unabhängigkeit eines apolitischen Kleinunternehmens für nicht regimeaffine Geister eine sinnvolle Überdauernsstrategie. Als Ziel hat Claassen post festum formuliert, »das Gemeinsame gegen völkischen Ungeist zu beleben, Dichtung, Kunst, Philosophie, Geschichte gegen Verfälschung zu schützen« (S. 58); Adressaten der ersten Anzeige waren »die breiten gebildeten Schichten«. Bis Kriegsbeginn erschienen 26 Titel, davon 18 Romane (zu fast gleichen Teilen Originale und Übersetzungen). Hauptautoren des Verlages wurden drei junge Exponenten der nichtnationalsozialistischen Literatur: Emil Barth, Martin BeheimSchwarzbach und insbesondere Horst Lange, dessen Roman Schwarze Weide (1937) den Verlegern als ihr literarisch gewichtigstes Buch vor 1945 galt. Die Übersetzungen fremdsprachiger Titel sind der gehobenen Unterhaltungsliteratur zuzurechnen: konventionell erzählte Bildungs- oder Gesellschaftsromane, auch skandinavische Sagas von Olav Duun. Die Verleger verhielten sich streng legalistisch und suchten jeden Anstoß zu vermeiden: »Es war ja immer unsere Haltung, keine heißen Eisen anzufassen und uns nach Möglichkeit von der Politik fernzuhalten«, schrieb Goverts 1939 an Dolf Sternberger (S. 148). Mehrfach übte man vorauseilende Selbstzensur; die Übersetzung von Howard Springs Roman Geliebte Söhne wurde wegen seiner Sympathie für den irischen Aufstand und einer sinistren jüdischen Figur gar in die »Musterbücherei der NS-Volkswohlfahrt« aufgenommen (und nach 1945 von der britischen Besatzungsmacht verboten). Als Hans Henny Jahnns Holzschiff 1937 von Suhrkamp abgelehnt wurde, bot der Autor es Goverts an und erfüllte alle Änderungswünsche. Doch das Taktieren der beiden »Angsthasen« (Jahnn) gegenüber der Reichsschrifttumskammer führte letztlich nur zum Ausschluss des Autors. Typisch für die Haltung »ambivalenter Distanz« (S. 263) ist G. F. Herings Briefanthologie Der deutsche Jüngling (1940) in 189 Vgl. Wallrath-Janssen: Der Verlag H. Goverts im Dritten Reich. Zitatnachweise im Text in Klammern. 190 Zitiert nach Wallrath-Janssen: Der Verlag H. Goverts im Dritten Reich, S. 6.

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seiner pathetischen Bildungsbürgerlichkeit, vagen Camouflage und vorsichtigen Mehrdeutigkeit. Den Erstling von Rudolf Krämer-Badoni, Jacobs Jahr, 1942/43 in 12.000 Exemplaren gedruckt, erkannte Claassen erst nach dem Druck als heiklen Schlüsselroman; er hielt die Gesamtauflage in Leipzig ein Dreivierteljahr zurück, bis sie bei einem Bombenangriff verbrannte, was ihn einer Entscheidung enthob. Auch hier wird deutlich: Die beiden dezidiert apolitischen Verleger setzten ihre prätendierte innere Distanz zum Regime nicht in ein valides Programmkonzept um. Der unerwartete Erfolg von Margaret Mitchells Schmöker Vom Winde verweht im Herbst 1937 sicherte – auch dank Jubelkritik des Völkischen Beobachters – die materielle Basis des Verlags; bis zum Verbot im Juli 1941 (Kriegseintritt der USA) wurden nicht weniger als 277.000 Exemplare abgesetzt. Ansonsten freilich verkauften sich die Produkte bestenfalls mit mäßigem Erfolg, der begüterte Goverts agierte haushälterisch, auch bei den Vorschüssen für die Stammautoren, die man gleichwohl als vertrauten Freundeskreis wertete. Angesichts steigenden Lesehungers im Krieg wuchs die Nachfrage nicht nur nach Novitäten, sondern auch nach Backlist-Titeln; der Verlag war im Dezember 1941 »praktisch ausverkauft« (S. 241). Natürlich litt man auch unter den immer problematischeren Produktionsbedingungen und war vielfach zu Kompromissen genötigt. Auch der Goverts Verlag war »in zunehmendem Maße nicht nur auf eine wohlwollende Duldung, sondern an einzelnen Stellen auch auf eine spürbare Förderung angewiesen.« (S. 340) Man konnte persönliche Beziehungen für die Verhandlungen mit RMVP, RSK und OKW nutzen, immerhin finanzierte sich der Verlag beim weiteren Fortschreiten des Krieges ganz wesentlich durch Wehrmachtsauflagen. Flexibilität war unabdingbar: Das Propagandaministerium wünschte bei einem Werk über deutsche Auswanderung rund tausend Änderungen im Manuskript, auch Alfred Webers Das Tragische und die Geschichte musste überarbeitet werden. Stets wichen die Verleger zurück, um jeden Eklat zu vermeiden, »der gleichzeitig mit dem politischen eben auch ein gesellschaftlicher gewesen wäre« (S. 392). Dass auch »unpolitische« soldatische Autoren wie Horst Lange, Ernst Schnabel oder H. G. Rexroth für die Kriegsintentionen des Regimes nützlich waren, weil sie mit ihrer Entwirklichung und Mythologisierung des Kriegsgeschehens diesem eine »Aura transzendenter Sinnhaftigkeit« (S. 370) zuwiesen, kam den Verlegern nicht in den Sinn.191 Der vielfach belegte typische Durchhaltewillen der letzten beiden Kriegsjahre ließ sie trotz erheblicher logistischer Probleme Erst- und Neuauflagen bis in den März 1945 hinein (teils mehrfach, weil sie noch in der Druckerei vernichtet wurden) produzieren. Zugleich plante man für die Nachkriegszeit über die große Zäsur hinweg und glaubte sich so in Kontinuität, war überzeugt, so Claassen im Spätherbst 1945, »die alte Haltung des Verlags ohne Bruch fort[zu]setzen«.

Rabenpresse Tatsächlich im selbstgewählten Abseits blieb im Unterschied zu Claassen/Goverts, freilich ohne kommerzielle Ambitionen, die Rabenpresse.192 1926 von Victor Otto 191 Allerdings bescheinigt Denkler: Was war und was bleibt? gerade Langes und Rexroths Kriegstexten hohe literarische und politische Souveränität. 192 Vgl. Liersch: Die fast vollständige Geschichte der Rabenpresse.

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Stomps und Hans Gebser in Berlin gegründet, widmete sich der Verlag besonders Lyrik und Erstlingen in guter Qualität und kleinen Auflagen. 1932 gründete Stomps eine Literaturzeitschrift Der weiße Rabe mit Gedichten von Gertrud Kolmar, Peter Huchel, Günter Eich, Hermann Kasack und Paul Zech, die bereits Anfang 1934 wieder eingestellt werden musste. Die Illustrationen stammten u. a. von Frans Masereel, Hannah Höch und Alfred Kubin. 1933 erschien die Erzählung Die Gepeinigten und 1935 ein weiterer Text von Horst Lange, 1934 der Gedichtband Preußische Wappen der jüdischen Autorin Gertrud Kolmar, die 1943 von den Nationalsozialisten ermordet wurde. Die finanzielle Situation der Rabenpresse war stets prekär, im Mai 1937 musste Stomps auf Druck der Nationalsozialisten und aus finanziellen Gründen den Verlag verkaufen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren in der Rabenpresse 112 Bücher erschienen. Der Verlag wurde bis zum Ende des Krieges von Dr. Ernst Winkler ebenfalls ohne Anbiederung weitergeführt. Stomps stellte seinerseits bis 1943 noch Privatdrucke, etwa von Oskar Loerke, her. Für die hanseatischen Kaufleute Claassen und Goverts wäre eine solche Markt- und Regimeferne nicht in Frage gekommen.

Ellermann Mit ähnlichem ästhetischem Anspruch und politischer Distanz wie Stomps wirkte Heinrich Ellermann – er blieb allerdings dank seiner Ehe mit einer Schweizer Verlegertochter von finanziellen Problemen verschont. Sein kleiner Verlag, konzentriert auf Lyrik, bildende Kunst und Photographie, ist bemerkenswert durch eine Reihe lyrischer Flugschriften von jeweils acht bis zwölf Blättern ab Herbst 1934: Das Gedicht. Blätter für die Dichtung. Monatlich in zwei Folgen postalisch zugestellt, erschienen bis September 1944, gedruckt in Ellermanns »Dürer-Presse«, zehn Jahrgänge (weitere nach dem Krieg). Neben einzelnen (wohl unvermeidbaren) völkischen Barden, etwas Klassik bis George und den Expressionisten Trakl und Heym kamen hier auch regimeferne Lyriker wie Elisabeth Langgässer, Oskar Loerke, Georg Britting, Georg von der Vring und Wilhelm Lehmann, auch junge Autoren wie Karl Krolow, Franz Fühmann, Peter Huchel zu Wort.193 Sie mussten als treue Begleiter »dem still gewordenen Kreis der literarisch gebildeten Leser in Deutschland hochwillkommen sein«.194

»System«-Verlage Kiepenheuer Zu Beginn der Dreißigerjahre war der Gustav Kiepenheuer Verlag195 stark verschuldet. Im Literaturbetrieb galt er weithin als einer der profiliertesten Publikationsorte fortschrittlicher, »linksbürgerlicher« Autoren – dazu zählten Bert Brecht, Ernst Toller, Arnold Zweig, Ernst Glaeser, Anna Seghers, Lion Feuchtwanger, Joseph Roth und 193 Vgl. Lyrik verlegen in dunkler Zeit. Hrsg. von Christoph Perels. München: Edition Spangenberg im Ellermann-Verlag 1984. 194 Altenhein: Im Jahr 1934, S. 34. 195 Vgl. Funke: »Im Verleger verkörpert sich das Gesicht seiner Zeit«; Röttig: »… bleiben Sie wie bisher getrost in Dichters Landen und nähren Sie sich redlich«, S. 1 –139.

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Heinrich Mann. Noch zum Jahreswechsel 1932/33 war in einer Reihe »wissenschaftlicher Volksausgaben« Marxens Kapital erschienen, ja für Freuds Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse wurde der Lizenzvertrag noch am 19. Januar 1933 ausgefertigt. All diese Namen waren für die Nationalsozialisten ein rotes Tuch. Es verwundert deshalb nicht, dass ein Drittel der zwölf verfemten Autoren der ersten schwarzen Liste im Börsenblatt vom 13. Mai bei Kiepenheuer unter Vertrag stand; von der folgenden umfangreicheren Liste mit 131 Namen waren 30 mehr oder weniger eng mit dem Verlag verbunden.196 Kiepenheuer erkannte schnell: »Gerade die führenden Autoren des Verlages stehen sämtlich auf der schwarzen Liste und somit kann ich nach 23jähriger Arbeit die Tore des Verlages schließen«.197 Ende Mai 1933 wurde denn auch das Vergleichsverfahren eingeleitet. Die emigrierten Hauptautoren (Roth, Glaeser, Feuchtwanger, Zweig, bald auch Brecht), deren Lagerexemplare nur mehr mit jeweils einem Pfennig bewertet wurden, zogen ihre Rechte ab und gaben sie großteils an Querido in Amsterdam, wo auch der Kiepenheuer-Lektor Fritz Landshoff untergekommen war. Erstaunlicherweise wagte Kiepenheuer trotz solcher Vorzeichen einen Neubeginn: Bereits im August 1933 gründete er in kurzzeitiger Kooperation mit Rowohlt einen neuen Verlag, der nur sechs Titel aus dem alten übernahm. Natürlich war die Produktion nun weitaus schlanker und blieb weitgehend unauffällig.198 Dennoch reagierte die gleichgeschaltete Kritik eher misstrauisch bis missfällig auf das neue Programm; einzelne Titel wurden verboten. 1936 hatte ein wütender Angriff der SS-Zeitschrift Das Schwarze Korps gegen Künstler und Verlag das Verbot von Otto Pankoks Mappenwerk Passion in 60 Bildern zur Folge, 1940 kam der Roman Tina von Tami Oelfken auf den Index, da er die Liebe zwischen einem Deutschen und einer Polin behandelte. Der größte kommerzielle Erfolg blieb die Volksausgabe von Frank Thieß’ Die Verdammten. Den Schwerpunkt bildeten historische und unterhaltende Romane und Biographien, etwa von Günther Weisenborn und Marianne Langewiesche. Unter den Übersetzungen fand Warwick Deeping den meisten Zuspruch. Im Herbst 1936 begann eine »Kiepenheuer-Bücherei«, die zunehmend durch Anekdotensammlungen geprägt wurde – Der fröhliche Jungfernstieg, 1940 erschienen, wurde zum erfolgreichsten Kiepenheuer-Buch der NS-Zeit und brachte es 1942 zum hundertsten Tausend.199 Im Krieg machten auch bei Kiepenheuer die Wehrmachtsausgaben nahezu die Hälfte des Gesamtumsatzes aus – dem Verlag ist es wirtschaftlich nie besser gegangen.200 Auch hier kann die Rolle persönlicher Beziehungen kaum hoch genug veranschlagt werden: Nachdem sein wohlwollender Zensor im Propagandaministerium Heinrich Gruber abgelöst wurde, um die Leitung des Suhrkamp Verlages zu übernehmen, 196 Die vom Börsenverein versandte geheime Verbotsliste vom November 1933 enthielt 64 Kiepenheuer-Titel. Von 373 Veröffentlichungen seit 1918 wurden 102 als unerwünscht erklärt, wohl gut die Hälfte des Lagers. Siehe dazu Funke: »Im Verleger verkörpert sich das Gesicht seiner Zeit«, S. 195. 197 G. Kiepenheuer, Brief an Michaelis vom 24. Mai 1933, zitiert nach Röttig: »… bleiben Sie wie bisher getrost in Dichters Landen und nähren Sie sich redlich«, S. 15. 198 Waren vor 1933 jährlich etwa 27 Titel erschienen, so war im neuen Verlag 1938 der Höchststand mit 16 Titeln erreicht. So Funke: »Im Verleger verkörpert sich das Gesicht seiner Zeit«, S. 207. Röttig kommt auf deutlich geringere Zahlen. 199 Vgl. Röttig: »… bleiben Sie wie bisher getrost in Dichters Landen und nähren Sie sich redlich«, S. 51. 200 Vgl. Funke: »Im Verleger verkörpert sich das Gesicht seiner Zeit«, S. 207 f.

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wurden Kiepenheuer keine Neuauflagen mehr genehmigt, er musste deshalb Autoren zur Konkurrenz ziehen lassen. Der ersten Schließungsliste 1943 entkommen, wurden ihm 1944 alle Papiergesuche abgeschlagen, im August 1944 war die Schließung unabwendbar. Dass Kiepenheuer, obgleich einer der missliebigsten »Systemverleger«, kein Berufsverbot erhielt, sondern in die RSK aufgenommen wurde, ist ebenso bemerkenswert wie vice versa sein Wille zu verlegerischem Überleben auch unter den restriktiven Bedingungen der Diktatur. Ob das Verlagsprogramm nach 1933 tatsächlich »in seiner Gesamtheit als Kritik an und Bewahrung vor nationalsozialistischer Ideologie« gesehen werden kann (einschließlich der rein unterhaltenden Titel für die Front?)201, ist fraglich. Eher schon wird man ihm demonstrative ideologische Abstinenz bescheinigen oder gar wie Barbian sein Verhalten als Akt gänzlicher politischer Anpassung werten.202 Ein Leuchtturm der Inneren Emigration konnte er jedenfalls nicht werden. Aber er hat auch keinen einzigen Titel verlegt, dessen er sich nach 1945 schämen musste.

Rowohlt In den Zwanzigerjahren zählte Rowohlt203 zu den umtriebigsten Literaturverlagen mit geradezu hektischer Produktion – von linken Flugschriften bis zu erfolgreichen Memoirenschmökern des Arztes Carl Ludwig Schleich und des Sängers Leo Slezak; die Biographien von Emil Ludwig erzielten 1926 die Hälfte des Gesamtumsatzes. Neben Autoren wie Musil, Polgar, Tucholsky, Benjamin, Ringelnatz und Arnold Zweig tummelten sich ab etwa 1930 in wachsendem Maße auch rechte Irrlichter wie Ernst von Salomon und Arnolt Bronnen; David Oels hat für diese Zeit intensive Kontakte Rowohlts zu »nationalrevolutionären« Kreisen nachgewiesen, die auch noch in der frühen Bundesrepublik verlegerische Früchte zeitigten.204 Zugleich war Rowohlt Haupteinfallstor amerikanischer Literatur, so von Sinclair Lewis und Ernest Hemingway, bald auch Thomas Wolfe und William Faulkner. Dennoch war der Verlag von der »Bücherkrise« deutlich betroffen und 1931 so gut wie bankrott, die Ullsteins übernahmen diskret die Mehrheit. Die NS-Machtübernahme verhieß für Rowohlt nichts Gutes: Zahlreiche freche, linke und jüdische Autoren, dazu eine Anzahl 1931 und 1932 publizierter kritischer Schriften gegen die NS-Bewegung luden geradezu ein, an diesem wichtigen »Systemverlag« ein Exempel zu statuieren. Rowohlt allerdings ließ sich nicht einschüchtern, auch wenn die Liste seiner verbotenen und missliebigen Autoren immer länger wurde und schließlich 80 Namen umfasste und die Produktion stetig schrumpfte. Das war freilich ein höchst ungleicher Kampf: »Es fing ganz harmlos an. Die ersten Maßnahmen waren so stupide und naiv, daß jedermann sie mit einem kleinen Trick umgehen konnte. Aber Tag für Tag knüpften sich neue Maschen.«205 Zunächst glaubte 201 So Röttig: »… bleiben Sie wie bisher getrost in Dichters Landen und nähren Sie sich redlich«, S. 81, ähnlich auch Funke: »Im Verleger verkörpert sich das Gesicht seiner Zeit«, passim. 202 Vgl. Barbian: Literaturpolitik, S. 852 und 514. 203 Vgl. Gieselbusch/Moldenhauer/Naumann/Töteberg: 100 Jahre Rowohlt, sowie Kiaulehn: Mein Freund der Verleger. Weitaus quellenkritischer Oels: Rowohlts Rotationsroutine. 204 Vgl. Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 68 ff., zitiert dabei Kurt Hillers Diktum über die »linken Leute von rechts«. Vgl. auch ebd., S. 368 ff. 205 Kiaulehn: Mein Freund der Verleger, S. 167 f.

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Abb. 12: Börsenblatt 104 (1937) 272, S. 5940 –5941. sich Rowohlt sogar eine Provokation leisten zu können: Als dreisten Coup zur Machtübernahme brachte er Anfang April den Bildband mit 120 Kupfertiefdrucken »Ein Volk steht auf. 53 Tage nationaler Revolution« heraus, »obwohl noch die alte Literatenclique bei ihm zu Hause war«. Dies haben die Nazis dem »früher rein kulturbolschewistische[n] Unternehmen« besonders übel vermerkt.206 Oels sieht darin den »Versuch, sich möglichst schnell unter den neuen Verhältnissen zu etablieren und Kasse zu machen«.207 Der Rowohlt-Autor Wilhelm Speyer hatte im Mai 1933 an Walter Benjamin über den Verleger geurteilt: »Er versucht sich umzustellen, er trudelt sich geradezu vor Umstellungen, wie ein Hund, der seinen Platz auf einem Kissen bereiten will. Rowohlt […] ist der Deutsche unserer Tage: treuherzig und tückisch, charakterlos und ideal gesinnt.«208 Der Verleger aktivierte seine Militärkontakte aus dem Ersten Weltkrieg für soldatische Novitäten und schrieb einem Autor: »Ich möchte doch mal wissen, ob mir das Propagandaministerium Bücher verbietet, die mir das OKW empfohlen hat!«209

206 Leitheft Verlagswesen, S. 28. Vgl. dazu auch Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 63 ff. 207 Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 68. Ebd., S. 78 ff., auch zum Brief Rowohlts an den Völkischen Beobachter, worin er den Vorwurf des Opportunismus zurückweist und seine nationale Gesinnung betont. 208 Zitiert nach Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 85 f. 209 Rowohlt an Ernst von Salomon, zitiert nach Kiaulehn: Mein Freund der Verleger, S. 170.

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Seine Motive sind nicht eindeutig zu bestimmen: »Die Möglichkeit, eine militärische Stelle als Verbündeten gewinnen zu können, wird für beide Seiten der Kalkulation, die ökonomische und die politischpersönliche, Gewinn versprochen haben.«210 Weiterhin publizierte er Bücher »nichtarischer« Autoren: 1933 Mascha Kalekos Erstling Das lyrische Stenogrammheft (1937 verboten), 1935 ihr zweites Buch, 1934 Heinrich Eduard Jacobs Sage und Siegeszug des Kaffees. 1935 und 1936 erschienen Romane William Faulkners (Licht im August und Wendemarke), auch Bücher von Thomas Wolfe (beide galten dem Regime als ideologisch unverdächtig). Dagegen konnten Werke Ernest Hemingways nicht mehr herauskommen, weil dieser auf seiner »nichtarischen« Übersetzerin bestand.211 Düpiert hat Rowohlt die Rassenschnüffler durch die Veröffentlichung einer Monographie über Adalbert Abb. 13: Rowohlt-Anzeige im Börsenblatt Stifter 1936. Das Werk eines gewissen 104 (1937) 234, S. 4570. Mit Hinweisen Urban Roedl fand beifällige Aufnahme, auf Funk und Film! doch 1938 wurde publik, dass der Name das Anagramm des in Aussig lebenden jüdischen Autors Bruno Adler war. Der Hauptlektor Paul Mayer musste 1935 auf Anordnung der RSK entlassen werden. 1937 erschien Der Deutsche von Bayencourt, dessen Autor Adam Kuckhoff 1943 als Widerstandskämpfer hingerichtet wurde – sein historischer Schlüsselroman gilt als ein Musterbeispiel antifaschistischer Camouflage.212 Mit einem breiten Angebot an unterhaltenden, oft humoristischen Büchern behauptete sich der Verlag auf dem Markt. Bestens abgesetzt wurden die »Tatsachenromane« von Josef Sebastian Schall (Suez, Pforte der Völker 1940, 1942 im 146. Tausend) und Christoph E. Ganter (Die roten Lotosblüten 1941, bereits im Folgejahr ebenfalls im 140. Tausend), vor allem aber Rudolf Brunngrabers Radium (1936), Opiumkrieg (1939) und Zucker aus Cuba (1941). Sie erreichten bis 1952 eine Weltauflage von mehr als einer

210 Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 61. 211 Vgl. Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 92. Manche missliebige Autoren konnte Rowohlt an den Verlag Julius Kittls Nachf. in Mährisch-Ostrau vermitteln, der sich im Besitz des Prager Tagblattes befand. Will Vesper hat in seiner Zeitschrift Die Neue Literatur Kittl mehrfach als Emigrantenverlag angegriffen, der im Börsenblatt seine jüdischen Autoren anpreise, und gefordert, Judenbücher und Judenverlage »ehrlich und offen« zu kennzeichnen. (DNL 37 [1936], S. 55 f., und 38 [1937], S. 119). 212 Vgl. dazu Emmerich: Die Literatur des antifaschistischen Widerstandes S. 447 f.

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Million.213 Es versteht sich, dass die »Tatsachenromane« nach dem Vorbild von Schenzingers Bestsellern massiv ideologisch, insbesondere antibritisch, unterfüttert waren. Sie bedeuteten für den Rowohlt Verlag »die Lösung der seit 1930 währenden ökonomischen und literarischen Krise«.214 David Oels stellt auch den 1949 erschienenen größten Verlagserfolg Götter, Gräber und Gelehrte des Rowohlt-Lektors Marek alias Ceram überzeugend in diesen Zusammenhang. Weitaus erfolgreichster Autor (und der meistübersetzte der nichtemigrierten) war Hans Fallada; der Briefwechsel mit dem Verleger gibt Aufschluss über eine prekäre Schriftstellerexistenz zwischen Bestsellererfolgen und Vernichtungsängsten.215 Während Rowohlt zuerst noch gegen die »Hosenscheißer« höhnte, wurde Fallada 1934 für Wer einmal aus dem Blechnapf frißt heftig angegriffen. Von »Makulatur« und »volksfremdem Schrifttum« sprach der Börsenblatt-Redakteur Hellmuth Langenbucher, Will Vesper witterte »fauligen Aasgeruch«. 1935 wurde Fallada zum »unerwünschten Autor« erklärt und von der NS-Presse angegriffen, zugleich jedoch erzielte er große Auflagen und durfte für Filmprojekte arbeiten. Während Goebbels den Roman Wolf unter Wölfen als ein »tolles Buch« lobte, polemisierte Rosenberg weiterhin nach Kräften. Auch beim »Eisernen Gustav« vermutete Ledig-Rowohlt am 9. März 1939 gegenüber Emil Jannings: »Es ist von so manchem Gauleiter wohl auch darauf hingewirkt worden, daß der Roman nicht mehr in die Auslage gelangen soll.« Falladas angstvolles Lavieren verschärfte seinen Alkoholismus und seine Drogensucht und hemmte seine Produktivität, schließlich kapitulierte auch der Verlag vor der unberechenbaren Schrifttumsbürokratie. Bereits seit Mitte 1934 war der Pressekonzern Ullstein zwangsarisiert und in den Besitz einer NS-Holding übergegangen, damit war auch Rowohlt de facto der Parteiaufsicht unterstellt; Carl Zuckmayer hat im November 1935 bemerkt, dass Rowohlt »jetzt indirekt dem Führer gehört!«216. 1938 wurde der Verlag offiziell vom Eher-Konzern übernommen und der gleichfalls erbeuteten Deutschen Verlagsanstalt angegliedert. Ernst Rowohlt war noch Ende 1937 pro forma der Partei beigetreten, doch wegen seiner notorischen Unzuverlässigkeit und zuletzt seiner Weigerung, seine jüdische Sekretärin zu entlassen, bestanden Wilhelm Baur, der den Rowohlt-Aufsichtsrat dominierte, und die RSK darauf, ihn im Sommer 1938 aus der Kammer auszuschließen.217 Kurz nach dem faktischen Berufsverbot übertrug er auch seine (wertlosen) Geschäftsanteile an die DVA. Nach der Pogromnacht und einer dunklen Drohung im SS-Blatt Das Schwarze Korps begab sich Rowohlt offiziell auf eine längere Geschäftsreise nach Brasilien. Der Sohn Heinrich Ledig versuchte, die auf vier Mitarbeiter geschrumpfte Firma in Stuttgart 213 Siehe dazu ausführlich Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 149 ff. Der österreichische Sozialdemokrat wurde wegen seines propagandistischen Werts geduldet, obwohl er laut RSK »der Bewegung seit jeher feindlich gegenüberstand«. 214 Ebd., S. 164. 215 Vgl. Fallada: Ewig auf der Rutschbahn. Briefwechsel mit dem Ernst Rowohlt Verlag. Die Zitate im Folgenden siehe S. 149 ff., 250, 285. 216 Carl Zuckmayer, Albrecht Joseph: Briefwechsel 1922 –1972. Hrsg. von Gunther Nickel. Göttingen: Wallstein 2007, S. 123. Die genauen Eigentumsverhältnisse blieben »undurchsichtig«. (Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 52). 217 Vgl. ausführlich das Kapitel »Berufsverbot für Ernst Rowohlt« bei Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 97 –111, der die unterschiedlichen Begründungen für das Berufsverbot einer kritischen Revision unterzieht.

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als DVA-Anhängsel weiterzuführen. Als Aufpasser, nämlich zweiter Geschäftsführer, wurde der argwöhnische, aber nicht übelwollende »Reichskulturwalter« Franz Moraller bestellt. Man beschränkte sich auf leichte, aber niveauvolle Kost, etwa von Kurt Kusenberg und Sigismund von Radecki. Natürlich war man auch am Wehrmachtsgeschäft beteiligt, so erschien etwa Brunngrabers Radium im Februar 1943 unter einem Gemeinschaftsimpressum »Stuttgart-Berlin Rowohlt-Osteuropäischer Zentralverlag Riga«, 1944 (nun mit dem Impressum der DVA) eine Sonderauflage »im Auftrag des OKW hergestellt von der Wehrmachtpropagandagruppe beim Wehrmachtbefehlshaber Norwegen«. Von 1941 bis 1943 diente Ledig bei der Wehrmacht, anschließend führte er die Geschäfte wieder, auch wenn zum 1. November 1943 der Verlag aufgelöst und direkt in die DVA eingegliedert wurde. Ernst Rowohlt war Weihnachten 1940 überraschend mit einem »Blockadebrecher« heimgekehrt – von Erich Kästner maliziös begrüßt mit den Worten: »Die Ratten betreten das sinkende Schiff!«.218 Zum Militär einberufen, widmete er sich in Athen und im Kaukasus der Propaganda durch Rundfunk und Flugblätter für den arabischen Raum219 sowie der Wehrbetreuung, wurde jedoch im Juni 1943 wegen »Wehrunwürdigkeit« entlassen. Als Rowohlt 1946 sein Rechenschafts-Memorandum für die Besatzungsbehörden an Fallada schickte, antwortete dieser: »Ich kann’s Ihnen wahrhaftig bestätigen, daß Sie die braune Pest gehaßt haben wie nur einer und daß Sie in dieser Haltung nie schwankend geworden sind, die Dinge mögen von außen aussehen, wie sie wollen!«220 Fallada betonte, entscheidend sei, ob einer »innerlich sauber blieb« – allerdings: »Diese saubere Innerlichkeit musste im Zweifel auch gegen das eigene Verlagsprogramm und die eigene Verlagspraxis behauptet werden, die sich längst außengeleitet als wandelbar und anpassungsfähig erwiesen hatte«.221

Zsolnay Über das 1923 gegründete Unternehmen von Paul Zsolnay und dessen Schicksal zwischen 1933 und 1945 liegt eine überaus gründliche Darstellung von Murray G. Hall vor, die hier nur in groben Umrissen zusammengefasst werden kann.222 Das Unternehmen entwickelte sich binnen zehn Jahren zum finanziell erfolgreichsten und literarisch markantesten Verlag Österreichs. Nicht weniger als drei Viertel seiner Produktion setzte er im Deutschen Reich ab, zunächst auch noch nach 1933. Dies macht ihn zu einem aufschlussreichen Sonderfall. Der jüdische Verleger selbst und auch sein Verlagsdirektor Felix Costa (der 1941 mit seiner Familie nach Minsk deportiert wurde) reagierten auf die Machtübernahme mit »Weltfremdheit oder politische(r) Naivität«223. Auch wenn sie 218 Vgl. zum Folgenden das Kapitel »Ernst Rowohlt im Zweiten Weltkrieg« bei Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 119 –149. 219 Diese Propaganda war im Wesentlichen krass antisemitisch; inwieweit Rowohlt daran beteiligt war, muss offen bleiben. 220 H. Fallada an Ernst Rowohlt, zitiert nach Fallada: Ewig auf der Rutschbahn, S. 424. 221 Oels: Rowohlts Rotationsroutine, S. 384 222 Vgl. Hall: Der Paul Zsolnay Verlag. Vgl. auch ders.: Österreichische Verlagsgeschichte 1918 –1938, Bd. II; ders.: »Daß man förmlich jeden Tag vor einer neuen Situation steht«. 223 Hall: »Daß man förmlich jeden Tag vor einer neuen Situation steht«, S. 210.

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dem unmittelbaren Zugriff der Schrifttumsbürokratie entzogen waren, gab es doch eine Vielzahl von Pressionsmöglichkeiten: »Willkürakte und Schikanen, Beschlagnahmungen, Einfrieren von Guthaben im Reich, halboffizielle Boykottmaßnahmen, gezielte Gerüchte, Buchdumping, Devisenbeschränkungen und anderes mehr«.224 Auf den Verbotslisten fanden sich zahlreiche jüdische und politisch verfemte Zsolnay-Autoren, darunter Heinrich Eduard Jacob, Emil Ludwig, Robert Neumann, Roda Roda, Carl Sternheim, Max Brod, Heinrich Mann, Arthur Schnitzler und Franz Werfel. Ein Großteil der entsprechenden Bestände musste verramscht werden, die finanziellen Verluste waren groß. Der Verlagsautor Hanns Martin Elster riet, man solle sich anpassen, beispielsweise den genehmen Eduard Stucken verlegen, um das Odium des »liberalistisch-jüdischen Verlags« zu verlieren; auch »arischen« Schriftstellern wie Frank Thieß, Walter von Molo und Kasimir Edschmid wurde ihr Verlag vorgeworfen. Zsolnays intensives Bemühen, das Bestehen des Verlages zu sichern, führte zu einem grotesken Ergebnis: Die überwiegende Zahl der nach 1934 neu akquirierten Autoren bestand aus Mitgliedern der im ständestaatlichen Österreich illegalen NSDAP. Deren Strategie war erfolgreich, den Verlag quasi zu »übernehmen«, wobei schließlich sogar ein Austro-Parteigenosse zum Cheflektor wurde. Im Sommer 1935 konnte ein vertraulicher Bericht ins Altreich melden, Zsolnay sei »der einzige zur Zeit wirklich gleichgeschaltete kulturelle Großbetrieb in Österreich«.225 Das Programm unterschied sich kaum mehr von dem der deutschen Konkurrenz: Übersetzungen angloamerikanischer (Galsworthy, Cronin, Pearl S. Buck) und skandinavischer Belletristik, dazu mittelmäßige, allerdings nicht betont nazistische Lyrik und gefällige Romane. Beispielsweise kam 1935 ein Andreas-Hofer-Roman von Erwin Rainalter heraus, der bis 1942 das 16. bis 35. Tausend erreichte. Damit habe allerdings, so schrieb Josef Weinheber an Will Vesper, der Verlag sein Geschäft gänzlich ruiniert: »Denn nun kauften die Wiener Juden keine Zsolnaybücher mehr und im Reich blieb er schließlich bei allen Kunststücken der Judenverlag.«226 In Österreich und unter Exilautoren entspann sich eine publizistische Debatte um Zsolnay, der als trojanisches Pferd der Nazis tituliert wurde und sogar bei den Behörden als getarnte nationalsozialistische Kulturorganisation galt.227 Aber auch in Deutschland fand Zsolnays Anpassungs-, ja Unterwerfungsstrategie wenig Anklang. Eine Anzahl Buchhandlungen führte seine Verlagswerke grundsätzlich nicht, was wiederum die österreichischen NSAutoren erbitterte, deren Werke oft von reichsdeutschen Verlagen abgelehnt worden waren. Insbesondere Will Vesper hetzte in einer hartnäckigen Kampagne gegen diese »merkwürdige Tarnung« und triumphierte nach der Besetzung Österreichs: Unser Freund, der Zsolnay-Verlag, ist in zuverlässige Betreuung genommen worden. Wie einst bei Ullstein, raten wir auch hier: man lasse den besudelten Namen so schnell wie möglich verschwinden! Unter der Flagge eines Judennamens kann kein deutsches Unternehmen glückhaft weitersegeln.228 224 Ebd., S. 209. 225 Zum Vorhergehenden siehe ebd., S. 224 f. und ders.: Österreichische Verlagsgeschichte 1918 – 1838, S. 495, dort auch das Zitat. 226 Brief vom 29. Juni 1935, zitiert ebd., S. 499. 227 Vgl. ebd., S. 510. 228 DNL 39 (1938), S. 264.

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Der Verleger Zsolnay ging im November 1938 ins Exil und versuchte eine »Scheinarisierung«, woraufhin 1939 die Firma gesperrt und ein Treuhänder eingesetzt wurde. Am 1. Oktober 1941 arisierte der RSK-Referent und Schriftsteller Karl H. Bischoff (sein Pseudonym war Veit Bürkle) das Unternehmen und konnte es als »Karl H. Bischoff Verlag« dank seiner vorzüglichen Verbindungen von Stilllegung ungefährdet unter seinen Namen in braunem Geiste bis zum Kriegsende sehr erfolgreich fortführen.229 1941 wurden fast 400.000 Bände hergestellt. Zum Jahresbeginn 1944 konnte Bischoff, Leiter der Fachgruppe Literatur in der RSK, sogar stolz vermelden, das Unternehmen habe im vergangenen Jahr »von allen schöngeistigen deutschen Verlagen die meisten Titel herausgebracht«.230 Es galt, die Verhaltensvarianten und Handlungsspielräume in der Diktatur vor Augen zu führen: Die Spannweite zwischen dem Fanatismus von Eher und Lehmann, dem ideologischen Ehrgeiz von Langen-Müller, der heftigen Anbiederung von Westermann, dem Gesinnungswechsel von Steegemann, der völkischen Verblendung von Diederichs, dem skrupellosen Kalkül von Bertelsmann, der resignierten Distanz von Kippenberg, dem Lavieren von Reclam und Piper, der noblen Opposition von Suhrkamp, der Unerschrockenheit von Kilpper, der Frechheit von Rowohlt, der scheinbar listigen Unterwerfung Zsolnays. Dies alles sind ja nicht nur persönliche Entscheidungen gewesen, sondern auch Publikationsstrategien, die das Profil der dort verlegten Bücher prägten. Dabei müssen manche Klischees revidiert, manche Urteile differenziert werden. Weder war Goverts ein leuchtendes Beispiel innerer Emigration, noch hat die Tatsache, dass ihre Unternehmen de jure und de facto im Besitz von Parteigliederungen waren, Rowohlt und Kilpper daran gehindert, die Toleranzgrenzen des Regimes mehrfach auszureizen.

8.1.3

Die Sonderkonjunktur für Belletristik im Krieg

Über die Gesamtsituation des deutschen Verlagsbuchhandels im Zweiten Weltkrieg kann hier nicht berichtet werden. Im Zusammenhang dieses Kapitels muss ein abschließender Blick auf die Sonderrolle der schöngeistigen bzw. Belletristikverlage genügen. Sie hatten einerseits wie die gesamte Branche unter den stetig zunehmenden kriegsbedingten Restriktionen zu leiden, andererseits aber ergaben sich für sie – und nur für sie! – zwischen 1939 und 1943 Chancen einer Sonderkonjunktur, die wohl einmalig in der gesamten Geschichte des deutschen Buchhandels war. Für so gut wie alle traf zu, was hier bereits am Beispiel einzelner Firmen erwähnt wurde und Adolf Spemann bündig konstatierte: »Der Umsatz des Jahres 1943 ist denn auch der höchste, den ich in beinahe 50 Jahren selbständiger Tätigkeit erreicht habe.«231 Die nur scheinbar paradoxe Erfolgsgeschichte im Krieg ist eine Erfolgsgeschichte dank des Krieges. Kein Verlagsunternehmen demonstrierte dies eindrucksvoller als C. Bertelsmann: Der Friedensumsatz von 1937 betrug 1,9 Mio. RM, aus denen 1940 5,1 Millionen und 1941 8 Millionen wurden. Doch während der Umsatz von 1933 bis 1941 um das Siebenfache stieg, verdreißigfachte sich der Gewinn. Die Produktion von 1940 229 Zum Folgenden siehe ausführlich Hall: Der Paul Zsolnay Verlag, S. 702 ff. 230 Ebd., S. 712. 231 Spemann: Menschen und Werke, S. 319. Spemann bezog sich auf seinen Belletristik-Verlag Engelhorn.

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Abb. 13: Von der Heimat ins Feld – Bertelsmann war der unerreichte Marktführer der Wehrmachtsproduktion. Unternehmensarchiv Bertelsmann. konnte in dem folgenden Jahr zu 98,9 Prozent abgesetzt werden.232 Einige Verleger sahen sich nicht ohne Grund mit dem Vorwurf des »Kriegsgewinnlertums« konfrontiert, der Staat profitierte natürlich durch »Gewinnabführungen« an dieser Sonderkonjunktur. Der weitaus größte Teil der deutschen Literatur- und Belletristikverlage waren am glänzenden Geschäft mit der Wehrmacht in unterschiedlichem Umfang beteiligt. Auf Hans-Eugen Bühlers Recherchen beruht die folgende Rangliste233 der größten Buchlieferanten der Wehrmacht mit einer Exemplarzahl von mehr als einer Million Bänden; dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich beim größten Teil um eher schmale Feldpostund Frontbuchhandelseditionen handelte. Nur wenige Unternehmen stellten auch umfangreichere Bände her, allen voran Bertelsmann mit seinen Feldausgaben. Kriegs- und Kriegserlebnisbücher sind dabei in der Minderheit, erst recht NS-Propaganda. Zum weit überwiegenden Teil handelt es sich entweder um rechtsfreie Titel deutscher Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, um Anthologien, Humoristica oder um Sonderauflagen aus dem Backlistrepertoire der Verlage sowie um Lizenzausgaben. Tab. 1: Wehrmachtsausgaben deutscher Verlage C. Bertelsmann Verlag, Gütersloh Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachf., Berlin/München W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart [Bibliographisches Institut, Leipzig C. Gerber (Münchner Buchverlag) Insel Verlag, Leipzig Reclam Verlag, Leipzig Eugen Diederichs Verlag, Jena Gauverlag Bayer. Ostmark, Bayreuth Langen-Müller Verlag, München

20.400.000 14.000.000 10.000.000 10.000.000] 4.000.000 1.900.000 1.900.000 1.720.000 1.660.000 1.100.000

232 Vgl. die Zahlen und Tabellen in Bertelsmann im Dritten Reich, S. 427 f. und 568. 233 Siehe Wittmann, mit Bühler, Haas, Simons: »Geistige Stärkung« für Front und Heimat, S. 423. Vgl. auch insgesamt Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel 1939 –1945.

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Die »kulturpolitische Bedeutung der Unterhaltung unseres Volkes« Die hohe ideologische Bedeutung der Belletristik zur Motivierung, vor allem aber Ablenkung und Entspannung sowohl für die Soldaten, die mit weiteren Massenmedien nur unzureichend versorgt werden konnten, wie für die ebenfalls physisch und psychisch stark beanspruchte Zivilbevölkerung im Reich war den Schrifttumsbürokraten bewusst und wurde durch deren Lenkungsmaßnahmen früh unterstrichen. Die Direktiven galten sowohl der Steuerung und Sicherstellung der Buchversorgung wie auch deren Inhalten. Unmittelbar vor Kriegsbeginn mahnte die RSK: Auf Veranlassung des Oberkommandos der Wehrmacht werden die deutschen Verleger darauf hingewiesen, daß das Erscheinen von Büchern über den [Ersten] Weltkrieg und das Kriegserlebnis, bei denen noch in starkem Maße eine Tendenz der Abschreckung vorherrscht und der einzelne Mensch mehr als Opfer des Krieges, als duldendes Wesen, als wehrloser Leidender denn als Kämpfer und Mann erscheint, unerwünscht ist.234 Folgerichtig verbot das RMVP kurz darauf hunderte Titel des »Kriminal-, Wildwestund Abenteuerschrifttums«, weil dort entsprechend dem angloamerikanischen Vorbild »liberal-demokratisch-pazifistisches oder sonst dem nationalsozialistischen Denken in irgendeiner Weise widersprechendes Gedankengut in offener oder getarnter Weise verbreitet wurde«.235 In der Propaganda wurde der Stellenwert des Buches im Kriege hochtönend glorifiziert. So schwadronierte Hanns Johst zur festlichen Eröffnung der Kriegsbuchwoche in Weimar 1941: […] Zwei Bücher, ›Mein Kampf‹ und ›Das Kapital‹ liegen im Kriege. […] Unser Feind hält es mit Panzerwochen für den Bolschewismus. Wir stellen dem die Woche des Deutschen Buches gegenüber und entgegen. Das Buch ist der Adelsappell an jeden Deutschen! Das Bekenntnis zum Buche, das ist der Adelsbrief des Dritten Reiches. Buch und Schwert gegen Gift und Galle! Nationaler Geist und übermenschliche Leistung gegen internationale Konstruktion. Der Sieg wird sich für Deutschland entscheiden, wir wissen es! Wir sehen ihn schon grünen, den Lorbeer, der bald die Inbrunst seiner Unsterblichkeit um die tapfere Demut des Buches und den Heldenmut des Schwertes schlingt.236 Allerdings waren die Protagonisten der Schrifttumspolitik in ihrem Urteil darüber gespalten, welche Art Literatur vor und insbesondere während des Krieges am wichtigsten war. Im Sinne des Goebbels-Ministeriums dekretierte Börsenblatt-Chef Hellmuth Langenbucher:

234 VMV Nr. 42 vom 18. Juli 1939, S. 1. 235 Richtlinie des RMVP S 8148/28.9.39, S. 813, zitiert nach Würmann/Warner: Zur Populärkultur des nationalsozialistischen Deutschland, S. 14. 236 Die Dichtung im kommenden Europa, S. 16.

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8 V er lagsbuchhand el Der Unterhaltungsroman als Mittel der Entspannung und Erholung des arbeitenden Volksgenossen, ganz unabhängig davon, ob es sich um einen Handarbeiter oder um den geistigen Arbeiter handelt, spielt eine Rolle, die gar nicht überschätzt werden kann.237

Wilhelm Haegert malte dies geradezu liebevoll aus: Unterschätzen wir nicht die kulturpolitische Bedeutung der Unterhaltung unseres Volkes! Der Panzerschütze des Wüstenkrieges will das unterhaltende Buch, das ihn von den eintönigen Strapazen des Wüstenlebens ablenkt. Die Besatzung des Heinkel-Bombers, die aus der Flakhölle Londons mit aufgepeitschten Nerven heimkehrt, kann, wenn sie ihren Funkapparat einstellt, nicht eine Symphonie hören, sie will Tanz und Lebensfreude. Die werktätige Frau, die aus dem Rüstungswerk heimgekehrt ist, will, wenn ihr überhaupt Zeit zum Rundfunkhören oder zum Lesen nach der Besorgung ihrer Kinder bleibt, Entspannung von den Sorgen, die ein ausbleibender Brief des an der Front befindlichen Mannes ihr vielleicht bereitet. Der Stoff für diese Unterhaltung muß dasein.238 Mit dem Fortschreiten des Krieges wuchs die Nervosität der Literaturlenker. Wie das RMVP auch auf Kleinigkeiten achtete, belegt etwa die Vertrauliche Mitteilung 177 vom Januar 1943: Der sowjetische Straflager behandelnde Roman von Irene Cordes Laßt alle Hoffnung fahren (Junker & Dünnhaupt) dürfe nicht mehr ins Schaufenster gestellt werden, eine neue Ausgabe erscheine unter dem – wohl weniger defätistischen – Titel Der Weg ohne Gnade: »Es wird ausdrücklich bemerkt, daß die notwendige Titeländerung nicht mit dem Wert des Buches zusammenhängt.« Rosenbergs Hauptamt Schrifttum wetterte 1944 über den »sinnwidrigen Papierverbrauch für nichtswürdigen Leseschund im fünften Kriegsjahr, der ungenutzt und lediglich den Geldbeutel des Geschäftsverlegers füllend in Buchhandlungen und Büchereien stapelweise verstaubt«.239 Mit Nachdruck forderte man statt der Bücher, »in denen Menschen ihr mimosenhaftes Gefühlsleben mit der Gießkanne ihrer Eitelkeit begießen«, nach der Kriegswende nun den Weg zurück »zum Saga-Stil und zum großen Geschichtsbild, zur mythischen Dichtung«.240 Auf die Heldensaga von den Thermopylen Stalingrads wartete man allerdings vergeblich.

Das Buch zwischen Nachfrageüberhang und Rohstoffmangel Das lesehungrige Publikum an den Fronten und in der Heimat ließ sich von derlei Debatten ebenso wenig beeindrucken wie die Verleger und Sortimenter. Die letzteren 237 Langenbucher, Hellmuth: Der Roman als Problem. In: Jahrbuch des Großdeutschen Leihbuchhandels. Hrsg. von Erich Langenbucher. Leipzig 1941, S. 232 –238, hier S. 237 f. 238 Die Dichtung im kommenden Europa, S. 8. 239 Zum Unterhaltungsschrifttum. In: Lektoren-Brief. Vertrauliche Informationen des Hauptamtes Schrifttum bei dem Beauftragten des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP. Jg. 7/2 (1944), S. 6. 240 Bernhard Payr: Die Dichtung im Kriege. In: ebd., 7/3 (1944), S. 1 –5, hier S. 4.

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genossen zunächst die Kriegskonjunktur. In seiner Kantate-Rede 1940 führte Kurt Kretzschmar, Leiter der Fachschaft Handel, über das ausgezeichnete Weihnachtsgeschäft 1939 aus: »Das Buch hat wie noch nie Eingang in die breitesten Massen gefunden«. Das sei Frucht der jahrelangen Propaganda, aber freilich: »Durch die Einschränkung der Kaufmöglichkeiten auf anderen Gebieten wurde die Kaufkraft des Publikums auf das Buch abgelenkt. Das Buch war ja keine Mangelware.« Diese Konjunktur habe angehalten, nun sei zu fragen, »ob und wie das vorhandene Vorrats- und Erzeugungsvolumen ausreicht, um den Marktbedarf zu decken«. Die Antwort ist jedoch negativ: Der schöngeistige Verlag vor allem sei bei gangbarer und billiger Ware nicht mehr in der Lage, »den Lieferanforderungen des vertreibenden Buchhandels sowohl im Tempo als auch in der Menge gerecht zu werden.« Bestellkürzungen, Lagerabbau und Hamsterkäufe seien die Folge. Erneut tadelte er die nach wie vor grassierende »Übersetzungsmanie«.241 Offenbar hatte die Anordnung, dass der Vertrieb von Übersetzungen aus den »Feindstaaten« nun »bis auf weiteres unerwünscht« sei, (nicht nur aus politischen, sondern auch aus Devisengründen) noch keine durchgreifende Wirkung erzielt. Die Restriktionen des Marktes durch die Bürokratie nahmen immer mehr zu. Die Anmeldepflicht für alle Buchprojekte zur Papierbewilligung war de facto nichts anderes als die bisher vermiedene umfassende Präventivzensur und führte vielfach zu erheblichen Planungsverzögerungen. Zu den bereits vorhanden Zensurinstanzen kam mit Kriegsbeginn als weitere die Wehrmacht. Freilich konzentrierte sich diese thematisch auf den militärischen Bereich, was jedoch für alle literarischen und belletristischen Texte mit Schilderungen und Erinnerungen aus dem aktuellen Kriegsgeschehen durchaus relevant sein konnte. Die Zensoren des OKW zeigten hier akribische Aufmerksamkeit,242 zuweilen gab es auch Rivalitäten zwischen den Zensurinstanzen (siehe etwa Bertelsmanns Narvik-Affäre). Immerhin waren die Verlage nach Jahren der Krittelei abgehärtet und empfanden die Überwachung ihrer Produktion kaum mehr als schwerwiegende Bedrohung, »sondern als unvermeidliches, wenngleich lästiges Risiko des alltäglichen Geschäfts«.243 Zu den politischen Hürden kamen die technischen und kriegsbedingten. Schon ab 1936 hatten die »Vertraulichen Mitteilungen der Fachschaft Verlag« mehrfach eine angespannte Situation auf dem Papiermarkt beklagt und zu Qualitätsabstrichen aufgefordert. Im Dezember 1939 äußerte sich Karl Baur dort »zur Papierlage des Buchverlages« deutlicher: Gerade im schöngeistigen Verlag seien zwar für »Gesamtausgaben von Werken der Dichtung« holzfreie Papiere anzustreben, nicht aber für das gesamte Programm. Eine Drosselung der Produktion insgesamt, kleinere Auflagen, Einsparungen bei Einbandgestaltung, Papiergewicht und dergleichen mehr seien vonnöten. In seinem Jahresbericht 1941 zeigte sich Baur für das Vorjahr 1940 einerseits hocherfreut über »das in solchem Ausmaß kaum vorauszusehende Anwachsen der Produktion als 241 Vertrauliche Mitteilungen der Fachschaft Handel (VMH) Nr. 3 vom 10. Juni 1940, S. 1 ff. Vgl. im selben Tenor und teils der gleichen Wortwahl Karl Baurs Jahresbericht der Fachschaft Verlag in VMV Nr. 51 vom 12. April 1940, S. 4 ff. Baur tadelt u. a. auch die »starke Vermehrung billiger Romanserien«. 242 Solche Zensurakte sind aus naheliegenden Gründen fast nie dokumentiert. Vgl. jedoch Wittmann, mit Bühler, Haas, Simons: »Geistige Stärkung« für Front und Heimat, S. 434 f. 243 Ebd., S. 441 f.

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Folge einer unvergleichlichen Nachfrage nach Büchern«, räumte zugleich aber »die hieraus und aus den Kriegsanforderungen an sich erwachsenen Produktionsschwierigkeiten« ein.244 Skeptisch registrierte er, dass die Arbeitsgemeinschaft der schöngeistigen Verleger innerhalb eines Dreivierteljahres nicht weniger als siebzig Firmen neu aufnehmen musste: »Dabei handelt es sich zum geringsten Teil um Neugründungen, vielmehr fast ausschließlich um bestehende Firmen, die plötzlich ihre innere Begeisterung für Dichtung und Unterhaltung entdeckten.« Sinkende Gemeinkosten, Rationalisierung durch Großauflagen, schneller Ausverkauf des Lagers bei gleichzeitiger Produktionssteigerung – solche ökonomisch erfreulichen Effekte der Wehrmachtsproduktion, die 1941 und noch 1942 den Verlegern zugutekamen, wurden in der Folge durch die Rohstofflage und Kriegseinwirkungen erheblich konterkariert. Auch die Preisbildung – also Erhöhung oder Senkung des Ladenpreises – wurde nun scharf überwacht und nicht selten führten kalkulatorische Probleme zum Verzicht auf Neuauflagen. Die Papierkontingentierung nach einer kurzen Entspannung durch die Eroberungen in Skandinavien 1940 veränderte sowohl das Spektrum des Buchmarktes wie auch die äußere Gestalt der Bücher – Einbände aus Leinen oder gar Leder verschwanden, auch Schutzumschläge wurden verboten, am 29. März 1943 ordnete die RSK an, dass mit Ausnahme von Export- und Bibliotheksexemplaren sämtliche Titel schöngeistiger Literatur nur mehr broschiert ausgeliefert werden durften. Im April 1943 mussten alle Stereotypieplatten und sämtlicher stehender Satz zwecks Materialbeschaffung abgegeben werden. Das komplizierte Zuteilungsverfahren, bald auch die kriegsbedingten Ausfälle des Distributionssystems taten ein Übriges: Bombenzerstörungen der Verlagshäuser, der großen und kleinen Lager, insbesondere der riesigen Zentrallager in Leipzig Anfang Dezember 1943, Lieferschwierigkeiten für Papier und Einbandmaterial wegen Rohstoffmangels, Überlastung von Setzereien, Personalknappheit in Druckereien und Bindereien, Transportprobleme durch Störung von Verkehrswegen. Immer mehr Druckaufträge mussten ins besetzte Ausland vergeben werden, was die Planung zusätzlich erschwerte. Endlose Verzögerungen von Papierzuteilungen für schnell absetzbare Titel kontrastierten mit Eilaufträgen für unlesbare Propagandatraktate in oft bizarr hohen Auflagen.245 Auch der arisierte Zsolnay-Verlag musste mehrfach länger als ein Jahr auf Papierbewilligungen warten, obwohl sein Verleger Bischoff leitender Schrifttumsfunktionär war.246 Mit Fortgang des Krieges konzentrierte sich der gelenkte Markt auf immer weniger Titel in immer höheren Auflagen bei immer weniger Verlagen. Siegfried Lokatis formuliert es pointiert: »Im Grunde genommen funktionierte der Buchhandel, und zwar sowohl der ›normale‹ Sortimentsbuchhandel wie der kriegsbedingte Massenbuchhandel mit der Front, seit der Zerstörung Leipzigs 1943, wie eine einzige große Buchgemeinschaft mit verschärftem Abnahmezwang.«247 Angesichts des Zuteilungsverfahrens beziehungsweise der enormen zivilen Angebotsverknappung konnte freilich von Abnahmezwang keine Rede sein, im Gegenteil: Ein großer Teil der

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VMV Sonderausgabe Kantate 1941, S. 5. Siehe die Beispiele bei Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 139, Anmerkung 174. Vgl. Hall: Der Paul Zsolnay Verlag, S. 744 ff. Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 140.

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Belletristikproduktion war »bei Erscheinen vergriffen«, die Börsenblatt-Anzeigen der Novitäten hatten »reinen Demonstrationscharakter«.248 Dem gegenüber stand der enorme Lektürehunger in Front und Heimat. Während letzterer durch die Restriktionen wie das Zuteilungsverfahren immer mehr kanalisiert und beschränkt wurde und der Nachfrageüberhang groteske Formen annahm, galt der Lektüreversorgung der Front durch Massenauflagen höchste Priorität. Diese musste weitestgehend aus der schöngeistigen Produktion befriedigt werden. Das geschah über den Frontbuchhandel und die Wehrmachtsausgaben. Noch 1940 hatte der Verleger Spemann festgestellt: »Die normale Anfangsauflage für ein schöngeistiges Buch, wie etwa einen neuen Roman, schwankt zwischen 2000 und 5000«.249 Für den Frontbuchhandel bildete zunächst 5.000 die Mindestauflage, später schrumpfte zwar die Titelzahl, doch die Auflagenhöhen vervielfachten sich. Noch im Frühjahr 1943 beurteilte Wilhelm Baur unverdrossen die »Lage im Buchhandel« günstig: Der deutsche Buchhandel ist bis zum Jahre 1941 vom Krieg fast in keiner Weise in Mitleidenschaft gezogen worden, im Gegenteil: […] Allein im Kriegsjahr 1941 sind 341 Millionen Bücher in Deutschland erschienen. Wenngleich genaue Zahlen aus der Zeit vor dem Krieg fehlen, so kann man dennoch ruhig behaupten, daß im Krieg etwa zwei- bis zweieinhalbmal mehr produziert wurde, wie im Frieden.250 Mit der Realität hatte diese Erfolgsbilanz wenig zu tun. Anschaulich schilderte K. H. Bischoff einem drängenden Autor im Oktober 1942 die tatsächliche Lage: Hat man Papier, dann kann der Drucker gerade nicht, kann der Drucker, dann schreit der Buchbinder nach Faden oder Überzugspapier oder die Papierfabriken haben wie jetzt durch die trockenen Monate kein Wasser mehr oder die Sätze müssen aus den Maschinen genommen werden, weil das Drucken und Binden von Schulbüchern wichtiger ist – und es ist wichtig – usw. usw., dann kommen Transportwege, die plötzlich versperrt sind oder eine Äusserlichkeit, dass keine Kisten vorhanden sind, weil Leergut nicht befördert werden kann usw.251 Im zivilen Bereich standen die Verleger hilflos vor dem Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Im Sommer 1942 konstatierte ein interner Geschäftsbericht des »Deutschen Verlages« (ehemals Ullstein): »Wir hatten von dem Buch Ulitz Die Braut des Berühmten 9500 Exemplare zur Verfügung, Bestellungen lagen vor in einer Höhe

248 Hall: Der Paul Zsolnay Verlag, S. 729. 249 Spemann: Die Kalkulation im schöngeistigen Verlag, S. 15. 250 Börsenblatt 110 (1943) 82, S. 69. Baur bezieht sich auf Auflagenhöhe, nicht Titelzahl. Erst zum 1. Januar 1940 waren die Verlage zur Mitteilung der Auflagenhöhen (wegen des Papierverbrauchs) an den Börsenverein verpflichtet. 251 K. H. Bischoff an Erich Ebermayer, 7. Oktober 1942, zitiert nach Hall: Der Paul Zsolnay Verlag, S. 748.

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von 205.000 Exemplaren«.252 Sogar Ladenhüter waren nun vergriffen, etwa bei der HAVA die »an sich unverkäufliche Blunck-Gesamtausgabe«.253 Der Verleger Spemann erinnerte sich: Im Herbst 1942 begann die Lage für den Verlag schwierig zu werden und zwar hauptsächlich wegen der schlimmen Entwicklung der Kohlenversorgung. Zahlreiche Papierfabriken mußten geschlossen werden oder arbeiteten verkürzt und so wurden denn die Papierzuteilungen immer knapper. Der Bedarf an Büchern wuchs ins Ungeheure, denn nicht nur innerhalb der Reichsgrenzen, sondern überall in den besetzten Gebieten flüchteten sich die Menschen ins Buch, das noch ›markenfrei‹ zu haben war; gleichzeitig aber kämpften wir im Verlag mit den größten Herstellungsschwierigkeiten.254 Im Januar 1943 erklärte sich die Schrifttumsabteilung im RMVP bzw. das Werbe- und Beratungsamt für das deutsche Schrifttum wegen Personalknappheit für außerstande, die seit Beginn der Papierbewirtschaftung erforderlichen Manuskriptprüfungen weiter durchzuführen, Verleger und Lektoren unterhaltsamen und schöngeistigen Schrifttums mussten nur noch eine Inhaltsangabe und Bewertung dem Papierantrag beilegen.255 Mit fortschreitender Zerstörung der deutschen Druckereien wurden immer mehr Aufträge in die besetzten Gebiete, insbesondere Niederlande, Norwegen und Reichskommissariat Ostland, verlagert; dies muss erheblichen Umfang angenommen haben, auch wenn die Forschung hier noch in den Anfängen steckt.256 Nicht selten wurden diese durchwegs hohen Auflagen auch unmittelbar an der Front vollständig abgesetzt.

Bücher nur im Zuteilungsverfahren Einen aufschlussreichen Einblick in die Probleme des Belletristikverlags nach der Ausrufung des »totalen Krieges« bietet das Typoskript einer Verlegerkonferenz in Dresden vom 26. bis 28. Juli 1944.257 Die Diskussion befasst sich hauptsächlich mit dem Zuteilungsverfahren im schöngeistigen Verlag. Ausführlich äußerte sich dazu Adolf Spemann, von 1939 bis 1941 Fachgruppenleiter Schöngeistiger und populärwissenschaftlicher Verlag. Das Verfahren sei insgesamt sinnvoll – jedoch: »Der Verleger kann es aber machen, wie er will: jede entsprechende Ankündigung im Börsenblatt, daß er zuteile, daß er Bestellungen nicht erledigen, ja mangels Zeit überhaupt nicht einmal 252 253 254 255 256

Adam: Lesen unter Hitler, S. 296. Lokatis: Hanseatische Verlagsanstalt, S. 134. Spemann: Menschen und Werke, S. 317. Vgl. VMV 338 vom 15. Januar 1943. Vgl. Bühler: Der Frontbuchhandel, S. 55 –66. Ein zufällig herausgegriffener Beleg ist etwa Martin Luserke: Hasko. Ein Wassergeusen-Roman. Potsdam: Ludwig Voggenreiter Verlag mit dem Vermerk »Einmalige Sonderausgabe der Zentrale der Frontbuchhandlungen Paris, Druck: Imprimerie Chaix Paris«. Voggenreiter ließ auch in Holland, Prag und auf dem Balkan drucken. 257 Vgl. Bayerisches Wirtschaftsarchiv, Bestand Oldenbourg, F5/134. Daraus alle folgenden Zitate von der Dresdener Verlegerkonferenz 1944.

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beantworten könne, verhallt völlig ungehört; jeder Verleger wird bestätigen, daß eine wahre Flut von Bestellungen einsetzt, wenn ein neuerschienenes Buch im Anzeigenteil des Börsenblattes oder auch nur in der Bibliographie oder in der Liste der Preisänderungen bzw. Preisgenehmigungen aufgeführt ist. […] Eine Spezialfrage ist die der Großauflagen, die jetzt für mich akut wird: für den ›Herrn Kortüm‹ von Kurt Kluge hat das Ministerium eine Großauflage bewilligt, die soeben hergestellt wird. Dieses Buch gehört heute durchaus zu den berühmtesten und meistbegehrten Büchern, und meine Vorräte stehen in einem so krassen Mißverhältnis zu den täglich eingehenden Bestellungen sowohl vom Buchhandel als aus Privatkreisen, daß ich bei der Ankündigung einer Großauflage mit Bestellungen im Umfang von mehreren Hunderttausend Stücken zu rechnen habe; was soll nun getan werden? Bei einer Großauflage ist Bestellverfahren vorgeschrieben, die Auflage beträgt 50 000 Stücke, von denen von vornherein für Lieferungen an die Zentrale der Frontbuchhandlungen, an die Bombengeschädigten durch Lühe usw. 15 000 Stück abgehen, so daß nur 35 000 Stücke zur Verfügung stehen, während ich mit dem fünf- bis zehnfachen Umfang an Bestellungen rechnen muß.« Das Paradoxon, dass Verleger sich unisono bitter über die Zudringlichkeit des Sortiments beschwerten, tritt hier in der deutschen Buchhandelsgeschichte zum ersten Mal (und in dieser Schärfe zum einzigen Mal) auf. Schon in seiner Vorschau auf 1943 hatte Kretzschmar die verlegerischen »Klagen über die teilweise phantastischen Bestellungen des vertreibenden Buchhandels«258 erwähnt. Auch bei der Verlegertagung 1944 wurde über die Hartnäckigkeit des Sortiments bewegte Klage geführt, so von Max Linke (Diederichs): »Die Meinung, sich auf eine möglichst vielfältige Weise bemerkbar zu machen und damit besser berücksichtigt zu werden, ist bei den unbelehrbaren Firmen kaum auszurotten.« Ähnlich äußert sich Franz Schneekluth (Wilh. Heyne): Obwohl er längst nur noch zuteile, kämen auf jede Titelanzeige »zahlreiche Bestellungen und diese oft mit Phantasieziffern«, was von Disziplinlosigkeit der Branche zeuge. Der Zsolnay»Arisierer« Karl Heinz Bischoff verwies auf den erhöhten Buchbedarf: »Dieser wiederum beruht einmal auf den Auswirkungen unserer Schrifttumspolitik seit 1933 und auf dem natürlichen schon aus dem letzten Weltkrieg bekannten Vorgang, daß sich gerade in ernsten Zeiten das Volk seelischen Gütern besonders aufschließt. Daneben teilt sich aber der Bedarf in ein natürliches Lesebedürfnis und in ein Hamsterbedürfnis. […] Hinzu kommt sicher auch eine Hortung von Bücherbeständen im Verteilerapparat. […] Im Augenblick müssen von einer Auflage in der Regel abgezweigt werden: 10 % für die Frontbuchhandlungen, 10 % und oft noch mehr für das Einkaufshaus, 10 % für Lühe & Co., 5 % für den Export und wieder etwa 10 % für ein Reservelager, das der Verleger zur Erledigung seiner wichtigen Kundenbestellungen usw. unbedingt braucht.« Zusätzlich zu diesen 45 Prozent stehe nun eine weitere Abgabe von 10 Prozent zur behördlichen Verteilung in »Aufbaugebieten« im Raum, die auch er kritisch sehe. Deshalb sei für den gesamten schöngeistigen Verlag weiterhin Zuteilung obligatorisch; ausgenommen sei natürlich die gesamte Produktion des Eher-Verlags.259 258 VMH 175 vom 5. Januar 1943. 259 Diese Zwangswirtschaft wurde auch in der Öffentlichkeit thematisiert. Vgl. etwa Muthesius, Volkmar: Das begehrte Buch. In: Deutsche Allgemeine Zeitung Nr. 341 vom 24. Dezember 1944: »Man wird, grob geschätzt, ungefähr sagen dürfen, daß rund die Hälfte des Marktes durch Bewirtschaftungsmaßnahmen und ähnliche Entwicklungslinien blockiert ist.«

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Im Labyrinth der Schrifttumsbürokratie mit ihren vielfach divergierenden Interessen (RMVP, RSK, PPK, OKW, ZdF), unter den stetig sich verschlimmernden Bedingungen des totalen Krieges war schließlich eigenverantwortliches verlegerisches Wirken so gut wie unmöglich geworden. Staat/Partei und Wehrmacht waren am Ende des Dritten Reiches die einzigen noch funktionierenden verlegerischen Instanzen: Ihre Produktionsvorgaben und ihre Nachfrage beherrschten monopolistisch den gesamten Buchmarkt und degradierten die noch bestehenden schöngeistigen Verlage zu willfährigen Erfüllungsgehilfen.

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S. Fischer Verlag. Von der Gründung bis zur Rückkehr aus dem Exil. Ausstellungskatalog des Deutschen Literatur-Archivs im Schiller-Nationalmuseum. Hrsg. von Friedrich Pfäfflin und Ingrid Kussmaul. Marbach 1985 (Marbacher Katalog 40). SARKOWICZ, Hans/MENTZER, Alf: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon. Hamburg: Europa 2002. SARKOWSKI, Heinz: Der Insel Verlag 1899 –1999. Frankfurt a. M.: Insel Verlag 1999. SATTER, Heinrich: Vom Geist und Ungeist des Hauses. In: Hundert Jahre Ullstein 1877 –1977. Bd. 3. Hrsg. von W. Joachim Freyburg und Hans Wallenberg. Berlin: Ullstein 1977, S. 293 – 310. SCHÄFER, Hans Dieter: Das gespaltene Bewußtsein. Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1944 –1945. München: Hanser 1981. SCHÄFER, Hans Dieter: Die nichtfaschistische Literatur der ›jungen Generation‹. In: Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Hrsg. von Horst Denkler und Karl Prümm. Stuttgart: Reclam 1976, S. 459 –503. SCHMAHL, Karolin: »für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten«. Die Programmpolitik des Reclam Verlages zu Beginn der nationalsozialistischen Diktatur. In: Verlage im »Dritten Reich«. Hrsg. von Klaus G. Saur. Frankfurt a. M.: Klostermann 2013 (ZfBB Sonderband 109), S. 17 –38. SCHNEIDER, Tobias: Bestseller im Dritten Reich. Ermittlung und Analyse der meistverkauften Romane in Deutschland 1933 –1944. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 52 (2004) 1, S. 77 –97. SCHNEIDER, Ute: Die ›Romanabteilung‹ im Ullstein-Konzern der 20er und 30er Jahre. In: IASL Bd. 25 (2000) 2, S. 93 –114. SCHWAB-FELISCH, Hans: Bücher bei Ullstein. In: Hundert Jahre Ullstein 1877 –1977. Bd. 1. Hrsg. von W. Joachim Freyburg und Hans Wallenberg. Berlin: Ullstein 1977, S. 179 –216. SCHWARZ, Falk: Literarisches Zeitgespräch im Dritten Reich. Dargestellt an der Zeitschrift ›Neue Rundschau‹. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens XII (1972), Sp. 1281 –1484. SCHWARZ, Ursula: Das Wiener Verlagswesen der Nachkriegszeit. Diplomarbeit. Wien 2003. STAUDE, Gaby: Der Verlag Rütten & Loening 1936 bis 1950 – Vom arisierten NS-Verlag zur Sequestermasse und Produktionsgruppe. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte 7 (1997), S. 189 –221. STROTHMANN, Dieter: Nationalsozialistische Literaturpolitik. Bonn: Bouvier 1960. STUCKI-VOLZ, Germaine: Der Malik-Verlag und der Buchmarkt der Weimarer Republik. Bern (u. a.): Lang 2003. TAVERNARO, Thomas: Der Verlag Hitlers und der NSDAP: die Franz-Eher-Nachfolger-GmbH. Wien: Ed. Praesens 2004. UNSELD, Siegfried: Peter Suhrkamp. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2004. VAN LINTHOUT, Ine: Das Buch in der nationalsozialistischen Propagandapolitik. Berlin: de Gruyter 2012. WALLRATH-JANSSEN, Anne-M.: Der Verlag H. Goverts im Dritten Reich. München: K. G. Saur 2007 (Archiv für Geschichte des Buchwesens Studien 5). WEIL, Marianne: Anilin von Karl Aloys Schenzinger. In: Wehrwolf und Biene Maja. Der deutsche Bücherschrank zwischen den Kriegen. Hrsg. von Marianne Weil. Berlin: Ästhetik und Kommunikation 1986, S. 227 –239. WIPPERMANN, Wolfgang: Eule und Hakenkreuz. Ullstein und Deutscher Verlag im »Dritten Reich« 1933 bis 1945. In: Ullstein-Chronik 1903 –2011. Hrsg. von Anne Enderlein. Berlin: Ullstein 2011, S. 198 –219. WITTMANN, Reinhard: Der Carl Hanser Verlag 1928 –2003. München: Hanser 2005. WITTMANN, Reinhard: Hundert Jahre Buchkultur in München. München: Hugendubel 1993. WITTMANN, Reinhard: Wissen für die Zukunft. München: Oldenbourg 2008.

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WITTMANN, Reinhard, mit Hans-E. Bühler, Christoph Haas, Olaf Simons: »Bekenntnis zum deutschen Menschen«. In: Bertelsmann im Dritten Reich, S. 119 –172. WITTMANN, Reinhard, mit Hans-E. Bühler, Christoph Haas, Olaf Simons: »Feldgrau schafft Dividende«. In: Bertelsmann im Dritten Reich, S. 241 –296. WITTMANN, Reinhard, mit Hans-E. Bühler, Christoph Haas, Olaf Simons: »Geistige Stärkung« für Front und Heimat. In: Bertelsmann im Dritten Reich, S. 377 –444. WÜRMANN, Carsten/WARNER, Ansgar: Zur Populärkultur des nationalsozialistischen Deutschland. In: Im Pausenraum des ›Dritten Reiches‹. Hrsg. von Carsten Würmann und Ansgar Warner. Bern (u. a.): Peter Lang 2008, S. 7 –22. WURM, Carsten: … mehr als eine Verlagsgeschichte. 150 Jahre Rütten & Loening 1844 –1994. Berlin: Rütten und Loeing 1994. ZIEGLER, Edda: 100 Jahre Piper. Die Geschichte eines Verlags. München: Piper 2004. ZIMMERMANN, Peter: Der Bauernroman. Stuttgart: Metzler 1975.

2

1 Einleitung

Ute Schneider 8.2

Wissenschaftliche Verlage

In der Weimarer Republik waren die deutschen Wissenschaftsverlage, insbesondere jene mit mathematisch-naturwissenschaftlichem und medizinischem Programm, im Hinblick auf Autorenreputation und Titelausstoß die leistungsstärksten Verlage weltweit. Ab 1933 büßten sie diese Spitzenstellung im internationalen Vergleich recht schnell ein, zum Teil endgültig, wenn auch die einzelnen Unternehmen von den neuen Publikationsbedingungen unter nationalsozialistischen Vorzeichen in graduell unterschiedlichen Abstufungen betroffen waren. Während einige Verlage unbehelligt weiterarbeiten konnten oder gar vom wissenschaftspolitischen Wandel profitierten, weil Verleger und Autoren mit der nationalsozialistischen Idee systemkonform waren, mussten andere ihre Produktion radikal beschränken oder sogar ganz aufgeben, weil sie entweder einen vorwiegend jüdischen Autorenstamm hatten oder politisch-weltanschaulich missliebige Autoren oder Titel führten. Andere Verlage wiederum konnten kaum mehr in ihrer üblichen Weise weiterarbeiten, weil ihr Verleger bzw. Verlagsleiter Jude oder seine Familie ursprünglich jüdischer Abstammung war.

Wissenschaftliche Verlage im Überblick In seiner statistischen Auswertung des Adreßbuchs des Deutschen Buchhandels von 1933 kommt Ehrhardt Mieth zu Beginn des Dritten Reiches auf insgesamt 194 deutsche Buchverlage, die wissenschaftliche Literatur publizierten, davon 118 reine Verlagsunternehmen und 76 Gemischtbetriebe mit angeschlossener Sortimentsbuchhandlung oder anderen Gewerbezweigen wie Druckerei oder Buchbinderei.1 Über 50 Prozent dieser Firmen waren in den vier Buchhandelszentren Berlin, Leipzig, Stuttgart und München angesiedelt. Mieths Zahlen umfassen allerdings jede Firma, die wissenschaftliche Titel publizierte, nicht nur solche, die als Wissenschaftsverlage hochspezialisiert waren, so dass von einer wesentlich geringeren Anzahl bedeutender Wissenschaftsverlage ausgegangen werden muss. Die größten und wichtigsten wissenschaftlichen und Fachverlage waren in der seit 1920 bestehenden Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger (AWV) organisiert. Im März 1945, also kurz vor Kriegsende, waren 48 Firmen bzw. ihre Verleger Mitglied in dieser Arbeitsgemeinschaft, die 1935 in die Fachschaft Verlag der Reichsschrifttumskammer zwangsüberführt worden war. Man kann daher davon ausgehen, dass es sich realistischerweise um rund 50 Verlage handelt, die in den Jahren der NS-Herrschaft ein spezialisiertes und für wissenschaftliche Disziplinen bedeutendes Verlagsprogramm herausbrachten.2 1

2

Vgl. Mieth: Standortsanalyse, S. 9. Mieth berücksichtigt sowohl die Verlage, die ausschließlich wissenschaftliche Literatur im Programm hatten, als auch solche, die neben wissenschaftlichen Werken Fachliteratur und zum Teil auch Schulbücher und populärwissenschaftliche Literatur herausbrachten wie z. B. J. D. Sauerländer in Frankfurt am Main. Umsatzzahlen und Angaben zum Volumen der Titelproduktion einzelner Firmen, wie sie für die Weimarer Republik vorliegen (vgl. Schneider: Der wissenschaftliche Verlag, S. 387 f.), existieren für die Zeit zwischen 1933 und 1945 leider nicht.

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Tab. 1: Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger 19453 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20.

Akademische Verlagsgesellschaft Becker & Erler, Leipzig J. A. Barth, Leipzig Bibliographisches Institut, Leipzig Gebrüder Bornträger, Berlin Wilhelm Braumüller, Wien R. v. Decker’s Verlag G. Schenck, Berlin Franz Deuticke, Wien Duncker & Humblot, Berlin Otto Elsner, Berlin Wilhelm Engelmann, Leipzig Ferdinand Enke, Stuttgart Haude und Spenersche Verlagsbuchhandlung Max Paschke, Berlin Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin Gustav Fischer, Jena Walter de Gruyter & Co., Berlin Carl Heymanns, Berlin Karl Hiersemann, Leipzig Hippokrates-Verlag Marquardt & Co., Stuttgart Ferdinand Hirt, Breslau S. Hirzel, Leipzig

21. Wilhelm Knapp, Halle/Saale 22. 23. 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32.

W. Kohlhammer, Stuttgart J. F. Lehmanns Verlag, München Carl Marhold, Halle/Saale Wilhelm Maudrich, Wien Felix Meiner, Leipzig E. S. Mittler & Sohn, Berlin J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen Max Niemeyer, Halle/Saale R. Oldenbourg, München Paul Parey, Berlin Reichsgesundheitsverlag, Berlin

33. 34. 35. 36. 37. 38.

Dietrich Reimer, Berlin M. & H. Schaper, Hannover Springer Verlag Berlin, Wien Theodor Steinkopff, Dresden B. G. Teubner, Leipzig Georg Thieme, Leipzig

39. Urban & Schwarzenberg, Berlin, Wien 40. Franz Vahlen, Berlin

Bis auf den Reichsgesundheitsverlag ist keiner der hier verzeichneten Verlage eine Neugründung im Dritten Reich. Der Reichsgesundheitsverlag4 entstand unter nationalsozialistischer Führung aus der Fusion des Deutschen Ärzteblattes, das vom Deutschen Ärztevereinsbund herausgegeben wurde, und der Ärztlichen Mitteilungen des Hartmannbundes. Alle anderen Verlage hatten ihre Wurzeln in der Weimarer Republik oder häufiger noch im 19. Jahrhundert und konnten auf eine lange Tradition, auf internationale Anerkennung und oft auch auf ein erfolgreiches ökonomisches Wirken zurückblicken. Verlagsneugründungen kamen nach 1933 im wissenschaftlichen Bereich schon deshalb kaum in Frage, weil die politischen Ziele und die ideologische Ausrichtung eher auf eine Reduktion der Anzahl von Unternehmen dieser Sparte hinausliefen als auf dessen Ausdehnung. Technikund Naturwissenschaften, Wehrwissenschaft, Rassenkunde, völkische Germanistik und

3

4

Eine Mitgliederliste befindet sich im Archiv des Springer Verlags, jetzt Zentral- und Landesbibliothek Berlin (Ordner ohne weitere Bezeichnung). Weshalb ein wichtiger Verlag wie C. H. Beck in München nicht in der Mitgliederliste verzeichnet ist, kann aufgrund mangelnder Quellen nicht geklärt werden; möglicherweise war Beck nicht Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft. Gründungsdatum unbekannt, spätestens jedoch 1938, der Verlag existierte bis 1945.

8.2 Wissen schaftlich e Verlag e

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Volkskunde waren jedoch Disziplinen, die einen gewissen Aufwind durch den Systemwechsel bekamen.5 Auch die in der Weimarer Republik beobachtbare Welle an Neugründungen von Fachverlagen wurde ab 1933 nicht in großem Stil fortgeführt. Allerdings wurde das Fachbuch für berufliche Bedürfnisse und den praktischen Gebrauch gegenüber dem wissenschaftlichen Buch erheblich aufgewertet, denn wissenschaftspolitisch gewünscht waren nun anwendungsbezogene Wissenschaftsgebiete zuungunsten dezidiert theoretischer wissenschaftlicher Inhalte. So profitierte beispielsweise der Carl Hanser Verlag vom »rigoros verwirklichten Aufrüstungsprogramm«6 und konnte als Fachverlag für Metallbearbeitung seine Fachzeitschrift Werkstattblätter sowie die 1937 begonnene Schriftenreihe Werkstattkniffe gewinnbringend auf dem Markt durchsetzen.7

Politische Rahmenbedingungen für das wissenschaftliche Verlagswesen Die nationalsozialistische Wissenschafts- und Hochschulpolitik wirkte sich unmittelbar auch auf die wissenschaftlichen Verlage aus, und zwar sowohl im Hinblick auf die Akquisition und Weiterbeschäftigung von Autoren und Herausgebern als auch auf den deutschen Absatzmarkt, der aufgrund der hochschulpolitischen Anordnungen erheblich verkleinert wurde. Peter Lundgreen fasst die Hochschulpolitik im Dritten Reich sehr treffend unter vier Aspekten zusammen:8 (1) Umgestaltung der Hochschulverfassung nach dem »Führerprinzip«; (2) Umgestaltung des Lehrkörpers durch »Säuberungen« und politische Rekrutierungspraxis; (3) Politisierung der wissenschaftlichen Disziplinen durch Orientierung an »völkischen« Gesichtspunkten und (4) Instrumentalisierung von Forschung und Entwicklung für den »Endsieg«. Zur flächendeckenden Durchsetzung dieser ideologischen Ziele wurden diverse organisatorische Maßnahmen eingeleitet, die als entsprechende Handlungsgrundlagen für universitäre und außeruniversitäre Forschungs- und Lehranstalten dienen sollten. Zu diesen Maßnahmen gehörten neue Gesetze und Erlasse sowie die Änderungen akademischer Qualifikationswege wie zum Beispiel die neue Reichshabilitationsordnung von 1934, die eine Trennung zwischen der akademischen Verleihung der Venia legendi und der staatlichen Verleihung der Lehrberechtigung durchsetzte. Nachdem das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 die rechtlichen Voraussetzungen für die Entlassung politisch missliebiger und jüdischer Beamter geschaffen hatte, wurden bis zum 30. September 1934 insgesamt mehr als 600 Hochschullehrer entlassen, davon 82 aus politischen Gründen, 391 wegen ihrer jüdischen Abstammung und 138 zur, wie es lapidar hieß, »Vereinfachung der Verwaltung«.9 Nach den Erhebungen von Grüttner und Kinas wurden bis April 1936 an den Universitäten und Technischen Hochschulen von 7.228 Lehrenden 1.097 entlassen (ca. 5 6 7 8 9

Einen umfassenden Überblick über die Entwicklung geisteswissenschaftlicher Disziplinen, inkl. der Fachgebiete »Staat, Recht, Wirtschaft« liefert auf fast 1.000 Druckseiten Hausmann: Die Geisteswissenschaften im »Dritten Reich«. Wittmann: Der Carl Hanser Verlag, S. 23. Vgl. Wittmann, S. 23. Lundgreen: Wissenschaft im Dritten Reich, S. 10. Diese Zahlen bei Hentschel: Physics and National Socialism, S. IV.

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15 Prozent). Besonders betroffen waren die Universitäten in Frankfurt am Main und Berlin mit einer Entlassungsquote von mehr als einem Drittel zwischen 1933 und 1945.10 Eine weitere Entlassungswelle folgte nach Verkündung der Nürnberger Gesetze am 15. September 1935. Darüber hinaus emigrierte noch eine erhebliche Anzahl Wissenschaftler11, darunter international so bedeutende Physiker wie Albert Einstein (1879 – 1955), Max Born (1882 – 1970), Erwin Schrödinger (1887 – 1961), Lise Meitner (1878 – 1968), Victor Weisskopf (1908 – 2002), Hans Bethe (1906 – 2005) und Leo Szilard (1898 – 1964). Der Physiker Max von Laue (1879 – 1960) blieb allerdings in Deutschland, ebenso wie Werner Heisenberg (1901 – 1976), Max Planck (1858 – 1947) und Otto Hahn (1879 – 1968). Mit dem Aderlass verbunden waren eklatante quantitative, vor allem aber qualitative Verluste personeller Ressourcen in der Forschung, der Lehre und schließlich auch im Bereich der wissenschaftlichen Autoren. Nur kurze Zeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums folgte am 25. April 1933 das Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen. Sein Ziel war eine Verringerung der Schüler- und Studentenzahlen und auch die »politisch-pädagogische Breitenwirkung der Universitäten«12 sollte beschränkt werden. Ab 1933 gingen tatsächlich die Studierendenzahlen an den deutschen Hochschulen dramatisch zurück. Vor 1933 lagen sie deutlich über 100.000 (1931: 126.187; 1932: 119.326; 1933: 106.675), sanken aber bis zum Kriegsbeginn auf knapp über 50.000 (1934: 86.180; 1935: 66.365; 1937: 53.814; 1939: 52.003).13 Dieser drastische Rückgang führte nicht nur zu Nachwuchsproblemen in den wissenschaftlichen Disziplinen, sondern bedeutete zugleich für die wissenschaftlichen Verlage einen schrumpfenden Absatzmarkt, besonders im Lehrbuchbereich. 1940 sank die Zahl der Studierenden mit knapp 37.500 auf einen absoluten Tiefstand, bis 1943 stiegen sie schließlich wieder auf ca. 50.000.14 Die organisatorischen Maßnahmen zur Instrumentalisierung von Ausbildung, Forschung und Entwicklung enthüllten allerdings »jene Mischung von kurzfristigem Aktionismus, Organisationsfetischismus, Kompetenzwirrwarr und persönlichen Intrigen, wie dies im NS-Staat immer wieder beobachtet werden kann.«15 Neben diesen hochschulpolitischen Veränderungsprozessen wurden konkrete Schritte unternommen, um auf die wissenschaftlichen Publikationsorte und -organe einzuwirken. Aber auch hier kam es zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen einzelnen Ministerien und anderen staatlichen Einrichtungen. Konfliktpotential resultierte zum Beispiel aus der Einordnung der wissenschaftlichen Autoren und ihrer Verleger in die entsprechenden staatlichen Organisationen. Im Unterschied zum belletristischen Verlag und seinen Autoren waren die wissenschaftlichen Verlage und ihre Autoren nicht einheitlich der Reichsschrifttumskammer untergeordnet. Während die Verleger der RSK angehörten, unterstanden die wissenschaftlichen 10 11 12 13 14 15

Vgl. Grüttner/Kinas: Die Vertreibung von Wissenschaftlern, S. 126. Strauss gibt insgesamt 3.000 Wissenschaftler an, darunter ca. 2.000 aktive Lehrende an deutschen Hochschulen. Vgl. Strauss: Wissenschaftler in der Emigration, S. 54 f. Möller: Nationalsozialistische Wissenschaftsideologie, S. 69. Die Zahlen nach Grüttner: Studenten im Dritten Reich, S. 487. Dort auch eine Interpretation der Zahlen. Die Zahlen nach Grüttner, S. 487. Lundgreen: Wissenschaft im Dritten Reich, S. 14.

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Autoren als Angehörige von Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen den Anweisungen des Reichswissenschaftsministeriums. Da die wissenschaftlichen Verleger in der Regel auch Zeitschriften veröffentlichten, mussten sie außerdem Mitglied in der Reichspressekammer und Mitglied im Reichsverband Deutscher Zeitschriftenverleger sein, so dass im wissenschaftlichen Verlagsbereich gleich mehrere Behörden zuständig waren, die die ohnehin schwierigen Publikationsprozesse, vor allem während des Krieges, nicht einfacher machten. Von staatlicher Seite gab es für den Umgang mit jüdischen Autoren und Herausgebern im Wissenschaftsbereich zunächst keine Vorgaben. So lag es in den ersten Jahren des Dritten Reichs ganz im Ermessen von Herausgebergremien (Zeitschriften wie Buchreihen) und Verlagen, wie sie mit ihren jüdischen Kollegen und Autoren umgehen wollten.16 Die 1935 erstmals erstellte Liste des »schädlichen und unerwünschten Schrifttums« war für wissenschaftliche Verlage zunächst unbedeutend, denn laut § 5 der Anordnung des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer über schädliches und unerwünschtes Schrifttum war rein wissenschaftliche Literatur ausgenommen.17 Allerdings konnten wissenschaftliche Abhandlungen verboten werden, wenn der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung dies anordnete oder bestätigte. So war Albert Einstein ein prominentes Opfer dieser Regelung. Erst 1940 änderte sich diese Verfahrensweise und es wurde explizit in § 4 angeordnet, dass Manuskripte von »voll- oder halbjüdischen Verfassern« nicht mehr veröffentlicht werden durften, auch wenn sie nicht auf der Liste des »schädlichen und unerwünschten Schrifttums« standen. FachzeitschriftenBeiträge von ausländischen Autoren gingen allerdings schon vor 1940 rapide zurück.18 Die inhaltliche Umsetzung der neuen wissenschaftspolitischen Vorgaben war ein Problem und nicht für jeden Verleger mit seinem Selbstverständnis vereinbar. Das tradierte, aus dem 19. Jahrhundert stammende Selbstverständnis des deutschen Verlegers beruhte auf der Überzeugung, nicht reiner Kaufmann, sondern aktiver Dienstleister und Unterstützer der deutschen Wissenschaft zu sein, für den kommerzielles Gewinnstreben keine Priorität im verlegerischen Handeln hat. Ein solches Selbstverständnis, wie es von zahlreichen Verlegern bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts formuliert wurde, umfasst auch einen gewissen Gestaltungswillen in wissenschaftspolitischen Fragen. Damit verbunden war die Erwartung, von staatlicher Seite in diesem Willen eher unterstützt als gehindert zu werden. Tilmann Wesolowski hat am Beispiel des Verlags R. Oldenbourg richtig darauf hingewiesen, dass dieses »kulturaristokratische« Selbstverständnis der Verleger »im Gegensatz zur ›gleichgeschalteten‹ nationalsozialistischen Volksgemeinschaft«19 stand. Die durchgängige Betonung, dass den »kriegswichtigen« Titeln unter deutlichen Opfern Priorität zugemessen wurde, belegt diese Haltung. Die Verlage, deren Produktion das Attribut »kriegswichtig« erhielt, mussten in den Jahren 1943 und 1944 meist nicht schließen. Dazu gehörten zum Beispiel der Verlag Chemie in Berlin,20 der R. Oldenbourg Verlag in München,21 die Verlage Julius Springer und Walter de Gruyter in Berlin22 und J. F. Lehmann in München. 16 17 18 19 20

Vgl. Knoche: Wissenschaftliche Zeitschriften, S. 268 –273. Vgl. Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«, S. 520 f. Vgl. Sarkowski: Der Springer Verlag, S. 353 f. Wesolowski: Verleger und Verlagspolitik, S. 380. Vgl. Ruske: Der Verlag Chemie 1921 –1971, S. 34.

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Antisemitismus in der Wissenschaft Der nationalsozialistische Kultusminister Bayerns, Hans Schemm (1891 – 1935), sagte 1933 in einer Rede vor Münchner Professoren: »Von jetzt ab kommt es für Sie nicht darauf an, festzustellen, ob etwas wahr ist, sondern ob es im Sinne der nationalsozialistischen Revolution ist.«23 Mit dieser Vorgabe waren jegliche wissenschaftliche Normen außer Kraft gesetzt zugunsten politischer Interessen. Ab 1933 setzte eine konsequente Politisierung des wissenschaftlichen Verlags ein. Dies war einerseits eine Reaktion auf die von führenden Wissenschaftspolitikern vertretene Auffassung, wissenschaftliche Forschung sei grundsätzlich politisch, kam aber auch aus der Wissenschaft selbst. Zu letzterem gehörten auch offen antisemitische Richtungen in wissenschaftlichen Disziplinen. Zwei sprechende Beispiele für Antisemitismus in der Wissenschaft sind die Versuche, eine »Deutsche Physik« und eine »Deutsche Mathematik«24 zu institutionalisieren. Philipp Lenard (1862 – 1947), Nobelpreisträger für Physik von 1905, war einer der ersten hochrenommierten Wissenschaftler, der sich in den Dienst der neuen Ideologie stellte und 1936/37 im Münchner J. F. Lehmanns Verlag ein vierbändiges Lehrbuch unter dem Titel Deutsche Physik herausbrachte, in dem er gegen die Relativitätstheorie Albert Einsteins und die Quantenmechanik polemisierte. Bis 1944 erschienen vier Auflagen. Im 1933 vom Reichsinnenminister eingesetzten neuen Präsidenten der Physikalisch Technischen Reichsanstalt in Berlin, dem Physiker Johannes Stark (1874 – 1957), der 1919 ebenfalls den Physik-Nobelpreis erhalten hatte, fand Lenard einen Mitstreiter für seine antisemitische »Deutsche Physik«.25 Sie wandten sich gegen die theoretische Physik, die sie als jüdisch charakterisierten, und sprachen sich für die rein experimentelle, weil angeblich »arische« Physik aus. Wissenschaftsgeschichtlich bedeutend wurde dieser Standpunkt freilich nicht. Lenard und Stark sympathisierten schon seit 1924 mit dem Nationalsozialismus und wurden bald die Leitfiguren der unverhohlen antisemitischen »Deutschen Physik«. 1934 wurde Johannes Stark Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und hatte somit recht großen Einfluss auf die Förderung von Publikationen.26 Besonders im Hinblick auf das wissenschaftliche Zeitschriftenwesen konnte Stark eine spürbare Macht auf die Verlagsbranche ausüben, da wissenschaftliche Zeitschriften oft von der Forschungsgemeinschaft subventioniert wurden. Der Geographischen Zeitschrift beispielsweise wurden wegen ihrer inhaltlich liberalen Tendenzen kurzzeitig die Fördermittel entzogen, und nur dem Engagement ihres Herausgebers war es zu verdanken, dass dieser finanzielle Engpass nicht zum Ende der Zeitschrift wurde, denn es gelang ihm, andere Zuschüsse zu erhalten, so dass der Verlag B. G. Teubner die Geographische Zeitschrift

21 22 23 24 25 26

Vgl. Wittmann: Wissen für die Zukunft, S. 111. Vgl. zu den »wehrpolitischen Aufgaben« Springers Sarkowski: Der Springer Verlag, S. 372 f.; zur »wehrwirtschaftlichen Bedeutung« de Gruyters vgl. Ziesak: Der Verlag Walter de Gruyter, S. 256. Zitiert nach Möller: Nationalsozialistische Wissenschaftsideologie, S. 65. Vgl. Lindner: »Deutsche« und »gegentypische« Mathematik. Zur »Deutschen Physik« vgl. z. B. Richter: Die »Deutsche Physik«. Vgl. dazu Zierold: Forschungsförderung in drei Epochen, S. 173 –212: Die Präsidentschaft Stark: 1934 bis 1936.

8.2 Wissen schaftlich e Verlag e

387

weiterführen konnte.27 Auch die international anerkannte Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (Enke) wurde ab 1936 nicht mehr gefördert, da einer der Herausgeber ›Halbjude‹ war. Als durch die Forschungsgemeinschaft gesichert galten allenfalls so langfristige wie unverdächtige Projekte wie das Grimmsche Deutsche Wörterbuch (S. Hirzel) oder der Thesaurus Linguae Latinae (B. G. Teubner) sowie die Meister Eckhart-Ausgabe (W. Kohlhammer). Die Finanzierung von neuen Projekten und Zeitschriften war von Starks Zustimmung abhängig. Die in Analogie zur Deutschen Physik gegründete Deutsche Mathematik war eine vom renommierten Berliner Mathematiker und SA-Mitglied Ludwig Bieberbach (1886 – 1982) initiierte und von der Forschungsgemeinschaft finanzierte Zeitschrift.28 Bieberbach hatte sich mit dem Plan für diese Zeitschrift an Stark gewandt, der sich umgehend überzeugen ließ, war doch die »Marschrichtung« des Unternehmens im Sinne des Nationalsozialismus und lief konform mit der Deutschen Physik. Dabei war von Anfang an klar, dass das Unternehmen defizitär sein würde, wie auch die Verlagsangebote von Friedr. Vieweg und S. Hirzel hervorhoben.29 S. Hirzel erhielt schließlich den Zuschlag, und das erste Heft erschien 1936. Die DFG hat die Deutsche Mathematik bis zum Ausscheiden Starks Ende 1936 mit ca. 24.000 Reichsmark gefördert, denen gut 2.000 Reichsmark als Einnahmen gegenüberstanden. Starks Nachfolger, der »Wehrchemiker« Rudolf Mentzel (1900 – 1987), war dann nicht mehr bereit, das Projekt mit solch hohen Summen weiter zu unterstützen. Trotz staatlicher Förderung konnte sich die Deutsche Mathematik nicht gegen die traditionsreichen Konkurrenten Journal für die reine und angewandte Mathematik, die Mathematischen Annalen und die Mathematische Zeitschrift in der wissenschaftlichen Reputation durchsetzen.30 Da die Leitkriterien zur Beurteilung wissenschaftlicher Inhalte selbstverständlich auch im Nationalsozialismus aus der Wissenschaft selbst kamen und die Verleger dann diese Inhalte umsetzten, stabilisierten die Verlagsprogramme wiederum diese nationalkonservative Wissenschaftsauffassung: Der Verleger wird das drucken, was ihm von der Wissenschaft als wissenschaftliches Werk vorgegeben wird. Das heißt, die ideologischen Impulse kamen nicht zwingend und ausschließlich von staatlicher Seite, sondern zu einem großen Teil auch direkt aus den Hochschulen. Der Effekt war die enge Anbindung des Verlegers an die Ziele von Politik und Staat. Politische Aufgaben hatte der Wissenschaftsverleger bis dahin nicht zu erfüllen, dies änderte sich nach 1933.

27 28 29 30

Vgl. Sandner: Geographische Zeitschrift, S. 134 f. Zu Bieberbach und der Deutschen Mathematik vgl. Lindner: »Deutsche« und »gegentypische Mathematik«. Vgl. zur Deutschen Mathematik die Ausführungen in Remmert/Schneider: Eine Disziplin und ihre Verleger, S. 249 –252. Vgl. dazu auch Brown: Scientific Serials, S. 171 –173.

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Die besondere Lage der juristischen Verlage31 Speziell die juristischen Verlage waren in mehrfacher Hinsicht von den neuen Verhältnissen betroffen. Marktführer waren zu Beginn des Dritten Reichs die Verlage Franz Vahlen, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), Walter de Gruyter, Kohlhammer, R. von Decker, Carl Heymanns, Duncker & Humblot, und als expandierendes Unternehmen kam C. H. Beck durch den Kauf des Verlags von Otto Liebmann hinzu. Im Mai 1934 zitierte das Börsenblatt unter der Überschrift Zur Krise des rechtswissenschaftlichen Buches die Deutsche Juristen-Zeitung mit den Worten: »Ein Federstrich des Gesetzgebers, und ganze Bibliotheken werden Makulatur.«32 Die Anpassung der Verlagsprogramme an die neuen politischen Bedingungen verlief in den einzelnen Verlagen unterschiedlich – zumindest in quantitativer Hinsicht: Während Verlage wie C. H. Beck, R. von Decker, Kohlhammer oder Franz Vahlen in den ersten Jahren des ›Dritten Reiches‹ bereits über 50 % ihrer juristischen Verlagsproduktion umgestellt hatten, fanden Programmbereinigungen in anderen Verlagen wie Carl Heymanns oder Duncker & Humblot nicht in dem Maße statt: So waren bei Carl Heymanns auch nach fünf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft noch immer fast die Hälfte der lieferbaren Titel vor 1933 erschienen.33 Die staatlichen Direktiven und die aus der neuen Gesetzeslage entstehenden ökonomischen Probleme für den wissenschaftlichen Verlag schlugen sich im Spezialfall des juristischen Fachverlags noch wesentlich stärker nieder als im medizinischen oder geisteswissenschaftlichen. Die Ausgaben mit Gesetzestexten und -kommentaren oder Handbücher, die zum Teil noch aus dem Kaiserreich, meist aus der Weimarer Republik stammten, hatten ihre Gültigkeit verloren und konnten nicht mehr abgesetzt werden. Neue Gesetze und neue staatliche Institutionen konnten aber durchaus einen belebenden Effekt für die konjunkturelle Lage des juristischen Verlags bedeuten, und trotz der angesprochenen Probleme konnten juristische Verlage von der neuen Situation auch profitieren: »Die Flut von Gesetzen und Erlassen, die rasch […] veröffentlicht wurden, legte die Vermutung nahe, dass die rechtswissenschaftliche Literatur deutlich zunehmen würde und juristische Verlage auf Expansion setzen durften.«34 Neben neuen Gesetzen und Erlassen hatte auch die Reform der juristischen Studienordnung spürbare Auswirkungen auf den wissenschaftlichen Buchmarkt: »Denn im juristischen Hochschulbetrieb war es seit langem Usus, daß begleitend zu den Vorlesungen Studienbücher erschienen, die den Stoff

31

32 33 34

Die Ausführungen in diesem Kapitel gehen zum großen Teil zurück auf die Erkenntnisse der Dissertation von Ulrike Henschel: Phil. Diss. Universität Mainz, Institut für Buchwissenschaft 2014 (erscheint 2015: Vermittler des Rechts – Juristische Verlage von der Spätaufklärung bis in die frühe Nachkriegszeit). Ich danke Frau Henschel für die vertrauensvolle Überlassung des entsprechenden Kapitels ihrer noch ungedruckten Dissertation. Bahr: Krise des rechtswissenschaftlichen Buches, S. 461. Zahlen nach Henschel: S. 503 –508. Rebenich: C. H. Beck, S. 371.

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für eine Nacharbeitung übersichtlich aufbereiteten.«35 Ewald Grothe spricht geradezu von einem »Aufbruch im Publikations- und Verlagswesen«.36 Die impulsgebende Wirkung der neuen Verhältnisse wurde flankiert von Verlagsübernahmen, was beispielhaft am Münchner juristischen Verlag C. H. Beck gezeigt werden kann, der – unabhängig von der Frage nach der Angemessenheit des Kaufpreises – von der »Arisierung« eines etablierten, konkurrierenden jüdischen Verlags profitierte. Die herausgehobene Marktstellung seines Verlags konnte Heinrich Beck (1889 – 1973) 1933 mit dem Kauf des Berliner juristischen und staatswissenschaftlichen Verlags von Otto Liebmann (1865 – 1942),37 der als Jude seinen Verlag nicht mehr weiterführen konnte, noch stärker ausbauen. Otto Liebmann hatte die führende rechtswissenschaftliche Zeitschrift im Programm, die vom Staatsrechtler und nationalsozialistischen »Kronjuristen« Carl Schmitt (1888 – 1985)38 herausgegebene Deutsche Juristen-Zeitung.39 Diese sowie die von Liebmann begründete erfolgreiche Reihe mit Kurzkommentaren, die Taschenkommentare, wurden nun für Beck zu einer »willkommenen Ergänzung des Programms«.40 Stefan Rebenich verweist insbesondere auf das Renommee der beiden Titel und den wirtschaftlichen Profit, den Beck in erster Linie mit den Kurzkommentaren, die »gigantisches Entwicklungspotential«41 aufwiesen, in der Folge erzielen konnte, so dass der Kauf des Verlags von Otto Liebmann für Beck »eine betriebswirtschaftliche sinnvolle Investition«42 war und eine »einmalige Chance, seinen juristischen Verlagsteil, der sich in den zwanziger Jahren nicht erfolgreich entwickelt hatte, auf eine breitere Grundlage zu stellen«.43 Mit der durch die Liebmann-Übernahme entstandenen Berliner Dependance des Verlags C. H. Beck hatte Beck im wörtlichen und übertragenen Sinn Regierungsnähe erlangt, was insbesondere für die Rekrutierung von Autoren aus der Ministerialbürokra-

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Zu Lehrbüchern und Zeitschriften vgl. die u. a. aus den Quellen des Bundesarchivs Koblenz geschöpfte, umfassende Passage bei Grothe: Zwischen Geschichte und Recht, S. 205 –214, hier S. 205. Grothe, S. 205. Vgl. hierzu ausführlich, auch mit Darlegung des anvisierten und des tatsächlichen Kaufpreises sowie der Abläufe beim Übergang des Verlages Liebmann an Beck, Rebenich: C. H. Beck S. 365 –380. Deutlich weniger kritisch dagegen Wesel: 250 Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag, S. 131 –135. Zur Person Schmitts vgl. Mehring: Carl Schmitt. Die Deutsche Juristen-Zeitung wurde 1936 mit der Zeitschrift der Akademie für deutsches Recht unter der Leitung des Reichsministers Hans Frank (1900 –1946) vereinigt. Zu den Umständen der Zusammenlegung vgl. Weber: Juristische Zeitschriften, S. 9 –14. Zur weiteren Neuordnung des Zeitschriftenwesens allgemein vgl. unten S. 406. Rebenich: C. H. Beck, S. 370. Rebenich. Rebenich, S. 371. Rebenich.

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tie günstig war.44 Allerdings hatten auch die Konkurrenzverlage J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) und W. Kohlhammer45 Zweigstellen in Berlin gegründet.46 Aktuelle nationalsozialistische Gesetze wurden durch Textausgaben und Kommentare zum Bestandteil des Verlagsprogramms.47 Bei C. H. Beck veröffentlichten Wilhelm Stuckart (1902 – 1953) und sein Mitarbeiter Hans Globke (1898 – 1973) den Titel Rassengesetzgebung. Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung, dessen erster Band 1936 erschien. Der Verlag konnte ein umfangreicheres Werk zu den Nürnberger Gesetzen auf den Markt bringen als sein Konkurrent Franz Vahlen, wo der zuständige Referent im Reichsinnenministerium Bernhard Lösener (1890 – 1952) ein Jahr später bereits die zweite Auflage veröffentlichte.48 Insbesondere Franz Vahlen konnte hochrangige Juristen und Politiker als Autoren für seinen Verlag gewinnen: Ein prominenter Autor war zum Beispiel Reichsjustizminister Franz Gürtner (1881 – 1941) mit einem Titel zum »kommenden Strafrecht« unter Mitwirkung von Staatssekretär Roland Freisler (1893 – 1945). Als Staatssekretär im Reichsjustizministerium veröffentlichte Freisler vor allem zu strafrechtlichen Themen und zur Reform des Strafrechts im Dritten Reich, z. B. einen Aufsatz in der Festschrift für Staatssekretär Franz Schlegelberger (1876 – 1970) 1936 mit dem Titel Der Heimweg des Rechts in die völkische Sittenordnung,49 der die zukünftige Rolle des Strafrechts eindeutig im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie positionierte. Bei Franz Vahlen erschienen auch Ein Volk erlebt sein Recht von 1936 oder Abschied vom BGB aus dem Jahr 1937 von Franz Schlegelberger. Nicht nur C. H. Beck hat von der »Arisierung« Liebmanns profitiert, indirekt hat auch der Franz Vahlen Verlag durch die Übernahme des Verlags J. Bensheimer von diesem Prozess Vorteile erlangen können. J. Bensheimer unterhielt 1933 Niederlassungen in Berlin und Leipzig, nach der Übernahme des Verlags firmierte der Verlag unter dem Namen Deutsches Druck- u. Verlagshaus G.m.b.H., Verlag f. Rechtswissenschaft mit dem Zusatz »früher J. Bensheimer«.50 1936 wurde der Verlag dann an die Weidmann’sche Verlagsbuchhandlung verkauft. Schließlich gelangte der Verlag zu Franz Vahlen, wo die Werke aus dem ehemaligen J. Bensheimer Verlag weiterhin erschienen, darunter das Lehrbuch des Arbeitsrechts von Hans Carl Nipperdey.

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Vgl. diesen Aspekt bei Willoweit: Das Profil des Verlages C. H. Beck im 20. Jahrhundert, S. 63 –85, hier S. 70 f. Zu Kohlhammers Verlagsprogramm mit »eindeutig antisemitischen Tendenzen oder auch Schriften zum Euthanasie-Programm« vgl. Garke-Rothbart: Georg von Holtzbrinck, S. 77. »W. Kohlhammer konnte auch eines seiner traditionellen Geschäftsfelder nach 1933 erfolgreich fortführen – das Vordruckwesen und die Formblätter. Insbesondere der 1934 neu erworbene Deutsche Gemeindeverlag war auf diesem Gebiet tätig. Er bildete damit eine Linie der Kontinuität seit Gründung des Mutterhauses W. Kohlhammer 1866.« Henschel: Das juristische Verlagswesen von 1794 bis 1949, S. 523 f. Vgl. Willoweit: Das Profil des Verlages C. H. Beck im 20. Jahrhundert, S. 71 –75. Vgl. Henschel: Das juristische Verlagswesen 1794 bis 1949, S. 509 f. Vgl. Beiträge zum Recht im neuen Deutschland, S. 18 –44. Vgl. Henschel: Das juristische Verlagswesen von 1794 bis 1949, S. 535 f.

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Abb. 1 Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft vom November 1934 mit der Ankündigung neuer Inhalte durch die neuen Herausgeber Hermann Bente, Ernst Rudolf Huber und Andreas Predöhl Als Beispiel für die Selbstgleichschaltung juristischer Zeitschriften kann der juristische Verlag J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) in Tübingen dienen, in dessen Verlagsprogramm sich fünf staats- und rechtswissenschaftliche, allesamt renommierte Zeitschriften befanden.51 Oskar Siebeck nutzte die veränderte politische Situation, die wirtschaftlich unrentabel gewordene Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft einem neuen Herausgeber anzuvertrauen. Der bis dahin als Herausgeber fungierende jüdische Nationalökonom Georg Brodnitz (1876 – 1941)52 aus Halle, der dem Leipziger Nationalökonomen Karl Bücher (1847 – 1930) als Herausgeber gefolgt war, hatte aufgrund der wirtschaftlichen Probleme bereits 1932 seinen Rücktritt angeboten. Siebeck hatte nun Carl Schmitt vorgesehen, der zunächst zu- und dann wieder absagte, weil er ein anderes Angebot hatte. Schließlich bildeten drei Dozenten aus Kiel das neue Herausgebergremium:53 der Staatsrechtler Ernst Rudolf Huber (1903 – 1990) sowie seine beiden Kollegen, der 51 52 53

Vgl. Becker: »Selbstgleichschaltung«, S. 489. Brodnitz wurde im KZ ermordet. Zur Kieler »Wissenschaftsfront« in der Rechts- und Staatswissenschaft vgl. Becker: »Selbstgleichschaltung«, S. 497.

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Wirtschaftswissenschaftler Hermann Bente (1896 – 1970), seit 1933 Ordinarius in Kiel, und der Staatswissenschaftler Andreas Predöhl (1893 – 1974). Huber, der publizistisch sehr aktiv und bestrebt war, eine lenkende Funktion im Publikationswesen zu erhalten,54 schrieb 1934 an Siebeck, die Zeitschrift müsse »politisch auf die Idee des Nationalsozialismus gegründet sein, nicht im Sinne einer nur äußeren Anpassung und Einordnung in den nationalsozialistischen Staat, sondern im Sinne der geistigen Verwurzelung in der nationalsozialistischen Bewegung.«55 Oskar Siebeck hatte Huber auch die Herausgeberschaft einer Studien-Reihe angeboten, die alle Rechtsgebiete umfassen sollte, aber nicht zustande kam.56 Bei Siebeck wurde dann die Reihe Grundrisse des Deutschen Rechts mit den Herausgebern Heinrich Stoll (1891 – 1937) und Heinrich Lange (1900 – 1977) ins Leben gerufen. »Mit seiner Strategie, eine Neuausrichtung vor allem mittels neuer Verlagsreihen deutlich nach außen sichtbar zu machen, stand OSKAR SIEBECK als Verleger nicht allein: Neue Reihen waren in der Leipziger Abteilung des Verlags W. Kohlhammer die mit dem pensionierten Oberlandesgerichtsrat Carl Schaeffer erschienene Reihe Neugestaltung von Recht und Wirtschaft, bei Junker & Dünnhaupt wurde die Reihe Rechtswissenschaftliche Grundrisse mit Ernst Forsthoff gegründet«.57

»Arisierungsprozesse« in den drei großen Wissenschaftsverlagen Die in der Weimarer Republik in Titelausstoß und Umsatzvolumen führenden deutschen wissenschaftlichen Verlage waren die Berliner Firmen Julius Springer und Walter de Gruyter sowie die Akademische Verlagsgesellschaft in Leipzig.58 Springer war in der Medizin sowie in Physik und Mathematik der international bedeutendste deutsche Verlag, der weltweit einen ausgezeichneten Ruf genoss. Zu Beginn des Dritten Reiches leiteten Julius Springer d. J. (1880 – 1968) sowie Ferdinand Springer d. J. (1881 – 1965) den Verlag. Beide Verleger hatten jüdische Wurzeln, Julius Springer galt als »Halbjude«, Ferdinand Springer als »Vierteljude«.59 1935 musste Julius Springer den Verlag verlassen. Einer Entlassung Ferdinand Springers kam man zuvor, indem dieser im Oktober 1935 den Autoren des Hauses mitteilte, Tönjes Lange (1889 – 1961), der Leiter der zu Springer gehörenden Hirschwald’schen Buchhandlung in Berlin, sei als sein Nachfolger eingesetzt. Mit ihm konnte Ferdinand Springer bis Anfang 1942 die Verlagsgeschäfte recht unproblematisch weiterführen, zumal der Verlag aufgrund seiner höchst bedeutenden technischen und naturwissenschaftlichen Titel als »Wehrwirtschaftsbetrieb« eingestuft wurde und in den ersten drei Kriegsjahren kaum mit dem Abzug von Verlagsangestellten und mit Rohstoffknappheit rechnen musste. Das Wiener 54

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Grothe verweist auf das Geschick Hubers, im Bereich des Öffentlichen Rechts »seine Position gegenüber den Verlagen so weit auszubauen, daß er bald als umworbener wissenschaftlicher Autor galt, der zudem die Redaktion eines der wichtigsten Periodika übernahm«. Grothe: Zwischen Geschichte und Recht, S. 206. Zitiert nach Becker: »Selbstgleichschaltung«, S. 498. Vgl. Grothe: Zwischen Geschichte und Recht, S. 206 f. Henschel: Das juristische Verlagswesen von 1794 bis 1949, S. 497. Vgl. Schneider: Der wissenschaftliche Verlag, S. 387 –402. Die Details vgl. bei Sarkowski: Der Springer Verlag.

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Tochterunternehmen leitete seit 1923 Otto Lange, der Bruder Tönjes Langes. Als Ferdinand Springer gezwungen wurde, spätestens zum April 1943 den Verlag ebenfalls zu verlassen, trat er schon im November 1942 zurück. Von da an führten die Brüder Lange den Verlag kommissarisch weiter. Vom Frühjahr 1941 an, als angeordnet wurde, dass jüdische Firmen umzubenennen seien, hieß das Unternehmen nicht mehr Verlag von Julius Springer, sondern schlicht Springer Verlag. Dass »Springer« Bestandteil des Namens bleiben durfte, war vermutlich der internationalen Reputation des Verlags geschuldet. Zugleich wurde die Hirschwald’sche Buchhandlung in Lange & Springer umbenannt. Die neuen Verhältnisse brachten für den Springer Verlag ab 1933 einen großen Verlust an hochkarätigen Autoren, zwischen 1933 und 1938 mussten mehr als 50 Zeitschriftenherausgeber und -redakteure ihre Arbeit einstellen.60 Ferdinand Springer war jedoch bemüht, jüdische Autoren und Herausgeber möglichst lange zu halten.61 Das Programm änderte sich zwar langsam, aber dennoch spürbar, wobei vor allem die technikwissenschaftlichen Titel einem Wandel unterlagen. Abhandlungen zur Nachrichtentechnik und Rüstungsforschung tauchten mehr und mehr im Programm auf, gleichzeitig wurden traditionsreiche Reihen aus dem Verlag genommen, z. B. zog Johannes Stark die Reihe Wissenschaftliche Abhandlungen der Physikalisch-technischen Reichsanstalt, die seit 1894 bei Springer herauskam, 1934 aus dem Verlag ab und übertrug dem Verlag S. Hirzel die Zeitschrift. Insgesamt ging die Anzahl der Springer-Titel bis 1940 auf eine Jahresproduktion von 197 Titeln zurück. 1931 waren es noch 425 gewesen.62 Springer produzierte noch bis April 1945, wenn auch unter widrigsten Umständen, seit 1943 die Druckereien in Leipzig weitgehend zerstört waren und im März 1945 auch die für Springer tätige Würzburger Druckerei Stürtz ausgebombt wurde. Anders als im Springer Verlag pflegte man im Verlag Walter de Gruyter unter der Leitung Herbert Crams schon kurz nach Beginn des Dritten Reichs einen erheblich strengeren Umgang mit jüdischen Herausgebern und Autoren. Besonders in der Sammlung Göschen wurden Titel jüdischer Autoren recht schnell aus dem Programm genommen und gegen neue »arische« Autoren und deren Werke ausgetauscht. Dabei war man nicht nur auf die Außenwirkung bedacht, wie ein Beispiel aus der Mathematik zeigt. Als im Juni 1933 die neue Auflage von Helmut Hasses Höhere Algebra I erschien, teilte man ihm mit, man habe die Dozentenexemplare nach seinem Wunsch verschickt, nicht aber an »Frau Professor Noether, die ja beurlaubt ist und infolgedessen für eine Empfehlung an ihre Hörer nicht mehr in Frage kommt«.63 Die jüdische Mathematikerin Emmy Noether (1882 – 1935) war Professorin in Göttingen gewesen, bis ihr das Berufsbeamtengesetz jegliche Lehre verbot. Angesichts einer solchen Haltung überrascht es kaum, dass der Verlag bereits Anfang Mai 1933 mit der systemkonformen Umgestaltung von Herausgebergremien begann und ab 1938 seinen Autoren auch immer mehr von der Zitation von Arbeiten 60 61 62 63

Vgl. Sarkowski, S. 332. Vgl. zu den Beispielen in der Mathematik Remmert/Schneider: Eine Disziplin und ihre Verleger, S. 222 –241. Weitere Beispiele bei Sarkowski: Der Springer Verlag. Vgl. die Zahlen bei Sarkowski: Der Springer Verlag, S. 321 und 356. Göttingen, Staats- und Universitätsbibliothek, Universitätsarchiv, Nachlass Helmut Hasse, 33:1, Konrad Grethlein an Helmut Hasse am 15. Juni 1933.

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jüdischer Wissenschaftler abriet.64 Zu diesem Gebaren passt allerdings nicht, dass Herbert Cram seinem ehemaligen Berater in Programmfragen Artur Buchenau (1879 – 1946) nach dessen Entlassung aus dem Schuldienst einen Arbeitsplatz im Verlag gab und den früheren preußischen Kultusminister Adolf Grimme (1889 – 1963) nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst mit Korrekturarbeiten beschäftigte sowie den ehemaligen Reichstagspräsidenten Paul Loebe (1875 – 1967) nach seiner Entlassung aus dem KZ als Grimmes Nachfolger mit Korrekturen betraute.65 Dies steht im krassen Widerspruch zur Programmpolitik. 1939 wurde der Verlag – wie nur kurze Zeit später auch Springer – als »wehrwirtschaftlich bedeutend« eingestuft und konnte somit als »Wehrwirtschaftsbetrieb« weiterhin wichtige Fachkräfte im Verlag beschäftigen und bevorzugt Papier einkaufen.66 Ausschlaggebend war auch hier das technische Programm, das recht neu im Verlag war und sich auf die Luftfahrtkunde konzentrierte. Erst nach 1933 hatte der Verlag dieses Programmsegment aufgebaut, das sich sowohl in der Sammlung Göschen als auch in neuen monographischen Reihen als auch in Handbüchern niederschlug.67 1936/37 war zum Beispiel das Flugtechnische Handbuch in vier Bänden erschienen und im Auftrag des Reichsluftfahrtministeriums erschienen die beiden Lehrbuchreihen Lehrbücher der Luftwaffe und Luftfahrt-Lehrbücherei. Erst im April 1945 stellte der Verlag seine Arbeit ein. Nach der erzwungenen »Arisierung« der Akademischen Verlagsgesellschaft in Leipzig musste der jüdische Geschäftsführer und Verleger Leo Jolowicz (1868 – 1940) zurücktreten.68 Bereits 1935 war dieser Vorgang eingeleitet worden, indem dem Prokuristen des Verlags Willy Erler und dem zweiten Geschäftsführer Johannes Geest die Alleinvertretungsberechtigung erteilt worden war. Im Mai 1938 wurde die Berliner Tochterfirma Mayer & Müller aus dem Handelsregister gelöscht.69 Der Sohn des Verlegers, Walter Jolowicz (1908 – 1996), wurde 1938 aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen und emigrierte 1939 in die USA, wo er seinen Namen in Johnson änderte. Zusammen mit seinem Schwager Kurt Jacoby (1892 – 1968) gründete er 1941 die Academic Press70 (heute zur Elsevier-Gruppe gehörend), das Antiquariat Walter J. Johnson Inc. mit wissenschaftlicher Buchhandlung und das auf Reprints spezialisierte Unternehmen Johnson Reprint Corporation. Johnson begann in den USA die eigenen Verlagsprodukte nachzudrucken und reüssierte nach 1945 nicht mehr in der alten Form auf dem deutschen Markt. Johnson stand in engem Kontakt mit dem Antiquariat von Lange & Springer und hat später, in den 1960er Jahren, den Springer Verlag bei seinem Einstieg in den US-amerikanischen Markt sehr unterstützt, bis hin zu verlegerischen

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Zum Beispiel der Mathematik bei de Gruyter vgl. im Detail Remmert/Schneider: Eine Disziplin und ihre Verleger, S. 234 –241. Vgl. Ziesak: Der Verlag Walter de Gruyter, S. 253 –256. Vgl. Ziesak, S. 256. Vgl. Ziesak, S. 258. Zur Geschichte des Verlages und der Antiquariatsbuchhandlung Gustav Fock vgl. Lorz: Familie Leo Jolowicz, S. 83 –123. Vgl. Lorz, S. 111. Zur Geschichte der Academic Press vgl. Beschler: Academic Press.

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Koproduktionen zwischen der Academic Press und Springer, die das Impressum beider Verlage trugen.71 Die noch vorhandenen Lagerbestände der Akademischen Verlagsgesellschaft und des angeschlossenen, weltweit agierenden Antiquariats von Gustav Fock (1854 – 1910) von ca. 1,5 Millionen Büchern in Leipzig verbrannten am 4. Dezember 1943 fast vollständig. Dass die Akademische Verlagsgesellschaft nicht liquidiert wurde, war Resultat ihrer »Weltgeltung und ihres bedeutsamen Exports, der dem Staat enorme Devisen einbrachte«.72 Das Unternehmen firmierte ab November 1946 in Leipzig unter dem Namen Akademische Verlagsgesellschaft Geest & Portig.

Programmkontinuitäten – der Verlag Junker und Dünnhaupt sowie J. F. Lehmanns Verlag Schon in der Weimarer Republik existierten sowohl geisteswissenschaftlich ausgerichtete Verlage als auch solche mit medizinisch-naturwissenschaftlichem Profil, deren Verleger dezidiert nationalkonservative Weltanschauungen pflegten und ihr Programm in den Dienst der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts stellten. Für diese Verlage stellte das Jahr 1933 keinen Einschnitt für die Programmplanung dar, sondern sie konnten ihr Programm problemlos weiterführen. Die nationalsozialistischen Inhalte ihrer Produktion trugen zur ökonomischen Stabilisierung des Verlags bei. Darunter sind Verleger zu finden, die schon früh der NSDAP beigetreten waren, wie der Münchner Julius Friedrich Lehmann (1864 – 1935), daneben andere, die zwar kein Parteimitglied waren, aber ihr ideologisch nahestanden. Der mitten in der Blütezeit der Weimarer Republik gegründete Verlag Junker und Dünnhaupt liefert ein brauchbares Beispiel für geisteswissenschaftliche Verlage, die nach 1933 ihre Programmpolitik nicht änderten. In der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger waren Junker und Dünnhaupt anscheinend nicht Mitglied, dennoch hatte der Verlag im Spektrum der Wissenschaftsverlage eine unzweifelhafte Bedeutung durch sein strikt nationalsozialistisches Programm. Der Verlag wurde am 1. April 1927 von den beiden Greifswalder Philosophie-Studenten Paul Wolfgang Junker und Rudolf Dünnhaupt in Berlin-Steglitz ins Leben gerufen.73 Ausgangspunkt des Verlags war – wie meistens im wissenschaftlichen Verlag – eine Zeitschrift, die Blätter für Deutsche Philosophie, die die beiden Verleger für die nationalkonservative, im rechten politischen Feld angesiedelte Deutsche Philosophische Gesellschaft publizierten.74 Flankiert wurden die Blätter alsbald durch ein Buchprogramm, das im Gegensatz zur Spezialisierung auf eine Disziplin oder wenige wissenschaftliche Fachgebiete verschiedene geisteswissenschaftliche Disziplinen mit »gemeinsamer Weltanschauung« vereinte. Vom Verlagsbeginn an konzentrierten sich die Verleger auf die Durchsetzung und Stabilisierung der nationalsozialistischen Ideologie. Die Liste der Autoren liest sich wie ein »Who is who« der nationalsozialistischen Elite: Neben Alfred 71 72 73 74

Vgl. hierzu die Ausführungen von Beschler, Academic Press, S. 157 und Götze: Der Springer-Verlag, S. 85 –87. Lorz: Familie Leo Jolowicz, S. 108. Zur Verlagsgeschichte vgl. Körner: Verlorene Siege. Mitglieder der Deutschen Philosophischen Gesellschaft waren u. a. der Philosoph Alfred Baeumler, der Philosoph und Soziologe Arnold Gehlen sowie der Pädagoge Ernst Krieck.

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Rosenberg und Joseph Goebbels sind prominente Ordinarien wie Fritz Berber (1898 – 1984) und Gerhard Fricke (1901 – 1980) vertreten. Hellmuth Langenbucher (1905 – 1980) gab die Reihe Die Lebenden heraus, in der Biographien und Autobiographien, z. B. von Hans Friedrich Blunck (1888 – 1961), Rudolf Huch (1862 – 1943), Ernst Jünger (1895 – 1998), Robert Hohlbaum (1886 – 1955) und Hermann Stehr (1864 – 1940) erschienen. Das Programm bestand aus einer Mischung von wissenschaftlichen und pseudowissenschaftlichen Titeln, deren Autoren in erster Linie aus den politischen Institutionen kamen. Der Verlagsalmanach von 1937 – mit einer stattlichen Anzahl von Autorenfotos versehen, z. B. von Joseph Goebbels und Alfred Rosenberg – führt als Programmsparten, die jeweils durch einen Essay eingeleitet wurden, auf: (1) »Weltanschauung und Philosophie«, mit einem Essay von Hermann Schwarz (1864 – 1951) zum Thema Etwas von den Aufgaben einer völkischen Philosophie. Schwarz war Philosophie-Professor in Greifswald und Herausgeber der Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik;75 (2) »Wissenschaft der Politik«; (3) »Recht und Staat«, in der Lehrbücher und Gesetzesausgaben herausgebracht wurden, z. B. Das Recht der Reichskulturkammer (fünf Bände bis 1937); (4) »Wirtschaft und Arbeit«; (5) »Krieg und Geschichte«; (6) »Dichtung und Nation«. Bei Junker und Dünnhaupt erschienen auch passend zur ideologischen Ausrichtung die von der »Forschungsgemeinschaft« (heute: DFG) finanzierten Nachgelassenen Schriften Johann Gottlieb Fichtes, der im Nationalsozialismus als prominenter Vertreter des Antisemitismus instrumentalisiert wurde. Paul Junker hat 1940 über Die politische Aufgabe des wissenschaftlichen Verlegers geschrieben: Wenn wir uns auf die politische Aufgabe des wissenschaftlichen Verlags, des Erzeugers und Betreuers des wissenschaftlichen Buches, besinnen, so kann diese Frage nur von dem politischen Rang der Wissenschaft selbst ausgehen und von der Rolle, die sie im Leben eines Volkes spielt. […] Ob Wissenschaft selbst politisch sei, war lange Zeit eine Streitfrage. Die liberale Wissenschaftslehre glaubte sie verneinen zu müssen, indem sie von der Voraussetzungslosigkeit aller Wissenschaft sprach. Aber die Wirklichkeit bietet, zumindest für die wertbetonten Geisteswissenschaften, ein anderes Bild. Sie zeigt, dass der Schöpfungsakt und in vielen Fällen auch der Geltungsbereich einer wissenschaftlichen Erkenntnis gebunden ist an mannigfache Voraussetzungen wie geschichtlicher Zeitraum, Landschaft, rassisch gekennzeichnetes Volkstum und selbst die Besonderheiten des Individuums, wobei das Volkstum sich als die zentrale Mitte erweist, aus der heraus Individuum und Geschichte verstehen zu sind. Ist also die Wissenschaft in diesem Sinne politisch zu nennen, so ist es der wissenschaftliche Verlag ebenfalls. Dabei erwächst dem Verleger aus seiner Stellung als Mittler eine besondere Verantwortung: er hat in erhöhtem Maße sich dieser Bindungen bewusst zu sein, und gerade in dieser Wachheit und völkischen Wertbetontheit seines Wirkens offenbart sich zutiefst das politische Wesen des Verlegers und echtes Verlegertum.76 75 76

Bereits 1923 war Schwarz der NSDAP beigetreten, 1933 erschien bei Junker und Dünnhaupt die zweite Auflage seiner Nationalsozialistischen Weltanschauung. Junker: Die politische Aufgabe des wissenschaftlichen Verlages, S. 1.

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In diesem Bekenntnis zeigt sich, dass Junker die wissenschaftlichen Normen, die für die deutsche Wissenschaft noch in den 1920er Jahren leitend waren, in seinem Verlag außer Kraft setzte, mit Unterstützung seiner wissenschaftlichen und politischen Autoren. Der Verleger sah sich nicht in seiner dienenden Funktion für die Wissenschaft, indem er ihr Publikationsmöglichkeiten und Kommunikationsforen zur Verfügung stellt, sondern es ging um die Durchsetzung politisch vorgegebener Inhalte. Dieses Verlegerselbstverständnis war auch während des Dritten Reiches kein allgemein gültiges, es zeigt aber die veränderte Lage im Vergleich mit der Weimarer Republik und dem Kaiserreich. Der Anspruch des Verlags spiegelt sich in der quantitativen Dominanz von politischen Titeln in Broschüren und dünnen Bändchen, die in jeder Programmsparte zu finden sind; hierzu einige Beispiele: Vom Verfechter der Rassentheorie und hochdekorierten Anthropologen Eugen Fischer (1874 – 1967) erschien Der völkische Staat, biologisch gesehen (24 S., 1933); der Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP Walter Groß (1904 – 1945) publizierte zwei seiner Universitätsreden über Rasse, Weltanschauung, Wissenschaft (32 S., 1936); Carl Hiller Die Grundlagen des faschistischen Staates (86 S., 1935); Ernst Jünger Die totale Mobilmachung, 2. Aufl. (36 S., 1934) usw. Ähnlich wie bei Junker und Dünnhaupt verhielt es sich beim Verleger Julius Friedrich Lehmann (1864 – 1935), der schon 1890 in München seinen medizinischen Verlag gegründet hatte, als er die angeschlagene Münchner medizinische Wochenschrift übernahm und zur Blüte führte. Neben dieser Fachzeitschrift betrieb er eine medizinische Fachbuchhandlung.77 Zu dieser Zeit hatten sich zwar bereits der Verlag Julius Springer sowie Thieme als medizinische Fachverlage etabliert, die Perspektive für Lehmann war aber durchaus günstig, da sich die Medizin als wissenschaftliche Disziplin um 1900 rasant weiterentwickelte und einer starken Binnendifferenzierung unterlag. Lehmann konnte recht schnell die Auflage der Münchner medizinischen Wochenschrift steigern und ihr einige gut gehende medizinische Reihen und hervorragend ausgestattete Handatlanten78 zur Seite stellen, darunter der bekannte Atlas der descriptiven Anatomie des Menschen in drei Bänden (1904 – 1907) von Johannes Sobotta. Der Atlas erschien bis 1944 in elf Auflagen und war 2014 bei Urban & Fischer in der 23. Auflage (in der Bearbeitung von Friedrich Paulsen und Jens Waschke) erhältlich. Bereits in der Anfangszeit seines expandierenden Verlags war Lehmann politisch aktiv, was sich neben dem medizinischen Spezialprogramm ebenfalls in seiner Produktion niederschlug. Dazu gehörte die 1917 gegründete Zeitschrift Deutschlands Erneuerung, die u. a. vom Rassentheoretiker Houston Stewart Chamberlain (1855 – 1927) und dem Rassenhygieniker Max von Gruber (1853 – 1927) herausgegeben wurde und ein Organ rechtsextremen Gedankenguts war. Lehmanns Verlag wurde im Dritten Reich zum bedeutendsten Verlag für rassenkundliches Schrifttum. Schon vor dem Ersten Weltkrieg und dann verstärkt ab den 1920er Jahren brachte Lehmann rassenkundliche und rassenhygienische Schriften heraus, so dass der Verlag von der 1933 einsetzenden offiziellen Rassenpolitik profitierte. Schon 1921 erschien die Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene von Erwin Baur (1875 – 1933), Eugen Fischer und Fritz Lenz (1887 – 1976). Diese vierbändige 77 78

Zur ausführlichen Firmengeschichte vgl. vor allem Stöckel: Die »rechte Nation« und ihr Verleger. Zum rassenkundlichen Programm und seiner Bedeutung vgl. Stark: Der Verleger als Kulturunternehmer. Vgl. Hahn: Erfolge des Verlags, S. 33 –39.

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Abhandlung avancierte zum Standardwerk der Rassenhygiene und erreichte bis 1932 vier Auflagen. Lehmann beauftragte auch den Philologen Hans F. K. Günther (1891 – 1968) mit der Abfassung der populärwissenschaftlichen Rassenkunde des deutschen Volkes, deren durchschlagender Erfolg sich auch im sog. »Volks-Günther«, der Kleinen Rassenkunde des deutschen Volkes (1929), und an einer Auflage von ca. einer halben Million Exemplare ablesen lässt. Günther wurde einer der Hauptautoren Lehmanns, mehr als ein Dutzend Titel erschienen von ihm, die alle mehrere Auflagen erreichten, z. B. die Rassenkunde Europas (1926), Rassenkunde des jüdischen Volkes (1930), Volk und Staat in ihrer Stellung zu Vererbung und Auslese (1933). Zu solchen und ähnlichen Titeln passte die Inverlagnahme von Gesetzeskommentaren. 1933 erschien der Kommentar zum Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933, dann 1936 der Kommentar zum Blutschutz und Ehegesundheitsgesetz sowie die Richtlinien für Schwangerschaftsunterbrechung und Unfruchtbarmachung aus gesundheitlichen Gründen. Flankiert wurden die populärwissenschaftlichen Monographien und die Gesetzeskommentare von der Zeitschrift Volk und Rasse, die 1926 als Beilage zu Deutschlands Erneuerung begründet worden war, seit 1928 selbstständig erschien und bis 1933 nicht sehr erfolgreich war.79 Ab 1933 wurde sie mit einer Auflagensteigerung von 1.000 auf 12.000 Exemplare und einer Umstellung von vierteljährlicher auf monatliche Erscheinungsweise zur »klaren Nummer eins auf dem nun expandierenden Markt für rassekundliche Schriften«.80 Nach Lehmanns Tod 1935 wurde der Verlag im gleichen programmatischen Sinn von Friedrich Schwartz (gest. 1943), Teilhaber und Prokurist des Verlags, und von Lehmanns Schwiegersohn Otto Spatz (1900 – 1989)81 geleitet. Der Verlag wurde mehrfach als »Nationalsozialistischer Musterbetrieb«82 ausgezeichnet und wurde als »kriegswichtig« eingestuft, weshalb er seine Produktion im Zweiten Weltkrieg auch nicht einstellen musste.

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Vgl. dazu Heidler: Die Zeitschriften des J. F. Lehmanns Verlages bis 1945, S. 77 – 81 sowie 95 – 97. Heidler, S. 95. Spatz führte die Firma auch nach dem Krieg von 1950, ab 1964 mit seinem Sohn Bernhard bis zu ihrer Auflösung 1979. Vgl. Stöckel: Die »rechte Nation« und ihr Verleger, S. 259 –302. Das medizinische Programm sowie die medizinische Fachbuchhandlung gingen schon 1946 an Urban & Schwarzenberg. Im Börsenblatt 103 (1936) 207, S. 772 wurden Verlage auf die mögliche Auszeichnung als »nationalsozialistischer Musterbetrieb« hingewiesen: »Betrieben, in denen der Gedanke der nationalsozialistischen Betriebsgemeinschaft im Sinne des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit und im Geist der Deutschen Arbeitsfront vom Führer des Betriebes und seiner Gefolgschaft auf das vollkommenste verwirklicht ist, kann die Auszeichnung ›Nationalsozialistischer Musterbetrieb‹ verliehen werden. Die Verleihung der Auszeichnung erfolgt am Nationalfeiertag des deutschen Volkes durch Aushändigung einer Urkunde an den Führer des Betriebes, auf Vorschlag der DAF für ein Jahr. […] Ein Betrieb, dem die Auszeichnung ›nationalsozialistischer Musterbetrieb‹ verliehen ist, ist berechtigt, die Flagge der Deutschen Arbeitsfront mit goldenem Rade und goldenen Fransen zu führen.«

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Profilveränderungen als Anpassungsprozess – die Verlage Friedr. Vieweg & Sohn und S. Hirzel Im Gegensatz zu Junker und Dünnhaupt oder dem J. F. Lehmanns Verlag vollzog der Verlag Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig einen Programmwechsel, der der Anpassung an die neuen politischen Ziele geschuldet war. Der 1786 in Berlin gegründete Verlag, zu dem auch eine für wissenschaftliche Drucke hervorragend ausgestattete Druckerei gehörte, stand seit 1939 unter der alleinigen Leitung von Ernst Webendoerfer.83 Er war 1922 in den Verlag eingetreten und hielt seitdem 10 Prozent der Aktienanteile, nachdem der Verlag 1921 in eine AG umgewandelt worden war. Webendoerfer war der erste Verlagsleiter, der nicht der Familie Vieweg entstammte. Bis 1939 wirkte neben ihm auch noch Helene Tepelmann, die Tochter Heinrich Viewegs, im Verlag. 1939 hielt Webendoerfer 28 Prozent der Verlagsanteile. Er war überzeugter Nationalsozialist und konnte als starke Führungspersönlichkeit die Verlagsmitarbeiter hinter sich versammeln. Webendoerfer führte den Verlag im strikt nationalsozialistischen Sinn, und zwar sowohl inhaltlich das Verlagsprogramm als auch organisatorisch die inneren Strukturen betreffend, um ihn zum »nationalsozialistischen Musterbetrieb« zu machen. Dies ist ihm anscheinend bis zu einem gewissen Grad auch gelungen, denn 1941 erhielt der Verlag das »Gaudiplom für hervorragende Leistungen«. Webendoerfer blieb bis 1945 Verlagsleiter. Der Verlag hatte sich im 19. Jahrhundert vor allem auf die Chemie, daneben auf Physik und in geringerem Maß auf Mathematik spezialisiert. Justus von Liebig (1803 – 1873), der erste Nobelpreisträger für Chemie Jacobus Hendricus van’t Hoff (1852 – 1911), Walter Nernst (1864 – 1941) und andere renommierte Chemiker, in der Physik Arnold Sommerfeld (1868 – 1951), Niels Bohr (1885 – 1962), Karl Scheel (1866 – 1936), Max von Laue sowie Albert Einstein hatten dem Verlag hohes Ansehen und Glanz gebracht. Vieweg wurde zu einem der führenden Verlage für Atomphysik. Das naturwissenschaftliche Programm wurde ab 1933 zwar weitergeführt, aber mehr und mehr auf die nationalsozialistische Ideologie zugeschnitten. Zur neuen Richtung gehörten des Weiteren die Arbeiten der Chemiker und überzeugten Nationalsozialisten Rembert Ramsauer und Karl Lothar Wolf (1901 – 1969). Sie waren die Begründer und wichtigsten Vertreter der sog. »Deutschen Chemie«,84 die wie die »Deutsche Physik« nicht geographisch zu verstehen war, sondern eine völkisch ausgerichtete Ideologie vertrat. Ausdruck der Neuorientierung wurde in erster Linie die neu gegründete Zeitschrift für die Gesamte Naturwissenschaft ab 1935, die im Untertitel die Naturphilosophie und Geschichte der Naturwissenschaften sowie die Medizin einschloss. Sie wurde mit dem ersten Heft in einer Auflage von 11.000 Exemplaren sehr optimistisch gestartet.85 Schon mit dem zweiten Heft wurde die Auflage auf 5.000 korrigiert,86 das dritte erschien in 1.200 Exemplaren, schließlich wurden nur noch 1.000 Exemplare pro Heft gedruckt. Die Zeitschrift für die Gesamte Naturwissenschaft wurde zum Artikulationsort »arischer« Wissenschaften und blieb im wissenschaftlichen Zeitschriftenspektrum entsprechend 83 84 85 86

Zur Geschichte des Verlags während der NS-Zeit vgl. ausführlich Grimm: »Vieweg geschlossen hinter dem Führer!«. Vgl. zu Personen und Biographien Bechstedt: »Gestalthafte Atomlehre«, S. 149. Vgl. die Angaben in Heft 1 von 1935, S. 80. Die Hefte verzeichnen jeweils auf der letzten Seite ihre Auflagenhöhe.

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erfolglos. 1936/37 übernahm die Reichsfachgruppe Naturwissenschaft die Herausgabe, ab dem vierten Jahrgang ging die Zeitschrift in den Ahnenerbe Stiftungs-Verlag über. Weder Stark noch Wolf und Ramsauer, noch die Gesamte Naturwissenschaft – um nur die wichtigsten Autoren und Verlagsprojekte zu nennen – konnten sich in ihrem Bekenntnis zum Nationalsozialismus Anerkennung in der Wissenschaft verschaffen, so dass die Hinwendung des Verlags und seines Leiters zu den »arischen« Wissenschaften als gescheitert eingeschätzt werden muss. Die Stützung der »Deutschen Chemie« bedeutete grundsätzlich keine Profilveränderung, da es sich auch weiterhin um chemische Abhandlungen handelte, die verlegt wurden. Erweitert wurde das Programmprofil allerdings bereits 1932, als der ebenfalls in Braunschweig ansässige Gustav Wenzel Verlag übernommen wurde. Dieser Verlag war auf Aquarien- und Terrarienkunde, Zierfischzucht, Zierfischkrankheiten und Reptilien in der heimischen Fauna spezialisiert und sprach einen entsprechend begrenzten Leserkreis an. Das Profil des Wenzel Verlags passte zwar nur bedingt zu Vieweg, dennoch kaufte Vieweg zusätzlich zu der bei Wenzel erscheinenden Wochenschrift für Aquarienkunde die Blätter für Aquarien- und Terrarienkunde, in denen die Wochenschrift 1938 aufging. Der Gustav Wenzel Verlag diente als Imprint der Etablierung eines neuen Programmsegments: populärwissenschaftlichen Schriften, insbesondere in der Biologie. 1938 kam dann die Reihe Forschung und Abenteuer mit Reise- und Erlebnisberichten aus fernen Ländern hinzu, die einerseits informativ, andererseits unterhaltend waren. Die Erweiterung des Programms von den »strengen Wissenschaften« hin zu Büchern für einen breiteren Leserkreis war ökonomisch damit zu begründen, dass neue Käuferkreise gewonnen werden sollten. Neben dieser Programmerweiterung etablierte der Verlag einen neuen inhaltlichen Schwerpunkt mit der Gründung diverser Reihen, die nicht streng wissenschaftlich ausgerichtet waren, sondern – ganz im Sinne der gewünschten Stärkung des Fachbuchs – die Berufspraxis in der Industrie bedienten. Dazu gehörten die Reihe Aus Theorie und Praxis der Elektroschweißung ab 1936 (bis 1957), ergänzt durch die Zeitschrift Die Elektroschweißung (Organ der deutschen Gesellschaft für Elektroschweißung) ab 1936/37, sowie die Reihe Verfahrens- und Meßkunde der Naturwissenschaft (1940 – 1944). Daneben wurde ein Schulbuch-Programm ins Leben gerufen, darunter neben mathematischen Lehrbüchern das so gar nicht ins restliche Programm passende Deutsche Lesebuch für das 5. und 6. Schuljahr, das vom Schauenburg Verlag 1936 übernommen wurde. Einen viel deutlicheren Programmwechsel als all diese Entwicklungen leitete die Etablierung eines belletristischen Programmsegments ab 1934 ein. Vieweg hatte bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts schon einmal literarische Titel im Programm, konzentrierte sich dann aber ausschließlich auf wissenschaftliche Literatur. Diese literarische Tradition wurde in den 1930er Jahren wieder aufgegriffen und ambitioniert verfolgt. In der 1936 erschienenen Festschrift wird vom Verlagslektor Barthold Blunck87 erläutert, dass nach einer langen Periode ausschließlich wissenschaftlicher Produktion nun wieder schöngeistige Werke aufgenommen werden, in einer Zeit, »die von den zersetzenden, volksfeindlichen Strömungen bereinigt ist. Er kann sich also mit aller Kraft dem guten deutschen Buch zuwenden, das in den Jahren vor der Volkswende kaum noch Geltung 87

Barthold Blunck war der jüngere Bruder Hans-Friedrich Bluncks, des ersten Präsidenten der Reichsschrifttumskammer.

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hatte«.88 Geplant waren neben historischen Romanen auch Novellen und Lyrik, und zwar nur solche, die den Verlag »auch für die schöne Literatur schnell wieder an die erste Stelle der deutschen Buchverlage rücken zum Segen des geistigen Aufbaues der Nation«.89 Im belletristischen Programm erschienen zwischen 1934 und 1945 bei Vieweg knapp 40 Romane und Erzählungen, im Imprint Wenzel Verlag kamen über 30 weitere hinzu. Die Autoren waren zum Teil drittklassig und produzierten NS-typische Literatur. Zum Beispiel publizierte Henrik Herse (1895 – 1953), Schriftsteller und SS-Obersturmführer im Hauptamt und Obersturmführer der Waffen-SS, 1935 seinen Roman Land unter dem Regenbogen sowie 1936 den Roman Fähnlein Rauk bei Vieweg. Begleitet wurde derlei Literatur von Übersetzungen aus dem Schwedischen, dem Französischen und dem Englischen. Nordische Erfolgstitel und -autoren wie der schwedische Schriftsteller Bernhard Nordh (1900 – 1972) dominierten das Übersetzungsprogramm. Seine Volksromane waren höchst beliebt und wurden nicht nur ins Deutsche, sondern auch ins Finnische, ins Holländische, ins Dänische und Norwegische übersetzt. Bei Vieweg erschienen Schatten über der Marshalde. Roman aus dem hohen Norden (1941), Norrlandssöhne. Ein Marshalde-Roman (1941) sowie bereits nach dem Krieg Die Leute auf Kroksjö. Roman der schwedischen Wildmark (1948). Alle drei Titel hatten mehrere Auflagen. Aber auch der Schlesier August Scholtis (1901 – 1969), kein aktiver Nationalsozialist, publizierte bei Vieweg, ebenso brachte Martin Kessel (1901 – 1990), der keineswegs unter dem Verdacht steht, NS-konform geschrieben zu haben, zwei Bücher bei Vieweg heraus: Romantische Liebhabereien sowie Die Schwester des Don Quijote (beide 1938). Die Aufnahme belletristischer Werke wird in der Hauszeitschrift des Verlags, dem Vieweg-Boten, erläutert: Der deutsche Mensch […] braucht das schöngeistige Buch heute mehr denn je. Der Soldat im Felde oder in der Garnison, die Frau und Mutter, die ihren Mann oder ihren Sohn draußen weiß, der Arbeiter, der acht Stunden und länger an der Maschine gestanden hat, oder der Kaufmann, der müde seinen Arbeitsplatz verläßt, sie alle suchen im Buche nicht nur eine geistige Zerstreuung, sondern auch Ruhe und Kraft für den neuen Arbeitstag.90 So war man im Verlag auch besonders stolz auf die literarischen Werke, die »als schöngeistige Bücher unserem Herzen näher stehen als die für uns so unnahbaren und schwer zugänglichen streng wissenschaftlichen Werke. Wir nehmen daher vor allem an dieser Reihe inneren Anteil«.91 Dies bedeutete eine völlig neue Konzeption des Programms, die jedoch nicht in aller Radikalität durchgesetzt wurde. Die Neuausrichtung auf populärwissenschaftliche und schöne Literatur war anscheinend ökonomisch lukrativ, denn 1941 wurde zufrieden festgestellt, dass sich der

88 89 90 91

Blunck: Neue Aufgaben des schöngeistigen Schrifttums. In: Friedr. Vieweg & Sohn in 150 Jahren deutscher Geistesgeschichte, S. 138. Blunck, S. 139. Vieweg-Bote (1940) 10, S. 102 f., zitiert nach Grimm: »Vieweg geschlossen hinter dem Führer!«, S. 98. Vieweg-Bote Bote (1940) 10, S. 116, zitiert nach Grimm, S. 98.

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Umsatz 1938 und 1939 jeweils vervierfacht habe, was den neuen Sparten angerechnet wurde, da sich das wissenschaftliche Programm nur schleppend absetzen ließ.92 Nicht so deutlich richtungsändernd wie bei Vieweg, aber dennoch sichtbar war die Programmerweiterung mit an den Zeitgeist angepassten wissenschaftlichen Themen im Verlag S. Hirzel. Der 1852 in Leipzig als Weiterführung eines Teils der Weidmannschen Buchhandlung gegründete Verlag S. Hirzel hatte sich nicht wie andere Wissenschaftsverlage hoch spezialisiert. Autoren wie Jacob Grimm (1785 – 1863) und Wilhelm Grimm (1786 – 1859), Theodor Mommsen (1817 – 1903), Heinrich von Treitschke (1834 – 1896), Friedrich Zarncke (1825 – 1891), Gustav Schwab (1792 – 1850) und etliche andere Philologen und Historiker sind stellvertretend für den exzellenten Ruf des Verlags in den Geisteswissenschaften zu nennen. Georg Hirzel (1867 – 1924), der Enkel des Verlagsgründers, führte den Verlag von 1894 bis 1924 und erweiterte den ursprünglich rein geisteswissenschaftlichen, vor allem germanistischen Verlag um ein naturwissenschaftliches und medizinisches Programm. 1930 waren die Chemie, die Fachgebiete Psychologie, Medizin und Physik am stärksten vertreten.93 Bei S. Hirzel erschien ab 1936 Ludwig Bieberbachs DFG-gestützte Zeitschrift Deutsche Mathematik. Johannes Stark als Vertreter der »Deutschen Physik« publizierte ebenfalls regelmäßig bei S. Hirzel, allerdings auch Werner Heisenberg, der von Stark als »weißer Jude« diffamiert wurde.94 Die Geisteswissenschaften waren stark zurückgedrängt worden, gepflegt wurden aber weiterhin die traditionsreichen germanistischen Titel wie z. B. Des Minnesangs Frühling. In den dreißiger Jahren wurde erneut eine Richtungsänderung im Verlagsprogramm deutlich. Auffallend ist die zunehmende Veröffentlichung volks- und landeskundlicher Publikationen in Reihen. Hier lässt sich ein neuer Verlagsschwerpunkt erkennen. Das waren die Deutschen Schriften zur Landes- und Volksforschung (1939 – 1942), in denen z. B. als zweiter Band Hermann Aubins Zur Erforschung der deutschen Ostbewegung herauskam. Außerdem die Reihe Deutsche Gaue im Osten, die schon zu Beginn der 1930er Jahre ins Leben gerufen und 1941 eingestellt wurde. Des Weiteren wurde die Reihe Unsere Heimat (1937 – 1941) auf den Markt gebracht, die den Untertitel hatte: Volkstümliche Schriftenreihe zur Förderung der deutschen Heimatbildung und Familienüberlieferung in den Ostgauen bzw. Volkstümliche Schriftenreihe zur Förderung der deutschen Heimatbildung und Familienüberlieferung in Polen. Diese Reihe erschien im Auftrag der Historischen Gesellschaft für Posen. Die Hinwendung zum Volkstümlichen war eigentlich keine Sparte des wissenschaftlichen Verlags. Es wurden darin beispielsweise 1940/41 in Verbindung mit dem Gaugrenzlandamt der NSDAP Titel wie Die Wolhyniendeutschen kehren heim ins Reich und Die Heimkehr der Galiziendeutschen sowie Die Cholmer und Lubliner Deutschen kehren heim ins Vaterland publiziert. Diese Titel erlebten zum Teil mehrere Auflagen. Neben den Reihen hatte der Verlag ab Ende der 1930er Jahre etliche neu gegründete volkskundliche Zeitschriften im Programm: Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung (1937 – 1944); Jomsburg. Völker und Staaten im Osten und Norden Europas (1937 – 1942); Deutschland und der Osten. Quellen und Forschungen zur Geschichte ichrer Beziehungen (1936 – 1942); Südostdeutsche Forschungen. Hrsg. im Auftrag des 92 93 94

Vgl. Grimm: »Vieweg geschlossen hinter dem Führer!«, S. 105. Zur Verlagsgeschichte vgl. 100 Jahre S. Hirzel Verlag. Vgl. dazu z. B. Richter: Die »Deutsche Physik«.

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Instituts zur Erforschung des Deutschen Volkstums im Süden und Südosten in München (1936 – 1939). Daneben publizierte Hirzel auch weiterhin seine wissenschaftlichen Zeitschriften. Unter den Monographien ist Adolf Bachs Deutsche Volkskunde (erste Auflage 1937) hervorzuheben. Bach (1890 – 1972) war Professor in Bonn, später in Straßburg (ab 1941) und einer der Unterzeichner des »Bekenntnisses der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat« vom 1. Dezember 1933. Bach war 1933 in die NSDAP eingetreten und Mitglied im NSDozentenbund. Seine Deutsche Volkskunde leitete er mit einer Würdigung der nationalsozialistischen Revolution ein, widmete sich anschließend den »rassischen Grundlagen des deutschen Schrifttums«95 und folgerte im Schlusskapitel: »Was man durch Pflege, Ausmerze oder Höherzüchtung erhalten, beseitigen oder entwickeln will, muß man zuvor in seiner Eigenart, in seinem Bestande wie in den es gestaltenden Kräften erkannt haben.«96 1944 wurde die zweite Auflage noch gesetzt, jedoch nicht mehr gedruckt. Die dritte Auflage des Titels erschien 1960 bei Quelle und Meyer, allerdings ohne das letzte Kapitel. Die Volkskunde ist eine Disziplin, die während des Dritten Reiches politisch instrumentalisiert wurde und nach dem Krieg als »Basis für eine künftige ›arteigene‹ Religion«97 dienen sollte. Während der NS-Zeit bestand nach der Einschätzung Wolfgang Jacobeits für die Volkskunde die Gefahr, »von einem Forschungszweig in eine Reklamebranche umgewandelt zu werden.«98 Die von Hirzel verlegten Titel tendieren in diese Richtung.

Ambivalente Programmpolitik bei C. Winter Im Heidelberger Universitätsverlag Carl Winter wurde 1934 ein Generationenwechsel eingeleitet. In der Weimarer Republik war der Verlag vor allem mit sprachwissenschaftlichen Publikationen erfolgreich gewesen. 1933 hatte Otto Winter d. Ä. (1874 – 1943) »in vorauseilendem Gehorsam zu einer eher panischen als wohldurchdachten Vorwärtsverteidigung«99 eine »Völkische Reihe« ins Leben gerufen, die mit Manfred von Ribbentrops Um den Führer. Ein Erlebnisring um Adolf Hitler aus den Kampfjahren, ein Heft von 32 Seiten, eingeleitet wurde. Neben dieser angepassten Reihe wurde allerdings auch eine 300-seitige Festschrift zum 300. Geburtstag Spinozas publiziert, was die »Desorientiertheit und Widersprüchlichkeit des Verlegers«100 offenlegt. Einen liberalkonservativen Kurs mit erkennbarer Distanz zu nationalpolitischen Tendenzen verwirklichte der Herausgeber der Germanisch-Romanischen Monatsschrift Franz Rolf Schröder (1893 – 1979) bei Winter.101 Die Germanisch-Romanische Monatsschrift war philo95 96 97

Bach: Deutsche Volkskunde, S. 86. Bach, S. 502. Jacobeit: Vom Berliner Plan von 1816 bis zur nationalsozialistischen Volkskunde. In: Völkische Wissenschaft, S. 26. 98 Jacobeit, S. 27. 99 Winter: 175 Jahre Universitätsverlag, S. 79. 100 Winter, S. 80. 101 Vgl. ausführlich dazu Zimmermann: Der Wissenschaftsverlag Carl Winter im Nationalsozialismus, S. 254 f.

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logisch international ausgerichtet, und Schröder hielt die Zeitschrift auch weiterhin für ausländische Autoren offen. Er wehrte sich gegen eine Gleichschaltung und die »Mehrzahl der Artikel vermied einen Bezug zur NS-Ideologie«.102 Unter Otto Winter jr. (1906 – 1944), der schon 1930 in die NSDAP eingetreten war,103 wurden allerdings auch eindeutig tendierende Titel ins Programm aufgenommen wie Stellung und Aufgabe der Wissenschaft im neuen Deutschland (1934) des Frankfurter Philosophie-Professors Heinrich Hasse (1884 – 1935) oder die Heidelberger Habilitationsschrift Einführung in die rassenkundliche Sprachforschung. Kritisch-historische Untersuchungen (1939) des Romanisten Edgar Glässer (1910 – 1968). Otto Winter jr. war grundsätzlich bestrebt, seinem Verlag eine gewisse thematische Breite im Programm zu sichern, was er vor allem mit einem Großprojekt verwirklichen wollte, mit der Schriftenreihe Studienführer, die disziplinenübergreifend in acht Gruppen angelegt war: Kulturwissenschaft, Rechtsund Wirtschaftswissenschaft, Medizin, Naturwissenschaften, Landbau- und Forstwissenschaften, Technik, Wehrwissenschaft und Auslandswissenschaften. Ab 1936 kooperierte der Verleger zu diesem Zweck mit dem Reichsstudentenführer Gustav Adolf Scheel (1907 – 1979) sowie mit dem NS-Studentenbund. Herausgeber der Reihe wurde Fritz Kubach (1912 – 1945), der Leiter des Amtes Wissenschaft und Facherziehung des NSD-Studentenbundes. Das politische Ziel der Reihe war es, »ein individuelles Studium im Humboldtschen Sinn auszuschließen, […] und [die Studierenden] durch die von den Herausgebern und Autoren nach ›Wert und Unwert verschiedener Lehrmeinungen‹ getroffene Auswahl von Lehrinhalten und Literatur zu lenken«.104 Bis 1945 erschienen diese ca. 140 Seiten umfassenden Hefte in einer enorm hohen Auflage von bis zu 50.000 Exemplaren,105 noch im letzten Kriegsjahr wurde Papier dafür bewilligt.

Emigration des medizinischen Verlags von Samuel Karger Die herausragenden Fortschritte der deutschen medizinischen Forschung seit dem ausgehenden Jahrhundert und ihr internationales Ansehen wurden unter dem Nationalsozialismus mit Schlagwörtern wie »Rassenhygiene«, »Rassenbiologie«, »Zwangssterilisation«, »Vernichtung unwerten Lebens«, »Operationsübungen« und Ähnlichem konterkariert. Im März 1933 schalteten sich die großen Standesvertretungen der deutschen Ärzteschaft, der Deutsche Ärztevereinsbund und der Hartmannbund, gleich. Bereits 1929 hatte sich der Nationalsozialistische Deutsche Ärztebund gegründet, der ab 1933 versuchte, den medizinischen Verlag und das gesamte medizinische Zeitschriftenwesen »gleichzuschalten«. Unter diesen Umständen waren die medizinischen Verlage besonders gefährdet, »arisiert« zu werden und den nationalsozialistischen Absichten zu dienen. Dies betraf alle großen medizinischen Verlage wie Julius Springer, Georg Thieme, Urban und Schwarzenberg. Ein selteneres Phänomen im wissenschaftlichen Verlagsbereich war die Emigration eines kompletten Verlags, der sich durch sein Auswandern nationalsozialistischer Kon102 Zimmermann, S. 255. 103 Vgl. Winter: 175 Jahre Universitätsverlag, S. 82. 104 Winter, S. 87. Zu dieser Reihe vgl. Zimmermann: Der Wissenschaftsverlag Carl Winter im Nationalsozialismus, S. 258 –260. 105 Angaben bei Zimmermann, S. 259.

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trolle entziehen konnte. Der am 1. April 1890 in Berlin gegründete Verlag von Samuel Karger (1863 – 1935) hatte einige traditionsreiche medizinische Zeitschriften und 1930 etwa 850 Buchtitel im Programm.106 1935 wurde der Verlag vom Sohn, Heinz Karger (1895 – 1959), übernommen. Heinz Karger überführte den Verlag 1937 »nach mehreren vorerst vergeblichen Verlagerungsverhandlungen in der Schweiz, den Niederlanden und der Tschechoslowakei schließlich mit acht Fachzeitschriften«107 komplett nach Basel, wodurch bedeutende medizinische Fachzeitschriften in die Schweiz abwanderten. Betroffen waren 1. das Jahrbuch für Kinderheilkunde und physische Erziehung (gegr. 1857); 2. die Dermatologische Zeitschrift (gegr. 1893); 3. die Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie (gegr. 1894); 4. das Archiv für Verdauungskrankheiten mit Einschluß der Stoffwechselpathologie und der Diätetik (gegr. 1895); 5. die Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie (gegr. 1897); 6. die Zeitschrift für Augenheilkunde (gegr. 1899); 7. die Beiträge zur Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Ohres, der Nase und des Halses (gegr. 1907) sowie 8. die Radiologische Rundschau (gegr. 1932).108 Während ministerielle bzw. politische Anweisungen die Mitarbeit deutscher Wissenschaftler und den Zeitschriftenbezug durch deutsche Institutionen untersagten, wurden gerade diese Zeitschriften in ihrem Schweizer Exil mit tatkräftiger Unterstützung von Mitgliedern der Baseler Medizinischen Fakultät und der Baseler Pharmazeutischen Konzerne zu einem zentralen Kommunikationspunkt der emigrierten Berliner Mediziner.109 Heinz Karger erkannte, dass Deutsch als internationale Wissenschaftssprache zukünftig nicht mehr die Bedeutung haben konnte wie vor dem Ersten Weltkrieg und wieder ab Mitte der 1920er Jahre. Daher wurden die Zeitschriften seines Verlags mit Titeln in deutscher Sprache durch (neutrale) lateinische Titel ersetzt, um auf dem internationalen Markt auch weiterhin zu reüssieren. In der Schweiz hat der Karger Verlag bis Ende des Zweiten Weltkrieges noch weitere medizinische Zeitschriften ins Leben gerufen. Die Zeitschriften wurden durch Beihefte ergänzt, z. B. durch die Bibliotheca cardiologica und die Bibliotheca gastroenterologica oder die Reihe Abhandlungen aus der Augenheilkunde und ihren Grenzgebieten. Trotz dieser Vielfalt war der S. Karger Verlag im Vergleich zu seinen Konkurrenten Thieme und Springer ein eher kleiner Verlag, der erstens ein geringeres Produktionsvolumen hatte und zweitens keine fachübergreifende medizinische Zeitschrift herausgab. Springers Klinische Wochenschrift, Thiemes Deutsche Medizinische Wochenschrift und J. F. Lehmanns Münchener medizinische Wochenschrift waren traditionell führend und blieben dies in der Disziplin auch im Dritten Reich. 106 Vgl. S. Karger. Vollständiger Verlagskatalog 1890 –1960. 107 Hubenstorf/Walther: Allgemeine Wissenschaftspolitik I. In: Exodus von Wissenschaften, S. 5 – 126, hier S. 45. 108 Angaben nach Hubenstorf/Walther. »Gegen den Bezug der Zeitschriften des Karger-Verlages wie auch anderer Emigrantenverlage (selbst durch Privatpersonen) ergingen wiederholte Aufrufe und Einzelverfügungen, insbesondere durch den Beauftragten des Reichsärzteführers für die medizinische Fachpresse, Kurt Kare.« Hubenstorf/Walther, S. 45. 109 Hubenstorf/Walther, S. 45.

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Tab. 2: Umbenennungen deutscher Zeitschriften des S. Karger Verlags in lateinische Titel110 Deutsche Titel Dermatologische Zeitschrift (1893 – 1938) Monatsschrift für Geburtshilfe und Gynäkologie (1894 – 1945) Archiv für Verdauungskrankheiten (1895 – 1938) Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie (1897 – 1956) Zeitschrift für Augenheilkunde (1899 – 1938) Jahrbuch für Kinderheilkunde und Erziehung (1857, ab 1900 bei Karger bis 1938) Beiträge zur Anatomie, Physiologie, Pathologie und Therapie des Ohres, der Nase und des Halses (1907 – 1934) Radiologische Rundschau (1932 – 1938)

Lateinische Titel Dermatologica (1939 – 1991) Gynaecologia (1946 – 1969) Gastroenterologia (1939 – 1967) Psychiatria et Neurologia (erst 1957 umbenannt bis 1967) Ophthalmologica (1938/39 ff.) Annales Paediatrici (1939 – 1966) Practica oto-rhino-laryngologica (1938 – 1971) Radiologia clinica (1939 – 1978) Cardiologia (1937 – 1969)

Neuordnung von wissenschaftlichen Zeitschriften Der Einfluss der nationalsozialistischen Ideologie auf die Wissenschaft wurde auch deutlich sichtbar bei den wissenschaftlichen Zeitschriften. Sie unterlagen der Kontrolle des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Durch die staatlichen Lenkungsversuche verloren die deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften – wie die deutsche Wissenschaft insgesamt – enorm an internationalem Ansehen. Die mühevolle Aufbauarbeit nach dem Ersten Weltkrieg, als deutsche Wissenschaftler international geächtet waren,111 hatte in der Weimarer Republik zu neuer Reputation geführt, und besonders auf den Gebieten der Physik und der Medizin waren deutsche Wissenschaftler erneut international an der Spitze. Dies wurde nun in kürzester Zeit wieder zunichte gemacht. Besonders die Entlassung jüdischer Wissenschaftler aus Herausgebergremien trug zu diesem Ansehensverlust bei. 1936 wurde die Rezension von Werken jüdischer Wissenschaftler in Fachzeitschriften verboten, später durften sie nicht einmal mehr zitiert werden. Die Neuordnung und Steuerung des Zeitschriftenwesens war eines der ersten Ziele staatlicher Eingriffe. Zwischen 1931 und 1935 waren etwa 1.500 wissenschaftliche Zeitschriften auf dem Markt.112 Zeitschriftenvielfalt ist ein Ausdruck der Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Disziplinen, sie war aber von staatlicher Seite unerwünscht. Zunächst sollten Zeitschriftenneugründungen vermieden werden, was die Reichspressekammer durch eine Sperre zwischen dem 14. Dezember 1933 und dem 31. März 1935 durchsetzte. Von 1938 an waren Zeitschriftengründungen anmeldepflichtig und während des Krieges auch genehmigungspflichtig.113 110 Viele der angegebenen Zeitschriften wurden in den 1960er und folgenden Jahren mit englischsprachigen Titeln versehen, z. B. erscheint die 1937 gegründete Cardiologia heute unter dem Titel Cardiology. 111 Vgl. hierzu Schneider: Der wissenschaftliche Verlag, S. 379 f. 112 Vgl. die Angaben bei Knoche: Wissenschaftliche Zeitschriften, S. 264. 113 Vgl. Knoche, S. 264.

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Dabei wurden die Organe nicht zwingend durch ein schlichtes Verbot vom Markt genommen, sondern es griffen auch andere Mechanismen. Besonders die Psychoanalyse war ein beim Regime unbeliebtes Gebiet, so dass der Verlag für psychoanalytische Literatur (Leipzig und Wien) 1933 die Zeitschrift Die psychoanalytische Bewegung einstellen musste, 1937 auch die Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik und 1938 den Almanach der Psychoanalyse. Im selben Jahr, nach dem »Anschluss« Österreichs, wurde der Verlag geschlossen. Damit war auch das Ende der Internationalen Zeitschrift für Psychoanalyse und der Imago gekommen. Sigmund Freud (1856 – 1939) vereinte die beiden Zeitschriften ab 1939 und gab sie in London heraus. Im Fall der Psychoanalyse handelt es sich bei der Einstellung der Zeitschriften und des Almanachs vor allem um eine radikale Schrumpfung des Absatzmarktes, weil zahlreiche jüdische Analytiker aus Deutschland vertrieben wurden. Auch bei den traditionsreichen Zeitschriften anderer Disziplinen wurde versucht, eine Reorganisation durchzusetzen; dies lässt sich für die Physik, die Medizin, die Mathematik und auch in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen nachweisen. Johannes Stark, der 1930 der NSDAP beigetreten war, unternahm im Herbst 1933 den Versuch einer »Neuordnung des physikalischen Schrifttums«, insbesondere der Zusammenlegung von Physik-Zeitschriften unter einem gemeinsamen Herausgebergremium. Stark hatte dazu den Verleger Ferdinand Springer aufgefordert, sich zu einer »Aussprache über die Organisation des physikalischen Schrifttums« in Starks Amtszimmer in der Physikalisch Technischen Reichsanstalt (PTR) einzufinden oder einen Vertreter zu entsenden.114 Die PTR unterstand dem Innenministerium, weshalb Springer das Ansinnen Starks mit dem Argument ablehnte, er sei lediglich an seine Standesorganisation, den Börsenverein, gebunden, der wiederum seine Anweisungen aus dem Propagandaministerium beziehe. Springer gelang es, auch auf andere Verleger mit physikalischem Schrifttum einzuwirken und im Propagandaministerium unter Hinweis auf eine neue, international konkurrierende niederländische Physik-Zeitschrift auf die Gefährdung der deutschen Zeitschriften aufmerksam zu machen. Eine Schwächung der deutschen Zeitschriften durch Zusammenlegung lag nicht im Interesse des Propagandaministeriums. Durch die Beharrlichkeit des Verlegers und mehr noch durch die Kompetenzstreitigkeiten der Ministerien wurden Starks Pläne nicht realisiert. Am Widerstand der Verleger scheiterte auch die Reorganisation mathematischer Zeitschriften. Obwohl das Auswärtige Amt aus Prestigegründen angeordnet hatte, dass Fusionen wissenschaftlicher Zeitschriften zu unterbleiben hätten, sollte ein neues Organisationsprinzip greifen: die strikte Spezialisierung der mathematischen Zeitschriften. Dies hätte das Ende der traditionellen Zeitschriften mit einem breiten Spektrum bedeutet, z. B. des Journals für die reine und angewandte Mathematik (Crelles Journal), der Mathematischen Annalen und der Mathematischen Zeitschrift. Springer hatte sich 1931 mit der Gründung des Zentralblatts für Mathematik und ihre Grenzgebiete im Bereich des Referatewesens engagiert. Das Zentralblatt stand von Anfang an in direkter und bewusster Konkurrenz zum traditionsreichen Jahrbuch über die Fortschritte der Mathematik (Gründung 1869, Verlag Walter de Gruyter), das seit

114 Vgl. die Darstellung bei Sarkowski: Der Springer Verlag, S. 329 –331.

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1927/28 von der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin herausgegeben wurde.115 Das Jahrbuch war berüchtigt für die große zeitliche Verzögerung, mit der die Referate erschienen, während das Zentralblatt bald als effizienter bekannt war. Schon kurz nach der Gründung des Zentralblatts gab es, insbesondere von Seiten der Deutschen Mathematiker Vereinigung, Bemühungen, eine Zusammenarbeit von Jahrbuch und Zentralblatt zu erreichen. Dem standen jedoch die wirtschaftliche Konkurrenz der herausgebenden Verlage de Gruyter und Julius Springer entgegen. Dennoch wurde in den späten 1930er Jahren eine Zusammenlegung oder doch wenigstens eine Kooperation zwischen Zentralblatt und Jahrbuch diskutiert. Ende 1938 wurde bekannt, dass in den USA die American Mathematical Society ein neues Referateorgan, die Mathematical Reviews, gründen wollte. Dies beunruhigte Mathematiker und Verleger in Deutschland, ob sie nun nationalsozialistische Neigungen hatten oder nicht. Der Springer Verlag hätte es vorgezogen, mit den Mathematical Reviews zusammenzuarbeiten, anstatt zu einer Kooperation mit dem Jahrbuch gezwungen zu werden. Dazu kam es aber nicht. In der Medizin verliefen die Entwicklungen ähnlich. Michael Hubenstorf und Peter Th. Walther haben darauf aufmerksam gemacht, dass aus der Umgestaltung der vier großen medizinischen Fachzeitschriften, nämlich der Klinischen Wochenschrift, der Deutschen Medizinischen Wochenschrift, der Medizinischen Klinik und der Medizinischen Welt, erhebliche Konsequenzen auch für den Wissenschaftsstandort Berlin resultierten, da vor allem Berliner Wissenschaftler aus den Redaktionen ausscheiden mussten: Bei der Klinischen Wochenschrift der Verlage Julius Springer – Berlin und J. F. Bergmann – München schied Adolf Gottstein (1857 – 1941), ehemals Ministerialdirektor im preuß. Wohlfahrtsministerium, ohne sonstige wesentliche Veränderungen der Redaktion aus. Bei der Deutschen Medizinischen Wochenschrift des Verlags Georg Thieme – Leipzig musste der Pharmakologe Dozent Paul Oswald Wolff (1894 – 1957) mit Wirkung vom 1. April 1933 weichen und wurde Ende April durch den neuernannten Dirigierenden Arzt der Strahlenabteilung des Cecilienhauses und der Städtischen Kinderheilanstalt Buch, Artur Pickahn (1887 – 1969, 1936 Dozent für Strahlenkunde, 1939 – 45 apl. Prof.), ersetzt.116 Wie die naturwissenschaftlichen und medizinischen Zeitschriften stellten auch geisteswissenschaftliche Periodika ihren Inhalt nach neuen Maßgaben um. Ein Verlag, der sein Programm im Ganzen recht schnell angepasst hat, war der Verlag Metzler in Stuttgart, ein traditionsreicher Verlag, der sich auf dem Gebiet der Germanistik als einer der bedeutenderen Verlage bis 1933 schon einen Platz auf dem wissenschaftlichen Buchmarkt erobert hatte.117 Ein Beispiel für die Umstellung auf neue Erfordernisse liefert die Geschichte der 1894 gegründeten traditionsreichen literaturwissenschaftlichen Zeitschrift Euphorion, die Metzler in Verlag hatte. Sie wurde ab 1934 wurde von den national115 Vgl. dazu ausführlich Siegmund-Schultze: Mathematische Berichterstattung. 116 Hubenstorf/Walther: Allgemeine Wissenschaftspolitik I, in: Exodus der Wissenschaften, S. 5 –126, hier S. 43. 117 Zum Metzler Verlag im Dritten Reich vgl. Wittmann: Ein Verlag und seine Geschichte, S. 578 –590.

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konservativen und hochrenommierten Germanisten Julius Petersen (1878 – 1941) und Hermann Pongs (1889 – 1979) herausgegeben, die Dichtung und Volkstum für den passenderen Titel bei der Neukonzeptionierung ihrer Zeitschrift hielten.118 In dieser Umbenennung wird die neue Richtung überdeutlich. In der Vorrede An unsere Leser erläutern die Herausgeber 1934 die neue Zielsetzung: Mit dem neuen Jahrgang tritt die Zeitschrift Euphorion in ein neues Verhältnis zu den wissenschaftlichen Bildungsfragen und zum Geiste der Forschung ein. Sie gibt den Namen Euphorion auf und damit die überbetonte Abhängigkeit deutscher Bildung von humanistischer Gelehrsamkeit. Der neue Name »Dichtung und Volkstum« will zum Ausdruck bringen, dass auch die Wissenschaft von der Dichtung immer das Volkstum im Auge halten wird als den Grundwert, der alle ästhetischen, literarhistorischen geistesgeschichtlichen Werte trägt und nährt. Den ewigen Volksbegriff in seiner Geschichtlichkeit wie Herder ihn meinte und wie er heute in Deutschland neu gelebt und erfahren wird, als Lebensgrund aller starken Dichtung herauszuarbeiten, macht sich die Zeitschrift zum besonderen Ziel. Die Zurückweisung des humanistischen Bildungsgedankens zugunsten einer völkisch orientierten Wissenschaft entsprach exakt den ideologisch aufgeladenen wissenschaftspolitischen Zielen. Drei Gebiete sollten in Zukunft besonders gefördert werden: Stamm und Landschaft in der Dichtung mit Einschluss des Auslandsdeutschtums, das Leben der Sprache als schöpferischen Spiegel des bewusst-unbewussten Daseins selbst, zuletzt die Untergründe des bildenden Vermögens als den Versuch dessen, was Goethe das Unbewusste nannte und was man allzu gleichgültig der Psychologie und der Psychoanalyse überlassen hat. Neben der völkisch-stammesgeschichtlichen Perspektive ist es – in deutlicher Polemik gegen die wissenschaftliche Psychoanalyse – das sogenannte bewusst-unbewusste Dasein selbst, dem besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden soll. Ein inhaltlicher Schwerpunkt der Zeitschrift lag auf dem »Deutungsversuch literaturgeschichtlicher Entwicklungen auf der Grundlage stammes- und rassenmäßiger Kriterien. Bevorzugter Gegenstand dabei war die Dichtung des sogenannten Auslandoder Grenzlanddeutschtums.«119 Passend zur Einleitung in einen neuen Schwerpunkt eröffnete der Literaturhistoriker Josef Nadler (1884 – 1963), der ab 1912 auch die Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften (4 Bde., bis 1928) geschrieben hatte, den Band mit einem Aufsatz über Rassenkunde, Volkskunde, Stammeskunde. Allerdings sind nicht nur die Zeitschriften einer inhaltlichen Revision unterzogen worden, sondern das Haus Metzler achtete in jeder Hinsicht auf die Erfüllung der neuen Vorgaben, auch was den Autorenstamm betraf.120 118 Zur Geschichte der Zeitschrift während des Dritten Reichs vgl. ausführlich Adam: Dichtung und Volkstum und erneuerter Euphorion. 119 Adam, S. 64. 120 Vgl. hierzu Wittmann: Ein Verlag und seine Geschichte, S. 578 –590.

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Abb. 2: Inhaltsverzeichnis des ersten Heftes der Zeitschrift Euphorion nach ihrer Umbenennung in Dichtung und Volkstum 1934

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Lehrbuchaktionen im Zweiten Weltkrieg Nicht erst zu Beginn des Dritten Reiches wurde von einer Krise des wissenschaftlichen Lehrbuchs gesprochen. Bereits in der Weimarer Republik war der wissenschaftliche Buchmarkt im Ganzen der allgemeinen Wirtschaftslage entsprechend konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt, was sich auch an der Kaufkraft und dem Kaufwillen des studentischen Publikums ablesen ließ.121 Hinzu kamen finanzielle Einbußen im allgemeinen Kulturetat. Das Problem des Bücherkaufs blieb nach Meinung von Oskar Siebeck auch weiterhin bestehen, und zwar besonders im Lehrbuchbereich. Der Jahresbericht des Deutschen Verlegervereins über das Geschäftsjahr 1933 stellt zum ersten Mal fest: »Konnte viele Jahre hindurch der wissenschaftliche Verlag als besonders krisenfest angesehen werden, so hat sich dies in den letzten Jahren wesentlich geändert, und zwar vor allem infolge der Zerrüttung des Inlandsmarktes«.122 Die stark rückläufigen Studentenzahlen hatten dazu geführt, dass der Markt für Lehrbücher weiter stagnierte. Ab 1940 trat eine leichte Erholung ein, da die Gesamtzahl der Studierenden langsam wieder anstieg. So ergab sich für die Kriegsjahre ein im Vergleich zur Vorkriegszeit gestiegener Bedarf an Lehrbüchern, der nicht ohne Weiteres zu decken war. In der Tat wurden während des Krieges die Herstellungsprobleme angesichts fehlender Druckkapazitäten und aufgrund des Papiermangels besonders im Lehrbuchbereich aller Disziplinen nicht nur von Seiten der betroffenen Verlage als dringend zu behebendes Problem eingestuft, sondern auch von staatlicher Seite erkannt. In diesem Zusammenhang spielt auch das Nachwuchsproblem eine Rolle. Bereits seit 1937 hatten Wissenschaftsfunktionäre und Wissenschaftspolitiker begonnen, das sich anbahnende Problem zukünftiger Engpässe im akademischen Nachwuchs wahrzunehmen.123 Es lag auch im staatlichen Interesse, die Versorgung mit geeigneten Lehrbüchern zu gewährleisten. Im Dezember 1941 wurde der Leiter des Springer Verlags, Tönjes Lange, vom Leiter der Fachgruppe Wissenschaftlicher Verlag in der RSK zum Leiter der 1920 gegründeten Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger ernannt. Lange wurde 1943 damit beauftragt, in Zusammenarbeit mit der Abteilung Schrifttum des Propagandaministeriums an den Universitäten den Bedarf an Lehrbüchern zu erfragen. Gleichzeitig war der Papierbedarf der Wissenschaftsverlage im Lehrbuchbereich festzustellen, wofür Listen mit besonders wichtigen Lehrbuchtiteln angefertigt wurden, die dann der Abteilung Schrifttum zur Entscheidung vorgelegt werden mussten. Das Propagandaministerium ließ daraufhin in den Jahren 1943 und 1944 sogenannte »Lehrbuchaktionen« durchführen, mit deren Vorbereitung die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger beauftragt wurde. Die 1943 erstmals durchgeführte Lehrbuchaktion hatte drei Ziele:124 erstens die zusätzliche Papierbeschaffung für dringend benötigte Lehrbücher, zweitens deren Produktionssicherung und drittens die Verteilung wissenschaftlicher Lehrbücher an die Sortimentsbuchhandlungen. Die Verleger mussten sich verpflichten, etwa 75 Prozent der Auflage medizinischer Lehrbücher und etwa 60 121 122 123 124

Vgl. Schneider: Der wissenschaftliche Verlag, S. 382 –385. Zitiert nach Siebeck: Die Aufgabe des wissenschaftlichen Verlags, S. 5. Vgl. Hammerstein: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, S. 247 ff. Vgl. Lange, Tönjes: Kurzer Tätigkeitsbericht der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger 1943, VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger.

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Prozent der Auflage technischer und naturwissenschaftlicher Lehrbücher ausschließlich dem Fachsortiment in den Hochschulstädten zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug mussten sich die Sortimenter verpflichten, die vorhandenen Lehrbücher unter den Studierenden »so gerecht wie möglich zu verteilen«. Daher sollten die begehrtesten Lehrbücher nur gegen Eintrag in das Studienbuch abgegeben werden. Die wissenschaftlichen Verlage hatten Produktionsanträge für einzelne Titel aus allen Disziplinen zu stellen, die dann in der Papierzuteilung vorrangig zu berücksichtigen waren. Nach Abschluss der Lehrbuchaktion beurteilte Tönjes Lange die Zuteilungsmenge des Papiers im September 1943 als im Ganzen zufriedenstellend und das Gesamtergebnis der Lehrbuchaktion als »höchst befriedigend«. Das größte Problem neben der Zuweisung der Papierkontingente sei, dass es vor allem an Druckkapazitäten, Setzern und Druckern mangele: Das Schwierige ist dabei, dass das Ministerium S p e e r die Drucker sehr gern für sich in Anspruch nimmt, da es sich hier um Intelligenzarbeiter handelt, die sehr schnell und erfolgreich für Feinarbeiten in der mechanischen Industrie umgeschaltet werden könnten. Von 250.000 in den Druckereien Beschäftigten wären 120.000 bereits herausgenommen. […] Leider war es bisher nicht möglich, auch bei der Wehrmacht zu erreichen, dass von Einziehungen in den Druckereien abgesehen wird.125 Lange bezweifelte, dass es möglich wäre, die deutschen Drucker und Setzer durch ausländische Arbeitskräfte zu ersetzen. Auch mit der Herstellung von wissenschaftlichen Büchern im Ausland habe man keine ermutigenden Erfolge erzielt. Problematisch sei des Weiteren die sogenannte »Bleiabgabe« der Druckereien. Die Arbeitsgemeinschaft brachte zum Ausdruck, es sei unsinnig, wenn das Blei vom Stehsatz von Lehrbüchern, die nachweislich in kurzen Abständen neu gedruckt werden, abgegeben werden sollte. Dies könne kaum im Sinne der Verordnung sein. Man kam zu der Überzeugung, dass die Bleiabgabe vor allem von belletristischen Werken genommen werden solle. Der bei der Besprechung anwesende Vertreter des Ministeriums sagte seine Mithilfe bei der Beseitigung dieser Probleme zu, dennoch blieben sie bestehen. Die Lehrbuchaktion von 1943 sollte zunächst eine einmalige Aktion bleiben. Am 15. Februar 1944 setzte Lange jedoch die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft davon in Kenntnis, dass auch im Jahr 1944 eine Lehrbuchaktion stattfinden solle, und bat um eine erneute Aufstellung der gewünschten Titel.126 Noch im Februar 1945 wurde eine weitere Lehrbuchaktion geplant, bei der jedoch »nur kriegswichtige Lehr- und Handbücher Aussicht auf Papier- und Druckgenehmigung«127 hatten, wie der zuständige Ministerialdirigent Bade an die wissenschaftlichen Verlage schrieb. Tönjes Lange richtete im März 1945 ein entsprechendes Rundschreiben an die Mitglieder der Arbeitsgemein125 Vgl. Kurzer Bericht über die vom Leiter der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger zum 8. September 1943 einberufenen Besprechung, VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger 126 Vgl. VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. 127 Rundschreiben Bade an Wissenschaftsverlage, 28. Februar 1945, VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger.

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schaft wissenschaftlicher Verleger mit der Bitte um Titelauflistungen.128 Zu einer weiteren Aktion kam es jedoch vor Kriegsende nicht mehr. Tab. 3: Umsatzergebnisse der Lehrbuchaktionen129 Akademische Verlagsgesellschaft, Leipzig J. A. Barth, Leipzig Gebr. Borntraeger, Berlin Franz Deuticke, Wien Ferdinand Enke, Stuttgart Wilh. Ernst & Sohn, Berlin Gustav Fischer, Jena Walter de Gruyter, Berlin S. Hirzel, Leipzig J. F. Lehmann, München R. Oldenbourg, München Paul Parey, Berlin Theodor Steinkopff, Dresden B. G. Teubner, Leipzig Georg Thieme, Leipzig Urban & Schwarzenberg, Berlin VDI-Verlag, Berlin Verlag Chemie, Berlin Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig

Umsatz 1943 RM 64.297,81 (2)

Umsatz 1944 RM 60.623,21 (2)

Bezugsbedingungen 30 % 11/10

RM 58.931.43 (3) RM 15.345,83 (16) RM 4.744,08 (18) RM 18.946,85 (13)

RM 52.263.92 (3) RM 22.626,54 (11) RM 6.574,27 (18) RM 19.584,97 (14)

30 % 7/6 30 % u. 25 % 13/12 30 % 7/6 30 % 7/6

RM 17.856,45 (15/16) RM 37.287,36 (4) RM 24.648,22 (7) RM 19.293,29 (10) RM 19.987,81 (9)

RM 12.974,45 (16/17)

30 % 9/8

RM 41.379,14 (5) RM 28.303,59 (8) RM 19.609,36 (13) RM 18.938,81 (16)

RM 18.658,26 (15) RM 23.981,79 (9) RM 10.368,47 (17) RM 10.456,75 (17) RM 19.181,39 (12) RM 19.284,87 (15)

30 % 7/6 30 % 13/12 30 % 7/6 30 % 7/6 10 Expl. mit 40 % 30 % 7/6 30 % 9/8 33 ⅓ % 9/8

RM 18.891,64 (14) RM 23.283,89 (10) RM 74.088,37 (1) RM 68.829,16 (1) RM 33.401,47 (5) RM 39.016,12 (7)

30 % 30 % 7/6 30% 7/6

RM 20.455,87 (8) RM 33.628,43 (7) RM 31.793,35 (6) RM 43.736,69 (4) RM 19.215,46 (11) RM 22.014,49 (12)

25 % u. 30 % 9/8 25 % 13/12 30 % 9/8

Allerdings: Mit der Zuteilung von Papierkontingenten allein war die Drucklegung von Lehrbüchern und anderen wissenschaftlichen Werken keineswegs gesichert, denn das gesamte deutsche Druckgewerbe hatte enorme Kapazitätsprobleme, die vor allem durch zerstörte Druckereien und die Vernichtung des Formelsatzes bedingt waren. Der Verlag Vieweg beispielsweise war für die Drucklegung mathematischer Publikationen eine wichtige Adresse. Hier wurden mathematische Zeitschriften und Bücher bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein gedruckt. Umso dramatischer spitzte sich die ohnehin angespannte Situation zu, nachdem die Druckerei Viewegs 1944 durch einen Bombenangriff zerstört worden war. Es war völlig unklar, wer den schwierigen Satz in Zukunft übernehmen konnte. 128 Vgl. Lange an die Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger, 9. März 1945, VA Springer, Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. 129 VA Springer, Ordner 1.23.4, Lehrbuchaktionen, die Zahlen des Julius Springer Verlags fehlen leider.

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Manuskripte von Monographien wurden in der Folge teilweise fotomechanisch vervielfältigt, aber grundsätzlich blieb das Problem weit über das Kriegsende hinaus bestehen.

Der Export von wissenschaftlicher Literatur und das Buchexport-Ausgleichsverfahren Der Münchner Verleger Friedrich Oldenbourg (1888 – 1941) versah 1931 seine Abhandlung über das wissenschaftliche Verlagswesen mit dem Titel Zur Weltgeltung des deutschen wissenschaftlichen Schrifttums und sein Verlegerkollege Bruno Hauff (1884 – 1963) vom medizinischen Thieme Verlag publizierte im selben Jahr den Aufsatz Die Aufgaben des wissenschaftlichen Verlages für die Weltgeltung des deutschen wissenschaftlichen Buches. Tatsächlich wurde die deutsche wissenschaftliche Buchproduktion, besonders medizinische, pharmakologische und naturwissenschaftlich-technische Titel, zu einem beträchtlichen Prozentsatz ins Ausland exportiert; ebenso wurden Übersetzungsrechte ins europäische Ausland und nach Übersee verkauft. Der Export wissenschaftlicher Literatur ins Ausland, besonders in die USA, nach Japan und in die Sowjetunion, war für die deutschen Wissenschaftsverleger von enormer ökonomischer Bedeutung. So urteilte im Sommer 1935 Franz Thierfelder (1896 – 1963), der Generalsekretär der Deutschen Akademie in München:130 »Das Buch und sein Absatz im Auslande ist keine wirtschaftliche Angelegenheit eines bestimmten Interessentenkreises, sondern eine Frage, die das geistige Schicksal unserer Nation in der Welt ganz entscheidend mitbestimmt.«131 Für den deutschen wissenschaftlichen Verlag allerdings gelte, dass er sich international eine gewisse Monopolstellung erarbeitet habe, die gepaart mit überhöhten Preisen, besonders bei Zeitschriften, zu einer Absatzkrise im Ausland geführt habe. Dieses tatsächlich bestehende Problem wurde bereits im Oktober 1933 auf internationaler Ebene auf der Jahrestagung der American Library Association in Chicago besprochen, zu der der Börsenverein Ferdinand Springer und den Verleger des Verlags Chemie, Hermann Degener (1874 – 1943), als Vertreter entsandt hatte.132 In Japan, England und den skandinavischen Ländern, die nach den USA zu den wichtigsten Abnehmern wissenschaftlicher Literatur aus Deutschland zählten, waren während und nach der Weltwirtschaftskrise die Budgets der Bibliotheken und der Universitäten stark gekürzt worden. Hinzu kamen Abwertungen der jeweiligen Landeswährungen, was dem Buch- und Zeitschriftenimport als weiteres Hindernis entgegenstand. Vor dem internationalen Bibliothekarskongress in Madrid 1935 wurde das Problem der teuren deutschen wissenschaftlichen Literatur wiederholt thematisiert, und vor allem von Seiten der USA wurde gedroht, deutsche wissenschaftliche Literatur zu boykottieren. In Deutschland waren 1933 im Vergleich mit 1932 die Deviseneinnahmen im Buchmarkt

130 Die Akademie zur wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums (Deutsche Akademie) bestand von 1925 bis1945 in München. Sie gilt als Vorläuferin der Goethe-Institute. 131 Thierfelder: Die deutsche Buchausfuhr, S. 3. – Allgemein zur Subventionierung des Buchexports ab 1935 vgl. den Beitrag Barbian: Der Buchmarkt, in diesem Band. 132 Vgl. Leyh: Die Zeitschriftenreform und das Abkommen von Chicago.

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um 17,8 Prozent zurückgegangen.133 Der Buchexport ging insgesamt zwischen 1933 und 1935 um mehr als 27 Prozent zurück.134 Das ökonomische Argument war jedoch nur von nachrangiger Bedeutung, da ein anderer Aspekt viel stärker gewichtet wurde: Um im Sinne der deutschen Kulturpropaganda einen stetig fortschreitenden Rückgang des Buchexports zu verhindern, sollte der Buchexport staatlich gefördert werden.135 Einen institutionellen Rahmen erhielt die Förderung durch die Errichtung der Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels am 1. August 1935.136 Hauptaufgabe der Wirtschaftsstelle war die Durchführung des Buchexport-Ausgleichsverfahrens, das eine Senkung der Auslandspreise von neuen Büchern, neuen graphischen Lehrmitteln, Zeitschriften und Musikalien um 25 Prozent vorsah. Ausgenommen waren Zeitungen, antiquarische Bücher mit aufgehobenem Ladenpreis sowie Veröffentlichungen aus Firmen, die nicht Mitglied der Reichspressekammer, Reichsschrifttumskammer oder Reichsmusikkammer waren. Das Verfahren wurde von mehreren Ministerien ins Leben gerufen: vom Reichsministerium für Finanzen, vom Reichswirtschaftsministerium und vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, dem schließlich im April 1938 die Wirtschaftsstelle direkt unterstellt wurde. Beginnend mit dem 9. September 1935 mussten deutsche Buchhändler auf Bestellungen aus dem Ausland einen Rabatt von 25 Prozent gewähren; dieser Preisnachlass wurde den Verlagen aus staatlichen Mitteln erstattet. Zur Finanzierung stellte das Reichsfinanzministerium 10 Millionen Reichsmark zur Verfügung; bis Kriegsbeginn war der Etat fast völlig ausgeschöpft. Das Ausland sollte allerdings von dieser staatlichen Entscheidung keinerlei Kenntnis erhalten, sondern sie sollte als »rein privatwirtschaftliche Maßnahme der deutschen Verleger erscheinen, mit der eine seit langem im Ausland erhobene Forderung eingelöst wurde«.137 Besonders günstig wirkte sich das Buchexport-Ausgleichsverfahren auf die wissenschaftlichen Verlage aus. Hatte ihr Förderanteil 1938 bei 21 Prozent für Bücher und bei 16,6 Prozent für wissenschaftliche Zeitschriften gelegen, so stieg er 1939 bereits auf 27,4 Prozent und 19,7 Prozent. Insbesondere stiegen die Exporte wissenschaftlicher Literatur nach Japan und in die USA.138 Am 30. September 1939, nur wenige Wochen nach dem Angriff auf Polen, wandte sich der Leiter der Fachgruppe Wissenschaftlicher Verlag der Gruppe Buchhandel in der Reichsschrifttumskammer, Arthur Georgi (1902 – 1970)139, mit einem »streng vertraulichen« Brief an die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verlag, um diese über die Frage der Bücherlieferung ins feindliche Ausland einschließlich dessen Kolonien zu informieren: 133 Vgl. den Geschäftsbericht des Vorstandes des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler zu Leipzig über das Vereinsjahr 1933. In: Börsenblatt 101 (1934) 90, S. 345. 134 Vgl. Knoche: Wissenschaftliche Zeitschriften, S. 262. 135 Siehe z. B. die Argumentation von Hunke: Buch und Buchhändler im neuen Staat, bes. S. 29 – 32. 136 Vgl. hierzu die Ausführungen von Hövel: Die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels, S. B1 –B16. 137 Barbian: Literaturpolitik im »Dritten Reich«, S. 648 f. 138 Vgl. Barbian, S. 652 f. 139 Sohn des gleichnamigen Berliner Verlegers Arthur Georgi, Inhaber des Paul Parey Verlags, von 1953 bis 1956 Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels.

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8 V er lagsbuchhand el Durch Rückfrage habe ich mich vergewissert, dass es im Interesse der Aufrechterhaltung des Exportes durchaus erwünscht ist, wenn der Verlag und die Exporteure sich zur Belieferung ihrer dortigen Kunden eines zuverlässigen Buchhändlers im neutralen Ausland bedienen. Wohl jeder Verleger wird bereits diesbezügliche Anfragen aus Holland, der Schweiz oder Dänemark erhalten haben. Ich bitte Sie, diesen Anfragen nachzugehen und nach Möglichkeit eine Uebereinkunft zu erzielen. Dabei erscheint es jedoch angebracht, in jedem Fall durch einen entsprechenden Vorbehalt darauf hinzuwirken, dass die Belieferung Ihrer buchhändlerischen und privaten Kunden im feindlichen Ausland einschl. dessen Kolonien über einen zuverlässigen neutralen Buchhändler nur für die Kriegszeit erfolgt, und dass Ihnen demgemäss die Kunden bei Kriegsschluss wieder zurückgegeben werden. Dass dieses ohne weiteres möglich ist und von den Buchhändlern des neutralen Auslandes auch nicht anders erwartet wird, zeigen die bisherigen Verhandlungen.140

Während des Zweiten Weltkriegs spielte das Buchexportausgleichsverfahren kaum noch eine Rolle und wurde am 1. April 1943 eingestellt.

Unberechtigte Nachdrucke wissenschaftlicher Titel in den USA und Japan während und nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschsprachige naturwissenschaftliche Literatur wurde weltweit rezipiert, insbesondere auch in den USA und Japan. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde dort der kontinuierliche Zufluss dieser Literatur schwierig – ein Problem, dem mittels Nachdrucken entgegengewirkt werden sollte. Bereits 1939 investierten die USA daher 1,5 Millionen Dollar für den Import naturwissenschaftlicher und technischer Bücher und Zeitschriften, hauptsächlich aus Deutschland.141 Das im Oktober 1939 von den amerikanischen Bibliotheken gegründete Joint Committee on Importations, das vom Außenministerium gefördert wurde und eng mit der Library of Congress zusammenarbeitete, hatte die Aufgabe, systematisch wissenschaftliche Literatur besonders aus Deutschland, aber auch aus Italien und Spanien zu besorgen. Von jedem erhaltenen Exemplar wurden bis zu 100 Kopien angefertigt, die dann an unterschiedliche Forschungsinstitutionen, Bibliotheken und industrielle Konzerne verteilt wurden.142 Die Finanzierung dieser Aktion übernahmen die Bibliotheken, die nun maßgeblich an der Bereitstellung kriegswichtiger Informationen beteiligt waren. Bis Kriegsbeginn war der Erwerb von Wissenschaftsliteratur aus Deutschland über den mittelatlantischen Seeweg relativ leicht. Nach dem englischen Embargo war der Seeweg verschlossen und nach dem Kriegseintritt der UdSSR auch der Weg über die transsibirische Eisenbahn nach Shanghai, wo aus Deutschland emigrierte Buchhändler für die Distribution deutscher Bücher sorgten. Nach dem Kriegseintritt der USA kam es dort 1942 zur Gründung einer neuen Organisation, die von der Regierung finanziert wurde, dem Interdepartmental Committee 140 Brief im VA Springer, Ordner 1.18.3 Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. 141 Vgl. Sarkowski: Amerikanische Nachdrucke, S. B97. Zum Nachdruck in den USA folgen die Ausführungen hier wörtlich Remmert/Schneider: Eine Disziplin und ihre Verleger, S. 214 – 216. 142 Vgl. Nemeyer: Scholarly Reprint Publishing, S. 37.

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for the Acquisition of Foreign Publications (IDC). Das IDC arbeitete streng geheim und unterstand dem United States Office of Strategic Services. Aufgabe des IDC war es, ausländische Exemplare deutscher Wissenschaftsliteratur ausfindig zu machen und zunächst für deren Mikroverfilmung zu sorgen. Bis Ende 1943 wurden regelmäßig ca. 250 Zeitschriften mit insgesamt ca. 5,5 Millionen Seiten auf Mikrofilm fotografiert.143 Obwohl sich diese Vorgehensweise bewährt hatte, waren die Mikrofilme problematisch in der Handhabung, weil nicht genügend Lesegeräte in den Bibliotheken zur Verfügung standen und die meisten Wissenschaftler die Filme als höchst unpraktisch empfanden. Man ging zum Nachdruck auf Papier über, was allerdings gegen das Copyright-Gesetz der USA verstieß. Daher wurde am 21. April 1942 das Office of the Alien Property Custodian (APC) wieder eingesetzt. Das APC war schon während des Ersten Weltkriegs 1917 mit dem Ziel gegründet worden, deutsche Patente und andere Urheberrechte der amerikanischen chemischen Industrie zugänglich und nutzbar zu machen. Es war der Justizbehörde untergeordnet und wurde im April 1942 von Präsident Roosevelt wieder ins Leben gerufen, um europäische wissenschaftliche und technische Zeitschriften feindlicher Nationen nachzudrucken. Grundlage war das ebenfalls seit 1917 existierende Gesetz »Trading with the Enemy Act«, das dazu bevollmächtigte, die Urheberrechte von Publikationen aus Feindesland auf die USA zu übertragen. Das vom APC initiierte Nachdruckprogramm umfasste mehrere Stufen: die Auswahl der nachzudruckenden Werke, die Beschaffung der Originale sowie die Distribution der Nachdrucke.144 Das APC gab mehr als 700 Titel zum Nachdruck frei, indem es Verlagen und Druckereien Lizenzen erteilte, die von den Lizenznehmern bezahlt werden mussten.145 Mit diesen Geldern sollten nach Kriegsende Schadensansprüche deutscher Verlage bezahlt werden, wozu es jedoch nie kam. Im Herbst 1943 wurde mit dem Nachdruckprogramm begonnen, an dem auch der emigrierte deutsche Verleger Walter J. Johnson (Jolowicz) mit der von ihm gegründeten Academic Press beteiligt war. Er druckte vor allem seine eigenen, in der Akademischen Verlagsanstalt erschienenen Bücher nach. Allerdings druckten auch andere Verlage Titel aus der Akademischen Verlagsanstalt nach. Der Springer Verlag war in allen Disziplinen besonders betroffen.146 Bei Büchern wurden nicht nur während des Krieges publizierte Titel nachgedruckt, sondern auch solche aus der Vorkriegszeit. Der Nachdruck von Büchern erfolgte in kommerziellen Druckereien oder Verlagen. Alle Publikationen erschienen mit dem Hinweis: »Published and distributed in the public interest by authority of the Alien Property Custodian« und unter Angabe der jeweiligen Lizenznummer. Die Preise der nachgedruckten Werke lagen erheblich unter dem Originalpreis, manchmal mehr als 50 Prozent. Die Firma Edwards Brothers Inc. in Ann Arbor Michigan wurde zum wichtigsten Produzenten deutscher Nachdrucke. Neben Edwards Brothers und Chelsea Publishing Company waren die New Yorker Firmen Dover Publications, Interscience Publishing und Mary S. Rosenberg, das Unternehmen einer 1939 aus Deutschland emigrierten Buchhändlerin und Antiquarin, am Nachdruck mathematischer Publikationen beteiligt. Bis weit in die 1950er Jahre hinein wurden deutsche Bücher in den USA nachgedruckt, 143 144 145 146

Vgl. Richards: Scientific information in wartime, S. 84. Vgl. Nemeyer: Scholarly Reprint Publishing, S. 41. Vgl. Sarkowski: Amerikanische Nachdrucke, S. B99. Vgl. die Aufstellung Bei Sarkowski, S. B100.

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z. B. eine größere Anzahl mathematischer Bücher vom in New York ansässigen Verlag Chelsea. So erschienen bis zum Herbst 1956 aus der von Springer publizierten Reihe Ergebnisse der Mathematik und ihrer Grenzgebiete 25 Titel.147 Diese Reihe sowie Springers Grundlehren der mathematischen Wissenschaften in Einzeldarstellungen wurden annähernd komplett in den USA nachgedruckt. Die Nachdrucke blieben auch nach dem Krieg ein grundsätzliches Problem, als die deutschen Verlage wieder auf den Markt traten und nun mit billigen Nachdrucken ihrer Originalausgaben aus den USA in Konkurrenz treten mussten.148 Das amerikanische Nachdruckprogramm hat, wie Reinhard Siegmund-Schultze betont hat, zu der paradoxen Situation geführt, dass während Mathematiker in Deutschland zunehmend von internationalen mathematischen Publikationen abgeschnitten wurden, gleichzeitig die deutschen mathematischen Ergebnisse eine große Verbreitung in den USA behielten.149 Tab. 4: Verzeichnis der Verlage, die vom unberechtigten Nachdruck wissenschaftlicher Titel in den USA besonders betroffen waren Verlag Julius Springer Akademische Verlagsges. Verlag Chemie Walter de Gruyter Georg Thieme Dr. Theodor Steinkopff Urban & Schwarzenberg Ferdinand Enke Johann Ambrosius Barth Gebr. Borntraeger S. Hirzel Friedr. Vieweg & Sohn 44 weitere Verlage Summe

Titel 238 48 10 12 9 48 2 32 29 14 23 10 114 589

Bände 390 89 45 36 18 47 13 33 31 15 25 10 122 874



Ladenpreis 4357,35 949,85 482,95 421,95 316,05 287,75 249,00 240,70 204,90 198,85 180,08 108,35 968,90 $ 8966,65

% 48,6 10,6 5,4 4,7 3,5 3,2 2,8 2,7 2,3 2,2 2,0 1,2 10,8 100,00

Quelle: Heinz Sarkowski: Der Springer-Verlag. Stationen seiner Geschichte. Teil 1: 1842 –1945. Berlin usw. 1992, S. 381 Ähnlich rege war der Nachdruck in Japan. Im Fall des Kriegsverbündeten Deutschlands wurde zwar nicht auf staatliches Betreiben, aber auf Initiative von Wissenschaftlern und Verlegern nachgedruckt. Vom 11. Mai 1942 existiert eine Verlagsnotiz aus dem Hause Springer, die im Rahmen einer Anfrage der Fachschaft Verlag vom 5. Mai 1942 erstellt 147 Vgl. Sarkowski, S. B103, Fußnote 11. 148 Vgl. hierzu auch Kleine: Raub deutscher Verlagsrechte; Albrecht: Raub deutscher Verlagsrechte. 149 Vgl. Siegmund-Schultze: The Emancipation of Mathematical Research Publishing in the United States from German Dominance, S. 159.

8.2 Wissen schaftlich e Verlag e

419

wurde und Auskunft gibt über die in Japan unberechtigt nachgedruckten SpringerTitel:150 Schon 1937 wurden durch die Firma Gloria Kobo (Niwa) in Osaka unberechtigte Nachdrucke von Vilhelm Bjerknes Physikalische Hydrodynamik (1933) und Wolfgang Pauli Die allgemeinen Prinzipien der Wellenmechanik (aus dem Handbuch der Physik, 1933) veröffentlicht. Der daraufhin von Springer angestrengte Prozess endete 1940 durch einen Vergleich. Gezahlt wurden durch die japanischen Verleger Bußen von zusammen 600 Yen. Die von Springer aufgewendeten Kosten der Rechtsverfolgung beliefen sich auf 2117,50 Yen. Ende 1939 wurden durch Rinsen Shoten, Kyoto, Nachdrucke zum Verkauf angeboten. Der durch diese Firma verbreitete Katalog enthielt etwa 30 Titel des Springer Verlags. Ebenfalls Ende 1939 wurde Nachdrucke durch die Firma Uchiyama Shoten, Tokio und Nagasaki, als Vertreterin von Bunrin Shoten, Shanghai, zum Verkauf angeboten. Betroffen waren u. a. zwölf medizinische Titel des Springer Verlages. Von 1939 bis 1941 wurden durch Kogyo Gijutsu Kenkujo (Kingo Ishii) in Kawasaki unberechtigte Nachdrucke von Egbert von Hoyer/Franz Kreuter Technologisches Wörterbuch (1932) und Wilhelm Jürgensmeyer Die Wälzlager (1937) angeboten. Im April 1941 wurde ein Nachdruck vom Landolt-Börnstein Physikalisch-chemische Tabellen durch die Firma Kokensha, Osaka, mittels Prospekt zu Schleuderpreisen angeboten. Im Sommer 1941 hatte das Auswärtige Amt auf Veranlassung der Deutschen Botschaft in Tokyo für das Deutsch-Japanische Kulturinstitut die Abtretung der Übersetzungsrechte einzelner Titel aus der Springer-Reihe Werkstattbücher verlangt. Zunächst sollten drei Werkstattbücher in Übersetzung erscheinen und jeden Monat zwei weitere folgen. Die Übersetzung von 30 Werkstattbüchern hatte der Verlag K. K. Kikai Seisaku Shiryo-Sha in Tokyo bereits öffentlich angekündigt. Springer lehnte dies aber ab, um den Absatz der aus Deutschland exportierten Bücher nicht zu beeinträchtigen. Im November 1941 hatte die in Kobe errichtete Filiale eines Verlages aus Shanghai durch Zeitungsanzeigen chinesische Nachdrucke von Beilstein Handbuch der organischen Chemie und von Berl-Lunge Untersuchungsmethoden zu Schleuderpreisen angeboten. Außerdem auch Houben Methoden der organischen Chemie (Thieme Verlag) und Ullmann Enzyklopädie der technischen Chemie (Urban & Schwarzenberg). Unberechtigte Nachdrucke und Übersetzungen deutscher Wissenschaftsliteratur sind bis weit in die Nachkriegszeit in den USA publiziert worden. Der Verlag Chelsea in New York beispielsweise hat 1948 ein ansehnliches Programm mit deutschen Nachdrucken mathematischer Titel von De Gruyter, der Akademischen Verlagsgesellschaft, B. G. Teubner und Springer aufgelegt.151 Noch in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre sind Neudrucke von deutschen Originalausgaben nachweisbar.

150 Vgl. VA Springer Ordner 1.18.3, Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger: Unberechtigte Übersetzungen und Nachdrucke der letzten Jahre in Japan. 151 Vgl. die Tabellen bei Remmert/Schneider: Eine Disziplin und ihre Verleger, S. 217 –220.

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Literatur Ungedruckte Quellen: Berlin, vormals Heidelberg



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Thomas Keiderling 8.3

Der Lexikonverlag

Die Jahre 1933 bis 1939 brachten dem deutschen Buchmarkt eine Binnenkonjunktur, die in erster Linie durch Kaufkraftsteigerungen hervorgerufen war.1 Die beiden großen Leipziger Verlage der Lexikonproduktion – F. A. Brockhaus und das Bibliographische Institut (»Meyer«) – konnten an diesem Aufschwung teilhaben, denn sie boten nicht nur eine breite Palette eigener Verlagsproduktion an, sondern nahmen in ihren Setzereien, Druckereien und Buchbindereien auch zahlreiche Fremdaufträge entgegen. Anhaltspunkte für die deutlich verbesserte Auftragslage bieten Umsatz- und Beschäftigungszahlen. So konnte die Belegschaft von Brockhaus im genannten Zeitraum von knapp 600 auf 1.100 Mitarbeiter fast verdoppelt werden. 1939 war es gelungen, den Verlagsumsatz des Vergleichsjahres 1913 auf das Zehnfache zu steigern. Die grafischen Abteilungen des Hauses brachten durchschnittlich noch einmal den gleichen Umsatz. Je hälftig waren sie für den eigenen Verlag und für fremde Kunden beschäftigt.2 Beim Bibliographischen Institut verlief die Entwicklung ähnlich. Der Umsatz verdoppelte sich zwischen 1931 und 1937. Beschäftigte das Unternehmen im erstgenannten Jahr 409 Mitarbeiter, waren es 1936 durchschnittlich 890; 751 davon arbeiteten allein in den technischen Betrieben.3 Beide Verlage erzielten aus der Produktion von Nachschlagewerken nur schätzungsweise 40 Prozent ihres Gesamtumsatzes.4 Diese relative Zurückhaltung resultierte aus Planungsunsicherheiten, die im NS-Staat durch die Überwachung der Lexika entstanden waren. F. A. Brockhaus verlegte neben Nachschlagewerken vor allem Reiseliteratur. Die Jahresproduktion in diesem Genre betrug 1933 14 Titel. Sie stieg bis 1938 auf einen Höchststand von 44 an und erreichte im zweiten Kriegsjahr noch einmal die Marke 40. Augenfällig bei der Reiseliteratur waren hohe Auflagenzahlen, wobei die jeweilige Auflagenhöhe meist im Bereich von 2.000 bis 5.000 Exemplaren lag. Der mit Abstand bedeutendste Verlagsautor war der Schwede Sven Hedin (1865 – 1952), der aus seiner Begeisterung für den Nationalsozialismus kein Geheimnis machte.5 Von ihm erschienen in der NS-Zeit 15 Titel. Zu einem wahren Publikumsrenner entwickelte sich seine dreibändige Reisebeschreibung Von Pol zu Pol.6 Nach Hedin war Colin Ross der zweiterfolg1 2 3 4

5 6

Vgl. Preispolitik und Lebensstandard, S. 23 f. Vgl. Erinnerungen von Hans Brockhaus, unveröffentlichtes Manuskript, o. O. o. J., Bl. 95. In: Brockhaus-Archiv, Wiesbaden. Vgl. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1936/1, 1937/1. Es handelt sich um eine grobe Schätzung, denn es gab beträchtliche jährliche Schwankungen. Nach einer Bilanzierung des Jahres 1933 wurden bei einem Gesamtumsatz des B. I. von 1,49 Mio. RM insgesamt 750.000 RM für die Ergänzungsbände 15 und 16 von Meyers Lexikon in der 7. Auflage und Meyers Kleinem Lexikon in der 9. Auflage erzielt, was einem Anteil von ca. 50 Prozent entsprach. Aber schon in den Jahren 1934 und 1935 sank dieser Anteil auf unter 30 Prozent, um danach wieder durch die 8. Auflage von Meyers Lexikon anzusteigen. Die Herausgabe der letztgenannten Ausgabe war betriebswirtschaftlich gesehen jedoch ein Verlustgeschäft. Vgl. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1933/4 –1936/2. Vgl. Brennecke: Sven Hedin mit Selbstzeugnissen. Das Werk war 1911 erstmals erschienen und erlebte in verschiedenen Folgen bis zu 82 Auflagen.

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reichste Schriftsteller, erst dann folgten William Beebe, Wilhelm Filchner und Alfred Wegener.7 Das Bibliographische Institut konzentrierte sich neben der Lexikonproduktion auf Zeitschriften, geografische Werke, Reisebücher und verschiedene Long- und Bestseller. Hervorzuheben sind sehr erfolgreiche Verlagsobjekte wie die Monatsschrift Atlantis. Länder, Völker, Reisen. Sie wurde 1932 mit ca. 15.000 Abonnenten übernommen und musste 1938 aufgrund einer Anordnung der Reichspressekammer mit 60.000 Abonnenten abgegeben werden.8 Des Weiteren sind zu nennen: Der Große Weltatlas 1933 (ca. 50.000 verkaufte Exemplare bis 1942), die Hindenburg-Biografie Aus meinem Leben 1934 (ca. 150.000 verkaufte Exemplare bis Ende 1934), der Duden Bde. 1 bis 4 (zusammen 400.000 verkaufte Exemplare bis 1935), Georg Steinhausens Geschichte der deutschen Kultur sowie Gerhard Krügers Geschichte des deutschen Volkes 1937 – 1944 in fünf Auflagen zuzüglich einer Feldpostausgabe.9 Für den Herder-Verlag, die Nummer drei auf dem deutschen Lexikonmarkt, haben sich keine Bilanzen erhalten. In den dreißiger Jahren erschienen mehrere katholische Lexika von mittlerem und kleinerem Umfang, darüber hinaus mehrbändige Textausgaben wie Die Heilige Schrift für das Leben erklärt als Herders Bibelkommentar (16 Bde, 1935 – 1942), das Staatslexikon (5. Auflage, 5 Bde., revidierte Fassung von 1933) sowie die Geschichte der führenden Völker (2 Bde., 1936 – 1939), von denen einige durch die Zensur behindert wurden. Das Verlagsprogramm wurde durch diverse theologische Einzelwerke abgerundet.

Die Großlexika Im Untersuchungszeitraum erschienen zwei große allgemeinbildende Enzyklopädien, worunter Ausgaben über zwölf Bände Umfang zu verstehen sind, mit der Besonderheit, dass sie eigentlich in der Weimarer Republik geplant worden waren und ein Teil der Bände vor 1933 erschienen war. Es handelt sich um den Großen Brockhaus und Oestergaards Lexikon.10

7 8

9 10

Vgl. F. A. Brockhaus 1905 –2005, S. 157 –161. Da der Buchhandel prinzipiell sowohl Bücher als auch Zeitschriften herstellt und verbreitet, war neben der RSK anfangs auch die Reichspressekammer (RPK) für Buchhandelsfirmen zuständig. Am 4. April 1934 wurden die Zuständigkeitsbereiche von Presse- und Schrifttumskammer aber voneinander getrennt. Zum ausschlaggebenden Kriterium für die Mitgliedschaft in einer der beiden Kammern wurde nun die Umsatzrelation zwischen den »Produktionssparten« Bücher, Zeitungen und Zeitschriften erklärt. Die RPK verfügte gegenüber dem B. I. 1938, die Zeitschrift Atlantis an den Atlantis-Verlag Dr. Hürlimann & Co. in Berlin und Zürich abzugeben. Druck, Auslieferung und Pacht des Inseratenteils verblieben weiterhin beim B. I. Vgl. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1938/4. Vgl. ferner hierzu Barbian: Literaturpolitik im NS-Staat, S. 106 f. Vgl. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1933/3, 1934/1. Zu beiden Auflagen siehe bereits Keiderling: Der Lexikonverlag, S. 445 –449. Zur Einteilung der Lexika in große, mittlere und kleine Ausgaben siehe ebd., S. 441.

8.3 Der Lexikonv er lag

427

Abb. 1: Händlerwerbung zum »Großen Brockhaus«. In: Börsenblatt 101 (1934) 98, S. 22. Von herausragender Bedeutung war Der Große Brockhaus in der 15. Auflage (1928 – 1935). Von 20 Bänden mit ca. 200.000 Stichwörtern waren zum Zeitpunkt der NSMachtübernahme 13 publiziert und mit Arbeitsaufnahme der zuständigen Zensurbehörde, der Parteiamtlichen Prüfungskommission (PPK), lagen im Jahr 1934 16 Bände vor. Somit ist es nicht verwunderlich, dass diese im Dritten Reich stets lieferbare Ausgabe historische und selbst politische Begriffe größtenteils sachlich und überparteilich darlegen konnte. Durch den Einfluss der Zensur war dieser Anspruch für die Schlussbände allerdings nicht mehr aufrecht zu erhalten. Der Verlag versuchte durch ca. 42.000 Abbildungen, die zum Teil im VierfarbenTiefdruck hergestellt wurden, zusätzliche Kaufanreize zu schaffen. Die Textbände waren bis 1935 erschienen. Komplettiert wurden sie durch einen »Ergänzungsband A – Z« (1935), der rund 9.000 Stichwörter, 1.460 Abbildungen, Karten und Pläne enthielt. 1937 kam noch ein Atlasband hinzu, der auf 680 Seiten Karten, Abbildungen und ein Namensverzeichnis brachte. Ein weiterer angekündigter Ergänzungsband erschien nicht mehr. Er sollte ca. 600 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und Karten umfassen und war als ein »fesselndes Gegenwartslexikon« mit inhaltlichen Bezügen zum NS-Staat konzipiert. Im Februar 1939 wurde das Erscheinen für November angekündigt, ab Mai konzentrierte sich allerdings die Verlagswerbung auf den Taschen-Brockhaus zum Zeit-

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geschehen (erstmals erschienen 1940), der vermutlich aus dem Material für den nie erschienenen Ergänzungsband zusammengestellt wurde.11 Im In- und Ausland wurde die 15. Auflage positiv besprochen. So griff eine Verlagsanzeige im Börsenblatt den Völkischen Beobachter auf: »F. A. Brockhaus ist mit seinem neuen ›Großen Brockhaus‹ seiner Tradition, stets das Beste für Deutschland zu wollen und die Weltgeltung des deutschen Namens nicht zu vergessen, treu geblieben.«12 Hinsichtlich seines Referenzcharakters im Vergleich zum »Meyer« äußerte sich der britische Bibliothekar John Duncan Cowley (1897 – 1944) wie folgt: Meyer, when it is up to date, is preferred in Germany for reference purposes. Both [»Meyer« und »Brockhaus«, Th. K.] are well and plentiful illustrated. Articles are brief and unsigned and, though references are given to other authorities, lenghty bibliographies are not as a rule provided. In some cases the bibliographies in Brockhaus are classified to show elementary, intermediate and advanced text-books, sources etc.13 Seit 1937 wurde eine »2. völlig neu bearbeitete Ausgabe« der 15. Auflage im BrockhausVerlag vorbereitet. Der erste und einzige Band erschien am 21. März 1939 auf einem holzhaltigen Papier mit sparsamer Rückenvergoldung. In der Presse wurde er als »großdeutsche Ausgabe« tituliert.14 Ein Jahr später wurde das Vorhaben allerdings abgebrochen. Die Gründe hierfür lagen in ökonomischen Erwägungen des Verlags zu Kriegsbeginn. Es spielte aber auch eine Rolle, dass die Verlagsleitung eine Beschädigung des internationalen Verlagsimages nicht riskieren wollte und gegenüber der Zensur aktiv nach Begründungsstrategien für die Projektaufgabe gesucht hatte.15 Oestergaards Lexikon in zwanzig Bänden wurde vom gleichnamigen Berliner Verlag seit 1930 angeboten und zielte im Vergleich zum Großen Brockhaus auf kaufkraftärmere Schichten. Die im Format kleinere Ausgabe war auch nur halb so teuer wie der Brockhaus. Im Vorwort des ersten Bandes hieß es: »Es soll nicht nur ein Nachschlagewerk, sondern zugleich ein Unterrichtswerk sein, das über die Schulbildung hinaus die Erkenntnisse wissenschaftlicher Forschung vermittelt.« Die Begriffe wurden ebenso kurz wie leicht verständlich erklärt und durch zahlreiche Schwarz-weiß-Abbildungen im Text und farbige Tafeln illustriert. Der Schwerpunkt lag auf der Länder- und Völkerkunde, aber auch auf technischen, medizinischen und juristischen Stichwörtern. Zu Beginn des Jahres 1933 lagen acht Bände vor, die weiteren erschienen bis 1937. Eine Durchsicht der im Dritten Reich erschienenen Teile lässt nur wenige politische Konzessionen an das NS-Regime erkennen. Dies war wahrscheinlich dadurch möglich, dass 11 12 13 14

15

Vgl. Bibliotheca Lexicorum, S. 104. Börsenblatt 101 (1934) 98, S. 22. Cowley: The Use of Reference Material, S. 61 f. Aus der Verlagswerbung: »Der Wiedereintritt des Deutschen Reiches in die Reihe der Weltmächte, sein Aufstieg zum größten Staat Europas […] kurz, die gewaltige Umgestaltung der Welt, die wir miterleben dürfen, hat mich veranlaßt, das größte volkstümliche Nachschlagewerk deutscher Zunge in Verbindung mit Hunderten von Mitarbeitern neu zu bearbeiten.« Brockhaus-Verlagswerbung im Briefwechsel Christoph Schomerus. In: Staatsbibliothek zu Berlin, Nachl. 494 Vandenhoeck & Ruprecht, G 1937 –1970. Tasche 199, Bl. 363. Vgl. den folgenden Abschnitt: Die Überwachung der Lexikonproduktion.

8.3 Der Lexikonv er lag

429

politische und zeithistorische Artikel von vornherein deutlich unterrepräsentiert waren und somit der Zensurbehörde PPK nur eine vergleichsweise geringe Anzahl von Einträgen vorgelegt werden musste.

Mittlere und kleinere Lexikonausgaben Das bedeutendste mittlere allgemeine Nachschlagewerk der NS-Zeit (fünf bis zwölf Bände) war Meyers Lexikon in achter Auflage, ursprünglich angelegt auf zehn Textbände sowie einem Atlas- und Registerband. Kriegs- und zensurbedingt wurde es allerdings nicht vollendet. Zwischen 1936 und 1942 erschienen neun Textbände (Bde. 1 bis 9) sowie der Atlasband (Bd. 12, 1936); nicht hingegen Band 10 (»Vox – Zz«) und der Registerband 11. Die Standardausgabe war in braunem Kunsthalbleder mit roten Rückenschildern erhältlich, was ihr sofort den doppeldeutigen Namen »Brauner Meyer« einbrachte. Zudem erschien eine beige-weiße Prachtausgabe in Halbfranzausführung mit dunkelbraunen Rückenschildern. Den Angaben auf den Titelblättern der Textbände zufolge sollte die Ausgabe 20.000, größtenteils farbige Abbildungen enthalten. Aufgrund des nicht erschienenen Schlussbandes dürfte deren Zahl bei 18.000 liegen. Um das nötige Papier herbeizuschaffen, waren elf Eisenbahnzüge zu je zwanzig Waggons nötig. Das Setzen des Textes brauchte 82.500 Arbeitsstunden, der Druck der Auflage 21.500 Stunden.16 Die Auflage war bis 1942 in schätzungsweise 28.000 Serien verkauft. Für eine letztlich unvollständig gebliebene Ausgabe war das ein ansehnliches Ergebnis. Dennoch, so schätzte es der damalige Vorstand Otto Mittelstaedt rückblickend ein, war das Lexikon aufgrund der hohen Herstellungskosten und der Konkurrenz durch Brockhaus ein Minusgeschäft. Die Kostendeckung hätte man erst bei ca. 40.000 verkauften Serien erreicht.17 Im Herder-Verlag erschien zwischen 1931 und 1935 Der Große Herder. Nachschlagewerk für Wissen und Leben in einer vierten, völlig neu bearbeiteten Auflage. Die zwölfbändige Ausgabe des Konversations-Lexikons enthielt ca. 180.000 Stichwörter mit 21.500 Abbildungen und wurde durch einen Welt- und Wirtschaftsatlas ergänzt. Bis 1933 lagen vier Bände vor. Die Gesamtauflage betrug 40.000 Komplettexemplare bzw. 520.000 Einzelbände.18 Neben großen Länderartikeln wurden hunderte von sogenannten Rahmenartikeln in den Text eingestellt, die bereits beim Kleinen Herder (1925) Verwendung gefunden hatten. Dabei handelte es sich um Stichwörter von ein bis sechs Seiten, die durch einen schwarzen Rahmen hervorgehoben wurden. Band 9 (1934) enthielt 52 Rahmenartikel, zu Begriffen wie Pflicht, Philosophie, Planwirtschaft, Plastik der Gegenwart, Politik, primitive Kunst, Propaganda, Protestantismus und Reichskanzler. Das Lexikon sollte nicht nur der reinen Wissensvermittlung dienen, sondern war auch als Anleitung zur »katholischen Lebensgestaltung« gedacht.19

16 17 18 19

Vgl. Menz: Hundert Jahre Meyers Lexikon, S. 67. Vgl. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1936/7. Die dort abgebildete Tabelle ist allerdings irreführend, weil sie neben den tatsächlichen Verkaufszahlen der Anfangsbände auch Prognosen für die nicht erschienenen Bände enthält. Die erhöhte Zahl der Einzelbände rührt daher, dass vom Band 1 für Werbezwecke stets mehr Exemplare gedruckt wurden und erfahrungsgemäß einige Besteller ihre Abnahme nach einigen Lieferungen wieder einstellten. Vgl. Bibliotheca Lexicorum, S. 234 –237.

430

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Abb. 2: »Meyers Lexikon« in der 8. Auflage 1936 – 1942. Der 1919 gegründete Berliner Propyläen-Verlag war ursprünglich ein Imprint des Ullstein-Konzerns. Mit der Enteignung Ullsteins 1934 wurde Propyläen, im Gegensatz zu Ullstein,20 unter demselben Namen fortgeführt. Hier erschien seit 1934 Das kluge Alphabet. Konversationslexikon in zehn Bänden im kleinen Oktav (11,5 cm x 17 cm). Es handelte sich um eine preiswerte Ausgabe zum Originalpreis von drei RM pro Band. Aktualisierte Ausgaben folgten jährlich, ohne Jahresbezeichnungen, zwischen 1935 und 1939 mit einem achtseitigen Nachtrag »Politische Veränderungen der letzten Zeit«. Zur Entstehungsgeschichte war Folgendes zu erfahren: Der Ullstein-Verlag plante ursprünglich, ein deutsches Gegenstück zur Encyclopaedia Britannica unter dem Namen Deutsche Enzyklopädie herauszubringen. Als dieses Vorhaben aufgegeben wurde, verarbeitete man das bereits vorhandene Material im Klugen Alphabet. Das Werk wurde in einer Auflage von 120.000 Komplett-Exemplaren produziert und verkaufte sich bis 1941 fast vollständig.21 Eine doppelt so teure Ausgabe in Halbleder kam in geringer Auflagenhöhe heraus.22 Das Lexikon stellte unter anderem zahlreiche NS-Behörden, -Organisationen und staatsnahe Personen vor. Die Verlagswerbung betonte, es handle sich um ein »Volks-Lexikon, das neben den traditionellen Großbändern seinen guten Markt hat wie das Volksauto neben dem schweren Reisewagen«.23

20 21 22 23

Der Ullstein Verlag wurde 1934 »arisiert« und ging an die Cautio Treuhand, hinter der Max Amann und de facto der Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachfolger GmbH standen. Seit 1937 firmierte er als Deutscher Verlag. Vgl. Wippermann: Eule und Hakenkreuz, S. 205. Vgl. ebd., S. 214. Vgl. Bibliotheca Lexicorum, S. 312 –314. Börsenblatt 101 (1934) 30, vor S. 479.

8.3 Der Lexikonv er lag

431

Jüdische Nachschlagewerke wurden bald nach der NS-Machtergreifung verboten und die Autoren, Herausgeber und Verleger verfolgt. So musste die deutschsprachige Encyclopaedia Judaica (1928 – 1934), erschienen im Berliner Eschkol-Verlag unter Leitung des Herausgebers Nahum Goldmann, nach nur zehn von 15 Bänden beim Buchstaben L eingestellt werden. 40.000 bereits gedruckte Exemplare wurden in Leipzig vernichtet.24 Eine zehnbändige »Allgemeine Enzyklopädie« (Algemaine Enşiqlopedie) in jiddischer Sprache, für die 1933 ein Probeheft vorgelegt wurde,25 erschien ab 1934 im Ausland. Sie ging auf eine Anregung des 1925 in Berlin gegründeten internationalen Jiddischen Wissenschaftlichen Instituts (YIVO) zurück.26 Des Weiteren sind mehrere Publikationen des Jüdischen Buchverlags Philo in Berlin zu nennen: Zwischen 1935 und 1937 verlegte er vier Auflagen des Philo-Lexikons, ein »Handbuch des jüdischen Wissens«, Abb. 3: Titelblatt »Das kluge Alphabet«. ferner ein Philo-Zitaten-Lexikon (1936) In: Bibliotheca Lexicorum, S. 313. und einen Philo-Atlas als »Handbuch für die jüdische Auswanderung« (1938).27 Im kleinen Lexikonbereich (ein bis vier Bände) sind folgende allgemeine Lexikonausgaben beispielhaft zu erwähnen: Bei F. A. Brockhaus wurde als Neuerung ein Zwitter zwischen einem Sach- und Sprachwörterbuch vorgelegt. Für diese Schöpfung wurde ein veränderter Name kreiert: Der Neue Brockhaus. Allbuch in vier Bänden und einem Atlas (1936 – 1938). Es handelte sich um ein Konversationslexikon, das den deutschen Wortschatz umfassend verzeichnete und über 10.000 Abbildungen und Karten im Text enthielt.28 Zwischen 1941 und 1943 folgte eine zweite, verbesserte Auflage.29 Diesem Werk sind in relevanten Artikeleinträgen zur Politik und Zeitgeschichte die Auswirkungen der NS-Zensur anzumerken. In der nationalsozialistischen Bücherkunde hieß es 1937:

24 25 26 27 28 29

Vgl. Engelhardt: The Encyclopaedia Judaica (1928 –1934). Vgl. Algemaine Enşiqlopedie, Probeheft, Berlin: Dubnow-Fonds 1933. Vgl. Brief des Dubnow-Fonds, Gesellschaft für die jiddische Encyclopaedie. Vgl. ferner Aptroot/Gruschka: Jiddisch, S. 140 –144. Vgl. ferner Trachtenberg: »A Bible for a New Age«. Vgl. Urban-Fahr: Der Philo-Verlag 1919 –1938. Vgl. Hübscher: Hundertfünfzig Jahre F. A. Brockhaus, S. 241. Der Atlas konnte kriegsbedingt nicht erscheinen. Vgl. Vollständiges Verzeichnis, S. 47. Vgl. Der Fabianer (1937) 2, S. 12.

432

8 V er lagsbuchhand el Hier wird der Versuch gemacht, den Lexikontyp weiter zu entwickeln zu einem auf breitesten Absatz berechneten Werk mit niedrigem Preis, das mit dem Konversationslexikon ein Wörterbuch der deutschen Sprache und einem illustrierten Weltatlas vereinigt.

Und mit kritischem Unterton wurde hinzugefügt: So stürmisch und ausladend die Entwicklung des Verlages Brockhaus im 19. Jahrhundert gewesen ist, so zurückhaltend und ruhig war sie in den letzten Jahrzehnten. So stark sie einst von politischen Ideen mitbestimmt wurde, so wenig spielen diese heute eine spürbare Rolle.30 Zwischen 1931 und 1944 erschien der Volks-Brockhaus als eine »volkstümliche« Ausgabe zum niedrigen Preis von 5 bis 5,50 RM in zehn Auflagen. 1935 wurde der SprachBrockhaus als bebildertes Wörterbuch der deutschen Sprache in einem Band veröffentlicht. Die Idee hierzu hatte Hans Brockhaus bereits während seiner Lehrzeit in Paris 1912/13 entwickelt. Ihn beeindruckte, mit welchem Interesse die Franzosen linguistische Aspekte selbst in der Tagespresse erörterten. Ein neues Wörterbuch sollte eine vergleichbare Diskussion anregen.31 Der Leipziger Verlag Georg Dollheimer brachte nach dem Titelblatt 1938, eigentlich aber schon 1937, ein Großes Buch des Wissens in zwei Bänden heraus. Als ein Allgemeinlexikon präsentierte es die Einträge in alphabetischer Ordnung und ließ überdeutlich Spuren nationalsozialistischer Indoktrination erkennen. So wurde den Juden die »Neigung zu Fettleibigkeit«, ein »zwiespältiges Wesen, Abneigung gegen körperliche Arbeit« und ein »Unvermögen zu schöpferischer geistiger Tätigkeit« unterstellt. Albert Einsteins Relativitätstheorie bezeichnete man als »lange überschätzt«.32 Mehrere Lexika im mittleren Bereich waren thematisch spezialisiert, so etwa das Lexikon für Theologie und Kirche vom Herder-Verlag (10 Bde, 1930 – 38). 1940 erschien in Tokio der erste von fünf Bänden einer japanischen katholischen Enzyklopädie namens Katorikku Daijiten (bis 1960). Der Text wurde von der Freiburger Lexikonredaktion erarbeitet, die Sophia-Universität Tokio fungierte als Herausgeber und Verlag der Übersetzung. Es soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass rein grammatikalische und sprachliche Wörterbücher nicht im Fokus dieses Überblicks stehen, auch wenn für diese Ausgaben, wie es das Beispiel Trübners Deutsches Wörterbuch (4 Bde., 1939 – 1943) zeigt, bereits einschlägige Forschung vorliegt.33

30 31 32 33

Fünf Generationen am Werk, S. 252. Vgl. Erinnerungen Hans Brockhaus. In: Brockhaus-Archiv, Wiesbaden. Vgl. Hübscher: Hundertfünfzig Jahre F. A. Brockhaus, S. 240 f. So in: »Dollheimers Großes Buch des Wissens in zwei Bänden«, passim. Vgl. auch Bibliotheca Lexicorum, S. 167. Vgl. Mückel: »Trübners Deutsches Wörterbuch«.

8.3 Der Lexikonv er lag

433

Tab. 1: Kleine allgemeine Lexikonausgaben 1933 –1945, Kriterium 1 –4 Bände (Auswahl) Verlag; Verlagsort Beckmann; Leipzig Bibliographisches Institut (Meyer); Leipzig

Brockhaus, F. A.; Leipzig

Deutsche BuchGemeinschaft; Berlin Dollheimer, Georg; Leipzig Knaur Nachf., Th.; Berlin Vollmer; Münster

Lexikonausgabe(n) Das neue Welt-Lexikon mit Welt-Atlas A – Z, 1936 Meyers Kleines Lexikon, 3 Bde., 8., 9. Aufl., verb. und erweiterter Neudruck der 9. Aufl. mit einem Nachtrag, 1931 – 1933, 1933 – 1934, 1936; Meyers Blitz-Lexikon. Die Schnellauskunft für jedermann in Wort und Bild, 3. neubearb. und verb. Aufl., ohne Jahr (nachgedruckt auf Veranlassung der Kriegsgefangenenhilfe des Weltbundes der Christlichen Vereine junger Männer, Genf 1942) Der Neue Brockhaus. Allbuch in vier Bänden und einem Atlas, 1936 – 1938; Der Volks-Brockhaus, 2. verb. bis 10. Aufl., 1933 – 1944; Sprach-Brockhaus, 1. bis 4. Aufl., 1935 – 1941 Von A – Z. Das Konversationslexikon der Deutschen Buchgemeinschaft, 3. neubearb. und verb. Ausgabe, 1933 (nur für Mitglieder, Druck beim Bibliographischen Institut Leipzig) Dollheimers Großes Buch des Wissens in zwei Bänden, 1938 [recte 1937] Knaurs Lexikon. A – Z, 1938 und 1939 Das neue Reichsbürger-Lexikon von Albert Bernstorff [erweiterte Ausgabe des von Fr. Steinwart bearbeiteten »Kleinen Staatsbürger-Lexikons«], 1936

Im Bereich der kleinen Lexika sind zahlreiche Neuerscheinungen und Nachauflagen zu nennen, die ein breites Themenspektrum abdeckten. Es reichte von Nachschlagewerken zur ›Lebensführung‹ und Freizeitbeschäftigung (u. a. Naturform-Lexikon 1933, Beckmanns Sport-Lexikon 1933, Sozialpolitisches Lexikon 1938) über Militaria (RekrutenLexikon 1935, Soldatenlexikon 1936, Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen 1940 und 1942), Fachlexika (Lexikon des gesamten Buchwesens 1935 – 1937, Handbuch des Betriebsführers 1940 und 1942), Gesundheitslexika (Lexikon der Naturheilkunde 1937, Knaurs Gesundheits-Lexikon 1940) bis hin zu Werken für Frauen (Das Lexikon der Hausfrau 1937, IWA. Ich weiß alles 1937) und Jugendliche (Die Wissenskiste. Voigtländers Jugendlexikon 1936). Je nach Sachgebiet und Intention der Verlage findet sich der Zeitgeist in diesen Werken in unterschiedlichem Maße wieder. So enthielt das Jugendlexikon des Leipziger Verlags Voigtländer Die Wissenskiste (1936) auf 340 Seiten 4.200 Stichwörter und 800 Abbildungen und war im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Nachschlagewerken eher neutral gehalten. Der Münchner Lux-Verlag gab 1937 ein kleinformatiges, 600-seitiges Gesundheits- und Haushaltslexikon heraus namens IWA. Ich weiß alles. Ein Nachschlagebuch der deutschen Hausfrau für alle Gebiete des häuslichen Lebens. Es bot 5.600 Stichwörter mit praktischen Tipps und Erklärungen zu Haushalt, Gesundheit, Ehe und war

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bei politischen Begriffen nationalsozialistisch geprägt.34 Die Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung in Leipzig publizierte zwischen 1940 und 1944 vier Auflagen eines wissenschaftlichen Gegenwartslexikons als Lesebuch mit Kurzvorträgen von Rudolf Sängewald. Mehr als 200 Stichwörter präsentierten neue Forschungsergebnisse aus Naturwissenschaft und Technik, etwa zu den Themen Entfremdungserlebnis, Geruchsforschung, Großwetterforschung, Haarforschung oder Strahlenbiologie. Schließlich sind auch antisemitische Nachschlagewerke erschienen, so etwa das Lexikon der Juden in der Musik in drei Ausgaben und insgesamt 14.000 Exemplaren zwischen 1940 und 1943. Als ein Personenlexikon angelegt, sollte es die »so gründlich vergessenen«, »berüchtigten« und »früher viel genannten Juden« der jüngeren Generation anzeigen. Hierin befand sich ein besonders langer Artikel zu Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809 – 1847), der dessen Person und musikalisches Schaffen herabzuwürdigen suchte.35 Diese und weitere thematisch spezialisierte kleine Lexikonausgaben sind in einer Auswahl in der folgenden Tabelle zusammengestellt. Tab. 2: Kleine Lexikonausgaben mit thematischer Einschränkung 1933 –1945, Kriterium 1 –4 Bände (Auswahl) Verlag; Verlagsort

Lexikonausgabe(n)

Beckmann; Leipzig Bibliographisches Institut (Meyer); Leipzig

Beckmanns Sport-Lexikon, 1933 Meyers Deutsches Polizei-Lexikon. Mit einer bis auf die Gegenwart fortgeführten Gesetzestafel, 2 Bde., 1937 (Nachträge 1937/39) Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen, 1. Aufl., 1940; 2. Aufl./2., erw. Aufl., beide 1942 Das Lexikon der Hausfrau. Ein praktischer Ratgeber für Heim und Familie, Wegweiser durch Haushaltsführung, Gesundheitspflege, Erziehung, Rechtsfragen und alle anderen Gebiete des häuslichen Lebens, neue Aufl., 1940 und 1943; Lexikon der Gesundheit. Ein praktischer Ratgeber für gute und böse Tage, ein Wegweiser zu Gesundheit und Lebensfreude, 1942 Handbuch des Betriebsführers. BetriebsführerLexikon, hrsg. von Otto Jamrowski, 1. und 2. Aufl., 1940 und 1941 Gegenwartslexikon, 1. bis 4. Aufl., 1940 – 1944

Brockhaus, F. A.; Leipzig Deutscher Verlag; Berlin [siehe Ullstein-Verlag]

Deutscher Verlag für Politik und Wirtschaft; Berlin Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung; Leipzig

34 35

Vgl. Bibliotheca Lexicorum, S. 208 und 300. Vgl. Lexikon der Juden in der Musik. Zitate aus dem Vorwort, S. 5; Eintrag zu MendelssohnBartholdy, S. 180 –184.

8.3 Der Lexikonv er lag Verlag; Verlagsort Franckh’sche Verlagsbuchhandlung; Stuttgart

Hahnefeld, Bernhard; Berlin

Heymann; Berlin

Hiersemann; Leipzig Knaur Nachf., Th.; Berlin Koehler, Fritz Otto; Berlin Lux-Verlag; München Mohr, J. C. B. (Paul Siebeck); Tübingen Naturform-Verlag; Berlin

435 Lexikonausgabe(n) Rekruten-Lexikon. Ein Merkbuch für den werdenden Soldaten von Walter Haas, 2. Aufl., 1935; Nachrichten-Lexikon. Ein Merkbuch für den Soldaten der Nachrichtentruppe und der TruppenNachrichtenverbände von Karl Wagner, 3. bis 7. Aufl., 1935 – 1941; Soldatenlexikon. InfanterieDienst-Lexikon. Ein Merkbuch für den Infanteriedienst aller Waffen von Walter Haas, 1936; Pionier-Lexikon. Ein Merkbuch für den Pionierdienst von Hans Jordan, 1. und 2. Aufl., 1936 und 1938; Unterführerlexikon. Ein Merkbuch für den Infanteriedienst von Walter Haas, 8. Aufl., 1937; Tornister-Lexikon für Frontsoldaten von Gerhard Bönicke, 1943; Sanitäts-Lexikon. Ein Nachschlagewerk für alle Sanitäts-Dienstgrade und Krankenträger der Wehrmacht von Johannes Gebler, 1944 Lexikon der Juden in der Musik. Mit einem Titelverzeichnis jüdischer Werke auf Grund behördlicher, parteiamtlich geprüfter Unterlagen, bearb. von Theo Stengel. Zusammengestellt im Auftrag der Reichsleitung der NSDAP, 1. bis 3. Ausgabe, 1940 – 1943 Kleines Olympia-Sport-Lexikon von Siegfried Hirt, 1936; Wehr-Lexikon. Was jeder Deutsche von der Wehr wissen muss, hrsg. und bearb. von Friedrich Stuhlmann, 1936 Lexikon des gesamten Buchwesens, hrsg. von Karl Löffler und Joachim Kirchner, 3 Bde., 1935 – 1937 Knaurs Gesundheits-Lexikon. Ein Führer für alle durch das Gesamtgebiet der modernen Medizin von Peter Hiron, 1940 Sozialpolitisches Lexikon. Praktischer Ratgeber für alle Fragen des sozialen Lebens, hrsg. von Hans Wolkersdörfer, 1938 IWA. Ich weiß alles. Ein Nachschlagebuch der deutschen Hausfrau für alle Gebiete des häuslichen Lebens, 1937 Statistisches Lexikon von Bruno Gleitze, 1935 Naturform-Lexikon. Lexikon und Adreßbuch für Naturheilkunde und Lebensreform von Heinrich Tiefrenger, 1933

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Verlag; Verlagsort Philo Jüdischer Buchverlag; Berlin

Selbstverlag der Publikationsstelle für den Dienstgebrauch; Berlin Reclam jun., Ph.; Leipzig Ullstein-Verlag; Berlin [siehe Deutscher Verlag]

Union Deutsche VerlagsGesellschaft; Stuttgart Voigtländers Verlag; Leipzig Weller & Co.; Leipzig

Lexikonausgabe(n) Philo-Lexikon. Handbuch des jüdischen Wissens, hrsg. von Emanuel Gorion, 1. bis 4. verm. und verb. Aufl., 1935 – 1937; Philo-Zitaten-Lexikon. Worte von Juden – Worte für Juden, hrsg. von Ernst Fraenkel, 1936; Philo-Atlas. Handbuch für die jüdische Auswanderung, hrsg. von Ernst G. Löwenthal, 1938 Weißruthenien und die Weißruthenen in bolschewistischer Auffassung. Eine Reihe von Artikeln aus der Großen Sowjet-Enzyklopädie, übers. von Wera Borchert (Schriften der Publikationsstelle für den Dienstgebrauch), 1942 Lexikon der Naturheilkunde von Alfred Brauchle, 3. Aufl., 1937 Das Lexikon der Hausfrau. Ein praktischer Ratgeber für Heim und Familie, Wegweiser durch Haushaltsführung, Gesundheitspflege, Erziehung, Rechtsfragen und alle anderen Gebiete des häuslichen Lebens, 9. Aufl., 1937 Das kleine Lexikon der Technik. Ein Auskunftsbuch für jedermann von Franz Kollmann, 1941; MusikABC. Universal-Lexikon für Musikfreunde und Rundfunkhörer von Erwin Schwarz-Reiflingen, 1941 Die Wissenskiste. Voigtländers Jugendlexikon, hrsg. von Hans Lang, 1936 Wie wird regiert? Politisches Lexikon aller Länder der Erde von Hans Kern, 1935

Die Überwachung der Lexikonproduktion Die wesentlichen NS-Überwachungsorgane des Buchhandels wurden in den Jahren 1933 und 1934 geschaffen. Am 22. September 1933 wurde das Gesetz über die Bildung einer Reichskulturkammer erlassen, am 15. November nahm die ihr untergeordnete Reichsschrifttumskammer in Berlin ihre Tätigkeit auf.36 Am 16. April 1934 wurde in München eine Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums (PPK) etabliert, deren Verwaltungsapparat noch im November nach Berlin verlegt wurde.37 Sie sollte diejenigen Buchtitel überwachen, die sich mit politisch-weltanschauli36 37

Vgl. Reichsgesetzblatt 1 zur Durchführung des Reichskammergesetzes, S. 1. Als Gründungsdatum wird manchmal auch der 15. März 1934 angegeben. An diesem Tag wurde eine entsprechende Gründungsverfügung durch Rudolf Heß erlassen. Vgl. Barbian: Literaturpolitik im NS-Staat, S. 163. Lexikoneinträge des Dritten Reichs gaben Folgendes an: Meyers Lexikon (8. Auflage) den 15. April und Schlag nach 1933 bis 1940 (1940) den 16. April. Die dortigen Einträge wurden direkt durch die PPK vorformuliert bzw. abgesegnet und geben somit die offizielle Version des Dritten Reichs wieder.

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chen, wirtschaftlichen, kulturellen, historischen Darstellungen der NSDAP und ihrer Gliederungen sowie den Biografien führender NS-Persönlichkeiten befassten.38 Da auch die einflussreichen, universalen Nachschlagewerke diese Themen berührten, wurden die Lexikonverlage der PPK unterstellt. Leiter der Einrichtung war Philipp Bouhler, der im November 1934 zusätzlich zum Chef der Kanzlei des Führers avancierte und somit Hitler persönlich unterstand. Sein Stellvertreter und Geschäftsführer der PPK war KarlHeinz Hederich, der die eigentliche operative Arbeit der Zensurbehörde leitete. Die Parteiamtliche Prüfungskommission stockte zwischen 1937 und 1939 ihren Etat deutlich auf. Bei Kriegsausbruch beschäftigte sie 127 Angestellte, während des Kriegs wurde der Apparat auf 60 Mitarbeiter verkleinert, wobei mehr als 500 Außenlektoren die Begutachtungen vornahmen.39 F. A. Brockhaus wurde während der NS-Zeit von Hans Brockhaus (1888 – 1965), einem Vertreter der fünften Unternehmergeneration, und dessen Onkel Fritz (1874 – 1952) geleitet. Beide waren Sympathisanten des deutschnational-konservativen Lagers, wobei sie sich aufgrund ihrer lexikografischen Grundeinstellung politisch nicht betätigten.40 Die 15. Auflage des Großen Brockhaus, geplant auf 20 Bände, war im Moment der »Machtergreifung« bis zum 13. Band erschienen. Karl Pfannkuch, seit der im Herbst 1933 erfolgten Pensionierung Hermann Michels41 neu ernannter Lexikon-Chefredakteur, nahm den Kontakt zur PPK auf, um deren Erscheinen genehmigen zu lassen. Da nur wenige Briefe und Gesprächsnotizen mit der PPK erhalten sind, kann das beiderseitige Verhältnis nur bruchstückhaft rekonstruiert werden.42 Die Strategie der Verlagsleitung bestand ganz offensichtlich darin, die Funktionäre durch eine enge Fühlungnahme für sich zu vereinnahmen. Auf diese Weise hoffte sie, Verständnis für ihr Unternehmen und insbesondere gewisse Freiräume für die Durchsetzung liberalerer Formulierungen im Lexikon zu erzielen. Hans Brockhaus vertrat rückblickend die Auffassung, man habe im Ringen um ein »wahrhaftiges Lexikon« einige vorzeigbare Erfolge erringen können. So habe die Verlagsredaktion in mühevoller Kleinarbeit versucht, Milderungen und Abschwächungen in die vorgegebenen Artikel einzubauen.43 Diese konzeptionelle Auseinandersetzung mit der PPK muss zweifelsohne gewürdigt werden, sie hatte aber nichts mit einem ›Widerstand‹ im Dritten Reich zu tun. Denn die Unternehmens- und Redaktionsleitung setzte sich auch bei Streitigkeiten um die konzeptionelle Anlage der Nachschlagewerke im Allgemeinen oder um Formulierungen in einzelnen Stichwörtern im Besonderen keinen persönlichen Gefahren aus, so dass man in der RSK und PPK von der weltanschaulichen Zuverlässigkeit der Familie wie 38 39 40

41 42 43

Vgl. Barbian: Literaturpolitik im NS-Staat, S. 162 –179. Vgl. ebd., S. 168 und 178. Nähere biografische Angaben vgl. Gebhardt: Geschichte der Familie Brockhaus. Vgl. ferner F. A. Brockhaus 1905 –2005, S. 256 –259. Die lexikografische Grundhaltung geht u. a. aus einem firmeninternen Dokument, dem »Lexikon-Archiv« von Hans Brockhaus hervor, das er in den Jahren 1931 bis 1933 zusammenstellte. Vgl. F. A. Brockhaus 1905 –2005, S. 108 f. Die Firmenleitung half dem Philologen und langjährigen jüdischen Chefredakteur Hermann Michel bei der Ausreise nach England; Michel verstarb dort 1946 in Hayward Heath (Surrey). Vgl. Erinnerungen Hans Brockhaus, Bl. 145. In: Brockhaus-Archiv, Wiesbaden. Vgl. Brockhaus: Die Ausübung der national-sozialistischen Zensur gegenüber dem Brockhaus-Verlag, S. 4. In: Brockhaus-Archiv, Wiesbaden.

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der Redaktion überzeugt war. Eine intensive, rein fachliche Auseinandersetzung zwischen dem Verlag und den genannten Überwachungsbehörden entspann sich beispielsweise infolge der Veröffentlichung neuer Deutscher Einheits-ABC-Regeln für Bibliothekare 1941. Danach sollten Umlaute in der ABC-Folge der deutschen Nachschlagewerke neu geordnet werden (Gleichsetzung ä mit a, ö mit o und ü mit u). Diese Frage war für die Lexikonverlage von großer Bedeutung, denn sie hätte kostenintensive Umstellungen und unangenehme Leserbeschwerden nach sich gezogen. Hans Brockhaus legte den Behörden seinen kritischen Standpunkt hierzu umfassend dar. Die neuen Regeln traten daraufhin nicht in Kraft.44 Die Unternehmer Brockhaus entwickelten gegenüber den Behörden eine Begründungsstrategie, um das traditionelle Konzept eines überparteilichen und ›objektiven‹ Lexikons gegenüber den NS-Zensurbehörden zu verteidigen. Zu Recht verwiesen sie darauf, dass der Aspekt der politischen Aktualität im Konversationslexikon, der noch im frühen 19. Jahrhundert eine große Rolle gespielt hatte, durch die Entwicklung der Wissenschaften, allen voran der Naturwissenschaften, stark zurückgedrängt worden sei. Im Allgemeinen würden zeitgeschichtliche und tagespolitische Begriffe nur noch maximal fünf Prozent der gesamten Stichwortzahl ausmachen. Wiederum nur ein gewisser Anteil davon betraf Begriffe und Themen des NS-Staates und seiner Ideologie. Deutlich wurde dies am Beispiel des 1933 neu aufgelegten Kleinen Brockhaus. Handbuch des Wissens in einem Band. Seine Entstehungszeit fiel in die Zeit vor der »Machtergreifung«. Somit war er für das »neue Deutschland« eigentlich nicht geeignet. Den Gegenwartsbezug stellte bei insgesamt 800 Seiten ein kurzfristig erstellter Anhang von 13 Seiten her, der 638 Begriffe nachreichte bzw. vorhandene aktualisierte. Meist handelte es sich um Ergänzungen von Biografien, z. B. von Hitler, Göring oder Goebbels, und um Kurzerläuterungen von neuen Begriffen wie Deutsche Arbeitsfront, Arier, Betriebszelle, Braunhemden, Drittes Reich, Gleichschaltung, Nationalsozialismus, NSDAP, Rassenpflege, SA, SS usw. Gemessen an der gesamten Stichwortzahl von ca. 54.000 entfiel auf den NS-Nachtrag ein Anteil von etwas mehr als einem Prozent. Die Besonderheit dieser Ergänzung lag darin, dass es sich um einen Akt der Selbstgleichschaltung handelte, denn es gab bis November 1933 noch keine institutionelle Buchüberwachung im Deutschen Reich. Ein weiteres strategisches Argument betraf die sogenannte Auslandswirkung des Großen Brockhaus. Im Vergleich zu anderen deutschen Lexika behauptete die Enzyklopädie eine Sonderstellung – meinten jedenfalls die Verleger. Seit langem sei sie ein Exportschlager mit den Schwerpunkten Österreich, Schweiz und sogar USA und darüber hinaus ein Aushängeschild der deutschen Gesellschaft im Ausland. Mit dem Argument, sie müssten mit ihren Lexika liberaler sein als andere deutsche Lexikonverlage, um weiterhin Leser im Ausland anzusprechen, fanden die Verleger offene Ohren bei den NS-Machthabern, die an einer solchen Tarnung ihres Repressionssystems durchaus interessiert waren. Tatsächlich unterstützte ein im In- und Ausland angebotenes liberaleres Brockhaus-Lexikon die NS-Propaganda, der zufolge Zensur nicht ausgeübt werde. Allerdings bedeutete dieser Weg eine Gratwanderung: auf der einen Seite der Druck der NS-Behörden und auf der anderen die Gefahr, das Ausland könnte eine »totale Gleichschaltung« des Unternehmens feststellen. Der nun einmal zugestandene Sonderstatus 44

Vgl. Briefwechsel Hans Brockhaus mit PPK und RSK. In: Brockhaus-Archiv, Wiesbaden.

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musste von Fall zu Fall, am Beispiel konkreter Stichwörter, durchgesetzt werden. Die PPK, aber auch die RSK behielten sich das Recht vor, zentrale Artikel zu Begriffen, Personen und Institutionen des NS-Staates besonders zu prüfen oder gar selbst zu formulieren. Die genauen Auswirkungen der Zensur auf die Lexikoninhalte sind bislang durch die Forschung noch nicht tiefgehend untersucht worden. Oftmals wurden einzelne Lemmata bewusst ausgewählt, um an ihrem Beispiel die Veränderung aufzuzeigen. Diese qualitative, auf einen Bruchteil des Lexikons begrenzte Analyse ist methodisch betrachtet fragwürdig. Hierzu ein Rechenbeispiel: Wenn man von einem allgemeinen Lexikon mit 200.000 Stichwörtern (Der Große Brockhaus, 15. Auflage) nur 20 auswählt, um an ihrem Beispiel ein Urteil zu fällen, dann handelt es sich um 0,01 Prozent des gesamten Materials. Je nach Schwerpunktlegung bei der Auswahl und Intention des Rezensenten kann man dabei zu jedem beliebigen positiven wie negativen Ergebnis gelangen. Eine größere Verlässlichkeit ließe sich nach dem Prinzip der geschichteten Zufallsstichprobe bei einer deutlichen Erhöhung der selektierten Artikel auf mehrere Prozent der Lexikoneinträge erzielen. Die Beeinflussung der Lexika vollzog sich quantitativ nur bei einem geringen Teil des Lexikons und war folglich auch nicht gleichmäßig auf alle Artikelgruppen verteilt. So konnte nachgewiesen werden, dass die PPK ca. 100 NS-relevante Stichworte direkt für den Großen Brockhaus schrieb. Das stellte einerseits einen schwerwiegenden Zensureingriff in die Freiheit der Lexikonherstellung dar, andererseits war die Wirkung begrenzt, denn es handelte sich dabei ganz überwiegend um nicht »prüfungspflichtige Themen«.45 Auch wenn sich die Unternehmer Brockhaus mit viel Raffinesse um die Beibehaltung ihres traditionellen Lexikonkonzepts bemühten, so war doch alles, was sie im Dritten Reich neu herausbrachten, politisch im Sinne des NS-Staates ausgerichtet. Das belegen Lexikonausgaben des Zeitraums von 1939 bis 1945 in besonderer Weise. Im erstgenannten Jahr erschien, wie bereits erwähnt, der erste Band (A – Ast) einer völlig überarbeiteten zweiten Ausgabe des Großen Brockhaus (15. Auflage). Ein punktueller Vergleich mit der achten Auflage von Meyers Lexikon zeigt eine übereinstimmende Behandlung und Gewichtung von einschlägigen NS-Begriffen.46 Allerdings wurde die revidierte 15. Auflage des Großen Brockhaus nach dem ersten Band wieder eingestellt, dies aus einem zweifachen Grund. Zum einen warf der einsetzende Krieg die Herstellungsplanung völlig über den Haufen; Einberufungen reduzierten die Mitarbeiterzahl in Redaktion und Herstellung auf die Hälfte. Zum anderen war der Verlagsleitung durch die veränderten Rahmenbedingungen der Kriegswirtschaft ein nachvollziehbares Argument an die Hand gegeben, die Neubearbeitung zurückzustellen. Stattdessen organisierte sie in den folgenden Jahren unveränderte Neudrucke der Lexikonausgabe von 1928 bis 1935, wobei nicht deutlich wird, ob die PPK im vollen Umfang über diese Nachdruckaktionen unterrichtet worden war.47

45

46 47

Barbian: Literaturpolitik im NS-Staat, S. 174. Ferner schrieb die RSK dem Bibliographischen Institut im Jahre 1940 vor, wie der Artikel »Reichsschrifttumskammer« exakt zu lauten habe. Vgl. Schreiben Ihde an das Bibliographische Institut vom 4. Juli 1940. In: BArch, RKK, Bibliographisches Institut, 29. Siehe u. a. die Stichwörter Antisemitismus, Arbeitsdienst, Arier und Arierparagraph. Vgl. Die Ausübung der national-sozialistischen Zensur gegenüber dem Brockhaus-Lexikon, undatiertes Exposé (vermutlich nach 1945). In: Brockhaus-Archiv, Wiesbaden.

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Abb. 4: »Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen«, 1940. Die Zensurmaßnahmen verschärften sich während der letzten Kriegsjahre insofern, als nun praktisch jedes Buchprojekt durch die Vorzensur gehen musste, was stets Monate in Anspruch nahm. Unter dem Vorwand geringer Papierkontingente oder mangelnder Kriegswichtigkeit wurden so manche Neuauflagen nicht genehmigt.48 Der einbändige Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen, erschienen 1940, stellte ein Lexikon dar, das explizit auf die Kriegserfolge Hitler-Deutschlands einging. Es ging ursprünglich aus Plänen für einen zweiten Ergänzungsband des Großen Brockhaus (15. Auflage) hervor und wurde in enger Zusammenarbeit mit der PPK erstellt. Hederich selbst soll dem Taschen-Brockhaus große Bedeutung beigemessen haben, wie der Lexikon-Chefredakteur Pfannkuch schrieb.49 1942 erschien eine zweite, um knapp 100 Seiten erweiterte Auflage des Taschen-Brockhaus sowie eine um 100 Textabbildungen erweiterte und leicht aktualisierte Ausgabe der zweiten Auflage. Eine dritte aktualisierte Auflage wurde 1944 eifrig vorangetrieben, kam aber nicht mehr in den Handel. Das Bibliographische Institut war bereits 1915 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden, in der als leitende Angestellte zumeist Angehörige aus dem familiären Umfeld der Meyer agierten. Der letzte männliche Nachfahre namens Meyer, Herrmann A. Meyer (geb. 1871), war 1932 verstorben. Nach seinem Tod war von Carl Joseph Meyers Enkeln nur noch Alfred Bornmüller (1868 – 1949) im Unternehmen tätig, der jedoch 1933 aus dem Vorstand ausschied. Im Frühjahr 1930 kamen Otto Mittelstaedt (1902 – 1981) und Helmuth Bücking (geb. 1899) als Vertreter der jüngeren Generation in den Verlag. Mittel48 49

Es handelte sich u. a. um Werke der Autoren Rummel, Ross oder Hennig. Vgl. Verlagsplan 1944, S. 12. In: Brockhaus-Archiv, Wiesbaden. Vgl. Lexika, Absatzlage Herbst 1940 vom 28. August 1940, Bl. 5. In: Brockhaus-Archiv, Wiesbaden. Prodöhl hat den Einfluss der PPK auf dieses NS-Lexikon unterstrichen. Es sei sogar ein Buch der PPK gewesen, die Mitarbeiter der Brockhaus-Redaktion hätten »dieses Werk kaum zu Gesicht bekommen«. Prodöhl: Die Politik des Wissens, S. 115 –120, hier S. 117.

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staedt, ein Schwiegersohn von Herrmann Meyer, trat 1930 als Redakteur in den hauseigenen Reisebücherverlag ein und wurde 1932 Prokurist in der Herstellungsabteilung. Bücking, gelernter Buchhändler und promovierter Volkswirt, wurde dem kaufmännischen Leiter als Assistent beigegeben.50 Am 1. April 1933 wurden beide als Vorstände bestellt, am 1. Mai traten sie der NSDAP bei.51 Inwieweit dies aus weltanschaulicher Überzeugung und/oder strategischer Überlegung geschah, kann mit Bestimmtheit nicht mehr gesagt werden. Die siebte Auflage von Meyers Lexikon (12 Bde., 1924 – 1933) war 1933 im letzten der drei Ergänzungsbände (Bd. 15) durch einen NS-Anhang Deutsches Reich. Die nationale Revolution ergänzt worden. Interessanterweise geschah dies, wie im Falle des einbändigen Kleiner Brockhaus (siehe oben), aufgrund einer Eigeninitiative. Um die Bekanntheit der Marke »Meyer« nicht verblassen zu lassen, entschied der Vorstand 1934, die Arbeiten an einer neuen, dem Zeitgeist angepassten Ausgabe aufzunehmen. Schnell war der Kontakt zur PPK hergestellt. Diese formulierte zwei Optionen: Entweder würde man das Lexikon gemeinsam vor dem Druck erarbeiten oder das B. I. könne dies auch allein tun mit dem Risiko, dass es nach der Drucklegung zu Auseinandersetzungen kommen könnte. Die behördliche Vorprüfung erbrachte die Garantie, dass kein kostenaufwändiger Band beschlagnahmt würde. Aus verlegerischer Sicht war diese Praxis notwendig, um sich an ein solches Werk überhaupt zu wagen. Mittelstaedt schrieb in seinen um 1974 erstellten, unveröffentlicht gebliebenen Erinnerungen: Wir standen vor den Fragen: Wie soll es inhaltlich aussehen? Wer kann so etwas schreiben wie die Partei es verlangt? Kann man überhaupt ein Lexikon starten? Wichtiges weglassen war genauso Ursache für Beschlagnahme wie nicht ›richtig gesehen‹ bringen. Wer traute sich z. B. das Stichwort ›Hitler‹ zu schreiben. […] Bei einem 12bändigen Lexikon, wie wir es planten, war es unmöglich, das Risiko einzugehen, daß irgendein Band beschlagnahmt würde. Wir mußten uns also absichern. […] Für uns war also die Vorprüfung durch die PPK zugleich mit der Garantie, daß nun keine Beschlagnahme mehr stattfinden konnte, verbunden.52 Mit anderen Worten war die Vorzensur für die Verleger aus kaufmännischer Sicht sogar begrüßenswert. Der technische Ablauf der vorzensorischen Überprüfung war so geregelt, dass der zuständige Prüfer – Gerhard Krüger53 – wöchentlich einmal nach Leipzig kam und Manuskripte oder Druckfahnen einsah. Die Kosten für diese obligatorische Überprüfung hatte der Verlag mit einem monatlichen Betrag von 600 RM zu tragen. Erzielte man über die Anlage einzelner Artikel keine Einigung, wurden Verlagschefs oder -mitarbeiter in das Berliner Büro der PPK zitiert. Meyers Lexikon in der achten Auflage begann ab 1936 zu erscheinen. In der Auslandspresse und in deutschsprachigen Aus50 51 52 53

Vgl. Sarkowski: Das Bibliographische Institut, S. 146. Vgl. NSDAP-Mitgliedskarten Mittelstaedt und Bücking. In: BArch (ehemals BDC), NSDAPGaukartei. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1936/4 –1936/5. Gerhard Krüger (1908 –1994) war Mitarbeiter der PPK und Buchautor des B. I. Es handelte sich vermutlich um die Person, die 1937 eine Verleumdungskampagne gegen das Unternehmen F. A. Brockhaus startete. Siehe hierzu den folgenden Abschnitt: Denunziationen und ein Arisierungsverfahren gegen die Familie Brockhaus.

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landssendern (u. a. Straßburg) erschienen Vergleiche zwischen dem 1928 – mitten in der Weimarer Republik – erschienenen Bd. 1 des Großen Brockhaus und dem ersten Band von Meyers Lexikon in der achten Auflage. Man behauptete, Meyer hätte »eine nicht erzwungene, sondern völlig freiwillige Unterordnung« unter das NSRegime vorgenommen. Meyers Lexikon fand trotz des günstigen Ladenpreises von 15 RM nur mäßigen Absatz, während der fast doppelt so teure Brockhaus gut am Markt stand.54 Otto Mittelstaedt hat in seinem Rückblick auf die Schwierigkeiten mit der PPK verwiesen und die Verantwortung für die systemkonformen Inhalte seiner Lexika gänzlich den Behörden zugeschrieben: »Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich feststellen, daß lediglich der ErscheinungsterAbb. 5: Otto Mittelstaedt (1902 –1981), min unserer VIII. Aufl[age] den Meyer zum In: Börsenblatt 148 (1981) 55, S. 1686. Vergleich mit dem Brockhaus anbot. Wären die Termine umgekehrt gewesen, so hätte FAB das braune Image gehabt.« Ferner stellte er sich auf den Standpunkt, als Parteigenosse hätte er eine bessere »Fühlung« und vor allem eine »größere Einspruchmöglichkeit« gegenüber den Behörden besessen als die parteilosen Brockhaus. Neben dem Imageverlust räumte der Manager ein, dass die achte Auflage auch in finanzieller Hinsicht ein Misserfolg war. Im Nachhinein betrachtet wäre es besser gewesen, sie nicht zu veranstalten. Mittelstaedt bedauerte auch, dass es in jenen schicksalhaften Jahren unmöglich gewesen sei, sich irgendwie mit F. A. Brockhaus zu verständigen. Die PPK hätte somit beide Konkurrenten gut gegeneinander ausspielen können.55 Gegen diese Version spricht allerdings die Tatsache, dass er selbst eifrig »belastendes Material« gegen seinen Hauptkonkurrenten sammelte, um es möglicherweise strategisch einzusetzen.56 In der Werbearbeit des B. I. wurde denn auch die besondere nationalsozialistische Ausprägung der eigenen Lexika immer wieder herausgestellt. Nachdem der Verlag 1939 sein mittleres Nachschlagewerk mit dem Ausspruch anpries, »einzig parteiamtlich empfohlenes und nationalsozialistisch ausgerichtetes Großlexikon«57 zu sein, ging das den NS-Behörden zu weit. Auf Beschwerde einiger parteinaher Ver54 55 56 57

Vgl. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1936/3 sowie Mittelstaedt: Materialien zur Geschichte des Lexikons, Bl. 24. Vgl. Mittelstaedt, Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1936/1 –1936/9 sowie Mittelstaedt: Materialien zur Geschichte des Lexikons, Bl. 23. Siehe auch den folgenden Abschnitt: Denunziationen und ein Arisierungsverfahren gegen die Familie Brockhaus. Börsenblatt 106 (1939), Sonderausgabe Kantate, S. 64 f.

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Abb. 6: Redaktionssitzung von »Meyers Lexikon«, 8. Auflage, um 1939. In: Menz: Hundert Jahre Meyers Lexikon, S. 65. lage hin, die ihre ideologische Monopolstellung gefährdet sahen, erteilte die RSK dem Bibliographischen Institut eine Verwarnung mit Strafandrohung, wenn es noch einmal auf diese Weise werben würde.58 Der Einfluss der Vorzensur lässt sich am Beispiel von Meyers Lexikon wie folgt einschätzen: Zunächst wurde er in den neu konzipierten Großartikeln Deutsche Kultur, Deutsches Reich, Europa, Germanen, Judentum, NSDAP, Polnischer Raum, Rasse usw. spürbar, die wie im Falle Deutsches Reich 200 Seiten umfassten. Zahlreiche Bildtafeln zu Begriffen wie Arbeitsdienst, Bauer, Deutsche Arbeitsfront, Drittes Reich etc. enthielten ungewöhnlich viele Abbildungen von Uniformen, Hakenkreuzen und Führern der NSDAP. Der Großartikel »Rasse« etwa ging mit zahlreichen Abbildungen (RasseTafeln) über 53 Seiten und gab die NS-Ideologie umfassend wieder. Er war in zwei große Abschnitte gegliedert, einmal »Rassewissenschaft« mit den Unterabschnitten Forschung, Zoologisch-Botanische Rassenkunde, Rassenkunde des Menschen und andererseits »Rassepolitik« mit Ausführungen zu deren Bedeutung, Grundlagen, Aufgaben, Geschichte, Weltanschauung und Forschungsstellen. Ferner wurde in Meyers Lexikon die Personenauswahl markant verändert. Viele unbedeutende Parteigenossen wurden aufgenommen,59 bedeutende Persönlichkeiten 58 59

Vgl. Brief RfVP an Wilhelm Baur (RSK) vom 24. Mai 1939. In: BArch, RKK, Bibliographisches Institut, 29. Vgl. beispielgebend für die Neuaufnahme von NS-Personen beim Sammeleintrag Schmidt: 10) Friedrich Schmidt (1902 –1973) Stellv. Gauleiter von Württemberg und später Lodz, zeitweilig Mitarbeiter des Amtes Rosenberg, SS-Brigadeführer; sowie Ludwig SchmidtKehl (1891 –1941) Rassehygieniker seit 1937 Vorstand des Rassenbiologischen Instituts Würzburg.

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hingegen weggelassen oder, wie das Beispiel Thomas Mann zeigt, mit »bösen Bemerkungen und geringem Umfang gebracht«.60 Im Artikel über den verfemten Schriftsteller war zu lesen: Bezeichnend für ihn ist das Wühlen in krankhaften Seelenbewegungen und ein preziöser Stil, der mit jedem neuen Werk weitschweifiger und gekünstelter wurde. […] In der Emigration schrieb er mehrere Pamphlete gegen das Dritte Reich und trat in Reden gegen dieses auf, wurde aus der dt. Volksgemeinschaft ausgeschlossen; ebenso sein Sohn Klaus […]. Er hetzt mit seiner Schwester Erika in Kabaretts (›Die Pfeffermühle‹) gegen Deutschland.61 Ob jemand Jude oder jüdischer Abstammung war, musste ebenso erwähnt werden. Wertungen und Gewichtungen positiver wie negativer Art, wie sie in einem Lexikon nicht statthaft sind, wurden auch in Sachartikel eingebaut.62 Als Beleg soll der biografische Eintrag zu Felix Mendelssohn-Bartholdy dienen, dessen Denkmal vor dem Leipziger Gewandhaus am 9. November 1938 vom nationalsozialistischen Mob abgerissen wurde:63 Jude, Neffe von Mendelssohn 2), Komponist, Pianist und Dirigent, mit dem der unheilvolle Einfluß des Judentums auf die dt. Musik begann. […] schon vor 1933 mit wenigen Ausnahmen vergessene Werke, lediglich bestechend durch ihre Form, zeichnen sich nirgends durch wirkliche Schöpferkraft aus. Eine weitere Art von Veränderungen bestand darin, Ungleichgewichtigkeiten einzubauen. So etwa wollte die PPK in kleineren Lexikonausgaben des Zweiten Weltkriegs durchsetzen, dass Länderartikel von Kriegsgegnern entweder ganz entfielen oder stark im Umfang reduziert wurden. Aus lexikografischer Sicht war dies hoch problematisch. Weitere Veränderungen bestanden darin, die Auswahl der Artikel zu »nationalisieren«. So hat Ines Prodöhl nachgewiesen, dass etwa hinsichtlich kulinarischer Spezialitäten der Brockhaus der Weimarer Republik ausländische Luxusgüter wie Brie, Champagner oder Portwein noch umfassend darstellte, während sie beim Meyer in der NS-Zeit entweder weggelassen oder mit nationalen Umdeutungen versehen wurden.64 Allerdings würde eine noch ausstehende quantitative Untersuchung der allgemeinen Lexika im Dritten Reich erbringen, dass ein Großteil der Lexikoneinträge – schätzungsweise mehr als 95 Prozent – überhaupt keiner zensorischen Eingriffe bedurfte, weil es sich um unpolitische Einträge etwa zu den Themenbereichen Biologie (Pflanzen und Tiere), Geografie, Technik, Medizin, Astronomie usw. handelte. Dieser Aspekt muss deshalb hervorgehoben werden, weil es heute häufig übertriebene Vorstellungen über die Manipulationen in allgemeinen Nachschlagewerken des Untersuchungszeitraums 60 61 62 63 64

Mittelstaedt: Materialien zur Geschichte des Lexikons, Bl. 24. Meyers Lexikon, 8. Auflage, 1936 –1942, Bd. 7, S. 967. Vgl. Mittelstaedt: Materialien zur Geschichte des Lexikons, Bl. 24. Daraufhin trat der Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler (1884 –1945), der sich während der Pogromnacht dienstlich nicht in Leipzig befunden hatte, aus Protest von seinem Amt zurück. Vgl. Prodöhl: Die Politik des Wissens, S. 102 –109.

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gibt. Nur wenn ein Lexikon explizit auf politische oder zeitgenössische Aspekte begrenzt war, wie beispielsweise der Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen, schlugen die Veränderungen auch quantitativ deutlich zu Buche. Im Freiburger Herder-Verlag waren in der NS-Zeit Hermann Herder sen. (1864 – 1937) als Vertreter der dritten Unternehmergeneration und dessen Schwiegersohn Theophil Herder-Dorneich (1898 – 1987) in der Geschäftsleitung tätig. Ihnen standen weitere Geschäftsführer und Prokuristen zur Seite. Der katholische Verlag hatte sich ebenso wie alle anderen Lexikonverlage der NS-Zensur zu unterwerfen. Allerdings kam es hier zu besonders vielen Verboten von Einzel- und Nachschlagewerken, denn die konfessionellen Verlage gerieten seit 1936 zunehmend ins Visier der »NS-Schrifttumspolitik«. So gab Herder-Dorneich in einem Fragebogen der US-amerikanischen Militärregierung zu Protokoll, es seien insgesamt 28 Titel während der NS-Diktatur verboten worden und er habe »geistige und religiöse Literatur verlegt […], die den bedrohten christlichen Gedanken und die Humanität stärkte und damit die Widerstandskraft gegen den Nationalsozialismus wachhielt«.65 Auch in einer Herder-Festschrift von 1951 wurde ein Zensurvorgang um den Großen Herder dazu genutzt, um den »Widerstand« des Verlags darzustellen: »Die [durch die PPK gewünschten, Th. K.] Änderungen sollten unauffällig geschehen […]. Gegenüber solchen Zumutungen antwortete der Verlag (20. Nov. 1937), daß er ›aus Gewissensgründen den Forderungen nicht entsprechen könne.‹«66 Eine solche Äußerung war dann strategisch unklug, wenn sie mit dem Verdacht einer weltanschaulichen Oppositionshaltung verbunden werden konnte. Im Dritten Reich konnten sich daraus ungeahnte Komplikationen für den Verlag und dessen Leitung entwickeln. Vergleichbare Vorgänge bei Brockhaus und dem Bibliographischen Institut zeigen auch, dass die Verleger dann bessere Erfolgschancen besaßen, wenn sie gegen ein Verbot rein sachliche oder sogar NSkulturpolitische Argumente vorbrachten. Offensichtlich arbeitete auch der Herder-Verlag sukzessive an einer solchen Defensivstrategie, um dem Einfluss der Schrifttumsbehörden entgegenzuwirken.67 Da das Herder-Archiv bei einem schweren Luftangriff auf Freiburg am 27. November 1944 verloren ging und auch die Akten der Zensurbehörden RSK, PPK und des Propagandaministeriums nur noch bruchstückhaft überliefert sind, lassen sich die Zensureingriffe und das Verhalten der Verlagsleitung nicht mehr genau rekonstruieren. Jan-Pieter Barbian skizzierte mehrere Zensurvorgänge zu katholischen Einzelwerken, zu denen es spärliche Informationen im Berliner Bundesarchiv gibt.68 Die für den Lexikonbereich belegten Eingriffe betrafen fast ausschließlich Werke, die bereits vor 1933 publiziert wurden, aber noch lieferbar waren bzw. in Fortsetzungen erschienen: Der Kleine Herder (1925), das im Auftrag der Görres-Gesellschaft herausgegebene Staatslexikon (5. Auflage, 5 Bde., 1927 – 1932), das Lexikon der Pädagogik der Gegenwart (2 Bde., 1930 – 1932), Der Große Herder (4. Auflage, 12 Bde. und ein 65 66 67 68

Undatierter Fragebogen und Anlage. In: BArch, RKK (ehemals BDC), Theo Herder-Dorneich, 29. Zitiert nach: Barbian: Zwischen Dogma und Kalkül, S. 314 und 324. Sacher: Die Lexika, S. 256. Leider gibt es hier keine Quellenangabe zu dem zitierten Schreiben. Vgl. Barbian: Zwischen Dogma und Kalkül, S. 320 –322. Vgl. ebd, S. 314 –318.

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Atlasband, 1931 – 1935) und das Lexikon für Theologie und Kirche (10 Bde., 1930 – 1938). In den Akten des Bundesarchivs gibt es auch Hinweise zum Fall des Großen Herder: Im Sommer 1937 wurde die Auslieferung der Bände 1 – 6 (bis 1933 erschienen) auf Anweisung der PPK gestoppt. Der Verlag wurde aufgefordert, Vorschläge zur Umgestaltung dieser Bände zu unterbreiten.69 Parallel dazu wurde das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin mit der Einhaltung des Auslieferungsverbots beauftragt. Ende Juni 1938 wurde das Verbot allerdings wieder gelockert. Im Inland durften bereits eingegangene Lieferungsverpflichtungen wieder erfüllt werden, während der Verkauf ins Ausland mit Ausnahme der Tschechoslowakei gestattet wurde. Auch die Auslieferung der Bände 7 bis 12 war im In- und Ausland wieder ohne Einschränkung möglich.70 Wie in anderen Fällen wurde die freizügigere Auslandsregelung mit Deviseneinnahmen und der Auslandspropaganda begründet. Es sollte vermieden werden, dass international das Verbot eines katholischen Nachschlagewerks bekannt würde. Strothmann wertete dies als ein Täuschungsmanöver gegenüber dem Ausland.71

Denunziationen und ein Arisierungsverfahren gegen die Familie Brockhaus Die Nachschlagewerke der Firma F. A. Brockhaus wurden wiederholt bei NS-Stellen angezeigt, teils anonym, teils auch unter Namensnennung. Zumeist betraf dies einzelne Stellen des Lexikons, was durch entsprechende Korrekturen in Neuauflagen behoben werden konnte. Eine spektakuläre Denunziation ereignete sich Anfang Dezember 1937. In der SS-Zeitschrift Das Schwarze Korps72 erschien ein Artikel, der die Firma Brockhaus unter der Überschrift »Wie lange noch unzureichend?« belastete. Der nicht gezeichnete Aufsatz stammte nach Ansicht von Hans Brockhaus von Gerhard Krüger, einem NSKulturpolitiker, Mitarbeiter der PPK und zudem auch Verlagsautor des Bibliographischen Instituts.73 Der Artikelschreiber hatte den gerade erschienenen Volks-Brockhaus in einem Band (5. Auflage, 1937) sowie den dritten Band des Neuen Brockhaus. Allbuch in vier Bänden und einem Atlas (1936 – 1938) einer gründlichen politischen Inhaltsanalyse unterzogen. Dem Unternehmen Brockhaus warf er vor, seit Jahren eine systematische Umarbeitung des Verlagsprogramms im Sinne der NSDAP verhindert zu haben. Eigens dazu machte er auf einzelne weltanschaulich problematische Artikel aufmerksam, wie Revisionismus, Pazifismus oder die Personeneinträge zu Ferdinand Lassalle und Karl Marx. Diese seien fast textidentisch mit den entsprechenden Ausgaben vor 1933 und könnten somit nicht auf dem neuesten Erkenntnisstand der »nationalsozialistischen Revolution« stehen. Abschließend griff er die Familie Brockhaus persönlich an: 69 70 71 72

73

Vgl. BArch, R58/909, Bl. 112 –114. Zit. In: ebd., S. 318. Vgl. Barbian: Zwischen Dogma und Kalkül, S. 318 f. Vgl. Strothmann: Nationalsozialistische Literaturpolitik, S. 126 –128. Vgl. Barbian: Zwischen Dogma und Kalkül, S. 320 –323. Vgl. ferner Bibliotheca Lexicorum, S. 235 f. Die Wochenzeitung Das Schwarze Korps mit dem Untertitel »Zeitung der Schutzstaffeln der NSDAP, Organ der Reichsführung SS« erschien ab 6. März 1935 und stieg schnell zum zweitgrößten politischen Wochenblatt des Nationalsozialismus auf. Das Organ war als Denunziationsblatt konzipiert, das von den Zuschriften seiner Rezipienten lebte. Vgl. Zeck: Das Schwarze Korps, S. 94 –97 und 439 –450. Vgl. Erinnerungen Hans Brockhaus, Bl. 145 f. In: Brockhaus-Archiv Wiesbaden. Vgl. Sarkowski: Das Bibliographische Institut, S. 267. Zu Krüger siehe Anm. 53.

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Man muß sich nach allem, was hier nur kurz angedeutet werden kann, fragen, was sich ein Verlag wie Brockhaus eigentlich vorstellt, wenn er derartig politisch unzuverlässige Bücher herausbringt. Und noch dazu, wenn man weiß, daß dieser Verlag seine kulturelle Tätigkeit ausschließlich auf Grund einer Ausnahmegenehmigung ausüben kann, wie sie nur selten gewährt wird.74 Dieser Hinweis sollte ganz offensichtlich andeuten, die Familie Brockhaus sei »nichtarischer« Abstammung. In der RKK wusste man nichts von einer solchen Ausnahmeregelung, somit löste die Denunziation im Schwarzen Korps ein Eingreifen der zuständigen NS-Behörden aus. Zunächst war klar, dass die vorliegende Ausgabe des VolksBrockhaus rasch durch eine neue, »verbesserte« Auflage ersetzt werden musste. Die PPK sprach ein Verbreitungsverbot für den Volks-Brockhaus aus und überwachte die notwendige Überarbeitung.75 In der Folge wurden mehrere Schreiben zwischen der RSK und dem Verlag gewechselt. Die Firmenchefs Hans und Fritz, aber auch Wolfgang Brockhaus76 wurden aufgefordert, nochmals ihre »Ariernachweise« und diverse Stammtafeln vorzulegen. Hans Brockhaus zeigte sich der Verdächtigungen wegen ungehalten: Meine Firma und meine Familie haben allerdings das größte Interesse daran, dass die von Ihnen berührten Fragen nun endlich und endgültig erledigt werden. Es ist schwer erträglich, wenn unser im Inland wie in aller Welt als in jeder Hinsicht makellos bekannter Name, wenn der Ruf der Firma, der in 133 Jahren harter Arbeit für die Weltgeltung deutschen Geistes von fünf Generationen der kerndeutschen Familie aufgebaut worden ist, immer wieder bei Behörden oder Parteistellen Verdächtigungen ausgesetzt werden, deren Absicht durchsichtig ist, die schließlich aber auch dem Ansehen des deutschen Buchhandels und der deutschen Kultur schaden müssen. Ich bitte, dem Herrn Präsidenten an Hand der Unterlagen Vortrag zu halten und darf hoffen, dass zukünftigen Angriffen auch von der Kammer aus entgegengetreten wird.77 Woher sich die »Gerüchte« speisten, wurde nicht bekannt. Für die RSK gab es Anhaltspunkte, dass sich dahinter das Konkurrenzmanöver eines anderen Lexikonverlags verbarg, womit zweifelsohne die Geschäftsleitung des Bibliographischen Instituts gemeint war.78 Die Kammer blieb noch Monate an dem Fall dran. Für Emilia (Milly) Brockhaus (1836 – 1914), geborene Weisz, Tochter eines einflussreichen ungarischen Bankiers und Ehefrau von Eduard Brockhaus (dritte Unternehmergeneration; 1829 – 1914), konnten die entsprechenden Urkunden nicht vollständig vorgelegt werden bzw. 74 75 76 77 78

Das Schwarze Korps, 9. Dezember 1937, S. 9. Vgl. Hübscher: Hundertfünfzig Jahre F. A. Brockhaus, S. 240. Wolfgang Brockhaus (1903 –1984) war ein Cousin von Hans. Er leitete das Kommissionsgeschäft des Unternehmens. Hans Brockhaus an die RSK vom 22. Februar 1938. In: BArch, RKK (ehemals BDC), Verlag Brockhaus, 11. Vgl. Schreiben Ihde an Goebbels vom 9. März 1938. In: BArch, RKK (ehemals BDC), Verlag F. A. Brockhaus, 11.

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schienen in einem Fall nicht vertrauenswürdig. Schließlich stellte die Reichsstelle für Sippenforschung im Reichsministerium des Innern intensive Recherchen an und kam mit dem Schreiben vom 26. Juni 1939 zu dem Ergebnis, dass Emilia Brockhaus eine Jüdin sei. Daraus ergab sich nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935, dass Fritz Brockhaus »Halbjude«, seine Neffen und Mitinhaber Hans Brockhaus und Wolfgang Brockhaus »Vierteljuden« seien.79 Nach diesem Bescheid musste die Familie Brockhaus ihre betrieblichen Bilanzen und privaten Vermögenswerte der RSK offenlegen, was sie im Januar 1940 auch taten.80 Bevor die Kammer weitere Schritte erwägen konnte, die unzweifelhaft auf den Ausschluss einzelner Familienmitglieder aus der Firma und dem Buchhandel hinausgelaufen wären,81 stellten die Brockhaus auf Anraten Hederichs unter dem 8. Juli 1939 drei Immediatgesuche an Adolf Hitler, worin sie um eine »Ausnahmeregelung« zur weiteren Leitung der Buchfirma baten.82 An Adolf Hitler wurden zahlreiche Gesuche gestellt, allerdings siebte die Kanzlei diese Anträge in mehrstufigen Verfahren stark aus und legte dem »Führer« letztlich nur einen Bruchteil der Fälle zur Entscheidung vor. Für die Vorlage waren eine herausgehobene Position der Antragsteller sowie positive Gutachten verschiedener NS-Dienststellen vonnöten – zwei Bedingungen, die die Familie Brockhaus erfüllen konnte. Wie die Unterlagen der Kanzlei Adolf Hitler bestätigen, die sich heute in einer Restüberlieferung im Staatlichen Russischen Militärarchiv in Moskau befinden, wurde die Familie Brockhaus sogar auf einer undatierten Liste »Prominente Persönlichkeiten – Bekannte des Führers« geführt.83 Der persönliche Kontakt wurde vermutlich über Sven Hedin hergestellt, der Hitler wiederholt traf. Otto Mittelstaedt vom Bibliographischen Institut vermutete hingegen, die Vermittlung sei über Winifred Wagner eingefädelt worden –

79

80 81

82 83

Vgl. Schreiben RSK an Goebbels vom 23. Januar 1940. In: BArch, RKK (ehemals BDC), Verlag F. A. Brockhaus, 11. Diese Einteilung bezog sich auf die Generation der Großeltern. »Volljude« war nach nationalsozialistischer Auffassung, wer mindestens drei jüdische Großeltern besaß. Dementsprechend bedeuteten »Halbjude« zwei und »Vierteljude« einen Großelternteil. Vgl. Kammer/Bartsch: Nationalsozialismus, S. 86. Vgl. Schreiben der RSK an Hans Brockhaus vom 23. Januar 1940. In: BArch, RKK (ehemals BDC), Verlag F. A. Brockhaus, 11. Die RSK schrieb hierzu Folgendes: »Hinsichtlich Hans Brockhaus hat sich der Leiter des deutschen Buchhandels, der Vizepräsident meiner Kammer, Hauptamtsleiter Wilhelm Baur, auf den Standpunkt gestellt, dass eine Aufnahme [d. h. Verbleib in der RSK, Th. K.] ohne weiteres in Frage käme, auch im Hinblick auf meine Anordnung Nr. 133. Hinsichtlich Dr. Fritz Brockhaus möchte ich vorschlagen, dass er sich arbeitsmäßig ausschließlich auf das Druckereigeschäft beschränkt und im übrigen in absehbarer Zeit endgültig aus der Firma ausscheidet.« Vgl. Brief RSK an das RMVP vom 6. Februar 1940. In: BArch, RKK (ehemals BDC), Verlag F. A. Brockhaus, 11. Hierauf verwiesen Hans und Fritz Brockhaus erstmalig in einem Brief an Ihde vom 7. Juli 1939. In: BArch, RKK (ehemals BDC), Verlag F. A. Brockhaus, 11. Vgl. Staatliches Russisches Militärarchiv, Sonderarchiv, Fonds 1355 k. Für diesen Hinweis danke ich Thomas Garke-Rothbart, der einen exklusiven Zugang zu diesem Sonderarchiv erhielt. Vgl. Garke-Rothbart: »… für unseren Betrieb lebensnotwendig …«, S. 52.

8.3 Der Lexikonv er lag

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die Brockhaus waren mit Richard Wagner entfernt verwandt84 – , doch fand sich hierfür keine Bestätigung in den Archiven.85 Die eigentlichen Schreiben an Hitler haben sich nicht erhalten, nur ein Teilentwurf dazu. Zur Begründung ihres Anliegens strichen Fritz, Hans und Wolfgang Brockhaus die hohe Bedeutung der Firma heraus, die aufgrund des Konversationslexikons und zahlreicher prominenter Autoren wie Clausewitz, Schopenhauer, Humboldt, Hedin oder des Nationalpreisträgers Filchner86 »in den 134 Jahren ihres Bestehens zu einem Aktivum der deutschen Volksgemeinschaft« im Inland wie im Ausland geworden sei. Jede Erschütterung der Stellung der Firma als eines repräsentativen Unternehmens des deutschen Buchhandels würde zugleich diesen, ja die Allgemeinheit treffen, in materieller und in kultureller Hinsicht; sie zu vermeiden, liegt keineswegs nur im Interesse der Firmeninhaber und der sonstigen Familienmitglieder, sondern nicht weniger im Interesse des deutschen Buchhandels und der deutschen Volksgemeinschaft überhaupt. Etwa zu glauben, dass das Ausscheiden eines der jetzigen Inhaber aus der Leitung der Firma diese selbst unberührt lassen würde, wäre ein Irrtum. Schließlich verwiesen sie auf die jüngst zu leistende Lexikonarbeit: Zur Zeit ist eine neue Ausgabe des Großen Brockhaus im Werden; der erste Band ist nach langer Vorbereitung im Frühjahr 1939 erschienen; weitere neunzehn sollen nachfolgen. Diese völlige Neubearbeitung ruht auf jahrelanger vertrauensvoller Zusammenarbeit der jetzigen Inhaber mit der Parteiamtlichen Prüfungskommission; sie würde durch das Ausscheiden auch nur eines von ihnen aufs schwerste gefährdet; gefährdet würden Ruf und Existenz der Weltfirma und ihre Leistungen für das deutsche Volk.87 Die Entscheidung Hitlers ist nicht dokumentiert, sie muss aber positiv ausgefallen sein, denn im März 1940 teilte die Abteilung des RMVP zur »Überwachung und Beaufsichtigung der Betätigung aller im deutschen Reichsgebiet lebenden, nichtarischen Staatsangehörigen auf künstlerischem und geistigem Gebiet« unter Leitung von Hans Hinkel mit, dass es keine personelle Konsequenzen im Unternehmen Brockhaus geben werde.88 Die Gefahr für das Unternehmen konnte dank der einflussreichen Position der Familie Brockhaus und ihres geschickten Taktierens gebannt werden. Im Ergebnis war ihre unter84

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Friedrich Brockhaus (1800 –1865), der älteste Sohn von Friedrich Arnold Brockhaus heiratete 1828 Luise Wagner, Hermann Brockhaus (1806 –1877), der drittgeborene Sohn von Friedrich Arnold, heiratete 1836 Ottilie Wagner. In beiden Fällen handelte es sich um Schwestern von Richard Wagner. Vgl. Gebhardt: Geschichte der Familie Brockhaus, S. 244 f., 261 und 273. Vgl. ferner Titel: Friedrich Brockhaus, S. 166 f. Vgl. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1936/3, 1936/5. Wilhelm Filchner erhielt 1938 den Nationalpreis »als Ersatz« für den Nobelpreis. Dessen Annahme war Deutschen durch den NS-Staat verboten worden. Entwurf zu den »drei Gesuchen«, undatiert. In: BArch, RKK (ehemals BDC), Verlag F. A. Brockhaus, 11. Vgl. Schreiben Dr. v. Schönberg an Bischoff (RSK) vom 1. März 1940. In: BArch, RKK (ehemals BDC), Verlag F. A. Brockhaus, 11.

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nehmerische Tätigkeit seit 1940 auf der Grundlage einer »Ausnahmeregelung« vorerst gesichert. Es handelte sich übrigens um genau die Regelung, die im Denunziationsartikel des Schwarzen Korps von 1937 bereits unterstellt worden war. Für die Einschätzung der Lexikonarbeit von Brockhaus ist diese Auseinandersetzung insofern von Bedeutung, weil sie die noch engere Zusammenarbeit der Unternehmerfamilie mit den Zensurbehörden während der Kriegsjahre erklärt.

Die beiden Marktführer der Lexikonproduktion in den Kriegsjahren Im Zweiten Weltkrieg mussten viele Verleger gewaltige Anstrengungen unternehmen, um eine infolge der Mobilmachung drohende Betriebsschließung zu verhindern. Dies gelang nur, wenn die Titelproduktion als »kriegswichtig« eingeschätzt und bei den zuständigen Behörden die Bewilligung der erforderlichen Papiermengen erreicht werden konnte. Im Unternehmen F. A. Brockhaus entstanden im Zeitraum von 1939 bis 1944 einige wenige lexikalische Werke sowie zahlreiche Nachauflagen der Reiseliteratur. Die Anzahl der Beschäftigten sank von ca. 1.100 Mitarbeitern des ersten Kriegsjahres auf knapp 170 im Jahre 1944. Bedingt war dies einerseits durch Einberufungen an die Front, andererseits durch den Abzug einzelner Mitarbeiter in die kriegswichtige Produktion. Der verheerende Luftangriff auf Leipzig vom 4. Dezember 1943 zerstörte das Grafische Viertel und damit auch das Betriebsgelände von Brockhaus fast vollständig. Behelfsmäßig mietete die Firmenleitung an fünf verschiedenen Stellen der Stadt Büros an, wo ein Teil der buchhändlerischen Arbeiten fortgesetzt werden konnte. Zudem richtete sie ein Ausweichlager und eine Auslieferung südwestlich von Leipzig, bei Mügeln, ein.89 Im Zeitraum vom 29. November 1943 bis 2. Februar 1945 trafen die Firma mindestens fünf Stilllegungsbefehle, die Hans Brockhaus durch Behörden-Eingaben, insbesondere beim Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion und bei der Wirtschaftskammer Leipzig, abwenden konnte. Auch wenn am 26. August 1944 ein Bescheid des Präsidenten der RSK vorlag, wonach der Verlag kriegswichtig sei, drohte mit Fortschreiten des »totalen Krieges« immer wieder die Schließung.90 Für den Verleger stand bei alledem das Fortbestehen des eigenen Betriebes im Vordergrund. Zugleich konnte er mehrfach die drohende Einberufung von Mitarbeitern abwehren bzw. verzögern. Seiner späteren Darstellung nach handelte es sich um eine Strategie des »Widerstandes«. Damals allerdings hatte er stets mit der Bedeutung seiner Produktion für Krieg und Propaganda argumentiert, um so zu belegen, dass die Fortsetzung der Verlagstätigkeit durchaus im Sinne des NS-Staates war.91 Zwischen Januar 1944 und April 1945 wurden mindestens 250.000 Bände produziert, vornehmlich in der Sparte Reiseliteratur. Die Auflagenhöhen orientierten sich an den bewilligten Papiermengen. Absatzprobleme waren nicht zu befürchten, denn die Käufernachfrage überwog bei weitem das Buchangebot. Dies und das fehlende Papier waren Ursache dafür, dass während des Krieges jegliche Werbung unterblieb. Etliche 89 90 91

Vgl. F. A. Brockhaus 1905 –2005, S. 182 f. Einzelnachweise, siehe ebd., S. 182 –186. Es erscheint nicht angebracht, in diesem Fall von Widerstand zu sprechen, u. a. weil Hans Brockhaus bei seiner Auseinandersetzung mit den Behörden kein persönliches Risiko einging und in keiner Weise zu erkennen gab, von den Zielen des NS-Staates entfernt zu stehen. Vielmehr handelte es sich um Formen strategischen Unternehmerverhaltens.

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Werke, vorzugsweise von bekannten Autoren wie Sven Hedin, Wilhelm Filchner, Herbert Rittlinger, Ludwig Dinklage oder Colin Ross, erschienen als »Frontbuchhandelsausgabe für die Wehrmacht«.92 Weitere Heereslieferungen im Umfang von 45.400 Bänden erfolgten aufgrund von Papierzuweisungen aus Sonderkontingenten. Das Oberkommando der Marine bestellte allerdings auch 100 Neue Brockhaus in vier Bänden.93 1944 erschien in Leipzig Der Sprach-Brockhaus in vierter, verbesserter Auflage. Einige Vorhaben konnten jedoch nicht umgesetzt werden. So wurde in verschiedenen Druckereien und Buchbindereien Prags eine Teilauflage von mindestens 10.000 Exemplaren des Volks-Brockhaus fertiggestellt. Sie war für den Frontbuchhandel bestimmt und wurde Ende 1944 an die Zentrale der Frontbuchhandlungen Lühe & Co. Burkhardtsdorf im Erzgebirge verschickt. Von dort gelangten die Bücher aufgrund der Kriegswirren aber nicht mehr an die Abnehmer und verschwanden für immer.94 Der Verlag erhielt zudem keine Papierbewilligung für eine dritte Auflage des Taschen-Brockhaus zum Zeitgeschehen, obwohl die Kriegswichtigkeit der in Vorbereitung befindlichen Ausgabe von der Kanzlei des Führers bestätigt worden war. Und auch ein seit Jahren geplanter Ärzte-Brockhaus wurde wegen »starker Beanspruchung« der Berufsgruppe durch den Krieg zurückgestellt.95 Das Bibliographische Institut war in den Kriegsjahren deutlich besser aufgestellt als Brockhaus und verfügte offensichtlich über bessere Kontakte zu einflussreichen NS-Stellen. Nach C. Bertelsmann in Gütersloh und dem Zentralverlag der NSDAP Franz Eher Nachfolger in München und Berlin war der Leipziger Verlag zusammen mit dem Stuttgarter W. Kohlhammer Verlag der drittgrößte Buchlieferant der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.96 Auf welche Weise das B. I. sich derart in dem heiß umkämpften Markt des Frontbuchhandels platzieren, ja in einigen Bereichen sogar eine »Sonder- und Monopolstellung« einnehmen konnte,97 ist nicht eindeutig geklärt. Sicherlich spielten Produktionsaufträge für militärische Karten eine Rolle, die der Verlag seit Mitte der 1930er Jahre ausgeführt hatte. Bereits 1935 wurde ein vierbändiges Deutsches Soldatenbuch als Lizenzausgabe für die Angehörigen der Wehrmacht hergestellt. Ein Jahr später übernahm der Verlag die Lithographische Kunstanstalt Th. Kirsten & John zu 50 Prozent, die sich auf die Reproduktion von militärischen Karten spezialisiert hatte.98 Während des Kriegs wurde diese Abteilung weiter ausgebaut und für die Vervielfältigung von militärischen Beutekarten interessant.99 Somit verwundert es nicht, dass das B. I. aufgrund seiner Kriegswichtigkeit auf keiner der geplanten Stilllegungslisten für den Leipziger Verlagsbuchhandel stand, wie sie etwa den Hauptkonkurrenten bedrohten. Nach vorsichtigen 92 93 94 95 96 97 98 99

Einige Exemplare sind heute antiquarisch erhältlich mit einer entsprechenden Kennzeichnung. Bei weiteren, nicht gekennzeichneten Ausgaben fungierte Brockhaus als Lizenzgeber. Vgl. Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel 1939 –1945, S. 107. Vgl. F. A. Brockhaus 1905 –2005, S. 187. Vgl. Prodöhl: Die Politik des Wissens, S. 121 –124. Er erschien erst nach dem Krieg in Wiesbaden als Gesundheits-Brockhaus (1951 –1957) in neun Auflagen. Vgl. Bertelsmann im Dritten Reich, S. 422 –424. Vgl. Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel 1939 –1945, S. 184. Vgl. Bertelsmann im Dritten Reich, S. 424. Vgl. den Bestand 21078 Th. Kirsten & John GmbH, Lithographische Kunstanstalt, Leipzig. In: Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig. Vgl. Prodöhl: Die Politik des Wissens, S. 134 –142, hier S. 135 f.

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Schätzungen produzierte das B. I. insgesamt zehn Millionen Buch- und Heftexemplare für den Frontbuchhandel. Druckaufträge wurden vornehmlich für die Tornisterschriften des OKW und die Soldatenbücherei des OKW entgegengenommen. Weitere Feldpostausgaben aus der Produktion des Bibliographischen Instituts wurden verlegt, es sind aber nur wenige Titel bekannt.100 Die Reihe Tornisterschriften des OKW erschien zwischen 1939 und 1942 in 88 Nummern. Mindestens 21 Hefte davon waren Lizenzausgaben des B. I., vorzugsweise aus der Reihe Schlag nach.101 Diese Hefte waren sachlicher gehalten als die propagandistischen Publikationen weiterer Lizenzgeber in den Tornisterschriften, wie etwa die zum Eher-Verlag gehörende Druckerei Müller & Sohn in München. Die Idee zu Schlag nach wurde ursprünglich vom Reise- und Versandbuchhändler Carl-Heinz Finking an den Verlag herangetragen. Es handelte sich Abb. 7: Cover »Schlag nach 1933 bis nicht um ein enzyklopädisches Nachschlage1940«, Leipzig: Bibliographisches werk im eigentlichen Sinne, sondern um eine Institut 1940. meist chronologisch angelegte Länderdarstellung. Aus unterschiedlichen Lexikonsubstanzen und anderen Werken des Verlags wurden statistische Tabellen und Fakten zusammengetragen. 1938 erschien ein Einbänder unter dieser Bezeichnung mit dem erklärenden Untertitel Wissenswerte Tatsachen aus allen Gebieten. Ein umfassendes Nachschlagewerk mit 982 Übersichten und Tabellen mit 640 Seiten. Entgegen der verhaltenen Prognose verkauften sich innerhalb weniger Monate 100.000 Exemplare, so dass 1939 eine zweite, erweiterte und verbesserte Auflage folgte. Der eher sachliche Stil, auch und gerade im Unterschied zu Meyers Lexikon, war sicherlich mit ausschlaggebend für die hohe Nachfrage.102 Die Schlag nach-Hefte umfassten in der Regel 32 Seiten und kosteten 50 Pfennig; eine militärische Karte größeren Formats war ihnen gefalzt beigegeben. Die Ausgaben der Jahre 1941 und 1942 enthielten bei grundsätzlich gleicher Aufmachung bis zu 80 Seiten. Sie informierten über mehrere europäische Länder im Zweiten Weltkrieg, darunter auch eroberte Gebiete und Kriegsgegner, aber auch ausgewählte Staaten Asiens, Amerikas sowie Australien.103 Nach einem groben Überschlag von Otto Mittelstaedt betrug die Gesamtauflage zwei Mio. Hefte.104 100 101 102 103 104

Vgl. Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel 1939 –1945, S. 173. Tabellarischer Nachweis, siehe ebd., S. 185 –189. Vgl. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1938/3. Vgl. Prodöhl: »Schlag nach über Polen«. Vgl. Mittelstaedt: Geschichte des B. I. 1926 –1945, Bl. 1939/5.

8.3 Der Lexikonv er lag

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Abb. 8: Die Trümmer des Bibliographischen Instituts 1945. In: Sarkowski: Das Bibliographische Institut, S. 167. Die Soldatenbücherei des OKW erschien zwischen 1942 und 1945 in mehr als 127 Ausgaben und zehn Mio. Exemplaren. Die einheitlich gestalteten Bände im Umfang von 350 bis 400 Seiten kamen zum Teil im Schuber heraus und es gab auch Ausgaben, die nur Lazaretten vorbehalten waren. Das Bibliographische Institut stellte 45 bis 50 Titel her, während andere Verlage wie Bertelsmann, Grote, Langen-Müller, Stalling, Suhrkamp usw. als Lizenzgeber fungierten. Bei einer durchschnittlichen Auflage von 80.000 Exemplaren entsprach das einem Produktionsumfang von 3,5 bis 4 Mio. Exemplaren. Der bekannte Leipziger Künstler Karl Stratil (1894 – 1963), der mehrfach für das B. I. arbeitete, übernahm neben anderen Künstlern die Umschlaggestaltung.105 Die Bücher des Frontbuchhandels wurden vom Bibliographischen Institut direkt bei der Armee, ohne den Umweg über den Buchhandel, abgesetzt. Neben gesicherten Einnahmen war dies ein eindeutiges Treuebekenntnis zum NS-Regime. Die Reingewinne steigerten sich demzufolge von 3,07 Mio. RM im Jahre 1938 um 30 Prozent auf 4,02 Mio. RM 1941. In den Jahren 1942 und 1943 wurden noch einmal 3,8 Mio. RM bzw. 3,9 Mio. RM Gewinn erzielt. Das vorletzte Kriegsjahr wies, bedingt durch die Zerstörung des Stammsitzes, nur noch 1,1 Mio. RM aus. Bis zum Untergang des Dritten Reichs konnte das Bibliographische Institut seine Produktion mit ca. 200 Mitarbeitern in verschiedenen Ausweichbetrieben fortsetzen.106 105 Tabellarischer Nachweis, siehe Bühler/Bühler: Der Frontbuchhandel 1939 –1945, S. 190 –197. 106 Die Bilanzen sind als Faksimile-Nachdruck erhalten und sind veröffentlicht in ebd., S. 173.

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Die Autoren des Bandes Jan-Pieter Barbian, Dr. phil., seit 1999 Direktor der Stadtbibliothek Duisburg. Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie an der Universität Trier. 1986 Magister Artium, 1991 Promotion mit einer Studie über Literaturpolitik im ›Dritten Reich‹. Institutionen, Kompetenzen, Betätigungsfelder (gebundene Ausgabe im Archiv für Geschichte des Buchwesens 1993, aktualisierte Taschenbuchausgabe dtv 1995; grundlegend überarbeitete und aktualisierte Neuausgabe unter dem Titel Literaturpolitik im NSStaat. Von der ›Gleichschaltung‹ bis zum Ruin im Fischer Taschenbuch Verlag 2010). Von 1987 bis 1991 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fach Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Trier; von 1991 bis 1998 Fachbereichsleiter für Kulturelle Bildung an der Volkshochschule der Stadt Duisburg. – Zahlreiche Publikationen zur Literatur- und Kulturpolitik der NS-Zeit, zu Film und Politik in der Weimarer Republik, zur Geschichte und Literatur des Ruhrgebiets im 20. Jahrhundert. Ernst Fischer, Dr. phil., Univ.-Prof., Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Wien mit Promotion 1978; seit 1979 am Institut für Deutsche Philologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München tätig; dort 1988 Habilitation, anschließend Privatdozent in München. 1993 – 2014 Professor am Institut für Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Ordentliches Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Publikationen zur Literatur-, Buchhandels- und Mediengeschichte des 18. bis 21. Jahrhunderts. Wilhelm Haefs, Dr. phil., Privatdozent für Neuere deutsche Literatur, Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Deutsche Philologie der Ludwig-MaximiliansUniversität München. Korrespondierendes Mitglied der Historischen Kommission des Börsenvereins. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Literatur sowie zur Buch- und Mediengeschichte des 18. bis 21. Jahrhunderts. Thomas Keiderling, Dr. phil. habil., 1989 – 1995 Studium der Geschichte, Journalistik und Kulturwissenschaften in Leipzig und Newcastle upon Tyne (Großbritannien), seit 2003 wiss. Assistent, seit 2010 Privatdozent am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig, Bereich Buchwissenschaft und Buchwirtschaft. Zahlreiche Publikationen zur Buchwissenschaft, Buchhandels- und Verlagsgeschichte, Rezeptionsforschung und Unternehmensgeschichte. Ute Schneider, Dr. phil., apl. Prof. am Institut für Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Promotion Mainz 1994: Friedrich Nicolais Allgemeine Deutsche Bibliothek als Integrationsmedium der Gelehrtenrepublik. Wiesbaden 1995, Habilitation Mainz 2001: Der unsichtbare Zweite. Die Berufsgeschichte des Lektors im literarischen Verlag. Göttingen 2005; Herausgeberin von Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde; Publikationen zur Verlags- und Lesergeschichte der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert, weitere Arbeiten insbesondere zur Wechselwirkung zwischen Wissenschafts- und Buchhandelsgeschichte, zur Zeit vor allem zu medienhistorisch geprägten Wissensräumen.

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Reinhard Wittmann, Prof. Dr. phil., 1975 – 2005 Literaturredakteur beim Bayerischen Rundfunk, seit 1986 Honorarprofessor für Geschichte des Buchwesens an der Universität München, 1983 – 1989 Vorsitzender, seit 1990 stellvertretender Vorsitzender der Historischen Kommission des Börsenvereins des deutschen Buchhandels. Zahlreiche Buchpublikationen, u. a. Geschichte des deutschen Buchhandels (1991), Verlagsgeschichten von Metzler, Hanser, Oldenbourg sowie mit S. Friedländer u. a. Bertelsmann im Dritten Reich (2002).