Geschichte der Wandalen
 3406022103,  9783406022104

Table of contents :
Erstes Buch: Die älteste Zeit 1
Zweites Buch: Das afrikanische Reich unter Geiserich 41
Drittes Buch: Die Nachfolger Geiserichs bis zum Untergänge des Reiches 99
Viertes Buch: Innere Geschichte des afrikanischen Reiches 148
Register 197
Nachträge 203
Stammtafel der Hasdingen 204
Karten: Die Züge der Wandalen in Europa. Geiserichs Wege in Nordafrika. Zur Schlacht bei Decimum am Schluss.

Citation preview

LUDWIG SCHM IDT

GESCHICHTE DER WANDALEN

GESCHICHTE DER WANDALEN VON

LUDWIG SCHMIDT

VERLAG C.H.BECK MÜNCHEN

Unveränderter Nachdruck 1970 von Geschichte der Wandalen von Ludwig Schmidt. Zweite, umgearbeitete Auflage. München 1942

I S B N 3 406 02210 3 Umschlagentwurf von Rudolf Huber-Wilkoff, München

€> C.H.Beck’sche Verlagsbuchhandlung (Oscar Beck) München 1942 Druck: Pera-Druck Hanns Haug, München-Gräfelfing Printed in Germany

Vorwort Das vorliegende Buch erschien in erster Auflage im Jahre 1901 im Verlag von B. G. Teubner, Leipzig, und war, seit langem vergriffen, der Neubearbeitung bedürftig. Bis zum Untergange des Reiches geführt, er­ gänzt es den knapper gefaßten und schon mit der Begründung der festen Niederlassung in Afrika schließenden Abschnitt meiner Geschichte der deutschen Stämme. Dresden, im April 1942 Ludwig Schmidt

VORWORT ZUM NACHDRUCK 1970 Die in den Anmerkungen gegebenen Hinweise auf L. Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme I2 und II21 bzw. II22 beziehen sich auf folgende Werke L. Schmidts: L. Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme I2 = Die Ostgermanen. Verbesserter Neudruck der zweiten völlig neu bearbeiteten Auflage. München 1941 (unveränderter Neudruck 1969) und L. Schmidt, Geschichte der deutschen Stämme II21 und II22 = Die West­ germanen. Zweite, völlig neubearbeitete Auflage. Erster Teil. München 1938. Und: Zweiter Teil. Erste Lieferung. München 1940 (unveränderter Neudruck in einem Band 1970). München, Sommer 1970 C. H. Beck’ sche Verlagsbuchhandlung

Inhaltsverzeichnis Erstes Buch: Die älteste Z eit.....................................................................

j

Abwanderung aus Skandinavien 2. Besiedlung Ostdeutschlands und Polens 3. Zu­ wanderungen 4. Die Kultgenossenschaft der Lugier 5. Römische Beziehungen 6. Beteiligung

am Markomannenkrieg 7.

Erwähnung in späteren Chorographien

8.

Abzug von Silingen aus Schlesien 9. Zusammenstoß mit Kaiser Aurelian (270) 10. Kämpfe mit den Westgoten 11. Angeblicher Aufenthalt in Pannonien 12. Unter hunnischer Herrschaft 13. Einfall in Rätien 14. Aufbruch nach Gallien 15. Rhein­ übergang

16.

(406)

Zug

durch

Gallien

18.

Verhältnis

zum

Gegenkaiser

Kon­

stantin II I . 19. Übergang über die Pyrenäen 20. Zug durch die iberische Halb­ insel 21. Föderationsvertrag mit dem Kaiser 22. Landnahme in Spanien 23. W est­ goten und Wandalen 24. Westgoten gegen die Silingen und Alanen 25. Kämpfe mit den Sweben und Römern 26. Erhebung Geiserichs zum König 27. Persönlich­ keit Geiserichs 28. Afrikanische Pläne 29. Übergang nach Afrika 30. Verfassung 32. Ansiedlung,

Wirtschaftsleben

35.

Handwerk

36.

Handel,

Bestattungsformen

37.

Religion 39. Körperbeschaffenheit 40.

Zweites Buch: Das afrikanische Reich unter G eiserich .......................

41

Zivilverwaltung 42. Militärverwaltung 43. Wirtschaft 46. 48. Großgrundbesitz 49. Die Mauren 51. Die Kirche 53, Christliche Sekten 54. Der comes Bonifatius 55. Verlauf des wandalischen Er­ oberungszuges 60. Belagerung von Hippo regius 62. Karthago von den Römern behauptet 63. Federations vertrag vom 11. Februar 435 64. Ansiedlung in Numidien 65. Vertragswidriges Verhalten Geiserichs 66. Besetzung Karthagos Das

römische

Afrika:

Gemeinde Verfassung

(439).

70.

Einfall

in

Sizilien

Friedensvertrag

von

(440). 442

Oströmische

71.

Ansiedlung

Flotte in

der

landet

in

Sizilien

Proconsularis

72.

(441) Vor­

gehen gegen katholische Geistliche 73. Aufstand des wandalischen Adels; Katho­

74. Maßnahmen

likenverfolgungen 75. dem

Verbindungen Kaiser 77.

mit

den

zur

Westgoten

Zug nach Rom

(455)

Befestigung der wandalischen und

dem

Kaiserhause

76.

Herrschaft Bruch

mit

78. Plünderung Roms 79. Schwächliches

Verhalten der W e st- und Oströmer 82. Besetzung des noch römisch gebliebenen x^frika; neue Angriffe auf Italien 83. Die Wandalen in Italien zurückgeschlagen 84. Ergebnisloser Feldzug des Kaisers Maiorianus (459) 85. Neue Angriffe der W an ­ dalen auf Italien 86. Schwierige Lage des weströmischen Reiches 87. Seezüge der Wandalen im östlichen Mittelmeer 88. Rüstungen der Römer gegen die Wandalen (467) 89. Vernichtung der römischen Flotte (467) 90. Die Wandalen Herren des Mittelmeeres

91. Friedensvertrag zwischen Geiserich und dem Kaiser (474) 92.

Stellung der katholischen Kirche unter Geiserich seit 454 93. Charakteristik Geise­ richs 96.

I nhal t s ve r z e i chni s

VIII

Drittes Buch: Die Nachfolger Geiserichs bis zum Untergänge des Reiches ......................................................................................................

99

König Hunerich: Verfall der wandalischen Macht 100. Gewalttätiges Vorgehen gegen Verwandte 101. Katholikenverfolgungen 102. König Gunthamund: Mildere Behandlung der Katholiken 108. Kämpfe mit Mauren; Einfall in Sizilien 110. König Thrasamund: Religionspolitik 111. Bündnis mit den Ostgoten 114. Verhältnis zu den Ostgoten und Byzanz 115. Kämpfe mit den Mauren 116. König Hilderich: Katholikenfreundliche Politik 117. Bruch mit den Ostgoten, An­ schluß an Byzanz 118. Kämpfe mit den Mauren 119. Absetzung 120. Einsetzung Gelimers 121. König Gelimer: Einmischung Justinians in die Thronfolge 122. Rüstungen Justi nians gegen das Wandalenreich 124. Stärke des byzantinischen Heeres 126. Fahrt der byzantinischen Flotte 127. Ungenügende Verteidigung 128. Landung der Byzan­ tiner in Afrika 130. Verteidigungsmaßnahmen Gelimers 131. Vormarsch der Byzan­ tiner zu Lande; Schlacht bei Decimum 132. Flucht Gelimers; Einzug Beiisars in Karthago 134. Gelimer sammelt seine Truppen, sucht Hilfe 135. Tzazo kehrt aus Sardinien zurück 136. Gelimer rückt gegen Karthago vor; Schlacht bei Tricamarum

137. Flucht Gelimers 139. Verfolgung Gelimers; Unterwerfung wandalischen Ge­ biets 140. Gelimer gefangen 141. Gelimer im Triumphzug Belisars 142. Charakte­ ristik Gelimers 143. Schicksal der letzten Wandalen 144.

Viertes Buch: Innere Geschichtedes afrikanischen R e ic h e s ................ 148 Die im

156.

nationale Zusammensetzung

des

afrikanischen Reiches 149.

Die

Wirtschaft

afrikanischen Reiche 152. Die Stände der Wandalen 154. Der König: Thronfolge

157.

Titel

162. Kriegs­ wesen 164. Vertretungshoheit, Recht, Gericht 169.Gesetzgebung 172. Der königliche H of, die Beamten 173. Finanzwesen 179. Handel 183. Kirche 184. Kultur: Sittlicher Verfall 188. Sprache, Literatur 189. Kunst 194. Der W andalen­ stoff in der neueren Literatur 195. Abzeichen,

Inhalt

der

königlichen

Gewalt

Register........................................................................................................... 197 Nachträge......................................................................................................... 203 Stammtafel der H asdingen............................................................................ 204 Karten: Die Züge der Wandalen in Europa. Geiserichs Wege in Nord­ afrika. Zur Schlacht bei D ecim u m .............................................. am Schluß

E rstes B u ch

Die älteste Zeit Der Name „Wandalen“ , in geschichtlicher Zeit auf zwei Einzel­ völker beschränkt, hatte vordem in der Form „Wandilen“ eine um­ fassendere Bedeutung. Plinius hist. nat. IV 99 führt neben den Ingwä­ onen, Istwaeonen, Herminonen, Bastarnen, Hillevionen die Gruppe der Vandili auf, zu der die Burgundionen, Varini, Charini, Goten gezählt werden. Auch bei Tacitus, Germ. c. 2, wo die Vandilii unter den dem Gotte Mannus entsprossenen Urstämmen genannt werden, sind jene nicht als ein Einzelvolk, sondern als eine größere Stammesgruppe zu ver­ stehen. Wie später unter dem Namen des geschichtlich bedeutendsten Volkes der Goten, so wurden in älterer Zeit die Ostgermanen unter dem Namen der Vandili, von denen die Stammesbildung ihren Ausgang ge­ nommen, zusammengefaßt. Die Heimat des Urvolkes hat man nach archäologischen Anzeichen (kulturelle Verwandtschaft zwischen den historischen ostgermanischen Sitzen und den nordischen Ländern) so­ wie nach namenkundlichen Zeugnissen in Skandinavien zu suchen.1 Der Name des wandalischen Einzelvolkes der Hasdingen entspricht dem des altnorwegischen Geschlechtes der Haddingjar, der in dem Provinznamen Hallingdal fortlebt, und dem der Heardingas in dem angelsächsischen Runenliede.1 2 Der Wandalenname er­ scheint in Uppland in Mittelschweden in dem Kirchspiel Vendel, altschwedisch Vaendil, dem einstigen Sitze eines schwedischen Königs­ geschlechtes nach den Gräberfunden, in Dänemark in dem Namen des nördlichsten Teiles Jütlands, altnordisch Vendill·, Vandili u. ä., jetzt Vendsyssel.3 Neuerdings herrscht die Ansicht vor, daß in erster Linie 1 über die archäologischen Beziehungen siehe u. a. E. P e t e r s e n , Schlesien von der Eiszeit bis ins Mittelalter (1935) S. 143 f f .; E k h o lm , Cambridge ancient history X I (1936) S. 6 0 ; M. J a h n in: Acta archaeologica vol. V I I I (Kopenhagen 1937) S. 149 ff., Vorgeschichte der deutschen Stämme, hsg. von H. R e ia ie r th I I I (1940) S. 943 f f .; R a s c h k e in: Altschlesien V I I I (1939) S. 5 2 f f .; K u n k e l in: Pauly-Wissowa R.-E. X V I I I (1942) Sp. 1800 ff. 2 Vgl. de V r i e s , Altgermanische Religionsgeschichte I (1935) S. 213, 245. Danach E c k h a r d t , Zeitschr. d. Savignystiftung 59 (1939), Germ. Abt. S. 1 ff. Als Stammesgott der Heardingas wird Ing genannt, was insbesondere Eckhardt veranlaßte, die Wandalen den Ingwäonen zuzuzählen. Aber die Existenz dieses Gottes ist sehr problematisch. Ganz abwegig ist es, wenn Eckhardt auch die sogenannte fränkische Völkertafel, in deren einer Fassung die Wandalen als Teil der Ingwäonen erscheinen, heranzieht; vgl. die Warnung von de Vries I S. 213, 1. 3 Vgl. S c h ü t t e , Gotthiod, die W elt der Germanen (1939) S. 175, 185, 212, 220 f. 1 Wandalen

2

Abwande r ung aus Skandinavien

die letztere Gegend in Betracht zu ziehen sei.1 Doch ist dagegen geltend zu machen, daß dieselbe nach eindeutigen antiken Zeugnissen zum einstigen Gebiet der Kimbern gerechnet werden muß,1 2 ihren Namen also erst nachdem diese zum größten Teile abgezogen waren, von Neusiedlern anderen, wenn auch verwandten Stammes, erhalten haben kann, die geschichtlich nicht weiter hervortreten, was bei ihrer zweifellos geringen Zahl nicht verwunderlich ist. Unter den Wendlas im Widsidh v. 59 und Beowulf v. 348 ff. ist nicht das unbedeutende dänische Völkchen, sondern nur ein in der Geschichte hervorragender Stamm zu verstehen, die Uppländer oder besser wohl die festländischen Wandalen, auf die auch die gleichzeitige Erwähnung der Gepiden hinweist.3 Auch in der Wandersage der Langobarden in der Fassung bei Paulus Diaconus, nach der diese in „Scoringa“ , das ist Uferland, der ersten Station nach dem Verlassen Skandinaviens, mit „Wandalen“ unter Ambri und Assi zu­ sammenstießen, dürfte mit Scoringa nicht das Vendsyssel,4 sondern die deutsche Ostseeküste gemeint sein; auch wenn die Langobarden, wie an­ genommen worden ist, ursprünglich am Kattegat zu Hause gewesen wären, würden sie schwerlich in dem eine Insel bildenden nördlichsten Teile Jütlands, sondern weiter südlich gelandet sein. Und die Ar­ chäologie gibt keine sichere Entscheidung, da die latenezeitliche Kultur Nordjütlands von der der skandinavischen Halbinsel nicht wesentlich verschieden ist.5 Es fehlt somit ein zwingender Grund, die Abwanderung der Wandalen mit dem Zuge der Kimbern und Teutonen in unmittelbare Verbindung zu bringen, wenn sie auch zu annähernd der gleichen Zeit erfolgt sein mag; denn nach Ansicht der Archäologen lassen sich in Ost­ germanien keine wandalischen Kulturreste aus der Zeit vor dem Ende des 2. Jahrhunderts v. Clir. nachweisen; sie beginnen erst in der Zeit um 100 v. Chr. als etwas für Ostgermanien ganz Neues, bis dahin Un­ bekanntes.67 Waren nun die Wandalen zunächst in Uppland zu Hause, so können sie die deutsche Küste kaum anderswo als in der Danziger Bucht be­ treten haben. Dort wird auch das Zusammentreffen mit den Lango­ barden erfolgt sein. Von den später daselbst eingetroffenen Rugiern 1 Vgl. besonders P c s c h c c k , Die frühwandalische Kultur in Mittelschlesien (1939) S. 146 ff. J a h n a. O. 2 L. S c h m i d t , Gesch. d. deutsch. Stämme I I 2 1 (1938) S. 1 ff. 3 Vgl. A r b m a n , E r i k s s o n , L i n d q v i s t und L u n d b e r g , Vendel in Uppland and the Beowulf poem in: Upplands Fornminneförenings Tidskrift 46 (1938) S. 77 ff. 4 So jetzt wieder E. K l e b e l , Langobarden, Bajuvaren, Slawen (1939) S. 65. 6 Vgl. bes. J a h n a. O. K a r s t e n ' , Die Germanen (1928) S. 220. 6 J a h n a. O. 7 Der Origo gentis Langobardorum verlegt allerdings die Kämpfe mit den W a n -

De Si e dl ung Ost d e u t s c h l and s und P o l e n s

3

verdrängt, zogen sie in das Binnenland ab, ostwärts über die Weichsel, westwärts über die Oder sich ausbreitend. Nach der Wandersage der Goten hatten diese nach ihrer Ankunft in „Gothiscandza“ die Rugier aus dem Weichseldelta vertrieben und darauf deren (Süd-) Nachbarn, die Wandalen, sich unterworfen. Wie durch die Goten so erlitten die Wandalen Einbuße auch durch die Burgunder,1 die von Hinterpommern sich zunächst im Warthe-Netzgebiet und ostwärts bis über das Weichsel­ knie hinaus niederließen. Bald waren die Wandalen ganz aus den nörd­ lichen Gegenden vertrieben,*1 2 so daß sich, abgesehen von einer kleineren, in das westliche Masuren abgedrängten Abteilung,3 ihr Gebiet in der Hauptsache auf Südposen, Kongreßpolen, Galizien und den größten Teil Schlesiens erstreckte.4 Die germanischen Yorbewohner dieser Gegenden, die Bastarnen und Skiren, waren bereits abgezogen, so daß die Besitz­ nahme durch die Wandalen ohne Streit erfolgen konnte; nur mit den seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. in Mittelschlesien ansässigen Kelten, den Bojern, scheint es zu Kämpfen gekommen zu sein, die mit der Vertreibung bzw. Unterwerfung der Bojer endeten. Nur in Oberschlesien konnten sich vorläufig Kelten behaupten, bis auch sie im 1. Jahrhundert n. Chr. dem Andringen der Wandalen (Silingen?) erlagen. Unter den wandalischen Einzelvölkern bildete sich eine Kultgenossenschaft heraus, die in der ge­ schichtlichen Überlieferung vorwiegend unter dem Namen Lugier (wohl = = Genossen) erscheint. Das Vordringen der Sweben nach dem Rhein seit etwa 100 v. Chr. scheint auch auf die Wandalen ansteckend gewirkt zu ha­ ben. Spuren von demselben Ziele zustrebenden Scharen liegen nach ar­ chäologischen Feststellungen vor in den spätlatenezeitlichen Funden von Kunersdorf (Kr. Weststernberg), Zörbig und Loebersdorf (Kr. Bitter­ feld), Blönsdorf (Kr. Wittenberg), Gernstedt (Kr. Naumburg), vom dalcn nach Skandinavien. Aber hier sind offensichtlich die einzelnen Ereignisse zusammengezogen, während die spätere Erzählung des Paulus Diaconus die ursprüng­ liche Fassung wiedergibt, wie das auch sonst bei jüngeren Autoren zu beobachten ist. Ein Beweis für die einstige Heimat der Wandalen in Skandinavien (so J a h n , Vor­ geschichte S. 948) ist daraus nicht gegeben. 1 Spuren einer von den Burgundern überlagerten Schicht im Kulmer Lande, vgl. B o h n s a c k (s. A. 2) I S. 111, 115. 2 Vgl. B o h n s a c k , Die Burgunden in Ostdeutschland und Polen (1930) (I). D e r ­ se 11)e, Vorgeschichte der deutschen Stämme I I I S. 1042 (II). 3 Vgl. K o s t r z e w s k i , Die ostgermanische Kultur in der Spätlatenezeit I (1919) S. 228 ff. 4 Karte der Verbreitung der wandalischen Kultur bei T a c k e n b e r g , Mannus 22 (1930) S. 288 nach Antoniewicz. Vgl. v. R i c h t h o f e n , Prähist. Zeitschr. 25 (1934) S. 216 ff. nach Smiczko u. a. P e t e r s e n a. O. S. 147, 166. J a h n , Acta S. 152 (Die Ostgrenze verläuft in der Spätlatenezeit am Bug östlich des Flusses von Drogitschin nach Südosten zum Kleinen Seretli, und diesen entlang zum Dnjestr). Bohnsack I S. 101. J a h n , Vorgeschichte S. 965, 1029. 1*

4

Zuwande r unge n

Weinberg bei Artern u. a., sowie von Muschenheim in der Wetterau.1 Diese Auswanderer scheinen besonders aus Niederschlesien und der an­ grenzenden Niederlausitz gekommen zu sein, wo die Friedhöfe vor dem Ende der Latènezeit abbrechen. Daß die Wandalen den Kimbern auf ihrem Zuge durch Schlesien Zuzug gestellt haben, wird aus dem Namen eines der kimbrischen Anführer, Lugius, wahrscheinlich.1 2 Wie sie fort­ dauernd aus verschiedenen Teilen der nordischen Urheimat (auch aus Norwegen?) sich verstärkt haben müssen, um jenes weite Gebiet be­ siedeln zu können, so ist genauer erkennbar eine Zuwanderung aus See­ land, die der Silingen. Diese sind nach der herrschenden (jetzt aber von Pescheck S. 13 ff., 153 bestrittenen) Ansicht archäologisch gekennzeichnet durch ihisen von den übrigen Wandalen unterschiedenen Grabritus, in­ dem sie Skelettbestattung neben der Leichenverbrennung ausübten.3 Ihre Herkunft aus Seeland ist wahrscheinlich wegen archäologischer Be­ ziehungen, die allerdings erst für die nachchristliche Zeit nachweisbar sind,4 während der Zusammenhang des Volksnamens mit dem der Insel (ältere Form Selund) umstritten ist.5 Die Silingen haben die führende Stellung in der lugischen Kultgenossenschaft gewonnen; denn die Nahar(na)valen, in deren Lande nach Tacitus sich ein heiliger Hain, das Bundes­ heiligtum, befand, werden mit ihnen identisch, als ihr kultischer Name zu fassen sein. Daß sie sich auch Wandalen nannten, lehren besonders die auf die Zeit der Markomannenkriege zurückgehende Bezeichnung der Sudeten als „wandalische Berge“ bei Cassius Dio 55, 1 und das spätere Zeugnis des Hydatius: Vandali cognomine Silingi. Neben der Völker­ schaft der Harier-Hasdingen sind die Silingen in der Folgezeit die ein-6 zigen Träger des Wandalennamens gewesen. Als Einzelvölker der Lugier (diese Form ist auch bei Tacitus statt der überlieferten: Lygii 1 W . S c h u l z , Jahresschrift f. d. Vorgesch. d. thür. u. sächs. Länder 11 (1925) S. 36 ff., 14 (1926) S. 121. M a r s c h a l l e k , ebenda 14, 49 ff. K o s s i n n a , Mannus 1 1/12 (1920) S. 405 ff. S c h u m a c h e r , Germania IV (1920) S. 76 ff. W . S c h u l z , Mannus 20 (1928) S. 186 ff. Geschichte Schlesiens, hsg. von A u b i n I (1938) S. 47. P e s c h e c k , Germania 25 (1941) S. 162 ff. J_ 2 Orosius adv. pag. V 16, 20. Lugiu9 als römisches cognomen (Manius Egnatius Lugius) bei F i e b i g e r - S c h m i d t , Inschriftensammlung z. Gesell, d. Ostgermanen (1917) Nr. 16. Ob man Lugier auch in Norwegen finden darf (Haleygir = hohe Lu­ gier?) (so J ä n i c h e n , Altschlesien V II [1938] S. 254), ist zu bezweifeln. 3 J a h n , Prähist. Zeitschr. 13 /1 4 (1928) S. 143 und Mannusbibliothck 22 (1922) S. 73 ff. P e t e r s e n a. O. S. 158. 4 Vgl. zuletzt J a h n , Acta arch. V I I I 154; Vorgesch. S. 980. P e s c h e c k S. 1 4 6 ff. 8 Vgl. K a r s t e n , Die Germanen S. 81 f. Es ist zu beachten, daß der Name auch im schwedischen Södermanland wiederkehrt; Vgl.1 V a s m e r , Altschlesien VI (1936) S. 2. 6 Ganz grundlos will G u t e n b r u n n e r , Zeitschr. f. S. 27 f. die Harier den Silingen gleichsetzen.

deutsch.

Altertum 77 (1940)

Die Kul t g e no s s e ns c haf t der Lu gier

5

einzusetzen), führt Ptolemäus (II 11, 10) nur drei auf: die Λ ονγοι ’Ομαννοι (Ίομοιννοι), die Λ ονγοι Ίδοννοι (Διδοννοή und die Λ ονγοι Βονροι, während Tacitus Germ. 43 mit dem Bemerken, daß er nur die bedeu­ tendsten angebe, deren fünf verzeichnet: die Harii, Helvecones, Manimi, Helisii, Nahar(na)vali. Von diesen fallen wahrscheinlich die Manimi mit den Ό.μοιννοι, die Helvecones und Naharvali (wie schon bemerkt) mit den auch von Ptolemäus (II 11, 9, 10) genannten, aber nicht zu den Lugiern gezählten A ιλονοάωνες (Έλονοιίωνες) und Σιλίγγ&ι zu­ sammen. Die Zugehörigkeit der Buren zu den Lugiern darf nach der Lage ihrer Sitze (siehe weiter unten) als gesichert gelten, obwohl sie Tacitus (a. 0 . Anfang) zu den S w e b e n rechnet. Die Lugoi Idunoi sind trotz gegenteiliger Behauptung als eine Erfindung des Ptolemäus anzu­ sprechen, konstruiert aus dem II 11, 13 verzeichneten, im östlichen Böhmen oder in Schlesien lokalisierten Ortsnamen Lugidunon; die im Liede von der Hunnenschlacht erwähnte Dunheide hat nichts damit zu tun, ist vielmehr im D on au tieflan d zu suchen.1 Die Harii,2 nach Tacitus das zahlenmäßig stärkste Volk, werden wiederum dieselben sein wie die von Plinius a. 0 . aufgeführten Charini; nach ihrem Herrscher­ geschlecht erscheinen sie später unter dem Namen Hasdingen. Ihre Sitze wird man im Osten, in der Hauptsache in Galizien zu suchen haben. Genauer zu bestimmen sind die Gebiete der Buren, die nach Tacitus a. 0 . im Rücken der Markomannen und Quaden, nach Ptolemäus südlich des Askiburgischen Gebirges bis zur Weichselquelle hin, also um Mährisch-Ostrau wohnten, sowie besonders der Silingen; denn diese haben ihren Namen hinterlassen in dem von Thietmar von Merseburg erwähn­ ten pagus Silensis, in dem auf einem hohen Berge „eine Stätte altheid­ nischen Götzendienstes“ , ohne Zweifel der Zobten, früher Slenzi (mons Zlencz, mons Silencii, slawische Form von Silingis), der Fluß Lohe (früher Slenza) und die Stadt Nimptsch (älter Nemci, d. h. „die Deut­ schen“ ) liegen,3 also in Mittelschlesien links der Oder. Zweifelhaft ist, ob zu den Lugiern zu rechnen sind die erst im Markomannenkriege auf­ tretenden Lakringen und Victovalen (Victuali, Victoali, Victohali); die Annahme, daß die letzteren mit den Hasdingen identisch seien, ist ebenso unbegründet wie die Gleichsetzung der Lakringen mit den Tai-* 1 Vgl. H. S c h n e i d e r , Germanische Heldensage II 2 (1934) S. 96 ff. Es ist in diesem Liede von Kämpfen der Goten mit den Hunnen während ihrer Herrschaft in Südrußland die Rede. L. S c h m i d t , Altschlesien I X (1941) S. 52 ff. a Zu germ. Harja = (1940) S. 113 ff.

Heer. Vgl. D e u t s c h b e i n ,

* Vgl. u. a. V a s m e r , Schlesien (1937).

Altschlesien V I

Zeitschr. f. Mundart-Forschung 16

(1936) S. I f f .

Petersen,

Germanen in

Römi sche B e zieh un g en

6

falen. In der griechisch-römischen Überlieferung werden die Lugier, abgesehen von dem Vorkommen ihres Namens gelegentlich der kimbrischen Wanderung, zuerst um Christi Geburt genannt, und zwar bei Strabo VII 1, 3 als Zugehörige des von Marbod begründeten germani­ schen Völkerbundes. Im Jahre 50 n. Chr. nahmen lugische Stämme, wohl insbesondere Buren, an der Vertreibung des Vannius, des Oberhauptes jenes Swebenreiches, das im Jahre 19 n. Chr. von den Römern zwischen March und Waag begründet worden war, in erheblicher Anzahl teil.1 Als unter dem Kaiser Domitian im Jahre 92 ein Konflikt zwischen Lugiern und „Sweben“ (besonders Markomannen) ausbrach, nahmen die Römer für die ersteren Partei und schickten ihnen eine wenn auch kleine Truppe zu Hilfe. Das gab den Anlaß, daß die Sweben sich mit den Jazygen verbündeten und in Pannonien einfielen, wo sie den Römern eine schwere Niederlage beibrachten.2 Das Bundesverhältnis zwischen den Lugiern und Römern blieb auch fernerhin bestehen; wenigstens wird von den B u r e n berichtet, daß diese während des ersten dakischen Krieges Trajans auf dessen Seite standen.3 Eine völlige Änderung in diesen Verhältnissen brachten die gewalti­ gen Völkerverschiebungen, die dem sogenannten Markomannenkriege voraufgingen. Um die Mitte des 2. Jahrhunderts setzten sich die Goten von der unteren Weichsel her in südöstlicher Richtung in Marsch. Diese Bewegung schlug ihre Wellen bis in die entferntesten Gegenden Germaniens und zog auch die Lugier in Mitleidenschaft. Im Winter 166/67 erschienen Langobarden von der Niederelbe wohl über Schlesien kom­ mend an der Grenze der römischen Provinz Oberpannonien; es ist sehr wahrscheinlich, daß der Durchzug dieser kriegslustigen Schar auf das Verhalten der Bewohner Schlesiens nicht ohne Einfluß gewesen ist. Wohl unmittelbar durch die Goten wurden aufgescheucht die Victovalen, Lakringen und Hasdingen. Die lugische Kultgenossenschaft in der bis­ herigen Form verfiel infolgedessen der Auflösung. Der Viktovalen und Lakringen als Feinde Roms gedenkt die Hist. Aug. vita Marci 14, 1, ohne daß wir erfahren, an welchem Abschnitte der Reichsgrenze sie auf1 Tac. ann. X I I 29, 30. L. S c h m i d t , Gesch. d. deutsch. Stämme II l 2 (1938) S. 32, 158 und Germania 23 (1939) S. 266 f. K a h r s t e d t , Mitt. d. prähist. Komm. d. Akad. d. W iss. I II 4 (1938) S. 177 ff. B e n i n g e r , Die germanischen Bodenfunde in der Slowakei (1937) S. 124, 139 ff. Die oben angegebene Lage des Regnum Vannianum wird allerdings angezweifclt. 2 Dio 67, 5, 2 und dazu Boissevain. (Vgl. K l o s e , Roms Klientelrandstaaten [1934] 118.) An Stelle der überlieferten, durch den Exzerptor verderbten W orte: oxt èv zrj Μνσία Avyiot Σονήβοις τισ(* πολεμωχϊέντες ist wahrscheinlich zu lesen: Sn ot Σονηβοι, οι ineo τής Μυσίας, Λυγίοις τιαι πολ. etc. S.

3 Dio

68,

8.

Be t e i l i gung am Mar komanne nkr i e g

7

getreten sind, ohne Zweifel in Dakien; als die Kaiser Marcus Aurelius und Verus in Aquileja eintrafen, hatten sie bereits das römische Gebiet geräumt. Sie werden unter den elf Völkern inbegriffen sein, mit denen nach Dio 71, 3 ( = Petr. Patrie, fr. 6) einzeln Friede geschlossen wurde. Die Viktovalen ließen sich hierauf im nördlichen Ungarn nieder. Hier werden sie noch im Jahre 334 erwähnt: damals flüchtete zu ihnen ein Teil der Sarmaten (Jazygen), die von ihren Hörigen (den Limigantes) vertrieben worden waren;1 später befanden sie sich im Besitze eines Teiles von Dakien,1 2 vermutlich des Banats,3 seit 358 als Gastfreunde der sarmatischen Limiganten unter römischer Oberhoheit. Die Lakringen erbaten und erhielten Land im nördlichen Dakien mit der Verpflichtung, die Grenze zu verteidigen.4 Dagegen wurden die Hasdingen, als sie 171 unter der Führung von Raus und Raptus (Rafts) ( = Rohr und Balken), wahrscheinlich über den Duklapaß kommend, an der dakischen Grenze mit der Bitte um Aufnahme in das Reichsgebiet sich versammelten, von dem Statthalter Cornelius Clemens (seit 170) abgewiesen. Im Einver­ ständnis mit diesem, dem sie ihre Familien anvertrauten, fielen sie in das am Ostrande der Karpaten gelegene Land der Kostoboken ein, die damals auf ihrem Streifzug nach den Balkanländern begriffen waren, und setzten sich dort fest, bedrohten aber auch weiterhin die Provinz Dakien. Die Lakringen sahen sich dadurch veranlaßt, gegen die Has­ dingen zu Felde zu ziehen; diese wurden empfindlich geschlagen und gezwungen, um Frieden zu bitten, der ihnen auch, da sie jetzt weniger gefährlich erschienen, unter der Bedingung, zum kaiserlichen Heere Zu­ zug zu stellen und nach der oberen Theiß in die Nachbarschaft der Quaden, wo wir sie ja auch später noch vorfinden, überzusiedeln, ge­ währt wurde.5 Ihre Bundespflicht gegen das Reich haben sie seitdem im allgemeinen gewissenhaft erfüllt. Ebenso leisteten die Buren um das Jahr 178 dem Kaiser Kriegshilfe gegen die aufständischen Quaden;6 als sie darauf wieder von Rom abfielen, wurde ihnen eine empfindliche Strafe zuteil.7 Wahrscheinlich bezieht sich hierauf die in einer 1 Ammian. 17, 12, 19. 2 Eutrop. V I I I 3. 3 Vgl. P a t s c h , Anz. d. Wiener Akad. 1925 Nr. X X V I I S. 182, 191, 194.

* Dio 71, 3, 6 ( = Petr. Patr. fr. 7); 71, 72. 5 Dio 71, 12. Vgl. L. S c h m i d t , Ungarische Jahrbücher V (1925) S. 114. Als Nachbarn der Quaden erscheinen sie Dio 72, 2, als Vandali bei Eutrop. V I I I 13 und vita Marci 17, 3 ; dieser Name ist auch vita Marci 22 zu ergänzen. « Dio

71,

18.

t Dio

72,

3.

8

Er wähnung in spät eren Cho r o gr aphi e n

römischen Soldateninschrift1 erwähnte Expeditio Burica.1 2 Auch die Hasdingen scheinen damals vorübergehend wieder auf die Seite der Reichsfeinde getreten zu sein; denn es heißt bei Abschluß des Friedens im Jahre 180 durch Commodus, daß außer den Buren auch andere V öl­ ker (d. h. wohl die Jazygen und Wandalen) die Gefangenen zurück­ geben und sich verpflichten mußten, mit ihren Wohn- und Weideplätzen 40 Stadien von der Grenze Dakiens fernzubleiben. Dagegen wurde in demselben Vertrag den Markomannen und Quaden aufgegeben, sich aller Feindseligkeiten gegen ihre Nachbarn, die Jazygen, Buren und Wandalen, zu enthalten.3 Eine flüchtige Erwähnung der Wandalen aus dem Anfänge des 3. Jahr­ hunderts — es heißt, Caracalla habe sich gerühmt, die bisher befreunde­ ten Markomannen und Wandalen gegeneinander aufgehetzt zu haben — dürfte auf die vorläufig in Schlesien zurückgebliebenen Silingen zu be­ ziehen sein.4 Diese sind, wie schon bemerkt, wohl auch gemeint, wenn Dio auf Grund der durch den Markomannenkrieg neu gewonnenen geo­ graphischen Kenntnisse die Elbe in den „wandalischen Bergen“ ent­ springen läßt.5 Dasselbe gilt vielleicht wenigstens zum Teil von der Er­ wähnung der Wandalen in den späteren Chorographien. Die von Cassiodor6 benutzte Karte verzeichnete die Wandalen südlich von den Hermunduren, östlich von den Markomannen, westlich von den Goten; es scheint hier der ethnographische Stand des 2. Jahrhunderts wieder­ gegeben zu sein (nur die die Goten betreffende Angabe dürfte auf einer späteren Korrektur aus der Zeit der Niederlassung derselben in Dakien beruhen). Ferner die Ansetzungen in der Chronik des Hippolytus von zirka 235 (c. 221 = Barbarus Scaligeri 193: Barduloi zwischen Marko­ mannen und Quaden) sowie in der Veroneser Völkertafel von zirka 310 (zwischen Hermunduren und Sarmaten, das sind Jazygen). Unklar bleibt, ob auf der Beatuskarte von 776 die Wandalen, die hier als Nachbarn der in Dakien wohnenden Goten erscheinen, als Anwohner der Theiß gedacht sind, wie das wohl auf der Tabula Peutingeriana (4. Jahrhun­ dert) und in der Kosmographie des Julius Honorius der Fall ist. Auf der ersteren werden zwar noch die Lupiones, d. h. die alten Lugier, auf­ 1 C. I. L. I II 5937 = V o l l m e r , Inscr. Bav. 353 = F i e b i g e r , Inschriftensamml. z. Gesch. d. Ostgermanen N. F. Nr. 3. 2 Buricus, Burica als röm. cognomen (C. I .L . X 8059, 3 6 ; X I I 2525; V III 1 1 4 0 0 ; D i c h l , Inscr. lat. 3 7 4 4 A) hat mit den Buren wohl nichts zu tun. 3 Dio 72, 2, 3. 4 Dio 77, 20. 6 Wandalische Funde im Riesengebirge s. G e s c h w e n d t in: Altschlesien V I (1936) S. 72. 9 Jord. Get. 114.

Abz ug von Silingen aus Schl esi en

9

geführt (wohl nach der unter Caracalla entstandenen Vorlage), dagegen Vandali an der Donau, wenn auch in der unmöglichen Stellung südlich der Markomannen. In den neuen Sitzen an der Theiß scheint auch die dem Julius Honorius zugrunde liegende Karte des 4. Jahrhunderts (?) die Wandalen zu kennen, wenn sie diese als [VanJDuli in der Umgebung der Quaden, Sarmaten, Gepiden usw. verzeichnet. Außerdem nennt die Tab. Peut, noch die Buren nördlich von Carnuntum, ob auf Grund älterer oder neuerer Angaben, ist nicht klar. Dieselben treten unter diesem Namen nicht wieder in der Geschichte auf; was aus ihnen ge­ worden, vermögen wir nicht zu sagen. Um die Mitte des 3. Jahrhunderts haben auch Teile der silingischen Wandalen und andere Lugier ihre Heimat verlassen und sind im Ge­ folge der Burgunder nach Südwesten zu abgezogen.1 Zosimus berichtet I 67, daß der Kaiser Probus „Logionen, ein germanisches Volk“ , die unter ihrem Anführer Semno einen Beutezug in römisches Gebiet unter­ nommen hatten, zurückgeschlagen habe. Es ist hier das letztemal, daß der Lugiername in der Geschichte erwähnt wird. Im folgenden Kapitel erzählt Zosimus, daß derselbe Kaiser mit „Burgundern und Wandilen“ an einem in den Handschriften nicht deutlich bezeichneten Flusse, viel­ leicht am Lech, also in Rätien, in feindliche Berührung gekommen sei. Diese Kämpfe nahmen durch Anwendung von List einen für die Römer günstigen Verlauf. Da nämlich die Germanen, die das gegenüberliegende Ufer besetzt hielten, an Zahl weit überlegen waren, lockten die Römer einen Teil derselben mit der Aufforderung zum Kampfe zu sich herüber und machten diese entweder nieder oder zu Gefangenen. Den übrigen ward auf ihre Bitte Frieden bewilligt unter der Bedingung des Auslieferns der auf ihrem Zuge gewonnenen Kriegsbeute und der Gefan­ genen; als sie aber dies (angeblich) nur unvollständig erfüllten, griff sie der Kaiser nochmals auf ihrem Rückzuge an und tötete abermals eine große Menge von ihnen. Die Überlebenden, unter denen sich auch ihr Anführer Igila (Igillos) befand, wurden als Colonen nach Britannien verpflanzt, wo sie später bei einem Aufstande dem Kaiser wichtige Dienste leisteten (Zosimus a. 0 .). Man glaubt im heutigen Cambridge­ shire die Gegend ihrer Ansiedelung gefunden zu haben.1 2 Der geschil­ derte Vorgang fällt wahrscheinlich in das Jahr 278; denn der Kaiser hatte nach seiner Erhebung (Juli 276) zunächst die schon unter seinem 1 Spuren dieser Wanderung in den Münzfunden: B o l i n , Fynden av Romerska mynt i det frie Germanien (1926) S. 235. 2 C a m d e n , Britannia (London 1607) S. 8 2 : . . . ubi vero sederint (Vandali) nisi in agro Cantobrigiensi nescio. Gervasius enin Tilburiensis meminit antiqui valli in illo agro, quod V a n d e l s b u r g vocat, Vandalorumque opus fuisse dicit.

10

Zus a mme ns t o ß mit Kai s e r Aur e l i an 270

Vorgänger in Gallien eingefallenen Alamannen und Franken abzu­ wehren.1 Daß die alamannische und fränkische Invasion (indirekt) den Anlaß zu jenem Vorstoß der Burgunder und Wandalen gegeben hat, ist sehr wahrscheinlich; die Zusammenziehung der römischen Truppen am Rhein forderte geradezu zu einem Einbruch an einer anderen Stelle der Grenze heraus. Als Ausgangspunkt des Unternehmens wird man das Tal des oberen und mittleren Mains anzunehmen haben. Von hier aus wird auch der von Jordanes Get. 141 berichtete Einfall von „Wandalen1 66 in Gallien erfolgt sein, den der Kaiser Gratian während der Erkrankung des Kaisers Theodosius, also 380, zu bekämpfen hatte, wenn nicht eine Verwechslung mit der Invasion der Alamannen von 378 vorliegt. Jeden­ falls können unter diesen Wandalen nur die Silingen, nicht die Hasdingen an der Theiß verstanden werden. Die letzteren haben ihre während des Markomannenkrieges gewonne­ nen Sitze im wesentlichen behauptet. Nach den zum größten Teile dem 3. Jahrhundert zugeschriebenen Funden handelt es sich um das Gebiet der heutigen Slowakei, das „den Kessel von Presov, das Flachland von Vranov-Homenau und das Becken von Marmaros'6 umfaßte. Es sind bis jetzt 16 wandalische Funde bekannt geworden, von denen am bedeutend­ sten die Fürstengräber von Osztropataka und Czéke-Cejkov sind.2 Im Jahre 248 nahmen einzelne hasdingische Abteilungen (Astringi nonnulli) an der großen Expedition der Goten unter Argaith und Guntherich nach Niedermösien teil.3 Bedeutsamer war ihr Zusammentreffen mit dem Kaiser Aurelian, worüber wir durch den zeitgenössischen Geschichts­ schreiber Dexippus fr. 7 (Jacoby) = Petr. Patr. fr. 12, dessen Darstel­ lung wahrscheinlich mit der unklaren des Zosimus (I 48) zu vereinigen ist, näher unterrichtet sind. Hiernach fielen die Wandalen unter der Führung zweier nicht genannter Könige (vermutlich im Herbst 270) gleichzeitig mit den Sarmaten4*über die Donau in Pannonien ein, das der Kaiser eben erst verlassen hatte, um gegen die Juthungen zu Felde 1 Hist. Aug. Probus c. 13 ff. Vgl. besonders c. 16: Post haec (nach der Befriedung Galliens) Illyricum petiit. Priusquam veniret, R e t i a s . . . pacatas reliquid. Ebenda c. 18, wo erzählt wird, der Kaiser habe Bastarnen, Gepiden, Greuthungen und W a n ­ d a l e n auf römischem Gebiet angesiedelt, doch hätten die letzteren drei Völker bald ihre Sitze verlassen und sich plündernd umhergetrieben, sind die Wandalen mit den Franken zusammengeworien, deren abenteuerliche Fahrt vom Schwarzen Meere durch das Mittelmeer nach der Nordsee um 280 berühmt geworden ist. Vgl. D a n n h ä u s e r , Untersuchungen zur Geschichte des Kaisers Probus (1909) S. 56, 71. * Vgl. besonders B e n i n g e r , Die germanischen Bodenfunde in der Slowakei (1938) S. 143 ff. J a h n , Vorgeschichte S. 1002 und weiter unten. 3 Jord. Get. 91. Vgl. L. S c h m i d t , Gesch. d. deutsch. Stämme I 2 205. 4 Hist. Aug. Aurel. 18. Zosimus faßt wohl beide Völker unter dem Namen Skythen zusammen.

Kämpf e mit den We st got en

11

zu ziehen. Es kam hier zu einer Schlacht, die nach Zosimus unent­ schieden blieb, nach Dexippus für die Römer siegreich verlief. Jeden­ falls waren die Wandalen so geschwächt, daß sie um Frieden baten; sie stellten Geiseln (die Kinder der Könige und Adeligen) und verpflichte­ ten sich, 2000 Reiter zum römischen Heere zu stellen; die später in Ägypten nachweisbare ala VIII Vandilorum ist ein Überbleibsel von dieser ephemeren Truppenbildung, das allein festen Bestand erlangte und durch Werbungen weiterhin ergänzt wurde.1 Dagegen gewährte ihnen der Kaiser freien Abzug nach ihrer Heimat und Lebensunterhalt bis zur Donau. Als auf dem Wege dahin ein Haufe von 500 Wandalen die so­ eben abgeschlossenen Verträge mißachtend, gegen den Willen ihres An­ führers, auf römischem Gebiet zu plündern begann, wurde er von dem Befehlshaber der kaiserlichen Auxiliartruppen1 2 niedergehauen. Da soeben die Nachricht von einem neuen Einfall der Juthungen, die bis nach Italien hinein streiften, eintraf, sah sich der Kaiser genötigt, jene für den Feind verhältnismäßig günstigen Bedingungen zu gewähren und schleunigst mit den wandalischen Auxilien sowie den Geiseln nach den bedrohten Gegenden aufzubrechen. Aurelian nahm darauf den Titel Sarmaticus an3 (der Titel Vandalicus ist vor Justinian nicht nachweis­ bar).45 6 Bei dem 274 in Rom abgehaltenen Triumph wurden auch Wan­ dalen (Vanduli) aufgeführt. Im Bestreben, ihr allmählich zu eng ge­ wordenes Gebiet zu erweitern, insbesondere das 275 von den Römern aufgegebene Banat zu besetzen, gerieten die Wandalen sowohl mit den Sarmaten als mit den Westgoten in Konflikt. Hiermit hängt wohl der Einfall der Sarmaten in Pannonien 282 unter Carus zusammen.36 Doch ist es diesen gelungen, sich dauernd im Banat festzusetzen.7 Von Zusammenstößen mit den Westgoten (Terwingen), die durch Taifalen unterstützt wurden, um 290, berichtet der Genethliacus Maximiani (pan . 2 11) c. 17 (verf. Sommer 291): Thervingi. . . adiuncta manu Taif alorum, adversum Vandalos Gipedesque concurrunt. Weitere Kämpfe mit den Goten fanden nach Jordanes Get. 113 ff. (vgl. 161) zu Anfang des 4. Jahrhunderts statt. Die Wandalen, deren Sitze in die Gegend iuxta flumina Marisia9 Miliare et Gilpil et Grisia, d. h. des Marosch und 1 Vgl. zuletzt K o r t e n b e u t e l , Mitt. d. deutsch. kunde in Kairo V I I I (1939) S. 181. 2 υηο τον ήγεμόμος roV ξεμι,χώμ στρατοπέάων. 3 C .I .L . I l i ' 12333. 4 Vgl. F i e b i g e r - S c h m i d t , Inschrifj;ensamml. z. Nr. 54, 55. 5 Hist. Aug. Aurel. 33. 6 Hist. Aug. Carus 8, 1 ; 9, 4. Vgl. R a p p a p o r t , S. 106. L. S c h m i d t , Gesch. d. deutsch. Stämme I I 2 7 P a t s c h , a. O. S. 213 ff.

Instituts

f.

ägypt.

Altertums­

Gesch. d. Ostgermanen (1917)

Die Einfälle der Goten (1899) 1 180.

12

An g ebl i cher Auf enthalt in P annonien

des weißen, schwarzen und schnellen Körös1 verlegt werden, seien von dem Gotenkönig Geberich in einer großen Schlacht an den Ufern des Marosch geschlagen worden, wobei ihr König Wisimar den Tod fand; die Überlebenden des Volkes hätten vom Kaiser Konstantin Sitze auf dem rechten Donauufer in utraque Pannonia erbeten und erhalten, wo sie gegen 60 Jahre als Diener des Kaisers friedlich lebten. Als Jahr des Vorganges würde sich die Zeit um 335 ergeben; der erwähnte Kaiser könnte nur Konstantin d. Gr. ( f 337) sein, nicht sein Sohn Konstantin II. (337— 40), der niemals über Pannonien geherrscht hat, während der Abzug der Wandalen nach Gallien um 400 erfolgte. Es ist aber schon von anderer Seite hervorgehoben worden, wie auffällig es ist, daß die sonstigen Quellen nichts von einem solchen Ereignis zu erzählen wissen, während man doch mit Bestimmtheit annehmen sollte, daß die römi­ schen Berichte eine so wichtige Tatsache, die Besiegung eines germani­ schen Volkes und die Aufnahme desselben in eine römische Provinz, nicht unerwähnt gelassen hätten. Und ebensowenig geben die Boden­ funde einen Anlaß, jener Angabe als Stütze zu dienen; die von Diculescu als wandalisch angesprochenen Gräberfunde von Keszthely, Fenék u. a. sind überhaupt nicht germanisch.1 2 Daß Jordanes über die Wandalen kein sehr zuverlässiger Berichterstatter ist, zeigt der Haß, den er über­ all gegen dieses Volk zur Schau trägt und der ihn auch sonst, wie wir noch sehen werden, zu falschen Mitteilungen über dasselbe veranlaßt hat. Es ist möglich, daß seinen Angaben zugrunde liegt die Expedition der Goten gegen die von ihm nicht erwähnten S a r m a t a e A r g a r a ­ g a n t es im Banat, denen Konstantin d. Gr. im Jahre 332 zu Hilfe kam und die 334 auf römischem Gebiet angesiedelt wurden. Wie er dazu kam, die Wandalen nach P a n n o n i e n zu verpflanzen, kann man aus seiner eigenen Bemerkung (161) schließen: Vandali vel ( = et) Alani, quos superius diximus permissu principum Romanorum utramque Pan­ noniam resedere, seien aus Furcht vor den Goten nach Gallien aufge­ brochen; da die Alanen bestimmt in Pannonien wohnten, gelangte er zu dem Schlüsse, daß auch ihre späteren Wandergenossen, die Wandalen, dort seßhaft gewesen sein müßten. Man wird aber nicht daran zweifeln dürfen, daß es noch in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts auf dem Boden Dakiens zu Zusammenstößen zwischen Goten und Wandalen ge­ kommen ist und daß die Namen der Führer der beiden Parteien Wisi­ mar und Geberich nicht erfunden sind. Ist die Angabe des Jordanes richtig, daß Geberich post decessum Ariarici et Aorici die führende 1 Vgl. V . G r i e n b e r g e r , Zeitschr. f. deutsch. Altertum 55 (1914) S. 45 ff. D i ­ c u l e s c u , Die Gepiden I (1922) S. 75 ff. 2 Vgl. A l f ö l d i , Der Untergang der Römerherrschaft in Pannonien II (1926) S. I f f .

Unter hunni scher Herrschaf t

13

Rolle (allerdings nicht die Königsherrschaft) bei den Westgoten gespielt hat, so wird er tatsächlich um 335 gelebt haben, da Ariarich nach dem Zeugnisse des An. Val. 31 im Jahre 332 „K önig“ war. Mögen die Wan­ dalen damals eine Niederlage erlitten haben, so scheinen sie sich doch in den von Jordanes bezeichneten Sitzen behauptet zu haben. Daß sie in die Nähe der römischen Donaugrenze vorgerückt waren, zeigt die Be­ merkung in dem Brief des heil. Hieronymus ad Heliodorum (Migne, Lat. 22, 600, geschr. 396), wonach auch sie zu den Völkern gehörten, die innerhalb der dem ersten Auftreten der Hunnen in Europa folgenden 20 Jahre die Donauländer heimsuchten. Gegen die Hunnen werden die Wandalen ebensowenig wie die Goten ihre politische Selbständigkeit haben bewahren können, doch fehlt dar­ über jedes unmittelbare Zeugnis. Das Dunkel dieser Zeit erhellt sich erst um das Jahr 400, wo wir die Hasdingen auf der Wanderschaft nach Westen antreffen. Nach einer von Prokop1 wiedergegebenen nationalen Überlieferung war ein Teil der „Wandalen“ unter der Führung des Königs Godigisel ausgezogen „aus Hungersnot“ , weil der Grund und Boden für die Ernährung aller nicht mehr ausreichte, hatte sich aber für den Fall, daß es ihm nicht gelingen sollte, eine neue Heimat zu finden, durch Vertrag mit den Zurückbleibenden das Eigentumsrecht an den bisher von ihm bewirtschafteten Ländereien gesichert. An die­ sen Ansprüchen hielten die Ausgewanderten fest, auch nachdem sie längst in den sicheren Besitz Afrikas gelangt waren; eine Volksversamm­ lung unter Geiserichs Vorsitz wies eine aus der Heimat gekommene Ge­ sandtschaft, die um Aufhebung jenes Vertrages ersuchte, ab. Häufig wird die Beziehung dieser Erzählung auf die Hasdingen abgelehnt, die vielmehr abgewandert seien, um sich dem hunnischen Joch zu entziehen, wie das zweifellos bei den Goten des Radagais der Fall war.1 2 Unter jenen Wandalen seien die in Schlesien zurückgebliebenen Silingen zu verstehen, die, außerhalb des hunnischen Machtbereiches wohnend, sich andauernd der politischen Unabhängigkeit erfreuten. Dagegen ist fo l­ gendes zu bemerken: Es ist wohl richtig, daß die mit den Hasdingen nach Spanien gewanderten Silingen, nicht wie in den Quellen angegeben wird, völlig vernichtet worden sind, sondern nur ihre staatliche Selb­ ständigkeit durch Vereinigung mit den Hasdingen eingebüßt haben, so daß diese sich als Rechtsnachfolger der Silingen betrachten konnten. Aber bei der gewaltigen Entfernung der silingischen Heimat von Afrika und der politischen Unsicherheit in den mutmaßlich zu passierenden 1 Bell. Vand. I 3, 22. 2 So u. a. E. S c h w a r z , Sudeta I I I (1927) S. 7 f. A l f ö l d i schichte Schlesiens I S. 56 ff.

a. Ο. II S. 70. G e­

U

E i n f a l l in Rä t i e n

Zwischenländern ist es unwahrscheinlich, daß jene Gesandtschaft aus Schlesien gekommen war; es können nur die ungarischen Wandalen in Betracht gezogen werden, deren Gebiet nicht weit vom oströmischen Reiche mit seinen gesicherten Verkehrsverhältnissen lag. Auf die letzteren ist auch deutlich hingewiesen bei Prokop, indem er als Führer der Auswanderer den Godigisel nennt, der als Vater der späteren Könige Gunderich und Geiserich dem Geschlecht der Hasdingen angehörte. Wenn in der wandalischen Überlieferung von den Hunnen überhaupt keine Rede ist, so läßt das schließen, daß deren Oberherrschaft nicht als unerträglich empfunden worden ist. Die Wanderung der Hasdingen bewegte sich wohl auf der Straße, die von der östlich der oberen Theiß gelegenen Residenz Attilas1 quer durch das Sarmatenland nach dem Donauknie bei Aquincum und weiterhin am rechten Ufer der Donau über Brigetio, Carnuntum usw. nach Westen lief.1 2 Beim Durchzug durch Pannonien schlossen sich ihnen die dort an­ sässigen Alanen sowie Teile der halbbarbarischen Ackerbauer3 an. Es gelang dem römischen Heermeister Stilicho auf dem Verhandlungswege, ihren Weitermarsch aufzuhalten und sie als Föderaten zu verpflichten. Aber diesen Vertrag haben sie bald darauf gebrochen und sich in Nori­ cum und den angrenzenden Teile Rätiens erobernd ausgebreitet, von wo sie auch Italien bedrohten. Von diesen Vorgängen sind wir nur durch den Dichter Claudianus4 unterrichtet. Dieser sagt von der römischen Truppe, die bei Pollentia (402) gegen Alarich focht, v. 414/15: quam Raetia nuper V a n d a l i c i s auctam spoliis defensa probavit; ferner spricht derselbe v. 363 ff. von Völkern, die das foedus mit den Römern gebrochen und Vindelicos saltus et Norica rura tenebant. Stilicho hat die Feinde teils mit Gewalt (vgl. oben), teils durch Unterhandlungen (v. 380 ff.) wieder zur Ruhe gebracht, sich aber genötigt gesehen, den­ selben das von ihnen besetzte Land von neuem als Föderaten mit der 1 Vgl. D i c u l e s c u , Die Gepiden I (1921) S. 55. 2 Es handelt sich um die uralte, von den Römern weiter ausgebaute Verkehrs­ straße zwischen dem westlichen und südöstlichen Europa, die in dem Schreiben des Frankenkönigs Theudebert an Justinian von 539 oder 545 als Limes Pannoniae er­ scheint (dazu L. S c h m i d t , Ungar. Jahrbücher 14 [1934] S. 255) und weiterhin durch das Nibelungenlied als W eg der Burgunder berühmt geworden ist: von Paris über Metz, W orm s, Ladenburg, W im pfen, Öhringen, EUwangen, Pföring, Passau und weiter die Donau entlang nach der ungarischen Tiefebene; vgl. W e l l e r , Zeitschr. f. deutsch. Altertum 70 (1933) S. 49 ff. 3 Hostes Pannonii: Hieron. ep. 123. Vgl. dazu E. S t e i n , Gesell, d. spätröm. Reiches I (1928) 382. A l f öl di II 70. Hier, bezeugt ferner auch die Teilnahme von (später noch in Gallien auftretenden) Gepiden und Sarmaten aus der ungarischen Nachbar­ schaft. 4 De bello Pollentino sive Gothico ed. Birt: p. X L V I I I f . ; ed. Schroff (1927) S. 4 ff.

M. G. Auct. ant. X 260 ff.; vgl. praefat.

Auf br uc h nach Gallien

15

Verpflichtung, Heeresfolge zu leisten, zu überlassen. Denn v. 402 wird die Teilnahme von fremden Auxiliartruppen aus Vindelicien und Nori­ cum an dem Kriege gegen die Westgoten erwähnt und v. 581 werden Alanen, die Wandergenossen der Wandalen, direkt mit Namen ebenfalls als Hilfsvolk Stilichos genannt. Die Chronologie ergibt sich aus der An­ gabe v. 279 (vgl. v. 380 ff.), daß der Einfall Alarichs in Italien erfolgte, während die römischen Truppen in Rätien beschäftigt waren; derselbe fällt aber in das Ende des Jahres 401. Im Jahre 406 setzten sich die Wandalen und Alanen aufs neue gegen Westen in Bewegung. Erst jetzt scheinen zu ihnen auch noch andere Völker gestoßen zu sein: Teile der Quaden (Sweben), die Hauptmasse der Silingen aus Schlesien. Seitdem war der ostdeutsche Raum ein­ schließlich Polens zum größten Teile von den germanischen Bewohnern geräumt. Daß nicht unansehnliche Reste zurückgeblieben sind, die unter den nachrückenden Slawen aufgingen, zeigen das Fortleben des Silingennamens und mehrere spätzeitliche Funde, besonders die Gräber von Gr.-Sürnding, Königsbruch, Mirkau, Forst Guttentag, der Halsring von Ransern.1 Der Rhein war damals von römischen Truppen entblößt; diese hatte Stilicho im Jahre 401 zurückgezogen, um sie in Italien gegen Alarich einzusetzen, und sie sind nicht wieder in ihre alten Standquartiere zu­ rückgekehrt.1 2* Als Ersatz dafür hatte der Heermeister die Grenze durch Verträge mit den anwohnenden Germanen zu sichern versucht, von denen aber nur die Franken sich als einigermaßen zuverlässige Helfer erwiesen. Dieser Umstand scheint der hauptsächlichste Anlaß gewesen zu sein, daß die Wandalen nebst ihren Wandergenossen den reichen gal­ lischen Provinzen zustrebten. Dazu kam, daß bis in den Sommer des Jahres 406 hinein Stilicho durch die Bekämpfung des Radagais gebun­ den war. Ob und inwieweit Beziehungen zwischen der Expedition dieses Gotenführers und dem Wandalenzug bestanden haben, läßt sich nicht feststellen. Dagegen ist der schon von den Zeitgenossen erhobene V or­ 1 Vgl. im allgemeinen P e t e r s e n , Mannus 28 (1936) S. 19 ff. (I); D e r s e l b e , Schlesien von der Eiszeit bis ins Mittelalter (1935) S. 192 ff. (II); D e r s e l b e , Ger­ manen in Schlesien (1937) S. 31 ff. (III). B o c g e , Altschlesien λ7ΙΙ (1938) S. 44 ff. Im einzelnen Z o t z , Die spätgermanische Kultur Schlesiens und das Gräberfeld von Gr.-Sürnding (1935). Z e i ß , Altschlesien V I (1938) S. 34 ff. (Königsbruch). G e s c h w e n d t , Altschlesien V I 268 ff. (Mirkau). P f ü t z e n r e i t e r , Altschlesien VI 40 ff. (Guttentag). P e t e r s e n I I I 32 (Ransern). (Das früher hierher bezogene Grab von Höckricht wird jetzt den Hunnen zugeschrieben, Petersen II 185; die polnischen Funde bedürfen noch einer genaueren Bearbeitung.) 2 Vgl. zur damaligen römischen Grenzverteidigung Galliens handlungen d. preuß. Akad. 1938 Nr. 2, besonders S. 68 ff.

Nessel häuf,

Ab­

16

Rhei nübergang 406

wurf, Stilicho selbst habe die Wandalen herbeigerufen, sicher eine bös­ willige Erfindung. Hiervon berichten selbständig Hieronymus ad Ageruchiam,1 mit der Bemerkung: sicut a plerisque traditur, 12 Orosius und die Chronica Gallica a. 452 c. 55, während die anderen von einem ver­ räterischen Verhalten Stilichos handelnden Quellen den Einbruch in Gallien nicht besonders erwähnen, so insbesondere der schärfste Wider­ sacher des Heermeisters, Rutilius Namatianus de reditu suo II 41 ff. vom J. 416, der nur auf dessen Beziehungen zu den Goten eingeht. Hie­ ronymus gibt keine Gründe für die Handlungsweise Stilichos an und sagt nur: Q u od . . . scelere semibarbari accidit proditoris qui nostris contra nos opibus armavit inimicos. Nach Orosius soll der Heermeister die Wandalen herbeigerufen haben, um bei der dadurch im Reiche ent­ standenen Verwirrung seinen Sohn Eucherius auf den Kaiserthron zu setzen, nach der gallischen Chronik hätte er aus Rache gehandelt, weil seinem Sohne die Kaiserwürde versagt worden sei. Die Unwahrschein­ lichkeit dieser Motivierung liegt auf der Hand. Es war begreiflich, daß man für alles das Unglück, das damals über das römische Reich herein­ brach, den Heermeister, dessen Verhalten ja vielfach nicht einwandfrei gewesen ist, verantwortlich zu machen suchte, und es lag um so näher, ihn hochverräterischer Beziehungen gerade zu den Wandalen zu bezich­ tigen, als er selbst wenigstens zur Hälfte diesem Volke entstammte: er war der Sohn eines Wandalen, der als Reiteroffizier unter Kaiser Valens gedient hatte, während seine Mutter der einheimischen Reichsbevölke­ rung angehört zu haben scheint.3 Welche Wege die verbündeten Völker eingeschlagen haben, wird sich nicht genauer feststellen lassen. Der Ausgangspunkt der Wanderung ist nicht bekannt; das nächste Ziel war eine Übergangsstelle am Rhein. Die die Vorhut bildenden Alanen hatten bereits den Strom erreicht, wo ein Teil von ihnen unter Goar in römische Dienste trat, als die Wandalen von den Franken auf Grund des 401 mit Stilicho abgeschlossenen Ver­ trages überfallen wurden. Schon war der König der Hasdingen, Godigisel, mit angeblich 20000 Mann gefallen: da eilte noch rechtzeitig ein anderer Teil der Alanen unter Respendial den Angegriffenen zu Hilfe und brachte den Franken eine schwere Niederlage bei.'4 Nun stand die Straße

1 Ep. 123, 16, 17 (geschr. 409). 2 Adv. pag. V II 38, 40 (geschr. 417). Aus Orosius Jord. Get. 115 und Marcellinus comes a 408. Aus Marcellinus Jordanes Romana 322. 3 Vgl. S e e c k , Untergang der antiken W elt V (1913) S. 269, 546. 4 Hauptquelle Frigeridus bei Greg. Tur. hist. Franc. II 9 : Interea Respendial r e i Alamannorum (1. Alanorum) Goare ad Romanos transgresso de Rheno agmen suorum

Rhei nübergang 406

17

nach Gallien offen, und ungehindert überschritten die ersten Scharen (die Hasdingen unter der Führung König Gunderichs, Godigisels Sohn)1 am letzten Tage des Jahres 406 den wahrscheinlich zugefrorenen Strom.*1 2 Daß der Übergang wahrscheinlich in der Nähe von Mainz erfolgte, er­ gibt sich einmal aus dem Eingreifen der Franken, deren Gebiet rechts des Rheins südwärts bis zum Taunus reichte, sodann aus der Angabe Salvians,3 daß die Wandalen auf ihrer Wanderung zuerst in die Provinz Germania I und von da nach Belgica (I) gekommen seien. Und es scheint in der die Ereignisse verschiedener Zeiten zusammenmengenden Er­ zählung Fredegars II 60 von einem angeblichen Wandalenkönig Chrocus, der bei Mainz den Rhein überschritten habe, eine geschichtliche Reminiszenz an jenen Vorgang enthalten zu sein. Es stimmt hierzu, daß wir die Alanen des Goar, die nach Frigeridus während des Zuges zu den Römern übergingen, später (im Jahre 411) in M a i n z unter den Be­ satzungstruppen finden. Bei dieser Gelegenheit ist auch die Stadt Mainz selbst hart mitgenom­ men worden, wenn auch die Angabe des Hieronymus ad Ageruch ., daß sie zerstört worden sei und viele Tausende von Christen in einer Kirche den Tod gefunden hätten, sicher arg übertrieben ist.4 Hierauf wälzte sich der Strom der Einwanderer westwärts in die Provinzen Bel­ gica I, II; ohne Zweifel das römische Wegenetz benutzend,5 zogen sie verwüstend über Trier nach Reims,6 Tournay, Terouanne, Arras, convertit, Wandalis Francorum bello laborantibus, Godigyselo rege absumpto, aciae viginti ferme milibus ferro peremptis cunctis Wandalorum ad internitionem de­ lendis, nisi Alamannorum vis in tempore subvenisset. Orosius V II 40, 3 : Gentes Alanorum . . . Sueborum Vandalorum multaeque cum his aliae Francos proterunt, Rhenum transeunt. Hieraus ergibt sich deutlich, daß der Überfall auf dem r e c h t e n Rhein­ ufer erfolgte. 1 Daß Gunderich Godigisels Sohn war, ist wohl aus Prokop Bell. Vand. I 3, 23 zu entnehmen, wenn auch dessen Erzählung sonst ganz unzuverlässig ist. 2 Prosp. Havn. a. 40 6 : Wandali rege Gunderico transito Reno totam Galliam . . . vastant collocatis eorum in comitatu Alanis . . . Arcadio et Probo pridie kl. Januarii. Prosp. chron. 1230: Wandali et Halani Gallias traiceto Rheno ingressi II. kl. ian. (a. 406). Chron. Gall. a. 452 c. 5 5 : Diversarum gentium rabies Gallias dilacerare exorsa (13. Jahr des Honorius, d. i. 407). Zosimus V I 3 : °Εκτον την ύπατον εχοντες αρχήν 1Αρκαάίου καί Πρόβον Βανδίλοι Σνήβοις καί Αλανοΐς εαυτους άναμίξαντες . . . τοΐς υπέρ τας Αλπεις ε&νεσιν έλυμήναντο. Orosius V II 38, 40. Greg. Tur. I I 2. Narratio de imp. dom. Valent, et Theodos., Chronica minora I 630. 3 De gub. Dei V I I 50. 4 Vgl. S c h u m a c h e r , Siedelungs- und Kulturgeschichte der Rheinlande III (1925) S. 165. 5 Vgl. L o n g n o n , Atlas historique de la France pi. II. D e c h e l e t t e - G r e n i e r , Manuel d’archéologie Gallo-Romaine V I 1 (1934) S. 404 ff. 6 Vgl. H i n , c m a r , Epist. ad episcopos Remorum dioeceseos (J. 875) (Opera ed Sirmond II 165): Nicasius Remorum episcopus . . . tempore Wandalorum in persecutione generali suam non deseruit civitatem et intra parietes ecclesiae martyris meruit 2 Wandalen

18

Zug durch Gallien

Amiens, von da durch die Provinz Lugdunensis Senonia nach den Pro­ vinzen Aquitanica II und Novempopulana, vermutlich auf der von Amiens nach Paris, Orléans,1 Tours, Bordeaux und weiter nach Pam­ plona in Spanien führenden Straße. An den Pyrenäen, deren Pässe wohl bewacht waren, staute sich der Strom und ergoß seine Fluten über die bisher noch verschont gebliebenen reichen Gefilde des südlichen Frank­ reichs (Gallia Narbonensis). Nur wenige Städte, die die Germanen be­ rührten, konnten dem Ansturm widerstehen, darunter Toulouse, das durch das tatkräftige Verhalten des Bischofs Exuperius vor der Er­ oberung bewahrt blieb. Der vor den wilden Scharen einhergehende Schrecken, der Mangel an genügenden Besatzungen und nicht zuletzt die besonders von Salvian in glühenden Farben geschilderte Sittenlosigkeit der Vornehmen und die Gleichgültigkeit der verarmten niederen Bevölkerung lähmten jeden energischen Widerstand.*1 2 Die von den Wandalen verübten Greuel sind noch lange in der Er­ innerung der Einwohner haften geblieben; aber manche Schandtat ist von der späteren Tradition mit Unrecht jenen beigemessen worden, so die Ermordung der Bischöfe Desiderius von Langres und Antidius von Besançon, da es zum mindesten sehr wahrscheinlich ist, daß die Wan­ dalen niemals diese Gegenden berührt haben.3 Den Wandalen und der coronari. Analecta Bollanciiana I (1882) S. 609 ff. F l o d o a r d , Hist. Remensis I 6 (MG. SS. X I I I 418 ff., auf Grund älterer Märtyrerakten). 1 Ob die im 5. Jahrhundert an der Loire ansässigen Alanen mit zurückgebliebenen Abteilungen der Wandergenossen der Wandalen unter Respendial oder mit den Alanen des Goar identisch sind, läßt sich nicht entscheiden. 2 Oros. V II 40, 3. Salvian V II 50 (Gens Vandalorum) effusa est in Germaniam primam . . . post cuius primum exitium arsit regio Belgorum, deinde opes Aqui­ tanorum luxuriantium et post haec corpus omnium Galliarum. Bes. Hieron. ad Agerucb.: Remorum urbs . . ., Ambiani, Attrebatae extremique hominum Morini (Terouanne), Tornacus translatae in Germaniam. Aquitaniae Novemque populorum, Lugdunensis et Narbonensis provinciae praeter paucas urbes populata sunt cuncta. . . . Non possum absque lacrymis Tolosae facere mentionem, quae ut hucusque non rueret, s. episcopi Exuperii merita praestiterunt. Vgl. auch C a r m e n de providentia divina (Mignc L. 51, 617 ff.) v. 15— 60, bs. 34 f.: Caede decenni Vandalicis gladiis sternimur et Geticis. P a u l i n u s epigr. v. 18 f. (Corpus script, eccl. Lat. Vindob. 16, 504): Et tamen heu si quid vastavit Sarmata, si quid Vandulus incendit, veloxque abduxit Alanus etc. (vgl. H a u c k , Kirchengeschichte 1 1 [1904] S. 79). O r i e n t i u s , commonito­ rium I l 181 ff. bes. 184; uno fumavit Gallia tota rogo (vgl. W o t k e , Pauly-Wiss. RE. 18, 1033). Auf damals zurückgebliebene Wandalen scheint das castellum Wandalons (10. Jahrhundert) im Dept. Tarn et Garonne ( G a m i l l s c h e g , Romania Germanica III 209) hinzuweisen. Daß dieselben bis Arles vorgedrungen sind, ist vielleicht aus der Legende von Chrocus zu entnehmen (s. oben). 3 Series episcoporum Lingonensium (MG. SS. X I I I 379): Sanctus D e s i d e r i u s episcopus. Hic passus est a Wandalis anno . . . 407. Warnacharius, vita Desiderii: Acta Sanctorum Mai V 244 ff. — Nomina episcoporum Vesontionensis cccl. ( D u c h e s n e , Fastes episc. I I I 201): ( A n t i d i u s ) . . . capitalem suscepit sententiam sub Croco Van­ dalorum rege. Acta ss. Juni V 41 ff. (obiit 15. kal. jul. anno 411). Sigebertus Gemblac.

Verhältnis zum G eg enkais er Kons t ant i n III.

19

von ihnen angeblich verübten Zerstörung einer auf dem Berge Laçois gelegenen alten Stadt, die später nach ihrem Wiederaufbau Rossilion ge­ nannt wurde (östlich von Lyon, nordwestlich von Belley) wird auch in einer Aufzeichnung über die altfranzösische Sage von dem Grafen Girart von Rossilion gedacht.1 Der Wandalenzug hatte rechts des Rheins sowohl die Gebiete der Ala­ mannen als auch der Burgunder (seit Ende des 4. Jahrhunderts zwischen Taunus und Neckar) berührt. Beide Völker gerieten dadurch jetzt eben­ falls in der Richtung auf Gallien in Bewegung. Unter den nach Hie­ ronymus a. 0 . damals von den Germanen eingenommenen Städten am Rhein dürften insbesondere Speyer und Straßburg auf die Rechnung der Alamannen zu setzen sein, während Worms „nach längerer Belage­ rung“ den Burgundern in die Hände fiel. Eine teilweise Rettung aus der Kriegsnot brachte den Bewohnern Gal­ liens das Auftreten des Usurpators Konstantin (III). Dieser, ein ge­ meiner Soldat, war wegen seines berühmten Namens von den unzufrie­ denen britannischen Legionen im Winter 407 zum Kaiser ausgerufen worden und mit dem größten und besten Teile der Truppen sofort nach dem Festlande übergesetzt,*1 2 um die Soldaten zu beschäftigen und um sein frischgebackenes Herrschertum durch kriegerische Lorbeeren zu befestigen.3 Er landete bei Boulogne, zog die noch in Gallien vorhande­ nen römischen Truppen an sich und wandte sich zunächst gegen die Wandalen, ohne freilich etwas gegen sie ausrichten zu können.4 Dagegen schloß er mit den anderen in Gallien eingedrungenen Germanen, den Burgundern und Alamannen, sowie mit den Franken Verträge zum

chron. a. 411. Vgl. Hagiologium Francogalliae bei L a b b é , Nova Bibliotheca II 700. G i e s e c k e , Die Ostgermanen und der Arianismus (1939) S. 168. 1 Vgl. S t i m m in g, über den provenzalischen Girart von Roussillon (1888) S. 25. 2 Prosp. c. 1232 (a. 407). Sozom. I X 11. Zosim. V I 2. 3. Die Usurpation bedeutete das Ende der Römerherrschaft in Britannien überhaupt. Eine vorübergehende Rück­ gewinnung der Insel unter Constantius um 428 ist aus der Notitia Dignitatum nicht zu erschließen; vgl. N e s s e l h a u f , Abhandlungen d. Preuß. Akad. 1938 Nr. 2 S. 46, 1 und die Quellen bei L. S c h m i d t , Hist. Jahrbuch 51 (1931) S. 213 ff. Übersicht über den letzten Stand der Frage bei L e n n a r d in: Wirtschaft und Kultur; Festschrift für A. Dopsch (1939) S. 39. Das von H. St. S c h u l t z , Journal of Roman studies 23 (1933) S. 36 ff. angeführte Zeugnis Prospers, Liber contra collatorem von ca. 433, wo Britannien im Gegensatz zu Irland als „Romana insula“ bezeichnet wird, beweist nicht, daß damals die Insel noch dem römischen Reiche angehörte, sondern nur soviel, daß sie romanisiert war. 3 Die von Zosim V I 3 angegebene Bedrohung der britannischen Legionen durch die Wandalen ist schwerlich richtig. 4 Chron. Gail. a. 452 c. 63 (z. J. 410): Galliarum partem Vandali atque Alani vastavere; quoi reliquum fuerat, Constantinus tyrannus obsidebat. Zosim. V I 3. 2*

20

Übergang über die Py r e näe n

Schutze gegen weitere Invasionen von Osten her;1 daher heißt es, daß er die seit Julian vernachlässigte Rheingrenze wieder gesichert habe (Zos. VI 3).1 2 Nachdem Konstantin so in Gallien festen Fuß gefaßt, suchte er auch Spanien in seine Gewalt zu bringen. Die von ihm eingesetzten höheren Beamten fanden hier willige Aufnahme; die sich' gegen den neuen Herr­ scher auflehnenden kaiserlichen Verwandten Didymus, Verinianus, Theo­ dosius und Lagodius, die anfänglich die Übergänge über die Pyrenäen mit Glück verteidigten, wurden nach kurzem Widerstande von Kon­ stantins Sohne Constans, den er mit einem zum Teil aus barbarischen Truppen, den sogenannten Honoriaci, bestehenden Heere nach Spanien schickte,3 besiegt und teils gefangen genommen, teils zur Flucht gezwungen.4 Die Bewachung der Pyrenäenpässe übertrug Constans, der nunmehr wieder zu seinem Vater zurückkehrte, den Honoriaci, obgleich die einheimischen Truppen gebeten hatten, dieselben nicht der Obhut Fremder anzuvertrauen.5 Aber das Glück, das der Usurpator bisher auf seiner Seite gehabt, begann sich rasch wieder von ihm abzuwenden. Nachlässige Bewachung der Pässe, wie wohl richtig Sozomenus IX 12 angibt, oder (weniger wahrscheinlich) direkter Verrat seitens der Hono­ riaci, die für ihre Plünderungszüge in das umliegende Land Strafe be­ fürchteten (so der überall Verräterei witternde Orosius VII 40), gab den Wandalen, Alanen und Sweben Veranlassung, das Gebirge zu über­ schreiten und in die schon lange von ihnen ins Auge gefaßte blühende Provinz einzubrechen. Die Meinung, daß ihre Existenz in dem von der Natur so wohl geschützten Lande sich sicherer gestalten würde, ferner die hier in besonders reichem Maße zu erwartende Kriegsbeute6 mögen die wesentlichsten treibenden Motive gewesen sein. Wenn da1 Oros. V II 4 0 : (Constantinus) ibi saepe a barbaris incertis foederibus inlusus detri­ mento magis rei publicae fuit. 2 Vgl. L. S c h m i d t , Gesch. d. deutsch. Stämme II 2 2 S. 5 3 ; Germania 21 (1937) S. 365. S t e i n , Gesch. d. spätröm. Reiches I (1928) S. 384 f. 3 Oros. V II 40, 8 : cum barbaris quibusdam, qui quondam in foedus recepti atque in militiam allecti H o n o r i a c i vocabantur. Mit den Not. dign. or. V I 26 aufgeführten Comites Honoriaci, einer als besonders vornehm geltenden Reitertruppe, die aus dem Gefolge von Privatleuten hervorgegangen war (vgl. S e e c k , Pauly-W iss. IV 623. 655), und von den H o n o r i a n i der Not. zu unterscheiden ist, haben jene Truppen nichts zu tun. 4 Oros. V II 40. Zosim. V I 4. Sozom. I X 11. 5 Oros. a. O. Zosim. V I 5. Sozom. I X 12. In Spanien standen damals unter den Befehlen des Comes Hispaniae die zum Teil zersplitterte legio V II gemina (in Leon), ferner 5 Kohorten (Not. dign. occ. 42, 25 ff.), wozu nach Oros. V II 40, 8 der aus ein­ geborenen Bauern (Basken) bestehende Grenzschutz für die Pyrenäen kam, sodann von dem Kaiserheer 11 auxilia palatina und 5 legiones comitatenses. 6 evâaiuovcc καί πλονσιωτάτην την χώραν άχονοντες sagt Sozomenus a. Ο.

Zug durch die i be r i s che Hal bi nsel

21

gegen in der gotischen Geschichtschreibung1 die Bedrohung durch die Westgoten als Motiv des Einbruches in Spanien ebenso wie früher des Auszuges aus den angeblichen pannonischen Sitzen und später des Ein­ falles in Afrika angeführt wird, so sind diese Angaben Erfindungen, lediglich durch die uralte Feindschaft zwischen den beiden Völkern und das Bestreben, die Goten überall geschichtlich hervortreten zu lassen, veranlaßt. Noch weniger befriedigt die Motivierung bei Salvian VII 53, nach dem die Wandalen aus bloßer Furcht (inter Gallias formidabant; vor wem?) aus Gallien abgezogen eeien. Da der Zug der Germanen sich gegen den Westen der iberischen Halb­ insel richtete, ist anzunehmen, daß der Übergang über das Gebirge auf der von Bordeaux nach Pamplona und weiter über Burgos, Leon, Za­ mora, Salamanca, Merida nach Sevilla führenden römischen Heerstraße erfolgte. Als Zeitpunkt desselben gibt Hydatius (c. 42) den 28. Septem­ ber oder den 13. Oktober des Jahres 409 an.1 2 Dazu kam, daß zu der­ selben Zeit Gerontius, den Constans bei seinem Abzüge aus Spanien dort als Statthalter zurückgelassen hatte, sich empörte und seinen Anhänger Maximus als Kaiser ausrief.3 Die Bedrohung durch ein heranrückendes Heer des Constans zwang jenen, sich mit den eingedrungenen Germanen zu verständigen; mit diesen vereinigt brachte er dem Constans eine Niederlage bei und zwang ihn zur Flucht nach Gallien.4 Während nun Gerontius sich nach Gallien wandte, um den Konstantin zu bekriegen, breiteten die vier Völker unter furchtbaren Verwüstungen, die besonders Hydatius in grellen Farben schildert (c. 48 zum Jahre 410),56sich in den Landesteilen Galicien, Lusitanien, Baetica und Carthaginiensis aus. Der übrige Teil der Halbinsel, d. h. der größte Teil der Provinz Tarra­ conensis, blieb, wohl auf Grund eines Abkommens, von den Eindring­ lingen verschont und in römischen Händen, zunächst noch unter der 1 Jord. Get. 162. Cassiod. chron. c. 1213. Isidor. Hist. Got. 68. 2 Vgl. Prosper c. 1237. Consul. Const, a. 409. Augustinus ep. I l l , 1. Narratio de imp. dom. Valentin, et Theodos. (Chron. min. I 630): Galliae Hispaniaeque a . . . Wandalis Suebis Alanis excisae . . . 3 Daß die Erhebung des Gerontius nicht n a c h dem Einbrüche der Germanen statt­ fand, zeigt Olympiod. fr. 1 6: Τερόντιος 5 στρατηγός την προς τους βαρβάρους άσμενίσας ειρήνην Μάζιμον . . . βασιλέα άναγορενει. Die Angabe des ganz verwirrten, nur mit Vorsicht zu benutzenden Zosimus V I 5, daß Gerontius bloß mit der Bewachung der Pässe beauftragt gewesen sei, wird widerlegt durch den zuverlässigen Bericht des Frigeridus bei Greg. Tur. hist. Franc. I I 9. 4 Frigerid. a. O. Constantinus . . . redire ad Hispanias filium monet. Qui, prae­ missis agminibus, dum cum patre resederet, ab Hispania nuntii commeant, a Gerontio Maximum . . . imperio praeditum a tq u e in se c o m e t a t u gentium barbararum ac­ cinctum parari. Vgl. Olympiod. fr. 16 a. E. Sozom. I X 12. 6 Vgl. auch Oros. V I I 40. 41. Olympiod. fr. 30. Salvian. gub. Dei V I I 52 u. ö. Augustin, epist. I l l , 1.

22

Föderationsvertrag mit dem Kaiser

Herrschaft des Gerontius, der indes, nachdem er von dem kaiserlichen Feldherrn Constantius aus Gallien vertrieben worden war, bereits im Jahre 412 seinen Tod fand, indem die in Spanien stehenden Truppen von ihm abfielen und den von ihm zum Kaiser ausgerufenen Maximus verjagten.1 Zwei Jahre dauerten die Züge der eingefallenen Scharen, in deren Folge Hungersnot und Seuchen im Lande ausbrachen.1 2 Diese Umstände, die ihren eigenen Bestand bedrohten, ferner die Stärkung der kaiserlichen Macht durch die Siege des Constantius haben die vier Völker zu fried­ licherem Verhalten veranlaßt. Es ist zum Abschlüsse eines Vertrages zwischen diesen und dem Kaiser gekommen, demzufolge die Germanen gegen die Verpflichtung, Spanien gegen fremde Angriffe zu verteidigen, also als kaiserliche Föderaten, Land zur Niederlassung erhielten. Die Ver­ teilung der Provinzen, in denen die einzelnen Völker angesiedelt werden sollten, erfolgte durch das Los: den Hasdingen wurde das östliche, den Sweben das westliche Galicien zugewiesen,3 während die Silingen Baetica und die ihren Verbündeten an Volkszahl überlegenen Alanen Lusitanien und die Carthaginiensis erhielten. Diese Tatsache wird sowohl von Hydatius4 wie von Orosius5 bezeugt; nach dem letzteren sollen die Könige der vier Völker dem Kaiser vorgestellt haben, er möge mit ihnen Frieden schließen, von ihnen Geiseln nehmen: „W ir kämpfen miteinander und erliegen auf unsere Kosten, wir siegen aber für dich, und es ist ein ewiger Gewinn für das Reich, wenn in unseren inneren Kämpfen beide streitende Parteien zugrunde gehen.“ Diesen Worten liegt derselbe Gedanke zugrunde, der später mit noch größerer Deutlichkeit in dem bekannten Programm Atliaulfs für das Verhältnis der Germanen zu den Römern zum Ausdruck gelangte. Daß es zu einer s t a a t s r e c h t l i c h e n Gebietsabtretung nicht gekom­ men ist, zeigt namentlich deutlich der von Hydatius gebrauchte Aus­ druck ad i n h a b i t a n d u m , der bei Ansiedlungen von Föderaten im römischen Reiche in den Quellen jener Zeit mehrfach Anwendung fin­ det; dafür spricht auch der Umstand, daß eine in Spanien gefundene Münze des späteren Swebenkönigs Rechiar das Bildnis des Kaisers 1 Sozom. IX 13. Olympiod. fr. 16. Oros. V II 42 4, 5. Prosper chron. c. 1245. 2 Ein lateinisches Gedicht aus der spanischen Audiologie, das auf die Frevcltaten der Wandalen gegen Kirchen und Heilige zu beziehen sein wird, bei F i e b i g e r S c h m i d t , Inschr. Nr. 32. 3 Vgl. L. S c h m i d t , Gesell, d. deutsch. Stämme II l 2 S. 206. 4 Hydat. c. 49 (z. J. 411): Barbari ad p a c e m i n e u n d a m . . . conversi sorte ad in­ habitandum sibi provinciarum dividunt regiones. 5 V II 40, 10. 41, 7. 43, 14 (Quamvis et ceteri Alanorum \"andalorum Sucborumquc reges eodem [wie mit Wallia] nobiscum placido depecti forent).

Landnahme in Spanien

23

Honorius trägt1 (falls dieselbe echt ist). Bestätigend tritt ferner hinzu auch das Zeugnis des allerdings für jene Zeit sehr unzuverlässigen, nur in zweiter Linie in Betracht kommenden Prokop ball. Vand. I 3 von einem zwischen dem Kaiser und den Wandalen in Spanien abgeschlos­ senen Vertrage des Inhalts, daß die letzteren das Land besetzen sollten, ohne es zu plündern; wenn dagegen daran anknüpfend derselbe Autor eine angebliche Verordnung des Honorius anführt, nach der die Zeit des Aufenthaltes der Wandalen in Spanien für die dortigen römischen Grundeigentümer bei der Berechnung der 30jährigen Verjährungsfrist nicht gelten sollte — wodurch die Niederlassung der Germanen als eine nur vorübergehende bezeichnet worden wäre — , so liegt die Annahme nur zu nahe, daß Prokop das Gesetz Valentiniane III. vom Jahre 452,1 2 worin verfügt wurde, daß bei Rechtsgeschäften der Bewohner der noch kaiserlich gebliebenen Gebiete Afrikas die Zeit der wandalischen Er­ oberung von der Zahl der 30 Proskriptionsjahre abgezogen werden solle, irrig dem Kaiser Honorius beigelegt hat.3 Daß es nicht zu einer bloßen Einquartierung, sondern zu einer wirklichen Landnahme gekommen ist, ergibt sich aus der (allerdings nur figürlich zu verstehenden) Äußerung des Orosius, daß die Barbaren nach der Besitznahme des Landes zum Pfluge gegriffen hätten. Über die Grundsätze, nach denen hierbei ver­ fahren wurde, ist Näheres nicht überliefert; man darf wohl nach den analogen Verhältnissen, wie sie bei den Ansiedlungen der Burgunder, Ost- und Westgoten obwalteten, vermuten, daß die römischen Grund­ besitzer, d. h. vorwiegend die reicheren, einen Teil, vielleicht ein Drittel ihres Eigentums, d. h. Grund und Boden, Sklaven, Vieh und die an die Scholle gebundenen Kolonen, an die einzelnen Familien abtreten mußten. Die meisten noch unerobert gebliebenen Städte öffneten jetzt ihre Tore,4*erhielten wohl auch zum Teil germanische Besatzungen; die wich­ tigsten Festungen jedoch, insbesondere die Hafenplätze des Mittelländi­ schen Meeres — hierzu zählten namentlich Sevilla und Cartagena, die erst später eingenommen wurden — , blieben ganz in römischen Händen.9 Es entsprach dies der damals befolgten Politik, die von der richtigen 1 Vgl. zuletzt R e i n h a r t , Die Münzen des Swebenreiches (SA. aus Mitt. d. bayr. Numismat. Gesellschaft 1937) S. 1 8 8 f. L. S c h m i d t , Gesch. d. deutsch. Stämme II 2 1 S. 206. 2 Leg. novell. Val. X X X I V 12. 8 Vgl. dazu besonders D a h n , Die Könige der Germanen I (1861) S. 145 A. 4. Anders v. H a l b a n, Das römische Recht in den germanischen Volksstaaten I (1899) S. 66. 4 Hydat. c. 4 9 : Hispani per civitates et castella residui a plagis barbarorum per provincias dominantium se subiciunt servituti. 8 Vgl. auch Hydat. z. 91 (zu 430, von den Raubzügen der Sweben in Galicien): per plebem, quae castella tutiora retinebat.

24

W e s t g o t e n und Wandal en

Erkenntnis ausging, daß die Beherrschung des Mittelmeeres durch die Barbaren den Untergang des Reiches bedeuten würde; daher war man auch mit allen Kräften bemüht, die Festsetzung der Westgoten in der Provinz Narbonensis zu verhindern. Ein wenige Jahre später (419, am 24. September) zu Konstantinopel erlassenes Gesetz belegte mit Todes­ strafe jeden, der die Barbaren in der diesen bisher unbekannten Schiffs­ baukunst unterrichten würde.1 Orosius1 2 weiß von einem nunmehr eingetretenen engen freundschaft­ lichen Verhältnis zwischen den Fremden und den Römern zu erzählen: es habe unter den letzteren manche gegeben, die der drückenden Steuer­ last sich durch Flucht zu jenen entzogen (sie traten wohl als Kolonen auf den germanischen Gutsanteilen ein), und sicher ist dies in Beziehung auf die ärmere landwirtschaftliche Bevölkerung zum großen Teile zutref­ fend. Die Aristokratie und die orthodoxe Geistlichkeit waren mit den neuen Verhältnissen begreiflicherweise nicht einverstanden, daher denn auch H y d a t i u s von einer Unterwerfung unter die Knechtschaft der Barbaren spricht (c. 49, vgl. oben). Das Föderatverhältnis der vier Völker zum Reiche war jedoch nicht von langer Dauer. Nach Alarichs Tode (Ende 410) hatte eich der neue Westgotenkönig Athaulf von Italien nach Gallien gewendet, um die dort herrschenden verworrenen Zustände für sich auszunutzen. Da er sich aber dort gegen Constantius nicht halten konnte, entschloß er sich, in Spanien eine Zufluchtsstätte zu suchen. Hier eroberte er u. a. die Stadt Barcelona, fand aber bald darauf den Tod durch Meuchelmord (August oder September 415). Die Angabe des Jordanes (Get. 163), daß er die Absicht gehabt habe, die Wandalen aus dem Lande zu vertreiben, ist eine aus der bekannten Feindschaft zwischen den beiden Völkern ab­ geleitete, jedes tatsächlichen Grundes entbehrende Erfindung.3 Sein Nachfolger Wallia verharrte anfänglich in der Feindschaft gegen das Reich; da aber die römische Flotte die spanischen Häfen blockierte und infolgedessen bei den Goten Hungersnot ausbrach — damals sollen die Wandalen den Goten den Spottnamen Truli beigelegt haben, weil letztere gezwungen waren, für ein kleines Maß Getreide, trula, ein Goldstück zu bezahlen4 — , beschloß er wie einst Alarich, sich in den Besitz der römi1 Cod. Just. I X 47. 8 V II 41, 7 : Romanos ut socios modo et amicos fovent, ut inveniantur iam inter eos quidam Romani, qui malint inter barbaros pauperem libertatem quam inter Romanos tributariam sollicitudinem sustinere. 8 Eine Inschrift, in der Athaulf „Vandalicae barbarici depulsor“ genannt wird (C .I.L . X I I N. 263*), ist gefälscht. Vgl. L. S c h m i d t , Gcsch. d. deutsch. Stämme I 2 S. 458. 4 Olympiod. fr. 29.

Westgoten gegen die Silin g en und Alanen

25

sehen Kornkammer Afrika zu setzen. Offenbar im Einverständnis mit den Alanen und Silingen, deren Gebiet er durchziehen mußte — wenig­ stens hören wir nichts von Kämpfen mit diesen — , wandte er sich nach dem Süden der Halbinsel, um von Julia Traducta (Tarifa) aus den Über­ gang zu bewerkstelligen. Als jedoch diese Absicht sich als unausführbar erwies1 und Constantius über die Pyrenäen heranzog, ließ sich Wallia in Unterhandlungen mit letzterem ein. Es ward ein Vertrag des Inhaltes abgeschlossen, daß der Westgotenkönig gegen Empfang von 600000 Scheffel Getreide die Witwe Athaulfs, Placidia, des Kaisers Schwester, ausliefern und Spanien dem Reiche wiedergewinnen sollte (416).1 2 Zunächst wandte sich das westgotische Heer gegen die Silingen, deren König Fredbal durch List gefangen und zum Kaiser nach Ravenna ge­ schickt ward (416),3 während das Volk selbst in den folgenden Jahren durch schwere Niederlagen zum großen Teile ausgerottet wurde (418).4 Ihre Reste gingen unter den Hasdingen auf, deren Name jetzt als Volks­ name verschwindet und allein noch Bezeichnung des königlichen Ge­ schlechtes blieb. Auch die Alanen, gegen die Wallia nunmehr vorging, wurden empfindlich geschlagen und dermaßen geschwächt, daß dae Volk nach dem Tode des Königs Addac beschloß, kein eigenes Ober­ haupt wiederzuwählen, sondern sich den asdingischen Wandalen, anzu­ schließen, deren König als den ihrigen anzuerkennen (418).5 Die nun­ mehr auftretende Titulatur der wandalischen Könige als reges Vanda­ lorum et Alanorum6 deutet an, daß die Alanen zunächst eine gewisse Sonderstellung bewahrten. Sie wurden zwar später ebenfalls nach Tausendschaften organisiert (Prok. I 5); doch scheinen sie neben den Wan­ dalen als besonderer Stamm nach ihrem nationalen Rechte weitergelebt 1 Oros. V II 43, 11. 2 Olympiod. fragm. 31. Hydat. c. 60. Prosp. c. 1259. Oros. V I I 43, 12 ff. Die folgende Darstellung beweist das Irrige der Bemerkung H a i b a n s S. 6 6 : „Die W a n ­ dalen bleiben nun von 411— 429 auf Grund dieses Übereinkommens in Spanien; wir hören wenig Klagen über sie.“ 3 Hydat. c. 67. 4 Hydat. c. 68 (wohl übertreibend): Wandali Silingi in Baetica per W alliam regem omnes extincti. Sidon. Apollin. carm. I I 362 ff. : Simul et reminiscitur illud, quod Tartesiacis avus huius Vallia terris Vandalicas turmas et iuncti Martis Halanos stravit. 5 H y d a t . ebenda: . . . ut . . . pauci (wohl ebenfalls übertrieben), qui superfuerant, abolito regni nomine Gunderici regis Wandalorum . . . se patrocinio subiugarent. Vgl. dazu W a i t z , Verfassungsgeschichte I 3 (1880) S. 307 N. 4. 6 Nachweislich allerdings erst seit Hunerich (aus dessen Zeit stammt wohl auch die Notiz in der Continuatio Prosperi codicis Alcobaciensis z. J. 455, Chron. min. I S. 48 7 : r e x W a n d a l o r u m et A l a n o r u m Geisericus regnat post mortem Valentiniani imp. annis X X I), jedenfalls aber schon seit Gunderich. — A uf den Sieg über die Silingen und Alanen wird das Diptychon des Constantius mit Darstellungen von Gefangenen von 417, F i e b i g e r , Inschriftensammlung N. F. Nr. 5, bezogen.

26

Kämpf e mit den Sweben und Römern

zu haben, während die anderen jetzt und später hinzugetretenen Eiemente wohl unter die Wandalen verteilt wurden. Ihre auf diese Weise gesteigerte Macht benutzten die Wandalen nach der Abberufung Wallias aus Spanien (Ende 418), um sich gegen ihre Nachbarn, die Sweben, mit denen vermutlich vom Reiche ein neues foedus abgeschlossen worden war, zu wenden; in den nerbasischen Ber­ gen (in Nerbasis montibus)1 eingeschlossen, wurden diese nur dadurch vor dem drohenden Untergange bewahrt, daß ein wahrscheinlich von ihnen zu Hilfe gerufenes, überlegenes römisches Heer unter dem comes Asterius1 2 heranzog und die Wandalen zum Abzüge nach dem Süden der Halbinsel nötigte.3 Auf dem Wege dahin, der wohl auf der über Oporto, Lissabon, Faro laufenden Straße erfolgte, ist es bei Bracara (Braga) zu Kämpfen gekommen, bei denen eine Anzahl Wandalen getötet wurde (419; Hydat. c. 74).4 In ihren neuen Sitzen wurden die Wandalen zwei oder drei Jahre später wiederum von den Römern angegriffen und durch eine enge Einschließung in eine solche Bedrängnis gebracht, daß sie schon im Begriffe waren, sich zu ergeben, als der römische Heermeister Castinus es unbesonnenerweise zu einer offenen Schlacht kommen ließ. In dieser erlitt das kaiserliche Heer — sei es nun, weil Castinus aus Eifersucht gegen seinen Unterbefehlshaber Bonifatius diesen von der Teilnahme an dem Feldzuge ausgeschlossen hatte (so Prosper), oder weil die (westgotischen) Hilfstruppen sich als treulos erwiesen (so Hydatius) — eine schwere Niederlage: 20000 Mann sollen damals auf Seite der Römer gefallen sein, und nur mit Mühe konnte sich der Anführer selbst nach Tarraco retten.5 Dieser Sieg steigerte die Zuversicht und die Macht der Wandalen in hohem Grade und trieb sie zu neuen Unter­ nehmungen an. Zu ihrer später so gefürchteten Seemacht haben sie da1 Benannt nach einem schon von Ptolomäus (II 6 49) erwähnten Volke in Galicien Lage ist nicht genauer zu bestimmen. Vgl. S c h u l t e n , P W 16, 1700. 2 et sub vicario Maurocello sagt Hydat. c. 74. Befehlshaber des Heeres kann Maurocellus nicht gewesen sein. Der vicarius war Zivilstatthalter.

(φόρος Ναρβασων), Ihre

3 Daß Gunderich damals den verjagten Usurpator Maximus wieder auf den Thron erhoben habe, wie S e e c k , Untergang der antiken W elt V I (1920) S. 63 angibt, läßt sich nicht erweisen. 4 Aliquantis Bracara in exitu suo occisis sagt Hydat.; diese W orte sind allerdings verschiedener Deutung fähig. 5 Hydat. c. 77 z. J. 421. Prosp. c. 1278 z. J. 422. Ghron. Gail. c. 107: Es liegt nahe, diese zu 431 gebrachte Angabe auf die Niederlage des Castinus, nicht mit S e e c k a. Ο. V I 112 auf ein von Placidia gegen die Wandalen kurz vor deren Übergang nach Afrika geschicktes Heer zu beziehen, von dem sonst keine andere Quelle etwas weiß. Nach Salvian gub. Dei V II 45 hätten die Wandalen in jener Schlacht die Bibel als eine Art von Feldzeichen vorangetragen·, vgl. dazu A. S c h ä f e r , Römer und Ger­ manen bei Salvian (1930) S. 95. G i e s e c k e , Ostgermanen S. 163.

Er he bung G ei s e ri c hs zum Kö ni g

27

mais den Grund gelegt;1 denn wir vernehmen, daß" im Jahre 425 von ihnen die Balearischen Inseln und selbst die Küste Mauretaniens heim­ gesucht wurden.1 2 Darauf fielen auch Carthago Spataria (Cartagena) und (im J. 428) Hispalis (Sevilla), die letzten Bollwerke der Römer im feindlichen Gebiete, ersteres vermutlich durch eine gemeinsame Opera­ tion zwischen Landheer und Flotte, und wurden zum größten Teile zer­ stört (Hydat. c. 86, 89). In Sevilla3 starb Gunderich, wahrscheinlich in den ersten Monaten des J. 428, bei der Plünderung der Schätze der dem heiligen Vincentius geweihten Kirche4 eines plötzlichen Todes5 — der fromme Hydatius führt denselben natürlich auf ein Strafgericht Gottes zurück — ; ihm folgte als König sein Halbbruder G e i s e r i c h , 6 der uneheliche Sohn Godigisels und einer (ungermani­ schen) Sklavin,7 mit Übergehung der Söhne Gunderichs, die jener später in Afrika ermorden ließ, um die Thronfolge seinen Nachkommen zu 1 Es waren natürlich requirierte r ö m i s c h e Schiffe, deren sich die Wandalen an­ fänglich bedienten. 2 Hydat. c. Sizilien gehört (1928) S. 475 Besetzung von

86. Die von Salvian V I I 68 erwähnte Heimsuchung von Sardinien und nicht, wie S e e c k V I S. 111 und S t e i n , Gesell, d. spätröm. Reiches I wollen, hierher, sondern ins Jahr 44 0 ; s. weiter unten; sie setzt diè Afrika voraus.

3 Hydat. c. 89 (z. J. 428). Vgl. dazu die während des Druckes erschienene Diss. von J. L. M. de L e p p e r , De rebus gestis Bonifatii comitis Africae (1941) S. 81. 4 Den Namen der Kirche nennt allein der sonst für diese Zeit ganz unselbständige Isidor von Sevilla, Historia Vandalorum, c. 73, dessen Bischofskirche sie war. Vgl. H e r t z b e r g , Die Historien und Chroniken des Isidorus v. S. (1874) S. 55. G i e s e c k e a. O. S. 170 s. 4. 5 Dies ist die richtige Version. Prokop b. V. I 3 erwähnt eine von den Wandalen selbst, aber erst aus seiner Zeit stammende Tradition, wonach Gunderich in Spanien im Kampfe mit Germanen (d. h. Franken) gefangen und von diesen ans Kreuz geschlagen worden sei. Davon kann keine Rede sein; es liegt offenbar Verwechslung mit dem Tode Godigisels, der am Rheine gegen die Franken fiel, vor. Ebensowenig kann die andere von Prokop angeführte Version, daß Gunderich von seinem Bruder Geiserich ermordet worden sei, Anspruch auf Glaubwürdigkeit machen. 6 Der Name des Königs ist in zahlreichen Varianten überliefert, weshalb denn auch die Deutung desselben unsicher und umstritten ist. Die Quellenstellen sind verzeichnet bei S c h ö n f e l d , Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen (1911) S. 99 ff. Es ist hier hinzuzufügen als besonders wichtig die Inschrift aus Sufetula vom Jahre 466, zuletzt hsg. von F i e b i g e r , Inschr. N. F. Nr. 8, mit der Form Gesiric. Die authentische Form ist die ohne n in der ersten Silbe; der Nasal ist erst unter roma­ nischem Einfluß hereingekommen, wie bei Gensimundus, Thransamundus u. a. Es ist daher nicht berechtigt, aus dem Wortspiel (Pseudo-Victorinus im Liber genealogus c. 6 1 6 ; Mommsen, Chron. min. I 195) Gensericus gotice, scilicet ut multas g e n t e s seducat, auf die ursprüngliche Form Gcnserich zu schließen. Im germanischen Munde wird der Name Gaisirix (Geisirix) gelautet haben und von * gais, ahd. ger, abzuleiten sein. W ie Geilamir zu Gelimer, so ist Gefsirix zu Gesiric (bzw. Gi — , infolge des häufugen Lautwechsels zwischen e und i) im Munde der Römer und Griechen geworden. 7 Prokop. I 3 :νό&ος, bestätigt durch Sidon. Apollin. carm. I I 358 (cum serva sit illi parens), V 57 (famula satis olim hic praedo).

28

Pe r s ö nl i c hk e i t G eis er ich s

sichern.1 Da Geiserich, wenn auch in sehr hohem Alter (Prok. I 7) im Jahre 477 starb, so kann er nicht gut vor 390 geboren sein; sein Bruder, den wir im Jahre 406 an der Spitze des wandalischen Heeres quellen­ mäßig bezeugt finden (vgl. oben), war also jedenfalls älter — denn bei den Kriegsnöten der Wanderung war es geboten, bei der Königswahl auf eine Persönlichkeit in schon reiferen Jahren zurückzukommen — , und es ist wiederum ein Beweis für die Unzuverlässigkeit Prokops, wenn dieser den Gunderich bei dessen Vaters Tode als einen Knaben, Geise­ rich aber als einen erprobten Kriegshelden bezeichnet. Wenn daher Dahn1 2 sagt, daß letzterer für seinen Bruder bis zu dessen Mündigkeit Szepter und Schwert geführt, ja auch späterhin unter ihm einen ent­ scheidenden Einfluß auf die Regierung ausgeübt habe, so ist dieser Ver­ such, das Zeugnis Prokops mit den zuverlässigen abendländischen Quel­ len, den Konsularfasten und Hydatius in Einklang zu bringen, als ver­ fehlt zu bezeichnen. Es ist dagegen nicht unwahrscheinlich, wenn auch nur Vermutung, daß Geiserich bereits damals die wandalische Flotte be­ fehligt hat, die hauptsächlich später seinem Namen zu einem so gefürch­ teten Rufe verhalf. Über die näheren Umstände, unter denen seine Wahl zum Könige erfolgte, ist nichts überliefert. Von einer stattgefundenen Usurpation der Krone ist nirgends die Rede; Geiserich ist also wohl durch Beschluß des Volkes an die Spitze berufen worden, wahrschein­ lich weil ihn seine Tüchtigkeit vor den (vermutlich noch in jugendlichem Alter stehenden) direkten Nachkommen des verstorbenen Königs zu dieser Stellung besonders geeignet erscheinen ließ.3 Berühmt ist das Charakterbild, das Jordanes (Get. 168) von ihm entwirft und das wenig­ stens den Vorzug hat, frei von panegyrischer Übertreibung zu sein, da der Geschichtschreiber des Gotenvolkes, wie schon bemerkt, von einer großen Animosität gegen die Wandalen erfüllt ist. Geiserich war hier­ nach ein Mann mittlerer Größe, infolge eines Sturzes vom Pferde hin­ kend (dies wohl erst seit späterer Zeit), wortkarg, aber tiefen Geistes, enthaltsam, jähzornig, habgierig und äußerst geschickt, unter den V öl­ kern den Samen der Zwietracht zu verbreiten. Prokop nennt ihn einen erprobten Kriegshelden von rastloser Tatkraft, während der Byzantiner Malchus (fr. 13) sagt, er sei rascher in der Tat als andere im Entschluß gewesen. Die große, durch sein späteres Verhalten bestätigte Begabung 1 Victor Vitensis, Hist, persec. Afric. prov. II 14. Daraus ist wohl die von Prokop berichtete Version, daß Gciserich seinen Bruder ermordet habe, entstanden. 2 Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker I Könige der Germanen I 143 f.

(1880) S.

156. Vgl.

3 Vgl. auch D a h n , Könige V I 2 (1886) S. 547. v. P f l u g k - H a r t t u n g , Zeitsch. d. Savignystiftung, Germ. Abt. X I (1892) S. 178.

Af r i ka ni s c he Pläne

29

des Königs als Heerführer, Organisator und Diplomat geht deutlich aus diesen Charakteristiken hervor. Daß er ursprünglich Katholik gewesen und nun zum arianischen Glauben übergetreten sei, ist, wie der einzige Gewährsmann, Hydatius, selbst vorsichtig bemerkt, nicht sicher bezeugt (c. 89: ut aliquorum relatio habuit); auch an sich aber erscheint diese vielleicht erst aus späterer Zeit stammende, wohl nur auf böswilliger Erfindung beruhende Version wenig glaublich. Die hervorragenden Eigenschaften Geiserichs haben bei dessen Er­ hebung ohne Zweifel einen um so entscheidenderen Einfluß ausgeübt, als die Absicht einer Reichsgründung in der Spanien benachbarten afri­ kanischen Provinz wohl schon unter seinem Vorgänger Gunderich be­ stand. Die oben erwähnte wandalische Expedition nach Mauretanien im Jahre 425 ist wohl unter diesem Gesichtspunkt, als eine zur Er­ kundung unternommene Fahrt, zu beurteilen. Dagegen ist die später zu erörternde Angabe Prokops, der comes Africae Bonifatius habe mit Gunderich und Geiserich ein Bündnis geschlossen, indem er jedem der­ selben ein Drittel von Afrika als Herrschaftsgebiet zusicherte, als un­ geschichtlich zu verwerfen.1 Bestimmend für das geplante Unternehmen waren dieselben politischen Erwägungen, die vorher für die Westgoten­ könige Alarich und Wallia maßgebend gewesen waren: die Beherrscher jener Provinz, der der Hauptanteil an der Getreideversorgung Italiens zukam, hatten das Schicksal des weströmischen Reiches in ihrer Hand, befanden sich aber selbst, besonders wenn ihnen eine tüchtige Kriegs­ flotte zur Verfügung stand, in einer fast unangreifbaren Stellung. „In welchem Maße das Italien der Kaiserzeit für seine Subsistenz auf Afrika angewiesen war, zeigen die während der Kriege zwischen Vitellius und Vespasian und zwischen Severus und Pescennius ergriffenen Maßregeln: Vespasian gedachte Italien zu erobern, indem er Ägypten und Afrika besetzte; Severus sandte ein starkes Heer nach Afrika, um Pescennius an dessen Besetzung zu hindern.“ 1 2 Die Bedeutung des Besitzes Afrikas war auch weiterhin deutlich hervorgetreten, als die Statthalter Gildo (395) und Heraclianus (410) die afrikanischen Häfen für die Getreide­ ausfuhr sperrten. Dieser Umstand ist jedenfalls das ausschlaggebende ge­ wesen. Die Angabe der gotischen Geschichtschreibung, die den Auszug der Wandalen aus Spanien mit einer Bedrohung durch die Westgoten begründet, ist, wie schon bemerkt, tendenziöse Erfindung.3* Den un­ mittelbaren Anlaß aber gab die damalige politische Lage in Afrika, die 1 Vgl. auch De L e p p e r , Bonifatius S. 76. 2 M o m m s e n , Römische Geschichte V 5 (1904) S. 652. 3 Cass. chron. c. 1213: Gens Vandalorum a Gothis exclusa . . . S. oben S. 21.

ad Africam transit.

30

Übergang nach Af r i ka

auf einen eroberungslustigen Feind anreizend wirken mußte, der dort ausgebrochene Bürgerkrieg und die offenkundige Schwäche des römi­ schen Verteidigungssystems, die sich in schweren Unruhen der mauri­ schen Grenzvölker bemerkbar machte, nicht jedoch ein Hilferuf des comes Bonifatius, worüber weiter unten zu handeln ist. Bereits waren Anstalten zur Einschiffung der Wandalen getroffen, als die Nachricht einlief, daß eine Schar Sweben unter Hermigar1 plündernd in den an die Baetica angrenzenden Teil Lusitaniens eingedrungen sei: rasch eilte Geiserich mit einer Abteilung seiner Krieger wieder zurück und schlug die Feinde bei Emerita (Merida) in die Flucht, wobei ihr Führer in den Fluten des Guadiana den Tod fand (Anfang des Jahres 429). So lautet der Bericht des zuverlässigen Hydatius (c. 90); un­ brauchbar ist dagegen die Darstellung, die Gregor von Tours, Hist. Franc. II 2, von diesen Vorgängen gibt: Die benachbarten Sweben und Wan­ dalen geraten miteinander in Streit; auf Vorschlag des ungenannten Swebenkönigs wird von den beiden Völkern beschlossen, die bevor­ stehende Schlacht durch einen Zweikampf zweier Gefolgsleute (pueri) entscheiden zu lassen; der Stamm, dessen Kämpfer siegt, solle das Land besitzen. Der Kampf beginnt und der Vertreter der Wandalen fällt; diese (als ihren König nennt Gregor den Thrasamund, der erst siebzig Jahre später auf den Thron gelangte) verlassen hierauf Spanien. Nach diesem Zwischenfall wurde der Übergang der Wandalen ohne Störung bewerkstelligt; im Mai 429 setzte Geiserich mit seinem Volke von Julia Traducta1 2 aus nach Afrika über. Man wird anzunehmen haben, daß eine Eroberung der die Straße von Gibraltar auf dem afrikanischen Ufer deckenden festen Plätze Tingis (Tanger) und Septem Fratres (Ceuta) vorhergegangen ist. Ob der Name A n d a l o s , mit dem die Araber zur Zeit Tariks anfänglich diesen südlichsten Punkt Spaniens, später aber die ganze pyrenäische Halbinsel bezeichneten, = Vandalos zu setzen und von dem dort stattgefundenen Übergang der Wandalen herzu­ leiten ist, scheint mir fraglich; sicher ist die landläufige Meinung, daß das heutige Andalusien nach den Wohnsitzen der Hasdingen und Silingen 1 Hermigar war wohl nicht König neben dem damals regierenden Hermerieh, son­ dern nur der Anführer bei diesem Einfall, weshalb ihn denn auch Hydatius bloß Suevum nennt. Vgl. L. S c h m i d t , Gesch. d. deutsch. Stämme II 1 2 S. 207. 2 Ilydat. z. 90. Vict. Vit. pers. λ'and. I 1. Greg. Tur. a. a. O. Prok. b. V. I 3, 26, Jord. Get. 167. Infolge einer Verwechslung mit der gegenüberliegenden spanischen Stadt sagt Plinius hist. nat. V 2, die Stadt Tingis habe seit Claudius auch Traducta Julia geheißen. Die Ergänzung der von T i s s o t (vgl. Mémoires présentés par divers savants à l’acad. des inscriptions et belles lettres Sér. I torn. 9 (1878) S. 185 ff.) gefundenen Inschrift (auch C. I . L . V I I I 10983), die zur Stütze des Plinius herangezogen wird: Jul. in Julia Traducta, ist abzulehnen, vgl. S c h u l t e n , Pauly-Wissowa, RE. Reihe II Rd. 6 (1936) Sp. 1892. 2518.

Übergang nach Af r i ka

31

in der Baetica benannt worden sei, falsch.1 Daß das Jahr 429 das richtige ist, ergibt sich aus Hydatius und der noch zu besprechenden Inschrift Fiebiger, Inschriften N. F. Nr. 6 aus Altava in Mauretanien. Prosper chron. c. 1295 setzt den Übergang der Wandalen ins Jahr 427; doch faßt dieser hier nach seiner öfters zu bemerkenden Gewohnheit die Ereignisse mehrerer Jahre zusammen. Nicht in Betracht kommen dagegen die An­ gaben der in der Chronologie unzuverlässigen südgallischen Chronik c. 108 (zu 431) und der oströmischen Konsularfasten im Chronicon paschale zum J. 428. Es war kein Abenteurerzug, unternommen von einer Anzahl freiwillig dazu entschlossener, kriegslustiger Männer, son­ dern die Auswanderung des gesamten Volkes: dies sagt Hydatius aus­ drücklich c. 90: Gaisericus — cum V a n d a l i s o m n i b u s eorumque familiis . . . transiit. Vgl. dazu auch Victor Vit. I 2: Transiens igitur quantitas u n i v e r s a . . . Es stimmt dazu, daß das Zurückbleiben von Wandalen in Ortsnamen Spaniens nicht mit Sicherheit nachweisbar ist. Auch der Ort Bandaliès in Huesca (Aragonien) kommt trotz Gamillscheg a. 0 . kaum in Betracht. Daß Goten und allerlei sonstiges Volk aus Spanien freiwillig1 2 sich anschlossen,3 ist für die Beurteilung des Grundcharakters dieses Zuges ohne Bedeutung. Vor der Einschiffung ließ der König eine Zählung der gesamten Volksmenge, Weiber,4 Kinder, Greise und Sklaven eingerechnet, vornehmen; nach dem Zeugnisse Victors von Vita (I 2) ergab sie 80000 Köpfe. Diese Maßnahme kann nur den Zweck gehabt haben, den zur Überfahrt nötigen Schiffsraum festzustel­ len. Denn die Angabe Victors, Geiserich habe damit beabsichtigt, seiner Macht zu einem gefürchteten Rufe zu verhelfen, d. h. die Römer mit der hohen Zahlenangabe zu schrecken und ihre Widerstandskraft von vornherein zu lähmen, ist zu töricht, um als glaubwürdig angesehen wer­ den zu können. Die Zahl 80000 findet sich auch bei Prokop I 5, 18 f., wo es heißt, der König habe die Wandalen und Alanen nach dem Einzug in Afrika in 80 Haufen (λόχοι) geteilt, an deren Spitze er je einen An­ 1 Vgl. die trefflichen Ausführungen D o z y s , Recherches sur l’histoire et la littéra­ ture de l’Espagne pendant le moyen-âge I 3 301 ff. G a m i l l s c h e g , Romania Germa­ nica I I I (1936) S. 209. 2 Si e k e l in der Westdeutschen Zeitschr. IX (1890) S. 239 zählt die Alanen mit Un­ recht zu den unter Geiserich dienenden F r e i w i l l i g e n . 3 Possidius vit. August, c. 28 : manus ingens . . . Wandalorum et Alanorum com­ mixtam secum habens Gothorum gentem (wohl unter Athaulf oder W al lia in Spanien zurückgebliebene Scharen) aliarumque diversarum [gentium] personas. Die bei Prosper chron. c. 1329 genannten spanischen Römer gehörten zum königlichen Gefolge. 4 Diese werden nicht ausdrücklich erwähnt, sind aber ohne Zweifel mit in­ begriffen. Das ergibt sich sowohl aus den Worten Victors (statuit omnem multitudinem numerari), als aus dem Zwecke der Maßnahme. Vgl. L. S c h m i d t , Byzantin. Zeitschr. 15 (1906) S. 620 f.

Ve r f as s ung

32

führer, Chiliarch genannt, stellte, um den Anschein zu erwecken, als ob er über 80000 K r i e g e r (rον των στρατευομένων λεών) verfüge, während doch das Volk selbst (το πλτ'&ος) nur 50000 M e n s c h e n über­ haupt gezählt habe. Wir haben keinen Grund, an der Genauigkeit der Mitteilung des zeitlich nicht fernstehenden Victor über das Ergebnis der Zählung zu zweifeln. Die andere Version wird erst zur Zeit des Unter­ ganges des Reiches entstanden sein auf Grund der Tatsache, daß die Bevölkerungszahl damals nur gering gewesen ist. Die Angabe Prokops stellt sich wohl als Kombinationsversuch der beiden Versionen dar, wo­ bei die Kenntnis von der Gliederung des Volkes in Tausendschaften mit­ gespielt haben mag.

Über die inneren Zustände vor der Niederlassung in Afrika erfahren wir aus den literarischen Quellen nur wenig; große Ausbeute liefern aber in dieser Beziehung die zahlreichen Bodenfunde, von denen besonders den schlesischen in vielen ausgezeichneten Arbeiten eine erschöpfende Behandlung zuteil geworden ist.1 Die staatliche Gliederung schloß sich völlig an die des Heeres an: die Begriffe Volk und Heer waren identisch. Dies tritt auch später noch hervor, vgl. Vict. Vit. I 13 (Geisericus) : e x e r c i t u i . . . Zeugitanam divisit, vgl. ebenda III 60. Die später be­ zeugte dezimale Gliederung des Volkes (Tausendschaften) hat in der hier behandelten Periode wohl noch nicht bestanden; wäre das der Fall gewesen, so würde Geiserich es kaum nötig gehabt haben, vor der Übersiedelung nach Afrika eine Volkszählung vorzunehmen. Die von Dexippus a. O. erwähnte Abteilung von 500 Mann unter einem αρχών ist wohl nicht eine Regelzahl. Die einzelnen Unterabteilungen waren vielmehr von verschiedener Stärke2 je nach der Größe der Sippen­ verbände, aus denen sie sich zusammensetzten, und standen unter je einem von der Landesgemeinde eingesetzten Fürsten ( αρχών = latein. magistratus). Wie bei den meisten Ostgermanen standen auch bei den Wandalen von altersher Könige an der Spitze des Volkes, und zwar zunächst zwei nebeneinander: so schon in sagenhafter Zeit, als nach der Wandersage der Langobarden diese mit Wandalen unter Ambri und Assi zu kämpfen hatten. Zwei Könige erscheinen dann bei dem wandalischen Einzelvolke der Harier aus dem Geschlechte*S . 1 Für den Wanderweg von Ungarn nach Gallien und Spanien liegen nur geringe archäologische Spuren vor. Vgl. Z e i ß , Bayer. Vorgesch. Blatt 13 (1936) S. 35 f.; D e r s e l b e , Studien zu den Grabfunden aus dem Burgundenreich an der Rhone (1938) S.

23. a Vgl. L. S c h m i d t , Gesch. d. deutsch. Stämme I 2 (1934) S. 53 ff.

Verfassung

33

der Hasdingen, das seinen Namen von dem lang herabwallenden Haare trug, wodurch es sich von den übrigen Freien unterschied: im Jahre 171 Raus und Raptus, im Jahre 270 zwei, deren Namen nicht genannt werden; erst nach dieser Zeit wird das Königtum durch e i n e Person vertreten. Vgl. Jord. Get. 113: Visimar . . . Asdingorum stirpe, quod inter eos eminet genusque indicat bellicosissimum. Aus späterer Zeit Cassiodor var. IX 1: si inter Hasdingorum stirpem retinuissetis Hamali sanguinis purpuream dignitatem; Joh. Lydus, de magistratibus III 55: Γελίμεροί . . . συν τοΐς ενδόξοις τον εΰνονς, ονς εχάλονν Αστίγγονς οί βάρβ