Geschichte der alten Kirche: Teil 2 Ecclesia catholica
 9783111446714, 9783111079899

Table of contents :
Inhalt
1. Das römische Weltreich im zweiten und dritten Jahrhundert
2. Die Kirche
3. Das Neue Testament
4. Glaubensregel und Theologie
5. Der Kultus
6. Das Christentum und die Welt
7. Die Apologeten
8. Kleinasien und der Montanismus
9. Gallien
10. Afrika
11. Rom
12. Syrien und sein Hinterland
13. Ägypten
Literatur
Register

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GESCHICHTE DER ALTEN KIRCHE von

Hans

Lietzmann

2

Ecclesia catholica

Dritte Auflage

VERLAG WALTER DE GRUYTER & CO., BERLIN 1961

Archiv-Nr. 32 03 61 Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung

des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile

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© 1961 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sehe Verlagshandlung



J . Guttentag,

Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp. — Berlin W 30

Meiner Frau

Inhalt 1. Das römische Weltreich im zweiten und dritten Jahrhundert

Seite

1

Grenzpolitik im ersten Jahrhundert 1. Trajans Feldzüge 2. Hadrian 3. Mark Aurel 4. Kriege mit dem Sassanidenreich 6. Der wirtschaftliche Niedergang 7. Das Soldatenregiment 9. Literatur unter Trajan 11. Die zweite Sophistik 13. Aristides 14. Lukian 15. Mark Aurel 16. Religiosität bei Aristides und Plutarch 17. Philostrat 17. Heroen- und Gespensterglaube 18. Orientalische Religionen in Rom 20. Syrische Götter 22. Pantheos 23. Ostia 24. Timgad 26. Dougga 27. Rheinische Kulte 29. Mysterienkulte 30. Das Judentum 33.

2. Die Kirche

37

Weltgeschichte bei den Griechen 37 und Juden 39. Christliche Apokalyptik 40. Die Ekklesia als Ziel der Weltgeschichte 40. Die Kirche als überirdisches Wesen 42. Die „Propheten" 44. Neue Offenbarungen 46. Die Amter der Episkopen und Diakonen 47. Der Bischof 48. Bischof und Presbyter 50. Bischofslisten: Rom 51. Antiochia und Jerusalem 53. Alexandria 54. Bischöfliche Mutter- und Tochterstädte 55. Synoden 58.

3. Das Neue Testament Spruchtradition der Herrenworte 60. Synoptische Evangelien 61. Agrapha 62. Apokryphe Sprüche und Evangelien 64. Kindheitsevangelien 65. Marienlegenden 66. Pilatusakten 67. Veronika 67. Abgar 68. Die Apostelgeschichte 68. Apokryphe Apostelgeschichten 70. Petrusakten 71. Paulusakten 73. Johannesakten 75. Andreasakten 77. Thomasakten 77. Asketische Stimmung 79. Das Christusbild 80. Gnosis in der Kirche 80. Christliche Apokalyptik 81. Die Offenbarung des Johannes 82. Der Hirte des Hermas 84. Die Petrusakopalypse 85. Die Epistula Apostolorum 86. Die Briefliteratur: Paulus 87. Sammlung der Paulusbriefe 88. Katholische Briefe 89. Die apostolische Autorität 90. Der Kanon der apostolischen

60

Inhalt Seite

Evangelien 91. Ausscheidung der apokryphen Evangelien 92. Das Diatessaron Tatians 93. Pauluskanon des Marcion 94. Der Kanon der katholischen Briefe 95. Apostelgeschichte 96. Kanon der Apokalypsen 97. Glaukensregel und Theologie 100 Bekenntnis und Akklamation 100. Das älteste Christusbekenntnis 101. Grundformen und Erweiterungen 102. Zweigliedriges Bekenntnis 104. Dreigliedriges Bekenntnis 105. Bekenntnis in Rom 106 und im Orient 107. Ausbau des zweiten Artikels 108. Der dritte Artikel 109. Bekenntnisformel und Lehre 110. Gott der Vater 111. Gottes Sohn 112. Die Geburt aus der Jungfrau 113. Adoptianismus 115. Pneumatische Christologie 116. Der heilige Geist 118 und die Kirche 119. Der Kultus 120 Liturgie der Didache 120. Agapen 121. Sonntagsfeier bei Justin 122. Hippolyts Liturgie 123. Die Eucharistie als Opfer 125. Die Taufe 126. Exorzismus 127. Erweiterungen des Rituals 128. Wochenfasttage 129. Passahfeier 129. Quartodezimaner 130. Osterfeier am Sonntag 131. Osterstreit unter Victor von Rom 131. Pfingsten 132. Totenkult 133. Märtyrerkult 134. Katakomben 135. Die Anfänge der christlichen Kunst 137. Symbolische Figuren 138. Jüdische Bilder 140. Neutestamentliche Darstellungen 141. Die Basílica von Porta Maggiore in Rom 144. Die Aureliergruft in Rom 144. Das Christentum und die Welt 145 Die Mission und ihre Ansatzpunkte 145. Anmeldung zum Katechumenat 148. Verbotene Berufe 149. Christliche Lebenshaltung 150. Die Christen als „Feinde der Menschheit" 152. Plinius und Trajan über Christenprozesse 154. Staatliche Grundsätze 155 und Gesetze 156. Erste Verfolgungen 158. Lyon und Vienne 159. Der Märtyrer als Enthusiast 160. Perpetua 161. Märtyrerakte in Protokollform 162. Die syrische Dynastie 163. Neue Verfolgungen im 3. Jahrhundert 164. Verfolgung des Decius 164. Gallus und Valerian 169. Toleranzedikt des Gallienus 171. Die Apologeten 172 Kritik am Christentum 172. Celsus 172. Die ersten Apologeten: Quadratus 175. Aristides 176. Justin 178. Dämonenlehre 179. Weissagungsbeweis 179. Logoslehre 180. Christentum als wahre Philosophie 182. Ethik 184. Gemeindelehren 184. Tatian 186. Athenagoras 187. Theophilos. Brief an Diognet. Minucius Felix 188.

Inhalt

VII Seite

8.

190 Kleinasien und der Montanismus Ausbreitung des Christentums in Kleinasien 190. Osterstreit 191. „Dynamistische" und „monarchianische" Theologie 191. Praxeas 191. Sakramentstheologie 193. Inschrift des Aberkios 193. Die „neue Prophetie ' 195. Montanus 196. Eschatologische Stimmung 197. Asketische Forderungen: Ehelosigkeit. Fasten 199. Opfergaben 200. Spätere Formen 201. Martyriumssehnsucht 201. Ablehnung von Seiten der Kirche 202. Versöhnungsversuche 203.

9.

206 Gallien Beziehungen zu Kleinasien 206. Irenaeus 208. Sein „Elenchos" 208. Abwehr der Spekulation 210. Kanon und Glaubensregel 211. Die bischöfliche Tradition 211. Gott und sein Logos 212. Erlösung durch „Rekapitulation" 213. Sakramentslehre 214. Die kirchliche Frömmigkeit als Grundlage der Theologie 216.

10. Afrika 219 Berber, Punier, Römer 219. Lateinische Literatur 219. Lateinische Bibel 220. Ausbreitung des Christentums 221. Märtyrer von Scilli 221. Tertullian 222: sein Stil 223. Gelehrsamkeit 223. Temperament 224. Apologetik 225. Ethik; der Montanismus 225. Kampf gegen die Kirche 226. Seine Grunderkenntnis 227. Unspekulative Theologie 227. Glückliche Formulierungen 228. Sein Ausgang 228. Cyprian 229. Die Verfolgung des Decius 230. Einigung mit Rom über die Frage der Gefallenen 231. Opposition der Konfessoren und Presbyter 232. Novatus und Felicissimus 233. Cyprians Schriften de lapsis und de unitate ecclesiae 234. Die Synode vom Mai 251: 235. Schisma des Fortunatus in Carthago, des Novatian in Rom 236. Cyprian und Cornelius 236. Cyprian und Stephan von Rom 238. Der Ketzertaufstreit 239. Tod des Stephan 241 und des Cyprian 242. 11. R o m 244 Blüte der Stadt 244. Einheit der Gemeinde 245. Gnostiker in Rom. Osterfragen 246. Viktor und der Osterstreit 247. Die „Kleinasiatische Frage" 248. Theologische Bewegungen 248. Monarchianismus. Sabellius 249. Kallist und Hippolyt 250. Hippolyt als Schriftsteller 251. Das Bußedikt des Kallist 253. Ausgang des Hippolyt und des Pontian 254. Fabian 254. Neuordnung des Klerus. Die „Ordines minores" 255. Die Verfolgungszeit 257. Novatian und Cornelius 258. Verbreitung der Novatianer 259. Die Grundsätze des Stephanus und die Theorie des Cyprian 261. Dionysius von Rom 263.

VIII

Inhalt Seite

12. Syrien und sein Hinterland

264

Antiochia als christliches Zentrum 264. Tritt erst seit 250 hervor 266. In Syrien entsteht ein nationales Christentum: Edessa 266. Bardesan.es 267. Seine Lehre 267. Palut erster Bischof von Edessa 271. Harmonios 271. Christentum in der Osroéne. Tatians Einfluß 272. Arbela. Syrisches Christentum bei Afrahat 273. Ausbreitung am östlichen Tigrisufer 274. Krisis im Judentum 275. Mani 276. Seine Lehre 277. Der Mythus 279. Ausklang 282.

13. Ägypten

283

Gnostisches Christentum der Frühzeit 283. Bischof Demetrius 284. Pantainos und dieKatechetenschule 284. Klemens Alexandrinus 285. Schriften 286. Stil 287. Der Protreptikos 288. Der Paidagogos 291. Vom Reichtum 295. Die Stromateis 297. Orígenes 305. Der mittlere Piatonismus 308. Schriften des Orígenes 311. Die Hexapla 313. Sein System 317. Orígenes als Bibelforscher 325.

Literatur

330

Register

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Das römische Weltreich im zweiten und dritten Jahrhundert Sicherung des Friedens für die ganze Kulturwelt war das ideale Ziel des augusteischen Imperiums, und seine Verwirklichung bildete den Ruhmestitel, seine Bewahrung die Hauptaufgabe aller Träger der römischen Kaiserwürde. Die Vorteile dieses Zustandes banden die tausend Völker und Stämme der Mittelmeerwelt so eng aneinander, daß innere Aufstände die Einheit des Reiches nicht bedrohen konnten. Die Tumulte des auf Neros Tod folgenden Dreikaiserjahres brachten nur örtlichen Schaden und gingen schnell vorüber, und die aus besonderen Gründen an den Grenzen auflodernden Brände des gallische Bataveraufstandes und der jüdischen Freiheitsbewegung hat Vespasians starke Hand zu unterdrücken verstanden. Die wirklichen Gefahren lauerten außen an den Grenzen: am Rhein und an der Donau wurden germanische und teilweise auch slavische Stämme von elementaren Gewalten aus naturhaftem Dasein in den Bereich der Geschichte getrieben, am Euphrat drängten die Iranier Vorderasiens dem syrischen Meere zu. Nach den unter Augustus gemachten Erfahrungen hat das Reich fast ein Jahrhundert lang seine Grenzen im Wesentlichen defensiv verteidigt und sie nur an einzelnen sicheren Stellen mit größter Vorsicht vorgeschoben. Die unter Claudius begonnene und unter Domitian vollendete Eroberung Britanniens ist die bedeutsamste Tat dieser Periode. Unter den flavischen Kaisern wird "dieser defensive Charakter des Grenzschutzes noch besonders betont durch die Anlage der großen Limesbefestigungen, welche am Oberrhein und an der Donau das Vorland durch Holztürme und L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

1

2

1. Das römische Weltreich

Flechtwerkzäune gegen feindliche Einfälle schützen sollen: wir können das Fortschreiten dieser Methoden von Vespasian bis Domitian an den erhaltenen Resten studieren. Trajan erkannte, daß auf diese Weise die Gefahren nicht völlig zu bannen seien und kehrte zu den Gedankengängen altrömischen Soldatentums zurück. Er marschierte in das Land des zur Zeit bedrohlichsten Feindes ein und führte gegen die im heutigen Rumänien wohnenden Daker zwei schwere, verlustreiche Kriege (101 bis 106), die aber schließlich die volle Eingliederung dieses Gebiets in das Reich als Provinz Dacia bescherten.Die römischeTrajanssäule erzählt bis heute in lebensvollen Bildern die ruhmvolle Geschichte dieser Kämpfe. Noch ehe das Ziel der Eroberung Daciens erreicht war, bereitete Trajan weiter Sicherungen des Reiches an der Ostgrenze vor. Der Legat von Syrien bekam den Auftrag, die bis dahin noch bestehende halbe Selbständigkeit der im Nabatäerreiche vereinigten Beduinenstämme zu beendigen, und so entstand, östlich und südlich an die palästinensische Grenze angelehnt, die neue Provinz Arabia. Wasserleitungen, Garnisonslager, Straßenbauten hoben und sicherten ihre wirtschaftliche Bedeutung und riegelten gleichzeitig das römische Reich ab gegen jede Bedrohung von Seiten der freien Beduinen der unermeßlichen arabischen Wüste. Dieeigentliche Gefahrenzone lag nicht hier, sondern an der Euphratgrenze. Dort drohte das Reich der iranischen Parther dem Imperium seit seiner Geburtsstunde mit Krieg, und die Dauer des von Augustus geschlossenen Friedens hing mehr von den inneren Zuständen des Partherreiches als von den Römern ab. So erschien auch hier dem Kaiser aktive Grenzsicherung unabweisbar. In drei Kriegsjahren 114—116 wurden nicht nur die Parther, sondern auch die mit ihnen verbundenen Armenier niedergeworfen, und drei neue Provinzen, Armenia, Assyria, Mesopotamia eingerichtet. Vor die alten Grenzen des Imperiums war nun ein Ring neuer Provinzen gelegt, der von der Theiß bis zum Schwarzen Meer, vom Kaukasus bis zum persischen Golf und vom Euphrat bis zur Sinaihalbinsel reichte: ein

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Trajans Kriege. Hadrian

ungeheures Sicherungsgebiet, das mit stärkstem Kraftaufwand in kurzer Zeit gewonnen war und nun einer langen Periode innerer Durcharbeitung bedurfte, um organisch in das römische Reich hineinzuwachsen und wirklich den Schutz zu leisten, den sein Schöpfer von ihm erwartete. Es war die Frage, ob das Reich die Kraft zur Lösung dieser Aufgabe besaß: und der Nachfolger des 117 nach Vollendung seines Werkes aus dem ¿.eben abberufenen Trajan hat sie sofort nach seinem Regierungantritt verneint. Ein Aufstand, den 115 die ägyptischen Juden, wohl im Bunde mit den übermäßig bedrückten Fellachen1, anzettelten und auf Cypern und die Cyrenaica ausdehnten, war ein warnendes Zeichen: erst nach zwei Jahren konnte der Kaiser über die zur Unterdrückung erforderlichen Truppen verfügen. Und auch an anderen Stellen war nicht alles so ruhig, wie es sein sollte. So zog Hadrian die notwendige, aber unrühmliche Konsequenz: Armenia, Assyria, Mesopotamia wurden wieder geräumt. Arabia und — trotz einiger Bedenken — auch Dacia sollten gehalten werden und sind gehalten worden. Es wurde deutlich, daß Rom nicht mehr im Stande war, Eroberungen großen Stils zu machen, wohl aber, seinen alten Besitz zu verteidigen: und auf diese Aufgabe konzentrierte Hadrian seine ganze militärische Sorge. Die Limesbefestigungen wurden vielfach vorgeschoben und schnitten in langen geraden Linien durchs Gelände: ihr Hauptbestandteil war jetzt ein mächtiger Palisadenzaun, der vom Neuwieder Becken bis in die Gegend von Regensburg lief. In Britannien hat man eine Mauer quer durch die Insel vom Solway Firth bis zur Tynemündung gezogen. Hadrian verfügte nicht über die militärische Begabung Trajans und strebte deshalb einen Zustand des Reiches an, der vom Kaiser nicht die Tugenden eines Feldherrn verlangte. Aber er war ein vortrefflicher Verwaltungsbeamter und hatte Sinn für Organisation: und das ist auch dem Heer zugute gekommen. Dieses hat seine Aufgaben treulich erfüllt: fast ein halbes Jahrhundert hindurch ist der Reichsfrieden gewahrtwor' ) Rostovtzeff, Gesellschaft u. Wirtschaft 2, 65. 1*

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1. Das römische Weltreich

den, und die nie ganz abreißenden Kämpfe zur Grenzsicherung gingen nur selten über die gewohnte Beanspruchung der Wachttruppen hinaus. Als AntoninusPius auf demMarsfeld eine Säule nach trajanischem Muster errichtete, hatte er keine Veranlassung, ihren Schaft mit einem Band kriegerischer Bilder zu umwinden. Das blieb seinem Nachfolger Mark Aurel vorbehalten, den die Not des Reiches aus stiller Besinnlichkeit heraus in einen schweren Existenzkampf riß: und sein philosophisches Pflichtgefühl ist stark genug gewesen, um ihn ohne militärische Neigung und Begabung eine Aufgabe lösen zu lassen, die noch schwerer war als die dem Soldaten Trajan gestellte. Die erste Gefahr drohte an der Ostgrenze, wo die Parther wieder im Begriff standen, ihre Herrschaft über Armenien auszudehnen, und die dazwischen tretenden römischen Legionen zertrümmert hatten. Es mußten große Truppenmassen von der germanischen Grenze herangezogen werden, um den unvermeidlich gewordenen Krieg mit dem nötigen Nachdruck zu führen: und nach vierjährigem Kampf war das Ziel erreicht. Das römische Reich festigte seine militärische Stellung in Armenien und schob seine Grenzen auf das linke Euphratufer vor. Die alte Makedonierfestung Dura bekam 167 römische Garnison und wurde Ausfallstor für künftige Einmärsche ins Partherland. Kaum war dieser Krieg beendet, als neue und größere Not über das Reich hereinbrach. An der westlichen Grenze war schon seit längerer Zeit eine flackernde Unruhe zu bemerken: in Britannien und am Oberrhein war die Grenzsicherung durchbrochen und mußte in ernsthaftem Kampf wiederhergestellt werden. Jetzt fluteten plötzlich und unaufhaltsam die Markomannen und Quaden aus Böhmen und Mähren über die Donau ins Reich, überschritten die Alpen und belagerten Aquileia. Und im ganzen Reich wütete die durch den Partherkrieg eingeschleppte Pest, raffte ungeheure Menschenmassen hin und fraß mit besonderer Wut die zusammengeballten Truppenkörper. Es mangelte an Lebensmitteln und die Staatskassen waren leer: der Untergang stand vor der Tür. Mark Aurel ist dieser Gefahr

Mark Aurel. Septimius Severus

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Herr geworden. Er hat Armeen zusammengebracht und die Waffenfähigen genommen, wo und wie er sie fand. Es gelang, den Einfall abzuwehren, er rückte in Feindesland hinein und rang alle verbündeten Stämme, Germanen und Sarmaten, in immer erneuten Kriegszügen nacheinander zu Boden und besetzte ihr Gebiet. Vierzehn Jahre dauerte der Kampf, dann war er endgültig entschieden: der Kaiser wollte auch im Sieg dem BeispielTrajans folgen und die römischen Grenzen über dieDonau vortreiben. Böhmen,Mähren und dasLand zwischenDonau undTheiß sollten alsMarcomannia undSarmatia römischeProvinzen werden. Aber ehe die Absicht zur Tat werden konnte, starb Mark Aurel 180 in seinem Hauptquartier zu Wien. Sein Sohn und Nachfolger Commodus verzichtete ohne Bedenken auf die Pläne des Vaters, räumte die besetzten Gebiete und bewilligte den Gegnern günstige Bedingungen: nicht aus kluger Einsicht wie einst Hadrian, sondern aus Bequemlichkeit. Aber die Wirkung der Kriegstaten seines Vaters blieb trotzdem nicht aus: jene Völker sind dauernd gelähmt geblieben und dem Reich nicht mehr gefährlich geworden. Zwei Menschenalter hindurch herrschte nun an der Donaugrenze Ruhe, und auch am Rhein ist es lange still gewesen, bis 213 unter Caracalla ein Vorstoß der Chatten und Alemannen eine Periode ständiger Grenzkämpfe eröffnete, die erst nach mehr als zwanzig Jahren in eine neue Friedenszeit ausmündete. In diesen Jahren der Unsicherheit hat auch der Limes eine Verstärkung erfahren: am Rhein wurde zu den Palisaden jetzt noch ein breiter Graben und ein Wall gefügt, an der Donau zog man eine 3 Meter hohe Mauer die Grenze entlang. Die vorsichtige Grenzgestaltung am Euphrat erwies sich auf die Dauer nicht als haltbar: Septimius Severus rückte 198 vor und machte Nisibis zur Hauptstadt der umgebildeten Provinz Mesopotamia, die nun bis zum Tigris hinüberreichte und militärisch so stark geschützt wurde, daß sie auch schwache Kaiser zu verteidigen vermochten. Inzwischen fand die durch dauernde Thronstreitigkeiten geschwächte parthische Dynastie ihr Ende. Von Persepolis aus breitete das

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1. Das römische Weltreich

alte Königsgeschlecht der Sassaniden seine Macht aus, und Ardaschir I. wurde 226 der Herrscher eines neuen Perserreichs, welches die parthische Herrschaft beseitigte und als sein Pogramm die Wiederherstellung der unter Kyros und Dareios geltenden Grenzen 1 verkündete. Waren schon die Parther recht unbequeme Nachbarn der Römer gewesen, so wurden die Perser erbitterte und unermüdliche Feinde des Reichs. Ihnen war der Drang nach Westen historische Pflicht, und sie erhoben das Schwert gegen Rom, um das Blut des Dareios an den Erben Alexanders des Großen zu rächen®. Das heißt: sie fühlten sich als die Vorkämpfer des unterdrückten Asiens gegen Europa, und sie haben an dieser Aufgabe vier Jahrhunderte lang mit steigendem Erfolg gearbeitet, bis der Völkersturm des Islam an ihre Stelle trat und den Widerstand Europas endgültig brach. Um 230 begannen die Kämpfe in Mesopotamien; zehn Jahre später war die Provinz in den Händen der Perser und abermals fünf Jahre danach hatten die Römer ihre Truppen wieder zwischen Euphrat und Tigris stehen und schlössen mit Schapur I. einen faulen Frieden. Um dieselbe Zeit erschien das führende Volk der germanischen Völkerwanderung, die Goten, an der untern Donau. Sie brachen in die römische Provinz ein und verwüsteten Thrakien bis in die Gegend von Saloniki. Kaiser Decius verlor 251 im Abwehrkampf sein Leben, und sein Nachfolger erkaufte einen Waffenstillstand mit Geld. Die Provinz Dacia ging verloren. Gleichzeitig flammte die Pest wieder auf und kurzlebige Kaiser wehrten sich nach- und nebeneinander verzweifelt gegen germanische und orientalische Eindringlinge. Der siebzigjährige Kaiser Valerianus fiel 260 den Persern in die Hände und starb in der Gefangenschaft, während die Goten plündernd Kleinasien durchzogen. Männlich rang sein Sohn Gallienus mit allen Gefahren, ständig von meuternden Truppen und ihren Gegenkaisern bedroht. Und er mußte das Aufkommen eines Pufferstaates mit eigener Herresmacht in Palmyra dulden, weil er Herodian hist. 6, 2, 2. 6, 4, 5. *) Nöldeke Tabari S. 3.

Das Sassanidenreich. Decius. Valerian

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als Bollwerk gegen die Perser wirkte. Nie hatte das römische Reich so stark den Eindruck völliger Auflösung gemacht, wie in diesen sechziger Jahren des dritten Jahrhunderts. *

Die von Trajan bis Decius abrollenden 150 Jahre zeigen uns deutlich den fortschreitenden Verfall des römischen Reiches und seiner Machtstellung. Die Spannung zwischen den militärischen Notwendigkeiten des Grenzschutzes und den finanziellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten des Reiches wurde immer größer und bewirkte schließlich die innere Zersetzung1. Daß schon die Feldzüge Trajans eine Überanstrengung der Reichskraft waren, zeigte sich sofort in der Nötigung zur Reduktion der Reichsmünze: die Silberdenar, der unter Augustus einen Metallwert von 70 Pfennig gehabt hatte und von Nero durch Verkleinerung der Münze auf 60 Pfennig herabgesetzt war, wurde durch 20 prozentige Kupferbeimischung auf nur noch 48 Pfennig abgewertet 1 ; die Preise stiegen entsprechend. Hadrian wußte, warum er die Politik seiner Vorgänger liquidierte: sie wäre nur auf Kosten der inneren Gesundheit des Staates durchführbar gewesen, und die wünschte der Kaiser unter allen Umständen zu erhalten. Der Erfolg hat ihm für ein halbes Jahrhundert Recht gegeben. Von Trajan bis Mark Aurel reicht eine Zeit kultureller Blüte und sicherer Entwicklung von Handel und Industrie, die allenthalben in einer großartigen Bautätigkeit einen noch heute sichtbaren Ausdruck gefunden hat. Die Städte werden die Mittelpunkte des Lebens. Das wohlhabende Bürgertum und die Großkapitalisten sind die Träger eines alle Provinzen erfassenden wirtschaftlichen Aufschwungs, und die gebildeten Schichten preisen dankbar die aufgeklärte Monarchie Hadrians und der Antonine. Aber die inneren Gefahren konnten nur zurückgedrängt, nicht beseitigt werden. Italiens Vorrang sank sowohl in politischer wie in militärischer, ja auch in wirtschaftlicher Hinsicht unwiederbringlich dahin. Der l ) Grundlegend M. Rostovtzeff, GeSeilschaft u. Wirtschaft im röm. Kaiserreich 1930. *) M. Bernhart, Handbuch z. Münzkunde 20f.

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1. Das römische Weltreich

alte Adel war ausgemordet oder verzichtete auf Fortpflanzung, das Volk wurde durch Aufnahme immer neuer Scharen barbarischer Freigelassener degeneriert und aus diesem Grunde, aber auch wegen politischer Aspirationen, militärisch unbrauchbar; schon seit Vespasian hob man in Italien keine Legionssoldaten mehr aus 1 . Und die aufblühenden Provinzen machten sich von italischer Produktion so unabhängig, daß die Kaiser künstliche Rettungsversuche für die Wirtschaft des alten Kernlandes anstellen mußten. Die Provinzen waren jetzt die Kraftquellen des Reichs in jeder Beziehung: auch das Heer wurde seit Hadrian aus Provinzialen gebildet, die zugleich mit der Einstellung das römische Bürgerrecht erhielten und Verteidiger ihrer engeren Heimat sein sollten. Ein Austausch der Legionen des Ostens und des Westens war dadurch aufs äußerste erschwert. Wenn Hadrian die Hälfte seiner Regierungszeit auf Reisen durch die Provinzen verwendete und dem ganzen Osten die Herrlichkeit griechischer Kultur unermüdlich vor Augen stellte, so war das nicht bloße Unrast und romantische Träumerei, sondern ernstes Bemühen um die Sicherung, Förderung und kulturelle Hebung der weiten Reichsgebiete, von denen der Bestand des Ganzen jetzt mehr als vordem abhing. Die Entwicklung spiegelt sich klar in den Trägern der Herrschaft: Die ersten Kaiser waren sämtlich Römer, Vespasian und seine Söhne wenigstens Italiker. Die Familien Trajans und der Antonine entstammten dem alten, römisch kultivierten Adel von Spanien und Gallien, Septimius Severus aus den gleichen Kreisen Afrikas. Aber durch seine Gemahlin, die syrische Priesterin Julia Domna kam das Element barbarischen Provinzialentums auf den Thron und wirkte die nächsten Generationen hindurch, bis es von illyrischen Soldatenkaisern abgelöst wurde. Erst besiegte die Provinz Italien, dann siechten die Provinzen dahin — und übrig blieben allein die Soldaten. Und das kam so. Die wirtschaftliche Blüte derAntoninenzeit war nicht fest begründet. Die Not der Kriege Mark Aurels Moramsen, Ges. Schriften 6, 38.

Der wirtschaftliche Niedergang

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und die Entvölkerung des Reiches durch die Pest machten dem Glück des Zeitalters ein Ende. Die Mißregierung des Commodus und die seiner Ermordung folgenden Wirren bildeten einen traurigen Abschluß dieser Periode. Septimius Severus zog die grausame Konsequenz und errichtete eine reine Militärdiktatur: alle Hilfsquellen des Staates wurden aufs äußerste angespannt, umdieHeere zu erhalten,die nun einmal zur Grenzverteidigung unentbehrlich waren. Auch dieBeamten rekrutierten sich mehr und mehr aus dem Heere, und aus der Schar verdienter Unteroffiziere erwächst ein neuer Beamtenadel, der nicht gerade als Kulturträger angesprochen werden kann. Die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts ist die entscheidende Periode des wirtschaftlichen Zusammbruchs. Die Währung sinkt ständig durch Verschlechterung des Geldes. Der Denar wurde unter Mark Aurel auf 43 Pfennig gesenkt, um 200 hatte er noch für 25 Pfennige Silbergehalt, aber seit 260 ist er nur noch unreines Kupfer, das einen Zwangskurs wie Papiergeld hat — und selbst dieser amtliche Kurs ist um 290 auf 2 Pfennige gesunken. Das Heer fraß alle Früchte der Arbeit, und die kaiserliche Politik hatte keine Möglichkeit, neue Kraftquellen zu erschließen, sondern begnügte sich, die vorhandenen rücksichtslos auszupumpen. Caracalla1 hat das sinnig so formuliert: „Kein Mensch außer mir braucht Geld zu haben, und ich brauche es, um es den Soldaten zu schenken". Das besitzende Bürgertum wurde vernichtet. Große Vermögen sind in weitem Umfang durch Konfiskation nach einem Scheinprozeß eingezogen worden. Alle übrigen aber wurden mit untragbaren Lasten belegt. Die vermögenden Bürger der Städte waren für alles haftbar: für pünktlichen Steuereingang der gesamten auf der Stadt und ihrem Landkreis liegenden Summe, für jede Extraleistung, die von durchziehenden Truppen angefordert oder von einem Beamten aus irgend einem Grunde befohlen wurde. Daneben bestand für alle Mitglieder der „regierenden" Gemeindekörperschaften die Verpflichtung zu Leistungen für städtische Wohlfahrt und das Vergnügen des Volkes. Die ») Dio Cass. 77, 10, 4.

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1. Das römische Weltreich

Befreiung von der Pflicht zur Bekleidung städtischer Ämter wurde ein vielbegehrtes Privileg. Das erschütternde Mittel äußerster Notwehr, der Verzicht auf den eigenen Besitz, war nicht selten: aber es ist bezeichnend, daß durch kaiserliches Gesetz die Straflosigkeit des Verzichtenden ausdrücklich angeordnet wurde, und daß er trotzdem in Wirklichkeit keineswegs vor Mißhandlung gesichert war 1 . Handel und Wandel mußten unter solchen Umständen ins Stocken geraten, der Geldverkehr hörte auf, und die Naturalwirtschaft trat wieder in ihre unvergänglichen Rechte. Die an den Grenzen kämpfenden Legionen konnten die Verheerung weiter Länderstreckendurch Barbareneinfälle nicht mehr hindern, geschweige denn den zahllosen Banden entgegentreten, die zu Wasser und zu Lande dem Räuberhandwerk oblagen. Und die „friedlichen" Truppendurchzüge so gut wie die Kämpfe der Kronprätendenten miteinander kamen in ihrer Wirkung feindlichen Einfällen bedenklich nahe. Der einzige Stand, auf den sich alle Sorge der Kaiser konzentrierte, war der des Soldaten — und zuweilen auch der des Kleinbauern, aus dem man die Soldaten aushob. Schon Septimius Severus erkannte die von aktiven Soldaten geschlossenen Ehen an und erlaubte verheirateten Soldaten, außerhalb des Lagers zu wohnen. Das führte mit der Zeit zur bäuerlichen Ansiedlung des Militärs und der Begründung militärischer Bauernkolonien in befestigten Orten. Aber zur Hebung der soldatischen Tugenden und zur Förderung der Schlagfertigkeit des Heeres trug diese Entwicklung nicht eben bei. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts ergab sich daraus die Notwendigkeit, kriegslustige und unbelastete Barbarenstämme als Söldner zu werben: und das führte zu neuen unsere Zeitgrenze überschreitenden Ereignissen. Die militärischen und die wirtschaftlichen Nöte waren miteinander zwangsläufig verbunden und zogen alle andern Elemente der Reichskultur in ihre abwärts führende Bahn. #

Rostovtzeff, Gesellschaft u. Wirtschaft 2, 194. 328 A. 42. 344 A. 44. 368 A. 49. Wilcken Chrestomathie n. 402. Anschaulich Philostrat Vita Apoll. 7, 23.

D a s Heer. Die Literatur: Tacitus.

Plinius

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Man muß Tacitus lesen, wenn man es voll erfassen will, was der 15 Jahre andauernde Mord der Geister durch Domitian an der seelischen Struktur des römischen Volkes verschuldet hat: wie der erst in den vierziger Jahren stehende Mann sich selbst überlebt erscheint und die bittere Wahrheit an den Anfang neuen Schaffens stellt, daß es leichter ist, geistiges Leben zu unterdrücken, als es wieder zu erwecken 1 . Aber Trajan wird der Bringer einer Zeit der Freiheit: von allen Seiten klingen uns die dankbaren Stimmen der Erlösten entgegen, und Tacitus hat sich unter seinem aufgeklärten Regiment zur vollen Größe entfalten können. Seine Kaisergeschichte ist das gewaltigste Geschichtswerk, das Rom der Welt geschenkt hat, aber von düsterm Ernst und heroischer Resignation überschattet blickt es nicht einer hoffnungshellen Zukunft entgegen, sondern atmet herbe Sorge und tragisches Ahnen. Und doch sind erst hundert Jahre seit den glücklichen Tagen des Livius verflossen, und die Sonne Trajans strahlt Leben weckend über dfem Reich. Aber Tacitus ist ein einsamer Mann und hat mit der höchsten Gabe des Genius auch die bittere Mitgift empfangen, weiter zu blicken als alle andern. Sein Freund Plinius ist restlos glücklich und fühlt sich als Kind einer Zeit geistiger Blüte, von der er mit geschickter Rhetorik in seinen Briefen anmutig Zeugnis ablegt. Und innerhalb seines enger begrenzten Gesichtskreises hat er damit recht, auch wenn man seine Überschätzung des ihn umgebenden literarischen Dilettantismus 1 in Abzug bringt. Dieses Dilettderen ist doch nichts anderes als der Ausdruck ehrlicher Liebe zu geistiger Verfeinerung des Lebens und tätige Aneignung der klassischen Traditionen aus Ciceros Zeit, deren Prophet Quintilian erst kürzlich die Augen geschlossen hatte. Zum Freundeskreis des Plinius gehörte der junge Sueton, der die auf ihn gesetzten Hoffnungen unter Hadrian erfüllt hat. Der Satiriker Juvenal hat in trajanischer Zeit seine besten Leistungen gezeitigt. Keiner von diesen drei Männern ist ein *) Tacitus Agricola 3. 1 Plinius epist. 1, 17. 3, 1, 7. 4, 3. 8, 4. 9,22: sehr bezeichnend 5 , 8 und 7,4.

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1. D a s römische Weltreich

Geist ersten Ranges, aber sie haben ihre Gaben so trefflich ausgewertet, daß ihr Einfluß auf die Weltliteratur bis heute spürbar ist. Nach ihrem Tode verstummt die lateinische Muse der Stadt Rom: mit Traj an geht die literarische Tradition des echten Römertums zu Ende. Wieviel von ihrer künstlerischen Gestaltungskraft noch lebendig ist, zeigen die Reliefbilder der Trajanssäule, die am Konstantinsbogen erhaltenen Rundscheiben und die Marmorschranken der Rednerbühne auf dem Forum. Mit Hadrian beginnt eine neue Zeit, die vom Griechischen her die entscheidenden Anstöße erhält, und diese weisen in ehrwürdige Vergangenheit zurück: wir nennen diese nun aufkommende Tendenz den „Archaismus". Wie die Griechen unbekümmert um die Sprache der lebendigen Gegenwart die attischen Klassiker nachahmten, sobald sie Literatur produzierten, so wird jetzt auch auf lateinischem Sprachgebiet ein noch über Cicero hinausgreifendes Altlatein Mode. Der Afrikaner Fronto ist der große Held dieser Richtung. Die Welt hat ihn und seine Leute mit Recht vergessen bis auf den einen Apuleius, dessen mannigfaltige Schriftstellern in dem Roman vom verzauberten Esel gipfelt: hier siegt die prächtige Erzählungskunst über alle sprachlichen Marotten, und die gegen Ende laut anschwellende mystisch-religiöse Begleitmusik gibt uns einen kräftigen Geschmack von dem, was in der Antoninenzeit aus dem „Muckertum" der Hadrianischen Periode geworden ist. Mit Apuleius endet die lateinische Literatur der Antike: nur im vierten Jahrhundert leuchtet plötzlich und „ohne Vater, Mutter und Stammbaum" das Phänomen des Historikers Ammianus Marcellinus in einsamer Größe. Die Rhetorik hat die absterbende lateinische Literatur beherrscht, selbst Tacitus untersteht ihrer Macht, und sie hat dafür gesorgt, daß es auch dann noch lateinische Schriftsteller gab, als man inhaltlich nichts mehr zu sagen wußte. Das Griechentum hat nicht minder von der Rhetorik gelebt und seit Vespasian sogar eine neue Blüte dieser Kunst entfaltet, die man als „zweite Sophistik" zu bezeichnen pflegt: eine Fülle von Tagesgrößen ist aus dieser Bewegung hervorgegan-

Archaismus. Zweite Sophistik. Plutarch

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gen, und der Eifer hoher und höchster Gönner hat an vielen Orten Professuren zu ihrer schulmäßigen Züchtung gestiftet und hervorragende Sophisten mit Ehren überhäuft. Ihr glänzendster Repräsentant ist der Athener Herodes Atticus 1 , der aus seinem ungeheuren Reichtum an den klassischen Stätten Griechenlands prächtige Bauten aufwachsen ließ und zugleich von der Gunst Hadrians und der Antonine getragen das literarische Leben weithin beherrschte. Aber seine Bauten haben die Jahrhunderte besser überstanden als seine Reden. InTrajans Zeit fallen die Predigten des Stoikers Epiktet an die Gebildeten und die breiten und gelegentlich sentimentalen Reden des Dio Chrysostomus.Beide so entgegengesetztenMänner haben einen tiefen sittlichen Ernst und streben auf verschiedenen Wegen doch letztlich nach demselben Ziel einer Besserung der Menschheit durch philosophische Zucht: aber der aus dem Sklavenstande emporgestiegene Epiktet ist der weitaus Größere, weil sein ethisches Wollen ganz rein erscheint und keines irdischen Schmuckes bedarf, auch keine Nebenzwecke anerkennt. Dio sowohl wie Epiktet stammen aus dem nordwestlichen Kleinasien. Griechenland wird um dieselbe Zeit würdig vertreten durch Plutarch, der aus seines Volkes großer Vergangenheit ein ideales Griechentum zieht und es in seiner fein organisierten Seele zur tätigen Auswirkung bringt. Seine Biographien und moralischen Traktate haben zu allen Zeiten Bewunderung erregt, und in den philosophisch-religiösen Schriften spiegelt sich tragisch das ehrliche, aber hoffnungslose Mühen um die Rettung sterbender Götter; und auch das macht den Mann liebenswert. Es ist Geist der trajanischen Periode, wenn er in seinem berühmtesten Werk Griechen und Römer in ideale Parallele stellt. Aber Kaiser Hadrian wurde selbst der Künder des Primats für die griechische Kultur. Alle Provinzen hat er bereist, aber Griechenland und sein geistiges Erbe unablässig den andern vor Augen gehalten: als Zeus Olympios wandelt er über die Erde und läßt Tempel erstehen, *) Vgl. K. A. Neugebauer, Herodes Atticus, ein antiker Kunstmäzen. Antike 10, 1934, 92—121.

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1. Das römische Weltreich

die seiner kaiserlichen Gottheit unter diesem höchsten der hellenischen Namen huldigen. Keine Stadt hat freundlichere Fürsorge erfahren als Athen, auf dessen Boden noch heute das Hadrianstor „des Theseus alte Stadt" von der durch ihn neu begründeten „Stadt Hadrians und nicht des Theseus" trennt 1 . Es war richtige Erkenntnis der wahren Werte: die noch vorhandenen und zur geistigen Einigung der Provinzen untereinander brauchbaren Kräfte des Reichs ruhten im Griechentum: und gerade zur Einschmelzung der orientalischen Länder waren die Griechen die unentbehrlichen Vermittler. Die von Hadrian gesäte Saat ist dann in der Antoninenzeit reichlich aufgegangen, und neben einem respektablen Kreis gediegener Fachgelehrter und einem Schwärm leerer Schwätzer finden wir nun Männer griechischer Zunge, die literarische Bedeutung für sich in Anspruch nehmen dürfen, während Roms Kraft erlischt. Kleinere Geister sind Arrian, der Epiktets Vorlesungen in Nachschriften uns aufbewahrt hat und in reifen Jahren als neuer Xenophon die Geschichte Alexanders des Großen schreibt, und Appian, dessen römische Geschichte von dauerndem Wert geworden ist. Pausanias hat am Ende der Antoninenzeit für die wißbegierigen Besucher des nun amtlich als klassisch anerkannten Hellas einen Reiseführer geschrieben, der uns nicht nur ein unschätzbares Sammelwerk antiquarischen Stoffes ist, sondern auch die Neigung der Zeit zur Altertümelei und romantischen Religiosität mit grober Deutlichkeit widerspiegelt. Der vornehmste Repräsentant des Zeitgeistes ist der Redner Aristides aus Smyrna, ein Schüler des vorhin erwähnten Herodes Atticus. Was man damals noch als Inhalt in die Erzeugnisse mühevoller Redekunst legen konnte, das hat er hineingelegt, und seine Lobrede auf Rom ist ein mit den Farben der Wirklichkeit gemaltes Idealbild jener letzten Blütentage des Reiches. Die Zeitgenossen einschließlich der Kaiser haben ihn hochgeehrt, und er selbst hat es nicht für unbescheiden erachtet, sich über Demosthenes und Plato zu stellen und seine rednerische Lebensleistung den *) G. Kaibel Epigrammata Graeca n. 1045.

Hadrian. Aristides. Lukian

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Waffentaten Alexanders des Großen gleichzuwerten1. Aber wenn wir uns dann in die berühmten „heiligen Reden" vertiefen und lesen, wie oft und mit welchen Folgeerscheinungen der berühmte Mann Leibschmerzen gehabt hat, welche Pferdekuren ihm durch Traumgesichte der Gott Asklepios dagegen verordnete, und wie er endlich nach 16 Jahren durch des Gottes Wunderkraft geheilt wurde — und das alles nicht in eine höhere Sphäre gehoben und durch Glauben geadelt wie etwa in Brentanos Berichten über Katharina Emmerich, sondern in der ganzen Banalität eines hysterischen Hypochonders: dann reißt der Schleier, und wir sehen, wie auch die besten Literaten dieser Zeit nur innere Dürftigkeit mit dem glänzenden Flitterkram der Bühne umkleiden und von dem Beifall klatschenden Publikum bereitwillig für die Helden glanzvoller Vorzeit genommen werden, die sie darzustellen vorgeben. Das wirkliche Leben und das Walten der Geschichte liegt für diese Leute und ihr Publikum außerhalb des literarischen Theaters, das ihnen die Welt bedeutet. Der Syrer Lukian ist ein Mann, der das weiß, und der deshalb seine Zeit mit all ihren Größen, sich selbst eingeschlossen, nicht ernst nimmt. Was ihm in den Weg kommt, reißt er herunter, und am meisten die Dinge, welche höchste Erhabenheit in Anspruch nehmen, Religion und Philosophie: aber stets geistreich, mit einem wundervollen Scharfblick über die schwachen Stellen und komischen Züge der Gegner. Die alten Götter Homers und die neuen Gestalten des Orients, Heroen des Epos und Helden moderner Romane, religiöse Propheten und kynische Moralprediger, pedantische Professoren und leichtfertige Mädchen, das alles wirbelt in tollem Karneval um den Leser lukianischer Schriften und amüsiert ihn eine Weile, bis der Geschmack fade wird und der Mann mit der klingelnden Narrenkappe schließlich Ekel erregt. Die anderen meinen es gut, aber sie sind Schwächlinge und spielen die Starken, er glaubt an nichts als an seinen Vorteil, und begeifert alles mit mephistophelischem Vergnügen, was anderen heilig ist — ge») Aristides or. 50, 19. 20. 48. 49. p. 430. 438 Keil.

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1. Das römische Weltreich

rade darum. So ist er der Urahn eines Journalistentypus, den das 19. Jahrhundert erst zur Vollendung gebracht hat. Abseits von all diesem literarischen Treiben steht Kaiser Mark Aurel. Es hat ihm nichts geschadet, daß ihn Fronto und Herodes Atticus in lateinischer und: griechischer Moderhetorik unterrichtet haben. Als ihm ein Stoiker die Vorträge Epiktets in die Hand drückte, entschied sich ihm der Weg seines geistigen Lebens. Der römische Kaiser wurde der ehrfürchtige Jünger des phrygischen Sklaven. In der schwersten Zeit seines Lebens, während er gegen die Markomannen zu Felde lag, hat er ein Seelentagebuch geführt, nicht empfindsam wie die Menschen des 18. Jahrhunderts, sondern in herber Selbstprüfung und Kritik aller irdischen Werte. Mitleidslos zerstört er jede freundliche Täuschung, jeden lockenden Schein. Der Mensch ein vergängliches Gebilde, für eine kurze Spanne ins Dasein gerufen: dann zerfällt der Leib und zu neuen Gestalten formt seine Reste die allwaltende Natur, die Seele zerflattert in der Luft — alles ist Wandlung. Nichts bleibt, und auch der Nachruhm stirbt mit der Nachwelt. Wie lange du lebst, ist gleichgültig: nur daß du deine Pflicht tust, ist nötig: das heißt, daß du den Göttern eine reine Seele darbietest und den Menschen Gutes erweist. Hoffe nicht auf Dank und laß dich nicht verbittern durch Undank. Scheide freundlich aus dieser Welt, wenn die Natur dich von der Bühne abruft: denn was sie tut, ist gut. Viele Tausende haben nach ihm über diesen Tagebüchern gesonnen und Stärkung daraus geschöpft. Friedrich der Große las in seinem Zelt darin, als der Siebenjährige Krieg ihm die Seele bedrückte: aber er fügte die Menschenverachtung hinzu, die Mark Aurels Herzen fremd ist. •

Die Philosophie war den Besten dieser Zeit ihre Religion: sie und sie allein wies ihnen den Weg in eine andere Welt und zur Anerkennung einer höheren Macht. Die alten Götter von Hellas und Rom waren und blieben tot; daran änderte auch die archaistische Stimmung nichts, die seit Hadrian die Kreise der Gebildeten beherrschte. Der Redner Aristides hat eine ganze Serie Prosahymnen auf die Götter verfaßt: einer nach

Mark Aurel. Religion bei Aristides und Plutarch

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dem andern wird mit klingenden Worten gefeiert, aber sieht man genauer zu, so finden wir als echten Kern seines Götterglaubens den stoischen Monotheismus, und die einzelnen Götterfiguren erscheinen als Bilder der kosmischen Kräfte, die dem Urquell des Allvaters entströmen. In den Reden auf Zeus und auf Sarapis, die ihm nur zwei verschiedene Bezeichnungen des weltumfassenden Einen sind, kommt das besonders deutlich zum Ausdruck. Diese Grundmelodie tönt in allen Reden und wird in immer neuen Variationen abgewandelt, deren Motive die traditionelle Mythologie liefert. Aber von Religion, von persönlichem Erfassen des Göttlichen in bindendem und lösendem Erleben, ist keine Rede. Aristides steht dieser Götterwelt kühl gegenüber: er predigt von ihr. aber lebt nicht mit ihr oder gar in ihr. Und doch macht er eine Ausnahme: Asklepios ist ihm eine mächtige und heilsame Wirklichkeit von persönlicher Gestaltung. Er ist ihm ja auch unzählige Male im Traum erschienen und hat sich um tausend Einzelheiten seines Lebens gekümmert. Seinem Wesen nach ist er derselbe Allgott, den wir auch Zeus nennen 1 , aber ihn hat Aristides als persönlichen Helfer, als wirkenden Gott erfahren, an ihm hängt er mit seiner Seele — ohne freilich daraus irgendwelche weitere Konsequenzen zu ziehen. Plutarch stand da dem alten Glauben noch viel näher, wenn er durch eine ausgebildete Dämonenlehre die Orakelpraxis erklärte und selbst einPriestertum inDelphi mit gutem Gewissen verwaltete. Ihm war Apollo der Allgott seines monotheistischen Glaubens, aber anders als Aristides wußte er von einem aktiven Eingreifen Gottes in die Geschichte und glaubte mit Plato an die Unsterblichkeit der Seele und sittlich abwägende Vergeltung 2 . Dieselbe Erfassung der Religion von der Philosophie aus finden wir bei Philostrat, der zum Kreise der Hofgelehrten der Julia Domna gehört und auch bei Caracalla gut gelitten war. Auf Anregung der Kaiserin schreibt er eine Biographie des Apollonius von Tyana, der unter Domitian als wandernder ') Aristid. or. 42, 4 p. 335 Keil. Hellenen 2, 497—508. L i c t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

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) Vgl. Wilamowitz, Glaube der

3. Aufl.

2

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1. Das römische Weltreich

Prophet eines erneuerten Pythagoreismus berühmt gewesen war. Aber er malt ihn nun für den Geschmack des dritten Jahrhunderts als philosophisch-religiösen Heiland, der durch Predigt und Wundertaten seine über Menschenmaß hinausgehende Verbindung mit der Gottheit erweist und den mystischen Weg zur Vergottung durch Askese und Kontemplation offenbart. Der modernen Neigung entsprechend wird der Orient als Urquelle der Weisheit eingeführt und Indien hoch über das einst so gefeierte Ägypten gestellt: aber Apollonius ist doch Hellene, und bei jeder Gelegenheit wird trotz aller Orientschwärmerei der absolute Vorrang des Griechentums in der Menschheit zum Ausdruck gebracht. Das Ganze ist unter eifriger Benutzung geographischer Handbücher zu einem weitausgreifenden Reiseroman ausgesponnen und hat durch die geschickte Erdichtung zuverlässiger Gewährsmänner 1 bis auf den heutigen Tag viele gläubige Leser gefunden. Die Kritik an den Göttern Homers hatte im Laufe der Zeit auch zur Anzweifelung der historischen Treue des Dichters geführt, und die gebildete Welt diskutierte die Frage nach der geschichtlichen Existenz der homerischen Helden und der Wirklichkeit der mythologischen Tradition von ihren Schicksalen. Man wird an die Anfänge apologetischer Bekämpfung der Bibelkritik in der Aufklärungszeit erinnert, wenn man den Philostrat die Glaubwürdigkeit Homers beweisen sieht: Im Grabhügel des Aias ist ein Skelett von 11 Ellen Länge zu Tage gekommen: Hadrian hat es neu bestatten lassen. Die in Nemea aufgefundenen Gebeine des Orest maßen 7 Ellen. Und vor 50 Jahren sind die Leute scharenweise zum Vorgebirge Sigeion gepilgert, wo die 22 Ellen langen Überreste eines von Apollo getöteten Giganten aufgedeckt worden waren 2 . Dies und ähnliches sind die grundlegenden Beweise, auf denen sich dann freilich sofort eine andere Welt aufbaut. Die Heroen leben noch jetzt, erscheinen ihren Freunden zuweilen, und zwar in der vorgeschriebenen Größe von 10—12 Ellen®, unter!) Ed. Meyer im Hermes 52, 409 ff. = Kl. Schriften 2, 131—191. ) Philostrat Heroicus p. 668 ff. 3) Philostrat vita Apoll. 4,16; Heroicus p. 673.

2

Philostrat. Heroen- und Gespensterglaube

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halten sich freundlich mit ihnen und geben bereitwillig Auskunft über allerlei Einzelheiten des trojanischen Krieges, die bei Homer nicht zu finden sind: dafür ist das Interesse des Publikums trotz seiner sonstigen Skepsis offenbar besonders groß. Aber sie helfen auch in allerlei Nöten und segnen die Fluren, rächen sich freilich grimmig, wenn ihnen die gebührende Ehre versagt wird. Und wer sich von ihrer Existenz überzeugen will, brauchtnur in das Schwarze Meer einzufahren undlinks vomBosporus nach der Insel Leuke zu suchen 1 . Dort lebt Achill mit der Helena und ist schon von vielen Schiffern belauscht worden. Von solchen Berichten ist bis zu gruseligen Gespenstergeschichten mit Hexen und Zauberspuk nur ein Schritt: Lukian hat uns eine prachtvolle Sammlung der Art erhalten und manche Partien seines parodistischen Reiseromans könnten mit geringen Änderungen in dem Heroenbuch des Philostrat stehen 2 . Schwerlich hat Philostrat den Unsinn geglaubt, den er seinen Lesern so reichlich auftischt: aber es ist bezeichnend für die Gesamthaltung des gebildeten Publikums seiner Zeit, daß es solchen Lesestoff verlangt. Es vermag philosophische Skepsis mit krassem Aberglauben und Reste natur-religiöser Empfindungen mit pantheistischer oder platonisierender Mystik zu verbinden und lauscht der pythagoreischen Predigt von der Seelenwanderung, selbst in grober Verballhornung. mit stillem Hoffen. In dieser Atmosphäre ist auch der Roman von dem in einen Esel verzauberten Jüngling entstanden, den ein sonst unbekannter Lucius von Patrae verfaßt hat. Lukian vergnügt seine Leser mit einem parodistischen Auszug daraus, während Apuleius den Stoff und seine Tendenz beibehält, aber d a s Ganze breit auswalzt und reichlich mit Zusatzstücken gleicher Färbung versieht. Er will ebenso wie der ursprüngliche Verfasser seinen Lesern eine ernsthafte, moralisch-religiöse Lektüre bieten: was nicht eben schmeichelhafte Schlüsse auf die Geistesart dieser Leser gestattet®. *) Philostrat Heroicus p. 745 f. Anm. Marc. 22, 8. 2) Lucian Philop seudes; Verae historiae 2, 6—36. 3 ) Photius bibl. cod. 129; Lucian Lucius, Apuleius Metamorphosen. Vgl. R. Reitzenstein, Hellenist. Wundergeschichten S. 32—34. 2*

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1. Das römische Weltreich

Wir haben schon im ersten Jahrhundert das Eindringen des Orients in die Religiosität der griechischen Kulturwelt beobachten können 1 . Das zweite treibt diese Strömung mit kräftiger Wirkung dem Westen zu, wo sie dann im dritten ihren Höhepunkt erreicht. Immer mehr verblassen die Gestalten der alten Staatsgötter. Zwar erscheinen sie noch wie früher auf den Münzen des Reichs, aber in steigendem Maße finden wir an ihrer Stelle die Personifikationen abstrakter Begriffe 2 : Eintracht, Glück, Treue, Freiheit, Friede, Heil, Sieg, Tüchtigkeit — oder den „Genius" des Reichs, des Kaisers, der Stadt. Ja man hat diesen Namen sogar Staatstempel gebaut 3 . Das ist deutlich eine Flucht aus der konkreten Religion der Väter in die abstrakte Welt der Philosophen. Aber die orientalischen Götter, die mit lebendiger Kraft im Volk umgehen, bleiben der amtlichen Bildersprache der Kaisermünzen fern. Eine Ausnahme machten Isis und Sarapis, seit Vespasian ihnen seine besondere Verehrung gewidmet hatte 4 , und Kybele seit Hadrian. Als der Afrikaner Septimius Severus auf dem Throne saß, hat er die punische Himmelsgöttin und auch den Eschmun als Heiland gelegentlich auf solche Münzen gesetzt, denen er spezielle Beziehung zu Carthago geben wollte; Elagabal hat die Einholung des heiligen Steines von Emesa abbilden lassen 5 . Aber das sind nur vorübergehende Launen gewesen: im Ganzen widersprachen solche Orientalismen dem Stil des Münzgepräges. Eine deutlichere Sprache reden die amtlichen Bauten von römischen Staatstempeln 8 . Seit die Restauration des Augustus 2 ») Bd. 1 S. 160 ff. ) Anschauliche Übersicht bei Gnecchi Medaglioni romani I, XLVI—XLVIII Monete romane 3 S. 290—299. Mit Vespasian beginnt das Anschwellen, erst der Sieg des Christentums macht dem ein Ende. Bernhart Handbuch 1, 80—102. s ) Tempel der Concordia, Felicitas, des Bonus Eventus, der Justitia, Pax, Fortuna, Indulgentia sind von Augustus bis Mark Aurel erbaut: Wissowa, Religion 2 S. 596 f. 4 ) Bernhart Handbuch 1, 63 f. Josephus B. 7, 123. 5 ) Bernhart Handbuch 1, 59. 106 und 2, Taf. 49,5 (Elagabal); Gnecchi Medaglioni romani 3 S. 39; Abb. der Dea Caelestis bei J. Hirsch Auktionskatalog 31 Taf. 32 Nr. 1534; R. Ball Auktionskat. 6 Taf. 45 Nr. 1795. 6) Eine Liste gibt Wissowa, Religion 2 594—597.

Eindringen des Orients

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verklungen ist, werden den alten Göttern nur noch dann Tempel gebaut, wenn ein speziell dynastisches Interesse vorliegt: das gilt vom Tempel der Venus und Roma, den Hadrian errichtete, und erst recht von den beiden Minervatempeln Domitians, der sich amtlich als Sohn der Minerva bezeichnen ließ1. Dagegen sind den abstrakten Gottheiten in dieser Zeit sieben und den vergötterten Kaisern fünf Tempel erbaut worden 2 . Freilich hat Mark Aurel zum Dank für das Regenwunder, das seine Truppen im Quadenkrieg vor dem Verdursten rettete, dem Merkur einen Tempel geweiht: aber wenn wir lesen, daß ein ägyptischer Magier namens Arnufis dies Wunder durch Anrufung des „Hermes der Luft" eingeleitet habe, so wird uns deutlich, daß Merkur hier nur der lateinische Deckname für den ägyptischen Thot ist 3 , der Tempel also in Wahrheit einem orientalischen Gott gilt. Isis hat mindestens seit Beginn der Kaiserzeit eine wachsende Zahl von Heiligtümern in der Stadt gewonnen 4 und unter Caligula oder Claudius zugleich mit Sarapis einen Staatstempel auf dem Marsfeld bekommen. Gegen andere Götter blieben die Antonine zurückhaltend. Erst mit dem Regierungsantritt des Septimius Severus beginnt die neue Zeit. Er selbst baut in Rom den Göttern seiner Vaterstadt Leptis Magna, die er lateinisch Liber und Hercules nennt, einen Tempel 5 , einen anderen weiht er der Bellona Pulvinensis, die nur eine Variante der Kybele ist 9 , und auch Juppiter Dolichenus, der kriegerische Gott von Kommagene, erhält auf dem Aventin einen Staatstempel 7 . Diese Dynastie bricht mit der urrömischen Tradition, welche fremden Göttern ihren Platz außerhalb der alten heiligen Stadtgrenze, des Pomeriums, anweist. Caracalla errichtet dem Sarapis einen mächtigen Tempel auf dem Quirinal 8 — wie er denn auch, um den heiligsten Göttern neue Scharen von Ver») Philostrat Vita Apoll. 7, 24. 2) S. 20 Anm. 3. 3 ) Dio Cass. 71, 8, 4 W. Weber in Heidelberger Akad. Sitz.Ber. 1910 Abh. 7. 4 ) Liste bei Kiepert-Huelsen Formae urbis Romae* p. 17 vgl. Wissowa Religion 2 352 f. 5) Dio Cass. 76, 16, 3. «) Wissowa Religion 2 349 f. Vgl. Dessau Inscr. n. 4180—4182. ') Wissowa Religion 2 362. 8) Jordan-Huelsen Topographie der Stadt Rom I 3 S. 423.

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1. Das römische Weltreich

ehrern zuzuführen, die Schranke des römischen Bürgerrechtes im ganzen Reich niederlegt und dies Ehrenrecht den Millionen gnädig schenkt 1 . Es lag bewußte Absicht in dieser Beseitigung der Besonderheiten des Römertums. Septimius Severus war Afrikaner, seine Gemahlin Julia Domna die Tochter des Hohenpriesters des Baal von Emesa. Der Enkel ihrer Schwester, Bassianus, wurde für das gleiche Priesteramt aufgezogen, bestieg aber dann als 14j ähriger Jüngling den Thron und nannte sich mit dem verehrungswürdigen Namen Markus Aurelius Antoninus, führte aber daneben den Titel eines Hohenpriesters des Gottes Elagabal weiter. Diesen seinen Gott machte er zum Herrn der ganzen Götterwelt. Den heiligen Fetischstein aus Emesa hatte er nach Rom überführen lassen. Ein prächtiger Tempel wurde für ihn auf dem Palatin neben den Kaiserpalästen errichtet; hierhin wurde zusammengeschleppt, was an heiligen Steinen und berühmten Fetischen greifbar war samt dem Feuer der Vesta, und mit der karthagischen Himmelsgöttin Tanit feierte der syrische Gott die heilige Hochzeit 2 , während der Kaiser durch seine Heirat mit der Vestalin Aquilia Severa 5 ein irdisches Gegenstück dazu lieferte. Er blieb eben auch als Kaiser der syrische Sonnenpriester und benahm sich danach, bis die Soldaten ihn samt seiner regierenden Großmutter totschlugen. Sein Name wurde verflucht, der Fetisch nach Emesa zurückgeschickt. Aber was geschehen war, blieb in der Folgezeit wirksam, weil es zwar in der Form eine wahnsinnige Caesarenlaune, in der Sache aber eine geschichtlich begründete Wegweisung war: der Sonnengott der Orientalen war wirklich zum letzten Herrscher im Himmel dieser untergehenden Welt bestimmt. Als er entthront wurde, hat er mit seinem Namen auch seinen Geburtstag am 25. Dezember seinem Nachfolger überlassen: Christus regiert nun die Welt als „die wahre Sonne der Gerechtigkeit". ') Mitteis - Wilcken Chrestomathie II 2 n. 377, dazu Cumont 2 oriental. Relig.3 214 A. 1. ) Script, hist. Aug. Heliogab. 1, 6. 3, 4. 7, 1—5 Herodian hist. 5, 5—6. Cumont bei Pauly-Wissowa 5, 2220 ff. 3 ) Prosopogr. Imp. Rom. 2, 225.

Syrische Götter. Pantheos

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In diesem Sonnenkult gipfelt eine Entwicklung, die mit der hellenistischen Zeit ansteigend zu beobachten ist: das vom Orient befruchtete religiöse Denken faßt verschiedene Götter als wechselnde Anschauungsformen einer einzigen großen Gottheit. So finden wir Zeus Helios und Sarapis als Einheit verehrt, so häufen die Bilder des Allgottes „Pantheos" die Kennzeichen von einem halben Dutzend Göttern auf eine Figur oder es wird ein einzelner Gott, Juppiter oder Sarapis oder Silvanus oder gar Priapus als Pantheos bezeichnet. Was man sich dabei dachte, sagt mit klaren Worten Apuleius, wenn er uns von der ihm zuteil gewordenen Erscheinung der Isis berichtet 1 : „Siehe hier bin ich, durch deine Gebete gerufen: die Mutter der Natur, die Herrin aller Elemente, die Erstgeburt der Ewigkeit, die Höchste der Götter, die Königin der Abgeschiedenen, die Erste der Himmlischen, die einheitliche Gestalt der Götter und Göttinnen. Des Himmels lichten Giebel, des Meeres heilbringende Winde, das Schweigen der Toten — das alles verwalt' ich mit meinem Winke. Meine alleinige Gottheit verehrt unter verschiedener Gestalt, in wechselndem Brauch, mit vielartiger Benennung der ganze Erdkreis: die Phryger als Göttermutter, die Athener als Athena, die Kyprier als Aphrodite, die Kreter als Artemis Diktynna, die Sizilier als Persephone, die Eleusinier als Demeter, andere als Hera oder Bellona oder Hekate oder Nemesis: doch die von den Strahlen der aufgehenden Sonne erleuchteten Äthiopen und Arier und die uralter Weisheit mächtigen Ägypter verehren mich mit den mir zustehenden Bräuchen und nennen mich mit meinem wahren Namen: Königin Isis". Da sehen wir die zerfallenden Religionen der antiken Völker unter orientalischer Führung auf dem Weg zu einem naturreligiösen Monotheismus. Die orientalischen Kulte wurden durch die Massen der importierten Sklaven, aber auch durch Kaufleute und Soldaten nach Rom gebracht und dort von landsmannschaftlichen Ver') Apuleius Metam. 11, 5. Zum Ganzen vgl. H. Usener Götternamen S. 341—349. Roscher Myth. Lex. 3, 1555.

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1. Das römische Weltreich

einigungen gepflegt 1 . Sie gewannen hier und da Gönner in den maßgebenden Kreisen, schließlich am Hofe und stärkten dadurch ihre propagandistische Kraft. Von Rom strömten diese Einflüsse dann in die westlichen Provinzen, zunächst von denselben Elementen getragen, die sie auch nach Rom gebracht hatten, dann aber auch die bodenständige Bevölkerung erfassend: dies letztere natürlich in sehr verschiedenem Ausmaß 2 . Das alles ist uns von Meisterhand geschildert 3 und braucht hier nicht aufs neue dargelegt zu werden. Es mag genügen, die religiöse Entwicklung an einigen Beispielen aufzuzeigen. Wenn wir uns von Rom zu der jetzt in weitem Umfang ausgegrabenen Hafenstadt Ostia begeben, so erhalten wir sofort nützliche Belehrung über unser Problem. Der alte Stadtgott ist Volcanus: sein Priester steht an der Spitze der geistlichen Honoratioren und führt eine Art Oberaufsicht über alle sakralen Grundstücke. Sein Tempel ist noch nicht aufgedeckt. Das unter Claudius ausgebaute Forum trägt zunächst ein „Kapitol" d. h. einen der kapitolinischen Trias Juppiter, Juno, Minerva geweihten Tempel: das gehört sich so für eine mit römischem Bürgerrecht ausgestattete „Kolonie". Ihm gegenüber liegt ein Tempel der Roma und des Augustus, also ein Heiligtum des Bekenntnisses zu Kaiser und Reich. Aber es finden sich in einer Nebengasse hinter der Hauptstraße noch vier kleine Tempel aus letzter republikanischer Zeit, in denen wir vielleicht die von einem reichen Bürger namens Gamala gestifteten Tempel der Venus, Fortuna, Ceres und Spes zu erblicken haben 4 . Davor steht ein kleiner Juppitertempel des ersten Jahrhunderts. Wem der große Tempel auf dem Mittelplatz der Schiffahrtsbörse galt, wissen wir nicht. Dann hören wir noch im 2. Jahrhundert von der Wiederher') G. La Piana Foreign groups in Rome during the first centuries of the empire 1927 (aus Harvard Theol. Review). 2 ) Reiches Material gibt J. Toutain Les cultes pai'ens dans l'empire romain Bd. 2, Paris 3 1911. ) F. Cumont, Die orientalischen Religionen im römischen Heidentum. 3. Aufl. 1931 4 ) CIL 14 n. 375 = Dessau, Inscr. lat. n. 6147, dazu O. Seeck, Untergang 2, 156 f. mit Anm. S. 523 f. Calza Ostia S. 117 f.

Kulte in Ostia

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Stellung eines Tempels des Castor und Pollux 1 , damit ist unser Wissen um Tempel der alten Götter Roms zu Ende. Die von Claudius zur modernen Hafenstadt umgebaute Kolonie huldigte den neuen Göttern der Loyalität und denen des Orients. Es ist bezeichnend, daß der Gartengott Silvanus, der nicht zu den großen Göttern gehört, aber als segenspendender Naturdämon auch in Ostia eifrige Verehrung genießt, schon in der Antoninenzeit nicht nur mit den Laren, sondern auch mit Isis und Sarapis verbunden wird8. Eine im dritten Jahrhundert mit einem Wandbild des Silvanus ausgestattete kleine Kapelle enthält auch ein Bild der Laren und der Isis neben Augustus, Fortuna, Liberalitas und Alexander dem Großen®. So ist es nicht zweifelhaft, daß es in Ostia auch ein Heiligtum der ägyptischen Götter gegeben hat: es ist nur noch nicht aufgefunden. Dagegen ist eine Kapelle der Großen Mutter Kybele an der Stadtmauer zu Tage getreten, eine Kultgrotte des Sabazius liegt ganz nahe bei der Hauptstraße, und dem Mithras sind mindestens fünf Heiligtümer geweiht, von denen das älteste gegen 140 gebaut ist 4 . Das im Kult der Großen Mutter eingebürgerte und mit einer Bluttaufe des Opfernden verbundene Stier- oder Widderopfer (Taurobolium und Kriobolium) wird in Ostia seit den Tagen des Mark Aurel „für das Heil des Kaisers und das Wohl des ganzen kaiserlichen Hauses" eben so eifrig geleistet6, wie es in den westlichen Provinzen Sitte ist. Dorthin scheint dieser schaurige Brauch von der römischen Kultstätte am Vatikan gebracht zu sein8, und in Rom selbst hat man Zeugnisse für seine Ausübung bis zum Ende des vierten Jahrhunderts gefunden. Kein östlicher Kult hat so fest im ganzen Westen Wurzel geschlagen und ist so tief in alle Schichten der Bevölkerung eingedrungen wie die Verehrung der Großen Mutter vom Berge, der Kybele 7 . 3 ) Calza Ostia 19. 133 t. ') CIL 14 n. 376. *) CIL 14 n. 20. ) W. Bauer, Rechtgläubigkeit u. Ketzerei S. 65—74. 4 ) H. Koch, Z N W 19, 81—85. K. Müller Abh. Berl. Akad. 1922 Nr. 3, 6 f.

Der Bischof

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Möglich bleibt daneben, daß auch die liturgische Forderung nach Zentralisierung des Gottesdienstes in der einen Gemeindekirche 1 im Gegensatz zu häuslichen Konventikelandachten die Idee des Einbischofs empfohlen hat. Dieser die Einzelgemeinde leitende Bischof ist nach der grundlegenden Lehre des Ignatius nicht bloß Oberpriester und Führer, er ist vor allem höchste Lehrautorität: er steht für die Gemeinde an Gottes Statt und muß angesehen werden wie der Herr selbst. Wer in seiner Erkenntnis über die vom Bischof gesetzte Grenze hinausgeht, der ist verloren®. Mit anderen Worten: dem alten, ungebundenen Propheten wird hier im Bischof der beamtete Pneumatiker entgegengestellt, der alle Autorität in sich vereinigt und alle Streitfragen endgültig entscheidet. Wenn in der Urzeit jede Einzelgemeinde sich als Ekklesia, als auserwähltes Volk Gottes bezeichnen kann, weil Volk Gottes überall da vorhanden ist, wo der Geist waltet, so finden wir jetzt diesen Gedanken zu einer folgenschweren Konsequenz weiterentwickelt. Der Geist schwebt nicht mehr frei umher und ergreift bald diesen, bald jenen. Er wohnt freilich in den einzelnen Gemeindegliedern seit ihrer Taufe und verbindet sie zum einheitlichen Leibe Christi. Aber in besonderer Art offenbart er sich — wie einst in Zungenrednern und Propheten, so jetzt — in dem Bischof und den von ihm geführten Klerikern: der Bischof ist das Haupt dieses geistlichen Leibes. So wird aus dem Satz „wo der Geist ist, da ist die Kirche" im Kampf gegen die Gnosis die neue These „wo der Bischof ist, da ist die Kirche". Und diese These hat den Sieg über Enthusiasmus und Gnosis gewonnen: es ist die Grundlehre des Katholizismus bis auf den heutigen Tag. Es ist überaus schwierig, ja im Grunde unmöglich, die Entwicklung der ältesten Kirchenverfassung zu beschreiben, weil unsere Quellen nur selten eine Antwort auf die vielen Fragen geben, die wir ihnen vorlegen. In der Frühzeit erschienen diese Dinge als Äußerlichkeiten, die einer Aufzeichnung nicht wert !) K. Müller Z N W 28, 295. Polyc. 5, 2. vgl. Bd. 1, 264.

») Ign. Trall. 3, 1. Eph. 6, 1 ad

L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

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2. Die Kirche

waren, und als sie theologisch bedeutsam zu werden begannen, war der Blick der Beobachter durch die Theorie beeinflußt. Für die Zeit des ersten Jahrhunderts können wir sagen, daß die Gemeindeleitung fast ausnahmslos eine kollegiale war — das Jerusalem der Urgemeinde hatte besondere Verhältnisse 1 . Dieses Kollegium nannte man die „Presbyteroi" überall da, wo jüdischer Einfluß bestimmend war, das heißt nicht nur in judenchristlichen, sondern auch in den heidenchristlichen Gemeinden, die aus der hellenistischen Synagoge herausgewachsen waren. Und es umfaßte nicht nur alle, die ein Amt bekleideten, Charismatiker so gut wie technische Beamte, sondern auch andere angesehene Männer, insbesondere die Märtyrer 8 , vereinzelt sogar Frauen 3 . Anderswo, namentlich in paulinischen Gemeinden, sprach man von Episkopen und Diakonen als den Beamten der Gemeinde und schied davon die charismatischen Apostel, Propheten und Lehrer als die Leiter des Kultes. Wir haben bereits gesehen, wie diese Gegensätze sich ausgleichen, indem die Funktionen der Pneumatiker auf Episkopen und Diakonen übertragen werden. Man übernimmt aber auch schon früh die durch das Alte Testament geheiligte und darum ansehnlichere Bezeichnung der „Presbyter" für den Chor der leitenden Männer in Gemeinden, denen dieser Titel von Hause aus fremd war. Jedenfalls finden wir in Rom um 140 an der Spitze der Gemeinde dasKollegium der Presbyter, während uns als spezielle Amtsträger die Episkopen und Diakonen genannt werden 4 , denen insbesondere die Fürsorge für Arme, Witwen und Wai^ sen obliegt. Aber sie stehen auch den Propheten und Lehrern der Vorzeit gleich, haben also geistliche und kultische Funktionen 5 und gehören unzweifelhaft zum Kreise der Presbyter. Der den Gottesdienst leitende Presbyter war Episkopos und nahm die Gaben entgegen, die für die Versorgung der Bedürftigen bestimmt waren 8 . Also ist der im ersten Klemensbrief ») Bd. 1, 58 f. 2 ) Hermas Vis. 3, 1, 9. Hippolyt K O 34. K. Müller, Abh. Berl. Akad. 1922 Nr. 3 S. 4. s ) K. Müller Z N W 28, 275. *) Z. 5 wiss. Theol. 55, 136—140. ) Hermas Sim. 3, 5, 1. 9, 26. 27. 8 ) Justin Apologie 67, 6.

Bischöfe und Presbyter

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und in der Didache vorgezeichnete Prozeß der Übertragung geistlicher Ämter auf die Episkopen bereits fortgeschritten. Die Pneumatiker sind im allgemeinen verschwunden, und nur vereinzelt kämpft noch ein Prophet einen aussichtslosen Kampf um Anerkennung 1 . Aber innerhalb des Presbyterkollegiums ist die Entwicklung noch nicht abgeschlossen, und es fehlt nicht an Streitigkeiten um Rang und Ehre 2 : der monarchische Episkopat bereitet sich vor und findet naturgemäß Widerstand bei dem seine traditionellen Rechte verteidigenden Kollegium. Gegen Ende des Jahrhunderts ist der Kampf entschieden: da steht unbestritten ein einziger Episkopos an der Spitze der römischen Gemeinde, mag auch sein Titel noch oft und gern im Sprachgebrauch schwanken. Man redet wohl von dem die Gemeinde leitenden Presbyter, wenn man den Bischof meint, und dieser selbst hat noch Jahrhunderte lang die höfliche Sitte gepflegt, die Mitglieder des Presbyteriums als „Kollegen" und sich als ihren „Mitpresbyter" zu bezeichnen®. Aber seit der Mitte des Jahrhunderts, also seit Aniket und Soter, kann an dem monarchischen Charakter dieses Episkopates nicht mehr gezweifelt werden. Etwa um 240 wurde auch in Äußerlichkeiten dem römischen Bischofsamt eine besondere Stellung gegeben: man beging den Tag des Amtsantrittes jährlich durch eine liturgische Feier und schuf in der heute sogenannten Kallistkatakombe eine künstlerisch ausgestattete Grabkammer, welche von Pontian an (t 235) bis zu Eutychian (t 282) die Leiber der entschlafenen Bischöfe vereinigt hat. Auch wurde von nun an eine amtliche „Papstliste" mit Angabe von Tag und Jahr der Bischofsweihe und des Todes angelegt und damit die ältere Liste fortgesetzt, die keine Zahlen, sondern nur die Namen der römischen Episkopen enthalten hatte 4 . Von dieser gibt uns Irenaeus um 180 die erste Kunde 5 : sie enthält eine Reihe von 1

) Hermas Mand. 11. 2 ) Hermas Vis. 3, 9, 7—10. Sim. 8, 7, 4—6. ) Irenaeus 3, 2, 2. 3, 1 ff. 4, 26, 2. 3. 27, 1. Brief an Victor v. Rom bei Euseb. KG 5, 24, 14—16. 'vgl. Z. wiss. Theol. 55, 146 f. K. Müller 4 5 Z N W 28, 274—278. ) Lietzmann, Petrus u. Paulus 2 7—28. ) Irenaeus 3, 3, 3. s

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2. Die Kirche

16 Namen, die nach Erwähnung der Apostel Petrus und Paulus mit zwei Unbekannten, Linus und Anenkletus beginnt und an dritter Stelle jenen Klemens nennt, der uns als Verfasser des Briefes an die Korinther bekannt ist und auch sonst noch erwähnt wird1. Die Liste reicht also bis auf die apostolische Zeit zurück und mag auf guter historischer Erinnerung beruhen, soweit die Namen in Betracht kommen: nur daß natürlich für die älteste Periode hervorragende Persönlichkeiten des Presbyterkollegiums festgehalten sind, die nicht in säuberlicher Reihenfolge nacheinander amtierten, sondern vielfach nebeneinander und miteinander die Gemeinde geleitet haben. Aber als man ihr die von Irenaeus mitgeteilte Form gab, sollte sie die einander ablösenden Träger der apostolischen Tradition namhaft machen1 und die Gewißheit verbürgen, daß der jeweils am Ende dieser Kette stehende lebende Bischof von Rom der echte Erbe der apostolischen Lehre und damit auch ihr autoritativer Verkünder sei. Die einst von Klemens begründete Theorie von der apostolischen Einsetzung des Bischofsamtes und der Notwendigkeit der Anerkennung der apostolischen Sukzession' hat in Rom lebendig weitergewirkt und wird von Irenaeus4 mit Nachdruck zur Verteidigung der bischöflichen Theologie gegenüber den Gnostikern verwertet: was der Bischof lehrt, ist eben dadurch und ohne jede Diskussion als apostolisch legitimiert. Von Rom aus ist diese Lehre ins Abendland gedrungen und hat überall nicht wenig zur Hebung des Ansehens der römischen Gemeinde beigetragen: denn hier war Rom die einzige Gemeinde, die ihre Bischofsliste bis auf die apostolische Zeit zurückführen konnte. Der Afrikaner Tertullian5 preist um 200 Rom glücklich, da hier die Apostel Petrus, Paulus und Johannes als Märtyrer gewirkt und mit ihrem Blute auch die ganze i) s. Bd. 1 202. Hermas Vis. 2, 4, 3. *) E. Caspar, Die älteste römische Bischofsliste (1926), 436-^72. ») s. Bd. 1, 204. *) K. Müller in Z N W 23, 216—222. Auch Hegesipp, der diese Lehre vortragt, lebt in Rom: vgl. Euseb. KG 4, 22, 3. 5 ) Tertullian de praescr. haer. 36.

Bischofslisten

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Summe ihrer Lehre ausgeströmt hätten. So ist Rom und der Träger seiner Tradition, sein Bischof, schon früh die apostolische Autorität des Abendlandes geworden. Außerhalb Roms hat denn auch kein Ort im ganzen Okzident sich die Mühe gemacht, eine bis in die Anfänge hinaufreichende Bischofsliste oder Traditionskette anzulegen, weder Carthago noch die altberühmte Kirche von Lyon haben sich ernstlich um ihre Urgeschichte gekümmert — wenn anders sie überhaupt eine gehabt haben. Im Osten treffen wir zwar bei Ignatius die Lehre von der höchsten Lehrautorität des Bischofs, aber sie ist nicht aus apostolischer Sukzession abgeleitet, sondern wird einfach behauptet 1 . Natürlich hat man auch hier von apostolischerTradition geredet, und die „Alten", die „Presbyteroi", welche noch persönlich Schüler der Apostel gewesen sind, spielen als Träger dieser Überlieferung eine erhebliche Rolle1: aber wir finden irgends den Gedanken, daß der Bischof kraft seiner Amtssukzession die apostolische Lehre überliefere. So erklärt es sich denn auch, daß die übergroße Mehrzahl der von Aposteln begründeten Orte keine Bischofsliste oder Traditionskette hergestellt, geschweige denn überliefert hat. Nur drei Städte haben solche Listen: die beiden mit Rom konkurrierenden Weltstädte Alexandria und Antiochia', und die alte Zentrale der Christenheit, Jerusalem. Es sind dieselben Orte, welche sich im Lauf der Kirchengeschichte zu Patriarchaten aufschwingen und schon früh beherrschende Stellungen im kirchlichen Leben einnehmen: deren Bischöfe brauchten eine Ahnenreihe, nachdem sie ihren Wert und Sinn von Rom gelernt hatten. Dabei ergibt eine Prüfung der jerusalemischen Liste, daß sogar im ganzen zweiten Jahrhundert an diesem Vorort der Christenheit noch kein lebenslänglicher monarchischer Episkopat vorhanden war: sonst hätten nicht 15 Bischöfe in der Zeit von 134 bis zum Anfang des dritten Jahrhunderts amtieren ') s. Bd. 1, 264. 2) Papias bei Euseb KG 3, 39, 3—4; Fragmente der Presbyter bei Funk Patr. apostol. 1 1, 378—389. E. Preuschen Antilegomena 63—71. ') E. Caspar, D. älteste röm. Bischofsliste 347 f. 368.

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2. Die Kirche

können'.Daraus folgt aber die weitereKonsequenz, daß dann auch in anderen Orten des Ostens ähnliche Verhältnisse vorausgesetzt werden müssen, und demnach die Institutionen des monarchischen Episkopates im Hinterland erheblich langsamer durchgeführt worden ist, als es die von Ignatius behaupteten Verhältnisse in den führenden Seestädten zunächst vermuten lassen. Gar keine Kunde haben wir über die Entwicklung des Episkopates im Abendlande außerhalb Roms. Nur aus Lyon wird uns mitgeteilt, daß dort in der großen Verfolgung der mehr als 90jährige Episkopos Potheinos das Martyrium erlitt und daß Irenaeus sein Nachfolger wurde; das wird gegen 178 anzusetzen sein, und da Irenaeus sicherlich monarchischer Bischof war, so wird es sein Vorgänger auch gewesen sein 1 . Damit ist aber unser Wissen und unser Vermuten an seiner Grenze angelangt. In Alexandria ist die Entwicklung der römischen parallel gelaufen, und hier haben wir merkwürdigerweise genauere Nachrichten, die zwar aus späterer Zeit sind, aber einer kritischen Prüfung Stand halten'. Freilich liegen die Ursprünge der alexandrinischen Kirche im Dunkel, und auch über die Anfänge des Episkopats dieser Weltstadt haben wir keine andere Kunde als jene bedenklich schemenhafte Namenreihe. Dafür haben sich aber in dieser Kirche auch in späterer Zeit noch ältere Zustände treu erhalten. Im dritten Jahrhundert jedenfalls besteht die alexandrinische Kirche aus einer Anzahl selbständiger Einzelgemeinden, die sich um je ein Kirchengebäude scharen und von einem Presbyter geleitet werden, und dieser Zustand dauert auch im nächsten Jahrhundert noch an. Die Presbyter wählen nun aus ihrer Mitte einen Bischof*, der „die alexandrinischen Gemeinden" zu betreuen hat 5 , und ') E. Schwartz in der großen Ausgabe von Eusebs KG 3, CCXXVI f. 2 ) Euseb KG 5, 1, 29. 5, 5, 8. ») K. Müller Z N W 28, 278—296. 4) Hieronymus epist. 146,1,6. Severus Antioch. Sixth book of the selected letters II 3 (I 1, 237) ed. Brooks ( = Journ. of Theol. Gtud. 2, 612); Eutychius Annales (arab.) Corp. script, or. 50, 95 ed. 5 Cheikho. vgl. E. Schwartz, Gött. Nachr. 1908, 350. ) Euseb KG 5, 9. 22. 6, 2, 2. 35. 9, 6. 2.

Ägypten

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diese Weise hat bis in den Anfang des vierten Jahrhunderts bestanden. Erst Alexander erweiterte den Kreis der Persönlichkeiten,aus denen derBischof ausgewählt werden konnteundbestimmte den Diakon Athanasius zu seinem Nachfolger (328). Aber wir hören noch eine andere und zunächst sehr verwunderlich klingende Nachricht aus Ägypten 1 . Der alexandrinische Bischof war anfänglich überhaupt der einzige Bischof in ganz Ägypten. Erst Bischof Demetrius (189—232) hat drei andere eingesetzt, und sein Nachfolger Heraklas (232—247) hat noch zwanzig weitere hinzugefügt; im Laufe des Jahrhunderts hat sich die Zahl dann gewaltig vermehrt. So standen also die Städte und Dörfer Ägyptens unter der Leitung von Presbytern — und das war in diesem Lande ein auch im profanen Leben sehr beliebter Titel von Kollegialbehörden 2 — ja ganze Dorfgruppen waren einem einzelnen Presbyter unterstellt 5 . Der Umstand, daß rechtlich Alexandria lange Zeit die einzige „Stadt" Ägyptens war und erst im Jahre 202, d. h. in der Zeit des Demetrius, auch größere Landzentren durch Septimius Severus eine neue Kommunalordnung bekamen 4 , mag bei dieser Entwicklung mitgewirkt haben. Klar ist, daß alle ägyptischen Bischöfe ihre Existenz dem Alexandriner verdanken, und daß er demnach ihr Haupt ist, dem sie sämtlich unterstehen: das hat sich im Verlauf der Kirchengeschichte oft und kräftig ausgewirkt. Der alexandrinische Patriarch hat stets eine ungewöhnlich geschlossene und schlagkräftige Truppe von Bischöfen hinter sich. Wir haben erst in neuerer Zeit gelernt 5 , auf diese Frühstadien der bischöflichen Amtsgeschichte aufmerksam hinzusehen: aber diese Betrachtungen haben unsere Augen geschärft und uns eine einleuchtende Auffassung der Vorgänge beschert. Was hier in Ägypten geschehen ist, tritt keineswegs Eutychius Annales p. 96 Cheikho (Migne gr. Bd. III, 982). 3 ) H. Hauschildt Z N W 4, 235 ff. ) Athanasius apol. c. Arian. 85. Vgl. Z. wiss. Theol. 55, 150 ff. *) U. Wilcken Grundzüge u. Chresto5 mathie d. Papyruskunde Ia, 41. ) Duchesne Fastes episcopaux de l'anc. Gaule 1, 37 ff. K. Müller, Beiträge z. Geschichte d. Verfassung d. alten Kirche = Abh. Akad. Berlin 1922 Nr. 3 S. 5 ff. 2

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2. Die Kirche

so aus dem Rahmen der sonstigen Kirchengeschichte heraus, wie es zuerst den Anschein hat. Das Christentum faßte doch stets zunächst in den Städten, und zwar zumeist in den größeren, Wurzel und verbreitete sich von dort aus auf das Land. So verstand es sich von selbst, daß die neu entstehenden Landgemeinden unter der Leitung des städtischen Bischofs blieben, daß dieser ihnen Presbyter und Diakonen sandte oder weihte und als obere Autorität eingriff, wo es nötig war. Und es waren nicht bloß Landgemeinden, die auf diese Weise einem hauptstädtischen Bischof unterstanden, auch Städte, kleinere und größere, sind so in geistliche Abhängigkeit geraten. Um 200 sehen wir den antiochenischen Bischof Serapion das benachbarte Rhossos betreuen 1 , und wir dürfen auch ohne weitere Zeugnisse für sicher annehmen, daß es nicht die einzige von Antiochia abhängige Stadt gewesen ist. Im nördlichen Kleinasien begegnen uns öfter pontische Landschaften am Schwarzen Meer als einheitliche und unter je einem Bischof stehende Kirchengebiete 1 . Armenien hatte um 250 nur einen Bischof. In Kreta scheinen sich um 170 die beiden Bischöfe von Gortyn und Knossos in das geistliche Regiment der ganzen Insel geteilt zu haben'.In Gallien wird Irenaeus von Lyon als „der Bischof von Gallien" bezeichnet, und seinem Vorgänger Potheinos unterstand sicher auch die Nachbarstadt Vienne 4 . Solche Verhältnisse kann man selbst in der Zeit des voll entwickelten Metropolitansystems in abgelegeneren Gegenden noch öfter beobachten. Wenn nun der Bischof der Zentrale die Aufsicht der von ihm abhängigen Gebiete nicht mehr allein durchführen konnte, so ernannte er ganz ähnlich, wie es der Alexandriner in Ägypten tat, Bischöfe, so viel wie jeweils nötig waren, also in immer steigender Zahl, je mehr lebenskräftige Gemeinden heranwuchsen. Aber es blieb das Verhältnis der Tochtergemeinde zur Mutter erhalten und drückte sich auch in der Unterordnung des neu begründeten Bischofsstuhls unter den älteren ') Euseb KG 6, 12. vgl. Ignatius ad Rom. 2, 2 „Bischof von Syrien". «) Müller Beiträge 6 f. *) Euseb KG 4, 23, 5. 7. ) Joh. 4, 14. 7, 38. 19, 34; vgl. 1. Joh. 5, 6. *) Tertullian baptism. 1; vgl. dazu S. 101. ') Joh. 6, 54. *) Mark. 6, 38 u. Parall. Joh. 6, 9.

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5. Der Kultus

nach, daß sie die am Ende der Mahlzeit gefüllten 12 Körbe mit Brocken 1 vollzählig oder andeutungsweise neben den Tisch gruppieren. In San Sebastiano an der Via Appia ist uns ein anderer und anscheinend älterer Typ erhalten, wenn auch das Bild erst nach 200 gemalt sein mag. Da ist eine größere Anzahl solcher Tischgesellschaften dargestellt, wie es das Evangelium auch schildert 2 , während Jesus mit den Jüngern durch die Reihen schreitend die Brote verteilt; am untern Rande des Bildes sieht man Diener mit den Körben herbeieilen'. Sakramentsbeziehung wird man auch in den Darstellungen der Samariterin am Brunnen finden, die auf das Lebenswasser Christi 4 hinweisen soll, sowie in den besonders beliebten Bildern des Gichtbrüchigen, der sein Bett schultert: er beweist ja augenscheinlich, daß des Menschen Sohn Macht hat, auf Erden Sünden zu vergeben 5 , nämlich im Sakrament der Taufe. Schon die wunderbare Speisung enthielt entsprechend der altkirchlichen Abendmahlslehre einen Hinweis auf die Auferstehung: aber die klassische Auferstehungsverheißung der alten Kunst ist die Szene der Auferweckung des Lazarus. Mit dem Zauberstab in der Hand steht Jesus vor einem tempelartigen Grabmonument, in dessen Türe der noch in Binden gehüllte Lazarus erscheint. Alle bisher besprochenen Bilder sind aus der Bibel hervorgeholt worden, um durch ihre symbolische Bedeutung belehrend und erhebend auf den Beschauer zu wirken, und wir haben Grund zu der Annahme, daß schon in der Malerei des hellenistischen Judentums das gleiche Motiv wirksam gewesen ist. Wir müssen aber feststellen, daß auch in dieser frühen Zeit schon neutestamentliche Szenen komponiert werden, die man nur mit Schwierigkeiten in eine der genannten theologischen Reihen einordnen kann, und die man lieber als rein gegenständlich interessierte Darstellungen auffassen wird. Hier wollen die Maler wirklich nur biblische Geschichte erzählen Mark. 6, 43 u. Parali. Joh. 6, 13. 2 ) Mark. 6, 39—40 u. Parali. ») Lietzmann Petrus u. Paulus" Taf. 9 u. S. 301 f. *) Joh. 4, 14; vgl. o. S. 140. 141. ! ) Mark. 2, 10 u. Par.

Neutestamentliche Bilder

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und überlassen es dem Beschauer, mit welcher religiösen Empfindung er darauf antworten will. Das gilt von dem Wunder der Blindenheilung und der Heilung der Blutflüssigen, die beide wohl durch die Lazaruserweckung angeregt sind und einen Zyklus von Heilungswundern eröffnen, der in den folgenden Jahrhunderten mit Liebe ausgestaltet wird. In eine ganz andere Richtung weist die beliebte Gruppe der Magier aus dem Morgenland, die dem Christuskind und seiner Mutter huldigen. Hier begegnet uns die erste Madonnendarstellung, die aber in der nächsten Folgezeit wohl Variation, aber keine ernstliche Weiterbildung erfahren hat. Bemerkenswert ist nur, daß daneben ein anderer Madonnentypus auftaucht 1 : da steht der Prophet Bileam 2 vor der Mutter, die das göttliche Kind auf dem Schoß hält, und weissagt von dem „Stern, der aus Jakob aufgehen wird" — seine Hand deutet auf einen Stern, der zu Häupten der Maria leuchtet. Dies Motiv verschwindet für unser Wissen und wird erst erheblich später wieder aufgenommen. Von der Passionsgeschichte findet sich in dieser Zeit nur eine vereinzelte Spur: ein Bild der Prätextatkatakombe* zeigt vielleicht den dornengekrönten Jesus, wie er von zwei Soldaten mit Rohrstäben geschlagen wird. Damit ist im Großen und Ganzen der Kreis der biblischen Szenen erschöpft, die in der christlichen Kunst des zweiten und beginnenden dritten Jahrhunderts geschaffen sind. Deutlich erkennbar ist die lehrhafte Forderung einer symbolischen Bedeutung als erstes Prinzip der Auswahl, aber nicht minder klar tritt das Bestreben nach Lockerung der theologischen Fesseln und freier Darstellung bildhaften Stoffes zutage. Die Maler streben danach, eine biblische Geschichte um ihrer selbst willen zu schildern. Dies Motiv wirkt weiter und erzeugt die Bildserien der nächsten Jahrhunderte. Aber die Symbolik wird nicht beseitigt, sondern nimmt nur andere Formen an, denn sie ist von religiöser Kunst jeder Art schlechthin unabtrennbar. Wir haben gesehen, daß sie schon der jüdischen ») Wilpert Malereien d. Katakomben Taf. 22. ») Wilpert Malereien d. Katakomben Taf. 18.

*) Num. 24, 17.

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5. Der Kultus

Kunst eignet. Die Basilika von Porta Maggiore in Rom 1 hat uns zu unserer Überraschung gelehrt, in welch gewaltigem Umfang die allegorische Deutung griechischer Mythen die ganz in antiken Formen lebende Dekoration dieses Kultraumes beseelt. Noch ist es uns nicht bekannt, welche religionsphilosophische Sekte sich in den Anfangsdezennien unserer Zeitrechnung dies prächtige Heim geschaffen hat: mit dem Hinweis auf Orphik undPytagoreismus ist noch nicht genug gesagt. Aber daß wir für das Verständnis der Bilder zur Allegorie und symbolischen Deutung greifen müssen, ist allseitig anerkannt. Dasselbe gilt für die bald nach 200 entstandene Aureliergruft am Viale Manzoni 2 . Sie ist die künstlerisch ausgeschmückte Grabstätte einer gnostischer Sekte, die allerlei rät. seihafte Szenen ihres Kultes und ihres Mythos an den Wänden abgeschildert hat. Aber es begegnen auch Adam und Eva nebst der Schlange, der gute Hirt mit dem Lamm auf der Schulter, und ein großes Bild scheint die Bergpredigt zu symbolisieren. Auf einem Hügel sitzt ein bärtiger Mann und liest aus einer Rolle vor, während am Hang um ihn und unter ihm Schafe weiden; ein ähnlicher Hirtentyp begegnet uns später im kirchlichen Bilderschatz. Hier sehen wir also auf einem Denkmal, das zwischen den Religionen steht, die gleiche Anwendung der dekorativen Kunst und zum Teil sogar die gleichen Gegenstände in analoger Bedeutung. Und wir lernen aus alledem, daß die junge Kirche die Kunst sich zunächst zwar als halb spielerische Dekoration gefallen läßt, dann aber sie ernsthaft ergreift und im Sinne der Zeit zu einem Ausdruck religiösen Empfindens gestaltet. Das Christentum gewann auf diese Weise in der Kunst ein neues und kräftiges Mittel der Volkserziehung, die Kunst bekam in kritischer Zeit einen neuen Inhalt geschenkt, der sich langsam entfaltete und ihr bis auf den heutigen Tag unerschöpfliches Leben einhaucht. ') G. Bendinelli II Monumento sotterraneo di Porta Maggiore in Roma 1927 (aus Monumenti Antichi Vol.31—1927), Dazu Vorträge d. Bibl. Warburg 1922/23 I S.66—70 und Gnomon 1929 S. 190—195. 2 ) G. Bendinelli II Monumento sepolcrale degli Aureli 1923 (aus Monumenti Antichi Vol. 28—1922); vgl. S. 30 Fig. 12, S.51—56 Fig. 20. 21. 22, T a f . 9 :

Das Christentum und die Welt Der Sand Ägyptens, der unserer Wissenschaft schon so viel Neues und Lehrreiches beschert hat, ist uns noch einige Privatbriefe schuldig, in denen Menschen aus verschiedenen Bildungskreisen ihren Angehörigen die Gründe darlegen, die sie zum Eintritt in die christliche Kirche bewogen haben. Das würden für uns sichere Dokumente zur Prüfung der Frage sein, welchen Anreiz das Christentum auf die Menschen des zweiten und dritten Jahrhunderts ausübte 1 . Denn die Ausbreitung der Kirche in dieser ganzen Frühzeit vollzog sich ohne jeden äußeren Druck oder Massensuggestion durch Summierung von lauter Einzelbekehrungen, die keineswegs alle gleichen Motiven entsprungen sein werden. Einige wenige und dürftige Mitteilungen solcher Bekehrten aus gebildeten Ständen haben wir 4 : aber was uns ganz fehlt und dabei doch als das Wichtigste erscheint, ist die Kenntnis der Stimmungen der niederen Volksschichten, die zu der neuen Religion übertraten und die Zahl ihrer Anhänger so gewaltig anschwellen ließen. So bleibt uns nichts anders übrig als von unserer allgemeinen Kenntnis der geistigen Umwelt aus die Züge im Christentum herauszusuchen, die eine besondere Anziehungskraft ausüben konnten. V o m Judentum war der neue Glaube abgelöst: die Synagogen dienten seinen Missionaren schon längst nicht mehr als Ausgangsstellen ihrer Propaganda, und die Judenschaft war emsig bemüht, der Öffentlichkeit ihren Gegensatz zu den Christen anschaulich zu machen®. Aber gerade diese Ablösung hatte wohl auch werbenden Reiz für die Heiden. Ein großer Teil der Dinge, die das Judentum so anziehend gemacht hatten, war in den Besitz der Christen übergegangen: Monotheis*) Ausgezeichnet behandelt das Problem A. D. Nock Conversion 3 ) Vgl. N o c k Conversion S. 254 ff. (Oxford 1933), bes. 187—271. 3 ) Martyr. Polycarpi 12, 2. 13, 1. 17, 2. 18, 1. Mart. Pionii 3, 6. 4, 8. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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6. Das Christentum und die Welt

mus, reine Sittenlehre, uralte heilige Schriften; und die anstößigen Sonderbarkeiten der Speisegebote und Reinheitsvorschriften, der Sabbathheiligung, der Beschneidung waren weggefallen. Die Christen konnten ihre Religion mit noch größerem Recht als die zuverlässigste und reinste Offenbarung vernunftgemäßer Erkenntnis von Gott und Welt hinstellen, und die apologetischen Schriftsteller haben dies auch mit Eifer getan. Das wirkte auf die Gebildeten. Aber man ging weit darüber hinaus; man wies aus den Schriften der Propheten die Erfüllungen im Leben Jesu nach und demonstrierte dem Heiden die Wirklichkeiten der evangelischen Botschaft als gottgewollte Notwendigkeiten. Dadurch brachte man das Element des Geheimnisvollen und Wunderbaren in einer für den Verstand greifbaren Weise in die Verkündigung hinein und stärkte die überzeugende Kraft der Predigt erheblich. Was von Jesu Wundertaten berichtet wurde, ließ ihn den Heiden als einen jener gefeierten Großen erscheinen, deren Typus uns Apollonius von Tyana ist. Seine Gottessohnschaft leuchtete den in antiker Vorstellungswelt aufgewachsenen Menschen ebenso leicht ein, wie ihnen seine Himmelfahrt und Erhöhung zur Rechten des Vaters als Heroisierung und nach dem Beispiel des Herakles als Aufnahme in den Kreis der göttlichen Wesen begreiflich war1. Schwieriger zu erfassen und anstößig war und blieb zunächst sein schmählicher Kreuzestod: aber auch dafür gewann eine Zeit Verständnis, in der so mancher Philosoph die freie Äußerung seiner Überzeugung mit dem Leben hatte büßen müssen. Und die tapferen Martyrien der Christen zeigten das Weiterleben dieses Geistes bei seinen Schülern einer Welt, die sich gewöhnt hatte, die Todesverachtung starker Geister zu bewundern 8 . Selbst ein Mann wie Kaiser Mark Aurel kann sich gegen den Eindruck des christlichen Märtyrertodes nur dadurch wehren, daß er ihn aus diesem Parallelismus löst und als Ergebnis bloßen Widerspruchsgeistes und theatralische Geste abtut 3 . Aber das Volk dachte nicht so und wurde von solchem ') vgl. Celsus bei Origenes c. Celsum 3, 42. S. 193—197. ») Mark Aurel 11, 3, 2.

2

) Nock Conversion

Ansatzpunkte für die Mission

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Sterben gepackt. Lukian hat in seiner Verspottung des kynischen Predigers Peregrinus eine ähnliche Taktik befolgt: als der Gegenstand seines Hohns vor den zum olympischen Fest zusammengeströmten Hellenen den Scheiterhaufen besteigt und sich verbrennt, um ihnen ein Beispiel philosophischer Lebensverachtung zu geben, sieht er darin nichts anderes als Eitelkeit und Theaterspiel. Aber er berichtet uns in derselben Schrift auch von einer Lebensepisode des Peregrinus, die unsere höchste Aufmerksamkeit verdient. Der ruhelose Mann ist auch einmal unter die Christen gegangen: und nun charakterisiert Lukian in diesem Zusammenhang die Christen in einer sehr bezeichnenden Weise 1 . Sie sind ihm eine heillose Gesellschaft, die sich einbildet, unsterblich zu sein und ewig zu leben 4 , weshalb sie auch den Tod verachtet und sich ihm vielfach freiwillig hingibt. Zweitens verehren sie jenen gekreuzigten Sophisten und leben nach seinen Gesetzen, die sie „ohne überzeugenden Beweis" annehmen. Diese laufen darauf hinaus, daß sie allen irdischen Besitz gering werten und zum Gemeingut machen — weshalb denn auch ein geschäftstüchtiger Mann bei ihnen schnell reich werden kann. Mit Behagen schildert Lukian, wie Peregrinus als Märtyrer im Gefängnis von allen geehrt, beschenkt, gepflegt, sogar durch Deputationen auswärtiger Gemeinden unterstützt wird und „aus Ruhmsucht" wirklich zu sterben bereit ist. Aber der kluge Statthalter läßt den Narren laufen, der nun seine Rolle bei den Christen weiterspielt, bis er beim Genuß einer verbotenen Nahrung ertappt wird: da wird er von ihnen hinausgeworfen3. Selbst aus diesem Zerrbild ist deutlich, was die Umwelt an den Christen anerkannte: sie sterben in ihrem Glauben und für ihren Glauben 4 , sie leben wirklich nach den Geboten ihres Herrn in umfassender Bruderliebe, Sünder entfernen sie aus ihrer Gemeinschaft. Ihre Hoffnung ist Unsterblichkeit in ewigem Leben, und der Stifter ihrer Religion ist ein philosophischer Lehrer, der am Kreuz gestorben ist, aber von ihnen 1, 3.

') Lukian de morte Peregrini 13. 2 ) vgl. auch Martyr. Justini 5, s ) vgl. S. 44. 4 ) so auch Celsus bei Origenes 2, 45. 1, 2. 8, 54. 10*

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6. Das Christentum und die Welt

göttlich verehrt wird. Man kann schon aus diesen wenigen Angaben herausempfinden, welche Anziehungskraft das Christentum für die Menschen jener Welt gehabt haben muß. Hier war religiöser Glaube so stark, daß er den T o d überwand und d a s Leben neu gestaltete, verbunden mit geheimnisvoller, uralter Weisheit und fortwirkender Wunderkraft. Eine ernste Sittlichkeit, die mit den Forderungen der Philosophie übereinstimmte, wurde zur tausendfältig sichtbaren Tatsache. Ein brüderlicher Geist, der keine gesellschaftlichen Schranken kannte, band die Glieder der einzelnen Gemeinden zusammen und linderte Armut und Krankheit, spannte aber auch ein Netz über den ganzen Erdkreis, das Städte und Länder zu einer mächtigen Organisation geistlicher Gemeinschaft und gegenseitiger Hilfeleistung in allen Nöten dieser Welt vereinigte 1 . Der Weg zu dieser Genossenschaft war nicht schwer zu finden, obwohl sie sicher keine öffentlichen Werbungsakte veranstaltet hat: er führte über die persönliche Berührung mit Christen, denen man im täglichen Leben begegnete und die von ihren inneren und äußeren Erfahrungen verheißungsvolle Berichte gaben. Das weckte die Neugier und ließ den Wunsch nach näherer Bekanntschaft mit der seltsamen Religion erwachen. Der Besuch eines Gottesdienstes war, wenigstens für seinen ersten Teil, dem gut eingeführten Fremden nicht verwehrt 2 . Wurde er gewonnen, so meldete er sich als Katechumen bei den „Lehrern" der Gemeinde an. Hier fand nun eine ernsthafte Prüfung statt 3 . Er hatte anzugeben, was ihn zum Ubertritt in das Christentum bewege, und seine christlichen Freunde mußten eine Art Bürgschaft für ihn leisten. Dann wurden seine äußeren Lebensverhältnisse geprüft und ihm als erste Grundforderung die Vermeidung jedes außerehelichen Umgangs vorgelegt. War er Sklave eines christlichen Herrn, so mußte er von diesem zur Aufnahme empfohlen werden, diente er einem Heiden, so wurde ihm um des Harnack, Mission 4 S. 170—220. 2 ) Const. A p o s t . 8, 6, 2; vgl. von Synagogen Tertullian apol. 18, 9. 3 ) vgl. Origenes c. Cels. 3, 51.

Verbotene Berufe

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guten Rufes der Christen willen treue Arbeit zur Pflicht gemacht. Eine Reihe von Berufen war mit dem Christentum nicht vereinbar und mußte mit der Anmeldung aufgegeben werden. Dazu gehören nicht nur die schmutzigen Gewerbe der Prostitution, sondern auch die anrüchigen Künste des Schauspielers, des Gladiators 1 und des Rennwagenlenkers samt allem, was diesen Berufen nahesteht. Nicht minder gilt natürlich ein Götzenpriester, Astrolog oder sonstiger Wahrsager als unannehmbar. Ein Bildhauer oder Maler muß sich verpflichten, keine Götterbilder anzufertigen, und einem Schulmeister wird empfohlen, seinen Beruf aufzugeben, weil er beim Unterricht genötigt ist, heidnische Mythologie zu behandeln. Aber es ist doch für die Haltung der Kirche gegenüber der antiken Literatur bezeichnend, daß sie an dieser Stelle bereit ist, milde Nachsicht zu üben2, wenn nämlich der arme Lehrer keinen andern Weg ehrlichen Verdienstes sieht. Ein Soldat muß die militärisch bedenkliche Verpflichtung aufsichnehmen.nichtzu töten und keinen Eid zu schwören; wer bereits Christ ist, darf überhaupt nicht Soldat werden. Und ganz entsprechend ist es dem Christen verwehrt, das Amt einer staatlichen oder städtischen Obrigkeit zu verwalten: denn damit ist Schwertgewalt und Götzendienst untrennbar verbunden®. Es ist sicher nicht leicht gewesen, diese Ablehnung so mannigfacher und zuweilen doch sehr lockender Berufe überall streng durchzuführen,aberim allgemeinen wird man den Regeln gefolgt sein. Die Gefahr, daß Christen die verpönten Gewerbe nachträglich ergriffen, war gering. Aber sehr schwer ist es der Kirche geworden, bei wachsender Einbürgerung in dieser Welt die Gemeindeglieder vom Besuch der öffentlichen Schauspiele aller Art, der lüsternen sowohl wie der blutigen, fernzuhalten, die nicht nur sittlich bedenklich waren, sondern die Teilnehmer auch immer wieder in neue Verbindung mit heidnischem Wesen brachten: die Lockungen dieser Reizmittel des antiken Lebens sind zu') vgl. auch Tertullian idol. 11 (p. 42, 9 ff. Wissowa). 2 ) s. auch Tertullian idol. 10 (p. 39 f. Wissowa). s ) Hippolyt K O c. 40—41.

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6. Das Christentum und die Welt

weilen stärker gewesen als das christliche Selbstbewußtsein 1 . Bedenken hat die Kirche auch gegenüber dem Besuch der öffentlichen Bäder gehabt, die aber doch Erholungsstätten für alle Kreise der Bevölkerung waren und zugleich die Mittelpunkte eines zwanglosen geselligen Verkehrs bildeten. So wurden sie denn im allgemeinen freigegeben und nur das gemeinsame Baden beider Geschlechter beanstandet — obwohl auch dies nicht ganz peinlich durchgeführt werden konnte 1 . Im übrigen unterschied sich die Lebenshaltung des Christen äußerlich nicht wesentlich von der eines sittlich gesund empfindenden Zeitgenossen: die Lebens- und Anstandsregeln, welche gegen 200 der alexandrinische Klemens den Christen vorschreibt, entsprechen weithin dem, was wir in stoischen Handbüchern der Moral zu lesen gewohnt sind. Wir finden dieselbe Abneigung gegen alles Unnatürliche in Körperpflege, Kleidung und Lebensführung, die Zurückweisung jedes aufdringlichen Luxus, die Empfehlung gesunder Schlichtheit auf allen Gebieten. Das eigentümlich Christliche kommt nur in Einzelheiten zur Geltung, etwa in der betonten Abneigung gegen das Tragen von Kränzen®, oder wenn der Gebrauch von Siegelringen mit heidnischen Bildern verboten wird, wenn die Männer ermahnt werden, Barbierstuben und Bazare zu meiden und das Würfelspiel zu unterlassen. Verpönt ist auch alles schwindelhafte Anpreisen und Schwören im Geschäftsverkehr 4 , ja alles Schwören in heidnischen Formeln überhaupt und selbstverständlich auch das Fluchen 5 . Die Scheu vor dem Aussprechen heidnischer Götternamen kann sich so weit steigern, daß sogar die Rezitation von Homerversen untersagt wird 6 : aber das erscheint doch als eine Engherzigkeit, ») Minucius Felix Oct. 12, 5. 37, 11—12. Tertullian spectac. 26. Didascalia 13 S. 72, 33 ff. Achelis. Cyprian ad Donatum 7—8. Clemens Paed. 3, 76, 3—77, 4. 2 ) Didascalia 2 S. 6, 32—37. 3 S. 12,1—15 Achelis. Clemens Paed. 3, 31—33. 46—48. ») Clemens Paed. 2, 70—73. Tertullian coron. 1 apolog. 42, 6. Minucius Felix 12, 6. 38, 2. Mart. Pionii 18, 4. 4 ) Clemens Paed. 3, 59, 2. 75, 1—2. 79, 1—2. «) Tertullian Apol. 32, idol. 11 (p. 41, 13 Wissowa). Didascalia 21 S. 104, 21. 15 S. 83, 32; vgl. Achelis Christentum i. d. ersten 3 Jh. (1912) 2 S. 426. •) Didascalia 21 S. 104, 6 Achelis.

Christliche Lebenshaltung

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der die gebildeten Kreise der Christenheit fern stehen, und bei einem Manne wie Klemens sind die Dichter und die Philosophen der Alten in hohen Ehren. Man gewinnt aus unsern Quellen durchaus den Eindruck, daß die Zurückhaltung der Christen von dieser Welt im wesentlichen eine innere war und nach außen keineswegs auffällig zur Schau gestellt wurde. Eine anständige Geselligkeit in der Form eines fröhlichen Mahles ist auch dem Christen unverwehrt und verbindet ihn nicht nur mit den Glaubensgenossen, sondern auch mit der heidnischen „Gesellschaft '. Aber es wird erwartet, daß er bei solchen Gelegenheiten durch sein Benehmen der Gemeinde Ehre macht 1 . „Wir sind keine Brahmanen oder indische Fakire und hausen nicht lebensfern in Wäldern", ruft Tertullian* mit rhetorischer Entrüstung. „Wir verschmähen keine Gottesgabe, nur daß wir sie mit Sinn und Verstand benutzen. Auch unser Leben in dieser Welt braucht euer Forum, euern Fleischmarkt, eure Bäder, Läden und Werkstätten, die Gasthäuser und Wochenmärkte und was sonst zu eurem Wirtschaftsleben gehört. Wir fahren mit euch zur See, sind Soldaten oder Bauern, wir tauschen mit euch Waren aus, und was wir in Kunst und Handwerk hervorbringen, dient eurem Gebrauch. Aber eure Götterfeste feiern wir nicht mit, Kränze drücken wir nicht aufs Haupt, Schauspiele besuchen wir nicht, und wir kaufen euch keinen Weihrauch ab. Freilich gehen eure Tempelsteuern immer dürftiger ein: wir geben lieber Armen auf der Gasse statt Göttern in die Kasse. Die andern Steuern aber können sich bei den Christen für gewissenhafte Zahlung bedanken, und was in jenem einen Fall abgeht, ersetzt sich dem Staat reichlich, wenn er eure falschen Erklärungen und unehrlichen Schiebungen dagegen rechnet". Das ist eine scharf formulierte und sachlich zutreffende Zeichnung der wirklichen Stellung des Christen zum Wirtschaftsleben, Ein Idealbild ist es nicht. Störungen dieses friedlichen Einvernehmens mit der Umwelt mag es vtieinzelt wohl einmal im engeren Kreise der ») Clemens Paed. 2, 4, 4. 10, 1. 11, 1.

2

) Tertullian apolog. 42.

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6. Das Christentum und die Welt

Familie gegeben haben, wenn der neue Glaube nur einen Teil ergriffen hatte: wenigstens werden im Zusammenhang mit allgemeinen Warnungen vor Mischehen derartige Andeutungen gemacht 1 . Aber solche (Jnzuträglichkeiten ergaben sich ebenso, wenn ein Ehegatte der Isis oder einer andern Mysteriengottheit huldigte, und die römische Welt war an Toleranz gewöhnt. Daß ein christlicher Soldat mit seinen Dienstpflichten in Konflikt geriet, ist auch vorgekommen: Tertullian hat anläßlich eines solchen Falles eine Verteidigungsschrift ausgehen lassen 2 ; aber brennend ist dies Problem erst in DiokletianischerZeit geworden. Es waren nicht solche Einzelheiten, aus denen der Gegensatz zu „dieser Welt" erwuchs, sondern umgekehrt: die Einzelfälle waren Auswirkungen der christlichen Gesamthaltung gegenüber dem Imperium Romanum' und das entscheidende Kampfgebiet war die Religion. Wir haben den Kaiserkult als das ideelle Einheitsband kennen gelernt4, das die ungeheure Vielheit der Völker zum Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit brachte: wer ihn ablehnte, stellte sich außerhalb der kulturellen Weltgemeinschaft. Nur die Juden hatten sich das Privileg der Duldung für ihre nationale Sonderreligion erworben — und mußten es doch immer wieder in blutigen Leiden verteidigen. Den Christen, die alle nationalen Bindungen von sich wiesen, wurde es versagt und mußte es versagt bleiben. Und an dieser Stelle kam der Gegensatz zwischen der Welt und dem Christentum zum Austrag. Wenn die Juden um ihrer Zurückhaltung und betonten Eigenart willen schon verhaßt waren, so wurden es die Christen noch mehr, und man vermutete bald hinter ihrer Abgeschlossenheit üble Dinge. Erst erschienen sie als jüdische Sekte, mit der sie den Vorwurf des Atheismus gemein hatten. Bald wurden auch die Judenfabeln auf sie übertragen. Es hieß, sie verehrten einen Eselskopf oder ein ähnliches Gebilde' und verübten Ritualmorde an kleinen Kindern, um ihr Fleisch zu ' ) Tertullian uxor. 2, 4; vgl. apol. 3, 4. *) Tertullian de Corona J ) s. o. S. 40 f. militis. *) Bd. 1, 173. ») Tertullian apol. 16; vgl. Bd. 1, 79.

Die Christen als Feinde der Menschheit

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verzehren 1 . Und schon recht früh war es verbreitete Uberzeugung geworden, daß die Christen bei ihren geheimen „Liebesmahlen" Kinderfleisch genössen und blutschänderische Unzucht trieben. Wer mit übler Phantasie es weiterspann, wenn er hörte, daß die Christen beim Abendmahl das Fleisch und Blut des Menschensohnes* genossen, und daß christliche „Brüder" ihre christlichen „Schwestern" heirateten, der konnte am Ende auf solche Gedanken kommen: „thyesteische Mahlzeiten" und „oedipodeische Liebe" nannte die gebildete öffentliche Meinung die kriminellen Produkte solchen Nachdenkens*. Aber auch wer diesen Unsinn nicht mitmachte, war doch überzeugt, daß die Christen Feinde des Menschengeschlechtes seien, einem gefährlichen Aberglauben huldigten4, und durch geheime Bindungen den Gesetzen und der Sitte Hohn sprächen 8 . So kann es nicht Wunder nehmen, daß sie gelegentlich Gegenstand aufgepeitschter Volkswut wurden, zumal wenn die Juden mit geschickten Händen den tobenden Haufen die Richtung wiesen' oder gar bei der Folter Geständnisse laut wurden, die jene Greuelkunde bestätigten 7 . Schon Nero hatte diese Stimmung zu seiner Entlastung zu benutzen verstanden®, und mehr als ein Jahrhundert später hören wir die Klage eines Christen*, daß bei jedem öffentlichen Unheil, Überschwemmung oder Dürre, Erdbeben, Pest oder Hungersnot die wütende Menge brüllend den Tod der Christen verlange: vordie Löwen mit ihnen I Man muß diese allgemeine Stimmung in Rechnung stellen, wenn man die seltsame Weise begreifen will, in der sich der unvermeidliche Konflikt über den Kaiserkult gestaltete. Man hat viel über die rechtlichen Voraussetzungen der Christenprozesse nachgeforscht 10 , ohne bisher zu einem völlig klaren Ergebnis zu gelangen: und das ist eigentlich gar nicht •) Acta Lugdun. bei Euseb K G 5,1, 26. ») Joh. 6. ») Athenagoras Suppl. 3 Acta Lugdun. bei Euseb 5,1, 14. ') Tacitus ann. 15,44. Sueton Nero 16. ") Celsus bei Origenes 1, 1. «) Mart. Polyc. 12, 2. 13, 1. 17, 2. 18, 1. Tert. Scorp. 10 (p. 168, 12 Wissowa). 7 ) Mart. Lugdun. bei Euseb K G 5,1, 14. 8 ) Bd. 1, 200. •) Tertullian apol. 40,1—2; vgl. Cyprian ep. 59,6. 10) A . Alföldi Zu den Christenverfolgungen, Klio 31 (1938), 326 ff.

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6. Das Christentum und die Welt

verwunderlich, denn im Jahre 112 ist es dem jüngeren Plinius, der als kaiserlicher Statthalter die Provinz Bithynien verwaltete, auch nicht besser gegangen. Er schreibt deshalb an den Kaiser Trajan 1 und bittet um Belehrung: er habe noch nie einer regelrechten prozessualen Untersuchung gegen die Christen beigewohnt und wisse deshalb vor allem nicht, ob schon der bloße Nachweis der Zugehörigkeit zum Christentum die Straffälligkeit ergebe, oder ob die Untersuchung auf verbrecherische Handlungen zu richten sei, die mit dieser Zugehörigkeit zusammenhingen. Er habe um dieser Unsicherheit willen einstweilen vom formellen Prozeßverfahren abgesehen und sich bei Personen, die ihm als Christen denunziert wurden, darauf beschränkt, sie zu fragen, ob sie Christen seien. Im Falle der Bejahung habe er sie aufgefordert, davon abzulassen, den beim Tribunal aufgestellten Bildern der Götter und des Kaisers Verehrung zu erweisen und Christus zu verfluchen. Wer das getan und dadurch sich augenscheinlich vom Christentum losgesagt habe, der sei straflos entlassen worden. Wer aber standhaft trotz mehrfacher Ermahnung bei seiner Weigerung geblieben sei, den habe er hinrichten lassen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, daß ganz abgesehen von seinem Glauben jedenfalls diese Hartnäckigkeit und unbeugsame Widerspenstigkeit bestraft werden müsse. Römische Bürger seien dem Kaisergericht in Rom überwiesen worden. Übrigens habe er doch mehrfach genauere Verhöre über die Besonderheiten des christlichen Kultes angestellt, sogar unter Anwendung der Folter, aber nichts anderes gefunden als einen üblen und maßlosen Aberglauben. Daher habe er auf eine Fortführung dieser Methode verzichtet und wende sich an die Entscheidung des Kaisers. Die Sache sei von Bedeutung wegen der großen Zahl der Christen, die in so unsicherer Rechtslage stünden. Schon habe diese Bewegung nicht nur die Städte ergriffen, sondern überschwemme bereits die Dörfer und das Land, aber noch sei Aussicht, sie einzudämmen und zum Stillstand zu bringen, denn es sei auf der andern Seite auch ein l

) Plinius epist. ad Traian. 96. 97.

Plinius und Trajan

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Aufschwung des Tiergebrachten Tempel- und Opferkults nicht zu verkennen. Trajan antwortet kurz und deutlich, es ließen sich keine allgemeinen, in klare Formen gefaßten Bestimmungen geben. Aufspüren solle man die Christen von Amts wegen nicht. Komme aber Anzeige an die Behörde, so müsse Bestrafung erfolgen, jedoch so, daß jeder, der sein Christentum ableugne und diese Erklärung durch Opfer an „unsere Götter" erhärte, begnadigt werde. Anonyme Anzeigen seien nicht zu berücksichtigen, denn sie lieferten ein höchst übles Beispiel und widersprächen dem Geist der Zeit. Aus diesem Briefwechsel geht klar hervor, daß weder den Amtsräten der bithynischen Präsidialkanzlei noch den Beamten des kaiserlichen Sekretariats in Rom 1 juristisches Material zur Beantwortung der von Plinius gestellten Rechtsfrage vorlag, daß es also solches nicht gab; und zweitens, daß auch Trajan nicht den Wunsch hatte, eine grundsätzliche Entscheidung herbeizuführen, vermutlich weil er unübersehbare Folgen befürchtete. Was aber die altgedienten Kanzleibeamten ihrem Vorgesetzten vermitteln konnten, war die bewährte Verwaltungspraxis, nach der Plinius gehandelt hat: und eben diese wird denn auch vom Kaiser bestätigt, freilich unter betonter Ablehnung anonymer Ankläger. Danach kümmert sich die Behörde gar nicht um Glauben und Handlungen der Christen, sondern fordert von den Verdächtigen die Bekundung ihrer korrekten Staatsgesinnung durch Opfer vor den Bildern der Götter und des Kaisers. Dieser Aufforderung muß jeder Bewohner des römischen Reichsgebiets nachkommen: wer sie ablehnt, wird wegen Verletzung der schuldigen Ehrerbietung gegen die Majestät des Reiches, des Kaisers und ihrer Schirmgötter mit dem Tode bestraft. Und bei dieser Praxis ist es geblieben. Alle Märtyrerakten 2 zeigen uns dasselbe Bild, daß der Richter nicht untersucht, daß weder Anklage noch VerW . Weber in Festgabe für Karl Müller 1922 S. 26 ff. *) Sammlung von Texten: O. v. Gebhardt Acta martyrum selecta 1902 und R. Knopf Ausgewählte Märtyrerakten' (v. G. Krüger besorgt) 1929.

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6. Das Christentum und die Welt

teidigung auf Grund allgemeiner Rechtsanschauung oder spezieller Gesetzesparagraphen stattfindet, sondern daß nur die Zugehörigkeit zum Christentum konstatiert wird, woraufhin der Befehl zum Schwören beim Genius des Kaisers und zum Opfern vor den Bildern erfolgt. Dann setzt häufig ein längeres Gespräch ein, in welchem der Richter die Angeklagten zum Opfer zu überreden versucht und sie auf die Folgen ihrer Weigerung hinweist. Die endgültige Ablehnung der Aufforderung löst dann das Todesurteil aus. Immer wieder jammern die christlichen Apologeten darüber, daß der Name Christ genüge, um die Verurteilung zu erzielen. Immer wieder fordern sie zur Untersuchung ihrer Lebensführung auf und weisen die volkstümlichen Greuelmärchen zurück. Immer wieder schildern sie die Sittenreinheit des Gemeindelebens und beteuern ihre Staatstreue und die Aufrichtigkeit ihres Gebets für Kaiser und Reich. Es hat nichts genutzt und konnte nichts nutzen, weil der Staat gerade diese Diskussion ablehnte. Er wünschte keine Religionsprozesse mit theoretischen Auseinandersetzungen, sondern seine Statthalter handelten aus der Vollmacht ihrer Stellung und gingen mit polizeilicher Zwangsgewalt gegen offenkundige Widersetzlichkeit vor, die sie aber in jedem Falle erst amtlich provozierten,um sie bestrafen zu können. Undjederauf diese Weise konstatierte Fall von Opferverweigerung bewies wiederum die Berechtigung der amtlichenAnzweif elung der christlichenStaatsgesinnung. Das ganze Verfahren setzt die Annahme, daß die Christen grundsätzlich Staatsfeinde seien, als keines Beweises bedürftig voraus — und die Äußerungen der Zeitgenossen lassen an der Allgemeingültigkeit dieser Meinung auch wirklich keinen Zweifel aufkommen. Aus dieser Stimmung heraus ergab sich die Einstellung der staatlichen Behörden: sie führen keine „Prozesse", sondern greifen auf dem Verwaltungswege ein. Tertullian redet gelegentlich 1 so, als ob es formulierte Gesetze gegeben habe, welche das Christsein verboten, und in einer Märtyrerakte 2 des Jahres 180 wird von einem Senats') Tertullian apolog. 4, 3—5. 10—11. 37, 2.

2

) Acta Apolonii 13. 23.

Staatliche Grundsätze und Gesetze

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beschluß dieses Inhalts gesprochen. In mehreren Akten beruft sich der richtende Beamte ausdrücklich auf kaiserliche Edikte, welche von den Christen den Opferkult fordern 1 , und die ganze Decianische Verfolgung beruht auf einem derartigen Edikt, dessen Wortlaut in bezug auf den entscheidenden Punkt aus den zahlreich erhaltenen „Libelli" ermittelt werden kann 2 : die des Christentums Verdächtigen müssen eine Bescheinigung auswirken, daß sie „vor der zuständigen Behörde der Verordnung entsprechend Rauch- undTrankopfer dargebracht sowie Opferfleisch genossen haben". Ganz ähnlich werden die Edikte gelautet haben, von denen die früheren Märtyrerakten sprechen. Und als Analogie zu dem vorhin erwähnten Senatsbeschluß können die zahlreichen Gesetze 8 gelten, die in späteren Zeiten der christlich gewordene Staat erlassen hat, und in denen den Manichäern, Arianern oder sonstigen Häretikern die Ausübung ihres Kultes untersagt wird: auch da ist die Staatsfeindlichkeit dieser Sekten als anerkannt vorausgesetzt und jeder Erörterung von vornherein entzogen. Die Gesetze sind lediglich Anweisungen an die Behörden, in welcher Weise sie die Polizeigewalt den Sekten gegenüber handhaben sollen. Aber die beständige Wiederholung derselben Vorschrift in immer neuen Erlassen zeigt, daß die für die innere Politik verantwortlichen Beamten die Ausführung dieser Edikte den jeweiligen zeitlichen und örtlichen Umständen anpaßten und sie häufig ganz unterließen, weil ernsthafte Bedenken entgegenstanden. Genau so wird es mit den Christenedikten der früheren Zeit gewesen sein: derartige Erlasse wurden als politische Richtlinien aufgefaßt, deren Durchführung dem Ermessen der einzelnen Provinzialbehörden unterlag. Es ist eine große Linie, die von dem Edikt Trajans zu dem des Decius führt, und sie reicht noch über diese beiden Fixpunkte hüben und drüben hinaus. Unter Caracalla — also um 215—hat der berühmte Jurist Ulpian in seinem Werk über die Provinzialverwal') Acta Carpi, Papylae etc. 4. 45. Acta Justini 5, 8. Acta Apolonii 45. Acta Pionii 3, 2; vgl. Acta Maximi 1, 8. Melito bei Euseb K G 4, 26, 5. 10. *) Vgl. v. Gebhardt Ausgew. Märtyrerakten S. 182 f. 3 ) Z. B. Cod. Theod. 16, 5, 3. 5, 11 u. a.

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6. Das Christentum und die Welt

tung die kaiserlichen Edikte gegen die Christen gesammelt und die Strafpraxis in ein System gebracht1. Wenn die christlichen Apologeten zwei Edikte,eins desKaisers Hadrian und ein anderes des Antoninus Pius, im Wortlaut zitieren2, welche von dieser Linie abweichen, indem sie den Nachweis von Einzelverbrechen der Christen fordern oder sie gar in Schutz nehmen, so zeigt eben dieser Widerspruch zu der durch alle übrigen Zeugen bestätigten einheitlichen Haltung des Staates, daß wir es mit frei erfundenen oder tendenziös korrigierten Texten zu tun haben. Man hat sich früher bemüht, die Haltung der verschiedenen Kaiser zum Christentum 3 zu differenzieren und eine Anzahl besonderer Christenverfolgungen herauszuheben und sogar nach dem Vorbild des Euseb durch Ordnungszahlen zu bezeichnen. Die Voraussetzungen für solche Betrachtungen treffen nicht zu. Sobald es sich nicht um speziell stadtrömische Ereignisse handelt, ist die persönliche Neigung des jeweiligen Herrschers kaum von Einfluß auf den Gang der Dinge: höchstens, daß der Kaiser aus allgemein politischen Erwägungen heraus oder auf Anfrage eines Statthalters ein Christenedikt ausgehen läßt. Die „Christenverfolgungen" sind stets im Umfang begrenzt und ihr Ausbruch ist von örtlichen Bedingungen und dem Charakter des Statthalters abhängig. Domitian hat seinen Vetter Flavius Clemens töten lassen und seine Gattin Flavia Domitilla auf eine Insel verbannt „wegen Atheismus" — und es ist recht wahrscheinlich, daß damit das Christentum gemeint ist 4 . Vielleicht ist auch der wegen revolutionärer Umtriebe hingerichtete Acilius Glabrio seinem Glauben zum Opfer gefallen: die Familie ist jedenfalls schon im zweiten Jahrhundert als christlich nachweisbar 5 . Daß Domitian auch sonst gegen die Christen vorgegangen sei, melden uns die Berichterstatter nur in allgemein gehaltenen Worten6. Aber der ») Lactantius Instit. 5, 11, 19. *) bei Euseb K G 4, 9 und 13. ') Sammlung von Texten bei Preuschen, Analecta 2 1909—10. 4 ) Dio Cassius epit. 67, 14. Prosopogr. imp. Rom. 2 S. 66 nr. 170, S. 81 nr. 279. 5 ) Sueton Domitian 10. Vgl. Leclercq Dict. 6, 1259—1274. 6 ) Euseb K G 3, 17. Hier. Chron. Olymp. 218, 2—4 und Anm. p. 569 und Dio Cass. epit. 67, 14.

Erste Verfolgungen. Lyon und Vienne

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erste Klemensbrief redet um diese Zeit von drohender Verfolgung, und die gleichzeitig entstandene johanneische Offenbarung weiß, daß Rom trunken ist vom Blut der Heiligen und Märtyrer Jesu; der Seher schaut unter dem himmlischen Altar die Seelen der geschlachteten Zeugen 1 . Unter Trajan ist Ignatius von Antiochien nach Rom geschickt und dort hingerichtet worden 2 . Über alle diese frühen Martyrien haben wir keine genauere Kunde. Erst als im Verlauf einer größeren Verfolgung am 22. Februar 156 der achtzigjährige Bischof Polykarp von Smyrna lebendig verbrannt worden war, und die Gemeinde einen ausführlichen Bericht über den Hergang nach Philomelion ins innere Kleinasien geschickt und gleichzeitig als Rundbrief verbreitet hatte, ist die Aufmerksamkeit der Christenheit für solche Urkunden erweckt und ihrer Erhaltung günstig gestimmt worden: war doch Polykarp ein Mann, dessen Name mit der Uberlieferung der hochgeschätzten Ignatiusbriefe eng verknüpft war*. Im Jahre 177 brach in Lyon und Vienne eine ähnliche durch Volkswut entfesselte Verfolgung aus, und auch diese Gemeinden schrieben darüber einen Brief nach Kleinasien 4 , der mit seinen lebendigen Schilderungen jeden Leser immer wieder aufs tiefste erschüttert. Hier wird wirklich auf die Christen Jagd gemacht: wir sehen die Verwirrung in den Gemeinden, die ersten Folterungen verbreiten Schrecken, einige fallen ab, die Mehrzahl hält sich scheu zurück, heidnische Sklaven sagen aus, was gewünscht wird. Da rast die Wut des Volkes los, das Gefängnis füllt sich mit Bekennern, und alle Qualen einer bestialischen Henkersphantasie brechen über die Unglücklichen herein. Auch die ersten Verleugner werden wieder festgenommen und gewinnen im Angesicht des Todes neuen Mut. Blutige Bilder leuchten schreckhaft vor unsern Augen auf. Von Fäusten zerschlagen und Füßen zertrampelt liegt der neunzigjährige Bischof Potheinos im Kerker, bis ihn nach zwei Tagen ein barmherziger Tod erlöst. Mit zerfetztem Leib und ») 1. Clem. 7, 1. Apoc. 17, 6. 6, 9. vgl. 2, 13. 12, 11. 20, 4. *) Hieron. Chron. Olymp. 221, 4. s ) Bd. 1, 251. 4 ) Euseb KG 5, 1, 3—3, 3.

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6. Das Christentum und die Welt

zerschmetterten Knochen hängt die Sklavin Blandina zum Fraß für die Tiere am Kreuz: umsonst, die Bestien rühren sie nicht an, und so endet sie auf dem Scheiterhaufen. Mitten in der Arena steht ein rotglühender Sessel, der mit seinen Molochsarmen die Christen packt: gen Himmel steigt der Opferdampf der verbrannten Leiber, und von allen Marterstätten gellt unaufhörlich der Todesruf: ich bin Christ, ich bin Christ! Im Kerker liegen sie in Reihen, hilflos in den Block gespannt und sterben einen stummen Tod: ihre Leichen geben ein gutes Hundefutter. Die jämmerlichen Reste kehrt der Henker zusammen mit den Köpfen der enthaupteten römischen Bürger auf einen Haufen: schließlich lodert die Flamme auf und macht alles zu Asche, die man hohnlachend in die Rhone streut, damit ihnen auch die Hoffnung der Auferstehung zunichte werde. Aber in all dies blutige Grauen fällt leuchtend ein Schein aus einer andern Welt. Den Christen tut sich in ihrer Pein der Himmel auf, Christus steigt von seinem Thron zur Rechten Gottes, wo ihn Stephanus in seiner Todesstunde erblickte, herab und spricht ihnen Trost zu, und über der Seligkeit der Gottesschau verblassen alle irdischen Qualen. Kein Schmerz rührt mehr an die Seelen der Begnadeten: von ihrem verzückten Antlitz strahlt die Herrlichkeit des Herrn zurück, sie lassen die Menschlichkeit hinter sich und sind den Engeln gleich geworden1. Waren sie bisher tapfere Bekenner ihres Glaubens, so bringt ihnen der Eintritt in jene Welt die Würde der „Märtyrer", der „Zeugen Gottes", die für die Wahrheit ihres Zeugnisses mit ihrem Leben eingestanden sind — so wie es Christus, „der echte und wahrhaftige Zeuge", als ihr Vorbild tat 2 . Die älteste Kirche legt Wert darauf, den Märtyrertitel nur denjenigen beizulegen, die für Christus den Tod erlitten haben: erst dadurch wird ihr Zeugnis vollkommen. Es ist eine der antiken Welt geläufige und auch im Spätjudentum auftaui) K. Holl Ges. Aufsätze 2, 72 f. Mart. Polyc. 2, 2—4. Euseb K G 5, 1, 51. 55. Acta Carpi 39 u. ö. 2 ) Apoc. 1, 5. 3, 14. Euseb KG 5, 2, 2—3. Mart. Polyc. 1, 2. 17, 3. Ignat. ad Rom. 6, 3.

Der Märtyrer als Enthusiast. Perpetua

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chende Vorstellung, daß der echte Prophet die Wahrheit seines Zeugnisses mit dem Tode besiegelt1, daß er aber auch beim Erleiden dieses Todes mit überirdischen Kräften begnadet ist, die den Schmerz der Marter überwinden1. So wird es begreiflich, daß auch für die junge Christenheit erst die Vollendung durch den Tod das Zeugnis vollgültig machte, daß auch Jesu Sterben von hier aus einen neuen Sinn gewann, und so die göttliche Offenbarung an die Menschheit durch eine sich dauernd mehrende Schar von „Zeugen" bestätigt wurde, die in ihrer Sterbestunde- noch hier auf Erden bereits vom Glauben zum Schauen übergegangen waren*. Wir besitzen aus Afrika ein ganz eigenartiges Schriftstück, das uns den im Vollsinn des Wortes „enthusiastischen" Charakter dieser frühen Martyrien eindrucksvoll vor Augen stellt. Im Jahre 203 wird eine den höheren Ständen angehörige junge Frau namens Vibia Perpetua zugleich mit mehreren Sklaven wegen Christentums festgenommen. Sie hat ihre Erlebnisse und Empfindungen aufgezeichnet, und ihr Leidensgefährte Saturus hat das gleiche getan. Zu diesen Blättern hat die Gemeinde eine ausführliche Erzählung des weiteren Verlaufes hinzugefügt und das Ganze als wirksames Zeugnis der auch in der Gegenwart sich in Prophezeiungen, Visionen und Wundertaten offenbarenden Kraft des heiligen Geistes zur kirchlichen Vorlesung bestimmt 4 . Und tatsächlich sind diese Märtyrerakten in Afrika noch jahrhundertelang in den Kirchen verlesen und bei Abfassung anderer Akten nachgeahmt worden. Hier wird uns deutlich, daß die Märtyrer sich bewußt sind, von dem Moment der Einkerkerung an unter der Einwirkung besonderer Gottesgnade zu stehen: sie fordern visionäre Offenbarungen und erhalten das Gewünschte; sie haben Macht, durch ihr Gebet Verstorbene zu erlösen, sie schauen im Traumgesicht den Himmel und halten Zwiesprache mit ') Vgl. Apoc. 11, 7. Matth. 23,30.35. 37.4. Makk. 7,15. ») Ascensio Isaiae 5, 7. 14. 4. Makk. 6, 5—7. 13—14. 9, 21—22. ») Pauly-Wissowa 14, 4 2044—2052. ) Acta Perpetuae et Felicitatis: Aufzeichnungen der Perpetua c. 3—10, des Saturus c. 11—13. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

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6. Das Christentum und die Welt

dem Herrn. Kein Wunder, daß sie auch als autoritäre Friedensstifter dem Bischof ihrer Gemeinde und seinem gelehrten Presbyter den Weg zur Versöhnung zeigen. An die Stelle der ungebundenen pneumatischen Propheten der Urchristenheit, die im Laufe des zweiten Jahrhunderts dem geordneten Bischofsamt weichen und sich anschicken zu verschwinden, treten jetzt die Konfessoren als die vom Geist erwählten Heroen, die mit außerordentlicher Vollmacht handeln und der normalen Leitung der Gemeinde gelegentlich nicht unerhebliche Schwierigkeiten machen. Insbesondere nehmen sie das Recht der Lossprechung gefallener Brüder für sich in Anspruch 1 , und daraus sind, wie wir noch sehen werden, kirchliche Konflikte von größerem Ausmaß entstanden. Um dieselbe Zeit, in der wir die brieflichen Berichte über Martyrien vorfinden, sehen wir aber auch bereits den zweiten und für die weitere Entwicklung maßgebenden Typ der Märtyrerakte aufkommen, das Verhörsprotokoll. Aus Rom ist uns der Bericht über das Verhör des Justin (um 165) erhalten, in Pergamon ist zur gleichen Zeit das Martyrium des Karpos und Papylas aufgezeichnet worden, und im Jahre 180 ist in Afrika der lapidare Text über die Märtyrer von Scilli entstanden. Diese Protokolle sind keine Wiedergabe amtlicher Aktenstücke, die sich die Gemeinde etwa unter der Hand beschafft hätte, sondern literarische Gebilde, die auf Grund persönlicher Erinnerungen von Augen- und Ohrenzeugen, möglicherweise auch durch Nachschriften unterstützt, das Verhör in der Form eines Protokolls vor dem Leser aufbauen, um durch die urkundliche Fassung den Eindruck der Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Ähnlich sind die Kreise der opponierenden Philosophen verfahren, wenn sie den Freimut ihrer Standesgenossen vor dem Gericht tyrannischer Kaiser schildern: auch sie kleiden ihre Berichte in protokollarische Form, die zwar letzten Endes auf Nachschriften der wirklich gewechselten Worte zurückgeht, aber der Stilisierung beträchtlichen Raum gewährt und insbesondere die Reden der Angeklagten zu wirkungs>) Vgl. Euseb KG 5, 2, 5.

Märtyrerakten in Protokollform

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vollen Apologien der guten Sache ausgestaltet 1 . Die Verfasser christlicher Märtyrerprotokolle sind diesem Vorbild gefolgt, und auch bei ihnen sind die Reden der Blutzeugen das ergiebigste Feld für die Betätigung ihrer rhetorischen Neigungen. In steigendem Maße enthalten sie theologische Darlegungen, die den Einfluß der gelehrten Apologetik verraten und sich bis zu eingehend begründeten Nachweisen der Nichtigkeit des Götzendienstes auswachsen, ja sogar in dieHoffnung auf Bekehrung des richtendenBeamten ausmünden2. Der schlichte Typ der Frühzeit, wie ihn die Akten des Justin und der Scillitanerdarstellen, genügte den Anforderungen des Erbauung suchenden Lesers nur kurze Zeit: man kann an den verschiedenen Redaktionen 3 der Scillitanerakten das Wachsen des Stoffes gut beobachten. Diese gelegentlichen Maßregelungen der Christen haben sich ungefähr zwei Jahrhunderte hindurch in den gleichen Bahnen bewegt. Die Erhaltung des uns vorliegenden Materials ist durch so viele Zufälligkeiten bedingt, daß wir die Frage, ob das Auf- und Absteigen von Verfolgungswellen mit Schwankungen der Innen- oder Außenpolitik des Reiches zusammenhängt, im Ganzen nicht beantworten können. Nur so viel läßt sich feststellen, daß in der späteren Antoninenzeit bis auf Septimius Severus 4 die Nachrichten über Verfolgungen sich mehren, zu einer Zeit also, in der die wirtschaftliche und die militärische Krisis des Imperiums deutlich zu werden beginnt. Von Alexander Severus berichtet uns die wenig glaubwürdige Legende® allerlei christenfreundliche Züge. Aber der orientalische Synkretismus der syrischen Dynastie konnte allerdings keine große Neigung zu Christenverfolgungen haben, und die das Reich und den schwachen Alexander regierende Kaiserin-Mutter Julia Mamaea hat in einer der schlimmsten Kriegszeiten den berühmtesten Gelehrten der Christen, Ori') U. Wilcken alexandr. Antisemitismus (Abh. sächs. Akad. 27, 1909, Nr. 23 S. 826 ff.), Lietzmann Griech. Papyri 8 (Kl. Texte 14) n. 20. 21. 2 ) Z. B. Acta Apollonii 14-^5. Acta Pionii 4. 8. 13—14. ») J. A. Robinson in Texts and Studies Bd. 1 (1891), Heft 2 S. 112—121. 4 ) Euseb K G 6, 1. 2, 2. 3,3. 4, 1—5, 7. Hist. Aug. Severus 17. 5 ) Script, hist. Aug. Alexander Severus 22, 4. 29, 2. 43, 6. 49, 6. 11»

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6. Das Christentum und die Welt

genes, an ihren Hof nach Antiochia befohlen 1 , um sich seines geistvollen Verkehrs erfreuen zu können. Als der thrakische Landsknecht Maximin 235 der orientalischen Dynastie ein blutiges Ende bereitete, war für solche ästhetisch-religiöse Sentimentalität kein Raum mehr. Der neue Kaiser regierte mit brutaler Gewalt und schlug tot, was der alten Zeit anzuhängen verdächtig war. Dazu gehörten anscheinend auch christliche Kleriker. Die beiden römischen Bischöfe verbannte er, und in Palästina gab es eine ausdrücklich gegen die Kirchenhäupter gerichtete Verfolgung, die Origenes mit einer Mahnrede zur Standhaftigkeit begleitete*. In Kappadokien und Pontus waren durch schwere Erdbeben ganze Städte in Trümmer gelegt, und die Volkswut hatte sich wieder auf die lange Zeit hindurch fast vergessene Parole besonnen, die Christen als Sündenböcke vor die Löwen zu fordern: der kappadokische Legat Licinius Serenianus war mit Eifer dem Verlangen nachgekommen 3 . In den Wirren der folgenden Jahre gelangte auch einmal wieder ein echter Orientale auf denThron,der Araber Philippus (244—249). An ihn und seine Gemahlin Otacilia Severa hat Origenes Briefe geschrieben, und der späteren christlichen Tradition gilt er als Christ 4 . Das hat aber nicht verhindert, daß in Alexandria 249 eine Christenhetze vier Todesopfer forderte, zahllose Christen zur Flucht zwang und wüste Plünderungsszenen über ihre Häuser gehen ließ'. Alle diese Verfolgungen blieben Einzelerscheinungen von rein örtlicher Bedeutung, genau so wie alle ihre Vorgängerinnen. Mit dem Regierungsantritt des Decius änderte sich das Bild entscheidend. Dieser tatkräftige Soldatenkaiser erkannte die Notlage des Reiches in ihrer ganzen Schwere und wußte, daß es der Zusammenfassung aller Kräfte bedurfte, um das 1

) Euseb KG 6, 21, 3—4. auch Hippolyt hat ihr eine Schrift über die Auferstehung gewidmet, Achelis 1, 2, 251 ff., vgl. S. 252. l ) Euseb KG 6, 28. Origenes de martyrio, vgl. c. 7. 33 ed. Koetschau. s ) Firmilian v. Caesarea bei Cyprian ep. 75, 10. Origenes in Matth, comm. ser. 39 p. 75, 7 Klostermann. 4 ) Euseb KG 6, 34. 36, 3. vgl. Johannes Chrys. de S. Babyla 6 (2, 544 f. Montf.) Hieronymus Chron. Olymp. 256, 1. 5 ) Dionys. Alex, bei Euseb KG 6, 41, 1—9.

Verfolgungen im 3. Jahrhundert. Decius

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letzte Unheil abzuwenden: und vielleicht hat er auch wirklich den Niedergang des Imperiums mit dem Mangel an schuldiger Götterverehrung in ursächlichen Zusammenhang gebracht. So ordnete er denn schon Ende 249 an, daß an allen Orten des ganzen Reiches sämtliche Einwohner vor besonderen Opferkommissionen ihre ständige Anhänglichkeit an die Götter zu Protokoll erklären und durch einen Opferakt beweisen müßten 1 . Aber dieser Verordnung stand es an der Stirn geschrieben, daß sie eigentlich einen negativen Zweck hatte: es sollten die widerspenstigen Christen im ganzen Reich ermittelt und unschädlich gemacht werden, und man gab sich der Hoffnung hin, durch Drohungen die überwiegende Mehrzahl der Staatsreligion wieder zuzuführen. Wir haben zahlreiche Dokumente dieser religiösen Inquisition aus Ägypten erhalten in Gestalt der auf Papyrus geschriebenen Bescheinigung („Libellus") der örtlichen Opferkommissionen, daß der Inhaber des Papieres das Opfer vollzogen habe. Die an sich schon hoch wahrscheinliche Annahme, daß wirklich alle Einwohner, nicht bloß die verdächtigen Christen, vor der Behörde erscheinen mußten, wird durch diese Urkunden, unter denen sich auch die für eine heidnische Priesterin bestimmte befindet, zur Gewißheit erhoben 8 . Es war eine seltsame Form der Götterhuldigung: ein feierlicher Bittakt des ganzen Volkes für das ernstlich bedrohte Heil von Kaiser und Reich, aber er stellte sich zugleich mit schauerlicher Realität als eine blutige Polizeiaktion dar. Der Wandel der Zeiten spiegelt sich noch deutlicher darin, wenn man die Restaurationsbestrebungen des Augustus* zum Vergleich heranzieht. Dem Kaiser Decius wird das Gesetz des Handelns in vollem Umfang von den Gegnern vorgeschrieben. Die Decianische Verfolgung war also tatsächlich eine das ganze Reich umspannende, und ihr Ziel war die Wiedergewinnung der Christen für den Staatskult und damit die Vernichtung der gefährlichen Religion von innen heraus: die gewalt') Wittig bei Pauly-Wissowa 15, 1279—1284. Leclercq Dict. d'arch. 4, 309—339; zum Ganzen vgl. Alföldi. Klio31 (1938), 323ff. ») Wilcken Chrestomathie n. 125. Pauly-Wissowa 15, 1280 f. *) Bd. 1, 159.

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6. Das Christentum und die Welt

same Beseitigung der Unbeugsamen war nur nebenlaufendes Mittel zum Zweck. Dem entsprach auch die vorsichtige Abstufung der Gewaltmaßregeln, die vor allem Einschüchterung und Ermüdung des Widerstandswillens verfolgten und nur als äußerstes Mittel in besonderen Fällen den Tod vorsahen. Die Wirkung dieses ungeheuren Feldzuges ist denn auch ganz gewaltig gewesen. Daß der Staat zunächst nach dem hohen Klerus griff, um die Kirche führerlos zu machen, war seinem Wunsche angemessen: aber das Ziel wurde nur teilweise erreicht. Bischof Fabian von Rom starb als der erste am 20. Januar 250 den Märtyrertod, ihm folgte am 24. Januar Bischof Babylas von Antiochien, und auch der greise Bischof von Jerusalem, Alexander, ist im Gefängnis zu Caesarea umgekommen 1 . Aber Dionysius von Alexandria wurde von seinen Getreuen den Häschern entrissen und an einen versteckten Ort in Libyen gerettet", und Cyprian von Carthago gelang es gleichfalls, sich zu verbergen: er hat von seiner Zufluchtsstätte aus mit der Gemeinde in brieflicher Verbindung' gestanden und dem Klerus Verhaltungsmaßregeln gegeben. Auch von Gregor, dem Bischof von Neocaesarea in Pontus, ist uns eine gelungene Flucht bezeugt4. In all diesen führerlos gewordenen Gemeinden blieben Kleriker zurück, welche die jetzt besonders nötige Seelsorge weiter trieben und die gesunden Elemente zusammenhielten®. Im Ganzen scheint der staatliche Zwang tatsächlich einen Massenabfall bewirkt zu haben. Der lange Frieden hatte ein Gefühl der Sicherheit und eine starke Hinneigung zu „dieser Welt" erzeugt und bereits ein Gewohnheitschristentum entstehen lassen, welches einer ernsten Belastung nicht standhielt: das wird von Kirchenmännern Afrikas, Ägyptens und Palästinas übereinstimmend' betont. In Spanien fielen zwei Bi!) Euseb K G 6, 39, 1—4. Lietzmann Martyrologien S. 3. 8, 29. ) Euseb K G 6, 40. 7, 11, 22—23. ') Cyrian epist. 5—7. 10—19. 4 ) Gregor Nyss. vita S. Gregorii Thaum. (opera 3,569 ed. Paris 1638). ') Dionys. Alex, bei Euseb K G 7, 11, 24. •) Cyprian de lapeis 5—6. Dionys. Alex, bei Euseb K G 6, 41, 11—13. Orígenes hom. in Jer. 4, 3 p. 25 f. Klostermann. 2

Verfolgung des Decius

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schöfe, desgleichen in Afrika, und auch der Bischof Euktemon von Smyrna opferte mit dem Kranz im Haar und schwur das Christentum ab1. Wie viele Kirchenhäupter sonst noch versagt haben, wissen wir nicht: niemand hatte ein Interesse, das Andenken daran wach zu halten. Und die Laien strömten scharenweise zur Opferstelle, die Vornehmen und Begüterten voran: galt es doch die Rettung von Leben und Eigentum. Andere flohen aus der Stadt aufs Land, in die Berge, in die Wüste, um dem Opferzwang zu entrinnen. Das bedeutete wohl Preisgabe von Haus und Habe, und nicht wenige sind der Not der Einöde erlegen oder von räuberischen Horden gefangen und zu Sklaven gemacht worden 8 . Ein beliebtes Mittel der Rettung war die Bestechung: man verschaffte sich eine Opferbescheinigung, ohne das Opfer in Wirklichkeit zu vollziehen: so glaubte man sein Gewissen von der Sünde der Verleugnung Tein zu halten. Aber die Kirche erkannte diesen Schleichweg nicht an und behandelte solche „Libellatici" als Abgefallene, wenn auch als geringer belastete'. Aber es fehlte nicht an Standhaften, welche alle Bedrückungen, Gefängnis und Folter aushielten und die Märtyrerkrone errangen. Es bleibt erstaunlich, daß wir kaum sichere Märtyrerakten aus der Decianischen Verfolgung besitzen: die Akten des Pionius stehen da in einsamer Größe: nicht einmal der Bericht über das Martyrium des römischen Bischofs Fabian, der Cyprian zugesandt wurde4, ist uns erhalten. So müssen wir uns mit unvollkommenen Mitteilungen begnügen. Die Ruhmesgeschichte zahlreicher ägyptischer Glaubenshelden erzählt Bischof Dionys in seinem Brief an Fabius von Antiochia 5 . Die Akten des Pionius von Smyrna knüpfen mit ihrer anschaulichen Schilderung bewußt an die Tradition des Polykarpmartyriums an und lehren uns auch noch einen mar') Cyprian epist. 59, 10. 65, 1. 67, 1. Mart. Pionii 15, 2. 18, 12—13. ) Cyprian de lapsis 8. 11. 13 Dionys, bei Euseb KG 6, 41, 11—13. 42, 2—4. Gregor Nyssen. vita S. Gregorii Thaum. (op. 3, 569 auch bei Preuschen Analecta 2 1, 61). ') Cyprian epist. 55, 14. 30, 3. de lapsis 27. 4 ) Cyprian epist. 9, 1. B) Erhalten bei Euseb KG 6, 41, 1—42, 6. vgl. 7, 11, 20—25. s

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6. Das Christentum und die Welt

cionitischen Presbyter Metrodorus als Märtyrer kennen. Uber die Verfolgung im Pontus haben wir nur recht allgemeine Angaben1, und die Ereignisse in Rom und Carthago sind nur in großen Umrissen und gelegentlichenEinzelheiten aus denBriefen Cyprians zu erschließen2. Mehrfach hören wir, daß eingekerkerte Christen nicht getötet, sondern endlich losgelassen wurden, und in demBerichtüber die Folterungen des großenLehrersOrigenes betontEusebius ausdrücklich, daß man sich bemüht habe, ihn nicht zu töten®. Das stimmt zu der Gesamttendenz dieser Verfolgung, die auf innere, nicht äußere Vernichtung ausging. Ein Jahr lang hat dieser gewaltige Feldzug gegen das Christentum gedauert: dann war es klar, daß er nicht mit einem Sieg enden konnte. Ende März 251 kehrt Cyprian aus seinem Asyl wieder nach Carthago zurück. Um dieselbe Zeit wurde der verwaiste römische Bischofsstuhl mit Cornelius besetzt, und der an der Gotenfront kämpfende Kaiser konnte es nicht hindern4. Als er zu Beginn des Juni in unglücklicher Schlacht den Tod fand, endete die Verfolgung von selbst, und Cyprian konnte von göttlicher Vergeltung reden, die mit dem Frieden die Sicherheit wiedergebracht habe 5 . Wäre die urchristliche Unbedingtheit noch herrschend gewesen, so würde der Staat wenigstens eine gewaltige Verringerung der Christenzahl als Erfolg gebucht haben. Aber auch diesen Vorteil schlug ihm die Kirche aus der Hand, indem sie anerkannte, daß Bekennermut in Todesgefahr eine besondere und deshalb hoch zu preisende Leistung sei, die aber eben darum nicht von jedermann betätigt werden könne. Man entschloß sich, der Schwachheit des Fleisches Rechnung zu tragen und den Gefallenen die Möglichkeit der Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft zu eröffnen, wobei eine billige Berücksichtigung der Schwere des Einzelfalles zugesagt wurde. Diese Haltung blieb, wie wir noch sehen werden, nicht unwiderspro*) bei Gregor Nyss. vita S. Greg. Thaumat. (opera 3, 567). *) Vgl. Cyprian epist. 22. 40. ») Euseb KG 6, 41, 20. Cyprian epist. 13, 4. 6. 14, 2. 21, 4. 39, 1—2. Acta Achatii 5, 6. Euseb KG 6, 39, 5. 4 ) Cyprian epist. 55, 6. 8—9. Harnack Chronologie 2, 351. . ' ) Cyprian de lapsis 1. vgl. ad Demetr. 17.

Verfolgungen unter Decius und Valerian

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chen, aber sie setzte sich durch und hatte den Erfolg, daß im allgemeinen bald nach 251 alles wieder so war wie vorher, nur daß die Kirche durch die heroischen Beispiele tapferen Martyriums und den endlich doch errungenen Sieg in ihrem Selbstbewußtsein mächtig gestärkt war. Daran änderten die in der nächsten Folgezeit mehrfach wieder aufflackernden Verfolgungsversuche nichts, die sich sämtlich als schwache Nachahmungen des Decianischen Vorbildes darstellen. Gallus erneuerte das Opferedikt und schickte eine Anzahl Kleriker in die Verbannung, darunter auch den Bischof Cornelius von Rom1, der dann 253 im Exil starb. Ob die neu ausbrechende Pest den Anstoß zu dieser lahmen Aktion gegeben hat, muß dahingestellt bleiben: daß man den Christen auch jetzt noch die Schuld an solchen Katastrophen zuschob, wird uns ausdrücklich bezeugt*: war übrigens noch anderthalb Jahrhundert später üblich. Kaiser Valerian war den Christen durchaus wohlgesinnt und duldete sie auch am Hof und in seiner nächsten Umgebung, bis die steigende Not des Reiches ihm das klare Urteil trübte. Als sein bester General Macrianus® Maßregeln gegen die Christen verlangte, die durch ihre Gebete die Wirkung seiner magischen Beschwörungen zu verhindern schienen, gab er nach4 und erließ im Sommer 257 ein Edikt, welches den Christen befahl, wenn sie schon die Staatsreligion nicht annehmen wollten, wenigstens die römischen Zeremonien mitzumachen — die Formulierung sollte wohl ein Entgegenkommen bedeuten. Zusammenkünfte der Gemeinden und insbesondere das Betreten der Katakomben, in denen man bisher in Verfolgungszeiten Unterschlupf gefunden hatte, wurden verboten. Und auch jetzt waren die Kleriker ausdrücklich als die entscheidend wichtigen Personen bezeichnet 5 , auf die sich die Aufmerksamkeit der Behörden zu richten habe. ') Cyprian epist. 60, 1. 61, 3. Euseb K G 7, 1. Catal. Liberianus Chron. min. 1, 75. *) Cyprian ad Demetr. 3. de mortal. 1. 8. 17. *) Prosopogr. imp. Rom. 2, 95 n. 374. Stein in Pauly-Wissowa 7, 259—262. 4 ) Dionys. Alex, bei Euseb KG 7,10, 3—4. ») Acta Cypriani 1,1. 5—8. vgl. Acta Dionysii bei Euseb K G 7, 11, 7. 10.

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6. Das Christentum und die Welt

Daraufhin wurde Dionys von Alexandria nebst einem seiner Presbyter und drei Diakonen an einen Ort in Libyen deportiert und Cyprian am 30. August 257 zur Verbannung in das nahe Küstenstädtchen Curubis verurteilt. Aber nach einiger Zeit wurde die Regierung strenger. Dionys kam an einen einsamen Ort, der doch näher bei Alexandria lag, so daß er seine heimlichen Gottesdienste fortsetzen konnte. Cyprian aber wurde heimberufen und am 14. September 258 enthauptet. Kurz vorher, am 6. August, war Bischof Xystus von Rom samt vier Diakonen in einer Katakombe überrascht und getötet worden, vier Tage später folgte ihm sein Archidiakon Laurentius im Tode, und jeder Tag brachte neue Opfer 1 . Das Grab eines in dieser Zeit umgekommenen Märtyrers Novatian ist jüngst gefunden worden1. Diese Verschärfung war die Auswirkung eines neuen Ediktes, welches strengstes Vorgehen gegen Kleriker und, was sehr bezeichnend ist, gegen christliche Senatoren, Ritter und andere Standespersonen vorschrieb; über kaiserliches Hauspersonal aus dem Sklavenstande sollte Zwangsarbeit verhängt werden'. Die Verfolgung hat in Afrika noch eine ganze Reihe Opfer gefordert, über deren Ausgang uns gute Berichte erhalten sind4. Die meisten dieser Märtyrer sind Kleriker aller Grade, aber vereinzelt werden auch Laien hingerichtet. Ein Berichterstatter klagt darüber, daß man absichtlich die festgenommenen Laien von den Klerikern abgesondert habe in der Hoffnung, sie dann leichter zum Abfall bringen zu können 5 . Aus Spanien wird uns der Feuertod des Bischofs Fructuosus von Tarragona und zweier Diakonen gemeldet", und Euseb verzeichnet drei Märtyrer in Palästina, dazu noch eine Angehörige der Marcionitenkirche'. Inzwischen loderte an mehr als einer Stelle des Westens Empörung der Heere auf, und im Osten drohten die Perser: Valerian ging ihnen mit halber Kraft entgegen und geriet auf ungeklärte Weise in Gefangenschaft, in der er nach einiger 4 ) Cyprian, epist. 80, 1. Sieben Diakone nennt Lib. pontif. 25. *) Rivista di archeologia cristiana 10 (1933), 217. s ) Cyprian epist. 80,1. 4 ) Acta Montani et Lucii und Acta Mariani et Jacobi. 5 ) Acta Miriam et Jacobi 10, 2. •) Acta Fructuosi (Knopf S. 83). 7 ) Euseb K G 7,12.

Toleranzedikt des Gallienus

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Zeit starb. Jetzt griff Macrianus — weniger für sich als für seine Söhne — nach der Krone und ließ seine Truppen von Edessa nach Illyrien marschieren, wo Ende 261 das Unternehmen zusammenbrach. Dies allein würde es schon erklären, daß Valerians tatkräftiger und bewährter Sohn, Mitregent und Nachfolger Gallienus der von Macrianus angeregten Christenverfolgung ein Ende machte. Er hob sofort die Anordnungen seines Vaters auf und erließ eine Art Toleranzedikt1, in welchem den Christen der Gebrauch ihrer gottesdienstlichen Räume einschließlich der Friedhöfe wieder gestattet und Befehl gegeben wurde, sie „nicht zu belästigen". Das war mehr, als irgend ein Kaiser bisher je zugestanden hatte, denn es schloß eine versteckte Anerkennung des Christentums als einer erlaubten Religionsgemeinschaft in sich. Die Zeit der künstlich aufrecht erhaltenen Gleichgültigkeit war vorüber: der Staat mußte jetzt deutlich Nein oder Ja zum Christentum sagen, denn es war eine Großmacht, die in zwei blutigen Verfolgungen noch stärker geworden war als vorher. Die Entscheidung des Gallienus war ein kleinlautes Ja und bedeutete einen Sieg der Christen. ») Euseb KG 7, 13.

Die Apologeten Wir haben gesehen, daß der Staat sich den Christen gegenüber nicht auf rechtliche Diskussionen einließ, und von literarischer Erörterung des christlichen Problems oder gelehrter Bestreitung ihrer Lehren ist lange Zeit hindurch ebensowenig die Rede. Das Urteil über sie stand in der öffentlichen Meinung so unbedingt fest, daß man sich nicht die Mühe nahm, es näher zu begründen. Ob Tacitus oder Sueton, Plinius oder Fronto, Epiktet oder Mark Aurel, Lukian oder der Arzt Galen sie erwähnen 1 — immer geschieht es nur nebenbei und immer im Tone der Verachtung, an dem auch die Anerkennung ihres Todesmutes nichts ändert. Aber daß es im mündlichen Verkehr mancherlei Auseinandersetzungen gegeben hat, versteht sich von selbst, und es hat sich mit der Zeit eine Summe antichristlicher Gemeinplätze gebildet2. Auch die Verfolgungen sind zweifellos nicht ohne rhetorische Begleitfanfaren vor sich gegangen. Mögen die in den Akten überlieferten Reden der Märtyrer vor ihren Richtern auch meistens stilisierte Einlagen sein: es wird nicht selten wirklich eine Wechselrede mit leidenschaftlicher Anklage und nicht minder scharfer Verteidigung die Stelle der bürokratischen Formeln vertreten haben. Und vereinzelt hören wir auch von einem kynischen Philosophen* dem die Bekämpfung christlicher Predigt ein besonderes Anliegen war. Der erste, von dem wir eine regelrechte Streitschrift gegen die Christen kennenlernen, ist Celsus. Er mag in den letzten Jahren Mark Aurels geschrieben haben, ist uns aber im übrigen seinen Lebensumständen nach ebenso unbekannt wie seinem großen Gegner Origenes, dessen Werk ') Tacitus Ann. 15, 44. Sueton Nero 16. Plinius epist. ad Traian. 96. 97. Fronto bei Minucius Felix Oct. 9,6.31, 2. Epictet 4,7,6. M. Aurel 11, 3. Lucian de morte Peregrini 11—16. Pseudomantis 25. 38. Galen, de puls. diff. 2,4. 3, 3 (8,579.657 ed. Kühn). ! ) Geffcken Zwei griech. Apologeten 240 f. *) Crescens in Rom vgl. Justin apol. app. 3 und Tatian 19.

Kritik am Christentum. Celsus

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uns jene Schrift aufbewahrt hat 1 . Celsus hat sich wirklich um Kenntnis des Christentums bemüht, kennt die Bibel und weiß über Kirchenlehre und Beweisgründe der Christen Bescheid, ja er setzt sich bereits mit literarischen Verteidigern des Christentums auseinander. Er zeigt am deutlichsten, welch geschlossener Front von Gegnerschaft die Christen gegenüberstanden. Auch wenn man die bereits früher erwähnten Greuelmärchen beiseite ließ, gab es der Angriffspunkte genug und übergenug. Man sah die Christen nun einmal in der gleichen Linie wie die verachteten Juden und höhnte über die Streitigkeiten zwischen diesen beiden Gruppen, die doch alles Wesentliche, insbesondere den lächerlichen Messiasglauben, gemeinsam hatten und sich eines besonderen Verhältnisses zu Gott rühmten, während sie doch in Wirklichkeit nur als übles Geschmeiß anzusehen seien, einer Schar von Fledermäusen, Ameisen, Fröschen oder Würmern vergleichbar 1 . Ihre gemeinsam anerkannte Autorität ist Moses, der sein Wissen von den Weisen der Vorzeit entlehnt hat und seinem Volk den Glauben an einen Gott zusammen mit Engelkult und Zauberei bescherte*. Und in seine Fußtapfen ist Jesus getreten: denn auch er war ein betrügerischer Zauberer, und seine angeblichen Wunder entsprechen dem, was noch heute die Gaukler auf dem Markte produzieren — freilich ohne sich deswegen als Söhne Gottes auszugeben 4 . Die von Moses berichteten Geschichten der Urzeit und der Patriarchen sind so töricht und schändlich, daß die anständigen Juden und Christen sich ihrer schämen und sie durch allegorische Erklärung unschädlich zu machen versuchen — freilich ohne Erfolg". Es ist ein und derselbe Gott, den Juden und Christen verehren", aber er ist menschlichen Leidenschaften unterworfen, zürnt und droht, und ist schließlich nicht mächtig genug, seinem leidenden Sohn zu helfen oder seinen Tod zu rächen 7 . Er kann auch sein aus!) Wiederherstellung von O. Glöckner Kl. Texte 151. Orig. 3, 1. 5. 4, 2. 22. 23. 6, 50. ») Cels. bei Orig. 1, 17—26. Orig. 1, 6. 26. 68. 2, 7. 32. Justin apol. 1, 30. «) Cels. 36-51. vgl. 1, 18. •) Cels. bei Orig. 5, 59. ') Cels. bei 1, 54. 2, 34.

») Cels. bei *) Cels. bei bei Orig. 4, Orig. 4, 72.

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7. Die Apologeten

erwähltes Volk Israel nicht davon schützen, daß es in alle Welt zerstreut wird, so wenig er die Christen an allen Orten vor blutiger Verfolgung zu bewahren imstande ist 1 . Immerhin mag man den Juden ihre angestammte Volksreligion zubilligen: verwerflich sind auf jeden Fall die Proselyten, die sich unter Nichtachtung ihrer eigenen Weise ihnen anschließen, und vollends die Christen, die sich von den Juden abgezweigt haben und nun wurzellos und ohne volksmäßige Tradition in der Welt stehen. Sie jagen dem aberwitzigen Trugbild einer Weltreligion nach, die alle Völker von Europa, Asien und Afrika unter einem Gesetz vereinigen soll1! Zwecklos und undenkbar ist ihre Lehre von der Menschwerdung Gottes, die dem unwandelbaren Wesen eine Wandlung zum Minderen zuschreibt'. Und von der wunderbaren Geburt des Gottessohnes Jesus aus einer Jungfrau erzählen sie Fabeln, um die Tatsache zu verhüllen, daß ihn eine von dem Soldaten Panthera verführte Ehebrecherin geboren hat. Auch was sonst von seiner Taufe, den Weisen aus dem Morgenland, der Flucht nach Ägypten und seinen Wundern berichtet wird, ist ebenso unglaubwürdig wie seine in verdächtiger Heimlichkeit erfolgte Auferstehung 4 . Vielmehr beweist seine niedere Herkunft und sein schmählicher Tod zur Genüge, daß er kein Gottessohn, sondern ein Betrüger war, der am Kreuz die gebührende Strafe erlitt 5 . Kein Wunder also, daß seine Anhänger von menschlicher Weisheit nichts wissen wollen und sie für Torheit bei Gott erklären, daß sie immer nur Glauben und nochmals Glauben als Vorbedingung des Heils verlangen: ihr Werben gilt ja auch nur den Ungebildeten und Einfältigen. Was sie darüber hinaus an Gutem und Verständigem bringen, haben sie den Griechen entlehnt, freilich auch zumeist verdreht". Ihre gesamte Lebenshaltung ist widerspruchsvoll und sinnlos, und ») Cels. bei Orig. 8, 69. vgl. 39. Justin app. 5, 1. Minuc. Octav. 12, 2. ) Cels. bei Orig. 5, 25. 41. 51. 33. 8, 72. ') Cels. bei Orig. 4, 3.14. vgl. 6, 69. 72. 4 ) Cels. bei Orig. 1, 28. 41. 58. 62. 68. 2, 55. 63. 70. e ) Cels. bei Orig. 1, 69. 70. 71. 2, 5. 6, 74. «) Cels. bei Orig. 1, 9. 6, 11. 12. 15. 16. 19, vgl. 2, 5. 2

Celsus. Die ersten Apologeten. Quadratus

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das Beste wäre schon, wenn sie aus ihrer lebensfeindlichen Haltung die letzte Folgerung zögen und schlechthin aus der Welt gingen, ohne irgendwelche Nachkommenschaft zu hinterlassen, damit eine solche Gesellschaft völlig vom Erdboden verschwände 1 . Das war der geistige Hintergrund der Christenverfolgungen. So empfanden die johlenden Massen, die zur Christenhetze aufriefen und in der Arena ihre gierigen Augen mit Märtyrerblut sättigten; so dachten die gebildeten Kreise, so die hohen Beamten, die auf dem Tribunal ihre Todesurteile fällten. Es war ein kühnes und schwieriges Unterfangen, gegen eine solche feststehende Weltmeinung anzukämpfen, und doch war der Appell an die öffentliche Meinung, die Umstimmung der Gebildeten und in letzter Instanz des Kaisers das einzige Mittel, durch das sich eine Besserung der Lage erhoffen ließ. Und so haben sich denn seit der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts christliche Schriftsteller an diese schwere Aufgabe gewagt. Seit ein sonst unbekannter Quadratus* an Kaiser Hadrian eine Verteidigungsschrift für die Christen richtete, sind immer aufs neue wieder Apologien verfaßt und den Herrschern gewidmet worden. Ob jemals eine dieser Flugschriften wirklich das kaiserliche Kabinett erreicht hat oder gar in die Hände des Herrn gelangt ist, muß dahingestellt bleiben und ist wohl mehr als fraglich. Klar ist aber, daß man versucht hat, diese Werke in den Kreisen der Gebildeten zu verbreiten, sie also in die üblichen Kanäle des Buchhandels zu leiten — und da ist der Erfolg augenscheinlich ausgeblieben*. Aber wenn auch der nächste Zweck nicht erreicht wurde, so ist doch das ganze Unternehmen von größter Bedeutung für die Entwicklung des Christentums geworden. Denn es trat nun mit vollem Bewußtsein aus der Enge der Weltabgeschlossenheit hervor und breitete seine Schätze vor den Trägern der römischen Reichskultur aus. Und es gab sich alle Mühe *) Cels. bei Orig. 8, 55. Justin app. 4, 1. Minuc. Oct. 9, 1. Tertullian Scapul. 5. l ) Euseb KG 4, 3, 1—2. ») Tertullian test. anim. 1 (p. 135, 10 Wissowa).

7. Die Apologeten

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zu zeigen, daß die neue Religion mit den anerkennenswerten Idealen dieser Kultur, vor allem mit den besten Errungenschaften seiner Philosophie, nicht in unlöslichem Widerspruch stehe, sondern weithin übereinstimme, und letztlich vollende und zur gelebten Wirklichkeit bringe, was dort nur als Anfang und theoretische Konstruktion erscheine. Dabei wurden geschickt die Strömungen verwertet, die, aus pythagoreischen und platonischen Quellen fließend, eine Uberwindung des zur Skepsis erstarrten Intellektualismus durch mystische Spekulation bewirkten und dem Neuplatonismus als der abschließenden Philosophie der Antike zustrebten. Die Apologeten wollten mit ihren Schriften in die Weltliteratur eintreten. Es ist kein Wunder, daß ihnen das nicht gleich gelang. Aber sie sind unverdrossen den Weg weitergegangen und haben die Voraussetzungen geschaffen, unter denen kaum ein Jahrhundert später ein Mann wie Origenes als Apologet und Systematiker des Christentums gleichwertig mit dem Neuplatoniker Plotin erscheinen und die höchste Bildung seines Zeitalters in seiner Person darstellen konnte. Die Apologeten haben den letzten und entscheidenden Schritt zur Eroberung der Welt durch das Christentum getan: sie haben den Geist griechischer Wissenschaft für die Botschaft der Kirche gewonnen. Die älteste uns erhaltene Apologie trägt den Namen eines Aristides aus Athen und mag um 140 entstanden sein: sie ist dem Kaiser Antoninus Pius gewidmet. Wir können sie aus einer syrischen Übersetzung, armenischen Resten und griechischen Auszügen leidlich wiederherstellen 1 . Da bringt ein Mann von bescheidenster Bildung eine billige Gelehrsamkeit zusammen, um zu beweisen, daß die alten Kulturvölker der Chaldäer, der Griechen und der Ägypter keine rechte Gotteserkenntnis haben, daß die Juden den Monotheismus und ihre gute Sittenlehre durch Engelkult und allerlei Ritualien verderben, und daß allein die Christen die Wahrheit besitzen und nach ihren Geboten leben. Das alles wird in unbeholfener Sprache mit primil

) J. Geffcken Zwei griech. Apologeten S. 3—27. Goodspeed Apologeten S. 3—23.

Aristides

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tiver Disposition vorgetragen und kann einem gebildeten Leser der Zeit wenig Eindruck gemacht haben. Aber sehen wir den Inhalt an. Aristides beginnt mit dem Hinweis darauf, daß der staunende Einblick in die wunderbare Ordnung der Welt ihn Gott als den Beweger des Alls kennen gelehrt habe, und was er weiter in negativen Formeln über Gott sagt, ist in den Hallen der Stoa bekannt und auch bei den Vertretern des philosophischen Judentums zu finden1. Aber dann stellt sich der Gegensatz ein: die Christen allein, das „dritte Geschlecht" in der Welt, haben die Wahrheit, die beiden andern Geschlechter, Juden und Heiden gehen irre. Die Heiden fehlen durch Anbetung des Geschaffenen statt des Schöpfers und durch ihren unmoralischen Polytheismus. Hier arbeitet der Verfasser mit Material, das bereits zu gleichem Zweck von der jüdischen Apologetik zusammengestellt war und teils den Predigten alttestamentlicher Propheten, teils den antireligiösen Reden der Skeptiker und Epikuräer entstammt. Aber beide Quellen fließen in der gleichen Richtung, und die ganze Argumentation könnte in der Zeit Ciceros schon fast ebenso gelautet haben. Diese Diskussionen über den Unwert des Polytheismus sind rein akademische Deklamationen, die mit der lebendigen Religiosität der Gegenwart nichts zu tun haben und einen längst verstorbenen Gegner noch einmal totschlagen. Wenn man damit jetzt noch Eindruck machen wollte, mußte man sie etwa in Lukians Manier pikant zubereiten: das Thema an sich war langweilig. Wir bemerken im übrigen, daß von eigentlich Christlichem bisher kein Wort zu spüren ist, und auch die Ablehnung des jüdischen Ritualismus und Engeldienstes erfolgt ohne besondere Begründung. Erst am Ende setzt die positive Empfehlung des Christentums ein. Da wird nicht diskutiert, widerlegt oder bewiesen, sondern einfach erzählt. Die Christen stammen von Jesus Christus: der war als Gottes Sohn vom Himmel herabgekommen und hat von einer Jungfrau Fleisch angenommen. Als Verkünder seiner Lehre wählte er zwölf Jünger aus, die ') Vgl. Geffcken S. 31—41. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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nach seinem Tod und seiner Auferstehung in der ganzen Welt die Wahrheit ausbreiteten, daß es nämlich gelte, nur denWeltschöpfer anzubeten und die Gebote Christi zu erfüllen. Wer das tut, wird nach der Auferstehung der Toten ewiges Leben gewinnen. Was dann als das Wesentliche der Gebote Christi mitgeteilt wird, entspricht der Katechismuslehre, die wir aus Didache und Barnabasbrief, Diognetbrief und anderen Apologeten kennen. Der Leser wird mehrfach ermuntert, sich aus den heiligen Schriften selbst zu unterrichten und mit der Versicherung entlassen, daß der Bestand der Welt nur den Gebeten der Christen zu verdanken sei: also möge sich der Heide rechtzeitig bekehren, ehe das Endgericht kommt. Wir haben in diesem Früherzeugnis der Apologetik ihre Elemente gewissermaßen im Rohzustand vor uns: unbearbeitet, unverbunden und ohne geistige Durchdringung werden sie dem Leser vorgesetzt. Kein Wunder, daß sie ihm nicht munden. Nur ein Jahrzehnt später schreibt der Palästinenser Justin in Rom seine Apologie an Antoninus Pius und seinen philosophischen Sohn Mark Aurel. Nach einem weiteren Jahrzehnt läßt er dieser Flugschrift ein breit ausgeführtes Religionsgespräch mit einem Juden namens Tryphon folgen. Ein Meister des Stils und der Stoffanordnung ist auch Justin nicht, aber doch ein redegewandter Mann und als „Philosoph" so gut gebildet wie viele seiner Zeitgenossen. Und daß er mit diesen Eigenschaften Christ geworden ist und im Christentum die echte Philosophie findet, gibt ihm seine wahre Bedeutung und macht ihn zum apologetischen Klassiker. Die traditionelle Polemik gegen den Polytheismus und seine Mythen finden wir auch bei ihm, aus den bekannten Quellen geschöpft. Aber all diese Dinge treten in ein neues Licht, weil Glaube, Mythos und Kult des Heidentums als trügerische Erfindung der Dämonen erscheint. Waren schon bei Paulus1 die Dämonen Empfänger heidnischer Opfer, so ist hier unter dem Einfluß des neuerwachenden Piatonismus diesen Mittelwesen zwischen Gott und Welt ein breites Wirkungsfeld eingeräumt. 1. Kor. 10, 20 f.

Justin: Dämonenlehre. Weissagungsbeweis

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Dem Plutarch sind sie bereits Vermittler zwischen Göttern und Menschen, und ihre Stimme ist es, die in den Orakeln klingt. Bei Justin gelten sie im gesamten Ablauf der Geschichte als die eigensüchtigen Gegner der göttlichen Wahrheit, als die Schöpfer von Lug und Trug und allerlei Blendwerk, das mit reizendem Gaukelspiel die Sinne der Menschen befriedigen soll. Gott hat durch die Propheten Weissagungen ausgehen lassen: in seltsamen Mythen und Kulten haben die Dämonen im Bunde mit den menschlichen Leidenschaften deren Erfüllung vorgetäuscht, um der echten Offenbarung Gottes ihre Beweiskraft zu nehmen. Aber jetzt ist ihr falsches Spiel entdeckt und die Wahrheit durch Christi Erscheinung klar zutage getreten. Über ein Jahrtausend zuvor sind alle Einzelheiten der Heilsgeschichte, des Lebens und Leidens, der Auferstehung und Himmelfahrt Christi bis hin zur Zerstörung Jerusalems geweissagt: pünktlich sind sie alle zu ihrer Zeit erfüllt, und die Gewißheit dieser Erkenntnis macht uns auch das Eintreffen der noch ausstehenden Prophezeiungen von Christi Wiederkunft und dem Endgericht unzweifelhaft 1 . Das ist ein ganz rationaler Beweis für die Wahrheit des Christentums: er ist von dieser Grundlage aus in die Kirchenlehre und orthodoxe Apologetik übergegangen und wirkt bis auf den heutigen Tag. Und auf diesem Wege beweist Justin noch mehr. Erst diese Erfüllung von Weissagungen gibt uns die Gewähr für die Glaubwürdigkeit der Selbstaussagen Christi, die ihn als erstgeborenen Sohn Gottes erkennen lassen 1 . Was heißt das? Den kurzen Andeutungen der Apologie hat Justin in seinem Dialog genauere Aussagen folgen lassen. Gott ist ihm wie dem Aristides — und ebenso den übrigen Apologeten — die letzte Ursache der Welt und ein überweltliches Wesen, ewig unveränderlich und nur dem Auge der Vernunft erkennbar®. Kein Name nennt ihn recht, denn nur von seinen Wirkungen her vermögen wir über ihn preisend zu reden4. Kein Raum, auch nicht die ganze Welt, umfaßt ihn, der vor aller Welt war: 0 Justin apol. 31—53. l ) Justin apol. 53, 2. ») Justin dial. 3, 4. 7. *) apol. 10,1. 2 app. 6, 1. 2. 12*

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unausdenkbar ist die Vorstellung, er könne je die Kluft überschreiten, auf Erden sichtbar werden und zu Menschen reden1. Er ist jenseits aller Wesenheit, wie Plato sagt, und Justin stimmt ihm zu und lobt die Philosophie2. Dieser „unnennbare Vater und Herr des Alls" ließ „am Anfang" und vor allem Geschaffenen eine Kraft aus sich hervorgehen, die wir den „Logos", das „Wort" Gottes nennen, da sie Gottes Botschaft den Menschen gebracht hat®. Und nun nutzt Justin den Doppelsinn des Griechischen aus, da ihm „Logos" sowohl „Wort" wie „Vernunft" bedeutet. So wie der Logos eines Menschen als „Vernunft" oder „Gedanke" erst in ihm ist und dann als gesprochenes „Wort" aus ihm hervorgeht, ohne daß der Mensch dadurch eine Verringerung seines inneren Logos, nämlich seiner Vernunft, erleidet, so ist auch Gottes Logos, der von Ewigkeit bei ihm ist — also seine Vernunft — nicht gemindert worden, als er den Logos aus sich hervorgehen ließ. Vielmehr war es, als ob ein Feuer an einem andern sich entzündet, ohne daß dieses dadurch kleiner wird. Diesen Vorgang bezeichnet Justin als die Zeugung des Sohnes Gottes: und da dieser Sohn nunmehr als selbständige Persönlichkeit aus Gott dem Vater herausgetreten ist, dürfen wir von ihm als einem „zweiten Gott" reden, obwohl weder Gottes Wesenheit geteilt, noch sein Ratschluß und Wille von ihm getrennt wurde4. Dieser Logos ist uns nun in den heiligen Schriften faßbar als der Sohn, der vor allem Geschaffenen erzeugt wurde. Zu ihm sprach bei der Weltschöpfung derVater „lasset uns Menschen machen", er ist die „göttliche Weisheit", die als Beginn der Wege Gottes in den Sprüchen Salomos 8, 22 erscheint5, und „durch ihn" hat Gott die Welt geschaffen und geordnet 0 : so ist er der Mittler zwischen der Unnahbarkeit des Vaters und der Bedürftigkeit der Welt. Er erschien den Menschen zuweilen sichtbar, und das Alte Testament nennt ihn oft den „Engel des Herrn" oder auch „den Herrn", der sich den Got») dial. 127. -) dial. 4, 1 (vgl. Plato repub!. 6 p. 509 b). apol. app. 13, 2. ') dial. 127, 2—4. 128, 1—2. vgl. 61, 1. ) Tatian 1—3. 2 ) Tatian 1. 12. 29. 31. 35. ») Justin apol. 59—60. «) Tatian 40, 1. ») Tatian 31—41. ») Tatian 9, 1. 12. 14—17. 7 ) Tatian 29, 2. 8 ) Tatian 5, 1—3. 7, 1, 9 ) Tatian 23, 2. 10 ) Euseb K G 4, 29, 1—3. Epiphan. haer. 46, 1, 1—2, 3. n ) S. 93.

Tatian. Athenagoras

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Auch bei Tatians Zeitgenossen Athenagoras aus Athen spielen die Dämonen eine große Rolle, und die Logoslehre tritt noch mehr zurück: beide Männer wollen augenscheinlich die von Justin in Erwägung gezogenen „Samenkörner des Logos" in der außerbiblischen Welt nicht anerkennen. Aber Athenagoras ist nicht von dem temperamentvollen Haß des Syrers beseelt, sondern spendet den griechischen Weisen anerkennende Worte, freilich nur, um am Ende festzustellen, daß sie alle miteinander in Widerspruch stehen, weil sie den Antrieb zur Forschung ihrer eigenen Seele entnehmen. Dem gegenüber werden die Propheten vom Geiste Gottes getrieben und sind dadurch befähigt, einhellig für die göttliche Wahrheit Zeugnis abzulegen1. So stellt er das Christentum zwar als gleichberechtigt neben die Philosophie und fordert von diesem Standpunkt aus Toleranz vom Staate*: aber in Wirklichkeit ist das Christentum nicht rational, wie Justin seine Leser glauben machen will, sondern göttliche Offenbarung eigener Art; der Enthusiasmus der prophetischen Ekstase ist kein „menschlicher" Beweis, sondern gibt absolute Wahrheit*. Es ist überhaupt bezeichnend, daß die Prophetenschriften auch abgesehen vom Weissagungsbeweis bei den Apologeten ein überragendes Ansehen genießen: Justin, Tatian und Theophilus behaupten, durch ihr Studium bekehrt worden zu sein. Und auch der schwankende Augustin wird noch im vierten Jahrhundert von seinem Beichtiger Ambrosius auf den Propheten Jesaias verwiesen, diesmal freilich ohne Erfolg4. Bei Athenagoras wird das Irrationale dieses Hinweises auf die Propheten äußerlich nicht hervorgehoben; das würde seiner Tendenz widersprechen. Er bemüht sich, den wirklichen Gegensatz seiner Religion gegen alle Philosophie zu verbergen und hat sogar die Auferstehung des Fleisches den Griechen in einer besonderen Schrift einleuchtend zu machen versucht: und diese mündet aus in den Satz5, daß es Ziel des Menschen') Athenag. suppl. 7, 1—2. *) Athenag. suppl. 1—2. *) Athenag. suppl. 9, 1. *) Justin dial. 7,1—8,1 Tatian 29. Theoph. 1, 14. Augustin. conf. 9, 5, 13. •) Athenag. res. mort. 25. vgl. 13 und den Hinweis suppl. 31, 3.

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lebens sei, sich „an der Schau des Schöpfers und seiner Ratschlüsse ohne Aufhören zu erfreuen" — eine Formulierung, in der Bibel und Philosophie zusammenklingen. Der kurz nach 180 schreibende 1 Bischof Theophilus von Antiochia bringt in das uns bisher bekannt gewordene Bild der Apologetik keine neuen Züge: er schreibt ein gefälligeres Griechisch, stellt noch etwas mehr an billiger Gelehrsamkeit zur Schau als seine Vorgänger und kommt nach der Anerkennung vereinzelter Lichtblicke bei heidnischen Schriftstellern doch im Ganzen auf eine runde Ablehnung aller griechischen Weisheit, die aus jungen Quellen stammend mit den uralten Lehren der alttestamentlichen Propheten keinen Vergleich aushalte. Elegant in der Form und flüchtig im Inhalt ist der ohne Verfassernamen überlieferte Brief an Diognet — womit doch wohl der gleichnamige Lehrer Mark Aurels gemeint sein soll. Viel gerühmt ist seine idealisierende Schilderung des Christentums mit ihren spitzen Formulierungen. Darin steht auch das Bekenntnis zum Pilgertum auf Erden 1 : „jede Fremde ist ihnen Vaterstadt und jede Vaterstadt Fremde" — man darf nicht „Vaterland" übersetzen, denn dieser Begriff fehlt der damaligen Welt*. Aber die Sache meint doch der Römer Caecilius, wenn er in dem graziösen Dialog Octavius seinem christlichen Gegner die Hoheit der altväterlichen Religion und ihre Verbundenheit mit der ruhmvollen Geschichte Roms vor die Seele stellt und für sie Anerkennung fordert4. Nur schade, daß er das offene Beknntnis vorausschickt, daß er als philosophischer Skeptiker an diese Dinge auch nicht glaube, sondern sie nur in Ehren halte. Octavius antwortet schneidend5, die römische Geschichte sei eine Summe von Gottlosigkeit, Frevel, Gewalttat und habe nichts mit Göttern zu tun. Er empfindet diese Geschichte nicht als eigenes Schicksal, er so wenig wie die andern Millionen im Reich. Nur wenn es die rhetorische Wir») Theoph. ad Autol. 3, 27. 2 ) Epist. ad Diognetum 5, 5. s ) Lehr4 ) Minucius Felix Octavius 6—7. reich Celsus bei Orig. 8, 73. 74. 6 ) ebd. 25.

Theophilus. Minucius Felix

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kung fordert, redet man patriotisch — und es ist bezeichnend, daß das ganze Religionsgespräch ausgeht von dem Handkuß, den der Patriot Caecilius nicht etwa einem altrömischen Kultbild, sondern einer Serapiskapelle zuwirft. Was im übrigen Caecilius den Christen vorhält und was Octavius seinem Gegner antwortet, bewegt sich in den uns bekannten Geleisen, ist aber gut geformt und eindrucksvoll geordnet, so daß dieser um 200 entstandene Dialog des Minucius Felix die lateinische Apologetik anständig eröffnet.

Kleinasien und der Montanismus Auf dem alten griechischen Kulturboden des westlichen Kleinasiens hat das Christentum am schnellsten Fuß gefaßt und sich von dort an den meerbespülten Rändern entlang nordwärts verbreitet. Auch ins Binnenland ist es eingedrungen, soweit die griechische Zunge klang. Immer ist es von den größeren Städten ausgegangen und hat in den kleinen Orten und schließlich auf dem Lande Anhänger gefunden. Aber im allgemeinen war die Grenze seiner Eroberungen da gesteckt, wo die nationalen Eigentümlichkeiten der zahlreichen kleinasiatischen Völker herrschend waren und ihre seltsamen Sprachen noch lebten: und das ist Jahrhunderte hindurch so geblieben1. Das kirchliche Christentum ging den Weg der griechischen Kultur: und der war in Kleinasien weitverzweigt und bequem ausgebaut. Ephesus war der durch Paulus begründete Zentralort der christlichen Mission. Von da ist die Botschaft ins Lykostal hinaufgetragen worden und in Phrygien eingedrungen, wo sie sich anscheinend schnell verbreitet hat. Ein zweiter Sammelpunkt christlichen Einflusses ist bald Smyrna geworden, Sardes und Pergamon kennt schon die johanneische Apokalypse als christliche Städte, und noch im Laufe des zweiten Jahrhunderts finden wir Gemeinden in den Küstenstädten Byzanz, Nikomedia, Amastris, Sinope und in den Hauptstädten der Binnenlandschaften Galatia (Ankyra) und Kappadokien (Caesarea)1. Diese kleinasiatische Christenheit war stolz auf ihre Eigenart: nicht nur auf Paulus konnte sie sich berufen, sondern sie war durch den Evangelisten Philippus auch mit Jerusalem verbunden, und der johanneische Kreis hat die Kirche mit dem vierten Evangelium beschenkt, um das sich bald die Legende vom ephesinischen Johannes ') Holl Ges. Aufs. 2, 238—248. ») Zusammenstellung bei Harnack Mission4 2, 732—785.

Das Christentum in Kleinasien. Theologie

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rankte. Es sind starke und mannigfaltige Kräfte gewesen, die sich hier regten, und die Kleinasiaten wußten das und mühten sich, die übrige Christenheit an ihrem Reichtum teilnehmen zu lassen. Wir haben bereits gesehen, wie im Osterstreit das Selbstbewußtsein dieser Kreise hart auf ähnliche Stimmungen in Rom stieß. Die Theologien des Christusproblems nahmen hier ihren Ausgang, als sie den Eroberungszug nach Rom und damit auch dem übrigen Westen antraten. Als erster wird uns ein Gerber aus Byzanz namens Theodotos genannt, der Ende des 2. Jahrhunderts nach der Reichshauptstadt übersiedelte und dort die „dynamistische" Lehre von der Einwohnung des Gottesgeistes ( = Christus) als inspirierender Kraft in dem Menschen Jesus vertrat 1 . Seine Schule baute diese Theologie mit den Hilfsmitteln der Philosophie weiter aus und hat auch nach dem Bruch des Meisters mit der Kirche noch erheblich gewirkt*. Wenig später erschien in Rom Noetos aus Smyrna mit der „monarchianischen" Lehre, daß Gott selbst Fleisch geworden sei und in der Gestalt Jesu Christi auf Erden gewandelt habe, gemartert und gestorben sei: der Unsichtbare sei sichtbar, der Ungeborene geboren, der Unsterbliche getötet worden*. In diese Paradoxa faßt er das Geheimnis der Person Jesu und hat viele Herzen und Köpfe damit gewonnen. Gleichzeitig mit Theodot ist auch Praxeas aus Kleinasien nach Rom gekommen, hat dort einige Zeit gewirkt und sich dann nach Karthago begeben, wo Tertullian eine leidenschaftliche und, wie er behauptet, siegreiche Abwehr gegen ihn eröffnete 4 . Auch ihm ist die Betonung der göttlichen Einheit das entscheidende Anliegen. „Ich und der Vater sind eins" und „wer mich sieht, der sieht den Vater"; „ich bin im Vater und der Vater in mir": das sind für ihn die entscheidenden Selbstzeugnisse Jesu®. So hat der Vater Geburt und Leiden erfahren: der allmächtige Gott selbst wird als Jesus Christus gepredigt, ») Hippol. Refut. 7, 35. Epiph. haer. 54, 1, 3. 3, 1. 5. vgl. o. S. 131. ) Hipp, bei Euseb KG 5, 28, 8—12. •) Hippol. Refut. 10, 27, c. Noetum 1 p. 43, 10 Lagarde. 4 ) Tert. adv. Prax. 1. «) Tert. adv. Prax. 20 Joh. 10, 30. 14, 9. 11.

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8. Kleinasien und der Montanismus

Gott hat sich selbst zu seinem Sohn gemacht, denn „ich bin Gott und ist kein Gott außer mir" spricht der Herr 1 . Es ist die scharf formulierte Absage gegen alle Logosspekulationen, die neben Gott dem Vater einen göttlichen Sohn als eigenes Wesen anerkennen wollen, es ist die Furcht der „Einfältigen" vor Polytheismus, welche zu dieser Ablehnung trinitarischer Ausdeutung der Glaubensregel treibt 2 . Und doch erkannte auch Praxeas die biblische Unterscheidung von Vater und Sohn an, nur daß er das Merkmal nicht in der Sphäre der Gottheit sucht. Für den Sohn bezeichnend ist seine Leiblichkeit, an der sich auch das Leiden vollzieht, so daß die mit dem Vater identische Gottheit nicht eigentlich leidet, sondern an dem Leiden, das den Leib trifft, teilnimmt'. So entgeht Praxeas dem Vorwurf, die Gottheit leidensfähig und somit „wandelbar" zu machen, was philosophisch verboten ist. Die betonten Paradoxa Noets sucht Praxeas zu vermeiden und gibt dadurch der Diskussion eine breitere Grundlage. Die unter unsern Augen in Rom und Afrika durchgekämpfte Streitfrage ist vorher schon in Kleinasien Gegenstand theologischer Erörterung gewesen, ohne daß dort eine Entscheidung gefallen wäre. Wir hören nur, daß die Presbyter von Smyrna der Einheitslehre des Noetos die in der Glaubensformel gegebene Zweiheit von Gott und Christus entgegengestellt und ihn exkommuniziert haben 4 . Eine theologische Lösung war das nicht, und der Monarchianismus blieb die volkstümliche Auffassung; wir werden seine Kraft noch in den folgenden Jahrhunderten spüren. Er wächst in immer neuen Formen aus der naiven Frömmigkeit eines sakramentalen Erlösungsglaubens hervor, der in der Menschwerdung der Gottheit die Bürgschaft künftiger Vergottung der Menschheit erblickt und sich mit allen theologischen Formeln abfindet, welche für diesen Grundgedanken Raum lassen. Wird aber der menschgewordene Christus als gesondertes Wesen ') Tert. adv. Brax. 2. 10. 20 vgl. Jes. 45, 5. *) Tert. adv. Prax. 3. ) Tert. adv. Prax. 27. 4 ) Hipp. c. Noet. 1 p. 43 Lagarde, Epiph. haer. 57, 1. s

Praxeas.

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Sakramentstheologie

von Gott unterschieden, so wird dieser Glaube angetastet und ist durch keine Vermittelungsversuche zu retten. Für das naive Denken gibt es nur e i n e n Gott — dieses monotheistische Dogma steht unangreifbar fest — und dieser ist in Christus Mensch geworden. Ein göttlicher Logos neben Gott ist ein zweiter Gott, wie Justin ja auch anerkennt 1 : mit solcher Lehre ist erstens der Monotheismus zerstört, und zweitens die gradlinige Folgerichtigkeit des Vergottungsglaubens zerbrochen, der sich mit keinem Ersatz für Gott zufrieden gibt. So mußte der Monarchianismus sowohl mit der philosophisch orientierten Logoslehre der Apologeten als auch mit den aus der Glaubensregel erwachsenden Trinitätsformeln zusammenstoßen und um sein Daseinsrecht kämpfen: die großen Kontroversen des 4. und 5. Jahrhunderts sind hierdurch im letzten Grunde bedingt. Während im Volk die ursprünglichen Anschauungen unverändert Frömmigkeit und Denkweise beherrschen, treten die Führer in die Kampflinie der Theorien ein, welche zum theologischen Ringen und damit zur Dogmengeschichte treibt. Wie stark die Volksfrömmigkeit dieser Kleinasiaten durch den Sakramentsglauben bestimmt ist, lehrt anschaulich die berühmte Inschrift des Aberkios von Hierapolis*, einem phrygischen Städtchen zwischen Eumenia und Synnada — man darf es nicht mit Hierapolis im Lykostal verwechseln. Ob dieser Aberkios Bischof war, ist nicht zu ermitteln, aber seine Identität mit dem Avircius Marcellus, dem eine in jener Gegend um 183 (oder 193?) entstandene antimontanistische Schrift gewidmet ist 3 , darf als recht wahrscheinlich bezeichnet werden. Jedenfalls gehört die Inschrift an das Ende des 2. Jahrhunderts. Aberkios hat als 72jähriger diese Grabschrift selbst verfaßt und erzählt von dem größten Ereignis seines Lebens, einer Romreise, die ihn schließlich über Syrien und Mesopotamien zurück in die Heimat geführt hat. Er redet in poel ) o. S. 180. *) Bester Kommentar bei F. J. Dölger Ichthys 2, 454—507. Die heidnische Deutung der Inschrift ist nicht mehr der Erwähnung wert. ') Euseb K G 5, 16, 3. Vgl. Harnack Chronologie 1, 364 bzw. Holl zu Epiphanius Bd. 2, 222.

L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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tischen Formen und Phrasen und freut sich an geheimnisvoller Bildlichkeit, für die er beim christlichen Leser Verständnis erwartet 1 . Er weiß sich als Schüler des heiligen Hirten, der ihn die christliche Weisheit gelehrt hat. Der hat ihn nach Rom gesandt — d. h. er ist in Sachen der Kirche dorthin geschickt worden — „um das Kaisertum zu schauen und die goldbeschuhte und goldbekleidete Königin zu sehn". Damit ist die Stadt Rom gemeint. So höflich spricht der loyale Christ der aufgeklärten Antoninenzeit: unter Domitian redete man von der babylonischen Hure auf den Sieben Hügeln2. Und dort sieht er das Volk mit leuchtendem Siegel, die christliche Gemeinde: aber auch in Syrien und am Euphrat findet er überall Glaubensgenossen, denn er hat als Reisegefährten Paulus mit auf dem Wagen ¡— in Prosa: eine Handschrift der Paulusb riefe führt er als kostbares Erbauungsbuch mit sich. Der Glaube schreitet ihm voran und rüstet ihm überall das Mahl, nämlich den Fisch von der Quelle, den die heilige Jungfrau gefangen hat, das ist Wein und Brot zum Genuß für die Freunde allerorten. Es ist hier nicht die Stelle, die einzelnen Wendungen des Gedichtes auszudeuten: das Entscheidende ist sicher, nämlich daß dem Verfasser das eucharistische Mahl die weltumspannende Einheit des Christenvolkes bewirkt. Es spendet den Genießenden die göttliche Nahrung des „Fisches von der Quelle", nämlich® „Jesus Christus, Gottes Sohn, den Heiland". Mit dem Fisch und dem Hirten sind wir mitten in der uns vertrauten Symbolik der Zeit um 200, und die Abendmahlsbilder der römischen Sakramentskapellen 4 bestätigen, daß Aberkios völlig recht hat, wenn er die Grundbegriffe seines Glaubens bei allen Freunden als dieselben erkennt. Auch Paulus ist ihm eine überall verehrte Größe: aber für seine Frömmigkeit ist das Ausschlaggebende die Gemeinschaft in der Himmelsspeise des Sakraments. Wir werden gut tun, diese Denk- und Empfindungsweise stets im Auge zu behalten: ihre Wurzeln

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Vers 19 „Jeder Genosse, der das versteht, bete für Aberkios." ) Offenb. 17, 3. 5. 9. 18. s ) o. S. 101. 4 ) o. S. 141.

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Aberkiosinschrift. Die neue Prophetie

treten im Glauben der paulinischen und der johanneischen Gemeinden bereits klar zu Tage und senken sich an manchen Stellen in naturreligiöse Tiefen hinab1. Während die Kirche in ihrer Gesamtheit sich innerlich festigte, durch Amt, Kanon und Bekenntnis Sicherungen gegen gnostische Spekulation und enthusiastische Willkür schuf und in ihrer ganzen Lebenshaltung einen Frieden mit der umgebenden Welt anstrebte, blieben die Triebkräfte der Vorzeit in der Einsamkeit kleinasiatischer Bergtäler lebendig und schufen bald nach der Mitte des zweiten Jahrhunderts die Bewegung der „Neuen Prophetie", der man in späteren Zeiten den Ketzernamen des Montanismus gegeben hat. Wir haben gesehen, wie unerwünscht das freie Walten ekstatischer Geistesträger schon von den ersten Zeiten an dem Streben nach kirchlicher Ordnung und lehrhafter Klarheit der Verkündigung entgegentrat, haben auch das Mißtrauen der Gemeinden gegen falsche Propheten und ihre Schwindelmanöver kennen gelernt. Und doch wollte und konnte die Kirche den Geist nicht „dämpfen" und war bereit, ihn anzuerkennen, wenn er sich mit einwandfreier Deutlichkeit offenbarte — nur freilich sahen alle Verantwortlichen solchen Ereignissen mit Beklemmung entgegen und waren stets geneigt, auf alle „Beweise des Geistes und der Kraft" zugunsten einer gesunden Alltäglichkeit zu verzichten. Bischof und Prophet sind nun einmal ihrem Wesen nach Gegenspieler und müssen es sein; und daran hat sich nichts geändert bis zum heutigen Tage. So hat die katholische Kirche ihren wundervollen Organismus der Hierarchie ausgebildet, der als stets gegenwärtiger Träger und Vermittler des heiligen Geistes in der Vereinigung von Amt und Sakrament wirksam ist — und daneben sind immer aufs neue Geistesträger aus eigenem Recht aufgestanden und haben, allein oder in Bewegungen und Organisationen sich entfaltend, Anerkennung ihrer echten „Geistigkeit" erzwungen. Die eine Linie müßte eigentlich die andere ausschließen — und oft ist es auch dazu gekommen — aber das Bewußtsein der gemein») s. Bd. 1, 125. 142. 237. 13*

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8. Kleinasien und der Montanismus

samen Verwurzelung im echten Urchristentum ist im großen und ganzen doch stärker gewesen als die Empfindungen des Gegensatzes der Erscheinungsform. Das erste Auflodern der alten Geistesmächtigkeit erfolgte etwa 156 in einem Dorfe Ardabau an der Grenze von Mysien und Phrvgien 1 : wir können seine Lage nicht feststellen. Da wurde ein Neugetaufter namens Montanus plötzlich vom Geist ergriffen, geriet in Ekstase und zeigte alle Erscheinungen der Glossolalie, die bald in verständliches Reden überging und den Sprecher als Propheten des heiligen Geistes offenbarte. Ihm schlössen sich zwei Frauen, Priska und Maximilla an: auch sie redeten in bewußtlosem Zustand seltsame Dinge und sprachen im Namen des göttlichen Geistes. Zweifel und Glaube rangen bei den Zuhörern miteinander, aber der Glaube siegte, und durch das phrygische Land flog die Kunde von einer neuen und nun endgültig abschließenden Offenbarung Gottes durch diese seine neuen Propheten. Man schrieb ihre Aussprüche nach und sammelte sie als heilige Urkunden, wie man die Worte der alttestamentlichen Propheten, die Reden Jesu und die Briefe seiner Apostel besaß. Wir haben noch einige Zitate aus solchen Spruchbüchern, die uns den ekstatisch-enthusiastischen Charakter dieser Prophetie deutlich erkennen lassen. Wie die Ekstatiker des Celsus 2 , so spricht auch Montanus nicht im eigenen Namen als Mensch, sondern der Gottesgeist ist der Redende 3 : „Siehe, der Mensch ist wie eine Leier und ich schlage sie wie das Plektron. Der Mensch schläft und ich wache. Siehe, der Herr ist's, der den Menschen ihre Herzen nimmt und ihnen ein anderes gibt" oder „Hier ist kein Engel und kein Bote, sondern ich der Herr, Gott Vater, bin gekommen", „ich bin der Herr, Gott der Allmächtige, in einen Menschen eingekehrt '. Hier herrscht auch *) Euseb KG 5, 16, 7. Epiph. haer. 48, 1, 2. Zusammenstellung der wichtigsten Quellen bei N. Bonwetsch Texte z. Geschichte d. Montanismus (Kl. Texte 129) 1914. Ausführlicher bei P. de Labriolle Les sources de l'histoire du Montanisme 1913. 2 ) s. o. S. 44. 3 ) Epiph. haer. 48, 4, 1. 11, 9. 11, 1.

Montanus

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die monarchianische Theologie noch ganz ungebrochen und naiv, und darum kann die Inspirationsformel auch trinitarisch lauten 1 : „Ich bin der Vater und der Sohn und der Paraklet" — es gibt nur den einen allmächtigen Gott und Vater, der sich in Christus als Sohn offenbart hat und nun als der im Johannesevangelium geweissagte Paraklet 1 durch den Mund des Montanus sich kund tut: drei Namen für das eine Wesen. Dieser Enthusiasmus hat die volle Stärke urchristlichen Erlebens und empfindet die göttliche Einwohnung als unwiderstehliches Uberwältigtwerden des eigenen Menschentums. Die Prophetin Maximilla 3 muß die Weisheit des Herrn verkünden „gezwungen, mit und ohne ihren Willen"; das ist echtes Prophetentum, dem auch die bittere Klage nicht fehlt: „Ich werde verfolgt wie ein Wolf aus dem Schafstall; ich bin kein Wolf: Wort bin ich und Geist und Kraft." Es war nicht eine Wiederbelebung des allgemeinen Enthusiasmus der Urzeit, was sich hier in Phrygien abspielte. Wir hören zunächst nichts von einer ekstatischen Massenerscheinung oder um sich greifender Glossolalie, wie sie gelegentlich immer wieder im Lauf der Kirchengeschichte zu beobachten ist und noch heute in methodistischen Versammlungen aufflackert. Erst nach und nach hat die Bewegung das alte Feuer in einzelnen Gemeinden neu entzündet und neben oder nach den großen Drei auch allerlei kleine Propheten auf den Plan gerufen. Es sind ursprünglich nur drei Personen, die vom Geist ergriffen sind und als Propheten wirken, und sie sind sich ihrer Einzigartigkeit bewußt: „nach mir", sagt Maximilla4, „wird kein Prophet mehr kommen, sondern die Endvollendung". Diese Prophetie wollte nicht nachgeahmt, sondern als abschließende Gottesoffenbarung anerkannt werden. Was war ihr Inhalt? In erster Linie die Erwartung des baldigen Weltendes, das durch Kriege und Aufstände angekündigt wird5. Die schweren Kriegsnöte Mark Aurels und die ») Didymus de trin. 3, 41, 1. s ) s. Bd. 1, 245. 3 ) Epiph. haer. 48, 13,1. Euseb KG 5,16,17. «) Epiph. haer. 48, 2, 4. 5 ) Euseb K G 5,16,18.

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furchtbaren Pestjähre1 waren wirklich dazu angetan, als Vorboten der Endzeit zu gelten und die vier apokalyptischen Reiter über der Erde schauen zu lassen2. Auch anderswo war um diese Zeit Weltuntergangsstimmung. In der Landschaft Pontus wurde ein Bischof von Traumgesichten heimgesucht, die ihm die Zukunft offenbarten. Er weissagte seiner Gemeinde, das Weltgericht werde binnen Jahresfrist kommen: woraufhin diese ihr Hab und Gut verschleuderte, die Äcker nicht mehr bestellte und in Furcht und Zittern unter tränenreichen Gebeten den jüngsten Tag erwartete. Und in Syrien zog ein Bischof gar mit seiner ganzen Gemeinde einschließlich der Kinder in die Wüste, dem wiederkommenden Christus entgegen: sie verirrten sich und wurden nur durch eine auch nicht gerade freundlich gemeinte Polizeistreife vor dem Hungertode gerettet 3 . So lebten auch die „phrygischen" Propheten in Erwartung des baldigen Weltendes, und die Johannesoffenbarung (21, 1. 10) hatte ihnen das Bild der heiligen Stadt Jerusalem in die Seele geprägt, wie sie aus dem Himmel herniedersteigt auf die erneute Erde. Als Ort dieses künftigen Neuen Jerusalem wird uns Pepuza genannt — ein Flecken, der zwischen Peltai und Dionysopolis gelegen hat. Hier ist Christus als ein leuchtendes Frauenbild der schlafenden Priska im Traum erschienen4, hat ihr „die Weisheit ins Herz gesenkt und ihr offenbart, dieser Ort sei heilig und hierhin werde Jerusalem aus dem Himmel herabkommen". An anderer Stelle wird uns neben Pepuza noch das benachbarte Tymion als Ort der Zukunftserwartung genannt, wohin alle Gläubigen zusammenströmen sollen, um den Herrn zu erwarten. Aber in der Folgezeit hören wir immer nur von Pepuza als heiliger Stätte, und später hat hier auch die Zentralleitung der Montanistenkirche ihren Sitz genommen6. Epiphanius hat gehört®, daß dort noch bis auf seine Zeit Männer und Frauen den Tempelschlaf übten in der Hoffnung, >) s. o. S. 4 f. 2 ) Matth. 24, 7 u. Parallelen Offenb. 6, 2—8. ») Hippolyt in Danielem 4, 18. 19. 4 ) Epiph. haer. 49, 1, 3. 48, 14, 1. 5 ) Euseb KG 5, 18, 2. Hieron. epist. 41, 3, 2. «) Epiph. haer. 49, 1, 2. 4.

Eschatologische Stimmung

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daß auch ihnen ebenso wie der Priska Christus erscheinen werde; aber das sind schon Formen des entwickelten Montanismus, die wir uns hüten müssen, in die Frühzeit hineinzuverlegen. Aus dieser klar umrissenen „chiliastischen" Enderwartung heraus zieht die neue Prophetie nun rücksichtslos ihre Folgerungen. Die Ehe ist ein irdisches Band, das die völlige Hingabe an Gott hindert — so hatte schon Paulus in gleicher Lage gelehrt. So verlassen die Prophetinnen ihre Männer, um ganz ihrem Predigtberuf zu leben. Vielleicht haben sie ihr Beispiel zur Nachahmung empfohlen1, sicher von neuen Eheschließungen abgeraten, wie es jener pontische Bischof tat 8 . Möglich ist, daß Priska bereits früher asketische Neigungen hatte und mit ihrem Mann in einer „geistlichen Ehe" lebte 3 , ehe sie sich von ihm trennte: denn sie läßt sich von der Gemeinde als Jungfrau bezeichnen und betont in einem Spruch den Wert der Keuschheit für den Empfang von Offenbarungen 4 . Die ältesten Nachrichten lauten jedenfalls ganz bestimmt dahin, daß die Phryger die Ehe überhaupt untersagt hätten: erst bei Tertullian und in noch späterer Zeit wird das Verbot einer zweiten Ehe als ihre Besonderheit angegeben 5 . Daß diese asketische Stimmung der Volksau ffassung entgegenkam, zeigen uns die apokryphen Apostelakten jener Zeit, unter denen mindestens die Paulusakten kleinasiatischen Ursprungs sind. Da erscheint Ehelosigkeit als Zeichen echten Christentums®, und diese Meinung spiegelt sich im ältesten Montanismus wider. Fasten war den alten Christen eine geistliche Übung, durch die sie sich zum Empfang des wiederkommenden Herrn rüsteten: fastend standen sie „auf Wache" (Stationsfasten) 7 . Wenn die neue Prophetie dieParusieerwartung wieder belebte, so war eine Verstärkung des Fastens naheliegende Begleiterscheinung. Wir hören von Fastengesetzen, die über die kirchl ) Euseb K G 5, 18, 2. 2 ) Hippol. in Danielem. 4, 19 p. 234, 17 Bonwetsch. ») s. Bd. 1, 138. *) Euseb K G 5, 18, 3 Tertullian exh. castit. 10. 5 ) vgl. auch Origenes de principiis 2, 7, 3 p. 151, 2 Koetschau, in epist. ad Titum 5, 291 Lommatzsch. 6 ) o. S. 74. 79. 7 ) o. S. 129.

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8. Kleinasien und der Montanismus

liehe Gewohnheit hinausgingen, und Tertullian teilt uns die Regeln seiner Zeit und seines Landes genauer mit. Die allgemein üblichen Stationsfasten am Mittwoch und Freitag werden nicht nur bis zum frühen Nachmittag (3 Uhr), sondern bis zum Abend durchgehalten, dazu treten noch eigene Fasttage und zweimal im Jahr Abstinenzwochen (Xerophagien), in denen man sich aller saftigen Speisen, des Fleisches und Weines enthielt 1 . Diese Dinge wurden genau vorgeschrieben, weil Montanus eine Neigung zum Organisieren hatte, und dadurch fielen sie als Neuerungen den kirchlichen Kreisen noch stärker auf. Organisiert wurde auch das Spenden der Opfergaben innerhalb der Gemeinden, und die Prophetin forderte zur Ablieferung von Gold und Silber und kostbaren Kleidern auf. Es wurden besondere Verwalter zur Betreuung der gesammelten Gelder eingesetzt, und die wandernden Prediger der neuen Prophetie wurden aus der Zentralkasse unterhalten und nicht auf den doch oft sehr unsicheren guten Willen der besuchten Gemeinden angewiesen 2 . Das alles macht den Eindruck eines die ganze Bewegung durchströmenden zielbewußten Willens und hat auch nach dem Tode des Begründers fortgewirkt. Itn vierten Jahrhundert finden wir bei der Sekte einen in Pepuza residierenden Patriarchen, unter ihm die „Koinonen", d. h. „Teilhaber, Gesellschafter", deren Funktionen wir nicht erraten können, und dann an den einzelnen Orten Bischöfe mit Presbytern und Diakonen 3 . Es ist also nicht richtig, wenn man den Montanismus wesentlich als eine Reaktion der urchristlichen Geistesträger gegen das sich entfaltende Amt wertet: er hat die Gemeindeleitung durch die bekannten „Wahlämter" der Episkopen, Presbyter und Diakonen mitgemacht oder jedenfalls später angenommen, ohne darin einenAbfall von seinen Grundsätzen zu sehen. Aber es wurden auch Frauen zu diesen Ämtern zul

) Tertullian ieiun. 1. 2. 10 vgl. Hieron. epist. 41, 3. Hippolyt Elenchus 8, 19, 2. 2 ) Euseb K G 5, 18, 1—4. ») Hieron. epist. 41, 3 vgl. Cod. Justin. 1, 5, 20, 3.

Organisation. Spätere Entwickelung

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gelassen, nachdem man in Priska und Maximilla den Beweis bekommen hatte, daß auch das weibliche Geschlecht den heiligen Geist empfangen könne: und das war der Kirche anstößig 1 . Epiphanius berichtet noch über eine Prozession von sieben weißgekleideten Jungfrauen, die feierlich mit Lichtern in den Händen die Kirche betreten, um zum Volke prophetische Bußworte zu sprechen 8 . Das wird wieder einer späteren Entwicklung angehören. Die älteste Form der phrygischen Bewegung beschränkte die Prophetie auf die drei bekannten Hauptpersonen: danach sollte keine weitere Prophetie mehr kommen, sondern das Ende anheben, auf welches der Bußruf vorbereitete. Aber die Parusie ließ auch diesmal auf sich warten, die Gegner höhnten weidlich darüber' — und nun setzte erst ein weiteres Wirken des Geistes in zahlreichen Männern und Frauen einzelner Gemeinden ein, welche das Erbe der Anfangszeit übernahmen und es der folgenden Generation übermittelten. Jetzt erst wird der Montanismus eine Bewegung, welche den Enthusiasmus in der Breite der urchristlichen Zeit pflegt. In diese Periode gehören die Jungfrauen, von denen Epiphanius berichtet, und die weissagende Schwester zu Karthago4. Es ist leicht verständlich, daß ein derartig in der künftigen Welt lebendes Christentum dem Reich dieser Welt mit betonter Ablehnung gegenüberstand: den Verfolgungen entzog sich der echte Christ dieser Gemeinden nicht durch die Flucht, sondern trat ihnen trotzig entgegen, und zuweilen trieb ihn sein Temperament zum Angriff vor. Die Märtyrerakten melden uns mehr als ein Beispiel von freiwilliger Selbsthingabe eines „Phrygiers", und Tertullian 5 bezeugt einen Prophetenspruch von herber Gewalt: „Wünscht euch nicht den Tod auf ') Epiphan. haer. 49, 2, 5 vgl. Firmilian bei Cyprian epist. 75, 10 Gallisches Schreiben bei Labriolle Sources 227, 8. ' ) Epiphan. haer. 49, 2, 3. ' ) Euseb K G 5, 19. Epiphan. haer. 48, 2, 4—7. *) Epiphan. haer. 49, 2, 3. Tertullian de anima 9; vgl. auch Mart. Polycarpi 4, Mart. Vienne bei Euseb K G 5, 1, 49 vgl. Acta Pionii 11, 2 vgl. Acta Carpi 42—44. 8 ) Tertullian fuga 9 anima 55.

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8. Kleinasien und der Montanismus

dem Krankenlager, im Kindbett oder am gelinden Fieber, sondern imMartyrium, zur Ehre dessen, der für euch gelitten hat." Und die Gläubigen haben es sich wirklich so gewünscht. Die phrygische Prophetie hat sofort bei ihrem Beginn die Gemüter mächtig erregt. Was da vor sich ging, war in der Linie der alten Tradition, ja es konnte durchaus als die Erfüllung der im Johannesevangelium stehenden Verheißung gelten, daß ein Paraklet kommen und die Christenheit in alle Wahrheit leiten werde. Und so wollten jene Propheten ihr Wirken auch angesehen wissen, und sie fanden weithin Glauben damit. Aber in den maßgebenden Kreisen der schon fortgeschrittenen Kirche mußte man bedenklich sein. Wir haben gesehen, welche Schutzmittel man gegen Gnosis und willkürliche Phantastik inzwischen mit Mühe aufgerichtet hatte. Das organisierte und mit apostolischer Würde bekleidete Kirchenamt konnte diese mit höchsten Ansprüchen auftretende Prophetie nicht anerkennen, und der eben erst sich festigende neutestamentliche Kanon apostolischer Schriften durfte die Aufzeichnungen der neuen Propheten nicht neben sich dulden. Aber wie dem Neuen begegnen? Augenscheinlich bot ihre Predigt inhaltlich keinen greifbaren Widerspruch zu Kirchenlehre und Kanon; also war von hier aus die Ablehnung nicht möglich — wie man gegenüber der Gnosis verfahren konnte. So blieb nur der Angriff auf die Personen übrig, das heißt die Anzweiflung der Echtheit des Prophetentums auf Grund der „Prüfung des Geistes" an den Taten seiner Werkzeuge. Das ist denn auch fleißig versucht worden, und wir hören von Kommissionen1, die ausgeschickt werden, um die Maximilla als Betrügerin zu entlarven: aber die Anhänger haben diesen Kritikern „den Mund gestopft". Da hat man denn ihren Lebenswandel untersucht und allerlei Vorwürfe gegen sie und schließlich auch gegen ihre Anhänger zusammengetragen, bis hin zu den Geschichten vom Selbstmord des Montanus und der Maximilla und dem Todessturz ihres Gönners Theodotos >) Euseb KG 5, 16, 17. 18, 13.

Die Gegnerschaft der Kirche

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— die unser Berichterstatter selbst nicht glaubt1. Später hören wir dann von den Greueln schauerlicher Mysterien, bei denen das Blut eines geschlachteten Kindes eine Rolle spielt 8 . Da sind wir auf dem Boden des üblichen Ketzerklatsches. In die älteste Zeit führt uns dagegen die vom Martyrium ausgehende Kritik. Das eine Mal heißt es: ihr habt keine Märtyrer, also fehlt euch der Geist, den ihr zu besitzen vorgebt. Das andere Mal dagegen wird das Vorhandensein zahlreicher Märtyrer anerkannt, aber auf die Tatsache hingewiesen, daß die eigenen, kirchlich anerkannten Märtyrer den Verkehr mit den phrygischen Märtyrern schon im Gefängnis abgelehnt haben'. Da nun aber nach allgemeiner Ansicht Märtyrer im Gefängnis Geistesträger sind, so ist das negative Urteil über die gefangenen Phrygier ein autoritativer Spruch des Geistes, der die ganze Bewegung trifft. Es gab eine erhebliche Schriftstellerei gegen die neue Prophetie: der ausführliche Bericht Eusebs beruht auf mehreren Werken aus dieser Kampfeszeit, und auch Epiphanius hat noch derartige Quellen zur Verfügung. Und dieser Sturm rief zum erstenmal die Leiter der kleinasiatischen Gemeinden zu gemeinsamen Synoden 4 auf, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Malen die Mittel einer wirksamen Abwehr berieten und die Anhänger der Bewegung aus der Kirche ausschlössen. So wurde der Montanismus wider seinen Willen zur Sekte. Aber er breitete sich trotzdem gewaltig aus. In Rom merkte man ihn bald, um 200 griff er nach Afrika über, wo Tertullian sein begeisterter Anwalt wurde; aber auch in dem mit Kleinasien eng verbundenen Südgallien fand er schon in früher Zeit Freunde, und Irenaeus von Lyon 5 redet sehr ernstlich von der Sünde wider den heiligen Geist bei denen, welche die neuen Offenbarungen des Parakleten nicht anerkennen wollen. Die gallischen Gemeinden von Lyon und Vienne haben den Gemeinden von Asia und Phrygia nicht nur den bekannten Be») Euseb K G 5, 16, 13—15. «) Epiphan. haer. 48, 14, 6 Philastrius haer. 49, 5. ») Euseb K G 5, 16, 12. 20—22. ' ) Euseb KG 5, 16, 10. 6 ) Iren. 3, 11, 9 (2, 51 Harvey).

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8. Kleinasien und der Montanismus

rieht über die Leiden ihrer Märtyrer übersandt und ihr Urteil in Sachen des Montanismus abgegeben, sondern auch mehrere Schreiben dieser Männer beigelegt, in denen diese Autoritäten sich für den Frieden der Kirchen aussprachen: an Bischof Eleutheros von Rom war in gleichem Sinne geschrieben1. Das war offenbar eine durch jene synodalen Verdammnisurteile ausgelöste Vermittlungsaktion. Aber es kam nicht zu der erstrebten Einigung. Die im Osten zutage getretenen Gegensätze brachen auch im Westen auf; Rom 2 und Karthago wurden die Mittelpunkte weiterer Montanistenkämpfe. Als im Verlauf der decianischen Verfolgung die Meinungen über die Behandlung der Gefallenen auseinandergingen, hielten es die Montanisten mit dem rücksichtslosen Radikalismus und verstärkten dadurch die Feindseligkeit gegenüber der Großkirche. Auch in Kleinasien ging der Kampf weiter, und der Bischof Firmilian von Caesarea berichtet uns nicht nur von einer neuen Prophetin, die im Jahre 236 auftrat, sondern vor allem von einer großen Synode zu Ikonium, welche sogar die Anerkennung der montanistischen Taufe ablehnte3. Dann versagen die Zeugnisse. Man hat die Inschriften Kleinasiens nach den Schicksalen der Montanistengemeinden gefragt, aber die Antwort ist recht dürftig ausgefallen: als wirklich montanistisch können nur wenige Inschriften angesprochen werden*. Epiphanius hat um 370 allerlei von noch blühenden Montanistengemeinden in Kleinasien gehört, und Hieronymus bezeugt wenig später die Fortexistenz der Sekte in ihrer alten Hochburg Ankyra aus eigener Anschauung5. Ein Historiker des 5. Jahrhunderts" behauptet, daß sie sich zu seiner Zeit nur noch in Phrygien und seiner nächsten Umgebung gehalten haben, sonst aber ausgerottet sind. Die kaiserliche Gesetzgebung seit den Tagen ») Euseb KG 5, 1, 3. 3, 4. l ) Gaius gegen Proklos Euseb 2, 25, 6. 6, 20, 3 u. ö. *) Firmilian bei Cyprian epist. 75, 10. 19. 4 ) W. Schepelem Der Montanismus und die phrygischen Kulte (1929) S. 81 f., Grégoire Byzantion 8 (1933) 58 ff. Die afrikanischen Inschriften geben ebenfalls nur wenig aus. 5 ) Epiphan. haer. 48, 14, 2 Hieron. comm. in Gal. lib. 2 praef. vgl. Euseb KG 5, 16, 4. 6) Sozomenos 2, 32, 5.

Ausgang der Bewegung

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Konstantins hat ihre Vernichtung immer aufs neue anbefohlen: der Name der „Phryger" kehrt ständig wieder in den Ketzerlisten der christlichen Staatskultgesetze 1 . Als abgetrennte Sekte sind sie nach kaum zwei Jahrhunderten untergegangen. Aber ihr Anliegen lebt in der Kirche unter andern Formen und Namen weiter: der Glaube an immer neue Offenbarungen des hl. Geistes in begnadeten Männern und Frauen, die leidenschaftliche Verachtung dieser Welt, und die völlige Hingabe an die Erwartung der Wiederkunft des Herrn. ') Sozomenos 2, 32, 2: Sammlung der Gesetze bei Labriolle Sources 196—203. 230—235.

G allien Schon früh im zweiten Jahrhundert muß das Christentum in den von alter griechischer Kultur belebten Küstenstrich eingedrungen sein, der von den beiden Hafenstädten Arles und Marseille beherrscht wird. Aber direkte Zeugnisse dafür fehlen uns: erst in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts beginnen die Belege, die sich dann Anfang des vierten häufen1. Und doch ist die Sache kaum zu bezweifeln, weil sich um 180 bereits Gemeinden im Rhonetal finden und im Jahre 177 die vorhin1 geschilderte Christenverfolgung über die Gemeinden zu Vienne und Lyon ergeht. Vienne gehört noch zu der alten römischen Provinz der republikanischen Zeit, Lyon liegt etwa 30 Kilometer nördlich und ist durch Augustus zur Hauptstadt des von Caesar eroberten neuen Galliens gemacht worden: und der hauptstädtische Bischof lenkte auch die Kirche von Vienne® und vermutlich auch die kleinen Diasporagemeinden des Rhonetals4. Obwohl die von Italienern besiedelte Bürgerkolonie Lyon einen durchaus römischen Charakter hatte, war doch auch die keltische Bevölkerung Galliens und das griechische Element von der Rhonemündung vertreten. Das Christentum ist hier wie in Rom mit griechischer Zunge gepredigt worden, und Griechisch blieb noch lange die Sprache seiner Bildungsschicht. Unter den Märtyrern von 177 finden wir aber bereits zahlreiche lateinische Namen 5 , und Bi schof Irenaeus behauptet, daß er fleißig Keltisch sprechen müsse*: er sagt leider nicht, ob nur im täglichen Umgang oder auch in der Predigt, etwa bei der Missionswerbung. Aber das letztere scheint doch der Fall zu sein, denn er weist bei Ge2 ) o. S. 159 f. s ) o. S. 56. •) Harnack Mission4 2, 872—880. ) Iren. 1, 13, 7 (1, 126). «) Hirschfeld Sitz.-Ber. Akad. Berlin 1895, 386 f. Martyrol. Hieron. zum 2. Juni. 6 ) Iren, praef. (p. 1 , 6 ed. Harvey): 4

Beziehungen zu Kleinasien

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legenheit auf die Bekehrung der ungebildeten einheimischen Bevölkerung unter Kelten und Germanen hin1. Besonders enge Beziehungen bestanden zwischen der Gemeinde von Lyon und den Kleinasiaten. Es ist doch kaum Zufall, daß unter den Märtyrern nur bei zweien ausdrücklich ihre ausländische Herkunft vermerkt wird, und beide sind aus Kleinasien: Attalos aus Pergamon und der „schon seit vielen Jahren in Gallien ansässige" Arzt Alexander aus Phrygien. Dazu kommt noch der Sklave Pontikos, dessen Heimat durch seinen Namen angezeigt wird8. Vor allem aber ist Irenaeus, der später ao die Stelle des Märtyrerbischofs Potheinos tritt, aus Smyrna gebürtig, und seine Kindheitserinnerungen verbinden ihn noch mit dem greisen Bischof Polykarp 8 . Diese persönlichen Beziehungen haben naturgemäß auch ihre geistigen Auswirkungen gehabt und den jungen Missionsgemeinden des gallischen Westens die Meinungen und Stimmungen des alten Heimatbodens des hellenistischen Christentums vermittelt. Wir haben bereits gesehen, wie die Bewegung des Montanismus in Gallien einen lebhaften Widerhall fand, und wenn der Lyoneser Märtyerbericht an dem eben erwähnten phrygischen Arzt Alexander seine Begabung mit „apostolischem Charisma" rühmend hervorhebt, so werden wir in ihm einen Träger jenes abgeleiteten montanistischen Prophetentums erkennen dürfen. Und die durchaus positive Einstellung des Irenaeus zu dem Problem der neuen Prophetie zeigt, daß es sich bei ihm nicht um eine Ausnahmeerscheinung handelt, sondern daß sein Auftreten die freudige Billigung der gesamten Gemeinde findet. Selbst die Märtyrer im Gefängnis haben an dem kirchlichen Ringen um Anerkennung des Montanismus aktiv teilgenommen und dem römischen Bischof Eleutheros ihre Meinung nicht verhehlt 4 . Der Montanismus ist das deutlichste Beispiel für die innere Verbindung Galliens mit Kleinasien; aber wer schärfer zusieht, *) Iren. 3, 4 , 1 (2,16) 1,10, 2 (1, 92 f.). ») Euseb KG 5,1,17. 49. 53. ») Iren, bei Euseb KG 5, 20, 5—6. Iren. 3, 3, 4 (2, 12). ) Euseb KG 5, 4, 1—2. 8.

2

) s. o. S. 131 f.

s

) Euseb KG 5, 26.

Irenaeus: Schriften

209

Verkündigung" („Epideixis"). Dies ist eine kurze und ganz in den Bahnen des Hauptwerks gehende Zusammenfassung der christlichen Lehre, vielleicht als Handbuch für katechetische Unterweisung gedacht, die uns keine neuen Gedanken vorlegt, aber an manchen Stellen glückliche Formulierungen bringt. In dem Elenchos des Irenaeus haben wir das älteste Werk kirchlicher Ketzerabwehr erhalten, da das vor ihm verfaßte )V Syntagma" des Apologeten Justin verloren ist. Irenaeus widmet sein Buch einem uns sonst nicht bekannten Freunde „und all den Seinen", also wohl einem Bischof und seiner Gemeinde, als Hilfsmittel im Kampf gegen die Häretiker, damit er ihnen antworten, aber auch die Irrenden wieder zur Kirche zurückführen und die Neubekehrten im Glauben bestärken kann 1 . Wir haben also das erste umfangreiche Werk rein innerkirchlichen Schrifttums vor uns. Im ersten Buch werden die Lehren der Vale.itinianer und daran anschließend die anderer Gnostiker dargestellt. Mit dem zweiten Buch hebt die Widerlegung an, die sich in den folgenden Büchern immer mehr zu einer positiven Darlegung der rechten kirchlichen Lehre entwickelt. Disposition und übersichtliche Gedankenführung fehlen durchaus, und die Breite des Vortrags mit einer Fülle von Wiederholungen macht das Lesen weniger reizvoll, als das Thema verspricht. Und doch ist das Ganze um seines Inhalts willen überaus wichtig und zeigt uns zugleich, auf welcher Bildungsstufe die christlichen Kreise standen, um deren Gewinnung sich die spekulative Gnosis bemühte. Es sind dieselben Leute, welche die Schriften der Apologeten und die Traktate der Gnostiker lesen: und sie gehören einem bildungsfrohen, aber noch ungelenken Mittelstand an, der jetzt die Führung der Christenheit in die Hand nimmt. Ihnen erscheinen die geheimnisvollen Weisheitslehren der Gnostiker, die letztlich aus vertrauten Gesprächen Jesu mit Jüngern seines engsten Kreises stammen und nur für einen kleinen Kreis Auserwählter bestimmt sein wollen, als eine ») Iren. 1 praef., 5 praef. (1, 5. 2, 313). L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2.

3. Aufl.

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9. Gallien

lockende Speise. Dem gegenüber wehrt Irenaeus mit Leidenschaft all das künstliche Spekulieren und wunderliche Deuten von Bibelworten ab, und nicht selten gelingt ihm ein treffender Schuß gegen die Methodelosigkeit dieser Methode. Er ruft seine Leser zum gesunden Menschenverstand zurück und macht ihnen die ewig grundlegende Wahrheit deutlich, daß Gott unserm Wissen Grenzen gesteckt habe, und daß die Aufgabe der Wissenschaft darin bestehe, das unserem Erkenntnisvermögen freigegebene Gebiet zu erforschen. D a s sind die uns vor Augen liegenden Dinge dieser Welt und darüber hinaus die klaren und deutlichen Aussagen der heiligen Schrift. Wer sich mit freier Phantasie auf die Gleichnisse der Evangelien stürzt und sie willkürlich auslegt, kommt freilich zu blendenden Ergebnissen, die aber bei jedem Forscher wieder anders aussehen und vor dem Licht der Wahrheit verlöschen. Ausgangspunkt müssen die schlichten und eindeutigen Schriftzeugnisse sein. Diese sind zahlreich genug, um einen festen Grund aller christlichen Erkenntnis zu liefern und in die dem Christen nötige Tiefe zu führen 1 . Den gnostischen Spekulanten aber und ihrem hochmütigen Intellektualismus wird das Wort entgegengehalten, daß es besser und nützlicher ist, schlicht und ungelehrt zu sein und durch die Liebe Gott nahe zu kommen, als in gelehrtem Dünkel gotteslästerliche Wege zu gehen 1 ; und dies Wort ist in mannigfachen Abwandlungen immer wieder von Kirchenvätern und Scholastikern aufgenommen worden. Was Gott getan hat, ehe er die Welt schuf, hat er uns verborgen. Uns genügt die aus der Schrift fließende Erkenntnis, d a ß er sie geschaffen hat, und jeder Versuch, jene Frage zu beantworten, führt in törichte und lästerliche Verkehrungen des Gottesbildes 3 . Und ebensowenig vermögen wir die Ursache des Bösen in der Welt zu erkennen: warum die einen Wesen von Gott abgefallen, die andern treu geblieben sind, hat er uns nicht mitgeteilt, und wir müssen uns darein finden. Wir >) Iren. 2, 27, 1—3 (1, 347 f.). 2, 28, 3 (1, 352 f.).

2

) Iren. 2, 26, 1 (1, 345).

») Iren.

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Irenaeus: Quellen der Lehre

können nun einmal Gott nicht analysieren 1 . Dagegen hat uns Gott alles, was uns zu wissen nottut, in die Hand gegeben. Seine Offenbarung liegt vor in der heiligen Schrift, in den A u s sagen der Propheten, der Apostel und des Herrn selbst 2 . Der neutestamentliche Kanon des Irenaeus umfaßt außer den vier Evangelien und den Paulusbriefen auch die Apostelgeschichte, die johanneischen Briefe und die Johannesapokalypse, dazu den ersten Petrusbrief und — als einzige Ausnahme vom apostolischen Prinzip — die moderne Prophetenschrift des Hirten des Hermas 3 . Die Summe der Erkenntnis aus diesen Schriften ist zusammengefaßt in der „Glaubensregel", die als Richtschnur der Wahrheit in der ganzen Welt von der Kirche verkündigt wird 4 . Die berühmte Frage Lessings in den Axiomata 8, ob man ohne Bibel Christ sein könne, beantwortet Irenaeus mit einem deutlichen Ja, und Lessing verfehlt nicht, sich auf diesen Zeugen zu berufen. Wenn die Apostel uns -nichts schriftlich hinterlassen hätten, so würde die in der Kirche fortgepflanzte Tradition genügen, um die vollständige Wahrheit den Gläubigen zu vermitteln: ringsum in der Welt bekennt man auch bei schriftlosen Völkern die Sätze der Glaubensregel 5 . Der Urquell der christlichen Verkündigung ist die Lehre der Apostel: diese ist in den neutestamentlichen Schriften zu finden, aber auch in der Tradition der Kirche. Irenaeus zitiert oft Mitteilungen der „Alten", die noch mit Aposteln verkehrt haben. Aber der breite Strom der Tradition fließt ihm in der lebendigen Uberlieferung, welche durch die Amtsfolge der von den Aposteln eingesetzten Presbyter, d. h. Bischöfe, gehütet wird. Und für die Reinheit der auf diesem Wege fortgepflanztenLehre bürgt das von Gott dem bischöflichen Amtverliehene Charisma der Wahrheit", das ist aber nichts anderes als der in der Kirche wirkende heilige Geist 7 . Als das vornehmste, äl2 ) Iren. 2, 27, 2. 28, 7 (1, 348. 357). >) Iren. 2, 28, 7 (1, 356 f.). ) s. o. S. 92. 94. Iren. 4, 20, 2 (2, 213). Bonwetsch Theol. d. Iren. 40. 4 ) s. o. S. 106 Iren. 1, 10, 1 u. ö. Iren. Epideixis § 6. 5 ) Iren. 3, 4, 1 (2, 15 f.) 5, 20, 1. «) Iren. 4, 26. 2 (2, 236). ') Iren. 3, 24, 1 (2, 131). 3

14*

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9. Gallien

teste und bekannteste Beispiel einer solchen bischöflichen Traditionsreihe führt Irenaeus die von den Aposteln Petrus und Paulus gegründete römische Kirche an: mit ihrer Lehre muß um ihres überragenden Vorrangs' willen jede andere Kirche übereinstimmen — weshalb es sich erübrigt, noch weitere Sukzessionsreihen vorzuführen1. Dieses „muß" ist natürlich keine Rechtsvorschrift, sondern eine logische Folgerung aus der durch den hl. Geist gewährleisteten Allgemeingültigkeit des Traditionsprinzips. Fragen wir nun die Kirche nach ihrer Lehre über Gott, so erhalten wir die bekannten Aussagen des altkirchlichen Monotheismus sowohl in ihrer biblischen wie in ihrer philosophischen Formulierung: es wird auch auf die angeborene Vernunfterkenntnis des einen Gottes verwiesen2. Aber die Ablehnung der gnostischen Emanationstheorien macht den Irenaeus auch gegen die Logostheologie der Apologeten mißtrauisch. Er will von irgendeiner wesenhaften Sonderung des Logos oder Nus vom Vater nichts wissen: Gott ist ganz Nus und ganz Logos und ganz wirkender Geist und ganz Licht, und wer eins davon aus Gott scheidet, der macht ihn zu einem zusammengesetzten Wesen'. Irenaeus redet viel vom Logos und wendet diese durch die Apologeten beliebt gewordene biblische Bezeichnung gern an, aber seine Vorstellungsweise ist durch den Monarchianismus seiner Heimat bestimmt, und wenn er von der Menschwerdung des Logos spricht, kommen ihm die beliebten Paradoxa von der Sichtbarwerdung des Unsichtbaren, dem Leiden des Leidlosen und andere mehr auf die Zunge 4 . Bei den Apologeten ist vom hl. Geist nicht viel die Rede, und er scheint zuweilen mit dem Sohn zusammenzufließen 5 : der Logos ist für sie mit der alttestamentlichen Weisheit, der „Sophia", identisch. Irenaeus unterscheidet genau zwischen dem Logos, dem Sohne, und der Sophia, welche der hl. Geist ist 6 : aber beide sind nur Wirkungsformen des einen ») Iren. 3, 3, 1 (2, 9). *) Iren. 2, 6, 1 (1, 263 f.). ») Iren. 2, 28, 4—5 (1, 354 f.) *) Iren. 3, 16, 6 (2, 87 f.). 5 ) s. o. S. 184 f. •) Iren. 4, 20, 3 (2, 214 f.).

Irenaeus: Gotteslehre. Erlösung

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Gottes: er nennt sie bezeichnenderweise gelegentlich1 „die Hände des Vaters", ohne jedoch in diese Frage tiefer einzudringen, die für ihn jenseits des Wißbaren und auch jenseits des für ihn Wissenswerten liegt. SeinDenken geht von den praktischen Fragen des Christenlebens aus. Was bringt die Kirche der Menschheit? Die Erlösung. Warum ist eine Erlösung nötig? Weil die Menschen durch ihr Sündenleben dem Tod anheimfallen und vergehen, während doch ihre Sehnsucht die „Unverweslichkeit" (die Aphtharsia) ist. Aber warum erlöst Gott die Menschen? Nicht, weil er ihrer bedarf, sondern weil er ihnen Gutes erweisen will'. Darum schuf er den Adam, stattete ihn mit Leib und Seele aus und gab ihm den freien Willen, Gutes oder Böses zu tun. So hat er schon im Anfang eine Gottähnlichkeit, die ihn durch gottgefälligen Gebrauch zur Gemeinschaft mit dem Geist Gottes führen und dadurch endlich zum vollkommenen Bilde Gottes machen und mit Aphtharsia bekleiden soll'. Der Sündenfall zerstörte diesen Plan Gottes und gab Adam samt seinen Nachkommen in die Gewalt des Teufels, der nun die Menschheit mit ständigem Erfolg vom Gehorsam gegen Gottes Willen abwendet und sie dem Tod und der Verwesung überliefert. Von einer naturhaften Übertragung einerErbsündigkeit ist freilich bei Irenaeus keine Rede, so wenig wie von einer Minderung der Willensfreiheit. Noch immer konnte der Mensch das Gute wollen und sich zu Gott bekehren: die Mahnreden der Propheten wären ja ohne dies ganz unverständlich 4 . Und warum hätte Gott denn sonst das Gesetz gegeben? Er gab zunächst die „natürlichen Gebote", deren Befolgung den Menschen gerecht macht — das meint Irenaeus in vollem Ernst trotz Paulus! — und dem auserwählten, aber ungehorsamen Judenvolk legte er noch zur besonderen Züchtigung durch Knechtschaft das Ritualgesetz auf®. Genutzt hat beides nichts. Da entschloß er sich zur Erlösungstat, welche die ge») Iren. 5, 1, 3 (2, 317) 5, 6, 1 (2, 333). -) Iren. 4, 14, 1 (2, 184). ') Iren. 4, 37, 1—4 (2, 285 ff.). 38, 3—4 (296 f.). 5, 12, 2 (351). *) Iren. 4, 37, 2 (2, 286 f.). s ) Iren. 4, 13, 1—4 (2, 180—183). 15, 1 (187).

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9. Gallien

samte Menschheit zu retten bestimmt ist. Er knüpfte an die in Adam begonnene, aber durch den Sündenfall unterbrochene Entwicklung wieder an und sandte seinen Sohn, den Logos, als lebenspendende Kraft in die Menschheit. Aus der Jungfrau Maria, dem Gegenbild der ungehorsamen Eva, nahm er die Elemente der von Adam stammenden Menschlichkeit an, nämlich Leib und Seele, und schuf durch diese innige Verbindung von Gottheit und Menschheit die Vorbedingung unserer Erlösung 1 . Als zweiter Adam tat Christus, der Gottmensch, nun, was der erste Adam unterlassen hatte: er erfüllte Gottes Gebote als wahrer Mensch und besiegte so in allen Formen des Rechts die sündigen Verführungskünste des Teufels 1 . In seiner Person hat er unser Fleisch und Blut, unsern Leib und unsere Seele mit der erlösenden Kraft der Gottheit vereinigt und zur Unverweslichkeit geführt, wie seine Auferstehung beweist. So geht er den Adam gewiesenen Weg der Entwicklung auf Gottes Ebenbild hin zu Ende. Er wurde Mensch, damit wir Götter würden, das heißt unsterbliche Menschen nach dem Ebenbild Gottes und „Söhne Gottes", die Gott schauen und dadurch das ewige Leben haben'. Dieses in Christus einmalig vollzogene Werk der „Rekapitulation", der Wiederherstellung des alten Gottesplanes zur Seligkeit der Menschen, wird nun in der Kirche durch die Wirkung des hl. Geistes den einzelnen vermittelt. Der sterblichen Menschlichkeit reicht die Kirche in ihren Sakramenten die „Lebensmedizin", welche sie mit der Gottheit aufs innigste verbindet 4 . In der Taufe empfangen unsere Leiber die Vereinigung mit Gott, welche Unverweslichkeit bewirkt, und unsere Seelen nehmen den hl. Geist auf, der ihnen die Lebensund Wirkungskraft der Ewigkeit spendet 5 . Der Mensch hat mit Leib und Seele gesündigt, darum bedürfen beide der er•) Iren. 3, 18, 1—2 (2, 95). 21, 10 (120). 22, 1—3 (121 ff.). 4 , 3 8 , 1 2 ) Iren. 3,18, 6 . 7 (2, 292 f.). 5, 1, 2 f. (2, 316). 5, 14, 1—3 (2, 360—362). ») Iren. 4, 20, 4. 7 (2, 216. 219). (2, 100 f.). 5, 21, 1—2 (2, 380—383). 5, 7, 1 (2, 336 f.). 4, 33, 4 (2, 259). 4 , 3 8 , 4 (2, 297). 5 praef. (2, 314). 5, 36, J ) Iren. 3, 19, 1 (2, 102 f.). 5 ) Iren. 3. 17, 2 (2, 93). 2 (2, 429).

Irenaeus: Rekapitulation

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lösenden Vergottung, ohne die sie dem Untergang geweiht sind. Die philosophische Lehre von der naturhaften Unsterblichkeit der körperlosen Seele wird scharf abgelehnt: j e d e Unsterblichkeit eines Geschöpfes ist göttliche Gnade, und bei der engen Wechselwirkung von Leib und Seele muß die Aphtharsia auch beide miteinander erfassen 1 . Das zweite Sakrament, welches den Menschen die erlösende Wirkung der Menschwerdung Gottes vermittelt, ist das Abendmahl. Die eucharistischen Elemente Brot und Wein empfangen in der Messe den Logos Gottes und werden zu Fleisch und Blut Christi: wer davon genießt, nährt seinen Leib mit dem Fleisch und Blut des himmlischen Herrn und macht ihn dadurch zu einem Glied an Christi Leib, das nun auch an dem ewigen Leben Christi Anteil hat. Zwar wird auch des Christen Leib nach seinem Tode noch in die Erde gelegt und zerfällt dort, aber zu seiner Zeit wird er durch die ihm verliehene Kraft des göttlichen Logos auferstehen, denn im Abendmahl hat Gott dem Sterblichen die Unsterblichkeit gespendet 4 . Wer nun durch diese Sakramente ein Glied der christlichen Kirche geworden, d. h. mit Christus wunderbar vereinigt ist, dem sind seine früheren Sünden vergeben, und er vermag durch die ihm verliehene Kraft des heiligen Geistes Gott in Christus zu schauen und so am göttlichen Leben Teil zu gewinnen. Und dank dieser neugewonnenen Stärke ist er auch imstande, die „natürlichen" Gebote Gottes, wie sie sich in den 10 Geboten und ihrer Auslegung durch Christus darstellen, in voller und echter Freiheit zu erfüllen. Er ist nun ein „geistlicher Mensch" und folgt freudig seinem Vorbild Christus, seinen Lehren und Taten, in Gedanken, Worten und Werken 8 . Durch dies Erlösungswerk ist die „Rekapitulation" am „Ende der Zeiten", von der Paulus im Epheserbrief 1, 10 redet, >) Iren. 2, 34, 1—3 (1, 381—383). 3, 18, 7 (2, 100 f.). 5, 6, 1 (2, 2 ) Iren. 5, 2, 2—3 (2, 319—323), 4, 18, 5 333—335). 5, 8, 2 (2, 340). (2, 207 f.). ») Iren. 4, 16, 4 (2, 192). 4, 20, 4—7 (2, 216—219). 5, 1, 1 (2, 314 f.). 5, 8, 2 (2, 340) 5, 9, 2 (2, 342 f.). Epideixis 96.

216

9. Gallien

zur Tatsache geworden. Stand am Anfang der Weltgeschichte der Fehlschlag in Adam, so ist nun an ihrem Ende die Wiedergutmachung und die Fortführung des so jäh unterbrochenen Gotteswerkes in Christus erfolgt. Eine erneuerte, gerechte und schon hier auf Erden gottverbundene Menschheit schreitet einer neuen Weltperiode entgegen, die nach Überwindung vieler Nöte und Kämpfe, von denen die Johannesoffenbarung zu erzählen weiß, für das tausendjährige Reich Christi auf Erden, schließlich aber für ein ewiges Leben in einem neuen Himmel und auf einer neuen Erde bestimmt ist. In ihr wird das Ziel erreicht, das Gott Adam bei seiner Erschaffung gesteckt hatte, Ebenbild Gottes zu sein und Gott zu schauen 1 . Während uns die Apologeten theologische Konstruktionen einer spekulativen Philosophie zeigen, in denen die Anschauungen eines Kreises von Gebildeten zum Ausdruck kommen, haben wir hier eine grundsätzlich entgegengesetzte Theologie vor uns. Sie geht von dem Wesen der kirchlich bestimmten Frömmigkeit aus. Die Christenheit weiß sich als eine zum unbedingten Gehorsam gegen Gottes Willen verpflichtete Gemeinde, die, durch göttliches Wunderwirken von der Herrschaft des Teufels und der Sünde befreit, die Kraft in sich spürt, einen übermenschlichen Lebenswandel in sittlicher Reinheit durchzuführen. Das Ziel dieses neuen Lebens liegt in einem künftigen Reich der Herrlichkeit, das dem einzelnen über Tod und Grab hinaus die Unsterblichkeit und die Vollendung einer durch die Gottesschau gewirkten Seligkeit bescheren wird. Und alles Interesse der Theologen richtet sich auf die Frage, wie es zu dieser Lebensform der Erlösten hat kommen können. Die kirchlichen Sätze und Anschauungen, welche bei den Apologeten unverarbeitet bleiben und nur gelegentlich als Glaubensartikel erwähnt werden', stehen hier im Vordergrund, und das Werk Christi erhält eine klare und einleuchtende Deutung. Die Grundfrage des Anselm von Canterbury, warum Gott Mensch wurde, wird gestellt und beantwortet: damit die Menschen Götter werden könnten, wie es ihrer ursprüng>) Die Eschatologie ausführlich Iren. 5, 26—36.

2

) s. o. S. 182—185.

Irenaeus und die Gemeindefrömmigkeit

217

liehen Bestimmung entspricht. Das ist die Antwort griechischer Frömmigkeit, und Irenaeus hat diesem Gemeinbewußtsein einen klassischen Ausdruck gegeben. Das Christentum ist die Neuschöpfung des mit freiem Willen begabten Menschengeschlechtes zur Gottähnlichkeit durch das sakramentale Wunder. Auf dieser unverrückbaren und auch da, wo sie nicht in das Gesichtsfeld tritt, stets vorhandenen Grundlage bauen sich die theologischen Systeme und dogmatischen Konstruktionen der folgenden Jahrhunderte auf, von hier aus erhalten die Kämpfe um Trinität und Christologie ihr rechtes Licht. Irenaeus will Biblizist sein, und es ist leicht zu erkennen, daß die Hauptlinien seiner Theologie von Paulus vorgezeichnet sind. Sowohl der Gegensatz von Adam und Christus, wie die Lehre von der gleichlaufenden Uberwindung der Sünde in Christus und den Christen finden wir in den Briefen des Apostels 1 , und eine Fülle von Einzelausführungen beruft sich auf paulinische Worte. Aber die für Paulus entscheidende Absolutheit der Gegensätze fehlt. Die Erbsünde samt der Unmöglichkeit eigener menschlicher Gerechtigkeit, also im Grunde die paulinische Rechtfertigungslehre, findet keine Würdigung und kann sie nicht finden. Und die Kreuzestheologie samt der Lehre vom Sühnopfer Christi tritt ebenfalls in den Hintergrund und wird nur gelegentlich ornamental verwendet. Die. Menschwerdung Christi, nicht sein Tod, ist die entscheidende Erlösungstat, und der gerecht machende Glaube ist die Annahme der kirchlichen Botschaft von der Wunderkraft des Sakraments. Die Theologie des Irenaeus arbeitet freilich mit paulinischen Gedanken: aber was sie bringt, ist die Ausführung eines aus solchen Elementen entwickelten Gemeindeglaubens, der in einfacheren Formen schon in den ignatianischen Briefen erkennbar ist 2 . Hinter all diesen Erörterungen der Theologen steht der schlichte Glaube syrischer und kleinasiatischer Gemeinden, die von der Problematik der Sündenvergebung noch nicht s. Bd. 1,117—123.

*) s. Bd. 1, 253 f. 256. 261 f.

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9. Gallien

berührt sind und ganz in dem naiven Rigorismus der Urkirche lebend die Gemeinde der Heiligen darstellen. Es ist der Ruhmestitel des Irenaeus, daß sein „System" aus dieser wurzelechten Frömmigkeit des Kirchenvolkes herausgewachsen ist. Aber die Gebildeten des Ostens machten höhere Ansprüche philosophischer Art, darum hat ihnen das Werk des Lyoneser Bischofs nicht genügt: das Abendland hat sich dankbarer erwiesen.

Afrika Gleichzeitig mit der gallischen Kirche tritt auch die Kirche Nordafrikas in das Licht der Geschichte; aber während jene nach Irenaeus sofort wieder in ein lange währendes Dunkel zurücksinkt, hat diese ein ständiges Anwachsen ihrer Bedeutung für die Gesamtkirche erfahren. In ihrer Entwicklung von Tertullian über Cyprian bis zu Augustin ist sie die Lehrerin der ganzen abendländischen Christenheit geworden. Afrika ist nicht weniger als Südgallien alter Kolonialboden. Die eingeborenen blonden und blauäugigen Berber sind von den Phöniziern niedergehalten worden, und die vorwiegend städtische Kultur dieser punischen Kolonisten ist dem römischen Schwert zum Opfer gefallen. In der römischen Provinz Afrika leben die beiden unterdrückten Rassen fort, die Punier am stärksten in dem wiederbelebten Karthago, aber auch sonst iti den Kleinstädten des Landes. Die Kultur bestimmt Rom und seine Sprache. Griechisch reden und schreiben die gebildeten Kreise noch bis ins 3. Jahrhundert 1 , aber es gilt nicht im täglichen Leben, wie das Latein und das Punische. Die Inschriften geben davon ein deutliches Zeugnis. Die Provinz blühte wirtschaftlich gewaltig auf, Karthago wurde nach Rom die zweite Weltstadt des Westens, und noch heute bezeugen die zahlreichen und prächtigen Römerbauten, die über das ganze Nordafrika verstreut sind, den weiten Umfang des von der städtischen Kultur der Römer erfaßten Gebietes. Das zweite Jahrhundert ist hier ebenso wie im Osten die Zeit des größten Aufschwungs gewesen, und als die geistige Produktionskraft Italiens zu sinken begann, schickte sich Afrika an, die lateinische Literatur von sich aus neu zu befruchten. Das hat freilich nur zu dem „archaistischen" Rhetor Fronto, dem Philologen Sulpicius Apollinaris und seinem ') Griechischer Unterricht: Dessau Inscr. lat. 2937.

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10. Afrika

Schüler Gellius, sowie dem philosophisch-mystischen Romanschreiber Apuleius gelangt1, aber es war doch mehr, als Italien zu leisten vermochte, und die Römer gingen bei diesen Männern in die Schule. Erst das Christentum hat den Afrikanern die Kraft gegeben, Weltliteratur hervorzubringen. Wir haben keine Kunde über das Eindringen der neuen Religion in Afrika. Daß sie von Rom aus dorthin gekommen ist, darf man als wahrscheinlich annehmen; die Verbindung zwischen Rom und Karthago ist immer eng gewesen, und man hat in der afrikanischen Kirche das Bewußtsein einer gewissen Abhängigkeit von der Hauptstadt des Reiches'. Die ersten Sendboten werden Griechisch gesprochen haben, wie es die römische Gemeinde tat. Wir haben Zeugnisse für den Gebrauch dieser Sprache in christlichen Kreisen' Afrikas um 200, und Tertullian hat gelegentlich auch Griechisch geschrieben, so gut wie sein wenig älterer Landsmann Apuleius. Aber das Latein hat sich schnell in der Kirche geltend gemacht, und wir können feststellen, daß gegen Ende des zweiten Jahrhunderts Afrika bereits eine lateinische Bibel besitzt, die nicht nur das Alte, sondern auch das Neue Testament enthält: Tertullian zitiert fleißig aus ihr. Wir müssen es angesichts des trümmerhaften Zustandes der erhaltenen Reste einstweilen noch dahingestellt sein lassen, ob dieäe Ubersetzung vollständig war und ob sie als ein einheitliches Werk in Afrika entstanden ist. Wahrscheinlich muß diese Frage bei den einzelnen Teilen verschieden beantwortet werden, und wir haben guten Grund zu der Annahme, daß am Ausgang der Antoninenzeit auch in Rom eine lateinische Bibelübersetzung vorhanden war, die sich von ihrer afrikanischen Schwester deutlich unterschied. Und als die Jünger Marcions ihre Propaganda von Rom nach Afrika herübertrugen, brachten sie den neutestamentlichen Kanon ihres Meisters in einer eigenen lateinischen Gestalt mit4. Auf jeden Fall bezeugt die Tatsache einer ») s. o. S. 12. l ) Tertullian praescr. 36. s ) Acta Perpetuae 12, 2. 13, 4 vgl. griech. Ubersetzung der Acta Perpetuae und Acta Scillitanorum. *) H. v. Soden in Festgabe für Jülicher (1927) 273 f. Harnack Chronol. 2, 296.

Kultur. Lateinische Bibel. Ausbreitung

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lateinischen Bibel Afrikas vor 200 eine sehr erhebliche Verbreitung romanisierter Christen in diesem Lande. Und wirklich ist Latein hier früher als in Rom die Kirchensprache geworden. Daran hat auch der Zuwachs punischer Elemente nichts geändert, den wir im vierten Jahrhundert feststellen können — und der doch wohl schon erheblich früher begonnen hat. Man predigte diesen Leuten in ihrer Sprache1, aber man schuf ihnen keine punische Bibel und keine punische Liturgie — so wenig man in Gallien den Kelten das Entsprechende bot. Und die unterworfenen Völker haben sich darein gefunden, während die Orientalen mit der Zeit überall die griechischen Fesseln gesprengt haben. Von berberischen Christen haben wir im dritten Jahrhundert nur vereinzelte Spuren und auch später nur geringe Kunde: sie waren sicherlich am weitesten von städtischer Kultur entfernt. Und die Städte waren hier wie überall die Ausgangspunkte des Christentums. Durch Tertullian erfahren wir, daß es zu seiner Zeit — also um 200 — Christen gab in Karthago und seiner Nachbarstadt Utica, dem kleinen, südlich gelegenen Uthina (heute Odna), in der Hafenstadt Hadrumetum (heute Sousse), in dem Knotenpunkt Thysdrus (El Djem), dessen mächtiges Amphitheater noch immer von der einstigen ßedeutung des Platzes Zeugnis gibt, und dem großen Garnisonort Lambaesis, der militärischen Zentrale der Landschaft Numidien, die jetzt Algerien heißt. Ein paar Orte kommen noch durch andere Zeugnisse hinzu, dann ist unser Wissen um die geographische Verbreitung des Christentums in Afrika um 200 erschöpft 2 . Es ist wenig, aber doch beträchtlich mehr, als wir aus Gallien zur selben Zeit erfahren. Die afrikanische Kirchengeschichte beginnt für uns mit dem Martyrium der Christen von Scilli, einem kleinen Ort Numidiens, dessen Lage wir nicht kennen. Sie werden am 1. August 180 von dem Proconsul in Karthago verurteilt und hingerichtet: zwei von den Namen klingen berberisch und leh») Th. Zahn Gesch. d. neutest. Kanons 1, 40—42. Mission 2, 902—904.

s

) Harnack

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10. Afrika

ren uns also schon in so früher Zeit erfolgreiche Mission in der Urbevölkerung kennen. Dann tritt Tertullian auf den Plan, und die große Geschichte öffnet ihre Tore in voller Breite: der Mann ist in Konflikt mit der Kirche geraten und Montanist geworden, hat im schärfsten Kampf gegen den römischen Bischof gestanden — und doch sind seine Schriften aus allen Lebensperioden in alter Zeit fleißig gelesen worden und haben sich in mehreren Handschriften durch das Mittelalter hindurchgerettet: so mächtig hat seine Persönlichkeit gewirkt. Er war aus Karthago gebürtig und Sohn eines zur Dienstleistung bei der Regierung kommandierten Centurio 1 , hat sich als Jurist in Rom einen Namen gemacht und ist dann später nach Karthago zurückgekehrt 8 . Wann und wo er zum Christentum übergetreten ist, wissen wir nicht, nur daß er früherHeide war, ist durch seine eigenen Worte gesichert*. In den Digesten des Corpus juris begegnen ein paar Zitate eines Juristen Tertullian, der um die gleiche Zeit gelebt hat: es ist nicht unmöglich, daß eo unser Kirchenvater ist. Hieronymus behauptet, Tertullian sei Presbyter in Karthago gewesen, und das wird auch wohl zutreffen, da seine überragende schriftstellerische Tätigkeit schwerlich im Laienstande geübt worden ist: er selbst nimmt in den erhaltenen Schriften auf seine klerikale Würde niemals Bezug. Sein Geburts- und Todesjahr sind unbekannt und kaum annähernd zu bestimmen, doch geben einige Schriften Hinweise auf ihre Entstehungszeit, die uns erlauben, seine schriftstellerische Tätigkeit etwa durch die Jahre 195—220 zu begrenzen und die Schriften leidlich der Zeit nach zu ordnen. Montanist ist er spätestens 207 geworden 4 . Tertullian ist uns nur als Schriftsteller bekannt: als handelnde Person tritt er uns nie entgegen.. Aber seine Schriftstellerei ist wirkliche Tat gewesen 5 . Man hat ihn den Schöpfer der lateinischen Kirchensprache genannt, und das trifft zu. Er ist der Erste, der von christ») Hieron. vir. inl. 53. 2 ) Euseb KG 2, 2, 4 Tert. cult. fem. 1, 7. 4 ) Tert. apol. 18, 4 resurr. 59 (3, 120, 3). ) Harnack Chronol. 2, 256—296. «) K. Holl Ges. Aufs. 3, 1—12. 3

Tertullian

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liehen Dingen in einem freien und künstlerisch geformten Latein schreibt, und er schafft sich die religiösen und kirchlichen Bezeichnungen selbst, ohne Vorbild: seine lateinische Bibel war dafür nicht brauchbar, und er bringt das mehr als einmal zum Ausdruck. Und was er geschaffen hat, ist weithin maßgebend geblieben, ist von Cyprian übernommen und weitergeleitet und dann zum selbstverständlichen Gemeingut des Westens geworden. Er gestaltet seine Rede als Künstler, das heißt natürlich dem Geschmack seiner Zeit entsprechend, aber mit starker persönlicher Note 1 . Keine langen Perioden, kurze Sätze und Satzglieder, gern in parallelem Bau bei gegensätzlichem Inhalt, mit Wortspielen und gelegentlich klingendem Reim; gehäufte Fragen, zugespitzte Antworten im Telegrammstil, zuweilen so geschraubt im Ausdruck, daß der Sinn zum Rätsel wird. Aber immer gespannt, immer bewegt, immer geistreich. Gewiß, das ist die „asianische" Manier der griechischen Rhetoren, und aus deren Schule ist sie in Afrika eingeführt. Apuleius braucht dieselbe Weise. Aber bei Tertullian ist ein starker Einschlag vom knappen Stil des Tacitus wirksam und flößt römischen Ernst in die griechische Journalistik, und das aller Regeln und Grenzen spottende Temperament des Mannes bringt das Ganze doch zu einer einheitlichen Wirkung. Es ist das erste Mal, daß ein christlicher Autor auch formell weit über seinen Zeitgenossen steht und in eigener Sprache und Form sich als Meister beweist: man möchte gern wissen, was die heidnischen Leser dazu gesagt haben. Denn für solche schreibt er bewußt: sein Schriftchen vom Pallium, in dem er vor dem karthagischen Publikum seine griechische Philosophentracht rechtfertigt, hat nur Sinn, wenn es in die Hände eben dieses Publikums gelangen konnte. Und man darf bei Tertullian annehmen, daß auch sgine apologetischen Schriften nicht bloß von Christen gelesen wurden, wie die seiner Kollegen — und wie er selbst resigniert versichert 1 . Sie boten zu viel, was den literarischen Gaumen reizte, auch inhaltlich. Zunächst einmal Gelehrsamkeit, will sagen eine drängende *) E. Norden Antike Kunstprosa 606—615.

*) o. S. 175 A. 3.

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10. Afrika

Fülle von Beispielen und Belegen aus allen Wissenschaften und der Geschichte aller Zeiten und Völker. Man bekommt in der erwähnten Schrift vom Pallium eine gute Anschauung davon, was der Leser jener Zeit verlangte: da gibt es eine Betrachtung überTunika undToga im Zusammenhang mit dem Schicksal Karthagos, über den Wechsel als Prinzip der Entwicklung in Natur und Geschichte, über Mode und Körperpflege beider Geschlechter und den Luxus der Verschwender. Natürlich schöpft Tertullian die unglaublich bunte Fülle des Stoffes aus den üblichen Nachschlagebüchern, die damals jeder Schriftsteller auszuschlachten pflegte, aber er putzt alles geschickt auf und mengt es mit den Früchten seiner eigenen scharfen Beobachtungsgabe: da wird es doch reizvoll. Als Gegenbeispiel wirken die mit verlockendem Titel ausgestatteten „Attischen Nächte" des Aulus Gellius, in denen ein trockener Schulmeister und Bibliothekar Auszüge aus selbstgelesenen Schriftstellern, aus allerhand Lexika und dichterischen Blütenlesen vorträgt: auch das ist zeitgenössische Gelehrsamkeit. Was aber jeden Leser vom ersten Augenblick an gefangen nimmt, ist das stürmische Temperament Tertullians. Vom Anfang an weiß man, was er will, und mit blendender Gedankenführung geht er auf sein Ziel los. Alle seine Werke sind Gelegenheitsschriften, alle bekämpfen einen Gegner, und alle enden mit seiner restlosen Vernichtung. Der Gegner hat stets und in vollem Umfang Unrecht: das erhärtet Tertullian Punkt für Punkt in planmäßig aufgebauter Steigerung des Beweisganges und im einzelnen mit packenden Gründen. Philosophie, schulmäßige Logik und nüchterner Alltagsverstand werden zu Hilfe gerufen, wenn sie zur Widerlegung geeignet sind; aber er kann sie auch beiseite stellen und sich auf das geschriebene Bibelwort berufen, wenn dies dem Zwecke besser dient. Er kann die Grundsätze einer gesunden Auslegung nach dem Wortverstand und dem Zusammenhang einleuchtend entwickeln und wirkungsvoll anwenden, aber er kann sie auch völlig verleugnen und mit hemmungslosen Einfällen und spielerischer Allegorie arbeiten, wenn der Gegner nur so abzuwei-

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Tertullian als Schriftsteller

sen ist. Der Zweck bestimmt allmächtig die Mittel, und der Gedanke einer objektiven Sachlichkeit liegt meilenfern. Hier redet ein Advokat, der nur das eine Ziel kennt, den Prozeß zu gewinnen; aber der mit verdoppelter Leidenschaft kämpft, weil es stets sein eigener Prozeß ist, in dem er steht. So hat er gegen Ketzer wie Valentin und Marcion gestritten, so auch den gnostisierenden Maler Hermogenes und Praxeas bekämpft, die persönlich seinen Lebenskreis unsanft berührt haben. Aber schon vorher hat er in einer eigenen Schrift 1 schön juristisch bewiesen, daß man mit Ketzern überhaupt keine sachliche Auseinandersetzung zu führen brauche, da i h n e n die Beweislast obliege. Leidenschaftlich hat er gegen die Praxis der Christenverfolger geschrieben, immer wieder nach echten Rechtsnormen und Gerechtigkeit schreiend. Ja, er bietet sogar ein Gottesgericht an 1 : Holt einen Besessenen vors Tribunal und heißt einen beliebigen Christen ihn beschwören. Sofort wird der böse Geist sich wahrheitsgemäß als Dämon zu erkennen geben. Stellt einen gotterfüllten Enthusiasten hin, der vom Opferdampf die Gottheit der Tanit oder des Eschmun in sich gesogen hat. Und wenn diese Gottheiten nicht auf den Anruf des Christen sich als Dämonen bekennen, so laßt an Ort und Stelle des frechen Christen Blut verströmen! Wie er seinen schlichten Mantel gegen die Mode verteidigt, so wettert er gegen Kleiderluxus, Schminken und Haarkünste der christlichen Damen und gegen den Schauspielbesuch, den manche als erlaubtes Vergnügen den Christen zugestehen wollten. Immer zieht er scharf und rücksichtslos die praktischen Folgerungen der klaren christlichen Grundsätze. So widmet er seiner Frau eine Schrift, in der er sie für den Fall seines Todes zu ständiger Witwenschaft verpflichtet. Eine zweite Ehe ist ihm zwar keine schlechthin verbotene Sache, aber doch ein böses Versagen im Christentum: Sünde ist die zweite Ehe, wenn man sie mit einem Heiden schließt. Bald nach 200 sprang der Montanismus nach Afrika über, >) Tert. de praescr. haer.

l

) Tert. apol. 23, 4—6.

L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche 2. 3. Aufl.

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10. Afrika

jetzt nur noch gedämpft als enthusiastische Bewegung — die „neue Prophetie" des Parakleten war bereits zum geschriebenen Buch geworden — lebendig aber in der Strenge der altchristlich-eschatologischen Sittlichkeit. Kein Wunder, daß Tertullian Montanist wurde und mit schärfster Kritik die weiche Weltförmigkeit der Kirche geißelte, die von dem neuen Geist nichts wissen wollte. Jetzt ist ihm die katholische Kirche die Gegnerin, die er mit denselben Mitteln und demselben haßerfüllten Fanatismus einer neugebackenen Orthodoxie anfällt wie einst die Ketzer. Sieht man näher zu, so sind die Streitpunkte sehr verschieden an Gewicht. Die Montanisten verschärfen die Fastenpraxis, fordern Verschleierung nicht nur der verheirateten Frauen, sondern schon der jungen Mädchen, verbieten die zweite Ehe; sie nehmen im Kampf mit dem Staat eine unnachgiebige Haltung ein und sind unerbittlich hart gegen Gefallene. Tertullian steigert die Schärfe seines Tones nicht nach der Bedeutung der Sache, sondern mit der Dauer des Kampfes, und schließlich schämt er sich nicht, die kirchlichen Agapen, die er einst vor den Heiden so fein gepriesen, mit gemeinem Schmutz zu bewerfen 1 . Milde gegen Gefallene kennt auch er, aber über ihre Gewährung entscheidet der Geistesträger, der Prophet, nicht „die Kirche als Summe von Bischöfen" und am allerwenigsten der im Gefängnis sitzende Märtyrer, von dem der katholische Tertullian das Schönste auszusagen wußte, und den er jetzt verhöhnt und niederträchtig beschimpft*. Seine höchste Entrüstung löst eine Entscheidung des römischen Bischofs 8 aus, der amtlich erklärt hatte, auch die Sünde der Unzucht dem Bußfertigen vergeben zu wollen: mit allen Künsten des Beweises aus der Fülle biblischer Stellen, aber auch unter Berufung auf die Autorität des Parakleten kämpft er für die altchristliche Unnachgiebigkeit gegenüber einer Kirche, die Schlimmeres geworden ist als eine Räuberhöhle 4 . ») Tert. apol. 39, 16—21. ieiun. 17 (1, 296, 25 Wissowa) vgl. pudic. 22 (1, 271, 14. 17). *) Tert. ad martyr., pudic. 22 (1, 271). ieiun. 12 (1, 290). ») s. S. 253. *) Tert. pudic. 1 (1, 220).

Tertullian als Montanist. Seine Theologie

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Bei diesem so überstark betonten Frontwechsel ist doch die einheitliche gerade Linie nicht zu verkennen. Tertullian weiß sich durch das Christentum sittlich neugeboren: an diesem Punkte erlebt er den Gegensatz gegen seine heidnische Vergangenheit täglich. Hier schlägt auch sein Herz am stärk sten bei der Verteidigung seines Glaubens gegenüber den Verfolgern, und so ist er auch sofort bereit, eine Bewegung aufzunehmen, welche eine Steigerung der Sittenstrenge als göttliche Weisung glaubhaft macht. Darum ist er aber auch stets geneigt, gegnerische Ansichten als Zeichen sittlichen Mangels einzuschätzen und anzuprangern. Ein theologisches System hat er nicht, nur einzelne Meinungen formen sich ihm im Kampf mit den Gegnern. Das Wesen des Christentums ist ihm letzten Endes die Entfaltung der in jeder Menschenseele schlummernden und im volksüblichen Sprichwort zutage tretenden religiösen Grunderkenntnis, daß es nur einen Gott gibt, der zugleich gut und gerecht ist, daß Dämonen fti der Welt sind, die uns übles antun, und daß die Seele nach dem Tod weiterlebt und ein Gericht erwartet, das sie auf ewig straft oder belohnt 1 . Aber er denkt nicht daran, aus diesen Elementen nun die kirchliche Lehre zu entwickeln und ein anschauliches Verständnis der Erlösung durch Christus zu gestalten. Dazu fehlt ihm die Kraft. Er hat sich einmal darangemacht, ein theoretisches Werk „von der Seele" zu schreiben;es ist eine gelehrte und scharfsinnige Monographie geworden und darum für uns anziehend, aber doch ohne ZielundgrößerenZusammenhang:nicht einmal ein rechterGegner tritt auf, so daß eben nur der halbe Tertullian zur Geltung kommt. Darin wird denn auch von Erbsünde gesprochen*, aber ohne volle Klarheit und ohne Einsicht in die Konsequenzen. Im Ganzen erscheinen bei ihm die gemeinkirchlichen Lehren ohne tiefere Durchdringung, und der benutzt gern' mit einem Seitenblick auf die Gnostiker die Gelegenheit zu scharfen Ausfällen gegen ein Christentum, das mit der Philosophie ') Tert. test. anim. 1—4 (1, 134 ff.). (1, 366—369). ») Tert. praescr. 7.

*) Tert. de anim. 39—41 15*

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10. Afrika

einen Bund schließen will. Aber vielleicht gerade darum findet er öfter glückliche Formulierungen. Ihm haben die spekulativen Probleme der Griechen den Kopf nicht beschwert, und so hat er, ahnungslos das Ergebnis jahrhundertelanger Kämpfe vorausnehmend, schon von der göttlichen Trinitas gesprochen — er hat das Wort als Ubersetzung von Trias geschaffen — die e i n e r Substanz und e i n e s Wesens und e i n e r Macht sei, und zugleich den Sohn und den heiligen Geist als die zweite und dritte „Person" dieser Dreiheit bezeichnet1. Und dabei wird doch die Logoslehre im Sinne der Apologeten gegen Praxeas verfochten und strenge Unterordnung des Sohnes unter den Vater gelehrt®. Mit demselben glücklichen Geschick hat er auch die Formel der späteren Orthodoxie für das Verhältnis des Göttlichen und des Menschlichen in Christus gefunden: er ist Gott und Mensch, eine Person, in der zwei Substanzen, die ihre Eigenheiten bewahren, miteinander nicht gemischt, sondern verbunden sind*. Er freut sich, diese Formeln vor dem Leser auszubreiten, aber sie sind ihm nicht aus innerer Notwendigkeit erwachsen und haben mit seinem religiösen Leben keine Verbindung. Sie gelten ihm als Kommentar zur Glaubensregel, haben aber keinen organischen Zusammenhang untereinander und mit den übrigen Sätzen der Kirchenlehre. Bei Tertullian ist nur der Wille ein Ganzes, seine Äußerungen bleiben Fragmente. Augustin 4 behauptet, der unstete Mann habe sich später auch mit den Montanisten überworfen und schließlich eine eigene Gemeinde um sich gesammelt: und das klingt bei seinem Charakter recht glaubwürdig. Aber das Wissen über ihn setzt aus, sobald seine Feder schweigt: so schwindet er uns um 220 aus den Augen. Um diese Zeit muß das Christentum in Afrika in mächtigem Aufschwung gewesen sein, denn um 250 sehen wir es über alle Teile der Provinz hin verbreitet und von zahlreichen i) Tert. adv. Prax. 2 (3, 229 f. Kroymann) 6 (234, 22). 11 (244,13. 16). *) Tert. adv. Prax. 9 (3, 239, 24) 14, (250, 24). ») Tert. adv. Prax. 21 (3, 281, 21. 27). 4 ) August, de haeres. 86 (8, 25 b Bened.).

Tertullians Theologie.

Cyprian

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— man hat gegen 200 geschätzt 1 — Bischöfen betreut. Die Kirche wuchs aber nicht nur durch neugewonnene Heiden, auch von den abgespaltenen und ketzerischen Gemeinschaften fanden zahlreiche Mitglieder den Weg zurück1. Dadurch entstand die Frage nach der Gültigkeit ddr in einer Ketzerkirche empfangenen Taufe, und schon Tertullian hatte sie verneinend beantwortet*. Der karthagische Bischof Agrippinus — der erste, von dem wir zuverlässig etwas wissen —versammelte eine Synode von 70 Bischöfen, und man beschloß, rückkehrende Ketzer aufs neue zu taufen, da es außerhalb der Kirche keine echte Taufe gebe4. Nach ihm amtierte Donatus, über den wir auch nur eine Zufallsnachricht erhalten haben, nämlich daß er dem Urteil eines in Lambaesis tagenden Konzils von 90 Bischöfen zugestimmt habe: vielleicht hat er es auch geleitet 5 . Und dann erscheint in der Person Cyprians der erste große Bischof der afrikanischen Kirche. Von seiner Jugend wissen wir nichts: nur daß er nicht in christlichem Hause geboren wurde, sondern erst zum Glauben bekehrt werden mußte, sagt er uns selbst*. Er hat eine sorgfältige rhetorische Ausbildung genossen und ist offenbar in guten Vermögensverhältnissen herangewachsen, muß also wohl aus einer angesehenen Familie Karthagos stammen: sein Name Caecilius Cyprianus mit dem Beinamen Thascius 7 lehrt uns leider nichts Genaueres. Was ihn zum Christentum hingeführt hat, erzählt er uns in einer kleinen Schrift, die einem Freunde Donatus gewidmet ist. Der Ekel an der Sittenlosigkeit des öffentlichen und privaten Lebens seiner Zeit, in die er sich verstrickt fühlt, an den Auswüchsen des Reichtums und der Korruption der Rechtspflege, an Blutdurst und Grausamkeit hat ihm die Sehnsucht nach einer Befreiung von alledem erstehen lassen, auf deren Erfüllung er lange nicht zu hoffen wagte. Und nun hat er es erlebt, daß die Taufe ihn von dem alten Leben gelöst ') Hamack Mission4 2, 898. l ) Cypr. ep. 73, 3. ') Tert. bapt. 15. (1, 213 W.). ' ) Cypr. ep. 71, 4. 73, 3. August, de unico bapt. 22 (p. 21 Petschenig). «) Cypr. ep. 59, 10; vgl. 36, 4. «) Cypr. ep. 7, 1 ad Don. 3, 4. Hier. vir. inl. 67 stammt aus der wertlosen Vita des Pontius. 7 ) Cypr. ep. 66, tit. 4.

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10. Afrika

und gereinigt, ihn neu geboren und mit der Himmelsgabe des heiligen Geistes ausgerüstet hat, die ihm Kraft zu tugendhaftem Wandel ohne Sünden beschert. Und dankbar klingt sein Gebet, daß Gott ihm seine gnädige Gabe bewahren möge. Ihm ist das Christentum die sittliche Befreiung geworden. Wann er getauft ist und wie lange er dem Klerus als Diakon oder Presbyter angehört hat, wissen wir nicht, da die Angaben der alten Lebensbeschreibung schwerlich Anspruch auf historische Zuverlässigkeit machen können. Aber im Jahre 248 oder Anfang 249 ist er zum „Papst" — so heißen die Bischöfe von Rom, Karthago, Alexandria — von Karthago gewählt worden „durch die Stimme des Volkes und Gottes Urteil", aber zum Mißvergnügen einer kleinen Gruppe älterer und angesehener Presbyter, unter denen wir dem Namen Novatus begegnen 1 : daraus ist ihm viel Leid erwachsen. Noch nicht ein Jahr war er im Amt, da brach die Verfolgung des Decius aus2 und griff sofort nach den Bischöfen der Hauptstädte. Cyprian gelang es, einen sicheren Zufluchtsort zu finden, der ihn während der ganzen Verfolgung schützte. Aber seine Abwesenheit hinderte ihn nicht, die Oberleitung der Gemeinde in der Hand zu behalten und brieflich die entscheidenden Weisungen zu geben- er empfing auch Besuche und hatte in einem gewissen Tertullus einen Vertrauensmann, der ihm über alles Wichtige nähere Kunde gab. Die Presbyter und Diakonen, welche an der Stelle des ruhmvoll gestorbenen Bischofs Fabian die römische Kirche leiteten und nach Karthago über dies Martyrium berichteten, schrieben freilich zugleich einen Brief, der ihre Verwunderung über die Flucht des karthagischen Seelenhirten deutlich zum Ausdruck brachte. Cyprian hat ihn als so beleidigend empfunden, daß er ihn zurückschickte und anfragte, ob er echt sei3. Dann aber legt er ihnen über seine Tätigkeit Rechenschaft ab, sendet ihnen als Beweis seine Briefe an die karthagische Gemeinde zu und erklärt ihnen, daß er nur aus dem Grunde s

») Cypr. ep. 43, 1. 3. 4. 14, 1. 52, 2. vgl. 59, 6. ') s. S. 164—168. ) Cypr. ep. 9, 2. Ähnlich macht es Hieronymus ep. 102.

Cyprian in der decianischen Verfolgung

231

sich verborgen halte, weil seine Anwesenheit in Karthago auf die Behörden als Provokation wirken und verstärkte Verfolgungen entfesseln würde'.SeinemKlerus überträgt er die Sorge für die Gemeinde, unterläßt aber nicht, auch ihn zur Vorsicht und Vermeidung jedes Aufsehens anzuweisen 2 . Insbesondere ist er um die Betreuung der Eingekerkerten besorgt, schreibt ihnen mehrfach Trost- und Ermunterungsbriefe und weist von seinem Vermögen Geld an. Also hat ihn die infolge seiner Flucht über seine Habe ausgesprochene amtliche Konfiskation doch nicht aller eigenen Mittel beraubt®. Aber der Bischof war doch seiner Herde noch nicht so vertraut, daß seine Autorität auch aus der Ferne alles Unheil hätte bannen können, und drohende Traumgesichte von Mißklängen und Auseinanderstreben der Gemeinde quälten ihn in seiner Verborgenheit 4 . Die Frage, welche die Römer in jenem Schreiben schon sorglich berührt hatten, forderte bald auch in Karthago Antwort: Was soll mit den Gefallenen (Lapsi) geschehen? Es waren viel zu viele, um sie einfach mit altkirchlicher Strenge verloren zu geben; die Kirche mußte ihnen Seelsorge widmen und ihnen eine Hoffnung eröffnen. Aber welche? In jenem römischen Schreiben® war nur im allgemeinen die Aufgabe bezeichnet, die Gefallenen zur Reue und Buße zu leiten, damit sie nicht verloren gingen, sondern von Gott Verzeihung erlangten: vielleicht würden sie dann bei einer zweiten Verhaftung den Mut zum Bekenntnis finden. Sollten sie aber in Krankheit verfallen, so sei ihnen die Kommunion zu gewähren. Diesen Standpunkt machte sich auch Cyprian zu eigen und präzisierte ihn noch schärfer: Seelsorge soll den Lapsi gewidmet werden, dagegen ist es schlechthin untersagt, irgendeine Entscheidung über die Wiederaufnahme in die kirchliche Gemeinschaft zu fällen, solange die Verfolgung noch währt. Wer damit Eile hat, findet jeden Tag Gelegenheit, vor die Staatsbehörde zu treten und Märtyrer zu werden, also seinen Abfall rückgängig zu machen. Sobald Friede geworden ist, soll dann eine Synode von l ) Cypr. ep. 8. 9. 20, 1—2; vgl. 7. 14, 1. 2 ) ep. 5. 7. 14, 2. 7; vgl. 66, 4. *) ep. 11, 3—4. 5 ) ep. 8, 2—3.

3

) ep.

232

10. Afrika

Bischöfen und andern Klerikern, aber auch von Konfessoren und bewährten Laien die grundsätzlichen Entscheidungen vorschreiben und die einzelnen Fälle nach ihrer verschiedenen Schwere bewerten 1 . Nur in Todesnot soll einem Schwerkranken, der von einem Märtyrer oder Konfessor empfohlen wird, die Kommunion gewährt werden*. Diese klare bischöfliche Vorschrift fand aber nicht allgemeinen Beifall: der Widerstand kam von zwei Seiten. Zunächst nahmen die im Gefängnis leidenden Konfessoren es als ihr gutes und althergebrachtes Recht in Anspruch, aus Vollmacht des in ihnen wirkenden Geistes den Gefallenen Empfehlungsbriefe (Libelli pacis) auszustellen. Für diese Libelli nahmen sie höchste Autorität in Anspruch und verlangten, daß der Bischof und sein Klerus die mit einem solchen Schreiben Bedachten ohne weiteres, vor allem ohne Kirchenbuße oder sonstige Verzögerung, wieder in die kirchliche Gemeinschaft aufnähmen. Es kam noch etwas hinzu. Diese Konfessoren waren trotz ihrer Standhaftigkeit im Kampf gegen die Behörde keineswegs auch in anderen Dingen leuchtende Vorbilder christlichen Lebens, und als sie den Kerker verlassen durften, haben manche von ihnen die wiedergewonnene Freiheit übel mißbraucht. Und jene Libelli wurden nicht immer auf Grund genauer Prüfung des Falles, ja nicht einmal unter der Gewähr persönlicher Bekanntschaft ausgestellt, sondern erfolgten gelegentlich auch in der Form von Blankoanweisungen*. Während nun Cyprian diese Anmaßungen und Ungehörigkeiten höflich, aber fest zurückwies, nahmen seine alten Gegner im Presbyterkollegium die Gelegenheit zur Untergrabung der bischöflichen Autorität wahr und gaben der Forderung der Konfessoren in vollem Umfang nach: sie ließen alle Gefallenen, die einen Empfehlungsbrief von dieser Seite beibrachten, ohne Nachprüfung und ohne weitere Kirchenbuße zur Kommunion zu und legten dem Bischof nahe, dies Verfahren zu billigen4. Er blieb standhaft und reizte dadurch die >) ep. 17, 3.19, 2. 20, 3. 30,5. 31,6. 43, 3. ') ep. 18.19. 20,3. ') ep. 13, 4—5. 14, 3. 15, 3—4; de unit. 20. de laps. 20. «) ep. 14,4. 15,1. 16, 1—3. 17,2.

Der Streit um die Lapsi

233

Konfessoren zu immer neuen Anmaßungen: schließlich erteilten diese sämtlichen unter Cyprians Botmäßigkeit stehenden Lapsi einen Generalpardon und forderten den Bischof zur amtlichen Bekanntgabe dieser Tatsache an alle seine Amtsgenossen auf1. Cyprian setzte solcher Ungeheuerlichkeit ruhige Ablehnung entgegen. Das steigerte die Leidenschaft der Gegner. Man erklärte seine grundsätzlich abwartende Haltung und seine Forderung einer Prüfung der Einzelfälle für Nichtachtung des Ehrenrechtes der Konfessoren — was es auch wirklich war — und in einigen Städten der Provinz zwang die erregte Menge ihre Bischöfe zur Aufnahme der Gefallenen*. Cyprian blieb bei alledem in ständiger Fühlung mit dem römischen Presbyterkollegium, hielt es über seine Maßregeln und schriftlichen Kundgebungen auf dem Laufenden und fand in der Zustimmung der Römer eine wertvolle Rückendeckung*. Eine größere Anzahl karthagischer Konfessoren hatte nach ihrer Befreiung aus dem Gefängnis das Land verlassen und sich nach Rom geflüchtet: es bahnten sich Beziehungen zu den römischen Brüdern an, die dort noch im Gefängnis schmachteten 4 . Aber diese waren den extremen Wünschen der Karthager nicht zugänglich und hielten zur heimischen Kirchenleitung. Sie schrieben auch in diesem Sinne mahnend nach Afrika und erhielten einen warmen Dankesbrief Cyprians, densie herzlich erwiderten5. Aber in Karthago war kein Halten mehr. Die opponierenden Presbyter hatten sich schon so weit von dem Gehorsam gegen Cyprian dispensiert, daß ihr Führer Novatus einen angesehenen Mann namens Felicissimus zum Diakon machte und ihm dadurch die Verwaltung der kirchlichen Unterstützungskasse in die Hände spielte. Cyprians Anweisungen für Geldspenden wurden nicht mehr beachtet, ja die Gemeinschaft mit ihm laut und vernehmlich vor den Ohren der Gemeinde aufgekündigt. Wer Unterstützungen haben wollte, mußte jetzt gegen den Bischof stehen — und viele sind der Parole gefolgt 6 . So sah es in der Gemeinde im Frühjahr ») ep. 23 vgl. 22, 2. 27, 2. 2 ) ep. 27,1—3. s ) ep. 27. 30. 35. 21. 22. E) ep. 30, 4. 28. 31. «) ep. 41. 42. 43. 52, 2.

) de unitate 4—6. 9. 19—21; vgl. ep. 73, 21. 74,7. l ) Lehrreich z. B. ep. 38, 1. ') Bericht ep. 55, 6. 17—23. 59, 9. *) ep. 55, 6 Euseb KG 6,43,3—4.

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durfte Cyprian sich sagen, daß er alles erreicht hatte, was im Augenblick möglich war. Das war sicherlich eine gewaltige Stärkung seiner Autorität, aber es war nicht der Friede. Im nächsten Jahr versuchte die Opposition zunächst auf der Synode vom 15. Mai 252 einen Vorstoß, der aber schon an der Schwelle abgewiesen wurde, und wählte dann den Presbyter Fortunatus zum Gegenbischof.- Die Kirchenspaltung — das „Schisma" — war vollendet. Es fanden sich auch Bischöfe, die den Fortunatus anerkannten — ihre Zahl wird auf 25 angegeben, was Cyprian heftig bestreitet — und in Karthago hatte die schismatische Bischofskirche ja ihre alte Gefolgschaft. Nun schickte Fortunatus eine Gesandtschaft nach Rom, um die Anerkennung des Bischofs Cornelius zu gewinnen1. Der war etwa im März 251 nach mehr als zwölfmonatiger Sedisvakanz gewählt worden 1 . Aber auch da war die Stimmung nicht einheitlich gewesen, und bald wurde ihm in der Person des bisherigen Leiters des Presbyterkollegiums', Novatian, ein Gegenbischof gegenübergestellt. Cyprian hatte sich fürerst zurückgehalten, eine vorschnelle Anerkennung des Cornelius verhindert 4 und erst nach Empfang genauerer Kunde den Verkehr mit ihm aufgenommen und durch Übersendung der Akten des Konzils bestätigen lassen 5 . Cornelius war von dieser Vorsicht wenig erbaut gewesen und hatte das deutlich zum Ausdruck gebracht: so konnte dem Fortunatus der Versuch nicht aussichtslos erscheinen, die Anerkennung des Cornelius zu erreichen. Er schickte Mitte 252 mit anderen seiner Freunde den Felicissimus als seinen Sachwalter nach Rom. Und wirklich wurde Cornelius, der zunächst großen Wert auf den Verkehr mit Cyprian gelegt hatte, mit einem Male unsicher und lieh den Einflüsterungen der karthagischen Boten sein Ohr, die bei einer Ablehnung ihrer Wünsche mit skandalösen Mitteilungen vor der Öffentlichkeit drohten. Da wurde Cyprian ernstlich böse und schrieb ihm einen Brief' mit ein') ep. 59, 10—11. 14—19. ! ) Harnack Chronologie 2, 351. ») vgl. 4 ) ep. 44, 1. 45, 3. 48. H. Koch Cypr. ep. 55,5 (p. 627,7 Härtel). Cyprianische Untersuchungen 117—131. ep. 48, 3. 55, 6. ®) ep. 59 vgl. § 2. 3. 14.

Schisma in Karthago

237

gehender Darlegung aller in Betracht kommenden Punkte. Aber im Anfang macht er dem jüngeren Kollegen klar, daß es um die Hoheit des bischöflichen Amtes geschehen sei, wenn er sich durch terroristische Drohungen einschüchtern lasse: ein Bischof müsse auch Schmähungen vertragen können. Übrigens sei die ganze klagende Gesellschaft von den zuständigen Richtern in Karthago bereits verurteilt und habe in Rom nichts zu suchen. Der Ton dieser Lektion, die er seinem „lieben Bruder" erteilte, zeigt, wie er seine Persönlichkeit einschätzte. Und es hat gewirkt. Um die gleiche Zeit agitierten in Karthago Gesandtschaften des Novatian für dessen Anerkennung. Die erste erschien bald nach der zwiespältigen römischen Wahl 251 und hatte bei Cyprian und seiner Synode kein Glück1. Aber es wurde trotzdem im Lande für die Anerkennung Novatians Stimmung gemacht, dessen alle Lapsi von der Buße ausschließender Rigorismus in den Kreisen der alten Montanisten Beifall finden mußte. Jedenfalls ist es gelungen, in Karthago eine Gemeinde zusammenzubringen, die den Novatian als rechtmäßigen römischen Bischof ehrte und von diesem den Presbyter Maximus zum Bischof gesetzt bekam2,so daß Karthago jetzt dreiBischöfe hatte: den „milden" Fortunatus, den „strengen" Maximus und den „katholischen" Cyprian. Auch bei diesen Umtrieben hat Cyprians alter Gegner Novatus eine Rolle gespielt: er ist es, der in Rom eine Anzahl Konfessoren vorübergehend auf Novatians Seite bringt und im Spätsommer 251 eine neue Gesandtschaft der Novatianer nach Karthago geleitet'. Uber die Wirkung hören wir nichts Genaueres, da Cyprian nur im Tone der Verachtung von diesen Dingen spricht und von dem ständigen Abbröckeln der gegnerischen Front berichtet*. Aber er hat es doch für nötig gehalten, dem Cornelius eine Namenliste des gesamten afrikanischen Episkopates zu schicken, damit er wisse, mit wem er verkehren dürfe 5 . Die Stimme der Gegenseite ist für uns nicht vernehmbar. Wir können nicht sagen, *) ep. 44. «) ep. 44,3. 55,24. 59,9. *) ep. 59,9.

') ep. 50. 52,2.

*) ep. 59,15.

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wieviel Bischöfe wirklich gegen Cyprian standen, noch weniger, wie weit diese Gegensätze ins Volk gedrungen sind. Daß viel persönliche Leidenschaft mitgespielt hat, läßt sich nicht bezweifeln, aber es ist sicher auch viel Seelenangst und innere Not, viel geistliches Schwärmertum und Fanatismus dabei wirksam gewesen. Und alles zusammen hat die Einheit der afrikanischen Kirche stärker untergraben, als die Briefe Cyprians uns offen erkennen lassen. Alle diese Kämpfe seit den Tagen des Montanismus zeigen uns, daß auf diesem Boden alle Gegensätze sich leidenschaftlich vertiefen und eine innere Unrast erzeugen, aus der schließlich im vierten Jahrhundert der Donatismus erwächst. Einstweilen freilich verstand Cyprian es meisterhaft, seine Stellung zu festigen. Er hatte die Anerkennung seiner Grundsätze durchgesetzt: die aus freiem Willen Gefallenen waren auf Lebenszeit ausgeschlossen. Da zeigten sich im Frühjahr 253 die ersten Vorboten einer neuen durch Kaiser Gallus geplanten Verfolgung: und sofort begriff das Maikonzil die Zeichen der Zeit1. Der harte Beschluß wurde aufgehoben und allen Gefallenen, die sich der kirchlichen Zensur unterworfen hatten, die Aufnahme gewährt, um sie für den bevorstehenden Kampf zu stärken. Damit war der sachliche Gegensatz gegen die Felicissimusgruppe am entscheidenden Punkt beseitigt. Die Gefahr ging an Afrika vorüber — in Rom wurde Cornelius verbannt* — aber der errungene Vorteil in der Behandlung der Lapsi blieb ein Gewinn für die Kirche. Rom gegenüber hatte Cyprian mit Glück seine Autorität gewahrt, und gegen Cornelius war das nicht schwer gewesen. VonBerührungen mit seinem kaum ein Jahr amtierenden Nachfolger Lucius hören wir nichts. Im Jahre 254 wurde Stephanus römischer Papst: und da gab es einige merkwürdige Auseinandersetzungen. In den spanischen Städten Leon (in Asturien) und Merida (in Estremadura) hatte man die Bischöfe als Libellatici abgesetzt und ihnen nach allen Regeln Nachfolger erwählt. Jetzt meldete sich plötzlich der eine Sünder in Rom, !) ep. 57.

2

) o. S. 169.

Cyprian und Stephanus von Rom

239

beteuerte vor Stephanus seine und seines Kollegen Unschuld und erreichte eine Erklärung, daß er wieder in sein Amt einzusetzen sei. Da reisten die beiden Nachfolger mit dem nötigen Aktenmaterial nicht nach Rom, sondern nach Karthago und ließen sich dort von Cyprian und seinem Konzil ihre Rechtmäßigkeit bescheinigen. Von dem römischen Urteil hieß es in dem Synodalschreiben nur so nebenbei, Stephanus sei mit dem wahren Tatbestand nicht bekannt gewesen und deshalb getäuscht worden, was man aber nicht ihm, sondern den listigen Betrügern zur Last legen müsse. Das Urteil wurde mit dem in der ganzen Welt und gerade auch von Cornelius anerkannten Satz begründet, daß ein gefallener Kleriker nach getaner Buße wohl als Laie wieder aufgenommen werden, aber nie wieder zu einer Stellung im Klerus gelangen könne 1 . Noch stärker tritt das Selbstbewußtsein des karthagischen Papstes bei einer andern Sache zutage. Bischof Faustinus von Lyon hatte sich im Namen der gallischen Bischöfe nach Rom und Karthago gewandt mit einer Beschwerde über Marcianus von Arles, der als strenger Novatianer den Gefallenen keine Aussicht auf Wiederaufnahme eröffnen wollte. Stephanus hatte nicht geantwortet, und Faustinus war noch einmal bei Cyprian vorstellig geworden. Da hat sich dieser hingesetzt und dem römischen Kollegen haarklein vorgeschrieben, was er nach Lyon antworten müsse. Marcianus sei abzusetzen und ein Nachfolger zu wählen — und Stephanus möge so freundlich sein, dessen Namen nach Karthago mitzuteilen1. Wir wissen nicht, wie die beiden Angelegenheiten ausgelaufen sind, auch nicht, was Stephanus zu der Verkehrsform seines Kollegen gesagt hat: aber bei einer dritten Frage erhalten wir über beides Bescheid. Die Rückkehr reuiger Novatianer zur katholischen Kirchengemeinschaft hatte überall die Frage auftreten lassen, ob man die in der schismatischen Kirche erteilte Taufe anerkennen sollte oder nicht. Die alte Kirchenpraxis war aus guten Gründen für Ablehnung und erneute Taufe der Rückkehren>) ep. 67, 5—6.

«) ep. 68.

10. Afrika

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den. Unter den gegenwärtigen Verhältnissen ließ sich aber manches für die Anerkennung der Novatianertaufe sagen: war doch der Unterschied zwischen beiden Kirchen nur ein äußerlicher ohne irgendeine Lehrdifferenz. Cyprian wurde die Frage von einem seiner Bischöfe vorgelegt, und er beantwortete sie ohne Zögern ablehnend. Er hatte stets die Novatianer und seine übrigen Gegner als außerhalb der Kirche stehend gebrandmarkt und von diesem Standpunkt aus den Kampf gegen sie geführt. Nun klangen seine mächtigen Worte in die Problematik der Gegenwart richtungweisend hinein: außerhalb der Kirche gibt es kein Heil, also auch keine Sakramente. Es ist eine grundsätzliche Unmöglichkeit, die Taufe Draußenstehender anzuerkennen1. Einige numidische Bischöfe sind im Zweifel: da läßt Cyprian auf einem Konzil im Jahre 255 diesen Grundsatz feierlich aussprechen®. Er bezeichnet es als völlig unbegreiflich, daß einige Kollegen anders urteilten 9 . Und da, der bedeutendste dieser Unbegreiflichen in Rom saß, so schreibt das Konzil an Stephanus und teilt ihm seinen Beschluß mit 4 „in der Erwartung, daß auch er als frommer und wahrheitsliebender Mann billigen werde, was zugleich fromm und wahr sei. Im übrigen wolle man niemandem Gewalt antun oder Vorschriften machen, sintemalen hinsichtlich der Kirchenleitung ein jeder Bischof freie Entscheidung habe und nur Gott für seine Handlungsweise Rechenschaft schuldig sei". Die Antwort des Stephanus war von unerhörter Schärfe: er wies die Afrikaner an, keine Neuerungen gegen die Tradition einzuführen und rückkehrende Häretiker nicht erneut zu taufen, da auch auf der Gegenseite die katholische Taufe anerkannt werde 5 . Das war offene Kampfansage, und Cyprian erwiderte sie mit seiner stärksten Waffe. Er versammelte am 1. September 256 eine außerordentliche Synode in Karthago, die von 87 Bischöfen besucht war. In der einleitenden Rede wies er nur auf seinen Briefwechsel mit einem afrikanischen Kollegen hin und bat die Mitglieder, nun auch ihre Meinung *) ep. 69.

l

) ep. 70.

») ep. 71,1.

*) ep. 72,3.

') ep. 74,1.

241

Cyprian und Stephan in Rom

über die Ketzertauffrage zu sagen, „ohne damit ein Urteil über Andersdenkende fällen oder sie gar aus ihrer Gemeinschaft ausschließen zu wollen. Denn keiner von uns setzt sich zum Bischof der Bischöfe 1 oder bringt durch tyrannischen Terror seine Kollegen zu erzwungenem Gehorsam". Es war deutlich, auf wen das ging, auch wenn kein Name genannt und kein Brief verlesen wurde. Wir haben das amtliche Protokoll dieser Synode erhalten 1 : es ist ganz eindrucksvoll, wie da ein Bischof nach dem andern mit kurzer oder längerer Begründung seine Meinung im Sinne Cyprians abgibt und dieser selbst als Letzter abschließt, und es ist kein Zweifel, daß die ganze Kundgebung bis ins einzelste sorgfältig vorbereitet worden war. Inzwischen war die Sache für Stephanus eine Frage der römischen Autorität geworden, und er entschloß sich nun, die Kirchengemeinschaft mit allen Andersdenkenden aufzuheben. Die afrikanische Gesandtschaft, die ihm den Konzilsbeschluß überbringen wollte, wurde nicht nur nicht empfangen, sondern sogar ohne Quartier gelassen: sie sollte am eigenen Leibe spüren, was es hieß, von Rom exkommuniziert zu sein. Und Cyprian wurde nach 2. Kor. 11, 13 als Pseudochristus, Pseudoprophet und betrüglicher Arbeiter gescholten'. Aber auch die kleinasiatischen Kirchen wurden von diesem Urteil getroffen, und der kappadokische Bischof Firmilian von Caesarea schrieb einen empörten Brief über diese Anmaßung des Stephanus an Cyprian 4 . Die bei dieser Gelegenheit auflodernden theoretischen Diskussionen über die römische Autorität werden in anderem Zusammenhang zu erörtern sein. Hier genügt die Feststellung, daß zunächst alle Beteiligten in ihrer Kampfstellung blieben und Bischof Dionys von Alexandria vergeblich Vermittlungsversuche machte 5 . Da griff die Politik ein und brachte die Lösung. Kaiser Valerian erließ sein antichristliches Edikt*,' und Stephanus starb *) Tertullian de pud. 1: episcopus episcoporum; vgl. S. 226. *) Sententiae episcoporum 87 de haer. bapt. 1, 435—461 Härtel; v. Sos ) ep. 75, 25. den Gött. Nachr. 1909, 247—307. «) ep. 75,25. Euseb KG 7 , 5 , 4 . ») Euseb K G 7, 4. 5, 5. •) o. S. 169. L i e t z m a n n , Gesch. d. Alten Kirche2.

3. Aufl.

16

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10. Afrika

am 2. August 257 den Märtyrertod. Seinem Nachfolger Xystus redete Dionys erneut zu, er möge Frieden machen 1 , und das hatte wohl mehr Aussicht auf Erfolg, denn er war nicht so stark persönlich an sein Wort gebunden wie Stephanus. Aber Genaueres wissen wir nicht. Xystus wurde am 6. August 258 in einer Katakombe erschlagen. Cyprian teilt die Tatsache als Sturmzeichen dem afrikanischen Episkopat mit, aber ohne irgend einen wärmeren Ton, der auf brüderlichen Frieden schließen ließe. Dann trat der Tod an ihn selbst heran, nicht unerwartet: seit Jahren reden seine Briefe Von „diesen letzten Zeiten", deren Not in der Bibel geweissagt sei. Er erwartete das Ende. Am 30. August 257 wurde er von dem Prokonsul Paternus nach Curubis (jetzt Kurba) verbannt. Einige Zeit später durfte er zurückkehren, nur mußte er sich ständig in seiner Gartenvilla vor der Stadt aufhalten. Das tat er so lange, bis er hörte, der neuangekommene Prokonsul Galerius Maximus wolle ihn in Utica aburteilen. Da versteckte er sich, weil er nicht in Utica, sondern in Karthago bei seiner Gemeinde sterben wollte: der wundervolle Abschiedsbrief an seinen Klerus* spricht das ganz schlicht aus. Wie Cyprian es erwartet hatte, kam der Prokonsul nach Karthago zurück und ließ dann durch zwei Offiziere den widerspenstigen Papst verhaften und nach einem Vorort bringen. Die ganze Gemeinde strömte hinterher und wartete die Nacht hindurch vor der Tür. Am nächsten Tage, dem 14. September 258, erfolgte das Verhör und endigte nach wenigen Worten mit dem Todesurteil. „Und wir wollen mit ihm sterben", rief das Volk und geleitete ihn zum Richtplatz. Hier, auf freiem Felde, legte Cyprian seinen Mantel ab, kniete nieder und betete. Dann zog er sein Oberkleid, die weitärmelige Dalmatica, aus und stand nun im Linnenhemd, den Henker erwartend. Als der gekommen war, hieß er ihm 25 Goldstücke geben, während die Umstehenden Linnenlaken und Taschentücher zum Auffangen des kostbaren Blutes vor ihn ') Euseb KG 7, 5, 4—6. ') ep. 81.

Cyprians Märtyrertod

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hinwarfen. Zwei Kleriker verbanden ihm die Augen — dann fiel sein Haupt. Der Leichnam wurde beiseite geschafft und in der Nacht mit Kerzen und Fackeln beigesetzt 1 . Der Papst von Afrika war Märtyrer geworden. l ) Acta S. Cypriani; vgl. R. Reitzenstein Die Nachrichten über den Tod Cyprians Heidelb. SBer. 1913 Nr. 14.

16*

Rom Die Reichshauptstadt spiegelt während des zweiten Jahrhunderts die Blüte des weiten Imperiums in prachtvollen Bauten wider, die kaiserlichem Willen ihre Entstehung verdanken, und auch im beginnenden dritten Jahrhundert ist trotz aller Gefahren und wirtschaftlichen Krisen keine Verminderung der stadtrömischen Bautätigkeit zu bemerken. Das gewaltige Trajansforum, Hadrians Tempel der Venus und Roma, der Palast des Septimius Severus auf dem Palatin, die Thermen des Caracalla sind dafür heute noch eindrucksvolle Zeugen. Und mochte die Literatur auch versiegen, die bildende Kunst fand Tausende von Auftraggebern und behielt eigene Kraft, auch wenn sie in weitem Umfang handwerksmäßig und grobschlächtig wurde. Die Bevölkerung war und blieb ein buntes Gemisch aus allen Provinzen des Reiches, aber sie nahm auch in der Antoninenzeit nicht mehr zu. Die ständige Verringerung der Geburtsziffern, die Pest jähre und schließlich am wirkungsvollsten das Nachlassen der Zuwanderung aus den Provinzen ließen die Einwohnerzahl der Stadt seit der zweiten Hälfte des Jahrhunderts immer schneller sinken: wenn sie um 150 noch IV4 Million betrug, so kann man sie um 200 auf eine, um 300 auf eine halbe Million ansetzen 1 . Aber Rom blieb auch so noch die Stadt der Pracht und des Luxus, in der die soziale Frage, will sagen die Aufgabe der Befriedigung der besitzlosen Massen, durch Brotverteilung und Zirkusspiele gelöst wurde. Und in ihr wuchs um die gleiche Zeit das Christentum von unscheinbaren Anfängen zur beherrschenden Macht empor. Wir haben bereits Gelegenheit gehabt, unsere geringe Kenntnis der Frühzeit dieser Gemeinde zu beklagen: nur ihre Herkunft aus der Mission des bekehrten hellenistischen Ju') Kahrstedt bei Friedländer Sittengeschichte 10 4, 21.

Stadt und Gemeinde

245

dentums haben wir aus ihrem eigenen Zeugnis erschließen können 1 . Man hat auf vermeintliche Parallelen in der römischen Judenschaft hingewiesen und aus dieser Quelle Erkenntnisse zu schöpfen gehofft: vergeblich. Die Juden haben in Rom unter Augustus ihren Wohnsitz in Trastevere gehabt, bald danach aber auch an andern Stellen der Stadt Wohnung genommen, je nachdem es neuen Zuwanderern gefiel oder die Zugehörigkeit zu einer größeren Sklavenschaft ihnen die Behausung anwies. Die Inschriften der jüdischen Katakomben lehren uns Gemeinden in der Subura und auf dem Marsfeld kennen. Darüber hinaus werden uns noch elf weitere Bezeichnungen jüdischer Gemeinden genannt, darunter vier, die sich als Sklavengruppen vornehmer Familien bekunden. Wir finden die Toten dieser Gemeinden in leidlich übersichtlicher Ordnung auf eine Anzahl von Friedhöfen vor der Stadt verteilt. Von einer organisatorischen Zusammenfassung des hauptstädtischen Judentums ist keine Rede'. Dagegen erscheint die christliche Gemeinde Roms von Anfang an als Einheit. Wenn das auch für die allererste Zeit als eine Selbstverständlichkeit erscheinen mag, so haben doch bald dieselben Gründe, die bei der Judenschaft wirksam waren, auch die Christen in verschiedenen Gruppen über die Stadt hin verteilt: das ist in den Großstädten des Ostens, Antiochia und Ephesus, nicht anders gewesen. Uberall bilden sich „Hausgemeinden" solcher Gruppen, die durch gemeinsamen Wohnsitz oder Beruf zusammengeschlossen werden: sogar in Jerusalem' war das der Fall. Aber diese kleinen Kreise erscheinen nie als selbständige Einheit, sondern stets als Teil der örtlichen Gesamtgemeinde: und deren Geschlossenheit kommt in der Leitung durch das Kollegium der Presbyter oder Episkopen, bald noch eindrucksvoller in der Führung durch den monarchischen Bischof zum Ausdruck. Diese Entwicklung fehlt im Judentum: sie ist die Folge des christlichen Kirchenbegriffs, der sich in ständigem Streben nach einer auch äußer*) s. Bd. 1, 200, 209. ') Frey in Recherches de science religieuse 20 (1930), 295 ff. 21 (1931), 165 f. ') Apg. 2, 46.

246

11. Rom

lieh sichtbaren Einheit auswirkt. Rom war dazu bestimmt, die Summe dieser Kräfte in sich zu vereinigen: aber es hat Jahrhunderte gedauert, bis das Ziel erreicht wurde. In Rom hat sich der Ubergang von kollegialer zu monarchischer Leitung der Gemeinde in der Mitte des zweiten Jahrhunderts vollzogen1: also in der Zeit, in der nach Uberwindung schwerer Krisen die Grundsätze des auf apostolischer Tradition sich gründenden Frühkatholizismus siegreich durchdrangen. Um 140 war Marcion nach Rom gekommen, und es war gelungen, ihn von der Kirche abzutrennen. Zwanzig Jahre später wirkte der Gnostiker Valentin in der Stadt und mußte doch schließlich abziehen, ohne den Sieg gewonnen zu haben 1 . Der Apologet Justin war um diese Zeit der Theolog der Gemeinde und schrieb gegen die Ketzer3: uns ist sein Werk nicht erhalten, aber die Kirchenmänner der Folgezeit haben es fleißig ausgeschrieben. Bald nach 150 hat der Bischof Polykarp von Smyrna Rom besucht und sich mit Bischof Aniket über kirchliche Fragen verständigt. Aber es gelang ihm nicht, die Römer von der Notwendigkeit der in Kleinasien üblichen Passahfeier zu überzeugen. Aniket verwies darauf, daß seine Vorgänger das Fest nie begangen hätten, und wollte von dieser Tradition nicht weichen. Aber man war in Rom tolerant: die in Rom vorübergehend oder dauernd weilenden kleinasiatischen Christen durften von jeher ungestört ihr Passah begehen und wurden trotzdem als Glieder der römischen Abendmahlsgemeinschaft anerkannt: obwohl man ihre Feier als Judaismus hätte brandmarken und scharf ablehnen können. So hat diese Verschiedenheit im Kult auch keinen Gegensatz zwischen Aniket und Polykarp begründet, und der römische Bischof hat seinen ehrwürdigen Gast an seiner Stelle beim eucharistischen Gottesdienst amtieren lassen4. Doch breitete sich die Osterfeier unaufhaltsam in der Kirche aus, und Anikets Nachfolger Soter führte sie auch in Rom ein, aber nicht in der kleinasiatischen ») s. S. 50 f. ») s. Bd. 1, 266. 309. ») Justin apol. 26, 8. Iren. 4, 6, 2; vgl. 5, 26, 2. *) s. S. 129. Irenaeus bei Euseb KG 5, 24,14—17.

Gnostiker. Osterstreit

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Form, sondern, wie es meist üblich geworden war, als Auferstehungsfest am Sonntag1. Daraus erwuchs etwa zwanzig Jahre später doch ein Konflikt, nämlich als ein uns sonst unbekannter Blasius für die „quartodezimanische", also kleinasiatische, Passahfeier in Rom zu werben begann und sie mit biblischen Gründen verteidigtet daß er der Wortführer einer dort ansässigen kleinasiatischen Gruppe war', hat große innere Wahrscheinlichkeit. Jedenfalls wünschte Bischof Viktor von Rom die Frage nun zu einem Abschluß zu bringen. Er berief eine Synode nach Rom und forderte auch von allen übrigen kirchlichen Zentren den Zusammentritt von Synoden zur Entscheidung der Frage*. Wir haben bereits gehört 5 , daß alle anderen der römischen Übung beipflichteten und nur Kleinasien unter Führung des Polykrates von Ephesus bei seiner alten Meinung blieb: was dann Viktor zu einem allgemein gemißbilligten Bruch mit dieser Kirche veranlaßte. Das war in der Form zunächst kein Sieg des Viktor, aber es war sachlich ein Ereignis von größter Bedeutung. Zum erstenmal war die Einheit der katholischen Kirche in einer Summe von Synodalentscheidungen zur Darstellung gekommen, und das Ergebnis dieser Einmütigkeit stimmte mit dem überein, was die römische Kirche für richtig erklärte. Ob Viktor sich dabei auf eigene apostolische Tradition berief, ist aus den dürftigen Quellenangaben nicht ersichtlich: die Palästinenser haben es getan, und die Kleinasiaten führten dagegen ihre Apostel ins Feld'. Aber so oder so war unbestreitbar, daß Rom die ganze Sache angeregt und geleitet hatte und daß es Recht bekam. Das ist Gewinn für die Zukunft geworden. Mit dem Staat lebte man um diese Zeit in leidlichem Frieden. Die Favoritin des Kaisers Commodus, Marcia, war Christin und vermochte sogar, verurteilte Glaubensgenossen aus den Berg2 ) Euseb KG 5, 15 Ps. Tert. adv. omnes haer. 8 ») s. S. 130 f. (nach Hippolyt vgl. Chron. pasch, p. 12, 21—13, 7). ') La Piana Har4 ) Polykrates bei Euseb KG 5, 24, 8. vard Theol. Rev. 1925, 218. 5 ) s. S. 131. «) Euseb KG 5, 25. 5, 24, 2—3.

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11. Rom

werken Sardiniens zu befreien 1 . Aber in der Gemeinde selbst gab es Unruhe genug. Blastus war nicht der Einzige, der dem Bischof Viktor Schwierigkeiten machte. Euseb nennt mit ihm zusammen einen Presbyter Florinus, der gnostischen Anschauungen huldigte und den Valentinianern nahestand: Irenaeus hat gegen ihn mehrfach geschrieben 1 . Dann traten noch die kleinasiatischen Theologen auf, von denen bereits die Rede gewesen ist*, und die vermutlich auch in denselben Kreisen Widerhall fanden, die den Blastus gestützt hatten. Der „Dynamist" Theodot wurde von Viktor exkommuniziert, aber er hatte Anhang, und seine Schüler bildeten eine eigene Gemeinde unter einem Bischof Natalis, der sich dann freilich dem Zephyrin, Viktors Nachfolger, wieder unterwarf 4 . Nimmt man hinzu, daß schon unter. Viktors Vorgänger Eleutheros der Montanismus in Rom freundliche Beurteilung fand und daß erst die Einwirkung des Praxeas einen Umschwung in der Gesinnung des Bischofs bewirkte 5 , daß später auch Noetos aus Smyrna ähnlich wie Praxeas den Römern „monarchianische" Theologie predigte', so wird deutlich, daß dieser starke kleinasiatische Einfluß Spannungen hervorrufen konnte, und daß es in gewissem Sinne für das Gemeindeleben eine „kleinasiatische Frage" gab, die bedeutend genug war, um eine Abwehr von der Stärke der Osteraktion Viktors auszulösen. Die Kleinasiaten sind es jedenfalls gewesen, die eine theologische Bewegung in der römischen Kirche hervorgerufen haben. Justin hatte die Logoschristologie vertreten, Theodot lehrte Adoptianismus, Noet und Praxeas waren Monarchianer: die Gegensätze rührten die Gemeinde auf und zwangen den Bischof endlich, eine Entscheidung zu treffen. Die erste war rein negativ: die bereits erwähnte Exkommunikation des Theodot durch Viktor. Die Begründung erfahren wir nicht, Hipp. Refut. 9, 12, 11. 4 ) Euseb KG 5, 15. 20, 1. Iren, fragm. syr. 28 (2, 457). Baumstark Z N W 1912, 306 ff. ') s. S. 191.